E-Phase Schenk Liebeslyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Mittelalter und Barock
Vom Minnesang zum Liebessonett
1 Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
3 dû bist beslozzen
in mînem herzen;
5 verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immêr darinne sîn.
sluzzelîn = Schlüssellein
1. Lesen Sie sich das Gedicht gegenseitig vor.
2. Was fällt Ihnen an der mittelhochdeutschen Sprache auf?
3. Übertragen Sie das Gedicht ins Neuhochdeutsche.
4. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen dem Mittelhochdeutschen und dem Neuhochdeutschen (verwendete Worte,
Aussprache, Rechtschreibung)
5. Erklären Sie die sprachlichen Bilder (V. 3 – 6), mit denen das Verhältnis zum Du beschrieben wird.
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Mittelalter und Barock
Der von Kürenberg
Übertragung ins Neuhochdeutsche (ungeordnet):
1 Ich zôch mir einen valken (ca. 1160)
Später sah ich den Falken im schönen Schwunge fliegen.
2 „Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.
Als ich ihn gezähmt hatte, wie ich ihn haben wollte,
3 dô ich in gezamete, als ich in wolte hân,
Er trug an seinem Fuß seidene Fesseln,
4 und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,
und sein Gefieder war ganz rotgolden.
5 er huop sich ûf vil hôhe und flouc in ándèriu lant.
und ich ihm sein Gefieder mit goldenen Bändern schön
6 Sît sach ich den valken schône fliegen, umwunden hatte,
7 er vuorte an sînem vuoze sîdîne riemen, „Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr.
8 und was im sîn gevidere alrôt guldîn. Gott führe die zusammen, die einander herzlich lieben
wollen!“
9 got sende sî zesamene, die gelíeb wéllen gerne sîn!“
hob er sich hoch in die Lüfte und flog in andere Länder.
1. Lesen Sie das mittelhochdeutsche Gedicht und gegen Sie Ihre ersten Eindrücke wieder.
Was erfahren Sie über das lyrische Ich? Erläutern Sie dessen Situation.
2. Notieren Sie die in das Neuhochdeutsche übersetzten Verse des Gedichts in der richtigen Reihenfolge.
3. Welche Bedeutung hat der Falke im Gedicht? Symbolisiert er einen Liebesboten, einen Ritter, einen ungetreuen
Geliebten oder ein junges Mädchen?
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Mittelalter und Barock
Sibylla Schwarz
LIebe schont der Götter nicht (1637/38)
1. Geben Sie mit eigenen Worten wieder, was die Sprecherin/der
LIebe schont der Götter nicht /
Sprecher über die Liebe denkt.
sie kan alles überwinden/ Wodurch wird die Liebe ausgelöst und was bewirkt sie?
sie kan alle Herzen binden/ Interpretieren Sie die ersten acht Verse.
Kann die im Gedicht ausgedrückte Haltung zur Liebe auch
durch der Augen klahres Licht. heute geteilt werden?
5 Selbst des Phebus1 Hertze bricht / 2. Bei dem Gedicht handelt es sich um ein Sonett. Erläutern Sie
die Formmerkmale am Gedicht.
seine Klahrheit muß verschwinden/
3. Benennen Sie die im Gedicht verwendeten Stilmittel und
er kan keine Ruhe finden/ erläutern Sie deren Funktion.
weil2 der Pfeil3 noch in ihm sticht. 4. Welche barocken Leitgedanken (siehe Kasten) werden im
Gedicht deutlich? Begründen Sie Ihre Wahl am Gedicht.
Jupiter4 ist selbst gebunden/
10 Hercules5 ist überwunden
durch die bittersüsse Pein;
wie dan können doch die Herzen
bloßer Menschen dieser Schmerzen
gantz und gahr entübrigt seyn?
1
Phebus: Beiname des Gottes Apollo als Gott der Sonne und des Lichts
2
weil: hier während, solange
3
Pfeil: Hinweis auf den Liebesgott Amor, dessen Pfeile ins Herz treffen
4
Jupiter: höchster Gott in der römischen Mythologie
5
Hercules: Sohn von Zeus und Alkmene, der Riesenkräfte besaß
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Mittelalter und Barock
Epochenüberblick: Mittelalter und Barock
■ Im Mittelalter (ca. 750–ca. 1500) waren alle Lebensbereiche von der christlichen Religion und dem Glauben an eine
gottgegebene Ordnung geprägt. In der Feudalordnung hatte jede/jeder einen festgelegten Platz. Zunächst hatten nur die
Klöster, dann der höfische Adel und schließlich die Städte Zugang zur Literatur. Eine beliebte Gattung war der Minnesang: Die
Liebesgedichte gestalten keine individuellen Liebeserlebnisse, sondern besingen das ritterliche Ideal der höfischen Liebe.
Typisch ist das Motiv der enttäuschten Liebe. Bei der Falkenmetaphorik steht der Falke für einen Menschen, insbesondere für
den Geliebten.
■ Die Barockzeit (ca. 1600–ca. 1750) stand unter dem Einfluss gegensätzlicher Erfahrungen: Durch die Reformation war die
religiöse Einheit verloren gegangen, die Wiederentdeckung der Antike hatte den Blick auf das Individuum gelenkt. Der
Dreißigjährige Krieg (1618–1648) brachte Hungersnöte, Seuchen und Tod. Die sich entwickelnde absolutistische
Herrschaftsform erhob Anspruch auf Macht, Prunk und Genuss. Auch in den Liebesgedichten zeigt sich das widersprüchliche
Lebensgefühl. Sie orientieren sich an den Leitvorstellungen „memento mori“ („bedenke, dass du sterben musst“) und „carpe
diem“ („genieße/nutze den Tag“).