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Dialektik Des Bildlichen Zum Sprachdenken Walter Benjamins

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; Fabian Grossenbacher j i Dialektik des | Bildlichen Zum Sprachdenken Walter Benjamins Ey ESS TS zur deutschen Sprache = Literatur EE, ai Fu LAFF 4 3. _ Anthropologische Dimensionen des Sprache- Bild-Verhaltnisses 3.1. Onomatopoesie, Geste, Mimesis Wie in den vorigen Kapiteln angedeutet, sto&t man in Benjamins eigenen Uberlegungen zur Sprache immer wieder auf anthropologische Themen und Annahmen. Diese Dimension kommt zwar selten ausschlie@lich und ausfihrlich zur Sprache, aber dafiir relativ regelmafig. Auch in einem Text, der als Sammelreferat konzipiert wurde, findet eine Diskussion anth- ropologischer Facetten sprachphilosophischer Ansatze statt. Benjamin geht darin vorwiegend auf zeitgendssische Theorien ein. Das Referat, das etwa Ende 1934 verfasst wurde und 1935 in der Zeitschrift fiir Sozialforschung erschienen ist, tragt den Titel ,, Probleme der Sprachsoziologie. Ein Sammel- referat” (vgl. GS III, 452-480). An Werner Kraft schreibt Benjamin am 30. 1. 1936, dass dieses Referat ,,genau an die Stelle fihrt’, wo Benjamins ,eigene Sprachtheorie, die [er] auf Ibiza vor mehreren Jahren in einer programma- tischen Notiz niedergelegt habe, einsetzt” (GB V, 237). Dieses Referat geriet erst vor Kurzem vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit der Benja- min-Rezeption. Anja Lemke hat im Benjamin-Handbuch zur _spateren Sprachphilosophie’ einen Artikel geschrieben, auferdem hat sich die Dis- sertation von Giinter Karl Pressler ausschlieGlich mit dem Sammelreferat befasst.! Vielleicht, weil es sich ,nur’ um ein Referat handelt und sich dar- iiber hinaus mit Ansatzen auseinandersetzt, die bislang in der Benjamin- Forschung eher wenig Beachtung gefunden haben, ist die breite Rezeption ausgeblieben. Bei der ,eigenen Sprachtheorie’ von der Benjamin redet, sind sehr wahrscheinlich die beiden kurzen Texte iiber die , Lehre vom Ahnli- chen” und ihre Uberarbeitung ,,Uber das mimetische Vermogen” gemeint, die beide im Jahr 1933 verfasst wurden. Diese wiederum - und das ist nicht unwichtig - sind nach einer brieflichen Mitteilung Benjamins an Gershom Scholem aus den Arbeiten an der ,,Berliner Kindheit um neunzehnhun- dert” entstanden. Am 28. 2. 1933 schreibt er, nachdem er Scholem mitteilt, dass er das , letzte Stick’ der ,Berliner Kindheit’ - das der damals geplanten Reihenfolge nach das erste hatte werden sollen - abgeschlossen habe, es sei nun ,,unter so bewandten Umstinden dennoch eine neue - Sprachtheorie Vel. Anja Lemke, Zur spateren Sprachphilosophie, in: Burkhardt Lindner (Hrsg), Benjamin-Handbuch. Leben ~ Werk ~ Wirkung. Stuttgart, Weimar 2006, $. 613-653 und Ginter Karl Pressler, Vom mimetischen Ursprung der Sprache. Walter Benja- ntins Sammelreferat Probleme der Sprachsoziologie im Kontext seiner Sprachtheorie, Frankfurt am Main 1992, 82 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiltnisses entstanden” (GB IV, 163). ,. Bemerken will ich nur, dass sie bei Studien zum ersten Stiicke der ,Berliner Kindheit’ fixiert wurde.” (Ebd.) Bei diesem ers. ten Stiick der ,Berliner Kindheit’ handelt es sich_um kein geringeres als das bereits zitierte Stiick ,,Die Mummerehlen”, das in demselben Brief auch als Pendant zum letzten - dem ,Bucklicken Mannlein’” bezeichnet wird. Ben- jamin verlangt von Scholem, dass er ihm die Kopie seiner eigenen frithen Spracharbeit ,,Uber Sprache iiberhaupt und tiber die Sprache des Men- schen” schickt, weil er sie fiir die Abfassung der neuen Arbeit bendtigt, Auch scheint im Kontext eines erst in Band VII, 2 der Gesammelten Schrif- ten edierten Textes, eines Entwurfs zu den ,Mummerehlen’ mit Titel ,Zur jLampe”, auf, dass ein altes Motiv der frithen Spracharbeit, namlich die Lampe, in diesen eher spiiteren Texten zur Sprache erneut eine Rolle spielt (vgl. GS VII, 792 ff.). Man hat es bei dieser spaten Sprachtheorie also dem- nach wiederum mit einem komplexen Geflecht von Beziigen zu tun, die, wie die Eingangsbemerkung klar gemacht haben sollte, auch das spite Sammelreferat tiber die , Probleme der Sprachsoziologie’ betreffen. In diesem Kapitel soll es primar um die Aufarbeitung dieser Beziige gehen. Ausserdem wird mit Blick auf unser Thema auch eine argumentati- ve Verschiebung interessant. Im vorigen Kapitel war der Sprachursprung ziemlich deutlich als solcher zu erkennen, die ,bildliche’ Dimension der Sprache blieb relativ jabstrakt’ und bezog sich eher auf den Namen als “urbildliches’ Fundament der Sprache. Hier jedoch kommen , bildliche’ Phanomene zur Sprache, die im Sprachursprung als sinnlich-konkrete ins Feld gefiihrt werden. Die hier rekonstruierte Argumentation stitzt sich auf die Erzihlung, dass dieses sinnlich-konkrete Moment nach und nach in der semiotischen Sprache ins Abstrakte transformiert wird. Ist es zu Beginn noch fast ausschlieflich Basis der Kommunikation, bleibt es spater als ein Sinnlich-Konkretes zwar in der Sprache als Rudiment erhalten, seine Funk- tion hat es als Intelligibel-Abstraktes nun aber auch in der semiotischen Lautsprache bis hin zur Schrift. Um diese abstrakten Satze auf ein konkre- tes Beispiel zu beziehen: Die ,Geste’ hat diese doppelte Bedeutung. Sie kann einerseits noch immer als sinnlich-konkrete Dimension der Sprache wahrgenommen werden, als Zeigegeste in einer Kommunikationssituation, in der sich die Sprecher leibhaftig begegnen, wo Mimik und das Gestikulie- ren mit den Handen ein Bestandteil der Kommunikation darstellt, anderer- seits kann sie innerhalb des semiotischen Sprachsystems auch als eine ins Abstrakte transformierte Funktion begriffen werden - in einer miindlichen Sprechsituation bei Prasenz der Sprechenden wie auch in der schriftlichen Kommunikation. Die im vorigen Kapitel konstatierte Dialektik kann unter anderen Vorzeichen auch hier festgestellt werden. In Bezug auf die ,Geste’ wird deutlich, dass sie zwar ,konkreter’ als der Name bleibt, dass aber auch sie eine Abstraktionsbewegung vollzieht, der ihr tiber den Transfer in die semiotische Sprache das Moment der sinnlichen Ahnlichkeit abzicht und 3.2. Uber ,Die Probleme der Sprachsoziologic” 8 sie in den symbolischen Bereich der Sprache integriert? Das deiktische Moment konserviert jedoch durch seinen hinweisenden Charakter das Konkrete, egal, ob es auf etwas auerhalb der Sprache weist oder am Ende auf die Sprache selbst, auf ihr ,,Ins-Werk-Setzen”, wie Giorgio Agamben schreibt.> Jedenfalls wird deutlich, dass diese Dimension der Sprache, ge- rade weil sie in den Symbolraum transferiert wurde, als transzendentale Bedingung bildlich-sprachlichen Kommunizierens wieder von Interesse ist. 3.2. Uber ,,Die Probleme der Sprachsoziologie” Da der besagte Text tiber die Sprachsoziologie’ laut Benjamin an jene Stelle fahrt, wo seine eigene Sprachtheorie einsetzt, soll diesem Text nun zuerst einige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht wie bei seinen anderen Texten zur Sprache setzt Benjamin sich in diesem Text, weil es sich eben um ein Referat handelt, vermehrt und explizit mit zeitgendssische Ansat- zen auseinander. Obwohl der Titel impliziert, dass Benjamin sich soziolo- gischen Ansatzen zuwenden wird, fallt auf, dass er sich stark mit psycho- logisch oder anthropologisch ausgerichteten Texten beschaftigt. Es fallt auch auf, dass er bestimmte Texte und Anséatze, die seinen eigenen Arbei- ten entgegenkommen, nur streift, anderes dagegen, das seinem Denken weniger entspricht, breiter ausfiihrt. Benjamin raumt zu Beginn seines Referats auch ein, dass es sich bei dem Thema um ein Grenzgebiet handle, das, trete man ihm naher, Berith- rungspunkte mit weiteren Disziplinen erdffne: [S]o gehdrt die Einwirkung der Sprachgemeinschaft auf die Sprache des Einzelnen als Kernproblem der Kinderpsychologie an; die immer noch zur Verhandlung stehende Frage des Verhaltnisses von Sprache und Denken ist, wie zu zeigen sein wird, ohne die Materialien der Tierpsychologie kaum 2 In diesem Zusammenhang ist der folgende Hinweis Giorgio Agambens auf die von Roman Jakobson (nach Otto Jespersen) festgestellten ,Shifters’ interessant. Er charak- terisiert sie als ein Schwellenphanomen zwischen Symbol und Index: ,Im Rickgriff auf Peirce’ Unterscheidung zwischen dem Symbol (das mit dem reprasentierten Ge- genstand aufgrund einer konventionellen Regel assoziiert wird) und dem Anzeichen (das in einer existenziellen Beziehung mit dem von ihm reprasentierten Gegenstand steht) definiert er die shifters als eine besondere Zeichenklasse, die beide Funktionen in sich vereint: als ,anzeigende Symbole’ (indexicel symbols).” Vgl. Giorgio Agamben, Die Sprache und der Tod, S. 48. Als Beispiel wird das Personalpronomen ich’ ange- fahrt, das einerseits symbolisch-konventionell bedeutet, andererseits aber in einer .existenziellen Beziehung’ zum Sprecher steht. Vgl. dazu Roman Jakobson, Form und Sinn, Sprachwvssenschafliche Betrachtungen, Manchen 1974, 5, 5-5,besonders aE. Vgl. Giorgio Agamben, Die Sprache und der Tod, 5. 50. 84 3. Authropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiiltnisses in Angriff zu nehmen; die neuen Auseinandersetzungen tiber Hand- und Lautsprache sind der Ethnologie verpflichtet; und endlich hat die Psycho- pathologie mit der Lehre von der Aphasie, der schon Bergson weittragende Aufschlisse abzugewinnen suchte, auf Fragen, die fiir die Sprachsoziologie von Bedeutung sind, Licht geworfen. (GS III, 452 f.) Benjamin steckt im Grunde bereits in diesem Zitat den Diskurs seiner Ge- wahrsleute ab, der sich neben der Soziologie und Linguistik eben auch auf Kinder- und Tierpsychologie, Psychopathologie und Ethnologie abstitzt, Etwa bei Jean Piaget und seinem Buch iiber das Sprechen und Denken des Kindes von 1923, das Benjamin in seinem Referat noch ausftihrlich, und va, mehrheitlich affirmativ zitiert - was angesichts seiner kritischen Hal- tung gegeniiber psychologischen und padagogischen Diskursen nicht selbstverstindlich ist -, findet man auf den ersten Blick die meisten der von Benjamin angesprochenen Probleme oder Fragen wieder. Dariiber hinaus findet man auch auf den ersten Blick AuRerungen diber das Verhailtnis von ersten Worten des Kindes, primitiven Denkens und mimetischen wie auch magischen Sprachverhaltens, die im Kontext der spaten Sprachtheorie Benjamins diese, so kryptisch sie scheinen mag, durch die Beziehung zu zeitgendssischen Diskursen, die nicht einfach mit dem Pradikat der Esote- rik versehen werden kénnen, weitaus nachvollziehbarer macht. Dennoch bezieht sich Benjamin in seinem Sammelreferat auch auf cher ,esoterische’ Texte, etwa auf eine Arbeit des Sprachphysiognomikers Heinz Werner’ + Vgl. Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, tibersetzt von Nicole Stober, Disseldorf, 3. Auflage 1976. 5 Vgl. beispielsweise Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, S. 17: ,,Man findet zB. unter den allerersten Worten ganz offensichtlich die Liebesschreie, mit denen der sexuelle Akt eingeleitet wird. Daher bleiben diese Worte und alle Worte, die auf die- sen Akt anspielen, unmittelbar emotional geladen. Diese Tatsachen erklaren die all- gemeine Tendenz beim primitiven Denken, den Namen von Personen und Dingen und die Bezeichnung von Ereignissen als Trager der Eigenschaften dieser Dinge oder Ereignisse zu sehen.” Und einen Abschnitt weiter: ,So spricht schlieflich vieles da- fiir, da die urspriingliche Sprache des Kindes viel komplexere Funktionen hat, als es auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Selbst wenn man den Details dieser The- orien mit gr8tem Vorbehalt gegeniibersteht, miissen wir einsehen, da viele Aus- driicke, die fiir uns nur begriffliche Bedeutung haben, fiir das Kleinkind lange Zeit eine Bedeutung behalten, die nicht nur affektiv, sondern quasi magisch oder wenigs- tens an gewisse Verhaltensweisen gebunden ist, die wir isoliert erforschen sollten, wobei wir unsere Erwachsenenmentalitat vergessen miissen.” Wemer ist, wie Ludwig Klages, aber auch andere Leute mit anthropologisch- philosophischem Hintergrund (etwa Max Scheler oder Helmuth Plessner), stark am Ausdruck interessiert. Neben dem nonverbalen Ausdruck, der etwa in Form der Mi- mik zentrale Bedeutung jene anthropologischen Philosophen hat, ist immer auch das Verhaltnis dieser ,unmittelbaren’ Ausdrucksform zum ,mittelbaren’, namlich 2u je- nem der ,abstrakten’ Zeichensprache, von Interesse. Bei Heinz Werner stot man auf eine analoge Bewegung gar auf der ndchsten Ebene, namlich innerhalb der verbalen 3.2. Uber Die Probleme der Sprachsoziologie” 85 und auf ein Buch Rudolf Leonhards, den er in dem kurzen Text tiber die Lehre vom Ahnlichen nochmals namentlich - in jenem tiber das mimeti- sche Vermégen nicht mehr namentlich ~ zitiert. Gleich im nachsten Abschnitt seines Sammelreferats kommt Benjamin auf das Thema des Sprachursprungs zu sprechen, den er als jenen Schnitt- bereich ausmacht, in dem die ,,Kardinalprobleme” der Sprachwissenschaft und der Soziologie aufeinandertrifen. Der Sprachursprung erscheint ihm gar als ein ,,Fluchtpunkt’, ,,auf den die verschiedensten Theorien sich un- gezwungen ausrichten” lieRen (GS III, 453). Benjamin bezieht sich mit die- ser starken These auf Henri Delacroix, der in seinem Buch ,Le langage et la pensée”? den nicht abwegigen Gedanken auRerst, dass es eigentlich un- moglich sei, tiber das Studium der Sprachgeschichte zu den Urspriingen der Sprache zu gelangen, da Sprache gerade die Vorbedingung fiir Geschichte darstelle* Delacroix referiert, wie Benjamin auch festhalt, im Anschluss an die von Benjamin tibersetzte Stelle Hypothesen, mit denen die Sprachwis- senschaftler besagte Urspriinge zu rekonstruieren versucht haben. Trotz der Konventionalitat, der Intentionalitét und der Willkiir, die der Sprache eindeutig anhaften, sei unklar, wie der Zusammenhang von Zeichen und Bezeichnetem zustande gekommen ist. Eine der wichtigsten Erklarungs- versuche sei daher, die Sprache kinne durch die Nachahmung von Ténen Sprache: An dieser Stelle Klingt Kulturkritik an, die, obwohl sie hier nicht als solche prasentiert wird, 2u dieser Zeit nicht ganz uniiblich ist und die einem auch bei Klages begegnet, der von Werner freilich gelesen wurde. Vgl. Heinz Werner, Grundfragen der Sprachphysiognomik, Leipzig 1932, S. 10: ,Mit der zunehmenden Theoretisie- rung und Technisierung der menschlichen Welt werden Sinn und Funktion der Spra- che gewandelt, wird die Sprache des Ausdrucks zur Begriffssprache. In einer Welt des Ausdrucks hat die Sprache ein unmittelbares Verhaltnis zur Welt der Dinge, denn im letzten Grunde gibt es hier nur eine Realitat und das ist die Realitat aus- drucktragender Gegenstandlichkeiten. Das wird anders, wenn nicht die konkreten Gegenstande, sondem ihre abstrakten Begriffe gefaSt und sprachlich abgebildet wer- den. Dann wird die Wirklichkeit, dann wird jedes Ding und jede Eigenschaft ein ver- sinnlichtes Exemplar des abstrakten Begriffs.” 7 Vgl. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, Paris 1930. * Vgl. GS III, 453, eine Passage aus Delacroix’ Buch (6. 128 f), in der Ubersetzung Benjamins, die nicht immer ganz wortgetreu, sinngema aber durchaus korrekt ist - Delacroix spricht etwa nicht von der Sprachgeschichte’, sondem vom ,Linguisten’: »Urspriinge pflegen, wie man wei8, im Dunkel zu liegen... Die Sprachgeschichte fahrt nicht zu den Urspriingen zuriick, da Sprache ja die Vorbedingung der Ge- schichte darstellt. Die Sprachgeschichte hat es immer nur mit sehr entwickelten Spra- chen 2u tun, die eine gewichtige Vergangenheit, von welcher wir nichts wissen, hin- ter sich haben, Der Ursprung von bestimmten Sprachen ist nicht identisch mit dem Ursprung der Sprache selbst. Die altesten bekannten Sprachen... haben nichts Primi- tives. Sie zeigen uns nur die Veranderungen, denen die Sprache unterworfen ist; wie sie entstandeen ist, das lehren sie uns nicht.” 84 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiiltnisses in Angriff zu nehmen; die neuen Auseinandersetzungen tiber Hand- und Lautsprache sind der Ethnologie verpflichtet; und endlich hat die Psycho. pathologie mit der Lehre von der Aphasic, der schon Bergson weittragende Aufschliisse abzugewinnen suchte, auf Fragen, die fiir die Sprachsoziologie von Bedeutung sind, Licht geworfen. (GS III, 452 f.) Benjamin steckt im Grunde bereits in diesem Zitat den Diskurs seiner Ge. wahrsleute ab, der sich neben der Soziologie und Linguistik eben auch auf Kinder- und Tierpsychologie, Psychopathologie und Ethnologie abstitzt, Etwa bei Jean Piaget und seinem Buch tiber das Sprechen und Denken des Kindes von 1923, das Benjamin in seinem Referat noch ausfiihrlich, und v.a, mehrheitlich affirmativ zitiert - was angesichts seiner kritischen Hal- tung gegeniiber psychologischen und padagogischen Diskursen nicht selbstverstandlich ist -, findet man auf den ersten Blick die meisten der von Benjamin angesprochenen Probleme oder Fragen wieder.‘ Dariiber hinaus findet man auch auf den ersten Blick Auferungen iiber das Verhaltnis von ersten Worten des Kindes, primitiven Denkens und mimetischen wie auch magischen Sprachverhaltens, die im Kontext der spaten Sprachtheorie Benjamins diese, so kryptisch sie scheinen mag, durch die Beziehung zu zeitgendssischen Diskursen, die nicht einfach mit dem Pradikat der Esote- tik versehen werden kinnen, weitaus nachvollziehbarer macht.5 Dennoch bezieht sich Benjamin in seinem Sammelreferat auch auf eher ,esoterische’ Texte, etwa auf eine Arbeit des Sprachphysiognomikers Heinz Werner‘ + Vgl. Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, tibersetzt von Nicole Stber, Diisseldorf, 3. Auflage 1976. Vgl. beispielsweise Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, S. 17: , Man findet z.B. unter den allerersten Worten ganz offensichtlich die Liebesschreie, mit denen der sexuelle Akt eingeleitet wird. Daher bleiben diese Worte und alle Worte, die auf die- sen Akt anspielen, unmittelbar emotional geladen. Diese Tatsachen erklaren die all- gemeine Tendenz beim primitiven Denken, den Namen von Personen und Dingen und die Bezeichnung von Ereignissen als Trager der Eigenschaften dieser Dinge odet Ereignisse zu sehen.” Und einen Abschnitt weiter: ,,So spricht schlieBlich vieles da- fiir, da die urspriingliche Sprache des Kindes viel komplexere Funktionen hat, als es auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Selbst wenn man den Details dieser The- orien mit groftem Vorbehalt gegeniibersteht, miissen wir einsehen, da viele Aus- driicke, die fiir uns nur begriffliche Bedeutung haben, fiir das Kleinkind lange Zeit eine Bedeutung behalten, die nicht nur affektiv, sondern quasi magisch oder wenigs- tens an gewisse Verhaltensweisen gebunden ist, die wir isoliert erforschen sollten, wobei wir unsere Erwachsenenmentalitat vergessen miissen.” 6 Werner ist, wie Ludwig Klages, aber auch andere Leute mit anthropologisch- philosophischem Hintergrund (etwa Max Scheler oder Helmuth Plessner), stark am Ausdruck interessiert. Neben dem nonverbalen Ausdruck, der etwa in Form der Mi- mik zentrale Bedeutung jene anthropologischen Philosophen hat, ist immer auch das Verhaltnis dieser ,unmittelbarer’ Ausdrucksform zum ,mittelbaren’, namlich zu je- nem der ,abstrakten’ Zeichensprache, von Interesse. Bei Heinz Werner st8St man auf cine analoge Bewegung gar auf der nachsten Ebene, namlich innerhalb der verbalen 3.2. Uber ,,Die Probleme der Sprachsoziologie” 85 und auf ein Buch Rudolf Leonhards, den er in dem kurzen Text Uber die Lehre vom Ahnlichen nochmals namentlich - in jenem iiber das mimeti- sche Vermiigen nicht mehr namentlich - zitiert. Gleich im néchsten Abschnitt seines Sammelreferats kommt Benjamin auf das Thema des Sprachursprungs zu sprechen, den er als jenen Schnitt- bereich ausmacht, in dem die ,Kardinalprobleme” der Sprachwissenschaft und der Soziologie aufeinandertrafen. Der Sprachursprung erscheint ihm gar als ein ,,Fluchtpunkt”, ,auf den die verschiedensten Theorien sich un- gezwungen ausrichten” lieRen (GS III, 453). Benjamin bezieht sich mit die- ser starken These auf Henri Delacroix, der in seinem Buch ,Le langage et la pensée’7 den nicht abwegigen Gedanken auferst, dass es eigentlich un- moglich sei, tiber das Studium der Sprachgeschichte zu den Urspriingen der Sprache zu gelangen, da Sprache gerade die Vorbedingung fir Geschichte darstelle.* Delacroix referiert, wie Benjamin auch festhalt, im Anschluss an die von Benjamin tibersetzte Stelle Hypothesen, mit denen die Sprachwis- senschaftler besagte Urspriinge zu rekonstruieren versucht haben. Trotz der Konventionalitat, der Intentionalitat und der Willkiir, die der Sprache eindeutig anhaften, sei unklar, wie der Zusammenhang von Zeichen und Bezeichnetem zustande gekommen ist. Eine der wichtigsten Erklarungs- versuche sei daher, die Sprache kone durch die Nachahmung von Ténen Sprache: An dieser Stelle Klingt Kulturkritik an, die, obwohl sie hier nicht als solche prisentiert wird, zu dieser Zeit nicht ganz uniiblich ist und die einem auch bei Klages begegnet, der von Werner freilich gelesen wurde. Vgl. Heinz Wemer, Grundfragen der Sprachphysiognomik, Leipzig 1932, S. 10: Mit der zunehmenden Theoretisie- rung und Technisierung der menschlichen Welt werden Sinn und Funktion der Spra- che gewandelt, wird die Sprache des Ausdrucks zur Begriffssprache. In einer Welt des Ausdrucks hat die Sprache ein unmittelbares Verhaltnis zur Welt der Dinge, denn im letzten Grunde gibt es hier nur eine Realitat und das ist die Realitat aus- drucktragender Gegenstindlichkeiten. Das wird anders, wenn nicht die konkreten Gegenstinde, sondern ihre abstrakten Begriffe gefat und sprachlich abgebildet wer- den. Dann wird die Wirklichkeit, dann wird jedes Ding und jede Eigenschaft ein ver- sinnlichtes Exemplar des abstrakten Begriffs.” 7 Vel. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, Paris 1930. * Vl. GS Ill, 453, eine Passage aus Delacroix’ Buch (S. 128 £), in der Ubersetaung Benjamins, die nicht immer ganz wortgetreu, sinngema aber durchaus korrekt ist - Delactoix spricht etwa nicht von der ,Sprachgeschichte’, sondern vom ,Linguisten’ »Urspriinge pflegen, wie man wei, im Dunkel 2u liegen... Die Sprachgeschichte falhrt nicht zu den Urspriingen zuriick, da Sprache ja die Vorbedingung der Ge- schichte darstellt. Die Sprachgeschichte hat es immer nur mit sehr entwickelten Spra- chen zit tun, die eine gewichtige Vergangenheit, von welcher wir nichts wissen, hin- ter sich haben. Der Ursprung von bestimmmten Sprachen ist nicht identisch mit dem Ursprung der Sprache selbst. Die altesten bekannten Sprachen... haben nichts Primi- tives, Sie zeigen uns nur die Verinderungen, denen die Sprache unterworfen ist; wie sie entstanden ist, das lehren sie uns nicht.” 86 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Veilise entstanden sein.? Delacroix réumt aber ein, dass dieses onomatopoetische Erklarungsmuster ,fragil’ sei, dass in verschiedenen Sprachen Begrife durch vollig verschiedene Téne ausgedrtickt wiirden", die auSerdem in gewisser Weise ,subjektiven’ Charakter hatten. Dennoch nimmt auch Dela croix eine sprachliche Entwicklung an, die vom Konkreten (, Beaucoup des mots sont nés vraisemblablement de noms propres, sortes de Leitmotits qui en sont venus ensuite a désigner les particularités les plus caractéristiques de la personne.”"!) hin zum Abstrakten und zu grammatikalisch komplexe- ren Einheiten verlief. : ee Im nachsten Abschnitt geht Benjamin deshalb auf die popularste K annten 2u tiber- struktion ein, mit der Forscher ,,diese Kluft des Nichtbek. Peete sth briicken versucht” hatten - wie oben bereits festgehai mit Delacraix hierbei nach Delacroix um die Onomatopoesie. Er ee des 18. auf den fir das Sprachursprungsdenken zentralen vl Jahrhunderts, ndmlich Johann Gottfried Herder, aus dessen on rd iiber den Ursprung der Sprache” er den bekannten aa Mensch erfand sich selbst Sprache! - aus Ténen lebender N™*-© der.” (GS Ill, 453) Obwoh! Benjamin dieses Zitat bei Dena kurz auf den Kontext, aus dem es stammt, eingegangen "°F" | en dit Beim Abschnitt, aus dem das Zitat stammt, handelt es SCD nem ten Abschnitt der Abhandlung Herders, in dem er das ea ein Merk Text eingefiihrte Beispiel mit dem Schaf, das durch sein Bid a mal liefert, das sich dem Menschen einpragt und durch das fT kann, verstarkt auf den Gehdrsinn bezieht, Im ersten BeisP'° darum, dass der Mensch - nicht wie das Tier - ohne von seinen ein Bild” iiberwaltigt zu werden, mittels balancierter sinnenwahrnehimung und des des Schafs empfangen kann, das sich anhand eines Merkima” auch inneren Sins des Menschen wiederum ,bildlich’ - auf welcher © or, in immer - durch ihn reproduzieren asst. ? Im anderen Abschnit te tsche Satz Jautet = 0 ee fenteil de [imitation % Vl. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, S. 130, der fe echo del die Nennung Herders - im Original so, F.G.: ,Le langage provi des sons? ‘La langue des premiers hommes ne fut, en quelque sorte, 1 nature dans la conscience humaine’ ‘Der Mensch erfand sich selbst Sprache nen lebender Natur.” jrtickt 1 Andieser Stelle lohnt sich die Wiedergabe eines Satzes, mit dem Delacroix aust was er beschreibt. Vgl. Delacroix, Le langage et la pensée, S. 131: ,Dans les differen’ ©, langues les mémes notions sont exprimées par des sons trés divers. Le sens attae aux mots varie sans que varient les sons, ou bien les sons varient sans que le sens V2" rie” 1 Ebd, S. 135, Hervorhebung im Original. 2 Vgl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung Gber den Ursprung der Sprache, Ini Johann Gottfried Herder: Werke, Hrsg. von Martin Bollacher et al,, Frankfurt am Main 1985ff,, 10 Bande, hier Band I, S. 724: Nicht so dem Menschen! so bald er in die Bediirfnis kommt, das Schaf kennen zu lernen: so st&ret ihn kein Instinkt: so reiGt ihn 32. Uber ,Die Probleme der Sprachsoziologie” 87 dem der Ausruf ,,Ha! du bist das Blickende!” auch eine Rolle spielt, wird dieses spezifisch akustische Merkmal zum entscheidenden stilisiert.! Her- der beschreibt in diesem Abschnitt selbst sehr bildlich oder malerisch, wie sich die Dinge der Natur tiber tonende Merkmale dem Menschen einp: gen und ihn dazu bewegen, ihnen Namen zu geben.!! Herder praigt in sei- ner Schrift Argumentationsweisen, die auch hundert Jahre spater noch ziemlich modern klingen. Gegen simple theologische Sprachursprungsthe- orien fuhrt Herder seine sprachgeschichtlichen Uberlegungen ins Feld'5, die mehr oder weniger auf sensualistische Argumente bauen: kein Sinn auf dasselbe zu nahe hin, oder davon ab: es steht da, ganz wie es sich sei- nen Sinnen auert. Weil, sanft, wollicht — seine besonnen sich tibende Seele sucht ein Merkmal, ~ das Schaf blicket! sie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn wiir- ket. Dies Blicken, das ihr am stirksten Eindruck macht, das sich von allen andern Ei- genschaften des Beschauens und Betastens losrif, hervorsprang, am tiefsten ein- drang, bleibt ihr. Das Schaf kommt wieder. Weifi, sanft, wollicht — sie sieht, tastet, besinnet sich, sucht Merkmal — es bléckt, und nun erkennet sies wieder! ,Ha! du bist das Blickende!’ fihlt sie innerlich, sie hat es menschlich erkannt, da sies deutlich, das ist mit einem Merkmal erkennet, und nennet.” ° Yl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung iiber den Ursprung der Sprache, S. 735: »Da ist z. E. das Schaf. Als Bild schwebet es dem Auge mit allen Gegenstanden, Bil- dem und Farben auf Einer grofen Naturtafel vor — wie viel, wie mihsam zu unter- scheiden! Alle Merkmale sind fein verflochten, neben einander — alle noch unaus- sprechlich! Wer kann Gestalten reden? Wer kann Farben ténen? Er nimmt das Schaf unter seine tastende Hand — Das Gefiihl ist sicherer und voller; aber so voll, so dun- kel in einander — Wer kann, was er fiihlt, sagen? Aber horch! das Schaf blicket! Da rei8t sich ein Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes, worin so wenig zu unter scheiden war, von selbst los: ist tief und deutlich in die Sele gedrungen: ,Ha! sagt der lemende Unmiindige, wie jener blind Gewesene Cheselden's: nun werde ich dich wieder kennen — Du blickst!’ Die Turteltaube girrt! der Hund bellet! da sind drei Worte, weil er drei deutliche Ideen versuchte, diese in seine Logik, jene in sein Wor terbuch! Vernunft und Sprache taten gemeinschaftlich einen furchtsamen Schritt und die Natur kam ihnen auf halbem Wege entgegen durchs Gehér. Sie ténte das Merk- mal nicht blo vor, sondem tief in die Seele hinein! es Klang! die Sele haschte — da hat sie ein tonendes Wort!" Ebd,, S. 736: , Nun lasset dem Menschen alle Sinne frei; er sehe und taste und ftihle zugleich alle Wesen, die in sein Ohr reden - Himmel! Welch ein Lehrsaal der Ideen und der Sprache! Fiihret keinen Merkur und Apollo, als Opernmaschinen von den Wolken herunter — Die ganze, vielténige géttliche Natur ist Sprachlehrerin und Mu- se! Da filhret sie alle Gesch3pfe bei ihm vorbei; jedes tragt seinen Namen auf der Zunge, und nennet sich, diesem verhiilleten sichtbaren Gotte! als Vasalli und Diener. Es liefert ihm sein Merkwort ins Buch seiner Herrschaft, wie einen Tribut, damit er sich bei diesem Namen seiner erinnere, es kiinftig rufe und genieGe.” Dass dieser Text sehr komplex, vielschichtig und immer wieder widerspriichlich argumentiert, legt Ralf Simon dar, der die plausible These vertritt, dass je nh sprachphilosophischem Ansatz, den es fiir Herder zu widerlegen gilt, ein anderes Register gezogen wird und dass man damit bei Herder nicht auf einen einzige? Sprachursprung stBt, sondern auf mehrere. Dieser letzte Punkt wiirde sich wie! Tum mit den Thesen Delacroix’ decken und unterstriche nochmals Herders Mov 4 8 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhdiltnisses Das erste Warterbuch war also aus den Lauten aller Welt gesammelt, Von jedem tanenden Wesen klang sein Name; die menschliche Seele pragte ihr Pild drauf, dachte sie als Merkzeichen, ~ wie anders, als da diese tonenden Herietionen die ersten wittden, und so sind z.E. die morgenlindischen efrachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die Sache selbst schwebte noch zwischen dem Handelnden und der Handlung: der Ton mufte die Sache bezeichnen, so wi ie die Sache den Ton gab; aus den Verbis wurden also Nomina und Nomina aus den Verbis, Das Kind nennet das Schaf, als Schaf nicht: sondern als ein blickendes Geschipf, und macht also die Interjektion zu einem Verbo, Im Stufengange der menschlichen Sinnlichkeit wird diese Sache erklarbar, aber nicht in der Logik des héhem Geistes,'¢ Aus der komplexen Dichte eines Bild i terschieden, ein Ding handelt, tént und teilt dem Menschen durch seinen spezifischen Klang ~ hier klingt gar der Rest ciner Art Signatura-Lehre an? ~ seinen Namen mit. Die Bezeichnung, die ein Ding danach erhalt, kann sich aber wandeln, kann eine Reihe ver: wobei dieser W, * Vel. Ralf Simon, Der poetische Text als Bildkritik, Miinchen 2009, S. 133: ,Es dr ass Herders Text einer Struktur und Redewvise ant ireibstrategie gehdren. Eine Lektiirestrategie, die ei te Briffiche schlussfolgerde Argumentation erwartet ist einer Revision zu unterie hen. Angesichts eines solchen verwundenen, in ich teflektierten, vielleicht sogar hochironischen Argumentationsganges ist die Voraussetzung aufzugeben, man wir de bei Herder in einem fortschreitenden, explikativen und ne sich zusammenhangen den linearen Gedankengang die Begrii sprungs finden.” indung der These eines einzigen Sprachu- Vgl. Johann Gottfried Herder, Das sieht wohl auch Benjami Abhandlung iiber den Ursprung der Sprache,S. 738 ‘in, wenn er bemerkt, dass Herder mit seinem Diktum, dass sich der Mensch die Sprache aus Ténen lebender Natur erfand, blo auf , Uber Jegungen des siebzehnten Jahrhunderts zurtick{griffe], dessen geschichtice Be Sestheit er als erster ahnte und das in seinen Spekulationen tiber den Ursprungalkt Sprache von Hankamer in einem beachtenswerten Werk behandelt wurde.” (CS ll, 453 £.) Das besagte Buch von Paul Hankamer (,Die Sprache", 1927) zeichnet sich ne ben der Rekonstruktionsarbeit, die es fiir die Sprachtheorie des Barock leistet, auch dadurch aus, dass die Figur Jakob Bohmes seark gemacht wird, a Benjamin oe ion bemerkt: ,Sie (die Arbeit] setzt sich vielmehr, wie in den meisten hae eee tae die Regel ist, am Ende des behandelten ie im Werke eines Mannes oder einer Schule ~ es ist in diesem Falle das des Jakol iy me - einen Punkt, auf welchen zu die Fluchtlinien der Deutung laufen, statt pers livisch in das Innerste der Zeit zu fahren.” (GS III, 59 £,) 3.3. Deixis 89 interessieren scheint, ist die onomatopoetische Dimension des Sprachur- sprungs, die in seiner Sprachtheorie unleugbar mitschwingt.'® Benjamin konstatiert, dass die Bedeutung der Onomatopoesie von der Wissenschaft immer wieder einzuschranken versucht wurde, schlagt aber nichtsdestot- rotz von der Ebene der Lautmalerei bei Herder einen Bogen zu den zeit- gendssischen Theorien, die er in seinem Referat untersucht, namentlich zu Karl Buhler. Die Onomatopoesie ist nur ein Aspekt, den Benjamin interes- siert. Obwohl er sieht, dass eine onomatopoetische Fundierung des Sprachursprungs wenig plausibel ist, michte er die Bedeutung der Onoma- topoesie fiir die Sprache nicht aufgeben - das lasst sich auch in den Texten iiber das mimetische Vermégen gut zeigen. Damit bleibt er mit Herder verbiindet. Aber weder Benjamin noch Herder stiitzen sich einseitig auf die Onomatopoesie oder sinnliche Dimension der Sprache. Cornelia Zumbusch halt fest, dass es bemerkenswert sei, dass die menschliche Sprache weder bei Benjamin noch bei Herder ,,einseitig aus der sinnlichen Rezeptivitat noch aus der spontanen Vernunfttatigkeit” abgeleitet werde, beide suchten vielmehr , ihren Kreuzungspunkt’.!’ Es bleibt spannend, weshalb Benjamin Karl Buhler ins Spiel bringt, der einer arbitréren Auffassung der Sprache anhangt. Biihler ist fiir die Wichtigkeit der onomatopoetischen Funktion der Sprache gerade kein Gewahrsmann. Aber er ist der Gewahrsmann einer anderen Facette der Sprache, die man mit der Sinnlichkeit oder gar einer Art ,Bildlichkeit’ verbinden kann. Die Rede ist vom Zeigen, von der Deixis. Gerade die Deixis ist eine wichtige sprachliche Funktion far Bahler und sein Modell. Aber es versteht sich von selbst, dass Buhler die ,sprach- magischen’ Momente der Onomatopoesie nicht in seine Konzeption der ixis einspeisen kann. Die Unterschiede zwischen Benjamins eigener Auffassung und derjenigen Biblers sollen nun dargelegt werden. 3.3. Deixis Karl Buhler wird in Benjamins Text auffallig oft zitiert, unter den zitierten Schriften ist unter anderen auch sein wohl bekanntestes Buch mit dem Titel »Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache”, das anthropologi- sche wie auch psychologische Forschungsergebnisse mt in die sprachtheo- retische Reflexion einbezieht. Es fallt aber auf, das bemerkt auch Giinter Karl Pressler in seiner Monographie zum Sammelreferat, dass sich Benja- min nicht gro® auf die philosophischen Implikationen Bahlers einlasst, vielmehr macht er ,,lediglich auf dessen ,systematische Leistung’ aufmerk- "Dass es sich aber nur um eine Facette des Sprachursprungs handelt, zeigt Simon im Anschluss an Gaier, Vgl. Ralf Simon, Der poetische Text als Bildkritik, S. 140 ff. © Vgl. Comelia Zumbusch, Wissenschatt in Bilder, S. 190. 90 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhaltuissg sam und bringt diese in seine Fragestellung an thematisch wichtigon Brennpunkten (Onomatopoetik, Organonmodell und Mimesis) ein’. Wie Pressler richtig schreibt, ,,zcigt sich bei ihm keinerlei Neigung, die Buhler. sche Axiomatik mit ihren reichhaltigen empirischen Belegen systematisch aneignen oder sie bearbeiten zu wollen”.2 Buhler widmet der Onomatopoesie ein ganzes Teilkapitel in jenem gré- Seren Kapitel seines Buchs, wo es um das Symbolfeld, also den Kontext der Sprechsituation, geht. Das scheint auch der Grund zu sein, weshalb sich Benjamin zunichst iberhaupt fair Bihlers Ansatz interessiert. Buller lehnt den Gedanken, dass der Sprache eine onomatopoetische Dimension eignet, nicht ab, aber er versucht ihn relativ stark einzuschranken: ,,Die Sprache ware nicht, was sie ist, wenn es ein koharentes, leistungsféhiges Malfeld in ihr gabe. Die Sprache ist aber tolerant genug, an bestimmten Grenzen, wo ihre eigengesetzlichen Mittel erschopft sind, das andersartige Malprinzip zuzulassen.”2! Was Biihler klar zu machen versucht, ist die klare Dominanz der symbolisierenden Sprache tiber das, was man wortwortlich als Laut- tnalerei bezeichnen miisste (Onomatopoiesis’, darauf weist Bbler hin, heit hingegen eigentlich ,Wortmalerei’). Biihler meint, dass der Mensch auf einer einer fruhsten Entwicklungsstufen sich nicht dafir entschieden habe, den Weg der ,archaischen Logik’ und Lautmalerei einzuschlagen, bwobl es ihm wohl freigestanden hatte. Hr habe sich stattdessen vielmehr fiir die symbolisierende Sprache entschieden. Denn ymicht aber ae es midglich gewesen, nach einer erheblichen Strecke links [d.h. auf a iene der Onomatopoesie] den Weg zuriickzufinden und die Spuren der Erstent- scheidung derart radikal zu tilgen, wie es nach dem Zeugnis der rezenten Sprache geschehen sein miifte.”” Nichtsdestotrotz raumt Biihler der Lautmalerei innerhalb der Sprachfunktionen einen gewissen Stellenwert cin, denn von der Hand weisen lasst sich ihre Existenz nicht ganz, was auch die beeindruckende Liste von Theoretikern nahelegt, die er in Ausei- nandersetzung mit einem zeitgendssischen Sprachforscher oder Entwick- Iungspsychologen namens Heinz Werner® erstellt, der den alten Versuch aufzuwérmen versuchte, ,die Sprache anschaulich mit den Dingen direkt ® Vgl. Ginter Karl Pressler, Vor mimetischen Ursprung der Sprache, Walter Benja- mins Sammelreferat Probleme der Sprachsoziologie im Kontext seiner Sprachtheorle Frankfurt am Main 1992, S. 34 2 Vpl. Karl Bahler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, ungekilrztet Neudruck der 3. Auflage von 1934, Stuttgart 1999, 5. 196. 2 Ebd,S.198. Heinz Weer ist der Verfasser der Studie ,Grundfragen der Sprachphyslognomik" (Leipzig 1932). Weiter unten wird Werner, der auch von Benjamin kurz erwihnt wird, nochmals naher vorgestelt. 3.3, Deixis n zu verbinden” Dieser Versuch wird durch eine ,platonische’ Interpretati- on der Natursprache geleistet. Denn Werner sieht das Imitationsverhaltnis, das Ding und Sprache in der ,Natursprache’ zugeschrieben wird, nicht auf der sinnlichen, sondern auf der ,geistigen’ Ebene - auf jener des ,Wesens’ - gegeben: Das tnende Wort ist keine Kopie der Dinge, sondern ist die sprachsinnliche Form der Wesenheit der Dinge."* Daher geht es Werner auch nicht um reine Nachahmung®, sondern er legt den Akzent stark auf den Schépfungsakt, der der ,Ausdruckssprache’ zugesprochen werden mise: sie sei als eine ,geistige Aktivitat, als Medium des Logos, als Denkinstrument zum Zwecke der Wirklichkeitserfassung” aufzufassen.” Er beruft sich dabei nicht nur auf Platon, sondern - ahnlich wie Paul Han- kamer ~ auf den barocken Niirnberger Dichterkreis, auf Jakob Bohme und schlieBlich auch auf Hamann und Herder. Obwohl Bihler sich klar von Werner distanziert®, halt er mit einer gewissen Unbedenklichkeit am Ter- minus des Bildes fest, wenn er die Bedeutung der akustischen Sphare - so spricht er vom ,akustischen Antlitz’ - gegeniiber der optischen fir die Sprache unterstreicht: Wenn unter den Sachverstindigen eine Abstimmung stattfinde dariber, wer reicher ausgestattet sei mit Malmitteln: der Farbmaler oder ein Stimma- ler, so gabe ich unbedenklich dem zweiten meine Stimme. Und wiirde nach 2 Vgl. Karl Biihler, Sprachtheorie, S. 196. In der besagten Liste werden Namen wie Platon, ,,deutsche Barockdichter und Sprachdeuter aus dem 16. Und 17. Jahrhun- dert”, Jakob Béhme, ,,Herder, Hamann und andere Romantiker bis herunter auf W. von Humboldt” angefithrt. Vgl. ebd. S. 197. 3 Vgl. Heinz Wemer, Grundlagen der Sprachphysiognomik S. 15. % Das sieht auch Reinhart Meyer-Kalkus so, der aufzeigt, dass Wemer auf Cberlegun- gen Lichtenbergs, Herders und der deutschen Romantik zuriickgreift. Vgl. Reinhart Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkiinste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 183 f 2 Vgl. Heinz Wemer, Grundlagen der Sprachphysiognomik, S. 16 ® Vgl. Karl Bilhler, Sprachtheorie, S. 204 £: ,Die Versuchspersonen Wemers holen 2B. an dem Wortklang Seif Zug fiir Zug heraus, was nach ihrer Auffassung den Gegen- stand Seife’ malend charakterisiert. Bestimmte Eigenschaften des Dinges wie das Schlitpfrige, Schaumige u. dgl. m, sollen getroffen sein durch was? Die Protokolle, wie sie schwarz auf wei im Buche stehen, konnen gar nicht anders als Laut fir Laut das Wort abwandern um jeweils zu sagen. es liege etwas von der malenden Schilde- rung des Gesamicharakters in dem S, etwas in dem ei, etwas in dem f, Da man so vorgeht, ist kein Zufall, sondern im Hinblick auf den Tatbestand der Phonologie zu erwarten, Denn jectes Phonem (Lautzeichen) ligt einen Spielraum der Realisierung offer und in diesen Spielraum kénnen Malpointen angebracht, herausgearbeitet werden; die Dauergeraiusche in $ und F konnen dberlaut und tiberlang herausgear- beitet werden von einem Sprecher; das ei kann meinethalben schaumunalerisch mo- duliert werden. Baller erkiutert auf diesen Seiten auch, dass eine lautmalerische Komponente nur insoweit abgewandelt werden kann, dass kein Phonem-Sprung stattfinde. Das ist neben dem Syntax-Riegel eine weitere Einschrankung der Lautma- lerel innerhalb cer Grenzen der bestehenden Sprache. 92 3. Authropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verliltuts allem schon Gesagien noch ausfhren, dal de Silbengliederung assole cin ganz. eigenartiges Malverfahren ermdglichen mOBte, das (wenn de Name nicht schon vergeben wire) ,Tonfilm’ heifen sollte. Nicht, weil etwas Oplisches hinzukommt, sondern weil kleine Tonbilder sukzessive darinab- rolllen. Nicht Sprachsilben natirlich, sondern echte Lautbildchen, Mina. turaufnahmen der ténenden Welt; es unterliegt far mich keinem Zweifd, da ein darin gelibter komplexe Geschehnisse ebenso systematisch abfah. ren und malend wiedergeben kénnte, wie heute einer, der gelibt ist, einen optischen Film zu ,drehen”.2? Anhand dieses Zitats wird klar, dass Buhler die Mglichkeiten der Lautma- Ierci ziemlich hoch cinschatzt, Er halt deutlich fest, dass er der Meinung sci, die Silben biten einen Baukasten, mithilfe dessen es méglich sei, die tonende Well beliebig wiederzugeben, Buhler denkt dabei eben weniger an die Malerei, auch wenn er zundichst von cinem ,Stimmaler’ spricht, als an die Produktion eines Films, der bekanntlich aus lauter photographischen Einvelbildern besteht, Damit spricht er dem Produkt des ,Stimmalers’ dy- namische Qualitéten zu, die ein ,Farbmaler’ wohl kaum erreicht, Silben ectchen schlieRlich aus rclativ diskreten, aber dennoch sinnlich relativ onkreten Einheiten, Man meint hier werde eine ,Zeitkunst’ gegen cine ‘Raumkunst’ ausgespiell, wenn man diese an Lessing angelehnien Begrife hier einstreuen darf. Bercits Herder hat beztiglich des Vorgehens poetischer Texte hnliche Feststellungen gedu@ert. Wenn man es nicht besser wUsste und es nicht um Ginen Anachronismus handelte, konnte man fast meinen, auch Herder hatte an den Film gedacht, wenn er in den ,Kritischen Waldern zur Asthe- Lil in seinen Beschreibungen der poctischen Verfahren Homers im Grunde genommen vom Abrollen kleiner narrativer Bildeinheiten spricht. Und das prtdnem Stil, der die raschen Schnitte der filmischen Erzdhlweise fast schon sprachlich simuliert: Das Bild des klingendlen Bogens ware alsdenn verloren: es wird erst wieder enweckt fircterlch also erklingt der silberne Bogen; nun fast der Pfeil der erste, der andre, Tiere, Hunde, Menschen, Scheiterhaufen flammen: so flo- gen die Pfeile des Gottes noun Tage durch das Heer - - Jetzt ist das Gemak de zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derselben, alles ist vor Au- gen: kein Zug verloren; keine Farbe mit einem vorbeifliegencen Worte weggestorben: er weckte jede zu sechter Zeit wiederholend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter. ® Vp). Karl Buhler, Sprachtheorie, S. 202. Bl Johann Gotried Herder, Kriische Walder zur Asthetik. Erstes Walldchen, In Johann Goud Herder, Werke, Isg, von Martin Bollacher etal, Frankfurt am fain 1985/10 Bande, hier Band 2, hrsg, von Gunter E. Grimm, Kapitel 19, S. 1891. yh. Delxls p ‘uch Bobler also, den man aufgrund seiner Vorliebe fur das Zeigen und das Symbolisieren nicht so einfach der von Benjamin mit Delacroix festge- giliten Herderschen Tradition der akustisch geprigten Sprachursprungs- ‘Auffassung, zugerechnet hatte, streitet also mitnichten den Stellenwert der Lauimalerei ab. Dennoch ist evident, dass er ihn einschrinkt. Denn selbst wenn man lautmalerisch schreibt - wie etwa Homer, Herder oder Benja- min selbst etwa in den ,Mummerehlen’, in der er sehr malerisch, ndmlich thematisch und mittels Worten, die das reflektierte Zer-Fliefen lautmale- rich abbilden, den vermuteten Ort der Mummerehlen zu schildern ver- sucht! -, ist dieser Effekt flr Buhler doch immer nur sekundar. Unmiss- verstindlich versucht Buhler immer wieder zu verdeutlichen, dass es nicht die jildlichen’ Qualitaten der Sprache sind, die als die entscheidenden betrachiet werden dUrfen, Auf derselben Seite, von der der oben zitierte ‘Ausschnilt stammt, relativiert er die tonfilmhaften Eigenschaften der Spra- chez [E]s entstehen wohlgeformte Wérter, Wortfolgen, Satze, die allem anderen, voraus dem Bildungs- und Kompositionsgesetz der Sprache unterstehen, Und daraber hinaus erst weisen sie so etwas wie den sekundiren Hach, eines Lautgemaldes auf”? Buhler meint also, dass man, wo immer man ,Sprache als Darstellungsmg {el" benutze, nur ,trotzdem’ malen” konne ,und soweit es [...] die . - der Sprache” zulasse. Denn far ihn existiere am ,Tore zur lautmalengas Sprache” cin sogenannter ,Syntax-Riegel, der leichter oder schwerey 6” Umgchen"™ sei, Die Annahme dieses Syntax-Riegels’ drickt nochmal, . ‘as Biber bei der Beobachtung oder Feststellung bildlcher Eigenscyf* {Sprache wohl ein ungutes Gefuhl beschleicht. Trot des Einraume.™ Cr Moplichkoit, mittels der Sprache bildliche Qualititen 2u eygyion Gish cr hinschtich der Bewertung des Sprachursprungs gig 1M. Gtndegenschaften der Sprache darauf hinweisen 7 wollen, gag, Ter i "blisierenden, arbitraren, diskontinuierlichen Grundcharakters * Sie * Manglch feststellbare Ahnlichkeit keinen Sprung auf die Bho, “Nd zu » : “au Haus und seine trigen Wasser Ia lta My lummelsee war sie vielleicht ‘i ce war sie viel i al ee ir wo oe we Braue Pelerine an, Was man von it 2 Gt > eich nicht. ie war das Stamme Hae ae atch len ‘heather in den Neinen Glaskugeln sch iy Romo TBS lke an em, ia ch danin umgetrioben. Das war, wer ih MOTT REINS Die Fay, May ten 2M mischte, fanbten mich. Noch ehe ich sie at OR sate, very stem me ote au der alte Namen, Mn, Vprjcthttsam auf cen Pinse, als seen sie 208 253)" ich Ug hier Sprachteorie,§ 202 ——— eS 4 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verlilltuise, Struktur einer Sprache erlaube, Uberraschend ist dieser Befund freilich nicht, da die Grundauffassung der ,Zweifelderlehre’ Bilhlers ja gerade darin besteht, dem abstraklen und begrifflichen Erfassen der Welt anschay. liches Zeigen und Prasentieren zur Seite zu stellen. Die ,anschauliche’ Dj. mension der Sprache anerkennt Biihler. Jedoch konzentriert sich diese anschauiliche’ Seite, wie bereits deutlich geworden sein sollte, auf das Zei. gen und nicht auf Lautmalerei. Das /Zeigfeld’ der Sprache ist ein vom Symbolfeld’ unterschiedener Bereich, in dem das ,,sprachlich Deiktische" situativ oder kontextuell - je nach Sprecher- und Empfangerposition - seine ,Bedeutungserfiillung und Bedeutungspré ision” erfahrt.* Buhler nutzt fiir die Schilderung der Eigenschaften seines Zeigfelds - wie bereits die Sprachtheorien, die bislang vorgestellt wurden - eine Art evolutiondres Narrativ. Er geht von der ,konkreten’ Geste des Zeigefingers aus und lan. det bei der Anapher: ,Die Modi des Zeigens sind verschieden; ich kann af culos demonstrieren und in der situationsfernen Rede dieselben Zeigwor- ter anaphorisch gebrauchen."* Der Hauptfokus Biihlers scheint aber weni- ger auf der konkreten Zeigegeste als auf der abstrakten Deixis im Rahmen einer arbitréren Sprachsituation 2u liegen. Auch scheint er wiederum den von ihm so bezeichneten ,modernen Mythos tiber den Sprachursprung’ nicht unbedingt zu stiitzen, der behauptet, die stumme Deixis ~ der Zeige- finger oder mimische Zeigegesten - sei im Zuge der menschlichen Sprach- entwicklung als die Vorlauferin imitdemonstrierender’ Lautzeichen 2 betrachten, sodass die Zeigworter als ,,Urwérter der Menschensprache schlechthin” erscheinen kénnten.% Dezidiert steht Buhler fiir eine Tren- nung von Nenn-’ und ,Zeigwortern’ ein, ein Fortschritt besteht fair Biihler hochstens darin, falls denn berhaupt das stumme Zeigen vor Lautaue- Tungen verortet werden kénnte, dass der Laut etwas zum Zeigen hinzu- bringt, denn ,wie immer man die Dinge auch drehen und wenden mag, so kann dieses Plus aus Keiner anderen Quelle kommen als aus der Nenr- funktion des Lautes"; ,Auch eine stumme Gebarde kann das ,Bedeutete charakterisieren, indem sie es nachbildet; der Laut symbolisiert es."3” Biih- ler mag sich nicht fir einen Sprachursprungsmythos entscheiden, auch % Vpl. Kal Bahler, Sprachtheori, §, 80, vgl. auch S. B1: ,Genau so wie die Zeigwortr forder, da man sie als Signale bestimmt, verlangen die Nennwérter eine andere, den Signalen inadéquate Bestimmung; nmlich die herkommliche, Die Nennwdrler fungieren als Symiole und erfahren ihre spezifische Bedeutungserfdllung und - Przisio im syrsemantischen Umfeld; ich schlage den Namen Symbolfeld fdr diese andere, keineswvegs mit den Situationsmomenten zu verwechselnde Ordnung vor. fs is ao in formal best de Zac, diein diesem Buche vorgtagn wird” » Ebd,$.60 » Ebd,S. 86. 7 Ebd,, S. 87, 3.3, Deixis 5 stumme Kommunikation ist flir ihn nicht urspriinglicher und auch nicht »primitiver’ als cine Kommunikation mittels Lauten. Obwohl Buhler beide Ausdrucksformen als gesonderte betrachtet, so treten sie dennoch beztig- lich bestimmter sprachlicher Phanomene in Kombination auf. Linguisten, die Buhler zitiert, und er selbst, unterscheiden verschiedene Formen der Deixis, so etwa die ,Der-Deixis’ oder die ,Hic-Deixis’. Nun geht Bihler davon aus, dass an der ,Wurzel' der ,Der-Deixis’ die Finger-Geste steht, an der Wurzel der ,Hic-Deixis’ jedoch der Klang: ,,Genau so wie in dem Ge- samtausdruck dér ist es gewesen die Fingergeste unentbehrlich ist, so ist in dem Gesamtausdruck hier ist es trocken das anschauliche ortsbestimmende Moment der Klangherkunft unentbehrlich.”* Aber Bahler versteift sich nicht auf den Klang. Er kennt auch einen dritten Modus des Zeigens, die von der ,demonstratio ad oculos’ - zu der er Zeigefinger und einen be- stimmte Form des Klangs rechnet - unterschieden wird, namlich die be- reits erwahnte ,Anaphora’, die er eher dem ,Symbolfeld’ zuordnet, oder die sogenannte ,Deixis am Phantasma’. Bihlers Begriff der ,Deixis am Phantasma’ bezeichnet deiktische Sprachqualitaten in einer Rede oder einem Text, bei der bezichungsweise dem eine konkrete raumliche Orientierung zwischen dem Sender und dem Empfainger nicht gegeben ist: Der am Phantasma Gefiihrte kann nicht dem Pfeile eines vom Sprecher ausgestreckten Armes und Zeigefingers mit dem Blicke folgen, um das Et- was dort zu finden; er kann nicht die raumliche Herkunftsqualitat des Stimmklanges ausniitzen, um den Ort eines Sprecher zu finden, welcher hier sagt; er hort in der geschriebenen Sprache auch nicht den Stimmcharak- ter eines abwesenden Sprechers, welcher ich sagt. Er bezeichnet das Funktionieren deiktischer Elemente bei Abwesenheit eines Konkreten Orientierungs- oder Referenzraums, eine Orientierung mithilfe des ,inneren’ oder geistigen’ Auges und Ohrs und eines inneren Ausgangspunkts fir Sinnesdaten, der eine riumlich markierte Orientie- rung ermdglichen soll und den Buller ,Origo’ oder Koordinatenausgangs- punkt’ nennt - mit sprachlichen Mitteln kann jemandem so etwas Abwe- sendes phantasmatisch vergegenwartigt werden, Um uns nicht zu weit von Benjamins Text wegzubewegen, soll an dieser Stelle nochmals festgehalten werden, dass auch die Deixis am Phantasma eher der Seite des Symbol- felds der Sprache zuzuschlagen ist. Auch wenn es manchmal anders Klin- gen mag, kennt Bilhler im Grunde genommen nur zwei Felder der Sprache, selbst wenn er manchmal von einem ,Malfeld’ spricht. Die Frage, ,ob die Hervorhebung im Original. Hervorhebung im Original. 96 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhaltnisse Sprache, wie wir sie kennen, auBer dem Symbolfeld ein echtes Malfeld be. sitzt”, beantwortet Biihler schlieBlich negativ: Das Ergebnis ist negativ und weist den unbestrittenen Lautmalereien eine strukturanalytisch sekundare und verkiimmerte Existenzweise nach. Das anschauliche Moment der Sprache im Sinne des tiefdurchdachten Wortes von Kant, da die Begriffe leer bleiben ohne Anschauung, ist nicht zu su- chen in den Malpotenzen, sondern im Bereich des Zeigfeldes der Sprache. Auch mit Bezug auf Lessing und die Unterscheidung von Malerei und Poesie halt er unmissverstandlich fest, dass die Sprache hauptsachlich symbolisiere. Die Sprache male nicht in dem Ausmaf wie es mit ,mensch- lichen Stimmitteln méglich ware“, sondern sie symbolisiere: n[E]benso wie die Farben des Malers einer Malfliche, so bediirfen die sprachlichen Sym- bole eines Umfeldes, in dem sie angeordnet werden. Wir geben ihm den Namen Syibolfeld der Sprache.#! Auch wenn Biller einraumt, dass laut malerische Elemente méglicherweise Urphdnomene darstellen, die der Enistehung der Phoneme vorausgingen, so ist sein Interesse fir diesen /Mythos’ beschrankt. Benjamin beschaftigt sich deshalb auch gar nicht viel langer oder eingehender mit Bithler - ein Phanomen wie die Deixis am Phantasma, das auf den ersten Blick eine Parallele zur These bietet, dass Franz Kafkas Literatur lauter Gesten bite, scheint Benjamin nicht zu inte- ressieren.? Sogar Biihlers Beobachtungsbeispiele fiir ,schlichteste’ Deixis am Phantasma, das chinesischen Theater sowie das Kinderspiel, scheinen von Benjamin ignoriert zu werden, auch wenn beides im Kafka-Aufsatz selbst mit der vorgestellten Gesten-These verbunden wird.? © Vg). Karl Buhler, Sprachtheorie, S. 153. " Ebd., S. 150 f. Siche das Kapitel zu Benjamins Kafka-Rezeption in dieser Arbeit © Vgl. Karl Bahler, Sprachtheorie, S. 140, Hervorhebungen im Original: ,,Psychologisch geschen ist das gar nichts anderes als ein systematisiertes, von tausend Konventionen und mit souverdner Willkir aber zu guter Letzt doch mit ahnlichen Mitteln in allen Kinderstuben der Welt tagtaglich gespielt wird. Das Kind und das chinesische Thew terspicl - vielleicht waren das gutgewahlte Beobachtungsbeispiele; Endpunkte in vie- Jer Hinsicht einer Entwicklungslinie und nahe benachbart in anderer Hinsicht, Jeden falls belehrt beides uns faflich an den hin- und hergeschobenen, sinnlich konkreten Dingen uber das, was im Falle des dramatischen Verfahrens mit und im Falle des epl schen Verfahrens ole solch grobere Hilfen dberall, wo einer den ancteren am Phan tasma fahrt, vonstatten geht.”

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