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Dialektik des Bildlichen Zum Sprachdenken Walter B... für später speichern ; Fabian Grossenbacher
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Dialektik des
| Bildlichen
Zum Sprachdenken
Walter Benjamins
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zur deutschen Sprache = LiteraturEE,
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3. _ Anthropologische Dimensionen des
Sprache- Bild-Verhaltnisses
3.1. Onomatopoesie, Geste, Mimesis
Wie in den vorigen Kapiteln angedeutet, sto&t man in Benjamins eigenen
Uberlegungen zur Sprache immer wieder auf anthropologische Themen
und Annahmen. Diese Dimension kommt zwar selten ausschlie@lich und
ausfihrlich zur Sprache, aber dafiir relativ regelmafig. Auch in einem
Text, der als Sammelreferat konzipiert wurde, findet eine Diskussion anth-
ropologischer Facetten sprachphilosophischer Ansatze statt. Benjamin geht
darin vorwiegend auf zeitgendssische Theorien ein. Das Referat, das etwa
Ende 1934 verfasst wurde und 1935 in der Zeitschrift fiir Sozialforschung
erschienen ist, tragt den Titel ,, Probleme der Sprachsoziologie. Ein Sammel-
referat” (vgl. GS III, 452-480). An Werner Kraft schreibt Benjamin am 30. 1.
1936, dass dieses Referat ,,genau an die Stelle fihrt’, wo Benjamins ,eigene
Sprachtheorie, die [er] auf Ibiza vor mehreren Jahren in einer programma-
tischen Notiz niedergelegt habe, einsetzt” (GB V, 237). Dieses Referat geriet
erst vor Kurzem vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit der Benja-
min-Rezeption. Anja Lemke hat im Benjamin-Handbuch zur _spateren
Sprachphilosophie’ einen Artikel geschrieben, auferdem hat sich die Dis-
sertation von Giinter Karl Pressler ausschlieGlich mit dem Sammelreferat
befasst.! Vielleicht, weil es sich ,nur’ um ein Referat handelt und sich dar-
iiber hinaus mit Ansatzen auseinandersetzt, die bislang in der Benjamin-
Forschung eher wenig Beachtung gefunden haben, ist die breite Rezeption
ausgeblieben. Bei der ,eigenen Sprachtheorie’ von der Benjamin redet, sind
sehr wahrscheinlich die beiden kurzen Texte iiber die , Lehre vom Ahnli-
chen” und ihre Uberarbeitung ,,Uber das mimetische Vermogen” gemeint,
die beide im Jahr 1933 verfasst wurden. Diese wiederum - und das ist nicht
unwichtig - sind nach einer brieflichen Mitteilung Benjamins an Gershom
Scholem aus den Arbeiten an der ,,Berliner Kindheit um neunzehnhun-
dert” entstanden. Am 28. 2. 1933 schreibt er, nachdem er Scholem mitteilt,
dass er das , letzte Stick’ der ,Berliner Kindheit’ - das der damals geplanten
Reihenfolge nach das erste hatte werden sollen - abgeschlossen habe, es sei
nun ,,unter so bewandten Umstinden dennoch eine neue - Sprachtheorie
Vel. Anja Lemke, Zur spateren Sprachphilosophie, in: Burkhardt Lindner (Hrsg),
Benjamin-Handbuch. Leben ~ Werk ~ Wirkung. Stuttgart, Weimar 2006, $. 613-653
und Ginter Karl Pressler, Vom mimetischen Ursprung der Sprache. Walter Benja-
ntins Sammelreferat Probleme der Sprachsoziologie im Kontext seiner Sprachtheorie,
Frankfurt am Main 1992,82 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiltnisses
entstanden” (GB IV, 163). ,. Bemerken will ich nur, dass sie bei Studien zum
ersten Stiicke der ,Berliner Kindheit’ fixiert wurde.” (Ebd.) Bei diesem ers.
ten Stiick der ,Berliner Kindheit’ handelt es sich_um kein geringeres als das
bereits zitierte Stiick ,,Die Mummerehlen”, das in demselben Brief auch als
Pendant zum letzten - dem ,Bucklicken Mannlein’” bezeichnet wird. Ben-
jamin verlangt von Scholem, dass er ihm die Kopie seiner eigenen frithen
Spracharbeit ,,Uber Sprache iiberhaupt und tiber die Sprache des Men-
schen” schickt, weil er sie fiir die Abfassung der neuen Arbeit bendtigt,
Auch scheint im Kontext eines erst in Band VII, 2 der Gesammelten Schrif-
ten edierten Textes, eines Entwurfs zu den ,Mummerehlen’ mit Titel ,Zur
jLampe”, auf, dass ein altes Motiv der frithen Spracharbeit, namlich die
Lampe, in diesen eher spiiteren Texten zur Sprache erneut eine Rolle spielt
(vgl. GS VII, 792 ff.). Man hat es bei dieser spaten Sprachtheorie also dem-
nach wiederum mit einem komplexen Geflecht von Beziigen zu tun, die,
wie die Eingangsbemerkung klar gemacht haben sollte, auch das spite
Sammelreferat tiber die , Probleme der Sprachsoziologie’ betreffen.
In diesem Kapitel soll es primar um die Aufarbeitung dieser Beziige
gehen. Ausserdem wird mit Blick auf unser Thema auch eine argumentati-
ve Verschiebung interessant. Im vorigen Kapitel war der Sprachursprung
ziemlich deutlich als solcher zu erkennen, die ,bildliche’ Dimension der
Sprache blieb relativ jabstrakt’ und bezog sich eher auf den Namen als
“urbildliches’ Fundament der Sprache. Hier jedoch kommen , bildliche’
Phanomene zur Sprache, die im Sprachursprung als sinnlich-konkrete ins
Feld gefiihrt werden. Die hier rekonstruierte Argumentation stitzt sich auf
die Erzihlung, dass dieses sinnlich-konkrete Moment nach und nach in der
semiotischen Sprache ins Abstrakte transformiert wird. Ist es zu Beginn
noch fast ausschlieflich Basis der Kommunikation, bleibt es spater als ein
Sinnlich-Konkretes zwar in der Sprache als Rudiment erhalten, seine Funk-
tion hat es als Intelligibel-Abstraktes nun aber auch in der semiotischen
Lautsprache bis hin zur Schrift. Um diese abstrakten Satze auf ein konkre-
tes Beispiel zu beziehen: Die ,Geste’ hat diese doppelte Bedeutung. Sie
kann einerseits noch immer als sinnlich-konkrete Dimension der Sprache
wahrgenommen werden, als Zeigegeste in einer Kommunikationssituation,
in der sich die Sprecher leibhaftig begegnen, wo Mimik und das Gestikulie-
ren mit den Handen ein Bestandteil der Kommunikation darstellt, anderer-
seits kann sie innerhalb des semiotischen Sprachsystems auch als eine ins
Abstrakte transformierte Funktion begriffen werden - in einer miindlichen
Sprechsituation bei Prasenz der Sprechenden wie auch in der schriftlichen
Kommunikation. Die im vorigen Kapitel konstatierte Dialektik kann unter
anderen Vorzeichen auch hier festgestellt werden. In Bezug auf die ,Geste’
wird deutlich, dass sie zwar ,konkreter’ als der Name bleibt, dass aber auch
sie eine Abstraktionsbewegung vollzieht, der ihr tiber den Transfer in die
semiotische Sprache das Moment der sinnlichen Ahnlichkeit abzicht und3.2. Uber ,Die Probleme der Sprachsoziologic” 8
sie in den symbolischen Bereich der Sprache integriert? Das deiktische
Moment konserviert jedoch durch seinen hinweisenden Charakter das
Konkrete, egal, ob es auf etwas auerhalb der Sprache weist oder am Ende
auf die Sprache selbst, auf ihr ,,Ins-Werk-Setzen”, wie Giorgio Agamben
schreibt.> Jedenfalls wird deutlich, dass diese Dimension der Sprache, ge-
rade weil sie in den Symbolraum transferiert wurde, als transzendentale
Bedingung bildlich-sprachlichen Kommunizierens wieder von Interesse ist.
3.2. Uber ,,Die Probleme der Sprachsoziologie”
Da der besagte Text tiber die Sprachsoziologie’ laut Benjamin an jene Stelle
fahrt, wo seine eigene Sprachtheorie einsetzt, soll diesem Text nun zuerst
einige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht wie bei seinen anderen
Texten zur Sprache setzt Benjamin sich in diesem Text, weil es sich eben
um ein Referat handelt, vermehrt und explizit mit zeitgendssische Ansat-
zen auseinander. Obwohl der Titel impliziert, dass Benjamin sich soziolo-
gischen Ansatzen zuwenden wird, fallt auf, dass er sich stark mit psycho-
logisch oder anthropologisch ausgerichteten Texten beschaftigt. Es fallt
auch auf, dass er bestimmte Texte und Anséatze, die seinen eigenen Arbei-
ten entgegenkommen, nur streift, anderes dagegen, das seinem Denken
weniger entspricht, breiter ausfiihrt.
Benjamin raumt zu Beginn seines Referats auch ein, dass es sich bei
dem Thema um ein Grenzgebiet handle, das, trete man ihm naher, Berith-
rungspunkte mit weiteren Disziplinen erdffne:
[S]o gehdrt die Einwirkung der Sprachgemeinschaft auf die Sprache des
Einzelnen als Kernproblem der Kinderpsychologie an; die immer noch zur
Verhandlung stehende Frage des Verhaltnisses von Sprache und Denken
ist, wie zu zeigen sein wird, ohne die Materialien der Tierpsychologie kaum
2 In diesem Zusammenhang ist der folgende Hinweis Giorgio Agambens auf die von
Roman Jakobson (nach Otto Jespersen) festgestellten ,Shifters’ interessant. Er charak-
terisiert sie als ein Schwellenphanomen zwischen Symbol und Index: ,Im Rickgriff
auf Peirce’ Unterscheidung zwischen dem Symbol (das mit dem reprasentierten Ge-
genstand aufgrund einer konventionellen Regel assoziiert wird) und dem Anzeichen
(das in einer existenziellen Beziehung mit dem von ihm reprasentierten Gegenstand
steht) definiert er die shifters als eine besondere Zeichenklasse, die beide Funktionen
in sich vereint: als ,anzeigende Symbole’ (indexicel symbols).” Vgl. Giorgio Agamben,
Die Sprache und der Tod, S. 48. Als Beispiel wird das Personalpronomen ich’ ange-
fahrt, das einerseits symbolisch-konventionell bedeutet, andererseits aber in einer
.existenziellen Beziehung’ zum Sprecher steht. Vgl. dazu Roman Jakobson, Form und
Sinn, Sprachwvssenschafliche Betrachtungen, Manchen 1974, 5, 5-5,besonders
aE.
Vgl. Giorgio Agamben, Die Sprache und der Tod, 5. 50.84 3. Authropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiiltnisses
in Angriff zu nehmen; die neuen Auseinandersetzungen tiber Hand- und
Lautsprache sind der Ethnologie verpflichtet; und endlich hat die Psycho-
pathologie mit der Lehre von der Aphasie, der schon Bergson weittragende
Aufschlisse abzugewinnen suchte, auf Fragen, die fiir die Sprachsoziologie
von Bedeutung sind, Licht geworfen. (GS III, 452 f.)
Benjamin steckt im Grunde bereits in diesem Zitat den Diskurs seiner Ge-
wahrsleute ab, der sich neben der Soziologie und Linguistik eben auch auf
Kinder- und Tierpsychologie, Psychopathologie und Ethnologie abstitzt,
Etwa bei Jean Piaget und seinem Buch iiber das Sprechen und Denken des
Kindes von 1923, das Benjamin in seinem Referat noch ausftihrlich, und
va, mehrheitlich affirmativ zitiert - was angesichts seiner kritischen Hal-
tung gegeniiber psychologischen und padagogischen Diskursen nicht
selbstverstindlich ist -, findet man auf den ersten Blick die meisten der von
Benjamin angesprochenen Probleme oder Fragen wieder. Dariiber hinaus
findet man auch auf den ersten Blick AuRerungen diber das Verhailtnis von
ersten Worten des Kindes, primitiven Denkens und mimetischen wie auch
magischen Sprachverhaltens, die im Kontext der spaten Sprachtheorie
Benjamins diese, so kryptisch sie scheinen mag, durch die Beziehung zu
zeitgendssischen Diskursen, die nicht einfach mit dem Pradikat der Esote-
rik versehen werden kénnen, weitaus nachvollziehbarer macht. Dennoch
bezieht sich Benjamin in seinem Sammelreferat auch auf cher ,esoterische’
Texte, etwa auf eine Arbeit des Sprachphysiognomikers Heinz Werner’
+ Vgl. Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, tibersetzt von Nicole Stober,
Disseldorf, 3. Auflage 1976.
5 Vgl. beispielsweise Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, S. 17: ,,Man findet
zB. unter den allerersten Worten ganz offensichtlich die Liebesschreie, mit denen der
sexuelle Akt eingeleitet wird. Daher bleiben diese Worte und alle Worte, die auf die-
sen Akt anspielen, unmittelbar emotional geladen. Diese Tatsachen erklaren die all-
gemeine Tendenz beim primitiven Denken, den Namen von Personen und Dingen
und die Bezeichnung von Ereignissen als Trager der Eigenschaften dieser Dinge oder
Ereignisse zu sehen.” Und einen Abschnitt weiter: ,So spricht schlieflich vieles da-
fiir, da die urspriingliche Sprache des Kindes viel komplexere Funktionen hat, als es
auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Selbst wenn man den Details dieser The-
orien mit gr8tem Vorbehalt gegeniibersteht, miissen wir einsehen, da viele Aus-
driicke, die fiir uns nur begriffliche Bedeutung haben, fiir das Kleinkind lange Zeit
eine Bedeutung behalten, die nicht nur affektiv, sondern quasi magisch oder wenigs-
tens an gewisse Verhaltensweisen gebunden ist, die wir isoliert erforschen sollten,
wobei wir unsere Erwachsenenmentalitat vergessen miissen.”
Wemer ist, wie Ludwig Klages, aber auch andere Leute mit anthropologisch-
philosophischem Hintergrund (etwa Max Scheler oder Helmuth Plessner), stark am
Ausdruck interessiert. Neben dem nonverbalen Ausdruck, der etwa in Form der Mi-
mik zentrale Bedeutung jene anthropologischen Philosophen hat, ist immer auch das
Verhaltnis dieser ,unmittelbaren’ Ausdrucksform zum ,mittelbaren’, namlich 2u je-
nem der ,abstrakten’ Zeichensprache, von Interesse. Bei Heinz Werner stot man auf
eine analoge Bewegung gar auf der ndchsten Ebene, namlich innerhalb der verbalen3.2. Uber Die Probleme der Sprachsoziologie” 85
und auf ein Buch Rudolf Leonhards, den er in dem kurzen Text tiber die
Lehre vom Ahnlichen nochmals namentlich - in jenem tiber das mimeti-
sche Vermégen nicht mehr namentlich ~ zitiert.
Gleich im nachsten Abschnitt seines Sammelreferats kommt Benjamin
auf das Thema des Sprachursprungs zu sprechen, den er als jenen Schnitt-
bereich ausmacht, in dem die ,,Kardinalprobleme” der Sprachwissenschaft
und der Soziologie aufeinandertrifen. Der Sprachursprung erscheint ihm
gar als ein ,,Fluchtpunkt’, ,,auf den die verschiedensten Theorien sich un-
gezwungen ausrichten” lieRen (GS III, 453). Benjamin bezieht sich mit die-
ser starken These auf Henri Delacroix, der in seinem Buch ,Le langage et la
pensée”? den nicht abwegigen Gedanken auRerst, dass es eigentlich un-
moglich sei, tiber das Studium der Sprachgeschichte zu den Urspriingen der
Sprache zu gelangen, da Sprache gerade die Vorbedingung fiir Geschichte
darstelle* Delacroix referiert, wie Benjamin auch festhalt, im Anschluss an
die von Benjamin tibersetzte Stelle Hypothesen, mit denen die Sprachwis-
senschaftler besagte Urspriinge zu rekonstruieren versucht haben. Trotz
der Konventionalitat, der Intentionalitét und der Willkiir, die der Sprache
eindeutig anhaften, sei unklar, wie der Zusammenhang von Zeichen und
Bezeichnetem zustande gekommen ist. Eine der wichtigsten Erklarungs-
versuche sei daher, die Sprache kinne durch die Nachahmung von Ténen
Sprache: An dieser Stelle Klingt Kulturkritik an, die, obwohl sie hier nicht als solche
prasentiert wird, 2u dieser Zeit nicht ganz uniiblich ist und die einem auch bei Klages
begegnet, der von Werner freilich gelesen wurde. Vgl. Heinz Werner, Grundfragen
der Sprachphysiognomik, Leipzig 1932, S. 10: ,Mit der zunehmenden Theoretisie-
rung und Technisierung der menschlichen Welt werden Sinn und Funktion der Spra-
che gewandelt, wird die Sprache des Ausdrucks zur Begriffssprache. In einer Welt
des Ausdrucks hat die Sprache ein unmittelbares Verhaltnis zur Welt der Dinge,
denn im letzten Grunde gibt es hier nur eine Realitat und das ist die Realitat aus-
drucktragender Gegenstandlichkeiten. Das wird anders, wenn nicht die konkreten
Gegenstande, sondem ihre abstrakten Begriffe gefaSt und sprachlich abgebildet wer-
den. Dann wird die Wirklichkeit, dann wird jedes Ding und jede Eigenschaft ein ver-
sinnlichtes Exemplar des abstrakten Begriffs.”
7 Vgl. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, Paris 1930.
* Vgl. GS III, 453, eine Passage aus Delacroix’ Buch (6. 128 f), in der Ubersetzung
Benjamins, die nicht immer ganz wortgetreu, sinngema aber durchaus korrekt ist -
Delacroix spricht etwa nicht von der Sprachgeschichte’, sondem vom ,Linguisten’:
»Urspriinge pflegen, wie man wei8, im Dunkel zu liegen... Die Sprachgeschichte
fahrt nicht zu den Urspriingen zuriick, da Sprache ja die Vorbedingung der Ge-
schichte darstellt. Die Sprachgeschichte hat es immer nur mit sehr entwickelten Spra-
chen 2u tun, die eine gewichtige Vergangenheit, von welcher wir nichts wissen, hin-
ter sich haben, Der Ursprung von bestimmten Sprachen ist nicht identisch mit dem
Ursprung der Sprache selbst. Die altesten bekannten Sprachen... haben nichts Primi-
tives. Sie zeigen uns nur die Veranderungen, denen die Sprache unterworfen ist; wie
sie entstandeen ist, das lehren sie uns nicht.”84 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhiiltnisses
in Angriff zu nehmen; die neuen Auseinandersetzungen tiber Hand- und
Lautsprache sind der Ethnologie verpflichtet; und endlich hat die Psycho.
pathologie mit der Lehre von der Aphasic, der schon Bergson weittragende
Aufschliisse abzugewinnen suchte, auf Fragen, die fiir die Sprachsoziologie
von Bedeutung sind, Licht geworfen. (GS III, 452 f.)
Benjamin steckt im Grunde bereits in diesem Zitat den Diskurs seiner Ge.
wahrsleute ab, der sich neben der Soziologie und Linguistik eben auch auf
Kinder- und Tierpsychologie, Psychopathologie und Ethnologie abstitzt,
Etwa bei Jean Piaget und seinem Buch tiber das Sprechen und Denken des
Kindes von 1923, das Benjamin in seinem Referat noch ausfiihrlich, und
v.a, mehrheitlich affirmativ zitiert - was angesichts seiner kritischen Hal-
tung gegeniiber psychologischen und padagogischen Diskursen nicht
selbstverstandlich ist -, findet man auf den ersten Blick die meisten der von
Benjamin angesprochenen Probleme oder Fragen wieder.‘ Dariiber hinaus
findet man auch auf den ersten Blick Auferungen iiber das Verhaltnis von
ersten Worten des Kindes, primitiven Denkens und mimetischen wie auch
magischen Sprachverhaltens, die im Kontext der spaten Sprachtheorie
Benjamins diese, so kryptisch sie scheinen mag, durch die Beziehung zu
zeitgendssischen Diskursen, die nicht einfach mit dem Pradikat der Esote-
tik versehen werden kinnen, weitaus nachvollziehbarer macht.5 Dennoch
bezieht sich Benjamin in seinem Sammelreferat auch auf eher ,esoterische’
Texte, etwa auf eine Arbeit des Sprachphysiognomikers Heinz Werner‘
+ Vgl. Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, tibersetzt von Nicole Stber,
Diisseldorf, 3. Auflage 1976.
Vgl. beispielsweise Jean Piaget, Sprechen und Denken des Kindes, S. 17: , Man findet
z.B. unter den allerersten Worten ganz offensichtlich die Liebesschreie, mit denen der
sexuelle Akt eingeleitet wird. Daher bleiben diese Worte und alle Worte, die auf die-
sen Akt anspielen, unmittelbar emotional geladen. Diese Tatsachen erklaren die all-
gemeine Tendenz beim primitiven Denken, den Namen von Personen und Dingen
und die Bezeichnung von Ereignissen als Trager der Eigenschaften dieser Dinge odet
Ereignisse zu sehen.” Und einen Abschnitt weiter: ,,So spricht schlieBlich vieles da-
fiir, da die urspriingliche Sprache des Kindes viel komplexere Funktionen hat, als es
auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Selbst wenn man den Details dieser The-
orien mit groftem Vorbehalt gegeniibersteht, miissen wir einsehen, da viele Aus-
driicke, die fiir uns nur begriffliche Bedeutung haben, fiir das Kleinkind lange Zeit
eine Bedeutung behalten, die nicht nur affektiv, sondern quasi magisch oder wenigs-
tens an gewisse Verhaltensweisen gebunden ist, die wir isoliert erforschen sollten,
wobei wir unsere Erwachsenenmentalitat vergessen miissen.”
6 Werner ist, wie Ludwig Klages, aber auch andere Leute mit anthropologisch-
philosophischem Hintergrund (etwa Max Scheler oder Helmuth Plessner), stark am
Ausdruck interessiert. Neben dem nonverbalen Ausdruck, der etwa in Form der Mi-
mik zentrale Bedeutung jene anthropologischen Philosophen hat, ist immer auch das
Verhaltnis dieser ,unmittelbarer’ Ausdrucksform zum ,mittelbaren’, namlich zu je-
nem der ,abstrakten’ Zeichensprache, von Interesse. Bei Heinz Werner st8St man auf
cine analoge Bewegung gar auf der nachsten Ebene, namlich innerhalb der verbalen3.2. Uber ,,Die Probleme der Sprachsoziologie” 85
und auf ein Buch Rudolf Leonhards, den er in dem kurzen Text Uber die
Lehre vom Ahnlichen nochmals namentlich - in jenem iiber das mimeti-
sche Vermiigen nicht mehr namentlich - zitiert.
Gleich im néchsten Abschnitt seines Sammelreferats kommt Benjamin
auf das Thema des Sprachursprungs zu sprechen, den er als jenen Schnitt-
bereich ausmacht, in dem die ,Kardinalprobleme” der Sprachwissenschaft
und der Soziologie aufeinandertrafen. Der Sprachursprung erscheint ihm
gar als ein ,,Fluchtpunkt”, ,auf den die verschiedensten Theorien sich un-
gezwungen ausrichten” lieRen (GS III, 453). Benjamin bezieht sich mit die-
ser starken These auf Henri Delacroix, der in seinem Buch ,Le langage et la
pensée’7 den nicht abwegigen Gedanken auferst, dass es eigentlich un-
moglich sei, tiber das Studium der Sprachgeschichte zu den Urspriingen der
Sprache zu gelangen, da Sprache gerade die Vorbedingung fir Geschichte
darstelle.* Delacroix referiert, wie Benjamin auch festhalt, im Anschluss an
die von Benjamin tibersetzte Stelle Hypothesen, mit denen die Sprachwis-
senschaftler besagte Urspriinge zu rekonstruieren versucht haben. Trotz
der Konventionalitat, der Intentionalitat und der Willkiir, die der Sprache
eindeutig anhaften, sei unklar, wie der Zusammenhang von Zeichen und
Bezeichnetem zustande gekommen ist. Eine der wichtigsten Erklarungs-
versuche sei daher, die Sprache kone durch die Nachahmung von Ténen
Sprache: An dieser Stelle Klingt Kulturkritik an, die, obwohl sie hier nicht als solche
prisentiert wird, zu dieser Zeit nicht ganz uniiblich ist und die einem auch bei Klages
begegnet, der von Werner freilich gelesen wurde. Vgl. Heinz Wemer, Grundfragen
der Sprachphysiognomik, Leipzig 1932, S. 10: Mit der zunehmenden Theoretisie-
rung und Technisierung der menschlichen Welt werden Sinn und Funktion der Spra-
che gewandelt, wird die Sprache des Ausdrucks zur Begriffssprache. In einer Welt
des Ausdrucks hat die Sprache ein unmittelbares Verhaltnis zur Welt der Dinge,
denn im letzten Grunde gibt es hier nur eine Realitat und das ist die Realitat aus-
drucktragender Gegenstindlichkeiten. Das wird anders, wenn nicht die konkreten
Gegenstinde, sondern ihre abstrakten Begriffe gefat und sprachlich abgebildet wer-
den. Dann wird die Wirklichkeit, dann wird jedes Ding und jede Eigenschaft ein ver-
sinnlichtes Exemplar des abstrakten Begriffs.”
7 Vel. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, Paris 1930.
* Vl. GS Ill, 453, eine Passage aus Delacroix’ Buch (S. 128 £), in der Ubersetaung
Benjamins, die nicht immer ganz wortgetreu, sinngema aber durchaus korrekt ist -
Delactoix spricht etwa nicht von der ,Sprachgeschichte’, sondern vom ,Linguisten’
»Urspriinge pflegen, wie man wei, im Dunkel 2u liegen... Die Sprachgeschichte
falhrt nicht zu den Urspriingen zuriick, da Sprache ja die Vorbedingung der Ge-
schichte darstellt. Die Sprachgeschichte hat es immer nur mit sehr entwickelten Spra-
chen zit tun, die eine gewichtige Vergangenheit, von welcher wir nichts wissen, hin-
ter sich haben. Der Ursprung von bestimmmten Sprachen ist nicht identisch mit dem
Ursprung der Sprache selbst. Die altesten bekannten Sprachen... haben nichts Primi-
tives, Sie zeigen uns nur die Verinderungen, denen die Sprache unterworfen ist; wie
sie entstanden ist, das lehren sie uns nicht.”86 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Veilise
entstanden sein.? Delacroix réumt aber ein, dass dieses onomatopoetische
Erklarungsmuster ,fragil’ sei, dass in verschiedenen Sprachen Begrife
durch vollig verschiedene Téne ausgedrtickt wiirden", die auSerdem in
gewisser Weise ,subjektiven’ Charakter hatten. Dennoch nimmt auch Dela
croix eine sprachliche Entwicklung an, die vom Konkreten (, Beaucoup des
mots sont nés vraisemblablement de noms propres, sortes de Leitmotits qui
en sont venus ensuite a désigner les particularités les plus caractéristiques
de la personne.”"!) hin zum Abstrakten und zu grammatikalisch komplexe-
ren Einheiten verlief. : ee
Im nachsten Abschnitt geht Benjamin deshalb auf die popularste K
annten 2u tiber-
struktion ein, mit der Forscher ,,diese Kluft des Nichtbek. Peete sth
briicken versucht” hatten - wie oben bereits festgehai mit Delacraix
hierbei nach Delacroix um die Onomatopoesie. Er ee des 18.
auf den fir das Sprachursprungsdenken zentralen vl
Jahrhunderts, ndmlich Johann Gottfried Herder, aus dessen on rd
iiber den Ursprung der Sprache” er den bekannten aa
Mensch erfand sich selbst Sprache! - aus Ténen lebender N™*-©
der.” (GS Ill, 453) Obwoh! Benjamin dieses Zitat bei Dena
kurz auf den Kontext, aus dem es stammt, eingegangen "°F" | en dit
Beim Abschnitt, aus dem das Zitat stammt, handelt es SCD nem
ten Abschnitt der Abhandlung Herders, in dem er das ea ein Merk
Text eingefiihrte Beispiel mit dem Schaf, das durch sein Bid a
mal liefert, das sich dem Menschen einpragt und durch das fT
kann, verstarkt auf den Gehdrsinn bezieht, Im ersten BeisP'°
darum, dass der Mensch - nicht wie das Tier - ohne von seinen ein Bild”
iiberwaltigt zu werden, mittels balancierter sinnenwahrnehimung und des
des Schafs empfangen kann, das sich anhand eines Merkima” auch
inneren Sins des Menschen wiederum ,bildlich’ - auf welcher © or, in
immer - durch ihn reproduzieren asst. ? Im anderen Abschnit
te
tsche Satz Jautet = 0
ee fenteil de [imitation
% Vl. Henri Delacroix, Le langage et la pensée, S. 130, der
fe echo del
die Nennung Herders - im Original so, F.G.: ,Le langage provi
des sons? ‘La langue des premiers hommes ne fut, en quelque sorte, 1
nature dans la conscience humaine’ ‘Der Mensch erfand sich selbst Sprache
nen lebender Natur.” jrtickt
1 Andieser Stelle lohnt sich die Wiedergabe eines Satzes, mit dem Delacroix aust
was er beschreibt. Vgl. Delacroix, Le langage et la pensée, S. 131: ,Dans les differen’ ©,
langues les mémes notions sont exprimées par des sons trés divers. Le sens attae
aux mots varie sans que varient les sons, ou bien les sons varient sans que le sens V2"
rie”
1 Ebd, S. 135, Hervorhebung im Original.
2 Vgl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung Gber den Ursprung der Sprache, Ini
Johann Gottfried Herder: Werke, Hrsg. von Martin Bollacher et al,, Frankfurt am
Main 1985ff,, 10 Bande, hier Band I, S. 724: Nicht so dem Menschen! so bald er in die
Bediirfnis kommt, das Schaf kennen zu lernen: so st&ret ihn kein Instinkt: so reiGt ihn32. Uber ,Die Probleme der Sprachsoziologie” 87
dem der Ausruf ,,Ha! du bist das Blickende!” auch eine Rolle spielt, wird
dieses spezifisch akustische Merkmal zum entscheidenden stilisiert.! Her-
der beschreibt in diesem Abschnitt selbst sehr bildlich oder malerisch, wie
sich die Dinge der Natur tiber tonende Merkmale dem Menschen einp:
gen und ihn dazu bewegen, ihnen Namen zu geben.!! Herder praigt in sei-
ner Schrift Argumentationsweisen, die auch hundert Jahre spater noch
ziemlich modern klingen. Gegen simple theologische Sprachursprungsthe-
orien fuhrt Herder seine sprachgeschichtlichen Uberlegungen ins Feld'5,
die mehr oder weniger auf sensualistische Argumente bauen:
kein Sinn auf dasselbe zu nahe hin, oder davon ab: es steht da, ganz wie es sich sei-
nen Sinnen auert. Weil, sanft, wollicht — seine besonnen sich tibende Seele sucht
ein Merkmal, ~ das Schaf blicket! sie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn wiir-
ket. Dies Blicken, das ihr am stirksten Eindruck macht, das sich von allen andern Ei-
genschaften des Beschauens und Betastens losrif, hervorsprang, am tiefsten ein-
drang, bleibt ihr. Das Schaf kommt wieder. Weifi, sanft, wollicht — sie sieht, tastet,
besinnet sich, sucht Merkmal — es bléckt, und nun erkennet sies wieder! ,Ha! du bist
das Blickende!’ fihlt sie innerlich, sie hat es menschlich erkannt, da sies deutlich, das
ist mit einem Merkmal erkennet, und nennet.”
° Yl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung iiber den Ursprung der Sprache, S. 735:
»Da ist z. E. das Schaf. Als Bild schwebet es dem Auge mit allen Gegenstanden, Bil-
dem und Farben auf Einer grofen Naturtafel vor — wie viel, wie mihsam zu unter-
scheiden! Alle Merkmale sind fein verflochten, neben einander — alle noch unaus-
sprechlich! Wer kann Gestalten reden? Wer kann Farben ténen? Er nimmt das Schaf
unter seine tastende Hand — Das Gefiihl ist sicherer und voller; aber so voll, so dun-
kel in einander — Wer kann, was er fiihlt, sagen? Aber horch! das Schaf blicket! Da
rei8t sich ein Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes, worin so wenig zu unter
scheiden war, von selbst los: ist tief und deutlich in die Sele gedrungen: ,Ha! sagt
der lemende Unmiindige, wie jener blind Gewesene Cheselden's: nun werde ich dich
wieder kennen — Du blickst!’ Die Turteltaube girrt! der Hund bellet! da sind drei
Worte, weil er drei deutliche Ideen versuchte, diese in seine Logik, jene in sein Wor
terbuch! Vernunft und Sprache taten gemeinschaftlich einen furchtsamen Schritt und
die Natur kam ihnen auf halbem Wege entgegen durchs Gehér. Sie ténte das Merk-
mal nicht blo vor, sondem tief in die Seele hinein! es Klang! die Sele haschte — da
hat sie ein tonendes Wort!"
Ebd,, S. 736: , Nun lasset dem Menschen alle Sinne frei; er sehe und taste und ftihle
zugleich alle Wesen, die in sein Ohr reden - Himmel! Welch ein Lehrsaal der Ideen
und der Sprache! Fiihret keinen Merkur und Apollo, als Opernmaschinen von den
Wolken herunter — Die ganze, vielténige géttliche Natur ist Sprachlehrerin und Mu-
se! Da filhret sie alle Gesch3pfe bei ihm vorbei; jedes tragt seinen Namen auf der
Zunge, und nennet sich, diesem verhiilleten sichtbaren Gotte! als Vasalli und Diener.
Es liefert ihm sein Merkwort ins Buch seiner Herrschaft, wie einen Tribut, damit er
sich bei diesem Namen seiner erinnere, es kiinftig rufe und genieGe.”
Dass dieser Text sehr komplex, vielschichtig und immer wieder widerspriichlich
argumentiert, legt Ralf Simon dar, der die plausible These vertritt, dass je nh
sprachphilosophischem Ansatz, den es fiir Herder zu widerlegen gilt, ein anderes
Register gezogen wird und dass man damit bei Herder nicht auf einen einzige?
Sprachursprung stBt, sondern auf mehrere. Dieser letzte Punkt wiirde sich wie!
Tum mit den Thesen Delacroix’ decken und unterstriche nochmals Herders Mov
4
83. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhdiltnisses
Das erste Warterbuch war also aus den Lauten aller Welt gesammelt, Von
jedem tanenden Wesen klang sein Name;
die menschliche Seele pragte ihr
Pild drauf, dachte sie als Merkzeichen, ~ wie anders, als da diese tonenden
Herietionen die ersten wittden, und so sind z.E. die morgenlindischen
efrachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die
Sache selbst schwebte noch zwischen dem Handelnden und der Handlung:
der Ton mufte die Sache bezeichnen, so wi
ie die Sache den Ton gab; aus den
Verbis wurden also Nomina und Nomina aus den Verbis, Das Kind nennet
das Schaf, als Schaf nicht: sondern als ein blickendes Geschipf, und macht
also die Interjektion zu einem Verbo, Im Stufengange der menschlichen
Sinnlichkeit wird diese Sache erklarbar, aber nicht in der Logik des héhem
Geistes,'¢
Aus der komplexen Dichte eines Bild i
terschieden, ein Ding handelt, tént und teilt dem Menschen durch seinen
spezifischen Klang ~ hier klingt gar der Rest ciner Art Signatura-Lehre an?
~ seinen Namen mit. Die Bezeichnung, die ein Ding danach erhalt, kann
sich aber wandeln, kann eine Reihe ver:
wobei dieser W,
* Vel. Ralf Simon, Der poetische Text als Bildkritik, Miinchen 2009, S. 133: ,Es dr
ass Herders Text einer Struktur und Redewvise ant
ireibstrategie gehdren. Eine Lektiirestrategie, die ei te
Briffiche schlussfolgerde Argumentation erwartet ist einer Revision zu unterie
hen. Angesichts eines solchen verwundenen, in ich teflektierten, vielleicht sogar
hochironischen Argumentationsganges ist die Voraussetzung aufzugeben, man wir
de bei Herder in einem fortschreitenden, explikativen und ne sich zusammenhangen
den linearen Gedankengang die Begrii
sprungs finden.”
indung der These eines einzigen Sprachu-
Vgl. Johann Gottfried Herder,
Das sieht wohl auch Benjami
Abhandlung iiber den Ursprung der Sprache,S. 738
‘in, wenn er bemerkt, dass Herder mit seinem Diktum,
dass sich der Mensch die Sprache aus Ténen lebender Natur erfand, blo auf , Uber
Jegungen des siebzehnten Jahrhunderts zurtick{griffe], dessen geschichtice Be
Sestheit er als erster ahnte und das in seinen Spekulationen tiber den Ursprungalkt
Sprache von Hankamer in einem beachtenswerten Werk behandelt wurde.” (CS ll,
453 £.) Das besagte Buch von Paul Hankamer (,Die Sprache", 1927) zeichnet sich ne
ben der Rekonstruktionsarbeit, die es fiir die Sprachtheorie des Barock leistet, auch
dadurch aus, dass die Figur Jakob Bohmes seark gemacht wird, a Benjamin oe
ion bemerkt: ,Sie (die Arbeit] setzt sich vielmehr, wie in den meisten
hae eee tae die Regel ist, am Ende des behandelten ie
im Werke eines Mannes oder einer Schule ~ es ist in diesem Falle das des Jakol iy
me - einen Punkt, auf welchen zu die Fluchtlinien der Deutung laufen, statt pers
livisch in das Innerste der Zeit zu fahren.” (GS III, 59 £,)3.3. Deixis 89
interessieren scheint, ist die onomatopoetische Dimension des Sprachur-
sprungs, die in seiner Sprachtheorie unleugbar mitschwingt.'® Benjamin
konstatiert, dass die Bedeutung der Onomatopoesie von der Wissenschaft
immer wieder einzuschranken versucht wurde, schlagt aber nichtsdestot-
rotz von der Ebene der Lautmalerei bei Herder einen Bogen zu den zeit-
gendssischen Theorien, die er in seinem Referat untersucht, namentlich zu
Karl Buhler. Die Onomatopoesie ist nur ein Aspekt, den Benjamin interes-
siert. Obwohl er sieht, dass eine onomatopoetische Fundierung des
Sprachursprungs wenig plausibel ist, michte er die Bedeutung der Onoma-
topoesie fiir die Sprache nicht aufgeben - das lasst sich auch in den Texten
iiber das mimetische Vermégen gut zeigen. Damit bleibt er mit Herder
verbiindet. Aber weder Benjamin noch Herder stiitzen sich einseitig auf die
Onomatopoesie oder sinnliche Dimension der Sprache. Cornelia Zumbusch
halt fest, dass es bemerkenswert sei, dass die menschliche Sprache weder
bei Benjamin noch bei Herder ,,einseitig aus der sinnlichen Rezeptivitat
noch aus der spontanen Vernunfttatigkeit” abgeleitet werde, beide suchten
vielmehr , ihren Kreuzungspunkt’.!’ Es bleibt spannend, weshalb Benjamin
Karl Buhler ins Spiel bringt, der einer arbitréren Auffassung der Sprache
anhangt. Biihler ist fiir die Wichtigkeit der onomatopoetischen Funktion
der Sprache gerade kein Gewahrsmann. Aber er ist der Gewahrsmann
einer anderen Facette der Sprache, die man mit der Sinnlichkeit oder gar
einer Art ,Bildlichkeit’ verbinden kann. Die Rede ist vom Zeigen, von der
Deixis. Gerade die Deixis ist eine wichtige sprachliche Funktion far Bahler
und sein Modell. Aber es versteht sich von selbst, dass Buhler die ,sprach-
magischen’ Momente der Onomatopoesie nicht in seine Konzeption der
ixis einspeisen kann. Die Unterschiede zwischen Benjamins eigener
Auffassung und derjenigen Biblers sollen nun dargelegt werden.
3.3. Deixis
Karl Buhler wird in Benjamins Text auffallig oft zitiert, unter den zitierten
Schriften ist unter anderen auch sein wohl bekanntestes Buch mit dem Titel
»Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache”, das anthropologi-
sche wie auch psychologische Forschungsergebnisse mt in die sprachtheo-
retische Reflexion einbezieht. Es fallt aber auf, das bemerkt auch Giinter
Karl Pressler in seiner Monographie zum Sammelreferat, dass sich Benja-
min nicht gro® auf die philosophischen Implikationen Bahlers einlasst,
vielmehr macht er ,,lediglich auf dessen ,systematische Leistung’ aufmerk-
"Dass es sich aber nur um eine Facette des Sprachursprungs handelt, zeigt Simon im
Anschluss an Gaier, Vgl. Ralf Simon, Der poetische Text als Bildkritik, S. 140 ff.
© Vgl. Comelia Zumbusch, Wissenschatt in Bilder, S. 190.90 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhaltuissg
sam und bringt diese in seine Fragestellung an thematisch wichtigon
Brennpunkten (Onomatopoetik, Organonmodell und Mimesis) ein’. Wie
Pressler richtig schreibt, ,,zcigt sich bei ihm keinerlei Neigung, die Buhler.
sche Axiomatik mit ihren reichhaltigen empirischen Belegen systematisch
aneignen oder sie bearbeiten zu wollen”.2
Buhler widmet der Onomatopoesie ein ganzes Teilkapitel in jenem gré-
Seren Kapitel seines Buchs, wo es um das Symbolfeld, also den Kontext der
Sprechsituation, geht. Das scheint auch der Grund zu sein, weshalb sich
Benjamin zunichst iberhaupt fair Bihlers Ansatz interessiert. Buller lehnt
den Gedanken, dass der Sprache eine onomatopoetische Dimension eignet,
nicht ab, aber er versucht ihn relativ stark einzuschranken: ,,Die Sprache
ware nicht, was sie ist, wenn es ein koharentes, leistungsféhiges Malfeld in
ihr gabe. Die Sprache ist aber tolerant genug, an bestimmten Grenzen, wo
ihre eigengesetzlichen Mittel erschopft sind, das andersartige Malprinzip
zuzulassen.”2! Was Biihler klar zu machen versucht, ist die klare Dominanz
der symbolisierenden Sprache tiber das, was man wortwortlich als Laut-
tnalerei bezeichnen miisste (Onomatopoiesis’, darauf weist Bbler hin,
heit hingegen eigentlich ,Wortmalerei’). Biihler meint, dass der Mensch
auf einer einer fruhsten Entwicklungsstufen sich nicht dafir entschieden
habe, den Weg der ,archaischen Logik’ und Lautmalerei einzuschlagen,
bwobl es ihm wohl freigestanden hatte. Hr habe sich stattdessen vielmehr
fiir die symbolisierende Sprache entschieden. Denn ymicht aber ae es
midglich gewesen, nach einer erheblichen Strecke links [d.h. auf a iene
der Onomatopoesie] den Weg zuriickzufinden und die Spuren der Erstent-
scheidung derart radikal zu tilgen, wie es nach dem Zeugnis der rezenten
Sprache geschehen sein miifte.”” Nichtsdestotrotz raumt Biihler der
Lautmalerei innerhalb der Sprachfunktionen einen gewissen Stellenwert
cin, denn von der Hand weisen lasst sich ihre Existenz nicht ganz, was
auch die beeindruckende Liste von Theoretikern nahelegt, die er in Ausei-
nandersetzung mit einem zeitgendssischen Sprachforscher oder Entwick-
Iungspsychologen namens Heinz Werner® erstellt, der den alten Versuch
aufzuwérmen versuchte, ,die Sprache anschaulich mit den Dingen direkt
® Vgl. Ginter Karl Pressler, Vor mimetischen Ursprung der Sprache, Walter Benja-
mins Sammelreferat Probleme der Sprachsoziologie im Kontext seiner Sprachtheorle
Frankfurt am Main 1992, S. 34
2 Vpl. Karl Bahler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, ungekilrztet
Neudruck der 3. Auflage von 1934, Stuttgart 1999, 5. 196.
2 Ebd,S.198.
Heinz Weer ist der Verfasser der Studie ,Grundfragen der Sprachphyslognomik"
(Leipzig 1932). Weiter unten wird Werner, der auch von Benjamin kurz erwihnt
wird, nochmals naher vorgestelt.3.3, Deixis n
zu verbinden” Dieser Versuch wird durch eine ,platonische’ Interpretati-
on der Natursprache geleistet. Denn Werner sieht das Imitationsverhaltnis,
das Ding und Sprache in der ,Natursprache’ zugeschrieben wird, nicht auf
der sinnlichen, sondern auf der ,geistigen’ Ebene - auf jener des ,Wesens’ -
gegeben: Das tnende Wort ist keine Kopie der Dinge, sondern ist die
sprachsinnliche Form der Wesenheit der Dinge."* Daher geht es Werner
auch nicht um reine Nachahmung®, sondern er legt den Akzent stark auf
den Schépfungsakt, der der ,Ausdruckssprache’ zugesprochen werden
mise: sie sei als eine ,geistige Aktivitat, als Medium des Logos, als
Denkinstrument zum Zwecke der Wirklichkeitserfassung” aufzufassen.”
Er beruft sich dabei nicht nur auf Platon, sondern - ahnlich wie Paul Han-
kamer ~ auf den barocken Niirnberger Dichterkreis, auf Jakob Bohme und
schlieBlich auch auf Hamann und Herder. Obwohl Bihler sich klar von
Werner distanziert®, halt er mit einer gewissen Unbedenklichkeit am Ter-
minus des Bildes fest, wenn er die Bedeutung der akustischen Sphare - so
spricht er vom ,akustischen Antlitz’ - gegeniiber der optischen fir die
Sprache unterstreicht:
Wenn unter den Sachverstindigen eine Abstimmung stattfinde dariber,
wer reicher ausgestattet sei mit Malmitteln: der Farbmaler oder ein Stimma-
ler, so gabe ich unbedenklich dem zweiten meine Stimme. Und wiirde nach
2 Vgl. Karl Biihler, Sprachtheorie, S. 196. In der besagten Liste werden Namen wie
Platon, ,,deutsche Barockdichter und Sprachdeuter aus dem 16. Und 17. Jahrhun-
dert”, Jakob Béhme, ,,Herder, Hamann und andere Romantiker bis herunter auf W.
von Humboldt” angefithrt. Vgl. ebd. S. 197.
3 Vgl. Heinz Wemer, Grundlagen der Sprachphysiognomik S. 15.
% Das sieht auch Reinhart Meyer-Kalkus so, der aufzeigt, dass Wemer auf Cberlegun-
gen Lichtenbergs, Herders und der deutschen Romantik zuriickgreift. Vgl. Reinhart
Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkiinste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 183 f
2 Vgl. Heinz Wemer, Grundlagen der Sprachphysiognomik, S. 16
® Vgl. Karl Bilhler, Sprachtheorie, S. 204 £: ,Die Versuchspersonen Wemers holen 2B.
an dem Wortklang Seif Zug fiir Zug heraus, was nach ihrer Auffassung den Gegen-
stand Seife’ malend charakterisiert. Bestimmte Eigenschaften des Dinges wie das
Schlitpfrige, Schaumige u. dgl. m, sollen getroffen sein durch was? Die Protokolle,
wie sie schwarz auf wei im Buche stehen, konnen gar nicht anders als Laut fir Laut
das Wort abwandern um jeweils zu sagen. es liege etwas von der malenden Schilde-
rung des Gesamicharakters in dem S, etwas in dem ei, etwas in dem f, Da man so
vorgeht, ist kein Zufall, sondern im Hinblick auf den Tatbestand der Phonologie zu
erwarten, Denn jectes Phonem (Lautzeichen) ligt einen Spielraum der Realisierung
offer und in diesen Spielraum kénnen Malpointen angebracht, herausgearbeitet
werden; die Dauergeraiusche in $ und F konnen dberlaut und tiberlang herausgear-
beitet werden von einem Sprecher; das ei kann meinethalben schaumunalerisch mo-
duliert werden. Baller erkiutert auf diesen Seiten auch, dass eine lautmalerische
Komponente nur insoweit abgewandelt werden kann, dass kein Phonem-Sprung
stattfinde. Das ist neben dem Syntax-Riegel eine weitere Einschrankung der Lautma-
lerel innerhalb cer Grenzen der bestehenden Sprache.92 3. Authropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verliltuts
allem schon Gesagien noch ausfhren, dal de Silbengliederung assole
cin ganz. eigenartiges Malverfahren ermdglichen mOBte, das (wenn de
Name nicht schon vergeben wire) ,Tonfilm’ heifen sollte. Nicht, weil etwas
Oplisches hinzukommt, sondern weil kleine Tonbilder sukzessive darinab-
rolllen. Nicht Sprachsilben natirlich, sondern echte Lautbildchen, Mina.
turaufnahmen der ténenden Welt; es unterliegt far mich keinem Zweifd,
da ein darin gelibter komplexe Geschehnisse ebenso systematisch abfah.
ren und malend wiedergeben kénnte, wie heute einer, der gelibt ist, einen
optischen Film zu ,drehen”.2?
Anhand dieses Zitats wird klar, dass Buhler die Mglichkeiten der Lautma-
Ierci ziemlich hoch cinschatzt, Er halt deutlich fest, dass er der Meinung
sci, die Silben biten einen Baukasten, mithilfe dessen es méglich sei, die
tonende Well beliebig wiederzugeben, Buhler denkt dabei eben weniger an
die Malerei, auch wenn er zundichst von cinem ,Stimmaler’ spricht, als an
die Produktion eines Films, der bekanntlich aus lauter photographischen
Einvelbildern besteht, Damit spricht er dem Produkt des ,Stimmalers’ dy-
namische Qualitéten zu, die ein ,Farbmaler’ wohl kaum erreicht, Silben
ectchen schlieRlich aus rclativ diskreten, aber dennoch sinnlich relativ
onkreten Einheiten, Man meint hier werde eine ,Zeitkunst’ gegen cine
‘Raumkunst’ ausgespiell, wenn man diese an Lessing angelehnien Begrife
hier einstreuen darf.
Bercits Herder hat beztiglich des
Vorgehens poetischer Texte hnliche
Feststellungen gedu@ert. Wenn man es nicht besser wUsste und es nicht um
Ginen Anachronismus handelte, konnte man fast meinen, auch Herder
hatte an den Film gedacht, wenn er in den ,Kritischen Waldern zur Asthe-
Lil in seinen Beschreibungen der poctischen Verfahren Homers im Grunde
genommen vom Abrollen kleiner narrativer Bildeinheiten spricht. Und das
prtdnem Stil, der die raschen Schnitte der filmischen Erzdhlweise fast
schon sprachlich simuliert:
Das Bild des klingendlen Bogens ware alsdenn verloren: es wird erst wieder
enweckt fircterlch also erklingt der silberne Bogen; nun fast der Pfeil der
erste, der andre, Tiere, Hunde, Menschen, Scheiterhaufen flammen: so flo-
gen die Pfeile des Gottes noun Tage durch das Heer - - Jetzt ist das Gemak
de zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derselben, alles ist vor Au-
gen: kein Zug verloren; keine Farbe mit einem vorbeifliegencen Worte
weggestorben: er weckte jede zu sechter Zeit wiederholend wieder auf: das
Bild rollet zirkelnd weiter.
® Vp). Karl Buhler, Sprachtheorie, S. 202.
Bl Johann Gotried Herder, Kriische Walder zur Asthetik. Erstes Walldchen, In
Johann Goud Herder, Werke, Isg, von Martin Bollacher etal, Frankfurt am
fain 1985/10 Bande, hier Band 2, hrsg, von Gunter E. Grimm, Kapitel 19, S. 1891.yh. Delxls p
‘uch Bobler also, den man aufgrund seiner Vorliebe fur das Zeigen und
das Symbolisieren nicht so einfach der von Benjamin mit Delacroix festge-
giliten Herderschen Tradition der akustisch geprigten Sprachursprungs-
‘Auffassung, zugerechnet hatte, streitet also mitnichten den Stellenwert der
Lauimalerei ab. Dennoch ist evident, dass er ihn einschrinkt. Denn selbst
wenn man lautmalerisch schreibt - wie etwa Homer, Herder oder Benja-
min selbst etwa in den ,Mummerehlen’, in der er sehr malerisch, ndmlich
thematisch und mittels Worten, die das reflektierte Zer-Fliefen lautmale-
rich abbilden, den vermuteten Ort der Mummerehlen zu schildern ver-
sucht! -, ist dieser Effekt flr Buhler doch immer nur sekundar. Unmiss-
verstindlich versucht Buhler immer wieder zu verdeutlichen, dass es nicht
die jildlichen’ Qualitaten der Sprache sind, die als die entscheidenden
betrachiet werden dUrfen, Auf derselben Seite, von der der oben zitierte
‘Ausschnilt stammt, relativiert er die tonfilmhaften Eigenschaften der Spra-
chez
[E]s entstehen wohlgeformte Wérter, Wortfolgen, Satze, die allem anderen,
voraus dem Bildungs- und Kompositionsgesetz der Sprache unterstehen,
Und daraber hinaus erst weisen sie so etwas wie den sekundiren Hach,
eines Lautgemaldes auf”?
Buhler meint also, dass man, wo immer man ,Sprache als Darstellungsmg
{el" benutze, nur ,trotzdem’ malen” konne ,und soweit es [...] die . -
der Sprache” zulasse. Denn far ihn existiere am ,Tore zur lautmalengas
Sprache” cin sogenannter ,Syntax-Riegel, der leichter oder schwerey 6”
Umgchen"™ sei, Die Annahme dieses Syntax-Riegels’ drickt nochmal, .
‘as Biber bei der Beobachtung oder Feststellung bildlcher Eigenscyf*
{Sprache wohl ein ungutes Gefuhl beschleicht. Trot des Einraume.™
Cr Moplichkoit, mittels der Sprache bildliche Qualititen 2u eygyion
Gish cr hinschtich der Bewertung des Sprachursprungs gig 1M.
Gtndegenschaften der Sprache darauf hinweisen 7 wollen, gag, Ter
i "blisierenden, arbitraren, diskontinuierlichen Grundcharakters * Sie
* Manglch feststellbare Ahnlichkeit keinen Sprung auf die Bho, “Nd
zu
» :
“au Haus und seine trigen Wasser Ia
lta My
lummelsee war sie vielleicht
‘i ce war sie viel i al ee ir wo oe
we Braue Pelerine an, Was man von it 2
Gt > eich nicht. ie war das Stamme Hae ae atch len
‘heather in den Neinen Glaskugeln sch iy Romo TBS lke an em,
ia ch danin umgetrioben. Das war, wer ih MOTT REINS Die Fay, May
ten 2M mischte, fanbten mich. Noch ehe ich sie at OR sate, very
stem me ote au der alte Namen, Mn,
Vprjcthttsam auf cen Pinse, als seen sie 208 253)" ich
Ug hier Sprachteorie,§ 202
——— eS4 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verlilltuise,
Struktur einer Sprache erlaube, Uberraschend ist dieser Befund freilich
nicht, da die Grundauffassung der ,Zweifelderlehre’ Bilhlers ja gerade
darin besteht, dem abstraklen und begrifflichen Erfassen der Welt anschay.
liches Zeigen und Prasentieren zur Seite zu stellen. Die ,anschauliche’ Dj.
mension der Sprache anerkennt Biihler. Jedoch konzentriert sich diese
anschauiliche’ Seite, wie bereits deutlich geworden sein sollte, auf das Zei.
gen und nicht auf Lautmalerei. Das /Zeigfeld’ der Sprache ist ein vom
Symbolfeld’ unterschiedener Bereich, in dem das ,,sprachlich Deiktische"
situativ oder kontextuell - je nach Sprecher- und Empfangerposition -
seine ,Bedeutungserfiillung und Bedeutungspré ision” erfahrt.* Buhler
nutzt fiir die Schilderung der Eigenschaften seines Zeigfelds - wie bereits
die Sprachtheorien, die bislang vorgestellt wurden - eine Art evolutiondres
Narrativ. Er geht von der ,konkreten’ Geste des Zeigefingers aus und lan.
det bei der Anapher: ,Die Modi des Zeigens sind verschieden; ich kann af
culos demonstrieren und in der situationsfernen Rede dieselben Zeigwor-
ter anaphorisch gebrauchen."* Der Hauptfokus Biihlers scheint aber weni-
ger auf der konkreten Zeigegeste als auf der abstrakten Deixis im Rahmen
einer arbitréren Sprachsituation 2u liegen. Auch scheint er wiederum den
von ihm so bezeichneten ,modernen Mythos tiber den Sprachursprung’
nicht unbedingt zu stiitzen, der behauptet, die stumme Deixis ~ der Zeige-
finger oder mimische Zeigegesten - sei im Zuge der menschlichen Sprach-
entwicklung als die Vorlauferin imitdemonstrierender’ Lautzeichen 2
betrachten, sodass die Zeigworter als ,,Urwérter der Menschensprache
schlechthin” erscheinen kénnten.% Dezidiert steht Buhler fiir eine Tren-
nung von Nenn-’ und ,Zeigwortern’ ein, ein Fortschritt besteht fair Biihler
hochstens darin, falls denn berhaupt das stumme Zeigen vor Lautaue-
Tungen verortet werden kénnte, dass der Laut etwas zum Zeigen hinzu-
bringt, denn ,wie immer man die Dinge auch drehen und wenden mag, so
kann dieses Plus aus Keiner anderen Quelle kommen als aus der Nenr-
funktion des Lautes"; ,Auch eine stumme Gebarde kann das ,Bedeutete
charakterisieren, indem sie es nachbildet; der Laut symbolisiert es."3” Biih-
ler mag sich nicht fir einen Sprachursprungsmythos entscheiden, auch
% Vpl. Kal Bahler, Sprachtheori, §, 80, vgl. auch S. B1: ,Genau so wie die Zeigwortr
forder, da man sie als Signale bestimmt, verlangen die Nennwérter eine andere,
den Signalen inadéquate Bestimmung; nmlich die herkommliche, Die Nennwdrler
fungieren als Symiole und erfahren ihre spezifische Bedeutungserfdllung und -
Przisio im syrsemantischen Umfeld; ich schlage den Namen Symbolfeld fdr diese
andere, keineswvegs mit den Situationsmomenten zu verwechselnde Ordnung vor. fs
is ao in formal best de Zac, diein diesem Buche vorgtagn
wird”
» Ebd,$.60
» Ebd,S. 86.
7 Ebd,, S. 87,3.3, Deixis 5
stumme Kommunikation ist flir ihn nicht urspriinglicher und auch nicht
»primitiver’ als cine Kommunikation mittels Lauten. Obwohl Buhler beide
Ausdrucksformen als gesonderte betrachtet, so treten sie dennoch beztig-
lich bestimmter sprachlicher Phanomene in Kombination auf. Linguisten,
die Buhler zitiert, und er selbst, unterscheiden verschiedene Formen der
Deixis, so etwa die ,Der-Deixis’ oder die ,Hic-Deixis’. Nun geht Bihler
davon aus, dass an der ,Wurzel' der ,Der-Deixis’ die Finger-Geste steht, an
der Wurzel der ,Hic-Deixis’ jedoch der Klang: ,,Genau so wie in dem Ge-
samtausdruck dér ist es gewesen die Fingergeste unentbehrlich ist, so ist in
dem Gesamtausdruck hier ist es trocken das anschauliche ortsbestimmende
Moment der Klangherkunft unentbehrlich.”* Aber Bahler versteift sich
nicht auf den Klang. Er kennt auch einen dritten Modus des Zeigens, die
von der ,demonstratio ad oculos’ - zu der er Zeigefinger und einen be-
stimmte Form des Klangs rechnet - unterschieden wird, namlich die be-
reits erwahnte ,Anaphora’, die er eher dem ,Symbolfeld’ zuordnet, oder die
sogenannte ,Deixis am Phantasma’.
Bihlers Begriff der ,Deixis am Phantasma’ bezeichnet deiktische
Sprachqualitaten in einer Rede oder einem Text, bei der bezichungsweise
dem eine konkrete raumliche Orientierung zwischen dem Sender und dem
Empfainger nicht gegeben ist:
Der am Phantasma Gefiihrte kann nicht dem Pfeile eines vom Sprecher
ausgestreckten Armes und Zeigefingers mit dem Blicke folgen, um das Et-
was dort zu finden; er kann nicht die raumliche Herkunftsqualitat des
Stimmklanges ausniitzen, um den Ort eines Sprecher zu finden, welcher
hier sagt; er hort in der geschriebenen Sprache auch nicht den Stimmcharak-
ter eines abwesenden Sprechers, welcher ich sagt.
Er bezeichnet das Funktionieren deiktischer Elemente bei Abwesenheit
eines Konkreten Orientierungs- oder Referenzraums, eine Orientierung
mithilfe des ,inneren’ oder geistigen’ Auges und Ohrs und eines inneren
Ausgangspunkts fir Sinnesdaten, der eine riumlich markierte Orientie-
rung ermdglichen soll und den Buller ,Origo’ oder Koordinatenausgangs-
punkt’ nennt - mit sprachlichen Mitteln kann jemandem so etwas Abwe-
sendes phantasmatisch vergegenwartigt werden, Um uns nicht zu weit von
Benjamins Text wegzubewegen, soll an dieser Stelle nochmals festgehalten
werden, dass auch die Deixis am Phantasma eher der Seite des Symbol-
felds der Sprache zuzuschlagen ist. Auch wenn es manchmal anders Klin-
gen mag, kennt Bilhler im Grunde genommen nur zwei Felder der Sprache,
selbst wenn er manchmal von einem ,Malfeld’ spricht. Die Frage, ,ob die
Hervorhebung im Original.
Hervorhebung im Original.96 3. Anthropologische Dimensionen des Sprache-Bild-Verhaltnisse
Sprache, wie wir sie kennen, auBer dem Symbolfeld ein echtes Malfeld be.
sitzt”, beantwortet Biihler schlieBlich negativ:
Das Ergebnis ist negativ und weist den unbestrittenen Lautmalereien eine
strukturanalytisch sekundare und verkiimmerte Existenzweise nach. Das
anschauliche Moment der Sprache im Sinne des tiefdurchdachten Wortes
von Kant, da die Begriffe leer bleiben ohne Anschauung, ist nicht zu su-
chen in den Malpotenzen, sondern im Bereich des Zeigfeldes der Sprache.
Auch mit Bezug auf Lessing und die Unterscheidung von Malerei und
Poesie halt er unmissverstandlich fest, dass die Sprache hauptsachlich
symbolisiere. Die Sprache male nicht in dem Ausmaf wie es mit ,mensch-
lichen Stimmitteln méglich ware“, sondern sie symbolisiere: n[E]benso wie
die Farben des Malers einer Malfliche, so bediirfen die sprachlichen Sym-
bole eines Umfeldes, in dem sie angeordnet werden. Wir geben ihm den
Namen Syibolfeld der Sprache.#! Auch wenn Biller einraumt, dass laut
malerische Elemente méglicherweise Urphdnomene darstellen, die der
Enistehung der Phoneme vorausgingen, so ist sein Interesse fir diesen
/Mythos’ beschrankt. Benjamin beschaftigt sich deshalb auch gar nicht viel
langer oder eingehender mit Bithler - ein Phanomen wie die Deixis am
Phantasma, das auf den ersten Blick eine Parallele zur These bietet, dass
Franz Kafkas Literatur lauter Gesten bite, scheint Benjamin nicht zu inte-
ressieren.? Sogar Biihlers Beobachtungsbeispiele fiir ,schlichteste’ Deixis
am Phantasma, das chinesischen Theater sowie das Kinderspiel, scheinen
von Benjamin ignoriert zu werden, auch wenn beides im Kafka-Aufsatz
selbst mit der vorgestellten Gesten-These verbunden wird.?
© Vg). Karl Buhler, Sprachtheorie, S. 153.
" Ebd., S. 150 f.
Siche das Kapitel zu Benjamins Kafka-Rezeption in dieser Arbeit
© Vgl. Karl Bahler, Sprachtheorie, S. 140, Hervorhebungen im Original: ,,Psychologisch
geschen ist das gar nichts anderes als ein systematisiertes, von tausend Konventionen
und mit souverdner Willkir aber zu guter Letzt doch mit ahnlichen Mitteln in allen
Kinderstuben der Welt tagtaglich gespielt wird. Das Kind und das chinesische Thew
terspicl - vielleicht waren das gutgewahlte Beobachtungsbeispiele; Endpunkte in vie-
Jer Hinsicht einer Entwicklungslinie und nahe benachbart in anderer Hinsicht, Jeden
falls belehrt beides uns faflich an den hin- und hergeschobenen, sinnlich konkreten
Dingen uber das, was im Falle des dramatischen Verfahrens mit und im Falle des epl
schen Verfahrens ole solch grobere Hilfen dberall, wo einer den ancteren am Phan
tasma fahrt, vonstatten geht.”
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