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Die Chinesische Schrift Und Ihre Mythen

Das Dokument diskutiert die Hypothese, dass verschiedene Schriftsysteme mit unterschiedlichen Denkweisen verbunden sein können. Es untersucht kritisch die These, dass die chinesische Schrift ideographisch sei und im Kulturkreis der chinesischen Schrift weder Grammatik noch formale Logik entwickelt worden seien. Der Autor argumentiert dagegen, dass die chinesische Schrift nicht ideographisch ist und es in China durchaus Grammatik- und Logiktraditionen gibt.

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Die Chinesische Schrift Und Ihre Mythen

Das Dokument diskutiert die Hypothese, dass verschiedene Schriftsysteme mit unterschiedlichen Denkweisen verbunden sein können. Es untersucht kritisch die These, dass die chinesische Schrift ideographisch sei und im Kulturkreis der chinesischen Schrift weder Grammatik noch formale Logik entwickelt worden seien. Der Autor argumentiert dagegen, dass die chinesische Schrift nicht ideographisch ist und es in China durchaus Grammatik- und Logiktraditionen gibt.

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FORUM

Zum Prinzip des Relativismus von Schriftsystemen -


die chinesische Schrift und ihre Mythen 1
Peter Schlobinski

Das Chinesische als Teil einer .exotischen' Kultur des fernen Ostens hat schon
immer den europäischen Geist zu allerlei Phantasien und Spekulationen
angeregt. Chinesische Schrift und Kalligraphie, Taiji und Yijing, Konfuzius und
Laotse - all dies sind Chiffren aus einem Reich der Zeichen, wie es Roland
Barthes für die japanische Kultur aufgezeichnet hat und in dem der Mythos
eines von dem europäischen differierenden Symbolsystems gefeiert wird. Häufig
dient dabei das Prinzip des sprachlichen Relativismus' - auch als Sapir-Whorf-
Hypothese bekannt - als Argumentationsfolie: „Ein Kapitel von Sapir oder
Whorf über die Chinook-, Nootka- oder Hopisprache, von Granet 2 über das
Chinesische, der Vortrag eines Freundes über das Japanische eröffnen das ganze
Spektrum des Romanhaften (...), weil sie uns eine Landschaft wahrnehmen
lassen, die unsere Sprache (die Sprache, deren Besitzer wir sind) um keinen Preis
erahnen oder entdecken könnte" (Barthes 1970: 19-20). Ein Teil dieser
mythischen Landschaft ist die ,Symbolsprache' der Chinesen, die direkt an die
Kodifizierung in Schriftzeichen gekoppelt ist und die, wie Eberhard (1987: 6) in
seinem Lexikon chinesischer Symbole feststellt, „höher zu stellen [ist] als die
einfache Sprache".
Die Mythologisierung und Mystifizierung der chinesischen Kultur und
Sprache und der alten Philosophie haben ihren Anfang nicht erst seit Beginn der
Krise der instrumentellen Vernunft in der westlichen Zivilisation, sondern
hängen zusammen mit dem jahrhundertealten Blick eines eurozentristischen
Weltbildes und der passenden Brille der lateinischen Grammatik auf eine fremde
Kultur und Sprache. Hieraus erklärt sich, dass selbst ein Kenner vieler Sprachen
und Kulturen wie Wilhelm von Humboldt die chinesische Sprache gegenüber
flektierenden als reduziert begreift, wenn er 1826 ,Ueber den grammatischen
Bau der chinesischen Sprache' schreibt: „Die Chinesische (Sprache, P.S.)
überhebt sich einer genauen, ja im Grunde aller Bezeichnung der grammatischen

1 Für Hinweise und Kommentare danke ich Klaus Bayer, Hans Bickes, Christa
Dürscheid, Andreas Guder-Manitius, Nicole Haferlandt, Markus Hernig, Olaf Krause,
Martin Lang, Otto Ludwig, Utz Maas, Ingo Plag sowie den mir unbekannten Gutachtern
der ZS.
2 Siehe Granets (1988) Buch über die chinesische Zivilisation, P.S.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 20.1 (2001), 1 1 7 - 1 4 6


© Vandenhoeck & Ruprecht, 2001
ISSN 0721-9067
118 Peter Schlobinski

F o r m e n " (von Humboldt 1968: 321), weshalb die Wörter „mehr den Übergang
eines Theils des Gedanken zum andern anzeigen" (ibid., S. 318). Das, was nicht
mit dem klassischen Grammatikkonzept aus der Indogermanistik und der
Lateintradition in Einklang zu bringen ist, hat demnach keine Grammatik. Das
Fehlen von Kasus, Tempus, Person und Numerus als Flexionskategorien wie im
(klassischen) Chinesischen wird als generelles Fehlen grammatischer Kategorien
interpretiert. Von Humboldt, für den die Sprache das bildende Organ des
Gedankens ist, knüpft den grammatischen Formenbau an das Denksystem:
„Der Gedanke, der in dem Kopfe eine ununterbrochene Einheit bildet, findet in
einer, alle Wörter organisch verknüpfenden Sprache dieselbe Stetigkeit wieder.
Durch beides verbindet ein vollendet grammatischer Formenbau den zweifa-
chen Vortheil, dem Gedanken mehr Umfang, Feinheit und Farbe zu geben und
ihn genauer und treuer darzustellen" (ibid., S. 322). Das Chinesische befinde sich
nun gegenüber „mit vollkommener Formenbezeichnung versehenen Sprachen
(...) im entgegengesetzten Fall" (ibid., S. 322). Der,Mangel' an grammatischem
Formenbau, an morphosyntaktischer Komplexität wird in der Folge auf der
Basis der Humboldtschen Klassifikation der Sprachen als isolierende, aggluti-
nierende und flektierende derart historisiert, dass das Chinesische als Fortfüh-
rung einer primitiven und alten Sprachform gesehen wird. Dass das Chinesische
indes nicht so primitiv und grammatiklos ist, wie lange Zeit behauptet wurde,
hat bereits 1881 von der Gabelentz (1952) in seiner Grammatik zum klassischen
Chinesisch 3 in überzeugender Weise demonstriert; doch trotz dieser und vieler
weiterer Arbeiten zum Chinesischen wie den herausragenden Analysen zur
philosophischen Grammatik des Altchinesischen von Harbsmeier (1979) sowie
der paradigmenbildenden Grammatik zum modernen Chinesisch von Chao
(1968) haben viele Mythen wie der des Monosyllabismus oder der einer
,grammatiklosen' Sprache überlebt.
Ein ethnozentristischer Ansatz, in dem das Prinzip des sprachlichen Relativis-
mus auf Schriftsysteme a tergo übertragen wird, findet sich in Stetters (1999)
Buch Schrift und Sprache. Dort wird der chinesische Schrifttyp mit dem System
der Alphabetschrift (der Griechen) kontrastiert und die Hypothese aufgestellt,
dass das Chinesische eine ideographische Schrift sei 4 (Stetter 1999:456) und dass
- dies ist die eigentliche provokante These - „es sicher kein Zufall [ist], d a ß sich
im Kulturkreis der chinesischen Schrift weder Grammatik noch formale Logik
entwickelt haben" (ibid., S. 13). Und: „Es hat sich also bei mir - in vielen
Begegnungen und Diskussionen mit japanischen wie chinesischen Kollegen
ebenso wie beim Einkaufen im Supermarkt von Hiyoshi - der Eindruck

3 Unter klassischem Chinesisch wird jene mehr als 2000 Jahre tradierte Literatur-
sprache verstanden, wie sie in den Werken des klassischen Altertums Chinas zwischen dem
5. und 3. Jahrhundert v.Chr. verwendet wurde.
4 Eine Position, die auch von chinesischen Linguisten vertreten wird, siehe z. B. Wang
(2000: 75).
FORUM 119

befestigt, daß mit dem fremden Typ von Schriftzeichen ein andersartiger Typ
von Denken einhergeht. Dieser Eindruck mag natürlich täuschen, nicht mehr
reflektieren als die zivilisatorischen Differenzen, denen man jenseits der
heimischen Lebensform unablässig ausgesetzt ist. Ein Faktum ist indessen, daß
sich im Kulturkreis der chinesischen Schrift weder eine formale Logik noch eine
Grammatik in ,unserem' westlichen Sinn ausgebildet hat" (ibid., S. 12). Stetter
vertritt hier eine an prominenter Stelle publizierte Position, die zum einen zwei
sich hartnäckig haltende Mythen, den Ideographie-Mythos und den Mythos der
nicht vorhandenen Logiktradition in China aufnimmt und diese Mythen
zugleich verschränkt auf der Folie des Prinzips des linguistischen Relativismus.
Dies ist eine neue Qualität im Rahmen sprachrelativistischer Ansätze, da bislang
das Chinesische als isolierender Sprachtyp in Verbindung mit vorgeblich nicht
vorhandener Logiktradition in China gebracht wurde.
Ich möchte nun im Folgenden Stetters Thesen und die Argumente dafür einer
kritischen Prüfung unterziehen, und in einem zweiten Schritt die Argumentation
auf der Folie des Prinzips des sprachlichen Relativismus und aus einem breiteren
Blickwinkel, als Stetter ihn explizit einnimmt, diskutieren. Ich werde zunächst
kurz das Prinzip des sprachlichen Relativismus rekapitulieren und anschließend
Stetters Argumente bezüglich seiner Grundannahmen wiedergeben (1). Nach
einigen Anmerkungen zur chinesischen Sprache und Grammatik (2) möchte ich
vor diesem Hintergrund zeigen, dass die chinesische Schrift weder ideographisch
ist (3) noch (4) die Annahme einer mangelnden Logik- und Grammatiktradition
gerechtfertigt ist und folglich die Ansicht, „daß erst durch die Erfindung des
griechischen Alphabets die Basis des modernen Denkens gelegt werden konnte,
(...) heute in dieser Form nicht mehr haltbar [ist]" (Guder-Manitius 1999:
24-25). Zum Abschluss werde ich die geführte Diskussion auf dem Hintergrund
relativistisch angelegter Schriftauffassungen reflektieren (5).

1. Die Hypothese des Relativismus schriftsprachlicher Systeme

Die Grundthese, dass verschiedene Sprachen mit verschiedenen Weltansichten


verbunden sind, ist Gegenstand sprachphilosophischer Betrachtungen mit
unterschiedlicher Perspektivierung und Gewichtung bei Humboldt, Heidegger,
Wittgenstein, Weisgerber, Searle u. a. und hat in der linguistischen Diskussion
ihre zentrale Bedeutung durch Whorfs sog. Prinzip des linguistischen Relativis-
mus (principle of linguistic relativity) erlangt - von Whorf seit Beginn der
vierziger Jahre vertreten. Dieses Prinzip besagt, „that all observers are not led by
the same physical evidence to the same pictures of the universe, unless their
linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated" (Whorf
1956 a: 214). Die Grammatik jeder Sprache „is not merely a reproducing
instrument for voicing ideas but rather is itself the shaper of ideas, the program
120 Peter Schlobinski

a n d guide f o r the individual's m e n t a l activity, f o r his analysis of impressions, f o r


his synthesis of his m e n t a l stock in t r a d e " (ibid., S. 212). U n d j e d e S p r a c h e „is a
vast pattern-system, different f r o m others, in which are culturally o r d a i n e d the
f o r m s a n d categories by which the personality n o t only c o m m u n i c a t e s , but also
analyzes n a t u r e , notices o r neglects types of relationship a n d p h e n o m e n a ,
channels his reasoning, a n d builds the h o u s e of c o n s c i o u s n e s s " ( W h o r f 1956 b:
252).
F ü r W h o r f sind S p r a c h e u n d Wirklichkeit so m i t e i n a n d e r verwoben, dass mit
der sprachlichen S t r u k t u r (Lexik und G r a m m a t i k ) die W a h r n e h m u n g der
Wirklichkeit u n d ihre K o n z e p t u a l i s i e r u n g assoziiert sind u n d Sprecher einer
S p r a c h g e m e i n s c h a f t ihr Weltbild in enger V e r b i n d u n g mit dieser sprachlichen
S t r u k t u r artikulieren. Diese partikularistische S p r a c h a u f f a s s u n g kollidiert mit
der universalistischen, nach der allen Sprechern welcher S p r a c h e a u c h i m m e r
eine gemeinsame objektive Welt identisch ist u n d folglich als identisch erscheint.
W h o r f (1956a: 2 0 8 - 2 1 1 ) wendet sich explizit gegen A u f f a s s u n g e n , nach denen
D e n k e n nicht a n G r a m m a t i k , s o n d e r n a n logische Gesetze g e b u n d e n ist, von
denen a n g e n o m m e n wird, dass sie f ü r alle B e o b a c h t e r des U n i v e r s u m s gleich
seien 5 . Wenn j e d o c h unterschiedlich g e m e i n s a m geteilte sprachliche Perspekti-
ven auf die Welt u n d unterschiedlich logisch f u n d i e r t e Weltbilder existieren, wie
ist es d a n n überhaupt möglich - wie es im ersten Zitat heißt (s. o.) - , dass Sprecher
ihre linguistischen H i n t e r g r ü n d e kalibrieren k ö n n e n ? W h o r f b e a n t w o r t e t die
F r a g e nach der K o m m e n s u r a b i l i t ä t ethnisch u n d kulturell f u n d i e r t e r sprachli-
cher Weltbilder nicht 6 , s o n d e r n sucht vice versa die Differenzen im empirischen
M a t e r i a l , wobei seine Analysen z u m ,zeitlosen' H o p i (eine im nördlichen
A r i z o n a gesprochene, zur uto-aztekischen Sprachfamilie zählende Sprache) eine
besondere A u f m e r k s a m k e i t e r f a h r e n h a b e n .
W h o r f s Analysen sind u n t e r m e t h o d o l o g i s c h e n A s p e k t e n nicht u n w i d e r s p r o -
chen geblieben. Eine A r g u m e n t a t i o n s l i n i e der Kritik zielt a b auf die Zirkularität
der W h o r f s c h e n Vorgehensweise. Bereits L e n n e b e r g (1953) hatte kritisiert, dass
sprachliche u n d nicht-sprachliche P h ä n o m e n e z u n ä c h s t u n a b h ä n g i g v o n e i n a n -
der beschrieben und erst d a n a c h korreliert werden d ü r f e n , da sonst die
A n n a h m e weltanschaulicher Differenzen sich (einfach) als linguistische Diffe-
renzierung darstelle. A n d e r e kritische E i n w ä n d e beziehen sich auf W h o r f s
linguistische Analyse des H o p i im engeren Sinne u n d seine unzureichende
D a t e n b a s i s . Hier sind insbesondere die materialreichen Arbeiten von M a l o t k i
(1979, 1983) h e r v o r z u h e b e n . M a l o t k i zeigt im Einzelnen, dass d a s H o p i ein

5 So auch Weisgerber, der die Frage stellt, „ob die aristotelische Logistik tatsächlich
Allgemeingültigkeit beanspruchen könne, oder ob sie nicht im Grunde eine indogermani-
sche, auf den Grundzügen des indogermanischen Sprachbaues ruhende Logik sei (womit
zugleich die Frage verbunden ist, wieweit es andere, jeweils charakteristischen Sprach-
stämmen zugeordnete Logiken gibt)" (Weisgerber 1964: 26).
6 Weiterführend hierzu Habermas (1999).
FORUM 121

differenziertes System zum Ausdruck von Temporalität aufweist sowie ein


komplexes Aspektsystem 7 . Die Binarität Futur versus Non-Futur ist sprachty-
pologisch nicht einzigartig: Im australischen Dyirbal findet sich eine analoge
Differenzierung, im Yidiny die Konzeptualisierung von Zeit in Vergangenheit
versus Non-Vergangenheit.Coming to terms linguistically with the category of
time must therefore be reckoned among genuine linguistic universals. Hopi is no
exception. [...] Thus, the thought that it might actually be impossible for a SAE
(Standard Average European languages. P.S.) speaker even to conceive the
Hopi world in its more abstract aspects of reality [...] need no longer be
alarming" (Malotki 1983:630).
In dem auf schriftsprachliche Systeme übertragenen Relativitätsprizip wird
von der These ausgegangen ,,daß das in der Idee von Grammatik sozusagen
kondensierte Sprachbild nur ein Aspekt eines formalen Weltverständnisses ist,
dessen Genese gleichfalls mit der Evolution des Alphabets zusammenhängt"
(Stetter 1999: 11). Ein derart kulturrelativistisch fundierter Standpunkt im
Hinblick auf Schriftsysteme ist nicht neu, und findet sich unter eurozentristi-
schem Blickwinkel bei Havelock (1976) und Logan (1986), die beide die Ansicht
vertreten, dass erst durch das griechische Alphabet modernes Denken und Logik
sich hätten entwickeln können. Stetter (1999) führt nun nicht nur diese
Argumentationslinie fort - wenn auch die beiden klassischen Arbeiten nicht
zitiert werden - , sondern legt zudem die chinesische Schrift und deren adaptierte
und tradierte Variante im Japanischen (Kanji) als Kontrastfolie zugrunde, wobei
er auch hier nicht auf entsprechende Vorarbeiten wie die von Granet (1920:
150ff.) verweist 8 . Logik und Grammatik habe sich in China deswegen nicht
entwickeln können, weil die Schrift der Chinesen - konträr zur Alphabetschrift -
eine solche Entwicklung blockiere. Schriften bilden Systeme, unter denen die
erkennenden Subjekte auf die Wirklichkeit zugreifen und in denen sich ihr
Denken artikuliert. Erkenntnisfähigkeit ist danach nicht nur nicht unabhängig
von Sprachstruktur und Weltsicht zu sehen, sondern ist prima facie abhängig
vom jeweiligen Schriftsystem. Stetter bezieht sich nicht explizit auf Whorf, aber
es gibt nach Stetter „eine Art linguistisches Relativitätsprinzip: Es hängt von Art
und Leistungsfähigkeit der jeweiligen Schrift ab, was als linguistisches Objekt
phänomenal in Erscheinung treten kann" (Stetter 1999: 131). Für das Chinesi-
sche nun gelte: „Die chinesische Schrift repräsentiert Morpheme bzw. Wörter,
nicht deren phonematische Artikulation" (ibid., S. 132-133). Dabei bewahre

7 D a s Chinesische kennt keine Tempusmarkierung am Verb. Es ist eine Aspektsprache,


temporale Bezüge werden lexikalisch durch Zeitsubstantive und Adverbien ausgedrückt.
8 Es muss generell kritisch angemerkt werden, dass Stetter bis auf das populärwis-
senschaftliche Buch von Lindqvist (1990) weder deutsche oder französische noch
englische, geschweige denn chinesische Sekundärliteratur angibt. (Zum Japanischen
werden fünf Bücher herangezogen.) Zur Einführung in die Kulturgeschichte und
Systematik der chinesischen Schrift seien Taylor/Taylor (1995), DeFrancis (1984) und
Liu/Zheng (1988) empfohlen.
122 Peter Sch lobi nski

die chinesische Schrift in sich einen „Kernbestand seiner Ideogramme, den


Ursprung einer jeden Schrift: bilderschriftliche Elemente" (ibid., S. 49). Das
Chinesische sei folglich eine „ideographische Schrift" (Stetter 1999: 456): „Ihre
Zeichen stellen Wörter mehr oder weniger unabhängig vom Lautsystem der
korrespondierenden Sprache dar" (ibid.). Das „mehr oder weniger" wird in
einer Fußnote (FN 163, ibid., S. 456) näher erklärt: Es bezieht sich „auf die Rolle
der sogenannten Phonogramme im Chinesischen, die jedoch Hinweise auf den
,Laut' auch nur über die Darstellung einer Bedeutung geben." Gegenüber einer
naiven Sicht der chinesischen Schrift als einem pleremischen Schriftsystem und
den daraus gezogenen Konsequenzen wird sich erweisen, dass die chinesische
Schrift allein aus einer diachronen Perspektive hinsichtlich ihrer Signifika
sinnvoll untersucht werden kann und dass Phonetizität ein wichtiger Schlüssel
zum Verständnis der chinesischen Schrift ist. Es wird sich ferner erweisen, dass
Grammatik und Logik eine Tradition in China haben, die vergleichbar ist mit
westlichen Traditionen.

2. Chinesische Sprache und Grammatik

Das Chinesische ist der Prototyp einer analytischen Sprache und sprachtypolo-
gisch dem Tai, Vietnamesischen und den Miao-Yao-Sprachen wesentlich näher
als dem Japanischen und Koreanischen, die als agglutinierende Sprachen den
Altai-Sprachen zugeordnet werden. Das, was als modernes Standardchinesisch
(Putonghua) klassifiziert wird, ist eine Koine, die auf dem Beijing-Dialekt
basiert und in Nord- und Mittelchina gesprochen wird. In China selbst gibt es 55
Minderheiten und insbesondere im Süden Chinas verschiedene, stark vom
Standardchinesischen abweichende Regiolektgruppen wie den Yue-Regiolekt,
der als Kantonesisch bekannt ist, oder die in Shanghai und im Yangtse-Delta
gesprochenen Wu-Dialekte (vgl. im Einzelnen Ramsey 1989).
Das Chinesische ist eine Tonsprache mit vier Tönen: Hochton, Steigton,
Fall-Steig-Ton und Fallton sowie ein sog. Nullton. Die Silbenstruktur ist
(C)V(C), wobei der Endrand konsonantisch allein durch den dentalen oder
velaren Nasal [η, η] gebildet werden kann. Für die Anzahl der Töne im
klassischen Chinesisch gibt es unterschiedliche Positionen, man nimmt an, dass
einer der Töne an Silben mit plosivem Endrand (p, t, k) gekoppelt war. Wörter
sind im heutigen Chinesisch poly-, vorwiegend bisyllabisch, während das
klassische Chinesisch überwiegend eine monosyllabische Sprache 9 war. Gegen-

9 „Ob das klassische Chinesisch (das erst noch zu definieren wäre) tatsächlich
monosyllabisch war oder nur monosyllabisch verschriftet wurde (weil das Schriftzeichen
eben eindeutiger war als seine Lautung), ist die Frage, die hier m. E. noch zu stellen ist. Ob
(und wann) es überhaupt je eine Zeit gab, zu der man in China tatsächlich so sprach wie
man schrieb, halte ich für fraglich" (Guder-Manitius, persönliche Mitteilung).
FORUM 123

über laienlinguistischen Vorstellungen, nach denen das Chinesische keine


Morphologie kenne, so auch Stetter (1999: 132, F N 29), weist das Chinesische
neben Pluralmorphemen bei den Personalpronomina eine Reihe von Wortbil-
dungsaffixen sowie -halbaffixen auf (vgl. Karl et al. 1993, Li/Thompson 1981:
36ff.), zudem gibt es gute Gründe für die in verschiedenen Grammatiken
vertretene Position, bestimmte Partikeln (wie die Aspektpartikeln) auf G r u n d
phonetischer und syntaktischer Eigenschaften als Suffixe zu klassifizieren.
Ferner spielt bei der Wortbildung die Reduplikation eine wichtige Rolle, die als
Afflgierungsprozess zu analysieren ist (vgl. Schlobinski 1994). Ausgehend vom
klassischen Chinesisch, der Schrifttradition und auf G r u n d des Fehlens
komplexer Morphologie bereitet die Wort- bzw. Wortartendefinition Schwierig-
keiten, denn die Wortartenbestimmung erfolgt häufig insofern zirkulär, als über
die syntaktische Funktion die Wortklasse bestimmt wird und die syntaktische
Funktion über die Wortklasse. Allerdings gibt es neben eindeutig syntaktischen
sowie lautlichen Kriterien auch morphologische: So gibt es bestimmte, an
Wortparadigmen gebundene Reduplikationsklassen, beispielsweise reduplizie-
ren nur bestimmte Adjektive nach dem Typ ABB. Bei der Wortbildung spielt die
Komposition, insbesondere die Determinativkomposition mit der Struktur
Modifikator-Modifikatum, die wichtigste Rolle. Für die Syntax gilt bekannter-
maßen, dass die topologische Struktur von entscheidender Bedeutung ist. Durch
die lateinische Brille betrachtet sind bestimmte Verbserialisierungen und
Multiverbalphrasen, syntaktische Reduplikation und Komplementstrukturen
sowie Relativierung durch Nominalisierung auffallige, weil abweichende Struk-
turmuster (zur Einführung in die Syntax vgl. Reichardt/Reichardt 1990).
In China gibt es eine lange Tradition der Sprachdeskription. Hält man sich vor
Augen, dass das klassische Chinesisch 1. ein komplexes Tonsystem hatte, 2.
überwiegend monosyllabisch und monomorphemisch war und eine starke
Korrelation zwischen Silbe, Morphem und Schriftzeichen aufwies sowie 3. in
hohem M a ß e analytisch war, so wundert es nicht, dass Derivation, Flexion und
Morphosyntax bei der linguistischen Beschreibung keine Rolle gespielt haben.
Allerdings hieraus zu schließen, es gäbe keine Grammatiktradition, reduziert
den Blick allein auf die morphologische Komponente, was andere grammatische
Aspekte außer Acht lässt und ein eingeschränktes Verständnis von Grammatik
voraussetzt. Harbsmeier (1998: 4 6 - 1 0 7 ) zeichnet die sprachwissenschaftlichen
Traditionen in China nach, die primär - analog zu den oben angeführten
Punkten - im Bereich der Phonologie und Lexikographie (erste Wortliste im
8. Jh. v. Chr.) zu sehen sind. Grammatische Kommentare erfolgen (zwar) nicht
unabhängig von der Lexikographie: „ G r a m m a r as a specialized and systematic
non-lexicographical exercise was late to develop" (ibid., S. 86), aber in Lexika
werden grammatische Partikeln gesammelt und bereits im klassischen Chine-
sisch ,volle' und ,leere Wörter' (Inhalts- und Funktionswörter) analysiert (vgl.
hierzu auch Winkler 1999). Zwar sind die Analysen nicht im Rahmen einer
grammatischen Systembildung zu sehen, aber Konzepte wie Kollokation,
124 Peter Schlobinski

semantische und grammatische Relationen sind hier bereits angelegt und


diskutiert; das, was im ,westlichen' Sinne unter Grammatik kategorisiert ist,
wird in der chinesischen Tradition unter lexikologischer Perspektive behandelt,
was angesichts vorwiegend analytischer Bildung und Gruppierung der Schrift-
zeichen nach semantischen Kriterien nicht verwundert. Man könnte die
Argumentation, es fehle eine Grammatiktradition, insofern positiv wenden, als
die chinesische Tradition modernen Ansätzen lexikalisch-funktionaler Gram-
matikansätze näher steht als philologisch oder strukturalistisch tradierten im
europäischen Kontext.
In der westlichen sinologischen Grammatiktradition ist äußerst bemerkens-
wert, dass von der Gabelentz (1953: 156 ff.) das Kasuskonzept auf das
Chinesische überträgt und einen Casus subjectivus, prädikativus, objectivus,
genitivus und adverbialis über Stellungseigenschaften bestimmt. Der Subjectivus
ergibt sich, „wenn dass Substantivum als Subjekt vor einem Verbum steht [...],
der Objectivus, wenn es hinter einem Verbum (oder einer Präposition) als deren
Regimen steht;" (von der Gabelentz 1953:157). Indem die Positionsstelle a l s - i n
diesem neuen Sinne - kasusregiert betrachtet wird, greift von der Gabelentz
modernen (deklarativen) Grammatikansätzen vor, in denen bezogen auf das
Englische Positionsrektion in eine Valenzmatrix integriert wird.

3. Der Ideographie-Mythos

Les Chinois η 'ont point des lettres proprement dites;


les signes de leur écriture,
pris en général, η 'expriment pas des prononciations,
mais des idées. La
langue parlée et la langue écrite sont donc bien
distinctes et séparées [...].
(Abel-Rémusat, Inhaber des ersten Lehrstuhls für
Sinologie in Europa)

Die chinesische Schrift ist die einzige der alten Schriften der Hochkulturen, die
bis zu den Anfangen zurückverfolgt werden kann und die gleichzeitig heute noch
geschrieben wird - diese ungebrochene Tradition über 3500 Jahre hinweg bis in
die Jetztzeit macht neben der Andersartigkeit gegenüber einer Alphabetschrift
wohl die Faszination aus, die von der chinesischen Schrift ausgeht, und dies
macht sie für die Schriftforschung auch besonders interessant. Als Vorläufer der
chinesischen Schrift werden zum einen Felsinschriften angesehen, die bis zu
10000 v.Chr. eingeordnet werden können (vgl. Chen 1989), zum anderen die
Bildmotive der Yangshao-Kultur (4115-2965 v.Chr.) und der Longshan-
Kultur (1725-1695 v. Chr). Als früheste Schriftform wird die sog. Orakelkno-
chenschrift angesetzt, die auf die Zeit der Shang-Dynastie (ca. 14.-11. Jh.
FORUM 125

v.Chr.) datiert werden konnte. Es handelt sich hierbei um Zeichen auf


Schildkrötenpanzern (wie in Abb. 1) sowie auf Schulterblättern von Hirschen
und Rindern. Die Orakelknochen wurden zur Befragung der G ö t t e r und
Ahnengeister benutzt. Auf der Außenseite des Schildkrötenpanzers oder
Schulterblattes waren Orakeltexte zu Feldzügen, Jagden, Ernten, Krankheiten,
Geburt und Tod eingeritzt sowie Zeitangaben. Die Schreibrichtung verlief im
Allgemeinen von oben nach unten und von rechts nach links (was der
klassischen Schreibrichtung chinesischer Zeichen entspricht). Auf der Innensei-
te wurden Löcher gebohrt, ohne dass die Schale d u r c h b o h r t wurde. Der
Wahrsager/Schamane steckte dann eine glühende Bronzenadel in die Löcher,
sodass die Schale zersprang. Aus der F o r m und Richtung der Sprünge konnten
dann die Antworten der Götter interpretiert werden. Diese Art der Wahrsage-

(Aus: Das alte China 1995: 210)


126 Peter Schlobinski

technik, die sog. Skapulamantie, ist noch heute bei verschiedenen Minderheiten
in China üblich.
Der in Abb. 1 gezeigte, auf das frühe 13. Jh. v. Chr. datierte Bauchpanzer einer
Schildkröte weist auf der Vorderseite eine Reihe von Schriftzeichen auf, die in
acht Feldern links und rechts der Mittellinie des Bauchpanzers so angeordnet
sind, dass die Gravuren jeweils innen an der Mittellinie beginnen, auf der
Rückseite befinden sich etwa dreißig Bohrungen für das Erhitzen. Die insgesamt
acht Inschriften beziehen sich auf Jagdexkursionen, die erste Divination (rechts
oben) lautet: ,Divination (bü) am Tag yiyöu (22. Tag des Sechzigtagezyklus):
Der Prinz (zi) begibt sich (zü) in die Hügel (qiü) von AB (nicht identifizierbarer
Ortsname), um mit dem Netz (wàng) Schweine (shï) zu fangen. Er wird welche
(Zahlenangaben: 2, 3, 4, 5) fangen 1 . In Abb. 2 sind die identifizierten und
rekonstruierten Zeichen dieses Orakeltextes zusammengestellt. In der ersten
Zeile findet sich die Orakelknochenschrift (vgl. Abb. 1 und 2), in der zweiten
Zeile die sog. Bronzeschrift (ca. 11.Jh. bis 3.Jh. v.Chr.). Bronzeinschriften
finden sich auf Glocken, Opfer- und Kochgefäßen etc. Die ,kleine Siegelschrift'
in Zeile 3 entwickelte sich aus der ,großen Siegelschrift' und wurde ca. 214-210
v.Chr. in der Qin-Dynastie vereinheitlicht. Die ,kleine Siegelschrift' als
standardisierte Form der Schrift hat für die Normierung der chinesischen Schrift
und die Vereinigung eines zentralistischen Chinas eine wichtige Rolle gespielt.
Die in der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) sich entwickelnden Schriften

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Abb.2: Zeichen der 1. Divination und ihre historische Entwicklung
(zusammengestellt nach Li 1993)
FORUM 127

(Zeilen 4 , 5 und 6), insbesondere die Normalschrift in der späten Han-Zeit (Zeile
5), führten zu einer weiteren Standardisierung und Schreibung, wie sie noch
heute in China in Gebrauch ist. In Zeile 7 findet sich eine Schreibschrift, wie sie
seit dem 3. Jh. nach Chr. benutzt wurde.
Die in Abb. 1 und 2 dargestellten Zeichen zeigen, dass die früheste Stufe der
chinesischen Schrift aus Piktogrammen und Ideogrammen bestand, die ansatz-
weise in den heute gebrauchten Zeichen direkt erkannt werden können - so
haben sich die Zeichen für ,bú' mit der heutigen Bedeutung ,Weissagung,
Vorhersage' und ,wäng' mit der heutigen Bedeutung ,Netz' kaum verändert, und
auch das Zeichen für ,yöu' ist leicht erkennbar. Diese offensichtliche Parallelität
zwischen Pikto- bzw. Ideogramm und Strichstruktur im modernen Zeichen ist
es, die den Schluss nahe legt, das chinesische Schriftsystem bewahre in sich ,,in
einem Kernbestand seiner Ideogramme, den Ursprung einer jeden Schrift:
bilderschriftliche Elemente" (Stetter 1999:49). Das Chinesische sei folglich eine
„ideographische Schrift" (Stetter 1999:456), denn: „Ihre Zeichen stellen Wörter
mehr oder weniger unabhängig vom Lautsystem der korrespondierenden
Sprache d a r " (ibid.). Verfolgen wir diesen Gedanken am Zeichen 1 0 M ,Wein,
alkoholische Getränke': Das moderne Schriftzeichen besteht aus zwei Kompo-
nenten, die linke ist die Kurzform für das selbstständig vorkommende Zeichen
für ,Wasser' Tfc. Die rechte Komponente (vgl. Abb. 2) stellt ursprünglich einen
(Wein)Krug dar. Die Assoziation ,Wasser, Flüssigkeit' und ,(Wein)Krug' zu
,Wein' ist semantisch über Analogiebildung und Prinzip der Kompositionalität
motivierbar. Bei der Analyse des Divinationstextes erwies sich das Zeichen für
yöu - ursprünglich ein Piktogramm - als Datumsbezeichnung und somit als
Ideogramm. In einem modernen Wörterbuch finden wir unter dem Zeichen M
den Eintrag „der zehnte der zwölf Erdzweige mit dem Tierkreiszeichen ,Huhn' "
(Xin H a n De cidian, 1985: 989); die Ableitung aus dem Piktogramm ist aus der
heutigen Perspektive nicht direkt möglich. Auf der anderen Seite wird das
Zeichen j i ü ' mit dem gleichen Diphthong [ou] 11 und im gleichen Ton
ausgesprochen wie ,yöu'. Die rechte Komponente gibt uns also einen Hinweis
auf die Aussprache des Zeichens. Zeichen mit einem phonetischen Indikator
werden in China traditionell als ,xiéshëng' (Harmonisierung des Lautes)
bezeichnet, in westlicher Tradition als Phonogramme. Phonogramme, die heute
einen Großteil aller Zeichen ausmachen, haben sich sehr frühzeitig entwickelt,
„als es notwendig wurde, für tausende von Wörtern Schriftzeichen zu schaffen"
(Karlgren 1974:43). Die Zeichenanzahl für vollständig oder partiell h o m o p h o n e
Wörter, für die zunächst nur ein Zeichen zur Verfügung stand, wurde dadurch
erweitert, dass einem Zeichen ein Determinativ zugeordet und in das Zeichen
integriert wurde. Verdeutlichen wird dies an den Zeichen Ñ ,Haus, Zimmer' und
2fr ,Garn spinnen' (vgl. auch Karlgren 1974: 44 ff.), die im modernen Chinesisch

10 Es werden grundsätzlich die Kurzzeichen gegeben.


11 Genau betrachtet liegt hier ein Triphthong [iou] vor, der palatalisiert wird: [tejou].
128 Peter Schlobinski

beide [fag] ausgesprochen werden, allerdings mit unterschiedlichen Tönen. In


jedem Wort ist die Komponente,fang' ^ e n t h a l t e n , der ein altes Piktogramm für
,Viereck, Quadrat' zugrunde liegt. In fang ,Haus, Zimmer' wird der Sinn durch
das Hinzufügen von Ρ ,Tor Haushalt' angegeben, in fang ,Garn spinnen' ist es
das Zeichen ,Seide'. Homonyme wurden auf der Zeichenebene durch
Determinative 1 2 differenziert, sodass sich in der Folge der Zeichenvorrat
erhöhte. Soweit die historische Dimension bezüglich der Zeichenentwicklung,
die hier nur angedeutet werden konnte.
Es ist nun ein Fehler, den auch Stetter begeht und der den Mythos der
chinesischen Schrift als ideographische nährt, die moderne chinesische Schrift
aus der Perspektive ihrer frühen Entwicklung zu sehen, wobei diachrone und
synchrone Aspekte der Schriftanalyse unzulässig verbunden werden. Bevor nun
auf die moderne chinesische Schrift näher eingegangen werden soll, ist es
notwendig, einige grundlegende Begriffe zu klären, die insbesondere für eine
Komponentenanalyse chinesischer Zeichen relevant sind. Ein chinesisches
Zeichen wird als Sinographem bezeichnet. Komplexe Sinographeme lassen sich
weiter nach Subgraphemen (,bùjiàn') analysieren; Subgrapheme, die sich durch
Minimalpaaranalyse gewinnen lassen, seien als Minimalgraphem (vgl. Guder-
Manitius 1999:177 ff.) definiert. Radikale (,bùshòu') sind Subgrapheme, die zum
Auffinden von Zeichen in einem Wörterbuch dienen. Das Radikalsystem ist also
ein Ordnungssystem für Sinographeme. Als Signifikum bezeichnen wir diejenige
Komponente eines komplexen Sinographems, „die etymologisch auf der
Bedeutungsebene einen Bezug zu dem durch das Sinographem Bezeichneten
herstellt und dabei - in Abgrenzung zu den etymonischen 1 3 Phonetika - keinen
phonetischen Bezug zu dem korrespondierenden Sprachlaut erkennen läßt"
(ibid., S. 227). Ein Phonetikum bezeichnet die Komponente eines Sinographems,
die Hinweise auf seine Aussprache gibt, wobei unterschiedliche Grade von
Phonetizität anzusetzen sind. Veranschaulichen wir uns die Begriffe an dem
bereits eingeführten Zeichen ÍS ,jiü' für deutsch ,Wein, Spirituosen'. Die linke
Komponente t ist ein Minimalgraphem, das zugleich ein Siginifikum bildet und
als Radikal fungiert. U m das komplexe Zeichen in einem Wörterbuch zu finden,
wird zunächst in einer Tabelle unter den dreistrichigen Radikalen das Radikal ΐ
identifiziert, das dann als Ausgangspunkt für die weitere Suche dient. Radikale

12 Stetter (1999: 153) spricht hier von ,semantischen Radikalen', „für die es in der
Alphabetschrift kein Analogon gibt." Die trifft für die heutigen Alphabetschriften zu, aber
es ist bemerkenswert und für die Stettersche Relativitätsthese erklärungsbedürftig, dass in
der Entwicklung der altägyptischen und der sumerischen Schrift das Prinzip der
Determination angewandt wurde, wobei die altägyptische Schrift bereits als Konsonan-
tenschrift voll entwickelt war. Zum Chinesischen sei angemerkt, dass sich (neben der
Klassifikation über die das Sinographem inkorporierte Determinative) ein komplexes
System der Nominalklassifikation entwickelt und dieses bis heute Bestand hat.
13 Etymonische Sinographeme sind solche, deren vermeintlich phonetischer Bestand-
teil auch semantischen Bezug zu seinem Sinographem zeigt.
FORUM 129

sind ein hochgradig arbiträres Instrumentarium und „sind nicht grundsätzlich


in irgendeiner Hinsicht informationstragend." (ibid., S. 53). Es ist ferner
unrichtig zu behaupten, dass in Zeichen mit einem phonetischen und semanti-
schen Anteil die semantische K o m p o n e n t e immer auch das Radikal darstelle
(vgl. ibid.), weshalb der von Stetter (1999: 133) gebrauchte Terminus „semanti-
sches R a d i k a l " irreführend ist. Die rechte K o m p o n e n t e ® ist ein - allerdings
etymonisches - Phonetikum (Hinweis auf [ou] und dritter Ton), sodass die
Differenzierung in Signifikum und Phonetikum nicht eindeutig ist.
Die zentrale Argumentationsfolie für die These, dass das Chinesische eine
ideographische Schrift sei, besteht in einer postulierten (und historisch tradier-
ten) Semantizität der Signifika, so heißt es auch bei Stetter: „Eine Sonderstellung
bewahrt sich zweifellos die chinesische Schrift dadurch, d a ß sie mit semantisch
deutbaren Radikalen operiert und somit im G r a p h i s m u s Bedeutungsanalogien
tradiert, die den Chinesisch Sprechenden in der Regel wohl erst über das
Erlernen ihrer Schrift zugänglich werden." (Stetter 1999: 139). U n d : ,Zum einen
wurden und werden je wieder dem seine Schrift lernenden Chinesen über das
Bedeutungselement des P h o n o g r a m m s semantische Analogien zwischen dem
neuen Wort und bereits gelernten wie auch noch zu lernenden nahegelegt 1 4 , zum
anderen wird seine Aufmerksamkeit über die Lautanalogie - von der Verschie-
denheit der > Töne < wird in diesem Verfahren abgesehen - auf eine
Ähnlichkeit ganz anderer Art gelenkt, die das Erstaunen d a r ü b e r geradezu
herausfordert, d a ß der gleiche Laut so Verschiedenes bedeuten k a n n " (ibid.,
S. 134).
Der schärfste Kritiker des Ideographie-Mythos ist DeFrancis (1984), der zwei
zentrale Aspekte dieses Mythos zurückweist: „ T h e first that the Chinese
characters constitute an existing system of ideographic writing. [...] The second
aspect is the validity of the ideographic concept itself. I believe it to be
completely untenable because there is no eveidence that people have the capacity
to master the e n o r m o u s n u m b e r of symbols that would be needed in a written
system that attempts to convey thought without regard to sound, which means
divorced f r o m spoken language." (DeFrancis 1984: 1 4 3 - 1 4 4 ) . DeFrancis geht
davon aus, dass sich die Semantizität der meisten Signifika im Laufe der Zeit
abgeschwächt hat, dass diese semantisch opak sind und nur noch partiell
Hinweis auf die Bedeutung eines Sinographems geben können. „Tatsächlich
stellen die ursprünglichen Bedeutungen der Sinographeme durchaus meist eine
semantische Verbindung zu ihrem Signifikum dar, nur ist diese Bedeutung im

14 Was das Lernen betrifft, geht Stetter von europäischen Lernkonzepten aus, vgl.
hingegen Lehker (1997: 55 ff.). In der von Stetter angegebenen Referenzliteratur heißt es:
„Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß sogar gebildete Chinesen keine Ahnung von
den Wurzeln ihrer Sprache hatten. Von der Grundschule bis zur Universität wird das
Lernen der Zeichen rein mechanisch betrieben, ohne unterstützende Erklärung." (Lind-
qvist 1990: 7).
130 Peter Schlobinski

heutigen Sprach- bzw. Schriftgebrauch stark hinter gewissermaßen »modernere'


Bedeutungskonzepte zurückgetreten (.. .)." (Guder-Manitius 1999: 232). Nach
einer Studie von Fei/Sun (1988) zeigt sich, dass heute „die Signifika in
Sinographemen keinesweg grundsätzlich einen Rückschluß auf die Bedeutung
des Sinographems erlauben, wie von anderen, tendenziell sinochauvinistischen
Publikationen gerne betont wird" (ibid., S. 233). D a r ü b e r hinaus weist D e F r a n -
cis (1984: 105 ff.) nach, dass nahezu 66 % aller Sinographeme einen signifikanten
phonetischen Indikator haben 1 5 : Ein anschauliches Beispiel gibt Guder-
Manitius (1999: 226), in dem mögliche etymonische Phonetika, die in allen
Sinographemen allerdings nur zu 2 % v o r k o m m e n , unterstrichen sind:

bao einwickeln / umfassen / Beutel / Blase


m bao in die Arme schließen
m bao satt / voll
η bao H^gel
m
& bao Nachgeburt
bâo Blütenknospe
& bao Abalone
& bao / pao/ pào sautieren / rösten / Kanone / Feuerwerk
fei] bao Hobel
m bao vorstehender Zahn
& bao Blütenspore
m pâo/ pào schwammig / luftgefullt / Blase
pào /pào laufen
tè pào Robe / Oberkleid
m pào Reh
m pào Hautblase
m pào Küche / Koch
ti pào brausen / heulen

Der Phonetizitätsgrad ist unterschiedlich: Neben lautlich vollständig identi-


schen Sinographemen finden sich jene, bei denen allein der Ton unterschieden
ist, und solche, die tonal und anlautend differenziert sind. DeFrancis (1984:111)
zieht daraus den Schluss: „It should be apparent that there is much justification
for considering the Chinese script to be basically - that is, more than anything
else - a phonetic system of writing." Es gibt noch weitere Argumente gegen eine
allzu einfache Konstitution graphisch-semantischer Felder durch Signifika. Es
finden sich Sinographeme, die bei gleicher oder ähnlicher Semantik unterschied-
liche Signifika aufweisen, ζ. Β. Ρ£ ,essen' mit dem Signifikum • , M u n d ' und ífií
,Essen, N a h r u n g ' mit dem t Signifikum ,Essen', andererseits treten Signifika

15 Zu anderen Untersuchungen und zu Kritik an DeFrancis vgl. Guder-Manitius


(1999: 2 1 8 - 2 2 5 ) .
FORUM 131

auf, in denen heute kein semantischer Zusammenhang zu erkennen ist, z. B. ^


,lachen' mit dem Signifikum f ϊ , B a m b u s ' 1 6 . Fassen wir die zentralen Ergebnisse
zusammen, so zeigt sich, dass in Sinographemen, die zu 9 0 % aus einem
Signifikum und Phonetikum zusammengesetzt sind, zum einen semantische
Indikatoren enthalten sind, die allerdings in vielen Fällen recht vage und
semantisch opak sind, zum anderen weisen Sinographeme in nicht unbeträchtli-
chem Maße Lautindikatoren mit unterschiedlichem Phonetizitätsgrad auf.
Ein weiterer Aspekt des Ideographie-Mythos bezieht sich auf das Lesen und
Verarbeiten von Texten: Die Sprachverarbeitung bei Sprechern, die eine
pleremische Schrift in ihrer Muttersprache verwenden, erfolge anders als bei
jenen, die eine kenemische Schrift gebrauchen. Experimente zeigen nun, dass
zumeinen einzeln repräsentierte Sinographeme von Chinesen zur Verständnissi-
cherung rasch phonetisch rekodiert werden können, also eine direkte Verbin-
dung zwischen Schrift und Sprache exisitert, zum anderen zeigen die Forschun-
gen zur chinesischen Schriftwahrnehmung, „dass - wie bei Alphabetschriften -
die kognitive Verarbeitung in der linken Hemisphäre erfolgt: „Sinographeme
werden nicht wie Bilder verarbeitet" (Guder-Manitius 1999: 72), sondern „wie
alphabetische Wörter im Gehirn auf verschiedenen Abstraktionsebenen reprä-
sentiert und gespeichert; die Zerlegung und Analyse erfolgt wie bei Alphabet-
schriften und jedweder akustischen Sprachverarbeitung primär in der linken
Hemisphäre" (ibid., S. 89).
Eine Extension des Ideographie-Mythos ist der Universalitäts-Mythos, der in
seiner schwachen Version besagt, dass Chinesen von Beijing bis Guangzhou sich
über die Schrift verständigen können, auch wenn die gesprochenen Sprachen
unterschiedlich sind, und in seiner starken Version, dass Japaner (und Koreaner)
chinesische Texte verstehen können. „Jeder schriftkundige Japaner und auch
jeder, der mit der japanischen Sprache Kenntnis des Kanji erworben hat, kann
chinesische Texte, etwa Tageszeitungen lesen und zumindest näherungsweise
verstehen, ohne Chinesisch sprechen zu können." (Stetter 1999:48). Diese These
von Stetter ist weder empirisch noch theoretisch haltbar (vgl. im Einzelnen
DeFrancis 1984: 154 ff.), auf eine weiterführende Diskussion des japanischen
Schriftsystems Kanji in Relation zum chinesischen sei an dieser Stelle verzichtet.
Fassen wir die bisher geführte Diskussion in ihrer Konsequenz zusammen:
Die These, die chinesische Schrift sei eine ideographische, ist nicht haltbar.
Allerdings ist unter diachroner Perspektive die Frage nach Signifìka in der
Entwicklung der chinesischen Zeichen interessant sowohl für die Schriftfor-
schung als auch für die Linguistik.

16 Auch wenn sich in verschiedenen Fällen eine kulturspezifische Semantik rekon-


struieren läßt (vgl. hierzu Guder-Manitius 1999: 230).
132 Peter Schlobinski

4. Logik in der chinesischen Philosophie

Der Pfeil mit Endstück hat im Flug Augenblicke, in


denen er sich nicht bewegt und solche, in denen er
nicht ruht.
(Hui Shi, ca. 370-310)

Wenn ein Jedes, sagt er, immer dann im


Ruhezustand ist, wenn es ,in dem gleichen'
( Raumstück) ist, wenn dann weiter immer das
Fortbewegte in dem Jetzt ist, so wäre der fliegende
Pfeil unbewegt. - Das aber ist ein Irrtum: die Zeit
besieht ja gar nicht aus teilbaren Jet:ten, so wie
auch keine andere Größe (aus so unteilbaren
Bestandsstücken sich aujbaut j.
(Aristoteles ( 3 8 4 - 322) über Zenons (ca. 4 9 0 - 4 3 0 )
berühmtes Beispiel des fliegenden Pfeils)

In China gibt es - wie in Europa - eine lange und anhaltende philosophische


Tradition, deren Blütezeit zwischen dem 6. und 3. Jahrhundert v. Chr. liegt, eine
Periode, in den der Konfuzianismus, Mohismus, Daoismus und Legismus als
wichtigste geistige Strömungen zu nennen sind, und es ist schon bemerkenswert
- wenn auch zunächst ein nur äußerlicher Umstand - , dass diese Paradigmen
bildende Periode für die chinesische Philosophie etwa zur gleichen Zeit liegt wie
jene der antiken griechischen Philosophie. War der Konfuzianismus eine
Philosophie weltlicher Sozialgesinnung, die ein Moralsystem postulierte, das die
hierarchische Unterordnung des Einzelnen unter gesellschaftliche Institutionen
sicherte, postulierte der Daoismus die Freiheit und Unabhängigkeit des
Menschen von der äußeren Welt und den gesellschaftlichen Zwängen, während
der Legismus in der Setzung und Durchsetzung von Gesetzen das Instrument
zur Machtausübung des (göttlichen) Herrschers sah. Das Reflektieren über
Sprache, Denken und Wirklichkeit geschah innerhalb der sog. Mingjia und
Mojia (Mohismus), und insbesondere im späten Mohismus werden Erkenntnis
und Logik Gegenstand des philosophischen Diskurses, allerdings hatte diese
philosophische Richtung - im Gegensatz zum Konfuzianismus - bei Weitem
nicht die Auswirkungen in China, wie sie die aristotelische Logik im abendländi-
schen Raum hatte. Gleiches gilt für die zweite Blütezeit der Logikreflexion im
7. und 8. Jahrhundert im chinesischen Buddhismus, auf die hier nicht eingegan-
gen wird (vgl. hierzu Harbsmeier 1998: 358-414) 1 7 . Im Folgenden nun soll

17 Harbsmeier (1998: 414) schreibt zusammenfassend hierzu: „The scientific corpus


shows that in the very abstract realm of systematic discourse logic the ancient Chinese were
capable of a rigid intellectual discipline and a high degree of theoretical explicitness which
would seem to have be fully abreast with contemporary logical theories in India, and which
in its systematicity of approach is quite sophisticated as anything that was being done in
that area during the same period in Europe."
FORUM 133

gezeigt werden, dass Grundkonzepte logischer Reflexion im alten China nicht


nur existierten, sondern mit denen der griechischen Logik verglichen werden
können 1 8 . Harbsmeier (1998: 7) formuliert dies folgendermaßen: „Logik, like
chemistry, is basically the same subject in China and Greece". Dabei will ich
mich auf die Paradoxien des Hui Shi (ca. 3 7 0 - 3 1 0 v. Chr.) sowie den berühmten
Weißes-Pferd-Dialog von Gongsun Long (ca. 320-250 v.Chr.) und den
mohistischen Kanon des Textfragments Mozi (Ende des 4. Jh. v. Chr. bis in das
3. Jh. v. Chr.) konzentrieren, die alle in einer Tradition des Argumentierens mit
Hilfe von Syllogismen stehen (vgl. Harbsmeier 1998: 278 ff.). Konzepte wie
(mehrfache) Negation, materiale Implikation, Variablen etc. sind Basiskonzepte
des Aufbaus dialogischen Argumentierens in der klassischen chinesischen
Philosophie.
Hui Shi und Gongsun Long sind Vertreter der sog. Mingjia (ming = Namen,
jiä = Schule). Unter diesem Han-zeitlichen Begriff wurden jene Philosophen
subsumiert, die als bianzhe bezeichnet wurden (biàn = Wortgefechte austragen,
zhé = Nominalisierungssuffix), also als jene, die disputieren, die „sich in
Wortgefechten bis hin zu rhetorischen Spitzfindigkeiten ergehen." (Moritz 1990:
154). Die Paradoxien des Hui Shi, die nur aus anderen Quellen überliefert sind
und deren Herleitung deshalb nicht möglich ist, „can be read, like Zeno's
paradoxes, as a series of proofs that ist impossible to divide space and time
without contradiction." (Graham 1970: 140). Ausgangspunkt der dialektischen
Reflexion Hui Shis ist These 5, von denen weitere (hier ausgewählte) Thesen
Anwendungsbeispiele sind:

These 5
Dinge, die mehr gemeinsam haben, sind verschieden von Dingen, die weniger
gemeinsam haben; das heißt kleines Verschieden-Sein. Alle Dinge sind sämtlich
gleich und sämtlich verschieden; das heißt großes Verschieden-Sein (nach
Harbsmeier 1998: 294).
Großes Gleich-Sein ist von kleinem Gleich-Sein verschieden; das heißt kleines
Gleich-Sein und kleines Verschieden-Sein. Die zehntausend Dinge ( = alle
Wesen) sind sämtlich gleich und sämtlich verschieden; das heißt großes Gleich-
Sein und großes Verschieden-Sein (Moritz 1990: 157).
These 1
Das Größte hat nichts außerhalb seiner selbst, es heißt das große Eine. Das
Kleinste hat nichts in sich, es heißt das kleine Eine.
These 2
Was ohne Dicke ist, kann nicht angehäuft werden. Doch misst seine Größe
1 000 Ii.

18 Ich stütze mich hier in erster Linie auf die Arbeiten von Forke (1964), Moritz (1990),
Zhou (1978) und insbesondere auf die äußerst materialreiche und hervorragende Arbeit
von Harbsmeier (1998).
134 Peter Schlobinski

These 3
Himmel und Erde sind gleich niedrig. Berg (Konvexes) und See (Konkaves) sind
auf der gleichen Ebene (sind gleich flach).

These 7
Ich gehe heute nach Yue, bin aber gestern dort angekommen.

These 5 besagt zunächst, dass es Dinge in der Welt gibt, die mehr gemeinsame
Merkmale haben, und solche, die weniger gemeinsame Merkmale haben. In der
Interpretation von Moritz (s.o.) besteht zwischen ersteren die Relation des
großen Gleich-Seins, zwischen letzteren die des kleinen Gleich-Seins. Unabhän-
gig davon, ob es sich um großes oder kleines Gleich-Sein zwischen den Dingen
handelt, bleibt es für Hui Shi kleines Gleich-Sein und kleines Verschieden-Sein,
da es sich um Beziehungen zwischen einzelnen Dingen handelt. Im zweiten Teil
der These wird gesagt, dass alle Dinge gleich und verschieden sind. Indem nicht
die einzelnen Dinge betrachtet werden, sondern die Gesamtheit aller Dinge,
besteht gegenüber dem kleinen Gleich- und Verschieden-Sein das große
Gleich-Sein und große Verschieden-Sein. „Die einzelnen Dinge mögen mehr
oder weniger gleich oder verschieden erscheinen - vom Standpunkt der
Gesamtheit der Dingwelt wird der Unterschied zwischen Gleich-Sein und
Verschieden-Sein absolut relativ, er löst sich a u f (Moritz 1990: 158). In These 1
werden zwei Definitionen gegeben, nach denen das Größte und Kleinste
zusammenfallen. These 2 ist eine Anwendung von These 1. Da das kleine Eine
kein Innen hat, hat es keine Dicke; das, was keine Dicke hat, ist die Fläche. „ Yet
things of size must presumably be thought of as composed of micro-ones. Thus
something which does not have size, when added to other things which also have
no size, adds up to something that has size. This is a paradoxical thought.
However, it does seem to follow the assumption that the smallest unit has no
parts or size, and that sized things are compounds of the smallest units"
(Harbsmeier 1998: 294). Das, was für das Verhältnis von groß und klein gilt,
trifft auch auf die Beziehung von hoch und niedrig (These 3) und gestern und
heute zu (These 7). Lokale und temporale Beziehungen werden relativiert und
aufgelöst.
Die erste These von Hui Shi ist interessant im Hinblick auf einen Vergleich mit
der Argumentation des Zenon nach Aristoteles. Zum Verhältnis von groß und
klein als äußersten Punkten des Wechsels heißt es: „[...] äußerster Punkt des
Wachsens ist die Grenze bei der nach Maßgabe der eigenen Naturveranlagung
vollständigen Größe, (äußerster Punkt) des Schwindens ist das Heraustreten aus
dieser" (Aristoteles, Phys. VI-10, 241b, 1995: 168). Bemerkenswert ist auch die
eingangs zitierte Parallelität hinsichtlich der Relativität von Bewegung an Hand
des fliegenden Pfeils. Aristoteles argumentiert im Hinblick auf Zenons Para-
doxon, dass Zeit nicht aus Momenten bestehe, sondern ein Kontinuum aus
Unteilbaren bildet. Die Fehlannahme, wonach der fliegende Pfeil stehenbleibt,
FORUM 135

ergibt sich dadurch, „ d a ß die Zeit aus Jetzten sich zusammensetze; gibt man das
nämlich nicht zu, so ergibt sich auch nicht der Schluß" (Aristoteles, Phys. VI-10,
239b, 1995: 164). Moritz zeigt an weiteren Vergleichen, dass „Hui Shi und
Zenon zu gleichen philosophischen Schlußfolgerungen [gelangen]. Die Form der
Beweisführung ist analog, zum Teil benutzten sie die gleichen Argumente. Es ist
für komparatives Denken ein hochinteressantes Phänomen, d a ß in unterschied-
lichen. durch Tausende von Kilometern getrennten Kulturen unabhängig
voneinander analoge Philosopheme entstanden sind. Dieses Phänomen der
Übereinstimmung beruht offensichtlich auf der im Prinzip gleichen Konfronta-
tion von Logik und Dialektik, die wiederum verbunden ist mit der allgemeinen
Tendenz des Denkens, von der unmittelbaren Anschauung zur logischen
Begründung von Zusammenhängen überzugehen" (Moritz 1990: 164).
Eine weiterführende Konfrontation von Logik und Dialektik auf einem
hohen Abstraktionsniveau findet sich in Gongsun Longs berühmten Dialog 1 9 ,
der in dem Satz mündet, dass ein weißes Pferd kein Pferd ist (Ë3 ^ # ,bái
mä fei m ä ' = weiß Pferd nicht-sein Pferd), wobei er an die Paradoxien von Hui
Shi a n k n ü p f t und zuspitzt auf die Konfrontation von Begriffs- und Dingwelt
sowie von semantischen Klassen und Eigenschaften:

A: Kann man sagen, ein weißes Pferd ist nicht ein Pferd?
B: Das kann m a n sagen.
A: Wieso das in aller Welt?
B: M i t , P f e r d ' wird die F o r m bezeichnet, mit ,weiß' bezeichnen wir die Farbe.
Die F a r b e bezeichnen ist nicht dasselbe wie die Form bezeichnen. D a r u m
sage ich, ein weißes Pferd ist nicht ein Pferd.
A: Aber wenn m a n ein weißes Pferd hat, so kann man doch nicht sagen, dass
m a n kein Pferd hat, und wenn m a n nicht sagen kann, dass man kein Pferd hat
- wie kann d a n n das Pferd kein Pferd sein? Wenn ein weißes Pferd haben also
heißt, ein Pferd zu haben, wieso ist d a n n ein weißes Pferd kein Pferd?

Protagonist Β (Gongsun Long) wird gefragt, o b ein weißes Pferd nicht ein Pferd
sei. Da ,weißes Pferd' sowohl F a r b e als auch Form/Gestalt bezeichne, kann es
nicht das Gleiche sein wie ,Pferd', das eben die Farbe nicht bezeichne.
Antagonist A hält ein empirisches Argument dagegen: Wenn man annimmt,
dass ein weißes Pferd kein Pferd sei, und man habe ein weißes Pferd, so müsste
man schlussfolgern, m a n habe kein Pferd. Aber wenn man ein weißes Pferd hat,

19 Dieser hat eine interessante Parallele im sog. Locke-Berkeley sehen Problem.


Während Locke davon ausgeht, dass ζ. Β. ,Dreieck' nur als generelle Idee von Dreieck
existiert, leugnet Berkeley die Existenz allgemeiner Dinge und erörtert dies am Beispiel
,Dreieck': Wie man es auch anlegt, man zeichnet ein Dreieck mit spezifischen Eigenschaf-
ten, es ist entweder spitzwinklig oder rechtwinklig oder stumpfwinklig, daher gibt es das
allgemeine Dreieck nicht. Eine Diskussion und mathematische Lösung des Problems
findet sich bei Beth (1957).
136 Peter Schlobinski

so hat man doch ein Pferd. Folglich, reductio ad absurdum, kann die Aussage
,Ein weißes Pferd ist nicht ein Pferd' nicht wahr sein, das heißt, ein weißes Pferd
ist ein Pferd. Nach diesem Grundschema ist der weitere Dialog aufgebaut:

B: Sucht jemand ein Pferd, so kann man ihm auch ein braunes oder schwarzes
Pferd geben. Sucht hingegen jemand ein weißes Pferd, so kann man ihm kein
braunes oder schwarzes geben. Wenn ein weißes Pferd nun nichts anderes als
ein Pferd ist, so ist das, was man sucht, gleich. Wenn aber das, was man sucht,
gleich ist, so ist ein weißes Pferd nicht von einem Pferd verschieden. Wenn
aber das, was man sucht, nicht verschieden ist, wieso kommt dann ein
braunes und schwarzes Pferd einmal in Frage und einmal nicht? Es ist
evident, dass In-Frage-Kommen und Nicht-in-Frage-Kommen sich gegen-
seitig ausschließen. So kann man braunes und schwarzes Pferd als gleich
betrachten, aber solange man sagen kann, man hat ein Pferd, kann man nicht
behaupten, dass man ein weißes Pferd hat. Deshalb ist bewiesen, dass ein
weißes Pferd kein Pferd ist.
A: Wenn man annimmt, dass ein Pferd, das eine Farbe hat, kein Pferd ist, es aber
doch auf der Welt kein Pferd ohne Farbe gibt, dann hieße das, dass es auf der
Welt keine Pferde gibt. Kann man dies sagen?
B: Pferde haben sicherlich eine Farbe, deshalb gibt es auch weiße Pferde. Hätte
ein Pferd keine Farbe, dann wäre es einfach Pferd, nichts weiter. Wie sollte
man da von einem weißen Pferd sprechen? So ist das Weiße (nicht das
Gleiche) wie Pferd. Weißes Pferd ist,Pferd' vereint mit ,weiß' . Aber ,Pferd'
vereint mit ,weiß' ist nicht (das Gleiche wie),Pferd'. Deshalb bleibe ich dabei:
Ein weißes Pferd ist nicht ein Pferd.
A: Pferd, das noch nicht mit weiß vereint ist, heißt nur Pferd. Weiß, noch nicht
mit Pferd vereint, heißt nur weiß. Pferd zusammen mit weiß - das ergibt den
zusammengesetzten Namen ,weißes Pferd'. So aber wird das Getrennte
genommen, um das Vereinte zu benennen. Deshalb ist es falsch zu sagen, dass
ein weißes Pferd kein Pferd ist.
B: Wenn du meinst, dass ein weißes Pferd ein Pferd ist, bedeutet dies, dass ein
Pferd als ein braunes gilt?
A: Das kann man nicht sagen.
B: Wenn ein Pferd etwas anderes ist als ein braunes Pferd, dann ist ein braunes
Pferd von einem Pferd verschieden. Ist ein braunes Pferd etwas anderes als
ein Pferd, dann gilt ein braunes Pferd nicht (als das Gleiche wie) als ein Pferd.
Zu sagen, ein braunes Pferd ist nicht ein Pferd, zugleich aber zu behaupten,
ein weißes Pferd ist ein Pferd, das ist, als wenn man sagt, fliegende Dinge
bewegen sich in einem Teich oder innerer und äußerer Sarg wechseln den Ort.
Das sind äußerst widersprüchliche Worte und wirre Formulierungen. [...]

Dieser (hier als Ausschnitt wiedergegebene) Dialog ist einer der meist diskutier-
ten Texte in der Philosophiegeschichte Chinas, und seine Interpretationen sind
u.a. abhängig von der grammatischen Analyse des altchinesischen Textes, was
sich auch in unterschiedlichen Übersetzungen widerspiegelt. Unabhängig
davon, wie man den Text im Einzelnen analysiert, gibt es zentrale Aspekte einer
FORUM 137

Bedeutungstheorie und einen logischen A u f b a u der Argumentationsstruktur.


Die hier gegeneinander gestellten und kontrovers diskutierten Bedeutungskon-
zepte entsprechen denen des Nominalismus und Realismus in westlicher
Tradition seit Piaton und Aristoteles 2 0 und insbesondere bei William von
Ockham. In der mittelalterlichen Philosophie steht im Zentrum die Frage, o b ein
abstraktes Objekt unabhängig von den Einzeldingen (eine universalia ante res)
sei oder nur in ihnen (in rebus) in Erscheinung trete. Aus einem sprachphiloso-
phischen Blickwinkel 2 1 reduziert sich das Problem auf die Frage, ob es ideale,
abstrakte Gegenstände gibt oder nicht. ,,Zu fragen, o b das abstrakte Objekt
unabhängig von den Einzeldingen sei oder nur in ihnen in Erscheinung trete, ist
hingegen sinnlos. Nur etwas, das selbst konkret ist, kann irgendwo sein oder an
einem selbst konkreten Objekt zur Erscheinung kommen. Wenn m a n den Begriff
der Klasse der roten Dinge oder der Eigenschaft Rot nicht überhaupt verwirft
[...], dann hat man neben den konkreten, raumzeitlich bestehenden roten
Einzeldingen ein neues ideales Objekt (nämlich die erwähnte Klasse oder
Eigenschaft oder beides) angesetzt und es kann nur mehr von j e m a n d e m gefragt
werden, o b dieses ideale Objekt von den Einzeldingen getrennt sei, der es selbst
wieder für etwas Konkretes h ä l t " (Stegmüller 1956: 207).
Für den Weißes-Pferd-Dialog sind folgende Eckpunkte relevant, wobei hier
nicht der Ort ist, den Dialog im Einzelnen einer systematischen Analyse zu
unterziehen 2 2 :
(1) Hypothese A: Ein genereller Prädikatsausdruck wie ,weiß'ist allgemein, als
er auf eine Menge von Objekten (Pferde) anwendbar ist. Hypothese B:
,Weiß-Sein' ist ein abstrakter singulärer Term, dieser hat eine analoge Funktion
wie ein N o m e n proprium, das allerdings einen konkreten singulären Term
darstellt.
(2) Das Verhältnis von F o r m (essenzielles Merkmal eines Objekts) und F a r b e
(Charakteristikum in Bezug auf ein Objekt) wird reflektiert. Eine zentrale
Argumentationsstruktur lautet, dass ein ,Pferd' das ist, mit dem wir die F o r m
benennen, ,weiß' ist das, mit dem wir die Farbe benennen. Die F a r b e benennen
ist nicht das Gleiche wie die F o r m benennen, dies impliziert, dass,weißes Pferd'
nicht das Gleiche ist wie ,Pferd' .

20 „»Weiß-sein« (als Begriff) und »als Gegenstand ,weiß' an sich haben« ist immer noch
zu unterscheiden. Und es wird neben dem, was da weiß ist, nichts Für-sich-Bestehendes
geben; denn »weiß« und »weißer Gegenstand« sind nicht als Für-sich-Bestehende, sondern
der Seinsart nach voneinander verschieden." (Aristoteles, Phys. 1-3, 186a, 1995: 6).
21 Vgl. weiterführend Tugendhat (1976:176-211). Einen ausgezeichneten historischen
und systematischen Überblick über das Universalienproblem gibt Stegmüller (1956,
1957), Searle (1997: 159-206) setzt sich meiner Ansicht nach in überzeugender Weise mit
dem Realismus-Problem auseinander.
22 Generell stellt sich hier neben dem Problem der Übersetzung die Frage, wie
sprachliche Form einer natürlichen Sprache und ,eine der arithmetischen nachgebildete
Formelsprache des reinen Denkens' aufeinanderbezogen sind.
138 Peter Schlobinski

(3) Es geht ferner um die Denotation in Bezug auf Einzellexeme versus in Bezug
auf Ausdrücke, die aus einzelnen Lexemen zusammengesetzt sind. Gegenüber
der Position, dass die Denotation von ,weißes Pferd' enger ist als die von ,weiß'
und die von ,Pferd', steht die Annahme, dass Denotate von Einzellexemen nicht
durch logische Konjunktion bzw. Disjunktion verbunden werden können. Dies
hängt zusammen mit der Unterscheidung zwischen Extension und Intension
eines Ausdrucks.
(4) Die Extension von,Pferd' ist die Klasse aller Pferde (bzw. ein Element dieser
Klasse), seine Intension hingegen die Eigenschaft, Pferd zu sein; die ,Extension
von ,weiß' ist die Klasse aller weißen Objekte, seine Intension hingegen die
Eigenschaft, weiß zu sein. Während A auf die Extension der Ausdrücke abhebt,
verweist Β auf ihre Intension. Da A auf die Klasse der Pferde abhebt, können
weiße Pferde als eine Teilklasse begriffen werden; Β hingegen verweist auf die
Eigenschaften, demnach unterscheidet sich die Eigenschaft ,weiß sein' von der
Eigenschaft,Pferd sein' und nach (2) von der Eigenschaft,weißes Pferd sein', alle
drei Ausdrücke seien intensional verschieden.
Der Argumentation liegt eine logische Struktur zu Grunde, die sich entspre-
chend formulieren lässt. Den Ausgangspunkt bildet die Hypothese, dass es
richtig (wahr) ist, dass ein weißes Pferd kein Pferd ist. Dazu wird die
Gegenhypothese gebildet, dass diese Aussage falsch ist. In Bezug auf die
Quaestio werden Argumente entwickelt, die durch Schlussverfahren (modus
tollens) die jeweilige These stützen. Im sechsten Dialogbeitrag findet sich eine
typisch mathematische Beweisführung, nämlich die des indirekten Beweises:
nach (i) der Festlegung von Voraussetzungen wird (ii) eine Annahme gesetzt,
und (iii) führt die Annahme durch Schlussverfahren zum Widerspruch, und (iv)
wird aus dem Widerspruch die gegenteilige Annahme gefolgert.
Den Höhepunkt des logischen Reflektierens und der Reflexion über Logik im
klassischen China stellt der späte Mohismus dar (ab der 2. Hälfte des 4.
Jahrhunderts v. Chr.), in dem 1. die Logik weitgehend von der Ethik getrennt
wird, 2. Logik als Teil einer Erkenntnistheorie begriffen wird, 3. Logik und
Argumentationstheorie integriert werden und 4. der Übergang von der Logik
zur naturwissenschaftlichen Analyse vollzogen wird 2 3 . Es entwickelt sich eine
Epistemologie, in der zum einen drei Typen des Wissens unterschieden werden:
Wissen durch Hören-Sagen, Wissen durch Erklärung und Wissen durch
persönliche Erfahrung (Beobachtung), zum anderen vier Gegenstände des
Wissens: Wissen über Namen (Begriffe), Wissen über Fakten (Dinge), Wissen
über die Relationierung von Namen und Objekten sowie Wissen über das
Verhalten. Im Buch Mozi heißt es: „Mit Namen (ming) werden Fakten (shi)

23 Insbesondere in den Bereichen Geometrie, Optik und Mechanik. Z.B. ,Der Kreis hat
stets gleiche Entfernung zu seinem Mittelpunkt' oder ,Die vier Ecken eines Quadrats
bilden einen Kreis'.
FORUM 139

erfaßt, durch Sätze (ci) Gedanken (yi) ausgedrückt, durch Erklärung (shuo)
G r ü n d e (gu) aufgezeigt; mit den Mitteln der Analogie wird akzeptiert und
behauptet. Was man selbst präsentiert, kann man nicht bei anderen verneinen.
Was der eigenen Sache nicht zukommt, kann man nicht von der anderer Leute
fordern" (Mozi, Kap. 45, zitiert nach Moritz 1990: 172). Die im letzten Satz
formulierte Erkenntnis entspricht dem Satz des Aristoteles vom ausgeschlosse-
nen Widerspruch: Wenn man A verneint, kann man nicht von Β verlangen, dass
er A anerkenne. Wenn A bzw. Nicht-A wahr ist, kann nicht zugleich Nicht-A
bzw. A wahr sein. Die Mohisten knüpfen an die nominalistische Position der
Mingjia an, unterscheiden aber Name/Begriff einerseits und Satz/Aussage
andererseits und entwickeln über das In-Beziehung-Setzen von Namen und
Fakten ein Regelwissen des Argumentierens, das in Form strikter logischer
Analyse expliziert wird. Bei der Argumentation geht es den Mohisten um wahre
oder falsche Aussagen, wobei u.a. die Konzepte der Negation, Quantifikation
{alle, einige), Kontradiktion, Notwendigkeit, notwendiger und hinreichender
Bedingungen, Referenz und Inferenz ausgearbeitet werden (vgl. Harbsmeier
1998: 330ff.). Ansatzpunkt der logischen Analyse im engeren Sinne bilden
kontradiktorische Propositionen, wie sie in Kapitel 73 und 74 von Mozi
dargestellt ist und hier in der (um chinesische Ausdrücke reduzierten) Überset-
zung von Harbsmeier (1998: 3 3 0 - 3 1 ) wiedergegeben werden:

Canon·. Logical analysis is contending over (claims which are) the


contradictories of each other. The alternative that prevails fits the
facts.
Explanation: One calling it ,an ox' and the other calling it ,not an ox', that
a m o u n t s to contending over (claims which are) the contradicto-
ries of each other. Such contradictory (claims) cannot both fit the
facts. If they d o not both fit the facts, then one of them necessarily
does not fit the facts. (Not like the case of making ,dog' fit the
facts.).
Canon: Contradictories are what cannot be both regarded as unaccept-
able (at the same time).
Explanation: In all cases ,an ox' is marked off from ,not an ox'. These are the
two things. There is no criterion by which these two are to be
rejected.

Begründungen erfolgen über Kausalnexus, wobei im mohistischen Kanon


zwischen xiaogu (kleiner G r u n d ) , notwendigen Bedingungen, und dagu (großer
Grund), notwendigen und hinreichenden Bedingungen, unterschieden wird. In
Kapitel 42 des Mozi wird der,kleine G r u n d ' folgendmaßen definiert, dass, ,wenn
dieses gegeben ist, so jenes nicht notwendig folgt, wenn dieses nicht gegeben ist,
so folgt jenes notwendig nicht', und der ,große G r u n d ' , dass, ,wenn dieses
gegeben ist, so folgt jenes notwendig, wenn dieses nicht gegeben ist, so folgt jenes
notwendig nicht'. „Along with the rejection of correlative and analogical
140 Peter Schlobinski

thinking, this must count as a remarkably astute additional logical distinction to


m a k e " (Harbsmeier 1998: 332).
Inwieweit die spätmohistische Logik mit der aristotelischen vergleichbar ist,
ist eine offene Frage. W ä h r e n d chinesische Wissenschaftler hier ein ebenbürtiges
logisches System sehen (Zhou 1979:42), wurde früher aus westlicher Perspektive
die Auffassung vertreten, dass dies nur in Ansätzen der Fall sei (Forke 1964:
405). Dagegen werden in neueren Ansätzen eher die Parallelen hervorgehoben:
,,Wenn man die bekannten Lücken in dem erhaltenen alten chinesischen
Schrifttum in Betracht zieht und die Taoisten, Mohisten und Logiker mit ihren
griechischen Entsprechungen vergleicht, so hat man den Eindruck, daß es kaum
einen Unterschied zwischen den antiken europäischen und chinesischen Philo-
sophien gibt, soweit es um die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens
geht" (Needham 1988: 162). Wie auch immer die Bewertungen im Einzelnen
sind, als unstrittig wird heute angesehen, dass in der chinesischen Klassik sich
Logik und formales Denken in einem außerordentlich hohen Maße entwickelt
haben. Stetters Auffassung (s.o.), dass ,sich im Kulturkreis der chinesischen
Schrift eine formale Logik in unserem westlichen Sinn nicht ausgebildet habe',
entbehrt jeder Grundlage. Eine andere, weiterführende Frage ist die. warum in
China die Logik-Reflexion nicht eine solche Verbreitung und Tradierung
erfahren hat wie in Europa. Harbsmeier betont immer wieder, dass dies nicht
monokausal beantwortet werden kann und dass nicht die Struktur der
chinesischen Sprache (vgl. u . a . Harbsmeier 1998:1 ff. und 414), geschweige denn
das Schriftsystem, hier als entscheidender F a k t o r herangezogen werden kann,
vielmehr glaubt er, einen wichtigen F a k t o r darin zu sehen, dass die Schreibpro-
zesse sich in unterschiedlichen historisch-gesellschaftlichen Kontexten unter-
schiedlich entwickelt haben.

5. Zum Relativismus von Schriftsystemen: Mythen und Realität

Die Geschichte der Schriftanalyse und der Entzifferung von Schriften ist eine
Geschichte hartnäckig bestehender Vorurteile. Dies zeigt sich nicht nur - wie
oben dargestellt wurde - hinsichtlich der chinesischen Schrift, sondern systema-
tisch d a n n , wenn piktographische Elemente in einem Schriftsystem enthalten
sind. Der Versuch der Entzifferung der altägyptischen Segmentalschrift, die sich
aus einer logographischen Vorstufe entwickelt hat, ist bis zur Entzifferung der
Hieroglyphenschrift seitens Champoillon 1822 durch systematische Irrtümer
und Fehlannahmen hinsichtlich des piktographischen Charakters gekennzeich-
net: Von der absurden Behauptung, in der ägyptischen Bilderschrift den 100.
Psalm des alten Testaments lesen zu können, bis hin zu dem Vorschlag, die
Psalmen Davids in modernes Chinesisch zu übersetzen, diesen Text in altchinesi-
sche Schriftzeichen zu transformieren, um so eine Reproduktion der ägypti-
FORUM 141

sehen Papyri zu erhalten, findet sich eine Reihe linguistisch wenig plausibler
Entzifferungsversuche, in denen der Bildcharakter als Folie der Interpretation
gesehen wurde. Wir wissen heute, dass die Phonetisierung der hieroglyphischen
Symbole zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends erfolgte, neueste
Forschungen belegen, dass bereits 3300 v. Chr. neben Semogrammen Phono-
gramme und phonetische Komplemente und Determinative verwendet wurden
(vgl. Dreyer 1998: 130ff. und 181-182). Ungeachtet der Lehren, die sich aus der
Geschichte der Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen ziehen lassen,
dauerte die grundlegende Entzifferung der Maya-Glyphen über 100 Jahre bis
zur Mitte des 20. Jahrhunderts, als Knorosov die lautliche Basis der Glyphen
entschlüsseln konnte (vgl. im Einzelnen Coe 1992). Wie bei der Entschlüsselung
der altägyptischen Hieroglyphen stellte sich für die Entschlüsselung der
Maya-Glyphen die Fixierung auf den bildlichen Gehalt der Glyphen (insbeson-
dere bei Eric T h o m p s o n ) als äußerst kontraproduktiv d a r 2 4 .
Interessant im Z u s a m m e n h a n g der Phonetizität von Schriftzeichen ist die
Tatsache, dass selbst für Petroglyphen, die als Vorläufer im Entwicklungspro-
zess der Schriftentwicklung gesehen werden, Archäologen den Bezug zur
gesprochenen Sprache herstellen: „Die prähistorischen Zeichen auf Höhlen-
wänden und beweglichen Gegenständen entsprechen wahrscheinlich bestimm-
ten Worten, Handlungen oder Situationen, die in den archaischen Sprachen
paläolithischer Stämme durch artikulierte Laute zum Ausdruck gebracht
wurden. Wenn sie für uns ein unergründliches Geheimnis darstellen, so war das
für den Menschen im Magdalenien bestimmt ganz anders. Eine Punktlinie, ein
Viereck oder ein geweihförmiges Zeichen, die unter der Erde im Schein der
Fettlampe in einer bestimmten Konstellation mit den Tierfiguren, a m A n f a n g
oder Ende eines Höhlenabschnittes, an der Schnittstelle von Hallen und
Galerien oder in Verbindung mit bildlichen Zusammenhängen auftauchten,
konnten in gesprochene Sprache umgesetzt werden" (Ruspoli 1998: 160).
Aus einem linguistischen Blickwinkel lassen sich hinsichtlich der Schriften der
Welt, sofern sie in Relation zu gesprochenen Sprachen stehen bzw. standen, ihrer
Strukturen und Funktionen einige grundlegende Aspekte formulieren. Ver-
gleicht man die Schriften der alten Hochkulturen, die altägyptische, die
sumerische und die chinesische Schrift (sowie die Indus-Schrift, von der m a n
relativ wenig weiß), von denen die ersten drei für die Entwicklung der Schriften
der Welt prägend waren, so zeigt sich, dass zum einen alle Schriften zu Beginn
Semogramme, speziell Piktogramme, aufweisen, im historischen Prozess jedoch
zunehmend und mehr oder minder stark phonetisiert wurden: Die altägyptische
Konsonantenschrift ist in hohem M a ß e und frühzeitig phonetisiert, die m o r p h o -
syllabische chinesische Schrift demgegenüber weniger stark. Eine rein pikto-

24 Thompsons „role in cracking the Maya script was an entirely negative one, as
stultifying and wrong as had been Athanasius Kircher's in holding back decipherment of
ancient Egyptain for almost two centuries" (Coe 1992: 124).
142 Peter Schlobinski

¡ pikto- / m
! logographisch i
(morphosyllabischj s
c
syllabisch h
f
(alphabetosyllabischj o
r
m
KV-Schrift e
η
alphabetisch
K-Schrift

Abb.3: A r t e n schriftlicher K o d i e r u n g s s y s t e m e n a t ü r l i c h e r S p r a c h e n

o d e r logographische Schrift o h n e P h o n e t i k a h a t sich als K o d i e r u n g s s y s t e m


natürlicher S p r a c h e n nicht entwickelt (vgl. a u c h A b b . 3), wobei hier v o n
E r f i n d u n g e n wie der Bliss-Schrift etc. a b g e s e h e n wird.
W ä h r e n d eine m o r p h o s y l l a b i s c h e Schrift wie die chinesische a m geringsten
phonetisiert ist, steht die lateinische scriptio continua a m a n d e r e n E n d e der
Phonetisierungsskala (s. hierzu Saenger 1997). N e b e n d e n A l p h a b e t s c h r i f t e n ,
die als K o n s o n a n t e n s c h r i f t u n d K o n s o n a n t - V o k a l - S c h r i f t v o r k o m m e n , gibt es
reine Silbenschriften wie die C h e r o k e e - S c h r i f t o d e r morisch-syllabische Schrift-
systeme wie die j a p a n i s c h e n Syllabare H i r a g a n a u n d K a t a k a n a 2 5 . D a s K o r e a n i -
sche ist eine A l p h a b e t s c h r i f t , die in S y l l a b o g r a m m e n a n g e o r d n e t ist ( a l p h a b e t o -
syllabische Schrift). Die drei G r u n d t y p e n v o n S c h r i f t s y s t e m e n , die m o r p h o s y l l a -
bische, die syllabische u n d die A l p h a b e t s c h r i f t treten allein u n d in Hybridsyste-
men auf. Im J a p a n i s c h e n finden sich neben H i r a g a n a u n d K a t a k a n a a l p h a b e t i -
sche Zeichen ( R o m a j i ) u n d - teilweise in d e n Strichen v e r ä n d e r t e - chinesische
Zeichen ( K a n j i 2 6 ) , wobei der G e b r a u c h der Z e i c h e n s y s t e m e f u n k t i o n a l differen-
ziert ist (vgl. im Einzelnen Taylor/Taylor 1995: 295ff.). In der M a y a - S c h r i f t
werden Z a h l e n normalerweise d u r c h P u n k t e u n d Striche wiedergegeben,
d a n e b e n bestehen f ü r Z a h l e n sog. K o p f v a r i a n t e n , P i k t o g r a m m e v o n K ö p f e n ,
die in d e m kalendarischen System , L o n g C o u n t ' v e r w e n d e t w u r d e n (vgl. C o e
1992: 112).

25 Schriftsprachlich werden die morischen Langkonsonanten in Hiragana und Kata-


kana durch das in Petit stehende Dehnungszeichen ^ bzw. 7 markiert.
26 Für die meisten Kanji-Zeichen kommen noch zwei phonetisch unterschiedliche
Lesarten hinzu: 1. on-yomi, die sino-japanische Lesart (vorwiegend in Komposita), und 2.
kun-yomi, die japanische Lesart.
FORUM 143

Die Entwicklung des jeweiligen Schriftsystems ist abhängig von den konkre-
ten sprachlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Es ist sicherlich kein
Zufall, dass sich eine Konsonantenschrift bei einer wurzelflektierenden Sprache
und eine morphosyllabische Schrift bei einem isolierenden Sprachtyp entwickelt
hat, und es ist kaum vorstellbar, dass eine Konsonantenschrift auf das
chinesische Sprachsystem angewendet werden kann wie umgekehrt eine mor-
phosyllabische Schrift auf eine wurzelflektierende Sprache. Allerdings lassen
sich auf der Grundlage linguistischer Voraussetzungen keine eindeutigen
Prognosen für die Schriftentwicklung erstellen. Obwohl man lange Zeit der
Meinung war (und viele noch heute dieser Meinung sind), das Chinesische sei
nicht durch eine Alphabetschrift kodierbar, zeigt sich, dass das seit 1958
etablierte Alphabetsystem (PInyln) in seinen Anwendungskontexten hervorra-
gend funktioniert. Und: Bereits im 17. Jahrhundert hat sich unter dem Einfluss
portugiesischer Missionare für das Vietnamesische, eine isolierende Sprache mit
sechs Tönen, eine Alphabetschrift auf der Basis lateinischer Buchstaben
entwickelt.
Neben den sprachlichen Voraussetzungen sind für die Entwicklung einer
Schrift die gesellschaftlichen Bedingungen wesentlich und vorrangig. Die
Ausbildung der altägyptischen, der sumerischen und der chinesischen Schrift
(sowie der anderen Kulturschriften) erfolgte auf der Folie komplexer arbeitstei-
liger Gesellschaftsformen. Im Vergleich zur Sprachentwicklung ist die Schrift-
en twicklung relativ j u n g (4. Jahrtausend v. Chr.) und in Zusammenhang zu
sehen mit spezifischen ökonomischen, sozialen, kulturellen und technischen
Faktoren einer sich komplex entwickelnden Kommunikationsgemeinschaft. So
zeigt Schmandt-Besserat (1978) für die altsumerischen Schriftsymbole, dass
diese im R a h m e n eines ,Buchhaltungssytems' verwendet wurden, den Ausgangs-
punkt der Schriftentwicklung stellen hier also Handelsprozesse und Verwal-
tungsakte dar. Gleiches gilt f ü r das Altägyptische: „Primär ist die Schrift in
Wirtschaft und Verwaltung benutzt und wohl auch entwickelt worden, als mit
der Ausweitung eines einheitlichen Herrschaftsgebietes die Erfassung und
Lenkung von Warenströmen erforderlich wurde" (Dreyer 1998: 181).
Ein Schriftsystem beginnt sich d a n n zu entwickeln oder wird von einer
Geberkultur übernommen, wenn ein gesellschaftliches Erfordernis besteht, das
Gedächtnis einer K o m m u n i k a t i o n unabhängig von den Interaktionsteilneh-
mern zu fixieren: „ D u r c h Schrift wird Kommunikation aufbewahrbar, unab-
hängig von dem lebenden Gedächtnis der Interaktionsteilnehmer, j a sogar
unabhängig von Interaktion ü b e r h a u p t " (Luhmann 1984: 127). Es findet eine
Entsituierung vom Hier und Jetzt der Interaktionsteilnehmer statt, die K o m m u -
nikation wird (im Bühlerschen Sinne) von der primären Origo abgelöst, indem
Produktions- und Rezeptionssituation entkoppelt sind. „Kommunikation wird,
obwohl sie nach wie vor Handeln erfordert, in ihren sozialen Effekten vom
Zeitpunkt ihres Erstauftretens, ihrer Formulierung abgelöst. [...] M a n formu-
liert f ü r unabsehbare soziale Situationen, in denen man nicht anwesend zu sein
144 Peter Schlobinski

b r a u c h t " (ibid., S. 128). Diese F u n k t i o n a l i t ä t v o n Schrift mit all i h r e n gesell-


s c h a f t l i c h e n D i f f e r e n z i e r u n g e n - F i x i e r u n g v o n rituellem, k u l t u r e l l e m Wissen,
k o m m u n i k a t i v e m H a n d e l n , ö k o n o m i s c h e n S a c h v e r h a l t e n etc. - ist u n a b h ä n g i g
v o m jeweiligen Schriftsystem: Eine A l p h a b e t s c h r i f t leistet prinzipiell d a s
Gleiche wie eine syllabische o d e r m o r p h o s y l l a b i s c h e S c h r i f t .
W e n n eine m o r p h o s y l l a b i s c h e Schrift wie die chinesische prinzipiell f u n k t i o -
nal ä q u a i v a l e n t einer A l p a b e t s c h r i f t (wie PInyTn) ist u n d a u s linguistischen
G r ü n d e n beide Systeme f ü r eine S p r a c h e genutzt w e r d e n k ö n n t e n , so stellt sich
die F r a g e , w a r u m in C h i n a eine Schrift g e b r a u c h t w i r d , bei d e r ca. 3000 Zeichen
n o t w e n d i g sind, u m eine Z e i t u n g zu lesen, u n d nicht eine h ö c h s t ö k o n o m i s c h e
A l p h a b e t s c h r i f t mit einem Z e i c h e n i n v e n t a r v o n 27 G r a p h e m e n . Die Begrün-
d u n g h i e r f ü r liegt u . a . in der T r a d i t i o n , d e r W e r t s c h ä t z u n g d e r Chinesen
g e g e n ü b e r ihrer S c h r i f t , die seit ü b e r 2000 J a h r e n d i r e k t mit d e r K a l l i g r a p h i e 2 7
v e r b u n d e n ist. Alle Versuche, die chinesische Schrift d u r c h eine latinisierte zu
ersetzen, blieben n a c h g r ö ß t e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n letztlich erfolglos; d a s
PlnyTn-System ist eine suppletive Schrift, die p r i m ä r im a k a d e m i s c h e n Kontext
ihre V e r w e n d u n g findet. Die B e w a h r u n g des kulturellen E r b e s im Hinblick auf
die chinesische Schrift wird in C h i n a h ö h e r angesetzt als Eflektivitäts- u n d
Ö k o n o m i e p r i n z i p i e n , die mit einer A l p h a b e t s c h r i f t v e r b u n d e n sind, selbst im
Zeitalter v o n I n t e r n e t u n d weltweiter K o m m u n i k a t i o n . A l l e r d i n g s wird erst die
Z u k u n f t zeigen, inwieweit im Zeitalter d e r m e d i a l e n G l o b a l i s i e r u n g Differenzie-
r u n g e n in d e r S c h r i f t k u l t u r Bestand h a b e n w e r d e n , o d e r o b nicht vielmehr eine
v o m A n g l o p h o n e n d o m i n i e r t e S c h r i f t k u l t u r u n d die d a m i t v e r b u n d e n e A l p h a -
b e t s c h r i f t (im R a h m e n eines weltweiten diglossischen Systems) als scripta franca
sich e t a b l i e r e n wird.

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27 Zur Einführung in die Kalligraphie vgl. G u o (1995).


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Eingereicht: 26.4.2000.
Überarbeitete Fassung eingereicht: 15.7.2000.

Peter Schlobinski, Universität Hannover, Seminar für deutsche Literatur und


Sprache, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover

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