Geschichten Zur Weihnachtszeit
Geschichten Zur Weihnachtszeit
Geschichten zur
Weihnachtszeit
Für Jung und Alt
Copyright©2015Nathalie von Heiden
Unsere kleine Geschichte hätte sich überall abspielen können, doch sie
spielte in einem winzigen Dorf im Schwarzwald.
Hortensia war 9 Jahre alt. Da ihre Eltern früh gestorben waren, wurde sie
von ihrer Großtante aufgezogen. Tante Euphelia war steinalt, fand
Hortensia, aber sie war großzügig und wenn auch manchmal recht
eigenartig, auf ihre Weise lieb. Woran Hortensia sich jedoch überhaupt
nicht gewöhnen konnte, war ihr Name. Was hatten sich wohl ihre Eltern
dabei gedacht, als sie sie auf den Namen Hortensia taufen ließen. Die Tante
hatte es sicher gut gemeint, als sie sie vor fünf Jahren adoptierte, doch zu
dem ungewöhnlichen Vornamen kam nun auch noch der Name
Pfannenstiel, wie grässlich. In der Schule wurde das Mädchen gehänselt
und Freunde hatte sie schon gar nicht. In der Schule machten sich die
Kinder über das Mädchen lustig, das bei seiner verschrobenen alten Tante
wohnte. Zu allem Überfluss hatte Hortensia auch noch rote Zöpfe und
Sommersprossen.
Hortensia und Tante Euphelia lebten in einem Haus am Waldrand, das
durch und durch verwinkelt und windschief war. Der Giebel mit seinem
großen schwarzen Schornstein neigte sich auf der einen Seite schwer
herunter, sodass der Eindruck aufkam, er könnte jeden Moment herab
stürzen. Die Fenster schlossen nicht mehr richtig, daher hatte der Wind
keine Mühe hindurch zu pfeifen. Von außen betrachtet wirkte das Haus
recht klein, doch innen war es von beachtlicher Größe. Eine knarrende
Treppe führte in den ersten Stock, wo in einem dunklen Flur eine
beachtliche Anzahl von Türen auf dahinterliegende Zimmer wies.
Rätselhaft war, dass diese Türen erst auftauchten, wenn man den Flur
betrat, der sich dann beachtlich vergrößerte, doch das kümmerte Hortensia
wenig. Sie liebte das Haus, und wenn sie nicht grade für die Schule übte,
was bei ihr nicht oft vorkam, war sie auf dem Dachboden zu finden. Dort
standen alte Truhen mit Kleidern aus vergangenen Zeiten, dicken
verstaubten Büchern, in denen sie gerne las und bei denen sie, wegen des
aufwirbelnden Staubes, regelmäßig niesen musste. Hortensia fing an zu
träumen, wenn sie die alten Kleider anzog und sich die Hüte aufsetzte.
Tante Euphelia hatte Hortensia, wie an jedem Abend, bereits den
allabendlichen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Der Kuss war immer feucht und
hinterher musste das Mädchen sich immer erst einmal den Mund mit dem
Ärmel ihres Nachthemdes abwischen. Sie horchte, die Tante schien bereits
zu schlafen, mit einem Gebräu aus diversen Kräutern ging das sehr schnell,
denn Hortensia konnte ihr leises Schnarchen hören. Am Nachmittag hatte
sie in einer weiteren Truhe auf dem Dachboden ein großes Buch gefunden.
Das Buch lag versteckt unter unzähligen Kleidungsstücken. Es war so
schwer, dass Hortensia Schwierigkeiten hatte, es aus der Kiste zu nehmen
und auf dem Boden abzulegen. Der Buchtitel war spannend, sodass sie es
nicht abwarten konnte hineinzusehen. Hortensia schlich die Holzstiegen
empor, die trotz aller Vorsicht einen entsetzlichen Lärm machten, hielt inne
und lauschte. Alles blieb still, gut, dass Tante Euphelia so einen festen
Schlaf hatte. Sie hockte sich auf die staubigen Holzdielen, doch das war ihr
gleich. In goldenen Buchstaben stand dort auf dem Buchdeckel:
Anleitung für kleine Hexen von 1829
von Theofilius Hasenpfeffer
Hortensia grinste, es gab also noch schrecklichere Namen als den ihren. Mit
vor Aufregung zitternden Fingern schlug Hortensia das Buch auf. Sie war
so gespannt, was sie erwarten würde.
„Ein Zauberbuch“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. Ob sie damit auch zaubern
konnte`? Sie wollte es ausprobieren, was konnte schon passieren. Die Tante
würde sich bestimmt freuen, wenn sie hier auf dem Dachboden ein wenig
Ordnung machen würde. Vielleicht gab es so einen Zauberspruch. Sie
schlug das Buch auf, gleich auf der ersten Seite las sie:
„Benutze dieses Buch nur dann, wenn du eine Hexe bist oder eine
werden willst. Andernfalls kann es für dich ein böses Ende
nehmen.“
Erschrocken schlug Hortensia den Buchdeckel rasch zu. Was sollte sie
machen? Sie war keine Hexe, das hätte die Tante ihr bestimmt erzählt. Oder
nicht? Wieso gab es hier so ein Buch? Jedoch was sollte passieren? Sie
wollte es doch nur ausprobieren. Was, wenn es funktionierte. Bedeutete es,
dass sie eine Hexe war? Hortensia zitterte vor Aufregung. Sie schlug das
Buch wieder auf und las weiter:
„Überlege genau, was du zu tun gedenkst. Konzentriere dich!
Schließe die Augen und sage leise, was du verhexen möchtest.
Dann öffne deine Augen und zwinkere dreimal, nicht mehr und
nicht weniger. Wenn du dich verzählst, kann ich für nichts
garantieren!“
Hortensia stellte sich vor das Buch, schloss die Augen, sagte leise ihren
Wunsch und zwinkerte. Hatte sie sich in der Aufregung jetzt verzählt? Am
liebsten hätte sie alles rückgängig gemacht, doch es war zu spät. Alles
drehte sich um sie, Möbelstücke flogen durch die Luft, die Truhe verfehlte
knapp ihren Kopf und landete krachend auf dem Boden. Vor Schreck hielt
Hortensia ihre langen roten Zöpfe fest, weil sie ihr dauernd um die Ohren
flogen. Sie hatte sich auf den Boden gekauert. Das Chaos hielt nur wenige
Minuten an, Hortensia kam es jedoch wie eine Ewigkeit vor. Endlich war
der Spuk vorbei und alles wieder still. Langsam hob Hortensia den Kopf,
sie hatte die Augen geschlossen und traute sich kaum, sie wieder zu öffnen.
Sie öffnete erst ein Auge, dann das zweite, und dann sah sie die
Bescherung. Die Möbel waren nur noch Kleinholz, es sah aus wie nach
einem Wirbelsturm. Plötzlich hörte Hortensia von unten die Stimme ihrer
Tante.
„Hortensia, Liebes, was ist denn da oben los? Was machst du?“
Erschrocken lief Hortensia zur Treppe und erwiderte:
„Gar nichts Tante Euphelia. Ich hatte etwas gesucht, ich geh jetzt
schlafen, gute Nacht.“ Hortensia überlegte, was sie nun machen sollte. Sie
musste das Chaos aufräumen oder besser, den Spuk umkehren. Wie oft
hatte sie geblinzelt? Sie entschied sich für zweimal. Im Buch stand
wörtlich: Blinzel dreimal, nicht mehr und nicht weniger. Wenn sie das
Ganze wiederholte, würde vielleicht alles so wie vorher sein. Hoffentlich
flog ihr jetzt nicht das ganze Haus um die Ohren. Sie schluckte, sollte sie es
wagen? „Trau dich“, sagte das Teufelchen in ihr, „lass es lieber sein“, sagte
ihre gute Seite. Leise murmelte sie vor sich hin:
„Ich muss es wagen, sonst werde ich niemals wissen, ob ich es kann.
Wenn ich es schaffe, dann weiß ich, dass ich eine Hexe bin.“ Hortensia
konzentrierte sich auf ihren Wunsch, sie wollte, dass alles wieder ganz auf
seinem Platz stand. Sie holte tief Luft und schloss die Augen, nachdem sie
ihren Wunsch leise gesagt hatte, blinzelte sie dreimal. Zunächst geschah gar
nichts. Bedächtig sah Hortensia sich um, nichts war geschehen. Sie zog
ärgerlich die Stirn kraus, warum war nichts passiert, als urplötzlich
Bewegung in die Möbelstücke kam. Wie von Geisterhand stellte sich alles
wieder an seinen Platz, und nicht nur das. Die Truhe setzte sich wie von
selbst zusammen, und all das geschah fast lautlos. Hortensia klatschte in die
Hände.
„Es hat geklappt.“ Sie hüpfte erleichtert um die Truhe herum. Plötzlich
hielt sie inne. War sie nun eine Hexe? Hortensia beschloss, gleich am
nächsten Tag die Tante zu fragen. Sie legte sich in ihr Bett, doch vor
Aufregung konnte sie lange nicht einschlafen. Doch dann hatte sie einen
eigenartigen Traum. Sie befand sich in einem düsteren Wald, hohe Tannen
standen dicht bei dicht. Es war still, nicht einmal ein Kuckuck oder eine
Eule riefen. Auf einmal sagte eine vertraute Stimme hinter ihr:
„Hast du dich verlaufen, mein liebes Kind?“ Erschrocken drehte
Hortensia sich um. Es war Tante Euphelia, in einem schwarzen Kleid, in der
Hand trug sie einen Besen, den sie hin und her schwang.
„Ich, ich weiß es nicht. Wie kommst du hierher Tante Euphelia?“ Die alte
Dame lächelte, doch nicht gütig, eher hämisch.
„Ich lebe hier und du wirst es auch für immer. Du wolltest doch schon
immer eine Hexe sein.“ Damit schwang sie sich auf ihren Besen und zog
Hortensia mit sich. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd wachte
Hortensia auf, nur ein Traum, dachte sie erleichtert.
Am nächsten Morgen beim Frühstück stellte sie der Tante, die gerade
Kaffee in einen großen Becher eingoss die entscheidende Frage,
geradeheraus hatte sie sich vorgenommen.
„Sag mal Tante Euphelia, bin ich eine Hexe?“ Die Tante, die eben noch
ein Lied vor sich hingesummt hatte, verstummte und wurde blass.
Erschreckt sah sie ihre Großnichte an und goss dabei immer weiter. Der
Kaffee hatte schon den Becherrand erreicht und floss nun munter auf den
Tisch.
„Dein Kaffee“, rief Hortensia ihr zu.
„Was? Wie? Oh nein, der schöne Kaffee.“ Rasch wischte sie die Pfütze
auf und setzte sich zu Hortensia. Dann meinte sie mit ernster Stimme.
„Wie kommst du darauf, Hortensia? Ich meine, dass du eine Hexe bist.“
Hortensia rutschte auf dem Stuhl hin und her. Dann erzählte sie der Tante
von ihrem Fund auf dem Dachboden, zunächst zögernd und dann flüssiger.
Zu gut Letzt erwähnte sie auch noch ihren Traum. Die alte Dame lächelte.
„Weißt du Hortensia, ich hätte es dir längst erzählen sollen, aber ich hatte
Angst vor deiner Reaktion. Vielleicht war es Fügung, dass du gerade jetzt
das Buch gefunden hast. Alle deine weiblichen Vorfahren vonseiten deiner
Mutter waren Hexen, darunter ein paar grässliche, aber die meisten waren
gute Hexen. Deine Mutter, also meine Nichte, war eine besonders begabte.
Selten hat sie Schabenack damit getrieben, nur manchmal, um deinen Vater
zu erschrecken. Sie hat den Menschen auf der Straße geholfen, armen
Leuten, die keine Unterkunft und nichts zu essen hatten. Dafür hat sie
häufig ihre Zauberkräfte eingesetzt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hast du
diese Kräfte von ihr geerbt. Gehe mit dieser Gabe behutsam um. Das Buch,
das du gefunden hast, gehörte einmal deiner Mutter, und wenn du es in
Ruhe und mit Sorgfalt studierst, wird auch aus dir eine gute Hexe werden.
Hortensia sah sie mit großen Augen an.
„Was ist mit deinen Hexenkräften, Tante Euphelia? Warum nutzt du sie
nicht, zum Beispiel, um das Haus zu renovieren?“ Die Tante lächelte müde.
„Ich bin zu alt für solche Dinge. Ich bin vergesslich geworden, nein, das
überlasse ich den jungen.“ Dabei sah sie Hortensia verschmitzt an.
Hortensia hatte sich schnell an den Gedanken gewöhnt, eine Hexe zu
sein. Sie sprach mit keinem darüber. Mit wem hätte sie auch sprechen
sollen, sie hatte ja keine Freunde, zumindest nicht in der realen Welt. In
ihrer kleinen geheimnisvollen Welt gab es viele Freunde, denen sie jeden
Abend Leben einhauchte. Plötzlich konnten ihre Puppen laufen, die kleinen
Zinnsoldaten, die sie noch von ihrem Vater hatte, marschierten durch den
Raum und Robby, der Seehund, konnte wunderbar Geschichten erzählen.
Nur an eine Sache traute ich Hortensia nicht heran, noch nicht. Sie wollte so
gern das Haus ihrer Tante renovieren, doch sie hatte Angst, dass es
schiefgehen könnte. An diesem Abend las sie, wie jeden Abend, in:
Anleitung für kleine Hexen von 1829
Dort war zu lesen: Hast du eine besonders knifflige Aufgabe zu erfüllen, du
möchtest zum Beispiel dein Haus renovieren? Dann bereite dir vorher einen
Trunk zu, um dich zu stärken. Du benötigst dafür:
1 Messerspitze getrockneten Estragon
1 Messerspitze Froschlaich
2 Beine einer großen Fliege
1 Teil dessen, das du verändern willst
Die Zutaten gibst du ein einen Topf mit Wasser, lässt sie etwa 5 Minuten
sieden. Dann gieße alles durch ein Sieb, und schon hast du deinen
Stärkungstrunk. Hortensia lief die Stufen hinunter, ihre Tante schlief schon,
das hörte sie an ihrem lauten Schnarchen. Das Glas mit dem getrockneten
Estragon, das sie im Schrank in der Küche fand, musste schon steinalt sein,
eine dicke Staubschicht hatte das Glas überzogen, und als Hortensia den
Staub abwischte, kam das Haltbarkeitsdatum zum Vorschein, 1975. Sie
hatten jedoch das Jahr 1995. Na ja, was sind schon 20 Jahre, dachte sie.
Zufällig fiel ihr Blick auf die Fensterbank, dort lag eine dicke Fliege,
allerdings auf dem Rücken, sie musste schon eine Weile tot sein.
Nirgendwo stand, dass es eine lebendige Fliege sein musste. Kurzer Hand
schnappte Hortensia sich die Fliege, und obwohl sie tot war, schloss sie die
Augen, während sie ihr zwei Beine ausriss. Wo in aller Welt bekam sie jetzt
Froschlaich her. Sie musste zum Teich im Garten. Sie hasste diesen Teil des
Gartens, er war schrecklich verwildert und undurchdringlich. Das Wasser
im Teich war grün und sah ekelig aus. Egal dachte Hortensia, es muss sein.
Ein großer dicker Frosch saß auf einem Stein mitten im Wasser und quakte.
In der Schule hatte sie gelernt, dass Frösche ihre Eier unter Wasser auf oder
unter einem Blatt ablegen. Sie legte sich auf den Bauch und steckte voller
Abscheu ihre Hand hinein. Sie tastete sich durch das Wasser. Plötzlich
fühlte sie etwas Glitschiges. Ob das der Froschlaich war? Sie zog ihre Hand
heraus und Glibber tropfte von ihrer Hand. Angewidert füllte sie etwas
davon in eine Kaffeetasse, die sie zu diesem Zweck mitgenommen hatte.
Den Rest legte sie wieder in der grünen Brühe ab. Der letzte Punkt war ein
Teil, das sie verändern wollte. Sie zog sich rasch ihren Mantel über und
schlich hinaus. Der Mond schien, das erleichterte die Suche, aber es war
schrecklich kalt. Sie sah an dem windschiefen Haus hoch. Von der
Dachrinne hing ein Teil herab, an dem ein kleines Stück baumelte,
vermutlich abgebrochen durch Rost. Das sollte sie in ihren Tee tun?
Hortensia verzog angewidert ihr Gesicht.
„Na ja für den guten Zweck“, murmelte sie und ging schnell ins Haus.
Noch wusste Hortensia nicht, wie sie vorgehen wollte, sollte sie gleich das
ganze Haus verändern oder nach und nach. Plötzlich fiel ihr mit Schrecken
ein, dass die Tante ja dort schlief. Ob sie sich auch veränderte, gar wieder
jung wurde? Was wenn ihr das nicht recht war? Hortensia ließ sich auf den
Küchenstuhl fallen und dachte nach. „Was soll‘s, Opfer müssen sein“, sagte
sie schließlich zu sich. Also alle Teile mit Gewürzen und den Fliegenbeinen
in einen Topf und 5 Minuten sieden lassen. Es war eine schreckliche Brühe,
in der die Teile schwammen. Der Rost der Dachrinne hatte das Wasser
braun gefärbt. Schon beim Zusehen wurde Hortensia schlecht. Sie
schluckte, egal. Sie wollte ihrer Tante etwas Gutes tun und goss den
ekeligen Trunk in einen Becher. Beim Trinken hielt sie sich die Nase zu und
die Augen geschlossen. Hortensia schüttelte sich.
„Uah ist das ekelig. Das kann doch nicht gesund sein. Na ja die
Hauptsache ist ja das es funktioniert.“ Sie lief vor die Haustür und schloss
die Augen, Hortensia konzentrierte sich ganz fest auf das windschiefe Haus
vor sich und sagte leise ihren Wunsch auf. Dann zwinkerte sie dreimal und
wartete. Sie hielt die Augen geschlossen, nichts geschah. Vorsichtig öffnete
sie die Augen und blinzelte noch dreimal. Plötzlich ging ein Ruckeln durch
das alte Haus. Es ächzte und stöhnte, die Fensterläden bewegten sich heftig
in ihren Angeln. Mit gewaltigem Rabatz flog der Schornstein zuerst in die
Höhe, um dann neben dem Mädchen mit Heidenlärm zu zerschmettern.
Entsetzt sah Hortensia dem Treiben zu. Sie hatte das Gefühl, dass das ganze
Haus sich vor ihren Augen auflöste. Sie war den Tränen nahe und glaubte,
ihr Herz würde aufhören zu schlagen, als sie ihre Tante in der Eingangstür
entdeckte.
„Hortensia was ist passiert? Was hast du getan?“ Hortensia schluckte, als
sie erwiderte:
„Ich wollte doch nur das Haus renovieren.“ Tränen liefen ihr über das
Gesicht. Tante Euphelia nahm sie in den Arm, während sie zusahen, wie das
Haus in seinen Bestandteilen zusammenfiel, doch was war das? Das Haus
baute sich von selbst wieder auf, Stein auf Stein. Wie von Zauberhand
drehten sich die Teile so lange um sich selbst, bis sie sich am richtigen Platz
befanden. Alles, was zerbrochen war, setzte sich spontan wieder zusammen.
Statt des windschiefen Häuschens stand binnen weniger Minuten ein
stattliches Haus vor ihnen. Der Schornstein rauchte bereits wieder, Euphelia
war sprachlos.
„Wie hast du das gemacht, Liebes?“ Hortensia zuckte mit den Schultern.
„Nur dreimal gezwinkert“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. Sie war
ziemlich stolz auf sich, obwohl es schleierhaft war, was da gerade passierte.
„Weißt du, Hortensia, du bist die klügste kleine Hexe, die ich kenne.“
Hortensia war zum ersten Mal in ihrem Leben richtig glücklich.
Die Schneemaschine
Zwei Tage vor dem Heiligen Abend standen zwei Kinder am Fenster des
Wohnzimmers, drückten sich die Nasen platt und warteten sehnsüchtig auf
den ersten Schnee. Sie sahen in den Himmel, der aussah, als hätte jemand
dicke Wattebäusche dort angeklebt. Tobias und Lena waren Geschwister,
die es gar nicht abwarten konnten, dass der Weihnachtsmann endlich zu
ihnen kam. Wie schon in den vergangenen Jahren hatte Papa mehr als
einmal die Drohung ausgesprochen:
„Denkt daran, es ist bald Weihnachten. Wenn ihr nicht aufhört, euch zu
streiten, wird der Weihnachtsmann bestimmt an unserem Haus vorbeigehen
und nur die anderen Kinder beschenken.“ Die beiden hatten die
Befürchtung, dass die Drohung dieses Mal wahr werden könnte. Sie stritten
sich häufig. Meistens ging es um belanglose Dinge, wer als Erster am
Frühstückstisch saß oder wer sich am schnellsten durch die Tür drängeln
konnte. Und wenn der Weihnachtsmann nun wirklich morgen nicht käme,
dann wollten sie wenigstens Schnee haben. Da er jedoch auf sich warten
ließ, hatte Tobias eine Idee. Sims, der kleine Laden an der Ecke, hatte so
eine Maschine im Schaufenster. Er fragte seine Schwester Lena:
„Wie viel Taschengeld hast du noch? Ich hab noch 5 Euro.“ Lena zuckte
mit den Schultern und schüttete den Inhalt ihrer kleinen Geldbörse auf dem
Tisch aus und zählte.
„Genau 4,95 Euro. Was willst du denn damit?“ Tobias strahlte.
„Bei dem Laden an der Ecke habe ich eine Schneemaschine gesehen.
Damit können wir unseren eigenen Schnee herstellen.“
„Du spinnst, wie soll das denn gehen? Dafür geb ich nicht mein Geld
aus. Außerdem hast du noch kein Weihnachtsgeschenk für Mama und
Papa.“ Tobias zuckte mit den Schultern. Ihm würde schon noch was
einfallen. Er versuchte, seine Schwester zu überreden.
„Ach bitte Lena. Du darfst sie auch als Erste ausprobieren. Okay?“ Seine
Schwester verdrehte die Augen. „Gibst du mir das Geld? Bitte!“
„Oh man Tobi, warum musst du mich immer überreden.“ Sie hielt ihrem
Bruder die Hand hin. Er hatte es wieder einmal geschafft. Wenn er ein
bisschen bettelte, wurde sie jedes Mal schwach.
Auch die Nacht hatte nicht den ersehnten Schnee gebracht. Nach dem
Frühstück zogen sich Tobias und Lena an, um die Schneemaschine zu
kaufen. Mama erzählten sie nichts davon, weil sie wussten, dass sie ihnen
das nicht erlaubt hätte. Lukas stand am Küchenfenster und sah ihnen nach.
Er schüttelte den Kopf, sein Geld so zu verplempern. Die Mutter sah ihren
Sohn an.
„Wo wollen die beiden denn hin, Lukas? Ein Weihnachtsgeschenk für
dich kaufen? Sonst geht ihr doch immer gemeinsam los.“ Der Junge drehte
sich um und erwiderte:
„Äh, weiß ich nicht, haben sie mir nicht gesagt“, und lief in sein Zimmer,
um die Geschwister nicht zu verraten.
Unterdessen hatten Tobias und Lena den Laden erreicht. Die
Schneemaschine stand noch immer im Schaufenster mit einem großen
Werbeplakat:
„Wartet nicht, bis es schneit. Macht euren eigenen Schnee! Ob im
Wohnzimmer oder draußen, wo immer ihr wollt!“
„Komm Lena, lass uns fragen, was sie kostet.“ Tobias zog seine kleine
Schwester am Ärmel und stand kurze Zeit später mit ihr vor dem
Ladentisch.
„Na ihr Zwei, was kann ich denn für euch tun?“, fragte eine freundliche
Stimme und beugte sich zu ihnen hinunter. Tobias fasste sich ein Herz und
fragte:
„Wir möchten die Schneemaschine kaufen, die Sie im Schaufenster
haben.“ Nun war es ‘raus, erleichtert atmete Tobias auf. An den Preis
dachte er nicht mehr. Die Frau, zu der die freundliche Stimme gehörte, trat
hinter dem Ladentisch hervor und nahm die Maschine vorsichtig aus der
Auslage heraus. Sie stellte sie auf den Tisch, sodass die Kinder sie in
Augenschein nehmen konnten. Die Augen der beiden glänzten.
Ehrfurchtsvoll strich Tobias über die Schneemaschine. Er sah Lena an und
fragte sie:
„Was meinst du, wollen wir sie nehmen?“ Lena strahlte und nickte. Vor
lauter Aufregung bekam sie keinen Ton heraus.
„Wir kaufen sie!“ Die Verkäuferin packte die Maschine in eine
Tragetasche und sagte:
„Das macht dann 9,95 Euro.“ Tobias wurde blass, so viel Geld hatten sie
nicht.
„Können wir in Raten zahlen? Meine Schwester und ich haben nur 7,50
Euro. Wenn ich mein nächstes Taschengeld bekomme, zahle ich den Rest.“
Flehentlich sah er die Verkäuferin an. Sie schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid. Das kann ich nicht machen, der Inhaber würde damit nicht
einverstanden sein.“ In dem Moment, als sie die Maschine gerade wieder
aus der Tragetasche nehmen wollte, sagte eine Stimme hinter Tobias:
„Ich bezahle den Rest.“ Erstaunt drehte er sich um, er hatte die Stimme
seines Bruders erkannt.
„Lukas, was machst du hier? Ich dachte, du wolltest dein Geld nicht für
so etwas ausgeben?“ Lukas lächelte.
„Ich dachte, ihr könntet vielleicht etwas Hilfe gebrauchen. Außerdem
könnt ihr ja nicht allein den ganzen Spaß haben, und wenn die Sache schief
geht, kriegen wir halt alle Ärger mit Mama und Papa.“ Tobias grinste.
Gemeinsam liefen sie zurück nach Hause, wo ihre Mutter schon mit dem
Mittagessen wartete.
Die Kinder konnten es nicht abwarten, die Schneemaschine auszupacken.
Gleich nach dem Essen entfernten sie die Verpackung und studierten die
Bedienungsanleitung.
„Wo wollen wir sie ausprobieren? Vor der Garage?“, fragte Tobias. Lukas
nickte.
„Ja ich glaube das ist am besten. Hier drinnen kann es ja nicht schneien.
Wie funktioniert das Ding eigentlich?“ Lukas drehte sie um und entdeckte
einen roten Schalter.
„Lukas warte, pass auf, erst draußen.“ Doch es war zu spät, der Junge
hatte die Hand bereits auf den Knopf gelegt, und die Maschine fing an zu
brummen. Das Brummen wurde immer lauter. Krampfhaft hielten die Jungs
sie fest, als sie zu rütteln und zu schütteln begann. Lena bekam es mit der
Angst zu tun und auch den Jungen war nicht wohl bei der Sache.
„Schalt sie aus, schalt sie aus“, rief Tobias.
„Wo denn, wo ist denn dieser verfluchte Schalter?“ Verzweifelt suchten
sie danach, als plötzlich mit einem Knall, ein Schwall von weißen
schneeähnlichen Flocken durch das Wohnzimmer wirbelte. Lena lachte und
klatschte in die Hände, ihre Furcht hatte sie vergessen. Sie freute sich über
den vielen Schnee. Die Maschine hörte nicht auf, Schnee zu produzieren.
Innerhalb weniger Sekunden waren das Wohnzimmer und die drei Kinder in
weiße Flocken gehüllt.
„Was machen wir nun Tobias? Es war deine Idee.“ Lukas schüttelte sich
die Flocken aus dem Haar.
„Wir werfen die Schneemaschine aus dem Fenster“, erwiderte Tobias.
Schnell zog er die Gardine zur Seite und öffnete die Fensterflügel weit. Zu
zweit ließen sie die noch immer zuckende Maschine fallen und schlossen es
eilig wieder. Auch draußen wirbelten die Flocken weiter durch die Luft.
Während sie noch beratschlagten, wie sie den Schnee aus dem
Wohnzimmer entfernen könnten, öffnete sich auf einmal die Tür und ihre
Mutter stand im Zimmer. Sie hatte den Krach gehört und konnte sich aber
keinen Reim darauf machen. Alle drei Kinder standen wie begossene Pudel
nebeneinander und starrten ihre Mutter an.
„Du meine Güte, wie seht ihr denn aus und das ganze Zimmer.“ Sie setzte
sich auf das Sofa und sah sich um. Immer wieder schüttelte sie den Kopf.
Als ihr Blick dabei auf die Kinder fiel, die wie Schneemenschen aussahen,
und die noch immer wie festgenagelt auf demselben Fleck standen, konnte
sie nicht anders. Sie brach in schallendes Gelächter aus. Die Kinder sahen
sich an, war ihre Mutter jetzt übergeschnappt? Langsam beruhigte sie sich.
Mit ernster Stimme fragte sie nun die beiden Jungs:
„Was habt ihr euch dabei gedacht?“ Dass ihre kleine Tochter damit nichts
zu tun hatte, war ihr klar. Die Jungs sahen beschämt auf den Boden. Tobias
hob langsam den Kopf.
„Wir, ich meinte, ich dachte, wenn wir schon keine Geschenke vom
Weihnachtsmann bekommen, dann wollen wir wenigstens Schnee haben.“
Die Mutter sah ihren Sohn liebevoll an.
„Wer sagt denn, dass ihr keine Geschenke vom Weihnachtsmann
bekommt?“
„Papa hat gesagt, wenn wir uns nicht vertragen, bekommen wir keine
Geschenke, und wir haben uns doch so viel gestritten.“ Tobias liefen jetzt
Tränen über das Gesicht und steckte damit seine Geschwister an.
„Kommt mal her zu mir. Hört auf zu weinen. Alle Eltern erzählen das
ihren Kindern. Im letzten Jahr hat euch Papa das doch auch schon erzählt.
Wir möchten halt, dass ihr euch nicht ständig streitet. Dachtet ihr im Ernst
mit dieser Maschine richtigen Schnee herzustellen?“ Sie nahm mit zwei
Fingern etwas „Schnee“ vom Sofa. „Styropor? Wo ist diese
Höllenmaschine, die so einen Krach veranstaltet hat?“ Die Kinder liefen ans
Fenster und zeigten hinaus, wo die Schneemaschine noch immer ruckelte
und fleißig Schneeflocken in die Luft wirbelte. „Ihr bleibt hier drin und
überlegt euch, wie wir den „Schnee“ von den Möbeln bekommen, und ich
versuche, das Ding auszuschalten.“ Sie lief hinaus und sah sich die
Schneemaschine genauer an. Dabei musste sie feststellen, dass der Schalter
sich verklemmt hatte und die Batterien nicht auszuwechseln waren. Das
„Ding“, wie sie es nannte, würde also Schnee produzieren, bis die Batterien
leer waren.
Als sie wieder ins Haus kam, erklärte sie ihren beiden Jungs, dass am
Nachmittag putzen angesagt sei.
„Ihr beide werdet das Wohnzimmer absaugen, den Teppich, die Möbel
und Wände, bis alles wieder sauber ist. Jetzt klopft euch draußen die
Flocken ab.“ Betreten marschierten die Kinder in den Garten.
„Was Papa wohl sagt, wenn er nach Hause kommt?“, meinte Tobias
bedrückt. Lukas zuckte mit den Schultern.
Als der Vater am späten Nachmittag nach Hause kam, sah es im
Wohnzimmer fast wieder so aus, als wäre nichts gewesen. Nur vereinzelt
fand sich das eine oder andere Styroporflöckchen auf dem roten Teppich.
Der Garten war dagegen noch immer in winterliches Weiß getaucht.
„Na, was gibt‘s Neues? Hat es bei uns geschneit? Eigenartig, haben sie
doch gar nicht angesagt, oder?“, fragte er seine beiden Jungs. Unsicher
sahen die beiden ihre Mutter an. Sie tat zunächst so, als wäre sie gerade
sehr mit dem Verteilen der Spaghetti beschäftigt. Dann trat ein Lächeln auf
ihr Gesicht und sie meinte zu ihm:
„Du hast recht mein Schatz, es hat heute bei uns geschneit. Es muss eine
große weiße Schneewolke gewesen sein, die nur über unserem Haus hing.“
Sie zwinkerte den Jungs zu, die erleichtert aufatmeten. Papa wusste
natürlich Bescheid, denn Mama hatte ihm vorher die Geschichte erzählt.
Die Schneemaschine im Garten arbeitete unterdessen unermüdlich weiter.
Tobias und Lukas hatten sie in den hinteren Teil gebracht, wo sie noch bis
zum Heiligen Abend Schneeflocken hervor brachte. Tobias nahm sich vor,
sein Taschengeld künftig besser anzulegen.
Im Übrigen kam der Weihnachtsmann am Heiligen Abend doch noch zu
den Dreien, und als sie am 1. Weihnachtstag morgens aufstanden, war es
draußen überall weiß. Die Bäume und die Häuser hatten sich über Nacht
eine dicke Schneehaube zugelegt, denn es hatte kräftig geschneit.
Isabell und die geheimnisvolle Spieluhr
„Tschüss Mama“, sagte Isabell und stand bereits an der offenen Haustür,
als ihre Mutter aus der Küche rief:
„Isa hast du die warme Jacke angezogen und die Fellstiefel? Wo willst du
denn überhaupt hin?“ Isabell verdrehte genervt die Augen. Schließlich war
sie keine sechs mehr, doch um ihre Mutter nicht zu verärgern, rief sie
zurück:
„Hab ich alles angezogen. Ich treffe mich mit Bastian auf dem
Weihnachtsmarkt. Das habe ich dir doch erzählt.“ Sie wollte gerade die Tür
zuziehen, als sie erneut die Stimme ihre Mutter hörte:
„Komm nicht so spät.“ Isabell nickte und schloss die Tür. Gerade begann
es zu schneien, sie streckte das Gesicht in den Himmel und ließ die weichen
Schneeflocken auf ihr Gesicht fallen. So verharrte sie, bis die Flocken auf
ihrem warmen Gesicht schmolzen. Dann zog sie sich die Kapuze über den
Kopf. Isabell freute sich, endlich schneite es mal wieder in der
Vorweihnachtszeit. Sie hatte sich mit Basti ihrem Freund verabredet. Sie
gingen beide in eine Klasse, Basti war jedoch ein Jahr älter als sie.
Der Weihnachtsmarkt fand seit ewigen Zeiten auf dem Marktplatz des
Städtchens statt. Er war nicht besonders groß, doch gab es viele schöne
Holzbuden, hübsch mit Tannengirlanden geschmückt. Isabell nahm den
Weg durch die Innenstadt, an den Fassaden der Kaufhäuser und Geschäfte
hingen Lichterketten, und über die Straße spannten sich Bögen mit kleinen
und großen Sternen. Endlich erreichte sie den Eingang zum
Weihnachtsmarkt. Von weiten sah sie ihren Freund winken. Sie lief auf ihn
zu, Basti strahlte sie an und überreichte ihr feierlich ein Lebkuchenherz, das
mit vielen kleinen Herzen aus Zuckerguss verziert war. Verlegen streckte
Isabell die Hand aus und las:
Für meine große Liebe
„Danke“, murmelte Isabell verdutzt. „Das ist sehr lieb von dir.“ Erwartete
Basti nun einen Kuss von ihr? Flüchtig drückte sie ihm einen Kuss auf die
Wange. Nun wurde er verlegen, sein Gesicht überzog sich mit einem feinen
rosigen Schimmer, wie Erdbeereis, fand Isabell und lächelte. Sie hing sich
das Herz um den Hals, nahm Bastian an die Hand und zog ihn durch die
Menschmenge. An einem Stand blieb sie stehen.
„Oh Basti schau dir mal die Spieluhr an. Ist sie nicht wunderschön?“
Bastian zog die Augenbrauen zusammen. Kitschig, dachte er, sagte jedoch
zu Isabell:
„Ja ganz hübsch“, und wollte sie weiterziehen.
„Warte“, meinte sie. „Ich kann mich nicht an ihr sattsehen.“ Die alte
Frau, die hinter dem Stand auf einem Hocker saß, beäugte sie argwöhnisch.
Mit ihrem Aussehen gleicht sie einer Hexe, fehlt nur noch ein schwarzer
Kater auf ihrer Schulter, dachte Bastian.
„Sie ist wunderschön nicht wahr? Feinstes Porzellan und Handmalerei in
einem. So etwas Feines findest du so schnell nicht wieder mein Kind. Sie
kostet nur 5 Euro.“ Isabell dachte nach, eigentlich besaß sie nur 5 Euro, und
die waren für Weihnachtsgeschenke gedacht. Ihr Herz wurde schwer, sollte
sie sich die Spieluhr kaufen?
„Na was ist nun“, fragte die alte Frau ungeduldig. „Willst du sie kaufen?
Sie spielt eine wunderschöne Melodie, hör mal.“ Sie drehte den Teller, auf
dem eine Tänzerin in Ballettschuhen in graziler Pose stand. Eine Melodie,
die Isabell nicht kannte, aber eine eigenartige Wirkung auf das Mädchen
hatte, erklang und die Tänzerin auf dem Teller drehte sich elegant. Isabell
wurde für einen Moment schwindlig und ganz seltsam.
„Komm weiter Isa“, drängte Bastian, doch Isabell schüttelte energisch
den Kopf.
„Ich nehme sie“, sagte sie zu der alten Frau, deren Augen ein
geheimnisvolles Leuchten bekamen. Sie packte die Spieluhr in einen
Karton und stellte ihn vor Isabell auf den Tisch. Dann steckte sie sich das
Geld in ihre Jackentasche und wartete, bis die Kinder in der
Menschenmenge untergetaucht waren. Sie erhob sich von ihrem Hocker
und verschwand hinter den Marktwagen. Der Verkäufer, dem die
Spielsachen von dem Stand gehörten, erschien wenige Minuten danach und
setzte sich auf den Hocker, als ob nichts geschehen war. Wer war die alte
Frau? War sie wirklich eine Hexe, wie Bastian vermutete? Isabell war
glücklich über ihren Einkauf. Die Kinder schlenderten noch eine Weile von
Stand zu Stand, doch Isabell brannte darauf, endlich ihre neueste
Errungenschaft auszuprobieren. Außerdem war es Zeit, nach Hause zu
gehen.
Als sie ihre Haustür erreichte, wollte sie ihrer Mutter sofort das schöne
Stück zeigen, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Leise stieg sie die Stufen
zu ihrem Zimmer hoch, um ihre Mutter, die vor dem Fernseher saß, nicht
auf sich aufmerksam zu machen. Doch es war zu spät, ihre Mutter hatte sie
gehört.
„Isa warum schleichst du die Stufen hoch? Hast du wieder etwas gekauft,
das ich nicht sehen darf? Mein Weihnachtsgeschenk?“ Sie lachte.
„Genau Mama, ich habe dein Weihnachtsgeschenk gekauft. Ich komme
gleich runter.“ Puh, das war noch mal gut gegangen. Sie zog das Band des
Lebkuchenherzens über den Bettpfosten und öffnete rasch den Karton.
Dann zog sie die Spieluhr hervor. Sie drehte an dem Teller, auf dem die
Balletttänzerin stand, genauso wie die alte Frau es getan hatte und wartete.
Nichts geschah, sie drehte erneute an dem Teller, als plötzlich ihre kleine
Schwester Lilly mit einem Buch in der Hand im Zimmer stand. Rasch
versteckte sie die Spieluhr unter ihrer Bettdecke. Es war zu spät, Lilly hatte
sie bereits entdeckt und schlug die Decke zurück.
„Lilly nicht“, rief Isabell aus, doch Lilly drehte bereits den Teller links
herum. Im Zimmer wurde es eiskalt, Eiskristalle bildeten sich an den
Fensterscheiben, und dort wo die kleine Lilly stand, entstand ein Sog wie
bei einem Wirbelsturm und zog das Mädchen hinein. Isabell packte ihre
kleine Schwester am Arm, um sie herauszuziehen, es half nichts. Beide
Kinder wurden hineingezogen, wie vom Erdboden verschluckt. Der Sog
löste sich auf, als wäre nichts geschehen.
Unterdessen hatten Isabell und Lilly ihre merkwürdige Reise durch einen
langen dunklen Tunnel beendet. Sie purzelten auf einen weichen
Waldboden. Die Tannenbäume standen so dicht beieinander, dass sie kaum
etwas erkennen konnten. Isabell hielt ihre kleine Schwester noch immer am
Arm fest und Lilly hielt noch immer die Spieluhr in der Hand.
„Wo sind wir Isa?“, fragte die Kleine ängstlich ihre Schwester. Isabell
nahm ihr die Spieluhr ab und erwiderte:
„Ich weiß es nicht. Es muss mit der Spieluhr zusammenhängen. Wenn ich
den Teller mit der Tänzerin in die richtige Richtung drehe, dann kommen
wir vielleicht wieder nach Hause.“ Lilly schüttelte energisch den blonden
Lockenkopf.
„Nein tu das bloß nicht. Wer weiß, wo wir dann hinkommen.“ Sie
klammerte sich ängstlich an ihre große Schwester. Isabell nickte, auch ihr
war unheimlich zumute. Diese alte Frau auf dem Weihnachtsmarkt, ob sie
eine Hexe war? Basti hatte gemeint, sie sähe so aus. Was sollten sie tun? Sie
nahm Lilly an die Hand und meinte:
„Komm wir gehen ein Stück. Wir müssen auf den Waldweg dort drüben.“
„Das sieht hier aus wie der Zauberwald in meinem Märchenbuch“,
flüsterte Lilly.
„Welches Buch?“, fragte Isabell angespannt und blieb abrupt stehen. In
der Aufregung war ihr nicht aufgefallen, dass ihre Schwester noch immer
das Buch in der Hand trug, mit dem sie in ihr Zimmer gekommen war. Lilly
zeigte es ihr.
„Das Märchen vom Zauberwald“, las Isabell laut vor. Sie blätterte darin
und rief plötzlich erstaunt aus:
„Du hast recht, das ist der Zauberwald aus deinem Buch. Wieso sind wir
hierhergekommen?“ Sie sahen sich um. Wie war das möglich? Es war still
in diesem Wald, kein Laut war zu hören, nicht einmal das leiseste
Vogelgezwitscher. „Wir können hier nicht stehenbleiben, komm Lilly.“
Isabell nahm die Hand ihrer Schwester und zog sie mit sich. Erneut sah sie
sich das Bild im Märchenbuch an. „Sieh mal, hinter der Biegung müsste ein
kleines Haus sein. Es sieht aus wie das Hexenhäuschen von Hänsel und
Gretel.“ Erschreckt ließ Lilly die Hand ihrer Schwester los.
„Hänsel und Gretel? Dann wohnt dort eine Hexe?“ Isabell versuchte ein
Lächeln, um Lilly zu ermutigen.
„Das muss nicht unbedingt so sein. Hänsel und Gretel gibt es nur im
Märchen.“ Sofort wurde ihr bewusst, dass sie sich in einem solchen
befanden. Beherzt griff sie wieder nach Lillys Hand und zog ihre
widerstrebende Schwester weiter. „Sieh mal“, flüsterte sie. Lilly nickte.
„Das ist ein Lebkuchenhäuschen. Ich möchte da nicht hineingehen.
Sicher wohnt da die Hexe.“
„Wir gehen auch nicht hinein. Wir müssen aber dran vorbei, halte nur
meine Hand fest. Lass sie nicht los, egal was passiert. Du musst immer
daran denken Lilly, was hier geschieht, ist nicht echt. Wir befinden uns in
deinem Märchenbuch.“
„Es sieht aber alles ganz schön echt aus. Findest du nicht?“ Isabell nickte.
Langsam gingen sie an dem Häuschen vorbei, den Blick fest auf das Haus
gerichtet. Sollte da wirklich eine Hexe erscheinen, würden sie ihre Beine in
die Hand nehmen und so schnell weglaufen, wie sie nur konnten. Die Frage
war nur, wohin?
„Gut, das wäre geschafft“; meinte Isabell, als sie sich einige Meter von
dem Häuschen entfernt hatten und sie es noch immer ansah. Auf einmal
zupfte Lilly an ihrem Jackenärmel.
„Isa, sieh doch, die Hexe.“ Wie in Zeitlupe drehte sich Isabell um und
erschrak. Vor ihnen stand die alte Frau vom Weihnachtsmarkt. Sie sah nicht
böse aus, jedoch auch nicht sonderlich sympathisch. Isabell fragte sie:
„Was ist das für eine Spieluhr, die Sie mir verkauft haben. Meine
Schwester hat an dem Teller gedreht, und wir sind hier im Zauberwald
gelandet.“ Die alte Frau kam auf sie zu, die Kinder wichen zurück und
begannen zu straucheln.
„Kinder ich tu euch doch nichts. Ich weiß ihr wundert euch, wieso ihr in
Lillys Märchenbuch gelandet seid. Diese Spieluhr ist tatsächlich verzaubert,
eine Drehung nach links genügt, und man befindet sich an dem Ort, an den
man gerade gedacht hat oder sich insgeheim wünscht, einmal dorthin zu
gehen. Meine Aufgabe ist es, Kindern den Glauben an die Märchenwelt
wiederzugeben. Ich bin eine Wunschfee, und da mir einmal ein ziemlich
großes Missgeschick passiert ist, wurde ich in eine alte Frau verwandelt.
Erst wenn ich ein Kind davon überzeugt habe, dass Märchen wahr werden
können, darf ich meine alte Gestalt wieder annehmen. Lilly bekam große
Augen.
„Du bist die Wunschfee aus meinem Märchenbuch?“ Die alte Frau
nickte. „Wie heißt du, und was ist denn bei dir mal danebengegangen?“ Die
Fee lächelte.
„Mein Name ist Belinda. Über meine Arbeit darf ich euch nichts
erzählen.“
„Warum haben Sie gerade mir die Spieluhr verkauft?“, fragte Isabell.
„Weißt du Isabell, du hast Lilly oft aus dem Märchenbuch vorgelesen und
ihr stets versichert, dass es Geschichten sind, die es im wahren Leben gar
nicht gibt. Es ist wichtig, dass die Kleinen nicht all ihrer Illusionen beraubt
werden. Früh genug lernen sie das wahre Leben kennen.“ Nachdenklich sah
Isabell ihre kleine Schwester an. Sie nickte.
„Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Können wir uns noch ein wenig hier
umschauen?“ Die Fee nickte.
„Natürlich könnt ihr das. Wenn ihr zurück wollt, dreht einfach an der
Scheibe, jedoch gegen den Uhrzeigersinn. Ich rate euch, es bald zu tun.
Wenn man es auch auf dem Bild nicht sieht, aber wenn es dunkel wird,
beginnt der Wald lebendig zu werden.“ So schnell wies sie aufgetaucht war,
verschwand Belinda wieder. Nun waren Isabell und Lilly wieder allein.
„Lilly zeig mir bitte mal das Buch. Wie geht es weiter?“ Sie sahen sich
die nächste Seite an. Der Mond schickte sein helles Licht durch die dichten
Tannen, und plötzlich leuchteten viele Augenpaare in der Dunkelheit. „Ich
glaube, wir sollten uns auf den Heimweg machen. Wer weiß, was im
Zauberwald noch alles passiert.“ Lilly nickte. Sie war froh, den dunklen
Wald wieder verlassen zu können. Auf einmal entdeckte sie am Waldrand
einen kleinen weißen Hasen.
„Sieh mal Isa, den möchte ich mitnehmen, er ist so niedlich.“ Isabell
schüttelte den Kopf.
„Das geht nicht Lilly, er gehört nicht in unsere Welt. Er ist Teil des
Märchens. Komm her, es ist Zeit zu gehen.“ Bevor Isabell es sah, steckte
Lilly jedoch das Tier in ihre Jackentasche. Isabell drehte den Teller der
Spieluhr links herum, wie die Wunschfee es gesagt hatte. Wieder entstand
ein Strudel, der die beiden Kinder mit sich riss. Isabell öffnete die Augen
und sah sich um. Sie lagen beide in ihrem Bett. Lilly hatte noch die Augen
fest geschlossen. Was war geschehen? Die Spieluhr lag auf ihrer Bettdecke.
War das Ganze ein Traum, an den sie sich nur wage erinnern konnte? Sie
rieb sich die Schläfen, um sich das Geschehene einzuprägen. Hatte
vielleicht die Melodie der Spieluhr sie einschlummern lassen? Sie schüttelte
Lilly.
„Lilly wach auf, komm schon, wach auf.“ Mühsam öffnete das Mädchen
die Augen.
„Wo sind wir?“
„Zuhause. Komm Lilly, sag du mir, was geschehen ist.“ Nun war Lilly
hellwach. Sie fasste in ihre Jackentasche und zog enttäuscht die leere Hand
heraus. „Was ist?“, fragte Isabell. Tränen der Enttäuschung liefen über
Lillys Gesicht.
„Er ist weg Isa.“ Verwirrt sah Isabell sie an.
„Wer ist weg?“ Unter Tränen erwiderte die Kleine:
„Der kleine weiße Hase. Ich hab ihn doch in meine Tasche gesteckt.“
Langsam dämmerte es Isabell. Lilly hatte denselben Traum gehabt wie sie,
doch war es wirklich nur ein Traum? Alles erschien ihr im Nachhinein so
realistisch.
„Lilly wo ist dein Märchenbuch?“, fragte sie ihre Schwester. Die Kleine
sah sie eigenartig an.
„Ich weiß nicht. Vorhin im Wald war es noch da.“
„Im Wald?“ Lilly nickte. Sie hörten auf einmal die Türklingel. Besuch zu
dieser Zeit? Die beiden liefen zur Treppe und sahen nach unten zur Tür.
Eine junge hübsche Frau stand dort und unterhielt sich angeregt mit ihrer
Mutter, die kurz darauf die Tür wieder schloss. Sie sah nach oben und rief:
„Kinder kommt doch bitte mal herunter. Hier war eine junge Frau, ihr
Name ist Belinda. Sie erzählte mir, dass ihr sie besucht habt und Lillys
Märchenbuch bei ihr vergessen hättet.“
„Die Wunschfee“, flüsterte Lilly ehrfürchtig und sah ihre Schwester
geheimnisvoll an.
Theos unglaubliche Begegnung mit dem
Weihnachtsmann
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus
ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die
allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war.
Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine
Stadt. Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth,
in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass
er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen
ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger.
Zur selben Zeit lief ein kleiner Esel durch einen Eichenwald nahe der
Stadt Bethlehem. Sein Name war Grisella, er war von zuhause fortgelaufen.
Seine Eltern arbeiteten auf dem Hof eines reichen Mannes und seiner
herrischen Frau. Die Menschen und die Tiere wurden von ihnen
geschunden und gequält. Grisella nahm sich vor, ein anderes Leben zu
führen, fern ab von diesen bösen Menschen. Er wusste, dass auf ihn ein
anderes Leben wartete, als ständig Hiebe einzustecken.
Eines Tages, noch vor Sonnenaufgang, verließ er den Hof. Er warf einen
letzten traurigen Blick auf seine Eltern, die ausgemergelt und schwach,
noch tief und fest schliefen. Schweren Herzens war er aufgebrochen. Die
Dämmerung hatte den Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne Platz
gemacht, als Grisella ein eigenartiges Geräusch hörte. Niemals zuvor hatte
er etwas anderes gesehen, als den Hof dieser schrecklichen Menschen, und
er hörte die Schreie der Tiere, wenn sie die Peitsche zu spüren bekamen. So
war ihm dieses Geräusch, es war der Ruf einer Eule, die sich gerade auf
einem dicken Ast eines Baumes niedergelassen hatte, um zu schlafen,
fremd. Erschrocken sah er hoch in die Baumkrone. Die Eule, sie trug den
Namen Sokrates, weil sie das weiseste Lebewesen im Wäldchen war,
zwinkerte mit einem Auge. Grisella versuchte es ihm gleich zu tun, da er
dachte, dass die Tiere sich so im Wald begrüßen würden, was ihm nicht so
ganz gelingen wollte. Er legte den Kopf schief und sah die Eule an.
„Wer bist du?“, fragte er sie vorsichtig. Grimmig runzelte Sokrates seine
gefiederte Stirn.
„Du fragst mich, wer ich bin? Ich sollte dich fragen, wer du bist. Du bist
ein Eindringling. Wo kommst du her?“ Eingeschüchtert und verlegen
zugleich trat Grisella von einem Huf auf den anderen.
„Äh, mein Name ist Grisella. Ich komme vom Hof mit den schrecklichen
Leuten. Ich bin von dort weggelaufen.“ Seine Stimme wurde immer leiser.
Sokrates bekam Mitleid mit dem kleinen Esel und begab sich auf einen
tieferen Ast, um ihn besser betrachten zu können.
„Ich kenne diesen Hof, schon oft kamen Tiere von dort hierher. Übrigens
mein Name ist Sokrates. Ich bin der Älteste hier im Wald, und es gibt viele
Tiere hier bei uns. Wenn du möchtest, kannst du bei uns bleiben.“ Grisella
war glücklich, vorerst. Er bedankte sich bei der alten Eule.
„Danke, das ist sehr nett von Ihnen. Es wäre schön erst einmal hier zu
bleiben. Ich denke aber, dass irgendwo etwas anderes auf mich wartet,
etwas ganz Großes.“ Sokrates nickte gütig und steckte seinen runden Kopf
ins Gefieder, um endlich seinen nötigen Schlaf zu halten. Während die
beiden sich unterhielten, hatte Grisella nicht bemerkt, dass sich eine Schar
von anderen Waldbewohnern zu ihnen gesellt hatte. Ein kleiner weißer Hase
stellte sich auf seine kurzen Hinterbeine, warf seine langen Schlappohren
zurück und sagte ganz frech:
„Was bist du? So einen wie dich hab ich noch nie gesehen.“ Grisella trat
vor, machte eine kleine Verbeugung und erwiderte feierlich:
„Ich bin ein Esel, und mein Name ist Grisella. Und ihr wie heißt ihr?“
Einer nach dem anderen stellte sich nun vor. Bald stand der kleine Esel
glücklich im Kreis seiner neuen Freunde. Wieder erzählte er, dass er auf der
Durchreise sei, und dass irgendwann etwas ganz Großes auf ihn warten
würde und er dann weiterziehen müsste. Das hätte er im Gefühl. So
vergingen die Tage und Grisella, sowie auch die anderen Tiere warteten
gespannt. Sie erzählten ihm, dass sie ihn begleiten wollten, wenn das ganz
Große käme und ihn holen würde.
Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da Maria gebären sollte. Und sie
gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine
Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
Eines Nachts funkelten die Sterne am Himmel stärker als je zuvor. Die
Tiere im Wald hatten sich schlafen gelegt. Nur Sokrates, die Eule, wachte
über allen. Plötzlich fing sie laut an zu schreien, immer wieder, solange bis
auch das letzte Tier wach war. Ein großer heller Stern strahlte am Himmel
und ließ den Wald taghell erscheinen. Grisella stand im silbernen Licht des
Sterns und schaute wie gebannt zum Himmel empor.
„Das ist es, das ist es“, flüsterte er immer wieder andächtig.
„Was ist das, Grisellas Stern?“, flüsterte der kleine weiße Hase zurück.
„Ich glaube, ich habe Angst.“ Verwundert sah Grisella ihn an.
„Du musst keine Angst haben, das spüre ich. An der Stelle, da wo der
Stern einen bestimmten Punkt bescheint und am hellsten ist, da gibt es
etwas ganz Großes. Darauf habe ich mein Leben lang gewartet. Er ist nicht
mein Stern. Was ist, kommt ihr mit?“, fragte er die anderen Tiere.
Verängstigt schüttelten sie ihre Köpfe. Nur der kleine Hase meinte:
„Ich komme mit dir, Grisellas Stern anzuschauen. Ich habe keine Angst
mehr.“ Der Esel freute sich, einen so mutigen Freund zu haben.
„Wie heißt du eigentlich noch mal?“, fragte er ihn.
„Ich weiß nicht, jeder sagt Hase zu mir. Ob das mein Name ist?“, fragte
er. Grisella schüttelte den Kopf.
„Glaub ich nicht, jeder hat doch einen richtigen Namen. Wir nennen dich
einfach Sonntag, denn ein Tag wie heute muss ein Sonntag sein, oder?“
So machten sich Esel und Hase auf den Weg, ohne zu wissen, was sie
erwarten würde. Sie wussten, etwas ganz Großes musste es sein. Sie liefen
Tag und Nacht. Als der Hase mit seinen Kräften am Ende war, ließ Grisella
ihn auf seinem Rücken sitzen. Der kleine Kerl klammerte sich an der
Mähne des Esels fest, denn sein kurzes borstiges Fell ließ keinen Halt zu.
Wenn Grisella müde war, machten sie eine kurze Rast und legten sich auf
weiches Moos, um sich bald darauf wieder auf den Weg zu machen. Es war
eigenartig, selbst bei Sonnenschein verbreitete der Stern ein noch helleres
Licht. Am dritten Tag verließen sie den Wald und betraten eine Lichtung.
Es war fast dunkel, doch das Licht des Sterns leuchtete derart hell, dass die
beiden für einen Moment die Augen schlossen. Als sie sie wieder öffneten
stand ein Engel vor ihnen. Sie erschraken.
Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn
leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu
ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die
allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren,
welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum
Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer
Krippe liegen.
Grisella sah den kleinen Hasen an und flüsterte:
„Siehst du Sonntag, was hab ich dir gesagt. Etwas ganz Großes wartet auf
uns.“ Der Hase nickte ehrfürchtig. Der Engel sah die beiden gütig an und
lächelte.
„Ihr habt einen langen Weg hinter euch. Seht dort drüben, in dem Stall
findet ihr das Christuskind. Bringt ihm Stroh zum Wärmen als Geschenk.“
Der Engel hob die Arme zum Himmel empor, und als er sie herunternahm,
reichte er Grisella ein goldglänzendes Bündel. Der Esel nahm das Stroh,
und sie machten sich auf den Weg zum Stall, über dem der helle Stern mit
großer Kraft silbern strahlte.
„Grisellas Stern“, flüsterte Sonntag verzückt. Heftig schüttelte der Esel
seinen Kopf.
„Das ist nicht mein Stern, das habe ich dir doch gesagt. Er gehört dem
Christuskind.“ Sonntag senkte betreten den Kopf, sodass seine
Schlappohren fast das Stroh des Stallbodens berührten. Gemeinsam betraten
sie den Stall, Grisella knickte seine Vorderbeine ein und legte ehrfürchtig
das Strohbündel vor die Krippe. Es war eine karge Herberge, in der der
kleine Christus das Licht der Welt erblickte. Er lag in der Krippe und
schlief. Plötzlich öffnete er die Augen. Als er Grisella und Sonntag
erblickte, verzog er sein Gesicht zu einem Lächeln. Dankbar nahm Josef
das Strohbündel vom Boden und deckte seinen Sohn damit zu.
„Siehst du Sonntag, jetzt ist ihm warm“, sagte der Esel leise zu dem
Hasen. Maria strich den beiden über das Fell und nickte ihnen freundlich
zu. Glücklich verließen sie den Stall. Noch immer schien der Stern so hell,
dass sie blinzeln mussten. Der Engel, der ihnen zuvor erschien, befand sich
unverändert noch immer auf der Lichtung des Waldes.
Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen
Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Grisella und Sonntag machten sich auf den Rückweg zu ihren Freunden.
Sie hatten ihnen so viel zu erzählen. Wenn sie auch nicht wussten, wer
dieser Christus war, waren sie sich aber einig: Er würde einmal etwas ganz
Großes werden.
Ein Weihnachtswunder
Ben lebte noch nicht lange auf der Straße, genau gesagt unter der Brooklyn
Bridge in New York. Es war sein erstes Weihnachten hier draußen. Er hätte
nie gedacht, einmal hier zu enden. Als er jung war, träumte er davon,
anderen Menschen zu helfen. Für die Kinder wollte er da sein, sie
beschützen. Ben wuchs in der Bronce auf, hatte mit angesehen, wie sie auf
der Straße herumlungerten, wildfremde Leute nach einem Stückchen Brot
oder ein paar Cent anbettelten. Ihm ging es gut, sein Vater war
Sozialarbeiter, und nur aus diesem Grund lebten sie hier. Er wollte
„mittendrin“ sein, wie er seinem Sohn erklärte und er sagte stets:
„Ben mein Junge, sieh sie dir genau an. Die Kinder hier, sie werden ihr
Leben lang in der Bronce bleiben und nie eine Chance haben.“
Heute ging es ihm nicht viel anders. Er lebte auch mit den Ärmsten der
Armen zusammen. Es war sehr kalt an diesem Dezemberabend. Außer der
Bekleidung, die er am Körper trug, die aus einer Cordhose, einem dicken
Pullover und einem alten Parka bestand, hatte Ben nur einen zerschlissenen
Schlafsack, den ein mitleidiger Mann ihm einmal geschenkt hatte, ein paar
Zeitungen zum Zudecken und ein zweites Paar Wollsocken. Er verstaute
alles in einem großen Jutesack und wechselte sein Quartier. Es zog ihn in
den Central Park, da es Weihnachten war. Dort lebten einige seiner Freunde,
die er hier kennengelernt hatte. Außerdem wurde am Weihnachtsabend für
die „Homeless“, wie sie genannt wurden, beim Turtle Pond in einem
Feuerkorb ein wärmendes Feuer entzündet.
Familienangehörige hatte Ben nicht mehr, sie hatten sich von ihm
abgewandt. Alle glaubten, dass er vor zwanzig Jahren einen Menschen
getötet hatte. Dabei war Ben nur durch Zufall da hineingeraten. Damals war
er Sozialarbeiter wie sein Vater, allerdings nicht in der Bronce, sondern in
einem anderen kritischen Viertel, in Brooklyn. Er hatte seinen Vater besucht
und kam gerade dazu, als ein Jugendlicher von einem anderen brutal
verprügelt wurde. Viele Menschen standen herum, doch keiner tat etwas,
nur Ben mischte sich ein. Er verpasste dem Schläger einen kräftigen
Kinnhaken, sodass der rücklings fiel und mit dem Kopf auf einen Stein
schlug. Wie der hinzugerufene Arzt feststellte, war dies das Todesurteil für
den Jugendlichen. Der andere Junge, dem Ben zu Hilfe geeilt war stand auf,
als er sah, was passiert war und rannte weg. Die Polizei nahm Ben fest und
meinte, es gäbe ja keine Zeugen, da die Schaulustigen alle verschwunden
waren, als die Polizei eintraf. Der junge Mann wurde vom Gericht verurteilt
und musste für sieben Jahre ins Gefängnis. Seinen wiederholten
Beteuerungen, dass er unschuldig sei, glaubten ihm niemand. Als er
entlassen wurde, wollte er Kontakt zu seinem Vater aufnehmen. Leider war
dieser in der Zwischenzeit gestorben. Alle Versuche, einen Job und eine
Wohnung zu bekommen scheiterten sofort, wenn er zugeben musste, dass er
im Gefängnis saß. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Leben auf der
Straße zu beginnen.
Ben fand an diesem kalten Winterabend im Central Park schnell einen
geeigneten Platz für seine paar Sachen, breitete seinen Schlafsack auf einer
Bank aus und legte sich hinein. Gegessen hatte er an diesem Abend noch
nichts, wer sollte ihm schon etwas geben. Er war es leid, andere Menschen
anzubetteln. Es wäre die beste Lösung einfach einzuschlafen. Vielleicht war
der liebe Gott gnädig und nahm ihn zu sich an diesem Weihnachtsabend.
Lange dauerte es nicht und Ben schlief tief und fest. Er träumte lauter
wirres Zeug, möglicherweise lag es an der Kälte. Plötzlich hörte er ein
Klingeln, helle silberne Glöckchen drangen zu ihm durch. Er bewegte den
Kopf und träumte, doch dieses Klingeln war so real. Der Klang der Glocken
wurde immer lauter. Auf einmal gab es ein lautes dumpfes Geräusch, und
der Boden unter seiner Bank bebte. Ben hörte ein Schnauben. Vorsichtig
öffnete er ein Auge, das er schnell wieder schloss. Er dachte, entweder bin
ich halb erfroren und habe Halluzinationen oder ich bin schon im Himmel,
oder sollte dies die Hölle sein? Aber ich war eigentlich doch immer ein
guter Mensch. Er atmete tief durch und entschloss sich beide Augen zu
öffnen, Ben zählte eins, zwei drei, bei 3 machte er die Augen auf. Er schrak
zusammen, vor ihm stand ein alter Mann in einem langen roten Mantel. Er
hatte die Kapuze tief ins hochrote Gesicht gezogen, an seinem weißen Bart
und den buschigen Augenbrauen hatten sich kleine Eiskristalle gebildet.
Ben schluckte, bestimmt war er tot. So schnell wollte er nun doch nicht
sterben. Der Mann stand regungslos vor ihm. Plötzlich verzog er sein
Gesicht zu einem Lächeln.
„Hallo Ben, du bist doch Ben McGomery?“ Ben bekam eine Gänsehaut,
wer außer dem Herrgott sollte seinen Namen kennen. Stumm nickte er und
setzte sich auf. Er kroch etwas tiefer in seinen Schlafsack hinein und sah
den alten Mann an.
„Wer sind Sie?“ fragte er ihn leise. Der Mann setzte sich neben ihn.
„Du kennst mich nicht mehr, nicht wahr? Ist schon zu lange her, dass ich
dich besucht habe. Du warst noch ein Kind. Erinnerst du dich an das
Weihnachtsfest, als deine Tante Elisa euch besuchte? Sie brachte mich mit.“
Langsam erinnerte sich Ben. Er sah es geradezu vor sich. An diesem Abend
stand plötzlich Tante Elisa vor der Tür, in Begleitung von Santa Claus, und
aus dem riesigen Sack zog er die Eisenbahn heraus, die Ben sich schon so
lange gewünscht hatte. Staunend sah er den Mann an und meinte:
„Du, ich meine, Sie sind Santa Claus?“ Der Alte nickte.
„Weißt du Ben, ich dachte du würdest mehr aus deinem Leben machen,
als das hier.“ Er zeigte auf die Bank. „Es wird Zeit, dass wir was verändern.
Komm steig in meinen Schlitten.“ Erst jetzt bemerkte Ben den großen
Schlitten mit den acht Rentieren davor. Sie wurden langsam unruhig und
scharrten mit den Hufen. Ben erhob sich von seiner Bank.
„Ich bin also doch schon tot. Hab ich recht?“ Der alte Mann schüttelte
lachend den Kopf. Ben stieg in den Schlitten und deckte sich mit seinem
Schlafsack zu.
„Das ist gut so, mein Junge. Dort oben ist es empfindlich kalt.“ Er nahm
die Zügel in die Hand und rief: „Rudolph, Dasher und Dancer. Ihr kennt den
Weg! Ho ho ho!“ Langsam setzte sich der Schlitten mit den Rentieren in
Bewegung und gewann rasch an Höhe. Sie flogen in schnellem Tempo über
die dichten Baumwipfel, den Kirchturm und die Hochhäuser von Manhattan
hinweg, der Central Park unter ihnen wurde immer kleiner, bis sie sanft
zwischen den Wolken hindurchglitten.
„Wo fliegen wir denn hin?“, rief Ben dem alten Mann zu.
„Zum Nordpol, ins Wolkenland, wohin sonst?“ Ben zwickte sich in den
Arm, weil er wissen wollte, ob das alles real war. Der Schmerz, der folgte,
war real. Er wickelte den Schlafsack um sich herum. Es war wirklich
bitterkalt hier oben. Ben sah nach unten, nur Eis und Schnee. Was sollte er
am Nordpol? Weihnachtsgeschenke für die Kinder einpacken? Er war
ratlos. Endlich glitt der Schlitten langsam zu Boden. Ihm war ganz mulmig
im Magen von der Schaukelei. Santa war schon aus dem Schlitten
geklettert. Ben wunderte sich über die Gelenkigkeit des alten Mannes. Auf
der Erde hatte er sich viel schwerfälliger bewegt. Er machte Ben ein
Zeichen, dass er ihm folgen sollte. Der junge Mann nahm seinen Schlafsack
und sprang vom Schlitten. Er drehte sich um, hier gab es wirklich nur Eis
und Schnee und dichte weiße Wolken, die wie Watte aussahen, nicht einmal
ein Baum wuchs hier. Ben konnte es immer noch nicht glauben. Schon
lange hatte er nicht mehr an Santa Claus gedacht. Jetzt war er mit seinem
Rentierschlitten geflogen und war am Nordpol. Hier war es eisig kalt, die
Rentiere stießen dichte Atemwolken in die Luft. Ben stand immer noch am
gleichen Fleck und bekam schließlich kalte Füße, bis Santa nach ihm rief.
„Komm Ben, du stehst dir ja noch die Füße in den Leib. Im Haus ist es
kuschelig warm.“ Ben beeilte sich und lief zum Haus, das zum Verweilen
einlud. Es hatte eine leuchtend rote Farbe und weiße Fensterläden, die
aussahen, als wären sie mit Zuckerguss verziert. Der Gartenzaun bestand
aus riesigen rot-weißen Candy Canes, und aus dem Schornstein, der mit
großen schwarzen Lakritzschnecken bestückt war, kam weißer Rauch.
Santa öffnete lächelnd die Tür und wurde sogleich von zwölf
Weihnachtselfen umringt. Sie trugen alle rote Hosen, die ihnen bis zu den
Knien reichten und grüne Jacken und sahen lustig aus. Auf ihren roten
Haaren saß ein roter spitzer Hut, der von den Ohren gehalten wurde.
„Hattest du eine gute Reise Santa? Hast du alle Geschenke abgeliefert?
Waren alle Kinder gute Kinder?“ Die Fragen wirbelten nur so durch den
Raum. Santa schmunzelte und nickte mit dem Kopf. Erst jetzt bemerkten
die Elfen den jungen Mann, der etwas abseits stand.
„Wer bist du denn?“, fragte ein junger Elf und musterte ihn von oben bis
unten. Ben sah beschämt an sich herunter. Die alte Cordhose und der
abgenutzte Parka machten ja auch keinen besonders guten Eindruck. Bevor
Ben antworten konnte, meinte Santa:
„Das ist Ben, ein guter Freund von mir“, dabei zwinkerte er dem jungen
Mann zu. „Komm Ben, ich möchte dir meine fleißigen Helfer vorstellen.
Damit ich mir ihre Namen merken kann, hat jeder von ihnen einen
Monatsnamen bekommen.“ Der Reihe nach lernte Ben alle Weihnachtselfen
kennen, von Januar bis Dezember. Die Elfen hatten nicht mehr viel zu tun,
da alle Weihnachtsgeschenke schon von Santa verteilt wurden. Sie rannten
herum und spielten, und Santa war glücklich und zufrieden. Er nickte Ben
zu und meinte:
„Ben setz dich bitte zu mir. Ich möchte mit dir über deinen Besuch hier
sprechen. Ich bin alt, es fällt mir immer schwerer, den Schlitten zu packen
und mit meinen treuen Rentieren zur Erde zu fliegen. Ich weiß, du bist ein
guter Mensch, und ich möchte, dass du mein Nachfolger wirst.“ Ben sah ihn
mit großen Augen an, er sollte Santa Claus werden? Das war ja wohl nicht
sein Ernst. Sicher machte er einen Scherz mit ihm. Er wollte gerade laut
loslachen, als er das ernste Gesicht seines Gegenübers sah.
„Sie meinen im Ernst, dass ich Ihr Nachfolger werden soll? Aber ich bin
ein Mensch. Ich kann nicht hier oben im Wolkenland leben.“ Santa sah Ben
an und meinte väterlich:
„Warum nicht? Was willst du auf der Erde? Im Central Park auf einer
Bank schlafen? Überleg es dir, du hättest es gut bei uns. Immer ein warmes
Bett und gutes Essen. Na ja vor Weihnachten ist viel zu tun, wenn die
Wunschzettel der Kinder eintreffen. Das sind dann Berge von Post, aber die
Elfen helfen dir. Und einmal im Jahr fliegst du zur Erde und verteilst die
Geschenke an die Kinder. Nur eine Bedingung ist an die Sache geknüpft.
Du musst dir einen dicken Santa-Bauch anschaffen. Den lieben die Kinder.
Na was sagst du. Du bekommst einen Arbeitsvertrag, zwar leider kein Geld,
aber wo willst du hier auch etwas ausgeben. Ach, bevor ich es vergesse,
eine Assistentin bekommst du ja auch noch. Ich habe keine, aber in dem
neuen Vertrag steht sie drin.“ Er drehte den Kopf, als ob er Ausschau hielt.
„Angelface?“ Sofort erschien ein blonder Engel mit lockigem Haar, aber
wie Ben feststellte ohne Flügel. Plötzlich hatte er das Gefühl, sein Herz
würde jeden Moment aufhören zu schlagen. Das Gesicht kannte er doch.
Der Engel sah wie Katie, seine Verlobte, die kurz vor ihrer Hochzeit vor
acht Jahren bei einem Autounfall getötet wurde. Angelface sah ihn an und
lächelte.
„Hallo Ben, hast du es dir überlegt?“ Ben brachte kein Wort heraus.
Fassungslos starrte er die junge Frau eine Weile an. Dann sagte er leise:
„Betty bist du das?“ Der Engel nickte.
„Ja Ben, ich bin jetzt ein Weihnachtsengel, und wenn du magst, deine
Assistentin.“ Santa Claus trat lächelnd zu ihnen und meinte:
„Na Ben, bist du jetzt bereit den Job anzunehmen?“ Ben nickte und
erwiderte:
„Danke Santa. Wirst du bei uns bleiben?“ Der alte Mann nickte und
lachte.
„Eine Weile sicher noch. Ich muss doch auf euch aufpassen!“ Ben schloss
seinen Engel in die Arme und meinte schmunzelnd:
„Nimmst du mich auch mit Santa-Bauch?“ Der Weihnachtsengel lächelte
verschmitzt und erwiderte:
„Was wäre ein Santa ohne Bauch?“
Das goldene Ei
Wir Kinder konnten es kaum noch erwarten. Wie in jedem Jahr zog sich der
Dezember bis zum Julaften, der Heilige Abend in Norwegen, wie ein
Gummiband in die Länge. Der Nikolaustag nahm kurz die Anspannung,
doch spätestens am 7. Dezember begann es von Neuem.
Wir waren eine Großfamilie mit vier Kindern. Unsere Eltern versicherten
uns mehr als einmal, dass wir alle gewollt waren. Lange rätselten wir, was
das Wort wohl bedeuten könnte. Gewollt, was für ein komisches Wort.
Kinder bekommt man, aber wollen? Na ja, wir beließen es bei dieser Frage.
Vielleicht würden wir es später verstehen. Unser Haus stand an einem
wunderschönen Platz mitten in den Bergen Norwegens und sah für diese
Gegend mehr als typisch aus. Mit seiner roten Holzfassade und den weißen
Fensterläden machte es einen einladenden Eindruck. So kam es auch, dass
des Öfteren wildfremde Menschen bei uns klopften, wenn sie nach einer
Wandertour müde und hungrig waren. Meine Eltern, von Natur aus sehr
gastfreundlich, bewirteten diese Leute stets mit großer Hingabe. Aus
diesem Grund hatten sie einen Freundeskreis, der jedes Jahr größer wurde.
Für uns hatten sie in diesem Jahr eine Überraschung geplant, das hatten
sie uns erzählt. Das war jedoch auch schon alles. An den Julenisse, den
norwegischen Weihnachtsmann, glaubte nur noch meine kleine Schwester
Emma. Er war ein kleiner Kobold, der die Kinder jedes Jahr mit
Geschenken überraschte. Doch da gab es auch noch den Julemann, den
richtigen Weihnachtsmann, doch von dem hatten uns unsere Eltern nie
erzählt. Ich war die Älteste mit meinen 12 Jahren und bemühte mich nach
Kräften, mir die Aufregung nicht anmerken zu lassen. Doch je näher der 24.
Dezember rückte, kribbelte es und fühlte sich an, als hätten sich tausend
kleine Wichtel ausgerechnet in meinen Bauch verirrt. Meiner Mutter
versuchte, uns mit unzähligen Keksrezepten abzulenken. Jeden Tag hieß es
Teig anrühren und Kekse ausstechen. Am Morgen des 23. Dezembers
weckte sie uns sehr früh.
„Frida, Emma, Lasse, Ole aufstehen. Es ist Zeit. Wir müssen heute das
Haus herrichten, die Gans muss geschlachtet werden, und der
Weihnachtsbaum, den euer Vater heute Abend mitbringt, verlangt nach
Baumschmuck und Kerzen.“ Bei den Wörtern „Gans schlachten“ wurden
wir hellhörig. Welche Gans schlachten, etwa Hermine unsere gute Hermine,
die wir alle so lieb hatten? Meine Geschwister sahen mich flehentlich an.
Klar, an mir blieb es wieder hängen.
„Welche Gans Mama? Habt ihr eine gekauft?“ Meine Mutter lächelte
mitleidig.
„Nein Frida, in diesem Jahr haben wir nicht so viel Geld. Ihr wisst doch,
Papa wird seine Arbeit in der großen Fabrik verlieren. So haben wir uns
entschlossen, Hermines Leben zu beenden. Sie ist ja auch nicht mehr die
Jüngste.“ Wir Kinder starrten sie an. Glaubte unsere Mutter allen Ernstes,
dass diese Umschreibung es uns leichter machen würde?
„Dann schmeckt sie bestimmt nicht mehr so gut, und ihr Fleisch ist hart
wie Leder“; warf Ole ein.
„Und dann sollen wir sie auch noch essen?“, fragte mein Bruder Lasse
entgeistert. „Niemals!“ Abrupt warf er seine Bettdecke zurück und rannte
aus dem Zimmer, das er mit Ole teilte. Emma, die Jüngste, hingegen begann
zu weinen. Tröstend nahm ich sie in den Arm.
„Mama das könnt ihr unmöglich machen. Hermine gehört zur Familie
und das schon seit einigen Jahren. Keiner von uns wird ein Stück von ihr
essen. Dann hungern wir halt.“ Mit diesen Worten schnappte ich mir meine
Sachen, stieg in meine Winterstiefel, zog die warme Jacke über und verließ
das Haus. Ich hörte meine Mutter noch meinen Namen rufen, dann schloss
sich die Tür. Hermines Stall war nur wenige Meter von unserem Haus
entfernt. Ich öffnete die Tür und betrat den Verschlag. Meine Augen
brauchten etwas Zeit, um sich an die Dunkelheit, die hier herrschte, zu
gewöhnen. Wenn wir sie riefen, kam sie stets schnatternd angelaufen, doch
nicht heute.
„Hermine wo bist du?“ Kein Laut war zu hören, hatten meine Eltern sie
etwa schon geschlachtet? Angst und Sorge um meine Geschwister stiegen
in mir auf. Ich sah mich um. In einer Ecke, dort wo Hermine immer
gesessen hatte, glänzte es golden. Wie kann das sein, dachte ich bei dieser
Dunkelheit? Ich tastete mich langsam vor und streckte die Hand danach
aus. Es war ein goldenes Ei, und es fühlte sich seltsam warm an und es war
schwer. Hatte Hermine es gelegt und war dann geschlachtet worden? Ob es
wertvoll war, dann sollte ich es meinen Eltern geben. Sicher wären dann
ihre Geldsorgen vorbei. Mir wurde ganz schwindelig bei dem Gedanken.
Ich steckte es in meine Jackentasche und schloss leise die Stalltür hinter
mir. Beruhig dich erst einmal Frida, dachte ich, und das konnte ich am
besten im Wald an der frischen Luft. Schnellen Schrittes lief ich durch den
Wald, zum einen weil mir furchtbar kalt war, zu anderen war ich furchtbar
wütend auf meine Eltern und aufgeregt zugleich. An einem mächtigen
Baumstamm blieb ich schließlich stehen und legte den Kopf in den Nacken,
um hinaufzuschauen. Es war mein Baum, immer wenn ich Sorgen hatte,
konnte ich sie ihm mitteilen, und ich hatte das Gefühl, dass er mir zuhören
würde. Es beruhigte mich immer wieder, in die gewaltige Baumkrone zu
blicken. Hier hatte ich stets das Gefühl dem Herrgott näher zu sein. Wer
wusste es schon, vielleicht saß er gerade jetzt in dieser Baumkrone und sah
auf mich herab. Ich faltete meine Hände und begann mit leiser Stimme:
„Lieber Gott, falls du da oben auf einer Wolke sitzt, gib mir bitte ein
Zeichen, ob Hermine etwas zugestoßen ist, irgend ein Zeichen. Ich merke
dann schon, ob es von dir kommt.“ Ich wartete, doch nichts geschah. Alles
blieb still, das heißt nicht ganz. Aus einem Busch direkt vor mir hörte ich
leises Schnattern. Mein Herz begann wie wild zu klopfen, Hermine. Hatte
sie sich versteckt, weil sie wusste, dass sie geschlachtet werden sollte?
Vorsichtig fasste ich die Zweige des dornigen Busches an und drückte sie
beiseite, doch anstelle meiner Gans sprang ein winziges Männlein hervor.
Es war nicht hässlich, jedoch auch nicht schön, mit seiner Knollennase,
hochroten Wangen und jeder Menge Sommersprossen. Seine Bekleidung
bestand aus bunten Stofffetzen. Es sah mich misstrauisch an.
„Mein Name ist nicht Hermine oder so. Ich bin ein Troll, du weißt, dass
Trolle bösartig sind? Wir ärgern gerne die Menschen und bestehlen sie. Die
Menschen haben große Angst vor uns. Und wer bist du ein Mensch?“ Frida
stemmte ihre Arme in die Hüften.
„Du hast recht, ich bin ein Mensch. Ich heiße Frida, und Angst habe ich
vor dir bestimmt nicht. Hast du eine weiße Gans gesehen, etwa so groß?“
Ich zeigte mit der Hand die Größe der Gans an. Der Troll legte seinen
Zeigefinger an die Lippen.
„Lass mich mal überlegen. Es könnte sein, dass sie mir zugelaufen ist.“
Empört rief ich aus:
„Zugelaufen ist sie dir bestimmt nicht. Hermine würde niemals
weglaufen. Du hast sie gestohlen.“ Das Gesicht des Trolls bekam einen
listigen Ausdruck.
„Lass mich mal überlegen. Was gibst du mir für die Gans?“ Meine Hand
tastete nach dem Ei. Es fühlte sich immer noch sehr warm an. Sollte ich
ihm das Ei geben? Dazu konnte ich mich nicht durchringen. Am Ende
besaß er Hermine gar nicht. Jeder wusste doch, wie gerissen und schlau
diese Trolle waren.
„Ich muss das überdenken. Wir treffen uns morgen Nachmittag um die
gleiche Zeit an diesem Ort. Sei pünktlich.“ Ich drehte mich um und lief
nach Hause, die Hand an dem goldenen Ei. Hinter mir hörte ich die Stimme
des Trolls, der mich nachäffte. Meine Mutter war erleichtert, als sie mich
sah. Das Ei versteckte ich rasch unter meinem Bett.
Am nächsten Morgen weckte meine Mutter mich mit den lauten Worten:
„Wo ist die Gans? Hast du sie versteckt?“ Ich musste zuerst meine
Gedanken ordnen, hatten unsere Eltern sie doch noch nicht geschlachtet?
Hatte sie doch dieser Troll gestohlen? Ich schüttelte den Kopf.
„Nein hab ich nicht, ich dachte, ihr hättet sie bereits geschlachtet.“ Meine
Mutter sah mich ratlos an und schüttelte den Kopf.
„Als wir sie heute Morgen holen wollten, war sie verschwunden. Sie
muss doch irgendwo sein. Sonst gibt es heute Abend keinen Gänsebraten.“
Mit einem Seufzen verließ sie das Zimmer, das ich mir mit meiner kleinen
Schwester Emma teilte.
„Den hätten wir sowieso nicht gegessen“, murmelte ich in mich hinein.
„Was sollte ich machen? Wenn dieser Troll tatsächlich unsere Hermine aus
ihrem Stall geholt hatte und ich sie wieder bekäme für das goldene Ei, dann
würden meine Eltern sie mit Sicherheit schlachten.“ Verzweiflung überkam
mich, Emma schmiegte sich an mich und meinte traurig:
„Hermine darf nicht sterben, nicht am Heiligen Abend, und essen will ich
sie auch nicht.“ Sie wischte sich ihre Nase im Ärmel meines Nachthemdes
ab, was mich heute nicht sonderlich störte. Wir zogen uns an und liefen die
Treppe hinunter in die Küche, wo unsere Mutter bereits das Frühstück
zubereitet hatte. Sorgenvoll sah sie mich an.
„Grad heute, wo wir doch Besuch bekommen, haben wir keinen
Gänsebraten.“ Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Das muss ja
ein ganz besonderer Besuch sein, dachte ich, wenn sie so ein Aufhebens
deswegen macht. In Norwegen essen wir normalerweise Lamm oder Fisch,
warum mussten gerade wir Gänsebraten essen.
„Wer kommt denn?“, fragte ich sie. Das musste die Überraschung sein.
„Das ist doch die Überraschung“, erwiderte sie. Plötzlich hatte ich eine
Idee.
„Ist es Großvater?“ Vor Schreck ließ meine Mutter den Teller, den sie
gerade abtrocknete, fallen.
„Kind, wie kommst du denn darauf?“ Ich hatte in Schwarze getroffen. Sie
hatte mir zwar nicht zugestimmt, aber ich wusste es. Ich konnte mich kaum
an ihn erinnern, jedoch immer wenn ich nach ihm fragte, meinten meine
Eltern, er sei zu beschäftigt, uns zu besuchen. Wieso sollte es dieses Jahr
klappen?
„Womit kommt er denn, mit dem Auto?“ Meine Mutter begann zu lachen
und schüttelte den Kopf.
„Nein mit dem Auto bestimmt nicht.“ Ich runzelte die Stirn. Wieso nicht,
alle Leute hatten Autos. Hatte er vielleicht keinen Führerschein? Für einen
Moment lang hatte ich Hermine völlig vergessen. Ich beschloss, die
Verabredung mit dem Troll einzuhalten und machte mich auf den Weg in
den Wald. Das goldene Ei hatte ich wohlweislich zu Hause gelassen. Es
hatte angefangen zu schneien, was es Weihnachten immer macht, doch
heute war es irgendwie anders. Ich begab mich zu der verabredeten Stelle
und wartete. Meine Füße fühlten sich langsam wie aus Eis an, und ich trat
von einem Bein auf das andere. Meine Zehen spürte ich kaum noch. Doch
nichts geschah, der Troll erschien nicht. Eigentlich war es kein Wunder,
denn es hieß bei uns in der Gegend: Traue nie einem Troll. Ich beschloss,
nach Hause zu gehen, denn schließlich war heute Julaften, der Heilige
Abend, und der Julenisse, in Gestalt unseres Onkels, würde auch in diesem
Jahr für meine kleineren Geschwister kommen. Ich freute mich auf unseren
Besuch, war ich doch fest davon überzeugt, dass unser Großvater uns
besuchen würde. Als ich endlich zu Hause ankam, schüttelte meine Mutter
ärgerlich den Kopf.
„Frida wo warst du? Es ist noch so viel zu tun.“ Rasch zog ich meine
nassen Sachen aus und lief in mein Zimmer, um mich zu vergewissern, dass
das Ei noch an seinem Platz war. Es war verschwunden. Das gab es doch
nicht. Ich ließ mich stöhnend auf mein Bett fallen, da fiel mein Blick auf
das Kopfkissen. Fast hätte ich einen lauten Schrei ausgestoßen, im letzten
Moment besann ich mich.
„Hermine. Was machst du hier? Wo ist das goldene Ei?“ Die Gans legte
den Kopf schief und fast schien es, als lächelte sie mich an. Da hörte ich
meine Mutter von unten rufen:
„Frida wo bleibst du? Es ist noch viel zu tun.“ Ich legte den Finger an
meine Lippen und flüsterte:
„Sei still und rühr dich nicht von der Stelle, hörst du?“ Fast hatte ich das
Gefühl, Hermine nickte mir zu. Was man sich so alles einbilden kann.
Unser Julaften wurde sehr schön, der Weihnachtsbaum war etwas kleiner
als im letzten Jahr, dafür hatte unsere Mutter gebackene Kekse an fast jeden
Zweig gehängt. Zum Abendessen gab es Karpfen. Wir Kinder waren alle
sehr erleichtert, doch wo blieb nur unsere Überraschung. War Großvater
etwa im Schnee stecken geblieben? Traurig tranken wir unsere Julebrus, die
süße rote Limonade, bei der ich mich immer schüttelte. Aber es war halt
Tradition. Wir saßen noch am Esstisch, als es draußen vor der Tür unruhig
wurde. Der Boden dröhnte unter uns, und es war ein eigenartiges
Schnauben zu hören. Hatten wir plötzlich Elche oder Rentiere im Garten?
Es war zwar sehr kalt, doch bis an unser Haus war sie bisher nie
gekommen. Plötzlich hörte ich das Schellen von kleinen Glocken. Bildete
ich mir das nur ein? Wir Kinder wollten aufspringen, doch unser Vater hielt
uns zurück.
„Kinder bleibt auf euren Stühlen sitzen. Wartet.“ Es dauerte auch nur
einen Moment, bis es klopfte und sich bald darauf die Haustür öffnete. Ein
alter Mann mit langem weißen Bart, einem roten Mantel mit Kapuze und
roten Stiefeln trat ein. Meine Geschwister saßen zusammengekauert auf
ihren Stühlen und rührten sich nicht. Meine kleine Schwester Emma
flüsterte ehrfürchtig:
„Der Julemann.“ Ich aber sprang auf und rief:
„Großvater, du bist es wirklich?“ Er breitete seine Arme aus und
umarmte mich. „Du siehst aus wie der Julemann. Hast du dich für die drei
Kleinen verkleidet?“ Er schüttelte den Kopf.
„Nein Frida, ich bin der Julemann. In anderen Ländern sagt man
Weihnachtsmann zu mir. Zufällig habe ich den Julenissen getroffen, der mir
eure Geschenke mitgegeben hat. Er hat so viel zu tun, dass er froh war,
etwas Arbeit abzugeben.“ Ich schmunzelte.
„Sagst du auch die Wahrheit Großvater?“ Er nickte.
„Frag deine Mutter. Als du als Älteste geboren wurdest, musste ich ihr
versprechen, dich zu Weihnachten niemals zu besuchen. Du, das heißt ihr,
solltet es erst erfahren, wenn ihr älter seid. Ich fand jedoch, es ist jetzt an
der Zeit.“ Nun wurden auch meine Geschwister neugierig.
„Du bist der echte Julemann? Wo wohnst du denn? Wie alt bis du? Ist
dein Bart echt? Hast du alle deine Rentiere mitgebracht?“ Die Fragen
sprudelten nur so aus ihnen heraus. Großvater lachte.
„Ich wohne in Weihnachtsland, gar nicht so weit von euch entfernt. Die
Rentiere warten alle vor der Tür. Für ein oder zwei ist der Schlitten zu
schwer. Mein Alter will ich euch nicht verraten, sonst erschreckt ihr noch.
Auf jeden Fall bin ich schon sehr alt, und mein Bart ist echt. Ihr könnt ja
mal dran ziehen.“ Ole traute sich und zog zaghaft an den weißen
Barthaaren. Er nickte und meinte fachmännisch:
„Echt.“ Wir lachten, und dann kam das Spannendste: die Bescherung.
„Wo hast du denn deine Elfen gelassen?“, fragte Ole auf einmal. Großvater
lächelte.
„Die sind in Weihnachtsland geblieben und müssen aufräumen. Was
meint du, wie es bei uns aussieht.“ Nachdem meine Geschwister ihre
Geschenke bekommen hatten, war ich an der Reihe. Eine kleine Schachtel
kam zum Vorschein, eingepackt in goldenes Papier mit einer roten Schleife.
Behutsam öffnete ich die Schleife, entfernte das Papier und nahm den
Deckel ab. Meine Verblüffung war groß: Es war mein goldenes Ei. Wie war
es in Großvaters Besitz gekommen? Ich sah ihn an, und er zwinkerte mir
zu. Lächelnd fragte er mich:
„Wie geht es Hermine?“ Woher wusste er? ... Hatte er Hermine aus ihrem
Stall geholt, um sie vor dem Schlachten zu retten?
Bis heute weiß ich nicht, wie er das angestellt hat. Es war jedoch wie ein
Wunder. Immer dann, wenn meine Eltern wieder mal kein Geld hatten,
legte Hermine ein goldenes Ei.
Beste Freunde
Z-Access
https://wikipedia.org/wiki/Z-Library
ffi
fi