Imo 2016 Grammatik
Imo 2016 Grammatik
V
Inhaltsverzeichnis
8 Vom Wort über die Phrase zum Satz ............................ 115 Diese Einführung in die grammatischen Grundlagen des Deutschen setzt
8.1 Die Bestimmung von Phrasen .................................. 116 keine Vorkenntnisse voraus: Sie kann im Studium ebenso verwendet wer-
8.2 Die Nominalphrase (NP) ........................................ 118 den wie in der Schule, für die Weiterbildung von Lehrkräften ebenso wie
8.3 Die Adjektivphrase (AdjP) ...................................... 127 für den universitären Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht.
8.4 Die Präpositionalphrase (PP) ................................... 132 Einer generellen Einführung in das Thema (Kapitel 1) folgt eine begriff-
8.5 Die Adverbphrase (AdvP) ....................................... 134 liche Klärung dessen, was unter ‚Grammatik‘ verstanden wird (Kapitel 2).
8.6 Nicht phrasenfähige Wortarten ................................. 137 Die Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich mit der Systematik sowie den Proble-
8.7 Der Satz .......................................................... 137 men der Wortartenbestimmung. In den Kapiteln 5 bis 7 werden die Wort-
8.7.1 Satz und Verbphrase (VP)....................................... 137 arten des Deutschen vorgestellt: In Kapitel 5 die konjugierbare Wortart
8.7.2 Fragesätze und Imperativsätze ................................. 143 Verb, in Kapitel 6 die deklinierbaren Wortarten Nomen, Adjektiv, Artikel
8.7.3 Untergeordnete Sätze ........................................... 145 und Pronomen und in Kapitel 7 die nicht flektierbaren Wortarten Adverb,
8.7.4 Koordination und koordinierte Sätze ........................... 154 Präposition, Konjunktion und Partikel. Nach der Bestimmung der Wortar-
8.7.5 Das Erkennen und Beschreiben von ambigen Sätzen.......... 158 ten geht es in Kapitel 8 darum, wie aus Wörtern Phrasen und aus Phrasen
schließlich Sätze werden. Dabei wird ein möglichst einfacher und unmit-
9 Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse ........... 161 telbar verständlicher Zugang gewählt, der keinen Anspruch auf eine be-
9.1 Die Satzglieder................................................... 161 stimmten syntaktischen Ansätzen zuzuordnende Phrasenstrukturtheorie
9.1.1 Das Prädikat ..................................................... 166 legt. Es ist jedoch auf Grundlage der hier vorgelegten einfachen Phrasen-
9.1.2 Das Subjekt ...................................................... 166 strukturanalyse leicht möglich, sich in unterschiedliche theoretische An-
9.1.3 Das Objekt ....................................................... 171 sätze der Phrasenstrukturgrammatik oder auch der generativen Gramma-
9.1.4 Das Adverbial.................................................... 181 tik (Transformationsanalysen) einzuarbeiten. Die Phrasenstrukturanalyse
9.1.5 Das Prädikativ ................................................... 189 ist in dieser Einführung aber nicht Selbstzweck oder als eine Übung in
9.2 Das Satzteilglied Attribut ....................................... 192 Syntaxtheorie gedacht, sondern sie ist den folgenden Zielen untergeord-
net: (1) Die Phrasenstrukturbäume sollen dafür sensibilisieren, dass Sätze
10 Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« ... 199 interne hierarchische Strukturen aufweisen. (2) Sie sollen beim Verstehen
ambiger Sätze helfen. (3) Sie bilden die Grundlage für die Zuweisung der
10.1 Die Felder des Verbzweitsatzes (V2-Satz) ...................... 203
syntaktischen Funktionen (Satzgliedanalyse).
10.2 Die Felder des Verberstsatzes (V1-Satz) ........................ 209
Wie Erfahrungen in der Lehre gezeigt haben, ist vor allem der dritte Be-
10.3 Die Felder des Verbletztsatzes (Verbendsatz) .................. 211
reich sehr wichtig, da Studierende dazu tendieren, in Sätzen wie Der
10.3.1 Sätze mit subordinierenden Konjunktionen.................... 212
Mann, den ich gestern im Kaufhaus gesehen habe, geht dort drüben gerade
10.3.2 Relativsätze...................................................... 214
über die Straße. beispielsweise nur Mann (oder bestenfalls Der Mann) als
10.3.3 Infinitivsätze (Infinitivphrasen) ................................ 215
Subjekt zu bezeichnen oder die Straße als Akkusativobjekt zu identifizie-
10.4 Die Koordinationsposition (KP)................................. 217
ren, obwohl diese Nominalphrase der Präposition über untergeordnet ist
10.5 Die Erweiterung des Feldermodells: Vor-Vorfeld
und nicht dem Verb gehen. Solche Fehler entstehen dadurch, dass die
und rechtes Außenfeld .......................................... 219
Phrasen nicht erkannt wurden, die die Grundlage für die Satzgliedanalyse
10.5.1 Das Vor-Vorfeld (VVF) .......................................... 219
sind. In Kapitel 9 zur Satzgliedanalyse werden daher entsprechend die in
10.5.2 Das rechte Außenfeld (rAF)..................................... 223
Kapitel 8 beschriebenen Phrasen um Satzgliedinformationen erweitert. In
11 Ausblick: Gibt es eine Grammatik der gesprochenen Sprache? 227 Kapitel 10 wird das topologische Modell (Feldermodell) des Deutschen
vorgestellt, das vor allem im fremdsprachendidaktischen Bereich, aber
12 Anhang .......................................................... 231 auch in Ansätzen wie der Gesprächsanalyse oder der Interaktionalen Lin-
12.1 Weiterführende Literatur........................................ 231 guistik, häufig verwendet wird. Den Abschluss bildet ein kurzer Ausblick
12.1.1 Grammatiken des Deutschen ................................... 231 auf einige syntaktische Phänomene der gesprochenen Sprache (Kapitel 11).
12.1.2 Vertiefungen zu einzelnen Teilbereichen der Grammatik...... 232 Deutsche Sprache – schwere Sprache. Dieser Spruch hat sich beim
12.1.3 Einführungen in Syntaxtheorien................................ 232 Schreiben der vorliegenden Grammatikeinführung mehr als einmal be-
12.1.4 Einführungen in die Syntax des gesprochenen Deutsch ....... 233 wahrheitet. Ich bin daher den kritischen Leser/innen und ganz besonders
12.1.5 Linguistische Lexika............................................. 233 den Kolleg/innen, die sich bereit erklärt haben, das Manuskript in ihren
12.1.6 Literaturverzeichnis ............................................. 234 Seminaren einer Beta-Testphase zu unterziehen, zu allergrößtem Dank
12.2 Sachregister...................................................... 235
VI VII
3 3.4
Die Bestimmung der Wortarten: Grundlagen Bestimmung der Wortarten: Die Wortarten-›Murmelbahn‹
3.4 | Bestimmung der Wortarten: das Wort X ›hineinfallen‹, das man näher bestimmen möchte. Dieses ›rollt‹ Schnelltest zur
Die Wortarten-›Murmelbahn‹ nun in Stufen nach unten, bis es in einer der ›Auffangschalen‹ der Wort- Wortarten-
arten landet: bestimmung
Nachdem die Grundlagen der Flexion und der Distribution geklärt sind, ist
es nun endlich möglich, eine Systematik der Wortartenbestimmung zu Wort X
erarbeiten. Diese Systematik sieht so aus, dass man für jedes Wort, das
man einer Wortart zuordnen will, eine Kette von Fragen jeweils mit ja oder
nein beantworten muss. Am Ende dieser Fragekette steht die Zuordnung
zu einer von insgesamt acht Wortarten. Man kann sich den im Folgenden f l e k ti e r ba r ni c h t f l ek t i e r ba r
erläuterten Wortartenentscheidungsbaum wie eine Murmelbahn vorstel-
len: Oben lässt man die ›Murmel‹, d. h. das Wort, das man bestimmen
möchte, hineinfallen. Bei jeder Abzweigung wird eine weitere Eigenschaft
konjugierbar deklinierbar vorfeldfähig nicht vorfeldfähig
des Wortes erfragt und je nachdem, wie die Antwort ausfällt, ›rollt‹ die
›Wort-Murmel‹ nach links oder nach rechts, bis sie schließlich in einem
der Fächer mit einem ›Wortarten-Etikett‹ liegen bleibt. Wichtig ist, dass
man die Fragen immer in dieser Reihenfolge beantwortet und nicht mit ei-
komparierbar & nicht komparierbar Kasusforderung keine Kasusforderung
ner ›niedrigeren‹ Frage beginnt!
kann zwischen
Artikel und
Fragetests zur 1. Kann das Wort überhaupt flektiert werden (egal ob dekliniert oder kon- Nomen stehen
Wortarten- jugiert)?
bestimmung 2.1 Wenn das Wort flektiert werden kann, kann es dann konjugiert wer-
den (d. h. kann die Zeit verändert werden) oder kann es dekliniert wer-
den (kann man es in den Genitiv setzen)? artikelfähig nicht artikelfähig Verknüpfung keine Verknüpfung
3.1.1 Wenn das Wort konjugiert werden kann, ist es ein Verb.
3.1.2 Wenn das Wort dekliniert werden kann: Kann es kompariert werden
und zwischen Artikel und Nomen stehen? (Komparierbarkeit gilt aller-
dings nicht für alle Adjektive, die Stellung zwischen Artikel und Nomen Verb Adjektiv Nomen Artikel/Pronomen Adverb Präposition Konjunktion Partikel
dagegen schon!)
3.1.2.1 Wenn es kompariert werden kann und zwischen Artikel und No-
men stehen kann, ist es ein Adjektiv. Probieren wir nun aus, was passieren wird, wenn wir die ›Murmeln‹ in
3.1.2.2 Wenn es nicht kompariert werden kann und nicht zwischen Arti- den Entscheidungsbaum geben, d. h. alle Wörter in folgendem Satz einer
kel und Nomen stehen kann: Ist es artikelfähig? Wortart zuordnen wollen:
3.1.2.2.1 Wenn es artikelfähig ist, ist es ein Nomen.
3.1.2.2.2 Wenn es nicht artikelfähig ist, ist es entweder ein Artikel oder Heute fahren wir in den Zoo, weil das Wetter sehr schön ist. Beispielsatz-
ein Pronomen. analyse
2.2 Wenn das Wort nicht flektiert werden kann: Kann es alleine (!) im Die Wortartenzuordnung ergibt Folgendes:
Vorfeld stehen? ■ heute: nicht flektierbar, vorfeldfähig: Adverb
3.2.1 Wenn das Wort alleine im Vorfeld stehen kann, ist es ein Adverb. ■ fahren: flektierbar, konjugierbar: Verb
3.2.2 Wenn es nicht alleine im Vorfeld stehen kann: Hat es eine Kasusfor- ■ wir: flektierbar, deklinierbar, nicht komparierbar, nicht artikelfähig:
derung? Pronomen (Achtung: Das Wort wir kann tatsächlich dekliniert werden,
3.2.2.1 Wenn es eine Kasusforderung hat, ist es eine Präposition. nur sehen die Formen jeweils sehr unterschiedlich aus. Die Tests erge-
3.2.2.2 Wenn es keine Kasusforderung hat: Verknüpft es Wörter, Phrasen ben aber, dass man wir in den Dativ (Wem gefällt es? Uns gefällt es.),
oder Sätze? Akkusativ (Wen sehen wir? Uns sehen wir.) und Genitiv (Wessen geden-
3.2.2.2.1 Wenn es Wörter, Phrasen oder Sätze verknüpft, ist es eine Kon ken wir? Unser gedenken wir.) setzen kann!) (zur weiteren Differenzie-
junktion. rung von Artikeln und Pronomen s. Kap. 6.3)
3.2.2.2.2 Wenn es keine Wörter, Phrasen oder Sätze verknüpft, ist es eine ■ in: nicht flektierbar, nicht vorfeldfähig, Kasusforderung: Präposition
Partikel. ■ den: flektierbar, deklinierbar, nicht komparierbar, nicht artikelfähig:
Weitaus übersichtlicher kann man dieses Verfahren in der eben erwähnten Artikel (zur weiteren Differenzierung von Artikeln und Pronomen
»Wortartenbestimmungsmurmelbahn« darstellen: Ganz oben lässt man s. Kap. 6.3)
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3 4
Die Bestimmung der Wortarten: Grundlagen
■ Zoo: flektierbar, deklinierbar, nicht komparierbar, artikelfähig: Nomen 4 Die Bestimmung der Wortarten:
weil: nicht flektierbar, nicht vorfeldfähig, keine Kasusforderung, Ver-
Detailfragen und Probleme
■
Aufgabe 1: Bestimmen Sie alle Wortarten in den folgenden Beispielsätzen: Adjektive bereiten ein großes Problem bei der Wortartenbestimmung. Es
(1) Wegen des schlechten Wetters müssen wir zu Hause bleiben, obwohl gibt in dieser Wortart eine Reihe von Wörtern, die man gerne den Adjekti-
wir eigentlich spazieren gehen wollten. ven zuordnen will (und die auch in keine andere Wortart passen), die aber
(2) Das Kind, das gerade ein Eis gekauft hat, geht dort über die Straße. als Adjektive ›aus der Reihe tanzen‹. Darunter fallen:
(3) Woher wusste er denn von der heutigen Geburtstagsfeier? 1. Adjektive, die aus semantischen Gründen nicht (oder zumindest aus
Sicht mancher Sprachpfleger nicht) flektiert werden können. Es handelt
sich dabei um Adjektive, bei denen die Bedeutung sowohl eine Vergleichs-
form als auch einen Superlativ zweifelhaft erscheinen lässt. Eine Gruppe,
bei der oft gesagt wird, dass sie aus diesem Grund nicht kompariert wer-
den kann, ist die der Farbadjektive. Zuweilen wird behauptet, dass grün, Farbadjektive
blau, schwarz etc. Eigenschaften seien, die entweder vorhanden sind oder
eben nicht. Es mache daher keinen Sinn, von grüner / am grünsten, blauer
/ am blausten oder schwärzer / am schwärzesten zu sprechen. Dieses Ar-
gument kann allerdings schnell widerlegt werden. Es trifft nur zu, wenn
man diese Adjektive auf die simple Angabe der Anwesenheit einer be-
stimmten Farbe reduziert. Im Sprachgebrauch kodieren Farbadjektive aber
nicht nur das Farbmerkmal, sondern auch die Intensität der Farbe. So ist
es problemlos möglich, davon zu sprechen, dass das Gras in diesem Som-
mer grüner ist als letzten Sommer (im Englischen gibt es sogar das Sprich-
wort The grass is always greener on the other side., d. h. man hat immer
das Gefühl, dass das Gras des Nachbarn schöner aussieht, also ein ›volle-
res‹ Grün hat als das eigene), man kann sagen, dass Bayern den blausten
Himmel in Deutschland hat (nämlich das tiefste Blau), und man kann bei
5.2 | Partikelverben und Präfixverben der Verben frei wählbar sind: Man kann für Bahnhof, Tisch 13 und Stre-
cke jedes beliebige Nomen einsetzen, das einen Ort bezeichnet.
Partikelverben sind im Deutschen sehr häufig. Ein Partikelverb ist eine ■ Ich brachte den Hirsch zur Strecke. Ich brachte ihn in Verlegenheit. Ich
komplexe Verbform, die aus einem Verb und einer Partikel besteht. Diese brachte das Stück zur Aufführung. – Bei diesen Fällen handelt es sich
Partikel kann abgetrennt werden. Beispiele für Partikelverben sind: auf- dagegen um Funktionsverbgefüge, da zur Strecke bringen, in Verlegen-
machen, zumachen, anreisen, abladen, austrinken etc. Im Hauptsatz bil- heit bringen und zur Aufführung bringen jeweils eigene, von der Ur-
den Verb und Verbpartikel die für das Deutsche typische Verbklammer sprungsbedeutung von bringen abweichende Bedeutungen haben und
(Kapitel 10): Ich mache die Tür auf. Er reiste vor einer Woche an. Wir tran- die Nomen Strecke, Verlegenheit und Aufführung nicht oder nur in sehr
ken den Wein aus. engem Rahmen mit anderen Ausdrücken ausgetauscht werden kön-
Zudem wird bei der Bildung des Perfekts das Perfektaffix -ge- zwischen nen.
die Partikel und das Verb eingefügt: Ich habe die Tür aufgemacht. Er ist an-
gereist. Wir haben den Wein ausgetrunken. Es ist immer dann leicht, ein Verb als Funktionsverbgefüge zu erkennen,
Partikelverben unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht von Prä wenn die Bedeutung des Funktionsverbgefüges stark von der Einzel-
fixverben: Auch letztere bestehen aus einem Verb und einer – allerdings bedeutung der Bestandteile abweicht, z. B. in den Funktionsverbgefügen
im Fall der Präfixverben lediglich ›ehemaligen‹ – Partikel, die nicht mehr in Frage kommen, in Wut geraten, in Angst geraten, zu Kreuze kriechen,
vom Verb getrennt werden kann: Verben wie unterschreiben, befahren, be- den Kürzeren ziehen etc. Schwierig wird es allerdings dann, wenn ein
werten, überlegen etc. bilden keine Verbklammer mit dem Präfix: Ich un- Begleiter des Verbs lediglich besonders häufig vorkommt, wie bei Auto
terschreibe den Vertrag. Er bewertet die Leistungen. Wir überlegen uns das. fahren oder Fahrrad fahren bzw. Kaffee kochen. Auf der einen Seite wirken
Bei der Perfektbildung kann bei Präfixverben kein zusätzliches Perfekt- diese Ausdrücke wie ein einziges komplexes Verb, auf der anderen Seite
affix -ge- verwendet werden: Ich habe den Vertrag unterschrieben. Er hat ist die Bedeutung aber aus den Einzelteilen erschließbar und es sind
die Leistungen bewertet. Wir haben uns das überlegt. andere Begleiter (Skateboard fahren, Rollschuh fahren etc.; Tee kochen,
In der gesprochenen Sprache – nicht allerdings in der geschriebenen – Milch kochen etc.) möglich. Ob man solche festen Wendungen als Funk-
lässt sich bei einem Verb wie umfahren der Unterschied zwischen Partikel- tionsverbgefüge bezeichnet oder nicht, ist oft umstritten, es handelt sich
und Präfixverb sehr gut zeigen: Je nachdem, ob das Verb auf der ersten um eine grammatische ›Grauzone‹. Auf der Grenze zwischen einem Par-
oder der zweiten Silbe betont ist, wird es als Partikelverb oder als Präfix- tikelverb und einem Funktionsverbgefüge steht z. B. staubsaugen vs.
verb realisiert: Staub saugen: Beide Schreibungen sind möglich. Wenn man sich für die
Partikelverb oder ■ Betonung auf der ersten Silbe, d. h. auf der Partikel: úmfahren: Der erste Variante entscheidet, interpretiert man staub als eine Verbpartikel
Präfixverb Junge fuhr seine kleine Schwester um, die gerade erst das Radfahren und setzt somit eine sehr enge Integration von Verbpartikel und Verb
lernte. Hier handelt es sich um das Partikelverb umfahren mit der Be- voraus (meist auch unter Annahme einer eigenen Bedeutung, die durch-
deutung ›etwas mit einem Fahrzeug umwerfen‹. aus gegeben ist: Es wird ja nicht nur Staub gesaugt, sondern ›Dreck‹ im
■ Betonung auf der zweiten Silbe, d. h. auf dem Verbstamm: umfáhren: weiteren Sinne). Entscheidet man sich für die zweite Variante, wird Staub
Der Junge umfuhr seine kleine Schwester, die gerade erst das Radfahren als Nomen interpretiert und somit eine freie Verbindung aus dem Verb
lernte. Hier handelt es sich um das Präfixverb umfahren mit der Bedeu- saugen und dem gesaugten Objekt, dem Staub, suggeriert.
tung ›um etwas herumfahren‹.
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5 5.4
Die konjugierbare Wortart: Das Verb Valenz und Dependenz
ter benötigt. In Bezug auf die Rektion kann man sagen, dass ein Begleiter ›Hagler‹, ›Blitzer‹ etc., da es sich bei Wetterphänomenen um reine Erschei-
im Nominativ, einer im Akkusativ und einer im Dativ stehen muss: [Die nungen ohne Verursacher handelt. Auf formaler Ebene gilt aber im Deut-
Eltern] (Nominativ) gaben [ihrem Kind] (Dativ) [ein Eis] (Akkusativ). schen, dass kein Verb ohne eine Nominalphrase im Nominativ auftreten
Valenz: Die Redeweise von ›Valenz‹ bzw. ›Wertigkeit‹ sowie davon, kann (Ausnahmen siehe im nächsten Abschnitt), daher stellen diese Ver-
dass ein Verb ohne seine Begleiter als ›ungesättigt‹ bezeichnet wird und ben formal die Forderung nach einer Nominalphrase im Nominativ auf.
ein Verb mit seinen Begleitern als ›gesättigt‹, ist der Chemie entnommen: Um diese Forderung zu erfüllen, wird das inhaltsleere Platzhalterprono-
So wie ein Sauerstoffatom alleine ›ungesättigt‹ ist und zwei ›Forderungen‹ men es eingesetzt: Es regnet / hagelt / schneit / blitzt / donnert etc. Diese
nach Begleitern aufstellt, also erst z. B. zusammen mit zwei Wasserstoff- Verben sind also auf semantischer Ebene, d. h. auf der Inhaltsebene, null-
atomen gesättigt ist, so stellt das Verb öffnen zwei ›Forderungen‹ auf und wertig, auf formaler Ebene, d. h. auf syntaktischer Ebene, einwertig.
ist erst gesättigt, wenn diese erfüllt sind: (3) Manche Verben weichen von der typischen Struktur der Verben im
Deutschen insofern ab, als sie nicht notwendigerweise eine Nominal-
phrase im Nominativ fordern. Normalerweise gilt, dass jedes Verb im
Ungesättigtes Sauerstoffatom: Ungesättigtes Verb öffnen: Deutschen mindestens eine Nominalphrase im Nominativ fordert (daher
auch das leere es bei den Wetterverben). Eine Ausnahme bilden aber ei-
nige Empfindungsverben. Verben wie frösteln, frieren, dürsten u. a. stellen
O öffnen
inhaltlich die Forderung nach jemandem auf, der diese Empfindung hat
(also jemand, der fröstelt, friert, dürstet etc.). Formal stellen manche die-
Gesättigtes Sauerstoffatom (H2O): Gesättigtes Verb öffnen: ser Verben allerdings eine ›oder-Forderung‹ nach einem Begleiter auf: Sie
benötigen entweder eine Nominalphrase im Nominativ (Ich friere. Ich frös-
H H Er die Tür. tele.) oder eine Nominalphrase im Akkusativ (Mich friert. Mich fröstelt.).
Da in dieser Einführung grundsätzlich auf die formale, nicht auf die in-
haltliche Seite der sprachlichen Phänomene fokussiert wurde, wird nun
O öffnet
nur auf die syntaktische Valenz weiter eingegangen.
Das Verb öffnen ist also zweiwertig, d. h. in seiner Valenz sind zwei Verbklassen nach syntaktischer Valenz: Auf der Basis der syntaktischen
›offene‹ Stellen angelegt. Bei den Verben muss man zwischen der Valenz kann man die folgenden Verbklassen bilden:
semantischen Valenz (d. h. den inhaltlichen Kriterien der Begleiter) und 1. Einwertige Verben fordern nur eine einzige Ergänzung, wobei egal ist, Syntaktische
der syntaktischen Valenz (d. h. der rein formalen Angabe der Art von welcher Art die Ergänzung ist: schneien, regnen, hageln, frieren, frös- Valenz
Begleitern) unterscheiden. Im Fall von öffnen stellt das Verb eine teln, schwimmen, gehen, schlafen, atmen etc. sind alles einwertige Ver-
Forderung nach zwei inhaltlichen Begleitern (nach jemandem, der öffnet, ben, da sie nur einen Begleiter bei sich haben müssen, damit ein mini-
und nach etwas, das geöffnet wird) sowie nach zwei formalen Begleitern maler Satz entsteht: Es schneit/regnet/hagelt. Mich friert/fröstelt. Ich
(nach einer Nominalphrase im Nominativ und einer im Akkusativ) auf. schwimme/gehe/schlafe/atme.
Trennung zwischen Die Trennung zwischen semantischer und syntaktischer Valenz ist 2. Zweiwertige Verben fordern zwei Ergänzungen. Auch hier spielt es
semantischer aus mehreren Gründen wichtig: keine Rolle, welcher Art diese Ergänzungen sind, sie können aus einer
und syntaktischer (1) Bei manchen Verben kann eine semantische Forderung auf unter- Nominalphrase im Nominativ und einer im Akkusativ bestehen (Ich
Valenz schiedliche syntaktische Weise erfüllt werden. Das Verb sagen fordert z. B. spiele Klavier. Sie sieht das Auto. Meine Tante besucht ihre Verwandten.
inhaltlich jemanden, der etwas sagt, und etwas, das gesagt wird. Formal etc.), aus einer Nominalphrase im Nominativ und einer im Dativ (Das
gibt es dazu zwei Realisierungsvarianten: Buch gehört ihm. Die Vorstellung gefällt den Zuschauern.), aus einer
[Der Redner] (Nominalphrase im Nominativ) wird [ein paar Worte] Nominalphrase im Nominativ und einer im Genitiv (Die Trauernden ge-
(Nominalphrase im Akkusativ) sagen. dachten der Toten. Die Opfer bedürfen der Hilfe.) oder einer Nominal-
[Der Redner] (Nominalphrase im Nominativ) wird sagen, [dass er glück- phrase im Nominativ und einer Präpositionalphrase (Das Buch fällt von
lich über den Erfolg des Unternehmens ist.] (Nebensatz) dem Tisch. Mein Bruder fährt nach Berlin. Er wartet auf seine Eltern.).
3. Dreiwertige Verben fordern insgesamt drei Ergänzungen (z. B. geben,
Das Verb sagen kann also seine inhaltliche Forderung nach ›etwas, das ge- überreichen, nennen, stellen, legen etc.) Auch hier gilt, dass die Art der
sagt wird‹ auf der formalen Ebene wahlweise als Nominalphrase im Akku- Ergänzungen keine Rolle spielt: Der Vorsitzende (Nominalphrase im
sativ oder als Satz erfüllt bekommen. Nominativ) überreicht dem langjährigen Mitarbeiter (Nominalphrase
(2) Manche Verben stellen keine inhaltlichen, dafür aber ausschließlich im Dativ) eine Urkunde (Nominalphrase im Akkusativ). Er (Nominal-
formale Forderungen auf. Das gilt etwa für die Wetterverben: Die Verben phrase im Nominativ) legte das Buch (Nominalphrase im Akkusativ) in
regnen, hageln, schneien, blitzen, donnern etc. benötigen keinen ›Regner‹, den Schrank (Präpositionalphrase). Sie (Nominalphrase im Nominativ)
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5 5.4
Die konjugierbare Wortart: Das Verb Valenz und Dependenz
nannte ihn (Nominalphrase im Akkusativ1) einen Lügner (Nominal- von uns um Hilfe gebeten., (7) mit Der Vater kauft dem Kind ein Eis. Ein
phrase im Akkusativ2). Eis wird dem Kind vom Vater gekauft. und aus Gruppe (8) mit Der Richter
beschuldigt den Angeklagten des Mordes. Der Angeklagte wird vom Richter
Rektion: Während man bei der Valenz lediglich die Zahl der geforderten des Mordes beschuldigt. als transitive Verben einzustufen. Entscheidend
Begleiter nennt, gibt man bei der Bestimmung der Rektion eines Verbs an, ist also nur die Anwesenheit eines Begleiters im Akkusativ, der im Passiv
welche Form diese Begleiter haben müssen. Dabei gilt, dass die Nominal- zum Nominativbegleiter werden kann, nicht aber, ob darüber hinaus noch
phrase im Nominativ (d. h. das Subjekt) nicht mit gewertet wird, da fast weitere Begleiter anwesend sind.
alle Verben im Deutschen eine Nominalphrase im Nominativ bei sich Intransitive Verben sind alle diejenigen Verben, die keinen Begleiter im
haben müssen und diese daher nicht wirklich vom Verb ›regiert‹ wird: Akkusativ fordern. Das betrifft sowohl Verben, die überhaupt keine Be-
Wie oben zu sehen war, muss selbst ein Verb wie regnen, das inhaltlich gleiter außer dem im Nominativ bei sich haben (Es regnet. Er lacht.) als
überhaupt keinen Begleiter benötigt, eine Nominalphrase im Nominativ auch Verben, die z. B. einen Begleiter im Dativ (Er ähnelt seinem Vater.)
bei sich haben. oder im Genitiv (Wir gedenken der Toten.) bei sich haben.
Verbklassen nach der Rektion: Bei der Rektion werden also nur die Ob- Reflexive Verben sind eine weitere Verbgruppe mit besonderen Eigen-
jekte angegeben: schaften. Es handelt sich um solche Verben, die ein Reflexivpronomen als
1. Verben, die einen Akkusativ regieren: essen, sehen, bearbeiten, zerstö- Begleiter bei sich haben, das sich auf die Nominalphrase im Nominativ
ren, lieben etc. (Subjekt) zurückbezieht. Dabei wird zwischen ›echten‹ reflexiven Verben
2. Verben, die einen Dativ regieren: helfen, ähneln, danken, schaden etc. unterschieden, bei denen ausschließlich eine rückbezügliche Konstella-
3. Verben, die einen Genitiv regieren: gedenken, bedürfen, erinnern etc. tion möglich ist (sich bedanken, beeilen, betrinken, erkälten etc.) und sol-
4. Verben, die eine Präposition regieren: hängen an, warten auf, sich är- chen, bei denen entweder eine rückbezügliche Konstellation vorliegen
gern über, anrufen bei, zittern vor etc. Die weitere ›Forderungsarbeit‹ kann, oder bei denen ›Handelnder‹ und ›Erleidender‹ unterschiedliche
wird dann von der Präposition übernommen, die ebenfalls Rektions- Personen sind (z. B. erinnern, waschen, ärgern, verletzen etc.). Wenn ein
merkmale aufweist. Beispiel: Das Verb zittern fordert die Präposition Verb beide dieser Möglichkeiten zulässt, spricht man im Fall einer reflexi-
vor: zittern vor X. Die Präposition wiederum fordert als Begleiter eine ven Verwendung von ›reflexiver Konstruktion‹, nicht von einem reflexiven
Nominalphrase im Dativ: vor Angst. Gesamtstruktur: Er zitterte vor Verb:
Angst.
Reflexive Verben
5. Verben, die zwei Akkusative regieren: nennen, lehren, schimpfen, kos- Echt reflexive Verben Verben, die eine reflexive Konstruktion
(ausschließlich reflexive Verwendung zulassen, aber auch nicht-reflexiv vs. reflexive
ten (Es kostet ihn keinen Cent. Er schimpft ihn einen Feigling.)
möglich; nicht-reflexive Konstruktionen verwendet werden können Konstruktionen
6. Verben, die einen Akkusativ und eine Präposition regieren: fragen, sind nicht möglich)
bitten (Er fragt ihn nach dem Weg. Wir bitten ihn um Hilfe.)
echt reflexives Verb unmögliche reflexive nicht-reflexive
7. Verben, die einen Akkusativ und einen Dativ regieren: geben, verbie- nicht-reflexive Konstruktion Konstruktion
ten, überreichen, befehlen (Sie gibt ihm ein Buch. Sein Vorgesetzter be- Konstruktion
fahl dem Soldaten den Rückzug.) ich bedanke mich *ich bedanke ihn ich erinnere mich ich erinnere ihn
8. Verben, die einen Akkusativ und einen Genitiv regieren: beschuldi- wir beeilen uns *wir beeilen sie wir waschen uns wir waschen sie
gen, anklagen, verdächtigen (Sie verdächtigt ihn des Mordes.) sie betrinken sich *sie betrinken mich sie ärgern sich sie ärgern mich
ihr erkältet euch *ihr erkältet uns ihr verletzt euch ihr verletzt uns
9. Verben, die untergeordnete Sätze fordern: glauben, meinen, den-
ken (Er glaubt, dass es gut ist.). Diese Gruppe ist sehr groß, da viele Ver-
ben aus den oberen Gruppen alternativ auch eine Satzergänzung ha- Reziproke Verben sind Verben, bei denen eine Art ›Abkürzungsstruktur‹
ben können, wie z. B. fragen, verbieten, lehren etc. zwischen dem Begleiter im Nominativ und im Akkusativ vorliegt. Dabei
wird ein gegenseitiges Wechselverhältnis angezeigt. Anstatt zu sagen
Traditionell gibt es für einige dieser Verbklassen spezielle Bezeichnungen. Anna hasst Janina und Janina hasst Anna. kann man verkürzt sagen
Alle diese Verbklassen haben insofern mit Valenz und Rektion zu tun, als Anna und Janina hassen sich. Auf der Oberfläche sind reziproke Verben
sie die Wahlmöglichkeiten in Bezug auf ihre Begleiter deutlicher defi- nur über den Kontext und die Plausibilität von reflexiven Verben zu unter-
nieren als die übrigen Verben. scheiden: Der Satz Anna und Janina hassen sich. könnte auch reflexiv ge-
Transitive Verben: Als transitive Verben werden alle Verben bezeichnet, lesen werden im Sinne von Anna hasst sich und Janina hasst sich auch.
die einen Begleiter im Akkusativ bei sich haben, der im Passiv zum Nomi-
nativ wird. Aus der vorigen Liste der Verbklassen sind Verben aus der
Gruppe (1) mit Sätzen wie Ich esse einen Apfel. Ein Apfel wird von mir ge-
gessen., aus den Gruppen (5) mit Ich lehre ihn die Mathematik. Die Mathe-
matik wird ihm von mir gelehrt., (6) mit Wir bitten ihn um Hilfe. Er wird
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5 5.4
Die konjugierbare Wortart: Das Verb Valenz und Dependenz
Schließlich muss nun noch auf die Tatsache eingegangen werden, dass Va-
lenz- und Dependenzeigenschaften auch bei einigen anderen Wortarten
außer den Verben zu beobachten sind. Systematisch und durchgängig für
alle Vertreter der Wortart gilt dies allerdings nur für die Verben im Bereich
der flektierbaren Wortarten und die Präpositionen im Bereich der nicht
flektierbaren Wortarten.
Valenz bei Präpositionen: Alle Präpositionen fordern grundsätzlich ei-
nen Begleiter (Valenz) in einem bestimmten Kasus (Rektion): trotz fordert
eine Nominalphrase im Genitiv (trotz des schlechten Wetters); seit fordert In diesem Satz sind alle Einheiten unterhalb des Verbs von diesem
eine Nominalphrase im Dativ (seit dem fünften April 1948); über fordert gefordert, also Teil der Verbvalenz.
entweder eine Nominalphrase im Akkusativ, wenn eine Richtung angege- Ergänzungen und Angaben: Die sprachlichen Einheiten, die von einem
ben werden soll (Das Kind springt über den Graben.) oder eine Nominal- Verb gefordert werden, nennt man Ergänzungen. Selbstverständlich gibt
phrase im Dativ, wenn ein Ort angegeben wird (Der Balken liegt quer über es neben den Ergänzungen auch noch Einheiten, die nicht vom Verb ge-
dem Graben.) etc. fordert werden, aber dennoch im Satz vorkommen können. Diese Einhei-
Valenz bei Adjektiven und Nomen: Nur in manchen Fällen können auch ten nennt man Angaben. Im folgenden Satz sind gestern, im Konferenz-
bestimmte Adjektive und Nomen Valenzeigenschaften aufweisen: Das Ad- raum, feierlich und während eines Festaktes Angaben, da sie nicht vom
jektiv frei fordert z. B. eine Präpositionalphrase mit von (frei von Sorgen, Verb gefordert werden: Die Vorsitzende überreichte gestern im Konferenz-
frei von Armut, frei von Belastungen etc.), das Adjektiv ledig fordert eine raum dem langjährigen Mitarbeiter feierlich eine Urkunde. Angaben wer-
Nominalphrase im Genitiv (seiner Sorgen ledig) etc. Die meisten Adjektive den in der Baumdarstellung der Dependenz genau wie Ergänzungen be-
(gut, schön, grün, laut, hoch, schnell etc.) stellen allerdings keine Forde- handelt, d. h. sie werden von dem Verb zwar nicht gefordert, sind ihm Dependenzbaum
rungen nach einem Begleiter auf. Gleiches gilt für die Nomen: Im Großen aber trotzdem untergeordnet, da sie es näher bestimmen: mit Ergänzungen
und Ganzen kann man sagen, dass Nomen, die Valenzeigenschaften ha- (2) und Angaben
ben, diese ›vererbt‹ bekommen haben. Das passiert, wenn ein Nomen ent-
weder aus einem Adjektiv abgeleitet wird, das selbst Valenzeigenschaften überreichte
besitzt, oder aus einem Verb, das immer Valenzeigenschaften besitzt. In
beiden Fällen werden die Valenzeigenschaften der ursprünglichen Wörter Die Vorsitzende gestern im Konferenzraum dem langjährigen feierlich eine Urkunde
(Ergänzung) (Angabe) (Angabe) Mitarbeiter (Ergänzung) (Angabe) (Ergänzung)
sozusagen ›vererbt‹: Wenn das valenztragende Adjektiv frei zu einem No-
men wird, ›erbt‹ das Nomen dessen Valenz: Freiheit von X. Wenn das Verb
überreichen zu einem Nomen wird, ›erbt‹ das Nomen alle Ergänzungen Das Hauptkriterium für die Unterscheidung zwischen Ergänzung und
des Verbs: Aus Die Vorsitzende überreicht dem langjährigen Mitarbeiter Angabe besteht also darin, dass Ergänzungen vom Verb gefordert werden
eine Urkunde. kann somit [Die Überreichung der Urkunde an den langjäh- und daher nicht weggelassen werden können, ohne dass das Verb unvoll-
rigen Mitarbeiter durch die Vorsitzende] fand am fünften Juli statt. wer- ständig wird. Angaben können dagegen problemlos weggelassen werden,
den. (Die Ergänzungen bleiben semantisch betrachtet die gleichen, müs- ohne dass die Struktur ungrammatisch wird, sie sind optional. In manchen
sen in der syntaktischen Form allerdings z. T. verändert werden: Hier Fällen gibt es allerdings Streit darüber, ob ein bestimmtes Verb eine Ergän-
wurde aus der Nominalphrase dem langjährigen Mitarbeiter eine Präposi- zung fordert oder nicht: Bei Äußerungen wie Die Henne legt. Er trinkt. Er
tionalphrase mit an (an den langjährigen Mitarbeiter) und aus der Nomi- fährt. kann man entweder annehmen, dass legen, trinken oder fahren als
nalphrase die Vorsitzende wurde eine Präpositionalphrase mit durch zwei Verben zu behandeln sind, einmal als eines, das eine Ergänzung
(durch die Vorsitzende). fordert (Die Henne legt ein Ei. Sie trinkt ein Glas Wein. Er fährt einen
Dependenz: Aufbauend auf der Beschreibung der Valenz und Rektion Toyota.) und einmal als eines, das keine Ergänzung fordert und ent-
von Wörtern ist es nun möglich, ganze Satzstrukturen zu beschreiben. sprechend auch eine andere Bedeutung hat (Die Henne legt. = Die Henne
Dies ist die Aufgabe der Dependenzgrammatik, die Abhängigkeitsstruktu- ist im legefähigen Alter. Er trinkt. = Er ist Alkoholiker. Er fährt. = Er ist
ren durch Dependenzbäume darstellt. Da das Verb der wichtigste Be- Berufskraftfahrer. Oder: Er übernimmt den Fahrdienst.), oder dass die
standteil im Satz ist und zudem das Verb auch dafür sorgt, dass alle für Ergänzung lediglich weggelassen wurde und über den Kontext mitgedacht
einen minimalen Satz notwendige Begleiter anwesend sind, steht immer werden muss (Ellipse). Über diese Frage lässt sich trefflich streiten, eine
das Verb in einem Dependenzbaum an oberster Stelle, alle anderen Ein- ausführliche Diskussion solcher Fragen findet sich in Ágel (2000).
heiten im Satz sind ihm untergeordnet: Komplexe Dependenzstrukturen: Nur kurz und als Ausblick sollen
noch komplexe Dependenzbeziehungen erwähnt werden. In einem Satz
62 63
5 5.4
Die konjugierbare Wortart: Das Verb Valenz und Dependenz
wie Die Lehrerin legte gestern das Buch auf den Tisch. tauchen zwei va- Aufgabe 3: Setzen Sie die unterstrichenen Verben in den folgenden Sätzen
lenzfähige Wortarten auf, nämlich das Verb legen und die Präposition auf. jeweils in die Tempus- oder Modusform, die in der Klammer gefordert
Dementsprechend wird der Dependenzbaum auch etwas komplizierter, wird:
da nun angegeben werden muss, dass den Tisch von auf gefordert wird: (1) Es regnet. (Plusquamperfekt)
(3) (2) Wir sind froh über jede Hilfe! (Konjunktiv II)
(3) Wir treffen uns morgen. (Futur I)
(4) Sie sagt, es wird bald besser werden. (Konjunktiv I)
(5) Er mag Kuchen. (Perfekt)
(6) Er sagt, er hat keine Lust. (Konjunktiv I)
Aufgabe 4: Bilden Sie für die folgenden Verben jeweils das Vorgangs- und
das Zustandspassiv:
(1) Ich schlug ihn.
(2) Er hat die Tür geöffnet.
(3) Der Barkeeper schüttelt den Martini.
(4) Der Sturm wird die Stadt zerstören.
Auf diese Weise hat man dargestellt, dass das Verb legen als Ergänzung
lediglich auf X fordert, dass dieses X aber wiederum von der Präposition
Aufgabe 5: Ergänzung vs. Angabe: Bestimmen Sie im folgenden Satz
auf gefordert wird, und nicht vom Verb: auf + Nominalphrase im
Ergänzungen und Angaben. Begründen Sie Ihre Entscheidung.
Akkusativ. Die hier dargestellten Dependenzbäume sind noch sehr ober-
flächlich und können verfeinert werden (auch Artikel, Adjektive etc. Die Familie wartet seit fünf Stunden völlig entnervt auf dem Bahnsteig auf
können entsprechend hierarchisiert werden). Aus Platzgründen wird die Ankunft der Großeltern.
allerdings nicht weiter auf die Dependenzgrammatik eingegangen. Zur
Vertiefung ist die Einführung von Ágel (2000) empfohlen.
Arbeitsaufgaben
64 65
8
Nachdem in den ersten Kapiteln das Inventar der Wortarten des Deut-
schen beschrieben wurde, kann nun der nächste Schritt auf dem Weg vom
Wort zum Satz eingeschlagen werden. Es ist sicherlich einleuchtend, dass
man nicht alle Wörter ›einfach so‹ direkt zu einem Satz zusammenfügen
kann. Wenn man folgenden Satz betrachtet,
(1) Mit dem Flugzeug benötigen die Touristen für eine Reise nach Wladi-
wostok leider über zehn Stunden.
so wird klar, dass es zwischen Wort und Satz noch ›Zwischenebenen‹ ge-
ben muss, mit denen Wortgruppen erfasst werden können, die inhaltlich
oder syntaktisch, z. B. über Kongruenz oder Rektion, enge Bezüge aufwei-
sen.
Phrasen: Diese Zwischenebenen umfassen Wortgruppen (im minima-
len Fall auch nur ein einziges Wort), die zusammengehören und zugleich
hierarchisch strukturiert sind. Der Fachausdruck für eine solche Wort-
gruppe lautet Phrase. Phrasen sind z. B. [mit dem Flugzeug], [für eine
Reise nach Wladiwostok] und [über zehn Stunden]. In diesem Zusammen-
hang muss noch eine weitere Bezeichnung eingeführt werden, die im Kon-
text der Phrasenstrukturanalyse verwendet wird, die Konstituente.
Konstituenten sind ›Bausteine‹ für einen Satz. Konstituenten können
auf zwei Ebenen angesiedelt sein: Zunächst sind alle Wörter zusammen
mit den Informationen über ihre Wortartenzugehörigkeit Konstituenten.
Aus diesen Basiskonstituenten werden dann die Konstituenten auf der
zweiten Ebene aufgebaut. Diese umfassen einerseits Phrasen (also Wort-
gruppen) und andererseits ganze Sätze (ein Satz ist im Endeffekt nichts
anderes als die höchste Stufe auf der Phrasenebene, also die maximale
Wortgruppe). Sätze sind insofern auch Konstituenten, als sie wieder Be-
standteile von anderen Sätzen sein können (z. B. bei einer Verbindung von
Haupt- und Nebensatz, aber auch bei koordinierten Sätzen).
Es muss nun ein System entwickelt werden, mit dem man die Konstitu-
enten oberhalb der Wortebene bestimmen kann, d. h. mit dem man ers-
tens herausfinden kann, welche Wörter eng zusammen gehören und so-
mit Phrasen bilden (Konstituententests), und zweitens darstellen kann,
wie diese Phrasen aufgebaut und intern hierarchisch strukturiert sind
(Phrasenbäume).
8.1 | Die Bestimmung von Phrasen d. h. von Phrasen, die in andere eingebettet sind. Es ist also immer not-
wendig, sowohl Verschiebe- als auch Ersatzproben durchzuführen, um
Konstituententests: Um zu dem Inventar an Phrasen zu gelangen, die im den Aufbau von Sätzen zu bestimmen. Als Ausgangsmaterial für die
Deutschen vorkommen, muss man eine Reihe von syntaktischen Tests, die Ersatzproben verwendet man vor allem Pronomen (meist Personal-
sogenannten Konstituententests, anwenden (Permutationstest, Substituti- pronomen wie er, ihn, sie etc. sowie Demonstrativpronomen wie der, das,
onstest, Tilgungstest, Reduktionstest, Koordinationstest, Fragetest). Wir dieser etc.) und Adverbien (entweder einfache Adverbien, die kaum eine
werden uns auf die beiden wichtigsten Tests beschränken: eigene Bedeutung haben und daher gut als Platzhalter geeignet sind, wie
■ Der Permutationstest (die Verschiebeprobe) fragt danach, welche z. B. so oder da oder Pronominaladverbien wie dafür, damit, darüber
Wortgruppen zusammen verschoben werden können. Von besonderer etc.), seltener müssen auch mal Adjektive verwendet werden. Die Ersatz-
Bedeutung ist dabei die Möglichkeit der Verschiebung von Phrasen in proben liefern die folgenden Phrasen:
das Vorfeld eines Hauptsatzes. ■ mit dem Flugzeug lässt sich vollständig durch das Pronominaladverb
■ Der Substitutionstest (die Ersatzprobe) fragt danach, mit welchen ein- damit ersetzen, daher ist mit dem Flugzeug eine Phrase.
zelnen Wörtern (Pronomen oder Adverbien) sich eine Phrase ersetzen ■ dem Flugzeug kann man durch das Pronomen ihm ersetzen, also ist
lässt. auch dem Flugzeug eine Phrase, die hierarchisch der Präposition mit
untergeordnet ist: mit ihm.
Mit Hilfe dieser Tests lassen sich nun Phrasen von unterschiedlicher Kom- ■ die Touristen kann durch das Pronomen sie ersetzt werden und ist so-
plexität herausfinden, was anhand des Beispielsatzes Mit dem Flugzeug mit eine Phrase.
benötigen die Touristen für eine Reise nach Wladiwostok leider über zehn ■ für eine Reise nach Wladiwostok kann durch das Pronominaladverb da-
Stunden. gezeigt werden soll. für ersetzt werden.
Der Permutationstest (die Verschiebeprobe): Wenn man die Frage ■ eine Reise nach Wladiwostok kann durch das Pronomen sie ersetzt wer-
stellt, ›was‹ man in einem Satz jeweils an andere Stellen verschieben kann, den, auch hier ist die Phrase eine Reise nach Wladiwostok der Präposi-
stellt man fest, dass die Verschiebung in den meisten Fällen nicht für ein- tion für in der übergeordneten Phrase für eine Reise untergeordnet: für
zelne Wörter möglich ist, sondern nur für Wortgruppen (wie wir sehen sie.
werden, müssen auch einzelne Wörter, die im Vorfeld stehen, immer als ■ nach Wladiwostok kann durch das Pronominaladverb dorthin ersetzt
Wortgruppen, d. h. also als Phrasen, beschrieben werden). Einer der wich- werden und ist dem Nomen Reise untergeordnet.
tigsten Permutationstests besteht darin, Phrasen in das Vorfeld eines ■ Wladiwostok kann (wenn auch holprig) durch das Platzhalteradverb
Hauptsatzes zu verschieben. Dieser Test ist bereits aus der Bestimmung da oder dort ersetzt werden und ist der Präposition nach untergeordnet.
der Adverbien aus Kapitel 3 bekannt. Die Verschiebeproben ergeben fol- ■ über zehn Stunden kann durch das Adjektiv lange ersetzt werden. Auch
gende Phrasen: zehn Stunden ist eine Phrase, allerdings liefern die beiden Tests keine
■ [Mit dem Flugzeug]: Diese Phrase steht bereits im Vorfeld, d. h. vor dem Ergebnisse. Das liegt daran, dass es sich bei Zeitangaben eher um feste
finiten Verb benötigt. Man kann nicht einzelne Teile aus der Phrase ver- Floskeln als um ›frei‹ gebildete Phrasen handelt. In der Analyse muss
schieben: *Mit benötigt man dem Flugzeug für eine Reise… oder *Flug- man aber auch hier davon ausgehen, dass zehn Stunden als Phrase der
zeug benötigen die Touristen mit dem für eine Reise… etc., d. h. die Präposition über untergeordnet ist.
Phrase bildet eine abgeschlossene Einheit, sie ist eine Konstituente.
■ [Für eine Reise nach Wladiwostok]: Für eine Reise nach Wladiwostok Vor allem die Ersatzprobe macht zwei Tatsachen der Satzstruktur deutlich:
benötigen die Touristen mit dem Flugzeug leider über zehn Stunden. Zum einen, dass manche Wortgruppen enger zusammengehören als
■ [Über zehn Stunden]: Über zehn Stunden benötigen die Touristen leider andere, und zum anderen, dass diese Wortgruppen auch noch intern
für eine Reise nach Wladiwostok mit dem Flugzeug. hierarchisch organisiert sind, d. h. dass es in einer Wortgruppe einen
■ [die Touristen]: Die Touristen benötigen für eine Reise nach Wladiwos- ›Chef‹ gibt und ›Untergebene‹. Das wird einerseits daran deutlich, dass
tok mit dem Flugzeug leider über zehn Stunden. man eine Wortgruppe in eine andere einbetten kann, und andererseits
■ [Leider]: Leider benötigen die Touristen für eine Reise nach Wladiwos- daran, dass man für die Ersetzung der Wortgruppen unterschiedliche
tok mit dem Flugzeug über zehn Stunden. (Auch leider ist nicht nur als Wörter verwenden muss: für eine Reise nach Wladiwostok muss durch
Wort, sondern zugleich auch als Phrase zu behandeln; mehr dazu bei das Präpositionaladverb (Pronominaladverb) dafür ersetzt werden,
der Diskussion von Adverbphrasen in Kapitel 8.5). wodurch klar wird, dass die Präposition für eine wichtige Rolle in der
Phrase spielt. Bei eine Reise nach Wladiwostok dagegen wird das
Der Substitutionstest (die Ersatzprobe): Während man mit den Ver- Pronomen sie verwendet, was darauf hindeutet, dass ein Nomen der
schiebeproben die wichtigsten Phrasen im Satz bestimmen kann, ›Chef‹ in der Phrase ist etc.
ermöglichen die Ersatzproben (typischerweise durch Pronomen sowie Phrasenköpfe: In der Linguistik nennt man die Einheiten, die den Phra-
Pronominaladverbien) auch die Bestimmung untergeordneter Phrasen, sen ihren Namen geben und hierarchisch an der höchsten Stelle stehen,
116 117
8 8.2
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Nominalphrase (NP)
die Köpfe einer Phrase. Da es nur Phrasen geben kann, bei denen eine in- rung von Nomen (und Stellvertreterpronomen) gibt man jeweils an, ob sie
nere hierarchische Struktur zumindest möglich ist, bedeutet das, dass es im Nominativ stehen (NNom), im Akkusativ (NAkk), Dativ (NDat) oder Geni-
weniger Phrasen als Wortarten gibt, denn Artikel (inklusive Begleiterpro- tiv (NGen). Diese Information wird an die jeweilige übergeordnete Nomi-
nomen), Konjunktionen und Partikeln können keine weiteren Phrasen un- nalphrase weitergereicht: NPNom, NPAkk, NPDat, NPGen.
ter sich haben, sie können nicht erweitert werden und stehen daher stets Doch zunächst zum Aufbau typischer Nominalphrasen. Nominalphra-
an unterster Stelle in der Hierarchie: Man kann ein Nomen wie Haus zu sen zeichnet aus, dass sie ein Nomen (oder Stellvertreterpronomen) als
einer Phrase erweitern, indem man Artikel oder Adjektive hinzufügt (das Kopf haben, also die wichtigste grammatische und semantische Informa-
Haus, das alte Haus), Adjektive können erweitert werden, indem man tion in der Phrase jeweils von dem Nomen (oder Stellvertreterpronomen)
Gradpartikeln hinzufügt (sehr alt), Adverbien können mit Fokuspartikeln bereitgestellt wird. In dem oben eingeführten Beispielsatz finden sich ins-
erweitert werden (nur heute, ausgerechnet jetzt) etc. Eine Konjunktion wie gesamt fünf Nominalphrasen, die zum Teil auf einer hohen Hierarchie-
dass, ein Artikel wie ein, eine Partikel wie sehr oder ein Begleiterprono- ebene, zum Teil auf niedrigeren Hierarchieebenen stehen:
men wie dieses können dagegen nicht erweitert werden.
Phrasentypen: Es gibt unterschiedliche Vorstellungen über die genaue (2) Mit dem Flugzeug benötigen die Touristen für eine Reise nach Wladi- Beispielsatz
Bestimmung und die Anzahl der Phrasen des Deutschen. Das liegt daran, wostok leider über zehn Stunden.
dass manche Linguisten versuchen, auf der Basis von Phrasen ein kohä-
rentes, formal einheitliches oder gar computerlesbares Grammatikmodell Die Ersatzproben ergeben die folgenden Nominalphrasen:
zu erstellen. In dieser Einführung werden Phrasen dagegen lediglich dafür ■ dem Flugzeug: Diese Nominalphrase ist der Präposition mit untergeord-
verwendet, hierarchische Strukturen innerhalb von Sätzen abzubilden, net und somit in eine Präpositionalphrase eingebettet. Man kann sie
ambige (mehrdeutige) Sätze beschreiben zu können sowie die Grundlage durch das Pronomen ihm ersetzen: Mit ihm benötigen die Touristen….
für die Satzgliedanalyse (s. Kap. 9) zu liefern. Aus diesem Grund werden ■ die Touristen: Diese Nominalphrase, die durch das Pronomen sie er-
wir eine möglichst einfache Strukturanalyse anstreben. Gearbeitet wird setzt werden kann, steht an der höchsten Stelle in der Satzhierarchie.
mit folgenden Phrasen: ■ eine Reise: Die Nominalphrase eine Reise, die durch das Pronomen sie
ersetzt werden kann, ist ebenfalls Teil einer Präpositionalphrase (für
eine Reise) und somit hierarchisch untergeordnet.
Phrasen NP – Nominalphrase ■ Wladiwostok: Gleiches gilt für Wladiwostok, das Teil der Präpositional-
AdjP – Adjektivphrase phrase nach Wladiwostok ist und (wenn auch etwas holprig) durch
PP – Präpositionalphrase dort oder da ersetzt werden kann. Generell kann aber Wladiwostok,
AdvP – Adverbphrase wenn es nicht Teil einer Präpositionalphrase ist, problemlos durch das
VP – Verbphrase Personalpronomen es ersetzt werden: Wladiwostok liegt in Russland.
InfP – Infinitivphrase Es wurde 1860 gegründet.
S – Satz ■ zehn Stunden: Auch zehn Stunden ist eine Nominalphrase, die aller-
SSub – subordinierter Satz dings nur sehr unbeholfen mit sie ersetzt werden könnte. Bei Zeitanga-
SRel – Relativsatz ben klingt eine Ersatzprobe immer holprig.
118 119
8 8.2
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Nominalphrase (NP)
phrase ›angehängt‹, wobei für den Nominativ die Abkürzung Nom verwen- Vfin finites Verb für die Wortarten
det wird, für Genitiv Gen, für Akkusativ Akk und für Dativ Dat: Vinf infinites Verb
(3) (4) Art Artikel
PronS Stellvertreterpronomen
PronB Begleiterpronomen
Adj Adjektiv
Adv Adverb
Präp Präposition
Erst wenn die Wörter mit Wortarteninformationen versehen sind, kann Part Partikel
man die Phrase aufbauen: KonjK Koordinierende Konjunktion
(5) (6) KonjS Subordinierende Konjunktion
Auf diese Weise erhält man eine Darstellung der Nominalphrase wie in (7):
(7)
Dieser Typ von Nominalphrasen, der aus einem Nomen zusammen mit
einem Artikel oder Begleiterpronomen besteht, ist sehr häufig. Artikel
bzw. Begleiterpronomen sind dem Nomen untergeordnet, d. h. die
Information ›Nomen‹, die in beiden Fällen an dem Wort Touristen ›hängt‹,
wird nach ›oben‹ an die Phrase weitergereicht, die Information ›Artikel‹
bzw. ›Begleiterpronomen‹ dagegen nicht. Die Darstellung zeigt also an,
dass das Nomen als Kopf der Phrase über dem Artikel bzw. Begleiter-
pronomen steht.
Die Struktur komplexer Nominalphrasen: Selbstverständlich werden Adjektivphrasen und Relativsätze werden weiter unten noch detailliert
im Deutschen nicht nur einfache Nominalphrasen verwendet. In dem Satz beschrieben. Der Relativsatz wurde daher in (7) einfach ›abgekürzt‹, d. h.
Die erschöpften Touristen, die bereits zehn Stunden geflogen sind, freuen es wurde keine Analyse der inneren Struktur des Relativsatzes selbst vor-
sich auf ihre Betten. kommt eine besonders lange und komplexe Nominal- genommen. Die Nominalphrase besteht also aus einem Artikel, einem
phrase vor: die erschöpften Touristen, die bereits zehn Stunden geflogen Adjektiv, dem Nomen selbst, das der Kopf der Nominalphrase ist, und
sind. Dass es sich dabei um eine Nominalphrase handelt, erkennt man so- einem Relativsatz. Adjektivphrasen und Relativsätze sind die häufigsten
wohl an der Verschiebeprobe – die gesamte Phrase kann an einem Stück Phrasen, die einer Nominalphrase hierarchisch untergeordnet werden.
verschoben werden, man kann z. B. schreiben Auf ihre Betten freuen sich Durch die Darstellung in der Baumstruktur erkennt man, dass die
die erschöpften Touristen, die bereits zehn Stunden geflogen sind. – als wichtigste Information das Nomen Touristen ist. Der Relativsatz bestimmt
auch an der Ersatzprobe, denn die komplette Phrase kann durch ein ein- Touristen näher und kann syntaktisch problemlos weggelassen werden,
ziges Pronomen ersetzt werden: Sie freuen sich auf ihre Betten. Woraus be- ohne dass der gesamte Satz ungrammatisch wird. Gleiches gilt auch für
steht nun die Nominalphrase? Auch hier muss zunächst eine Wortarten- die Adjektivphrase. Dazu kommt noch, dass sowohl die Adjektivphrase
bestimmung durchgeführt werden. als auch der Artikel syntaktisch eindeutig untergeordnet sind, denn sie
Von nun an werden folgende Abkürzungen für die Wortarten verwen- müssen in Kasus, Numerus und Genus mit dem Nomen Touristen kon-
det, um Platz zu sparen: gruieren. Der Artikel bildet keine Phrase, da Artikel, Partikeln und
Begleiterpronomen grundsätzlich keine Phrasen bilden können. Der
Grund dafür ist, dass diese Wörter nicht selbst potentiell erweitert werden
können, also keine anderen Wörter ›unter sich‹ haben können.
Außer durch Artikel, Adjektivphrasen und Relativsätze können Nomen
auch durch eine Präpositionalphrase oder eine Adverbphrase erweitert
120 121
8 8.2
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Nominalphrase (NP)
werden, wie in dem Satz Das Auto auf der Straße parkt sehr gefährlich. sehr verbreiteter Typ einer solchen Erweiterung besteht darin, ein Nomen
(Beispiel (8)) oder Das Auto dort parkt sehr gefährlich. (Beispiel (9)): durch eine Nominalphrase im Genitiv zu ergänzen, wie in Sätzen wie Ich
(8) leihe mir das Auto meiner Mutter aus. Ich kann die Probleme der Vermieter
gut verstehen. Wir gedenken der Toten des letzten Krieges. etc.:
(10)
122 123
8 8.2
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Nominalphrase (NP)
(11) (13)
Barack Obama, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, (gefällt sein Amt
schon lange nicht mehr.)
Die zentrale Information ist bei Präsident Obama das Nomen Obama, das Über die Behandlung von Vereinigten Staaten in (14) kann man sich strei-
den Kopf der Phrase bildet. Die Nominalphrase Präsident ist dagegen ten: Man kann entweder Vereinigten als Adjektiv analysieren, wie hier ge-
untergeordnet und bezieht sich auf den Kopf, d. h. spezifiziert in diesem schehen, oder einfach den kompletten Ausdruck als ein einziges Nomen
Fall das Amt von Obama. Das Nomen Präsident muss als eigene Nominal- behandeln, da es sich um einen festen Ausdruck handelt.
phrase abgeschlossen werden, weil, wie oben erwähnt, alle phrasen- Die vorliegende Nominalphrase ist äußerst komplex: Sie enthält zu-
fähigen Wortarten nur als Phrasen ›weiterverarbeitet‹ werden dürfen. Der nächst eine enge Apposition, bei der sich Barack auf Obama bezieht, wo-
Grund besteht auch hier darin, dass das Nomen Präsident erweitert bei Obama Kopf der ›obersten‹ Nominalphrase ist. Außerdem bezieht sich
werden könnte, die Nominalphrase also auch größer sein könnte: auch die ihrerseits komplexe Nominalphrase dem Präsidenten der Verei-
nigten Staaten als weite Apposition auf Obama. Innerhalb der Nominal-
phrase dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bezieht sich wiederum die
Nominalphrase im Genitiv (der Vereinigten Staaten) auf Präsidenten. Alle
124 125
8 8.3
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Adjektivphrase (AdjP)
diese Bezüge und Hierarchien lassen sich durch die Angabe der Baum- 8.3 | Die Adjektivphrase (AdjP)
struktur deutlich machen.
›Minimale‹ Nominalphrasen: Nominalphrasen, die nur aus einem ein- Bei der Analyse der Nominalphrasen stellte sich heraus, dass diese häufig
zigen Wort bestehen, finden sich oft bei Eigennamen und Stellvertreter- Adjektivphrasen enthalten. Eine einfache Adjektivphrase besteht lediglich
pronomen. Beispiele für Nominalphrasen, die nur aus einem einzigen No- aus einem einzelnen Adjektiv, wie in (17):
men bestehen, sind Frankreich vermisst Depardieu. (15) oder Er vermisst (17)
sie. (16)
(15) (16)
Warum gilt in (15) und (16) die Regel, dass das Nomen nicht einfach al- Obwohl Adjektive oft ›alleine‹ verwendet werden, müssen sie stets zu
leine steht und im Satz direkt ›weiterverwendet‹ wird, sondern dennoch Phrasen ›aufgebaut‹ werden. Das liegt daran, dass man Adjektive prinzi-
zu einer Nominalphrase aufgebaut wird? Der Grund besteht darin, dass piell erweitern kann. Ein Beispiel für eine relativ einfache Erweiterung ist
man dadurch anzeigt, dass Frankreich und Depardieu zwar hier alleine die durch Gradpartikeln (oder andere Adjektive), wie in (18):
stehen, dass diese Nomen aber dennoch prinzipiell erweiterbar sind. Man (18)
könnte die Nomen z. B. durch Relativsätze, Adjektive, Artikel oder Apposi-
tionen erweitern:
Nomen sind prinzi-
■ Frankreich, das schon lange keinen großen Schauspieler mehr hervorge-
piell erweiterbar
bracht hat, vermisst den berühmten Depardieu. Hier wurde Frankreich
um einen Relativsatz erweitert und Depardieu um einen Artikel und ein
Adjektiv; beides sind nun komplexe Nominalphrasen.
■ Die Kinonation Frankreich vermisst Schauspieler Depardieu. Hier wur-
den sowohl Frankreich als auch Depardieu um eine Apposition in Form
einer Nominalphrase erweitert.
■ Er, der sonst immer damit prahlt, alleine leben zu können, vermisst nur
sie. Hier wurde er um einen Relativsatz und sie um eine Fokuspartikel
erweitert. In (18) besteht die Adjektivphrase aus dem Adjektiv kaltes, das der Kopf
(und damit die syntaktisch und semantisch zentrale Einheit in der Phrase)
Eine leicht zu merkende Regel lautet also: Immer dann, wenn ein Wort in ist, und der Gradpartikel sehr, die dem Adjektiv kaltes untergeordnet ist
einem Satz vorkommt, das zu einer Wortart gehört, die eine Phrase bilden und sich darauf bezieht.
kann (also alle Nomen, Adjektive, Adverbien, Präpositionen und Verben; Die Erweiterung durch Gradpartikeln oder andere Adjektive ist ein häu-
darüber hinaus zudem subordinierte Sätze, Relativsätze und Infi- figes Phänomen. Allerdings ist bei vielen dieser untergeordneten, sich auf
nitivsätze), muss dieses Wort bei der Satzanalyse zunächst als Phrase andere Adjektive beziehenden Adjektive oft unklar, ob man sie noch als
erfasst werden und kann nicht ›einfach so‹ verwendet werden. Die Ver- Adjektive oder schon als Gradpartikeln bezeichnen soll. In diesen Fällen
wendung ›einfach so‹ ist nur bei Artikeln, Partikeln (inklusive gibt es zwei mögliche Analysen, einmal als Partikel und einmal als Adjek-
Interjektionen), Begleiterpronomen und bei Konjunktionen möglich, da tiv – je nachdem, für wie weit fortgeschritten man den Wandel vom Adjek-
diese vier Wortarten keine Phrasen bilden können. tiv zur Partikel einstuft:
126 127
8 8.3
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Adjektivphrase (AdjP)
(19) gebaut‹ werden muss, bevor es weiterverwendet werden kann. Der Grund
liegt wieder in der prinzipiellen Erweiterbarkeit, d. h. angenehm könnte
selbst wieder durch Gradpartikeln wie sehr erweitert werden. In den
Strukturen (20) und (21) haben wir es also mit einer Adjektivphrase zu
tun (extrem bzw. angenehm), die sich auf ein anderes Adjektiv bezieht
und diesem untergeordnet ist.
Wie in der Diskussion der Wortart Adjektiv bereits erwähnt, können
manche Adjektive in ihrer Valenz auch Forderungen nach Begleitern auf-
stellen. Diese sind dann entsprechend ebenfalls den Adjektiven unterzu-
ordnen, was zu komplexeren Adjektivphrasen wie in (22) führt:
(22)
(20)
128 129
8 8.3
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Adjektivphrase (AdjP)
(23) Adjektiv unmittelbar dem Nomen untergeordnet ist und als Teil der Nomi-
nalphrase auftritt, also einen relativ unselbständigen Charakter hat. Das
erklärt, warum nur diese Adjektive flektiert werden: Sie müssen mit dem
Nomen kongruieren. In (24) und (25) ist das Adjektiv dagegen weitaus au-
tonomer: Es ist dem Verb untergeordnet und somit Teil der Verbphrase.
Diese formalen Unterschiede haben (s. Kap. 9.1.4, 9.1.5 und 9.2) ihren
Niederschlag in den funktionalen Unterschieden der Adjektivphrasen.
Partizipien werden genau wie Adjektive behandelt:
(26)
(24)
Das Partizip I singend aus (26) wird, wie immer bei einem Partizip I, als Partizip I und
Adjektiv verwendet. Dem Adjektiv/Partizip ist die Nominalphrase ein Partizip II
fröhliches Lied untergeordnet, singend ist Kopf der Phrase. Die Adjektiv-
phrase selbst ist wiederum dem Verb untergeordnet.
Auch das Partizip II wird in den Fällen, in denen es nicht Teil eines
Verbkomplexes ist, wie ein Adjektiv behandelt, wie in (27):
(27)
(25)
Details der Analyse des gesamten Satzes brauchen an dieser Stelle noch
nicht zu interessieren: Wichtig ist lediglich zu zeigen, dass nur in (23) das
130 131
8 8.4
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Präpositionalphrase (PP)
Auch in (27) wird das Partizip II geschnitten als Adjektiv verwendet, In beiden Fällen ist die Präposition der Kopf der Präpositionalphrase: In
das zugleich Kopf der Phrase ist. Dem Adjektiv/Partizip geschnitten ist ers- (28) ist der Präposition auf die Nominalphrase der Straße untergeordnet,
tens die Nominalphrase die Haare untergeordnet und zweitens eine wei- während in (29) die Nominalphrase Geldsorgen der Präposition von unter-
tere Adjektivphrase, die nur aus dem unflektierten Adjektiv frisch besteht. geordnet wird.
Die beiden untergeordneten Phrasen geben jeweils zusätzliche Informa- Wie bei der Diskussion der Wortart ›Präposition‹ angesprochen, gibt es
tionen darüber, was geschnitten wurde (nämlich die Haare) und wann es neben Präpositionen auch Postpositionen (z. B. den Bach entlang) oder
geschah (kürzlich). Die Adjektivphrase selbst ist dem Verb untergeordnet. Zirkumpositionen (z. B. um des lieben Friedens willen). Bei Zirkumposi-
tionen muss man die beiden Teile der Präposition jeweils als Präposition 1
und 2 bezeichnen. Strukturell ändert sich ansonsten aber nichts:
8.4 | Die Präpositionalphrase (PP) (30)
Die Präpositionalphrase ist bereits zweimal bei den Beispielen oben auf-
getaucht, und zwar in den Sätzen Das Auto [auf der Straße] parkt sehr ge-
fährlich. und Der [von Geldsorgen] freie Unternehmer kaufte sich gestern
seine dritte Yacht. Dass Präpositionen Phrasen bilden – und die jeweilige
Präposition dann der Kopf der Phrase ist –, verwundert nicht, da Präposi-
tionen ja eine Kasusforderung aufstellen und somit einen Begleiter (typi-
scherweise eine Nominalphrase) in einem bestimmten Kasus regieren.
Das impliziert, dass sie hierarchisch über dieser Nominalphrase stehen
müssen. Der Aufbau von Präpositionalphrasen kann also immer so zu-
sammengefasst werden, dass die Präposition der Kopf der Phrase ist und
eine Nominalphrase ›unter‹ dieser Präposition steht, wie in (28) und (29): (31)
(28)
( )
(29)
( .)
132 133
8 8.5
Vom Wort über die Phrase zum Satz Die Adverbphrase (AdvP)
(32) (33)
Die Darstellung in (32) sieht zwar auf den ersten Blick abschreckend aus,
wenn man sich die Zeit nimmt, sie zu ›lesen‹, werden die Organisations-
prinzipien aber schnell klar: Zunächst bildet den Rhein eine Nominal- schönes Wetter.)
phrase, die von der Präposition über gefordert wird und entsprechend
dieser untergeordnet ist. Die Präpositionalphrase über den Rhein Die häufigste Erweiterung von Adverbien geschieht, wie bei nur gestern
wiederum bezieht sich auf das Nomen Brücke (Was für eine Brücke? Die oder ausgerechnet heute, durch Fokuspartikeln. Die Phrasenstruktur zeigt
Brücke über den Rhein.) und muss daher diesem Nomen (d. h. dem Kopf an, dass die syntaktisch und semantisch zentrale Information durch das
der Nominalphrase) untergeordnet werden. Sowohl das Adverb kürzlich Adverb geliefert wird, die Fokuspartikel ist dagegen untergeordnet und be-
als auch das Adjektiv neu beziehen sich beide auf das Adjektiv (genauer: zieht sich auf das Adverb. Da Partikeln selbst nicht erweitert werden kön-
Partizip II; s. die Diskussion von Adjektivphrasen, die aus Partizipien auf- nen, werden sie nicht zu Phrasen aufgebaut.
gebaut werden, in Kapitel 8.3) gebaute und werden diesem untergeordnet Eine andere Erweiterungsmöglichkeit ist die durch eine Präpositional-
(Wie ist die Brücke gebaut? Sie ist neu gebaut. Wann wurde die Brücke phrase, wie in (35):
gebaut? Sie wurde kürzlich gebaut.). Die gesamte Adjektivphrase kürzlich (35)
neu gebaute wiederum bezieht sich auf das Nomen Brücke (Was für eine
Brücke? Die [kürzlich neu gebaute] Brücke.). Gleiches gilt für den Artikel
die, so dass sich insgesamt drei Konstituenten auf Brücke beziehen: ers-
tens die, zweitens kürzlich neu gebaute und drittens über den Rhein.
Schließlich ist dann die gesamte Nominalphrase der Präposition über
untergeordnet. (Eine mögliche alternative Struktur wäre hier übrigens
dadurch möglich, noch eine weitere Hierarchieebene einzufügen und zu
sagen, dass sich die Adverbphrase kürzlich auf das Adjektiv neu bezieht,
also diesem untergeordnet ist. Semantisch betrachtet ist die Analyse
[kürzlich neu] allerdings fragwürdig).
134 135
8 8.7
Vom Wort über die Phrase zum Satz Der Satz
phrase dem Tisch untergeordnet ist. In dieser Darstellung zeigt man an, 8.6 | Nicht phrasenfähige Wortarten
dass das Adverb dort die zentrale Information ist, die Präpositionalphrase
ist lediglich eine Zusatzinformation, die auch weggelassen werden könnte. In diesem Abschnitt wird noch einmal zusammengefasst, welche Wortar-
Manchmal ist es schwierig zu entscheiden, welche Einheit die über- und ten nicht zu Phrasen aufgebaut werden können (und müssen). Es handelt
welche die untergeordnete ist. Dabei hilft ein wenig die Wortstellung: Die sich um die Artikel, die Begleiterpronomen, die Partikeln bzw. Interjektio-
erste Einheit, das Adverb, ist hier zentral, der Rest ist die untergeordnete nen und die Konjunktionen.
Zusatzinformation. Wenn man die Wortstellung verändert, verändert sich Artikel und Begleiterpronomen sind immer Teil einer Nominalphrase
auch die Hierarchie: Das Buch liegt auf dem Tisch dort. In diesem Satz ist und innerhalb der Nominalphrase stets dem Nomen untergeordnet. Das
auf dem Tisch die Hauptinformation, und dort liefert zusätzliche Informa- liegt daran, dass Artikel und Begleiterpronomen nie erweitert werden kön-
tionen. Entsprechend muss man die hierarchische Darstellung dann so nen, d. h. sie stehen immer alleine, und dass das Nomen, auf das sie sich
verändern, dass dort ›irgendwo‹ unter der Präposition steht. Wenn man beziehen, ihnen ›vorschreibt‹, in welchem Kasus, Numerus und Genus sie
fragt, auf was sich dort in diesem Satz genau bezieht, dann merkt man je- zu stehen haben. Daher ist das Nomen hierarchisch übergeordnet.
doch, dass es sich auf Tisch bezieht (der Tisch dort), nicht auf auf (*auf Partikeln und Interjektionen sind ebenfalls nicht erweiterbar. Da die
dort). Das heißt, dass in der Baumdarstellung (36) dort dem Nomen Tisch Wortart der Partikeln sehr heterogen ist, gibt es Partikeln an unterschiedli-
untergeordnet werden muss, nicht der Präposition auf. chen Stellen im Satz. Manche können alleine stehen und praktisch die
(36) Funktion eines vollständigen Satzes erfüllen (z. B. Oh! oder Aua!). Andere
stehen im Satz und beziehen sich auf das Verb oder die gesamte Satzaus-
sage (z. B. Mach doch mal das Fenster zu! Weißt du denn, wann er zu Be-
such kommen will?) und wieder andere sind in andere Phrasen eingebettet,
wie die bei den Adverbien diskutierten Fokuspartikeln ([Nur heute] gilt der
Preisrabatt!) oder die Gradpartikeln (Es war [sehr kalt].). Ganz gleich, ob
Partikeln frei stehen oder Teil anderer Phrasen sind, sie müssen immer
ohne selbst eine Phrasenkategorie zu bilden weiterverwendet werden.
Die dritte nicht phrasenfähige Gruppe sind die Konjunktionen. Dabei
muss man unterscheiden zwischen koordinierenden Konjunktionen, die
in Kapitel 8.7.4 ausführlich erklärt werden, und subordinierenden Kon-
junktionen (s. Kap. 8.7.3). Auch Konjunktionen können nicht intern er-
weitert werden.
Wie ist die Darstellung in (36) zu ›lesen‹, d. h. welche Informationen wur- 8.7 | Der Satz
den so visualisiert?
■ Es wird angezeigt, dass das Adverb dort alleine steht, d. h. nicht intern 8.7.1 | Satz und Verbphrase (VP)
erweitert ist und für sich allein eine Phrase bildet.
■ Des Weiteren wird deutlich, dass das Nomen Tisch eine relativ wichtige Mit der Nominalphrase, der Präpositionalphrase, der Adjektivphrase und
Einheit ist, die durch zwei weitere Einheiten näher spezifiziert wird, der Adverbphrase wurden diejenigen Phrasen vorgestellt, die eine gewisse
nämlich durch den definitiven Artikel dem, der anzeigt, dass es sich um Autonomie haben, d. h. die ohne Bezug auf den ganzen Satz analysiert
einen für den Hörer identifizierbaren Tisch handelt, und das Adverb werden können. Die Verbphrase ist dagegen nur im Kontext des gesamten
dort, das den ungefähren Ort angibt, an dem der Tisch zu lokalisieren Satzes zu erläutern. Das liegt daran, dass ein Satz aus der Sicht der Phra-
ist (d. h. Was für ein Tisch? Der Tisch. Welcher Tisch? Der Tisch dort.). senstrukturgrammatik wie folgt definiert ist:
■ Zuletzt wird angezeigt, dass die Präposition der ›Chef‹ der gesamten Phrasenstrukturelle Satzdefinition: Ein Satz besteht aus einer Nomi
Konstruktion ist, d. h. auf die Frage Wo liegt das Buch? lautet die Ant- nalphrase im Nominativ und einer Verbphrase. Aus dieser Definition
wort auf X. Dabei stellt die Präposition auf die Forderung nach einer folgt, dass die Verbphrase – mit Ausnahme der Nominalphrase im Nomi-
Nominalphrase im Dativ auf, die der Präposition untergeordnet ist. nativ – alle (!) Konstituenten des Satzes enthalten muss. Die einzige Aus-
nahme von dieser Regel sind die – allerdings sehr seltenen und zudem
langsam aussterbenden – Verben, die keine Nominalphrase im Nominativ,
sondern eine im Akkusativ bei sich haben, wie Mich dürstet. Mich friert.
Mich fröstelt. Aufgrund ihrer Seltenheit können wir diese Ausnahmen
hier ignorieren. Die Verbphrase hat also eine Art ›Sammelfunktion‹, was
136 137
8 8.7
Vom Wort über die Phrase zum Satz Der Satz
sie von den übrigen Phrasen unterscheidet. Verbphrasen können sehr mi- Die Phrasenstrukturanalyse von Beispiel (43) kodiert folgende Informa-
nimal sein, wie in den Sätzen (37) bis (39): tionen:
(37) (38) (39) ■ Die Nominalphrase im Nominativ ist der von Geldsorgen freie Unter-
nehmer. Dass dies eine Phrase ist – und dass das Nomen Unternehmer
Kopf der Phrase ist –, kann man durch Verschiebeproben (die Phrase
besetzt ja bereits das Vorfeld vor dem finiten Verb, wo nur eine einzige
Phrase stehen darf) und Ersatzproben (z. B. durch das Pronomen er)
herausfinden.
■ Das Pronomen sich steht alleine und wird direkt dem Verb untergeord-
net: Damit zeigt man an, dass das Verb die Ergänzung sich fordert. Das
gleiche gilt für seine dritte Yacht. Diese Nominalphrase mit Yacht als
Kopf (durch die Ersatzprobe mit dem Pronomen sie gut zu bestimmen)
ist ebenfalls direkt dem Verb untergeordnet. Damit sind alle Forderun-
gen des Verbs kaufen nach Begleitern erfüllt (Wem wird etwas gekauft?
Der Kopf der Verbphrase besteht immer mindestens aus einem finiten und Was kauft sich jemand?).
Verb (wie in den Beispielen (37) bis (39)) oder aus den finiten und infini- ■ Schließlich ist auch die Adverbphrase gestern direkt dem Verb unterge-
ten Verbteilen, wie in (40) bis (42): ordnet. Damit zeigt man an, dass das Adverb gestern die Handlung, die
(40) (41) (42) durch das Verb ausgedrückt wird, näher bestimmt: Der Einkauf fand
gestern statt.
Auch wenn manche Sätze auf den ersten Blick sehr kompliziert erscheinen,
zeigt die Phrasenstruktur durch ihre Darstellung der Hierarchien, dass
den meisten Sätzen eine relativ einfache Grundstruktur zu Grunde liegt:
(44)
Darüber hinaus werden auch alle anderen Konstituenten außer der Nomi-
nalphrase im Nominativ von der Verbphrase ›eingesammelt‹:
(43)
138 139
8 8.7
Vom Wort über die Phrase zum Satz Der Satz
Auch in (44) gilt wieder, dass durch die Hierarchien in der Baumstruktur enthält, besteht: Dieses Problem entsteht bei Sätzen wie Sie ist Ärztin.
entsprechend Bezüge und Unterordnungen angezeigt werden. Die Grund- Obama bleibt nach der Neuwahl Präsident. Mein Bruder ist bald ein Dokto-
struktur dieses Satzes besteht tatsächlich ›nur‹ aus der ›handelnden‹ Ein- rand. etc. In diesen Sätzen kommen zwei Nominalphrasen im Nominativ
heit (dem Auto), dem Verb und der Ortsangabe. Führt man Ersatzproben vor. Funktional betrachtet ist dabei die erste Nominalphrase das Subjekt,
durch, erhält man die Struktur: Es fährt dort. Das bedeutet, dass nur die d. h. die Einheit, über die etwas ausgesagt wird, und die zweite das Prädi-
Präpositionalphrase direkt dem Verb untergeordnet ist (Es fährt über X). kativ, d. h. diese Nominalphrase macht eine Aussage über die erste Nomi-
Alle anderen Komponenten sind jeweils der Präposition bzw. noch ›tiefer‹ nalphrase oder liefert eine Eigenschaftszuschreibung (zum Subjekt s. Kap.
der Nominalphrase untergeordnet. 9.1.2 und zum Prädikativ Kap. 9.1.5). Bei solchen Sätzen mit Kopulaverb
Die Struktur von
Bislang haben wir Fälle betrachtet, die insofern ›ordentlich‹ aussahen, besteht der Satz dann immer aus der Nominalphrase im Nominativ, über
Hauptsätzen im
als die Nominalphrase im Nominativ stets am Anfang des Satzes stand. Da die die Aussage gemacht wird, und der Verbphrase, die die zweite Nomi-
Deutschen
die deutsche Hauptsatzstellung, wie zu Anfang erwähnt, nicht mit SPO nalphrase im Nominativ, die die Aussage macht, in sich einschließt. Fast
(Subjekt – Prädikat – Objekt) beschrieben werden kann, sondern mit ›vor immer ist die erste Nominalphrase im Nominativ in einem Kopulasatz
dem finiten Verb darf nur eine Konstituente (eine Phrase) stehen‹, kann es auch die, über die die Aussage gemacht wird, wie in (46) bis (48):
aber auch vorkommen, dass man sehr unübersichtliche und chaotische (46)
Baumstrukturen erhält:
(45)
(47)
140 141
8 9
Vom Wort über die Phrase zum Satz
nierte Sätze, die die Funktion eines Objekts oder Adverbials haben. Einen Der freie Dativ: Einen Sonderfall im Bereich der Objekte stellt der soge-
subordinierten Satz, der die Funktion eines Attributs übernimmt, nennt nannte freie Dativ dar. Wie der Name sagt, handelt es sich dabei um eine
man Gliedteilsatz. Einheit, die zwar wie ein Dativobjekt aussieht (immer in Form einer
3. Objekt: Als Objekte werden ausschließlich die Phrasen oder Sätze Nominalphrase im Dativ), die aber nicht vom Verb gefordert wird, sondern
bezeichnet, die von einem Verb gefordert werden, also in der Verbvalenz frei zu einem Satz hinzugefügt werden kann. Dieser Umstand würde
aufgeführt werden. Ein Objekt kann man in der Regel nicht weglassen, eigentlich dafür sprechen, den freien Dativ als Adverbial (s. Kap. 9.1.4) zu
ohne dass der Satz ungrammatisch wird: In dem Satz Er schenkt seinem bezeichnen, also als eine nicht vom Verb geforderte, zusätzliche optionale
kleinen Bruder eine Eisenbahn. sind seinem kleinen Bruder und eine Ei- Angabe. Dagegen spricht jedoch, dass das, was durch einen freien Dativ
senbahn Objekte, da das Verb schenken sowohl einen Beschenkten als ausgedrückt wird, sehr viel Ähnlichkeit mit einem Objekt hat, also eng
auch ein Geschenk als notwendige Ergänzungen fordert. Weglassen kann mit dem Verb verbunden ist. Um diese Zwischenstellung zwischen Objekt
man Objekte nur dann, wenn man elliptische Sätze (Ellipsen) produziert, und Adverbial zu erfassen, hat man den Begriff ›freier Dativ‹ eingeführt.
d. h. wenn man sich das Objekt ›mitdenken‹ kann. Wenn man z. B. darü- Es gibt eine ganze Reihe von Subtypen des freien Dativs, genauer gesagt
ber redet, wer aus der Familie dem Jungen welches Geschenk macht, und von verschiedenen Verwendungskontexten, in denen der freie Dativ
die anderen Geschwister und die Eltern bereits ihre Geschenke angegeben jeweils andere Funktionen ausübt:
haben, kann man auch sagen: Er schenkt eine Eisenbahn. Durch den Kon- ■ Dativ des Vorteils (dativus commodi) gibt an, zu wessen Gunsten Subtypen des
text ist klar, wer der Beschenkte ist. Auf der Oberfläche ist das Objekt sei- eine Handlung geschieht: Sie öffnet ihm die Tür. Er kocht ihr eine heiße freien Dativs
nem kleinen Bruder dann zwar nicht zu sehen, implizit ist es aber vorhan- Suppe. Das Kind singt seinen Eltern ein Lied. Wir gießen unseren Nach-
den. Der ›Objekt-Test‹ besteht also immer darin, zu fragen, ob eine be- barn die Blumen, wenn sie im Urlaub sind.
stimmte Phrase vom Verb gefordert wird und entweder im Satz realisiert ■ Dativ des Nachteils (dativus incommodi) zeigt an, zu wessen Un-
oder zumindest mitgedacht werden kann, oder nicht. gunsten eine Handlung geschehen ist: Das Glas ist ihm heruntergefal-
Strukturell lassen sich vier Objekttypen unterscheiden. Die ersten drei len. Der Hund ist ihr davongelaufen. Der Preis ist dem Unternehmen zu
Objekte bestehen formal aus Nominalphrasen oder Sätzen, das vierte be- hoch.
steht aus einer Präpositionalphrase: ■ Dativ der Zugehörigkeit (Pertinenzdativ) kodiert die Zugehörigkeit
Vier Objekttypen ■ Das Akkusativobjekt kann entweder aus einer Nominalphrase im Ak- einer Einheit in einem Satz zu einer anderen: Die Mutter putzt dem klei-
kusativ bestehen, wie Ich sehe [den MannAkk], oder aus einem Satz nen Kind die Nase. Ihm zittern die Knie. Er klopft dem Gewinner auf die
(Akkusativobjektsatz): Ich sehe, [dass er gerade über die Straße geht]. Schulter. Ohne den Pertinenzdativ wären die Sätze zwar alle korrekt,
■ Das Dativobjekt besteht meist aus einer Nominalphrase im Dativ: Ich aber man würde in den meisten Fällen davon ausgehen, dass der ›Be-
traue [ihmDat] nicht. Dativobjektsätze wie Er hilft, [wem immer er sitzer‹ zugleich das Subjekt ist: Die Mutter putzt die Nase. würde man
kann.] sind selten. interpretieren als Die Mutter putzt sich selbst die Nase.
■ Genitivobjekt: Auch Genitivobjekte bestehen aus Nominalphrasen:
Wir gedenken [der TotenGen]. Genitivobjekte sind sehr selten und Geni- Bei den ersten drei genannten Varianten des freien Dativs ist die Nähe
tivobjektsätze kommen im Deutschen nicht vor. zum Objekt besonders stark zu spüren, weil in allen Fällen eigentlich der
■ Präpositionalobjekte werden ebenfalls vom Verb gefordert. Sie beste- nicht realisierte Dativ mitgedacht werden muss: Bei Er kocht eine Suppe.
hen nicht aus Nominalphrasen, wie die ersten drei Objekttypen, son- ist klar, dass die Suppe für irgendjemanden bestimmt ist, und sei es nur
dern entweder aus Präpositionalphrasen, aus Sätzen oder aus Adverb- für die Person, die zugleich das Subjekt stellt (Also: Er kocht sich eine
phrasen mit einem folgenden, dem Adverb untergeordneten Satz. Ein Suppe.). Bei Das Glas ist heruntergefallen. gibt es immerhin zwei Möglich-
Beispiel für eine Präpositionalphrase als Präpositionalobjekt ist Ich keiten: Entweder gehört das Glas keiner bestimmten oder relevanten Per-
hoffe [auf eine Einigung]. Ein Beispiel für einen Präpositionalobjektsatz son, also niemand kam zu Schaden, dann ist in der Tat keine Ergänzung
ist: Ich hoffe, [dass sie sich einigen werden]. Der Satz dass sie sich eini- notwendig. Sobald es aber einen Besitzer gibt, ist dieser automatisch der
gen werden kann durch die Präpositionalphrase auf die Einigung er- Benachteiligte, auch wenn er nicht genannt wird. Im Fall des Per-
setzt werden. Statt eines einfachen Satzes kann auch eine Adverb- tinenzdativs ist es wiederum im Normalfall so, dass man das Subjekt
phrase mit einem folgenden, dem Adverb untergeordneten Satz als Prä- zugleich als die Einheit wahrnimmt, zu der eine andere als zugehörig dar-
positionalobjekt verwendet werden: Ich hoffe [darauf, dass sie sich eini- gestellt wird. Es gibt daher auch Vorschläge, die ersten drei Varianten des
gen werden]. Im letzteren Fall ist der Satz dass sie sich einigen werden freien Dativs als ›normale‹ Dativobjekte zu fassen. Das ist für die letzten
dem Adverb darauf untergeordnet. Es handelt sich um ein Präpositio- beiden Varianten dagegen in keinem Fall möglich:
nalobjekt, da das Adverb darauf eine Präpositionalphrase (auf X) er- ■ Der ethische Dativ (dativus ethicus): Dieser hat eher Ähnlichkeiten
setzt. mit einer Partikel, verleiht Äußerungen einen emotionalen Gehalt und
kann sie verstärken oder abschwächen. Typischerweise ist er auf die 1.
Person Singular oder Plural des Possessivpronomens beschränkt: Bei-
162 163
9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
spiele sind Fall mir nicht hin! Mach uns bloß keine Schande! Komm mir ■ Kausaladverbiale geben den Grund einer Handlung oder eines Vor-
bloß nicht wieder so spät nach Hause! gangs an: Weil es heute regnet, bleiben wir zu Hause. Er benötigt wegen
■ Der Dativ des Beurteilens (dativus iudicantis) modalisiert ebenfalls seiner schlechten Augen eine Brille.
eine Äußerung. Meist wird damit angezeigt, dass eine Aussage nicht ■ Konzessivadverbiale geben eine Einräumung bzw. einen Gegengrund
allgemein zu werten ist, sondern nur in Bezug auf den Sprecher oder an: Trotz des schlechten Wetters gehen wir heute wandern. Sie hat keine
eine an der Subjektstelle genannte Person bzw. Gruppe von Personen. Lust zu lernen, obwohl morgen die Klausur stattfindet.
Der dativus iudicantis wirkt somit eher wie eine Gesprächsfloskel (z. B. ■ Instrumentaladverbiale geben an, welche Mittel im Rahmen einer
wie meiner/deiner/seiner etc. Meinung nach oder meiner/deiner/seiner Handlung oder eines Vorgangs verwendet werden: Er öffnet den Brief
etc. Ansicht nach) und nicht wie ein Objekt: Er fährt mir zu schnell. Das mit der Schere. Mit dem Computer kann man schneller schreiben.
Schwimmbad ist mir viel zu voll. Die meisten Syntaxeinführungen sind ■ Finaladverbiale geben den Zweck oder das Ziel einer Handlung oder
den Studenten zu schwierig. Fahrradfahren in der Großstadt ist ihm zu eines Vorgangs an: Ich öffnete das Fenster, damit der Geruch des ver-
gefährlich. Ich vermute, die Band ist dir zu laut, oder? Wie die Beispiele brannten Essens abziehen konnte. Für bessere Sicht sind neue Scheiben-
zeigen, geht es immer darum, eine Aussage als nicht allgemeingültig zu wischer einzubauen.
gestalten, sondern in Bezug auf die Einschätzung einer Person oder ■ Konditionaladverbiale geben die Bedingungen an, unter denen eine
Personengruppe. Handlung oder ein Vorgang abläuft: Das Konzert findet nur bei schönem
Wetter statt. Wenn es regnet, bleiben wir zu Hause.
4. Adverbial: Als Adverbiale werden die Einheiten bezeichnet, die ein ■ Konsekutivadverbiale geben die Folgen einer Handlung oder eines
Verb, genauer die Handlungen oder Vorgänge, die ein Verb beschreibt, Vorgangs an: Er beleidigte den Polizisten, was zu einer Anzeige führte.
näher bestimmen. Adverbiale sind formal betrachtet sehr heterogen: Die Sie hat das Seil gespannt, bis es riss.
Funktion eines Adverbials kann durch Adverbphrasen (Er arbeitet hier.), ■ Adversativadverbiale führen einen Gegensatz in das Geschehen ein:
Adjektivphrasen (Es regnet sehr stark.), Nominalphrasen (Letzte Woche Er bekam anstatt des gewünschten Südseeurlaubs nur ein Wochenende
hat es geregnet.), Präpositionalphrasen (Sie macht Urlaub am Meer.), an der Nordsee. Entgegen unserer Erwartungen hat sie die Prüfungen
Relativsätze (Heute scheint die Sonne, was uns sehr freut.) und sub- bestanden.
ordinierte Sätze (Er kommt später, weil sein Auto kaputt ist.) ausgeübt ■ Benefaktivadverbiale geben an, zu wessen Gunsten etwas geschieht:
werden – salopp gesprochen, können alle diese Phrasen und Sätze als Er bringt für seine Mutter die Briefe zur Post. Der Junge lügt für seine
Adverbial ›jobben‹. Alle Adverbiale zeichnet aus, dass sie nicht vom Verb Schwester die Lehrerin an.
gefordert werden, also nicht Teil der Verbvalenz sind, und daher weg-
gelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird. Es 5. Prädikativ: In manchen Grammatiken finden sich auch Ausdrücke wie
handelt sich meist um zusätzliche, optionale Angaben, anders als bei den ›Prädikativum‹ oder ›Prädikatsnomen‹ für diese Funktion, wobei zu
Objekten, die vom Verb gefordert werden. Es gibt nur wenige Verben, die beachten ist, dass mit dem Prädikatsnomen der ›weite‹ Begriff des Nomens
ein Adverbial tatsächlich als Ergänzung fordern. Ein Beispiel ist wohnen, gemeint ist, mit dem alle deklinierbaren Wortarten als Nomen bezeichnet
da der Satz Sie wohnt. nur sehr eingeschränkt Sinn ergibt und daher werden. Hier wird, um Missverständnisse zu vermeiden, nur von
adverbiale Ergänzungen wie Sie wohnt hier. oder Sie wohnt dort drüben. Prädikativen gesprochen. Prädikative bereiten oft Schwierigkeiten bei der
notwendig sind. Analyse, da sie sich funktional kaum von Attributen unterscheiden, sie
Adverbiale können nach ihrer Funktion in folgende Gruppen unterteilt schreiben nämlich ebenfalls einem Nomen Eigenschaften zu. Anders als
werden: Attribute sind Prädikative aber eigenständige Satzglieder, d. h. sie sind
Funktionale ■ Lokaladverbiale geben den Ort einer Handlung oder eines Vorgangs nicht einer Nominal- oder Adjektivphrase untergeordnet, sondern direkt
Subklassen von an: Sie arbeitet hier. Wir fahren auf der Straße. der Verbphrase. Die Eigenschaftszuschreibung sowohl bei Subjekts- als
Adverbialen ■ Temporaladverbiale geben den Zeitpunkt oder Zeitraum einer Hand- auch bei Objektsprädikativen muss also immer über ein Verb hinweg
lung oder eines Vorgangs an: Es regnet seit drei Wochen. Wir machen erfolgen. Subjektsprädikative kommen mit den Kopulaverben sein,
jetzt Schluss. werden und bleiben zusammen vor: Das Gras ist grün. Der Winter wird
■ Modaladverbiale geben die Art und Weise einer Handlung oder eines hart. Das Wetter bleibt schön.
Vorgangs an: Es regnet sehr stark. Er erreichte sein Ziel mühelos. Mit al- Das Satzteilglied Attribut: Während die Satzglieder stets entweder di-
ler Gewalt öffnete sie die Tür. rekt dem Satz untergeordnet sind, wie das Subjekt, oder Teil der Verb-
■ Kommentaradverbiale geben eine bewertende Einstellung eines Betei- phrase sind, wie Objekte, Adverbiale, Prädikate und Prädikative, sind At-
ligten zu einer Handlung oder einem Vorgang an: Heute regnet es leider tribute immer in eine Nominalphrase oder eine Adjektivphrase eingebet-
sehr stark. Glücklicherweise hat sie die Schlüssel wiedergefunden. Zu tet, also auf einer niedrigeren Hierarchieebene angesetzt. Das bedeutet,
seinem Bedauern hat er keinen Preis gewonnen. dass Attribute funktional betrachtet innerhalb von Subjekten, Objekten,
Adverbialen oder Prädikativen auftreten. Dies erklärt auch den Namen
164 165
9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
›Satzteilglied‹: Attribute sind immer Teil eines anderen Satzgliedes: In dem (1)
Satz Der kleine Hund, der so laut bellt, gehört meinen Eltern. gibt es zwei
Attribute: Das Adjektiv kleine ist ein Attribut zu dem Nomen Hund und
der so laut bellt ist ein Relativsatz, der ebenfalls die Funktion eines Attri- Subjekt S
buts hat, das das Wort Hund näher bestimmt. Beide Attribute sind somit
der Nominalphrase mit dem Kopf Hund untergeordnet, die wiederum
funktional betrachtet das Satzglied ›Subjekt‹ ist: Die Attribute sind also in NPNom VP
ein anderes Satzglied eingebettet. Die Funktion von Attributen besteht da- Attribut zu dem Attribut zu dem
rin, Eigenschaften oder Merkmale der Einheit zuzuschreiben, der sie un- Adjektiv freie Nomen Unternehmer
tergeordnet sind. Wenn ein Attribut durch einen subordinierten Satz ge- AdjP Akkusativobjekt
stellt wird (wie bei dem Relativsatz der so laut bellt in dem eben genann-
ten Beispiel), spricht man dabei auch von einem Gliedteilsatz – ein Satz, (Temporal)adverbial
der die Rolle eines Satzteilgliedes hat. PP Dativobjekt NPAkk
Attribut zu dem
Nomen Yacht
Prädikat
9.1.1 | Das Prädikat NPDat NPDat AdvP AdjP
Zu den Prädikaten gibt es insofern nicht viel zu sagen, als in dieser Ein-
führung jeweils das Verb bzw. alle Verbteile als Prädikat gewertet werden. Art Präp NDat Adj NNom Vfin PronSDat Adv PronB Adj NAkk
Bei einem Satz wie Morgen regnet es. liegt mit dem Verb regnen entspre- Der von Geldsorgen freie Unternehmer kaufte sich gestern seine dritte Yacht.
chend nur ein Prädikat vor, bei einem Satz wie Vor zwei Wochen soll es hier
sehr stark geregnet haben. liegt dagegen ein dreiteiliges Prädikat vor: Das
Modalverb soll bildet den Prädikatsteil I, das Vollverb geregnet den Prädi-
katsteil II und das Hilfsverb haben den Prädikatsteil III. Folgende Sachverhalte lassen sich an der Darstellung aus (1) ablesen:
■ Nur das Verb nimmt unmittelbar als Wort eine Funktion ein. Alle übri-
gen Funktionen werden ausschließlich auf der Phrasenebene markiert.
9.1.2 | Das Subjekt ■ Manche Phrasen, wie die Nominalphrase im Dativ (Geldsorgen), wer-
den nicht mit Funktionen markiert (mehr dazu in Kapitel 9.1.3 und
Grundsätzlich kann man sagen, dass das Subjekt im Normalfall von der 9.1.4).
Nominalphrase im Nominativ gestellt wird. Wichtig ist – und hier wird ■ Bei Begleiterpronomen kann man sich streiten, ob sie Satzgliedstatus
nun die Relevanz der vorgeschalteten Phrasenstrukturanalyse deutlich –, haben. Wir haben Begleiterpronomen hier aber immer wie Artikel be-
dass das Subjekt nicht bloß aus dem Nomen im Nominativ besteht, son- handelt und nicht zu Phrasen aufgebaut. Daher bleiben hier auch Be-
dern immer aus der kompletten Nominalphrase, also inklusive aller Be- gleiterpronomen wie seine ohne Funktion.
gleiter des Nomens. Das Subjekt kongruiert im Numerus mit dem Verb,
d. h. wenn das Subjekt im Singular steht, muss auch das Verb im Singular Die Nominalphrase Der von Geldsorgen freie Unternehmer bildet in dem
stehen: [Der Mann]Subjekt im Singular [klettert]Verb im Singular auf die Leiter. vs. vorliegenden Satz als Ganze das Subjekt, also die dem Satz zu Grunde
[Die Männer]Subjekt im Plural [klettern]Verb im Plural auf die Leiter. gelegte Einheit, über die das Prädikat kaufte eine Aussage macht: Frage:
Eine Erweiterung des in Kapitel 8.7.1 als Beispiel (43) rein formal ana- Wer oder was führte die Handlung des Kaufens durch? Antwort: Der von
lysierten Satzes Der von Geldsorgen freie Unternehmer kaufte sich gestern Geldsorgen freie Unternehmer.
seine dritte Yacht. um Satzgliedinformationen liefert Ergebnis (1): Beispielsatz (2) illustriert, weshalb eine phrasenstrukturelle Analyse
durchgeführt werden muss, bevor die Satzfunktionen zugewiesen wer-
den.
166 167
9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
Adverbial
Attribut zu dem
Nomen Tisch
Prädikat des
Hauptsatzes
Subjekt Prädikativ
Adverbial des
Relativsatzes
Prädikativ des
Hauptsatzes Prädikat
Subjekt des
Relativsatzes Prädikat des
Relativsatzes
Bei Sätzen wie in (3) und (4), die ein Kopulaverb wie sein, werden oder
bleiben enthalten, muss gefragt werden, welche der beiden Nominalphra-
sen im Nominativ die Funktion (den ›Job‹) des Subjekts hat, d. h. der zu
Grunde gelegten Einheit, über die eine Aussage gemacht wird. Im ersten
Fall ist das das Pronomen er: Um er überhaupt entschlüsseln zu können,
muss man wissen, worauf es sich bezieht, es wird also vom Sprecher als
Häufig machen ›Syntaxanfänger‹ bei Sätzen der Art wie in (2) den Fehler, bekannt vorausgesetzt. Die Information, dass dieser er ein Arzt ist, ist da-
die Frage nach dem Subjekt des Hauptsatzes mit der Tisch zu beantwor- gegen neu. Im zweiten Fall wird Obama als Grundlage vorausgesetzt, die
ten. Die Nominalphrase lautet aber der Tisch, auf dem die Geschenke lie- neue Information ist, dass er Präsident bleibt. Er und Obama stellen also
gen, und es ist diese komplette Konstituente, über die eine Aussage getrof- jeweils das Subjekt in Satz (3) bzw. (4) (Prädikative werden in Kapi-
fen wird. tel 9.1.5 analysiert).
Da es sich hier um zwei Sätze handelt, einen übergeordneten Satz und Ein anderes Problem entsteht dann, wenn man es mit komplexen Sät-
einen eingebetteten Relativsatz, finden sich zwei Prädikate und Subjekte, zen zu tun hat. Liegt ein solcher Fall vor, muss gefragt werden, ob nach
die einmal dem Nebensatz zugehören und einmal dem übergeordneten dem eingebetteten Satz (dem mit einer Konjunktion eingeleiteten subordi-
Satz. Subjekt des Relativsatzes ist die Geschenke, worüber mit dem Prädi- nierten Satz oder dem Infinitivsatz) mit Wer oder was? gefragt werden
kat liegen die Aussage getroffen wird. kann (5):
Bei Sätzen, die nur eine Nominalphrase im Nominativ haben, ist die (5)
Zuordnung der Subjektfunktion meist unproblematisch. Schwieriger wird
Subjekt des Prädikativ des
es dann, wenn zwei Nominalphrasen im Nominativ vorkommen, wie in Hauptsatzes Hauptsatzes
(3) und (4):
(3)
Akkusativobjekt der
Subjekt Prädikativ Infinitivphrase Prädikat der
Infinitivphrase
Attribut zu Idee
Prädikat des
Hauptsatzes
Prädikat
168 169
9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
Attribut zu Plan
Subjekt des
Hauptsatzes
Prädikat des
Subjekt des Hauptsatzes
subordinierten Dativobjekt des
Prädikat des Hauptsatzes
Satzes
subordinierten
Satzes
Adverbial des
subordinierten
Satzes Das Demonstrativpronomen das ist das Subjekt des Hauptsatzes aus (7),
ein guter Plan dagegen ein Prädikativ. Nun liegt allerdings mit dem Infini-
tivsatz erst die Hausarbeit zu schreiben ein weiteres, satzwertiges Subjekt
vor. Erst dieses klärt eigentlich, was mit das gemeint ist. Es wäre ja auch
möglich, einen Satz wie Erst die Hausarbeit zu schreiben, ist ein guter
Plan. zu äußern. In diesem Fall wäre dann der Infinitivsatz eindeutig das
Subjekt. Hier dagegen ist der Infinitivsatz dem Demonstrativpronomen
untergeordnet. Es liegt eine Korrelatbeziehung vor, d. h. das Pronomen
Der subordinierte dass-Satz als Ganzes stellt in (6) das Subjekt des Haupt- verweist darauf, dass ›irgendwo‹ der Inhalt sein muss. Wenn der Kontext
satzes. Innerhalb des subordinierten Satzes bildet dagegen die Nominal- klar ist, z. B. wenn A sagt Wir schreiben erst die Hausarbeit!, dann kann B
phrase die Sonne das Subjekt. Partikeln wie sehr werden in der Satzglied- einfach antworten Das ist ein guter Plan. Der Inhalt des Korrelatwortes
analyse für gewöhnlich nicht berücksichtigt. würde dann durch die Äußerung von A bereitgestellt werden und muss
Korrelate: Zuletzt muss noch auf die sogenannten Korrelate bzw. Korre- nicht extra in dem Satz erwähnt werden. In (7) dagegen wird der Inhalt
latstrukturen eingegangen werden. Dabei wird in einem Satz einerseits ein des Korrelatwortes im Satz selbst mit realisiert und kann daher dem Korre-
sogenanntes Korrelatwort (gestellt durch ein inhaltsleeres Pronomen wie latwort, also dem Pronomen, untergeordnet werden, ohne dass die Infini-
es, das, den, dem, denen etc.) geäußert und andererseits auch die ›Fül- tivphrase eine eigene Satzgliedfunktion erhält. Die Prädikate wurden in
lung‹ dieses Korrelatwortes gegeben. Ein Beispiel ist Satz (7): dem Beispiel nicht markiert: Das Kopulaverb ist ist das Prädikat des Haupt-
satzes, zu schreiben ist das Prädikat des Infinitivsatzes.
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
Ein Problem bei der Satzgliedanalyse ist, dass man sich bei solchen Fällen, Akkusativobjekt
bei denen ein Adjektiv oder ein Nomen eine Ergänzung fordert (frei von X, Prädikatsteil 1
Freiheit von X, sich uns bietend, ein Lied singend etc.) weder mit der Funk-
tion eines Attributs noch eines Objekts zufrieden geben kann. Besonders Prädikatsteil 2
deutlich wird das bei Partizipien, d. h. ehemaligen Verben, die nun als
Adjektive eingesetzt werden, und dabei ihre ›alten‹ Objekte mitnehmen. In
den folgenden Beispielsätzen kommt das Verb bieten vor, das als Ergän-
zungen jemanden fordert, der etwas bietet, etwas, das geboten wird, und
jemandem, dem etwas angeboten wird: ErAnbieter bietet unsEmpfänger ein
Stück KuchenAngebotenes an. oder Die GelegenheitAnbieter/Angebotenes bietet
sichAnbieter/Angebotenes unsEmpfänger an. Wenn nun ein solches Verb zu einem
Partizip wird, das als Adjektiv verwendet wird, wie in das uns angebotene
Das Verb sehen aus (8) fordert zwei Ergänzungen, nämlich jemanden, der
Stück Kuchen oder die sich uns bietende Gelegenheit, dann sind uns und sieht, und etwas, das gesehen wird. Die erste Ergänzung wird durch das
Stück Kuchen in der ersten Adjektivphrase und uns und Gelegenheit in der Subjekt gestellt, das Pronomen ich kodiert den ›Seher‹. Die Nominalphrase
zweiten nicht mehr einem Verb, sondern dem jeweiligen Adjektiv ange- im Akkuksativ das Flugzeug dagegen stellt die zweite Ergänzung, nämlich
botene bzw. bietende untergeordnet. Für die Analyse bestehen dann zwei das, was gesehen wird.
Möglichkeiten, die beide jeweils Vor- und Nachteile haben: In Beispielsatz (8) ist das Akkusativobjekt sehr einfach aufgebaut, es
■ Man kann diese ehemaligen Objekte weiterhin als Objekte behandeln. besteht nur aus einer Nominalphrase, die wiederum aus einem Artikel
In der Literatur finden sich dazu Begriffe wie sekundäre Objekte. Der und einem Nomen besteht. Selbstverständlich können Nominalphrasen
Vorteil ist, dass man damit anzeigt, dass diese Ergänzungen tatsächlich intern aber sehr komplex aufgebaut sein. Wichtig ist, dass das ›Etikett‹ des
eher wie Objekte funktionieren, also Valenzergänzungen sind, und nicht Objekts an die Nominalphrase ›geheftet‹ wird, d. h. dass markiert wird,
wie Attribute, da sie keine Eigenschaften zuschreiben. Der Nachteil ist, dass die gesamte Phrase mit allen ihr untergeordneten Phrasen den ›Job‹
dass man nun Objekte auch als Satzteilglieder hat und nicht mehr nur eines Akkusativobjekts ausübt. Hier zeigt sich wieder, dass die Phrasen-
als Satzglieder. strukturanalyse notwendige Voraussetzung für die funktionale Analyse
■ Man kann diese ehemaligen Objekte als Attribute behandeln. Der Vorteil
(d. h. die Satzgliedanalyse) ist. Häufig vergessen Grammatikanfänger,
dieser Analyse besteht darin, dass man dadurch dem Satzteilglied-Cha- dass z. B. ein Relativsatz mit zum Objekt gehört, da er Teil der Nominal-
rakter dieser Einheiten gerecht wird, denn sie sind immer einem Adjek- phrase ist, wie in (9).
tiv oder Nomen untergeordnet.
Für dieses Dilemma gibt es keine Lösung, die Wahl der beiden Analyse-
möglichkeiten hängt davon ab, ob man den Aspekt der Funktion (wenn
eine Phrase in der Valenz eines Wortes als Forderung aufgeführt ist, dann
ist es immer ein Objekt) stärker bewertet (dann wählt man Lösung (1))
oder den Aspekt der Struktur (wenn ein Wort als Kopf einer Phrase einer
Verbphrase untergeordnet ist und von dem Verb gefordert wird, dann ist es
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
(9) (10)
Akkusativobjekt
des Hauptsatzes
Akkusativobjekt
des Hauptsatzes Subjekt des
Hauptsatzes
Subjekt des
subordinierten Satzes
Attribut zu Einbrecher
Adverbial des
subordinierten Satzes
Adverbial des
Relativsatzes
Attribut zu Einbrecher
Subjekt des
Subjekt des
Hauptsatzes
Relativsatzes
In (10) stellt das finite Verb sehe das Prädikat des Hauptsatzes, während
das finite Verb abhebt das Prädikat des Nebensatzes ist. Das Verb sehen
fordert zwei Ergänzungen (jemand, der etwas sieht und etwas, das gese-
hen wird). Gerade bei Wahrnehmungsverben wie sehen, hören, fühlen,
aber auch bei kognitiven Verben wie meinen, denken, glauben etc., wird
das Akkusativobjekt in der Regel nicht als Nominalphrase realisiert, son-
dern als subordinierter Satz. Das liegt daran, dass man meist sehr kom-
Prädikat des Hauptsatzes in (9) ist verhaftet, der Relativsatz enthält dage- plexe Sachverhalte sieht, hört, fühlt, denkt, meint, glaubt etc.
gen zwei Prädikatsteile, erwischt und wurde. In der Grundstruktur ist der Relativpronomen als Akkusativobjekt: Eine weitere Variante eines Ak-
Satz so einfach wie der erste im Abschnitt zu Akkusativobjekten analy- kusativobjekts ist die eines Relativpronomens im Akkusativ, wie in (11).
sierte: Das Verb erwischen fordert zwei Ergänzungen, nämlich jemanden, (11)
der etwas erwischt, und etwas, das erwischt wird. Die erste Ergänzung
Subjekt des
wird durch das Subjekt in Form der Nominalphrase der Polizist gestellt. Hauptsatzes
Die zweite Ergänzung enthält als Kopf den Einbrecher, der durch eine Ad-
jektivphrase als Attribut sowie einen Relativsatz als Attribut näher be-
stimmt wird. Das Akkusativobjekt kann also mit Wen erwischt der Polizist?
erfragt werden, die Antwort lautet: den dummen Einbrecher, der bei sei-
nem Einbruch erwischt wurde. Attribut zu Auto
Auf der Ebene des Relativsatzes müssen natürlich ebenfalls wieder
Satzglieder festgestellt werden: Während der Polizist das Subjekt des Subjekt des
Hauptsatzes ist, ist das Relativpronomen der das Subjekt des Relativsat- Relativsatzes
zes: Es antwortet auf die Frage: Wer oder was wurde erwischt? Die Präposi- Akkusativobjekt
tionalphrase bei seinem Einbruch hat die Funktion eines Adverbials, wo- des Relativsatzes
Adverbial des Prädikativ des
bei hier schwer zu bestimmen ist, welche Art des Adverbials vorliegt: Es Relativsatzes Hauptsatzes
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
Das Prädikat des Hauptsatzes aus (11) ist ist, die Prädikatsteile des Ne- Adjektivphrase schwer ist ein Prädikativ. Die Prädikate wurden in dem
bensatzes sind gekauft haben. Der Hauptsatz besteht hier aus einem kom- Satz nicht markiert, um die Darstellung nicht zu komplex werden zu las-
plexen Subjekt, nämlich einer Nominalphrase mit einem eingebetteten At- sen. Das Prädikat des Hauptsatzes ist glaube, das des Nebensatzes war.
tributsatz (ein Relativsatz als Attribut zu Auto). Das Adjektiv großartig ist Dativobjekt: Das Dativobjekt besteht meistens aus einer Nominal-
das Prädikativ des Hauptsatzes und bezieht sich auf Auto. In dem Relativ- phrase, wie in (13), eher selten aus einem Satz (14).
satz ist das Personalpronomen wir das Subjekt, das Adverbial des Relativ- (13)
satzes ist gestern und das Akkusativobjekt, das von dem Verb kaufen ge-
fordert wird (Wer kauft was?) wird durch das Relativpronomen das ge-
stellt. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass alle Stellvertreter-Re- Dativobjekt
lativpronomen immer Satzgliedstatus haben.
Akkusativobjekte und Korrelatstrukturen: Zum Schluss soll mit (12)
Subjekt
eine Korrelatstruktur illustriert werden. Attribut zu Bruder
(12)
Akkusativobjekt
Akkusativobjekt
Prädikat
des Hauptsatzes
Das Verb geben aus (13) fordert neben dem Subjekt, das den ›Geber‹ ko-
diert, zwei weitere Ergänzungen, nämlich einmal etwas, das übergeben
wird, in Form einer Nominalphrase im Akkusativ (Akkuksativobjekt),
Subjekt des
subordinierten und einmal den Empfänger in Form einer Nominalphrase im Dativ (Dativ-
Prädikativ des
Satzes
subordinierten objekt). Dativobjekte in Form von Nominalphrasen sind der häufigste Fall.
Satzes Dativobjektsätze kommen dagegen eher selten vor.
Subjekt des Dativobjektsatz: Ein Beispiel für einen Dativobjektsatz ist (14).
Hauptsatzes
(14)
Dativobjekt des
Hauptsatzes
Das Verb glauben aus (12) fordert zwei Ergänzungen, wobei als Subjekt,
Subjekt des
d. h. als Nominalphrase im Nominativ, derjenige realisiert wird, der etwas Hauptsatzes Subjekt des
glaubt. Das, was geglaubt wird, wird einmal formal durch ein Korrelat- subordinierten
wort, das Demonstrativpronomen das im Akkusativ, kodiert, und einmal Satzes
durch den subordinierten Satz, der den Inhalt stellt und dem Korrelatwort
zugeordnet ist. Dieser subordinierte Satz hat keine eigene Satzgliedfunk-
tion, da er zusammen mit dem Korrelatwort, dem Pronomen das, in die-
sem Satz das Akkusativobjekt bildet und dem Pronomen nicht unterge-
ordnet ist. Innerhalb des subordinierten Satzes stellt ein weiteres Demons-
trativpronomen das Subjekt, wobei dort allerdings keine inhaltliche ›Fül-
lung‹ gegeben wird, d. h. das Demonstrativpronomen steht alleine. Die
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
In (14) stellt der dass-Satz die von dem Verb zustimmen geforderte Er- (16) (17)
gänzung nach etwas, dem zugestimmt wird. Die Prädikatsteile auf der
Hauptsatzebene sind stimmte und die Verbpartikel zu, auf der Nebensatz-
freier Dativ
ebene gibt es mit verkauft werden sollen drei Prädikatsteile. Dativobjekt- Subjekt freier Dativ oder Dativobjekt
sätze sind eher selten, weitaus häufiger finden sich Konstruktionen, in de-
nen ein solcher Satz in eine Nominalphrase eingebettet wird, so dass wie-
der die gebräuchlichere Struktur einer Nominalphrase als Dativobjekt ent-
steht (15).
(15)
Dativobjekt des
Hauptsatzes
In Beispiel 16 (einem Imperativsatz, der daher kein Subjekt hat; das Prädi-
kat wird durch den Verbteil fall (Prädikatsteil 1) und die Verbpartikel hin
(Prädikatsteil 2) gestellt; zur formalen Struktur von Imperativsätzen s. Ka-
Attribut zu Plan
pitel 8.7.2) liegt ein eindeutiger freier Dativ vor, konkret ein dativus ethi-
cus. Das Verb hinfallen fordert keine Ergänzung, und das Personalprono-
men mir im Dativ gibt auch nicht wirklich einen ›Mitspieler‹ in der Szene
an. Die Nominalphrase im Dativ dient lediglich dazu, die Äußerung zu
Subjekt des modalisieren, d. h. sie arbeitet auf der Ebene der Beziehungsgestaltung
Hauptsatzes Subjekt des
subordinierten
zwischen Sprecher und Hörer.
Satzes In Beispiel (17) kann man sich über die Einstufung der Nominalphrase
im Dativ streiten, denn hier liegt ein dativus incommodi vor, der angibt,
zu wessen Ungunsten etwas passiert ist. Hier könnte man durchaus argu-
mentieren, dass das Verb misslingen auch einen Akteur fordern kann, der
eine Handlung durchführt, die dann misslingt. Insofern könnte man die-
ses mir wahlweise als ›echtes‹ Dativobjekt oder als freien Dativ analysie-
ren (Das Prädikat besteht aus zwei Teilen, Prädikatsteil 1 ist ist, während
Prädikatsteil 2 durch das infinite Vollverb misslungen gestellt wird).
Genitivobjekt: Das Genitivobjekt ist heute selten geworden. Genitiv-
In (15) ist der dass-Satz nun nicht mehr Teil der Verbphrase, sondern er ist objekte werden nur noch von wenigen – und meist ›altmodisch‹ klingen-
dem Nomen Plan untergeordnet und somit Teil der Nominalphrase. Der den – Verben gefordert, wie z. B. gedenken (Wir gedenken der Toten.), er-
dass-Satz hat hier die Funktion eines Attributs zu Plan, das Dativobjekt ist barmen (Er erbarmt sich der leidenden Kinder.) oder bemächtigen (Der In-
somit die Nominalphrase dem Plan, dass die Aktien verkauft werden soll- vestmentbanker bemächtigte sich des Firmengeldes.). Satz (18) enthält ein
ten (wie oben sind auch hier stimmte … zu als die beiden Prädikatsteile Genitivobjekt:
des Hauptsatzes und verkauft werden sollten als die drei Prädikatsteile des
Nebensatzes zu werten).
Freier Dativ: Zuletzt sollen mit (16) und (17) noch zwei Beispiele für ei-
nen freien Dativ analysiert werden.
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Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
(18) (19)
Genitivobjekt
Präpositionalobjekt
Subjekt
Attribut zu Urlaub
Attribut zu Weltkrieg Prädikat
Prädikat
Beispiel (18) illustriert noch einmal gut den Unterschied zwischen einem Das Verb denken aus (19) fordert inhaltlich eine Angabe dessen, woran
Objekt und anderen Satzgliedern: Obwohl hier zwei Nominalphrasen im gedacht wird. Diese Angabe erfolgt meist als Präpositionalobjekt (denken
Genitiv vorliegen, ist nur die hierarchisch höhere (der Gefallenen des an X) oder als Satz (Sie denkt, dass ihr letzter Urlaub großartig war.). Die
Zweiten Weltkriegs) ein Genitivobjekt, da diese von dem Verb gedenken Präpositionalphrase an ihren letzten Urlaub stellt hier also das Präpositio-
gefordert wird (wessen gedenken) und direkt unter der Verbphrase steht. nalobjekt und liefert die Verbergänzung. Die Nominalphrase ihren letzten
Die zweite Nominalphrase im Genitiv (des Zweiten Weltkriegs) dagegen ist Urlaub hat keine eigene Funktion, sie wird von der Präposition an gefor-
der anderen Nominalphrase untergeordnet und bestimmt das Nomen Ge- dert. Für von Präpositionen geforderte Ergänzungen gibt es keine Satz-
fallenen näher, ›jobbt‹ also als Attribut (s. Kap. 9.2). glied›etiketten‹.
Präpositionalobjekt: Der Objekttyp, der bei der Bestimmung am meis-
ten Probleme macht, ist das Präpositionalobjekt. Das liegt daran, dass die
meisten Nominalphrasen, die direkt unter einer Verbphrase stehen, als 9.1.4 | Das Adverbial
Adverbial ›jobben‹ und nicht als Objekt (in Kapitel 9.1.4 wird die Unter-
scheidung von Adverbialen und Präpositionalobjekten ausführlich disku- Adverbiale dienen dazu, die Handlung, die ein Verb beschreibt, näher zu
tiert). Es muss also die Frage gestellt werden, ob die Präpositionalphrase bestimmen. Ein wichtiger Unterschied zwischen Adverbialen und Objek-
vom Verb gefordert wird, d. h. ob ein bestimmtes Verb eine Präposition bei ten ist, dass Adverbiale bis auf wenige Ausnahmen (z. B. bei Äußerungen
sich haben muss, wie denken an, arbeiten an, lachen über, sich freuen wie Sie wohnt dort.) nicht vom Verb gefordert werden, sondern zusätzli-
über, nichts wissen von, warten auf etc. Satz (19) enthält ein Präpositio- che, grammatisch ohne Probleme weglassbare Angaben sind.
nalobjekt: Adverb vs. Adverbial: An dieser Stelle muss auf die Verwechslungsgefahr
mit der Wortart ›Adverb‹ hingewiesen werden: Ein Adverb ist eine nicht
flektierbare, vorfeldfähige Wortart. Etymologisch betrachtet wird hier das
lateinische Wort ›verbum‹ im Sinne von ›Wort‹ verwendet, ein ›ad-verbum‹
ist also wörtlich ein ›bei-Wort‹ oder ›neben-Wort‹. Damit wird auf die Tatsa-
che verwiesen, dass Adverbien früher als eine Art ›Restklasse‹ für nicht nä-
her klassifizierte Wörter dienten. Das Adverbial dagegen bezeichnet eine
Funktion, d. h. ein Satzglied, das sich auf ein Verb bezieht und die vom Verb
geschilderten Handlungen, Tätigkeiten oder Zustände näher bestimmt. Ety-
mologisch steckt im Adverbial das lateinische Wort ›verbum‹ im Sinne von
›Verb‹. Ein Adverbial ist also ein ›zu-Verb‹, d. h. eine Einheit, die auf das
Verb bezogen ist, sich also zu dem Verb hin orientiert.
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Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
Kommentaradverbial
Temporaladverbial
Modaladverbial
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Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
(22) einen Grund betreffend) angibt (regnet ist das Prädikat des Nebensatzes,
bleiben das Prädikat des Hauptsatzes).
Adverbial vs. Präpositionalobjekt: Eine der schwierigsten Aufgaben bei
Konzessivadverbial
des Hauptsatzes der Bestimmung von Adverbialen besteht darin, die Aufgabe von Präposi-
tionalphrasen zu bestimmen. Präpositionalphrasen, die direkt einer Verb-
phrase untergeordnet sind, sind meistens Adverbiale, d. h. sie werden
vom Verb nicht gefordert. Es gibt aber auch, wie oben beschrieben, Prä-
positionalphrasen, die vom Verb gefordert werden und dann funktional
Subjekt des Präpositionalobjekte des Prädikats sind, wie in (24).
Temporaladverbial des
Hauptsatzes Subjekt des subordinierten Satzes
(24)
subordinierten
Satzes
Lokaladverbial
Präpositionalobjekt
Subjekt
Prädikat
Der subordinierte Satz obwohl wir morgen arbeiten müssen aus (22) gibt
einen Gegengrund (Konzession) zu der im Hauptsatz von dem Verb feiern
genannten Handlung an. Der Satz ist weglassbar und wird vom Verb nicht
gefordert, daher handelt es sich um einen Adverbialsatz, hier konkret um
ein Konzessivadverbial. Die Prädikate wurden nicht markiert: wollen und
feiern sind die beiden Prädikatsteile des Hauptsatzes, arbeiten und müs-
sen sind die Prädikatsteile des Nebensatzes. Obwohl beide Präpositionalphrasen aus (24) sehr ähnlich aussehen und
(23) die gleiche Struktur aufweisen, hat die erste die Funktion eines Ortsadver-
bials und die zweite die eines Präpositionalobjekts. Das liegt daran, dass
die Präpositionalphrase auf dem Bahnsteig ohne Probleme weggelassen
Kausaladverbial werden kann. Sie wird vom Verb nicht gefordert, sondern liefert eine zu-
des Hauptsatzes sätzliche Angabe des Ortes, an dem die vom Verb beschriebene Handlung
stattfindet. Anders sieht es dagegen mit der zweiten Präpositionalphrase
Lokaladverbial
des Hauptsatzes aus. Diese wird vom Verb gefordert, d. h. das Verb warten stellt zwei For-
derungen auf: Zum einen fordert es jemanden, der wartet, und zum ande-
Subjekt des ren jemanden, auf den gewartet wird. Das führt zu der Struktur X wartet
Hauptsatzes auf Y. Im Wörterbuch muss daher auch das Verb wie folgt notiert werden:
Subjekt des warten auf X. Man könnte nun argumentieren, dass man ja auch warten
subordinierten
Satzes
ohne auf X verwenden kann. Das ist zwar möglich, man kann sagen: Die
Kinder warteten. Allerdings ist dabei dann nur auf der syntaktischen Ober-
fläche die Ergänzung weggelassen worden, mitgedacht wird sie immer
(Ellipse). Man kann nie ›einfach so‹ warten, sondern man wartet immer
auf irgendetwas. Bei der Ortsangabe ist das nicht so. Wenn man etwa ei-
nen Satz wie Er wartet auf seine Beförderung. sagt, dann sind dort Orts-
angaben definitiv unnötig, da man ja immer und überall auf seine Beför-
derung warten kann.
Tests zur Unterscheidung von Adverbial und Präpositionalobjekt: Vie-
In (23) stellt der subordinierte Satz weil es regnet ein Kausaladverbial zu len fällt die Unterscheidung von Präpositionalobjekt und Adverbial
dem Prädikat bleiben des Hauptsatzes, für das er einen Grund (kausal = schwer. Es gibt allerdings einige Tests, die die Entscheidung erleichtern:
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Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
1. Wird die Präpositionalphrase vom Verb gefordert? Wenn sie Teil der (25) (26)
Verbvalenz ist (warten auf, lachen über, berichten von etc.), dann han-
delt es sich um ein Präpositionalobjekt, wenn nicht, um ein Adverbial.
Prädikat Prädikat
2. Hat die Präposition ihre ursprüngliche Bedeutung oder hat sie ihre Be-
deutung verändert oder gar verloren? Wenn die ursprüngliche Bedeu-
Subjekt
tung aktiviert ist, dann handelt es sich um ein Adverbial, ansonsten um Adverbial Subjekt Prädikativ
ein Präpositionalobjekt. Wenn man Sätze wie Er wartet auf den Zug.,
Sie lacht über den Witz. oder Er berichtet von seinem Urlaub. äußert,
merkt man, dass auf, über und von nicht eine Ortsrelation kodieren,
sondern vom Verb abhängig sind und keine eigene Bedeutung mehr ha-
ben.
3. Kann man die Präpositionalphrase durch ein Präpositionaladverb erset-
zen oder durch ein einfaches Adverb? Wenn man ein Präpositionalad-
verb einsetzen muss, das die ursprüngliche Präposition beinhaltet,
dann handelt es sich um ein Präpositionalobjekt (Er wartet auf den Trotz ihrer Ähnlichkeit müssen die Sätze unterschiedlich analysiert wer-
Zug. / Er wartet darauf.; Sie lacht über den Witz. / Sie lacht darüber.; Er den: In (25) bezieht sich die Adjektivphrase auf das Verb, sie hat also die
berichtet von seinem Urlaub. / Er berichtet davon.). Wenn man dagegen Funktion eines Adverbials. Die Tätigkeit des Singens wird dadurch positiv
ein einfaches Adverb oder ein Präpositionaladverb, das nicht die ur- bewertet. Über die Sängerin selbst wird keine Aussage gemacht, sondern
sprüngliche Präposition enthält, einsetzen kann, handelt es sich um ein nur über ihren Gesang. In (26) dagegen wird nicht eine Aussage über das
Adverbial (Er wartet auf dem Bahnsteig. / Er wartet dort.; Der Ballon Verb ist gemacht, das hier ohnehin nur eine inhaltsleere Kopula ist. Viel-
schwebt über dem Haus. / Er schwebt dort.; Der Brandgeruch kommt mehr möchte man der Person eine Eigenschaft zuschreiben: Eine gute Per-
von dem Stromzähler. / Der Brandgeruch kommt daher.). son. Worin die Person gut ist, wird durch den Kontext geklärt. Die Adjek-
4. Kann man die Präpositionen austauschen oder nicht? Wenn ja, handelt tivphrase ›springt‹ also sozusagen über das Verb hinweg auf das Prono-
es sich um ein Adverbial, wenn nicht, um ein Präpositionalobjekt: Er men sie und bestimmt es näher. Besonders deutlich wird dieser Unter-
wartet auf/neben/hinter/vor dem Bahnsteig. Der Ballon schwebt über/ schied, wenn man den Satz erweitert: Man kann im ersten Fall sagen Sie
neben dem Haus. Der Brandgeruch kommt von/aus dem Stromkasten. singt gut, aber sie ist schlecht. und im zweiten Sie ist gut, aber sie singt
Dagegen: Er wartet auf/*neben/*hinter/*vor seine Eltern. Sie lacht schlecht. Hier werden die Bezüge eindeutig hergestellt, d. h. im ersten Satz
über/*neben den Witz. Bei Er berichtet von seinem Urlaub. ist es mög- bewertet man den Gesang positiv und die persönliche (oder eine andere)
lich, einige andere Präpositionen einzusetzen. Diese sind allerdings Qualität der Person negativ, im zweiten Fall ist es umgekehrt.
alle ebenfalls semantisch entleert und bedeutungsähnlich zu von: Er Adverbiale und Prädikative im Englischen: In anderen Sprachen, wie
berichtet über seinen Urlaub. Er berichtet aus seinem Urlaub. dem Englischen, muss man die funktionalen Unterschiede auch formal
markieren. Während im Deutschen in beiden Fällen ein Adjektiv verwen-
Adverbiale vs. Prädikative: Wie mehrfach erwähnt, besteht die Funktion det wird, muss man im Englischen zu einem Adverb wechseln. Der erste
von Adverbialen darin, sich auf ein Verb zu beziehen, aber von diesem Satz würde heißen She sings well. Das Adverb well zeigt auf der formalen
nicht gefordert zu werden. Beispiele (25) und (26), die auf den ersten Seite an, dass es sich funktional nicht um ein Prädikativ, sondern um ein
Blick sehr ähnlich zu sein scheinen, machen noch einmal deutlich, was Adverbial handelt. Wenn man dagegen die Eigenschaft einer Person be-
gemeint ist, wenn ein Satzglied sich auf ein Verb bezieht. schreiben will, so müsste man sagen: She is good. Das Adjektiv good mar-
kiert formal, dass es sich funktional um ein Prädikativ handelt. Da das
Englische die funktionalen Unterschiede konsequent formal, d. h. auf der
Wortartenebene, wiederspiegelt, führt das dazu, dass im Englischen von
allen Adjektiven immer auch eine Variante als Adverb vorliegt, was im
Deutschen nicht der Fall ist. Im Deutschen gibt es nur die Adjektive gut,
schlecht, laut, schön, hoch, schnell, breit, süß etc. Im Englischen gibt es da-
gegen immer zwei Formen, einmal die Adjektive (good, bad, loud, beauti-
ful, high, quick, broad, sweet etc.) und einmal die Parallelformen als Ad-
verbien (well, badly, loudly, beautifully, highly, quickly, broadly, sweetly
etc.). Im Deutschen bestehen die Unterschiede also nur auf der funktiona-
len, nicht zugleich auch auf der formalen Seite.
Durch die fehlende formale Unterscheidung von Adverbialen und Prä-
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
dikativen können Probleme entstehen, wie der ambige (mehrdeutige) Satz er eine feinere Nase hat. Es ist aber strukturell ebenfalls möglich, die Ad-
(27) »Ein Hund riecht eine Million Mal besser als ein Mensch« zeigt, der jektivphrase als Prädikativ zu deuten. Ein Prädikativ bezieht sich nicht auf
einer unfreiwillig komischen Überschrift der Zeitung Ahrensburger Markt ein Verb, sondern ›springt‹ über ein Verb hinweg zu einem Nomen. In die-
entnommen ist (zitiert nach »Hohlspiegel« 3/2013: 142). sem Fall würde die Adjektivphrase sich als Subjektsprädikativ auf den
(27) Hund beziehen und diesem eine Eigenschaft zuweisen. Es ist nun nicht
mehr die Aktivität des Riechens, die beschrieben wird, sondern dem Hund
a) Prädikativ zu Hund selbst wird eine Eigenschaft zugewiesen, nämlich eine sehr positive: Der
(Prädikativ des Hauptsatzes) Hund hat eine einhundert Mal bessere Qualität als der Mensch, und zwar
bezogen auf seinen Körpergeruch – mit anderen Worten: Der Hund duftet!
Das Verb riechen würde in dem Fall nicht mehr eine aktivische Handlung
oder b) Adverbial zu riecht
angeben, sondern lediglich anzeigen, auf was sich die Qualitätsangabe be-
zieht. Unser Weltwissen hilft uns natürlich in diesem Fall, sehr schnell die
Entscheidung für die Lesart als Adverbial zu stimmen und nicht für die als
Attribut zu besser Prädikativ, weil wir wissen, dass (vor allem nasse) Hunde nicht gut rie-
chen. Das Potential für ein Missverständnis bleibt aber bestehen.
Im Englischen müsste auch hier auf der Wortartenebene der Unter-
Attribut zu besser
Subjekt des
schied wieder eindeutig markiert werden: Wenn man über einen gerade
Subjekt des
Hauptsatzes Nebensatzes frisch gewaschenen und schamponierten Hund sagen will, dass er nun gut
riecht (im Sinne von duftet), müsste man ein Adjektiv verwenden, das auf
Prädikat des der formalen Seite bereits markiert, dass die Funktion eines Prädikativs
Attribut zu Mal
Hauptsatzes beabsichtigt ist: The dog smells good. Wenn man dagegen stolz auf seinen
Jagdhund mit hervorragendem Geruchssinn ist und sagen will, dass er be-
sonders gut die Tätigkeit des Riechens ausüben kann, muss man das ent-
sprechende Adverb verwenden: The dog smells well. Diese Koppelung von
formaler und funktionaler Seite ist im Deutschen nicht gegeben, wir ver-
wenden in beiden Fällen ein Adjektiv, was zu dem potentiellen Missver-
ständnis und somit zur Aufnahme des oben analysierten Satzes im »Hohl-
Die Ambiguität des Satzes (27) beruht darauf, dass die Adjektivphrase spiegel« führte.
eine Million Mal besser als ein Mensch sowohl die Funktion eines Adver-
bials einnehmen kann als auch eines Prädikativs (s. Kap. 9.1.5).
9.1.5 | Das Prädikativ
Zur Vertiefung alsXStrukturen
Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Prädikativen, den Subjekts-
Die Struktur als ein Mensch ist ein Sonderfall. Eigentlich ist diese Einheit und den Objektsprädikativen. Erstere sind weitaus häufiger, da sie typisch
nicht satzwertig, weil ihr ein Verb fehlt. Es gibt auch Ansätze, nach denen für Sätze mit Kopulaverben sind. Ein Prädikativ hat eine gewisse Ähnlich-
als daher als Präposition klassifiziert wird. Gegen diese Sichtweise spricht, keit mit einem Attribut, da auch die Prädikative Eigenschaften zuschrei-
dass als keinen Kasus fordert. Zudem hat als eindeutig verknüpfende ben. Allerdings sind Prädikative, anders als Attribute, nicht in ein anderes
Funktionen. Eine Lösung besteht darin, dass man annimmt, dass mit als Satzglied eingebettet, sondern sie sind Teil der Verbphrase. Die Eigen-
ein elliptischer Satz koordiniert wird, d. h. der als-Satz wäre hier: …als ein schaften, die Prädikative einer Nominalphrase zuschreiben, müssen also
Mensch riecht. In diesem Fall wäre mit riecht dann die Verbphrase gege- sozusagen immer über ein Verb hinweg ›springen‹. Im Folgenden werden
ben, die mit der Nominalphrase im Nominativ ein Mensch den Satz voll-
mit (28) bis (32) fünf Beispiele für verschiedene Arten von Subjektsprädi-
ständig aufbaut.
kativen illustriert, danach mit (33) ein Beispiel für einen Objektsprädika-
tiv.
Im ersten Fall der Analyse von Beispiel (27) würde sich die Adjektivphrase
eine Million Mal besser als ein Mensch auf das Verb riechen beziehen, d. h.
die Handlung des Riechens würde positiv bewertet werden. Das ist die Ab-
sicht, die der Journalist der Zeitung eigentlich hatte: Ein Hund kann die
Tätigkeit des Riechens eine Million Mal besser ausüben als ein Mensch, da
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9 9.1
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Die Satzglieder
(28) (30)
Prädikat
(29) (31)
Subjekt
Prädikat Prädikativ
Adverbial
Subjekt Prädikativ
Prädikat
(32)
Subjekt
Prädikativ
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Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Das Satzteilglied Attribut
ist direkt der Verbphrase untergeordnet, nicht der Nominalphrase das Wet- (34)
ter, und die Information schön muss ebenfalls wieder über das Kopulaverb Subjekt
›springen‹. In (31) stellt die Adverbphrase nebenan das Prädikativ, in (32)
die Präpositionalphrase im Festsaal. Bei diesen Adverb- und Präpositional-
phrasen ist die Zuordnung zum Prädikativ nicht so einfach wie bei Adjek-
tiv- oder Nominalphrasen. Das liegt daran, dass die Eigenschaftszuschrei- Attribut zu Wetter
bung zu einem Nomen oder Adjektiv bei Adverbien oder Präpositional-
Prädikatsteil I
phrasen nicht so klar hervortritt. – Ein Objektsprädikativ findet sich in Bei- Prädikatsteil II
spiel (33).
(33)
Akkusativobjekt
Objektsprädikativ
Subjekt
Bei den Objektsprädikativen liegt das gleiche ›Problem‹ wie bei den Sub-
jektsprädikativen vor, nur dass nun zwei Nominalphrasen in einem ande- Attribut zu Obama Prädikatsteil I
ren Kasus als dem Nominativ, z. B. im Akkusativ, vorliegen. Eine der bei-
den Nominalphrasen bezieht sich auf die andere und schreibt dem Nomen Akkusativobjekt
der anderen Nominalphrase eine Eigenschaft zu. Man muss also zunächst Attribut zu Präsident
klären, welche Nominalphrase die Grundlage bildet und welche die Zu-
schreibung der Eigenschaft leistet. In (33) ist seinen Bruder die Einheit, die Prädikatsteil II
als bekannt vorausgesetzt wird, während einen Lügner die Zuschreibung
der Eigenschaft, also die Prädikation über seinen Bruder darstellt. Die Ei-
genschaft, ein Lügner zu sein, ›springt‹ also über die Verbphrase auf die
Nominalphrase seinen Bruder.
192 193
9 9.2
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Das Satzteilglied Attribut
(36) (37)
Subjekt
Subjekt
Attribut zu Aufbau
In (36) befinden sich insgesamt drei Attribute. Das erste ist ein einfaches Die Fragekaskade zeigt, wie tief die Attributhierarchien in (37) liegen:
Attribut, das Adjektiv dritte bestimmt das Nomen Yacht näher und ist der Frage: Was für ein Aufbau? Antwort: Des Regals. Frage. Was für ein Regal?
Nominalphrase untergeordnet. Komplizierter wird es dagegen mit von Antwort: Des gekauften Regals. Frage: Wann gekauft? Antwort: Neu ge-
Geldsorgen und von Geldsorgen freie. Hier wird wieder deutlich, weshalb kauft. Frage: Woher? Antwort: Aus dem Baumarkt. Diese Verschachtelung
eine strukturelle Analyse vor der Satzgliedanalyse unerlässlich ist: Der wird durch den Phrasenstrukturbaum deutlich gemacht. Die Adjektiv-
Phrasenstrukturbaum zeigt an, dass die Präpositionalphrase von Geldsor- phrase neu gekauften und die Präpositionalphrase aus dem Baumarkt sind
gen der Adjektivphrase mit freie als Kopf untergeordnet ist. Auf die Frage dabei auf der gleichen Hierarchieebene anzusiedeln, beide bestimmen das
nach der Qualität oder Eigenschaft von freie kann man also die Antwort Nomen Regal näher. Das Adjektiv neu ist auf der niedrigsten Hierarchie-
geben, dass es sich um eine Freiheit von Geldsorgen handelt. Die gesamte ebene anzusetzen, es bestimmt gekauften näher. Die Nominalphrase des
Adjektivphrase von Geldsorgen freie wiederum attribuiert nun das Nomen neu gekauften Regals aus dem Baumarkt dagegen bestimmt das Nomen
Unternehmer. Es läuft also eine Art ›Fragekaskade‹ ab, bei der das jeweils Aufbau näher und ist das Attribut auf der höchsten Hierarchieebene. (Wie
untergeordnete Attribut schrittweise erfragt werden kann: Frage: Was für erwähnt, gibt es hier eine zweite Möglichkeit der Analyse: Man könnte
ein Unternehmer? Antwort: Ein freier Unternehmer. Frage: Frei in Bezug diejenigen Einheiten, die von einem Adjektiv, Nomen oder von einer Prä-
worauf? Antwort: Frei von Geldsorgen. position als Ergänzung gefordert werden, als sekundäre Objekte bezeich-
Beispiel (37) zeigt eine extrem komplexe Verschachtelung von Attribu- nen. In dem Fall wäre dann neu ein sekundäres Objekt und kein Attribut
ten, die Adjektiv-, Nominal- und Präpositionalattribute umfasst: (s. die Vertiefung zu sekundären Objekten in Kap. 9.1.3).
Sätze als Attribute (Attributsätze): Der folgende Satz illustriert die Ver-
wendung eines attributiven Relativsatzes:
194 195
9 9.2
Phrasen und ihre Funktionen: Die Satzgliedanalyse Das Satzteilglied Attribut
(38) Die Adverbphrase dort ist in (39) Teil der Nominalphrase und bestimmt
Subjekt des
das Nomen Auto näher. Damit erfüllt die Adverbphrase die formalen (Un-
Hauptsatzes terordnung in eine Nominalphrase oder Adjektivphrase) ebenso wie die
funktionalen (Attribuierung eines Nomens oder Adjektivs) Kriterien eines
Attributs.
Attribut zu dem
Nomen Tisch
Prädikat des
Hauptsatzes
Arbeitsaufgaben
Adverbial des
Relativsatzes Aufgabe 1: In welchem der Sätze liegt ein Präpositionalobjekt vor, in wel-
Prädikativ des chen ein Adverbial?
Hauptsatzes
(1) Sie trinkt ein Bier an der Bar.
Subjekt des
Relativsatzes Prädikat des (2) Sie denkt an ihre Freunde.
Relativsatzes (3) Sie lehnt an der Bar.
(4) Sie hängt an ihrem Leben.
(5) Sie studiert in Essen.
Subjekt
Prädikat
Dativobjekt
Attribut zu Auto
196 197
10
200 201
10 10.1
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbzweitsatzes (V2-Satz)
Nebensätze ebenso wie für die durch ein Relativpronomen oder Relativ- ■ Ergänzungsfragesätze (wFragen): Während mit Entscheidungsfra-
adverb eingeleiteten Relativsätze und die Infinitivsätze (die jeweils gen nach ja oder nein gefragt wird, kann man mit Ergänzungsfragen
übergeordneten Sätze sind im Folgenden eingeklammert; es geht hier nur nach einzelnen Satzgliedern fragen. Da dafür w-Fragewörter (sowohl
um die Sätze, die nicht in Klammern stehen): Interrogativpronomen als auch Interrogativadverbien) eingesetzt wer-
■ Subordinierte Sätze sind praktisch immer einem Matrixsatz unterge- den, nennt man diesen Satztyp auch w-Frage. Beispiele: Wo findet die
ordnet, sie können im Normalfall nicht alleine stehen und sind daher Veranstaltung statt? Wann wird er am Flughafen eintreffen? Warum
unselbständige Sätze. Beispiele: (Er sagt), dass es morgen vermutlich hast du in den letzten Jahren nie Zeit gehabt? Wen willst du denn damit
sehr stark regnen wird. Obwohl es eigentlich für eine Prognose noch viel überzeugen? Wessen Kind hat den Stecker aus der Steckdose gezogen?
zu früh ist, (hat das Allensbach Institut einen Ausgang der Wahl vorher-
zusagen versucht). (Es ist verboten, ein Auto zu fahren), wenn man Wieso heißt das hier vorgestellte Syntaxmodell nun Feldermodell (bzw.
starke Medikamente einnehmen muss. Nur in einer etwas veralteten topologisches Modell, von Griechisch ›tópos‹ ›Ort‹ bzw. ›Platz‹)? Die Ant-
Form können Sätze mit Verbendstellung auch als Exklamativsätze wort lautet: Weil jeweils das Verb bzw. die finiten und die infiniten
(Ausrufesätze) alleine stehen. Beispiele: Dass dich der Teufel hol! Dass Verbteile als wichtigste Einheiten im Satz als Orientierungspunkte
der es wieder geschafft hat, (damit durchzukommen!). genommen werden und der Satz um das Verb bzw. die Verbteile herum in
■ Relativsätze sind ebenfalls immer unselbständig, brauchen also einen Felder (bzw. Plätze) aufgeteilt wird.
Matrixsatz, dem sie untergeordnet werden. Beispiele: (Der Mann,) des-
sen Hund das Kind aus der Nachbarschaft gebissen hat, (wurde ange-
zeigt). (Ich habe das neue Auto,) auf das ich lange gespart habe, (jetzt 10.1 | Die Felder des Verbzweitsatzes (V2-Satz)
endlich gekauft.).
■ Infinitivsätze müssen ebenfalls einem Matrixsatz untergeordnet wer- Eines dieser Felder ist bereits bekannt, es handelt sich um das Vorfeld Linke Satzklammer
den und können nicht alleine stehen. Beispiele: (Es ist verboten,) ein (VF), das für die Bestimmung der Wortarten unerlässlich ist. Im Normal- und rechte
Auto zu fahren, (wenn man starke Medikamente einnehmen muss.) fall geht man für schriftsprachliche Verbzweitsätze (Aussage-, Ergän- Satzklammer
(Wir haben vergessen,) die erst kürzlich eingebaute Alarmanlage abzu- zungsfrage- oder Exklamativsätze) von drei Feldern und zwei Satzklam-
schalten. (Es ist sicherer,) abzuwarten. (Sie beeilt sich,) um noch recht- mern aus, die jedoch nicht immer besetzt sein müssen. Die Felder werden
zeitig zur Klausur zu kommen. Um die Anlage in Betrieb nehmen zu jeweils um das Verb bzw. die Verbteile herum bestimmt, die die Satzklam-
können, (muss zunächst der Generator eingeschaltet werden.). mer bilden. Entscheidend bei der Bestimmung der Felder ist somit immer
das Verb. Das Verb besetzt in Verbzweitsätzen mindestens die linke Satz
3. Sätze mit Verbzweitstellung: Dies ist insofern die größte Gruppe, als klammer (lSK) und, falls mehrere Verbteile vorliegen, auch die rechte
alle ›ganz normalen‹ Hauptsätze, d. h. Aussagesätze, Verbzweitstellung Satzklammer (rSK). In einem Verbzweitsatz gibt es ausschließlich das
aufweisen. Neben Aussagesätzen werden auch Ergänzungsfragesätze und Verb, das die Satzklammern besetzt. Von dem beiden Satzklammern kann
die (relativ seltenen) Exklamativsätze mit Verbzweitstellung realisiert: das sogenannte Mittelfeld (MF) eingeklammert werden und nach der
■ Aussagesätze: Wenn in einem Satz nur ein finites Verb vorkommt, rechten Satzklammer kann das Nachfeld (NF) realisiert werden.
dann muss es an der sogenannten zweiten Position realisiert werden,
d. h. vor dem finiten Verb darf nur eine einzige Phrase stehen. Diese
Phrase kann zwar sehr komplex sein, aber es darf nur eine Phrase sein. VF – Vorfeld Die Felder des
Wenn der Verbkomplex aus mehreren Teilen besteht, steht nur der fi- lSK – linke Satzklammer Verbzweitsatzes
nite Verbteil an der zweiten Position, der Rest steht am Ende des Satzes. MF – Mittelfeld
Beispiele: Morgen regnet es in ganz Deutschland sehr stark. Morgen rSK – rechte Satzklammer
wird es in ganz Deutschland sehr stark regnen. Morgen soll es in ganz NF – Nachfeld
Deutschland sehr stark regnen. Auf dem Berg weht immer ein frischer
Wind. Während unseres letzten Urlaubs haben wir uns wunderbar ent- In dem Satz Meine Eltern haben das Auto gestern zur Werkstatt gebracht,
spannt. Bis Ende nächster Woche muss er in jedem Fall alle Aufgaben weil der Motor Öl verliert. sind alle Felder besetzt:
gelöst haben.
(1)
■ Auch Exklamativsätze (Ausrufesätze) können in der Verbzweitstel-
lung realisiert werden. Sie unterscheiden sich dann über die Prosodie VF lSK MF rSK NF
(Tonhöhenverlauf, Akzentsetzung) oder die graphische Realisierung Meine haben das Auto gestern zur gebracht, weil der Motor Öl verliert.
von Aussagesätzen. Beispiele: Er hat die Hausaufgaben vergessen. Eltern Werkstatt
(Aussagesatz) Er hat die Hausaufgaben vergessen?!? (Exklamativsatz).
202 203
10 10.1
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbzweitsatzes (V2-Satz)
Der erste Schritt beim Bestimmen der Felder eines Satzes besteht darin, tern haben das Auto gestern zur Werkstatt gebracht, weil der Motor Öl ver-
das Verb bzw. alle Verbteile des Hauptsatzes ausfindig zu machen (auch liert. bedeutet das, dass die in (4) dargestellten Varianten möglich sind:
der Nebensatz muss in Felder unterteilt werden; s. Kap. 10.3). Wenn nur
(4)
ein einziges Verb vorhanden ist, dann besetzt dieses immer die linke Satz-
klammer. Wenn, wie in Beispiel (1), mehrere Verbteile (z. B. Hilfsverb(en) VF lSK MF rSK NF
+ Vollverb wie in haben … gebracht, werden … bringen, hatten … ge- Meine Eltern haben das Auto gestern zur gebracht, weil der Motor Öl
bracht, werden … gebracht haben, werden … gebracht worden sein oder Werkstatt verliert.
Modalverb (+ evtl. Hilfsverb) + Vollverb wie in müssen … bringen, kön- Gestern haben meine Eltern das Auto gebracht, weil der Motor Öl
nen … gebracht haben, wollen … bringen etc.) vorliegen, dann stellt das zur Werkstatt verliert.
finite Verb (das Hilfsverb oder Modalverb) die linke Satzklammer, wäh- Das Auto haben meine Eltern gestern gebracht, weil der Motor Öl
rend alle übrigen Verbteile zusammen in der rechten Satzklammer stehen. zur Werkstatt verliert.
Das kann bei komplexen Verben entsprechend zu umfangreichen rechten Zur Werkstatt haben meine Eltern das Auto gebracht, weil der Motor Öl
Satzklammern führen: In Beispiel (2) wird das Vollverb bringen nicht nur gestern verliert.
mit dem Modalverb müssen kombiniert, sondern steht auch noch im Pas- Weil der Motor haben meine Eltern das Auto gebracht.
siv und in der Vergangenheit: Öl verliert, gestern zur Werkstatt
(2)
VF lSK MF rSK NF Der einzige Unterschied zwischen diesen Varianten liegt auf einer argu-
Das muss von meinen Eltern in die gebracht worden weil es nicht mehr mentationsstrukturellen oder stilistischen Ebene, d. h. auf der Ebene der
Auto Werkstatt sein, in der Garage steht. sogenannten Thema-Rhema-Gliederung.
204 205
10 10.1
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbzweitsatzes (V2-Satz)
Verb) im Satz vorkommt. In einem solchen Fall sind die übrigen Felder- telfeld ›sichtbar‹ zu machen: Er hat gelacht. kann man in Er hat laut über
positionen trotzdem vorhanden, nur eben nicht besetzt: den Witz gelacht. umwandeln.
Das Nachfeld: Zum Schluss muss noch das Nachfeld etwas eingehen-
(5)
der behandelt werden. Das Nachfeld ist insofern ein besonderer Fall, als
VF lSK MF rSK NF die Einheiten, die im Nachfeld platziert werden können, dort nicht gram-
Es regnet. matikalisch zwingend stehen, sondern die Nachfeldbesetzung eher stilis-
tische Gründe hat.
Dass es wichtig ist, diese ›leeren‹ Felder zu berücksichtigen, merkt man Typische Nachfeldbesetzungen sind normalerweise subordinierte
dann, wenn man Sätze wie Es regnet, weil gerade ein Tiefdruckgebiet vor- Sätze. Das liegt daran, dass im Deutschen eine stilistische Regel existiert,
beizieht. analysieren will. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die besagt, dass das Mittelfeld nicht zu umfangreich werden sollte, d. h.
weil gerade ein Tiefdruckgebiet vorbeizieht das Mittelfeld besetzt. Das ist umfangreiche Satzglieder werden ›ausgelagert‹ (ein Grund für diese Regel
aber nicht der Fall, wie (6) zeigt: besteht darin, dass ein zu großes Mittelfeld kognitiv schwer zu verarbeiten
ist). Das betrifft vor allem Objekt- und Adverbialsätze sowie Relativsätze.
(6)
In dem bereits als Beispiel (1) analysierten Satz ist ein Adverbialsatz (ein
VF lSK MF rSK NF Kausaladverbial) im Nachfeld realisiert.
Es regnet, weil gerade ein Tiefdruckgebiet vorbeizieht.
(10)
Dass der subordinierte Satz im Nachfeld steht, wird deutlich, wenn man VF lSK MF rSK NF
eine Satzklammer bildet, wie in (7): Meine haben das Auto gestern zur gebracht, weil der Motor Öl verliert.
Eltern Werkstatt
(7)
VF lSK MF rSK NF Es ist aber auch möglich, wenn auch stilistisch etwas unbeholfener, den Ad-
Es hat heute den ganzen Tag geregnet, weil gerade ein Tiefdruckgebiet verbialsatz aus (10) innerhalb des Mittelfeldes, wie in (11), zu realisieren.
vorbeizieht.
(11)
Auch das Mittelfeld kann, wie in (8), ›unsichtbar‹ sein. VF lSK MF rSK NF
Meine haben das Auto, weil der Motor Öl verliert, gestern gebracht.
(8)
Eltern zur Werkstatt
VF lSK MF rSK NF
Wir werden gewinnen. Hier ist der Adverbialsatz zwischen der linken und rechten Satzklammer
in das Mittelfeld integriert. Je länger das Mittelfeld ist, desto weniger ak-
Dass hier ein ›unsichtbares‹ Mittelfeld vorliegt, merkt man, wenn man zeptabel (aus stilistischer Perspektive) wird ein solcher Satz allerdings.
weitere Satzglieder hinzufügt. Diese müssen dann wie in (9) zwischen lin- Auf die Spitze getrieben hat Mark Twain ein überdehntes Mittelfeld, das in
ker und rechter Satzklammer positioniert werden (12) analysiert wird.
(9) (12)
VF lSK MF rSK NF VF lSK MF rSK NF
Wir werden dieses Spiel mit gewinnen. Da die reiste er, nachdem er seine Mutter und Schwestern geküsst und ab.
Sicherheit Koffer noch einmal sein angebetetes Gretchen an den Busen
nun gedrückt hatte, die, in schlichten weißen Musselin geklei-
bereit det, mit einer einzigen Teerose in den weiten Wellen ihres
Fazit: Wenn man einen Satz analysiert, bei dem nur ein finites Verb (ohne waren, üppigen braunen Haares, kraftlos die Stufen herabgewankt
Verbpartikel und ohne infinite Verbteile) vorkommt, muss man immer das war, noch bleich von der Angst und Aufregung des vergan-
Verb z. B. in das Futur oder Perfekt setzen, um zwei Verbteile zu erhalten, genen Abends, aber voller Sehnsucht, ihren armen, schmer-
zenden Kopf noch einmal an die Brust dessen zu legen, den
denn erst dann kann man die Klammern sehen und die restlichen Felder sie inniger liebte als ihr Leben,
bestimmen: Er schläft, obwohl er arbeiten müsste. kann man in Er hat die
ganze Zeit geschlafen, obwohl er arbeiten müsste. umwandeln. Ebenso Ausklammerung: Ein solcher Satz ist nicht nur für Amerikaner absurd,
muss man bei Sätzen, die nur aus Vorfeld und linker (und evtl. rechter) auch Deutsche finden ihn stilistisch misslungen. Eine Möglichkeit, den
Satzklammer bestehen, z. B. adverbiale Angaben hinzufügen, um das Mit- Satz etwas akzeptabler zu gestalten, besteht darin, den durch die subordi-
nierende Konjunktion nachdem eingeleiteten extrem komplexen Neben-
206 207
10 10.2
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verberstsatzes (V1-Satz)
satz aus dem Mittelfeld herauszunehmen und in das Nachfeld zu ver- Im ersten Satz wird die Präpositionalphrase in Hotels als Nachtrag gelie-
schieben. Man nennt diese Prozedur Ausklammerung: Eine Konstituente fert (normgrammatisch würde man die Struktur Ich habe mich in Hotels
wird aus dem durch die Satzklammer eingeklammerten Mittelfeld heraus- beworben. erwarten) und im zweiten Satz das Adverb hier (So wurden wir
genommen und in das Nachfeld verschoben, wie in (13) illustriert wird. hier einmal geweckt.). Nachträge können in der gesprochenen Sprache
nicht nur die Funktion haben, ›Vergessenes‹ nachzuliefern, man kann das
(13)
Nachfeld auch benutzen, um die Konstituente, die dort steht, besonders
VF lSK MF rSK NF hervorzuheben. Wenn das Nachfeld zu einem solchen informationsstruk-
Da die Koffer reiste er ab, nachdem er seine Mutter und Schwestern geküsst turellen Zweck verwendet wird, dann finden sich oft noch Einleitungsflos-
nun bereit und noch einmal sein angebetetes Gretchen an den keln wie und zwar, übrigens, ausgerechnet, und das, genauer gesagt o. Ä.
waren, Busen gedrückt hatte, die, in schlichten weißen Mus- vor der Einheit im Nachfeld: Ich habe mich beworben, und zwar in Hotels.
selin gekleidet, mit einer einzigen Teerose in den
weiten Wellen ihres üppigen braunen Haares, kraft- So wurden wir einmal geweckt, und das ausgerechnet hier.
los die Stufen herabgewankt war, noch bleich von Rechtsversetzung: Neben der Ausklammerung, bei der ein Element aus
der Angst und Aufregung des vergangenen Abends, dem Mittelfeld in das Nachfeld verschoben wird, gibt es auch das Phäno-
aber voller Sehnsucht, ihren armen, schmerzenden
Kopf noch einmal an die Brust dessen zu legen, den
men der Rechtsversetzung (das Gegenstück Linksversetzung wird in Ka-
sie inniger liebte als ihr Leben. pitel 10.5.1 behandelt). Dabei wird zwar auch ein Teil des Satzes in das
Nachfeld ausgelagert, im Mittelfeld bleibt aber ein Pronomen bestehen,
Ausklammerungen kommen, wie bereits erwähnt, typischerweise dann das als ›Platzhalter‹ für die ausgelagerte Einheit fungiert.
vor, wenn es im Mittelfeld umfangreiche Satzglieder gibt. Wenn in einer
(17)
Nominalphrase ein Relativsatz eingebettet ist, kann dieser, wie der Ver-
gleich von (14) und (15) zeigt, ebenfalls ausgeklammert werden. VF lSK MF rSK NF
Ich habe ihre neuen Freunde gestern im Park getroffen.
(14)
VF lSK MF rSK NF (18)
Er will sein altes Auto seiner Schwester, die jeden Tag zwei schenken.
VF lSK MF rSK NF
Stunden zur Arbeit fahren muss,
Ich habe sie gestern im Park getroffen, ihre neuen Freunde.
(15)
VF lSK MF rSK NF In (17) sind bis auf das Subjekt alle Satzglieder im Mittelfeld realisiert. In
(18) dagegen wurde das Akkusativobjekt ihre neuen Freunde in das Nach-
Er will sein altes Auto seiner schenken, die jeden Tag zwei Stunden zur Arbeit
Schwester fahren muss. feld verschoben, wobei dann das Pronomen sie als ›Platzhalter‹ im Mittel-
feld erhalten bleibt und als Korrelatwort auf die zu erwartende inhaltliche
Nachtrag: Während nach schriftsprachlichen Normen das Phänomen der ›Füllung‹ verweist.
Ausklammerung typisch für umfangreiche, satzwertige Einheiten ist,
kommen in der gesprochenen Sprache Ausklammerungen auch bei kur-
zen Satzgliedern vor. Diese Nachfeldbesetzungen werden oft durch die 10.2 | Die Felder des Verberstsatzes (V1-Satz)
strukturellen Bedingungen des Sprechens ausgelöst, z. B. dadurch, dass
Satzglieder während einer Äußerung ›vergessen‹ wurden, d. h. die rechte Auch in einem Verberstsatz kann nur das Verb die rechte und linke Satz-
Satzklammer schon geliefert wurde, und daher im Nachfeld nachgetragen klammer besetzen. Im Unterschied zu Verbzweitsätzen besitzen Verberst-
werden müssen. Anders als die schriftsprachlichen Ausklammerungen sätze allerdings kein Vorfeld, sondern beginnen direkt mit der linken Satz-
sind diese Nachfeldbesetzungen oft eher ungeplant. Entsprechend nennt klammer, d. h. mit dem finiten Verb. Wie oben erwähnt, gibt es vier Satz-
man diese Art der Ausklammerung auch Nachtrag. Die authentischen Bei- typen, die Verberststellung aufweisen:
spiele in (16) stammen aus Alltagsgesprächen (zitiert nach Imo 2011: 245 ■ Entscheidungsfragesätze (ja/neinFragesätze) wie Wird er die Prü- Vier Satztypen, die
und 248). fungen bestehen, obwohl er nicht viel dafür gearbeitet hat? oder Kommst Verberststellung
du zu meinem Geburtstag? aufweisen
(16) ■ Imperativsätze (Aufforderungs oder Befehlssätze) wie Mach die Tür
VF lSK MF rSK NF zu! oder Verschwinde!
Ich hab mich beworben in Hotels. ■ Optativsätze (Wunschsätze) wie Wäre es doch nur schon Abend! oder
So wurden wir einmal geweckt hier.
Käme er doch nur bald zurück!
208 209
10 10.3
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbletztsatzes (Verbendsatz)
■ Konditionalsätze (Bedingungssätze) wie Regnet es morgen, bleiben biale. Die Darstellung in der Tabelle zeigt, dass das Vorfeld des Matrixsat-
wir zu Hause. oder Hat er seine Seminarunterlagen wieder vergessen, zes jeweils von dem Verberst-Konditionalsatz besetzt wird. Achtung: Kon-
obwohl ich ihn mehrmals ermahnt hatte, wird er seinen Seminarplatz ditionalsatz (22) besteht nur aus linker Satzklammer und Mittelfeld, Kon-
verlieren. ditionalsatz (23) aus linker Satzklammer, Mittelfeld und rechter Satzklam-
mer. Das Nachfeld bleibt in beiden Fällen leer. Die Konditionalsätze alleine
(19)
werden also wie in den Beispielen (22) und (23) in Feldern dargestellt.
lSK MF rSK NF
(22)
Wird er die Prüfungen bestehen, obwohl er nicht viel dafür
gearbeitet hat? lSK MF rSK NF
Kommst du zu meinem Geburtstag? Regnet es morgen,
Mach die Tür zu!
(23)
Verschwinde!
lSK MF rSK NF
Wäre es doch nur schon Abend!
Hat er seine Unterlagen wieder vergessen,
Käme er doch nur bald zurück!
Hat er seine Seminarunterlagen vergessen, obwohl ich ihn mehrmals In beiden Konditionalsätzen (22) und (23) ist das Nachfeld nicht besetzt,
wieder zu Hause ermahnt hatte, es ist aber natürlich auch möglich, in diese Sätze wieder einen weiteren
Satz einzubetten, der dann im Nachfeld stehen kann, wie in (24).
Wie man sehen kann, haben alle Verberstsätze kein Vorfeld, sondern be-
(24)
ginnen mit der linken Satzklammer. Zudem gibt es auch bei den Impera-
tivsätzen Verberstsätze, die ausschließlich aus der linken Satzklammer be- lSK MF rSK NF
stehen, wie bei Verschwinde! Konditionalsätze sind etwas komplizierter Hat er seine Unterlagen wieder vergessen, obwohl ich ihn mehrmals ermahnt
im Aufbau. Ein Verberst-Konditionalsatz kann – anders als die anderen hatte,
Verberstsätze – niemals alleine stehen. Damit gleicht der Verberst-Kondi-
tionalsatz den Verbendsätzen (s. Kap. 10.3), die ebenfalls nicht alleine ste-
hen können. Das bedeutet, dass ein Verberst-Konditionalsatz immer einen
sogenannten Matrixsatz benötigt, in den er eingebettet ist. Der Matrixsatz 10.3 | Die Felder des Verbletztsatzes (Verbendsatz)
ist der übergeordnete Satz, der Verberst-Konditionalsatz der hierarchisch
untergeordnete, wie die komplexen Sätze in (20) und (21) zeigen. Es gibt drei Gruppen von Verbletztsätzen:
■ Sätze mit subordinierenden Konjunktionen (…weil es gestern hier Drei Gruppen von
(20)
sehr stark geregnet hat…, …obwohl wir dazu keine Lust haben…, … Verbletztsätzen
VF lSK MF rSK während er schon den Tisch abdeckt…)
lSK MF rSK ■ Relativsätze (…den ich gestern getroffen habe…, …dessen Dach neu
Regnet es morgen, bleiben wir zu Hause.
gedeckt wurde…, …von dem wir uns viel erwarten…)
■ Infinitivsätze (…die deutsche Grammatik zu verstehen…, …einmal
(21) nach Venedig zu fahren…, …um nicht zu spät zur Klausur zu kom-
VF lSK MF rSK
men…)
lSK MF rSK
Alle Verbletztsätze sind grundsätzlich unselbständige Sätze, d. h. sie
Hat er seine Unterlagen vergessen, wird er seinen Seminar- verlieren. können nicht alleine stehen, sondern müssen immer in einen anderen
wieder platz
Satz eingebettet werden. Ein solcher übergeordneter Satz, der einen unter-
geordneten Satz (z. B. einen mit einer subordinierenden Konjunktion ein-
Der Matrixsatz ist in (20) Wir bleiben zu Hause. und in (21) Er wird seinen geleiteten Nebensatz, einen Relativsatz oder einen Infinitivsatz) enthält,
Seminarplatz verlieren. Die beiden Verberst-Konditionalsätze Regnet es wird Matrixsatz genannt.
morgen und Hat er seine Unterlagen wieder vergessen sind diesen Matrix-
sätzen untergeordnet (mehr zu solchen Strukturen in Kap. 10.3). In der
Phrasenstrukturanalyse wären sie in beiden Fällen Teil der Verbphrase des
jeweiligen Matrixsatzes. Funktional handelt es sich um Konditionaladver-
210 211
10 10.3
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbletztsatzes (Verbendsatz)
10.3.1 | Sätze mit subordinierenden Konjunktionen Vorfeld des Matrixsatzes steht – in diesem Fall (wie in 27) fängt der Satz
tatsächlich mit der subordinierenden Konjunktion an.
Sätze mit subordinierenden Konjunktionen sind immer Verbletztsätze,
(27)
d. h. bei diesen Sätzen müssen alle Verbteile am Ende, in der rechten Satz-
klammer, stehen. Das würde bedeuten, dass die linke Satzklammer leer VF lSK MF
bleibt. In dem Feldermodell geht man nun aber davon aus, dass die sub- lSK MF rSK
ordinierende Konjunktion die linke Satzklammer einnimmt. Man kann Dass es gestern so stark geregnet hat, war sehr ärgerlich.
dies dadurch begründen, das die subordinierende Konjunktion mit dem
Verb insofern interagiert, als sie es an das Ende der Äußerung ›verdrängt‹. Das Vorfeld des Matrixsatzes X war sehr ärgerlich wird in (27) durch den
Subordinierende Konjunktionen sind aber die einzige Ausnahme von der subordinierten Satz Dass es gestern so stark geregnet hat in der Funktion
Regel, dass nur Verben die Satzklammern besetzen dürfen! Auch ein sub- eines Subjekts (Subjektsatz) besetzt. In der Phrasenstrukturanalyse würde
ordinierter Satz kann selbst wieder ein Matrixsatz sein, wodurch sehr dieser Satz die Nominalphrase im Nominativ ersetzen, die zusammen mit
komplexe Verschachtelungen zustande kommen können. – Die möglichen der Verbphrase (war sehr ärgerlich) den Satz bildet.
Felder eines subordinierten Satzes werden in (25) dargestellt: In (28) ist ein subordinierter Satz Teil des Mittelfeldes des Matrixsatzes.
(25) (28)
Felder eines
lSK MF rSK NF VF lSK MF rSK
subordinierten
…weil er keine Lust hat, das Auto zu waschen. lSK MF rSK
Satzes
Er hat die Frage, ob er Lust dazu habe, ganz klar verneint.
In (25) enthält der subordinierte Satz einen Infinitivsatz im Nachfeld, er
ist also einerseits selbst einem Matrixsatz untergeordnet und bildet ande- Strukturell ist der subordinierte Satz ob er Lust dazu habe in die Nominal-
rerseits den Matrixsatz für den Infinitivsatz. phrase die Frage eingebettet, also dem Nomen Frage untergeordnet.
Doch zunächst soll die Struktur von Matrixsatz und subordiniertem Wie oben erwähnt, kann ein subordinierter Satz auch selbst wieder der
Satz anhand des etwas einfacheren Beispiels (26) erläutert werden. Matrixsatz für einen weiteren, ihm untergeordneten Satz sein. In (29) ist
der subordinierte Satz der Matrixsatz für einen Infinitivsatz.
(26)
VF lSK MF rSK NF
(29)
212 213
10 10.3
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Felder des Verbletztsatzes (Verbendsatz)
(30) (33)
VF lSK MF rSK NF VF lSK MF rSK
lSK MF rSK VF MF rSK NF
Er beeilt sich, um nicht zu spät zu der zu kommen. lSK MF rSK
Klausur
Mein den ich getrof als ich einkau hat mir von erzählt.
Bruder, ges fen habe, fen war, seinem
tern neuen Job
10.3.2 | Relativsätze
Der subordinierte Satz als ich einkaufen war ist funktional betrachtet ein
Etwas verwirrend ist es, dass bei Relativsätzen, also Sätzen, die mit einem (Temporal)Adverbial zu dem Relativsatz den ich gestern getroffen habe, er
Relativpronomen oder Relativadverb eingeleitet werden (Mein Bruder, den bestimmt den Zeitpunkt und die Umstände näher, unter denen das Treffen
ich gestern getroffen habe, als ich einkaufen war, hat mir von seinem neuen stattgefunden hatte. Formal ist der subordinierte Satz Teil der Verbphrase
Job erzählt. oder Die Stadt, wo ich lange gelebt habe, hat sich sehr verän- des Relativsatzes. Insgesamt liegen also, wie man in der Tabellendarstel-
dert.), das Relativpronomen bzw. das Relativadverb nicht die linke Satz- lung erkennen kann, drei Hierarchiestufen vor:
klammer besetzt, obwohl auch die Relativpronomen bzw. Relativadver- 1. Matrixsatz auf höchster Ebene: Mein Bruder hat mir von seinem neuen
bien insofern mit dem Verb ›interagieren‹, als sie es an das Ende des Satzes Job erzählt.
verdrängen. Anders als Konjunktionen haben Relativpronomen (im Fol- 2. In diesen Matrixsatz ist der Relativsatz den ich gestern getroffen habe
genden sind Relativadverbien immer mitgemeint) aber immer eine Satz- eingebettet.
gliedfunktion, während subordinierende Konjunktionen keine Satzglied- 3. Der Relativsatz ist wiederum Matrixsatz für den in ihn eingebetteten
funktion haben. Daher besetzen Relativpronomen nicht die linke Satz- subordinierten Satz als ich einkaufen war. Dieser subordinierte Satz ist
klammer, sondern das Vorfeld, während die linke Satzklammer unbesetzt auf der niedrigsten Hierarchieebene angeordnet.
bleibt.
Die möglichen Felder eines Relativsatzes werden in Beispielsatz (31) Bei Relativsätzen ist zu beachten, dass manchmal ein Relativpronomen
gezeigt: auch Teil einer Präpositional- oder Nominalphrase sein kann. In diesem
Fall besetzt dann die gesamte Phrase das Vorfeld. In den Beispielsätzen,
(31)
die in (34) zusammengefasst sind, ist das Relativpronomen einmal als
Felder eines
VF MF rSK NF Stellvertreterpronomen Teil einer Präpositionalphrase (von dem) und ein-
Relativsatzes
…den ich gestern getroffen habe, als ich einkaufen war. mal als Begleiterpronomen Teil einer Nominalphrase (dessen Dach).
(34)
Der Relativsatz ist in diesem Fall selbst auch wieder ein Matrixsatz, da er
einen subordinierten Satz in seinem Nachfeld enthält. VF lSK MF rSK
Zunächst soll jedoch in (32) eine etwas einfachere Struktur aus Matrix- VF MF rSK
satz und Relativsatz vorgestellt werden: Wir haben unseren von dem wir uns erwarten, geplant.
Urlaub, viel
(32)
Wir werden unser Haus, dessen neu gedeckt bald verkaufen.
VF lSK MF rSK Dach wurde,
VF MF rSK
Mein den ich gestern getroffen habe, hat mir von seinem erzählt.
Bruder, neuen Job
10.3.3 | Infinitivsätze (Infinitivphrasen)
Der Matrixsatz ist Mein Bruder hat mir von seinem neuen Job erzählt. Der
Relativsatz den ich gestern getroffen habe ist in die Nominalphrase mit In der strukturellen Darstellung haben wir bislang immer von Infinitiv-
dem Kopf Bruder eingebettet, also ein Teil des gesamten Matrixsatzes. phrasen gesprochen, da diese Strukturen kein finites Verb enthalten. Im
Deutlich komplexer ist Satz (33), in dem der Relativsatz einerseits Teil Feldermodell bezeichnet man diese Infinitivphrasen aber gewöhnlich als
des Matrixsatzes ist, aber selbst auch wieder die Funktion eines Matrix- Infinitivsätze, daher wird hier dieser Ausdruck als Synonym verwendet.
satzes hat. Auch die Infinitivsätze benötigen einen Matrixsatz, in den sie eingebettet
werden. Infinitivsätze bestehen meist nur aus dem Mittelfeld und der
rechten Satzklammer, gelegentlich auch noch aus einem Nachfeld, wobei
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10 10.4
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Koordinationsposition (KP)
die Infinitivpartikel und das Verb in der rechten Satzklammer stehen, der Man kann Infinitivsätze in das Mittelfeld einbetten. Aus stilistischen
Rest im Mittelfeld. Gründen werden solche Sätze allerdings vor allem im geschriebenen
Die möglichen Felder eines Infinitivsatzes (ausgenommen der Infini- Deutsch selten produziert, es gilt die Regel der Ausklammerung, d. h. der
tivsätze mit um … zu, die wie subordinierte Sätze aufgebaut sind) werden Infinitivsatz als umfangreiches Satzglied sollte eher im Nachfeld realisiert
in (35) skizziert. werden. Das ist jedoch eine stilistische, keine syntaktische Regel, der Infi-
nitivsatz das Auto zu reparieren kann, auch wenn es etwas ›holprig‹
(35)
klingt, durchaus im Mittelfeld stehen, wie (39) zeigt.
MF rSK NF
(39)
einmal nach Venedig zu fahren, wo Italien am schönsten ist.
VF lSK MF rSK
Hier ist in den Infinitivsatz noch ein subordinierter Satz eingebettet, d. h. MF rSK
der Infinitivsatz benötigt selbst einen Matrixsatz und er ist der Matrixsatz Ich werde morgen das Auto zu reparieren versuchen.
für den subordinierten Satz.
Genau wie die andere Verbendsätze können Infinitivsätze im Vorfeld, Normalerweise wird aber der Infinitivsatz ausgeklammert, d. h. in das
Mittelfeld oder Nachfeld des Matrixsatzes stehen. In Beispiel (36) besetzt Nachfeld verschoben (Ich werden morgen versuchen, das Auto zu reparie-
der Infinitivsatz die deutsche Grammatik zu verstehen das Nachfeld des ren.).
Matrixsatzes:
(36)
10.4 | Die Koordinationsposition (KP)
VF lSK MF rSK NF
MF rSK Von allen Feldern getrennt betrachten muss man die koordinierenden Kon-
Es ist nicht ganz einfach, die deutsche Grammatik zu verstehen.
junktionen. Das liegt daran, dass diese Konjunktionen zwei Sätze mitei-
nander verbinden können, aber keinem der Sätze zugeordnet werden dür-
In (37) besetzt der Infinitivsatz Einmal nach Venedig zu fahren das Vor- fen. Es muss daher eine spezielle Position für diese Konjunktionen geben,
feld: die anzeigt, dass sie sozusagen als ›Scharnier‹ zwischen zwei Sätzen ope-
rieren. Diese Position kann man als Koordinationsposition bezeichnen. In
(37)
den Beispielen (40) und (41) wird die Koordination anhand von zwei
VF lSK MF Hauptsätzen gezeigt:
MF rSK
(40)
Einmal nach Venedig zu fahren, ist der Traum jedes Urlaubers.
VF lSK MF rSK KP VF lSK MF rSK
In (38) ist in den Infinitivsatz selbst noch ein Relativsatz eingebettet: Wir sind gestern zu geblie- aber wir haben uns trotz- unterhal-
Hause ben, dem gut ten.
(38)
VF lSK MF (41)
MF rSK NF VF lSK MF rSK KP VF lSK MF rSK
VF MF rSK Wir sind gestern zu geblie- und wir haben Radio gehört.
Hause ben,
Einmal nach zu fahren, wo Italien am ist, ist der Traum jedes
Venedig schönsten Urlaubers.
In (40) und (41) handelt es sich jedes Mal um zwei vollständige, auto-
Die hierarchische Struktur kann wie folgt beschrieben werden: nome Sätze. Die koordinierenden Konjunktionen aber in Beispiel (40) und
■ Matrixsatz auf höchster Ebene: X ist der Traum jedes Urlaubers. und in Beispiel (41) gehören weder zu dem ersten noch dem zweiten Satz,
■ In diesen Matrixsatz ist der Infinitivsatz einmal nach Venedig zu fahren sie stehen außerhalb und verbinden die Sätze.
eingebettet. Koordinierende Konjunktionen können natürlich auch andere Satzty-
■ Der Infinitivsatz ist wiederum Matrixsatz für den in ihn eingebetteten pen als Aussagesätze mit Verbzweitstellung verbinden. In (43) werden
Relativsatz wo Italien am schönsten ist. Dieser Relativsatz ist auf der zwei Verberst-Fragesätze verbunden und in (44) zwei subordinierte Sätze
niedrigsten Hierarchieebene angeordnet. mit Verbendstellung:
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10 10.5
Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Erweiterung des Feldermodells: Vor-Vorfeld und rechtes Außenfeld
(43) In Beispiel (45) werden mit der koordinierenden Konjunktion zwei Nomi-
lSK MF rSK KP lsK MF rSK
nalphrasen (sein Personalausweis und seine Schlüssel) koordiniert, die zu-
sammen eine komplexe Nominalphrase bilden, die das Vorfeld besetzt. Da
Hast du die Kartoffeln gekauft, und warst du auch schon in der
Apotheke?
keine Sätze koordiniert werden, ist die Konjunktion hier einfach nur Teil
des Vorfelds. In (46) werden zwei finite Verben, will und muss, koordi-
(44) niert, die zusammen die linke Satzklammer bilden, und in (47) werden
zwei Adjektivphrasen (erholsamen und dennoch aktiven) mit aber ver-
VF lSK MF rSK NF bunden. In allen Fällen kann die Konjunktion keine Koordinationsposition
lSK MF rSK KP lSK MF rSK besetzen, da es sich um koordinierte Wörter oder Phrasen handelt, nicht
Wir sind zu geblie- weil es hat und weil wir hat- um koordinierte Sätze.
Hause ben, gereg- sowieso ten.
net auch
keine
Lust zum 10.5 | Die Erweiterung des Feldermodells:
Wan- Vor-Vorfeld und rechtes Außenfeld
dern
Mit dem Aufkommen des Interesses an gesprochener Sprache wurde deut-
In Beispiel (43) sind die beiden vollständigen Sätze Hast du die Kartoffeln lich, dass es auch Positionen vor und nach den standardsprachlichen Satz-
gekauft? und warst du auch schon in der Apotheke?. Wieder kann die koor- feldern gibt. Aus diesem Grund wurde dann noch ein Vor-Vorfeld (die Po-
dinierende Konjunktion keinem Satz zugerechnet werden, sondern steht sition vor dem Vorfeld eines Verbzweitsatzes oder vor der linken Satz-
als eine Art verbindende ›Kupplung‹ außerhalb beider Sätze in der Koor- klammer eines Verberst- oder Verbletztsatzes) eingeführt, in dem z. B. ge-
dinationsposition. sprächssteuernde Ausdrücke wie ich sag mal so, ich mein, ehrlich gesagt,
In Beispiel (44) werden zwei subordinierte Sätze verbunden. Beide zu- obwohl, weißte etc. stehen, sowie ein rechtes Außenfeld, das am Ende ei-
sammen besetzen das Nachfeld des Matrixsatzes. Die Koordinationsposi- ner Äußerung anzusetzen ist.
tion ist also auf der Ebene der subordinierten Sätze anzusetzen. Die bei-
den subordinierten Sätze …weil es geregnet hat und …weil wir sowieso
auch keine Lust zum Wandern hatten sind für sich genommen jeweils voll- 10.5.1 | Das Vor-Vorfeld (VVF)
ständig, sie werden mit und zu einer koordinierten Nebensatzstruktur ver-
bunden. Das Vor-Vorfeld ist der Bereich vor dem Vorfeld eines Satzes. Es wird für
Achtung: Die Koordinationsposition wird ausschließlich dann relevant, drei Phänomene des Deutschen benötigt, die sogenannte Linksverset
wenn die koordinierende Konjunktion Sätze miteinander verbindet. Wenn zung – das Gegenstück zu der bereits oben beschriebenen Rechtsverset-
die Konjunktion dagegen Phrasen oder Wörter, und nicht Sätze, verbindet, zung –, das Freie Thema und die Diskursmarker oder Operatoren.
wie in (45) bis (47), dann benötigt man kein eigenes Feld. Linksversetzungen und Freie Themen im Vor-Vorfeld: Bei der Linksver-
setzung wird ein Element aus dem Satz, das ›normalerweise‹ entweder im
(45)
Vorfeld oder im Mittelfeld vorkommt, in das Vor-Vorfeld verschoben, wäh-
VF lSK MF rSK NF rend im Vorfeld oder Mittelfeld selbst ein anaphorisches (rückverweisen-
VF MF rSK des) Pronomen stehenbleibt. Insofern ist die Linksversetzung das Gegen-
Sein Personalausweis haben sich in der befun- die er im liegengelassen
stück zur Rechtsversetzung, bei der das Element in das Nachfeld verscho-
und seine Schlüssel Tasche den, Zug hatte. ben wird. Wenn man die Nominalphrase ihre neuen Freunde aus den unter
(17) und (18) bereits analysierten Sätzen nicht mit einer Rechtsversetzung
(46) in das Nachfeld verschiebt, sondern wenn man eine Linksversetzung
durchführt, erhält man Strukturen wie in (49):
VF lSK MF rSK NF
Er will und die Arbeit bis Ende der Woche abgegeben haben. (48)
muss
VF lSK MF rSK NF
VF lSK MF rSK NF
Wir werden einen erholsamen, aber dennoch haben.
aktiven Urlaub
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Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Erweiterung des Feldermodells: Vor-Vorfeld und rechtes Außenfeld
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Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Erweiterung des Feldermodells: Vor-Vorfeld und rechtes Außenfeld
wie weil, obwohl oder wobei, waren ursprünglich einmal Konjunktionen. Diskursmarker und Operatoren können vor jeder beliebigen selbständi-
Der formale und funktionale Unterschied zwischen einer Konjunktion gen Äußerung stehen, nicht notwendigerweise vor einem Hauptsatz. In
und einem Diskursmarker lässt sich aber an dem Gegensatzpaar (53) und (55) steht der Diskursmarker wobei vor einem Entscheidungsfragesatz.
(54) – eine ausführliche Diskussion dieses Beispiels findet sich in Günth-
(55)
ner (2008: 113–116) – sehr gut illustrieren.
VF lSK MF rSK
(53)
Ich würde dieses Jahr gerne im Juli Urlaub machen.
VF lSK MF rSK NF
lSK MF rSK VVF lSK MF rSK
Ich nehme noch ein Stück Kuchen, obwohl ich schon zwei gegessen habe. Wobei: Darfst du im Juli überhaupt Urlaub nehmen?
In diesem Beispiel handelt es sich um einen Matrixsatz, dem ein subordi- Mit dem Diskursmarker wobei zeigt der Sprecher an, dass er seinen
nierter Satz (obwohl ich schon zwei gegessen habe) untergeordnet ist. Ent- Wunsch, im Juli Urlaub machen zu wollen, überdenkt, und davon abhän-
sprechend besetzt der subordinierte Satz auch eines der Felder, hier das gig macht, ob sein Gesprächspartner zu diesem Zeitpunkt überhaupt Ur-
Nachfeld, des Matrixsatzes. Formal betrachtet ist die subordinierende laub nehmen kann. Auch hier operiert der Diskursmarker also auf der
Konjunktion somit Teil des subordinierten Satzes und damit indirekt auch Handlungsebene, die Handlung Vorschlag wird unterbrochen und eine
Teil des Matrixsatzes. Inhaltlich operiert der subordinierte Satz ebenfalls neue Handlung (in diesem Fall eine Hintergrundfrage) initiiert.
in einem engen Bezug zu dem Matrixsatz: Er gibt eine Einräumung (Kon- Operatoren im Vor-Vorfeld: Auch bei Operatoren im Vor-Vorfeld ist die
zession) an, und zwar in dem Sinne, dass der Sprecher damit sagt, dass er Struktur die gleiche wie bei den Diskursmarkern, sie stehen wie in (56)
trotz der Tatsache, dass er schon zwei Stück Kuchen gegessen hat, sich vor einer Äußerung.
noch ein drittes nimmt.
(56)
Ganz anders sieht es dagegen in Satz (54) aus, in dem obwohl keine
subordinierende Konjunktion, sondern ein Diskursmarker ist: VVF VF lSK MF rSK
Ehrlich gesagt, ich kann dich nicht ausstehen.
(54)
VF lSK MF rSK Der Operator ehrlich gesagt liefert einen ankündigenden Metakommentar
Ich nehme noch ein Stück Kuchen. in Bezug auf die Folgeäußerung, er ›warnt‹ den Hörer, dass nun eine mög-
licherweise gesichtsbedrohende Äußerung zu erwarten ist. Anders als Dis-
kursmarker können Operatoren allerdings auch im Mittelfeld oder im
VVF VF lSK MF rSK
rechten Außenfeld einer Äußerung stehen, wie in Kapitel 10.5.2 gezeigt
Obwohl: Ich habe schon zwei gegessen. wird.
Schon auf der graphischen Ebene wird sofort klar, dass es sich um zwei ei-
genständige Hauptsätze handelt. Es liegt keine Beziehung einer Über- und 10.5.2 | Das rechte Außenfeld (rAF)
Unterordnung vor und der zweite Satz ist kein subordinierter Satz. Ent-
sprechend ist obwohl auch keine subordinierende Konjunktion und for- Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass man das ›Gegenstück‹ zum
dert keine Verbendstellung. Graphisch wird obwohl hier durch den Dop- Vor-Vorfeld mit Nach-Nachfeld bezeichnet. Dass dies nicht geschieht, hat
pelpunkt als außerhalb der Folgeäußerung stehend markiert (in der ge- einen guten Grund: Der Ausdruck Nach-Nachfeld würde suggerieren, dass
sprochenen Sprache wird diese Autonomie oft, aber nicht zwingend, man immer ein Nachfeld benötigt, nach dem dann das Nach-Nachfeld an-
durch eine Pause angezeigt). Die inhaltliche Beziehung ändert sich eben- gesetzt wird. Es gibt aber erstens viele Sätze ohne ein besetztes Nachfeld
falls: Die zweite Äußerung liefert nun nicht mehr auf inhaltlicher Ebene und zweitens können die im rechten Außenfeld stehenden Ausdrücke
eine Einräumung in Bezug auf die erste Äußerung. Vielmehr operiert ob- auch z. B. zwischen Mittelfeld und Nachfeld oder zwischen rechter Satz-
wohl nun auf einer pragmatischen Ebene, d. h. einer Handlungsebene: Der klammer und Nachfeld (Wir haben ihn gestern gesehen, nicht wahr, als er
Sprecher zeigt damit an, dass er seine geplante Handlung, noch ein drittes im Park spazieren ging.) realisiert werden. Die Position des rechten Au-
Stück Kuchen zu nehmen, überdenkt. Es ist zu erwarten, dass das Ergeb- ßenfelds ist also flexibler als die des Vor-Vorfelds. Gemeinsam haben beide
nis nun sein wird, dass er gerade kein drittes Stück Kuchen nimmt. Inso- jedoch, dass auch das rechte Außenfeld für gesprächssteuernde Einheiten
fern ist das Ergebnis der zweiten Äußerung ein völlig anderes als das der ›reserviert‹ ist. Während Diskursmarker und Operatoren im Vor-Vorfeld
ersten. aber Folgeäußerungen ankündigen und sie pragmatisch (in Bezug auf die
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Das Feldermodell – »Die schreckliche deutsche Sprache…« Die Erweiterung des Feldermodells: Vor-Vorfeld und rechtes Außenfeld
durchgeführte Handlung) rahmen, dienen die Ausdrücke im rechten Au- telfeld auftreten (in dem Fall besetzen sie keine eigene Feldposition, wie in
ßenfeld dazu, Äußerungen zu kommentieren sowie die Aufmerksamkeit (60)) oder im rechten Außenfeld nach dem Mittelfeld (61), nach der rech-
der Zuhörer zu überprüfen oder gar ihre Reaktion einzufordern. ten Satzklammer (62), an der Stelle zwischen rechter Satzklammer und
Operatoren im rechten Außenfeld: Operatoren können, aber müssen Nachfeld (63) oder nach dem Nachfeld (64):
nicht im rechten Außenfeld stehen. In (57) und (58) findet sich ein Opera-
(60)
tor im rechten Außenfeld, in Vergleichsbeispiel (59) wird der Operator
aber an einer anderen Stelle im Satz realisiert. VF lSK MF rSK rAF
Wir besprechen morgen Nachmittag, ne?, den Plan für die kommen
(57)
den zwei Wochen.
VF lSK MF rSK NF rAF
Ich kann dich nicht ausstehen, seitdem du mich mal ehrlich (61)
angelogen hast, gesagt.
VF lSK MF rSK rAF
Wir besprechen morgen Nachmittag den Plan für die kommenden ne?
(58)
zwei Wochen,
VF lSK MF rSK rAF NF
lSK MF rSK (62)
Ich traue ihm nicht über ehrlich auch er seine Auf- beteuert. VF lSK MF rSK rAF
den Weg, gesagt, wenn richtigkeit
Wir müssen morgen Nachmittag den Plan für die kommenden besprechen, ne?
zwei Wochen
(59)
VF lSK MF rSK (63)
Ich traue ihm ehrlich gesagt nicht über den Weg. VF lSK MF rSK rAF NF
lSK MF rSK
In (57) steht der Operator im rechten Außenfeld, das unmittelbar nach der
Wir müs morgen Nachmit bespre ne?, damit wir Planungs haben.
rechten Satzklammer ausstehen realisiert wird. Die Funktion von ehrlich sen tag den Plan für chen, sicherheit
gesagt besteht hier wie auch in den beiden anderen Sätzen in einer Kom- die kommenden
mentierung der Äußerung (Metakommunikation). zwei Wochen
In (58) ist das rechte Außenfeld mit ehrlich gesagt zwischen dem Ende
des Mittelfelds (nach Weg) und dem Nachfeld realisiert. Ehrlich gesagt (64)
steht nicht im Mittelfeld, sondern im rechten Außenfeld, weil man, wenn VF lSK MF rSK NF rAF
man eine Satzklammer bilden würde, diese vor ehrlich gesagt einfügen lSK MF rSK
müsste: Ich werde ihm nicht über den Weg trauen, ehrlich gesagt, auch
Wir müs morgen Nach bespre damit wir Planungs haben, ne?
wenn er seine Aufrichtigkeit beteuert. sen mittag den Plan chen, sicherheit
In (59) ist ehrlich gesagt Teil des Mittelfelds. In diesem Fall besetzt der für die kommen
Operator kein spezielles Feld, sondern ist einfach nur ein weiteres Element den zwei Wochen
des Mittelfelds. Das rechte Außenfeld wird frühestens nach dem Mittelfeld
angenommen. In Beispiel (64) muss man beachten, dass das Vergewisserungssignal auf
Vergewisserungssignale im rechten Außenfeld: Für die zweite Aufgabe, der Hauptsatzebene operiert, d. h. es gehört nicht zu einem der Felder des
die Überwachung der Aufmerksamkeit der Zuhörer und der Einforderung subordinierten Satzes damit wir Planungssicherheit haben können, son-
von Reaktionen, ist eine Gruppe von Partikeln und Floskeln zuständig, die dern folgt diesem subordinierten Satz, der das Nachfeld des Hauptsatzes
Vergewisserungssignale genannt werden (und die gewisse Ähnlichkeiten besetzt.
mit den englischen ›tag questions‹ aufweisen). Es gibt im Deutschen so-
wohl ›universelle‹, weit verbreitete Vergewisserungssignale wie nicht?,
nicht wahr?, ne?, nich?, verstehst du?, verstehste?, weißt du?, weißte? etc.
als auch regional und dialektal verankerte, wie das süddeutsche und
schweizerdeutsche oder? bzw. odr?, das im Osten verbreitete wa?, das in
manchen niederdeutschen Regionen noch zu findende woll? oder das süd-
deutsche gell?. Auch die Vergewisserungssignale können entweder im Mit-
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Arbeitsaufgabe
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