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Familienreport 2017

Leistungen, Wirkungen, Trends


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Seite 3 Vorwort Inhalt zurück weiter

Liebe Leserinnen und Leser,

Familien sind in Bewegung! Manches hat sich seit dem letzten Fami­
lienreport 2014 verändert. Ein Beispiel ist die positive Entwicklung der
Geburtenrate: Sie beträgt für das Jahr 2015 inzwischen 1,5 Kinder pro
Frau – zuletzt gab es diesen Wert 1982 in der Bundesrepublik.

Die Familienpolitik hält Schritt. In dieser Legislaturperiode haben wir


wichtige familienbezogene Leistungen erhöht und verbessert, die
Betreuungsinfrastruktur ausgebaut, den Mutterschutz auf die Höhe der
Zeit gebracht und die Unterstützung für Alleinerziehende ausgebaut.
Mit der Ehe für alle, der Erhöhung des Kinderzuschlags und dem ausge­
weiteten Unterhaltsvorschuss sind wir weitere wichtige Schritte gegangen.
Den langen Aufgabenkatalog aus dem Koalitionsvertrag haben wir mehr als erfüllt.

Eine gute Familienpolitik hält die Familien und ihre Bedürfnisse im Blick. Eine moderne Famili­
enpolitik passt sich an die sich verändernden Lebenswünsche und -wirklichkeiten von Familien
an und setzt gute Rahmenbedingungen für die Zukunft. Die Politik steht mit dieser wichtigen
Aufgabe nicht allein da. Arbeitgeber und Sozialpartner sind ebenfalls gefordert, ihren Teil dazu
beizutragen, dass berufstätige Eltern gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Fami­
lie und Beruf vorfinden.

Dafür braucht es verlässliche Daten und Erkenntnisse. Der Familienreport 2017 gibt einen fun­
dierten Einblick, wie es Familien geht und was sie brauchen. Und er zeigt: Es bleibt eine der
wichtigsten Aufgaben, ein gutes Aufwachsen für alle Kinder zu sichern und faire Chancen für
alle Familien zu schaffen.

Durch Angebote wie das Elterngeld und ElterngeldPlus und gute Kinderbetreuung entspricht die
Familienpolitik der Nachfrage vieler Mütter nach mehr existenzsichernder Erwerbstätigkeit, der
Väter nach mehr Zeit und aller Familienmitglieder nach mehr gemeinsamer Zeit. Das kommt
besonders den Kindern zugute.

Verantwortung für Kinder ist in vielen Familien ein Thema, wenn sich Eltern trennen. Um beide
Elternteile in dieser schwierigen Phase dabei zu stärken, gemeinsame Lösungen zu finden und
sie in ihrer neuen Lebenssituation besser zu unterstützen, muss sich künftig noch einiges ändern.

Ein weiteres großes Zukunftsthema ist die Digitalisierung. Sie gehört zum Alltag der Familien –
mit vielen Chancen, aber auch mit Herausforderungen. Eine gute Familienpolitik kann die
Familien gezielt unterstützen, die Chancen der Digitalisierung für sich zu nutzen und die Risiken
besser zu bewältigen.
Seite 4 Vorwort Inhalt zurück weiter

Der Familienreport zeigt: Wir bleiben in Bewegung!

Für eine moderne Familienpolitik, die gute Rahmenbedingungen für alle Familien in unserem
Land fest im Blick behält.

Dr. Katarina Barley


Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Seite 5 Inhalt Inhalt zurück weiter

Inhalt

Zusammenfassung ....................................................................................................................................................... 7

I. Familienleben in Deutschland ................................................................................................................... 11


1.1 Familie als zentraler Lebensbereich ............................................................................................... 11
1.2 Kinder in Familien .................................................................................................................................. 14
1.3 Alleinerziehende ...................................................................................................................................... 18
1.4 Familien mit Migrationshintergrund ........................................................................................... 22
1.5 Kinderwünsche in Deutschland ...................................................................................................... 25
1.6 Geburten in Deutschland .................................................................................................................... 26
1.7 Kinderlosigkeit in Deutschland ....................................................................................................... 35
1.8 Eheschließungen ..................................................................................................................................... 38
1.9 Ehescheidungen ....................................................................................................................................... 41

II. Wirtschaftliche Lage der Familien und Wirksamkeit der staatlichen Leistungen ......... 44
2.1 Einkommen und subjektive Bewertung der wirtschaftlichen Situation ................... 44
2.2 Einkommensverteilung zwischen Familienhaushalten und Haushalten
ohne Kinder ................................................................................................................................................ 45
2.3 Erwerbseinkommen eines Hauptverdieners als größte Einkommensquelle
der Familien ............................................................................................................................................... 46
2.4 Armutsrisiken von Familien .............................................................................................................. 48
2.5 Familienleistungen im Überblick ................................................................................................... 51

III. Chancengerechtes Aufwachsen für alle Kinder ................................................................................ 54


3.1 Materielle Situation von Kindern ................................................................................................... 54
3.2 Wohlergehen und Teilhabechancen von Kindern .................................................................. 55
3.3 Zielgerichtete Unterstützungen für Familien .......................................................................... 57
3.4 Notwendigkeit wirkungsorientierter Weiterentwicklung
familienbezogener Leistungen ......................................................................................................... 60

IV. Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf für Mütter und Väter –


Wunsch und Wirklichkeit ............................................................................................................................ 64
4.1 Zehn Jahre Elterngeld, zwei Jahre ElterngeldPlus: Paradigmenwechsel .................... 64
4.2 Müttererwerbstätigkeit steigt seit Einführung des Elterngelds ...................................... 66
4.3 Erwerbstätigkeit alleinerziehender Mütter ................................................................................ 67
4.4 Väter wollen (mehr) Zeit mit der Familie verbringen ........................................................... 69
4.5 Kinder möchten Zeit mit beiden Elternteilen verbringen .................................................. 71
4.6 Partnerschaftlich erziehen nach Trennung und Scheidung ............................................. 72
4.7 Vom ElterngeldPlus zur Familienarbeitszeit mit Familiengeld ...................................... 74
4.8 Partnerschaftlichkeit im internationalen Vergleich ............................................................. 75

V. NEUE Vereinbarkeit – Familienfreundlichkeit in der Unternehmenskultur ................... 78


5.1 Hintergrund ............................................................................................................................................... 78
5.2 Unternehmensprogramm/Wettbewerb ...................................................................................... 78
5.3 Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ ................................................................... 79
Seite 6 Inhalt Inhalt zurück weiter

5.4 Bestandsaufnahme I: Wo stehen die Unternehmen? ........................................................... 81


5.5 Bestandsaufnahme II: Die NEUE Vereinbarkeit rechnet sich .......................................... 82
5.6 Bestandsaufnahme III: Arbeitszeitwünsche und Arbeitszeitrealitäten ...................... 83
5.7 Bestandsaufnahme IV: Väter als Treiber der Veränderungen in der Arbeitswelt .. 84
5.8 Was wurde erreicht? – Der Fortschrittsindex 2017 ................................................................ 87

VI. Familien in der digitalen Gesellschaft – ein Entwicklungsthema .......................................... 89


6.1 Die Digitalisierung schreitet voran ................................................................................................ 89
6.2 Neue Herausforderungen .................................................................................................................... 89
6.3 Familien im Zentrum der Digitalisierung .................................................................................. 90
6.4 Gelingendes Familienleben in der digitalen Gesellschaft .................................................. 91
6.5 Chancen der Digitalisierung für Vereinbarkeit nutzbar machen ................................... 93
6.6 Gelingende Digitalisierung durch Kompetenzbildung in Familien ............................. 94
6.7 In Vielfalt Digitalisierung gestalten ............................................................................................... 95
6.8 Teilhabe aller an der Gestaltung der digitalen Welt stärken ............................................. 96
6.9 Familienministerium der Zukunft: digitale Services ........................................................... 97

VII. Inklusives Wachstum – Investitionen in Familie ............................................................................. 99


7.1 Chancen durch Investitionen in eine wirkungsorientierte Familien- und
Gesellschaftspolitik ................................................................................................................................ 99
7.2 Wirkungen einer guten Infrastruktur für Familien ............................................................. 101
7.3 Renditen von Investitionen für Familien ................................................................................... 104

VIII. Die Sicht der Bevölkerung ............................................................................................................................ 106


8.1 Familien erwarten Unterstützung durch die Familienpolitik ......................................... 106
8.2 Der Stellenwert der Familienpolitik zur Sicherung einer guten Zukunft .................. 107
8.3 Vereinbarkeitspolitik als prioritäres Handlungsfeld ............................................................. 107
8.4 Unterstützung für berufstätige Elternpaare ............................................................................. 108
8.5 Vereinbarkeitspolitik als gemeinsame Aufgabe von Unternehmen,
Staat und Gewerkschaften .................................................................................................................. 110
8.6 Bewertungen der Familienpolitik .................................................................................................. 111
8.7 Lebenslagen von Familien bis zum Jahr 2030: erwünschte Entwicklungen ............ 112
Seite 7 Zusammenfassung Inhalt zurück weiter

Zusammenfassung

Der Familienreport 2017 informiert auf Grundlage aktueller Daten, wissenschaftlicher Studien
und repräsentativer Bevölkerungsbefragungen über Einstellungen und Lebenslagen der Fami­
lien in Deutschland und die Maßnahmen, mit denen Familienpolitik die Familien unterstützt.

1) Die Lebensform Familie wird hochgeschätzt – Vielfalt wird anerkannt. Das erste Kapitel
„Familienleben in Deutschland“ zeigt, in welchen Formen die von den Menschen als wich­
tigster Lebensbereich betrachtete Familie gelebt wird. Die Familienform der verheirateten
Eltern mit Kindern ist nach wie vor am weitesten verbreitet (5,5 Mio.). Deutlich zugenom­
men haben die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, deren Anzahl sich in den vergangen
20 Jahren auf 843.000 fast verdoppelt hat.

Die Anzahl der Alleinerziehenden ist ebenfalls deutlich größer als Anfang der 90er-Jahre
und liegt seit einigen Jahren bei rund 1,6 Millionen. Im Jahr 2015 wuchsen 2,3 der insge­
samt 13 Millionen Kinder bei nur einem Elternteil auf. Die Zahl der Scheidungen nimmt
seit einigen Jahren ab, während die Zahl der Eheschließungen steigt. Jede dritte Familie
mit minderjährigen Kindern hat einen Migrationshintergrund, zunehmend aus dem
nichteuropäischen Ausland. Die Ehe für alle ist möglich geworden; Unterschiede werden
gesellschaftlich akzeptiert.

Deutlich gestiegen ist die Geburtenrate, die im Jahr 2015 mit 1,5 Kindern je Frau im Ver­
gleich der letzten 25 Jahre einen Höchststand erreicht hat. Drei Viertel der Kinder wachsen
mit mindestens einem Geschwisterkind auf. Die realisierten Kinderzahlen bleiben immer
noch stärker als in anderen Ländern hinter den Kinderwünschen zurück. Eltern im Alter
zwischen 40 und 49 Jahren finden durchschnittlich 2,2 Kinder ideal, tatsächlich haben sie
im Durchschnitt 1,9 Kinder.

2) Den meisten Familien geht es wirtschaftlich gut, aber nicht alle nehmen an der Entwicklung
des Wohlstands chancengerecht teil. Das zweite Kapitel stellt die wirtschaftliche Lage von
Familien und die Wirkung staatlicher Leistungen dar. Die Mehrheit der Familien empfin­
det ihre wirtschaftliche Lage heute als gut oder sogar sehr gut. Tatsächlich sind die durch­
schnittlichen (bedarfsgewichteten) Pro-Kopf-Einkommen von Familien zwischen 2004
und 2014 um knapp 23 Prozent gestiegen.

Allerdings liegt das Armutsrisiko von Kindern je nach Datenquelle zwischen 14,6 und
21,1 Prozent. 44 Prozent der Haushalte von Alleinerziehenden sind armutsgefährdet. Ihr
Armutsrisiko ist mehr als viermal so hoch wie bei Paarfamilien mit einem oder zwei Kin­
dern. Auch Familien mit drei und mehr Kindern sind mit 25 Prozent überdurchschnittlich
von Armut bedroht. Der nach Herkunftsländern veränderte Zuschnitt der Migration
vergrößert das Risikopotenzial seit einigen Jahren.

Fehlende oder geringe Erwerbstätigkeit der Eltern ist die wesentliche Ursache für Armuts­
gefährdung, Transferabhängigkeit und prekäre Lebenslagen. So haben in Familien, in
denen kein Elternteil erwerbstätig ist, die Kinder ein Armutsrisiko von 64 Prozent; verfügt
der Haushalt über ein Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit, liegt das Armutsrisiko bei
Seite 8 Zusammenfassung Inhalt zurück weiter

15 Prozent. Gibt es ein zweites Einkommen zumindest aus einer Teilzeittätigkeit, sind nur
noch 5 Prozent armutsgefährdet.

Der wesentliche Teil des Familieneinkommens wird in den meisten Familien in Deutsch­
land durch den Vater erwirtschaftet, die Mutter verdient hinzu. Diese ungleiche Einkom­
menserzielung kann zu einem Armutsrisiko werden, wenn der Hauptverdiener ausfällt.
Teilen sich Eltern die familiären Aufgaben und den Umfang der Erwerbsarbeit, fördert das
kurz- und langfristig die wirtschaftliche Stabilität der Familie.

Wesentliche Voraussetzung für eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit beider Elternteile ist


die Kindertagesbetreuung. Die staatlichen Mittel, die dafür zur Verfügung gestellt werden,
sind zwischen 2006 und 2015 von etwas mehr als 11 Milliarden Euro auf knapp 24,6 Mrd.
Euro gestiegen.

3) Die Chancen der Kinder sind ungleich verteilt – von Angeboten und Leistungen profitieren
sie nicht gleichermaßen. Kapitel III. richtet den Fokus auf die Chancen von Kindern, insbe­
sondere aus Familien mit geringen Einkommen. Es zeigt zum Beispiel, dass Kinder aus
solchen Familien deutlich seltener an Sportangeboten, musikalischer Früherziehung,
künstlerischen Aktivitäten oder sonstigen Eltern-Kind-Gruppen teilnehmen als Kinder
aus Familien mit mehr Einkommen. Insbesondere für diese Kinder ist eine verlässliche
und gute Kinderbetreuung aus zwei Gründen wichtig: Ihre Inanspruchnahme hat positive
Effekte auf die Entwicklung und das Wohlergehen von Kindern und sie ermöglicht den
Eltern Erwerbstätigkeit und damit Einkommen.

Damit die Betreuungskette nicht mit der Einschulung abreißt, sollte ein Rechtsanspruch
auf Schulkindbetreuung eingeführt werden. Um den Betreuungsbedarf für die bis zwölfjäh­
rigen zu decken, müssen mindestens 280.000 neue Plätze geschaffen werden. Zusätzlich
müssen die Betreuungszeiten einer ähnlich hohen Anzahl bestehender Plätze (275.000)
erweitert werden.

Zur Verringerung von Armutsrisiken für Familien hat die Bundesregierung auch die finanzi­
elle Unterstützung erhöht – beim Kindergeld, beim Kinderzuschlag, beim steuerlichen Ent­
lastungsbetrag für Alleinerziehende und beim Unterhaltsvorschuss kam es zu deutlichen
Verbesserungen. Sie tragen dazu bei, Armutsrisiken zu reduzieren. Eine weitere Maßnahme
zur Verbesserung der Chancen von Kindern aus Familien mit kleinen Einkommen kann in
der Weiterentwicklung des Kindergeldes liegen. So könnten Familien mit kleinen Einkom­
men ein höheres Kindergeld erhalten, das sich mit zunehmendem eigenen Einkommen der
Familie reduziert. 70 Prozent der Bevölkerung halten es für einen guten Vorschlag, das
Kindergeld für Familien zu erhöhen, in denen die Eltern nur wenig verdienen.

4) Mütter und Väter wollen heute Beruf und Familie partnerschaftlich leben und das auch im
Falle einer Trennung oder Scheidung. Kinder wollen, dass beide Elternteile erwerbstätig sind
und gleich oder ähnlich viel Zeit für die Familie haben. Kapitel IV. „Partnerschaftlichkeit –
Wunsch und Wirklichkeit“ thematisiert den zentralen Trend hin zur mehr gelebten und
gewünschten Partnerschaftlichkeit in den Familien, der mit der Einführung des Eltern­
gelds und dem Ausbau der Betreuungsplätze für kleine Kinder befördert wurde. Zentrale
Seite 9 Zusammenfassung Inhalt zurück weiter

Indikatoren für diesen Trend sind die steigende Müttererwerbstätigkeit sowie die steigende
Beteiligung der Väter an Elterngeld und Elternzeit. Seit der Einführung des Elterngelds
stieg die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern im Alter zwischen zwei und drei Jah­
ren von 42 auf 58 Prozent, vor allem bei Tätigkeiten im mittleren und hohen Teilzeitumfang.

Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, ist seit 2006 von 3,5 auf 35 Prozent gestiegen.
Mittlerweile wünscht sich mehr als die Hälfte aller Väter, den gleichen oder sogar den
größeren Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Viele Kinder wünschen sich eine
gerechtere Aufteilung der Erwerbs- und Familienaufgaben zwischen den Elternteilen.
Kinder, die mit Eltern aufwachsen, die beide vollzeitnah arbeiten, sehen Mütter und Väter
gleichermaßen als Bezugspersonen.

Jedoch fallen Wunsch und Wirklichkeit bei der partnerschaftlichen Aufgabenteilung noch
stark auseinander. Mütter haben den Wunsch, häufiger und mit mehr Stunden erwerbstä­
tig zu sein; Väter möchten ihre Arbeitszeit reduzieren und mehr Zeit mit der Familie ver­
bringen.

Den Wunsch nach Partnerschaftlichkeit gibt es auch nach Trennung und Scheidung.
51 Prozent der Trennungseltern wünschen sich eine annähernd gleichmäßige Aufteilung
bei der Kinderbetreuung. Dabei würde jeder zweite Vater gern mehr Betreuungsaufgaben
übernehmen im Vergleich zu der aktuellen Aufteilung; 42 Prozent der Mütter würden sich
hingegen eine Verringerung des eigenen Anteils an der Betreuung wünschen.

5) U
 nternehmen bewegen sich ebenfalls: in Richtung partnerschaftliche Vereinbarkeit. Kapitel V.
„NEUE Vereinbarkeit – Familienfreundlichkeit in der Unternehmenskultur“ lenkt die
Perspektive auf die Unternehmen, die mit einer familienfreundlichen Personalpolitik die
Vereinbarkeit wesentlich unterstützen können. Die NEUE Vereinbarkeit zielt auf die
Modernisierung der Arbeitskultur hin zu einer familienbewussten Arbeitszeitgestaltung
für Frauen und Männer in verschiedenen Lebensphasen, die Beschäftigten mehr Optionen
bei der Lebens- und Arbeitszeitgestaltung gibt. Dabei kommt es darauf an, die Wünsche
der Beschäftigten mit den betrieblichen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Mittler­
weile bekunden acht von zehn Unternehmen die Wichtigkeit einer vereinbarkeitsbewuss­
ten Personalpolitik. Andererseits zeigen Befragungen, dass aus Sicht der Beschäftigten
noch viel zu tun ist.

Dabei können die Unternehmen mit wirksamer Vereinbarkeitspolitik nach aktuellen


Studien erhebliche Renditen erzielen. Gerade weil sich die Bedeutung von Familienfreund­
lichkeit angesichts des Fachkräftemangels für Unternehmen erhöht, gibt es weiteren
Entwicklungsbedarf. Personalverantwortliche erwarten, dass in Zukunft noch mehr Väter
als heutzutage vereinbarkeitsfördernde Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen.

6) Die Digitalisierung hat Familien längst erreicht – mit Risiken, aber noch mehr Chancen.
Kapitel VI. befasst sich mit der Bedeutung der Digitalisierung für die Familien. Dabei liegt
ein Schwerpunkt auf den Potenzialen und Herausforderungen, die die zunehmenden
Möglichkeiten des mobilen Arbeitens/Homeoffice für die Vereinbarkeit mit sich bringen.
90 Prozent der Beschäftigten, die zumindest zeitweise im Homeoffice tätig sind, sagen,
Seite 10 Zusammenfassung Inhalt zurück weiter

dass das Arbeiten von zu Hause aus die Vereinbarkeit erleichtere. Ein Hauptgrund dafür ist,
dass Wegezeiten zum Arbeitsplatz wegfallen. Durchschnittlich können Eltern pro Woche
4,4 Stunden Wegezeiten sparen, die sie zum größten Teil mit der Familie verbringen. Das
größte Hindernis für die umfassende Nutzung orts- und zeitflexiblen Arbeitens liegt in der
Umsetzung in den Unternehmen: Die Nachfrage der Beschäftigten übersteigt aktuell das
Angebot der Arbeitgeber. Die Familie ist ein Schlüssel für einen umfassenden Ansatz zur
Stärkung digitaler Kompetenzen, denn Eltern müssen nicht nur Schritt halten mit der
eigenen Mediennutzung, sondern gleichzeitig Wege finden, ihre Kinder im Umgang mit
digitalen Technologien zu unterstützen.

7) Investitionen in Betreuungsinfrastruktur und gezielte familienbezogene Leistungen zahlen


sich vielfältig aus. Kapitel 7 stellt dar, dass sich Investitionen in Infrastrukturen für Familien
volkswirtschaftlich lohnen. Sie haben positive gesamtwirtschaftliche, fiskalische und vertei­
lungspolitische Effekte. Deutlich wird dies insbesondere beim Ausbau des staatlichen Kin­
derbetreuungsangebots. So sorgt die Nachmittagsbetreuung von Schulanfängerinnen und
-anfängern dafür, dass mehr als 11 Prozent der Mütter, die vor der Einschulung ihres Kindes
nicht berufstätig waren, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Mütter, die bereits zuvor einer
Erwerbstätigkeit nachgingen, weiten ihre Arbeitszeit um durchschnittlich 2,5 Stunden pro
Woche aus.

Zwar werden die öffentlichen Haushalte durch einmalige Investitionen und laufende
Betriebskosten für Kinderbetreuung belastet. Doch gleichzeitig werden durch Beschäfti­
gungs- und Lohneffekte Steuereinnahmen sowie Sozialabgaben gesteigert und die Ausga­
ben für Sozialleistungen reduziert. Die langfristigen Mehreinnahmen durch Investitionen
in Kitas und Ganztagsschulen überwiegen die Kosten bei Weitem.

8) Familien erwarten eine Politik, die ihren Wünschen und Bedarfen entspricht. Kapitel VIII.
„Die Sicht der Bevölkerung“ legt dar, was die breite Mehrheit der Familien an Unterstüt­
zung durch die Familienpolitik erwartet. Ganz oben auf der familienpolitischen Aufgaben­
liste steht die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 71 Prozent der Bevöl­
kerung erwarten diesbezügliche Unterstützung, wobei nicht nur der Staat, sondern auch
Unternehmen und Gewerkschaften gefragt sind. 61 Prozent der Eltern sind der Auffas­
sung, der Staat sollte die Voraussetzungen dafür verbessern, dass beide Partner gleicher­
maßen berufstätig sein können. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten, mehr Möglichkeiten,
im Homeoffice zu arbeiten, und bessere Betreuungsmöglichkeiten für kleinere Kinder und
Schulkinder.
Seite 11 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

I.
Familienleben in Deutschland

1.1 Familie als zentraler Lebensbereich

Die Familie ist weiterhin und mit noch gewachsenem Stellenwert in allen Generationen der
zentrale Lebensbereich für die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Die Familie ist
für 79 Prozent der Bevölkerung der wichtigste Lebensbereich (Abbildung 1). Gegenüber 2006,
als 76 Prozent die Familie an die erste Stelle setzten, ist der Anteil der Familienorientierten
noch weiter gewachsen.1 Bei Eltern mit minderjährigen Kindern sind es sogar 93 Prozent, die
die Familie für den wichtigsten Lebensbereich halten. 2 Für mehr als 90 Prozent der Bevölke­
rung ist es die größte Freude im Leben, zu beobachten, wie Kinder groß werden.3 Für über
80 Prozent der 20- bis 39-Jährigen ist es sehr wichtig bzw. wichtig, eigene Kinder zu haben.4 Für
fast neun von zehn Eltern mit minderjährigen Kindern steht die Familie auch für Zusammen­
halt in schwierigen Zeiten.5

Abbildung 1: Die Familie ist der wichtigste Lebensbereich*

Was ist für Sie das Wichtigste, was steht an erster Stelle?

4%
6%

10 %

Die Familie
Hobbys und Interesen
Der Beruf
79 %
Der Freundeskreis

* Fehlende Werte zu 100 %: Weiß nicht/keine Angabe.

Quelle: IfD Allensbach (2016): Familie 2030. Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11058.

1 IfD Allensbach (2016): Familie 2030. Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11058.


2 IfD Allensbach (2016): Familie 2030. Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11058.
3 WZB/Statistisches Bundesamt (2013): Datenreport 2013, S. 65, 67.
4 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2013): FamilienLeitbilder. Vorstellungen, Meinungen, Erwartungen,
Altersgruppe 20–39 Jahre.
5 Allensbacher Archiv (2016): IfD-Umfragen 6009, 11058. Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab
16 Jahre.
Seite 12 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Lebensformen sind heterogen


Familie wird in unterschiedlichen Konstellationen gelebt. Im familienpolitischen Verständnis
ist Familie dort, wo Menschen verschiedener Generationen dauerhaft füreinander Verantwor­
tung übernehmen, füreinander einstehen und gegenseitige Fürsorge leisten. Das schließt
verheiratete und unverheiratete Paare mit Kindern ebenso ein wie Alleinerziehende, getrennt
Erziehende, Stief- und Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien sowie Familien, die sich um
pflege- und hilfsbedürftige Angehörige kümmern. Ehe für alle ist mittlerweile eine Selbstver­
ständlichkeit geworden.

2015 gab es acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern im Haushalt (Abbildung 2).
Verheiratete Eltern mit 5,5 Millionen waren die häufigste Familienform. Ihre Anzahl ist in der
Vergangenheit zurückgegangen, wohingegen die Anzahl der Lebensgemeinschaften und die
der Alleinerziehenden gestiegen ist. 2015 gab es 843.000 Lebensgemeinschaften und 1,6 Millio­
nen Alleinerziehende. Die Zahl der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit minder­
jährigen Kindern im Haushalt lag im Jahr 2015 bei rund 7.000.

Abbildung 2: Familien* und Bevölkerung* 1996 und 2015

1996: Familien mit Kindern 2015: 1996: Bevölkerung* 2015:


9,4 Mio. unter 18 Jahren 8,0 Mio. 52,3 Mio. 20–65 Jahre 50,8 Mio.

1996: 2015: 1996: Lebens- 2015: 1996: 2015:


Ehepaare Alleinerziehende
7,6 Mio. 5,5 Mio. 452 Tsd. gemeinschaften 843 Tsd. 1,3 Mio. 1,6 Mio.

1996: gegen- 2015: 1996: 2015:


Mütter
449 Tsd. geschlechtlich 836 Tsd. 1,1 Mio. 1,5 Mio.

1996: gleich- 2015: 1996: 2015:


Väter
3 Tsd. geschlechtlich 7 Tsd. 166 Tsd. 182 Tsd.

* Zahlen für Familie und Bevölkerung 2015. Ab 2011: Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Die Familienformen unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit nach wie vor in den neuen und
alten Bundesländern. In West- wie Ostdeutschland sind verheiratete Eltern zwar die häufigste
Familienform, in den neuen Ländern sind jedoch lediglich etwas mehr als die Hälfte der Eltern
verheiratet, während es in den alten Bundesländern knapp drei Viertel der Eltern sind. Ent­
sprechend ist der Anteil an Lebensgemeinschaften (21 Prozent) und Alleinerziehenden (28 Pro­
zent) in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland, wo 8 Prozent der Eltern nicht verheira­
tet und 19 Prozent der Familien alleinerziehend sind (Abbildung 3).
Seite 13 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 3: Familienformen in den neuen und alten Bundesländern, 2015, in Prozent

Neue Länder einschließlich Berlin 51 % 21 % 28 %

Früheres Bundesgebiet ohne Berlin 73 % 8% 19 %

Deutschland 69 % 10 % 20 %

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Breites Familienverständnis in der Bevölkerung


Auch in der Bevölkerung ist ein breites Familienverständnis verankert. Familie ist für die
Mehrheit dort, wo auch Kinder sind – unabhängig von der Lebensform. So ist für 97 Prozent
der Bevölkerung auch ein unverheiratetes heterosexuelles Paar mit Kindern eine Familie, für
88 Prozent ein homosexuelles Paar mit Kindern, für 85 Prozent eine Mutter, die mit einem
neuen Partner unverheiratet zusammenlebt, und für 82 Prozent eine alleinerziehende Mutter.6

Zusätzlich zum allgemeinen Familienverständnis bestehen in der Bevölkerung Vorstellungen


darüber, wie Familienleben normalerweise aussieht oder idealerweise aussehen sollte. Jeder
Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens diese sogenannten Familienleitbilder. Sie entstehen
durch die Beobachtung anderer Menschen, durch eigene Erfahrungen, aber auch durch den
Konsum von Medien wie Filmen, Werbung oder Büchern. Daher gibt es innerhalb einer Gesell­
schaft Familienleitbilder, die von vielen Menschen geteilt werden.

In einer aktuellen Studie hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) die Familien­
leitbilder junger Menschen in Deutschland und ihre Veränderungen im Vergleich zum Jahr
2012 untersucht.7 Es zeigt sich, dass die Familienleitbilder zwar im Kern stabil geblieben, aber
auch vielschichtiger und moderner geworden sind. So haben gleichberechtigte Vorstellungen
von Partnerschaft und Elternschaft zugenommen, bei denen auf der einen Seite Mütter stärker
in der Erwerbsarbeit und auf der anderen Seite Väter stärker in der Familie gesehen werden.
84,5 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Mütter von Kleinkindern arbeiten sollten.
Für Mütter mit einem zweijährigen Kind nannten zwei Drittel der Befragten eine Arbeitszeit
zwischen 16 und 35 Wochenstunden als ideal. Nur 13 Prozent der Männer entsprachen dem
Typus „Ernährer“, der sich hauptsächlich der Erwerbsarbeit und dem Familienunterhalt wid­
met.8 Im Gegensatz dazu entsprachen 40 Prozent dem Typus des „Vereinbarers“, der beruflich

6 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2013): Familienleitbilder. Vorstellungen, Meinungen, Erwartungen,


Altersgruppe 20–39 Jahre.
7 Im Jahr 2012 wurden in einer repräsentativen Befragung bundesweit insgesamt 5.000 zufällig ausgewählte
Personen, die zwischen 1973 und 1992 geboren wurden, telefonisch befragt. Zudem wurden alle Personen, die
einer erneuten Befragung zustimmten, im Jahr 2013 und 2014 wiederholt kontaktiert, um ihre Wiedererreich­
barkeit zu gewährleisten. Im Jahr 2016 konnten so 1.858 Personen noch einmal befragt werden.
8 Zustimmung zur Aussage „Ein Mann muss seine Familie allein ernähren können“, Ablehnung der Aussage „Väter
sollten für ihre Kinder beruflich kürzertreten“.
Seite 14 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

für seine Kinder kürzertritt. 9 Kinder sind nach wie vor ein zentraler Bestandteil des Familien­
leitbildes, die Realisierung des gemeinsamen Kinderwunsches steht für viele junge Erwachse­
ne im Mittelpunkt. So finden es 53 Prozent wichtig, dass der Partner eigene Kinder haben will.
Auch der Aussage, eine Partnerschaft funktioniere dann gut, wenn man gemeinsame Kinder
hat, wurde mehrheitlich zugestimmt.

1.2 Kinder in Familien

In Deutschland lebten 2015 rund 13 Millionen minderjährige Kinder, davon 2,3 Millionen in
den neuen Bundesländern (18 Prozent) und 10,6 Millionen in den alten Bundesländern (82 Pro­
zent) (Abbildung 4).

Abbildung 4: Anzahl der minderjährigen Kinder in Deutschland, 2015, in Millionen

2,3 Mio.

Früheres Bundesgebiet ohne Berlin

Neue Länder einschließlich Berlin

10,6 Mio.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Die Mehrzahl der Familien haben ein und zwei minderjährige Kinder
In mehr als der Hälfte der Familien mit minderjährigen Kindern in Deutschland lebte 2015 ein
Kind (53 Prozent), in mehr als jeder dritten Familie zwei Kinder (36 Prozent) und in 11 Prozent
der Familien drei und mehr Kinder (Abbildung 5). Die neuen und alten Bundesländer unter­
scheiden sich hier nicht grundsätzlich, allerdings haben in Ostdeutschland etwas mehr Famili­
en ein Kind (58 Prozent) als in Westdeutschland (52 Prozent). Daraus lassen sich jedoch keine
Rückschlüsse auf die Kinderzahlen von Frauen insgesamt ziehen, da es sich um eine Moment­
aufnahme handelt und Frauen noch weitere Kinder im Laufe der Zeit bekommen können (vgl.
auch Kapitel „Geburten in Deutschland“).

9 Ablehnung der Aussage „Ein Mann muss seine Familie allein ernähren können“, Zustimmung zur Aussage „Väter
sollten für ihre Kinder beruflich kürzertreten“.
Seite 15 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 5: Familien nach Anzahl der Kinder unter 18 Jahren und Region, 2015, in Prozent

70 %
58 %
60 %
53 % 52 %
50 %

36 % 37 %
40 %
33 %
30 %

20 %
9% 9% 7%
10 %
2% 2% 2%
0%
Deutschland Früheres Bundesgebiet Neue Länder
ohne Berlin einschließlich Berlin

1 Kind 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder und mehr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Differenziert nach der jeweiligen Familienform, haben verheiratete Eltern häufiger mehr
Kinder als unverheiratete Paare bzw. Alleinerziehende (Abbildung 6). 2015 hatten 41 Prozent
der verheirateten Eltern zwei Kinder, während nur etwa ein Viertel der unverheirateten Eltern
bzw. Alleinerziehenden zwei Kinder hatte (28 bzw. 25 Prozent). Während knapp die Hälfte der
verheirateten Eltern ein Kind hatte (47 Prozent), galt dies für zwei Drittel der unverheirateten
Paare und der Alleinerziehenden (66 bzw. 68 Prozent).

Abbildung 6: Familienformen nach Anzahl der minderjährigen Kinder, 2015, in Prozent

80 %

70 % 66 % 68 %

60 %

50 % 47 %
41 %
40 %

30 % 28 %
25 %

20 %
10 %
10 % 5% 5%
2% 1% 1%
0%
Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende

1 Kind 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder und mehr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
Seite 16 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Fast drei Viertel der minderjährigen Kinder in Deutschland lebten 2015 gemeinsam mit ver­
heirateten Eltern im Haushalt, 18 Prozent wuchsen bei Alleinerziehenden und 9 Prozent bei
Lebensgemeinschaften auf (Abbildung 7). Damit hat sich der Anteil der Kinder, die bei verhei­
rateten Eltern aufwachsen, in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert. In den alten
Bundesländern waren die Eltern von minderjährigen Kindern mehrheitlich verheiratet:
77 Prozent der minderjährigen Kinder lebten bei verheirateten Eltern, in den neuen Bundes­
ländern waren es lediglich 56 Prozent. In den neuen Ländern wuchsen Kinder häufiger bei
Lebensgemeinschaften und Alleinerziehenden auf als in den alten Bundesländern. In eingetra­
genen Lebenspartnerschaften lebten im Jahr 2015 in Deutschland 10.000 Kinder.10 In einer von
zehn eingetragenen Lebenspartnerschaften lebte mindestens ein Kind.11

Abbildung 7: Minderjährige Kinder nach Familienform, 2015, in Prozent

100 %
18 % 16 %
25 %
80 % 9% 7%

20 %
60 %

40 % 77 %
73 %
56 %
20 %

0%
Deutschland Früheres Bundesgebiet Neue Länder
ohne Berlin einschließlich Berlin
Kinder bei Ehepaaren Kinder in Kinder bei
Lebensgemeinschaften Alleinerziehenden

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Drei Viertel der Kinder wuchsen mit mindestens einer Schwester oder einem Bruder auf (Abbil-
dung 8). Nur ein Viertel lebt (noch) ohne Geschwister im Haushalt. 1996 lebten durchschnittlich
1,65 minderjährige Kinder in Familien, 2015 waren es durchschnittlich 1,61 Kinder.12

Von den 74 Prozent der Kinder mit Geschwistern im Haushalt hatten knapp zwei Drittel eine
Schwester oder einen Bruder (64 Prozent), gut ein Viertel hat zwei Geschwister (26 Prozent)
und 10 Prozent hatten drei oder mehr Geschwister (Abbildung 8).

10 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
11 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
12 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
Seite 17 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 8: Minderjährige Kinder nach Anzahl der Geschwister* im Haushalt, 2015, in Prozent

1 Geschwisterkind 64 %

26 % 74 %

2 Geschwisterkinder 26 %

3 und mehr Geschwisterkinder 10 %

Mit Geschwistern Ohne Geschwister

* Ledige Geschwister – einschließlich Stief-, Adoptiv- und Pflegekindern – ohne Altersbegrenzung.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.

Anteil der Mehrkindfamilien bleibt konstant


Der Anteil der Familien mit drei oder mehr minderjährigen Kindern ist in Deutschland seit der
Wiedervereinigung nahezu unverändert geblieben (Abbildung 9). Im Jahr 1975 lebten noch in
19 Prozent der Familien drei oder mehr minderjährige Kinder, darunter in 6 Prozent vier oder
mehr Kinder. Bis zum Jahr 1990 ist der Anteil der Mehrkindfamilien im früheren Bundes­gebiet
auf ein mit dem heutigen gesamtdeutschen Durchschnitt vergleichbares Niveau gesunken.

Abbildung 9: Familien nach Anzahl der minderjährigen Kinder, 1975 bis 2015, in Prozent

100 %
15 % 12 % 11 % 12 % 11 %
19 %
80 %
36 % 38 % 37 % 36 %
35 % 36 %
60 %

40 %

49 % 52 % 51 % 52 % 53 %
20 % 46 %

0%
1975 1980 1990 1992 2000 2015
1 Kind 2 Kinder 3 Kinder und mehr

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus. Bis 1990 sind die Werte für das frühere Bundesgebiet ausgewiesen, ab
1992 für das wiedervereinigte Deutschland. Ab 2011 auf Basis des Zensus 2011.

2015 lebten in rund jeder neunten Familie mehr als zwei minderjährige Kinder (865.000).
Überwiegend haben diese Familien drei minderjährige Kinder (697.000 Familien). In knapp
2 Prozent aller Familien mit minderjährigen Kindern lebten vier minderjährige Kinder
(126.000 Familien), in 0,5 Prozent fünf oder mehr (42.000 Familien).13 In Westdeutschland gab

13 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
Seite 18 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

es mit 11 Prozent anteilig mehr Mehrkindfamilien als in Ostdeutschland (9 Prozent) (vgl. auch
Abbildung 5). 11 Prozent aller Mehrkindfamilien sind Familien mit alleinerziehendem Elternteil.14

1.3 Alleinerziehende

2016 gab es 1,6 Millionen Alleinerziehende, davon waren 1,4 Millionen alleinerziehende Mütter
und 182.000 alleinerziehende Väter. Damit sind neun von zehn Alleinerziehenden weiblich.15
In jeder fünften Familie lebt ein Elternteil allein mit Kindern im Haushalt. Dabei unterscheidet
sich der Anteil an Alleinerziehenden an den Familienformen je nach Gemeindegröße: In
Gemeinden unter 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern machten Alleinerziehende 2016
einen Anteil von 20 Prozent aus, in Großstädten mit über einer halben Million Einwohnerin­
nen und Einwohnern waren 28 Prozent der Eltern Alleinerziehende.16 Alleinerziehende gehö­
ren heute zur Vielfalt des Familienlebens. Dabei ist die Zahl minderjähriger Kinder, die nur bei
einem Elternteil aufwachsen, in den letzten Jahren deutlich angestiegen: von rund 1,9 Millio­
nen im Jahr 1996 auf 2,3 Millionen im Jahr 2016.17 17 Prozent der minderjährigen Kinder lebten
2016 bei einem alleinerziehenden Elternteil. In Ostdeutschland waren es fast ein Viertel der
Kinder, in Westdeutschland 16 Prozent (Abbildung 10).

Abbildung 10: Anteil der minderjährigen Kinder, die bei einem Alleinerziehenden leben, 1996 bis 2016, in Prozent

30 %

25 % 23 %

20 %
17 %
16 %
15 %

10 %

5%

0%
1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Deutschland Westdeutschland (ohne Berlin) Ostdeutschland (einschließlich Berlin)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus. Berechnungen: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB).


Darstellung: Prognos AG.

14 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus, eigene Berechnung.
15 Die Anzahl der alleinerziehenden Väter ist damit vergleichsweise gering. Um differenzierte Auswertungen
ermöglichen zu können, wird im Folgenden insbesondere die Situation der alleinerziehenden Mütter betrachtet.
16 Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien. Ergebnisse des Mikrozensus 2016.
17 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus; Berechnungen: BiB. Pressemitteilung vom 17.05.2017 und Statistisches
Bundesamt (2017): Haushalte und Familien 2016, Ergebnisse des Mikrozensus.
Seite 19 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Alleinerziehende werden in der Statistik definiert als Haushalte, in denen ein Elternteil allein
mit Kindern lebt. Hinter dieser Haushaltsform können sich jedoch unterschiedliche Lebensfor­
men verbergen. So sind in Westdeutschland alleinerziehende Elternteile überwiegend geschie­
den, während es sich im Osten mehrheitlich um Ledige handelt.18

Die Familienform „alleinerziehend“ ist dabei nicht statisch. Nur für wenige Frauen ist es ein
unveränderlicher Teil des Selbstkonzepts, alleinerziehend zu sein. Für die allermeisten Allein­
erziehenden ist „alleinerziehend sein“ eine Lebensphase mit einem Beginn und einem Ende,
wobei sie diese Phase auch mehrmals im Laufe des Lebens durchlaufen können. So verlässt ein
Viertel der Alleinerziehenden innerhalb der ersten drei Jahre den Status „alleinerziehend“, oft
durch neue Partnerschaften.19 Mehr als ein Drittel der alleinerziehenden Mütter hat eine (neue)
feste Beziehung. Überwiegend betrachten sie die Phase des Alleinerziehens als einen Prozess
mit offenem Ausgang. 20 Auch das subjektive Verständnis von Alleinerziehendsein ist weniger
an die Haushaltssituation gekoppelt, sondern vielmehr an die tatsächliche Verantwortungs­
verteilung im Alltag.

Nach der Trennung teilen sich 15 Prozent der Eltern die Kinderbetreuung partnerschaftlich
auf. Unterschieden wird zwischen Alleinerziehenden, wenn die Kinder im Wesentlichen bei
einem Elternteil leben, und getrennt Erziehenden. Getrennt Erziehende teilen sich die Betreu­
ung der Kinder gemeinschaftlich, auch wenn sie nicht mehr zusammen sind. Wenn eine Part­
nerschaft gerade beendet worden ist, wenn es Verletzungen und Streit gibt, ist das erst einmal
nicht leicht. Familien, denen partnerschaftliche Erziehung gelingt, profitieren davon.21 Um
herauszufinden, wie Kinder mit getrennten Eltern gut aufwachsen können, hat das Bundesfa­
milienministerium die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ in Auftrag gegeben. Bei der
Studie stehen die Kinder im Mittelpunkt und werden selbst zur Umgangssituation befragt.
Diese Studie soll zentrale Erkenntnisse für die weitere Diskussion und für die kindgerechte
Ausgestaltung von Prozessen, Konzepten und Lösungen liefern.22

Alleinerziehende Mütter leben zwar ohne Partner im Haushalt, das bedeutet aber nicht, dass
die Mütter keine Partnerschaft führen: Befragungen zeigen, dass fast jede dritte alleinerzie­
hende Mutter in einer festen Beziehung lebt. Besonders häufig trifft dies auf die jüngeren
Alleinerziehenden zu: 52 Prozent der 20- bis 29-Jährigen haben eine feste Beziehung, während
ältere Mütter überwiegend alleinstehend sind (65 Prozent der 30- bis 39-Jährigen) (Abbildung 11).
Jüngere Mütter sind auch tendenziell häufiger auf der Suche nach einem neuen Partner. Je älter
die Mütter sind, desto eher wird die Phase „alleinerziehend“ von ihnen dagegen als dauerhaft
empfunden, zumindest so lange, bis die Kinder erwachsen sind.23

18 Ebd.
19 Monitor Familienforschung Nr. 28, BMFSFJ.
20 Vgl. BMFSFJ (2011):, Lebenswelten und -wirklichkeiten von Alleinerziehenden, S. 7.
21 BMFSFJ (2017): Partnerschaftlichkeit nach der Trennung ermöglichen. Hintergrundmeldung vom 08.08.2017.
Für weitere Informationen zum Thema „Partnerschaftlich erziehen nach Trennung und Scheidung“ siehe
Kapitel IV.
22 BMFSFJ (2017): Partnerschaftlichkeit nach der Trennung ermöglichen. Hintergrundmeldung vom 08.08.2017.
23 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012): Alleinerziehende in Deutschland – Lebens­
situationen und Lebenswirklichkeiten von Müttern und Kindern, Berlin, S. 10 f.
Seite 20 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 11: Beziehungsstand von Alleinerziehenden nach Alter der Mütter, 2015

100 %

35 % 28 % 29 %
80 %
52 %

60 %

40 %
72 % 71 %
65 %
48 %
20 %

0%
20 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 Jahre und älter
(n=69) (n=322) (n=482) (n=166)
Ohne feste Beziehung Mit fester Beziehung

Quelle: SOEP-Welle v32 (Erhebungsjahr 2015). Berechnung: Prognos AG.

Auch nach einer Trennung und dem Verlassen des gemeinsamen Haushalts bleibt der Vater
für die Kinder wichtig. 63 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden geben an, dass ihnen der
Vater sehr wichtig bzw. wichtig ist.24 Mehr als die Hälfte der Väter hat Kontakt zu den eigenen
Kindern. Insgesamt hat eine große Mehrheit der Kinder bis zum Beginn des Schulalters Kon­
takt zum leiblichen Vater. 25

In Haushalten mit alleinerziehenden Eltern lebt häufiger nur ein minderjähriges Kind26
(67 Prozent) als in Paarhaushalten (48 Prozent). Bei einem Viertel der Alleinerziehenden wach­
sen zwei Kinder, bei 7 Prozent drei oder mehr Kinder im Haushalt auf (Abbildung 12). Damit
hat jede dritte Alleinerziehende zwei oder mehr minderjährige Kinder.

Abbildung 12: Alleinerziehende und Paarhaushalte mit Kindern unter 18 Jahren, 2016, nach Zahl der im Haushalt leben-
den minderjährigen Kinder, in Prozent

Alleinerziehende 67 % 26 % 7%

Paare
(verheiratet oder 48 % 39 % 12 %
unverheiratet)
0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

1 Kind 2 Kinder 3 Kinder und mehr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Haushalte und Familien 2016, Ergebnisse des Mikrozensus.

24 BMFSFJ (2012): Monitor Familienforschung: Alleinerziehende in Deutschland – Lebenssituationen und Lebens­


wirklichkeiten von Müttern und Kindern. Ausgabe 28.
25 BMFSFJ: Alleinerziehend in Deutschland. Fakten über einen Familienstand. Unveröffentlichte Studie.
26 Sofern keine anderslautenden Angaben gemacht werden, beziehen sich die folgenden Auswertungen immer auf
Alleinerziehende mit mindestens einem minderjährigen Kind.
Seite 21 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

In den Haushalten von Alleinerziehenden lebten 2015 zudem häufiger Kinder, die bereits zehn
Jahre oder älter waren (47 Prozent). Mütter aus Paarfamilien betreuten demgegenüber etwas
häufiger Kleinkinder im Alter von bis zu drei Jahren als alleinerziehende Mütter (26 Prozent im
Vergleich zu 15 Prozent) (Abbildung 13).

Abbildung 13: Alter des jüngsten Kindes von Müttern, nach Familienform, 2015

100 % 15 bis unter 18 Jahren


20 % 14 %

80 % 10 bis unter 15 Jahren


23 %
27 % 6 bis unter 10 Jahren
60 %
19 % 3 bis unter 6 Jahren
21 %
40 % unter 3 Jahren
18 %

17 %
20 %
26 %
15 %
0%
Alleinerziehende Mütter aus Paarfamilien

Quelle: Mikrozensus Sonderauswertung f203_006_2. Berechnung: Prognos AG.

Meistens führt eine Trennung oder Scheidung dazu, dass Frauen (vorübergehend) alleinerzie­
hend sind. Dementsprechend sind etwa zwei Drittel der alleinerziehenden Mütter mit minder­
jährigen Kindern über 35 Jahre alt: 40 Prozent sind in der Altersgruppe zwischen 35 und unter
45 Jahren, 30 Prozent sind bereits 45 Jahre oder älter (Abbildung 14). Nur gut ein Viertel der
Alleinerziehenden ist zwischen 25 und unter 35 Jahren (27 Prozent) alt, 4 Prozent sind jünger
als 25 Jahre.

Abbildung 14: Alleinerziehende Mütter und Mütter aus Paarfamilien nach Altersgruppen, 2015, in Prozent

100 % 2% 1% 55 Jahre und älter


23 %
28 % 45 bis 54 Jahre
80 %
35 bis 44 Jahre
60 %
48 % 25 bis 34 Jahre
40 %
40 % 18 bis 24 Jahre

20 % 27 % 27 %

0% 4% 2%

Alleinerziehende Mütter aus Paarfamilien

Quelle: SOEP-Welle v32 (Erhebungsjahr 2015). Berechnung: Prognos AG.


Seite 22 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Alleinerziehende sind überwiegend gut ausgebildet


77 Prozent der Alleinerziehenden verfügen über einen mittleren oder hohen Bildungsab­
schluss (Abbildung 15). 2015 hatte knapp ein Viertel der alleinerziehenden Mütter (23 Prozent)
einen niedrigen Bildungsabschluss, allerdings nur 15 Prozent der Mütter aus Paarfamilien.
Rund 12 Prozent der alleinerziehenden Mütter verfügen über einen Hochschulabschluss,
8 Prozent über einen Fachschulabschluss27 und 50 Prozent über eine Lehre bzw. Berufsausbil­
dung im dualen System. 28, 29

Abbildung 15: Höchster Bildungsabschluss von Müttern, nach Familienform, 2015

100 % Niedriger Bildungsabschluss


15 %
23 %
80 % Mittlerer Bildungsabschluss

Hoher Bildungsabschluss
60 %
59 %
60 %
40 %

20 %
26 %
17 %
0%
Alleinerziehende Mütter aus Paarfamilien

Quelle: Mikrozensus Sonderauswertung f203_006_2. Berechnung: Prognos AG.

1.4 Familien mit Migrationshintergrund

In Deutschland hatte 2015 jede dritte Familie mit minderjährigen Kindern im Haushalt einen
Migrationshintergrund (Abbildung 16).30 Dabei zeigt sich, dass Familien mit Migrationshinter­
grund häufiger in den alten Bundesländern leben. Hier hatte jede dritte Familie einen Migrati­
onshintergrund (35 Prozent), während es in den neuen Bundesländern gut jede sechste Familie
(16 Prozent) war.

Seit einigen Jahren verschiebt sich die Zusammensetzung des Migrationshintergrundes mit
den Herkunftsländern deutlich. Damit verändern sich auch die Herausforderungen in erhebli­
chem Maße, weil es sich nunmehr um andere Bildungsniveaus, Qualifikationen und nicht
zuletzt Familienleitbilder handelt. Die Auswirkungen zeigen sich mittlerweile signifikant in
den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, was Arbeitslosigkeit bzw. ALG-II-Bezug angeht.
Ungeachtet dessen werden dadurch die Lösungswege keine grundsätzlich anderen.

27 Einschließlich einer Meister-/Technikerausbildung, Abschluss einer zwei- oder dreijährigen Schule für Gesund­
heits- und Sozialberufe oder an einer Schule für Erzieherinnen und Erzieher.
28 Einschließlich eines gleichwertigen Berufsfachschulabschlusses, Vorbereitungsdienst für den mittleren Dienst
der öffentlichen Verwaltung, Anlernausbildung.
29 Statistisches Bundesamt (2016): Haushalte und Familien 2015, Ergebnisse des Mikrozensus.
30 Definition Migrationshintergrund analog zum Statistischen Bundesamt: zu den Menschen mit Migrationshin­
tergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Dies umfasst zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer, zugewanderte und nicht
zugewanderte Eingebürgerte, (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler sowie die als Deutsche geborenen
Nachkommen dieser Gruppen.
Seite 23 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 16: Familien mit minderjährigen Kindern nach Migrationshintergrund, 2015, in Prozent

Neue Länder einschließlich Berlin 16 % 84 %

Früheres Bundesgebiet ohne Berlin 35 % 65 %

Deutschland 32 % 68 %

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

Mit Migrationshintergrund Ohne Migrationshintergrund

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

In 84 Prozent aller Familien mit Migrationshintergrund leben die Eltern als Paarfamilien
zusammen. Mit 92 Prozent handelt es sich hierbei um verheiratete Paare; in Familien ohne
Migrationshintergrund sind 84 Prozent der Elternpaare verheiratet.31

Unterschiede zu Familien ohne Migrationshintergrund zeigen sich auch bei Mehrkindfamilien


und alleinerziehenden Elternteilen (Abbildung 17). Familien mit Migrationshintergrund
(16 Prozent) sind deutlich seltener als Familien ohne Migrationshintergrund (23 Prozent)
alleinerziehend. Auch bei Mehrkindfamilien, also Familien mit drei oder mehr Kindern, beste­
hen deutliche Unterschiede. Paare mit Migrationshintergrund haben häufiger mehr als drei
Kinder (13 Prozent) als Paare ohne Migrationshintergrund (8 Prozent).

Abbildung 17: Familien mit und ohne Migrationshintergrund nach Familienform und Anzahl der Kinder unter 18 Jahren

100 % 6% 7% 6%
90 % 10 %
16 % 14 %
80 % 13 %
8% 9%
70 %
60 %
33 % 30 % 31 %
50 %
40 %
30 %
20 % 38 % 39 % 39 %
10 %
0%
Familien mit Familien ohne Familien mit Kindern
Migrationshintergrund Migrationshintergrund unter 18 Jahren insgesamt

Alleinerziehende mit 2 oder mehr Kindern unter 18 Jahren


Alleinerziehende mit 1 Kind unter 18 Jahren

Paare mit 3 und mehr Kindern unter 18 Jahren

Paare mit 2 Kindern unter 18 Jahren

Paare mit 1 Kind unter 18 Jahren

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2015.

31 Sonderauswertung Mikrozensus 2015. Für weitere Informationen: BMFSFJ (2017): Gelebte Vielfalt: Familien mit
Migrationshintergrund in Deutschland.
Seite 24 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Insgesamt leben in Deutschland rund 4,3 Millionen minderjährige Kinder in Familien mit
Migrationshintergrund, das sind rund 34 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren. Ein Großteil
von ihnen (86 Prozent) hat keine eigene Migrationserfahrung, während fast alle Eltern nach
der Definition „Migrationshintergrund“ nach Deutschland zugewandert sind.32

Bildungsabschlüsse in Familien mit Migrationshintergrund


Vier von zehn Müttern und Vätern mit Migrationshintergrund (42 Prozent) verfügen über ein
(Fach-)Abitur; zugleich haben in knapp einem Drittel der Familien beide Elternteile einen
Hauptschulabschluss (23 Prozent) oder keinen Schulabschluss (9 Prozent).33 Auch beim beruf­
lichen Abschluss zeigt sich ein differenziertes Bild (Abbildung 18): Knapp ein Viertel der Eltern
in Familien mit Migrationshintergrund (24 Prozent) hat einen (in Deutschland anerkannten)
akademischen Abschluss. In jeder vierten Familie haben weder Mutter noch Vater einen (aner­
kannten) Berufsabschluss. Vor allem Mütter mit Migrationshintergrund (44 Prozent) haben
häufig keinen (anerkannten) beruflichen Abschluss, obwohl sie im Vergleich zu Vätern mit
Migrationshintergrund über höhere schulische Abschlüsse verfügen.34

Abbildung 18: Höchster (anerkannter) beruflicher Bildungsabschluss eines Elternteils in Familien mit und ohne
Migrationshintergrund (in Prozent)

100 %
90 % 24 % 30 % 28 %
80 %
70 % 8%
17 % 14 %
60 %
50 % 41 %
40 %
46 %
30 % 47 %
20 %
26 %
10 %
13 %
6%
0%
Familien mit Familien ohne Familien insgesamt
Migrationshintergrund Migrationshintergrund

(Fach-)Hochschule
Meister/Techniker/Fachschule

Lehre o. Ä.

Ohne Berufsabschluss

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2015. Eigene Darstellung BMFSFJ.

Bundesprogramm „Stark im Beruf“ bietet Müttern mit Migrationshintergrund Starthilfe in eine


Erwerbstätigkeit
Mütter mit Migrationshintergrund sind deutlich seltener und in geringerem Stundenumfang
erwerbstätig als Mütter ohne Migrationshintergrund. Während fast drei Viertel aller Mütter

32 Ebd.
33 Ebd.
34 Ebd.
Seite 25 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

ohne Migrationshintergrund erwerbstätig sind, ist es unter den Müttern mit Migrationshinter­
grund nur rund die Hälfte. Dabei haben mehr als zwei Drittel der gerade nicht berufstätigen
Mütter mit Migrationshintergrund den Wunsch, (wieder) arbeiten gehen zu wollen, die meis­
ten in Teilzeit (70 Prozent).

Das Bundesprogramm „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ bietet
Müttern an bundesweit rund 80 Kontaktstellen Starthilfe beim Berufseinstieg und unterstützt
bei Vereinbarkeitsfragen. Hohe Vermittlungsquoten und eine starke Nachfrage belegen die
Motivation der Mütter, erwerbstätig zu werden. Das Bundesprogramm wird aus Mitteln des
Europäischen Sozialfonds in der ersten Förderphase von Februar 2015 bis Ende 2018 gefördert.

1.5 Kinderwünsche in Deutschland

Die Kinderwünsche der 18- bis 30-Jährigen in Deutschland sind nach wie vor hoch und im
Vergleich zu Kinderwünschen im Jahr 2000 teilweise gestiegen (Abbildung 19). Die Zahl der
Kinderlosen, die sich drei Kinder oder mehr wünschen, ist in Westdeutschland von 17 Prozent
auf fast ein Drittel (31 Prozent) angestiegen, in Ostdeutschland von 9 Prozent auf 20 Prozent.
Zwar präferiert die Mehrheit der 18- bis 30-Jährigen eine Zwei-Kind-Familie; dennoch wün­
schen sie sich immer häufiger drei und mehr Kinder: Im Jahr 2014 wünschten sich 31 Prozent
der jungen Erwachsenen in Westdeutschland sowie 20 Prozent in Ostdeutschland drei und
mehr Kinder. Im Jahr 2000 waren das noch 17 bzw. 9 Prozent. Die durchschnittlich gewünsch­
te Kinderzahl der Westdeutschen ist über die Jahre relativ konstant geblieben und lag 2014 bei
2,2 Kindern in West- und 2,0 Kindern in Ostdeutschland.

Abbildung 19: Kinderwünsche der 18- bis 30-Jährigen

18–30 Jahre

2000 2006 2014

West Ost West Ost West Ost

Wunsch nach (weiteren) Kindern (in %)

Bei Personen mit Kindern 58 43 65 55 63 51

Bei kinderlosen Personen 95 92 92 96 93 94

Gewünschte Anzahl von Kindern (in %)*

1 Kind 9 27 9 16 8 17

2 Kinder 74 65 73 72 61 64

3 Kinder und mehr 17 9 17 12 31 20

Durchschnittlich gewünschte Kinderzahl* 2,1 1,9 2,1 2,0 2,2 2,0

* Kinderlose mit Kinderwunsch

Datenquelle: ALLBUS 2000, 2006 und 2014. Berechnung: gesis – Leibniz Institute for the Social Sciences.
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Lücke zwischen gewünschter und realisierter Kinderzahl


Dennoch bleiben die realen Kinderzahlen häufig hinter den idealen Kinderwünschen zurück;
stärker als in vielen anderen Ländern ähnlichen Zuschnitts. In Deutschland finden Eltern im
Alter zwischen 40 und 49 Jahren durchschnittlich 2,2 Kinder ideal. Real haben sie durch­
schnittlich 1,9 Kinder, wobei ein Viertel kinderlos ist.35

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Kinder ist für die meisten Befragten, dass sich beide
Partner ein Kind wünschen und sich reif für Kinder fühlen (86 Prozent bzw. 73 Prozent) (Abbil-
dung 20). Auch eine beruflich gesicherte Situation eines Partners ist für zwei Drittel eine wich­
tige Voraussetzung. Knapp die Hälfte findet es wichtig, dass ein Einkommen für die Familie
ausreicht. 2007 war dies noch für 57 Prozent eine wichtige Voraussetzung. Für Kinderlose ist
der noch fehlende passende Partner der häufigste Grund gegen Kinder. Die meisten Kinder­
losen fühlen sich zudem noch zu jung für Kinder.

Abbildung 20: Voraussetzungen, die vor der Geburt eines Kindes erfüllt sein sollten, 16- bis 49-jährige Bevölkerung in
Deutschland, 2013, in Prozent

Diese Voraussetzung sollte unbedingt erfüllt sein

Dass sich beide ein Kind wünschen 86 %

Dass sich beide Partner reif für ein Kind fühlen 73 %

Dass einer der beiden Partner beruflich in einer


66 %
gesicherten Situation ist

Dass beide sicher sind, den richtigen Partner fürs Leben


65 %
gefunden zu haben

Dass die finanzielle Situation gut ist 56 %

Dass ein Einkommen für die Familie ausreicht 47 %

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

Quelle: BMFSFJ (2015): Monitor Familienforschung Nr. 34 „Familienbilder in Deutschland und Frankreich“.

1.6 Geburten in Deutschland

2015 betrug die zusammengefasste Geburtenziffer („Geburtenrate“) für Deutschland 1,50 Kin­
der je Frau (Abbildung 21). Damit ist die Geburtenrate für Deutschland erneut angestiegen.
Dies ist der höchste Wert seit 33 Jahren. Damit setzt sich die seit 2012 zu beobachtende positive
Entwicklung fort. Allerdings sagt die zusammengefasste Geburtenziffer nur wenig über das
tatsächliche Geburtenverhalten aus, da sie nur ein Kalenderjahr beschreibt und nicht das

35 BMFSFJ (2015): Monitor Familienforschung Nr. 34 „Familienbilder in Deutschland und Frankreich“ und IfD
Allensbach (2015): Familienbilder in Deutschland und Frankreich.
Seite 27 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Geburtenverhalten von Frauen im Lebensverlauf (siehe auch Abschnitt „Kinderzahl von Müt­
tern“ in diesem Kapitel).36

Da die Geburtenrate abhängig von der Anzahl der Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren ist, hat
auch die Bevölkerungszählung im Rahmen des Zensus 2011 Auswirkungen auf die Geburten­
rate. So lag vor dem Zensus die Geburtenrate 2012 bei 1,38 und für das gleiche Jahr nach den
Ergebnissen des Zensus 2011 bei durchschnittlich 1,40 Kindern pro Frau.

Abbildung 21: Entwicklung der zusammengefassten Geburtenziffer („Geburtenrate“) 1990–2015, Deutschland

1,55
1,50
1,50
1,45
1,40
1,35
1,30
1,25
1,20
1,15
1,10
1,05
1,00
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012*
2013*
2014*
2015*
* Ab 2011 Ergebnis des Zensus 2011 berücksichtigt, 2011: Auf Basis der Bevölkerung zum Zensusstichtag 09.05.2011.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der Geburten.

Die Geburtenrate ab 2011, die auf Basis des Zensus 2011 berechnet wurde, ist damit nur einge­
schränkt mit den vorherigen Jahren vergleichbar. Im Folgenden wird die Entwicklung für
Ost- und Westdeutschland bis 2011 ohne die Ergebnisse des Zensus 2011 dargestellt, nach 2011
mit den neuen Ergebnissen aus dem Zensus (Abbildung 22).

36 Siehe auch Statistisches Bundesamt (2013): Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland sowie BMFSFJ
(2012): Geburten in Deutschland.
Seite 28 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 22: Entwicklung der zusammengefassten Geburtenziffer („Geburtenrate“) 1990–2015, neue und alte
Bundesländer*

2,00
1,56
1,50
1,50

1,00

0,50

0,00
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011*
2012*
2013*
2014*
2015*
Früheres Bundesgebiet Neue Länder

* Ab 2011 Ergebnis des Zensus 2011 berücksichtigt, 2011: Auf Basis der Bevölkerung zum Zensusstichtag 09.05.2011,
Geburtsjahrmethode, ab 2001 neue und alte Bundesländer jeweils ohne Berlin.

Quelle: Statistisches Bundesamt, (2017).

Lebendgeborene in Deutschland
2015 wurden in Deutschland 737.575 Kinder geboren (Abbildung 23), halb so viel wie 1964 –
dem Jahr mit dem meisten Neugeborenen in Deutschland (rund 1,4 Millionen). Dennoch wur­
den 2015 22.650 Kinder mehr als im Vorjahr geboren.

Abbildung 23: Lebendgeborene 1950–2015, in Tausend

1.600.000
1.400.000
1.200.000
1.000.000
737.575
800.000
600.000
595.320
400.000
200.000 104.225
0,0
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

Deutschland Früheres Bundesgebiet Neue Länder

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Geburten, ab 2001 neue und alte Bundesländer jeweils ohne Berlin.

49 Prozent der Lebendgeborenen waren Erstgeburten, bei 34 Prozent handelte es sich um das
zweite Kind und bei 17 Prozent um das dritte oder weitere Kind. Auf die Geburtenzahl insge­
samt hat sich damit vor allem die Zahl der Zweitgeborenen positiv ausgewirkt, die seit 2011
angestiegen ist (Abbildung 24).
Seite 29 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 24: Relative Veränderung der Geburtenzahlen, nach Geburtenfolge, im Vergleich zu 2011 (2011 = 100)

116

114

112

110

108

106

104

102

100

98
2011 2012 2013 2014 2015

Erstes Kind Drittes und weiteres Kind


Zweites Kind Alle Geborenen

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der Geburten.

Die Anzahl der Kinder, die pro Jahr geboren werden, hängt wesentlich von der Anzahl der
Mütter im gebärfähigen Alter (in der amtlichen Statistik sind es meistens die 15- bis 45- bzw.
49-jährigen Frauen) und der durchschnittlichen Anzahl der Geborenen pro Frau ab.37 Verän­
dert sich die Altersstruktur und/oder die Anzahl der weiblichen Bevölkerung, beeinflusst das
auch die Geburtenzahl.38 Während in der ehemaligen DDR die Anzahl der 25- bis 45-jährigen
Frauen zwischen 1946 und 1960 um fast eine Million sank, nahm der Anteil der Frauen im
früheren Bundesgebiet durch Zuwanderung (u. a. aus der DDR) und die demografische Ent­
wicklung um 1,2 Millionen Frauen im reproduktiven Alter zu.39 1960 war in der ehemaligen
DDR der Anteil der Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren bereits um ein Viertel geschrumpft.
Dies führte dazu, dass sich der Babyboom der 1950er- und 1960er-Jahre in Westdeutschland
beschleunigte und in Ostdeutschland abschwächte.40 Dennoch gingen die Geburtenzahlen in
Ostdeutschland nicht in gleichem Maße zurück. Grund dafür war die Geburtenhäufigkeit, also
die höhere Kinderzahl pro Frau.

Bei den jüngeren Frauenjahrgängen (unter 20 Jahren) war zwischen 1997 und 2013 fast jeder
Jahrgang kleiner als der vorherige. Infolgedessen schrumpfte auch die Anzahl der Frauen im
gebärfähigen Alter (vgl. Abbildung 26). Die Geburtenrate war im gleichen Zeitraum relativ
konstant. 2014 konnten erstmals wieder Zuwächse bei den unter 20-Jährigen verzeichnet
werden.41

37 Statistisches Bundesamt (2013): Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland.


38 Ebd., S. 11.
39 Nowossadeck (2010): Die Herkunftsfamilien der Babyboomer, in: DZA (Hrsg.): Report Altersdaten, Heft 3/2010, S. 9 ff.
40 Ebd.
41 Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Fortschreibung des Bevölkerungsstandes auf Grundlage des Zensus 2011.
Seite 30 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Mütter sind beim ersten Kind durchschnittlich 29,6 Jahre alt


Im Jahr 2015 sind Frauen mit durchschnittlich 29,6 Jahren erstmals Mutter geworden. Der
Trend zur späteren Geburt setzt sich damit fort.42 Anfang der 1970er-Jahre betrug das Durch­
schnittsalter in Westdeutschland noch gut 24 Jahre, in Ostdeutschland lag es bis 1989 zwischen
22 und 23 Jahren.43 2015 hatten Frauen im Alter zwischen 26 und 36 Jahren die höchste Gebur­
tenhäufigkeit (Abbildung 25) – Anfang der 1970er-Jahre waren es beispielsweise die 19- bis
29-jährigen Frauen.44 Diese Entwicklung gibt es in vielen europäischen Ländern, beispielsweise
in Frankreich.45

Abbildung 25: Lebendgeborene pro 1.000 Frauen, nach Altersjahren der Frauen, Deutschland

120

100

80

60

40

20

0
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Alter

2000 2005 2010 2015

Ab 2011: Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der Geburten, Geburtsjahrmethode.

Seit Ende der 1990er-Jahre ging zugleich die Anzahl der Frauen in dieser Altersgruppe (26 bis
36 Jahre) deutlich zurück, weshalb auch bei gleichen Kinderzahlen pro Frau die Gesamtzahl der
Geburten zurückging (Abbildung 26).

42 Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der Geburten. Durchschnittliches Alter der Mutter bei der Geburt des
Kindes (Geburtsjahrmethode).
43 Statistisches Bundesamt (2013): Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland.
44 Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der Geburten.
45 BMFSFJ (2015): Monitor Familienforschung Nr. 34 „Familienbilder in Deutschland und Frankreich“.
Seite 31 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 26: Entwicklung einzelner Geburtenindikatoren im Vergleich zum Jahr 1990 – Veränderung in Prozent (1990 = 100 %)

30 %

20 %

10 %

0%

-10 %

-20 %

-30 %
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Frauen 26–35 Zusammengefasste Geburtenziffer
Frauen 15–49 Lebendgeborene

Ab 2011: Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Fortschreibung des Bevölkerungsstandes sowie Statistik der Geburten. Berech-
nung und Darstellung: Prognos AG.

Die durchschnittliche Kinderzahl je Mutter bleibt stabil


Die durchschnittliche Kinderzahl liegt seit Jahren relativ konstant bei zwei Kindern je Mutter
(Abbildung 27). Fast die Hälfte der Mütter hat zwei Kinder und jede fünfte Mutter hat mehr als
drei Kinder.46

Abbildung 27: Durchschnittliche Kinderzahl je Mutter*, 2016

Geburtsjahrgang Im Jahr 2016 erreichtes Alter Deutschland Früheres Neue Länder**


Bundesgebiet**

1987–1991 25–29 Jahre 1,5 1,5 1,5

1982–1986 30–34 Jahre 1,7 1,7 1,7

1977–1981 35–39 Jahre 1,9 1,9 1,9

1972–1976 40–44 Jahre 2,0 2,0 2,0

1967–1971 45–49 Jahre 2,0 2,0 2,0

1962–1966 50–54 Jahre 2,0 2,0 2,0

1957–1961 55–59 Jahre 2,0 2,1 2,1

1952–1956 60–64 Jahre 2,0 2,1 2,1

1947–1951 65–69 Jahre 2,0 2,0 2,0

1941–1946 70–75 Jahre 2,1 2,1 2,1

* Nur Mütter mit Angaben zur Zahl der geborenen Kinder. ** Jeweils ohne Berlin.

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2016.

46 Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien: Ergebnisse des Mikrozensus 2016.
Seite 32 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Die Zahl der geborenen Kinder hängt vom Bildungsstand der Mutter ab – insbesondere bei
Zuwanderinnen
Die durchschnittliche Kinderzahl lag bei den 45- bis 54-jährigen Müttern mit niedrigem Bil­
dungsabschluss47 bei 2,3 Kindern, mit hohem Bildungsabschluss bei 1,9 Kindern je Mutter
(Abbildung 28). Dabei bekamen Zuwanderinnen mit hohem Bildungsstand im Durchschnitt
genauso viele Kinder wie in Deutschland geborene Mütter mit hohem Bildungsstand. Die
durchschnittliche Kinderzahl war bei den Zuwanderinnen mit mittlerem Bildungsstand etwas
höher als bei den in Deutschland geborenen Müttern mit mittlerem Bildungsstand (2,1 gegen­
über 1,9 Kindern je Mutter). Bei den Müttern mit niedrigem Bildungsstand waren die Unter­
schiede am größten: Während die Zuwanderinnen mit niedrigem Bildungsstand im Durch­
schnitt 2,6 Kinder bekamen, waren es bei den in Deutschland geborenen 2,2 Kinder je Mutter.

Abbildung 28: Durchschnittliche Kinderzahl je Mutter nach Bildungsstand, 2016

3,0

2,5
2,6
2,5
2,4 2,3
2,1 2,2
1,9 1,9 1,9 1,9 1,9 2,0 1,9
2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
Hoher Bildungsstand Mittlerer Niedriger Alle Bildungsstände
Bildungsstand Bildungsstand

Mütter insgesamt In Deutschland geborene oder im Alter Zugewanderte im Alter


unter 15 Jahren Zugewanderte ab 15 Jahren

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2016.

Die Hälfte der zweiten Kinder folgte 2015 innerhalb von 3,2 Jahren nach der ersten Geburt.48
18 Prozent der 2015 geborenen zweiten Kinder kamen innerhalb von zwei Jahren nach der
ersten Geburt zur Welt, innerhalb von drei Jahren waren es 45 Prozent. Zwischen dem zweiten
und dritten Kind liegen etwa 3,8 Jahre.49

47 Nach der International Standard Classification of Education 2011 (ISCED 2011) wird der höchste erreichte
Bildungsstand kombiniert aus den Merkmalen allgemeiner Schulabschluss und beruflicher Bildungsabschluss:
Niedrig: zum Beispiel ein Haupt-/Realschulabschluss, Polytechnische Oberschule und ohne beruflichen
Abschluss bzw. ohne Bildungsabschluss. Mittel: zum Beispiel ein berufsqualifizierender Abschluss und/oder das
Abitur bzw. die Fachhochschulreife, Schule des Gesundheitswesens. Hoch: zum Beispiel ein akademischer
Abschluss oder ein Meister-/Techniker- bzw. Fachschulabschluss.
48 Statistisches Bundesamt: Zahlen und Fakten, Lebendgeborene 2015.
49 Ebd.
Seite 33 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Mehr als ein Drittel nicht eheliche Geburten


Ein Blick auf die Lebendgeborenen 2015 zeigt, dass 35 Prozent aller Neugeborenen nicht ver­
heiratete Eltern hatten (Abbildung 29). In Ostdeutschland war der Anteil an nicht ehelichen
Lebendgeburten mit 61 Prozent doppelt so hoch wie in Westdeutschland (30 Prozent).50 Regio­
nal variieren die Nichtehelichen-Quoten stark. So hatte 2015 der baden-württembergische
Landkreis Böblingen mit 18 Prozent den niedrigsten Anteil und die kreisfreie Stadt Branden­
burg an der Havel mit 70 Prozent den höchsten Anteil an nicht ehelich Geborenen.51

Abbildung 29: Anteil der nicht ehelich Lebendgeborenen an allen Lebendgeborenen des jeweiligen Jahres in Deutschland,
1950–2015, Angaben in Prozent

70 %
60,7 %
60 %

50 %

40 % 35,0 %
30 %
29,5 %
20 %

10 %

0%
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Deutschland Früheres Bundesgebiet Neue Länder

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Geburten, ab 2001 neue und alte Bundesländer jeweils ohne Berlin.

Im europäischen Vergleich ist dabei eher Westdeutschland die Ausnahme. Denn in den meis­
ten europäischen Ländern steigt der Anteil der nicht ehelichen Lebendgeborenen kontinuier­
lich an. Nach Ostdeutschland hat nur noch Island einen höheren Anteil an nicht ehelichen
Lebendgeburten mit 67 Prozent. In Ländern wie Frankreich, Norwegen und Schweden hat
mittlerweile jedes zweite Neugeborene unverheiratete Eltern (Abbildung 30).

50 Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Geburten.


51 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2017): Statistik der Geburten, Lebendgeborene nach Legitimität.
Seite 34 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 30: Anteil der nichtehelich Lebendgeborenen 2015 an allen Lebendgeborenen im europäischen Vergleich,
in Prozent

Island* 66,9 %
Deutschland Ost 60,7 %
Norwegen 55,9 %
Frankreich* 55,8 %
Schweden 54,7 %
Portugal 50,7 %
Niederlande 49,8 %
Vereinigtes Königreich 47,9 %
Spanien 44,5 %
Finnland 44,3 %
Österreich* 41,5 %
Deutschland 35,0 %
Italien 30,0 %
Deutschland West 29,5 %
Polen 24,6 %
Griechenland 8,8 %
Türkei 2,8 %

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 %

* Daten für 2012.

Quelle: Eurostat (2017) und Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Geburten, neue und alte Bundesländer jeweils
ohne Berlin.

Die hohen Anteile an nicht ehelichen Geburten in Ostdeutschland sind dabei kein Ergebnis der
deutschen Teilung. Bereits vor der Teilung im Jahr 1949 gab es regionale Unterschiede in
Deutschland.52 So gibt es Unterschiede bereits seit dem 18. und 19. Jahrhundert. 1920 beispiels­
weise lag der Anteil der nicht ehelich Geborenen in der Region der künftigen DDR bei 18 Pro­
zent und im Westen bei 9 Prozent.53

Etwa neun von zehn Lebendgeborenen hatten 2015 mindestens einen deutschen Elternteil.
Während knapp drei Viertel der Lebendgeborenen Eltern mit deutscher Staatsangehörigkeit
hatten, waren 13 Prozent Eltern ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (Abbildung 31).

Abbildung 31: Lebendgeborene 2015 nach der Staatsangehörigkeit der Eltern

12,7 %

13,3 % Beide Elternteile deutsche Staatsangehörigkeit

Beide Elternteile ausländische Staatsangehörigkeit

Ein Elternteil deutsche, ein Elternteil


73,9 %
ausländische Staatsangehörigkeit

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017).

52 Max­Planck­Institut für demografische Forschung 2014, Pressemitteilung vom 24.07.2014, Sebastian Klüsener,
http://www.demogr.mpg.de/de/news_presse/pressemitteilungen_1916/nichteheliche_geburten_deutschland_
auf_dauer_geteilt_3771.htm.
53 Ebd.
Seite 35 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

1.7 Kinderlosigkeit in Deutschland

Die Zahl der Geburten und auch die Geburtenziffer sind in den letzten Jahren angestiegen,
nachdem sie über Jahrzehnte überwiegend rückläufig waren. Gleichzeitig ist die Kinderlosig­
keit, die für den Geburtenrückgang der zwischen 1947 und 1968 geborenen Frauen verant­
wortlich war54, nicht weiter angestiegen.

Die Kinderlosigkeit ist in den letzten Jahren nicht weiter angestiegen


Ab dem Alter von 45 Jahren wird die Kinderlosigkeit als endgültig betrachtet. Zwischen den
Jahrgängen 1937 und 1967 hatte sich die endgültige Kinderlosigkeit von 11 Prozent auf 21 Prozent
fast verdoppelt. 2016 lag die Kinderlosigkeit der Frauen im Alter zwischen 45 und 49 Jahren
(Geburtsjahrgänge 1967–1971) bei 20 Prozent und hat damit nicht weiter zugenommen.55

Im Vergleich zu 2012 ist die (vorläufige) Kinderlosenquote vor allem bei den Geburtsjahrgän­
gen 1981–1988 (im Jahr 2016 28 bis 35 Jahre alt) deutlich gesunken (Abbildung 32). Am stärksten
ist die Kinderlosenquote bei denjenigen zurückgegangen, die 1984 geboren wurden, also 2012 28
Jahre und 2016 32 Jahre alt waren. Dies bedeutet, dass Frauen dieses Geburtsjahrgangs seit 2012
häufiger als andere Jahrgänge ihr erstes Kind bekommen haben. Das deckt sich mit dem Durch­
schnittsalter von Müttern bei der Geburt des ersten Kindes (29,6 Jahre). Bei den Geburtsjahrgän­
gen ab 1974 (im Jahr 2016 42 Jahre und älter) gab es hingegen kaum noch eine Veränderung in
der Kinderlosenquote seit 2012, da Frauen in diesem Alter nur noch selten Mutter werden.

Abbildung 32: Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen des jeweiligen Geburtsjahrgangs, 2016, in Prozent, und
Veränderung gegenüber der Kinderlosenquote im Jahr 2012, in Prozentpunkten

100 % -9
-13 -11
90 % -19 -15
-20
80 % -20
-22
70 % -24
-21
60 % -20
50 % -19
-15
40 % -12 -12
-7
30 % -5 -7
0 0 0 0 0 -1 -1 -1 -1 -2 -2 -3
20 %
10 %
0%
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992

2012 2016 Geburtsjahrgänge

Lesebeispiel: Bei den Frauen des Geburtsjahrgangs 1984 ist die Kinderlosigkeit 2016 gegenüber 2012 um 24 Prozentpunk-
te gesunken. Bei den anderen Geburtsjahrgängen ist der Anteil weniger stark zurückgegangen. Das bedeutet, dass
Frauen, die 1984 geboren wurden, zwischen 2012 und 2016 häufiger ein erstes Kind bekommen haben als andere Frauen.

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2016. Berechnung und Darstellung: Prognos AG.

54 In einer aktuellen Studie wurden die Gründe für den Geburtenrückgang der 1933 bis 1968 geborenen Frauen in
Deutschland untersucht. Während der Geburtenrückgang bei den zwischen 1933 und 1947 geborenen Frauen
auf den Rückgang der Frauen mit drei oder mehr Kindern zurückgeht, lässt sich der Rückgang bei den zwischen
1947 und 1968 geborenen Frauen zu 63 Prozent mit der steigenden Kinderlosigkeit erklären.
Quelle: Bujard, Martin/Sulak, Harun (2016): „Mehr Kinderlose oder weniger Kinderreiche?“ Eine Dekomposition
der demografischen Treiber in unterschiedlichen Phasen des Geburtenrückgangs in Deutschland, in: Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 68 (3), S. 487–514.
55 Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien: Ergebnisse des Mikrozensus 2016.
Seite 36 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Die endgültige Kinderlosigkeit fällt in den Stadtstaaten besonders hoch, in den ostdeutschen
Flächenländern besonders gering aus. Die höchste Kinderlosigkeit gab es 2016 in Hamburg.
Dort war fast ein Drittel (31 Prozent) der Frauen im Alter von 45 bis 49 Jahren kinderlos. Die
niedrigste Kinderlosenquote wiesen Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit jeweils 11 Pro­
zent auf (Abbildung 33). Innerhalb der Bundesländer ist die Kinderlosigkeit in den ländlichen
Regionen niedriger als in den urbanen Regionen. So betrug zum Beispiel 2016 in Bayern die
Kinderlosigkeit auf dem Land nur 15 Prozent, in den Städten 30 Prozent.56

Abbildung 33: Frauen* ohne Kind im Alter von 45 bis 49 Jahren, 2016, in Prozent

Deutschland 20 %
Hamburg 31 %
Berlin 27 %
Bremen 26 %
Schleswig-Holstein 24 %
Hessen 22 %
Niedersachsen 22 %
Nordrhein-Westfalen 22 %
Rheinland-Pfalz 21 %
Bayern 20 %
Baden-Württemberg 19 %
Saarland 19 %
Mecklenburg-Vorpommern 13 %
Sachsen-Anhalt 13 %
Brandenburg 11 %
Sachsen 11 %
Thüringen 11 %

0% 5% 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % 40 %

* Nur Frauen mit Antwort auf die Frage zur Geburt.

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien: Ergebnisse des Mikrozensus 2016.
Darstellung: Prognos AG.

Die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen und Nichtakademikerinnen im Vergleich


Die Kinderlosigkeit ist bei Akademikerinnen höher als bei Frauen ohne akademischen
Abschluss. Bei den 45- bis 49-jährigen Nichtakademikerinnen betrug sie 2016 19 Prozent, bei
den Akademikerinnen 26 Prozent (Abbildung 34). Im Vergleich zu 2008 ist der Anteil der Frau­
en ohne Kind 2016 bei den Akademikerinnen im Alter zwischen 40 und 44 Jahren von 30 auf
25 Prozent gesunken. Die Kinderlosigkeitsquote ist bei den 45- bis 49-jährigen Akademikerin­
nen im Vergleich zu 2008 konstant geblieben (26 Prozent 2008 und 2016 sowie 27 Prozent 2012).
Bei den Nichtakademikerinnen blieb der Anteil der Frauen ohne Kinder im Alter von 40 bis 44
bzw. 45 bis 49 Jahren seit 2012 mit etwa 20 Prozent konstant.

56 Ebd.
Seite 37 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 34: Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen des jeweiligen Geburtsjahrgangs nach höchstem beruflichen
Bildungsabschluss, 2008, 2012 und 2016, in Prozent

40 %

30 %
30 % 28 %
27 % 26 %
25 % 26 %

21 %
20 % 20 % 19 % 19 %
20 %
16 %

10 %

0%
40–44 Jahre 45–49 Jahre 40–44 Jahre 45–49 Jahre

Akademikerinnen Nichtakademikerinnen

2008 2012 2016

* Nur Frauen mit Antwort auf die Frage zur Geburt.

** Jeweils ohne Berlin.

Anmerkung: Bei dem in der Abbildung ausgewiesenen Alter handelt es sich um das im Berichtsjahr erreichte Alter
(Berichtsjahr minus Geburtsjahr).

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2016. Berechnung und Darstellung: Prognos AG.

Insgesamt haben sich die Kinderlosen-Quoten von Akademikerinnen und Nichakademikerin­


nen 2016 im Vergleich zu 2008 angenähert: Bei den 45- bis 49-Jährigen sank die Differenz von
10 auf 7 Prozentpunkte, bei den 40- bis 44- Jährigen von 10 auf 5 Prozentpunkte. Gleiches gilt
für die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Bei den 45- bis 49-Jährigen sank die
Differenz von 14 auf 10 Prozentpunkte, bei den 40- bis 44-Jährigen von 14 auf 7 Prozentpunkte.

Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland nach Altersklassen


Die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland und Akademikerinnen und Nichtaka­
demikerinnen variieren je nach Altersklasse (Abbildung 35). Insgesamt fielen 2016 die Unter­
schiede zwischen Akademikerinnen und Nichtakademikerinnen in Westdeutschland größer
aus als in Ostdeutschland. Am größten waren die Differenzen bei den 25- bis 34-Jährigen. Hier
lag der Anteil der Kinderlosen bei den Akademikerinnen sowohl in West- als auch in Ost­
deutschland deutlich über dem der Nichtakademikerinnen. Bei den Frauen ab 35 Jahren
nähern sich in Ostdeutschland die Kinderlosen-Quoten von Akademikerinnen und Nichtaka­
demikerinnen deutlich an. In Westdeutschland ist dies nur bei den 40- bis 49-Jährigen zu
beobachten.
Seite 38 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 35: Anteil der Frauen* ohne Kind an allen Frauen des jeweiligen Geburtsjahrgangs nach Geburtsjahrgang,
höchstem beruflichen Bildungsabschluss und Region**, 2016, in Prozent

100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0%
25–29 Jahre 30–34 Jahre 35–39 Jahre 40–44 Jahre 45–49 Jahre 50–54 Jahre 55–59 Jahre 60–64 Jahre 65–69 Jahre
1987–1991 1982–1986 1977–1981 1972–1976 1967–1971 1962–1966 1957–1961 1952–1956 1947–1951

Akademisch – West Nichtakademisch – West


Akademisch – Ost Nichtakademisch – Ost

* Nur Frauen mit Antwort auf die Frage zur Geburt.

** Jeweils ohne Berlin.

Anmerkung: Bei dem in der Abbildung ausgewiesenen Alter handelt es sich um das im Berichtsjahr erreichte Alter
(Berichtsjahr minus Geburtsjahr).

Quelle: Sonderauswertung Mikrozensus 2016. Berechnung und Darstellung: Prognos AG.

1.8 Eheschließungen

In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Eheschließungen leicht, aber stetig angestiegen.
Im Jahr 2015 haben sich 400.115 Paare trauen lassen, das sind 14.163 mehr als im Vorjahr
(Abbildung 36).

Abbildung 36: Eheschließungen in Deutschland, 1950–2015, absolut

800.000

600.000

400.115
400.000

200.000

0
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Eheschließungen, Geborene und Gestorbene.


Seite 39 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

2015 war es dabei für zwei Drittel der Trauenden die erste Ehe, bei 15 Prozent der Ehen waren
die Trauenden verwitwet oder geschieden. Das Alter bei der Erstehe betrug in Deutschland im
Jahr 2015 für Männer 33,8 Jahre, für Frauen 31,2 Jahre (Abbildung 37).

Abbildung 37: Durchschnittliches Alter lediger Frauen und Männer bei Eheschließung, Deutschland, 1991–2015

35
33,8
33
31
31,2
29
27
25
23
21
19
17
15
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Männer Frauen

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Eheschließungen.

Dabei hat sich das Erstheiratsalter zwischen den neuen und den alten Bundesländern im Zeit­
verlauf zunächst angeglichen. Vor allem bei Frauen und Männern aus den neuen Bundeslän­
dern nimmt das Erstheiratsalter stetig zu, sodass Heiratende aus den neuen Ländern inzwi­
schen sogar etwas älter bei der ersten Eheschließung als Heiratende aus den alten
Bundesländern sind (Abbildung 38).

Abbildung 38: Durchschnittliches Alter lediger Frauen und Männer bei Eheschließung in West- und Ostdeutschland,
Deutschland, 1991–2015

38
36 35,2

34 33,5

32 32,5
30 30,9

28
26
24
22
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

Früheres Bundesgebiet: Männer Früheres Bundesgebiet: Frauen


Neue Länder: Männer Neue Länder: Frauen

Quelle: Statistisches Bundesamt (2016): Statistik der Eheschließungen. Ab 2001 neue und alte Bundesländer jeweils
ohne Berlin.
Seite 40 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Bei 86 Prozent der Eheschließungen besaßen 2015 beide Partner die deutsche Staatsangehörig­
keit (Abbildung 39). Bei rund 12 Prozent besaß mindestens eine oder einer der Trauenden eine
ausländische Staatsbürgerschaft (binationale Ehe bzw. gemischte Ehe) und bei fast 3 Prozent
der Eheschließungen besaßen beide Trauenden eine ausländische Staatsbürgerschaft. Damit
sind die binationalen Ehen im Vergleich zu 2014 konstant geblieben.

Abbildung 39: Eheschließungen nach der Staatsangehörigkeit der Eheschließungen, 2015

2,6 % 11,5 %

Beide deutsche Staatsangehörigkeit

Beide ausländische Staatsangehörigkeit

Gemischte Ehen: Ein/-e Ehepartner/-in deutsch –


eine/-r ausländisch
86,0 %

Datenquelle: Statistisches Bundesamt (2017).

Bei 21 Prozent aller 2015 geschlossenen Ehen gab es voreheliche Kinder. Dieser Anteil hat sich
seit 1991 mehr als verdoppelt (Abbildung 40). Dabei betrug der Anteil in Westdeutschland rund
18 Prozent und in Ostdeutschland gab es bei mehr als jeder dritten Heirat zum Zeitpunkt der
Heirat bereits Kinder (36 Prozent).

Abbildung 40: Anteil der vorehelichen Kinder bei Eheschließung, 1991–2015, in Prozent

40 %
36,4 %
35 %
30 %
25 %
20,7 %
20 %
15 % 17,5 %
10 %
5%
0%
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

Deutschland Früheres Bundesgebiet Neue Länder

Datenquelle: Statistisches Bundesamt (2017). Ab 2001 neue und alte Bundesländer jeweils ohne Berlin.

Gleichgeschlechtliche Paare machen ihre Partnerschaft häufig vor dem Gesetzgeber offiziell:
Etwas weniger als die Hälfte aller gleichgeschlechtlichen Paare, die in einem Haushalt zusam­
menleben, sind auch eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. In Deutschland
leben rund 78.000 gleichgeschlechtliche Paare zusammen.
Seite 41 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

1.9 Ehescheidungen

Die meisten Menschen heiraten nach wie vor mindestens einmal in ihrem Leben, auch wenn
Ehen heute nicht mehr als notwendige Voraussetzung für die Familiengründung oder als
lebenslange Verbindungen gesehen werden.57 Die Ansprüche an eine Ehe und an Partnerschaft
haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Stand vor einigen Jahren noch der Versorgungsas­
pekt einer Ehe im Vordergrund, sind es heute vielmehr der Anspruch und Wunsch nach part­
nerschaftlichem Zusammensein.58 Die Erwartungen an eine Ehe nehmen zu. Erfüllen sich
diese Erwartungen nicht, entscheiden sich Menschen heute eher für eine Scheidung als vor
zehn oder 20 Jahren.59 Dies wirkt sich auch auf das Scheidungsverhalten aus.

2015 gab es insgesamt 530.497 Ehelösungen. Die meisten Ehen werden nach wie vor durch den
Tod eines Partners beendet. Dies war 2015 bei 69 Prozent Ehelösungen der Fall, 163.335 Ehen
wurden gerichtlich geschieden („Ehescheidungen“), das entspricht knapp einem Drittel der
Ehelösungen (Abbildung 41). 2015 wurden 1,7 Prozent weniger Ehen geschieden als 2014. Von
den etwa 18 Millionen Ehen, die 2015 insgesamt bestanden, wurde 2015 somit 1 Prozent
gerichtlich geschieden und 3 Prozent gelöst.

Abbildung 41: Anzahl der Ehescheidungen, 1950–2015, absolut

250.000

200.000
163.335

150.000

100.000

50.000

0
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

Anmerkung: Der Einschnitt in den Jahren 1977 bis 1979 ist auf die Änderung des Scheidungsrechts zum 01.07.1977 im
früheren Bundesgebiet zurückzuführen. Dabei wurde das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt und
außerdem wurden umfangreiche Neuregelungen für den Vermögens- und den Versorgungsausgleich der ehemaligen
Partner eingeführt.

Datenbasis: Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauflösungssachen (Schei-
dungsstatistik) 2015.

Die durchschnittliche Ehedauer bis zur Scheidung lag 2015 bei 14 Jahren und acht Monaten,
die meisten Ehen wurden nach sechs Jahren geschieden. Der Trend zu längeren Ehen wird fort­

57 Grünheid, E. (2013): Ehescheidungen in Deutschland: Entwicklungen und Hintergründe, BiB Working Paper
1/2013, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden.
58 Ebd., S. 7.
59 Ebd.
Seite 42 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

gesetzt. 1990 lag die durchschnittliche Ehedauer noch bei 11,5 Jahren. Nach den derzeitigen
Scheidungsverhältnissen werden etwa 35 Prozent aller in einem Jahr geschlossenen Ehen im
Laufe der nächsten 25 Jahre geschieden. Damit einher geht auch das steigende durchschnittli­
che Alter der Frauen und Männer bei einer Scheidung. 2015 waren bei der Scheidung Männer
im Durchschnitt 46,3 Jahre und Frauen 43,3 Jahre alt, 20 Jahre zuvor waren Frauen noch 36,8
Jahre und Männer durchschnittlich 39,5 Jahre alt.60 Knapp die Hälfte der geschiedenen Frauen
und Männer in Deutschland heiratet gegenwärtig nochmals. Die Wiederverheiratungsziffer
von Frauen und Männern hat sich im Laufe der Zeit angeglichen (Abbildung 42).

Abbildung 42: Zusammengefasste Wiederverheiratungsziffer Geschiedener* in Deutschland, 1990 bis 2015

70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0%
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Männer Frauen

Quelle und Berechnung: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden, 2017.

* Anmerkung: Bei der Berechnung der zusammengefassten Wiederverheiratungsziffer Geschiedener werden die
Eheschließenden, die vor der neuen Eheschließung den Familienstand „geschieden“ aufwiesen, auf die Zahl der
Scheidungen des Jahres bezogen, in dem sie geschieden wurden. Das Aufsummieren der Wiederverheiratungsziffern
der einzelnen Scheidungskohorten über die letzten 30 Kalenderjahre ergibt die zusammengefasste Wiederverheira-
tungsziffer der Geschiedenen.

Etwa bei der Hälfte aller Scheidungen sind gemeinsame minderjährige Kinder betroffen
(Abbildung 43). Insgesamt waren 2015 in 82.019 Ehescheidungen gemeinsame minderjährige
Kinder betroffen, das sind 50 Prozent der Ehescheidungen (Abbildung 43, rechte Achse). Insge­
samt sind 2015 131.749 Minderjährige von Scheidung betroffen gewesen (Abbildung 43, linke
Achse). Im Vergleich zum Vorjahr waren es rund 3.000 Kinder weniger, die von Ehescheidung
ihrer Eltern betroffen waren.61

60 Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauflösungssachen (Scheidungs­


statistik) 2015.
61 Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauflösungssachen (Scheidungs­
statistik) 2015.
Seite 43 Kapitel 1 Inhalt zurück weiter

Abbildung 43: Anteil der gemeinsamen minderjährigen Kinder bei Ehescheidungen, in Prozent, und Anzahl der
Ehescheidungen absolut, 1991–2015

180.000 100 %
160.000 90 %
131.749 80 %
140.000
120.000 70 %
60 %
100.000 50 %
50 %
80.000
40 %
60.000 30 %
40.000 20 %
20.000 10 %
0 0%
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Anzahl betroffener minderjähriger Kinder absolut
Anteil Ehescheidungen mit minderjährigen Kindern an allen Ehescheidungen, in Prozent

Datenbasis: Statistisches Bundesamt (2017): Statistik der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauflösungssachen (Schei-
dungsstatistik) 2015.

2016 wurden in Deutschland 1.238 eingetragene gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften


aufgehoben. Dabei waren Lebenspartnerschaften von Frauen mit 698 Fällen häufiger betroffen
als von Männern (540 Fälle). Gegenüber 2015 hat sich die Zahl der Aufhebungen um etwa 9 Pro­
zent erhöht.62

62 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 11.07.2017: https://www.destatis.de/DE/PresseService/


Presse/Pressemitteilungen/zdw/2017/PD17_28_p002.html.
Seite 44 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

II.
Wirtschaftliche Lage der Familien und
Wirksamkeit der staatlichen Leistungen

2.1 E
 inkommen und subjektive Bewertung der wirtschaftlichen
Situation

In der Gesamtschau hat sich die wirtschaftliche Situation der Familien in den letzten Jahren
positiv entwickelt. Bei einer differenzierten Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nicht alle
Familien chancengerecht an dieser positiven Entwicklung teilhatten (vgl. Kapitel III.).

Die Einkommen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Während das (bedarfsgewichtete)
Nettoeinkommen von Familien mit minderjährigen Kindern im Jahr 2004 noch bei knapp
18.000 Euro lag, betrug es im Jahr 2014 fast 22.000 Euro. Das durchschnittliche (bedarfsgewich­
tete) Nettoeinkommen von Familien liegt dennoch weiterhin deutlich unter dem von kinder­
losen Paaren, im Durchschnitt um rund 21 Prozent (vgl. Abbildung 44).

Abbildung 44: Bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen von Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach Familienform und
Kinderlosen, in Euro

30.000
Bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen

27.811
25.755
25.000 23.122 23.607
der Haushalte in Euro

22.186

20.000 19.007 21.841


20.678
17.767
15.000
14.074 14.615
10.000 11.740

5.000
2004 2010 2014
Familien insgesamt Alleinerziehende
Paare mit Kindern Kinderlose Paare

Quelle: SOEP 2015 (v32), Einkommen aus dem Vorjahr. Berechnungen: Prognos AG.

Die positive Einkommensentwicklung deckt sich mit dem subjektiven Empfinden der Famili­
en. Die Mehrheit der Familien gibt heute an, dass ihre wirtschaftliche Situation gut oder sogar
sehr gut ist. Aus ihrer Sicht hat sich die wirtschaftliche Lage der Familien in den letzten zehn
Jahren verbessert. Im Jahr 2005 hatten nur 38 Prozent der Familien ihre wirtschaftliche Situa­
tion so positiv eingeschätzt.63

63 Allensbacher Archiv, AWA 2005, 2015.


Seite 45 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

2.2 E
 inkommensverteilung zwischen Familienhaushalten und
Haushalten ohne Kinder

Insgesamt sind die Einkommen der Familien in etwa so verteilt wie die Einkommen der kin­
derlosen Haushalte. Blickt man zunächst allein auf die nominalen verfügbaren Einkommen
der Familien, so haben die Familien tendenziell höhere Einkommen zur Verfügung als kinder­
lose Haushalte (Abbildung 45). Bei Einkommen bis 30.000 Euro finden sich größere Anteile von
kinderlosen Haushalten als von Familien, ab 30.000 Euro verfügbarem Einkommen übersteigt
der Anteil der Familienhaushalte (blaue Linie) den Anteil der kinderlosen Haushalte (schwarze
Linie).

Abbildung 45: Verteilung der Haushaltsnettoeinkommen, 2014

6.000.000 16

14
5.000.000

Anteil Haushalte in Prozent


12
Anzahl Haushalte

4.000.000
10

3.000.000 8

6
2.000.000
4
1.000.000
2

0 0
ro

ro

ro

ro

ro

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ro

ro

ro

ro

ro

ro
ro

ro
ro
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0

0
00

0
00
00

00

00

00

00

00

00

00

00

00

00

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00

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.0

.0
0.

5.

0.

5.

0.

5.

0.

5.

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0.

0.

0.

5.
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25
s1

s1

s2

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12
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bi
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0

00

00

00

00

00

00

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00

00

00
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.0

.0

.0

.0

.0

.0

.0

.0

.0

.0

.0
5.

.0
10

15

20

25

30

35

40

45

50

60

70

80

90

Haushaltsnettoeinkommen*
Anzahl Haushalte mit Kindern Anteil Haushalte mit Kindern (%, rechte Achse)
Anzahl Haushalte Anteil Haushalte (%, rechte Achse)

* Household Post-Government Income und Imputed Rent.

Quelle: SOEP 2015 (v32), Einkommen aus dem Vorjahr. Berechnungen: Prognos AG.

Bei dem Blick auf die nominalen Einkommen wird nicht berücksichtigt, dass in Familien
tendenziell mehr Personen mit dem Einkommen auskommen müssen als in kinderlosen Haus­
halten. Um dies zu berücksichtigen, wird eine sog. Äquivalenzgewichtung vorgenommen.64
Unter Berücksichtigung der Gewichtung ähneln sich die beiden Einkommensverteilungen
stärker als bei der nominalen Betrachtung (Abbildung 46). Bis zu äquivalenzgewichteten Ein­
kommen von 15.000 Euro weisen Familien und kinderlose Haushalte nahezu identische Antei­
le auf, jeweils rund 30 Prozent der Haushalte verfügen über gewichtete Einkommen bis 15.000

64 Für die Gewichtung wird eine in der OECD gebräuchliche altersbezogene Bedarfsgewichtung der Haushaltsmit­
glieder vorgenommen. Nach der aktuellen Skala wird für den ersten Erwachsenen im Haushalt ein Gewicht von
1,0 zugeordnet, weiteren Erwachsenen und Jugendlichen (ab 14 Jahren) ein Gewicht von 0,5 und jedem Kind
(unter 14 Jahren) ein Gewicht von 0,3. Das Einkommen einer Paarfamilie mit zwei Kindern unter 14 Jahren wird
bei der Äquivalenzgewichtung also durch 2,1 (= 1 + 0,5 + 0,3 + 0,3) dividiert und lässt sich dann mit dem Einkom­
men eines Ein-Personen-Haushalts vergleichen.
Seite 46 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Euro. In dem folgenden Einkommensbereich bis 25.000 Euro überwiegen dann die Familien­
haushalte. Bei höheren äquivalenzgewichteten Einkommen überwiegen dann Haushalte ohne
Kinder. Sie erklären auch den Unterschied in den durchschnittlichen bedarfsgewichteten
Einkommen (vgl. Abbildung 44).

Abbildung 46: Verteilung der äquivalenzgewichteten Haushaltsnettoeinkommen, 2014

9.000.000 25

8.000.000

20
7.000.000

Anteil Haushalte in Prozent


6.000.000
Anzahl Haushalte

15
5.000.000

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30

35

40

45

50

60

70

80

90

Äquivalenzgewichtete Haushaltsnettoeinkommen*
Anzahl Haushalte mit Kindern Anteil Haushalte mit Kindern (%, rechte Achse)
Anzahl Haushalte Anteil Haushalte (%, rechte Achse)

* Household Post-Government Income und Imputed Rent.

Quelle: SOEP 2015 (v32), Einkommen aus dem Vorjahr. Berechnungen: Prognos AG.

2.3 E
 rwerbseinkommen eines Hauptverdieners als größte
Einkommensquelle der Familien

Neben der Einkommensverteilung sagen auch die Quellen des Familieneinkommens etwas
über die wirtschaftliche Lage der Familien aus. Wesentliche Einkommensquellen von Familien
sind die Erwerbseinkommen der erwachsenen Haushaltsmitglieder, das Kindergeld und sons­
tige Einkünfte. Daneben erhalten Familien auch andere öffentliche Transfers wie Arbeitslosen­
geld I, Leistungen der Grundsicherung, den Kinderzuschlag, das Wohngeld oder Sozialhilfe.

Die folgende Betrachtung beschränkt sich auf Paarfamilien, da in Haushalten von Alleinerzie­
henden kein Einkommen einer Partnerin oder eines Partners vorhanden sein kann und damit
die Darstellung im Hinblick auf Partnereinkommen verzerrt wäre. Teilt man die Paarfamilien
entlang ihres Bruttoeinkommens in fünf gleich große Gruppen (Quintile), stellt man fest, dass
in allen Gruppen das Erwerbseinkommen des Hauptverdieners die größte Komponente des
Seite 47 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Einkommens darstellt (Abbildung 47). Das Familieneinkommen steigt wie das Erwerbsein­
kommen des Hauptverdieners über die Quintile hinweg an. Über die Quintile hinweg nimmt
aber nicht nur das Einkommen des Hauptverdieners zu, deutlich steigt auch die Bedeutung des
Partnereinkommens.

Bei Paarfamilien in der untersten Einkommensgruppe spielt das Partnereinkommen nur eine
untergeordnete Rolle, die Partnerin oder der Partner trägt im Durchschnitt weniger zum Haus­
haltseinkommen bei als das Kindergeld oder andere öffentliche Transfers. In den Familien, die
sich bereits im zweiten Quintil befinden, trägt die Partnerin oder der Partner deutlich stärker
zum Haushaltseinkommen bei. Passend dazu nimmt auch die Bedeutung der öffentlichen Trans­
ferzahlungen ab. Familien, in denen beide Partner substanziell zum Haushaltseinkommen
beitragen, sind in geringerem Ausmaß auf Transferleistungen angewiesen. Mit zunehmendem
Partnereinkommen befinden sich die Familien dann in immer höheren Quintilen.

Abbildung 47: Einkommenskomponenten des Haushaltsbruttoeinkommens** von Paarfamilien nach Quintilen des
Haushaltsnettoeinkommens*, 2014

140.000

120.000
Haushaltsbruttoeinkommens** in Euro
Einkommenskomponenten des

100.000

80.000

60.000

40.000

20.000

0
1 2 3 4 5 gesamt
Quintile des Haushaltsnettoeinkommens*

Sonst. Einkünfte*** Bruttoerwerbseinkommen


Hauptverdiener
Kindergeld
Bruttoerwerbseinkommen
Öffentl. Transfers
Zweitverdiener

* Haushaltsnettoeinkommen: Household Post-Government Income und Imputed Rent.


** Haushaltsbruttoeinkommen: Haushaltsnettoeinkommen zzgl. gezahlter Steuern und Sozialversicherungsbeiträge
des Haushalts.
*** Sonstige Einkünfte aus Vermögen, privaten Transferzahlungen, Leistungen der Sozialversicherung, private
Renteneinkünfte und Erwerbseinkünfte der Kinder.

Quelle: SOEP 2015 (v32), Einkommen aus dem Vorjahr. Berechnungen: Prognos AG.

Wie gesehen, wird der wesentliche Teil des Familieneinkommens meist von einem Elternteil
erwirtschaftet, während der andere im Durchschnitt einen deutlich geringeren Teil beiträgt.
Die ungleiche Verteilung kann dann zu einem Armutsrisiko werden, wenn der Hauptverdiener
ausfällt. Die Relevanz eines zweiten Einkommens wird auch deutlich, wenn die durchschnittli­
chen monatlichen Nettoeinkommen betrachtet werden (Abbildung 48).
Seite 48 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Eine Familie, in der der Mann der in Vollzeit erwerbstätige Alleinverdiener ist, verfügt im
Monatsdurchschnitt über 3.393 Euro Nettoeinkommen. Das Nettoeinkommen ist rund 1.000
Euro höher, wenn die Mutter zusätzlich in einem Umfang von 15 bis 28 Stunden erwerbstätig ist.
Teilen sich die beiden Elternteile die Erwerbstätigkeit partnerschaftlich auf und arbeiten beide
zwischen 28 und 36 Wochenstunden, erzielen sie ein durchschnittliches Nettoeinkommen von
4.154 Euro. Dieses vollzeitnahe Arbeitspensum verschafft mehr Zeit für die Familie und ent­
spricht dem Wunsch eines beträchtlichen Anteils von Müttern und Vätern.

Abbildung 48: Durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von Paaren mit Kind unter 18 Jahren im Haushalt

6.000 60 %

5.000 4.803 50 %
4.456 4.399 4.398 4.398 4.279
4.154
4.000 3.874 40 %
3.726

33 % 3.393
28 %
3.000 30 %
2.746
22 %
2.042
2.000 20 %
16 %

12 % 11 % 11 %
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Anteil der Paare mit Durchschnittliches monatliches


dieser Erwerbskonstellation Nettoeinkommen der Familie in Euro

Quelle: Mikrozensus-Sonderauswertung f203_006. Berechnung: Prognos AG.

2.4 Armutsrisiken von Familien

Trotz der mehrheitlich positiven wirtschaftlichen Situation von Familien lebt weiterhin ein
beträchtlicher Teil von einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Je nach Daten­
quelle liegt das Armutsrisiko von Kindern in Deutschland bei 14,6 Prozent (EU-SILC, Einkom­
mensjahr 2014), bei 19,7 Prozent (Mikrozensus, Einkommensjahr 2015) oder bei 21,1 Prozent
(SOEP, Einkommensjahr 2014). Insbesondere Kinder aus Haushalten von Alleinerziehenden
leben häufig in einer wirtschaftlich prekären Lage. Die Armutsgefährdungsquote65 steigt

65 Armutsgefährdungsquote: Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 Prozent
des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung in Privathaushalten am Ort der Hauptwohnung. Das
Äquivalenzeinkommen wird auf Basis der neuen OECD-Skala berechnet.
Seite 49 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

außerdem, je mehr Kinder in einem Haushalt leben (Abbildung 49). Im Jahr 2014 waren 54 Pro­
zent der Kinder von Armut bedroht, die mit Geschwistern bei einer alleinerziehenden Mutter
oder beim Vater lebten. Bei Paarfamilien mit drei oder mehr Kindern lag die Armutsgefähr­
dungsquote bei 27 Prozent.

Abbildung 49: Anzahl und Anteil der armutsgefährdeten Kinder, nach Familientyp und Anzahl der Kinder, 2014

900 80 %
Blaue Säulen: Anzahl der Kinder – In: 1.000 –

800 767 70 %

Rote Quadrate: Armutsrisikoquote


700 673
60 %
600 54 %
513 50 %
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400 380
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11 % 10 % 10 %
100 67

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1 Kind 2+ Kinder 1 Kind 2 Kinder 3+ Kinder Sonstige HH
mit Kindern
Alleinerziehende Paarhaushalte

Zahl armutsgefährdeter Kinder in diesen Haushalten

Armutsrisikoquote der Kinder in der Teilgruppe

Quelle: SOEP 2015 (v32), Einkommen aus dem Vorjahr. Berechnungen: IAW.

Alleinerziehende: häufig schlechte wirtschaftliche Lage


Zwar sind Alleinerziehende mittlerweile etwas häufiger erwerbstätig als Mütter in Paarfami­lien
(68 versus 67 Prozent) und sie arbeiten im Schnitt auch rund fünf Stunden mehr pro Woche;
dennoch sind 32 Prozent nicht erwerbstätig.66 Daher und weil in Haushalten von Alleinerziehen­
den meist nur die bzw. der Alleinerziehende erwerbstätig sein und maßgeblich zum Haushalts­
einkommen beitragen kann, ist die wirtschaftliche Situation der Alleinerziehenden häufiger
prekär als die der Paarfamilien. Rund 44 Prozent der Alleinerziehenden sind armutsgefährdet,
Paarfamilien mit ein bis zwei Kindern demgegenüber lediglich zu 10 Prozent.67

Dementsprechend hoch ist der Anspruch auf Sozialleistungen unter den Alleinerziehenden.
Alleinerziehende beziehen mehr als fünfmal so häufig SGB-II-Leistungen wie Paarfamilien,
38 Prozent der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren erhalten SGB-II-Leistungen,
aber nur 7 Prozent der Paarfamilien. Ein Problem, das zur häufig schwierigen wirtschaftlichen
Lage der Alleinerziehenden beiträgt, ist, dass trotz der Erwerbstätigkeit teilweise nicht bedarfs­
deckende Einkommen verdient werden können. 35 Prozent der Alleinerziehenden im SGB-II-
Bezug sind erwerbstätig.68

66 Eigene Berechnungen der Prognos AG auf Basis des Mikrozensus 2015.


67 Ergebnisse des Mikrozensus. Ab 2011 basiert die Hochrechnung auf den fortgeschriebenen Ergebnissen des
Zensus 2011. IT.NRW. Tabelle A 1.1.0 Deutschland.
68 Bundesagentur für Arbeit (2016): Analyse des Arbeitsmarkts für Alleinerziehende, BA-Statistik 2015.
Seite 50 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Mehrkindfamilien: Wirtschaftliche Lage verschlechtert sich mit zunehmender Kinderzahl


Je mehr Kinder in einer Familie leben, desto schwieriger ist im Durchschnitt die wirtschaftli­
che Lage. Mehrkindfamilien sind häufiger armutsgefährdet als der Durchschnitt der Familien.
Ein Viertel der Paarfamilien mit drei oder mehr Kindern69 war 2015 armutsgefährdet, während
es bei den Paarfamilien mit einem oder zwei Kindern nur rund 10 bzw. 11 Prozent waren.70

Dabei haben Mehrkindfamilien in der Regel nicht geringere Einkommen als kleinere Familien.
Bei ihnen ist das erhöhte Armutsrisiko bedingt durch die höhere Personenzahl im Haushalt,
die bei der Berechnung des gewichteten Pro-Kopf-Einkommens berücksichtigt wird. Pro Kopf
steht Mehrkindfamilien ein geringeres Einkommen zur Verfügung als Paarhaushalten mit
weniger Kindern. Bei einer Verteilung verschiedener Familientypen nach Einkommen und
unter Berücksichtigung der Zahl der Haushaltsmitglieder zeigt sich: 68 Prozent der Mehrkind­
familien haben weniger als das mittlere Einkommen aller Familien zur Verfügung.71
Die schwierige wirtschaftliche Situation zeigt sich auch im vergleichsweise hohen Anteil der
Mehrkindfamilien mit Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Jeder fünfte Paarhaushalt mit
drei oder mehr Kindern bezog Anfang 2017 SGB-II-Leistungen. Bei den Familien mit einem
oder zwei Kindern lag der Anteil bei nur 6 bzw. 7 Prozent.72

Auskömmliche Erwerbstätigkeit beider Elternteile ist der beste Schutz gegen Armut
Die wirtschaftliche Lage der Familien hängt entscheidend davon ab, in welchem Umfang
Eltern erwerbstätig sind und wie effektiv die familienbezogenen Leistungen wirken. Grund­
sätzlich gilt: Der beste Schutz vor Armut ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Dies gilt für
die aktuelle Einkommenssituation genauso wie mit Blick auf die langfristige wirtschaftliche
Absicherung von Familien. Es gilt auch für die individuelle Existenzsicherung. Derzeit erzielt
nur etwa ein Drittel aller Mütter mit Kindern unter acht Jahren ein eigenes Einkommen, das
oberhalb der eigenen Existenzsicherungsschwelle liegt, während dies mehr als 80 Prozent der
Väter mit Kindern im selben Alter gelingt. Betrachtet man nur die Mütter, die mehr als
26 Stunden pro Woche arbeiten, gelingt dies hingegen bereits 85 Prozent. Dies macht deutlich:
Teilen sich Eltern die familiären Aufgaben und die Erwerbsarbeit gleichmäßig auf, fördert das
kurz- und langfristig die wirtschaftliche Stabilität der Familie. Fehlende oder geringe Erwerbs­
tätigkeit ist die häufigste Ursache für Armutsgefährdung, Transferabhängigkeit und prekäre
Lebenslagen.

Dies zeigt sich auch mit Bezug auf Armutsrisiken der Kinder. Rund zwei Drittel der Kinder in
Haushalten ohne jedes Erwerbseinkommen sind armutsgefährdet. Verfügt der Haushalt über ein
Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit, sinkt das Armutsrisiko auf 15 Prozent. Liegt ein zweites
Einkommen aus einer Teilzeittätigkeit vor, sind 5 Prozent armutsgefährdet (Abbildung 50).

69 Zu den Kindern zählen Personen im Alter von unter 18 Jahren ohne Lebenspartnerin bzw. Lebenspartner und
eigene Kinder im Haushalt.
70 Ergebnisse des Mikrozensus. IT.NRW. Tabelle A 1.1.0 Deutschland.
71 SOEP-Welle v32 (Erhebungsjahr 2015, Einkommen aber aus dem Jahr 2014). Berechnung: Prognos AG.
72 Bundesagentur für Arbeit: Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen. Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt |
April 2017. S. 7.
Seite 51 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Abbildung 50: Armutsgefährdete Kinder nach Erwerbsbeteiligung und -umfang der Eltern

2.000 75 %

64,4 % 60 %
1.500

45 %
Anzahl in 1.000

1.000 30,4 %
30 %
1.128
500 15,1 % 15,6 %
901
15 %
471 198 5,0 % 3,3 %
68 35
0 0%
Teilzeit (TZ) Vollzeit (VZ) TZ/TZ VZ/TZ VZ/TZ

Kein Verdiener Alleinverdienerhaushalt Zweiverdienerhaushalt


Erwerbsbeteiligung der Eltern
Armutsgefährdete Kinder (linke Skala)

Anteil armutsgefährdeter Kinder (rechte Skala)

Quelle: SOEP v32 (Erhebungsjahr 2015, Einkommen aus dem Jahr 2014). Berechnungen: Prognos AG.

Eine zentrale Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit beider Elternteile sind gute Rahmenbe­
dingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und für Väter. Eine gute Ver­
einbarkeit trägt dazu bei, die wirtschaftliche Situation der Familien wirksam zu verbessern.
Das zeigt auch die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen.73

Vor allem Leistungen, die die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit verbessern,
führen dazu, dass Familien dauerhaft wirtschaftlich gesichert sind und es den Kindern gut
geht (s. dazu auch Kapitel III.).

2.5 Familienleistungen im Überblick

Ziel der Bundesregierung ist es, allen Familien gute Rahmenbedingungen für ein gelingendes
Familienleben zu eröffnen und Menschen mit Kinderwunsch eine Familiengründung zu
erleichtern. Die Bundesregierung setzt dafür verschiedene Maßnahmen und Leistungen ein.
So unterstützt sie Eltern dabei, die Kosten zu tragen, die ihnen durch ihre Kinder entstehen,
und stellt damit einen Ausgleich zwischen Eltern und kinderlosen Erwachsenen her. Sie för­
dert aber auch eine gute, partnerschaftliche Vereinbarkeit und schafft Eltern damit auch
zeitliche Freiräume. Schließlich tragen viele Maßnahmen – auch bei den Ländern und Kom­
munen – zur guten Entwicklung der Kinder bei und bieten Eltern Unterstützung vor Ort.

Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich das finanzielle Volumen einzelner Leistungen, die die
Familien in den genannten Bereichen besonders unterstützen, entwickelt hat.

73 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, S. 218.


Abbildung 51: Ausgewählte familienbezogene Leistungen/Maßnahmen von 2006 bis 2016 in Mio. Euro, (geschätzte) Ausgaben/Mindereinnahmen

Maßnahme 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Seite 52

Kindergeld
(für 2009 einschließlich des Einmalbetrages i. H. v. 100 Euro, Teil des 35.004 34.293 33.607 36.972 38.920 38.552 38.649 38.514 38.618 39.498 40.348
Konjunkturpakets)

Entlastungsbetrag für Alleinerziehende 405 360 370 350 350 350 355 360 370 545 570
Kapitel 2

1.443
Kinderzulage im Rahmen der Altersvorsorgezulage 547 683 1.054 1.121 1.183 1.241 1.259 1.337 1.385
(vor­
läufig)

Kinderzuschlag 138 109 146 363 399 385 371 352 324 283 306

Elterngeld ­ 1.710 4.186 4.450 4.583 4.709 4.825 5.105 5.676 5.822 6.097

Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz


853 845 847 819 911 922 880 859 849 843 861
(Ausgaben Bund und Länder)

Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten an die gesetzliche


11.393 11.547 11.478 11.466 11.637 11.574 11.628 11.585 11.858 12.149 12.530
Rentenversicherung
Inhalt

Beitragsfreie Mitversicherung nicht erwerbstätiger Familienmitglie­


13.700 14.135 14.771 16.152 16.409 16.492 16.633 17.381 18.031 18.559
der (Kinder und Jugendliche) in der GKV

Tagesbetreuung 11.097 11.846 13.003 14.574 16.183 17.352 18.904 21.408 22.888 24.574

Quelle: BMFSFJ, eigene Darstellung.


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Seite 53 Kapitel 2 Inhalt zurück weiter

Die absolut größten Ausgabensteigerungen haben im Bereich der Kindertagesbetreuung statt­


gefunden: Zwischen 2006 und 2015 sind die Ausgaben der Länder und Gemeinden und des
Bundes von etwas mehr als 11 Milliarden Euro auf knapp 24,6 Milliarden Euro gestiegen.

Außerdem sind die folgenden Verbesserungen zu verzeichnen:


❙❙ Das Kindergeld wurde von 2008 bis 2017 um 38 Euro erhöht und wird auch 2018 um weitere
zwei Euro steigen (2009 um zehn Euro pro Monat und Kind und zusätzlich gab es zur Überwin­
dung der Wirtschaftskrise eine Einmalzahlung von 100 Euro, 2010 eine Erhöhung um 20 Euro,
2015 um vier Euro und 2016 um zwei Euro, 2017 um zwei Euro und 2018 um zwei Euro).

❙❙ D
 er Kinderzuschlag, den Familien mit geringen Einkommen unabhängig von der Grund­
sicherung erhalten, wurde 2008 verbessert. 2016 wurde der Kinderzuschlag zudem von bis zu
140 Euro pro Monat und Kind auf bis zu 160 Euro erhöht. 2017 stieg er um weitere zehn Euro
auf 170 Euro pro Monat und Kind.

❙❙ Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde zum 01.01.2015 um fast


50 Prozent, von 1.308 Euro auf 1.908 Euro pro Jahr, angehoben und zudem mit 240 Euro nach
der Kinderzahl gestaffelt. Er entlastet über 1 Million Alleinerziehende und stärkt sie in ihrer
Erwerbstätigkeit, weil sie nun mehr Netto von ihrem Brutto behalten dürfen.

❙❙ Auch der Unterhaltsvorschuss, den Alleinerziehende mit Kindern unter zwölf Jahren bean­
tragen können, wurde entsprechend den steuerlichen Kinderfreibeträgen angepasst. Zudem
wurde der Unterhaltsvorschuss zum 01.07.2017 rückwirkend ausgebaut. Er wird nun bis zur
Volljährigkeit des Kindes gezahlt und die bisherige Höchstbezugsdauer von 72 Monaten wird
für alle Kinder aufgehoben. Die Höhe des Unterhaltsvorschusses für Kinder von null bis fünf
Jahren stieg 2017 von 145 Euro auf 150 Euro, für Kinder von sechs bis elf Jahren von 194 Euro
auf 201 Euro. Die Höhe des Unterhaltsvorschusses für Kinder von zwölf bis siebzehn Jahren
wird 268 Euro betragen.

❙❙ Z
 udem stieg die Kinderzulage im Rahmen der Altersvorsorgezulage (Riesterrente) für Kinder,
die nach dem 31.12.2007 geboren wurden, von 185 auf 300 Euro pro Jahr an.

❙❙ D
 ie Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
blieben bis 2013 mit rund 11,6 Milliarden Euro pro Jahr einigermaßen konstant. Die Erhö­
hung der sog. Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder wurde 2014 beschlossen und führte
zu einem Anstieg auf rund 12,5 Milliarden Euro im Jahr 2016.

❙❙ D
 ie Ausgaben für die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Kran­
kenversicherung folgt in etwa dem Anstieg der Gesamtausgaben der Krankenversicherung.
Seite 54 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

III.
Chancengerechtes Aufwachsen
für alle Kinder

3.1 Materielle Situation von Kindern

Ein nennenswerter Teil der Familien in Deutschland lebt von einem Einkommen unterhalb
der Armutsrisikoschwelle. Laut Mikrozensus lag die Armutsrisikoquote74 von unter 18-Jähri­
gen im Jahr 2015 bei 19,7 Prozent (Einkommensjahr 2015). Damit waren rund 2,8 Millionen
Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Im Vergleich zum Jahr 2010 hat sich die Armutsrisi­
koquote um 1,5 Prozentpunkte erhöht.75

Wie gesehen (vgl. Kapitel II.) hängt das Armutsrisiko stark mit dem Familientyp und der Anzahl der
Kinder zusammen. 44 Prozent der Alleinerziehendenhaushalte sind armutsgefährdet; ihr Armuts­
risiko ist mehr als viermal so hoch wie bei Paarfamilien mit einem oder zwei Kindern – auch weil
bei ihnen die Erwerbsintensität niedriger ist, solange die Kinder klein sind (Abbildung 52). Auch
Familien mit drei und mehr Kindern sind mit 25 Prozent besonders häufig von Armut bedroht.

Abbildung 52: Armutsgefährdungsquote nach Haushaltstyp gemessen am Bundesmedian, in Prozent

50 %

45 % 43 44
42 42 42 Eine(e)
39 40 40 Erwachsene(r)
40 % 39
37 mit Kind(ern)
35 % Zwei Erwachsene
und ein Kind
30 %
24 25 24 24 25 25 Zwei Erwachsene
25 % 24 23 24
22
und zwei Kinder
20 % 17 17 17 18 18
17 16 17 17
16 Zwei Erwachsene
15 % und drei oder mehr
12 11 11 11 11 11
11 11 10 11 Kinder
10 %
11 11 10 10 Sonstiger Haushalt
10 10 10 10 10 10
5% mit Kind(ern)

0%
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Quelle: Ergebnisse des Mikrozensus. Ab 2011 basiert die Hochrechnung auf den fortgeschriebenen Ergebnissen des
Zensus 2011. IT.NRW. Tabelle A 1.1.0 Deutschland.

74 Zur Darstellung der materiellen Situation von Kindern ist in der Wissenschaft die Armutsrisikoquote etabliert. Sie
misst die Verbreitung relativer Einkommensarmut. Die Armutsrisikoquote weist den Anteil der Personen mit
einem Äquivalenzeinkommen von weniger als 60 Prozent vom Median der Äquivalenzeinkommen der Gesamtbe­
völkerung aus. Das Äquivalenzeinkommen ist das bedarfsgewichtete Pro-Kopf-Einkommen je Haushalt (netto).
75 Die Armutsrisikoquote variiert je nach Datenquelle: EU-SILC: 14,6 Prozent (Einkommensjahr 2014). Mikrozen­
sus: 19,7 Prozent (Einkommensjahr 2015); SOEP: 21,1 Prozent (Einkommensjahr 2014).
Seite 55 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

Aktuell erhöht der Zuzug von Kindern mit Migrationshintergrund die Armutsrisikoquote von
Kindern. Der Anteil der mit einem Armutsrisiko lebenden Kinder innerhalb der Gruppe der
„selbst eingewanderten Minderjährigen“ ist von 2011 bis 2015 von rund 36 Prozent auf 49 Pro­
zent angestiegen. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund war er mit rund 13 Prozent kon­
stant.76

Armutsrisiken haben für Kinder unterschiedliche negative Folgen. Zum einen weisen Kinder
in armutsgefährdeten Familien häufig ein geringeres Wohlergehen auf. Zum anderen schrän­
ken unzureichende materielle Rahmenbedingungen die Lebensqualität der gesamten Familie
ein. Insbesondere in den Bereichen Wohnen, Mobilität, saisongerechte Kleidung und Aktivitä­
ten außerhalb der Wohnung sind deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der wirtschaft­
lichen Situation der Familien festzustellen.77

Auch die soziale und kulturelle Teilhabe von Kindern steht in einem deutlichen Zusammen­
hang mit der wirtschaftlichen Situation der Familien. Zum Beispiel nehmen unter sechsjährige
Kinder mit einem Anspruch auf Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets deutlich selte­
ner an Sportangeboten, frühkindlicher Musikerziehung, künstlerischen Aktivitäten oder einer
Eltern-Kind-Gruppe teil (Abbildung 53).

Abbildung 53: Kinder, die an keiner der genannten Aktivitäten teilnehmen, nach Anspruch auf Leistungen des Bildungs-
und Teilhabepakets und Altersgruppen

Ohne Mit Gesamt


Anspruch Anspruch

0 bis unter 3 Jahre 59,6 % 76,6 % 62,3 %

3 bis unter 6 Jahre 39,0 % 62,0 % 43,5 %

Insgesamt: 0 bis unter 6 Jahre 48,2 % 67,7 % 51,7 %

Quelle: SOEP v31, gewichtet. N=3.035. Eigene Auswertungen: Prognos AG.

3.2 Wohlergehen und Teilhabechancen von Kindern

Das Wohlergehen von Kindern, verstanden als ihre positive Entwicklung, hängt von verschie­
denen Faktoren ab. Es wird insbesondere vom Bildungsniveau der Eltern, der Lebenszufrieden­
heit der Mutter, der Zufriedenheit mit der Wohnsituation und dem Gesundheitszustand beein­
flusst. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigt, dass die Höhe des Einkommens an sich
keinen signifikanten Einfluss auf das Wohlergehen von Kindern hat. Allerdings weisen Kinder
in armutsgefährdeten Familien ein signifikant geringeres Wohlergehen (gemessen über ihren
sprachlichen, kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklungsstand) auf als Kinder aus Fami­
lien ohne Armutsrisiko.78

So führt insbesondere eine objektive oder von den Eltern wahrgenommene „ökonomische
Belastung“ zu deutlich negativen Effekten auf das Wohlergehen der Kinder. Die ökonomische
Belastung setzt sich aus verschiedenen Faktoren – zum Beispiel einem Armutsrisiko, Arbeits­

76 WSI 2017: Kinderarmut in Deutschland. Auswertungen auf Basis des Mikrozensus 2015.
77 Bertelsmann Stiftung (2015): Kinder- und Familienarmut – Lebensumstände von Kindern in der Grundsicherung.
78 Schölmerich, A. u. a. (2013): Wohlergehen von Kindern. Endbericht für die Gesamtevaluation der ehe- und
familienbezogenen Leistungen des Bundes, Berlin.
Seite 56 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

losigkeit, Sorgen um den Arbeitsplatz oder einer hohen Mietbelastung – zusammen. Diese
Belastung wirkt sich auch negativ auf den Gesundheitszustand der Kinder und die Lebenszu­
friedenheit der Mütter aus, wodurch das Wohlergehen der Kinder weiter beeinträchtigt wird.
Durch die Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung können die negativen Effekte von
ökonomischen Belastungssituationen verringert oder ganz vermieden werden. Auch die
Lebenszufriedenheit der Mütter sowie gemeinsame Aktivitä­ten zwischen Eltern und Kindern
(z. B. Vorlesen) können negative Effekte abschwächen.

Auch finanzielle Familienleistungen wirken sich indirekt positiv auf das Wohlergehen von
Kindern aus, wenn sie das Armutsrisiko von Familien reduzieren. Dies sind vor allem das
Kindergeld, die Leistungen für Familien mit kleinen Einkommen (SGB II, Wohngeld und der
Kinderzuschlag) und das Elterngeld im ersten Lebensjahr. Das Elterngeld hat in mehrfacher
Hinsicht positive Wirkungen auf das kindliche Wohlergehen. Es stärkt zum einen die Beteili­
gung von Vätern an der Kinderbetreuung mit positiven Effekten auf die kindliche Entwick­
lung.79 Zum anderen unterstützt es Mütter bei ihrer Erwerbstätigkeit. Seit Einführung des
Elterngeldes ist die Müttererwerbstätigkeit kontinuierlich gestiegen, mehr Mütter arbeiten in
höheren Stundenpensen. Damit tragen sie zum Familieneinkommen bei und das Risiko, in
Armut zu geraten, sinkt: Die beste Prävention von Kinderarmut gelingt mit zwei umfänglich
erwerbstätigen Eltern.

Frühkindliche Förderung wirkt sich positiv auf das Wohlergehen aus


Wenn Kinder eine Kindertagesbetreuung nutzen, hat dies direkte positive Effekte auf ihre
Entwicklung und ihr Wohlergehen. Besonders stark profitieren Kinder aus Familien mit
Mi­grationshintergrund, aus Familien mit geringem Einkommen oder geringem Bildungsni­
veau von Kinderbetreuung. Kinder, die im Alter von zwei bis drei Jahren eine Kindertagesein­
richtung besuchen, sind in ihrem adaptiven Verhalten weiter entwickelt als Kinder, die noch
keine Einrichtung besuchen. Sie haben höhere sprachliche, motorische und soziale Fähigkeiten
wie auch weiter entwickelte Alltagsfertigkeiten. Mittelfristig lässt sich nachweisen, dass Schul­
kinder in ihrem sozio-emotionalen Verhalten stärker gefestigt sind, je früher sie eine Kinder­
tageseinrichtung besucht haben. Langfristig zeigen sich ebenfalls positive Zusammenhänge
zwischen der Dauer der frühkindlichen Betreuung und den kognitiven und nicht kognitiven
Fähigkeiten von Jugendlichen.

Kinderbetreuung hat also auch eine Schutzfunktion. Entsprechend wirken sich familienbezo­
gene Leistungen, die die Inanspruchnahme von Kinderbetreuung fördern, indirekt positiv auf
das Wohlergehen der Kinder aus. Dies sind neben der Subventionierung der Kinderbetreuung
auch die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und der steuerliche Entlas­
tungsbetrag für Alleinerziehende.80

Als problematisch kann vor diesem Hintergrund gelten, dass Kinder aus Familien mit weniger
gebildeten Eltern die Angebote öffentlicher Kinderbetreuung seltener nutzen als Kinder höher

79 Wissenschaftlich nachgewiesen ist u. a., dass eine aktive Beteiligung des Vaters an der Pflege, Erziehung und
Betreuung die Entwicklung des Intellekts und des Gedächtnisses der Kinder fördert und positive Effekte auf
die sprachliche Entwicklung der Kinder, ihre Schulleistungen, ihre Empathiefähigkeit und ihre emotionale
und soziale Entwicklung hat.
80 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen.
Seite 57 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

qualifizierter Eltern. Insbesondere weil Kinderbetreuung nachweislich auch sozial ausglei­


chend wirken kann, wenn das Elternhaus geringere Entwicklungsmöglichkeiten bietet, ist der
Zugang zu Betreuungsmöglichkeiten besonders wichtig.81

Auch ein Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Entwicklung der Kinder und
Jugendlichen sowie der sozialen Lage der Familien lässt sich nachweisen.82 Die gesundheitliche
Entwicklung von Kindern hängt mit dem Einkommen und dem Bildungsstand der Eltern
zusammen. Es zeigen sich große Unterschiede beispielsweise beim Übergewicht, aber auch bei
der Anfälligkeit für psychische Probleme und Entwicklungsstörungen. Die KiGGS-Studien
gehen davon aus, dass ein Teil der Faktoren sozialer Herkunft im Rahmen von Kinderbetreu­
ung und Schule kompensiert werden kann. Wichtig sei es, insbesondere den Zugang zu Sport­
möglichkeiten in der Freizeit zu verbessern und die Kursgebühren niedrig zu halten.

3.3 Zielgerichtete Unterstützungen für Familien

Die Familienpolitik ist darauf gerichtet, Familien so zu unterstützen und zu stärken, dass alle
Kinder – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – gute Chancen haben, individuelle Förde­
rung und gesellschaftliche Teilhabe zu erfahren. Alle Kinder sollen bestmögliche Bedingungen
zum Aufwachsen haben. Bereits heute tragen familienbezogene Leistungen, Programme und
andere Aktivitäten zur Erreichung dieses Zieles bei. Es ist jedoch erforderlich, noch stärker als
bisher den Fokus auf die Familien zu richten, bei denen das Geld zu Hause knapp ist.

Familienbezogene Leistungen beugen gegen Armut vor


Der Anteil der armutsgefährdeten Kinder wird durch Sozialleistungen und Transfers insge­
samt etwa halbiert.83 Die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen84 hat
gezeigt, dass der Kinderzuschlag, die Kinderbetreuung und der Unterhaltsvorschuss für Kinder
von Alleinerziehenden das Armutsrisiko von Familien besonders effizient reduzieren. Durch
den Kinderzuschlag wird das Armutsrisiko der Empfängerhaushalte um gut 16,5 Prozent­
punkte reduziert. Die Subventionierung der Kinderbetreuung senkt das Armutsrisiko bei
Paarfamilien um 12 Prozentpunkte und bei Alleinerziehenden um 19 Prozentpunkte. Beson­
ders wirksam ist die Kinderbetreuung deshalb, weil sie dabei hilft, dass Mütter einer Erwerbs­
tätigkeit nachgehen können.85

Die Familienleistungen unterstützen Eltern darin, die Kosten zu tragen, die ihnen durch Kinder
entstehen. Leistungen mit einem großen Empfängerkreis und hohen Zahlbeträgen erreichen
viele Familien und entfalten große Wirkungen. Sie ermöglichen es vielen Familien in Deutsch­
land, unabhängig vom SGB II zu leben. So trägt das Kindergeld dazu bei, dass rund 1,2 Millionen
Familien unabhängig vom SGB II leben, beim Kinderzuschlag sind es 110.000 Familien. Das

81 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen.


82 Robert Koch-Institut (2013): Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.
83 Daten von Eurostat, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/eurostat/data.
84 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen. Die Ergebnisse wurden
überwiegend auf der Datenbasis von 2010 ermittelt.
85 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, S. 167, 189; ZEW (2013a):
Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. Endbericht. Gutachten für die
Prognos AG, S. 71 f.
Seite 58 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

Elterngeld reduziert das Armutsrisiko von jungen Familien um rund 10 Prozentpunkte im ersten
Lebensjahr.86

Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege leisten einen wesentlichen Beitrag, um die


Bildungs- und Teilhabechancen für Kinder zu verbessern. Deshalb ist es besonders wichtig,
dass der Zugang zu diesen Angeboten für alle Familien erleichtert wird.

Bundesprogramm „Kita-Einstieg“ erleichtert Familien den Zugang zu frühkindlicher Bildung


Die Bildungsbeteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund hat in den letzten Jahren
zugenommen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der frühkindlichen Bildung. Die Inan­
spruchnahme von Angeboten der Kindertagesbetreuung ist bei Kindern mit Migrationshinter­
grund zwischen 2011 und 2016 um mehrere Prozentpunkte gestiegen – in der Altersgruppe
von null bis drei Jahren wuchs diese um 7 Prozentpunkte auf 21 Prozent an (Abbildung 54). Sie
liegt jedoch weiterhin deutlich unter der entsprechenden Betreuungsquote bei Kindern ohne
Migrationshintergrund (38 Prozent). Bei Kindern im Alter von drei bis unter sechs Jahren
nähern sich die Betreuungszahlen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund an.

Abbildung 54: Betreuungsquote von Kindern unter sechs Jahren mit und ohne Migrationshintergrund, in Prozent

1,25
97 % 96 %
1 85 % 88 %

0,75

0,5 38 %
30 %
21 %
0,25 14 %

0
0–3 3–6 0–3 3–6
Alter von ... bis unter ... Jahren Alter von ... bis unter ... Jahren
mit Migrationshintergrund ohne Migrationshintergrund
Betreuungsquote von Kindern ... in %

2011 2016

Quelle: Kinder- und Jugendhilfestatistik (2017).

Nach wie vor besuchen Kinder mit Migrationshintergrund deutlich später als Kinder ohne
Migrationshintergrund eine Kindertagesbetreuung – so waren 41 Prozent der Kinder ohne
Migrationshintergrund beim Beginn der Betreuung in der aktuell genutzten Kindertagesein­
richtung jünger als zwei Jahre, während der entsprechende Anteil der Kinder mit Migrations­
hintergrund bei 22 Prozent lag (Jehles/Meiner-Teubner 2016).87

86 Prognos AG (2014): Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, S. 167, 189; ZEW (2013a):
Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. Endbericht. Gutachten für die
Prognos AG, Kapitel 8.
87 Jehles, N./Meiner-Teubner, C. (2016): Ganz ähnlich oder ganz anders?, in: Kom Dat – Kommentierte Daten der
Kinder- und Jugendhilfe, Heft Nr. 3/2016, S. 1–4.
Seite 59 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

Niedrigschwellige Angebote, die den Zugang zur Kindertagesbetreuung vorbereiten und unter­
stützend begleiten, fördert das Bundesfamilienministerium mit dem Bundesprogramm „Kita-
Einstieg“. Im Fokus des Programms stehen Kinder und Familien, die bisher nicht oder nur
unzureichend von der institutionellen Kindertagesbetreuung erreicht wurden, beispielsweise
Kinder mit Fluchthintergrund. Bis zu 300 teilnehmende Standorte erhalten eine Förderung für
eine Koordinierungsstelle, Fachkräfte für die Umsetzung der Angebote sowie zusätzliche
Projektmittel.

Bundesprogramm „Elternchance“: frühe Förderung von Kindern durch Elternbegleitung


Bildungsinvestitionen in der frühen Kindheit erweisen sich als besonders wirkungsvoll und
nachhaltig.88 Dementsprechend hat sich in Deutschland das Augenmerk auf Bildungsprozesse
von Kindern erweitert, die vor der Schule stattfinden. Im Mittelpunkt stehen die verbesserte
Zusammenarbeit von Fachkräften mit Eltern im Kontext institutionalisierter frühkindlicher
Bildung, Betreuung und Erziehung und die Vernetzung von familienbezogenen Angeboten im
Sozialraum zur frühen Förderung und Bildung. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt können
Angebote der Eltern- und Familienbildung, die im weiteren Sozialraum angesiedelt sind, Fami­
lien erreichen und die Lebens- und Bildungschancen vor allem für benachteiligte Herkunfts­
milieus, z. B. sozio-ökonomisch benachteiligte Kinder, erweitern.

Passende und erfolgreiche Unterstützung bieten die inzwischen rund 8.000 Elternbegleiterin­
nen und Elternbegleiter aus den Bundesprogrammen Elternchance I und II an. Als Vertrauens­
personen geben sie unkompliziert und kompetent Rat zur Entwicklung und Förderung des
Kindes, Informationen zu Bildungsübergängen und zu Förderangeboten in der Nähe. Ob in
einer Kita, einer Familienbildungsstätte, einem Mehrgenerationenhaus oder einer Elternschule –
Elternbegleitung findet an vielen Orten statt, an denen Familien Beratung oder Frühförderan­
gebote nutzen. Elternbegleitung erleichtert Bildungszugänge auf breiter Basis und stärkt
Elternkompetenzen für die Bildungsverläufe der Kinder. Auch werden Bildungs- und Erzie­
hungspartnerschaften zwischen Familien und Bildungsinstitutionen wie Familienbildungs­
stätten, Kindertageseinrichtungen und Grundschulen verfestigt.

Elternbegleitung stellt einen wichtigen Teil der bundesweiten, präventiv orientierten Angebote
zur Förderung und Begleitung von Familien sowie in der Zusammenarbeit mit Eltern dar. Das
Bundesfamilienministerium setzt mit den Programmen „Elternchance I und II“ neue Impulse
in der Familienpolitik und verbreitert die Aktivitäten im Bereich der zielgerichteten Unterstüt­
zung von Familien auch mit kleinen Einkommen durch frühe Förderung und Bildungsbeglei­
tung. Auf Basis von Längsschnittstudien hat sich wiederholt gezeigt, dass sozial benachteiligte
Familien besonders von Angeboten der Elternbegleitung profitieren.89

Die stetig steigende Zahl der Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter und die hohe Qualität
ihrer Qualifizierung entwickeln die Landschaft der Familienbildung in der frühen Bildungs­
begleitung grundlegend weiter. Es gelingt, besser und mehr Familien mit besonderem Bera­
tungsbedarf in ihrem unmittelbaren Lebensalltag zu erreichen. Mehr als die Hälfte der Eltern­
begleiterinnen und Elternbegleiter sind zudem Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen.

88 BMFSFJ (2016): Monitor Familienforschung Nr. 35 „Familie und frühe Bildung“.


89 Barnett W. S. (2011): Effectiveness of early educational intervention, in: Science S. 333, 975–978.
Bilanz der Familienpolitik – 2013 bis 2017 Fa

Ausbau der familienbezogenen Leistungen:


Ø Erhöhung des Kinderzuschlags, des Kindergelds und des
Kinderfreibetrags
Ø Erhöhung des steuerlichen Entlastungsbetrags für
Alleinerziehende und Staffelung nach der Kinderzahl sowie Ausbau
200
des Unterhaltsvorschusses für Kinder von Alleinerziehenden
76
Ø Reform des Mutterschutzes mit längeren Schutzfristen,
Ausdehnung auf Selbstständige, Schülerinnen, Studentinnen u.v.m.
Ausbau der Kindertagesbetreuung:
Ø Schaffung von 400.000 zusätzlichen Plätzen für Kinder unter drei
Jahren mithilfe von Investitionsprogrammen des Bundes
Ø Förderung der Qualität, u. a. unterstützt durch die
Bundesprogramme Sprach-Kitas, Kita-Plus, Kita-Einstieg und
Kindertagespflege
Förderung von Partnerschaftlichkeit:
Ø Einführung des ElterngeldPlus insbesondere für Eltern, die nach
der Geburt eines Kindes Teilzeit arbeiten, mit einem
Partnerschaftsbonus
Ø Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und
Pflegeunterstützungsgeld
Ø „Ehe für alle“ – Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare
Ø Erarbeitung vom „Memorandum Familie und Arbeitswelt – Die
NEUE Vereinbarkeit“ mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft
und dem DGB, Ergebnisse vorgelegt als „Fortschrittsindex 2017“
Förderung gesellschaftlicher Unterstützung:
Ø „Elternchance II“ zur Qualifizierung von Fachkräften der
Familienbildung zu Elternbegleiterinnen und -begleitern
Ø „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“
Bundesprogramm an 80 Standorten
Ø Rund 630 „Lokale Bündnisse für Familie“ und mehr als 7.900
engagierte Unternehmen im Netzwerk Erfolgsfaktor Familie
Familienleben im Spiegel von Zahlen, Daten, Fakten
Mehr Familie

„Ich möchte bestimmt Kinder“


Familie an Zustimmung junger Erwachsener ohne
Kinder
erster Stelle
sbau 2003 2013
2006 2016
65 %
49 % 65 %
76% 79%
.v.m. Mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf

rei
Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen
für Kindertagesbetreuung

2006 2015
11 Mrd. € 24,6 Mrd. €
Mehr Partnerschaftlichkeit
ch

re
e Mehr Unterstützung für Alleinerziehende
t Unterhaltsvorschuss:
Steuerlicher
7“ Entlastungsbetrag Aufhebung Höchstbezugsdauer,
Anhebung Altersgrenze
2014 2015 2016 2017

Bezug Bezug
1.308 € 1.908 € + 240 € für
bis 12 Jahre
jedes bis 18 Jahre
n“ weitere Kind

§
Mehr Zustimmung zur Familienpolitik
„Bei der Familienförderung leistet die
Familienpolitik gute Arbeit“
Zustimmung der Bevölkerung
2013 2017
34% 51%
Seite 60 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

Gerade auch über diesen Weg können Familien gut mit bildungsbegleitenden Angeboten
erreicht werden. Insgesamt hat sich die Elternbegleitung zu einem festen Bestandteil der kom­
munalen Infrastrukturen für Familie entwickelt. 90

Bundesmodellprogramm „Starke Netzwerke Elternbegleitung“ für gelingende Integration


Mit der Herausforderung der Bildungsintegration von Kindern aus geflüchteten Familien
entsteht ein erweiterter Bedarf für Elternbegleitung. Viele Elternbegleiterinnen und Elternbe­
gleiter arbeiten schon länger mit neu angekommenen Familien. An diesen Kenntnissen und
Kompetenzen der qualifizierten Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter setzt das im Mai
2017 gestartete neue Bundesmodellprogramm „Starke Netzwerke Elternbegleitung für
geflüchtete Familien“ an. An 50 geförderten Projektstandorten in ganz Deutschland unter­
stützten diese Fachkräfte in lokalen Netzwerken zugewanderte Familien direkt vor Ort bei der
Integration.

Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter gestalten aktiv ihr lokales Netzwerk, das nicht nur im
Rahmen der bewährten Angebote von Familienbildung, Kindertageseinrichtungen, Grund­
schulen und Sozialen Diensten, sondern auch auf der Basis neuer Kooperationen mit Akteuren
der Flüchtlingshilfe mit zugewanderten Familien zusammenarbeitet. Verstärkt und systemati­
scher als bisher werden die Ressourcen des Umfelds und der sozialen wie institutionellen Akteure
einbezogen. Mithilfe des Programms sollen niedrigschwellige Begleitungs- und Beratungsan­
gebote entwickelt, koordiniert und in Absprache mit der für die jeweilige Kommune verant­
wortlichen Verwaltungseinheit umgesetzt werden.

Dabei stehen die Stärkung der Erziehungs- und Bildungskompetenz von geflüchteten Eltern
sowie die Betreuung und die Weitervermittlung ihrer Kinder in Bildungsinstitutionen wie
Kindertageseinrichtungen oder Schulen ganz oben auf der Tagesordnung. Auch die Unterstüt­
zung beim Spracherwerb ist für Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter ein wichtiges Tätig­
keitsfeld. Nicht zuletzt für neu zugewanderte Familien ist dieser sozialräumliche Ansatz im
Sinne einer verbesserten Kooperation der beteiligten Akteure, allen voran der Familien, beson­
ders wirkungsvoll.

3.4 N
 otwendigkeit wirkungsorientierter Weiterentwicklung
familienbezogener Leistungen

Damit alle Kinder gute Bedingungen zum Aufwachsen haben, ist es erforderlich, dass sich die
Familienpolitik stärker als bisher Familien mit kleinen Einkommen zuwendet. Diese Familien
brauchen mehr materielle Ressourcen und ihre Kinder einen besseren Zugang zu angemesse­
nen Betreuungs-, Bildungs- und Teilhabeangeboten. Datenauswertungen zeigen, dass rund
eine Million Kinder in Familien aufwachsen, die bereits über ein Einkommen verfügen, das sie

90 Der Familienbildung messen laut einer Befragung der Jugendamtsleitungen knapp 70 Prozent einen hohen oder
mittleren Stellenwert im Rahmen ihres Leistungsspektrums bei. Die Qualifizierung zur Elternbegleiterin bzw.
zum Elternbegleiter ist inzwischen deutschlandweit zwei Dritteln der Jugendamtsleitungen bekannt. Fast
60 Prozent von ihnen haben Interesse an weiteren Qualifizierungen zur Elternbegleitung. Vgl. BMFSFJ (Hrsg.)
(2017): Familienbildung und Familienförderung zum gelingenden Aufwachsen von Kindern als Aufgabe des
Jugendamts.
Seite 61 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

von Leistungen der Grundsicherung ausschließt, aber andererseits zu gering ist, um Steuern zu
bezahlen und steuerliche Förderung nennenswert nutzen zu können. Sie werden vom derzeiti­
gen Leistungssystem nicht erreicht, und es mangelt ihnen an Ressourcen für ein gutes Auf­
wachsen.

Die Bevölkerung nimmt die Bedarfe sensibel wahr: Sie erwartet von der Familienpolitik eine
bessere Förderung von Familien mit kleinen Einkommen und von Alleinerziehenden. Fast
zwei Drittel der Bevölkerung (65 Prozent) halten eine stärkere finanzielle Unterstützung spezi­
ell von Familien mit geringem Einkommen für besonders wichtig. 62 Prozent sprechen sich für
eine stärkere finanzielle Unterstützung von Alleinerziehenden aus. 91

Bessere Förderung von Familien mit kleinen Einkommen


Wie oben beschrieben, beinhaltet die staatliche Unterstützung für Familien neben dem Kin­
dergeld weitere Leistungen, die Familien in bestimmten Lebenssituationen und mit bestimm­
ten Bedarfen zielgenau unterstützt. Zu nennen sind hier die Leistungen der Grundsicherung,
der Kinderzuschlag, das Wohngeld, die Leistungen für Bildung und Teilhabe oder der Unter­
haltsvorschuss für Alleinerziehende. Diese Leistungen tragen auch nennenswert zur Vermei­
dung von Armutsrisiken bei – zumindest bei den Familien, die diese Leistungen nutzen. Aller­
dings ist die Reichweite einzelner Leistungen begrenzt.

So nutzen viele Familien den an sich effektiven und effizienten Kinderzuschlag nicht, weil sie
ihn nicht kennen, seine Inanspruchnahme mit zu hohem bürokratischen Aufwand verbunden
ist und seine Gewährung auch infolge von Anrechnungsregeln wenig gewiss erscheint. 60 bis
70 Prozent der Berechtigten werden vom Kinderzuschlag nicht erreicht. Demgegenüber wird das
Kindergeld als eine Leistung, die leicht zu beantragen ist und zuverlässig jeden Monat gezahlt
wird, von den Familien sehr geschätzt. Eine bessere Förderung von Familien mit kleinen Ein­
kommen kann gelingen, wenn die Zielgenauigkeit des Kinderzuschlags mit der Einfachheit des
Kindergelds verbunden wird. Eine neue Leistung sollte Kinder aus Familien mit kleinen Einkom­
men in Höhe des durchschnittlichen sächlichen Existenzminimums absichern.

Da Erwerbstätigkeit der beste und nachhaltigste Schutz vor Familienarmut ist, muss sicherge­
stellt sein, dass sich mehr Erwerbstätigkeit für beide Eltern immer lohnt, d. h. zu mehr verfüg­
barem Einkommen für die Familie führt – auch wenn das erhöhte Kindergeld reduziert wird.
Deshalb sollte die Leistung langsam und kontinuierlich abgeschmolzen werden. Vor allem
müssten die Anrechnungsregeln für Einkommen des Kindes geändert werden, damit mehr
Alleinerziehende erreicht werden. So könnten viele Kinder, die Unterstützung benötigen, aus
der verdeckten Armut geholt werden.

Die breite Mehrheit in der Bevölkerung befürwortet die Idee eines Kindergeldes, das Familien
mit kleinen Einkommen gezielt unterstützt: 70 Prozent halten es für einen guten Vorschlag, das
Kindergeld für Familien zu erhöhen, in denen die Eltern nur wenig verdienen (Abbildung 55).

91 Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11058, Juli 2016.


Seite 62 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

Abbildung 55: Bewertung der Bevölkerung, Eltern, die nur wenig verdienen, mehr Kindergeld zu zahlen

Mehr Kindergeld für Geringverdienende?


Die Mehrheit stimmt zu

Frage: „Es gibt den Vorschlag, das Kindergeld für Familien zu erhöhen, in denen die Eltern nur wenig verdienen.
Finden Sie das grundsätzlich einen guten Vorschlag oder keinen guten Vorschlag?“

Guter Vorschlag 75 % 75 %
70 % 72 %
63 %

Kein guter 14 % 11 % 10 % 14 %
19 %
Vorschlag

Bevölkerung Haushaltsnettoeinkommen Eltern mit Kindern


insgesamt unter 18 Jahren
unter 1.750 1.750 bis 3.000 Euro
Euro unter und mehr
3.000 Euro
Auf 100 fehlende %: unentschieden, keine Angabe.

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11071, Mai 2017.

Bessere Förderung und Teilhabe von Kindern durch verlässliche und gute Ganztagsbetreuung für
Schulkinder
Um Kindern den bestmöglichen Zugang zu Betreuungs-, Bildungs- und Teilhabeangeboten zu
bieten, ist zusätzlich zur Fortsetzung des Ausbaus im vorschulischen Bereich eine verlässliche
und gute Ganztagsbetreuung für Schulkinder erforderlich. Sie sichert Bildung und Betreuung
der Kinder und erleichtert Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Für viele Eltern bedeutet die Einschulung ihres Kindes nämlich, dass eine Betreuungslücke
entsteht. Grund für die Lücke ist, dass in der Kita ein Betreuungsangebot bis in den Nachmit­
tag hinein besteht, wohingegen die Grundschule mittags endet. Während der Großteil der
Vorschulkinder einen erweiterten Halbtags- oder Ganztagsbetreuungsplatz hat, ist das schul­
ergänzende Angebot für Grundschulkinder deutlich geringer.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkin­
der aus Sicht der Eltern als wichtige Aufgabe der Familienpolitik gesehen wird. 65 Prozent aller
Eltern mit minderjährigen Kindern und sogar 76 Prozent der Eltern mit Kindern zwischen sechs
und zehn Jahren sagen, dass die Familienpolitik auf den Ausbau einen Schwerpunkt legen soll.92

Ganztagsangebote für Schulkinder sind eine notwendige Bedingung für eine gute Vereinbar­
keit von Familie und Beruf. Sie erleichtern es insbesondere Müttern, erwerbstätig zu sein. Fast
60 Prozent der Mütter mit zweijährigen Kindern arbeiten. Beim Übergang in die Grundschule
zeigt sich zum einen, dass 35 Prozent der Mütter, die vor der Schulzeit des Kindes nicht
erwerbstätig waren, wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, sofern sie eine Nachmittagsbe­

92 Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11071, Mai 2017.


Seite 63 Kapitel 3 Inhalt zurück weiter

treuung für ihr Grundschulkind haben. Ohne Nachmittagsbetreuung nehmen nur 21 Prozent
der Mütter wieder eine Erwerbstätigkeit auf. Zum anderen hilft die Nachmittagsbetreuung den
Müttern, die schon vor der Einschulung erwerbstätig waren, das gewünschte Erwerbsniveau
zu halten oder auszuweiten.

2015 arbeiteten 96.000 Mütter mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren in Teilzeit, weil ein
Betreuungsangebot für ihr Kind nicht verfügbar oder bezahlbar war. Ein Viertel von ihnen war
alleinerziehend – eine Personengruppe, die besonders stark durch fehlende Angebote einge­
schränkt wird. 93

Zusätzlich zu ihrer vereinbarkeitsfördernden Wirkung sind Ganztagsschulangebote förderlich


für die Entwicklung der Kinder. Gute schulische Ganztagsangebote können das Sozialverhal­
ten, die Lernmotivation und das positive Selbstbild der Kinder fördern. Zudem ist belegt, dass
Kinder aus Haushalten mit geringem Einkommen und aus Familien mit Migrationshinter­
grund besonders von Ganztagsangeboten profitieren können. 94

Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter sind zu 61 Prozent mit dieser Schulform zufrie­
den, fühlen sich besonders motiviert und erfahren häufig emotionale Anerkennung. 95 Gerade
offene Angebote treffen die eigenen Vorstellungen der Kinder für eine sinnvolle Nutzung des
Nachmittags für Hausaufgaben und gemeinsame Freizeit mit Freundinnen und Freunden.

Insgesamt tragen qualitativ gute Ganztagsangebote dazu bei, dass Kinder individuell gefördert
werden. Sie flankieren positive Bildungsverläufe und können unterstützend mit den Eltern
zusammenarbeiten.96 Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung mit qualifizierter Hausaufga­
benhilfe trägt dazu bei, dass alle Kinder die gleichen Bildungschancen erhalten. Eltern müssen
ihre Erwerbstätigkeit nicht für die Betreuung ihres Schulkindes einschränken und das Armuts­
risiko der Familien wird durch zwei Einkommen reduziert. Die Hausaufgabenbetreuung ist auch
aus Sicht von Lehrerinnen bzw. Lehrern und Eltern wichtig, um die Chancengleichheit der Kin­
der zu sichern: 74 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, 83 Prozent der Eltern plädieren in diesem
Zusammenhang dafür.97

Zur Umsetzung des Rechtsanspruchs ist es erforderlich, dass alle Eltern, die einen Betreuungs­
bedarf haben, auch einen Betreuungsplatz erhalten. Dafür werden nach Schätzungen der
Prognos AG rund 280.000 zusätzliche Plätze alleine für die Kinder benötigt, die aktuell noch
keinen Platz haben. Außerdem besteht für rund 275.000 Kinder, die bereits in nachschulischer
Betreuung sind, ein zusätzlicher Betreuungsbedarf. 98 Zudem werden die Bildungs- und Teil­
habechancen von Kindern erhöht, wenn Familien mit geringen Einkommen von den Gebüh­
ren befreit werden.

93 Quelle: Mikrozensus-Sonderauswertung s16199_6. Berechnung: Prognos AG.


94 Konsortium der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (2016): Ganztagsschule: Bildungsqualität und
Wirkungen außerunterrichtlicher Angebote. Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen
2012–2015; vgl. auch Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016): Bildung in Deutschland 2016.
95 Word Vision Institut (2013): Dritte World Vision Kinderstudie.
96 Bertram, Hans (2017): Offene Gesellschaft, Teilhabe und die Zukunft für Kinder.
97 IfD Allensbach (2013): Hindernis Herkunft. Eine Umfrage unter Schülern, Lehrern und Eltern zum Bildungs­
alltag in Deutschland. Im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland.
98 Prognos AG (2017): Gute und verlässliche Ganztagsangebote für Grundschulkinder (im Erscheinen).
Seite 64 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

IV.
Partnerschaftlichkeit in Familie
und Beruf für Mütter und Väter –
Wunsch und Wirklichkeit

4.1 Z
 ehn Jahre Elterngeld, zwei Jahre ElterngeldPlus:
Paradigmenwechsel

Zehn Jahre nach seiner Einführung haben inzwischen etwa acht Millionen Personen das
Elterngeld bezogen. Es gehört zu den bekanntesten Familienleistungen: 91 Prozent der Bevöl­
kerung kennen es zumindest dem Namen nach. 82 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher
sagen, dass das Elterngeld besonders wichtig für ihr Familieneinkommen sei. Familienfor­
schung und Demoskopen gleichermaßen zufolge ist das Elterngeld schnell zu einem Symbol
für eine erfolgreiche Familienpolitik geworden, die sich an den Lebenswirklichkeiten und
-wünschen junger Eltern orientiert und deshalb so beliebt ist.

Dass das Elterngeld einen Wertewandel begünstigt hat, ist inzwischen belegt. 99 Heute ist es für
viele Mütter selbstverständlich, ihre Berufstätigkeit nach der Familiengründung nur noch für
einen kürzeren Zeitraum zu unterbrechen. Und viele Väter, die wegen der Geburt eines Kindes
beruflich kürzertreten, sehen sich heute stärker akzeptiert. Mütter und Väter wollen heute
beide Zeit für ihre Kinder haben, beruflich ihre Wege gehen und gemeinsam für das Familien­
einkommen sorgen. 60 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren sagen, dass es am
besten ist, wenn Frau und Mann beide gleich viel erwerbstätig sind und sich beide in gleichem
Maße um Haushalt und Familie kümmern.100

Trend zur Partnerschaftlichkeit – Ergebnisse aus Studien


Eine klare Mehrheit junger Frauen und Männer wünscht sich einen Partner bzw. eine Partne­
rin, die bzw. der selbst für den eigenen Lebensunterhalt sorgt.101 Dass die Kinderbetreuung zu
etwa gleichen Teilen aufgeteilt sein soll, sagen heute zwei Drittel der Elternpaare mit Kindern
unter sechs Jahren.102 Hilfen für jene Familien, in denen beide Elternteile gleichermaßen
berufstätig sein wollen, fordern 53 bzw. 61 Prozent der Bevölkerung bzw. Familien mit Kindern
bis 18 Jahre (s. Kapitel VIII). Und über 80 Prozent der Eltern, die gern partnerschaftlich leben
würden, finden: „Politik sollte Eltern unterstützen, die beide gleich viel arbeiten und sich die
Kinderbetreuung gleichermaßen aufteilen.“

99 „10 Jahre Elterngeld – eine wichtige familienpolitische Maßnahme“ (DIW Wochenbericht 49/2016).
100 DIW Wochenbericht 2013.
101 WZB-Studie 2013.
102 IfD Allensbach, Weichenstellungen, 2015.
Seite 65 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

In der 18. Legislaturperiode hat die Familienpolitik vor diesem Hintergrund die partnerschaft­
lichen Lebenswünsche in Deutschland ernst genommen und die Vereinbarkeit für Mütter und
Väter zielgerichtet unterstützt. Dies gilt namentlich für das ElterngeldPlus, das auch einen
früheren Wiedereinstieg in Teilzeit beider Partner fördert und sich mit seinem Partnerschafts­
bonus gezielt an Eltern richtet, die gleichzeitig erwerbstätig sein und sich um ihr Kind küm­
mern möchten.

Die Inanspruchnahme des neuen ElterngeldPlus zeigt dieselbe Beliebtheit wie das Elterngeld
bei seiner Einführung. Im Jahr 2016 gab es von insgesamt 1,64 Millionen Leistungsbeziehen­
den 1,2 Millionen Eltern, für die bereits die neuen Wahlmöglichkeiten des ElterngeldPlus
galten. Vor allem Mütter machten zahlreich von dem neuen Angebot Gebrauch: Jede fünfte
Mutter (20,1 Prozent entschied sich für das ElterngeldPlus. Insgesamt entschieden sich 17,4 Pro­
zent der Beziehenden für die neue Leistung. Spitzenreiter ist hier Thüringen mit 26,9 Prozent
Im ersten Quartal 2017 waren es bereits 25,6 Prozent – in einigen Regionen sogar bis 37 Pro­
zent – der Eltern, die sich für das ElterngeldPlus entschieden.

Väter schätzen vor allem den Partnerschaftsbonus. Bis zu gut 47 Prozent der Väter, die Elterngeld­
Plus beantragen, entscheiden sich zugleich für den Partnerschaftsbonus. Außerdem beziehen Väter,
die ElterngeldPlus in Anspruch nehmen, länger Elterngeld (im Schnitt 8,5 Monate, s.  o.).

Seit der Einführung des ElterngeldPlus hat sich die Zahl der Eltern, die sich für die neue Leis­
tung entschieden haben, fast verdoppelt, bei den Vätern mehr als verdreifacht.

Abbildung 56: Entwicklung der ElterngeldPlus-Anträge


Prozentanteil an allen Anträgen

30
25
20
15
10
5
0
3. Quartal 4. Quartal 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal 1. Quartal
2015 2015 2016 2016 2016 2016 2017

insgesamt Männer Frauen

Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistik zum Elterngeld – Leistungsbezüge. Eigene Darstellung: BMFSFJ.

Inzwischen sieht auch die Bevölkerung die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung für part­
nerschaftliche Aufgabenteilungen: Über 80 Prozent der Bevölkerung befürworten inzwischen
eine staatliche Förderung der Väterbeteiligung. 53 Prozent der Bevölkerung und 61 Prozent der
Eltern mit minderjährigen Kindern finden, dass die Familienpolitik die Voraussetzungen für
die Eltern verbessern sollte, sodass beide Partner gleichermaßen berufstätig sein können.103

103 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, Mai 2016.


Seite 66 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Der Trend zur Partnerschaftlichkeit zeigt sich inzwischen auch bei Müttern und Vätern, die sich
trennen: Sie möchten heute weiter beide und in vielen Fällen gemeinsam für das Kind da sein.

Die Angebote für Familien in Deutschland befinden sich damit wie die Familien selbst in einer
dynamischen Entwicklung. Zu ihnen zählen auch der Ausbau und die verbesserte Qualität der
Kinderbetreuung und Regelungen zum Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, die zu
einer verbreiteten Nutzung der Betreuung für Kinder unter drei Jahren geführt haben; diese ist
ebenfalls für viele zur Normalität geworden. Eine verlässliche Ganztagsbetreuung für Schul­
kinder würde gerade auch Eltern unterstützen, deren Elterngeldkinder nun an die Schule
kommen und die ihre partnerschaftliche Aufgabenteilung fortsetzen wollen.

4.2 Müttererwerbstätigkeit steigt seit Einführung des Elterngelds

Familie und Beruf miteinander zu verbinden ist heute für den Großteil der Mütter selbstver­
ständlich. Mehr als drei Viertel (79 Prozent) der Frauen mit Kindern bis sechs Jahre sagen, die
Berufstätigkeit mache ihnen Spaß/habe ihnen Spaß gemacht und die Berufstätigkeit sei ihnen
wichtig (75 Prozent).104 Das Elterngeld hat bewirkt, dass Mütter heute kürzere Erwerbsunter­
brechungen haben und vor und zwischen den Geburten ihrer Kinder mehr arbeiten. Im Ver­
gleich zu früher kehren zudem deutlich mehr Mütter mit drei und mehr Kindern und Allein­
erziehende mit kleinen Kindern wieder früher auf den Arbeitsmarkt zurück. Damit gehen
langfristig bessere Chancen bei der Lohnentwicklung und der Alterssicherung einher, was vor
allem für diejenigen bedeutsam ist, die wenig verdienen. Insofern wirkt das Elterngeld auch
langfristig gegen Armutsrisiken.

Zwischen 2006 und 2015 stieg die Erwerbstätigenquote der Mütter von 60 Prozent auf 67 Pro­
zent.105 Besonders ausgeprägt ist die Zunahme bei Müttern mit Kindern zwischen einem und
zwei Jahren sowie zwei und drei Jahren (Abbildung 57). Hier lag die Erwerbstätigenquote 2015
bei 43 bzw. 58 Prozent; 2006 betrug die Quote noch 32 bzw. 41 Prozent. Außerdem die Zunah­
me der Erwerbstätigkeit dieser Mütter vor allem auf einen Anstieg von Tätigkeiten im mittle­
ren und hohen Teilzeitumfang zwischen 20 und 36 Wochenstunden zurückzuführen; auch der
Anteil an Müttern in Vollzeitbeschäftigung ist etwas gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der
Mütter von Kindern zwischen einem und zwei Jahren, die bis zu 20 Stunden pro Woche arbei­
ten, von 2006 bis 2015 von 14 auf 11 Prozent zurückgegangen.

104 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, Mai 2016.


105 Berechnung Prognos AG auf Basis der Mikrozensus-Sonderauswertung f203_006.
Seite 67 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Abbildung 57: Entwicklung der ausgeübten Erwerbstätigkeit von Müttern zwischen 2006 und 2015 nach wöchentlichem
Erwerbsumfang und Alter des jüngsten Kindes bis unter drei Jahren, in Prozent

70 %

60 % (57) (58)
(54) (54) (55)
(51)
50 % (49) 12 12
12
(46) 12 12
(44) 11
(42) (42) (43)
(40) (41) (41) (41) 11
40 % (38) 9
10
(36) 10 13 13
10 9 10 10 9 10 12 12
(32) (32) 11 9
9 8 8
8 7
30 % 7 7 6
8 8 9 9 10
6 6 7
4 4 9 9 10 12 13 14 14 15 15 16
20 % 6 7 9 9 10 11 10 12
(14) 7 11
(13) 5 6 5 5 6 5
(12) (12) (12) 4 6 6 5 6
4 (10) (10) (10) 4 4 4 4 4
3 (9) (8) 4 4
10 % 1
2 2 4 5 4
3 3 3
4 3
2 1
2
1 2 12 22 1 1 1 3
1
3
1 10 11 11 10 10 10 9
12 13 13 12 12 12 11 10 11 10
1 1 1 2 2 2 8 8 8
6 4 4 3 3 1 1 1 1 1
3 3 3 2 2
0%
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015

2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Mütter mit jüngstem Kind Mütter mit jüngstem Kind Mütter mit jüngstem Kind
unter einem Jahr zwischen einem und unter zwei zwischen zwei und unter drei
Jahren Jahren
geringfügig Kleine Teilzeit Teilzeit Große Teilzeit/vollzeitnah
(< 15 Stunden) (15–20 Stunden) (20–28 Stunden) (28–36 Stunden)

Vollzeit ( ) erwerbstätige Mütter


(> 36 Stunden) gesamt

Quelle: Mikrozensus-Sonderauswertung f203_006, Berechnung Prognos AG. Bei dem Erwerbsvolumen sind die norma-
lerweise in einer Woche geleisteten Stunden einschließlich regelmäßig geleisteter Überstunden berücksichtigt.
Abweichungen zwischen Erwerbstätigenquoten und der Summe der Angaben zu den Erwerbsumfängen sind
rundungsbedingt.

Erwerbstätige Mütter arbeiten im Durchschnitt in Deutschland mit 26 Wochenstunden. Dabei


gibt es deutliche Ost-West-Unterschiede: In Westdeutschland arbeiten Mütter im Durchschnitt
24,5 Wochenstunden, in Ostdeutschland im Durchschnitt 32,5 Wochenstunden.106 Auch die
anderen bekannten Verteilungen bleiben gültig: Höher qualifizierte Mütter und auch Mütter
aus Ostdeutschland sind häufiger erwerbstätig; die Anzahl und das Alter der Kinder hängen
nach wie vor mit der Wahrscheinlichkeit der Erwerbsaufnahme von Müttern zusammen.
Zugleich sind immer mehr Mütter mit kleinen Kindern und auch mit drei und mehr Kindern
sowie alleinerziehende Mütter erwerbstätig. Fast 30 Prozent der erwerbstätigen Mütter würden
gerne sogar noch mehr arbeiten, als sie es tatsächlich tun.107

4.3 Erwerbstätigkeit alleinerziehender Mütter

Der Anteil der erwerbstätigen Alleinerziehenden steigt – genau wie bei Müttern in Paarhaus­
halten – mit dem Alter des jüngsten Kindes: Von den alleinerziehenden Müttern mit jüngstem
Kind im Alter von zwei bis unter drei Jahren geben etwa 44 Prozent an, dass sie derzeit einer
Erwerbstätigkeit nachgehen. Ab dem Kindergartenalter von drei Jahren sind mehr als die

106 Quelle: Mikrozensus-Sonderauswertung f203_006. Berechnung: Prognos AG.


107 Destatis (2015): Zeitverwendungserhebung 2012/2013.
Seite 68 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Hälfte der Alleinerziehenden erwerbstätig. Schließlich sind mehr als 71 Prozent der Allein-
erziehenden mit Kindern im Schulalter (sechs Jahre und älter) erwerbstätig (Abbildung 58).

Abbildung 58: Erwerbstätigenquoten (ausgeübte Erwerbstätigkeit) von Müttern nach Familienform und Alter des jüngsten
Kindes, 2015, in Prozent

90 %
81 % 82 % 81 %
79 % 80 % 80 %
80 % 76 % 77 % 77 %
73 %
71 %
70 % 68 % 68 % 67 %
65 %
Erwerbstätigenquote (%)

60 % 59 %
60 %

50 % 44 % 44 %

40 % 34 %

30 %

20 %
9%
10 % 6%

0%
<1 Jahr 1–2 2–3 3–4 4–6 6–8 8–10 10–12 12–15 15–18 Mütter
insgesamt
Mütter mit jüngstem Kind im Alter von ... bis unter ... Jahren

Alleinerziehend Mütter aus Paarfamilien

Quelle: Mikrozensus-Sonderauswertung f203_006. Berechnung: Prognos AG. Bei dem Erwerbsvolumen sind die normaler-
weise in einer Woche geleisteten Stunden einschließlich regelmäßig geleisteter Überstunden berücksichtigt.

Dabei ist von den erwerbstätigen alleinerziehenden Müttern mit minderjährigen Kindern ein
Drittel in Vollzeit (über 36 Stunden) erwerbstätig und 29 Prozent in großer Teilzeit oder voll­
zeitnah mit 28 bis 36 Stunden. 28 Prozent arbeiten zwischen 15 und unter 28 Stunden und
10 Prozent geringfügig mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von unter 15 Stunden.

Der Wunsch nach Erwerbsarbeit ist bei den Alleinerziehenden insgesamt größer als bei Müttern
in Paarhaushalten108 und größer als die tatsächliche Erwerbstätigkeit. Ein Viertel der nicht
erwerbstätigen alleinerziehenden Mütter mit minderjährigen Kindern war 2015 auf der Suche
nach einer Stelle, während es bei den Müttern aus Paarfamilien nur 9 Prozent waren.109 Dabei
war die Hälfte der Alleinerziehenden eher oder ausschließlich auf der Suche nach einer Vollzeit­
stelle.110 Im Vergleich zu Müttern aus Paarfamilien streben Alleinerziehende überdurchschnitt­
lich häufig eine Vollzeiterwerbstätigkeit an. Mit dieser wollen sie berufliche Nachteile vermeiden,
da sie allein für das Familieneinkommen aufkommen müssen. So gibt von den erwerbstätigen
Alleinerziehenden jede fünfte an, ihre normale Wochenarbeitszeit mit entsprechend höherem
Verdienst erhöhen zu wollen, bei den Müttern aus Paarfamilien sind es nur halb so viele.111

Unabhängig von den Wünschen und Interessen der alleinerziehenden Mütter schätzt die
Mehrzahl es nach wie vor als schwierig ein, eine geeignete Stelle zu finden. Gründe dafür
liegen eher in der Inkompatibilität mit diversen Familienaufgaben (auch wenn die Kinder

108 Sinus Sociovision (2013): Alleinerziehende in Deutschland: Fakten über einen Familienstand, unveröffentlichte
Studie 2013, im Auftrag des BMFSFJ.
109 Mikrozensus-Sonderauswertung s16199. Berechnung: Prognos AG.
110 Ebd.
111 Ebd.
Seite 69 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

schon im Schulalter sind), nicht unbedingt in der Verfügbarkeit von Stellen. Insbesondere die
Diskrepanz zwischen dem Wunsch und der Notwendigkeit nach Erwerbstätigkeit – heute oft
verbunden mit gesellschaftlich erwarteter Flexibilität und Mobilität (z. B. Anforderungen
seitens der Arbeitgeber) und gleichzeitig als unflexibel empfundenen Infrastrukturen (z. B.
Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen) wird als zentrales Problem wahrgenom­
men. Die als schwierig eingeschätzten Jobaussichten gehen einher mit einer generellen ökono­
mischen Unsicherheit in der Lebenssituation.112

4.4 Väter wollen (mehr) Zeit mit der Familie verbringen

Der Konzeption des Elterngeldes ist es zu verdanken, dass es heute mehr aktive Väter gibt. Immer
mehr Väter reduzieren für einen befristeten Zeitraum ihre Arbeitsstunden oder steigen eine Zeit
lang ganz aus der Erwerbstätigkeit aus, um Zeit für ihr Kind und für die Familie zu haben. Bereits
ein Jahr nach der Einführung des Elterngeldes machte jeder fünfte anspruchsberechtigte Vater
(21 Prozent) davon Gebrauch; danach stieg die Zahl kontinuierlich an und lag 2014 im Bundes­
durchschnitt bei über 34 Prozent (Abbildung 59). Seitdem ist die Zahl weiterhin gestiegen und
liegt im zweiten Quartal 2015 bei 35,7 Prozent.113

Abbildung 59: Entwicklung der Väterbeteiligung* beim Elterngeld, 2008–2014, in Prozent

40 %

35 % 34,2 %
32,0 %
29,3 %
30 % 27,3 %
25,3 %
25 % 23,6 %
20,8 %
20 %

15 %

10 %

5% 3,5 %

0%
2006** 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

* Anteil der geborenen Kinder, deren Väter Elterngeld bezogen haben, nach Geburtszeitraum des Kindes.

** Männeranteil Leistungsbezieher.

Datenbasis: Statistisches Bundesamt (2009–2016): Statistiken zum Elterngeld. Beendete Leistungsbezüge.

Väter, die Elterngeld nutzen, verbringen nachweislich mehr Zeit mit ihren Kindern und entwi­
ckeln eine intensive Beziehung zu ihrem Kind. Letzteres trifft auf nahezu alle Väter zu, die das
Elterngeld mindestens drei Monate in Anspruch genommen haben. Die Effekte von Elternzei­
ten der Väter erweisen sich als nachhaltig und wirken auch nach dem Ende der Elternzeit fort:
Väter, die nach einer Elternzeit wieder in den Beruf zurückkehren, verbringen im Durch­
schnitt eine Stunde mehr pro Tag mit ihren Kindern als vor der Elternzeit und teilen sich

112 Sinus Sociovision (2013): Alleinerziehende in Deutschland: Fakten über einen Familienstand, unveröffentlichte
Studie 2013, im Auftrag des BMFSFJ.
113 Statistisches Bundesamt: Väterbeteiligung beim Elterngeld steigt weiter an. Pressemitteilung Nr. 054 vom
15.02.2017.
Seite 70 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

– noch Jahre später – auch die Familienarbeit mit ihrer Partnerin gleichmäßiger auf. Väter in
Elternzeit unterstützen zudem nachweislich den beruflichen Wiedereinstieg ihrer Partnerin­
nen: So haben Mütter, deren Partner in Elternzeit sind, eine doppelt so hohe Erwerbsquote wie
Mütter, deren Partner (gerade) nicht in Elternzeit sind.114

Ein stärkerer Wunsch der Väter nach Übernahme von Kinderbetreuungs- und Familienaufga­
ben hat sich zu einem gesamtgesellschaftlichen Trend entwickelt. Deutlich über 50 Prozent der
Väter würden sich wünschen, die Hälfte bzw. mehr als die Hälfte der Kinderbetreuungsaufga­
ben zu übernehmen (Abbildung 60). Zudem wünschen sich 79 Prozent der Väter mehr Zeit für
die Familie; viele möchten dafür beruflich etwas kürzertreten. Mehr als die Hälfte der Väter
würde gerne weniger Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen.115

Abbildung 60: Väterwünsche zur Aufteilung der Kinderbetreuung

Der Vater übernimmt...


60 %
52 %
50 %
40 %
28 %
30 %
20 %
12 %
10 % 6%
1%
0%
mehr als die die Hälfte etwas weniger einen kleinen kaum
Hälfte als die Hälfte Teil etwas/nichts

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach (2015).

In einer Befragung aller Väter mit minderjährigen Kindern sagte etwa ein Drittel, sie wollten
gerne in Teilzeit arbeiten.116 Sogar wenn man Väter bittet, in Rechnung zu stellen, dass sich bei
einer Veränderung der Arbeitszeiten auch das Einkommen entsprechend ändern würde, will
noch knapp jeder fünfte Vater mit Kindern im Vorschulalter gerne seine Arbeitszeit verrin­
gern. Dies betrifft vor allem Paare, in denen der Vater in Vollzeit arbeitet und auch die Mutter
erwerbstätig ist.117 Väter, die in Vollzeit arbeiten, haben in Deutschland vergleichsweise lange
Wochenarbeitszeiten (vgl. OECD 2016) und wollen vor allem Überstunden reduzieren. 2016
sagten 46 Prozent der jungen Väter – und damit bereits doppelt so viele wie 2015 –, sie würden
gerne bis zu 20 Prozent ihrer Arbeitszeit reduzieren (vgl. BMFSFJ 2016: 2. Väter-Barometer).

Die Bevölkerung beurteilt die Entwicklungen zur Übernahme von mehr Familienverantwor­
tung durch Väter klar positiv: 82 Prozent der über 16-Jährigen in Deutschland finden es gut,
dass immer mehr Väter mithilfe der Partnermonate beim Elterngeld ihre Berufstätigkeit zur
Kinderbetreuung unterbrechen oder reduzieren. Nur 8 Prozent begrüßen diese Entwicklung

114 Vgl.BMFSFJ (2016): Väterreport 2016.


115 Väterreport 2016.
116 Forsa (2013): Meinungen und Einstellungen der Väter in Deutschland, Berlin.
117 DIW (2014): Ausgewählte Auswertungen zum Thema: Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Paaren mit nicht
schulpflichtigen Kindern – unter spezifischer Berücksichtigung der Erwerbskonstellationen beider Partner,
Berlin, S. 56 f.
Seite 71 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

nicht. Von den Eltern mit minderjährigen Kindern begrüßen sogar 89 Prozent die Entwick­
lung, Mütter fast ausnahmslos (97 Prozent), Väter zu 79 Prozent. Im Jahr 2016 war nur 1 Pro­
zent der zwischen 1973 und 1992 geborenen Personen der Meinung, dass Väter keine Elternzeit
nehmen sollten. Dies spricht dafür, dass inzwischen eine gesellschaftliche Norm für Väter
entstanden ist, Elternzeit zu nehmen.

4.5 Kinder möchten Zeit mit beiden Elternteilen verbringen

Kinder profitieren von der Zuwendung beider Eltern; diese stärkt die Bindungen und den
Zusammenhalt in den Familien. Nachgewiesen ist auch, dass es sich positiv auf die Entwick­
lung von Kindern auswirkt, wenn Väter sich aktiv an Pflege­und Erziehungstätigkeiten beteili­
gen und wenn es ein intensives Vater-­K ind­-Verhältnis gibt. Die positiven Effekte umfassen
beispielsweise die Entwicklung des Intellekts, des Gedächtnisses, von Problemlösungsstrategi­
en ebenso wie sprachliche Entwicklung, Schulleistungen oder Empathiefähigkeit.

Analog zu Erkenntnissen über die Zeitverwendung und -wünsche von Müttern und Vätern
zeigen Untersuchungen, dass Schulkinder unterschiedlich viel Zeit mit ihren Müttern und
Vätern zur Verfügung haben und sie sich dies vielfach anders wünschen:118 Während zwei
Drittel der Kinder sich zufrieden mit der Zeit zeigen, die ihre Mütter mit ihnen verbringen
(64 Prozent), meint dies in Bezug auf den Vater nur ein Drittel der Kinder (34 Prozent). Einen
dauerhaften Mangel in der zeitlichen Zuwendung in Bezug auf die Vater-Kind-Zeiten stellen
16 Prozent der Kinder fest, in Bezug auf die Mütter gilt dies nur für 6 Prozent. Entsprechend
zeigt sich, dass die Kinder sich gerade für ihre Väter häufiger kürzere Arbeitszeiten wünschen
als für ihre Mütter.119

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse hat sich eine aktuelle Studie von SowiTra
im Auftrag des Bundesfamilienministeriums speziell der Frage angenommen, wie Kinder es
erleben, wenn beide Elternteile vollzeitnah erwerbstätig sind und gleich oder ähnlich viel Zeit
für die Familie haben.120 Die Studie zeigt, dass Kinder es als gerecht empfinden, wenn die
Eltern erwerbstätig sind und dabei ähnlich viel arbeiten. Diesem Empfinden der Kinder ent­
spricht auch, dass beide Eltern die Familienaufgaben und die Zeit mit ihnen hälftig aufteilen.
Die Mehrheit der Kinder ist mit der aktuellen Arbeitskonstellation der Eltern zufrieden und
wünscht sich dies auch für sich selbst in ferner Zukunft. Sie profitieren davon, Mütter und
Väter für ihre Aktivitäten jeweils nach Vorliegen auswählen zu können, und erleben ihre
Eltern als gleichwertige Bezugs- und Ansprechpersonen mit weniger festen Rollenzuschrei­
bungen.

Außerdem bringt die partnerschaftliche Arbeitskonstellation Vorteile für die Gestaltung der
Eltern-Kind-Zeiten. Eine Verkürzung der Arbeitszeitdauer um 10 oder 20 Prozent einer Vollzeit­
stelle bedeutet für die Schulkinder bereits einen großen Unterschied: Es sind ein bis zwei Stun­

118 Vgl. Andresen/Hurrelmann (2013); Hurrelmann et al. (2014); Prokids (2011).


119 Prokids (2011).
120 BMFSFJ (2017): Partnerschaftliche Arbeitszeiten aus Kinder- und Elternsicht. Monitor Familienforschung,
Ausgabe 37. Im Rahmen dieser explorativen Studie wurden qualitative Interviews mit 56 Eltern und 43 Kindern
durchgeführt.
Seite 72 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

den, die zumindest ein Elternteil nachmittags früher nach Hause kommt. Selbst wenn immer
nur ein Elternteil nachmittags früher zur Verfügung steht, ist dies für die Kinder ein bedeutsa­
mer Zugewinn an Eltern-Kind-Zeiten zu einem passenden Zeitpunkt im Tagesverlauf. Das macht
institutionelle Betreuung oder Vereinsaktivitäten am Nachmittag nicht etwa überflüssig.

Die Kinder wünschen sich, dass ihre Mütter und Väter Anteil an ihren Nachmittagsaktivitäten
haben. Die verkürzte Vollzeit trägt dazu bei, dass sie am Nachmittag noch ausreichend Zeit mit
ihren Eltern haben und diese bereits etwas entspannter und erholter sind, wenn die Eltern-
Kind-Zeiten beginnen. Für die große Mehrheit der Kinder sind somit beide Elternteile gleicher­
maßen Bezugspersonen.

Für die Kinder und ihren Familienalltag ist nicht nur die Arbeitszeitdauer ihrer Eltern rele­
vant, sondern auch die Qualität der konkreten Arbeitszeiten muss stimmen, sodass verlässliche
und qualitativ hochwertige Familienzeiten möglich sind. Einige Kinder formulieren noch
Veränderungswünsche hinsichtlich der Länge der Arbeitszeiten, vor allem dann, wenn ein
Elternteil (meist der Vater) zu lange Vollzeitarbeitszeiten oder unzuverlässige Arbeitszeiten an
einigen Tagen hat. Gerade Kinder, deren Väter aktuell noch etwas länger als die Mütter arbei­
ten, formulieren den Wunsch nach einer Angleichung der väterlichen Arbeitszeiten „nach
unten“, an die kürzeren Arbeitszeiten der Mütter.

4.6 Partnerschaftlich erziehen nach Trennung und Scheidung

Bisher war die empirische Erfassung von Wünschen und Bedürfnissen getrennt lebender
Elternteile aufgrund der unzureichenden Datenlage kaum möglich. Vor diesem Hintergrund
hat das Bundesfamilienministerium eine umfangreiche repräsentative Befragung beim Insti­
tut für Demoskopie Allensbach beauftragt, die erstmals Erkenntnisse über Wünsche und
Bedarfe von Eltern im Falle einer Trennung, aber auch die Sichtweise der Bevölkerung auf
Trennungseltern erhebt.121

Hiernach erziehen bereits heute 15 Prozent der Trennungseltern gemeinsam, wobei der Vater
wie die Mutter große Teile der Betreuung der Kinder übernehmen. Unter diesen Eltern haben
93 Prozent eher gute bis sehr gute Erfahrungen mit ihrem Betreuungsmodell gemacht. Insge­
samt wünschen sich 51 Prozent der Trennungseltern, dass die Kinder die Hälfte der Zeit bezie­
hungsweise annähernd gleichmäßig von beiden Elternteilen betreut werden. Die Bevölkerung
ist zu mehr als drei Vierteln der Auffassung, es sei am besten, wenn das Kind auch nach einer
Trennung von beiden Eltern betreut wird (77 Prozent).

Dabei geben viele Väter an, einen größeren Anteil an der Kinderbetreuung gegenüber der aktuel­
len Aufteilung übernehmen zu wollen; zugleich würden viele Mütter mehr Betreuungsaufgaben
den Vätern überlassen (Abbildung 61). Konkret fänden 48 Prozent der Trennungsväter eine Ver­
größerung ihres Anteils an der Betreuung und Versorgung der Kinder ideal; 42 Prozent der
Trennungsmütter würden sich hingegen eine Verringerung des eigenen Anteils wünschen.

121 BMFSFJ (2017): Getrennt lebende Eltern wollen gemeinsam erziehen. Aktuelle Meldung, Zukunftsgespräch vom
11.07.2017.
Seite 73 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Abbildung 61: Wünsche der Trennungseltern zur Betreuung von Kindern

Wünsche zur Betreuung: Viele Väter würden gerne mehr übernehmen,


viele Mütter gern mehr den Vätern überlassen

Was die Verwirklichung der Idealvorstellung bei der Betreuung


gegenüber der aktuellen Aufteilung bedeuten würde

Bei Verwirklichung der


Idealvorstellung ergäbe sich Trennungseltern

Insgesamt Väter Mütter


6%
ein größerer Anteil
24 %
an der Betreuung
48 %
52 %

ein unveränderter 47 %
Anteil

41 %
42 %
ein kleinerer Anteil 29 %
11 %

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Eltern mit minderjährigen Kindern aus früheren Partnerschaften; konkrete
Angaben zur realen und idealen Betreuungssituation.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 7255 (2017).

Wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen spielen für das gemeinsame Erziehen


eine wichtige Rolle. Elterngeld(Plus) und Partnerschaftsbonus stehen auch getrennt lebenden
Elternteilen zur Verfügung. Dennoch finden 64 Prozent aller Trennungseltern, dass der Staat
getrennt lebende Eltern mehr unterstützen sollte; das wünschen sich zu besonders großen
Anteilen die Mütter, deutlich mehr noch als die Väter (76 gegenüber 58 Prozent). Nur 17 Pro­
zent finden die staatliche Unterstützung für getrennt lebende Eltern ausreichend, 19 Prozent
bleiben unentschieden.

Diejenigen, die sich mehr staatliche Unterstützung wünschen, denken dabei vor allem an
mehr finanzielle Unterstützung (68 Prozent) und an eine stärkere steuerliche Berücksichti­
gung von Kosten, die getrennt Erziehenden entstehen (60 Prozent). Aber auch psychologische
Beratung und Unterstützung für Trennungskinder (41 Prozent) und Beratung der Eltern, wie
man die Trennungssituation am einfachsten für das Kind macht (40 Prozent), wären für viele
attraktiv (Abbildung 62). Gerade Väter wünschen sich häufig auch, dass ihr Betreuungsanteil
im Unterhaltsrecht Berücksichtigung findet.
Seite 74 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Abbildung 62: Gewünschte Unterstützung von Trennungseltern

Welche Unterstützung benötigt würde


Trennungseltern, die sich mehr Unterstützung wünschen

Diese Unterstützung fände ich wichtig:

Finanzielle Unterstützung 68 %

Steuerliche Berücksichtigung von Kosten,


60 %
die getrennt Erziehenden entstehen
Psychologische Beratung und Unterstützung speziell
41 %
für Trennungskinder
Beratung, wie man die Trennungssituation
am einfachsten für das Kind macht 40 %

Bevorzugung bei der Vergabe von Betreuungsplätzen 40 %

Rechtliche Beratung 35 %

Beratung, wie man auch als getrenntes Paar das Kind


27 %
gemeinsam erziehen kann
Bessere rechtliche Bedingungen für getrennt erziehende Eltern,
25 %
z. B. dass das Kind bei beiden Eltern seinen Erstwohnsitz haben
Unterhaltsminderung für unterhaltspflichtige Elternteile, wenn sie
20 %
sich zu beträchtlichen Teilen an der Kinderbetreuung beteiligen

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Eltern mit minderjährigen Kindern aus früheren Partnerschaften; konkrete
Angaben zur realen und idealen Betreuungssituation.

Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 7255 (2017).

Auffällig ist auch, dass mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Trennungseltern der Auffassung ist,
der Staat erkenne ihre Lebenssituation und das, was sie leisten, zu wenig an. Für Familienleis­
tungen der Zukunft wird es wichtig bleiben, die Lebenswirklichkeiten dieser Familien im Blick
zu behalten und die gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für gelebte
Partnerschaft auch nach der Trennung weiter auszubauen.

4.7 Vom ElterngeldPlus zur Familienarbeitszeit mit Familiengeld

Partnerschaftliche Arbeitszeitkonstellationen mit vollzeitnaher Erwerbstätigkeit beider Part­


ner, wie sie sich viele junge Eltern wünschen, unterstützen eine gleichmäßige Zeitverteilung
für Familie. Das befördert eine enge Bindung der Kinder an beide Elternteile und unterstützt
zugleich die finanzielle Absicherung beider Elternteile, insbesondere der Mütter. Mit ihren
durchschnittlich 25 Wochenstunden Erwerbstätigkeit gelingt es derzeit nur 28 Prozent der
Mütter mit Kindern zwischen einem und vier Jahren, ein Einkommen oberhalb des Grundsi­
cherungsniveaus zu erwirtschaften – jedoch 83 Prozent der Väter mit Kindern im selben Alter.
Eine Reduzierung der Arbeitszeit durch den Vater kommt für viele Familien nicht infrage, weil
dann nicht genug Einkommen verdient wird.122

122 IfD Allensbach (2015): Weichenstellungen.


Seite 75 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Hier setzt die Idee einer Familienarbeitszeit mit einem Familiengeld an. Um Eltern jüngerer
Kinder darin zu unterstützen, die Zeit untereinander so aufzuteilen, dass beide Eltern gleich
viel Zuwendungszeit für das Kind haben, ihre Chancen im Beruf ergreifen und ihre Existenzen
auf Dauer sichern können – wie sie es sich wünschen, ist eine Familienarbeitszeit mit einem
Familiengeld in Planung – auch für Allein- und getrennt Erziehende. Sie soll Eltern darin
bestärken, dass Mütter und Väter Beruf und Familie gleichermaßen leben können – wie sie es
sich wünschen, Einkommensperspektiven, Armuts- und Altersvorsorge für Mütter verbessern
und Familien die notwendige Zeit geben, die sie füreinander brauchen.

Das vom Bundesfamilienministerium 2016 vorgestellte Konzept einer Familienarbeitszeit mit


einem Familiengeld für Kinder ist bereits beliebt: Gerade bei der Zielgruppe – Eltern mit Kin­
dern unter acht Jahren – ist die Zustimmung überdurchschnittlich groß: Hier stufen es 63 Pro­
zent als gute Sache ein, von den Müttern 71 Prozent. Die stärkste Zustimmung kommt von den
Eltern von morgen: Unter den Kinderlosen mit Kinderwunsch bewerten 75 Prozent das Fami­
liengeld als gute Sache.123

4.8 Partnerschaftlichkeit im internationalen Vergleich

Die internationale Perspektive zeigt: Die Lage der Familien, ihre Probleme, Herausforderungen
und Wünsche sind in vielen Ländern sehr ähnlich. Partnerschaftlichkeit ist in vielen Ländern
ein zentraler gesellschaftlicher Trend. In ihrem Bericht „Dare to Share – Deutschlands Weg zur
Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf“ stellt die Organisation für wirtschaftliche Zusam­
menarbeit und Entwicklung (OECD) die Bedingungen einer guten Vereinbarkeit von Beruf und
Familie und die tatsächliche Aufgabenteilung von Eltern in einen internationalen Vergleich.124

Die Studie zeigt, dass sich ein wachsender Teil der Bevölkerung in vielen Ländern wünscht,
dass Mütter und Väter Beruf und Familienleben partnerschaftlicher aufteilen. Das zeigt sich
u. a. darin, dass das klassische Alleinverdiener-Modell in der Bevölkerung immer mehr an
Zustimmung verloren hat: Wie in Deutschland ist auch in Ländern wie Schweden, Finnland,
Frankreich, Spanien oder Österreich der Anteil der Personen deutlich zurückgegangen, die
denken, dass Mütter nicht arbeiten sollten (Abbildung 63). In Finnland, Frankreich oder Schwe­
den finden heute nur noch maximal 2 Prozent, dass Mütter von Schulkindern nicht erwerbstä­
tig sein sollten. Ähnlich gering ist der Anteil in Ostdeutschland, in Westdeutschland sind es
noch knapp 6 Prozent.125

123 A llensbach, August 2016.


124 OECD (2017): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf, OECD Publi­
shing, Paris.
125 OECD (2017): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf, OECD Publi­
shing, Paris, S. 64.
Seite 76 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Abbildung 63: Einstellungen zur Berufstätigkeit von Müttern im internationalen Vergleich

Verteilung der Antworten auf die Frage „Sind Sie der Meinung, dass Frauen ganztags, halbtags oder
überhaupt nicht außer Haus arbeiten sollten, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht?“
100 %

80 %

60 %

40 %

20 %

0%
2002
2012

2002
2012

2002
2012

2002
2012

2002
2012

2002
2012

2002
2012

2012

2002
2012

2002
2012
Deutschland Schweden Finnland Deutschland Frankreich Spanien USA Korea Österreich Japan
(Ost) (West)

Überhaupt nicht arbeiten Halbtags arbeiten Ganztags arbeiten Kann ich nicht sagen

Keine Antwort

Quelle: OECD (2017).

Gleichzeitig wünschen sich Eltern in vielen europäischen Ländern, dass ihre Partner weniger
arbeiten und mehr Zeit mit der Familie verbringen. Dabei zeigt sich, dass sich insbesondere
Mütter aus Deutschland eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeiten ihrer Partner um fast
sechs Stunden pro Woche wünschen. Aber auch Mütter aus den Niederlanden, Frankreich,
Schweden oder Finnland wünschen sich, dass ihre Partner die Arbeitszeiten durchschnittlich
um vier Stunden oder mehr reduzieren.126

Insgesamt bescheinigt die OECD-Studie Deutschland große Fortschritte bei der Unterstützung
erwerbstätiger Eltern und eine vorbildliche Rolle bei der Förderung einer partnerschaftlichen
Aufgabenteilung zwischen Müttern und Vätern. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuungsinfra­
struktur und den Partnermonaten sowie der Partnerkomponente im ElterngeldPlus sind
wichtige Weichen für mehr Partnerschaftlichkeit gestellt. Die öffentlichen Ausgaben für klei­
ne Kinder haben sich dem schwedischen Niveau angenähert. Insbesondere für Kinder unter
drei Jahren stehen deutlich mehr außerfamiliäre Betreuungsangebote zur Verfügung. Bezahl­
bare frühe Kinderbetreuung und adäquate außerschulische Betreuungsangebote sind wichtig
für erwerbstätige Eltern. Es ist effizient, Bildung und Betreuung kontinuierlich durch öffentli­
che Mittel zu fördern. Insbesondere Investitionen in frühe Bildung weisen hohe Renditen auf.
Auf diese Weise lassen sich soziale Folgekosten vermeiden.

126 OECD (2017): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf, OECD Publi­
shing, Paris, S. 63.
Seite 77 Kapitel 4 Inhalt zurück weiter

Die exklusiv für Väter reservierten Zeiten bei Elterngeld und Elternzeit ermutigen junge
Eltern, sich die Aufgaben (weiterhin) partnerschaftlich zu teilen. Die Reformen des Elterngelds
2007 und ElterngeldPlus im Jahr 2014 standen im Einklang mit international bewährten Prak­
tiken („best practice“) und stellten einen bedeutenden Schritt in Richtung einer ausgewogene­
ren Aufteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern dar.
Von einer Familienarbeitszeit können positive Effekte für Mütter und Väter ausgehen. Die
OECD geht bei der Familienarbeitszeit von einem Nutzerpotenzial von 1,7 Millionen Personen
(oder 4,3 Prozent aller Erwerbstätigen) aus. Auswirkungen auf das Arbeitsangebot seien ver­
nachlässigbar.

Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeiten aufteilen, hängt auch davon ab, welche Rah­
menbedingungen sie bei den Arbeitgebern vorfinden. Der internationale Vergleich zeigt, dass
Unternehmen in Deutschland zu großen Teilen familienfreundliche Ansätze etabliert haben.
Deutschland zählt neben Dänemark, Finnland, Österreich und Schweden zu den fünf Ländern,
in denen die meisten Unternehmen flexible Arbeitszeitregelungen anbieten. Über 90 Prozent
bieten den Ergebnissen der OECD zufolge Gleitzeit und/oder Arbeitszeitkonten an.127

127 OECD (2017): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf, OECD Publi­
shing, Paris, S. 118.
Seite 78 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

V.
NEUE Vereinbarkeit – Familienfreund­
lichkeit in der Unternehmenskultur

5.1 Hintergrund

Beim Thema Vereinbarkeit geht es heute um mehr, als dass Mütter ihren Beruf mit der Betreu­
ung eines Kindes unter einen Hut bringen. Vor dem Hintergrund zunehmend heterogener
Lebensentwürfe, dem Wertewandel bei der jüngeren Generation und dem gleichzeitigen Fach­
kräftebedarf in der Wirtschaft sind in­novative Modelle für alle notwendig, die zur vielfältigen
Lebensrealität von Familien gehören: Frauen und Männer als Eltern, Alleinerziehende,
getrennt Le­bende oder Pflegende. Eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung ist der
Schlüssel für eine zukunftsgerichtete Familien- und Arbeitsmarktpolitik, die zur Fachkräftesi­
cherung beiträgt. Diese NEUE Vereinbarkeit zielt auf die Modernisie­r ung der Arbeitskultur hin
zu einer familienbewussten Arbeitszeitgestaltung für Frauen und Männer in verschiedenen
Lebensphasen, die Be­schäftigten mehr Optionen bei der Arbeits- und Lebensgestaltung gibt
und eine partnerschaftliche Aufgabenteilung ermöglicht. Dabei kommt es darauf an, die
Wünsche der Beschäftigten mit den betrieblichen Erfordernissen in Einklang zu bringen.

Auf die neuen Herausforderungen haben Politik, Wirtschaft und Gesell­schaft reagiert und erste
wichtige Weichen gestellt. Mit der gemeinsamen Erarbeitung des Memorandums „Familie und
Arbeitswelt – die NEUE Vereinbarkeit“ gelang im Herbst 2015 ein Qualitätssprung in der Verein­
barkeitsdebatte. Betont wird das gleichwertige Nebeneinander von beruflichen und familiären
Aufgaben. Das Bundesfamilienministerium verständigte sich mit BDA, DIHK und ZDH und
dem DGB auf zehn Leitsätze für eine NEUE Vereinbarkeit: Dabei steht die Modernisierung der
Arbeitskultur hin zu einer familienbewussten Arbeitszeitgestaltung im Fokus. In vielfältigen
Projekten haben seither alle Partner dazu beigetragen, eine familienfreundliche Unterneh­
mens- und Führungskultur zum vielerorts festen Bestandteil der Personalpolitik zu machen.

5.2 Unternehmensprogramm/ Wettbewerb

Bereits seit 2006 setzt sich das Bundesfamilienministerium gemeinsam mit den Spitzenver­
bänden der deutschen Wirtschaft (BDA, DIHK, ZDH) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund
(DGB) im Rahmen des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor Familie“ für eine familien­
freundliche Arbeitswelt ein. In einem nachhaltigen und systematischen Prozess machen die
Partner seither die positiven Effekte einer familienfreundlichen Personalpolitik für Unterneh­
men und Beschäftigte in vielfältigen Projekten und Aktivitäten erfolgreich zum Thema.
Seite 79 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Im Rahmen des Programms werden Unternehmen Best­Practice­Beispiele, Kosten­Nutzen-Auf­


stellungen sowie praxisorientierte Leitfäden zu personalpolitischen Themen wie Wiedereinstieg
nach der Elternzeit, Umsetzung flexibler Arbeitszeitmodelle oder Vereinbarkeit von Beruf und
Pflege zur Verfügung gestellt. Mit zahlreichen Fachveranstaltungen und Publikationen in
Kooperation mit den Partnern wurden die ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteile einer
familienbewussten Unternehmenskultur im öffentlichen Bewusstsein verankert. Das Pro­
gramm hat nachweislich einen Beitrag dazu geleistet, dass Familienfreundlichkeit heute in der
deutschen Wirtschaft als strategisch wichtiges personalpolitisches Thema bewertet wird.

Mit dem ersten „Wirtschaftstag Familie“ wurde am 28.06.2016 ein weiterer Meilenstein der
Zusammenarbeit erreicht. Mit rund 400 Gästen aus Unternehmen, Politik, Gewerkschaften
und Verbänden wurde ein gemeinsamer Blick auf Fortschritte und Handlungsfelder der
Zukunft geworfen und innovative Lösungen diskutiert: eine väterfreundliche Personalpolitik,
Vereinbarkeitschancen in der digitalen Arbeitswelt und Kooperationsmodelle von Unterneh­
men mit Partnerinnen und Partnern vor Ort.

Als herausragende Praxisbeispiele NEUER Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurden die
Gewinner des Unternehmenswettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie 2016“ prämiert. Vorbildliche
Vereinbarkeitsunternehmen sind groß, mittel oder klein und in allen denkbaren Branchen aktiv.
Die Praxis der teilnehmenden Unternehmen zeigt, wie mithilfe einer modernen Personalpolitik
Vereinbarkeit in Unternehmen aller Größen und Branchen gelingen kann. Beispiele sind:

❙❙ D
 as Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) setzt mit einer auf den Schichtdienst
abgestimmten Betriebskita, rund 250 Arbeitszeitmodellen und einem stationsübergreifen­
den Vertretungspool für Pflegekräfte Maßstäbe für die familienbewusste Arbeitsorganisati­
on in Krankenhäusern.

❙❙ D
 er Stuttgarter Kabelhersteller U.I. Lapp GmbH unterstützt als mittelständischer Familien­
betrieb seine Beschäftigten mit einer innovativen Schichttauschbörse, einer Beratungswerk­
statt für pflegende Angehörige und Jobsharing-Modellen für Führungskräfte.

❙❙ B
 eim Fertighausbauer FingerHaus GmbH können Väter auf Montage eine Vier-Tage-Woche
nutzen und werden heimatnah eingesetzt.

Den Wettbewerb 2016 zeichnet nach Ansicht aller involvierten Expertinnen und Experten aus,
dass die Qualität bei der Umsetzung der Vereinbarkeitsmaßnahmen gegenüber den Vorjahren
nochmals deutlich gestiegen ist. Die sechs Siegerunternehmen mit ihren Konzepten und
Ansätzen sind Vorbilder und Ideengeber für andere, die Vereinbarkeit konkret umsetzen und
im Unternehmen erlebbar machen möchten.

5.3 Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“

Das zugehörige Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ – das 2006 durch das Bundes­
familienministerium und den Deutschen Industrie- und Handelskammertag ins Leben geru­
fen wurde – ist mittlerweile bundesweit die größte Kontakt- und Wissensplattform für Arbeit­
Seite 80 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

geber rund um das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es bietet seinen derzeit rund
6.550 Mitgliedern (Abbildung 64) und allen Interessenten kostenfrei aktuelle Informationen zu
Themen familienbewusster Personalpolitik an. Diese sind zum Beispiel die NEUE, also part­
nerschaftliche Vereinbarkeit, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, betrieblich unterstützte
Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Angehörigen sowie interne und
externe Kommunikation der entsprechenden Unternehmenskultur.

Das Netzwerkbüro veröffentlicht regelmäßig Best-Practice-Beispiele und vermittelt pro Jahr


auf über 70 Workshops, Seminaren oder Vorträgen bei Veranstaltungen Strategien, wie famili­
enfreundliche Maßnahmen praktisch umgesetzt werden können. Mit diesen Angeboten hat
das Unternehmensnetzwerk in den Jahren 2015 und 2016 fast 12.000 Akteure aus der Wirt­
schaft erreicht. Spezifische Publikationen in Kooperation mit Branchenverbänden, z. B. für
Gastronomie, Pflegeeinrichtungen, das Kreditgewerbe oder das Handwerk, stellen die Beson­
derheiten der Branche und die Umsetzung familienbewusster Maßnahmen an konkreten
Beispielen vor.

Auf den jährlich stattfindenden zentralen Großveranstaltungen „Unternehmenstag“ und


„Multiplikatorenveranstaltung“ sind alle Netzwerkmitglieder dazu eingeladen, sich persönlich
mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Politik über aktuelle Entwicklungen
und Trends bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland auszutauschen.

Abbildung 64: Entwicklung der Mitgliederzahlen im Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ seit 2007

7.000 6.476 6.516 6.545


6.343 6.434
6.000 5.918
5.542
5.070
5.000 4.534
4.000 3.913
3.265
3.000 2.623
2.021
2.000 1.308
1.000
0
Mai 17
Jan. 09

Jan. 10

Mrz. 17
Jan. 11

Jan. 12

Jan. 13

Jan. 14

Jan. 15

Jan. 16

Jan. 17

Feb. 17

Apr. 17
Jan. 08

Gefördert durch

Quelle: Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“.


Seite 81 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

5.4 Bestandsaufnahme I: Wo stehen die Unternehmen?

Betrachtet man die Angebote, sind die Unternehmen in Deutschland in den vergangenen
Jahren deutlich familienfreundlicher geworden.128 Rund acht von zehn Unternehmen betonen
die Wichtigkeit einer vereinbarkeitsbewussten Personalpolitik (Abbildung 65). Sie sehen darin
ein zentrales strategisches Instrument, um Beschäftigte für sich zu gewinnen oder im Unter­
nehmen zu halten sowie die Motivation und Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu steigern. Längst
ist eine Win-win-Situation entstanden, denn die Belegschaften wünschen sich Veränderungen
genau in diese Richtung. Dass die Zustimmungsquoten der Beschäftigten noch höher liegen als
die des Managements, sollte als Aufforderung verstanden werden: Die Möglichkeiten sind
noch nicht ausgeschöpft, das Notwendige noch nicht überall erreicht. Vor allem unterschätzen
die Personalverantwortlichen die Bedeutung familienfreundlicher Angebote für Beschäftigte
(noch) ohne Kinder oder (noch) ohne pflegebedürftige Angehörige – nur 43 Prozent sehen eine
Notwendigkeit, als Unternehmen aktiv zu werden, während 81 Prozent der Beschäftigten auch
hier ein betriebliches Engagement als wichtig erachten.

Abbildung 65: Der Stellenwert von Familienfreundlichkeit


Aussage: „Familienfreundliche Maßnahmen in Unternehmen sind wichtig/eher wichtig“, Zustimmung in Prozent

für das Unternehmen 77,4 %

für Beschäftigte mit Kindern 96,1 %


92,2 %
für Beschäftigte mit pflegebedürftigen 87,9 %
Angehörigen 83,1 %
für Beschäftigte ohne Kinder und 81,2 %
ohne pflegebedürftige Angehörige 42,9 %

Angaben der Beschäftigten Angaben der Unternehmen

Quelle: Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2016, IW Köln, i. A. BMFSFJ.

Die Befragung von Unternehmensverantwortlichen und Beschäftigten dokumentiert auch, dass


noch Handlungsbedarf beim Thema Unternehmenskultur besteht. Erst wenn Motive und Leitli­
nien von Geschäftsführungen nicht nur verkündet, sondern auch im Betriebsalltag gelebt wer­
den, stellen sich die positiven Effekte einer gelungenen Vereinbarkeit voll ein. Im Moment klafft
offenbar noch oft eine Lücke zwischen dem Selbstbild der Unternehmensleitung und der Wahr­
nehmung durch die Belegschaft. Während rund 89 Prozent des Managements sagen, dass gleiche
Entwicklungs- und Aufstiegschancen für Beschäftigte mit und ohne Familienpflichten bestehen,
stimmen dem auf Beschäftigtenseite nur 68 Prozent zu. Die Differenz von gut 20 Prozentpunk­
ten ist ein Beleg dafür, dass der Kulturwandel noch nicht überall vollzogen ist.

Eine Schlüsselrolle kommt den Führungskräften zu, um die gewünschte und die erlebte Ver­
einbarkeitskultur im Unternehmen in Einklang zu bringen. Die Befragungsdaten zeigen: Das
Verhalten der Vorgesetzten entfaltet Signalkraft. Wer als Führungskraft die Beschäftigten

128 BMFSFJ (2016): Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit.


Seite 82 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

bestärkt, Vereinbarkeitsangebote anzunehmen, erzeugt eine positive Grundstimmung. Die


Beschäftigten nehmen ein Unternehmen in verschiedenen Dimensionen von Vereinbarkeit
um bis zu 60 Prozentpunkte familienfreundlicher wahr, wenn das Management als Förderer
und Unterstützer der Sache agiert. Ein weiterer Befund: Wo männliche Führungskräfte selbst
Vereinbarkeitsangebote in Anspruch nehmen, also zum Beispiel selbst in Elternzeit gehen, ist
der Anteil der männlichen Beschäftigten, die dem Vorgesetzten folgen, fünfmal so hoch wie in
Unternehmen, in denen das Führungspersonal nicht als Vorbild fungiert.

Hieraus ergibt sich eine klare Handlungsempfehlung für Unternehmen, die ihre Vereinbar­
keitskultur weiterentwickeln wollen: Sie müssen ihre Führungskräfte für das Thema Verein­
barkeit sensibilisieren und dazu befähigen, familienbewusst zu führen. Der Aufwand lohnt
sich: Wenn Vereinbarkeit als Führungsaufgabe verstanden wird, liegt der Anteil zufriedener
Beschäftigter bei eindrucksvollen 95 Prozent.

5.5 Bestandsaufnahme II: Die NEUE Vereinbarkeit rechnet sich

Wenn Unternehmen in die NEUE Vereinbarkeit investieren, rechnet sich das für sie betriebs­
wirtschaftlich. Das belegt die Studie „Renditepotenziale der NEUEN Vereinbarkeit“.129 Sie stellt
die Vorteile einer modernen familienbewussten Personalpolitik für die Unternehmen dar und
liefert Daten zur Abschätzung einer „Vereinbarkeitsrendite“: der Rendite auf Investitionen in
familienfreundliche Maßnahmen.

Bereits heute lassen sich mit etablierten Angeboten der „klassischen“ Vereinbarkeit wie festen
Teilzeitmodellen, Homeoffice oder Kinderbetreuungsangeboten positive Renditen bis zu
25 Prozent erzielen. Effekte ergeben sich zum Beispiel durch die Reduktion von Fehlzeiten
sowie durch schnellere Rückkehr in den Beruf nach einer familienbedingten Auszeit.

Durch die Umsetzung der NEUEN Vereinbarkeit in den Unternehmen lassen sich die Renditen
von familienfreundlichen Investitionen auf bis zu 40 Prozent erhöhen, in dem neben der klassi­
schen Zielgruppe der Mütter das Potenzial weiterer Zielgruppen wie Väter und Beschäftigte mit
pflegebedürftigen Angehörigen ausgeschöpft wird. Durch gezielte Kommunikation und bedarfs­
orientierte Angebote wird ein breiterer Nutzerkreis dazu animiert, Vereinbarkeitsmaßnahmen
wahrzunehmen, und so das betriebswirtschaftliche Potenzial der Angebote erhöht.

129 BMFSFJ (2016): Renditepotenziale der NEUEN Vereinbarkeit.


Seite 83 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Abbildung 66: Ungenutzte Potenziale der Vereinbarkeit, 2015, in Prozent

Mitarbeitende, die Vereinbarkeitsmaßnahmen wahrgenommen haben (2015, Anteil in %)


100 % 94 %
Max. erreichbare Werte in der NEUEN Vereinbarkeit
13 %
78 % 75 %
80 %
Weitere
Potenziale
60 % 32 % möglich

65 %
40 % 81 %

20 % 46 %

10 % 13 %
0%
Mütter Väter Pflege Andere
Lebensphasen
Status quo Potenzial

→ Mütter sind die traditionelle Zielgruppe und werden bereits angesprochen.


→ Die NEUE Vereinbarkeit adressiert Väter wie auch Mütter – jedoch nutzt bisher nur
jeder zweite Vater Vereinbarkeitsmaßnahmen.
→ Bewusstsein für die Bedürfnisse von Pflegenden und weiteren Zielgruppen besteht bereits –
das ungenutzte Potenzial zeigt jedoch Adjustierungsbedarf.

Quelle: Studie „Renditepotenziale der NEUEN Vereinbarkeit“, Roland Berger GmbH, i. A. BMFSFJ (2016).

Die NEUE Vereinbarkeit äußert sich weniger in einer Bandbreite neuer Maßnahmen als viel­
mehr in einer neuen Qualität der Maßnahmen: Sie müssen bedarfsgerecht auf die Wünsche
der Beschäftigten zugeschnitten und individuell gestaltbar sein. Neue Flexibilität und Mobili­
tät in der Arbeitsgestaltung ermöglicht es, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Verein­
barkeit muss auch in der Unternehmenskultur fest verankert sein und Führungskräfte sollten
als aktive Vorbilder für Vereinbarkeit handeln.

5.6 B
 estandsaufnahme III: Arbeitszeitwünsche und
Arbeitszeitrealitäten

Immer mehr Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Vereinbarkeit. Ob die Aufgabentei­
lung zwischen Familie und Beruf gelingt, hängt aber auch in hohem Maße vom jeweiligen
Arbeitgeber ab: Die Betriebe haben einen wesentlichen Einfluss darauf, ob sich Mütter und
Väter mit kleinen Kindern die Aufgaben in Familie und Beruf partnerschaftlich aufteilen
können – oder nicht. Für die Arbeitsteilung in Familien spielen angebotene Arbeitszeitmodel­
len, ihre Nutzungsmöglichkeiten und die beruflichen Entwicklungsperspektiven beider
Elternteile eine wichtige Rolle.130

130 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2016): Warum nicht fifty-fifty? Betriebliche Rahmenbedin­
gungen der Aufteilung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit in Paarfamilien.
Seite 84 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Eine solche partnerschaftliche Vereinbarkeit ist dann eher möglich, wenn Eltern in Betrieben
arbeiten, die Familienfreundlichkeit mit Gleichstellungszielen verbinden und in denen Frauen
wie Männer Voll- und Teilzeitmodelle ohne Karrierenachteile flexibel nutzen können. Derzeit
arbeiten rund 20 Prozent der Eltern kleiner Kinder in Deutschland in solchen Betrieben. Dieser
Betriebstypus findet sich bei Beschäftigten aller Qualifikationsniveaus und in allen Wirt­
schaftszweigen wieder: Auch wenn es in den Branchen unterschiedliche Herausforderungen
gibt, kommt es vor allem auf den betrieblichen Gestaltungswillen an.

Abbildung 67: Unternehmenstypen

EINE UMFASSENDE VEREINBARKEITSKULTUR


LEBEN NOCH ZU WENIGE UNTERNEHMEN

Unternehmenstyp Familienori- Modernes Vorbild Chancengleichheit Hier


entierung Männerbild Führungskraft beruflicher Aufstieg arbeiten ...
23 % Mütter
Progressiv 16 % Väter
26 % Mütter
Modern 21 % Väter
18 % Mütter
Beruf vor Privat 17 % Väter
Egalitär- 15 % Mütter
vollzeitorientiert 21 % Väter
19 % Mütter
Traditionell 26 % Väter

sehr hoch hoch teilweise gering sehr gering

Addition auf über 100 % durch Rundungen.

Quelle: WZB (2016).

Entscheidend für gute Vereinbarkeitsbedingungen in den Betrieben sind eine familienfreund­


liche und an Chancengleichheit orientierte Unternehmenskultur, innovative Lösungen und
die Führungskräfte. Wichtig sind dabei eine angepasste Personalausstattung und Vertretungs­
regelungen. Idealerweise haben diese Bedingungen allgemeingültigen Charakter für alle
Beschäftigten.

5.7 B
 estandsaufnahme IV: Väter als Treiber der Veränderungen in
der Arbeitswelt

Insbesondere Väter sind unzufrieden mit ihren derzeitigen Arbeitszeiten und wünschen sich
im Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden – gäbe es ein Rückkehrrecht auf
Vollzeit, liegt diese Wunscharbeitszeit noch etwas niedriger. Auch beim Thema Elternzeit
klaffen gerade bei Vätern Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander: Während 83 Prozent
keine oder höchstens zwei Monate Elternzeit genommen haben, hätte sich mehr als die Hälfte
(52 Prozent) mindestens drei Monate Elternzeit gewünscht (Abbildung 68).
Seite 85 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Abbildung 68: Tatsächliche und gewünschte Elternzeitdauer von Vätern mit Kindern, die 2007 oder später geboren sind

Tatsächliche Dauer Wunschdauer


60 60
55 %

40 40
Anteile in Prozent

28 % 28 %

20 % 21 %
20 20
17 %
14 %
9%
5%
3%
0 0
Keine EZ 1–2 Monate 3–5 Monate 6–11 Monate + 1 Jahr

Anmerkung: Das Analysesample umfasst Eltern, deren jüngstes Kind im Jahr 2007 oder später geboren ist und von
denen zumindest ein Partner einer abhängigen Beschäftigung nachgeht. Eingeschlossen sind sowohl Eltern, die für ihr
jüngstes Kind Elternzeit genommen haben, die zum Zeitpunkt der Befragung in Elternzeit oder Mutterschutz sind, die
keine Elternzeit genommen haben oder nehmen möchten, als auch Eltern, die planen, für ihr jüngstes Kind Elternzeit
zu beanspruchen. Diese Samplezusammensetzung erklärt Unterschiede zu anderen Statistiken.

Quelle: Telefonische Paarbefragung; N (tatsächliche Dauer) = 613; N (Wunschdauer) = 603, gewichtete Daten, WZB (2016).

Auch in den Betrieben hat das Thema Väter in den vergangenen Jahren deutlich Aufwind
bekommen.131 Über 80 Prozent der Personalverantwortlichen haben die Erfahrung gemacht,
dass Väter heute verstärkt flexible Arbeitswünsche umtreiben. Die Personalverantwortlichen
erwarten, dass zukünftig noch mehr Väter Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf
in Anspruch nehmen möchten. Mit einer „väterfreundlichen Personalpolitik“ verbinden die
befragten Personalverantwortlichen dabei ganz überwiegend betriebswirtschaftliche Vorteile:
Sie erwarten eine höhere Produktivität und eine höhere Attraktivität ihrer Unternehmen für
männliche Fachkräfte. Die meisten Unternehmen (69 Prozent) haben zwar bereits familien­
freundliche Maßnahmen im Angebot, sehen aber häufig selbst noch Bedarf. Rund zwei Drittel
der Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, ihren Vätern zukünftig vermehrt „indivi­
duelle, flexible und mobile Arbeitsmodelle“ anbieten zu können.132

131 Dies zeigen auch die Väterstudien der Commerzbank 2007 und 2015, die sich mit Bedarfen der Väter sowie
Herausforderungen und Lösungsansätzen in der betrieblichen Väterpolitik befassen. Commerzbank (2015): Väter
bei der Commerzbank. Ein Kulturwandel entsteht, Frankfurt.
132 Erfolgsfaktor Familie (2014): Einschätzung von Personalverantwortlichen zur Väterorientierung in deutschen
Unternehmen. Zentrale Ergebnisse einer Befragung zur strategischen Bedeutung und Entwicklungstrends der
Väterförderung, Berlin. Basis: gemeinsame Onlinebefragung des Bundesverbands der Personalmanager (BPM)
und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 1.737 Personalverantwortlichen aus
Unternehmen verschiedener Branchen und aller Größen.
Seite 86 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Dass beim Thema Väter im Betrieb viel in Bewegung ist, belegen die Ergebnisse des Väter-
Barometers. Im Rahmen des 1. Väter-Barometers133 wurden im Jahr 2015 Personalverantwort­
liche dazu befragt, wie akzeptiert ein vermehrtes familiäres Engagement von Vätern in ihren
Unternehmen ist, auch wenn dies ein zeitlich reduziertes berufliches Engagement bedeutet.
Dabei zeigt sich, dass Personalverantwortliche die Unternehmenskultur väterfreundlicher ein­
schätzen als die Väter selbst. Viele Väter finden, dass Arbeitgeber vermehrtes familiäres Enga­
gement nur teilweise akzeptieren.

Das 2. Väter-Barometer134 2016 belegt die bemerkenswerte Entwicklung: Gerade bei jungen
Vätern zwischen 18 und 29 Jahren ist der Wunsch nach einer möglichen Arbeitszeitreduzie­
rung zugunsten der Familie stark gestiegen: Sieben von zehn Befragten interessieren sich
dafür. Insbesondere der Wunsch nach vollzeitnaher Teilzeit ist in dieser Altersgruppe ausge­
prägt. Der Anteil der jungen Väter, die ihre Arbeitszeit um bis zu 20 Prozent reduzieren wollen,
hat sich gegenüber 2015 auf 46 Prozent verdoppelt.

Zudem empfinden junge Väter die Kultur in ihren Unternehmen als väterfreundlicher als die
Gesamtheit der Väter (Abbildung 69). Sie nehmen sowohl ein stärkeres systematisches Interesse
der Arbeitgeber an ihnen und ihrer Rolle als Väter wahr und fühlen sich auch durch die Kom­
munikation der Unternehmen besser angesprochen als die Gesamtheit der Väter. Dies ist ein
Hinweis darauf, dass Unternehmen in jüngster Zeit sensibilisierter sind für die besonderen
Belange von Vätern und dies insbesondere Männern zugutekommt, die gerade Väter geworden
sind.

Abbildung 69: Junge Väter fühlen sich besser informiert als ältere

Quelle: Väter-Barometer (2016). Auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht) bis 4 (voll und ganz).

133 Für das 1. Väter-Barometer wurde im Juni und Juli 2015 im Auftrag des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor
Familie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch die GfK eine repräsentative
Befragung von 1.000 abhängig beschäftigten Vätern minderjähriger Kinder und 300 Arbeitgebern aller Bran­
chen und Größenklassen durchgeführt.
134 Für das 2. Väter-Barometer wurde die o. g. repräsentative Befragung im August 2016 wiederholt.
Seite 87 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Das 2. Väter-Barometer zeigt: Deutschlands Arbeitgeber schätzen ihre Vereinbarkeitsangebote


realistischer ein als noch 2015. Die befragten Unternehmen haben erkannt, dass „klassische“
Vereinbarkeitsangebote wie Halbtagsstellen Väter nicht angemessen ansprechen, und bieten
deshalb vermehrt individuell gestaltbare Maßnahmen wie flexible Arbeitszeit, flexible Füh­
rungsmodelle oder mobiles Arbeiten an. So plant beispielsweise mittlerweile jedes vierte
Unternehmen Maßnahmen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung.

Allerdings sind sie von einem niedrigen Niveau gestartet – gerade für Väter älterer Kinder
bleiben Defizite bestehen, was Kommunikation und Angebote betrifft. Wichtig sind dabei gute
Beispiele und Vorbilder auf allen Ebenen. Zwar sind viele Unternehmen mittlerweile sensibili­
siert, aber Angebote, die auch von Vätern genutzt werden können, sollten besser kommuniziert
und ausgebaut werden. Insbesondere fehlt es noch an einer Kultur, die das väterliche Engage­
ment akzeptiert und in der Väter familienfreundliche Maßnahmen ohne Sorge vor langfristi­
gen Nachteilen nutzen können.

Wenn Arbeitgeber auf die Wünsche der Väter eingehen, lohnt sich das auch aus unternehmeri­
scher Sicht. Denn solche Angebote gehen seltener mit Zeitkonflikten für die Eltern, höherer
betrieblicher Verbundenheit und weniger Kündigungsabsichten einher. So erfahren in famili­
enunfreundlichen Unternehmen rund 70 Prozent der Väter Zeitkonflikte zwischen Arbeit und
Familie. Und: In solchen Betrieben planen über 80 Prozent der Väter, den Arbeitgeber zu wech­
seln.135

5.8 Was wurde erreicht? – Der Fortschrittsindex 2017

Beim Thema Familienfreundlichkeit ist in den vergangenen Jahren viel passiert; die Verein­
barkeit von Familie und Beruf hat sich verbessert, Deutschlands Arbeitswelt ist familien­
freundlicher geworden – auch aufgrund der gemeinsamen Aktivitäten von Politik, Wirtschaft
und Gewerkschaften.

Mittlerweile nimmt jeder dritte Vater Elterngeldmonate in Anspruch, in manchen Regionen


schon jeder zweite. Für die Wirtschaft ist das ein Gewinn, denn diese Väter unterstützen ihre
Partnerinnen dabei, nach der Geburt des Kindes wieder früh in den Job zurückzukehren.
Tatsächlich ist die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern im Alter zwischen zwei und drei
Jahren von 2006 bis 2015 um 17 Prozent gestiegen. Deutlich gestiegen ist auch der Anteil der
Unternehmen, die Familienfreundlichkeit für wichtig halten: von 47 Prozent im Jahr 2003
auf 77 Prozent im Jahr 2016. Dabei haben viele Betriebe ihre standardisierten familienfreund­
lichen Maßnahmen zu individuellen, innovativen Konzepten weiterentwickelt.136

135 WZB (2016).


136 BMFSFJ: Fortschrittsindex 2017.
Seite 88 Kapitel 5 Inhalt zurück weiter

Abbildung 70: Die neue Vereinbarkeit – Fortschritte im Überblick

Doch es besteht weiterer Handlungsbedarf: Trotz des erfolgreichen Ausbaus der Kinderbetreu­
ung übersteigt der Bedarf der berufstätigen Eltern das Angebot, insbesondere im Bereich der
Nachmittagsbetreuung von Grundschulkindern. Und der Blick in die Unternehmen zeigt:
Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt nur dann, wenn familienfreundliche Leitlinien
auch im betrieblichen Alltag gelebt werden. Nach wie vor besteht oft noch ein Unterschied
zwischen der Selbstwahrnehmung von Unternehmen in puncto Familienfreundlichkeit und
der Wahrnehmung der Beschäftigten. Diese Lücke gilt es zu schließen.
Seite 89 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

VI.
Familien in der digitalen Gesellschaft –
ein Entwicklungsthema

6.1 Die Digitalisierung schreitet voran

Kaum ein Prozess verändert unsere Gesellschaft so tiefgreifend wie die Digitalisierung. Noch
vor zehn Jahren waren Smartphones eine technologische Neuerung, heute haben zwei Drittel
der Deutschen eins – in der Altersgruppe der unter 50-Jährigen sogar fast 80 Prozent.

Gerade in der Arbeitswelt hat die Digitalisierung enorme Veränderungen gebracht, die noch
lange nicht abgeschlossen sind. Das „Internet der Dinge“, also mit dem Internet verbundene
Maschinen und Geräte aller Art, ist auf dem Vormarsch. Der vernetzte Kühlschrank, der
selbstständig ausgegangene Nahrungsmittel bestellen kann, die intelligente Heizung, die je
nach Verkehrslage die Temperatur für die Ankunft zu Hause regeln kann, der Staubsaugerro­
boter, der autonom die Wohnung säubert, der Wecker, der uns sanft in der optimalen Schlaf­
phase weckt: Für viele Menschen gehört dies bereits zum Alltag dazu. Sie nutzen digitale Tech­
nologien, um ihr Leben zu organisieren – und um mit den Herausforderungen der
digitalisierten Welt umzugehen. Gerade für Familien kann die Digitalisierung neue Freiräume
bedeuten. Sie kann Zeit sparen bei Arbeitswegen und im Haushalt, in der Koordination von
Freizeit, ehrenamtlichem Engagement, Beruf und Schule.

6.2 Neue Herausforderungen

Digitalisierung bringt aber auch eigene Risiken und Aufgaben mit sich. Noch bestehen Unter­
schiede beim Zugang zum Internet und digitalisierter Technologie. Breitbandiges, schnelles
Internet ist noch zumeist auf Städte begrenzt und teilweise kostenintensiv. Je älter die Men­
schen, desto mehr ist ihre Ausstattung mit Endgeräten und ihre Kompetenz im Umgang
abhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht. Ältere Menschen sind immer noch weniger
online als jüngere. Wichtiger aber als der reine Zugang zu digitaler Technik ist, wie Menschen
damit umgehen – und umgehen können. Menschen mit unterschiedlichen sozialen Herkünf­
ten, Bildungserfahrungen, Ressourcen oder unterschiedlichen Geschlechts nutzen das Internet
und digitale Medien verschieden. Gesellschaftliche Ungleichheiten und Benachteiligungen
können sich durch Digitalisierung auch aufbauschen und potenzieren.

Dazu kommt, dass Digitalisierung auch Druck ausübt. Viele stört das Gefühl ständig erwarte­
ter Erreichbarkeit, die schnelle Entwicklung neuer Anwendungen bedarf kontinuierlicher
Beschäftigung mit neuen Technologien und kann zu einem Gefühl der Überforderung führen.
Dazu noch kaum überschaubare Chancen und Risiken beispielsweise bei der Sammlung und
Seite 90 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Auswertung riesiger Datenmengen (Big Data). Im Zuge dieser rasanten Entwicklungen den
Überblick zu bewahren, Chancen zu ergreifen und sich gleichzeitig auch abzusichern – und
nicht sich zurückzuziehen oder auszuliefern –, ist eine der definierenden Herausforderungen
unserer Zeit – für Familien, Unternehmen und den Staat.

Abbildung 71: Digital-Index nach Altersgruppen

Quelle: Die Initiative D21

6.3 Familien im Zentrum der Digitalisierung

Gerade in Familien treffen die unterschiedlichen Auswirkungen der Digitalisierung aufeinan­


der. Eltern mit Kindern stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihren Nachwuchs kompetent in
ihrem Medienhandeln zu begleiten. Kinder gehen immer früher mit Medien um, Jugendliche
bringen ihren unbefangenen Umgang, die neuesten Apps und auch die Möglichkeit, neue, dem
Zugriff Erwachsener weitgehend entzogener digitaler Räume zu nutzen, mit in die Familie. Die
Flexibilisierung der Arbeit erlaubt mehr Freiheiten und bessere Vereinbarkeit, was wiederum
mehr Planung und bessere Koordination voraussetzt. Dadurch begegnen auch ältere Mitglieder
der Familie digitalen Technologien. Großeltern werden in die Kinderbetreuung und das Fami­
lienleben integriert, so wie sie in die Nachrichtengruppe eingebunden werden.

Die entscheidende Frage ist deshalb heute nicht mehr, ob jemand online ist, sondern wie. Gerade
für und in Familien birgt die Digitalisierung große Chancen. Politik und Verwaltung setzen
dafür Rahmenbedingungen. Die Digitalisierung im Sinne einer lebenswerten, familienfreundli­
chen und demokratischen Gesellschaft zu gestalten, bedarf aber der aktiven und reflektierten
Arbeit aller Bürgerinnen und Bürger und gesellschaftlichen Gruppen: Politik, Wirtschaft, Ver­
bände und Zivilgesellschaft. Das BMFSFJ sieht seine Rolle darin, die Digitalisierung aktiv gesell­
schaftspolitisch mitzugestalten, die Interessengruppen dabei einzubeziehen und Bürgerinnen
und Bürger der digitalen Gesellschaft dabei zu unterstützen, sich einzubringen.
Seite 91 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Welche Schritte dafür konkret nötig sind, hat das BMFSFJ Ende Juni 2017 in einer Fachkonfe­
renz unter dem Titel „Digitale Agenda für eine lebenswerte Gesellschaft“ mit Vertreterinnen
und Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen diskutiert. Grundlage der Dis­
kussionen war ein Impulspapier inklusive eines zehn-Punkte-Plans, der Handlungsbedarfe in
den Bereichen digitale Verwaltung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, digitale Teilhabe
insbesondere auch älterer Menschen, Digitalkompetenzen, Unterstützung bei der Entwicklung
familienfreundlicher Anwendungen, Vielfalt und Gleichstellung in der Digitalwirtschaft und
einer Stärkung der Forschung benennt.

6.4 Gelingendes Familienleben in der digitalen Gesellschaft

Die Bilanz der Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeit auf die Familie ist durchaus
gemischt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berichten häufig von zunehmender Arbeits­
belastung und mehr Stress durch Digitalisierung am Arbeitsplatz, die sich auch negativ auf die
Familie auswirken kann. Allerdings: Es kommt auch hier darauf an, wie mit Digitalisierung
umgegangen wird. Arbeit wird in vielen Berufen flexibler und unabhängiger von Zeit und Ort.
Wenn die dadurch erst mögliche Zeitersparnis und Zeitsouveränität entsprechend genutzt wer­
den, liegt darin der vielleicht direkteste Nutzen der Digitalisierung für ein gelingendes Familien­
leben.

Inzwischen gibt es viele Untersuchungen zu den Vor- und Nachteilen, den Chancen und
He­rausforderungen digital gestützten, ort- und zeitflexiblen Arbeitens. Aber kaum welche,
die sich speziell mit Familien befassen. Die vom BMFSFJ geförderte Studie „Digitalisierung –
Chancen und Herausforderungen für die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und
Beruf“ beginnt diese Lücke zu schließen.137

Etwa ein Drittel der berufstätigen Eltern minderjähriger Kinder gibt heute an, mithilfe digitaler
Endgeräte und des Internets zumindest teilweise von zu Hause aus arbeiten zu wollen – doch nur
etwa 6 Prozent tun dies auch. Dabei kann Homeoffice einen entscheidenden Beitrag zur Verbesse­
rung partnerschaftlicher Vereinbarkeit von Beruf und Familie leisten. Die Studie des BMFSFJ zeigt
die Vorteile orts- und zeitflexiblen Arbeitens für Familien. Nur knapp ein Drittel der Eltern, die
nicht mobil arbeiten können, gaben an, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gut
gelingt – aber ganze 85 Prozent der Eltern, die bereits mithilfe von Computer und Internet (auch)
von zu Hause arbeiten. Denn: Eltern können so flexibler die verschiedenen Anforderungen und
Verpflichtungen der Familie meistern und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Homeoffice spart Eltern Zeit, vor allem beim Weg zur Arbeit: im Durchschnitt ganze 4,4 Stun­
den. Diese Zeit kommt zum größten Teil der Familie und den Kindern zugute. 80 Prozent der
Eltern nutzen sie als Familienzeit, 75 Prozent zur Haushaltsführung und ein Drittel, um die
Partnerin oder den Partner im Beruf zu entlasten (Abbildung 72). Neben der gesparten Zeit
spielt der Gewinn an zeitlicher Flexibilität eine bedeutende Rolle. Mehr als drei Viertel der
Eltern minderjähriger Kinder empfinden das als Vorteil. Sie können so intensiver auf die

137 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.): Digitalisierung – Chancen und
Herausforderungen für die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Berlin 2016.
Seite 92 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen, unvorhergesehene Situationen meistern oder auch private
Erledigungen zwischendurch erledigen.

Abbildung 72: Nutzung frei gewordener Zeit durch Beschäftigte

Die Digitalisierung der Arbeitswelt kann auch Schattenseiten haben. Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer insgesamt berichten einerseits z. B. von verdichteter oder einfach mehr Arbeit,
aber auf der anderen Seite eben auch von deutlich zunehmenden Entscheidungsspielräumen.
Für berufstätige Eltern, die Erfahrungen mit Homeoffice gemacht haben, ist die Bilanz klar:
Über 90 Prozent von ihnen erleichtert das Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Fami­
lie. Die gemachten Erfahrungen übertreffen deutlich die Erwartungen derer, die sich nur
wünschten, sie könnten auch von zu Hause arbeiten.

Abbildung 73: Digitalisierung in ihrer Wirkung auf Entscheidungsspielräume

Quelle: Institut DGB-Index Gute Arbeit (2016): DGB-Index Gute Arbeit. Der Report 2016. Wie die Beschäftigten die
Arbeitsbedingungen in Deutschland beurteilen.
Seite 93 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Dabei sehen Eltern das Homeoffice nicht als die ausschließliche Lösung: Vielmehr ist gut
geregeltes, aber zeitweises Homeoffice eine Variante, um Vereinbarkeit zu leisten. Es ist kein
Ersatz für geregelte Arbeitszeiten oder den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen am Arbeits­
platz. Flexible Arbeit ist vielmehr auch ein Instrument, früher und intensiver wieder in das
Berufsleben einzusteigen.

6.5 Chancen der Digitalisierung für Vereinbarkeit nutzbar machen

Das größte Hindernis für die umfassendere Nutzung technisch unterstützten, orts- und zeit­
flexiblen Arbeitens liegt in der Umsetzung in Unternehmen: Studien zeigen, dass die Nach­
frage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höher ist als das Angebot. Insbesondere
kleine und mittelgroße Unternehmen sehen zwar den Wandel, haben aber derzeit keine weite­
ren Ausbaupläne. Mehr als die Hälfte der berufstätigen Eltern sehen von der Arbeit im Home­
office ab, weil dies in ihren Unternehmen einfach nicht üblich sei (54 Prozent). Auch techni­
sche Hindernisse beim Zugriff auf das Netzwerk, Sicherheitsbedenken und Bedenken des
Arbeitgebers zur Einhaltung der Arbeitszeit werden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­
mern angegeben. Unternehmen führen auch Befürchtungen bezüglich der Auswirkungen auf
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an.

Während Unternehmen beispielsweise die Entgrenzung der Arbeit befürchten, fällt das für
Eltern so nicht ins Gewicht: Nur 16 Prozent geben das als einen Grund an, der sie von der
Erhöhung der Arbeitszeit abhält. Entscheidend ist deshalb, Befürchtungen aller Beteiligten
abzubauen, gute Beispiele zu kommunizieren und sie als Grundlage für gute Absprachen und
Regeln zur Umsetzung zu nutzen. Flexibilisierung der Arbeit kann zu Verdichtung und Über­
forderung führen. Sie kann aber – und das zeigen die Erfahrungen aktuell auch von zu Hause
arbeitender Eltern minderjähriger Kinder deutlich – auch zur besseren Vereinbarkeit von
Familie und Beruf genutzt werden. Davon haben alle etwas: Eltern müssen sich nicht mehr
zwischen partnerschaftlicher Gestaltung von Familie, Beruf und Freizeit entscheiden und
entwickeln neue Karrierepfade. Unternehmen gewinnen zufriedenere Beschäftigte, die auch
früher nach einer Geburt wieder in das Berufsleben einsteigen wollen und Alternativen zu
geringfügiger Teilzeit suchen. Kinder und Jugendliche haben mehr von ihren Eltern – gerade
in den wichtigen Stunden nach der Schule und vor dem Abend.

Gerade bei der Gestaltung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zeigen sich die Potenziale
der Digitalisierung, es wird aber auch deutlich, dass diese nur dann realisiert werden können,
wenn es klare Absprachen und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten gibt. Das BMFSFJ hat
sich dazu entschieden, mit gutem Beispiel voranzugehen und in einer Dienstvereinbarung
mobiles und zeitflexibles Arbeiten beinahe allen Beschäftigten möglich zu machen. Entschei­
dend ist für das Gelingen, dass Mitarbeitende in ihren Teams klare Vereinbarungen treffen,
dass sie in Resilienz geschult werden und dass ihnen auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit
garantiert wird.
Seite 94 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

6.6 G
 elingende Digitalisierung durch Kompetenzbildung
in Familien

Die Digitalisierung hat von allen Lebensbereichen Besitz ergriffen. Entscheidend ist deshalb –
und in noch zunehmendem Maße –, wie wir mit den damit einhergehenden Veränderungen
umgehen. Digitale Kompetenzen sind Schlüsselkompetenzen unserer Zeit. Sie sind entscheidend
für gelingende Bildungs- und Erwerbsbiografien, unerlässlich für die Sicherung der eigenen
Privatsphäre und Autonomie und Voraussetzung dafür, neue Technologien und Anwendungen
zur Verbesserung des eigenen Lebens einzusetzen – statt sich ihnen ausgesetzt zu fühlen. Sie zu
erwerben ist nicht einfach. Studien zeigen, dass sich Menschen in allen Lebensbereichen mehr
und bessere Kompetenzvermittlung wünschen. So wünschen sich Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer mehr Unterstützung selbst für die Technologien, die sie für die Arbeit benöti­
gen.138 Wenn Kompetenzen fehlen können Risiken nicht gesehen und Chancen nicht genutzt
werden. Deshalb ist es beunruhigend, dass der jüngste D21-Digital-Index zwar im Vorjahresver­
gleich eine Verbesserung bei Zugang und Nutzung digitaler Technologien verzeichnete, aber eine
Verschlechterung in den Bereichen Kompetenz und Offenheit.139

Abbildung 74: Digital-Index im Jahresvergleich

Quelle: Die Initiative D21.

In der Familie treffen zudem unterschiedliche Medienwelten aufeinander. Eltern müssen nicht
nur Schritt halten mit ihrer eigenen Mediennutzung, sondern gleichzeitig Wege finden, ihre
Kinder im Umgang mit digitalen Technologien zu unterstützen. Dafür müssen sie ihr eigenes
Medienhandeln verstehen und kritisch reflektieren können. Sie müssen Verantwortung über­
nehmen und Vorbilder sein, ohne dass jedoch von ihnen verlangt werden kann, alles zu wissen
und zu können. Aber wie können Eltern ihre Verantwortung für Förderung, Teilhabe und
Schutz ihrer Kinder mit dem Streben nach einer vertrauensvollen Beziehung ausbalancieren?
Wo verläuft jeweils die Grenze zwischen digitaler Selbstbestimmung und Verselbstständigung

138 Initiative D21 e. V. (2016): D21-Digital-Index 2016: Jährliches Lagebild zur digitalen Gesellschaft. Eine Studie der
Initiative D21, durchgeführt von TNS Infratest.
139 Ebd.
Seite 95 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

von Kindern und Jugendlichen – und ihrem Schutz, gerade im Prozess des Aufwachsens? Wie
können Eltern diese Fragen beantworten, wenn das Medienhandeln von Kindern und Jugend­
lichen sich bisweilen so deutlich von dem der älteren Generationen unterscheidet, sich so viel
schneller wandelt und häufig Kinder und Jugendliche früher an Entwicklungen teilhaben, als
ihre Eltern?

An diesem Gefüge gegenseitiger Verantwortung und Kompetenzvermittlung in der Familie


wird deutlich, wie radikal die Digitalisierung verändernd in die Gesellschaft eingreift. Es zeigt
aber auch, warum die Familie ein Schlüsselschauplatz für einen umfassenden Ansatz zur
Stärkung digitaler Kompetenzen ist. Alle Familienmitglieder brauchen Unterstützung beim
Erwerb der für sie wichtigen Digitalkompetenzen. In Familien greifen aber die unterschiedli­
chen Erfahrungen ineinander, werden Stärken und Defizite deutlich. Wenn es gelingt, die
Kompetenz von Familien im Umgang mit unterschiedlichen Digitalkompetenzen zu stärken,
kann das nicht nur das Familienleben selbst, sondern im Wechsel auch die Teilhabe und Sou­
veränität der Familienmitglieder in anderen Lebensbereichen verbessern. Es kommt also
darauf an, einzelnen Familienmitgliedern und Familien insgesamt dabei zu helfen, erworbene
Kompetenzen zu teilen, zu bündeln und weiterzuentwickeln.

Deshalb hat das BMFSFJ das Projekt „FamilienLabore“ entwickelt. Mit Unterstützung von
erfahrenen Mentorinnen und Mentoren entwickeln Kinder, Eltern und Großeltern in eintägi­
gen Workshops gemeinsam digitale Hilfsmittel und kreative Ansätze, neue Ideen und techni­
sche Lösungen zur konkreten Verbesserung des Familienalltags oder der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf oder Schule. Der positive Umgang mit digitalen Technologien und die
Erfahrung von Selbstwirksamkeit stehen im Mittelpunkt. Nebenbei lernen Familien, ihre
unterschiedlichen Kompetenzen und Sichtweisen zu schätzen. Das dabei erworbene Wissen
über Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten baut Berührungsängste und Vorbehalte ab,
fördert den Dialog und ermutigt Eltern, mit ihren Kindern mitzuhalten.

6.7 In Vielfalt Digitalisierung gestalten

Der Euphorie in den frühen Stunden des Internets folgte in weiten Teilen Skepsis und Ernüch­
terung. Zur Hoffnung, durch die Entfernung von Zugangshürden und die „Befreiung“ von
Information könne das Internet wesentliche Beiträge zu Gleichheit und Gerechtigkeit leisten
und Meinungsfreiheit und Demokratie stärken, kam die Beobachtung, dass auch gegenläufige
Tendenzen möglich wurden: stärkere Ausgrenzung, Filter Bubbles, Hassrede, Desinformation,
Überwachung. Digitalisierung, das zeigt sich mit Blick auf ihre gesellschaftspolitische Dimen­
sion, ist kein Selbstläufer in Richtung einer gerechteren, freieren und friedlicheren Welt. Sie
stellt lediglich Werkzeuge zur Verfügung und verändert Rahmenbedingungen – wie wir als
Gesellschaft entscheiden, diese zu nutzen, bleibt uns überlassen.

Die Stärkung zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts ist deshalb von großer Bedeutung. Ehren­
amtliches und bürgerschaftliches Engagement spielt eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt
der Gesellschaft, auch der Familien. Unzählige Initiativen, Vereine und Verbände prägen gesell­
schaftliches Leben in seinen vielen Facetten. Manchmal, um explizit Probleme zu lösen – wie der
selbst organisierte Kinderladen oder bei der Hilfe und Integration von Geflüchteten. Manchmal,
Seite 96 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

um Freizeit selbst organisiert zu gestalten, wie in Jugendverbänden oder beim Sport. Manchmal,
um einfach etwas Gutes zu tun – wie die vielen Ehrenamtlichen in sozialen Projekten. Digitale
Hilfsmittel spielen dabei eine immer stärkere Rolle. Einerseits werden sie zur Organisation und
Weiterentwicklung „klassischer“ Strukturen benutzt. Ähnlich wie digitale Technologien bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Familie und Schule unterstützen können, lässt sich so
auch Engagement mit Familie und anderen Lebensbereichen besser verbinden.

Digitalisierung kann:
❙❙ die Wirksamkeit und Reichweite von Engagement stärken,

❙❙ H
 ürden für Engagement senken und so früher, inklusiver und länger Teilhabe von Menschen
aller Altersgruppen und Befähigungen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen,

❙❙ d
 ie demokratische Selbstorganisation in der Zivilgesellschaft und ihre Beteiligung am
politischen Diskurs stärken,

❙❙ neue Räume, Anlässe und Bedarfe für Engagement schaffen.

Als niederschwellige und interaktive Strukturen begünstigen soziale Netzwerke auch die
Verbreitung von Unwahrheiten, Hassrede und Hetze. Allein durch Regulierung und Kontrolle
lässt sich das Problem nicht lösen, deshalb engagieren sich Menschen auch online. In Initiati­
ven wie #Ichbinhier vernetzen sich Menschen untereinander und widersprechen Hassrede und
Unwahrheiten in sozialen Netzwerken mit Respekt und Sachlichkeit. Damit leisten sie einen
unverzichtbaren, zivilgesellschaftlichen Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen.

6.8 Teilhabe aller an der Gestaltung der digitalen Welt stärken

Die Vielfalt der Gesellschaft auch in der Digitalisierung zu repräsentieren ist eine große
He­rausforderung. Häufig wird unterschätzt, welche Rolle die Ausgestaltung der Digitalisie­
rung auf der Ebene der Soft- und Hardware für die Beseitigung oder Reproduktion von
Ungleichheit und Benachteiligungen hat. So sind Frauen heute zum Beispiel immer noch
als Gründerinnen in der Digitalwirtschaft oder als Programmiererinnen unterrepräsentiert.
Das liegt unter anderem an weiterhin verbreiteten Geschlechterstereotypen, aber auch einer
schlechteren Ausstattung mit Gründungskrediten und der unterdurchschnittlichen Verein­
barkeit von Familie und Beruf in dieser Branche.

Die weibliche Perspektive fehlt so bei der Entwicklung von Anwendungen. Wenn diese an den
Bedürfnissen und Herausforderungen bestimmter Gruppen vorbeientwickelt werden oder
diese gar nicht aufgreifen, werden sie benachteiligt. Auch Algorithmen, die alle auf Datenver­
arbeitung und -auswertung beruhenden Anwendungen inzwischen beeinflussen, sind nie
vollkommen neutral und können Stereotype und Benachteiligungen reproduzieren. Es ist
deshalb wichtig, viele Perspektiven am Tisch zu haben, wenn digitale Werkzeuge gebaut wer­
den, um zu verhindern, dass sie unintendiert Hürden und Hindernisse enthalten. Wenn zum
Beispiel die Unternehmenssoftware für die Personalabteilung nicht vorsieht, dass auch Väter
in Elternzeit gehen, wird diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung in dem betreffenden
Unternehmen behindert.
Seite 97 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Auch die unterschiedlichen Perspektiven älterer und jüngerer Menschen müssen einen Beitrag
bei der Gestaltung und dem Einsatz digitaler Technologien leisten können. Als Ko-Entwickler
neuer Technik helfen sie, Lösungen von Anfang an inklusiver zu gestalten und einen Sozial­
raum zu schaffen, der für alle Generationen befähigend ist und so auch das Leben in der Fami­
lie bereichert. So spielen für Ältere und Junge öffentlicher Nahverkehr und Mobilität eine
besondere Rolle. Grundschulkinder, Jugendliche, Eltern und Seniorinnen und Senioren haben
jedoch sehr unterschiedliche Erwartungen an und Nutzungsmuster von zum Beispiel öffentli­
chem Nahverkehr im ländlichen Raum. Der Einsatz technischer Hilfsmittel kann bei der
Lösung vieler Mobilitätsprobleme helfen. So können Kleinbusse mit Assistenzsystemen flexi­
bel per App bei Bedarf fahren. Um aber Lösungen zu finden, die für alle Generationen ange­
messen sind, müssen diese auch an der Entwicklung dieser Lösungen mitwirken können.
Deshalb ist es dem BMFSFJ wichtig, die digitalen Kompetenzen aller Generationen und gesell­
schaftlichen Gruppen zu stärken, ihre Sprachfähigkeit und Selbstwirksamkeit zu fördern, den
Austausch über Bedürfnisse und Lösungsansätze anzuregen und so die Digitalisierung in
Vielfalt und gesellschaftlicher Vielfalt angemessen zu gestalten.

6.9 Familienministerium der Zukunft: digitale Services

Die Chance, Digitalisierung zum Wohle der Menschen zu nutzen, bietet sich nicht nur in der
Familie oder im Berufsleben. Sie ist auch eine Herausforderung für die öffentliche Verwaltung.
So steht der Familienpolitik in Deutschland zwar ein breites Spektrum unterschiedlicher
Leistungen zur Verfügung, die zielgerichtet auf verschiedene Bedürfnisse von Familien zuge­
schnitten sind und kontinuierlich im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnisse und sich wan­
delnder Wünsche und Bedarfe weiterentwickelt werden. Erst kürzlich ermunterte die OECD
Deutschland dazu, den eingeschlagenen, erfolgreichen Weg fortzusetzen.

Abbildung 75: E-Government-Nutzung in Deutschland

Quelle: Die Initiative D21.


Seite 98 Kapitel 6 Inhalt zurück weiter

Doch sind nicht alle Familienleistungen den Eltern grundsätzlich oder in ihrer spezifischen
Funktionsweise bekannt. Gerade wenn mehrere Leistungen infrage kommen, kann schnell der
Überblick verloren gehen. Lange Formulare mit umfangreichen Erklärungen sind oft voraus­
setzungsvoll. Und der Umgang mit Behörden ist mitunter umständlich, zeitraubend und oft
nicht mit normalen Arbeitszeiten vereinbar. Bürgerinnen und Bürger nutzen zudem immer
mehr Angebote von E-Government.140 Es ist deshalb konsequent zu fragen, welche Potenziale
für die Verbesserung der Familienpolitik in der Digitalisierung der Verwaltung liegen. Die
Bundesregierung sieht die große Chance, mithilfe digitaler Technologien familienbezogene
Leistungen einfacher und zielgerichteter bereitzustellen und damit ihre intendierte Wirkung
zu stärken. Eltern und Familien sollen einfacher herausfinden, welche Leistungen für sie
infrage kommen. Sie sollen auch Anträge einfacher und flexibler stellen können. Dabei können
intelligente Antragssysteme helfen, die Komplexität zu reduzieren und bei der Antragstellung
zu assistieren. Es ist auch eine Gelegenheit zu zeigen, wie Digitalisierung im Einklang und im
Dienste unserer Werte umgesetzt werden kann. Deshalb arbeitet das BMFSFJ an verschiedenen
Werkzeugen. Das Infotool Familienleistungen soll Eltern und Familien durch die Angabe
einiger Informationen dabei beraten, welche Leistungen für sie überhaupt infrage kommen.
Durch ständigen Ausbau und Anpassung an die Gesetzeslage kann das Tool aktuelle Hilfestel­
lung bieten und auf häufig vergessene Leistungen hinweisen.

Die aktuell beliebteste Familienleistung, das Elterngeld, wird die erste Leistung sein, die auch
online beantragt werden kann. Ab Herbst 2017 erhalten Eltern die Möglichkeit, mithilfe eines
Assistenten schrittweise durch den Antragsprozess geleitet zu werden. Nach und nach werden
Pilotländer über eine Schnittstelle an den Antragsassistenten angeschlossen, sodass Antrag­
stellerinnen und Antragsteller ihre Dokumente direkt elektronisch an die zuständige Eltern­
geldstelle übermitteln können.

Perspektivisch könnten auch weitere Leistungen online beantragt werden, mehr Information
und Beratung digital geschehen. Es ist technisch möglich, einmal erhobene Daten dazu zu
nutzen, automatisch zu prüfen, ob Antragstellerinnen und Antragstellern auch weitere Leis­
tungen zustehen, und diese proaktiv darüber zu informieren. Doch: Digitalisierung zu gestal­
ten, heißt, sie nicht als Selbstzweck zu verstehen, sondern den Sinn des Einsatzes digitaler
Mittel kontinuierlich und kritisch zu prüfen. Bürgerinnen und Bürger müssen auch künftig
die Wahl haben, welchen Digitalisierungsgrad sie nutzen möchten. Herkömmliche Antragswe­
ge dürfen genauso wenig verschwinden wie persönliche Beratung. Nicht alle Leistungen eig­
nen sich in gleicher Weise für Digitalisierung. Und: Eine moderne Verwaltung gibt Nutzerin­
nen und Nutzern die Hoheit über ihre Daten. Sie sollen jederzeit in der Lage dazu sein, von
ihnen bereitgestellte Daten einzusehen, zu bearbeiten, zu löschen und zu erfahren, wer und
wann auf ihre Daten zugegriffen hat.

140 D21 E-Government Monitor, abrufbar unter: http://initiatived21.de/publikationen/egovernment-monitor-2016/.


Seite 99 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

VII.
Inklusives Wachstum –
Investitionen in Familie

7.1 C
 hancen durch Investitionen in eine wirkungsorientierte
Familien- und Gesellschaftspolitik

Familienpolitik ist Wachstumspolitik141, 142


Inklusives Wachstum entspricht den Traditionen der sozialen Marktwirtschaft, die Lebens­
chancen für alle mit einer fairen Teilhabe an erarbeitetem Wohlstand als wichtigen Erfolgsga­
ranten vorsieht. Zur Erreichung dieses Ziels sind gezielte Investitionen in eine nachhaltige
Familienpolitik wesentlich. Dabei weisen die Ziele der Familienpolitik enge Bezüge zur Wirt­
schaftspolitik auf. So weist das Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen starken
Wirkungsbezug zum Arbeitsmarkt auf, das Ziel einer guten Entwicklung von Kindern hat
seinen Bezug zur Bildung, das Ziel der wirtschaftlichen Stabilität von Familien hat einen Bezug
zu vorbeugender Sozialpolitik und das Ziel, Kinderwünsche erfüllbar zu machen, verweist auf
Bezüge zur demografischen Entwicklung. Dieser Zielkanon wurde in der 18. Legislaturperiode
familienpolitisch durch die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben
für Mütter und Väter erweitert.

Die familienpolitischen Zieldimensionen werden seit dem 7. Familienbericht mit einem In-
strumentendreiklang aus Geld, Infrastruktur und Zeit verfolgt (s. Abbildung 76). Dem wachs­
tumspolitischen Referenzsystem liegen drei Wachstumsfaktoren zugrunde: Das Humanpoten­
zial, aus dem die Fachkräftebasis für die arbeitsteiligen Wirtschaftsprozes­se geschöpft werden
kann, ergibt sich aus der Zahl der Erwerbstätigen („Köpfe“), der von ihnen geleisteten Arbeits­
zeit („Zeit“) sowie ihrer stunden- oder kopfbezogenen Arbeitsproduktivität („Produktivität“).
Mit Blick auf dieses Referenzsystem für Wachstumsvorsorge kommt einer wie oben angelegten
Familienpolitik hohe Bedeutung zu, denn sie vermag auf alle drei Sicherungspfade positiv
einzuwirken (vgl. Abbildung 76):

❙❙ F
 amilienbezogene Leistungen und Maßnahmen können die Zahl der „Köpfe“ erhöhen,
indem sie Rahmenbedingungen schaffen, die jungen Paaren die Entscheidung für das erste
Kind und weitere Kinder erleichtern.

141 Dieses Kapitel basiert auf BMFSFJ (Hrsg.) (2017): Monitor Familienforschung Nr. 36; Investitionen in Infrastruk­
tur für Familien – ein Motor für inklusives Wachstum.
142 Dieser Abschnitt beruht auf Ausführungen von Dr. Hans-Peter Klös (IW Köln), aufbereitet in: Prognos AG (2016):
Zukunftsreport Familie 2030 (Langfassung unter: https://www.prognos.com/uploads/tx_atwpubdb/160928_
Langfassung_Zukunftsreport_Familie_2030_final.pdf, letzter Abruf am 15.03.2017).
Seite 100 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

❙❙ F
 amilienbezogene Leistungen und Maßnahmen können sich positiv auf den Faktor „Zeit“
auswirken, indem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und es so Personen
mit Familienverantwortung und hier insbesondere Müttern ermöglichen, im gewünschten
Umfang erwerbstätig zu sein.

❙❙ S
 chließlich kann Familienpolitik auch die „Produktivität“ steigern, indem sie im Rahmen
der frühkindlichen Bildung ein solides Fundament für die Kompetenzentwicklung junger
Menschen legt.

Auch zwischen dem familienpolitischen Instrumentendreiklang aus Zeit, Geld und Infra­
struktur und dem wachstumspolitischen Zieldreieck Köpfe, Zeit und Produktivität bestehen
Ziel-Mittel-Beziehungen. So ist etwa der Ausbau der Kinderbetreuung finanziell äquivalent zu
monetären Transfers zum Zukauf von Betreuung durch die Familien. Gleichzeitig schafft der
Ausbau der Infrastruktur auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Zeitverwendungen. In
der Abbildung 76 sind die Pfeile von Geld und Zeit auf die Wachstumsfaktoren gestrichelt
dargestellt, weil die Infrastruktur in diesem Blickpunkt den zentralen Betrachtungsgegen­
stand darstellt.

Abbildung 76: Familienpolitik und Wachstum (stilisierte Zusammenhänge)

„Köpfe“
Geld Bevölkerung
Fertilität

„Zeit“
Infrastruktur Erwerbstätigkeit
Arbeitsvolumen

„Produktivität“
Zeit Bildungsniveau
Well-being

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Chancen für 2030143


Mütter und Väter wünschen sich eine flexiblere Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit.
Wenn die Politik diese Wünsche aufnimmt und mit geeigneten familienbezogenen Leistungen
unterstützt, kann dies positive Effekte mit sich bringen. Vor diesem Hintergrund hat die Prog­
nos AG verschiedene Szenarien berechnet. Demnach kann für das Jahr 2030 ein „Szenario der
genutzten Chancen“ (Chancen-Szenario) erwartet werden, in dem Mütter ihre Erwerbstätigkeit
weiter ausbauen und Väter etwas weniger arbeiten und mehr Zeit für die Familie verwenden
können.

143 Vgl. Prognos AG (2016): Zukunftsreport Familie 2030 (https://www.bmfsfj.de/blob/111074/6b3a8f95d3ee2f671c8


0ab910ca58aaa/zukunftsreport-familie-2030-prognos-data.pdf, letzter Abruf am 15.03.2017).
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Konkrete Berechnungen zeigen: Gelingt es, den Wünschen der Mütter und Väter zu entspre­
chen, wird sich die sozioökonomische Situation von Familien im Jahr 2030 deutlich verbessert
haben. Im Chancen-Szenario ergibt sich, dass:
1) das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Familien zusätzlich zur allgemeinen
Preissteigerung um rund 1.400 Euro steigen kann,

2) die Zahl der Eltern und Kinder, die armutsgefährdet sind, um rund 470.000 Personen
zurückgehen kann,

3) die Zahl der Personen in Haushalten mit SGB-II-Bezug um rund 670.000 Personen
sinken kann und

4) rund 790.000 mehr Mütter sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein können.

Eine Weiterentwicklung der Familienpolitik hat dann auch positive Auswirkungen auf die
Gesamtwirtschaft. Der Anstieg der Erwerbstätigenquote sowie der Erwerbsumfänge führt zu
einem Anstieg des Arbeitsvolumens um mehr als 3 Prozentpunkte. Das Bruttoinlandsprodukt
kann damit um rund 70 Milliarden Euro höher liegen.

Diese Zahlen ergänzen die Aussagen des Bundesministeriums der Finanzen zur Tragfähigkeit
der öffentlichen Haushalte, wonach eine zielgenaue Gestaltung familienbezogener Leistungen
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland weiter verbessern und durch Refinanzierungs­
effekte positive Wirkungen auf die öffentlichen Finanzen entfalten kann.144

7.2 Wirkungen einer guten Infrastruktur für Familien

Zeitpolitik gehört zum Instrumentarium der familienbezogenen Leistungen. In diese Katego­


rie fallen zum einen die Elternzeit und das Elterngeld, die jungen Eltern in der frühen Famili­
enphase Optionen und Sicherheit verschaffen. Eine zusammenfassende Auswertung primär
ökonomischer Studien zeigt, dass das Elterngeld als Lohnersatzleistung die wirtschaftliche
Stabilität junger Familien im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes im Durchschnitt
erhöht. Die Erwerbstätigkeit von Müttern hat durch das Elterngeld im ersten Lebensjahr nach
der Geburt ab- und im zweiten Lebensjahr zugenommen.145

Zum anderen gibt es vor Ort zeitpolitische Gestaltungsspielräume für Familien.

144 Vgl. BMF (2016): Vierter Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums.


145 Vgl. Mathias Huebener/Kai-Uwe Müller/C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich (2016): Zehn Jahre Eltern­
geld: Eine wichtige familienpolitische Maßnahme, in: DIW Wochenbericht Nr. 49/2016.
Seite 102 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

Aspekte einer lokalen Zeitpolitik für Familien146

Eine Systematisierung zeitpolitischer Ansatzpunkte einer lokalen Familienzeitpolitik wurde


vom IW Köln für eine empirische Studie über ihre Kosten und Nutzen entwickelt. Insgesamt
wurden sechs Ansatzpunkte untersucht:147

1) 
Ausweitung von Betreuungszeiten in Kita, Kindergarten und Grundschule in den Nachmittag:
Eine durchgängige Betreuung der Kinder bis in den Nachmittag (z. B. bis 15:00 Uhr) ermög­
licht den Eltern pro Woche rund zwei Stunden mehr Zeit für die Familie und vier Stunden
mehr Erwerbszeit.

2) 
Koordinierung von Betreuungsangeboten zu Randzeiten: Hier lägen die Zeitgewinne bei
rund 1,5 Stunden für die Familie und rund zwei Stunden für die Erwerbsarbeit pro Woche.

3) 
Sicherung von Schulwegen: Durch die größere Mobilität und Selbstständigkeit der Kinder
bei an gefährlichen Stellen gesicherten Verkehrswegen würden Eltern jeweils rund 45
Minuten pro Woche für Familien- und Erwerbsarbeit gewinnen.

4) 
Ausbau des ÖPNV-Angebots zu typischen Arbeitszeiten: Hier lägen die Effekte bei rund 2,5
Stunden für die Familie und 1,5 Stunden für die Erwerbsarbeit, wenn eine Mindesttaktung
von 30 Minuten erreicht würde.

5) 
Flexibilisierung der Arbeitszeit: Wenn Arbeitszeiten im Umfang von nur ein bis zwei Stun­
den selbst gestaltet werden können, liegen die Zeitgewinne für beide Partner im Durch­
schnitt bei je einer halben Stunde für Familie und Erwerbsarbeit pro Woche. Betrachtet
man nur die Eltern, bei denen flexible Arbeitszeit möglich ist, liegen die Zeitgewinne deut­
lich über einer Stunde.

6) 
Flexibilisierung des Arbeitsorts: Die Möglichkeit, fallweise von zu Hause arbeiten zu können,
würde durchschnittliche Zeitgewinne von je 20 Minuten für die Familien- und Erwerbsar­
beit pro Woche bringen. Betrachtet man auch hier nur die Eltern, bei denen Heimarbeit
grundsätzlich möglich ist, liegen die Zeitgewinne jeweils deutlich über einer Stunde.

Dabei sind die Zeitgewinne, die mit der Flexibilisierung des Arbeitsortes einhergehen können,
äußerst konservativ geschätzt. Eine andere repräsentative Studie weist deutlich höhere Zeitge­
winne für Familien aus. Demnach sparen berufstätige Eltern, die im Homeoffice und/oder
mobil arbeiten, im Wochendurchschnitt 4,4 Stunden pro Woche. Dieser Zeitgewinn, der über­
wiegend aus wegfallenden Wegezeiten resultiert, wird von den meisten Familien als gemeinsa­
me Familienzeit genutzt.148

Fokus auf Betreuung und Müttererwerbstätigkeit


Grundlegende Untersuchungen im Rahmen der Gesamtevaluation ehe- und familienbezoge­
ner Leistungen belegten und aktuelle methodisch verfeinerte Ansätze bestätigen die positiven

146 Vgl. IW Köln & Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln (2017): Kosten und
Nutzen lokaler Familienzeitpolitik – Kurzfassung (im Erscheinen).
147 Ebd.
148 BMFSFJ (2016): Digitalisierung – Chancen und Herausforderungen für die partnerschaftliche Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Expertise der Roland Berger GmbH im Rahmen des Unternehmensprogramms Erfolgsfaktor
Familie.
Seite 103 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

Effekte der öffentlich geförderten Kinderbetreuung auf die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf: Mütter, die für die Betreuung ihres unter dreijährigen Kindes u. a. externe Angebote
nutzen, haben eine um 35 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit als andere Mütter,
erwerbstätig zu sein. Sie arbeiten im Schnitt zwölf Stunden pro Woche mehr als Mütter, die
entsprechende Angebote nicht nutzen. Diese Effekte kommen vor allem dadurch zustande,
dass Mütter aus der Nichterwerbstätigkeit herausgehen und eine Beschäftigung aufnehmen.
Ähnliche Ergebnisse finden sich für Mütter, die eine externe Kinderbetreuung für ihr drei- bis
unter sechsjähriges Kind, und auch für Mütter, die Ganztagsbetreuungsangebote für ihr Schul­
kind nutzen.149, 150

Der Betreuungsbedarf von Kindern endet nicht mit der Einschulung. Das DIW hat daher die
Grundschulzeit in den Fokus einer Untersuchung gestellt und untersucht, wie nachmittägliche
Betreuungsmöglichkeiten für Grundschulkinder mit der Erwerbstätigkeit von Müttern zusam­
menhängen. Abbildung 77 zeigt, dass Mütter, die vor dem Schuleintritt des Kindes nicht erwerbs­
tätig waren, häufiger in die Erwerbstätigkeit einsteigen, wenn das Kind auch nachmittags eine
Schule besucht. Auch für Mütter, die vor dem Schuleintritt ihres Kindes vollzeiterwerbstätig
waren, zeigt sich, dass sie häufiger als andere Mütter in der Vollzeittätigkeit verbleiben, wenn ihr
Kind nachmittags betreut wird.

Abbildung 77: Veränderung der Erwerbsbeteiligung von Müttern mit dem Schuleintritt des Kindes

Nachmittags-
Nicht erwerbstätig

65 % 28 % 7%
vor Schuleintritt

betreuung

keine
Nachmittags- 79 % 19 % 2%
betreuung

Nachmittags-
Teilzeit erwerbstätig

9% 83 % 8%
vor Schuleintritt

betreuung

keine
Nachmittags- 12 % 84 % 4%
betreuung
Vollzeit erwerbstätig

Nachmittags- 8% 10 % 82 %
vor Schuleintritt

betreuung

keine
Nachmittags- 9% 17 % 74 %
betreuung

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
Nicht erwerbstätig nach Schuleintritt Teilzeit erwerbstätig nach Schuleintritt Vollzeit erwerbstätig nach Schuleintritt

Quelle: SOEP v31 (Wellen 1999–2014), Berechnungen des DIW Berlin (DIW Wochenbericht Nr. 47/2016, S. 1129).

149 Vgl. Helmut Rainer et al. (2011): Kinderbetreuung, ifo Forschungsbericht 59.
150 Vgl. Stefan Bauernschuster et al. (2016): Children of a (Policy) Revolution: The Introduction of Universal Child
Care and Its Effect on Fertility, in: Journal of the European Economic Association (2016) 14 (4), 975–1005.
Seite 104 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

Ein weiteres zentrales Ergebnis ist, dass die institutionalisierte Nachmittagsbetreuung von
Erstklässlerinnen und Erstklässlern in Ganztagsschulen oder Horten dafür sorgt, dass mehr als
11 Prozent der Mütter, die vor der Einschulung ihres Kindes nicht berufstätig waren, eine
Erwerbstätigkeit aufnehmen. Mütter, die bereits zuvor einem Job nachgingen, weiten ihre
Arbeitszeit um durchschnittlich zweieinhalb Stunden pro Woche aus.151

Ähnliche Effekte werden auch für Mütter mit älteren Schulkindern ermittelt: Beim Vorhan­
densein eines Ganztagsschulangebots in der Gemeinde ist die mütterliche Wochenarbeitszeit
im Kindesalter von 15 Jahren um 2,8 Stunden höher, als wenn kein solches Angebot vorliegt.152

7.3 Renditen von Investitionen für Familien

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung erleichtert es Müttern, ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten.


Das belegt die amtliche Statistik: Die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren ist von
14 Prozent im Jahr 2006 auf 33 Prozent im Jahr 2015 angestiegen. Im selben Zeitraum stieg die
Erwerbstätigenquote von Müttern mit Kindern im Alter von zwei bis drei Jahren von 42 Pro­
zent auf 58 Prozent.

Durch die gestiegene Müttererwerbstätigkeit werden zusätzliche Einkommen erwirtschaftet.


In der Folge steigen auch die Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen und die Notwendig­
keit, Sozialtransfers zu zahlen, geht zurück. So ermitteln die Studien der Gesamtevaluation
Selbstfinanzierungsquoten, also den Anteil an zusätzlichen Einnahmen sowie Ausgabensen­
kungen an den gesamten (laufenden) Ausgaben, die zwischen 41 und 48 Prozent im Krippen-
und Kindergartenbereich und zwischen 66 und 99 Prozent im Bereich der Betreuung in Ganz­
tagsschulen liegen.153

Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen eines umfänglichen Betreuungsausbaus


Neuere Studien bestätigen und vertiefen diese Erkenntnisse im Hinblick auf Amortisationszei­
ten und Verteilungs- und Generationengerechtigkeit entsprechender Ausbauprogramme für
die Ganztagsbetreuung. Als direkte Wirkfaktoren sind 1) der bessere Bildungserfolg der Kinder,
der zeitverzögert die Anzahl der Erwerbspersonen mit abgeschlossener Berufs- oder Hoch­
schulausbildung steigert, sowie 2) die positiven Arbeitsangebotseffekte der Mütter zu nennen.

Im Ergebnis einer Berechnung154 von gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der öffentlichen


Investitionen in Ganztagseinrichtungen zeigt sich ein Beschäftigungszuwachs von +520.000
Vollzeitäquivalenten (VZÄ). Dieser Zuwachs ist auf eine Reduktion der Arbeitslosigkeit
(-220.000 Personen) – insbesondere bei Alleinerziehenden –, auf eine Abnahme von atypischer
Beschäftigung (-218.000 VZÄ) sowie langfristig auf den Bildungserfolg der betroffenen Kinder

151 Vgl. Ludovica Gambaro/Jan Marcus/Frauke Peter (2016): Ganztagsschule und Hort erhöhen die Erwerbsbeteili­
gung von Müttern mit Grundschulkindern, in: DIW Wochenbericht 47/2016, S. 1123–1131.
152 Vgl. Christina Boll/Malte Hoffmann (2017): Elterliches Erwerbsverhalten und kindlicher Schulerfolg - Analysen
für Deutschland mit einem separaten Fokus auf Interaktionseffekten des Ganztagsschulsystems und einem
Ländervergleich Deutschland – Schweden.
153 Vgl. Helmut Rainer et al. (2011): Kinderbetreuung, ifo Forschungsbericht 59.
154 Vgl. Tom Krebs et al. (2016): Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen und fiskalischen Effekte ausgewählter
Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen in Deutschland.
Seite 105 Kapitel 7 Inhalt zurück weiter

bzw. die sinkende Zahl der Erwerbspersonen ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung
zurückzuführen. Selbst wenn der Bildungseffekt ausbliebe, wären positive Beschäftigungsef­
fekte von rund +470.000 Tsd. VZÄ zu erwarten. Die Investition in Ganztagsbetreuung trägt also
zu inklusivem Wachstum bei, weil sie nicht nur das Wirtschaftswachstum fördert, sondern
Alleinerziehende und atypisch Beschäftigte von diesem Wachstum besonders profitieren und
ihre sozialen Teilhabemöglichkeiten erhöhen.

Öffentliche Investitionen in Ganztagseinrichtungen belasten einerseits den öffentlichen Haus­


halt durch einmalige Investitionen und laufende Betriebskosten; andererseits werden durch
resultierende Beschäftigungs- und Lohneffekte Steuern und Sozialabgaben gesteigert und die
Ausgaben für Sozialleistungen reduziert. In der Summe lohnen sich die Investitionen: Bereits
nach sechs Jahren entstehen dadurch Budgetüberschüsse; die fiskalische Amortisationszeit des
Investitionsprogramms beträgt elf Jahre.

Wohlstandsgewinne würden sich durch eine Steigerung des BIP um 1,1 Prozent gegenüber heute
zeigen. Die fiskalischen Nettoeinnahmen liegen nach 20 Jahren bei 10.634 Milliarden Euro.

Steuerliche Effekte durch Investitionen in Ganztagsangebote für Grundschulkinder


Eine aktuelle Untersuchung hat verdeutlicht, dass es für durchgängige Berufsbiografien von
Müttern unerlässlich ist, dass die Ganztagsbetreuung auch dann gewährleistet ist, wenn die
Kinder in die Grundschule gehen. Hier besteht in Deutschland Ausbaubedarf: Rund 560.000
zusätzliche Plätze und ergänzende Angebote werden benötigt, um den Betreuungsbedarf für
Kinder im Grundschulalter zu decken.155

Allein die Schaffung von rund 280.000 fehlenden Ganztagsplätzen für Schulkinder kann mit
positiven steuerlichen Effekten einhergehen. Grund ist, dass rund 135.000 Mütter mit jüngs­
tem Kind im Alter zwischen sechs und unter zehn Jahren keine Ganztagsbetreuung nutzen.
Diese Mütter haben den Wunsch, sofort eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder ihre Arbeits­
zeit auszudehnen. Sie würden bei entsprechender Erwerbstätigkeit zusätzliche Steuereinnah­
men von rund 230 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaften. Damit würden rund 58 Prozent der
zusätzlichen laufenden Staatsausgaben für die Ganztagsplätze (rund 400 Millionen Euro)
refinanziert.156

Zusätzlich zu diesen steuerlichen Effekten könnten Staat und Gesellschaft weiter profitieren:
Durch die zusätzlich geleistete Erwerbsarbeit würden Beiträge generiert, die den Sozialversi­
cherungen zugutekämen. Darüber hinaus würden langfristig Bildungsrenditen entstehen, weil
bei guter Qualität der Ganztagsangebote Grundschulkinder individuell gefördert werden.

155 P rognos AG (2017): Gute und verlässliche Ganztagsangebote für Grundschulkinder.


156 Unveröffentlichte Schätzungen der Prognos AG für das BMSFSJ (2017).
Seite 106 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

VIII.
Die Sicht der Bevölkerung

8.1 Familien erwarten Unterstützung durch die Familienpolitik

Mütter und Väter in Deutschland erwarten mehrheitlich eine Unterstützung ihrer Familien
durch die Familienpolitik des Staates. Diese Einstellung ist nicht neu. Schon vor mehr als zwei
Jahrzehnten befürwortete eine große Mehrheit von 92 Prozent der Eltern mit minderjährigen
Kindern und 83 Prozent der Gesamtbevölkerung staatliche Hilfen für Familien. Nur eine
Minderheit von 3 Prozent der Eltern und 9 Prozent der Gesamtbevölkerung vertrat dagegen die
Auffassung, dass Elternschaft und Kinder „reine Privatsache“ seien.157 Solche Haltungen herr­
schen bis heute kaum verändert vor. Derzeit finden 92 Prozent der Eltern und 87 Prozent der
Gesamtbevölkerung die staatliche Familienförderung angemessen oder wünschen sich sogar
noch eine Ausweitung. Nur 2 Prozent der Eltern wie auch der Gesamtbevölkerung sehen ein
Übermaß der staatlichen Unterstützung.158

Begründungen für die fast durchgängigen Erwartungen an den Staat werden in aktuellen
qualitativen Ermittlungen erkennbar.159 Oft gründet der Anspruch auf dem Selbstverständnis
der Familien als „sozialer Mitte“ der Gesellschaft. Durch die Geburt und Erziehung von Kin­
dern übernähmen Mütter und Väter eine unverzichtbare Aufgabe für die gesamte Gesellschaft.
Hierbei erführen sie auch Nachteile gegenüber anderen. Deshalb müsse die Gesellschaft im
Gegenzug die Familien unterstützen und mögliche Benachteiligungen ausgleichen. Solche
Unterstützung der Familien wird von den Eltern wie vom Rest der Bevölkerung als zentrale
Aufgabe der Familienpolitik betrachtet.

Dabei soll die staatliche Unterstützung den Lebenslagen unterschiedlicher Familien gerecht
werden. Zusammen mit einer finanziellen und steuerlichen Förderung für alle soll es auch
spezifische, dem Einzelfall gerecht werdende Hilfen geben. Besonderen Unterstützungsbedarf
nehmen Eltern derzeit für eine ganze Reihe von Familien wahr. Am häufigsten genannt wer­
den Alleinerziehende, Familien mit geringem Einkommen, Familien mit drei oder mehr Kin­
dern und nicht zuletzt auch Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind.160

Viele wünschen sich durch die Familienpolitik vorrangig Hilfe zur Selbsthilfe. Sie erwarten
Unterstützung bei der Verwirklichung eigener Pläne und Entwürfe, etwa im Hinblick auf die

157 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 6002, 1994.


158 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, 2016.
159 Institut für Demoskopie Allensbach, (2017): Familien erreichen. Wie Familien leben und was sie von der Fami­
lienpolitik erreichen, Allensbach.
160 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11072, 2017.
Seite 107 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

Familiengründung, auf eine Berufstätigkeit der Eltern oder die Möglichkeiten zur Förderung
der Kinder.

8.2 D
 er Stellenwert der Familienpolitik zur Sicherung einer guten
Zukunft

Eine aktive Familienpolitik, die Familien in allen Lebenslagen unterstützt, gilt auch als
Vo­raussetzung für eine gute Zukunft der Gesellschaft. Wenn nach den „wichtigsten Aufgaben,
um Deutschland eine gute Zukunft zu sichern“, gefragt wird, nennt deshalb etwa die Hälfte
der Bevölkerung familienpolitische Ziele wie die Förderung junger Familien mit Kindern
(51 Prozent) und den Ausbau und die Instandhaltung von Betreuungs- und Bildungsreinrich­
tungen. 43 Prozent denken an die Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.161

Damit rangiert der Beitrag der Familienpolitik zur Sicherung einer guten Zukunft in den
Augen der Bürgerinnen und Bürger gleichauf mit einer Reihe anderer viel diskutierter politi­
scher Ziele wie etwa der Verbesserung der inneren Sicherheit (55 Prozent), der Verbesserung
des Bildungssystems (53 Prozent), der Stabilisierung der Preise (51 Prozent), dem Klimaschutz
(48 Prozent), der Stabilisierung des Euros (46 Prozent) und der Reform des Gesundheitswesens
(45 Prozent). Etwas häufiger als die Familienpolitik werden die Bekämpfung der Arbeitslosig­
keit (58 Prozent) und die Beförderung des Wirtschaftswachstums (58 Prozent) genannt.

Den höchsten Stellenwert misst die Gesamtbevölkerung seit Langem der Sicherung der Renten
bei (79 Prozent).162 Für Eltern mit minderjährigen Kindern ist die Realisierung familienpoliti­
scher Ziele etwa in gleichem Maße prioritär: 69 Prozent der Mütter und Väter rechnen die
Familienförderung zu den wichtigsten Aufgaben zur Sicherung einer guten Zukunft in
Deutschland.163

8.3 Vereinbarkeitspolitik als prioritäres Handlungsfeld

Ganz oben auf der familienpolitischen Aufgabenliste der Bevölkerung steht die Verbesserung
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 71 Prozent der Bevölkerung und 74 Prozent der
Eltern wünschen sich hier einen besonderen Schwerpunkt der Familienpolitik. Auch in den
vergangenen Jahren hatte diese Aufgabe für die Bevölkerung stets Priorität.

Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören u. a. die Verbesserung der Betreu­
ungsangebote auch für Schulkinder (55 Prozent der Gesamtbevölkerung bzw. 59 Prozent der
Eltern mit minderjährigen Kindern), Hilfen für jene Familien, in denen beide Elternteile glei­
chermaßen berufstätig sein wollen (53 bzw. 61 Prozent), und bessere Voraussetzungen für den
Wiedereinstieg in den Beruf im Anschluss an eine Familienphase (48 Prozent bzw. 55 Prozent).
In einem weiteren Sinne zählt auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

161 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, 2016.


162 Ebd.
163 Ebd.
Seite 108 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

noch dazu (55 bzw. 48 Prozent), da ja meist Angehörige gepflegt werden. 66 Prozent halten
mehr Unterstützung für die pflegenden Angehörigen von Demenzkranken für notwendig.164

Abbildung 78: Familienpolitische Agenda der Bevölkerung

Da sollten die Schwerpunkte der


Familienpolitik liegen
– Top 10 – Bevölkerung Eltern mit Kindern
insgesamt unter 18 Jahren

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern 71 % 74 %

Familien steuerlich stärker entlasten 57 % 72 %

Personen unterstützen, die pflegebedürftige Angehörige


66 % 61 %
zu Hause betreuen, z. B. Demenzkranke

Die Voraussetzungen für Eltern verbessern, dass beide


53 % 61 %
Partner gleichermaßen berufstätig sein können

Sich für einen besseren Schutz von Kindern vor


59 % 60 %
Vernachlässigung und Gewalt im Elternhaus einsetzen

Für ein verbessertes Angebot an Betreuungsmöglichkeiten


55 % 59 %
für Schulkindersorgen, z. B. über Ganztagsangebote oder Horte

Junge Familien finanziell stärker fördern, z. B. durch 49 % 58 %


mehr Kindergeld

Dass Kinder von bedürftigen Familien bessere


Bildungschancen und bessere Möglichkeiten haben, an 55 % 57 %
Freizeitangeboten teilzunehmen

Die Voraussetzungen für den Wiedereinstieg in den 48 % 55 %


Beruf nach Familienphase verbessern

Dass es einfacher wird, die Pflege von Angehörigen 55 % 48 %


mit der Berufstätigkeit zu vereinbaren

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, Mai 2016.

8.4 Unterstützung für berufstätige Elternpaare

Flexible Arbeits- und Betreuungszeiten gelten vielen als wichtige Voraussetzungen für eine
Berufstätigkeit beider Elternteile in der Familie. 78 Prozent der Gesamtbevölkerung betrachten
flexible Arbeitszeiten als wesentliche Erleichterung für berufstätige Elternpaare, 59 Prozent
flexible Betreuungszeiten (Abbildung 79).

Hilfen, um beiden Elternteilen eine Berufstätigkeit zu ermöglichen, werden zum einen von
familienpolitischen Maßnahmen erwartet. Dazu gehören bessere Betreuungsmöglichkeiten

164 Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, 2016.


Seite 109 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

(63 Prozent), Erleichterung der Berufsrückkehr nach der Familienphase (54 Prozent), finanziel­
le Unterstützung für Eltern, die ihre Arbeitszeit eine Zeit lang wegen der Familie reduzieren
möchten (43 Prozent). Aber auch spezifisch erwerbsbezogene Maßnahmen hat die Bevölke­
rung dazu im Blick: Angebote der Betriebe zur Kinderbetreuung (59 Prozent), differenzierte
Teilzeitangebote, die sich nicht auf Halbtagsangebote beschränken (56 Prozent), und auch die
Erleichterung der Rückkehr aus der Teilzeit in die Vollzeit (50 Prozent).

Besondere Erwartungen knüpfen sich an die Möglichkeit, die Arbeit aus dem Betrieb in
das heimische Homeoffice zu verlegen. 66 Prozent der Gesamtbevölkerung und 68 Prozent
der Mütter und Väter minderjähriger Kinder würden sich davon eine Erleichterung für Famili­
en mit zwei berufstätigen Elternteilen erwarten. Zwar hat sich das breite Interesse, das sich
noch vor einigen Jahren auf die Heimarbeit richtete, inzwischen etwas verringert. Doch nach
wie vor gilt die moderne Heimarbeit als attraktives Angebot für berufstätige Eltern kleinerer
Kinder. Tatsächlich zeigt eine Umfrage unter jenen Eltern, die mithilfe von Computer und
Internet zu Hause arbeiten, eine deutlich erleichterte Vereinbarkeit von Familie und Beruf.165

Abbildung 79: Hilfen für berufstätige Elternpaare

Frage: „Wenn in einer Familie mit Kindern beide Elternteile berufstätig sein möchten und beide Zeit für die Familie haben
wollen: Was glauben Sie, was würde den Eltern dabei besonders helfen, was von dieser Liste hier würden Sie nennen?“
Das würde den Eltern helfen
– Auszug häufigste Nennungen – Bevölkerung Eltern mit Kindern
insgesamt unter 18 Jahren

Flexible Arbeitszeiten (Gleitzeit, Arbeitszeitkonten usw.) 78 % 80 %

Mehr Möglichkeiten, von zu Hause oder unterwegs zu


66 % 68 %
arbeiten

Bessere Betreuungsmöglichkeiten für kleinere Kinder


63 % 65 %
und Schulkinder

Wenn Betriebe Kinderbetreuungsmöglichkeiten


59 % 58 %
anbieten

Flexiblere Betreuungszeiten 59 % 63 %

Wenn es verschiedene Möglichkeiten der Teilzeitarbeit


56 % 63 %
gibt. z. B. was die Stundenzahl angeht

Wenn Staat und Betriebe dafür sorgen, dass es leichter wird, 54 % 56 %


nach der Familienphase wieder in den Beruf einzusteigen

Wenn die Rückkehr von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle


50 % 53 %
nach der Familienphase erleichtert wird

Wenn Eltern, die ihre Arbeitszeit wegen der Familie


reduzieren möchten, vom Staat für einen begrenzten 43 % 54 %
Zeitraum finanziell unterstützt werden

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11056, Mai 2016.

165 Institut für Demoskopie Allensbach (2015): Zu Hause arbeiten. Chancen der Digitalisierung für die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, Allensbach.
Seite 110 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

8.5 V
 ereinbarkeitspolitik als gemeinsame Aufgabe von
Unternehmen, Staat und Gewerkschaften

Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird von der Bevölkerung als
gemeinsame Aufgabe von Unternehmen, Staat und Gewerkschaften betrachtet. Zwei Drittel
der Bevölkerung richten ihre Erwartungen dazu sowohl auf den Staat wie auch auf die Unter­
nehmen (67 Prozent). 17 Prozent sehen allein den Staat in der Verantwortung, 10 Prozent die
Unternehmen.166

Auch die Gewerkschaften sieht die Bevölkerung dabei mit in der Pflicht. Zur Verbesserung der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwarten 71 Prozent der Eltern mit minderjährigen
Kindern und 66 Prozent der Gesamtbevölkerung zudem einen Einsatz der Gewerkschaften.
Ebenso werden flexiblere Arbeitszeiten als wichtiges Ziel für die Gewerkschaften betrachtet:
60 Prozent der befragten Eltern mit minderjährigen Kindern und 51 Prozent der Gesamtbe­
völkerung erwarten dazu Beiträge der Gewerkschaften (Abbildung 80).167

Abbildung 80: Aufgaben, um die sich Gewerkschaften auch kümmern sollten

Frage: „Einmal abgesehen von höheren Löhnen und kürzeren Arbeitszeiten: Welches sind Ihrer Meinung nach die
wichtigsten Ziele, für die sich die Gewerkschaftten in Deutschland zurzeit auch noch einsetzen sollten?“
Eltern mit
– Auszug: Die häufigsten Nennungen – Bevölkerung minderjährigen
insgesamt Kindern

Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf 66 % 71 %

Bessere Leistungen, z. B. bei der Renten-, Kranken- 52 % 44 %


und Arbeitslosenversicherung

Flexiblere Arbeitszeiten 51 % 60 %

Besserer Kündigungsschutz 48 % 49 %

Bessere Gesundheitsvorsorge für Beschäftigte 47 % 38 %

Bessere Wiedereingliederung von (Langzeit-)


44 % 33 %
Arbeitslosen

Das Rentenalter wieder herabsetzen 42 % 42 %

Dass Betriebe Fortbildungsmaßnahmen finanziell


41 % 45 %
stärker unterstützen (auch während der Elternzeit)

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11049 (November/Dezember 2015).

166 A llensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11042.7227, 2015.


167 Institut für Demoskopie Allensbach (2015): Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aufgabe für Gewerk­
schaften und Betriebsräte, Allensbach.
Seite 111 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

Viele wünschen sich, dass die Gewerkschaften auch auf Maßnahmen hinwirken, die Elternpaaren
eine partnerschaftlich-gleichgewichtige Aufteilung der Berufsarbeit ermöglichen: 59 Prozent
erwarten einen Einsatz der Gewerkschaften gegen berufliche Nachteile für Väter, die zur Kinderbe­
treuung eine Weile aus dem Beruf ausscheiden. 52 Prozent wünschen sich den besonderen Einsatz
der Gewerkschaften dafür, dass auch die Väter kleinerer Kinder Teilzeit arbeiten können. Nicht
zuletzt ist in diesem Zusammenhang die vollzeitnahe Teilzeit bedeutsam. 55 Prozent fänden einen
Einsatz der Gewerkschaften für mehr vollzeitnahe Teilzeitarbeit von Eltern wichtig.

Die Hälfte der Bevölkerung erwartet darüber hinaus einen Beitrag der Gewerkschaften dazu,
dass Eltern von kleineren Kindern verstärkt von zu Hause aus arbeiten können. Dahinter steht
bei manchen die Erfahrung, dass mit der Arbeit im Homeoffice eine Erleichterung der Verein­
barkeit von Familie und Beruf einhergeht, insbesondere durch eine erhöhte zeitliche Flexibili­
tät und den Wegfall von Wegezeiten.

8.6 Bewertungen der Familienpolitik

Die Bevölkerung nimmt die familienbezogenen Leistungen und Initiativen wahr und schätzt
sie wert. Im Jahr 2016 sagten 51 Prozent der Bevölkerung, dass die Bundesregierung bei der
Familienförderung gute Arbeit leiste, im Jahr 2013 waren es noch 34 Prozent (Abbildung 81).
Insbesondere im Vergleich zu anderen Politikfeldern erfährt die Ausrichtung der Familienpoli­
tik mit der aktuellen Bewertung ein hohes Maß an Zustimmung.168

Abbildung 81: Da leistet die Bundesregierung gute Arbeit, 2004–2017, in Prozent

60 % 58 %
56 %
55 %
51 % 51 %
49 %
50 %
46 %
45 %

40 %
35 % 34 %
35 %
30 %
30 %

25 %

20 %

15 %
In der Familienpolitik höhere
10 % Zustimmung als in anderen
Politikfeldern
5%

0%
2004 2006 2007 2009 2010 2013 2014 2016 2017
... bei der Familienförderung

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfragen.

168 IfD Allensbach: Allensbacher Archiv. Basis: Bevölkerung ab 16 Jahre.


Seite 112 Kapitel 8 Inhalt zurück weiter

Die aktuellen Schwerpunkte der Familienpolitik werden von einer Mehrheit der Bevölkerung
befürwortet. Besonders begrüßt werden Maßnahmen, die Eltern bei der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf unterstützen. Nach den Befunden der aktuellen qualitativen Untersuchung
verstehen Eltern dabei Ansätze wie das Elterngeld und den Ausbau der Betreuungsangebote als
„Leuchtturmprojekte“ für das Ziel, den Wünschen und der veränderten Lebenswirklichkeit
von Familien gerecht zu werden.169 Dementsprechend bewertete 2016 eine große Bevölke­
rungsmehrheit von 75 Prozent das Elterngeld als „gute Sache“, und schon 2013 befürworteten
73 Prozent den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren.170

Solche Maßnahmen dienen nach Ansicht der Bevölkerung der Verringerung und Beseitigung
von Hindernissen, vor denen viele Eltern durch Veränderungen der Erwerbskonstellationen
und der Familienverhältnisse heute stehen. In qualitativen Interviews sprechen sich deshalb
häufig auch Eltern, deren Kinder die erweiterten Betreuungsmöglichkeiten nicht nutzen, für
den Betreuungsausbau aus. Es sei gerecht, wenn Mütter bessere Möglichkeiten für eine Berufs­
tätigkeit erhielten und Väter bessere Bedingungen für ihre Präsenz in ihren Familien.

Dabei beschreiben viele Eltern aber auch weiter bestehende Defizite, die ihrer Ansicht nach
schon in näherer Zukunft mehr Aufmerksamkeit der Familienpolitik verdient hätten. Solche
Wahrnehmungen sorgten 2013 bei 46 Prozent und derzeit noch bei 36 Prozent der Bevölke­
rung für den Eindruck, dass sich die Familienpolitik den veränderten Verhältnissen nicht
genügend anpasse.171 Besondere Aufmerksamkeit hätten danach in den kommenden Jahren die
Nachmittagsbetreuung und Förderung von Schulkindern verdient, zudem die Bekämpfung
der Kinderarmut, die steuerliche Besserstellung von Familien und zugleich auch bessere Mög­
lichkeiten für mehr gemeinsame Zeit in der Familie. Quantitative Ermittlungen zeigen eine
breite Zustimmung der Bevölkerung zu möglichen Leistungen bzw. Weiterentwicklungen von
Leistungen, die diesen Zielen dienen.172

8.7 L
 ebenslagen von Familien bis zum Jahr 2030: erwünschte
Entwicklungen

Für die fernere Zukunft erwartet ein Großteil der Bevölkerung das Weiterwirken von Ent­
wicklungen, die bereits die zurückliegenden Jahrzehnte prägten. Insbesondere werden eine
stärkere Erwerbsbeteiligung von Müttern in Vollzeit oder längerer Teilzeit (66 Prozent) und
mehr Ganztagsbetreuung von Kindern vorausgesehen (78 Prozent). Mit Blick auf diese Ent­
wicklungen wünschen sich 62 Prozent der Gesamtbevölkerung und 71 Prozent der Eltern mit
minderjährigen Kindern für die Zukunft bis 2030 einen noch stärkeren Einsatz von Staat und
Unternehmen für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die konkreten Maßnahmen, die der Bevölkerung dabei langfristig als notwendig vor Augen
stehen, dienen fast alle diesem Ziel: mehr Angebote für die Ganztagsbetreuung der Kinder

169 Institut für Demoskopie Allensbach (2017): Familien erreichen. Wie Familien leben und was sie von der Famili­
enpolitik erreichen, Allensbach.
170 A llensbacher Archiv: IfD-Umfragen 11056, 2016, und 11007.6265, 2013.
171 A llensbacher Archiv: IfD-Umfragen 11007, 2013, und 11066, 2017.
172 A llensbacher Archiv: IfD-Umfragen 11071 und 11072, 2017.
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(67 Prozent) und mehr Nutzung dieser Angebote (57 Prozent), Erleichterungen der Vollzeitbe­
rufstätigkeit von Müttern (47 Prozent) und bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten für
Mütter (42 Prozent).

Zugleich würde es eine Mehrheit der Bevölkerung begrüßen, wenn sich dann mehr Eltern die
Aufgaben in Familie und Beruf partnerschaftlich gleich teilen würden (56 Prozent). In diesem
Kontext werden für die Zukunft auch Hilfen für Väter von vielen befürwortet, insbesondere
bessere Möglichkeiten, für eine Phase Teilzeit zu arbeiten (43 Prozent) oder generell beruflich
kürzerzutreten, um mehr Zeit für die Familie zu haben (41 Prozent).

Abbildung 82: Erwünschte Entwicklungen bis zum Jahr 2030

Frage: „Hier auf der Liste stehen einige Möglichkeiten, wie die Situation von Familien in ungefähr 15 Jahren, also
ca. im Jahr 2030, aussehen könnte. Welche dieser Entwicklungen würden Sie begrüßen?“ (Listenvorlage)
Diese Entwicklung würde ich begrüßen
(Auszug: Die häufigsten Nennungen) Bevölkerung Eltern mit Kindern
insgesamt unter 18 Jahren

Es wird mehr Angebote für Ganztagsbetreuung geben 67 % 68 %

Staat und Unternehmen werden sich stärker bemühen,


62 % 71 %
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern

Die Förderung der Kinder wird eine größere Rolle spielen


62 % 62 %
als heute

Mehr Kinder werden in Ganztagsbetreuung sein 57 % 57 %

Mehr Eltern werden sich die Arbeit in der Familie gleich


56 % 50 %
aufteilen und im Beruf ähnlich viele Stunden arbeiten

Mütter werden es leichter haben, Vollzeit oder in längerer


47 % 44 %
Teilzeit berufstätig zu sein

Väter werden leichter eine Zeit lang Teilzeit arbeiten


können, wenn sie sich stärker an der Familienarbeit beteiligen 43 % 39 %
wollen

Mütter werden bessere Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf


42 % 40 %
haben als heute

Es wird bessere Möglichkeiten für Väter geben, beruflich 41 % 39 %


kürzerzutreten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben

Kinder von Zuwandererinnen und Zuwanderern werden 40 % 37 %


bessere Chancen in Bildung und Beruf haben

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre.

Quelle: Allensbacher Archiv: IfD-Umfrage 11058, Juli 2016.


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Stand: August 2017


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