MHS 8. Die Biblische Hermeneutik Calovs
MHS 8. Die Biblische Hermeneutik Calovs
\leine Frage ist eine einåche:'Welche Ro1le spielt das sogenannte rSchriftprinzip<
:' der Entwicklung einer lutherischen Metaphysik? Um diese Frage
zu beant-
''\'orten, wili ich zuerst
einige Arsumente aus der Debatte zwischen !,rasmus und
I r-rther auflreifen, um danach vor diesem Hintergrund
Abraha'r calovs herme_
:rcutische Theorie einschåtzen zu kcinnen.
Gemeinsan'r grlt, dass diese Dinge durch eine Mehrdeutigkeit gekennzeichnet sind
und Erasmr-rs nennt die Personen der Gottheit und die Naturen in Christus solche
anrbivalenten Dinge. Sogar die nichr zu vergebende Siinde gegen den Heiligen
Geist gehcirt dazu.a Drittens will Gott es so haben, dass es Dinge gibt, die riberall er-
forscht werden kcjnnen. Diese sind nicht als besondere C)fTenbarung vom Hirnmel
niedergefallen, sondern befi'den sich ganz einåch im Herzen des Menschen.5
Obrvohl es fiir Erasrnus ganz selbstverstr,indlich ist, dass den gottlichen Schriften
eine hohere Autoritåt zukonrnrt als a1len Urteilen der Sterblichen, gibt es trotzdem
Streit ilber die Meinung der Schrift." Ja, rvenn die Schrift I,Jar (ditudda) wåre, was
sollte dann die Arbeit des Dohnetschers sein?7 urn das Problem der Vielfalt der
Deutung zu losen, rveist Erasrnus ar-rf die Gabe des Herligen Geistes hin. Aber diese
Gabe verstårkt eher das Problenr, als eine Lcisr-rng anzubieten. Denn r,uem komrnt
der Geist zugute?
Die anthropologische Beclingung fiir einen angenressenen (Jmgang nrit dcr
Schrift ist ambivalent. Obr,vohl Erasmus die Siindhaftigkeit der Menschen deutlich
betontt, unterstreicht er zugieich das menschliche Erkenntnisvermogen. Der norr-t
bzr.v. /tt3o-s sind als menschliche Kråfte nur verdunkelt (ttbsuwata) worden, nicht wirk-
lich vernichtet (extirtctd). Das ist eine Anrwort auf Luthers - anthropologisch gese-
hen - pessimistische Interpretation vonJes 40,6tr: >Alles Fleisch ist Grass [...]<.'g Fiir
Erasmus ist es aufgrund der gottlichen Gnade moglich, die Neigung zur Siinde zu
iiberwinden.l':'Allerdings meint Erasnrus, dass der Mensch zum Teil von der Stinde
unberr.ihrt geblieben ist.11 Nicht alle menschlichen Neigungen sind fleischlich, die
Seele und insbesondere der Gei.st erstreben das Gute. Erasrnus nimmt sogar den
stoisch geprågten Ausdruck telyepovLxov auf, und zeigt so, dass die rnenschliche
Fåhigkeit nicht abhångig von der kirchlich ver-walteten gratia infusa ist. Sie ist eher
ein Teil der Schopfung.l2
Der gottliche Teil des Menschen ist die Moglichkeitsbedingung fiir das ange-
nressene hermeneurische Urteil. Erasmus sieht besonders Dtn 30,15 rT. (rSiehe ich
habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Bcise<) als alt-
testamentliche Begriindung fiir den freien'Willen an. Die moralischen Hi.nweise
wåren vo11ig tiber-fhissig, wenn es keinen freienWillen gåbe.1r Vom Neuen Testa-
ment zitiert Erasmus nicht nur Christi Ermahnungen und die Moral des Jakobus-
briefes, sondern auch die Pauiustradition. Im Blick auf die metaphernreiche Spra-
che im 2. Timotheusbrief weist Erasmus darauf hin, dass dieWorter von )Kampf,
und >Krone, unter deterministischen Umstånden unverståndlich sind.la
-Wenn
Erasmus darauf beharrt, dass die Bibel auch-figuratiu d. h. ausiegungsbe-
diirftig spricht, so sieht er den Interpreten a1s Vermittler zwischen der gottlichen
und menschlichen Sphåre.Wenn beispielsweise in der Bibel erzåhlt wird, dass Gott
stch iindert,ja sogar seine Titen bereut, dann hångt dies nur von der menschlichen
Redeweise ab.15 Die Moglichkeit, zwischen einer gottlichen und einer menschli-
9 Ebd.b3a.
10 Ebd. b 3 a - b: Es ist aber nicht dabei geneint, dass die Neigung volhg auszurotten ist: rQuetnad-
nrodurn autem progenitorum peccatum in postcros derivatun est, ita & ad peccandum proclivi-
tas transiit in ornnes, quam gratia peccxturn abolens, hactenus rnitrgat, ut vincr possit. non extir
Pari.<
11 AUGUSTIJN, Cornelis: Erasmus, in: TRE 10 (1982), 4.
12 ERASMUS:De Libero (wie Annr.2) d7b: DNec tamen ornnis aiTectus homims est caro,sed est
qui dicitur anima, est qui dicitur spiritus, quo nitinr-rr ad honesta: quam partem anirni, rationem
vocant, aut flyeprovtxov id est, principalem, nisi ibrte in philosophis nullus fuit ad honesta nirr.rs,
qui docuerunt milies oppetendarn mortem citius, quam admittendan.r turpitudinet.n, etiam si
scirernus futurum, ut & ignorarent homines, & deus rgnoscerct.u
13 Ebd. b B a: rHic rursus audis proponendi verbum, audis eligendi verbum, audis avertendr verbum,
quae intem pestive dicerentur, si voluntas honrinis non esset libera ad bonum, sed tantum ad
ma1um. <
1,1 Ebd. oMihi difiicile videtur certanen coronam, iustum iudicem, reddendi, certandi, verbum
c 5 a:
coniungere cun onrnium rerum nrera necessitate, cum voluntate nihil agente, sed tantum pa-
tlente.(
15 Ebd. c2a-b: rQuod genus est illud quod legrmus Hiereniae cap. 18. Si paenitentiam egent gens
i11a å malo suo, quod locutus sum adversus eam, agåm & ego paenitentiam super nalo, quod
17 6 Joar Haga
cogitavi ut åcerem ei, si ti:cerit malum in oculis meis, & non ar-rdierit vocelr] nleaml o. ego pae-
nltentiam a{an super botro, quod iocutus sun ut facerenr ei. Neque vero nescitnus hic scripturam
sacram horninnnr nlore loqui, quod & aliås non raro facit, quum in deum ntrlla cadat rnutabilitas.
Sed ex irato propitrus fleri dicitur, quun] nos ad meliora resipiscentes dignatur sua gratia: rursus
ex propitio iratus, quunr ad deteriora relapsos punit & afIligit.<
16 ERASMUS vorl Rotterdanr: Ecclesiastae Sive De llatione Concionandi Libri Quatuor, Basel
1535,'{2: >Post ipsum deum nihil habet ecclesia sanctins, salubrius, r'enerabilius. ac sublimius quam
verbuttt dci. hoc esr .criptrrr.rm cJltoni(Jn).
17 ERASMUS: De Libero (r'vie Anrn.2) cBb-d1a: oVoluit deus male perire Pharaonem, & iuste
voluit, & bonum erat illunr perile: nec tanlen ille coactus est dei voluntate, ut pertinacitcr csset
rrnpius.<
18 Ebd. d2a: Erasrnus versteht die hermeneutische Logik so, dass sie dem ersten Kapitei des Ro,
rnerbriefs lhnlich sei: rlnduravit dorninus cor Pharaonis, potest eodenl accipi sensu, quo .rccipitr.rr
illud Par.rli: Tradidit i11os tn reprobunl sensllm: ut idenl opus sit peccatlun, & poenae peccati. Sed
quos tr:ldit deus in reploburn sensuln, r:tique tradit ob merita praecedenti:r, veluti Pharaonem,
quod tot sitnis provocatus, noluerit dinrittere populurn: Phrlosophos, quod quunr dei divinitatenr
rrossent, coluerint lapides & ligna.o
I)ie Biblische Herrneneutik Clalovs 177
durch gestårkt wird.re I)er Mensch, und besonders sein Wi1le oder Willensvermo-
genr0, ist in den letztgiiltigen Fragen nicht inrstande, zwischen Gut und Bdse zu
unterscheiden. Er ist vielmehr pd-r-sil und rvird entweder von Gott oder vom Teufel
getrieben.rl
Was bedeutet das fiir die Herrneneutik? War das interpretierende Subjekt bei
Erasmus so zu verstehen, dass es schrotTe Lehrinhaltel der kosmologischen Ord-
nung sowie moralische Eigenschaften Gottes anpåssen rlusste, behauptet Luther
3etzt, dass die Schrift sich selbst auslegt: >Scriptura ip:a sui interpres.or3 Die'Wahr-
heit, die durch die Bibellekttire erschlossen wird, hångt eng danrit zusammen, dass
die Schrift klarist. Inr Prozess der Verschiebung vom Subjekt zum Text versucht
also Luther, die Klarheit der Schrift direkt mit ihrer Offentlidtkeit zu verbinden. Die
Sache, um die es geht, ist rnanifest gervorden vor der gånzen We1t. Sie steht am
Marktplatz - in_foro - otTen fiir alle zu sehen. Den Fa1l, es gåbe trotzdem jernanden,
der das Offenbarte nicht sieht, illustriert er rvie folgt: Es ist wie -'venn jemand sagt:
LUTHER, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesarnt:rusgabe,'Weimar 1883, tsd. 18,
603: >Nihil apud Christranos notius et coelebratius, quanr assertio. Tolle assertiones, et Christi:r-
nisrnuln tulisti.u
Itr del treuesten Ausgabe von Luthers ,De Servo arbitrioo, j.st orbitriunt r-r.rit >'Willensvermogenu
iibersetzt u'orden vel. uÅRtt,Wilfried (Hg): Martin Luther. Lateinisch-Deutsche Studienaus-
gabe, Leipzig 2006,219 661. Die ubersetzenn, Prol Lerutt, hat damit zunr Ausdruck gebracht,
dass arbitriun nicht identisch ist nit ,Willen im Sinne von rolllrras. Petrus Lombardus versreht das
arbttrttutt als der lohiiitas iikultativ ribergeordnet: LOMtsARD. Peter: Sententiae in IV Libris I)i-
stinctae, Glottaferrata-l\ome 1971 (Editiones Collegii S. Bon:rventurae :rd Claras AqLras), Vol. 1,
,152--153: rl-iberurn vero arbitriunr est facult;rs rationis et voluntatis, qua bonum eiligitur gratia
assistente, vel r.nalurn eadenr desistente.<
21 LUTHER (u'ie Ant-u. 19) Bd. 18.635: rSic humana r.oluntas in r.nedio posrta est, ceu iurlentunr. si
insederit L)eus, vult et vadit, cluo vult Deus, ut Psalnus dicrt: Factus sunr sicut iunrentum et eso
semper tecum. Si rnsederit Satan, vult et vadit, quo vuit Satan. nec est in eius arbitrio ad utrunr ses-
sorenl currere aut eurn quaelcre. red ipsi ses\orcs aerralrt ob ipsurl obtinendurn et possidendum.<
Fiir Luther qeht e' nicht unr bibhzistische Einrvånde, er scheint mir so frei irn lJmgang rnit der
Schrift, dass das ihnr spåter zugeschriebene oSchriftprinzip" einisernra8en abstrakt klingt. AutTal-
lender-w-eise sind es serade dre angeblich zrvei r.r,ichtigsten Fragen der Doqmengescl-richte, Chris-
tologie und Trinit.lt. und die elasnrischen nrethodischen Zrveifel darriber. die ausscl.rlaegebend fiir
den Ausbruch des Streits sind. LUTHER (rvre Ann. 19) Bd. 18, 608 609: nSi vero intelligis, de
ipsa rei substantia, iterunr non scripturas, sed Arrranos alguc, et eos, quibus opertum est Euan-
gclion. uL t i.rt-ir.tltt., tr'.ritttonir de dirinrt.rfi. trirtir.rtc -t hrrrr rrit rri Chrr\rr rrc; pp31-s1is11g111
Satanae dei sui non r.ideant.u
thJ. ljd.-.'r7: Oporrcr cntrtt rcriftura iuJicc hic.cntcntiartt lrrrc. quod lieri rron I'utcst. ni'i
sclipturae dederin.u-rs principen locun.r in onrnibus qu:re tribuuntul patribr:s, hoc est, r-lt slt rpsa
per sese certissilna, facillinra. rpcrtrs:inrr, rr-ri rpsius interpres, ollrrrium omnia probans. ir-rdicans et
rllununarrs, sicut scriptunr est psal. c.xviii. l)eclaratio seu, ut hebraeus proprie habet, Apcrrunr scu
ostiut'n verborunr tuorLull illulilnat et intellectun dat parvulis.o
178 Joar Haga
>Der cjtTentliche Brunnen sei nicht am Lichte, lveil einige in einer Seitengasse ihn
nicht sehen kcinnen.<21
l)ie Argumente zu >Schrift< und >heller Vernunft<, die Luther bekanntlich vor
denr Kaiser in'W'orms 1521 åu8erte, haben e:rr'te ein.heitlirlre sprachliche Strukrur. In
der Antwort auf Erasmus, vierJahre spåter, wird diese Doppelstruktur von Schrift
und Vernunft auf die Hermeneutik appliziert und so ausgedriickt:
So nrochten wir viehrehr neinen, dass rveder eine Folaerung noch eine Bildrede in irgendeiner
Schriftstelle zuzulassen ist, ausgenoil-rrnen, der eindeutige Zusantmenhang derWorte erzwinge das
und derWidersinn einer ofTensichtlichen Sache, der selien einen Glaubensartikel verstoBt. Sonst
tiberall ist an den einlachen und reinen und natiirlichen Sinn der'Worte Gstzuhalren, den die
Gramr.lratik r:nd der Sprachgebrauch bieten, den Gott in den Menschen geschatTen hat.25
fUbers.:
A. Lexuttl
Es ist also nicht nur die Grarrmatik, die beim Dolnretschen beriicksichtigt werden
muss, sondern der konkrete Gebrauch der Sprache, der l;søs linguae.Es gibt eine na*
tiirliche Ordnung der Sprache, die in allen Sprachen vorhanden ist. Luther setzt das
als notr.vendig vorar-rs, da man ansonsten nie sicher sein konnte, wie man eile Aus-
sage verstehen so11.26 Die Regel lautet also so: Kennt man sich in der griechischen
und eigenen Sprache gut aus, dann kennt man auch den åuBeren Sinn des bibli-
schen Textes:
Freilich bekenrre ich, dass viele Stellen rn der Schrift under:tlich und dunkel sind. und zrvar nicht
wegen der Erhabenheit der Dinge, sondern r.vegen der Unkenntnis der Vokabeln
[vocabulorum,
nicht verba!] und der Grammatik. Aber das hindert nicht die Kenntnis aller Drnse in der Schrift.2T
lUbers.: A. Lexuttl
Ebd. Bd. 18,606: ,Eadetn vero res, rnanifestrssir.ne toti mundo declarata, clicitur rn scripturis tunr
verbis clalis f...] Quis dicet fontem publicunr non esse in luce, quod hi qui in anerporro supt,
illum non vident. curn ornnes qui sunt in foro videant?<
25 Ebd. B.1. 1 8, 700: rSic potius sentiatnus, neque sequelam neque tropuln irr r-rllo loco scripturac csse
adnlittendum, trisi id cogat circunrstantia verboruln evidens et :rbsurditas rei manilestae in aliquenr
fidei articulum peccarls; sed ubique inhaercndunr est sinrplici puraeqlle et natur:ali siglilicationi
verborum, quant sratnnt:ltica et usr-ts loquendi habct. quern I)eus creavit in honinibus.< Vel. einc
åhnlichc 13eschreibung aus denr >Anti-Laromus< (1521): LUTHER (r,vie Arrrn. 19) ll,:1. g, 63: ,[. .
I
vitari debent et sinrplici purae primariaeque verborurn siEnificationi nitendur.n est, dolec ipsa
circunstantia aut evidens absr-irditas couat figurarn aenoscere [...].<
Vgi. HAGCILUNI). Bengt: Evidentia sacrae scriprurae. Bcnterkunsel zllltt ,schriftprinzip, bei
Lr.rther, in: VierhundertfiintzieJahre lutherische Refbrrn:rtion (FS Franz Lau), hg. r,-. Ivar ASHEIM,
Gottineen 1967, 116 - 125.
27 LUTHER (rvie Anttr. 19) Ild. 18, 606: rHoc sane t:rteor, esse rnulta loca in scriptlris obscura er
abstrusa, non ob tnaiest:lteru rerunl, sed ob rgnorantianr voc:ibulorLun et gr:lmnlaticae, sed cluat
nihil irnpediant scientiarn orlltllln rerunr jn scripturis.<
Die Biblische Hermeneutik Calovs 179
Gerade die Dinge, die Erasmus als Adyta verstanden hatte, sind bekannt:Dass Chris-
tus ein Mensch geworden ist, dass Gott drei und ei.ns ist, dass Christus fiir uns ge-
litten hat und alles regiert, ist fiir dre ganze Welt offenbart rvorden.zs
Klar und eindeutig ist aber nur das Wort Gottes. Viel ist in Gott verborgen.""
Diese Verschiebung der Zweideutigkeit auf den Gottesbegriff hin verschårft natiir-
lich die Theodizee-Problematik. Selbst wenn der gute Gott zu einem Gott mit
einem Janus-Angesicht zu werden droht, hå1t Luther an der Verborgenheit Gottes
um die Totalitåt der gespalteten Wirklichkeit in Cort festzuhalten. Er fasst dies
fest,
so zusarnnlen, dass von drei Lichtern die Rede ist, und verschiebt damit die ver-
sohnte Einheit Gottes in die Zukunft hin. Luther meint, dass das lumen naturae ntcht
verstehen kann, weshalb es dem Gottlosen gut und dem Glaubenden schlecht geht.
Die Anfechtung, die danrit verbunden ist, kann nicht mit der Vernunft r-iberwun-
den werden, sondern nur mit denL lumen gratiae. Die letzte Schwierigkeit, warum
Gott nicht auch die Gottlosen neit Heil kronen r.vird, ist erst durch das lumen gloriae
zu verstehen. Es scheint rnir fast notwendig, dass Luther den Gottesbegriff so tem-
poral ausf;ichern muss, da sonst die Einheit Gottes problematisch wird. Die Allmacht
ist daher nicht das potenzielle Kcinnen, sondern das aktuelie Wirken von a11em in
allem, was ilbrigens bei Luther auch der allgemeinen Vernunft einsehbar ist.3i)
In der hermeneutischen Praxis zeigt sich, dass Luther die Verstockung des Pha-
raos mit GottesWerk verbindet. Gott will vielleicht nicht die Verstockung in einem
kausalen Sinn, aber der boseWille des Pharaos wird durch Gott erhalten.3l Es wird
a1s ein Trost fiir Israel verstanden, dass Gott seinen durch Moses ofltnbarten Wil-
ien ausfiihrt, auch wenn die Macht dagegen steht.32 Aber dres geschieht ohne Ge-
Ebd. Bd. 1U,606:,Quid [...] sunrrnum mysterium proditum est, Christum filium Dei factum
hominem, Esse Deum trinunr et unum, Christum pro nobis passum et regnaturum aeternaliter?<
Ebd. Bd. 18, 606: >Sic habet mea distinctio, ut et ego parum rhetoricer vel Dialecticer, Duae res
sunt Deus et Scriptura Dei, non minus quam duae res sunt, Creator et creatura Dei. In Deo esse
multa abscondita, quae ignorenus, nemo dubitat, sicut ipsernet dicit de die extremo.<
30 Ebd. Bd. 18,719: >[...] ratio naturalis, quae necessitate illa ofTenditur et tanta molitur ad eam to1-
lendanr, cogitur eam concaedere,proprio suo iudicio convicta, etiam si nulla esset scriptura. [...]
Prirno l)eum esse omnipotentem, non solun'r potentia, sed etiam actione (ut dixi), alioqui ridi-
culus foret Deus.<
31 Ebd. Bd. 78,714: >[...] voluntatem Pharaonis naturaliter malam et aversam non posse consentire
verbo et operi Dei contrario sibi; ideo impetu volendi in Pharaone per ornnipotentiarn Dei ir.rtus
servato et occursu verbi et operis contrarii foris obiecto nihil aliud fieri potuit quanr offensio et
urduratio cordis in Pharaone.n
Ebd. lld. 18,713: >Ea res cum esset maxima, praedicit i1lis diflicultatem, ne labascant fide scientes
haec omnra praedicta et disponente ipso, qui prornrsrt, sic gerenda, ac si diceret: Libero vos qui-
dem, sed hoc ditTiculter credetis, adeo resistet et difleret rem Pharao, sed confidite nihrlominus.o
179
Die BiblischeHermeneutik Calovs
Gerade die Dinge, die Erasmus als Arlytaverstanden hatte, si.nd bekannt:Dass
chris-
rus ein Mensch geworden ist, dass Gott drei und eins ist, dass christus
fiir uns ge-
litten hat und alles regiert, ist fiir die ganze'welt otTenbart worden.zs
Klar und eindeutig ist aber nur das Wort Gottes. Viel ist in Cott verborgen'2!'
Diese Verschiebung der Zwei.deutigkeit auf den Gottesbegriffhin verschår{t
natiir-
lich die Theodizee-Problematik. Selbst wenn der gute Gott zu einem Gott m1t
Gottes
einern Janus-Angesicht zu werden droht, hålt Luther an der verborgenheit
fest, um die Totalitåt der gespaltetenWirklichkeit in Gorl festzuhalten' Er åsst dies
so zusamnlen, dass von drei Lichtern die Rede ist, und verschiebt
damit die ver-
natutae ntcht
sohnte Einheit Gottes in die Zukunft hin. Luther meint, dass das lume-n
dem Glaubenden schlecht geht'
verstehen kann, weshalb es dem Gottlosen gut und
Die Anfechtung, die damit verbunden ist, kann nicht mit der Vernunft iiberwun-
warum
den werden, sondern nur mit dern lumen gratiae. Die letzte Schwierigkeit,
durch gloriae
Gott nicht auch die Gottlosen mit Heil kronen wird, ist erst das lumen
raos mit Gottes'Werk verbindet. Gott will vielleicht nicht die Verstockung
in einem
Es wird
kausalen Sinn, aber der bosewille des Pharaos wird durch Gott erha1ten.3l
als ein Trost {iir Israel verstanden, dass Gott seinen durch Moses offenbarten wil-
ohne Ge-
ien ausfiihrt, auch wenn dre Macht dagegen steht.32 Aber dies geschieht
Ebd. Bd. 18,606: "Quid [...] sururrull.] mysterium proditum est' Christum
filium Dei factum
horninem. Esse Deurn trrnum et unum, christul.n pro nobis passun et regnaturunl aeternaliter?u
osic habet mea distinctio, ut et ego parum rhetoricer I'el Dialecticer, Duae res
Ebd. Bd. 18, 606:
cleatulå Dei- In Deo esse
sunt Deus et Scriptura Dei, non minus quam duae res sunt, creator
et
ipsemet dicit de die extremo <
multa abscondita, quae ignoremus, nemo dubitat, sicut
tanta molitur ad eanr to1
Ebd. Bd. 18,7I9:rl...l ratio naturalis, quae necessitate illa offenditur et
proprio suo iudicio convicta, etiam si nu11a esset scriptura' [ ']
lendarn, cogltur eam concaedere,
primo Deum esse omnlpotentenl, non solum potentia, sed etiam actione (ut dixi)' alioqui ridi-
culus foret Deus.-
non posse consentlre
31 Ebd. Bd. 18,774:>[...] voluntatem Pharaoms nåturaliter malam et aversan
conrrario ideo impetu volendi in Pharaone per omnipotentiam Dei intus
verbo et operi Der sibi;
fieri potuit quam ofTensio et
servato et occursu verbi et op.ris .ont.".ii foris obiecto nihii aliud
induratio cordis in Pharaone..
ne labascant fide scientes
32 Ebd. Bd. 18,713: >-Ba res cum esset maxima, praedicit illis difiicultatem,
et disponente ipso, qui promisit, sic gerenda, ac si diceret: Libero vos qut-
haec omnia praedicta
confidite nihilominus
dem. sed hoc difliculter .r.å.tir, adeo resistet et di{Ieret rem Pharao, sed
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Joar Haga
walt, indem Gott so wirkt, dass der bose wille des pharaos sich reaiisiert und
deswegen zur Verstockung kommt.33
33 Ebd.8d.18,71:l: rNunc vero, cum agatur et rapiatur volendo, non fit quidem voluntati eius vis,
quia non cogitur nolens, Sed naturali operatione Dei rapitur ad volendum naturahter, qualis qua-
lis est (est autern mala);ideo non potest non impingere in verbum et sic incluran.<
34 APPOLD, Kenneth G.: Abraham Caiov's Doctrine of Vocatio in Its Systematic Conrext, Tiibin-
gen 1998, 722: tThe external'Word does not merely rsignify( or represent Godt will and purpose,
the external'Word rs God's will,in an active rnode. [. .] If theWord,ntaterialiter,proclaims God!
forgiveness, then that proclamation - an iexternal< Word does not merely rsiEnifvr Godls pur_
-
pose; it achieves God'.s purpose.n
35 CALOV, Abrahanr: Socinismr-rs Profligatus, Hoc Est, Errorum Socinianorunr Luculenta Confuta-
tio, e s. Literis, Propriisque; Ipsorurn Testimomis, Disputationibus XXIX,Wittenberg 1652,77:
>Omne Verbum DET åli,ontotov xcri, åutonlorov est, cui credendum est per se, ideo, quod sit DEt
Verburn, quod DEUS id dicat, aut testetur, etiamsi ratio nostra id non capiat, vel assequatur.<
36 JUNG, Volker: Das Ganze der Heiligen Schrift. Herneneutik uncl SchriftauslegunE bei Abraham
Calov, Calwer Theologische Monographien, Str.rttgart 7L)L)9,311 .
37 CALOV, Abraham: Socinismus Profligatus (wie Anm.35) 76: rSocinum Verbo DEI non credere
in hrs, de quibus id ipsutn testatur, ideo quod DEUS aliquid dicar, aut tesretr-1r, sed. ea tantum de
causa, quod id, quod DEUS testatur, rationi consonum ac verum esse appareat, & per irnoåerllv
quandam, sive a priori, sive r posteriori, per c:usrs ve1 per elTecta propria id ita se habere dernon-
strarr possit.<
Die Biblische Hermeneutik Calovs 181
ren, spricht Calov von )geångener Vernunft< und Glaubensmysterien, die nicht zu
verstehen sind. Dennoch gibt es eine Klarheit der Schrift. Dass die Vernunft ge-
ången ist, bedeutet, dass die Schrift selbst ihre Auslegungslogik liefert. Calov warnt
deshalb davor, auBerhalb des Geschriebenen einen Sinn zu suchen.38
Die Realidentifikation von yerbum und res war allerdings keine zwingende Ent-
wicklung der lutherischen Flermeneutik. Flacius zum Beispiel versteht das'Wort
(sermo) ais ein Bild der Dinge.3e Die Erklårung dafiir, dass Calov drese Identifika-
tionslogik entwickelt, scheint mit christologischen Fragen verbunden zu sein. Fast
alle theologischen Sachfragen, die er im speziellen Teil der Metaphysik behandelt,
sind christologische Fragestellungen, bei denen er versucht, die Einheit zwischen
den beiden Naturen in der Person Christi zu bewahren.a0
Calov unterscheidet zr,vischen einer formalen und erner materiølen Seite der
Schrift. Der formaie Aspekt ist in einen inneren und in etnen åuJ3ereø Sinn eingeteilt,
wobei. der erste fiir die geistlicheWirkung tn der mensal, der zweite fiir die Zeichen
der Sekretåre des Heiligen Geistes steht.'Wichtig ist es, die Einheit zwischen dem
inneren und åuBeren Sinn zu bewahren. Nach Calov neigten Schwenckfeld, Osian-
der und ni.cht zuletzt die Calvinisten dazu, die Einheit realiter zu trennen. Calovs
Argument wird mit einem Hinweis auf das GleichnisJesu tiber die Samen gestiitzt:
Ohne das konkrete Saatkorn - also das uerbum externum - wåchst nichts.a2 Diese
38 Ebd.78: rQuae supra captun rationis sunt, nec nisi e Scripturis haberi possunt, in his Scripturae
clare & aperte asserenti credendum, non vero rationis iudiciun audiendum, contran apertanl
Scripturae literam, quia iudic abit ratio de ignotis, cum ca cognita non sint extra & citra Scrip-
turam, solamque revelatione divinam constent.(
39 FLACIUS ILLYRICUS, Matthias: Clavis Scripturae S. Seu de Sermone Sacrarurn Literarum, Basel
1580, 2, Sp.2, 1: )Est vero sernro nota aut imago rerum, & veluti quaedam perspicilla, per quae
res ipsas intuernur. Quare si scrnro sit vel per se. vel nobis obscurus, dilEculter ex eo res ipsas
cognosclmus.(
.+0 CALOV, Abraham: Scripta Philosophica, Ltibeck 1651, 118.
41 CALOV, Abraham: SYSTEMA LOCOI{UM THEOLOGICORUM, e Sacra Potissimum Scriptura,
& Antiquitate, Nec Non Adversariorutn Confessione, DOCTRINAM, PRAXIN, ET CONTRO-
VEI1SIARUM FIDEI, Cum Veterum, Tirm Imprimis Recentiorum Pertractationem Luculentan
Exhibens. TOMUS PRIMUS GENERALIS. De Naturam Theologiae, Religione, Revelatrone
Divinam, Scripturanr S. & Articulis Fidei in Genere. CUM EXAMINE NOVAF. THEOLOGIAE
CALIXTINAE. Adjiciuntur in Sine Capitum Quaestionum & Materiarum, Locorum Item Scrip-
turae, Autorum lJt & Rerum & Verborum lndicos,Wrttenberg 1o55.'155.
.+2 Ebd. Systema 1,455: >Errant qui cum svenckfeldio, & Osiandro Verbum Dei internum solun-r
proprie Dei Verburn esse contendunt, idque de ipso i,.6yq2 hypostatico erplicant: ve1 qui e Ca1-
vinianis verbum internum, quod in corde hontinis fructum producit ab externo scripto ve1
fiQocpoerxqD reaiiter discriminant: quurl idem semen sit, sive in agrum fertilern proiiciatur. sive
non, sive fructum ferat, vel secus, Matth. XIII. Luc. IIX.<
182 Joar Haga
materiale Seite umåsst das Ganze der Schrift mit ihren Buchstaben, Zeichen usw.a3
und ist nicht nur bestimmten Gruppen zugånglich. Es ist mit anderen'Worten der
allgemeinen Vernunft zugeordnet.aa
Aber die Identifikation von-Wort Gottes mit der Totalitåt der Schrift hat ihren
Preis. Obwohl das Ganze nicht in ein Einziges zusammen*illt - Calov hat es in ver-
schiedene Genera ausgefichert -, ist mrt dieser Bestimmung jede sachliche Kritik
an der Schrift von vornherein åst ausgeschlossen.as Man kann nicht, wie Luther,
denJakobusbrief a1s inhaltlich problematisch ansehen.a6 Es wird auch sehr schwie-
rig, zwischen Fundamentalartikein und anderen, nicht so wichtigen Lehrpunkten
zu unterscheiden.aT
Eine andere, historisch gesehen vielleicht wichtigere Probiematik betrifft Calovs
Ablehnung des kopernikanischen'Weltbildes. Hier wird die kosmologische Impli-
kation der Schriftlehre stark betont. Statt von der Trennung zwischen Philosophie
und Theologie auszugehen, wird Calov mit seinem Verstlndnis der unfehlbaren
Schrift dazu genotigt, die Bewegung der Erde abzulehnen. Die Bibel setzt ja den
Stillstand voraus.48 Das Argument ist sehr interessant, denn die Kritik der Luthera-
ner an den Calvinisten zielte sonst immer darauf ab, die Llnterscheidunp zwischen
43 Ebd. Systema 1,,156: >Materia ex quam Scripturae, qua pure materialiter consideratur sunt literae,
apices, Syllabae, verba, libri, quibus constat. Materia circa quam, prout simul ratione sensus con-
sideratur, sunt res sacrae universae in Script. comprehensae, quae diversi generis: tum historica,
Genealogica, Chronologica [. . .].<
44 Ebd. Systema 1, 457: >Obiectum, ad quod directa est Scriptura, sunt omnes homines rationis cotn-
potes, non vero solum Clerici, quos vocant.(
45 JUNG (wie Anm.36) 278.
46 LUTHER (wie Anm. 19) 39.2,199: rl11a epistola Iacobi nobis multum facescit negotii. Eam enim
solam amplectuntur reliquis onrnibus ornissis papistae. Ego hactenus solitus sun-r iam operrre et
interpretari secundum sententianl reliquae scripturae. Nam nihil ex eå contra manifestam scrip-
tllram sanctam statuendlrm esse iudicabitis. Si igitur non admittent meas interpretatlones, tum
faciam quoque ex ea vastationem.Jch wil schier denJeckel in den oflen werffen wie der pfaffvonr
Kalenberg.< Vg1. BAUR,Jorg: Sola Scriptura - historisches Erbe und bleibende Bedeutung, in
DERS.: Luther und Seine Klassischen Erben, Tiibingen 1993, 46-1,13,hier:72ff.
47 HORNIG, Gottfried: Lehre und Bekenntnis im Protestantismus, in: Handbuch der Dogmen- und
Theologiegeschichte, hg. v Carl ANDRESEN, Heidelberg 1980,71 288, hier: il3.
48 CALOV (wie Anm.41) Systema 3,1037: >Narn quantacunque probabilitatis specie n]otlls terrre
prae motu Solis aut firmamenti adstruatur, si e Scripturis certo constet, tertam immobilenr esse,
solem vero rnoveri, neno tanl erit a pietate alienus, ut malit fidem potius suis argutiis, quibus
animo suo maiorem verisimilitudinem persuasit, adhibere, quam DEI verbo, aut ut manifestam
Scripturae sententiam refragari velit, sub hac nqocpaoet, quod Scriptura loquatur solum populari-
ter & accommodet sese ad vulgares opiniones, adeoque haberi non debeant principium apodic-
ticum, sed Topicum tantim in talibus, quae Physicam eut Mathesin concernunt, neqt-1e praebeant
arguntentum inållibile; quae dicteria quåm probrosa sint in verbum DEI, articulo de Scriptura S.
ostendimus.<
183
Die Biblische Herr.neneutik Calovs
Brenz (1499 -
Glaube und Vernunft in diesen Fragen zu betonen. Schon Johannes
iiberall sein kann, lustig dar-
I570) machte sich in der Frage, in*lefern Christi Leib
von der Lokalitlt des
ilber, dass sein Gegner Heinrich Bullinger die Argumentation
stiitzte: Die Jiinger
aufersrandenen Jesus im Himmel auf die Apostelgeschichte
sahen ihn verschwitrden .'. Brenz:'Wenn dieJiinger ihn wirklich a1s eine Rakete
brauchen, bis er den (vor-
auffahren gesehen håtten, miisste er ungefdhr 500 Jahre
kopernikanischen)Himmelerrei'chthåtte'Der-Gedankewarklar:Mandarfnicht
ei.nfachArgumenteausderKosnrologieindieDogirratikiiberfiihren.a9
.WarumkonntedieTrennungzwischenPhilosophieundTheologievonCalov
calov in Kon-
nicht auch auf diesen Punkt angewandt werden? Erstens versuchte
des Glaubens vor der
rroversen immer als fheologe und Phiiosoph die Eigenart
von dem er geprågt
Vernunft zu schiitzen, trotz åes Gedankens der Enzyklopådie'
war.50 Das gilt auch fiir den vorgang der Erkenntnis.
In seinem Schlusskapitel des
mensurato<' versucht calov
ailgemeinen Teils seiner Metaphysik, r>De mensura et
zu beschreiben'
eine gemeinsame theologisch-phiiosophische Erkenntnisstruktur
indemdieSacheselbstdieNormdesErkennenssei.5lCalovwrinschtdamitden
vermeintlichenkatholischenFehlerzuVermeiden,eineNormdesphilosophischen
dre gottliche otTenbarung
Habitusauf die mystischen Dinge anzuwenden, indem er
vor menschlichen MaBståben zu schiitzen versucht'52
+9 Brenz'Johannes:DieChristologischenSchriften,hg.v.TheodorMAHLMANN,Tiibingen19Sl'
Teil 1, 158-162.
50 LEINSLE, Ulrich G.: Das Ding und die Methode.
Methodische Konstitution und Gegenstand
der Friihen Protestantischen iletaphysik, Augsburg 1985'
411 Fiir die Entwicklung der Enzy-
Topica Universalis. Eine Modellgeschichte
klopådie vgl. SCHMIDT-BIGGEMANN, wilheim:
1983'
Hun-ranistischer und Barocker Wissenschaft, Harnburg
(r,vie åotL {rn6oov yrvcboxotcrt [ "1
Anni.40) 655-657:,Metgov
5l ctALOV: Scripta Philosophica
res sunt rrensurå cogn'itlonls nostrae'
denique est, ad quam cognitio nostrå exigitur, quomodo
Vg1. auch CALOVS >Tractatus":ebd l106:
Intellectus noster rnensuratur å rebus, non mensurat.(
,sustentetquicquideidemsuperstuitur.ornnlsenincogtlitionostradependetabobiecto["]
referri vel stlb eodem corrr_
Adaequata S1t, ne qulcquan eius scientiae habeatur, quod ad obiecturrr
prchendcre ncqueat.'
'Ebd.659-66t1:,[...] . constltuunt
52 alii insuper iudicium rationis Philosophico habitu informatae
ut taceam, quae credenda sint, divina Sunt & my-
nornas credendorunl: Ineptissime. Nam alia
auten est, rnysterra divina ad inte]]ectunr
steria fidei, illa auten o,,'''i" h,I-,,'. sunt. Absurdum
hunranumexigl,atqueexaminari,cumnequideminvulgaribus&naturalibusintellectussit
natura
Sc Res ipsae prout in
norfra refum, quae cognoscrlDtur, sed res ipsae sint nornla intellectus.
neutiquarn vero cognitio nostrr vcl opinioncs Philo-
repråe\entantur. \unt normJ cognitionis'
doctorum sententiae ve1 sutliagia com-
sophorum receptae, * p.' t'""''ttt' q' traditae, ve1 conståns
rerunr; & veritatis philosophicae. Sic Mysteria prout in Scriptura revelantur
munia sunt norma
vel assensus doctorum, aliorun-rque fide-
sunt norma fidei: nec rnverti i<J debet: ut fides Ecclesiae
vel credendorum'<
liurn in Ecciesra statuatur norma mvsteriorum
184 Joar Haga
Es ist der Metaphysik zum Beispiel nicht moglich, die Gemeinschaft der drei
Personen in Gott zu er{orschen. Andererseits kann man den Vater als das, was per
analogiam als Prinzip der Gottheit gilt, verstehen, kann es also auch schon mit der
angeborenen Vernunft einsehen.53 Die Anwendung (applicatio) gllt nur als ein
deduktiver Vorgang, der einige,formaleDinge riberfiihren kann. Eine Induktion von
der materialerz Gegebenheit der Schopfung her, auf mystische Dinge angewandt, gilt
fiir Calov als ausgeschiossen.54
Zweitens bekommt man nach der Einfiihrung der analytischen Methode ein
anderes Praxisverståndnis. Dre Metaphysik als sapientia Entis, qua Entis5s sammelt
nicht nur die Natur unter ihre'Wissenschaften. Mit einbezogen ist auch - wenn auch
nur indirekt als die Grundlage fiir die Theologie * die Schrift. Calov macht deutlich,
dass diese sapientia als ein habitus verstanden wird, situiert als ein geistiges Vermdgen
tn der mens.s6 Die Theologie wird daher als etn habitus intellectualis verstanden, aber
nur in einem instrumentellen Sinne: Der habitus ist dazu da, andere zum Heil zu
fiihren.57 Luther hatte Praxis dagegen als Eråhrung verstanden, die den Theologen
zum Theologen macht.58 Obwohl Calov eine drohende Ablosung eines intellek-
tuellen und verfiigbaren-W'issens von der Schriftauslegung zu vermeiden versuchtse,
ist die Tendenz klar: Die doctrina ecclesiae wrrd rrrit den Buchstaben untermauert.
53 Ebd. 173-174: >Est autem analogiae fundamentum infinita rerum distantia. Non ea, quae
ita dicitur ob denegatarn omnem convenientiam. Æiås non nisi aequivoca ent applicatio: quae
est saltim xcra ),.6!rv. Sed propter infinitam alterius extremi prae altero excellentiam. lJnde
est in vi eminenti analogica applicatio, quae sirnul xatcr npci"1trra instituitur. E. g. Cum tribuitr-rr
dependentia Filio & Sp. S. in nysterio S. S. Tiinitatis, causarum sociarum denominatio in opere
creationis, mera est aequivocatio, dxuqo),oyla maxima, non ferenda in disciplina accurata. At curn
Pater dicitur principium reliquarum personarun & S. S. Trinitas causa salutatur Creationis: ana-
logica obtinet terrninorum applicatio. Id est, coniuncta cum relnotione omnis imperfectionis, &
eminenti solius fortnalis rationis attributione.<
54 Ebd. 17 4: >Scilicet formale transcendentium, iis, ad quae fieri potest applicatio, denegandum non
est: At neque inGrri debent conditiones materiå1es: ne ex obiecta creatura conditione res aesti-
nlentur mystlcae.(
55 Ebd. 153.
56 Ebd. 15zl: rSubiectum Metaphysicae pariter & obiectum. Illud est mens, in qua sunt habitus, non
vero liber aut scriptum; siquidem liber non sit habitualiter sapiens. Hoc est Ens qua Ens, adeoque
onrnia quae huc spectant.<
57 CALOV (wie Anm.41) Systema 1,4: >Propinquum Genus est habitus PRACTICUS, quia Theo-
logia natura sua ad praxin tendlt, & quiden prout hic spectatLlr, ut perducatur homo salutern
aeternam [...].<
58 >vera theologia est practica [...] speculativa igitur theologia, die gehort in die hell zunr Teuffel.o
Zitiert von WALLMANN,Johannes: Der TheologiebegriffbeiJohann Gerhard und Georg Calixt,
Tiibingen 1961,18.
59 Calov beschreibt wie Luther den Elwerb des theologischen hdbitus durch die Trias oratio, medita-
tio, tentatio. VgI.JUNG (wie Annr.36) 1011T.
Die Biblische Hermeneutik Calovs 185
CALOV: Socinisnus Profligatus (wie Anm. 35) 157: rSi DEUS Pharaonem induravit, eoque in pes-
sirnis actionibus usus est, Autor DEUS erit omnium gravissimi peccati indurationis, quod tamen
ipse poena gravissima in Pharaone vindicavit. DEUS a. non est autor eius, cuius est ultor, ut Fu1-
gentius. ait; ideoque tametsi induratro Pharaonis DEo ouyxcoQqtrxdrg & dcpogpqtrx6g, ut &
ålxoorutdlE subtractionem divinae gratiae & traditionern in sensum reprobun iudiciariurl ascri-
batur, non tamen DEUS ipse, sed Pharao autor indurationis constituitur Exod. VIL VIII. IX.(
61 Ebd. 15,1: TCONTROVERSIA DECIMA. An DEUS ullo modo causa sit peccati?<
62 CALOV (wie Ann.41) Systerna 10,609: oSubiectun quod in Spiritunr S. peccati, rlon est
restringendum tantim ad Doctores, vel ad tempora N. T. licet his maior 1ux affulgeat Scripturae.
Quod exemplo Pharaonis Ex. VII [...] <
CALOV: Scripta Philosophica (wie Anm.40) 5: ,Cognoscibile naturale est distinctum a Theolo-
gico. Res omnis, quae cognitionem gignit in nobis, innotescit vel e libro Naturae ve1 Scripturae.
Inde scibile llationis & Revelationis; Hoc posterius dimittitur ad Theologos, quod productio ejs
loge sit [. . .].o
186 Joar Haga
CALOV, Abraham: Isagoges Ad SS. Theologiarn Libri Duo, I)e Natura Theoloeiae, et Methodo
Studii Theologici, Pie, Dextre, Ac Feliciter Tractandi, Cum Exar.nine Methodi Calixitinæ,Witten-
berg 1666, 106: >Tåndem aggrediatur lectionern Aristotelis in Metaphys. & Commentatorum, Fon-
secæ imprirnis, ut & Suarezium ac Hr-rftad. de Mendoza, nec exercitia Disputatioria Metaphysica
negliget. TinLpleri, Campanellæ, Alstedii, Maccovii, Franconis, Burgersdicii, & id genus aliorum
Metaphysica scripta non tam lectione digna sunt, quåm Examinatione & castigatione [. .].0
LOHR, Charles H.: Metaphl,sics, in: The Cambridge History of Renaissance Philosophy, Cam-
bridge 1990, 537-638,hier:625-626: rl...l professors at the universities of'W'ittenberg,Jena,
Helmstedt and Giessen rernained suspicious of the idea of a natural knowledge of God. They
looked to metaphysics lor precise definitions ofthe technical terminologv needed in corltroversy
with Calvinists and extrenrist Lutherans.<
SPARN,Walter:'Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theo-
logie des lT.Jahrhunderts, Stuttgart 197 6, 197.
Die Biblische Hermeneutik Calovs 187
4. Schlussbemerkung
Es sind einige hermeneutische Verschiebungen innerhalb der lutherischen Theolo-
gie beschrieben worden. Luther und seine åuBere Klarheit der Schrift repråsentierte
eine Verschiebung gegenriber der humanistischen Einstellung des Erasmus'. Statt
eine auf dem Dolmetscher und seinem Interpretationsvermcigen beruhende skepti-
sche Haltung gegeniiber dem Sachverhalt vertritt Luther die Idee eines sich selbst
auslegenden biblischen Textes. Caiov versucht die Tiadition von Luther zu wahren,
indem er die Geistwirkung und die Buchslaben der Schrift aufs engste zusammen-
hålt. Die strenge Konzentration der Theologie auf die Schrift hin korreliert mit der
Moglichkeit, einen bedingten Freiraum fiir die Metaphysik einzuråumen. Es fragt
sich allerdings, ob nicht die Philosophie trotzdem durch die Theologie instrumen-
talisiert wird, wie CalovsWiderstand gegen die kopernikanischeWende bezeugt.