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Elsen Grundzüge Morphologie

Das Dokument behandelt die Morphologie des Deutschen. Es führt in die Grundlagen der Morphologie ein und erklärt wichtige Begriffe und Konzepte. Zudem werden verschiedene Theorieansätze vorgestellt. Der Text gliedert sich in zwei Teile, einen einführenden und einen vertiefenden Teil, und behandelt Schwerpunkte wie Flexion und Wortbildung beim Nomen.

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Elsen Grundzüge Morphologie

Das Dokument behandelt die Morphologie des Deutschen. Es führt in die Grundlagen der Morphologie ein und erklärt wichtige Begriffe und Konzepte. Zudem werden verschiedene Theorieansätze vorgestellt. Der Text gliedert sich in zwei Teile, einen einführenden und einen vertiefenden Teil, und behandelt Schwerpunkte wie Flexion und Wortbildung beim Nomen.

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De Gruyter Studium

Elsen
Grundzüge der Morphologie des Deutschen
Hilke Elsen

Grundzüge der Morphologie


des Deutschen
2., aktualisierte Auflage

De Gruyter
ISBN 978-3-11-035893-3
e-ISBN 978-3-11-036930-4

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston


Einbandabbildung: Alexandru sorin Nicola/Hemera/Thinkstock
Druck: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany

www.degruyter.com
Vorwort

Endungen komplexer Wörter nutzen sich ab, sie verkürzen sich oder gehen
ganz verloren. Die Information aus den verlorenen Endungen übernehmen
kleine grammatische Wörter, die wieder mit dem Bezugswort verschmelzen
können. Der Ursprung der Wortbildung liegt oftmals in der Zusammenset-
zung zweier Wörter, von denen sich einige zu Ableitungselementen, ja Flexi-
ven entwickeln und dann verloren gehen können. Dann haben wir wiederum
Simplizia, die sich aus einem Beieinander heraus zu neuen Komposita zusam-
menfügen, und der Kreislauf beginnt von Neuem. Aus diesem Szenario grei-
fen wir uns für den vorliegenden Band die aktuellen komplexen Wörter des
Deutschen heraus und stellen sie in einen systematischen Zusammenhang,
der ihre Bauweise nachvollziehbar macht.
Dieses Buch versteht sich als Lehr- und Nachschlagewerk zur Morpholo-
gie des Deutschen und orientiert sich gezielt an den neuen modularisierten
Studiengängen. Die umfassende Darstellung von Flexion und Wortbildung
der deutschen Wörter, die auch Randerscheinungen wie Fremdaffixe oder die
Wortbildung der Präpositionen und Pronomen behandelt, ist in zwei große
Teile gegliedert, Grundlagen für Anfänger einerseits und Vertiefung für Fort-
geschrittene andererseits, damit die Anfänger bei Bedarf weiterlesen und die
Fortgeschrittenen wiederholen können.
Der Band entstand im Rahmen des Projekts Deutsche Wortbildung. Unter-
stützung kam von verschiedenen Seiten. Zahlreiche Kapitel gewannen durch
kritische Diskussionen mit Wolfgang Schindler. Karin Schlipphak las das Ma-
nuskript, nicht nur einmal, und steuerte zahlreiche Verbesserungsvorschläge
bei. Sie erstellte auch das Register. Die thailändischen Beispiele stammen von
Surachai Payawang, einige Belege im Bereich der Kontamination von Alex
Wegmaier. Von Elke Donalies kamen gute Literaturtipps. Seidl Vermessung,
Dachau, und die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderten das Projekt fi-
nanziell. Technisch-praktischen Beistand erhielt ich von Bau + Plan, Mün-
chen. Allen sei an dieser Stelle ausdrücklich und ganz herzlich gedankt.

Gewidmet sei der Band H.J.H. Oberschneitbach, im April 2010


Vorwort zur zweiten Auflage

Für die zweite Auflage wurde der Text durchgesehen, korrigiert und an eini-
gen Stellen aktualisiert. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei allen Le-
serInnen für ihr wohlwollendes Interesse und für Anregungen und kritische
Hinweise bedanken, vor allem bei Daniela Landsberg. Die Verbesserungsvor-
schläge habe ich gern entgegengenommen. Ich hoffe, dass dieses Buch auch
weiterhin eine Hilfe bei der Bewältigung von morphologischen Problemen
sein wird.

Oberschneitbach, im Februar 2014 Hilke Elsen


Inhalt

Tabellenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Schreibkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Zeichenerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

EINFÜHRUNG

1. Einführung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Einführung, Termini, morphologische Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Zeitliche und dynamische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Übungen zu 1.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Sprachtypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Theoretische Ansätze und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Anfänge, Strukturalismus, Generative Grammatik. . . . . . . . . . . . . 14
Natürliche Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Grammatikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Soziolinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Kognitive Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Übungen zu 1.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2. Einführung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Was leisten die Morpheme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Fugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Übungen zu 2.1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Fremdwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
VIII Inhalt

Der Begriff und der Aufgabenbereich der Fremdwortbildung . . . . 36


Die besonderen Probleme der Fremdwortbildung . . . . . . . . . . . . . . 37
Mehrfache Motivationsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Kombination und Substitution von Morphemen . . . . . . . . . . . 38
Allomorphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Grenzziehung zwischen Stamm und Suffix . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Abgrenzung von Morphemtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Konfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Konfixbildung und Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Rektionskomposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Endozentrisches Kompositum – exozentrisches Kompositum . . . . . . . 44
Volksetymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Übungen zu 2.2. Vertiefung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

NOMEN

3. Nomen – Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Übungen zu 3.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Deklinationstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Übungen zu 3.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Pluralbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Übungen zu 3.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Übungen zu 3.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Initialakzent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Umlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Analogie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Übungen zu 3.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

4. Nomen – Wortbildung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Komposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Determinativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Verdeutlichende Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Possessivkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Kopulativkomposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Inhalt IX

Reduplikativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Sonderfälle und Verwandtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Affixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Präfixoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Suffixoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Übungen zu 4.1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Wortbildungssemantik der Komposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Reduplikation und Reduplikativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Kopulativkomposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Affixoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Übungen zu 4.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

5. Nomen – Wortbildung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
5.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Explizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Präfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Suffigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Wortbildungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Wortbildungssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Produktive heimische Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Zirkumfigierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Implizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Übungen zu 5.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Unproduktive heimische Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Fremdaffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Die Fremdpräfixe des Deutschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Die Fremdsuffixe des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Implizite Derivation und Ablaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Übungen zu 5.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

6. Nomen – Wortbildung III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105


6.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Kurzwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Zusammenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Erleichterungsrückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
X Inhalt

Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Kunstwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Wortgruppenlexembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Übungen zu 6.1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
6.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Zusammenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Kunstwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Das Kunstwort in Abgrenzung zu Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . 121
Lautsymbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Wortgruppenlexembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Übungen zu 6.2. Vertiefung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

ADJEKTIV

7. Adjektiv – Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127


7.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Flexionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Übungen zu 7.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Das Adjektiv in der Apposition mit Personalpronomen . . . . . . . . 131
Übungen zu 7.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Allomorphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Komparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Allomorphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Übungen zu 7.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
7.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Übungen zu 7.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Komparation – Flexion oder Derivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Besondere Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Zahlwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Pronominaladjektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Partizip Präsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Übungen zu 7.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Inhalt XI

8. Adjektiv – Wortbildung I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


8.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Komposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Determinativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Wortbildungssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Possessivkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Kopulativkomposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Verdeutlichende Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Reduplikativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Affixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Präfixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Suffixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Übungen zu 8.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
8.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Komposition und die Abgrenzung zu anderen Wortbildungsarten . . 152
Einige nicht mehr ganz durchsichtige komplexe Adjektive . . . . . . . . . 156
Übungen zu 8.2. Vertiefung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

9. Adjektiv – Wortbildung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


9.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Explizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Präfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Suffigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Zirkumfigierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Implizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Kurzwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Zusammenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Erleichterungsrückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Übungen zu 9.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
9.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Fremdaffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Fremdpräfixe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Fremdsuffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Übungen zu 9.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
XII Inhalt

VERB

10. Verb – Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175


10.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Übungen zu 10.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Verbtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Übungen zu 10.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Übungen zu 10.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Konjugationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Übungen zu 10.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
10.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Übungen zu 10.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Allomorphie und Homonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Ablaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
e/i-Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Brechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Grammatischer Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Präteritopräsentia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Rückumlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Umlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Übungen zu 10.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

11. Verb – Wortbildung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198


11.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Determinativ- und Kopulativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Zusammenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Trennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Erleichterungsrückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Wortbildungssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Affixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Übungen zu 11.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Inhalt XIII

11.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204


Problembereich Kompositum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
V+V-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
N+V-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
ADJ+V-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
ADV+V-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Reduplikativkompositum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Problembereich Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Übungen zu 11.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

12. Verb – Wortbildung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211


12.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Explizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Präfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Wortbildungssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Suffigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Zirkumfigierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Implizite Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Übungen zu 12.1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
12.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Problembereich Ableitung: der Sonderfall Partikelverb . . . . . . . . . . . . 225
Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Betonbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Trennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Der Begriff Partikelverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Diachrones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Fremdsprachliche Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Übungen zu 12.2. Vertiefung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

ADVERB UND ARTIKEL

13. Adverb und Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233


13.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Adverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Determinativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Kopulativkomposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
XIV Inhalt

Reduplikativkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Zusammenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Zusammenrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Präfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Suffigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Affixoidbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Zirkumfigierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Übungen zu 13.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
13.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Adverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Adverb und Adjektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Adverb und Pronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Problemfall Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Artikel – Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Übungen zu 13.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

ANDERE WORTARTEN

14. Andere Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245


14.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Übungen zu 14.1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Pronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Pronomen – Flexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Pronomen – Wortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Präposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Konjunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
14.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Interjektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Partikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Übungen zu 14.2. Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Inhalt XV

Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Tabellenübersicht

Tabelle 1: Schwache, gemischte und starke Flexion beim Nomen . . . . 50


Tabelle 2: Deklinationstypen: im Singular unveränderlich,
Eigennamen, Mischung stark/schwach . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Tabelle 3: Deklination der Lexeme auf Vollvokal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Tabelle 4: Deklination der Fremdwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Tabelle 5: Nominale Plurale im Idg. und Ahd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Tabelle 6: Deklination von Bote im Ahd. und Mhd. . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Tabelle 7: Zusammenfassung der Merkmale von Affixoiden . . . . . . . . 75
Tabelle 8: Die produktiven heimischen Präfixe der Nomen . . . . . . . . . 80
Tabelle 9: Die produktiven heimischen Suffixe der Nomen . . . . . . . . . . 83
Tabelle 10: Die produktiven fremden Präfixe der Nomen . . . . . . . . . . . . 93
Tabelle 11: Die produktiven fremden Suffixe der Nomen . . . . . . . . . . . . 96
Tabelle 12: Wortbildungsarten der Nomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Tabelle 13: Starke Adjektivflexion (ohne Artikel, nach dessen,
wessen, deren, etwas, …) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Tabelle 14: Schwache Adjektivflexion (nach bestimmtem Artikel,
dieser, jeder, derselbe, derjenige, …) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Tabelle 15: Gemischte Adjektivflexion (nach unbestimmtem
Artikel, kein, mein, ...) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Tabelle 16: Die Adjektivflexive im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Tabelle 17: Die Adjektivflexion in der Apposition
nach Personalpronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Tabelle 18: Die produktiven heimischen Präfixe der Adjektive . . . . . . . 157
Tabelle 19: Die produktiven heimischen Suffixe der Adjektive . . . . . . . . 158
Tabelle 20: Wortbildungsarten der Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Tabelle 21: Die produktiven fremden Präfixe der Adjektive . . . . . . . . . . 169
Tabelle 22: Die produktiven fremden Suffixe der Adjektive . . . . . . . . . . 172
Tabelle 23: Grammatische Kategorien des Verbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Tabelle 24: Schwaches Vollverb schweben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Tabelle 25: Rückumlautendes Vollverb rennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Tabelle 26: Starkes Vollverb gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Tabelle 27: Starkes Vollverb fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Tabelle 28: Modalverb dürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Tabelle 29: Hilfsverb sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Tabelle 30: Stammformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Tabelle 31: Die ersten drei Ablautreihen im Indogermanischen . . . . . . . 191
Tabelle 32: Die vierte Ablautreihe im Indogermanischen . . . . . . . . . . . . 191
XVIII Tabellenübersicht

Tabelle 33: Die fünfte Ablautreihe im Indogermanischen . . . . . . . . . . . . 191


Tabelle 34: Die sechste Ablautreihe im Indogermanischen . . . . . . . . . . . 192
Tabelle 35: Die sieben Ablautreihen im Neuhochdeutschen . . . . . . . . . . 192
Tabelle 36: Grammatischer Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Tabelle 37: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben,
Gruppe a: untrennbar, unbetont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Tabelle 38: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben,
Gruppe b.1: unfest, immer betont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Tabelle 39: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben,
Gruppe b.2: +/- fest, +/- betont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Tabelle 40: Die produktiven heimischen Suffixe der Verben . . . . . . . . . . 222
Tabelle 41: Die produktiven heimischen Zirkumfixe der Verben . . . . . . 223
Tabelle 42: Wortbildungsarten der Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Tabelle 43: Die produktiven fremden Präfixe der Verben . . . . . . . . . . . . 230
Tabelle 44: Das produktive fremde Suffix der Verben . . . . . . . . . . . . . . . 231
Tabelle 45: Die produktiven Suffixe der Adverbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Tabelle 46: Wortbildungsarten der Adverbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Tabelle 47: Die Flexion des definiten Artikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Tabelle 48: Die Flexion des indefiniten Artikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Tabelle 49: Die Flexion des Personalpronomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Tabelle 50: Die Flexion des Reflexivpronomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Tabelle 51: Die Flexion des Possessivpronomens,
bezogen auf den Besitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Tabelle 52: Die Flexion des Possessivpronomens,
bezogen auf den Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Tabelle 53: Die Flexion des Demonstrativpronomens dieser . . . . . . . . . . 249
Tabelle 54: Wortbildungsarten der Pronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Tabelle 55: Wortbildungsarten der Präposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Tabelle 56: Wortbildungsarten der Konjunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Tabelle 57: Wortbildungsarten der Interjektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Schreibkonventionen

einfache Hochkommas: Bedeutung: ‘vwxyz’


kursiv: Beispielwort: vwxyz
gesperrt: Fachbegriff, der definiert wird: vwxyz
Asterisk: falscher bzw. rekonstruierter Ausdruck: *vwxyz
Fragezeichen: Richtigkeit eines Ausdrucks unsicher: ?
vwxyz
spitze Klammern: graphematische Einheiten: <vwxyz>
geschweifte Klammern: morphologische Einheit: {vwxyz}
Schrägstriche: phonologische Einheiten: /vwxyz/
eckige Klammern: phonetische Einheiten: [vwxyz]
Punkt: Silbengrenze: vwx.yz

Abkürzungen

ADV Adverb
ADJ Adjektiv
Ahd. Althochdeutsch, bezogen auf die Schreibsprache im hochdeut-
schen Raum etwa vom 6. bis 7. Jahrhundert bis Notker (11. Jahr-
hundert), eher zeitlich und nicht wie heute als Standardsprache
zu verstehen
Akk. Akkusativ
Bair. Bairisch
Dat. Dativ
F. Femininum/weiblich
Fnhd. Frühneuhochdeutsch, frühe Form des Neuhochdeutschen, et-
wa 1350 bis 1600
G. Germanisch
Gen. Genitiv
Got. Gotisch
Gr. Griechisch
Idg. Indogermanisch
Ind. Indikativ
Lat. Lateinisch
M. Maskulinum/männlich
XX Abkürzungen

Mhd. Mittelhochdeutsch (nach dem Ahd. bis etwa Mitte des 14. Jahr-
hunderts, eher zeitlich und nicht wie heute als Standardsprache
zu verstehen)
Mndd. Mittelniederdeutsch
Mndl. Mittelniederländisch
N Nomen, hier gleichbedeutend mit Substantiv verwendet
N. Neutrum/sächlich
Ndd. Niederdeutsch
Ndl. Niederländisch
Nhd. Neuhochdeutsch (1350 bis 1600: Frühneuhochdeutsch)
Nom. Nominativ
Pers. Person
Pl. Plural/Mehrzahl
Präs. Präsens
Prät. Präteritum
PRO Pronomen
PRÄP Präposition
Russ. Russisch
Sg. Singular/Einzahl
UL Umlaut
V Verb
vgl. vergleiche!
vs. versus/gegenüber („vergleiche mit!“)

Zeichenerklärung

ā Der Balken zeigt an, dass der Vokal lang gesprochen wird (eigentlich ā
für idg., â für g., ahd., mhd., a: für nhd. Ausdrücke)
æ das phonetische Zeichen steht für einen offenen ä-Laut wie in englisch
that
ƀ frikativ gesprochen, also wie w in Wasser (g. stimmhafter labialer Rei-
belaut)
đ frikativ gesprochen, also wie th in engl. this (g. stimmhafter dentaler
Reibelaut)
ë kurzes offenes e (aus g. a, im Ahd., Mhd.)
ə Schwa, unbetontes e wie in Dusche
ç das phonetische Zeichen steht für einen Konsonanten wie in dt. ich
Zeichenerklärung XXI

ϸ das graphische Zeichen bezieht sich auf das stimmlose „th“ im Eng-
lischen wie in thorn ‘Dorn’, dies ist auch der Name des Zeichens (g.
stimmloser interdentaler Reibelaut)
χ das phonetische Zeichen steht für einen Konsonanten wie in dt. Dach
* Asterisk, rekonstruierter oder falscher Ausdruck
?
Form nicht eindeutig akzeptabel, weder ganz richtig noch falsch
Im Anfang war die Komposition
Walter Henzen

Einleitung

Das Buch ist in zweimal 14 Kapitel eingeteilt, die auf die entsprechenden Un-
terrichtseinheiten zugeschnitten sind. Die Kapitel sind im ersten Teil für den
Einführungskurs gedacht. Sie klären Termini und Grundfragen und üben
wissenschaftliche Verfahrensweisen ein. Sie sind synchron ausgelegt. Die da-
ran anschließende Vertiefung ist für das Fortgeschrittenenseminar oder das
Hauptseminar gedacht, für das der erste Teil als Wiederholung dient. Sie be-
schäftigt sich mit problemorientierten Diskussionen und diachronen Aspek-
ten und gibt Literaturhinweise. Morphologische Analysen stellen bestimmte
Anforderungen, die dieses Buch vermitteln will. Dabei soll es praktisch in
der Handhabung sein und in die etablierte Terminologie einführen. Denn die
unterschiedliche Verwendung der Begrifflichkeiten stellt in der Morphologie,
speziell in der Wortbildung, wohl eine der größten Schwierigkeiten nicht nur
für die StudentInnen dar. Hier war es oft unvermeidlich, Stellung zu beziehen.
Im Mittelpunkt der Grundzüge steht das heutige Deutsch. Da aber eine
rein synchrone Betrachtungsweise den sprachlichen Fakten nicht gerecht
werden kann, ergänzen gegebenenfalls historische Informationen die Darstel-
lung, denn das Heute als Ergebnis vom Gestern können wir beschreiben, aber
nur mit dem Gestern auch verstehen.
Die Kapitel werden durch Übungen zur Wiederholung und Vertiefung
ergänzt. Für die Lösung der Aufgaben sind auch Nachschlagewerke zum
Wortschatz allgemein, zur Wortgeschichte und zum Fremdwortschatz heran-
zuziehen. Die Übungen sollen generelle Arbeitstechniken wie das Rezipieren
von Fachtexten, Nachschlagen und wenn möglich eigenes wissenschaftliches
Formulieren in Stil und Form schulen.
Die Einführung setzt Grundlagenwissen auf Basis allgemeiner linguisti-
scher Einführungen voraus, geht aber trotzdem auf die relevanten Begriffe
ein.

Dieses Zeichen kündigt Analysebeispiele und praktische Hinweise zum Vor-


gehen an: Der Grundlagenteil kann begleitend bzw. vertiefend ergänzt wer-
den durch ausführliche Werke wie die von Fleischer/Barz, Simmler oder die
entsprechenden Kapitel in der Dudengrammatik, denn um der leichteren
Lesbarkeit willen wird zunächst auf Literaturhinweise verzichtet. Für die Ver-
XXIV Einleitung

tiefungskapitel empfiehlt sich außerdem der Blick in ein etymologisches Wör-


terbuch wie den Kluge oder Pfeifer. Die Studierenden sollten die Übungen
gewissenhaft, möglichst in Gruppen und mit schriftlich fixierten Lösungen
bearbeiten, weil sich erst im Gespräch und während des Schreibens so manche
Wissenslücken und Unsicherheiten offenbaren. Insgesamt sollten Sie mehr als
nur hören und lesen; zur Vertiefung kann eine eigene, laut formulierte Versi-
on eines Gedankengangs oder einer Definition schon helfen, auch die nach-
trägliche Analyse eines Analysebeispiels ohne Hilfe des Buches – je mehr Ka-
näle Sie bei der Informationsverarbeitung nutzen, desto effektiver lernen Sie!
Und selbstverständlich reicht das einmalige Durcharbeiten nicht. Erst
wenn Sie Kapitel und Themen wiederholen, werden Sie den nötigen Überblick
für eine erfolgreiche Analyse gewinnen. Planen Sie also genügend Zeit ein!

Solche Abschnitte weisen auf Fehlerquellen hin und geben Diskussionshilfen.

Unter diesem Symbol finden Sie Hinweise zu weiterführender Literatur. Fol-


gende Werke waren für den vorliegenden Band wegweisend, vor allem für die
Grundlagenkapitel: Duden, Band 4, Die Grammatik, Mannheim 2006; Flei-
scher, Wolfgang/Barz, Irmhild, Wortbildung der deutschen Gegenwartsspra-
che, Tübingen 1995; Simmler, Franz, Morphologie des Deutschen, Flexions-
und Wortbildungsmorphologie, Berlin 1998.

Schließlich gibt es auch die Möglichkeit, das gerade Gelesene zu vertiefen.


Antworten und Lösungen finden Sie am Ende des Buches.
1. Einführung I

1.1. Grundlagen

Einführung, Termini, morphologische Einheiten


Die Morphologie (gr. morphos ‘Gestalt’, logos ‘Lehre’) ist die Lehre von den
Gestalten, Formen und ihren Organisationsprinzipien und bezieht sich in
dieser Bedeutung zunächst auf den Bau lebender Organismen, dann auch
auf Oberflächenformen der Erde. Der stark von darwinistischem Gedanken-
gut beeinflusste Sprachwissenschaftler August Schleicher bezog den Begriff
1859 auf den Bau der Wörter. In diesem Zusammenhang konnte J. Baudouin
de Courtenay Ende des 19. Jahrhunderts das Morphem als Oberbegriff ver-
wenden statt der zuvor üblichen Formelemente wie Endung oder Stamm.
Leonhard Bloomfield schließlich versuchte sich mit einer ersten Definition.
„A linguistic form which bears no partial phonetic-semantic resemblance to
any other form, is a simple form or morpheme” (Bloomfield 1933: 161). Heute
gilt in der Regel das Morphem als kleinste bedeutungstragende Einheit ei-
ner Sprache, parallel zum Phonem auf der Lautebene als der kleinsten bedeu-
tungsunterscheidenden Einheit einer Sprache. Geschweifte Klammern dienen
der Kennzeichnung von Morphemen, wenn sie von anderen Einheiten, etwa
Lauten, Silben oder Wörtern, abgegrenzt werden sollen. Auf den Begriff des
Morphs als kleinstes, aber nicht klassifiziertes bedeutungstragendes Element
wird hier verzichtet, weil er zu theoriegebunden ist. Die Morphologie ist die-
jenige Teildisziplin der Linguistik, die sich mit dem inneren Aufbau der Wör-
ter in ihrem systematischen Zusammenhang befasst, also mit Flexion und
Wortbildung. Sie untersucht Vorkommen, Formen und Kombinationen der
Morpheme einer Sprache oder sprachübergreifend. Diese Begriffe und Defi-
nitionen gehören zum strukturalistischen Gedankengut, das noch heute die
Vorgehensweise bei sprachlichen Analysen beeinflusst und zu einer Mehr-
fachkodierung der Einheiten führte. Denn was traditionell ein Laut oder eine
Endung war, wurde definitorisch präzisiert zu Phonem oder Affix.
2 1. Einführung I

Im Zentrum der Morphologie steht das Wort, ein Begriff übrigens, der
sich einer allgemein anerkannten Definition entzieht, hier verstanden als
formal selbständiges Element, im Satz beweglich, mit eigener Bedeutung, zu
komplexeren solcher Elemente verbindbar. Zu der strukturalistischen Be-
trachtungsweise, die eine Einheit, ob Satz oder Wort, als in sich geschlossenes
strukturiertes Ganzes versteht, das analytisch in elementare Einzelteile zer-
legt werden kann, gehört auch die Verbildlichung dieser Struktur durch vor-
wiegend binär (zweiteilig) verzweigende Strukturbäume, z.B. bei dem Wort
glücklich, das sich in die Morpheme {glück} und {-lich} gliedern lässt.

glücklich

{glück} {-lich}

Die Einheiten, die sich Schritt für Schritt ergeben, sind die unmittelbaren
Konstituenten, die in unserem Beispiel identisch sind mit den Morphemen
{glück} und {-lich}. Der Strukturbaum versinnbildlicht einerseits die Schritte
der Entstehung des Wortes, andererseits repräsentiert bzw. beschreibt er die
Struktur als Ergebnis der Entwicklung. Wie wichtig das ist, sehen wir erst bei
komplizierteren Beispielen wie

Überprüfbarkeit

überprüfbar {-keit}

überprüf {-bar}

{über-} {prüf-}

Hier zeigt sich, dass die unmittelbare Konstituente überprüfbar durch die
unmittelbare Konstituente {-keit}, in diesem Fall wieder ein Morphem, abge-
leitet wird. Dann folgt im nächsten Schritt die Ableitung der unmittelbaren
Konstituente überprüf durch {-bar}. Solch ein Strukturbaum oder eine ihm
vergleichbare Darstellung, beispielsweise mit indizierten Klammern

[1[2[3[4{über-}]4[5{prüf-}]5]3[6{-bar}]6]2[7{-keit}]7]1 bzw. [[{glück}]N[{-lich}]Aff ]Adj


o.ä.

bildet einen wesentlichen Teil der morphologischen Analyse eines Wortes. Ge-
nauso wichtig ist die Charakterisierung der Morphemtypen. Wir unterschei-
den einerseits f r e i e von g e b u n d e n e n Morphemen. Die freien kön-
1.1. Grundlagen 3

nen auch in Isolation vorkommen, vgl. {glück, über, frau, tür, sie, ihm, weil},
die gebundenen hingegen nicht. Sie sind vielfach platzfest, z.B. {-bar, -keit,
ver-, ge-}. Eine andere Aufteilung bezieht sich auf die Bedeutung der Morphe-
me. Sie sind entweder allein sinntragend bzw. l e x i k a l i s c h und beziehen
sich auf Gegenstände und Sachverhalte etc. wie {glück, tür, frau, prüf-}. Oder
sie sind g r a m m a t i s c h und versprachlichen Beziehungen zwischen le-
xikalischen Elementen oder Bedeutungsänderungen an einem Lexem, z.B.
{in, ihm, und, -bar, -keit, ver-, -e}. Bei der Analyse sind die Morpheme nach
diesen beiden Aspekten zu bestimmen, sodass sich eine Kreuzklassifikation
ergibt. {glück} ist ein freies lexikalisches Morphem, {weil} ist ein freies gram-
matisches Morphem, {ver-} ist ein gebundenes grammatisches Morphem und
{prüf-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem. Im letzten Fall gab es in der
Vergangenheit Diskussionen, weil prüf! in der Befehlsform existiert. Da aber
viele Verben im Imperativ eine Formveränderung zeigen (sprich!, gib!, atme!,
sammle!), wird für alle Verben ein gebundenes lexikalisches Morphem ange-
setzt, um eine Aufteilung in gebundene und freie Verbwurzeln zu verhindern.
Hier ist die Einheitlichkeit bei der Analyse ausschlaggebend.

Bild 1: Morphemtypen

Morpheme

lexikalische grammatische

freie gebundene freie gebundene


(funktionale)

Derivations- Flexions-
morpheme morpheme

Mann, Tür, Brom- in Brombeere, sie, weil, ver-, -lich, -en, -er,
heute, klein therm-, sprech- auf, mit be-, -heit ge-t, -s

Mit dem Begriff der Wurzel kommen wir zum nächsten Unterscheidungs-
aspekt. Viele Wörter lassen sich morphologisch nicht weiter zerlegen, etwa
Glück, Schuh, Haus. Deswegen heißen sie S i m p l i z i a (im Singular Sim-
plex). Sie sind gleichzeitig auch freie Morpheme und gehen historisch auf eine,
4 1. Einführung I

in der Regel rekonstruierte, Ausgangsform zurück, die als Wurzel bezeichnet


wird. Der Begriff Wurzel als morphologische Einheit verbindet diesen ge-
schichtlichen Aspekt mit der Tatsache, dass sich das Morphem nicht weiter zer-
legen lässt und damit auch die Wurzel des Wortes ist. Wenn der zweite Aspekt
im Vordergrund steht, finden sich auch Begriffe wie Stamm oder Basis- bzw.
G r u n d m o r p h e m . Aber Achtung! Als Stamm wird genauso oft die Wur-
zel selbst wie auch der Wortrest ohne die gerade abgezweigte Endung verstan-
den, etwa überprüfbar zu Überprüfbarkeit. In diesem Band wird S t a m m /
B a s i s verwendet für ein Morphem oder eine Morphemkonstruktion, die
durch ein Morphem erweiterbar ist. Als Wortstämme gelten daher sowohl ge-
bundene (gib-st, Graph-ie) und freie Morpheme (Schuh-e, Glück-s, glück-lich) als
auch Morphemkonstruktionen (Hausschuh-e, glücklich-er). In dem Wort glück-
licher ist {glück} die Wurzel, sie ist morphologisch nicht weiter zerlegbar, und
glücklich die Basis/der Stamm, an die das Suffix {-er} gehängt wird.
Eine W u r z e l ist sowohl ein lexikalisches Grundmorphem, also nach
Tilgung aller Affixe oder anderer Grundmorpheme, als auch historisch ge-
sehen die Ausgangsform. Ein Grundmorphem ist typischerweise lexikalisch.
Freie grammatische Morpheme wie von oder in werden in den Lehrbüchern
nicht dazu gezählt. Sie bilden zwar in sehr wenigen Fällen auch Komposita
(Vormittag, Untertasse, Weil-Satz) und verhalten sich dann wie Grundmor-
pheme, aber sie kommen nur als bestimmende, nicht als bestimmte Kompo-
nente vor und sind damit auch nicht der Wortbildungskern, sodass hier rein
semantisch auch kein „Grund“morphem vorliegt. Ein komplexes Wort baut
in der Regel auf einem lexikalischen Grundmorphem bzw. einer Wurzel auf.
Aus heutiger Sicht sind manche ursprünglich komplexe Einheiten nicht
mehr als solche erkennbar. Auch Formen, die zwar vielleicht einmal erwei-
terte Wurzeln waren, heute aber aussehen wie ein Simplex wie Kind, fassen
wir synchron als Wurzeln auf. Manche Wurzeln kommen nur gebunden vor
{werf-}. Eine Wurzel ist gleichzeitig ein Stamm beim letzten Analyseschritt
wie bei dem Wort Überprüfbarkeit {prüf-}. Die Termini Wurzel und Grund-
morphem können bei der morphologischen Analyse ausgetauscht werden.
Allerdings hat der Begriff Wurzel in der Wortgeschichtsforschung eine eigene
Bedeutung.
Demgegenüber sind Affixe unselbstständige, positionsgebundene, reihen-
bildende Wortbildungs- und Wortformbildungseinheiten wie {ver-, -ung, -lich,
-s}, die an eine Wurzel bzw. Stamm gehängt werden. Sie werden nicht abgelei-
tet. Im Gegensatz zu den Grundmorphemen haben sie weniger lexikalische als
grammatisch-relationale Bedeutung, obwohl einzelne von ihnen mit charak-
teristischen Inhalten verbindbar sind, so -chen ‘klein’ (Kindchen, Pröbchen)
oder -er ‘Person’ (Denker, Turner). Daher ist die inhaltliche Bestimmung se-
kundär gegenüber der rein strukturellen. Die Termini Affix und Grundmor-
1.1. Grundlagen 5

phem stammen aus dem Strukturalismus, davor wurden Begriffe wie Endung
oder Wurzel verwendet, die weniger präzise sind. Denn analog zu Affix un-
terscheiden wir je nach Position u.a. P r ä f i x (vorne angehängt), S u f f i x
(hinten) und Z i r k u m f i x (beides, auch diskontinuierliches Morphem
genannt). I n f i x e , die in einen Stamm eingefügt werden, gibt es im Deut-
schen nicht, im Lateinischen haben wir convalēre ‘gesund sein’, convalēscere
‘gesund werden’. Ein I n t e r f i x tritt zwischen zwei Stämme. Eine andere
Unterscheidung bezieht sich darauf, ob das Affix die Wortform ändert, dann
handelt es sich um ein F l e x i o n s a f f i x oder F l e x i v (Kind-er, turn-t),
oder ein neues Wort bildet, dann ist es ein D e r i v a t i o n s a f f i x (kind-
lich, Turn-er). {-er} in Kinder ist ein Flexionssuffix, grammatisch und gebun-
den. {zer-} in zerteilen ist ein Derivationspräfix, ebenfalls grammatisch und
gebunden. {kind} ist ein freies, lexikalisches Grundmorphem, {turn-} ist ein
gebundenes lexikalisches Grundmorphem, kindlich ist der Adjektivstamm,
an den {-e} angehängt wird: kindliche. Flexionssuffixe treten außen an ein
Wort, Derivationsaffixe sind im Vergleich dazu näher am Ausgangswort, vgl.
kind-lich-e Lieb-ling-e.
Bisweilen sind die Grenzen zwischen zwei Morphemen verschwommen,
so bedeutet im eigentlich ‘in dem’ oder beim ‘bei dem’. Es handelt sich um
P o r t m a n t e a u m o r p h e m e , die Teile mehrerer, sonst getrennter
Morpheme verbinden.
Manchmal gleichen sich zwei Morpheme wie {-in} in Läuferin, in der
Schule oder {-er} in Kinder, schneller. Hier handelt es sich um h o m o n y -
m e M o r p h e m e . Sie sind gleichlautend, aber funktional unterschiedlich.
Denn in Läuferin leitet {-in} die weibliche von der männlichen Form ab, in der
Phrase in der Schule ist es eine Präposition. {-er} tritt einmal als Plural- (Kin-
der), einmal als Steigerungssuffix (schneller) auf. Aufgrund der unterschiedli-
chen Bedeutungen müssen getrennte Morpheme angesetzt werden.
Im Gegensatz dazu klingen manche Morpheme leicht unterschiedlich,
tragen aber die gleiche Bedeutung, vgl. Schultor/Schule, rötlich/rot, Haustür/
Häuschen, sprechen/sprich, Erde/irdisch. {haus} und {häus} sind Morphemva-
rianten bzw. A l l o m o r p h e . Die Schrift vertritt die Lautung, darum kön-
nen manche Allomorphe nur in phonologischer Umschrift deutlich werden.
Die Verbformen lieben und liebte unterscheiden sich bei der Aussprache der
Stämme. In lieben liegt ein (stimmhaftes) /b/ vor, in liebte ein (stimmloses)
/p/. Dann ergibt sich zur Verbwurzel {/līb/-} das Allomorph {/līp/-}. Das liegt
an der A u s l a u t v e r h ä r t u n g , einer phonologischen Erscheinung im
Deutschen. Im Silbenauslaut treten bei uns nämlich nur stimmlose p, t, k,
f und s auf, unabhängig von der Schreibung. In lieb und lieb.te bildet das b
jeweils den Silbenauslaut und wird stimmlos ausgesprochen, also /p/, in lie.
be und lie.ben jedoch bildet das b den Anlaut der zweiten Silbe und bleibt
6 1. Einführung I

stimmhaft. Die Auslautverhärtung ist einzig von der Stellung der betroffenen
Laute in der Silbe bestimmt und führt unabhängig von der Wortart oder der
morphologischen Veränderung zu Allomorphie (Rad vs. Rä.der, red.selig vs.
re.den, fies vs. fie.se).
Viele Allomorphe kommen nur gebunden vor, vgl. schul-isch, Schül-er vs.
Schule. Wenn aber diejenige der Varianten frei ist, die, in der Regel aufgrund
von Häufigkeiten bzw. geschichtlichen Bedingungen, als Bezeichnung für das
Morphem verwendet wird, gilt das Morphem als frei – rot ist die frühere Form
und zugleich auch die häufigere, sie tritt auch in Komposita auf (hellrot, Rot-
licht). Das Morphem heißt {rot} und tritt auch mit der Variante {röt} auf.
Bei der morphologischen Analyse muss zuerst einmal die Konstituenten-
struktur (morphologische Struktur), möglichst in Zweierschritten und vom
ganzen Wort aus beginnend, veranschaulicht werden. Dabei trennen wir zu-
nächst die Flexive ab und bilden die Grundform. Dummheiten gliedert sich
in die Grundform Dummheit und das Flexiv {-en}. Dummheit besteht aus
{dumm} und {-heit}. Ob die während der Analyse ermittelten unmittelbaren
Konstituenten groß oder klein geschrieben werden, ist Ansichtssache. Nur
sollte es einheitlich geschehen.

Dummheiten

dummheit {-en}

{dumm} {-heit}

Dann sind die Morphemtypen zu bestimmen: Sind sie frei oder gebunden,
grammatisch oder lexikalisch, verbal, adjektivisch oder substantivisch etc.,
Grundmorphem/Wurzel oder Affix, Derivationsaffix oder Flexionsaffix, Prä-,
Suf-, oder Zirkumfix? {dumm} ist eine adjektivische Wurzel, lexikalisch und
frei. {-heit} ist ein Derivationssuffix, grammatisch und gebunden. {-en} ist hier
ein Flexionssuffix, grammatisch, gebunden. Es handelt sich um eine Varian-
te bzw. ein Allomorph des Pluralmorphems. Die Wortart ist sowohl für die
Grundform als auch für alle Stämme anzugeben: Dummheit ist ein Nomen,
dumm, wie bereits erwähnt, ein Adjektiv. Denn viele Affixe bewirken einen
Wortartwechsel. Die Wortart können Sie im Begleittext aufführen oder im
Strukturbaum über die üblichen Kürzel angeben, z.B.

DummheitN glücklichADJ machenV dortADV fürPRÄP meinereinerPRO

Achten Sie auf die Aufgabenstellung! Wird die Wortbildungsanalyse auf der
ersten Ebene gefordert oder sollen Sie den hierarchisch letzten Wortbildungs-
1.1. Grundlagen 7

schritt angeben, dann ist das Lexem auch nur nach den ersten unmittelbaren
Konstituenten zu analysieren, bei Überprüfbarkeit nur Überprüfbar-keit. Bei
einer kompletten morphologischen Analyse hingegen ist auch die grammati-
sche Form zu bestimmen. Manchmal ist das ohne Kontext aber nicht möglich.
Außerdem wird die Wortbildungsstruktur bis zur untersten Ebene erwartet.
Bei der Wortbildungsanalyse ist stets zunächst die Grundform zu bilden. Die
Bestimmung der Flexive ist dann nicht verlangt.
Schwierig sind Formulierungen wie „Bestimmen Sie die Struktur!“ oder
„Analysieren Sie!“, die in den Aufgabenstellungen gemieden werden sollten
– hier müssten Sie, wenn möglich, rückfragen und im Zweifelsfalle eine kom-
plette morphologische Analyse erstellen, obwohl streng genommen auch die
lautliche Struktur gemeint sein kann.

Zeitliche und dynamische Aspekte


Die Morphologie beschäftigt sich mit der Bildung, als Prozess sowohl als auch
als Ergebnis, von Wortformen. Das wird als F l e x i o n bezeichnet. Dazu
kommt die Bildung neuer Wörter, die W o r t b i l d u n g . Die Wortbildung
ist aber nur eine Möglichkeit, unseren Wortschatz zu erweitern. Es geht auch
durch die Übernahme von Fremdwörtern. Dabei wird bei F r e m d w o r t
im Gegensatz zu Lehnwort gewöhnlich keine A s s i m i l a t i o n (Anpas-
sung) vorausgesetzt. Das bedeutet, es ist in Flexion, Schreibung und/oder
Lautung nicht deutsch, vgl. Flirt, Courage, Niveau, Receiver, Perpetuum Mo-
bile. Ein L e h n w o r t hingegen ist assimiliert, es ist daher nicht mehr als
fremdes Wort erkennbar, z.B. Fenster aus lat. fenestra oder Streik aus engl.
strike. Allerdings sind die Grenzen fließend. Ist ein Wort in mehreren Spra-
chen in fast gleicher Form und Bedeutung übernommen, sprechen wir von
I n t e r n a t i o n a l i s m u s, vgl. Linguistik, Mikroskop, Television. Wer-
den einzelne Teile des fremden Wortes Stück für Stück übersetzt, liegt eine
L e h n ü b e r s e t z u n g vor, vgl. Halbwelt zu frz. demi-monde, Eigenliebe
zu frz. amour propre, Jungfernrede zu engl. maiden speech. Bei ungefährer
Übersetzung sprechen wir von L e h n ü b e r t r a g u n g wie bei Vater-
land zu lat. patria, Fegefeuer zu lat. purgatorium oder Wolkenkratzer zu engl.
skyscraper „Himmelskratzer“. Wird ein neues Wort gebildet in Anlehnung an
das Fremde, nennen wir dies L e h n s c h ö p f u n g (Umwelt, frz. milieu,
Niethosen, engl. blue jeans).
Nicht zu vergessen ist auch die Bedeutungsveränderung ( N e o s e -
m a n t i s m u s ), wenn wir ein bereits etabliertes Wort mit einer neuen Be-
deutung verwenden, wie sich etwa der Begriff Virus aus der Biologie nun auch
bezieht auf ein sich selbst verbreitendes Computerprogramm, das in fremde
8 1. Einführung I

Programme eingeschleust wird, sich reproduziert und den BenutzerInnen in


der Regel Schaden zufügt. Bei geil kam in den letzten Jahren, ausgehend von
der Jugendsprache, zu ‘lüstern’ die Bedeutung ‘sehr gut’ dazu. Einen anderen
Aspekt benennt die L e h n b e d e u t u n g . Hier wird gezielt auf die Über-
nahme der neuen Bedeutung aus einer anderen Sprache verwiesen. Dies gilt
für das gerade genannte erste Beispiel im Gegensatz zum zweiten auch, weil
wir die zweite Bedeutung von Virus aus dem Englischen übernommen haben,
vgl. außerdem auch Maus für die Computerbedienung oder Ente ‘Falschmel-
dung’ zu frz. canard, ‘Ente’, ‘Falschmeldung’. Der allgemeinere Begriff der
L e h n p r ä g u n g umfasst die Erscheinungen der Lehnschöpfung, -über-
tragung, -übersetzung und -bedeutung.
Schließlich gibt es noch K u n s t w ö r t e r bzw. W o r t u r s c h ö p -
f u n g e n . Sie sind nicht über die reguläre Wortbildung des Deutschen ent-
standen, daher morphologisch nicht komplex und bilden somit neue Wur-
zeln/Grundmorpheme. Sie können nicht morphologisch, allerdings lautlich
motiviert sein. Für die Standardsprache spielen sie keine Rolle, jedoch in
manchen Ausprägungen der Literatur wie Kinderbücher, Science Fiction oder
Fantasy und in der Werbesprache (Fa, Mum, Elmex, Kodak, Urmel, schmurks).
Was genau „neu“ ist und wie lange ein Wort neu ist, kann definitorisch
nicht festgelegt werden. Vielfach findet sich die Unterscheidung zwischen
O k k a s i o n a l i s m u s (Gelegenheitsbildung, Einmalbildung, Ad-hoc-
Bildung) und N e o l o g i s m u s (Neuwort), wobei der Neologismus noch
so neu ist, dass er nicht in den Wörterbüchern steht, aber gleichzeitig keine
Einmalbildung mehr ist und bereits mehreren Sprechern bzw. Sprecherinnen
bekannt ist. Es handelt sich hier um ineinander übergehende Erscheinungen,
die nicht eindeutig voneinander abgrenzbar sind. Ein Wort wie Trübsinnhab-
achter dürfte allerdings Okkasionalismus bleiben, während bioform eine re-
elle Chance hat, häufiger verwendet zu werden. In diesem Zusammenhang ist
die Karriere von unkaputtbar bemerkenswert. Es wurde nicht in die gängigen
Lexika aufgenommen, weil es gegen die Regeln der deutschen Wortbildung
verstößt1. Gleichzeitig wurde es aber durch die Werbung so populär, dass es
bereits seit Jahren praktisch jeder/m Deutschen geläufig ist und von vielen
nicht mehr als neu, allerdings doch „irgendwie“ auffällig betrachtet werden
dürfte. Eine ganze Zeit lang war auch die Sofi-Brille, ‘Brille, die bei der Beob-
achtung der Sonne während einer Sonnenfinsternis die Augen schützt’ ver-
breitet, sie fand ihren Weg dann aber doch nicht in das Wörterbuch. Sind
Wörter zu Bestandteilen des Wortschatzes geworden, so sind sie u s u e l l
bzw. lexikalisiert.

1 un- tritt heute nur an V+bar-Verbindungen.


1.1. Grundlagen 9

Wörter bzw. Bedeutungen, die die SprachbenutzerInnen als veraltet emp-


finden oder vergessen haben, sind A r c h a i s m e n , beispielsweise Oheim,
Wonne, weiland oder Kegel in der Bedeutung ‘uneheliches Kind’, vgl. mit Kind
und Kegel. Und Wörter, so wie die Sprachen auch, können sterben.

Besonderheiten
Abschließend seien noch einige Besonderheiten im Falle der gebundenen
lexikalischen Morpheme erwähnt. Hin und wieder treten Einheiten einma-
lig auf wie bei Him- und Brombeere. Da sie in Reihe stehen mit eindeutigen
Komposita (Vogelbeere, Stachelbeere, Waldbeere), wird ihr erster Teil auch als
Kompositionsglied gewertet und muss, um zur Reihe zu passen, als lexika-
lisch analysiert werden. Historisch ist das richtig, weil ahd. hintberi, brāmberi
zu ahd. hinta ‘Hirschkuh’ bzw. brāma ‘Dornstrauch’ gebildet wurden. Die
Simplizia sind verloren gegangen, und heute sind diese Elemente in ihrer Be-
deutung und in ihrem Morphemstatus nicht mehr aus sich heraus erkennbar.
Sie sind in jedem Fall gebunden und einmalig, also u n i k a l e M o r p h e -
m e , und nur durch den Status in der Reihe bzw. durch die Verbindung mit ei-
nem anderen Morphem als lexikalische Morpheme bestimmbar. So manchen
wird dies nicht überzeugen. Aber solchen Elementen den Morphemstatus zu
verweigern führt zu der Frage, als was dann Brombeere zu klassifizieren ist –
als Simplex wäre nicht nachvollziehbar, da {beere} bereits ein Morphem bzw.
Simplex ist, an das weiteres Material angehängt wird. So ist die Analyse als
Kompositum immer noch die plausiblere Lösung. Analog dazu ist bei Nach-
tigall das Morphem {nacht} herauslösbar in Verbindung mit dem unikalen
Morphem (i)gall, bei Schornstein {stein}. Von zwei schlechten Lösungen die
bessere zu finden ist im Übrigen eine stets wiederkehrende Aufgabe in der
Morphologie. Andere unikale Morpheme haben wir in Auerhahn, Damhirsch,
Lindwurm, Fledermaus, Bräutigam, Butzenscheibe, Brackwasser, Samstag,
ruchlos. Bei Verben sind sie selten (radebrechen).
Bildungen mit unikalen Elementen gelten als i s o l i e r t , da sie struktu-
rell und inhaltlich nicht mehr in all ihre Bestandteile zerlegbar sind. Weitere
Beispiele sind Unflat oder scheußlich, die zwar noch als Derivationen erkenn-
bar sind, zu denen aber keine Basis mehr existiert. Der Begriff isoliert wird
meist gleichbedeutend mit idiomatisiert, teils aber auch für Wörter in struk-
tureller Isolation verwendet.
Einen weiteren Problembereich eröffnen die K o n f i x e . Hierbei han-
delt es sich um lexikalische Wurzeln aus einer anderen Sprach(stuf)e, die
im Deutschen nicht frei als Grundmorpheme vorkommen, sich aber wie ein
Grundmorphem verhalten, weil sie sich bei stabiler Bedeutung mit Deriva-
10 Einführung I

tionsaffixen, Konfixen und anderen Grundmorphemen verbinden können,


ohne wortart- oder positionsgebunden sein zu müssen, also z.B. {schwieger,
bio, log, graph} in Schwiegervater, biotisch, Biologe, Logopäde, Graphie, Photo-
graph. Die Abgrenzung zu fremdsprachlichen Affixen wie {mini-, mega-} fällt
manchmal schwer. Im Gegensatz zu den unikalen Morphemen, die ebenfalls
gebundene Grundmorpheme sind, treten Konfixe in mehreren Wortbildun-
gen auf. Das heißt aber auch, dass die Konfixe zwar gebunden sind und die
Einheit daher mit einem Bindestrich stehen sollte (log-), sie sich aber aufgrund
ihres lexikalischen Status’ im Prinzip nicht platzfest verhalten. Sie müssten
daher als log-/-log dargestellt werden – die Schreibweise log ist darum als Ab-
kürzung von log-/-log zu verstehen.
Zur Erinnerung: In einigen Fällen haben wir es mit einem Morphem zu
tun, das eigentlich zwei vertritt, vgl. am (an dem). Es wird Portmanteaumor-
phem genannt. In anderen Fällen sehen Morpheme gleich aus bei unterschied-
licher Bedeutung, so die Infinitivendung lauf-en und der Plural Student-en,
dies sind homonyme Morpheme.
Bei der morphologischen Analyse werden neben der Konstituentenstruk-
tur (morphologische Struktur), den Morphemtypen und den Wortarten der
einzelnen Konstituenten auch Informationen zu Fremdwortstatus, alternati-
ven Analysemöglichkeiten mit Begründung für eine Entscheidung sowie Be-
sonderheiten wie Konfix, Allomorph, unikales Morphem oder Auffälligkeiten
bei der Lage des Wortakzents angegeben.

Jugendmusikschule

{jugend} musikschule

{musik} {schule}

Jugendmusikschule Nomen
musikschule Nomen
{jugend} Nominalwurzel, frei, lexikalisch
{musik} Nominalwurzel, frei, lexikalisch
{schule} Nominalwurzel, frei, lexikalisch

Besonderheiten: Zu {schule} gibt es Allomorphe, {musik} ist ein Lehnwort.


Der Wortakzent liegt auf Jugend, dazu gibt es einen weiteren auf Musik. Ju-
gendmusikschule könnte theoretisch auch in jugendmusik und {schule} zerlegt
werden. Das Lexem Jugendmusik ist aber kaum gebräuchlich, allerdings in
einem geeigneten Textzusammenhang möglich.
1.2. Vertiefung 11

Übungen zu 1.1. Grundlagen


1. Segmentieren Sie die Lexeme in ihre kleinsten bedeutungstragenden Ein-
heiten und klassifizieren Sie sie! Bitte nutzen Sie dazu Nachschlagewerke!
Am Tor des Turmes verbrannte der Lindwurm hunderte von tapferen Männern.
2. Welche der Wörter weisen unikale Elemente auf ?
Fischfrau, Samstag, Fledermaus, Schornstein, Vogelbeere, Himbeere, Brom-
beere
3. Was ist ein Okkasionalismus? Kennen Sie Beispiele?
4. Geben Sie Beispiele für das Wirken der Auslautverhärtung in morpholo-
gisch zusammenhängenden Wörtern!
5. Bitte wiederholen Sie die Termini, beispielsweise Morphem, unmittelbare
Konstituente, Simplex, Grundmorphem, homonymes Morphem, Port-
manteaumorphem, Allomorph, Lehnwort, Fremdwort!

1.2. Vertiefung

Sprachtypologie
Nun mögen sich einige die Frage stellen, wozu die Morphologie denn gut sei,
außer für das Studium einer Sprache oder beim Fremdsprachenerwerb. August
Wilhelm von Schlegel (1767–1845) prägte nicht nur den Begriff. Neben Wil-
helm von Humboldt (1767–1835) benutzte er ihn und die dahinter stehenden
Erkenntnisse auch, um die Sprachen der Welt zu untergliedern, und zwar nicht
nach historisch-genetischen oder geologischen Kriterien, sondern eben nach
morphologischen.
Beim a n a l y t i s c h e n Sprachbau wie etwa dem klassischen Chinesi-
schen ist immer ein Wort mit einer Bedeutung verbunden. Auch grammatische
Beziehungen lassen sich dort mit selbstständigen Elementen wie Konjunk-
tionen oder Präpositionen, zusammen mit bestimmten Stellungseigenschaften,
ausdrücken. Die s y n t h e t i s c h e n Sprachen nutzen dazu unselbstständi-
ge morphologische Mittel wie z.B. Affixe. Im Deutschen gibt es sowohl synthe-
tische Formen wie kam, käme als auch analytische Formen wie bin gekommen,
würde kommen. Es treten also Mischungen auf.
Es gibt dazu auch eine feinere Trennung. Beim i s o l i e r e n d e n Sprach-
typ wie etwa dem Chinesischen, Thailändischen oder Vietnamesischen handelt
es sich um Wurzelsprachen, bei denen die Wörter unverändert bleiben. Es
gibt im Prinzip gar keine Morphologie. Informationen wie Tempus oder syn-
12 1. Einführung I

taktische Funktionen, beispielsweise Subjekt oder Objekt, die im Deutschen


durch Flexion verbalisiert werden (koch-te), drücken solche Sprachen lexika-
lisch aus (gestern, damals etc.), durch die Wortstellung oder über den Kontext.
Damit gehören sie zur analytischen Bauweise. Aufgrund der Flexionsarmut
wird oft auch das Englische zu diesem Sprachtyp gezählt.
Das Thailändische beispielsweise kodiert den Plural durch Verdoppelung
(dèk ‘Kind’, dèk dèk ‘Kinder’) oder durch das Hinzufügen von Zahlwörtern
(die thailändischen Beispiele sind orthographisch angeglichen), vgl. khon
‘Mensch’, lāy khon „mehrere Mensch“, also ‘Menschen’. Die Vergangenheit
wird u.a. durch Adverbien ausgedrückt, vgl.

mā kad mǣw „Hund beißen Katze“, also ‘Der Hund beißt eine Katze’
mā kad mǣw miəwānn´ī „Hund beißen Katze gestern“, also ‘Der Hund hat
gestern eine Katze gebissen’.

Gleichzeitig entscheidet die Wortstellung über die syntaktische Funktion der


Konstituenten, vgl.

mā kad mǣw „Hund beißen Katze“, also ‘Der Hund beißt eine Katze’
mǣw kad mā „Katze beißen Hund“, also ‘Die Katze beißt einen Hund’.

Für die synthetische Bauweise gibt es mehrere Möglichkeiten. Im extremen


Fall wird an ein Wort pro Bedeutungsaspekt jeweils ein Morphem angehängt
in festgelegter Reihenfolge, dies ist der a g g l u t i n i e r e n d e Sprachtyp,
vgl. türkisch el ‘Hand’, eller ‘Hände’, elim ‘meine Hand’, ellerim ‘meine Hän-
de’, elde ‘in (der) Hand’, elimde ‘in meiner Hand’, ellerimde ‘in meinen Hän-
den’. Im Grunde gibt es keine Allomorphe. Weitere Sprachen, die dazu zählen,
sind das Finnische, das Swahili und das Japanische.
Eine andere Möglichkeit ist, mehrere Bedeutungen in einem Morphem
zusammenzufassen und lautliche Veränderungen des Stammes zuzulassen,
so im Deutschen geh-st 2. Person Singular Indikativ. Zu diesem f l e k t i e -
r e n d e n oder f u s i o n i e r e n d e n Sprachtyp gehören auch das Latei-
nische, das Altgriechische oder das Arabische.
Der i n k o r p o r i e r e n d e bzw. p o l y s y n t h e t i s c h e Sprach-
typ hängt mehrere Wortstämme an ein Verb und bildet teilweise Sätze, die
nur aus einem Wort bestehen (viele Indianersprachen Nordamerikas wie das
Tschinuk oder das Inuit in Grönland; Australien), vgl. Tschinuk inialudam
‘ich bin gekommen, um dir dies zu geben’ (i- Vergangenheit, -n- 1. Person
Sg., -i- direktes Objekt ‘dies’, -a- indirektes Objekt ‘sie/ihr’, -u- Handlung, be-
wegt sich vom Sprecher bzw. von der Sprecherin weg, -d- Verbwurzel ‘geben/
nehmen’, -am gezielte, absichtsvolle Handlung). Der Begriff polysynthetisch
1.2. Vertiefung 13

bezieht sich darauf, dass viele grammatische und lexikalische Morpheme zu


einem Wort verbunden sind, Inkorporierung (Inkorporation) bezeichnet die
„Einverleibung“ von Nomen oder Adjektiv in ein Verb, sodass das Nomen,
das Adjektiv seine Selbstständigkeit verliert. Im Deutschen haben wir dafür
Beispiele wie autofahren oder staubsaugen.
Schließlich ist der k l a s s i f i z i e r e n d e Sprachtyp zu erwähnen, der
vor allem in Südafrika zu finden ist. Er verwendet nach logischen Denkkate-
gorien klassenbildende Präfixe und strukturiert damit zusammenhängende
Wortgruppen. Das Swahili, das außerdem zu den agglutinierenden Sprachen
zählt, präfigiert zusammenhängende Wortgruppen mit solch einem Klassifi-
kationsmorphem, beispielsweise

kile kisu kikukuu kimevikhata vile vidole wyo mtoto mdogo


„das Messer alt hat geschnitten die Finger des Kind klein“

Das m- steht für menschliche Wesen im Singular, ki- für kleine Dinge im Sin-
gular, vi- für kleine Dinge im Plural.
Ganz selten werden die i n t r o f l e x i v e n Sprachen einem eigenen
Sprachtypus zugeordnet. Sie sind durch Wurzelflexion gekennzeichnet. Das
heißt, Lautänderungen betreffen die Wurzeln, wie es manchmal auch im Deut-
schen geschieht (laufen/lief). Hierzu zählen Sprachen mit Transfixen wie die
semitischen Sprachen – die eigentlichen Wurzeln, die Radikale, bestehen aus
einem dreiteiligen Konsonantengerüst. Dies wird je nach Flexion bzw. Wortbil-
dungsart durch bestimmte Vokale dazwischen (Transfix), aber auch davor und
danach, ergänzt. So lautet die arabische Wurzel für schreiben k-t-b. Dazu gibt es
die Formen kataba ‘er hat geschrieben’, kutiba ‘es wurde geschrieben’, yiktib ‘er
wird schreiben’, maktūb ‘geschrieben’, ‘Brief ’, kitāb ‘Buch’, kutub ‘Bücher’.
Die Sprachtypen erscheinen kaum in Reinform, weil häufig mehrere Ei-
genschaften zusammentreffen. Das Deutsche weist isolierende (Präpositio-
nen, Konjunktionen), flektierende, synthetische und analytische Aspekte auf.
Meist gehen verschiedene Charakteristika auch mit syntaktischen Eigenhei-
ten einher – je weniger Information in den Morphemen steckt, desto mehr
steckt in Lexik oder Syntax (Reihenfolgebeziehungen). So hat das Deutsche
mit seiner ausgebauten Flexion eine sehr freie Wortstellung, das Englische,
das die meisten Flexive verloren hat, eine sehr strikte. Die Klassifizierung sagt
nichts über Verwandtschaftsverhältnisse der Sprachen aus. Der Nutzen solch
einer morphologischen Sprachtypologie hält sich daher in Grenzen und wird
oft als nicht mehr aktuell abgelehnt oder ist zumindest umstritten.

Haspelmath/König/Oesterreicher (2001)
14 1. Einführung I

Theoretische Ansätze und Modelle


Anfänge, Strukturalismus, Generative Grammatik
Die frühen Grammatiken der Griechen und Römer beschäftigten sich mit
Flexion und stellten die verschiedenen Wortformen in übersichtliche Grup-
pen tabellarisch zusammen, den sogenannten Paradigmen:

ich leite ich leitete


du leitest du leitetest
er leitet er leitete
wir leiten wir leiteten
ihr leitet ihr leitetet
sie leiten sie leiteten.

Ein Paradigma ergab sich aus den syntaktischen Erfordernissen. Die kleinste
Einheit war das Wort. Interne Regelmäßigkeiten und Unterschiede wurden
durch die Gegenüberstellung in den Paradigmen und zwischen Paradigmen
deutlich. Das Paradigma repräsentierte ein Muster. Die Wörter wurden be-
stimmten Mustern zugeordnet. Dieses klassische Modell ist vielen sicher aus
dem Fremdsprachenunterricht bekannt. Charles Hockett (1954) nannte es
W & P – W o r d & P a r a d i g m - M o d e l l (Wort & Paradigma), um
es von den beiden im Folgenden vorzustellenden Modellen abzugrenzen. Im
Gegensatz zu ihnen basiert es auf Wortformen.
Nach den traditionellen Untersuchungen der alten Inder, Griechen, Rö-
mer und den historisch ausgerichteten, sprachvergleichenden der Europäer
entwickelte sich langsam der Strukturalismus, der mit Ferdinand de Saussure
seinen offiziellen Anfang fand. Sprache ist hier ein System von Relationen.
Kleinere Einheiten werden aufgrund von Regeln verbunden, einerseits linear
(syntagmatisch), vgl. Un-mög-lich-keit, andererseits auf Austausch beruhend
(paradigmatisch), vgl. begleit-en, Begleit-ung, Begleit-er. Die kleinste bedeu-
tungstragende Einheit ist nicht mehr das Wort, sondern das Morphem.
In den Vereinigten Staaten etabliert Leonard Bloomfield die amerikanische
Variante des Strukturalismus, auch Deskriptive Linguistik genannt, die Bedeu-
tungsaspekte meidet, was aber natürlich nicht immer umsetzbar ist. Ausgehend
von syntaktischen Analysen wird eine Einheit, ein Satz, ein Wort, mithilfe der
Konstituentenanalyse (IC-Analyse, immediate constituents) über Austausch-
und Kombinationsmöglichkeiten einzelner Einheiten weiter zergliedert, bis die
unterste Ebene aller Einheiten erreicht ist. Die Schritte müssen binär sein.
Segmentierung, Substitution und Distributionsanalyse sind die Grund-
pfeiler für die Analyse aller sprachlichen Aspekte. So haben Leser, Lesung und
lesen jeweils eine Konstituente les- gemeinsam, die sich morphologisch nicht
1.2. Vertiefung 15

weiter zergliedern lässt und damit (zunächst einmal) ein Morph ist. Bei Prü-
fer, Prüfung, prüfen gilt Analoges. Außerdem führt die Substitution von -er,
-ung und -en immer zu vergleichbaren Veränderungen, und da sie nicht weiter
zerlegbar sind, sind es ebenfalls Morphe. Kommt als weiterer Begriff Prüfling
hinzu, muss -ling entsprechend auch als Morph verstanden werden. Andere
Wörter mit -ling stehen Prüfling zur Seite – Schönling, Weichling, und entspre-
chend sind schön und weich wieder als Morphe zu sehen. Auf diese Weise wer-
den sukzessive die relevanten Einheiten, also die Morphe, isoliert. Sie müssen
dann noch in größere Gruppen geordnet und klassifiziert werden anhand ge-
meinsamer Eigenschaften. Nach der Klassifikation eines Morphs verwendet
die strukturalistische Grammatik den Begriff Morphem: die ersten Elemente
in Prüfer, Prüfling, prüfen sind zwar zunächst verschiedene Morphe, gehören
aber zu einem Morphem {prüf-}, das eine gebundene lexikalische Verbwurzel
ist. Dies ist zunächst einfach. Aber in anderen Fällen müssen rötlich und rot,
irdisch und Erde nicht nur in ihre Einheiten zergliedert sein, die Einheiten
müssen auch korrekt zu Gruppen gefasst werden. Dazu gehört die Entschei-
dung, dass ird und erde, röt und rot jeweils ein Morphem bilden. Aber sie
unterscheiden sich, sie sind Varianten bzw. Allomorphe des Morphems {erde}
bzw. {rot}. Welche von den Varianten dann zur Bezeichnung des Morphems
erhoben wird, hängt von Häufigkeiten bzw. etymologischen Bedingungen ab
– rot ist die frühere Form und zugleich auch die häufigere, sie tritt auch in
Komposita auf (hellrot, Rotlicht). Ein weiterer Unterschied zwischen Morph
und Morphem ist die Bezugsebene: das Morph ist eine Einheit der Parole, des
Sprechens, während das Morphem zur Langue, zum Sprachsystem, gehört. In
der vorliegenden Abhandlung wird der Praktikabilität halber auf die Unter-
scheidung von Morph und Morphem verzichtet.
Bei längeren Morphemketten gilt es, über die ständigen binären Verzwei-
gungen die interne Struktur zu zeigen.

Leserbrief N

leser N {brief}N

{les-}V {-er}

Manchmal scheint ein Element zu fehlen: ein Kind – viele Kinder, ein Schuh –
viele Schuhe, aber ein Lehrer – viele Lehrer. Damit das System in sich kohärent
bleibt, setzen die Strukturalisten in solch einem Fall ein Null-Element, genau-
er, Nullmorphem an, {lehr}{er}{0}, Plural.
Morpheme sind diskrete Einheiten, gewissermaßen Bausteine, auf eine
bestimmte Art und Weise zu kombinieren. Sowohl die Einheiten als auch die
16 1. Einführung I

Kombinationsmöglichkeiten werden durch die strukturalistischen Verfahren


Segmentierung, Identifizierung und Klassifizierung erfasst. Folgende Wörter
bestehen aus einer ganz bestimmten linearen Anordnung von ganz bestimm-
ten Morphemen: leit+0+e, leit+0-est, leit+et+e.
Ein Modell, das diese Fakten beschreibt, heißt I & A - I t e m & A r -
r a n g e m e n t - M o d e l l (Element/Einheit & Anordnung). Aber schon
bald stoßen wir damit an Grenzen. Wie werden Morpheme repräsentiert, die
Informationen bündeln (ruf-st), Veränderungen im Stamm hervorrufen (rief )
oder über Konversion entstanden sind (Ruf )?

Eine Weiterentwicklung berücksichtigt Zusammenhänge, die nicht nur auf


einer einfachen Verkettung beruhen, sondern auch auf Veränderungen von
Einheiten. Diese Zusammenhänge werden als Regeln beschrieben, die die
Ursprungseinheit in die Zieleinheit überführen. Damit ändert die Regel ein
Wort. Die Veränderungen heißen Transformationen. Das Modell ist also
nicht statisch, sondern prozedural gedacht.
Die Regel für leit+0+e, leit+0+est, leit+et+e heißt: V → Vs + (Prät) + Pers.
– um ein Verb zu bilden, kann an einen Verbalstamm (Vs) eine Endung für
das Präteritum gehängt werden, deswegen steht Prät in Klammern. Die Per-
sonenendung ist obligatorisch (verpflichtend). Das I & P - I t e m & P r o -
c e s s - M o d e l l (Element & Prozess) versteht die Konstruktion von Wör-
tern als Prozess. Sie unterscheidet zunächst Vs → Vs-stark, Vs-schwach.
Für die Stämme schwacher Verben gilt obige Regel, für die starken Verben
gilt

Prät →
{ 0/Vs-stark___
et }
Damit ist gemeint, dass bei einem starken Verb die Präteritum-Endung et zu
Null wird, um nicht *singte zu erhalten. Es folgt

{ }
i→ a
e→a
/Vs-stark+Prät
a→u
etc.

Im zweiten Schritt wird das i in dem Stamm eines starken Verbs zu a vor der
Präteritumsendung, die ja 0 ist, sodass sang entsteht. Bei geben entsteht gab,
bei graben grub etc. Die Form des Präteritums wird durch einen Prozess vom
Verbstamm abgeleitet.
1.2. Vertiefung 17

Dieser kurzer Abriss soll nur eine ungefähre Vorstellung von den Regeln ver-
mitteln, die die morphologischen Zusammenhänge darstellen sollen, wenn es
komplizierter wird als bei einer reinen Verkettung von Morphemen.
Ein komplexes Wort ist das Ergebnis der Anwendung von Regeln, die die
Ausgangsform schrittweise verändern und in die Endform überführen, ver-
gleichbar mit einem Computer: Sie geben die Ausgangsform ein, der Com-
puter wendet die Regeln an und Sie erhalten die Endform. Dies alles steckt
hinter dem Begriff Prozess. Das Modell stellt nicht einfach nur Strukturen
dar, sondern will anhand von Regeln neue Formen erzeugen. Damit führt
es fort von der statischen Beschreibung des Strukturalismus hin zu einer
dynamischen Generierung von Wörtern. Dieser ganz neue Anspruch, u.a.,
liegt den Generativen Grammatiken zugrunde. Es handelt sich dabei um eine
Sammelbezeichnung verschiedener Modelle, die ihren Ausgangspunkt in den
frühen Arbeiten von Chomsky und Halle fanden. Einige wichtige Namen in
diesem Zusammenhang sind neben Noam Chomsky und Morris Halle u.a.
Mark Aronoff, Geert Booij, Ray S. Jackendoff, Rochelle Lieber, Elizabeth Sel-
kirk oder Andrew Spencer.

Nachdem das klassische Modell die morphologische Struktur von Wortfor-


men nicht explizit machte und sehr redundant war, sollten die Folgemodelle
die interne Bauweise beschreiben. Je nach Sprache und Anspruch werden da-
her unterschiedliche Modelle bevorzugt. Für agglutinierende Sprachen eig-
net sich das I&A-Modell, für die flektierenden eher die anderen beiden. Aber
gerade die Generativen Grammatiken entwickelten wegen ihres Anspruchs,
möglichst viele Zusammenhänge für möglichst viele Sprachen zu zeigen,
eine solch extreme Komplexität der Darstellung, dass Verständlichkeit und
Praktikabilität verloren gingen. Ein weiteres Problem ist der Fokus auf die
Kompetenz als Sprache des idealen Sprechers bzw. der idealen Sprecherin, die
innersprachliche Variation unberücksichtigt lässt.

Natürliche Morphologie
Als Reaktion auf generative Arbeiten entstand u. a. die Natürliche Phonolo-
gie, deren Grundannahmen dann auf die Morphologie übertragen wurden.
Dieser Ansatz betrachtet zunächst Sprachwandelerscheinungen und sucht
nach universellen Prinzipien, die die sprachlichen Fakten bestimmen. Beob-
achtbare sprachliche Phänomene sollen mit solchen außerhalb der Sprache in
Einklang gebracht werden. Der Ansatz ermittelt Grade der Einfachheit, dem
entspricht Unmarkiertheit bzw. Natürlichkeit. Die Markiertheit wiederum
ähnelt dem Begriff der Merkmalhaftigkeit aus der Prager Schule (vgl. hierzu
Mayerthaler 1981). Das, was einfach ist, wird bevorzugt, kommt öfter in den
Sprachen der Welt vor, wird von Kindern früher erlernt, ist widerstandsfähi-
18 1. Einführung I

ger gegen Sprachwandel und entsteht häufiger durch Sprachwandel. Und da-
mit berücksichtigt der Ansatz die Perspektive der SprachbenutzerInnen. Sie
wollen einerseits wenig Aufwand treiben, aber gleichzeitig auch verstanden
werden und ihre Ziele erreichen. Das heißt, sie produzieren möglichst wenig
Laute, Morpheme und Wörter, um den Artikulationsaufwand zu reduzieren.
Gleichzeitig aber müssen sie deutlicher und mehr sprechen, um Inhalte präzis
vermitteln zu können. Morphologisch natürlich/gut ist ein Plural wie in Spie-
le, weil durch das Mehr an Lautmaterial auch ein Mehr an Inhalt ausgedrückt
wird. Weniger natürlich ist Väter, da diese Beziehung nicht besteht. Darum ist
Affigierung auch besser als Konversion, und darum ist Affigierung auch in den
Sprachen der Welt verbreiteter als Konversion (Dressler 2005: 269). Schnell –
schneller ist morphologisch besser als gut – besser, weil im letzten Beispiel ein
Zusammenhang zwischen den Wörtern nicht erkennbar ist. Morphologisch
gut ist eine Form, wenn sie alle Bedeutungsaspekte klar formuliert, wenn sie
einzelne Morpheme hinten anhängt (Prä-, Zirkum- und Infixe sind markier-
ter/unnatürlicher als Suffixe, Suffixe erscheinen im Spracherwerb vor Präfixen
und anderen, vgl. Clark 2009: 273). Dafür aber ist Väter phonologisch besser,
weil es nicht länger ist als Vater, übler ist phonologisch besser als übeler. Denn
auf der Lautebene wollen die Sprecher und Sprecherinnen Energie sparen. Da-
rum kommt es zu Verschleifungen und dem Wegfall ganzer Silben. Das führt
zu Konflikten – Exaktheit, Transparenz und damit meist Länge stehen im
Widerstreit mit Praktikabilität. In den Fachsprachen werden daher oft präzi-
se, aber umständliche Ausdrücke gekürzt, vgl. Nijmegen-Breakage-Syndrom/
NBS, vor allem in weiteren Bildungen, vgl. NBS-artige Störung. Mit jedem
Morphem nur eine Bedeutung zu verbinden ist eindeutig und transparent,
ergibt aber lange Wörter. Mit einem Morphem viele Bedeutungen zu verbin-
den ist ökonomisch, aber nicht eindeutig. Die agglutinierenden Sprachen ha-
ben sich für die erste Lösung entschieden, die flektierenden für die zweite. Da
aber die Konflikte in jeder Sprechsituation weiter bestehen, ist ein Sprachwan-
del, der das eine oder andere Problem beheben will, stets möglich. Die starken
Verben sind morphologisch unnatürlicher bzw. markierter als die schwachen,
darum besteht eine Tendenz zum Abbau – was früher noch drosch, buk, molk
war, ist nun dreschte, backte, melkte. Denn insgesamt wird beim Sprachwandel
Markiertheit bzw. Unnatürlichkeit abgebaut. Auch *reitete ist bereits zu hören.
Dies betrifft aber nur die selten gebrauchten Verben. Formen wie gehen – ging
bleiben bestehen. Sie werden ständig genutzt, das festigt einerseits das Muster,
andererseits gewinnt die Kürze, die phonologische Einfachheit, an Gewicht.
Wichtige Vertreter sind Wolfgang U. Wurzel, Wolfgang U. Dressler und
Willi Mayerthaler.
1.2. Vertiefung 19

Grammatikalisierung
Nomen und Verben können sich zu Präpositionen, Präpositionen und Parti-
keln zu Präfixen wandeln. Auch manche Kompositionsglieder entwickeln sich
zu Ableitungsaffixen oder Flexiven (Henzen 1957: 31). Die Grammatikalisie-
rung, als theoretische Richtung verstanden, befasst sich vorwiegend mit der
Entstehung grammatischer Elemente oder Strukturen aus Lexemen und mit
der Zunahme an grammatischer Funktion ohnehin grammatischer Elemente,
also mit Grammatikalisierung, nun als sprachlicher Prozess verstanden. Bei-
spielsweise erscheinen das Adverb links, die ehemals freie, dann feste Fügung
auf Grund und die ehemalige Nominalform wegen als Präpositionen. Das Ad-
jektiv eben in der Bedeutung ‘gleichmäßig hoch, gerade’ wird auch als Adverb
‘in diesem Augenblick’ verwendet und schließlich als Modalpartikel wie in
Dann lässt du’s eben sein! Das Wort wird in einigen Zusammenhängen immer
weniger lexikalisch und immer mehr grammatisch. In anderen Fällen wach-
sen häufig nebeneinander gebrauchte Wörter zusammen (Univerbierung) wie
bei handhaben, wobei hier das linke Lexem seine Flexionsfreiheit verliert. Bei
weiblich zu ahd. wīblīh ‘die Gestalt einer Frau habend’ bzw. ‘Frau’+‘Körper’
entwickelte sich das rechte Kompositionselement zu einem Derivationssuffix.
Später können solche Teile dann soweit miteinander verschmelzen, dass sie
nicht mehr als Einzelmorpheme wahrgenommen werden, wie es bei Grumt
‘zweite Heuernte’ geschah aus mhd. grüenmāt, also grün+Mahd. Die vielen
Zwischenschritte von durchsichtigem Kompositum zu demotiviertem Kom-
positum – der Junggeselle ist kein junger Geselle – und dann selbst strukturell
nicht mehr klar erkennbarem komplexen Lexem führen bei der Analyse der
in dieser Entwicklung befindlichen Wörter oft zu Problemen und erfordern
diskussionsgestützte Entscheidungen. Das bedeutet gleichzeitig, dass ohne
diachrone Kenntnisse Einsichten in viele komplexe Wortbildungsstrukturen
gar nicht möglich sind.
Eine der nicht unumstrittenen Grundannahmen der Grammatikalisie-
rung ist, dass es nur die eine Richtung gibt von lexikalischer zu grammati-
scher und noch stärker grammatischer Funktion (Prinzip der Unidirektio-
nalität). Ein Vollverb wird zu einem Hilfsverb, vgl. Ich habe Geld. Ich habe
gerufen, ein Pronomen wird zu einer Konjunktion, vgl. Ich sehe das: er ist
zufrieden – ich sehe, dass er zufrieden ist (Paul 1937: 299), nicht umgekehrt.
Wie in der Natürlichkeitstheorie und später in der Kognitiven Grammatik
interagieren die sprachlichen Ebenen Lautung, Lexik, Morphologie und Syn-
tax miteinander in Abhängigkeit von Bedeutung und Gebrauch einer Form.
Brauchen ‘benötigen’ wird in einem bestimmten syntaktischen Rahmen und
zusehens ohne zu und mit Flexionsverlust wie ein Modalverb eingesetzt, vgl.
Er brauch(t) nicht kommen wie Er muss nicht kommen. Die Wörter verlieren
in diesen Situationen stets lexikalisches Gewicht.
20 1. Einführung I

Vertreter dieser Richtung sind u.a. Bernd Heine, Paul J. Hopper, Christian
Lehmann und Elizabeth Closs Traugott.

Soziolinguistik
Die Soziolinguistik entwickelte sich u.a. aus der Abgrenzung zur Systemlin-
guistik, die Regeln für die (ideale) Sprache als uniformes, homogenes System
aufstellte, auch sprachübergreifend. Eine Untersuchung möglicher Varianten
war überflüssig. Diese für Strukturalismus und generative Grammatik cha-
rakteristische Haltung verstand entsprechend Arbeiten mit realen Sprach-
daten als unwichtig. Die Soziolinguistik ist demgegenüber nicht nur durch
die Berücksichtigung von Sprachvarietät geprägt, sondern durch die Einbe-
ziehung außersprachlicher Faktoren, die die Wahl einer bestimmten Varietät
beeinflussen. Ein Dialekt ist regional determiniert. Ob aber ein Dialektspre-
cher, eine Dialektsprecherin ihren Dialekt gebraucht, hängt von der jeweili-
gen Situation ab. Neben räumlich bestimmten Sprachvarietäten gibt es sozial
bedingte Formen wie verschiedene Gruppensprachen, Berufssprachen oder
situativ bedingte wie gehobene, umgangssprachliche oder vulgärsprachliche
Formen. Primär funktional bedingt sind die Fachsprachen oder auch Litera-
tur- und Amtsdeutsch. Und bereits die Mündlichkeit hat einen Einfluss auf
die Morphologie, auch wenn dies bisher kaum untersucht ist (vgl. Elsen/Mi-
chel 2010).
Eine der wichtigsten Unterscheidungsebenen ist die Lexik, außer bei den
Dialekten. Hier ist die jeweilige Lautung charakteristisch neben bestimmten
lexikalischen Eigenheiten. Aber über das Lexem spielt auch die Morphologie
eine Rolle. In der Jugendsprache kommen viele und auch charakteristische
Präfixoidbildungen vor. Es gibt fachsprachentypische Affixe, beispielsweise
-ol für Alkohole in der Chemie oder -em in der Linguistik. Die Werbespra-
che für Arzneien arbeitet gern mit Pseudoaffixen wie -in, -an, -on etc. Und in
manchen Literaturgenres treten vermehrt Neologismen auf. Kennzeichnend
für Science Fiction und Fantasy ist neben den Neuwörtern der ausgeprägte
Hang zur Kunstwortbildung in der Namengebung. Die Dialekte schließlich
zeichnen sich durch teils eigene, teils leicht reduzierte Flexion aus. Es gibt kei-
ne Konjunktive, keine Präteritalformen, keinen Genitiv. Und auch der Dativ
schwindet fast komplett. Die Frage ist, welche/r SprecherIn sich unter welchen
Bedingungen einer bestimmten Varietät bedient und warum – hier kommt
die Funktion einer bestimmten Verwendungsweise ins Spiel. Die Soziolingu-
istik beschäftigt sich mit dem konkreten Gebrauch von Sprache in Abhän-
gigkeit von außersprachlichen Faktoren – wann und warum verwenden wir
welche Form? Sie führt damit fort von der Norm hin zu seltenen, neuen und
exzeptionellen Wörtern. Unter diesem Gesichtspunkt können aktuelle Ver-
änderungen beschrieben werden, die möglicherweise Ausgangspunkt von
1.2. Vertiefung 21

Sprachwandelerscheinungen sind. Das zeigt sich am verbreiteten Aufkommen


von Konfixen und der Etablierung der Affixoidbildung, aber auch am Verlust
synthetischer Flexion.
Frühe Arbeiten stammen von Basil Bernstein, der Angehörige der Unter-
schicht verglich mit denen der Mittel- und Oberschicht und zu dem Schluss
kam, dass UnterschichtsprecherInnen den anderen gegenüber sprachliche
Defizite aufweisen wie eine einfacherere Grammatik und einen kleineren
Wortschatz (Defizithypothese). William Labov hingegen formulierte anhand
von Studien der Varietäten in New York City seine Differenzhypothese, die
den Systemen einen gleichwertigen Status zubilligt. Heute spielen auch For-
schungen auf den Gebieten der feministischen Linguistik, des Zweitspracher-
werbs, des Sprachwandels, der Dialekte und anderer Varietäten einer Sprache
im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Faktoren mit in soziolinguistische
Überlegungen hinein.
Einige wichtige Vertreter sind Basil Bernstein, William Labov oder Peter
Trudgill.

Kognitive Morphologie
Die wesentlichen Grundgedanken der Kognitiven Linguistik sind, dass
Sprache durch die SprachbenutzerInnen entsteht, die mit ihrer Hilfe ihre
Gedanken weitergeben (vgl. im Folgenden Elsen 2009e). Der Mensch ver-
ändert seine Sprache. Sprachwissen ist nicht angeboren. Die Grammatik ist
gebrauchs- und oberflächenorientiert, und komplexe Strukturen lassen sich
aus vielen Einzelbeispielen abstrahieren. Das Wirken von Analogie, die Häu-
figkeit der Verwendung (Frequenz), ein Gespür für gute und schlechte Bei-
spiele führen zu regelhaften oder weniger regelhaften Formen. Sprachwissen
ist dynamisch. Eine Struktur verfestigt bzw. verselbstständigt sich durch häu-
figen Gebrauch. Komplexe Strukturen, wenn verselbstständigt, erhalten den
Status von Einheiten, dieser kann nur graduell, nicht diskret, verstanden
sein. Wissen kann verblassen. Syntaktische und morphologische Strukturen
unterliegen den gleichen Prinzipien. Sprache existiert nicht unabhängig von
SprecherInnen und Sprechsituationen. Damit ist ein Zusammenspiel zwi-
schen Sprache und anderen Kenntnisbereichen erlaubt, neuronale Fakten
stehen in Verbindung mit Sprachstrukturen, und statt einer rein formalen
Beschreibung von Struktur möglichst unter Ausschluss von Bedeutung wie
bei strukturalistischen und generativen Modellen strebt die Kognitive Lin-
guistik Erklärungen an.
Neuropsychologische, biologische und psychologische Fakten bilden die
nötige sprachexterne Basis für neue Erklärungsansätze von Sprechen, Spra-
cherwerb und Sprachwandel. Dadurch ändert sich auch der früher mathema-
tisch orientierte Regelbegriff. Zur analytischen Hierarchisierung sind nicht
22 1. Einführung I

mehr bloß binäre Schritte möglich, und die beteiligten Einheiten haben kei-
nen Symbolsstatus mehr. Die gesamte aristotelisch begründete Vorstellung
von diskreten Kategorien, die sich durch eine Gruppe von Merkmalen cha-
rakterisieren lassen, über die alle Mitglieder in gleicher Weise verfügen, wird
aufgegeben. Stattdessen können Eigenschaften mehr oder weniger treffend
bzw. gut sein. Kriterienbündel statt lediglich isolierter Merkmale dürfen eine
distinktive Relevanz entwickeln.
Symbole, Strukturbäume oder Formalismen können bestehen bleiben,
verändern aber die Aussagekraft. Denn es sind praktikable Beschreibungsin-
strumentarien, aber keine Vorschriften oder gar mentale Fakten. Eine gene-
rative Regel wie „V → Vs + (Prät) + Pers“ ist nun aufzufassen als „die meisten
Verben im Deutschen bilden ihre Präteritumform durch die Kombination
dreier Morpheme, Verbstamm, Präteritum und Person“.
Die Kognitive Linguistik untersucht auch, wie Konzepte, etwa die Vor-
stellung von einem Stuhl „an sich“, entstehen, wie sie verwendet werden und
in welchem Zusammenhang das dazugehörige Wort steht. Davon ausgehend
sind die kognitiven Prozesse zu betrachten, die bei der Bildung von Wortfor-
men und komplexen Wörtern eine Rolle spielen. Es sind nicht einfach Regeln
anzuwenden bei der Bildung eines neuen Kompositums wie Geisterfahrer. Es
muss auch Bedarf für das Wort bestehen, ein Nutzen, praktischer und kog-
nitiver Art. Und warum wählen die SprecherInnen so häufig würde kommen
statt käme? Käme ist zwar kürzer, aber wir müssen beim Konjunktiv eine wei-
tere Form des Verbs abrufen, während bei der Umschreibung mit würde der
Infinitiv ausreicht – das ist wesentlich bequemer, vor allem, weil dieses Muster
auf alle Verben angewendet werden kann und wir die meisten Konjunktivfor-
men aus dem Gedächtnis streichen können.
Einen frühen Schritt in die Richtung der Kognitiven Linguistik taten Ru-
melhart/McClelland (1986), die in Auseinandersetzung mit generativen An-
sichten vor allem die dort postulierte Nichterlernbarkeit von Grammatik in
Frage stellten. Sie entwickelten Computermodelle in Anlehnung an die neu-
ronalen Fakten im Gehirn, die rein anhand von Daten die „Regeln“ aus dem
dargebotenen Sprachinput ermitteln und selbständig anwenden sollten. Ihre
neuronalen Netzwerke waren an biologischen Konstellationen orientiert und
hatten bestimmte Probleme zu lösen, beispielsweise den Erwerb der Flexion
starker und schwacher Verben. Der Ansatz nimmt einen assoziativ arbeiten-
den Erwerbsmechanismus an, der auch für andere kognitive Fähigkeiten gilt
und der sowohl zum Auswendiglernen als auch zu regelhaften Formen führt.
Eine Einheit kann aufgrund von Verallgemeinerung einer erkannten Struk-
tur als auch durch Erinnern des Ganzen verwendet werden. In den folgenden
Simulationen konnten die Netzwerke nicht nur aufgrund der ihnen dargebo-
tenen Daten Regularitäten erkennen und auf neue Wörter anwenden, auch
1.2. Vertiefung 23

manche Unregelmäßigkeit ließ sich mit dem Verarbeitungsmechanismus er-


klären. Vergleiche mit kontinuierlich erhobenen Kinderdaten zeigten die glei-
chen Ergebnisse wie die Computersimulationen (vgl. ausführlich Elsen 1998,
1999). Offenbar sind angeborene Regeln für reguläre Bildungen nicht nötig.
Sowohl regelmäßige wie auch unregelmäßige Formen sind anhand eines ein-
zigen Mechanismus erlernbar.
Einige wichtige Grundannahmen bilden das Fundament der auf Compu-
tersimulationen basierenden Vorstellungen. Ausgangspunkt ist das aktuelle
Sprechen, es gibt keine Tiefenstrukturen. Sprachwissen ist dynamisch und
anpassungsfähig, es ändert sich mit zunehmender Auseinandersetzung mit
Sprache. Die Verarbeitungsmechanismen gelten für alle sprachlichen Berei-
che, und damit interagiert auch sprachliches und anderes kognitive Wissen,
und zwar nicht nur oberflächlich. So kann eine bestimmte Lautstruktur ein
bestimmtes morphologisches Verhalten bedingen, oder lexikalische Aspekte
haben Auswirkungen auf das Flexionsverhalten. Aufgabenspezifische Berei-
che sind nicht streng voneinander abgegrenzt, sondern weisen Übergänge und
Interaktionen auf. Spezialisierte Bereiche entstehen mit der Zeit durch stän-
dige Informationsverarbeitung. Information ist nicht symbolisch, sondern in
Neuronen und ihren Verbindungen, also als Bündel aktivierter Netzknoten
bzw. Neuronen, kodiert. Solche Komplexe repräsentieren Laute, Wörter, Kon-
zepte etc. Struktur entsteht als Folge von Selbstorganisation und Interaktion
zwischen Subsystemen, ohne dass fertige Segmente und Pläne („Regeln“) zur
Verfügung stehen (vgl. u. a. Elman et al. 1996, Elsen 1999, Pulvermüller 2002,
Wildgen 2008).
Auch aus der Psychologie erhielt die Kognitive Linguistik wichtige Anstö-
ße. Der hier von Eleanor Rosch entwickelte Ansatz der Prototypen befasste
sich mit kognitiven Denkprozessen. Anhand von SprecherInnenbefragungen
wurde die interne Struktur von Kategorien untersucht. Diese ergaben gute
und schlechte Beispiele einer Kategorie – Spatz ist ein besseres Beispiel für
die Kategorie Vogel als Pinguin. Manche Beispiele sind so schlecht, dass sie
schon wieder einer anderen Kategorie angehören – eine große, ganz flache
Tasse ist fast schon ein Teller, eine hohe Tasse ohne Henkel ist eigentlich ein
Becher. Kategorien sind nicht nur intern strukturiert, es muss auch nicht un-
bedingt klare Grenzen zwischen ihnen geben. Das kann auf sprachliche Klas-
sen übertragen werden, für die dann Merkmale und ihre unterschiedliche
Gewichtung gesucht werden. Sie sind nicht unbedingt gleich gewichtig, tref-
fen nicht per entweder/oder zu und kein einziges muss notwendig sein – ein
Vogel, der nicht fliegen kann, ist trotzdem ein Vogel. Dies alles steht im Wi-
derspruch zu den aristotelischen Anschauungen und damit auch zu struktu-
ralistischen und generativen Grundannahmen über den Aufbau von Katego-
rien und den Stellenwert von Symbolen, die sich dort nach absolut wirkender
24 1. Einführung I

Regelanwendung in binären Schritten zu komplexen Strukturen zusammen-


schließen. Für die Wortbildung bedeutet die Berücksichtigung prototypischer
Prinzipien, dass es neben guten Beispielen für eine Derivation (Springer) auch
schlechte gibt (Gang, Dickhäuter) (vgl. Elsen 2006, 2008c, 2009c). Die aus
dem Netzwerkgedanken gewonnene Dynamik erklärt aktuelle Entwicklun-
gen, z.B. die Zusammenbildungen, vgl. Rückwärtseinparker, Frauenversteher
oder Warmduscher. Sie stammen von RadiosprecherInnen und sind aufgrund
der bestimmten Äußerungssituation mit wichtigen stilistischen Merkmalen
verknüpft. Dann kommt es zu neuen Zusammenbildungen, die die stilisti-
schen Merkmale mit transportieren – in bestimmten Zeitungen, weiteren Ra-
diosendungen, bei SprecherInnengruppen, die sich mit den ursprünglichen
Schöpfern identifizieren, aber eben nicht in seriösen Situationen oder in Fach-
sprachen. Auf Netzwerkebene entsteht mit der Zeit eine recht feste Knoten-
verbindung zwischen morphologischer und stilistisch-assoziativer Struktur.
Im Rahmen der Kognitiven Linguistik bilden wir komplexe Wörter, weil
wir damit etwas Bestimmtes ausdrücken wollen. Dabei spielt die Gebrauchs-
häufigkeit eines Ausdrucks eine wichtige Rolle. Sie ist u.a. dafür verantwort-
lich, dass unregelmäßige Formen bei häufigem Gebrauch gespeichert bleiben.
Denn ein Beispiel, das wir oft hören, lernen wir auswendig, ohne dass wir eine
interne Struktur erkennen müssen. Unregelmäßige Formen behaupten sich
nur aufgrund ihres ständigen Gebrauchs, sonst würden sie regularisiert, vgl.
molk, drosch, wob, heute melkte, dreschte, webte. Nachdem mittlerweile nur
noch wenige die früher verbreiteten Tätigkeiten verrichten, geht mit der selten
gewordenen Handlung auch der Gebrauch der Verben zurück. Die einst als
Ganze gespeicherten unregelmäßigen Formen verblassen. Die SprecherInnen
sind verunsichert und bilden sie jetzt regelmäßig.
Durchsichtigkeit fördert die Produktivität. Ein -en für den Plural anzuhän-
gen ist deutlicher erkennbar als einen Vokal auszutauschen wie bei Väter. Die
Freiheit der Anwendbarkeit wirkt ebenfalls verstärkend. Während wir Kompo-
sita mit allen Wurzeln bilden können, sind tel-Ableitungen nur unter bestimm-
ten Voraussetzungen möglich, nämlich mit Zahlwörtern (Fünftel, Siebzehntel).
Die Komposition ist insgesamt häufiger, transparenter und dazu auch mit viel
mehr verschiedenen Wörtern durchführbar als beispielsweise die er-Ableitung.
Diese ist häufiger und weniger beschränkt anwendbar als die ling-Ableitung.
Darum ist es verständlich, dass einerseits beim Spracherwerb die deutschen
Kinder mit Kompositionen beginnen, ihnen er-Ableitungen und spät und sel-
ten ling-Beispiele folgen lassen (vgl. Elsen 1999), und dass andererseits auch bei
Neologismen diese Faktoren eine Rolle spielen. Komposita haben einen breiten
Anwendungsbereich, sind sehr häufig, sehr durchsichtig und werden entspre-
chend viel für neue Wörter genutzt. Konversionen sind seltener, da mit der
Bedeutungsveränderung keine Formveränderung einhergeht (vgl. Elsen 2004).
1.2. Vertiefung 25

Aus kognitiv-grammatischer Sicht haben sprachexterne Einflüsse einen


nicht zu vernachlässigenden Stellenwert. Die SprachbenutzerInnen verknüp-
fen durchaus stilistische bzw. assoziative Informationen mit einem schwachen
Muster – und das steigert seinen Wert, wie bereits am Beispiel der Zusam-
menbildungen erläutert. Dies führt zu einer zeitweiligen Produktivität, die
wieder nachlassen kann.
Vertreter der Kognitiven Linguistik sind zum Beispiel Joan L. Bybee, Ro-
nald W. Langacker oder John R. Taylor.

Die verschiedenen Theorien schließen sich nicht unbedingt aus. Strukturalis-


tische oder generative Modelle können als Beschreibungsapparate herangezo-
gen werden, während die anderen Ansätze versuchen, Erklärungen zu finden.
Momentan ist es noch nicht möglich, Ergebnisse aus biologisch-neuronalen
Untersuchungen zur Entstehung und Verwendung von sprachlicher Struk-
tur in eine eindeutige Beschreibungsentsprechung zu überführen. Compu-
tersimulationen von komplexen sprachlichen Vorgängen sind zurzeit kaum
möglich, und neurokognitive Projekte gestalten sich aufwendig. In nächster
Zukunft ist wohl keine integrative Sicht auf Grammatik zu erwarten, die die
sprachwissenschaftlichen Tatsachen mit Erkenntnissen aus der Neurolingu-
istik und der Biologie vereint. Sie helfen uns allerdings, viele Phänomene des
Spracherwerbs, des Wandels und der Sprachverwendung besser zu verstehen.

Bergenholtz/Mugdan (1979), Štekauer/Lieber (2005), Tuggy (2005), Elsen


(2009e, 2014), Szczepaniak (2009), Onysko/Michel (2010)
Sprachwandel: Nübling (2008), Soziolinguistik: Löffler (2005)

Übungen zu 1.2. Vertiefung


1. Erstellen Sie eine Wortbildungsanalyse für Brombeermarmelade!
2. Was bedeutet I & A?
3. Was ist morphologisch besser und warum: die Kinder, die Mütter, die
Mädchen?
2. Einführung II

2.1. Grundlagen

Was leisten die Morpheme?


Bei der morphologischen Analyse müssen auch Informationen zu den Auf-
gaben bzw. Funktionen der Einheiten erbracht werden. Morpheme können
Wortformen bilden, und zwar über die F l e x i o n (Beugung). Flexionsmor-
pheme bzw. Flexive kennzeichnen die syntaktische Funktion von Nomen,
Pronomen, Artikel, Adjektiven und Verben durch Veränderung im oder am
Stamm. Bei den Verben sprechen wir auch von Konjugation, für die restlichen
Gruppen gibt es den Begriff der Deklination. Sie betrifft damit die nomina-
len Wortarten und bezieht sich auf die Flexion nach Kasus/Fall (Nominativ,
Genitiv, Dativ, Akkusativ) und Numerus/Zahl (Singular, Plural). Adjektive,
Artikel und Pronomen können außerdem nach dem Genus/grammatischen
Geschlecht gebeugt sein. Flexionsmorpheme sind stets gebunden. Kasus, Nu-
merus, Singular, Nominativ etc. sind grammatische Kategorien. Freie Wörter
ohne Flexive sind zumeist die Nenn- oder Grundform, vgl. Stuhl, Schornstein-
feger, schwarz im Gegensatz zu Stühle, Schornsteinfegers, schwarzes. Beim Verb
ist diese Nennform der Infinitiv (laufen, hüpfen).
Morpheme bilden aber auch (neue) Wörter: W o r t b i l d u n g . Die
Wortbildungslehre beschäftigt sich mit Bildungsmitteln, die zu der gruppen-
haften Entstehung von Wörtern führen.
Der nun folgende Überblick deckt die W o r t b i l d u n g s a r t e n ab. Der
Begriff bezieht sich auf die allgemeinen Verfahren der Wortbildung, beispielswei-
se Komposition, Derivation, Konversion. Bei feineren Unterscheidungen jenseits
der ersten strukturell-morphologischen Ebene wie „deverbale Ableitung durch
-ung, die zu Substantiven führt“ (zucken – Zuckung, festigen – Festigung) handelt
es sich um W o r t b i l d u n g s m u s t e r . Die W o r t b i l d u n g s m i t -
t e l wiederum sind Morpheme oder diejenigen Einheiten, die bei der Wort-
bildung eine Rolle spielen, im Falle von Fünfjahresplan auch eine Phrase (fünf
Jahre). Im weiteren Sinne zählen noch Reihenfolge und Akzentlage dazu.
2.1. Grundlagen 27

Für das Deutsche ist die Komposition die produktivste Methode der Wort-
bildung. Das bedeutet, dass sie gern für neue Wörter eingesetzt wird. Dabei
fügen sich mindestens zwei Wurzeln zu einem Wort zusammen. Die vielfach
zu lesende Definition, nach der mindestens zwei Wörter zu einem neuen Wort
verbunden werden, ist deswegen nicht ganz korrekt, weil sie nicht Fälle von
Konfixen, unikalen Morphemen oder Allomorphen mit einschließt (Himbee-
re, Philologe, Schultür), denn him, phil(o) und schul sind im Deutschen keine
Wörter, sie existieren in dieser Form nicht selbstständig.
Während der Begriff der P r o d u k t i v i t ä t darauf zielt, dass ein Mor-
phem bzw. ein Wortbildungsmittel für die Bildung neuer Wörter herangezo-
gen wird, tritt oft auch der Begriff der Aktivität auf, der sich allerdings teils auf
schwache Produktivität, teils auf die Verwendungsintensität von Lexemen in
komplexen Lexemen bezieht. Wegen dieser nicht einheitlichen Verwendungs-
weise in der Fachliteratur wird hier darauf verzichtet. Produktivität darf im
Übrigen nicht mit Frequenz bzw. Häufigkeit des Vorkommens verwechselt
werden, denn auch unproduktive Muster können mehr oder weniger häufig
sein.
Im Zusammenhang mit der Produktivität steht auch der Begriff der B l o -
c k i e r u n g . Er bezieht sich auf die Einschränkung der Produktivität. Wenn
es nämlich bereits ein Wort gibt, wird in der Regel für die gleiche Sache kein
weiteres gebildet. Die Form besser blockiert *guter. Da wir Scherzbold haben,
brauchen wir nicht auch noch Scherzer oder Scherzerich. Im Deutschen gibt
es schneiden und Schweiß, deswegen bilden wir nicht *scheren ‘schneiden’ oder
*Schwitze. Es kann auch sein, dass das Deutsche das Wort bereits in einer an-
deren Bedeutung hat, sodass Homonymie (Mehrdeutigkeit) vermieden wird
(Tanker ‘jemand, der tankt’). Allerdings kreieren Kinder solche Wörter trotz-
dem (Elsen 1999: 174), weil sie die lexikalisierte Form entweder nicht kennen
oder gerade nicht abrufen können. Und wenn die Erwachsenen solche Lexe-
me verwenden, dann, um damit etwas Bestimmtes auszudrücken wie Ironie
oder Humor. Andere Wörter brauchen wie gar nicht, etwa weibliche Formen
unbelebter Dinge wie Stuhl oder Tisch – *Stuhlin, *Tischin. Aber selbst sie
sind in originell-phantastischen Zusammenhängen vorstellbar. Schließlich
können auch Klang bzw. Aussprechbarkeit die Wahl oder die Nicht-Wahl ei-
ner Bildung beeinflussen – die kleine Schale wird eher Schälchen genannt als
?
Schällein, weil dann das Aufeinandertreffen gleicher Laute vermieden wird
und die Morpheme klarer erkennbar sind. Genauso bevorzugen wir Bächlein
statt ?Bächchen. Dabei gibt das hochgestellte Fragezeichen an, dass die For-
men nicht falsch, wohl aber sehr fraglich sind.

Bei den D e t e r m i n a t i v k o m p o s i t a bestimmt das Erstglied das


Zweitglied inhaltlich näher (Haustür ‘Tür am Haus’). Der erste Teil von zwei-
28 2. Einführung II

en trägt den Hauptakzent, der zweite bestimmt Wortart, Flexion und Genus
des Gesamtausdrucks. Wenn die Gesamtbedeutung aus den Einzelgliedern
ableitbar ist, handelt es sich um ein m o t i v i e r t e s Kompositum. Um dies
festzustellen, fragen Sie: „Um was für ein X handelt es sich?“ Dabei steht X für
das Zweitglied. Sie erhalten als Antwort das Testwort. Wenn das zu Proble-
men führt, ist das Kompositum nicht mehr motiviert. Bei Haustür führt die
Frage „Um was für eine Tür handelt es sich?“ zum Zielwort. Bei Steckenpferd
beantworten wir jedoch „Um was für ein Pferd handelt es sich?“ nicht mit dem
Zielwort. Zusätzlich bilden wir eine P a r a p h r a s e , eine Umschreibung,
die möglichst die beteiligten Glieder verwendet und die Wortartenzugehörig-
keit des Lexems berücksichtigt, etwa Haustür – ‘Tür zum Haus’ oder ‘Tür am
Haus’. Hier sind Genitivattribute zu meiden, weil sie zu wenig Aussagekraft
besitzen. Bei Teilverlust der Bedeutung liegen teilmotivierte Beispiele vor
(Großmutter *‘große Mutter’). Wenn die Beziehung nicht mehr herzustellen
ist, ist ein Kompositum i d i o m a t i s i e r t bzw. lexikalisiert bzw. voll de-
motiviert. Augenblick ‘kurzer Moment’ oder Steckenpferd ‘Hobby’ sind nur
noch strukturell Determinativkomposita, wobei bei Augenblick noch eine me-
taphorische Beziehung konstruierbar ist, bei Steckenpferd nicht mehr. Noch
anders liegt der Fall bei Formen, die auch strukturell nicht mehr als Komposi-
ta erkennbar sind, sogenannte v e r d u n k e l t e K o m p o s i t a (Wimper
aus mhd. wintbrā(we), Junker aus junc herre, Grummet, Grumt aus gruonmāt,
Nachbar aus nāchgebūr, Schuster aus schuohsūtære (Henzen 1957: 46, 73, 260).
Viele ehemals komplexe Wörter, auch Ableitungen, sind heute nicht mehr in
Morpheme zerlegbar und damit undurchsichtig. Dies geschieht in Abstufun-
gen, vgl. Pfifferling, bei dem noch das -ling herauslösbar wäre, Gemüse, bei
dem kaum noch jemand das Mus erkennt. Sie gelten heute als Simplizia. Der
Übergang von voll motiviert zu idiomatisiert ist gleitend.
Durch die Paraphrase können auch Mehrdeutigkeiten aufgedeckt werden.
So ist Fingerhut einmal als teilmetaphorisch ‘Hut für den Finger’, einmal rein
metaphorisch als ‘Pflanze, die aussieht wie ein Fingerhut’ zu sehen. Die jeweils
gültige Lesart gibt zumeist der Kontext vor. Bei der Analyse sind alle Bedeu-
tungsvarianten (Lesarten) anzugeben.
Die P o s s e s s i v k o m p o s i t a (Bahuvrihi) sind aufgebaut wie Deter-
minativkomposita und geben den Besitz oder die Eigenschaft einer nicht im
Ausdruck erwähnten Person etc. an. Dabei dienen sie als Bezeichnung für das
gesamte Individuum. Rotkehlchen ist ein Vogel, der ein rotes Kehlchen hat.
K o p u l a t i v k o m p o s i t a (Dvandva(-Komposita), Koordinativkompo-
sita) verbinden mindestens zwei Elemente einer Wortart. Ihr Verhältnis un-
tereinander ist im Gegensatz zum Determinativkompositum nicht determi-
nierend (bestimmend), sondern gleichwertig. Schwarzweiß ist ein Muster, das
sowohl schwarz als auch weiß ist.
2.1. Grundlagen 29

R e d u p l i k a t i v k o m p o s i t a weisen ganz oder teilweise Verdopp-


lung und damit Verstärkung eines Elements auf (Hickhack); sie gibt es bei
Neubildungen nicht mehr.
Den Komposita so ähnlich, dass sie oft auch zu ihnen gezählt werden, sind
Z u s a m m e n r ü c k u n g e n , die aus dem wiederholten Nebeneinander
mindestens zweier Lexeme entstanden sind, z.B. Gernegroß. Das zweite Ele-
ment muss nicht unbedingt die Wortart des Gesamtausdrucks bestimmen.
Manchmal findet sich auch der Terminus „unechte Komposita“.
Z u s a m m e n b i l d u n g e n sind meist durch die Ableitung von Wort-
gruppen charakterisiert, etwa der bekannte Dickhäuter. Diese alte Wortbil-
dungsmethode wurde zunächst im Zwischenbereich von Komposition und De-
rivation angesiedelt, denn es gibt keinen *Häuter und auch nicht *dickhäuten.
Für den Grundlagenteil nicht relevant sind die W o r t g r u p p e n l e -
x e m e , denn sie treten bevorzugt in den Fachsprachen auf und werden in
traditionellen Abhandlungen zur Wortbildung nicht erwähnt. Hierbei han-
delt es sich um semantisch eigenständige Begriffe, lexikalisierte feste Fügun-
gen mindestens zweier getrennt geschriebener Wörter, deren Einzelwörter
beieinander bleiben und sich nicht austauschen lassen, außer, es kommt zu
einem neuen Wortgruppenlexem (spitzer Winkel, rechter Winkel). Wortgrup-
penlexeme können die Basis von Kürzungsvorgängen bilden (ZDF – Zweites
Deutsches Fernsehen).
Die Derivation ist die zweite wichtige Wortbildungsart des Deutschen.
Hier ist zwischen impliziter und expliziter Derivation zu trennen. Die explizi-
te Derivation zeichnet sich durch das Anhängen eines Derivationsaffixes aus
(Ex-Präsident, Gewinn-er), im Deutschen in der Regel an den Anfang oder
das Ende eines Wortes (bzw. einer Wurzel), selten im Innern oder als Kombi-
nation zweier Affixe bzw. als komplexes Affix. Viele Affixe werden auch heute
bei der Bildung neuer Wörter genutzt, die Muster mit diesem Affix sind dann
produktiv, vgl. Coolheit, Head-Bangerin, spacig. Bei der impliziten Derivation
wird nichts hinzugefügt, aber das Wort wird lautlich verändert, zumeist im
Stammvokal (werfen – Wurf ). Das Verfahren bezieht sich nur auf die Ablei-
tung von Verben und ist nicht mehr produktiv im Deutschen.
Die K o n v e r s i o n ist ein Wortartwechsel ganz ohne Wortbildungs-
merkmal, z.B. Blau, Essen.
Schließlich sei noch die R ü c k b i l d u n g erwähnt, eine Sonderform
der Wortbildung, bei der ein morphologisch komplexes Wort als Ausgangs-
basis dient und um ein Wortbildungsmorphem gekürzt wird (schutzimpfen zu
Schutzimpfung). In anderen Fällen findet ein Austausch statt (emanzipiert –
Emanze). Das führt zu einer Wortartveränderung. Fälle wie Besuch (zu besu-
chen, Konversion) und Erweis (zu Erweisung, Erleichterungsrückbildung, kein
Wortartwechsel) werden nicht zu den Rückbildungen gerechnet.
30 2. Einführung II

Zwischen Komposition und Derivation angesiedelt sind die Affixoid- bzw.


Halbaffixbildungen. A f f i x o i d e sind Elemente im Grenzbereich von
Kompositionsglied und Affix, die reihenbildend auftreten und sich seman-
tisch von ihrem freien Pendant entfernt haben. Dabei treten Präfixoide vorn
an ein Grundwort (Riesenblödsinn), Suffixoide hinten (Schuhwerk). Nominale
Suffixoide tragen meist eine kollektive (“sammelnde“) Bedeutung. Im Gegen-
satz zum Erstglied in einem Determinativkompositum haben Präfixoide we-
niger speziell determinierende als allgemein intensivierende, steigernde etc.
Funktionen inne und schließen sehr oft als synthetische Elativformen eine
morphologische Lücke im Deutschen. Häufig tritt auch noch die Verlagerung
des Wortakzentes hinzu oder es gibt zwei Akzente. Für die Affixoide ist die
Kombination der Kriterien Reihenbildung, semantische Veränderung und
freies Pendant ausschlaggebend. Affenarbeit in der Bedeutung ‘furchtbar viel
Arbeit’ allein würde als nicht mehr motiviertes Kompositum betrachtet wer-
den. Aber die systematische Bildung mehrerer Wörter mit ähnlichem Bedeu-
tungsverlust, hier reduziert von ‘Affe’ auf Steigerung, weist auf ein produktives
Muster hin. Der Bedeutungsverlust der betroffenen Konstituente erfolgt nicht
jeweils neu in der Zusammensetzung, sondern neue Bildungen entstehen mit
und wegen der bereits veränderten Bedeutung der Wurzel, die nun ihre Eigen-
ständigkeit verliert. Affixoide verhalten sich wie Affixe, sie sind reihenbildend,
platzfest, werden mit Stämmen kombiniert und sind nicht ableitbar. Zu den
Affixoiden zählen beispielsweise affen-, hoch-, riesen-, -werk in Affenarbeit,
hocherfreut, Riesendummheit, Schuhwerk.
Der Begriff A u g m e n t a t i v b i l d u n g (Steigerungsbildung) ist mit
dem der Affixoidbildung nicht gleichzusetzen, da er sich auf den semantischen
Aspekt der Steigerung bezieht. Dies kann durch Kompositionsglieder (Hoch-
haus, höchstbezahlt, mutterseelenallein), Präfixoide (Riesenärger, saublöd)
oder Affixe (höher, superhoch, erzkonservativ) erreicht werden. Damit zählen
die Suffixoidbildungen – der Begriff bezieht sich auf strukturell-semantische
Aspekte –, die ja nicht steigernde, sondern kollektive Bedeutung besitzen,
und manche Präfixoidbildungen nicht dazu, denn bei letzteren tritt neben der
steigernden eine zusätzliche wertende Bedeutung hinzu (Schweinearbeit ‘sehr
schlechte Arbeit’, Spitzenarbeit ‘sehr gute Arbeit’).
Vor allem im Zusammenhang mit der Derivation wird unterschieden
zwischen M o d i f i k a t i o n , bei der die Wortbildungsart erhalten bleibt
und lediglich die Bedeutung verändert, also modifiziert, wird (arbeiten – be-
arbeiten) und T r a n s p o s i t i o n , bei der die Wortart wechselt (Freund
– befreunden). Die beiden Begriffe finden in der Literatur keine einheitliche
Verwendung und werden daher im weiteren Text vermieden.
Einen besonderen Status innerhalb der Wortbildung nehmen die K u r z -
w ö r t e r bzw. K ü r z u n g e n ein. Hier entstehen keine neuen Wörter,
2.1. Grundlagen 31

sondern Varianten zu bereits existierenden Lexem(grupp)en. Im Prinzip


haben wir es nicht mit Wortbildung, sondern Wortveränderung zu tun.
Gewöhnlich kommt es bei den verschiedenen Kürzungsverfahren nicht zu
Wortartwechseln oder Bedeutungsveränderungen, höchstens zu Konnota-
tionsverschiebungen. Dabei kann eine Verselbstständigung im Laufe der Zeit
nicht ausgeschlossen werden – wer kennt schon die exakte Langform zu DNS
oder Hapag (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft – Ha-
pag-Lloyd entstand durch die Fusion der Reedereien Hapag und Norddeut-
scher Lloyd)? Es werden keine Begriffe erstbenannt. Die Ausgangswörter bzw.
-wortgruppenlexeme existieren neben den Kurzformen weiter. Aber hierzu
gibt es Ausnahmen. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz wurde gekürzt
zu BaföG, und das Kurzwort bezeichnet mittlerweile auch das Stipendium
bzw. das Geld, das aufgrund des Gesetzes vergeben wird.
Eine weitere sehr seltene und gleichzeitig auch umstrittene Form der
Wortbildung ist die K o n t a m i n a t i o n (auch Wortmischung, Wort-
kreuzung, Portmanteauwort u.a.), bei der Teile meist zweier Wörter zu einem
neuen verschmelzen, das dann Bedeutungsaspekte beider Wörter besitzt. Die
Beispiele haben meist stilistischen Charakter und finden selten den Weg ins
Lexikon (Kurlaub). K u n s t w ö r t e r , oft auch Wort-, Wortneu- oder Ur-
schöpfungen genannt, werden als neue Wurzel definiert. Sie entstehen nicht
über die reguläre Wortbildung und weisen keine morphologische Struktur
auf. Sie sind teilweise lautlich motiviert, kommen standardsprachlich nicht
vor, sind aber in Werbung, Kinderbüchern oder anderen Bereichen der fiktio-
nalen Literatur zu finden (Fa, Urmel, Schlumpf, urgs).

Bei der morphologischen Analyse geben Sie Folgendes an: die schrittweise hie-
rarchische Analyse (also die Konstituentenstruktur), z.B. als Strukturbaum, die
Morphemtypen, die Wortarten der einzelnen Konstituenten und die Wortbil-
dungsart bzw. Näheres zur Flexion. Informationen zu Produktivität und Be-
deutung (Paraphrase) sind ebenso wichtig wie Kommentare zur Motivation
(motiviert, teilmotiviert, idiomatisiert). Schließlich sollten Auffälligkeiten
angesprochen werden, beispielsweise zu Fremdwortstatus, alternativen Ana-
lysemöglichkeiten mit Begründung für eine Entscheidung und Besonderhei-
ten oder Auffälligkeiten, z.B. mehrere Lesarten, Konfix, Allomorph, unikales
Morphem oder Umlaut. Kommentare zum Wortakzent, vor allem, wenn er für
bestimmte Wortbildungsarten typisch ist, dürfen ebenfalls nicht fehlen.

Haustür Haustür Nomen, Determinativkompositum, Paraphrase


 ‘Tür zum Haus’, motiviert
{haus}{tür} {haus} freies lexikalisches Morphem, Nominalwurzel
{tür} freies lexikalisches Morphem, Nominalwurzel.
32 2. Einführung II

Der Wortakzent liegt auf der ersten Konstituente, wie bei Determinativkom-
posita üblich. Die Determinativkomposition ist hochproduktiv.

Schulsprecher

{schul}sprecher

{sprech-}{-er}

Schulsprecher Nomen, Determinativkompositum, Paraphrase ‘Sprecher,


der für die Schule (als Gesamtheit der Schüler) spricht’, mo-
tiviert, produktiv
sprecher Nomen, explizite Derivation, ‘jemand, der spricht’, Perso-
nenbezeichnung, produktiv, motiviert
{schul} Allomorph zu {schule}, Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{sprech-} Verbwurzel, lexikalisch, gebunden
{-er} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden

Der Wortakzent liegt auf der ersten Konstituente, wie bei Determinativkom-
posita üblich.

Fugen
Fugenelemente sind Einheiten zwischen zwei Wurzeln bzw. zwischen Stamm
und Suffix, die historisch auf Morpheme, meist Flexionsendungen zurückge-
hen und teilweise später auch analog gebildet wurden. Fugen zwischen Stamm
und Suffixen sind selten. Sie kommen z.B. bei -haft oder -tum vor, vgl. laien-
haft, frühlingshaft, Beamtentum. In heimischen Komposita treten -(e)s-, -(e)n-,
-e-, -er-, -ens- auf. Eine fremdsprachliche Fuge ist -o- (Thermohose, Spielothek),
ganz selten auch -i- (Plastinaut, Chemigraph, Agrikultur, Herbizid, toxigen).
Der Status der Fuge ist in mehrfacher Hinsicht umstritten. Erstens waren
viele Fugen ursprünglich Flexive, tragen heute jedoch keine Flexionsbedeu-
tung mehr. Trotzdem hielt sich lange Zeit die Vorstellung, sie seien als gram-
matische Morpheme zu analysieren. Auch der Morphemstatus ist nicht klar,
vielfach wird er ihnen abgesprochen, aber gleichzeitig werden sie als Infixe
oder Interfixe klassifiziert – aber dies sind Morpheme, dieser Widerspruch ist
nicht nachvollziehbar. Damit verbunden ist ihr Stellenwert in der Analyse als
unabhängig und nicht morphologisch, eher dem Erstelement zugehörig oder
als gleichberechtigt zwischen den Nachbarmorphemen zu sehen.
2.1. Grundlagen 33

Die Diskussionen zur Behandlung bei der morphologischen Analyse kreisen


um zwei Problemkomplexe. Erstens weisen Fugen mittlerweile keine Bedeu-
tung mehr auf. Daher verbreitete sich in letzter Zeit die Ansicht, es hand-
le sich nicht um Morpheme. Zweitens ist hin und wieder die Einordnung in
paradigmatische, das heißt mit Flexionsendungen übereinstimmende, und
unparadigmatische, keine Übereinstimmung aufweisende, Fugen zu finden.
Diese Einteilung ist deswegen nicht besonders hilfreich, weil einige der Fu-
gen zwar historisch Flexive sind, aber heute nicht mehr so aussehen. Fälle
wie in Hahnenschrei, Mondenschein und Schwanenhals werden dann als his-
torisch paradigmatisch, synchron unparadigmatisch charakterisiert (Duden
2006: 723). Aber ohne sprachhistorisches Wissen ist eine solche Einordnung
nicht möglich, und damit birgt eine synchron orientierte Analyse zu viele
Fehlermöglichkeiten. Außerdem trägt keine Fuge heute mehr flexivische Be-
deutung, außer in ganz wenigen Kontrastfällen wie bei Landesverteidigung/
Länderverteidigung, die aber als lexikalisiert gelten können. Ein weiteres un-
nötiges Problem ergibt sich bei Fugen, die einmal paradigmatisch, einmal
unparadigmatisch sein können wie -ens- (Herzenswunsch vs. Schmerzens-
geld) oder -s- (Lebensbaum vs. Unschuldslamm). Sie müssten dann, je nach
morphologischer Umgebung, unterschiedlich bestimmt werden. Das verstößt
gegen den wissenschaftlichen Grundsatz, möglichst ökonomisch vorzugehen.
Solch eine Einteilung überfrachtet die Analyse, ohne einen wirklichen Vorteil
zu bringen. Es genügt völlig, ein Fugenelement als solches zu analysieren und
historische Informationen zur Entstehung im Zusammenhang mit der Ent-
wicklung der Deklination zu betrachten oder sie als Anmerkung aufzuführen.
Anders liegt jedoch die Frage nach dem Stellenwert der Fuge als Mor-
phem. Einige Abhandlungen behandeln die Fugen als Interfixe, aber ohne
Morphemstatus. Generell zählen jedoch Interfixe zu den Morphemen. Zwar
trägt eine Fuge in der Regel keine Bedeutung, daher passt sie nicht zur Mor-
phemdefinition. Sie ist aber auch nicht rein lautlich erklärbar. Sie ist keine
phonologische Erscheinung, denn sie verdeutlicht die morphologische Struk-
tur eines Lexems und stützt das Verständnis. Insofern verfügt sie über eine
morphologische Funktion. Ihr Zwischenstatus ähnelt dem der unikalen Mor-
pheme, die einige ebenfalls oft nur widerstrebend als Morpheme sehen. In
Anlehnung daran sollen hier die Fugen als eine Art besonderes Morphem
verstanden werden, bei deren Analyse stets auf das Problem hinzuweisen ist.

Die Diskussion wirkt sich auf den Strukturbaum eines komplexen Lexems mit
Fuge aus, Beispiele sind:
34 2. Einführung II

ohne Morphemstatus der Fuge mit Morphemstatus der Fuge

(1) (2) (3) (4)


Pferdestall Pferdestall Pferdestall Pferdestall
⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋮⋱
{pferd} e {stall} pferde {stall} pferde {stall} {pferd} {-e-} {stall}
⋰⋱ ⋰⋱
{pferd} e {pferd} {-e }

Varianten wie (1) und (2) sind nicht morphologisch kohärent. Das e schwebt
unmarkiert zwischen Morphemen und unmittelbaren Konstituenten. Solche
Analysen arbeiten mit der Fuge als Einheit, die außerhalb der Morphologie
anzusiedeln ist. Streng genommen haben aber nur Morpheme eine Existenz-
berechtigung in der Analyse. Für die Variante (3) findet sich das Argument,
dass die Form der Fuge oft vom Erstelement bestimmt wird und diesem daher
enger zuzuordnen sei. Erstens gibt es aber manchmal trotzdem verschiedene
Möglichkeiten (Kindbett/Kindeswohl/Kindsmord/Kindergarten, Rindfleisch/
Rindsleder/Rinderbraten, Geisterstunde/Geistesblitz, Meerenge/Meeresbiolo-
ge). Zweitens treten auch unparadigmatische Fugen auf (Schwanenhals), die
heute nicht mehr als vom Erstglied bestimmt erkennbar sind. Drittens sind
vor allem s-haltige Fugen nicht vom Erstglied abhängig, sondern eher aus der
Silbenstruktur des Gesamtausdrucks verständlich (Wegener 2005). Und vier-
tens orientieren sich Fremdfugen durchaus auch an dem rechten Glied, vgl.
Spielothek, Filzokratie, Knastologe neben Elektrogerät, Thermojacke, womög-
lich aus rhythmischen Gründen. Die Fugen sollten deswegen eine gleichbe-
rechtigte Stellung gegenüber den links und rechts stehenden Konstituenten
bekommen. Und natürlich wäre der Wechsel zwischen binärer und ternärer
Struktur, je nach Fuge, methodisch inkonsequent und unökonomisch.
Die Möglichkeiten (1), (2) und (3) sind nicht grundsätzlich zu verwerfen,
erweisen sich aber als deutlich problematischer als die Variante (4). Infolgedes-
sen entscheiden wir uns für (4) als übergreifend konsequente Lösung. Die Fuge
gilt als Morphem aufgrund ihrer morphologischen Funktion. Sie tritt zwischen
zwei Morpheme und wird darum hierarchisch gleichwertig behandelt. Auf den
ehemaligen Status als Flexiv kann dann individuell verwiesen werden. Es emp-
fiehlt sich, hier eine wohlüberlegte eigene Entscheidung zu treffen und in allen
Diskussionen und Darstellungsweisen unbedingt dabei zu verbleiben.
Zu trennen sind die Fugen von der rein lautlich motivierten Epenthese
(Lauteinschub), denn sie geht nicht auf Flexionsendungen zurück, obwohl
auch manche heute analog gebildete Fugen lediglich der Ausspracheerleich-
terung dienen. Eine Epenthese ist daran zu erkennen, dass sie nur in Einzel-
fällen des Wortbildungsmusters auftritt, vgl. das t in hoffentlich, erkenntlich
gegenüber anderen Ableitungen mit -lich, das an in Brasilien/Brasilianer ge-
2.2. Vertiefung 35

genüber Argentinien/Argentinier, Äthiopien/Athiopier oder n bzw. t in Afrika/


Afrikaner, Mexiko/Mexikaner, Tokio/Tokioter gegenüber Europa/Europäer,
Kairo/Kairoer. Historisch liegt ihnen im Gegensatz zu den (meisten) Fugen
kein Morphem zugrunde. Epenthetische Elemente können auch verstanden
werden als zu Varianten der Wurzel führend unter Verweis auf die Proble-
matik. Die Bezeichnung Interfix oder Infix für solche Lauteinschübe ist irre-
führend, weil sie Morphemstatus impliziert. In der Fremdwortbildung ist der
Lauteinschub oft aus der Gebersprache übernommen.

Bevor Sie nun weiterlesen, sollten Sie das bisher Behandelte wiederholen und
sich sorgfältig einprägen. Es bildet die Basis für die gesamte weitere morpho-
logische Arbeit.

Übungen zu 2.1. Grundlagen


1. Bestimmen Sie die Wortbildungsart:
Buchrücken, Bleichgesicht, Fahrer, Vaterunser, Dickhäuter, Blumentopf,
Akku, Motel, Schuss, Dichterkomponist, Handvoll, hochmodern, blaugelb!
2. Führen Sie verschiedene Möglichkeiten der Komposition auf!
3. Erstellen Sie eine Wortbildungsanalyse von Schulhof, Hautcreme, Suche,
Floßfahrt!

2.2. Vertiefung

Fremdwortbildung
Der Grundbestand des deutschen Wortschatzes besteht nur zu einem Viertel
aus Wörtern idg. Ursprungs, den sogenannten Erbwörtern (Wahrig 2002: 53),
der Rest ist übernommen. Aber erst in den letzten Jahren kam es zu einer
ausführlichen Auseinandersetzung mit der Wortbildung von Fremdwörtern,
und hier gibt es noch zahlreiche ungelöste Probleme. Allein schon die Frage,
ob der Bau der Fremdwörter im Deutschen wie der der indigenen Wörter er-
folgt, wird nicht einhellig beantwortet. Haben wir es also mit zwei getrennten
Wortbildungssystemen zu tun? Auf jeden Fall gibt es genügend Unterschiede,
um das Thema in einem eigenen Kapitel und getrennt von der Wortbildung
heimischer Wörter zu behandeln. Übergangsbereiche und Überschneidungen
verkomplizieren das Bild allerdings zusätzlich und lassen eine Zweiteilung der
Systeme als weniger praktikabel erscheinen.
36 2. Einführung II

Der Begriff und der Aufgabenbereich der Fremdwortbildung


Fleischer/Barz wiesen in ihrer 1992 erschienenen Abhandlung darauf hin,
dass der bis dahin verwendete Begriff der Lehnwortbildung missverständ-
lich sei. Sie schlugen alternativ Fremdwortbildung vor für die Bildung von
Fremdwörtern mit fremden Elementen auf Grundlage heimischer Wortbil-
dungsstrukturen, die allerdings einige Besonderheiten aufweist (Fleischer/
Barz 1992: 61). Dieser Begriff trägt der Tatsache Rechnung, dass, wie bei der
Übernahme von Lehnwortgut, getrennt wird zwischen Fremdwort ohne und
Lehnwort mit Assimilation. Das Fremdwort ist anhand von Flexion, Schrei-
bung und/oder Lautung als nicht deutsch erkennbar, vgl. Lexika, Flirt, Cou-
rage. Ein Lehnwort hingegen ist assimiliert, vgl. Fenster (lat. fenestra) oder
Streik (engl. strike). Dies gilt dann auch für Morpheme. Erz- ist ein Lehnmor-
phem, es stammt ab von gr. archi- ‘der Erste, Oberste’. Fremdmorpheme sind
hyper- mit dem für das Deutsche seltenen <y> oder -ion, was schon aufgrund
des Akzents ein Fremdaffix ist – heimische Suffixe ziehen den Wortakzent
in der Regel nicht auf sich. Damit sind erzblöd und erzfrech deutsche Wort-
bildungen, hyperkomfortabel ist eine Fremdwortbildung, während hyperblöd
und unkomfortabel zur Hybridbildung zählen – sie verwendet Material aus
mindestens zwei Sprachen. Wenn deutsche und Fremdwortbildung als zwei
getrennte Systeme angesetzt werden, treffen sie mit den Hybridbildungen auf-
einander und verschmelzen mit einer breiten Übergangszone.
Aber nicht nur die Trennung von Fremdwortbildung von der deutschen
Wortbildung unter Verwendung von Lehn- bzw. Fremdwortgut als Kriterium
ergibt einen problematischen Grenzbereich. Denn Fremdwortbildung ist auch
von Fremdwortübernahme zu scheiden – hier wird ein Wort als Ganzes aus
der Gebersprache übernommen. Aber sehr viele Fälle sind in dieser Bezie-
hung als doppelt motiviert zu verstehen, wenn heute nicht mehr sicher ist,
ob sie direkt aus dem Lateinischen bzw. Griechischen, indirekt aus dem Eng-
lischen oder Französischen übernommen oder von uns selbst gebildet sind.
Das Suffix -age beispielsweise ist französischen Ursprungs. Karambologe kam
direkt aus dem Französischen zu uns, Takelage entstand im Niederländischen
und wurde von dort ins Deutsche übernommen, Blamage ist eine deutsche
Bildung, ebenso Schmierage, Fressage (Öhmann 2005). Griechisch oder la-
teinisch sind Archaismus und Anachronismus, aus dem Englischen stammt
Dualismus, aus dem Französischen Idealismus, Egoismus, während Natu-
ralismus und Pessimismus deutsche Bildungen sind (Wellmann 2005a). In-
wiefern dann das jeweilige Bildungsmuster entlehnt oder sich im Deutschen
erst entwickelt hat, muss oft offen bleiben. Eine andere Art von Polygenese
wird für -esk angesetzt, das aus dem Französischen kam (chaplinesk, donjua-
nesk), aus dem Italienischen (boccacciesk) und dem Englischen (statuesk) (vgl.
Wellmann 2005b), also zugleich aus mehreren Sprachen mit sich gegensei-
2.2. Vertiefung 37

tig verstärkender Musterbildung, bevor es zu neuen Wörtern im Deutschen


führte.
Und gleichzeitig ist das tatsächliche Ausmaß der Produktivität der Fremd-
einheiten wie auch des Wortbildungsmusters schwer einschätzbar. Dieser ge-
samte Problemkomplex ist ganz typisch für die Fremdwortbildung. Da rum
kam es zu einer Ergänzung der Definition. Eine Fremdwortbildung ist aus dia-
chroner Sicht im Deutschen gebildet, aus synchroner Sicht vor allem morpho-
logisch und semantisch motiviert, also in seine Morpheme zerlegbar (Müller
2005b). Während Kapazität, Pietät einerseits und Naivität, Neutralität ande-
rerseits aus einer anderen Sprache stammen, sind Aktivität und Relativität
im Deutschen gebildet. Nach der ursprünglichen, engeren Definition gehören
nur Aktivität und Relativität zu Fremdwortbildung, wobei die Entscheidung
auf etymologischen Kenntnissen beruht. Nach der neuen Definition gehören
sowohl Aktivität und Relativität als auch Naivität und Neutralität zur Fremd-
wortbildung, weil wir die Morpheme aktiv, relativ, naiv und neutral herauslö-
sen können. Sie sind im Deutschen bedeutungstragende Einheiten. Kapazität
und Pietät gehören nicht zur Fremdwortbildung, weil kapaz- und pie- keinen
Morphemstatus besitzen (Müller 2005b: 23f.).
Der Übergang von analysierbaren und nicht analysierbaren Strukturen ist
damit zwar gleitend (Murjasov 2005), aber weil für die zweite, erweiterte Defi-
nition die Entscheidungen leichter zu treffen sind, wird sie für die vorliegende
Abhandlung übernommen.
Die F r e m d w o r t b i l d u n g beschäftigt sich sowohl mit der Bildung
von Fremdwörtern mit fremden Elementen auf Grundlage heimischer Wort-
bildungsstrukturen als auch mit Fremdwörtern, die aus synchroner Sicht mo-
tiviert und damit morphologisch analysierbar sind. Hier ist stets zu bedenken,
dass solch eine Analyse nicht immer die tatsächliche Entwicklungsgeschichte
eines Wortes wiedergibt und vom Kenntnisstand jedes Einzelnen abhängt.

Die besonderen Probleme der Fremdwortbildung


Viele Fremdwörter kommen zwar komplex aus der Gebersprache, sind für
uns jedoch zunächst Simplizia. Wiederholen sich Fremdwörter mit immer
den gleichen Affixgruppen, können wir die Fremdaffixe langsam als eigen-
ständige Morpheme erkennen, und wir zerlegen die Fremdwörter nachträg-
lich in ihre morphologischen Bestandteile. Ein typisches Vorgehen war es, aus
Reihen wie massieren, passieren, sabotieren und Massage, Passage, Sabotage
Konfixe als Ableitungsgrundlage zu filtern. Einerseits sind die Endungen
gleich, andererseits der jeweilige Rest. Entsprechend werden die Lexeme als
komplex empfunden, segmentiert und die Muster analogisch weitergeführt
(Raffinage, Satinage). Das heißt, anfangs gab es keinen Stamm, an den ein Af-
fix gehängt wurde. Gerade aufgrund der Austauschbarkeit mehrerer Suffixe
38 2. Einführung II

entstanden im Deutschen mit der Zeit Einheiten, die ursprünglich Wortres-


te, heute jedoch Konfixe sind, sofern sie der Definition entsprechen. Daher
ist oft die Ableitungsgrundlage kein heimischer Wortstamm, sondern ein
nicht wortartgebundenes Konfix. Wir nehmen Fremdwörter auf, analysieren
sie und bilden analogisch neue Wörter, sodass neue Morpheme entstehen,
während manche Bildungen isoliert bleiben. Gleichzeitig übernehmen wir
morphologisch-lautliche Eigenheiten aus den Gebersprachen, die sich indivi-
duell verfestigen. Sprache ist dynamisch. Ererbte Besonderheiten und die mit
den Fremdelementen verbundenen Verarbeitungs- und Analyseschwierigkei-
ten spielen zusammen und ergeben ein eigenes Strukturbild. Daher weist die
Fremdwortbildung verschiedene charakteristische Probleme auf.

Mehrfache Motivationsbeziehungen
Ein besonders stark vertetenes Phänomen in der Fremdwortbildung ist die
Reversibilität. Kommt informieren von Information oder Information von
informieren? Wird Polemik von polemisch abgeleitet oder umgekehrt? Hier
sind die Motivationsbeziehungen umkehrbar. Im Fall von polemisieren, das
sowohl von polemisch als auch von Polemik herleitbar ist, handelt es sich dann
um Doppelmotivation (Müller 2005c, Seiffert 2009). Eine strikte Trennung
von stammorientierter und wortorientierter Analyse, die entweder gebunde-
ne Stämme mit Suffix analysiert oder Bezüge zwischen ganzen Wörtern her-
stellt, ist nicht nötig, solange die Motivationsbeziehung plausibel ist (Seiffert
2009).

Kombination und Substitution von Morphemen


Im Gegensatz zu deutschen Wortbildungen sind Fremdwortbildungen nicht
unbedingt kombinatorisch zu verstehen, sondern beruhen auf Ersetzung.
Auch wenn nicht ganz klar ist, was bei den obigen Polem-Beispielen nun der
Ausgangspunkt war, in jedem Falle muss das Suffix ausgetauscht worden sein.
Die Fremdwortbildung weist eine große Zahl solcher Substitutionsbildungen
auf (Becker 1993, Müller 2005c).

Allomorphie
Ausgeprägte Morphemalternanzen sind eine weiteres Charakteristikum der
Fremdwortbildung. Stammallomorphie ist bei der Fremdwortbildung wesent-
lich weiter verbreitet als bei der deutschen Wortbildung. Teilweise nahm das
Deutsche selbst die Variation vor. Insel etwa entstand zeitlich nach insular,
Latein nach Latinist und Orchester nach orchestral (Dittmer 2005). Aber das
Lateinische und das Griechische selbst weisen sehr häufig Stammflexion auf
oder Lautveränderungen zwischen morphologisch verwandten Stämmen.
Aufgrund von solcher Variation bereits in der Gebersprache sind die Stämme,
2.2. Vertiefung 39

die ermittelt werden können, nicht immer gleichförmig, vgl. fingieren/Fiktion,


dividieren/Division, Askese/asketisch, produzieren/Produkt, diskutieren/Dis-
kussion. Auch die Form der Affixe schwankt oft und spiegelt dabei Eigenhei-
ten der Gebersprache wider wie bei der Assimilation von in- an die Folgelaute,
inaktiv, irrelevant, illegitim.

Grenzziehung zwischen Stamm und Suffix


Aufgrund unterschiedlicher Vorlagen ist nicht immer klar, wo der Stamm
aufhört und das Affix beginnt. Trennen wir das Suffix -ieren von den Verben
informieren, investieren, intervenieren, exekutieren ab, erhalten wir inform-,
invest-, interven- bzw. exekut-. Das Morphem -ion lässt sich jedoch nicht an
alle diese Stämme gleichermaßen anfügen. Es alternieren -ion, -tion, -ition
und -ation. Genausogut könnte ein einheitliches Suffix der Substantive als
Ausgangspunkt dienen, Investi-tion, Demonstra-tion, vgl. auch Investi-tur,
Demonstra-nt. Dann verliert der Stamm bei der verbalen Ableitung Material
(Dittmer 2005). Eine neutrale, synchron orientierte Lösung ist, einen Laut-
einschub anzunehmen, der nur bei bestimmten Verbindungen von Stamm
und Suffix auftritt. Er stellt einen Reflex der lautlich-morphologischen Ver-
hältnisse der Gebersprachen dar und ist im Deutschen morphologisch nicht
relevant. Wenn auch umstritten, ist die Zuordnung solcher Lauteinschübe zu
den Suffixen die in der Literatur zur Fremdwortbildung am weitesten verbrei-
tete Lösung.

Abgrenzung von Morphemtypen


Nicht nur die Trennlinie zwischen Stamm und Affix ist nicht immer klar,
auch die zwischen verschiedenen Morphemtypen. Gerade die Konfixe bilden
hier einen eigenen, neuerdings viel diskutierten Problembereich aus, der zu
problematischen Grenzziehungen zwischen Lexem und Konfix, Affix und
Konfix sowie Wortfragment und Konfix führen kann.

Müller (2005a); Bibliographie: Elsen (2011)

Konfixe
Der Terminus Konfix wird zunächst von Schmidt (1987: 50, in Anlehnung
an Kocoureks confixe von 1982) verwendet und geht zurück auf lat. confige-
re ‘aneinander heften’. Er bezieht sich auf Morpheme mit den Eigenschaften,
nicht wortfähig, aber basis- und/oder kompositionsgliedfähig zu sein. Damit
40 2. Einführung II

sind Einheiten gemeint, die Komposita (Politoffizier, Politbüro, Politdrama)


und Ableitungen (politisch, Politik) bilden können, ohne je im Deutschen frei
vorzukommen. Schmidt stellt damit die grundlegende Dichotomie von frei-
en und gebundenen und von Grund- vs. Derivations-/Flexionsmorphemen in
Frage. Denn Einheiten wie polit- oder therm- lassen sich nicht zu den üblichen
deutschen Grundmorphemen oder Affixen ordnen, weil sie im Gegensatz zu
den Grundmorphemen nie flektiert oder frei vorkommen und im Gegensatz
zu den Affixen lexikalische Bedeutung tragen und häufig auch ableitbar sind.
In der Folge etablierten sich die Eigenschaften der lexikalisch-begrifflichen
Bedeutung, der Gebundenheit sowie der Basisfähigkeit bzw. der Status als
Grundmorphem.
Konfixe sind gebundene Grundmorpheme aus anderen Sprach(stuf)en. Sie
verhalten sich wie Stämme und sind damit basisfähig, weil sie sich bei stabiler
Bedeutung mit Derivationsaffixen, Konfixen und anderen Grundmorphemen
verbinden. Sie müssen nicht platzfest oder wortartgebunden sein. Indigene
Konfixe sind eher nicht mehr produktiv (Schwiegermutter, -vater, -leute), aber
auch nicht vollständig isoliert. Fremde Konfixe sind potenziell produktiv. Im
Gegensatz zu den üblichen heimischen Zusammensetzungen ziehen Konfi-
xe den Wortakzent auf das zweiten Glied (Politológe, Astronáut, Spielomát,
Spielothék, Spielodróm). Beispiele für Konfixe sind aer, agr, phil, bibli, therm,
geo, bio, fanat, honor, stat, thek, log, ident, invest. Das häufig zu findene -o- ist
ein Fugenelement, vgl. Thermohose, Philologie. Im Griechischen war es ein
Thema-Vokal.
In manchen Fällen gibt es mehrere Analysemöglichkeiten. So können For-
men wie Ökologe, Geologe oder Technologie als abgeleitete Komposita, aber auch
als Komposita mit einem abgeleiteten Zweitglied interpretiert werden. Für die
erste Lösung sprechen ökologisch, geologisch, technologisch, Ökologe, Ökologie
etc. mit verschiedenen Suffixen (vgl. auch Donalies 2005: 83). Für die zweite
Lösungen sprechen weitere Bildungen mit log-ie oder log-e wie Philologie, Bio-
logie, Ethnologie, Philologe, Biologe etc. (nach Donalies 2005, Eisenberg 2004).

(a) Geologie (b) Anthropologe


 
geolog {-ie} anthropo loge
 
{geo} {log} {anthrop}{-o-}

Die zweite Ansicht vertritt beispielsweise Eisenberg. Er stellt allerdings den


Suffix-Status von -e in Frage und interpretiert loge als Morphem, wobei das -e
ein Rest ist (Eisenberg 2004: 245). Damit eröffnet sich ihm erst gar nicht die
alternative Analysemöglichkeit. Aber erstens sind -ie und -isch eindeutig Suf-
2.2. Vertiefung 41

fixe und weisen damit auf den Morphemstatus von log- hin. Zweitens ist zwar
dieses -e nicht das gleiche wie in Sause, Mache, aber doch reihenbildend und
inhaltsstabil, denn es bildet männliche Personenbezeichnungen (vgl. auch
Fleischer/Barz 2012: 197). Das Element ist jedoch in einer Hinsicht heikel: es
erscheint bei Fremdwörtern nur in Kombination mit log.
Ein weiterer Problemkandidat ist bio, das verbreitet als Konfix, aber auch
als Kurzwort und gelegentlich frei erscheint. Das Konfix bio stammt aus dem
Griechischen (bíos ‘Leben’) und fand seinen Weg über medizinische Fach-
begriffe ins Deutsche. Es ist heute in Fachvokabularen sehr verbreitet, vgl.
Biogenese, Biolyse, Bioethik, biogen, aber auch standardsprachlich zu finden,
biologisch, Biomüll. In aktuellen Wörtern wie Biogemüse nimmt es eine eigene
Bedeutungsschattierung an, etwa ‘organisch’ (Biomasse, Biogas, Biokraftstoff )
‘nicht chemisch behandelt, damit ökologisch’ (Biogemüse, Biokost). Biolebens-
mittel stammen aus ökologischer Landwirtschaft. Der Begriff ist in der EU
gesetzlich definiert und darf sich nur auf Produkte beziehen, die aus ökolo-
gisch kontrolliertem Anbau stammen, nicht gentechnisch verändert sind und
ohne Einsatz konventioneller Pestizide, Kunstdünger oder Abwasserschlamm
angebaut wurden. Tiere dürfen nicht mit Wachstumshormonen oder Anti-
biotika behandelt worden sein. Das Gesetz verbietet weiterhin ionisierende
Bestrahlung und weitgehend bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe. Der Biola-
den ist etwas komplizierter als ‘Laden, in dem Bioprodukte/keine chemisch
behandelten Produkte verkauft werden’ zu paraphrasieren.
Daneben treten hin und wieder freie Formen auf, mal groß-, mal kleinge-
schrieben, vgl. Ab Mai gibt’s hier Bio!, Hieß es nicht immer, bei teurem Wein sei
es egal, ob er ‘bio’ sei oder nicht? (Scheller-Boltz 2008: 251). Hier könnte neben
der Interpretation als Wort einerseits eine spezialisierte Bedeutung dem Ad-
jektiv biologisch in der Verwendung als ‘ökologisch’ bzw. ‘nicht chemisch etc.
behandelt’ zuzuschreiben sein, was gekürzt als bio erscheint. Dann müsste
die Kurzform jedoch stets und zuverlässig die Langform ersetzen. Ein iso-
liertes bio kommt als Kurzwort in dieser Interpretation jedoch nur peripher
und nicht standardsprachlich vor, allerdings mit steigender Tendenz, und ist
höchsten individuell mit viel Spekulation zu deuten (Scheller-Boltz 2008).
Andererseits tritt die Kürzung Bio als Nomen nur von Biologieuntericht re-
gelmäßig auf, andere Fälle sind wieder entweder unklar oder situationsab-
hängig zu bestimmen und führen nicht zu einer eindeutigen Kurzform mit
paralleler Langform. Die isolierten Beispiele schwanken zu stark in ihrer
Verwendungsweise. Das heißt, weder in der Interpretation als freies Wort
noch als Kurzwort außer bei Bio(logieunterricht) liegen regelmäßige Form-
Funktionszusammenhänge vor, es handelt sich daher um individuelle um-
gangssprachliche Gebrauchsweisen. Bio ist wie super erst einmal gebunden
im Deutschen. Super ist als freies Lexem mittlerweile sehr weit verbreitet und
42 2. Einführung II

als Adjektiv verwendet, aber mit klarer Referenz. Dieser Weg steht auch einem
isoliert gebrauchten bio durchaus offen. Noch gibt es aber keine stabile freie
Form, und das Konfix bio1 ist von der Kürzung Bio2 zu Biologieunterricht zu
unterscheiden trotz etymologischer Verwandtschaft.

Konfixbildung und Kontamination


Manche Abhandlungen führen als mögliche Kandidaten für Konfixe Bildun-
gen auf wie -tainment (Infotainment, Edutainment, Audiotainment) oder -mi-
nator (Ebayminator, Tourminator) (z.B. Duden 2006, Michel 2006), die neu-
erdings gelegentlich in Erscheinung treten, vornehmlich im Internet (Michel
2009b). Deren morphologischer Status ist momentan nicht klar. Es gibt drei
Gründe dagegen, hier Konfixe anzusetzen, und zwar frequentiell, strukturell
und theorieökonomisch basierte.
Für Formen wie Infotainment und Tourminator ist unser Vorbild das ame-
rikanische Englisch. Allerdings treten sie dort wesentlich häufiger als bei uns
auf (vgl. auch Elsen 2008c, 2009e). Hier finden wir zu Watergate, termina-
tor, entertainment, hamburger, alcoholic, magazine, cafeteria, marathon neue
Wörter auf -gate, -minator, -tainment etc. wie fanzine, Irangate, Westlandgate,
saladburger, cheeseburger, workaholic, spendaholic, shopaholic, infotainment,
wintertainment, candyteria, fruiteria, walkathon (u. a. Hansen 1963, Lehrer
1996, Fradin 2000, Szymanek 2005, Lehrer 2007). Die zunächst als Konta-
minationen entstandenen, meist spielerisch gemeinten Lexeme finden Nach-
ahmer, und die durch Fehlsegmentierung gewonnenen Einheiten gewinnen,
begünstigt durch die eine oder andere lexikalisch-morphologische Lücke,
langsam Morphemstatus als Derivationsmorphem (vgl. u. a. Hansen 1963,
Dirven/Verspoor 1998, Fradin 2000, Taylor 2003, Szymanek 2005, Eins 2008).
Bildungen mit -holic, -thon und -gate etc. sind im Englischen derart häufig ge-
worden, dass ihr Morphemstatus gar nicht mehr in Frage gestellt wird, wäh-
rend das Deutsche da doch wesentlich konservativer ist.
Denn den Fremdwortübernahmen aus dem Englischen stellen manche Va-
rietäten des Deutschen zwar immer wieder Neubildungen zur Seite wie Teer-
minator, Kahnminator, Sperminator, Sparminator, frauen-e-zine, Weintain-
ment, Warschau-Gate (vgl. Peschel 2002, Michel 2006, Elsen/Michel 2007).
Aber sie klingen immer noch auffällig, und minator oder tainment können
(noch) nicht als morphologische Einheiten bezeichnet werden. Es ist derzeit
fraglich, ob sie sich überhaupt in der Standardsprache durchsetzen. Das heißt,
der Morphemstatus sollte momentan schon allein aufgrund des peripheren
Aufkommens in Frage gestellt werden. Die unterschiedlichen Entwicklungen
im Englischen und Deutschen zeigen die Flexibilität der Sprache in Abhän-
gigkeit von Eigenheiten der Sprecher und Sprecherinnen. In beiden Sprachen
treten die Beispiele bevorzugt in Presse- und Werbetexten auf, unterscheiden
2.2. Vertiefung 43

sich aber stark in Vorkommen und Produktivität, was den Entwicklungscha-


rakter zum Morphem im Englischen fördert, im Deutschen hemmt.
Gegen die Interpretation als Konfix sprechen sogar im Englischen strittige
Analysen. Denn auch hier herrscht zuweilen zwar Uneinigkeit, inwiefern es
sich bei solchen Beispielen um Derivationsaffixe oder combining forms han-
delt (Lehrer 2007). Aber sie werden einmal genau in unserem Sinne als „word
part“ bzw. „splinter“ (Lehrer 2007: 116) bezeichnet, andererseits aber auch als
„bound bases“ (Lehrer 2007: 124). Selbst wenn diese Lösung in Betracht ge-
zogen werden sollte, ist sie eher über den Zwischenstatus eines Kurzwortes
(marothon – thon) möglich. Die Interpretation als Suffix aber erfordert einen
kürzeren Sprachwandelweg und ist somit ökonomischer.
Es ist jedoch nicht nur viel zu früh, bei uns eine Entwicklungsrichtung aus-
machen zu können. Bildungen mit diesen Elementen sind selten, stilistisch de-
terminiert und höchstens in besonderen Ausprägungen des Deutschen zu fin-
den. Auch strukturelle Gründe sprechen gegen eine Kategorisierung als Konfix.
Unproblematisch ist die Einordnung der im Deutschen gebildeten Beispiele als
Kontaminationen. Diese Wortbildungsart missachtet morphologische Gren-
zen. Während Teile von Kontaminationen damit keine Morpheme sind, gelten
Konfixe als Grundmorpheme (u.a. Fleischer/Barz 1995: 25, Glück 2000). Ist
die Strategie, dieses Merkmal Grundmorphem aufzugeben, um die problema-
tischen Elemente einordnen zu können, eine wirklich gute Lösung?

Ein Hinweis zur Terminologie der Affixe: Prä-, Suf-, Zirkumfixe usw. dürfen
nicht mit dem Begriff des Konfix in Zusammenhang gebracht werden, weil
er nicht zu den Affixen zählt aufgrund seiner lexikalischen Bedeutung und
seiner Ableitbarkeit. Affixe können nicht abgeleitet werden. Insofern ist die
Bezeichnung Kon-fix irreführend.

Donalies (2000), Elsen (2005b), Müller (2009), zum Unterschied Konfix/com-


bining form vgl. Elsen (2013c)

Rektionskomposita
Der Begriff R e k t i o n s k o m p o s i t u m zielt auf eine syntaktische Ei-
genschaft vieler Wörter, besonders Verben, ab, auf ihre Valenz und damit auf
die Art und Menge der Mitspieler, die sie für eine grammatisch korrekte Kon-
struktion benötigen. Meist sind dies Objekte. Bei einem Rektionskompositum
ist das linke Glied ein Argument zum rechten, das heißt, bei Busfahrer handelt
es sich um einen Fahrer, der den Bus fährt, fahren benötigt ein Akkusativob-
jekt, das im Kompositum mit dem ersten Glied benannt wird. Erdkundelehrer
44 2. Einführung II

ist ein Lehrer, der das Fach Erdkunde lehrt, lehren benötigt ebenfalls ein Ak-
kusativobjekt. Entsprechendes gilt bei Hausbewohner, Kinobesucher, Nusskna-
cker, Wasserträger, Weintrinker, Buchbinder. Bei Kriegsangst fordert Angst vor
ein Dativobjekt wie Krieg, bei kriegstauglich fordert tauglich für ein Akkusativ-
objekt wie Krieg. Rektionskomposita gehören zu den Determinativkomposita.
Bei Vormittag ‘die Zeit vor dem Mittag’ (im Gegensatz zu Vorjahr ‘das Jahr
vorher’) oder Zwischeneiszeit ‘die Zeit zwischen zwei Eiszeiten’ handelt sich
um p r ä p o s i t i o n a l e R e k t i o n s k o m p o s i t a , vgl. auch Unter-
tasse, Übersee, Nachbeben. Solche Beispiele gehören zu den exozentrischen
Komposita, vgl. nächsten Absatz, denn sie bezeichnen nicht den Mittag, die
Eiszeit, die Tasse, die See oder das Beben, sondern den temporalen Bereich
vor dem Mittag, zwischen den Eiszeiten, den lokalen Bereich, der jenseits/
über der See ist, den Teller unter der Tasse, ein schwächeres Beben, das dem
Eigentlichen folgt. Ein präpositionales Rektionskompositum ist also eine Zu-
sammensetzung aus Präposition und Substantiv, bei der die Präposition das
Substantiv regiert. Im Unterschied zum Determinativkompositum bestimmt
hier jedoch die Bedeutung des Substantivs nicht die des Gesamtausdrucks,
sondern etwas außerhalb des Kompositum Stehendes.

Endozentrisches Kompositum – exozentrisches Kompositum


E n d o z e n t r i s c h ist ein Kompositum, wenn eine der unmittelbaren
Konstituenten zur gleichen Kategorie zählt wie der Gesamtausdruck und
wenn die Bezugsgröße in der Bildung genannt ist. Ein Determinativkompo-
situm wie Haustür ist endozentrisch, weil der Gesamtausdruck wie auch das
rechte Glied ein Nomen ist, Femininum, und ebenfalls eine Art Tür meint.
Hingegen ist ein Possessivkompositum wie Rothaut e x o z e n t r i s c h , weil
nicht auf eine Art Haut referiert wird. Die Bezugsgröße (ein Mensch mit roter
Haut) wird im Kompositum nicht erwähnt, steht also außerhalb des Gesamt-
ausdrucks. Bei den Kopulativkomposita kann entsprechend getrennt werden
in endozentrische wie Fürstbischof, jemand ist ein Bischof und gleichzeitig ein
Fürst, und exozentrische wie süßsauer, weil etwas weder süß noch sauer ist.
Zusammenrückungen (Taugenichts, Handvoll) zählen ebenfalls zu den
exozentrischen Konstruktionen, ebenso die gerade erwähnten präpositiona-
len Rektionskomposita sowie Metaphern wie Fuchsschwanz (Säge).
Viele Arbeiten setzen exozentrisches Kompositum mit Possessivkompo-
situm gleich, es empfiehlt sich jedoch, die beiden Analyseaspekte zu trennen
(vgl. süßsauer).
Ortner et al. (1991: 115f.)
2.2. Vertiefung 45

Volksetymologie
Bei der Volksetymologie handelt es sich ursprünglich meist um eine lautli-
che Veränderung zur besseren Verständlichkeit eines Begriffs oder eines Teils
davon, die etymologisch nicht begründet ist und zu einer Umdeutung eines
Ausdrucks führt. Später wurden darunter mehr und mehr Formen gezählt
ohne formale Veränderung, also nur mit begrifflicher Umdeutung eines nicht
richtig verstandenen Wortes, sodass das Wort nachträglich, aber historisch
unrichtig motiviert erscheint. In einem nicht sprachwissenschaftlichen Sin-
ne wird der Begriff außerdem mit volkstümlich in Verbindung gebracht. Das
Wort Freitag erinnert zwar an das Adjektiv frei, hat aber nichts mit einem
freien Tag zu tun, da es aus ahd. frī(j)atag mit dem Göttinnennamen entstand.
Die Hängematte stammt von den Aruaks auf Haiti. Im Spanischen wurde der
ursprüngliche Ausdruck mit hamaca wiedergegeben, dies wurde niederlän-
disch zu hangmak, dann hangmat und im Deutschen Hengmatten (Henzen
1957: 257, Pfeifer 1999). Für deutsche Ohren klangen die Bestandteile des
fremden Ausdrucks an hängen und Matte an, darunter konnten sich die Leute
etwas vorstellen, und so kam es zu den lautlichen Veränderungen. Bei der
Grasmücke, einer Vogelart, lag ein mhd. smücke ‘Schlüpferin’ vor oder auch
mhd. smücken zu schmiegen (Henzen 1957: 257), also ‘Grasschlüpfer(in)’. Dies
wurde umgedeutet, und heute verstehen wir „Gras-Mücke“, obwohl der Ter-
minus nichts mit Mücke zu tun hat. Der Würgeengel stammt aus ahd. wargen-
gil zu warg ‘Rächer’ (Henzen 1957 : 257). Ein anderes gern zitiertes Beispiel ist
der Maulwurf, der nicht die Erde mit dem Maul wirft, sondern ein Erd(auf)-
werfer ist, ahd. mūlwerf, moltwerf zu ahd. molta, mhd. molt(e) ‘Staub, Erde’
(vgl. auch Kluge 2002). Friedhof hieß eigentlich ‘eingefriedeter Hof’, aber das
Verb ahd. vrīten ‘hegen, einfrieden’ ging verloren und der Begriff wurde um-
gedeutet zu ‘Hof des Friedens’ (Birkhan 1995: 229). Die Sündflut stammt von
mhd. sinvluot, sintvluot zu ahd. sin(a) ‘ganz, einheitlich’ (Birkhan 1985 : 231).
Aber auch dies ging unter, und da das erste Kompositionsglied ähnlich wie
Sünde klang und die Sintflut als Bestrafung für Sünden aufzufassen war, kam
es im Nhd. zu der umgedeuteten Form Sündflut. Wahnsinn hängt etymolo-
gisch mit mhd. wan ‘fehlend, leer’ zusammen, hat also nichts mit unserem
Wahn zu tun (Olschansky 1996: 108). Rosenmontag gehört zu rasen ‘tollen’
(Olschansky 1996: 118).
Letztendlich zeugen solche Bildungen davon, dass die SprachbenutzerIn-
nen versuchen, ihnen unverständliche Wörter zu verstehen. Das geschieht ak-
tuell auch immer wieder bei Kindern (Kinderetymologie), vgl. allez hüpf (statt
allez hopp), Sandmensch (statt Sandmännchen), Paradieschen (statt Radieschen)
(Elsen 1991: 122) oder auch Frau Schenker statt Blachenka, vom gleichen Kind.
46 2. Einführung II

Henzen (1957), Olschansky (1996), Olschansky (2009)


Fugen: Fuhrhop (1998), Michel (2009a), Nübling/Szczepaniak (2009), Seiffert
(2009)
Abgrenzung Fuge/Epenthese: Simmler (1998, z.B. S. 565f.)
paradigmatische und unparadigmatische Fugen: Ortner et al. (1991: 50ff.).

Übungen zu 2.2. Vertiefung


1. Analysieren Sie morphologisch vollständig Thermohose, Hauptstadt!
3. Nomen – Flexion

3.1. Grundlagen

Grundbegriffe
Der Begriff N o m e n (Plural Nomen, Nomina) wird teils gleichbedeutend
mit Substantiv, teils allgemein für die deklinierbaren Wortarten (Substantiv,
Adjektiv, Pronomen, Artikel) verwendet. Im vorliegenden Buch ist er aus-
tauschbar mit S u b s t a n t i v . Diese Wortart ist deklinierbar, genuskonstant,
hat (meist) einen Artikel bei sich und wird im Deutschen stets großgeschrie-
ben. Die meisten Nomen sind Gattungsbezeichnungen (A p p e l l a t i v e )
wie Tisch, Luft, Liebe im Gegensatz zu den E i g e n n a m e n wie Thomas,
Spanien, Meier, Teutoburger Wald. Sie unterscheiden sich im Pluralverhalten.
Nomen sind flektierbar. Hierbei handelt es sich um den allgemeinen Be-
griff, der generell Beugbarkeit meint und sich darauf bezieht, dass es zu einer
Grundform bzw. Nennform verschiedene Wortformen gibt. Zur F l e x i o n
gehören die Konjugation der Verben und die Deklination der nominalen
Wortarten. Nomen im engeren Sinn (gleichbedeutend mit Substantiven) de-
klinieren nach Kasus/Fall und Numerus/Zahl, die anderen der Gruppe dar-
über hinaus nach Genus. Zur Flexion gehört außerdem als Randerscheinung
die Steigerung. Sie steht der Ableitung nahe.
D e k l i n a t i o n heißt bei den Nomen Kasus-Numerus-Flexion.
Der N u m e r u s (Plural Numeri) unterscheidet zwischen S i n g u -
l a r (Einzahl) und P l u r a l (Mehrzahl). In manchen Sprachen wie dem
Arabischen gibt es darüber hinaus die Kategorie der Zweizahl ( D u a l ), in
anderen die für einige wenige ( P a u c a l i s ). Der K a s u s (Plural Kasūs),
auch Fall, besteht im Deutschen aus vier Gruppen, die in Anlehnung an das
Lateinische als 1. bis 4. Fall bezeichnet werden. Teilweise sind sie auch über
die Fragewörter, mit denen sie erfragt werden können, benannt bzw. mit den
lateinischen Termini N o m i n a t i v , auch Wer-Fall, G e n i t i v , auch
Wessen-Fall, D a t i v , auch Wem-Fall, und A k k u s a t i v , auch Wen-Fall.
Für die Bestimmung des Kasus des zweiten Nomens in Der Räuber erschreckte
48 3. Nomen – Flexion

die Kinder, das auf den ersten Blick lediglich im Plural steht, suchen wir die
passende Frage: „Wen oder was erschreckte der Räuber“ – Antwort: „Die Kin-
der“. Es handelt sich also um den Akkusativ.

Numerus (Zahl): Singular, Einzahl der Kahlkopf, die Diva, das Buch
Plural, Mehrzahl die Kahlköpfe, die Diven, die Bücher
Kasus (Fall): Nominativ (Singular) der Kahlkopf, die Diva, das Buch
Genitiv (Sg.) des Kahlkopfes, der Diva, des Buches
Dativ (Sg.) dem Kahlkopf, der Diva, dem Buch
Akkusativ (Sg.) den Kahlkop, die Diva, das Buch.

Wie diese Beispiele zeigen, weisen die Nomen allein sehr wenig kontrastieren-
de grammatische Information auf, sie wird mit in den Artikeln versprachlicht.
Zusätzliche, manchmal entscheidende Informationen stehen uns darüber hi-
naus durch Welt- und Kontextwissen zur Verfügung: Bei der Interpretation
des Satzes Rex biss Hans wissen wir, dass Personen eher Hans heißen, wäh-
rend Rex gern für Hunde benutzt wird. Da die Wahrscheinlichkeit, dass ein
Hund einen Menschen beißt, größer ist als andersherum, und da das Subjekt
öfter im Vorfeld, also im Verbzweitsatz vor dem Prädikat steht als ein Objekt,
deuten wir in diesem Satz Rex als Nominativ und Hans als Akkusativ.
Wenn die Ausgangsform ein freies Morphem bzw. ein Lexem ist wie bei
Kahlkopf, Buch und den allermeisten Nomen im Deutschen, wird das Wort
flektiert, und wir sprechen von W o r t - bzw. G r u n d f o r m f l e x i o n .
Der Singular Nominativ ist die Nenn- bzw. Grundform eines Nomens. Wird
der Stamm flektiert wie bei vielen lateinischen und griechischen Fremdwör-
tern (Div-a, Div-en, Vill-a, Vill-en, Lexik-on, Lexik-a), liegt S t a m m f l e -
x i o n vor.
Nach Genus lassen sich die Nomen nicht beugen, diese Information wird
mithilfe der Begleiter, z.B. Artikel, ausgedrückt. Das Genus eines Nomens ist
ihm inhärent, es ist fest an es gebunden und wird nicht durch äußere (syn-
taktische) Umstände bestimmt. Bei Beispielen, die ein natürliches Geschlecht
( S e x u s ) aufweisen, stimmen das natürliche und das grammatische Ge-
schlecht (G e n u s , plural Genera: weiblich/F e m i n i n u m , männlich/
M a s k u l i n u m , sächlich/N e u t r u m ) nicht immer überein.

Genus (gram. Geschlecht)


Femininum (F.), weiblich die Diva, die Tunte
Maskulinum (M.), männlich der Kahlkopf, der Vamp
Neutrum (N.), sächlich das Kamel, das Bübchen, das Weib.
3.1. Grundlagen 49

Das Verb, das Adjektiv oder die Präposition, von der das Substantiv abhängt,
bestimmt die Wahl des Kasus. Das heißt, diese drei Wortarten regieren den
Kasus ihres Bezugswortes. Lieben benötigt ein Nomen im Nominativ und ei-
nes im Akkusativ, vgl. Der Räuber liebt den Musikanten. Die Präposition mit
erfordert ein Nomen im Dativ, vgl. mit dem Affen. Der Ausdruck sich sicher
sein verlangt ein Nomen im Genitiv, vgl. sich seines Lebens sicher sein. Darüber
hinaus gibt es freie Angaben, die bedeutungsabhängig in einem bestimmten
Kasus stehen müssen. Der Kasus hängt damit von syntaktischen Gegebenhei-
ten ab. Die Wahl des Numerus richtet sich danach, was Sie sagen wollen. Das
Genus ist, wie erwähnt, fest mit einem Substantiv verbunden.
In einigen Grammatiken gibt es den Begriff des Casus obliquus („schrä-
ger Fall“, obliquer Kasus, abhängiger Kasus). Er bezieht sich ursprünglich auf
den Akkusativ, heute auch auf Genitiv und Dativ, da er von der Rektion des
Bezugswortes abhängt. Der Gegenbegriff ist Casus rectus („gerader Fall“) für
den Nominativ.

Übungen zu 3.1. Grundlagen


1. Bestimmen Sie die grammatische Form (Numerus, Kasus) der unterstri-
chenen Substantive!
Ich sehe viele Kinder. Viele Kinder spielen heute auf dem Schulhof. Affen
kann ich nicht leiden. Wegen der Schneewehe sind sie in den Graben gefah-
ren. Das Auto konnten sie nicht herausziehen. Das Auto blieb stecken.
2. Bitte gehen Sie nochmals die Grundlagen durch! Was ist der Unterschied
zwischen den Begriffen Substantiv und Nomen? Definieren Sie den Begriff
Flexion!

Deklinationstypen
Die meisten Grammatiken trennen zwischen starker und schwacher (und ge-
mischter) Flexion, die Endung -(e)n gilt als schwach. Schwache Substantive
enden auf -en außer im Nominativ Singular. Andere Flexive gibt es nicht (der
Bär, des Bären, dem Bären, den Bären). Bei den starken Substantiven erscheint
im Genitiv Singular ein -(e)s (des Tages), teils ein -e im Dativ Singular (dem
Tage) und im Dativ Plural ein -(e)n (den Tagen). Dieses -(e)n tritt aber nur bei
Substantiven auf, die im Nominativ Plural auf -e, -el, -er enden wie den Tagen,
den Krümeln, den Vätern, den Eiern und nicht bei Gummis. Gemischt heißt
die Deklination, wenn sie im Singular stark und im Plural schwach flektiert,
also im Singular das Genitiv-(e)s und im Plural -(e)n aufweist (das Ohr/des
Ohres/die Ohren). Die starke Flexion besteht typischerweise aus Nomen mit
dem Genus Maskulinum oder Neutrum (Tab. 1).
50 3. Nomen – Flexion
Tabelle 1: Schwache, gemischte und starke Flexion beim Nomen
Kategorie schwach stark gemischt
Nominativ Singular Bär Vater Ohr
Genitiv Bären Vaters Ohres
Dativ Bären Vater Ohr
Akkusativ Bären Vater Ohr
Nominativ Plural Bären Väter Ohren
Genitiv Bären Väter Ohren
Dativ Bären Vätern Ohren
Akkusativ Bären Väter Ohren

Heute fällt das -e des Dativs bei den starken Nomen weitgehend fort (dem
Kind, dem Buch, dem Kreis). Im Genitiv verschwindet das -e vor dem Geni-
tiv-s ebenfalls vermehrt, wenn es die Aussprache erlaubt (des Buchs, des Ohrs,
aber des Kindes, des Kreises). Fremdwörter bilden zuweilen Ausnahmen (des
Präsens).
In dem Beispiel Ohren fallen Person und Numerus in dem Flexiv {-en}
zusammen, dabei sind alle vier Kasus im Plural homonym. Bei Bären kann
sich das {-en} auf alle Kasus-Numerus-Kombinationen beziehen außer dem
Nominativ Singular. Die Endung gilt im Singular als Kasusmarkierung, da
der Singular keine Endung aufweist, im Plural als Kombination wie bei Oh-
ren. Bei Vätern hingegen wird der Plural durch den Umlaut markiert, {väter}
ist ein Allomorph, und der Dativ durch {-n}. In einer Form wie Kindern haben
wir neben der Nominalwurzel {kind} das Pluralallomorph {-er} (denn es gibt
auch andere Pluralvarianten wie eben den Umlaut) und das Flexionssuffix für
den Dativ {-n}. Das heißt, die grammatischen Kategorien sind nicht immer in
jeweils eigenen Morphemen versprachlicht, und der Kasus kann meist nur im
Zusammenhang, zum Beispiel durch den Artikel, bestimmt werden.

Übungen zu 3.1. Grundlagen


3. Deklinieren Sie Mutter, Kind, Auge, am besten mit Angabe der grammati-
schen Kategorien!

Es gibt zahlreiche weitere Deklinationstypen im Singular und im Plural und


auch verschiedene Kombinationsmöglichkeiten. Es ergeben sich, je nach Au-
tor, acht (Heringer 2009), zehn (Duden 1995, 1998, 2006, Sternefeld 2006),
13 (Simmler 1998) oder sogar 30 (Wahrig 2002) Flexionsklassen bzw. Para-
digmen. Einige feminine Substantive treten im Singular unveränderlich auf,
im Plural einheitlich mit -(e)n, z.B. Frau. Artikellose Eigennamen tragen ein
Genitiv-s im Singular. Pluralformen gibt es seltener, sie stehen meist mit -s (die
Buddenbrooks von heute). Manche Substantive vermischen die Endungen der
starken und schwachen Flexion, sie enden im Nominativ Singular ursprüng-
3.1. Grundlagen 51

lich auf -e, werden heute aber oft mit -(e)n realisiert (Friede, Funke, Gedanke,
Glaube, Name, Same, Wille, Haufen), vgl. Tab. (2).

Tabelle 2: Deklinationstypen: im Singular unveränderlich, Eigennamen, Mischung stark/


schwach
Kategorie unveränderlich Eigenname stark/schwach
Nominativ Singular Frau Maria Name(n)
Genitiv Frau Marias Namens
Dativ Frau Maria Namen
Akkusativ Frau Maria Namen
Nominativ Plural Frauen Marias Namen
Genitiv Frauen Marias Namen
Dativ Frauen Marias Namen
Akkusativ Frauen Marias Namen

Eine eigene Klasse bilden Lexeme auf monophthongischen Vollvokal (z. B. a,


e, o, u, i), etwa Oma, Opa, Uhu, Lupo, Pulli. Die Feminina verändern sich nur
im Plural, und zwar einheitlich durch das Plural-s. Die Neutra und Maskulina
weisen darüber hinaus auch ein Genitiv-s auf, vgl. Tab. (3).

Tabelle 3: Deklination der Lexeme auf Vollvokal


Kategorie auf Vollvokal (F.) auf Vollvokal (M., N.)
Nominativ Singular Oma Opa
Genitiv Oma Opas
Dativ Oma Opa
Akkusativ Oma Opa
Nominativ Plural Omas Opas
Genitiv Omas Opas
Dativ Omas Opas
Akkusativ Omas Opas

Tabelle 4: Deklination der Fremdwörter


Kategorie Stammflexion Grundform- und Stammflexion
Nominativ Singular Villa Konto
Genitiv Villa Kontos
Dativ Villa Konto
Akkusativ Villa Konto
Nominativ Plural Villen Konten
Genitiv Villen Konten
Dativ Villen Konten
Akkusativ Villen Konten
52 3. Nomen – Flexion

Abweichend von den einheimischen Lexemen flektieren Fremdwörter wie


Villa, Radius oder Kaktus, die ihre einheitliche Singularendung durch eine
einheitliche Pluralendung ersetzen (Stammflexion) oder eine Mischform da-
zu bilden mit Grundform- und Stammflexion (Konto, Fresko, Lexikon), vgl.
Tab. (4).

Pluralbildung
Für die Pluralbildung nutzt das Deutsche verschiedene Allomorphe: {-e} bei
Beine, {-(e)n} bei Straßen, Menschen, {-er} bei Kinder, Leiber, {-s} bei Rollis,
Lupos, Omas, {-e} mit Umlaut bei Gänse, Schwäne, Kühe, {-er} mit Umlaut bei
Kälber, Räder, nur Umlaut bei Väter, Mütter, Töchter oder keine Kennzeich-
nung bei Mädchen, Staubsauger.
Manche der Substantive stehen nur im Plural, es gibt keinen Singular, sie
heißen P l u r a l i a t a n t u m (Sg. Pluraletantum), z.B. Alpen, Masern, Fe-
rien oder Leute. Andere können keinen Plural bilden, die S i n g u l a r i a -
t a n t u m wie Bevölkerung, Fleiß, Obst oder Schmuck. Solche Substantive
bezeichnen Dinge, die nicht zählbar sind. In Fachsprachen allerdings treten
viele von ihnen doch in der Mehrzahl auf, dann handelt es sich um unter-
schiedliche Typen, etwa Sand/Sande, Sände, Erde/Erden, Reis/Reise. Man-
che Wörter treten in zwei Bedeutungsvarianten auf, die sich im Plural un-
terscheiden – Wort/Worte, wenn sie einen inhaltlichen Zusammenhang, z.B.
einen Satz bilden, aber Wort/Wörter, wenn sie keinen solchen aufweisen wie
die Wörter im Wörterbuch. Ein anderer Fall liegt bei Mutter/Mütter für die
Verwandte und Mutter/Muttern für den Teil der Schraube vor. Allerdings
schwanken einige Substantive im Plural (Admirale/Admiräle, Kragen/Krägen,
Lampions/Lampione).
Vielen Fremdwörtern wird zunächst der s-Plural zugewiesen, teils, weil
er auch in der Ursprungssprache auftritt, wobei er allerdings im Französi-
schen nicht gesprochen wird, teils durch den Einfluss des Niederdeutschen
(Deck/Decks, Haff/Haffs, Wrack/Wracks, Junge/Jungs, Onkel/Onkels). Gene-
rell tendiert das Deutsche aber zum s-Plural für Fremdwörter (Depots, Jets,
Jobs, Trikots, Porträts) sowie für Wörter auf Vollvokal, wie bereits bemerkt,
die deswegen auch keine typisch deutschen Wörter sind (Echos, Uhus, Sofas).
Existieren die Fremdwörter lang genug im Deutschen, erhalten sie langsam
indigene (heimische) Endungen (Balkons/Balkone, Etiketten, Intrigen, Infekte,
Liköre). Solche Wörter haben Wortflexion, das heißt, der Nominativ Singu-
lar als Ganzes bildet die Grundform, wie im Deutschen, Englischen und oft
im Französischen üblich. Andere, wie griechische und lateinische Nomen,
werden in ihrer Ursprungssprache stammflektiert. Auch sie erhalten heimi-
3.1. Grundlagen 53

sche Pluralallomorphe, die aber nicht an den Nominativ Singular, sondern


an den Stamm des Wortes treten, beispielsweise Pizza/Pizzen, Firma/Firmen,
Villa/Villen, Atlas/Atlanten. Andere Fremdwörter bringen die Endung aus
ihrer Heimatsprache mit ins Deutsche und gelten dann als unregelmäßig:
Abstraktum/Abstrakta, Appendix/Appendices, Bonus/Boni, Genus/Genera,
Kasus/Kasus, Lexikon/Lexika, Kaktus/Kakteen, Numerus/Numeri, Stimulus/
Stimuli, Tempus/Tempora usw.
Aber was ist z.B. der Plural von Iris (Schwertlilie, Regenbogenhaut des Au-
ges)? Das ist einerseits ein Fremdwort und bevorzugt -s, hat aber bereits ein
auslautendes -s im Singular. Zudem wird es praktisch nie im Plural gebraucht.
Darum ist die Form wohl wenigen bekannt. Hier hilft wohl nur das Wörter-
buch, das zwischen dem Plural Iris für die Pflanze und Iriden aber für die
Regenbogenhaut trennt (Duden 1999).

Übungen zu 3.1. Grundlagen


4. Zählen Sie verschiedene Pluraliatantum und Singulariatantum auf!

Die Strukturbäume der Nomen in dem Satz Der Park ist den Frauen, Vätern
und Kindern dieses Landes gewidmet könnten so aussehen:
Park N Frauen N VäternN KindernN Landes N
{park} ⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱
{frau} {-en} väterN {-n} kinderN {-n} {land}N {-es}
⋰⋱ ⋰⋱
{vater} UL {kind} {-er}

Alle fünf Lexeme sind Nomen. Bei den Morphemen {park}, {frau}, {vater},
{kind} und {land} handelt es sich jeweils um Nominalwurzeln, sie sind lexi-
kalisch und frei.
Park ist hinsichtlich Numerus und Kasus nicht markiert, es steht in der
Grundform, dem Singular Nominativ. Bei {-en} handelt es sich hier um ein
Flexiv, ein Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, das den Dativ Plural mar-
kiert. Es ist homonym mit den anderen Pluralformen des Paradigmas. Dieses
Flexiv ist außerdem homonym mit Flexiven der Verben. Bei väter liegt die
umgelautete Form der Wurzel vor. Der Umlaut ist bei diesem Beispiel ein Plu-
ralallomorph. {-er} ist ein weiteres Pluralallomorph (Flexionssuffix, gramma-
tisch, gebunden}. Das {-n} ist in den beiden Beispielen Morphemvariante des
Dativ, aber nur im Plural. Wieder handelt es sich um ein Flexionssuffix, das
grammatisch und gebunden ist, ebenso bei {-es}, das den Genitiv im Singular
markiert, ein Allomorph ist {-s}. Es ist homonym zu anderen Flexiven. Das
Genus der Substantive tritt nicht als morphologische Markierung in Erschei-
nung.
54 3. Nomen – Flexion

Bei der oben gezeigten Analyse der Form Vätern wird der Umlaut als Plu-
ralallomorph verstanden. Er ist getrennt markiert, parallel zu {-er}. Darüber
herrscht nicht immer Einigkeit. Der Umlaut bedeutet für die Analyse der
Nomen ein besonderes Problem, da er einerseits ein Flexiv begleitet wie den
Plural zu (Floß), andererseits wie bei Väter allein den Plural markiert. Der
Umlaut kann auch eher zum Nomen gehörig verstanden werden. Dann wird
neben der Nominalwurzel auch ein umgelautetes Allomorph der Nominal-
wurzel angesetzt. Dabei tritt einmal ein Flexiv an den umgelauteten Stamm,
einmal steht der Stamm allein für die Pluralmarkierung.

Flöße N Väter N
 
{flöß} {-e} {väter}
zu {floß} zu {vater}

Wichtig ist, im Begleittext zur Analyse zu erwähnen, dass es sich um umge-


lautete Stämme handelt, die durch den Plural bedingt sind, da es diese Plurale
auch ohne Umlaut gibt (Computer/Computer, Los/Lose).
Im Prinzip sind beide Sicht- und Darstellungsweisen möglich. Da umge-
lautete Formen aber auch bei Derivaten auftreten (Väterchen), ist die Funktion
des Umlautes keinesfalls mit der des Plurals gleichzusetzen. In den übrigen
Konstellationen tritt der Umlaut lediglich als Begleiterscheinung zu morpho-
logischen Veränderungen auf und beinah nie obligatorisch, weil fast immer
der betreffende morphologische Prozess auch zu nicht umgelauteten Beispie-
len führt (größer vs. froher, Stäubchen vs. Frauchen). Ein Problem ergibt sich
jedoch bei den Substantiven, weil hier in Fällen wie Vater/Väter der Umlaut
allein morphologisches Gewicht bekommt. Historisch gesehen hing ein Um-
laut von der lautlichen Umgebung ab, es fand eine lautliche Angleichung (As-
similation) an i oder j der Folgesilbe statt. Mittlerweile sind die umlautaus-
lösenden Bedingungen jedoch in der Regel verloren gegangen, von daher ist
dieser Prozess heute ohne Kenntnisse der Etymologie (Herkunft, Entstehung)
der Wörter nicht mehr nachvollziehbar. Da ein Umlaut keine Eigenschaft des
Stammes ist, sondern von der Folgesilbe, also von der Endung, abhing und
heute teils auch noch abhängt, ist die Zuordnung zum Flexiv durchaus plau-
sibel.

Übungen zu 3.1. Grundlagen


5. Bestimmen Sie die grammatische Form der Substantive: Die Kinder blei-
ben nicht an der Hand ihrer Mütter. Sie wehren sich mit Händen und Füßen
dagegen!
3.2. Vertiefung 55

3.2. Vertiefung

Geschichte
Für das Verständnis unseres nominalen Kasus-Numerus-Systems ist ein nä-
herer Blick auf die Geschichte der Flexion unumgänglich.
Die Vorläufer unserer Wörter wurden über Schriftzeugnisse verwandter
Sprachen erschlossen. In der so rekonstruierten Vorstufe des Deutschen wie
auch vieler anderer Sprachen in Europa, dem Indogermanischen (Idg.), und
noch im Germanischen (G.) wiesen die Simplizia eine andere Struktur als
heute auf. Im Gegensatz zu einer Verbindung von Stamm und Flexionsen-
dung bestanden sie nämlich aus der (lexikalischen) Wurzel bzw. dem Grund-
morphem, einem stammbildenden Suffix und einer Flexionsendung. Das
stammbildende Suffix wies das Wort einer bestimmten Flexionsklasse zu und
machte zusammen mit der Wurzel den Stamm aus. Es gab auf Vokal auslau-
tende stammbildende Suffixe, auf die die starke Flexion folgte, und auf Kon-
sonant endende für die schwache Deklination. Das germanische Wort für Tag
hatte beispielsweise die Form *dag-a-z, mit *dag- als Wurzel, -a als stammbil-
dendem Suffix sowie -z als Nominativendung. Einige Nomen allerdings wie-
sen kein stammbildendes Suffix auf, die sogenannten Wurzelnomina wie idg.
*nokt-s ‘Nacht’. Während heute also meist Stamm und Wurzel identisch sind,
war der Stamm damals meist zweiteilig. Es gab neben Singular und Plural den
Dual (Zweizahl) und außerdem acht Kasus mit je eigener Endung. Heute fü-
gen wir für den Plural ein Flexiv hinzu: Nacht – Nächt-e. Damals mussten wir
die Singular- durch die Pluralendung ersetzen (idg. *nokt-s ‘Nacht’, idg. *nokt-
es ‘Nächte’, jeweils Nominativ). Zur damaligen Zeit hatte der Bereich nach der
Wurzel damit einerseits eine mehrteilige Struktur, andererseits beträchtliches
lautliches und inhaltliches Gewicht. Es herrschte relative Ordnung.
Zum Germanischen jedoch trat eine folgenschwere lautliche Veränderung
ein: der Initialakzent.

Initialakzent
Im Idg. war der Akzent frei. Es wurden durchaus auch Endungen, sogar Fle-
xionsendungen betont. Das bewahrte ihr lautliches Gewicht. Dann aber ver-
lagerte sich der Wortakzent auf die erste Silbe eines Wortes, im Wesentlichen
war das auch die Wurzel. Wird aber eine Silbe nicht mehr betont, wird sie
auch nicht mehr so sorgfältig ausgesprochen. Deswegen nutzen sich unbe-
tonte Silben mit der Zeit ab: Konsonanten gleichen sich an, gehen verloren.
56 3. Nomen – Flexion

Vollvokale wie a, e, i, o, u werden zu Schwa (wie in der letzten Silbe von Ente,
Grube, Spinne) reduziert, auch dieses schwindet teilweise, vgl. heute haben
wir/„hamwa“.

Vergleichen wir einige idg. und ahd. Formen (Tab. 5, orthographisch angegli-
chen, nach Werner 1969: 103):

Tabelle 5: Nominale Plurale im Idg. und Ahd.


idg. ahd.
*dhoghōs tagā ‘Tage’, N. Pl.
*ghebhās gebā ‘Gaben’, N. Pl.
*kanones hanun ‘Hähne’, N. Pl.
*ghṷolbhesā kelbir ‘Kälber’, N. Pl.

Wir sehen, dass sich die Endungen vom Idg. zum Ahd. bereits abgeschwächt
und Lautmaterial verloren haben. Die idg. Wurzeln *dhogh-, *ghebh-, *kan-
und *ghuolbh- wurden noch um unterschiedliche Lautkombinationen erwei-
tert, die sich dann im Ahd. zu Vokalen bzw. zu einer Vokal-Konsonanten-
Verbindung reduziert haben. Diese Reduktionen nahmen jedoch nicht auf die
morphologische Struktur Rücksicht. Morpheme verschmolzen miteinander.
Das Ahd. wies teilweise schon wie das Nhd. die grundlegende Struktur Wur-
zel + Endung auf.
Wenn die Endungen Lautmaterial verlieren, bedeutet das, dass die Infor-
mationen, die durch die verschiedenen Vokal-Konsonanten-Verbindungen
versprachlicht werden, verloren gehen, damit also viele Bedeutungsunter-
scheidungen. Noch im Ahd. unterschiedliche Wortformen wie zungūn (Gen.,
Dat., Akk. Sg., Akk. Pl.), zungōnō (Gen. Pl.), zungōm (Dat. Pl.) sehen mhd.
gleich aus, sie lauten alle zungen ‘Zungen’. Die Kasusunterscheidungen waren
im Mhd. wegen der Enttonung der ahd. Endsilben weitgehend verschwunden.
In den Endungen trat als einziger Vokal das Schwa, das unbetonte e, auf. Sol-
che Formen konnten die grammatischen Beziehungen zwischen den Wörtern
im Satz nicht mehr klar ausdrücken, und die SprachbenutzerInnen bekamen
Verständigungsschwierigkeiten. Die Sprache bzw. die SprecherInnen müssen
dies kompensieren. Das Englische entwickelte beispielsweise eine feste Wort-
stellung, während fast alle Flexionsendungen gänzlich verloren gingen. Das
Deutsche wählte eine andere, zugegebenermaßen kompliziertere Lösung. Ei-
nerseits übernahmen die Artikel bzw. andere Begleiter des Substantivs wie
die Adjektive viele der grammatischen Informationen, hauptsächlich die Ka-
susmarkierung, was die Substantivendungen entlastete und weiter schwächte
(der Mann, des Mannes, dem Mann, den Mann). Gleichzeitig verbanden sich
schon im Germanischen die Reste der stammbildenden Suffixe mit den Fle-
3.2. Vertiefung 57

xiven zu neuen Flexiven. Da aber die stammbildenden Suffixe und die Flexive
jeweils eigene Funktionen hatten, gingen diese durch die Verschmelzung ver-
loren. Die Zuordnung zu einer Flexionsklasse, früher aufgrund des stamm-
bildenden Suffixes, war nicht mehr möglich. Und auch die Sortierung nach
acht Kasus verblich. Es entwickelten sich grob zwei Gruppen, die starke und
die schwache Deklination, mit Untergruppen und verschiedenen Eigenheiten,
je nachdem, wie sich im Einzelfall die Kombination aus ehemaligem stamm-
bildenden Suffix und Flexiv ergab. Heute können wir kaum noch die Nomen
allein nach Kasus unterscheiden, allerdings fast immer nach Numerus. Ka-
susflexion und Numerusflexion haben sich getrennt. Kasus wird hauptsäch-
lich über die Artikel markiert, der Plural verblieb beim Nomen.
Nun tritt ein weiterer relevanter Faktor auf den Plan, die zweite wichtige
lautliche Veränderung: der Umlaut.

Umlaut
„Unter Umlaut (auch i-Umlaut) versteht man die partielle Assimimilation
(teilweise Angleichung) velarer Vokale in betonten Silben an die palatalen Vo-
kale /i, j, ī/ der nicht betonten Folgesilben“ (Paul et al. 2007: 71). Viele verbin-
den mit diesem Begriff die heute orthographisch auffälligen ä, ö, ü (die heuti-
gen Schriftzeichen vertreten die Lautung, sie wurden erst später eingeführt).
Die Entstehung des Umlautes begann, noch bevor es Schriftzeugnisse gab, vor
dem Althochdeutschen. Schon damals beeinflusste ein i oder j das a in der
Silbe davor. Das a wurde dann mehr wie ein e ausgesprochen. Später folgten u
und o, sie wurden u.a. vor einer Silbe mit i oder j wie ü und ö gesprochen. Nun
– wir erinnern uns – schwächten sich aber die Endungen ab. Eine Zeit lang
gab es umgelautete Vokale und umlautauslösende Endungen gleichzeitig. Die
SprecherInnen gewöhnten sich an diese Kombinationen. Als die i und j der
Endungen verloren gingen, blieben die umgelauteten Vokale in diesen Wör-
tern bzw. Wortformen erhalten, während in anderen Formen natürlich die a,
o und u weiterexistierten. Das heißt, neben a, o, u gab es ä, ö, ü unabhängig
von der Umgebung. Die umgelauteten Vokale waren von Vokalvarianten (Al-
lophonen) zu eigenständigen Sprachlauten (Phonemen) geworden. Benötigten
die SprecherInnen ursprünglich die Folgesilbe, um zwischen ä und a zu ent-
scheiden, hatte sich das ä nun verselbstständigt. Soweit handelt es sich um ei-
ne lautliche Erscheinung. Was hat sie nun mit unserer Nominalflexion zu tun?
Wie bereits geschildert übernahmen die Kasusinformationen im Wesent-
lichen die Artikel. Pluralendungen verblieben beim Nomen. Kausus und Nu-
merus wurden damit getrennt markiert.
Im Ahd. gab es unter anderem den Plural -ir (ahd. kelbir ‘Kälber’), der ehe-
mals Stammauslaut war, als Pluralendung uminterpretiert (reanalysiert) und
im Mhd. zu -er wurde. Er führte bei Vokalen in der Silbe davor zwingend zu
58 3. Nomen – Flexion

Umlaut (ahd. kalb ‘Kalb’, aber kelbir ‘Kälber’). Zum Mhd. veränderte er sich
zu -er, der Umlaut blieb, ahd. kelbir, mhd. kelber ‘Kälber’. Er verband sich mit
Neutra wie Hühner, Blätter, Lämmer. Dazu kamen Lexeme mit Vokalen, die
nicht umgelautet werden können, z.B. Rinder oder Eier, sowie ursprünglich
plurallose Wörter wie Felder, Körner: die Endung wurde produktiv. UL+er
markierte bei diesen Lexemen also klar den Plural. Dabei wirkt der Umlaut
natürlich nur bei Vokalen, die umlautfähig sind. Weiterhin wurde der Um-
laut selbst mit der Zeit immer stärker an die Vorstellung der Mehrzahligkeit
gekoppelt. Nun wirkte eine sehr wichtige sprachliche Strategie: die Analogie.

Analogie
Die Analogie ist ein Verfahren, das bei der Bildung von Wörtern und Wort-
formen eine große Rolle spielt. Hermann Paul verwendete den Begriff der Pro-
portionsanalogie und sprach auch von Proportionsgleichungen, „Tag : Tage =
Arm : Arme“ (Paul 1937: 107). Arm verhält sich zu Arme wie Tag zu Tage. Bei
der Formel muss die Grundlage nicht unbedingt die Grundform sein, denn
auch sie kann nachträglich analogisch gebildet werden. Ähnliche Wörter ver-
binden sich zu Proportionsgruppen, starke Gruppen ziehen weitere Wörter
an. Aufgrund vieler Muster bildet sich eine Regel. Wenn auf der Basis des
Proportionsmusters zu einem Wort ein zweites Proportionsglied neu gebil-
det, also nicht gedächtnismäßig wiederholt wird, spricht Paul von Analogie.
Im Endeffekt besteht zwischen Analogiebildung und regelhafter Bildung kein
Unterschied (Becker 1990: 12). Dieses Prinzip findet sich mit neuen Begriff-
lichkeiten später wieder bei den Netzwerkmodellen und aktuell auch in der
Kognitiven Grammatik.
Per Analogie, also per Übertragung eines Musters auf ein ähnliches Wort,
verbanden sich mit diesem Pluralflexiv wie erwähnt auch andere Neutra, die
ursprünglich nicht den ir-Plural aufwiesen. Der Plural weitete sich aus auf bei-
spielsweise Bücher, Wörter, Kleider, Kinder, Bilder, Dächer, mhd, diu wort, nhd.
die Wörter, mhd. diu kint, nhd. die Kinder, mhd. diu kleit, nhd. die Kleider.
Dann folgte die Anwendung auf Maskulina wie Leiber, Wälder, Geister, Götter.
Die Analogie wirkte darüber hinaus auch innerhalb eines Singularpara-
digmas. Es gab einige umgelautete Singularformen, die dann jedoch per Ana-
logie zu nicht umgelauteten Formen wurden, ahd. krefti, mhd. bereits krefte
neben kraft, nhd. Kraft (G., D. Sg.) (analogischer Ausgleich). Denn da im Mhd.
die e-Endung aussagelos geworden war, der Kasus im Wesentlichen über die
Artikel markiert wurde, ermöglichten die Vokale des Stammes eine Art Ar-
beitsteilung: ohne Umlaut Singular, mit Umlaut (und einigen Endungen) Plu-
ral. Der Umlaut wird mehr und mehr als Pluralkennzeichen verstanden und
schließlich auf Wörter angewendet, die nie eine umlautauslösende Umgebung
aufwiesen. Das System sortiert sich neu.
3.2. Vertiefung 59

Warum gehen aber Plurale per Analogie auf andere Wörter über?
Aufgrund des Endungsschwundes waren auch Pluralendungen verloren
gegangen, sodass Singular und Plural ähnlich oder sogar gleich klangen. Im
Ahd. gab es wort ‘Wörter’, naht ‘Nächte’, man ‘Männer’. Die Formen waren
damit im N. Sg. und N. Pl. identisch. Dies ist grundsätzlich eine sehr schlech-
te Situation für SprachbenutzerInnen. Eine andere Bedeutung muss hörbar
sein. Hörbar waren aber besonders der Umlaut mit dem -ir, nhd. -er, oder mit
einem zusätzlichen e oder ein e allein. Aber das eine Endungs-e allein war
wohl nicht deutlich genug. Der Plural wurde oftmals nachträglich durch mehr
Lautveränderung ausgedrückt, vgl.

ahd. mhd. nhd.


naht nehte Nächte
man manne Männer.

Dass ein aufgrund der Endungslosigkeit nicht eindeutiger Plural auf unter-
schiedliche Weise „repariert“ werden kann, zeigen Doppelformen wie Wör-
ter – Worte.
Und wir müssen uns auch wieder daran erinnern, dass die Endungen im
Singular meist ebenfalls zu Schwa verkümmert waren. Wir haben zwar als zu-
sätzliche Hilfestellung den Artikel, der im Maskulinum und Neutrum den Sin-
gular vom Plural abhebt (der, das vs. die). Dies gilt jedoch nicht für Feminina,
die in beiden Fällen ein die mit sich tragen. Sie bevorzugten daher als Plu-
ralmarkierung -(e)n (Sache/Sachen, Kartoffel/Kartoffeln) und eliminierten ein
-(e)n im Singular (im Frühneuhochdeutschen noch wegen der Nasen, Erden Sg.).
Als weitere Folge der lautlichen Reduktionsprozesse ist die Grundform-
flexion zu sehen. Während im Ahd. die Stammflexion noch sehr verbreitet
war, gab es im Mhd. nur Grundformflexion, vgl. die Deklination von Bote, bei
der auch eine Umdeutung bzw. Reanalyse des ahd. Flexivs -o für den N. Sg.
zu einem Bestandteil der neuen Grundform zu sehen ist (Tab. 6, vgl. Wurzel
1984: 105).

Tabelle 6: Deklination von Bote im Ahd. und Mhd.


ahd. mhd.
bot-o bote N. Sg.
bot-en bote-n G. Sg.
bot-en bote-n D. Sg.
bot-on bote-n A. Sg.
bot-on bote-n N. Pl.
bot-ōno bote-n G. Pl.
bot-ōm bote-n D. Pl.
bot-on bote-n A. Pl.
60 3. Nomen – Flexion

Dies war nun ein vereinfachter, noch dazu grober Ausschnitt aus einem sehr
vielschichtigen Entwicklungskomplex. Unser heutiges Numerussystem ist äu-
ßerst kompliziert, weil der Plural durch viele verschiedene Allomorphe mar-
kiert wird und weil es kaum Regeln, sondern hauptsächlich Tendenzen für die
Wahl des richtigen Pluralallomorphs gibt. Im Idg. hatten wir ein relativ klares
System. Aber wegen verschiedener lautlicher Veränderungen musste sich die
Morphologie der einzelnen Substantive ändern und das Gesamtsystem wur-
de gesprengt. Alte Zuordnungen der Endungen aufgrund von Flexionsklasse
oder Genus verwischten. Um Uneindeutigkeiten zu meiden, wurden unkla-
re Formen durch klare ersetzt. Dabei wählten verschiedene Lexeme unter-
schiedliche Wege.
Für die Entstehung des nhd. Kasus-Numerus-Systems sind mehrere in-
einandergreifende Entwicklungen ausschlaggebend. Aufgrund des Initial-
akzentes schwächten sich die Endungen ab oder gingen verloren, während
die Artikel die wesentlichen Kasusinformationen übernahmen. Der Umlaut
ergab neue Sprachlaute, die, ebenfalls aufgrund der Silbenschwächung bzw.
-verluste, nun teilweise die Unterscheidung von Singular und Plural kenn-
zeichnen konnten. Sie weiteten sich auf unklare Fälle aus, jedoch individuell
für ein Lexem, nicht innerhalb nachvollziehbar gruppierter Lexeme. Kasus
und Numerus gingen je eigene Wege. Als Ergebnis haben wir in unserem heu-
tigen Deutsch ein Kasus-Numerus-System, in dem nicht klare Regeln wirken,
sondern das zu einem nicht geringen Teil auswendig gelernt werden muss.

Werner (1969), Wurzel (1984), Becker (1990), Paul/Schröber/Wiehl/Grosse


(2007), Harnisch/Koch (2009), Szczepaniak (2009)

Übungen zu 3.2. Vertiefung


1. Was ist Umlaut?
2. Welche Möglichkeiten der Pluralbildung gibt es bei Balkon? Warum gibt
es mehrere Möglichkeiten?
3. Warum verlor der frühneuhochdeutsche Singular Nasen seine n-Endung?
4. Nomen – Wortbildung I

4.1 Grundlagen

Die Wortbildung ist die am intensivsten genutzte Methode der Wortschatz-


erweiterung, die Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen ist weitaus
weniger häufig und die Kunstwortbildung sehr selten. Innerhalb der Wortbil-
dung wiederum ist die Komposition den anderen Wortbildungsarten zahlen-
mäßig weit überlegen.

Komposition
Ein Kompositum besteht aus mindestens zwei Grundmorphemen, auch
Kompositionsglieder genannt. Haustür ist zweigliedrig, Biobauernbrotküche
viergliedrig. Um es noch einmal zu betonen, Grundmorpheme sind nicht
identisch mit Wörtern. Aber die Länge der Komposita, gemessen in Grund-
morphemen, gilt nicht als Unterscheidungsmerkmal, sondern das Verhältnis
der Glieder zueinander.

Determinativkomposition
Die Determinativkomposition ist die produktivste Wortbildungsart der Sub-
stantive im Deutschen.
Im zweiteiligen Determinativkompositum heißt das linke Glied Determi-
nans, das rechte Determinatum. Das linke bestimmt das rechte Glied näher,
es determiniert es. Die Haustür ist eine besondere Tür, und zwar die, die ins
Haus führt, im Gegensatz zur Wohnungstür oder Zimmertür. Das linke Glied
trägt den Wortakzent. Das rechte hingegen bestimmt Wortart, Genus und
Flexion. Weil die Kategorienmerkmale eines zweiteiligen Kompositums vom
rechten Teil bestimmt werden, heißt dieser auch Kopf. Darum können die
Glieder nicht ohne Bedeutungsveränderung vertauscht werden. Haustür und
Zimmertür sind Femininum, Türenhaus ist Neutrum. Bei komplexen Bildun-
gen ist auf der obersten Ebene die Grenze der Zweiteilung zu bestimmen: Stra-
ßenbahnschienengebiet ist ‘ein Gebiet aus Straßenbahnschienen’, unmittelba-
62 4. Nomen – Wortbildung I

re Konstituenten sind Straßenbahnschiene bzw. Gebiet. Straßenbahnglastür ist


‘eine Glastür für Straßenbahnen’, unmittelbare Konstituenten sind Straßen-
bahn bzw. Glastür. Dies schlägt sich im entsprechenden Strukturbaum nieder.

Straßenbahnschienengebiet Straßenbahnglastür
⋰⋮⋱ ⋰⋱
straßenbahnschiene {-n-} {gebiet} straßenbahn glastür
⋰⋱ ⋰⋮⋱ ⋰⋱
straßenbahn {schiene} {straße}{-n-}{bahn} {glas} {tür}
⋰⋮⋱
{straße}{-n-}{bahn}

Allerdings ist manchmal keine eindeutige Struktur zu erkennen. In einigen


Zweifelsfällen kann dann anhand der Plausibilität die wahrscheinlichere
Struktur bestimmt werden: Die Zerlegung von Straßenbahnschienengebiet in
Straßenbahn und Schienengebiet ist deswegen abzulehnen, weil es kein Schie-
nengebiet gibt. Das Hefegebäckstück hingegen kann sowohl ein Stück Hefege-
bäck als auch ein Gebäckstück aus Hefe sein. Dies sind Fälle von D o p p e l -
m o t i v a t i o n mit mindestens zwei plausiblen Analysemöglichkeiten.
Wenn die Möglichkeit mehrerer Analysearten besteht, ist dies bei der Analyse
anzugeben. Eine Entscheidung sollten Sie begründen.
Im nominalen Determinativkompositum ist die zweite Konstituente stets
ein Nomen, die erste kann ebenfalls ein Nomen sein (Haustür, Straßenbahn,
Straßenbahnschienengebiet), ein Verb (Fahrbahn, Istzustand) oder ein Adjektiv
(Schwarzarbeit, Höchstsatz). Andere Wortarten sind seltener, z.B. Adverb (So-
fortmaßnahme), Pronomen (Ich-Form), Präposition (Aufgeld, Fürwort), Ant-
wortpartikel (Jawort), Interjektion (Aha-Erlebnis) sowie Verbindungen mit nicht
(Nichtbeachtung, Nichtdeutsche). Wenn nicht klar ist, um welche Wortart es sich
handelt, ist der Ausdruck wieder doppelt motiviert: das erste Glied in Origi-
nalausgabe kann Adjektiv, aber auch Substantiv sein. In anderen Fällen beste-
hen die Konstituenten aus Zahlen (Fünfkampf, Zweitfrisur), Einzelbuchstaben
(O-Beine), Konfixen (Biobrot, Thermohose), unikalen Morphemen (Himbeere,
Schornstein), Wortgruppen (Gutelauneduft, Keinohrhase, Mehrzweckhalle) oder
Sätzen (Machen-Sie-mal-Pause-Artikel, Hein 2011: 348). Bei einigen Erstglie-
dern kommt es zu Allomorphie im Kompositum, vgl. besondere – Sonderkenn-
zeichen, doppelt – Doppelverglasung, einzeln – Einzelbauweise, Schule – Schulhof.

Bei den Determinativkomposita kann es zu Auffälligkeiten kommen, die eine


Analyse als einfache Zusammensetzung mit determinierender Funktion der
ersten Konstituente nicht erlauben. Solche Sonderkomposita entstehen einer-
seits, wenn gleichwertige Einheiten verbunden werden, die zusammen keine
Konstituente bilden und zwischen denen ein Kopulativverhältnis besteht. Sie
4.1. Grundlagen 63

wirken aber wie eine Konstituente im Kompositum insofern, als das Glied
ganz rechts formal und inhaltlich für den Gesamtausdruck bestimmend ist,
z.B. Mann-Frau-Missverhältnis. Andererseits bedeutet auch die Verbindung
mit Einzelbuchstaben, Wortgruppen oder Sätzen als Konstituente eine Beson-
derheit, z.B. b-Faktor, Einohrhase oder Mutter-und-Kind-Kur.

b-Faktor Mutter-und-Kind-Kur Einohrhase Mann-Frau-Missverhältnis


   
{b}{faktor} mutter und kind {kur} ein ohr {hase} {mann}{frau} missverhältnis

Der b-Faktor ist der mittlere Durchlassfaktor von Energie bei Verglasungen,
ein Fachterminus, dessen linkes Glied aus einer Gleichung stammt und nur
im Fachsprachenbereich als Morphem gelten kann. Solche Fälle sind nicht zu
verwechseln mit partiellen Kurzwörtern, beispielsweise S-Bahn zu Schnell-
bahn. Bei Mutter-und-Kind-Kur handelt es sich um eine bestimmte Kur, und
zwar die für Mutter und Kind. Das rechte Glied des Kompositums wird durch
eine Wortgruppe näher bestimmt. Das gleiche gilt für Einohrhase. Anders
Mann-Frau-Missverhältnis ‘Missverhältnis zwischen Mann und Frau’, hier
bilden Mann Frau keine Einheit, weder Phrase noch Satzfragment, und es gibt
auch nicht *Mann-Frau. Deswegen liegt keine binäre Struktur vor, es gibt drei
gleichberechtigte unmittelbare Konstituenten.

Verdeutlichende Komposition
Ein besonderer Fall von Determinativkompositum ist ein Wort wie Einzelin-
dividuum, dessen Glieder Gleiches oder Ähnliches meinen. Entstanden sind
manche solcher Begriffe zu einer Zeit, als das jeweilige Fremdwort in seiner
Bedeutung nicht so bekannt war und es verdeutlichend durch eine heimische
Entsprechung gestützt wurde, vgl. Briefkuvert, Glasvitrine, Düsenjet (engl. jet
‘Strahl’), Pulsschlag (lat. pulsus ‘Schlag’), Turteltaube (lat. turtur ‘Turteltau-
be’). Bei Beispielen wie Kieselstein, Maultier, Auerochse, Bimsstein oder Farn-
kraut war die Bedeutung von Kiesel (eine Art Stein), Maul (früher für Maul-
tier), Auer (zu ahd. ūro, mhd. ūr ‘Auerochse’), Bims (ein poröser Stein) bzw.
Farn (eine Art Kraut) wohl schon nicht klar, der allgemeinere Begriff wurde
stützend hinzugezogen. Lindwurm ist ein altes verdeutlichendes Komposi-
tum: beide Glieder meinten früher schlangen- oder drachenartige Geschöpfe.
Weitere Beispiele sind Eichbaum, Erdkugel, Rückantwort, Chiffrenummer (frz.
chiffre ‘Ziffer’), Rückstau, Haarfrisur, Essensgericht, Damhirsch, Windhund
oder Walfisch.
Berufskollege zählte ebenfalls zu den verdeutlichenden Komposita. Da die-
sem Begriff aber heute Parteikollege oder Sportkollege zur Seite stehen, ist er
besser als Determinativkompositum zu analysieren.
64 4. Nomen – Wortbildung I

Kinder bedienen sich bei ihren Kreationen gern dieses Musters: Boxer-
hund, Briekäse, Spaghettinudel, Käferauto (gemeint ist ein VW-Käfer, vgl. El-
sen 1991, 1999), Dackelwauwau, Notgefahr (Augst, Bauer, Stein 1977: 68f.). Im
Standarddeutschen ist die Wortbildungsart schwach produktiv.

Possessivkomposition
Dieser Kompositionstyp zeichnet sich dadurch aus, dass er den Determina-
tivkomposita insofern gleicht, als das linke das rechte Glied näher bestimmt:
Rotkehlchen, Bleichgesicht. Daher zählen einige diesen Typ zu den Determina-
tivkomposita. Bezeichnet wird jedoch etwas außerhalb des Kompositum Ste-
hendes (deswegen auch exozentrisches Kompositum), in diesem Fall ein Vo-
gel bzw. ein Mensch. Sie haben/„besitzen“ (lat. possidēre ‘besitzen’) eine rote
Kehle bzw. ein bleiches Gesicht, im Unterschied zu einem Determinativkom-
positum wie Haustür, das sich tatsächlich auf eine Türe bezieht. Sehr häufig
sind insbesondere auf Personen bezogene metaphorische Possessivkomposita
wie Eierkopf, das mit ‘jemand, der einen Kopf hat, der aussieht wie ein Ei’ pa-
raphrasiert wird. Als Wortart für das erste Glied kommen Adjektive, Nomen,
Verben sowie Zahlwörter in Betracht. Weitere Beispiele für Possessivkompo-
sita sind Milchgesicht, Rothaut, Spitzbauch, Schreihals, Rotschopf, Lockenkopf,
Hasenfuß, Hinkebein, Geizhals, Schlaukopf, Langbein, Schöngeist, Blaustrumpf,
Langfinger, Schafskopf, Stinkefuß, Blauhelm, Rotkäppchen, Großmaul, Läster-
maul, Dickwanst, Grünschnabel, Blondschopf, Dummkopf, Schlappschwanz,
Vierauge (Brillenträger), Löwenzahn, Hahnenfuß (Pflanze), Neunauge (Fisch),
Blauschwanz, Siebenpunkt, Vierzylinder, Dreirad.
Die Paraphrasen machen den Unterschied deutlich: Langbein ‘Person, die
lange Beine hat’, Vogelbein ‘Bein, das Teil des Vogels ist’. Das Vogelbein ist ein
Bein, das Langbein eine Person. Je nach Zusammenhang kann ein Possessiv-
kompositum wie in

Der Spitzbauch hat den Saal verlassen; der Rotschopf heißt Pumuckl.

auch wörtlich, als Determinativkompositum, gemeint sein:

Dein Spitzbauch wird langsam weniger; ihr Rotschopf steht in vielen Fransen
ab.

Viele der Bildungen sind idiomatisiert. Die ursprünglich possessive Bedeu-


tung ist schon verblasst, wie etwa bei Dickkopf ‘jemand mit einem dicken
Kopf/sturen Kopf’.
Diese Wortbildungsart kommt heute produktiv nur noch bei den Substan-
tiven vor, ist aber nicht sehr häufig.
4.1. Grundlagen 65

Die Bedeutungsbeziehung kann auch als Metonymie bezeichnet werden,


da ein Teil für das Ganze steht (pars pro toto). Die Metonymie bezeichnet eine
Verwandtschaftsbeziehung, im Gegensatz zur Metapher (Ähnlichkeitsbezie-
hung).
Zweirad und Dreizack (Speer mit drei Zacken) sind Rückbildungen aus
zweirädrig bzw. dreizackig (Henzen 1957: 82). Possessivkomposita dürfen auch
nicht mit Zusammenrückungen wie Gernegroß verwechselt werden. Bei Blau-
strumpf und Heißsporn handelt es sich um Lehnübersetzungen von blue sto-
cking und hotspur (Erben 2006: 77).

Kopulativkomposition
Im Gegensatz zur hierarchischen Relation der Glieder im Determinativkompo-
situm sind sie im Kopulativkompositum parataktisch angeordnet. Wir können
uns ein „und zugleich“ denken mit additiver Bedeutungsrelation, das gegebe-
nenfalls zu „weder noch“ tendiert mit exklusiver Bedeutungsrelation (Nord-
west, Südost). Im Gegensatz zu den Determinativkomposita kann auch das
Zweitelement akzentuiert werden. Dies ist jedoch kein verlässliches Merkmal.
Die Kopulativkomposita treten überwiegend ohne Fuge auf. Sie bestehen
aus mindestens zwei gleichberechtigten Elementen einer Wortart mit ähnli-
cher Bedeutung, sie sind syntaktisch gleichgeordnet, prinzipiell vertauschbar
und ihre Bedeutungen tragen additiv zum Gesamtausdruck bei, vgl. Schnee-
regen, Hassliebe, Uhrenradio, Strichpunkt, Dichterkomponist, Autor-Regisseur,
Fürstbischof, Pulloverjacke, Hosenrock, Strumpfhose, Blusenjacke, Nordrhein-
Westfalen, Schleswig-Holstein, Karl-Heinz. Semantisch gibt es feine Unter-
schiede. Während Dichterkomponist eine Person benennt, die sowohl Dichter
als auch Komponist ist, bezeichnet Strichpunkt ein Zeichen, das sich aus ei-
nem Strich und einem Punkt zusammensetzt und Schneeregen einen Nieder-
schlag, der aus Schnee und Regen besteht. Viele Bildungen sind lexikalisiert,
sodass die Glieder faktisch nicht die Plätze tauschen können. Wieder ist die
Paraphrase wichtig, um sie von den Determinativkomposita zu unterschei-
den. Hosenrock in der Bedeutung ‘Hose und (gleichzeitig) Rock’ ist ein Ko-
pulativkompositum, in der Bedeutung ‘eine bestimmte Art von Rock, ähnelt
einer Hose’ ein Determinativkompositum. Für Strumpfhose findet sich heute
vielfach die Interpretation ‘eine Art Hose, die einem Strumpf ähnelt’ mit der
determinierenden Relation. In der Werbung gibt es Fälle von Vertauschung
der Glieder: Cremelotion, Lotioncreme. Verdunkelt ist Werwolf ‘Mann und
Wolf’ (ahd. wer ‘Mann’). Da das entscheidende Kriterium für die Bestimmung
eines Kopulativkompositums im Gegensatz zum Determinativkompositum
die Bedeutung ist und diese nie so klar belegbar ist wie strukturelle Aspekte,
kommt es immer wieder zu Zweifelsfällen.
Insgesamt ist diese Wortbildungsart zwar produktiv, jedoch nicht häufig.
66 4. Nomen – Wortbildung I

Reduplikativkomposition
Das R e d u p l i k a t i v k o m p o s i t u m bzw. Reduplikationskomposi-
tum verweist auf die kompositionstypische Struktur wie in Hickhack zu hacken,
denn es ist aus zwei Gliedern gebildet, die sich wiederholen, teils mit leichter
Änderung. Meist liegt Ablaut vor. Ablaut ist, grob formuliert, ein noch aus dem
Idg. stammender Vokalwechsel u.a. bei den starken Verben (gehen/ging, lau-
fen/lief, werfen/warf). Dies wird auch als Ablautdopplung oder Ablautbildung
bezeichnet, während Formen wie Kuddelmuddel auch Reimbildungen heißen.
Reduplikativkomposita liegt meist eine Intensivierung zugrunde. Weitere Bei-
spiele sind Singsang, Krimskrams, Wirrwarr, Zickzack, Tingeltangel, Mischmasch,
Schnickschnack, Heckmeck, vgl. singen, Kram, wirr(en), Zacke, tingeln, mischen,
ndd. snaken ‘reden’, ndd. koddeln ‘Sudelwäsche halten’, regional Moder/Muddel
‘Schlamm’, meckern. Schickimicki stammt laut Wiese (1990) von schick. Nicht
hierher gehören Picknick aus dem Französischen, dort piquenique zum Verb pi-
quer ‘aufspießen’. Hottentotte leitet sich vom Kapholländischen hotentot ‘Stotte-
rer’ ab. Pingpong ist laut Kluge (2002) eine lautmalerische Entlehnung aus dem
Englischen. Hokuspokus stammt ebenfalls aus dem Englischen und ist dort eine
dem Lateinischen entnommene Reimformel, Flickflack ist französisch. Der Ur-
sprung von Techtelmechtel allerdings ist unklar. Der Bildungstyp ist nicht pro-
duktiv und als wortbildnerische Randerscheinung aufzufassen.
Neben dem Begriff des Reduplikativkompositums oder allgemeiner Re-
duplikationsbildung findet sich häufig auch Reduplikation für Lexeme, die aus
doppelten oder lautlich sich ähnelnden Elementen bestehen. Er bezieht sich
jedoch eigentlich auf die phonologische Erscheinung der Laut(gruppen)wie-
derholung. Bereits Henzen (1957: 259f.) trennt die onomatopoetische von der
Wortbildungswiederholung (vgl. auch Simmler 1998, Schindler 1991, Dona-
lies 2002), kommt allerdings zu anderen Unterscheidungen, da er sie nicht als
eigentliches Wortbildungsmittel im Indogermanischen auffasst. Es bietet sich
an, eine Trennung zwischen phonologischen und morphologischen Verfahren
auch terminologisch auszudrücken. Darum wird empfohlen, den Begriff der
Reduplikation in der Wortbildungslehre zu umgehen, um Mehrdeutigkeiten
zu vermeiden. Lautmalereien wie Kuckuck sind lautlich, nicht morphologisch
strukturiert. Auch Wauwau, Klimbim, Popo, Papa, Larifari oder Tamtam gehö-
ren nicht zu den Reduplikativkomposita, sondern zur Reduplikation, denn sie
sind lautmalerisch und nicht aus Wörtern bzw. Grundmorphemen gebildet. Sie
sind zu den Simplizia zu rechnen.
Lautliche Verdopplungen treten in der Kindersprache auf und sind nicht
zu den morphologischen Verfahren zu zählen: Sie führen nicht zu Verände-
rungen in der morphologischen Struktur. In den besprochenen Fällen ist also
sorgfältig zwischen den Bereichen Wortbildung (Reduplikativkompositum:
Hickhack) und Lautlehre (Reduplikation: Wauwau) zu trennen.
4.1. Grundlagen 67

Fälle wie Kindeskind, Zinseszins oder Helfershelfer sind Determinativkom-


posita, auch als Selbstkomposita bezeichnet.
Der Begriff Reduplikationsbildung wird einerseits in der Flexion für die
Verdopplung morphologischer Elemente z.B. für die Pluralbildung verwen-
det, andererseits auch in der Wortbildung. Zur Wiederholung: In diesem Be-
reich bergen die etablierten Begrifflichkeiten die Gefahr einer Vermischung
von lautlichen, z.B. onomatopoetischen Bildungen wie wauwau, und morpho-
logisch strukturierten Formen.

Sonderfälle und Verwandtes


Jahrhundert, München-Nord, Berlin-Schöneberg, Whiskysoda, Ford-Taunus,
VW-Golf oder TV-heute sind I n v e r s i o n s k o m p o s i t a, bei denen das
zweite das erste Glied näher bestimmt: Vierteljahr ‘ein bestimmtes Viertel,
das Viertel eines Jahres’. Der Wortakzent liegt auf dem zweiten Glied.
Bei Hohelied, Hohepriester, Langeweile, Dummerjungenstreich ist die in-
terne Flexion (Binnenflexion) bewahrt, die Wortstruktur ist nicht stabil, vgl.
ich habe Langeweile, vor Langerweile lese ich ein Buch. Es handelt sich um
Zusammenrückungen, vgl. auch Gernegroß. Ihr Status ist umstritten. Man-
che Abhandlungen fassen sie als Komposita auf, andere als Konversionen. In
jedem Fall sollten ihre Besonderheiten aufgeführt werden.
Nicht mit den Komposita zu verwechseln sind Affixoidbildungen (Riesen-
blödsinn) oder Zusammenbildungen (Dickhäuter).

Affixoidbildung
Diese Wortbildungsart ist insofern umstritten, als sie in einigen Abhandlun-
gen als nicht nötig angesehen wird. Sie fordern in jedem Fall eine Entschei-
dung zwischen Komposition und Derivation. Aufgrund der sich verändern-
den Semantik von Riesenärger oder Affentheater, nämlich von metaphorischer
zu allgemein steigernder Bedeutung, zusammen mit systematischen Ände-
rungen und einer noch wachsenden Zahl an Beispielen gelten in dieser Ab-
handlung Elemente im Grenzbereich von Kompositionsglied und Affix als
Affixoide. Sie haben ein freies Pendant, von dem sie inhaltlich gelöst sind. Die
Bildungen sehen zunächst aus wie Determinativkomposita. Jedoch verhalten
sich die fraglichen Einheiten nicht mehr wie Kompositionsglieder, sondern
wie Affixe, denn sie sind reihenbildend, platzfest und werden mit Stämmen
kombiniert, aber nicht abgeleitet.
Bei den Affixoiden handelt es sich um ein dynamisches Konzept bzw. um
eine offene Morphemklasse sowohl in ihrer historischen Entwicklung als auch
bezüglich ihrer Klassifikation. Sprachgeschichtlich sind Präfixoide neu, wäh-
68 4. Nomen – Wortbildung I

rend in der Vergangenheit bereits zahlreiche Kompositionsglieder zu Suffixen


wurden.
Die Affixoide tragen zumeist eine affektive Mitbedeutung. Bei Präfixoid-
bildungen sind zudem die Akzentmuster anders als bei den Determinativ-
komposita.

Präfixoide
Präfixoide haben eine allgemein verstärkende Funktion. Bei einigen von ih-
nen kann zwar noch auf die ursprüngliche Bedeutung geschlossen werden
– Affengeschrei ‘ein Geschrei, wie es Affen machen’. Aber die steigernde, in-
tensivierende Bedeutung dominiert zusehends, vgl. Affenhitze, Affenarbeit,
Affenschande, Affenkomödie. Ganz wesentlich ist, dass der Bedeutungsver-
lust der betroffenen Konstituente nicht jeweils neu in der Zusammenset-
zung erfolgt. Vielmehr entstehen neue Bildungen mit und wegen der bereits
veränderten Bedeutung der Einheit, die nun ihre Eigenständigkeit verliert.
Im Gegensatz zu den Determinativkomposita tritt bei den Präfixoiden meist
noch die Verlagerung des Wortakzents hinzu oder es gibt zwei Akzente, vgl.
Bómbenfund ‘der Fund einer Bombe’, Bòmbenfúnd ‘ein besonders wichtiger,
besonderer Fund’, Spítzensportler ‘ein Sportler’, der an der Spitze (der Welt)
steht’, Spitzenspórtler ‘ein sehr guter Sportler’, das kann auch ein Mitstudent
sein, der einfach nur besser als andere ist. Oft werden solche Beispiele auch als
Steigerungsbildungen bezeichnet, dies bezieht sich jedoch auf inhaltliche As-
pekte und nicht auf die strukturelle Charakteristik. Die Präfixoidbildung ist
produktiv, in einigen Formen des Deutschen wie der Jugendsprache hochpro-
duktiv. Die Gruppe der Präfixoide wird gerade in solchen Varietäten ausge-
weitet, wohl, weil sie sehr oft eine emotional-stilistische Komponente aufwei-
sen.

Präfixoide sind beispielsweise


– Affen- ‘sehr groß’ (Affentheater, Affenhitze, Affenspektakel, Affenschande,
Affenarbeit, Affenliebe, Affensehnsucht etc.)
– Bilderbuch- ‘ideal’ (Bilderbuchehe, Bilderbuchfamilie, Bilderbuchheld, Bil-
derbuchlandung etc.)
– Bomben- ‘sehr groß’ (Bombenstimmung, Bombenfete, Bombenerfolg, Bom-
benfest, Bombengeschäft, Bombengeld etc.)
– Grund- ‘fundamental, wesentlich’ (Grundbaustein, Grundbedingung, Grund-
bestandteil, Grundeinheit, Grundfarbe, Grundgebühr, Grundlinie etc.)
– Haupt- ‘der/die/das wichtigste’ (Hauptbahnhof, Hauptsache, Hauptan-
schluss, Hauptmahlzeit, Hauptaugenmerk, Hauptperson etc.)
– Heiden- ‘sehr groß’ (Heidenangst, Heidenlärm, Heidengeld, Heidenspaß,
Heidenprofit, Heidenspektakel etc.)
4.1. Grundlagen 69

– Höllen- ‘sehr groß’ (Höllenlärm, Höllenqual, Höllentour, Höllenangst, Höl-


lengeschrei, Höllenspektakel etc.)
– Hunde- ‘sehr groß’ (Hundeangst, Hundekälte), ‘sehr schlecht’ (Hundewet-
ter, Hundearbeit, Hundeleben etc.)
– Mammut- ‘sehr groß’ (Mammutfilm, Mammutaufgabe, Mammutbetrieb
etc.)
– Mords- ‘sehr groß’ (Mordsgeschrei, Mordshitze, Mordsglück, Mordsgefühl,
Mordskrach, Mordskerl, Mordshunger, Mordsdurst, Mordsspektakel etc.)
– Ober- ‘sehr groß’ (Oberspinner, Obergauner, Oberbonze, Obermacker etc.)
– Pfunds- ‘sehr gut’ (eher dialektal Pfundskerl, Pfundswetter etc.)
– Riesen- ‘sehr groß’ (Riesenhunger, Riesenanstrengung, Riesenarbeit, Rie-
senbau, Riesenschritt, Riesenschwung, Riesenblamage etc.)
– Sau- ‘sehr schlecht’ (Sauwetter, Sauarbeit, Sauklaue, Saufraß, Sauwirt-
schaft, Saukerl etc.) ‘sehr groß’ (Sauangst, Saukälte, Sauhitze, Sauglück,
Sauwut etc.)
– Scheiß- ‘sehr schlecht’ (Scheißarbeit, Scheißwetter, Scheißlehrer, Scheißkerl
etc.)
– Schlüssel- ‘zentral, grundlegend’ (Schlüsselbetrieb, Schlüsselindustrie, Schlüs-
selfrage, Schlüsselfunktion, Schlüsselstellung, Schlüsselposition, Schlüsselprob-
lem etc.)
– Schweine- ‘sehr schlecht’ (Schweinearbeit, Schweinekerl) ‘sehr viel’ (Schwei-
negeld, Schweineglück, Schweinedurst etc.)
– Spitzen- ‘sehr gut’ (Spitzenleistung, Spitzenvorlesung, Spitzendozentin,
Spitzenfilm etc.)
– Traum- ‘sehr gut’ (Traumberuf, Traumfrau, Traummann, Traumfigur, Traum-
frisur, Traumdozent etc.).

Hiermit ist jedoch nicht der gesamte Fäkalbereich mancher Varietäten abge-
deckt. Noch nicht als Präfixoid anzusehen sind stink und Bären. Dazu existie-
ren noch zu wenig Beispiele, vgl. Bärenhunger, Bärenkälte, Stinklaune, Stink-
wut.
Die Bedeutung des Gesamtausdrucks ist stets zu prüfen, denn neben den
Präfixoidbildungen gibt es fast immer auch Determinativkomposita, z.B. Rie-
senkampf (zwischen Riesen, im Märchen), Haupthaar, Bombenleger, Grund-
buch, Spitzentanz, Höllenfürst. In Zweifelsfällen helfen hier der Kontext und
der Wortakzent weiter.

Suffixoide
Etwas anders erfolgt der Bedeutungsverlust vom Determinativkompositum
zur Suffixoidbildung. Auch hier kommt es zu einer allgemeineren Semantik,
jedoch meist im Sinne von Kollektivität. Das Determinativkompositum Auto-
70 4. Nomen – Wortbildung I

werk ist ein Werk, das Autos produziert, dem stehen Kollektiva wie Laubwerk
oder Fachwerk gegenüber.

Beispiele für Suffixoide sind


– -gut kollektiv (Ersatzgut, Schnittgut, Frachtgut, Postgut, Pflanzgut,
Schmelzgut, Ideengut, Stückgut, Saatgut, Wortgut etc.)
– -kraft verallgemeinernd (Fachkraft, Arbeitskraft, Schreibkraft, Nachwuchs-
kraft etc.), von der Bedeutung ‘Stärke, Fähigkeit’ entwickelt zu einer verall-
gemeinernden Bedeutung für Personen
– -werk kollektiv (Astwerk, Backwerk, Blätterwerk, Buschwerk, Fachwerk,
Flechtwerk, Laubwerk, Schuhwerk, Uhrwerk etc.)
– -wesen kollektiv (Auskunftswesen, Druckwesen, Gesundheitswesen, Haus-
haltswesen, Rettungswesen etc.)
– -zeug kollektiv (Werkzeug, Schuhzeug, Schreibzeug, Spielzeug, Nähzeug,
Ölzeug etc.).

Einen eigenen Stellenwert erhalten Eigennamen, die in Zweitstellung zu pe-


jorativen (abwertenden) Gattungsbezeichnungen werden und auch reihen-
bildend auftreten, etwa Trödelheini, Pfeifenheini, Filmheini, Reklameheini,
Trödelfritze, Meckerfritze, Fernsehfritze, Autofritze, Trödelliese, Bummelliese,
Meckerliese, Schnatterliese, Kleckerliese, Heulsuse, Transuse, Nölsuse. Aller-
dings werden bzw. wurden auch die Eigennamen allein als pejorative Gat-
tungsbezeichnungen verwendet (so ein blöder Heini, du dumme Liese!), und
damit passen solche Beispiele nicht mehr zur Definition des Affixoidbegriffs,
für den eine Bedeutungsveränderung gegenüber dem freien Pendant aus-
schlaggebend ist.

Übungsaufgaben zu 4.1. Grundlagen


1. Analysieren Sie morphologisch ausführlich Wohnzimmertisch!
2. Vergleichen Sie morphologisch Dickmilch und Dickkopf, Farnwedel und
Farnkraut, Fürstbischof und Weihbischof!
4.2. Vertiefung 71

4.2. Vertiefung

Wortbildungssemantik der Komposita


Die Analyse der Komposita nach ihrer Wortbildungsbedeutung ist aus meh-
reren Gründen oft sehr schwierig. Erstens werden die semantischen Wort-
bildungsmuster der Determinativkomposita und ihre Klassifizierung in der
Literatur stark uneinheitlich gehandhabt. Erben (2006: 75) zählt drei Haupt-
gruppen auf, Subjekttypus wie Waschfrau, Objekttypus wie Falt-Karte und
Adverbialtypus wie Halte-Stelle. In Altmann/Kemmerling (2005: 104ff.) gibt
es 53 wichtige Typen. Ortner et al. (1991) führen 34 Haupttypen an, die noch-
mals vielfach untergliedert werden. Bei Fleischer/Barz (1995: 98f.) sind es 17
Haupttypen, die ebenfalls weiter differenziert werden – um nur einige zu
nennen. Die Gliederungen entsprechen sich nur mäßig. Ein anderes Problem
ist die Terminologie selbst, die nicht so ohne Weiteres aus sich verständlich
ist, auch bei Lateinkenntnissen nicht. Dann ist die Bedeutungsanalyse an
sich schon höchst problematisch. Viele Wörter lassen sich mehreren Wortbil-
dungsbedeutungen zuordnen. In anderen Fällen passt keiner der vorgeschla-
genen Typen, dabei sind Ungenauigkeiten oft beabsichtigt und liegen in der
Konstruktion des Wortes begründet. Dies alles führt dazu, dass die Bedeu-
tung eines Wortbildungsproduktes besser mit einer knappen, aber sauberen
Paraphrase, in der die Kompositiosglieder auftreten, dargelegt werden sollte,
als einen Begriff aus einer der vielen Terminologieinventare heranzuziehen
und ihn „irgendwie“ dem Kompositum zuzuordnen. Der Aufwand, der für
das Verstehen und Erlernen der Begrifflichkeiten nötig ist, rechtfertigt nicht
das in der Regel magere Ergebnis der Anwendung. Da in vielen Fällen jedoch
auf solche terminologisch fixierten Bedeutungsanalysen Wert gelegt wird,
folgt ein Katalog der wichtigsten semantischen Wortbildungsmuster der sub-
stantivischen Determinativkomposita, und zwar in Anlehnung an Fleischer/
Barz (1995), teils auch Ortner et al. (1991).

Die Bedeutung eines Determinativkompositums kann sein:

agentiv gibt den Handelnden, den Urheber an (Obstverkäufer)


äquativ gibt ein Sein wie, ein Sein als, eine Gleichsetzung an (Ama-
teurpsychologe, Verlustgeschäft)
dimensional gibt eine Ausdehnung, ein Ausmaß an (Hundertmeterlauf,
Halbtagsjob)
72 4. Nomen – Wortbildung I

final gibt eine Eignung, eine Bestimmung an (Badeanzug, Gieß-


kanne)
graduativ gibt eine Verkleinerung, eine Steigerung an (Großkraft-
werk, Kleinstlebewesen)
instrumental gibt ein Mittel an (Benzinmotor, Sonnenenergie)
kausal gibt einen Grund, eine Ursache an (Feuerschaden, Brems-
geräusch)
komparativ gibt einen Vergleich an (Beifallssturm, Puderzucker, Nadel-
streifen)
konstitutional gibt die Teile an, aus denen etwas besteht (Blumenstrauß,
Menschengruppe)
lokal gibt den Ort an (Ofentür, Westseite)
modal gibt die Art und Weise, die Beschaffenheit an (Schnellver-
band, Spurenelement)
ornativ gibt eine Ausstattung, ein Versehensein mit etwas an (Hen-
kelkorb, Lichterbaum)
partitiv gibt eine Teil-Ganzes-Beziehung an (Computertastatur,
Kinderhand)
patiens gibt das Betroffene an (Hackfleisch)
possessiv gibt einen Besitzer oder den Besitz an (Ölscheich, Dorfwiese)
referenziell gibt einen Bezug, ein Thema, eine Beziehung an (Pressege-
spräch, Tierfilm)
substantiell gibt den Grundstoff an (Baumwollhandtuch, Metallschie-
ne)
temporal gibt einen zeitlichen Aspekt an (Abendrot, Sofortrabatt)

Statt graduativ gibt es bei Steigerungsbildungen auch den Begriff augmentativ,


bei Verkleinerungen diminutiv. Außerdem gibt es Metaphern – der Fuchs-
schwanz ist eine Säge, die wie der Schwanz eines Fuchses aussieht, der Finger-
hut ist eine Blume, deren Blüten wie ein Fingerhut aussehen. Die Nachteule
wiederum ist im zweiten Teil metaphorisch zu verstehen als ‘Mensch, der gern
nachts aktiv ist’. Auch bei Kindergarten ist das zweite Glied eine Metapher,
‘Einrichtung zur Betreuung von (etwa drei- bis sechsjährigen) Kindern’.
Bei einem Kompositum wie Obstverkäufer handelt es sich um eine agen-
tive Bedeutung, da derjenige angegeben ist, der etwas mit dem Obst tut, am
Obst handelt, nämlich, es zu verkaufen. Dies ist die Charakterisierung, die
typischerweise mit dem Lexem verbunden ist. Sie kann, je nach Ko- bzw.
Kontext, auch anders ausfallen. Andererseits haben sich auch Bedeutungsspe-
zialisierungen eingebürgert. Ein Badeanzug ist nicht einfach ein Anzug, der
für das Baden bestimmt ist (final), sondern der außerdem typischerweise eine
4.2. Vertiefung 73

bestimmte Form und ein bestimmtes Material aufweist. Das kann aber auch
wieder in einer individuellen Situation aufgehoben werden – Er schritt vom
Altar direkt in den Swimmingpool und sein Designer-Badeanzug hinderte ihn
am Schwimmen. Daher dürfen die aktuellen Textzusammenhänge bei der se-
mantischen Interpretation nicht vernachlässigt werden. Ein anderer Fall liegt
vor bei Dorfwiese. Die Bedeutung ist possessiv, wenn die Wiese der Dorfge-
meinschaft angehört. Liegt sie im oder beim Dorf, ist sie lokal. Dies wird al-
lerdings nicht immer im Text oder durch Weltwissen deutlich. Denn unklare
Beziehungen zwischen den Komponenten sind oftmals beabsichtigt.
Ausdrücklich soll auf zahllose weitere Möglichkeiten und Varianten, auf
Mehrfachzuordnungen und Idiosynkrasien hingewiesen sein. Alle Termino-
logien und Klassifikationsvorschläge finden Kritik in der einen oder anderen
Form.

Ortner et. al. (1991), Fandrych/Thurmair (1994)

Reduplikation und Reduplikativkomposition


Da der Begriff Reduplikation mehrdeutig ist, sollte er als Bezeichnung für ei-
nen phonologischen Prozess von der Reduplikativkomposition für Komposita
oder allgemeiner Reduplikationsbildung unterschieden werden, die zur Ge-
winnung neuer Wortformen führt oder die Wortstämme verdoppelt.
Im Indogermanischen war Reduplikation nie ein Wortbildungsmittel,
abgesehen von onomatopoetischen (lautmalerischen) Formen, so Henzen
(1957: 260). Wilmanns (1899: 22) führt einige ahd. Bildungen auf wie wi-wint
‘Wirbelwind’, die er ebenfalls für onomatopoetisch hält. Meist dienten sie der
Verstärkung. Es gab im Bereich der Flexion außerdem reduplizierende Per-
fektstämme, die allerdings nur noch im Gotischen feststellbar waren. Einige
andere Sprachen hingegen verwenden heute die Verdoppelung von Wortma-
terial als produktives Mittel für den Plural, etwa im Pangasinan, einer philip-
pinischen Sprache, amigo, amimígo ‘Freund, Freunde’, báley, balbáley ‘Stadt,
Städte’, manók, manómanók ‘Huhn, Hühner’ (Rubino 2008). Dabei kann die
Verdopplung partiell sein, vgl. Samoanisch matua ‘er ist alt’, matutua ‘sie sind
alt’ (Gleason in Becker 1990: 93) oder total, vgl. Thailändisch dèk ‘Kind’, dèk
dèk ‘Kinder’. Neben Numerus markieren verdoppelte Elemente eines Wortes
aber auch Kasus-, Tempus- oder Aspektunterscheidungen u.a. (Rubino 2008),
wiederholend und damit intensivierend bereits altindisch annam-annam
‘Nahrung in einem fort’, divé-dive ‘Tag für Tag’ (Henzen 1957: 258). Intensi-
vierend ist auch die Reduplikationsbildung im Chinesischen chingchuu ‘klar’,
chingchingchuuchuude ‘vollkommen klar’ (Chao in Becker 1990: 94).
74 4. Nomen – Wortbildung I

Festzuhalten ist in jedem Fall, dass in vielen Sprachen der Welt die Re-
duplikationsbildung als morphologisches Verfahren produktiv existiert, im
Gegensatz zum Deutschen. Ausnahmen bilden höchstens die Interjektionen
(jungejunge). Reduplikation erscheint bei uns nur phonologisch, als Silben-
dopplung, in Kinderwörtern (Pipi, baba, eiei) oder bei Kosenamen wie Lili,
Mimi. In manchen Texten der Literatur treten zwar Verdopplungen auf wie in
„im Klein-Klein des Alltags“ (Fleischer 1982: 235). Sie werden jedoch als De-
terminativkomposita verstanden. Donalies (2005, 2007) zählt auch Beispiele
wie Film-Film dazu. Ortner et al. (1991: 124) führen als weitere Determina-
tivkomposita Jägerjäger als ‘Jagd von Photographen’, Rederede und Theater-
Theater auf, als Kopulativkompositum Winter-Winter.

Schindler (1991), Hurch (2005), Rubino (2008)

Kopulativkomposita
Erben (2004: 44) weist darauf hin, dass die meisten Kopulativkomposita als
Schnittmengen der Bedeutung der Bestandteile aufgefasst werden. Ein Dich-
terkomponist ist einer der wenigen Komponisten, die auch Dichter sind bzw.
einer der wenigen Dichter, die auch Komponisten sind. Namen sind oft rein
additiv. Nordrhein-Westfalen umfasst die beiden Gebiete in ihrer Gesamtheit.
Meist sind die Bedeutungsbeziehungen diffiziler zu sehen. Denn bei Perso-
nennamen entsteht ein neuer eigenständiger Ausdruck – die Person mit Na-
men Karl-Heinz ist nicht gleichzeitig Heinz und Karl und besteht auch nicht
gleichzeitig aus Karl und Heinz. Die Himmelsrichtung Nordost steht für eine
neue Richtung zwischen Nord und Ost (Pittner 1991). Häufig ist aber auch
eine determinierende Lesart möglich, sodass viele Beispiele nur durch den
Kontext oder aufgrund einer Definition als Kopulativkomposita erkannt wer-
den können. Breindl/Thurmair (1992) führen hierzu zahlreiche nominale
Zweifelsfälle auf.

Pittner (1991), Breindl/Thurmair (1992), Erben (2004)

Affixoide
Als endlos umstrittener Begriff gilt das Affixoid/Halbaffix. Bei der Analyse
haben Sie die Wahl, zwischen Derivation und Komposition zu entscheiden
und Fälle wie Riesenärger und Flickwerk einer der beiden Wortbildungsarten
zuzuordnen. Als Alternative können sie eine dritte Wortbildungsart anset-
4.2. Vertiefung 75

zen. Sie ist wegen der mittlerweile großen Beliebtheit solcher Bildungen nötig
geworden (Fandrych 2011). Außerdem ist für die begriffliche Erschließung
der betroffenen komplexen Lexeme, vor allem von Gelegenheitsbildungen,
die Aufnahme der Präfixoide und Suffixoide in Wörterbüchern mit einer Er-
klärung des jeweiligen Affixoids wichtig. Damit wird die semantische Son-
derstellung dieser Einheiten deutlich (Müller 1989). Zu den nachstehenden
Ausführungen vgl. Elsen (2009d).
Bei einer Zweierteilung ergibt sich folgendes Problem – Affixe sind typi-
scherweise einsilbisch und unbetont. Sie weisen wenig lautliches Material auf
(ver-, be-, ge-, -er), wobei es natürlich auch zu Ausnahmen kommt, etwa hete-
ro-, un-, -ei, -schaft. Ein Grundmorphem dagegen ist zumeist frei, aber auch
hier finden sich Ausnahmen wie die Verbalwurzeln, die Konfixe und die uni-
kalen Morpheme. Es ist betonbar, weist viel lautliches Material auf und kann
aus vielen Silben bestehen. Tabelle (7) stellt Merkmale und morphologische
Einheiten zusammen.

Tabelle 7: Zusammenfassung der Merkmale von Affixoiden (vgl. auch Elsen 2009d)

morpholog. Beispiels- Beispiels- Merkmale


Einheit einheit lexem
bildet automa-

freies lexikali-
sches Pendant

akzentuierbar
verbindet sich
feste Position

tisch Reihen

lexikalische
mit Affixen

Bedeutung
gebunden

lautlicher
Gehalt

Affix ge-, -ig, -er Geäst, glasig, + + + – – – – –


Kocher

Präfixoid ober-, sau- Obergauner, + + + – – + + +


Sauordnung,
Schuhwerk, –
Suffixoid -werk, -los sorglos

freies haus, schuh, Hausschuh, – – – + + 0 + +


lexikal. stahl Türschloss,
Morphem Stahltür

Die Tabelle zeigt, dass sich die Affixoide weder eindeutig den Grundmorphe-
men noch den Affixen zuordnen lassen. Gebundenheit, Positionsfestigkeit,
automatische Reihenbildung, die Unfähigkeit, sich mit Affixen direkt zu ver-
binden und die fehlende lexikalische Bedeutung haben sie mit den Affixen ge-
meinsam. Das trennt sie damit von Kompositionsgliedern. Gleichzeitig aber
unterscheiden sie sich von den Affixen durch das freie Pendant und tenden-
76 4. Nomen – Wortbildung I

ziell mehr Lautgehalt. Denn Affixoide bestehen nie aus einer einzigen schwa-
haltigen Silbe mit einfacher Silbenstruktur, genauso wenig wie Lexeme. Sie
sind damit lautlich noch nicht reduziert wie viele der bereits etablierten Affixe
(be- vs. ahd. bī, ver- vs. ahd. faur, fra, fair, -er vs. lat. arius, vgl. Fleischer/
Barz 1995), sondern stehen den Wörtern noch nahe. Das Kriterium des freien
Pendants lässt sich auf Kompositionsglieder nicht anwenden. Weiterhin un-
terscheiden sich Präfixoide von Gliedern im Determinativkompositum durch
das Akzentmuster, vgl. Bómbenfund, ‘Fund einer Bombe’ mit Bòmbenfúnd
‘außergewöhnlicher Fund’. Affixoide unterscheiden sich von Grundmorphe-
men positionell und semantisch, von Affixen lautlich und durch das freie
Pendant. Dabei dürfen die Prä- und Suffixoide aber nicht gleich behandelt
werden, denn zwischen ihnen gibt es genauso Unterschiede wie zwischen den
Prä- und Suffixen. Denn erstens behalten die Suffixoidbildungen im Gegen-
satz zu den Präfixoidbildungen das Akzentmuster des Determinativkompo-
situms bei, und zweitens sind die Produktivitätsgrade unterschiedlich. Im
Prinzip entstehen beide über anfänglich metaphorische Verwendung (vgl.
bereits Tellenbach 1985). Während aber die Präfixoidbildung äußerst vital ist,
sind Suffixoide weniger häufig. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sich die
Zweitglieder in Determinativkomposita als semantische Träger des Gesamt-
ausdrucks weniger leicht desemantisieren lassen als die Erstglieder, die als
Zusatzinformation inhaltlich flexibler sein dürften und sich bei häufigerem
Gebrauch leichter „abnutzen“. Damit wird der metaphorische Charakter der
Zweitglieder, der für die Interpretation als Komposition wichtig ist, bewahrt
und die inhaltliche Verselbstständigung der Einheit bleibt aus.
Die Bedeutungsentwicklung führt zu einem weiteren wichtigen Argu-
mentationskomplex. Bei den Affixoidbildungen entstehen gewöhnlich aus
einer Metapher per Analogie ein oder zwei weitere, die dann mit der Zeit
die metaphorische Bedeutung einbüßen und Reihen bilden. Schließlich trägt
das Affixoid selbst die veränderte Bedeutung und sie entsteht nicht erst in
der Verbindung mit einem Grundmorphem. Dieser semantische Aspekt ist
charakteristisch für diese Wortbildungsart, neben den Kriterien Reihenbil-
dung und freiem Pendant. Natürlich sind im Bereich der Semantik eindeutige
Definitionen oft schwierig, sodass es zu Unterschieden bei der Einordnung
vieler Einheiten kommt. Sie entstehen aber auch beim Verzicht auf die Ka-
tegorie Affixoid. Eine mögliche Vorgehensweise ist deswegen, die gesamte
Gruppe der durch ein Affixoid entstandenen Beispiele zu betrachten. Sie setzt
sich meist aus eher metaphorischen (Mordsangst) und eher allgemeineren,
z.B. steigernden Wörtern (Mordsding, Mordshunger) zusammen sowie aus
Kandidaten, bei denen beides möglich ist, z. B. bei Mordsgeschrei ‘Geschrei
wie bei einem Mord’, ‘großes Geschrei’. Dann ist das Affixoid eine produk-
tiv verwendete, semantisch sich verselbstständigende Einheit, die parallel in
4.2. Vertiefung 77

ihrer ursprünglichen Bedeutung frei vorkommt, wobei sich einige Bildungen


nicht mehr als mit dem Einzellexem metaphorisch verwandt interpretieren
lassen (Bombenparty, Mordsglück). Der Übergangscharakter zeigt sich auch
strukturell, wenn sich ursprünglich komplexe Elemente wie -trächtig zu einer
konzeptionellen Einheit mit Affixfunktion entwickeln.
Nach dieser Definition zählen affen-, bomben- oder mords- zu den Präfi-
xoiden. Zwar mag Affentheater noch als ‘Theater, wie es ein Affe macht’ inter-
pretierbar sein, aber bei Affenarbeit oder Affenhitze erscheint eine rein meta-
phorische Umschreibung nicht mehr passend.
Im Gegensatz dazu finden wir aber bei Formen mit papst oder luxus mo-
mentan nur metaphorisch begründete Bildungen. Skipapst, Literaturpapst, Kul-
turpapst und Kunstpapst spielen auf die erhöhte Sonderstellung eines Papstes
an. Auch bei Luxusartikel, Luxusvilla oder Luxusgeschöpf bleibt es bei der Um-
schreibung ‘luxuriös, kostspielig (gesonnen), in den Bereich des Luxus gehö-
rend’. Da hier (noch) keine semantischen Verselbstständigungen zu verzeich-
nen sind, sollten luxus oder papst nicht zu den Affixoiden gerechnet werden.
Diese Entscheidung gilt auf Grundlage von Beispielen einer ganzen Gruppe.
Dass wir es hier mit einer produktiven, selbstständigen Wortbildungs-
art zu tun haben, zeigen die Quereinsteiger, die bereits mit intensivierender
Bedeutung und in Reihe verwendet werden ohne vorherige Analyse einzel-
ner Komposita (beispielsweise Scheiß-, vgl. auch Decroos/Leuschner 2008).
Die bisher behandelten Beispiele fungieren als Modellmuster für vor allem
jugendsprachliche, also nicht unbedingt langlebige Formen mit Dreck-, Ham-
mer-, Kack-, Killer-, Kult-, Panne-, Sahne-, Schrott- etc.
Neben dem von einzelnen metaphorischen Komposita unabhängigen Ver-
halten bedeutet die Verselbstständigung des Musters und die unverkennbare
Produktivität ein wichtiges Argument für die Annahme einer Wortbildungs-
art Affixoidbildung. Denn die Gruppe der sich ähnlich verhaltenden Einheiten
ist groß und wächst an. Auch wenn es zu problematischen Fällen in den Über-
gangszonen von Determinativkomposition, Affixoidbildung und Derivation
kommt, darf nicht vergessen werden, dass die Trennlinie zwischen Komposi-
tion und Derivation noch weit weniger eindeutig ist. Aber in diesem Bereich
gibt es eine große und vor allem wachsende Gruppe von Wortbildungen, die
weder klar dem einen noch dem anderen Typ zugeordnet werden können und
die sich systematisch ähnlich und relativ kohärent verhalten; daher der Bedarf
an einer dritten Kategorie neben Komposition und Derivation. Darüber hin-
aus treten vergleichbare Entwicklungen auch in anderen Sprachen auf (Bauer
1983, Bauer 2005, Booij 2005, Decroos/Leuschner 2008, Van Goethem 2008,
Leuschner/Wante 2009, Leuschner 2010). Außerdem schließen die Präfixoide
als synthetische Elativformen eine morphologische Lücke im Deutschen, vgl.
groß, größer, riesengroß, am größten.
78 4. Nomen – Wortbildung I

Auffällig ist, dass es auch bei den Wortarten Adverb (-weise) und Verb
(Partikelverben) zu vergleichbaren Problemmorphemen kommt, ohne dass
jedoch der Begriff des Affixoids angewendet würde, mit Ausnahme von
Simmler (1998) und Erben (2006). Er fasst solche Elemente als affixartig zu-
sammen. Zur Abgrenzung zu solchen Elementen bei Adverb und Verb vgl. die
entsprechenden Abschnitte dieses Buches.

Duden (2002), Sánchez Hernández (2009), Elsen (2009d), Leuschner/Wante


(2009)
Semantische Aspekte der Nomen: Motsch (2004)
Unikale Morpheme: Simmler (2002)

Übungen zu 4.2. Vertiefung


1. Suchen Sie passende Determinativkomposita für die Strukturbäume!

a) N b) N c) N d) N
   
V N Adj N Präp N N Fuge N

e) N f) N g) N
  
N N N N N N
  
N N N N N N

N N
2. Warum gibt es keine Determinativkomposita mit folgender Struktur?
*N

N V

3. Diskutieren Sie den Unterschied zwischen Affenkäfig und Affenhitze!


5. Nomen – Wortbildung II

5.1. Grundlagen

Explizite Derivation
Präfigierung
Während die Komposition im Deutschen sehr stark genutzt wird, rangiert die
Derivation nur an zweiter Stelle, dabei ist bei den Nomen die Suffigierung weit
häufiger vertreten als die Präfigierung.
Die nominalen Präfixe treten überwiegend an substantivische Basen. Ty-
pische semantische Wortbildungsmuster sind:

Augmentation (Steigerung), vgl. Erzfeind


Negation, vgl. Ungeduld
Kollektion (drückt eine Gesamtheit aus, für Sammelbegriffe), vgl. Geäst
Taxation (taxierende Bewertung), vgl. Missheirat
pejorative (abwertende) Bedeutung, vgl. Unmensch
iterative (wiederholende) Bedeutung, vgl. Geklingel

Bei den Substantiven gibt es nur wenig indigene Präfixe. Wir haben lediglich
ge-, miss(e)-, un- und ur-. Sie sind bis auf ge- betont. In den folgenden Kapiteln
sind heimische und fremde, also nicht assimilierte Affixe getrennt behandelt,
da sie sich unterschiedlich verhalten. Außer bei ge-, das zu Neutra führt, bleibt
das Genus der Basis erhalten.
Die folgende Tabelle (8) stellt die indigenen Präfixe, die Wortart der Basen
und die Bedeutungen mit Beispielen zusammen. Sie ist gezielt als Hilfe für
die Analyse gedacht. Affixe bilden zusammen mit der Wortart der Basis und
dem semantischen Typus ein W o r t b i l d u n g s m u s t e r , das mehr oder
weniger produktiv ist. Die produktiven heimischen Präfixe sind alphabetisch
geordnet (Spalte 1). Es folgt die Wortart der Basis (Spalte 2). In Spalte (3) sind
Beispiele und die wichtigsten Bedeutungsaspekte auf einer allgemeinen Ebene
aufgeführt. Dabei muss die Möglichkeit von Einzelformen mit eigener bzw.
80 5. Nomen – Wortbildung II

idiomatisierter Bedeutung stets berücksichtigt werden. In Spalte (4) folgen


Anmerkungen.

Tabelle 8: Die produktiven heimischen Präfixe der Nomen

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

erz- Substantiv steigernd (Erzfeind, zu gr. archi- ‘der Erste, Oberste’, mittler-
Erzübel, Erzgauner) weile eingedeutscht

ge- Substantiv kollektiv (Geäst, Ge- bei Substantiven nicht mehr produktiv,
bälk, Gebüsch, Gestein, heute undurchsichtig Gewand, Gewicht,
Gemäuer) Gespenst, Gemüse, Genick, Geweih, Gelän-
der; die ursprüngliche soziative Bedeutung
ist nicht mehr produktiv und bis auf even-
tuell Gefährte undurchsichtig geworden,
vgl. Genosse, Geselle

Verb iterativ (Geklingel, Ge-


flatter, Gebräu, Gebrüll)

miss- Substantiv taxierend, ‘falsch/ nicht sehr produktiv


schlecht’ (Misserfolg,
Missernte, Missetat,
Missheirat)

un- Substantiv negativ, Gegenteil bzw. idiomatisiert Unfall, Unrat; undurchsichtig


taxierend (Unmensch, Ungetüm, Unflat, Unhold
Ungeduld, Unart,
Untiefe), steigernd
(Unmenge)

ur- Substantiv ‘ursprünglich’, idiomatisiert Urwald


Herkunft (Urahne, Ur-
mensch, Urzeit), auch
verstärkend, eventuell
taxierend (Urbayer,
Urfreak)

Bei folgenden Beispielen handelt es sich um Determinativkomposita mit Erz


‘Metall enthaltendes Mineral’: Erzwäsche, Erzader, Erzgang. Missbilligung,
Missachtung oder Misshandlung stammen von missbilligen etc. und sind somit
Suffigierungen. Misstrauen, Missfallen und Missbrauch hingegen sind Kon-
versionen aus einem Verb. Unabhängigkeit, Unbescheidenheit oder Unsicher-
heit sind doppelt motiviert, da sie entweder durch un-Derivation des Nomens
oder durch Derivation des jeweiligen Adjektivs entstanden sein können. Bei
Gebirge handelt es sich um eine ge-Präfigierung, bei der sich der ehemalige
5.1. Grundlagen 81

Vollvokal der Endsilbe zu e abschwächte. Es ist wie auch Geäst oder Gestein
eine Kollektivbildung.
Fremdsprachliche Präfixe dominieren zahlenmäßig, sie sind jedoch im
Gebrauch wesentlich eingeschränkter als die indigenen. Ihre Bedeutung brin-
gen sie aus der Gebersprache mit. So heißt multi ‘vielfach’ und bildet beispiels-
weise Multitalent, Multipol oder Multivalenz. Oft besitzen sie gleichlautende
Pendants bei den Präfixen für Adjektive, vgl. multidimensional, multifunk-
tional.

Suffigierung

Wortbildungsmuster
Bei den Nomen gibt es zahlreiche Suffixe, die hinsichtlich Ableitungsbasis
und Bedeutung stark aufgefächert sind. Dabei ist auf die Möglichkeit von
Allomorphie zu achten. Denn in manchen Fällen treten Varianten auf. So
entwickelten sich zu -ei (aus dem Altfranzösischen) die Varianten -erei und
-elei, und -heit hat die Varianten -keit und -igkeit. Diese Allomorphien sind
geschichtlich bedingt. Viele Derivationsaffixe entwickelten sich aus Wörtern
wie -tum aus mhd. tuom ‘Herrschaft, Urteil’ oder -heit aus mhd. heit ‘Art und
Weise, Eigenschaft’. Daher liegen einigen Derivaten Komposita zugrunde, vgl.
ahd. fiorteil, mhd. vierteil, viertel ‘der vierte Teil, Viertel’.
Wie bereits bei den Präfixen erwähnt bilden Affixe zusammen mit der
Basis und dem semantischen Typus ein Wortbildungsmuster, das mehr oder
weniger produktiv sein kann. Darum muss für jedes Suffix wieder nach der
Wortart der Basis gefragt werden, in der Regel Verb, Adjektiv oder Substantiv.
Entsprechend heißt die Ableitung deverbal, deadjektivisch oder desubstan-
tivisch bzw. denominal. Es lassen sich jedoch auch Adverbien, Zahlwörter/
Numeralia, Namen oder auch Wortgruppen ableiten. Im letzten Fall handelt
es sich dann um die Wortbildungsart Zusammenbildung. Lehrer ist deverbal,
Musiker ist desubstantivisch, Gläubiger ist deadjektivisch, Berliner ist die Ab-
leitung von einem Namen, Vierer von einer Numerale, Dachdecker von einer
Wortgruppe. Die jeweiligen Basen sind lehr(en), Musik, gläubig, Berlin, vier,
Dach deck(en).

Wortbildungsemantik
Ein Suffix kann verschiedene Bedeutungsveränderungen hervorrufen, -chen
beispielsweise wirkt verkleinernd (diminutiv) bzw. verniedlichend. Die ver-
kleinernde Bedeutung ist die ursprüngliche, die vor allem in den Mundarten
gern um eine affektive Komponente erweitert oder sogar durch diese ersetzt
wurde. Kindchen ist ein kleines Kind. Bei Monsterchen, das von der Eigen-
bedeutung her nur für große Wesen Verwendung findet, dürfte eine freund-
82 5. Nomen – Wortbildung II

liche, zärtliche, verniedlichende Bedeutungsnuance dominieren. Einige Suf-


fixe transportieren negative Bedeutungsaspekte, sie sind pejorativ (Singerei).
Wenn eine soziale Beziehung ausgedrückt wird, tritt auch der Begriff Soziati-
vum auf (Mitbewohner). Wichtig ist der Begriff M o t i o n , auch Movierung,
für die Ableitung einer andersgeschlechtlichen Personen- oder Tierbezeich-
nung wie bei Freundin, Friseuse, Witwer, Mäuserich. Gesellschaftlich bedingt
werden meist Frauen- von Männerbezeichnungen abgeleitet.
Folgende semantische Typen sind gängig:

allgemeine Sachbezeichnung, vgl. Kleidung, Fläche


andersgeschlechtliche Entsprechung (Motion, Movierung), vgl. Schülerin,
Hexer
Bewohnerbezeichnung, vgl. Schweizer
Bezeichnung für ein soziales Miteinander (Soziativum), vgl. Mitbewohner
Bezeichnung für Personen, die eine Situation erleiden, an denen sich eine
Handlung vollzieht (Nomen patientis), vgl. Prüfling
Bezeichnung mit abwertender Bedeutung (Pejorativum), vgl. Gefrage, Fra-
gerei
Eigenschaftsbezeichnung (Nomen qualitatis), vgl. Blässe, Ehrlichkeit
Gerätebezeichnung (Nomen instrumenti), vgl. Kocher, Säge
Handlungs-, Vorgangsbezeichnung (Nomen actionis), vgl. Prüfung, Abste-
cher
Ortsbezeichnung (Nomen loci), vgl. Gärtnerei, Gefängnis
Personenbezeichnung (Nomen agentis), vgl. Lehrer, Witzbold, Flüchtling
Sammelbezeichnung (Kollektivum), vgl. Christenheit, Ärzteschaft
Tier- bzw. Pflanzenbezeichnungen, vgl. Röhricht, Pfifferling, Sperling
Verkleinerungsbildung (Diminutivum), vgl. Kätzchen, Kindlein
Zahlen/Numerale, vgl. Vierer
Zustandsbezeichnung (Nomen acti), oft als Ergebnis, vgl. Erzeugnis, Feind-
schaft

Produktive heimische Suffixe


In der folgenden Tabelle (9) sind die produktiven indigenen Suffixe alpha-
betisch geordnet (Spalte 1). Aufgenommen wurden auch die praktisch nicht
mehr produktiven Suffixe {-bold, -el, -ian, -sal}, da sie noch geringfügig dia-
lektal gebräuchlich sind. Es folgt die Wortart, die als Basis dient (Spalte 2).
In Spalte 3 sind Beispiele und die wichtigsten Bedeutungsaspekte auf einer
allgemeinen Ebene aufgeführt. Dabei muss wieder die Möglichkeit von Ein-
zelformen mit eigener bzw. idiomatisierter Bedeutung berücksichtigt werden.
Das Genus des Ableitungsproduktes ist ebenfalls angegeben (M., F., N.). Es
5.1. Grundlagen 83

folgen Anmerkungen (Spalte 4), beispielsweise, ob ein Suffix Umlaut auslöst,


ob es besonders stark oder schwach produktiv ist, ob es zu Varianten kommt,
zu Fugen wie bei -tum oder -schaft, zu Lauteinschub (Epenthese) wie bei -er
(Afrika-n-er) etc. Heimische Konsonanteneinschübe verhindern das Aufei-
nandertreffen von Vokalen (*Afrikaer, *Wüsteei) oder gleichen Konsonanten
(Kenntnis) und sind lautlich bedingt. Bei der Suffigierung verlieren manche
Basen die unbetonte Endung, meist das e (Vogel – Vöglein, Spiegel – Spieglein,
Mühe – Mühsal). Auf solche Allomorphe wird nicht eigens verwiesen. Die
Suffixe sind bis auf -ei/-erei/-elei unbetont. Hierbei handelt es sich um eine
Entlehnung und nicht um ein ursprünglich heimisches Suffix, dass jedoch
mittlerweile assimiliert wurde – bis auf den Akzent.

Tabelle 9: Die produktiven heimischen Suffixe der Nomen

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-bold Substantiv M., Person, pejorativ (Witz- kaum bis gar nicht mehr produktiv
bold, Tugendbold, Saufbold,
Verb Raufbold, Trunkenbold)

-chen Substantiv N., verkleinernd, verniedli- Umlaut nicht durchgängig, vgl.


chend (Kindchen, Fingerchen, Hündchen, Karlchen, Frauchen; hoch-
Monsterchen) produktiv; auch -elchen: Dingelchen,
idiomatisiert Frauchen, undurch-
sichtig Veilchen, Märchen, regionale
Varianten u.a. -ke;
zu Verben Nickerchen, Prösterchen

Adjektiv N. (Dummchen, Kleinchen) deutlich seltener, idiomatisiert


Frühchen

-e Substantiv M., Wissenschaftler (Geologe, für Wissenschaftler nur bei Konfixen,


Biologe), Bewohner (Mongole) bei Bewohnern auch unselbstständige
Stämme; bei Bewohnern auch mit Epen-
these Chinese, Sudanese, Kongolese

Adjektiv F., Eigenschaft (Dicke, Bläue, oft mit Umlaut Blässe, undurchsichtig
Höhe), Gegenstand (Fläche, Hitze zu heiß
Säure)

Verb F., Ort (Kippe, Bleibe), Sache jugend- bzw. umgangssprachlich


(Liege, Binde), Vorgang (Su- sehr produktiv, vgl. Anmache, Sause,
che), Abstraktum (Liebe) Biege; ältere Formen auch mit Ablaut,
vgl. Grube, Gosse, Lage

Wortgruppe F. (Inbetriebnahme) dies ist dann Zusammenbildung

Sonstiges F., vom Adverb (Bälde), von Adverbien unproduktiv


Motion (Cousine)
84 5. Nomen – Wortbildung II

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ei, Substantiv F., Ort (Pfarrei, Ziegelei, betont; bereits im Mhd. entlehnt; mit
-elei, Gärtnerei, Bücherei), Tä- Konsonanteneinschub Wüstenei
-erei tigkeit, pejorativ (Ferkelei,
Teufelei, Dieberei), kollektiv
(Staffelei, Häkelei)

Verb F., Tätigkeit pejorativ (Schrei-


erei, Heuchelei), Sache pejo-
rativ (Schmiererei), neutral
(Stickerei)

Wortgruppe F., pejorativ (Augenwischerei) dies ist dann Zusammenbildung

-el Substantiv M., F., N., Zugehörigkeit die Wörter sind idiomatisiert,
(Ärmel, Eichel), diminutiv nur noch diminutiv produktiv in
(Büschel, Krümel) Dialekten

Verb M. (Deckel, Hebel)

-er Substantiv M., Sache (Frachter), Person hochproduktiv; Nomina agentis und
(Statiker), Bewohner (Berli- Berufsbezeichnungen aus lat. -ārius,
ner), Zugehörigkeit (Eisen- -ārium; mit Konsonanteneinschub
bahner), Motion (Witwer) Amerikaner, Tokioter, Ecuadorianer;
fachsprachlich produktiv in der
Bedeutung ‘Maschine’, vgl. Mischer,
Heber, Bohrer, Brenner; manche For-
men mehrdeutig Schreiber; selten auch
Tiere Würger

Verb M., Person (Denker), vor


allem Beruf (Lehrer), Gerät
(Kocher, Wecker), mensch-
licher Akt, meist einmalig
(Hopser, Ausrutscher, Seufzer,
Rülpser)

Adjektiv M. (Gläubiger, Schuldiger) unproduktiv

Wortgruppe M. (Buchbinder, Wichtigtuer, dies ist dann Zusammenbildung


Liebhaber)

Sonstiges M., von Numeralen (Fünfer)

-erich, Substantiv M., Motion (Enterich, Täube- selten, aber produktiv okkasionell
-rich rich), Person, fachsprachlich in scherzhafter Absicht Dummerich,
(Fähnrich) Elferich, Flatterich, früher auch
Pflanzenbezeichnungen Wegerich,
Knöterich

Verb M., Person, pejorativ (Wüte-


rich, Würgerich)
5.1. Grundlagen 85

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-heit, Substantiv F., kollektiv (Menschheit), zu mhd. heit ‘Art und Weise, Eigen-
-igkeit abstrakt (Kindheit, Frechheit) schaft’; -heit auch zu Zahlen Dreiheit,
wichtig für Bildung von Adjektiv-
abstrakta; Hauptfunktion ist die
Nominalisierung, viele Bildungen
sind (teil)idiomatisiert Gemeinheit

Adjektiv F., Eigenschaft (Genauigkeit,


Klugheit, Abgeschlossenheit)
Gegenstände (Flüssigkeit)

-keit Adjektiv F. (Erblichkeit)

-i Substantiv M., N., F., meist Personen-, meist gleichzeitig mit Kurzwort-
selten auch Gegenstandsbe- bildung; okkasionell, scherzhaft
zeichnungen, teils neutral verschiedene Wortarten der Basen
(Profi, Pulli), teils affektiv möglich Brummi, Blödi, Knasti,
(Studi, Mutti, Fritzi), teils Knacki, Schlaffi, Schwuli, reine
diminutiv (Käppi) Diminutivfunktion nur dialektal
nicht zu verwechseln mit reinen
Kurzwörtern (Uni, Abi)

-ian, Adjektiv M., Personenbezeichnung, kaum bis nicht mehr produktiv;


-jan pejorativ (Blödian, Grobian, historisch teilweise aus Jan;
Poltrian) Schlendrian heute übertragen für zu
gemächliche Arbeitsgewohnheiten

Verb

-in Substantiv F., Motion (Freundin, Gattin) sehr produktiv; im Austausch mit -e
Botin, Philologin, auch mit Umlaut
Gräfin

-lein Substantiv N., verkleinernd, verniedli- Umlaut bei umlautfähigem Vokal


chend (Ringlein, Fingerlein, Häuslein, produktiv, idiomatisiert
Monsterlein) Fräulein, zahlreiche regionale Vari-
anten, u.a. -le, -el, -li, -l

-ler Substantiv M., Person (Postler, Dörfler, für Tiere oder Pflanzen nicht mehr
Abweichler) produktiv (Korbblütler)

Verb

Wortgruppe M., Person (Freiberufler) dies ist dann Zusammenbildung


86 5. Nomen – Wortbildung II

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ling Substantiv M., Person (Dichterling), Tier bei Personen oft mit pejorativer
(Stichling), Sache (Fäustling) Komponente;
mit Wegfall von -lich Widerling,
idiomatisiert Schmetterling, Frühling,
undurchsichtig Pfifferling, Engerling

Adjektiv M., Person (Naivling, Neu-


ling), Pflanze (Säuerling), Tier
(Frischling), Sache (Rohling)

Verb M., Nomen patientis (Prüf-


ling, Lehrling), Nomen agentis
(Eindringling), Sache (Steck-
ling), Vorgang (Bückling)

Numerale M. (Erstling, Zwilling, Fünf-


ling)

-ner Substantiv M., Person (Glöckner, Pfört- teils mit Umlaut; nicht zu ver-
ner, Schuldner) wechseln mit -er mit Konsonanten-
einschub Amerikaner

-nis Substantiv F., N. (Bildnis, Bündnis, unproduktiv, häufig Umlaut, idioma-


Kümmernis) tisiert Zeugnis

Adjektiv F., N. (Wildnis, Geheimnis, unproduktiv


Finsternis)

Verb F., N., Vorgang (Besäufnis, häufig Umlaut, mit Epenthese Kennt-
Wagnis), Sache (Erzeugnis, nis, idiomatisiert Gedächtnis
Gefängnis)

-s Substantiv N. (Dings, Zeugs) außer in Dialekten praktisch nicht


mehr produktiv

Verb M., Vorgang (Knicks, Mucks,


Pieps), Zustand (Schwips),
Sache (Klops, Klecks)

-sal, Substantiv F. (Mühsal) -sal nicht mehr produktiv, undurch-


-sel sichtig Scheusal (urspr. zu scheuchen)

Adjektiv F. (Trübsal)

Verb N., meist Sachen (Rinnsal,


Rätsel, Mitbringsel), pejorativ
(Anhängsel)
5.1. Grundlagen 87

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-schaft Substantiv F., Zustand (Freundschaft), zu ahd. scaffan ‘schaffen’;


kollektiv (Dienerschaft, idiomatisiert z.B. Botschaft, Wirt-
Herrschaft), Ort (Grafschaft), schaft, teils mit Fuge Beamtenschaft
Eigenschaft (Kennerschaft)

Adjektiv F. (Bereitschaft, Schwanger- unproduktiv


schaft)

Verb F., Zustand (Gefangenschaft),


kollektiv (Belegschaft), Ergeb-
nis/Sache (Errungenschaft)

-sche Substantiv F., Motion (Doktorsche, nur regional, niederdt.


Bäckersche)

-tel Numerale N., Bruchteil (Fünftel) zu Teil; idiomatisiert z.B. Viertel


‘Siedlungsteil’

-tum Substantiv N., kollektiv (Beamtentum, zu ahd. tuom ‘Urteil, Macht’


Rittertum), Eigenschaft (Ken- teils mit Fuge
nertum), Herrschaftsgebiet
(Fürstentum), Denkrichtung
(Luthertum)

Adjektiv M., N. (Reichtum, Heiligtum)

Verb M., N. (Irrtum, Wachstum, unproduktiv


Siechtum)

-ung Substantiv F., kollektiv (Satzung, Klei- schwach bis nicht mehr produktiv
dung, Waldung)

Adjektiv F. (Festung, Teuerung) unproduktiv

Verb F., Vorgang/Zustand (Hand- sehr produktiv; idiomatisiert z.B.


lung, Verzweiflung), Ergebnis Innung, Schöpfung, Losung, undurch-
(Rettung), Sache (Sammlung, sichtig z.B. Böschung
Kupplung), kollektiv (Regie-
rung), Person (Bedienung),
Ort (Ansiedlung)

Wortgruppe F. (Farbgebung) dies ist dann Zusammenbildung

Zu -werk, -wesen vgl. Suffixoide, zu -icht vgl. unproduktive Suffixe


88 5. Nomen – Wortbildung II

Gelegentlich treten auch Fälle von Doppelmotivation auf, wenn zwei Stämme
infrage kommen, Nomen oder Verb, wie bei Geiger, Scherzbold, Erbschaft oder
Liebling.
Um ungefähr gleichzeitige Entlehnungen aus dem Französischen handelt
es sich bei rollen/Rolle und duschen/Dusche, sie sind im Deutschen morpholo-
gisch nicht voneinander abhängig.

Die nichtnativen Suffixe funktionieren ähnlich, allerdings ist die Ableitungs-


grundlage häufig kein indigener Wortstamm, sondern ein Konfix, das im
Deutschen nicht wortartgebunden interpretiert werden kann (Hyster-ie, Hy-
ster-iker, hyster-isch). Die Produktivität ist selten so ausgeprägt wie bei einigen
heimischen Suffixen. Das Suffix {-ant} mit der Variante {-ent} beispielsweise
tritt an Substantive (Asylant, Fabrikant) oder Konfixe (Dirigent) und bildet
Nomina agentis. Daneben treten idiomatisierte, nicht analysierbare Formen
auf (Konsonant, Kontinent). Das Suffix {-ie} tritt an Substantive und bildet
Kollektiva (Aristokratie) oder Bezeichnungen für Staatsformen (Monarchie)
oder Wissenschaften (Philosophie). Es tritt auch an Adjektive (Anomalie) oder
an Konfixe (Aphatie, Hierarchie, Hysterie). Das Suffix {-iker} bildet Personen-
bezeichnungen und tritt an Substantive (Alkoholiker) oder Konfixe (Histori-
ker).

Für die Analyse ist die semantische Wortbildungsstruktur (Bedeutungstyp),


eine Paraphrase sowie ein Kommentar zur Produktivität anzugeben. Die Se-
mantik hängt oft mit der Basis der Ableitung zusammen, darum ist ein Suffix
möglichst in Verbindung mit der Basis zu betrachten, weil es schon hier zu
Auffälligkeiten kommen kann. Bei Blinker bildet das deverbale -er eine Gerä-
tebezeichnung, dieses Wortbildungsmuster ist produktiv. Bei Musiker bildet
das denominale -er eine Personenbezeichnung, auch dieses Muster ist pro-
duktiv. Unproduktiv sind deadjektivische er-Ableitungen wie in Gläubiger.
Bei Sensibelchen tritt das -chen an ein Adjektiv, dies ist eher selten, in die-
sem Fall umgangssprachlich. Schließlich sollten Sie auch Idiomatisierungen
erkennen: die Begriffe Männchen und Weibchen bezeichnen männliche bzw.
weibliche Tiere und haben nichts mit einer verkleinernden Bedeutung zu tun.
Kaninchen, Veilchen, Mädchen und Frettchen sind strukturell noch insofern
durchsichtig, als das Suffix erkennbar ist, aber der Stamm heute nicht mehr,
es sind Simplizia.

Kindchen

{kind} {-chen}
5.1. Grundlagen 89

Kindchen Nomen, explizite Derivation durch Suffigierung, ‘kleines


Kind’, Diminutivum, motiviert, produktiv
{kind} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-chen} Derivationssuffix, gebunden, grammatisch

Das Suffix hat auch eine lexikalische Bedeutung, hier ‘klein’. Die Einordnung
als grammatisches Morphem ist daher grenzwertig.

Zirkumfigierung
Bei den produktiven Zirkumfixen der Nomen gibt es nur das {ge-e}. Es tritt
an Verben. Die Wirkung ist überwiegend pejorativ, wenn das Ergebnis No-
men actionis sind bei wiederkehrender oder anhaltender Handlung, vgl. Ge-
singe gegenüber Gesang, Gepfeife – Pfiff, Gefluche – Fluchen, weiter Gelache,
Geturne, Gefrage, Geklopfe, Getute, Gequake. Dieses Muster ist besonders in
stilistisch geprägten Varietäten des Deutschen wie der Umgangssprache oder
der Jugendsprache sehr produktiv. Auch die Ableitung von komplexen Ver-
ben ist möglich. Dann erscheint der erste Teil des Zirkumfixes im Wort, vgl.
Herumgetue. Fremdsprachliche Verben mit trennbarem Präfix sind allerdings
so nicht ableitbar (*Nachgejustiere). Die Semantik früherer Bildungen ist brei-
ter. Instrumentalbildungen sind Gebläse, Getriebe. Ergebnisse bezeichnen z.B.
Gedanke, Gefüge, Geleit, Gebäck. Bei letzteren fehlt das -e. Dies ist historisch
bedingt und auch bei anderen Beispielen der Fall, etwa Geschmack, Gewim-
mel, Geplauder, Getrampel. Allerdings gibt es auch Präfigierungen mit ge-,
bei denen im Laufe der Zeit der Endvokal zum heute unbetonten -e wurde,
vgl. Gebirge (ahd. gibirgi), Gefilde (ahd. gifildi), Gesinde (ahd. gisindi). Hier
entstanden Kollektivbildungen wie auch bei Gemäuer, Gestein, die von Subs-
tantiven ableiten. Dazu gehören schließlich auch die iterativen ge-Bildungen
Geflatter, Geklapper zu Verbstämmen, die auf das wiederholte Tun verweisen.
Durch die lautlichen Veränderungen sind die ursprünglichen morpholo-
gischen Abläufe heute in den Lexemen nicht mehr nachvollziehbar. Neben
ge+N, kollektiv für zusammengehörig empfundene Dinge, stehen sich heute
produktiv gegenüber ge+V, iterativ, und ge-e+V, pejorativ. Das Abgrenzungs-
merkmal zwischen den ge- und den ge-e-Ableitungen ist letztendlich die Se-
mantik, denn gerade die neuen Ableitungen von Verben durch ge-e vermitteln
eine pejorative Wertung. Insgesamt aber sind Analysen solcher Wörter nicht
ohne morphologische Grundkenntnisse möglich. Darum wird teilweise nur
ein Präfix mit einem Allomorph ge-e angenommen.
Statt Zirkumfigierung findet sich auch der Begriff der kombinatorischen
Derivation.
90 5. Nomen – Wortbildung II

Die Darstellung eines Zirkumfixes bedeutet für den Strukturbaum ein Prob-
lem, weil das Affix als eine Konstituente zählt, jedoch aus zwei Teilen besteht.
Um überkreuzende Linien zu umgehen, wird ein Strukturbaum meist so ge-
zeichnet:

Gefrage N

{ge-e} {frag-}

Dabei handelt es sich bei {frag-} um eine lexikalische, gebundene Verbalwur-


zel. Der verbale Stamm ist charakteristisch für dieses Wortbildungsmuster.

Implizite Derivation
Bei der impliziten Derivation handelt es sich um ein im Deutschen nicht mehr
produktives Verfahren zur Gewinnung neuer Wörter, jedoch nicht durch Anhän-
gen eines Affixes, sondern durch einen Lautwechsel. Hierbei wird ausschließlich
von Verben abgeleitet, jedoch nicht vom Infinitiv, sondern meist von einer ab-
gelauteten Form, vgl. Biss zu beißen, Flug zu fliegen, Schritt zu schreiten, Wurf zu
werfen, Zug zu ziehen. Ein Beispiel für die Derivation von den vom e/i-Wechsel
betroffenen Verben ist Tritt zu treten. Neben der Vokaländerung kommt es selten
auch zu einer im Konsonantismus. Die implizite Derivation arbeitet im Gegen-
satz zur expliziten Derivation nicht mit Affixen, dies hat sie mit der Konversion
gemeinsam. Im Gegensatz zur Konversion gibt es aber den Stammvokalwechsel.
Das heißt, bei der expliziten wie auch bei der impliziten Ableitung kommt es zu
einer Veränderung der morphologischen Struktur des Stammes.
Weitere wichtige Beispiele sind Brand, Bruch, Bug, Bund, Floß, Fluss,
Fund, Griff, Guss, Kniff, Kuss, Pfiff, Riss, Ritt, Schloss, Schluss, Schmiss, Schnitt,
Schrieb, Schund, Schuss, Schwund, Schwung, Sog, Spruch, Sprung, Stieg, Sturz,
Sud, Suff, Trank, Trieb, Trunk, Wuchs, Zwang. Auch komplexe Verben können
mithilfe der impliziten Ableitung zu Nomen werden, vgl. Ausdruck (zu aus-
drücken), Abraum, Abwurf, Aufstieg, Befund, Einfuhr, Ersatz, Umzug, Unter-
schlupf, Verlag, vgl. des Weiteren auch Lug und Trug, mit Fug und Recht.
Semantisch ergeben sich sowohl Konkreta (Bug) als auch Abstrakta
(Schluss). Es gibt Nomina actionis (Umzug, Abwurf ), Nomina acti (Bruch, Be-
fund), konkrete Sachbezeichnungen (Griff, Trank, Fluss) oder mehrfach inter-
pretierbare Formen und damit Homonyme (Zug, Biss). Personenbezeichnung
treten nicht auf, es sei denn, Sie verstehen im konkreten Fall Ersatz als eine
Person, die eine andere ersetzt.
5.2. Vertiefung 91

Unterschrift wurde zu unterschreiben gebildet und ist kein Kompositum.


Es gibt Dubletten (Doppelformen). Das Verb drucken ‘durch Druck ver-
vielfältigen’ können Sie explizit ableiten zu ausdrucken, dazu entsteht durch
Konversion Ausdruck ‘Ergebnis des Ausdruckens’. Dies darf nicht mit dem
durch implizite Derivation gewonnenen Ausdruck ‘Redensart’ verwechselt
werden. Hinweise erhalten Sie im Kontext. Im Übrigen bilden die beiden
Wörter unterschiedliche Plurale.

Übungen zu 5.1. Grundlagen


Erstellen Sie eine ausführliche morphologische Analyse von Fehlerhaftigkeit!

5.2 Vertiefung

Unproduktive heimische Affixe


Unproduktiv (vgl. Fleischer/Barz 2012) sind aber-, verstärkend in Abertau-
send, mit der Bedeutung ‘verkehrt’ in Aberglaube. Auch nicht mehr produktiv
sind {ge-t}, {ge-de} etc., vgl. Gehöft, Gemälde, Gelächter, oder -icht, das Sub-
stantive, Verben und Adjektive ableitete und Pflanzenbezeichnungen (Röh-
richt) oder Kollektiva bildete (Dickicht, Kehricht).
Seit langem nicht mehr produktiv sind -t (Fahrt zu fahren, Abschrift zu ab-
schreiben) und -de (Zierde, Freude, Begierde, Gemeinde, Beschwerde, Behörde).
Der Übergang vom abgeleiteten Wort zum Simplex ist teilweise fließend, denn
die Zusammenhänge sind teils noch erkennbar. Dies bedeutet ein Problem
bei Analysen, die auf synchroner Ebene arbeiten sollen. Die Durchsichtigkeit
ist unterschiedlich stark, vgl. nähen/Naht, tragen/Tracht, schlagen/Schlacht,
schreiben/Schrift, fliehen/Flucht, pflegen/Pflicht, drehen/Draht, sehen/Sicht. Es
empfiehlt sich hier vielleicht ein Hinweis auf transparentere Beispiele. Eindeu-
tige Simplizia sind heute Brut, Saat, Tat, Glut, Gift, Gruft, Sucht oder Bucht.
Trotzdem müsste der Übergangscharakter zumindest erwähnt werden. Eben-
falls als Simplizia gelten mittlerweile die ursprünglichen Derivate Blüte, Jagd,
Feld, Brand, Zierrat, Heimat, Armut, Angst, Dienst, Gunst, Kunst.
Unproduktiv ist weiterhin die Bildung von Ortsnamen auf -ing(en), vgl.
Bad Säckingen, Sigmaringen, Bischofingen, Freising.
92 5. Nomen – Wortbildung II

Fremdaffixe
Sprache lebt und durch die zunehmende Internationalisierung immer mehr
auch von Fremdem. Viele Fremdwörter kommen zwar komplex aus der Ge-
bersprache, sind für uns jedoch zunächst Simplizia. Wiederholen sich Fremd-
wörter mit immer den gleichen Affixgruppen, analysieren wir die Fremdaffixe
langsam als eigenständige Morpheme bzw. die Fremdwörter als komplexe Fü-
gungen (Reanalyse). Dies geschieht in Abhängigkeit von Bildungsstand und
Kenntnis der Fremdsprachen. Außerdem sind viele Bildungen nicht additiv
als Stamm + Morphem aufzufassen, sondern als Ersetzungen, in denen ein
Suffix ausgetausch wurde, etwa Disgruenz zu Kongruenz (Becker 1993: 191).
Es kann auch passieren, dass komplexe Bildungen so weit parallel laufen,
dass das ursprüngliche Muster nicht mehr erkennbar ist. Insgesamt gehen
die Entwicklungen individuelle Wege, einige Formen gehören in eine Reihe,
ohne dass sie konkret analysierbar wären, vgl. Kastellan, Kapellan, Galan vs.
Dekan, Kumpan, diese zählen zu den Simplizia. Die Produktivität ist selten
so ausgeprägt wie bei einigen indigenen Suffixen. Manche Reihen sind nur
schwach besetzt. Bei anderen ist es schwierig, Systematizität zu erkennen oder
klare Wortmuster zu bestimmen. Dies alles steht im Zusammenhang mit der
Dynamik der Sprache, die Fremdwörter aufnimmt, analysiert und analogisch
neue Wörter bildet, sodass neue Morpheme entstehen, während manche Bil-
dungen isoliert bleiben. Da einige der Elemente in zahlreichen nicht analysier-
baren Wörtern vorkommen und nicht sehr einheitliche semantische Funktio-
nen besitzen, wird ihr Status als Affix auch in Frage gestellt, beispielsweise -or,
-at, -ent (Fuhrhop 1998). Als problematisch erweist sich weiterhin, dass viele
Bildungen in Reihen und in mehreren Wortarten komplett aus anderen Spra-
chen übernommen wurden, sodass über das tatsächliche Ausmaß der Pro-
duktivität mancher Affixe keine klaren Aussagen gemacht werden können,
vgl. hierzu kritisch Fuhrhop (1998). Allerdings verhalten sich die Fachspra-
chen hier oft anders als das Standarddeutsche, und wegen der grundsätzlich
hohen Vitalität der Fremdwörter kann die Produktivität einzelner Elemente
nie ganz ausgeschlossen sein.

Die Fremdpräfixe des Deutschen


Die nächste Tabelle (10) behandelt die Fremdpräfixe in alphabetischer
Reihenfolge. Im Vergleich zu den heimischen dominieren sie zahlenmä-
ßig, vgl. a(n)-, anti-, bi-, de(s)-, dis-, ex-, hyper-, hypo-, in-, infra-, inter-,
ko(l, r, m, n)-, kontra-, makro-, maxi-, mega-, meta-, mikro-, mini-, multi-,
neo-, non-, para-, poly-, post-, prä-, pro-, re-, semi-, sub-, super-, supra-, syn-,
top-, trans-, ultra-, vize-. In einigen Fachsprachen kommen weitere vor. Sie sind
5.2. Vertiefung 93

stets betont und treten ausschließlich an Nomen, das Genus bleibt erhalten.
Allerdings gibt es bei den Adjektiven gleichlautende Präfixe. Einige Nomen
wurden von Adjektiven abgeleitet, vgl. monogam – Monogamie. Dann liegt
beim Substantiv nicht Prä-, sondern Suffigierung vor. In manchen Lexemen
wird ein Präfix nur durch den Austausch eines anderen Fremdpräfixes ermit-
telt, sodass die Basis dann kein Substantiv, aber auch nicht unbedingt allein
ein Konfix ist, vgl. Implantation, Transplantation.
Mittlerweile eingedeutscht ist erz- von gr. archi- ‘der Erste, Oberste’.

Tabelle 10: Die produktiven fremden Präfixe der Nomen

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

a- Substantiv Negation (Agraphie, Analphabet) a- wird vor Vokal zu an-

anti- Substantiv Gegensatz, ‘gegen’, ‘anders’ (An- bei dreigliedrigen Komposi-


tifaschist, Antiheld, Antithese) ta „drittes Glied verhindert
zweites Glied“ Antiterrorkampf,
Antibabypille

bi- Substantiv ‘doppelt’ (Bikompositum, Bikar-


bonat, Biluxlampe, Bimetall)

de-, des-, Substantiv Negation, Rücknahme (Dekom- dis- und de(s)- entstammen nicht
dis- pression, Desinfektion, Desinter- der gleichen Wurzel, üben aber
esse, Disharmonie) die gleiche Funktion aus

ex- Substantiv ‘ehemalig’ (Exkanzler, Exmeister)

hyper- Substantiv steigernd ‘übertrieben’, ‘äußerst’ tendenziell negativ wertend


(Hyperformat, Hyperphosphat)

hypo- Substantiv ‘unter’ (Hypofunktion, Hypozen-


trum)

in- Substantiv Negation (Impietät, Immorta- mit Lautangleichung: il-, im-, ir-;
lität) selten eindeutig denominal, da
es fast immer derivationell ver-
wandte Adjektive gibt, vgl.
Impotenz, impotent, Intole-
ranz, intolerant, sodass es sich
bei den Substantiven eher um
Suffigierungen und nicht Präfi-
gierungen mit in- handelt

infra- Substantiv ‘unterhalb’ (Infraschall) Infrastruktur ‘Gesamtheit der


Anlagen als notwendiger Un-
terbau für die Versorgung eines
Landes’
94 5. Nomen – Wortbildung II

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

inter- Substantiv ‘zwischen’, ‘überbrückend’ (In- nicht zu verwechseln mit


terlinguistik) der Kurzform zu international
(Interhotel)

ko- Substantiv ‘mit’, soziativ (Koexistenz, Koau- mit Lautangleichung: kol-, kom-,
tor, Konrektor, Korreferat) kon-, kor-; orthographische
Variante co-

kontra- Substantiv ‘gegen’ (Kontraindikation)

makro- Substantiv steigernd (Makrostruktur, Ma-


krokosmos)

maxi- Substantiv steigernd (Maxirock, Maxipa-


ckung)

mega- Substantiv steigernd (Megahit, Megaflopp)

meta- Substantiv für die Ebene darüber (Metakri-


tik, Metasprache, Metakommu-
nikation)

mikro- Substantiv diminutiv (Mikrokosmos, Mi-


krochip)

mini- Substantiv diminutiv (Minikleid, Minipreis,


Miniauto)

multi- Substantiv ‘viel(fach)’ (Multitalent, Multi-


millionär)

neo- Substantiv ‘neu’ (Neogotik, Neokolonialis-


mus)

non- Substantiv Negation (Nonexistenz, Nonkon-


formismus)

para- Substantiv ‘neben, in der Nähe von’, ‘ähn-


lich’ (Paramedizin, Paragenese)

poly- Substantiv ‘viel’ (Polyaddition, Polyamid)

post- Substantiv ‘nach’ (Postmoderne)

prä- Substantiv ‘vor’ (Präfaschismus, Präexis-


tenz)

pro- Substantiv ‘für’, ‘vor’ (Proenzym, Prosemi-


nar)
5.2. Vertiefung 95

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

re- Substantiv ‘zurück’, ‘wieder’ (Resozialisie-


rung, Reimport)

semi- Substantiv ‘halb’ (Semifinale), ‘fast’ (Semi-


vokal)

sub- Substantiv ‘unter(geordnet)’ (Subunterneh-


mer, Subsystem, Subkultur)

super- Substantiv steigernd (Superauto, Superho- das Präfix tritt seit geraumer Zeit
tel), ‘übergeordnet’ (Superkar- auch als Lexem auf
tellamt)

supra- Substantiv ‘über’, auch ‘übertrieben’ (Supra-


leitfähigkeit)

syn- Substantiv ‘mit’ (Synthese, Synorganisation)

top- Substantiv steigernd (Topausbildung, das Präfix tritt auch als Lexem
Tophit) auf

trans- Substantiv ‘durch’, ‘hinüber’, ‘jenseits’


(Transaktion, Transuran)

ultra- Substantiv steigernd (Ultramarathon), ‘jen-


seits’ (Ultraschall)

vize- Substantiv ‘stellvertretend’ (Vizekanler,


Vizepräsident)

Die fremdsprachlichen Präfixe sind teilweise leicht mit Konfixen zu verwech-


seln. Dazu gibt es drei Testkriterien. Erstens sollten Sie verschiedene Wort-
bildungen, die das Problemelement enthalten, sammeln und untersuchen, ob
ein Präfixkandidat wirklich nur vorn an ein Wort gehängt wird und ob es
abgleitet wird, poly- z.B. hat immer Präfixposition. Sobald ein Problemele-
ment abgeleitet erscheint, kann es kein Präfix mehr sein, z.B. psychisch. Auch
mon(o)- ‘allein, einzeln’ (Monodrama, Monokultur) wird abgeleitet und muss
daher zu den Konfixen gerechnet werden, vgl. Monist, Monismus, monistisch.
Dies gilt auch für pseud(o) gr. ‘lügen’, vgl. Pseudolist, Pseudolismus zu lat. pseu-
dolus ‘Lügenmaul’. Allerdings ist das l, das erst im Lateinischen erscheint,
hier problematisch, denn es gehört nicht zur griechischen Wurzel. Wenn wir
das Morphem nicht als Präfix einordnen wollen, könnten wir hier eine Mor-
phemvariante ansetzen. Außerdem trägt das Morphem lexikalische Bedeu-
tung. Denn ein Kriterium, das von einer Präfixinterpretation fortführt, ist die
Bedeutung der Problemeinheit, ob sie nämlich klar lexikalisch ist wie hydr
96 5. Nomen – Wortbildung II

‘Wasser’, bio ‘Leben’ oder zusätzlich auch funktional, relativ bzw. steigernd,
verkleinernd etc. verstanden sein kann wie bei mini-, was dann auf Präfixsta-
tus hinweist. Natürlich ist die Bedeutung ‘klein’ lexikalisch, gleichzeitig aber
auch relativ. Schließlich ist bei der Übersetzung eines Problemkandidaten mit
einem Funktionswort, einer Präposition, vgl. inter- ‘zwischen’, anti- ‘gegen’,
die Wahrscheinlichkeit, ihn als Affix einordnen zu können, extrem groß. Das
Bedeutungskriterium erfreut sich in der wissenschaftlichen Literatur aller-
dings keiner großen Beliebtheit.
Schwierig sind Fälle, bei denen das Präfix im Laufe der Zeit auch als freies
Wort verwendet wurde wie super oder top. Dies ist trotzdem, weil ursprüng-
lich, ein Präfix, jedoch mit einem freien Homonym. Mini kann auch ein Kurz-
wort zu Minirock sein, je nach Textzusammenhang. Die Abgrenzung von
fremdsprachlichen Präfixen und Konfixen wird unnötig erschwert durch vie-
le Abhandlungen mit uneinheitlicher und widersprüchlicher Kategorisierung
dieser Morpheme. Und nicht zuletzt wandelt sich die deutsche Sprache in die-
sem Bereich. Wir können eine Einheit aus ihrem Präfixstatus herauslösen und
in neuen Wörtern als Grundmorphem verwenden, wenn sie das semantische
Potenzial dazu besitzen. Dies geschieht eher in Fachsprachen.

Die Fremdsuffixe des Deutschen


Die fremdsprachlichen Suffixe stehen oft in einer regulären Beziehung zu den
Fremdsuffixen der Verben und Adjektive oder zueinander, es treten beispiels-
weise meist -ismus und -ist oder -ion und -ieren an den gleichen Stamm. Die
Tabelle (11) ist daher nicht ganz analog zu den bisherigen Tabellen aufgebaut,
weil die Suffixe sehr oft an fremdsprachliche Konfixe treten, die keiner festen
Wortart im Deutschen zugeordnet werden können.
Die Produktivität ist gegenüber den heimischen Suffixen stark herabge-
setzt. Bis auf -ik/-iker, -or (im Singular) und -ess sind die fremdsprachlichen
Suffixe betont.

Tabelle 11: Die produktiven fremden Suffixe der Nomen

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ade Substantiv F., Handlung, Tätigkeit selten, meist an Namen, teils


(Kasperiade, Robinsonade, mit Lauteinschub Schuber-
Konfix, zu Verb auf Kanonade), Veranstaltung tiade
-ieren (Alpiniade), Sache (Marina-
de), Ort (Promenade)
5.2. Vertiefung 97

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-age Substantiv F., Sache (Trikotage, Karto- selten


nage, Passage), Handlung
Konfix, zu Verb auf (Massage, Spionage)
-ieren

-aille Substantiv F., Person, pejorativ (Diplo- nur okkasionell , auch


maille) Journaille

-al Substantiv N., kollektiv (Personal)

-alie Substantiv F., kollektiv (Naturalie) selten, meist im Plural


gebraucht, auch okkasionell
scherzhaft Fressalien

-an Substantiv M., Person (Kastellan, teils nicht motiviert,


Galan) nicht analysierbar Dekan;
selten, Produktivität
umstritten

-and, Substantiv M., Nomen patientis selten, -end sehr selten


-end (Diplomand, Doktorand,
Konfix, zu Verb auf Habilitand, Subtrahend)
-ieren

-ant, Substantiv M., Nomen agentis (Asylant, schwach produktiv, -ant


-ent Fabrikant, Dirigent, Student) tritt häufiger auf, -ent
Konfix, zu Verb auf kaum, idiomatisiert, nicht
-ieren analysierbar Konsonant,
Kontinent, deverbal auch
scherzhaft Bummelant, mit
Vokaleinschub Abiturient

-ante, Konfix, zu Verb auf F. (Determinante, Konsti-


-ente -ieren tuente)

-anz, Konfix, zu Adjekti- F., Eigenschaft (Effizienz, nicht sehr häufig; Haupt-
-enz ven auf -ant, -ent, zu Arroganz, Toleranz), Sache funktion ist die Nomina-
Verben auf -ieren (Konferenz, Residenz) lisierung mit der Fortfüh-
rung der Semantik, nicht
motiviert, nicht analysierbar
Finanz, Distanz

-ar, -är Substantiv M., N., Person (Archivar, -ar stammt von lat. -arius,
Millionär, Sekretär), kol- -är ebenfalls, kam aber über
Konfix, zu Verb auf lektiv (Vokabular), Sache das französische -aire zu uns
-ieren (Formular, Kommentar)

-arium Substantiv N., Ort (Planetarium) selten

-ast Konfix M., Person (Gymnasiast) selten


98 5. Nomen – Wortbildung II

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-at Substantiv N., Ort (Konsulat, Notariat), nicht sehr häufig;


Vorgang (Telefonat, Diktat), teils mit Lauteinschub
Konfix, zu Verb auf Ergebnis (Filtrat), kollektiv Kommissariat, auch dead-
-ieren (Proletariat), auch M., Per- jektivisch Internat; nicht
son (Stipendiat) motiviert, nicht analysierbar
Heirat

-ee Konfix, zu Verb auf N., Sache (Gelee, Resümee) auch Armee, nicht moti-
-ieren viert, nicht analysierbar z.B.
Tournee

-elle Substantiv F., Sache (Organelle, Pasto- selten


relle)

-em Substantiv N., theoretische Annahme, fachsprachlich


Einheit, Bestandteil (Pho-
Konfix nem, Lexem, Theorem)

-ess, Substantiv F., Motion (Stewardess, selten


-esse Baronesse)

Adjektiv F., Eigenschaft (Noblesse),


Sache (Delikatesse)

-ette Nomen F., diminutiv, ‘leicht’ (San- selten, auch scherzhaft


dalette, Stiefelette, Fugette, Schmonzette zu Schmonzes
Operette, Statuette) ‘Unsinn’, pejorativ; Brü-
nette zu brunett

-erie Substantiv F., Ort (Drogerie), kollektiv nicht sehr häufig


(Maschinerie), Verhalten
Adjektiv (Clownerie, Galanterie)

-eur Substantiv M., männliche Person


(Deserteur, Charmeur,
Konfix, zu Substantiv Boykotteur), auch bezo-
auf -ion, zu Verb auf gen auf Beruf (Redakteur,
-ieren Friseur)

-euse zu eur-Formen F., Motion (Friseuse, Mas- selten, nur im Austausch


seuse) mit {eur}, auch scherzhaft,
abwertend Kontrolleuse

-ice Konfix F., Motion (Direktrice) selten


5.2. Vertiefung 99

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ie Substantiv F., Abstraktum (Hierarchie, in Wissenschaftlerbezeich-


Apathie, Hysterie, Analo- nungen wie Politologe wird
Adjektiv gie), besonders Staatsform, {e} durch {ie} ersetzt, die
Wissenschaft (Monar- Basis ist ein komplexer
Konfix, zu Adjektiv
chie, Philosophie), Sache Nominalstamm mit dem
auf -isch
(Photographie, Akademie), Konfix {log}; teils auch
kollektiv (Aristokratie) Konsonantenwechsel -t- zu
-s- Epilepsie, Poesie

-ier Substantiv M., Person (Bankier, Kano- selten; laut Fleischer/Barz


nier, Privatier) (1995: 190) hierzu auch
Adjektiv Proletarier, Vegetarier mit
Lauteinschub und anderer
Konfix
Aussprache; nicht analysier-
bar Pläsier; nicht dazu
zählen Beispiele wie Spanier

-iere Substantiv F., Sache (Bonboniere, Kan- selten; teils nicht motiviert,
toniere), weibliche Person nicht analysierbar Premiere,
(Garderobiere) mit Tilgung des Endvokals
Sauciere

-ik Substantiv F., Abstraktum (Komik, teils mit Lauteinschub -at-;


Methodik), eher kollektiv oft ist unklar, welche
Konfix, zu Adjektiv (Problematik), Wissenschaft, Bildung die ursprüngliche
auf -isch Stil (Anglistik, Logik, Gotik), ist, nicht motiviert, nicht
Sache (Statistik) analysierbar z.B. Republik,
Rubrik

-iker Substantiv M., Person (Alkoholiker,


Graphiker, Historiker, Asth-
Konfix, zu Adjektiv matiker)
auf -isch

-ikus, Substantiv M., Person, nur scherzhaft, selten, auch zu Konfixen


-us, (Luftikus, Pfiffikus, Politikus) Schwachmatikus, Phlegma-
-kus tikus

-ine Substantiv F., diminutiv (Karaffine), selten; nicht motiviert, nicht


weibliche Person (Blondine), analysierbar z.B. Konkubine,
Adjektiv Motion (Philippine) okkasionell diminutiv, affek-
tiv Mauseline, Schusseline
100 5. Nomen – Wortbildung II

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-in Substantiv N., fachsprachlich für laiensprachlich oft nicht


Proteine (Adhäsin, Actin, analysierbar; auch fach-
Konfix Pankreatin, Sekretin, Hämo- sprachlich mehrdeutig;
globin) nicht zu verwechseln
mit dem nur stilistisch-
klanglichen Pseudosuffix
(Werbung) -in als Endsilbe,
vgl. Backin, oder dem unbe-
tonten Motions-in

-ion Substantiv F., Abstraktum (Institution, selten; auch mit Lauteinschub


Diskretion, Variation), Vor- Addition, Dekoration; auch
Adjektiv gang (Explosion, Exkursion, ion-Ableitungen als Basis
Addition), Sache (Edition, fusionieren, mit d/s-Wechsel
Konfix, zu Verb auf
Dekoration) Explosion, idiomatisiert z.B.
-ieren
Prozession, nicht motiviert
Inflation, Auktion

-ismus Substantiv M., Abstraktum (Terroris- mit Lauteinschub Hegeli-


mus, Idealismus), vor allem anismus, mit Konsonan-
Adjektiv politische oder Denkrich- tenwechsel Klassizismus,
tung (Zarismus, Darwinis- mit Tilgung des Endvokals
Konfix
mus, Kapitalismus), Sache Buddhismus
(Mechanismus) nicht zu verwechseln mit
medizinisch ‘krankhafter
Zustand, Vergiftung’ Astig-
matismus

-isse Nomen F., Motion (Diakonisse) selten, Produktivität um-


stritten

-ist Substantiv M., Person (Terrorist, Idea- auch zu Namen Marxist,


list, Aktivist, Komponist) mit Lauteinschub Harfenist,
Adjektiv mit Tilgung des Endvokals
Cellist, Solist
Konfix

-it Substantiv M., Person (Jesuit, Israelit, selten; nicht das fach-
Kosmopolit, Favorit), auch sprachliche Suffix für
Konfix N., Abstraktum (Kolorit) Minerale Hawaiit, Vulkanit,
Plutonit, Quarzit, Calcit,
Evaporit

-ität Substantiv F., Eigenschaft, Zustand selten; Bildungen mit heimi-


(Aktualität, Banalität, Soli- schen Basen sind okkasionell
Adjektiv darität, Absurdität), Sache stilistisch Schwulität, nicht
(Lokalität, Spezialität) analysierbar Kapazität, die
Konfix in Adjektiv
Endung -tät kann nicht als
Suffix gelten bei Pubertät,
Majestät
5.2. Vertiefung 101

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-itis Substantiv F., fachsprachlich ‘Entzün- oft auch okkasionell scherz-


dung’ (Bronchitis, Tonsillitis) haft E-Mailitis, Telefonitis,
Konfix Adjektivitis

-ment Konfix, zu Verb auf N., Sache (Fundament), die Aussprache variiert, mit
-ieren Vorgang (Arrangement, Lauteinschub Bombarde-
Abonnement) ment, Postament

-o Kurzwort M., Person (Prolo, Anarcho) ugs., jugendspr. auch zu


Adjektiven Normalo,
Brutalo

-oid Substantiv M., N., fachsprachlich, mit nicht durchsichtig, aber


der Bedeutung „sieht aus ähnlich Asteroid, Geoid
Konfix wie, ist es aber nicht“ (Pla-
netoid, Metalloid, Affixoid,
Karzinoid)

-ol Substantiv N., fachsprachlich für Al- nicht das stilistisch-


kohole (Methanol, Ethanol, klangliche Pseudomorphem
Konfix Benzol) in Markennamen Bambute-
rol, Medikament

-or Substantiv M., Nomen agentis (Illus- selten; viele nicht analysier-
trator, Repetitor), Sache bare Lexeme Pastor, Senior,
Konfix (Generator, Junktor) Autor, mit Lauteinschub
Auktionator, Repetitor

-ose, Substantiv F., fachsprachlich allge- selten auch nicht bei Krank-
-osis mein krankhafter Zustand, heiten Zellulose
Konfix (Tuberkulose, Psychose), Vor-
gang/Ergebnis (Diagnose,
Hypnose)

-ur Substantiv F. (Architektur) selten, mit Lauteinschub


Reparatur
Konfix F., Sache (Frisur, Broschur,
Glasur), kollektiv (Literatur),
auch Vorgang (Dressur)

Eine neue Erscheinung ist die leger-umgangssprachliche pejorative Perso-


nenbezeichnung -ski, -inski, vgl. Randalinski (Duden 1999), Brutalinski, Ra-
dikalinski (Duden 2003), Besoffski (Donalies 2007), Schwachinski, Beschisski,
Blödinski.
Analysen sind oft auf Einzelbildungen bezogen, ohne dass Sie klare Wort-
bildungsmuster als Stütze verwenden könnten. Der Übergang zum Simplex
ist gleitend, und manchmal kann es ohne historische Kenntnisse zu Fehlin-
102 5. Nomen – Wortbildung II

terpretationen kommen. Minimum ist ein lateinisches Fremdwort, lat. min-


us, min-or ‘kleiner’, min-imus ‘am kleinsten’, min-imum ‘das Kleinste’, dazu
minimal, minimieren. Deren Entsprechungen traten allerdings im Englischen
früher auf, sodass Fremdwortübernahme wahrscheinlich ist und eine Ablei-
tung zu ?minim- eher nicht in Frage kommt. Unser Präfix mini- allerdings
kommt aus dem Englischen, dort ist es zunächst ein Kurzwort zu miniature
camera/mini camera usw. Während der Minirock noch eine Übersetzung war,
wurden die weiteren Beispiele im Deutschen präfigiert. Das englische minia-
ture bzw. deutsche Miniatur hat zunächst nichts mit ‘klein’ zu tun, sondern
kommt von lat. miniāre ‘mit Zinnoberrot anstreichen’ (Pfeifer 1999: 874). Das
Präfix mini- entstand im Englischen durch Kürzung und ging von dort auf die
Nachbarsprachen über (Marchand 1969: 130).

Implizite Derivation und Ablaut


Die durch implizite Ableitung entstandenen Wörter wurden nie allein durch
Ablaut, stets auch durch weitere Ableitungselemente gebildet, die heute verlo-
ren gegangen sind (Henzen 1957: 112). Neue Beispiele sind daher analogisch
zu abgeleiteten Lexemen geformt und höchstens spielerisch zu verstehen. Da
diese Wortbildungsart nicht mehr produktiv ist im Deutschen, wird sie in ei-
nigen Abhandlungen nicht eigens aufgeführt oder bei der Konversion sub-
sumiert. Manchmal fällt beides auch unter den Begriff der impliziten Ablei-
tung. Für manchen wirkt das Adjektiv implizit störend, da es ja durchaus eine
deutlich wahrnehmbare Veränderung gibt. Bei der Analyse ist in jedem Fall
auf den Stammvokalwechsel hinzuweisen. Außerdem ist zu bedenken, dass
Konversion und implizite Ableitung zum gleichen Verb konkurrieren können,
vgl. Schneid, Schnitt. Schließlich sind Konversion und explizite Ableitung pro-
duktiv, die implizite nicht. All das spricht für eine eigene Wortbildungsart.
Historisch gehen die Vokaländerungen in der Regel auf den Ablaut zu-
rück. Teilweise ist das noch leicht nachvollziehbar wie bei Zwang (zwingen,
zwang, gezwungen) oder Band (binden, band, gebunden). Bei anderen ist der
Zusammenhang aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Vokalände-
rungen in den Ablautreihen nicht mehr eindeutig, vgl. Bruch (brechen, brach,
gebrochen). Manchmal bildeten mehrere Formen aus dem alten Paradigma,
die es heute oft gar nicht mehr gibt, die mögliche Grundlage für die vokal-
veränderte Form, vgl. Wurf, Bund. Sie können von der mittelhochdeutschen
Form der 2. Person Singular bzw. 1. bis 3. Person Präteritum Indikativ ab-
stammen (Simmler 1998: 620ff.). In anderen Fällen zeigen auch Ableitungen
von schwachen Verben, die nie abgelautet wurden, Vokalwechsel (z.B. Ein-
druck zu eindrücken, Ersatz zu ersetzen, Einfuhr zu einführen, Gruß zu grü-
5.2. Vertiefung 103

ßen, Schutt zu schütten, Schmuck zu schmücken). Sie sind wohl analogisch


oder über Rückbildung entstanden (vgl. auch Henzen 1957: 127). Dann gibt es
Fälle wie Drang, das ursprünglich zu dringen entstand. Heute stellen wir dem
Wort jedoch gern drängen (dies ebenfalls zu dringen, kausativ) zur Seite. In
den Paaren Dung – düngen und Futter – füttern schließlich wurde das Verb
vom Nomen abgeleitet. Das alles ist jedoch ohne intensive etymologische Be-
schäftigung nicht unbedingt nachvollziehbar. Wenn implizite Derivation als
Ablautbildung verstanden wird, gehören manche der Fälle historisch gesehen
gar nicht dazu (vgl. auch treten – Tritt). Wenn wir jedoch neutraler formulie-
ren „Ableitung durch Vokalwechsel“, können wir bis auf Futter und Dung die
behandelten Fälle als implizite Ableitungen auffassen. Dies ist aufgrund der
synchron ausgerichteten Wortbildung heute durchaus vertretbar.
Auch Kunst zu können oder Zucht zu ziehen weisen Stammvokalverände-
rungen auf, allerdings in Kombination mit der t-Ableitung. Sie werden heu-
te in der Regel als Simplizia aufgefasst. Weitere Ablautänderungen treten in
Kombination mit dem e-Suffix auf, vgl. Gosse, Grube, Schnitte etc.
Konsonantenveränderungen gehen historisch auf den grammatischen
Wechsel zurück und kommen nur bei starken Verben vor, z.B. Schnitt, Zug.
Der g r a m m a t i s c h e W e c h s e l entstand im Zusammenhang mit
der Ersten Lautverschiebung und führte zu systematischem Wechsel von f/b
(dürfen/darben, Hefe/heben), d/t (schneiden/geschnitten, leiden/gelitten), h/g
(ziehen/gezogen, gedeihen/gediegen) und s/r (gewesen/waren).
Die implizite Ableitung an sich ist nicht mehr produktiv. Aber in spielerisch-
ironischen oder umgangssprachlichen Situationen treten aus heutiger Sicht
fehlerhafte implizite Formen durchaus auf: Verschub ‘Verlegung in ein anderes
Gefängnis’, Knastsprache, in Verschiss geraten. Fleischer/Barz (1995: 51) weisen
darauf hin, dass explizit abgeleitete Verben analog zur einfachen Form auch
heute noch analogisch implizit abgeleitet werden, sprich: historisch fliegen zu
Flug, später kamen dann abfliegen, hinfliegen etc. /Abflug, Hinflug etc. dazu.
Bitte unterscheiden Sie Formen mit Ablaut von solchen mit Umlaut (Bäch-
lein, Köchin, Nähe). Auf Umlaut beruhen auch nässen (zu nass) oder köpfen
(zu Kopf ). Solche Ableitungen, die nicht deverbal sind, haben nichts mit der
impliziten Ableitung zu tun, sondern zählen zu den Konversionen.

Fremdsprachliche Affixe: Duden (2002), Lohde (2006)


ge-, ge-e: Henzen (1957: 137f.), Simmler (1998: 494ff., 497), Eisenberg (2004:
242ff.)
ge- mit Allomorph ge-e: Eichinger (2000: 78)
-t: Henzen (1957: 184), Simmler (1998: 538), Eschenlohr (1999: 217f.)
-ing(en): Henzen (1957: 164ff.)
Weitere verdunkelte Suffixe: Henzen (1957: 117ff.)
104 5. Nomen – Wortbildung II

Übungen zu 5.2. Vertiefung


1. Bestimmen Sie die Wortbildungsart: Schusseline, Monogamie, Bibliothek,
Normalo, Terrorismus, Abo, Monokultur!
2. Versuchen Sie, die Bedeutung und die Herleitung des unterstrichenen
Verbs herauszufinden, benutzen Sie Nachschlagewerke: Die Vorschriften
gelten mit Ausnahme des §4, Absatz 5, Satz 2, der ausdrücklich abbedungen
wird./Die VOBIB-Klausel kann individuell abbedungen werden!
6. Nomen – Wortbildung III

6.1. Grundlagen

Konversion
Bei der Konversion wird die Wortart eines Wortes ohne Anfügen eines Wort-
bildungsaffixes und ohne Lautveränderung verändert, vgl. Essen, Besuch, Zu-
rück, Grün, Liebende. Es handelt sich also um einen Wortartenwechsel ohne
äußere Wortbildungsmarkierung. Denn die Infinitivendung als Flexiv bleibt
unberücksichtigt. Im Prinzip kann alles entsprechend der Textbedürfnisse in
ein Nomen verwandelt werden. Das macht diese Wortbildungsart sehr pro-
duktiv, z.B. Unter großem Oweh und Schwingen und Wirbeln der Zöpfe wollte
sie den Raum verlassen. Dieses Kindliche an ihr reizte ihn besonders. Aber sein
Ich machte ihm wieder einen Strich durch die Rechnung und er ließ sie ohne
Wenn und Aber gehen.
Bei den Verben wechselt teils nur der Stamm die Wortart, vgl. Raub, Lauf,
Spuk, Beginn, teils das Wort inklusive Infinitivendung, vgl. das Essen endete
unter großem Würgen und Spucken. Dabei ist die Konversion der Verbwurzel
auf ein spezielles Ereignis (Lauf, Ruf, Raub), ein Gerät (Klingel) oder ein No-
men agentis (Koch) bezogen. Die des Infinitivs ist generell auf die Handlung
gerichtet und damit abstrakt (Laufen, Rufen, Kochen). Auch die Konversion
der Partizipien zur Bildung von Nomen aller drei Genera ist sehr produktiv,
vgl. für das Partizip Perfekt der Verschmähte, Faszinierte, die Verschmähte,
das Verschmähte, für das Partizip Präsens der Verschmähende, Faszinierende,
die Verschmähende, das Verschmähende. Die Konversion führt zunächst zu
Adjektiven, vgl. das verschmähte, faszinierte Kind, das (mich) faszinierende,
die Nahrung verschmähende Kind. Als Basis für die Nomen sind diese Adjek-
tive anzusetzen. Beim Partizip Präsens besteht für das Deutsche nämlich das
Problem, dass es nicht als Verbform in Erscheinung tritt (*er ist verschmä-
hend, faszinierend in der Bedeutung ‘dabei sein zu verschmähen, faszinie-
ren’), sodass der Status des Morphems {-(e)nd} nicht eindeutig als Flexions-
form des Verbs und damit auch nicht als irrelevant für die Wortbildung zu
106 6. Nomen – Wortbildung III

sehen ist. Es tritt jedoch wie alle Flexive an alle Verben und führt eine regel-
mäßige Bedeutungsabwandlung herbei ‘dabei sein, etwas zu tun’. Daher ist
die Einordnung als Flexiv vertretbar. Dabei sind einige der Formen im Ge-
brauch eingeschränkt (*ein schreienderes Kind, *das Kind ist schreiend), wäh-
rend andere eine idiomatisierte Bedeutung entwickelt haben wie faszinierend
‘bezaubernd’. Sie können als eigenständige Adjektive aufgefasst werden. Bei
einer Analyse muss auf die Problematik verwiesen werden.
Manchmal ist die Derivationsrichtung nicht klar (schauen/Schau, rufen/
Ruf, fischen/Fisch). Eventuell kann die Paraphrase hier helfen, verbunden mit
einigen praktischen Überlegungen. Sehr wahrscheinlich gibt es den Fisch,
sonst kann es dazu kein Verb geben, fischen ist besser als ‘Fische fangen’ zu
umschreiben als für das Nomen ??‘Gefangenes als Ergebnis des Fischens’ an-
zunehmen, ebenso lärmen ‘Lärm machen’. Im Gegensatz dazu dürfte rufen
grundlegender sein als Ruf. Solche Überlegungen werden von vielen als prob-
lematisch angesehen, und trotz allem gibt es einige nicht entscheidbare Fälle
(Lob/loben, Anfang/anfangen). Sie gelten als doppelt motiviert.

Konversionen wie der/die Studierende, Schöne sind nicht zu verwechseln mit


expliziten Derivaten vom Typ Dichte (eines Gewebes), denn hier ist das -e ein
Wortbildungselement und stabil gegen Kasusveränderung. Die Endung bei
Schöne jedoch ist ein verbliebenes Flexiv, das sich im Satz an die Kasusan-
forderungen anpasst und auch im Genus flektiert wird. Denken sie sich ein
„Person“ oder „Mann“ dazu, statt die Schöne eben die schöne Person:
Das ist die Schöne/Dichte, wegen der Schönen/Dichte, das gehört der Schö-
nen/Dichte, ich sehe die Schöne/Dichte, ich sehe den Schönen.
Auch das Verhalten im Plural ist unterschiedlich. In Dichte folgt das Plu-
ral-n dem {-e}, während wir in Studierende/Schöne wieder die Kasusanpas-
sung des Flexivs haben. Der Nominativ Plural lautet viele Schöne/Dichten.
Der Strukturbaum sieht im Fall der Konversion keinen binären Schritt vor:
EssenN SchreiN Schöne N Verschmähende N
   
essenV {schrei-} schöneADJ verschmähendeADJ
  
{ess-} {-en} {schön} {-e} verschmähendADJ {-e}

verschmähendV

verschmähV {-end}

{ver-} {schmäh-}
6.1. Grundlagen 107

Essen Nomen, Konversion, ‘Handlung des Essens’, moti-


viert, produktiv
Schrei Nomen, Konversion, ‘Ergebnis des Schreiens’, no-
minales Abstraktum, motiviert, produktiv
Schöne Nomen, Konversion, ohne Kontext genaue Bedeu-
tung nicht klar, ‘Person, die schön ist’, Personen-
bezeichnung, oder ‘etwas, das schön ist’, Abstrak-
tum, je motiviert, produktiv
Verschmähende Nomen, Konversion, ‘Person, die verschmäht’, No-
men agentis, motiviert, produktiv
essen Verbalstamm
schöne, verschmähende Adjektivstämme, flektiert
verschmähend Partizip Präsens, Form des Verbs, kommt nur als
Adjektiv vor, im Prinzip Konversion aus der Verb-
form
verschmäh(en) Präfigierung
{ess-}, {schrei-}, {schmäh-} Verbalwurzeln, lexikalisch, gebunden
{schön} Adjektivwurzel, lexikalisch, frei
{-en} Flexionsmorphem, Suffix, bildet den Infinitiv, grammatisch, ge-
bunden
{-e} Flexionsmorphem, Suffix, bei Adjektiven, grammatisch, gebun-
den, wird bei der Konversion mitübernommen
{-end} Flexionssuffix für das Partizip Präsens der Verben, gramma-
tisch, gebunden
{ver-} Derivationsmorphem, Präfix, grammatisch, gebunden

Es gibt auch noch den Begriff der Präfixkonversion (vgl. S. 217), er ist nur bei
den Verben von Belang.

In einem weiteren Sinne können von der Konversion auch Wortgruppen be-
troffen sein bei gleichzeitiger Univerbierung wie Klavierspielen. Hier und in
vielen anderen Abhandlungen werden solche Beispiele Zusammenrückungen
genannt. In jedem Fall muss hierzu der Unterschied zur Komposition beach-
tet werden – Dummerjungenstreich und Sauregurkenzeit sind Determinativ-
komposita, das zeigen die Paraphrasen, denn Streich und Zeit werden näher
bestimmt: ‘Streich, der von einem dummen Jungen gespielt wird’, ‘Zeit, in der
lediglich saure Gurken eingelegt werden (sonst nichts)’.
108 6. Nomen – Wortbildung III

Kurzwortbildung
Diese Wortbildungsart führt nur zu Nomen, lediglich die Klammerform, s.o.,
gibt es auch bei einigen Adjektiven. Sie arbeitet nicht unbedingt mit Mor-
phemen, und es entstehen keine neuen Wörter, sondern Varianten zu bereits
vorhandenen Wörtern oder Wortgruppenlexemen. Darum kommt es bei den
verschiedenen Kürzungsverfahren nicht zu Wortartwechseln oder Bedeu-
tungsveränderungen, höchstens zu Konnotationsverschiebungen, also Ver-
änderungen der stilistisch-bewertenden Nebenbedeutungen. Die Ausgangs-
wörter bzw. -wortgruppenlexeme existieren neben den Kurzformen weiter.
Ausnahmen sind das Kurzwort zu Bayerische Motorenwerke, BMW, das auch
für die Autos, die die Firma herstellt, verwendet wird, oder das Bundesaus-
bildungsförderungsgesetz, gekürzt zu BaföG. Hier bezeichnet das Kurzwort
mittlerweile auch das Stipendium bzw. das Geld, das aufgrund des Gesetzes
vergeben wird. In beiden Fällen entwickelten sich zu den Ursprungskürzun-
gen homonyme Formen mit eigener Semantik. Unter diesem Gesichtspunkt
dürfen dann {BaföG} und {BMW} in der neuen Bedeutung als Morphem in-
terpretiert werden. Kurzwörter flektieren in der Regel anders als ihre Langfor-
men. Der Wortakzent kann sich verlagern (Aúszubildender – Azúbi).

Der Oberbegriff Kurzwort vereint verschiedene Typen der Kürzung. Einerseits


unterscheiden wir zwischen I n i t i a l - bzw. B u c h s t a b e n w ö r t e r n ,
teils ausbuchstabiert (EU – Europäische Union, DDR – Deutsche Demokrati-
sche Republik, LKW – Lastkraftwagen), teils wie ein Wort ausgesprochen (DIN
– Deutsche Industrie-Norm, TÜV – Technischer Überwachungsverein). Sie ent-
stehen in der Regel aus den Anfangsbuchstaben einiger Wörter der Langform.
Daneben gibt es S i l b e n k u r z w ö r t e r (Kiga – Kindergarten, Kripo –
Kriminalpolizei) und M o r p h e m - bzw. W o r t k u r z w ö r t e r (Korn –
Kornschnaps, Bock – Bockbier, Ober – Oberkellner, Hoch – Hochdruckgebiet).
Schließlich treten auch Mischformen bzw. M i s c h k u r z w ö r t e r auf,
bei Azubi zu Auszubildende/r wurden sowohl Anfangsbuchstaben als auch
-silben verwendet.
Andererseits stehen K o p f w ö r t e r (Uni – Universität, Labor – La-
boratorium, Kilo – Kilogramm, Krimi – Kriminalroman) den S c h w a n z -
w ö r t e r n (Endwörtern) (Platte – Schallplatte, Echse – Eidechse) gegen-
über mit einem verbleibenden zusammenhängenden Teil vorn bzw. hinten.
Schwanzwörter sind im Deutschen allerdings meistens gekürzte Komposita.
Bei K l a m m e r f o r m e n bzw. K l a m m e r a u s d r ü c k e n fehlt ein
Teil im Wortinnern, vgl. Ölzweig – Ölbaumzweig, Fernamt – Fernsprechamt,
Bierdeckel – Bierglasdeckel, Laubsäge – Laubholzsäge, Kudamm – Kurfürsten-
6.1. Grundlagen 109

damm, Bauchspeichelkrebs – Bauchspeicheldrüsenkrebs, Ziegenkäse – Ziegen-


milchkäse, Schlachthof – Schlachtviehhof, Krad – Kraft(fahr)rad. Klammerfor-
men, die aussehen wie Komposita, werden meist dort behandelt. Außerdem
gibt es noch die Möglichkeit, dass nach einer Kürzung die Mitte eines Aus-
drucks übrigbleibt ( R u m p f w o r t , Lisa zu Elisabeth). Buchstaben- und
Kopfwörter werden oft gleichzeitig durch -i (-ie, -y) bzw. -o abgeleitet, denn es
gibt vorher nicht das Kurzwort ohne Affix (Ösi/Österreicher, Studi/Student).
Aus dem Englischen stammt Dinkie, dinky zu double income, no kid.
Ein weiterer Gliederungsaspekt ist die Menge der verbleibenden Einhei-
ten. U n i s e g m e n t a l sind Uni und Lisa, denn sie bestehen jeweils aus ei-
nem zusammenhängenden Segment der Langform. M u l t i s e g m e n t a l
sind Kiga und DNS, da sie aus nicht zusammenhängenden zwei Silben bzw.
drei Buchstaben der Langform gebildet wurden.
Und weil die Kürzung in manchen Bereichen des Deutschen besonders
beliebt ist, wenn nicht nur reine Sprachökonomie, sondern auch Klang,
Aussprechbarkeit und verschiedene stilistische Aspekte vermehrt eine Rolle
spielen sollen, gibt es immer wieder neue Besonderheiten. So ist es in einigen
Fachsprachen, z.B. in der der Chemie, sehr verbreitet, ein Wort zusammen-
zuziehen, sodass aufgrund der Kürzung mehrere, ursprünglich nicht zusam-
menhängende Teile übrigbleiben. Dabei kann die Reihenfolge der Fragmente
erhalten bleiben, muss aber nicht (Kont ra k t ion). Dies führt zu praktischen
Kurzformen komplizierter Wörter, vgl. Aclonifen, der Name eines chemischen
Produktes, das korrekt “2-Chlor–6-nitro–3-phenoxyanilin” heißt, oder Bam-
buterol für (+-)–1-[3,5-Bis(dimethylcarbamoyloxy)phenyl]–2-tert-butylami-
no)ethanol”. Aus den Medien kennen wir DAX – Deutscher Aktienindex. Die
unterstrichenen Teile der Ausdrücke wurden für die Kurzform übernommen.
Schließlich seien noch die p a r t i e l l e n K u r z w ö r t e r erwähnt,
bei denen ein Glied eines Kompositums gekürzt wird, vgl. O-Saft – Orangen-
saft, U-Haft – Untersuchungshaft.

Zusammenfassend gibt es folgende Klassifizierungsmöglichkeiten:


– Buchstabenwort, Silbenwort, Morphem-/Wortkurzwort, Mischkurzwort
DDR, TÜV Kripo Korn Azubi
– Kopfwort, Schwanzwort, Klammerform, Rumpfwort
Uni Echse Laubsäge Lisa
– unisegementales, multisegementales Kurzwort
Uni, Lisa TÜV, Kripo, Azubi.
110 6. Nomen – Wortbildung III

Beispiele für Strukturbäume sind

TÜV-Plakette N Demo-BandN
 
TÜV N PlaketteN DemoN BandN
 
Technischer Überwachungsverein Demonstration

Abkürzungen wie usw. oder Dr., die lediglich für die orthographische Ebene
gelten, zählen nicht zu den Kurzwörtern.

Der Terminus Akronym hat im Deutschen keine fest definierte Bedeutung.


Manchmal bezieht er sich nur auf Buchstabenkurzwörter, die ausbuchstabiert
werden, manchmal auf alle Buchstabenwörter, manchmal auch auf Silben-
kurzwörter. Teilweise wird er mit Abkürzung gleichgesetzt.

Bei der Analyse muss terminologisch geschieden werden zwischen Kurzwort/


Kürzung und
– Fremdwort: Beispiele wie Laser (light amplification by stimulated emissi-
on of radiation), OPEC (Organization of Petrolium-Exporting Countries),
NATO (North Atlantic Treaty Organization), Radar (radio detecting and
ranging) oder Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome) sind zunächst
Fremdwörter, die allerdings in ihrer Ursprungssprache über Kürzung ent-
standen sind. Hierzu zählt auch das gerade erwähnte Dinkie.
– Komposition: Beispiele wie U-Bahn oder S-Bahn sind gekürzte Formen
von Untergrundbahn bzw. Schnellbahn. Im Gegensatz dazu entstand O-
Beine über die Zusammensetzung mit einem Buchstaben und einem Le-
xem. Auch Demo-Band ist ein Kompositum.
– Kontamination: Beispiele wie Fewa zu Feinwaschmittel sind Kurzwörter.
Persil oder Haribo jedoch sind Kontaminationen, weil die beteiligten Wör-
ter Perborat und Silikat bzw. Hans, Riegel, Bonn keine Sinneinheit bilden.
Es liegt damit keine parallele Langform vor.
– Rückbildung: Die Rückbildung führt zu einem Wortartwechsel durch Til-
gung (oder Austausch) eines Morphems, vgl. notlanden zu Notlandung, Frei-
mut zu freimütig. Dies ist bei der Kürzung nicht der Fall, Substantive bleiben
auch gekürzt Substantive und die Kürzung geschieht unabhängig von der
morphologischen Struktur. Wie bei der Erleichterungsrückbildung kommt
es in den meisten Abhandlungen zu einer terminologischen Trennung von
den Kürzungen, obwohl im Prinzip eine Art der Kürzung vorliegt.
– Erleichterungsrückbildung: Im Gegensatz zu Kürzungen, bei denen ers-
tens unabhängig von morphologischen Einheiten und zweitens produk-
6.1. Grundlagen 111

tiv Wortmaterial wegfällt, kommt es bei dieser Art der Rückbildung, vgl.
Erweis zu Erweisung, nur historisch zum Verlust von Morphemen, beide
Formen gab es nebeneinander, die längere ging verloren. Die Erleichte-
rungsrückbildung kann zwar als Sonderfall der Kürzung verstanden wer-
den, wird heute jedoch meist terminologisch getrennt behandelt.
– Haplologie: Die Bildung von Klammerformen in Beispielen wie Fernamt
zu Fernsprechamt darf nicht mit der phonologischen Erscheinung H a p -
l o l o g i e (Silbenschichtung) verwechselt werden, die doppelte, nebenei-
nander stehende Lautfolgen vereinfacht (*Zaubererin, *Rudererin), daher
gibt es auch den Begriff Haplogie.

Zusammenbildung
Zusammenbildungen sind nicht klar als Komposition oder Derivation einord-
bare Konstruktionen aus mindestens drei Morphemen, die sowohl Merkmale
einer Ableitung als auch einer Komposition tragen (auch synthetische Kompo-
sita genannt), etwa Schnelldurchblicker, Frauenversteher, Rückwärtseinparker,
Wunderwirker. Solche Beispiele lassen sich nicht als Komposita analysieren,
denn es gibt die Lexeme *Blicker, *Versteher, *Einparker bzw. *Wirker nicht,
genauso wenig als Derivationen, denn es gibt auch die Lexeme *Schnelldurch-
blick, *frauenversteh(en), rückwärtseinpark(en) oder *wunderwirk(en) nicht.
Sie können auch nicht durchgängig als Ableitung einer Wortgruppe aufgefasst
werden wegen Beispielen wie Trübsinnhabachter. Daher wurde diese dritte Art
der Wortbildung angesetzt. Weitere Beispiele sind Grundsteinlegung, Farbge-
bung, Inbetriebsetzung, Rechtshänder, Stellungnahme, Machthaber, Liebhaber.
Sie ist beispielsweise in Werbung und Zeitung produktiv, standardsprachlich
kaum. Zusammenbildungen weisen keine Fugen auf, da die Glieder ihre Fle-
xive beibehalten, vgl. Pferd-e-flüsterer, Frau-en-versteher.
Dickhäuter N

{dick}{häut}{-er}
mit {häut} als Allomorph zu {haut}.

Zusammenrückung
Solche Formen entstehen aus dem wiederholten Nebeneinander (mindestens)
zweier Lexeme, typische Beispiele sind Dankeschön, Lebewohl, Schluckauf,
Handvoll, Mundvoll, Immergrün (Pflanze), Gernegroß, Fußbreit, Haarbreit,
Zeitlang, Vaterunser, Muttergottes, Vergissmeinnicht, Stelldichein, Dreikä-
112 6. Nomen – Wortbildung III

sehoch, Nimmersatt, Rührmichnichtan, Tunichtgut, Links-, Rechtsaußen. Im


Gegensatz zu den (echten) Komposita bestimmt das rechte Glied nicht un-
bedingt den Gesamtausdruck, und der Wortakzent kann erhalten bleiben
(Lebewóhl). Diese Beispiele können auch als Konversion einer Wortgruppe
aufgefasst werden bzw. als Univerbierung.
Die Kombination der Wortarten ist vielfältig. Beispielsweise handelt es
sich bei Schluckauf um Verb und Präposition, bei Gernegroß um Adverb und
Adjektiv und bei Möchtegern um Verb und Adverb. Zusammenrückungen
weisen keine Fugenelemente auf, da die Glieder mit ihren Flexionsendungen,
wenn sie diese haben, zusammengerückt sind.
Zahlreiche neuere Abhandlungen geben die Wortbildungsart auf. Beispiele
zählen zu den Komposita oder Konversionen. Historisch ausgelegte Untersu-
chungen zeigen, dass bei Wortarten wie Adverb, Pronomen, Präposition und
Konjunktion nicht klar zwischen Komposition und Zusammenrückung geschie-
den werden kann, weil sehr oft das nötige etymologische Wissen fehlt und die
Kriterien wiederholtes Nebeneinander und Wortart der zweiten Konstituente zu
widersprüchlichen Ergebnissen führen. Dieses Problem stellt sich auch für die
Interpretation als Univerbierung. Andererseits fassen ältere Studien die Beispiele
in einer allgemeinen Gruppe Zusammensetzung oder Komposition zusammen.
Ohne die Kategorie Zusammenrückung werden aber die Unterschiede zwischen
den verschiedenen Komposita und Beispielen wie Gernegroß nicht hervorgeho-
ben. Schlussendlich gibt es hier keine allgemein zufriedenstellende Lösung.

Rückbildung
Dieser Begriff ist bereits in älteren Abhandlungen zu finden und bezieht sich da-
rauf, dass ein morphologisch komplexes Wort durch Wegstreichen oder Ersetzen
eines Wortbildungsmorphems entsteht bei gleichzeitiger Wortartenänderung.
Die Rückbildung sieht aus wie ein morphologisch kürzeres Ausgangswort, etwa
Freimut zu dem komplexeren freimütig. Während zu Hochmut, Übermut und De-
mut tatsächlich hochmütig, übermütig und demütig gebildet wurde, gab es freimü-
tig jedoch bereits vor Freimut, damit ist die kürzere die sekundäre Form.
Für die Annahme einer besonderen Wortbildungsart sprechen zwei Grün-
de. Teilweise wird historisch argumentiert, dass es vor dieser Bildung das
Adjektiv sanftmütig gab. Der korrekte Entstehungsweg führt also über das
Streichen des {ig} und damit zum Wortartenwechsel. Das Suffix wird zurück-
genommen. Dies ist jedoch umstritten. Auf den ersten Blick sieht Sanftmut
wie eine Komposition aus {sanft} und {mut} aus. Die zweite Erklärung sieht
bei Sanftmut das Problem, dass keine Interpretationsmöglichkeit als Determi-
nativkompositum vorliegt, weil das Genus des Zweitgliedes nicht zu dem des
6.1. Grundlagen 113

Gesamtausdrucks passt. Folglich muss ein anderer Entstehungsweg gesucht


werden, er führt über die Semantik. Demnach sind die Rückbildungen inhalt-
lich von der Langform her motiviert, die Tiefkühltruhe ist das grundlegende
Konzept, zu dem tiefkühlen als Handlung erst gebildet wird.
Weitere Beispiele sind Einmut, Frohmut, Großmut, Blödsinn zu blödsinnig,
Eigensinn zu eigensinnig, Allmacht zu allmächtig, Alltag zu alltäglich, Allgegen-
wart zu allgegenwärtig, Unnatur zu unnatürlich. Neue Bildungen sind Emanze
zu emanzipiert, Häme zu hämisch oder Unsympath zu unsympathisch.

Erleichterungsrückbildung
Die sogenannte Erleichterungsrückbildung ist von der Rückbildung zu tren-
nen, vgl. Erweis/Erweisung, Ausdruck/Ausdrückung, Beweis/Beweisung, Hin-
gebung/Hingabe. Die Formen wurden nach zwei verschiedenen Modellen ge-
bildet, mit der Zeit dominierte dann die kürzere Variante. Außerdem handelt
es sich jeweils um die gleiche Wortart.

Kontamination
Die Kontamination, auch Wortmischung, -kreuzung, -verschmelzung, Blen-
ding bzw. das Ergebnis auch Kofferwort oder Portmanteauwort genannt, ist
selten und im Deutschen fast nur in stilistisch geprägten Zusammenhängen
zu finden. Für einige zählt sie nicht zur Wortbildung.
Diese Wortbildungsart zeichnet sich dadurch aus, dass im Prinzip nicht
mit morphologischen Einheiten gearbeitet wird, das Klangbild aber mit ei-
ne Rolle spielt. Meist verschmelzen Teile zweier, selten auch mehrerer Wör-
ter zu einem neuen. Dieses vereint Bedeutungsaspekte aller Ausgangswörter.
Die Beispiele sind meist Gelegenheitsbildungen, die aus stilistischen Gründen
geschaffen wurden. Sie finden selten den Weg ins Lexikon, Ausnahmen sind
jein, Kurlaub und neuerdings das interdisziplinäre Gebiet der Mechatronik zu
mechanisch und Elektronik. Somit ist diese Wortbildungsart zwar produktiv,
jedoch praktisch nur außerhalb des usuellen Lexikons. Einige der Bildungen
haben Wortmaterial gemeinsam, insofern kommt es zu Überlappungen, vgl.
ur bei Kur und Urlaub. In anderen Fällen haben die beiden Wörter keine laut-
lichen Gemeinsamkeiten, vgl. mecha + tronik. Weitere Beispiele sind Medizy-
niker zu Medizin und Zyniker, Literatour zu Literatur und Tour, Komplikatesse
zu Komplikation und Delikatesse.
Im Englischen erscheinen Kontaminationen wesentlich öfter aus sprach-
ökonomischen Gründen und sind dort lexikalisiert. Einige von ihnen haben
114 6. Nomen – Wortbildung III

wir übernommen, z.B. Smog, engl. smog aus smoke und fog für den mit Abga-
sen und Rauch gemischten Nebel, Brunch zu engl. breakfast ‘Frühstück’ und
lunch ‘Mittagessen’, motel zu engl. motorist’s hotel ‘Hotel für Reisende mit Mo-
torfahrzeug’ oder Eurasien, engl. Eurasia aus Europe und Asia. Neuerdings
verwenden wir auch Infotainment (zu engl. information und entertainment)
und Stagflation (zu engl. stagnation und inflation). Weniger bekannt sind Li-
ger, engl. lion ‘Löwe’, tiger ‘Tiger’ für die Kreuzung von beiden sowie Qua-
sar, engl. quasi-stellar object ‘sternähnliches Objekt’. Diese Bildungen sind im
Englischen entstanden, und wir übernehmen das fertige Wortbildungspro-
dukt.
Die Kontamination nähert sich dem Kopulativkompositum insofern an,
als zumeist zwei Bedeutungen gelten. Als ein Sonderfall der Kürzung könnte
sie gesehen werden, weil Wortmaterial getilgt wird. Allerdings müssen im Ge-
gensatz zur eigentlichen Kürzung Begriffe erstbenannt werden. Es gibt keinen
*Kururlaub, den Sie parallel dazu auch Kurlaub nennen. Bei den Kürzungen
ist der Ausgangspunkt in der Regel eine zusammenhängende Wortgruppe
bzw. ein phonologisch oder morphologisch komplexes Wort, das parallel ge-
bräuchlich ist. Das gilt nicht für Kontaminationen. Im ersten Fall wird ein
komplexer Begriff formal gekürzt. Im zweiten Fall werden getrennte Begriffe
formal zusammengeschoben und bilden ein neues Wort.

Kunstwortbildung
Diese Möglichkeit, neue Wörter zu erzeugen, gehört nicht zur Wortbildung
an sich, aber in eine Abhandlung zu diesem Thema. Kunstwortbildung ist für
das Standarddeutsche nicht von Belang. Lediglich in der Werbesprache und
einigen Formen der Literatursprache treten regelmäßig neue Kunstwörter auf,
beispielsweise Fa, Bac, Mum, Urmel. Begriff und Definition finden keine ein-
heitliche Verwendung, und es gibt nur wenig wissenschaftliche Forschung auf
diesem Gebiet.

Wortgruppenlexembildung
Der Begriff des Wortgruppenlexems ist erstens umstritten und zweitens ge-
hören für viele SprachwissenschaftlerInnen Bildungen wie Zweites Deutsches
Fernsehen, erste Hilfe oder Schwarzwälder Kirschtorte nicht in den Gegen-
standsbereich der Wortbildung. Aus diesem Grund geht erst das Vertiefungs-
kapitel näher auf diese Wortbildungsart ein.
6.1. Grundlagen 115

Zusammenfassung
Es folgt eine Zusammenstellung der verschiedenen Wortbildungsarten der
Nomen mit Beispielen und gegebenenfalls Kommentaren (Tab. 12). Sie ver-
mittelt Ihnen im Überblick die Vielfalt der Möglichkeiten. Sie werden in den
Tabellen für die anderen Wortarten dann sehen, wie diese Vielfalt immer
mehr abnimmt.

Tabelle 12: Wortbildungsarten der Nomen

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum Haustür, Klopapierrolle sehr verbreitet

verdeutlichendes Kompo- Briekäse, Briefkuvert


situm

Possessivkompositum Rotkehlchen, Bleichgesicht

Kopulativkompositum Dichterkomponist, Nordwest

Reduplikativkompositum Hickhack, Singsang nicht mehr produktiv

Inversionskompositum Jahrhundert, München-Nord selten

Präfixoidbildung Affenhitze, Riesenanstrengung

Suffixoidbildung Laubwerk, Spielzeug

explizite Derivation – Erzfeind, Unglück


Präfigierung

explizite Derivation – Kleidung, Bohrer


Suffigierung

explizite Derivation – Gesinge, Gefrage


Zirkumfigierung

implizite Derivation Biss, Trank nicht mehr produktiv

Konversion Besuch, Grün

Kürzung Uni, Azubi, LKW

Zusammenbildung Dickhäuter, Frauenversteher

Zusammenrückung Handvoll, Gernegroß

Rückbildung Emanze, Allgegenwart

Erleichterungsrückbildung Erweis, Ausdruck extrem selten

Kontamination Kurlaub, Literatour selten, meist stilistisch


geprägt
116 6. Nomen – Wortbildung III

Übungen zu 6.1. Grundlagen


1. Um welche Wortbildungsart handelt es sich bei Haustür, Frechheit, Grün-
schnabel, Rotkehlchen, Grünspecht, Uni, Rückwärtseinparker, Blumentopf-
erde, Gestein, Gebrauch, Abbruch, Handvoll?
2. Zählen Sie sieben Possessivkomposita auf!

6.2. Vertiefung

Zusammenbildung
Bei Zusammenbildungen liegen Charakteristika von Komposition und De-
rivation vor. Die Bezeichnung wie auch die Konstruktion ist schon älter und
wurde bereits von Wilhelm Wilmanns (1899: 3) anhand von Formen wie Ehe-
brecher oder breitspurig als Vereinigung von Komposition und Ableitung be-
schrieben. Auch bei Otto Behaghel, Herman Eichholz, Peter von Polenz und
anderen gilt sie als solch ein Mischtyp (Leser 1990: 19f.). Zusammenbildungen
wurden also zunächst im Zwischenbereich von Komposition und Derivation
angesiedelt (Henzen 1957, Fleischer 1982). Das Argument war, dass keine der
beiden Wortbildungsarten eindeutig zu erkennen ist. Ein klassisches Beispiel
ist Dickhäuter. Es gibt keinen *Häuter und auch nicht *dickhäuten. Es ist kein
Kompositum.
Eine andere neuerdings öfter anzutreffende Interpretation als Ableitung
(vgl. Fleischer/Barz 2012: 86) wird der Tatsache nicht gerecht, dass es für die
abgeleiteten Elemente keine Kategorie gibt, auch wenn meistens Wortgruppen
vorliegen. Die Formulierung „Ableitung von einer Wortgruppe“ ist nicht pro-
blemlos zutreffend, denn es heißt nicht *Dickehäuter. Darüber hinaus treten
andere abgeleitete Einheiten auf, z.B. neu gebildete Elemente und Sätze wie
bei Ichübergreifung, Trübsinnhabachter (Lem in Siebold 2000: 58, 133), Sozial-
verekler (Kerr in Erben 1996: 5), Ausschließlich-auf-Sprache-Angewiesenheit,
Hände-auf-die-Schultern-Legerei (Lawrenz 2006: 89).
Heute zählen einige Autoren zu den Zusammenbildungen auch Komposita
vom Typ Sauregurkenzeit (z.B. Leser 1990), sodass Ableitungen und Zusam-
mensetzungen nicht mehr getrennt werden, während Erben (2006: 37) und
auch Henzen (1957: 239) Sauregurkenzeit als Zusammenrückung, als Son-
derfall der Komposition auffassen. Es ist in jedem Fall zu bedenken, dass es
*dickhäut nicht als Zusammenrückung oder die Wortgruppe *dick Häut gibt.
Daher heben sich die Beispiele von Komposita des Typs Sauregurkenzeit ab,
6.2. Vertiefung 117

bei denen die Phrase zusammengerückt die erste Konstituente eines Determi-
nativkompositums bildet (vgl. auch Motsch 2004: 9). Auch wenn hier immer
wieder auf Henzen verwiesen wird, betont dieser doch, dass die Zusammen-
bildung Züge von Zusammensetzung und Ableitung trägt, vgl. Henzen (1957:
14f.) und auch Wilmanns (1899: 3). Dies ist somit die traditionelle Auffassung,
die auch aufgrund der deutlichen Unterschiede dieser Bildungsweisen als ge-
rechtfertigt erscheint. Sonderkomposita wie Sauregurkenzeit sind im Gegen-
satz zu den Zusammenbildungen außerdem ein relativ junges Wortbildungs-
phänomen. Die separate Behandlung erwies sich in Elsen (2004) schließlich
wegen der divergierenden Auftretenshäufigkeiten in den Korpora als sinnvoll.

Simmler (1998: 406ff.), Motsch (2004).

Zusammenrückung
Die Zusammenrückung ist in manchen Varietäten des Deutschen produkti-
ver als im Standard. Vor allem Gelegenheitsbildungen entstehen oft lediglich
durch Zusammenschreibung und werden von einigen als Konversion von
Wortgruppen oder Sätzen bezeichnet (Wirkenwollen, Naserümpfen, Fleischer/
Barz 2012: 274f., Eichinger 2000: 73). Von den Komposita abzugrenzen sind
solche Beispiele insofern, als die Wurzel am weitesten rechts nicht die Wort-
art des Gesamtausdrucks bestimmen muss. Klar ist dies bei den klassischen
Bildungen wie Vergissmeinnicht (Fleischer 1982: 62, vgl. aber Fleischer/Barz
1995: 213: Satznamen, auch Lohde 2006) oder Handvoll. Weniger eindeutig
sind die Fälle à la Naserümpfen. Hier hilft eine Paraphrase weiter. Naserümp-
fen ist besser als ein ‘Rümpfen mit der Nase’ und nicht als *‘besondere Art
zu rümpfen’ zu umschreiben. Ebenso ist Handvoll keine *‘besondere Art von
voll’ oder Dreikäsehoch keine *‘besondere Art von hoch’ und hastusienicht-
gesehen (Janosch, vgl. Elsen 2004) ist keine *‘besondere Art zu sehen’. Solche
Beispiele müssen also von Determinativ-, Kopulativ- und Possessivkomposita
getrennt werden.
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass statt des Begriffs Zusammen-
rückung auch Inkorporierung (bei Nomen-Verb-Verbindungen, Motsch 1999:
50 in Anlehnung an Wurzel), Inkorporation (Eichinger 2000) oder Univer-
bierung bzw. Inkorporation als eine Möglichkeit der Univerbierung (Motsch
2004) verwendet werden. Diese Begriffe treten jedoch auch in anderer Bedeu-
tung, also wieder uneinheitlich, auf.
Störenfried war ursprünglich eine Imperativform, vgl. störfriede, störe-
fried (Grimm 1854–1960).
118 6. Nomen – Wortbildung III

Kontamination

Die Kontamination ist eine seltene, jedoch nicht konsequent genutzte Wort-
bildungsmöglichkeit, die ein größeres Spektrum an Gestaltungsmöglichkei-
ten vereint. Zumindest im Deutschen wird sie beinahe nur in einem stilistisch
markierten Rahmen genutzt (vgl. im Folgenden Elsen 2008c). Ihr Status als
Wortbildungsart ist umstritten.
Wie bei Waterkantgate (Waterkant, Watergate), Müllionärin (Müll, Milli-
onärin) oder Dollarubel (Dollar, Rubel) setzen sich zahlreichen Beispiele aus
längeren oder kürzeren homophonen Wort(teil)en zusammen, die sich über-
lappen, in unserem Falle water, m-ll bzw. r. Oft werden aber auch Wortteile
getilgt wie bei Tomoffel zu Tomate und Kartoffel oder Osram aus Osmium und
Wolfram. Beides kann gleichzeitig auftreten, vgl. Komplikatesse aus Kompli-
kation und Delikatesse. Selten ist die Einfassung, vgl. frz. expojarrysition aus
exposition und Jarry (Grésillon 1984: 24f.) oder eine Einfassung mit Über-
lappung, vgl. das jugendsprachliche Superhaario (Supermario, Haar). Das
heißt, Wortteile verbinden sich und/oder es kommt zu Überlappungen, selte-
ner zu einer Integration eines Wortes in ein anderes, was dann außerdem or-
thographisch sichtbar gemacht werden sollte (HerCOOLes, Janich 1999: 142,
SchreIBMaschine, Janich 2001: 151). In manchen Fällen ist eine Kontaminati-
on Ausgangspunkt für eine weitere Kontamination, vgl. Mainzelmännchen zu
Mainz und Heinzelmännchen, Mainzelmädchen zu Mainzelmännchen, Mäd-
chen (Reischer 2008: 188).
Semantisch liegt meist ein Kopulativ- oder Determinativverhältnis vor. Bei
dem englischen Beispiel smog handelt es sich gleichzeitig um Rauch und Nebel
(engl. smoke, fog). Die Waterkantgate ist hingegen eine Art Watergate(affäre),
und zwar eine an der Waterkant. Hinzu kommt sehr oft aber eine Verschlüs-
selung als Besonderheit. Denn die SprachbenutzerInnen verwenden ja gera-
de Beispiele wie Waterkantgate und nicht Waterkantwatergate (Peschel 2002:
177), und wertneutrale Beispiele wie Kurlaub sind im Deutschen ungewöhn-
lich. Die Kontamination gehört meistens in die gleiche Wortklasse wie die
Ausgangswörter. Vielfach weisen die beteiligten Wörter ähnliche, auch ge-
gensätzliche Bedeutungen auf (Maurer 1933: 108, Grésillon 1984: 26f.). Dies
ist aber nicht zwingend nötig (Fleischer/Barz 2012: 93). Manche Beispiele sind
kaum transparent. Ist eine Kontamination nicht gleich verständlich, so mag
Absicht zugrunde liegen, um Leserneugier zu wecken. Es kann aber auch sein,
dass die Bildung schlecht gelungen ist, wenn wir sie nicht dechiffrieren kön-
nen. Eine gewisse Offenheit der Interpretationsmöglichkeiten ist meist be-
absichtigt, um Aussagen vage zu halten und um Repressalien, die bei einer
eindeutigen Behauptung drohen, zu umgehen wie in der Zeitungssprache.
6.2. Vertiefung 119

Insgesamt gibt es also einfache und schwierige Fälle von Kontamination, und
das Klangbild dürfte bei der Bildung mit entscheiden.
Wie auch Schulz (2004: 300) schlussfolgert, sind die Regularitäten ab-
gestuft, die Transparenz ist graduell unterschiedlich. Eine allgemeingültige
Definition zu formulieren, die die Kontamination deutlich von den anderen
Möglichkeiten der Wortbildung abhebt, ist schwierig. Die typische Kontami-
nation, z.B. wesentiell aus wesentlich und essentiell, ist absichtlich geschaffen
(denn es gibt auch „Versprecher“ wie Frau Hilsen zum Namen der Autorin),
transparent, also begrifflich motiviert, und geht auf zwei Ausgangslexeme zu-
rück. Dabei gibt es von einem Ursprungswort einen Anfangsteil, vom anderen
einen Endteil, beide gehören zu einer Wortklasse, sind bedeutungsverwandt
und stammen aus dem usuellen Lexikon. Sie sollten anhand des Kontextes
ermittelbar sein. Bedeutungsaspekte der Einzellexeme finden sich im Ge-
samtausdruck wieder. Die Kontamination ist rekonstruierbar und stilistisch
gefärbt.
Natürlich treten auch Abweichungen von dieser Charakteristik auf. Oft
bleibt mindestens ein Ausgangslexem graphisch oder lautlich vollständig
erhalten (Waterkantgate). Dann gibt es Beispiele, die aus drei Quellwörtern
stammen, etwa Haribo aus Hans Riegel, Bonn oder die spielerischen Abend-
rotwildente (Namislow 2008: 24), zu dem Abendrot, Rotwild und Wildente
möglich sind, und Kontaktlinsengerichtsakten (Namislow 2008: 55) zu Kon-
taktlinsen, Linsengericht, Gerichtsakten. Manche Beispiele haben sogar noch
mehr Quellwörter. Der Verlag des Regensburger Verlegers Dieter Lohr ver-
treibt Hörbücher und hat als Verlagslogo einen mit Lorbeer bekränzten Bä-
ren. Aus den Lexemen Lohr, Ohr, Lorbeer und Bär entstand der Verlagsname
LOhrBär-Verlag.
Weitere Spielarten liegen vor bei Ulkohol (Ulk, Alkohol) oder Westalgie
(West, Nostalgie), hier haben die Ursprungswörter semantisch nichts mitein-
ander zu tun. Bei alkohöllisch (Alkohol, höllisch) oder Schlepptop (schleppen,
Laptop) wird mit verschiedenen Wortklassen gearbeitet und bei klaufen ‘klau-
en’ bleibt nur die Bedeutung eines der beteiligten Wörter erhalten. Schwieri-
ger sind Fälle wie Pfuhlmond zu Pfuhl und Vollmond oder Schachverstand zu
Schach und Sachverstand, denn sie könnten Komposita sein.
In der Jugendsprache treten immer wieder Beispiele für Kontaminationen
auf, etwa gruscheln (grüßen, kuscheln), Bankster (Banker, Gangster), Mugel
(Mensch, Kugel). Und auch im Internet herrscht Kreativität, vgl. Webinar für
ein Seminar per web.
Postkarte wurde aus Postblatt und Correspondenzkarte gebildet (Henzen
1957: 250).

Grésillon (1984), Schmid (2003), Schulz (2004), Elsen (2008c)


120 6. Nomen – Wortbildung III

Kunstwortbildung

Schon Paul (1937: 174ff.) befasste sich mit der „Urschöpfung“ in einem aus-
führlichen Kapitel, und Wilmanns (1899: 1) wie auch Henzen (1957: 4f.) trenn-
ten sie ausdrücklich von Wortbildung. So wurde dann die Wortneuschöpfung,
wenn überhaupt erwähnt, auch weiterhin aus der Wortbildung ausgeklammert
(z.B. Fleischer 1982, Fleischer/Barz 1995, Schippan 1992, Eichinger 2000, Do-
nalies 2002, Duden 2006). Zur Veranschaulichung dienen auch heute meist
Beispiele wie Gas und Kuckuck. Produkt- bzw. Markennamen nehmen nur ei-
nige Autoren mit in die Gruppe der Wortneuschöpfungen auf, und es hat sich
ausgehend von diesem Typus mit der Zeit ein neuer Terminus etabliert: das
Kunstwort. Dieser Begriff hebt sich anfangs von dem der Wortneuschöpfung
ab. Fleischer trennt Kunstwörter wie Warenbezeichnungen, die an vorhande-
ne Elemente anknüpfen und von der Bedeutung vorhandener Elemente nicht
ganz gelöst sind, von völlig neuen Wortwurzeln, den Urschöpfungen (Flei-
scher 1982: 10). Fleischer/Barz (1995) zählen sie deswegen zu den Wortbildun-
gen (Fleischer/Barz 1995: 5). Sornig (2002) hingegen führt als Beispiele für
Kunstwörter Formen wie Maluma und Nobebe an. Das Metzler Lexikon Spra-
che unterscheidet zwischen Wort(neu)schöpfung – Wörter, die weder durch
Wortbildung noch Entlehnung gewonnen werden wie Interjektionen oder
Onomatopoetika oder verschiedene Beispiele der Kinder- und Werbesprache
(welche, bleibt offen) (Glück 2000: 800) – und Kunstwörtern – Wörter, die
bewusst zur Bezeichnung von Neuem gebildet werden, hierzu zählt auch Gas
(Glück 2000: 391). Das Unterscheidungskriterium ist offenbar nicht Arbitra-
rität (Willkürlichkeit, Unmotiviertheit) bzw. eine neue Wurzel, sondern die
gezielte Namensformung.
Untersuchungen gab es zunächst für die Werbesprache, und zwar für Mar-
ken- oder Produktnamen (Voigt 1985, Platen 1997, Stoll 1999, Piller 1999).
Bei der Betrachtung der Markennamen-Kunstwörter wurde phonologischen
Faktoren eine ausschlaggebende Rolle zuerkannt, weil sie eine assoziations-
steuernde Wirkung auslösen. Die Wortschöpfer bilden die Produktnamen
genau auf eine bestimmte Zielgestalt hin, denn sie müssen marktstrategische
Erfordernisse erfüllen. Gelegentlich wurden Skalen unterschiedlicher Grade
von Motivation vorgeschlagen (z.B. Voigt 1985, Ungerer 1991, Ronneberger-
Sibold 2000, Elsen 2004). Damit trat das Kriterium der Arbitrarität mehr und
mehr in den Hintergrund, während das der morphologischen Komplexität an
Gewicht zunahm. Schließlich wurden die Begriffe Kunstwort und Wort(neu)
schöpfung gleichgesetzt für nicht über die reguläre Wortbildung des Deut-
schen entstandene, daher morphologisch nicht komplexe Lexeme, also neue
Wurzeln. Wortschöpfung erscheint häufig auch synonym zu Neologismus. Um
6.2. Vertiefung 121

hier eine Abgrenzung über die Terminologie zu erlauben, wird im Folgenden


Wortneuschöpfung alternativ zu Kunstwort verwendet.

Das Kunstwort in Abgrenzung zu Wortbildung


Kunstwörter stehen den Wortbildungen gegenüber, weil diese eine reguläre
morphologische Struktur haben. So gesehen zählen auch Interjektionen wie
ooh, au zu den Kunstwörtern, die lautlich motiviert sein können, aber nicht
(morphologisch) komplex sind. Kunstwörter unterscheiden sich von den
Kurzwörtern, die ja auch nicht unbedingt eine morphologische Struktur auf-
weisen (Azubi, Stabi), durch die parallele Langform.
Umstritten ist die Kontamination, bei der Teile meist zweier Wörter zu ei-
nem neuen verbunden werden, das dann Bedeutungsaspekte beider Wörter
besitzt, z.B. Engleutsch (eine Mischung aus Englisch und Deutsch). Kunstwör-
ter können von Kontaminationen geschieden werden, weil bei letzteren zwei
Basislexeme (rudimentär) erkennbar sind. Dazu sehen wir uns Beispiele aus
dem Grenzbereich von Kunstwort und Kontamination an (vgl. Elsen 2004).
Biosil und Biopren (Zahnfüllmittel) beispielsweise sind Kunstwörter, weil sil
und pren keine Bedeutung tragen. Biotuss (Hustensaft) hingegen kann als
Kontamination aufgefasst werden aus bio(logisch) ‘natürlich, gesund’ und tus-
sis, lat. ‘Husten’. Es ist zweigliedrig insofern, als zwei Wörter eruierbar sind.
Dies ist bei Biosil und Biopren nicht der Fall.
Die Abgrenzung zur Derivation ist ebenfalls nicht immer leicht. Marken-
namen wie Aspirin, Birkin, Gustin (Voigt 1985) sind in Bezug auf ihre Endsil-
ben gleich. Werbesprachinterne Analysen benutzen für solche Endungen gern
den Begriff „Morphem“ (z.B. Voigt 1985, Stoll 1999). Es handelt sich jedoch
um relativ bedeutungsarme, vor allem aber bedeutungsvariable Lautgrup-
pen, vgl. auch -ol, -on, -en, -il, die höchstens Assoziationen wie „klingt wie
ein Produktname“ wecken. Sie können nicht als bedeutungstragend verstan-
den werden und sind folglich keine Morpheme, höchstens Pseudomorpheme
(vgl. Elsen 2006). In Chemie, Werbung, Science Fiction und Fantasy sind sie
mit wiederkehrenden Assoziationskomplexen verknüpft. Entsprechend gilt
ein Wort auch dann als Kunstwort, wenn der Teil interpretierbar ist, an den
solch eine Endung (die kein Morphem ist) gehängt ist. Vergleichen wir dazu
zwei fiktive Bespiele. Ein Name wie Diamol für einen neuen, aus Diamanten
gewonnenen Alkohol wäre eine Ableitung mit dem fachsprachlichen Suffix
-ol für Alkohole. Würde er aber ein Schuhputzmittel ohne alkoholischen Be-
standteil bezeichnen, das Schuhe zum Glänzen bringt wie Diamanten, wäre
er ein Kunstwort mit -ol, das höchstens hochwertige, fachsprachliche Assozi-
ationen auslöst, aber keine eigene Bedeutung trägt. Die Endung kann darum
nicht als Morphem, der Name nicht als morphologisch komplex gelten. Bei-
spiele wie Biskin oder Diamol (Schuhputzmittel) weisen keine morphologi-
122 6. Nomen – Wortbildung III

sche Struktur auf und sind Kunstwörter. Dies führt zu einer präzisierten Defi-
nition: Das Kunstwort ist nicht über die reguläre Wortbildung des Deutschen
entstanden, daher morphologisch nicht komplex und bildet somit eine neue
Wurzel. Es weist keine parallele Langform auf. Basislexeme, die den Eindruck
von Mehrgliedrigkeit erwecken, sind nicht erkennbar. Es kann nicht morpho-
logisch, jedoch lautlich motiviert sein.

Lautsymbolik
Twingo vermittelt Pfiffigkeit (Platen 1997: 44). Kaloderma, Tussafug oder Do-
lormin klingen im Gegensatz zu Husteflucht gelehrt und seriös (Platen 1997:
51). Aber nicht nur die Kunstwörter der Werbesprache arbeiten mit Klangwir-
kungen. Für die Untersuchungen von Lautsymbolik sind Namen von Perso-
nen und Spezies in Fantasy- und Science-Fiction-Romanen besonders ergiebig,
weil es zu Häufungen bestimmter Laute oder Silbenstrukturen im Zusam-
menhang mit bestimmten Eigenschaften der Referenten kommt (vgl. Elsen
2008a, Elsen 2008b, Elsen 2009c). Vor allem junge und hübsche Protagonis-
tinnen tragen überwiegend Namen auf -a (Ceena, Lysandra, Agwira, Yadira,
Shayla, Ilahja). Die Namen von jungen und/oder kleinen Referenten weisen
oft helle Vokale auf, vor allem i wie Brin für einen jungen, guten Prinz, Elim
für einen kindhaften Prinzen, Gwrgi für einen kleinen, gutmütigen Sumpfling
oder Schti für ein sehr kleines geflügeltes Pferd. Die Verbindung des i-Lautes
mit dem Konzept ‘klein’ scheint dabei einer der wenigen Fälle einer weiter
verbreiteten Lautsymbolik zu sein (Jakobson/Waugh 1987, Ohala 1994). In
Namen für bösartige, gefährliche Wesen wie Dämonen, Orks und andere
Monstren treten gehäuft hintere Vokale und Konsonanten, vor allem velare
Frikative und nicht-standardsprachliche Konsonantenkombinationen auf
(Ch’tuon, Tairach, Ghuzdan, Gnoorat, Azrathoth, Chrekt-Orn, Rrul’ghargop,
An-Rukhbar). Die Namen für mächtige Magier, Druiden und Gelehrte beste-
hen vielfach aus einer lateinisch-griechisch anmutenden Phonotaktik, die Ef-
fizienz und Kompetenz vermittelt und wissenschaftlich-seriöse Assoziationen
weckt (Salamir, Galdalyn, Kalakaman).
Kunstwörter gibt es bis dato nicht im Standarddeutschen, höchstens in ei-
nigen wenigen Varietäten. Dort können sie durchaus vermehrt gefunden wer-
den. Aber sie sind nicht willkürlich gewählt, sondern wirken, zumindest für
bestimmte Referenten, über ihre Lauteigenschaften. Sie vermitteln assoziati-
onssteuernde Effekte und verfügen über ein gewisses semantisches Potenzial
(vgl. auch Elsen 2004, 2008a, Luft 2007). Im Spracherwerb spielen sie ebenfalls
eine Rolle (Elsen/Schlipphak, i. Dr.).

Elsen (2005a), Elsen (2008a)


6.2. Vertiefung 123

Wortgruppenlexembildung

Der Begriff des Wortgruppenlexems wird in der Linguistik nicht gern ver-
wendet. Schon Henzen (1957: 41f.) erkennt Beispiele wie das Rote Meer,
Kölnisch(es) Wasser, Kap der Guten Hoffnung oder russische Eier nicht mehr
einfach als syntaktische Fügung, sondern als einen Ausdruck für einen iso-
lierten Begriff und nennt sie Mehrwortnamen. Oft kommt es zu Schwan-
kungen und Übergängen zum Kompositum (Henzen 1957: 68f.). Immer
wieder gibt es Komposita in gleicher Bedeutung, vgl. der Grüne Donnerstag/
Gründonnerstag, der schwarze See/Schwarzsee (Henzen 1957: 42). Eine klare
Grenzziehung ist nicht immer möglich. „Es gibt Wortgruppen, die als Kom-
posita gefaßt werden können, nicht müssen“ (Schwyzer in Henzen 1957: 43).
Die frühen Erkenntnisse sind jedoch verloren gegangen. Heute werden Bei-
spiele wie Kölner Dom, rechter Winkel, schweres Wasser, essigsaure Tonerde,
kinetische Energie, gebrannte Mandeln, passiver Widerstand, rote Beete, erste
Hilfe, unikales Morphem, Generative Grammatik, Schwarzwälder Kirschtor-
te oder Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) nicht mehr
als eigenständig wahrgenommen. Sie zählen in der Regel als eine Untergrup-
pe der Phraseologismen, neben ins Gras beißen etc. Und sie werden darum
bei der Wortbildung auch nicht behandelt. Im Gegensatz zu den übrigen
Phraseologismen bilden Wortgruppenlexeme jedoch die Ausgangsbasis für
eine bestimmte Wortbildungsart, die Kürzung, vgl. ZDF/Zweites Deutsches
Fernsehen, EU/Europäische Union, Audimax/Auditorium Maximum. Daher
sollte eine Abhandlung zur Wortbildung des Deutschen sie nicht vernachläs-
sigen.
Wortgruppenlexeme sind lexikalisierte feste Fügungen mindestens zweier
getrennt geschriebener Wörter mit Eigensemantik. Im Gegensatz zu freien
syntaktischen Fügungen verbinden sich die Inhalte nicht erst bei der Rezepti-
on. Sie bilden ein einheitlich vorhandenes Ganzes und ähneln damit stark den
Komposita. Die Einzelwörter bleiben beieinander, sie lassen sich nicht austau-
schen. Die Gesamtbedeutung des Ausdrucks ist motiviert.
Die Struktur des Wortgruppenlexems ist relativ stabil. Die erste Hilfe ist
zunächst nicht irgendeine erste Hilfe, die anfangs oder zum ersten Mal ge-
leistet wird, denn die verschiedenen Handlungsabläufe müssen in speziellen
Erste-Hilfe-Kursen eigens erlernt werden. Es wird nicht von erster ärztlicher
Hilfe gesprochen oder von mehreren ersten Hilfen. Und auch bei das w/Weiße
neue Haus des US-Präsidenten, die w/Weißen Häuser, ein spitzer, enger Winkel
handelt es sich nicht mehr um Wortgruppenlexeme. Die „Nichtaustauschbar-
keit der einzelnen Lexeme“ ist, im Unterschied zu Phraseologismen wie etwa
ins Gras beißen oder steter Tropfen höhlt den Stein, allerdings kein ausschlag-
124 6. Nomen – Wortbildung III

gebendes Kriterium, da es gerade wegen des Terminuscharakters zu sich ge-


genseitig abgrenzenden Kontrastbegriffen kommt, wie sie auch bei Komposi-
ta vorhanden sind, vgl. Rotkohl/Weißkohl, Laubbaum/Nadelbaum einerseits,
passives Wahlrecht/aktives Wahlrecht, spitzer Winkel/rechter Winkel/stumpfer
Winkel, Rolle vorwärts/Rolle rückwärts andererseits. Eifriges Wahlrecht oder
scharfer Winkel jedoch sind freie Syntagmen. Deswegen muss dieses Krite-
rium spezifiziert werden. In einem Wortgruppenlexem darf ein Lexem, in
erster Linie das modifizierende, durch ein kontrastives ausgetauscht werden
und zwar nur dann, wenn sich durch die Substitution ein neuer Terminus in
Wortgruppengestalt ergibt. Die Strukturstabilität ist somit im Gegensatz zu
der der Phraseologismen relativ.
Die Fachsprachen sind bei der Bildung von Wortgruppenlexemen sehr
produktiv, weil die besondere Benennungssituation Wortgruppenlexeme for-
ciert, denn sie lassen weniger Interpretationsspielraum offen als Komposita
und verbinden über verschiedene Attribuierungsmöglichkeiten sehr viel In-
formation. Die neuen Wörter werden quasi definitorisch gesetzt und durch
den fachlichen bzw. theoretischen Hintergrund fixiert, deswegen weisen sie
auch kein konnotatives oder pragmatisches Potenzial auf. In der Medizin wer-
den beispielsweise Krankheiten oft nach dem Entdecker benannt, vgl. Mor-
bus Crohn, Morbus Meulengracht, Basedowsche Krankheit. Aber die Präzisi-
on interferiert mit der Praktibilität bei der Kommunikation, so kommt es zu
Kürzungen, vgl. akute respiratorische Erkrankung/ARE, Untere Iller Arbeitsge-
meinschaft/UIAG.
Strukturell sind bei den Wortgruppenlexemen einige Besonderheiten zu
beobachten (vgl. Elsen 2004: 28), zum Beispiel die Erweiterung des Bezugs-
wortes durch eine Präpositionalphrase (Flachkopfschraube mit Schlitz (Möhn/
Pelka 1984: 18), Beruhigungsdrossel für Druckmesser), die Nachstellung eines
attributiven Adjektivs oder einer Phrase (Adrevil forte (Koß 1992: 146), Bena-
dryl infant, System Professional, Forelle blau), die Nachstellung eines Buchsta-
bens, einer Zahl oder einer Kombination davon (Betadorm A, actinbindendes
Protein 120, CoEnzym Q10) oder Kombinationen, z.B. Flachkopfschraube mit
Schlitz ISO 1580-M5 x 20–4.8 (DIN-Normenheft 2001: 202), Triam Tablinen
injekt 40 (Koß 1992: 146), Thermal S Matt, Anti-Falten Q10 PLUS.
Dass solche Begriffe als Ergebnisse der Wortbildung behandelt werden
können, liegt weiterhin in ihrem Begriffscharakter begründet, da es sich um
inhaltliche Einheiten handelt. Die Nähe zum Kompositum und damit zu ei-
nem auch strukturellen Ganzen lässt sich an verschiedenen Merkmalen er-
kennen. Beispielsweise stehen zahlreiche Wortgruppenlexeme in einer Reihe
mit Komposita. Die parataktische Gleichbehandlung deutet auf die struk-
turelle Verwandtschaft dieser Bildungsweisen hin und damit auf den Wort-
bildungsstatus der Wortgruppenlexeme (Echte Kamille, Römische Kamille,
6.2. Vertiefung 125

Acker-Kamille, Feld-Kamille; Bayerischer Wald, Teutoburger Wald, Hoch-


schwarzwald, Hotzenwald).
Dann gibt es oft genug Dubletten in Form eines Kompositums. Auch das
betont die strukturelle Nähe von Wortgruppenlexemen und Zusammenset-
zungen sowie eine feste Bedeutung des Gesamtausdrucks, vgl. Eulersche Zahl/
Euler-Zahl, schlagende Wetter/Schlagwetter (Gemische aus atmosphärischer
Luft und Methan), Eustachische Röhre/Eustachi-Röhre.
Die Beispiele werden nicht nur als strukturelle, sondern auch als semanti-
sche Einheit aufgefasst. Dies zeigt sich daran, dass viele von ihnen durch eine
andere, meist fachlicher wirkende Bezeichnung ausgetauscht werden können,
was auf die Benennungsfunktion der Wortgruppe als Gesamtausdruck hin-
weist und auf eine feststehende Bedeutung. Das Wortgruppenlexem ist oft et-
was durchsichtiger, vgl. schweres Wasser/Deuteriumoxid, Atlantische Klima-
periode/Atlantikum, Pazifischer Ozean/Pazifik.
Eine klare, stabile Bedeutung, oft mit Terminuscharakter, muss für die
Bestimmung einer Wortgruppe als Wortgruppenlexem also gegeben sein. Es
handelt sich dann nicht mehr um freie Fügungen, sondern um definierte Be-
griffe. Dies ist im Fall von Eigennamen und der Referenz auf ein Individuum
leicht nachzuvollziehen. Zusätzlich bilden Wortgruppenlexeme Gruppen mit
Komposita, was für sich genommen kein Kriterium darstellt. In Kombination
mit weiteren Faktoren aber weist die Gleichbehandlung mit Lexemen auf den
Lexemstatus hin. Für die Nähe zum Lexem – und damit für Wortbildung –
spricht außerdem, dass häufig Komposita als Dubletten oder analoge Termini
vorkommen. Die Verwandtschaft zwischen den beiden Wortbildungsformen
zeigt sich schließlich auch darin, dass sich viele Komposita historisch auf eine
Wortgruppe zurückführen lassen, z.B. der edle Stein/Edelstein, das feste Land/
Festland (Bach 1949 in Möhn 1986: 130), hoher Ofen/Hochofen, garer Gang/
Gahrgang, magnetischer Eisenstein/Magneteisenstein (Spiegel 1972 in Möhn
1986: 120), mnd. *to dere schouwenden borch – Schauenburg, Schaumburg
(Laur 1996: 1374). Zwischen Wortgruppenlexemen und Zusammenrückun-
gen bestehen ebenfalls große Ähnlichkeiten – Radolfzeller Aach, Alper Bach,
Breide Rönn, Altenbach, Lautenbach, Krummenbach (Greule 1996: 1535),
Steinhuder Meer, Tegernsee (Laur 1996, 1372). Der Übergang zwischen syn-
taktischen Verbindungen und Zusammensetzungen erscheint fließend: Klein
Barkau, Klein Bennebek, Kleinvollstedt, Kleinwiehe (Laur 1989: 54), Kölner
Dom, Zwischenahner Meer, Schönbergerstrand (Laur 1996: 1373).
Je nach Definition handelt es sich bei den Wortgruppenlexemen um ei-
ne Untergruppe der Phraseologismen (ins Gras beißen, jemandem einen Korb
geben, Ei des Kolumbus). Sie heben sich allerdings durch zwei Aspekte her-
vor: erstens durch strukturelle Festigkeit verbunden mit primär wörtlicher,
höchstens minimal teilidiomatisierter Bedeutung und zweitens (morpholo-
126 6. Nomen – Wortbildung III

gisch relevant) durch ihre Fähigkeit, Basis von Kurzwörtern zu sein. Vor allem
jedoch ist diese Art der „Wort“Bildung produktiv, und zwar sehr produktiv in
den Fachsprachen, während zur Produktivität von Phraseologismenbildung
in der Regel nicht Stellung genommen wird.

Wills (1998), Korhonen (2002), Busse (2002), Elsen (2007a)


Phraseologie: Fleischer (1997), Burger (2003), Donalies (2009)
Rückbildung: Henzen (1957: 240), Erben (2006: 39ff.), Simmler (1998: 639)
Erleichterungsrückbildung: Henzen (1965: 67, 243), Erben (2006: 39), Simmler
(1998: 638f.)
Kurzwörter: Greule (1996), Kobler-Trill (2002), Balnat (2011)

Übungen zu 6.2. Vertiefung


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7. Adjektiv – Flexion

7.1. Grundlagen

Grundbegriffe
Adjektive sind deklinierbar, häufig komparierbar (steigerbar) und können
zwischen Artikel und Nomen stehen. Im Satz sind viele von ihnen attributiv,
prädikativ und adverbial verwendbar, z.B. schön und gefährlich:

– attributiv (zum Substantiv)


die schöne Frau, die gefährliche Maus, die ständige Quengelei, die gegneri-
sche Mannschaft, mütterliche Liebe, regnerische Nächte
– adverbial
die Frau läuft schön, die Maus quiekt gefährlich, du quengelst ständig
– prädikativ
die Frau ist schön, die Maus ist gefährlich, die Nacht ist heiß und regnerisch,
die Band ist okay, wir sind quitt.

Im Satz Der Wagen läuft gefährlich schnell wird das Adjektiv gefährlich attri-
butiv zum Adjektiv schnell verwendet.
Attributiv und adverbial, aber nicht prädikativ erscheinen Adjektive wie
gerichtlich, ständig, künftig, nur attributiv z.B. städtisch, gegnerisch, mütter-
lich. Attributiv und prädikativ verwenden wir Adjektive wie fertig oder regne-
risch. Rein prädikativ fungieren z.B. okay, egal oder quitt.
Zwar sind dies syntaktische Eigenschaften und in dieser morphologischen
Abhandlung zweitrangig, sie interagieren aber mit der Flektierbarkeit. Mor-
phologisch interessant ist nämlich nur die attributive Stellung des Adjektivs
vor dem Substantiv.

Adjektive sind deklinierbar nach Kasus, Numerus und Genus in Abhängig-


keit vom Substantiv, auf das sie sich beziehen. Sie werden allerdings nur in
zum Substantiv attributiver Verwendung vor dem Substantiv flektiert, auch
128 7. Adjektiv – Flexion

wenn sie grundsätzlich flektierbar sind. Die Eigenschaften flektiert und flek-
tierbar dürfen nicht verwechselt werden.
In den folgenden Sätzen sind die Adjektive blau, klein, rot und scharf attri-
butiv zum Substantiv verwendet und flektiert:
Ich wohne in einem Zimmer, in einem blauen Zimmer.
Die Mäuse trinken Weine. Die kleinen Mäuse trinken rote Weine.
Das scharfe Messer liegt auf dem Tisch.
Folgt das Adjektiv in dieser Funktion seinem Bezugswort, flektiert es nicht:
Wir haben Wein, rot und fruchtig. Das Brotmesser, scharf, spitz und gefähr-
lich, liegt dort auf dem Tisch.
In den folgenden Sätzen sind die Adjektive adverbial verwendet und daher
nicht flektiert:
Das Kind läuft erst blau, dann rot an. Das Wort wird klein geschrieben.
In den folgenden Sätzen sind die Adjektive prädikativ verwendet und daher
nicht flektiert:
Das Zimmer ist blau. Die Maus ist klein. Den Wein nennen wir rot.
In den folgenden Sätzen sind die Adjektive unmittelbar und furchtbar attribu-
tiv zum Adjektiv bzw. Adverb verwendet und daher nicht flektiert:
Der Wagen biegt unmittelbar links ab, er fährt furchtbar schnell.
Es gibt sogenannte defektive Adjektive, die nicht flektierbar sind wie egal,
allein, aus Nomen konvertierte Adjektive wie feind oder schuld sowie einige
Farbbezeichnungen, z.B. rosa, lila (aber umgangssprachlich rosanes, lilanes
Kleid). Viele Zahladjektive weisen nur vereinzelt Flexive auf (wegen zweier
Frauen vs. wegen vier Frauen).

Flexionstypen
Wie bei den Substantiven gruppieren viele Grammatiken die Adjektivflexion
in die drei Klassen stark, schwach und gemischt. Sie ergeben sich über die
Artikel. Die Endung -(e)n gilt wie bei den Substantiven als schwach. Wenn sie
vermehrt auftritt, dann ist die Deklination schwach:

– stark, ohne Artikel blaues Zimmer, rote Weine


– schwach, nach bestimmtem Artikel das blaue Zimmer, die roten Weine
– gemischt, nach unbestimmtem Artikel ein blaues Zimmer, keine roten Weine.
7.1. Grundlagen 129

Weitere Begriffe sind pronominal für die starke Flexion und nominal für die
schwache Flexion. Im Gegensatz zu den Substantiven, die entweder stark oder
schwach etc. flektieren, kann das Adjektiv sowohl stark als auch schwach etc.
deklinieren, je nach vorausgehendem Wort.
Zusätzlich flektieren die Adjektive nach Genus, Kasus und Numerus in
Abhängigkeit vom Bezugssubstantiv, in dieser Hinsicht kongruiert (stimmt
überein) das Adjektiv mit dem Bezugssubstantiv. Haben Sie Schwierigkeiten
bei der Bestimmung der Kasus, denken Sie sich passende Präpositionen dazu,
etwa beim Genitiv statt, beim Dativ mit, beim Akkusativ für.
Wenn ganze Sätze vorliegen, können Sie auch mit den Fragetests arbeiten.
Im Satz Ich sehe roten Wein ermitteln Sie den Kasus über die Fragen, die Sie
auch bei den Substantiven verwenden. Sie müssen entscheiden, welche Frage
den Satz als Antwort ergibt: wer oder was (Nominativ), wessen (Genitiv), wem
(Dativ) bzw. wen oder was (Akkusativ) sehe ich? Die letzte Frage passt, roten
Wein steht im Akkusativ.
Insgesamt hängt die Flexion des Adjektivs von dem Wort unmittelbar da-
vor (Artikel) und dahinter (Bezugsnomen) ab.

Übungen zu 7.1. Grundlagen


1. Bestimmen Sie die grammatische Form (Kasus, Numerus, Genus) der Ad-
jektive!
Starke Frauen braucht das Land. Denn starke Frauen verbessern die wirt-
schaftliche Entwicklung auf lange Sicht. In der Bibliothek gibt es großartige
Zeitschriften. Mit den schmutzigen Fingern fasst du mir nicht das schöne
Buch an! Wasch sie dir erst mit warmem Wasser. Schau dir die frechen
Mäuse an, wie sie auf den riesigen Schrank klettern!

Es folgen nun die Adjektivparadigmen der drei Deklinationsklassen (Tab. 13,


14, 15).

Tabelle 13: Starke Adjektivflexion (ohne Artikel, nach dessen, wessen, deren, etwas, …)
Sg. M. F. N.
N roter Wein kleine Maus blaues Zimmer
G roten Weines kleiner Maus blauen Zimmers
D rotem Wein kleiner Maus blauem Zimmer
A roten Wein kleine Maus blaues Zimmer

Pl. M. F. N.
N rote Weine kleine Mäuse blaue Zimmer
G roter Weine kleiner Mäuse blauer Zimmer
D roten Weinen kleinen Mäusen blauen Zimmern
A rote Weine kleine Mäuse blaue Zimmer
130 7. Adjektiv – Flexion
Tabelle 14: Schwache Adjektivflexion (nach bestimmtem Artikel, dieser, jeder, derselbe,
derjenige, …)
Sg. M. F. N.
N der rote Wein die kleine Maus das blaue Zimmer
G des roten Weines der kleinen Maus des blauen Zimmers
D dem roten Wein der kleinen Maus dem blauen Zimmer
A den roten Wein die kleine Maus das blaue Zimmer

Pl. M. F. N.
die, der, roten Weine(n) kleinen Mäuse(n) blauen Zimmer(n)
den, die

Tabelle 15: Gemischte Adjektivflexion (nach unbestimmtem Artikel, kein, mein, ...)
Sg. M. F. N.
N kein roter Wein keine kleine Maus kein blaues Zimmer
G keines roten Weines keiner kleinen Maus keines blauen Zimmers
D keinem roten Wein keiner kleinen Maus keinem blauen Zimmer
A keinen roten Wein keine kleine Maus kein blaues Zimmer

Pl. M. F. N.
keine ,-er, roten Weine(n) kleinen Mäuse(n) blauen Zimmer(n)
-en, -e

Tabelle 16: Die Adjektivflexive im Überblick


stark schwach gemischt
M., F., N. M., F., N. M., F., N.
Sg. N -er -e -es -e - e -e -er -e -es
G -en -er -en -en -en -en -en -en -en
D -em -er -em -en -en -en -en -en -en
A -en -e -es -en -e -e -en -e -es

Pl. N -e
G -er -en -en
D -en
A -e

In der Überblickstabelle (16) wird erstens ersichtlich, dass die Adjektivflexi-


on insgesamt viele homonyme Morpheme, also solche, die gleich lauten, aber
unterschiedliche Inhalte ausdrücken, aufweist. Nur -em ist eindeutig Dativ
Singular in der starken Flexion, allerdings sowohl für Maskulina als auch für
Neutra. Zweitens ist bei der schwachen Flexion die Verwendung von -(e)n we-
sentlich ausgeprägter als bei der starken. Drittens ist die starke Flexion – die
ohne Artikel – wesentlich formenreicher als die der anderen beiden. Das liegt
daran, dass das Adjektiv hier allein die Merkmale Genus, Kasus und Nume-
rus versprachlicht. Diese Informationen teilen sich sonst Artikel und Adjek-
tiv. Ohne Artikel ist das Adjektiv stark; mit bestimmtem Artikel, der dann die
7.1. Grundlagen 131

starke Flexion trägt, ist das Adjektiv schwach dekliniert. Beim unbestimmten
Artikel ist zu berücksichtigen, dass dieser nicht immer eine Endung aufweist
(ein Mann, für kein Monster), sodass dann das Adjektiv stark flektiert (ein
großer Mann, für kein großes Monster). Dies ergibt die gemischte Deklination.

Das Adjektiv in der Apposition mit Personalpronomen


Neben den gerade erwähnten Fällen tritt ein syntaktischer, also stellungs-
bedingter Sonderfall auf, der beim Adjektiv zu anderen Flexionsformen als
bisher besprochen führt, und zwar das Adjektiv in einer Apposition (Beistel-
lung) mit Personalpronomen wie bei ich alter Esel. Die Phrase alter Esel ist
dabei Apposition zu ich und bestimmt dies näher. Die Flexion richtet sich
nach dem Bezugsnomen (Tab. 17, vgl. Simmler 1998: 338ff.).

Tabelle 17: Die Adjektivflexion in der Apposition nach Personalpronomen (nach Simmler
1998: 340)
Sg. M. F. N.
N ich, du alter Esel alte Kuh altes Kamel
G meiner, deiner – – –
D mir, dir, ihm, ihr altem Esel alten Kuh altem Kamel
A mich, dich alten Esel alte Frau altes Kamel

Pl. M. F. N.
N wir, ihr alten Esel alten Kühe alten Kamele
G unser, euer – – –
D uns, euch alten Eseln alten Kühen alten Kamelen
A uns, euch alte Esel alte Kühe alte Kamele

Im Satzzusammenhang lautet die Form im Nominativ Singular Ich altes Ka-


mel komme bald ins Grab. Im Genitiv gibt es keine solchen Konstruktionen.
Im Dativ Singular lautet sie Mir altem Kamel wirst Du das wohl glauben und
im Akkusativ Singular Mich altes Kamel hast Du sicher nicht gesehen. Solche
Verbindungen sind auch für Muttersprachler oft schwierig, sodass es zu ande-
ren Flexionsendungen bei den Adjektiven kommt, etwa mir armer Kuh statt
mir armen Kuh.

Übungen zu 7.1. Grundlagen


2. Welche Möglichkeiten der Flexionsbestimmung gibt es für … großen Kat-
ze …? Formulieren sie jeweils einen korrekten Satz!

Allomorphie
In manchen Fällen kommt es zu lautlichen Veränderungen. So fällt bei der De-
klination das e in der unbetonten Endsilbe des Adjektivs (-el bzw. -en) manch-
mal weg, z.B. dunkel – ein dunkler Raum, penibel – ein penibler Mensch, eigen
132 7. Adjektiv – Flexion

– meine eigne Wohnung. Dies geschieht auch bei Adjektiven mit Diphthong
und -er sowie Fremdwörtern auf -er wie sauer, teuer, makaber gegenüber saure
Zitrone, teure Kette, makabre Geschichte. Das bedeutet, dass in Abhängigkeit
von der Deklination Allomorphe wie {dunkl} bzw. {makabr} anzusetzen sind.
Eine individuelle Veränderung findet bei hoch statt, das mit einer Endung ver-
sehen das Allomorph {hoh} entwickelt, die hohen Mauern.
Aufgrund der Lautung ist zwischen {/līp/} bei lieb und {/līb/} bei lieber,
liebes zu unterscheiden, vgl. auch blond, schräg, fies. Diese Varianten kön-
nen in der normalen Schreibweise nicht ausgedrückt werden. Sie entstehen
aufgrund der Auslautverhärtung, einer rein phonologischen Erscheinung im
Deutschen, wegen der im Silbenauslaut nur stimmlose p, t, k, f und s auftreten,
unabhängig von der Schreibung. In lieb bildet das b den Silbenauslaut und
wird stimmlos ausgesprochen, in lie.be jedoch bildet das b den Anlaut der
zweiten Silbe und bleibt stimmhaft.
In Adjektiven auf -ig (lustig, nervig) liegt neben der Aussprache auf /c˛ /
wie in ich (bzw. süddeutsch /k/) eine Variante des Ableitungsmorphems vor,
wenn das Lexem nicht auf -g endet wie in lustige, nerviger. Denn dann wird
/g/ gespochen, was zu Allomorphie des Suffixes führt. Auch dies liegt an einer
anderen Verteilung der Silbengrenzen, lus.tig vs. lus.ti.ge, ner.vig vs. ner.vi.ger.
Das g bildet den Anfang der letzten Silbe in lustige und nerviger und wird /g/
gesprochen, während es in nervig und lustig im Silbenauslaut /c˛ / gesprochen
wird.

Komparation
Adjektive sind außerdem komparierbar (steigerbar). Die K o m p a r a t i o n
(Steigerung) gibt es nur bei Adjektiven (und in Ausnahmen beim Adverb). Ne-
ben der Grundstufe, der Grundform des Adjektivs, die auch P o s i t i v ge-
nannt wird, gibt es die erste ( K o m p a r a t i v ) und die zweite ( S u p e r -
l a t i v ) Steigerungsstufe. Daneben finden sich die Begriffe Vergleichsstufe
und Höchststufe. Die Formen werden auch als Vergleichsformen bezeichnet,
weil sie Eigenschaften bzw. Merkmale vergleichen, etwas ist so klein wie et-
was anderes, etwas ist kleiner als etwas anderes, etwas ist am kleinsten im
Vergleich zu allen anderen. Die Komparationsformen geben also Gradunter-
schiede an.

– Positiv klein, schön, gut, grauenhaft


– Komparativ kleiner, schöner, besser, grauenhafter
– Superlativ (am) kleinsten, schönsten, besten, grauenhaftesten
7.1. Grundlagen 133

Wenn ein Vergleich fehlt, aber trotzdem ein äußerst hoher Grad ausgedrückt
werden soll, sprechen wir vom Elativ, eine bestimmte Verwendungsweise des
Superlativs. Ebenfalls ohne Vergleich kommt der absolute Komparativ aus,
der den Positiv abschwächt – eine größere Summe ist nicht klein, aber auch
nicht besonders groß bzw. umgekehrt nicht groß, aber auch nicht sehr klein.
Das schwächere Geschlecht ist nicht stark, aber auch nicht ganz so schwach.

– absoluter Komparativ ein älterer Herr, die reicheren Leute


– Elativ (= absoluter Superlativ) mit besten Grüßen, es war herrlichstes Wetter.

Die meisten Adjektive steigern mit Suffixen, {-er} für den Komparativ, {-(e)st}
für den Superlativ, lahm-er, lahm-st. Den Komparativmorphemen folgen die
Deklinationsendungen, der lahm-er-e Gaul, der lahm-st-e Gaul.

(der) lahme (Gaul)



{lahm} {-e}

{lahm} Adjektivstamm = Adjektivwurzel, frei, lexikalisch


{-e} Flexionssuffix, hier Nominativ, Singular, Maskulinum, schwa-
che Flexion, Positiv, da eine Steigerungsendung fehlt

Es handelt sich um ein Simplex.

Allomorphie
Wie auch bei den anderen flektierbaren Wortarten kommt es bei einigen Ad-
jektiven zu Allomorphie. Für den Ausfall von e gilt das oben gesagte, z.B. ma-
kabrer, saurer, ebenso das Wirken der Auslautverhärtung, vgl. blöd /t/ vs. blö-
der /d/. Manche Adjektive bilden umgelautete Stämme, z.B. ärmer, dümmer,
gröber, größer, jünger, kälter, kürzer, klüger, länger, näher, schwärzer, jedoch
nicht bei z.B. bunter, glatter, fauler, lauter, lahmer, froher, runder, stummer,
sturer. Eine dritte Gruppe erlaubt beides, z.B. blasser/blässer, gesund/gesünder,
schmaler/schmäler. Zu hoch gibt es die Morphemvarianten {höh} und {höch},
höher, höchste, zu nah {näh} und {näch}, näher, nächste. Dabei vertritt die
Schreibung wie immer die Lautung. Eine seltene Variante der Steigerungsfor-
men wenig, weniger, wenigste ist minder, mindeste mit eingeschränkter Ver-
wendung, denn wir sagen nicht *am mindesten, jedoch das mindeste. Bei groß
ergibt sich der Superlativ größt mit der individuellen Endung {t}.
Besteht ein Paradigma aus Formen, die sich auf unterschiedliche Wurzeln
zurückführen lassen, sprechen wir von Suppletivwesen, Suppletivismus oder
S u p p l e t i o n . Dies ist der Fall bei gut – besser – beste (zu g. *gōda bzw.
134 7. Adjektiv – Flexion

*batiz) und viel – mehr – meiste (g. *felu, *maizōn) sowie bei wenig – minder –
mindeste (ursprünglich zu weinen bzw. g. *minnizōn ‘weniger’).

Als problematisch für die Segmentierung erweisen sich Adjektive mit auslau-
tendem -e, weil bei den Steigerungsformen entweder Stammallomorphe, vgl.
müde vs. müd-er, müd-est, oder Flexivvarianten, müde-r, müde-st, angenom-
men werden können. Da auch in Wortbildungen wie Müdigkeit das e fehlt, ist
es plausibler, ein Allomorph {müd} anzusetzen.

Zu beachten ist, dass manche Adjektive aus inhaltlichen Gründen nicht zu


steigern sind (tot, mündlich, optimal, unmöglich, zuckerfrei, nahtlos) oder
weil sie bereits gesteigert sind (superblöd, riesengroß). Schließlich sind auch
die Zahladjektive nicht steigerbar (zwei, zweite, zweifach, doppelt). Dagegen
dürfen Sie manche Adverbien komparieren (oft – öfter – am öftesten). Darum
gilt die Definition für das Adjektiv „deklinierbare, steigerbare Wortart“ nicht
uneingeschränkt.

Übungen zu 7.1. Grundlagen


3. Welche Bedeutungen kann das Morphem -er im Deutschen haben?
4. Was ist falsch und warum? „Das sind Reformen für älteren Leute.“

7.2. Vertiefung

Wiederholung
Übungen zu 7.2. Vertiefung
1. Was ist an der Definition „das Adjektiv ist eine steigerbare Wortart“ pro-
blematisch?
2. Wonach richten sich beim Adjektiv die Deklinationstypen stark, schwach
und gemischt?
3. Stellen Sie die Allomorphe zusammen:
höher, schulisch, dünkelhaft, disproportional, äffisch, dunkelgelb, affenar-
tig, gutdurchdacht, desengagiert, schülerhaft, dezentral, hochaktuell, dunk-
ler, bestmöglich!
7.2. Vertiefung 135

Komparation – Flexion oder Derivation?

Die Frage, ob die Komparation des Adjektivs zur Wortbildung oder zur Fle-
xion zählt, ist nicht neu. Prinzipiell lassen sich Flexions- und Derivationsele-
mente über ihre unterschiedlichen Funktionen definieren. Während Flexive
neue Wortformen bilden, kommt es aufgrund der Derivationsmorpheme zu
neuen Wörtern. Bergenholtz/Mugdan (1979: 143f.), inspiriert von Bloomfield
(1933), führen verschiedene Kriterien auf, um zwischen Flexions- und Deriva-
tionsaffixen tendenziell zu trennen. Und gerade anhand der Steigerung wird
deutlich, dass eine Trennung in diese beiden Kategorien nicht immer einfach
ist, denn grundsätzlich gibt es für jedes der Kriterien Ausnahmen.
Erstens vermerken Bergenholtz/Mugdan zur Stellung des Flexivs, dass es
die äußere Position im Wort einnimmt, während das Derivationsaffix weiter
innen steht. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durchaus auch
zwei grammatische Morpheme hintereinander vorkommen können, von de-
nen das erste dann weiter innen steht, vgl. Männ-er-n, oder zwei Ableitungs-
elemente, von denen das zweite dann das äußere ist, vgl. frei-heit-lich (Wurzel
1984: 41). In manchen Diskussionen wird als Ausnahme zu diesem Kriterium
launenhaft angeführt. Da aber heute die Fuge nicht mehr als Plural verstanden
wird, tritt in diesem Beispiel das Derivationsmorphem an die Fuge und bildet
keine Ausnahme, ebenso wenig wie bei Christentum.
Zweitens gibt es wesentlich mehr Derivations- als Flexionsaffixe.
Drittens: auch bezüglich der Kombinierbarkeit unterscheiden sich die
beiden Klassen, denn Flexive verbinden sich mit wesentlich mehr Lexemen
und in größerer Regelmäßigkeit als Derivationselemente. Es gibt, so schon
Bloomfield (1933: 223), sehr starke Parallelen zwischen Grund- und flektierter
Form, beispielsweise zwischen einem Singular und einem Plural oder eben
zwischen dem Positiv und dem Komparativ bzw. Superlativ. Zwar kommen
hierzu Ausnahmen vor, denn zu manchen Pluralen gibt es keine Singularfor-
men und umgekehrt. Und auch Suppletivformen verletzen dieses Kriterium.
Tendenziell verbindet sich ein Flexiv aber mit wesentlich mehr Stämmen und
ist regulärer als ein Derivationsaffix. Anders formuliert kann zwischen der
verpflichtenden Verwendung von Flexiven und der möglichen Verwendung
der Derivationsmorpheme getrennt werden (Booij 2000: 362).
Viertens kann eine abgeleitete Form durch eine einfache ersetzt werden,
ohne dass die grammatische Struktur des Satzes verletzt wird, vgl. Die Hoch-
schulabsolventinnen verlassen das Häuschen vs. Die Hochschulabsolventen
verlassen das Haus, eine flektierte Form nicht: *Die Hochschulabsolvent ver-
lassen das Haus.
136 7. Adjektiv – Flexion

Fünftens: die Flexionselemente haben eine relativ eindeutige grammati-


sche Semantik, sie ist auch jeweils sicher vorhersagbar, während Derivations-
elemente oft schwerer zu charakterisieren sind, auch in Richtung lexikalische
Bedeutung tendieren können und teilweise individuell Bedeutungsverände-
rungen unterliegen, vgl. Kindchen, Süppchen, Fingerchen, aber Mädchen oder
die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten der er-Ableitungen.
Sechstens kommt es bei der Derivation sehr häufig zu einer Wortartenän-
derung, bei der Flexion nie.
Insgesamt liegt eine strenge Systematik bei den Flexiven vor (Wurzel 1984:
47). Wurzel führt siebtens außerdem tendenzielle lautliche Unterschiede an.
Flexive weisen nur das unbetonte e und einige wenige unterschiedliche Kon-
sonanten auf, vgl. -en, -n, -em, -m, -t, -et, ge-, während bei Derivationsmor-
phemen sehr viel mehr Laute und Lautkombinationen erlaubt sind, etwa bei
-schaft, -ling, -heit. Allerdings gibt es auch lautarme Derivationsaffixe, vgl. -er
(Wurzel 1984: 46f.).
Bezogen auf diese Kriterien ist für die Steigerungselemente zu sagen, dass
sie näher am Stamm stehen als die Flexive, vgl. schnell-er-e, schön-st-es. Da-
mit ähneln sie den Derivationselementen. Die Austauschbarkeit gesteigerter
Formen durch die unabgeleitete Form gelingt nicht immer, vgl. das schnelle/
schnellere/schnellste Auto, das Auto fährt schneller als das Motorrad, *das Auto
fährt schnell als das Motorrad. Die meisten der anderen Kriterien sprechen
jedoch eher für Flexive, so die klare grammatische Bedeutung, die vorhersag-
bar und regelmäßig ist, der geringe Reichtum an Lautung (die sich im Falle
-er aber auch mit eindeutigen Derivationsmorphemen deckt), die Parallelen
zwischen den drei Formen Positiv, Komparativ, Superlativ. Es kommt nie zu
einer Wortartenänderung. Außerdem lassen sich die Steigerungsmorpheme
mit den meisten Adjektiven kombinieren. Es sprechen also mehr Kriterien für
eine Einordnung der Steigerungssuffixe zu den Flexiven.
Eisenberg (2004: 183f.) schließt sich dem an. Er führt als Parallelen zwi-
schen Komparation und Derivation auf, dass das Morphem näher am Stamm
steht und vom Deklinationsflexiv gefolgt wird. Allein die Stellung, systema-
tisch zwischen Derivations- und den übrigen Flexionsendungen, deutet auf
den Problemstatus hin. Die Parallelen zwischen Komparation und der übri-
gen Flexion überwiegen für Eisenberg, es sind u.a. Stellung, also rechts von
Derivationsendungen, die hohe Regelmäßigkeit der Formen und ihre Ver-
wendung für den Großteil der Mitglieder der Wortart. Es gibt keine morpho-
logisch einfachen gesteigerten Formen, sodass die Gesamtbedeutung auf zwei
Morpheme verteilt wird wie bei der Flexion, aber nicht wie bei beispielsweise
der Konversion. Außerdem gibt es nur geringfügige Lexikalisierung kompa-
rierter Formen. Dies alles spricht für die Nähe zur Flexion.
7.2. Vertiefung 137

Bloomfield (1933: 223ff.), Bergenholtz/Mugdan (1979: 143f.), Wurzel (1984:


40ff.), Eisenberg (2004: 183f., 209ff.), Booij (2000), Stump (2005)

Besondere Adjektive
Zahlwort
Eine häufig verwendete Bezeichnung ist die der Zahlwörter. Sie umfasst eine
Gruppe von Lexemen, die sich über ihr inhaltliches Merkmal, etwas mit Zah-
len zu tun zu haben, definiert, nicht über ihre Wortart. Deswegen gehört sie
nicht zu den Wortartenbezeichnungen. Folgende Zahlwörter sind Adjektive:
eine Kardinalzahl (Grundzahl) wie null, eins, zwei, vier, elf, zwölf, tausend, ei-
ne Ordinalzahl (Ordnungszahl) wie erster, zweiter, dritter, eine Bruchzahl wie
fünftel, zehntel, tausendstel, eine Vervielfältigungszahl wie doppelt, dreifach,
vierfach, eine Wiederholungszahl wie dreimalig, viermalig und schließlich
die Angabe mehrerer Arten (Gattungszahl) wie zweierlei, dreierlei. Komplexe
Zahlen wie dreizehn, vierhundert werden meist als Zusammenrückung be-
trachtet, es findet sich aber auch die Interpretation als Kopulativkompositum.
Eine Besonderheit stellt beide dar, das manchmal als Zahlwort zwei er-
setzt, vgl. diese zwei Bücher kenne ich nicht, diese beiden Bücher kenne ich
nicht. Eine weitere Auffälligkeit liegt bei eins vor, das auch ein unbestimmter
Artikel sein kann, vgl. Der Räuber hat einen Arm, nur noch einen Arm. Im
letzten Fall handelt es sich um das Zahlwort, im ersten ist beides möglich.
Neben den Adjektiven gibt es Adverbien, und zwar Ordinalzahlen wie ers-
tens, zweitens, drittens. Außerdem treten auch Nomen auf, Kardinalzahlen
wie in Er hatte eine Fünf in der Arbeit; Sie trägt eine Eins auf dem Trikot; die
Bevölkerung wird wieder um eine Milliarde wachsen, Ordinalzahlen wie jeder
Zweite oder Bruchzahlen wie ein Viertel.
Die Zahladjektive werden teilweise gar nicht (drittel, zweierlei) oder nur
selten dekliniert. Die Bruchzahl halb flektiert im Singular nach Artikel (die
halbe Uni vs. halb München). Zwei und drei weisen eine Genitivform auf, vgl.
zwei Räuber, wegen zweier Räuber. An die Zahlen zwei, drei, vier, fünf, sechs,
acht, neun, zehn, elf und zwölf kann ein Dativ-en treten, vgl. mit dreien von
ihnen. Teiweise kommt ein -e im Nominativ oder Akkusativ vor, vgl. er streckt
alle viere von sich.

Duden (2006: 384ff.)

Negation
Auch unter diesem Begriff versammeln sich Lexeme unterschiedlicher Wort-
arten. Zu den Adjektiven bzw. adjektivisch gebrauchten Pronomen zählt kein,
138 7. Adjektiv – Flexion

denn es ist flektierbar und kann als Begleiter eines Nomens stehen, vgl. Kei-
ner weiß das, kein Mensch weiß das. In die Gruppe der Indefinitpronomen
gehören niemand, nichts, sie können nicht als Begleiter von Nomen auftre-
ten. Adverbien sind keinesfalls, nicht, nie, niemals oder nirgends. Nicht wird
auch als Negationspartikel bezeichnet. Eventuell sind auch Präpositionen wie
ohne und außer oder Konjunktionen wie weder noch dazu zu rechnen. Ne-
gation bzw. Negationswort bezeichnen keine Wortart, sondern sind Namen
einer Gruppe von Lexemen, die das semantische Merkmal des Negierens, des
Nichtvorhandenseins vereint.

Pronominaladjektiv
Hierbei handelt es sich um Pronomen, die eigentlich allein stehen, also eine
Nominalphrase ersetzen, aber auch als Begleiter von Nomen auftreten wie al-
le, andere, beide, manche, mehrere. In dieser Funktion können die Pronomen
eine eigene Bezeichnung erhalten.
Isoliert sind es Pronomen: Ich sehe alle; Ich kenne auch andere. Vor einem
Nomen verhalten sie sich wie Adjektive, vgl. Alle Philosophen sind langwei-
lig; andere Studenten fallen durch. Neben Pronominaladjektiv gibt es auch die
Bezeichnung Artikelwort, da diese Lexeme statt des Artikels stehen können.
Denn auch die Stellung vor dem Adjektiv ist möglich, vgl. Alle faulen Studen-
ten fallen durch; Solche süßen Mäuse habe ich gern. Stellungsbedingt eine eige-
ne Wortart zu eröffnen ist weder nötig noch erleichtert das die grammatische
Arbeit, denn dann müssten wesentlich mehr neue Wortarten geprägt werden.
Sinnvoller ist es, von adjektivisch gebrauchten Pronomen zu sprechen. Diese
Wortgruppe stellt allerdings ein besonderes Problem in ganz anderer Hin-
sicht dar, denn die nachfolgenden Adjektive werden nicht einheitlich flektiert,
nämlich sowohl stark als auch schwach, vgl. aller westlichen Demokratien, al-
ler demokratischer Parteien, manche osteuropäische Beitrittskandidaten, man-
che kuriosen Organisationen, sämtliche politische Entscheidungen, sämtliche
europäischen Erstaufführungen, solche heftige Diskussionen, solche vorpoliti-
schen Aspekte (Sahel 2005: 355).
Dabei wird nach alle fast immer schwach flektiert, nach sämtliche über-
wiegt die starke Flexion, während nach anderen Pronominaladjektiven der
Gebrauch von schwacher und starker Flexion sich eher annähert (Sahel 2005).
Ähnliche Schwankungen treten bei diese auf. Das Pronomen wird immer wie-
der wie ein Adjektiv flektiert, vgl. Ende diesen Jahres, wenn die SprecherInnen
es eher attributiv (also wie ein Adjektiv) als demonstrativ verstehen (Stensch-
ke 2007: 63). Das heißt, die SprachbenutzerInnen kommen mit der Flexion
durcheinander, wenn ein Pronomen oder ein Adjektiv wie ein Artikel verwen-
det wird oder ein Pronomen wie ein Adjektiv.
7.2. Vertiefung 139

Partizip Präsens
Das Partizip Präsens ist deswegen problematisch, weil es zwar die regulär ge-
bildete Form eines Verbs ist, jedoch nicht verbal, sondern ausschließlich als
Adjektiv Gebrauch findet.
Es tritt nicht als Verbform in Erscheinung (*er ist verschmähend, faszi-
nierend in der Bedeutung ‘dabei sein zu verschmähen, faszinieren’). Für die-
se Formen gibt es im heutigen Deutsch keinen Platz im Verbalparadigma im
Gegensatz zum Partizip Perfekt bin gegangen, habe gesehen. Der Status des
Morphems {-(e)nd} ist nicht eindeutig als Flexionsform des Verbs zu sehen
und damit auch nicht irrelevant für die Wortbildung. Es tritt jedoch wie alle
Flexive an alle Verben und führt eine regelmäßige Bedeutungsabwandlung
herbei ‘dabei sein, etwas zu tun’. Daher ist die Einordnung als Flexiv vertret-
bar. Einige der Formen sind im Gebrauch eingeschränkt (*ein schreienderes
Kind, *das Kind ist schreiend), während andere eine idiomatisierte Bedeutung
entwickelt haben wie faszinierend ‘bezaubernd’, sie können als eigenständi-
ge Adjektive aufgefasst werden. Dann sind Steigerung (das spannendere Buch
von beiden) und prädikative Verwendung (Das Buch ist spannend) möglich.
Bei einer Analyse muss auf diese Problematik verwiesen werden.
In der Literatur gibt es zwei Ansichten dazu. Der Verbstamm verbindet
sich mit -(e)nd und drückt den Ablauf eines Geschehens, etwas Nichtvollen-
detes aus, singend heißt, dass jemand dabei ist zu singen bzw. noch nicht fertig
ist zu singen. Da das Morphem -(e)nd zwar eine Verbform bildet, aber immer
gleichzeitig in die Wortart Adjektiv überführt, fasst es Simmler (1998: 628) als
Ableitungssuffix auf (vgl. auch Motsch 2004: 187). Es ist aber auch möglich,
eine Verbalform, die durch Konversion ein Adjektiv ergibt, anzusetzen (u.a.
Duden 2006: 752 und auch in der vorliegenden Arbeit) und von adjektivisch
gebrauchten Partizipien zu sprechen mit der Besonderheit, dass alle diese
Partizipien ausschließlich adjektivische Verwendung finden, teils mit einge-
schränktem Gebrauch und mit unterschiedlichen Graden des „adjektivisch
Seins“, da es durchaus zu Lexikalisierung kommen kann.
Komposita mit Partizipien sind relativ häufig und bilden oft Reihen, bei-
spielsweise mit -unterstützend, -erregend, -fördernd. Sie resultieren aus syn-
taktischen Gruppen mit einem Akkusativ, vgl. eine Krankheit erregen – krank-
heitserregend (Lohde 2006: 167; vgl. auch Lübbe 2013). Die meisten Bildungen
gehen nicht ins Lexikon ein.

Simmler (1998: 627f.), Eisenberg (2000: 204), Booij (2000), Eichinger (2000: 134)
Adjektiv allgemein: Trost (2006), Harnisch/Trost (2009)
Eine ausführliche Darstellung der Adjektivflexion in Abhängigkeit von ver-
schiedenen Artikelwörtern und Pronomen und Bezugsnomen finden Sie in
Simmler (1998: 331ff.)
140 7. Adjektiv – Flexion

zur Kritik an der Einteilung in starke, schwache und gemischete Adjektivfle-


xion vgl. Simmler (1998: 335ff.)
absoluter Komparativ: Becker (2005), Trost (2006)
Abgrenzung Adjektiv/Adverb: vgl. Kap. 13.2

Übungen zu 7.2. Vertiefung


4. Analysieren Sie das Adjektiv morphologisch!
Er kommt wegen der schnellstmöglichen Lösung zu ihr.
5. Ist „Zahlwort“ eine Wortart? Begründen Sie Ihre Entscheidung!
6. Diskutieren Sie anhand der Beispiele fleischfarben, silberfarben, hautfar-
ben, cremefarben, honigfarben, ob es sich bei farben um ein Suffixoid han-
delt!

Da nun die Hälfte der Kapitel bearbeitet wurde, empfiehlt sich eine allge-
meine Wiederholung.
8. Adjektiv – Wortbildung I

8.1. Grundlagen

Komposition
Determinativkomposition
Bei den adjektivischen Determinativkomposita kann das Erstglied ein Nomen
sein (hautfreundlich, bündnistreu, kontextabhängig), ein Adjektiv (hellgrau,
dunkelglühend, schnelllebig) oder ein Verb (rutschfest, triefnass, quietschle-
bendig). Auch Konfixe treten auf (elektromagnetisch, aerodynamisch, ther-
modynamisch). Selten sind Pronomen (selbstsicher, allbekannt), Zahlwörter
(zweigestrichen, zweigeteilt), Adverbien (linksradikal, baldmöglichst) oder Prä-
positionen (unterdurchschnittlich, vormittelalterlich) bzw. nicht (nichtamtlich,
nichtöffentlich). Außerdem gibt es Kurzwörter oder Wortgruppen als erste
Glieder (TÜV-geprüft, vierfünftellang). Das Adjektiv selbst kann auf ein Parti-
zip Präsens (schalldämpfend, lebensbedrohend, ohrenbetäubend) oder Partizip
Perfekt (kalorienreduziert, affektgesteuert, handgeschneidert) zurückgehen. Es
treten Fugen auf, vgl. stellungsfest, eierschalenweiß, sowie bei den Konfixen
das {-o-} wie bei soziokulturell.
Einige Beispiele sind nicht klar von den Zusammenrückungen zu trennen
(atomkraftgetrieben, gottähnlich). Viele zählen auch schnellstmöglich lieber zu
den Komposita als zur Zusammenrückung sowie größtmöglich und schnellst-
wachsend. Auch die Abgrenzung zu den Kopulativkomposita ist manchmal
schwierig, etwa bei Farbbezeichnungen wie blaugrün als ‘bläuliches Grün’
oder ‘blau und grün’. Bei einem Determinativkompositum liegt der Wortak-
zent auf dem ersten Glied, dies ist häufig eine Möglichkeit, um es von einem
Kopulativkompositum zu unterscheiden. Auch die Paraphrase kann zur Ent-
scheidungsfindung beitragen. Sie umschreibt bei einem Determinativkompo-
situm den Gesamtausdruck im weitesten Sinne als eine Art des im zweiten
Glied ausgedrückten Lexems, das linke Glied bestimmt das rechte näher, vgl.
hellgrün ‘eine Art grün, und zwar hell’, eidottergelb ‘eine Art gelb, so, wie das
des Eidotters/so gelb wie ein Eidotter’, stadtbekannt, ‘bekannt, und zwar in
142 8. Adjektiv – Wortbildung I

der ganzen Stadt’, nachtaktiv ‘aktiv, und zwar in der Nacht’, mondhell, ‘hell
wie der Mond/vom Mond hell gemacht’, sternenklar ‘so klar, dass die Sterne
zu sehen sind’. Dies setzt jedoch entsprechende Vorgaben aus dem Kontext
oder sicheres Weltwissen voraus: Hennarote Haare können nur durch Färben
rot sein, nicht rot wie Henna, denn Hennapulver ist grün. Also muss die Pa-
raphrase lauten ‘rot durch/wegen Henna’ oder ‘so rot wie von Henna gefärbt’.
Und außerdem gibt es auch Formen, die nur mühsam und mit viel Phantasie
interpretiert werden können – streichelzarte (Haut) ‘(Haut, die) so zart ist,
dass wir sie streicheln wollen’.

In jedem Falle ist die Determinativkomposition sehr produktiv, vor allem


auch in Gebrauchstexten, die gern Informationen verdichten. Oft ist dabei
Mehrdeutigkeit gewollt. Die Werbesprache will häufig nur positive Assozia-
tionskomplexe bei den Konsumenten aufbauen, vgl. spiegelschön, streichel-
jung.
Die meisten Adjektivkomposita sind zwei-, einige auch dreigliedrig. Bei-
spiele für verschiedene Strukturtypen sind:

dunkelgrünADJ bierflaschengrünADJ zarthellgrünADJ


  
{dunkel}ADJ{grün}ADJ bierflasche N{n}{grün}ADJ {zart}ADJhellgrünADJ
 
{bier}N{flasche}N {hell}ADJ{grün}ADJ

Teilweise kommt es zu einer Doppelmotivation durch Komposition und Ab-


leitung, etwa selbstkritisch (selbst – kritisch, Selbstkrit-ik – isch). In anderen
Fällen, vor allem bei Gelegenheitsbildungen, ist ein Kompositum durch ver-
schiedene Strukturschritte auflösbar, es ist somit ebenfalls doppelt motiviert.
Beispielsweise kann hellgrünblau auf der ersten Ebene aus den Konstituenten
hellgrün und blau bestehen, aber genauso gut auch aus hell und grünblau, so-
lange der Zusammenhang keine deutlichen Hinweise für die eine oder andere
Lösung bietet.
Zu den Determinativkomposita zählen auch die seltenen okkasionellen
Fälle von Bildungen aus zwei identischen Adjektiven, vgl. tieftief ‘besonders
tief’.
Für manche Beispiele wird es letztendlich eine eindeutige Interpretation
als Kompositum, Zusammenrückung oder Zusammenbildung nicht geben,
sie sind mehrfach motiviert.
8.1. Grundlagen 143

Wortbildungssemantik
Die Bedeutungsbeziehung kann sein

augmentativ steigernd (wunderschön ‘sehr schön’)


final gibt einen Zweck an (schranktrocken ‘trocken für den Schrank’)
instrumental gibt ein Mittel an (hennarot ‘mit Henna rot gemacht/ge-
färbt’, maschinenbetrieben ‘von einer Maschine betrieben’)
kausal gibt den Grund an (schreckensbleich ‘bleich vor Schreck’,
altersbedingt ‘durch das Alter bedingt’)
komparativ Vergleichsbildung (eidottergelb ‘so gelb wie ein Eidotter’,
seidenglänzend ‘so glänzend wie Seide’)
konsekutiv gibt eine Folgewirkung an (sternenklar ‘so klar, dass die
Sterne sichtbar sind)
lokal bezogen auf eine örtliche Größe (stadtbekannt ‘in der Stadt
bekannt’)
modal modifizierend, näher beschreibend (hellgrün ‘eine helle
Art grün’, rotglühend ‘auf rote Art und Weise glühend’)
ornativ versehen mit etwas (schneebedeckt ‘bedeckt mit Schnee’)
possessiv gibt einen Besitz im weitesten Sinne an (ranghoch ‘einen
hohen Rang habend’)
referenziell gibt einen Bezug, einen Geltungsbereich an (verantwor-
tungsbewusst ‘der Verantwortung bewusst’, hautverträg-
lich ‘verträglich für die Haut’) (auch relational)
temporal bezogen auf eine zeitliche Größe (nachtaktiv ‘in der Nacht
aktiv’)

Ein Vielzahl von Adjektivkomposita wird durch ihr Erstglied gesteigert oder
verstärkt, z.B. stocksteif, blutjung, todschick, heilfroh, hundemüde, wunder-
schön, mutterseelenallein, vielbeschäftigt, stinkfaul, schwerkrank, leichenblass,
bettelarm. Dabei ist eine vergleichende Bedeutung teilweise noch nachvoll-
ziehbar, z.B. in stocksteif ‘steif wie ein Stock’, todsicher ‘so sicher wie der Tod’,
leichenblass ‘blass wie eine Leiche’. Auf metaphorische Verwendung beruhen
grundehrlich, grundsolide ‘bis auf den Grund (des Herzens, der Seele) ehrlich
bzw. solide’. Ein Vergleich ist erkennbar in einigen Farbbezeichnung wie gras-
grün, dottergelb, himmelblau, aber auch in lammfromm oder aalglatt.
Final, auf einen Zweck bezogen, sind die semantischen Verhältnisse in
schranktrocken für Wäsche, die so trocken ist, dass sie in den Schrank ge-
räumt werden kann im Gegensatz zu bügeltrocken, dann ist die Wäsche noch
etwas feucht und darum leichter zu bügeln. Hierher könnte auch streichelzart
für Haut, die zart zum Streicheln ist, gerechnet werden oder streichzart für
Wurst, Margarine oder Butter, die zart ist, damit sie sich besser auf das Brot
streichen lässt.
144 8. Adjektiv – Wortbildung I

Wie bei den anderen Wortarten auch gibt es mehr und feinere Auffäche-
rungen.

Possessivkomposition
Hier haben wir nur noch barfuß ‘einen baren Fuß habend’ und das veralte-
te barhaupt ‘ein bares Haupt habend’. Damit ist diese Wortbildungsart auch
nicht mehr produktiv.

Kopulativkomposition
Im Gegensatz zur hierarchischen Relation der Glieder im Determinativkom-
positum sind sie im Kopulativkompositum parataktisch angeordnet. Wir
können uns ein „und zugleich“ denken (mathematisch-naturwissenschaftlich).
Die Bedeutungsbeziehung ist in der Regel additiv. Selten tritt die Tendenz zu
„weder noch“ (exklusiv) (süßsauer) oder zu einer explikativen Beziehung
(heiter-gelöst ‘heiter, da gelöst’) auf. Die deutsch-französische Grenze verläuft
zwischen den Gebieten Deutschland und Frankreich, die deutsch-französi-
sche Partnerschaft ist eine Partnerschaft zwischen den Vertretern Deutsch-
lands und Frankreichs, bei der deutsch-französischen Vergangenheit wird auf
die gemeinsame Vergangenheit Deutschlands und Frankreichs verwiesen. In-
sofern offenbaren erst die Paraphrasen genaue Bedeutungsverhältnisse. Teil-
weise implizieren die Kompositionsglieder aber auch eine serielle Ordnung
der Elemente, etwa bei schwarzrotgold bezogen auf die Farbreihenfolge der
deutschen Fahne.

schwarzrotgold

{schwarz}{rot}{gold}

Die Kopulativkomposita bestehen aus mindestens zwei gleichberechtigten


Elementen einer Wortart, sie sind syntaktisch gleichgeordnet, prinzipiell ver-
tauschbar (taubblind, blindtaub), und ihre Bedeutungen tragen meist additiv
zum Gesamtausdruck bei, vgl. taubstumm, frechdreist, feuchtwarm, schwarz-
weiß, nasskalt, deutsch-französisch. Viele sind lexikalisiert, sodass die Glieder
faktisch nicht die Plätze tauschen können. Wieder ist die Paraphrase wich-
tig, um sie von den Determinativkomposita zu unterscheiden. Nasskalt in der
Bedeutung ‘nass und gleichzeitig kalt’ ist ein Kopulativkompositum, in der
Bedeutung ‘kalt, und zwar auf eine nasse (nicht trockene) Art’ ein Determi-
nativkompositum. Entsprechendes gilt für blaugrau ‘blau und grau’ mit zwei
getrennten bzw. verschiedenen Farben gegenüber ‘bläuliches Grau’ mit der
Variante einer Farbe. Hilfestellung können Akzentlage, bei einem Determina-
tivkompositum nur auf der linken Konstituente, und Bedeutungshinweise aus
8.1. Grundlagen 145

dem Kontext leisten. Aber manchmal ist beides möglich, dann ist das Kompo-
situm strukturell doppelt motiviert.
Oft bleibt auch das Bedeutungsverhältnis zwischen den Gliedern offen,
vgl. sportlich-elegant. Streng genommen schließen sich sportlich und elegant,
bezogen auf Kleidung, Frisur o.a., gegenseitig aus. Mit dem Kompositum las-
sen sich aber vorteilhafte Aspekte beider Wörter aktivieren, elegant allein ist
vielleicht zu bieder, sportlich allein ist vielleicht zu leger, da könnte es eventu-
ell eine Mitte geben, aber ganz klar ist das nicht.
Das Wortbildungsmuster ist sehr produktiv, wir haben relativ viele Kopu-
lativkomposita bei den Adjektiven.

Verdeutlichende Komposition
Hier gibt es kaum Beispiele. Klammheimlich entstand zu lat. clam ‘heimlich’
und quicklebendig zu ahd. quic, quec ‘lebendig, lebhaft’. Pümpel-Mader et al.
(1992: 53) führen einige Gelegenheitsbildungen auf, die zu dieser Gruppe ge-
hören, etwa komplex-vielschichtiges Gebiet oder charakterlich-wesensmäßige
Verschiedenheit.

Reduplikativkomposition
Das Reduplikativkompositum beim Adjektiv führt eine Steigerung herbei. Das
Verfahren ist nicht produktiv. An die Reduplikationsbildungen bei Substan-
tiven erinnern ticktack zu ticken, ruckzuck zu rucken, zucken, pickepackevoll
zu packevoll. Ein weiterer möglicher Kandidat, tiptop, ist aus dem Englischen
entlehnt. Er entstand dort zu the tip of the top ‘Spitze der Spitze’ und kommt
nicht als Reduplikationskompositum infrage. Die wenigen Doppelungen zur
Verstärkung sind heute nur noch okkasionell und als Determinativkompo-
sita zu interpretieren (grau-grau, tief-tief, treu-getreu). Eine Verdoppelung
des Grundmorphems zur Steigerung weisen z.B. tagtäglich und wortwört-
lich auf, sie dürften ebenfalls eher zu den Determinativkomposita gerechnet
werden.

Affixoidbildung
Präfixoidbildung
Die Präfixoidbildung reiht sich sehr oft in die Steigerungsbildung (vgl. auch
superblöd, grasgrün) ein, statt lediglich groß, größer, am größten ist auch rie-
sengroß möglich. Die Präfixoide wirken im Wesentlichen steigernd bzw. in-
tensivierend. Allerdings vertreten sie nicht immer nur ein sehr, sondern sind
meist emotional gefärbt und teils ausschließlich in negativ konnotierten Kon-
texten verwendbar. Bei den Präfixoidbildungen liegt der alleinige Wortakzent
146 8. Adjektiv – Wortbildung I

nicht auf dem Erstglied wie bei den Determinativkomposita bzw. Ableitungen
(blutbildend, grundrechtlich, bombengesichert, hochbeinig, obergährig).
Beispiele für Präfixoide der Adjektive sind

– blitz- ‘sehr’ (blitzblank, blitzblau, blitzgescheit, blitzsauber, blitzschnell etc.)


– blut- ‘sehr’ (blutjung, blutnötig, blutwenig, blutárm etc.)
– bomben- ‘sehr’ (bombenfest, bombensicher, bombenvoll etc.)
– grotten- ‘sehr’, negativ (grottenblöd, grottendämlich, grottenfalsch, grotten-
doof, grottenhässlich, grottenschlecht etc.)
– grund- ‘sehr’ (grundanständig, grundschlecht, grundehrlich, grundfalsch,
grundhässlich, grundverschieden, grundverkehrt etc.)
– hoch- ‘sehr’ (hochaktuell, hochmodern, hochkultiviert, hochmotiviert,
hochgefährlich, hochaktiv, hochanständig, hochexplosiv etc.)
– hunde- ‘sehr’, negativ (hundeelend, hundemüde, hundeschlecht, hundema-
ger etc.)
– knall- ‘sehr’ (knallvoll, knallrot, knallscharf, knallheiß, knallhart, knallgelb,
knalleng, knallbunt, knallwach etc.)
– kotz- ‘sehr’, negativ (kotzübel, kotzlangweilig, kotzjämmerlich, kotzhässlich
etc.)
– mords- ‘sehr’ (mordsblöd, mordsdumm, mordsgemütlich, mordswenig etc.)
– ober- ‘sehr’ (oberdoof, obermies, oberfaul, oberschlau etc.)
– riesen- ‘sehr’ (riesengroß, riesenblöd, riesendämlich, riesencool, riesengeil
etc.)
– sau- ‘sehr’ (saukomisch, saufrech, sauteuer, saublöd, saudumm, saugrob,
saukalt etc.)
– scheiß- ‘sehr’ (scheißfreundlich, scheißegal, scheißkalt, scheißvergnügt,
scheißliberal, scheißvornehm etc.)
– schweine- ‘sehr’ (schweineteuer, schweinekalt, schweinecool etc.)
– stink- ‘sehr’ (stinkvornehm, stinkreich, stinkgemütlich, stinkbürgerlich,
stinkbesoffen, stinkfaul, stinkfein, stinknormal, stinkwütend etc.)
– stock- ‘sehr’, eher negativ (stockblau, stockdumm, stockbürgerlich, stock-
blind, stockbesoffen, stockdunkel, stockduster, stockfinster, stockfremd,
stockkatholisch, stockkonservativ, stocknormal, stocksolide etc.)
– tod- ‘sehr’ (todfroh, todhungrig, todelend, todernst, todsicher, todschick,
todmüde, todmatt, todkrank etc.)
– über- ‘zu sehr’ (übereifrig, übersensibel, überelegant, übersauber, überbe-
legt, überbesetzt etc.).

Die bisher behandelten Beispiele fungieren als Modellmuster für Formen wie
endcool, endgeil, endstark ohne einzelne metaphorische Vorreiter. Die Um-
gangssprache und vor allem die Jugendsprache fügen weitere Präfixoide hinzu
8.1. Grundlagen 147

(hammer-, sack-, turbo-, flamm-), vor allem aber aus dem Fäkalbereich. Teils
ist in bestimmten Kontexten eine motivierte (todkrank, blitzblank) oder meta-
phorische Interpretation möglich (todelend, saudumm). Insgesamt haben sich
jedoch die Mitglieder der Reihen von den ursprünglichen Bedeutungen der
Erstglieder entfernt.

Suffixoidbildung
Bei den Suffixoiden tritt häufig die Schwierigkeit auf, eine ausreichende Be-
deutungsdistanz zum Ausgangswort bzw. Kompositionsglied zu finden, was
Voraussetzung für die Bestimmung eines Affixoides ist. Auch manche Kom-
positionsglieder bilden Reihen, ohne jedoch ihre Bedeutung zu verlieren, vgl.
bernsteinfarben, rosafarben, fliederfarben, fußkrank, nierenkrank, magen-
krank, charakterfest/-stark, willensfest/-stark, glaubensfest/-stark.
Das Inventar ist offen. Die Suffixoide sind meist sehr produktiv und ver-
lieren zusehends die semantische Anbindung an das freie Lexem. Nährstoff-
arm kann zwar noch mit ‘arm an Nährstoffen’ paraphrasiert werden, aber
‘mit wenig Nährstoffen’ kommt der Spontaninterpretation wesentlich näher.
Wenn mehrere Mitglieder einer Reihe die Ursprungsbedeutung des ehemali-
gen Kompositionsgliedes aufgegeben haben, kann ein Kandidat als Suffixoid
bestimmt werden, etwa von arm ‘ohne genügend Geld’ bzw. ‘zuwenig Geld
habend’ hin zu ‘wenig’ in bügelarm und knitterarm mit nun auch positiver
Konnotation. Den Weg fort vom Kompositionsglied zeigt auch die Verwen-
dung von Basen aus verschiedenen Wortarten. Manche Suffixoide sind an sich
wieder komplex. Dies kann dann zu einer großen Nähe zu Ableitungen kom-
plexer Nomen führen. Während unitechnisch ‘bezogen auf die Uni’ bedeutet,
gehört gentechnisch zu Gentechnik und ist damit keine Affixoidbildung.
Nicht so gut passen in diese Gruppe Bildungen auf -artig, -freudig, -lus-
tig oder -mäßig (breiartig, wolkenbruchartig, risikofreudig, diskutierfreudig,
reiselustig, streitlustig, profimäßig, urlaubsmäßig). Denn da das freie Pendant
semantisch verändert auftritt, fehlt die Nähe zur Kompositionsinterpretation
und teilweise könnte auch Zusammenbildung zugrunde liegen.

Suffixoide sind beispielsweise


– -arm ‘wenig, in geringem Maß vorhanden’, ‘in geringem Maße erforder-
lich’ (wortarm, salzarm, ehrgeizarm, regenarm, ideenarm, knitterarm, bü-
gelarm etc.)
– -frei ‘ohne’, ‘unabhängig von’, ‘nicht nötig’, (bündnisfrei, kreisfrei, waffen-
frei, scheinfrei, bügelfrei, aggressionsfrei, knautschfrei, verschleißfrei etc.)
– -freundlich ‘angenehm für, gut geeignet, wohlgesinnt’ (verbraucherfreundlich,
familienfreundlich, hundefreundlich, magenfreundlich, kundenfreundlich etc.)
– -leer ‘ohne’ (ausdrucksleer, inhaltsleer, menschenleer, luftleer, blutleer etc.)
148 8. Adjektiv – Wortbildung I

– -los ‘ohne’ (baumlos, motivlos, freudlos, schnurlos, lautlos, würdelos, schwe-


relos, tugendlos, gefühllos, prinzipienlos, furchtlos, nutzlos etc.)
– -reich ‘in hohem Maße vorhanden, viel’ (vitaminreich, kalkreich, kalorien-
reich, variationsreich etc.)
– -schwer ‘in großen Mengen besitzend, darüber verfügend’ (dollarschwer,
millionenschwer, ereignisschwer, kalorienschwer etc.)
– -technisch ‘bezogen auf’ (unitechnisch, geldtechnisch, abfalltechnisch, lern-
technisch, angebotstechnisch etc.)
– -trächtig ‘erfüllt von’, Möglichkeit für die Zukunft (skandalträchtig, sym-
bolträchtig, geschichtsträchtig, gewinnträchtig)
– -voll ‘stark vorhanden’, ‘mit viel’ (gefahrvoll, geistvoll, schuldvoll, gefühl-
voll, salbungsvoll, hoheitsvoll, vorwurfsvoll etc.)
– -wert ‘lohnend’, ‘ist zu tun’ (anhörenswert, lesenswert, bestaunenswert,
achtenswert, begrüßenswert, tadelnswert etc.)

Übungen zu 8.1. Grundlagen


Vergleichen Sie die Semantik der Adjektive in:
Seine schneeblinden Augen sahen nicht den Abhang.
Sie ist stark behindert wegen ihrer geburtsblinden Augen.
Er hingegen hat Probleme mit seinen nachtblinden Augen.
Die Studenten sind anfangs noch völlig morphologieblind.

8.2. Vertiefung

Wiederholung
Analysieren wir zum Einstieg folgende Adjektive: milchkaffeebraun und serien-
gefertigt.
Das Adjektiv milchkaffeebraun ist nicht lexikalisiert. Es besteht aus den
beiden unmittelbaren Konstituenten milchkaffee und braun. Eine nähere
Bestimmung von kaffeebraun durch milch ist unwahrscheinlich. Milchkaf-
feebraun ist ein Determinativkompositum mit der Bedeutung ‘so braun wie
Milchkaffee’, komparativ, es ist motiviert. Milchkaffee ist ein Nomen, ein De-
terminativkompositum ‘Kaffee mit Milch’, ornativ, motiviert. {milch} und
{kaffee} sind freie, lexikalische Nominalwurzeln. {braun} ist eine freie, lexi-
kalische Adjektivwurzel. Kaffee ist ein Fremdwort. Der Gesamtausdruck ist
eine Gelegenheitsbildung.
8.2. Vertiefung 149

milchkaffeebraunADJ

milchkaffee N {braun}ADJ

{milch}N {kaffee}N

Das Adjektiv seriengefertigt ist ebenfalls nicht lexikalisiert. Es besteht aus {se-
rie} und gefertigt, verbunden durch die Fuge {-n-}. Der Ausdruck ist ein De-
terminativkompositum ‘in Serie gefertigt’, modal, es ist motiviert. Bei gefer-
tigt handelt es sich um eine Konversion aus dem Partizip Perfekt von fertigen.
Das Verb wiederum ist eine Konversion aus dem Adjektiv fertig. {serie} ist
eine freie, lexikalische Nominalwurzel, ein Fremdwort, {fertig} ist eine freie,
lexikalische Adjektivwurzel. {-n-} ist ein Fugenelement. {ge-t} ist ein Flexiv,
ein Zirkumfix, grammatisch, gebunden, zur Bildung des Partizip Perfekt der
schwachen Verben.

seriengefertigtADJ

{serie}{-n-}gefertigtADJ

gefertigtV

{ge-t} fertig-V

{fertig}ADJ

Nun betrachten wir ein flektiertes komplexes Adjektiv, (die) hellrotgefärbte


(Brille). Zunächst trennen wir das Flexiv ab, um die Grundform zu erhalten.
Bei hellrotgefärbt liegt ein Determinativkompositum vor, ‘auf eine bestimmte
Art und Weise gefärbt, und zwar hellrot’, modal, produktiv. Die erste Kon-
stituente, hellrot, ist wiederum ein Determinativkompositum, sie bezieht sich
auf eine helle Art rot, die Bedeutungsbeziehung ist modal, das Muster ist pro-
duktiv. Die zweite Konstituente, gefärbt, ist ein Adjektiv. Es ist über Konver-
sion aus dem Partizip Perfekt entstanden. Das Verb färben ist ebenfalls eine
Konversion, und zwar aus dem Nomen Farbe. Das Adjektiv hellrotgefärbt ist
eine Gelegenheitsbildung.
150 8. Adjektiv – Wortbildung I

hellrotgefärbteADJ

hellrotgefärbtADJ {-e}

hellrotADJ gefärbtADJ
 
{hell}ADJ {rot}ADJ gefärbtV

{ge-t} färb-V

{farbe}N

hellrotgefärbt Adjektivstamm, Determinativkompositum, ‘in hellroter


Farbe gefärbt’, modal, motiviert, produktiv
hellrot Adjektivstamm, Determinativkompositum ‘helle Schattie-
rung von rot’, modal, motiviert, produktiv
gefärbtADJ Adjektivstamm, Konversion aus dem Partizip Perfekt ge-
färbt, motiviert, produktiv
gefärbtV Verbform, Partizip Perfekt zu färben
färb(en) Konversion aus dem Nomen Farbe, ‘mit Farbe versehen’, al-
so ornativ, produktiv
{hell}, {rot} Adjektivwurzeln, lexikalisch, frei
{farbe} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-e} Flexionssuffix (schwache Flexion, Nominativ/Akkusativ
Singular Femininum), grammatisch, gebunden, es gibt ho-
monyme Morpheme
{ge-t} Flexionszirkumfix, für die Partizip-Perfekt-Bildung der
schwachen Verben
Besonderheiten: Es handelt sich um eine Gelegenheitsbildung.

Eine komplexe, wieder okkasionelle Bildung ist (die) blauweißrotgeblümten


(Kleider). Bei der morphologischen Analyse wird als Erstes das Flexionsmor-
phem abgetrennt, um die Grundform des Ausdrucks zu erhalten. Über die Pa-
raphrase versuchen wir mehr über die Beziehungsverhältnisse zwischen den
Konstituenten auf der obersten Ebene zu erfahren. Es ist ein geblümtes Kleid,
wie es geblümt ist, verrät die linke der zwei ersten unmittelbaren Konstituen-
ten. Damit ist es ein Determinativkompositum. Das erste Element besteht aus
drei Gliedern, blau, weiß und rot. Sie sind gleichberechtigt, ihre Bedeutungen
addieren sich, offenbar besteht das Blumenmuster aus diesen drei Farben. Bei
blauweißrot handelt es sich also um ein Kopulativkompositum. Die rechte der
beiden Konstituenten ist schwierig zu analysieren. Sie sieht aus wie ein Parti-
8.2. Vertiefung 151

zip Perfekt, so wie gefärbt, das zu einem Adjektiv wurde. Das Problem jedoch
ist, dass wir das Verb färben haben, nicht jedoch *blümen oder *blumen. Bei
geblümt liegt ein Scheinpartizip vor, das rein äußerlich einem Partizip gleicht.
Allerdings leitet das Zirkumfix {ge-t} ein Nomen ab. Im Gegensatz dazu wird
bei gefärbt eine Verbform per Konversion zu einem Adjektiv.

blauweißrotgeblümten

blauweißrotgeblümtADJ {-en}

blauweißrotADJ geblümtADJ
 
{blau}ADJ {weiß}ADJ {rot}ADJ {ge-t} {blüm}N

blauweißrotgeblümt Adjektivstamm, Determinativkompositum, ‘mit blau-


weißroten Blumen/Blumenmuster’, modal, motiviert,
produktiv
blauweißrot Adjektivstamm, Kopulativkompositum, dreigliedrig ‘so-
wohl blau als auch weiß als auch rot’, additiv, motiviert,
produktiv
geblümt Adjektivstamm, Zirkumfigierung, Scheinpartizip (es
gibt keine Verben *blumen, *blümen), ‘mit Blumenmus-
ter versehen’, ornativ, produktiv
{blau}, {weiß}, {rot} Adjektivwurzeln, lexikalisch, frei
{blüm} Allomorph zu {blume}, mit Umlaut, Nominalwurzel, le-
xikalisch, frei
{-en} Flexionssuffix (schwache Flexion, Nominativ/Akkusativ
Plural Neutrum), grammatisch, gebunden, es gibt ho-
monyme Morpheme
{ge-t} Derivationszirkumfix
Besonderheiten: Es handelt sich um eine Gelegenheitsbildung.

Stellen wir diesem Adjektiv nun das Folgende gegenüber: (die) schwarzund-
weißgeblümten (Kleider), so ergibt sich als wesentlicher Unterschied die
Struktur der Farbbezeichnung. Es handelt sich dabei um eine Wortgruppe,
*schwarzundweiß ist kein komplexes Lexem.
152 8. Adjektiv – Wortbildung I

schwarzundweißgeblümten

schwarzundweißgeblümtADJ {-en}

schwarz und weißWortgruppe geblümtADJ
 
{schwarz}ADJ{und}KONJ{weiß}ADJ {ge-t}{blüm}N

Komposition und die Abgrenzung zu anderen Wortbildungsarten


Bei der Wiederholung traten einige der Adjektive in Gestalt von Partizipien
auf. Bei Verbindungen mit dem Partizip Perfekt wie schwerbeschädigt oder
dem Partizip Präsens wie feuerspeiend ergibt sich in der Literatur oft die Fra-
ge zur Abgrenzung von Determinativkompositum und Zusammenrückung,
da solche Bildungen auch gut als Abfolge der Konstituenten im Satz vorstell-
bar sind. Deswegen werden u.a. von Simmler Sätze formuliert, in denen die
Glieder nebeneinander stehen. Das soll die Grundlage für eine Zusammen-
rückung bilden, z.B. Er ist schwer beschädigt; Es ist Feuer speiend (Simmler
1998: 438ff.). Er stellt bei einer Erweiterung von Beispielen, die aufgrund ihrer
Valenz erweiterbar sind, jedoch fest, dass es dann im Satzzusammenhang zu
morphologischen Veränderungen kommt. Bei heimatverbunden fällt bei Er
ist heimatverbunden im Gegensatz zu Er ist der verlassenen Heimat verbun-
den der Artikel fort, bei postlagernd und sturmzerfetzt zu Es ist auf der Post
lagernd bzw. Es ist vom Sturm zerfetzt fehlen in der Regel die Präpositionen.
Auch Kasusinformationen oder Attribuierungsmöglichkeiten verlieren sich.
Insgesamt entwickeln die Zweitglieder eine gewisse Eigenständigkeit, die sie
als Adjektive auszeichnen und nicht als Verbformen in einer Wortgruppe.
Außerdem ergeben sich in den komplexen Lexemen verselbstständigte Be-
deutungen, während die Zweitkonstituente in den Sätzen kein eigenständiges
Lexem bildet, sondern eine Verbform bleibt.
Auch die Unterscheidung von Komposition und Zusammenbildung ge-
schieht nicht unbedingt einmütig. Simmler (1998: 440) verweist auf zwei für
die Zusammenbildung relevante Aspekte, Derivation und die Existenz einer
Wortgruppe. Das letzte Kriterium greift für viele okkasionell gebildete Bei-
spiele nicht unbedingt. Anders das erste, dies ist konstituierend für die Wort-
bildungsart.
Beispiele wie ausschlaggebend, grundlegend oder strafmildernd werden
hin und wieder als Kandidaten für Zusammenbildung diskutiert, dann lie-
gen Ausschlag geben bzw. Grund legen als Basis und eine Derivation durch
-(e)nd vor. Die Interpretation als Zusammenbildung hängt allerdings vom
8.2. Vertiefung 153

Status dieses Morphems ab. Simmler (1998) sieht es als Derivationsmorphem.


In der vorliegenden Abhandlung jedoch gilt es als Flexionsmorphem, darum
stellt sich diese Interpretationsmöglichkeit erst gar nicht. Das Partizip Prä-
sens ist die regulär gebildete Form eines Verbs mit der Eigenheit, nie verbal,
sondern ausschließlich als Adjektiv aufzutreten. Da -(e)nd für alle Verben in
immer gleicher Form und Bedeutung für den Ablauf eines Geschehens oder
etwas Nichtvollendetes Verwendung findet und nie für andere Wortarten, wird
die Klassifikation als Flexiv bevorzugt. Derivationsmorpheme gelten jedoch
nicht unbedingt für eine Wortart allein und nie für alle Vertreter dieser Wort-
art. Außerdem kommt es meist zu verschiedenen Bedeutungung, vgl. -er. Bei
dem Partizip Präsens wird eine Verbalform angesetzt, die durch Konversion zu
einem Adjektiv wurde. Wir sprechen von adjektivisch gebrauchten Partizipien
mit der Besonderheit, dass alle diese Partizipien ausschließlich adjektivische
Verwendung finden. Das heißt, -(e)nd ist ein Flexiv. Damit fällt die Grundvor-
aussetzung für die Interpretation von ausschlaggebend oder grundlegend als Zu-
sammenbildung im Gegensatz zu Formen wie blauäugig oder zweirädrig weg.
Als Derivationen, nicht Komposita sind folgende Beispiele zu werten: sym-
bolbegrifflich, gußeisern, kontrastfarbig, arbeitsgerichtlich, naturgesetzlich, fa-
milienväterlich (vgl. Wilss 1986: 113), da sie von Komposita abgeleitet sind.
Um Rückbildungen handelt es sich bei evolutionsbiologisch zu Evolutionsbio-
logie oder prädikatenlogisch zu Prädikatenlogik.

Weiterhin bietet die Abgrenzung von Kompositionsglied und Affixoid in


manchen Fällen Grund zu Diskussionen. Auch hier sehen wir uns zunächst
die Definition noch einmal an. Ausschlaggebend für die Bestimmung eines
Affixoids ist die Bündelung der Kriterien Reihenbildung, semantische Verän-
derung und freies Pendant. In vielen Fällen sticht eine ausgeprägte Reihenbil-
dung ins Auge, etwa bei alkoholabhängig, basisabhängig, benutzerabhängig,
corpusabhängig, empfängerabhängig, entscheidungsabhängig, erfahrungs-
abhängig, erlösabhängig, ertragsabhängig und viele mehr (Wilss 1986: 121),
arbeitsmarktneutral, aromaneutral, aufkommensneutral, bankneutral, be-
sitzneutral, duftneutral, effektivitätsneutral, gefühlsneutral und viele mehr
(Wilss 1986: 124). Allerdings zeigen die Paraphrasen, jeweils mit ‘abhängig
von’ bzw. ‘neutral gegenüber, in Bezug auf’, dass keine Bedeutungsverselbst-
ständigungen vorkommen, schon gar keine reihenhaften. Von solchen stark
produktiven Adjektiven gibt es recht viele, wie Wilss (1986) zeigen kann, und
er führt das darauf zurück, dass sie häufig vage sind, einen großen Interpreta-
tionsspielraum zulassen und sich für viele unterschiedliche Zusammenhänge
eignen (Wilss 1986: 130).
Im Gegensatz dazu kommt es aber in anderen Fällen neben der Reihen-
bildung auch zu einer Bedeutungsveränderung, systematisch aufgrund des
154 8. Adjektiv – Wortbildung I

Affixoids und nicht metaphorisch in jeweils individuellen Konstruktionen.


Dies ist beispielsweise feststellbar bei los(e) ‘locker, unfest, offen’ gegenüber
der Negation ‘nicht vorhanden’ bei -los oder bei hoch ‘(stark) nach oben ori-
entiert, bemessen’ zu ‘sehr’ in hoch-, vgl. freudlos, schnurlos, lautlos, würdelos,
schwerelos, furchtlos bzw. hochmodern, hochaktiv, hochfrequent, hochanstän-
dig etc. Andere Beispiele bespricht Fandrych (1993). Er beschreibt die Gruppe
um -frei, -arm, -voll, -leer und -reich als fast rein funktionale Elemente, die
Bildungsmuster als kohärent, die jeweils realisierten semantischen Relatio-
nen als uniform (Fandrych 1993: 113f.). Zwar nennt er sie lexikalische Junk-
toren (Fandrych 1993: 116), fasst sie unter diesem Begriff über gemeinsame
Eigenschaften zu einer Kategorie zusammen und geht auch auf Unterschiede
zwischen Junktionsbildungen und freien Entsprechungen bzw. Suffixen ein
(Fandrych 1993: 244f.), meint aber letztendlich die Kategorie des Affixoids.
Auf jeden Fall sind auch für ihn die semantischen Aspekte relevant.
Nun ist die Bedeutung ein äußerst wichtiges Kriterium für die Bestim-
mung eines Affixoids, sie ist aber oft schwer zu fassen und darum gern Aus-
gangspunkt für die Kritik am Begriff. Immer wieder werden Beispiele genannt,
die sich mit der eigentlichen oder mit metaphorischer Bedeutung beschreiben
lassen. Das reicht jedoch für die Ablehnung der Einheit als Affixoid nicht aus,
weil die gesamte Gruppe betrachtet werden muss. Denn eine Bedeutungsver-
änderung darf nicht an ein Einzellexem gebunden sein. Es muss stattdessen
eine wiederholte Verwendung eines ehemaligen Kompositionsgliedes in ver-
änderter Bedeutung vorliegen. Beispielsweise kann saublöd durchaus noch als
‘blöd wie eine Sau’ erklärt werden, nicht jedoch sauteuer als *‘teuer wie eine
Sau’. Abgasfrei, bleifrei oder eisfrei sind mit ‘frei von’ zu umschreiben, aber
bügelfrei, knitterfrei nicht (ausführlich Vögeding 1981, Fandrych 1993), denn
hier passt besser die Paraphrase mit ‘ohne’, also ‘ohne zu rosten’, ‘ohne, dass
gebügelt werden muss’, ‘ohne zu knittern’. Noch etwas schwieriger ist schein-
frei zu umschreiben mit der teilidiomatisierten Bedeutung ‘nicht mehr Schei-
ne benötigend’. Herrenlos oder schuldenlos lassen sich mit ‘gelöst, abgetrennt
von’ paraphrasieren, aber sorglos, furchtlos oder fehlerlos nicht, denn auch hier
reicht ‘ohne’, also dann auch scheinlos als Zustand vor scheinfrei. In manchen
Fällen ist gar kein vernünftiger Zusammenhang mehr möglich (bombenvoll,
saugut). Die Verselbstständigung der Bedeutung ist unterschiedlich stark
fortgeschritten, darum zählen einige Autoren -los bereits zu den Suffixen (z.B.
Fleischer/Barz 2012).
Eine Nähe zu Metaphern existiert durchaus. Diese sollte aber entwick-
lungsbedingt verstanden werden insofern, als sich aus einer Metapher per
Analogie ein oder zwei weitere bilden, die dann mit der Zeit die metaphori-
sche Bedeutung einbüßen und Reihen bilden. Das heißt, die veränderte Be-
deutung trägt das Affixoid selbst, sie entsteht nicht erst in der Verbindung
8.2. Vertiefung 155

mit einem Grundmorphem. Neben den Kriterien Reihenbildung und freiem


Pendant ist besonderes Augenmerk auf den Aspekt dieser Auswirkung der se-
mantischen Verselbstständigung zu legen. Weil hier eindeutige Definitionen
schwierig sind, kommt es zu Unterschieden bei der Einordnung vieler Einhei-
ten (vgl. ausführlich Elsen 2009d). Darum ist bei der Bestimmung eines Af-
fixoids eine strengere Vorgehensweise nützlich, bei der dann einige Affixoid-
kandidaten ausscheiden. Ausgehend von den Beobachtungen in Duden (2006:
757), Decroos/Leuschner (2008) und Leuschner (2010), manche Beispiele hät-
ten sowohl vergleichende als auch steigernde Bedeutung (stocksteif – ‘steif wie
ein Stock, ‘sehr steif’), werden folgende Kennzeichen für Affixoide angesetzt:
Bei dem Affixoid handelt sich um eine produktiv verwendete, semantisch
sich verselbständigende Einheit, die parallel in ihrer ursprünglichen Bedeu-
tung frei vorkommt. Einige Bildungen lassen sich jedoch bereits nicht mehr
metaphorisch verwandt mit dem Einzellexem interpretieren.
Dann dürfen einige Vertreter noch als metaphorisch interpretierbar sein,
es sollte aber auch einige semantisch selbstständige Beispiele geben wie die
bereits genannten saugut, knitterfrei oder fehlerlos.
Dass wir es hier mit einer produktiven, selbstständigen Wortbildungs-
art zu tun haben, zeigen im Übrigen auch die Quereinsteiger, die bereits mit
intensivierender Bedeutung und in Reihe verwendet werden ohne vorherige
Analyse einzelner Komposita. Beispiele wie saugut, saustark fungieren als
Modellmuster für Formen wie endcool, endgeil, endstark, scheißfreundlich.
Als letzten Aspekt der Entwicklung von Kompositionsglied zu Affixo-
id soll noch auf die Verbindung mit anderen Wortarten hingewiesen sein.
Simmler bemerkt, dass bei adjektivischen Komposita kaum Verben oder Pro-
nomen beteiligt sind, -los jedoch verbindet sich ohne Schwierigkeit mit Ver-
tretern dieser Wortarten, vgl. reglos, selbstlos (Simmler 1998: 442f.). Dies gilt
für viele, aber nicht alle, Suffixoide, z.B. auch für -frei oder -arm. Die Suffixo-
ide treten vermehrt an Verben und sogar an Pronomen, das ist bei Komposi-
tionsgliedern anders. Auch hier haben wir wieder einen Hinweis auf Ver-
selbstständigung eines Morphems weg vom Status Kompositionsglied. Ins-
gesamt verhalten sich die adjektivischen Suffixoide sehr dynamisch, und es
können schnell neue dazu kommen.

Vögeding (1981), Wilss (1986), Fandrych (1993), Simmler (1998), Duden (2002),
Ruge (2004)
Sehr ausführliche Bedeutungsdifferenzierungen finden Sie bei Pümpel-Mader
et al. (1992), Motsch (2004).
156 8. Adjektiv – Wortbildung I

Einige nicht mehr ganz durchsichtige komplexe Adjektive


Einige adjektivische Komposita weisen unikale Morpheme auf. Das heute
nicht mehr sehr gebräuchliche rotwelsch ‘gaunersprachlich, unverständlich’
wurde aus rot gaunersprachlich ‘Bettler’ und welsch ‘unverständliche Spra-
che’, heute ‘romanisch’ gebildet. In der Verwendung ebenfalls sehr einge-
schränkt ist mundtot in jemanden mundtot machen. Es entstand aus dem
Rechtsausdruck ahd., mhd. munt ‘Hand, Schutz’ sowie tot in der Bedeutung
‘unfähig’, also ‘unfähig, eine Rechtshandlung auszuführen’ (Pfeifer 1999), ‘der
sich rechtlich nicht verteidigen darf’, ‘entmündigt’ (Kluge 2002). Es hat daher
nichts mit unserem Mund zu tun, obwohl es heute dazu gestellt wird. In blut-
rünstig liegt ein unikales Morphem als Zweitglied vor. Das mhd. bluotrunstec
bedeutete zunächst ‘blutend, blutig’ und wurde abgeleitet aus mhd. bluotrunst
‘blutige Wunde’ mit runst ‘das Rinnen, Fließen’. Bei naseweis ‘neugierig, vor-
laut’ haben wir eine Bildung zu mhd. wīse ‘kundig’. Es bezeichnete zunächst
die Fähigkeit der Hunde, ‘mit kundiger Nase’ Beute aufzuspüren. Diese Be-
deutung ist heute aber nicht mehr erkennbar. Piekfein ist ursprünglich ein
verdeutlichendes Kompositum mit dem niederdeutschen Ausdruck für eine
Qualitätsbezeichnung, ndl. puik ‘vortrefflich’, nd. pük ‘rein, echt, redlich’. Das
Adjektiv kunterbunt ist laut Kluge (2002) unklar, es mag zurückgehen auf
kontrabund ‘vielstimmig’.
Die Ableitungen hurtig, grässlich, liederlich und scheußlich sind zu mhd.
hurt ‘Stoß, Anprall’, mhd. graz ‘wütend’, mhd. loter ‘locker, leichtfertig’ bzw.
mhd. schiuzen ‘Scheu oder Abscheu empfinden’ gebildet (Simmler 2002: 97ff.).
Die Form ruchlos kennen wir als ‘gewissenlos, niederträchtig’, zu mhd.
ruochelōs’ ursprünglich ‘sorglos’, dann ‘gottlos’, zu mhd. ruoche ‘Sorge’. Dies
hat nichts mit dem ersten Morphem von ruchbar zu tun, zu mndd. ruchte,
rochte ‘Leumund’, mhd. ruoft ‘Schrei, Ruf, Gerücht, Leumund’ von rufen, das
eigentlich ‘durch umlaufendes Gerede bekannt’ bedeutete und ähnlich als ‘of-
fenkundig’ noch heute gebraucht wird. Drollig stammt aus dem Neunieder-
ländischen, es ist ein Lehnwort. Und schließlich sei noch dämlich erwähnt.
Es wird gern mit Dame in Verbindung gebracht, gehört tatsächlich aber zu
einem teilweise im Niederdeutschen noch gebrauchten Verb dämeln, dameln
‘sich kindisch benehmen’.

Simmler (1998: 444f.), Simmler (2002)

Übungen zu 8.2. Vertiefung


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9. Adjektiv – Wortbildung II

9.1. Grundlagen

Explizite Derivation
Präfigierung
Die adjektivischen Präfixe sind betont, allerdings tritt un- auch unbetont auf,
vgl. úngut vs. unéndlich, vgl. Tabelle (18).

Tabelle 18: Die produktiven heimischen Präfixe der Adjektive

1 2 3 4

Präfix Basis Bedeutung Anmerkungen

erz- Adjektiv Verstärkung, Steigerung besonders für negative Ad-


(erzkatholisch) jektive; eher im politischen
Rahmen

miss- Adjektiv negative Bewertung (miss- selten, historisch liegt


vergnügt, missgelaunt) meist Nominalisierung
präfigierter Verben vor

un- Adjektiv Gegenteil, negative Be- sehr produktiv, bei


wertung (ungut, unweit, Komposita meist zwischen
ungeöffnet) den Kompositionsglie-
dern (arbeits-un-willig),
idiomatisiert unverfroren,
undurchsichtig ungestüm,
unbedarft

ur- Adjektiv Herkunft (urgermanisch),


Steigerung (urkomisch,
uralt, urgemütlich)

Im Adjektiv misslich hat sich das Grundmorphem (‘verschieden’) heute be-


deutungsmäßig vom gleichlautenden Präfix entfernt.
158 9. Adjektiv – Wortbildung II

Ein unproduktives Adjektivpräfix ist ge-, vgl. geheim, getreu, getrost, hier
ist die Struktur noch erkennbar. Nicht mehr durchsichtig und eindeutig Sim-
plizia sind beispielsweise zu ab- abhold, abschätzig, zu an- anrüchig, zu in- in-
brünstig oder zu be- bequem.

Die nichtnativen Präfixe haben überwiegend lokale (inter- ‘zwischen’, sub-


‘unter’) oder temporale (prä- ‘vor’, post- ‘nach’), aber auch negierende (a-,
non-, des-) oder steigernde (super-, hyper-) Funktion. Sie werden stets an ei-
ne adjektivische Basis angeschlossen, sind alle betont und meist eher selten
verwendet. Viele kommen bei der substantivischen Derivation ebenfalls zum
Einsatz. Einige von ihnen sind rein fachsprachlich (pan-, supra-), viele geho-
ben.

Suffigierung
Die indigenen Adjektivsuffixe sind, bis auf -bar, nicht betont. Bei Wörtern
auf Schwa (der letzte Laut in eine, schöne) wird dieses meist getilgt (Freude/
freudig), auch auslautendes n kann fortfallen (Eltern/elterlich). Bei unbetonten
Endsilben fällt das Schwa oft auch im Wortinnern weg (Teufel/teuflisch, Zylin-
der/zylindrisch).
Andererseits treten Fugen (launenhaft) auf. In diesem Fall handelt es sich
um ehemalige Komposita. Sie werden aber analogisch ergänzt. Einen Laut-
einschub gibt es beispielsweise in wissentlich, wöchentlich, willentlich, na-
mentlich.

Die eigentliche Bedeutung bzw. Funktion der meisten Suffixe ist die Adjek-
tivierung. Das heißt, eine genauere Semantik ist meist nur über die Bedeu-
tung des Stammes und den Kontext zu ermitteln. Aus diesem Grund sind in
der dritten Spalte der folgenden Tabelle (19) des Öfteren lediglich Beispiele
aufgeführt. Im Folgenden sind die heimischen Suffixe zusammengestellt, -lei
stammt ursprünglich aus dem Französischen.

Tabelle 19: Die produktiven heimischen Suffixe der Adjektive

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-bar Substantiv Möglichkeit, passivisch zu ahd. bāri ‘tragend’; bei Sub-


(gangbar, sichtbar, dienst- stantiv kaum produktiv, idioma-
bar) tisiert furchtbar, undurchsichtig
ruchbar

Adjektiv offenbar, kundbar selten, unproduktiv,


idiomatisiert sonderbar
9.1. Grundlagen 159

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-bar Verb Möglichkeit, meist passi- sehr produktiv; doppelt motiviert


visch (trinkbar, brauchbar, aus Verb oder Nomen streitbar,
auffindbar), Notwendigkeit dankbar
(haftbar)

-en, -n, Substantiv Eigenschaft (aus einem Stoff) produktiv, -(e)n heute ohne
-ern (golden, seiden, schmiedeei- Umlaut, bei -ern meist Umlaut
sern, kupfern, blechern) gläsern

-er Substantiv zu Namen (Berliner, meist mit homonymen Substantiv-


Schweizer) ableitungen für die Bewohner

Numerale dreißiger

-fach Adjektiv vielfach, mehrfach zu mhd. vach ‘Stück, Teil einer


Mauer’; mit Adjektiv nicht pro-
duktiv

Numerale Vervielfältigung (dreifach) idiomatisiert z.B. einfach

-haft Substantiv ornativ (glückhaft, zu mhd. haft ‘gefesselt’; meist mit


schwunghaft), ‘in der Art Fuge heldenhaft, frühlingshaft,
von’ (streberhaft) geisterhaft vs. formelhaft, bildhaft

Adjektiv Neigung (krankhaft, wahr- unproduktiv


haft, boshaft)

Verb Neigung (naschhaft, selten, idiomatisiert lebhaft,


schwatzhaft) wohnhaft

sonstige von Pronomen (ichhaft) nur okkasionell

-ig Substantiv Eigenschaft (wie ein Stoff) sehr produktiv; auch mit Umlaut
(seidig, krustig), ornativ kräftig, bärtig, idiomatisiert zeitig,
(staubig, sandig, fleißig), kernig, undurchsichtig drollig,
‘in der Art von’ (affig, hurtig, schwierig, zugig vs. zügig
miesepetrig)

Adjektiv völlig, kundig, dumpfig, selten, unproduktiv, undurch-


niedrig, lebendig sichtig emsig

Verb Neigung/Eigenschaft (findig, produktiv, undurchsichtig


zappelig, wacklig, kitzlig) anrüchig

Adverb baldig, dortig, alleinig, produktiv


bisherig

Wortgrup- geringschätzig, schwerhörig, dies ist dann Zusammenbildung;


pe vierstöckig vierzehntäglich ‘regelmäßige
Wiederholung’ vs. vierzehntägig
‘Dauer’
160 9. Adjektiv – Wortbildung II

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-isch Substantiv schulisch, städtisch, bei Substantiven sehr produktiv;


sächsisch; auch ornativ selten mit Umlaut wölfisch, spöt-
(neidisch), Vergleich (bar- tisch, auch pejorativ weibisch, auch
barisch) idiomatisiert tierisch, Allomorph
{sch} stets ohne UL kloppstocksch,
Adjektiv linkisch, prädikativisch undurchsichtig deutsch, hübsch,
störrisch, auch mit Epenthese -t-,
Verb neckisch, mürrisch, regne-
dogmatisch, phlegmatisch, thema-
risch
tisch, -ar-, tabellarisch, -n- wie bei
Konfix elektrisch, klinisch er-Ableitung trojanisch, afrika-
nisch, bei Konfixen auch -ist-, po-
sitivistisch, atomistisch, bei Verben
auch -er, trügerisch, regnerisch

Wortgruppe halsbrecherisch dies ist dann Zusammenbildung

-lei Adjektiv verschiedenerlei solche Formen werden auch als


Adverbien bezeichnet, da nicht
Pronomen keinerlei, mancherlei flektiert; Fuge -er- obligatorisch;
mit Adjektiv selten
Numerale zweierlei, dreierlei

-lich Substantiv Zugehörigkeit (mütterlich), zu ahd. līh ‘Körper’ – also ‘glei-


verschiedene Bezüge wie chen Körper habend, ähnlich’;
Zeit (sommerlich), Ort sehr produktiv, mit Umlaut
(nachbarlich), Eigenschaft männlich, mit Lauteinschub mor-
(königlich, zeitlich), passi- gendlich, öffentlich; idiomatisiert
visch (erklärlich) gründlich, heimlich, undurch-
sichtig niedlich, stattlich

Adjektiv abschwächend (gelblich, sehr produktiv, teils mit Umlaut,


rundlich, dümmlich, idiomatisiert freilich, undurch-
ältlich), Neigung (kleinlich, sichtig grässlich, liederlich,
zärtlich) misslich

Verb Möglichkeit, passivisch teils mit Ablaut-Stamm sprach-


(zerbrechlich, erklärlich), lich, mit Epenthese -t- flehent-
tatsächlich gegeben (be- lich, hoffentlich, erweiterter
drohlich, hinderlich) Verbstamm bei lächerlich, wei-
nerlich, fürchterlich, idiomatisiert
angeblich, möglich, undurchsich-
tig scheußlich, dämlich

Adverb sonderlich, widerlich selten, undurchsichtig sämtlich

Wortgrup- innerbetrieblich, vorge- dies ist dann Zusammenbildung;


pe burtlich vierzehntäglich ‘regelmäßige
Wiederholung’ vs. vierzehntägig
‘Dauer’
9.1. Grundlagen 161

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-sam Substantiv tugendsam zu mhd. sam ‘ebenso’; mit Sub-


stantiv unproduktiv, vereinzelt;
idiomatisiert mit Adverb genug-
sam, mit Zahlwort einsam

Adjektiv langsam, sattsam, gemein- unproduktiv, idiomatisiert un-


sam liebsam, seltsam

Verb Möglichkeit, passivisch kaum produktiv


(biegsam, einprägsam),
Neigung (folgsam, sparsam,
wachsam), ornativ (sittsam,
tugendsam)

-los, -mäßig, -wert bei Suffixoiden

Die Einordnung von Ableitungen auf -lei ist schwierig, da sie einerseits nicht
flektiertbar sind und daher auch in die Gruppe der Adverbien geordnet wer-
den, andererseits aber wie Adjektive attributiv vor einem Nomen stehen, vgl.
Es stehen dreierlei Suppen auf der Karte, er machte keinerlei Fehler. Kein Kom-
positum, sondern eine Ableitung vom Nomen ist eigenartig.

Die fremdsprachlichen Adjektivsuffixe sind betont, sie verbinden sich meist


mit Fremdwörtern oder Konfixen, sind aber deutlich weniger produktiv als die
heimischen Suffixe. Sie bewirken meist eine recht allgemeine Bedeutungsver-
änderung in Richtung einer Eigenschaft oder Zugehörigkeit im Zusammen-
hang mit dem im Stamm Bezeichneten mit fachsprachlich gehobenem Aspekt,
beispielsweise diskutabel, charmant, instinktiv, materiell, medikamentös.

Zirkumfigierung
Von Verben leitet ge-ig ab, vgl. geläufig, gelehrig, mit der Bedeutung ‘dazu nei-
gend’, jedoch gefügig zu Gefüge, gehässig zu mhd. ge-haz (Erben 2004: 142).
Relativ neu sind Kombinationen von fremdsprachlichen inter- und trans- mit
Adjektivsuffixen wie -al, -lich oder -isch, die gemeinsam auftreten, vgl. inter-
kontinental, interparlamentarisch oder transatlantisch.
Zur Zirkumfigierung können auch die wie Partizipien aussehenden, aber
nicht auf Verbformen, sondern auf Substantive zurückgehenden „Scheinpar-
tizipien“ gerechnet werden. Die Affixe be-t und ge-t haben ornative Funk-
tion, vgl. bezopft, benachbart, bebrillt, befrackt, beringt, beknackt ‘mit einem
Knacks versehen’, genarbt, gehörnt, geblümt, geädert. ver-t ist ebenfalls or-
nativ, aber mit abwertender Komponente (verkatert, verwanzt). Eher faktitiv
162 9. Adjektiv – Wortbildung II

(ein Zustand ergibt sich aus der Tätigkeit) sind verkrüppelt, verschwägert oder
verwitwet. Zer-t ist stark abwertend mit dem Aspekt ‘zu sehr’ bzw. ‘zerstört
durch’ (zernarbt, zerfurcht, zerklüftet). Privativ (etwas wird entfernt) ist ent-t
(entseelt, entmenscht). Solche Ableitungen kommen auch von Komposita vor.
Das Präfix des Scheinpartizips rückt dann zwischen die Kompositionsglieder,
vgl. quergestreift, schweißbeperlt.
Unzertrennlich, unbeschreiblich oder unverbesserlich können als Ableitun-
gen mit {un-lich} interpretiert werden, während unverantwortlich, unverdäch-
tig oder unbehaglich Präfigierungen sind.

Implizite Derivation
Diese Wortbildungsart gibt es bei den Adjektiven nicht.

Konversion
Meist entstehen Adjektive aus dem Partizip Perfekt eines Verbs, vgl. studiert
– die studierte Nachbarin. Beim Partizip Präsens gibt es im Deutschen keine
Verbform, jedoch ist das {-(e)nd} am Verbstamm in Beispielen wie tötend, spie-
lend eher als Flexiv als als Wortbildungsmorphem zu verstehen, da es regulär
an alle Verben tritt, stets mit der Bedeutung ‘dabei sein, etwas zu tun’. Also
handelt es sich bei solchen Lexemen um Konversionen, vgl. tötende Blicke, spie-
lende Kinder. Allerdings sind diese Adjektive nicht immer frei verwendbar, und
zwar nicht prädikativ (*die Blicke sind tötend, *die Kinder sind spielend). Sie
sind auch nicht steigerbar. Diese Besonderheiten führen dann in einigen Ab-
handlungen zu eigenen Bezeichnungen wie Verbaladjektiv oder adjektivähn-
lich. Auf jeden Fall handelt es sich um eine spezielle Art des Adjektivs.
Viele Formen sind mittlerweile idiomatisiert, beispielsweise faszinierend,
entzückend, spannend, blendend, reizend, bedeutend – der faszinierende Ro-
man, eine blendende Erscheinung. Dann sind eine prädikative Verwendung
und auch die Steigerung möglich. Hier fällt die Klassifizierung als Adjektiv
leicht.
Auch beim Partizip Perfekt gibt es lexikalisierte Lexeme, vgl. ausgezeich-
net. In manchen Fällen muss genau vom Partizip Perfekt unterschieden wer-
den, vgl. das komplexe Prädikat in Die Vokabeln sind gelernt, als Adjektiv aber
Der Arbeiter ist gelernt ‘ausgebildet’.
Hinzuweisen ist auf die Homonymie von er-Ableitungen zu Namen in ad-
jektivischer Verwendung mit von Ortsnamen abgeleiteten Personenbezeich-
nungen wie die B/berliner Currywurst – ein Berliner.
9.1. Grundlagen 163

Während die Konversion von Partizip-I- und -II-Formen sehr produktiv


ist, ist sie von Nominalwurzeln, vgl. schmuck, ernst, angst, feind, schuld, not,
klasse, spitze, deutlich seltener und von Verbwurzeln, vgl. wach, rege, starr,
wirr, schrill, nicht mehr produktiv. Allerdings kreiert die Werbesprache für
Farben viele, oft kurzlebige, Adjektive aus Nomen wie aubergine, koralle, flie-
der, lachs, olive, schlamm, senf, zimt. Aus einem Nomen entstanden auch ba-
rock und revolutionär.
Umgangssprachlich und etwas strittig sind Adjektive wie in eine klasse/spit-
ze/super/top Veranstaltung aus Substantiven (Klasse, Spitze) oder Präfixen (su-
per, top). Genauso wenig eindeutig ist angst, vgl. mir ist angst. In solchen Fällen
fehlt die Flexion, was die Einordnung als Adjektiv erschwert. Denn Adjektive,
die über Konversion entstanden sind, sind oft morphologisch und syntaktisch
eingeschränkt. Einige weisen keine Flexionsendung auf, vgl. *der tope Mann,
oder lassen sich nicht steigern *mir ist angster als dir. Auch die Steigerung der
konvertierten Farbadjektive, semantisch durchaus vorstellbar, ist nicht mög-
lich: *mein Kleid ist zimter als deines. Angst ist nur prädikativ, nicht adverbial
oder attributiv verwendbar (*er rennt angst, *der angste Kerl).
Ehemalige Adverbien wie vorhanden, selten, behände, bange oder zufrie-
den existieren mittlerweile als Adjektiv. Dies gilt auch für einige Formen auf
-weise wie teilweise, schrittweise, zeitweise, probeweise.

Kurzwortbildung
Bis auf einige wenige Klammerformen, vgl. kornblau zu kornblumenblau,
atomgetrieben zu atomkraftgetrieben, mahagonivertäfelt zu mahagoniholzver-
täfelt, gibt es bei den Adjektiven keine Kurzwörter.

Zusammenbildung
Diese Wortbildungsart kommt bei den Adjektiven häufiger vor, wobei -ig sehr
produktiv ist. Die anderen Affixe treten nur vereinzelt auf, z.B. breitschultrig,
schwerhörig, zielstrebig, diesjährig, baufällig, zweisprachig, langlebig, feinfüh-
lig, mehrstimmig (zu Stimme), goldhaltig, kurzatmig, scharfkantig, breitspurig,
leichtlebig, kurzfristig, dreiwöchig, erstklassig, halsbrecherisch, vorgeburtlich,
außereuropäisch. In all diesen Fällen kommt kein abgeleitetes Substantiv bzw.
Verb vor, vgl. *schultrig, *füßig, *strebig. Hörig, fällig und stimmig in ihrer idio-
matisierten Bedeutung sind als selbstständige Lexeme, nicht als die in der Fü-
gung verwendeten Konstituenten einzustufen. Auch die Fachsprachen bilden
solche Adjektive, beispielsweise rechtsufrige Mauern, rechtsseitige Uferwege.
164 9. Adjektiv – Wortbildung II

Eine besondere Problematik bieten komplexe Adjektive mit auf dem Parti-
zip Präsens beruhenden Elementen, vgl. tonangebend, aufsichtsführend, atem-
beraubend, haarsträubend, grundlegend, kopfnickend, vielsagend, nahelie-
gend. Das Morphem {-(e)nd} verhält sich zwar wie ein Ableitungssuffix, das an
eine Wortgruppe tritt (Ton angeben, Atem berauben), und das Partizip kommt
nicht lexikalisiert vor, das heißt, Formen wie angebend oder beraubend gibt es
nur in individuellen syntaktischen Konstruktionen. Aber {-(e)nd} gilt nicht
als Ableitungselement – und die Interpretation als Zusammenbildung hängt
vom Status dieses Morphems ab. Das Partizip Präsens ist die regulär gebil-
dete Form eines Verbs mit der Eigenheit, nie verbal, sondern ausschließlich
als Adjektiv aufzutreten. Da -(e)nd für alle Verben in immer gleicher Form
und Bedeutung für den Ablauf eines Geschehens oder etwas Nichtvollende-
tes Verwendung findet und nie für andere Wortarten, wird die Klassifikati-
on als Flexiv bevorzugt. Denn Derivationsmorpheme gelten nicht unbedingt
für eine Wortart allein und nie für alle Vertreter dieser Wortart, außerdem
kommt es meist zu verschiedenen Bedeutungen, vgl. -er. Darum wird bei dem
Partizip Präsens eine Verbalform, die durch Konversion zu einem Adjektiv
wurde, angesetzt. Wir sprechen von adjektivisch gebrauchten Partizipien mit
der Besonderheit, dass alle diese Partizipien ausschließlich adjektivische Ver-
wendung finden. Das heißt, -(e)nd ist ein Flexiv. Damit fällt die Grundvor-
aussetzung für die Interpretation von ausschlaggebend oder grundlegend als
Zusammenbildung fort, und die Bespiele sind als Komposita einzustufen. Auf
die Besonderheiten sollte bei der Analyse hingewiesen werden.

Rückbildung
Rückgebildete Adjektive treten nur gelegentlich auf, beispielsweise kettenrau-
chend zu Kettenraucher, haftpflichtversichert zu Haftpflichtversicherung, tier-
liebhabend zu Tierliebhaber, gesetzgebend zu Gesetzgebung oder Gesetzgeber,
gastgebend zu Gastgeber, allgemeinbildend zu Allgemeinbildung. Die Fach-
sprachen sind produktiver, zu Planfeststellung gibt es beispielsweise „im Ver-
gleich mit dem planfestgestellten Entwurf“, „das planfestgestellte Ilmprofil
wird wieder hergestellt“ oder schlussrechnen zu Schlussrechnung.

Erleichterungsrückbildung
Die sogenannten Erleichterungsrückbildungen sind von der Rückbildung zu
trennen. Beispiele sind genial/genialisch, wahrhaftig/wahrhaftiglich, nutzbar/
nutzbarlich. Die Formen wurden nach zwei verschiedenen Modellen gebildet,
9.1. Grundlagen 165

mit der Zeit dominierte dann die kürzere Variante. Außerdem handelt es sich
jeweils um die gleiche Wortart.

Zusammenrückung
Hier gibt es wenige Beispiele, die Wortbildungsart ist nicht sehr produktiv,
vgl. menschenmöglich, fahrtauglich, fronttauglich, gemeinverständlich, stark-
behaart, blutdrucksenkend, fußballspielend, feuerspeiend, pfeiferauchend,
windzerzaust. Sie ähneln freien Fügungen, sind also erst durch ein wiederhol-
tes Nebeneinander zusammengewachsen und wurden, da als Einheit empfun-
den, oft zusammengeschrieben, zumindest bis zur Rechtschreibreform, vgl.
auch die bereits erwähnten Beispiele bezugnehmend und stellungnehmend.
Auch die meisten Zahlen ab dreizehn zählen hierzu.
Bei Formen mit dem Partizip I in Zweitstellung ist die Abgrenzung zu
den Komposita schwierig. Tendenziell sollten sich bei Komposita in den kom-
plexen Lexemen eher verselbstständigte Bedeutungen ergeben, während die
Zweitkonstituente bei Zusammenrückung in den Sätzen kein eigenständiges
Lexem bildet, sondern eine Verbform bleibt unter Beibehaltung der syntakti-
schen Struktur. Zweitglieder in Komposita weisen eine gewisse Eigenständi-
keit auf, die sie als Adjektive auszeichnen und nicht als Verbformen in einer
Wortgruppe.

Kontamination
Das Beispiel tragikomisch ist möglicherweise entstanden aus tragisch und ko-
misch. Aber eine Interpretation als Rückbildung aus Tragikomik ist ebenfalls
möglich, es ist damit doppelt motiviert. Ein anderes Beispiel für eine adjekti-
vische Kontamination ist wessentiell zu wesentlich und essentiell. Laut Simm-
ler entstand funkelnagelneu aus funkelneu und nagelneu (Simmler 1998: 447,
Henzen 1957: 255).
166 9. Adjektiv – Wortbildung II

Zusammenfassung
Tabelle 20: Wortbildungsarten der Adjektive

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum hautfreundlich, rutschfest

verdeutlichendes Kompo- klammheimlich, quickle- sehr selten, nicht mehr


situm bendig produktiv

Possessivkompositum barfuß, barhaupt sehr selten, nicht mehr


produktiv

Kopulativkompositum schwarzweiß, deutsch-


französisch

Reduplikativkompositum ticktack sehr selten, nicht mehr


produktiv

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung saublöd, grottenblöd

Suffixoidbildung bündnisfrei, arbeitsreich

explizite Derivation – erzkatholisch, ungut


Präfigierung

explizite Derivation – boshaft, grünlich


Suffigierung

explizite Derivation – gelehrig, bebrillt


Zirkumfigierung

implizite Derivation –

Konversion faszinierend, angst

Kürzung atomgetrieben, neonbe- nur Klammerformen


leuchtet

Zusammenbildung breitschultrig, halsbrecherisch

Zusammenrückung fronttauglich, bezugneh- selten


mend

Rückbildung gesetzgebend, kettenrauchend selten

Erleichterungsrückbildung wahrhaftig, nutzbar extrem selten

Kontamination wessentiell selten, heute meist stilistisch


9.2. Vertiefung 167

Übungen zu 9.1. Grundlagen


1. Vergleichen Sie die die Wortbildung der komplexen Adjektive im folgen-
den Satzpaar:
In diesem Garten stehen dunkle, fast schwarzrote Tulpen.
Dein Denken in schwarzweißen Schemata nervt mich schon lange.
2. Bestimmen Sie die Wortbildungsart von selbstkritisch, wach, seiden,
schwerhörig, bezopft, klammheimlich, grundfalsch, hellblau, lammfromm,
taubstumm, unbequem, barfuß, scheußlich, dämlich, drollig!

9.2. Vertiefung

Fremdaffixe
Grundsätzlich gilt auch hier das bereits für die Fremdaffixe der Nomen Ge-
sagte.
Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung kommen regelmäßig
Fremdwörter ins Deutsche, die in der Gebersprache zwar meist komplex, für uns
jedoch zunächst Simplizia sind. Wiederholen sie sich mit immer den gleichen
Affixgruppen, können wir die Fremdaffixe langsam als eigenständige Morpheme
erkennen, und wir zerlegen die Fremdwörter nachträglich in ihre morphologi-
schen Bestandteile, das heißt, wir reanalysieren die Form. Dies geschieht in Ab-
hängigkeit von unserem Bildungsstand und der Kenntnis von Fremdsprachen.
Ein besonderes Problem bei der Fremdwortbildung ist die Polygenese,
wenn ein Morphem in Fremdwörtern aus mehreren Sprachen ungefähr gleich-
zeitig im Deutschen erscheint. Dies wird z.B. für -esk angenommen, das aus
dem Französischen (chaplinesk, donjuanesk), dem Italienischen (boccacciesk)
und dem Englischen (statuesk) kam und wohl durch spanische Beispiele noch
unterstützt wurde, bevor es zu deutschen Bildungen führte wie gigantesk, pe-
dantesk oder mansardesk (vgl. Wellmann 2005b). Es ist hier aus heutiger Sicht
kaum eine sichere Entscheidung zu treffen, wann es sich historisch genau um
Übernahme und wann um die Bildung eines Fremdwortes handelt. Da aber
eine Fremdwortbildung zwar aus diachroner Sicht im Deutschen entstanden
ist, aber aus synchroner Sicht vor allem morphologisch und semantisch mo-
tiviert und in ihre Morpheme zerlegbar sein sollte (Müller 2005c), können
solche Beispiele unter der Fremdwortbildung subsumiert werden.
Dass viele der Beispiele nicht additiv als Stamm + Morphem aufzufassen
sind, sondern als Ersetzungen, in denen ein Affix ausgetauscht wurde, ist ein
168 9. Adjektiv – Wortbildung II

weiteres Charakteristikum der Fremdwortbildung. So haben wir exklusiv,


explosiv, extern, aber auch inklusiv, intern. Schließlich können wir auch ein
implosiv bilden. Dabei ermitteln wir die Präfixe ex- und in- , die wir ja bereits
von anderen Wortarten kennen.
Im 18. Jahrhundert sind zahlreiche Wortpaare ins Deutsche gekommen
wie kompetent/Kompetenz, insolent/Insolenz, tolerant/Toleranz, brillant/Bril-
lanz/brillieren, mokant/mokieren (Russ 2005: 400). Wir empfanden die Le-
xeme mit der Zeit als komplex, segmentierten sie und führten die Muster
analogisch weiter. Nachdem es zunächst keinen Stamm gab, an den ein Affix
gehängt wurde, bilden heimische Wortstämme nicht die Ableitungsgrundla-
ge. Vielmehr entstanden aufgrund der Austauschbarkeit neben den Affixen
mit der Zeit Einheiten, die ursprünglich Wortreste, heute jedoch Konfixe
sind. Wenn jedoch ein morphologisch unklarer Rest übrig bleibt wie bei den
bereits erwähnten intern/extern, haben wir im Deutschen nicht motivierte,
nicht analysierbare Simplizia vorliegen (Müller 2005c: 204).
Eine weitere Besonderheit stellen Fremdwörter dar, die nicht immer chro-
nologisch gestaffelt im Deutschen Verwendung finden, sodass ein erstes und
ein abgeleitetes Wort nicht klar bestimmbar sind, vgl. Operation, operativ,
operieren, Argumentation, argumentativ, argumentieren, Kommunikation,
kommunikativ, kommunizieren, Spekulation, spekulativ, spekulieren, Demon-
stration, demonstrativ, demonstrieren. Und schließlich bilden viele als Ganze
übernommene Fremdwörter mit den gleichen Affixen allmählich recht große
Gruppen, ohne dass wir eine ausgeprägte Produktivität feststellen könnten.
Fuhrhop (1998: 128) spricht daher -abel trotz hohen Vorkommens, vgl. z.B.
akzeptabel, blamabel, deklinabel, diskutabel, Produktivität ab, während Lohde
(2006: 200) es als begrenzt produktiv einstuft und Munske (2009: 238) als sehr
produktiv. Das Problem stellt sich jedoch bei der aktuellen, erweiterten Defi-
nition der Fremdwortbildung nicht mehr. Synchron sind über das tatsächliche
Ausmaß der Produktivität mancher Affixe keine klaren Aussagen zu machen.
Allerdings verhalten sich die Fachsprachen hier oft anders als das Standard-
deutsche, und wegen der grundsätzlich hohen Vitalität der Fremdwörter kann
die Produktivität einzelner Elemente nie ganz ausgeschlossen sein. So fand
Wellmann (2005b) für das seltene -esk in literarischen Werken oder Zeitun-
gen zahlreiche, für die meisten wohl ungewöhnliche Bildungen wie chapli-
nesk, godaedesk, michelangelesk, chansonesk oder boulevardesk. Dem Suffix
kann nicht grundsätzlich Produktivität abgesprochen werden, nur weil es in
stilistisch markierten Situationen eher kurzlebige Lexeme bildet.

Fremdpräfixe
Die nicht nativen Präfixe, vgl. Tabelle (21), sind betont, eher selten verwendet,
teils rein fachsprachlich (pan-, supra-). Viele gehören der gehobenen Sprache
9.2. Vertiefung 169

an. Die Bedeutung ist lokal (inter-, intra-, sub-, supra-, trans-), temporal (prä-,
post-), negierend (a-, in-, non-, des-), steigernd (super-, hyper-), auch verglei-
chend-relativ (sub- in suboptimal). Sie verbinden sich mit einer adjektivischen
Basis und kommen meist auch bei der substantivischen Derivation vor.

Tabelle 21: Die produktiven fremden Präfixe der Adjektive

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

a- Adjektiv Negation (amoralisch, anor- a- wird vor Vokal zu an-;


mal, anorganisch) arythmisch neben arryth-
misch

anti- Adjektiv Negation ‘gegen’ (antijü- häufiger


disch), ‘nicht’ (antimagne-
tisch)

bi- Adjektiv ‘doppelt’ (bipolar, bilateral, bi- wird vor Vokal zu bin-
binokular, biform, binaural)

de-, des-, dis- Adjektiv Negation (dezentral, nur vereinzelt dif- (different);
desengagiert, disproportio- dis- und de(s)- entstammen
Konfix nal, disjunktiv), ‘abgeleitet’ nicht der gleichen Wurzel
(deadjektivisch, deverbal)

ex- Adjektiv ‘aus, heraus’ (exterritorial) in der Bedeutung ‘ehemalig’


wohl nur in von Nomen
Konfix abgeleiteten Bildungen
(exjugoslawisch), unanaly-
sierbar exklusiv, explizit

hyper- Adjektiv steigernd ‘übertrieben’, tendenziell negativ wertend


‘äußerst’ (hyperaktiv, hyper-
aktuell)

in- Adjektiv Negation (illegal, illoyal, sehr produktiv; gleicht sich


inaktiv, indirekt, irrelevant, an seine Lautumgebung an:
immateriell, impotent, il-. im-, ir-; unanalysierbar
imperfekt) inklusiv, implizit;
nicht zu verwechseln
mit dem lokalen Präfix der
Verben

infra- Adjektiv ‘unterhalb’ (infrakrustal,


infrarot)

inter- Adjektiv ‘zwischen’, überbrückend


(interdisziplinär, interper-
sonal)
170 9. Adjektiv – Wortbildung II

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

intra- Adjektiv ‘innerhalb’ (intramolekular,


intraindividuell) ‘hinein’
(intramuskulär)

ko- Adjektiv ‘mit’ (kongenial, kollinear) mit Lautangleichung: kol-,


kor-, kon-, kom-; unanaly-
sierbar kompakt, komplex

kontra- Adjektiv ‘(ent)gegen’ (kontraproduk-


tiv, kontrainduziert)

makro- Adjektiv steigernd (makroporig)

mega- Adjektiv steigernd (megaerfolgreich,


megastark)

meta- Adjektiv für die Ebene darüber (me-


taethisch)

mikro- Adjektiv ‘klein’ (mikroseismisch,


mikrosozial)

multi- Adjektiv ‘viel’ (multinational)

neo- Adjektiv ‘neu’ (neofaschistisch)

non- Adjektiv Negation (nonlinear, non-


verbal)

pan- Adjektiv ‘vereinigend’ (panamerika-


nisch)

para- Adjektiv ‘ähnlich’ (paramilitä-


risch), ‘neben’ (paravenös,
paranasal), ‘über hinaus’
(paranormal)

poly- Adjektiv ‘viel’ (polyfunktional, poly-


technisch)

post- Adjektiv ‘nach’ (posttraumatisch,


postembryonal)

prä- Adjektiv ‘vor’ (prähistorisch, präraffa-


elitisch, präoperativ)

pro- Adjektiv ‘für’ (prowestlich, proara-


bisch)

semi- Adjektiv ‘halb’ (semilateral), ‘fast’


(semiprofessionell)
9.2. Vertiefung 171

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

sub- Adjektiv ‘unter(halb)’ (subtropisch, neuerdings auch suboptimal


subakut)

super- Adjektiv steigernd (supermodern, sehr produktiv, tritt seit


supereng), ‘übergeordnet’ einiger Zeit auch als freies
(supernational) Lexem auf

supra- Adjektiv ‘über’ (supranational, supra-


segmental)

top- Adjektiv steigernd (topaktuell, tritt mittlerweile auch als


topmodern) freies Lexem auf

trans- Adjektiv ‘hindurch’ (transsibirsch),


‘jenseits’ (transalpin, trans-
national)

ultra- Adjektiv steigernd (ultraleicht, ultra-


flach), teils mit der Kompo-
nente ‘zuviel’ (ultrakonser-
vativ), ‘jenseits’ (ultraviolett)

Mon(o) ‘allein, einzeln’ (monolingual, monolateral) wird auch abgeleitet ver-


wendet und muss daher zu den Konfixen gerechnet werden, vgl. Monist, Mo-
nismus, monistisch.
Pseud(o) gr. ‘lügen’ erscheint im Deutschen als ‘unecht’, ‘dem Anschein
nach’, vgl. pseudowissenschaftlich, pseudointellektuell. Aber es tritt ebenfalls
auch abgeleitet auf, vgl. Pseudolist, Pseudolismus, und trägt klar lexikalische
Bedeutung. Daher zählt es zu den Konfixen.

Fremdsuffixe
Die fremdsprachlichen Adjektivsuffixe sind betont, sie verbinden sich meist
mit Fremdwörtern oder Konfixen.
Manche Bildungen sind aus synchroner Sicht morphologisch nicht klar,
z.B. manuell. Nur lateinisch versierte Studenten erkennen lat. manus ‘Hand’.
Hier sind Simplizia anzusetzen.
Manchmal wechseln s und t ab (Chaos/chaotisch, Analyse/analytisch) oder
d und s (expandieren/expansibel), was an den lateinischen bzw. griechischen
Stämmen liegt, die nicht immer mit der Grundform, wie im Deutschen, iden-
tisch sind. Eine deutsche Singularform ist immer als Ganzes der Stamm für
die weitere Flexion (Grundformflexion, vgl. Kind-er). Im Lateinischen und
Griechischen herrscht jedoch Stammflexion vor. Der Nominativ Singular hat
172 9. Adjektiv – Wortbildung II

eine eigene Endung, die für die weitere Flexion wegfällt (Radi-us, -en, Vis-um,
-a).
Die Morpheme bewirken meist eine recht allgemeine Bedeutungsverän-
derung in Richtung einer Eigenschaft oder Zugehörigkeit im Zusammenhang
mit dem im Stamm Bezeichneten mit fachsprachlich gehobenem Aspekt, was
auch okkasionell ironisierend geschieht wie bei elefantös, phänomänabel, vgl.
Tabelle (22).

Tabelle 22: Die produktiven fremden Suffixe der Adjektive

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-abel, Substantiv Eignung, Möglichkeit (profita- -ibel aus dem Lateinischen, -abel
-ibel bel, diskutabel), eher neutrale dann aus dem Französischen;
Konfix zu Adjektivbildung (komfortabel, kaum produktiv (spendabel), die
Verben auf konvertibel) meisten Wörter sind als Ganze
-ieren entlehnt

-al Substantiv Beziehung, Zugehörigkeit mit Lauteinschub äquatorial,


(dialektal, saisonal), ‘in der Art prozessural, mit Tilgung des
Konfix von’ (adverbial, genial, kollegial, letzten Vokals katastrophal,
formal) orchestral;
-al und -ell sind ursprünglich
Varianten, aber heute teils kon-
trastiv, vgl. ideal ‘vollkommen’,
ideell ‘die Idee betreffend’

Wortgruppe dreidimensional dies ist dann Zusammenbildung

-ant, -ent Substantiv Eigenschaft (eklatant, tolerant, kaum produktiv, unanalysierbar


intelligent, charmant) pikant
Konfix

-ar,- är Substantiv polar, illusionär, atomar -ar lat. -arius, -är ebenfalls, aber
über das Französische -aire, mit
Konfix imaginär vokalischer Veränderung mole-
kular, spektakulär; mit Tilgung
des letzten Vokals legendär

-ell Substantiv Beziehung, Zugehörigkeit, Ei- mit Lauteinschub prinzipiell,


genschaft (prinzipiell, materiell, intellektuell, mit Tilgung maschi-
personell, traditionell, experi- nell, habituell; -al und -ell sind
Konfix mentell) ursprünglich Varianten, aber
heute teils kontrastiv, vgl. ideal
‘vollkommen’, ideell ‘die Idee
betreffend’

-esk Substantiv ‘in der Art von’ (clownesk, balla- unanalysierbar grotesk, burlesk
desk, kafkaesk)
9.2. Vertiefung 173

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-iv Substantiv Eigenschaft, Fähigkeit, ‘in der mit Lauteinschub spekulativ


Art von’ (effektiv, instinktiv,
Adjektiv attributiv, aggressiv, direktiv)
Konfix

-oid Substantiv ‘ähnlich’ (faschistoid, negroid, fachsprachlich zu lat. Stäm-


humanoid, tigroid, paranoid) men ‘ähnlich der Erkrankung’
Adjektiv Typhus/typhoid, mit Tilgung
grippoid
Konfix

-os, -ös Substantiv ‘versehen mit’, ‘so wie’, ‘bezogen -os aus dem Lateinischen, -ös
auf ’ (virtuos, humos, promiskuos, dann aus dem Französischen;
Konfix medikamentös, infektiös, religiös) mit Lauteinschub tendenziös,
mit lautlicher Veränderung mus-
kulös, voluminös, luxuriös, mit
Tilgung desaströs, unanalysier-
bar dubios, famos, seriös

Laut Fuhrhop (1998: 128) ist -ibel, das sich mit Konfixen verbindet, vgl. dis-
ponibel, konvertibel, kein produktives Suffix im Deutschen. Sie versteht es
als Variante zu -abel. Tatsächlich resümiert sie für alle fremdsprachlichen
Adjektivendungen Unproduktivität (Fuhrhop 1998: 130). Das gilt aber nicht
für verschiedene stilistisch geprägte Randbereiche, z.B. insektoid, chaplinesk,
elefantös, phänomänabel, vgl. auch trinkabel, miefös, pechös (Russ 2005: 402)
und die Fachsprachen.
Bildungen auf -iert, zu denen es keine Verben gibt (talentiert, routiniert,
renommiert), können zu den Scheinpartizipien gerechnet werden, die von
Substantiven abgeleitet werden (vgl. auch geblümt).

Heimische Suffixe: Kühnhold et al. (1978), Simmler (1998), Erben (2006)


Fremdsprachliche Affixe: Lohde (2006)
Klammerformen: Pümpel-Mader et al. (1992)

Übungen zu 9.2. Vertiefung


1. Geben Sie eine vollständige morphologische Analyse der unterstrichenen
Wörter: Die ultramodernen Tops mit ihren breiten Querstreifen machen
aus mageren Jugendlichen sommerliche junge Frauen!
2. Bestimmen Sie den Wortbildungstyp: polyphon, horizontal, bibliophil, bio-
aktiv, illegitim!
174 9. Adjektiv – Wortbildung II

3. Bestimmen Sie die Wortart des Stammes: dezentral, tugendsam, zerbrech-


lich, königlich, städtisch, linkisch, sonderlich, staubig, faschistoid, trinkbar,
hyperaktuell, illegal, baldig!
10. Verb – Flexion

10.1. Grundlagen

Grundbegriffe
Verben, auch Tätigkeitswörter genannt, bezeichnen typischerweise Handlun-
gen (schlagen, schreiben), Zustände (liegen, wohnen) bzw. Vorgänge (fallen,
wachsen). Sie sind konjugierbar. Die K o n j u g a t i o n oder Verbflexion
betrifft die grammatischen Kategorien Person, Numerus, Modus, Tempus.
Bei der P e r s o n wird unterschieden, ob der Sprechende ( e r s t e P e r -
s o n ), der Angesprochene ( z w e i t e P e r s o n ) oder ein Dritter ( d r i t -
t e P e r s o n ) die Handlung ausführen, bei N u m e r u s , ob es sich um ei-
nen einzelnen ( S i n g u l a r ) oder mehrere ( P l u r a l ) Beteiligte handelt.
M o d u s bezeichnet die Aussageweise. Dabei unterscheiden wir den I n -
d i k a t i v (Wirklichkeitsform) vom K o n j u n k t i v (Möglichkeitsform)
und vom I m p e r a t i v (Befehlsform). Der Konjunktiv I (auch Konj. Präs.)
drückt im Grunde eine Möglichkeit aus, er wird auch für Arbeitsanweisungen
gebraucht. Der Konjunktiv II (auch Konj. Prät.) versprachlicht Unwirkliches,
Unmögliches und tritt auf in der indirekten Rede. T e m p u s bezieht sich
auf Informationen, die den Zeitpunkt des Geschehens betreffen: Gegenwart
( P r ä s e n s ), Vergangenheit ( P r ä t e r i t u m /Vergangenheit, auch Im-
perfekt, für abgeschlossene Handlungen, P e r f e k t /abgeschlossene Gegen-
wart, für Vergangenes mit Bezug zur Gegenwart, P l u s q u a m p e r f e k t /
Vorvergangenheit, für eindeutig Vergangenes oder zeitlich vor anderem ver-
gangenen Liegendes, Zukunft ( F u t u r I für zukünftige Handlungen, für
die Annahme zukünftiger Handlungen, F u t u r I I , auch vollendete Zu-
kunft, für in der Zukunft abgeschlossene Handlungen). Der Begriff G e n u s
v e r b i („Art des Verbs“) oder auch Diathese bzw. Handlungsform trennt
zwischen dem Geschehen vom Täter aus betrachtet (A k t i v ) und vom Be-
troffenen aus betrachtet ( P a s s i v ). Die Kategorie Genus verbi wird ent-
weder nicht markiert (Aktiv) oder mit Hilfsverben (Passiv), also nicht durch
Flexion.
176 10. Verb – Flexion

Die Zeitformen der Vergangenheit gelten im Prinzip für die Schriftsprache


oder für die gehobene Mündlichkeit. In weiten Teilen des deutschen Sprachrau-
mes kommt im täglich verwendeten gesprochenen Deutsch beinahe ausschließ-
lich das Perfekt vor. Hier wird das Präteritum praktisch nicht gebraucht.
Bei vielen Verben sind die Formen des Indikativ und Konjunktiv I iden-
tisch, dann wird Konjunktiv II verwendet. Weil aber auch oft beide Konjunk-
tivformen mit dem Indikativ gleichlauten, bevorzugen die SprecherInnen die
Umschreibung mit würde. Immer häufiger vertreten solche Ersatzformen
grundsätzlich den Konjunktiv, außer in gehobenen Varietäten.
Die Wahl der Merkmale richtet sich nach dem, was ausgesagt werden soll
und nach dem Subjekt des Satzes: Handelt es sich um ein Subjekt im Plural in
der dritten Person, muss auch das Verb, das die Rolle des Prädikats im Satz
spielt, im Plural, dritte Person, stehen (die Elefanten trompeten – *der Elefant
trompeten, *du trompeten). Das heißt, Subjekt und Prädikat stehen in Person-
Numerus-Kongruenz zueinander, sie stimmen hinsichtlich Person und Nu-
merus überein.

Tabelle 23: grammatische Kategorien des Verbs


Numerus (Zahl) Singular ich bin, du bist, er ist, ich lache, du lachst
Plural wir sind, ihr seid, sie sind, wir lachen, ihr lacht
Person 1. ich bin, wir sind, ich lache, wir lachen
2. du bist, ihr seid, du lachst, ihr lacht
3. sie ist, er ist, sie sind, sie lacht, sie lachen
Modus (Aussageweise) Indikativ ich bin, ich war, wir singen, sie wird
Konjunktiv I ich sei, er habe, man nehme, sie werde
Konjunktiv II ich wäre, wir sängen/wir würden singen
Imperativ sei!, seid!, singe!, singt!
Tempus (Zeit) Präsens ich bin, ich lache
Präteritum ich war, ich lachte
Perfekt ich bin gewesen, ich habe gelacht
Plusquamperfekt ich war gewesen, ich hatte gelacht
Futur I ich werde sein, ich werde lachen
Futur II ich werde gewesen sein
Genus verbi Aktiv ich bin, ich lache, ich schlug
(Handlungsform) Passiv ich werde geschlagen, ich bin geschlagen worden

Beim Passiv wird getrennt zwischen Zustandspassiv mit sein (der Kuchen ist
gebacken) und Vorgangspassiv mit werden (der Kuchen wird gebacken). Im In-
dikativ lautet das Passiv in der 3. Pers. Sg. Präsens Der Kuchen ist/wird geba-
cken, im Konjunktiv I Der Kuchen sei/werde gebacken, im Konjunktiv II Der
Kuchen wäre/würde gebacken.

Die Informationen treten meist kombiniert in einer Endung auf. Die Aufspal-
tung in einzelne Informationseinheiten pro Morphem gelingt nicht durch-
10.1. Grundlagen 177

gängig, weil das Deutsche eine flektierende Sprache ist, die den geschilderten
Kategorien nicht jeweils einzelne Morpheme zuweist. Es gibt kein spezielles
Flexiv für das Präsens, und auch Aktiv wird nicht eigens markiert. Person und
Numerus verbinden sich in einem Morphem (ich hust-e). Schließlich lauten
die erste und dritte Person Präteritum Singular (ich hustete, er hustete) bzw.
Plural (wir husteten, sie husteten) gleich, es ergeben sich homonyme Morphe-
me. Dieses systematische Zusammenfallen von Flexionsformen heißt S y n -
k r e t i s m u s . Beim Imperativ hingegen sind nur Singular oder Plural mar-
kiert. Person, Tempus und Genus verbi fehlen aus inhaltlichen Gründen, denn
wir können nur unser Gegenüber zu etwas auffordern, es ergeben sich erst gar
keine zeitlichen Aspekte oder Handlungsformen. Diese Kategorien werden
bei der morphologischen Analyse oft nicht berücksichtigt, wohl aber bei der
Bestimmung der grammatischen Form. Besondere Aufforderungsformen wie
Kommen Sie! sind keine morphologischen, sondern syntaktische Phänomene.

Übungen zu 10.1. Grundlagen


1. Bestimmen Sie die grammatische Form: du hast geschlagen, er hatte ge-
lacht, sie rennen, Kalle und Heinz wurden belächelt, ihr werdet schon sehen!
2. Nach welchen grammatischen Kategorien flektieren die Verben im Deut-
schen?

Eine Bildung wie lachst verbindet in {-st} die zweite Person Singular. Das Fle-
xiv steht nicht für eine einzelne Kategorie, sondern für ein Kategorienbündel.
Präsens und Indikativ ergeben sich dadurch, dass die Form nicht in einem an-
deren Tempus und nicht in einem anderen Modus steht. Die Bestimmung des
Aktivs ergibt sich daraus, dass die Form nicht im Passiv steht und im Übrigen
auch nicht stehen kann.

lachstV

{lach-} {-st}

{lach-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem, eine Verbalwurzel, {-st} ist
ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexionssuffix für die zweite
Person Singular. Präsens und Indikativ werden nicht durch ein eigenes Mor-
phem ausgedrückt, gehören aber zur Bestimmung der Verbform, ebenso Aktiv.
Sind alle Aspekte wie in diesem Beispiel in einem Lexem kombiniert,
handelt es sich um eine s y n t h e t i s c h e Form. Werden sie auf mehrere
Wörter verteilt, ist die Form a n a l y t i s c h (periphrastisch). Beispielsweise
ist die Form (der Elefant) hat trompetet analytisch, sie bildet die dritte Person
Singular Perfekt Indikativ Aktiv.
178 10. Verb – Flexion

Synthetische Formen ich ging/lief, ich nähme/liefe


Analytische Formen ich bin gegangen/gelaufen, ich würde gehen/laufen

Für die analytischen Formen benötigen wir die Hilfsverben sein, haben, wer-
den. Sie bilden das Perfekt (ist gestorben, hat geworfen), das Plusquamperfekt
(war gestorben, hatte geworfen), Konjunktiv (würde werfen), Futur I und II
(wird werfen, wird geworfen haben), Passiv (wird geschlagen). Die mehrteili-
gen Formen fügen sich zu einem Verbalkomplex zusammen. Zur Konjugation
im engeren Sinne zählen nur die synthetischen Formen. Sie gehören zu den
morphologischen Verfahren. Die Bildung analytischer Formen zählt zu den
syntaktischen Verfahren, denn sie bestehen aus mehreren Lexemen, und die
Betrachtung der Verknüpfung von Lexemen und ihre Beziehungen zueinan-
der gehört in die Syntax.

Ein weiteres wichtiges Begriffspaar unterscheidet Formen, die flekiert sind,


die f i n i t e n F o r m e n („begrenzte“, bestimmte Formen), von denen,
die nicht nach mindestens Person und Numerus bestimmt sind, die i n f i -
n i t e n F o r m e n („unbegrenzte“, unbestimmte Formen). Dies sind der
I n f i n i t i v (gehen), das P a r t i z i p P r ä s e n s / P a r t i z i p I (ge-
hend) und das P a r t i z i p P e r f e k t / P a r t i z i p I I (gegangen). Im
heutigen Deutsch tritt das Partizip I nicht mehr als eigenständige Verbform
auf, sondern bildet Adjektive (das heulende Kind). Der Infinitiv ist die Grund-
form bzw. Nennform des Verbs.

Infinite Formen gehen/laufen, gehend/laufend, gegangen/gelaufen


Finite Formen (ich) gehe/laufe, (du) gehst/läufst

Werden infinite Formen als Adjektive oder Substantive gebraucht, erhalten sie
die entsprechenden Deklinationsendungen (die Lachenden, mit den singenden
Kindern, das gelesene Buch).

Verbtypen
Sehr wichtig ist die Unterscheidung von starken und schwachen Verben. Die
meisten der im Deutschen verwendeten Verben benötigen für das Präteritum
das Präteritalsuffix, das -(e)t, ich schweb-e vs. ich schweb-t-e. Es wird auch
D e n t a l s u f f i x genannt, weil für die Produktion des t die Zunge die Zäh-
ne berührt (lat. dentēs ‘Zähne’). Das Partizip II wird mit dem Zirkumfix ge-t
gebildet, ge-schweb-t. Dies ist das Muster für die s c h w a c h e n V e r b e n .
10.1. Grundlagen 179

(ich) schwebte V geschwebtV


 
{schweb-} {-t} {-e} {ge-t} {schweb-}

{schweb-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem, eine Verbalwurzel. {-t}


ist ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexionssuffix für das Prä-
teritum, es wird auch Dentalsuffix genannt. {-e} ist ein gebundenes gramma-
tisches Morphem, ein Flexionssuffix für die (hier) erste Person Singular Indi-
kativ, es ist gleichlautend mit anderen Verbflexiven. {ge-t} ist ein gebundenes
grammatisches Morphem, ein Flexionsaffix/Flexiv, genauer: ein Zirkumfix.
Es bildet das Partizip II bei schwachen Verben.
Manche Grammatiken fassen die Endungen zu einem Morphem zusam-
men, vgl. schweb-te, schweb-ten (Duden 2006).
Der Terminus schwache Verben stammt von Jacob Grimm. Er verband
damit die Vorstellung, diese Verben seien schwach, weil sie nicht ohne Hilfe
durch ein Suffix ihre Formen bilden können. Denn die s t a r k e n V e r -
b e n können dies aus sich heraus – durch Vokal- und manchmal auch Kon-
sonantenwechsel, ohne ein Dentalsuffix, ich laufe/ich lief, ich schwimme/ich
schwamm. Beim Partizip II ist das Zirkumfix {ge-en} nötig – gelaufen, ge-
schwommen. Das {ge-} tritt allerdings nicht bei Verben mit unbetonter Erstsil-
be bzw. unbetontem Präfix auf (gehen/gegangen, weggehen/ weggegangen, aber
begehen/begangen, studieren/studiert).
Ein weiterer Unterschied ist bei der 1. und 3. Person Indikativ Präteritum
zu sehen. Ein schwaches Verb hat die Endung -e, das starke ist endungslos, vgl.
ich, er schwebte vs. ich, es ging.

Übungen zu 10.1. Grundlagen


3. Erklären Sie folgende Begriffe: synthetische Form, Konjugation, infinite
Form, Dentalsuffix!

An dieser Stelle sei auf einige Abgrenzungsprobleme bei den Flexiven ver-
wiesen. Da das {ge-} wegfallen kann, setzen manche Grammatiken auch für
die Partizip-II-Bildung ein {ge-}-Präfix und ein Suffix getrennt an, obwohl sie
regelmäßig kombiniert auftreten. Andererseits werden die Partizipien man-
cher starker Verben auch gelegentlich als mit {ge-} präfigierte Infinitive ver-
standen. Dies verschleiert jedoch die Parallelen zu den schwachen Verben. Die
Zirkumfixvorstellung mit {ge-t} und {ge-en} wird hier bevorzugt, da sie starke
und schwache Verben analog behandelt und dem sehr verbreiteten gemeinsa-
men Vorkommen von ge- und -t bzw. -en Rechnung trägt.
Neben der Interpretation von {-(e)nd} für das Partizip I findet sich auch
die Vorstellung einer Ableitung durch {-d} vom Infinitiv, die dann zu drei
180 10. Verb – Flexion

Morphemen führt. Das {-(e)nd} als Morphem für das Partizip I bedeutet eine
zweimorphemige Verbform, also ist es die ökonomischere Lösung, die deswe-
gen bevorzugt wird. Außerdem ergibt sich durch den Infinitiv als Basis für das
Partizip eine indirekte Ableitung, als sei der Infinitiv vom Verbstamm, das
Partizip wiederum vom Infinitiv abgeleitet. Unmittelbar vom Stamm abzu-
leiten stellt dagegen eine Parallele zu den finiten Formen her und zum Infini-
tiv.

Vokalwechsel wie bei laufen/lief/gelaufen, schwimmen/schwamm/geschwom-


men oder nehmen/nahm/genommen entspringen dem Ablaut, der bereits für
die rekonstruierte Ursprungsform des Deutschen, das Indogermanische, an-
zunehmen ist. Er führt bei verschiedenen Verbgruppen zu unterschiedlichen
Vokalwechseln, was für Nichtmuttersprachler einiges an Lernaufwand be-
deutet. Damit verfügen die jeweiligen Verbparadigmen über unterschiedliche
Verbstämme:

starke Verben laufen/lief/gelaufen, bitten/bat/gebeten, sprechen/


sprach/gesprochen
schwache Verben lachen/lachte/gelacht, bellen/bellte/gebellt.

Die Strukturbäume für (ich) sprach und gesprochen könnten folgendermaßen


aussehen:

(ich) sprachV gesprochenV


 
{sprach-} {ge-en} {sproch-}
zu {sprech-} zu {sprech-}

{sprech-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem, eine Verbalwurzel. Die


Form sprach stellt den abgelauteteten Präteritalstamm dar, also ist {sprach-}
ein Allomorph zu {sprech-}. Bei sprach fehlen Flexionssuffixe, es ist (hier) erste
Person Singular Indikativ, es ist gleichlautend mit der dritten Person. Auf-
grund der abgelauteten Stammform handelt es sich um Präteritum. {ge-en} ist
ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexionsaffix/Flexiv, genauer:
ein Zirkumfix. Es bildet das Partizip II bei starken Verben. {sproch-} ist der
Partizipialstamm und damit ein weiteres Allomorph zu {sprech-}.

Da die schwachen Verben somit regelmäßig flektieren, können sie auch als
regelmäßige Verben bezeichnet werden. Die starken jedoch sind nicht mit un-
regelmäßigen Verben gleichzusetzen, weil das Deutsche noch einige andere
Unregelmäßigkeiten aufweist, die Lautwechsel und Dentalsuffix unterschied-
10.1. Grundlagen 181

lich kombinieren. Es treten nämlich auch Verben mit Mischformen auf mit
teils regelmäßigen (mahlte), teils unregelmäßigen Elementen (gemahlen)
mahlen/mahlte/gemahlen, spalten/spaltete/gespalten, salzen/salzte/gesal-
zen, sieden/siedete (sott?)/gesotten.
Es gibt Verben, die regelmäßig (backte) oder unregelmäßig (buk) konjugiert
werden können
backte/buk, gärte/gor, bewegte/bewog, erschreckte/erschrak.
Es gibt Verben mit dem sogenannten Rückumlaut, die einen Vokalwechsel
aufweisen, der eben nicht mit dem Ablaut verwechselt werden darf, sowie das
Dentalsuffix. Zu ihnen gehören brennen, kennen, rennen, nennen sowie sen-
den, wenden.
brennen/brannte/gebrannt, kennen/kannte/gekannt, senden/sandte/gesandt.
Es gibt weitere Verben mit Dentalsuffix und Lautwechsel wie bringen/brachte/
gebracht und denken/dachte/gedacht.

Die bisher genannten Verben können im Satz allein das Prädikat bilden und
sind inhaltlich selbstständig. Sie heißen V o l l v e r b e n . Daneben gibt es die
Gruppe der M o d a l v e r b e n, die eine bestimmte Art und Weise des Ge-
schehens ausdrücken, etwa die Möglichkeit, die Verpflichtung, und sich mit
dem Infinitiv, der das Geschehen bezeichnet, verbinden. Bis auf sollen kom-
binieren sie verschiedene Lautwechsel mit Dentalsuffix. Das sonst übliche -e
in der ersten Person Indikativ Präsens fehlt hier, vgl. ich gehe, singe, laufe vs.
ich will, darf, soll. Sie bilden kein Passiv und auch keinen Imperativ. Die sechs
Modalverben des Deutschen sind darf/durfte, kann/konnte, mag/mochte,
muss/musste, soll/sollte, will/wollte.
Was die Konjugation anbelangt zählt auch wissen hierzu. Brauchen mit
nicht verliert zusehends das zu beim Infinitivanschluss und kann dann auch
hierzu gerechnet werden (ihr braucht nicht kommen).
Die Modalverben können je nach Zusammenhang auch allein im Satz
auftreten. Dann wird das fehlende Vollverb meist als elliptisch (weggelassen)
verstanden – Ich kann Japanisch ist eigentlich Ich kann Japanisch sprechen/
verstehen.

Hiervon zu trennen sind die M o d a l i t ä t s v e r b e n wie vermögen, wis-


sen, verstehen, nicht brauchen (vgl. aber unten), pflegen, scheinen etc., die wie
die Modalverben eine Handlung modifizieren, jedoch den Infinitv mit zu for-
dern. Damit sind sie über semantisch-syntaktische Eigenschaften bestimmt
und nicht über morphologische Besonderheiten.
182 10. Verb – Flexion

Schließlich gibt es auch die H i l f s v e r b e n , die ihren Namen der Tatsa-


che schulden, bei der Bildung analytischer Verbformen beteiligt zu sein. Sie
weisen ganz eigene Flexionsformen auf:
haben/hatte/gehabt, sein/war/gewesen, werden/wurde/geworden.
Das Hilfsverb sein setzt sich aus Formen zusammen, die aus unterschiedli-
chen etymologischen Wurzeln stammen (Suppletivwesen/Suppletion) – sein
*es- ‘sein’/ist *estī/gewesen *wes-a.

Die Gruppe der Kopulaverben definiert sich nicht über morphologische


Kennzeichen, sondern über syntaktische – Verben wie sein, werden, bleiben
oder heißen verbinden sich mit einem Substantiv oder Adjektiv zum Prädikat
(er wird Lehrer, er bleibt Lehrer, er heißt Donald). Allerdings gibt es hierzu
unterschiedliche Auffassungen und Begrifflichkeiten, die jedoch in die Syntax
gehören. Das Verb sein kann also sowohl als Hilfsverb als auch als Kopula ge-
braucht werden sowie außerdem als Vollverb, beispielsweise in Er ist in Nizza
in der Bedeutung ‘sich befinden’. Auch das Hilfsverb haben tritt als Vollverb
auf. In dem Satz ich habe Geld trägt es entsprechend auch eine selbstständige
Bedeutung, und zwar ‘besitzen’. Das Verb haben lässt sich folgendermaßen
morphologisch zergliedern: im Infinitiv {hab-}{-en}, dann im Präsens ich
{hab-}{-e}, du {ha-}{-st}, er {ha-}{-t}, wir, sie {hab-}{-en}, ihr {hab-}{-t}, im Prä-
teritum ich, sie {ha-}{-tt}{-e}, du {ha-}{-tt}{-est}, wir/sie {ha-}{-tt}{-en}, ihr {ha-}
{-tt}{-et}, im Konjunktiv I ich, er {hä-}{-tt}{-e}. Hier ist zu bedenken, dass die
Schrift die Lautung ersetzt, für die natürlich kein doppeltes t anzusetzen ist.
Unter Berücksichtigung der Aussprache ergeben sich folgende Allomorphe
zur Wurzel {hab-}: {/hāb/-}, {/hāp/-} (in habt), {ha-}, {hä-}. Bei dieser Analyse
bleiben das Dentalsuffix und die Person-Numerus-Endungen erhalten. Aller-
dings vertreten manche Autoren die Ansicht, dass eine Form wie {hat} als
eigenes Morphem zu verstehen ist, in dem die grammatischen Kategorien und
die lexikalische Basis zusammengezogen, kontrahiert, sind. Dabei ginge je-
doch die regelmäßige Parallele zur zweiten Person und zum Präteritum verlo-
ren.
Dagegen sind {bin}, {bist}, {ist}, {sind} als Morpheme anzusetzen, da klei-
nere Segmente nicht regelmäßig mit dem gleichen Inhalt einhergehen, sei-d
oder war-t sind hingegen komplex.
Aus heutiger Sicht nicht mehr erkennbar ist die Suppletion bei gehen, dem
die Form gang- aus einem nicht verwandten Verb g. *gang-a zur Seite steht.

Übungen zu 10.1. Grundlagen


4. Welches sind starke, welches schwache Verben: joggen, laufen, gehen,
schwimmen, googeln, kochen, hervorholen, halten?
10.1. Grundlagen 183

5. Geben Sie die morphologische Struktur und die Morphemtypen an für die
folgenden Verben: (du) kochst, (wir) kochen, (er) kochte, (Vater hatte) gekocht!
6. Erklären Sie den Begriff Synkretismus am Beispiel lachen!

Konjugationsmuster
Im Folgenden (Tabellen 24–29) sind einige Paradigmen, in diesem Fall Kon-
jugationsmuster, beispielhaft für verschiedene Verbtypen aufgeführt. Es wird
deutlich, dass sich viele Formen gleichen. Der Synkretismus gerade für die
schwachen Verben ist stark ausgeprägt.

Tabelle 24: schwaches Vollverb schweben


Infinitiv schweben, Partizip I schwebend, Partizip II geschwebt, Imperativ Sg. schwebe!, Pl.
schwebt!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ = Konjunktiv II
1. Pers. Sg. schwebe schwebe schwebte schwebte
2. Pers. Sg. schwebst schwebest schwebtest schwebtest
3. Pers. Sg. schwebt schwebe schwebte schwebt
1. Pers. Pl. schweben schweben schwebten schwebten
2. Pers. Pl. schwebt schwebet schwebtet schwebtet
3. Pers. Pl. schweben schweben schwebten schwebten

Tabelle 25: rückumlautendes Vollverb rennen


Infinitiv rennen, Partizip I rennend, Partizip II gerannt, Imperativ Sg. renne!, Pl. rennt!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. renne renne rannte rennte
2. Pers. Sg. rennst rennest ranntest renntest
3. Pers. Sg. rennt renne rannte rennte
1. Pers. Pl. rennen rennen rannten rennten
2. Pers. Pl. rennt rennet ranntet renntet
3. Pers. Pl. rennen rennen rannten rennten

Tabelle 26: starkes Vollverb gehen


Infinitiv gehen, Partizip I gehend, Partizip II gegangen, Imperativ Sg. geh!, Pl. geht!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. gehe gehe ging ginge
2. Pers. Sg. gehst gehest gingst gingest
3. Pers. Sg. geht gehe ging ginge
1. Pers. Pl. gehen gehen gingen gingen
2. Pers. Pl. geht gehet gingt ginget
3. Pers. Pl. gehen gehen gingen gingen
184 10. Verb – Flexion
Tabelle 27: starkes Vollverb fahren
Infinitiv fahren, Partizip I fahrend, Partizip II gefahren, Imperativ Sg. fahr!, Pl. fahrt!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. fahre fahre fuhr führe
2. Pers. Sg. fährst fahrest fuhrst führest
3. Pers. Sg. fährt fahre fuhr führe
1. Pers. Pl. fahren fahren fuhren führen
2. Pers. Pl. fahrt fahret fuhrt führet
3. Pers. Pl. fahren fahren fuhren führen

Tabelle 28: Modalverb dürfen


Infinitiv dürfen, Partizip I dürfend, Partizip II gedurft, Imperativ Sg. Ø, Pl. Ø
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. darf dürfe durfte dürfte
2. Pers. Sg. darfst dürfest durftest dürftest
3. Pers. Sg. darf dürfe durfte dürfte
1. Pers. Pl. dürfen dürfen durften dürften
2. Pers. Pl. dürft dürfet durftet dürftet
3. Pers. Pl. dürfen dürfen durften dürften

Tabelle 29: Hilfsverb sein


Infinitiv sein, Partizip I seiend, Partizip II gewesen, Imperativ Sg. sei!, Pl. seid!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. bin sei war wäre
2. Pers. Sg. bist sei(e)st warst wär(e)st
3. Pers. Sg. ist sei war wäre
1. Pers. Pl. sind seien waren wären
2. Pers. Pl. seid seiet wart wär(e)t
3. Pers. Pl. sind seien waren wären

Versuchen wir nun, die bisher vorgestellten Begriffe bei Analysen anzuwen-
den. Weil das Thema Wortbildung des Verbs erst folgt, nehmen wir Simplizia.
Damit ergibt sich für die nächsten Beispiele keine Ebene der Wortbildung.
Bei der morphologischen Analyse bestimmen Sie den Verbtyp (Vollverb etc.),
die Form hinsichtlich der Aspekte finit/infinit, die Morphemstruktur, zum
Beispiel anhand eines Strukturbaums, die Morphemtypen und die Kategorien
Person, Numerus, Modus, Tempus und bei der Bestimmung der grammati-
schen Form in jedem Falle auch Genus verbi. Inwiefern dies zur Bestimmung
der morphologischen Form gehört ist umstritten. Vergessen Sie Besonderhei-
ten nicht wie Ablaut, andere lautliche Veränderungen oder den Hinweis auf
Synkretismus!
10.1. Grundlagen 185

Zunächst sehen wir uns eine synthetische Form an: (sie) kochen.
Kochen ist ein schwaches Verb, ein Vollverb.

(sie) kochenV

{koch-} {-en}

{koch-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem, eine Verbalwurzel. {-en}


ist ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexionssuffix für die (hier)
dritte Person Plural Präsens Indikativ. Es ist gleichlautend mit anderen Verb-
flexiven, mit dem Infinitiv und zahlreichen anderen Flexiven im Deutschen.
Das Verb ist finit. Es steht im Aktiv.
Es folgt eine analytische Form. Gegeben sei der Satz Das Kind war gestern
nicht in die Schule gegangen. Hier ist eine morphologische Analyse des Verbal-
komplexes zu leisten.
Der Verbalkomplex lautet war gegangen. War ist ein Hilfsverb, das hier für
die Bildung des Plusquamperfektes eingesetzt wird. Es ist eine finite Form.
Gegangen ist ein Vollverb in der Form des Partizip II, also infinit.

war V gegangenV
 
{war} {ge-en} {gang-}
zu {sein} zu {geh-}

Bei der Form war handelt es sich um die 3. Person Singular Präteritum Indi-
kativ. Es ist eine Suppletivform, aus heutiger Sicht ein Allomorph zu {sein}.
Dies wiederum wird heute als nicht komplexer Infinitiv verstanden (was his-
torisch nicht korrekt ist). Es ist lexikalisch (und frei), wenn es als Vollverb
auftritt. Hier in der Funktion als Hilfsverb ist es grammatisch. {ge-en} ist ein
Zirkumfix, ein Flexiv, grammatisch, gebunden. Es bildet das Partizip II der
starken Verben. {gang} ist der Partizipialstamm und damit ein Allomorph zu
{geh-} (gebundene lexikalische Verbalwurzel). Der Verbalkomplex insgesamt
bildet die 3. Person Singular Plusquamperfekt Indikativ Aktiv (Passiv ist bei
dem Verb nicht möglich).

Übungen zu 10.1. Grundlagen


7. Definieren Sie die Begriffe Vollverb, Hilfsverb, Modalverb!
8. Stellen Sie das gesamte Konjugationsparadigma für das Verb husten auf
(synthetische Formen)!
9. Bestimmen Sie die morphologischen Formen der Verbalkomplexe in fol-
genden Sätzen!
186 10. Verb – Flexion

Die Studenten protestieren gegen die Studiengebühren. Du bist auch mit


dabei gewesen. Ein Polizist schlug einen der Studenten. Der Student meinte,
er werde sich beschweren. Gestern ist der Polizist vom Räuber erschossen
worden.

10.2. Vertiefung

Wiederholung
Übungen zu 10.2. Vertiefung
1. Bilden Sie die Stammformen folgender Verben, wann und warum treten
Unsicherheiten auf?
backen, sich befleißigen, erkiesen, kaufen, gären, gleiten, pflegen, raufen,
ziehen, saugen.

Analogie
Wir erinnern uns: Die Analogie ist ein Verfahren, das bei der Bildung von
Wörtern und Wortformen eine große Rolle spielt. Die Grundlage muss nicht
unbedingt die Grundform sein, denn auch sie kann nachträglich analogisch
gebildet werden, beispielsweise der Infinitiv, vgl. Ich möchte ein Eis – Du hast
nichts zu möchten. Ein anderes, bewusst scherzhaftes Beispiel ist „Der Mensch
denkt, Gott lenkt. Der Mensch dachte, Gott …“ (Nübling 2008: 44).
Ähnliche Wörter verbinden sich zu Proportionsgruppen in Hermann
Pauls Terminologie. Zahlenmäßig starke Gruppen ziehen weitere Wörter an.
Das heißt, das Muster der schwachen Verben ist schon allein wegen der Häu-
figkeit das Vorbild für neue Verben. Deswegen flektieren englische Verben im
Deutschen schwach, ich googelte, ich habe gegoogelt, und seltene starke Verben
übernehmen irgendwann die schwache Flexion, vgl. ich backte, ich melkte. Per
Analogie werden aber auch innerhalb eines Paradigmas manche Ausreißer
ausgeglichen (analogischer Ausgleich).
10.2. Vertiefung 187

Allomorphie und Homonymie


Es ist nicht besonders verwunderlich, dass die SprecherInnen Formen wie
brächten, kämet oder renntet meiden und die analytischen Konjunktivformen
mit würde vorziehen. Denn die vielen aus heutiger Sicht undurchschaubaren
Vokaländerungen der Stämme machen die Formen fehleranfällig, und die
häufig gleichlautenden Endungen führen zu Unklarheiten.
Bei der Lautveränderung zwischen den Indikativ- und Konjunktivformen
der starken Verben wie schloss – schlösse oder fuhr – führe handelt es sich um
Umlaut. {schloss-}, {schlöss-} sind Allomorphe zu {schließ-}. {fuhr-}, {führ-}
sind Allomorphe zu {fahr-}. Die starken Verben bilden ihren Konjunktiv II
mit dem umgelauteten Präteritalstamm, während die schwachen Verben im
Präteritum die gleichen Endungen bei Indikativ und Konjunktiv aufweisen.
Der Ablaut zu fahr, komm ist fuhr, kam, dazu der Umlaut ist führ, käm. So lau-
tet der Konjunktiv II zu sterben stürbe, zu werfen würfe, zu gewinnen gewönne.
Hier sind jeweils Stammvarianten anzusetzen.
Alle Gruppen (außer sein) verwenden beim Konjunktiv I ein -e in der
ersten und der dritten Person Singular (er gehe, fahre, solle), in der zweiten
Person Singular und Plural tritt ein e vor die Person-Numerus-Endung (du
gehest, ihr gehet, du sollest, du fahrest). Während das {-st} eindeutig der 2. Per-
son Singular und das {-t} der zweiten Person Plural zugeordnet werden kann,
hat ein {-e} viele unterschiedliche Funktionen.

(du) fahrestV

{fahr-}{-e}{-st}

{fahr-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden


{-e} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, markiert den Kon-
junktiv, es ist homonym zu anderen Flexiven
{-st} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, markiert die 2. Person
Singular

Die Form ist finit. Es handelt sich um ein starkes Verb. Da der Präsensstamm
und nicht der Präteritalstamm fuhr verwendet wird, handelt es sich um Kon-
junktiv I. Die Form steht im Aktiv.
188 10. Verb – Flexion

(er) gehe V

{geh-} (-e}

{geh-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden


{-e} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, markiert den Konjunktiv,
3. Person Singular, es ist homonym zu anderen Flexiven

Die Form ist finit. Es handelt sich um ein starkes Verb. Da der Präsensstamm
und nicht der Präteritalstamm ging verwendet wird, handelt es sich um Kon-
junktiv I. Die Form steht im Aktiv (das Verb kann nicht im Passiv stehen).

Für einige finite Verbformen gelten lautliche Besonderheiten. Zwischen


Stamm und Endung tritt ein unbetontes e auf (Epenthese) u.a., wenn auf ei-
nen Konsonanten außer r, l ein m oder n folgt (vgl. lernst, qualmst mit atmest,
rechnest) bzw. nach d oder t, vgl. schwebst, schreist mit redest, hustest. Dies gilt
für die zweite und dritte Person Singular und zweite Person Plural Präsens
Indikativ (rechnest, rechnet, rechnet), im Präteritum (rechnete, rechnetest),
dem Imperativ Plural (rechnet!) und dem Partizip Perfekt (gerechnet). In den
Grammatiken wird dieses zusätzliche e als zu den Flexiven gehörig betrachtet,
die dann {-est} bzw. {-et} lauten.
In anderen Fällen fällt ein e fort (e-Tilgung), meist, wenn der Stamm auf -(e)l
oder -(e)r endet, vgl. die Infinitive schreib-en und änder-n oder die Konjunktive
schreibest und änderst. Verschwindet ein unbetonter Vokal, hier das e, im Inneren
eines Wortes, sprechen wir von Synkope (knien ist lexikalisiert, gehen vs. gehn),
am Wortende von Apokope (ich habe vs. ich hab). Formen wie gehn und hab sind
vor allem in mündlicher Sprache beinahe schon der Normalfall. Die zusätzlichen
e und die e-Tilgung rufen noch mehr Synkretismus hervor.

Dazu sehen wir uns folgende Verbform an: (Das Kind) rechnete (ohne Ta-
schenrechner). Rechnen ist ein schwaches Vollverb.

(es) rechneteV

{rechn-} {-et} {-e}
zu {-t}

{rechn-} ist ein gebundenes lexikalisches Morphem, eine Verbalwurzel. {-et}


ist ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexionssuffix für das Prä-
teritum, es wird auch Dentalsuffix genannt. Es ist das durch e erweiterte Allo-
morph zu {-t}. {-e} ist ein gebundenes grammatisches Morphem, ein Flexions-
10.2. Vertiefung 189

suffix für die (hier) dritte Person Singular Indikativ, es ist gleichlautend mit
anderen Verbflexiven. Das Verb ist finit. Die Form ist außerdem Aktiv.

Lautliche Besonderheiten weisen auch einige Imperativformen auf. Regulär


besteht der Imperativ Singular aus der Verbalwurzel und dem Flexiv {-e}, al-
so rede!, rechne!, schreibe! Das -e wird vor allem im gesprochenen Deutsch,
wenn es die Silbenformen erlauben, gern weggelassen, komm!, steh auf!, lauf
weg! Eine nicht unbeträchtliche Zahl starker Verben mit Stammvokal e bildet
den Imperativ Singular regelmäßig ohne -e, aber mit Vokalwechsel von e zu i.
Sie weisen diesen e/i-Wechsel auch im Präsens auf (ich gebe – du gibst): geben
– gib!, helfen – hilf!, essen – iss!, lesen – lies!, nehmen – nimm!, sehen – sieh!,
sterben – stirb!, treffen – triff!, vergessen – vergiss!, werfen – wirf! (weiter auch
bersten, bergen, dreschen, empfehlen, erlöschen, erschrecken, fechten, flechten,
fressen, gelten, geschehen, messen, quellen, schelten, schwellen, schmelzen,
sprechen, stechen, stehlen, treten, werben). Es liegt Stammallomorphie vor. Die
Beibehaltung des e statt des i ist umgangssprachlich verbreitet, aber (noch) als
falsch zu sehen *geb her!, *werf den Ball!, *helf mir!, *treff nicht daneben!
Bitte beachten Sie, dass der Umlaut im heutigen Deutschen morphologi-
schen Status besitzen kann, er führt in manchen Fällen zu Bedeutungsunter-
scheidungen wie den Plural bei Vater/Väter. Wie auch Synkope, Apokope und
zusätzliche (epenthetische) e ist er ein phonologisches Verfahren, das rein auf
lautlicher Ebene zu betrachten ist und nicht zu neuen Morphemen, höchs-
tens zu Allomorphen führt. Nicht zuletzt entstehen auch durch die Auslaut-
verhärtung Allomorphe, beispielsweise bei (ich) band {/bant/-}, (wir) banden
{/band/-}.

Geschichte
Die Unregelmäßigkeiten in der Verbflexion lassen sich auf historische Ent-
wicklungen zurückführen.
Für die Verben gilt prinzipiell das für die Nomen Gesagte. Im Gegensatz
zu einer Verbindung von Stamm und Flexionsendung bestanden die Simpli-
zia im Indogermanischen aus der (lexikalischen) Wurzel bzw. dem Grund-
morphem, einem stammbildenden Suffix und einer Flexionsendung. Das
stammbildende Suffix wies das Wort einer bestimmten Konjugationsklasse
zu und machte zusammen mit der Wurzel bzw. dem Grundmorphem den
Stamm aus. Auch die Verben waren den Lautveränderungen unterworfen,
die die Systematik aufweichten. Aufgrund der Reduktionsprozesse lauteten
ursprünglich unterschiedliche Flexionsendungen bald gleich und gingen
dann teilweise verloren. Der Informationsverlust wurde u.a. über Analogie
190 10. Verb – Flexion

ausgeglichen (analogischer Ausgleich). Solche morphologischen Ausgleichs-


prozesse glätteten im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen aber
auch so manche unregelmäßig scheinenden Paradigmenausschnitte, jedoch
nicht alle. Beispielsweise wurde aus mhd. ich, er warf, wir, sie wurfen zum
Nhd. ich, er warf, wir, sie warfen. Wie bei den Substantiven entwickelten sich
begleitende Wörter, nämlich die Personalpronomen, zu unentbehrlichen In-
formationsträgern, und das System der verbalen Flexion sortierte sich bis zum
Frühneuhochdeutschen neu.

Ablaut
Die Vokalveränderungen bei starken Verben wie schwimmen/schwamm/ge-
schwommen oder binden/band/gebunden gehen auf den Ablaut zurück.
A b l a u t ist der regelmäßige Wechsel von Vokalen in etymologisch
zusammenhängenden Wörtern. Er bezieht sich auf Veränderungen der Vo-
kalquantitiät (Länge und Kürze eines Vokals, Abstufung) und Vokalqualität
(Veränderung zu einem anderen Vokal, Abtönung). Der Ablaut wird schon
für das Indogermanische rekonstruiert und war zunächst eine lautliche Er-
scheinung, die wahrscheinlich auf unterschiedliche Betonmuster der Verbfor-
men zurückzuführen ist. Diese bewirkten ein regelmäßiges Muster der Verb-
stämme von der Grundstufe des e, der abgetönten Grundstufe (o) und der
Schwundstufe. In der Grundstufe war der Vokal kurz, die Abtönung bewirkte
eine Vokalveränderung und in der Schwundstufe fehlte der Vokal. Dann ver-
änderten sich die Vokale, einmal systematisch in jeder Umgebung, aber auch
je nach unmittelbarer Umgebung und somit für die verschiedenen Verben
anders, sodass sich das ursprünglich saubere System über viele verschiedene
einzelne und systematische Entwicklungsetappen auflöste.
Für die Darstellung des verbalen Flexionssystems werden traditioneller-
weise vier charakteristische Formen verwendet, die Stammformen (Tab. 30):

Tabelle 30: Stammformen


1. Stammform: Infinitiv, 1. Pers. Sg. Ind. Präs.: ahd. neman, nhd. nehmen;
ahd. nimu, nhd. nehme
2. Stammform: 1./3. Pers. Sg., Ind. Präteritum: ahd. nam, nhd. nahm
3. Stammform: 1. Pers. Pl. Ind. Präteritum: ahd. nāmum, nhd. nahmen
4. Stammform: Partizip Präteritum (Partizip II): ahd. ginoman, nhd. genommen.

Die erste Stammform wies im Idg. die Grundstufe von e auf, die zweite die
abgetönte Grundstufe, also o, und die dritte und vierte die Schwundstufe.
Schon die indogermanischen Verben gliederten sich in sieben Gruppen
mit je typischen Folgelauten, den Ablautreihen. Denn bereits hier hatten die
relevanten Vokale unterschiedliche lautliche Umgebungen.
10.2. Vertiefung 191
Tabelle 31: Die ersten drei Ablautreihen im Indogermanischen

Ablautreihe Grundstufe abgetönte Schwundstufe Schwundstufe


Grundstufe

I e+i o+i 0+i 0+i

II e+u o+u 0+u 0+u

III e+Nasal, l, r+ o+Nasal, l, r+ 0+Nasal, l, r+ 0+Nasal, l, r+


Konsonant Konsonant Konsonant Konsonant

In der ersten Ablautreihe (Tab. 31) folgte auf den relevanten Vokal ein i, in der
zweiten ein u, in der dritten ein Nasal (n, m), l oder r und ein weiterer Konso-
nant wie im heutigen binden.
Nun fällt Ihnen vielleicht auf, dass die letzten beiden Stammformen in der
Tabelle gleich aussehen und eigentlich zusammengefasst werden sollten. Dies
geschieht jedoch nicht und zwar mit Blick auf die nächsten Reihen. Ab der
vierten Ablautreihe (Tab. 32) tritt nämlich die Dehnstufe auf (der Vokal wird
lang). Dem relevanten Vokal folgt n, m, l oder r (oder l, r geht voraus) wie bei
nehmen.

Tabelle 32: Die vierte Ablautreihe im Indogermanischen

Ablautreihe Grundstufe abgetönte Dehnstufe Schwundstufe


Grundstufe

IV e+Nasal, l, r o+Nasal, l, r ē+Nasal, l, r 0+Nasal, l, r

In der fünften Ablautreihe (Tab. 33) erscheint nach der Dehnstufe die Grund-
stufe. Dem relevanten Vokal folgt ein Konsonant (nicht n, m, l, r) wie bei ge-
ben.

Tabelle 33: Die fünfte Ablautreihe im Indogermanischen

Ablautreihe Grundstufe abgetönte Dehnstufe Grundstufe


Grundstufe

V e+Konsonant o+Konsonant ē+Konsonant e+Konsonant

In der VI. Ablautreihe (Tab. 34) folgt auf die Grundstufe des a zweimal die
Dehnstufe, das ā. Dann erscheint wieder die Grundstufe.
192 10. Verb – Flexion
Tabelle 34: Die sechste Ablautreihe im Indogermanischen

Ablautreihe Grundstufe Dehnstufe Dehnstufe Grundstufe

VI a ā ā a

Schließlich gab es eine siebte Reihe, die aus ursprünglich reduplizierenden


Verben bestand – sie verdoppelten eine Silbe zur Flexion, und zwar teils mit,
teils ohne Ablaut. Das Gotische, eine verwandte Sprache, hatte dazu noch
Reste, got. lētan ‘lassen’ im Infinitiv, laílōt im Präteritum.
Während also im Indogermanischen und Germanischen die Verhältnis-
se noch relativ geordnet waren, sind heute einige der Kriterien verschwun-
den. Die sieben Ablautreihen (Tab. 35) sind nur noch teilweise anhand der
Lautumgebungen der ursprünglich relevanten Vokale nachvollziehbar. Diese
Vokale verhalten sich nicht mehr gruppenkonform. Nur im Germanischen
war der Ablaut streng systematisiert und Grundlage der Flexion der starken
Verben (Birkhan 1985: 139).

Tabelle 35: Die sieben Ablautreihen im Neuhochdeutschen

Ablautreihe 1. Stammform 2. Stammform 3. Stammform 4. Stammform

I reiten, leihen ritt, lieh ritten, liehen geritten, geliehen

II lügen, bieten log, bot logen, boten gelogen, geboten

III binden, werfen, band, warf, half banden, warfen, gebunden,


helfen halfen geworfen,
geholfen

IV nehmen, brechen nahm, brach nahmen, brachen genommen,


gebrochen

V geben, lesen gab, las gaben, lasen gegeben, gelesen

VI fahren, schlagen fuhr, schlug fuhren, schlugen gefahren,


geschlagen

VII schlafen, halten schlief, hielt schliefen, hielten geschlafen,


gehalten

In der ersten Reihe ist in der 1. Stammform die alte e+i-Verbindung noch über
die Schrift nachvollziehbar, die jedoch nicht! die alte Lautung wiedergibt.
Denn es kam zwischenzeitlich zu mehreren Veränderungen. Im Ahd. hieß es
rītan und līhan, aufgrund der neuhochdeutschen Diphthongierung sprechen
wir heute /ai/. Bei lügen und bieten ist heute kein e+u mehr sichtbar (ahd.
liogan, biotan).
10.2. Vertiefung 193

In der dritten, vierten und fünften Reihe sind die Konsonanten in der
1. Stammform im Wesentlichen geblieben. Für die letzten beiden Reihen
müssen wir die Zuordnung lernen. Außerdem fassen wir heute die 2. und
3. Stammform meist zusammen.

e/i-Wechsel
Bereits zum Germanischen traten an einigen Stellen Lautwechsel auf. Voka-
le änderten sich, z.B. das idg. o zu g. a. Meist waren solche Vokalwandeler-
scheinungen jedoch umgebungssensitiv. Einer der wichtigsten war der e / i -
W e c h s e l : vor einer Silbe mit i oder j oder vor Nasal + Konsonant, später
auch vor u, wurde idg. e zu germ i. Das führte zum heutigen helfen/hilf, im
Ahd. hëlfan ‘helfen’, hilfu ‘(ich) helfe’ (die Pünktchen verweisen auf ein kurzes
offenes e). Bei der zweiten Form, hilfu, weist die Silbe nach dem relevanten
Vokal ein u auf, das die Veränderung bewirkt. Im Infinitiv ist das nicht der
Fall. So kam es, dass die Formen eines Verbes unterschiedliche Stammvo-
kale bekamen. Dann schwächten sich zum Mhd. die Endsilben ab, die un-
terschiedlichen Endvokale wurden zu Schwa, dem unbetonten e. Damit war
die Umgebung, die zu der Lautänderung führte, verschwunden. Um die Sa-
che zu verkomplizieren, wurden manche Vokalveränderungen aufgrund der
Analogie wieder zurückgenommen. Der e/i-Wechsel ist noch in zahlreichen
Verbformen sichtbar, vgl. die oben erwähnten geben/gib!, essen/iss!, lesen/lies!,
nehmen/nimm!, sehen/sieh!

Brechung
Vokalalternanzen wie bei halfen/geholfen, warfen/geworfen, nahmen/genom-
men gehen auf die B r e c h u n g (auch Senkung genannt) zurück: Germa-
nisch i wurden zu ahd. ë vor Silben mit e, a, o außer, wenn Nasale dazwischen
lagen. Auch das u veränderte sich vor e, a, o, außer, wenn Nasale dazwischen
lagen, und zwar zu o. Also wechselten sich je nach Folgelauten o und u ab, vgl.
ahd. zugun ‘ziehen’, gizogan ‘gezogen’. In zugun blieb das u, in gizogan änderte
es sich, weil in der Folgesilbe ein a auftrat.

Grammatischer Wechsel
Gehen wir zunächst zur Lautung im Indogermanischen zurück. Ausgangs-
punkt für die in diesem Abschnitt behandelte Erscheinung war die E r s t e
L a u t v e r s c h i e b u n g (Germanische Lautverschiebung, Grimm’s Law,
Grimmsches Gesetz), die zu einer systemhaften Veränderung der Verschluss-
laute (Plosive) des Indogermanischen führte. Jacob Grimm rekonstruierte fol-
gende Entsprechungen:
194 10. Verb – Flexion

idg. stimmhafte Plosive b, d, g – germanische stimmlose Plosive p, t, k


idg. behauchte stimmhafte Plosive bh, dh, gh – g. stimmhafte Plosive b, d, g
idg. stimmlose Plosive p, t, k – g. stimmlose Frikative f, ϸ, χ.
Das ϸ ist das stimmlose „th“ im Englischen wie in thorn ‘Dorn’, daher wird
das Schriftzeichen auch thorn genannt, das χ klingt wie unser „ch“ in Dach.
Diese Entwicklung trat nur in den germanischen Sprachen auf, die sich so von
den übrigen Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie abheben. Darum ist
die Erste Lautverschiebung für die Entwicklung des Deutschen sehr wichtig.
Carl Adolph Verner führte diese Beobachtung fort, er fand Ausnahmen
dazu, die wiederum regelhaft waren (V e r n e r s G e s e t z ). Die Entspre-
chung von idg. p, t, k zu f, ϸ, χ ist zu erweitern. Wenn der Wortakzent vor
dem relevanten Laut war, blieben die stimmlosen Frikative f, ϸ, χ. Wenn aber
der Wortakzent folgte, veränderten sie sich zu stimmhaften Frikativen. Die
Lautung des Germanischen veränderte sich danach weiter. Schließlich bekam
auch das idg. s unter diesen Bedingungen die nord- und westgermanische
Entsprechung r (Rhotazismus). Heute finden wir noch ganz schwache Reflexe,
aber ohne etymologische Verwandtschaft. In Nerven mit der Betonung der
ersten Silbe haben wir das stimmlose /f/, in nervös mit Endbetonung jedoch
stimmhaftes /v/ (Weddige 2007: 28). In Eva mit der Betonung auf der ersten
Silbe wird häufig /f/ gesprochen, also stimmlos. In Eva Luna mit der Betonung
auf einer Folgesilbe sprechen viele /v/, also stimmhaft.
Nun kehren wir zurück zu den Ablautreihen. Die verschiedenen Stamm-
formen wiesen im Urgermanischen noch unterschiedliche Akzentsetzung
auf (der Initialakzent wirkte erst anschließend). Teils wurde die Stammsilbe
betont (Präsens und Präteritum Singular), teils aber die Endung (Präteritum
Plural, Partizip Perfekt). Und weil der Vernersche Wechsel von der Plazierung
des Wortakzentes abhing, trat er bei den Formen eines starken Verbs mal ein,
mal nicht, daher heißt er g r a m m a t i s c h e r W e c h s e l . Das führte
zu systematischen Alternanzen, die per Analogie zum Nhd. vielfach ausge-
glichen wurden, sodass es heute nicht sehr viele Beispiele gibt (vgl. Tab. 36).
Tabelle 36: Grammatischer Wechsel (nach Paul et al. 2007: 123)

idg. k t p s

g. h ([χ]) – g ϸ – đ* f – ƀ* s–z

mhd. h–g d–t f–ƀ s–z

nhd. h–g d–t f –b s–r

Beispiel ziehen – gezogen schneiden – schnitt dürfen – darben gewesen – war

* Der Balken durch b und d deutet an, dass die Laute frikativ ausgesprochen wurden, also wie
in englisch this bzw. in Wasser.
10.2. Vertiefung 195

Weitere auch aus der Wortbildung entnommene Beispiele sind ziehen/Zug,


schneiden/Schnitt, leiden/litt, sieden/gesotten, verlieren/Verlust. Das heißt,
die Konsonantenveränderungen bei starken Verben wie schneiden/schnitt/
geschnitten oder ziehen/zog/gezogen gehen auf den grammatischen Wechsel
zurück.

Präteritopräsentia
Die Besonderheiten der Flexion deutscher Verben betreffen nicht nur die star-
ken Verben. Wenn Sie sich an das Kapitel über die Verbtypen erinnern, gab
es weitere Verben mit morphologischen Auffälligkeiten, die Modalverben.
Sie sind inhaltlich dadurch gekennzeichnet, dass sie eine bestimmte Art und
Weise des Geschehens ausdrücken, etwa die Möglichkeit, die Verpflichtung.
Syntaktisch typisch ist, dass sie sich mit dem Infinitiv, der das Geschehen be-
zeichnet, verbinden: sie kann kommen, er will gehen. Morphologisch fällt auf,
dass sie bis auf sollen verschiedene Lautwechsel mit Dentalsuffix kombinieren.
Das sonst übliche -e in der ersten Person Indikativ Präsens fehlt, vgl. ich gehe,
singe, laufe vs. ich will, darf, soll. Ebenso fehlt das -t der dritten Person Indi-
kativ Präsens, vgl. er kommt, sie geht vs. er kann, sie muss. Die Modalverben
bilden kein Passiv und auch keinen Imperativ. Die sechs Modalverben des
Deutschen sind dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen.
Wie kam es dazu?
Außer bei wollen handelt es sich um ehemals starke Verben, die jedoch
ihre Präsensformen verloren haben und stattdessen Präteritalformen verwen-
den. Anders ausgedrückt haben die Präteritalformen nun Präsensbedeutung.
Deswegen heißen sie P r ä t e r i t o p r ä s e n t i a (Sg. Präteritopräsens)
oder Präteritopräsentien: Verben, die die Präsensbedeutung mit ursprüngli-
chen Präteritalformen ausdrücken.
Die starken Verben wiesen im Präteritum im Singular andere Vokale auf
als im Plural, vgl. die 2. und 3. Stammform, mhd. (ich) warf, (wir) wurfen.
Weil die Präteritopräsentien die Präteritalformen für das Präsens verwende-
ten, hatten sie dann im Präsens diesen Lautwechsel. Für das neue Präteritum
erhielten sie die Präteritalendungen der schwachen Verben, das Dentalsuffix.
Im Mhd. gab es zu können die Präsensformen (ich) kan, (wir) kunnen, im Prä-
teritum (ich) kunde. So kam es, dass diese Verben heute einerseits Vokalwech-
sel, andererseits Dentalsuffix aufweisen. Bei sollen wurden die Vokalwechsel
zum Neuhochdeutschen ausgeglichen. Die Präteritopräsentia bildeten den
Infinitiv von der 3. Stammform (1. Person Plural Indikativ Präteritum).
Morphologisch gesehen zählt auch wissen hierzu wegen der Formen (ich)
weiß, (wir) wissen, (ich wusste), Vokalwechsel und Dentalsuffix. Es ist ein Prä-
teritopräsens. Semantisch passt das Verb nicht zu den Modalverben, syntak-
tisch ebenso wenig (ich kann laufen, ich darf laufen, *ich weiß laufen).
196 10. Verb – Flexion

Wollen ging andere Wege, weil nicht eine andere Tempus-, sondern eine
andere Modusform für die Bildung des Präsens herangezogen wurde, statt des
Indikativs der (damalige) Optativ.
Selbstverständlich traten darüber hinaus auch indivduelle Lautänderun-
gen bei den Verben auf sowie immer wieder analogische Ausgleichsprozesse.

Rückumlaut
Es gibt eine weitere Verbreihe mit Vokalwechsel und Dentalsuffix, hierzu ge-
hört brennen – brannte – gebrannt. Die Gruppe ist klein, zu ihr zählen au-
ßerdem kennen, nennen, rennen, senden und wenden. Sie werden rückumlau-
tende Verben genannt. Die Bezeichnung geht auf Jacob Grimm zurück, der
sich aber ausnahmsweise einmal irrte. Er nahm an, dass eine Form zu ahd.
brennen wie branta ‘brannte’ früher einmal den Umlaut e aufgewiesen hatte
(wir erinnern uns, die Schreibung ä kam viel später auf), der dann zurück-
genommen wurde. Denn im Gotischen, einer verwandten Sprache des Ahd.,
hieß die Form brannida, sie hatte also das umlautauslösende i in der Silbe
nach a. Im Ahd. jedoch war es anders. Hier war das i schon verschwunden,
bevor der Umlaut aktiv wurde. Es hatte nie einen Umlaut e in dieser Form,
sondern immer das a gegeben. Noch heute stehen Formen mit e und a neben-
einander. Die Verben waren nie stark, sondern schwach und hatten daher das
Dentalsuffix. Der Begriff ist im Grunde genommen falsch, hält sich aber, weil
den Sprachwissenschaftlern noch kein besserer Ersatz eingefallen ist.

Umlaut
Der Umlaut betraf auch die Verben. Dazu haben wir heute beispielsweise
graben – gräbst, fahren – fährst, fuhren – führen, gaben – gäben. Denn noch
im Ahd. wiesen die 2. Person Singular Indikativ und die Konjunktivformen
ein i auf, das zu Umlaut führte. Aber die Vokale in den unbetonten Silben
schwächten sich ab, einige gingen verloren.

Insgesamt fand eine Fülle verschiedenster Lautveränderungen statt, die oft,


aber nicht immer, Auswirkungen auf die Formen eines Verbes hatten. Zu-
sätzlich gab es aufgrund des Initialakzentes die Schwächung der unbetonten
Silben im Mhd., die oft auch ganz wegfielen (mhd. wirdest, nhd. wirst), wie
gerade erwähnt. Das führte vermehrt zu Unregelmäßigkeiten, aber auch zu
Synkretismus bei den Flexionsformen. Und nicht zu vergessen gingen einige
Verben individuelle Wege. Denn es gibt neben den bisher behandelten Ver-
ben weitere mit Mischformen. Bei bringen und denken schwand der Nasal
in vielen Formen. Denken – dachte – gedacht hat sowohl ein Dentalsuffix als
auch den Rückumlaut aufgrund unterschiedlicher Lautumgebungen. Bringen
– brachte – gebracht hat ein schwaches Präteritum, das trotzdem Ablaut auf-
10.2. Vertiefung 197

weist. Sein ist eines der wichtigsten Verben in den meisten Sprachen, es war
schon immer unregelmäßig und weist sicherlich aufgrund der äußerst hohen
Verwendungsweise besondere Irregularitäten auf. Unregelmäßig war auch
früh schon tun. Viele der Änderungen wurden wieder rückgängig gemacht,
Unregelmäßigkeiten wurden über Analogie ausgeglichen, sodass heute bei-
spielsweise bei vielen Verben alle Präteritalformen einen einheitlichen Stamm
aufweisen oder kaum noch Beispiele mit grammatischem Wechsel zu finden
sind. Auch werden heute zahlreiche der ursprünglich starken Verben schwach
flektiert. Manche befinden sich im Übergang, und es gibt alte und neue For-
men nebeneinander, beispielsweise siedete, gesotten.
Die schwachen Verben sind jünger und meist aus starken Verben oder Le-
xemen anderer Wortarten entstanden. Neuaufnahmen im deutschen Verble-
xikon werden nur schwach flektiert, vgl. ich jobbe, ich jobbte, ich habe gejobbt.
Die schwache Flexion ist die einzig produktive Methode, neuhochdeutsche
Verben zu konjugieren.

Verb allgemein: Hentschel/Vogel (2009b), Thieroff (2009a, b)


Konjunktiv: Weydt (2009)
Geschichte: Paul et al. (2007), Schwerdt (2000), Weddige (1999).

Übungen zu 10.2. Vertiefung


2. Warum sind sterben, helfen und werfen der III. Ablautreihe zuzuordnen,
warum sprechen der Reihe IV?
3. Nennen Sie Beispiele der Ablautreihe I!
11. Verb – Wortbildung I

11.1. Grundlagen

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wortbildung des Verbs und der
der anderen Wortbildungsarten ist neben der niedrigeren Zahl an Komposita
zunächst einmal vor allem, dass Veränderungen in den meisten Fällen nicht
über Suffigierung, sondern links am Wort geschehen (be-fahren, um-fahren,
rad-fahren/Rad fahren). Bei der verbalen Wortbildung gibt es darüber hin-
aus aber ein grundsätzliches Problem – sie lässt sich nicht so ohne Weiteres
in die gleichen Wortbildungsarten einteilen wie die der anderen Wortarten.
Alle komplexen Wörter werden per definitionem zusammengeschrieben und
bleiben auch, unabhängig von der Verwendung im Satz, zusammen (mit dia-
lektalen Ausnahmen: woher kommst du?/Wo kommst du her?). Nicht so die
Verben. Zusätzlich zu orthographischen Unklarheiten verhalten sich viele
Erstelemente in zweiteiligen Verbkomplexen (um-fahren) nämlich im Satz
und bei der Flexion nicht so, wie wir das bei den übrigen Wortarten gewöhnt
sind, denn sie sind nicht fest, sie lassen sich trennen, und zwar einmal im Par-
tizip (um-ge-fahren, zu-ge-halten) und einmal als Verbklammer (er fährt das
um, du hälst das zu). Werden die Verbmorpheme im Satz getrennt, sprechen
wir von Distanzstellung. Viele von ihnen treten sowohl fest als auch unfest
auf (ich habe den Baum umgefahren vs. umfahren). Die Trennbarkeit/Festig-
keit hat Auswirkungen auf den Status des abgetrennten Morphems, das häu-
fig zunächst aussieht wie ein Präfix, getrennt aber eher ein eigenes Wort sein
kann. Sollten solche Morpheme eine eigenen Klasse bilden, sollten sie eine
eigene Bezeichnung erhalten, zum Beispiel Verbpartikeln? Die Wissenschaft
ist unentschieden. Daher gibt es in der Fachliteratur keine einheitliche über-
greifende Systematik.

Der vorliegende Band schlägt eine Einteilung der betroffenen Elemente vor,
die einerseits möglichst wenig Ausnahmen zulässt, andererseits nah an der
Wortbildung der anderen Wortarten bleibt. Um die problematischen Elemen-
te links vom Stamm zu klassifizieren, werden Trennbarkeit und Wortart be-
11.1. Grundlagen 199

trachtet. Da sowohl Trennbarkeit/Festigkeit und übrigens auch Wortakzent


bei den Kompositionsgliedern nur tendenziell Hinweise für eine Kategorisie-
rung liefern, steht für die erste Einordnung von Determinativ- und Kopulativ-
komposita und Wortbildungsarten mit ähnlichen Formen wie Zusammenrü-
ckung oder Rückbildung in Abgrenzung zu den Ableitungen die Wortart im
Vordergrund. Wesentlich für die bei Komposition und Verwandtem relevan-
ten Konstituenten der Wortarten Verb, Substantiv, Adjektiv oder Adverb ist
darüber hinaus, dass sie nicht sowohl trennbar als auch untrennbar auftreten,
wie dies für einige Derivationspräfixe der Fall ist.
Kompositionsglieder und Glieder der verwandten Bildungen sind Ad-
verbien (her, hin, herauf etc., hindurchfahren), Verben (grinsen, kennen –
grinskeuchen, kennenlernen) und Adjektive (schön, blank – blankbohnern).
Substantive spielen nur bei Problemfällen eine Rolle (Seil – seiltanzen). Kom-
positionsglieder treten nicht sowohl fest als auch unfest auf.

Determinativ- und Kopulativkomposition


Bei den verbalen Komposita ist nicht nur die Grenze zu den freien Fügun-
gen unklar (radfahren, Rad fahren, Auto fahren), sondern auch die zwischen
(echter) Komposition und Zusammenrückung oder Rückbildung sowie die
Einteilung in Kopulativ- und Determinativkomposita. Sehr oft ist Trennbar-
keit möglich, ohne dass dies jedoch als eindeutiges Kriterium für die Bestim-
mung der Wortbildungsart dienen könnte. Insgesamt sind verbale Komposita
bei Weitem nicht so häufig, wie wir es bei den anderen Wortarten gewohnt
sind.
Die Verb-Verb-Verbindungen sind selten, aber durchaus produktiv. Bei
fachsprachlichen Beispielen wie spritzgießen, spülbohren oder ziehschleifen
überwiegt die Kopulativinterpretation, weil zwei Vorgänge gleichzeitig be-
nannt werden, ‘ziehen und dabei schleifen’. Es ist aber auch ein Determinativ-
verhältnis vorstellbar ‘ziehend schleifen’. Als Entscheidungshilfe könnte der
Kontext oder die Definition das Fachbegriffs dienen. Eine andere Beispiels-
gruppe, die hin und wieder besprochen wird, stammt aus literarischen Tex-
ten, z.B. grinskeuchen, das als Determinativkompositum (‘grinsend keuchen’)
vorstellbar ist, häufiger aber als Kopulativkompositum interpretiert wird
(‘grinsen und keuchen’). Oft ist bewusst beides möglich.
Die Adjektiv-Verb-Kombinationen, wenn sie nicht wie mit voll bei den
Partikelverben landen, da mit und ohne Distanzstellung (vollbríngen, vollén-
den, vóllquatschen), kommen einer Interpretation als Komposita, und zwar
mit determinativem Verhältnis, meist sehr nahe, z.B. blankputzen, freihalten,
brachliegen. Sie sind unfest.
200 11. Verb – Wortbildung I

Besonders produktiv werden Adverbien und Verben zu Determinativ-


komposita verbunden, vgl. herbeikommen, vorbeikommen, herkommen, hin-
kommen, hinaufkommen, dalassen, hierlassen, draufhauen etc. Sie ergeben
trennbare Konstruktionen. Die Erstglieder sind betont. Sie fügen meist ei-
ne lokale Bedeutungskomponente dem Grundwort hinzu, in der Regel eine
Richtungsangabe. Teilweise entwickelte sich aus der lokalen eine temporale
Bedeutung (vorbeigehen, zurückblicken, zurückdenken). Es treten aber auch
andere übertragene (sich über eine Vorgabe hinwegsetzen) oder idiomatisier-
te Beispiele auf (herumlaufen ‘ziellos laufen’, dahersagen ‘unüberlegt, flüchtig
sagen’). Zusammensetzungen mit zurecht treten in der Bedeutung ‘richtig’
auf (zurechtbiegen, zurechtrücken). Idiomatisiert ist zurechtweisen ‘tadeln’.
Verbindungen mit zusammen verweisen auf eine Gemeinsamkeit, einen Kon-
takt (zusammenleben, zusammenschweißen) oder idiomatisiert auf ein negativ
konnotiertes Tun (zusammenreden, -faseln).
Ein Problem bedeutet eventuell los, das als Adjektiv oder Adverb erscheint
und in der Zusammensetzung im Verb ähnlich wie zusammen auch eine ei-
gene Semantik entwickelt, vgl. ‘lösen’ (losdrehen, loslassen), ‘beginnen’ (losla-
chen, losheulen).
Die Komposita mit Adverbien nähern sich denjenigen Partikelverben, die
mit unter, über, wider oder wieder gebildet werden. Im Unterschied zu ihnen
sind sie jedoch stets betont und trennbar, es gibt also keine Doppelformen.

Zusammenbildung
Bei der Wortbildung des Verbs gibt es keine Zusammenbildungen.

Zusammenrückung
Zusammenrückung liegt vor bei kennenlernen, radfahren, stattfinden, acht-
geben, maßhalten, leidtun, standhalten, teilnehmen, krankschreiben, kürzer-
treten, madigmachen, niedrighängen, richtigstellen, heimlichtun, schwerfal-
len, worthalten. In dieser Liste ist die aktuelle Rechtschreibung ignoriert, der
Übergang von Lexem zur Wortgruppe ist fließend. Die Abgrenzung zu Deter-
minativkomposita ist manchmal schwierig.
11.1. Grundlagen 201

Rückbildung
Eine Rückbildung ist bei einer rein synchronen Betrachtungsweise nicht er-
kennbar. Es handelt sich dabei um ein morphologisch komplexes Wort, das
durch Wegstreichen oder Ersetzen eines Wortbildungsmorphems entstand.
Dabei ändert sich typischerweise die Wortart. Beispiele sind notlanden zu
Notlandung, staubsaugen zu Staubsauger, mähdreschen zu Mähdrescher,
bauchlanden zu Bauchlandung, kurpfuschen zu Kurpfuscher, bruchrechnen zu
Bruchrechnung, zwangsräumen zu Zwangsräumung, weiter uraufführen, zwi-
schenlanden, voranmelden, Probe fahren, Kopf stehen. Die Neuregelungen bei
der Getrennt- und Auseinanderschreibung brechen dabei historisch begrün-
dete Zusammenhänge wieder auf, wenn ein ehemals komplexes Wort ausein-
andergeschrieben werden soll.
Die Ursprungswörter sind in der Regel Nomen, es kommen aber auch
Partizipien, als Adjektive aufgefasst, vor, vgl. aluminiumbeschichten zu alumi-
niumbeschichtet, maschinenschreiben zu maschinengeschrieben, raubkopieren
zu raubkopiert, fernlenken zu ferngelenkt, zweckentfremden, korrekturlesen,
computersteuern.
Nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist die Einordnung von Verben, die
zu komplexen substantivierten Infinitiven gebildet sind, da hier kein Mor-
phem wegfällt oder ausgetauscht wird. Da jedoch eine konvertierte Form
(das Grün) als morphologisch verändert und damit komplexer gilt, zählen
gewöhnlich Verben wie seilspringen zu Seilspringen, nachtwandeln, eislaufen
oder brustschwimmen zu den Rückbildungen.
Das Verb bruchrechnen könnte vom Nomen das Bruchrechnen abgeleitet
worden sein, tatsächlich aber war Bruchrechnung der ursprüngliche Aus-
druck.
Zahlreiche Konstruktionen jedoch lassen eine klare Entscheidung nicht
zu, sie sind doppelt motiviert über Zusammenrückung und Rückbildung, z.B.
schlangestehen oder ehebrechen zu Ehebruch oder die Ehe brechen.
Hier sind die Fachsprachen kreativ, denn sie müssen kurz und gleichzeitig
präzis formulieren, beispielsweise zu Beweissicherung „der Arbeitgeber plant,
die Schallwerte Beweis zu sichern“ oder auch Beweissicherer.
Ein wichtiger Hinweis auf eine Rückbildung ist meist das Meiden finiter
Flexionsformen. Bei den SprecherInnen herrscht Unsicherheit bezüglich der
korrekten Form – heißt es er notlandete oder er landete Not? Aber es besteht
eine gewisse Tendenz zur morphologischen Trennung, vgl. notgelandet, zwi-
schengelandet, uraufgeführt, jedoch *mähgedroschen. Dazwischen befindet
sich mit beiden Möglichkeiten gestaubsaugt, staubgesaugt. Die Defektivität ist
natürlich kein eindeutiges Kriterium, da auch Konversionen hin und wieder
202 11. Verb – Wortbildung I

und Kopulativkomposita meist ein unvollständiges Verbparadigma aufwei-


sen.

Trennbarkeit
Bei den Komposita und solchen Konstruktionen, die wie Komposita ausse-
hen, bestehen nur teilweise Tendenzen einer Korrelation von Trennbarkeit
und Wortbildungsart. Bei Zusammenrückungen können wir die beiden be-
teiligten Einheiten trennen, bei Konversionen nicht. Das hängt mit der Ent-
stehungsgeschichte eines Wortes zusammen, das bei der Zusammenrückung
(kennenlernen) aus im Satz selbstständigen Einheiten, bei der Konversion
(ohrfeigen) aus bereits vorher zusammengefügten Einheiten besteht. Deter-
minativkomposita sind trennbar. Schwankungen und damit defektive (nicht
vollständige) Paradigmen entstehen jedoch bei den Kopulativkomposita und
den Rückbildungen (mähdreschen). Morphologische und/oder syntaktische
Trennbarkeit hilft uns daher bei der Bestimmung der Wortbildungsart Kom-
position nicht. Auch die Defektivität des Verbparadigmas an sich ist kein
verlässliches Zuordnungskriterium. Bei den Substantiv-Verb-Kombinationen
(seiltanzen) ist die Bestimmung als Kompositum stets fraglich, bei den Verb-
Verb-Kombinationen treten höchstens einmal Kopulativkomposita auf. Bei
Adjektiv-Verb-Verbindungen sind Komposita eher anzutreffen, aber trotzdem
liegen sie und andere Wortbildungen nahe beieinander. Relativ klar sind die
Adverb-Verb-Konstruktionen als Determinativkomposita bestimmbar, so-
lange die Adverbien betont sind.
Semantische Kriterien und etymologische Kenntnisse müssen individuell
bei der Bestimmung der Wortbildungsart helfen, es bleiben vielfach doppel-
motivierte und problematische Fälle. Und auch die Fachliteratur ist in diesem
Bereich erstaunlich uneinheitlich. Dies ist bei einer Wortbildungsanalyse am
besten explizit anzugeben.

Erleichterungsrückbildung
Bei einer Erleichterungsrückbildung handelt es sich um eine morphologisch
kürzere Form, die einige Zeit neben der längeren existierte und diese überleb-
te. Dies ist insgesamt sehr selten, besonders aber bei den Verben. Die Literatur
führt lacken zu lackieren an.
11.1. Grundlagen 203

Kontamination
Hierher könnte verschlimmbessern aus verbessern und verschlimmern gehören.

Konversion
Verben entstehen über Konversion aus Nomen. Dieses Muster ist stark vertre-
ten, vgl. filmen, geigen, flöten, dampfen, ölen, hechten, tigern, kleiden, schroten,
malern. Sie entstehen außerdem oft aus Adjektiven, vgl. grünen, bangen, lah-
men, kühlen. Zu Interjektionen gebildet wurden miauen, plumpsen, tschilpen.
Nominale Komposita liegen beispielsweise ohrfeigen, kurzarbeiten, argwöh-
nen, wetteifern, frühstücken oder schichtarbeiten zugrunde. Bei komplexen
Formen besteht Verwechslungsgefahr mit der Rückbildung (mähdreschen).
Hinzuweisen ist auf lautliche Veränderungen des Ableitungsstamms wie
bei trocken/trocknen, Regen/regnen, Doktor/doktern oder Kopf/köpfen, weiter
härten, kränken, bläuen, nässen. Wie die letzten Beispiele zeigen, tritt bei der
Konversion manchmal Umlaut auf.
Nichts miteinander zu tun haben sagen/sägen, spielen/spülen, glucken/
glücken, losen/lösen, denn wir können keinerlei Bedeutungszusammenhänge
finden.
Dagegen wirkt der Umlaut bedeutungsunterscheidend bei den deadjekti-
vischen bzw. desubstantivischen kranken/kränken, lahmen/lähmen, dampfen/
dämpfen. Der Umlaut führt zu Allomorphie, er tritt als Nebeneffekt der Kon-
version auf und ist als lautliche Variante, nicht als morphologisches Mittel zu
behandeln.

Wortbildungssemantik
Die semantischen Aspekte führen zu mehreren Gruppen. Einerseits gibt es
die Ornativa, die ‘versehen mit’ ausdrücken wie salzen, zuckern, pfeffern, pu-
dern, wässern, düngen, krönen, färben, fetten. Hierzu ist auch eventuell quälen
zu rechnen. Es gibt die privative (‘etwas entfernen’) Bedeutungsveränderung
bei schälen, häuten, flöhen, die resultative (‘werden zu’, ‘Ergebnis’) bei wel-
ken, rosten, splittern, die faktitive (‘machen zu’) bei knechten, schroten, bün-
deln, teilen, kürzen, die instrumentale bei baggern, geigen, löffeln, die lokale
bei schultern, stranden, landen und die temporale (hier durative) bei lahmen,
nässen. In anderen Fällen wird ein Hervorbringen (fohlen, kalben, krümeln)
oder ein Empfinden (zweifeln, fürchten, hungern) ausgedrückt.
Sehr viele der Verben geben ein imitatives Tun, ein „sich verhalten wie“ an,
z.B. schnellen, tollen, malern, tischlern, schriftstellern, bocken, robben, lüm-
meln. Hier treten auch Konversionsprodukte von Eigennamen auf (röntgen,
204 11. Verb – Wortbildung I

kneippen). Eine spezielle Gruppe ergeben die nullwertigen Verben, die nur
mit einem expletiven Es (nur mit grammatischer Funktion, ohne Eigenbedeu-
tung oder Referenz) kombinierbar sind, vgl. weihnachten, herbsten, dämmern,
hageln, schneien, regnen, stürmen. Semantisch gehören auch die syntaktisch
freieren tagen und stauben dazu. Sie alle beschreiben ein Eintreten von Ta-
ges- oder Jahreszeiten oder Witterungserscheinungen. Erben (2006: 83) führt
sieben Grundmöglichkeiten von Bezeichnungsklassen auf, Tages-, Jahreszeit,
Witterungserscheinung (tagen, hageln), Beruf, Rolle (schriftstellern, schmie-
den), Tier, Sachgröße (robben, pendeln), Tätigkeit, Wirkung, Ergebnis (rosten,
reisen), Zustand, Bereich (zweifeln, weiden), Zugeteiltes, entnommener Teil
(polstern, schälen) und Mittel, Gerät (hobeln, hupen). Die Beziehungen wer-
den empfunden als aktualisierend, imitativ, effektiv/resultativ, lokativ, orna-
tiv, privativ bzw. instrumentativ.
Da die Präfixbildungen weitere Bedeutungsaspekte aufweisen, können Sie
dort (S. 212ff.) eine Zusammenstellung mit den wichtigsten Begriffen, Erklä-
rungen und Beispielen finden.

Affixoidbildung
Diese Wortbildungsart gibt es bei den Verben nicht. Im Gegensatz zu den Af-
fixoiden der Nomen und Adjektive sind die verbalen Elemente wesentlich äl-
ter und in ihrem Status längst verfestigt, sodass hier kein Übergang von Kom-
positionsglied zu Affix vorliegt, wie er für die Affixoide typisch ist.

Übungen zu 11.1. Grundlagen


Bestimmen Sie die Wortbildungsart enterben, frühstücken, zweckentfremden,
zusammenfaseln, mähdreschen!

11.2. Vertiefung

Problembereich Kompositum
In den Grundlagenkapiteln klang bereits an, dass das Identifizieren eines ver-
balen Kompositums nicht einfach ist, da sich hier aufgrund der Trennbarkeit
und auch der verbeigenen Semantik viele sonst anwendbare Kriterien nicht so
11.2. Vertiefung 205

leicht handhaben lassen. Darum sind die Meinungen in der Literatur auch ex-
trem breit gestreut. Das sonst gängige Verfahren, ein Determinativkomposi-
tum (freisprechen, brachliegen, zurückblicken) über eine Paraphrase wie ‘eine
Art von’ oder „der linke Teil bestimmt den rechten näher“ zu erkennen, ist bei
den Verben kein so sicheres Kriterium. Auch die Lage des Wortakzentes hilft
nur tendenziell bei der Bestimmung der Wortbildungsart.

V+V-Verbindungen
Zunächst zu den seltenen, aber durchaus produktiven Verb-Verb-Verbin-
dungen, und zwar erst einmal mit Verbstamm als Erstglied. Beispiele wie
spritzgießen oder spülbohren werden überwiegend als Kopulativkomposita
bestimmt, ohne dass ein Determinativverhältnis ganz auszuschließen ist,
das hängt im Endeffekt von Kontext oder Definition ab, oft ist beides mög-
lich.
Ein wichtiges Phänomen dieser Gruppe bedeutet die starke Tendenz, For-
mulierungen, die eine Entscheidung für eine morphologische Trennung, vor
allem Distanzstellung, mit sich bringen, zu umgehen. Solche Komposita treten
also als Infinitive auf, auch als Konversion zum Nomen, aber Konstruktionen
wie ?er hatte spritzgegossen, ?er spritzgießt/??er gießt spritz werden gemieden:
Das Paradigma ist defektiv. Das heißt, die SprecherInnen wissen nicht, wie sie
sich verhalten sollen, und damit ist die Bauweise ganz offensichtlich unklar.
Insgesamt sind solche Bildungen selten anzutreffen.
Andere Verb+Verb-Verbindungen, die mit dem Infinitiv als Erstglied,
wurden nach der Rechtschreibreform zunächst nicht mehr zusammenge-
schrieben, vgl. liegen lassen, sitzen bleiben, kennen lernen, nach der Reform
der Reform 2005 gab es jedoch Korrekturen, die Verben sind nun variabel
handhabbar. Allerdings liegt hier die Interpretation als Zusammenrückung
näher, denn kennenlernen ist keine besondere Art des Lernens und es findet
auch nicht gleichzeitig Kennen und Lernen statt. Dafür ist die Trennbarkeit
klar: Er lernt ihn kennen, er hat ihn kennengelernt. Die Verbindungen mit ei-
nem Infinitiv an erster Stelle sind immer unfest. Es kommt zu unterschiedli-
chen Ansichten bei der Bestimmung der Wortbildungsart.
Lobpreisen ist eine Verbindung mit dem Nomen Lob und bedeutet ‘mit
Lob preisen’, gehört also nicht hierher. Bei mähdreschen schließlich liegt eine
Rückbildung zu Mähdrescher vor.

N+V-Verbindungen
Ein anderes Problem weisen die meisten Substantiv-Verb-Kombinationen auf.
Häufig sind Fälle wie radfahren, leidtun, standhalten, teilnehmen. Hier han-
delt es sich um Zusammenrückung. Die Distanzstellung fällt leicht. Solche
Nomen-Verb-Bildungen sind nie klar als Determinativkomposita interpre-
206 11. Verb – Wortbildung I

tierbar, da eine hin und wieder mögliche determinative Beziehung durch die
Interpretation der Zusammenrückung in den Hintergrund tritt. In jedem Fall
ist die Bestimmung der Wortbildungsart problematisch.
Daneben gibt es auch Kopf stehen oder staubsaugen. Diese Konstruktionen
können, müssen aber nicht zusammengeschrieben werden. Morphologische
Unsicherheiten bestehen bei dienstleisten oder farbkopieren. Es handelt sich um
Rückbildungen zu Nomen (vgl. Kopfstand, Staubsauger, Dienstleistung, Farbko-
pierer) und damit wieder nicht um Komposita, obwohl sie so aussehen. Deswe-
gen werden solche Bildungen auch Pseudokomposita genannt. Ihr Paradigma
ist wieder unvollständig: Konstruktionen, die eine Entscheidung zur Trennung
fordern, werden gemieden, aber in einigen Fällen besteht die Tendenz dazu,
vgl. Die Familie stand Kopf. Bei staubsaugen ist wohl beides möglich (gestaub-
saugt, staubgesaugt). Bei maßregeln, handhaben, haushalten (Rückbildungen)
kommt es nicht zu Distanzstellung, vgl. Er wurde gemaßregelt. Neu als komple-
xe Wörter zu behandeln sind auch bankrottgehen, pleitegehen.
Die Substantiv-Verb-Verbindungen sind insgesamt nicht zu den Kompo-
sita zu rechnen.

ADJ+V-Verbindungen
Viele Adjektiv-Verb-Kombinationen, z.B. blankputzen, freihalten, brachlie-
gen, sind als Determinativkomposita interpretierbar, während bei beispiels-
weise krankschreiben, kürzertreten, madigmachen, niedrighängen, richtigstel-
len, heimlichtun, schwerfallen, festbinden, blankbohnern, aufrechterhalten,
geheimhalten oder brachliegen Zusammenrückung vorliegt. Beide Gruppen
sind in der Regel ebenfalls unfest.
Liebäugeln, langweilen oder frohlocken zeigen keine Distanzstellung auf.
Bei tiefkühlen handelt es sich um eine Rückbildung aus Tiefkühltruhe, da
ein Morphem wegfällt. Einen Problemfall bedeutet kurzarbeiten, da zunächst
nicht klar ist, ob hier Arbeit zu arbeiten gebildet wurde oder umgekehrt. Falls
nämlich das Verb grundlegend ist, wäre Kurzarbeit mit einem morphologisch
markierten zweiten Glied gebildet, das für ein Verb rückgebildet werden
müsste. Kluge (2002) gibt allerdings das Nomen als die ursprüngliche Bildung
an, damit ist kurzarbeiten als Konversion einzustufen.
Frühstücken schließlich ist eine Konversion zu Frühstück.

ADV+V-Verbindungen
Determinativkomposita aus Adverb und Verb sind sehr häufig, vgl. herbei-
kommen, zurückblicken, herumlaufen, dahersagen. Diskussionspotenzial
bieten Formen mit los, das als Adjektiv oder Adverb erscheint und in der
Zusammensetzung eine eigene Semantik entwickelt, vgl. ‘lösen’ (losdrehen,
loslassen), ‘beginnen’ (loslachen, losheulen). Während bei den Partikelverben
11.2. Vertiefung 207

mit unter, über, wider oder wieder Doppelformen auftreten, sind die Kompo-
sita mit Adverbien stets betont und trennbar.
Insgesamt sollte die eigentliche Leistung bei der Bearbeitung der komple-
xen Verben in der Kenntnis der Probleme liegen. Neben einer strukturellen
Analyse bedeutet die Diskussion damit den Schwerpunkt der Leistung. Sie
sollte sich auf die Aspekte diachrone Entwicklung beziehen, die heute nicht
mehr immer nachvollziehbar ist, auf die Rechtschreibreform, die viele als
Einheiten empfundene komplexe Lexeme auseinander schreiben will, auf die
Trennbarkeit unter bestimmten morphologischen und syntaktischen Bedin-
gungen sowie auf die Semantik.
Rein synchron bzw. auf den ersten Blick betrachtet haben wir es mit Kom-
posita, Pseudokomposita und verschiedenen Arten der Präfigierung zu tun
mit breiten Übergangsbereichen und vielen unklaren Beispielen. Was so aus-
sieht wie ein Kompositum, aber nicht sicher so einordbar ist, kann zunächst
als Pseudokompositum bezeichnet werden, die Diskussion erklärt dann Nä-
heres. Zwischen Determinativkompositum und Kopulativkompositum kann
ohne exakte Definition eines Verbs oder Kontextinformationen nicht immer
klar entschieden werden. In den Arbeiten läuft grinskeuchen meist unter Ko-
pulatikvkompositum, obwohl manchmal auch auf ein determinatives Bedeu-
tungsverhältnis hingewiesen wird. Die Zusammenrückungen (kennenlernen)
liegen sehr eng an den Komposita oder überschneiden sich mit ihnen, dann ist
bei einigen die Annahme eine Doppelmotivation vorzuziehen. Bei wahrneh-
men, seligpreisen und achtgeben handelt es sich historisch um Zusammenrü-
ckungen (Birkhan 1985: 176). Auch die Rückbildungen (mähdreschen) sehen
synchron oft wie Komposita aus, ebenso die zweigliedrigen Konversionen
(frühstücken). Die Grenze zwischen Komposition und Ableitung (vollquat-
schen), zu der auch Beispiele mit Partikelverben zählen, wird definitorisch
gesetzt, beispielsweise wie hier vorgeschlagen anhand der Kriterien Wortart
und Trennbarkeit. Sie erklärt sich nicht aus den in den anderen Wortarten
bewährten Kriterien. Hierauf ist in einer Analyse stets hinzuweisen. Denn
immer muss ein erläuternder Text genaue Informationen liefern.

Donalies (1999), Motsch (2004), Eschenlohr (2007), Kauffer/Métrich (2007)

Reduplikativkompositum
Das einzige Beispiel in den Wörtbüchern ist schlampampen ‘schlemmen,
hemmungslos schmausen’, während rumpumpeln höchstens vereinzelt in po-
etischer Sprache auftritt.
208 11. Verb – Wortbildung I

Problembereich Konversion

Eine gewisse Schwierigkeit stellen einfache Konversionen wie husten dar, bei
denen nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, ob das Verb oder das Nomen
das Ursprüngliche war. Die Ableitungsrichtung kann manchmal über den
Paraphrasetest ermittelt werden, fischen ‘Fische fangen’, sägen ‘mit der Säge
arbeiten’ (Fleischer/Barz 2012: 269), pudern ‘mit Puder versehen’ (Eschenlohr
1999: 53). Das heißt, das Ursprungswort ist für die Paraphrase des komplexen
Wortes nötig. Aber oft hilft nur ein etymologisches Wörterbuch weiter, das
Ehre, laufen, Teil und rufen als grundlegend und ehren, Lauf, teilen und Ruf
als hierzu gebildet bestimmt. Doch in manchen Fällen ist das Ableitungsver-
hältnis nicht geklärt, beispielsweise bei Lob/loben. Sind die diachronen Daten
unbekannt und/oder stehen bei der Bearbeitung keine Wörterbücher zur Ver-
fügung, muss der Hinweis „synchron nicht entscheidbar“ gegeben werden,
aus heutiger Sicht sind die Wörter möglicherweise doppelt motiviert.
Das Verb rahmen wurde laut Simmler (1998: 598) zum Nomen, das ur-
sprünglich kein finales n aufwies, gebildet. Er weist auch darauf hin, dass
Haufen und häufen bereits im Ahd. existierten als hūfo bzw. hūfōn. Das Verb
albern schließlich entstand durch Suffigierung eines n an das Adjektiv früh-
nhd. alber (Pfeifer in Simmler 1998: 605).

Die mehrgliedrigen Konversionen wie wetteifern führen zum Problembereich


der Komposita über. Denn auf den ersten Blick sehen sie aus wie über die
Zusammensetzung von wett und eifern entstanden. So gesehen können sie
auch als Pseudokomposita bezeichent werden. Dies ist aber morphologisch
ungenau bzw. sogar falsch, wenn nicht weiter Stellung genommen wird. Denn
in unserem Fall war Wetteifer das ursprüngliche Wort.
Eine andere Verwechslungsgefahr besteht mit den Rückbildungen. Eine
über Konversion entstandene Form wie arbeiten zu Arbeit ist morphologisch
verändert, damit ist sie im Grunde genommen komplexer. Bei kurzarbeiten ist
also die Ableitungsrichtung arbeiten zu Arbeit anzusetzen, dann ist kurzarbei-
ten als Konversion von Kurzarbeit (vgl. auch Fleischer/Barz 1995: 298) einzu-
stufen. Anders liegt der Fall bei Verben, die grundlegend sind, beispielsweise
laufen, zu dem das Laufen gebildet ist. Das Nomen ist hier das morphologisch
komplexere Lexem. Also sind Formen wie eislaufen (aus das Eislaufen) wiede-
rum durch die Rücknahme der morphologischen Komplexität zu verstehen.
Das Nomen Eislaufen verliert bei der Veränderung zum Verb eislaufen das
morphologische Merkmal Konversion, bildet sich also „zum Verb zurück“
und ist daher eine Rückbildung. Auch bei kugelstoßen, bergwandern, brust-
schwimmen, spießrutenlaufen, wassertreten, seil(chen)springen, diskuswerfen,
11.2. Vertiefung 209

speerwerfen oder raubkopieren sind die substantivierten Infinitive die Ur-


sprungsformen, sodass die Verben über Rückbildung entstanden (Marschall
2007: 178).
Was ist mit sonnenbaden? Laut Kluge (1999) ist baden zu Bad gebildet.
Sonnenbad ist lexikalisiert, also dürfte zum Nomen das Verb sonnenbaden
über Konversion entstanden sein.
Bei schlangestehen wie auch bei schichtarbeiten setzt Eschenlohr (1999:
144, 154) eine Doppelmotivation von Rückbildung und Zusammenrückung
an.

Wir gehen nun eine Beispielsaufgabe durch. Sie lautet: Vergleichen Sie die
Wortbildung folgender Verben: radfahren, keuchhusten, zusammenschlagen!

Alle drei Lexeme sind komplexe Verben, auf den ersten Blick mit vergleich-
barer Struktur.
Die ersten beiden können zunächst als Pseudokomposita bezeichnet wer-
den im Gegensatz zum dritten, hier beschreibt zusammen das Verb schlagen
näher, und wir ordnen es den Determinativkomposita zu.
Bei radfahren schreibt die aktuelle Rechtschreibung die Getrenntschrei-
bung vor. Hier liegt die Interpretation als Zusammenrückung nahe. Die Form
entstand aus Formulierungen wie mit dem Rad fahren.
Bei keuchhusten muss davon ausgegangen werden, dass die Benennung
der Krankheit vor der der Handlung existierte. Das Nomen Keuchhusten
ist primär anzusetzen, damit ist das Verb eine Konversion, was sich auf den
Strukturbaum auswirkt. Das Nomen Keuchhusten ist ein Determinativkom-
positum. Dass das Nomen Husten primär ist und das Verb husten über Kon-
version dazu entstand, erfahren wir erst durch einen Blick in ein etymolo-
gisches Wörterbuch. Dass hingegen das Verb schlagen das Ursprüngliche ist
und erst davon Schlag gebildet wurde, könnte durch eigene Überlegungen
erkannt werden.

Die Strukturbäume der Lexeme sehen folgendermaßen aus:

radfahrenV keuchhustenV zusammenschlagenV


  
{rad}N fahrenV KeuchhustenN zusammenschlagV {-en}
  
{fahr-}V {-en} {keuch-}V {husten}N {zusammen}ADV {schlag-}V

Bei {fahr-}, {keuch-} und {schlag-} liegen verbale Wurzeln, gebunden, lexika-
lisch, vor. Die Nominalwurzel {husten} und die Adverbialwurzel {zusammen}
210 11. Verb – Wortbildung I

sind lexikalisch und frei. Bei {-en} handelt es sich um das Infinitiv-Morphem,
das gewöhnlich als Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, bezeichnet wird.
Es liegt nahe bei den Ableitungselementen, hier könnte eine Diskussion an-
schließen.
Das Verb radfahren ist eine Zusammenrückung, keuchhusten eine Konver-
sion, zusammenschlagen ein Determinativkompositum. Die Paraphrasen und
Wortbildungsbedeutungen sind ‘mit dem Rad fahren’, instrumental, ‘husten,
wie es beim Keuchhusten üblich ist’, Vorgangsbeschreibung und ‘jemanden
brutal niederschlagen’, intensivierend. Das dritte Verb ist also teilidiomati-
siert, da die Bedeutung von zusammen verloren gegangen ist. Den drei Verben
liegen damit drei verschiedene Wortbildungsarten zugrunde.

In einigen Arbeiten würden radfahren und zusammenschlagen als Partikel-


verben bezeichnet, z.B. Duden (2006), da diese dort über die Trennbarkeit der
Erstglieder bestimmt werden, unabhängig von deren Wortart und der Entste-
hunggeschichte. Es werden für die Verben keine Zusammenrückungen und
keine Determinativkomposita angesetzt. Diese Analysevariante ergibt damit
eine starke Abweichung zu den Wortbildungsarten der übrigen Wortarten.
In anderen Abhandlungen führen alle trennbaren Erstglieder zum Aus-
schluss aus der Kategorie Lexem (Donalies 2007), was als Konsequenz zum
Ausschluss von Wörtern wie radfahren und zusammenschlagen aus dem Ana-
lysebereich führt. Die Gruppe der komplexen Verben würde dann insgesamt
stark schrumpfen. Bei beiden Positionen, die hier exemplarisch herausgegrif-
fen wurden, müssten die Unterschiede in der Bildungsweise der drei Lexeme
in einem Begleittext beschrieben werden.

Kühnhold et al. (1973), Eschenlohr (1999), Kauffer/Métrich (2007)


semantische Aspekte der Verben: Motsch (2004)
Erleichterungsrückbildung: Erben (2006: 39)

Übungen zu 11.2. Vertiefung


1. Welche verschiedenen Präfixgruppen gibt es bei der verbalen Wortbil-
dung? Worin unterscheiden sie sich?
2. Welche Wortbildungsarten gibt es bei den Verben?
12. Verb – Wortbildung II

12.1. Grundlagen

Das erste Kapitel zur verbalen Wortbildung hat bereits gezeigt, dass das Deut-
sche hier einige Probleme aufweist, neben Unklarheiten bei der Zusammen-
schreibung vor allem die Trennbarkeit/Unfestigkeit vieler links vom Stamm
plazierter Konstituenten. Das führt zu ganz unterschiedlichen Abgrenzungen
zwischen Kompositionsgliedern und Präfixen und oft zu weiteren Untergrup-
pen. Der vorliegende Band schlägt eine Einteilung der betroffenen Elemente
bezogen auf Trennbarkeit und Wortart vor mit größtmöglicher Nähe zu der
Wortbildung der anderen Wortarten. Ausnahmen werden möglichst ver-
mieden. Das heißt, es wird keine neue Kategorie bei den Wortbildungsarten
eröffnet. Die Betonung spielt nur eine untergeordnete Rolle, da sie bei den
Präfixen mit Trennbarkeit einhergeht. Die Zusammenschreibung im Infini-
tiv ist spätestens seit der letzten Rechtschreibreform als Kriterium untauglich
geworden.
Für die heimischen Einheiten wird folgende Einteilung angesetzt:

verbale Präfixe
a) (echte) – fest, unbetont: be-, ent-, er-, ver-, zer-, miss- (bearbeiten)
b) (Verbpartikeln)
b.1) unfest, immer betont: ab-, an-, auf-, aus-, bei-, dar-, ein-, mit-, nach-,
vor-, zu- (abarbeiten)
b.2) sowohl unfest/betont als auch fest/unbetont: durch-, über-, um-, un-
ter-, voll-, wider-, wieder- (unterhálten, únterbewerten)
Kompositionsglieder
unabhängig von Trennbarkeit oder Schreibung, z.B. Adverbien (her, hin,
mit, herauf – hindurchfahren), Verben (grinsen, kennen – grinskeuchen,
kennenlernen), Adjektive (schön, blank – schönfärben, blankbohnern);
(Substantive (Seil – seiltanzen) nur als Problemfälle).
212 12. Verb – Wortbildung II

zu a): In dieser Gruppe sind die (echten) Präfixe zusammengestellt, die un-
trennbar mit dem Verbstamm verbunden sind. Sie gibt es so auch bei den an-
deren Wortarten (be-urteilen, un-gut, Ur-wald). Sie sind sprachgeschichtlich
älter als die der Gruppe b). Sie sind unbetont und stellen bei der Diskussion
kein Problem dar. Zu ihnen kamen später dann auch die Fremdpräfixe hinzu,
bei denen es keine Verbpartikeln gibt.
zu b): Den Mitgliedern dieser Gruppe stehen gleichlautende freie Wörter zur
Seite. Sie werden zumeist als Verbpartikeln bezeichnet.
Die Gruppe b.1) umfasst die Verbzusätze, die gleichlautend mit Präpositi-
onen vorkommen und Distanzstellung erlauben (Ausnahme: das unprodukti-
ve dar). Sie sind also trennbar. Sie sind außerdem betont.
Die Gruppe b.2) führt Verbzusätze auf, die gleichlautend mit Wörtern
auftreten, vorwiegend als Präposition, aber auch als Adverb (wieder) oder als
Adjektiv (voll). Aber entscheidend ist die Verwendung: sowohl fest als auch
unfest. Das führt in der Regel zu verschiedenen Bedeutungen eines Verbs, bei-
spielsweise úmfahren/er fährt den Baum um ‘beim Fahren umwerfen’, umfáh-
ren/er umfährt den Baum ‘um etwas herum fahren’. In dieser Gruppe ist die
Trennbarkeit gekoppelt an die Betonung des Verbzusatzes.
Den Mitgliedern der Gruppen a) und b) ist gemeinsam, dass sie zur Verb-
bildung dienen, dabei meist von verschiedenen Wortarten ableiten und oft
eine syntaktische Veränderung bewirken (arbeiten vs. etwas erarbeiten). Sie
sind semantisch eher abstrakt und ergänzen sich bei der abstufenden inhalt-
lichen Abwandlung der Grundverben. Eine Konkurrenz ist selten (vgl. auf-,
erblühen). Meist bewirken die Präfixe feine Differenzierungen. Lautlich sind
sie kurz, nämlich einsilbig (außer wieder-, wider-, über- und unter-). Für alle
gilt, dass die unbetonten nicht trennbar sind und umgekehrt.
Davon zu unterscheiden sind die Kompositionsglieder bzw. Konstituenten
der Wortarten Verb, Substantiv, Adjektiv oder Adverb. Sie treten NICHT so-
wohl trennbar als auch untrennbar auf.

Explizite Derivation
Präfigierung
Die erste Gruppe der verbalen Präfixe besteht aus den nicht trennbaren Elemen-
ten und ist damit morphologisch eindeutig. Diese – echten – Präfixe sind unbe-
tont, im Partizip II fällt das ge- fort ( steigen – gestiegen vs. besteigen – bestiegen).
Es ist typisch für die verbale Wortbildung, dass sich hier sehr häufig die
syntaktischen Verhältnisse verändern, beispielsweise Ich wohne im Keller vs.
Ich bewohne den Keller. Das unterscheidet sie von der Derivation der anderen
Wortarten.
12.1. Grundlagen 213

Die Präfigierung erfolgt überwiegend an Verbstämme. Bei der Ableitung


der Verben von Adjektiven kann der Stamm als Positiv (verengen, verdünnen)
oder als Komparativ erscheinen (verschlimmern, verschönern). Letzteres ist
heute nicht mehr produktiv.
Manchmal treten auch zwei Präfixe auf, vgl. anvertrauen, umverteilen,
vorenthalten.

Wortbildungssemantik
Die semantischen Veränderungen sind stark aufgefächert und oft individuell
zu beschreiben. Beispielsweise kann sich aufgrund des Präfixes eine durative
(blühen) in eine ingressive Bedeutung (erblühen) oder in eine egressive (ver-
blühen) wandeln. Während blühen nur die Tatsache bzw. den Verlauf eines
Geschehens angibt, markiert erblühen den Beginn und verblühen das Ende.
Manche Präfixe sind ornativ mit der Bedeutung ‘versehen mit’ im weitesten
Sinne, verkleistern meint ‘etwas mit Kleister versehen’, bekleiden heißt ‘etwas
mit Kleidung versehen’. Wenn das rückgängig gemacht wird, ist die Bedeu-
tung durch das Präfix privativ, entkleiden ‘sich seiner Kleidung entledigen’.
Oft kommt es zusätzlich zu übertragener und/oder verschobener Bedeutung
(ein Amt bekleiden). Die Unterschiede in der Verlaufsweise eines Geschehens
oder der Handlungsart werden als Aktionsart bezeichnet.
Die Semantik der Präfixe ist äußerst facettenreich. Daher können ausge-
sprochen viele Bedeutungsnuancen, mit oder ohne eigenen Terminus, ange-
geben werden, um solche komplexen Verben inhaltlich näher zu beschreiben.
Exakte Bedeutungsbestimmungen sind häufig nur als längere Paraphrase
möglich und oft heikel. Entsprechende Diskussionen sind eher in der Vertie-
fungsphase durchzuführen. Für die ersten Analyseschritte genügt sicherlich
eine ungefähre Angabe der Bedeutung, vor allem, wenn der Schwerpunkt auf
der Strukturbeschreibung liegt. In Hinblick auf eine vertiefende Beschäfti-
gung und der Vollständigkeit halber sollen hier trotzdem die gängigsten Ter-
mini zusammengestellt sein.

Eine Verbbedeutung kann sein

temporal allgemein bezogen auf zeitliche Aspekte (überwintern)


durativ Verlauf eines Prozesses, einer Handlung oder eines Er-
eignisses (blühen, ertragen)
egressiv Ende des Prozesses etc. (verblühen, entschlafen)
Ereignis blitzen, donnern, weihnachten
ingressiv Beginn des Prozesses etc. (erblühen, anfahren, aufwachen)
lokal allgemein bezogen auf örtliche Verhältnisse (anschrau-
ben, überfliegen, schultern), auch lokativ
214 12. Verb – Wortbildung II

direktional eine Richtung wird benannt (aufflattern)


dislokativ Trennung, Verlust von Kontakt (abreisen, abmontieren)
modal allgemein die Art und Weise betreffend
diminutiv verringernd, abschwächend, meist verbunden mit itera-
tiv/wiederholt (nur als Suffix, vgl. hüsteln), auch diminu-
ierend
imitativ ‘sich verhalten wie’ (bemuttern, tigern)
instrumental der Prozess etc. wird mit einem Mittel hervorgerufen
(erdolchen)
intensiv sehr starke Ausführung des Prozesses bzw. der Hand-
lung etc. (befragen, abküssen)
iterativ ‘wiederholt’, oft verbunden mit diminutiv, was auf eine
abgeschwächte Handlung verweist (nur als Suffix, vgl.
tröpfeln)
Negation missfallen
falsch verrechnen
zu viel versalzen, überfischen
revers(at)iv Rücknahme des Prozesses etc. (destabilisieren), auch
Umkehrung, rückgängig machen
faktitiv ‘etwas machen zu etwas’, aktivisch (verdünnen, zerbom-
ben, härten, blondieren)
kausativ ein neuer Zustand wird verursacht (versenken, erträn-
ken)
ornativ Hinzufügung, ‘versehen mit’ (verglasen), auch im wei-
teren Sinne (behausen, beehren), fachsprachlich (anbö-
schen ‘ein Gelände o.Ä. mit einer Böschung versehen)
privativ Wegnahme, Beseitigung (entkleiden)
resultativ passivisch, Vorgang, der zum Abschluss führt, Ergebnis,
‘werden zu’ (versumpfen)

Andere verbreitete Begriffe wie inchoativ, was des Öfteren für den Beginn ei-
ner Handlung steht, oder perfektiv für den Abschluss einer Handlung werden
hier nicht gebraucht, da sie literaturübergreifend uneinheitliche Verwendung
finden.
Teilweise liegen die Bedeutungen der Präfixverben recht nahe beieinander.
Resultativ und faktitiv unterscheiden sich beispielsweise durch ein Zutun. So
heißt vertrotteln ‘trottelig werden’, ohne dass jemand dafür veanwortlich ist
(resultativ). Im Gegensatz dazu bedeutet versklaven nicht ‘zum Sklaven wer-
den’, sondern ‘jemanden zum Sklaven machen’ (faktitiv). Der Unterschied zu
den Egressiva ist hier das schlichte Beenden einen Vorgangs, die Rose ver-
12.1. Grundlagen 215

blüht, und dann blüht sie nicht mehr, während bei den Resultativa das Ergeb-
nis im Vordergrund steht – wer vertrottelt, ist schließlich trottelig.
In anderen Fällen treffen mehrere Bezeichungen gleichzeitig zu, entladen
ist privativ, da etwas weggenommen wird, aber auch reversiv, da das Beladen
rückgängig gemacht wird.

Davon zu unterscheiden sind syntaktische Veränderungen, die beschrieben


werden durch

transitivierend das Verb benötigt nun ein Akkusativobjekt (bearbeiten)


reflektivierend das Verb benötigt nun ein Reflexivpronomen ((sich) ver-
tun, (sich) einleben)

Die Tabellen geben die wichtigsten Funktionen der Präfixe an. Die tatsächli-
che Bandbreite der semantischen Muster ist jedoch sehr ausgeprägt, sodass ei-
nige seltenere oder vereinzelt auftretende Bedeutungen nicht aufgeführt sind,
um die Übersichtlichkeit nicht zu gefährden. Bitte vergessen Sie bei der Arbeit
mit den Tabellen nicht, dass es immer wieder auch zu semantischen Einzelfäl-
len kommen kann, auf die Sie hinweisen, am besten anhand einer Paraphrase.
Für die echten Präfixe vgl. Tabelle (37).

Tabelle 37: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben, Gruppe a: untrennbar,
unbetont

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

be- Substantiv ornativ (besolden, bedachen, produktiv, stets transitivierend;


besohlen, beglückwünschen), eventuell doppelt motiviert bepols-
imitativ (bemuttern) tern, idiomatisiert bedingen

Adjektiv faktitiv (befreien, beengen, be- nicht produktiv, stets transitivie-


nässen) rend

Verb ornativ (bepflanzen, bestuhlen), stets transitivierend, teils auch


intensiv (befragen, befürchten) ohne zusätzliche Bedeutungskom-
ponente, idiomatisiert besuchen,
undurchsichtig beginnen, begehren

Partikel bejahen isoliert

ent- Substantiv privativ (entthronen, entkleiden),


resultativ (entziffern)

Adjektiv reversiv (entmutigen), egressiv mit Umlaut entblößen, übertragen


(entfernen) entledigen
216 12. Verb – Wortbildung II

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

ent- Verb lokal ‘weg’ (entführen, entweichen, idiomatisiert entsprechen, un-


entfliehen), resultativ (entschlafen), durchsichtig entbehren, nur dia-
ingressiv (entbrennen), reversiv chron ist ein früheres ent- heute
(entehren, entfärben) als emp- zu erkennen empfinden

er- Substantiv instrumental (erdolchen), faktitiv schwach produktiv, eventuell dop-


(erlisten, erbeuten) pelt motiviert erkaufen, erspielen,
erstreiten

Adjektiv resultativ (erkälten, erblinden), schwach produktiv


faktitiv (erleichtern, erfrischen,
erneuern, erheitern), lokativ (auf-
wärts) (erbauen, errichten)

Verb ingressiv (erblühen), egressiv ingressiv nicht mehr produk-


(erwürgen), durativ (ertragen), tiv, faktitiv produktiv, oft rein
intensiv (erdulden), faktitiv transitivierend erblicken, erhoffen,
(erbauen, erheben), speziell: ‘führt idiomatisiert erzählen, ergötzen
zum Besitz’ (erkämpfen, ersteigern)

miss- Verb Negation (missglücken, miss- nicht sehr produktiv; undurch-


achten), ‘falsch’ (missdeuten, sichtig misslingen
missverstehen)

ver- Substantiv ornativ (verglasen, vergittern), ver-Ableitungen geben immer eine


faktitiv (versklaven, verfilmen), Zustandsänderung an, immer
resultativ (vertrotteln, versump- auch egressiv, oft negativ, die orna-
fen), instrumental (vertäuen) tive Verwendung ist produktiv, die
egressive deverbale Ableitung ist
Adjektiv faktitiv (veredeln, verdünnen, nicht mehr produktiv, idioma-
verfeinern, verbreitern), resultativ tisiert veruntreuen, verzahnen,
(verblassen, verarmen) vertragen, verstehen, undurchsich-
tig vergeuden, verleumden
Verb resultativ (verheizen, verarbeiten),
eggressiv (verblühen, verklingen),
Negation (verachten), ‘falsch’
(verrechnen), ‘zu viel’ (versalzen,
verstauben), intensiv (vermeiden),
lokal (Verbindung) (verkneten)

Partikel verneinen isoliert

zer- Substantiv faktitiv (zerbomben, zerfleischen, zer-Ableitungen beinhalten immer


zermürben, zerschneiden, zerplat- ein Zerstören, mit Umlaut zerrä-
Adjektiv zen) dern, mit gesteigertem Adjektiv
zerkleinern
Verb
12.1. Grundlagen 217

Nicht mehr produktiv sind ob- (obliegen, obsiegen) und ge- mit einer geho-
bensprachlichen Komponente (geloben, gedenken) und einer egressiven (ge-
frieren, gerinnen). Idiomatisiert ist gehören, undurchsichtig gelingen. Fremd-
sprachliche Präfixe wie dis- (disqualifizieren) oder re- (reservieren) sind im
anschließenden Vertiefungskapitel behandelt.
Der Begriff der P r ä f i x k o n v e r s i o n wird von einigen verwendet,
um darauf hinzuweisen, dass die unpräfigierten Verben (erdolchen – *dolchen,
veruntreuen – *untreuen) nicht existieren, dass also mit der Präfigierung auch
eine Konversion des Nomens zum Verb stattfindet. Bei den anderen Wortar-
ten wird jedoch auf einen eigenen Begriff in vergleichbaren Fällen verzichtet
(Schüchternheit – *Schüchtern). Es ist nicht unbedingt nötig, hier eine eigene
Kategorie anzusetzen, nur weil die meisten Präfixe keine Wortartverände-
rung bewirken. Wir ziehen also diejenige Lösung vor, die Präfigierung auch
bei Wortartwechsel annimmt und die entsprechenden Wortartbestimmun-
gen im Zusammenhang mit der Analyse des jeweiligen Präfixes vornimmt,
sodass der Begriff Präfixkonversion überflüssig wird. Bei der Analyse ist da-
rauf hinzuweisen, dass eine Wortartänderung bei der verbalen Präfigierung
selten ist.

Bei der Analyse eines derivierten Verbs, zum Beispiel im Satz Der Spion wollte
seine Großmutter bespitzeln, müssen Sie zunächst die Infintivendung abtren-
nen, weil sie als Flexiv gilt. Dabei setzen Sie bereits voraus, dass Sie ein Verb
analysieren. Die Wortart ist in jedem Falle anzugeben.

bespitzelnV

bespitzel-V {-n}

{-n} ist ein Allomorph zu {-en}. Es ist ein gebundenes, grammatisches Fle-
xionssuffix. Nun ist die Struktur des Verbstamms bespitzel- zu bestimmen.
Sie trennen das {be-} ab, dann müssen Sie entscheiden, zu welcher Wortart
der Stamm spitzel gehört – es gibt kein Verb *spitzeln im Deutschen, es han-
delt sich also um ein Nomen. Dies ist nicht weiter zerlegbar, damit ist es eine
Substantivwurzel, sie ist lexikalisch und frei. {be-} ist ein Derivationspräfix,
es ist grammatisch, gebunden, nicht trennbar und bewirkt hier eine Wortart-
änderung, was bei der verbalen Derivation selten ist.

bespitzel-V

{be-} {spitzel}N
218 12. Verb – Wortbildung II

Es handelt sich bei der Wortbildungsart also um eine explizite Derivation,


genauer Präfigierung. Nun schauen Sie in der Tabelle (37) in der dritten Spalte
die Bedeutungsmöglichkeiten nach. Bei der desubstantivischen Ableitung mit
{be-} treten gern ornative oder imitative Bedeutungsveränderungen auf. Über
die Parapharase bespitzeln ‘sich verhalten wie ein Spitzel’ erkennen Sie in un-
serem Fall die imitative Bedeutung. Bei der Analyse können Sie schließlich
noch ergänzen, dass es sich um ein produktives Wortbildungsmuster handelt.
Für die unfesten Präfixe vgl. Tabelle (38).

Tabelle 38: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben, Gruppe b.1: unfest, immer
betont

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

ab- Substantiv privativ (abstielen) idiomatisiert absahnen

Adjektiv faktitiv (abschrägen, abflachen)

Verb privativ bzw. dislokativ (ab- intensivierend besonders jugend-


pflücken, abreisen, abwischen, sprachlich abtanzen, abfeiern,
abbuchen, abfallen), lokal/abwärts abtelefonieren, idiomatisiert
(absteigen), egressiv (abschließen, absacken, abschaffen
abheilen), reversiv (abbestellen,
abrüsten), negativ (abwerten),
intensiv (abküssen, abprüfen)

an- Substantiv anfreunden

Adjektiv faktitiv (anschrägen, anschuldigen)

Verb lokal ‘befestigen’/ornativ (an-


schrauben, anketten), lokal/Rich-
tung (anschreien, anblicken),
ingressiv (anfahren), intensiv
(anspannen, anwachsen), ornativ
(ankreuzen)

auf- Substantiv faktitiv (aufforsten)

Adjektiv faktitiv (auffrischen, aufhellen


aufheitern)

Verb ingressiv (aufblühen), lokal/Kon-


takt (aufprallen), lokal/aufwärts
(aufheben), faktitiv (aufwärmen),
egressiv (aufessen), ‘öffnen’
(aufmachen, aufdrehen), intensiv
(aufopfern)
12.1. Grundlagen 219

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

aus- Substantiv privativ (auskernen, aussteinen)

Adjektiv resultativ (ausnüchtern)

Verb lokal ‘heraus’ (auswandern, aus-


reisen), resultativ (ausheilen),
privativ (ausmisten, ausholzen),
egressiv (aussterben, ausreifen),
ornativ (auspolstern), negativ
(auspfeifen, auslachen), intensiv
(ausruhen), ‘preisgeben’ (ausplau-
dern)

bei- Verb lokal/Kontakt (beifügen) nur noch dialektal produktiv;


häufig metaphorisch; idiomatisiert
das desubstantivische beipflichten,
weiter beisetzen

ein- Substantiv ornativ (einnebeln), faktitiv (ein-


äschern, einkerkern)

Adjektiv faktitiv (einschüchtern)

Verb ingressiv (einschlafen), ‘hinein’


(einfahren)

mit- Verb Miteinander, Beteiligung, idiomatisiert mitteilen, etwas


Gleichzeitigkeit (mitmischen, mitmachen ‘viel ertragen’
mitarbeiten)

nach- Substantiv nachäffen

Verb lokal ‘hinterher’ (nachlaufen),


temporal ‘nachher’ (nachdatieren),
‘erneut’ (nachwachsen), ‘Vorbild’
(nacheifern, nachmachen),
‘Zurückweichen’ (nachgeben),
intensiv (nachhelfen)

vor- Verb lokal ‘davor, nach vorn’ (vordrin-


gen, vorfahren), ‘vor Publikum’
(vortanzen, vorsingen),
temporal ‘vorher’/‘Vorsorge tref-
fen’ (vorsorgen, vorbereiten),
‘Vorbild’ (vorleben)

zu- Verb lokal/Richtung (zujubeln, idiomatisiert das desubstantivi-


zurufen), ‘schließen’ (zumachen, sche zumuten
zudrehen), intensiv (zulassen),
Hinzufügen (zuzahlen)
220 12. Verb – Wortbildung II

Nicht mehr produktiv ist dar-, ursprünglich lokal (darbieten, darbringen),


heute meist idiomatisiert (darlegen, darstellen).
Die sowohl fest als auch unfest auftretenden Präfixe sind in Tabelle (39)
aufgeführt.

Tabelle 39: Die produktiven heimischen Präfixe der Verben, Gruppe b.2: +/- fest, +/- betont

1 2 3 4 5

Präfix Basis betont ? Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

durch- Verb + Richtung (durchgeben, idiomatisiert durchbringen ‘jeman-


durchrufen), ‘entzwei’ dem helfen, eine Schwierigkeit o.Ä.
(durchbrechen, durch- zu überstehen’, durchfallen ‘nicht be-
beißen), fakt./resultativ stehen’, durchführen ‘verwirklichen’;
(durchbacken, durchbie- der Bedeutungsaspekt ‘gründlich’
gen), ‘ohne Unterbre- geht fließend über in den Aspekt
chung’ (durcharbeiten), ‘vollständig’ der unbetonten Formen
‘gründlich’ (durchche-
cken, durchdiskutieren)

– ‘vollständig’ (durch- idiomatisiert durchkreuzen


löchern, durchqueren,
durchbohren)

über- Subst – ornativ (überkronen, idiomatisiert überflügeln


überdachen),
temporal (überwintern,
übernachten)

Verb + ‘hinüber’ (überwechseln), der Bedeutungsaspekt Grenzüber-


‘übrig’ (überbleiben), schreitung geht fließend über in den
Grenzüberschreitung Aspekt lokal/überwinden
(überfließen)

– lokal/überwinden idiomatisiert (sich) übergeben, (sich)


(überqueren, überlisten), überlegen
temporal (überleben),
zu stark (überkühlen,
überdüngen), Besitzwech-
sel (überschreiben), lokal/
abdecken (überbacken)
12.1. Grundlagen 221

1 2 3 4 5

Präfix Basis betont ? Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

um- Subst – umgarnen, umarmen

Adj – ‘herum’ (umrunden)

Verb + Gegenrichtung/anders
(umsteigen, umarbeiten),
‘herum mit Kontakt’
(umbinden, umschnal-
len), ‘vorüber’ (umsein),
‘nieder’ (umfallen, um-
werfen, umfahren)

– ornativ (umgittern,
umhüllen), ‘umgeben’
(umschweben, umfließen),
‘herum’ (umgehen,
umfahren)

unter- Verb + ‘unter/halb, hinunter’ trenn- und untrennbare Varianten


(untergehen, unterpflü- sind teilweise homonym, idioma-
gen) tisiert unterbleiben, untersagen,
unternehmen
– ‘Unterlegenheit’ (unter-
liegen, unterstehen), ‘zu
wenig’ (unterschätzen,
untertreiben), ‘unter’ eher
übertragen (unterschrei-
ben, unterstreichen)

voll- Verb + ‘vollständig’ (vollfressen), die meisten Verbindungen werden


‘sehr stark’ (vollquat- heute auseinandergeschrieben
schen)

– ‘fertig’ (vollbringen, mehr oder weniger idiomatisiert


vollenden, vollziehen)

wieder- Verb + ‘zurück’ (wiederbringen,


wiederholen), ‘noch ein-
mal’ (wiedersehen)

– ‘noch einmal’ (wieder- isoliert – bei komplexen Verben wird


holen) das Adverb zusammen mit dem
anderen Verbzusatz abgetrennt (er
baut wieder auf, er nimmt wieder auf )
und nach der neuen Rechtschreibung
getrennt vom Verb geschrieben
222 12. Verb – Wortbildung II

Nicht mehr produktiv ist wider-, das in der Bedeutung ‘zurück’ trennbar
(widerspiegeln, widerhallen, widerklingen), in der Bedeutung ‘gegen’ nicht
trennbar ist (widerlegen, widersprechen, widersagen). Nur regional tritt hinter-
betont auf (híntergehen – nach hinten gehen). Bildungen mit der Präposition
hinter zählen standardsprachlich zu den Komposita.

Suffigierung
Die indigenen Suffixe der Verben sind unbetont. Sie dienen in der Regel der
Darstellung von Handlungen oder Geschehnissen, vgl. Tabelle (40).

Tabelle 40: Die produktiven heimischen Suffixe der Verben

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-el, -l Substantiv diminutiv/iterativ (frösteln, kriseln, wer- kaum noch produktiv,


keln), imitativ (schlängeln), bezogen auf eine höchstens in iterativ/
Form (häufeln, stückeln, fädeln) diminutiver Bedeutung,
teilweise Umlaut; nicht
Adjektiv imitativ (frömmeln, blödeln) mehr durchsichtig ähneln
sowie die meisten laut-
Verb diminutiv/iterativ (brummeln, drängeln,
malerischen Ableitungen
hüsteln, deuteln, tröpfeln, lächeln, tänzeln,
wie babbeln, bimmeln;
funkeln)
bair. ist fensterln (jedoch
radeln zu Radl); idioma-
tisiert wursteln, hänseln,
undurchsichtig quasseln
(ndd.)

sonstige von Interjektion (bimmeln), von Namen von Namen produktiv


(sächseln)

-er, -r Verb iterativ (blinkern, folgern, steigern) praktisch unproduk-


tiv, außerdem kleckern
(zu klecken), nicht
hierher gehören wegen
der Pluralbasis z.B.
blättern, gliedern, wegen
des Komparativs mildern
(Konversionen)

sonstige von Interjektion (blubbern, bibbern) die meisten sind undurch-


sichtig

Nicht mehr produktiv ist -ig, das von Substantiven eine ornative (huldigen,
peinigen) und von Adjektiven eine faktitive (sättigen, festigen, reinigen) Bedeu-
tungsänderung verursacht.
12.1. Grundlagen 223

Nicht mehr produktiv ist auch -z, das bei der Ableitung von Pronomen
(duzen, siezen) oder Interjektionen (ächzen, juchzen) verwendet wurde. Das
fremdsprachliche Suffix -ier(en) (amtieren) finden Sie ausführlich im Vertie-
fungskapitel behandelt.
Ängstigen, endigen und schädigen gehen historisch auf Adjektive mit -ig
zurück (Simmler 1998: 600).

Zirkumfigierung
Hier gibt es mehrere Morpheme zu nennen, vgl. Tabelle (41).

Tabelle 41: Die produktiven heimischen Zirkumfixe der Verben

1 2 3 4

Zirkumfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

aus-ig Substantiv aushändigen

be-ig Substantiv ornativ (beköstigen, belobigen, beauf- teils mit Umlaut


sichtigen), lokal (beerdigen, beseitigen) besänftigen vs.
belobigen
Adjektiv faktitiv (begradigen)

ver-ig Substantiv ornativ (verköstigen)

Adjektiv faktitiv (verunreinigen)

ver-ier Substantiv ornativ (verbarrikadieren)

Adjektiv faktitiv (verabsolutieren)

Auffällig ist das Fehlen der Wortart Verb als Basis.


Das einzige Zirkumfix, das aus fremdsprachlichen Elementen besteht, tritt
bei in-szen-ier-en auf. Einzelne Bildungen sind verschandeln und entnazifi-
zieren. Das Verb einkästeln dürfte nicht auf ein Zirkumfix, sondern auf eine
Präfigierung des bair. Kästel zurückgehen.

Implizite Derivation
Auch bei den Verben ist diese Wortbildungsart nicht mehr produktiv und au-
ßerdem nur schwach ausgebaut. Die zentrale Gruppe bilden die Kausativa.
Sie drücken ein Bewirken aus. So gibt es zur Grundform fallen die abgelei-
tete Form fällen, sie bedeutet ‘zum Fallen bringen’. Es sind schwache Verben,
die von einer Ablautform des starken Verbs abgeleitet wurden. Die ehemalige
Endung -jan bewirkte Umlaut. Sie fiel mit der en-Endung zusammen, sodass
224 12. Verb – Wortbildung II

heute die umlautauslösende Umgebung nicht mehr erkennbar ist (trinken/


trank – tränken), vgl. auch senken, säugen, schwemmen, setzen, legen. Das Ver-
fahren ist oft aus synchroner Sicht nicht mehr erkennbar wie beispielsweise
bei ätzen zu essen, sprengen zu springen oder führen zu fahren.
Noch einmal hinzuweisen ist darauf, dass die implizite Derivation defi-
niert wird als Ableitung aus Verben. Bildungen wie häuten oder schwärzen zu
Haut bzw. schwarz zählen zur Konversion.

Zusammenfassung
Tabelle 42: Wortbildungsarten der Verben

Wortbildungsart Beispiele Kommentar


Determinativkompositum schönfärben, vorbeigehen produktiv
verdeutlichendes Kompositum –
Possessivkompositum –
Kopulativkompositum spritzgießen, grinskeuchen nicht häufig
Reduplikativkompositum schlampampen sehr selten, nicht
produktiv
Inversionskompositum –
Präfixoidbildung –
Suffixoidbildung –
explizite Derivation – bearbeiten, abarbeiten sehr produktiv
Präfigierung
explizite Derivation – blödeln, asphaltieren wenig Affixe
Suffigierung
explizite Derivation – beabsichtigen, verunreinigen
Zirkumfigierung
implizite Derivation fällen, säugen nicht mehr produktiv
Konversion hechten, ohrfeigen
Kürzung –
Zusammenbildung –
Zusammenrückung krankschreiben, kürzertreten
Rückbildung mähdreschen, notlanden
Erleichterungsrückbildung lacken extrem selten
Kontamination verschlimmbessern selten, meist stilistisch
geprägt
12.2. Vertiefung 225

Übungen zu 12.1. Grundlagen


Bestimmen Sie die Wortbildungsart des Stammes beim letzten Wortbildungs-
schritt: verhungern, beköstigen, enterben, entkernen, staubsaugen, hageln,
schlängeln, frömmeln, verdeutlichen, verbluten, leeren!

12.2. Vertiefung

Problembereich Ableitung: der Sonderfall Partikelverb


Aufgrund der verbalen Eigenarten, erstens Veränderungen, die zu neuen
Wörtern führen, bevorzugt am Wortanfang durchzuführen und zweitens
verbale Komponenten syntaktisch oder bei der Flexion zu trennen (um-ge-
fahren, du fährst den Baum um), gibt es bei der Benennung und Behandlung
der beteiligten Morpheme bei linkserweiterten Verben viele unterschiedliche
Meinungen. Durch die neue Rechtschreibung sind zudem ursprünglich zu-
sammengeschriebene Wörter auseinander zu schreiben, sodass ihr Status als
Wort in Frage gestellt wird.

Orthographie
Erstens stellt die Neuregelung der Getrennt- bzw. Zusammenschreibung ein
Problem dar. Wurden vorher noch einige Verbindungen, weil sie als zusam-
mengehörig empfunden wurden, auch zusammen geschrieben, vgl. radfahren,
kennenlernen, hat die Rechtschreibreform die Zusammenschreibung in vielen
Fällen aufgehoben (und dann manchmal fakultativ gemacht – allerdings gibt
Duden (2009) Präferenzempfehlungen), vgl. kennen lernen, Rad fahren. Das
bedeutet, dass die Grenze zwischen den Komposita oder Zusammenrückun-
gen und den Wortgruppen, also die zwischen komplexem Wort und Einzel-
lexemen, verwischt wird. Viele Abhandlungen ignorieren nun die Schreibung
und sehen auch Verbindungen wie Rad fahren als komplexe Lexeme.

Betonbarkeit
Zweitens lassen sich einige der Verbzusätze unbetont, aber auch betont ver-
wenden, bei gleichem Stamm mit einhergehender Bedeutungsveränderung
– jemanden umfáhren heißt, um ihn herum zu fahren, jemanden úmfahren
jedoch, ihn beim Fahren umzuwerfen.
226 12. Verb – Wortbildung II

Trennbarkeit
Drittens teilen sich aufgrund der Satzklammer viele der komplexen Verben
auf unter bestimmten syntaktischen Bedingungen (Distanzstellung), vgl.
weggehen – sie ging weg, bzw. Flexionsbedingungen, vgl. weggehen – wegge-
gangen. Dies führt zu der Gruppe der trennbaren bzw. unfesten Verbzusätze.
Bei nicht trennbaren fällt das ge- im Partizip Perfekt weg (habe bearbeitet,
wurde besucht), und beim erweiterten Infinitiv mit zu steht zu vor dem Verb
(zu bearbeiten, zu besuchen). Bei den trennbaren stehen ge- und zu zwischen
Verbzusatz und Verbstamm (aufzuarbeiten, aufgearbeitet).
In der Gruppe mit betonten Mitgliedern mit unbetontem Pendant wer-
den die betonten getrennt, die unbetonten nicht, dies sind durch-, über-, um-,
unter-, voll-, wider-, wieder-. Daneben gibt es die Gruppe der nichttrennba-
ren Verbzusätze, die gleichzeitig unbetont sind: be-, ent-, er-, ver-, zer-, miss-
sowie fremdsprachige Präfixe. Dann haben wir die Gruppe derjenigen, die
trennbar und stets betont sind: ab-, an-, auf-, aus-, bei-, dar-, ein-, nach-, vor-
, zu-. Sie alle werden von den meisten unter der Präfigierung eingeordnet,
auch wenn sich manche von ihnen so selbstständig wie Lexeme und damit
Kompositionsglieder verhalten.
Eine gewisse Erleichterung verschafft die Tatsache, dass Trennbarkeit und
Betonung zunächst korrelieren (zu Ausnahmen vgl. Donalies 1999), was dazu
führt, dass sich Sprecher und Sprecherinnen in Zweifelsfällen in Fragen der
Trennbarkeit tendenziell nach der Akzentverteilung richten (Becker/Peschel
2003). Jedoch treten manche Verbzusätze, wie erwähnt, sowohl getrennt als
auch ungetrennt auf.
Problematisch gestaltet sich die Abgrenzung zu den Komposita, denn viele
rechnen alle Adverb-Verb-Kombinationen dazu, also hinschauen, herfahren,
obwohl der Unterschied zu anschauen und abfahren, also Präfigierungen,
vielleicht nicht unmittelbar einsichtig ist. Hier wird über Bedeutungsverän-
derungen argumentiert: Präpositionen wie an oder aus haben ihre eigene Be-
deutung bei der Kombination mit dem Verb verloren, Adverbien wie hin oder
her nicht, darum sind erstere keine Komposita mehr und daher Präfigierun-
gen. So lautet, grob gesagt, die verbreitete Argumentation.

Der Begriff Partikelverb


Schließlich ist auch anzumerken, dass die Begriffe Partikel (F., Pl. Partikeln)
bzw. Partikelverb uneinheitliche Verwendung finden. Teils zählen die festen
Präfixe wie be- oder ent- dazu (z.B. Poitou 2007), teils ausschließlich die un-
festen (neben an- oder ab- nur úm-, nicht um-) (Eichinger 2000, Eisenberg
2000, Duden 2006). Also sind untrennbare Zusätze Präfixe (be-, um-), trenn-
bare sind Partikeln (ab-, an-, úm-). Damit gehören aber Einheiten wie um-,
über-, durch-, je nach Trennbarkeit, zu verschiedenen Morphemtypen, obwohl
12.2. Vertiefung 227

sie oft bedeutungsmäßig sehr nahe beieinander liegen oder identisch sind
(dúrchbrechen, durchbréchen). Dafür sind bei solchen Ansätzen auch Nomen,
Verben und Adjektive wie brust-, heim-, kennen-, blank- (brustschwimmen,
heimreisen, kennenlernen, blankputzen) oft Verbpartikeln (Eisenberg 2000:
257, weiter Duden 2006). Teils zählen alle, die trennbar verwendet werden
können, zu den Partikeln (neben an- oder ab- auch úm- und um-, z.B. Flei-
scher/Barz 2012, Motsch 2004). Teils wird der Begriff aber, wie ursprünglich
auch in der Wortartenlehre, für alle Unflektierbaren benutzt. Und teilweise
wird im Gegensatz dazu auf den Begriff verzichtet und zwischen trennbaren
und untrennbaren Präfixen geschieden (Erben 1993, Lohde 2006). Es besteht
aber die deutliche Tendenz, den Begriff Partikelverb für komplexe Verben mit
den Zusätzen ab-, an-, um- etc. zu verwenden und sie damit von den echten
Präfixen wie be- oder ent- abzugrenzen. Der Übergang zu den Kompositions-
gliedern allerdings ist wieder sehr uneinheitlich, denn voll, los, wieder oder
zusammen erscheinen teils als Verbpartikel, teils als Kompositionsglied be-
zeichnet, wie überhaupt auch die große Gruppe der Adverbien, die aber eher
als Kompositionsglieder aufgefasst werden, z.B. abwärtsfahren, aufeinander-
stapeln. Schwierigkeiten gibt es auch bei Übergangserscheinungen. So lassen
sich Bildungen mit gegen- (gegensteuern, gegenchecken, gegenlesen) zwar auf-
grund ihrer Frequenz weniger als Kompositionsglied, sondern eher als Verb-
partikel auffassen. Da aber viele von ihnen nicht in finiter Form erscheinen,
können keine Aussagen über Trennbarkeit gemacht werden (Klosa 2003) und
der Status bleibt momentan ungeklärt.
Andererseits setzen einige Arbeiten gar keine Komposita bei den Ver-
ben an (Altmann/Kemmerling 2005). Auch Olsen (1986), Erben (1993) und
die Bände der Innsbrucker Reihe Deutsche Wortbildung sparen das Thema
aus. Und Donalies (2007: 25) zählt Kombinationen mit unfesten Elementen
nicht mehr zu den Wörtern, sondern zu den Wortgruppen. Eigentlich soll-
te es konsequenterweise neben der Präfigierung und der Komposition auch
die Partikelverbbildung als eigene Wortbildungsart geben, wie es die Duden-
grammatik in der 7. Auflage bei den Verben macht, ohne sie allerdings in der
Einführung der Wortbildungsarten vorzustellen. Dies vermeiden jedoch viele
Autoren, unter anderem, weil damit eine für die Verben eigene Wortbidungs-
art entstünde. Im Gegensatz dazu verwenden einige Autoren für die eine oder
andere Gruppe eigene Terminologien. Weitere Begriffe mit uneinheitlichen
Definitionen sind beispielsweise Halbpräfix, Präverb, Mischpartikel, Partikel-
präfix, Doppelpartikel (hin-aus, Eichinger 2000).
Ein ehemals frei vorkommendes Lexem, das reihenbildend und mit Be-
deutungsverlust verwendet wird, könnte auch in die Gruppe der Affixoide
eingereiht werden. Dies geschieht in den größeren Abhandlungen jedoch
nur bei Simmler (1998) und einigen Bänden der Innsbrucker Reihe Deutsche
228 12. Verb – Wortbildung II

Wortbildung. Dagegen spricht allerdings das Alter der meisten verbalen Kan-
didaten (Donalies 1999: 131), denn die Adjektiv- und Substantivaffixoide sind,
von Ausnahmen abgesehen, doch wesentlich jünger und eignen sich daher
besser für den Übergangscharakter des Affixoids von Kompositionsglied zu
Affix, wohingegen die verbalen Elemente sich in ihrem Status längst verfes-
tigt haben. Wenn sich aber die Elemente noch relativ frei und (angeblich) ei-
genständig verhalten, könnten sie als Kompositionsglieder behandelt werden.
Doch dies bleibt ebenfalls die Ausnahme. Viele stellen also die problemati-
schen Verbzusätze zu den Präfixen.
Insgesamt herrscht bei Terminologie, Abgrenzung und Definition eine
große Uneinheitlichkeit, sodass sich keine klare gemeinsame Tendenz aus-
bilden kann. Die in der vorliegenden Abhandlung vorgeschlagene Verwen-
dung stellt deswegen auch keine Mehrheitsmeinung dar, sondern den Ver-
such, Unplausibilitäten zu vermeiden und gleichzeitig möglichst nah an der
Behandlung der anderen Wortbildungsarten zu bleiben. Der geringe Unter-
schied zwischen echten Präfixen wie in bearbeiten und den Verbpartikeln wie
in abarbeiten und die vielen Gemeinsamkeiten dürften die Behandlung der
Partikelverben als Untergruppe zu den Präfixverben rechtfertigen, während
sie es aufgrund der Trennbarkeit verdienen, eine eigene Gruppe zu bilden.

Valenz
Schauen Sie sich folgende Sätze an, präfigieren Sie die unterstrichenen Verben
mit be- und beschreiben Sie, was mit den Sätzen dann geschieht!
Ich will gar nicht auf deine Frage antworten. Du bist durch ganz Amerika
gereist, ohne mir das zu sagen. Du hast über mich geschimpft, mir gedroht,
und ich konnte über deine Frechheit nur staunen.
Die veränderten Sätze sehen folgendermaßen aus:
Ich will deine Frage gar nicht beantworten. Du hast ganz Amerika bereist,
ohne mir das zu sagen. Du hast mich beschimpft, mich bedroht, und ich
konnte deine Frechheit nur bestaunen.
Die syntaktischen Umgebungen der Verben haben sich verändert. Einerseits
wird aus einem Präpositionalobjekt/Adverbial ein Akkusativobjekt:
auf die Frage antworten – die Frage beantworten
durch Amerika reisen – Amerika bereisen
über mich schimpfen – mich beschimpfen
über die Frechheit staunen – die Frechheit bestaunen
12.2. Vertiefung 229

Oder aus einem Dativobjekt wird ein Akkusativobjekt:


mir drohen – mich bedrohen.
Es ist typisch für die Verbwortbildung, dass es hier sehr häufig zu einer Va-
lenzänderung kommt. Das heißt, durch die Präfigierung ändern sich die syn-
taktischen Verhältnisse. Beide Sätze, sowohl Ich wohne im Keller als auch Ich
bewohne den Keller, sind grammatisch korrekt. Das Simplex wohnen muss
sich mit einer Ortsangabe verbinden, die Präfigierung bewohnen benötigt un-
bedingt ein Akkusativobjekt für einen vollständigen Satz. Während bei Ich
steige auf den Turm das Verb steigen die Ortsangabe fordert, benötigen wir bei
besteigen wieder ein Akkusativobjekt: Ich besteige den Turm. In anderen Fällen
bewirkt die Affigierung Reflexivität, vgl. halten – sich enthalten. Solche struk-
turellen Verschiebungen sind Valenzänderungen. Der Begriff Valenz, auch
Wertigkeit, bezieht sich auf die Eigenschaft eines Wortes, seine syntaktische
Umgebung zu strukturieren und die Form und die Anzahl der Einheiten zu
bestimmen, die von ihm abhängig sind. In unserem Fall bestimmt das Verb,
wie viele Objekte und welche im Satz zu stehen haben. Darüber hinaus fordert
ein Verb gewöhnlich ein Subjekt – und das steht im Nominativ. Die Fähigkeit
vieler verbaler Präfixe, neben einer semantischen auch eine syntaktische Ver-
änderung zu bewirken, unterscheidet sie von denen der anderen Wortarten.

Diachrones
Die Präfixe waren früher eigenständige Präpositionen oder Adverbien (be-
ahd. bi ‘bei’, er- ahd. ur, ar, ir alle ‘heraus, empor’, ent- got. and ‘entgegen’, ver-
got. faur ‘vor, vorbei’, daneben die Präfixe fra- ‘weg-’, fair- ‘er-’, ‘ent-’, Henzen
1957: 103ff.). Miss- geht auf ein Adjektiv ‘verkehrt’ zurück (Henzen 1957: 91).
Sie wuchsen dann mit Verben zu Komposita zusammen, ihre Bedeutungen
verblassten. Die Vollvokale schwächten sich ab. Die Stellung wurde fest. Es
traten immer mehr Verben mit diesen Erstelementen auf. Schließlich wurden
auch andere Wortarten als Stämme genutzt.
Im Mhd. standen einige Konversionen und durch be- abgeleitete Verben
nebeneinander, z.B. sterken/besterken oder trueben/betrueben. Die Konversio-
nen verschwanden (Eschenlohr 1999: 109f.). Offenbar wurden sie als weniger
deutlich abgeleitet empfunden dem Ikonizitätsprinzip entsprechend, dass ein
Mehr an Bedeutung auch mit einem Mehr an Form einhergehen soll. Heute
sieht es so aus, als seien die Adjektive die Stämme gewesen. Eschenlohr aber
nimmt deverbale Ableitung bereits im Mhd. an.
Das Verb skalpieren gab es im Deutschen vor dem Nomen Skalp (Kühn-
hold/Wellmann 1973: 138).
230 12. Verb – Wortbildung II

Fremdsprachliche Affixe
Die fremdsprachlichen Präfixe sind betont. Sie verbinden sich überwiegend
mit fremdsprachlichen Basen (vgl. Tabelle 43). Ihre Produktivität ist deut-
lich niedriger als die der heimischen Präfixe. Sie sind als gehoben und teils
fachsprachlich gekennzeichnet. Einige der Verben bestehen neben den Sub-
stantiven, ohne dass die Ableitungsrichtung endgültig klar wäre (Koexistenz,
koexistieren).
Pro- ‘vor’ (projizieren, proponieren) und ex- ‘aus, heraus’ (exmatrikulieren,
explodieren, exportieren) sind selten und treten nur im Austausch mit ande-
ren Präfixen auf, ohne dass eine morphologische Bestimmung des Stamms
möglich ist.

Tabelle 43: Die produktiven fremden Präfixe der Verben

1 2 3 4

Präfix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

de-, des-, Verb reversiv (deformieren, de- dis- und de(s)- entstammen
dis- aktivieren, desillusionieren, nicht der gleichen Wurzel,
Konfix disqualifizieren) üben aber die gleiche Funktion
aus

hyper- Verb ‘sehr, zu stark’ (hypervitalisie- selten


ren, hypersensibilisieren)

in- Verb reversiv (inaktivieren, immo- mit Assimilation: im-, idioma-


bilisieren), lokal (infiltrieren, tisiert informieren
Konfix immigrieren, induzieren, nicht zu verwechseln
implodieren, importieren, mit dem Negativ-Präfix der
injizieren ) Adjektive

ko- Verb soziativ (koexistieren, koope- mit Assilimation: kol-, kor-,


rieren, koinzidieren, kollabo- kon-,
rieren) idiomatisiert konfigurieren

post- Verb ‘nach’ (postdatieren) selten

prä- Verb vorausgehend (präfabrizieren) selten

re- Verb ‘wieder, noch einmal’ (reani- idiomatisiert reagieren


mieren, reaktivieren)

trans- Verb ‘(hin)über’ (transmutieren, selten; das Präfix tritt beinahe


transplantieren) nur im Austausch mit anderen
Konfix auf
12.2. Vertiefung 231

Das fremdsprachliche Suffix der Verben und seine Varianten sind betont. Die
ursprüngliche Form -ier- ist seit dem Mhd. belegt. Im Nhd. kamen -isier- und
-ifizier- dazu (Birkhan 1985: 185). Wie alle anderen nicht nativen Affixe ist es
in gehobener Sprache zu finden. Im Gegensatz zu den meisten Fremdsuffi-
xen tritt -ier-, -isier-, -ifizier- jedoch auch an indigenes Wortgut an (gastieren,
halbieren). Damit erweist sich dieses Suffix als etwas verbreiteter und etwas
weiter in den Wortschatz integriert als die meisten Fremdaffixe. Da es haupt-
sächlich an nichtnative Stämme tritt und das einzige nichtnative Suffix für die
Verbalableitung im Deutschen ist, sind die Wortbildungsbedeutungen breit
gestreut. Das Suffix ist produktiv (vgl. Tabelle 44).

Tabelle 44: Das produktive fremde Suffix der Verben

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ier-, -isier-, Substantiv ornativ (asphaltieren, maskie- kein Umlaut, idiomatisiert


-ifizier- ren), resultativ (kristallisieren), autorisieren, qualifizieren
faktitiv (pulverisieren), instru-
mental (torpedieren), imitativ
(spionieren), hauptsächlich ver-
balisierend (amtieren, gastieren,
moralisieren, buchstabieren)

Adjektiv faktitiv (blondieren, halbieren,


legalisieren, stabilisieren, banali-
sieren, trivialisieren)

Konfix faktitiv (klassifizieren, elektri-


fizieren, mystifizieren), durativ
(dominieren), hauptsächlich
verbalisierend (fanatisieren,
kritisieren)

Kühnhold et al. (1973), Eschenlohr (1999), Kauffer/Métrich (2007)


defektive Verben: Freywald/Simon (2007)
fremdsprachliche Affixe: Fleischer (2005), Lohde (2006)
Zirkumfigierung: Simmler (1998: 613ff.)
implizite Ableitung: Simmler (1998: 608ff.)

Übungen zu 12.2. Vertiefung


1. Was unterscheidet das verbale Suffix -ier- von den meisten anderen fremd-
sprachlichen Affixen?
232 12. Verb – Wortbildung II

2. Welche syntaktischen Veränderungen ergeben sich durch die Präfigierung


mit an- in folgenden Sätzen?
Der Hund bellt.
Der Recke kämpft.
Der Schiedsrichter pfeift.
3. Welche Veränderungen ergeben sich, wenn der Wortakzent des Verbs
nicht auf dem Präfix, sondern auf dem Verbstamm liegt: den riesigen
Baum umfahren?
4. Welche der Bildungen sind lokal, ornativ, privativ, temporal umgittern,
überwintern, verköstigen, umfallen, häuten, vorfahren, entkleiden, einne-
beln, überbacken, belobigen, zuckern?
13. Adverb und Artikel

13.1. Grundlagen

Adverb
A d v e r b i e n sind nicht flektierbar. Sie sind bis auf wenige Ausnahmen
nicht steigerbar. Sie können allein ein Satzglied bilden. Sie geben in der Regel
nähere Umstände an, eine räumliche oder zeitliche Positionierung oder kau-
sale oder modale Beziehungen. Sie antworten auf W-Fragen. Sehr, gern, bald,
wohl, oft und wenig können wir steigern: sehr, mehr, am meisten, gern, lieber,
am liebsten, bald, eher, am ehesten, wohl, wohler, am wohlsten, oft, öfter, am
öftesten, wenig, weniger, am wenigsten. Dabei weisen die ersten drei Adverbien
Suppletivformen auf, die letzten drei reguläre Steigerungsmorphologie.
Die Adverbien bildeten ursprünglich keine eigene Klasse. Viele entstan-
den aus flektierten Formen anderer Wortarten.

Determinativkomposition
Bei den Adverbien besteht das Problem, dass die Zuordnungskriterien für
Komposita und Zusammenrückungen, wie wir sie von den Substantiven her
kennen, nicht greifen. Ausgehend von einer zweigliedrigen Verbindung tren-
nen wir für gewöhnlich solche mit einem bestimmten semantischen Verhältnis,
also determinierend oder koordinativ, von solchen, die über ein wiederholtes
Nebeneinder entstanden sind, wobei typischerweise das zweite Glied nicht die
Wortart des Gesamtausdrucks bestimmt, also Haustür, Geldgier vs. Gernegroß,
Tunichtgut. Bei den Adverbien gibt es aber einerseits kaum solche determinie-
renden Bedeutungsverhältnisse, während andererseits oft ein wiederholtes Ne-
beneinander nicht mehr nachvollziehbar, wenn auch theoretisch vorstellbar ist.
Damit gerät das Kriterium der Wortart des Zweitgliedes in den Mittelpunkt.
Die zweigliedrigen Adverbien sind in der Regel durch Zusammenrückung
entstanden oder analogisch nach deren Vorbild. Komposita im klassischen
Sinne sind nicht stark vertreten. Häufig ergibt sich durch die Verbindung
zweier Stämme keine determinierende Bedeutung wie bei hierhin, Ich lege es
234 13. Adverb und Artikel

hin, und zwar/genauer gesagt hierhin. Verbreiteter ist die verstärkende Funk-
tion, z.B. bei soeben. Auf (mindestens) zwei Adverbien beruhen etwa soeben,
sodann, sofort, ebenso, ebendann, ebendarum, dorthin, dorthinein, dorthinab,
daneben, dahin, daher, hierhin, hierher, hierherum, wohin, woher, überallher,
überallhin, irgendwohin, irgendwoher, nebenhin, umher, fernerhin, sobald,
allerspätestens, nunmehr, gleichwohl, untenherum, andersherum, ebensooft,
daran, darauf, hinaus, durchaus, voran, nebenan, darum, geradeaus. Einige
Beispiele haben einen Doppelstatus als Präpositionen und Adverb, beispiels-
weise an ‘nicht erloschen’, auf ‘offen’, aus ‘vorbei’, ‘erloschen’.
Verbindungen mit allzu müssen seit der Rechtschreibreform getrennt ge-
schrieben werden, etwa allzu bald, allzu oft, jedoch allzumal, da idiomatisiert.
Weithin, weither sind Verbindungen von Adjektiv und Adverb, ohnehin, bis-
her, hinterher, gegenüber (Henzen 1957: 95) von Präposition und Adverb. Laut
Heinle (2004: 342f.) sind deinetwegen und euretwegen etc. Komposita nach
dem Vorbild von Zusammenrückungen. Hin und wieder tritt ein epentheti-
sches t auf (allenthalben, meinetwegen).
Die beiden Adverbien überübermorgen und vorvorgestern sind als Deter-
minativkomposita aus über und übermorgen bzw. vor und vorgestern aufzu-
fassen in der Bedeutung ‘(am Tag) nach übermorgen’ bzw. ‘(am Tag) vor vor-
gestern’.
Auffällig ist, dass regional ein komplexes Adverb wie dafür, dahin, daher
in bestimmten syntaktischen Zusammenhängen aufgespalten wird, vgl. Wo-
her kommst du? Wo kommst du her?
Wie erwähnt gilt die Abgrenzung von Komposition und Zusammenrü-
ckung als Problem, da die determinierende Bedeutung meist fehlt, und einige
Beispiele können auch als ein Zusammenwachsen nebeneinander gebrauch-
ter Wörter, wie für die Zusammenrückung typisch, betrachtet werden. Eini-
ge frühe waren wohl auch Zusammenrückungen, und weitere sind mit den
gleichen Endgliedern analogisch hinzu gekommen, die daher als Komposita
aufgefasst werden. Folgende Beispiele weisen ein Adverb als Zweitglied auf,
sind jedoch laut Simmler (1998: 545) (möglicherweise) aus einer zusammen-
gerückten Wortgruppe entstanden: immerfort, vorgestern, kieloben, dorthin-
ab, berghinab, rundheraus, irgendwoher, daraufhin, überallher. Heinle (2004:
122) bezeichnet vorgestern ebenfalls als Zusammenrückung. Sie können als
Zweifelsfälle bezeichnet werden mit einer bevorzugten Behandlung als Kom-
posita aufgrund der Definition des wortartbestimmenden Zweitgliedes. Bei
der Analyse der Adverbien ist auf diesen problematischen Status hinzuweisen.
13.1. Grundlagen 235

Beispiele für Strukturbäume sind

soebenADV dorthinabADV
 
{so} {eben} {dort} hinabADV

{hin} {ab}

Kopulativkomposition
Eindeutige Kopulativkomposita gibt es nicht.

Reduplikativkomposition
Vereinzelte Adverbien werden auch in Dopplung gebraucht, vgl. soso, dallidal-
li, als Reimbildung (holterdipolter) bzw. Ablautbildung (kritzelkratz). Außer
stark markiert umgangssprachlich ist dies nicht produktiv. Bei vorvorgestern
ist eine Determinativkomposition anzusetzen, ‘(am Tag) vor vorgestern’.

Zusammenbildung
Diese Wortbildungsart liegt vor, wenn sich Pronomen oder Präposition und
Substantiv und das Derivationssuffix -s verbinden wie bei unsererseits, man-
cherorts, beiderseits, hinterrücks. Bei Verbindungen mit -dings wird dies heute
eher als Suffix verstanden.

Zusammenrückung
Diese Wortbildungsart ist relativ produktiv, die Kombinationstypen facetten-
reich, die Bedeutungen oft demotiviert. Manche Beispiele werden auch zur
Komposition gerechnet, wenn aus synchroner Sicht das wiederholte Neben-
einander nicht mehr klar erkennbar ist. Dies ist aber aufgrund der fehlenden
determinierenden Bedeutungsbeziehung problematisch. Zu den Zusammen-
rückungen sollten in jedem Fall Verbindungen zählen, bei denen das Zweit-
glied kein Adverb ist (die neue Rechtschreibung spaltet einige dieser Beispiele
auf), etwa nahebei, vorbei, dadurch, fürwahr, hierüber, gegenüber, manchmal,
diesmal, kurzerhand, allerhand, derart, dergestalt, derzeit, seinerzeit, mittler-
weile, außerstande, außerdem, beiseite, immerzu, querfeldein, hierzulande,
insbesondere, heutigentags, überdies, miteinander, außerdem, demnach, her-
ein, andernfalls, großenteils, insofern, beizeiten, genausogut, ebensolang, bis-
lang, umsomehr, genaugenommen, wohlgemerkt, deinetwillen, zualleroberst
etc. Dies ist das Gros der Fälle.
Es gibt zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. Zeitlebens setzt sich aus
zwei Substantiven zusammen, überhaupt und zuschanden aus Präposition
und Substantiv, zweifelsohne, bergab aus Substantiv und Präposition, kurzer-
236 13. Adverb und Artikel

hand und heutigentags aus Adjektiv und Substantiv, derart, jederzeit, manch-
mal und keineswegs aus Artikel oder Pronomen und Substantiv, überdies,
überall und außerdem aus Präposition und Pronomen, demnach aus Prono-
men und Präposition, zumeist, zutiefst und vorlieb aus Präposition und Adjek-
tiv, querdurch aus Adjektiv und Präposition. Bei durchaus, voran und neben-
an verbinden sich zwei Präpositionen. Bei zuguterletzt liegt eine Kombination
von Präposition, Adjektiv und Substantiv vor, bei insbesondere und insgeheim
von Portmanteaumorphem aus Präposition und Artikel und Substantiv (sub-
stantiviertem Adjektiv). In insofern verbinden sich Präposition, Adverb und
Adjektiv (Simmler 1998: 449ff.).
Die Strukturbäume für überdies und insofern sehen folgendermaßen aus

überdiesADV insofernADV
 
{über} {dies} {in}{so}{fern}

Viele der komplexen Adverbien sind idiomatisiert, beispielsweise ohnehin,


schlechthin, durchaus, mitunter. Einige der komplexen Adverbien werden
auch als Präposition verwendet, vgl. gegenüber. Als Adjektive gibt es mittler-
weile vorhanden, zufrieden.
Nicht immer ist eine Zusammenrückung so durchsichtig wie jederzeit
oder außerstande. Schwierig sind Fälle, die nicht ohne Änderung als ehema-
lige Wortgruppe (zeitlebens, überhaupt) zu sehen sind oder die heute nicht
mehr nachvollziehbare Flexionsformen aufweisen (zuschanden), was die Ein-
deutigkeit der Zusammenrückung infrage stellt, während gleichzeitig Kom-
position eine noch schlechtere Lösung darstellt.

Präfigierung
Präfigierungen gibt es nicht. In Beispielen wie zuäußerst oder zumeist ist zu
kein Präfix.

Suffigierung
Bei den Suffixen gibt es nur heimische (vgl. Tabelle 45). Sie sind nicht betont.

Tabelle 45: Die produktiven Suffixe der Adverbien

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-dings Adjektiv neuerdings, platterdings schwach produktiv, mit Fuge


-er-, aus einer Verbindung von
Pronomen allerdings ding und -s entstanden, also ur-
sprünglich Zusammenbildung
13.1. Grundlagen 237

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-ens Adjektiv übrigens, frühestens, bestens, namens ist ehemaliger Genitiv,


ehestens, seitens heute als Einzelfall das desub-
stantivische rechtens,
Numerale zweitens produktiv mit Superlativ
bestens

-falls Adjektiv bestenfalls, gleichfalls,


keinesfalls

-halb, Substantiv kausal (anstandshalber, produktiv


-halber, (-halber) vorsichtshalber)
-halben
Pronomen meinethalben, allenthalben nicht mehr produktiv
(-halben) idiomatisiert deshalb, weshalb

Adverb außerhalb, unterhalb


(-halb)

-lings Substantiv lokal (bäuchlings, rittlings, wohl nicht mehr oder nur noch
rücklings) schwach produktiv, immer mit
Umlaut
Adjektiv blindlings, jählings

Verb meuchlings

-mal, -mals Pronomen manchmal, einigemal, die neue Rechtschreibung


jedesmal spaltet manche Beispiele auf,
idiomatisiert allemal

Präposition zumal nicht mehr produktiv

Numerale einmal, zweimal produktiv, auch zig-mal, idio-


matisiert erstmals

Adverb oftmals, damals, einstmals kaum noch produktiv,


idiomatisiert abermals

-(er)maßen Adjektiv einigermaßen, zugegebener- mit Partizip II produktiv, idio-


maßen, bekanntermaßen matisiert dermaßen

-s Substantiv temporal (abends, nachts, produktiv; aus ehemaligem


mittwochs), ornativ (namens, Genitiv, dann verselbstständigt;
willens), lokal fachsprachlich mit Partizip eilends; abends
(kreuzungsbereichs) auch als Konversion interpre-
tierbar, mit Epenthese längst,
Adjektiv stets, besonders (österr. idiomatisiert bereits, flugs,
weiters) angesichts, undurchsichtig
vollends, hinterrücks

Adverb öfters
238 13. Adverb und Artikel

1 2 3 4

Suffix Basis Beispiele, Bedeutung Anmerkungen

-s Pronomen anders

Wortgruppe kirchlicherseits, allerorts, dies ist dann Zusammenbil-


großenteils dung

-wärts Substantiv lokal: Richtung (bergwärts, zu ahd., mhd. wert ‘gewendet,


seitwärts, himmelwärts, ab- gerichtet’; auch mit Fuge son-
Adverb wärts, einwärts, vorwärts) nenwärts, nur werbesprachlich
frischwärts
Präposition

-weg Adjektiv glattweg, rundweg, schlank- meist idiomatisiert


weg

Adverb hinweg, vorweg

-weise Substantiv massenweise, scharenweise sehr produktiv, mit Fuge

Adjektiv fälschlicherweise sehr produktiv, mit Fuge -er-

Verb leihweise selten

Nicht mehr produktiv ist -lich, das an Adjektive tritt, vgl. sicherlich, freilich,
lediglich, schwerlich, während es im Ahd. und Mhd. noch sehr stark vertre-
ten war. Diese Beispiele dürfen nicht mit Adjektiven wie innigliche (Umar-
mung) verwechselt werden, die flektierbar sind.

Affixoidbildung
Verbindungen mit -dings, -falls, -mal, -mals, -halber/n, -maßen, -weg und
-weise lassen sich weder durchgehend als Zusammenrückung noch als Kom-
positum noch als Suffigierung einordnen. Viele von ihnen gehen ursprünglich
auf Zusammenrückung zurück (einigermaßen, gruppenweise, günstigenfalls,
andernfalls, anderntags). Die Formen sind aber teils heute nicht mehr als
Flexionsformen erkennbar, teils traten neue per Analogie hinzu, sodass die
Gruppen synchron in sich morphologisch nicht homogen und als Problemfall
einzustufen sind. Eine Behandlung von -weise, -weg, -dings und -maßen als
Suffixoide nimmt Simmler (1998) vor. Das passt jedoch nicht ganz zur Defini-
tion und ist daher nicht kohärent mit den Affixoiden der anderen Wortarten,
da sie dort stets auf Kompositionsgliedern beruhen. Die Abhandlungen ten-
dieren insgesamt zu einer Einordnung als Suffixe.

Zirkumfigierung
Diese Wortbildungsart ist bei den Adverbien nicht vertreten.
13.1. Grundlagen 239

Konversion
Von Nomen stammen morgen, (heute) abend, (heute) mittag, heim und weg.
Aus einer Genitivform entstanden flugs, rechts, mittags oder vormals. Ur-
sprünglich Adjektive sind zweifellos, fraglos oder anstandslos. Auf eine Steige-
rungsform gehen ferner, schleunigst oder möglichst zurück.

Zusammenfassung
Tabelle 46: Wortbildungsarten der Adverbien

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum vorvorgestern oft keine determinierende Bedeu-


tung, Abgrenzung zu Zusammen-
rückung schwierig

verdeutlichendes Kompositum –

Possessivkompositum –

Kopulativkompositum –

Reduplikativkompositum soso, holterdipolter nur umgangsspr.

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung –

Suffixoidbildung –

explizite Derivation – –
Präfigierung

explizite Derivation – neuerdings, bergwärts


Suffigierung

explizite Derivation – –
Zirkumfigierung

implizite Derivation –

Konversion abend, weg

Kürzung –

Zusammenbildung –

Zusammenrückung gegenüber, kurzerhand

Rückbildung –

Erleichterungsrückbildung –

Kontamination –
240 13. Adverb und Artikel

Übungen zu 13.1. Grundlagen


1. Bestimmen Sie die Wortbildungsart von flugs, überübermorgen, zuguter-
letzt, frühestens!
2. Mit welchen Wortarten verbindet sich das adverbiale Suffix -s? Geben Sie
Beispiele!

13.2. Vertiefung

Adverb
Adverb und Adjektiv
Wichtig ist zunächst, das Adverb als Begriff für eine Wortart zu trennen
von Adverbiale oder Adverbialbestimmung als Begriff für eine syntaktische
Funktion wie gestern, am Tag davor, als ich weg war, als ich neulich, wie ich
sagte, weg war in den Sätzen
Gestern verletzte sich die Oma am Knöchel.
Am Tag davor verletzte sich die Oma am Knöchel.
Als ich weg war, verletzte sich die Oma am Knöchel.
Als ich neulich, wie ich sagte, weg war, verletzte sich die Oma am Knöchel.
In diesem Fall ist gestern Adverb mit der Funktion einer Adverbialbestim-
mung. Der Begriff adverbial dagegen bezieht sich nicht auf eine Wortart, son-
dern auf eine syntaktische Funktion. In den folgenden Sätzen sind das Adverb
gestern und das Adjektiv qualvoll adverbial gebraucht
Der Bischof starb gestern.
Der Bischof starb qualvoll.
Das bedeutet, dass Adjektive, die wie Adverbien adverbial gebraucht werden,
trotzdem zur Wortart Adjektiv gehören und nicht zu den Adverbien zählen.
Ein Adjektiv ist flektierbar, ein Adverb nicht. Allerdings wurden manche Ad-
jektive von Adverbien gebildet wie oben, unten (Adverb), obere, untere (Adjek-
tiv). Oder es gibt Problemfälle, bei denen sich ein Adverb auf dem Weg zum
Adjektiv befindet wie Insgeheim habe ich aber gelacht, ?insgeheime Verkäufe.
Auch hier dient die Flektierbarkeit als Unterscheidungskriterium.
Aber eine ganze Gruppe von Lexemen entzieht sich diesem Aspekt: die
Ableitungen auf -lei. Sie sind einerseits nicht flektierbar und werden daher
auch in die Gruppe der Adverbien geordnet (z.B. Fleischer/Barz 2012). Gleich-
13.2. Vertiefung 241

zeitig aber stehen sie wie Adjektive attributiv vor einem Nomen, vgl. Es steht
dreierlei Suppe auf der Karte, Er machte keinerlei Fehler. Das ist das Kriterium
für Adjektive. Adverbien können diese Funktion nicht ausüben. Sie werden
eben adverbial und nicht attributiv bei gleichzeitiger Stellung vor dem No-
men gebraucht (allerdings attributiv und nachgestellt wie bei Das Kamel hier
bleibt liegen). Für die Einteilung als Adjektiv plädieren Simmler (1998: 580)
und Duden (1998: 540). Duden (2006: 385) führt sie bei Artikelwörtern und
Pronomen auf.

Adverb und Pronomen


Weiterhin treten bei den Pronominaladverbien wie darauf, hiermit manchmal
Unstimmigkeiten auf, wenn sie nämlich den Pronomen zugerechnet werden.
Natürlich beziehen sich solche Formen auf nomenhaltige Wortgruppen, vgl.
Ich lege die Karte auf den Tisch, ich lege die Karte darauf; Ich klopfe an den
Käfig, ich klopfe daran. Insofern sind sie pro-nominal. Aber sie gehören doch
inhaltlich zu anderen Adverbien wie dorthin oder hierher, und es wäre sehr
aufwendig und auch unnötig, eine interne Unterscheidung zu treffen. So ver-
bleiben die Kombinationen von dort, hier, da und wo mit hin, her, an, auf etc.
bei der Wortart Adverb.

Problemfall Komposition
Für Fleischer/Barz (2012) sind Verbindung mit hin und her als Letztglied
Komposita.
Als einen Sonderfall beschreibt Simmler (1998: 452) die Pronominalad-
verbien wie darauf, weil sie Komposita seien, bei denen das letzte Glied nicht
die Wortart des Gesamtausdrucks bestimme. Sie sind auch bei Fleischer/Barz
(2012) Komposita.

Geschichte
Aufgrund des Initialakzents zum Germanischen schwächten sich nebentonige
Silben ab, unbetonte Silben gingen verloren und viele unterschiedliche Morphe-
me fielen zusammen oder ganz fort. Während das Englische und die romani-
schen Sprachen ihre Derivationssuffixe bewahrten, engl. -ly, frz. -ment, büßten
die von Adjektiven abgeleiteten Adverbien im Laufe des Mittelhochdeutschen
zum Frühneuhochdeutschen hin ihre Endung ein. Sehr oft wurde im Ahd. noch
ein Adjektiv, auch ein abgeleitetes, durch ein finales -o zu einem Adverb, vgl.
ahd. tiofo ‘tief, im Grunde, völlig’, giwisso ‘gewiss, mit Sicherheit’, namahafto ‘na-
mentlich’ (Heinle 2004: 82f.). Reste davon finden wir beispielsweise in gerne,
lange, feste, sachte, allzulange, jedoch ohne Wortbildungswert (Heinle 2004: 99).
Im 18. Jahrhundert verwendet das Deutsche nur noch Adjektive ohne formale
Kennzeichnung (Heinle 2004: 353). Da heute deutsche Adverbien keine einheit-
242 13. Adverb und Artikel

liche Derivationsendung mehr haben, sind sie oft nicht mehr morphologisch,
sondern nur aufgrund ihrer Funktion im Satz bestimmbar.

Henzen (1957), Fleischer (1982), Simmler (1998), Heinle (2004), Altmann/


Kemmerling (2005)

Artikel
Der A r t i k e l ist deklinierbar, steht nur mit Nomen, also nicht allein, und
bildet dann eine Nominalphrase. Er tritt im Deutschen nach der traditio-
nellen Grammatik in zwei Formen auf, als d e f i n i t e r A r t i k e l (be-
stimmter Artikel), vgl. die Kuh, der Esel, das Kamel, und als i n d e f i n i t e r
A r t i k e l (unbestimmter Artikel), vgl. eine Kuh, ein Esel, ein Kamel. Außer-
dem weisen viele Nominalphrasen keine Artikel auf, vgl. Kühe, Esel und auch
Kamele verließen das Schiff. Wir sprechen hier vom Gebrauch des Substantivs
ohne Artikel, teilweise findet sich der Begriff des Nullartikels.
Der Artikel wird oft zusammen mit adjektivisch gebrauchten Demonstrativ-,
Possessiv-, Interrogativ- und Indefinitpronomina in einer Wortart unter dem Be-
griff Artikelwort zusammengefasst, z.B. welche Kuh, mein Esel, jedes Kamel. Wir
verstehen unter Artikel hier jedoch die beiden Artikel im eigentlichen Sinne der,
die, das und ein, eine, ein, also die Wörter mit der charakteristischen Eigenschaft,
Begleiter des Nomens zu sein. Stellungsbesonderheiten und Diskussionen zur
davon abhängigen Wortartbestimmung gehören in die Syntax. Hier sei nur auf
die Tatsache verwiesen, dass die Begriffe Artikel und Artikelwort in den Gram-
matiken des Deutschen unterschiedlich behandelt werden.

Artikel – Flexion
Artikel sind flektierbar nach Genus, Numerus und Kasus. Sie kongruieren mit
dem Substantiv, das ihnen folgt. In der Tabelle (47) sind die Formen des de-
finiten Artikels zusammengstellt, in Tabelle (48) die des indefiniten Artikels.

Tabelle 47: die Flexion des definiten Artikels


M. F. N.
Nominativ Singular der die das
Genitiv des der des
Dativ dem der dem
Akkusativ den die das
Nominativ Plural die die die
Genitiv der der der
Dativ den den den
Akkusativ die die die
13.2. Vertiefung 243
Tabelle 48: die Flexion des indefiniten Artikels
M. F. N.
Nominativ Singular ein eine ein
Genitiv eines einer eines
Dativ einem einer einem
Akkusativ einen eine ein
Nominativ Plural
Genitiv /
Dativ
Akkusativ

Die Morphologie des unbestimmten Artikels, der nur im Singular erscheint,


ist überschaubar. Neben der Grundform {ein} gibt es die flektierten Formen
{ein}{-e}, {ein}{-er} etc., die Stamm und Flexiv verbinden. Es markiert Nume-
rus, Kasus und Genus.
Für den bestimmten Artikel sind Morpheme, die alle Informationen tra-
gen, anzusetzen, also {der} als bestimmter Artikel, Singular Nominativ Mas-
kulinum. Nach Duden (2006: 263ff.) besteht der bestimmte Artikel aus dem
Stamm und einem Flexionssuffix. Diese Alternative, {-er}, {-ie}, {-as} etc. als
Flexive mit dem Stamm {d-} zu sehen, ist zwar prinzipiell möglich, wirkt aber
doch aufgrund der Lautarmut solch eines Stammes – er besteht ja lediglich
aus d – eher zu konstruiert. Nach Simmler (1998: 254ff.) sind die Flexionsfor-
men Suppletivmorpheme. Sie verbinden mit der Hinweisform Kennzeichnun-
gen der grammatischen Kategorien Kasus und Numerus, im Singular auch
Genus (allerdings beim Relativpronomen dess-en, der-er etc.).
Die Artikel(stämme) als lexikalische Morpheme zu bezeichnen ist sicher-
lich grenzwertig insofern, als sie identifizierende/determinierende/bestim-
mende bzw. indeterminierende/vereinzelnde Funktionen, nicht Bedeutung
im eigentlichen Sinne besitzen. Es ist besser, sie als freie grammatische Mor-
pheme zu verstehen.
Für die beiden Artikel im engeren Sinne gibt es keine Wortbildungskapitel.

Übungen zu 13.2. Vertiefung


1. Welche Wortbildungsarten gibt es bei den Adverbien?
2. Um welche Wortbildungsarten handelt es sich bei großenteils, insbesonde-
re, vorvorgestern, sobald, gegenüber, abends! Wo treten Probleme auf?
3. Das Adverb gilt als nicht flektierbare Wortart. Wo gibt es trotzdem Flexion?
4. Ordnen Sie die Beispiele nach dem Grad der Motivation:
Frauchen, Köpfchen, Veilchen
Großmutter, Haustür, Nachbar, Steckenpferd
dämlich, gelblich, möglich
emsig, staubig, zeitig
244 13. Adverb und Artikel

5. Text:
Heutigentags versuchen Sprachrichter immer wieder, über eigens aufge-
stellte Grundsätze das politisch-sprachliche Handeln zu überwachen, gar
zu kontrollieren. Sie verlangen eine gewisse Freiwilligkeit bei der Einhal-
tung solcher Grundsätze. Dieser Art der Sprachkritik, die die Einstellung
der Massen unterfüttern will, ist jedoch selten Erfolg vergönnt.
Aufgabe: Erstellen Sie eine komplette morphologische Analyse der unter-
strichenen Lexeme!
14. Andere Wortarten

14.1. Grundlagen

Wiederholung
Übungen zu 14.1. Grundlagen
1. Um welche Art der Übernahme handelt es sich bei Sinnbild (lat. symbolum),
Mitlaut (lat. consonans), Wolkenkratzer (engl. skyscraper), Sputnik (russ.
sputnik), Wein (lat. vinum), realisieren (engl. to realize), Rechtschreibung (gr.
orthographía), Streik (engl. strike)? Benutzen Sie Nachschlagewerke!
2. Um welche Art der morphologischen Veränderung auf der obersten Ebene
handelt es sich bei Schwere, auffindbar, bearbeiten, Morphemtypen, Sender,
Dummheiten?
3. Stellen Sie die deutschen Pluralallomorphe zusammen und geben Sie Bei-
spiele!

Pronomen
Das P r o n o m e n (Fürwort) hat als Hauptaufgabe, eine Nominalphrase zu
ersetzen und sich dadurch auf sie zu beziehen. Es ist meist deklinierbar, nicht
steigerbar, hat keinen bestimmten Artikel, stellt jedoch keine einheitliche
Klasse dar. Ein Pronomen kann allein ein Satzglied sein. Nach ihrer Funktion
werden die Pronomina als Stellvertreter des Substantivs (einer Wortgruppe,
eines Satzes) definiert.
Meine sind angekommen. Alle jubeln. Keiner kann es fassen.
Stehen sie beim Substantiv, gehen sie nach vielen Grammatiken in die Gruppe
der Adjektive oder Artikelwörter über.
Meine Bücher sind angekommen. Alle Freunde jubeln. Kein Mensch kann
es fassen.
246 14. Andere Wortarten

Wie bereits bei den Artikeln erwähnt, gehören die Stellungsdiskussion und
die damit verbundene Problematik bei der Wortartbestimmung in die Syntax.
Nach semantischen und syntaktischen Kriterien unterscheiden wir Per-
sonalpronomina (ich), Possessivpronomina (mein), Reflexivpronomina (sich),
Demonstrativpronomina (dieser, jener, der, derselbe, derjenige), Relativprono-
mina (der, welcher, wer), Interrogativpronomina (wer, welcher, wieviel) und
Indefinitpronomina (ein, ein paar, jeder, jedermann, niemand, einige, alle,
manche, ...).

Pronomen – Flexion
Pronomen sind flektierbar nach Genus, Numerus und Kasus und teilweise
auch nach der Person. Die Pronomen bzw. die Pronominalwurzeln haben le-
diglich geringe eigene Bedeutung und sind als grammatische Morpheme zu
verstehen.
Das Personalpronomen tritt nur allein auf, es flektiert nach vier Kategori-
en, vgl. Tabelle (49).

Tabelle 49: die Flexion des Personalpronomens


1. Person 2. Person 3. Person
M., F., N.
Nominativ Singular ich du er, sie, es
Genitiv meiner deiner seiner, ihrer, seiner
Dativ mir dir ihm, ihr, ihm
Akkusativ mich dich ihn, sie, es
Nominativ Plural wir ihr sie
Genitiv unser euer ihrer
Dativ uns euch ihnen
Akkusativ uns euch sie

Hinzukommen die Höflichkeits- bzw. Distanzformen der zweiten Person Sie,


Ihrer, Ihnen, Sie, die für beide Numeri identisch sind. Morphologisch gesehen,
kommen einerseits Suppletivformen wie {ich}, {mir}, {du} oder {er} vor, die
den Status Personalpronomen sowie Person, Genus, Numerus und Kasus in
sich vereinen. Daneben treten auch komplexe Formen auf wie sein-er, ihr-e,
die einen Stamm aufweisen, der das Personalpronomen sowie Person, Nume-
rus und Genus versprachlicht, und ein Flexiv für Kasus.
Wer Probleme mit der Kasusbestimmung hat, suche sich geeignete syn-
taktische Umgebungen: x (Nom.) tut etwas, um x (Gen.) willen, x (Dat.) gehört
das, x (Akk.) sehe ich.
Als formenärmer erweist sich das Reflexivpronomen (vgl. Tabelle 50), da
es nicht im Nominativ stehen kann. Auch hier gibt es keinen Gebrauch als
Begleiter eines Substantivs.
14.1. Grundlagen 247
Tabelle 50: Die Flexion des Reflexivpronomens
1. Person 2. Person 3. Person
M., F., N.
Nominativ Singular / / /
Genitiv meiner deiner seiner, ihrer, seiner
Dativ mir dir sich
Akkusativ mich dich sich
Nominativ Plural / / /
Genitiv unser euer ihrer
Dativ uns euch sich
Akkusativ uns euch sich

Hingegen sind die Formen des Possessivpronomens stark aufgefächert, weil


zu trennen ist zwischen der Person, die etwas besitzt (ich besitze ein Buch, es
ist mein Buch, du besitzt ein Buch, es ist dein Buch), und dem Gegenstand, dem
Besitz im weitesten Sinne bzw. Zugehörigkeit (mein Ring, meine Reise, mein
Buch) (vgl. hierzu Engel 2009). Denn dieses Pronomen steht meist als Begleiter
eines Substantivs. Je nach Besitzer wählen wir ein bestimmtes Stammmor-
phem (Tabelle 51). Es handelt sich um Suppletion.

Tabelle 51: Die Flexion des Possessivpronomens, bezogen auf den Besitzer
1. Person Singular mein
2. Person dein
3. Person (M., F., N.) sein, ihr, sein
1. Person Plural unser
2. Person euer
3. Person ihr

Die Possessivpronomen flektieren nach Numerus, Kasus und Genus jeweils in


Abhängikeit ihres Bezugswortes, des Besitzes, sie kongruieren mit ihm (Ta-
belle 52).

Tabelle 52: Die Flexion des Possessivpronomens, bezogen auf den Besitz
Sprecher/ Angesprochener/ Besprochenes/
1. Person Singular 2. Person Sg. 3. Person Sg. M.
Besitz M., F., N.
Nominativ Singular mein, meine, mein dein, -e, dein sein, -e, sein
Genitiv meines, meiner, meines deines, -er, -es seiner, -er, -es
Dativ meinem, meiner, meinem deinem, -er,- em seinem, -er,- em
Akkusativ meinen, meine, mein deinen, -e, dein seinen, -e, sein
Nominativ Plural meine deine seine
Genitiv meiner deiner seiner
Dativ meinen deinen seinen
Akkusativ meine deine seine
248 14. Andere Wortarten
Sprecher/ Angesprochener/ Besprochenes/
1. Person Plural 2. Person Pl. 3. Person Pl.
M., F., N.
Besitz M., F., N.
Nominativ Singular unser, unsere, unser euer, eure, euer ihr, ihre, ihr
Genitiv unseres, -er, -es eures, -er, -es ihres, -er, -es
Dativ unserem, -er, -em eurem, -er, -em ihrem, -er, -em
Akkusativ unseren, -e, unser euren, -e, euer ihren, -e, ihr
Nominativ Plural unsere eure ihre
Genitiv unserer eurer ihrer
Dativ unseren euren ihren
Akkusativ unsere eure ihre

Bei einem Besitzer 3. Person Maskulinum heißt der Stamm sein (der Mann –
sein Hof, seine Kuh, sein Geld). Bei einer Besitzerin 3. Person heißt der Stamm
ihr (die Frau – ihr Hof, ihre Kuh, ihr Geld) und im Neutrum 3. Person wieder
sein (das Kind – sein Hof, seine Kuh, sein Geld). Im Plural ist der Stamm für
den Besitzer 3. Person immer ihr (die Frauen, die Kinder, die Männer – ihr Hof,
ihre Kuh, ihr Geld).
Das bedeutet für die morphologische Analyse, dass sowohl Stamm als
auch Endung nach verschiedenen grammatischen Kategorien zu bestimmen
sind. Für das Possessivpronomen in der Phrase wegen deines Hofes lautet die
Analyse

deines

{dein}{-es}

{dein} ist ein Possessivpronomen, 2. Person Singular bezogen auf den Besitzer,
ein grammatisches, freies Morphem, {-es} ist ein Flexionssuffix, grammatisch,
gebunden, für Singular Genitiv und (hier) Maskulinum, bezogen auf den Be-
sitz.
Des Weiteren kommt es zu Allomorphie, so beim Stamm, vgl. unser-e vs.
unsr-e, oder beim Flexiv, vgl. unser-en vs. unser-n.
Im Nominativ Singular Maskulinum, Neutrum und im Akkusativ Sin-
gular Neutrum (Besitz) haben die Formen keine Endungen (vgl. Tabelle 52).
Als reine Pronomen, also ohne ein folgendes Substantiv, erhalten sie aber eine
Endung, vgl. bezogen auf ein Ring: Das ist meiner, das ist deiner, aber Das ist
mein Ring, das ist dein Ring und bezogen auf ein Buch: Das ist mein(e)s, das
ist dein(e)s, ich sehe eures/euers aber Das ist mein Buch, das ist dein Buch, ich
sehe euer Buch. Wie das Possessivpronomen mein flektieren auch die Indefi-
nitpronomen ein und kein (meiner ist da drüben, einer ist da drüben, keiner
ist da drüben).
14.1. Grundlagen 249

In Phrasen wie der meine, die unseren, das deine, die lediglich bestimmten
Artikel und Pronomen verbinden, entspricht die Flexion die des stark dekli-
nierten Adjektivs.
Die anderen Pronomen, die auch vor einem Substantiv stehen können,
beispielsweise dieser, jener, jeder, mancher, vgl. Tabelle (53), flektieren ähnlich
wie der bestimmte Artikel. Sie können wie er vor einem eigentlichen Adjektiv
stehen, vgl. der schöne Wagen, dieser schöne Wagen. Dies gilt auch für mein
und kein; mein schönes Auto, kein schönes Auto. Ein ist direkt vor dem Sub-
stantiv in der Regel unbestimmter Artikel, in Formulierungen wie eines seiner
Autos Indefinitpronomen.

Tabelle 53: die Flexion des Demonstrativpronomens dieser


M. F. N.
Nominativ Singular dieser diese dieses
Genitiv dieses dieser dieses
Dativ diesem dieser diesem
Akkusativ diesen diese dieses
Nominativ Plural diese diese diese
Genitiv dieser dieser dieser
Dativ diesen diesen diesen
Akkusativ diese diese diese

In dem Paradigma ist der Stamm {dies} leicht vom Flexiv, das die Kategori-
en Numerus, Genus und Kasus vereint, zu trennen. Für die morphologische
Analyse bestimmen Sie die Art des Pronomens, diese Informationen finden
Sie im Stamm, und die grammatischen Kategorien der Endungen.
Bei einigen Pronomen ist die Flexion eingeschränk. Wie bereits ange-
merkt, gibt es keinen Nominativ des Reflexivpronomens. Nur im Singular
stehen zum Beispiel jemand, niemand, man. Der Plural zu jeder ist meist alle.
Nur im Plural steht mehrere. Einige Indefinitpronomen flektieren nicht, zum
Beispiel etwa, man, nichts, genug. Für man tritt im Akkusativ und Dativ einen
bzw. einem auf.

Pronomen – Wortbildung
Während die Flexion der Pronomen zwar systematisch, aber durchaus schwie-
rig aufgrund der komplexen Funktionsweise ist, lässt sich die Wortbildung
knapp darstellen. Die Wortart wird nicht durch neue Formen bereichert, sie
ist, wie auch die des Artikels, geschlossen. Die Wortbildungsmuster sind nicht
mehr produktiv. Bei den Pronomen tritt das gleiche Problem wie bei den Ad-
verbien auf – soll historisch zwischen Komposition und Zusammenrückung
entschieden werden oder aufgrund der Wortart der zweiten Konstituente? Für
Simmler (1998: 464f.) sind Verbindungen mit irgend- Komposita, der Rest Zu-
250 14. Andere Wortarten

sammenrückungen, aber konsequenterweise sollten auch Kombinationen mit


sonst zu den Komposita zählen. Dann haben wir einerseits Zusammensetzun-
gen wie sonstwo, sonstwas, sonstwie, sonstwer etc. (die neue Rechtschreibung
fordert Getrenntschreibung), irgendwer, irgendein, irgenwelcher oder irgend-
etwas, bestehend aus Adverb und Pronomen. Anderserseits sind historisch
zusammengerückt derselbe, derjenige (über der jeniger), untereinander sowie
jedermann, meinesgleichen aus Pronomen und Substantiv.
Die Einteilung, die sich nach dem Kriterium der Wortart der zweiten Kon-
stituente richtet und die konform geht mit den Analyseentscheidungen der
anderen Wortarten, sieht für Bildungen aus zwei Pronomen Komposita vor,
vgl. derselbe, derjenige, einander, woselbst. Dabei ist jenig abgeleitet. Unterei-
nander verbindet eine Präposition mit einem Pronomen, das wiederum aus
zwei Pronomen besteht. Daselbst, hierselbst entstanden aus Adverb und Pro-
nomen.
Hier wie auch bei der Wortbildung der Adverbien ist auf das Problem hin-
zuweisen. Entscheidungen sind mit Argumenten zu stützen.
Ableitungen sind die praktisch nur noch adjektivisch verwendeten allerlei,
beiderlei, vielerlei, keinerlei oder mancherlei. Daher sind sie bei den Adjekti-
ven aufgeführt. Weiterhin gibt es meinig-, deinig-, seinig-, unsrig-, einig- etc.
Sämtlich ist eine Ableitung aus einer heute selten gebrauchten Präposition
samt. Die Form wird kaum noch stellvertretend für Substantive verwendet
und ist daher wohl eher den Adjektiven zuzurechnen. Etlich-, jeglich- und jed-
weder sind nicht mehr durchsichtig. Fügungen aus mehreren Wörtern, die
als Wortgruppenlexeme oder auch als feste oder formelhafte Verbindungen
bezeichnet werden können, sind ein paar, ein wenig, ein bisschen, was für ein,
welch ein.
Eine Wortbildungsanalyse des Demonstrativpronomens im Satz (Wer von
euch hat den Papierkorb angezündet?) Diejenigen sollten sich schämen könnte
folgendermaßen aussehen:

diejenigenPR

diejenig-PR {-en} Ebene der Flexion

{die} jenig-PR Ebene der Flexion

derjenig(e)PR Ebene der Wortbildung (Grundform)

{der} jenig-PR

{jen-}{-ig}
14.1. Grundlagen 251

Wie bei vielen komplexen Pronomen flektieren beide Stämme. Damit ist zu-
nächst {-en} als Flexiv des Gesamtausdrucks zu bestimmen und dann {die} als
flektiertes Suppletivmorphem. Im Satz nimmt der Ausdruck die Stellung des
Subjekts ein, er steht daher im Nominativ und außerdem im Plural. Genus
ist im Plural nicht markiert. Hierzu gibt es homonyme Formen (Akk.). Die
Grundform lautet derjenige (Nominativ Singular Maskulinum). Bei {die} han-
delt es sich um das Demonstrativpronomen, nicht um den Artikel, im Nomi-
nativ Plural. Die allgemein gebrauchte Grund- bzw. Zitierform ist {der}. {jen-}
ist eine Wurzel für das Demonstrativpronomen. Sie ist grammatisch und tritt
nur gebunden auf (vgl. jene, jener), jenig- tritt nur in dieser Verbindung und
nur flektiert auf. {-ig} ist ein Derivationssuffix, grammatisch, gebunden. Ins-
gesamt handelt es sich historisch gesehen um eine Zusammenrückung aus der
und jenige. Letztes wiederum ist eine Ableitung, heute nicht mehr selbststän-
dig vorhanden. Aufgrund der synchron ausgerichteten Definition von Kom-
position zählt der Ausdruck zu den Komposita.

Zusammenfassung
Tabelle 54: Wortbildungsarten der Pronomen

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum irgendwer, sonstwo

verdeutlichendes Kompositum –

Possessivkompositum –

Kopulativkompositum –

Reduplikativkompositum –

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung –

Suffixoidbildung –

explizite Derivation – –
Präfigierung
explizite Derivation – meinig, deinig
Suffigierung
explizite Derivation – –
Zirkumfigierung
implizite Derivation –

Konversion –

Kürzung –

Zusammenbildung –
252 14. Andere Wortarten

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Zusammenrückung jedermann

Rückbildung –

Erleichterungsrückbildung –

Kontamination –

Präposition
P r ä p o s i t i o n e n sind nicht flektierbar. Sie verlangen ein Bezugsnomen
bzw. eine -nominalgruppe und bestimmen den Kasus des Bezugsnomens bzw.
der Gruppe. Sie bilden allein kein Satzglied und auch kein Attribut. Präposi-
tionen bzw. Präpositionalstämme sind als grammatische Morpheme zu ver-
stehen, denn sie tragen wenig Eigenbedeutung, vielmehr drücken sie Bezie-
hungen zwischen Gegenständen aus.
Sehr viele der traditionellen Präpositionen entstanden aus Lokaladverbi-
en, vgl. auf ‘in die Höhe, nach oben’ in auf und davon mit der Präposition
in auf dem Tisch. Sie werden aber heute nicht als Konversionen, sondern als
Simplizia aufgefasst.
Die Präposition ist zwar eine kleine, aber im Prinzip offene Wortart, ob-
wohl viele Grammatiken sie als geschlossene Klasse sehen, weil es nur wenig
Neuzugänge gibt.
Kompositionen aus zwei Präpositionen sind anbei, nebenbei, voran, über-
aus, mitunter, mitsamt, aus Substantiv und Präposition seitab. Nach unserem
Kriterium der Wortart des zweiten Glieds sind außerhalb, innerhalb, ober-
halb, unterhalb Zusammenrückungen aus Präposition und Adjektiv. Wäh-
rend die Komposition unproduktiv ist, entstehen über Zusammenrückung
gelegentlich neue Präpositionen durch eine Verknüpfung von Präposition
und Substantiv wie bei zugunsten, zuliebe, infolge, anhand, aufgrund, anstelle,
mithilfe, jedoch nicht mehr von Präposition und Adjektiv, vgl. inmitten. Ein
typisches Beispiel ist das Nomen Statt ‘Platz, Ort’ wie in Werkstatt, das mhd.
in der Verbindung an stat und nhd. anstatt auftrat und dann zu statt wurde.
Außerdem verwenden wir heute eher Dativ als Genitiv als Anschlusskasus.
Damit entwickelt sich die neue Präposition noch einen Schritt weiter von der
ursprünglichen Präposition-Nomen-Verbindung fort (Lindqvist 1994: 1). Zu-
folge bildeten wir anologisch zu zuliebe und zugunsten (Lindqvist 1994: 126).
Feste Fügungen bzw. Wortgruppenlexeme sind in Bezug oder um – wil-
len. Bei einigen ist die Entwicklung zum komplexen Wort noch nicht abge-
schlossen, denn vielfach findet sich auch mit Hilfe, an Stelle, allerdings schon
14.1. Grundlagen 253

weniger auf Grund. Falsch ist heute (noch) *imlaufe. Da immer wieder neue
Präpositionen entstehen, gibt es auch stets Übergangszonen, was die Abgren-
zung zu anderen Wortarten erschwert.
Die Derivation ist nicht mehr produktiv und überhaupt sehr schwach aus-
geprägt. Aus einem ehemaligen Genitiv entwickelte sich das Derivationsmor-
phem -s in angesichts oder zwecks, fachsprachlich ausgangs, betreffs, mangels.
Der Status des Morphems ist unklar in mittels. In längs und seitens ist es eher
Flexiv. Nebst ist nicht mehr aufschlüsselbar (Simmler 1998: 586ff.).
Über Konversion aus einem Nomen entstanden dank, laut, kraft, trotz,
mangels, mittels, zwecks und wegen, aus Verben, und zwar Partizipien, ent-
sprechend und während sowie ungeachtet und unbeschadet. Hier gab es zu-
nächst geachtet bzw. beschadet, was dann negiert wurde (Lindqvist 1994: 68).
Gegenüber, jenseits und abseits sind Konversionen aus einem Adverb. Andere
wie südlich, links und rechts (links des Rheins, rechts des Rheins) sind in ihrer
Entwicklung nicht ganz abgeschlossen.
Die Fachsprachen sind hier wieder produktiver und kreieren Zusam-
menbildungen, vgl. oberwasserseitig des Kanals, unterwasserseitig des Kanals,
linksseitig des Damms, rechtsseitig des Kanalbauwerks.

Zusammenfassung
Tabelle 55: Wortbildungsarten der Präposition

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum anbei keine klaren Determinativverhältnis-


se, nicht produktiv

verdeutlichendes Kompositum –

Possessivkompositum –

Kopulativkompositum –

Reduplikativkompositum –

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung –

Suffixoidbildung –

explizite Derivation – –
Präfigierung

explizite Derivation – zwecks, mangels selten, nicht produktiv


Suffigierung
254 14. Andere Wortarten

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

explizite Derivation – –
Zirkumfigierung

implizite Derivation –

Konversion außerhalb, links selten

Kürzung –

Zusammenbildung oberwasserseitig wohl nur fachsprachlich

Zusammenrückung zugunsten, infolge leicht produktiv

Rückbildung –

Erleichterungsrückbildung –

Kontamination –

Konjunktion
K o n j u n k t i o n e n sind nicht flektierbar und platzfest. Sie verbinden Sät-
ze, auch Wortgruppen oder Wörter, und werden daher auch Bindewörter ge-
nannt. Sie sind weder Satzglied noch Attribut.
Konjunktionen bilden aufgrund ihres grammatischen Gewichts gramma-
tische Morpheme. Wie bei den Artikeln oder den Präpositionen ist eine ge-
wisse Eigensemantik erkennbar, die Funktion, im Text Beziehungen zwischen
syntaktischen Einheiten herzustellen, überwiegt.
Die Wortart bildet eine geschlossene Klasse. Es treten keine neuen Wör-
ter hinzu. Die Wortbildungsarten Komposition und Zusammenrückung sind
nicht produktiv. Wieder ist eine klare Grenzziehung nicht möglich. Zusam-
menrückungen aus Konjunktion und Adverb sind beispielsweise obschon,
obgleich, wennschon, wenngleich, aus zwei Adverbien sobald, solange, soviel,
aus Adverb und Adjektiv sofern, soweit, aus Adverb und Präposition damit.
Zusammenrückungen aus Präposition und Pronomen sind seitdem, trotzdem,
außerdem, aus Präposition und Substantiv zumal, aus zwei Adverbien und
Präposition wohingegen. Konversionen aus Adverbien sind dagegen, danach,
demnach, wonach, nachdem, indem, seitdem, folglich, ferner.
Ableitungen gibt es nicht.
14.1. Grundlagen 255

Zusammenfassung
Tabelle 56: Wortbildungsarten der Konjunktion

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum ? keine klaren Beispiele, nicht produktiv

verdeutlichendes Kompositum –

Possessivkompositum –

Kopulativkompositum –

Reduplikativkompositum –

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung –

Suffixoidbildung –

explizite Derivation – –
Präfigierung

explizite Derivation – –
Suffigierung

explizite Derivation – –
Zirkumfigierung

implizite Derivation –

Konversion nachdem nicht produktiv

Kürzung –

Zusammenbildung –

Zusammenrückung seitdem, zumal nicht produktiv

Rückbildung –

Erleichterungsrückbildung –

Kontamination –

Übungen zu 14.1. Grundlagen


4. Wie bestimmen Sie die Wortarten Artikel, Präposition, Pronomen und
Konjunktion?
5. Analysieren Sie morphologisch Klopapierrollenhalter!
6. Welcher morphologische Unterschied besteht zwischen Vogelfänger und
Schwarzhörer?
256 14. Andere Wortarten

14.2. Vertiefung

Interjektion

Diese Wortart bildet einen Einzelfall sowohl in syntaktischer und lautlicher


als auch in morphologischer Hinsicht. Die Interjektion hat keinen festen Platz
im Funktionsgefüge des Satzes. Sie referiert nicht auf Gegenstände, sondern
versprachlicht Gefühle (aua) oder Wahrnehmungen (uih) oder bildet einen
Ausruf (hey). Daher steht gewöhnlich das Ausrufezeichen nach dem Aus-
druck. Die Interjektion ist oft satzwertig (hurra, oh, au) bzw. bildet allein ei-
nen Sprechakt und zählt damit zu den Randerscheinungen im Wortschatz ei-
ner Sprache. Einige Beispiele sind konventionalisiert, vgl. oh, ach, aua, hm, hä,
pfui, andere nur in bestimmten Vorkommensbereichen wiederholt zu finden,
vgl. ächz, oink, würg, oder jeweils okkasionell (jauuuu, schrmmh) mit fließen-
den Übergängen. Es gibt keine orthographische Normierung. Aber es handelt
sich um eine offene Klasse, zu der in manchen Ausprägungen des Deutschen
viele neue Formen erscheinen, etwa in Comics, Werbung oder im Chat. Sie
verschwinden allerdings meist schnell wieder.
Neue Interjektionen entstehen meist lautmalerisch (pffft, wuschsch). Da-
her halten sie sich nicht immer an die phonologischen Regeln. Das zeigen rein
konsonantische Interjektionen (pst, hm, schh), solche mit eigenen Lauten wie
dem Diphthong in hui oder mit besonderen Lautkombinationen wie in tja.
So gesehen können sie zu den Kunstwörtern gerechnet werden. Es gibt keine
Flexion, aber auch keine Ableitung, wie wir sie von den anderen Wortarten
kennen, außer im Fall von ach Gottchen (Nübling 2001: 41).
Beispiele wie herrje oder potzblitz sind nicht mehr durchsichtig, potz ist
entstellend zu Gottes in Flüchen gebildet, Potzblitz zu Gottes Blitz (Nübling
2001: 34) und steigernd gebraucht. Historisch entstand herrje(mine) aus Herr
Jesu (Domine) (Henzen 1957: 19), oje aus o Jesus domine – ojemine. Aber je
kann nicht immer auf Jesus zurückgeführt werden (Kluge 2002, Wilmanns
1899: 670). Manche neueren Beispiele beruhen auf Konversion, beispiels-
weise Mann, Mensch, Mist. Die eher in Comics erscheinenden deverbalen
würg, ächz, kotz, jaul zählen ebenfalls hierzu. Sie werden auch u.a. Inflektive,
Rumpfwörter oder Lexeminterjektionen genannt (Nübling 2004). Einige bil-
den einen Bestandteil in einem komplexen Ausdruck wie oh Gott oder pfui
Teufel. Nübling (2001: 33) spricht in Anlehnung an Wilhelm Wundt hier von
sekundären, also nicht ursprünglichen Interjektionen. Sie können aber auch
als Wortgruppenlexeme bezeichnet werden. Als Komposita sind wohl herr-
14.2. Vertiefung 257

gottsakrament oder ihbäh aufzufassen mit verstärkender Bedeutung. Diese


liegt außerdem den Reduplikativbildungen zugrunde wie ojeoje, ohgottohgott,
igittigitt oder jungejunge, deren verdoppeltes Morphem allein vorkommt und
nun intensiviert wird, während papperlapp und rumpeldipumpel zu papp, pap-
pen bzw. rumpeln eher lautmalerisch enstanden sind. Simmler (1998: 470f.)
nimmt auch bei u.a. eieiei, bimbam und klippklapp Reduplikation(sbildung)
an. Bei huhu als Ruf, der aufmerksam machen will, sollte von dieser Interpre-
tation jedoch Abstand genommen werden, da hu als Ausdruck des Entsetzens
gilt und somit nicht verdoppelt wurde. Darum ist huhu wohl eher als lautma-
lerisch im Ganzen zu verstehen. Hingegen treten ei, bim und klapp- auch als
eigene Wörter auf.

Nübling (2001)

Zusammenfassung
Tabelle 57: Wortbildungsarten der Interjektion

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Determinativkompositum herrgottsakrament weniger determinativ als inten-


sivierend – selten

verdeutlichendes Kompositum –

Possessivkompositum –

Kopulativkompositum –

Reduplikativkompositum igittigitt, jungejunge produktiv

Inversionskompositum –

Präfixoidbildung –

Suffixoidbildung –

explizite Derivation – –
Präfigierung

explizite Derivation – –
Suffigierung

explizite Derivation – –
Zirkumfigierung

implizite Derivation –

Konversion Mann, Mensch, würg produktiv

Kürzung –

Zusammenbildung –
258 14. Andere Wortarten

Wortbildungsart Beispiele Kommentar

Zusammenrückung –

Rückbildung –

Erleichterungsrückbildung –

Kontamination –

Partikel
Die Partikeln sind ebenfalls nicht flektierbar, sie sind bedeutungsarm und
bilden jeweils kein Satzglied. Hier sind die G r a d p a r t i k e l n (Fokuspar-
tikeln) zu nennen wie sogar, bloß, nur, allein, auch in _ der Weihnachtsmann
sah zu. Zweitens gibt es die M o d a l p a r t i k e l n /Abtönungspartikeln wie
ja, bloß, aber, halt etc. in Du bist ja blöd. Hau bloß ab. Bist du aber gewach-
sen. Dann hör halt auf! Schließlich haben wir noch die S t e i g e r u n g s -
p a r t i k e l n , zum Beispiel sehr, ziemlich, echt, wahnsinnig in eine _ schöne
Aussicht. Diese Partikeln weisen ein gleichlautendes Pendant bei den ande-
ren Wortarten auf. Beispielsweise gibt es echt oder wahnsinnig als Adjektive.
Wenn diesen Lexemen kein eigener Wortartstatus zuerkannt wird, üben die
Adjektive und Konjunktionen etc. besondere syntaktische Funktionen aus.
So gesehen hätte im Satz Bloß der Weihnachtsmann kommt das Adjektiv bloß
Gradpartikelfunktion, im Satz Hau bloß ab hätte es Modalpartikelfunktion.
In den letzten Jahren gehen jedoch immer mehr Grammatiken von einer ei-
genen Wortart aus, sodass bei dieser Sichtweise dann die Partikeln über Kon-
version entstanden. Die Wortbildung ist bei den Quellwörtern besprochen.

Diewald (1997)
Präposition: Henzen (1957: 93ff.), Lindqvist (1994)
Pronomen: Wilmanns (1899: 585), Erben (1976), Simmler (1998)

Übungen zu 14.2. Vertiefung


1. Um welche Kurzwortarten handelt es sich bei Pulli, DNS, Azubi, Emmen-
taler, Lisa, Bus, Schupo, Kilo, Füllhalter?
2. Text:
Wie ist nun dieser Text aufzufassen, als Glosse, als Entgleisung des Kunst-
betriebs? Auch wenn der Band mit Goldrand und ochsenledergebunde-
nem Buchdeckel dem Auge schmeichelt, zeugt doch der Inhalt von einer
Dummheit, die jeden Kritiker in Rage bringen wird.
14.2. Vertiefung 259

Aufgabe:
Analysieren Sie die Wortbildung folgender Wörter bis zur untersten gegen-
wartssprachlich noch motivierten Ebene: Kunstbetrieb, ochsenledergebunde-
nen, Dummheit!
Lösungsvorschläge

Zu den Übungen 1.1. Grundlagen (S. 11)


1. Segmentieren Sie die Lexeme in ihre kleinsten bedeutungstragenden Ein-
heiten und klassifizieren Sie sie!
am Portmanteaumorphem, = {an} + {dem}
{an} grammatisch, frei
{dem} grammatisch, frei
{tor} lexikalisch, frei, nominales Grundmorphem/Nominalwurzel
{des} grammatisch, frei
{turm} lexikalisch, frei, nominales Grundmorphem/Nominalwurzel
{-es} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{ver-} grammatisch, gebunden, Derivationspräfix
{brann-} Allomorph zu {brenn-}, lexikalisch, gebunden, verbales Grund-
morphem/Verbalwurzel
{-t} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{-e} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{der} grammatisch, frei
{lind-} lexikalisch, gebunden, nominales Grundmorphem/Nominalwur-
zel, unikales Morphem
{wurm} lexikalisch, frei, nominales Grundmorphem/Nominalwurzel
{hundert} lexikalisch, frei, adjektivisches Grundmorphem/Adjektivwur-
zel
{-e} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{von} grammatisch, frei
{tapfer} lexikalisch, frei, adjektivisches Grundmorphem/Adjektivwurzel
{-en} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{männ} Allomorph zu {mann} lexikalisch, frei, nominales Grundmor-
phem/Nominalwurzel
{-er} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
{-n} grammatisch, gebunden, Flexionssuffix
2. Unikale Elemente haben Samstag, Fledermaus, Schornstein, Himbeere,
Brombeere
3. Was ist ein Okkasionalismus? Kennen Sie Beispiele? Vgl. Kapitel „zeitliche
und dynamische Aspekte“
262 Lösungsvorschläge

4. Geben Sie Beispiele für das Wirken der Auslautverhärtung in morpholo-


gisch zusammenhängenden Wörtern! Vgl. Kapitel „Einführung, Termini,
morphologische Einheiten“, auch gra.de/grad.li.nig, Weg/We.ge, brav/bra.
ve, Maus/Mäu.se, blei.ben/bleibt, gib/ge.ben, Klug.heit/klü.ger.

Zu den Übungen 1.2. Vertiefung (S. 25)


1. Wortbildungsanalyse

Brombeermarmelade

brombeer {marmelade}

{brom-} {beer}

Brombeermarmelade Nomen, Determinativkompositum ‘Marmelade


aus Brombeeren’, substantiell (‘besteht aus’), mo-
tiviert, produktives Wortbildungsmuster
Brombeer Nominalstamm, Determinativkompositum, nur
noch teilweise motiviert, da {brom-} heute keine
Bedeutung mehr hat, ‘eine Art Beere’
{marmelade} Nominalwurzel, lexikalisch, frei, Lehnwort
{brom-} Nominalwurzel, lexikalisch, gebunden, unikales
Mophem
{beer} Nominalwurzel, Allomorph zu {beere}, lexika-
lisch, frei
2. Was bedeutet I & A? Vgl. Kapitel „Anfänge, Strukturalismus, Generative
Grammatik“
3. Was ist morphologisch besser und warum: die Kinder, die Mütter, die
Mädchen?
Kinder ist morphologisch am besten, weil für ein Mehr an Bedeutung
(Plural) ein Mehr an Form (-er) einhergeht. Das ist nicht der Fall bei Müt-
ter, aber hier ist immerhin der Plural durch den Lautwechsel markiert.
Es ist schlechter als Kinder, aber besser als Mädchen, weil hier der Plural
genauso lautet wie der Singular.

Zu den Übungen 2.1. Grundlagen (S. 35)


1. Wortbildungsart:
Buchrücken Determinativkompositum, Bleichgesicht Possessivkomposi-
tum, Fahrer explizite Derivation, Vaterunser Zusammenrückung, Dick-
häuter Zusammenbildung, Blumentopf Determinativkompositum, Akku
Kurzwort (Kopfwort, Silbenkurzwort, unisegmental), Motel Fremdwort,
Lösungsvorschläge 263

im Englischen Kontamination, Schuss implizite Ableitung, Dichterkom-


ponist Kopulativkompositum, Handvoll Zusammenrückung, hochmodern
Präfixoidbildung, blaugelb Kopulativkompositum.
2. Führen Sie verschiedene Möglichkeiten der Komposition bei den Substan-
tiven auf!
Determinativkomposition (hier auch verdeutlichende Komposition),
Possessivkomposition, Kopulativkomposition, Reduplikativkomposition,
auch verdunkelte Komposition.
3. Erstellen Sie eine Wortbildungsanalyse von Schulhof, Hautcreme, Suche,
Floßfahrt!

Schulhof

{schul}{hof}

Schulhof Nomen, Determinativkompositum, ‘Hof bei der Schule’, leicht


demotiviert, da es sich nicht unbedingt um einen Hof, sondern
auch um einen Garten o.Ä. handeln kann, produktives Wort-
bildungsmuster
{schul} Allomorph zu {schule}, Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{hof} Nominalwurzel, lexikalisch, frei

Hautcreme

{haut}{creme}

Hautcreme Nomen, Determinativkompositum, ‘Creme für die Haut’,


motiviert, produktiv
{haut} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{creme} Nominalwurzel, lexikalisch, frei, Fremdwort

Suche

{such-}{-e}

Suche Nomen, explizite Derivation, ‘Vorgang des Suchens’, moti-


viert, produktives Muster
{such-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-e} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden
264 Lösungsvorschläge

Floßfahrt

floß fahrt
 
{fließ-} {fahr-}{-t}

Floßfahrt Nomen, Determinativkompositum, ‘Fahrt mit dem Floß’,


motiviert, produktiv
floß Nominalstamm, implizite Derivation, kein produktives Muster
mehr, ‘Wasserfahrzeug’, Gegenstandsbezeichnung, demotiviert
fahrt Nominalstamm, explizite Derivation, ‘Vorgang des Fahrens’,
motiviert, kein produktives Muster mehr
{fließ-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{fahr-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-t} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden

Zu den Übungen 2.2. Vertiefung (S. 46)


1. Analysieren Sie morphologisch vollständig

Thermohose

{therm}{-o-}{hose}

Thermohose Nomen, Determinativkompositum, ‘warme/wärmende Ho-


se’, final, nicht ganz motiviert, weil es sich um eine beson-
dere Art der Fütterung handelt, um die Hose wärmend zu
machen
{therm} Konfix, lexikalisch, gebunden
{-o-} Fugenelement, Status als Morphem umstritten
{hose} Nominalwurzel, lexikalisch, frei

Das Konfix {therm} ist vom Markenzeichen Thermos (seit 1904) zu trennen,
das Sie aus Thermosflasche kennen.

Hauptstadt

{haupt-} {stadt}

Hauptstadt Nomen, Präfixoidbildung, produktiv, ‘Stadt eines (Bundes)


Landes mit Regierungssitz’, teilmotiviert
{haupt-} Präfixoid, kein Kompositionsglied, da reihenbildend mit
Lösungsvorschläge 265

der Bedeutung ‘der/die/das Wichtigste’, ehemals lexikalisch


freies Morphem, Nominalwurzel, nun auf dem Weg zum
Präfix
{stadt} Nominalwurzel, lexikalisch, frei

Zu den Übungen 3.1. Grundlagen (S. 49–54)


1. grammatische Form (Numerus, Kasus)
Ich sehe viele Kinder. Akk. Pl.
Viele Kinder spielen heute auf dem Schulhof. Nom. Pl.
Viele Kinder spielen heute auf dem Schulhof. Dat. Sg.
Affen kann ich nicht leiden. Akk. Pl.
Wegen der Schneewehe sind sie in den Graben gefahren. Gen. Sg.
Wegen der Schneewehe sind sie in den Graben gefahren. Akk. Sg.
Das Auto konnten sie nicht herausziehen. Akk. Sg.
Das Auto blieb stecken. Nom. Sg.
2. Was ist der Unterschied zwischen den Begriffen Substantiv und Nomen?
Definieren Sie den Begriff Flexion! Vgl. Kapitel „Grundbegriffe“
3. Deklinieren Sie Mutter, Kind, Auge, am besten mit Angabe der grammati-
schen Kategorien!

Nominativ Singular Mutter Kind Auge


Genitiv Mutter Kindes Auges
Dativ Mutter Kind Auge
Akkusativ Mutter Kind Auge
Nominativ Plural Mütter Kinder Augen
Genitiv Mütter Kinder Augen
Dativ Müttern Kindern Augen
Akkusativ Mütter Kinder Augen

4. Zählen Sie verschiedene Pluraliatantum und Singulariatantum auf!


Singulariatantum beispielsweise Getreide, Gramm, Kälte, Kindheit, Mehl,
Milch, Obst, Publikum, Seide, Silber, Treue, Vieh, Pluraliatantum beispiels-
weise Alimente, Alpen, Eltern, Ferien, Flitterwochen, Kosten, Leute, Ma-
sern, Ostern

5. Bestimmen Sie die grammatische Form der Substantive!


Die Kinder bleiben nicht an der Hand ihrer Mütter. Sie wehren sich mit
Händen und Füßen dagegen.
Kinder Nom. Pl.
Hand Dativ Sg.
Mütter Gen. Pl.
266 Lösungsvorschläge

Händen Dativ Pl.


Füßen Dativ Pl.

Zu den Übungen zu 3.2. Vertiefung (S. 60)


1. Was ist Umlaut? Vgl. Kapitel „Pluralbildung“, „Umlaut“
2. Welche Möglichkeiten der Pluralbildung gibt es bei Balkon? Warum gibt
es mehrere Möglichkeiten?
Balkons/Balkone Der s-Plural ist typisch für Fremdwörter. Existieren sie
lang genug im Deutschen, erhalten sie langsam heimische Endungen, hier
das -e.
3. Warum verlor der frühneuhochdeutsche Singular Nasen seine n-Endung?
Der Artikel hebt im Maskulinum und Neutrum den Singular vom Plural ab,
der, das vs. die. Dies gilt jedoch nicht für Feminina, die in beiden Fällen ein
die mit sich tragen, also auch Nase. Bei dem Plural auf -(e)n wären die Formen
von einem Singular auf -(e)n nicht zu unterscheiden. Feminina bevorzugten
generell als Pluralmarkierung -(e)n und eliminierten dann ein -(e)n im Sin-
gular, um die Unterscheidung von Singular und Plural zu verdeutlichen.

Zu den Übungen zu 4.1. Grundlagen (S. 70)


1. Analysieren Sie morphologisch ausführlich Wohnzimmertisch!

Wohnzimmertisch

wohnzimmer {tisch}

{wohn-}{zimmer}

Wohnzimmertisch Nomen, Determinativkompositum ‘Tisch im/für ein


Wohnzimmer’, lokal, motiviert, produktive Wort-
bildungart
Wohnzimmer Nominalstamm, Determinativkompositum ‘Zimmer
zum Wohnen, kulturbedingt mit bestimmter Ausstat-
tung’, nicht mehr ganz motiviert
{wohn-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{zimmer}, {tisch} Nominalwurzeln, lexikalisch, frei

2. Vergleichen Sie morphologisch


Dickmilch Determinativkompositum, Dickkopf Possessivkompositum
Farnwedel Determinativkompositum, Farnkraut verdeutlichendes Kom-
positum
Lösungsvorschläge 267

Fürstbischof Koordinativkompositum, Weihbischof Determinativkompo-


situm

Zu den Übungen zu 4.2. Vertiefung (S. 78)


1. Suchen Sie passende Determinativkomposita für die Strukturbäume! Bei-
spiele:
a) N b) N c) N d) N
⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋮⋱
V N Adj N Präp N N Fuge N
Wühlmaus Rotwein Beiblatt Kinderschuh
Schlafzimmer Gelbfieber Gegenbeispiel Hundehütte

e) N f) N g) N
⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱
N N N N N N
⋰⋱ ⋰⋱ ⋰⋱
N N N N N N
⋰⋱
N N
Fußballfeld Feldhandball Notarztwagenaktion
Autobahnpolizei Gartengrundstück Autobahnpolizeipartei

2. Warum gibt es keine Determinativkomposita mit folgender Struktur?


*N

N V
Da in einem zweiteiligen Determinativkompositum das rechte Glied die
Wortart bestimmt, muss bei einer N+V-Verbindung die Wortart des De-
terminativkompositums Verb sein.

3. Diskutieren Sie den Unterschied zwischen Affenkäfig und Affenhitze!


Bei Affenkäfig handelt es sich um ein Determinativkompositum ‘Käfig für
einen oder mehrere Affen’, motiviert, mit dem Wortakzent auf dem ers-
ten Teil, während bei Affenhitze und vieler vergleichbarer Konstruktionen
eine Bedeutungsveränderung von affen zu ‘sehr groß’ zusammen mit Rei-
henbildung vorliegt. Der Wortakzent liegt links oder es gibt zwei Akzente.
Aus diesen Gründen handelt es sich bei Affenhitze um eine Präfixoidbil-
dung.
268 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 5.1. Grundlagen (S. 91)


Erstellen Sie eine ausführliche morphologische Analyse von Fehlerhaftigkeit!

Fehlerhaftigkeit

fehlerhaft {-igkeit}

fehler{-haft}

{fehl-} {-er}

Fehlerhaftigkeit Nomen, explizite Ableitung ‘Eigenschaft, fehlerhaft


zu sein’, Abstraktum, motiviert, produktiv
fehlerhaft Adjektivstamm, explizite Ableitung ‘Fehler aufwei-
send’, ornativ, motiviert, produktiv
fehler Nominalstamm, expl. Ableitung, ‘Abweichung, Un-
richtigkeit’, teilmotiviert
{fehl-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-haft}, {-er} Derivationssuffixe, grammatisch, gebunden
{-igkeit} Allomorph zu {-heit}, Derivationssuffix, gramma-
tisch, gebunden, tritt an Adjektive auf -haft

Zu den Übungen zu 5.2. Vertiefung (S. 104)


1. Bestimmen Sie die Wortbildungsart: Schusseline explizite Derivation
durch Suffigierung, Motion, Monogamie explizite Derivation durch Suffi-
gierung, zu monogam, Bibliothek Determinativkomposition aus zwei Kon-
fixen, Normalo explizite Derivation durch Suffigierung, Terrorismus expli-
zite Derivation durch Suffigierung, Abo Kurzwortbildung (unisegmental,
Kopfkurzwort) zu Abonnement, Monokultur Determinativkomposition
2. Versuchen Sie, die Bedeutung und die Herleitung des unterstrichenen
Verbs herauszufinden: Die Vorschriften gelten mit Ausnahme des §4, Ab-
satz 5, Satz 2, der ausdrücklich abbedungen wird./Die VOBIB-Klausel kann
individuell abbedungen werden.
Das Verb abbedingen bedeutet ‘eine Vorschrift, ein Gesetz außer Kraft set-
zen’. Das Verb stammt von bedingen, dies ist abgeleitet von dingen, dies zu
Ding. Die ursprg. Bedeutung ist ‘aushandeln, vereinbaren’, die juristische
Fachsprache verwendet das Verb abbedingen mit idiomatisierter Bedeu-
tung . Es gehört nicht zu bedingen ‘zur Bedingung machen’, dazu sich aus-
bedingen.
Lösungsvorschläge 269

Zu den Übungen zu 6.1. Grundlagen (S. 116)


1. Wortbildungsart: Haustür Determinativkomposition, Frechheit explizite
Derivation durch Suffigierung, Grünschnabel Possessivkomposition, Rot-
kehlchen Possessivkomposition, Grünspecht Determinativkomposition,
Uni Kurzwortbildung (unisegemental, Kopfwort), Rückwärtseinparker
Zusammenbildung, Blumentopferde Determinativkomposition, Gestein
explizite Derivation durch Präfigierung, Gebrauch Konversion, zu gebrau-
chen, Abbruch implizite Derivation, zu abbrechen, Handvoll Zusammen-
rückung
2. Zählen Sie sieben Possessivkomposita auf! Vgl. Kapitel „Possessivkompo-
sition“

Zu den Übungen zu 6.2. Vertiefung (S. 126)


1. komplette morphologische Analyse:

Bafög-Antrag

bafög1 antrag2

antrag1

{an-} {trag-}

Bafög-Antrag Nomen, Determinativkompositum, ‘Antrag auf Bafög’,


final, motiviert, produktiv
bafög1 Nomen, mittlerweile Homonym zum Kurzwort bafög2
(Mischkurzwort zu Bundesausbildungsförderungsgesetz)
mit Bedeutungsänderung ‘Stipendium aufgrund dieses
Gesetzes’
antrag2 Nominalstamm, Konversion, ‘Angebot’ veraltet, heute
‘Gesuch’, demotiviert
antrag1 Verbalstamm, explizite Derivation durch Präfigierung,
‘an jemanden etwas herantragen, anbieten’, lokal, rela-
tional, motiviert, produktiv, aber veraltet
{an-} Derivationspräfix, grammatisch, gebunden, trennbar
{trag-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden

Besonderheit: die Bedeutungsveränderung eines Kurzwortes ist unüblich.


270 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 7.1. Grundlagen (S. 129–134)


1. Grammatische Form (Kasus, Numerus, Genus) der Adjektive:
Starke Frauen braucht das Land Akk. Pl. F.
Denn starke Frauen Nom. Pl. F.
verbessern die wirtschaftliche Entwicklung Akk. Sg. F.
auf lange Sicht Akk. Sg. F.
In der Bibliothek gibt es großartige Zeitschriften Akk. Pl. F.
Mit den schmutzigen Fingern fasst du mir nicht Dat. Pl. M.
das schöne Buch an Akk. Sg. N.
Wasch sie dir erst mit warmem Wasser Dat. Sg. N.
Schau dir die frechen Mäuse an Akk. Pl. F.
wie sie auf den riesigen Schrank klettern Akk. Sg. M.

2. Möglichkeiten der Flexionsbestimmung für … großen Katze … mit kor-


rektem Satz:
Wegen der großen Katze musste sie bremsen – schwache Flexion, Gen. Sg.
F.
Mit der großen Katze fährt sie in Urlaub – schwache Flexion, Dat. Sg. F.
Wegen keiner großen Katze musste sie bremsen – gemischte Flexion, Gen.
Sg. F.
Mit keiner großen Katze fährt sie in Urlaub – gemischte Flexion, Dat. Sg. F.
Dir/mir großen Katze ist das Mäuslein zu wenig – Apposition nach Perso-
nalpronomen, Dat. Sg. F.

3. Welche Bedeutungen kann das Morphem -er im Deutschen haben?


beim Nomen Flexion: Plural (Kinder), Derivation: Personenbezeichnung
(Statiker), Gerätebezeichnung (Stecker), Motion (Witwer)
beim Adjektiv: starke Flexion Nom. Sg. M. (roter Wein), Gen./Dat. Sg. F.
(wegen neuer Mode, mit neuer Mode), Gen. Pl. M./F./N. (wegen roter Wei-
ne, wegen neuer Moden, wegen kleiner Bücher), gemischte Flexion Nom.
Sg. M. (kein roter Wein), außerdem Komparativ (die Banane ist kleiner als
die Melone), Ableitungen von Namen (Berliner Currywurst)

4. Was ist falsch und warum? „Das sind Reformen für älteren Leute.“
Es muss entweder heißen „für die älteren Leute“ mit bestimmtem Artikel,
darum schwach flektiert, oder „für ältere Leute“, ohne Artikel, daher stark
flektiert.
Lösungsvorschläge 271

Zu den Übungen zu 7.2. Vertiefung (S. 134–140)


1. Was ist an der Definition „das Adjektiv ist eine steigerbare Wortart“ prob-
lematisch?
Erstens sind nicht alle Adjektive steigerbar, zweitens aber einige Adverbien.

2. Wonach richten sich beim Adjektiv die Deklinationstypen stark, schwach


und gemischt?
Sie richten sich nach dem Wort davor, bestimmter (schwach), unbestimm-
ter (gemischt) oder kein Artikel (stark).

3. Stellen Sie die Allomorphe zusammen


{schul}, {schül}, (außerdem {schule}); {affe}, {äff}; {dis-}, {de-}, {des-}; {hoch},
{höh} (außerdem {hoh}); {dunkel}, {dunkl}, aber dünkelhaft gehört nicht
dazu; {best-} und {gut} sind verschiedene Wurzeln, Suppletivwesen

4. Analysieren Sie das Adjektiv morphologisch:


Er kommt wegen der schnellstmöglichen Lösung zu ihr.

schnellstmöglichen

schnellstmöglich {-en}

schnellst möglich
 
{schnell}{-st} {mög-}{-lich}

schnellstmöglichen Adjektiv, flektiert, hier schwache Flexion, Gen.


Sg. F.
schnellstmöglich Adjektivstamm, Determinativkompositum, ‘so
schnell wie möglich, ohne dass es schneller geht’,
modal/augmentativ, motiviert, produktiv
schnellst Adjektivstamm, flektiert (Superlativ)
möglich Adjektivstamm, explizite Derivation durch Suffi-
gierung, ‘machbar, denkbar’ idiomatisiert, (-lich
von Verben ist produktiv)
{schnell} Adjektivwurzel, lexikalisch, frei
{mög-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-lich} Derivationssuffix grammatisch, gebunden
{-st} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden (Superla-
tiv)
{-en} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden
272 Lösungsvorschläge

5. Ist „Zahlwort“ eine Wortart? Begründen Sie Ihre Entscheidung.


Zahlwort/Numerale ist eine Wortklasse, keine Wortart, denn es gibt in
dieser Gruppe Wörter aus verschiedenen Wortarten wie Adjektive (zwei,
hundert), Nomen (Drittel) oder Adverbien (erstens).

6. Diskutieren Sie anhand der Beispiele fleischfarben, silberfarben, hautfar-


ben, cremefarben, honigfarben, ob es sich bei farben um ein Suffixoid han-
delt!
Nein, denn es hat keine Bedeutungsveränderung stattgefunden. Außer-
dem gibt es farben nicht in Isolation.

Zu den Übungen zu 8.1. Grundlagen (S. 148)


Vergleichen Sie die Semantik der Adjektive in:
Seine schneeblinden Augen sahen nicht den Abhang. ‘blind wegend des
Schnees’, kausal
Sie ist stark behindert wegen ihrer geburtsblinden Augen. ‘blind seit der Ge-
burt’, temporal
Er hingegen hat Probleme mit seinen nachtblinden Augen. ‘blind in der
Nacht’, temporal
Die Studenten sind anfangs noch völlig morphologieblind. ‘blind gegen-
über/in Bezug auf die Morphologie’, referenziell

Zu den Übungen zu 8.2. Vertiefung (S. 156)


Wortbildungsanalyse

geisteskrank

{geist}{-es-}krank

geisteskrank Adjektiv, Determinativkompositum, ‘krank sein im Geist’,


lokal, motiviert, produktiv
{geist} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{krank} Adjektivwurzel, lexikalisch frei
{-es-} Fugenelement, keine Bedeutung, aber verbindende Funkti-
on, Morphemstatus umstritten

Zu den Übungen zu 9.1. Grundlagen (S. 167)


1. Vergleichen Sie die Wortbildung der komplexen Adjektive im folgenden
Satzpaar:
In diesem Garten stehen dunkle, fast schwarzrote Tulpen. Determinativ-
kompositum
Lösungsvorschläge 273

Dein Denken in schwarzweißen Schemata nervt mich schon lange. Koordi-


nativkompositum
2. Bestimmen Sie die Wortbildungsart
selbstkritisch Komposition oder Derivation durch Suffigierung zu Selbst-
kritik, also doppelt motiviert, wach Konversion, seiden explizite Deriva-
tion durch Suffigierung, schwerhörig Zusammenbildung, bezopft explizite
Derivation durch Zirkumfigierung (Scheinpartizip), klammheimlich ver-
deutlichende Komposition, grundfalsch Präfixoidbildung, hellblau Deter-
minativkomposition, lammfromm Determinativkomposition, taubstumm
Koordinativkomposition, unbequem explizite Derivation durch Präfigie-
rung, barfuß Possessivkomposition, scheußlich explizite Derivation durch
Suffigierung, mit unikalem Morphem, dämlich explizite Derivation durch
Suffigierung, mit unikalem Morphem, drollig Lehnwort aus dem Nieder-
ländischen, dort explizite Derivation durch Suffigierung

Zu den Übungen zu 9.2. Vertiefung (S. 173f.)


1. vollständige morphologische Analyse

ultramodernen

ultramodern {-en}

{ultra-} {modern}

ultramodernen Adjektiv, flektiert, hier schwache Flexion, Nom. Pl.


Neutrum
ultramodern Adjektivstamm, explizite Derivation durch Präfigie-
rung ‘äußerst modern’, steigernd, motiviert, produk-
tiv
{ultra-} Fremdpräfix, grammatisch, gebunden
{modern} Adjektivwurzel, lexikalisch, gebunden, Fremdwort
{-en} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden

mageren

{mager}{-en}

mageren Adjektiv, flektiert, hier starke Flexion, Dat. Pl., Genus nicht ein-
deutig
{mager} Simplex, Adjektivwurzel, lexikalisch, frei
{-en} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden
274 Lösungsvorschläge

sommerliche

sommerlich {-e}

{sommer}{-lich}

sommerliche Adjektiv, flektiert, hier starke Flexion, Akk. Pl. F.


sommerlich Adjektivstamm, explizite Derivation durch Suffigierung,
‘wie im Sommer’, temporal, motiviert, produktiv
{sommer} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-lich} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden
{-e} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden

2. Wortbildungstyp
polyphon explizite Derivation durch Präfigierung, mit Konfix
horizontal explizite Derivation durch Suffigierung
bibliophil Determinativkomposition, mit zwei Konfixen
bioaktiv Determinativkomposition, mit Konfix
illegitim explizite Derivation durch Präfigierung
3. Wortart des Stammes
de-zentral Adjektiv, tugend-sam Substantiv, zerbrech-lich Verb, könig-lich
Substantiv, städt-isch Substantiv, link-isch Adjektiv, sonder-lich Adverb,
staub-ig Substantiv, faschist-oid Substantiv, trink-bar Verb, hyper-aktuell
Adjektiv, il-legal Adjektiv, bald-ig Adverb

Zu den Übungen zu 10.1. Grundlagen (S. 177–186)


1. grammatische Form:
du hast geschlagen: 2. Pers. Sg. Perfekt Indikativ Aktiv
er hatte gelacht: 3. Pers. Sg. Plusquamperfekt Indikativ Aktiv
sie rennen: 3. Pers. Pl. Indikativ oder Konjunktiv I Aktiv
Kalle und Heinz wurden belächelt: 3. Pers. Pl. Präteritum Indikativ Passiv
ihr werdet schon sehen: 2. Pers. Pl. Futur I Indikativ Aktiv
2. Nach welchen grammatischen Kategorien flektieren die Verben im Deut-
schen?
Sie flektieren nach Person, Numerus, Modus, Tempus. Die Genera verbi
sind entweder unmarkiert (Aktiv) oder analytisch gebildet (Passiv).
3. Erklären Sie folgende Begriffe: synthetische Form, Konjugation, infinite
Form, Dentalsuffix! Vgl. Kapitel „Grundbegriffe“, „Verbtypen“
4. Welches sind starke, welches schwache Verben:
schwach: joggen, googeln, kochen, hervorholen, stark: laufen, gehen,
schwimmen, halten
Lösungsvorschläge 275

5. Geben Sie die morphologische Struktur und die Morphemtypen an für


die folgenden Verben: (du) kochst, (wir) kochen, (er) kochte, (Vater hatte)
gekocht!
(du) kochst (wir) kochen (er) kochte gekocht
   
{koch-}{-st} {koch-}{-en} {koch-}{-t}{-e} {ge-t} {koch-}

{koch-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden


{-st}, {-en}, {-t}, {-e} Flexionssuffixe, grammatisch, gebunden
{ge-t} Flexionszirkumfix, grammatisch, gebunden

6. Erklären Sie den Begriff Synkretismus am Beispiel lachen!


Synkretismus ist der systematische Zusammenfall von Flexionsformen.
Bei dem Verb lachen beispielsweise lauten die erste und dritte Person Prä-
teritum Singular (ich lachte, er lachte) bzw. Plural (wir lachten, sie lachten)
gleich, es ergeben sich homonyme Morpheme.
7. Definieren Sie die Begriffe Vollverb, Hilfsverb, Modalverb! Vgl. Kapitel
„Verbtypen“
8. Stellen Sie das gesamte Konjugationsparadigma für das Verb husten auf
(synthetische Formen)!
Infinitiv husten, Partizip I hustend, Partizip II gehustet, Imperativ Sg. hus-
te!, Pl. hustet!
Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv I Indikativ Konjunktiv II
1. Pers. Sg. huste huste hustete hustete
2. Pers. Sg. hustest hustest hustetest hustetest
3. Pers. Sg. hustet huste hustete hustete
1. Pers. Pl. husten husten husteten husteten
2. Pers. Pl. hustet hustet hustetet hustetet
3. Pers. Pl. husten husten husteten husteten

9. Morphologischen Formen der Verbalkomplexe:


Die Studenten protestieren gegen die Studiengebühren. 3. Pers. Pl. Präsens
Indikativ Aktiv
Du bist auch mit dabei gewesen. 2. Pers. Sg. Perfekt Indikativ Aktiv
Ein Polizist schlug einen der Studenten. 3. Pers. Sg. Präteritum Indikativ
Aktiv
Der Student meinte, 3. Pers. Sg. Präteritum Indikativ Aktiv
er werde sich beschweren 3. Pers. Sg. Futur I Konjunktiv I Aktiv
Gestern ist der Polizist vom Räuber erschossen worden! 3. Pers. Sg. Perfekt
Indikativ Passiv
276 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 10.2. Vertiefung (S. 186, 197)


1. Bilden Sie die Stammformen folgender Verben, wann und warum treten
Unsicherheiten auf?
backen, buk ist älter als backte, gebacken; bakte ist schwach, gebacken stark
flektiert
sich befleißigen, befliss, beflissen, zu selten gebraucht
erkiesen, erkor, erkoren, der Infinitiv ist kaum mehr bekannt
kaufen, kaufte, gekauft, unproblematisch
gären, gor/gärte, gegoren/gegärt, stark und schwach möglich, starke For-
men schwinden
gleiten, glitt, geglitten, es sollten keine Probleme auftreten
pflegen, pflog/pflegte, gepflegt/?gepflogen, das starke Präteritum schwindet,
das starke Perfekt klingt bereits ungewöhnlich
raufen, raufte, gerauft, unproblematisch
ziehen, zog, gezogen, unproblematisch
saugen, sog/saugte, gesogen/gesaugt, die starken Formen schwinden
2. Warum sind sterben, helfen und werfen der III. Ablautreihe zuzuordnen,
warum sprechen der Reihe IV?
In der dritten Ablautreihe folgte auf den relevanten Vokal ein Nasal (n, m),
l oder r und ein weiterer Konsonant. In der vierten Ablautreihe folgt dem
relevanten Vokal n, m, l oder r (oder l, r geht voraus), bei sprechen geht das
r dem Vokal voraus.
3. Nennen Sie Beispiele der Ablautreihe I, beispielsweise reiten, greifen, lei-
hen, leiden, pfeifen, schmeißen, streiten.

Zu den Übungen zu 11.1. Grundlagen (S. 204)


Bestimmen Sie die Wortbildungsart
enterben explizite Derivation durch Präfigierung, frühstücken Konversion,
zweckentfremden Rückbildung, zu zweckentfremdet, zusammenfaseln Deter-
minativkomposition, mähdreschen Rückbildung, zu Mähdrescher

Zu den Übungen zu 11.2. Vertiefung (S. 210)


1. Welche verschiedenen Präfixgruppen gibt es bei der verbalen Wortbil-
dung? Worin unterscheiden sie sich? Vgl. Kapitel „XII Grundlagen“ An-
fangskapitel und „Problembereich Ableitung: der Sonderfall Partikelverb“
2. Welche Wortbildungsarten gibt es bei den Verben?
Determinativkomposition, Kopulativkomposition, Reduplikativkomposi-
tion (unproduktiv), Präfigierung, Suffigierung, Zirkumfigierung, implizite
Derivation (unproduktiv), Konversion, Zusammenrückung, Rückbildung,
Erleichterungsrückbildung, Kontamination
Lösungsvorschläge 277

Zu den Übungen zu 12.1. Grundlagen (S. 225)


Bestimmen Sie die Wortbildungsart des Stammes beim letzten Wortbildungs-
schritt:
ver-hungern Verb, be-köst-igen Substantiv, ent-erben Verb, ent-kern(en) Sub-
stantiv, staubsaug(en) Substantiv (Rückbildung zu Staubsauger), hagel(n) Sub-
stantiv, schlänge-ln Substantiv, frömm-eln Adjektiv, ver-deutlich(en) Adjektiv,
ver-bluten Verb, leer(en) Adjektiv

Zu den Übungen zu 12.2. Vertiefung (S. 231f.)


1. Was unterscheidet das verbale Suffix -ier- von den meisten anderen fremd-
sprachlichen Affixen?
Es ist sehr viel weiter verbreitet und tritt auch an indigenes Wortgut.
2. Welche syntaktischen Veränderungen ergeben sich durch die Präfigierung
mit an-
Der Hund bellt vs. Der Hund bellt ihn an: anbellen erfordert ein Akkusa-
tivobjekt
Der Recke kämpft vs. Der Recke kämpft gegen den Sturm an: ankämpfen
erfordert ein Präpositionalobjekt mit gegen
Der Schiedsrichter pfeift vs. Der Schiedsrichter pfeift das Spiel an: anpfeifen
erfordert ein Akkusativobjekt
3. Welche Veränderungen ergeben sich, wenn der Wortakzent des Verbs
nicht auf dem Präfix, sondern auf dem Verbstamm liegt?
den riesigen Baum umfahren
Beim Akzent auf um ist die Bedeutung ‘nieder’, beim Akzent auf fahren
‘um herum’. Das um ist im ersten Fall trennbar, im zweiten nicht.
4. Welche der Bildungen sind lokal, ornativ, privativ, temporal?
temporal: überwintern
lokal: umfallen, überbacken, vorfahren
privativ: häuten, entkleiden
ornativ: belobigen, einnebeln, verköstigen, umgittern, zuckern

Zu den Übungen zu 13.1. Grundlagen (S. 240)


1. Bestimmen Sie die Wortbildungsart von flugs Konversion, überübermor-
gen Determinativkomposition, zuguterletzt Zusammenrückung, frühes-
tens explizite Derivation durch Suffigierung
2. Mit welchen Wortarten verbindet sich das adverbiale Suffix -s? Geben Sie
Beispiele!
mit Substantiv nachts, mittwochs, mit Adjektiv stets, besonders, mit Ad-
verb öfters, mit Pronomen anders, außerdem auch mit Wortgruppen kirch-
licherseits, allerorts, großenteils
278 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 13.2. Vertiefung (S. 243f.)


1. Welche Wortbildungsarten gibt es bei den Adverbien?
Determinativkomposition, Reduplikativkomposition, Suffigierung, Kon-
version, Zusammenrückung
2. Um welche Wortbildungsarten handelt es sich bei großenteils Zusammen-
rückung, insbesondere Zusammenrückung, vorvorgestern Determinativ-
kompositum, sobald Zusammenrückung, gegenüber Determinativkompo-
situm, abends explizite Derivation durch Suffigierung.
Als problematisch kann gegenüber aufgefasst werden. Die Abgrenzung von
Komposition und Zusammenrückung gilt als Problem, da die determinie-
rende Bedeutung meist fehlt (auch hier), und einige Beispiele können auch
als ein Zusammenwachsen nebeneinander gebrauchter Wörter betrachtet
werden, wie für die Zusammenrückung typisch. Einige frühe waren wohl
auch Zusammenrückungen, aber oft ist ein wiederholtes Nebeneinander
nicht mehr nachvollziehbar, wenn auch theoretisch vorstellbar. Weitere
sind mit den gleichen Endgliedern analogisch hinzu gekommen, die daher
als Komposita aufgefasst werden. Damit gerät das Kriterium der Wort-
art des Zweitgliedes in den Mittelpunkt: Adverb spricht für Komposition,
anderes für Zusammenrückung. Diese Lösung ist als kleineres Übel zu
verstehen – das größere: ohne die Kategorie Zusammenrückung werden
die Unterschiede zwischen den verschiedenen Komposita und Beispielen
wie Gernegroß oder großenteils nicht hervorgehoben.
3. Das Adverb gilt als nicht flektierbare Wortart. Wo gibt es trotzdem Fle-
xion?
Einige Adverbien lassen sich steigern, z.B. oft.
4. Ordnen Sie die Beispiele nach dem Grad der Motivation:
Köpfchen, Frauchen, Veilchen
Haustür, Großmutter, Steckenpferd, Nachbar
gelblich, möglich, dämlich
staubig, zeitig, emsig
5. komplette morphologische Analyse

heutigentags

heutigen tags
 
heutig{-en} {tag}{-s}

{heut}{-ig}
Lösungsvorschläge 279

heutigentags Adverb, Zusammenrückung, ‘gegenwärtig, zur Zeit’, teil-


idiomatisiert/teilmotiviert, produktiv
heutigen Adjektivstamm, flektiert
heutig Adjektivstamm, explizite Derivation, ‘Eigenschaft, heute
zu sein, stattzufinden’, Adjektivierung, Eigenschaftsbe-
zeichnung, produktiv, motiviert
tags Nominalstamm, flektiert
{heut} Allomorph zu {heute}, Adverbwurzel, lexikalisch, frei
{tag} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-ig} grammatisch gebunden, Derivationssuffix
{-en}, {-s} grammatisch gebunden, Flexionssuffixe

Sprachrichter

sprach richter
 
{sprech-} {richt-}{-er}

Sprachrichter Nomen, Determinativkompositum, ‘Richter über die


Sprache’, motiviert, produktiv
sprach zu Sprache, Nominalstamm, explizite Derivation durch
-e, Abstraktum/Prozessbezeichnung, motiviert, pro-
duktiv, hier mit e-Tilgung
richter Nominalstamm, Derivation ‘jemand, der richtet’, Nomi-
nalisierung, Agens, produktiv
{sprech-} Verbalwurzel, gebunden, lexikalisch
{richt-} Verbalwurzel, gebunden, lexikalisch
{-er} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden

Das Nomen steht im Text im Nominativ Plural, es weist kein Flexionssuf-


fix auf.

politisch-sprachliche

politisch-sprachlich {-e}

politisch sprachlich
 
{polit}{-isch} sprach {lich}

{sprech-}
280 Lösungsvorschläge

politisch-sprachliche Adjektiv, flektiert, hier schwache Flexion, Akk. Sg.


N.
politisch-sprachlich Adjektivstamm, Determinativkompositum, ‘sprach-
lich, und zwar politisch gesehen’, modal, motiviert,
produktiv
politisch Adjektivstamm, Derivation, ‘die Politik betref-
fend’, desubstantivische Adjektivierung/Bezugs-
adjektiv, motiviert, produktiv
sprachlich Adjektivstamm, Derivation, ‘die Sprache betref-
fend’, desubstantivische Adjektivierung/Bezugs-
adjektiv, motiviert, produktiv
sprach zu Sprache, Nominalstamm, explizite Derivation
durch -e, Abstraktum/Prozessbezeichnung, moti-
viert, produktiv, hier mit e-Tilgung
{polit} Konfix, gebunden, lexikalisch
{-isch} Derivationssuffix, gebunden, grammatisch, spe-
zialisiert auf Fremdwörter
{-lich} Derivationssuffix, gebunden, grammatisch
{sprech-} Verbalwurzel, gebunden, lexikalisch
{-e} Flexionssuffix, gebunden, grammatisch

überwachen

überwach {-en}

{über-} {wach-}

überwachen Verb, Infinitiv


überwach Verbstamm, Derivation, Verbstamm trägt Wortakzent,
‘beaufsichtigen’, transitivierend, produktiv, idiomatisiert
{über-} Derivationspräfix, grammatisch, gebunden, untrennba-
re Verbpartikel, aus Präposition
{wach-} Verbalwurzel, gebunden, lexikalisch
{-en} Infinitivsuffix, meist als Flexiv eingeordnet, gramma-
tisch, gebunden

Freiwilligkeit

freiwillig {-keit}

{frei} {will} {-ig}
Lösungsvorschläge 281

Freiwilligkeit Nomen, Derivation, ‘freiwilliges Verhalten’, Nominali-


sierung, motiviert, produktiv
freiwillig Adjektivstamm, Zusammenbildung, ‘aus freiem Willen’,
Eigenschaftsbezeichnung, motiviert, produktiv
{frei} Adjektivwurzel, lexikalisch, frei
{will} Allomorph zu {wille}, Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-ig}, {-keit} Derivationssuffixe, grammatisch, gebunden

Das Nomen steht im Text im Akk. Sg., es trägt keine Flexionsendung, Wil-
le historisch zu wollen

dieser

{dies}{-er}

dieser Demonstrativpronomen, flektiert


{dies} Wurzel des Demonstrativpronomens, frei, grammatisch
{-er} Flexionssuffix, grammatisch, gebunden, hier Dativ Singular Fe-
mininum

unterfüttern

unterfütter {-n}

{unter-} fütter

{futter}

unterfüttern Verb, Infinitiv


unterfütter Verbstamm, Derivation, Partikel nicht abtrennbar,
Verbstamm trägt Wortakzent, ‘mit Unterfutter verse-
hen’, lokal, produktiv, aber im Text metaphorisch/über-
tragen gebraucht, also nicht mehr motiviert
fütter Verbstamm, Konversion, ‘mit Auskleidung versehen’,
ornativ, nicht mehr produktiv
{unter-} Derivationspräfix, grammatisch, gebunden, untrennba-
re Verbpartikel, aus Präposition
{futter} lexikalisch, frei, Nominalwurzel
{-n} Allomorph zu {-en}, Infinitivsuffix, meist als Flexiv ein-
geordnet, grammatisch, gebunden
282 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 14.1. Grundlagen (S. 245, 255)


1. Um welche Art der Übernahme handelt es sich bei
Sinnbild (lat. symbolum) Lehnschöpfung, Mitlaut (lat. consonans) Lehn-
übersetzung, Wolkenkratzer (engl. skyscraper) Lehnübertragung, Sputnik
(russ. sputnik) Fremdwort, Wein (lat. vinum) Lehnwort im engeren Sinn,
realisieren (engl. to realize) Lehnbedeutung, Rechtschreibung (gr. orthogra-
phía) Lehnübersetzung, Streik (engl. strike) Lehnwort im engeren Sinn
2. Um welche Art der morphologischen Veränderung auf der obersten Ebene
handelt es sich bei
Schwer-e explizite Derivation durch Suffigierung, auffind-bar explizi-
te Derivation durch Suffigierung, be-arbeiten explizite Derivation durch
Präfigierung, Morphemtyp-en Plural, Send-er explizite Derivation durch
Suffigierung, Dummheit-en Plural
3. Stellen Sie die deutschen Pluralallomorphe zusammen und geben Sie Bei-
spiele!
{-e} Beine, Gurte, Berge; {-(e)n} Straßen, Menschen, Wolken, Bären; {-er}
Kinder, Leiber, Felder, {-s} Rollis, Opas, Autos; {-e} mit Umlaut Gänse,
Schwäne, Bälle; {-er} mit Umlaut Kälber, Löcher, Wörter; nur Umlaut Vä-
ter, Mütter, Töchter, Gärten; keine Kennzeichnung Mädchen, Roller, Fern-
seher
4. Wie bestimmen Sie die Wortarten Artikel, Präposition, Pronomen und
Konjunktion?
Der Artikel ist deklinierbar, steht nur mit Nomen, also nicht allein, und
bildet dann eine Nominalphrase/-gruppe. Er tritt im Deutschen in zwei
Formen auf, als definiter Artikel (bestimmter Artikel) und als indefiniter
Artikel (unbestimmter Artikel).
Präpositionen sind nicht flektierbar. Sie verlangen ein Bezugsnomen bzw.
eine Nominalphrase/-gruppe und bestimmen den Kasus des Bezugsno-
mens bzw. der Gruppe. Sie bilden allein kein Satzglied und auch kein At-
tribut.
Das Pronomen hat als Hauptaufgabe, eine Nominalphrase/-gruppe zu er-
setzen und sich dadurch auf sie zu beziehen, ist meist deklinierbar, nicht
steigerbar, hat keinen bestimmten Artikel, stellt jedoch keine einheitliche
Klasse dar. Ein Pronomen kann allein ein Satzglied sein. Nach ihrer Funk-
tion werden die Pronomina als Stellvertreter des Substantivs (einer Wort-
gruppe, eines Satzes) definiert.
Konjunktionen sind nicht flektierbar. Sie sind platzfest. Sie verbinden Sät-
ze, auch Wortgruppen oder Wörter. Sie sind weder Satzglied noch Attri-
but.
5. Analysieren Sie morphologisch Klopapierrollenhalter
Lösungsvorschläge 283

Klopapierrollenhalter

klopapierrolle{-n-}halter
 
klopapier rolle {halt-}{-er}
 
klo{papier} {roll-}{-e}

{klosett}

Klopapierrollenhalter Nomen, Determinativkompositum, ‘Halter für


eine Klopapierrolle’, final, motiviert, produktiv
Klopapierrolle Nominalstamm, Determinativkompositum, ‘Rolle
aus Klopapier’, substantiell, motiviert, produktiv
Halter Nominalstamm, Derivation, ‘Vorrichtung, die
etwas hält’, Nomen instrumenti/instrumental/
Gerätebezeichnung, motiviert, produktiv
Klopapier Nominalstamm, Det. Komp., ‘Papier für die Be-
nutzung auf dem Klo’, final, motiviert, produktiv
Rolle Nomen, entlehnt – synchron sieht es aus wie eine
Derivation, Nomen acti, ‘etwas, das gerollt ist’
Klo Nomen, Kurzwort (Kopfwort, unisegmental) zu
Klosett (Fremdwort)
{papier} Nominalwurzel, lexikalisch, frei, Lehnwort
{roll-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-e} Derivationssuffix, hier für Sachbezeichnung,
heute schwach produktiv
{-n-} Fugenelement, keine Bedeutung, aber verbinden-
de Funktion, Morphemstatus umstritten
{halt-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{-er} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden

Besonderheit: Rolle und rollen wurden im 15. Jahrhundert aus dem Fran-
zösischen entlehnt (rôle ursprünglich ‘Papierrolle’, rouler ‘(sich) drehend
bewegen’), sodass keine morphologische Abhängigkeit im Deutschen be-
steht. Eine Derivation mit {-e} anzusetzen ist kognitiv, aber nicht histo-
risch korrekt.
6. Welcher morphologische Unterschied besteht zwischen Vogelfänger und
Schwarzhörer?
Vogelfänger ist ein Determinativkompositum, Schwarzhörer eine Zusam-
menbildung zu schwarz hören.
284 Lösungsvorschläge

Zu den Übungen zu 14.2. Vertiefung (S. 258f.)


1. Um welche Kurzwortarten handelt es sich bei Pulli Kopfwort, unisegemen-
tal, mit Derivation durch -i, DNS Buchstabenwort/Initialwort, multisege-
mental, Azubi Mischkurzwort, multisegemental, Emmentaler Kopfkurz-
wort, unisegmental, Lisa Rumpfwort, unisegemental, Bus Schwanzwort,
unisegemental, Schupo Silbenkurzwort, multisegemental, Kilo Kopfwort
(zu Kilogramm), unisegemental, Füllhalter Klammerform, multisegmental
(zu Füllfederhalter)
2. Wortbildung bis zur untersten gegenwartssprachlich noch motivierten
Ebene

Kunstbetrieb

{kunst} betrieb

betreib

{be-} {treib-}

Kunstbetrieb Nomen, Determinativkompositum, ‘Betrieb um die Kunst’


referenziell, motiviert, produktiv
betrieb Nominalstamm, implizite Derivation a) ‘Anlage, Fabrik’,
hier: b) ‘das Betreiben, Wirken’, Nomen actionis/Verbalabs-
traktum, unproduktiv
betreib Verbstamm, Derivation, ‘ausüben’, {be-} ist intensivierend
zur Bedeutungsvariante treiben ‘sich mit etwas beschäfti-
gen’, produktiv, motiviert
{kunst} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{be-} Derivationspräfix, untrennbar, grammatisch, gebunden
{treib-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden

ochsenledergebundenem
Bei der Wortbildungsanalyse stets die Grundform bilden!

ochsenledergebunden

ochsenleder gebunden2
 
{ochse}{-n-}{leder} gebunden1

{ge-n}{bind-}
Lösungsvorschläge 285

ochsenledergebunden Grundform, Adjektivstamm, Determinativkom-


positum, ‘gebunden aus Ochsenleder’, gibt den
Grundstoff an/substantiell, motiviert, produktiv
ochsenleder Nominalstamm, Determinativkompositum, ‘Le-
der aus Ochsenhaut’, gibt die Herkunft an/lokal
bzw. eine Teil-Ganzes-Beziehung/partitiv, moti-
viert, produktiv
gebunden2 Adjektivstamm, Partizipialkomposition, Konver-
sion aus Verbform, produktiv, ‘mit festem Rücken
und Deckel versehen’, demotiviert
gebunden1 Partizip II, Flexionsform zu binden
{ochse} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{-n-} Fugenelement, keine Bedeutung, aber verbinden-
de Funktion, Morphemstatus umstritten
{leder} Nominalwurzel, lexikalisch, frei
{bund-} Partizipialstamm, Allomorph zu {bind-}
{bind-} Verbalwurzel, lexikalisch, gebunden
{ge-n} Flexionszirkumfix für das Partizip II der starken
Verben, grammatisch, gebunden

Dummheit

{dumm} {-heit}

Dummheit Nomen, Derivation, a) substantivische Eigenschafts-


bezeichnung, produktiv ‘Eigenschaft, Anlage, dumm
zu sein’, hier: b) ‘unüberlegte Handlung’, teilmotiviert
{dumm} Adjektivwurzel, lexikalisch, frei
{-heit} Derivationssuffix, grammatisch, gebunden
Glossar

Das Glossar führt bevorzugt morphologische Termini auf und solche, die für
das Verständnis der Texte notwendig sind. Daher sind auch phonologische,
syntaktische und semantische Begriffe aufgenommen.

Ablaut: Lautwechsel, der bereits im Indogermanischen regelmäßig in ver-


wandten Wortreihen auftrat. Er erscheint daher bei der Verbflexion oder in
von Verben abgeleiteten Formen
absoluter Komparativ: zweite Steigerungsstufe außerhalb von Vergleichen, die
den Positiv abschwächt
absoluter Superlativ (Elativ): höchste Steigerungsform beim Adjektiv außer-
halb von Vergleichen
Abstraktum: Nomen mit nicht-gegenständlicher Bedeutung für Eigenschaf-
ten, Vorgänge, Zustände, Gefühle und gedankliche Konzepte
Ad-Hoc-Bildung: vgl. Okkasionalismus
Adjektiv: Wortart, Adjektive sind deklinierbar, häufig steigerbar und können
zwischen Artikel und Nomen stehen. Im Satz sind viele von ihnen attribu-
tiv, prädikativ und adverbial verwendbar
Adverb: Wortart, nicht flektierbar, bis auf wenige Ausnahmen nicht steigerbar,
kann allein ein Satzglied bilden
Affix: gebundenes, grammatisches, nicht basisfähiges reihenbildendes Wort-
bildungs- und Wortformbildungselement, je nach Position wird getrennt
zwischen In-, Inter-, Prä-, Suf-, Trans- und Zirkumfixen – in einem Stamm,
zwischen zwei Stämmen, vor, nach, verzahnt mit und um einen Stamm he-
rum. NICHT in diese Gruppe gehören die Konfixe
Affixoid (Halbaffix): affixartiges Wortbildungselement, das reihenbildend auf-
tritt und mit einem frei vorkommenden Element form-, aber nicht bedeu-
tungsidentisch ist, ehemaliges Kompositionsglied
Agens: Handelnder, syntaktisch oder semantisch gesehen
Akkusativ: 4. Fall, Wen-Fall, grammatische Kategorie von Substantiven, Ad-
jektiven, Artikeln und Pronomen, zu Kasus
Akronym: uneinheitlich verwendeter Begriff in der Kurzwortbildung, der teils
für ausbuchstabierte Buchstabenwörter, teils für alle Buchstabenwörter
288 Glossar

oder auch für Buchstaben- und Silbenkurzwörter gebraucht wird. Teilweise


erfolgt die Gleichsetzung mit Abkürzungen
Aktionsart (Handlungsart): bezieht sich auf Verlaufsweise bzw. Abstufungen
eines Geschehens/Vorgangs/Zustands, in manchen Sprachen morpholo-
gisch ausgedrückt, semantische Blickrichtung (im Gegensatz zu Aspekt,
der sich auf systematische grammatische Kategorien der Formenbildung
bezieht). Zu den Aktionsarten zählen beispielsweise perfektiv: Ende, Ab-
schluss eines Vorgangs, imperfektiv: statischer Zustand, dynamischer Vor-
gang ohne Endpunkt, inchoativ/ingressiv: Beginn, egressiv/resultativ/ter-
minativ: Beenden, iterativ: rasche, regelmäßige Wiederholung, frequentiv:
häufige Wiederholung, privativ: etwas entfernen, beseitigen, durativ: das
Fortlaufende, Andauernde, kausativ: das Veranlassen, das Bewirken, inten-
siv: das Verstärken ( Begriffe/Inhalte umstritten)
Aktiv (Tätigkeitsform): grammatische Form des Verbs, zu Genus verbi
Allomorph (Morphemvariante): geringfügig variierte Form eines Morphems
analogischer Ausgleich: Reduktion oder Eliminierung von Alternativen, z.B.
von Allomorphen, durch Analogie, nicht durch regulären (Laut)wandel,
meist in der Flexionsmorphologie zu finden
analytische Form (periphrastische F.): (grammatische) Form eines Ausdrucks,
bei der die Informationen auf mindestens zwei Wörter verteilt sind, Gegen-
satz: synthetische Form
Apokope: Wegfall eines Lautes (auch einer Lautfolge) am Wortende, im Deut-
schen meist Schwa
Appellativ (Gattungsbezeichnung): nicht auf Namen bezogen, Substantiv, das
Klassen von Gegenständen oder Einzelgegenstände bezeichnet
Arbitrarität: Willkürlichkeit, Unmotiviertheit, speziell: zwischen Form und
Inhalt eines sprachlichen Zeichens gibt es keinen Zusammenhang
Archaismus: alt wirkender, bereits veralteter oder ausgestorbener Aus-
druck
Artikel: Wortart, deklinierbar nach Genus, Numerus und Kasus, kongruiert
mit dem Substantiv, das ihm folgt, steht nur mit Nomen, also nicht allein,
und bildet dann eine Nominalphrase. Er tritt im Deutschen nach der tradi-
tionellen Grammatik in zwei Formen auf, als definiter Artikel (bestimmter
Artikel) und als indefiniter Artikel (unbestimmter Artikel). Artikel bzw.
Artikelstämme sind als grammatische Morpheme zu verstehen, denn sie
tragen wenig Eigenbedeutung, vielmehr drücken sie Beziehungen zwischen
Gegenständen aus bzw. geben Zusatzinformationen an wie Bekanntheit, In-
dividualisierung, Definitheit
Aspekt: grammatische Kategorie des Verbs in Aspektsprachen, z.B. Russisch,
ähnlich, aber nicht bedeutungsgleich mit Aktionsart, drückt Verlaufsweise,
Beginn, Ende etc. von Geschehen aus
Glossar 289

Assimilation: allgemein Anpassung bzw. Angleichung, a) lautliche, morpho-


logische und/oder graphische Angleichung eines fremdsprachlichen Mor-
phems bzw. Lexems an die heimische Lautung, Morphologie bzw. Schrei-
bung, b) phonologischer Prozess der Angleichung von Lauten
Augenblicksbildung: vgl. Okkasionalismus
Augmentativbildung: komplexe Form, in der eine Steigerung ausgedrückt ist,
dies kann durch Kompositionsglieder, Präfixoide oder Affixe erfolgen, auch
Augmentativ-, Steigerungsbildung (Vorgang und Ergebnis)
Auslautverhärtung: phonologische Erscheinung im Deutschen, die dazu führt,
dass im Silbenauslaut nur stimmlose p, t, k, f und s auftreten, unabhängig
von der Schreibung und unabhängig von der Wortart oder der morpho-
logischen Veränderung. Die Auslautverhärtung ist einzig von der Stellung
der betroffenen Laute in der Silbe bestimmt und kann zu Allomorphie der
Morpheme führen
Basis (Stamm): Ausgangsform, die durch ein Morphem erweiterbar ist
binär: zweistufig, zweiteilig, in der Morphologie bezogen auf die Analyse in
zwei unmittelbare Konstituenten bzw. Komponenten, vgl. auch ternär
Blockierung: Einschränkung der Produktivität, indem Formen vermieden
werden, die zu Wörtern führen würden, die wir nicht benötigen, die aus
klanglichen oder Gründen der Aussprechbarkeit ungünstig sind oder die es
in der Form oder in der Bedeutung bereits gibt
Brechung (Senkung): Vokaländerung im Germanischen, i wurde zu ahd. ë vor
Silben mit e, a, o außer, wenn Nasale dazwischen lagen. Das u veränderte
sich zu o vor e, a, o, außer, wenn Nasale dazwischen lagen
Buchstabenkurzwort (Buchstabenwort): vgl. Initialwort
Dativ: 3. Fall, Wem-Fall, grammatische Kategorie von Substantiven, Adjekti-
ven, Artikeln und Pronomen, zu Kasus
defektiv: (bezogen auf ein Paradigma) ein Paradigma ist defektiv, wenn nicht
alle Flexionsformen gebildet werden (können)
Deklination: Flexion von Substantiven nach Kasus und Numerus, bei Adjekti-
ven, Pronomen und Artikelwörtern zusätzlich nach Genus
Dentalsuffix: -(e)t, Flexionssuffix für die Bildung des Präteritums hauptsäch-
lich der schwachen Verben. Bei der Produktion berührt die Zunge die Zäh-
ne (lat. dentēs ‘Zähne’). Wenn für die Bildung des Partizip II nicht ein Zir-
kumfix {ge-(e)t}, sondern zwei getrennte Flexive angesetzt werden, gibt es
auch hier ein Dentalsuffix
Derivation (Ableitung): Haupttyp der Wortbildung neben Komposition; er-
folgt durch Lautveränderung oder durch Anfügen eines Affixes an ein freies
Morphem
Determinans: bestimmt das Determinatum näher
Determinativkompositum: Kompositum, bei dem die erste von zwei unmit-
290 Glossar

telbaren Konstituenten der zweiten untergeordnet ist und sie in ihrer Be-
deutung näher bestimmt, während die zweite die Wortart (und Genus) des
Gesamtausdrucks bestimmt, in der Regel trägt die erste unmittelbare Kon-
stituente den Wortakzent
Determinatum: Grundmorphem bzw. Basismorphem, das durch das Determi-
nans näher bestimmt wird
Diachronie: Betrachtung von Sprache historisch bzw. über eine bestimmte
Zeitspanne hinweg, der Schwerpunkt liegt dabei auf Sprachwandel
Diminutivbildung (Deminutivbildung): Verkleinerungs-, Verniedlichungsbil-
dung, semantischer Typ (Vorgang und Ergebnis)
diskontinuierliches Morphem (Zirkumfix): zusammengehöriges Morphem,
unterbrochen durch dazwischen stehende andere Elemente
Doppelmotivation: zwei verschiedene Möglichkeiten der strukturellen und/
oder bedeutungsmäßigen Wortbildungsstruktur eines morphologisch
komplexen Wortes
Dual: Zweizahl, gibt an, das nicht einer (Singular) oder mehrere (Plural), son-
dern genau zwei gemeint sind. Diesen Subtyp des Numerus gibt es nicht im
Deutschen
Dublette: Doppelform
durativ: semantischer Typ, bezeichnet einen längeren, fortlaufenden Vorgang
egressiv: semantischer Typ, bezeichnet das Enden eines Geschehens
Eigenname (Nomen proprium): Substantiv, das einzelne Individuen oder Ob-
jekte identifiziert
e/i-Wechsel: Lautwechsel zum Germanischen, vor einer Silbe mit i oder j oder
vor Nasal + Konsonant/Nasal, später auch vor u, wurde idg. e zu germ i. Das
führte zum heutigen helfen – hilf
Elativ (absoluter Superlativ): höchste Steigerungsform beim Adjektiv außer-
halb von Vergleichen
endozentrisches Kompositum: Kompositum, bei dem eine der unmittelbaren
Konstituenten zur gleichen Kategorie zählt wie der Gesamtausdruck und
bei dem die Bezugsgröße in der Bildung genannt ist
Entlehnung: a) allgemein Übernahme von sprachlichen Elementen aus einer
anderen Sprache bzw. deren Ergebnis, b) Übernahme von sprachlichen Ele-
menten aus einer anderen Sprache, die mittlerweile an das Deutsche assi-
miliert sind (bzw. deren Ergebnis)
Epenthese (Lauteinschub): Einschub eines oder mehrerer Laute in eine Laut-
gruppe, im Gegensatz zu den Fugenelementen etymologisch nicht moti-
viert und nicht morphologisch bedingt, sondern lautlich, dient in der Regel
der Ausspracheerleichterung. In der Fremdwortbildung ist der Lautein-
schub oft aus der Gebersprache übernommen
Glossar 291

Erbwort: Wort, das nicht aus einer anderen Sprache übernommen wurde im
Gegensatz zu Fremdwort und Lehnwort
Erleichterungsrückbildung: im Gegensatz zur Rückbildung wurden zwei For-
men mit einer Bedeutung und der gleichen Wortart nach zwei verschiede-
nen Modellen gebildet, mit der Zeit dominierte dann die kürzere Variante.
Der Begriff wird nur selten gebraucht (Vorgang und Ergebnis)
Etymologie: auch Wortgeschichte, Lehre von der Herkunft, Bedeutungsent-
wicklung und Verwandtschaft der Wörter
exozentrisches Kompositum: Kompositum, bei dem die Bezugsgröße nicht
erwähnt ist, sie steht also außerhalb des Gesamtausdrucks
euphemisch: bedeutungsverbessernd, verhüllend
faktitiv: semantischer Typ, bezeichnet ein aus Tätigkeit oder Vorgang sich er-
gebendes Objekt, Zustand
Femininum: weibliches Geschlecht, grammatische Kategorie der Substantive,
Adjektive, Artikel und Pronomen, zu Genus
finite Form: Personalform, bezogen auf das Verb, konjugierte, also nach Kate-
gorien wie Numerus, Person etc. bestimmte Form
Flexion (Wortformbildung, Beugung): Abwandlung von Substantiven, Adjek-
tiven, Verben, Artikeln, Pronomen, vereint Konjugation, Deklination und
Komparation
Flexiv: Flexionsaffix
Fremdwort: Wort aus einer anderen Sprache, bei dem das Fremde anhand von
Flexion, Schreibung und/oder Lautung noch bemerkbar, also nicht assimi-
liert ist
Fremdwortbildung: Bildung neuer Wörter im Deutschen aus fremdsprachli-
chen Morphemen, die noch nicht ans Deutsche assimiliert sind, im Gegen-
satz zur Übernahme fremder Wörter im Ganzen (Fremdwortübernahme)
bzw. Lehnwortbildung
Fugenelement: zwischen Wurzeln sowie zwischen Wurzel und Affix auftreten-
des Element. Es handelt sich nicht um Flexive. Die Fuge hat zwar keine
Bedeutung, aber eine morphologische Funktion. Der Morphemstatus ist
umstritten
Futur: auch Zukunft, grammatische Kategorie des Verbs, Zeitstufe, zu Tempus
Gattungsbezeichnung: vgl. Appellativ
Gelegenheitsbildung: vgl. Okkasionalismus
Genitiv: 2. Fall, Wessen-Fall, grammatische Kategorie von Substantiven, Ad-
jektiven, Artikeln und Pronomen, zu Kasus
Genus: (Pl. Genera) grammatisches Geschlecht (Maskulinum, Femininum,
Neutrum) im Gegensatz zum natürlichen Geschlecht (Sexus)
Genus verbi: (Pl. Genera verbi) grammatische Kategorie des Verbs, Hand-
lungsrichtung (Aktiv, Passiv)
292 Glossar

Grammatischer Wechsel: der grammatische Wechsel entstand im Zusam-


menhang mit der Ersten Lautverschiebung und führte zu systematischem
Wechsel von f/b, d/t, h/g und s/r
Grundform (Nennform, Zitierform): diejenige Form eines Paradigmas, die als
Name aller Wortformen verwendet wird, im Deutschen bei Verben der In-
finitiv, bei Adjektiven und Substantiven die Form ohne Endung (Nominativ
Singular)
Grundformflexion (Wortflexion): im Gegensatz zur Stammflexion wird die
Flexionsendung an die Grundform gehängt
Grundmorphem: auch Wurzel a), ein Grundmorphem ist typischerweise lexi-
kalisch, freie grammatische Morpheme werden in den Lehrbüchern nicht
dazu gezählt. Ein komplexes Wort baut in der Regel auf ein lexikalisches
Grundmorphem auf
Haplologie (Silbenschichtung): lautliches, nicht morphologisches Verfahren,
bei dem eine von zwei gleichen oder ähnlichen hintereinander stehenden
Lautfolgen wegfällt
Hilfsverb: Verb, das nicht selbstständig das Prädikat bilden kann und das zur
Bildung von analytischen Verbformen gebraucht wird
Homonym: Wort, das bei gleicher Schreibung und Lautung eine andere Be-
deutung hat
Homonyme Morph(em)e: gleichlautende, aber funktional unterschiedliche
Morpheme
Hybrid(bildung): zusammengesetztes oder abgeleitetes Wort mit Elementen
aus verschiedenen Sprachen
Idiomatisierung: Verselbstständigung der Bedeutung. Bei einem idiomatisier-
ten Wort ist die Bedeutung nicht mehr aus den Einzelmorphemen rekon-
struierbar, es ist bedeutungsmäßig undurchsichtig. Ein ehemals komplexes
Wort ist zu einer neuen semantischen Einheit geworden, auch Lexikalisie-
rung, Demotivierung
Imperativ (Befehlsform): grammatische Kategorie des Verbs, Aussageweise, zu
Modus
implizite Ableitung: Ableitung durch Vokalwechsel ohne Ableitungsaffix
inchoativ: semantischer Typ, bezeichnet meist den Beginn eines Geschehens
Indikativ (Wirklichkeitsform): grammatische Kategorie des Verbs, Aussage-
weise, zu Modus
infinite Form: bezogen auf das Verb, nicht konjugiert, also nicht nach einer
Kategorie wie Numerus, Person etc. bestimmt (Infinitiv, Partizip I, Partizip
II)
Infinitiv: infinite Form des Verbs, Grundform
Infix: Affix, das in den Stamm eingefügt wird
ingressiv: semantischer Typ, bezeichnet das Einsetzen eines Geschehens
Glossar 293

Initialwort (Buchstabenwort): Kurzwort, das aus einigen Anfangsbuchstaben


der Langform besteht, dabei können die Buchstaben einzeln ausgesprochen
oder zu einem neuen Wort zusammengezogen werden
Inkorporation: allmähliche Univerbierung in der syntagmatischen Abfolge
des Satzes nebeneinander stehender Elemente gegenüber Komposition und
Derivation, der Begriff findet nur eingeschränkte Verwendung
Inkorporierung: Wortbildungsverfahren der inkorporierenden Sprachen,
durch das Einzellexeme zu komplexen Verben bis hin zu Satzwörtern ver-
bunden werden, teils nur für lexikalische, teils auch für grammatische Mor-
pheme, teils wie Inkorporation verwendet
Interfix: Affix, das zwischen zwei Stämmen steht
Interjektion: Wortart mit syntaktischem, lautlichem und auch morphologi-
schem Sonderstatus, referiert nicht auf Gegenstände, sondern versprach-
licht Gefühle oder Wahrnehmungen oder bildet einen Ausruf, kann satz-
wertig sein und zählt zu den Randerscheinungen im Wortschatz einer
Sprache. Es handelt sich um eine offene Klasse
Internationalismus: Wort, dass in mehreren Sprachen in fast gleicher Form
und Bedeutung Verwendung findet
Inversionskompositum: Kompositum, bei dem das rechte Glied das linke nä-
her bestimmt
isolierte Form: Form eines morphologisch komplexen Wortes, das es in dieser
Struktur und/oder Bedeutung nur einmal gibt
iterativ: semantischer Typ, bezeichnet ein wiederholtes Geschehen
Kasus (Fall): (Pl. Kasūs), grammatische Kategorie der deklinierbaren Wortar-
ten, dient u.a. der Kennzeichnung grammatischer Funktionen im Satz, im
Deutschen Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ
Kategorie: in der Morphologie eine Klasse von Lexemen mit gemeinsamen
(grammatischen) Eigenschaften oder auch eine Gruppe von Eigenschaften
kausativ: semantischer Typ, bezeichnet ein Geschehen, das von jemandem ver-
ursacht wird
Klammerform (Klammerwort): mindestens dreigliedriges Kompositum, bei
dem das mittlere Glied fehlt, in manchen Abhandlungen darf das fehlende
Element auch ein Derivationsmorphem oder ein nicht morphologisches
Wortfragment sein, Sonderform des Kurzwortes
Kollektivum (Sammelbezeichnung): semantischer Typ
Kombinatorische Derivation: Derivation über Zirkumfigierung, also gleich-
zeitiger Verwendung von Prä- und Suffix
Komparation: Steigerung
Komparativ (Vergleichsstufe): Steigerungsform beim Adjektiv, im Gegensatz
zu Positiv und Superlativ
Komposition: Verbindung von mindestens zwei Stämmen
294 Glossar

Kompositionsglied: der Begriff wird teilweise allgemein als Konstituente eines


Kompositums verstanden, teilweise als morphologisch einfachste Konsti-
tuente in einem Kompositum, also meist Grundmorpheme, in bestimmten
Fällen auch Einzelbuchstaben, aber nie Affixe
Konfix: lexikalisches Grundmorphem aus einer anderen Sprach(stuf)e, das im
Deutschen nicht frei vorkommt, sich aber wie ein Grundmorphem verhält,
weil es sich bei stabiler Bedeutung mit Derivationsaffixen, Konfixen und an-
deren Grundmorphemen verbinden kann, ohne wortart- oder positionsge-
bunden sein zu müssen. Es ist nicht einer bestimmten Wortart zuzuordnen
Kongruenz: (Verb: kongruieren) Übereinstimmung zwischen mindestens zwei
Satzelementen wie Subjekt und Prädikat oder Adjektiv und Bezugsnomen in
ihren grammatischen Kategorien wie Person, Numerus, Kasus oder Genus
Konjugation: Flexion des Verbs nach Person, Numerus, Tempus, Modus, Ge-
nus Verbi. Die Konjugation im engeren Sinne bezieht sich nur auf synthe-
tische Formen
Konjunktion (Bindewort): Wortart, nicht flektierbar, platzfest, verbindet Sätze,
auch Wortgruppen oder Wörter, weder Satzglied noch Attribut. Konjunk-
tionen bilden aufgrund ihres grammatischen Gewichts grammatische Mor-
pheme. Eine gewisse Eigensemantik ist erkennbar, die Funktion, im Text
Beziehungen zwischen syntaktischen Einheiten herzustellen, überwiegt.
Die Wortart bildet eine geschlossene Klasse
Konjunktiv (Möglichkeitsform): grammatische Kategorie des Verbs, Aussage-
weise, zu Modus
Konnotation (Nebenbedeutung): zusätzliche Bedeutung wie stilistische Fär-
bung
Kontamination (Wortverschmelzung, -mischung, -kreuzung): Verbindung
aus Teilen mindestens zweier Wörter mit Bedeutungsaspekten aller betei-
ligter Wörter (Vorgang und Ergebnis)
Kontraktion: Zusammenziehung, Form der Kürzung, bei der mehrere, nicht
zusammenhängende Teile erhalten bleiben, die Reihenfolge der Wortfrag-
mente kann sich ändern (Vorgang und Ergebnis)
Konversion: gelegentlich auch Nullableitung genannt, Wortbildung durch
Wortartwechsel ohne Veränderung der Wortbildungsstruktur (Vorgang
und Ergebnis), eine Konversion lässt sich nicht in unmittelbare Konstitu-
enten zerlegen
Kopfwort: Form der Kürzung, bei der ein zusammenhängender Teil des Wort-
anfangs erhalten bleibt
Kopulativkompositum (Koordinativkompositum, Dvandva(-Kompositum)):
Kompositum, in dem sich (mindestens) zwei Elemente der gleichen Wort-
art verbinden, ihr Verhältnis ist im Gegensatz zum Determinativkomposi-
tum nicht determinierend, sondern gleichberechtigt
Glossar 295

Kunstwort (Wortneuschöpfung, Urschöpfung): neue Wurzel, also ein neues


Wort ohne morphologische Struktur
Kürzung: Ergebnis, vgl. Kurzwort, und Vorgang, vgl. Kurzwortbildung
Kurzwort: auch Kürzung, verkürzte Variante eines Wortes, auch eines Wort-
gruppenlexems, im Gegensatz zur Abkürzung, die rein orthographisch
wirkt und als Vollform ausgesprochen wird, der Vorgang wird Kurzwort-
bildung genannt
Lauteinschub: vgl. Epenthese
Lautmalerei (Schallnachahmung, Onomatopoesie, Onomatopöie): Wiederga-
be eines Lautes oder anderen akustischen Phänomens durch ein klangähn-
liches Wort
Lehnwort: a) allgemein Übernahme eines Lexems aus einer anderen Sprache,
b) speziell fremdes Wort, das sich in Laut, Schrift und grammatischem Ver-
halten an das Deutsche angepasst hat, sodass es heimisch wirkt, also assi-
miliert ist
Lexikalisierung (Usualisierung): Speicherung im Wortschatz bzw. in der
Grammatik, bezieht sich auf Struktur und/oder Bedeutung und verweist
damit auf den Gegensatz einerseits zu Neologismen, die noch nicht lexika-
lisiert sind, andererseits zu motivierten Bildungen, deren Bedeutung noch
durch die Einzelteile nachvollziehbar ist
Maskulinum: männliches Geschlecht, grammatische Kategorie der Substanti-
ve, Adjektive, Artikel und Pronomen, zu Genus
Metapher (Bedeutungsübertragung): Begriff mit bildlicher, übertragener, nicht
wörtlicher Bedeutung, auch als rhetorische Figur verwendet
Metonymie (Bedeutungsverschiebung): Begriff wird mit etwas bezeichnet, mit
dem er inhaltlich in einer Beziehung steht
Mischkurzwort: Kurzwort, das aus unterschiedlichen Einheiten wie Buchsta-
ben oder Silben der Langform besteht
Modalverb: Verb aus einer kleinen Gruppe, das Möglichkeit, Erlaubnis etc.
oder Sprechereinstellung angibt, hat keinen Imperativ, kein Passiv und
kann nur zusammen mit einem Vollverb im Infinitiv das Prädikat bilden
Modifikation: Wortbildung ohne Wortart-, Begriffsklassenwechsel, teils auf
alle Wortbildungsarten, teils nur auf Ableitung bezogen, im Gegensatz zur
Transposition
Modus: (Pl. Modi) grammatische Kategorie des Verbs, Aussageweise (Indika-
tiv, Konjunktiv, Imperativ, Vorläufer unseres Konjunktivs war der Optativ)
Morph: kleinstes bedeutungstragendes Element; Segment, das noch nicht als
Repräsentant eines bestimmten Morphems klassifiziert ist
Morphem: kleinstes bedeutungstragendes (abstraktes) Element einer Sprache
Morphologie: Teildisziplin der Linguistik, die sich mit dem inneren Aufbau
der Wörter in ihrem systematischen Zusammenhang befasst, also mit Fle-
296 Glossar

xion und Wortbildung, und Vorkommen, Formen und Kombinationen der


Morpheme einer Sprache oder sprachübergreifend untersucht
Motion (Movierung): Ableitung einer andersgeschlechtlichen Personen- oder
Tierbezeichnung, typischerweise weiblich von männlich, seltener auch um-
gekehrt
Motiviertheit (Motivation): Erschließbarkeit der Bedeutung eines Wortes aus
Laut- oder Morphemstruktur, aus den Bestandteilen und ihrer Beziehung
zueinander. Dies ist eine graduelle, keine diskrete Erscheinung. Ein voll-
motiviertes komplexes Lexem ist ganz erschließbar, ein teilmotiviertes nur
teilweise, ein demotiviertes/idiomatisiertes gar nicht mehr
Movierung: vgl. Motion
multisegmentales Kurzwort: Form der Kürzung, bei der mindestens zwei im
Ausgangswort nicht zusammenhängende Teile erhalten bleiben
Negation: a) auch Negationswort, keine Wortart, sondern Gruppe von Wör-
tern aus verschiedenen Wortarten, die das semantische Merkmal des Ne-
gierens, des Nichtvorhandenseins vereint, b) Verneinung, Nichtvorhanden-
sein, semantischer Typ
Nennform: vgl. Grundform
Neutrum: sächliches Geschlecht, grammatische Kategorie der Substantive, Ad-
jektive, Artikel und Pronomen, zu Genus
Neologismus: a) allgemein neues Wort, b) speziell im Gegensatz zu Okkasio-
nalismus zwar noch neu, aber nicht nur einmalig verwendetes Wort
Nomen: (Pl. Nomen, Nomina) Wortart, der Begriff wird teils gleichbedeutend
mit Substantiv, teils allgemein für die deklinierbaren Wortarten (Substan-
tiv, Adjektiv, Pronomen, Artikel) verwendet. Im vorliegenden Buch ist er
austauschbar mit Substantiv. Diese Wortart ist deklinierbar, genuskonstant,
hat (meist) einen Artikel bei sich und wird im Deutschen stets groß ge-
schrieben. Die meisten Nomen sind Gattungsbezeichnungen (Appellative)
im Gegensatz zu den Eigennamen
Nomen acti: semantischer Typ, Bezeichnung für das Ergebnis einer Handlung
Nomen actionis (Handlungsbezeichnung): semantischer Typ
Nomen agentis (Täterbezeichnung): semantischer Typ, für den Handelnden,
den Ausführenden einer Handlung
Nomen instrumenti (Instrumentalbildung): semantischer Typ, Bezeichnung
für das Werkzeug einer Handlung
Nomen patientis: semantischer Typ, Bezeichnung für jemanden, an dem sich
ein Geschehen vollzieht, dem etwas angetan wird, mit dem etwas geschieht
Nomen qualitatis (Eigenschaftsbezeichnung): semantischer Typ
Nominativ: 1. Fall, Wer-Fall, grammatische Kategorie von Substantiven, Ad-
jektiven, Artikeln und Pronomen, zu Kasus
Nullableitung: Ableitung mit Nullmorphem, also ohne Ableitungsmorphem,
und damit Konversion (Vorgang und Ergebnis)
Glossar 297

Nullmorphem: morphologisch nicht gekennzeichnete (grammatische) Be-


stimmung, dient zur formalen Bewahrung des Systems der sonst durch Af-
fixe gekennzeichneten Unterschiede in einem Paradigma
Numerale (Zahlwort): keine Wortart, Gruppe von Wörtern aus verschiedenen
Wortarten, die sich über ihr inhaltliches Merkmal, Zahlen zu bezeichnen,
definiert
Numerus (Pl. Numeri): grammatische Kategorie, Kennzeichnung von Quanti-
tätsverhältnissen bei flektierbaren Wörtern, im Deutschen Singular, Plural,
in anderen Sprachen auch Dual als Angabe der Zweiheit, Paucalis als Anga-
be einer überschaubaren Vielheit im Sinne von ‘wenig’
Okkasionalismus (Ad-Hoc-Bildung, Gelegenheitsbildung, Augenblicksbil-
dung): ein für den momentanen Gebrauch gebildetes neues Wort
Onomatopoesie: vgl. Lautmalerei
Optativ: Wunschform, grammatische Kategorie des Verbs, Aussageweise, zu
Modus, schon idg., Vorläufer unseres Konjunktivs
ornativ: semantischer Typ, ‘versehen mit’
Paradigma: Flexionsschema, das alle Formen eines Konjugations- bzw. Dekli-
nationsmusters zusammenstellt
Paraphrase: Umschreibung, Verfahren zur Ermittlung der semantischen Ei-
genschaften eines komplexen Ausdrucks
partielles Kurzwort: Form der Kürzung, bei der ein Glied eines Kompositums
gekürzt wird, während das/die anderen erhalten bleiben
Partikel: Wortart, die nicht flektiert, teils für alle nicht flektierbaren, teils wie
hier nur für die nicht satzgliedwertigen gebraucht
Partizip Präsens (Partizip I): infinite Form des Verbs für den Verlauf eines
Geschehens, nur adjektivisch gebraucht
Partizip Perfekt (Partizip II): infinite Form des Verbs für das Ergebnis eines
Geschehens, bildet zusammengesetzte Zeiten
Passiv (Leideform): grammatische Form des Verbs, zu Genus verbi
Paucalis: für wenige, gibt an, das nicht einer (Singular), sondern überschaubar
wenige oder zählbare gemeint sind. Diesen Subtyp des Numerus gibt es
nicht im Deutschen
pejorativ: semantischer Typ und auch allgemein bedeutungsverschlechternd,
abschätzig, abwertend
Perfekt (abgeschlossene Vergangenheit, 2. Vergangenheit): grammatische Ka-
tegorie des Verbs, Zeitstufe, zu Tempus
perfektiv: semantischer Typ, meist für das Ende eines Geschehens
Person: grammatische Kategorie des Verbs und einiger Pronomen, die angibt,
ob der Sprechende (erste Person), der Angesprochene (zweite Person) oder
Dritte (dritte Person) die Handlung ausführen bzw. gemeint sind
Phraseologismus (Phrasem): inhaltlich und formal fest stehende Einheit aus
298 Glossar

mindestens zwei Wörtern, typischerweise lässt sich die Gesamtbedeutung


nicht aus den Bedeutungen der Einzelwörter ermitteln
Plural (Mehrzahl): grammatische Kategorie, zu Numerus
Pluraletantum: (Pl. Pluraliatantum) Substantiv, das nur im Plural steht
Plusquamperfekt (Vorvergangenheit, vollendete Vergangenheit, 3. Vergan-
genheit): grammatische Kategorie des Verbs, Zeitstufe, zu Tempus
Portmanteaumorphem: Verschmelzung mehrerer, sonst distinktiver Morphem-
einheiten
Positiv (Grundstufe): Grundform bei der Steigerung des Adjektivs im Gegen-
satz zu Komparativ und Superlativ
Possessivkompositum (Bahuvrihi(-Kompositum)): aufgebaut wie ein Deter-
minativkompositum, gibt den Besitz oder die Eigenschaft einer nicht im
Ausdruck erwähnten Person, Tier, Pflanze etc. an und dient als Bezeich-
nung für die Person, das Tier, die Pflanze
Präfix: Affix, das vorn an einen Stamm gehängt wird
Präposition: Wortart, nicht flektierbar, verlangt ein Bezugsnomen bzw. eine
Nominalgruppe, bestimmt den Kasus des Bezugsnomens bzw. der Gruppe.
Präpositionen sind grammatische Morpheme, denn sie tragen wenig Ei-
genbedeutung, sondern drücken Beziehungen zwischen Gegenständen aus
Präpositionales Rektionskompositum: Zusammensetzung aus Präposition
und Substantiv, bei der die Präposition das Substantiv regiert, im Unter-
schied zum Determinativkompositum bestimmt hier jedoch die Bedeutung
des Substantivs nicht die des Gesamtausdrucks, sondern etwas außerhalb
des Kompositum Stehendes, daher sind solche Bildungen exozentrisch
Präsens (Gegenwart): grammatische Kategorie des Verbs, Zeitstufe, zu Tempus
Präteritum ((1.) Vergangenheit): grammatische Kategorie des Verbs, Zeitstufe,
zu Tempus
Präteritopräsens: (Pl -präsentia, -präsentien), ehemals starkes Verb, das die
Präsensformen verloren hat und stattdessen Präteritalformen verwendet,
damit haben die Präteritalformen nun Präsensbedeutung
privativ: semantischer Typ, ‘etwas entfernen’
Produktivität: aktive Anwendung z.B. einer Wortbildungsart, eines Wortbil-
dungsmusters oder eines Wortbildungsmittels bei der Prägung neuer Wör-
ter. Für die Produktivität von Wortbildungsmitteln gibt es auch den Begriff
der Aktivität, er ist aber uneinheitlich definiert. Produktivität darf nicht mit
der reinen Vorkommenshäufigkeit einer Einheit oder eines Musters ver-
wechselt werden
Pronomen: Wortart, flektierbar nach Genus, Numerus, und Kasus und teil-
weise auch nach der Person. Das Pronomen, auch Fürwort genannt, hat
als Hauptaufgabe, eine Nominalphrase zu ersetzen, ist meist deklinierbar,
nicht steigerbar, hat keinen bestimmten Artikel, stellt jedoch keine einheit-
Glossar 299

liche Klasse dar. Ein Pronomen kann allein ein Satzglied sein. Nach ihrer
Funktion werden die Pronomina als Stellvertreter des Substantivs (Wort-
gruppe, Satz) definiert. Sie haben nur eine geringe eigene Bedeutung und
sind grammatische Morpheme
Pseudokompositum: ein komplexes Wort, das wie ein Kompositum aussieht,
aber nicht durch Komposition entstanden ist
Pseudomorphem: Lautgruppe bzw. Endung, die in bestimmten formal-funk-
tionalen Zusammenhängen öfter erscheint und die Reihen bildet. Die Rei-
hen sind inhaltlich nicht homogen und es gibt keine stabile Form-Funk-
tions-Korrelation. Manche dieser Einheiten sind praktisch bedeutungsleer,
manche wecken ähnliche Assoziationen, ohne jedoch eine einheitliche Be-
deutung zu tragen
Reduplikation: phonologischer Prozess/Ergebnis, Verdoppelung, Wiederho-
lung eines Lautes, einer Lautgruppe, eines Wortteils oder eines Wortes
Reduplikationsbildung: morphologisches Verfahren, bei dem Morpheme
bzw. Morphemvarianten verdoppelt werden, in manchen Sprachen auch
zur Flexion verwendet, im Deutschen nur zur Wortbildung, dann auch Re-
duplikativkompositum
Reduplikativkompositum (Reduplikationskompositum): Wortbildungsver-
fahren, bei dem Morpheme bzw. Morphemvarianten verdoppelt werden
Referenz: Beziehung zwischen sprachlicher (Lexem oder Phrasem) und nicht
sprachlicher Einheit, dem wirklichen Gegenstand bzw. Person
Rektion: Fähigkeit eines Adjektivs, einer Präposition oder eines Verbs, immer
mit einem bestimmten Kasus (Genitiv, Dativ, Akkusativ) der abhängigen
Wörter zu erscheinen
Rektionskompositum: Determinativkompositum, bei dem das Bestimmungs-
wort als Argument/Ergänzung des Grundwortes analysierbar ist
resultativ: semantischer Typ, bezeichnet einen passivischen Vorgang, der zu
einem Abschluss, einem Ergebnis führt
Rückbildung Wortbildung durch Wegfall oder Austausch eines Affixes bei
gleichzeitiger Wortartänderung (Vorgang und Ergebnis)
Rückumlaut: historisch nicht korrekte Bezeichnung für einen nicht eingetrete-
nen Umlaut in paradigmatisch zusammengehörigen Wörtern, die teils auch
Umlaut aufweisen
Rumpfwort: Form der Kürzung, bei der ein zusammenhängender Teil aus dem
Wortinnern erhalten bleibt
Scheinpartizip: Adjektiv, das aussieht wie die Form des Partizip Perfekt eines
Verbs. Das Verb existiert jedoch nicht, das Scheinpartizip wird aus einer
Substantivwurzel durch Zirkumfigierung gewonnen
schwaches Verb: Verb, das die Vergangenheitsform mit Dentalsuffix bzw. das
Partizip II mit ge- t bildet, also keinen Vokalwechsel aufweist
300 Glossar

Schwa(-Laut) (/ǝ/, Neutralvokal, Zentralvokal): unbetontes e


Schwanzwort: Form der Kürzung, bei der ein zusammenhängender Teil des
Wortendes erhalten bleibt
Segmentierung: schrittweise Zerlegung sprachlicher Einheiten in kleinere
Einheiten wie z.B. unmittelbare Konstituenten oder Morpheme, struktura-
listisch gebraucht gekoppelt mit bestimmten weiteren Verfahren wie Aus-
tauschbarkeit
Semantik: a) Teildisziplin u.a. der Linguistik, die sich mit der Bedeutung von
Wörtern und Sätzen beschäftigt, b) Bedeutung bzw. Inhalt eines Wortes
Sexus: natürliches Geschlecht im Unterschied zu Genus
Silbenkurzwort: Kurzwort, das aus einigen Silben der Langform besteht
Simplex: (Pl. Simplizia) nicht zusammengesetztes oder abgeleitetes Wort, be-
steht somit aus einem Morphem
Singular (Einzahl): grammatische Kategorie, zu Numerus
Singularetantum (Pl. Singulariatantum): Substantiv, das nur im Singular steht
Soziativbildung (auch Soziativum): semantischer Typ, Bezeichnung für Grup-
pen, deren Mitglieder gemeinsam handeln
Stamm: Morphem oder Morphemkonstruktion, an die Affixe treten können.
Als Wortstämme gelten daher sowohl freie Morpheme als auch gebundene
wie Konfixe sowie Ableitungen und Komposita
Stammflexion: Bildung der Flexionsformen zu einem Wort, das nicht frei vor-
kommt, sondern nur mit einem Flexiv
starkes Verb: Verb, das die Vergangenheitsform mit Vokalwechsel bzw. das
Partizip II mit ge- n bildet, also kein Dentalsuffix verwendet
Substantiv: diese Wortart ist deklinierbar, genuskonstant, hat (meist) einen
Artikel bei sich und wird im Deutschen stets großgeschrieben. Die meis-
ten Substantive sind Gattungsbezeichnungen (Appellative) im Gegensatz
zu den Eigennamen
Suffix: Affix, das hinten an einen Stamm angehängt wird
Superlativ (Höchststufe): Steigerungsstufe beim Adjektiv im Gegensatz zu Po-
sitiv und Komparativ
Suppletivismus (Suppletivwesen, Suppletion): Bildung eines Flexionsparadig-
mas durch unterschiedliche Wurzeln bzw. Lexeme unterschiedlicher ety-
mologischer Herkunft
Synchronie: Betrachtung von Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt, der
durchaus auch in der Vergangenheit liegen kann, der Schwerpunkt liegt da-
bei auf dem Sprachsystem
Synkope: Ausfall eines unbetonten Vokals im Wortinnern
Synkretismus: systematisches Zusammenfallen von verschiedenen grammati-
schen Funktionen in einer Form (Homonymie) in der Flexion
synthetische Form: (grammatische) Form eines Ausdrucks, bei der sich al-
Glossar 301

le Informationen in einem Wort befinden, im Gegensatz zur analytischen


Form
Taxation: taxierende Bewertung
Tempus: (Pl. Tempora) grammatische Kategorie des Verbs, Zeitform, im Deut-
schen Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, II
ternär: dreistufig, dreiteilig, in der Morphologie bezogen auf die Analyse in
drei Komponenten im Gegensatz zu binär
Transfix: Affix, das sich mit dem Stamm verzahnt, in ihn eindringt. Transfixe
kommen nicht im Deutschen vor. Die semitischen Sprachen verwenden bei
Flexion und Wortbildung diese Affixe, die dort nur aus Vokalen bestehen,
zur Auffüllung und morphologischen Abwandlung der Wurzeln, die aus
Konsonanten bestehen
Transposition: Wortbildung mit Wortart-, Begriffsklassenwechsel, teils auf al-
le Wortbildungsarten, teils nur auf Ableitung bezogen, im Gegensatz zur
Modifikation
Umlaut: Vokalwechsel, der in der Geschichte der deutschen Sprache eine
„Aufhellung“ der dunklen Vokale a, o, u, au vor (ehemaligen) Silben mit
i oder j zu ä, ö, ü, äu bewirkte. Dieser lautassimilatorische Vorgang setzte
schon vor Dokumentation des Ahd. ein. Umgelautete Formen sind als se-
kundär anzusehen
unikales Morphem: an nur ein bestimmtes Stammmorphem gebundenes le-
xikalisches Morphem, das nur einmal in einer Sprache auftritt und dessen
ursprüngliche Bedeutung nicht mehr analysierbar ist
unisegmentales Kurzwort: Form der Kürzung, bei der ein zusammenhängen-
der Teil erhalten bleibt
Univerbierung: Zusammenwachsen mehrerer beieinanderstehender Wörter
zu einem Wort ohne Auswirkung auf die Bedeutung, in allgemeiner Ver-
wendung des Begriffs muss die Flexion nicht beibehalten werden
unmittelbare Konstituente: die Einheiten z.B. eines Wortbildungsproduktes,
aus denen es im ersten Analyseschritt, also unmittelbar, gebildet ist, es sind
zumeist zwei. Diese Konstituenten können (morphologisch) komplex sein
Usualisierung: vgl. Lexikalisierung
Valenz (Wertigkeit): Eigenschaft bestimmter Wortarten, die syntaktische Um-
gebung zu bestimmen, indem Form und die Anzahl der abhängigen Ein-
heiten festgelegt werden
Verb (Tätigkeitswort): Wortart, konjugierbar nach den grammatischen Kate-
gorien Person, Numerus, Modus, Tempus und Genus verbi
verdeutlichendes Kompositum: besonderer Fall von Determinativkomposi-
tum, dessen Glieder Gleiches oder Ähnliches meinen, teilweise sind dies
Ober- und Unterbegriff, ein Glied verdeutlicht das andere
verdunkelte Zusammensetzung (verdunkeltes Kompositum): Form, die auch
302 Glossar

strukturell nicht mehr als Kompositum erkennbar und heute als Simplex zu
betrachten ist
Vollverb: Verb, das allein das Prädikat bildet, im Gegensatz zu Modalverb,
Hilfsverb
Volksetymologie: fehlerhafte Herleitung der Struktur und der Bedeutung ei-
nes Wortes bzw. eines seiner Morpheme, die zu einer Umdeutung führt,
kann als Wortbildungsprozess verstanden werden
Wortbildung: Teilgebiet der Morphologie, typischerweise Bildung von Lexe-
men aus vorhandenen Morphemen (bzw. deren Ergebnis) wie Komposi-
tion, Derivation, Konversion
Wortbildungsart: der Begriff wird unterschiedlich verwendet, hier Klasse von
Wortbildungsmustern mit den gleichen strukturellen bzw. morphologi-
schen Eigenschaften auf einer allgemeinen Ebene (z.B. Determinativkom-
position, Konversion). Die Begriffe Wortbildungstyp und -art werden hier
gleichbedeutend verwendet
Wortbildungsmittel: für die Wortbildung relevante Einheiten wie Vokalwechsel
des Stammvokals, Morpheme, Lexeme, Wortgruppenlexeme, syntaktische
Fügungen etc., wenn bedeutungsunterscheidend wird teils auch die Lage des
Wortakzentes dazu gezählt
Wortbildungsmodell: der Begriff wird unterschiedlich verwendet, hier gleich
Wortbildungsmuster
Wortbildungsmuster: der Begriff wird unterschiedlich verwendet, hier be-
stimmtes Strukturmuster bzw. -schema, das durch Morphemtypen (z.B.
Präfix), Wortart des Stammes und einen semantischen Typ geprägt ist, es
führt zu Wortbildungen mit den gleichen morphologischen und semanti-
schen Eigenschaften
Wortbildungstyp: der Begriff wird unterschiedlich verwendet, hier gleich
Wortbildungsart
Wortform: konkret realisierte grammatische Form eines Wortes im Satzzu-
sammenhang
Wortgruppenlexem: lexikalisierte feste Fügung mindestens zweier getrennt
geschriebener Wörter, die eine begriffliche Einheit bilden. Die Einzelwörter
bleiben beieinander und lassen sich nicht austauschen, ohne die Bedeutung
zu verändern. Die Gesamtbedeutung ist aus der Bedeutung der Einzelele-
mente ableitbar
Wortneuschöpfung: vgl. Kunstwort
Wurzel: a) (lexikalisches) Grundmorphem, also nach Tilgung aller Affixe und
Wurzeln und damit nicht identisch mit Stamm, obwohl Stamm und Wurzel
manchmal gleichlauten können, b) historisch gesehen die Ausgangsform.
Manche Wurzeln kommen nur gebunden vor. Manchmal wird Wurzel
gleichbedeutend mit Stamm verwendet
Glossar 303

Zahlwort: vgl. Numerale


Zirkumfix (diskontinuierliches Morphem): Affix, das aus zwei Teilen besteht,
die vorne und hinten an einen Stamm gehängt werden und ihn somit um-
schließen
Zusammenbildung: Bildung im Zwischenbereich von Ableitung und Kompo-
sition, meist gleichzeitig Derivation und Wortgruppenbildung bzw. Kom-
position (Vorgang und Ergebnis)
Zusammenrückung: komplexe Fügung, die aus dem wiederholten Nebenein-
ander mehrerer Wörter entstanden ist, wobei Flexionsendungen erhalten
blieben. Die letzte Wurzel muss nicht die Wortart des Gesamtausdrucks
bestimmen (Vorgang und Ergebnis)
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Sachregister

abhängiger Kasus 49 Apokope 188, 189, 288


Abkürzung 10, 110, 288, 295 Appellativ 47, 70, 288, 291, 296, 300
Ablaut 66, 83, 102, 103, 160, 180, 181, 184, äquativ 71
187, 190–194, 197, 223, 276, 287 Arbitrarität 120, 288
Ablautdopplung, Ablautbildung 66, 103, 235 Archaismus 9, 36, 288
Ableitung vgl. Derivation Artikelwort 138, 139, 241, 242, 245, 289
absoluter Komparativ 133, 140, 287 Aspekt 73, 288
absoluter Superlativ, vgl. Elativ Assimilation 7, 36, 39, 54, 230, 289
Abstraktum 53, 83, 99, 100, 107, 268, 279, 280, Assoziation, assoziativ 22, 24, 25, 120–122,
284, 287 142, 299
Abstufung 28, 190, 288 Attribut 28, 252, 254
Abtönung 190, 258 attributiv 124, 127f., 128, 138, 161, 163, 241,
Ad-Hoc-Bildung vgl. Okkasionalismus 287
adverbial 71, 127, 128, 163, 172, 209, 240, 241, Augenblicksbildung vgl. Okkasionalismus
277, 287 Augmentativbildung 30, 68, 72, 79, 145,
Adverbialbestimmung 228, 240 289
Affixoid 30, 67, 68, 70, 74–78, 145, 153–155, augmentativ
204, 227, 228, 238, 287 72, 143, 271, 289
Agens 279, 287 Auslautverhärtung 5, 6, 11, 132, 133, 189, 262,
agentiv 71, 72 289
agglutinierende Sprache 12, 13, 17
Akkusativ 26, 43–44, 47–51, 129, 131, 137, Bahuvrihi, vgl. Possessivkompositum
139, 150, 151, 215, 228, 229, 242, 243, Bairisch 222, 223
246–249, 265, 277, 287, 293, 299 Basis 4, 9, 29, 39f., 79, 81f., 88, 93, 99, 100,
Akronym 110, 287 105, 121ff., 126, 152, 158, 169, 180, 182,
Aktionsart 213, 288 222, 223, 287
Aktivität 27, 37, 298 Basismorphem, vgl. Grundmorphem
Akzent, Wortakzent, Betonung 10, 26, 28, bedeutungsunterscheidend, vgl. distinktiv
30–32, 36, 40, 55, 60, 61, 65, 67–69, 75, bestimmter Artikel 242, 243, 282, 288
76, 83, 108, 112, 141, 144, 145, 194, 196, Betonung, vgl. Akzent
199, 205, 211, 212, 226, 232, 241, 267, 277, Bewohnerbezeichnung 82–84, 159
280, 281, 290, 302 Bewohnername, vgl. Bewohnerbezeichnung
Allomorph 5, 6, 10–12, 15, 38, 50, 52–54, 60, binär 2, 14, 15, 22, 24, 34, 63, 106, 119, 289,
95, 111, 131–134, 180, 187–189, 288, 289, 301
299 Binnenflexion 67
Analogie 21, 58, 59, 76, 99, 154, 186, 189, 193, Blockierung 27, 289
194, 197, 238, 288 Bloomfield, Leonard 1, 14, 135, 137
analogischer Ausgleich 58, 186, 190, 194, 197, Brechung 193, 220, 289
288 Bruchzahl 137
analytische Form 11, 177, 178, 185, 288 Buchstabenwort 108, 109, 110, 269, 284, 287,
analytische Sprache 11 289, 293
320 Sachregister
Casus obliquus, vgl. abhängiger Kasus egressiv 213ff., 288, 290
Casus rectus 49 Eigenname 50, 51, 70, 125, 203, 290, 296, 300
Chomsky, Noam 17 Elativ 133, 287, 290
Computermodell 22 elliptisch 181
Courtenay, J. Baudouin de 1 endozentrisches Kompositum 44, 290
Entlehnung 66, 83, 88, 120, 290
Dativ 20, 26, 44, 47–51, 53, 129–131, 137, 229, Epenthese 34, 35, 39, 46, 83, 86, 96, 98–101,
242, 243, 246–249, 252, 265, 266, 281, 158, 160, 172, 173, 188, 237, 290, 295
289, 293, 299 Erbwort 35, 290
deadjektivisch 81, 88, 98, 169, 203 Erleichterungsrückbildung 29, 110, 111, 113,
defektiv 128, 201, 202, 205, 231, 289 115, 126, 164, 166, 202, 210, 224, 239, 252,
definiter Artikel, vgl. bestimmter Artikel 254, 255, 258, 276, 291
Dehnstufe 191, 192 Ersetzung, vgl. Substitution
Deklination 26, 33, 47, 49–52, 55, 57, 59, 128, Erste Lautverschiebung, vgl. Lautverschiebung
129, 131–134, 136, 178, 271, 289, 291, 297 Erstglied, vgl. Kompositionsglied
Demonstrativpronomen 249–251, 281 Etymologie 15, 35, 42, 45, 54, 103, 112, 182,
Demotivation, demotiviert 19, 28, 235, 263, 190, 194, 202, 208, 209, 215, 290, 291, 300
264, 269, 285, 269 exozentrisches Kompositum 44, 64, 291, 298
denominal 81, 88, 93, 203, 218, 219, 237, 280 expletives Es 204
Dentalsuffix 178–182, 188, 195, 196, 289, 299, explizite Derivation 29, 32, 79, 89, 157, 212,
300 218, 262, 263, 264, 268, 269, 271, 273, 274,
deskriptive Linguistik 14 276–280, 282
desubstantivisch, vgl. denominal
Determinans 61, 289, 290 Fachsprache 18, 20, 24, 29, 52, 63, 92, 96, 109,
Determinativkompositum 27f., 61ff., 141ff., 124, 126, 163, 164, 168, 173, 201, 253, 268
199ff., 204., 233 faktitiv 161, 203, 214–216, 218, 219, 222, 223,
Determinatum 61, 289, 290 231, 291
deverbal 26, 81, 88, 97, 103, 169, 216, 229, 259 Farbadjektiv 163
Diachronie 19, 37, 167, 207, 208, 229, 290 Farbbezeichnung 128, 141, 143, 151
Dialekt 20, 21, 84, 86 Fehlsegmentierung 42
Diathese 175 Femininum 44, 48, 61, 150, 281, 291
dimensional 71 final 143
diminutiv 72, 81, 84, 85, 94, 98, 99, 214, 222 finit 178, 184, 185
Diminuierung, Diminutivbildung 82, 89, 290 flektierende Sprache 12
direktional 214 Flexionsmorphem, vgl. Flexiv
diskontinuierliches Morphem, vgl. Zirkumfix Flexiv V, 3, 5, 6, 7, 13, 19, 26, 32–34, 40, 49–59,
dislokativ 214, 218 105, 106, 135, 136, 150, 153, 188, 217, 289,
Distanzstellung 198, 199, 205, 206, 212, 226 291, 300
distinktiv 1, 22, 203, 298, 302 freies Morphem 2, 3–6. 9, 31, 32, 40, 41f., 48,
Distribution 14 53, 75, 89, 96, 107, 133, 147, 148ff., 171,
Doppelmotivation, doppelt motiviert 36, 38, 185, 210, 217, 243, 248, 265, 289
62, 80, 88, 106, 142, 145, 159, 165, 201, Fremdmorphem 36, 37, 92, 93, 96, 167, 168,
207–209, 215, 216, 273, 290 171, 212, 231, 273
Doppelpartikel 227 Fremdwortbildung 35ff., 167f., 290
Dual 47, 55, 290, 297 Fremdwortübernahme 36, 42, 102, 291
Dublette 91, 125, 290 frequentiv 288
durativ 203, 213, 216, 231, 288, 290 Frequenz 21, 27, 227
Durchsichtigkeit, vgl. Transparenz Frikativ 122, 194
Dvandva, vgl. Kopulativkompositum frühneuhochdeutsch 60, 190, 241, 266
Fuge(nelement) 32–35, 40, 112, 149, 264, 272,
e/i-Wechsel 90, 189, 193, 290 283, 285, 290, 291
Sachregister 321
fusionierende Sprache 12 Hockett, Charles 14
Futur 176, 178, 274, 275, 291, 301 Homonym, Homonymie 10, 11, 27, 50, 53, 90,
96, 108, 130, 150, 151, 159, 162, 177, 187,
Gattungsbezeichnung, vgl. Appellativ 188, 221, 251, 269, 275, 292, 300
Gattungszahl 137 homonymes Morphem 5, 11
gebundenes Morphem 2, 3–6, 9f., 15, 26, 32, Humboldt, Wilhelm von 11
38, 40, 41, 53, 75, 89, 90, 107, 149ff., 177, Hybrid(bildung) 36, 292
179, 180, 185, 187f., 209f., 217, 248, 251,
258, 301 Identifizierung 16, 204
Gelegenheitsbildung vgl. Okkasionalismus Idiomatisierung 28, 88, 292
gemischte Flexion 270 Ikonizität 229
Generative Grammatik 14, 20, 262 imitativ 203, 204, 214, 215, 218, 222, 231
Genitiv 20, 26, 47–51, 53, 129, 131, 137, 237, Imperativ 3, 117, 176, 177, 181, 183–185, 189,
239, 242, 243, 246–249, 252, 253, 265, 195, 275, 292, 295
291, 293, 299 imperfektiv 288
Genus 26, 28, 47-49, 53, 60, 61, 79, 82, 93, 106, implizite Ableitung 102, 103, 231, 263, 292
112, 127, 129f., 175, 242f., 246ff., 251 inchoativ 214, 288, 292
Genus verbi 175, 176, 177, 184, 288, 291, 294, indefiniter Artikel, vgl. unbestimmter Artikel
297 Indefinitpronomen 138, 242, 246, 248, 249
Gerätebezeichnung, vgl. Nomen instrumenti indigen 35, 40, 52, 79, 81, 82, 88, 92, 158, 222,
germanisch 55, 56, 192–194, 241, 289, 290 231, 277
Germanische Lautverschiebung, vgl. Lautver- Indikativ 12, 102, 176, 177, 179–181, 183–185,
schiebung 187–189, 195, 196, 274, 275, 292, 295
Getrenntschreibung 201, 209, 221, 250 indizierte Klammern 2
gotisch 73, 192, 196 indogermanisch 35, 55, 66, 73, 180, 189–194,
graduativ 72 287
Grammatikalisierung 19 infinit 178, 179, 184, 185
grammatischer Wechsel 103, 193–195, 292 Infinitiv 10, 22, 26, 90, 105, 107, 178–185, 188,
grammatisches Morphem 3–7, 13, 32, 53, 89, 190, 192f., 195, 201, 205, 209, 210f., 226
107, 135, 149, 150f., 177, 179f., 185, 187f., Infix 5, 18, 32, 35
210, 217, 243, 246, 248, 251, 252, 254 Inflektiv 256
griechisch 36, 38, 40, 41, 48, 52, 95, 122, 177 Informationsverarbeitung, vgl. Sprachverar-
Grimm, Jacob 179, 193, 196 beitung
Grimmsches Gesetz, vgl. Lautverschiebung ingressiv 213, 216, 218, 219, 288, 292
Grundform 6, 7, 26, 47, 48, 52, 132, 178, 186, Initialakzent 55, 60, 194, 196, 241
251, 292, 296, 298 Initialwort 108, 269, 284, 289, 293
Grundformflexion 48, 51, 59, 171, 292 Inkorporation 13, 117, 293
Grundmorphem 4–6, 8–11, 40, 55, 66, 75, 76, inkorporierende Sprache 12, 293
96, 189, 261, 290, 292, 294, 302 Inkorporierung 13, 117, 293
Grundstufe 132, 190–192, 298 instrumental
Grundzahl, vgl. Kardinalzahl 72, 143, 203, 210, 214, 216, 231, 283
intensiv 214, 215, 216, 218, 219, 288
Halbaffix, vgl. Affixoid Interfix 5, 32, 35
Halbpräfix, vgl. Präfixoid Interjektion 62, 74, 120, 121, 203, 222, 223,
Halbsuffix, vgl. Suffixoid 256, 257, 293
Halle, Morris 17 Internationalismus 7, 293
Handlungsbezeichnung, vgl. Nomen actionis Interrogativpronomen 242, 246
Haplologie 111, 292 introflexive Sprache 13
Hilfsverb 19, 175, 178, 182, 184, 185, 275, Inversionskompositum 67, 115, 166, 224, 239,
292, 302 251, 253, 255, 257, 293
Höchststufe 132, 300 isolierende Sprache 11
322 Sachregister
Isolierung, isolierte Form, isolierte Bildung 9, 121, 165, 166, 203, 224, 294
13, 40–42, 215, 216, 221, 293 Kontraktion 109, 294
Item&Arrangement-Modell 16, 17, 25, 262 Konversion 29, 90, 102f., 105ff., 117, 162f.,
Item&Process-Modell 16 203, 208, 217, 239
iterativ 79, 80, 89, 214, 222, 288, 293 Koordinativkompositum, vgl. Kopulativkom-
positum
Jugendsprache 8, 68, 77, 83, 89, 101, 118, 119, Kopf 61
146, 218 Kopfwort 108, 109, 262, 269, 283, 284, 294
Kopulativkompositum 28, 44, 65, 74, 114, 115,
Kardinalzahl 137 144, 145, 166, 199, 202, 224, 235, 294
kausal 72, 143, 233, 237, 272 Kunstwort 8, 20, 31, 61, 114, 120–122, 256,
kausativ 103, 214, 223, 288, 293 295, 302
Kern 4 Kürzung, Kurzwort 29, 30, 31, 41–43, 63, 85,
Kinderetymologie 45 96, 101, 102, 108–111, 114, 115, 121, 163,
Kindersprache, Spracherwerb 17f., 21, 23ff., 166, 287–289, 293–297, 299–301
27, 45, 64, 66, 74, 120, 122
Klammerform, Klammerausdruck 108, 109, Labov, Willliam 21
111, 163, 166, 173, 284, 293 Langue 15
klassifizierende Sprache 13 lateinisch 5, 7, 12, 36, 38, 39, 47, 48, 52, 63,
Klassifizierung, Klassifikation 3, 13, 15, 16, 67, 64, 66, 76, 84, 95, 97, 102, 121, 122, 145,
71, 73, 109, 153, 162, 164, 198 171–173, 178, 245
Kognition, kognitiv 22, 23, 25, 283 Laut 1, 5, 6, 13, 18, 23, 27, 45, 57, 60, 66, 75,
Kognitive Grammatik 19, 21–25, 58 76, 136, 189, 194, 256, 287–290, 292, 293,
Kollektivum 17, 82, 293 295, 296, 299, 300
kombinatorische Derivation, vgl. Zirkum- Lauteinschub, vgl. Epenthese
figierung Lautmalerei 66, 73, 222, 256, 257, 295, 297
Komparation 132, 135, 136, 291, 293 Lautsymbolik 122
komparativ 72, 143, 148 Lautung 5, 7, 19, 20, 36, 57, 132, 133, 136, 182,
Komparativ 132, 133, 135, 136, 140, 213, 222, 192–194, 289, 291, 292
270, 287, 293, 298, 300 Lautverschiebung 103, 193, 194, 292
Kompositionsglied, Erstglied, Zweitglied 9, Lehnbedeutung 8, 282
19, 27, 28, 30, 45, 61, 62, 67, 68, 75, 76, Lehnprägung 8
144, 147, 152–156, 199, 205, 210–212, Lehnschöpfung 7, 8, 282
226–228, 233–235, 287, 289, 294 Lehnübersetzung 7, 65, 282
Konfix 9f., 21, 27, 31, 37, 38, 39–43, 62, 75, 88, Lehnübertragung 7, 282
93, 95f., 141, 160, 161, 168, 171, 173, 264, Lehnwort 7, 10, 11, 36, 156, 262, 273, 282, 283,
268, 274, 280, 287, 294, 300 291, 295
Kongruenz, kongruieren 129, 176, 242, 247, Lehnwortbildung 36, 291
288, 294 lexikalisches Morphem 3–6, 9f., 13, 15, 31,
Konjugation 26, 47, 175, 178, 179, 183, 185, 40, 43, 53, 55, 75, 89f., 95f., 107, 133, 136,
189, 274, 275, 291, 294, 297 148ff., 171, 177, 179, 180, 185, 187, 188,
Konjunktion 11, 13, 19, 112, 138, 254, 255, 189, 209f., 217, 243301
258, 282, 294 Lexikalisierung 8, 62, 113, 119, 136, 292, 295,
Konjunktiv 20, 22, 175, 176, 178, 182–184, 301
187, 188, 196, 197, 274, 275, 294, 295, 297 lokal 44, 72, 73, 143, 158, 169, 200, 203, 213,
Konnotation 31, 108, 147, 294 216, 218, 219, 220, 223, 230, 232, 237, 238,
konsekutiv 143 266, 269, 272, 277, 281, 285
Konstituentenanalyse 14
Konstituentenstruktur 6, 10, 31 Markiertheit 17, 18
konstitutional 72 Maskulinum 48, 49, 59, 133, 243, 248, 251,
Kontamination 31, 42, 43, 113–115, 118, 119, 266, 291, 295
Sachregister 323
Metapher 44, 65, 72, 76, 154, 295 nullwertiges Verb 204
Metonymie 65, 295 Numerale 12, 24, 64, 81–87, 137, 159, 160,
Mischkurzwort 108 237, 297, 303
mittelniederdeutsch 125, 156
modal 72, 143, 149–151, 214, 233, 271, 280 Objekt 12, 43, 44, 48, 71, 215, 228, 229, 229,
Modalitätsverb 181 277, 290, 291
Modalpartikel 19, 258 obliquer Kasus, vgl. abhängiger Kasus
Modalverb 19, 181, 184, 185, 195, 275, 295, Okkasionalismus 8, 11, 75, 113, 117, 142, 145,
302 148, 149, 150, 151, 261, 287, 289, 291,
Modifikation 30, 295, 301 296, 297
Modus 175–177, 184, 196, 274, 292, 294, 295, Ökonomie 18, 33, 34, 42, 43, 109, 113, 180
297, 301 Onomatopoesie, vgl. Lautmalerei
Morph 1, 15, 15, 292 Optativ 196, 295, 297
Morphemkurzwort 108 Ordinalzahl 137
Morphemvariante, vgl. Allomorph Ordnungszahl, vgl. Ordinalzahl
Motion 82–87, 98–100, 268, 270, 296 onativ 72, 143, 148, 150, 151, 159–161, 203,
Motivation, Motiviertheit 28, 31, 38, 88, 120, 204, 213–216, 218–223, 231, 232, 237,
142, 207, 209, 290, 296 268, 277, 281, 297
Movierung, vgl. Motion Orthographie 225
multisegementales Kurzwort 109, 284, 296
Paradigma 14, 53, 58, 102, 133, 139, 185, 186,
Natürlichkeit 17–19 202, 205, 206, 249, 275, 289, 292, 297, 300
Negation 79, 93, 94, 137, 138, 154, 169, 170, paradigmatisch 14, 33, 34, 46, 299
214, 216, 296 paradigmatische Fuge 34, 46
Negationspartikel 138 Paraphrase 28, 31, 32, 64, 65, 71, 88, 106, 107,
Nennform, vgl. Grundform 117, 141, 142, 144, 150, 153, 154, 205, 208,
Neologismus 8, 20, 24, 120, 295, 296 210, 213, 215, 297
Neosemantismus 7 Parole 15
Netzwerk 22, 24, 58 pars pro toto 65
neuhochdeutsch 45, 56, 58–60, 190, 192, partielles Kurzwort 63, 109, 297
194–197, 231, 252 Partikel 19, 215, 216, 226, 227, 258, 281, 297
neuronal 21, 22, 25 Partikelverb 78, 199, 200, 206, 207, 210,
Neutrum 48, 49, 59, 61, 151, 248, 266, 270, 225–228, 276
273, 291, 296 partitiv 72, 285
niederdeutsch 52, 66, 156, 222 Partizip Perfekt, Partizip II 105, 139, 141,
niederländisch 36, 45, 156, 273 149–152, 162, 178–180, 183–185, 188,
Nomen acti 82, 283, 296 194, 226, 289, 292, 297, 299, 300
Nomen actionis 82, 89, 284, 296 Partizip Präsens, Partizip I 105, 107, 139, 141,
Nomen agentis 32, 41, 82, 84–86, 88, 90, 97, 152, 153, 162–165, 178–180, 183, 184,
101, 105, 107, 162, 270, 296 275, 292, 297
Nomen instrumenti 82, 88, 270, 283, 296 Partizipialstamm 180, 185, 285
Nomen patientis 82, 86, 97, 296 Passiv 175–178, 181, 185, 188, 195, 274, 275,
Nomen proprium, vgl. Eigenname 291, 295, 297
Nomen qualitatis 82, 296 patiens 72
Nominalphrase 138, 242, 245, 282, 288, 298 Paucalis 47, 297
Nominativ 26, 47–51, 53, 55, 106, 129, 131, Paul, Hermann 58, 120, 186, 194
133, 137, 150, 151, 171, 229, 242f., 246- pejorativ 70, 79, 82, 83–86, 89, 97, 98, 101,
249, 251 160, 297
Nullableitung 294, 296 perfektiv 214, 288, 297
Nullartikel 242 periphrastische Form, vgl. analytische Form
Nullmorphem 15, 296, 297 Personalpronomen 131, 190, 246, 270
324 Sachregister
Personenbezeichung, vgl. Nomen agentis reduplizierendes Verb 192
Pflanzenbezeichnung, Pflanzenname 82, 84, Referenz, Referent 42, 122, 125, 204, 299
91 referenziell 72, 143, 272, 284
Phonem 1, 57, 98 Reflexivpronomen 215, 246, 247, 249
Phonologie 17 Reibelaut, vgl. Frikativ
Phraseologismus, Phrasem 123–126, 297, 299 Reihenbildung 30, 75, 76, 153, 155, 267
Plosiv 193, 194 Reimbildung 66, 235
Pluraletantum 52, 53, 265, 298 Rektion, regieren 49, 299
Plusquamperfekt 176, 178, 185, 274, 298, 301 Rektionskompositum 43, 44, 298, 299
Polygenese 36, 167 Relativpronomen 243, 246
polysynthetische Sprache 12 resultativ 203, 204, 214–216, 219, 220, 231,
Portmanteaumorphem 5, 10, 11, 236, 261, 298 288, 299
Positiv 132, 133, 135, 136, 213, 287, 293, 298, revers(at)iv 214–216, 218, 230
300 Rhotazismus 194
possessiv 64, 72, 73, 143 Rhythmus 34
Possessivkompositum 28, 44, 64, 65, 115–117, Richtungsangabe 200
144, 166, 262, 263, 266, 269, 273, 298 Rosch, Eleanor 23
Possessivpronomen 247, 248, 248 Rückbildung 29, 65, 103, 110, 111, 112, 113,
Prädikat 48, 162, 176, 181, 182, 292, 294, 295, 115, 126, 153, 164–166, 199, 201–203,
302 205, 206–209, 224, 239, 252, 254, 255,
prädikativ 127, 128, 139, 162, 163, 287 258, 276, 277, 291, 299
Präfixkonversion 217 Rückumlaut 181, 183, 196, 299
Präfixoid 20, 30, 67, 68, 69, 75–77, 115, 145, Rumpfwort 109, 256, 284, 299
146, 166, 224, 239, 251, 253, 255, 257, 263, russisch 123, 245, 288
264, 267, 273, 289
Prager Schule 17 Sachbezeichnung 82, 90, 283
präpositionales Rektionskompositum 44, 298 Sammelbezeichnung, vgl. Kollektivum
Präpositionalobjekt 228, 277 Satzname 117
Präpositionalphrase 124 Saussure, Ferdinand de 14
Präteritalstamm 180, 187, 188 Schallnachahmung, vgl. Lautmalerei
Präteritopräsens 195, 195, 298 Scheinpartizip 151, 161, 162, 173, 273, 299
privativ 162, 203, 204, 213–215, 218, 219, 232, Schlegel, August Wilhelm von 11
277, 288, 298 Schleicher, August 1
Produktivität 24, 25, 27, 31, 37, 43, 76, 77, 88, Schwa(-Laut) 56, 59, 76, 158, 193, 288, 300
92, 96, 126, 168, 173, 230, 289, 298 schwache Flexion 128f., 133, 150, 151, 186,
Pronominaladjektiv 138 197, 270, 271, 273, 280
Prototyp 23, 24 schwaches Verb
Pseudokompositum 206–209, 299 178f., 180, 182, 185, 196, 223, 274, 299
Pseudomorphem, Pseudoaffix 20, 100, 101, Schwanzwort 108, 109, 284, 300
121, 299 Schwundstufe 190, 191
Segmentierung 14, 16, 42, 134, 300
Reanalyse 59, 92 Selbstkompositum 67
Rechtschreibung, vgl. Orthographie Sexus 48, 291, 300
Reduktion 56, 59, 189, 288 Silbe 1, 5, 6, 18, 55–57, 75, 76, 109, 132,
Reduktionsvokal, vgl. Schwa 192–194, 196, 241, 289, 290, 295, 300, 301
Reduplikation 66, 73, 74, 257, 299 Silbengrenze 132
Reduplikationsbildung 66, 67, 73, 76, 145, 299 Silbenkurzwort 108, 110, 262, 284, 288, 300
Reduplikationskompositum, Reduplikativ- Simplex V, 3, 4, 9, 11, 28, 37, 55, 66, 88, 91, 92,
kompositum 29, 66, 73, 115, 145, 166, 101, 103, 133, 158, 167, 168, 171, 184, 189,
207, 224, 235, 239, 251, 253, 255, 257, 263, 229, 252, 273, 300, 302
276, 278, 299 Singularetantum 52, 53, 265, 300
Sachregister 325
Sonderkompositum 62, 117 Tempus 11, 53, 73, 175–177, 184, 196, 274,
Soziativbildung, Soziativum 80, 82, 230, 300 291, 294, 297, 298, 301
Soziolinguistik 20, 21, 25 terminativ 288
Spracherwerb, Kindersprache 18, 21, 21, 24, ternär 34, 289, 301
25, 66, 122 Tierbezeichnung, Tiername 82, 296
Sprachspiel 42, 102, 103, 119 Transfix 13, 287, 301
Sprachvarietät, Varietät 20, 21, 42, 68, 69, 89, Transformation 16
117, 122, 176 Transparenz 18, 24, 91, 119
Sprachverarbeitung 23 Transposition 30, 295, 301
Sprachwissen 21, 23 Trennbarkeit 198, 199, 202, 204, 205, 207,
Stamm 4ff. 210–212, 226–228
Stammauslaut 57
Stammflexion 38, 48, 51, 52, 59, 171, 292, 300 Umlaut 31, 50, 52f., 54, 57f., 83, 103, 187, 189,
Stammform 180, 186, 190–195, 276 196, 203, 223f.
Stammvokal 29, 58, 90, 102, 103, 189, 193, 302 unbestimmter Artikel 137, 242, 249, 282, 288
Standard, Standarddeutsch, Standardsprache undurchsichtig 28, 80, 83, 86, 87, 157–160,
8, 31, 41, 42, 64, 92, 111, 114, 121, 122, 215–217, 222, 237, 292
168, 222 Unidirektionalität 19
starke Flexion 49, 50, 55, 128f., 130, 131, 138, unikales Morphem 9, 27, 31, 33, 62, 75, 78,
270, 273, 274 156, 261, 262, 273, 301
starkes Verb 179f., 186, 187, 188, 195, 298, 300 unisegmentales Kurzwort 109, 262, 268, 283,
Steigerungsbildung, vgl. Augmentativ- 284, 301
bildung Univerbierung 19, 107, 112, 117, 293, 301
Steigerungsstufe 132, 287, 300 unmittelbare Konstituente 2, 6, 7, 11, 34, 44,
Strukturalismus 5, 14, 17, 20, 262 62, 63, 148, 150, 289, 290, 294, 300, 301
Strukturbaum 2, 6, 22, 31, 33, 53, 62, 78, 90, unparadigmatische Fuge 33, 34, 46
106, 110, 180, 184, 209, 235, 236, 267 untrennbares Verb 199, 212, 215, 221, 226,
Subjekt 12, 48, 71, 176, 229, 251, 294 227, 280, 281, 284
substantiell 72, 262, 283, 285 Usualisierung, usuell, vgl. Lexikalisierung
substantivierter Infinitiv 201, 209
Substitution 14, 15, 38, 92, 124, 167 Valenz 43, 152, 228, 229, 301
Suffixoid 30, 69, 70, 75, 76, 115, 147, 155, 166, Variation 17, 38
272 Varietät, Sprachvarietät 20, 21, 42, 68, 69, 89,
Superlativ 132, 133, 135, 136, 237, 271, 287, 117, 122, 176
290, 293, 298, 300 Verarbeitung, Verarbeitungsmechanismus,
Suppletion, Suppletivismus, Suppletivwesen vgl. Sprachverarbeitung
133, 182, 247, 271, 300 Verbalabstraktum, vgl. Nomen actionis
Synchronie 300 Verbalkomplex 178, 185, 275
Synkope 188, 189, 300 Verbklammer 198
Synkretismus 177, 183, 184, 188, 196, 275, 300 Verbpartikel 198, 211, 212, 227, 228, 280, 281
syntagmatisch 14, 293 Verbzusatz 212, 221, 225, 226, 228
Syntax 13, 19, 178, 182, 242, 246 verdeutlichendes Kompositum 63, 115, 145,
synthetische Form 11, 30, 77, 177–179, 185, 156, 166, 224, 239, 251, 253, 255, 257, 263,
274, 275, 288, 294, 300, 301 266, 273, 301
synthetische Sprache 11 verdunkelte Zusammensetzung, verdunkeltes
synthetisches Kompositum 111 Kompositum 28, 65, 263, 301
Vergleichsstufe 132, 293
Taxation 79, 301 Verner, Carl Adolph 194
teilmotiviert 28, 31, 264, 268, 285, 296 Verners Gesetz 194
temporal 44, 72, 143, 158, 169, 200, 203, 213, Verschlusslaut, vgl. Plosiv
219, 220, 232, 237, 272, 274, 277 Vervielfältigungszahl 137
326 Sachregister
Vokalqualität 190 Wortschatz XXIII, 7, 8, 21, 35, 231, 256, 293,
Vokalquantität 190 295
Volksetymologie 45, 302 Wortneuschöpfung, vgl. Kunstwort
vollmotiviert 296 Wurzel 3, 4, 5, 6, 8, 9
Vollverb 19, 204, 181–183, 184, 185, 188, 268, Wurzelflexion 13
275, 295, 302
Vorgangsbezeichnung, vgl. Nomen actionis Zahladjektiv 128, 134, 137
Zahlwort, vgl. Numerale
Werbesprache, Werbung 8, 20, 31, 65, 100, Zirkumfigierung 18, 89, 115, 151, 161, 166,
111, 114, 120–122, 142, 163, 256 223, 224, 238, 293, 299
Wiederholungszahl 137 Zirkumfix 5, 6, 18, 43, 89, 90, 115, 149–151,
Word&Paradigm-Modell 14 161, 166, 178–180, 223, 224, 238, 276,
Wortakzent, vgl. Akzent 287, 289, 290, 293, 299, 303
Wortbildungsmittel 26, 27, 66, 73, 298, 302 Zitierform, vgl. Grundform
Wortbildungsmodell 302 Zusammenbildung 24, 25, 29, 67, 81, 83–85,
Wortbildungsmuster 26, 34, 37, 71, 79, 81, 88, 87, 111, 115, 116f., 142, 147, 152, 159,
90, 101, 145, 218, 249, 262, 263, 298, 302 160, 163–166, 172, 200, 224, 235–239,
Wortbildungstyp 173, 274, 302 251–257, 262, 269, 273, 281, 283, 303
Wortform 5, 7, 14, 17, 22, 26, 47, 48, 56, 57, Zusammenrückung 29, 111f., 117, 165, 200,
58, 73, 135, 186, 292, 302 234ff.
Wortgruppenlexem 29, 31, 108, 114, 123–125, Zusammenschreibung 117, 211, 225
250, 252, 257, 295, 302 Zustandsbezeichnung, vgl. Nomen acti
Wortkreuzung, vgl. Kontamination zweiteiliger Verbkomplex 198
Wortkurzwort 108 Zweitglied, vgl. Kompositionsglied

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