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Usa Geschichte Geographie

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00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:36 Uhr Seite I

Rita Schneider-Sliwa

USA
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite II

Westermann Schulbuchverlag, Braunschweig


00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite III

Topographische Karte
der USA
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite IV

Wissenschaftliche
Länderkunden
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite V

USA
Rita Schneider-Sliwa

Mit 140 Abbildungen


und 54 Tabellen

Wissenschaftliche Buchgesellschaft
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite VI

VI

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation


in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über
http://www.dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.


Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung
durch elektronische Systeme.

© 2005 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt


Die Herausgabe des Werkes wurde
durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Redaktion: Gerd Hintermaier-Erhard
Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim
Fotos: Die Autorin, wenn nicht anders angegeben
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany

www.wbg-darmstadt.de

ISBN 3-534-14116-4
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite VII

VII

Inhaltsverzeichnis
Einführung ........................................................... IX

Politisch-kulturelle Tradition ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


Amerika – das nichteuropäische Paradigma der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Das Neue an der „Neuen Welt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Identitätsbildung und Mythenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Amerikanisches Selbstverständnis und Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Culture of Privatism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Naturraum und natürliche Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20


Diversität des Naturraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Großlandschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Klimadifferenzierung und Ökosystemregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Naturrisiken und Naturkatastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung,


geistig-politische Legitimationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Vorkoloniale Kulturregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Grundlagen der Inwertsetzung der USA nach 1783 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung ... . . . . . . . . . . . . 68


Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Industrialisierung und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Entstehung der Corporate City . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen . . .................. 99


Bevölkerungsentwicklung – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 100
Ausgewählte Einwanderungsgruppen und
vergessene Bevölkerungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 109
Die USA als multikulturelle Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 124

Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125


Einkommens- und Armutsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Regionale Manifestationen des dualen Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Disparitäten in Metropolitangebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160


Die Bundespolitik in Fragen der Stadterneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite VIII

VIII Inhaltsverzeichnis

Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung


und Regionalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Industrien – Motoren des Wirtschaftswachstums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Landwirtschaft und der ländliche Raum Amerikas – Eckdaten und strukturelle Probleme . . . . . . 202
Regionalentwicklung und der Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Einblicke ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213


Institutionelle Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Soziales System und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Bildungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Bundespolitisches Planungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Zitierte Literatur ...................................................... 238

Verzeichnis der Abbildungen ........................................... 247

Verzeichnis der Tabellen .............................................. 249

Geographische Namen und Begriffe ..................................... 250

Sachregister ......................................................... 255


00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite IX

IX

Einführung
Amerika! Dies war schon immer Traum, Inspiration, litik der USA entscheidend mitprägen, und ihren
Vision: Hegel sah in Amerika das „Land der Zukunft“ jahrhundertealten religiös-kulturellen Legitimatio-
(Hegel 1980, S. 143 – 147), Dvořák die „Neue Welt“, nen liegt der Schwerpunkt dieses Buches.
Franz Kafka (Amerika, 1912/14) das neue Leben.
„Amerika, Du hast es besser / als unser Kontinent, Das Image der USA in der Welt
der alte / hast keine verfall’nen Schlösser / und keine Zwei Jahrhunderte der Versuche, einen Zugang zum
Basalte. / Dich stört nicht im Innern / zu lebend’ger Faszinosum USA zu erlangen, haben eine Fülle von
Zeit / unnützes Erinnern / und vergeblicher Streit“, Überblicksinformationen über das Land hervorge-
pries Goethe (1827) das Land. Revolutionen und bracht (z. B. Adams 2000; Adams & Lösche 1999;
Verfassungswerke der Alten Welt wurden durch Blume 1985; Hahn 1990, 2002; Heeb 1990;
Amerikas Demokratieverständnis inspiriert, das Ale- Hodgson 1992; Hofmeister 1973, 1992; Knox
xis de Tocqueville (1835 – 1840, S. 48) rühmte: 1988; Schäfer 1998; Tenbrock 1996; Uthmann
„Man kann sagen, dass das Volk sich wirklich selbst 1988). Trotz guter Literatur spiegelt das vorherr-
regiert, so gering und so begrenzt ist der Anteil der schende Meinungsbild über die USA häufig nicht
Verwaltung, so sehr ist die Verwaltung sich ihres Ur- die Summe der Informationen über die Vereinigten
sprungs aus dem Volke bewusst und gehorcht der Staaten wider, sondern Ambivalenzen und von Me-
Gewalt, in der sie wurzelt. Das Volk ist Anfang und dien oder Kurzaufenthalten geprägte Eindrücke. Als
Ende aller Dinge; alles geht vom Volke aus, alles in junges Land ohne Tradition wird Amerikas Kultur
ihm auf.“ nicht selten gering geschätzt. Zu leicht vergisst
Amerika – dies war auch das Land, dem man im- man, dass die meisten europäischen Staaten und
mer schon mit kritischer Distanz begegnete: zwei Drittel der Staaten der Welt jünger als die USA
■ Historisch betrachtet schuf das Land, das bei sei- sind und dass die amerikanische die älteste gelten-
ner Gründung eine bewusste Abkehr von gesell- de Verfassung ist. Obwohl die weltweite „McDonal-
schaftlichen Normen des alten Europa vollzog disierung“, also die Ausbreitung gering bezahlter
und auf die Gleichheit aller setzte, früh neue in- „McJobs“ oder andere sogenannte „amerikanische
nere Gegensätze. Das „Land der unbegrenzten Verhältnisse“ auf Ablehnung stoßen, zeigen westeu-
Möglichkeiten“, in dem privatism und privates ropäische Gesellschaften gleichwohl eine weitge-
Unternehmertum Grundwerte der Gesellschafts- hende Amerikanisierung. Der American way of life
ordnung sind, ermöglichte seine Inwertsetzung erfährt de facto eine Akzeptanz auch von jenen, bei
nicht zuletzt durch Benachteiligung: Sklaverei, denen Anti-Amerikanismus zu einem intellektuell-
Aus- und Abgrenzung in Reservaten, „Politik der differenzierten Habitus gehört. Dies gilt mittlerweile
Vernachlässigung“ sowie diskriminierende Gesetz- auch für jene Länder, die in Amerika ihren Feind
gebung, die bis in die jüngere Vergangenheit sehen.
Menschen, Stadtviertel und Regionen betraf. Entwicklungen der Gegenwart steigern die Ambiva-
■ Innen- und sozialpolitisch barg eine Gesellschafts- lenzen wie auch die Faszination gegenüber den USA
ordnung, die dem Individuum und Privateigentum einmal mehr. Die Globalisierung sowie politische
einen fundamentalen Stellenwert zuweist, stets in Krisen und Wenden positionieren weltweit Standorte
erheblichem Maße Gefahren für das Gemeinwesen. neu, wobei viele ihre relativen Wettbewerbsvorteile
■ Außenpolitisch belegen nicht zuletzt zahlreiche verlieren. Globales Kapital lässt die Bedeutung der
Beispiele, wie auch fremde Gemeinwesen durch Nationalstaaten und ihre wirtschaftliche Steuerungs-
die USA immer wieder tangiert wurden. Die Exem- funktion schwinden (Held et al. 1999; Boyer 2000).
pel negativer Einflussnahme wie in Korea, Viet- Die Größe und Einheitlichkeit des Staatsgebiets, die
nam, Chile, Grenada, Irak und viele mehr erschei- große regionale Vielfalt des Naturraums und die
nen häufig prominenter als die positiven Beispie- mächtige Binnenwirtschaft erlauben eine geringere
le, so u. a. der Marshall-Plan. Dies fördert Vorur- Abhängigkeit von anderen Staaten. Die starke Ver-
teile und nicht selten das Bild vom „hässlichen flechtung mit der NATO ließ zusätzlich eine enge An-
Amerikaner“. Nationale Interessen der USA, die bindung anderer Staaten an die USA entstehen und
von ihnen selbst beanspruchte Rolle als Garant festigte ihre Rolle als Führungsmacht. Durch die
des Weltfriedens (Weltpolizist), die sogar vor Vielzahl aktueller Ereignisse sehen sich die USA ein-
Präventivkrieg nicht zurückschreckt, lassen ein- mal mehr in der Auslebung ihrer selbstbestimmten
mal mehr weltweite Ambivalenz aufkommen. weltpolitischen Führungsrolle bestätigt. Nach An-
Die heutige Politik ist jedoch nicht nur ein Wechsel- sicht vieler Experten wird sich an ihrer Rolle als ein-
spiel von Tagesaktualitäten, sondern erklärt sich zu zige weltwirtschaftliche Großmacht, politische und
einem großen Teil aus jahrhundertealtem Gedanken- militärische Supermacht und global agierende Ord-
gut und Traditionen. Daher ist der Fokus dieser Län- nungsmacht auch so schnell nichts ändern.
derkunden-Reihe auf Geschichte, Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft gerade im Kontext der USA von Vorreiter USA
heute von besonderer Bedeutung. Auf diesen kultu- Als bedeutende westliche Industrienation setzen die
rellen Traditionen, die auch die heutige Wirtschafts- USA Trends, die auch auf andere Länder mit zeit-
und Sozialpolitik sowie Welt- und Weltwirtschaftspo- licher Verzögerung übergreifen:
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite X

X Einführung

■ Die Vereinigten Staaten sind der am stärksten an- z. T. erst nach Erscheinen klassischer USA-Länder-
thropogen veränderte Großraum. Der am weitge- kunden (z. B. Blume 1985; Hodgson 1992) in aller
hendsten verstädterte Staat der Welt brachte neu- Deutlichkeit abzeichneten, sind unter anderem:
artige, zersiedelte Stadtlandschaften hervor. Sie ■ massiver Strukturwandel mit Bedeutungswandel
sind einerseits Ausdruck des noch lebendigen einzelner Wirtschaftszweige in der Beschäftigten-
Frontiergeists mit seiner Präferenz für das Leben struktur oder als Anteil am Bruttosozialprodukt,
in der freien Natur, andererseits Auslöser inner- ■ neue regionale und internationale Konstellationen
städtischen Verfalls und „amerikanischer Proble- im nordamerikanischen Raum (z. B. die NAFTA –
me“. Stadtphänomenologien und städtische Sozi- North American Free Trade Association),
alpathologien nach amerikanischem Vorbild sind ■ Wachstum neuartiger Wirtschaftszweige, z. B. un-
auch in Europa nicht länger unbekannt, wo Stadt- ternehmensbezogener Dienstleistungen,
flucht und der Wunsch nach dem Leben im Grü- ■ Veränderungen in der Organisation des Arbeits-
nen die gleiche Wirkung zeigen. marktes und der Unternehmensstruktur („Flexibi-
■ Andere europäische Länder teilen mittlerweile die lisierung“ etc.),
gleiche Symptomatik einer hoch automatisierten, ■ Erreichung eines Sättigungsgrades von Massen-
arbeitsteiligen Industrie- und Dienstleistungsnati- produktion und -konsum, welche nicht mehr Mo-
on mit sinkender Steuerungsfähigkeit durch den toren der Volkswirtschaft sind,
Staat. Neue Rahmenbedingungen der wirtschaftli- ■ politisch-ökonomisch-soziale Entwicklungen (z. B.
chen Entwicklung machen deutlich, dass Arbeits- „Reaganomics“ der Reagan-, Bush-, Clinton- und
plätze und Teilhabe am Wohlstand nicht mehr Bush-Jr.-Administrationen) mit Abkoppelung wirt-
selbstverständlich sind. Das „Land der unbegrenz- schaftlicher von sozialen Zielsetzungen,
ten Möglichkeiten“ wie auch europäische Länder ■ zunehmende Ungleichheiten im Zusammenhang
mit „Wirtschaftswunder“ zeigen wachsende Ar- mit Wirtschaftswachstum,
beits- und Obdachlosigkeit, „Neue Armut“, neue ■ Eigengesetzlichkeit von Auf- und Abstieg inner-
Phänomene wie die working poor und die dauer- halb der Mittelschicht,
hafte Abhängigkeit von staatlichen Fürsorgeein- ■ Erkenntnis der Dauerhaftigkeit dieser Entwicklun-
richtungen. gen, die nicht länger als Krise, sondern als Epo-
■ Europäische Länder werden zu klassischen Ein- chenbruch gewertet werden,
wanderungsländern, die wie die USA lernen müs- ■ Auseinanderdriften von Sozial- und Wirtschaftspo-
sen, dass der „Schmelztiegel“ und die Idee von litik zwischen den USA und Kanada,
der „einen Gesellschaft“ ein Mythos sind. Die ■ neues Verständnis von der Unterschiedlichkeit
fragmentierte, multikulturelle Gesellschaft wird von Planungskulturen, raumwirksamen Staatsakti-
zur Normalität, in welcher der Umgang mit ande- vitäten und kulturhistorischen Entwicklungen,
ren Ethnien und Rassen gelernt werden und ■ Gleichzeitigkeit großer sozialer Probleme (u. a.
cross-cultural learning als Leitmotiv einer multi- Hyper-Ghettos) und neuer sozialräumlicher Phä-
ethnischen Gesellschaft erst noch begriffen wer- nomene (z. B. gated communities),
den muss. ■ neue Verständnisweisen vom Raum als Ergebnis
„Amerikanische Verhältnisse“ – dies ist ein gängi- sozialer Strukturationsprozesse (Giddens 1992),
ges Pauschalurteil für gesellschaftlich unerwünsch- als handlungsbedingend (Werlen 1995 und 1997)
te Entwicklungen in Europa. Es fällt leicht, amerika- oder als vorgegeben durch die jeweiligen Regula-
nische Entwicklungen stets als Abweichung von eu- tionsweisen kapitalistischer Ökonomien (Boyer
ropäischen Normen zu sehen. Die ureigenen Beson- 2000).
derheiten, das Selbstverständnis der USA als Teil
eines gänzlich anderen Kulturerdteils und die damit Wendepunkt „11. September“
verbundene, fundamentale Unterschiedlichkeit zu Die Ereignisse des 11. September 2001 veränderten
Europa in Gesellschaft, Wirtschaft und politischer im wörtlichen Sinne den Horizont Amerikas. Einge-
Kultur, aber auch die spezifischen Entwicklungen leitet wurde ein epochaler Wandel, der einmal mehr
der Kulturlandschaft bleiben dabei jedoch fremd. die Notwendigkeit unterstreicht, sich intensiv mit
Welche „Imagologie der USA in unseren Köpfen“ diesem Land auseinander zu setzen:
(Leggewie 2000) auch existieren mag, schon wegen ■ Die USA entwickeln erstmals in ihrer gesamten
der Rolle der USA als Trendsetter wirtschaftlicher Geschichte ein neues Verständnis von sich selbst.
und gesellschaftlicher Entwicklungen ist es im ur- Noch nie zuvor war die innere Sicherheit so nach-
eigenen Interesse, sich mit diesem Land zu befas- haltig bedroht. Das Regionalgefüge eines gleich-
sen. Viele jüngere Entwicklungen kommen hinzu, sam unbesiegbaren, selbstsicheren Landes, das
die es interessant und spannend machen, die USA nie auf seinem eigenen kontinentalen Territorium
nicht wie in früheren Länderkunden aufgrund ge- einen von außen hereingetragenen Krieg führte,
meinsamer kultureller, landschaftsgestaltender Na- das von seiner Konsumgesellschaft beherrscht und
tur- und Kulturelemente und des Zusammenhangs von scheinbarem Frieden im eigenen Land über-
des historischen Ablaufs zusammen mit Kanada als zeugt war, wurde dauerhaft beeinträchtigt. Zudem
eine Einheit zu sehen (z. B. Boal und Royle 1999; stieß der Handlungsspielraum der USA zum ersten
Hofmeister 1973; Birdsall und Florin 1992; Patter- Mal in seiner Geschichte an seine Grenzen. Ge-
son 1994). Solche aktuellen Entwicklungen, die sich nügte es während der Kubakrise 1962 noch, mit
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite XI

Einführung XI

dem Dritten Weltkrieg zu drohen, um den Gegner WASP (White Anglo-Saxon Protestant)-Dominanz
zum Nachgeben zu zwingen, ist das Nachgeben abzuzeichnen; man wandte sich erstmals, jedoch
der Welt vor Amerika vorbei. In der Durchsetzung nur für kurze Zeit wegen eines weltweit gemein-
seiner Ziele wird stellenweise Amerikas Eingehen samen Anliegens subtiler jeder einzelnen der
auf Kooperationspartner erkennbar, auch wenn Weltkulturen zu. Der neue, wenn auch kurzfristige
der traditionelle Unilateralismus der USA wenige Fokus auf einem gemeinsamen Anliegen versus
Monate nach dem 11. September schon wieder dem früher praktizierten, der Weltgemeinschaft
stark in den Vordergrund rückte. Das Selbstver- oft zuwiderlaufenden „nationalen Interesse“ war
ständnis anderer Partner im Weltgeschehen – bis dahin einmalig in der amerikanischen Ge-
auch amerikanischer Verbündeter – wurde jedoch schichte.
deutlich erweitert: Sie tragen Alleingänge der ■ Europäer und Intellektuelle in der Welt begannen
USA nicht mehr mit, fordern stärker die Rolle der die Rolle Amerikas in der Welt neu und differen-
UNO als Ordnungskraft ein und somit einen dau- zierter zu bewerten. Unsere eigene Sichtweise
erhaft behutsameren, neuen Kurs Amerikas. vom „Weltpolizisten“, für dessen politische Kultur
■ Amerika stellt sich unter dem Druck der Ereignis- und Gesellschaft wir nur mit Mühe Verständnis
se vom 11. September und dem seither geltenden aufbringen konnten, begann sich zu ändern. Die
Diktat neuer kommunikativer Politikweisen die bislang abgelehnte Rolle der USA als Weltord-
Frage nach einer neuen Selbstbehauptung und nungskraft wurde im Zuge des 11. September neu
einer neuen Identität. bewertet und als Schutzmacht unser aller Sicher-
Mindestens drei Auswirkungen sind die Folge: heit in einigen Ländern kurzzeitig gefördert. Dabei
1.Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik sind im Be- behält sich Europa mehr Entscheidungskompe-
griff, sich unter anderen Vorzeichen neu zu konso- tenz vor als in den vergangenen Jahrzehnten. We-
lidieren – mit Auswirkungen auf die Regionalgeo- gen des vertieften Verständnisses für Amerika nach
graphie. Mit Tausenden von verlorenen Arbeits- dem 11. September und der Tatsache, dass solche
plätzen, wozu auch die Multiplikatorwirkung in Ereignisse überall geschehen können, wurde die
den vor- und zugelagerten Industrien gerechnet wichtige Rolle der USA in der Welt zunächst mit
wird, verschärften sich innerhalb von Tagen regio- verständnisvolleren Augen betrachtet, was eine
nale und soziale Ungleichgewichte. kritische Distanz zu erneuten militärischen Allein-
2.Das Pendel der amerikanischen politisch-kulturel- gängen aber nicht ausschloss.
len Philosophie, die auf Privatwirtschaft und den
Schutz des Privaten vor dem Gemeinwesen ange- Ziel des Buches
legt war, schwingt zurück. Nach über zweihundert Im Zentrum des Bandes stehen Geographie, Ge-
Jahren eines Rückzugs des amerikanischen Staa- schichte, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der
tes von dem, was in Europa als staatliche Verant- USA vor dem spezifischen Hintergrund ihrer poli-
wortung begriffen wird, erfahren die USA im Ge- tisch-kulturellen Besonderheiten. Zugrunde liegt ein
gensatz zu ihrem traditionellen Credo „let private Konzept, welches
enterprise do it“ nun das ahistorische Prinzip ■ das missverstandene Amerika, das sich selbst stets
„bring the state back in“ mit Personenkontrollen, ambivalent und missverständlich der Welt gegen-
Einschränkung von Bürgerrechten, Geheimdienst- über verhält, in seiner fundamentalen Andersartig-
ausbau und staatlich erlaubtem Abschuss von keit – seiner nichteuropäischen Identität – dar-
Passagierflugzeugen, wenn diese die nationale Si- stellt. Als Land, das seine Wurzeln in verschiede-
cherheit gefährden. nen europäischen Kulturen hat, entfaltete es sich
3.Die USA haben über Jahrzehnte hinweg im Inneren schnell in einer Europa unbekannten Weise nach
wie auch in der Außen- und Entwicklungspolitik einem eigenen, amerikanischen Paradigma der Ent-
unzulängliche soziale Reformen praktiziert, ohne wicklung. Nach Europa als eigenständige Kultur
das darin beinhaltete Konfliktpotenzial zu erken- re-exportiert, erzeugte es Ablehnung und Unver-
nen. Sie werden jetzt mit der Tatsache konfron- ständnis dem „typisch Amerikanischen“ gegenüber.
tiert, dass das Versäumnis, dem Armutsgefälle der ■ die Facetten gesellschaftlicher und wirtschaftli-
Welt adäquat zu begegnen, eine Gefahr für die in- cher Entwicklungen dieses Landes aufzeigt, die in
nere Sicherheit darstellt: Die Ereignisse von Los wesentlichem Maße von einem besonderen Wirt-
Angeles 1992 finden ihr Abbild im Weltgeschehen schafts- und Demokratieverständnis geprägt wur-
und schlagen auf die USA zurück. Analog zum „Un- den. Gemeint ist die politisch-planerische und ge-
tergang des Mittelalters“ oder dem „Untergang des sellschaftliche Tradition des privatism, die direkte
Abendlandes“ erkennt man eine eigenverschulde- Auswirkungen auf die Raumerschließung und In-
te Gefährdung Amerikas. Vor diesem Hintergrund wertsetzung, die Kulturlandschaft sowie wirt-
wird in den USA selbst die gesamte Außen-, Ent- schafts- und sozialräumliche Entwicklungen,
wicklungs- und Sozialpolitik neu bewertet. Strukturen und Prozesse der Vergangenheit und
■ Weite Kreise in den USA, darunter viele Persön- Gegenwart hat.
lichkeiten des öffentlichen Lebens, zeigen erst- ■ vor dem Hintergrund des amerikanischen Selbst-
mals in der Geschichte ein vertieftes, besseres verständnisses die gegenwärtigen Entwicklungen
Verständnis von anderen Kulturen. Es begann der USA in der neu begonnenen geopolitischen
sich eine deutliche Abkehr von vierhundertjähriger Phase erklären will.
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite XII

XII Einführung

Moral und Ethik basieren auf sozialen Wertordnun- Gesellschaft eingehen und dadurch das Bewusst-
gen, die in jeder Kultur anders definiert sind. In den sein für die strukturellen Veränderungen und die
USA sind Moral- und Ethikvorstellungen einer puri- geostrategische Neuausrichtung von Wirtschaft und
tanisch-calvinistischen Gesellschaft über Jahrhun- Gesellschaft, den Identitäts- und Politikwandel der
derte sorgfältig zur vorherrschenden Norm kultiviert USA schärfen.
worden, in der das Streben nach individuellem Wohl- In der Ära der Globalisierung, da die Wirtschaft
stand ebenso moralischer Grundwert war wie die Großräume sucht und die Menschen sich in einer
dazu nötigen Maßnahmen wie z. B. Sklavenhaltung. homogener werdenden Welt mit eigener und frem-
Die amerikanische Sozialisation brachte jeder Gene- der Identität auseinander setzen, bedarf es mehr
ration diese grundsätzlich amerikanischen Werte denn je der Gesamtbetrachtungen von Geographie,
bei, die aus einer ursprünglich europäisch-kollekti- Wirtschaft und Politiksystemen eines Landes.
ven Gesellschaftsstruktur eine individualistische Es gibt vielfältige Arten, Länderkunden und Re-
entstehen ließen. In dieser Gesellschaft, die zum gionalgeographien zu schreiben (Bahrenberg 1970;
Vorbild der europäischen Revolutionen und des Ge- Mondada und Racine 1998; Wirth 1978; Wood
dankens von Freiheit und Gleichheit wurde, bedeu- 1996; Gilbert 1988; Johnston 1990; Pohl 1996,
tete letztlich individuelle Freiheit auch Akzeptanz Hahn 2002). Der vorliegende Band will keine klas-
von Ungleichheit. Die Freiheit des Einzelnen wurde sische Länderkunde mit geradezu enzyklopädischem
zum Normwert von Verfassung und Politik, welche Anspruch sein. Ziel ist eine bewusste Schwerpunkt-
lediglich eine über dreihundertjährige koloniale Tra- bildung, welche die amerikanische Identität hervor-
dition amerikanischer Wirklichkeit institutionalisier- hebt. Es werden politisch-kulturelle, naturräumliche
ten und damit zum Leitwert der politischen Kultur und ausgewählte Aspekte wie Geschichte, Bevölke-
der USA machten. rung, Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur darge-
Jede Epoche und Kultur, insbesondere die politi- stellt, welche die außerordentlich großen Gegensätze
sche Kultur und das zugrunde liegende Demokratie- in Landschaft, Raum und Gesellschaft und die Ent-
verständnis, schaffen ihre eigenen sozial- und wirt- wicklungen in den USA verstehen helfen. Moderne
schaftsräumlichen Entwicklungen und Muster – ein Länderkunden und Regionalgeographien leisten
Leitmotiv des vorliegenden Bandes. Ein weiterer einen Beitrag, behutsam mit kultureller Differenz
zentraler Gedanke ist, dass sich die USA in ihrer umzugehen, die sich trotz oder vielleicht gerade
Besonderheit nicht zufällig oder von selbst entwi- wegen der Globalisierung und der scheinbaren Ent-
ckelt haben: „sich entwickeln“ wird im amerikani- wicklung einer einheitlichen Weltzivilisation zu einer
schen Sprachgebrauch nicht grundlos im Passiv ver- immer kritischeren Größe herauskristallisiert. De
wendet – to be developed. Während europäische facto haben Länder auch in der Globalisierung
Städte und Regionen aus der Geschichte gewachse- unterschiedliche soziale, politische und kulturelle
ne Strukturen aufweisen, wurden amerikanische Traditionen, die sich als Konstanten und Schlüssel-
Städte und Regionen seit der Kolonialzeit gezielt in tatsachen erweisen. Länderkunden gewinnen daher
Wert gesetzt und „beplant“. Die spezifischen wirt- eine erweiterte Bedeutung, Kultur und Identität zu
schafts- und sozialräumlichen Entwicklungen – auch pflegen: Sie sind eine geographisch-räumliche Ant-
die negativen – sind als Resultat einer andersartigen wort auf die Globalisierung, welche virtuelle Räume
Vorgehensweise bei der Inwertsetzung des Raumes, schafft, die Bedeutung realer Wirtschaftsregionen re-
kurz, eines amerikanischen Paradigmas der Ent- lativiert und global verflochtene Räume hervorbringt,
wicklung zu verstehen. Dies basiert auf einer bewusst in denen die historische oder wirtschaftpolitisch ge-
geschaffenen, neuen politischen Kultur und einem förderte Besonderheit des Lokalkontextes letztlich
anderen Staatsverständnis als in Europa, welches zu wieder zum ausschlaggebenden Faktor wird.
neuartigen gesellschaftlichen Normen führte. Ame-
rika hat daher ein nichteuropäisches, spezifisch ame- Aufbau des Buches
rikanisches Verhältnis des Menschen zur Umwelt, Die systematischen Kapitel sind bewusst gewählt,
ihrer Inwertsetzung, zu anderen Kulturen und sozia- um diesen Zusammenhang zwischen der politisch-
len Schichtungen. Politische Kultur, gesellschaftli- kulturellen Tradition des privatism und geographi-
che Tradition, Demokratie- und Staatsverständnis schen, kulturlandschaftlichen, wirtschaftlichen und
führten in Amerika zu einer anderen Bewertung von gesellschaftlichen Entwicklungen aufzuspüren und
Naturraum- und Inwertsetzungspotenzial, Kultur- zu dokumentieren.
landschaftsentwicklung sowie sozialen Strukturen Das erste Kapitel skizziert das amerikanische Pa-
und Disparitäten als in westeuropäischen Ländern. radigma der Entwicklung, das Unterschiedlichkeiten
in Kultur und Wertevorstellungen der USA begrün-
Vom Sinn einer Länderkunde in der heutigen Zeit det und sich in der Andersartigkeit der Kulturland-
Einer Länderkunde über die USA scheint durch die schaftsentwicklung, Gesellschaft und Wirtschaft der
Ereignisse des 11. September und den dadurch ein- USA manifestiert.
geleiteten epochalen Wandel eine besondere Ver- Das zweite Kapitel behandelt die naturräumlichen
pflichtung zuzufallen. Sie kann in dieser Phase ver- Grundlagen.
tiefte Kenntnisse zu Kultur und Politik, zu Hinter- Das dritte Kapitel erläutert, wie das Land in kolo-
gründen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen nialer und postkolonialer Pionierzeit gezielt in Wert
Entwicklungen vermitteln, auf Geisteshaltung und gesetzt wurde. In nur rund 100 Jahren vollzog sich
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite XIII

Einführung XIII

die Entwicklung der USA von einer Agrarnation zur me als Manifestation einer spezifisch amerikani-
führenden Industriemacht bis hin zur postindustriel- schen Kultur, Politik, Planung, Geschichte, Gesell-
len Dienstleistungsgesellschaft. schaftsstruktur und deren Wechselwirkungen sieht.
Wie Industrialisierung und Urbanisierung verlie- Eine Länderkunde, die Geographie, Geschichte,
fen, ist Thema des vierten Kapitels. Wirtschaft und Politik behandeln soll, muss sich an
Bevölkerungsentwicklung und -strukturen sowie der bestehenden wissenschaftlichen Literatur dieser
der Umgang des klassischen Einwanderungslandes Disziplinen ausrichten. Neun Jahre Arbeit im inter-
USA mit seinen ethnischen und rassischen Minder- disziplinären John F. Kennedy-Institut für Nordame-
heiten sind Schwerpunkte des fünften Kapitels. rikastudien der Freien Universität Berlin mit der
Soziale Disparitäten und die sich immer stärker größten, auf USA-Themen ausgelegten Bibliothek in
ausdifferenzierende multiethnische Gesellschaft Europa, das interdisziplinäre Programm und die
werden im sechsten Kapitel behandelt. Kollegenkontakte erlaubten einen guten Zugang zu
Die Beeinflussung der Städte und der Gesell- zentralen Werken der anderen Disziplinen. Eine
schaft durch die rasante Kulturlandschaftsentwick- über zwanzigjährige Lehr- und Forschungserfahrung
lung, der strukturelle und sozialpolitische Wandel in und über die USA – mit fast elfjährigem Studien-
und die planerischen Neuorientierungen zur Abwehr und Arbeitsaufenthalt in den USA – sowie anhalten-
der dabei entstehenden sozialräumlichen Probleme de Kontakte mit Behörden und der Wissenschafts-
in den Großstädten werden im siebten Kapitel dar- szene der USA und zahlreiche Forschungsreisen ver-
gestellt, das auch die politisch-kulturellen und pla- tieften die Kenntnisse über Kultur, Wirtschaft und
nungspolitischen Hintergründe der Fronten zwi- Gesellschaft, die für die Abfassung einer Länder-
schen der Wohlstands- und der Wohlfahrtsgesell- kunde USA hilfreich sind. Gleichwohl gebührt einer
schaft aufzeigt. großen Anzahl von Personen Dank für ihre engagier-
Das achte Kapitel behandelt die postindustrielle te Mithilfe an diesem Band. Herrn Harald Vogel sei
Wirtschaftsentwicklung, die das Bild Amerikas wie- recht herzlich für seine Bereitschaft gedankt, das
derum entscheidend verändert hat. hier vorgestellte Länderkundenkonzept für die USA
Das neunte Kapitel widmet sich der Regionalent- bei der WBG zu fördern, und Herrn Wolfram Schwie-
wicklung und Regionalförderungspolitik. Diese bei- der für die weitere Betreuung im Verlag. Herzlicher
den Abschnitte betonen die Strukturation des Rau- Dank gilt Nadezhda Sliwa für redaktionelle Arbei-
mes durch gesellschaftliche Prozesse bzw. raum- ten. Mein besonderer Dank gilt unserer Kartographin
relevante Handlungen gesellschaftlicher Akteure. und Landkarteningenieurin Leena Baumann für die
Dabei sind es besonders Kollektive von Entschei- kartographische und reprotechnische Bearbeitung
dungsträgern mit einem gesellschaftlichen und poli- zahlreicher Abbildungsentwürfe sowie Ruth Haus-
tischen Mandat, welche den Charakter eines Ortes, ammann und Thomas Braun für die Mitwirkung bei
den genius loci, bestimmen. Dieser kann beabsich- kartographischen Arbeiten, ferner Ronald Wiss für
tigt oder unbeabsichtigt negativ behaftet sein. Geo- die Arbeiten mit Geographischen Informationssyste-
graphische Entwicklungen und Probleme sind daher men. Mein ganz herzlicher Dank gilt Nicole Am-
nicht das Produkt einer unabänderlichen raum-zeit- mann für ihre unermüdlichen Arbeiten in der com-
lichen Abfolge, sondern ein Handlungsergebnis. putergestützten Kartographie, Bildbearbeitung und
Das zehnte Kapitel gibt einen Einblick und einen Vermittlung technischer Abläufe sowie ihrer enga-
Überblick über politische Strukturen und die anhal- gierten Unterstützung und Solidarität in der End-
tenden Disparitäten in Amerika. phase des Buches. Charlotte Ciprian, Jennifer White-
Der Band vermittelt also: bread, Regula Egli sowie Claudia Erismann gebührt
■ problemorientierte, fächerübergreifende, system- herzlicher Dank für ihre Mitarbeit bei der Erstellung
analytisch orientierte Sachinformationen, der Register und andere Arbeiten in der Endphase
■ eine themenspezifische und gleichzeitig länder- des Buches. Ruth Hausammann und dem Hausam-
kundliche Gesamtdarstellung, mann-Fonds sei gedankt für ihre Unterstützung des
■ einen Einblick in übergeordnete Systemzusam- Projekts. Mein Dank gilt auch folgenden Firmen und
menhänge, insbesondere den Einfluss von Iden- Institutionen für ihre großzügige Abdrucksbewilli-
tität und Planungskultur auf Regionen und gesell- gung von Materialien: Alex MacLean, Landslides,
schaftliche Entwicklungen, Boston; John Reps, Cornell University; Reimer Ver-
■ historische, kulturelle und planungspolitische Ge- lag Berlin; Westermann Verlag, Braunschweig.
gebenheiten und Perspektiven zu regionalen und
sozialräumlichen Entwicklungen, Gewidmet ist dieser Band Nadezhda.
■ eine an Handlungsträgern orientierte Darstellung,
welche die politischen und wirtschaftlichen Insti-
tutionen, Macht- und Entscheidungsstrukturen
ins Zentrum rückt,
■ eine Betrachtungsweise, welche die sozial- und Basel, im Frühjahr 2005
wirtschaftsräumlichen Entwicklungen und Proble- Rita Schneider-Sliwa
00 LdK USA Titelei 30.05.2005 21:37 Uhr Seite XIV
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 1

Politisch-kulturelle Tradition

Abb. 1: Das Kapitol in


Überblick Washington, D.C.
■ „Amerika“ ist als Konstrukt einer spezifisch religiös geprägten Kultur, einer speziellen Sichtweise des (Foto: Alex S. MacLean).
Naturraums sowie einer Ideologisierung und Institutionalisierung von Volk, Nation, Staat und Ge-
meinde zu verstehen.
■ „Amerika als Idee“ wurde über vielfältige Entwicklungen und bewusste Propagierung von Mythen ge-
fördert, welche eine eigenständige, genuin amerikanische Identität und Tradition bilden sollten.
■ Besonders mit der englisch-puritanischen Kolonisierung wurde Amerika systematisch zum Symbol
des im Evangelium verheißenen Reiches Gottes auf Erden erhoben, als „Neues Jerusalem“, in dem
sich die biblische Heilsgeschichte mit einer neuen sozialen Ordnung mit Vorbildcharakter für die
ganze Welt wiederholen sollte.
■ Der „Exzeptionalismus“ Amerikas und seine von der Vorsehung vermeintlich bestimmte Rolle in der
Welt wurden somit religiös begründet und über fast zweihundert Jahre der Kolonialzeit als allgemei-
nes Gedankengut verankert.
■ Der in der Kolonialzeit angelegte Exzeptionalismus Amerikas wurde in der jungen Republik auf sä-
kulärer Ebene durch weitere Mythen ausgebaut, die das Selbstverständnis der USA, den „amerikani-
schen Charakter“ und Amerikas Vorrangstellung in der Welt etablieren sollten.
■ Zu den Mythen gehört die Frontierthese Turners. Danach mischten sich an der offenen Grenze durch
die extremen Lebensbedingungen indianische Überlebensformen und weiße Kultur und ließen einen
neuen, von allen konformistischen Zwängen befreiten Menschentypus (new breed) entstehen.
■ Die Mystifizierung des Amerikanismus durch Geschichten von der Frontier und den frontiersmen wur-
den in der Politik und in literarischen Genres weithin propagiert und verankerten sich in der Gesell-
schaft als Tatsache.
■ Die amerikanische Gegenwart zeigt ein aus der Geschichte, Ideengeschichte und Kultur heraus zu
verstehendes Gesellschaftsmuster, in der vierhundertjährige tradierte Werte und Normen von der Aus-
erwähltheit sowie eine vorbestimmte Rolle in der Welt (Manifest Destiny) verankerte Größen sind.
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2 Politisch-kulturelle Tradition

Amerika – das nichteuropäische Paradigma der Entwicklung


Ideengeschichtlicher Ursprung Amerikas begriff Politische Kultur fassen kann: jene Ideale
„Geschichtslosigkeit“, „Traditionslosigkeit“, „Kul- und Wertvorstellungen, Lebensformen und Institu-
turlosigkeit“, „Oberflächlichkeit“ – dies sind viel ge- tionen, die eine Staatsform hervorbrachten, die sich
brauchte Schlagwörter im Zusammenhang mit den in mehrfacher Hinsicht von damaligen und gegen-
USA, insbesondere von jenen, für die einzig Europa wärtig in Europa bestehenden unterscheidet. Als
kulturelle Orientierung und Höhepunkt zivilisatori- Demokratie wählte Amerika eine Staatsform, die im
scher Leistung darstellt. Will man jedoch das Land klaren Gegensatz zu vorherrschenden politischen
verstehen, muss man Amerika als Idee und als Kon- Systemen stand. In ihrer besonderen Form der De-
strukt einer spezifisch religiös geprägten Kultur und mokratie, die nicht auf soziale und politische Gleich-
Institutionalisierung von Gemeinwesen begreifen stellung ausgerichtet ist, sondern sich durch ein
(Beitzinger 1972; Hall 1959; Adams 2000; Marty spezifisches System der Gewaltenteilung und der
1986, 1987; Schneider 1947; Savelle 1965). Der verfassungsmäßig verankerten Individualrechte aus-
Begriff „Amerika“ beinhaltet dabei weniger ein Land zeichnet, stand und steht sie im Gegensatz zu heu-
oder einen Kontinent: Vielmehr bezeichnet er die tigen Demokratien. Die amerikanischen Staatsstruk-
Idee einer neuen Welt, die zu einem anderen Selbst- turen sind so angelegt, dass sie nicht unbedingt ge-
verständnis, anderen Normen und politischen Struk- rechtere Verhältnisse schaffen, sondern allen die
turen und einer bürgerlichen Gesellschaft führen gleichen Möglichkeiten der individuellen Selbstent-
sollte, die jedoch erst über sorgfältig kultivierte na- faltung, der sozialen Anerkennung und der politi-
tionale Mythen aufgebaut wurde (Fluck 1999; Kamp- schen Willensbildung zusichern (Tocqueville 1985;
hausen 1992; Zöller 1992; Sabine 1963; Lerner Fluck 1999, S. 723). Nach dem Willen der Verfas-
1960). sungsväter waren alle Menschen a priori gleich ge-
Würde man Amerika immer nur an Europa mes- schaffen, daher brauchte es zunächst in der Verfas-
sen, übersähe man die eigenständige Leistung und sung keinen Bezug zur Gleichstellung. Vorrang hatte
die Neuartigkeit seiner Gesellschaft, die sich bei klar die Zusicherung von Freiheit und freier Lebens-
ihrer Entstehung von sämtlichen in der Alten Welt gestaltung.
bekannten politischen, ökonomischen und sozialen
Strukturen befreite und ihre eigenen kulturellen For- Amerika als das „Reich Gottes auf Erden“
men hervorbrachte. Selbst das kolonisierte Amerika Die puritanische Einwanderung, die ab 1620 in
war zu keiner Zeit mit anderen Kolonien vergleich- jeder Dekade rund 25 000 Personen in das Land
bar, die nur eine Erweiterung der Alten Welt dar- brachte, war eine religiöse Bewegung, in der Ameri-
stellten und alle nach denselben Grundstrukturen ka als das Land des auserwählten Volkes angesehen
funktionierten: Mit den ersten Pilgervätern um 1620 wurde. Für die zumeist strenggläubigen Einwande-
bis zur amerikanischen Revolution von 1776 und rer galten die Kolonien als das „Neue Jerusalem“,
darüber hinaus kamen europäische Einwanderer als der „Neue Garten Eden“, als Ort, in dem Gott einen
Siedler gerade deshalb nach Amerika, weil sie den neuen Bund mit ihnen als dem verlorenen Stamm
vorherrschenden Machtverhältnissen, rigiden gesell- Israels schloss, als Zeichen der Gnade und Chance
schaftlichen Strukturen von Berufsständen, der reli- der Menschheit auf einen „Zweiten Neuanfang“.
giösen Unfreiheit oder auch der Armut entfliehen Der Mayflower Compact war die erste politische
wollten. Mit dem Eintritt in die Neue Welt wurde die Vereinbarung über eine Selbstverwaltung und Regie-
Befreiung von gesellschaftlichen, religiösen und po- rungsform Amerikas. Er wurde am 21. November
litischen Zwängen Europas nicht nur erhofft, son- 1620 an Bord des Emigrantenschiffes Mayflower
dern auch real – zumindest in der Wahrnehmung – vor der Küste von Cape Cod, Massachusetts, nach
vollzogen. Ein Blick auf die eigenen Entstehungsbe- dem Vorbild kirchlicher Vertragswerke abgefasst,
dingungen und Zielsetzungen verdeutlicht, dass weil einige der Siedler außerhalb der durch engli-
Amerika eine neuartige, d. h. ahistorische Gesell- sche Hoheit vorgegebenen Ländereien ansässig wer-
schaft mit genuinen politischen, sozialen und öko- den und ihre eigenen Gesetze aufstellen wollten.
nomischen Strukturen ist, die auch neuartige, d. h. Das Dokument sollte bürgerkriegsähnliche Verhält-
mit europäischen Normen nicht vergleichbare Kul- nisse im Siedlungsneuland der Kolonien verhindern
turformen hervorgebracht hat (Fluck 1999, S. 722). helfen und interimistische Regeln aufstellen, die so
Wenn von einer andersartigen Kultur der Neuen lange Gültigkeit haben sollten, bis ein abschließen-
Welt die Rede ist, bezieht sich dies auf den weiter des Vertragswerk erstellt würde. Die partizipatori-
gefassten Begriff nach Max Weber (Wirth 1979, sche Abfassung und freiwillige Unterzeichnung
S. 28 – 30), der Kultur als Gesamtheit von Ideen durch die Emigranten sollten der Garant des Frie-
und Idealen, Geisteshaltungen und Normen sowie dens sein. Das Dokument wurde 1691 in ein Ver-
Wertschätzung gewisser materieller und immateriel- tragswerk für die Kolonie Massachusetts integriert
ler Güter ansieht, die wiederum das menschliche und zum Vorbild für die geschriebenen Verfassun-
Streben und Handeln leiten und spezifische Formen gen anderer Kolonien und Staaten.
der schönen Künste und der Architektur hervorbrin- Prediger und religiöse Führer wie John Winthrop
gen können. Neu an der sogenannten Neuen Welt oder Nathaniel Ward sowie Juristen, die auf den ers-
war insbesondere das, was man unter dem Sammel- ten Einwandererschiffen in das Land gekommen
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 3

Amerika – das nichteuropäische Paradigma der Entwicklung 3

waren, machten deutlich, dass das Neue Land


gleichbedeutend mit „Freiheit von Sünde und Irr- Das Mayflower-Bündnis
tum“ sei und eine bessere Möglichkeit böte, ein In ye name of God Amen. We whose names are un-
gottgefälliges Leben zu führen (Boorstin 1965; Ler- derwritten, the loyall subjects of our dreadsover-
ner 1960; Persons 1975; Hall 1959). In seiner be- aigne Lord King James, by ye grace of God, of
rühmten Predigt auf dem Einwandererschiff Arabella Great Britaine, France, and Ireland king, defender
inspirierte John Winthrop 1630 die Siedler mit dem of ye faith etc. Haveing undertaken, for ye glorie of
biblischen Bild der „city upon a hill“, in der Gott God, and advancemente of ye Christian faith and
seine Heilsgeschichte mit einer neuen sozialen Ord- honour of our king and country, a voyage to plant
nung wiederhole, die vorbildlich für die ganze Welt ye first colonie in ye Northerne parts of Virginia,
werden sollte (zit. in Fluck 1999, S. 726). Mit Be- doe by these presents solemnly and mutualy in ye
dacht wurde das Bild des „Neuen Jerusalem“, das presence of God, and one another, covenant and
in der Alten Welt bekannt war, gewählt. Seit die combine ourselves togeather into a Civill body
Kreuzzüge des Mittelalters das Heilige Land zu be- politick; for our better ordering, and preservation
freien und ein „Neues Jerusalem“ zu errichten such- and furtherance of ye ends aforesaid; and by ver-
ten, war diese Metapher zu einem weithin gebrauch- tue hereof enacte, constitute, and frame such just
ten Leitbild utopischer Gesellschaften und des idea- and equall Lawes, ordinances, Acts, constitutions,
len Städtebaus geworden. Diese religiöse Überzeu- and offices, from time to time, as shall be thought
gung von der eigenen Auserwähltheit ist auch heute most meete and convenient for ye generall good of
noch als Gefühl der moralischen Überlegenheit om- ye colonie: unto which we promise all due submis-
nipräsent und wirkt sich signifikant auf die Politik sion and obedience. In witnes whereof we have
aus. Dabei muss betont werden, dass dieser quasi- herunder subscribed our names at Cape-Codd ye
fundamentalistische Gedankentopos eine vierhun- 11-of November, in ye year of ye raigne of our
dertjährige Vorgeschichte hat, die um 1600 begann soveraigne Lord King James of England, France
und der Gesellschaft sorgfältig über vielfältige Me- and Ireland ye eighteenth, and of Scotland ye fiftie
chanismen als Kulturwert eingepflanzt wurde. fourth. Anno Dom. 1620.
Das religiöse Selbstverständnis der Puritaner, in
der ihre Neue Welt einen gottgegebenen histori-
schen Neuanfang für die gesamte Zivilisation dar- rung her, der es jedem vernünftigen Menschen er-
stellte, wurde von der Vorstellung genährt, dass der laubte, ein sinnvolles, eigenbestimmtes und morali-
amerikanische Kontinent selbst Teil des göttlichen sches Leben zu führen (Abb. 2). Führende amerika-
Heilsplans sei (Fluck 1999, S. 726). Amerika war nische Persönlichkeiten wie Thomas Jefferson
das „Gelobte Land“, das, so der Glaube, von der machten später deutlich: „Eure eigene Vernunft ist
göttlichen Vorsehung auserwählt sei. Für jene, die das einzige Wunder, das euch der Himmel geschenkt
an diesen „Exzeptionalismus Amerikas“ und seine hat“ (zit. in Kamphausen 1992, S. 266). Durch sei-
Rolle im angeblichen göttlichen Heilsplan glaub- nen gesunden Menschenverstand konnte damit das
ten – dies schloss viele spätere Generationen bis in Individuum zur moralischen Instanz seiner selbst
die Gegenwart ein –, blieb Europa der Ort von feu- werden, das nur durch eben diesen Individualismus
dalen und neuzeitlichen Abhängigkeitsverhältnis- und seine Unabhängigkeit auch zum Wohl der Ge-
sen, Dekadenz, Korruption und Eingrenzung indivi- meinschaft wie auch seiner selbst beitragen konnte
dueller Selbstentfaltung (in neuerer Terminologie (Kamphausen 1992, S. 266). Der Ökonom und Mo-
wurde dies mit dem Begriff „Altes Europa“ bezeich- ralphilosoph Adam Smith (1723 – 1790) betonte
net). Da sich diese Sichtweise sehr früh religiös be- daher auch in seinem Buch „An Inquiry into the
gründete, war es auch von jeher schwierig, eine Mei- Wealth of Nations“ von 1776 die individuelle Arbeit
nung zu vertreten, die von der vorherrschenden ab- und das Selbstinteresse als Quelle des Wohlstands
wich: Amerikas vermeintlicher Exzeptionalismus und der natürlichen Harmonie von Wirtschaft und
konnte von Anbeginn an zur vorherrschenden Ge- Gesellschaft.
sellschaftsnorm hochstilisiert werden, eine Norm,
die sich bis in die Gegenwart in der tiefen Überzeu- Amerikanisierung durch Bildung
gung von der Richtigkeit des eigenen (welt-)politi- des religiösen Kollektivbewusstseins
schen Handelns äußert. Die Grundzüge der amerikanischen Geisteshaltung
Als Grundbaustein des Exzeptionalismus Ameri- und Kultur, die auf puritanischen Wertvorstellungen
kas und des göttlichen Heilsplans sahen die Purita- beruht, fanden rasch weite Verbreitung. Dies lag an
ner den gottgefällig lebenden, selbstbestimmten der frühen Koppelung der Bürgerrechte an religiöse
Menschen. Unterstützung fanden diese Ansichten Eignungstests. Mit dem Gesetz von 1637 waren in
in den zu Beginn der Neuzeit in Europa diskutierten den Kolonien Neuenglands die Niederlassung und
utopischen Vorstellungen von einer besseren Welt, die Übernahme öffentlicher Ämter sowie die Zuge-
ferner in den aufkommenden philosophischen und hörigkeit zu Religionsgemeinschaften an die be-
ökonomischen Wertvorstellungen der Aufklärung. hördliche Bestätigung des „rechten Glaubens“ ge-
Als einer der Ersten stellte John Locke (1632 – bunden. Zudem trug das wachsende Schrifttum zur
1704) einen Zusammenhang zwischen der Gottähn- Verbreitung der religiösen Doktrin bei. Die stetig
lichkeit des Menschen, seiner Vernunft und Erfah- wachsende Bevölkerung der britischen Kolonien
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4 Politisch-kulturelle Tradition

Aufklärung Puritanismus Zeitgeist der Sozialutopie

John Locke (1632–1704) Von J. Calvin beeinflusste Bewegung seit 1560 • Modelle einer idealen Gesellschaftsordnung
mit Ablehnung kirchlicher Kultusfrömmigkeit fernab bestehender zeitgenössischer Ver-
• Menschenbild hältnisse
Menschliches Bewusst- • Glaube an individuelle Heiligung durch geistige,
sein als „tabula rasa“ asketische Lebensform und Neuanfang aus Vorläufer
• Einzige Erfahrungs- moralischem Verfall • Entwurf des Idealstaats nach Platon (Politeia)
quellen äußere • Glaube an ein Neues Bündnis mit Gott und
Sinneswahrnehmung das Reich Gottes auf Erden („New Jerusalem“) Entstehung des Genres utopischer Schriften,
• Glaube an die eigene Auserwähltheit im gött- Reisebeschreibungen, Satiren
Staatslehre lichen Heilsplan (Exzeptionalismus) • Utopische (Staats-)Romane: Thomas More
• Naturrecht auf Eigentum • Vorstellung von Amerika als Reich Gottes auf (1516 Utopia), Francis Bacon (1627 Nova
• Staat als Schützer des Erden Atlantis) u. v. a.
Eigentumsrechts • Eigenverantwortlichkeit/Individualismus, indi-
• Widerstandsrecht des viduelle Selbstentfaltung in christlichen
Volkes gegen verfas- Gemeinden als Grundelement des Heilsplans Neoklassische Ökonomie und Moralphilosophie
sungswidrige Herrschaft • Gewissen als übergeordnete Instanz
• Grundsatz der Volkssou- • Politische Institutionen, Verfassung, Staatsform Adam Smith (1723 – 1790)
veränität, des Repräsen- als untergeordnete Medien im Heilsplan
tativsystems und der • Staatsform mit Volkssouveränität als Garant • Arbeit als treibende Kraft der Wirtschaft und
monarchischen des staatlichen Schutzes individueller Grund- des Wohlstands
Exekutive rechte auf „Leben, Unabhängigkeit und indi- • Eigeninteresse als Quelle des Gemeinwohls
viduelle Selbstentfaltung“ (life, liberty and • Eigentum als Grundlage moralischen Seins
pursuit of happiness) • Eigentum als Grundrecht

Gottes Heilsplan für christliche Gemeinden Staatsform als Mittel zur Erreichung des „New Jerusalem“
eigenverantwortlicher Bürger
• Staat als Förderer des individuellen und damit des
• Religiöse und rationalistische Weltanschauung mit dem gesellschaftlichen Wohls und spirituellen Heils
Individuum im Zentrum

Religiöse Grundlage für Individualismus Religiöse Grundlage der besonderen Staatsform und politischen
Kultur
• Recht auf Wahl des eigenen Lebensentwurfs
• Widerstand gegen etablierte doktrinäre politische und • Enge Verquickung von Religion und Politik
kirchliche Autoritäten • Religiöses Sendungsbewusstsein und missionarischer Charakter
• Abkoppelung von Kirche und Staat amerikanischer Politik
• Entwicklung der „Culture of Privatism“

Entwurf: R. Schneider-Sliwa

Abb. 2: Ideengeschichtlicher Ursprung der angloamerikanischen Gesellschaft.

(250 900 Personen um 1700, 466 200 im Jahre Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts war von sä-
1720 und 2 204 500 im Jahr 1775) sah in zahlrei- kularen Tendenzen in der gebildeten Oberschicht,
chen religiösen und philosophischen Schriften die Ideen der Aufklärung und neuen wissenschaftlich-
Besiedlung Amerikas als Erweiterung der Genesis physikalischen Erkenntnissen geprägt. Da zudem
widergespiegelt (Schäfer 1998, S. 68 – 71). die Siedlerströme an der sich westwärts ausdehnen-
Die älteste Druckerei entstand 1638 in Cam- den Siedlungsgrenze ohne die traditionell-religiöse
bridge, Massachusetts. Religiöses Schrifttum be- Unterweisung auskommen mussten und ein Rück-
gann ab 1738 auch in nichtenglischer Sprache die gang des Glaubens befürchtet wurde, begannen die
deutschen Einwanderer entsprechend zu unterwei- Kirchen, ausgehend von Massachusetts und Penn-
sen. In rascher Folge entstanden auch in den übri- sylvania, eine aktive Wiederbelebung des religiösen
gen Kolonien Druckereien, die nach europäischem Lebens im Sinne des Puritanismus. Das sogenannte
Standard arbeiteten. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts „Great Awakening“ wurde seit den 1730er Jahren
verbreiteten auch Zeitungen politische, religiöse zur großen sozialen Bewegung Amerikas. Noch vor
und wissenschaftliche Themen. Benjamin Franklin der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von
setzte sich als Erster für die Abschaffung religiöser 1776 wurde damit das ganze bekannte Amerika auf
Eignungstests bei der Zulassung zur Universität seine ursprünglichen religiös-ideologischen Grund-
ein. Dadurch erhielt die rationalistische Weltan- werte eingeschworen und wurden amerikanische
schauung ab 1749 eine stärkere Basis. Diese be- Traditionen geschaffen, die bis in die Gegenwart
ruhte jedoch, ähnlich wie im Puritanismus, auf dem weiterleben (Abb. 3): Beide Geistesrichtungen, die
Wertbild des freien, eigenverantwortlichen Men- Säkularisierung und das „Great Awakening“, wiesen
schen. Auf diese Weise festigte die säkularisierte dem Individuum, dem Recht des Einzelnen auf freie
Betrachtungsweise also die gleichen fundamen- Lebensgestaltung und seiner Eigenverantwortlich-
tal-puritanisch geprägten Normen für die mensch- keit zentrale Bedeutung zu (Schäfer 1998, S. 77).
liche Gesellschaft und zementierte demnach die Dabei erhielt der Gedanke, in der individuellen
puritanischen Werte endgültig (Schäfer 1998, S. Selbstentfaltung den gelebten Sendungsauftrag zu
67 – 71). sehen, eine uneingeschränkte Akzeptanz.
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Amerika – das nichteuropäische Paradigma der Entwicklung 5

Wegen der Komplementarität der beiden konträr eine Heimat zu geben. Das Resultat muss eine Na-
scheinenden Geistesströmungen verwundert es tion sein, die einen verbessernden Einfluss auf die
nicht, dass Vernunft und Offenbarung, Politik und ganze Menschheit ausübt.“ Herman Melville schrieb:
Religion bis in die Gegenwart eng verwoben blieben. „We Americans are the peculiar, chosen people –
Das Bürgerliche, Kirchliche und Politische existie- the Israel of our times (…) God has predestinated,
ren separat, jedoch in einem komplexen Systemzu- mankind expects great things from our race (…) we
sammenhang, der in seiner Gesamtheit die als gött- are the pioneers of the world (…) sent on to break a
lich gesehene Aufgabe und Vorbildfunktion für die new path in the New World that is ours“ (zit. in:
Welt ausüben möchte. Wenn man also dem heuti- Adams 2000, S. 56).
gen Unilateralismus Amerikas in der Welt mit Un- Da sich diese sinnstiftenden religiösen Philoso-
verständnis begegnet, muss man sich in Erinnerung phien bestens mit dem individuellen Streben nach
rufen: Der „Weltpolizist“, der die Welt immer wieder Glück und Wohlstand und der gewinnbringenden Er-
mit seinen Handlungen bewegt, versteht sich in sei- forschung des Kontinents verbanden und auch
ner Handlungsweise als Akteur, der aus einem fun- einen spirituellen Triumph nach jeder Niederlage er-
damental religiösen Auftrag, einem „göttlichen Sen- laubten, konnte sich dieses Gedankengut zu der na-
dungsauftrag“ heraus in das Weltgeschehen ein- tionalen Mythologie und einer weithin akzeptierten
greift. amerikanischen Identität, zu dem „Wesen Ameri-
Bemerkenswert ist, dass sich dieses Selbstver- kas“ herausbilden. Dass die Weltgemeinschaft der
ständnis Amerikas nicht etwa in neuerer Zeit he- selbstgewählten Rolle der USA (Manifest Destiny)
rausgebildet hat, sondern bereits in der kolonialen so lange uneingeschränkt zustimmte, lag an der tat-
Gesellschaft, also noch vor Bestehen der USA, an- sächlichen Vorbildfunktion einer freien Demokratie
gelegt wurde: Zwischen der Ankunft der Pilgrim Fa- auf ein seinerzeit noch feudales Europa. Dass die
thers in den englischen Kolonien und der Gründung freiheitliche demokratische Welt der selbstgegebe-
der Vereinigten Staaten von Amerika konstituierte nen moralischen Vorrangstellung Amerikas heute
die Gesellschaft Werte und machte sie zur Norm, nicht mehr zustimmen kann, zeigt sich besonders
die bereits zweihundert Jahre lang bestand, bevor pointiert in internationalen Angelegenheiten, wenn
sie per Verfassung zur Staatsnorm wurde. In der Amerika Unilateralismus, Militarismus und wirt-
„Vertragstheorie“ des Puritanismus, nach der die schaftliche Interessen mit internationalem Interven-
Siedler den Gnadenbund mit Gott als Individuen zu tionismus verbindet.
leben hatten, mussten sich daher sowohl starke re-
ligiöse als auch politisch-weltliche Doktrinen mit
entsprechenden Regierungsformen bilden. Da dem Geistig-immaterielle Grundlagen
– Gesellschaftliche – Religiöse
Einzelnen eine zentrale Rolle zukommt, musste Wertvorstellungen Traditionen
zwangsläufig eine Regierungsform entstehen, wel- – Leitbilder, Motive
che die individuellen Rechte gegenüber jedermann,
auch der Vorherrschaft einer einzelnen Kirchendok-
trin, zu schützen hatte. Die Abkoppelung einer sol- Abkehr von den europäischen
Normen des Zentralstaats
chen Regierungsform von den Kirchen galt daher als
geeignete und einzige Staatsform, um dem „gött-
lichen Heilsauftrag“, in Amerika ein „Neues Jerusa-
Exzeptionalismus
lem“ zu gründen, zu dienen (Adams 2000, S. 56). – „Neues Jerusalem“, „City upon a Hill“,
In Amerika ist darin die bis heute gültige absolute „Neues Eden“
– Auserwähltheit von Volk und Staat
Volkssouveränität mit Trennung von Staat und Kir- – Amerika als Teil des göttlichen Heilsplans
che und die gleichzeitig enge Verbindung von Politik für die Welt
und Religion begründet – eigentlich ein Paradoxon.
Wie stark diese enge Verbindung auch heute noch
ist, zeigt sich auch in der Usance amerikanischer Neue gesellschaftliche Normen
Rolle des Staates Rolle des Individuums
Politiker, wichtige Reden oder Ereignisse grundsätz- – Schutz des individuellen Rechts auf – Freie Lebensgestaltung
lich mit dem Segen God bless America/ God bless Glück, Eigentum und Wohlstand – Selbstverantwortung
– Moralische Führungsrolle für die Welt – Gelebter Sendungsauftrag
you zu beenden. Es gibt keine offizielle Ansprache
an die Nation, in der die angedeutete Auserwählt-
heit von Volk und Mandatsträgern ausgelassen wer-
Politische Kultur, planungspolitische Traditionen
den darf. Politik und Religion sind in den USA dem-
nach kein Gegensatz, sondern Teile desselben gro- Politik Raumentwicklung Wirtschaft und Soziales
– Rolle des Staates – Erschließungspolitik – Eigeninitiative
ßen Ganzen: des gerechten Gemeinwesens, der und des Unterneh- – Optimale Nutzung von
Entwurf: R. Schneider-Sliwa.

„idealen Republik“, der city upon a hill. Diese Tra- mertums Ressourcen als Teil des – Wirtschaftsgefälle
„Manifest Destiny“
dition begründet auch Amerikas weitergreifenden – Zuständigkeiten
messianischen Anspruch auf moralische Hilfestel- im föderativen System – Sozialdarwinismus – Sozialstrukturgefälle
lung für die ganze Welt. Von George Washington ist – Keine staatlichen – Fehlen übergeordneter – Regionale Disparitäten
Ausgleichsmechanismen staatlicher Regionalpolitik
der Ausspruch von 1789 bekannt: „Die Vereinigten – Unvollständiger Wohlfahrtsstaat
Staaten sind von der Vorsehung dazu bestimmt, der
menschlichen Größe und dem menschlichen Glück Abb. 3: Wertevorstellungen in Staat und Gesellschaft.
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6 Politisch-kulturelle Tradition

Das Neue an der „Neuen Welt“


Ausgehend von den geschilderten ideellen Grundla- werke, welche die Zuständigkeiten des Staates
gen Amerikas stellt sich die Frage, was denn konkret nochmals einschränkten, ausgebaut.
das Neue an der Neuen Welt war und ist. Acht we- 8.Verfassungsmäßig verankerte Zuständigkeiten von
sentliche Punkte sind zu nennen: privater und öffentlicher Seite wurden richtungs-
1.Mit „Amerika“ wurde eine ahistorische Situation weisend für die gesamte wirtschaftliche, politi-
geschaffen: Utopia wurde Wirklichkeit, zumindest sche und soziale Entwicklung der USA.
in der Vorstellung der Pilgrim Fathers und später
der Gründungsväter. Als Siedler in Amerika lebten Ahistorische Situation und eigenständige
sie zunächst in eher sozialutopischen Gemeinwe- intellektuelle Tradition
sen, die auf die Unabhängigkeit der einzelnen Veränderungen von politischen, wirtschaftlichen und
selbstverwalteten religiösen Gemeinden von einer gesellschaftlichen Systemen haben nachhaltige Fol-
nationalen Kirche größten Wert legten (Kamphau- gewirkungen auf das individuelle und kollektive
sen 1992, S. 259). Selbstverständnis. Den sozialpsychologischen Wirkun-
2.Es entwickelte sich eine eigenständige und vom gen des neuen amerikanischen politischen Lebens
europäischem Vorbild unabhängige intellektuelle kam bereits in der kolonialen und besonders in der
Tradition, deren Fundament puritanisch-religiösen post-kolonialen Ära eine besondere Bedeutung zu.
Ursprungs und stark von Geistesströmungen der Alexis de Tocqueville schrieb in seinem Werk über die
Zeit wie Aufklärung, Sozialutopien, Neoklassischer Demokratie in Amerika (1835/1840, 1985):
Ökonomie und Moralphilosophie geprägt war. „Es stimmt, dass die Angloamerikaner die Gleich-
3.Die geschichtliche Einzigartigkeit Amerikas und heit der Bedingungen in die Neue Welt gebracht
seine ideengeschichtlichen Ursprünge übten einen haben. Nie gab es bei ihnen Bürger und Adelige;
starken Einfluss auf individualistische Geisteshal- die Vorurteile der Geburt waren dort ebenso unbe-
tung und Lebensform sowie den gesamtgesell- kannt wie die des Berufes. Da der gesellschaftliche
schaftlichen Pluralismus aus. Es sollte der Über- Zustand mithin demokratisch war, konnte die Demo-
zeugung nach ein neuer Menschenschlag, der kratie mühelos ihr Reich errichten. Dieser Tatbe-
„new breed“, entstehen. stand ist aber keine Besonderheit der Vereinigten
4.Die individualistische und zugleich pluralistische Staaten; fast alle Kolonien sind durch Menschen ge-
Gesellschaft der Einwanderer bedurfte besonderer gründet worden, die unter sich gleich waren oder
Mechanismen, um eine nationale Identität zu er- die es als Einwohner wurden. Es gibt kein einziges
zeugen, das Land in Wert zu setzen und innere Gebiet in der Neuen Welt, wo die Europäer eine
Stabilität zu garantieren. Als Mechanismen in Aristokratie zu gründen vermochten“ (Tocqueville
einer enthierarchisierten Welt dienten sorgfältig 1835/1840, 1985, S. 184).
kultivierte Mythen. Als neues Credo (new creed) Mit Gründung der USA wurde diese neue freiheit-
in religiösen und offiziellen politischen Schriften liche Gesellschaftsform politisch zementiert, da ein
propagiert, machten sie Amerika über vier Jahr- „government by the people, through the people and
hunderte selbst zum mythischen Raum, zur nor- for the people“ eingesetzt wurde. Über Jahrhunder-
mativen Idee und zur kollektiven Metapher für in- te hinweg blieb die Verteidigung dieses freiheit-
dividuelle Freiheit. Amerika wurde zur Projekti- lichen Gedankens zentrales Element im Selbstver-
onsfläche für Vorstellungen vom Gelobten Land – ständnis der Amerikaner und wurde sogar als welt-
weltweit (Zöller 1992, S. 286 f.; Kamphausen weite Sendungsaufgabe begriffen. So wurde der
1992, S. 260). Eintritt in den Ersten Weltkrieg 1917 mit den Wor-
5.Die bewusste Einpflanzung von Mythen im ameri- ten Präsident Wilsons begründet: „The world must
kanischen Kollektivbewusstsein machte individu- be made safe for democracy“ (Adams 2000, S. 13).
elles Streben nach Glück, Wohlstand sowie nach Vor diesem gedanklichen Hintergrund ist auch der
einem naturnahen Leben zum Garanten von Frei- sogenannte Präventivkrieg im Irak im Jahr 2003 zu
heit, Mündigkeit und Selbstentfaltung. Auf ge- verstehen, der die Welt vor vermeintlichen Massen-
samtgesellschaftlicher Ebene wurden diese My- vernichtungswaffen schützen sollte.
then zu Kräften der Inwertsetzung des Kontinents Die amerikanische Verfassung setzte das Men-
und der inneren Stabilität. schenrecht auf Glück und Wohlstand fest und legiti-
6.Diese fast zwei Jahrhunderte vorherrschenden mierte politisch, was bereits als Kernstück des
Geisteshaltungen und kulturellen Werte kolonialer „Neuen Eden“ religiös begründet war. In Fortfüh-
Zeit schufen 1789 die ihnen entsprechende poli- rung dieser Gedanken sind in Amerika Unilatera-
tische Verfassung und Staatsform der Vereinigten lismus und strikte Verfolgung nationaler wirtschaft-
Staaten von Amerika, welche wiederum die (Gei- licher Interessen moralisch, religiös und politisch
steshaltung und) gesellschaftlichen Normen bis vom Mythos der vorbestimmten Rolle Amerikas in
in die Gegenwart prägen. der Welt (Manifest Destiny) getragen. Dieser ideelle
7.Die Verfassungsdokumente von 1789 besiegelten Hintergrund erklärt auch, warum einseitige Vorge-
juristisch die religiös begründeten, individualisti- hensweisen gegen Länder wie den Irak im Jahr
schen Rechte. Vorherrschende Normen und Tra- 2003 von beiden Parteien im Kongress und der
ditionen wurden mit Hilfe weiterer Verfassungs- Mehrheit der Amerikaner unterstützt wurden.
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Das Neue an der „Neuen Welt“ 7

Abb. 4: Pioniere auf den


Stromschnellen eines
Flusses im Westen, 1897.

Quelle: Bibliothek des John F. Kennedy-Instituts der Freien Universität Berlin.


Neuer Persönlichkeitstyp des Individualismus – Normen und soziale Strukturen der zukünftigen
new breed Generationen und des gesellschaftlichen Mitei-
Individualismus war eine zentrale Konstitutionsbe- nanderlebens wurden dauerhaft geprägt – „Das
dingung dieser Demokratie, noch bevor sie sich eine Band menschlicher Gefühlsverbindungen dehnt sich
Verfassung gab, in der das Streben nach Glück und und wird locker“ (Tocqueville 1835/1840, 1985,
Selbstentfaltung als Grundrecht anerkannt wurden. S. 240), der „Individualismus kann auch alle Tugen-
Der fast dreihundertjährige angloamerikanische Be- den aufzehren und im Egoismus enden“ (S. 239).
siedlungsprozess eines derart riesigen Raumes hat „Hier tauchen ständig neue Familien aus dem
die Menschen, die bereits von religiös geprägter Nichts auf und andere verschwinden wieder (…)
Geisteshaltung der Eigenverantwortlichkeit und des Leicht vergisst man seine Vorfahren und hat keine
Individualismus durchdrungen waren, in viel stärke- Vorstellungen von seinen Nachkommen. Nur die
rem Maße als in den europäischen Ländern auf sich Nächsten beschäftigen einen (…) Sie (die Indivi-
selbst gestellt (Adams 2000, S. 8 f.). duen, Anm. d. Verf.) gewöhnen sich daran, sich
Charakteristikum dieses „neuen Persönlichkeits- immer nur in der Isolierung zu betrachten, und stel-
typus“ war eine veränderte, individualistische Welt- len sich gerne vor, dass das Schicksal nur von ihnen
anschauung, die in dieser Form im Europa der Feu- selbst abhinge“ (S. 240).
dalstrukturen nicht entstehen konnte: „Individua-
lismus ist ein neuer Ausdruck, den eine neue An- Mythologisierung der Einzigartigkeit
schauung schuf. Unsere Väter kannten nur den Ego- Das religiöse Fundament, die Befreiung von den his-
ismus. Der Egoismus ist eine leidenschaftliche und torischen Fesseln des „Alten Europa“ und die darin
übertriebene Eigenliebe, die den Menschen be- verborgenen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung,
stimmt, alles nur auf sich zu beziehen und sich ebenso wie das Leben an der frontier mit seinem
selbst allem vorzuziehen. Der Individualismus ist Verlust von Gemeinschaft haben früh dazu angeregt,
eine überlegte und friedliche Anschauung, die jeden diese Geisteshaltung auch als einzigartig zu mytho-
Staatsbürger geneigt macht, sich von der Masse zu logisieren. Kultur- und Literaturforschung zeigen im
isolieren und sich mit seiner Familie und seinen kolonialen Amerika die Entstehung eines neuen
Freunden abseits zu halten; so überlässt er gerne Genres von Romanen und Erzählungen, das wäh-
die große Gesellschaft sich selbst, nachdem er sich rend mehrerer Jahrhunderte einen Aufschwung er-
eine kleine Gesellschaft zum eigenen Gebrauch lebte. Diese untermauerten die „city upon a hill“
geschaffen hat (…). Der Individualismus ist demo- mit jenem heroischen und zivilisationsgeschicht-
kratischen Ursprungs und seine Entwicklung droht lichen Pathos, das die junge Republik im Vergleich
mit der fortschreitenden Gleichheit zu wachsen“ mit den Weltkulturen mithalten lassen sollte (Fluck
(Tocqueville 1835/1840, 1985, S. 238 f.). 1999, S. 740 – 803). Auch die amerikanische Male-
Menschen, die als neue Siedler in einem solch rei widmete sich diesem Sujet (Abb. 4) der einsa-
großen Land auf sich selbst angewiesen waren und men Helden (lone riders), die den Widrigkeiten des
sich aus dem Glauben heraus zur Selbstverant- Frontierlebens trotzen.
wortung verpflichtet fühlten, wurden notgedrungen Gemeinsam sind vielen dieser Werke die Konflik-
zu Individualisten, deren gesamtes soziales Be- te zwischen Indianern und Weißen, die Schilderung
ziehungsgeflecht sich änderte. Verhaltensweisen, des Ausgesetztseins von Mensch und Tier an der
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8 Politisch-kulturelle Tradition

Poetisierung der amerikanischen Republik Frontier und der sozialdarwinistische


Prospects of the Future Glory of America (John Trumbull 1770) Überlebenskampf. Diese zweifellos von
vielen Siedlern tatsächlich gemachte,
The Rising Glory of America (Philip Freneau und Hugh Henry Brackenridges 1771)
literarisch aufgearbeitete Erfahrung
The Vision of Columbus (Joel Barlow 1787)
wirkte sich prägend auf die Mythologi-
The Columbiad (Joel Barlow 1807) sierung eines sogenannten „amerika-
The Conquest of Canaan (Timothy Dwight 1785) nischen Charakters“ aus. Die Verklä-
Persönlichkeitstypus/Frontier Novels rung des harten Pionierlebens und des
Aufwertung demokratischer Helden einfachen Lebens in Stadt und Land
diente der Schaffung jenes Kollektiv-
The Pioneers (James Fenimore Cooper 1823)
bewusstseins, das für den Zusammen-
The Last of the Mohicans (James Fenimore Cooper 1826)
halt des Landes als nötig erachtet
The Prairie (James Fenimore Cooper 1827) wurde (Abb. 5 u. 6, Tab. 1).
The Pathfinder (James Fenimore Cooper 1840) Das bereits bekannte Thema vari-
The Deer Slayer (James Fenimore Cooper 1841) ierte im späten 19. und beginnenden
Romantische Aufwertung der Natur 20. Jahrhundert: Während die Frontier
bis dahin die offene Grenze in der
Nature (Ralph Waldo Emerson 1836)
freien Wildnis war, verlagerte sie sich
Philosophische Aufwertung des Individuums, mit dem Einsetzen der Industrialisie-
Befreiung von konformistischen Zwängen (auch der neuen amerikanischen Gesellschaft) rung in die Städte. Der „einsame Held“
Civil Disobedience (Henry David Thoreau 1849) sicherte sich nun sein Überleben in
Walden (Henry David Thoreau 1854) den Industrien und verslumten Groß-
The Scarlet Letter (Nathaniel Hawthorne 1850) städten und arbeitete sich vom Teller-
wäscher zum Millionär hoch – der
The House of Seven Gables (Nathaniel Hawthorne 1851)
self-made man der offenen Prärie
The Blithedale Romance (Nathaniel Hawthorne 1852)
hatte sein städtisches Pendant. Erst-
Moby Dick (Herman Melville 1852) mals wurde dies literarisch in Horatio
Billy Budd (Herman Melville 1881) Algers (1832 – 1898) zahlreichen Wer-
Varianten: ken zum Themenkreis „From Rags to
Domestic Novel (weibliche Eigenständigkeit im Hause / Berufstätigkeit, 1830 – 1870) und Riches“ dargestellt, in denen er viele
berühmte Fälle von Personen aufzeig-
Slave Novel (Freiheitskampf der Sklaven)
te, die einen phänomenalen sozialen
The Wide, Wide World (Susan Warner 1852)
Aufstieg gemeistert hatten. Gegen die
The Lamplighter (Maria Cummins 1854) kriminelle Frontier ließen Literaten
Uncle Tom’s Cabin (Harriet Beecher Stowe 1852) und Hollywood seit den 1920er Jah-
The Narrative of the Life of Frederick Douglass, ren charismatische, einsame Detektive
an American Slave, Written by Himself (Frederick Douglass 1845) und damit einen neuen Heldentyp an-
Incidents in the Life of a Slave Girl, Written by Herself (Harriet Jacobs 1861) treten. Überhaupt nahm sich Holly-
wood der nicht korrumpierbaren, ein-
Amerikanische Renaissance samen Helden im Kampf für Gerech-
Aufwertung des amerikanischen Selbstverständnisses im Zeitalter des Realismus tigkeit filmisch stark an: sei es im
Leaves of Grass (Walt Whitman 1855) Western, im Detektivgenre, in Polit-
The Adventures of Tom Sawyer (Mark Twain 1876) thrillern oder in der Darstellung von
Huckleberry Finn (Mark Twain 1885) self-made people (Fluck 1999, S. 740
Life in the Iron Mills (Rebecca Harding Davis 1861) bis 803). Während sich also seit dem
19. Jahrhundert die Frontier von der
Varianten: Natur in die Städte verschoben hatte,
Local Color/Regionalliteratur weiblicher und schwarzer Literaten reitet der „Marlboro Man“ in der Ziga-
Soziale Kompatibilität/gemeinschaftsfähige Individuen rettenwerbung bis heute in die Wildnis
Quelle: zusammengestellt nach W. Fluck 1999, S. 719 – 803.

(Romane von Henry James, Winslow Homer, Thomas Eakins) hinein und soll damit bei Millionen
Aufsteigermythos
von amerikanischen Kunden mehr als
nur ein Klischee bedienen, vielmehr
From Rags to Riches (Horatio Alger 1868–74)
wird auf den heroisierten Ur-Amerika-
Kritische, satirische, zynische Varianten ner in jedem Normalbürger abgezielt.
The Great Gatsby (F. Scott Fitzgerald 1925)
Death of a Salesman (Arthur Miller 1949) Pluralismus und nationale Identität
Die Individualisierung bedingt ein wei-
Populäre therapeutische Selbsthilfeliteratur teres Wesensmerkmal Amerikas: das
How to Win Friends and Influence People (Dale Carnegie 1937) des kulturellen Pluralismus. Eine Ge-
The Power of Positive Thinking (Norman Vincent Peale 1938) sellschaft, deren Menschenideal das
des unkonventionell lebenden Indivi-
Tab. 1: Ausgewählte literarische Darstellungen des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts.
dualisten ist, muss zwangsläufig auch
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Das Neue an der „Neuen Welt“ 9

Abb. 5: Farmstätte im
Winter, 1862.

Quelle: Bibliothek des John F. Kennedy-Instituts der Freien Universität Berlin.


Abb. 6: Straßenszene in
Boston vor Einführung der
Straßenbahn, 1885.

Quelle: Bibliothek des John F. Kennedy-Instituts der Freien Universität Berlin.

die Vielfalt individueller, nicht selten widersprüch- den dreihundert Jahren noch an Bedeutung und
licher geistiger und weltlicher Interessen als grund- schlugen sich in der ausgeprägt multikulturellen Ge-
sätzlichen gesellschaftlichen Wert verankern. Den- sellschaft (Schlesinger 1992) nieder.
noch gab und gibt es oft Phasen, in denen das Ide- Der amerikanische Historiker Arthur Schlesinger
albild der Gesellschaft von sich selbst von der Rea- erklärt die Besonderheit des amerikanischen Plura-
lität der Lebensbedingungen, institutionellen Praxis lismus: Die Durchtrennung von Wurzeln, Befreiung
und gesetzlichen Normen zum Schutze kultureller von der Vergangenheit und der Eingang in ein neues
und ethnischer Minderheiten sehr stark abwich (s. Leben erforderten eine Verflechtung von verschiede-
Kap. „Bevölkerungsentwicklung“). nen ethnischen Kulturen zu einem einheitlichen
Religiöse Vielfalt mit einer starken Eigenentwick- Muster. Die großen Denker und Politiker Amerikas
lung von Kirchen und Sekten sowie kultureller Plu- förderten diesen Gedanken ideologisch dadurch,
ralismus waren nicht nur Kennzeichen der frühen dass sie den Amerikaner zu einer neuen Rasse,
Kolonien (Tab. 2), sondern gewannen in den folgen- einem neuen Menschenschlag hochstilisierten – a
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10 Politisch-kulturelle Tradition

new race, a new breed –, der offen gegenüber den Kirchliche Anzahl Anteil
Unterdrückten und Verfolgten sein und seinen Teil Gemeinschaft d. Bev. d. Bev. %
zur Regierung, den bürgerlichen Pflichten und poli-
tischen Rechten für alle beitragen sollte. Dadurch Kongregationalisten 575 000 24,0
glaubte man, eine neue Gesellschaft zu formen, die Anglikaner 500 000 20,8
ethnische und andere politisch-kulturelle Unter-
Presbyterianer 410 000 17,1
schiede durch ein System aus Idealen ersetzen und

Quelle: Purvis, Thomas L.: Revolutionary America 1763 – 1800 (Almanacs of


Holländische Reformierte 75 000 3,1
überwinden sollte (Schlesinger 1992; Fluck 1999,
S. 725 – 734; Kamphausen 1992, S. 259 – 269; Zöl- Lutheraner 75 000 3,1
ler 1992, S. 285 – 295; Vorländer 1999; Scheuch/ Deutsche Reformierte 50 000 2,1
Scheuch 1992). Andere deutsche
Mit Hilfe von Ideen, Idealen und letztlich Ideolo- Kirchen 75 000 3,1
gien sollte jeder ungeachtet der Rasse, nationalen Quäker 40 000 1,7
Herkunft, der ethnischen Wurzeln, des Geschlechts Baptisten 25 000 1,0
oder des Glaubens wahrhaft zum Amerikaner wer-

American Life), New York 1995, S. 197.


Katholiken 25 000 1,0
den und eine neue Heimat erhalten. Dazu benötigt Methodisten 5 000 0,2
wurden Mechanismen, die sowohl die individuelle
Juden 2 000 0,1
Selbstentfaltung als auch die friedliche Koexistenz
Sklaven ohne
garantierten. Ersteres wurde im Recht auf Privat-
eigentum, Letzteres in der Schaffung und Kultivie- kirchl. Zugehörigkeit 543 000 22,6
rung einer nationalen Identität durch Propagierung
Tab. 2: Geschätzte Kirchenmitgliedschaften in den
von Mythen gesehen, die in ihrer Gesamtheit zum Kolonien 1775.
American Creed werden sollten.

Identitätsbildung und Mythenpflege


Privateigentum als Seinsgrundlage Aufgabe, die Vielzahl der Individualisten und Millio-
des Individuums nen von Migranten zu einer friedlichen Koexistenz
Das Ideal des sich selbst verwirklichenden, eigen- zu bewegen. Politische Mechanismen, die eine zen-
verantwortlichen, neuen und guten Menschen wurde trale Orientierung für Integrationsbemühungen hät-
sehr früh mit einem Leitgedanken der Aufklärung ten geben können (Ähnliches wird in der sich er-
und der neoklassischen Ökonomie und Moralphilo- weiternden Europäischen Union des 21. Jahrhun-
sophie verbunden: dem Eigentum als Grundlage des derts kontrovers diskutiert), hätte es aufgrund der
moralischen Seins. Beide Gedanken untermauerten enthierarchisierten, neuartigen Gesellschafts- und
die puritanische Vorstellung, nach der wahre Sitt- Demokratiestruktur nicht geben können – gründete
lichkeit und die Ausführung des Gnadenbundes mit sich doch der ganze politische Aufbau des kolonia-
Gott an das Recht auf Privateigentum gebunden len Alltagslebens und später der Vereinigten Staaten
seien. Weitere Impulse erfolgten durch die morali- auf der Idee der dezentralen, im Individuum veran-
sche Sinngebung, die man in der Natur und ihrem kerten Entscheidungsstruktur (Kamphausen 1992,
Wert für die Herausbildung eines tugendhaften Men- S. 273 – 280; Zöller 1992, S. 290 – 293).
schen zu erkennen glaubte. Um eine solche Vielzahl der stetig wachsenden
und sich verändernden Einwandererströme also auf
Gründungsmythen eine nationale Identität einzuschwören, bedurfte es
Die über fast vierhundert Jahre bestehenden, religiös der eigenen Überzeugung jedes Einzelnen, einer
fundierten Vorstellungen vom Exzeptionalismus für Überzeugung, die beispielsweise mit einer zentral
die neuere Menschheitsgeschichte haben sich also von oben gesteuerten, als unamerikanisch empfun-
nicht zufällig entwickelt oder erhalten, sondern wur- denen Politik nie hätte erreicht werden können. Als
den sehr bewusst in jeder Phase der Inwertsetzung stärkere Kräfte im Prozess der kontinentalen Be-
des Landes von den gesellschaftsrelevanten Akteuren siedlung und der nationalen Identitätsbildung eines
– der Geistlichkeit, der politischen Führung, der Kunst Vielvölkerstaates konnten daher nur Vorstellungen,
und Kultur – zur Bildung der Nation eingesetzt. Ideen, Ideale und Mythen dienen, wie beispielswei-
Für die Besiedlung des riesigen Kontinents erwie- se die puritanische Analogie zwischen dem Auszug
sen sich die Geistesgeschichte und ihre Gründungs- des Volkes Israel aus Ägypten in das Gelobte Land
mythen als ungemein hilfreich: Die religiös-puritani- und ihrer eigenen Emigration nach Amerika (Fluck
schen Ideale des individuellen Heilsauftrages und 1999, S. 725).
der Selbstverantwortlichkeit, der unbedingte Glaube
an die eigene Vernunft sowie die realen Lebensbe- Die Frontier
dingungen, die einen individuellen Überlebens- Als Quelle moralischer Transformation der „Auser-
kampf notwendig machten, waren integrationsför- wählten“ galten also Besitz und das Leben in der
dernde Leitbilder bei der schwierigen nationalen Natur, zwei Faktoren, die zu den vielleicht bedeu-
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Identitätsbildung und Mythenpflege 11

tendsten Kräften in der Besiedlung und der west-


wärts vorrückenden Frontier wurden. Es erklärt auch, Frederick Jackson Turners Frontier-These
warum heute noch für die Mehrheit der Amerikaner „Das Vorhandensein einer weiten Strecke von freiem Land, dessen ständiges
das Eigenheim außerhalb der Stadt im grünen, sub- Zurückweichen und das Vordringen der amerikanischen Bevölkerung nach dem
urbanen Raum überaus erstrebenswert ist. „Sub- Westen erklärt die Entwicklung der Vereinigten Staaten. Die Einzigartigkeit
urbia“ kommt in der modernen, amerikanischen In- amerikanischer Institutionen geht daraus hervor, dass diese sich den Bedürf-
dustriegesellschaft der Idee der Gründerväter vom nissen des sich weiter und weiter über den Kontinent ausdehnenden Volkes an-
ländlichen Leben und dem guten Menschen am passten und sich von ihrer einfachen Form in der Wildnis zu einer komplexen
nächsten, auch wenn es mittlerweile „Trouble In Form in städtisch-industriellen Zonen entwickelten. (…) Die Wildnis beherrscht
Paradise“ (Baldassare 1986) gibt. den Kolonisten. Sie findet ihn als Europäer in Kleidung, Handwerk, Reisearten
Rückblickend wird deutlich, dass es bei den Ein- und Denken. Sie holt ihn aus dem Eisenbahnwagen heraus und setzt ihn in ein
wanderern, die zwar größtenteils freiwillig nach Ame- Birkenrindenkanu. Sie reißt das Gewand der Zivilisation von ihm ab und kleidet
rika gekommen waren, dennoch der ideellen Kräfte, ihn in ein Hirschlederhemd und Mokassins. Sie steckt ihn in das Blockhaus
Hoffnung auf Landbesitz und des religiösen Sen- der Irokesen und Cherokesen und errichtet einen indianischen Palisadenzaun
dungsbewusstseins bedurfte, um sie dazu zu be- um ihn herum. Über kurz oder lang pflanzt er Mais und pflügt mit einem primi-
wegen, freiwillig in immer weitere Extremumgebun- tiven Hakenpflug (…) Kurz, an der Frontier ist die Umwelt vorerst zu mächtig.
gen vorzustoßen. Unerwartete und fremde Klima- Der Neusiedler muss sich deren Bedingungen anpassen, will er nicht unterge-
und Lebensbedingungen wie Dürren, Wüsten, Kälte, hen. (…)
die oft Armut, Hunger und Krankheit mit sich brach- Langsam verändert er die Wildnis, aber das Ergebnis ist nicht das alte Euro-
ten, forderten ihren Tribut. Die Besiedlung der rauen, pa, Tatsache ist, dass ein neues Gebilde entsteht, das genuin amerikanisch ist.
aber reichen Wildnis wurde in Amerika – im Gegen- Anfangs war die Frontier die Atlantikküste, und diese war tatsächlich die Gren-
satz zur Zwangskolonisation von Sibirien durch die ze Europas. In der Westwärts-Verschiebung wurde die Frontier immer mehr
sowjetische Regierung im 20. Jahrhundert – von Amerika. Die Ausdehnung der Frontier bedeutete ein immer stärkeres Abwerfen
Ideen getragen. Wo diese ideellen Kräfte in den Sied- des europäischen Einflusses und ein stetiges Wachstum amerikanischer Unab-
lern der Unterstützung bedurften, erfolgte aktive hängigkeit. (…)
Missionierung oder das „Wiedererwecken“ des inne- Diese Grobheit und Kraft, kombiniert mit Scharfsinn und Wissensbegierde,
ren Sendungsbewusstseins. Wo das Wissen um die dieser praktische, erfinderische Geist, schnell das Zweckmäßige zu finden,
Möglichkeiten des Landes fehlte, wurde es mit Hilfe diese meisterhafte Erfassung materieller Dinge, nicht künstlerisch, aber mäch-
von Expeditionen, wie der berühmt gewordenen Clark- tig im Streben nach großen Zielen, diese ruhelose kräftige Energie, dieser vor-
Lewis-Expedition von 1803, erschlossen. Wo die herrschende Individualismus und alle diese Spannkraft und Überschwänglich-
rechtlichen Voraussetzungen für Besitz und das Le- keit im Gefolge der Freiheit, diese sind die Charakterzüge des Frontiers (…)
ben in der freien Natur fehlten, wurden sie geschaf- Frische, Vertrauen und Verachtung für die alte, zurückgebliebene Gesellschaft,
fen – wie in den Landvergabegesetzen von 1862. Unwilligkeit, deren Schranken und Ideen anzuerkennen, und eine Gleichgültig-
Wo Ureinwohner der Landnahme im Weg standen, keit deren Lehren gegenüber begleiten den Pionier.“
wurde das Problem durch Krieg, Vertreibung und Frederick Jackson Turner: The Significance of the Frontier in American History. American Historical Association. Annual Report for
1893, Washington, D.C. 1894, S. 199 – 227.
Vernichtung gelöst. Wann immer nötig, wurde dabei
das Sendungsbewusstsein, das der Inwertsetzung
des riesenhaften Kontinents so dienlich war, durch ter Instanz unterworfen war. Die Frontier wurde zur
sorgfältig orchestrierte Öffentlichkeitskampagnen reinigenden und erneuernden Kraft mystifiziert, an
von Regierungsseite aktiviert. Dabei wurde der sich der man das Europa der Dekadenz und Unfreiheiten
wandelnde Zeitgeist einer industrialisierenden Ge- hinter sich lassen und zu einem neuen Bürger –
sellschaft berücksichtigt, indem man die ideellen einem amerikanischen Charaktertypus – werden
Kräfte beispielsweise auch mit säkularisierten Leit- konnte. Das Leben in der Wildnis schuf daher, so
bildern stärkte, wie der These von Turner und der Turner, einen neuen, amerikanischen Charakterty-
nationalen Bewegung zum Schutz der Natur, die mit pus. Dieser Glaube wurde zum säkularen Gegen-
der Gründung des ersten Nationalparks 1872 im stück der religiösen Begründung Amerikas, da Tur-
Yellowstone-Park begann. ner zufolge die amerikanische Demokratie nicht mit
Frederick Jackson Turners These war Instrument den Pilgervätern nach Amerika kam, sondern sich in
in der Säkularisierung der puritanisch-religiösen den Wäldern entwickelte und durch jede neue Fron-
Vorstellung, die der Philosophie der weltlich gewor- tierverschiebung stärker wurde.
denen Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts Seit Turners weithin akzeptierter These wurde also
mehr entsprach. Turner erklärte die Einzigartigkeit der Exzeptionalismus Amerikas nicht nur über die re-
der amerikanischen Gesellschaft nicht länger theis- ligiöse, sondern auch über die naturalistische Ebene
tisch, sondern mittels einer naturalistischen Werte- vertreten und der Boden für den Amerikanismus als
vorstellung. Er leitete die Besonderheit der amerika- nationaler Ideologie bereitet. Demokratie wurde nun
nischen Demokratie aus der materiellen und psychi- als originär amerikanisches Produkt verstanden, das
schen Erfahrung des Frontierlebens ab, in welcher sich aus der Erfahrung der Republik selbst herleitete
der Einzelne in der Sicherung der Lebensgrundla- (Kamphausen 1992, S. 275; Beck 1955). Wie der
gen völlig auf sich selbst gestellt war. Nach Turner führende Historiker Richard Hofstadter (1947, 1973)
wurde der Kolonist aufgrund seiner Lebensumstän- erklärte (in: Huntington 1981, S. 25 und Kamphau-
de in der Wildnis zum Individualisten, der nur den sen 1992, S. 260): „It has been our faith as a na-
Naturkräften und seinem eigenen Verstand als letz- tion not to have ideologies but to be one.“
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 12

12 Politisch-kulturelle Tradition

Dass Turners These ein Mythos war, zeigt die Ge- Diese puritanisch-kapitalistischen Gedanken, die
schichte: Als die Transkontinentalbahnen ab 1848 Max Weber in seinem Werk „Die protestantische
durch die Wildnis verlegt wurden und sich die Fron- Ethik und der Geist des Kapitalismus“ 1904/05
tier westwärts schob, gab es die von ihm beschriebe- darlegte, wurden zur Triebkraft des westlichen Kapi-
nen Blockhäuser von Irokesen bereits nicht mehr, talismus und waren Ausgangspunkt des eigenen so-
waren diese doch im Krieg von 1756 – 1763 nahezu zialen Aufstiegs und der Unterscheidung zwischen
ausgerottet worden. Auch die von ihm zitierten Che- gesellschaftlich Wünschenswertem und nicht Ak-
rokesen waren nicht mehr an der Frontier, sondern zeptiertem. Zum Verständnis der amerikanischen
im „Marsch der Tränen“ von 1838 über Tausende Geisteshaltung sei aus den Tugendbüchern Benja-
von Kilometern in ein Reservat zwangsumgesiedelt min Franklins von 1748 und 1763 zitiert, die den
und dabei dezimiert worden. Das Land westlich des Ausgangspunkt für die im 19. Jahrhundert einset-
Mississippi befand sich bereits im Besiedlungspro- zende und mittlerweile uferlose Selbsthilfeliteratur
zess, und Städte westlich des Mississippi wurden als in den USA und anderswo darstellten.
paper towns an der Aktienbörse von New York gehan- Bei der umfassenden Propagierung des Erfolgsmy-
delt. Große Industrien entstanden im Mittleren Wes- thos durch Benjamin Franklin, dessen Autobiogra-
ten südlich der Großen Seen und belieferten den phie lange zu den meistgelesenen Büchern Amerikas
neu entstehenden Agrarsektor mit Landmaschinen. gehörte, ist nicht verwunderlich, dass fast einhun-
Der Mythos der Frontier als „Ort der Amerikanisie- dert Jahre später de Tocqueville (1835/1840, 1985,
rung“ überlebte noch lange, nachdem diese selbst S. 264) feststellte: „Die Menschen, die in demokra-
für beendet erklärt worden war (1890). Frontierden- tischen Zeiten leben, haben viele Leidenschaften;
ken ist, wie auch die Rhetorik zum amerikanischen aber die meisten ihrer Leidenschaften münden in
Sendungsauftrag, ein fester Bestandteil der ameri- die Liebe zum Reichtum oder sie entspringen ihr.
kanischen Kultur geworden, und so wird auch heute Das rührt nicht daher, dass sie kleinmütiger sind,
noch bei der Bewältigung jeder neuen nationalen sondern dass das Geld tatsächlich wichtig ist (…).
Aufgabe an den Pioniergeist der Amerikaner appel- Die Liebe zum Reichtum ist also gewöhnlich der
liert (Fluck 1999, S. 729). Dies gilt ebenso für die Haupt- oder Nebenantrieb im Handeln der Amerika-
Weltraumfahrt als Amerikas neuer Frontier als auch ner; es verleiht all ihren Leidenschaften einen ver-
für den Krieg gegen Armut oder Drogen oder die wandten Zug, und deren Bild ermüdet sehr bald.“
„get up and go“-Mentalität, die nur wenige Wochen Besonderheiten des Amerikanismus, der mit den
nach dem 11. September 2001 das ganze Land er- Gründungs- und Erfolgsmythen zusammenhängen,
griff. Frontierdenken ist auch erkennbar im amerika- entdeckte de Tocqueville (S. 278) auch hier:
nischen Kampf gegen den internationalen Terroris- „An die Spitze der Tugenden stellt sie [die amerika-
mus, der weltweit, sozusagen an Amerikas letzter nische Ehre] den Mut und macht aus ihm für den
Frontier, bekämpft werden soll. Vor diesem Hinter- Menschen die größte moralische Notwendigkeit;
grund ist es nicht verwunderlich, dass ein amtieren- aber der Mut hat bei ihnen eine andere Bedeutung
der Präsident das Volk auf einen Krieg gegen das (…) der Mut, den man am besten kennt und am
Böse einschwört, der so lange geführt werden müs- höchsten achtet, besteht darin, der Wut des Ozeans
se, bis er gewonnen sei – wobei auch diese politi- zu trotzen, um schneller im Hafen zu sein, die Nöte
sche Rhetorik gegen „das Böse“ schon von früheren der Wüste ohne Klagen zu erdulden und die Einsam-
Präsidenten her bekannt ist. keit, die grausamer ist als alles Elend; der Mut, der
Über Jahrhunderte förderten auf diese Weise Reli- für den plötzlichen Zusammenbruch eines mühevoll
gion, Bildungswesen, Kultur und Politik den Primat erworbenen Vermögens Unempfindlichkeit verleiht
des Privateigentums und die Vision vom eigenen und neue Kraft eingibt, wieder von vorne anzufan-
Stück Land. Bis in die Gegenwart sind dies auch die gen. Dieser Mut ist es, der für die Erhaltung des
Kräfte der Entwicklung von Stadtlandschaften, die amerikanischen Staats besonders notwendig ist und
das verselbständigte Leben im Grünen in seiner der von ihm besonders geehrt wird. Ohne ihn wäre
heutigen Manifestation des suburbanen Eigenheims man ehrlos. (…) In einer demokratischen Gesell-
mit Grundstück oder der gated community weiter so schaft wie den Vereinigten Staaten, in der die Ver-
erstrebenswert machen. mögen klein und wenig sicher sind, arbeitet jeder-
mann, führt die Arbeit zu allem. Dies wandelt den
Erfolgsmythos Ehrbegriff und richtet ihn gegen den Müßiggang.“
Wichtige Besonderheit dieser Mythen war, dass sie Auch der Erfolgsmythos erfreute sich in Amerika
das Bild des erfolgreichen Individuums zeichneten zu allen Zeiten ungebrochener Faszination, wurde
und verklärten. Schon in der puritanischen, im Cal- doch die Utopie der erfolgreichen Selbstverwirk-
vinismus ruhenden Verhaltensethik galt das Streben lichung von Kunst und Literatur bis in das 21. Jahr-
nach sozialem und materiellem Erfolg als Teil des hundert weitergetragen. Literatur- und Kulturforscher
Gnadenbunds mit Gott, den die Menschen durch zeigen, dass die Tugendfibeln Benjamin Franklins in
Selbstdisziplin, Berufspflicht, Tüchtigkeit im Beruf vielfältiger Weise literarisch verwertet wurden.
und Moral einzuhalten hatten. Nach Benjamin Frank- Da wirtschaftliche Interessen des Einzelnen im-
lin, einem der ersten Millionäre Amerikas, waren mer einen hohen Stellenwert hatten, verwundert
dies die Tugenden und Pflichten des Menschen, vor nicht, dass auch das Kollektiv Amerika seine Wirt-
allem aber des auserwählten Menschen. schaftsinteressen mit der Selbstverständlichkeit
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 13

Identitätsbildung und Mythenpflege 13

Benjamin Franklins Ratschläge


„Bedenke, dass Zeit Geld ist; wer Bedenke, dass – nach dem Sprich- naue Rechnung über deine Ausgaben
täglich zehn Schillinge durch seine wort – ein guter Zahler der Herr von je- und dein Einkommen. Machst du dir
Arbeit erwerben könnte und den hal- dermanns Beutel ist. Wer dafür be- die Mühe, einmal auf die Einzelhei-
ben Tag spazieren geht, oder auf sei- kannt ist, pünktlich zur versprochenen ten zu achten, so hat das folgende
nem Zimmer faulenzt, der darf, auch Zeit zu zahlen, der kann jederzeit alles gute Wirkung: Du entdeckst, was für
wenn er nur sechs Pence für sein Geld entlehnen, was seine Freunde ge- wunderbare kleine Ausgaben zu
Vergnügen ausgibt, nicht dies allein rade nicht brauchen. großen Summen anschwellen, und
berechnen, er hat nebendem noch Dies ist bisweilen von großem Nut- du wirst bemerken, was hätte gespart
fünf Schillinge ausgegeben oder viel- zen. Neben Fleiß und Mäßigkeit trägt werden können und was in Zukunft
mehr weggeworfen. nichts so sehr dazu bei, einen jungen gespart werden kann …
Bedenke, dass Kredit Geld ist. Mann in der Welt vorwärts zu bringen, Für 6 Pfund jährlich kannst du
Lässt jemand sein Geld, nachdem es als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit bei den Gebrauch von 100 Pfund haben,
zahlbar ist, bei mir stehen, so allen Geschäften. Deshalb behalte nie- vorausgesetzt, dass du ein Mann von
schenkt er mir die Interessen, oder so mals erborgtes Geld eine Stunde län- bekannter Klugheit und Ehrlichkeit
viel, als ich während dieser Zeit ger als du versprachst, damit nicht der bist. Wer täglich einen Groschen
damit anfangen kann. Dies beläuft Ärger darüber deines Freundes Börse nutzlos ausgibt, gibt an 6 Pfund jähr-
sich auf eine beträchtliche Summe, dir für immer verschließt. lich nutzlos aus, und das ist der Preis
wenn ein Mann guten oder großen Die unbedeutendsten Handlungen, für den Gebrauch von 100 Pfund.
Kredit hat und guten Gebrauch davon die den Kredit eines Mannes beeinflus- Wer täglich einen Teil seiner Zeit zum
macht. sen, müssen von ihm beachtet werden. Werte eines Groschens verschenkt
Bedenke, dass Geld von einer Der Schlag deines Hammers, den dein (und das mögen nur ein paar Minu-
zeugungskräftigen und fruchtbaren Gläubiger um 5 Uhr morgens oder um ten sein), verliert, einen Tag in den
Natur ist. Geld kann Geld erzeugen 8 Uhr abends vernimmt, stellt ihn auf anderen gerechnet, das Vorrecht 100
und die Sprösslinge können noch sechs Monate zufrieden; sieht er dich Pfund jährlich zu gebrauchen. Wer
mehr erzeugen und so fort. Fünf aber am Billardtisch oder hört er deine nutzlos Zeit im Wert von 5 Schilling
Schillinge umgeschlagen sind sechs, Stimme im Wirtshaus, wenn du bei der vergeudet, verliert 5 Schillinge und
wieder umgetrieben sieben Schillinge Arbeit sein solltest, so lässt er dich am könnte ebenso gut 5 Schillinge ins
drei Pence und so fort, bis es hun- nächsten Morgen um Zahlung mahnen, Meer werfen. Wer 5 Schillinge ver-
dert Pfund Sterling sind. Je mehr und fordert sein Geld, bevor du es zur liert, verliert nicht nur die Summe,
davon vorhanden ist, desto mehr er- Verfügung hast. sondern alles, was damit bei Verwen-
zeugt das Geld beim Umschlag, so- Außerdem zeigt dies, dass du ein dung im Gewerbe hätte verdient wer-
dass der Nutzen immer schneller und Gedächtnis für deine Schulden hast, den können, – was, wenn ein junger
schneller steigt. Wer ein Mutter- es lässt dich als einen ebenso sorgfälti- Mann ein höheres Alter erreicht, zu
schwein tötet, vernichtet seine ganze gen wie ehrlichen Mann erscheinen einer ganz bedeutenden Summe auf-
Nachkommenschaft bis ins tausend- und das vermehrt deinen Kredit. läuft.“
ste Glied. Wer ein Fünfschillingstück Hüte dich, dass du alles, was du
umbringt, mordet (!) alles, was damit besitzt, für dein Eigentum hältst und
Benjamin Franklin (aus: Necessary hints to those that would be
hätte produziert werden können: demgemäß lebst. In diese Täuschung rich. 1736; Advice to young tradesmen. 1748), zitiert in: Max
ganze Kolonnen von Pfunden Ster- geraten viele Leute, die Kredit haben. Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalis-
mus. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1, 1988,
ling. Um dies zu verhüten, halte eine ge- S. 31f.

aller guten Tugenden in der Welt und im Weltge- sich aufgrund ihrer Sprache und ihres Aussehens
schehen auslebt, zumal mit der Monroe-Doktrin von gut assimilierten, beinhaltete dieser Mythos eine ge-
1823 sogenannte „nationale (Wirtschafts-)Interes- wisse Richtigkeit. Den Überfremdungsängsten und
sen“ definiert und mit der Ideologie des Manifest beginnenden Restriktionen gegen die sich verän-
Destiny von 1838 untermauert wurden. dernden Einwandererströme nach 1890 versuchte
man mit einer Wiederbelebung des Schmelztiegel-
Der Mythos vom Schmelztiegel Mythos zu begegnen. Mit dem gleichnamigen Broad-
Mit dem Werk von Hector St. John de Crèvecœur way-Bühnenstück „Melting Pot“ von Israel Zangwill
„Letters from an American Farmer“ (1782) wurde (1908) wurde die Idee enorm popularisiert, nach
ein weiterer Amerikanisierungs-Mythos angelegt. In der Amerika Gottes großer Schmelztiegel sei, in
dem naturverbundenen agrarischen Leben wurde dem alle Völker Europas ineinander aufgingen.
ein egalisierender Mechanismus gesehen, der Men- Demzufolge habe jeder in den USA die Möglichkeit,
schen aller Nationalitäten und Kulturen den glei- in seiner Eigenart integriert und toleriert zu werden,
chen harten Lebensbedingungen aussetzte und Un- oder auch gänzlich in der Gesellschaft assimiliert, ja
terschiede auf diese Weise nivellierte. Solange die von ihr aufgesogen zu werden. Hierbei darf nicht
Einwandererströme, die zwischen 1800 und 1890 vergessen werden, dass „amerikanische Identität“
Millionen von Menschen in das Land gebracht hat- zu jenem Zeitpunkt seit fast dreihundert Jahren be-
ten, vorwiegend aus Nordeuropäern bestanden, die reits eine überwiegend angloamerikanische war.
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 14

14 Politisch-kulturelle Tradition

nähme. Cross-cultural learning sollte als einendes


The Gettysburg Address Element der multiethnischen Gesellschaft betrach-
„Fourscroe and seven years ago our fathers brought forth upon tet werden. Der Mythos des Schmelztiegels ist da-
this continent a new nation, conceived in Liberty, and dedicated mit endgültig von der Vorstellung vom „Regenbogen
to the proposition that all men are created equal. Amerika“ (Alternativmetaphern sind „Salatschüssel“,
Now, we are engaged in a great civil war, testing wether that „Mosaik“, „Kaleidoskop“) abgelöst worden. Dass
nation, or any nation so conceived, and so dedicated, can long diese jüngere, realitätsbedingte Rückführung auf
endure. We are men on a great battlefield of that war. We have das Prinzip des Individualismus und Multikultura-
come to dedicate a portion of it as a final resting place for those lismus seine eigenen Gefahren birgt, liegt auf der
who gave their lives that that nation might live. It is altogether Hand. Die (Pseudo-)Akzeptanz für andersartige Le-
fitting and proper that we should do this. benswelten („Parallelgesellschaften“) kann eine Ali-
But in a larger sense we cannot dedicate, we cannot conse- bifunktion für Amerikas ungelöste Segregationspro-
crate, we cannot hallow this ground. The brave men, living and bleme annehmen, in der das segregierte Nebenei-
dead, who struggled here have consecrated it far above our poor nander verschiedener ethnischer Gruppen, Kulturen
power to add or detract. The world will little note, nor longer re- und Subkulturen in ihrer Verschiedenheit, also auch
member what we say here, but we can never forget what they did in ihrem Elend akzeptiert und mit einer gewissen
here. It is for us the living, rather, to be dedicated here to the Gleichgültigkeit betrachtet wird, ohne Handlungsbe-
unfinished work which they have, thus far, so nobly carried on. darf auslösen zu müssen.
It is rather for us to be here dedicated to the great task remain- In den USA gibt es heute Minderheiten, die nicht
ing before us – that from these honored dead we take increased mehr aufgrund ihrer Rasse nicht integriert werden,
devotion to that cause for which they gave the last full measure sondern aufgrund ihrer Klasse marginalisiert sind.
of devotion – that we here highly resolve that these dead shall Es ist ihre Armut, die sie innerhalb der eigenen Eth-
not have died in vain – that this nation, under God, shall have a nie ebenso wie in der multikulturellen Gesellschaft
new birth of freedom – and that this government of the people, an den Rand drängt. Begriffe und Konzepte akzep-
by the people, for the people, shall not perish from the earth.“ tieren also eine vermeintliche kulturelle Identität,
Abraham Lincoln die vor allem auch eine Realität des Elends beinhal-
tet, wie sie vielfach nur in der Dritten Welt ähnlich
ausgeprägt zu finden ist. Mythos, Semantik, Schein-
Wegen der Dominanz der WASP (White Anglo- akzeptanz und Legitimation für geringen Hand-
Saxon Protestant-)Kultur bedeutete das Verschmel- lungsbedarf der öffentlichen Hand sind in den USA
zen in erster Linie die Anpassung der Einwanderer also eng miteinander verbunden.
an die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen
eines Bevölkerungssegments, nämlich des anglo- Amerika als normative Idee
amerikanischen. Zwar widerspricht diese Art von As- Von Anfang an bewirkte das Einschwören auf ge-
similation der Idee von Individualismus und kultu- meinsame Grundwerte des Landes (Gründungsmy-
rellem Pluralismus prinzipiell, allerdings verstand then, Exzeptionalismus, Individualismus und Plura-
sich die angloamerikanische Identität als eine, in lismus) und die Rolle des Individuums (Sendungsbe-
der die Anpassungsprozesse zur Bereicherung des wusstsein, Erfolgsmythos, Assimilation/Anpassungs-
Individuums und der Gesellschaft beitragen sollten. pflicht im melting pot) eine über alle Kultur-, Glau-
Amerikanismus galt im kulturellen Selbstverständ- bens- und Klassenschranken hinwegreichende Nivel-
nis also quasi als höhere Identitätsebene, die Indivi- lierung und Amerikanisierung. Das Einschmelzen
dualismus und kulturellen Pluralismus der Einwan- der unterschiedlichen Immigrantenkulturen in Ame-
derer dann einschloss und akzeptierte, wenn der rika bedeutete nicht, seine herkunftsbedingte Iden-
Anpassungswille und die Loyalität zur Nation über tität aufzugeben, sondern sich zusätzlich bewusst zu
allem standen. der neuen, amerikanischen Identität zu bekennen.
Es dauerte nach der Bürgerrechtsbewegung der Dazu gehörte das Annehmen des American Way of
1960er Jahre noch weitere drei Jahrzehnte, bevor Life mit seinen Idealen und Werten. Amerikaner war
sich Amerika von dieser Vorstellung verabschiedete. man nicht nur durch Geburt, sondern durch innere
Mit dem Buch The Disuniting of America von Arthur Identifikation mit jenen Werten, die man in ihrer Ge-
Schlesinger (1992) trennte sich Amerika angesichts samtheit als American Creed bezeichnet.
von bestehenden und nicht mehr zu ignorierenden In der Nivellierung der Geisteshaltungen auf das
Parallelgesellschaften erstmals bewusst von diesem amerikanische Credo sah schon Tocqueville (1835/
Mythos, um zu einem älteren zurückzukehren: den 1840, 1985, S. 150 f.) die „drohende Gefahr der
Idealen von Individualismus und kulturellem Plura- Mehrheit“: „Ich kenne kein Land, in dem im Allge-
lismus. Angesichts der sozialen und räumlichen Aus- meinen weniger geistige Unabhängigkeit und wirk-
differenzierung der amerikanischen Gesellschaft, so liche Diskussionsfreiheit herrscht als in Amerika (…)
Schlesinger, sei Einheit nur zu erreichen, wenn man In Amerika zieht die Mehrheit einen drohenden Kreis
auch von den anderen Kulturen im selben Land um das Denken (…) Die Inquisition hat niemals ver-
lerne und das ethnische Bewusstsein zwar als kultu- hindert, dass in Spanien Bücher umliefen, die der
relles Erbe, aber nicht als fragmentierendes Ele- Religion der Mehrzahl widersprachen. Die Herrschaft
ment betrachte, sondern Stolz und Inspiration auch der Mehrheit in Amerika kann es besser: Sie hat
von Vorbildern der anderen Ethnie und Rasse an- sogar den Gedanken getilgt, sie zu veröffentlichen.“
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Amerikanisches Selbstverständnis und Staatsform 15

Diese 1835 – 40 gemachten Beobachtungen be- wie vor zu den Mechanismen, die das Selbstbild der
wahrheiteten sich beispielsweise auch noch über amerikanischen Gesellschaft jeder weiteren Genera-
einhundert Jahre später in der McCarthy-Ära der tion vermitteln. Nur ein Beispiel unter vielen ist die
1950er Jahre, die von Denunziantentum, Berufsver- berühmte Ansprache von Gettysburg (The Gettys-
boten und Bestrafungen Andersdenkender gekenn- burg Address) von Abraham Lincoln, die als eines
zeichnet war. Amerikanisierung und die Einheit der der wichtigsten Vermächtnisse gilt, welche Amerika
Nation wurden also auf einer ideengeschichtlichen angesichts der Krisen der Welt, auch gegenwärtiger,
Tradition errichtet, die aus bestimmten Glaubens- bemüht, um die Rolle Amerikas in der Welt und die
überzeugungen entstanden war und das amerikani- Selbsthingabe der Amerikaner („last full measure of
sche Selbstverständnis entscheidend prägte. devotion“) bei der Verteidigung von Grundwerten zu
Das scheinbar geschichtslose Amerika hat also als legitimieren.
erste westliche Industrienation und Demokratie eine In die gleiche Richtung zielt auch das Gelöbnis
längere ungebrochene ideengeschichtliche Tradition auf die Fahne. Es wurde anlässlich der Vierhundert-
als alle modernen europäischen Länder (Kamphau- jahrfeier der Entdeckung Amerikas 1892 konzipiert,
sen 1992, S. 264). In einer auf Individualismus und erstmals am 22. Juni 1942 vom Kongress in offi-
Pluralismus angelegten, multikulturellen und sich ziellen Zeremonien eingesetzt und 1954 unter Ei-
immer stärker entlang sozioökonomischer Merkmale senhower um den Wortlaut „under God“ erweitert.
ausdifferenzierenden Gesellschaft spielten die Grün- Millionen von amerikanischen Kindern beginnen
dungsmythen eine besondere Rolle. Durch die natio- täglich ihren Schultag damit.
nalen Mythen schuf der Vielvölkerstaat, der als Ein-
heit nur schwer so lange hätte bestehen können, für
jede Einwanderer- und Kulturgruppe die Möglichkeit, Das Gelöbnis auf die Fahne –
ihre eigene Identität und sogar Sprache zu bewahren The Pledge of Allegiance
und dennoch gerne und freiwillig zu der neuen Na- „I pledge allegiance to the Flag of the United
tion gehören zu können, so jedenfalls die amerikani- States of America and to the Republic for which
sche Selbstinterpretation (Zöller 1992, S. 298 – 302). it stands, one nation under God, indivisible, with
Die Mythen haben nicht nur überdauert, sondern liberty and justice for all.“
eine stetige Vertiefung erfahren. Sie gehören nach

Amerikanisches Selbstverständnis und Staatsform


Verfassungswerke ständlichen Wahrheiten“, nämlich Gleichheit,
Ideengeschichtlicher Ursprung und Gründungsmy- Natur- und Menschenrechte genannt. Zudem wird
then führten zu der besonderen Verfassung und po- die Sicherung dieser Rechte als Staatsaufgabe
litischen Staatsform, die sich Amerika auf dem Kon- definiert, der Volkswille als Grundlage staatlichen
gress in Philadelphia 1787 gab. Insbesondere der Handelns anerkannt und das Widerstandsrecht
religiöse Bündnisgedanke der Einwanderer, der Un- des Volkes gegen staatliche Willkür als Grundprin-
abhängigkeitskrieg von 1776, der im Glauben an zip festgelegt.
eine ideale Republik geführt wurde, sowie der Glau- Bemerkenswert ist die Auslassung von Sachver-
be an Natur- bzw. Menschenrechte wurden aus- halten, die in den Verfassungswerken anderer
schlaggebend für die Art der Verfassung, die als Länder enthalten sind und die auch in späteren
freie Vereinbarung zwischen dem Volk und den Re- Zusatzartikeln nicht mehr hinzugefügt wurden. Zu
gierenden konzipiert wurde (Shell 1992). nennen wären die Brüderlichkeit der Menschen,
Drei Dokumente machen das amerikanische Ver- die strikte Trennung von Kirche und Staat oder
fassungswerk aus: die Forderung nach Veränderung der sozialen Ord-
■ die Unabhängigkeitserklärung, nung (Kamphausen 1992, S. 271). Die in der
■ die Verfassung und Deklaration festgeschriebenen Freiheitsrechte gal-
■ die Grundrechtsgarantien (Bill of Rights) (Abb. 7) ten nicht für Sklaven und wurden erst am 1. Janu-
mit den verfassungsändernden Gesetzen (Ten ar 1863 mit der Ausrufung der Gleichstellung
Amendments). Sie vervollständigten die Verfas- (Emancipation Proclamation) von Abraham Lin-
sung, in der viele Rechte zunächst nicht explizit coln auf sie übertragen. Dies wurde im 13. Zu-
erwähnt waren. satzartikel vom 18. Dezember 1865 verfassungs-
In seiner Gesamtheit zeigt das Verfassungswerk mäßig verankert. Außerdem gestaltete sich die
deutlich die Geisteshaltung, die ihm zugrunde lag. Verfassung insofern als problematisch, als sie kei-
1.Die Unabhängigkeitserklärung (The Declaration of nen Schutz der Bürger vor der Staatsmacht selbst
Independence), die unter der Federführung von gewährte.
Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und John 2.Die eigentliche Verfassung (The Constitution of
Adams entstand, wurde am 4. Juli 1776 vom the United States) vom 17. September 1787, ra-
Kongress angenommen. Sie legt Ideen der neuen tifiziert am 21. Juni 1788, ist die älteste ge-
Demokratie und die Staatstheorie dar. In der schriebene, noch gültige Verfassung der Welt:
Präambel werden die sogenannten „selbstver- „We, the People of the United States, in Order to
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16 Politisch-kulturelle Tradition

Abb. 7: Verfassungswerke der USA – Die Grundrechte.


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Amerikanisches Selbstverständnis und Staatsform 17

form a more perfect Union, establish Justice, in- mit Hilfe eines Repräsentativsystems schienen
sure domestic Tranquility, provide for the common den Gründungsvätern Machtkonzentrationen
defence, promote the general Welfare, and secure und Majorisierungen kleiner Bundesstaaten
the Blessings of Liberty to ourselves and Posterity, durch bevölkerungsreiche vermeidbar.
to ordain and establish this Constitution of the 3.Die Grundrechtsgarantien (Bill of Rights) mit den
United States of America“ (Preamble, The Consti- verfassungsändernden Gesetzen (Ten Amend-
tution of the United States of America, 1787). ments). Der möglichen Bedrohung der Individual-
Sie wollte die Ideen der Unabhängigkeitserklä- rechte, die von der Verfassung selbst ausging –
rung in die politische Praxis umsetzen und ent- sie enthielt keine Rechte zum Schutz des Bürgers
stand als Folge des Unabhängigkeitskrieges von gegen die Macht des Staates und seiner Organe –,
1775 – 1783. Die von Mai bis September 1787 wurde am 15. Dezember 1791 mit dem Grund-
in Philadelphia tagende, verfassunggebende Ver- rechtsschutz in der Bill of Rights begegnet. Sie
sammlung forderte, eine starke Regierung zu definiert die grundlegenden Rechte der Bürger
schaffen, die jedoch einen gebührenden Respekt und untersagt es der Regierung, diese zu be-
vor der Republik und den Rechten des Individu- schneiden.
ums bewahren sollte. Seither wurden weitere 26 Zusatzartikel zur Verfas-
Auf der Grundlage der Einzelverfassungen der sung von 1791 mit Zwei-Drittel-Mehrheit der Bun-
Staaten, vor allem Massachusetts und Pennsyl- desstaaten ratifiziert.
vania, der Gedanken der Aufklärung sowie der Zu den Grundrechten gehören die Freiheit der
Magna Charta von 1215 wurde die aus einer Prä- Rede und Religionsausübung sowie die Presse- und
ambel und sieben Artikeln bestehende Verfassung Versammlungsfreiheit. „Der Kongress darf kein Ge-
formuliert, die ein innovatives Prinzip des Föde- setz erlassen, das die Einführung einer Staatsreli-
ralismus etablierte, welches der Souveränität der gion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausü-
Einzelstaaten Rechnung trug und eine klare bung verbietet, die Rede- und Pressefreiheit oder
Machtverteilung zwischen der Bundesregierung das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu
und den Bundesstaaten festlegte. Neben der Drei- versammeln und die Regierung durch Petition um
teilung der staatlichen Gewalt in die Legislative Abstellung von Missständen zu ersuchen (Zusatzar-
(den Kongress), die Exekutive (den Präsidenten) tikel 1). Zu den wichtigen Garantien gehört auch die
und die Judikative (den Obersten Gerichtshof) festgeschriebene Sicherheit des Privateigentums
legte die Verfassung explizit die Rechte der Bun- (Zusatzartikel 4): „Das Recht des Volkes auf Sicher-
desregierung fest. Ferner zeigte sie an, welche heit der Person und der Wohnung, der Urkunden
Rechte implizit der Bundesregierung zufallen und und des Eigentums vor willkürlicher Durchsuchung,
welche dem Volk oder den einzelnen Bundesstaa- Verhaftung und Beschlagnahmung darf nicht ver-
ten vorbehalten bleiben. Gewisse Kompetenzen letzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle
können gleichermaßen von Bundes- bzw. Einzelre- dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eides-
gierungen ausgeübt werden, wobei es dem Obers- stattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt wer-
ten Gerichtshof vorbehalten ist, die Rechtmäßig- den und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit
keit der Gesetzesausübung auf jeder Ebene des fö- und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder
derativen Systems im Hinblick auf ihre Verfas- Gegenstände genau bezeichnen.“ Das Recht jedes
sungskonformität zu überprüfen und darüber ab- Bürgers, Waffen zu besitzen und zu tragen, ist im
schließend zu bestimmen. Er kann somit auch Ge- zweiten Zusatzartikel zur Verfassung verankert: „Da
setze der Bundesregierung, der einzelstaatlichen eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines
oder kommunalen Ebene außer Kraft setzen, wenn freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des
diese dem Geist der Verfassung widersprechen. Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht be-
Die wesentlichen Elemente der Verfassung sind: einträchtigt werden.“ So lässt sich erklären, warum
■ die strikte Trennung der Gewalten, in amerikanischen Haushalten im Jahre 2003 rund
■ ein System von checks and balances, das als 200 Mio. Schusswaffen verwahrt sind: Es handelt
Voraussetzung für die Bewahrung der persönli- sich hier um das verfassungsmäßig garantierte
chen Freiheit gilt, Grundrecht eines jeden amerikanischen Bürgers.
■ die Volkssouveränität, in der alle Gewalt vom Das Recht auf Zeugnisverweigerung gegen sich
Volke ausgeht und die zum Schutz des Indivi- selbst in Strafsachen und dasjenige auf einen
duums gegen staatlichen Missbrauch eingesetzt schnellen öffentlichen Prozess gewährleistet der
wurde, fünfte Zusatzartikel: „Niemand darf wegen eines Ka-
■ die gewählte Demokratieform, die nicht kollek- pitalverbrechens oder eines sonstigen schimpflichen
tivistisch oder egalitär ist, sondern auf politi- Verbrechens zur Verantwortung gezogen werden, es
scher Vertretung und Repräsentation beruht sei denn aufgrund eines Antrages oder einer Ankla-
(Shell 1992, S. 331). Verfassungsschöpfer wie ge durch ein Großes Geschworenengericht. Hiervon
James Madison waren sich darin einig: „Let it ausgenommen sind Fälle, die sich bei den Land-
stand as a principle that government originates und Seestreitkräften ereignen, wenn diese in Kriegs-
from the people; but let the people be taught zeiten oder bei öffentlichem Notstand im aktiven
(…) that they are not able to govern them- Dienst stehen. Niemand darf wegen derselben Straf-
selves …“ (zit. in Hofstadter 1973, S. 8). Nur tat zweimal durch ein Verfahren in Gefahr des Lei-
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18 Politisch-kulturelle Tradition

bes und des Lebens gebracht werden. Niemand darf Gegenteil, man leitet, unterstützt und verteidigt ihn.
in einem Strafverfahren zur Aussage gegen sich Dadurch, dass viele Kräfte der Einzelnen sich im
selbst gezwungen, noch des Lebens, der Freiheit Handeln der Gemeinschaft verbinden, bringt man oft
oder des Eigentums ohne vorheriges ordentliches etwas zustande, das die gesammeltste und tatkräf-
Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz beraubt tigste Verwaltung durchzuführen außerstande wäre.“
werden. Privateigentum darf nicht ohne angemesse- Der Zehnte Verfassungszusatz (Tenth Amend-
ne Entschädigung für öffentliche Zwecke eingezo- ment) hatte große Bedeutung für die Erschließung,
gen werden.“ die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ge-
Während die ersten neun Zusatzartikel Menschen- samten USA. Unbeabsichtigt ist er für die Perma-
rechtsverletzungen und prozedurale Sachverhalte nenz sozialer Disparitäten und regionaler Entwick-
beinhalten, stellt der zehnte Zusatzartikel eine fun- lungsgefälle mitverantwortlich: Der Artikel legte ein
damentale Weiche für das Verhältnis von Bun- für alle Mal fest, dass sämtliche Aufgaben, die in
desregierung, Einzelstaaten und Kommunen sowie der Verfassung und den ersten neun Zusatzartikeln
dem Volk: „Die Machtbefugnisse, die von der Ver- nicht als Bundesaufgaben definiert sind, automa-
fassung weder den Vereinigten Staaten übertragen tisch in die Verantwortlichkeit der Einzelstaaten
noch den Einzelstaaten entzogen werden, bleiben oder Gemeinden fallen. Damit wurde ausgeschlos-
den Einzelstaaten oder dem Volke vorbehalten.“ sen, dass die Zentralregierung nach 1791 je Aufga-
Dieser Artikel stellte sicher, dass der Zentralstaat benbereiche übernehmen konnte, die in europäi-
auch in künftigen Zeiten die Einzelstaaten in ihren schen Ländern in späteren Jahrhunderten als Staats-
Rechten nicht beschneiden konnte (Corwin 1957). aufgaben definiert wurden. Zu solchen Aufgaben ge-
Er legte fest, dass die Aufgabe des Bürgers ebenso hören beispielsweise die infrastrukturelle Erschlie-
groß ist wie die des Staates. Alexis de Tocqueville ßung des Landes oder unterversorgter Gebiete, der
beschreibt dies treffend (1835 /1840, 1985, S. 75): Ausgleich ungleicher Lebensverhältnisse durch
„Man glaubt die Bürger ihrer Pflichten nicht entho- staatliche Planung sowie entsprechende Stadt- und
ben, weil der Vertreter der Öffentlichkeit handelt. Im Regionalplanung.

Culture of Privatism
Aufgabenteilung zwischen öffentlicher Hand und Urban Reality) und der Erneuerungsplanung der
privatem Unternehmertum Kommunen (Public-private Partnerships, s. Schnei-
Mit dem Zehnten Zusatzartikel setzte die Bundesre- der-Sliwa 1996) sowie in der Wirtschafts- und Sozi-
gierung das Signal für die führende Rolle des priva- alpolitik des Bundes, bekannt als New Federalism
ten Unternehmertums und privater Initiative bei und Reagonomics.
grundlegenden Aufgaben der Erschließung und Ver- Nach Warner (1968), auf den die wissenschaftli-
sorgung des Landes. Privatism und culture of priva- che Theorie vom privatism als dominanter Kulturtra-
tism leiten sich aus dem gesellschaftlichen Werte- dition Amerikas zurückgeht, die sich von christ-
system und den kulturellen Normen her, die das be- lichen Idealen und klassischen Philosophien ablei-
sondere Jefferson’sche Demokratieverständnis her- tet, liegt das Hauptmerkmal des privatism in der
vorbrachte, in dem individuelle Selbstentfaltung Betonung auf dem Individuum und dem individuel-
(pursuit of happiness) ein verbrieftes Grundrecht ist. len Streben nach Wohlstand: „Psychologisch gese-
Dieses Verständnis brachte eine politische Kultur hen bedeutet Privatism, dass der Einzelne sein
hervor, welche im föderalen System den privaten, Glück in persönlicher Unabhängigkeit und in dem
privatwirtschaftlichen und kommunalen Entschei- Streben nach Wohlstand suchen sollte; auf der sozi-
dungen eine verfassungsmäßig garantierte, zentrale alen Ebene bedeutet Privatism, dass der Einzelne
Rolle zuweist. Basierend auf der Überzeugung, dass vorrangig gegenüber seiner unmittelbaren Familie
die Privatwirtschaft auch soziale Aufgaben effekti- verpflichtet ist und dass eine Gemeinde eine Union
ver, schneller und gerechter handhaben könne, wur- solcher Geld verdienenden und akkumulierenden
den ihr von jeher bedeutende sozialstaatliche Auf- Familien sein sollte. Auf der politischen Ebene be-
gaben von der Zentralregierung zugewiesen. Diese deutet Privatism dass die Gemeinde Frieden zwi-
Tatsache leistete dem privatism Vorschub, also dem schen den einzelnen Geldverdienern bewahren und,
größtmöglichen Einbezug der Privatwirtschaft in wenn möglich, eine offene und gedeihliche Atmo-
staatliche oder kommunale Erschließungs- und Ent- sphäre schaffen sollte, in der jeder Bürger beträcht-
wicklungsaufgaben. Da Zielsetzungen privater und liche Möglichkeiten hat, zu prosperieren“ (Sam
öffentlicher, am Gemeinwesen orientierter Träger Bass Warner 1968, S. 3 – 4).
prinzipiell unterschiedlich sind, bedeutet die Über- Mehrere Aspekte machen die Planungstradition
gabe öffentlicher Entwicklungsfunktionen an die des Privatism auf Bundes- oder Kommunalebene
Privatwirtschaft eine Veränderung der Schwerpunk- verständlicher:
te: Stadt- und Regionalentwicklung wird überwie- ■ Obwohl Privatismus kein ausschließlich amerika-
gend unter der Profitmaxime betrieben. Dies ist auf nisches Phänomen ist, ist dort sein Ausprägungs-
allen Ebenen sichtbar: so zum Beispiel in der Groß- grad viel stärker, weil weniger zentralstaatliche
stadtpolitik des Bundes (New Urban Privatism/New Mechanismen existieren und wirksam werden. Die
01 LdK USA 30.05.2005 21:39 Uhr Seite 19

Culture of Privatism 19

vom Privatismus vorangetriebenen Stadtentwick- vate Initiative anzuregen, wurde von Anfang an
lungen unterscheiden sich dadurch wesentlich eine bewusst unternehmerfreundliche Politik mit
von denen in anderen Ländern, in denen die Pri- diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen konzi-
vatwirtschaft ebenfalls dominant ist. Selbst wenn piert. In jeder Administration, vor allem auch in
z. B. in der Bundesrepublik Deutschland ähnliche der sozial orientierten Regierung Roosevelts, die
postindustrielle Desorganisationserscheinungen den New Deal einsetzte, oder in der Johnson-Ära,
aufträten oder der American way of life übernom- welche die Great Society-Sozialprogramme ein-
men würde, gäbe es noch das Mandat des Grund- führte, wurde dem Unternehmertum eine bedeu-
gesetzes, wonach sozialräumliche Disparitäten tende Rolle zugewiesen. Dies galt auch für die
durch zentralstaatliche Maßnahmen ausgeglichen Ära Carter, in der Bundesprogramme zur Stadt-
werden müssen. In den USA gibt es kein verfas- entwicklung in großem Maße privatwirtschaftliche
sungsmäßiges Mandat, das den Ausgleich unglei- Investitionen in den Innenstädten unter Vernach-
cher Lebensverhältnisse beinhaltet, was u. a. die lässigung der Sozialbindung von Bundesprogram-
Permanenz von Slums und Ghettos erklärt. men förderten (s. Kap. „Stadtentwicklung“). Da-
■ In den USA ist es die Verfassung selbst, die wich- bei akzeptierte man, dass durch privatwirtschaft-
tige Entscheidungsbefugnisse den Kommunen liche developments durchaus sozial unverträgli-
und dem Volk überlässt, um die bestmöglichen che Entwicklungen eintreten können. Insgesamt
Voraussetzungen für das Streben nach Glück und aber ging man davon aus, dass die Privatwirt-
Wohlstand zu schaffen, auch dann, wenn diese schaft sehr viele soziale Aufgaben besser, schnel-
Entscheidungen zu sozioökonomischen und räum- ler, effektiver und kostengünstiger übernehmen
lichen Disparitäten führen können. Eine ausglei- könne als Bundes- oder Länderregierungen. Die-
chende Rolle der Zentralregierung war weder in ses Verständnis zeigen auch alle bedeutenden Ge-
der Verfassung noch ihren Zusatzartikeln je vor- setzestexte zum Wohnungs- und Städtebau. Ob-
gesehen. Staatliche Intervention gilt daher in wohl die Privatwirtschaft bei der Wohnungsversor-
vielen Bereichen als unnötig, sogar als fundamen- gung für Einkommensschwache nur eine geringe
tal unamerikanisch und unangemessen, da sie Rolle spielte, wurde weder ihre soziale Verantwor-
grundsätzlich dem amerikanischen Demokratie- tung (corporate social responsibility, social res-
verständnis, d. h. der Vorstellung von Selbstherr- ponsibility of businesses) noch ihre vermeintlich
schaft und Selbstverwaltung widerspricht. inhärente Überlegenheit dem behördlichen Sektor
■ Die entscheidende Rolle, welche dem privatwirt- gegenüber je in Frage gestellt, zumal die Philan-
schaftlichen Handeln zugewiesen wird, ist jedoch thropie im amerikanischen Kapitalismus von jeher
nicht gleichzusetzen mit ohnmächtigem Aufgeben eine große Rolle spielte.
des Staates gegenüber den Wirtschaftsinteressen „Amerika“, das Konstrukt einer spezifisch religiös
oder mangelndem Sozial- oder Problembewusst- geprägten Kultur, Sichtweise von Natur sowie Ideo-
sein. Privatism in den USA war von jeher bewuss- logisierung und Institutionalisierung von Volk, Na-
te Politik, d. h. public policy choice beider politi- tion, Staat und Gemeinde hatte stets eine besonde-
scher Parteien und offizielle Planungspolitik. In re Wechselbeziehung zwischen Staat, privaten und
einem Land, das zu groß ist, um allein durch Re- privatwirtschaftlichen Trägern bei der Erschließung
gierungskräfte erschlossen zu werden, bediente und Gestaltung des Raumes. Dies und die besonde-
sich der Staat der Privatwirtschaft und privater In- ren räumlichen Auswirkungen dieser Rollenvertei-
itiative, um Erschließung, Besiedlung und Inwert- lung sind ein Leitmotiv, das weitere Kapitel durch-
setzung des Raumes durchzuführen. Um die pri- zieht.
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 20

20

Naturraum und natürliche Ressourcen

Abb. 8: Bryce Canyon,


Utah. Überblick
■ Wichtigstes Merkmal des US-amerikanischen Naturraumes ist seine Größe. Der sich über 50 Brei-
tengrade und 115 Längengrade erstreckende Raum impliziert eine Vielfalt an Großlandschaften, Kli-
maten, Böden, Vegetationsformen, Bodenschätzen und Regionen.
■ Diese Vielfalt naturräumlicher regionaler Gegebenheiten schließt z. B. subtropische Wüsten und tro-
pische Inseln ebenso ein wie arktische Tundren.
■ Neben der Größe des Naturraums schaffen Höhenunterschiede von über 4000 m eine Vielfalt von
Landschaften, Boden- und Vegetationsformen.
■ Größe und Vielfalt des Naturraums beinhalten nachteilige Naturgegebenheiten und ein großes Poten-
zial für Naturgefahren.
■ Die Größe des Raumes, die physisch-geographischen Gegensätze und die regionale Vielfalt der na-
turräumlichen Ausstattung erweisen sich in ihrer Gesamtheit jedoch als Gunstfaktoren mit hervorra-
gendem Potenzial für die wirtschaftliche Inwertsetzung.
■ Die groß- und kleinräumige naturräumliche Differenziertheit impliziert vielfältige Standortbedingun-
gen, die – gesamtwirtschaftlich gesehen – den jeweiligen Einfluss negativer Naturfaktoren ausglei-
chen können.
■ Naturräumliche Gegebenheiten stellen daher einen wichtigen Faktor in der Entwicklung der Kultur-
landschaft dar.
■ Diese naturräumlichen Besonderheiten ließen, zusammen mit den politisch-kulturellen Wertvorstel-
lungen, der Erschließungspolitik und den spezifischen Planungstraditionen, die USA in weniger als
einem Jahrhundert von einem Agrarland zur führenden Industriemacht aufsteigen.
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 21

Diversität des Naturraums 21

Diversität des Naturraums


Physisch-geographische Gegensätze Relief und Großlandschaften
und Vielfalt im Überblick Im Gegensatz zur relativ geringen Ausdehnung euro-
Markante physisch-geographische Gegensätze sind päischer Großlandschaften sind jene der USA ex-
in einem Naturraum dieser Größenordnung zu er- trem weiträumig. Je nach Nord-Süd- oder West-Ost-
warten. Mit ca. 9 809 155 km2 entspricht die Flä- Ausrichtung können sich einzelne Großlandschaften
che der gesamten USA einschließlich der Bundes- über Tausende von Kilometern erstrecken (Abb. 11).
staaten Alaska und Hawaii annähernd derjenigen Die wichtigsten topographischen Gegensätze sind
von Europa (ca. 10,5 Mio. km2). In Distanzen umge- durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Ge-
setzt erstreckt sich der Raum der USA: birgszüge im Osten und Westen der USA sowie dem
■ von Tijuana/San Diego bis zum nördlichsten Punkt dazwischenliegenden Tiefland gegeben. Letzteres
Alaskas über fast 50 Breitengrade oder 5000 km, erstreckt sich vom Golf von Mexiko bis in die kana-
■ von Maine nach San Francisco über fast 60 Län- dische Arktis, wo die Ost-West-Ausdehnung rund
gengrade oder rund 4800 km sowie über vier Zeit- 5000 km beträgt, während es sich entlang der ame-
zonen. rikanisch-kanadischen Grenze noch über 3000 km,
■ Zwischen Key West, dem südlichsten Punkt Flori- weiter im Süden „nur“ noch über 2000 km er-
das, und dem 49. Breitengrad, der die Grenze streckt.
zwischen den USA und Kanada darstellt, sind es Für die Unterscheidung der topographischen Groß-
rund 2700 km. strukturen sind geologische Entstehung und Ge-
■ Die beiden außerhalb des zusammenhängenden steinsschichten, klimabedingte Oberflächenprozesse
Staatsgebietes liegenden Bundesstaaten Hawaii und insbesondere Klimaunterschiede ausschlagge- Abb. 9: Klimaregionen
und Alaska reichen bis auf 2000 km an den Äqua- bend (Bradshaw 1988, S. 16 ff.; US Geological Sur- nach Köppen.
tor bzw. den Nordpol heran.
Die USA haben somit Anteil an allen Klimagürteln –
vom polaren bis zum randtropischen – und können Et
daher eine Vielzahl landwirtschaftlicher Produkte
dieser Klimazonen ganzjährig im eigenen Land pro-
duzieren. Dfc

Klima und Vegetation


Die Klimazonen nach Köppen stellen Niederschlags-
und Temperaturregimes dar, die sich auch in klar
abgrenzbaren Vegetationszonen widerspiegeln. Der Et
markanteste klimatische Gegensatz ist der zwischen
dem ariden und semiariden Westen und dem hu-
Quelle: nach Birdsall u. Florin 1992, S. 33. Kartographie Abb. 9 – 15, 20, 29 – 39 ebenfalls Leena Baumann, Nicole Amman.

Dfb Dfc
miden Osten (Abb. 9). Östlich des Mississippi fallen Dfc Dfb
ganzjährig ausreichende Niederschläge von ca.
1000 mm, im Mississippi-Delta sogar über 1500 mm
pro Jahr. Westlich des Mississippi wird das Klima
zunehmend trockener, bis hin zum Wüstenklima im Cfb Bsk
Südwesten. Lediglich der pazifische Nordwesten Dfb
Cfb
H Bsk
verzeichnet an den Westseiten der Küstengebirge H H
hohe ganzjährige Regenfälle, die eine Regenwaldve- Csb
Cfb
getation erlauben. Neben diesem Ost-West-Gegen- Dfa
satz gibt es den latitudinal bedingten Nord-Süd- Csa Bwk Bwk Cfa
Temperaturgegensatz, der sich überwiegend in der Bsk
H
Dauer der Hitze- bzw. Frostperioden und weniger in H
Bsk Cfa
der Intensität manifestiert. Die Vegetationszonen
(Abb. 10), die mit Ausnahme der Tundra generell Bwh
den drei Kategorien Wald, Grasland und Strauch- Bsh
landschaften zugehörig sind, zeigen den Einfluss
des Klimas deutlich. Auch wenn ein Großteil der 0 1000 km Aw
ursprünglichen Vegetation anthropogen verdrängt
Klimate (nach Köppen)
wurde, zeigt der einst von Laubwald bedeckte Osten
noch heute ausgedehnte Bewaldung, während die Erster Buchstabe Zweiter Buchstabe Dritter Buchstabe
A Tropische Klimate f Ausreichender Niederschlag a Wärmster Monat über 22°C
ursprünglichen offenen Graslandschaften (Prärie) B Trockenklimate in allen Monaten b Wärmster Monat unter 22°C
auch heute wegen der zu geringen Niederschläge C Warm-gemäßigte Klimate s Trockenzeit im Sommer mindestens 4 Monate mit
D Schneeklimate w Trockenzeit im Winter Mittelwert über 10 °C
kaum bewaldet sind. Strauchlandschaften (scrubs) E Eisklimate t Tundra c Weniger als 4 Monate mit
sind im ariden Südwesten und den innermontanen H Hochlandklimate Mittelwert über 4 °C
Becken und Hochebenen zu finden (Birdsall und h Trocken und heiß, mittlere
Jahrestemperatur über 18°C
Florin 1992, S. 29 – 35).
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 22

22 Naturraum und natürliche Ressourcen

T T Tundra
T Ta Alpine Tundra mit borealem Wald
T T
T Fbe, Fsp Subtropische immergrüne Wälder
Ta Fd Sommergrüner Laubwald der mittleren Breiten
T
Fbo Fc Küstenwald
T T Fbo, Fdb Borealer Nadelwald („Taiga“)
T T Fss Hartlaubvegetation
Gp Langgras-Prärie
Gs Kurzgras-Prärie Steppe
Ta Dsd Halbwüste
T Dss Zwergstrauchwüste und Vollwüste
T

Abb. 10: Vegetationszonen Nordamerikas.


Fbo
T vey 1970). Von West nach Ost ergibt sich fol-
Fbo gende topographische Gliederung (Fenneman
Fd 1928; Glawion 1991; Hunt 1973):
Fc
■ Pazifische Küstengebirge: eine Küstenkette (bis
Fbo ca. 1000 m) sowie landeinwärts Kaskadengebirge
Gs
und Sierra Nevada (bis etwa 4500 m), welche die
Dsd zwischenliegenden tiefen Täler, z. B. das große ka-
Fbo Gs Fbo
lifornische Längstal, einfassen.
Gp ■ Intermontanes Hochplateau (ca. 700 bis 2300 m),

Quelle: nach Birdsall u. Florin 1992, S. 34.


Gp das von einzelnen Gebirgszügen und Schluchten
Fdb
Gs Fbo durchzogen ist.
Gs Fd ■ Rocky Mountains (bis ungefähr 4300 m Höhe,
Fss Mt. Whitney in Nevada mit 4421 m, der höchste
Fsp Berg Mt. McKinley in Alaska mit 6189 m).
Fbe
■ Großes Zentrales Tiefland (Interior Plains): im Wes-
Dss
Dss ten die ca. 500 bis 1800 m hoch gelegenen Great
Fbe Plains, also die Prärien; östlich anschließend das
0 1000 km
Zentrale Tiefland, das sich bis zu den Appalachen
erstreckt, wobei entlang des Mississippi das tiefer
gelegene Mississippi-Tiefland ausgegliedert wird.
Nordpolar- Es ist eine der größten Tieflandebenen der gemä-
meer ßigten Breiten und aufgrund des Mississippi und
R seiner Nebenflüsse auch eine der am besten be-
In

oc

wässerten.
te

ky

■ Im Süden schiebt sich das Ozark- und Ouachita-


rm

Plateau (Zentrales Hochland) zwischen das Zen-


on

Moun
Küsten

trale Tiefland und die Golf-Küstenebene.


tane

■ Appalachen-Gebirgsketten, die über 400 km breit,


ge

2000 km lang und bis 2000 m hoch sind und im


birg

a
s

Norden bis an den Atlantik heranreichen.


n

Ka
e

Becke
s

■ Die Küstenebene, die nach Süden immer breiter


na

H u d s o n- wird und sich einerseits südlich der Appalachen


di

Tiefland
über das Mississippidelta bis nach Texas erstreckt
sc
n

Z und sich andererseits östlich der Appalachen ent-


h

e
er

lang der Atlantikküste ausdehnt.


n

d
il
G

tr
re

Pazifischer h
a

c
le
(Fe

at

S
und

Böden und ursprüngliche Vegetation


s

Ozean
lse

Ti

Mehr als 225 Gruppen von Böden (soil groups) und


Pl
ng

n
eb

ain

la e 1000 Bodentypen (soil series) werden vom US De-


f
Plat

ir g

nd h
Küstenk ette

partment of Agriculture klassifiziert (Gersmehl 1977;


ac
e)

Quelle: nach BIrdsall u. Florin 1992, S. 23.


al

US Department of Agriculture 1975). Die an der


ea

pp

Erdoberfläche entstandene Verwitterungsschicht aus


t
us

n
e
A

en

Zent
ntrales
nt
o

mineralischen und organischen Substanzen, die sich


m
eb

chland
chla
Hochla
d

Atlantischer
en

unter der Einwirkung von natürlichen und anthropo-


ie

st

ü
P

K Ozean genen Umweltfaktoren herausgebildet hat, variiert


lf- s c he
Go bene A tl an ti regional und lokal sehr stark. Es gibt vorherrschende
e
s ten regionale Bodentypen, die sich aus natürlichen Bo-

0 1000 km Golf von Mexiko denbildungsfaktoren und nutzungsbedingten Verän-
derungen, z. B. durch Bodenbearbeitung, -degradie-
Abb. 11: Physiogeographische Großlandschaften Nordamerikas. rung, -pflegemaßnahmen, -konservierung oder Ab-
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 23

Diversität des Naturraums 23

holzung ergeben haben. Zu den wichtigsten Boden-


typen der US-Klassifikation, die sich an boden-
bildenden Prozessen orientiert, gehören (Birdsall und I
Florin 1992, S. 37 – 39) (Abb. 12): H
■ Aridisole der Trocken- und Wüstengebiete, wozu
auch die Wüsten- und Halbwüstenböden gehören. I
■ Spodosole (Podsole), durch Podsolierung ent-
standene, nährstoffarme Böden hoher Durchlässig-
T
keit mit typischer Nadelwald- oder Heidevegetation.
■ Tundrenböden mit Moorböden der feuchtkalten
Klimate, die nährstoffarm und kaum anthropogen
T
nutzbar sind. S
■ Mollisole (Schwarzerden), mächtige, dunkle, hu-
musreiche Böden, deren hoher Nährstoffgehalt H
sie zu den landwirtschaftlich fruchtbarsten Böden A1
macht.
■ Alfisole mit Tonanreicherungshorizonten und mä- S
ßiger Silikatverwitterung, insbesondere Parabraun-
erden und mediterrane Böden. Sie sind nach den M
S Spodsole A1
Mollisolen die ertragreichsten Böden, die in den A1 Boralfs D
gemäßigten Breiten der USA Forst- und Grünland- A2 Udalfs
Quelle: nach Birdsall u. Florin 1992, S. 38.

A3 Ustalfs A4 M M A2
wirtschaft erlauben. Folgende vier Untergruppen A4 Xeralfs H H
der Alfisole (sie enthalten die für sie kennzeich- U Ultisole
nende Endung -alfs) sind von Bedeutung: V Vertisole
M Mollisole H
■ Boralfs (z. T. Podsole und Fahlerden) der borea- U
D Aridisole D U
len Nadelwälder, die flachgründig, sauer und von T Tundra- A3
geringem landwirtschaftlichem Nutzwert sind; Böden
H Hochland
■ Udalfs, die sauren Böden der Laubwälder des S
I Eis- und
V
amerikanischen Mittelwestens, die bei Kalkan- schnee-
0 1000 km
U
bedeckt
reicherung hohe landwirtschaftliche Erträge er-
zeugen.
■ Ustalfs, die in den wärmeren Landesteilen (bis gischen Genese und der Bildung der physisch-geo- Abb. 12: Vorherrschende
nach Texas) mit starker jahreszeitlich bedingter graphischen Großlandschaften in engem Zusammen- Bodentypen Nordamerikas.
Niederschlagsschwankung zu finden sind und hang (Abb. 13). Insbesondere zwei geologische Ge-
sich bei Bewässerung als besonders ertragreich steinsarten gelten als Träger jener Erze, Mineralien
erweisen. und fossilen Brennstoffe, die für moderne Volkswirt-
■ Xeralfs sind als Böden der mediterranen Klima- schaften unabdingbar sind und zudem unter renta-
te in kalten, feuchten Wintern und heißen, tro- blen Bedingungen geschürft werden können (Abb. 14
ckenen Sommern in Zentral- und Südkaliforni- u. 15). Zum einen handelt es sich um sedimentäre,
en zu finden und von großem landwirtschaftli- zum anderen um metamorphe Gesteinsschichten,
chem Wert (z. B. Weinanbau, Zitrus). die in den USA bzw. Nordamerika eine weite Ver-
Ferner sind folgende Bodentypen weit verbreitet: breitung haben.
■ Ultisole, die stark verwitterten Silikatböden, die Metamorphe Gesteine, die sich unter Druck- und
sich in Gebieten überdurchschnittlichen Nieder- Temperaturbedingungen im Erdinnern geformt haben
schlags und langer frostfreier Perioden bilden und und oft reich an Bodenschätzen wie Erzen sind, fin-
von hoher Produktivität sein können, sofern nicht den sich in drei Hauptzonen (Eisbacher 1992, S.
Auswaschung, Erosion oder Übersauerung vor- 372 – 379; Birdsall und Florin 1992, S. 29 – 44;
herrschen. Sie erfordern gezieltes Düngemanage- Munsart 1997):
ment. ■ dem Kanadischen oder Laurentischen Schild,
■ Entisole (z. B. Gleye, Pseudogleye, Regosole, Au- ■ in Teilen der Appalachen und ihres östlichen
enböden), die zwar regional nirgendwo vorherr- Piedmonts sowie
schend sind, jedoch mancherorts große lokale Be- ■ in Teilen der westlichen Gebirgsketten.
deutung haben: Das landwirtschaftliche Nutz- Die industriell wichtigen Erzvorkommen des Lauren-
potenzial der Entisole, die von Nebraska bis zum tischen Schilds sind an dessen Rändern in einem
Mississippidelta und dem St.-Lawrence-Strom zu weiten Bogen vom Nordatlantik bis zu den Großen
finden sind, ist je nach Standort unterschiedlich Seen und zur kanadischen Arktik angesiedelt. Obwohl
zu bewerten. diese Lagerstätten überwiegend in Kanada liegen,
sind auch US-amerikanische Gebiete um den Oberen
Bodenschätze See wie die Mesabi-Gebirgszüge und der nördliche
Wie kaum ein anderes Land zeichnen sich die USA Teil Michigans, Minnesotas und Wisconsins von Ei-
durch großen Ressourcenreichtum und eine Vielfalt senerzvorkommen begünstigt. Die zweite Zone meta-
von Bodenschätzen aus. Diese stehen mit der geolo- morpher Gesteine entlang der östlichen Appalachen
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 24

24 Naturraum und natürliche Ressourcen

Metalle 70° 100° 70°


B Bauxit
C Kupfer
G Gold
E Eisen
N Nickel
S Silber
W Wolfram G
Z Zink G
G
L Blei G
Quecksilber G 40°
Mangan C G G L
Zinn C G S
Platin C Z L
L
Antimon
G L
Untergrundgesteine Z
Metamorphe Gesteine
Paläozoische Sedimente E
C E E 50°
Andere Sedimente 50°
G E E
SS ZC

S C
C LZG G G Z
EG C
SW L E E 60°
SN
Z L E
E
CE
GC N
C
C Z E
G L C S E E Z
G G L
Z Z
C S L L L
G G Z
C
LE E L Z
W Z L Z
G C L BC
C B B
C L B
CC
C C 30°

Quelle: Birdsall u. Florin 1992, S. 44.


Abb. 13: Metalllager-
0 1000 km
stätten Nordamerikas. 100°

ist von Eisen- und Kupferlagerstätten gekennzeich- Regenwälder durch Sedimentation begrub, sind als
net, die bis nach Tennessee und Alabama an das Süd- Resultat der steigenden Druckverhältnisse über
ende der Appalachen reichen. Sie waren in der frühen Jahrmillionen die fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl
Besiedlung wie auch der frühen Industrialisierung und Erdgas entstanden. Die großen Vorkommen lie-
von großer Bedeutung; einige Vorkommen werden je- gen im Zentralen Tiefland der Great Plains sowie in
doch auch gegenwärtig noch abgebaut. Die dritte be- der Mississippi-Tiefebene, in der Golfküstenebene,
sonders erzreiche Zone metamorpher Gesteine in den in den Rocky Mountains sowie in Südkalifornien,
Rocky Mountains erstreckt sich von Alaska bis an die ferner in den westlichen Appalachen.
mexikanische Grenze und schließt große Gold- und Die wichtigsten Kohlevorkommen in den Appala-
Silberlagerstätten sowie Vorkommen von Kupfer, Zink, chen sind aufgrund der Topographie oberflächen-
Blei, Molybdän, Uran, Wolfram, Chrom und Mangan nah, ungestört horizontal lagernd und daher renta-
ein, die für die modernen Industrien und die Hoch- bel abzubauen. Ein weiterer Teil der hochwertigen
technologie von Bedeutung sind. Es gibt nur wenige Anthrazitkohlevorkommen der Appalachen befindet
Erze (Bauxit, Zinn, Mangan) und Mineralien, an de- sich in stark gefalteten Schichten in ca. 1000 m
nen die USA ihren industriellen Bedarf nicht gänz- Tiefe und erlaubt derzeit keine profitable Förderung.
lich aus eigenen Vorkommen oder durch kanadische Der Kohlebergbau von Ost-Kentucky, West-Virginia
Importe decken können, was in der Herausbildung und West-Pennsylvania liefert allein die Hälfte der
der gigantischen Industrieregion im Nordosten der Kohleproduktion der USA. Die Vorkommen selbst
USA (Manufacturing Belt) eine entscheidende Rolle stellen nur 20 % der Gesamtreserven der Kohlevor-
gespielt hat (Birdsall und Florin 1992, S. 43, 127 – kommen dar. Der östliche Teil der Mississippi-Tief-
151; Keller 1999; Eisbacher 1988). ebene um Illinois, West-Indiana und West-Kentucky
In den Sedimentgesteinen des Karbon, das vor besitzt ebenfalls große, kommerziell genutzte Kohle-
rund 300 Mio. Jahren die Reste riesiger tropischer vorkommen. Wegen des hohen Schwefelgehalts ist
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 25

Großlandschaften 25

Anthrazit Erdgas

Steinkohle Erdöl

Braunkohle Ölschiefer,
Ölsande
42.

Quelle: Birdsall u. Florin 1992, S. 41.


Quelle: Birdsall u. Florin 1992, S. 42.

0 1000 km 0 1000 km

diese Kohle jedoch von minderer Qualität; ihre Ver- Pennsylvania, Süd-Illinois und Michigan. Im Zentra- Abb. 14: (links) Kohlevor-
brennung in Kohlekraftwerken führt zu saurem Re- len Tiefland und in den nördlichen Rocky Mountains kommen Nordamerikas.
gen und gravierenden Umweltschäden. Die westliche sind ebenfalls verstreute Lagerstätten. Die größten
Abb. 15: Erdöl- und
Mississippi-Tiefebene ist in Iowa, Missouri und Ost- und bedeutendsten befinden sich jedoch im südli-
Erdgaslagerstätten
Oklahoma ebenfalls reich an Kohlelagerstätten, die chen Teil der Great Plains, und zwar in zwei großen Nordamerikas.
jedoch wegen ihrer geringeren Qualität noch nicht Bögen: entlang der Golfküstenebene von Texas bis
umfassend genutzt werden. Die Ostausläufer der Louisiana sowie von Kansas nach Oklahoma, Texas
Rocky Mountains, vor allem in Montana und Wyo- und New Mexico. Hinzu kommen bedeutende Einzel-
ming, den in der Kohleförderung führenden Bundes- vorkommen in Ost-Texas sowie in Südkalifornien. Erd-
staaten der USA, besitzen hochwertige Anthrazitkoh- öl- und Erdgasvorkommen wurden seit den 1960er
le. Im nördlichen Zentralen Tiefland der USA erstre- Jahren auch in Alaska erschlossen. Die wichtigsten
cken sich ausgedehnte Braunkohlelagerstätten. Ge- fossilen Lagerstätten der USA sind also die Kohle-
fördert wird Kohle überall dort, wo sie horizontal la- vorkommen südlich der Großen Seen sowie die aus-
gert, schnell und rentabel zu erreichen ist, wie z.B. gedehnten Erdöl- und Erdgasvorkommen südwest-
im Reservat der Navajo-Indianer in Arizona, was dort lich der Hauptkohlelagerstätten, die sich durch die
besondere Probleme für die Umwelt und die Bevöl- Great Plains bis zur Golfküste hinziehen. Um diese
kerung ergibt (s. Kap. „Bevölkerungsstruktur“). immensen eigenen Vorkommen zu schonen, solange
Erdöl und Erdgas finden sich auch in den Kohle- diese preiswert sind (s. Kap. „Wirtschaftsstruktur“),
bergbaugebieten der Appalachen, besonders in verfolgen die USA eine Strategie der Erdölimporte.

Großlandschaften
Überblick gliedriges Gebirgssystem dar, das aus den eigent-
In der großen physisch-geographischen Vielfalt der lichen Rocky Mountains im Osten, den innermon-
USA lassen sich drei Großräume anhand der geo- tanen Becken und Hochplateaus sowie den mehr-
logisch-tektonischen Genese und der Orographie fach untergliederten westlichen Kordilleren ein-
(Oberflächengestalt) unterscheiden: schließlich der Küstengebirge besteht.
■ Das Hochgebirge der Kordilleren als Ergebnis der ■ Die Zentralen Ebenen (Great Plains, Mississippi-
mesozoisch-tertiären Orogenese stellt ein mehr- Tiefland sowie Golfküstenebenen): sie liegen größ-
02 LdK USA 30.05.2005 21:43 Uhr Seite 26

26 Naturraum und natürliche Ressourcen

tenteils als ungefaltete Sedimentdecken paläozoi- den Montanas nimmt (Paterson 1994, S. 12ff.;
schen, mesozoischen und tertiären Alters auf dem Smith & Siegel 2000). Ein weiteres Beispiel ist ein
kratogenen Schelf des Laurentischen Schildes. ähnlicher Graben in Wyoming, der als Teil des histo-
■ Die Ausläufer des kanadischen oder Laurenti- rischen Oregon Trail (s. Kap. „Territoriale Expan-
schen Schildes als geologisch ältester Festland- sion“) für die westwärts gerichtete Besiedlung wich-
kern der USA in den Mittelgebirgen (Mesabi tig war. Schließlich ist das nahe der mexikanischen
Range) im Gebiet des Oberen Sees und im Grenze gelegene Grabensystem in der Gila-Wüste zu
Adirondack-Gebirgszug der nördlichen Appala- nennen: Es unterbricht das ansonsten in Nord-Süd-
chen im Bundesstaat New York. Richtung verlaufende Felsengebirge der USA in Ost-
Orographische und geologische Profile entlang des West-Richtung. Diese Tatsache war von größter stra-
35. Breitengrades zeigen deutlich die Beziehung tegischer Bedeutung, da man durch diesen Graben
zwischen Großreliefformen, geologischen Struktur- eine transkontinentale Eisenbahnstrecke von Ost
formen und Lagerungsverhältnissen der Gesteins- nach West führen konnte, ohne ein Gebirgssystem
schichten, welche durch endogene Kräfte entstan- überqueren zu müssen. Aus diesem Grunde lag der
den sind (Hunt 1973, S. 30 – 31; Glawion 1991, amerikanischen Bundesregierung sehr daran, dieses
S. 7). Territorium zu erwerben und zu einem Teil des ame-
rikanischen Staatsgebiets zu machen. Mit dem Gad-
Die US-amerikanischen Kordilleren sen-Kauf von 1853 wurde der Gila-Graben als letz-
Das Gebirgssystem der Kordilleren, das von der Ver- tes Teilstück innerhalb des zusammenhängenden
schiebung tektonischer Platten aufgefaltet wurde Staatsgebiets hinzugewonnen.
und sich von Alaska bis Feuerland auf einer Breite
von rund 1500 km erstreckt, ist deutlich dreigeteilt: Das Pazifische Gebirgssystem
■ Im Westen erstrecken sich die Ketten des Pazifi- Es besteht aus drei in Richtung Nord–Süd verlau-
schen Gebirgssystems. fenden Landschaftsgürteln:
■ Im Osten liegen die eigentlichen Rocky Mountains ■ den Küstengebirgen (Coast Range), die in Alaska
(Felsengebirge). Sie ragen mit der Front Range mit dem Mt. Logan eine Höhe von 6050 m errei-
steil aus den Great Plains heraus, Mt. Elbert süd- chen,
lich von Denver ist mit 4396 m die höchste Erhe- ■ einer Senkungszone mit zwei großen Längstälern
bung. (Kalifornisches Längstal und Puget-Willamette-
■ Zwischen den östlichen und westlichen Teilen der Senke) und
Kordilleren liegen die Intermontanen Hochpla- ■ küstenparallelen Gebirgsketten (im Süden die
teaus und Beckenlandschaften mit Tälern, Wüs- Sierra Nevada sowie im Norden die Kaskaden).
ten und Halbwüsten. Das Pazifische Gebirgssystem zeigt eine große Viel-
In Alaska ist die gleiche Dreiteilung von östlichen falt von Landschaften und Extremen (Paterson
und westlichen Gebirgsketten und dazwischen lie- 1994, S. 15 f.). In relativer Nähe zueinander befin-
genden Hochplateaus erkennbar, wenngleich nicht den sich die höchste Erhebung und der tiefste
in der Nord-Süd-Ausrichtung, die im zusammenhän- Punkt des zusammenhängenden Staatsgebietes:
genden Staatsgebiet vorherrscht. Hier gibt es die Mt. Whitney und Death Valley liegen 112 km Luftli-
südlich verlaufende Alaska-Kette, das nach Norden nie voneinander entfernt und weisen eine Höhendif-
anschließende Yukon-Becken und die im Norden ferenz von 4560 m auf.
liegende Brook Range. Die Gebirgsbildung des ge- Die Kaskaden zeigen Vulkanismus in unterschied-
samten Großraums vollzog sich zu einem großen Teil licher Ausprägung (Haguerud 1999): Während der
in der Laramischen Phase (Alpidische Gebirgsbil- Mt. Rainier im Bundesstaat Washington mit 4260 m
dung) an der Wende von der oberen Kreidezeit zum Höhe eine typische Kegelform aufweist, zeigen sich
Paläozän des Tertiärs, also vor ca. 65 Mio. Jahren. auch Formen, die entstehen, wenn der vulkanische
Die Auffaltungen hoben viele Sedimentgesteine, die Kegel selbst in der Eruption zerstört wird, so z. B.
dann im Tertiär von Erosionskräften abgetragen wur- beim Crater Lake in Oregon, der eine aufgefüllte
den, und legten jene präkambrische Gesteine (Gra- Caldera ist, oder beim Mt. St. Helens nach dessen
nite der Sierra Nevada und Cascade Range) frei, Ausbruch von 1980, der die Höhe des Kegels von
welche die Pazifischen Gebirgsketten ausmachen. 2950 m auf 1549 m verringerte. Im Westen der von
Die östlichen Rocky Mountains sind in der Alpidi- orogenen Faltungsvorgängen aufgeworfenen Sierra
schen Gebirgsbildungsphase als zwei überwiegend Nevada hingegen beeindrucken glaziale Formen, so
parallele granitische Gebirgsketten aufgefaltet wor- z. B. im Yosemite-Nationalpark, wo die granitische
den. Die meisten Gebirgszüge ebenso wie die Ver- Felskuppel des fast 1600 m hohen Half Dome glazi-
werfungen folgen der allgemeinen Nord-Süd-Rich- al überprägt wurde (Abb. 16). Gletscher ließen ein-
tung. Nur an wenigen Stellen herrschen größere Ver- drucksvolle Täler und Wasserfälle von 90 m Höhen-
werfungen und Bruchtektonik in Ost-West-Richtung unterschied entstehen. Das gesamte Küstengebirgs-
vor. Ein Beispiel ist der zwischen den kanadischen system ist, wie auch die amerikanischen Kordilleren
und den amerikanischen Felsengebirgen verlaufen- insgesamt, von intensiver tektonischer Aktivität ge-
de Rocky Mountain Trench (geologischer Graben), kennzeichnet. Die westlichen wie auch die östlichen
der zwischen 187 km breit und bis 1448 km lang Kordilleren sind mesozoisch-tertiäre Bruchfalten-
ist und seinen Anfang beim Flathead Lake im Nor- gebirge. Im Küstenraum von San Francisco bis Los
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 27

Großlandschaften 27

Abb.16: Der eiszeitlich


überformte Granitpluton
Half Dome im Yosemite-
Nationalpark, Kalifornien.
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 28

28 Naturraum und natürliche Ressourcen

Garlock-Blattverschiebung ■ das Hochland von New Mexico und Arizona,


Salinas-Block ■ das Colorado-Plateau,
San-Andreas- ■ die Basin and Range Region mit dem Großen
Blattverschiebung Mojave-Block Becken,
Cost-Ranges-
Block ■ eine Reihe kleinerer, meist abflussloser Becken-
Ridge-
Santa-Maria- Becken San- landschaften, wozu beispielsweise die Sonora-
Becken Gabriel- Transverse Wüste oder Teile der südkalifornischen Wüste
Block Ranges
(Abb. 19) gehören, ferner
SANTA BARBARA ■ die Columbia- und Snake-River-Plateaus,
Ventura-Becken ■ in Alaska das Yukon-Becken.
In der intermontanen Zone wurden Sedimentgesteine
Salton-See
LOS ANGELES um 1520 m bis 3340 m über NN gehoben. Bei der
Obsidian
Sa Butte Hebung schnitten sich die antezedenten Flüsse in
nt

Quelle: Eisbacher 1988, S. 141.


PA Z I F I S C H E R
a
Los-Angeles- die Schichten tief ein und hinterließen imposante
OZEAN An
a-
Becken Canyons, die eindrucksvolle Schichtenfolgen bis hin
Bl
oc zum präkambrischen Gestein zeigen. Die Hebung
Abb. 17: Das komplexe k
Verschiebungs- und USA ließ ferner Plateaus mit Tafellandcharakter entste-
O
Rotationssystem der San- N MEXIK Cerro Pietro hen. Sie zeichnen sich durch Gesteinsschichten von
0 100 km unterschiedlicher Widerstandskraft gegenüber Ero-
Andreas-Verwerfung,
Kalifornien. sionsprozessen aus; zudem finden sich Decken aus
basaltischer Lava, die zwar vulkanischen Ursprungs
sind, jedoch von erosiven Kräften exogen geprägt
wurden und spektakuläre Landschaften hinterließen.
Das Colorado-Plateau ist mit 1500 bis 3300 m das
höchstgelegene Plateau der USA. Das vom Colora-
do-Fluss durchschnittene Hochland liegt in den
Bundesstaaten Colorado, Utah, Arizona und New
Mexico. Es ist aus paläozoischen und mesozoischen
Sedimentschichten von mehr als 1000 m Mächtig-
keit aufgebaut, die reich an Uran und Kohle sind.
Nach Nordosten steigt das Colorado-Plateau an.
Spättertiäre tektonische Heraushebungen der sedi-
mentären Abfolgen und die Einkerbung von Fluss-
systemen haben besonders in der Four Corners Re-
gion der USA (Arizona, Colorado, Utah, New Mexico)
tiefe und stark zerklüftete Erosionsschluchten hinter-
lassen (Abb. 20 u. 21). Canyonbildung legt die ge-
samte mesozoisch-tertiäre Schichtstufenfolge frei
(River & Harris 1999), die eindrucksvolle Naturmon-
umente wie z. B. die Formationen des Grand Canyon,
des Zion-Nationalparks, des Arches-Nationalparks,
des Monument Valley und des Bryce Canyon (Abb. 22
u. 23) schufen. Die erosiven Steilstufen und terras-
senförmigen, paläozoischen Schichtpakete bestehen
aus Wechsellagerungen von rötlich bis grünlich-braun
Abb. 18: Vom Lavastrom Angeles treffen die Amerikanische und die Pazifi- verwitterten Sandsteinen, fossilreichen Flachwasser-
des Mauna-Loa-Ausbruchs sche Platte entlang des rund 1000 km langen kalken und Tonen. Wechselnde Gesteinsschichten
(1950) verschüttete San-Andreas-Verwerfungssystems mit 127 größe- lassen hier im Verlauf des Tages durch Sonnenein-
Straße, Volcanoes Natio-
ren Verwerfungslinien aufeinander (Abb. 17). Das strahlung leuchtende, bizarre Landschaften von
nal Park, Hawaii (Foto: US
Geological Survey). gesamte Gebiet zeichnet sich durch plattentekto- unterschiedlicher Farbgebung entstehen.
nische Bewegungen aus, die sich in Erdbeben und Die geologisch bedeutendsten Naturmonumente
Vulkanismus äußern. Betroffen sind vor allem die allerdings sind der Grand Canyon, der Zion Canyon
westlichen Kordilleren, während sich tektonische und der Bryce Canyon. Insbesondere im Gebiet des
Aktivität in den östlichen Kordilleren nur noch in Grand Canyon, der quer durch das nördlich aufstei-
den Geysiren und Solfataren des Yellowstone-Pla- gende, stark bewaldete Kaibab-Plateau verläuft, ist
teaus zeigt. Vulkanismus ist außerhalb der konti- die Schichtenfolge in getreppten Steilhängen von
nentalen USA auf Hawaii bedeutend (Abb. 18). bis zu 3000 m Tiefe sichtbar. Sie reichen z. T. bis
zum präkambrischen kristallinen Gestein des süd-
Die Intermontane Region westlichen Ausläufers des abgetauchten Laurenti-
Die intermontane Region ist in mehrere große schen Schilds im Grand Canyon. Bei den Schichten
Hochbecken gegliedert. Von Süden nach Norden handelt es sich um flach gelagerte paläozoische und
sind dies: mesozoische Sedimentdecken aus teils vulkani-
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 29

Großlandschaften 29

Abb. 19: Beckenland-


schaft bei Palm Desert,
Kalifornien (Foto: Alex S.
MacLean).

Aufbauphase

Quelle: nach Strahler 1973, S. 401.


Endphase Abb. 20: Erosion und
Mittlere Phase Entwicklung von Ober-
flächenformen im ariden
Südwesten der USA.
flach lagernde
Sedimentschichten

Abb. 21: Blick auf die


Steilwände des Canyon de
Chelly, Arizona (Foto: Alex
S. MacLean).
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 30

30 Naturraum und natürliche Ressourcen

Abb. 22: Inselberg im Monument Valley, Arizona.

schem Material (Neef 1970, S. 379). Flüsse wie der


Colorado mit seinen Nebenarmen, die sich durch
endogene Hebungen in die Tiefe gruben, haben Can-
yon-Landschaften mit isoliert herausragenden Tafel-
bergen (mesas) und Inselbergen (auch Zeugenberge
genannt, engl. buttes) geschaffen (s. Bild 6).
Vor allem die Sandsteinschichten in den Canyon-
gebieten unterliegen starker Wind- und Wasserero-
sion, die im Laufe der Jahrmillionen u. a. über 200
natürliche Sandsteinbrücken entstehen ließen, so
die 88 m hohe und 84 m breite Rainbow Bridge
(Abb. 24) oder den Bryce Canyon, der im südlichen
Utah mit seinen zu Felstürmen erodierten, rötlich-
gelben Sandsteinformationen besticht. Da viele der
Canyons für außerordentlich große, natürliche Was-
serreservoirs geeignet waren und die harten Ge-
steinsschichten ihrer Talböden und Seitenwände
hohe Staudämme stützen können, wurden sie seit
den 1920er Jahren von der US-Regierung im Rah-
men des Colorado River Storage-Projekts zur ganz-
jährigen und regelmäßigen Wasserversorgung des
Südwestens vorgesehen. Ein Beispiel ist der Glen
Canyon Dam des Colorado, der 1966 fertig gestellt
wurde und den fast 300 km langen Lake Powell mit
einer Uferlänge von rund 2000 km und einer Was-
sertiefe am Damm von ca. 1200 m aufstaute.
Westlich und südlich des Colorado-Plateaus befin-
den sich vulkanische Formationen (Abb. 25), und im
Nordwesten New Mexicos erstreckt sich die als Basin
and Range Province bezeichnete Beckenlandschaft.
Das rund 500 000 km2 Große Becken, das im Osten
von der Bruchfaltenkette des Wasatch-Gebirges und
im Westen von der Sierra Nevada begrenzt wird und
in etwa der Größe Spaniens entspricht, besteht aus
zahlreichen kurzen, bis 3000 m hohen Gebirgsket-
ten, die Pultschollen im Bereich der Bruchtektonik
darstellen (Glawion 1991, S. 8; Neef 1970, S. 553).
Die dazwischen liegenden, einzelnen, kleineren ab-
flusslosen Becken sinken, wie das Death Valley nord-
östlich und das Imperial Valley südöstlich von Los
Angeles, sogar unter den Meeresspiegel ab.
Im Death Valley beispielsweise wurden die paläo-
zoischen, also vor 200 Mio. Jahren abgelagerten Se-
dimentsschichten aufgrund tektonischer Aktivität im
Zeitraum von 53 und 5 Mio. Jahren vor heute zu
einem (Halb-)Graben abgesenkt, während im glei-
chen Zeitraum die umgebenden Bergketten durch
vulkanische Aktivität und Faltung entstanden sind.
Der Talboden des Death Valley lagert rund 3000 –
4000 m über dem präkambrischen Gestein, das je-
doch durch Faltung auch in den Black und Pana-
mint Mountains im Westen des Tales zu Tage tritt.
Die heutige Morphologie des Talbodens ist gekenn-
zeichnet von Erosionsschutt der umliegenden Berg-
ketten, der in Schwemmfächern abgelagert ist, ferner
von Terrassen, die wechselnde Klima- und Feuchte-
bedingungen und Seen in verschiedenen Phasen des

Abb. 23: Erosionsformen in der sog. Silent City, Bryce


Canyon, Utah.
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 31

Großlandschaften 31

Quartärs zurückließen, sowie Salzbecken, die bei der Abb. 24: Lake Powell,
Verdunstung der Seen entstanden (Abb. 26 u. 27). wirtschaftliche Inwertset-
Im Allgemeinen zeichnen sich die paläozoischen zung der Canyonland-
schaft durch Stauseetou-
Schichtenfolgen der Basin and Range Province durch
rismus. In der oberen
bedeutende Lagerstätten von Blei, Zink, Phosphor, Bildmitte die „Rainbow
Kalisalz, Uran, Erdöl (in Erdölschiefer und -sand ge- Bridge“, der größte be-
bunden) sowie Kohle aus. Der sich nach Kalifornien, kannte natürliche Sand-
Arizona und Mexiko erstreckende südliche Teil des steinbogen.
Basin and Range-Gebietes unterscheidet sich in
zweifacher Hinsicht vom Großen Becken (Paterson
1994, S. 14): Die Bruchschollengebirge sind von
geringerer Höhe und weniger regelmäßig in Nord-
Süd-Richtung angeordnet als im Großen Becken;
zudem ist dieser Teil insgesamt tiefer gelagert. Fer-
ner sind diese Gebiete wüstenhafter als das Große
Becken, bedingt durch die geringeren Niederschlä-
ge der südlicheren Breiten. Weitere größere Becken-
landschaften der Intermontanen Zone sind die Co-
lumbia- und Snake-River-Plateaus im südlichen
Idaho und im östlichen Teil des Bundesstaates Wa-
shington. Sie wurden von ausgedehnten Lavadecken
aus den vulkanisch aktiven Kaskadenbergen gebil-
det und zeigen von Erosion geformte, tief einschnei-
dende Canyon-Landschaften, die jedoch weniger
treppenartig als jene des Colorado-Plateaus sind.
Die in Alaska gelegene, nördliche intermontane Be-
ckenlandschaft ist von einzelnen aus Lavaströmen
geformten Plateaus gekennzeichnet. reichen die Ebenen über 20 Breitengrade oder ca.
2000 km, in Ost-West-Ausdehnung von den Appala-
Zentrale Ebenen und Küstenebenen chenausläufern in Ohio bis nach Denver ebenfalls
Die inneren Ebenen erstrecken sich zwischen den über rund 2000 km. In geologischer Hinsicht han-
Nordamerikanischen Kordilleren und dem Appala- delt es sich bei diesen Ebenen um die abgetauchten
chischen Gebirgssystem. In Nord-Süd-Ausrichtung und mit paläozoischen Sedimenten aufgefüllten

Abb.25: Shiprock – vulka-


nischer Rücken im nord-
westlichen New Mexico
(Foto: Alex S. MacLean).
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 32

32 Naturraum und natürliche Ressourcen

Abb.26: Schwemmkegel im Death Valley, Südkalifornien


(Foto: Death Valley NHA).

Ränder des Laurentischen Schildes. Die Großregion


besteht aus fünf landschaftlichen Großeinheiten:
■ den Great Plains,
■ dem Zentralen Tiefland an den Großen Seen,
■ dem Mississippi-Tiefland,
■ der Ozark-Ouachita-Plateaulandschaft,
■ der Schichtstufenlandschaft an der östlichen Über-
gangszone zu den Appalachen.
Die Küstenebenen gliedern sich in die südliche Golf-
küstenebene und die südöstliche atlantische Küs-
tenebene.
Die Plateaulandschaft der Great Plains neigt sich
von der Front Range der Rocky Mountains und einer
Höhe von 1215 bis 1520 m in mehreren Stufen
hinunter auf ein Niveau von rund 610 m (Abb. 28).
Dort schließt sie sich nach Osten zwischen dem
100. und 98. Grad westlicher Länge an das Zentrale
Tiefland sowie das Mississippi-Tiefland an. Verein-
zelte Höhenzüge durchdringen jedoch die Great
Plains, von denen die höchsten die Black Hills in
Süd-Dakota mit einer Maximalerhebung von 2130 m
Abb. 27: sind. Es handelt sich dabei, wie auch bei den Ozark-
Dante’s Höhenzügen (Interior Highlands), um präkambri-
View, ein sche Granite, die zum Laurentischen Schild gehören
abflusslo-
und sich an einigen Stellen bis 610 m aus den palä-
ses Salz-
becken. ozoischen Sedimentdecken erheben. Bei den Oua-
chita-Höhen sind es jedoch die Ausläufer der Appala-
chischen Faltungssysteme, die hier aus den Sedi-
mentsschichten bis zu einer Höhe von 820 m hervor-
ragen. Als Ausläufer des Laurentischen Schildes sind
Abb. 28: in diesen Gebirgszügen noch Bodenschätze in gerin-
Weizenfel- ger Menge vorhanden, z. B. Gold in den Dakotas oder
der in Mon- den südlichen Appalachen. Das war der Grund für
tana, Ost- die Zwangsumsiedlung der hier ansässigen Indianer-
abdachung stämme in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
der Rocky
Mountains In West-Ost-Richtung werden die Great Plains
(Foto: Alex westlich des Missouri von Wind und Wasser sehr
S. Mac- stark erosiv zerschnitten, wie es sich in der Topogra-
Lean). phie der Badlands besonders in den Dakotas zeigt.
Das Zentrale Tiefland, das nach Westen mit einer
immer jünger werdenden Serie von Schichtstufen-
landschaften abschließt, umfasst die Region um die
Großen Seen. Mit Ausnahme der ca. 700 m hohen,
eisenerzreichen Mesabi Range liegt das Zentrale
Tiefland etwa 200 m über dem Meer.
Durch die pleistozäne Inlandvereisung wurde der
nördliche Teil des Zentralen Tieflands in mehreren
Schüben, die bis zum Missouri- und Ohio-Fluss
reichten, glazial überformt (Abb. 29). Die Inlandver-
eisung, die bis zu zwei Drittel des nordamerikani-
schen Kontinents umfasste, reichte in den USA bis
zu jener imaginären Linie, die den Bundesstaat Min-
nesota mit dem Missouri und Ohio River verbindet.
Die wichtigsten Eiszeiten, die das Gebiet der USA
betrafen, sind jeweils nach dem Bundesstaat be-
zeichnet, in dem ihre größte Überprägung stattfand,
so z. B. die Nebraska-, Kansas-, Illinois- und Wis-
consin-Eiszeiten (Strahler & Strahler 1973, S. 366 f.,
485). Sie entsprechen den in Europa üblichen Be-
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 33

Großlandschaften 33

70°
Grenzen der Glaziale

°
80
Grönländisches N. Dak.
Inlandeis WISCONSIN
S. Dak. Wisc.
ILLINOIAN
KANSAN
ILL. ILL.
Verein

NEBRASKAN

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KA
50°
Kans. Iowa
Ill. Ind.
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Quelle: Strahler 1973, S. 357.

N.
Mo.
KAN
er

Nebr.

KA
NEB
RA
° ° S K AN
40 60
40° N KANSAN AN
NS IAN
Quelle: Strahler 1973, S.356.

KA INO Ky.
W. Va.
L
0 300 km IL
30°
30°
0 1000 km
Abb. 29: (links) Kontinen- Abb. 30: (oben) Die Aus-
tale Vereisung im Pleisto- dehnung des Inlandeises
120° 90°
zän. im Pleistozän.

90° 88° 86° 84° 82°


46°

Minn.
S. Dak.
Wyo. Wisc.
Huron- Sand Hills
see Ia.

44° Nebr. über


2,4 m Mo. Ind. Oh.
Ill.
Kans.
unter
Michigan- Colo. 2,4 m
see N.M.
Quelle: Strahler u. Strahler 1999, S. 466.

Ky.
Okla. Ark.
42°
Eriesee
Quelle: Strahler u. Strahler 1999, S. 485.

Tenn.
Tex. Miss.
La.

Abb. 32: Verbreitung und


N
Mächtigkeiten von Löss im
40° 0 500 km amerikanischen Mittelwes-
ten.
N

0 100 km Michigansee, Huronsee, Eriesee, Ontariosee) sind


pleistozäne Eiszungenbecken, Inseln wie Nantucket
Abb. 31: Vom Inlandeis erzeugte girlandenförmige und Martha’s Vineyard vor Massachusetts oder Long
Moränengürtel. Island sind Ablagerungen ehemaliger Endmoränen.
Die Inlandvereisung generierte auch den größten
zeichnungen Günz, Mindel, Riss und Würm und Teil des Materials, das für die Bildung der frucht-
stellen die jeweils südlichen Vorstöße der Verei- barsten Böden der USA verantwortlich ist. Beson-
sungsschübe dar (Abb. 30). In jeder Phase schuf die ders in den interglazialen Perioden entstanden weite
erosive Kraft der Vereisung Grund- und Endmorä- Lösslandschaften (Abb. 32). Das Ausgangsmaterial
nenlandschaften, die vor allem im Bereich der Gro- dieser Böden wurde während der Kaltzeiten des
ßen Seen von einer Häufung Nord–Süd verlaufender Pleistozäns aus Moränen und Schotterfeldern sowie
Drumlins und Seen gekennzeichnet sind (Abb. 31). aus periglazialen Schuttdecken ausgeweht und la-
Die Inlandvereisung prägte die Gewässerdichte und gerte sich als meterdicke Lösslagen ab (Leser 1997,
-verteilung sowie die Entwässerungssysteme (drai- S. 479). Die glaziale Überprägung wurde auch in
nage systems). Die Großen Seen selbst (Oberer See, anderer Weise zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor:
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 34

34 Naturraum und natürliche Ressourcen

Kontinentale Wasserscheide ßen sumpfigen Everglades (heute weitgehend ent-


0 200 400 600 800 1000 km
wässert) durchwegs nur wenige Meter über NN be-
finden. Aufgrund der Abflachung vom Piedmont der
Appalachen bis unter den Meeresspiegel entstand

Misso
eine von Haffs, Sümpfen und Nehrungen durchsetz-
M
is s te, atlantische Küstenebene. Viele Flüsse, die zum

uri
iss
ipp
i Teil weit in das heutige Meeresgebiet hinein entwäs-
serten, frästen daher tiefe Täler aus. Mit dem An-

Quelle: Ellwood 1996, S. 209.


steigen des Meeresspiegels ertranken insbesondere
Ohio die tiefen Täler des Susquehenna River und bilden
heute die Chesapeake Bay, ferner das Tal des Hud-
son River und die New York Bay mit den Endmorä-
nen Staten Island und Long Island. Sowohl die Che-
sapeake Bay als auch die New York Bay zählen auf-
grund ihrer Genese zu den bedeutendsten natür-
lichen Tiefseehäfen der Welt, die zur Grundlage des
wirtschaftlichen Wachstums an der Ostküste wurden
(Birdsall & Florin 1992, S. 26 ff.).

Die Appalachen
Abb. 33: Das Einzugs- Sie schuf jene weiten fruchtbaren Flächen, die sich Das Appalachische Gebirgssystem wurde durch die
gebiet des Mississippi. fast über den halben Kontinent erstrecken, kaum variszische Orogenese im Erdaltertum zwischen 600
topographische Barrieren haben und daher in der und 230 Mio. Jahren vor heute im Ordovizium, Devon
westwärts gerichteten Besiedlung innerhalb weniger und Perm aufgefaltet. Die über 3000 km langen Ap-
Jahre zu erschließen waren. Hinzu kamen die guten palachen stellen ein System von Gebirgszügen dar,
Bewässerungsmöglichkeiten, die das Einzugsgebiet das von Neufundland bis nach Alabama reicht. Es
des Mississippi-Stromes (Abb. 33) bereitstellte. wird in mehrere Teile gegliedert: Einen nördlichen,
Die östliche Übergangszone zu den Appalachen der die Neuengland-Uplands einschließt und süd-
zeichnet sich durch eine nach Westen orientierte lich von den Hudson-Mohawk-Tälern begrenzt wird.
Schichtstufenlandschaft aus, welche die Endungen Er umfasst als höchste Erhebung den Adirondack-
der appalachischen Faltungen bildet. Erosion und Gebirgszug, der hier als Teil des präkambrischen
Verkarstung prägten die Sand- und Kalkschichten aus Schildes metamorphe Gesteine im Faltengebirge der
dem Karbon außerordentlich stark und hinterließen Appalachen aufragen lässt. Die sich südlich an-
einerseits Karstphänomene wie die Mammoth Cave in schließenden Appalachen teilen sich in mehrere,
Kentucky, andererseits die aufgrund von Erosion aus- sehr unterschiedliche Gebiete auf. Gemäß der Stoß-
gewaschenen Becken wie das Bluegrass-und-Nash- richtung der Faltung sind dies von West nach Ost:
ville-Becken von Tennessee, die speziell für die Vieh- ■ die Appalachen-Plateaus, die als Schichtstufen-
wirtschaft geeignete, kalkreiche Böden aufweisen. landschaft eine Übergangszone zum Zentralen
Die Küstenebenen am Golf von Mexiko und an der Tiefland bilden;
Atlantikküste sind aus weichen sedimentären Ge- ■ die Schichtrippenlandschaft der Valley and Ridge
steinen entstanden, die sich in jüngerer geologischer Province, ein Gebiet ausgeprägter, parallel gela-
Zeit aufgrund von Meeresspiegelverlagerungen bilde- gerter Gebirgsfalten der Appalachen.
ten. Der Meeresspiegel lag während der Inlandverei- ■ Die 900 km langen, steil aufragenden Blue Ridge
sungsphasen sehr viel tiefer als gegenwärtig. Küsten- Mountains, die in den Great Smoky Mountains
terrassen, die bis 76 m über dem heutigen Meeres- eine Höhe von ca. 2000 m erreichen, sowie
spiegel herausragen, zeugen davon (Birdsall & Flo- ■ das sich östlich anschließende Piedmont-Plateau
rin 1992, S. 26 ff.). Eine Verlängerung erfahren die bilden die beiden anderen landschaftlichen Ein-
Aufschüttungsebenen der Golf- und Atlantikküste heiten der südlichen Appalachen.
im kontinentalen Schelf, der ca. 400 km weit in den ■ Das Piedmont-Plateau, das sich von ca. 455 m auf
Ozean hineinreicht. Die Küstenebenen erstrecken 365 m Höhe zur atlantischen Küstenebene hin
sich von der südlichsten Spitze von Texas bis zu den absenkt, grenzt sich mit der markanten fall-Linie
Neuenglandstaaten. Während die Golfküstenebene zur Küstenebene ab.
in Texas rund 500 km breit ist, reicht sie von der Im Gegensatz zur großen wirtschaftlichen Bedeutung
Mündung des Mississippi bis nach St. Louis etwa der horizontal lagernden, kohlereichen Gesteinsfol-
1000 km landeinwärts. Die weiträumigen Küsten- gen in den Appalachenplateaus wirkte sich die fall-
ebenen am Golf umschließen bei Alabama die süd- Linie wegen der Stromschnellen in den Flüssen ent-
lichsten Ausläufer der Appalachen. Nördlich von wicklungshemmend für den Restraum der Appala-
Florida verengen sich die Küstenebenen und fallen chen aus, der auch gegenwärtig noch zu den Gebie-
stark bis zum Kontinentalschelf ab. Florida selbst be- ten der USA mit Entwicklungsrückstand zählt. Le-
steht großenteils aus Kalksteinen. An seiner höchs- diglich die fall-Linie selbst begünstigte die Grün-
ten Erhebung liegt Florida nur 99 m über dem Mee- dung von Handelsstädten am Umschlagspunkt der
resspiegel, während sich seine fast 13 000 km2 gro- verschiedenen Verkehrsträger.
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Klimadifferenzierung und Ökosystemregionen 35

Klimadifferenzierung und Ökosystemregionen


Das Klima als typische Abfolge und Summe aller Topographie
Witterungseinflüsse ist in den USA stark differen- Generell sind die USA den Einflüssen sowohl ex-
ziert. Die Klimafaktoren, welche die Ausprägung trem kalter wie auch extrem warmer Luftmassen
und Differenzierung bestimmen, sind ausgesetzt. Die Interaktionen von einerseits konti-
■ die geographische Breite, nentalen, arktischen und andererseits tropisch-mari-
■ das Verhältnis von Land und Wassermassen und timen Luftmassen und deren Beeinflussung durch
die Nähe zu großen Wasserkörpern, sowie die Topographie bestimmen die Wetterverhältnisse
■ die Topographie, insbesondere das Großrelief (Pa- der USA. Wegen der Nord-Süd-Ausrichtung der Kor-
terson 1994; Glawion 1991). dilleren, die wie eine Wetterscheide wirken, haben
polar-maritime Luftmassen aus dem nördlichen Pa-
zifik vor allem im Westen einen großen Einfluss: Da
Klimafaktoren und Klimagliederung quer gelagerte Gebirgsbarrieren in den zentralen
Ebenen fehlen, können polar-kontinentale Luftmas-
Geographische Breite sen aus dem Norden und feuchtwarme tropische
Wegen des Spektrums geographischer Breitenlagen Luftmassen vom Golf von Mexiko ungehindert meri-
haben die Vereinigten Staaten Anteil an fast allen dional ausgetauscht werden (Birdsall & Florin 1992,
Klimatypen. Von Alaska mit seinem nördlichsten S. 22; Glawion 1991). Dieser ungehinderte Aus-
Punkt bei rund 71° N bis zu den südlichen Hawaii- tausch von so unterschiedlichen Luftmassen bedeu-
Inseln auf 18° N und Floridas südlicher Inselgruppe tet, dass im Winter in den niederen, subtropischen
Key West bei rund 25° N sind arktische bis subtropi- ebenso wie in den nördlichen Breiten mit relativ
sche Klimatypen vertreten, wobei warm- und kühl- hohen Temperaturen gerechnet werden kann. In
gemäßigte Zonen im zusammenhängenden Staats- New Orleans, das wie Kairo auf 30° N liegt, sind
gebiet dominieren. Extrema sind auch von Ost nach – 14 °C die gemessene Minimaltemperatur. Kaltluft-
West zu finden: Gebiete von über 5000 mm an der massen aus dem Norden (cold waves, northerners)
Pazifikküste im Gegensatz zu 250 mm Niederschlag können daher zu dieser Jahreszeit in Florida zu Ern-
im ariden Südwesten sind zu finden. Große Gegen- teschäden bei Zitrusfrüchten und anderen Sonder-
sätze zwischen kontinentalem und maritimem Klima kulturen führen. Umgekehrt sind warme Luftmassen
kennzeichnen die USA. aus dem Golf von Mexiko (hot waves, southerners)
bis in die Neuenglandstaaten für sogenannte Indian
Kontinentalität und Summers bekannt, die dort für spätsommerlich-war-
maritime Verhältnisse mes Wetter, teils bis in den Dezember hinein, ver-
Da die USA eine sehr große Landmasse darstellen, antwortlich sind.
die sich im Sommer extrem erwärmt und im Winter Der Einfluss der Topographie auf das Klima zeigt
stark abkühlt, sind die Temperaturgegensätze auch sich auch in der Verteilung der Niederschläge. Das
auf der gleichen geographischen Breite enorm. Teile Makrorelief, vor allem die orographische Barriere des
des Mittelwestens können jährliche Temperatur- Kordilleren-Systems, lässt an der pazifischen Nord-
schwankungen von 60 bis 80 °C aufweisen. So kann westküste von Alaska bis Oregon um 3000 mm Stau-
die winterliche Temperatur, den Windkühlungsfaktor niederschläge fallen. Eine Ausnahme von den feucht-
(wind chill factor) eingerechnet, in Ohio in kalten maritimen Westküstenbedingungen bildet das tro-
Wintern durchaus bei – 45 °C liegen, die sommerli- cken-aride Südkalifornien, das ganzjährig unter dem
che Höchsttemperatur dagegen bei rund 35 °C. In Einfluss warm-trockener, stabiler Luftmassen steht,
Teilen der Great Plains sind Extremwerte von + 50 °C die das Vordringen der sich über dem Nordpazifik
und – 50 °C registriert worden. bildenden Tiefdrucksysteme nach Süden verhin-
Der Einfluss des maritimen Faktors, der die Ver- dern. Jenseits der westlichen Kordilleren löst Ari-
hältnisse aufgrund der sich erwärmenden bzw. ab- dität diese auf die Küstenbereiche begrenzten mari-
kühlenden Wassermassen moderiert, ist an allen timen Bedingungen ab, sodass die größten Nieder-
Küsten der USA spürbar. Dieser maritime Einfluss schlags- und Temperaturextrema auf einer sehr kur-
mildert in Küstenbereichen generell die Temperatu- zen Distanz beiderseits der westlichen Küstengebir-
ren der im Winter einfließenden Kaltluftmassen. An ge anzutreffen sind. Im Regenschatten der west-
der atlantischen Nordostküste wird es jedoch auf lichen Kordilleren (Cascade Range und Sierra Neva-
Höhe der Neuenglandstaaten (und nicht selten bis da) sind extreme Trockengebiete mit nur unregelmä-
auf 35° N) wegen des kalten Labradorstroms, der ßig fallenden Niederschlägen um 100 – 250 mm im
den nach Europa verlaufenden Golfstrom ablöst, im Jahr zu finden. Erst östlich der klimatischen Tro-
Winter wesentlich kälter als beispielsweise an der ckengrenze des 100. Längengrades führen die vom
europäischen Atlantikküste auf gleicher Höhe. Der Golf von Mexiko ungehindert einströmenden, feucht-
Einfluss von Meeresströmungen ist auch an der warmen Luftmassen aus den Küstengebieten sowie
Westküste in unterschiedlicher Weise fühlbar. Der den Central Plains wieder zu mittleren jährlichen
kühle Kalifornienstrom führt vor allem in Nordkali- Niederschlägen, welche die jährliche Verdunstung
fornien im Sommer zu Nebel und Temperaturminde- übersteigen. Mit über 1000 mm Niederschlägen –
rung. im Südosten auch 1500 bis 2500 mm – sind die
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36 Naturraum und natürliche Ressourcen

Winter Sommer Luftmassen:


mP cP mP cP
cP mP cP polar-kontinental

Quelle: Muller u. Oberlander 1987, S. 131.


cT tropisch-kontinental
cP
mP polar-maritim
mP
cP
cP mT tropisch-maritim
cP cP

cT mT mT

mT mT

mT
Abb. 34: Luftmassen in cP
mT
den USA. mT

Niederschlag
L low (Tief)
L

Quelle: Muller u. Oberlander 1987, S. 135.


Warmfront
L Kaltfront
L
Stationäre Front
Okkludierte
Front

0 1000 km

Abb. 35: Typischer Verlauf Gebiete östlich des Mississippi niederschlagsreich ten, Durchzug eines Hochdruckgebietes mit trocke-
von Tiefdrucksystemen in und überwiegend humid. nen, klaren, im Sommer kühleren, im Winter eisigen
den USA. Luftverhältnissen. Während das Tief durchzieht, re-
Luftmassen und Windsysteme generieren sich die vom Golf von Mexiko herrühren-
Das amerikanische Klima und Wetter ist in markan- den feucht-warmen Luftmassen des Systems noch
ter Weise vom Zusammenspiel polar-kontinentaler einmal im Bereich der Großen Seen, die eine regio-
(kalter, trockener, stabiler) und tropisch-maritimer nale Quelle feuchter Luft darstellen. Auf ihrem Weg
(warmer, feuchter, instabiler) Luftmassen geprägt an die Ostküste bringt dann die Warmfront, die dem
(Abb. 34). Die ungefähr bei 60° N aufeinander sto- angereicherten Warmluftsektor der Zyklone voran-
ßenden Luftmassen (Polarfront) können sich wegen geht, ebenso wie die sich schneller bewegende und
der Topographie ungehindert meridional auf konti- daher zur Okklusion aufschließende Kaltfront über
nentalem Ausmaß austauschen. Dabei entstehen an Neuengland Niederschlagsfelder mit Dauerregen, je
der stark südlich verschobenen Luftmassengrenze nach Jahreszeit als Regen oder Schnee.
besonders über den Gebieten östlich der Kordilleren Ferner ist der Austausch großer arktischer und
Tiefdrucksysteme, die unter dem Einfluss vorherr- subtropischer Luftmassen auch verantwortlich für
schender Westwinde von Westen nach Osten über die Vehemenz, mit der sich manche Wetterphäno-
die USA hinwegziehen (Abb. 35). Dies bewirkt ei- mene entwickeln. Beispiele dafür sind die Tornados –
nerseits, dass das kontinentale Klima sich bis an außertropische Wirbelstürme, die zumeist vom Früh-
die Ostküste erstreckt: Neuengland und die atlanti- jahr bis zum September beim Zusammentreffen von
schen Küstenstaaten haben daher auch größere sai- kalter und warmer Luft und extremen, vertikalen
sonale Temperaturschwankungen als Gebiete an der Temperaturgradienten entlang von Kaltfronten und
Westküste, die auf vergleichbarer Breite liegen. in deren Vorfeld entstehen.
Andererseits bewirken die schnell durchziehen- Weitere extreme Wetterbedingungen betreffen die
den, über Colorado und Texas entstehenden Tief- Küstenzonen der USA aufgrund von Vorgängen, die
druckgebiete, die sich erst auf ihren Zugbahnen nach ihre Genese außerhalb der Zone haben, in der Warm-
Osten voll ausbilden, eine sich stetig wiederholen- und Kaltluft zusammentreffen. Zu nennen sind hier
de, vom Mittleren Westen bis zur Ostküste reichen- die Hurricanes. Diese tropischen Wirbelstürme ent-
de, typische Abfolge wechselhaften Wetters. Sie ist stehen besonders im Spätsommer über dem stark
bestimmt von sinkendem Luftdruck, steigenden erwärmten mittleren Atlantik, ziehen zunächst von
Temperaturen, Aufkommen von Winden und Bewöl- Südost nach Nordwest über die Karibik, um dann in
kung, dem Durchzug einer Warmfront mit Nieder- Küstennähe der USA nach Nordosten abzubiegen
schlägen, gefolgt von weiterem Temperaturanstieg und entlang der amerikanischen Küste in nördlicher
und Zufluss warmer Luft aus südwestlicher Rich- Richtung weiterzuwandern (s. Abb. 38 sowie S. 42).
tung, Aufkommen von Quellbewölkung, z. T. starkem Auch im Winter führt das Zusammentreffen extre-
Temperaturabfall, steigendem Luftdruck, Durchzug mer Kaltluftvorstöße und maritim-tropischer Luft-
einer Kaltfront, Zustrom kalter Winde aus Nordwes- massen, vor allem in den östlichen USA, zu extremen
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Klimadifferenzierung und Ökosystemregionen 37

Wetterbedingungen wie den Blizzards. Blizzards, die Sommern und niederschlagsreichen Wintern
von feuchten, maritimen Luftmassen, welche vom nördlich von San Francisco und die mediterrane
Golf von Mexiko nach Norden vordringen, und von Klimaregion mit ihrem Spektrum von maritimen,
extremen Druckunterschieden gespeist werden, sind nördlich gelegenen sowie wüstenhaften, süd-
nur eine besondere Form von Stürmen, die im Winter lichen Gebieten.
auftreten können. Arktische Kaltluftvorstöße können 4) Die stark differenzierte Klimaregion der westli-
wegen des ungehinderten Luftmassenwechsels in chen Kordilleren ist das Resultat der in der Höhe
den südlichen Tiefebenen im Winter zu Tempera- zunehmenden Niederschläge und abnehmenden
turstürzen von über 40° C innerhalb von 24 Stunden Temperatur.
und zu signifikanten Frostschäden führen. 5) Die ausgedehnten ariden Gebiete der USA, die
nicht im Bereich der polar-maritimen pazifischen
Klimagliederung Westwinde oder subtropisch-maritimen Luftmas-
nach Temperatur und Niederschlag sen vom Golf von Mexiko liegen, sind regional
Das Zusammenwirken der genannten Klimafaktoren sehr unterschiedlich und können in zwei große
bewirkt eine zwischen dem Westen und Osten der Zonen eingeteilt werden: den ariden wüstenhaf-
USA deutlich differenzierte klimatische Regionali- ten Südwesten der USA mit trockenen, heißen
sierung: Im Osten sind die Klimaregionen durch die Sommern und milden, sonnigen Wintern, ferner
geographische Breite, die Temperatur und die Dauer in Halbwüsten und Steppen höherer nördlicher
der Wachstumsperioden der Vegetation definiert, Breiten und höher gelegener Regionen. Sie haben
also die Zeit der letzten Frühjahrsfröste bis zum ein- weniger heiße und trockene Sommer als der wüs-
setzenden Frost im Herbst, ferner die sommerliche tenhafte Südwesten und erfahren im Winter
Maximal- und die winterliche Minimaltemperatur. polar-kontinentale Kaltlufteinbrüche.
Regionale Klimaunterschiede im Westen der USA 6) Die humiden, subtropischen Klimaregionen der
werden von der Topographie und den damit verbun- USA werden vor allem im Sommer von subtropi-
denen jährlichen Niederschlagsmengen determiniert schen und tropischen Luftmassen vom Atlantik
(Birdsall & Florin 1992, S. 32). und dem Golf von Mexiko beeinflusst. Im Som-
Die für die USA bis heute gebräuchliche Klima- mer sind fast täglich kurze, heftige Konvektions-
klassifikation von Köppen auf der Grundlage der regen zu erwarten, in der Zeit der Hurricanes
Temperaturen und Niederschläge und des daraus re- auch zumindest Ausläufer dieser tropischen Wir-
sultierenden Vegetationsbestandes zeigt folgende belstürme. Im Winter prägen Ausläufer von Tief-
Temperatur- und Niederschlagsdifferenzierungen: drucksystemen und Kaltfronten mit starken Nie-
Das Temperaturminimum der USA liegt bei – 55 °C derschlägen (selten als Schnee), gefolgt von
in Alaska, das Temperaturmaximum mit 57 °C im Kaltluftvorstößen und Frost, die Region.
Death Valley. In den Great Plains und den intermon- 7) Humide kontinentale Gebiete der USA erstrecken
tanen Becken sind sommerliche Temperaturmaxima sich von der kanadischen Grenze annähernd bis
von 40 – 45 °C die Norm. Mit Ausnahme der pazifi- in den subtropischen Südosten. Wegen der Durch-
schen Küste zeigen alle Wetterstationen der USA dringung von polar-kontinentalen und subtro-
große Jahresamplituden, die durch das Kontinental- pisch-maritimen Luftmassen in den von Westen
klima bedingt werden. Die jährlichen Niederschlags- nach Osten durchziehenden Tiefdrucksystemen
mengen zeigen Maxima an der pazifischen Küste sind sowohl saisonale als auch tägliche Wetter-
Alaskas (> 4000 mm), im pazifischen Nordwesten schwankungen groß.
(> 2000 mm), im nördlichen Mittelwesten (1500 – Zwei Klimagroßregionen können unterschieden wer-
1000 mm) und an der klimatischen Trockengrenze den, von denen die erste nur im äußersten Norden
des 98. bis 100. Längengrades westlicher Breite der kontinentalen USA einen kleinen Anteil hat: Die
(um 500 mm). Subregion der kühlen Sommer am nördlichen
Grenzbereich der Großen Seen und des St.-Law-
Klimaregionen im Überblick rence-Seeweges unterliegt stets, besonders aber im
Die Klimaklassifikation zeigt im Überblick sieben Winter, dem Einfluss polarer Luftströmungen, die
Hauptklimaregionen in den USA (Paterson 1994, klare, kalte Tage und sehr kalte Nächte bringen. Im
S. 27 f.): Sommer erfährt diese Region als Gebiet im Bereich
1) Polares Klima mit kurzen Sommern und Tempe- der Tiefdruckbildung eine schnelle Abfolge warmer,
raturen von maximal 10 °C, Niederschläge von humider, von Gewittern begleiteter Wetterbedingun-
maximal 250 mm sowie Tundrenvegetation cha- gen sowie von kalten, trockenen und klaren Wetter-
rakterisieren den nördlichen Teil Alaskas. verhältnissen. Die Subregion der warmen Sommer
2) Die subarktische Region des borealen Nadelwal- mit hoher Lufttemperatur und -feuchtigkeit und häu-
des mit langen, relativ trockenen Wintern, kur- figen Gewittern steht vor allem im Sommer unter tro-
zen, teils warmen Sommern und mittleren Nieder- pisch-atlantischem Einfluss. Im Winter bringt der
schlägen umfasst den größten Teil von Alaska. ostwärts gerichtete Durchzug von Tiefdrucksystemen
3) Die ausgedehnten pazifischen Küstengebiete, die in den Gebieten des Ohio und des Mississippi eine
generell von milden Temperaturen gekennzeich- typische, sich fast im Wochenabstand wiederholen-
net sind, werden in zwei Klimaregionen einge- de Abfolge von Regen, Schnee, Kaltlufteinbrüchen,
teilt: den Küstenstreifen mit kühlen, trockenen klaren und kalten Tagen (Paterson 1994, S. 30).
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38 Naturraum und natürliche Ressourcen

240 H240
Polare Ökozone
Ökosubzone der Tundra
H240
330
Ökosubzone der Subarktis
H210 210
H330 210 Humid-gemäßigte
H330 210 Ökozone
340 210 Warm-kontinentale Subzone
H260
210 H210
Heiß-kontinentale Subzone
340
330 220
Subtropische Subzone
250
H340 340 Marine Subzone
H340
340 H330
Subzone der Prärie
H340
330 20 Mediterrane Subzone
H2
220
310 H220 Trockene Ökozone
260 Subzone der
H310 H310
H230 Tropisch-Subtropischen Steppe
320 310 310
250 230 Subzone der
Hawaii Tropisch-Subtropischen Wüste
N Subzone der gemäßigten Steppe
H420 Subzone der gemäßigten Wüste
0 1000 km
Humid-tropische
410
H410 Untergliederung Ökozone
120 120 Tundra 320 Tropische/Sub- Subzone der Savannen

Quelle: Thannheiser & Wüthrich, 2000, S. 13.


Puerto Rico tropische Wüste
H120 130 Subarktis Subzone des Regenwalds
120
330 Temperierte Steppe
210 Warm-kontinental
H120 130 340 Temperierte Wüste
130 220 Kontinental

Quelle: R.G. Bailey 1996, S. 84.


Ökosystemzone oder Ökozonen bezeichnen
H130 410 Savanne
230 Subtropisch Großräume der Erde, die sich durch ihr
H130
420 Regenwald eigenständiges Klima, eine charakteristische
120 130 240 Ozeanisch Morphodynamik, typische Bodenbildungsprozesse
250 Prärie H Höhenstufen sowie daran angepasste, charakteristische
H120
H240 der Gebirge Lebensweisen von Pflanzen und Tieren auszeichnen.
120 260 Mediterran
Grenzen:
310 Tropische/Sub- Domäne Tab. 3: Ökosystemzonen und ihre sub-
H120
H120
Alaska tropische Steppe Untergliederung zonale Differenzierung in den USA.

Abb. 36: Zonale Öko- Ökosystemgliederung einzelnen Komponenten von Klima, Vegetation und
systemdifferenzierung Um die Großräume der USA in noch umfassenderer Boden (Bailey 1996, S. 9).
nach Bailey. Weise zu unterteilen, lassen sich integrative, multi-
funktionale Gliederungskonzepte anwenden, die die Ökosystemregionen und Vegetationszonen der USA
Landschaften als ein System interagierender Prozes- Die feiner differenzierten Ökosystemregionen der
se im Bereich des Klimas, des Bodens, der Vegeta- USA sind im Überblick auf Tab. 3 u. Abb. 36 darge-
tion sowie der agraren und forstlichen Nutzungs- stellt. Die vier Hauptkategorien von Ökosystemregio-
formen ansehen. Das Konzept der Ökosystemzonen nen lassen sich unterscheiden in: (1) die polare, (2)
scheidet naturräumliche und ansatzweise auch die humid-temperierte, (3) die trockene und (4) die
kulturräumliche Ordnungsmuster in Landschafts- humid-tropische Ökosystemregion. Abb. 36 zeigt ihre
räumen aus (Bailey 1996; Leser 1997; Schultz feinere Differenzierung, die in den folgenden Ab-
2000a, b; Birot 1970; Czajka 1956; Klijn 1994; schnitten nach Bailey 1996 zusammengefasst wird.
Maull 1954; Lukashova 1988; Müller-Hohenstein Die polare und subpolare Ökozone. Extrembe-
1981; Passarge 1929; Thannheiser & Wüthrich dingungen kennzeichnen die Klimate der polaren
2000). Ökozonen erlauben eine qualitative Darstel- Ökozone sowie die Lebensbedingungen für Flora
lung von Merkmalskomplexen hinsichtlich der Kli- und Fauna. Nur in den Sommermonaten erhöhen
magenese, Bodenbildungsprozesse, Lebensweisen sich in den polaren Ökozonen die extrem niedrigen
von Pflanzen und Tieren sowie naturräumlich-wirt- Minustemperaturen, wobei die jährlichen Tempera-
schaftlicher Ertragsleistungen. Die ökozonale Glie- turschwankungen größer als die täglichen sind
derung berücksichtigt auch die kleinräumige Vielfalt (Abb. 37). Auch wegen der geringen Intensität der
der Standortbedingungen und kategorisiert diese Sonneneinstrahlung und der generell niedrigen Nie-
nach klimazonalen Raumeinheiten und makroklima- derschlagsmenge, die auf die Sommermonate kon-
tisch begründeten Vegetationsdifferenzierungen. Im zentriert ist, ermöglichen diese Gebiete nur bedingt
Vordergrund der funktional-strukturellen Erfassung Vegetationsformen und Tierleben. Innerhalb der po-
stehen das räumliche Zusammentreffen und die laren Ökozone Alaskas lassen sich jedoch zwei deut-
Muster funktionaler Verflechtungen, nicht aber die lich unterschiedliche Subzonen erkennen. Dem Ver-
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Klimadifferenzierung und Ökosystemregionen 39

lauf der 10 °C-Juli-Isotherme folgend, die der pola- menhängen, die beim Zusammentreffen polarer und
ren Baum- und Waldgrenze entspricht, werden die subtropisch-maritimer Luftmassen entstehen. Na-
baumlose Tundra und die subarktische bewaldete delbäume und Laubmischwälder kennzeichnen die-
Taiga unterschieden. Die Tundra der südlichen Ark- ses Übergangsgebiet, dessen Wälder im Herbst be-
tis, die sich in Alaska vom Polarkreis bis ungefähr sonders gut in den Neuengland-Staaten touristisch
75° N erstreckt, erreicht bei Barrow (Alaska) zwi- in Wert gesetzt werden (Indian Summer).
schen 55 und maximal 188 Tagen im Jahr eine mitt- Südlich der warm-kontinentalen Zone und durch
lere Temperatur um den Gefrierpunkt (s. Klima- die 22 °C-Isotherme abgegrenzt schließt sich die
diagramm, Abb. 37). Wegen der jährlichen Nieder- heiß-kontinentale Subzone an, deren frostfreie
schlagsmenge von unter 200 mm und der relativ ge- Wachstumsperiode fünf bis sechs Monate dauert
ringen Verdunstung ist das Klima jedoch humid. und deren Vegetation von hochwachsenden Winter-
Aufgrund der geringen Sommertemperaturen sind hartlaubgewächsen bestimmt wird. Da sich diese
trotz der Feuchtebedingungen nur Grasbewuchs, Zone vom Atlantik bis zum Innern des Kontinents
Flechten und Moose, niedrigwüchsige Vegetationsde- erstreckt und die Niederschläge zum 100. Längen-
cken und Gebüschinseln möglich. Die Bodenverhält- grad hin abnehmen, wird diese Zone in warmgemä-
nisse sind von Dauerfrost geprägt: Permafrostböden, ßigt-kontinentale (Klimadiagramm Iron Mountain,
die mehr als 3 m Mächtigkeit haben, lagern unter Michigan) und warm-kontinentale Unterzonen (Kli-
der obersten Bodenschicht, die durch den Wechsel madiagramm Fort Wayne, Indiana) gegliedert.
von Frost und sommerlichem Auftauen entsteht, je- Die subtropische Zone (Klimadiagramm Atlanta,
doch maximal 10 – 60 cm tief reicht. Nicht nur Bo- Georgia) an der südlichen Atlantikküste und am
denmikrofauna (Urtierchen, Fadenwürmer u. a.), Bo- Golfküstensaum ist von hoher Luftfeuchtigkeit im
denmesofauna (Spinnen, Milben etc.) und größere Sommer und dem Fehlen eines ausgeprägten Win-
Bodentiere (Schnecken, Regenwürmer, Tausendfüß- ters gekennzeichnet. Typisch für diese regenreiche
ler) sind in der Tundra zu finden. Erstaunlich vielfäl- Zone mit heißen Sommern ist die Bewaldung, die in
tig ist auch die größere Tierwelt: saisonal brütende den sandigen Küstengebieten teils aus Pinienwäl-
Vogelarten sowie Polarfüchse, Schneehasen, Lem- dern und landeinwärts aus Laubmischwäldern be-
minge und Wölfe sind für dieses Gebiet typisch. steht. Die maritime Zone (Klimadiagramm Astoria,
Die Ökozone der Subarktis mit der subarktischen Oregon) befindet sich an der pazifischen Westküste
Taiga und dem borealen Nadelwald erstreckt sich in zwischen dem 40. und 60. Grad nördlicher Breite.
Alaska von 50° bis 70° N. Große jahreszeitliche Geprägt von überdurchschnittlich viel Steigungsnie-
Schwankungen mit harschen Wintern und Tempera- derschlag zeigt diese Zone nur eine geringe Tempe-
turen, die nur während fünf Monaten über dem Ge- raturschwankung. Nadelwälder, Zedern und Sequoia-
frierpunkt und nur einen Monat lang über 10 °C lie- Bäume, die zu den ältesten und größten der Welt
gen (s. Klimadiagramm von Ft. Yukon, Alaska), kenn- gehören, sind hier zu finden.
zeichnen diese Ökosubzone. Das Klima ist wegen Die Subzone der Prärie (Klimadiagramm Fargo,
einer jährlichen Niederschlagsmenge von 500 bis North Dakota) erstreckt sich in den mittleren Brei-
1000 mm feucht, doch gelangen die Niederschläge tengraden und weist Kontinentalklima mit Nieder-
nur teilweise in den Bodenwasserhaushalt, da sie schlägen von rund 500 bis 1000 mm auf. Die Prärie-
von der Baumschicht des borealen Nadelwaldes gebiete dehnen sich von Texas bis nach Alberta in
(Tannen, Kiefern, Fichten, Lärchen), von der Moos- Kanada aus; in allen Breitengraden teilen sie die
schicht sowie der Schicht aus der reichlich anfal- gleichen Merkmale: hochwüchsige Präriegräser und
lenden, humusbildenden Nadelstreu zurückgehalten das Fehlen eines Baumbestands, da die Nieder-
werden. Der Winter ist auch in dieser Subzone die schlagsmengen hierfür zu gering sind und die wasser-
vorherrschende Jahreszeit. Der Boden taut selbst im führenden Schichten für Baumwurzeln zu tief liegen.
Sommer nicht mehr als einen halben Meter bis ma- Die mediterrane Subzone (Klimadiagramm Pasa-
ximal 4 m über dem Permafrost auf. Wegen des Per- dena, Kalifornien), die zwischen 30° und 45° Nord
mafrostbodens wird das Bodenwasser oft gestaut, anzutreffen ist, zeigt sowohl Trocken- als auch Re-
die Niederschläge tragen daher zur verbreiteten Bil- genzeiten. Trockene, heiße Sommer und feuchte,
dung von Torfmooren bei. nicht zu kalte Winter kennzeichnen dieses Klima, in
Feuchtgemäßigte Ökozonen nach Bailey (1996) dem besonders gut immergrüne Hartlaubgewächse
sind in den mittleren Breiten der USA (30–60° N) gedeihen.
anzutreffen, die gleichermaßen von tropischen wie Die trockene Zone Amerikas, die aufgrund von Eva-
polaren Luftmassen beeinflusst werden. poration mehr Wasser verliert als sie an Niederschlä-
Die warm-kontinentale Subzone zwischen 40° gen erhält, ist extrem weitläufig: Fast alle Gebiete
und 50° nördlicher Breite erstreckt sich – unter westlich des 100. Längengrands gehören zu der tro-
dem Einfluss von kontinentaler, polarer Luft aus ckenen Zone, in der wiederum zwei Subzonen ausge-
dem Norden und maritimer oder kontinentaler tropi- schieden werden. Es sind die tropische und subtropi-
scher Luftmassen aus dem Süden – vom Innern des sche Steppe und die tropisch-subtropische Wüste.
Kontinents von den Großen Seen bis zur Ostküste. Die Steppe der gemäßigten Breiten (Klimadia-
Es gibt daher starke jahreszeitliche Schwankungen gramm Colorado Springs) und die subtropischen
und ebenfalls charakteristische Wetterabläufe, die Steppen (Klimadiagramm Abilene, Texas) sind eben-
mit dem Durchzug der Tiefdrucksysteme zusam- falls von einem Missverhältnis von Niederschlag und
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40 Naturraum und natürliche Ressourcen

Polare und subpolare Zone Trockene Zone


Tundrenzone Subpolare Zone Gemäßigte Steppenzone Tropisch-Subtropische Steppenzone
Barrow, Alaska (4m) Fort Yukon, Alaska (127m) Colorado Springs, Colo. (1855m) Abilene, Tex. (534 m)
–12,2 ˚C 104 mm – 6,7 ˚C 172 mm 8,7 ˚C 363 mm 18,1 ˚C 622 mm
(°C) (mm) (°C) (mm) (°C) (mm) (°C) (mm)

30 60 30 60 30 60 50 100

40 40 40 40 80
20 20 20

10 20 10 20 10 20 30 60

0
0
0
0
0
0 20 40
J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D

-10 -10 -10 10 20

0
-20 -20 -20 0
J F M A M J J A S O N D

-10

Feuchtgemäßigte Zone Gemäßigte Wüstenzone Tropisch-Subtropische Wüstenzone


Salt Lake City, Utah (1300m) Brawley, Calif. (–36 m)
10,6 ˚C 414 mm 22,0 ˚C 58 mm
Warmgemäßigt-kontinentale Zone Warm-kontinentale Zone (°C) (mm) (°C) (mm)
50 100
Iron Mountain, Mich. (354 m) Fort Wayne, Ind. (244 m) 30 60
5,7 ˚C 59 mm 9,9˚C 869 mm 40 80
(°C) (mm) (°C) (mm) 20 40
50 100 50 100
30 60
10 20

40 80 40 80
0
0 20 40
J F M A M J J A S O N D
30 60 30 60
-10 10 20

20 40 20 40 0
0
-20 J F M A M J J A S O N D

10 20 10 20 -10

0 0
0 0
J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D

-10 -10
Feuchttropische Zone
Subtropische Zone Maritime Zone Savannen-Zone Regenwald-Zone
Atlanta, Ga. (297m) Astoria, Oreg. (70m) Key West. Fla. (3m) Pepeekeo, Hawaii (30m)
16,8 ˚C 1249 mm 10,7 ˚C 1935 mm 25,3˚C 1004 mm 22,8˚C 3251 mm
(mm) (mm)
300 300
(°C) (mm) (°C) (°C) (mm) (°C) 200
200
50 100 50 100 50 100 50 100

40 80 40 80 40 80 40 80

Quelle: Bailey 1996, S. 84/89.


30 60 30 60 30 60 30 60

20 40 20 40 20 40 20 40

10 20 10 20 10 20 10 20

0 0
0
0
0
0 0 0
J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D

Prärie-Zone Mediterrane Zone


Fargo, N. Dak. (273m) Pasadena, Calif. (263m) Verdunstung geprägt, das überwiegend durch eine Kurzgras-Prä-
4,9˚C 476 mm 16,8 ˚C 484 mm
(°C) (mm) (°C) (mm) rievegetation, in einzelnen Bundesstaaten auch durch Salbeibü-
50 100 50 100 sche gekennzeichnet ist, jedoch auch halbwüstenhafte Vegeta-
40 80 40 80
tion bis hin zu bewaldeten Flächen aufweisen kann. Gully-Ero-
sion in den Badlands und geringe Humusauflagen machen an-
30 60 30 60
dere landwirtschaftliche Nutzungen als Beweidung wenig renta-
20 40 20 40 bel. Wüsten der gemäßigten Breiten, insbesondere im Regen-
schatten der Gebirge in den intermontanen Hochebenen, zeich-
10 20 10 20
nen sich durch geringe Niederschläge und starke saisonale
0
J F M A M J J A S O N D
0
0
J F M A M J J A S O N D
0
Temperaturunterschiede, eine halbwüstenhafte Vegetation (Sal-
-10 -10 beibüsche – sagebrush), Dürren und kurze Feuchteperioden
aus.
Die Steppenzone ist ein zwischen den humiden und ariden
Klima- und Ökosystemzonen gelagerter Übergangsraum. Sie
weist niedrig wachsende Gräser und Kraut-, Strauch- (shrubs)
Abb. 37: Klimadiagramme ausgewählter Wetterstationen. und kleinwüchsige Baumvegetation auf. Auf dem Colorado-Pla-
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 41

Naturrisiken und Naturkatastrophen 41

teau, insbesondere dem Kaibab-Plateau stehen aus- Gestein, z. B. bei Schuttkegelbildungen von Insel-
gedehnte Pinienwälder. In Texas geht das Grasland bergen. Die der Trockenheit der Wüste angepasste
dort in Savannenvegetation über, wo das Klima semi- Vegetation umfasst Kakteen, Hartgräser und Xero-
arid-subtropisch wird. Im Süden Kaliforniens sind phyten. Teile der Wüsten haben keine wahrnehmba-
Joshua-Bäume und Salbeisträucher charakteristisch. re Vegetation, andere Areale sind durch Riesenkak-
Wirtschaftlich sind die Grasländer begrenzt als Wei- teen, Creosole-Sträucher, Dorn- und Strauchsavan-
deland zu nutzen, allerdings regenerieren sie sich nenvegetation gekennzeichnet. Ein Charakteristi-
nicht schnell genug bei großen Viehbeständen. kum des Bodens ist seine Neigung zu Versalzung
Ackerbauliche Nutzung ist aufgrund der geringen und das Fehlen von Humus, was jegliche Form von
Niederschläge ohne künstliche Bewässerung nicht Bewässerungslandwirtschaft ausschließt. Dennoch
möglich. sind einige dieser Gebiete aufgrund von Mineral-
Südlich des Gebirgslands von Arizona und New und Erzvorkommen wirtschaftlich interessant oder
Mexico beginnen die suptropischen (Klimadiagram- in der Vergangenheit bedeutend gewesen.
me Salt Lake City und Brawley, Kalifornien) und tro- Humid-tropische Ökozonen sind zweigeteilt: die
pischen Wüsten (Gila-, Sonora-, Mojave-Wüste), die Savannenzone zwischen 10° und 30° N, die in Süd-
von hoher Aridität sowie extremen Luft- und Bo- florida anzutreffen ist (Klimadiagramm Key West)
dentemperaturen geprägt sind. Die thermischen und Wechsel von Regen und Trockenzeiten, hohe
Unterschiede durch direkte Sonneneinstrahlung am Grasvegetation, subtropische und tropische Sträu-
Tag und Abstrahlung bei Nacht wirken sich in einer cher sowie Baumbewuchs aufweist. Die tropische
starken physikalischen Verwitterung aus. Erkennbar Regenwaldzone zwischen dem Äquator und 10° N
ist diese Insolationsverwitterung u. a. an Rissen im ist in den USA auf die Hawaii-Inseln beschränkt
Felsgestein und an plattenförmiger Abspaltung von (Klimadiagramm Pepeekeo, Hawaii).

Naturrisiken und Naturkatastrophen


Die Größe des Landes, sein Anteil an vielen Klima- Infrastruktur aufgebaut, die das Heizen bei Frostge-
zonen, seine Topographie, Flusssysteme und nicht fahr erlaubt. Neben den Frostschäden in der Land-
zuletzt sein geologischer Untergrund bedingen, dass wirtschaft und der Fischerei richten insbesondere
die USA ständig vielfältigen Naturgefahren ausge- die Blizzards Schäden in den Städten und in der
setzt sind. Versorgungsinfrastruktur an. Blizzards mit Geschwin-
digkeiten von bis zu 220 km pro Stunde können die
Kaltlufteinbrüche, Tornados, Hurricanes Stromversorgung weiter Teile von Bundesstaaten
Ein mit der Nord-Süd-Erstreckung der Rocky Moun- oder Städten lahm legen, da das Stromversorgungs-
tains zusammenhängendes Phänomen sind die Kalt- netz in den USA im Allgemeinen aus Kostengrün-
luftvorstöße, die ihren Ausgang in Alaska oder Nord- den oberirdisch geführt wird.
kanada haben. Vor allem während des Winters füh- Tornados, außertropische Wirbelstürme von räum-
ren sie polare Luftmassen entlang der Rückseite des lich begrenzter Reichweite, richten oft Schäden gro-
Felsengebirges bis in die Golfküstenregion und nach ßen Ausmaßes an. Tornados entstehen in der wär-
Florida. Sie sind Teile der Kaltfront-Tiefdrucksys- meren Jahreszeit, meist zwischen Frühjahr und Sep-
teme, die periodisch über den Kontinent ziehen. tember, unter gewissen Bedingungen:
Wegen der fehlenden Ost – West verlaufenden Ge- ■ Entlang von Kaltfronten und unmittelbar davor in
birgsmassen und der enormen Ausmaße des zentra- einer Linie von Gewitterstürmen (squall line) im
len Tieflands der USA können sich diese Kaltluftein- warmen Sektor eines Tiefdrucksystems.
brüche (cold waves) ungehindert über Tausende von ■ Bei extremen Temperatur- und Druckunterschie-
Kilometern in Gebiete ausdehnen, in denen diese den zwischen den warmen und kälteren aufeinan-
Kälteeinbrüche sonst – aufgrund der geographi- der treffenden Luftmassen, die sich nicht nur ho-
schen Entfernung – unbekannt wären. Auf diese rizontal, sondern vor allem vertikal vollziehen, da-
Weise können cold waves aus arktischen Breitengra- durch starke, abwärts gerichtete Winde einleiten
den bis nach Florida, die Golfküstenebene oder den und einen intensiven Wirbel auslösen. Dessen
Golf von Mexiko, also in die geographische Breite große Luftdruckunterschiede und die enorme
von Zentral-Algerien, Ägypten oder Saudi-Arabien Windgeschwindigkeit entfalten die gefürchtete
hineinreichen. Die wirtschaftlichen Schäden können zerstörerische Wirkung.
insbesondere bei spät im Winter einsetzenden cold Wegen der vorherrschenden Windrichtung, in der
waves beträchtlich sein, da zum Ausgang des Win- die Tiefdrucksysteme über die USA ziehen, und
ters ganz im Süden bereits die Wachstumsperiode wegen der Windrichtungen innerhalb dieser außer-
eingesetzt hat. Gerade in Florida sind bei solchen tropischen Zyklone bewegen sich die Gewitterfron-
Ereignissen die Ernten von Sonderkulturen durch ten vor den Kaltfronten mit großer Geschwindigkeit
Absterben der Blüten gefährdet. Um dieser Scha- von Südwesten nach Nordosten, wobei sie beson-
denswirkung der cold waves vorzubeugen, haben die ders schwere Gewitter und vielfach Tornadobedin-
großen Sonderkulturplantagen seit Jahrzehnten eine gungen mit sich bringen. Aufgrund der großen Län-
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 42

42 Naturraum und natürliche Ressourcen

Abb. 38: Typische Bahnen 90° 80° 70° 60° 50° 40° 30° 20° 10° Durchzug von Hurricanes ergeben sich aus der typi-
tropischer Wirbelstürme schen Wetterabfolge: Da der über dem Meer mit
(Hurricanes) im West- großer Geschwindigkeit herannahende Wirbelsturm
atlantik. 50° Flutwellen vor sich herschiebt, verursachen diese an
Küsten und in küstennahen Gebieten schwere Schä-

Quelle: Strahler u. Strahler 1999, S. 167.


den. So brachte der Hurricane Audrey von 1957 an
40° die Küste von Texas bis 50 km landeinwärts eine
drei Meter hohe Flutwelle über einer Breite von
30° 500 km. Während der erste Teil des Hurricane über
eine Region zieht, sind wolkenbruchartige, schwere
Regenfälle die Norm, zieht das Auge über ein Ge-
20°
Kap-Verde-Inseln biet, ist der Himmel wolkenlos und ruhig. Hinter
dem Auge kommt die andere Hälfte des Wirbel-
sturms mit ebenfalls sintflutartigen Regenfällen: Als
Abschluss nach dem Hurricane folgen wegen der
genausdehnung solcher Fronten in einer von Süd- aufgewühlten See noch weitere Flutwellen.
west nach Nordost verlaufenden Linie über mehrere Mit Hilfe der Satellitentechnologie kann man die
tausend Kilometer können unter solchen Wetterbe- Entstehung und Pfade von Hurricanes verfolgen, so-
dingungen Dutzende von Tornados entstehen und dass man mittlerweile in den USA rechtzeitig ganze
mit der Gewitterfront in charakteristischen tornado Küstenzonen evakuieren und Verluste an Menschen-
tracks über den Mittelwesten rasen, wobei sie bei leben reduzieren kann. Die amerikanische Regie-
Bodenberührung (tornado touch down) zwar selten rung verfügt mit dem US Geological Survey (USGS),
Schneisen von mehr als 200 m Breite schlagen, dort insbesondere dem Center for Coastal Geology, zu-
aber eine außerordentliche Zerstörungskraft entfal- sammen mit der NASA und der National Oceanic
ten. Die am 3. und 4. April 1974 entstandenen 148 and Atmospheric Administration (NOAA) über die
Tornados, die in über 10 Bundestaaten des Mittel- nötige Satelliten-Infrastruktur und Forschungsnetz-
westens gewaltige Zerstörungen anrichteten, waren werke, um Grundlagen- und angewandte Forschung
bis dahin die schwersten des Jahrhunderts, die in sowie Vorhersagen zum Schutz der Bevölkerung zu
einer Zeitspanne von nur 24 Stunden 315 Men- betreiben (USGS, Center for Coastal Geology 2003).
schenleben und 6142 Verletzte forderten, ganze
Stadtteile verwüsteten und 25 790 Familien Schä- Hochwasser und Überschwemmungen
den zufügten (Arnfield 1976, S. 161–169). Hochwasser und Überschwemmungen können jede
Hurricanes sind tropische Wirbelstürme, von Region der gesamten Vereinigten Staaten, auch die
denen die US-amerikanischen Küstengebiete perio- ariden Gebiete westlich des 100. Längengrads heim-
disch betroffen werden. Diese Wirbelstürme haben suchen. Schneeschmelze oder Frühjahrsniederschlä-
üblicherweise einen Durchmesser von mehr als ge führen im gesamten Einzugsgebiet des Mississip-
500 km, eine Bahnlänge von mehreren tausend Ki- pi zu saisonalen Hochwässern. Um diese Gefahren
lometern auf bekannten hurricane tracks (Abb. 38) zu minimieren, setzte die Bundesregierung 1933
und eine Aufbauphase von etwa 9 Tagen bis zum ein regionalpolitisches Krisenmanagement ein, das
größten Impakt. Mit ihren Windgeschwindigkeiten, die Tennessee Valley Authority (TVA) und die Regio-
Regenfällen und den begleitenden Flutwellen rich- nal Commissions schuf, welche mit dem Bau von
ten sie massive Schäden an. So hat Hurricane Fre- Staudämmen und anderen Infrastrukturmaßnahmen
derick von 1978, der massivste Zerstörungen in der die Hochwassergefahr eindämmte.
Karibik anrichtete, noch in der Phase seiner Auflö-
sung einige tausend Kilometer nördlich im Stadtge- Dürre, Erosion
biet von Washington, D.C. starke Bäume entwurzelt. Trockenheit und Dürren sind normale und regelmä-
Diese tropischen Tiefdrucksysteme mit Zugge- ßig wiederkehrende, klimatische Ereignisse in den
schwindigkeiten von rund 60 km und Windgeschwin- USA, die in fast allen Klimazonen auftreten, deren
digkeiten von 120 bis 240 km/h entwickeln sich Charakteristika jedoch regional variieren. Dürren als
zwischen dem 5. und dem 20. Breitengrad über temporäre Wetteranomalie treten auch außerhalb
dem Atlantik und der Karibik, wenn die Temperatu- der ariden Gebiete auf, in denen permanent niedri-
ren über 27 °C liegen. Dies ist besonders zwischen ge Niederschläge ein Kennzeichen sind. Dürren sind
Juni und September der Fall. Von ihrem Ausgangs- jedoch nicht nur oder überwiegend ein Naturereig-
punkt ziehen sie in breiten Pfaden (hurricane tracks) nis, sondern spiegeln eine Beziehung zwischen
in östlicher Richtung auf die Karibik und den Golf einem Naturphänomen und dem Wasserverbrauch
von Mexico zu, um dann in den mittleren Breiten der Menschen wider (National Drought Mitigation
unter Einfluss der atmosphärischen Zirkulation nach Center 2003). Dürren werden regelmäßig in einer
Norden oder Nordwesten gelenkt zu werden (s. Zusammenarbeit zwischen dem US Department of
Abb. 38). Die Höhenausdehnung der Hurricanes Agriculture, der National Oceanic and Atmospheric
kann 10 bis 15 km betragen, das windstille Zentrum Administration, dem National Climatic Data Center
des Wirbels („Auge“) erstreckt sich meist über mehr und dem National Drought Mitigation Center erfasst
als 30 km im Durchmesser. Die Verwüstungen beim und täglich für alle Regionen dokumentiert (National
02 LdK USA 30.05.2005 21:44 Uhr Seite 43

Naturrisiken und Naturkatastrophen 43

Abb. 39: Das Erdbeben-


10
risiko in den 48 zusam-
menhängenden Staaten
50° 5 5
der USA und im südlichen
30 Kanada.
10
20
30
20
30 20
30
20
10 20 10
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40
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40° 5
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5 10
40 10 20 5 5

40 20 10
5
TT
T
TT TT
TT

40
TT
TT TT
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TT TT

10 5
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5
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TT

10 20
TT
TT
TT
Quelle: Strahler u. Strahler 1999, S. 324.

TT TT
TT
TT
TT TT T
TT

5
TT
T T

T
T
T

T
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T

T
T TT
TT TT
TT TT
TT TT

40
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT
TT 10 10
TT TT
TT TT
TT TT
TT TT

30°
T
TT TT
TT TT
TT
TT
TT

10 10
5

0 1000 km

120° 110° 100° 90° 80° 70° 60°

Aeronautic and Atmospheric Administration – NOAA bacher 1992) (Abb. 39). Im Westen gibt es wegen
Drought Information Center 2003; US Drought Moni- der tektonischen Aktivität große Verwerfungssyste-
tor 2003). me mit Hunderten von größeren und kleineren
Die Auswirkungen von Dürren sind für die Land- Bruchlinien wie beispielsweise der San-Andreas-Ver-
wirtschaft und selbst die heutigen Stadtlandschaf- werfung. Die größten Beben werden in den tekto-
ten katastrophal: In den 1930er Jahren waren die nisch aktiven Küstengebirgen Kaliforniens und Alas-
Farmen der Dust Bowl – insgesamt 50 Mio. acres kas und der Puget-Willamette-Senke registriert. Al-
(1 acre = 0,405 ha) Farmland – besonders betrof- lein in Nordkalifornien wurden beispielsweise zwi-
fen, 1988 wurden 35 Bundesstaaten von der Dürre schen dem 25. Juni und dem 1. Juli 2003 genau
schwer heimgesucht. Dabei hatte es in einigen Ge- 258 Erdbeben registriert, im Raum Kalifornien-Ne-
bieten seit fünf Jahren keinen Niederschlag mehr vada 279 Beben mit einer Stärke auf der Richter-
gegeben. In diesem Jahr lagen die Niederschläge skala von unter 3,0 sowie drei „große“ Erdbeben
bis zu 85 % unter dem Normwert. Über 4 Mio. acres mit einer Stärke von rund 3 auf der Richterskala,
fielen Feuern anheim, allein die Hälfte des Yellow- ferner in den Gebieten Alaska, Washington, Oregon,
stone-Nationalparks mit über 2 Mio. acres verbrann- Kalifornien, Nevada, Utah, Kentucky, Hawaii und
te. Es wird berichtet, dass der Gouverneur von Ala- Puerto Rico 350 Erdbeben (US Geological Survey –
bama, Guy Hunt, während dieser größten Dürre seit USGS Earthquake Hazards Program – Northern Cali-
fünfzig Jahren im gesamten Staat einen Gebets- fornia 2003). Wegen der unterschiedlichen Rich-
appell um Regen initiierte, der – Zufall oder nicht – tungen, in die Teile der amerikanischen Platte drif-
am folgenden Tag in Form wochenlanger Gewitter- ten, werden auch in den Bundesstaaten des Mittel-
stürme einsetzte (National Aeronatic and Atmo- westens Erdbeben registriert, z. B. in Ohio, den Ap-
spheric Administration – NOAA Drought Information palachen und dem gesamten Mississippi-Einzugsge-
Center 2003). Im Allgemeinen aber wird auf Staa- biet. Die amerikanische Bundesregierung unterhält
tenebene fundiert für Dürreereignisse vorausgeplant mit dem USGS-Earthquake Hazard Program, dem
(Drought Mitigation Center, Lincoln 2003; Planning National Earthquake Information Center sowie dem
for Drought). West Coast and Alaska Tsunami Warning Center ein
überregionales Frühwarn- und Monitoring-System,
Erdbebenrisiko dem die großen Universitäten sowie Erdbeben- und
Bedingt durch anhaltende Krustenbewegungen am Tsunami-Forschungszentren angeschlossen sind
aktiven Kontinentalrand mit Auffaltung sowie Sub- (Advanced National Seismic System – ANSS). Für
duktion im Westen und passiver Kontinentalrandbe- viele Bundesstaaten und alle Großregionen der USA
wegungen im Osten, wo sich Becken als Teil der gibt es weitere Forschungs- und Beobachtungsein-
amerikanischen Platte mit unterschiedlichen Bewe- richtungen im US Seismic Network, das alle Beben
gungsraten nach Westen verschieben, gibt es ein sehr genau verfolgt und im Internet mit Karten und
hohes Gefährdungspotenzial durch Erdbeben (Eis- anderen relevanten Informationen präsentiert.
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 44

44

Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung,


Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Abb. 40: Indianische Far-


men am Grund eines Überblick
Canyons, Arizona (Foto: ■ Die Erschließungsgeschichte Amerikas zeigt eine Tradition zielorientierter Ressourcenausnutzung und
Alex S. MacLean).
dezidiert verfolgter Wirtschaftsinteressen, die sich von der Kolonialzeit bis in die heutige Zeit glei-
chermaßen verfolgen lässt.
■ Vorkoloniale Kulturregionen wurden nicht nur durch eingeschleppte Krankheiten dezimiert, sondern
nachdem der enorme Ressourcenreichtum des Landes erkannt war, schon in vorkolonialer Zeit sys-
tematisch von ihrem Land vertrieben. Mythen von den „Wilden“ und „Heiden“ wurden insbesondere
von Kirchengemeinden benutzt, um ihr „Neues Eden“ in der Wildnis zu gründen und die Ressourcen
intensiver und profitabler in Wert zu setzen.
■ Phasen der Kolonialisierung unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihres Langzeiteffekts auf die
amerikanische Kulturlandschaft. Während die spanisch-mexikanische Vergangenheit ihre Spuren in
materiellen Artefakten der Kulturlandschaft hinterlassen hat, blieb der französische Einfluss in den
riesigen französischen Territorien aufgrund der Nutzungspolitik gering. Die englische Kolonialzeit hin-
gegen legte den Grundstein für die bis in die Gegenwart von Werten und Normen der White Anglo-
Saxon Protestants (WASP) dominierten Gesellschaft.
■ Die Unabhängigkeit Amerikas setzte eine fast dreihundertjährige koloniale Tradition fort und baute
darauf eine eigenständige amerikanische Kulturentwicklung auf, die wichtige Normen für die heutige
Gesellschaft und das Gemeinwesen verankerte.
■ Normativ für das Gemeinwesen wurden eine Politik der Kooperation mit dem privaten Unternehmer-
tum, der Glaube an einen Sonderstatus und „amerikanische Interessen“.
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 45

Vorkoloniale Kulturregionen 45

Vorkoloniale Kulturregionen
Die Geschichte Amerikas beginnt nicht mit den Eu-
ropäern – viele indigene Völker existierten lange
bevor der Wikinger Leif Erikson um das Jahr 1000
nach Nordamerika kam oder der Kontinent von
Christoph Kolumbus (1492) entdeckt wurde. India-
nische Völker migrierten während der letzten Eiszeit
zwischen 40 000 und 20 000 Jahren v. Chr. nach
Alaska und weiter nach Süden, als es eine Landver-
bindung zwischen Asien und Amerika über die Be-
ringstraße und die Aleuten gab. Die indigenen indi-
anischen Völker bildeten verschiedene Kulturregio-
nen der USA und gehörten einer großen Vielfalt von
Sprachfamilien an; ihre Gesellschaftsordnungen
waren ebenso vielfältig. Im Territorium der heutigen
USA allein lebten um 1492 rund fünf bis sieben
Millionen Indianer. Infolge der von den Europäern
eingeschleppten Infektionskrankheiten und Seu-
chen wurde die indianische Bevölkerung jedoch auf
zwischen 10 % und 25 % ihres ursprünglichen Be-
völkerungsbestandes dezimiert (Crosby 1972; Cum-
ming, Skelton & Quinn 1971).
Archäologische Artefakte wie z. B. Felsen- und Py-
ramidenbauten geben zu Spekulationen Anlass, wo-
nach indianische Völker auf dem amerikanischen
Kontinent in geschichtlicher Zeit früh mit Einflüs-
sen aus Hochkulturen in Asien oder sogar des Vor-
deren Orients in Berührung gekommen sein könn-
ten. Die Anasazi- und Sinaguabauten aus dem 7.
Jahrhundert im heutigen New Mexico haben Pen-
dants in der Türkei oder in Ländern des Nahen Os-
tens, ebenso wie sich zu den Stufenpyramiden Zen-
tralamerikas Gegenstücke im Alten Orient und in
Zentralasien finden. Puebloähnliche Architektur
(Abb. 41– 43) zum Schutz gegen Klima- und Witte-
rungseinflüsse gibt es auch in ariden Klimaten
außerhalb der USA.
Während die altamerikanischen Hochkulturen
Zentral- und Südamerikas jedoch auch nach ihrem bestickten Bekleidung, der Lederverarbeitung, We- Abb. 41: Montezuma’s
Untergang als Weltkulturerbe gewürdigt werden, ge- berei sowie der Holz- und Steinschnitzerei ent- Castle: prähistorische
hören indianische Kulturen Nordamerikas zu den wickelt. Als kulturelle Manifestationen, die der mo- Felswohnungen der Sin-
agua-Indianer, Beaver
vergessenen Hinterlassenschaften: Mit Ausnahme bilen Lebensweise entsprachen, ließen diese jedoch
Creek, Arizona.
der Pueblo-Indianer des ariden Südwestens ließen in einem Europa mit über dreitausendjähriger Archi-
sie keine Städte und Monumente zurück. Die India- tekturgeschichte zur Zeit ihrer Entdeckung wenig
ner des westlichen Nordamerika waren überwiegend Respekt entstehen.
Küstenfischer, im zentralen Tiefland Jäger und Unterschiedliche indianische Regionalkulturen
Sammler und im Osten Ackerbauern. Viele indiani- entwickelten sich in Abhängigkeit vom Naturraum-
sche Völker lebten teilnomadisch und betrieben so- potenzial, so z. B. im Nordosten und Südosten die
wohl Acker- als auch Wanderfeldbau, wobei Frauen „Maiskulturen“, in denen die Menschen überwiegend
für den Ackerbau zuständig waren und Männer als mit Mais als Grundnahrung, aber auch mit Fisch-
Sammler und Jäger die Existenz sicherten (Mauk & fang, Ackerbau oder als Sammler ihre Existenz be-
Oakland 1997, S. 28 – 34). Da nomadische oder teil- stritten (z. B. Irokesen, Delaware, Cherokee, Semi-
nomadische Völker keine Monumente oder materiel- nole). Aufgrund der gesicherten Grundversorgung
len Artefakte ihrer Kultur hinterlassen, fanden ihre verzeichneten sie eine relativ starke und dichte Be-
kulturellen Leistungen schwer die Aufmerksamkeit völkerung. In den Prärien des Zentralen Tieflandes
einer Mit- und Nachwelt, die architektonischen Kul- waren die indianischen „Prärie-Indianer“ oder „Bison-
turformen einen hohen Stellenwert einräumte. So Kulturen“ (Blackfoot, Crow, Sioux, Cheyenne) zu fin-
wie bei Afrikas mobilen Völkern nicht die Baukunst, den, die vom Ackerbau entlang der Flüsse, aber
sondern die Maskenkunst eine hohe Blüte erreichte, auch vom Sammeln und der jährlichen Bisonjagd
die selbst europäische Expressionisten beeinflusste, lebten. Eine effizientere Bisonjagd wurde mit den
so hatten indianische Völker die Kunst der perlen- um 1700 eingeführten Pferden aus Europa möglich,
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 46

46 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Abb. 42: Pueblo auf einer


Mesa (Foto: Alex S.
MacLean).

teme, die Sesshaftigkeit und hochentwickelte Sozi-


alsysteme in befestigten Gemeinschaftssiedlungen
(Pueblos) erlaubten. Neben den Pueblobauten entwi-
ckelten die Hopi, Zuni, Acoma und die später zu-
wandernden Navajo und Apache die Kunst der Töp-
ferei, die auf Schafzucht basierende Weberei und
unter spanischem Einfluss die Herstellung von Sil-
berschmuck (Mauk & Oakland 1997, S. 30, 32).
Die in den intermontanen Becken auf dem Colora-
do-Plateau und in Südkalifornien unter Extrem-
bedingungen lebenden indianischen Sammler und
Jäger gehörten zu den ärmsten Gruppen, die hoch-
mobil und ohne eigene Territorien waren und sich
vielleicht deswegen durch demokratische politische
Tradition und eine nicht kriegerische, „bürgerliche“
Lebensweise auszeichneten. An der amerikanischen
Westküste erlaubte der große Fisch- und Wildreich-
tum den indianischen Völkern eine sesshafte Le-
bensweise in politisch und kulturell eigenständigen
Gemeinden, die nicht auf Ackerbau angewiesen
waren. Die indianischen Völker des waldreichen pa-
zifischen Nordwestens, die vom Lachsfang lebten,
schufen auch rituelle Holzschnitzereien. Die Inuit
des Nordens lebten überwiegend sesshaft, betrieben
Abb. 43: Adobehäuser im was einen starken Bevölkerungszuwachs begünstig- jedoch aufgrund ihrer effizienten Transportmöglich-
Pueblo (Foto: Alex S. te (Mauk & Oakland 1997, S. 28 – 34). Erst in die- keiten mit Hundeschlitten im Winter oder Kajaks im
MacLean). ser Zeit wurden einige Ackerbau treibende indiani- Sommer über sehr weite Strecken Jagd (Mauk &
sche Völker zu jenen nomadischen, ganzjährig Büf- Oakland 1997, S. 32 – 34).
fel jagenden Kulturen, die man mit der von Holly-
woodfilmen geprägten Vorstellung von Indianern ver- Mythen über vorkoloniale indianische Kulturen
bindet. Für die Erschließung Amerikas war es bedeutend,
Im ariden Südwesten entstand eine große Vielfalt dass sesshafte wie auch teil- oder hochmobile indi-
von indianischen Kulturen, die sowohl aus Acker- anische Gruppen keinen individuellen, sondern nur
bauern als auch aus Sammlern und Jägern bestan- kollektiven Landbesitz kannten. Dennoch hatten sie
den. Im Ackerbau konstruierten sie zwischen 1000 von dem zur Existenz als Ackerbauern oder Nomaden
und 1500 n. Chr. ausgeklügelte Bewässerungssys- notwendigen Lebensraum, ihren Familiengärten so-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 47

Vorkoloniale Kulturregionen 47

wie kollektiven Jagdgründen eine klare Vorstellung. zung in Nordamerika ab 1502, verstärkt jedoch ab
Nach dem ersten Vordringen der Europäer (Corbett 1607 begann, war der Humanismus mit seinem Bil-
1953; Hoffmann 1961; Morrison 1971a, b; Jones dungsideal bereits in allen bedeutenden Ländern Eu-
1979; Quinn 1977; Sauer 1971) verfestigte sich je- ropas fest verankert. Wenn das antike Gedankengut
doch die Meinung darüber, dass die Indianer dem zur Würde des Menschen zwar in Europa selbst, aber
Landbesitz keinerlei Wert beimaßen, dass sie viel- in der Neuen Welt durch die Europäer nicht zur An-
mehr „Wilde“ und Kulturlose waren. Diese Mythen wendung kam, darf man dies dem Gewicht anderer
entstanden vor allem aus drei Gründen: Interessen zuschreiben, so z. B. dem Merkantilismus
■ Heterogenität der Indianerkulturen. Die Indianer- im 17. Jahrhundert. Dieser strebte einen großen ein-
stämme entlang der atlantischen Küste waren heitlichen Wirtschaftsraum, die Förderung des Au-
sehr divers. Lebens- und Bewirtschaftungsweisen ßenhandels sowie die Erhöhung der Staatseinkünfte
selbst der sesshaften Indianer wirkten auf die durch Geld oder Edelmetalle aus dem Ausland an.
englischen Siedler, von denen viele aus dem länd- Der hochstilisierte Mythos von den „wilden“ Indi-
lichen Raum Englands mit seinen steinumzäun- anern, denen an sesshafter Lebensweise und Agrar-
ten Feldern kamen, ineffizient. Das von den Indi- wirtschaft nach europäischem Muster nichts gele-
anern anders bewirtschaftete Land glaubte man gen war, erwies sich demnach als dienlich in der
einer intensiveren Nutzung als durch sammelnde Vertreibung der Indianer von „suboptimal“ genutz-
Jäger und Wanderbauern zuführen zu müssen. tem Land, das die Europäer intensiver und profitab-
■ Das vermeintliche „Heidentum“ verstärkte bei ler in Wert zu setzen gedachten. Hinzu kam, dass
den kolonialen Mächten, vor allem den reformier- die Europäer den enormen Ressourcenreichtum des
ten englischen Kirchengemeinden, nicht den neuen Landes früh erkannten und um jeden Preis
Wunsch zu missionieren, sondern den missionari- zu nutzen gedachten, auch unter Verdrängung und
schen Eifer, die amerikanische Wildnis – das Vernichtung der bereits ansässigen indigenen Bevöl-
„Neue Eden“ – auch um den Preis der Missach- kerung. Die eingeschleppten Infektionskrankheiten
tung und Zerstörung von vorhandenen Kulturen in und Seuchen, die vor Kolumbus unbekannt gewesen
eine blühende „christliche Gartenlandschaft“ ver- waren (Masern, Windpocken, Malaria, Gelbfieber,
wandeln zu wollen (Mitchell 1990, S. 97 – 100). Typhus oder Dysenterie) und der dadurch eingeleite-
■ Kommerzielle Interessen. Die europäischen Rei- te massive Bevölkerungsrückgang unter den ver-
senden, Entdecker und Eroberer kamen mit Auf- streut lebenden Indianern leisteten der schnellen
tragsexpeditionen, die von ihren Regierungen groß- Eroberung oder Besiedlung durch die Europäer Vor-
zügig finanziert worden waren und einen kommer- schub (De Vorsey 1990, S. 29 f.).
ziellen Erfolg einbringen mussten. Neue Territo-
rien zu entdecken, zu bewerten und im Hinblick Phasen der Kolonialisierung
auf ihre Inwertsetzung zu erfassen, waren die Auf- und wichtigste europäische Einflüsse
träge, die den Expeditionen von Christoph Kolum- Mit dem Vordringen der Europäer in die Neue Welt
bus 1492, John Cabot 1497, Juan Ponce de León und mit der Kolonialzeit beginnt die eigentliche
1513, Giovanni Da Verrazano 1523 und Jacques amerikanische Geschichte, die auch eine Geschich-
Cartier 1534/1535 zugrunde lagen. Diese Prio- te unterschiedlicher, kulturell geprägter Wirtschafts-
rität der frühen transatlantischen Entdeckungsrei- interessen ist. Drei wichtige Einflüsse und Phasen
sen ließ nach der Entdeckung neuer Territorien kennzeichnen die Kolonialisierung Amerikas, die
keinen Platz für Interesse, Zeit oder Handlungs- um 1500 begann und 1776 zu Ende ging. Bedeu-
spielräume, um sich mit der behutsamen Erfor- tend sind die spanische, die englische und die fran-
schung der Kulturenvielfalt sowie ihrer nichtmate- zösische Phase für die Erschließung des Landes, die
riellen Erscheinungsformen zu befassen. Kulturlandschaftsentwicklung und die Herausbil-
Die rasch entstehenden Mythen über die „Wilden“ dung des eigenständigen amerikanischen Paradig-
waren den wirtschaftlichen Prioritäten außerordent- mas. Wichtig wurden diese Perioden, weil sie ihre
lich dienlich. Man kann davon ausgehen, dass nicht unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen jeweils auf
Ignoranz, sondern eine wirtschaftliche Zielorientie- eine andere Art durchsetzten, was anhaltende Fol-
rung diese Mythen schuf und zu vertiefen half. Man gen für die gesamte Entwicklungsgeschichte hatte:
bedenke, dass zur gleichen Zeit, als Europäer den Während die Spanier und Franzosen den nordameri-
nordamerikanischen Kontinent betraten und indige- kanischen Kontinent als Rohstoffressource betrach-
ne Völker in ihrer kulturellen Eigenart nicht wahr- teten, deren Reichtum nach Europa überführt wer-
nahmen, der Humanismus in Europa schon seine den sollte, kamen die Engländer in der Absicht, den
Blüte erlebt hatte. Dieser hatte die Würde des Men- Kontinent zu besiedeln und seine Ressourcen in
schen, die Bedeutung der Einzelpersönlichkeit und situ in Wert zu setzen. Kurz-, mittel- und langfristi-
die volle Entfaltung seiner Fähigkeiten als geistige ges Abschöpfen der Reichtümer an Erzen und mine-
Haltung und Bestrebung, die auf Humanität ausge- ralischen Rohstoffen seitens der Spanier und der
richtet war, bereits in der Literatur und im 15. Jahr- Pelzhandel der Franzosen standen den langfristigen
hundert auch über kirchliche und weltliche Macht- englischen Interessen des Besiedelns, der Urbarma-
eliten (so z. B. bei den Reformkonzilien von Kons- chung und der Inwertsetzung einer Landreserve kon-
tanz 1414 – 18 und Basel 1431 – 49) und neue Uni- tinentalen Ausmaßes, einschließlich der anhalten-
versitäten wohl etabliert. Als die koloniale Inwertset- den Nutzung all seiner Reichtümer, diametral ent-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 48

48 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

gegen. In der Orientierung und der Durchsetzung New Mexico. Um 1529 begannen spanische Ex-
ihrer Wirtschaftsinteressen blieb langfristig die eng- peditionen, an der nördlichen Grenze Mexikos Res-
lische Strategie jene, die sich gegenüber den ande- sourcen zu erkunden. Im Bereich von Santa Fé, San
ren kolonialen Kräften erfolgreich behaupten konn- Gabriel, Taos und Cibola wurden eine Reihe von Mi-
te. Unbedeutend geblieben waren die frühen euro- litärposten und Forts gegründet. Das Gebiet erwies
päischen wikingischen Siedler um das Jahr 1000 sich zwar zunächst als ressourcenarm, die Möglich-
und die Vorstöße der Holländer und Schweden im keit, Gold und Silber zu finden, war jedoch nicht
17. Jahrhundert, die keine erkennbaren Initiativen gänzlich ausgeschlossen. Da sich wegen der Acker-
einleiteten, sich dauerhaft auf dem Kontinent bau treibenden, sesshaften Pueblo-Indianer auch
niederzulassen. eine leichte Kolonisierungsmöglichkeit abzeichnete,
wurde zunächst ein Unternehmer 1598 von der spa-
Spanische und spanisch-mexikanische nischen Regierung mit der Privatkolonisation des
Kolonialzeit (1492 – 1848) Gebiets vom heutigen New Mexico beauftragt (Nor-
Nachdem das von Kolumbus 1492 entdeckte Ge- strand 1990, S. 52), das Gebiet jedoch 1610 von
biet als Teil eines großen neuen Kontinents erkannt Spanien zurückgenommen. Mit der Gründung von
war, bot das spanische Königshaus seine gesamte Santa Fé begannen eine rege Missionstätigkeit und
unternehmerische und infrastrukturelle Kraft auf, intensiver Mais- und Baumwollanbau mit indiani-
dieses Gebiet zu erschließen und zu besiedeln. schen Zwangsarbeitern.
Schon um 1542 drangen spanisch-mexikanische Texas. Nach 1690 drangen die Spanier nach
Entdecker ins Gebiet des heutigen Kansas, also weit Texas vor, wo sie bis 1714 eine Reihe von Missions-
ins Landesinnere vor, lange bevor die Engländer stationen errichteten; die bedeutendsten unter ihnen
1607 die Küstenstadt Jamestown im heutigen Virgi- waren Nacogdoches (1716), Los Alamos (1718), La
nia gründeten. Bahía (1722) und San Antonio (1749). Mit Santa
Institutionen und Gouverneursverwaltungen wur- Fé, San Augustine und San Antonio hatten die Spa-
den ab 1502 allerdings nur in Neuspanien – dem nier ihre wichtigsten Stützpunkte im südlichen Teil
heutigen Mexiko – systematisch aufgebaut. Zwangs- Amerikas etabliert (Norstrand 1990, S. 54 f.).
arbeit der unterworfenen Bevölkerung trug zum ra- Kalifornien. Ab 1769 gründeten die Spanier 20
schen Wohlstand der Kolonialmacht bei. Schon um Missionsstationen in Kalifornien, darunter San Diego
1512 lebten über zehntausend Europäer in der Ko- (1769), Monterrey (1770), San José (1777), Los
lonie; die erste überseeische Erzdiözese hatte sich Angeles (1781), Santa Cruz (1782), Santa Barbara
im Neuen Amerika etabliert. Der Vertrag von Sevilla (1782) und San Francisco (1776) (Norstrand, 1990,
von 1503, der den Welthandel auf dem Atlantik re- S. 55 f.; Homberger 1996, S. 38). In Kalifornien
gelte, machte diese Kolonie zur wirtschaftlich be- waren die spanischen Bemühungen von starken öko-
deutenden westlichen „Grenze“ Europas (Meinig nomischen Nutzungsinteressen getragen. Die Über-
1986, S. 8 f.). tragung der europäischen Sonderkulturen Wein,
Eroberung, Besiedlung und aufwendige Verwal- Obst, Gemüse, Oliven und die Viehzucht wurden der
tungsregimes waren Kennzeichen des spanischen Grundstein für die bis heute bedeutenden Wirt-
Ansatzes, mit den neuen, bis in die südlichen Ge- schaftszweige.
biete Nordamerikas hineinreichenden Territorien Die spanische Besiedlung hatte in Amerika insge-
umzugehen. Im Norden Mexikos und in Südwestka- samt keinen so nachhaltigen Effekt wie die britische
lifornien suchte die spanische Kolonialmacht Silber Kolonisation. Das spanische Vorgehen war während
und andere Edelmetalle. In Gebieten mit Rohstoff- seiner 200 Jahre nicht auf langfristige, friedliche
vorkommen wurde die indianische Bevölkerung Besiedlung des kolonisierten Gebietes von New Me-
rücksichtslos unterworfen (Spicer 1962). Befestigte xico angelegt, sondern auf Besiedlung zum Zwecke
Militärposten und ausgedehnte Transportrouten wur- der Ausbeutung, wobei Indianer in die Zwangsarbeit
den angelegt, und es erfolgte die Ansiedlung von in- verschleppt wurden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts,
dianischen Zwangsarbeitern aus anderen Gebieten, als US-amerikanische Interessen bereits eindeutig
die sowohl in den Minen als auch im Ackerbau ar- auf Expansion und Erwerb der Territorien bis zum Pa-
beiteten. zifik ausgerichtet waren, wurde die aufgrund ver-
Die spanische Kolonisation in Amerika begann an fehlter Ausbeutungspolitik schwach etablierte Posi-
den vier Eintrittspforten Florida, New Mexico, Texas tion Spaniens/Mexikos zusätzlich von den Wirt-
und Kalifornien. schaftsinteressen der USA unterhöhlt. So wurde
Florida. Die seit 1520 regelmäßig befahrene Küs- 1845 Texas annektiert, und der Krieg zwischen den
te von Florida, von der aus spanische Schiffe mit USA und Mexiko erzwang eine neue Grenzziehung.
Silber beladen nach Europa fuhren, wurde Aus- Die USA, die zu der Zeit bereits ihrer Politik und
gangspunkt für die Erstbesiedlung um 1565, die dem Mythos von ihrem vermeintlich „von der Vorse-
sich jedoch aufgrund der Ressourcenarmut und hung bestimmten Schicksal“ nachgingen (Manifest
kriegerischer Auseinandersetzungen mit Indianern, Destiny), übernahmen die spanisch-mexikanischen
des ungesunden Klimas in Teilen Floridas und der Teile Amerikas und vollendeten ihre Gebietsinteres-
Tatsache, dass die rund 4000 spanischen Siedler sen auf dem Kontinent 1853 mit dem Gadsen-
keine kritische Masse bildeten, nicht rentierte (Hom- Kauf, der eine südliche Umgehung der Rocky
berger 1996, S. 38; Norstrand 1990, S. 51). Mountains durch die Gila-Wüste und damit eine
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 49

Vorkoloniale Kulturregionen 49

südliche Trasse der Transkontinentalbahn ermög-


lichte.
Die spanisch-mexikanische Vergangenheit hat Labradorsee
dauerhafte Spuren in der Kulturlandschaft hinter-
lassen: Die Namen sämtlicher wichtiger Städte und
Ortschaften, die Stadtgrundrisse, ferner der Stil der Hudson Bay
vorherrschenden Architektur – insgesamt eine klar Fisch-
erkennbare, spanisch-mexikanisch orientierte Kul- export
nach
turlandschaft – sind die noch gegenwärtig sichtba- Frankreich
ren materiellen Artefakte jener Zeit.
Importe aus Pelzexport n
ac h Fran
Frankreich kreich
Die französische Kolonialzeit
Louisburg
in Nordamerika (1502 – 1763)
Die französische Einflussnahme auf dem nordameri- Fisch- Importe
export aus

A
Quebec
kanischen Kontinent (Trudel 1973) begann um Ft.Kaministi- Trois-Rivières nach Frankreich
quia
1500 und endete mit dem Siebenjährigen Krieg in Frankreich

D
See Montreal
r
Europa (1756 – 1763), bei dem Frankreich auch e re
Ob A
einen Großteil seiner amerikanischen Überseegebie- Huronsee Importe aus
Ft. De La MichilimakinaeN Neu-England

e
Michig ansee
Baie-Des-
te an England abtreten musste. Während der über

se
Puants A ari
o
K O nt
zweihundertfünfzigjährigen französischen Kolonial-
Detroit ee
zeit in Nordamerika, als ein ressourcenreiches Terri- ie
s
Er Atlantischer Ozean
torium von mehr als der Hälfte der Größe der USA
in französischem Besitz war, hatte Frankreich weder
NTRY
anhaltende Besiedlung noch zielorientierte Ausbeu- IS COU Vincennes
LINO
tung von Bodenschätzen betrieben oder deswegen IL
Kaskaskia
Eroberungskriege geführt. Zwar waren die französi-
schen Wirtschaftsinteressen nicht gering, doch be-
LOUISIANA
schränkten sie sich auf Fischfang und Pelzhandel,
Missis sippi

was mit einer hohen Gewinnmarge in Europa und Ft. Arkansas


Quelle: nach Harris 1998, S. 87.

geringem Siedlungsaufwand in der Neuen Welt zu


bewältigen war. Trotz der Größe der französischen Ft. Natchez
Kolonien, welche diejenige aller anderen Kolonial-
gebiete auf dem nordamerikanischen Kontinent New Orleans Exporte nach N
Frankreich
übertraf, blieb die Siedlungsdichte stets spärlich, Importe aus Tabak, Pelze,
die Anzahl der Stadtgründungen relativ klein, und Frankreich Reis, Indigo
0 100 200 300 400 Meilen
Golf von Mexiko
von den riesigen Inlandgebieten im französischen
Einzugsbereich (Abb. 44) wurde kaum Gebrauch ge- Stadt,
macht. Daher hat die französische Landnahme den ropa zurückkehrten. Da das Konservieren des Fisches Handelsstützpunkt
geringsten Einfluss im Gebiet der späteren USA nur rund 10 Tage dauerte, war die Produktivität der (Pelzhandel)
hinterlassen. Fischer während der wenigen Monate des Fischfangs Fischfanggebiet
Hauptschifffahrtslinien
Die französischen Interessen in Nordamerika be- sehr hoch, während die notwendigen Investitionen
Binnentransportwege
gannen um 1502, nachdem verschiedene Expeditio- äußerst gering waren. Der Handel mit Trocken- und
Landwirtschaft
nen europäischer Mächte den Ressourcenreichtum Salzfisch gehörte daher zu den ertragreichsten Wirt-
der Territorien in der Neuen Welt erahnen ließen. schaftszweigen jener Zeit. Erträge und Produktivität
Insbesondere die Expeditionen des englischen See- der Fischerei stiegen weiter, als im ausgehenden 16. Abb. 44: Französische
fahrers John Cabot hatten den Reichtum der Fisch- Jahrhundert das Konservieren der Fische auf den Einflussnahme in Nord-
gründe vor der Küste Neufundlands entdeckt, wo Schiffen selbst möglich wurde und damit der Land- amerika.
Fisch in den flachen Off-shore-Gebieten leicht zu gang nicht mehr nötig war (Harris 1990, S. 66).
fangen war. Europäische Fischer und Händler von Fischfang wurde zu jener Zeit eine moderne Großin-
England bis Portugal, vor allem aber von den franzö- dustrie, und auch baskische, dänische und englische
sischen Küsten der Bretagne, der Normandie und Fischkutter etablierten sich in der Region.
dem Baskenland begannen einen regen Fischhandel, Die Ende des 16. Jahrhunderts auftretende scharfe
der bis zum Ende des 16. Jahrhunderts 60 französi- Konkurrenzsituation veranlasste die französischen
sche Hafenstädte und ihr Unternehmertum invol- Schiffe wiederum, die Fischfanggründe den St.-Lo-
vierte. Um 1577 waren jährlich mindestens 150 renz-Seeweg hinauf zu erkunden und sich weiter im
französische Schiffe mit bis zu 4000 Mann Besat- Inland niederzulassen. Um 1550 wurde dabei der
zung vor der Küste und in den Buchten von Neu- Pelzhandel als zweiter wichtiger Wirtschaftszweig
fundland tätig (Harris 1990, S. 65). durch kleine, private Pelzhandelsunternehmen eta-
Die Fischer arbeiteten zumeist vom Frühjahr bis bliert (Harris 1990, S. 66). Die Suche nach weiteren
zum Herbst in den nordamerikanischen Gewässern, Ressourcen entlang des St.-Lorenz-Seewegs hatte
wo sie in kleinen Siedlungen Salz- und Trockenfisch Tradition: Um 1534 erhielt Jacques Cartier den kö-
präparierten und lagerten, bis sie im Herbst nach Eu- niglichen Auftrag, in mehreren Expeditionen von
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50 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

1534 bis 1536 von Neufundland aus entlang der ein großer Teil Amerikas, der von Neufundland bis
Binnengewässer Gold und wertvolle Mineralien zu New Orleans reichte. Entlang des St.-Lorenz-Stroms,
erkunden. Etabliert wurde dabei der Anspruch Frank- der Großen Seen und des Mississippi waren franzö-
reichs auf die erkundeten Gebiete. Die Expeditionen sische Siedler mit rund 80 000 Personen den Eng-
und wenigen Siedlungsversuche von Cartier waren ländern zahlenmäßig zwar überlegen. Allerdings war
bereits zu Beginn von großer Brutalität gegenüber ihre Zahl in Anbetracht der über zweihundertjähri-
den Indianervölkern gekennzeichnet; daher konnten gen französischen Besiedlung verglichen mit eng-
französische Kolonisationsversuche bis 1600 kei- lischen Siedlern spärlich, welche ab 1606 mit jähr-
nen nennenswerten Erfolg auf dem Festland mehr lich 2000 bis 3000 Personen nach Amerika kamen,
verzeichnen. Man entschied sich, mit Indianervöl- sich an der Küste niederließen und bereits um
kern bei den bewährten wirtschaftlichen Tätigkeiten 1641 annähernd 70 000 Personen zählten (Harris
Fischfang und Pelzhandel zu bleiben, was nur wenig 1990, S. 83, 86).
Siedlungstätigkeit und Investition bedeutete (Harris Der französische Pelzhandel, der in seiner Blüte-
1990, S. 68). zeit um 1750 den gesamten Einzugsbereich der Gro-
Um 1663 entzog die französische Regierung der ßen Seen und des oberen Mississippi erfasste, wur-
privaten Siedlungscompagnie von Neu-Frankreich de zu 80 % über Montreal, Quebec und La Rochelle
den Freibrief und übernahm die bis dahin von Pri- (Frankreich) abgewickelt. Der Norden blieb trotz der
vatunternehmen erfolgreich erschlossenen Territo- französischen Kolonisation bis zum Golf von Mexiko
rien mit rund 2500 französischen Kolonisten am wirtschaftliches Zentrum. Die verstreut liegenden,
unteren St.-Lorenz-Seeweg. Bis zum Zeitpunkt der nordamerikanischen Wirtschaftsgebiete Frankreichs
ersten Volkszählung 1692 lebten ungefähr 10 000 wie Montreal und Quebec im Norden und New Or-
Siedler in dem Gebiet, bis 1750 kamen weitere leans mit einem Einzugsgebiet, das bis nach St. Louis
9000 französische Siedler nach Neu-Frankreich. reichte, wurden nie systematisch zu einem einheit-
Insgesamt gab es bis 1700 jedoch nur rund 20 000 lichen Wirtschaftsraum mit Stadt- und Verwaltungs-
französische Siedler vom St.-Lorenz-Seeweg bis zur hierarchien aufgebaut. Fehlende Strategien, das rie-
Mündung des Mississippi (Harris 1990, S. 71 – 73). senhafte Gebiet durch Besiedlung in Wert zu set-
Zu keinem Zeitpunkt erreichten französische Ort- zen, führten dazu, dass Frankreich fast sein gesam-
schaften jene kritische Masse ansässiger Siedler, tes Kolonialgebiet in Nordamerika nach dem Sie-
die sich gegenüber englischen Wirtschaftinteressen benjährigen Krieg in Europa abtreten musste (Harris
hätte behaupten können. Daher mussten französi- 1990, S. 86, 90 f.). Das St.-Lorenz-Tal und das Ge-
sche Siedlungen am Lorenzstrom (Acadien) nach biet östlich des Mississippi fielen an England, wäh-
dem Frieden von Utrecht 1713 an England überge- rend Teile des französischen Gebiets westlich des
ben werden, das zum Schutze seiner Interessen mit Mississippi Spanien zugesprochen wurde. England
großem Militäraufgebot von Neuengland bis Kanada ließ in diesen neuen Gebieten die Grundstrukturen
im Einsatz war (Harris 1990, S.73, 80 – 83). einer bis dahin einträglichen Wirtschaft im Wesent-
Erst 1717, also zwei Jahrhunderte, nachdem lichen unverändert: die Dorschfischerei vor der Küste
Franzosen erstmals nach Nordamerika gekommen Neufundlands und Neuenglands, den Pelzhandel
waren, vergab die französische Regierung ein Han- und die ihn unterstützenden Subsistenzbewirtschaf-
delsmonopol an ein Unternehmen, das während 25 tungen. Wichtige Wirtschaftsräume in ehemaligen
Jahren mit 6000 Siedlern und 3000 Sklaven ent- französischen Territorien blieben jedoch abgekop-
lang des Mississippi operieren sollte. 1718 wurde pelt von den sich entwickelnden, neuen wirtschaft-
New Orleans als zentrale Anlaufstation für französi- lichen Zentren und deren sozialem Leben. Die von
sche Siedler gegründet, die in Frankreich, den den Engländern übernommenen französischen Ge-
Niederlanden und Deutschland rekrutiert wurden, biete blieben daher bis weit in die jüngere Zeit Ge-
ferner für die zur Zwangsarbeit nach Louisiana de- biete mit Entwicklungsrückstand und strukturellen
portierten Sträflinge. Um 1750 gehörte Frankreich Problemen.

Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft


Die englische Kolonialzeit (1606 – 1776) ab 1565 gezielt Überseekolonien suchte, gab es
Die englische Kolonisierung, die als letzter der euro- also ein großes Erfahrungswissen in der Beset-
päischen Kolonisierungsprozesse ab 1606 begann, zung und Bewirtschaftung von Territorien.
war zugleich jene mit dem dauerhaftesten Einfluss. ■ Zum anderen war die Vorgehensweise bei der
Dies ist auf folgende Gründe zurückzuführen (Mit- Kolonisierung nicht zufällig. Sie hatte mehrere
chell 1990, S. 94; Meinig 1986, S. 28 – 35): Merkmale, die wesentlich zur Kontinuität, Expan-
■ Zum einen hatte England bereits seit Mitte des sion und territorialen Konsolidierung sowie der
15. Jahrhunderts Erfahrung als Kolonialmacht, Ausprägung einer vorherrschenden Identität
hatte es doch Verwaltungshoheit über Gebiete in (White Anglo-Saxon Protestant – WASP) beitrug,
Frankreich erlangt und Irland, Schottland und die als gesellschaftliches Standardmaß überdau-
Wales in sein Staatsgebiet integriert. Als England ern sollte.
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 51

Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft 51

Im Gegensatz zu den Eroberungskolonien anderer Neufundland


europäischer Mächte waren die englischen zweck-
orientiert als Siedlungskolonien angelegt (Abb. 45).
Siedlungswillige Glaubenskongregationen, Händler,
Handwerker und Unternehmer sowie ärmere länd-
liche Schichten wurden mit Kaufmanns- und Sied-
lungsgesellschaften planmäßig in die Neue Welt ge-
bracht. Es gab ein Auswanderungs- und Siedlungsge-
werbe, das unter betriebswirtschaftlichen Gesichts- Akadien
punkten Transport- und Siedlungsgründungsge-
schäfte abwickelte (Meinig 1986, S. 56 f.; Mitchell
1990, S. 94). Aufgrund des wachsenden Marktes in KANADA
Amerika entwickelte sich als nächster großer Wirt-
schaftszweig ein blühender Transatlantikhandel, der
Neuengland
später im Dreieck Afrika – England – Amerika mit
den als Gütern gehandelten Zwangsarbeitskräften
sowie Baumwolle und Zucker eine ähnlich globale
Einflussnahme in den Herkunfts- und Zielregionen
hatte wie die Internationalisierung und Globalisie- Hudson
rung heute (vgl. Abb. 30). Mohawak-Tal
Jersey
Die privatwirtschaftlich orientierte Kolonisierung Pennsylvania
durch Kaufmannsgesellschaften, Freibriefe und
Landschenkungen war für europäische Verhältnisse Virginia
ein Novum. Erstmals wurde eine eigennützige Er- Bermudas
schließungstätigkeit im großen Maßstab erlaubt, die
zum wichtigsten Impuls der Entwicklung der Kolo-
nien wurde. Die zusätzlich praktizierte Politik der
„wohlwollenden Akzeptanz“ der englischen Regie-
rung ermöglichte dabei allen, einschließlich der eng-
lischen Regierung, den größtmöglichen wirtschaft- South Carolina
lichen Nutzen zu erzielen. Die Erlaubnis zum eigen-
ständigen Vorgehen bei der Besiedlung und frühen
Inwertsetzung der Kolonien ließ es auch zu, eine
Quelle: Meinig 1986, S. 245.

Vielfalt verschiedener kolonialer Gebietskörperschaf- Florida


ten zu institutionalisieren, wodurch unterschiedli-
che wirtschaftliche Zielsetzungen wahrgenommen
werden konnten. So gab es Kolonien, die als kauf-
männische Unternehmen begannen und später unter 0 500 km Bahamas
Louisiana
die direkte Verwaltung Englands kamen, wie z. B.
Virginia und Massachusetts. Andere hatten ihren
Ursprung als Eigentümerkolonien, in denen die Be- merkantilen Erschließungsstrategie des Mutterlan- Abb. 45: Englische
sitzer ungehindert von externen Einflüssen ihren des. Siedlungsgebiete.
Unternehmungen nachgehen konnten, wie z. B. in Der Glaube an die eigene Auserwähltheit, verbun-
Maryland und Pennsylvania. Connecticut und Rhode den mit den rigiden wirtschaftlichen Interessen von
Island waren mit einer Gründungsurkunde ausge- Siedlern, Kaufmanns- und Terraingesellschaften
stattete, von Massachusetts ausgegliederte Territo- und die zweckdienliche Mythenbildung über den ei-
rien (Tab. 4). genen Wert bewirkten eine Stärkung der monokultu-
Dem Mutterland ermöglichte die flexible Gestal- rellen (White Anglo-Saxon Protestant) Gesellschaft
tung der Beziehung der einzelnen Kolonien die und untermauerten eine Legitimation für die Ver-
beste wirtschaftliche Inwertsetzung und Ausbeutung drängung der indigenen Gesellschaft. Das religiös-
des neuen Landes. In den Kolonien gewährte daher kulturell geprägte Sendungsbewusstsein der purita-
die englische Regierung den unterschiedlichen nischen Siedler räumte im wahrsten Wortsinne
Glaubensgemeinschaften auch das Recht auf freie jenen keinen Platz ein, die nicht konform mit der
Religionsausübung, das im Mutterland nicht exis- effektiven Inwertsetzung einer christlich geprägten
tierte. Die Hauptsiedlergruppen konnten daher so- Neuen Welt waren und sich darin nicht anpassen
fort in größtmöglichem Maße ihren wirtschaftlichen und integrieren konnten oder wollten. Aufschluss-
Interessen nachgehen, ohne ihre religiöse oder kul- reich dazu sind die Predigten von Jonathan Edwards
turelle Identität verteidigen zu müssen (Mitchell von 1739 in der puritanisch-protestantischen Ge-
1990, S. 101 – 103). Die Förderung eigener Wirt- meinde Northampton, die als „Geschichte des Erlö-
schaftsinteressen und die wohlwollende Haltung sungswerkes“ veröffentlicht wurden und weite Ver-
allen kirchlichen und freikirchlichen Denominatio- breitung fanden. Darin entwickelte der Prediger den
nen gegenüber waren also Teil einer umfassenden Gedanken, dass die in Palästina mit dem Christen-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 52

52 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Name Verfassungs- Besiedelung Ursprüngl. Ursprüngl. Veränderung


status durch Religion / Status im Status
Charter Denomination

Virginia 1606 1607 Anglikanisch Kommerzielle 1624 Kronkolonie


1609 Gesellschaft
1612
New York 1664 1614 Anglikanisch Privateigentümer 1685 Kronkolonie
Plymouth 1620 1620 Separatistisch Religiöse Gesellschaft 1691 zu
Puritanisch Massachusetts
New Hampshire 1679 1623 Puritanisch Kronkolonie –
Massachusetts 1629 1630 Puritanisch Religiöse Gesellschaft 1691 Kronkolonie
Maryland 1632 1634 Katholisch Privateigentümer –
Connecticut 1662 1635 Puritanisch Gesellschaft –
Rhode Island 1644 1636 Separatistisch Religiöse Gesellschaft –
1663 Puritanisch
Delaware 1702 1638 Quäker Privateigentümer –
North Carolina 1663 1653 Anglikanisch Privateigentümer 1729 Kronkolonie
New Jersey 1664 1660 Anglikanisch Privateigentümer 1702 Kronkolonie

Quelle: Sautter 2000, S. 99f.


South Carolina 1663 1670 Anglikanisch Privateigentümer 1729 Kronkolonie
Pennsylvania 1681 1682 Quäker Privateigentümer –
Georgia 1732 1733 Anglikanisch Treuhänder 1753 Kronkolonie

Tab. 4: Gründung und ursprünglicher Status der Kolonien.

tum begonnene „Heilsgeschichte Gottes“, die in der Die Überzeugung vom Sendungsauftrag wirkte
Zerstörung Jerusalems ihr vorläufiges Ende fand, sich prägend auf die Entwicklung einer WASP-Ge-
nach der Reformation in Amerika fortgeführt würde. sellschaft aus, die von Anfang an zur Norm und
Als Sinnbild des Antichristen, den es in der neuen, „Leitkultur“ wurde und den Nicht-Anglokonformen
amerikanischen Welt zu besiegen galt, sah Edwards im eigenen Land, aber auch weltweit mit Skepsis
1739 die „heidnischen“ Indianer ebenso wie das begegnet. Sie führte auch zu einer rücksichtslosen
Papsttum und den Islam. Diese entsprachen Ed- Verdrängung und Vernichtung der den wirtschaft-
wards zufolge jeweils der in der Offenbarung voraus- lichen Interessen entgegenstehenden indigenen Be-
gesagten Verhinderung des Fortschritts bzw. der völkerung, wobei ein kollektives Unrechtsbewusst-
Entfesselung des Terrors (Offenbarung 9,15 – 21; s. sein dafür auch in historischer Perspektive der ko-
auch Gäbler 2002, S. 13). lonialen und postkolonialen Zeit nicht erkennbar
Nach Edwards kam in Amerika die Heilsgeschich- ist. Auch in der heutigen Zeit wäre ein solches
te zum Ende, wobei die Geographie eine besondere Unrechtsbewusstsein ökonomisch nicht opportun,
Rolle spielte: Die Erlösung der Welt, die ihren Aus- würde es doch Ausgleichszahlungen implizieren. So
gang dieser Lehre zufolge in Palästina genommen erhielten Indianer erst 1924 die vollen Staatsbür-
hatte, wurde im „westlichsten Land Europas“ in der gerrechte, und bis zur Gegenwart versuchen India-
protestantischen Reformation wiederbelebt, von ge- nervölker, ihre Landbesitzrechte vor der amerikani-
schichtlichen Wirren bedrängt und wanderte nach schen Regierung geltend zu machen.
Amerika, von wo aus entsprechend zukünftiges Heil Günstig für die tief greifende territoriale Besitz-
zu erwarten sei. Für Edwards war Amerika also his- nahme, landwirtschaftliche Besiedlung und Inwert-
torisch und geographisch vorbestimmt, den Platz setzung waren auch die historischen Umstände, die
des Protestantismus in der Welt zu stellen und das zu einer großen Anzahl von siedlungsbereiten Men-
Instrument der Heilsgeschichte zu sein. Das neue schen führten. So war die Gesetzgebung von 1593,
Land Amerika mit seiner protestantisch-religiösen welche die puritanischen Separatisten, die in Eng-
Qualität schuf nach Edwards einen besonderen land blieben, der gerichtlichen Verfolgung aussetzte,
Platz in der heilsgeschichtlichen Fortschrittsbewe- Auslöser dafür, in überseeische Kolonien zu gehen.
gung gegen das Böse in der Welt, das mit allen nicht Dabei hatten die Erkundungsexpeditionen unter Eli-
Bekehrten und allem Andersartigen assoziiert wurde. sabeth I. (Königin Englands von 1558 – 1603) in
Es ist beachtenswert, in welch starkem Maße dieser den Jahren 1565, 1578, 1580 und 1583 und 1587
über zweihundertfünfzigjährige Gedanke in der ak- bereits geeignete Territorien an der amerikanischen
tuellen Weltpolitik der USA dominiert. Ein Keim für Küste in Neuengland, an der Chesapeake Bay und
eine interkulturell gemischte, multiethnische Ge- in Virginia identifiziert, die Siedler anzogen.
sellschaft wurde daher in der englischen als der Die Zentralisierung wirtschaftlicher und politi-
wichtigsten aller Siedlergesellschaften nicht einmal scher Macht in London im 17. Jahrhundert sowie
ansatzweise angelegt. landwirtschaftliche Restrukturierung (verstärkte Ex-
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Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft 53

portorientierung und Nutzungsbeschränkungen des Amerika Atlantik Europa


Landes für Subsistenzwirtschaft) führten viele
Arme, Tagelöhner und Landarbeiter auf der Suche Erkundung
nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten in die Zufallskontakt. Spekulation ausgehend von
Neue Wahrnehmung. europäischen Atlantikhäfen,
Großstädte Englands und später nach Amerika (Dip- Suche nach wirtschaftlich
pel 1999, S. 12; Mitchell 1990, S. 96). nutzbaren Informationen.
Schließlich hatten die Agrarreform und der dadurch
mögliche Aufstieg eine neue Mittelschicht aus Händ-
lern, Handwerkern, Unternehmern und Exporteuren
entstehen lassen, die zwar wirtschaftliche Macht be-
saß, jedoch von den traditionellen Hierarchiegrenzen Ausbeutung
küstennaher Ressourcen
behindert wurde. Daher suchten nicht nur religiöse Saisonaler Kontakt. Fischer und Holzfäller in
Flüchtlinge oder arme Landarbeiter, sondern auch Geringe Einflussnahme. Ausweitung von
wohlhabende Mittelschichtspersonen bessere Mög- Routineaktivitäten,
ausgehend von lokalen
lichkeiten in der Neuen Welt (Rode 1992, S. 18; Häfen.
Schäfer 1998, S. 26, 29). Letztere hatten sich be-
reits in England als Großunternehmen zusammenge-
schlossen und um königliche Aufträge zur Kolonisie-
rung und Gründung von Handelsposten ersucht. Tauschhandel und
Plünderung
Es waren also nicht etwa nur Arme und politisch-
Sporadischer Kontakt. Spekulanten und
religiös Verfolgte, sondern auch zahlreiche wirt- Einfuhr von Epidemien Kaufleute,Vergleiche von
schaftskräftige Personen, die nach Amerika aus- und ansteckenden Ressourcen, Kosten, Märkten.
wanderten, um an den sich ergebenden Möglichkei- Krankheiten.
ten in Landnahme, Bewirtschaftung, Städtegrün-
dung und Transatlantik-Handel zu partizipieren,
diese zu steuern und Profite zu erzielen. Dabei war
der englische Anteil der Auswanderer und ihr Ein- Überseeischer
Handelsposten
fluss in der Neuen Welt größer als der anderer Aus-
Anlaufpunkt für Kaufmannsgesellschaften
wanderer. Da sie Fachwissen und Führungsqualitä- dauerhafte ausgehend von großen
ten mitbrachten und ein enges soziales Gefüge Handelskontakte. Hafenstädten.
pflegten, waren sie bedeutend für den Aufbau einer Sozialer und Allokation von
wirtschaftlicher Personal,
eigenständigen Wirtschaft. Mit Beginn des 17. Jahr- Wandel. Investitionen und
hunderts, als zahlreiche englische Siedler nach Austausch von Verpflichtungen
Amerika kamen, verfügten die Transatlantik-Schiff- Krankheitserregern. zur Ausweitung von
Überseemärkten.
fahrt und Hochseefischerei bereits über einhundert
Jahre Erfahrung, so dass man mit den modernsten Plantagenwirtschaft
Mitteln der Technik und Navigation jener Zeit reisen Siedler gründen Städte Unternehmer. Exilierte,
konnte. Die Schifffahrt selbst wurde daher nach und Siedlungssysteme. Flüchtlinge, Landbesitz-
1600 auch zu einem der wichtigsten Wirtschafts- Lokale Vertreibung, suchende.
Rassenkonflikte, Demographischer Wandel
zweige, der Tausende von Schiffsbauern sowie vor- Herausbildung einer mit Einfluss auf das
und nachgelagerte Handwerksbetriebe, Großunter- sozialen Schichtung. Hinterland.
Familienbindungen
nehmen und Städte auf beiden Seiten des Atlantik nach Übersee.
einbezog.
Beiderseits des Atlantik führte dies zu Ausbau
und Spezialisierungen im Städtesystem sowie zur
Ausbildung von Hinterlandbeziehungen (Abb. 46). Kronkolonie
Kapitalkräftige Opera-
In den wichtigen amerikanischen Anlaufstationen Europäische tionen von Unternehmen,
konzentrierte sich sehr bald das Kapital für kom- Siedlungsstrukturen Staat und Kirche,
werden implantiert. ausgehend von großen
merzielle, aber auch gemeinnützige oder kulturelle Zerstörung indigener Häfen und Einzugs-
Quelle: Meinig 1986, S. 67 f.

Unternehmen und die Erschließung des Kontinents Gesellschaftsformen, bereichen.


(Meinig 1986, S. 70 f.). Es ist bezeichnend, dass massive Vertreibung, Einflussnahme
Ausdehnung der Frontier, amerikanischer
beispielsweise Bostoner Kapital 1632 die Univer- Erkundung und Inwert- Unternehmen auf
sität Harvard in Cambridge, Massachusetts gründe- setzung des Inlands. das eurpoäische
Marktsystem.
te und dass zwei Jahrhunderte später die Transkon-
tinental-Eisenbahnen ganz wesentlich vom Bostoner
Kapital finanziert wurden. Während die wirtschaft-
lichen Verflechtungen eine beginnende Netzwerk- wie in Virginia – abgetrennt. Das Abgrenzen von Abb. 46: Transatlantische
struktur von Küstenstädten und ihrem Hinterland Siedlungsgebieten der White Anglo-Saxon Protes- Verbindungen.
aufzubauen begannen und prosperierende Regionen tants (WASPs) von denen anderer Bevölkerungs-
schufen, waren die Auswirkung von dreierlei Art: gruppen, wie es später in Indianerreservaten voll-
■ Die Indianer wurden aus dem kolonialen Sied- zogen wurde und gegenwärtig im Phänomen der
lungsgebiet vertrieben und durch feste Grenzen – gated community auftaucht, hat somit nicht nur
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54 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Tradition, sondern war auch gesellschaftlich ak- wirkte, wurden daher, zusammen mit harter Arbeit,
zeptiert, da es bereits bei der Staatsgründung mit zu den gesellschaftsbestimmenden Faktoren.
dem verfassungsmäßig garantierten Grundrecht Der Einfluss von Kirchenältesten, Kirchengemein-
des pursuit of happiness vereinbar war. den und Kirchenzugehörigkeit als Voraussetzung für
■ Separate Gesellschaften wie im nördlichen Neu- ein Leben im Gemeinwesen wurde ein die ganze All-
england entstanden, die jedoch wirtschaftlich eng tagswelt bestimmender Faktor. Die Community, zu-
miteinander verflochten waren. nächst als Kirchengemeinde, später auch weiter ge-
■ Es bildete sich eine rigide Klassenhierarchie in- fasst als Nachbarschaft und soziales Umfeld des
nerhalb der „Leitkultur“ heraus, in der die Urbe- Einzelnen, wurde somit von jeher ein bestimmender
völkerung und die Mestizen die unterste, segre- Faktor im Alltags- und politischen Leben Amerikas
gierte Schicht darstellten. (Schäfer 1998, S. 25): Bis in die heutige Zeit kommt
In Retrospektive lassen sich zwei Perioden der eng- der extrem konformistischen Community in den USA
lischen Kolonisierung unterscheiden, die für die ge- eine viel größere Bedeutung zu als anderen Einrich-
sellschaftliche Entwicklung bis in die Gegenwart tungen: Community wurde zum Korrektiv der Gesell-
entscheidend waren (Schäfer 1998, S. 20 – 28). schaft, Community leistet soziale Korrekturarbeit,
Dies ist zum einen die frühe englische Besiedlung, die in Europa der Staat übernimmt, Community und
die von der englischen Regierung über renditeorien- Voluntarismus sind das Korrektiv der Marktkräfte –
tierte Aktiengesellschaften privatwirtschaftlich ab- nicht etwa die staatliche Ordnung.
gewickelt wurde. Diese Phase, die zu Beginn des Die Puritaner, welche die anglikanische Kirche zu
Bürgerkriegs 1641 rund 70 000 Engländer nach refomieren suchten, gehörten zumeist dem gebilde-
Amerika brachte, dauerte bis gegen das Ende des ten Mittelstand an. Mit dem in Amerika neu zu
17. Jahrhunderts. Es ist die Phase der ungehinder- gründenden „Neuen Jerusalem“ hofften sie, ihre
ten privatwirtschaftlichen und puritanisch-calvinisti- materiellen und religiösen Belange gleichermaßen
schen Einflussnahme im 17. Jahrhundert. Sie erfolg- zu festigen. Wie wohlorganisiert die Puritaner vor-
te zielgerichtet aus zwei Gründen: erstens aus öko- gingen, zeigt sich daran, dass sie sich als Aktienge-
nomischen, da man nicht nur der Armut entkom- sellschaft formierten und allein zwischen 1620 und
men, sondern auch an dem zu erwartenden wirt- 1640 an die 20 000 Gleichgesinnte nach Massa-
schaftlichen Aufschwung und Handel teilhaben chusetts brachten (Adams 2000, S. 26 ff.; Schäfer
wollte; ferner aus religiösen Motiven, um eine „bes- 1998, S. 23; Meinig 1986, S. 92). Da fester Glaube
sere Welt“ zu gründen. In der zweiten Phase des an die eigene Auserwähltheit eine Toleranz Anders-
verstärkten britischen Hegemonialstrebens erfolgte gesinnten gegenüber ausschloss, wurden andere
eine schrittweise Übernahme der privatwirtschaft- Gedankenrichtungen in Neuengland verhindert. Die
lich betriebenen Kolonien seitens der englischen Puritaner Neuenglands konnten sich daher als die
Regierung, um deren Potenzial in einem stärkeren Gruppe mit der größten Homogenität herausbilden.
Maße für sich abschöpfen zu können. Ihre neue Gesellschaft war nicht nach europäischem
Vorbild in eine aristokratische Oberklasse, Mittel-
Privatwirtschaftliche, puritanisch-calvinistische und Unterschicht strukturiert, da der Mayflower-Ver-
Einflussnahme im 17. Jahrhundert trag mit seinen demokratischen Verwaltungsformen
In der ersten Phase fanden die Überzeugungen der diese Art der Hierarchie ausschloss. Dennoch war
puritanisch-calvinistischen Gründungsväter und die soziale Schichtung auch innerhalb der homoge-
Siedler Eingang in die Entwicklung jener Bräuche, nen, puritanisch-calvinistischen Siedler rigide struk-
Normen, Gesetze und Institutionen, denen sich die turiert, existierte doch eine Oberklasse aus Groß-
späteren Zuwanderer anpassen mussten. Mit dem grundbesitzern, Fernhandelskaufleuten und Regie-
Mayflower-Vertrag von 1620 wurde auf dem Schiff rungsbeamten, eine Dienstleistungselite aus Geist-
selbst noch vor der Landung am Cape Cod in Ply- lichen, Rechtsanwälten und Ärzten, eine Mittel-
mouth ein Vertragswerk zur Selbstverwaltung eines schicht der freien Bauern auf eigenem, schulden-
Gemeinwesens mit selbstgegebenen Gesetzen, Rech- freiem Land sowie eine unterhalb der Mittelklasse
ten und Pflichten eingesetzt, das für die spätere Ver- stehende Schicht der Handwerker, Tagelöhner und
fassung richtungsweisend wurde (siehe Kap. 1). Knechte (Rode 1992, S. 18). Zu Letzteren gehörten
In dem ungehinderten privat-religiösen und pri- auch die Kontraktarbeiter (indentured servants), die
vatwirtschaftlichen Handeln in den Kolonien kristal- sich für ihre Überfahrt nach Amerika verschuldet
lisierte sich ab 1620 das puritanisch-calvinistische hatten und diese Schulden während einer vier- bis
Gesellschaftsmodell als vorherrschende Norm he- siebenjährigen Vertragsphase in den Kolonien abar-
raus. Die Puritaner – Calvinisten nach dem Schwei- beiten mussten. Nach Ablauf ihres Vertrages konn-
zer Reformer Calvin (1509 – 1564) – gingen von der ten sie sich, ausgestattet mit einem geringen Start-
Lehre der wenigen von Gott Auserwählten aus, worin kapital und Handwerkszeugen, an der Frontier nieder-
sie sich von der anglikanischen und lutherischen lassen. Am untersten Ende der sozialen Schichtung
Heilserwartung, die allein im Glauben begründet standen in allen Kolonien die Sklaven oder die Indi-
war, unterschieden (Schäfer 1998, S. 25). Fröm- aner mit Zulieferfunktion an Arbeit, Land oder Res-
migkeit und eine asketische Weltauffassung, die sourcen für die city upon a hill.
sich bis in ein Alkoholverkaufsverbot an Sonntagen Auch wenn es in der Neuen Welt keine Aristokratie
in einigen Bundesstaaten bis in jüngerer Zeit aus- gab, etablierte sich im vermeintlich klassenlosen
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Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft 55

Amerika über die Faktoren Vermögen und Bildung Britische Stützpunkte um 1768
sowie das Bewusstsein einer religiösen Sendungs- Zollstationen
St. John’s
mission früh eine neuartige, Aristokratie-ähnliche Militärstützpunkte
Elite. Noch in der Gegenwartsgesellschaft spricht Militärisch-strategische
man beispielsweise von einer Boston Aristocracy, Operationsgebiete
also einer finanzstarken Oberschicht, die sich in di- britischer Truppen um 1775
Dreizehn Ursprungskolonien
rekter Nachkommenschaft der Pilgerväter glaubt, im
gesellschaftlichen Leben Neuenglands und der USA Charlottetown

eine wichtige Rolle spielt und Richtlinienfunktion


hat.
Halifax
Der Glaube an die eigene Auserwähltheit und die Quebec
calvinistische Ethik, wonach sich Gottes Segnungen
dem Tüchtigen bereits auf Erden zeigen, trugen zu
zwei Entwicklungen im neuen Land Amerika bei:
■ zur militärischen Expansion ins Indianerland und Portsmouth
zu den militärischen Auseinandersetzungen mit Boston

französischen Konkurrenten (Abb. 47) sowie


Newport
■ zur Suche nach Arbeitskräften, die man auf den New Haven
Plantagen einsetzen konnte. New York City
Perth Amboy
Der Import verschleppter afrikanischer Sklaven, die Burlington
Philadelphia
nach puritanischer Auffassung nicht den Auserwähl- Newcastle
ten, sondern einem minderwertigen Status zugehör- Annapolis

ten, begann 1619. Bis zum Jahre 1700 hatten eng-


Williamsburg
lische Tabakpflanzer Virginias bei einer Bevölkerung
Bermudas
von nur 75 000 Weißen bereits 10 000 schwarze
Sklaven aus Afrika importiert (Schäfer 1998, S. New Bern
51 ff.). Dabei galten diese Menschen gleichermaßen
als Investitionsgut, das die Inwertsetzung der Plan-
tagen erlaubte, und als Ware, die gegen Wertverlust
versicherbar war. So wurden beispielsweise 1781 Charles Town
erwiesenermaßen 133 kranke Sklaven bei der Über- Savannah
fahrt über Bord geworfen, damit der Besitzer des
Sklavenschiffes die Versicherungssumme kassieren
St. Augustine
konnte. Bis zur Abschaffung der Sklaverei 1865
Quelle: Meinig 1986, S. 309.

wurden Schwarze generell wie Waren versichert. Die Pensacola


gängige Versicherungspolice für einen zehn Jahre
alten Haussklaven in Tennessee um 1856 betrug 2
Dollar pro Jahr; bei einem „Ausfall“ durch vorzeiti- New Providence
gen Tod zahlte die Versicherung eine Entschädigung 0 500 km

von 100 Dollar. Bei 45-jährigen Haussklaven betrug


die Versicherungssumme 5,50 Dollar pro Jahr. Versi-
cherungsabschlüsse von Sklavenhaltern, vor allem gende Städte konzentrierte: Philadelphia (40 000 Abb. 47: Britische Stütz-
jenen, die ihre Sklaven schlecht behandelten, waren Einwohner) – nach London, Dublin und Bristol viert- punkte in Amerika 1768.
eine übliche Praxis, die von heute noch bestehen- größte Stadt des britischen Empire, New York
den Versicherungskonzernen (Aetna Inc., Fleet Bos- (25 000), Boston (16 000), Charleston (12 000),
ton Financial Corporation, CSX Corporation, New Newport (10 000) und Baltimore (6000) (Schäfer
York Life Insurance) praktiziert wurden. Seit im Mai 1998, S. 61; Dippel 1999, S. 15). Der Anteil der
2002 der Bundesstaat Kalifornien, der nie ein Skla- schwarzen Sklaven machte bereits 20 % aus. Die
ven haltender Staat war, die Versicherungen in einem Geschichte der amerikanischen WASP-Gesellschaft
Grundsatzurteil zur Offenlegung ihrer die Sklaven- ist damit von Anfang an, also ab 1620, aufs Engste
haltung betreffenden Akten verpflichtete und weite- mit der Akzeptanz von Diskriminierung und Dispa-
re Staaten wie das ehemals Sklaven haltende Geor- ritäten verbunden. Die erste Phase der Einwande-
gia dem Beispiel folgen werden, beginnt derzeit die rung, die von 1680 bis 1776 dauerte, fand daher
„vierte Stufe der Bürgerrechtsbewegung“ und eine bereits in vorgegebenen Gesellschaftsstrukturen
erneute Welle von Forderungen nach Reparations- statt.
zahlungen an Afroamerikaner, welche bereits seit Mit annähernd 200 000 deutschen Einwanderern
dem ausgehenden 19. Jahrhundert bestehen (Neue und schottisch-irischen Immigranten kamen bei-
Zürcher Zeitung 2002). spielsweise die größten nicht englischsprachigen
Zwischen 1670 und dem Ende der Kolonialzeit bzw. nicht protestantischen Glaubensgruppen nach
1776 wuchs die White Anglo-Saxon Protestant-Be- Amerika. Da beide während zweihundert Jahren an
völkerung von 112 000 auf 2,5 Mio. an, wobei sich ihren Traditionen festhielten, sonderten sie sich ab
ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung auf fol- und siedelten konzentriert in ländlichen Gemeinden
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56 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

die ursprünglich auf schwedische Siedlungstätigkeit


zurückgingen (1638 bis 1655 als New Sweden be-
kannt, dann von den Holländern als New Amster-
dam annektiert) und 1664 an England fielen, be-
wahrten holländische Siedlergruppen ihre eigene
Tradition multikultureller und interreligiöser Akzep-
tanz. Bevor New Amsterdam als New York an die
Engländer verkauft wurde, lebten hier bereits Weiße
aus vielen Herkunftsländern, ferner freie Schwarze
und Indianer.
Als New York im ausgehenden 17. Jahrhundert
eine englische Kolonie wurde, übernahm die engli-
sche Regierung die Politik der wohlwollenden Ak-
zeptanz der Vielfalt: Zu wichtig war dieses Gebiet an
der Mündung des Hudson River als Zugang zu den
Großen Seen und dem Landesinnern, um die Impul-
se für die wirtschaftliche Entwicklung, die sich aus
der Vielfalt ergaben, verhindern zu wollen. Dass New
York – the Big Apple – innerhalb der USA als unty-
pisch gilt und nicht Mainstream-Amerika repräsen-
tiert, mag damit zusammenhängen, dass die Stadt
von jeher in ihrer Andersartigkeit, in ihrem Kultur-
und Lebensstilpluralismus akzeptiert und gefördert
wurde.

Britisches Hegemonialstreben und die


Abb. 48: Amish People in Pennsylvanias. Fälschlicherweise als Pennsylvania neue amerikanische Gesellschaft
Pennsylvania. Dutch (gleich Deutsch) bezeichnet, behielten sie, Die zweite Periode der englischen Kolonialisierung
wie die Amish (Abb. 48) oder Krefelder Mennoniten zwischen 1680 und 1776 war von der schrittweisen
in Pennsylvania ihre deutsch-pfälzische Mundart Rückführung privatwirtschaftlich gegründeter Kolo-
bei. Schotten siedelten in New Jersey, Virginia und nien in die Kontrolle der englischen Regierung ge-
North Carolina, wo sie sich aufgrund ihrer Sprache kennzeichnet (Schäfer 1998, S. 25 ff.). Da sich die
zwar assimilierten, jedoch ihrer katholischen Tradi- englischen Auswanderer im 17. Jahrhundert aus
tion wegen in einer protestantischen Gesellschaft Handwerker- und Manufakturarbeiterschichten so-
fremdartig blieben. Beide Gruppen blieben bis weit wie dem Stand der Bauern, Landarbeiter und Händ-
in die nachrevolutionäre Zeit Außenseiter, vor allem ler rekrutierten, konnten ihre Arbeitskraft, ihr Know-
deshalb, weil sie in ihrer Eigenart verblieben und zu- how und ihr Kapital schnell die Grundlage für die in
gleich wirtschaftlich erfolgreich wurden. Die Amish Amerika erwartete wirtschaftliche und soziale Sicher-
und Mennoniten Pennsylvanias beispielsweise waren heit legen. Nach schwierigen Anfangsjahren begann
autarke Bauern, die sich mit Fleiß und traditionel- ein deutlicher wirtschaftlicher Aufschwung. In der
len Solidaritätssystemen zu wohlhabenden Landwir- Hudson-Mohawk-Senke und in den südlichen Kolo-
ten mit überregionaler Versorgungs- und Nischen- nien von Maryland über Delaware nach Georgia hat-
funktion emporarbeiteten. Da sie besondere Fertig- ten sich die Kolonien durch Latifundien-Bewirt-
keiten in der Herstellung von Produkten besaßen, schaftung von mehreren Hunderttausend Hektar zu
die sie aus ihren Heimatgebieten mitgebracht hat- Großerzeugern von Tabak, Baumwolle, Reis und Indi-
ten, die aber in Amerika neu waren, füllten sie im- go für den europäischen Markt entwickelt (Adams
mer eine Marktlücke; zudem betrieben sie stets eine 2000, S. 25).
naturnahe Landbewirtschaftung, die unter dem Be- Zu den Pull-Faktoren der Migration gehörten der
griff „ökologische Landwirtschaft“ heute wieder mo- wirtschaftliche Aufschwung, die Möglichkeit des
dern geworden ist. Landbesitzes, das höhere Lohnniveau gegenüber
Weitere Gruppen mit einer eigenständigen kultu- Europa sowie günstigere Lebensbedingungen auf-
rellen Identität waren die in den Küstenstädten sie- grund der landwirtschaftlichen Überproduktion. Zu
delnden Juden sowie die französischen Hugenotten. den Push-Faktoren im Mutterland gehörten die Eng-
Durch Heirat und Konvertierung in die puritanisch- lische Revolution von 1640 sowie die Bürgerkriege
religiöse Gemeinschaft assimilierten sich diese Be- um die Herrschaft der Stuart- bzw. der anglikani-
völkerungsgruppen sehr früh in den Mainstream der schen Monarchie, welche sich mit der Revolution
Gesellschaft. Es gibt nur wenige Ausnahmen, in von 1689 etablierte. Als die englische Regierung
denen Andersartigkeit akzeptiert wurde, weil sie begann, ihre Macht in den Kolonien zu konsolidie-
eine Gewinn bringende Situation schuf. Dort, wo ren, verfügten diese bereits über zukunftsträchtige
dies geschah, haben sich die Auswirkungen bis in Wirtschaftszweige und waren durch Privatwirtschaft
die heutige Zeit erhalten. In den mittleren Kolonien und religiöse Gemeinschaften sehr stark englisch
New York, New Jersey und Delaware beispielsweise, (WASP) geprägt. Dennoch hatten die Kolonien be-
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Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft 57

reits eine eigene neue Gesellschaftsstruktur gebildet amerikanischen Gesellschaft angelegt, die bis in die
(Schäfer 1998, S. 26; Rode 1992, S. 14 f.; Adams Gegenwart wirken. Ihre Elemente waren:
2000, S. 34, 38): Eine Erbaristokratie wie in Euro- ■ Eine agrare Gesellschaft mit einer bestimmten so-
pa wurde nicht übernommen, die religiös-kommu- zialen Rangordnung und Stabilität sowie einer
nitären Gemeinden verstanden sich im bewussten deutlichen, allgemein akzeptierten Ungleichheit.
Gegensatz dazu als neue, klassenlose Gesellschaf- ■ Der Glaube, dass Werte aus der Alten Welt in der
ten. Dennoch entwickelte sich eine Klassengesell- Neuen Welt nicht nur durch Ausübung religiöser
schaft auf der Grundlage von Besitz durch das in Praktiken besser verwirklicht werden und zur Ent-
den Kolonien eingeführte Repräsentationsprinzip faltung kommen konnten, sondern dass die Neue
der englischen parlamentarischen Demokratie, das Welt dazu geschaffen war, das Gute in der Welt zu
an einen Mindestgrundbesitz gebunden war. vollenden.
Mehrere Maßnahmen schränkten Rechte auf wirt- ■ Gesellschaftlicher Aufstieg mit Hilfe von Familie
schaftliche Entfaltung und Eigenständigkeit der Ko- und Verwandten, der Kirchengemeinde und loka-
lonien ein. Die Ausdehnung der Kolonien nach Wes- len Verwaltung, des eigenen Landbesitzes und der
ten in das Indianerterritorium bis zum Ohio und kommunalen Gesetzgebung.
Mississippi erfolgte unter Verdrängung der ansässi- ■ Betonung auf der individuellen Verantwortung in-
gen indigenen Bevölkerung. Dies wurde von England nerhalb einer (reformierten) protestantischen Ge-
zwar missbilligt, jedoch nicht aus humanitären Grün- sellschaft, deren Leben ländlich-agrarisch und ge-
den, sondern vielmehr, weil diese Vorgehensweise meindeorientiert war.
die Autarkie der Kolonien stärkte und die Kontrolle ■ Christlicher Glaube und Sozialordnung, Privatei-
Englands schwächte. Die über Jahrzehnte vollzoge- gentum und Stellenwert des Individuums sowie
ne Eingrenzung der ursprünglich gewährten wirt- eine staatlich-militärische Obrigkeit, welche diese
schaftlichen Freiheiten führte zur Eskalation, als Werte als kulturelle Einheit ohne Anpassungen zu
England die Kosten seines in Kontinentaleuropa ge- bewahren suchte.
führten Siebenjährigen Krieges 1763 in Form höhe- All diese Faktoren trugen zum spezifischen Wesen
rer Besteuerung auf seine amerikanischen Kolonien der amerikanischen Gesellschaft bei, das durch die
abzuwälzen suchte, ohne für die erhöhten Pflichten isolierte Lebensweise der frühen Kolonien begüns-
mehr Rechte zu gewähren. Um die Monopolstellung tigt wurde. Grundlage dieser Gesellschaft wurde die
der frühen Industrialisierung in England zu sichern, Familie, die das individuelle Überleben im Alltag
erfolgten zudem Produktionsverbote, Exportbeschrän- und im Alter sicherte. Die Kernfamilie war die Ein-
kungen, Import- und Exportzölle zu Lasten der Kolo- heit, auf der Kirchen, Gemeinden und Lokalregie-
nien. rungen aufbauten. Individualisierung und Tendenz
Da die frühen Kolonien sich auf dem Gedanken zum Privatismus bedeuteten sowohl persönliche Un-
der Freiheit des Einzelnen auf wirtschaftliche Unab- abhängigkeit wie auch Loyalität zum engsten Fami-
hängigkeit und der individuellen Wahl seines Le- lienkreis, mit der der Einzelne sein Leben teilte
bensentwurfs gründeten, bedeutete das Ende der (Warner 1967). Im Vergleich zur europäischen Groß-
Politik des Wohlwollens für die privatwirtschaft- familie in einer hierarchisch strukturierten Gesell-
lichen Interessen von Unternehmern, religiösen Ge- schaft konnten die Auswanderer nach der Atlantik-
meinden, Handels-, Erschließungs- und Terrainge- überquerung allein oder mit einer Kleinfamilie ihr
sellschaften einen radikalen Einschnitt in ihre Exis- neues Leben in Amerika beginnen. Ressourcenreich-
tenzgrundlage. Die Protestaktionen wie die soge- tum, leichter Zugang zu Landbesitz und der Impera-
nannte Boston Tea Party von 1773, bei der die hoch tiv des Individualismus machten es den in den Ko-
besteuerte Teeladung aus England versenkt wurde, lonien geborenen Mitgliedern der Familie wiederum
lösten den Unabhängigkeitskrieg aus. leicht, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und ihren
Die fortschreitende Individualisierung der ameri- Lebensentwurf auch durch Wegzug von der Familie
kanischen Gesellschaft, die bereits mit der Grün- zu verwirklichen. Die Familie als Lebensmittelpunkt,
dung der Kolonien eingesetzt hatte, verschärfte den der Fortzug von der Herkunftsfamilie und die Neu-
Interessenskonflikt. Die um 1776 verzeichneten gründung einer eigenen sowie die sogenannten fami-
2,5 Mio. englischen Siedler lebten in einem 2000 ly values, welche die Politiker der Gegenwart als ur-
km langen und rund 300 km breiten Küstensaum. eigene Norm Amerikas heraufbeschwören, entspre-
Die Realität des Lebens an der dünn besiedelten chen also einer über vierhundert Jahre angelegten
Frontier, das Überleben als Bauer oder Händler mit Tradition des Überlebens in der Kleinfamilie in einem
Anschluss an die Weltmärkte erforderte Eigeninitia- dünn besiedelten Land. Die Kleinfamilie wurde kul-
tive, Planung und innovative Lebensbewältigungs- turelle Norm, da sie mit der individuellen Wahl des
strategien, was der Mythenbildung und „Selbstame- wirtschaftlichen Lebensschicksals und aller sich da-
rikanisierung Amerikas“ sehr dienlich war. raus ableitenden, individuellen Freiheit verbunden war.

Wertvorstellungen der Kolonialzeit – Kolonien als Teil der globalen Ökonomie


Fundamente der modernen Gesellschaft (1763–1789)
In beiden Phasen der britischen Kolonialisierung Ab Mitte des 18. Jahrhunderts zeigte sich in den
wurden permanente, angelsächsisch-puritanisch- Kolonien eine ausgeprägt individualisierte, auf per-
calvinistische Normen, Werte und Denkmuster der sönliches wirtschaftliches Überleben und Wohlerge-
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58 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

hen ausgerichtete Gesellschaft. Die auf wirtschaft- Landwirtschaftliche Großunternehmer wie der
liche Inwertsetzung ihrer Territorien fokussierte Ko- spätere Präsident George Washington (1732 – 1799)
lonialmacht, welche für ihre Gebiete eigene Nut- oder Thomas Jefferson (1743 – 1826) beschäftigten
zungskonzepte hatte, legte mit der Königlichen Pro- auf ihren Gütern mehrere hundert Sklaven. Um 1774
klamation von 1763 die Appalachen als Westgrenze lebten in Neuengland 15 000 Sklaven, rund 38 000
der Besiedlung fest. Damit sollten nach dem Sieben- waren in New York und Delaware überwiegend in
jährigen Krieg in Europa, den England und Frank- Haushalten und Manufakturen tätig, 433 000 arbei-
reich auch an ihren amerikanischen Grenzen ausge- teten auf den Plantagen und sogar den Subsistenz-
fochten hatten, Investitionsabflüsse für Kriege im farmen des Südens (Schäfer 1998, S. 35).
Indianerland westlich der Appalachen ebenso ver- Exportlandwirtschaft und Handel mit landwirt-
hindert werden wie die ungeordnete Besiedlung die- schaftlichen Produkten oder Manufakturwaren (Ge-
ser Gebiete durch Privatleute und Terraingesell- wehre, Uhren, Möbel, Töpferei, Glaswaren) sowie
schaften. Beides hätte der zukünftigen kommerziel- Produkten der lokalen Eisenerzeugung bewirkten
len Ausbeutung seitens der englischen Regierung einen starken wirtschaftlichen Aufschwung der Groß-
entgegengestanden. städte an der Ostküste. Der Weltmarktanteil ameri-
Bereits am Vorabend der Revolution waren die kanischer Handelsgüter stieg so rasant, dass die
Kolonien Teil einer weltweiten Marktwirtschaft ge- englische Regierung ihre eigene Industrie ab 1750
worden. Im Dreieckshandel vertrieb man nach Euro- gegen die leistungsstarke amerikanische Eisenpro-
pa Fisch, Pelze und landwirtschaftliche Produkte duktion mit Importzöllen und Produktionskontingen-
wie Tabak, Reis, Indigo, Weizen und Pökelfleisch. tierung schützte. Der Aufschwung dieser Wirtschafts-
Aus Europa bezog man z. B. Wein. In die Karibik ex- zweige bewirkte in den Kolonien zweierlei: zum
portierte man Weizen, Mehl, Holz, Pferde und führte einen den steigenden Wohlstand und weit gehende
Zucker und Melasse für die Rumherstellung, ferner Autarkie, zum anderen weit reichende soziale Diffe-
Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle und Mahagonihölzer renzierung (Lemon 1990, S. 141 ff., 144).
ein. Sklavenhandel verband die Kolonien mit West-
afrika. Die Kolonien hatten sich zu Netto-Exporteu- Entstehung sozialer Ungleichheit
ren landwirtschaftlicher Produkte entwickelt; sowohl Das Aufkommen neuer Handwerks- und Gewerbe-
die Agrarwirtschaft des Nordens wie auch der süd- zweige wie auch gut bezahlter Lohnarbeit in Manu-
lichen Plantagenstaaten war kommerziell ausgerich- fakturen ließ in der kolonial-amerikanischen Gesell-
tet. Die Plantagenwirtschaft erwies sich als be- schaft eine neue soziale Schichtung der mittelstän-
sonders ertragreich (Schäfer 1998, S. 57 – 61): Der dischen Gewerbetreibenden entstehen. Vermögende
Tabakanbau in den südlichen Kolonien erreichte al- Kaufleute, Manufakturbesitzer, Schiffseigner und
lein 1760 einen Exportwert von 80 Mio. Pfund, sein sozioprofessionelle Kategorien wie Lehrer, Geist-
Anteil am Gesamtexport der Kolonien lag bei 45 %. liche, Apotheker oder Ärzte bildeten den gehobenen
Um 1760 stellte Reis 20 % des kolonialen Exports Mittelstand; Arbeiter, Dienstboten, Handwerker, Tage-
dar; die Baumwolle hatte noch keine Bedeutung. löhner und Seeleute machten die untere Mittel-
Die Einfuhr und Beschäftigung von afrikanischen schicht aus (Schäfer 1998, S. 62 f.). Gegenüber Eu-
Sklaven erreichte wegen der Produktionserforder- ropa, das um 1750 noch keine Gewerbefreiheit
nisse zwischen 1763 und 1775 ihren Höhepunkt. kannte, war die kolonial-amerikanische Gesellschaft
Im Gegensatz zu den indentured servants, die sich in eine moderne Ära eingetreten und beschritt einen
für die Überfahrt nach Amerika auf mehrere Jahre in modellhaften neuen Weg. Soziale, wirtschaftliche
Niedriglohnverhältnisse von ca. 20 Pfund pro Jahr und kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten, begleitet
begaben und durch mehrjährigen Dienst freikauf- von religiös-moralischer Legitimierung, ließen insbe-
ten, konnten schwarze Sklaven für ca. 8 Pfund als sondere die Städte Amerikas zu den neuen Wirt-
unbezahlte Arbeitskräfte zur lebenslangen Verfü- schaftszentren werden. Dabei blieb jedoch die reli-
gung eingekauft werden (Schäfer 1998, S. 50 f.). giös-kulturelle Identität der ursprünglichen Kolonien
Indentured servants, die bevorzugten Arbeitskräfte in den einzelnen Regionen erhalten, was sich bis in
in den frühen Kolonien, waren im ausgehenden die Gegenwart in unterschiedlichen, regional ge-
18. Jahrhundert bereits zu teuer geworden: Um prägten Gesellschaften zeigt: Die Neuenglandstaa-
1800 konnten Dienstherren noch für ungefähr 70 ten konnten aufgrund ihrer diversen Wirtschafts-
Dollar einen gesunden erwachsenen indentured ser- struktur und der Tatsache, dass sie sowohl Europa
vant als Gegenleistung für 3 Jahre Arbeit erhalten. am nächsten als auch an den Zugangswegen zum
Der Arbeitgeber konnte dadurch in drei Jahren zwi- Inneren des Kontinents lagen, den größten Anteil an
schen 500 und 900 Dollar erwirtschaften. Im ausländischen und einheimischen Investitionen an-
Gegensatz zu freien Arbeitern, die bei voller Kost ziehen. Die Gesellschaft von Neuengland entwickel-
und Logis zwischen 50 Cents und einem Dollar pro te sich daher bereits vor Gründung der USA zur
Tag verdienten (Adams 1992, S. 14), waren die „Leitgesellschaft“ Amerikas, die sich durch ihren
6 Cents, die ein indentured servant pro Tag koste- Wohlstand und ihre puritanisch-calvinistische Grund-
te, vergleichsweise gering. Afrikanische Sklaven lage, insbesondere der Tatsache, dass sich viele der
stellten im Vergleich dazu jedoch eine noch größere wohlhabenden Familien in direkter Abstammung
Kostenersparnis und damit eine Profitmaximierung von den Pilgervätern wussten, in der Gesellschaft
dar. hervorhoben. Der sogenannte „Geldadel der Ostküs-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 59

Vorbestimmung einer WASP-Gesellschaft 59

te“ (Boston Aristocracy) ist bis in die Gegenwart in und Mittelschicht hatten erkannt, dass die Kolonien
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hinsichtlich des nicht nur im Begriff waren, europäische Nationen
Zusammenspiels von Wirtschaftsgeist und religiös- wirtschaftlich zu überholen, sondern auch, dass ihre
sozialen Werten im „Weißen Amerika“ tonangebend. Investitions- und Expansionsabsichten durch eine
Noch heute zeugen politische Kampagnen von Füh- Reihe von Maßnahmen stark beschnitten wurden.
rungspersonen von der festen Verankerung der ame- Dazu gehörten:
rikanischen Gesellschaft in dieser Mentalität. Man ■ britische Handels- und Produktionsbeschränkungen,
denke hier z. B. an Präsidentenfamilien beider gro- ■ stärkere Besteuerung („Zuckergesetz“ von 1764),
ßer Parteien, die eine Verbindung zur Bostoner ■ Beschränkung der in den Kolonien in Umlauf ge-
„Aristokratie“ oder deren Umfeld herleiten (die Ken- brachten Geldmenge („Währungsgesetz“),
nedy-Familie, Barbara Bush, Hillary Clinton) und ■ die Königliche Proklamation von 1763 zur west-
die fundamentalen amerikanischen Leitwerte hard wärtigen Siedlungsgrenze,
work – in der Sozialhilfepolitik auch die Maxime ■ die Stempelsteuergesetzgebung von 1765 und
work for pay und family values – propagieren. Die ■ das Einquartierungsgesetz zur Unterbringung von
stets von Haus aus sehr wohlhabenden amerikani- militärischem Personal.
schen Spitzenpolitiker demonstrieren bewusst die Die Steuergesetze für die Kolonien entsprachen
vollständige Verankerung im puritanischen Ideal: nicht der englischen Verfassung, wonach das Volk
Danach besitzt nur der moralisch hochstehende selbst über seine Repräsentanten und Besteuerung
Mensch, der durch eigene Arbeit Reichtum erwor- bestimmte. Dies führte zu starkem Protest („No tax-
ben hat oder den Familienreichtum mehren konnte ation without representation“), der sich in einem
und dadurch unkorrumpierbar ist, die moralische Importboykott für britische Waren und der Entste-
Integrität, einem Gemeinwesen vorzustehen. hung radikaler Geheimbünde äußerte, die Protestak-
Die Prosperität der sich ausdifferenzierenden Ge- tionen vorbereiteten. Der 1765 einberufene Stem-
sellschaft am Ende des kolonialen Zeitalters war in pelsteuerkongress der 13 Kolonien forderte die bri-
den Städten besonders auffallend. Küstenstädte tische Regierung zur Rücknahme der Gesetze auf.
wurden Knotenpunkte von Wirtschaft, Gesellschaft, Mit der Townshend-Gesetzgebung von 1767 ver-
Politik und Kultur. Um 1750 lebten 5 % der Ameri- zichtete diese zwar auf einige der Abgaben; sie legte
kaner, ca. 132 000 Menschen, in Städten. Aufgrund jedoch neue Importzölle auf wichtige britische Wa-
des Sklavenhandels als wichtigstem Wirtschafts- ren wie Tee fest. Die britische Truppenstationierung
zweig war Charleston die reichste Stadt unter ihnen, in Boston von 1768 und eine blutige Demonstration
gefolgt von Philadelphia, das zunächst vom Getrei- gegen die britische Staatsmacht – das sogenannte
dehandel mit Europa lebte, dann zur wichtigsten „Massaker von Boston“ von 1770 – ließen die wirt-
Schiffsbaustadt an der Ostküste aufstieg. New York schaftlichen und politischen Gegensätze weiter es-
gehörte wegen seiner Orientierung auf den Binnen- kalieren.
handel, der über die Hudson-Mohawk-Senke abge- Mehrere Maßnahmen sollten die Kolonien zur
wickelt wurde, nicht zu den wichtigen internationa- Orientierung auf England zwingen (Adams 2000,
len Städten im kolonialen Amerika. S. 38 – 41): Ein Handelskrieg seitens der britischen
Bereits im 18. Jahrhundert gehörten die amerika- Regierung sollte den Protest der Kolonien brechen.
nischen Städte zu den Welthandelszentren: Die ko- So wurde mit dem Teegesetz von 1773 dem Wirt-
loniale Wirtschaft war eine quasi weltweit operieren- schaftskonzern East India Company, der zweitgröß-
de, großkapitalistisch geprägte, welche nicht nur im ten Finanzgesellschaft Englands nach der Bank von
Mutterland, sondern vor allem in den Kolonien gro- England und Monopolgesellschaft zur Inwertsetzung
ßen Wohlstand und starke Interessen am Erhalt des von Indien, eine interessante Bilanzierungsmöglich-
wirtschaftlichen Status quo hervorgebracht hatte. keit gewährt: Die in England zu entrichtenden Ein-
Die Jahre der Prosperität vor der amerikanischen fuhrzölle auf Tee konnten fortan mit den britischen
Revolution waren durch immer gravierendere Dispa- Einfuhrzöllen auf Teelieferungen in die Kolonien
ritäten gekennzeichnet. Zwar waren die Lebens- und verrechnet werden, sofern indischer Tee direkt in die
Arbeitsbedingungen und Löhne der Weißen in den amerikanischen Kolonien geliefert würde. Mit dieser
amerikanischen Kolonien im 18. Jahrhundert insge- Maßnahme wollte die Londoner Regierung den Ein-
samt besser als in Europa, wo noch Hungersnöte und fuhrboykott der amerikanischen Kolonien gegen Tee-
Leibeigenschaft herrschten. Soziale Spannungen, die lieferungen aus England brechen. Ferner sollte Tee
bis in die Gegenwart anhalten, begannen sich jedoch des Großproduzenten East India Company im Sinne
bereits abzuzeichnen. Die unregelmäßige Beschäfti- eines Dumpings auf dem amerikanischen Markt so
gung der unteren sozialen Schichten in einer Wirt- billig abgesetzt werden, dass amerikanische Unter-
schaft, die auf noch billigere Arbeitskräfte zurück- nehmen, die Tee unter Umgehung Englands direkt
greifen konnte, wurde zu einem Problem, das immer einführten, ruiniert würden. Dem Wirtschaftskampf
mehr Menschen in prekäre Verhältnisse führte. und dem britischen Druck auf die kolonial-amerika-
nische Wirtschaft folgte der Widerstand. Die Boston
Wirtschaftliche Interessen Tea Party, bei der 1773 auf Geheiß von Samuel
als Auslöser des Unabhängigkeitskrieges Adams, einem der Verfassungsväter der USA, die
Am Vorabend der amerikanischen Revolution waren Teeladung der East India Company im Bostoner Ha-
die Kolonien vermögende Regionen. Unternehmer fen versenkt wurde, war daher mehr als ein symboli-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 60

60 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Lake of the Woods de Säule der amerikanischen Gesellschaft ver-


standen wird,
■ Einrichtung bewaffneter Milizen und
Oberer See
■ die Ablehnung der britischen Zwangsgesetze.
M.E.
(Mass.) Zwar war bis 1775 der Begriff „Unabhängigkeit“ in
Britisch-Kanada
der politischen Debatte nicht präsent, da es nicht
Huronsee
um Unabhängigkeit, sondern nur um diametral kon-
ansee

träre Wirtschaftsinteressen ging (Dippel 1999,


osee N.H. S. 24). Allerdings bereiteten die amerikanischen Ko-
Ontari
ig
Mich

New lonien durch entsprechende Aufrüstung und ein Mi-


York Mass.
e Conn. lizsystem die Verteidigung ihrer Interessen mit allen
ese R.I.
Eri
Mitteln vor. Die britische Razzia eines Waffenlagers
der Milizen der dreizehn Kolonien bei Concord war
Pennsylvania
daher der Vorwand für den bewaffneten Kampf.
N.J.
M.D. Nach ersten Gefechten bei Boston (Bunker Hill) um
Del. 1775 stellten die Kolonien ihre Kontinentalarmee
Virginia mit George Washington als Oberbefehlshaber auf.
Spanisch- Ohio
Louisiana
Aus wirtschaftlichen Interessengegensätzen war Be-
reitschaft zur militärischen Durchsetzung beidseiti-
ger Ansprüche geworden.
i
pp

North Carolina
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Der Zweite Kontinentalkongress in Philadelphia


ssi
Mi

von 1776 ließ die Kriegssituation eskalieren: Die


South Kolonien riefen den Verteidigungszustand aus und
Carolina
appellierten an die Bevölkerung Britisch-Kanadas,
Chattahoochee

Georgia dem zuvor die Selbstverwaltung verweigert worden


war, sich dem Kampf gegen England anzuschließen.
t
Flin

Nach dem Beschluss des Kongresses zur Unabhän-


gigkeit vom 2. Juli 1776 war die eigentliche Unab-
hängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 der Auslöser
Spa

des sogenannten „Freiheitskrieges der Vereinigten


nis

0 500 km
ch-

Staaten“, der von 1775 bis 1783 dauerte (Adams


Flo

2000, S. 44). Die britische Vorherrschaft wurde mit


Quelle: Hilliard 1990, S. 151.
rida

Die Neue Nation 1783 Hilfe internationaler Solidarisierung endgültig ge-


Grenze des indianischen brochen, nachdem Ausrüstung, Waffen und Freiwil-
Siedlungsgebietes lige aus Deutschland, Frankreich und den Nieder-
Grenze des in Bundesstaaten landen den Kolonien Beistand leisteten. Das Bünd-
aufgeteilten Gebietes
Grenze des Staatsgebietes
nis mit der französischen Regierung von 1777, die
ebenfalls auf dem amerikanischen Kontinent territo-
riale Gebietsansprüche zu festigen suchte, bedeu-
Abb. 49: Anspruchsgebie- scher Akt. Zu den darauf folgenden drakonischen tete in erster Linie militärische und finanzielle Hilfe
te der ersten amerikani- Strafmaßnahmen der britischen Regierung gehörten für die amerikanischen Freiheitskämpfer. Die Freund-
schen Bundesstaaten auf (Adams 2000, S. 40 f.): schaft zwischen Frankreich und den USA während
Territorien östlich des Mis-
■ die Schließung des Bostoner Hafens, des Unabhängigkeitskrieges war später eine Grund-
sissippi.
■ versuchte Stilllegung des Handels und der Versor- lage für Frankreichs Übernahme des US-amerikani-
gung, schen Modells einer freiheitlichen Demokratie nach
■ Außerkraftsetzen der Grundgesetze von Massa- seiner Revolution.
chusetts, Nach der Niederlage Englands von 1781 regelte
■ der Erlass zur Einquartierung von Militär in allen der Friedensvertrag von Paris vom 3. September 1783
Kolonien und Privatwohnungen. die Neustrukturierung Nordamerikas (Abb. 49 u.
Mit der expliziten Verweigerung der weiteren Selbst- 50). Großbritannien erkannte die Unabhängigkeit
verwaltung der Provinz Quebec, die nach dem Sie- des neuen Staates an, dessen Territorium nun das
benjährigen Krieg wieder englische Domäne wurde, Gebiet südlich der Großen Seen und östlich des
sowie des Gebiets zwischen den Kolonien und dem Mississippi umfasste. Bei der Erweiterung der ur-
Mississippi waren die Wirtschaftsinteressen der Ko- sprünglich dreizehn Kolonien zu den USA, die nun-
lonien und die Ansprüche der Siedler auf Besied- mehr bis zum Mississippi reichten, handelte es sich
lung der westlichen Frontier jenseits der dreizehn also um jene Gebiete, welche sich die britische Re-
Kolonien vollends unterbunden. Der 1774 einberu- gierung zur zukünftigen Ausbeutung zunächst vor-
fene Erste Kontinentalkongress bestimmte folgende behalten hatte und die weit über die Grenzen der
Maßnahmen: ehemaligen Kolonien hinausreichten. Das Staatsge-
■ Beschluss zur Bewaffnung des Volkes – eine Ma- biet der USA wurde somit um 1783, wie vom Kon-
xime, die auch in der amerikanischen Verfassung gress gefordert, mehr als verdoppelt, was der tat-
Eingang fand und bis in die Gegenwart als tragen- sächlich vollzogenen Besiedlung und dem dadurch
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 61

Grundlagen der Inwertsetzung der USA nach 1783 61

Lake of
the Woods

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Beansprucht von
B r i t i s h-K a n a d a N.Y. und N.H. (Mass.)

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Ebenfalls von Massachusetts Beansprucht New York Mass.


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beansprucht (1785 abgetreten) von Mass.


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(1800 ab- Conn. (Pa. 1782


Ebenfalls beansprucht von Connecticut getreten) zugesprochen)
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(1786 abgetreten)
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36º 31'
Beansprucht von North Carolina
(1790 abgetreten) North Carolina
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Beansprucht von South Carolina (1787 abgetrete


ten)
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South Carolina
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Beansprucht von Georgia


Miss

(1802)
0 500 km
Quelle: Hilliard 1990, S. 153.

32º28' Georgia
YAZOO-STREIFEN
Streit zwischen USA und Spanien
(1795 abgetreten von Spanien) Anspruch der Staaten auf das westliche Land
(1802 abgetreten von Georgia)
31º00' Die dreizehn ersten Abgetretenes Abb.50: Konfligierende
Spani Staaten nach den Gebiet
sch Fl
orida Gebietsabtretungen Landansprüche der ersten
Bundesstaaten.

bedingten Gewohnheitsrecht entsprach. Flori- nach Kanada vertrieben, ihr Besitz kon-
da verblieb bei Spanien, Kanada bei Großbri- fisziert und verkauft, um die neue Re-
tannien. Die letzten 100 000 Königstreuen wur- publik vor einer Konterrevolution zu
den aus den neuen amerikanischen Bundesstaaten schützen (Dippel 1999, S. 27).

Grundlagen der Inwertsetzung


der USA nach 1783
Die durch den Frieden von Paris 1783 den USA zu- härenz erreicht werden. Es galt auch, Gebiete der
gesprochenen, riesenhaften neuen Territorien östlich Indianer zu integrieren und diese zu Landabtretun-
des Mississippi mussten rasch erschlossen und be- gen zu bewegen. Die Schaffung eines einheitlichen
siedelt werden. Den enormen logistischen Aufgaben Binnenmarkts, die Institutionalisierung eines Natio-
gegenüber waren die sozialen Bereiche nicht minder nalstaats und sämtlicher Verwaltungsebenen im fö-
wichtig. Es galt, die sozialen Probleme einer Gesell- derativen System, aber auch die Schaffung einer
schaft im Umbruch auf einem Minimum zu halten. politischen Repräsentation und Partizipation sowie
Beide Aufgaben waren jedoch engstens miteinander eines nationalen Wir-Gefühls – einer nationalen Iden-
verbunden: Die territoriale Konsolidierung konnte tität als dem Mörtel, der das Gefüge der Vereinigten
nur durch ökonomische, politische und soziale Ko- Staaten zusammenhält – waren daher die vordring-
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 62

62 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

lichen Aufgaben (Hilliard 1990, S. 150 – 152; Schä- bis in die Gegenwart anhält und von beiden großen
fer 1998, S. 81 – 87). Auf institutioneller Ebene wur- politischen Parteien der USA zwar mit gegensätz-
den mehrere Vorgehensweisen wichtig, um die USA lichen Argumenten zu seiner Ausgestaltung geführt
östlich des Mississippi und die noch zu erwerbenden hat, aber nie grundsätzlich hinterfragt wird.
Territorien westlich davon wirtschaftlich in Wert zu Um das Individuum vor zu viel zentralstaatlicher,
setzen und auf sozialer und politischer Ebene zu in- bundesstaatlicher oder kommunaler Macht zu schüt-
tegrieren. zen, wurde das Recht des Einzelnen als das funda-
mentale Grundrecht in die Unabhängigkeitserklä-
Die institutionelle Ebene rung und das gesamte noch folgende Verfassungs-
und der politisch-kulturelle Ansatz werk (Constitution 1787, Bill of Rights 1787,
Neben einer gänzlich neuen Staatsordnung mussten Amendments to the Bill of Rights – Verfassungszu-
politische und administrative Institutionen geschaf- sätze und -änderungen ab 1787 bis in das 20. Jahr-
fen werden. Gewählt wurde ein föderatives politi- hundert) aufgenommen. Das Recht des einzelnen
sches System, das der Bundesregierung begrenzte Bürgers wurde nicht nur mit dem universellen Recht
Befugnis und den Bundesstaaten klar zugewiesene auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück –
Kompetenzen mit einem hohen Grad an Autonomie in der Erstversion noch Streben nach Wohlstand ge-
erteilte (s. die Kap. „Politisch-kulturelle Tradition“, nannt –, sondern mit dem System von Regeln und
„Stadtentwicklung“ und „Einblicke“). Dies erschien Kontrollmechanismen (checks and balances) zur
als das geeignete System sowohl zur Administration Verhinderung des Machtmissbrauchs der Zentralre-
der riesigen Territorien als auch zur Sicherung der in- gierung verankert (Corwin & Peltason 1985). Drei
dividuellen Freiheiten und Bürgerrechte. Die neue Aspekte sind darin ganz besonders wichtig:
Bundesregierung regelte Einfuhrzölle, Steuern und ■ Zehn individuelle freiheitliche Grundrechte wur-
den Außenhandel. Bereits unter der Präsidentschaft den direkt in der Bill of Rights als Zusatzartikel
George Washingtons (1789 – 97) und den folgenden (amendments) zur Verfassung aufgenommen.
Administrationen wurde ein so hohes Volkseinkom- ■ Der Zehnte Zusatzartikel zur Verfassung (Tenth
men erreicht, dass nicht nur die Schuldenlast aus Amendment) bestimmt, dass all jene Verfügungs-
dem Krieg, sondern auch diejenige aus den ersten gewalten und Kompetenzen, die sich die Bundes-
Jahren des Aufbaus abgebaut werden konnte. Es regierung nicht explizit vorbehalten hat, in der
wurde darüber hinaus ein solch solides Finanz- und Domäne der unteren föderativen Ebenen angesie-
Währungssystem aufgebaut, dass es massiv Investi- delt sind. Damit wurden a priori viele Aufgaben,
tionen aus Europa anzog (Rode 1992, S. 22 – 24). die in anderen Ländern als zentralstaatlich ver-
Diese wurden auch dadurch begünstigt, dass durch standen werden, wie z. B. die moderne Raum-
die territoriale Expansion und die fortdauernde Be- ordnung zum Ausgleich ungleicher Lebensbedin-
siedlung in Richtung des Mississippi auch der Bin- gungen, in die Hand der Bundesstaaten oder
nenmarkt konsolidiert wurde. Gelddruck und Geld- Kommunen gegeben. Die Bundesregierung der
ausgabe wurden in die Hand der Bundesregierung USA übernahm damit von Anbeginn an explizit
gegeben, die Bundesstaaten erhielten für ihre Abga- nicht jene Zuständigkeit für den Ausgleich un-
be von Befugnissen, die sie als Kolonien gehabt hat- gleicher Entwicklungen, die in westeuropäischen
ten, eine Aufwertung durch Repräsentanz im politi- Ländern die Zentralregierungen auf sich nahmen.
schen System: Die neue demokratische Gewaltentei- ■ Das in der Unabhängigkeitserklärung als erstem
lung sah einen Kongress mit zwei Kammern – Senat Dokument des Verfassungswerkes verankerte
und Repräsentantenhaus –, ferner einen Präsidenten Recht auf Streben nach Glück sichert dem Einzel-
und Obersten Gerichtshof vor. Im Senat erhielt jeder nen zu, jederzeit Bundesgesetze, einzelstaatliche
Staat ein Mitspracherecht über zwei Senatoren, un- und kommunale Gesetzgebung auf ihre Verfas-
abhängig von Territorium und Bevölkerungsgröße. Der sungsmäßigkeit, ob sie tatsächlich mit dem „Stre-
Senat nahm Einfluss auf die Gesetzgebung, den Ab- ben nach Glück“ vereinbar sind, überprüfen zu
schluss von Staatsverträgen und die Ernennung aller lassen. Damit wurde in den USA das Recht des
wichtigen Amtsinhaber der Exekutive und Judikative. Individuums prinzipiell vor das Recht des Ge-
Die Machtbefugnisse des Kongresses selbst wurden meinwesens gestellt.
durch eine Exekutive mit einem auf vier Jahre gewähl- Für die junge Republik und die Erschließung der
ten Präsidenten eingeschränkt (s. Kap. „Einblicke“). riesenhaften Territorien bedeutete dies, dass jeder
Jeder Bundesstaat erhielt einen sehr starken Grad fast ungehindert seinem Gewinnstreben nachgehen
an Autonomie; dies begründete das weak state-Mo- konnte und dabei von der Verfassung gedeckt war.
dell der USA („Anti-Etatismus“), die bewusst „durch Die USA hatten damit bewusst eine völlig neue, von
das Volk eine Regierung aus dem Volk und für das europäischen Staaten sich unterscheidende Gesell-
Volk“ gewählt hatten. Es erschwerte allerdings auch schaftsordnung geschaffen, die das Land im wirt-
zeitweise der Bundesregierung, zentral bzw. in einem schaftlichen und juristischen Sinne fast zu einem
europäischen Verständnis von einem Zentralstaat zu „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ machte.
regieren. Viele interstaatlichen Angelegenheiten Angesichts eines noch feudal strukturierten Europa
wurden von den einzelnen Staaten selbst geregelt. wurde Amerika zumindest in der Wahrnehmung der
Dies führte schon um 1786 zu politischen Debatten Welt zu einem Hafen für all jene, die auch religiöse
um die Rolle des Zentralstaates – eine Debatte, die und individuelle Freiheit suchten.
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 63

Grundlagen der Inwertsetzung der USA nach 1783 63

Privatism zur Lösung nationaler Aufgaben im in der Lage waren, riesige Erschließungsprojekte zu
kontinentalen Maßstab realisieren, blieben bis 1872 ein brisantes politi-
Der plötzliche Zuwachs eines immens großen Terri- sches Thema. Erst in jenem Jahr konnten Ansprü-
toriums als Ergebnis des Unabhängigkeitskrieges che der Privatwirtschaft durch die Einführung einer
trug wesentlich dazu bei, die Entwicklung Amerikas Gesetzgebung zur Schaffung von Nationalparks,
in dem bereits seit über 150 Jahre praktizierten welche somit öffentliches Land dauerhaft vor privat-
Muster des Individualismus und Privatismus – also wirtschaftlichem Zugriff schützte, geregelt werden.
einer Erschließung nach der Maxime: Let private en- Landspekulation erwies sich seit dem Unabhän-
terprise do it – fortzuführen. gigkeitskrieg als gravierendes Problem, sodass der
Die Bundesregierung begann ab 1783 mit der ge- Kongress unter Thomas Jefferson mit der Northwest
zielten territorialen Erschließung; sie benutzte dazu Ordinance von 1787 alle neuen westlichen Territo-
Steuerungsmechanismen, die Unternehmergeist und rien zu selbstverwalteten Staaten deklarierte, bis sie
privatwirtschaftliche Interessen einbinden sollten. in der Union Aufnahme fänden. Danach war die
Die bewusste Übergabe nationaler Erschließungs- Gründung von zehn weiteren Bundesstaaten nörd-
aufgaben an das Unternehmertum und privatwirt- lich des Ohio River sowie im Süden und Südwesten
schaftliches Interesse wurde fortan ein Grundmuster bis zum Mississippi vorgesehen und es wurden fol-
der politischen und planungspolitischen Kultur. gende Voraussetzungen dafür festgesetzt: Jedes Ge-
biet mit einer Besiedlungszahl von mindestens
Informationsbeschaffung und Regelwerke 60 000 Einwohnern konnte sich eine Verfassung als
für die neuen Territorien Bundesstaat geben und um Aufnahme in die Verei-
Die Potenziale, welche der Unternehmergeist in der nigten Staaten ersuchen. Um die Gründung von Bun-
gezielten Erschließung des neuen Territoriums sah, desstaaten und deren rasche Besiedlung zu erleich-
und die tatsächlichen Renditen, die dabei erzielt tern, führte die Ordinance die quadratische Land-
wurden, ließen den Erwerb oder die Übernahme vermessung ein, die vom Army Corps of Engineers
weiterer Territorien westlich des Mississippi sehr vorgenommen wurde.
früh interessant erscheinen. Um die wirtschaftlichen
Möglichkeiten auszuloten, entschloss sich die Das Landvermessungssystem – effiziente Grundlage
Bundesregierung zur Beschaffung von Informatio- für die wirtschaftliche Erschließung
nen über die neuen und möglicherweise zu erwer- Das Landvermessungssystem von 1787 war die ra-
benden Territorien. Im Auftrag der Bundesregierung tionellste und schnellste Art, den gesamten Konti-
wurden zwischen 1787 und 1806 vom Army Corps nent flächendeckend zu vermessen. Es lieferte die
of Engineers unter Beteiligung von Geologen Territo- Katastergrundlage für die Besiedlung und Landnut-
rien und Bodenschätze erfasst und durch Vermes- zung und schuf damit die Voraussetzung für die pri-
sungsingenieure eine Evaluierung, Georeferenzie- vatwirtschaftliche Inwertsetzung. Landvermessung
rung und Kartierung des Landes durchgeführt. war in den USA nicht gänzlich neu, allerdings war
Diese erlaubten die punktgenaue Verortung von die über zweihundert Jahre lang praktizierte Land-
Ressourcen. Der Ressourcenreichtum war grund- vermessung in den Kolonien nicht systematisch ge-
sätzlich nicht unbekannt, waren doch schon zu Ende wesen, sondern hatte vielfältige, an der Topographie
des Siebenjährigen Krieges Siedler zu Zehntausen- orientierte Grundraster geschaffen. Auch in juristi-
den in das Gebiet jenseits der Appalachen gelangt scher Hinsicht war die Landvermessung bis dahin
und hatten Informationen zurück an die Atlantik- flexibel gewesen: Wurden in Neuengland die Parzel-
küste geleitet. Nach dem Unabhängigkeitskrieg, in len vor den Landverkäufen vermessen, so erwarb der
dem die USA die englischen Besitzansprüche auf Siedler in den südlichen Staaten zuerst das Recht
Territorien ablösten, erhoben alle dreizehn Kolonien, auf eine Parzelle im neuen Siedlungsgebiet, welche
die sich mittlerweile zu Bundesstaaten erklärt hat- er selber aussuchen und vermessen lassen konnte.
ten, Anspruch auf Territorien vom Oberen See bis in Erstankömmlinge hatten so den Vorteil, die besten
den Süden zum 31. Breitengrad. Dass diese Territo- Ländereien aussuchen zu können; für Zuspätgekom-
rien eigentlich den Indianern gehörten, galt dabei mene blieb häufig nur die weitere Migration nach
als weniger relevant. Die zwischen der Bundesregie- Westen (Hilliard 1990, S. 150). Aufgrund der North-
rung und den Bundesstaaten geführte politische De- west Ordinance von 1787 wurde das neuenglische
batte wurde dahingehend entschieden, dass der System der Absteckung von vorgegebenen Sied-
Bundesstaat New York seinen Anspruch nur wenige lungsparzellen vor dem Grundstückskauf landesweit
Jahre nach der Unabhängigkeit als Erster an die übernommen; der erwartete wirtschaftliche Nutzen
Bundesregierung abtrat (Hilliard 1990, S. 154). Als der neuen Territorien bedeutete, dass die Vermes-
Ergebnis entstand die public domain, eine immense sung standardisiert zu erfolgen hatte. So wurde
Reserve von Staatsland. Dies diente der Konsolidie- innerhalb von nur fünfzig Jahren die erste Gesamt-
rung und geordneten, friedlichen Infrastrukturer- vermessung des zusammenhängenden Staatsgebiets
schließung für eine territoriale und wirtschaftliche der damaligen USA vorgenommen. Sie registrierte
Entwicklung der USA. Verwaltung, Aufteilung und die verfügbaren Parzellen vor dem Verkauf, was Ver-
Organisation der public domain, die Neugründung zögerungen bei der Besiedlung verhinderte.
von Bundesstaaten auf diesem Gebiet sowie der Zur Vereinfachung der Besiedlung wurde in den
Umgang mit Terraingesellschaften, die als Einzige ersten Jahren nach der Unabhängigkeit die illegale
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 64

64 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

Abb. 51: Das Landver- Referenzkoordinate für die Vermessung, 1785


Eriesee

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messungssystem nach VII VI V IV III II I

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Kentucky 19 West Virginia 6 5 4 3 2


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3 le M2 1
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Marietta L

Quelle: Hilliard 1990, S.159.


2 1 0 10 20 30 40 50 km

1 Michigan Meridian 4 South and East of first 7 Ohio River Base 12 Virginia Military 16 Ohio Company
Surveys Principal Meridian 8 Muskingum River Base Reserve Purchases
2 Twelve Mile Reserve 5 Firelands 9 Miami River Base 13 U.S. Military Reserve 17 East of Scioto
3 North and East of first 6 Connecticut Western 10 Between the Miamis 14 Original Seven Ranges 18 Scioto River Base
Principal Meridian Reserve 11 Symmes Purchase 15 Donation Tract 19 French Grants

Landbesetzung noch nachträglich legalisiert. Das ■ Erfassung der Bodenschätze, Naturgegebenheiten


American Rectangular Land Survey System von und agrarischen Nutzungsmöglichkeiten,
1787 begann mit Ohio als erstem aus der public ■ Erkundung der Erschließungsmöglichkeiten zu
domain hervorgegangenen Staat die landesweite Land und zu Wasser sowie
quadratische Vermessung, welche Grenzstreitigkei- ■ der Lebenswelten der Indianerstämme und der
ten nahezu ausschließen und die Kulturlandschaft traditionellen und möglichen Landnutzungen.
und die Städtegrundrisse bis in die Gegenwart Die 1814 veröffentlichten, gesammelten Werke der
nachhaltig prägen sollte. Die Vermessung (Abb. 51) Expeditionen wurden über ihren wissenschaftlichen
orientierte sich an breitenparallel verlaufenden Ba- Stellenwert hinaus als Teil der Nationalliteratur der
sislinien (base lines) und längenparallel verlaufen- Vereinigten Staaten stark mythologisiert und zur na-
den Mittelmeridianen (principal meridians). Inner- tionalen Identitätsbildung verwendet. Die gewonne-
halb des Koordinatenkreuzes wurde am Ausgangs- ne Kenntnis über das vormals Louisiana genannte
punkt (starting point) ein Gittersystem in Nord- und Staatsgebiet wurde ebenfalls zur Grundlage für die
Südrichtung von den Basislinien (tiers) und von den unternehmerisch und aggressiv betriebene Erschlie-
Meridianen ausgehend nach Westen und Osten (ran- ßung und Ausschöpfung von Ressourcen sowie der
ges) abgesteckt. Die dreizehn Gründungsstaaten, in dafür erforderlichen Vertreibung der indigenen Be-
denen die Besitztümer bereits historisch gewachsen völkerung.
und verteilt waren, wurden nicht neu vermessen und Ferner wurde die public domain eindeutig zur
parzelliert (Hilliard 1990, S. 155 – 162). Grundlage eines raschen Städtewachstums und der
flächendeckenden, gezielten Inwertsetzung. Ein Di-
Die Clark-Lewis-Expeditionen von 1803 – 1806 rektverkauf von Land aus der public domain war je-
Mit dem „Louisiana-Kauf“ der USA von Kaiser Na- doch für die Bundesregierung angesichts der Größe
poleon (1803), der damit seine europäischen Kriege des Landes und der tatsächlichen Nachfrage nach
finanzierte, fiel das gesamte französische Territo- eher kleinen Farmstätten unterhalb der 200-acre-
rium westlich des Mississippi bis zum Pazifik an die Grenze (1 acre = ungefähr 4000 m2) unpraktikabel.
USA. Einige Monate vorher begannen die Expeditio- Die Bundesregierung übertrug daher die Landverkäu-
nen von William Clark und Meriwether Lewis im fe an Terrain-Gesellschaften, welche die Vermark-
Auftrag der Bundesregierung damit, dieses Gebiet tung des Landes, die Rekrutierung von Siedlungs-
mit Hilfe des Army Corps of Engineers während willigen in Europa, die eigentlichen Landverkäufe
dreier Jahre systematisch zu erforschen (Abb. 52). und die ersten Erschließungen vornahmen. Thomas
Die Aufgaben der Clark-Lewis-Expeditionen waren: Jefferson (1743 – 1826), einer der Gründerväter der
■ geomorphologische und topographische Kartie- Vereinigten Staaten und Verfasser der Unabhängig-
rungen, keitserklärung, wurde in seiner Amtszeit als dritter
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 65

Grundlagen der Inwertsetzung der USA nach 1783 65

amerikanischer Präsident (1801 – 1809) zum Vor- siver Suburbanisierungsprozess, der in den USA im
reiter für die Landvergabepolitik der USA (Adams 19. Jahrhundert parallel zur Industrialisierung ver-
2000, S. 60 – 62). Französische und englische, aber lief.
auch antike und hier besonders aristotelische Philo-
sophien waren die ideelle Grundlage für Jeffersons Ideologien als geistig-kultureller Mörtel einer
Konzept der staatlichen Landvergabe (s. Kap. „Poli- expandierenden Nation
tisch-kulturelle Tradition“), die im späteren Home- Die ideelle Konsolidierung, welche die territoriale
stead Act von 1862 Eingang fand. Danach sollte die begleiten und untermauern sollte, suchte die Bundes-
Regierung ihren Landbesitz nicht nur ausschließlich regierung bewusst über die Vermittlung von demo-
für öffentliche Zwecke nutzen: Vielmehr sollte sie kratischen Werten, republikanischer Ideologie und
die public domain möglichst schnell in individuel- neuen normativen Leitbildern voranzutreiben. Dass
les, privates Eigentum überführen, um jenen, die eine gezielte Vorgehensweise notwendig war, hatten
um der Freiheit wegen nach Amerika gekommen schon Kontroversen um die Verfassung und die In-
waren, diese auch zu garantieren. Die sogenannten stabilität der neuen Republik gezeigt. Die Befürwor-
Jeffersonians – spätere Vertreter dieser Ansicht – ter des föderativen Staats (Federalists), welche in
wollten besonders die Besitzer von kleinen und den wohlhabenden Küstenstädten und -regionen an-
mittelgroßen Farmen als Stützpfeiler von Demokra- gesiedelt waren, wie die ebenso wohlhabenden
tie und Gesellschaft fördern. Gegner (Anti-Federalists) im ländlichen Raum, vor
Die Propagierung dieser Idee gewann während der allem im von Plantagenwirtschaft geprägten Süden,
im 19. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung sahen in der spezifischen Form des neuen Staats-
zunehmend an Bedeutung. Die Missstände der In- wesens ihre jeweiligen wirtschaftlichen Interessen
dustrialisierung nährten den Mythos vom Leben im in unterschiedlicher Weise tangiert. Durch den Bei-
Grünen, das sich in dieser Weise nicht in den Groß- tritt zur Union befürchteten die Südstaaten den Ver-
städten verwirklichen ließ. Damit begann ein inten- lust von Privilegien und Wohlstand. Die diametral
verschiedenen Meinungen machten die Sicherung
des inneren sozialen Friedens zur obersten Priorität.
Mit Hilfe einer sorgfältig überlegten Strategie, die
einen egalitär-demokratischen Republikanismus
propagierte und auf die Farmbevölkerung und die
Ft. Clatsop
städtische Mittelschicht (Small Town America,
Mainstream America) setzte, versuchte man, auf-
bauend auf den alten puritanischen Werten vom
Ft. Walla Walla rechtschaffenen, agrarisch orientierten, idealty-
Ft. Vancouver pischen Amerikaner, bewusst einen National-
charakter zu kreieren.
Nach Ellis (2000) bedeutet der An-
fang eines neuen Landes die Schaf-
Ft. Hall
fung einer neuen, bisweilen erfunde-
nen Geschichte: Es bedarf eines his-
torischen Symbolschatzes, der das
Neue auf breiter Ebene vertrauens-
würdig macht. Um eine starke Tradi-
tionslinie aufzubauen, wird biswei-
len Geschichte auch insze-
niert oder ideologisch konstru-
iert, da Geschichte nicht nur
als Faktum, sondern auch in
den Köpfen stattfindet. Ge-
schichte und Mythenbildung
sind eng verwoben, und Ge-
schichte kann sich über My-
thenbildung als historische
Wahrheit verselbständigen. Die-
San
Oregon Gabriel
Trail Lewis and Clark (1804 – 06)
Quelle: Hornbeck 1990, S. 283.

Stuart (1812)
California Smith (1826 –28)
Trail Patties (1827–29)
Wyeth (1832–33) Abb. 52: Wichtige Erkun-
Old Spanish Trail Bonneville (1832–35) dungsexpeditionen im
0 200 400 km Auftrag der amerikani-
Salt Lake- schen Bundesregierung.
Los Angeles-Route
Gila River Trail
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 66

66 Inwertsetzung des Naturraums – Erschließung, Besiedlung, geistig-politische Legitimationen

ser Gedanke kennzeichnet die grundlegende Vorge- Städten kam dabei eine besondere Funktion zu, da
hensweise Amerikas bei der Herausbildung seiner sie die Vielfalt wirtschaftlicher Möglichkeiten auf
Nation. sich vereinten; dem Stadtleben als Selbstzweck
Schon die Vorarbeiten an der neuen Verfassung kam keine übergeordnete gesellschaftliche Bedeu-
dienten dieser neuen Identität, die eine dezidiert tung zu.
nichteuropäische sein wollte und die persönliche
Freiheit als wesentliches Menschenrecht sah. In der Agrarisch-ländliches Lebensideal
Umsetzung dieses Ideenguts in der Politik wurde Zur gezielten Vermittlung gesellschaftlicher Werte
das Grundrecht auf Eigentum als Garant der Stabi- wurde seit Thomas Jefferson eine bewusste Politik
lität des Landes und des sozialen Friedens gesehen des Anti-Urbanismus betrieben und ein agrarisch-
und in der Verfassung verankert. Vermittelt wurden ländliches Ideal einer guten Gesellschaft propagiert.
diese Werte über mehrere, immer stärker verfeinerte Dieses ländliche Ideal war damals seit zweihundert
Ebenen. Jahren ohnehin eine feste Tradition und bekanntes,
religiös fundiertes Gedankengut, auch wenn es nicht
Liberal-kapitalistische Wirtschaftspolitik zum zentralen Gedanken staatlicher Politik wurde.
Auf der Ebene der Wirtschaftspolitik wurde bereits Die moralische Ablehnung der urban-industriellen,
in den ersten drei Jahrzehnten seit Gründung der kompakten Stadt europäischen Vorbilds hatte nicht
USA ein liberal-kapitalistischer, individualistischer nur politische Gründe, die mit den neuen, ländlich
Weg beschritten, der als Kollektiv eine Form des geprägten Bundesstaaten zusammenhingen. Politi-
rugged capitalism annahm, für Einzelne jedoch eine sche Gründe waren ebenso wichtig: Ländlich struktu-
Entwicklung from rags to riches möglich machen rierte Bundesstaaten hatten trotz ihrer geringeren Be-
sollte. Amerika befand sich im 19. Jahrhundert wirt- völkerungszahl in einem Wahlsystem mit gleicher Re-
schaftlich in starkem Wettbewerb mit Europa, das präsentanz ein ebenso großes Gewicht in den Wahlen
Kräfteverhältnis verschob sich in den ersten drei De- wie die bevölkerungsreichen Staaten. Die Werte und
kaden jedoch zugunsten Amerikas. Dadurch konnte Belange der ländlichen Staaten mussten daher stark
auch die Philosophie, dass jeder zu Wohlstand kom- beachtet werden, da im politischen System die Mei-
men könne, dieser wiederum die individuelle Frei- nung der Minderheit bzw. eines kleineren Teiles der
heit und somit die freiheitliche Grundordnung des Bevölkerung die Meinung der Mehrheit dominieren
Staates sichern würde, breite Akzeptanz finden. konnte (s. A. de Tocqueville 1835/1840, 1985).
Mit den zahlreichen Millionenvermögen, die seit Die Architektur übernahm später das Ideal des
der Unabhängigkeit der USA aufgehäuft wurden, die weiten Landes und freien Menschen in den Konzep-
jedoch teils durch Beschneidung oder gar Aufhe- ten einer naturnahen Stadt (Frank Lloyd Wrights
bung freiheitlicher Prinzipien (Beispiel Sklaverei) er- Broadacre City), welche die im 19. Jahrhundert ein-
worben worden waren, wurde dieses amerikanische setzende Suburbanisierung zunächst mit städtebau-
Grundprinzip allerdings früh in das Gegenteil ver- lichen Konzepten und garden suburbs (z. B. Rad-
kehrt. In Erkenntnis dessen begann man sukzessive burn 1923) sowie Regionalplänen (Chicago 1883,
damit, die garantierten, individuellen Grundrechte New York 1921) zu steuern versuchten. Die Broad-
der Verfassung durch Zusatzartikel zu festigen und acre City sollte nach Frank Lloyd Wrights Vision so
zu erweitern, ohne allerdings das zentrale Grund- angelegt werden, dass man sie gar nicht als Stadt
recht auch den Schwarzen zuzugestehen. Dazu be- erkennen sollte. Ganz in dieser Tradition vom länd-
durfte es erst eines Bürgerkrieges und der Bürger- lichen Garten Eden als ideellem Gegenpol zu gesell-
rechtsbewegungen im 20. Jahrhundert. schaftlich ungünstig empfundenen Stadtentwicklun-
gen sind auch die Versuche der meisten Politiker
„Perfektionierung“ des Menschen und Präsidenten bis in die Gegenwart zu verstehen,
Für den Bereich der individuellen Lebensführung die als Farmer (Carter), Rancher (Bush) und Land-
entwickelte die amerikanische Ideologie das ver- gutbesitzer (von Thomas Jefferson bis zu den Ken-
wandte Konzept der religiös motivierten Perfektio- nedys) Bodenständigkeit und die tradierten Fami-
nierung des Menschen und der Selbstbewährung lien- und gesellschaftlichen Grundwerte zu demon-
durch Arbeit – einem Grundgedanken der purita- strieren suchten, auch wenn sie gänzlich anderen
nisch-calvinistischen Ethik. Als Folge davon akzep- Berufsfeldern angehörten, wie der Nuklearphysiker
tierte die Gesellschaft, dass sich in Amerika eine und Erdnussfarmer Jimmy Carter, die mit der Erdöl-
Elite der Bildung und des Vermögens entwickeln branche verbundenen Präsidenten Bush Senior und
konnte, auch wenn die Verfassung aristokratische Junior oder die im Getreide- und Whiskeyhandel zu
Eliten durch Geburt nicht mehr zuließ. Die Stadt Wohlstand aufgestiegene Industriellen- und Politiker-
hatte für das Emporarbeiten zu einer gehobenen so- dynastie der Kennedys. Der Landsitz, den all jene
zialen Stellung eine besondere Sprungbrettfunktion bedeutenden Familien als Sitz der Familie und der
zu spielen: Allen sollten Arbeitsplätze und wirt- ganzen Dynastie hochstilisieren, ist tatsächlich mehr
schaftliche Möglichkeiten geboten werden, damit als nur der Wochenend- und Ferienwohnsitz: Er ist
sie aus eigener Kraft den sozialen und wirtschaft- das sichtbare Symbol der Erdverbundenheit und der
lichen Aufstieg schaffen konnten. Nicht Gleichheit Verankerung in zutiefst amerikanischen Idealen, mit
aller, sondern gleiche Startbedingungen für alle zu denen eine ganze Nation sich zu identifizieren ge-
schaffen, war also die Aufgabe des Staates. Den lernt hat.
03 LdK USA 30.05.2005 21:47 Uhr Seite 67

Grundlagen der Inwertsetzung der USA nach 1783 67

Republikanische Ideologien heit, Volkssouveränität und Wahlrecht sowie das


Über die großen Ideologien hinaus institutionalisier- Recht, Waffen zu tragen.
te sich die junge Republik ferner in den Alltagsver- Dass bereits um 1776 die Gleichberechtigungsde-
hältnissen, den Lebensformen, der Kultur und der batte von den Ehefrauen führender Politiker eingelei-
Mentalität der Amerikaner. Die Republik als Staats- tet wurde (Schäfer 1998, S. 87 ff.), schuf ebenfalls
form und die Ideologie des Republikaner-Seins ein Klima des Vertrauens in die Gleichheitsideale. In
stellten gegenüber den in Europa vorherrschenden derselben Richtung sind Bemühungen zu werten,
Staatsformen einen radikalen Bruch mit Altherge- welche die Sklavenbefreiung forderten. Ab 1775 be-
brachtem dar. Seit Gründung der USA wurde daher gannen diese unter Führung von Benjamin Franklin
auch das republikanische Modell und das durch die und führten zum Verbot der Sklavenhaltung in fünf
Partei der Republikaner für sich in Anspruch ge- Nordstaaten, darunter Massachusetts und Pennsylva-
nommene Ideal des „wahren Amerika“ zu einer von nia. Wenig später verboten sie die westlich und nord-
der breiten Masse akzeptierten Norm. Viele folgende westlich hinzugewonnenen Territorien der USA eben-
Generationen von Amerikanern und Neuankömmlin- falls. Allgemein konnte sich die Abschaffung der Skla-
gen assoziierten daher auch das Ideal von Amerika venhaltung in jenen Staaten schneller durchsetzen,
mit den von den Republikanern geprägten Werten in denen sie ein weniger wichtiger Wirtschaftsfaktor
(Schäfer 1998, S. 81 f., 87ff., 94 ff.; Zöller 1992, war, in denen jedoch freie schwarze Arbeiter eine
S. 286 – 290). wichtige Rolle in der expandierenden Industrie inne-
Da sich bereits zur Zeit der Unabhängigkeit breite hatten. In den Südstaaten, deren Profitmargen fun-
Massen eines gewissen Wohlstands erfreuten, galten damental auf Zwangsarbeitern beruhten, führte die
diese republikanischen Grundwerte als unbestritten Debatte über die Abschaffung der Sklaverei schließ-
und konnten mühelos nationales Gedankengut wer- lich zur Sezession, die den Bürgerkrieg auslöste.
den. Es ist bemerkenswert, dass einer Disparitäten-
entwicklung, die dem republikanischen Ideal ent- Das Selbstbild des Amerikaners
gegenstand, schon früh zumindest ideell entgegen- In welcher Weise Amerika sein neues Selbstverständ-
gewirkt wurde. So schlug Thomas Jefferson schon nis als Novum der Weltgeschichte, sein amerikani-
1776 vor, jedem Bürger, der nicht genug eigenes sches Nationalgefühl pflegte und einem American
Land hatte, 20 Hektar zuzuweisen. Das republikani- Dream folgte, zeigen die weithin gelesenen Schriften
sche Ideal der Gleichheit vor Gott (s. Präambel der des Einwanderers und späteren Frankreich-Rückwan-
amerikanischen Verfassung: „We hold these truths derers Jean de Crèvecœur, von denen bereits im Kap.
to be self-evident: that all men are created equal, „Politisch-kulturelle Tradition“ die Rede war (Pseu-
that they are endowed by their Creator with certain donym Hector St. John, s. Letters from an American
unalienable rights, that among these are life, liber- Farmer 1782, zit. in Schäfer 1998, S. 100):
ty and the pursuit of happiness“) bezog sich jedoch „Was also ist der Amerikaner, dieser neue Mensch?
nur auf eine weiße Männergesellschaft. Frauen, Er ist weder Europäer noch Abkömmling eines Euro-
Schwarze und Indianer waren weder explizit einge- päers; daher diese seltsame Mischung des Blutes,
schlossen noch implizit gemeint. Die amerikanische welche ihr in keinem anderen Land finden werdet.“
Revolution selbst hatte lediglich in der weißen Ge- Amerikaner ist derjenige, „… der seine alten Vorur-
sellschaft bereits bestehende Klassengegensätze teile und Verhaltensweisen hinter sich gelassen hat
dahingehend nivelliert, dass während des Krieges und aus der neuen Lebensform, die er angenommen
auch Menschen aus einfachen Verhältnissen Offizie- hat, von der neuen Regierung, der er gehorcht, und
re werden und sich infolgedessen in politischen von der neuen Stellung, die er einnimmt, neue emp-
oder öffentlichen Ämtern profilieren konnten (Schä- fängt.“ Ein Amerikaner ist „… ein neuer Mensch,
fer 1998, S. 83 ff.). Deswegen konnte der propagier- der nach neuen Grundsätzen handelt; er muss des-
te Gleichheitsgrundsatz für die Mehrheit zu einer halb neue Gedanken hegen und neue Meinungen
akzeptierten Wahrheit werden, zumal auch die Ver- formen. Aus unfreiwilligem Müßiggang, serviler Ab-
fassungswerke der USA diesen zum ersten Male in hängigkeit, Armut und nutzloser Arbeit ist er zu
der Menschheitsgeschichte verankert hatten: Ent- einem Schaffen ganz anderer Art übergegangen, das
halten waren Rede-, Presse- und Versammlungsfrei- durch ein reichliches Auskommen belohnt wird. –
heit, Religions- und Gewissensfreiheit, Rechtssicher- Das ist ein Amerikaner.“
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 68

68

Territoriale Expansion,
Industriekapitalismus, Urbanisierung

Abb. 53: Luftbild von


Manhattan, hier noch mit Überblick
dem World Trade Center. ■ Die amerikanische Bundesregierung erwarb unter strategischen Gesichtspunkten die Territorien west-
lich des Mississippi, die sich unter der Clark-Lewis-Expedition als besonders ressourcenreich erwie-
sen hatten.
■ In nur siebzig Jahren nach der Unabhängigkeit hatten die USA somit ihr Gebiet vom Atlantik bis zum
Pazifik ausgedehnt.
■ Zur Erschließung, Besiedlung und Inwertsetzung dieses Landes mit kontinentalen Ausmaßen be-
diente sich die Bundesregierung bewusst der Privatwirtschaft, wobei eine großzügige Landvergabe-
politik praktiziert wurde.
■ Auf diese Weise stand in der Entwicklung des Landes stets das privatwirtschaftliche Handeln im Vor-
dergrund, was allerdings disparitäre Strukturen und soziale Ungleichheit begünstigte und system-
immanent werden ließ.
■ Ihre „nationalen Interessen“ definierte die Bundesregierung in der Monroe-Doktrin (1823) und mit
dem Mythos der nationalen Bestimmung (Manifest Destiny), die auch die Weltpolitik der USA bis
heute mitbeeinflussen.
■ Die Entwicklung zur industriellen Großmacht im 19. Jahrhundert wäre ohne diese Erschließungs- und
Landvergabepolitik, ohne Einwandererströme und wachsende Märkte nicht möglich gewesen. Zudem
erlaubte es ein innovatives Unternehmertum den USA, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum welt-
größten Industrieproduzenten aufzusteigen, wobei sich das Wachstum in wenigen Teilräumen ab-
spielte.
■ Der volkswirtschaftliche Aufschwung führte jedoch nicht für alle zu einer Verbesserung der Lebens-
und Arbeitsumstände. Es entstand die corporate city, die von erheblichen sozialen Missständen und
von Segregation gekennzeichnet war, welche erstmals den Anstoß zu sozialen und städtebaulichen
Reformen gaben.
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 69

Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 69

Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung


Territoriale Expansion
Die ersten Jahrzehnte nach der Gründung der Ver-
einigten Staaten waren der Konstituierung der Na- Oregon
tion und der Konsolidierung des Territoriums in Vor-
Country
bereitung seiner Inwertsetzung gewidmet. Durch na-
1846
türlichen Zuwachs nahm die Bevölkerung von 1800 L o u i s i a n a

bis 1830 von 5,3 Mio. auf 12,9 Mio. zu. Die Einwan-
P u r c h a s e
derung zwischen 1800 und 1820 betrug lediglich Area of the

184 000 Personen. Nach 1820, dem ersten Jahr der Mexican
1 8 0 3 original
offiziellen Einwanderungsstatistik, stieg die Zahl der
Acquisition U n i t e d S tat e s
Einwanderer von jährlich 10 000 Personen bis 1830
auf rund 59 000 Personen an. Das natürliche Bevöl- 1848 1783

kerungswachstum verlor bis 1850 an Dynamik.


Gadson Te x a s
Allerdings stieg das Bevölkerungswachstum durch Purchase 1853
A n n e x at i o n
Einwanderung rasant an. Bis 1860 lebten 31,6 Mio.
Quelle: Sakolski, 1932 The Great American Land Bubble, S. 235 Quelle: Robertson 1964, S. 100.

1845 Florida
Menschen in den USA. In nur 70 Jahren hatte sich Acquisition
1819
also die Bevölkerung verzehnfacht (s. Kap. „Bevöl- Alaska
Purchase
kerungsentwicklung“). 1867 0 1000 km
Die territoriale Expansion Richtung Westen, wel-
che die Bundesregierung einleitete, war getragen Hawaii
Annexed
von Erwartungen wirtschaftlicher Möglichkeiten, 1898

über die Pelztierjäger, Forschungsreisende, Siedler Jahr Landerwerb Fläche


oder Missionare schon vor der Unabhängigkeit be- (1sq.mi. = 2,59 km2 = 440 acres)
richtet hatten. Nachdem den USA durch den Unab-
hängigkeitskrieg die englischen Territorien bis zum 1803 Louisiana Kauf 827 192 von Frankreich
Mississippi zugefallen waren, begann offiziell die 1819 Florida und andere 72 003 von Spanien
westwärts orientierte Expansion. Innerhalb von nur Gebiete Akquisition
70 Jahren führte sie zur Ausdehnung der USA vom
1845 Texas Annexion 390 144 von Mexiko
Atlantik bis zum Pazifik, nach Nordwesten bis nach
Kanada und im Süden bis zu den Territorien Mexi- 1846 Oregon Territorium 285 580 von England
kos (Abb. 54). Der größte Teil gelangte als federal 1848 Mexican Acquisition 529 017 von Mexiko
land reserve oder public domain in den Besitz der 1853 Gadsen Kauf 29 640 von Mexiko
Bundesregierung. Die zusammenhängende Landflä- 1867 Alaska Kauf 586 400 von Russland
che betrug Ende des 19. Jahrhunderts 3 Mio. Qua-
1989 Hawaii 6 423 übernommen
dratmeilen, wovon 72 % public domain bildeten;
das riesenhafte Territorium Alaska gehörte fast voll-
ständig dazu. zichtete für diese Zusage 1818 auf Gebiete, die Abb. 54: Territoriale Ex-
Dabei wurden diese Territorien, die seit der Clark- nördlich des 42. Breitengrades zwischen den Rocky pansion der Vereinigten
Lewis-Expedition als wertvoll betrachtet wurden, von Mountains und dem Pazifik lagen, womit weite Teile Staaten.
den USA teils annektiert, teils erworben (Beispiel des nördlichen Kaliforniens an die USA fielen.
Gadsen-Kauf) oder von ihren Besitzern unter politi- Diese auf der Clark-Lewis-Expedition kartierten spa-
schem oder militärischem Druck an die USA abge- nischen Gebiete waren bereits seit dem so genann-
treten: ten „Louisiana-Kauf“ von Frankreich 1803 in das
■ Westflorida, das spätere Alabama, das heutige amerikanische Interessenfeld geraten. Mit der Über-
Louisiana und Teile Mississippis wurden um gabe der westlich und südwestlich anschließenden
1810 unter Präsident James Madison annektiert. spanischen Territorien an die USA war die kontinen-
■ Alle spanischen Gebiete östlich des Mississippi, tale Expansion der USA so gut wie abgeschlossen.
z. B. West- und Ostflorida, wurden 1819 von Spa-
nien gegen 5 Mio. Dollar Entschädigung abgetre- Landspekulation, Land Grabbing
ten. und Paper Towns im frühen 19. Jahrhundert
Zuvor waren zwei Jahre lang Verhandlungen unter Baulandspekulation, vormals kaum verbreitet, wur-
Präsident Monroe geführt worden, der später mit de nun zum wichtigsten Motor der wirtschaftlichen
seiner „Monroe-Doktrin“ eine Politik der Wahrung Entwicklung, wobei Ziele der Besiedlung und Er-
amerikanischer Interessen weltweit einleitete und schließung nicht zum ersten Mal von großen privat-
prägte. Die USA gaben für diesen territorialen Zuge- wirtschaftlichen Landgesellschaften abgewickelt
winn ihre Ansprüche an Mexiko bezüglich des Ge- wurden. die Entdeckungs- und Kolonialgeschichte
biets von Texas bis zur Annexion 1848 vorerst auf. zeigt von Anfang an die treibende Kraft der Entwick-
Spanien, das Anspruch auf große Territorien erho- lung: die Spekulation europäischer Könige, Han-
ben hatte, diese gegenüber den USA jedoch nicht delshäuser, Kaufmannsgesellschaften sowie religiö-
wirklich militärisch hätte verteidigen können, ver- ser Gemeinschaften und Individuen, die unter kolo-
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 70

70 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

nialen Freibriefen Land zur Weiterentwicklung in nieuren, sondern auch als Finanzdienstleister. Sie
Besitz nahmen. Ein Novum für die späteren demo- handelten mit Grundstücken, verwalteten Fremd-
kratischen Staaten war die bewusste Aufgabenauf- vermögen und legten es wiederum in Grundstücken
teilung zwischen der Bundesregierung des neuen an. Landagenten vergaben Kredite für den Grund-
Staates und der Privatwirtschaft bezüglich national- stückserwerb zum Zinssatz von bis zu 60 % – der
staatlicher Infrastrukturbildung und Erschließung. sogenannten frontier rate –, wobei selbst Kleinin-
vestoren in Erwartung eines entsprechenden Wert-
Rolle von Unternehmertum und zuwachses ihres Landes bereit waren, dies zu
Terraingesellschaften zahlen.
Hierbei wurde das Unternehmertum als wichtige ■ Speculators kauften Land ohne vorherige Begut-
Ressource für eine Aufgabe angezapft, die mit Re- achtung oder Besichtigung, da jegliche Kapitalan-
gierungsmitteln allein nicht zu bewältigen gewesen lage in der public domain als sicher galt. Viele ab-
wäre. Aber auch für die Privatwirtschaft wurde die sentee speculators verzichteten auf die Überprü-
Landspekulation erst durch den permanenten Sied- fung offizieller Unterlagen aus der public domain
lerzustrom aus Europa rentabel. Landspekulation und operierten mit solchen, die in vielen Fällen zu
galt als eine Möglichkeit, den American Dream vom Fehlkäufen verleiteten. Blindes Vertrauen in das
individuellen Wohlstand (pursuit of happiness) zu Bundesland und die Landagenten führte zu Groß-
verwirklichen. Der spekulative Kauf und Verkauf von betrügereien: Dabei wurden fiktive Grundstücke
Grundbesitz versprach höhere Renditen als andere und nicht existierende Städte mit gefälschten Do-
Wirtschaftszweige, der Immobilienhandel gehörte kumenten parzellenweise verkauft (s. Town Job-
daher schon vor der Industrialisierung zu den wich- bing). Hierbei wurden absentee speculators häu-
tigsten Wirtschaftszweigen der USA (Gates 1963, fig selbst Opfer. Die Provision der Landagenten
S. 350; 1968). betrug durchschnittlich 5 % des Kaufpreises oder
Der Immobilienhandel wurde nicht nur von Groß- den Anteil von 25 – 30 % am vermittelten Land.
unternehmern, zumeist reichen Kaufleuten von der Über Zeitungsinserate in den USA und in Europa
Ostküste, sondern auch von mittellosen Kleinfar- wurden Kaufinteressenten angeworben. Bereits
mern, Einwanderern und Siedlern betrieben und war mit der 1748 gegründeten Ohio Company wurden
ein Indiz für sozialen Aufschwung. Da es im begin- Terraingesellschaften tätig, die Hunderttausende
nenden 19. Jahrhundert in Europa noch überwie- Hektar Land aufkauften und Stadtgründungen mit
gend feudale Besitzverhältnisse gab, hatten viele einem dazugehörigen ländlichen und agrarischen
Einwanderer in ihrer Heimat keinen eigenen Grund- Einzugsbereich nach vorbereiteten, einheitlichen
besitz gehabt und erhielten diese Möglichkeit nicht Plänen vornahmen, um die Parzellen dann weiter-
nur zum ersten Male, sondern hatten darüber hi- zuverkaufen. Nahezu alle Landverkäufe an der
naus auch die Gelegenheit, damit selbst gewinn- Frontier wurden über Landagenten im eigenen
bringend tätig zu werden. Gegenüber den Kleinfar- Auftrag oder im Auftrag von Terraingesellschaften
mern, die Land überwiegend zur eigenen Existenzsi- abgewickelt (Gates 1963, S. 349 – 394; Carsten-
cherung erwarben und sich erst danach weitere sen 1963).
Grundstücke aus spekulativen Gründen zulegten, Im frühen 19. Jahrhundert wurde die Besiedlung
hatte der Landerwerb der Großinvestoren rein inves- durch Landvermessung und Terraingesellschaften
tiven Charakter: Der Kauf von sehr großen Landein- vorangetrieben. Hatten die Landspekulanten der ers-
heiten unterlag keiner Sozialerwägung oder staat- ten Stunde noch viel billiges Land zwecks schnellen
lichen Sozialbindung – Landerwerb war eine Kapi- Verkaufs zu relativ kleinem Aufpreis erworben,
talanlage, die zum gegebenen Zeitpunkt mit hohem waren solche Möglichkeiten später nahezu erschöpft.
Wertzuwachs wieder in Kleinsteinheiten veräußert Zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte entweder
werden konnte. Terraingesellschaften erwarben in schon die Bundesregierung Land in die public do-
Erwartung des Bevölkerungszuwachses auf Bundes- main überführt und waren riesenhafte Territorien an
auktionen nicht selten Landeinheiten von 20 000 ha ausgewählte Landgesellschaften verkauft worden
und mehr. Zwei Arten von Großinvestoren waren in oder Privatleute und Unternehmer hatten Landbe-
der public domain tätig (Gates 1963, S. 349 – 394; sitz in kolonialer Zeit durch Charterbriefe erhalten,
Carstensen 1963; Clawson 1964, 1986): aufgekauft oder geerbt. Es gab somit kaum noch
■ Die resident speculators begutachteten vor einem verfügbares Land in nennenswertem Maße. Die
möglichen Kauf das Land und ließen sich dann Landspekulanten beschritten also neuartige Wege.
auf dem Areal nieder, um ihre Investitionen bes- Besonders günstig erschien ihnen das zur Besied-
ser verwalten und bewirtschaften zu können. Im- lung ausgewiesene und freigegebene Land der
mobilienmakler (land agents) – als Berufsstand public domain. Sobald in einem Gebiet eine Ver-
1818/1819 etabliert – fungierten als Anlagebera- kaufsstelle für Grundbesitz der Regierung eröffnet
ter und übten damit eine wichtige Rolle bei der und ein neues Gebiet zur Besiedlung freigegeben
Veräußerung und Inwertsetzung der public do- wurde, begannen Unternehmer, Rechtsanwälte, Po-
main aus. Sie besichtigten das zu veräußernde litiker und Regierungsbeamte geeignete Standorte
Land, ließen es kartographieren und vermessen. für Stadtgründungen festzulegen. Sobald ein Stand-
Landagenten fungierten nicht nur als Landver- ort bekannt wurde, suchten Investoren im harten,
mittler mit eigenen Büros und Vermessungsinge- von Korruption begleiteten Wettkampf das Gebiet
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 71

Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 71

Abb. 55: (links) „Paper


Towns“ – Die Stadt Eden
auf dem Plan.

Abb. 56: (rechts) „Paper


Towns“ – Die Stadt Eden
in der Realität.
Quelle: Reps 1965, S. 387.

Quelle: Reps 1965, S. 388.

aufzukaufen. Dies führte zu wichtigen Stadtgrün-


dungen auf dem Gebiet der Ohio Company, z. B. der
Städte Cleveland, Cincinnati und Dayton. Spekulative
Stadtgründungen wurden eine bewährte Praxis in
den ganzen USA. Auch religiöse Gruppierungen an
der Ostküste kauften neue Städte im Westen, um
dann geschlossen dorthin überzusiedeln (Reps
1965, S. 358 – 371).
Beispielhaft für die großangelegten Land- und
Stadtverkäufe ist nach Reps (1965) Cairo an der
Mündung des Illinois River in den Mississippi. Die
frühen und nach 1803 in rascher Folge gegründe-
ten oder geplanten Städte bestanden standardmäßig
aus 672 Parzellen zu je einem halben acre. Inner-
halb der Stadt waren Straßennetz, Freiflächen für
die zukünftige Bebauung, Flächen für öffentliche
Gebäude und zentrale Geschäftsbereiche einge-
Quelle: Reps 1965, S. 370.

plant. Nicht selten kam es dabei zu dunklen Ge-


schäften und Wildwuchs bei den Städten, die –
auch wenn sie noch gar nicht existierten – an der
Börse gehandelt wurden. Die Gründung von tatsäch-
lichen und vermeintlichen Städten, die nur auf dem
Papier bestanden (Abb. 55 – 57) und parzelliert an
Immigranten verkauft wurden, war sehr viel höher
als die Zahl der Städte, die gebaut wurden und Be-
stand hatten. Paper Towns oder das dubiose Verfah- te gegründet und verkauft. Landspekulation um Abb. 57: „Paper Towns“ –
ren, nicht existente Pseudo-Städte teuer an Siedler Farmland erreichte nie die Ausmaße des Totalaus- Grundriss der Stadt Neu-
zu verkaufen, wurden Grundlage für die schnelle verkaufs von Städten oder Pseudo-Städten. Wie im Babylon.
Westwärtswanderung von Siedlern und begünstigten Town Jobbing waren auch hier ranghohe Beamte,
Stadtgründungen im Westen und Mittelwesten der Politiker und militärische Führungskräfte involviert.
USA. Diese überführten zunächst besonders fruchtbares
Da städtische Grundstücke (town lots) mehr Ge- Ackerland oder infrastrukturell besonders gut er-
winn als ländliche Parzellen brachten, wurden in schließbares Land in ein militärisches Reserveareal,
der riesenhaften public domain der USA viele Städ- belegten es mit einem Vorkaufsrecht, um es dann
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 72

72 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Quelle: Reps 1965, S. 359.


Abb. 58: Grundriss der
Stadt Hygeia, Kentucky,
1827.

zum Verkauf freizugeben und selbst zu erwerben. Grundriss und öffentliche Gebäude, die sämtliche
Hier wurden Insiderkenntnisse durch Landvermes- Stilelemente europäischer Großstädte nachahmte.
sung und Erkundungsmissionen zum eigenen Nut- Die Paper Town-Betrügereien wurden von den Me-
zen eingesetzt. General Duncan McArthur, der auch dien unterstützt, da häufig die großen Spekulanten
Kongressmitglied und Gouverneur des Bundesstaa- auch die Besitzer der Zeitungen waren. Familien mit
tes Ohio war, war ein besonders prominenter Vertre- einem Haus und einer wirtschaftlichen Existenz an
ter des erfolgreichen Land Grabbing. Er sicherte der Ostküste, die hier spekuliert hatten, verloren oft
sich auf diese Art zwischen 1800 und 1830 über ihr ganzes Vermögen. Manche Personen, die die an-
14 000 acres Land von Siedlern. Diese hatten zu- gepriesene Stadt erreichten, sich de facto aber Hun-
nächst unter Hoheit des Bundesstaates Virginia auf derte von Kilometern von der nächsten Siedlung
einem Territorium gesiedelt. Es wurde dann zur Vir- entfernt in der Wildnis wiederfanden, zogen entwe-
ginia Military Reserve erklärt und musste von den der mit ihrem wenigen Hab und Gut weiter, wenn
Siedlern gegen eine Entschädigung von 75 Cents sich das angekaufte Grundstück nicht einmal für
pro acre aufgegeben werden. Der Wiederverkauf zum landwirtschaftliche Nutzungen eignete, oder wurden
Preis von durchschnittlich 3 Dollar pro acre brachte selbst zu Spekulanten, die versuchten, ihr Land in
auf den vielen Ländereien jedem Land Grabber ein der nächsten Siedlung nach der gleichen Methode
Vermögen ein. Obwohl sich diese Praktiken in einer zu verkaufen. Viele machten mangels Alternative
gesetzlichen Grauzone bewegten, fanden sie viele das Beste aus ihrer Neuerwerbung. Auch hier wurde
Anhänger, zumal ein Grundsatzurteil des Obersten der schon zweihundert Jahre früher angelegte My-
Gerichtshofs diese Vorgehensweise 1829 für ver- thos von der Selbstverantwortlichkeit des Individu-
fassungskonform erklärt hatte (Sakolski 1932, S. ums gestärkt. Aufgrund der Eigeninitiative solcher
175 ff.). Betrogener wurden viele Paper Towns tatsächlich
Die Zahl derer, die Land in Paper Towns erwar- zum Leben erweckt (Reps 1965, S. 360; Sakolski
ben, welche in Plänen komplett mit Gebäuden ver- 1932).
sehen in den Anlaufstellen an der Ostküste aushin-
gen, war groß. Viele Menschen kamen erst nach Rolle der Banken bei der Landspekulation
Kauf einer Parzelle oder eines Gebäudes in einer Viele hatten sich für ihren Ankauf von Parzellen in
solchen Stadt bei Ankunft zu der bitteren Erkennt- den Paper Towns des Mittelwestens verschuldet. So-
nis, dass die Stadt nicht existierte (Reps 1965, fern die Neusiedler zahlungsunfähig waren, wurde
S. 355). Die Städte Franklinville und Lystra waren das Land von der Bank zurückgenommen und
die Prototypen für viele Hundert weitere Betrüge- weiterverkauft. Vielfach fiel das Land sofort zurück
reien mit Paper Towns. Eine besonders interessante an die Banken, die in der ersten Hälfte des 19.
Paper Town-Variante war die Stadt Hygeia in Kentu- Jahrhunderts zu den Großverdienern bei der Land-
cky, die nach europäischen, absolutistischen Stadt- spekulation gehörten. Sie verdienten nicht nur an
grundrissen entworfen worden war (Abb. 58). Die den Krediten, sondern auch daran, dass sich mit
hochherrschaftliche Stadt hatte laut Plan einen jeder neuen Zuwanderungswelle in den Westen die
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Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 73

Bodenpreise erhöhten, wodurch der Wert des belie- ritorien bis weit jenseits des Mississippi gestellt
henen Landes nach Rücknahme durch die Bank zur hatte, 1780 durch Gerichtsbeschluss in der Stadt
Deckung des Kredits bereits um ein Vielfaches ge- Vincennes in Illinois, dass jeder Siedler, der Land in
stiegen war. In den frühen 1820er Jahren gehörte diesem Anspruchsgebiet haben wollte, es auch be-
fast die gesamte damalige Stadt Cincinnati nach kommen sollte. Wie der Gouverneur des Territoriums
Landverkäufen wieder den Banken. Auch Rechtsbe- von Indiana, William Henry Harrison 1802 schrieb,
rater verdienten an der Landspekulation, da sie es war es sicherlich kein Zufall, dass sofort nach dem
bei komplizierten Rechtsverfahren, welche gegen Grundsatzurteil das riesenhafte Land unter den Mit-
die Spekulanten angestrengt wurden, vorzogen, mit gliedern des Gerichtshofes aufgeteilt wurde (zit. in
Grundstücken anstelle von Bargeld oder Naturalien Sakolski 1932, S. 180). Dass das Land wenig spä-
bezahlt zu werden. ter von seinen neuen Besitzern wieder aufgege-
Exemplarisch für dieses Vorgehen und prominen- ben wurde, lag an seinem schlechten Verkaufswert.
tester Vertreter war Nicholas Longworth, Begründer Die aus dem Osten kommenden Landspekulanten
einer Politikerdynastie, der, wann immer es ihm mög- konnten somit jeweils ca. 1000 acres Land für den
lich war, Grundstücke aufkaufte. In einem Rechts- Preis eines halbwegs guten Pferdes oder eines Ge-
verfahren gegen einen Kleinkriminellen zog er es wehres erstehen, wie aus einem Schreiben von Gou-
vor, anstatt zweier Kupferkessel als zunächst verein- verneur Harrison an James Madison hervorging (Sa-
barter Bezahlung die Grundstücke des Beklagten kolski 1932, ebd.).
überschrieben zu bekommen. Bestätigt in seiner Vo- Obwohl die wilde Landspekulation und die Betrü-
rausschau wurde Longworth um 1856, als die gereien wahrscheinlich Zehntausende in den Ruin
„Kupferkessel-Grundstücke“ bereits 2 Mio. Dollar führten und diese Praktiken ab einem gewissen
wert waren. Der auf diese Weise zusammengetrage- Zeitpunkt weitgehend publik wurden, riss der Strom
ne Grundbesitz wurde auf vielfältige Weise ver- derer, die sich an der Landspekulation beteiligen
mehrt. So stellte die Bundesregierung für den und schnell reich werden wollten, weder aus Europa
Anbau von Sonderkulturen wie Wein, Oliven und noch von der Ostküste der USA ab. Wesentlich in
Gartenbau allen Interessierten Land aus der public der Verbreitung der Information über die Landspe-
domain zur Verfügung. Longworth arbeitete uner- kulation war Morrison Birbeck, ein wohlhabender
müdlich und erfolgreich daran, Wein- und Erdbeer- englischer Immigrant, der 1818 nach Amerika ge-
kulturen in Ohio einzuführen, wofür ihm von der kommen war, um englische Farmsiedlungen in gro-
Bundesregierung weitere große Ländereien übereig- ßem Maßstab zu gründen, und der sorgfältig über
net wurden. Die Weinkulturen und -kellereien von seine Unternehmungen und die wirtschaftlichen
Ohio produzierten schon im 19. Jahrhundert mit Entwicklungen seiner Zeit Buch führte (Notes on a
Hilfe europäischer Weinbaufachleute in großen Journey in America, 1817). Seine ursprüngliche
Mengen für die gesamte Ostküste. Als Nicholas Idee, in Ohio und Virginia ganze Townships aufzu-
Longworth 1863 starb, war er zusammen mit Willi- kaufen, musste er wegen der hohen Grundstücks-
am B. Astor der reichste Großgrundbesitzer der USA preise (20 – 30 Dollar pro acre – eine Verzehnfa-
(Sakolski 1932, S. 178 f.). chung seit 1800) aufgeben. Er selbst kaufte mit
seinem englischen Partner auf persönlichen Rat von
Politik und Landspekulation Thomas Jefferson 1500 acres in Illinois, für dessen
In dem Maße, wie das Land Grabbing das Land der Besiedlung er in England weithin warb. Obwohl diese
Bundesstaaten westlich der Alleghenies aufgeteilt Art des Landerwerbs sehr vielversprechend schien,
und in Acker-, Sonderkulturland oder wirkliche Städ- war die Gefahr groß, dass nach Aufkauf solch großer
te verwandelt wurde, schritt die Land Grabbing Ländereien im Niemandsland andere Spekulanten
Frontier nach Westen fort. Als problematisch für die umliegenden Ländereien aufkauften; eine Groß-
Landerwerb und -verkauf in den Präriegebieten des investition zog stets weitere nach sich (Sakolski
Mittelwestens erwies sich der den meisten Siedlern 1932, S. 185). Das Problem bestand also darin, dass
unbekannte Charakter der Naturlandschaft, deren die Bodenpreise durch den Wettbewerb in die Höhe
Nutzen nicht von Anfang an offensichtlich war. getrieben wurden und die in Europa angeworbenen
Während das Waldgebiet der Ostküsten- und Atlan- Siedler dann nicht mehr zu den günstigen Bedin-
tikregionen als gut nutzbares Land gegolten hatte, gungen Parzellen erwerben konnten. Die Berichte
wurde das Grassland zunächst als minderwertig er- aus Amerika bekundeten in Europa jedoch vor
achtet (Sakolski 1932, S. 179 f.). Dies setzte der allem, dass Amerika im frühen 19. Jahrhundert das
Erschließung der westlichen Territorien durch Land- Land war, in dem jegliche Investition die größte
spekulation Grenzen. Erst nachdem Pioniersiedlun- Rendite erbrachte.
gen gezeigt hatten, dass das Grassland sich bestens Die durch die Politik des Wohlwollens induzierte
für Weizen- und Maisanbau eignete, wurden Land- Landspekulation in den Gebieten westlich der Alle-
verkäufe erfolgversprechend. Damit Siedlerströme in ghenies erreichte ihr Ziel der schnellen Besiedlung,
den Gebieten jenseits des Illinois und Mississippi auch wenn dies phasenweise verlangsamt und von
River Einzug halten konnten, war zunächst das unzähligen Zwangsrücknahmen von Landbesitz durch
„Problem der indianischen Besitzrechte“ zu lösen. Banken begleitet war. Die Regierung selbst forcierte
Dazu bestimmte der Staat Virginia, der schon wäh- die Landspekulation und -verkäufe aus der public
rend des Unabhängigkeitskrieges Ansprüche an Ter- domain. Betrugen 1832 die aus Landverkäufen der
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74 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

public domain kumulierten Erträge für die Bundes- setzt wurde, führte jedoch dazu, dass Banken zu
regierung 38,4 Mio. Dollar, so hatte sie bis zu die- viel Geld in Umlauf brachten, wodurch sie selbst
sem Zeitpunkt selbst bereits 49,7 Mio. Dollar in wegen der Rückzahlungsunfähigkeit vieler Kredit-
diese Territorien investiert. Präsident Jacksons Ge- nehmer in Liquiditätsschwierigkeiten gerieten. Da
setz zum Verkaufsrecht (Preemption Act) von 1834 die Landpfändungen den Banken einen Großgrund-
war daher ein weiterer Versuch, Landerwerbungen besitz einbrachten, für den es bald keine zahlungs-
im Westen anzukurbeln, in dem Soldaten, Siedler, kräftige Nachfrage mehr gab, erfolgte die weitere
aber auch Indianer bevorzugtes Recht auf Erwerb Bezahlung von public domain-Ländereien mit im
von Boden aus der public domain erhielten. Diese Wert verfallenem Papiergeld (rag money) (Sakolski
Siedlungsgrundstücke (floats) und das Anrecht da- 1932, S. 234 ff.). Hierbei wurde letztendlich die
rauf (floating claim) machten die Absicht deutlich: Bundesregierung geschädigt, da wertvolles Land
Einzelpersonen, die unter dem Preemption Act quasi verschenkt wurde. Präsident Jackson und der
einen Anspruch geltend machen konnten, sollten Kongress legten daher 1836 fest, dass Land fortan
dieses Land gleich weiter an Terraingesellschaften in Gold oder Silber und beim Kauf bar zu zahlen
verkaufen, die dann wiederum in großem Stil Städte war. Die dadurch einsetzende, von der Bundesregie-
auf dem Papier planten oder auch real gründeten. rung induzierte Panic of 1837 führte dazu, dass
Während die Besiedlung unter den Anspruchsbe- kein Land mehr verkauft werden durfte und Speku-
rechtigten eher langsam vorangeschritten wäre, war lanten, die der Regierung noch finanziell verpflich-
der Vorteil eines Vorgehens mittels „falscher Sied- tet waren, ihr Land wieder zurückgeben mussten.
ler“ (fake settlers) einerseits ein demokratisches, Als Folge erlebte der Handel eine Rezession – die
das Anspruchsgruppen angemessen berücksichtigte, Aktien fast aller Branchen brachen ein, und die re-
andererseits erlaubte es die zügig durchorganisier- lativ stabile amerikanische Wirtschaft entwickelte
ten Stadtgründungen oder das Town Jobbing von sich zu einer Krisenökonomie. Die Bodenpreise der
großen Unternehmen, die siedlungswillige Personen public domain sanken, ihr Land fand nach 1837
zu Hunderttausenden in den Westen holen sollten. auf dem freien Markt keine Käufer mehr, da der
Ohne die Unterstützung der Banken wären jedoch Wiederverkauf nichts eingebracht hätte. Danach
diese Landverkäufe nicht möglich gewesen. Angehö- ruhte die Landspekulation für rund 20 Jahre bis in
rige aller Schichten investierten in das Spekula- die 1850er Jahre. In einem abwärts wirkenden Spi-
tionsgeschäft mit der public domain, wobei sich raleffekt wurden nun noch mehr Banken und andere
Kreditnehmer zu jedem geforderten Zinssatz unter Großinvestoren mit signifikantem Landbesitz von
Ausblendung der Gefahr einer möglichen Zahlungs- Konkursen betroffen. Viele überschuldete Kleinbau-
unfähigkeit verschuldeten und Banken in Erwartung ern mussten als Pachtbauern ihre Kredite an die
der rückgezahlten Kredite oder an sie fallenden verbleibenden Gläubigerbanken oder Großgrundbe-
Ländereien jedem leicht Kredite gaben. Zusätzlich sitzer abarbeiten; nicht wenige erlebten die bekann-
traten Banken selbst als Großinvestoren auf, die rie- te Situation europäischer Feudalsysteme in einer
sige Ländereien erwarben, um diese dann zur fron- neuen Variante (Gates 1963, S. 349 – 391).
tier rate weiterzuverkaufen. Banken waren in dem Die Wirtschaftskrise nach 1837 nutzten einige,
Landverkauf aus der public domain somit doppelte um Gewinne zu machen; dazu gehörte John Jacob
Gewinner – durch das Kreditgeschäft und den Land- Astor, ein deutscher Einwanderer, der sich in New
besitz, den sie von den Kreditsäumigen einzogen York zum Großgrundbesitzer emporgearbeitet hatte
(Sakolski 1932, S. 234 f.). und beim Zusammenbruch des Grundstücksmarkts
Der Erfolg bei der Ankurbelung der Landspekula- im Westen aus dem Überangebot fast wertlosen
tion führte rasch zum Ausgleich des Defizits zwi- Landes aus der public domain riesige Landeinheiten
schen Investitionen in der public domain und den aufkaufte.
Erlösen (Tab. 5). Die Spekulationswelle, die auf Dass sich diese Investitionen bereits einige Jahre
diese Weise von der Bundesregierung in Gang ge- später durch rasant steigende Bodenpreise auszahl-
ten, hing sowohl mit der sprunghaften Einwande-
Jahr Verkaufte Landfläche Verkaufserlöse rung aus Europa nach 1848 als auch mit der erneut
in acres in Dollar durch die Bundesregierung eingeleiteten Spekula-
(1 acre = 0,405 ha) tionswelle zusammen. Um die weitere Erschließung
des Landes voranzutreiben, schaffte die Regierung
1831 2 777 857 3 557 024 1854 die staatlichen Mindestpreise für Land aus
1832 2 462 342 3 115 376 der public domain (1,25 Dollar pro acre) ab, was
1833 3 856 227 4 972 285 spekulative Landkäufe zu den tiefer liegenden
Marktpreisen ankurbeln sollte.
1834 4 658 219 6 099 981
Innerhalb weniger Jahre wiederholte sich der Zy-
Quelle: Sakolski 1932, S. 235.

1835 12 564 479 15 999 804 klus von Aufschwung und Zusammenbruch des
1836 20 074 871 25 167 833 Grundstücksmarkts, wobei die Bundespolitik der
1837 5 601 103 7 007 523 ungehinderten und teilweise betrügerischen Speku-
lation Vorschub leistete. In Kansas beispielsweise
Tab. 5: Landverkäufe und Erträge aus Landverkäufen erlaubte das Gesetz zum Landvorkaufsrecht den Er-
aus der Public Domain. werb von 160 ha großen Grundstücken, wenn das
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Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 75

Land eine sogenannte „Aufwertung“ erfahren hatte.


Ein Zeuge musste lediglich beschwören, dass er mit John Jacob Astor
eigenen Augen gesehen hatte, dass sich auf diesem Als Johannes Jakob Astor 1763 in Walldorf bei Heidelberg gebo-
Grundstück ein bewohnbares Haus befand. In der ren, wanderte er mit 16 Jahren in die USA aus, wo er einige
Realität mietete ein Spekulant für 5 Dollar pro Tag Jahre später mit dem Pelzhandel begann. Seine American Fur
ein Haus auf Rädern, an dessen Außenwand ein Company operierte bereits 1796 mit Hilfe seiner unzähligen
Fensterrahmen festgenagelt war, damit es von wei- Trapper und Fallensteller bis zu den Rocky Mountains und war
tem bewohnt oder bewohnbar aussah. So konnte der zum umsatzstärksten Pelzhandelsunternehmen aufgestiegen.
Zeuge beschwören, dass sich zu dem Zeitpunkt, an Zwischen 1800 und 1825 etablierte Astor eine Monopolstellung
dem er das Grundstück besichtigt hatte, dort tat- für den Pelzhandel in Europa und China. Ab 1825 begann Astor
sächlich ein bewohnbares Haus befunden hatte. In- in großem Maßstab im Immobiliengeschäft in Manhattan, dem
zwischen wurde das Haus auf ein anderes Grund- südlichen Teil der Kleinstadt New York mit 23 000 Einwohnern,
stück gefahren, wo es dem gleichen Zweck diente zu investieren, nachdem die Stadt durch den Bau des Erie-Ka-
(Reps 1965, S. 364). So konnten wiederum riesige nals von 1825 einen entscheidenden Standortvorteil erhalten
Grundstücke erworben und Paper Towns geplant hatte: den Zugang auf dem Schiffsweg bis zum Oberen See und
werden, die parzellenweise als teure town lots ver- im gesamten Einzugsbereich des Mississippi bis zur Mündung.
kauft wurden. Der krasse Gegensatz zwischen den Im Gegensatz zu den Landspekulanten investierte Astor nicht in
Versprechen auf Plänen und Bildern und der Rea- Risiko- oder Spekulationsgeschäften. Er suchte Immobilienanla-
lität wurde auf vielen historischen Dokumenten fest- gen nicht aufgrund der bei einem späteren Verkauf möglichen
gehalten. Rendite, sondern gezielt im Hinblick auf zukünftige Nutzungs-
Auch die zweite Spekulationswelle führte in eine möglichkeiten. In Manhattan kaufte Astor über 40 Jahre lang ge-
Wirtschaftskrise, und die Bodenspekulation wurde, zielt Ziegenfarmen, Brachland und Sumpfgebiete und war damit
wie beim ersten Mal, von der Bundesregierung mit in New York der einzig interessierte Investor. Wie vorausgesehen
einer Reihe von Gesetzen, die die geordneten Ver- entwickelte sich die Stadt New York durch den Erie-Kanal zum
käufe von Land aus der public domain an die ur- bedeutendsten Handels- und Industriezentrum der USA im 19.
sprüngliche Zielgruppe – die Kleinfarmer – vorsa- Jahrhundert, was die Bodenpreise explodieren ließ. Bei den
hen, beendet. Landverkäufen an neue gewerbliche Nutzer in Manhattan erzielte
Astor erhebliche Gewinne, die er in weitere Brachländereien im
Landvergabepolitik und Bereich des heutigen Harlem investierte, das anderen Investoren
Heimstättengesetzgebung nicht zusagte. Die Wirtschaftskrise von 1837 überstand das Im-
Hintergrund dieser Gesetzgebung war die Tatsache, perium von Astor nicht nur unbeschadet, es konnte auch große
dass viele Siedler und Kleinfarmer durch die beiden Territorien im Westen hinzukaufen. Als Astor 1848 starb, war er
Spekulationswellen ihr Land und ihre Ersparnisse mit etwa 30 Mio. Dollar Privatvermögen der reichste Mann der
zweimal verloren hatten. Das Jefferson’sche Ideal USA. Er stellte die Personifizierung des amerikanischen Traums
der kleinen und mittelgroßen Farm als Grundpfeiler from rags to riches dar und hatte gezeigt, dass self-made-Wohl-
der Demokratie wurde aber nicht nur durch die stand möglich war (Rachlis u. a. 1963, S. 4, 29).
wilde Spekulation von Privatleuten und Unterneh- Kritisiert wurde er, weil er von seinem Vermögen fast nichts
men zunichte gemacht. Vielmehr war die Bundesre- sozialen Einrichtungen hinterlassen hatte, wie es das ungeschrie-
gierung selbst an der Landspekulation in mehrfa- bene Gesetz der Philanthropie des Privatism von Großverdienern
cher Weise beteiligt: verlangt: Wer sein Vermögen in dem Land und durch das Land
■ Sie wählte diesen Weg in indirekter Weise zur selbst gemacht hatte, so die Auffassung, muss auch im wörtli-
schnellstmöglichen Erschließung und Besiedlung chen wie im übertragenen Sinne zurückzahlen.
des Landes.
■ Direkt war sie involviert, indem sie die spekulati-
ven Landverkäufe ihrer public domain autorisierte. gierung betrieb also eine aktive Grundstücksver-
■ Sie richtete die Verkaufs- (land sales offices) und kaufspolitik über induzierte Landspekulation, als
Anlaufstellen für Siedler ein, von denen aus Groß- ihr dies opportun erschien. Als sie selbst zum
investoren ihr Land aufkauften, um es mit Gewinn Opfer der Spekulation zu werden drohte, änderte
weiter zu veräußern. sie die Politik mit jenen Gesetzen, die die Wirt-
■ Die Regierung schuf eine Reihe von Gesetzen, die schaftskrise von 1837 auslösten, die Landspeku-
den Ausverkauf des Landes erlaubten, auch wenn lation beendeten und damit den Restbestand der
das Land bereits in jemandes Besitz war. Teils be- public domain für rentablere, spätere Verkäufe si-
traf es Siedler der Ländereien westlich der Alle- cherten.
ghenies, welche zu Military Reserves erklärt wur- ■ Nicht zuletzt waren viele Politiker, Minister und
den, teils Indianer, die aus ihren angestammten staatliche Beamte auf allen Ebenen in irgendeiner
und später jenen Territorien vertrieben wurden, Form persönlich an Landgeschäften beteiligt. Al-
welche die Bundesregierung ihnen bereits zuge- lein in der großen Spekulationswelle von 1835 –
wiesen hatte. Mit verschiedenen Preemption Acts, 1837 wurden 38 Mio. acres der public domain
also Gesetzen zu Räumung und Verkauf von Terri- verkauft, davon 29 Mio. an Spekulanten. Zwischen
torien in der public domain, wurden nach und 1854 und 1858 wurden 64 Mio. acres verkauft,
nach die Barrieren für einen massiven, westwärts die Landschenkungen an Eisenbahngesellschaf-
gerichteten Siedlerstrom beseitigt. Die Bundesre- ten und Universitäten nicht eingerechnet.
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76 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Im Einzelnen hatte die Landpolitik der US-Regie- schuldschein über eine quarter section, welcher zu-
rungen von der Zeit der Unabhängigkeit bis weit in nächst in der militärischen Landreserve, später je-
das 19. Jahrhundert hinein vier große, z. T. mitein- doch in allen Teilen der public domain eingelöst wer-
ander konfligierende Stoßrichtungen vertreten (Gates den konnte. Die Begünstigten nahmen ihre Land-
1963; Clawson 1964, 1986; Ottoson 1963; Rob- schuldscheine (military warrants) nicht selten zum
bins 1976; Robertson 1964): Anlass, ihre Parzellen meistbietend an Großinvesto-
ren zu verkaufen, wodurch ein großer Teil der public
Revenue policy domain gänzlich aus der Kontrolle und der settle-
Wegen defizitärer Staatsausgaben während der Re- ment-Zielsetzung der Bundesregierung fiel.
volutionsjahre, hoher Staatsschulden und mangeln-
der Zolleinnahmen beschloss der Kongress 1790 Grant policy
und 1798, den defizitären Staatshaushalt durch Landschenkungen zur allgemein sozialen Nutzung,
Landverkäufe aus dem Bestand der public domain vor allem für Schulen, höhere Bildungseinrichtungen
auszugleichen. Einfuhrzölle und indirekte Steuern und Kirchen, erfolgten an die Regierungen der neu
stellten nicht nur seinerzeit, sondern bis 1913 die gegründeten Bundesstaaten in den Western Territo-
Haupteinnahmequelle des Bundes dar, als der 16. ries. Im Rahmen der land grant policy erhielten ab
Zusatzartikel der Verfassung die direkten Ein- 1862 alle Bundesstaaten beispielsweise Ländereien
kommens- und Körperschaftssteuern einführte. Ver- für Universitäten und speziell für agrarisch und inge-
käufe aus der public domain sahen vor, Parzellen in nieurwissenschaftlich ausgerichtete Fakultäten, wel-
Mindestkontingentierung anzubieten. Seit 1796 che einen großen Bedarf an Testflächen hatten. Mit
waren dies 640 acres pro Transaktion, nach 1832 dem Morrill Act vom gleichen Jahr erhielten sie das
40 acres auf eigens dafür angesetzten Auktionen Recht, zu einem Vorzugspreis Land aus der public
zum Mindestpreis von 1,25 Dollar pro acre. Mit domain im gesamten Staatsgebiet der USA aufzu-
ihrer revenue policy, die vom Geist des „laissez- kaufen, um es zu einem späteren Zeitpunkt mit Ge-
faire“ getragen wurde, leistete die Regierung daher winn verkaufen zu können, wobei der Gewinn für
der schnellen Besiedelung durch Landspekulation den Ausbau der Universität verwendet werden sollte.
Vorschub. So kaufte die Cornell University in New York State in
den 1860er Jahren mehr als eine halbe Million
Settlement policy acres zu 1,25 Dollar pro acre in Minnesota, ferner
Während wirtschaftliche Vorteile bei der revenue weitere ausgedehnte Ländereien in Kansas und Wis-
policy im Vordergrund standen, war es erklärtes Ziel consin. Während sich ihre Versuche zu Stadtgrün-
der settlement policy, Siedlungen und das Wachs- dungen als wenig erfolgreich erwiesen, waren ihre
tum neuer Gemeinden auf dem Gebiet der public Erträge aus der waldwirtschaftlichen Nutzung und
domain anzuregen. Entsprechend der Jefferson’- der Holzindustrie in den Waldländereien ansehnlich.
schen Vorstellung lag das Augenmerk besonders auf Als die Universität später ihre Ländereien in anderen
den Siedlern und Kleinfarmern. Jeder Siedler sollte Bundesstaaten veräußerte, hatte sie substanzielle
sich nach Möglichkeit ein Stück Land aus der public Erträge und Gewinnmargen aus der Nutzung sowie
domain selbst aussuchen können, auf einer Land- aus den Grundstücksverkäufen realisiert (Reps
auktion ein Vorkaufsrecht auf „sein“ Grundstück er- 1965, S. 371 – 374). Alle heutigen großen State
halten und es dann zum offiziellen Preis erwerben Universities sind daher auch land grant universities,
können. Aus Gründen der Effizienz setzte der Bund die bis in die Gegenwart mit großen Landreserven
fast umgehend Großinvestoren als Zwischenhändler ausgestattet sind und aufgrund der massiven
ein. Trotz warnender Kritik, dass dieses Verfahren Bundessubvention in Land- bzw. Forschungsflächen
die Interessen der Kleininvestoren nicht ausrei- zu den führenden Universitäten avancieren konnten.
chend berücksichtige, argumentierte der Kongress, Landzuweisungen an die Kirche der Mormonen,
dass die Kleinfarmer und Siedler das ihnen zuste- deren ursprüngliches Territorium wesentlich größer
hende Land über die Großinvestoren erwerben konn- war als das heutige, wurden später nach unten kor-
ten. Daher wurden Teile der public domain tatsäch- rigiert, was mit dem eindeutig nachgewiesenen Res-
lich in sehr großen Parzellen an Terrain- und Ent- sourcenreichtum dieses Teiles der public domain in
wicklungsgesellschaften vergeben. Das Vorkaufs- Zusammenhang stand.
recht für Kleinfarmer wurde zwar verabschiedet, je-
doch de facto nicht mehr wirksam. Somit stand die Landschenkungen an Eisenbahngesellschaften
settlement policy hinter der staatlichen Einkom- Neben den land grant universities gehörten die
mensgenerierung (revenue policy) zurück. Eisenbahngesellschaften zu den Nutznießern von
Landschenkungen. Eisenbahngesellschaften wurden
Reward policy bis zu zehn Meilen breite und lange Landkorridore
Zur Belohnung für die Veteranen und Kurzzeitsolda- entlang der verlegten Trasse oder der geplanten
ten des Unabhängigkeitskriegs gegen England sowie Streckenführung übereignet (s. Kap. „Inwertsetzung
der Annexions- und Eroberungskriege gegen India- des Naturraums“). Im Allgemeinen wurden diese
ner beschloss der Kongress Mitte des 19. Jahrhun- Korridore entlang der Strecke alternierend vergeben,
derts, Land aus der public domain zu verschenken. sodass eine Eisenbahngesellschaft zwar nicht beid-
Die Anspruchsberechtigten erhielten einen Land- seitig, jedoch immer entlang der gesamten Strecke
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Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 77

Landkorridore besaß. Hintergrund dieser großzügi-


gen Landvergabepolitik war, die Erschließung weiter
Teilbereiche des amerikanischen Westens überhaupt
einzuleiten. Die Gegenleistung bestand neben dem Montreal
Schienenbau in der weiteren infrastrukturellen Er-
schließung (Abb. 59) der geschenkten Territorien Portland
und vor allem im Bau von Städten. Stadtgründun-
Toronto
gen lagen natürlich im ureigensten Interesse der Boston
Eisenbahngesellschaften, da nur funktionsfähige Buffalo
Städte in großer Zahl die kritische Masse an Güter- Detroit
und Personenbewegungen garantierten, die eine Chicago Toledo New York
Streckenführung überhaupt erst möglich und renta- Pittsburgh
Philadelphia
bel machten. Die Landschenkungen an Eisenbahn-
gesellschaften führten einerseits zum Ausbau des St. Joseph
Baltimore
Washington
Streckennetzes, andererseits eröffneten sie eine Alton
Cincinnati

gänzlich neue Ära von Stadtgründungen. Richmond


St. Louis
Mehrere hundert Städte entstanden in kurzer
Folge entlang von Eisenbahnstrecken, und beste-
hende Städte versuchten, sich an das neue, erwei- Nashville
terte Streckennetz anzupassen, indem sie Bahn- Chattanooga
Wilmington
höfe, Zubringertrassen an Hauptstrecken und Ge- Memphis
schäftsmeilen in Bahnhofsnähe errichteten. Bis Atlanta

1840 waren Baltimore, Washington, D. C., New York Charleston


und Philadelphia durch mehrere Strecken miteinan-
Quelle: Meinig 1993, S. 329.

Savannah
der verbunden. Die Städte westlich der Appalachen Vicksburg
Hauptstrecken,
erfuhren durch die sich erweiternden Netze den Teile der späteren
größten Aufschwung. Bis 1850 waren über 10 000 Mobile Transkontinentallinien
Nebenstrecken
Meilen Strecken verlegt; das Streckennetz erschloss New Orleans
Houston
die USA im Norden von Chicago bis zur Neueng- 0 500 km

landküste, im Süden nach Savannah und Tennes-


see. Nach Eröffnung des Erie-Kanals 1825, der es
ermöglichte, auf dem durchgehenden Schiffsweg Gelegentliche Flussschifffahrt
von New York bis nach Chicago und dem Oberen Kanalbau, Flusslaufkorrekturen
See sowie in das gesamte Einzugsgebiet des Missis- Wichtigste Dampfschiff-
fahrtsrouten
sippi zu gelangen (Abb. 60), was neue wirtschaft-
liche Möglichkeiten erschloss, erkannten auch die
Eisenbahngesellschaften die Notwendigkeit, ihre
Strecken westlich des Mississippi auszubauen, um Erie-
kanal
diese Gebiete zumindest an die Schifffahrtswege von 1825

der Großen Seen anzubinden und die Märkte, aber


auch die Ressourcen im Westen noch besser zu er-
schließen. Der Eisenbahnbau wurde zum Katalysa-
tor für Städtebau und Stadtentwicklung und führte
zum weiteren Ausbau eines Streckennetzes von
Transkontinentalverbindungen.
Als Begleiterscheinung setzte eine Gründungswelle
von Kleinstädten im Mittleren Westen ein, von den
Gebirgszonen bis hin zu den pazifischen Küstenre-
gionen. Die towns by the tracks wurden daher auch
in einem Standardverfahren mit vorgefertigten Stadt-
plänen buchstäblich aus dem Boden gestampft. Zeit-
genössischen Berichten zufolge dauerte es nur rund
20 Minuten, bis die Vermessung eines solchen Stadt-
areals abgeschlossen war und der parzellenweise Ver-
kauf und Aufbau der Stadt beginnen konnte. Dem
Standardverfahren entsprach dann auch die Namens-
Quelle: Meinig 1993, S. 320.

nennung der Städte von Ost nach West dem Alphabet


0 500 km
folgend, wobei viele Städte die Namen von Präsiden-

Abb. 59: (oben) Eisenbahnnetz um 1860.

Abb. 60: Ausgebaute Binnenschifffahrtswege um 1825.


04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 78

78 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

ten oder von indianischen Bezeichnungen für Orte sen bei Landbesitz und um die relativ unfruchtba-
und Teilregionen erhielten. Innerhalb der Städte ren Ländereien jenseits des 100. Längengrades
sahen die am Reißbrett gefertigten Pläne eine einfa- nutzbar zu machen, erfolgte 1862 das Heimstätten-
che quadratische Ost-West- und Nord-Süd-Aufteilung gesetz. Die Idee des Homestead Act war, jedem
vor, wobei die Nord-Süd verlaufenden Avenues übli- Amerikaner die Möglichkeit zu bieten, gegen eine
cherweise in alphabetischer Reihenfolge die Namen Minimalgebühr und mindestens fünf Jahre Arbeits-
von Präsidenten oder führenden Politikern erhielten einsatz aus der public domain 160 acres Land er-
und die Ost-West gerichteten Streets die Namen von werben und eine Existenzgrundlage aufbauen zu
Bäumen. Reale Städte und Paper Towns entstanden können. Allerdings überholte sich die Idee relativ
nach einem vorgefertigten Grundriss in einem Gitter- schnell, war sie doch bereits bei Inkrafttreten nichts
system (Reps 1981, S. 76 – 120). weiter als eine Fortsetzung der bestehenden Land-
vergabepolitik. Als Folge wurden eine Reihe ergän-
Kritik der Bundesstaaten an der zender Gesetze erlassen, um die weniger produkti-
Landvergabepolitik der Bundesregierung ven Gebiete des bundeseigenen Landes in Wert zu
Dass die Bundesregierung den neu gegründeten setzen (House of Representatives 1979):
Bundesstaaten in den Western Territories keinerlei ■ Der Southern Homestead Act von 1866, der je-
Mitspracherecht bei dem Verkauf von Ländereien doch nur in fünf Bundesstaaten gültig war. Er er-
aus der public domain gewährte, führte zu Kritik, laubte befreiten Sklaven, 80 acres Land zur Be-
zumal den dreizehn ursprünglichen Bundesstaaten wirtschaftung übereignet zu bekommen, wobei
das Recht zur Selbstverwaltung ihrer jeweiligen öf- das qualitativ beste Land jedoch schon unter den
fentlichen Ländereien gewährt worden war. Den- Plantagenbesitzern aufgeteilt war.
noch wich die Bundesregierung von ihrer Praxis der ■ Der Timber Culture Act von 1873 (Gesetz über
Landvergabe ohne einzelstaatliches Mitspracherecht die Pflege und den Erwerb von Forstland – Auffors-
nicht ab, da sie nur so ihre Zielsetzung der revenue tungsgesetz) besagte, dass jeder, der 40 acres mit
policy gewährleistet sah. Zum Ausgleich erhöhte sie Bäumen bepflanzte und dieses aufgeforstete Ge-
ab 1840 ihre land grants für öffentliche, Wohl- biet über 10 Jahre bewirtschaftete (ab 1878 nur
fahrts- und Sozialzwecke an die einzelnen Staaten. noch 10 acres auf acht Jahre), 160 acres Land
Auch hierbei standen die Zielsetzungen der revenue erhalten sollte. Insgesamt wurden mit Hilfe dieses
policy klar im Vordergrund: Aus den zweckgebunde- Gesetzes 10 Mio. acres bis 1891 besiedelt und
nen Landschenkungen an die Staaten für Schulen, kultiviert.
Universitäten mit agrar- und ingenieurwissenschaft- ■ Der Desert Land Act von 1877 (Gesetz über den
lichen Fakultäten sowie Kirchen und soziale Ein- Erwerb von Wüstenland durch Bewässerung – Öd-
richtungen erwartete man eine Wertsteigerung und landgesetz). Danach konnte jeder Siedler zu 25
eine eigendynamische Erschließung und Entwick- Cents pro acre bis zu 640 acres Land nutzen und
lung jener Bundesterritorien, die in unmittelbarer nach einer dreijährigen Bewässerungswirtschaft
Nachbarschaft der verschenkten Ländereien lagen. für 1 Dollar pro acre erwerben. Als Nachteil er-
Das Erschließungs- und Entwicklungsziel der Regie- wies sich, dass die meisten Siedler nicht imstan-
rung, welche in eigener Finanz- und Arbeitskraft de waren, die hohen Kosten für die Bewässerung
nicht vermocht hätte, ein Land von kontinentalen aufzubringen.
Ausmaßen in Wert zu setzen, war mit der auf einer ■ Der Timber and Stone Act von 1878. Er sah vor,
win-win-Situation angelegten Politik, bei der alle für die Holzwirtschaft und die Steinbrüche nutz-
beteiligten Akteure profitierten, überaus erfolgreich: bare Ländereien zu mindestens 2,50 Dollar pro
Im 19. Jahrhundert wurden Hunderte von Städten acre in Kalifornien, Nevada, Oregon und Washing-
neu gegründet, knapp 30 Mio. Einwanderer kamen ton zu verkaufen.
in das Land und die Bevölkerung wuchs von rund ■ Der Timber Cutting Act von 1878. Das Gesetz er-
5 Mio. auf 76 Mio. an. Eisenbahnbau wurde zur wich- möglichte in einigen Gebieten das Holzfällen
tigsten Industrie; die frühen Eisenbahngesellschaf- ohne Erlaubnis, sofern das Holz für die Landwirt-
ten, die vom Osten der USA aus operierten und schaft, den Berg- oder Hausbau genutzt wurde.
größtenteils mit Bostoner Kapital finanziert wurden, ■ Der Dawes Act von 1887 sah vor, die Reservate
stiegen zu den mächtigsten Konzernen der USA auf. stärker zu besiedeln. Zu diesem Zweck bot man
Da durch diese Erschließungs- und Entwicklungs- den Indianern, die bis dahin nur Stammesbesitz
politik die Bundesschuld nach 1850 abgebaut wer- gekannt hatten, die Möglichkeit, innerhalb von
den konnte, wurde die auf maximale Staatseinkünf- Reservaten Einzelbesitz zu erlangen. Allerdings
te ausgerichtete Politik relativiert. Landverkäufe waren die wirtschaftlichen Potenziale in den Re-
brauchten nun nicht mehr in erster Linie Einnah- servaten relativ gering. Zudem wurden Reservate
men für den Staat zu erzielen. Der Fixpreis von durch die Bedürfnisse der Besiedlung immer stär-
1,25 Dollar pro acre wurde daher aufgehoben. ker verkleinert: Während 1887 Indianerreservate
noch 138 Mio. acres ausmachten, sank die Flä-
Der Homestead Act von 1862, Folgegesetze und che bis 1937 auf 52 Mio. acres.
Kritik an der Heimstättengesetzgebung ■ Der Hatch Act von 1887 begründete die staat-
Wegen des Missverhältnisses zwischen der Landver- liche Unterstützung für die landwirtschaftliche
gabe an Kleinbauern und den Konzentrationsprozes- Forschung bezüglich der verschiedenen Klima-
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Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 79

und Bodenbedingungen des Staatsgebiets. Es war ziell besiedelten, später erwarben und dann sofort
das erste Gesetz, das die Extrembedingungen an- an große Auftraggeber weiterverkauften. Diese
erkannte und ihre Erforschung ermöglichte. wiederum erwarben auf diese Weise immense,
■ Der General Revision Act von 1891. Dieses konsolidierte Ländereien – ähnlich den Latifundi-
Gesetz widerrief eine Anzahl bereits erlassener en –, die sie aufgrund der Größe zu einem we-
Gesetze, unter anderem das Vorverkaufsrecht sentlich höheren Preis wieder verkaufen konnten.
(Preemption Act, Desert Land Act, Timber Cut- Somit wurde das Konzept der kleinen Familienfar-
ting Act). Es legte den Grundstein für die Natur- men von Anfang an zunichte gemacht. Auch die
schutzbewegung, indem der Bund ermächtigt Steigerung der Minimalkontingente beim Verkauf
wurde, schützenswerte Gebiete vom Verkauf aus- von Land oder die Mindestpreise für Land in
zuschließen. jenen Bundesstaaten, die erst später der Union
■ Der Kinkaid Act von 1904, der nur für Nevada beitraten (North und South Dakota, Washington,
galt, ermöglichte dort den Erwerb von jeweils 640 Montana, hier 10 Dollar pro acre), machten Land-
acres Land, um die Entwicklung anzukurbeln. erwerb selbst unter der Heimstättengesetzgebung
■ Der New Lands Reclamation Act von 1902. Nach für viele unmöglich. Die Förderung des Klein-
diesem Gesetz wurden Erträge aus dem Landver- grundbesitzes, wie es der urprünglichen Zielset-
kauf der public domain in einen Fonds einge- zung entsprach, geriet über die tatsächliche Um-
zahlt, der Bewässerungsprogramme finanzierte. setzung mittels Developern und Terraingesell-
Das Programm führte zu spekulativen Landkäufen schaften in Vergessenheit. Modifikationen der
im ariden Südwesten, da wüstenhafte Gebiete zu- Heimstättengesetzgebung zu Beginn des 20. Jahr-
mindest kurzfristig nutzbar gemacht werden konn- hunderts dienten ebensowenig der Umsetzung
ten. eines Konzepts von Familienfarmen wie dies die
■ Der Enlarged Homestead Act von 1909 war für Gesetze zuvor getan hatten. Auch bei diesen er-
12 Staaten im ariden Südwesten gültig und er- folgte die Landvergabe aus der public domain in
laubte dort den Erwerb von Parzellen von je 640 erster Linie nach dem Ziel der schnellen Erschlie-
acres. ßung der letzten, schwierig zu bewirtschaftenden
■ Der Stockraising Act von 1916, der die Heimstät- Ländereien. Mit einem Beschluss von 1889 been-
tengesetzgebung beendete, sah die Gründung von dete daher der Kongress die Ära der unbegrenzten
Heimstätten von je 640 acres auf solchem Land Landverkäufe und damit der Landspekulation. Die
vor, das nur zu Weidezwecken genutzt werden Ära der Frontier wurde 1890 durch die Bundesre-
sollte (Gates 1968, 1963). gierung offiziell für beendet erklärt, da ihr Ziel der
Kritik an der Heimstättengesetzgebung entstand aus flächendeckenden Erschließung und Besiedlung
folgenden Gründen: des Landes abgeschlossen war. Zuvor hatte die
■ Unwirtschaftlichkeit. Zum Zeitpunkt der Heim- Bundesregierung das Territorium Oklahoma, das
stättenvergabe westlich des 100. Längengrades einige Jahrzehnte früher den Indianerstämmen
war das besterschlossene und wirtschaftlichste zugewiesen worden war, zur Besiedlung durch die
Land im ariden Südwesten bereits durch Land- Weißen freigegeben.
spekulation verkauft. Die Bewirtschaftung der ■ Problematisch blieb die Heimstättengesetzgebung
unter dem Heimstättengesetz vergebenen Farm- nicht zuletzt auch, weil sie zwar vielen Not lei-
stätten erwies sich angesichts der schwierigen denden Familien eine Verbesserung ihrer Lage
physisch-geographischen Gegebenheiten und der brachte, dies aber auf Kosten der Indianerstämme
Tatsache, dass die neuen Heimstätten meist weit- tat, denen ein großer Teil der Territorien gehörte,
ab von wichtigen Verkehrswegen lagen, als risiko- die von der Bundesregierung als public domain
reich. Auch die Vergrößerung der Flächenzutei- veräußert wurden. Die zahlreichen Kämpfe von
lung von einzelnen Heimstätten auf jeweils 160 Indianern um ihr Land, das von weißen Siedlern
acres änderte an den schwierigen Bedingungen besetzt und bewirtschaftet wurde, sind ebenso le-
nichts Grundlegendes. gendär wie die 400 gebrochenen Verträge der
■ Kosten. Für die Farmer entstanden sehr hohe Bundesregierung mit Indianerstämmen, bei denen
Risikoinvestitionen. Außer dem Land erhielten ihnen Territorien und Verbleib auf ihrem Land zu-
sie keine begleitenden Maßnahmen. Die Kosten gesichert worden waren.
für die Errichtung von Gebäuden, Farmausstat- Die Auswirkungen der Bodenspekulation auf die
tung und landwirtschaftlichen Arbeitsmaterialien Landbesitz- und Nutzungsstrukturen waren bis in
mussten sie selbst tragen, auch wenn der Ertrag das 20. Jahrhundert hinein von großer Tragweite.
unter den Klima- und Bodenbedingungen unge- Die Tatsache, dass trotz Jefferson’scher Idealvorstel-
wiss war. Die Bewirtschaftung im ungewohnten lung und Heimstättengesetzgebung in weiten Teilen
Klima erforderte die Adaption neuer Techniken, des Landes eine Pachtfarmstruktur entstand, kann
was sich nur die wohlhabenden Siedler leisten nicht nur als Folge der Kommerzialisierung des
konnten. Auf diese Weise entstand Ungleichheit Agrarsektors gesehen werden (s. Kap. „Wirtschafts-
auch unter der egalitären Heimstättengesetzge- struktur“), sondern steht zum großen Teil auch in
bung. Zusammenhang mit der Farmenaufgabe zahlungs-
■ Spekulation. Die Heimstättengesetzgebung ließ unfähiger Farmer während der großen Spekulations-
Spielraum offen für jene, die Land zunächst offi- wellen. Pachtfarmen wurden in Illinois, Indiana,
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80 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Iowa, Kansas und Nebraska dominant – eine Situa- zum Pazifik zu erwerben suchten. Ferner stellte die
tion, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts bestand. Monroe-Doktrin eine grundsätzliche Verschiedenheit
Als Spätfolge davon potenzierten sich Sozialproble- der politischen und gesellschaftlichen Systeme der
me während der Großen Depression, als Banken in USA und der Alten Welt mit der Implikation fest,
Liquiditätsschwierigkeiten jene Kredite von Päch- dass jegliche Einmischung europäischer Mächte in
tern und Farmbesitzern einzogen, die diese zuvor die Interessensbereiche der USA als „unfreund-
während der Dürrejahre zum Existenzerhalt aufge- licher Akt“ gewertet werden würde. Die USA be-
nommen hatten. Das dabei verpfändete Land wurde stimmten ihrerseits, dass sie die angestammten Ko-
an Großinvestoren verkauft, und Hunderttausende lonialinteressen honorieren und sich nicht in euro-
von Pächtern wurden von den Farmen, die sie in päische Kriege einmischen würden, solange ihre ei-
Kansas, Oklahoma und Arkansas bewirtschaftet hat- genen Rechte und Interessen nicht gefährdet seien
ten, vertrieben – literarisch aufgearbeitet in John (Adams 2000, S. 63 f.):
Steinbecks Werk „Früchte des Zorns“. Die Entwick- „The American continents, by the free and inde-
lung von Armutsvierteln in den Städten Kalifor- pendent conditions which they have assumed and
niens, in die viele Farmer zogen, ist ebenfalls eine maintain, are henceforth not to be considered as
späte Auswirkung der agraren Besitzstrukturen, die subjects for future colonization by any European
sehr direkt mit der auf Staatseinnahmen bedachten powers … The political system of the allied powers
Landpolitik der Bundesregierung im 19. Jahrhundert is essentially different from that of America … We
zusammenhängt. Tatsächlich aber kann man es die- owe it, therefore, to candor and to the amicable re-
ser Politik zugute halten, dass sie sowohl die Ein- lations existing between the United States and
nahmen für die vielfachen Erschließungsaufgaben those powers to declare that we should consider any
des Staates erbrachte, als auch die schnelle Er- attempt on their part to extend their system to any
schließung des Landes, den Bau vieler Kanäle und portion of the hemisphere as dangerous to our peace
der Eisenbahnlinien erst ermöglichte. and safety . With the existing colonies or dependen-
In Retrospektive kann festgehalten werden, dass cies of any European power we have not interfered
eine nach idealistischen Prinzipien orientierte Land- and shall not interfere. But with the Governments
politik angesichts der wirtschaftlichen Situation der who declared their independence … we could not
USA nach dem Unabhängigkeitskrieg, den Mehr- view any interposition for the purpose of oppressing
heitsverhältnissen in Regierung und Kongress und them, or controlling in any other manner their desti-
in Anbetracht der Erschließungsaufgaben des Staa- ny, by any European power in any other light than as
tes wenig realistisch gewesen wäre. So wählten die the manifestation of an unfriendly disposition
USA den Weg in jene von Großinvestoren ausgeführ- toward the United States“ (Monroe in seiner an den
te und von privatwirtschaftlichen Interessen geleite- amerikanischen Kongress gerichteten Mitteilung
te Erschließungspolitik, welche auch die englische vom 2.12.1823; zit. in Adams 2000, S. 63f.).
Kolonialmacht jahrhundertelang betrieben hatte. Auf die Monroe-Doktrin gestützt, nach der Ameri-
ka den Amerikanern gehören solle, konnten die fol-
Wahrung wirtschaftlicher Interessen, genden Präsidentschaften erfolgreich eine territoria-
„nationale Bestimmung“ und die Monroe-Doktrin le Expansionspolitik betreiben, die weitere Territo-
rien nicht immer nur auf dem Verhandlungsweg in
Integration von Territorien die USA eingliederte. In vier Richtungen steckten
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die die USA ihre Landinteressen ausländischen Mäch-
USA einen immensen Zuwachs ihres Landes, ihrer ten gegenüber ab: nach Florida, in die Nordwestter-
Bevölkerung und ihrer Wirtschaft erfuhren, etablier- ritorien, nach Texas und in den Südwesten. Unter
ten sie ihre Interessen an der Inwertsetzung der Präsident Theodore Roosevelt erfolgte 1904 die
neuen Territorien nicht nur über die spezifische Ausrichtung auf Lateinamerika, indem – gestützt
Landvergabepolitik. Auch auf der politischen Ebene auf das Ideengut der Monroe-Doktrin – Handlungs-
wirkten die USA, um ihre wirtschaftlichen Interes- spielräume für die Wahrung amerikanischer, natio-
sen klar durchzusetzen, und begründeten damit naler Interessen auch in lateinamerikanischen Län-
eine bis in die Gegenwart anhaltende Tradition. dern entdeckt worden waren.
Dem Optimismus nach dem Unabhängigkeitskrieg In Verhandlungen mit den Engländern 1818 wur-
folgend, begann unter Präsident James Monroe den die Nordwestgrenze der USA und Territorien in
(1817 – 1825) eine Politik, die auch nach außen ihrem Interessenbereich auf den 49. Breitengrad
die Land- und Wirtschaftsinteressen der USA ab- festgelegt. Mit der Monroe-Doktrin wurde dieses Ge-
steckte. Bereits in der Phase, in der die USA noch biet, das auch die späteren Staaten Wyoming, Wa-
ihre Landansprüche nach Westen geltend machten shington, Idaho und Montana einschloss, als Inter-
und Territorien hinzuzugewinnen suchten, stellte essengebiet und somit implizit zum künftigen Terri-
Präsident Monroe 1823 mit der als Monroe-Doktrin torium der USA deklariert. Mit der gezielten Besied-
bekannt gewordenen Erklärung klar, dass Russland, lung des mexikanischen Territoriums Texas durch
das Alaska besaß, keine Ansprüche auf das soge- 35 000 Amerikaner, die Mexiko selbst zur Urbarma-
nannte „Oregon-Territorium“ hatte, das die USA als chung des Gebiets angeworben, jedoch restriktiv be-
letztes Teilstück zwischen ihrem 1803 hinzugekauf- handelt hatte, lieferte Mexiko den USA einen Grund,
ten Louisiana-Territorium und ihrer Ausdehnung bis bei einem Aufstand der Amerikaner 1836 einzugrei-
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Kontinentale und gesellschaftliche Konsolidierung 81

fen. Das amerikanische Protektorat Texas wurde sonen aus ihren angestammten oder zugewiesenen
1848 offiziell als Bundesstaat in die USA aufge- Territorien in Georgia ein, als auf diesen Gebieten
nommen bzw. annektiert. Auch hier waren wirt- Gold gefunden wurde. Von den rund 20 000 Chero-
schaftliche Interessen ausschlaggebend gewesen: kee-Indianern, die mit Militäreinsatz aus Georgia in
Die weltweit steigende Nachfrage nach Baumwolle, das neu geschaffene Indianerterritorium Oklahoma
die erst nach 1790 in großem Stil angebaut wurde westlich des Mississippi begleitet wurden, starben
und gerade in den Südstaaten in der neuen Nation ca. 4000 beim „Marsch der Tränen“ (s. Kap. „Be-
zum verstärkten Einsatz von Sklaven geführt hatte, völkerungsentwicklung“).
machte Texas zum geeigneten Gebiet, um den lu- Wirtschaftliche Gründe waren auch die wichtigste
krativen Baumwollanbau mit Blick auf den Welt- Determinante im Umgang der Bundesregierung mit
markt auszuweiten. Texas war daher seit Beginn des der schwarzen Bevölkerung. Von den 1790 regis-
19. Jahrhunderts ein Gebiet regionalwirtschaftlicher trierten 757 000 schwarzen Sklaven war die Bevöl-
Sonderinteressen gewesen. kerung afrikanischer Herkunft bis 1860 auf 4,4 Mio.
Ab 1845 jedoch wurden die nationalen Mythen Menschen angestiegen. Schwarze Sklaven wurden
und politische Interessen unter dem Schlagwort trotz Einfuhrverbots auch nach 1808 noch illegal –
Manifest Destiny („nationale Bestimmung“, „vorbe- mit heimlicher Billigung der Bundesregierung – ins
stimmtes/unausweichliches Schicksal“ oder auch Land gebracht. Unter der Präsidentschaft von An-
„Amerikas Vorbestimmung“) propagiert. Das neue drew Jackson (1829 – 1837) erhielten die Sklaverei-
nationale Bewusstsein der USA, die sich als ein gegner größeren politischen Einfluss und versuch-
vom Schicksal ausersehenes „Reich der Freiheit“ ten, nach dem Modellfall von Illinois, das 1818 als
für die Unterdrückten sahen, führte zu einer höhe- erster sklavenfreier Bundesstaat in die Union aufge-
ren Akzeptanz für expansionistische Vorgehenswei- nommen wurde, weitere Staaten zu sklavenfreien zu
sen auf dem ganzen amerikanischen Kontinent. Die wählen.
„nationale Bestimmung“ der USA fand eine Bestär- Erst nachdem sich 1861 während der Präsident-
kung in dem folgenden amerikanisch-mexikanischen schaft Abraham Lincolns sieben Südstaaten zu den
Krieg, der mit der Niederlage Mexikos 1848 und „Konföderierten Staaten von Amerika“ zusammen-
der Übergabe der riesigen Gebiete der heutigen geschlossen und sich einen neuen Präsidenten
Staaten Arizona, Kalifornien, Nevada, Texas und (Jefferson Davis) und eine neue Hauptstadt (Rich-
Utah sowie Teilen New Mexicos, Colorados und des mond, Virginia) gegeben hatten, griff die Bundesre-
südlichen Wyoming an die USA endete. Die Ent- gierung militärisch ein. Der amerikanische Bürger-
schädigungssumme von 15 Mio. Dollar für Texas, der krieg, bei dem jeder Amerikaner mobilisiert wurde,
Gadsen-Kauf der südlichen Teile Arizonas und New der in der Lage war, zu kämpfen, ging am 9. April
Mexicos für den Bau einer Eisenbahnlinie um die 1865 zu Ende, nachdem er über 600 000 Tote ge-
Gebirgsketten sowie der Kauf Alaskas von Russland kostet hatte: 360 000 auf Seiten der Union und
für 7 Mio. Dollar führten zum Ziel, die kontinentalen 260 000 auf Seiten der Südstaaten. Die Wieder-
Grenzen dort zu etablieren, wo die USA ihre „natio- eingliederung der abgespaltenen Südstaaten sicher-
nale Bestimmung“ sahen. Vor diesem geschicht- te den USA den Fortbestand ihrer Weltmarktposi-
lichen Hintergrund erklären sich auch Gegebenhei- tion in der Baumwollproduktion, befreite über
ten der Weltpolitik bis in die Jahre 2002 und 2003, 4 Mio. Schwarze aus der Sklaverei und ermöglichte
welche die USA im Sinne ihrer „nationalen Interes- es ihnen, in die aufstrebenden Industrien des Nor-
sen“ und „unausweichlichen Vorbestimmung“ zu dens abzuwandern (Schäfer 1998, S. 90 ff.; Adams
beeinflussen suchten. 2000, S. 76 – 83).
Der Umgang mit Territorien der Urbevölkerung Die territoriale Konsolidierung war nur ein Teil des
zeugte ebenfalls von der nationalistischen Gesin- Weges zu einer amerikanischen Nation; der andere
nung, welche die Monroe-Doktrin hervorgebracht Teil bestand aus der Demokratisierung von politi-
hatte. Indianer galten nicht als Bestandteil des schen und sozialen Verhältnissen, der Schaffung
Staatsvolkes der USA, sondern waren unterworfene von politischen und institutionellen Einrichtungen
„Andere“. 1831 wurde ihnen vom Bundesverfas- für eine Republik sowie der anhaltenden Mythologi-
sungsgericht der Sonderstatus der „einheimischen, sierung eines amerikanischen Selbst- und National-
abhängigen Nationen (…) im Zustand der Unmün- bewusstseins. Das neue Konzept der amerikani-
digkeit“ (domestic dependent nation (…) in a state schen Revolution – im Gegensatz zu etablierten eu-
of pupilage) gewährt. Damit erhielten sie das Recht ropäischen Staats- und Gesellschaftsformen – war
zur Selbstregierung und -verwaltung, was auch von der Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz,
den Bundesstaaten, in denen die Indianernationen und zwar der Chancengleichheit aller in ihrem Stre-
lebten, nicht eingeschränkt werden durfte. Mit dem ben nach Glück und Wohlstand, Leben und Freiheit.
Begriff der Indianernation – im Gegensatz zum Be- Thomas Jefferson formulierte es in der amerikani-
griff Stamm – wurden sie zu selbstständigen Ver- schen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776
tragspartnern in Landabtretungsverträgen aufgewer- folgendermaßen: „We hold these truths to be self-
tet, was selbst ungünstigen Verträgen eine besonde- evident, that all men are created equal, that they
re Legitimität verlieh. Trotz Verträgen und der Auf- are endowed by their Creator with certain unaliena-
wertung zu Nationen leitete der Indian Removal Act ble rights, that among these are life, liberty and the
von 1830 eine Zwangsumsiedlung von 100 000 Per- pursuit of happiness.“
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82 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Industrialisierung und ihre Auswirkungen


Ressourcen, Protektionismus, Innovationen duktion für andere Wirtschaftszweige wie die Land-
Die Wachstumsprozesse von Land, Bevölkerung und wirtschaft einen Aufschwung. Das wichtigste Pro-
Industrialisierung sind engstens miteinander ver- dukt der amerikanischen Wirtschaft war in der ers-
bunden. Baumwolle war zwischen 1815 und 1860 ten Hälfte des 19. Jahrhunderts Baumwolle, die
das führende Produkt der amerikanischen Wirt- hauptsächlich im Raum Massachusetts und Phila-
schaft. Die in den Südstaaten angebaute und in den delphia verarbeitet wurde. Sie war zudem das wich-
Nordstaaten verarbeitete Baumwolle generierte im tigste Exportprodukt und auf dem Weltmarkt füh-
Süden die Nachfrage für Manufakturwaren aller Art rend. Diese volkswirtschaftliche Bedeutung der mit
aus dem Norden. Im Norden wiederum sicherte die Sklaven betriebenen Baumwollplantagenwirtschaft
Baumwollverarbeitung das Einkommen für die Le- erklärt, warum die Bundesregierung in der Sklaven-
bensmittelversorgung aus dem Mittelwesten. Die so frage zwischen dem Sklaveneinfuhrverbot und der
etablierte Nachfrage erlaubte die beginnende Mas- Abschaffung der Sklaverei mehr als fünfzig Jahre
senindustrialisierung nicht nur bei der Baumwollver- verstreichen ließ – eine Zeit, in der der illegale Skla-
arbeitung, sondern auch in anderen Wirtschafts- venhandel stillschweigend toleriert wurde. Der spä-
zweigen. Während der von 1803 bis 1814 geführ- tere Sezessionskrieg wurde daher nicht etwa aus hu-
ten napoleonischen Kriege in Europa, als sowohl manitären Gründen zur Befreiung der Sklaven ge-
Briten als auch Franzosen versuchten, einander die führt, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Grün-
Zufahrtswege von Rohmaterialien abzuschneiden den: Die reichen Südstaaten sollten wieder in die
und selbst amerikanische Handelsschiffe versenkt Vereinigten Staaten eingegliedert werden, da ihre
wurden oder anderweitig von massiven Verlusten be- Exporte einen wesentlichen Faktor in der amerikani-
troffen waren, verboten die USA mit dem Embargo- schen Volkswirtschaft darstellten. Auch sollte die
Gesetz von 1807 den Handel mit beiden Nationen. Abschaffung der Sklaverei billige Lohnarbeiter für
Die amerikanischen Exporte fielen von 108 Mio. die Industrien des Nordens freisetzen.
Dollar (1807) auf 22 Mio. Dollar (1808), Handel Die Wollherstellung konzentrierte sich auf Massa-
und Wirtschaft, Küstenstädte und ihre Bevölkerung chusetts und Connecticut, die Seidenherstellung auf
waren von der Wirtschaftskrise zwar massiv betrof- New Jersey und Connecticut. Ebenfalls im Raum
fen, einen plötzlichen Aufschwung nahmen jedoch Massachusetts und New York waren Textil-, Näh-
all jene Industrien und Wirtschaftszweige, die Er- und Dampfmaschinen, Maschinenwerkzeugbau, Waf-
satzprodukte für die fehlenden, vormals importier- fen, Uhren, ferner Schiffbau und Möbelherstellung
ten europäischen Waren anbieten konnten. Da die konzentriert. Obwohl die frühen industriellen Pro-
Warenströme aus dem industrialisierten England um dukte in der Qualität den Waren der englischen Im-
1812 durch das Embargo fast vollständig zum Erlie- porte nicht entsprachen, sicherte der Protektio-
gen kamen, konnte sich die vor den hochwertigen nismus den Absatz in den gesamten kontinentalen
und preiswerteren englischen Importen geschützte USA in dem Maße, wie sich diese bis zum Pazifik
amerikanische Textilindustrie schnell entfalten. Spe- erweiterten. Dadurch konnten sich amerikanische
ziell mit der Baumwollentkernungsmaschine, die Textil- und Folgeindustrien einen größeren Marktan-
1793 erfunden wurde, sowie den Spindeln, welche teil sichern, der später auch im Weltmarkt entschei-
die Mechanisierung der Baumwollspinnerei erlaub- dend war. Mit Hilfe von Innovationen konnten ins-
ten, verzeichnete die amerikanische Textilindustrie besondere in den Neuenglandstaaten um Boston die
bis zum Ende des Embargos und der Kontinental- Herstellungsmethoden verbessert werden. Durch
sperre 1812 ein rasantes Wachstum. Vor 1809 exis- Francis Cabot Lowell entstand 1814 der erste me-
tierten nur 15 Baumwollspinnereien in den USA, chanische Webstuhl auf amerikanischem Boden
um 1809 waren es schon 87 (Heilbronner & Singer und wenig später die erste Fabrik weltweit, die das
1984, S. 86). gesamte Produktionsspektrum unter einem Dach
Der amerikanische Kongress erließ einige Jahre abwickelte – von der Baumwollspinnerei bis zur Her-
nach Beendigung der Kontinentalsperre 1816 ein stellung der fertigen Stoffe (Abb. 61 u. 62).
Zollgesetz, das auf englische Baumwollkleidung und Amerikanische Textilien wurden nicht nur auf dem
Wollprodukte hohe Einfuhrzölle verhängte. Dieser einheimischen, sondern auch erfolgreich auf dem
im 20. Jahrhundert unter dem Schlagwort der Im- großen chinesischen Markt abgesetzt. In rascher
portsubstitutions-Industrialisierung auch von ande- Folge gab es ab 1828 Innovationen, die die Mecha-
ren Ländern praktizierte Protektionismus sicherte nisierung vieler Produktionsprozesse erlaubten. Mit
den einheimischen Industrien auf dem riesigen Einsatz der Dampfmaschine in der Textilherstellung
amerikanischen Markt entscheidende Absatzvorteile. in den Fabriken von Samuel Slater begann 1828 der
Um 1840 wurden zwei Drittel der Baumwollverar- Aufschwung der Massenproduktion. Auch in den an-
beitung in den Neuenglandstaaten abgewickelt. deren Industrien, die mit der Versorgung der Bevölke-
Gleichzeitig begann – ebenso wie in Europa – der rung oder der Erschließung des Landes zusammen-
Aufbau von Folgeindustrien, die teils mit der Textil- hingen, wie der Gewehr- und Waffen-, Schuh- und Uh-
industrie zusammenhingen: Nach mechanischen renherstellung sowie der Produktion landwirtschaft-
Webstühlen und Maschinenbauerzeugnissen für die licher Maschinen, begann die mechanisierte Massen-
Textilverarbeitung erlebte auch die Maschinenpro- produktion (Heilbronner & Singer 1984, S. 102).
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Industrialisierung und ihre Auswirkungen 83

Abb. 61: Älteste Textil-


fabrik der USA in Lowell,
Massachusetts.

Ab 1847 revolutionierte die Rotationspresse das zwei Milliarden Dollar (Nagler 1992, S. 51). Wie
Druckverfahren, was den Aufschwung des Presse- hoch die Wirtschaftskraft der USA zu jenem Zeit-
und Zeitungswesens einleitete und wesentlich zur punkt war, wird daran deutlich, dass die USA 1860
Informationsverbreitung über die wirtschaftlichen mit ihren Industriegütern im Wert von zwei Milliar-
Möglichkeiten in den USA beitrug. Der Einsatz der den Dollar erstmals den gleichen Wert erreichten,
Dampfmaschine in den Industrien Neuenglands und den ihre landwirtschaftliche Produktion hatte.
an der Atlantikküste erhob die Kohle- und Eisenla-
gerstätten in Pennsylvania zu den zentralen strategi- Infrastrukturentwicklung
schen Ressourcen für die wirtschaftliche Entwick- Der frühe industrielle Aufschwung der USA wäre
lung. Zwischen 1840 und 1860 erfuhr die ameri- ohne die Infrastrukturentwicklung nicht möglich ge-
kanische Industrie ein stetiges und in einigen Bran- wesen, welche sowohl die Wirtschaft als auch die
chen ungewöhnlich ho- Nation miteinander verwob und jene Mobilität in der
hes Wachstum. Zwi- Gesellschaft herstellte, die eine landwirtschaftliche
schen 1840 und 1850 Umstrukturierung (Me-
verdoppelte sich der chanisierung) und eine
Wert der industriellen urban-industrielle Ent-
Produktion auf eine wicklung erst ermöglich-
Milliarde, bis 1860 auf te. Bereits 1811 begann

Abb. 62: Moderne Nut-


zung historischer Gebäude,
Lowell, Massachusetts.
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84 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

die Bundesregierung mit dem Bau von Nationalstra- diesen und anderen Branchen riesige Absatzmärkte.
ßen, die sich von Maryland bis nach Illinois er- Das stetig anwachsende Eisenbahnnetz verknüpfte
streckten. Die Investitionen, die zwischen 10 000 die regionalen Märkte zu einem großen nationalen
und 130 000 Dollar pro Meile betrugen, wurden be- Markt: So verband eine durchgehende Eisenbahn-
wusst in den Ausbau solcher Straßen getätigt, die linie schon um 1869 San Francisco mit New York.
den ganzjährigen Transport von schweren Pferde- Seit 1887 transportierten Kühlwaggons Frischfleisch
wagen und Kutschen einer immer schneller wach- aus den Schlachthöfen Chicagos nach New York
senden Bevölkerung erlaubten. Allein in Neueng- City. Bereits 1865 gab es 35 000 Meilen Schienen-
land und in Pennsylvania wurden auf diese Weise strecke, bis 1916 waren es über 250 000 Meilen
Tausende von Straßenmeilen angelegt, wobei die (Adams 2000, S. 101 f.).
Kosten stets zu zwei Dritteln von privatem Unter- Die Eisenbahnen leiteten die Industrialisierung
nehmertum und nur zu einem Drittel von Seiten der nicht ein, gaben ihr aber enorme Wachstumsimpul-
öffentlichen Hand getragen wurden. Allerdings über- se, da sie Handel und Verkehr von der Abhängigkeit
lebte sich ein Teil der Straßen bald durch das noch von den Jahreszeiten befreiten und zu einer wichti-
effizientere Transportmedium der Kanalschifffahrt. gen Grundlage für die Eisen- und Stahlindustrie
Während in den USA um 1816 nur rund 100 Mei- sowie ausländische Direktinvestitionen in die USA
len an Kanälen existierten, die sich jeweils nur zwei wurden.
bis drei Meilen erstreckten und extrem lange Bau-
phasen erforderten, wurde 1825 mit der Eröffnung Besonderheiten der Industrialisierung
des Erie-Kanals eine neue Ära der Kanalschifffahrt Die wirtschaftliche Entwicklung der beginnenden
eingeleitet. So fielen die Transportkosten für Getrei- Industriegesellschaft wies mehrere Besonderheiten
de mit dem Erie-Kanal um 90 %. Als Ergebnis stieg auf, die ihrerseits das weitere wirtschaftliche Wachs-
die Fracht auf dem Erie-Kanal zwischen 1836 von tum ankurbelten (United Nations 1973; Faulkner
58 000 Tonnen auf 1,8 Mio. Tonnen bis 1860 an. 1957; Scheiber et al. 1976):
Da zwischen 1820 und 1830 ca. 125 Mio. Dollar auf ■ In einem Land mit 9 Mio. Quadratkilometern, das
den Bau von Kanälen aufgewendet wurden, konnte doppelt so groß ist wie Europa ohne Russland, in
bis 1860 die Fracht auf allen Kanälen auf 1,6 Mrd. dem Boden also kein knapper Produktionsfaktor
Tonnen jährlich ansteigen. Die Kanäle öffneten das war, waren die ökonomischen Chancen für eine
Innere der USA dem internationalen Handel, sodass Familiengründung besser als in anderen Ländern.
amerikanisches Getreide in großem Stil nach Euro- Deswegen konnte im 19. Jahrhundert ein starkes
pa verkauft werden konnte (Heilbronner & Singer natürliches Bevölkerungswachstum von durch-
1984, S. 92 – 94). schnittlich 2,5 % einsetzen, das, zusammen mit
Die Kanäle erlaubten auch die für die weitere der Immigration (s. Kap. „Bevölkerungsentwick-
wirtschaftliche Entwicklung nötige Bevölkerungsum- lung“), Märkte von entsprechender Größe für fast
verteilung: Zwischen 1790 und 1840 stieg der An- alle Wirtschaftszweige schuf. Im Vergleich dazu
teil der amerikanischen Bevölkerung, der jenseits betrug das Bevölkerungswachstum im Europa der
der Appalachen lebte, auf 40% und bildete den Industrialisierung nur rund 0,6 – 0,7 %, und die
Markt für die industrielle Entwicklung im Mittleren industrielle Entwicklung westeuropäischer Länder
Westen. Auch der Einsatz von Dampfschiffen auf wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts von den
dem Mississippi seit 1811, welche die fast 2000 USA überholt.
Meilen lange Reise von Pittsburgh nach New Or- ■ Da der Produktionsfaktor Arbeit knapp und daher
leans in nur zwei Wochen zurücklegen konnten, teuer war, lagen die Verdienstmöglichkeiten aus
wirkte in gleicher Weise. Zwischen 1817, als es nur Lohnarbeit schon im 17. und 18. Jahrhundert weit
17 steamboats gab, und 1840 erhöhte sich die Zahl über denen von Europa, vor allem dem industriel-
der auf dem Mississippi-und-Ohio-Einzugsgebiet len England. Die Möglichkeiten, in den USA als
verkehrenden Dampfschiffe auf 536. Der Eisen- Lohnarbeiter auf dem Lande oder in der Industrie
bahnbau schuf zwischen 1830 und 1840 allein relativ gut zu verdienen und daher auch eine eige-
3326 Meilen Schienenstränge, bis 1850 fast ne Existenz gründen zu können, waren daher real
30 000 Meilen Eisenbahntrassen. Die Investitionen und lockten Millionen von Immigranten an. We-
während der 1840er Jahre allein betrugen über gen der Möglichkeit zum selbständigen Erwerb
200 Mio. Dollar; bis zum Beginn des Bürgerkriegs blieben daher trotz der Masseneinwanderung Ar-
hatte sich der Eisenbahnbau in Amerika zu einem beitskräfte in Anstellungsverhältnissen knapp und
Milliardengeschäft entwickelt, das über den Aktien- Löhne hoch. Wirtschaftskreisläufe und wirtschaft-
markt zu einem Viertel aus dem europäischen Aus- liche Stabilität wurden auf hohem Niveau begrün-
land finanziert wurde (Heilbronner & Singer 1984, det.
S. 99 f.). Revolutionäre Verbesserungen im Trans- ■ Weil die Arbeitsmarktsituation bis in das 20. Jahr-
portwesen, welche die Transportkosten senkten, hundert günstig blieb, konnte der Mythos von
waren nur ein Teil der Gesamtstrategie, die Produk- Freiheit und Wohlstand für viele zur Realität wer-
tivkräfte der USA besser in Wert zu setzen. Der Aus- den, auch als der ungehindert wirkende Kapitalis-
bau der Verkehrsinfrastruktur schuf Arbeitsplätze in mus bereits Tendenzen der sozialen Verelendung
allen wichtigen Wirtschaftszweigen wie Eisen-, und Slumbildung entstehen ließ. Wegen der
Kohle- oder Maschinenbauindustrie und verschaffte guten Arbeitsmarktlage, vergleichsweise hohen
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Industrialisierung und ihre Auswirkungen 85

Löhnen und den in allen Bereichen florierenden Nähmaschine 1854 patentiert worden war (Heil-
Wirtschaftszweigen blieben daher auch die Ge- bronner & Singer 1984, S. 110 – 114).
werkschaften schwach. Bis in die 1930er Jahre ■ Auch Innovationen erlaubten es den USA, bis
wurde die Notwendigkeit von Sozialversicherungs- zum Ende des 19. Jahrhunderts zum weltgrößten
systemen und Arbeiterschutzgesetzen mit kollek- Industrieproduzenten aufzusteigen. Die 1863 in
tiven Tarifverträgen nicht erkannt, als diese in eu- Paris entwickelte Siemens-Martin-Methode der
ropäischen Ländern bereits längst eingeführt Stahlerzeugung wurde 1865 in Troy im Bundes-
waren (Holtfrerich 1991, 1996, S. 132). staat New York durch die Bessemer-Methode ab-
■ Nicht allein Reichtum und Bodenschätze oder die gelöst, die billigeren und hochwertigeren Stahl er-
Vielfalt günstiger Klima- und Bodenverhältnisse zeugte. Somit konnten Bahnschienen für die da-
waren oder sind für die rasante wirtschaftliche mals neuen Hochgeschwindigkeitszüge, massive
Entwicklung verantwortlich. Vielmehr war es die Brücken und Viadukte sowie ab 1885 die ersten
von den frühen Siedlern vertretene protestanti- feuersicheren Hochhäuser in Stahlskelettbau-
sche Arbeitsethik mit ihrem Streben nach Ge- weise gebaut werden. Elektrizität, die über Hun-
winn, welche zum Motor der wirtschaftlichen Ent- derte von Meilen übertragen wurde, machte viele
wicklung der USA wurde. Fabriken von lokalen Energiequellen unabhängig,
■ Vielen Farmfamilien bot sich sehr früh eine zu- sodass sie ihre Standorte gemäß Transportkosten,
sätzliche Einkommensmöglichkeit, da nicht alle vorhandener Dienstleistungen und der Nähe zum
Familienmitglieder als Agrararbeitskräfte ge- Absatzmarkt wählten. In der Mitte des 19. Jahr-
braucht wurden und daher in nahe gelegenen In- hunderts stellten die USA 50 % der gesamten
dustrien tätig sein konnten (Heilbronner & Singer Weltindustrieproduktion (Holtfrerich 1994; Schei-
1984, S. 103 – 106). Vor allem Frauen, Kinder ber et al. 1976). Die amerikanische Stahlproduk-
und Jugendliche konnten in den Textilfabriken ar- tion stieg zwischen 1880 und 1900 auf 10 Mio.
beiten, wenn diese ihre Belegschaft nach dem Tonnen pro Jahr an; die von John D. Rockefeller
„Lowell-System“ versorgten. In den Textilindus- 1870 gegründete Standard Oil Company expor-
trien von Francis Cabot Lowell, der 1810 bei tierte 1882 bereits Erdöl im Umfang von 52 Mio.
Boston die Produktionsstätten seiner Boston Ma- Tonnen pro Jahr, bis 1920 für fast 600 Mio.
nufacturing Company aufbaute, wurden junge Dollar jährlich. Die 1879 von Thomas Edison er-
weibliche Arbeitskräfte in fabrikeigenen Wohnhei- fundene Glühlampe erlaubte die Beleuchtung von
men untergebracht. Das „Lowell-System“ bot ins- Fabrikhallen, Wohnhäusern und Straßen; elektri-
besondere für Frauen und Mädchen wirtschaftl- sche Straßenbahnen lösten in den Städten die
iche und soziale Vorteile, da es mit 2 bis 4 Dollar Fuhrwerke als Transportmittel ab 1900 ab. Seit
pro Woche deutlich höhere Löhne zahlte, als in 1866 verband ein untermeerisches Telegraphen-
der Industrie allgemein üblich war; ferner, da es kabel Neufundland mit Irland und erlaubte die te-
nur rund ein Drittel der Löhne für Unterkunft und legraphische Nachrichtenübermittlung zwischen
Verpflegung einzog und darüber hinaus Weiter- den USA und England sowie dem europäischen
qualifizierungsmöglichkeiten bot. Das Lowell- Kontinent. Um 1890 unterhielt AT&T (American
System eröffnete also schon zu Beginn des 19. Telephone and Telegraph Company) ein Netz von
Jahrhunderts eigenständige Erwerbsmöglich- über 500 000 Telefonen, 1915 bereits 9 Mio. Ap-
keiten für Frauen. In den ausgehenden 1830er parate. Die um 1850 in den USA bestehenden
Jahren begann die Masseneinwanderung, welche 250 verschiedenen Handelsbörsen wurden um
jährlich ca. 90 000 Personen, später bis zu 1900 in der New York Stock Exchange (NYSE)
500 000 Immigranten pro Jahr in das Land zusammengeschlossen und telegraphisch mit Bör-
brachte. Mit dem stetigen Nachschub an Arbeits- senfernschreibern verbunden, welche die wichtigs-
kräften entfiel die Notwendigkeit von Anreizen ten Kursentwicklungen täglich innerhalb von Se-
über soziale Vorteile (Heilbronner & Singer 1984, kunden übermitteln konnten. Ab 1872 blühte der
S. 102 – 106). Versandhandel des Chicagoer Kaufhauses Mont-
■ Die wachsenden Märkte erlaubten ein Novum in gomery Ward, ab 1894 der Firma Sears and Roe-
der industriellen Produktion: die Massenfertigung buck, die den zentralen Standort Chicago nutzte,
von Gütern mit austauschbaren Teilen. In diesem um ihre Produktpalette vom Haushaltsartikel bis
„amerikanischen System“ der Fertigung konnten zum Traktor per mail order und garantierter Post-
die einzelnen Teile eines Endprodukts separat und zustellung vor allem an die Farmfamilien im
in unterschiedlichen Produktionsstätten identisch ganzen Land zu vertreiben. Ab 1896 begann der
gefertigt werden. Die Dezentralisierung industriel- Bau von Automobilen; die industrielle Massenfer-
ler Produktion begann 1815 mit der Uhrenherstel- tigung von Autos begann 1903 in den Fabriken
lung, ab 1846 mit der Herstellung von Nähma- von Henry Ford in Dearborn bei Detroit, Michigan.
schinen, ab 1847 bei Agrarmaschinen, seit 1853 Die aus den Schlachthöfen von Chicago übernom-
bei Waffen. Die Landmaschinenindustrie um Chi- mene Idee der Fließbandproduktion sorgte dafür,
cago produzierte schon um 1860 etwa 4000 Mäh- dass 1908 schon jährlich 10 000 Autos und bis
binder pro Jahr. Die Nähmaschinenindustrie von 1919 jährlich 7,5 Mio. Autos zu einem Stückpreis
Singer und weitere Branchen nahmen ebenfalls von 500 Dollar hergestellt werden konnten (Adams
ihre Massenproduktion auf, nachdem die Singer- 2000, S. 102 – 105).
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86 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Raumstrukturen der industriellen Entwicklung maschinen und die Fleischproduktion einleitete.


In den USA hatte sich bis zum Jahr 1860 eine klar Dampfschiffverkehr auf den Großen Seen und bis
ausgeprägte, duale Wirtschaftsstruktur herausgebil- zum Atlantik intensivierte den Binnenhandel, der je-
det: als führender Agrarproduzent der Welt und als doch seinen größten Antrieb durch den Ausbau des
wichtige Industrienation. Räumlich gesehen konzen- Eisenbahnnetzes erfuhr, das um 1860 größer war
trierte sich das industrielle Wachstum vor allem auf als das Streckennetz aller anderen Länder der Welt
den Nordosten der USA, wo auch der Handelskapi- zusammengenommen.
talismus seit der kolonialen Zeit und insbesondere Dass sich in den Südstaaten, die mit der Planta-
seit der Unabhängigkeit in voller Blüte stand. genwirtschaft reich geworden waren und wesentlich
zum Exporterfolg der USA beigetragen hatten, keine
Der Manufacturing Belt als wirtschaftliches Kernland eigenständige Industrie entwickelte, lag zunächst
Die rasche Entwicklung der USA von einem Agrar- daran, dass die agrarischen Produkte des Südens,
land zur führenden Industriemacht wurde durch insbesondere Baumwolle, in England, Frankreich
das Bevölkerungswachstum beschleunigt. Während und dem amerikanischen Nordosten reißenden Ab-
1820 noch 9,6 Mio. Menschen im Zensus erfasst satz fanden. Der Einsatz der Baumwollentkernungs-
wurden, waren es 1920 schon 105,7 Mio., 1970 maschine erlaubte es, Sklavenarbeiter dazu einzu-
rund 203,3 Mio. und 2000 über 281 Mio.; die Be- setzen, weitere Landflächen für den Baumwollan-
völkerung stieg also im gesamten Zeitraum um über bau zu kultivieren. Um 1850 produzierten die Süd-
270 Mio. an. Allein aufgrund der Einwanderung staaten 300 000 Tonnen Rohbaumwolle und damit
stieg die Bevölkerung zwischen 1820 und 1998 um sieben Achtel der Weltmarktproduktion. Die Tatsa-
74,4 Mio. (US-Bureau of the Census 2001). Propor- che, dass man bei sinkendem Ertrag von mono-
tional zur Industrialisierung und Bevölkerungsent- kulturgeschädigten Böden in dem expandierenden
wicklung erhöhte sich auch die Zahl der Lohnarbei- Staatsgebiet der USA weitere Nutzflächen, z. B. in
ter und somit die Kaufkraft der Massen. Frühes in- Texas, erschließen konnte und musste, führte dazu,
dustrielles Wachstum und Ausbildung des Handels dass in den Südstaaten der Anschluss an die indus-
waren zuerst in den Metropolen der Ostküste zu ver- trielle Entwicklung im Nordosten verpasst wurde,
zeichnen, weil dort das größte Bevölkerungswachs- obwohl die Südstaaten im Rahmen der Schutzzoll-
tum stattfand: An der „Gegenküste“ zu Europa politik der USA auf alle Importgüter hohe Abgaben
landete der Großteil der Einwanderer und brachte zahlen bzw. diese teuer aus dem Nordosten kaufen
Arbeitskraft, Erfahrung und Ideen mit. Die weitere mussten (Nagler 1992, S. 53).
Industrialisierung im Hinterland der Ostküste bis in Die von 1815 bis 1860 einsetzende erste Phase
den Mittelwesten wurde durch sukzessive West- der Industrialisierung wurde von der zweiten Phase
wärtswanderungen der Bevölkerung und punktuelle abgelöst, welche mit ihren vielen Innovationen einen
Erschließung der Ressourcen (industrial nucleation) nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung auslöste.
eingeleitet. Wichtig dabei war auch die symbioti- Die zweite Phase begann mit Innovationen in der
sche Beziehung der neuen Industrien mit der Land- Eisen- und Stahlindustrie. Gleichzeitig entstanden
wirtschaft (Birdsall & Florin 1981, S. 93). auch neue Industriezweige, wie die Verarbeitung von
Die industrielle Entwicklung fand nicht etwa in Petroleum in Pennsylvania oder die chemische In-
einem ununterbrochenen Gürtel, sondern in weni- dustrie in Delaware. Firmen begannen in der zwei-
gen Teilgebieten statt, die sich durch ihre Häfen, ten Hälfte des 19. Jahrhunderts massiv in die For-
allgemeine Verkehrsgunst oder Ressourcen aus- schung zu investieren und trieben dadurch den
zeichneten, jedoch hinsichtlich ihrer Spezialisierung Fortschritt in der Industrie voran. Die Fortschritte in
und Anpassungsfähigkeit an neue wirtschaftliche der Landwirtschaft, insbesondere aufgrund von pro-
Gegebenheiten erhebliche Unterschiede aufwiesen duktivitätssteigerndem Saatgut, aber auch durch
(Clark 1985, S. 81 – 92). Zu den regionalen Stand- Mechanisierung, setzte Arbeitskräfte frei, die für die
ortschwerpunkten gehörten damals wie heute die In- Massenproduktion, den Transportsektor und den
dustrieagglomerationen an der atlantischen Küste, Handel wichtig wurden. Beide Phasen der amerika-
vor allem die Großräume Boston, New York/New Jer- nischen Industrialisierung wären jedoch ohne die
sey, Philadelphia und Baltimore, die schon vor der massive Einwanderung nach 1840 nicht denkbar
Industrialisierung als dicht besiedelte Räume und gewesen. Zwischen 1815 und 1914 kamen rund
wegen ihrer Häfen eine gute Grundlage für Handel 50 Mio. Einwanderer in die USA, der größte Teil
und Gewerbe boten, ferner die Industriezentren im nach 1840 (s. Kap. „Bevölkerungsentwicklung“).
Inneren des Landes zwischen dem Ohio River und
den südlichen Großen Seen. Etwa ein Viertel der Industriekapitalismus
amerikanischen Industrie war entlang der Südküste Wirtschaftshistorisch gesehen wandelte sich der
des Erie-Sees mit Cleveland als Mittelpunkt lokali- Handelskapitalismus (merchant capitalism) zum In-
siert. Ein anderes Zentrum befand sich im Ohio-Tal dustriekapitalismus: Kaufleute und die großen Han-
mit Schwerpunkt in Cincinnati. Mit dem Bau des delsgesellschaften investierten zunehmend in rendi-
Erie-Kanals 1825 von Albany nach Buffalo wurde teträchtige Industrien, die einen höheren Ertrag ab-
der Mittelwesten mit New York City verbunden, was warfen als der Handel. Wegen massiver Investitio-
den Aufschwung von Chicago als Wirtschaftsme- nen in die Industrien des Nordostens schritt dort die
tropole insbesondere für die Herstellung von Land- Industrialisierung schneller voran als in anderen
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Industrialisierung und ihre Auswirkungen 87

Landesteilen. Gesellschaftlich gesehen begründete chusetts 11 000 Fabriken, von denen nur 520 als
der corporate capitalism eine Klasse von Industrie- Konzerne eingetragen waren. Diese aber produzier-
kapitalisten vor allem im Nordosten, die sowohl po- ten ein Drittel des gesamten Warenwerts des Staa-
litisch als auch wirtschaftlich Einfluss nahm: Sie tä- tes Massachusetts. Im Übergang zum 20. Jahrhun-
tigte Investitionen in die Wirtschaftsentwicklung im dert jedoch wurden bereits zwei Drittel des gesam-
ganzen Land, so unter anderem in den Bau der re- ten industriellen Outputs der USA in Firmen mit
gionalen Eisenbahnnetze und transkontinentalen Ei- Konzernstruktur hergestellt. Aktienbesitz in Konzer-
senbahnlinien. Die Bedeutung des Industriekapita- nen wurde nach den Wellen der Landspekulation zu
lismus im Nordosten der USA zeigt sich daran, dass einer interessanten neuen Option für viele Kleinak-
um 1860 in dieser Region mehr als die Hälfte aller tionäre, die ihre Anlagen über Banken abwickelten.
amerikanischen Produktionsbetriebe konzentriert Wegen des wachsenden Interesses an diesen Anla-
war, mehr als die Hälfte aller amerikanischen Kapi- geformen entwickelte sich das Bankenwesen rasch.
talinvestitionen getätigt wurde und über 70 % der Um 1880 hatten zwei Millionen Sparer fast 820
amerikanischen Fabrikarbeiter dort beschäftigt waren Mio. Dollar in Banken angelegt, um 1900 hatten ins-
(Nagler 1999, S. 52). Die wirtschaftliche Macht gesamt 6 Mio. Sparer knapp 2,5 Mrd. Dollar über
konzentrierte sich dabei in den Händen weniger In- Banken investiert (Heilbronner & Singer 1984, S.
dustriekapitalisten, welche auch die Entscheidungs- 189 – 191). Somit wurde das Aktiensparen in Kon-
macht über die Arbeits- und Lebensbedingungen in zernen zu einem Faktor, der in den USA auch für
den Fabriken und Industriestädten ihrer Zeit besa- den Mittelstand das eigene wirtschaftliche Fortkom-
ßen (Bordon & Graham 1978, S. 225). In den Ro- men mitbestimmte. Die enge Verbindung zwischen
manen jener Zeit (z.B. in Mark Twains The Gilded Kleininvestoren, Banken und Konzernen wurde seit-
Age) wird dies beschrieben. her zu einem wichtigen Stützpfeiler industrieller
Entwicklung sowie wirtschaftlicher Expansion und
Trusts, Holdings und Monopole Sicherheit. Dass in der breiten Masse ein großes
Das Ausmaß, welches Produktion und Handel mit Vertrauen in das Aktiensparen entstehen konnte, lag
Industriegütern annahmen, verlangte nach einer Re- darin begründet, dass sich diese Form der Anlage
organisation der Aktiengesellschaften, in denen die über Jahrzehnte bewährte; ferner darin, dass das
Teilhaber bzw. Aktienbesitzer nicht mehr wie Eigen- amerikanische Rentensystem, das aus den New-
tümer mit ihrem gesamten Vermögen, sondern nur Deal-Jahren resultiert, im Durchschnitt nur ein Drit-
noch mit ihren Investitionen hafteten. Der Struktur tel der Altersvorsorge deckt und Eigenversorgung
der Eisenbahngesellschaften folgend wurden die also eine absolute Notwendigkeit ist. Dass jedoch
Großkonzerne von einem Vorstand geleitet; Organi- auch dieses uramerikanische System der Vorsorge,
sation, Produktion und Vertrieb wurden rationalisiert insbesondere die auf dem Aktienmarkt angelegten
und wie in einem föderativen System von getrenn- Betriebsrenten mehr als einhundert Jahre später, in
ten Stabsabteilungen eigenständig verwaltet und ge- den Jahren 2002 und 2003, nicht mehr uneinge-
leitet (Nagler 1999, S. 52). schränkt als Basis der individuellen Vorsorge gelten
Konzerne, Trusts und Monopole boten Vorteile konnte, wurde mit der Fehlentwicklung im Aktien-
(Heilbronner & Singer 1984, S. 184 ff.): Da sie als markt der New Economy deutlich.
juristische Person eingetragen waren, besaßen sie Bei der Entwicklung der Aktienmärkte und des
alle Rechte einer Privatperson; sie konnten Geschäf- Bankenwesens spielten auch ausländische Inves-
te betreiben, Eigentum erwerben oder verkaufen, titionen eine große Rolle. Zwischen 1870 und 1900
klagen oder verklagt werden. Zwei Besonderheiten stieg das in den USA investierte ausländische Kapi-
machten juristische Personen für die wirtschaftliche tal von 1,4 Mrd. auf 3,6 Mrd. Dollar. Der größte Teil
Entwicklung interessant: Zum einen gehörte ein dieses Geldes wurde in kommunalen Obligationen
Konzern jenen, die Anteile an ihm kauften. Somit sowie Aktien von Eisenbahngesellschaften und städ-
konnte über viele kleine Anteilseigner auch sehr viel tischen Versorgungseinrichtungen oder Stadtwerken
mehr Kapital aufgebracht werden, als es Einzelnen investiert (Heilbronner & Singer 1984, S. 190). Eine
möglich gewesen wäre. Dabei war eine finanzielle ganze Generation von Industrieunternehmern, die
Verpflichtung im Falle eines Konkurses des Einzel- ihre Unternehmen konzernmäßig strukturierten,
nen auf den Verlust seines Anteiles beschränkt. wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Zum anderen hatte der Konzern als juristische Per- heran: Andrew Carnegie (Stahlproduzent), Thomas
son Fortbestand, auch wenn die Besitzer oder Haupt- Edison (Erfinder u. a. der elektrischen Glühbirne und
anteilseigner verstarben. Einmal eingetragen, exis- des Grammophons), John D. Rockefeller (Begründer
tierte er also dauerhaft unabhängig von einzelnen von Ölraffinerien und der Standard Oil Company),
Entscheidungsträgern und bot damit echte Zukunfts- J. P. Morgan (Bankier, dessen Privatvermögen schon
perspektiven für lang anhaltende, sichere Investitio- um 1880 ca. 100 Mio. Dollar betrug) und Henry Ford
nen und Renditen. (Automobilfabrikant). Die Rechtsform von trust und
Trotz der immensen Vorteile vollzog sich der Über- holding company war ab 1870 die dominante Orga-
gang zur Konzernstruktur zunächst nur langsam. In nisationsform der Industrie. Im Wettbewerb der Bun-
Pittsburgh gab es um 1860 beispielsweise 160 ver- desstaaten untereinander um die Hauptfirmensitze,
schiedene Fabriken, von denen keine als Konzern an denen die Körperschaftssteuer abzuführen war,
organisiert war. Um 1878 gab es im Staat Massa- erlaubten einige günstigere gesetzliche Rahmenbe-
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88 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

dingungen. Das räumliche Muster der Industrien Gesetz, das Einflussnahme seitens der Gewerkschaf-
wurde daher ab 1870 nicht mehr nur von klassi- ten wegen Beeinträchtigung des Wettbewerbs unter-
schen Standortfaktoren wie Rohstoffen, sondern viel- band. Der weiteren Monopolisierung gab das
mehr von institutionellen Faktoren bestimmt. Dies Bundesverfassungsgericht 1896 einen Impuls, als
trifft z. B. für die Ansammlung von Konzernen im es den Eisenbahngesellschaften die vertikale Inte-
Bundesstaat New Jersey zu, die sich nicht etwa gration erlaubte, insbesondere das Betreiben von
wegen der Nähe zum Markt New York City dort Hotels, die als notwendiger Bestandteil des Trans-
niederließen, sondern aufgrund der günstigen Rah- portgeschäfts erachtet wurden. Bis 1937 waren die
menbedingungen für weltweit operierende Konzerne Entscheide des Bundesverfassungsgerichts konzern-
sowie der Nähe des Hafens, der den weltweiten Han- freundlich und dem ungehinderten Wettbewerb
del vereinfacht. Die trust companies stellten eine gegenüber aufgeschlossen, da der Vertragsfreiheit im
Besonderheit dar: Sie verbanden bis dahin eigen- Kapitalismus und der Unantastbarkeit von Aktienei-
ständige Firmen unter einem zentralen Manage- gentum oberste Priorität zukam. Allerdings wurde
ment. Die von John D. Rockefeller 1870 gegründete nach Missbrauch und Korruption auf Einzel- und
Standard Oil Company (heute Exxon), die zunächst Bundesebene 1897 von Politikern eine Bundesauf-
14 selbständige Unternehmen zusammenschloss, sichtsbehörde (Interstate Commerce Commission)
hatte bereits um 1890 die Kontrolle über 90 % der eingesetzt, die den Handel, nicht aber die Produktion
gesamten Erdölförderung und -verarbeitung in den bzw. die Industrien selbst regulierte. Bundesmaß-
USA. Die 1901 gegründete United States Steel Cor- nahmen und Gesetze zum Schutz der einheimischen
poration von Andrew Carnegie, J. P. Morgan und an- Konzerne vor ausländischer Konkurrenz unterstützten
deren Großunternehmern führte 228 Unternehmen die Industrien vielmehr in Form von protektionisti-
zusammen, die allesamt direkt oder indirekt an der schen Einfuhrzöllen (Adams 2000, S. 107 f.).
Stahlerzeugung beteiligt waren und damit 70 % der Der volkswirtschaftliche Aufschwung, der durch
amerikanischen Eisen- und Stahlproduktion be- Industrialisierung und Monopolisierung beschleu-
herrschten. Der Zusammenschluss von mehreren nigt wurde, führte nicht automatisch zu einer ent-
tausend unabhängigen Eisenbahngesellschaften sprechenden Verbesserung der Lebens- und Arbeits-
1904, bei dem zwei Drittel des Streckennetzes in bedingungen der Industriearbeiter. Trotz der sich
die Kontrolle einer holding kamen, führte ein Ge- verschlechternden Lebensbedingungen der Arbeiter-
samtkapital von 10 Mrd. Dollar zusammen und schaft im ausgehenden 19. Jahrhundert erreichten
machte damit die Eisenbahnen zum größten Indus- in den USA Gewerkschaften oder sozialistische Ar-
triezweig der USA (Adams 2000, S. 106 f.). Um beiterparteien, die den Missständen hätten abhelfen
1920 beschäftigten Konzerne 86 % aller Lohnemp- können, kaum eine nennenswerte Schlagkraft: Sozi-
fänger. Wegen ihrer volkswirtschaftlichen und sozia- ale Ungerechtigkeiten wie in anderen Länder be-
len Bedeutung als Generator großer Kapitalmengen standen in den USA nicht in der gleichen Form – of-
und als Hauptarbeitgeber wurden die Konzerne be- fene politische Repression, eine rigide Klassenstruk-
reits ab 1873 von staatlicher Seite geschützt. Als ju- tur, die sozialen Aufstieg und das Überschreiten von
ristische Personen erhielten sie quasi die Rechte von Klassengrenzen verhindert hätte. Die 1884 gegrün-
natürlichen Personen, womit sie wie diese dem ver- dete Dachorganisation der Gewerkschaften AFL
fassungsmäßigen Grundrecht des Strebens nach (American Federation of Labor) kämpfte zwar für
Glück und Wohlstand als alleiniger Maxime unterla- mehr Lohn, kürzere Arbeitszeiten, mehr Sicherheit
gen. In der Praxis schützten bundes- und einzel- am Arbeitsplatz und Manteltarifverträge. Sie ver-
staatliche Gesetze die Konzerne vor zu viel staat- zeichnete aber bis 1914 nur rund 2,6 Mio. Mitglie-
licher Regulierung. Mehrere Fälle sind repräsentativ: der, also nur jeden zehnten nicht landwirtschaftlich
Per Gerichtsbeschluss von 1890 wurde der Staat Beschäftigten. Zu fest eingeprägt war die Vorstel-
Minnesota an einer Regulierung der Frachtpreise sei- lung von den Aufstiegsmöglichkeiten des Einzelnen
ner Eisenbahngesellschaft gehindert. Dem Staat (from rags to riches), als dass sich eine sozialdemo-
New York wurde 1905 gerichtlich untersagt, die Ar- kratische Arbeiterpartei oder eine stärkere Gewerk-
beitszeit von Bäckern auf 10 Stunden täglich zu be- schaft aus einer breiten Basis heraus hätte bilden
grenzen, da das der Urteilsbegründung zufolge die- können. Daher blieben die Gesetze zur Regelung der
sem Berufsstand die Freiheit genommen hätte, Ar- Arbeitsbedingungen weit hinter denen westeuropäi-
beitsverträge nach freier Wahl, gegebenenfalls mit scher Länder im gleichen Zeitraum zurück.
längerer Arbeitszeit, zu gestalten. Das Bundesverfas- Allerdings gab es mit reformorientierten Groß-
sungsgericht erkannte 1895 mit einer Entscheidung unternehmern wie Henry Ford, der seinen Fabrikar-
an, dass der Gesetzgeber für bestimmte wirtschaftli- beitern mit 5 Dollar das Doppelte des üblichen Ta-
che Tätigkeiten (Herstellung von Waren) nicht zu- geslohns zahlte und für seine Belegschaft freiwillig
ständig sei und damit auch keine Gesetze gegen den Acht-Stunden-Arbeitstag einführte, auch rühm-
Konzerne für diesen Bereich erlassen konnte (Anti- liche Ausnahmen. Einzelne Unternehmer leiteten
trust-Gesetz). Das 1890 verabschiedete Sherman- aus eigener Inititative jene Reformen ein, die in Eu-
Anti-Trust-Gesetz, das die Bildung von Großkonzer- ropa nur unter Druck von Gewerkschaften und sozi-
nen wegen Eingriffen in das Wettbewerbsgeschehen alistischen Arbeiterparteien möglich wurden. Starke
untersagte, entwickelte sich relativ rasch durch Ent- Gewerkschaften ließen sich deshalb bis in die
scheide des Bundesverfassungsgerichts zu einem 1940er Jahre durch Lobbyismus einzelner Konzerne
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 89

Entstehung der Corporate City 89

verhindern. In vielen Fällen wurde die gewerkschaft- schaftsinterne Regelungen wie die Aufsplittung von
liche Organisation der Arbeiter jedoch auch mittels Arbeitern nach Qualifikations- und Einwanderer-
repressiver Maßnahmen verhindert, die bis zum Ein- gruppen trugen dazu bei, dass die amerikanischen
satz von Milizen führten (z. B. 1892 in Homestead, Gewerkschaften über Jahrzehnte der Industriali-
Pennsylvania gegen die streikenden Arbeiter der sierung nicht die gleiche Bedeutung erlangen konn-
Carnegie Steel Company, oder bei den Eisenbahner- ten wie in europäischen Ländern (Adams 2000,
streiks 1894 im Mittleren Westen). Auch gewerk- S. 109 f.).

Entstehung der Corporate City


Wirtschaftliche und
soziale Veränderungen der Städte
Die Industrialisierung und die damit einhergehenden
wirtschaftlichen, demographischen und infrastruktu-
rellen Veränderungen beeinflussten den Urbanisie-
rungsprozess entscheidend. Die Merkmale des in-
dustriellen Kapitalismus wiederum haben ihre Pen-
dants in der Urbanisation und in den Strukturen der
Städte gefunden. Aufschwung und Umstrukturierun-
gen in der Wirtschaft veränderten die Funktionen der
amerikanischen Städte nachhaltig: Viele Kleinstädte
erfüllten die einfachen, klassisch-urbanen Funktio-
nen der Finanz- und Handelszentren ihres Umlandes
und wurden zu Schaltstellen, an denen lokale Pro-
dukte auf den nationalen Markt gebracht wurden.
New York City, Chicago und Philadelphia, die über-
wiegend Handelsmetropolen gewesen waren, wurden

Quelle: J. A. Riis, 1971, 1890 und 1902, S. 71.


zu den wichtigsten Industriezentren, in denen das
ganze Spektrum industrieller Güter hergestellt wurde
– von Textilien über Fleisch zu Stahl und Maschinen.
Aufgrund der Schiffsverbindungen von New York
(1825) über das gesamte Einzugsgebiet der Großen
Seen und des Mississippi (1856) sowie über zwei
Haupteisenbahnlinien konnte sich Chicago zum
Hauptverkehrsknotenpunkt des Mississippi-Einzugs-
gebiets entwickeln. Seine ursprüngliche Funktion
waren Handel mit Vieh und Getreide und das Finanz-
wesen für den gesamten Mittleren Westen. Mit der Abb. 63: Übernachtungsstätten zu 7 Cents pro Nacht, 1880.
Industrialisierung begann sich für Chicago ab 1825
eine neue Rolle als großindustrielles Zentrum he-
rauszukristallisieren: Chicagoer Werke produzierten
Eisenbahnschienen und Eisenbahnen, sie stellten
her, was nötig war, um eine Stadt zu gründen, Häu-
ser einzurichten, Familien zu ernähren und zu be-
kleiden. Die Wirtschaftsmacht der Industrien und
der Wohlstand des Gemeinwesens zeigten sich ab
1880 in prächtigen klassizistischen Bauten, die in
Architektur und Dimension an griechisch-römische
Paläste erinnern sollten, im Rahmen der City-Beau-
Quelle: J. A. Riis, 1971, 1890 und 1902, S. 159.

tiful-Bewegung gebaut wurden und einen vorläufi-


gen Höhepunkt in den Vorbereitungen für die Welt-
ausstellung 1893 und mit der Metropolitan-Planung
von Daniel Burnham fanden. Gleichzeitig entstand
das andere Gesicht der Stadt: Von 30 000 Einwoh-
nern um 1850 wuchs die Stadt bis 1900 auf
1,7 Mio. Einwohner an. Viele, wenn nicht die meis-
ten der Industriearbeiter lebten unter schlechtesten
Bedingungen, die für New York City erstmals von
John Jacob Riis dokumentiert wurden (How the
Other Half Lives, 1902) (Abb. 63 u. 64). Während Abb. 64: Obdachlose Straßenkinder in New York, um 1900.
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 90

90 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

die merkantilistische und frühindustrielle Stadt von houses und lung blocks – typische Bezeichnungen
einem Konglomerat aus Produktions-, Handels- und für die wegen ihrer Kindersterblichkeit und Tuberku-
Wohnstätten geprägt war, führte die Industrialisie- loseraten berüchtigten tenement houses der Jahr-
rung im 19. Jahrhundert zur Segmentierung der hundertwende (Riis 1902; Veiller & De Forest 1903).
amerikanischen Stadt. In den Innenbereichen von Industriemetropolen
wie New York und Chicago, aber auch in kleineren
Tenement housing und soziale Probleme Industriestädten dominierten die Mietskasernen. In
Wohnungsnot und Überbelegung waren schon Mitte New York City entstanden sie in riesigen Siedlun-
des 19. Jahrhunderts Aspekte des massiven städte- gen, z. B. in unmittelbarer Nähe der Textilindustrien
baulichen Verfalls und der Verslumung, welche die von Manhattan. In der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
Behörden systematisch zu erfassen suchten. Große hunderts, vor allem nach 1880, waren sie in ande-
Städte wie Boston, New York, Washington, Philadel- ren Städten überall dort, wo der Wegzug der Mittel-
phia und Chicago hatten aufgrund der Einwande- klasse aus dem Innenstadtbereich in die Vororte re-
rung schon um 1900 einen Immigrantenanteil von lativ große Wohnhäuser hinterließ, die, in möglichst
30 – 50 %, der wegen des rapiden Zustroms größ- viele Wohnparzellen zerteilt, an Immigranten weiter-
tenteils in Mietskasernen (tenement houses, Abb. vermietet werden konnten. In den vollkommen über-
65 u. 66) untergebracht war. Schlechte, schnell ge- belegten Mietskasernen gab es häufig kein fließen-
baute und überfüllte Wohneinheiten waren um des Wasser und kaum die nötigsten sanitären Ein-
1900 für 85 % der New Yorker und 50 % der Bosto- richtungen. In New York City waren vor der Jahrhun-
ner das Zuhause, wobei Parks, Spielplätze, sanitäre dertwende bis zu 100 000 Menschen pro Quadratki-
Einrichtungen und ausreichender Wohnraum in der lometer auf diese Weise untergebracht, die meisten
Regel nicht vorhanden waren. Auch die Behörden davon Immigranten. Nicht alle Räume oder Woh-
erkannten schließlich den Zusammenhang zwischen nungen in den tenement houses hatten Fenster. Die
hohen sozialen und monetären Kosten von Krank- Entsorgung war unzureichend organisiert, bis 1867
heiten und Epidemien, dem Aufbrechen der Famili- waren herumlaufende Schweine für die Straßensäu-
enstrukturen, hoher Jugendkriminalität, Verelen- berung und Müllentsorgung „zuständig“.
Abb. 65: Tenement dung, politischer Korruption und Unruhen. Eine Flächenintensive Industrien zogen in die Randge-
Housing in New York City Stadt konnte nur so gesund sein wie die Bewohner biete der Städte und bildeten mit den direkt an-
nach 1850. der überfüllten Wohnblocks, der infant slaughter grenzenden Arbeiterwohnvierteln neue Vororte (in-
dustrial satellite cities). Ein Beispiel dafür waren
die 1865 gegründeten Union Stockyards, die Vieh-
und Schlachthöfe von Chicago, die als slaughter-
houses of the nation literarisch von Upton Sinclair
1906 beschrieben wurden. Charakteristika der
innenstadtnahen Industrien waren angrenzende Ar-
beitersiedlungen, die nach dem Prinzip der board-
ing houses für 7 Cents pro Nacht Betten vermiete-
ten. In New York beschrieb und photographier-
te Riis 1902 die rotierenden Unterkünfte, in
denen sich mehrere Arbeiter im Schichtdienst
eine Übernachtungsstelle teilten. Die ersten In-
dustriellen begannen im ausgehenden 19. Jahrhun-
dert, für ihre Belegschaft lebenswürdigere Wohn-
stätten zu bauen. Pullman City beispielsweise wurde
1894 vom Schlafwagenfabrikanten George Pullman
als „ideale Fabrikstadt“ nahe Chicago gebaut. Die
dahinter liegende simple Philosophie war, dass Ar-
beiter, die in besseren Wohnverhältnissen lebten,
produktiver arbeiten würden. Außerdem versprach
man sich von den besser in Stand gehaltenen
Wohn- und Miethäusern eine höhere Rendite.
Die beklagenswerten sozialen Bedingungen wur-
den Ausgangspunkt von sozialreform-orientierten In-
itiativen (Lubove 1967a, b), wie der von Jane
Addams, die 1889 in Chicago das sogenannte
Quelle: Veiller u. „Hull House“ gründete, ein Kultur- und Be-
De Forest 1903.
gegnungszentrum für die Bewohner von inner-
städtischen Slums. Hier wurden erstmals Wohnbe-
dingungen untersucht und Ansätze zur Verbesse-
rung der sozialen Situation praktiziert: Kinder be-
Abb. 66: Moderne Tene- rufstätiger Mütter konnten einen Kindergarten besu-
ment-Häuser, 1880. chen, es bestanden Freizeitmöglichkeiten für Jung
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 91

Entstehung der Corporate City 91

und Alt, ferner gab es Fortbildungsmöglichkeiten. in der Industriemetropole Amerikas nach verschie-
Die Bemühungen von Hull House wurden bald von denen, quasi-natürlichen Kriterien ablief (Zorbough
anderen Sozialorganisationen übernommen, sodass 1929): Immigranten zogen in die Nähe der Zentren,
nach und nach die Settlement-Bewegung entstand, die auch die industriellen Arbeitsplatzzentren waren.
für deren Erfolge Jane Addams 1931 den Friedens- Je nach Entwicklung ihres eigenen Sozialstatus
nobelpreis erhielt (Philipott 1978). wanderten sie in Richtung Stadtrand ab und mach-
Verslumung und das sozioökonomische Gefälle ten im Zentrum Platz für die jeweilig neueste Ein-
zwischen strukturstarken, mittelständischen sub- wanderergruppe. Dieser Prozess, der das wirtschaft-
urbs und strukturschwachen central cities der Mino- liche, ethnisch-kulturelle und soziale Gefüge der
ritäten und gesellschaftlichen Randgruppen haben Stadt insgesamt veränderte, wurde 1925 in einem
ihren Ursprung in der Zeit der Industrialisierung, als „Ringmodell“ von Ernest W. Burgess präzise be-
die Kernstädte mit ihren Arbeitsplätzen die Zentren schrieben. Die Ausdehnung der Bevölkerungsgrup-
der Zu- und Einwanderung von Millionen meist pen erfolgte auf sozialdarwinistische Art und wett-
mittelloser Arbeitsuchender waren. In der Zeit der bewerbsgesteuert von innen nach außen. Jede Ein-
Industrialisierung wuchsen die Städte sprunghaft wanderergruppe zog so schnell aus den innerstädti-
an: Während 1870 erst 25,7 % der Bevölkerung in schen Industriearbeitervierteln und tenement hou-
Städten lebten, stieg der Prozentsatz bis 1910 auf ses fort, wie sie sich den Umzug, die Mieten oder
45,5 %, bis 1950 auf 64,4 %, auf 73,8 % (1980) das bescheidene Eigentum andernorts leisten konn-
und 80 % im Jahr 2000, also auf 226 von 281 Mio. te. Dieser Prozess vollzog sich sukzessive und relativ
Amerikanern (US Census Bureau 2001, Statistical gleichmäßig in alle Richtungen, von einer Zone mit
Abstracts 2001, Tab. 30). ihren typischen industriellen oder gewerblichen
Beachtenswert ist, dass amerikanische Städte Merkmalen in die nächste. Dabei wurden die Stadt-
vom Design her ursprünglich auf eine rasche Bevöl- struktur komplexer und die jeweiligen Wohngebiete
kerungsexpansion ausgerichtet waren. Die quadrati- immer differenzierter. Die Bevölkerungsverlagerung
sche Grundrissgestaltung, basierend auf der quadra- erfolgte je nach Wohngebieten, Sozialstatus und Le-
tischen Landvermessung, bot die beste Möglichkeit benszyklus unterschiedlich. Es bildeten sich Sub-
für ein großstädtisches Wachstum, das in geordne- zentren von Bevölkerung und Geschäften fern vom
ten Bahnen verlaufen konnte. Eine zu dichte Be- Hauptgeschäftsdistrikt.
bauung, infrastrukturell unterversorgte Wohnviertel- Verbesserte Transportmöglichkeiten wie U-Bahnen
bildung (substandard) und baulicher Verfall, was be- und Schnellbahnsysteme veränderten im ausgehen-
reits zu Beginn des 19. Jahrhunderts europäische den 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts das
Industriestädte zu prägen begann, sollte damit a Segregationsmuster im Wohnungsmarkt. Wenn ein
priori ausgeschlossen bzw. auf einem Mindestmaß Wohngebiet sich erst einmal als dasjenige einer be-
gehalten werden. Wegen der Größe des zu erschlie- stimmten Mieterklasse herausgebildet hatte, blieb
ßenden Landes und der daraus erwachsenden Pro- dieser Sozialstatus dem Gebiet fast dauerhaft erhal-
blematik für eine Zentralregierung bot gerade dieses ten, auch wenn sich das Wohngebiet selbst sektoral
partikuläre Aufteilen des Landes die beste Möglich- in Richtung des Hauptverkehrswegs entwickelte, der
keit einer Erschließung durch private Hand. So war hindurchführte. In Gebieten, die von einer besser
dann auch die Stadtentwicklung des 19. Jahrhun- gestellten Mieterschicht verlassen wurden, rückten
derts das Resultat privatwirtschaftlicher Investitio- die nächst besser gestellten oder aufstrebenden So-
nen, wobei Städte ebenso oft von Immobilienmak- zialschichten nach. Die sektorale Entwicklung zeig-
lern und Vermessungsingenieuren angelegt wurden te interessante Ausprägungen: Vom Geschäftszen-
wie von Regierungsbeamten. Dennoch war es gerade trum aus erstreckten sich keilförmige Industrie-
diese dezentrale Erschließung durch private Hand, oder Gewerbezonen entlang der Haupttransportwege
das bewusst herbeigeführte und dann doch unkon- in die Vororte. Dazwischen bildeten sich mehrere
trollierte Bevölkerungswachstum während der In- hochsegregierte Ringe heraus – die Unterschicht im
dustrialisierung, welches letztlich die Städte über- Innern, die Mittelschicht im folgenden Ring und die
rollte. gehobenen Wohnviertel im äußeren Teil.
In amerikanischen Städten zeigten sich Segregati-
Entwicklung der Segregation on und die krasse Abfolge verschiedenartiger Wohn-
Der massive Verfall amerikanischer Städte ist seit viertel bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in
dem ausgehenden 19. Jahrhundert von Wissenschaft- aller Deutlichkeit und umso stärker, je größer die
lern, Behörden, Berufs- und Sozialverbänden genau Städte waren. Während amerikanische Städte nach
beobachtet worden. Schon 1903 machte Charles außen wuchsen, trieb der Wettbewerb der Konzerne
Mulford Robinson in seinem berühmt gewordenen um die besten Standorte in den zentralen Ge-
Buch Modern Civic Art die Feststellung, dass jede schäftsbezirken die Bodenpreise in die Höhe. Die
Generation die Slums in den USA neu entdecke. In Wolkenkratzer als vertikale Ladenstraßen mit Wohn-
Chicago und Pittsburgh untersuchten Sozialwissen- und Bürofunktionen entstanden als spezifisch ame-
schaftler den Zusammenhang zwischen wirtschaft- rikanische, urbane Form, die sich als die rentabels-
licher, städtischer und sozialer Entwicklung. Insbe- te Möglichkeit erwies, die hohen Bodenpreise zu
sondere die Sozialraumanalysen der Chicagoer Schu- amortisieren. Der Dienstleistungssektor verdrängte
le zeigten in den 1920er Jahren, dass Segregation die Industrien aus den Innenstädten der amerikani-
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 92

92 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

schen Großstadt noch in der Phase der Hochindus- te zwischen die Häuser gebaut, die Licht hereinlie-
trialisierung bis 1920. Die einzelnen (segregierten) ßen und eine Belüftung durch Ventilatoren erlaub-
bzw. funktional unterschiedlichen Stadtgebiete be- ten, was allerdings bei der vorherrschenden sechs-
gannen sich weiter zu homogenisieren. Bereits zum und mehrstöckigen Bauweise kaum ausreichend war
Ende des 19. Jahrhunderts gab es kaum noch Stadt- (s. Abb. 66). Die zunächst als modellhaft angesehe-
gebiete in den Großstädten, in denen eine intakte ne Dumbbell-Bebauung führte daher auch fast 20
Mischung von Funktionen, Wohnen aller Schichten, Jahre später noch zu massiver Kritik und erstmals
Industrien, Handel und Gewerbe existierte. Die zu einer kommunalen Wohnungsbau-Gesetzgebung.
Weiterentwicklungen dieser Stadtlandschaft um
immer weiter entfernte „Kristallisationskerne“ – zu- „How the Other Half Lives“
meist große Shopping Malls –, wie sie im Multiple- Der niederländische Einwanderer und Journalist
Nuclei-Modell von Harris und Ullmann 1945 be- John Jacob Riis dokumentierte erstmals mit Hilfe
schrieben oder 1991 als Edge City-Phänomen von von Statistiken und Photographien die Lebensbedin-
Joel Garreau analysiert wurden, sind nur die logi- gungen der Arbeiterklasse in New York. Seine Arbei-
schen Manifestationen der Corporate Cities, die in ten führten ab 1882 dazu, dass die Regierung Mittel
jeder Phase des Kapitalismus, ob im Industriekapi- bereitstellte, um Gutachten über die Wohnbedin-
talismus oder in der globalisierenden Dienstleis- gungen in jeder Großstadt mit mehr als 200 000
tungswirtschaft, ihre spezifischen urbanen Formen Einwohnern erstellen zu lassen. Ein Aufsatz in der
annehmen, bei der Teile der Stadt ebenso wie Teile Zeitschrift „The Housing of the Working People“
der Wirtschaft disponibel werden. über private, gemeinnützige Wohnungsbauansätze
In den Industriestädten bildete sich also die glei- in Europa veranlasste den Unternehmer Elgin Gould,
che funktional aufgeteilte und sozial segmentierte die erste philanthropisch orientierte City and Subur-
Struktur heraus wie im Industriekapitalismus in der ban Homes Company zu gründen, die Modellwoh-
Organisation von Großkonzernen (Johnston 1984, S. nungen und -bungalows in Manhattan und Brooklyn
112 ff.): Bündelung von zentralen Funktionen in baute. Dass diese Ansätze keine nachhaltige Verbes-
einigen Teilbereichen, Abkopplung schwächerer Ab- serung brachten, lag an den tiefen Löhnen der In-
teilungen bzw. Stadtviertel, Herausbildung von Trusts dustriearbeiter, welche zur Miete oder zum Kauf der
und Monopolen bzw. im urbanen Bereich Metropo- Modellwohnungen nicht ausreichten (Ladner-Birch
len. Die Zentralisation wirtschaftlicher Macht in den & Gardner 1981, S. 403 – 438).
Händen der Unternehmer fand ihre Entsprechung in
den immer stärker werdenden, mächtigen städti- Die „Park-Bewegung“
schen Politiksystemen, die z. T. ohne politischen Zusätzlich zu den beengten unhygienischen Wohnbe-
Prozess die Geschicke der Stadt bestimmten. Die dingungen gab es in den Städten kaum Grün- oder
Organisation von Konzernen und ihre Arbeitsteilung Erholungsflächen. Gerade in den dicht besiedelten
spiegeln sich in den Städten in der funktionalen, Immigrantenbezirken fehlten Naherholungsflächen
ringförmigen oder sektoralen Segmentierung, im oder Kinderspielplätze nahezu völlig – Mängel einer
Städtesystem in der Spezialisierung kleinerer Städte Industriegesellschaft, die Kinderarbeit erst im aus-
und in der Stadtpolitik in strikten Management-An- gehenden 19. Jahrhundert abschaffte. Die Park-Be-
sätzen wider. wegung griff den Gedanken auf, dass der Mensch
die Natur brauche und dass von Menschen, denen
Planungsinitiativen von 1870 bis 1915 ausreichend Grün- und Erholungsflächen zur Verfü-
In jeder Dekade seit dem ausgehenden 19. Jahrhun- gung stünden, auch eine bessere Arbeitsleistung er-
dert gab es Maßnahmen gegen den Kernstadtverfall bracht werden könne. Das althergebrachte Ideal vom
und zur Erneuerung von Wohn- und Geschäftsbezir- Leben im Grünen mit seinen günstigen Auswirkun-
ken. Da es noch keine amtliche Stadtplanung oder gen auf Mensch und Gesellschaft wurde in der Park-
einen Gesetzesrahmen für die Verbesserung der Bewegung wieder aufgegriffen. Zielsetzung war es,
Wohnverhältnisse in den Städten gab, erfolgten die in den Städten mehr Parks und Grünflächen zu
Bemühungen aus privater Initiative. Vier Beispiele schaffen sowie die durch die Industrialisierung
verdeutlichen diese privaten, Sozialreform-orientier- wohlhabend gewordenen Gesellschaftsschichten für
ten Ansätze. die Reformbewegung zu sensibilisieren. Die Erfolge
der Parkbewegung waren augenfällig: Die in den
„Dumbbell“- Wohnungsbau meisten amerikanischen Großstädten heute noch
Die unhygienischen Wohnverhältnisse für Hundert- anzutreffenden großen Parks und Grünflächen stam-
tausende von Menschen, die in überbelegten tene- men zumeist aus der Zeit von 1880 bis 1900.
ment houses ohne natürliche Lichtquellen und mit Dabei griffen die Landschaftsplaner der Park-Bewe-
minimalen sanitären Anlagen zusammengepfercht gung auf Konzepte von Frederick Law Olmstead
waren, führten in den 1870er Jahren zu einem Ar- Sen. zurück, der 1848 den Central Park in New
chitektenwettbewerb, bei dem diejenige Bauweise York City sowie sämtliche großen städtischen Parks
ausgezeichnet werden sollte, die diese Mängel am in Boston, Chicago und San Francisco angelegt
besten behob. Das Resultat war die Dumbbell- (dt.: hatte. Seine Modelle versuchte man nun in ver-
Hantel-) Bauweise, die 1879 gesetzlich vorgeschrie- schiedenen Stadtgebieten auch im Kleinen nachzu-
ben wurde. Dabei wurden bis zu 2 m breite Schäch- vollziehen (Scott 1969).
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 93

Entstehung der Corporate City 93

Die „National Municipal League“ tiful-Idee ist Chicago. In Vorbereitung der Weltaus-
Im Jahre 1894 wurde die Nationale Liga der Ge- stellung von 1893 schuf der Architekt Daniel Burn-
meinden als weitere Maßnahme gegen die Aus- ham über 10 Jahre lang unter Beteiligung der Öf-
wüchse der industriellen Stadt gegründet. Sie hatte fentlichkeit ein Planwerk, das den ganzen Metropo-
zum Ziel, Korruption in den Stadtverwaltungen auf- litanraum von damals über 2 Mio. Menschen und
zudecken und die Macht der Allianzen zwischen Po- 190 Quadratmeilen umfasste und der als „Jahrhun-
litikern und Baufirmen zu schwächen, welche in dertplan“, den es über viele Jahrzehnte zu verwirk-
den Stadträten zum Nachteil der Städte selbst Bau- lichen galt, angelegt war. Die Umsetzung begann
verträge vergaben. Ferner trat die National Munici- 1907. Der Plan sah riesige Parks vor, ferner die An-
pal League für eine Professionalisierung bestimmter lage von Boulevards am Seeufer und Repräsentativ-
Bereiche der Stadtverwaltungen ein und suchte bauten für öffentliche Einrichtungen. Über die äs-
diese durch qualifiziertes Personal wie Stadtplaner, thetischen Aspekte hinaus hatte der Burnham-Plan
Statistiker, Haushaltsexperten und Fachleute für für Chicago eine funktionale Orientierung, indem er
das Gesundheits- und Wohnungswesen auszubauen. axiale und radiale Transportwege entwarf, die Was-
Der Erfolg dieser Bemühungen war, das Bewusst- ser- und Schifffahrtswege und den Frachttransport
sein für die zukunftsorientierte, professionalisierte sowie die öffentlichen Verkehrsmittel miteinbezo-
Stadtplanung geweckt zu haben (Scott 1969). gen. Ferner legte er für eine zukünftig rasch wach- Abb. 67: Verziertes öffent-
sende Bevölkerung neue Wohngebiete, Verkehrsan- liches Gebäude aus der
Die „City-Beautiful-Bewegung“ 1890 – 1910 schlüsse und Grünflächen an. Der für alle späteren City-Beautiful-Bewegung,
Die Planungsinitiativen gipfelten in der ersten gro- Metropolitan- und Regionalpläne (z. B. New York, Midtown, Manhattan.
ßen stadtplanerischen Bewegung zur Jahrhundert-
wende. Die City Beautiful-Bewegung versuchte jene
Stadtbereiche, die im Besitz und in der Befugnis
der öffentlichen Verwaltung lagen, mit ästhetischen
Repräsentativbauten aufzuwerten. Orientiert an
klassischen griechischen und römischen Beispielen
sowie an einer Vielfalt von Bauwerken und architek-
tonischen Gesamtensembles in Europa, brachte sie
in allen Städten insbesondere neoklassizistische
Prunkbauten für öffentliche Einrichtungen hervor
(Bilder 67–69). Dazu gehörten Rathäuser, öffent-
liche Bibliotheken (z. B. die New York Public Libra-
ry), Verwaltungsgebäude und Bahnhöfe (z. B. Union
Station in Washington, D.C.). Washington, D.C. war
eine der ersten Städte, in der die Konzepte der City
Beautiful-Bewegung umgesetzt wurden, da sich der
vorhandene barocke Grundriss nach L’Enfant (1789)
in hervorragender Weise dazu anbot. Die von der
Bundesregierung 1899 eingesetzte Senate Park
Commission vereinigte die führenden Architekten,
Landschaftsgestalter und Künstler jener Zeit, um
den neuen Jahrhundertplan für die Stadt zu erstel-
len. Dazu gehörten u. a. Daniel H. Burnham und
Frederick Law Olmstead Jr. Im Regierungsauftrag
reiste die Kommission in die Großstädte Russlands,
Italiens, Deutschlands und Frankreichs, um städte-
bauliche Ideen zu sammeln. Besonders St. Peters-
burg, Berlin und Paris wurden zu Grundlagen für die
Erstellung des McMillan-Plans 1902. Als Teil der
Gesamtplanung entwarf Daniel Burnham, auf den
der weltweit erste Metropolitanplan (Chicago 1893)
zurückgeht, den Washingtoner Hauptbahnhof (Union
Station), eines der Paradebeispiele der City Beauti-
ful-Konzeption. Zwischen dem Kapitol und dem
Washington Monument, das sich seit 1865 im Bau
befand, entstanden Boulevards, Plätze und Brun-
nen. Frederick Law Olmstead Jr. entwickelte die Ge-
samtkonzeption für das Parksystem der Washington
Mall und anderer Parks von Washington, D.C. (Scott
1969; Krueckeberg 1985).
Ein besonders eindrucksvolles und umfassendes
Beispiel für Planung nach Konzepten der City Beau-
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 94

94 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Abb. 68: Wrought Iron Berlin u. a.) modellhafte Burnham-Plan von Chicago Abb. 69: Im Wrought Iron District, Lower Manhattan.
District, Lower Man- enthielt zwar viele Elemente, die auch fast einhun-
hattan – Platz sparende dert Jahre später noch in der Umsetzung sind, er tischen Teilräume sollten mit Hilfe eines übergeord-
Hochhausarchitektur, bei
sah aber ebenso wenig wie die anderen Konzepte neten Plans harmonisiert werden. Diese auf Funk-
der tragende Wände im In-
nern durch gusseiserne ausreichende Lösungen für das Wohnungsproblem tionalität und städtische Funktionen ausgerichtete
Säulen ersetzt wurden. der Industriearbeiterklasse und die Slumbedingun- Planung mündete später in die Zonierungen (zon-
gen in den Immigrantenvierteln vor (Moore 1921). ing) bzw. Flächennutzungsplanung, die 1916 zu-
nächst in New York und danach in allen amerikani-
City Functional – City Scientific schen Städten eingeführt und in Europa übernom-
Ausgehend von der City Beautiful-Idee vertrat men wurde. Die verbesserten Lebensbedingungen in
Charles Mulford Robinson eine den Notwendigkei- den Industriearbeitervierteln wollte man durch Aus-
ten realistischer angepasste Stadtplanung, welche lagerung von Fabriken und anderen innerstädti-
die amerikanischen Städte ebenfalls entscheidend schen Arbeitsplätzen in eigens dafür ausgewiesene
prägte und als City Functional bekannt wurde. Das Gebiete im suburbanen Raum erreichen. Dieses
um die Jahrhundertwende erschienene Buch „The Konzept nahm gedanklich die funktionale Entmi-
Improvement of Towns and Cities“ und das 1903 schung vorweg, die auch in Europa mit der Charta
erschienene Werk „Modern Civic Art“ begründeten von Athen 1933 zum Leitbild der Stadtentwicklung
in vielen Städten engagierte Gruppen, die begannen, wurde und die Suburbanisierung einleitete. Die
Stadtpläne zu erstellen und Schönheit mit Nützlich- amerikanische Bundesregierung praktizierte in den
keit zu verbinden suchten. Bauwerke wurden mit 1930er Jahren funktionale Entmischung als Lö-
Blick auf ihre Funktionalität in verbesserter Bau- sungsansatz gegen die Verslumung; besonders nach
weise errichtet. Die Grundidee, die Abhilfe von den dem Zweiten Weltkrieg wurde sie von amerikani-
übervölkerten, überbelegten Stadtvierteln schaffen schen Städten zu einem Charakteristikum der Sub-
sollte, war, dass eine Stadt nach Nutzungen diffe- urbanisierungsprozesse.
renziert und für jeden Stadtteil ein eigener Stadt- Die sozialen Impulse, die zur Zeit der City Beauti-
entwicklungsplan erarbeitet werden sollte. Alle städ- ful gegeben worden waren, wurden in der City Func-
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 95

Entstehung der Corporate City 95

tional aufgegriffen. Besondere Schwerpunkte waren politik für die Städte nie kommunale Maßnahmen
Spielplätze und öffentlicher Verkehr. Der Park-Be- wie einen Finanzausgleich einführen wollten.
wegung folgte die Playground-Bewegung in kleinen Der aus den Bemühungen der City Functional-Be-
Aspekten: Besonders in den Slums ging es darum, wegung 1917 heraus gegründete Amerikanische
einen Ausgleich zu den Bedingungen der Verelen- Stadtplanungsverband begann im gleichen Jahr im
dung zu schaffen. Man sah in den Erholungsflächen Auftrag der Bundesregierung, die temporäre Wohn-
auch eine Möglichkeit, die überbelegten Wohnvier- raumversorgung für mehr als 300 000 Arbeiter der
tel aufzulockern und dadurch die Wohnbedingungen Rüstungsindustrie in 70 verschiedenen Städten zu
zu verbessern. Die Landschaftsarchitekten John planen, welche von der United Housing Corporation
Nolen und Frederick Law Olmstead Jr. veröffentlich- gewährleistet werden sollte.
ten in ihrem Buch „City Planning Movement“, wel-
ches für eine professionalisierte Stadtplanung in Veränderte Wahrnehmung
den ganzen USA plädierte, präzise Vorstellungen, von städtischen Problemen
welche Typen von öffentlichen Flächen eine ameri- Die Verslumung, die Wohnungsnot und die sich ver-
kanische Großstadt benötige (Scott 1969): schlechternden sozialen Bedingungen wurden um
■ Straßen, Boulevards und Alleen, die Jahrhundertwende im Zeitgeist der Progressive
■ Plätze, Grünanlagen und öffentliche Gärten, Era verstanden, und mit der City Beautiful-Be-
■ Spielplätze für Kleinkinder, Schulkinder und Ju- wegung wurden tief greifende städtebauliche Re-
gendliche, formen eingeleitet. Diese Reformen veränderten das
■ kleinere Parks in Wohngegenden, äußere Erscheinungsbild einzelner Stadtgebiete
■ große Parks im Stadtzentrum, durch Grünanlagen, Wohnungsbau, waterfront devel-
■ große Naherholungsgebiete außerhalb der Stadt. opments, civic center approaches und andere Maß-
Alles sollte als ein System angelegt werden, wobei nahmen teils erheblich, wurden aber nicht von der
die Verkehrsachsen die innerstädtischen Parks mit Bundesregierung getragen, die erst viel später zu
den außerhalb gelegenen Erholungsgebieten verbin- einem wichtigen Akteur wurde. Vielmehr waren die
den und die Spielplätze neben den Schulen und Maßnahmen von privater, unternehmerischer und
genau wie die Schulen selbst gleichmäßig über das gemeinnütziger Natur. Für das heutige Bild ameri-
gesamte Stadtgebiet verteilt werden sollten. Die City kanischer Städte sind die Manifestationen der City
Functional-Idee sah gute Wohnbedingungen in einer Beautiful-Bewegung von außerordentlich großer Be-
gesunden, angenehmen Wohnumgebung, ausrei- deutung, die sich in fast jeder amerikanischen Groß-
chende Verkehrsmittel, gut geplante Straßen, genü- stadt noch in der großen Anzahl von klassischen
gend Parks und Spielplätze und angemessene Stand- und neoklassischen Bauwerken der öffentlichen Ver-
orte für Geschäfte und Industrie vor. waltung, der Banken, Hotels oder sogar Apartment-
Wie bahnbrechend dieser Gedanke war, zeigt sich häuser der Jahrhundertwende niederschlagen.
daran, dass auch einhundert Jahre später in den Die City Beautiful-Bewegung konnte jedoch der
Slums amerikanischer Städte die gleichen Forde- ernst zu nehmenden Kritik der Verfechter eines ver-
rungen noch erfüllt werden müssten (s. Kap. „Ein- besserten Wohnungsbaus nicht standhalten (Riis
kommensdisparitäten“). 1909 wurde in Boston der 1902, S. 3 f.).
erste umfassende Plan der City Functional (Boston Die weit reichende Verslumung innerstädtischer
1915) begonnen, der die Einheit von Stadtplanung, Wohngebiete im ausgehenden 19. Jahrhundert brach-
Praktikabilität der Konzepte, Industrieansiedlungen, te weitere Ansätze hervor, die sich mit der Woh-
Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Effizienz der nungsnot, der Verelendung und den sozialen Bedin-
städtischen Regierung, fortschrittlichen Bildungs- gungen der Slumbewohner befassten. Dazu gehör-
und Freizeiteinrichtungen sowie preiswerten und at- ten neue kommunale Regelungen wie die New York
traktiven, sanitär gut eingerichteten Arbeitersiedlun- Tenement Reform von 1902, die auch der beste
gen schaffen wollte. Der Plan umfasste erstmals 37 Versuch war, den Innenstadtverfall direkt anzuge-
Umlandgemeinden und war damit der erste Stadt- hen, der zu dieser Zeit noch ein städtebauliches
Umland-Plan, der auch eine funktionale Aufteilung und Verslumungsproblem war: Ghettoisierung ethni-
der suburbanen Gemeinden vorsah. Dass dieser scher Minderheiten oder wirtschaftliche Verödung,
nach dem Metropolitanplan von Chicago erste funk- die heutigen Kernzeichen des Verfalls, waren noch
tionale Nutzungs- und Entwicklungsplan nicht ver- nicht erkennbar, die Innenstädte waren noch Ar-
wirklicht werden konnte, lag zum einen daran, dass beitsplatz- und Wohnzentren für alle Schichten. Be-
die Gemeinden ihre im 10. Zusatzartikel der Verfas- günstigt durch Verbesserungen in Transport und
sung zugesicherte Autonomie zu stark beschnitten Verkehr erfolgte die Abwanderung von den in den
glaubten, und zum anderen an der falschen Annah- Mittelstand aufgestiegenen Innenstadtbewohnern
me, dass allen Bürgern gleichermaßen an der Ver- und Einwanderern in neue Vorortsiedlungen (Robin-
besserung der städtischen Problematik gelegen sei. son 1909, S. 8 f.). Diese Abwanderung war so mas-
Die bevorzugte Neigung der Amerikaner, bei Groß- siv, dass der US Census 1910 eine neue Kategorie
stadtproblemen individualistische Lösungen zu su- zur Erfassung der intraurbanen Bevölkerungsbewe-
chen, zeigen heutzutage das Gated Community-Phä- gungen aufnahm: die Kategorie der suburbs, die
nomen (s. Kap. „Einkommensdisparitäten“) sowie die außerhalb der Kernstadt, aber noch im metropolita-
Tatsache, dass die USA in den 60 Jahren Bundes- nen Bereich liegen.
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 96

96 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

Dezentralisierung und Suburbanisierung brachten schwachen zu überlassen, sollte der freie Woh-
nicht die gewünschte Entlastung der Innenstädte, da nungsmarkt erschwingliche Wohnungen bereitstel-
die frei werdenden Innenstadtquartiere von neuen len (Gould 1885, S. 221, zit. in Ladner-Birch &
Zu- und Einwanderern der unteren Einkommens- Gardner 1981, S. 405).
schichten besetzt wurden. Die Verfallsproblematik Affordable housing durch rentable Wohnungsbau-
änderte sich damit kaum – zwar hatte es verbesserte projekte – das Schlagwort war heute wie damals
architektonische Designs und Stadtgestaltung gege- ganz im Sinne der Sozialreformer: „… charity that
ben, die Verslumung aber nahm mit dem Invasions- will not pay will not stay (…)“ „Houses are built now,
Sukzessionsprozess seinen ungehinderten Lauf. Da- as they were then, for profit. The business element
rüber hinaus leitete die Suburbanisation eine neue must be there, or the business will fail“ (Riis 1902,
Ära des Verfalls ein. Suburbanisierung nahm um S. 83, 97).
1910, dem Zeitpunkt der ersten großen Black Migra- „There have always been charitably disposed per-
tion (Zuwanderung von Schwarzen aus dem Süden in sons who will give their money (…) to those less for-
die gut zahlenden Industrien des Nordens), eine tunate than themselves. But it would be vain to hope
neue Dimension an, da die Innenstadtbevölkerung to furnish homes to all those who need and for all
nun nicht mehr wegen der Wohnungsbedingungen time on any base as that. It has never been done, it
die Stadtflucht antrat, sondern auch wegen des sich will never be done and we submit that if it were pos-
ändernden Sozialgefüges in der Stadt. Von nun an sible, it would not be a wise way to meet the need.
begann der Abzug der kaufkräftigen Mittelschicht (Wage earners) are able and willing like the capita-
und der wirtschaftlichen Aktivitäten in großem Maße. list to pay fairly for accomodation they receive …“
Die ersten suburbanen shopping malls in den USA (Boston Cooperative Building Company, 1873, S. 8,
traten in den 1920er Jahren auf. zit. in Ladner-Birch & Gardner 1981, S. 407).
In der Praxis wurden eigens für den Bau der Mo-
Verslumung als Angebotsproblem – dell-Mietshäuser neue Firmen gegründet, die Woh-
Philanthropic housing nungsbau durch Spenden und den Verkauf von Wert-
Wichtig war aber, dass in diesen Jahren ein neues papieren finanzierten. Bei gemeinnützigen Projek-
Verständnis gegenüber der Slumproblematik auftrat. ten (philanthropic housing) mußten alle Profite ganz
Während vorher Slumbewohner für ihre Misere selbst demselben Zweck zurückgeführt werden, während
verantwortlich gemacht wurden und selbst führende die „halb-philanthropischen“ Projekte zwischen 5
Sozialreformer wie Riis die soziologischen Gründe und 7 % Rendite ausschütteten. Diese als „Sieben-
für das Elend in den Slums vor dem Hintergrund Prozent-Lösung“ des Innenstadtverfalls bekannten
eines auf Eigenverantwortlichkeit basierenden puri- Bautätigkeiten hatten zwar einen starken Einfluss
tanischen Gesellschaftsbildes kaum bedachten, auf das Design und die Konzepte von Architekten,
wurde nun zumindest die Mitschuld der Gesell- Behörden, Geschäftsleuten, Politikern und politi-
schaft deutlich: Innenstadtverfall und Verslumung schen Aktivisten, aber der gemeinnützige Woh-
sah man nun auch als ein Angebotsproblem, d.h. nungsbau in amerikanischen Großstädten wurde
als mangelnde Versorgung der Stadtbevölkerung mit quantitativ nicht so bedeutend wie z. B. in England
adäquaten Wohnungen an. Als weitere Möglichkei- (Ladner-Birch & Gardner 1981). Mit Ausnahme von
ten zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Boston, New York und Philadelphia hatte der ge-
Slums galten die Einführung von baupolizeilichen meinnützige Wohnungsbau in amerikanischen Groß-
Vorschriften sowie eines verbesserten Designs bei städten kaum Bedeutung. Dies kann man vor allem
Neubau, Abbruch und Renovierung. Solche baupo- tatsächlich darauf zurückführen, dass die Rendite
lizeilichen Vorschriften waren gegen Ende des 19. von ursprünglichen 5, dann 7 % noch zu niedrig im
Jahrhunderts jedoch praktisch nicht durchführbar, Vergleich zu anderen Geldanlagen war. Der gemein-
da es noch keinen Gesetzesrahmen gab, der dem nützige Wohnungsbau war also auf lange Sicht von
Staat die Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrt und Seiten der Investoren nicht lukrativ genug, für die
damit das Recht zur Vergabe von Richtlinien über- Bedürftigen nicht erschwinglich und konnte daher
tragen hätte. Aus diesem Grund schien im ausge- nicht wesentlich dazu beitragen, die innerstädtische
henden 19. Jahrhundert nur eine Kombination von Verfalls- und Slumproblematik in dem Maße zu ver-
privatwirtschaftlicher Kapitalanlage und Philanthro- mindern, wie es das rapide Bevölkerungswachstum
pie bei der Verbesserung des Wohnungsmarktes eine erfordert hätte.
viel versprechende Alternative zu sein. Da die öf- Das Verdienst der Bemühungen dieser Zeit im
fentliche Hand kaum je als Träger für Wohnungs- Hinblick auf Kernstadtverfall und Erneuerung war
baumaßnahmen in Erscheinung getreten war, ver- es, neben statisch-architektonischen Veränderungen
fügten privatwirtschaftliche Unternehmen ohnehin den Gedanken zu etablieren, dass das altherge-
über die größte Erfahrung und das Know-how für brachte Konzept vom positiven Wirken der Privat-
den Wohnungsbau. Der Bau von Wohnungen für die wirtschaft bei nationalen oder sozialen Aufgaben ins
Einkommensschwächeren sollte für Investoren ren- Ungleichgewicht geraten war. Diese Erkenntnis schuf
tabel gemacht werden, damit die sogenannten busi- erstmals ab 1915 eine Akzeptanz für Planung durch
ness philanthropists in das Geschäft investieren staatliche Einrichtungen mit Hilfe von übergeordne-
würden. Anstatt staatlich subventionierten Woh- ten Planungskonzepten, sozialstatistischen Erhe-
nungsbau unter dem Marktwert den Einkommens- bungen und Managementprinzipien.
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 97

Entstehung der Corporate City 97

Eine weit reichende strukturelle Lösung, die auch Bundesgesetzgebung trug diesem Gedanken Rech-
gegenwärtig immer wieder propagiert wird, wurde nung: Schon 1927 rückte diese Art von Planung im
1909 in der Bewegung „Boston 1915“ gefordert: neuen Standard City Planning Enabling Act explizit
den in den USA bis heute weit gehend fehlenden, in den Vordergrund. Im Rahmen dieses Dezentrali-
kommunalen Finanzausgleich und die Besteuerung sierungs- und regionalplanerischen Gedankens wur-
der Vororte zur Finanzierung innerstädtischer Pro- den neue Stadtentwicklungs- und Erneuerungspläne
blemgebiete einzuführen. Dieser Ansatz, der beglei- aufgestellt, deren wichtigste Bestandteile Parks,
tet war von umfassenden Metropolitan- und Regio- Autobahnen, Radial- und Ringstraßen und die Um-
nalplänen nach dem Modell des Burnham-Plans für leitung von Verkehrsströmen waren, was die Ent-
Groß-Chicago, fand jedoch bis heute keine Akzep- flechtung städtischer Funktionen erleichtern sollte.
tanz. Zu sehr sind die USA geprägt von dem Gedan- Beispielhaft für die übergreifende Stadtentwick-
ken der Bewährung durch Arbeit und der Abneigung lungs- und Erneuerungsplanung war der New Yorker
gegen free riders. Soziale Auffangnetze sollten nur Regionalplan, der von 1921 bis 1931 unter Mitwir-
für jene gelten, die sie vermeintlich verdienen. kung des Wirtschaftsministers, führender Planer, von
Architekten, Ingenieuren, Soziologen, Wirtschafts-
Zonierung, Regionalpläne, Greenbelt Towns wissenschaftlern und Wohnungsbaureformern ent-
Es etablierte sich jedoch ein anderer Ansatz zur stand. Dieser Plan sah vor, das Kernstadtproblem
Kernstadterneuerung. Zonierung, die Vorgabe von über Bevölkerungs- und Arbeitsplatzdezentralisie-
Flächennutzungsbestimmungen mit strenger Tren- rung zu lösen, ohne allerdings einen direkten Plan
nung städtischer Funktionen (Wohnen, Gewerbe, In- für die Innenstadterneuerung zu entwerfen. Es soll-
dustrie) und die ersten Bauauflagen wie Höhenbe- ten Industriezentren von niedriger Bevölkerungs-
grenzungen galten als geeignetes Mittel. dichte außerhalb der Kernstadt angelegt, ferner soll-
Erste übergeordnete Vorgaben führte Boston ten in deren Nähe Gartenstädte, d. h. Wohn- und
1909 mit seiner Höhenbegrenzung ein, 1915 gab Gewerbegebiete geschaffen werden und eine Dezen-
es in Los Angeles eine Anweisung über industriell tralisierung von Geschäften und Handel aus der
zu nutzende Flächen. Ab 1913 erließen die Bundes- Kernstadt in die Nähe der neuen Bevölkerungszen-
staaten New York, Minnesota, Wisconsin und Illinois tren stattfinden (Krueckeberg 1985; Scott 1969).
auch eine Gesetzgebung gegen die industrielle Nut- Schließlich schuf auch die Bundesebene wichtige
zung in Wohngebieten. Es entstanden die ersten An- Konzepte zur Verbesserung innerstädtischer Wohn-
sätze des residential zoning, die jedoch noch keine und Arbeitsbedingungen. Eines davon war das der
umfassende Gesetzgebung zur Flächennutzung für Dezentralisation, also der Entkernung innerstädti-
das gesamte Stadtgebiet darstellten (Scott 1969). scher Problemviertel durch Bau von Gartenstädten:
Kommunale Zonierungsgesetzgebung wurde somit Die Tugwell Towns oder Greenbelt Towns, die unter
zum wichtigsten Planungs- und Stadtentwicklungs- Rexford Tugwell in den 1930ern von der Resettle-
instrument überhaupt; es wurde allgemein begrüßt, ment Administration geplant wurden, jedoch weitge-
da es z. B. die Ansiedlung von Industrien in alten hend unverwirklicht blieben, gingen davon aus, dass
und neuen Wohngebieten verbot, was den eventuel- ■ die bestehenden Städte menschenunwürdig waren,
len Verfall dieser Gebiete aufhielt. Allerdings erlaub- ■ die bereits weit fortgeschrittene städtische Dezen-
te Zonierung die Ansiedlung von Wohngebäuden in tralisierung (Suburbanisierung) die Lebensform
Industrievierteln, was dichte Bebauung und Verfall der Zukunft sei und
in neu ausgewiesenen Industrie- und Gewerbegebie- ■ kooperative, konzertierte Bemühungen notwendig
ten vorprogrammierte und ebenso vorzeichnete, seien, um sowohl den Kernstadtverfall als auch
dass der später von der Bundesregierung eingeführ- die weitere Suburbanisierung in kontrollierte Bah-
te soziale Wohnungsbau zu einem großen Teil auf nen zu lenken.
schlechten Standorten entstand. Zonierung wurde Die wichtigste Bemühung dieser Behörde war es,
1916 in New York City eingeführt und bis 1921 in das Konzept der Gartenstädte umzusetzen, wobei
der Hälfte aller Bundesstaaten mit Hilfe von einzel- Entlastungsstädte von ca. 30 000 Einwohnern und
staatlicher Gesetzgebung vollzogen. Auf der Bun- mit allen städtischen Funktionen um die größten
desebene wurde ein Modellgesetz für Zonierungen Verdichtungsräume geschaffen werden sollten. Ab
erst 1924 eingesetzt. 1926 hatten über vierhundert 1929 wurden dann vom Bund subventionierte
Städte Zonierungsbestimmungen, deren Verfas- Greenbelt Towns geschaffen: Greenbrook bei New
sungsmäßigkeit von den Obersten Gerichtshöfen der York, Greenhills bei Cincinnati (fertiggestellt 1838),
Bundesstaaten und vom US Supreme Court bestä- Greendale bei Milwaukee (1938) und Greenbelt bei
tigt wurde (Scott 1969). Washington, D.C. (1937). Die Idee der Greenbelt
Gleichzeitig mit der strikten Abgrenzung von städ- Towns wurde schließlich aufgegeben, nachdem sich
tischen Funktionen durch Zonierung gab es Versu- herausgestellt hatte, dass mindestens 3000 solcher
che, Stadterneuerung über einen übergeordneten Städte hätten gebaut werden müssen, um eine Ent-
Regionalplan anzugehen. So wollte man zunächst lastung der innerstädtischen Wohnungssituation zu
für die größeren Stadtregionen dezentrale Entlas- erreichen (Gelfand 1975).
tungszentren und Entwicklungskorridore planen, da- Die Greenbelt Towns wurden nicht zuletzt auch auf
nach spezifische Bebauungs- und Wirtschaftspläne Betreiben der neuen Regional Planning Association
aufstellen und diese durch Zoning fixieren. Die of America sowie einiger führender Architekten/Pla-
04 LdK USA 30.05.2005 21:51 Uhr Seite 98

98 Territoriale Expansion, Industriekapitalismus, Urbanisierung

ner wie Lewis Mumford und Frank Lloyd Wright ge- stellt eine amerikanisch adaptierte Variante der Gar-
baut. Letzterer propagierte z. B. die Broad Acre City, tenstadtidee dar. Es war das Gedankenkind des
in der für jede Familie ein acre in einer ländlichen neuen Berufsstandes der Planer – American City
Umgebung mit guter Verkehrsanbindung und einem Planning Institute, American Civic Association, Ame-
Arbeitsplatzangebot zur Verfügung stehen sollte. Ar- rican Institute of Architects, American Society of
beiter sollten nur über kurze Strecken zu ihren Fabri- Civil Engineers – und der Privatwirtschaft. Mit Rad-
ken fahren, und Akademiker sollten ihre Büros zu burn wollte man städtisch-soziale Probleme, also
Hause haben – eine Forderung, die sich durch die urban life, mittels Verbesserung der Stadtgestaltung –
Möglichkeit von Computerarbeitsplätzen in der heuti- urban form – angehen (Christensen 1986, S. 4, 6, 7;
gen Zeit wiederholt. Städtische Bedürftige sollten Ladner-Birch 1983). In jedem amerikanischen sub-
sich Haus und Leben in der Broad Acre City stück- urb wird seither das Radburn-Modell tausendfach als
chenweise durch ein Punktesystem bei ihrer Arbeits- garden suburb dupliziert.
stelle verdienen. Die Überlegung war, mit genügend Mit dem indirekten regionalplanerischen Ansatz
Greenbelt Towns die überbelegten Innenstadtslums zur Entlastung der Kernstädte, der in Kommunen
zu entvölkern, um sie letztendlich auch in geräumi- und von der Bundesregierung vorerst auf Jahre hi-
ge Wohnviertel für die Mittelklasse verwandeln zu naus betrieben wurde, ging der direkten Kernstadt-
können. Grundlage dafür waren die gartenstadtähn- revitalisierung wertvolle Zeit verloren. In dieser Zeit
lichen Arbeitersiedlungen des Ersten Weltkriegs und verstärkten sich durch eben diese Planungen die
die spektakulären Experimente der 1923 auf Privat- städtebaulichen Probleme. Noch schwerwiegender
initiative gebauten Stadt Radburn, New Jersey aber sind die seither geschaffenen wirtschaftlichen
Abb. 69a: Plan von Rad- (Abb. 69a). Radburn war eine der ersten privat- Probleme: die allmähliche Erosion innerstädtischer
burn, New Jersey. wirtschaftlich geplanten New Towns in USA und Wirtschaftsstrukturen und die Entwicklung von Wirt-
schaftsbrachen. Wegen der weit reichenden Kon-
sequenzen verdient die Ära der 1920er und frü-
hen 1930er Jahre besondere Aufmerksam-
keit. Sie schuf den Prototyp der Stadt und
des Verfallsproblems, der die Gegenwart
kennzeichnet. Mit der Ära der bewuss-
ten Suburbanisierungspolitik der
1920er Jahre begann auch die
heutige Stadtlandschaft, die be-
ständig neue suburban commu-
nities, aber auch gated com-
munities in den Kernstädten
entstehen lässt. Die Ära entwi-
ckelte auch die Gedankenmo-
delle wie Kernstadterneue-
rung durch Suburbanisierung
oder Grund- und Aufrissver-
änderungen zur Lösung so-
zialer und wirtschaftlicher
Problematik, denen später
die bundespolitischen Be-
mühungen folgten (s. Kap.
„Stadtentwicklung“).
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 99

99

Bevölkerungsentwicklung und
Bevölkerungsstrukturen

Abb. 70: Chinatown San


Überblick Francisco.
■ Die USA sind von jeher ein Einwanderungsland gewesen.
■ Masseneinwanderung, Wachstum der Märkte und Verfügbarkeit von Arbeitskräften aus aller Welt
waren die Grundlage der Inwertsetzung des Landes – in der kolonialen Geschichte ebenso wie im
Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert.
■ Die Einwanderung verlief in vier Phasen: die unregulierte „Alte Einwanderung“ der überwiegend
nord- und nordwesteuropäischen Bevölkerung, die Masseneinwanderung aus Ost- und Südosteuropa,
ferner die strikt nach Quoten regulierte und die Einwanderung unter dem Präferenzsystem nach der
Liberalisierung der Gesetzgebung.
■ Wirtschaftsinteressen und politisch-kulturelle Wertvorstellungen bestimmten den Umgang der politi-
schen Institutionen mit den Einwanderern und Ureinwohnern.
■ Eine Politik der Vernachlässigung und Dispute um indianische Rechtsansprüche kennzeichnen ge-
genwärtig noch immer den Umgang mit der amerikanischen Urbevölkerung.
■ Die ab dem 17. Jahrhundert in der kolonialen Zeit Amerikas als Sklaven eingeführte afroamerikani-
sche Bevölkerung erfuhr durch den Unabhängigkeitsprozess der USA keine Gleichstellung.
■ In langwierigen politischen und wirtschaftlichen Prozessen wurde diese erst annähernd zweihundert
Jahre später erkämpft und ist bis heute nicht vollständig erreicht.
■ Trotz des gesellschaftlichen Zwangs zur Assimilation kennen die USA bis heute keine vollständige In-
tegration: Segregation, Abgrenzung und die Entwicklung von Parallelgesellschaften sind Merkmale
der heutigen Gesellschaft.
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 100

100 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Bevölkerungsentwicklung – Überblick
Bevölkerungswachstum Die tatsächliche Zahl der Einwanderer lag aller-
Die USA waren von jeher stark von Einwanderung dings weit höher, da weder legal oder illegal einge-
geprägt – sowohl in ihrer kolonialen Geschichte als führte Sklaven noch illegal Eingewanderte erfasst
auch seit Gründung der Nation. Allein die Zahl der wurden. Außerdem wurden bis 1908 Zuzüge aus
zwischen 1820 und 1998 Eingewanderten beträgt Kanada und Mexiko nicht dokumentiert. Zwischen
63 Mio. Personen (Tab. 6). Obwohl die USA nicht 1870 und 1910 stieg die Bevölkerung der USA von
ausschließlich Ziel europäischer Auswanderer wa- rund 40 Mio. auf rund 92 Mio. Menschen an (Tab. 7).
ren, nahmen sie doch überproportional viele auf. Zu Die Bevölkerungszahlen zeigen die große Bedeutung
den Push-Faktoren, die im 19. Jahrhundert Einwan- der Einwanderung für alle Bereiche der Wirtschaft
derer aus Europa und Asien in die USA brachten, und Gesellschaft auf.
gehörten:
■ Kriege, wirtschaftliche und politische Krisen, Einwanderungsbewegungen
Missernten und Hungersnöte. Die Einwanderung in die USA lässt sich im Wesent-
■ Das enorme Bevölkerungswachstum in Europa lichen in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase
und Asien zwischen 1800 und 1900. So stieg die der unregulierten Einwanderung („Alte Einwande-
Bevölkerung in Europa von 187 Mio. um 1800 auf rung“) begann, als während der Kolonialzeit nur
401 Mio. um 1900 und in Asien im gleichen Zeit- eine relativ geringe Anzahl nach Amerika auswan-
raum von 522 Mio. auf 859 Mio. an. derte. Die Gesamtzahl der Puritaner, die von 1628
■ Verfolgung von religiösen oder ethnischen Minder- bis 1640 nach Massachussetts kamen, betrug jähr-
heiten. lich ungefähr 20 000. Bis zum Ende des 18. Jahr-
Gezielte Werbung und Rekrutierung der amerikani- hunderts kamen 450 000 Einwanderer nach Nord-
schen Eisenbahngesellschaften in Europa sowie fi- amerika. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit der
nanzielle Zuwendungen der Amerika-Auswanderer USA waren 77 % der Bevölkerung angelsächsischen
an ihre Familien, ferner Verbesserungen der interna- Ursprungs, die übrigen waren Deutsche, Niederlän-
tionalen Transportwege erleichterten die Einwande- der, Schweden und Hugenotten aus Frankreich.
rung. Während 1825 eine Überfahrt noch 25 Pfund Nach 1815, dem Ende der napoleonischen Kriege
kostete, konnte im ausgehenden 19. Jahrhundert in Europa, begannen die wirklich großen Immigra-
bereits eine sechsköpfige Familie für den gleichen tionswellen, weswegen um 1820 in den USA die
Preis übersetzen (Adams 1994). statistische Erfassung der Einwanderer begann. Von
1815 bis 1860 kamen fast fünf Milli-
onen Menschen in die USA, ab 1842
Zeitraum Anzahl Quote Ausgew. Anzahl Quote überstieg die Zahl der jährlich Ein-
Personen pro 1000 Jahre Personen pro 1000 wandernden 100 000 Personen. Bis
in der Bevölkerung in der 1896 waren es überwiegend Men-
Tausend im Jahresmittel Tausend Bevölkerung schen aus Nord- und Westeuropa, die
in die USA gelangten. Doch während
um 1820 Nord- und Westeuropäer
Quelle: Historical Statistics Colonial Times to 1970, Series C89 und Statistisches Jahrbuch 2001, Tab. 5 u. 9.

1820 – 1830 152 1,2 1970 373 1,8 noch 90 % der Immigranten ausmach-
1831 – 1840 599 3,9 1975 386 1,8 ten, verringerte sich ihr Anteil bis
1841 – 1850 1 713 8,4 1978 601 2,8 1896 auf 55 % (Tab. 8 – 10). Der weit-
1851 – 1860 2 598 9,3 1979 460 2,1 aus größere Teil der zwischen 1815
1861 – 1870 2 315 6,4 1980 531 2,3 und 1860 Eingewanderten aus Nord-
1871 – 1880 2 812 6,2 1985 570 2,4 und Westeuropa kam aus ökonomi-
1881 – 1890 5 247 9,2 1990 1 536 6,1 schen Gründen. Die Bevölkerungsex-
1891 – 1900 3 688 5,3 1991 1 827 7,2 plosion in Europa, die industrielle Re-
volution, welche die Handwerker er-
1901 – 1910 8 795 10,4 1992 974 3,8
werbslos machte, sowie Hungersnöte
1911 – 1920 5 736 5,7 1993 904 3,5
und politische Verfolgung – besonders
1921 – 1930 4 107 3,5 1994 804 3,1 um 1848 – waren Auslöser für die
1931 – 1940 528 0,4 1995 720 2,7 Auswanderung. Da die mehr als 1000
1941 – 1950 1 035 0,7 1996 916 3,5 Handelsschiffe, die Baumwolle, Holz
1951 – 1960 2 515 1,5 1998 660 3,5 und andere Produkte nach Europa
1961 – 1970 3 322 1,7 brachten, auf der Rückfahrt ungenutz-
1971 – 1980 4 493 2,1 ten Laderaum hatten, waren die Prei-
1981 – 1990 5 802 2,7 se für die Überfahrt in die USA nie-
1991 – 1998 7 605 3,6
drig und sanken stetig.
Der Hauptstrom der Einwanderer der
1820 – 1998 63 090 3,4
ersten Phase bevorzugte die Ostküste
zwischen Boston und Baltimore sowie
Tab. 6: Gesamte Einwanderung.
den mittleren Westen, insbesondere Il-
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Bevölkerungsentwicklung – Überblick 101

Zensusjahr Anzahl Herkunftsland Gesamtsumme Hauptein-


1820 – 1950 wanderungs-
1790 3 929 214 jahr
1800 5 308 483
1810 7 239 881 Deutschland 6 248 529 1882
1820 9 638 020 Italien 4 776 884 1907
1830 12 866 020 Irland 4 617 485 1851
Quelle: Historical Statistics Colonial Times to 1970, Series C89 und Statistisches Jahrbuch 2001, Tab. 5.

1840 17 069 453 Großbritannien 4 386 692 1888


1850 23 191 876 Österreich-Ungarn 4 172 104 1907
1860 31 443 321 Russland 3 343 895 1913
1870 39 818 449 Kanada und 3 177 446 1924
1880 50 155 783 Neufundland
1890 62 947 714 Schweden 3 195 148 1882
1900 75 994 575 Mexiko 838 844 1924
1910 91 972 266 Norwegen 814 955 1882
1920 105 710 620 Frankreich 633 807 1851
1930 122 775 046 Westindische Inseln 496 686 1824
1940 131 669 275 Griechenland 439 581 1907
1950 150 697 361 Polen 422 326 1921
1960 178 464 236 China 398 882 1882
1970 203 302 031 Türkei 362 034 1813
1980 226 545 805 Dänemark 340 418 1882
1990 248 709 873 Schweiz 306 227 1883
Quelle: Historical Statistics Colonial Times to 1970, Series C89.

2000 281 421 906 Japan 279 148 1907


2001 284 796 887 Niederlande 268 619 1882
Portugal 263 467 1921
Tab. 7: Bevölkerungswachstum im zusammenhän-
genden Staatsgebiet. Spanien 173 021 1921
Belgien 170 374 1913
Rumänien 158 021 1921
linois, Michigan, Wisconsin, Iowa und Minnesota.
Briten und Kanadier arbeiteten überwiegend in der Südamerika 143 133 1924
Industrie, während Iren und Deutsche besonders im Tschechoslowakei 128 360 1921
Handel tätig waren und der Kleinhandel von Ost- und
Südosteuropäern betrieben wurde. Viele Bauern und Tab. 8: Immigranten nach Herkunft zwischen 1820
und 1950. Unterschiedliche amtliche Quellen ge-
Landarbeiter, die einwanderten, fassten dennoch
ben z. T. in Bezug auf einzelne Herkunftsgebiete
schlecht in der modernen amerikanischen, von Skan- (z. B. Österreich-Ungarn) verschiedene Zahlen an.
dinaviern und Deutschen dominierten Landwirtschaft

Herkunftsregionen
and Refugee Policy, US Immigration Policy and the National Interest: Staff Report (supplemented to
Quelle: Immigration and Naturalization Service, Jahresberichte. Select Commission on Immigration

Zeitraum Deutschland Irland England, Skandinavien Italien Österreich- Russland Gesamt


Schottland, Ungarn und
Wales Baltikum

1820 968 3 614 2 410 23 30 14 8 385


1821 – 1830 6 761 50 724 25 079 260 409 75 143 439
1831 – 1840 152 454 207 654 75 810 2 264 2 253 277 599 125
1841 – 1850 434 626 780 719 267 044 13 122 1 970 551 1 713 251
the final report) Washington, D.C.: GPO 1981, S. 230 ff.

1851 – 1860 951 657 914 119 423 929 24 680 9 231 457 2 598 214
1861 – 1870 827 468 435 697 607 076 126 392 11 725 7 800 2 515 2 314 824
1871 – 1880 718 182 436 871 548 043 242 934 55 795 72 969 39 287 2 812 191
1881 – 1890 1 452 970 655 540 807 357 655 494 307 309 362 719 213 286 5 246 613
1891 – 1900 505 152 388 416 271 538 375 512 651 783 574 069 505 281 3 687 564
1901 – 1910 341 498 339 065 525 950 505 324 2 045 877 2 145 266 1 597 308 8 795 386
1911 – 1920 143 945 146 199 341 408 203 452 1 209 524 901 656 921 957 5 735 811
1921 – 1930 412 202 220 564 330 168 198 210 455 315 214 806 89 423 4 107 209
Gesamt 5 947 883 4 579 182 4 225 812 2 434 667 4 751 311 4 279 285 3 370 427 37 762 012

Tab. 9: Einwanderung in die USA 1820 – 1930, nach Herkunftsgebieten.


05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 102

102 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Zeitraum Gesamte Europäischer Anteil Herkunftsgebiete europäischer ten in die USA, etwa 153 000 davon
Einwanderung in % Einwanderung in % in Folge der Pogrome in Russland in
Quelle: Nach Historical Statistics Colonial Times to 1970,

(Anzahl West-, Nord-, Ost- und den Jahren zuvor.


Personen) Mitteleuropa Südosteuropa Die stark steigende Zahl der Einwan-
derer hing jedoch nicht nur mit Push-
1850 – 1854 1 917 527 94,3 99,6 0,4 und Pull-Faktoren zusammen, sondern
1910 – 1914 5 174 701 87,4 20,2 79,8 auch mit den Verbesserungen im Trans-
1950 – 1954 1 099 035 65,2 79,5 20,5 portwesen, so z. B. der Umstellung auf
1952* 134 657 96,8 84,9 14,0 die Dampfschifffahrt, welche die Pas-
sagiere in 10 bis 12 Tagen kosten-
Series C89 (veränd.).

1963 – 1967 1 580 217 39,7 52,7 38,6


1971 370 478 26,0 19,0 65,1 günstig und gewinnbringend über den
* nach festgesetzten Quoten des Immigration and Nationality Act 1952 Atlantik befördern konnte. Zu den zwei
größten im Transatlantikverkehr ope-
Tab. 10: Europäische Einwanderung in die USA in ausgewählten Zeiträumen. rierenden Schifffahrtslinien gehörten
die „Hamburg-Amerika-Linie“ und die
Fuß, da sie entweder aus der Leibeigenschaft kamen „Norddeutsche Lloyd“ (Adams 1994). Sie arbeiteten
oder nur traditionelle bäuerliche Wirtschaftsweisen mit den Rekrutierungsbüros der großen amerikani-
kannten. Der Süden der USA wurde bei der Einwan- schen Eisenbahngesellschaften zusammen. Die ame-
derung gemieden, da er aufgrund seiner Plantagen- rikanische Regierung hatte diesen das Land auf bei-
wirtschaft sowie mangelnder industrieller Arbeitsplät- den Seiten der vorgesehenen Streckenführung im ge-
ze kaum Aufstiegsmöglichkeiten bot. Nicht selten samten Staatsgebiet geschenkt, um einen Anreiz
blieben bestimmte Gruppen von Neuankömmlingen dafür zu schaffen, die Linien überhaupt zu bauen.
in neuen Siedlungsgebieten zusammen. Mit den Immigranten, die immer weiter westwärts
Religiöse Gruppen siedelten sich als Gemeinschaft zogen, Städte gründeten, Handel betrieben und Ver-
in entlegenen Gebieten an, so z. B. die Mennoniten, sorgungsgüter benötigten, waren den Eisenbahnge-
Amish und Hutterer, die ländliche Gemeinden oder sellschaften der Markt und damit ihre Investition in
Kleinstädte gründeten (Volmar 1996). Skandinavier die Trassenlegung gesichert.
zogen in die entlegeneren Gebiete des agrarischen Die zweite Phase ab 1890 ist von einer Um-
Mittelwestens, Deutsche blieben im zentraleren Teil schichtung der Einwanderungsströme („Neue Ein-
des Mittleren Westens und an der mittleren Atlan- wanderung“) gekennzeichnet, die nun überwiegend
tikküste. Iren, die nach der Hungersnot von 1848 aus Ost- und Südosteuropa kamen. 1907 betrug der
kamen, siedelten vornehmlich in den Hafenstädten Anteil jener Einwanderer 76 % und sank dann bis
an der Atlantikküste, da ihnen die finanziellen Mög- 1921 auf unter 30 %. Im Jahr 1914, dem Höhepunkt
lichkeiten zur Wanderung weiter westwärts in die der sogenannten „Neuen Einwanderung“, kamen
USA fehlten (Tab. 11). 85 % der Einwanderer aus Süd- und Osteuropa sowie
Irische Einwanderer waren aufgrund wiederholter Kleinasien. Insgesamt kamen dabei zwischen 1881
Missernten in Irland zwischen 1840 und 1844 bei und 1910 auch rund 1,5 Mio. Juden in die USA, wo
ihrer Einwanderung völlig verarmt. Wegen ihrer Er- bis 1880 nur eine Gesamtzahl von 180 000 Juden
fahrungen mit einer instabilen Landwirtschaft ver- ansässig gewesen war. Sie ließen sich überwiegend
blieben sie in den großen Städten der Ostküste. Auf- im industrialisierten und verstädterten Nordosten
grund ihres niedrigen Bildungsstandes – sie waren nieder (S. Joseph 1914; McKee 1985, S. 148; Tab.
großenteils Analphabeten –, ihrer katholischen Reli- 12). Die steigenden Anteile jüdischer Einwanderer
gion und ihrer irisch-keltischen Sprache blieben sie an der Gesamtzahl wurden öffentlich und in der po-
Außenseiter der Gesellschaft und verdienten sich ihr litischen Debatte kontrovers diskutiert (Feingold
Auskommen in den untersten Kategorien des Ar- 1974; Jones 1972) und trugen mit dazu bei, die
beitsmarktes: Als Hilfsarbeiter waren die Männer im Einwanderung einige Jahre später gesetzlich zu re-
Eisenbahn-, Schiffs- und Kanalbau tätig, die Frauen glementieren und zu begrenzen. Wegen der deut-
überwiegend in Haushalten beschäftigt. Die irische lichen Veränderung der Gesellschaftsstrukturen wur-
Bevölkerungsgruppe blieb eine der ärmsten Bevölke- den ab 1917 Restriktionen eingeführt, die zusam-
rungsschichten und machte den amerikanischen Ar- men mit den Einwanderungsgesetzen von 1921 und
beitern dadurch Konkurrenz, dass sie die niedrigsten 1924 dazu führen sollten, die Zuwanderung von
Löhne akzeptierte. In Boston, New York, Philadel- Personen aus Ost- und Südosteuropa auf deren An-
phia und anderen Städten bildeten sich ausgeprägte teile an der Bevölkerung, die im Zensus von 1890
irische Slums. Mit dem Aufkommen der großen iri- erfasst worden war, zurückzuführen.
schen Einwanderungsströme bildeten sich politische Gleichzeitig mit dem Einwanderungsstrom aus Süd-
„Nativist“-Bewegungen, die gegen gewisse Einwan- osteuropa stieg die Immigration aus Asien, insbeson-
derergruppen und gegen die ihrer Meinung nach dere aus China, Japan und den Philippinen an. Fast
herrschende „Überfremdung“ der Gesellschaft agi- alle Neuankömmlinge kamen aus wirtschaftlichen
tierten. Nach dem Bürgerkrieg, der die Zahl der Im- Gründen. In den USA trafen sie Bedingungen an,
migranten zeitweilig stark gesenkt hatte, kamen von die sie aus ihren Heimatländern in der Form nicht
1865 bis 1914 noch einmal 26 Mio. Menschen in kannten: Die Industrialisierung war sehr weit voran-
die USA. Allein 1907 kamen 1,285 Mio. Immigran- geschritten, die Großkonzerne beschäftigten Tausen-
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Bevölkerungsentwicklung – Überblick 103

de von Arbeitern und suchten in großem Maße unge- Stadt Gesamt- Iren Deutsche Engländer
lernte Fabrikarbeiter (Heilbronner & Singer 1984). bevölkerung
Es ergaben sich, wie schon bei der ersten Einwan-
derungsphase, Konzentrationen von Immigranten-
New York City, N.Y. 942 292 202 000 151 203 24 408
gruppen in bestimmten Wirtschaftszweigen: Polen,
Slowaken und Ungarn waren im Bergbau und in der Philadelphia, Pa. 674 022 96 698 50 746 22 034
Schwerindustrie tätig, Russen, russische und polni- Brooklyn, N.Y. 376 099 73 985 36 769 18 832
sche Juden in der Bekleidungsindustrie, Italiener im St. Louis. Mo. 310 864 32 239 59 040 5 366
Bauwesen. Chicago, Ill. 298 977 40 000 52 316 10 026
An der Schwelle des 20. Jahrhunderts war die Baltimore, Md. 267 354 15 223 35 276 2 138
Mehrheit aller Arbeiter in den amerikanischen In- Boston, Ma. 250 526 56 900 5 606 6 000
dustrien Immigranten. Um ihre Arbeitskräfte in Eu- Cincinnati, Oh. 216 239 18 624 49 446 3 524
ropa anzuwerben, praktizierten die Industrien, im New Orleans, La. 191 418 14 693 15 224 2 005
Gegensatz zu den Eisenbahngesellschaften, die
San Francisco, Cal. 149 473 25 864 13 602 5 166
Land günstig zu vergeben hatten, eine moderne
Buffalo, N.Y. 117 714 11 264 22 249 3 558
Form des indentured servant-Systems: Den Auswan-
derungswilligen wurde die Überfahrt bezahlt, im Washington, D.C. 109 200 6 984 4 131 1 231
Gegenzug mussten sie zu niedrigen Löhnen in den Newark, N.J. 105 059 12 481 15 873 4 040
firmeneigenen Fabriken arbeiten. Zwar wurde diese Louisville, Ky. 100 753 7 626 14 380 930
Form der contract labor schon 1868 auf Druck von Cleveland, Oh. 92 829 9 964 15 855 4 530
gewerkschaftsähnlichen Verbänden per Bundesge- Pittsburgh, Pa. 86 076 13 119 8 703 2 838
setz untersagt, doch blieb sie bis ca. 1880 beste- Jersey City, N.J. 82 546 17 665 7 151 4 005
hen, als die „neue“ Einwanderung jene Arbeiter ins Detroit, Mich. 79 577 6 970 12 647 3 282
Land brachte, die dem Industriekapitalismus mit Milwaukee, Wis. 71 440 3 784 22 600 1 395
Niedrigstlöhnen weitere Expansionsmöglichkeiten
Albany, N.Y. 69 422 13 276 5 168 1 572
boten (Adams 1994, 2000). Bis ca. 1900 waren die
Immigranten überwiegend ungelernte oder Landar- Providence, R.I. 68 904 12 085 596 2 426
beiter; nach dem Ersten Weltkrieg sank ihr Anteil Rochester, N.Y. 62 386 6 078 7 730 2 530
auf unter 40 % und die Qualifikation der Immigran- Allegheny, Pa. 53 180 4 034 7 665 1 112
ten nahm zu. Dennoch arbeiteten in den USA in Richmond, Va. 51 038 1 239 1 621 289
dieser Zeit nur relativ wenig Neuankömmlinge tat- New Haven, Conn. 50 840 9 601 2 423 1 087
sächlich in ihren erlernten Berufen. Charleston, S.C. 48 956 2 180 1 826 234
Ab 1921 begann die dritte Phase der stark regle- Indianapolis, Ind. 48 244 3 321 5 286 697
mentierten Einwanderung, die sich vor allem gegen Troy, N.Y. 46 465 10 877 1 174 1 575
die Immigration aus Ost- und Südosteuropa, Latein-
Syracuse, N.Y. 43 051 5 172 5 062 1 345
amerika und Asien richtete und ein Quotensystem
Worcester, Mass. 41 105 8 389 325 893
für einzelne Länder einführte. Die Quotenregelung
beinhaltete eine Länderkontingentierung, wonach Lowell, Mass. 40 928 9 103 34 1 697
nur noch 3 % der um 1890 in den USA lebenden Memphis, Tenn. 40 226 2 987 1 768 589
jeweiligen Nationalität in das Land gelassen wurde. Cambridge, Mass. 39 634 7 180 482 1 043
Dieses neue System sollte sicherstellen, dass die Hartford, Conn. 37 180 7 438 1 458 787
Einwanderungszahlen jährlich 300 000 bis 400 000 Scranton, Pa. 35 092 6 491 3 056 1 444
nicht übersteigen und dass die Einwanderungsströ- Reading, Pa. 33 930 547 2 648 305
me eine der White Anglo-Saxon Protestant-Bevölke-
Quelle: Dinnerstein & Reimers 1988, S. 22f.

Paterson, N.J. 33 600 5 124 1 429 3 347


rung (WASP) nahe stehende Zusammensetzung auf- Kansas City, Mo. 32 260 2 869 1 884 709
weisen würden. In dieser Richtung sind auch die
Mobile, Ala. 32 034 2 000 843 386
zuvor erfolgten Einwanderungsverbote für Chinesen
(1882) und Japaner (1921) zu verstehen. Festzu- Toledo, Ohio 31 584 3 032 5 341 694
halten ist, dass die Chinesen in den Jahrzehnten Portland, Me. 31 413 3 900 82 557
zuvor angeworben wurden, um die Transkontinental- Columbus, Ohio 31 274 1 845 3 982 504
eisenbahnen zu bauen. Als die Arbeit beendet war
und sie zu Konkurrenten auf dem amerikanischen Tab. 11: Anteil irischer, deutscher und englischer Einwanderer in den Großstäd-
Arbeitsmarkt wurden, schuf man passende Gesetze, ten der USA, 1870.
um der weiteren Einwanderung aus Asien, insbeson-
dere China, buchstäblich den Riegel vorzuschieben. mexikanischen Landarbeiter in der kalifornischen
An der Quotierung wurde strikt festgehalten. Die Landwirtschaft durch philippinische zu ersetzen.
Zahl der Immigranten sank von über 800 000 im Allerdings verließen die meisten der auf 50 000 bis
Jahre 1921 auf weniger als 150 000 im Jahre 1930. 100 000 geschätzten philippinischen Landarbeiter
Im Durchschnitt betrug die Zahl der Einwanderer während der Depression der 1930er Jahre das Land
jährlich ca. 350 000. Kongressdebatten zeigen, ohnehin wieder (Dinnerstein & Reimers 1988).
dass man auch die Zuwanderung aus Lateinameri- Seit Mitte der 1930er Jahre baten Verfolgte des
ka einschränken wollte; so suchte man ab 1930 die nationalsozialistischen Regimes in Deutschland um
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104 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Jahr Gesamtzahl Jüdische Anteil deutsch-jüdische Kinder zwischen 6 und 14 Jahren


der Einwanderer Einwanderer (in %) über die Quotenbegrenzung hinaus aufzunehmen,
wurde von renommierten Interessenverbänden abge-
1881 669 431 5 692 0,9 blockt (Dinnerstein & Reimers 1988, S. 80 f.). Nach
1882 788 992 13 202 1,7 der Besetzung Frankreichs 1940 konnten einige der
1883 603 322 8 731 1,4 nach Portugal und Nordafrika geflohenen Juden zeit-
1884 518 592 11 445 2,2 lich begrenzte Visa für die USA erhalten, was al-
1885 395 346 16 862 4,3 lerdings nur 3200 Personen zugute kam. Sowohl die
USA als auch die Völkergemeinschaft versagten, als
1886 334 203 21 173 6,3
es um die Aufnahme der Verfolgten Europas ging.
1887 490 109 33 044 6,7
Trotz allem nahmen die USA innerhalb ihrer restrik-
1888 546 889 28 881 5,3 tiven, unnachgiebigen Haltung in dieser Zeit mehr
1889 444 427 25 352 5,7 Flüchtlinge auf als jedes andere Land (Tab. 13).
1890 455 302 28 639 6,3 Zu den jüdischen Flüchtlingen, die in diesen Jah-
1891 560 319 51 398 9,2 ren in die USA einreisen durften, gehörten Persön-
1892 579 663 76 373 13,2 lichkeiten, die es in Europa bereits vor dem na-
1893 439 730 35 322 8,0 tionalsozialistischen Regime zu Ruhm und Ehre ge-
1894 285 631 29 179 10,2 bracht hatten. Unter ihnen waren Natur- und Geis-
1895 258 436 26 191 10,1 teswissenschaftler, Politiker, Theologen, Lehrer,
Schriftsteller, Maler, Dirigenten und Komponisten
1896 343 267 32 848 9,6
sowie zahlreiche Nobelpreisträger. Albert Einstein
1897 290 832 20 372 8,8 war eine der bekanntesten Personen; unter den
1898 229 299 23 654 10,7 Schriftstellern befanden sich Thomas Mann und
1899 311 715 37 415 12,0 seine Familie, Carl Zuckmayer, Lion Feuchtwanger,
1900 448 572 60 764 13,5 Bert Brecht mit seiner Frau Helene Weigel und
1901 487 918 58 098 12,1 Erich Maria Remarque. Zu den Malern und Musi-
kern gehörten Marc Chagall, Marcel Duchamp, Igor
Quelle: L. Dinnerstein & D. M. Reimers 1988, S. 215 f.
1902 648 743 57 688 8,9
1903 857 046 76 203 8,9 Strawinsky, Béla Bartók, Paul Hindemith, Arnold
1904 812 870 106 236 11,8 Schönberg, Hanns Eisler, Kurt Weill, Bruno Walter
und Arturo Toscanini. Zu den Gesellschaftswissen-
1905 1 026 499 129 910 12,6
schaftlern zählten Hannah Arendt, Max Horkheimer
1906 1 100 735 153 748 13,4
und Theodor Adorno, Erich Fromm und viele weite-
1907 1 285 349 149 182 11,6 re. Unter den Architekten befanden sich die Vertre-
1908 782 870 193 387 13,2 ter des Bauhauses wie Walter Gropius und Mies van
1909 751 786 57 551 7,7 der Rohe; zu den Film- und Theaterregisseuren
1910 1 041 570 84 260 8,1 zählten Fritz Lang, Otto Preminger, Billy Wilder,
Fred Zinnemann und Max Reinhardt. Niels Bohr,
Tab. 12: Jüdische Einwanderung in die USA 1881 – 1910.
Otto Hahn, Lise Meitner, J. R. Oppenheimer und an-
dere Naturwissenschaftler wirkten in Amerika bei
Aufnahme in die USA. Allerdings wurden auch in der Entwicklung der ersten Atombombe mit. Unter
dieser Zeit die strengen Einwanderungsbestimmun- den Forschern der Biomedizin sind J. Salk (Erfinder
gen nicht gelockert, sondern es wurde weiterhin nur
einem Minimum an Einwanderern Aufnahme ge- Zielland Anzahl
währt. Zwar führte die Reichskristallnacht von 1938
Präsident Franklin D. Roosevelt zu der Erkenntnis: USA 85 000
„I myself could scarcely believe that such things Lateinamerika 85 000
could happen in a twentieth century civilization“ Palästina 80 000
(Dinnerstein & Reimers 1988, S. 79), doch wurde Shanghai 18 000
dieses Ereignis nicht zum Anlass genommen, die Australien und Afrika 7 000
Quotenregelung zu entschärfen. Das Hauptargument
Großbritannien 42 000
war die in den USA herrschende Arbeitslosigkeit von
Schweiz 12 000
10 Mio. Menschen während der Depression. Zudem
gab es auch in den USA einen weit verbreiteten An- Gesamtzahl 329 000
tisemitismus, der auch vor der Einwanderungsbe- Später okkupierte Länder:
hörde nicht Halt machte (Strong 1941; Feingold Belgien 15 000
1974; Bauer 1981). Rechtsextreme Verbände und Frankreich 30 000
Quelle: Y. Bauer 1981, S. 29.

Kampagnen hatten seinerzeit in der Bevölkerung star- Holland 27 000


ke Resonanz. Die breite Öffentlichkeit stützte die Andere 38 000
Restriktionen gegen Flüchtlinge aus Europa, vor al- Gesamtzahl 110 000
lem gegen jüdische Emigranten aus Deutschland
auch nach der Reichskristallnacht vom 9. November Tab. 13: Jüdische Auswanderung nach Zielländern
1938. Ein Antrag im Kongress 1939, 20 000 1933 – 1939.
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Bevölkerungsentwicklung – Überblick 105

des Polio-Vakzins) und Carl Djerassi (Erfinder der trug nach dem Zensus 2000 über 34 Mio. Menschen
sogenannten „Anti-Baby-Pille“) zu nennen (Butwin (US Bureau of the Census 2002).
1969). Während die USA ihre Überlegenheit in den
Naturwissenschaften, der Psychoanalyse, den Sozi- Geschichte der Einwanderungsbeschränkungen
al- und Gesellschaftswissenschaften vielen dieser Einwanderungsbeschränkungen, die sich gegen die
Einwanderer der 1930er und 1940er Jahre verdan- jeweilige Haupteinwanderungsgruppe richten, ha-
ken (Fermi 1968), traten viele weltbekannte Musi- ben in den USA eine lange Tradition. Die ersten Ein-
ker, Künstler und Literaten in einen ökonomischen wanderer, die nicht dem Bild der Amerikaner von
Überlebenskampf ein und mussten in Berufen ar- den White Anglo-Saxon Protestants (WASP) entspra-
beiten, die weit unter ihrem Ausbildungsniveau chen, waren die Iren, gegen die sich gewisse Ein-
lagen. Ressentiments gegenüber Angehörigen des heimische (natives, Nativist-Bewegung) wandten.
Kriegsgegners führten auch zur Internierung von Die Abneigung gegen die irisch-keltisch sprechen-
rund 110 000 in den USA geborenen Bürgern japa- den Katholiken nahm zwischen 1830 und 1850 die
nischer Abstammung, die nach 1942 von der Armee Form von gewalttätigen Ausschreitungen gegen ka-
festgenommen, in zehn Konzentrationslagern in der tholische Einrichtungen wie Schulen und Kirchen
Wüste gefangen gehalten wurden und große Entbeh- an. Die zunächst unorganisierte, spontane Vor-
rungen erlitten. gehensweise mündete 1850 in organisierten Aktivi-
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die täten des geheimen sogenannten „Ordens des Ster-
Einwanderungsbeschränkungen gelockert. So durf- nenbanners“ und 1887 in der American Protective
ten nach 1945 immerhin 40 000 Heimatlose und Society (Perkins & van Deusen 1962, S. 184 f.).
Vertriebene außerhalb der Länderkontingentierung Auch Deutsche, zwischen 1830 und 1860 rund
einreisen. Ab 1946 durften unter dem War Brides 1,4 Mio. Menschen, lösten die Befürchtung aus,
Act von 1945 120 000 Frauen und Kinder von dass der Charakter der amerikanischen Gesellschaft
amerikanischen Armeeangehörigen einreisen. 1948 durch vermeintlich assimilationsunfähige Personen
schließlich verabschiedete der Kongress den Dis- gefährdet werden könnte. In der politischen Arena
placed Persons Act, demzufolge rund 410 000 Ver- stellten die Nativists die Forderung auf, ausschließ-
triebene aus dem Baltikum in die USA aufgenom- lich in Amerika geborene Staatsbürger in politische
men werden konnten. 1953 wurde dieses Gesetz Ämter zu wählen und die Staatsbürgerschaft in Ab-
vom Refugee Relief Act abgelöst, das Flüchtlingen weichung von den üblichen 5 Jahren Anwärterschaft
aus sozialistischen Staaten bevorzugte Behandlung für Einwanderer grundsätzlich erst nach 21 Jahren
gewährte. Zusätzlich wurden nach dem Ungarn-Auf- zu gewähren. Wie erfolgreich ihre Bewegung war,
stand 1956 per Gnadenerlass 30 000 Verfolgte auf- lässt sich daran erkennen, dass sie die American
genommen. Nach 1960 wurden 750 000 Kubaner Party gründete, die um 1854 in sechs Bundesstaa-
außerhalb der Quotenregelung in das Land gelas- ten die Gouverneure stellte. Obwohl die Bewegung
sen. Sie siedelten sich überwiegend in Florida und und die Partei in den Folgejahren zerfielen, blieb
in New York City an. Ferner kamen nach 1945 ca. das Gedankengut in vielfacher Weise in anderen,
1,5 Mio. Puertoricaner in die USA, auf die jedoch neu entstandenen Bewegungen erhalten (Adams
die Einwanderungsbestimmungen nicht zutrafen, da 1991, 1994).
sie aus einem amerikanischen Territorium stammten Die zweite Einwanderergruppe, die auf massive
und US-Staatsbürger waren. Ablehnung traf, waren die seit 1850 nach Kalifor-
In Abweichung von den Länderquoten wurde nach nien eingewanderten 300 000 Chinesen. Obwohl sie
1965 die Einwanderungsgesetzgebung dahingehend zahlenmäßig nicht an andere Einwandererströme
geändert, dass die Quoten unabhängig von den Her- heranreichten, waren die Chinesen offensichtlich
kunftsländern in Abhängigkeit jeweiliger Engpässe nichteuropäisch und galten als nicht assimilierbar.
auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt, also in Bezug Da sie im amerikanischen Eisenbahnbau in großem
auf Berufsgruppen, geregelt wurden. Resultat war, Maße zum Einsatz kamen und niedrigere Löhne als
dass besonders gut ausgebildete Fachkräfte (profes- die Einheimischen akzeptierten, waren chinesische
sionals) aus allen Bereichen in die USA kamen, Tagelöhner ab 1870 Ziel gewalttätiger Ausschreitun-
wobei der Fortgang der Elite (brain drain) in erster gen. Mit der Gründung der Working Men’s Party
Linie Indien und lateinamerikanische Länder betraf. 1877 begannen die Forderungen nach einem Bun-
Zahlenmäßig eine besondere Bedeutung haben die desgesetz gegen die chinesische Einwanderung
Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, vor allem (Dinnerstein & Reimers 1988, S. 64 – 66). Mit dem
aus Mexiko. Auf der Monroe-Doktrin basierend, wo- Chinese Exclusion Act von 1882 wurde die weitere
nach die westliche Hemisphäre als Einfluss- und chinesische Einwanderung in die USA verboten und
Interessensgebiet der USA gilt, unterlagen Einwan- den in den USA lebenden Chinesen das Recht ab-
derer aus diesem Einzugsgebiet bis 1968 keinen erkannt, amerikanische Staatsbürger zu werden.
zahlenmäßigen Begrenzungen. Schon 1973 erfasste Das Gesetz wurde 1892 um weitere zehn Jahre und
der Zensus mehr als 10 Mio. Menschen aus Mexiko, 1902 auf unbestimmte Zeit verlängert. 1882 wurde
Puerto Rico, Kuba und anderen spanischsprachigen nach dem Chinese Exclusion Act auch das erste
Herkunftsländern. Die tatsächliche Zahl der Hispa- Bundesgesetz zur Beschränkung der Einwanderung
nics, also der Personen, die in erster oder zweiter beschlossen. Es erhob eine Kopfsteuer von 50 Cents
Generation lateinamerikanischer Herkunft sind, be- auf jeden Neuankömmling und verbot die Einreise
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106 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

von Geisteskranken, Straftätern und Personen, die can Federation of Labor – AFL) an (Dinnerstein &
dem amerikanischen Staat hätten zur Last fallen Reimers 1988, S. 74, 78f.; Briggs 1984): Die un-
können (Jones 1972, S. 251). gelernten Immigranten ließen sich zu niedrigsten
Frühere einzelstaatliche Gesetze mit derselben Löhnen als Streikbrecher einsetzen und entkräfteten
Orientierung waren zwar 1876 vom Obersten Ge- somit die Argumentation der Gewerkschaften für
richtshof für verfassungswidrig erklärt worden, da Verbesserungen auf dem amerikanischen Arbeits-
sie, so die Begründung, in die Außenwirtschaft und markt. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt führte
damit in Bundesangelegenheiten eingriffen. Mit dem beispielsweise 1905 in Kalifornien zur Gründung
nun verabschiedeten Bundesgesetz folgte der Ge- der Japanese and Korean Exclusion League.
setzgeber jedoch der öffentlichen Meinung. 1883 Der Erste Weltkrieg gab dem Nativism noch ein-
wurde mit dem Foreign Act die Einwanderung von mal Auftrieb. Die Ablehnung gegen Fremdes richte-
Personen mit Arbeitsverträgen endgültig verboten te sich nun gegen den Kriegsgegner Deutschland.
und damit das 1868 verabschiedete Contract Labor Deutschunterricht in Schulen wurde eingestellt,
Law abgeschafft. Ausnahmen betrafen Personen, deutsche Orts- und Straßennamen wurden umbe-
die ausdrücklich aufgrund ihrer besonderen Kennt- nannt. Die Russische Revolution von 1917, kontinu-
nisse in der Industrie, dem Kultur- und Bildungswe- ierliche Einwanderung sowie gewalttätige Arbeits-
sen sowie in Haushaltsdiensten gebraucht werden kämpfe in einem von Kriegsfolgen und Wirtschafts-
konnten. Zu Beginn der 1890er Jahre kam es zu krisen geschüttelten US-Markt führten zu einer wei-
einer Welle der Gewalt von Nativisten-Milizen. Die teren Welle von Fremdenfeindlichkeit, Antikommu-
Erschießung slawischer Bergleute in Pennsylvania, nismus und Antisemitismus, die vom Aufstieg des
die Lynchmorde an Italienern in New Orleans und Ku Klux Klans im Süden und Mittelwesten der USA
die Ausschreitungen gegen Juden im Norden sowie begleitet wurde und die 1921 schließlich in einer
Proteste von gewerkschaftlich organisierten Arbei- Quotenregelung für Einwanderer nach Herkunfts-
tern im Westen gegen die dort ansässigen Japaner land gipfelte.
sind Beispiele einer sich radikalisierenden Bewe-
gung, die zusätzlich zu den bereits bestehenden ri- Die großen Einwanderungsgesetze der USA
giden Einwanderungs- und Einbürgerungsbeschrän-
kungen das Verbot von Grundeigentum für Auslän- Das Einwanderungsgesetz vom 19. Mai 1921
der forderte (Jones 1972, S. 254; Foner & Schultz (Immigration Act of May 19, 1921, 42 Stat. 5)
1983, S. 126f.). Bereits in der Kolonialzeit um 1639 war das erste
Der eingereichte Gesetzentwurf, der aus takti- Gesetz verabschiedet worden, das die Einwanderung
schen Gründen einen Einwanderungsstopp für An- von Mittellosen und Kriminellen einschränkte und
alphabeten vorsah und damit die Wirkung erreichen Gesundheitstests vorschrieb. Diese Einschränkun-
sollte, Menschen auszuschließen, die in der engli- gen wurden im Verlaufe des 19. und 20. Jahrhun-
schen Sprache nicht lese- und schreibkundig waren, derts verfeinert und gelten in einer aktualisierten
wurde 1896 erfolgreich verabschiedet, jedoch von Version bis heute.
einem aufschiebenden Veto des demokratischen Das Einwanderungsgesetz von 1921 brachte
Präsidenten Cleveland gestoppt. Allerdings gingen einen drastischen Einschnitt in die amerikanische
die fremdenfeindlichen Bestrebungen weiter: Die Einwanderungspolitik: Erstmals wurde die Zahl der
Nativists nahmen zwar nicht direkt auf die Gesetz- jährlich zugelassenen Einwanderer limitiert, wobei
gebung Einfluss, da die herrschende Republikani- die Zahl von 385 000 Personen als Richtwert galt,
sche Partei Wählerstimmenverluste in den bevölke- der über eine an Herkunftsländern orientierte Quo-
rungsreichen Bundesstaaten im Nordosten und tenregelung zu verteilen war. Zunächst wurde die
Westen der USA befürchtete, die von jeher Einwan- Quote auf 3 % der 1910 bei der Volkszählung in
derungsstaaten gewesen waren (Briggs 1984, S. 36). den USA lebenden jeweiligen Nationalitätengruppen
Allerdings wurde 1907 die Dillingham-Kommission festgelegt. Diese Quotierung ergab 200 000 Einrei-
einberufen, die eine wissenschaftliche Grundlage für sebewilligungen für den ständigen Aufenthalt von
eine „neu strukturierte“, anglokonforme Einwande- Personen aus nord- und westeuropäischen Ländern,
rung erarbeiten sollte und den Lesetest als Kriterium für Länder der westlichen Hemisphäre wie Kanada
für die Einwanderungserlaubnis einführte. 1921 und in Mittel- und Südamerika war keine Quotie-
wurde das zuvor von Woodrow Wilson mittels Veto rung vorgesehen. 3000 Bewilligungen waren für
blockierte Gesetz von Präsident Warren Harding ver- Personen aus nicht gesperrten asiatischen und afri-
abschiedet (Briggs 1984, S. 36). De facto brachte kanischen Ländern vorgesehen, Aufenthaltsgeneh-
dieses Gesetz die Einwanderung aus asiatischen und migungen für Besucher, Botschaftsangehörige, Ar-
jenen osteuropäischen Ländern zum Erliegen, in beiter mit Zeitverträgen und Einwanderungsbewilli-
denen Menschen aufgrund eines anderen Alphabets, gungen im Rahmen der Familienzusammenführung
so des kyrillischen, oder aufgrund von Schriftzeichen wurden bei der Quotierung nicht berücksichtigt. Mit
wie den chinesischen, a priori keine Lesekenntnisse dem 1924 verabschiedeten Johnson-Reed-Gesetz
des Englischen haben konnten, selbst wenn sie in zur Einwanderung wurde die Quotenregelung noch
ihren Heimatsprachen lesekundig waren. einmal abschließend revidiert: Die jährliche Gesamt-
Der öffentlichen Meinung gegen Ausländer schloss einwanderung wurde auf 164 000 Personen he-
sich der Dachverband der Gewerkschaften (Ameri- runtergesetzt. Die Kontingente wurden auf 2 % der
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Bevölkerungsentwicklung – Überblick 107

jeweiligen Nationalitäten beschränkt, die sich beim


Präferenz Kategorie Maximaler Anteil
Zensus 1890 im Land befanden – also noch bevor
der Bewilligungen
sich die Immigrationsströme signifikant geändert
hatten. Für Italien beispielsweise sank dadurch die Erste Unverheiratete Kinder von US-Bürgern 20 %
Quote von 42 000 auf 4000 Personen, für Polen von Zweite Ehepartner und unverheiratete 20 %
31 000 auf 6000 Personen und für Griechenland Kinder von legal in den USA
von 3000 auf 100 Personen, die jährlich einreisen
lebenden Personen
durften (Briggs 1984, S. 44). 1929 wurde die Basis

Quelle: Immigration Act of 1965 (in Kraft bis 1980), zit. in Briggs 1984.
Dritte Akademiker, Wissenschaftler und 10 %
des Quotensystems erneut überarbeitet und auf die
Zahlen der Volkszählung 1920 Bezug genommen. Künstler mit außergewöhnlichen
Damit limitierte man die jährliche Gesamtzahl der Fähigkeiten
Einwanderer auf 154 277 Personen. Bei der Quotie- Vierte Verheiratete Kinder von US-Bürgern 10 %
rung wurde nun auch die Herkunft aller in den USA Fünfte Geschwister von US-Bürgern 24 %
lebenden Personen berücksichtigt, also nicht mehr Sechste Facharbeiter und ungelernte Arbeiter
nur die Einwanderer der letzten Jahre, womit auch in Berufsgruppen mit Arbeitskräfte-
die Abstammung bis in die Kolonialzeit zum Tragen mangel 10 %
kam und sich die Quotierung erneut verschärfte. Auf
Siebte Flüchtlinge mit vorläufigen
diese Weise wurden die Anteile neu festgelegt: Die
Einreisebewilligungen 6%
Limits für die aus nord- und westeuropäischen Län-
dern stammenden Personen betrugen 82 % des Ge- Keine
samtkontingents, für Personen aus süd- und osteuro- Präferenz Jedermann Übrige
päischen Ländern 14 %. Die Quotierungen wurden
Tab. 14: Einwanderungspräferenzsystem von 1965.
im Immigration and Nationality Act von 1952, auch
als McCarran-Walter Act bekannt, beibehalten, der
die Einwanderungspolitik von 1921 bestätigte und der in den vormaligen Gesetzen gänzlich ausgeklam-
zementierte. Dieses Gesetz, das gegen das Veto von mert gewesen war. Nahe Verwandte von US-Bürgern
Präsident Truman verabschiedet wurde, hob ledig- bzw. von legal in den USA lebenden Personen stan-
lich die Sperre für Einwanderung aus asiatischen den demnach insgesamt 74 % der Einwanderungs-
Ländern auf, behielt jedoch scharfe Restriktionen bewilligungen zu (Tab. 14).
bei. Eingeführt wurde ferner ein präferenzielles Ver- Zudem wurde eine Präferenz für jene Berufsgrup-
gabesystem innerhalb der jeweiligen Landesquote, pen vorgesehen, an denen in den USA Mangel
das auf berufliche Qualifikationen ausgerichtet war herrschte. Zum 1. Juli 1968 sollte nach dem Gesetz
und bevorzugt qualifizierte und gesuchte Kräfte in erstmals eine Höchstgrenze für die Einwanderung
das Land bringen sollte (Divine 1957). aus der westlichen Hemisphäre eingeführt werden,
die zunächst mit 120 000 Personen ohne Präfe-
Das Einwanderungsgesetz vom 3. Oktober 1965 und renzsystem angesetzt wurde. Die Einführung der
Folgegesetze (Immigration and Nationality Amendments jährlichen Höchstquote von 120 000 Personen aus
vom 2. Oktober 1965, 79 Stat. 911) der westlichen Hemisphäre verursachte lange Warte-
Das Einwanderungsgesetz von 1952 (McCarran-Wal- zeiten und hohe Belastungen für getrennt lebende
ter Act) war umstritten: Eine von Präsident Truman Familien. Daher wurden 1976 auch für die Einwan-
eingesetzte Kommission hatte zuvor versucht, seine derung aus Kanada, Mittel- und Südamerika die
Unzulänglichkeit und seinen rassischen und ethni- Höchstgrenze von 20 000 pro Land und das Präfe-
schen Diskriminierungscharakter wissenschaftlich renzsystem innerhalb der Quote eingeführt, die be-
zu dokumentieren. Die empfohlene Erhöhung der reits für den Rest der Welt galt. Mit einem weiteren
Einwanderungsbewilligungen und die Abschaffung Gesetzeszusatz wurde 1978 die jährliche Gesamt-
der Nationalitätenquote bildeten die Basis für die quote auf 290 000 Personen insgesamt begrenzt,
Gesetzgebung von 1965, die von der gesellschaft- um Einwanderern aus allen Nationen die gleichen
lichen Liberalisierung und der Bürgerrechtsbewe- Chancen zu geben (Briggs 1984, S. 67).
gung geprägt war. Der am 3. Oktober 1965 verab- Das Gesetz von 1965 vergab erstmals eine Quote
schiedete Hart-Celler Act besteht zwar überwiegend für Flüchtlinge: Bis dahin waren Flüchtlinge nur
aus Zusätzen zum Einwanderungsgesetz von 1952, unter Anrechnung der entsprechenden nationalen
doch lösten sie eine Trendwende der amerikani- Quote aufgenommen worden, ohne dass auf Verfol-
schen Einwanderungspolitik aus. Das Quotensystem gungen Einzelner gesondert eingegangen worden
wurde im Grundsatz nicht abgeschafft, aber um- wäre. Das neue Flüchtlingskontingent von 17 400
strukturiert: Für jedes Land wurde eine jährliche Personen pro Jahr reichte dennoch nicht aus, um
Höchstzahl von maximal 20 000 Personen festge- die überwiegend aus asiatischen Ländern, insbeson-
legt, wobei die jährliche Gesamtzahl von 170 000 dere aus Kambodscha kommenden Verfolgten auf-
Einwanderern nicht überschritten werden durfte. zunehmen. Ein Flüchtlingsgesetz wurde erstmals
Innerhalb des Kontingents von 20 000 Personen 1980 verabschiedet. Der Refugee Act reduzierte
wurden die Einwanderungsbewilligungen nach einem das Präferenzsystem von 1965 auf sechs Präferen-
neuen Präferenzsystem verteilt, das vornehmlich der zen mit einer jährlichen Höchstzahl von 270 000.
Familienzusammenführung diente, ein Gedanke, Darin wurde die Zahl der aus aller Welt zuzulassen-
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108 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Ethnische Gruppen und die Schwerpunkte wichtiger Einwanderungsgesetze und -programme – ein Überblick
1819 Bestimmung zur Erfassung von Einwanderern 1925 Oriental Exclusion Act verschärft die Beschränkungen
1864 Verabschiedung eines Gesetzes zur Erleichterung der Ein- gegen Einwanderer aus Gesamt-Asien
wanderung von Kontraktarbeitern (Contract Labor Law) 1930 Fortführung der strikten Einwanderungsregelungen
1868 De jure Verfassungswidrigkeit des Gesetzes erkannt 1942 Bracero-Abkommen zwischen Mexiko und den USA zur
1875 Erste Bundesregelung zur Begrenzung der Einwanderung Einreise von Zeitarbeitern aus Mexiko
(Einwanderungsverbot für Sträflinge und Prostituierte) 1943 Aufhebung des Einreiseverbotes für Chinesen
1882 Chinese Exclusion Act, Bundesgesetz zur Begrenzung der 1946 War Brides Act zur Einwanderung von Ehegatten und Kin-
Einwanderung von Chinesen dern amerikanischer Soldaten
1882 Einwanderungsverbot für Geisteskranke und mögliche Sozial- 1948 Displaced Persons Act zur Einwanderung von jährlich
fälle; Kopfsteuer für Einwanderer 205 000 Vertriebenen zusätzlich zur Quotenregelung
1883 De facto Abschaffung des Contract Labor Law 1950 Erhöhung der Vertriebenenquote auf 339 000
1891 Bundesregierung übernimmt die Steuerung der Einwande- 1952 McCarran-Walter Immigration and Naturalization Act, Eli-
rung, Eröffnung des Einwanderer-Durchgangslagers Ellis Is- minierung der Begrenzungen aufgrund von Rasse und Eth-
land, N.Y. nie. Einführung einer nationalen Quote sowie eines Präfe-
1903 Ausdehnung des Einwanderungsverbots für Polygamisten, renzsystems für Familienangehörige und qualifizierte Be-
Anarchisten und Radikale rufsfachleute. Wirtschaftliche Bedürfnisse und Interessen
1907 Erhöhung der Einwanderungssteuer; Ausdehnung des Einwan- des Landes als Auswahlkriterien, Quoten für qualifizierte
derungsverbotes für Personen mit körperlichen und geistigen Arbeitskräfte und Familienangehörige, jährliche Einwande-
Behinderungen, Tuberkulosekranke und elternlose Kinder rungshöchstgrenze 250 000 Personen. Beschränkung der
1917 Abkommen zwischen den USA und Japan zur Beschränkung asiatischen Einwanderung auf jährlich maximal 2000 je
der japanischen Einwanderung asiatischer Nationalität
1917 Einwanderungsverbot für Personen über 16 Jahre, die nicht 1953 Refugee Relief Act zur Einwanderung von Flüchtlingen
Englisch lesen können, de facto Ausschluss der Einwande- außerhalb der Kontingentierung
rung von Asiaten und Personen anderer Schriftkundigkeit; 1957 Refugee Escape Act, Erleichterung der Einwanderung von
Ausnahme: religiös Verfolgte Flüchtlingen
1921 Einwanderungsbeschränkung für Europäer auf rd. 385 000. 1960 World Refugee Year Law, erneute Erleichterung der Auf-
Einführung eines Quotensystems, 3 % der 1910 in den USA nahme von Flüchtlingen
jeweils ansässigen Nationalität werden aufgenommen 1962 Migration and Refugee Assistance Act, zusätzliche Er-
1924 Johnson-Reed Act, Begrenzung der jährlichen Quote auf 2 % leichterung der Aufnahme von Flüchtlingen
der 1890 jeweils ansässigen Nationalität; Beschränkung der 1964 Abschaffung des Bracero-Programms
europäischen Einwanderung auf jährlich 153 000, innerhalb 1965 Abschaffung der Nationalitätenquote. Einführung des Prä-
der vorgegebenen Obergrenze kann eine Nationalität nach ferenzsystems für besondere Berufsgruppen
ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 1920 aufge- 1989 Teillegalisierung illegaler Einwanderer
nommen werden

den Flüchtlinge auf jährlich 50 000 festgelegt; im und ein Beschäftigungsverbot für illegal Eingewan-
Bedarfsfall konnten diese Limits vom Präsidenten derte eingeführt. Gleichzeitig wurde jenen illegalen
und Kongress erhöht werden. Seit 1984 wird die Immigranten eine Amnestie gewährt, die vor 1982
Flüchtlingsquote jährlich aufgrund der aktuellen in die USA gekommen waren und sich bei den Be-
weltpolitischen Lage neu festgelegt. hörden meldeten, womit sie einen legalen Status
und Arbeitsplatz erhalten konnten. Dies führte zu
Das Einwanderungsgesetz von 1989 einer Selbstmeldung von 1,4 Mio. Personen (US
(Immigration Act von 1989) (S. 358, H. R. 4300) News and World Report Vol. 104, S. 23).
Die spezifische Einwanderungsbegrenzung von Am 13.7.1989 wurde der Immigration Act verab-
1976, welche nun erstmals die westliche Hemi- schiedet, der eine Erhöhung der jährlichen Gesamt-
sphäre betraf, stellte angesichts der zuvor fast un- quote auf 630 000 festlegte, die nach Ablauf von
begrenzten Einreisemöglichkeiten aus diesem Teil drei Jahren in Anpassung an die Bedürfnisse des
der Welt eine fast ungebührliche Härte dar. Waren amerikanischen Arbeitsmarkts jährlich neu festge-
vor 1976 z. B. jährlich um 70 000 Mexikaner mit legt werden sollte. Ferner wurde innerhalb der Ge-
ihren Familien eingereist, so legte das Gesetz von samtzahl zwischen Familienangehörigen-Visa und
1976 eine nationale Höchstgrenze von 20 000 fest. unabhängigen Visa unterschieden, wobei für jeden
In der Folge führte diese Beschränkung zu einem der beiden Fälle unterschiedliche Präferenzen ein-
erheblichen Anstieg der illegalen Einwanderung. geführt wurden. Entsprechend der aktuellen Arbeits-
Um das gravierende Problem der illegalen Einwan- marktlage werden seither die unabhängig von Fami-
derung zu lösen, wurden mit dem Immigration Con- lien einwandernden Personen nach einem Punkte-
trol and Reform Act von 1986 eine Meldepflicht der system hinsichtlich ihrer beruflichen Qualifikationen
Arbeitgeber über ihre ausländischen Angestellten bewertet; so wird über die Einreisebewilligung ent-
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 109

schieden. Ferner wird medizinisches Personal be- zeichneten Russland massiv verstärkte, obwohl ver-
günstigt, wenn es sich verpflichtet, im ländlichen, hältnismäßig wenig Juden einwanderten. Mit ca.
unterversorgten Raum zu arbeiten. Präferenzen gibt 153 000 jüdischen Einwanderern im Jahr 1907
es auch für Investoren, die Arbeitsplätze für mindes- wurde zwar die höchste jemals erreichte Anzahl re-
tens 10 Personen (nicht Familienangehörige) schaf- gistriert, dennoch stellten sie nur einen kleinen An-
fen. Das Gesetz trat am 18. April 1990 in Kraft. teil des gesamten Einwanderungsstroms dar.
Bezeichnenderweise lautet der Text von Emma
Umgang mit dem Fremden – ein Fazit Lazarus auf der Freiheitsstatue, der den Menschen
Die historische Perspektive zeigt sehr deutlich, dass in aller Welt Amerika als Hoffnung und neue Heimat
die amerikanische Bundesregierung den verschiede- anpries:
nen Ethnien und Minderheiten gegenüber nur eine „Give me your tired, your poor,
begrenzte Toleranz hegte. Die Geschichte der ethni- Your huddled masses yearning to breathe free,
schen Gruppen und auch der heutigen multiethni- The Wretched refuse of your teeming shore,
schen Gesellschaft ist ein Wechselspiel von Immi- Send these, the homeless, tempest-tost to me,
gration und restriktiver Politik dem Fremden gegen- I lift my lamp beside the golden door.“
über (Bennett 1963; Chiswick 1983; Hofstetter Die Diskrepanz zwischen dieser Hymne und der
1984; Zimmermann & Fix 1995), welches sich im- tatsächlichen Einwanderungspolitik könnte kaum
mer wieder in Abschottung gegen gewisse Bevölke- größer sein, wie insbesondere an den Einwande-
rungselemente äußerte. Somit ist die bundespoliti- rungsbeschränkungen während des Dritten Reiches
sche Tradition der letzten hundert Jahre bedeutsam deutlich wird. Diese Asyl- und Flüchtlingspolitik
für die zukünftige Entwicklung der multikulturellen stieß nach dem Zweiten Weltkrieg dann aber doch
amerikanischen Gesellschaft und den Umgang der auf so heftigen Widerstand im Land, dass eine
öffentlichen Verwaltung mit ihr. Man holte zwar ge- Reihe von Gesetzen geändert wurde. Aber auch der-
zielt Arbeiter ins Land, aber verwehrte ausgewählten zeit sind die USA kein Land, das leicht Asyl und
Personenkreisen zeitweise den Zugang mit Hilfe von Heimstatt gewährt, obwohl 1965 die nationalen
gesetzlichen Regelungen. Dies betraf zunehmend Herkunftsquoten abgeschafft und durch ein Präfe-
Menschen aufgrund ihrer Herkunftsländer, Ethnie renzsystem ersetzt wurden, das sich in erster Linie
oder Rasse. am nationalen wirtschaftlichen Interesse orientiert.
Die Geschichte zeigt, dass phasenweise Millionen Der historische Abriss zeigt ein Amerika, das ab-
von Fremdarbeitern im Ausland für die amerikani- weichend von seinem in der Verfassung festgesetz-
schen Industrien rekrutiert wurden, dokumentiert ten Ideal Fremdartiges oder andersartig erscheinen-
aber auch das Bestreben, sich im Nichtbedarfsfall de Einwanderer und ansässige Bevölkerungsgruppen
von weniger anglokonformen Bevölkerungsgruppen nicht immer offen aufnahm: Gerade während Kriegs-
wieder trennen zu können. Höchste Einwanderungs- zeiten und Wirtschaftskrisen gab es Perioden tief
zahlen, gefolgt von dramatischen Abnahmen nach greifenden Fremdenhasses. Die Regierung reagierte
Einwanderungsbeschränkungen deuten die amerika- auf Überfremdungsängste mit schärfsten Einwande-
nische Ambivalenz dem Fremden gegenüber an rungsgesetzen und Restriktionen. Bis zur Zweihun-
(Hutchinson 1981; Dittgen 1995). Historisch doku- dertjahrfeier der Unabhängigkeit 1976 war es in
mentiert ist auch der Fremdenhass in den Medien den USA auch nicht üblich, seine ethnische Her-
und Kongressdebatten sowie der Antisemitismus kunft zu betonen; im Zuge der Festlichkeiten fand
nach der Jahrhundertwende, der sich nach der durch das Traditionsereignis eine Rückbesinnung
Emigration von Juden aus dem von Pogromen ge- auf die kulturellen Wurzeln statt.

Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen


Hispanics in den USA derer hinzu, von denen rund 50 % aus Mexiko stam-
Die größte Einwanderungsgruppe der USA in der men, handelt es sich um die größte Minderheit.
Nachkriegszeit stellt die Latino-Bevölkerung (Hispa- Die Latino-Bevölkerung der USA ist nach Mexiko,
nics, Spanish surname population) der USA dar. Spanien, Kolumbien und Argentinien die fünftgröß-
Nach dem Zensus 2002 sind 38,8 Mio. von te der Welt. Es gibt mehr als 7,6 Mio. hispanische
288,4 Mio. Menschen in den USA, also 13 %, his- Haushalte mit einer Durchschnittsgröße von 3,6
panischer Herkunft (Tab. 15). Personen. 1995 lebten 74 % der Hispanics in den
Zwischen 1970 und 1980 wuchs die Latino-Be- fünf Bundesstaaten Kalifornien, Texas, New York,
völkerung um 61 %, zwischen 1980 und 1990 um Florida und Illinois. 77 % von ihnen wurden nicht in
53 % und zwischen 1990 und 2000 um 58 %, den USA geboren, und 44 % aller Hispanics leben
womit diese Bevölkerungsgruppe die am schnellsten seit weniger als 10 Jahren in den USA. 58 % der
wachsende der USA ist. Die Hispanics bilden mit über 18-Jährigen sind vollbeschäftigt, 6,6 % ar-
35,3 Mio. nach den Afroamerikanern (35,4 Mio.) beitslos. 31 % der hispanischen Haushalte senden
Amerikas größte Minderheit. Rechnet man die Zahl Geld zur Unterstützung ihrer Familien in ihre Hei-
der nicht erfassten, illegalen hispanischen Einwan- matländer. Die Kaufkraft der US-amerikanischen
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110 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Rasse und hispanisches Gesamtzahl Anteil damit billiger als griechische, japanische oder italie-
Ursprungsgebiet (in 1000) (in %) nische Immigrantenarbeiter waren, willkommen.
Das 1868 in Kraft getretene Contract Labor Law,
das zum Schutz von einreisenden Arbeitern erlassen
Quelle: US Census Bureau, Census 2002, Summary Files 2004.

Alle Rassen, Gesamtbevölkerung 288 369 100


Weiße 232 647 80,7 wurde, um sie vor der jahrelangen Ausbeutung und
Afroamerikaner 36 746 12,7 Abhängigkeit von Arbeitgebern (modern indentured
servants) zu bewahren, wurde während des Ersten
Indianer in den USA und 2 752 1,0
Weltkrieges im Hinblick auf mexikanische Arbeiter
Ureinwohner Alaskas
ausgesetzt. Damit konnte die Rekrutierung von Bil-
Asiaten 11 559 4,0 liglohnarbeitern für die Industrie wieder stattfinden,
Hawaiianer und Pazifik-Insulaner 484 0,2 welche ihre von den Arbeitgebern bezahlte Einreise
Gemischtrassig 4 181 1,4 quasi abarbeiten mussten. Der aufgrund von Kriegs-
Hispanisches Herkunftsgebiet* 38 761 13,4 wirkungen und sinkender Immigration entstandene
Arbeitskräftebedarf konnte nur durch Zuzug mexika-
Tab. 15: Bevölkerung nach Rasse und hispanischer Herkunft in nischer Vertragsarbeiter gedeckt werden.
den USA, 2002. (*Personen hispanischer Herkunft können jeder Als 1921 die Quotenregelung für Einwanderer
Rasse zugerechnet werden.)
eingeführt wurde, setzte sich das Agrobusiness mit
der Forderung durch, Mittel- und Südamerikaner als
Latino-Bevölkerung wird auf etwa 228 Mrd. Dollar Haupterntearbeiter von dieser Regelung auszu-
geschätzt, die größten Absatzmärkte für die kauf- schließen. Allerdings mussten Hispanics fortan bei
kräftigen Hispanics sind Los Angeles, New York und der Einreise Visa-Gebühren zahlen und nachweisen,
Miami. Das Durchschnittseinkommen erhöhte sich dass sie weder Analphabeten waren noch dem ame-
für Latino-Haushalte von 14 712 Dollar um 1980 rikanischen Sozialsystem zur Last fallen würden.
auf 29 500 Dollar im Jahr 1996 (US Bureau of the Seither begann der Zustrom von undocumented
Census, Census 2000, Summary Files 2002). aliens, dem man mit Grenzzäunen an der über
Hispanics sind in vielerlei Hinsicht eine bedeuten- 3000 km langen mexikanisch-amerikanischen Gren-
de gesellschaftliche Kraft. Allein über 100 Fernseh- ze zu begegnen sucht.
und Radiostationen senden in Spanisch. In Chicago, Als Problem wurden mexikanische Einwanderer
Philadelphia, Los Angeles und anderen Städten sind erst während der Weltwirtschaftskrise der 1930er
Beschilderungen im öffentlichen Raum oder im öf- Jahre wahrgenommen. Sozialämter bezahlten teil-
fentlichen Verkehr nicht selten zweisprachig. Die La- weise ihre Rückkehr. Mehr als ein Drittel der me-
tino-Bevölkerung ist ethnisch sehr heterogen und xikanisch-amerikanischen Bevölkerung, ungefähr
lebt nach Herkunftsländern geographisch konzen- 500 000 Personen, wurde jedoch zwischen 1929
triert. Mexikaner stellen mit 63 % der Hispanics die und 1940 vertrieben. Wer in den USA verblieb,
größte Gruppe dar, Puertoricaner machen 11 % aus, wurde arbeitslos und geriet in absolute Armut, da
Kubaner 4 %. Puertoricaner sind am stärksten in der Verfall des landwirtschaftlichen Mindestlohns
New York City, Philadelphia und Cleveland vertreten, von 35 Cents auf 15 Cents pro Stunde nicht mehr
Kubaner in Florida, vor allem Miami, Mexikaner von ausreichte, um das Existenzminimum zu sichern
San Francisco über Los Angeles bis nach San Anto- (Dinnerstein & Reimers 1988, S. 110 ff.).
nio, Texas im südlichen Grenzraum der USA sowie in Nach dem Kriegseintritt der USA fanden mexika-
Seattle, Detroit und Denver. Letztere machen mehr nische Landarbeiter Stellen in der Industrie, im
als 20 % der Bevölkerung von Kalifornien und Arizo- Schiffs- und Flugzeugbau und in der Rüstungsin-
na, 25 % in Texas und Colorado und 40 % in New dustrie. Der Arbeitskräftemangel war auch in der
Mexico aus. Los Angeles hat eine mexikanische Be- Stahl- und Fahrzeugbauindustrie des Mittelwestens
völkerung von über 2 Mio. Menschen. so groß, dass dort ehemalige Landarbeiter angewor-
Die Einwanderung von Mexikanern in die USA hat ben wurden. Zwischen 1942 und 1947 erlaubte
eine lange Tradition: Zwischen 1850 und 1910 daher das „Bracero-Programm“ der Bundesregie-
brauchte die sich im Südwesten der USA entfalten- rung, dass 20 000 Arbeiter mit befristeter Aufent-
de Landwirtschaft billige mexikanische Saisonarbei- haltsgenehmigung in die USA einreisen konnten, wo
ter. Grenzkontrollen waren insofern nicht nötig, als ihnen angemessene Löhne, aber auch Unterkünfte
die Wanderarbeiter nach ihren Ernteeinsätzen das und geregelte Arbeitszeiten zugesagt wurden. Das
Land wieder verließen. Der wirtschaftliche Boom in Bracero-Programm wurde zeitweilig ausgedehnt, so
Mexiko selbst, der um die Jahrhundertwende mit z. B. während des Korea-Krieges und im Vietnam-
dem Bau von Eisenbahnlinien und dem Bergbau im Krieg bis 1965, und brachte 5 Mio. Mexikaner legal
Norden einsetzte, brachte vermehrt Zuwanderung in die USA. Im Rahmen der Bracero-Programme
nach Nordmexiko aus den südlichen Teilen des Lan- wurden Mexikaner zeitweise als notwendig in die
des, damit aber die unkontrollierte Zuwanderung in USA geholt, zu anderen Zeiten als Konjunkturpuffer
die USA, da dort die niedrigsten Löhne in der Land- entlassen und zur Rückkehr bewogen (Tab. 16).
wirtschaft höher als im Berg- oder Eisenbahnbau in Wegen der Tradition der temporären Beschäfti-
Mexiko waren. In den amerikanischen Landwirt- gungsverhältnisse und der physischen Nähe zur me-
schaftsbetrieben waren die mexikanischen Arbeiter, xikanischen Grenze blieben viele mexikanische Ein-
die zu maximal 1,25 Dollar am Tag arbeiteten und wanderer ihrer Sprache und Kultur treu, was sich
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 111

heute noch darin zeigt, dass es in Los Angeles und Jahr Anzahl Jahr Anzahl Jahr Anzahl
anderen Großstädten Stadtviertel gibt, in denen
Spanisch die Umgangssprache ist und viele Men- 1942 4 203 1950 67 500 1958 432 857
schen auch in der dritten Generation die Landes- 1943 52 098 1951 192 000 1959 437 643
sprache nicht oder nicht sicher beherrschen. 1944 62 170 1952 197 100 1960 315 846
Puertoricaner sind seit 1917 amerikanische Staats- 1945 49 454 1953 201 388 1961 291 420
bürger, nachdem die USA 1898 Puerto Rico von 1946 32 043 1954 309 033 1962 194 978
Spanien erworben hatten. Seither sind sie eine ste- 1947 19 632 1955 398 650 1963 186 865
tig wachsende Latino-Gruppe in den USA. Als Be-
1948 35 345 1956 445 197 1964 177 736
völkerungssegment sind sie am unteren Ende der
1949 197 000 1957 436 049
sozialen Hierarchie angesiedelt, und im Allgemei-
nen haben sie geringere Anteile an höheren Bil-
Tab. 16: Braceros – Vertragsarbeiter in den USA 1942 – 1964.
dungsabschlüssen, höhere Anteile an Armut, Sozial-
Quelle: US Congress, Senate Committee on the Judiciary, Temporary Worker Program: Background and Issues, 96th Congress, 1st Session,
hilfebezug und größere Schulabbruchsquoten. Puer- 1980. Auch Marentes 1999, http://www.farmworkers.org/migrdata.html.
toricaner stellten im Jahr 2000 mit 28 % die höchs-
ten Anteile an der Bevölkerung unterhalb der Ar- ten mit sich bringt (Flack, Amaro, Jenkins et al.
mutsgrenze (Kubaner 12 %, Mexikaner 27 %, ande- 1995; Center for Disease Control, National Center
re Hispanics 18 %). Im Vergleich dazu leben dem for Health Statistics 2000; Hayes-Bautista 1992).
Zensus 2000 zufolge 8 % der Weißen und 24,5 % Die Auswirkungen einer derart großen Minderheit,
der Schwarzen unterhalb der Armutsgrenze. Inner- die sich geographisch konzentriert (Abb. 71), sind
halb der Latino-Bevölkerung sind Puertoricaner enorm: In einigen Bundesstaaten und vielen Stadt-
daher auch zu einem stärkeren Grad mit Problemen regionen sind Menschen spanischer Muttersprache
einer armen Unterschicht behaftet, so z. B. schlech- die Mehrheit, weswegen die Bundesregierung be-
ter Gesundheit, die von einer mangelhaften Einbin- reits 1977 das Office of Hispanic Affairs einrichte-
dung in gesundheitliche Versicherungssysteme noch te. Mittlerweile haben fast alle Bundesstaaten ent-
zusätzlich beeinträchtigt wird (US Bureau of the sprechende Einrichtungen, und die Bundesregie-
Census, Census 2000, Summary Files 2002). rung hat mit dem Office of Bilingual Education and
Während alle Latino-Immigranten in der Phase der Minority Affairs/Department of Education zusätzli-
Nichtakkulturation kurz nach der Einwanderung che Institutionen geschaffen, um der Integration und
noch einen relativ guten Gesundheitszustand aufwei- Multikulturalität der Hispanics Rechnung zu tragen.
sen, der besser ist, als es ihr niedriger sozioökonomi- Trotz der Tatsache, dass die Hispanics mittlerwei-
scher Status erwarten ließe („healthy migrant ef- le die stärkste Minderheit bilden, konnten sie bis
fect“, the Hispanic paradox), verschlechtert sich in 2000 kaum politische Repräsentanz im Kongress
allen Gruppen der Gesundheitszustand bzw. die ge- gewinnen: Kein einziger Senator ist hispanischer
sundheitliche Befindlichkeit mit steigendem Grad Herkunft, lediglich 19 Abgeordnete sind Latinos
der Akkulturation. Auch wenn man berücksichtigt, (US Bureau of the Census 2000, Summary Files
dass Migranten gegebenenfalls schlechte
Gesundheit vor Arbeitgebern und Be-
hörden zu verheimlichen suchen,
wird dieses Phänomen darauf zu-
rückgeführt, dass die Anpassung
an die neue Gesellschaft einerseits
auch die Anpassung an negative
Verhaltensweisen bedeutet (Essge-
wohnheiten, Trinken, Rauchen, Dro-
genabhängigkeit), andererseits auch
den Bruch mit früheren sozialen Netz-
werken vollzieht und Isolation, Anpas-
sungsschwierigkeiten, Diskriminierung
ebenso wie Schädigung durch Um-
weltgifte in den neuen Arbeitstätigkei-
Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form,
Datengrundlage: US Department of Commerce,

Abb. 71: Prozentualer Anteil der hispani-


schen Bevölkerung in der Los Angeles
Metropolitan Area, 2000, nach census
tract. Die Aufteilung der Zahlenwerte in
Klassen erfolgte nach dem Prinzip der Anteil der Hispanics in %
Quantile. Das bedeutet, dass in jeder 0 bis 2 15 bis 38
Klasse (etwa) gleich viele tracts enthalten
Washington, D.C.

3 bis 6 39 bis 98
sind. Diese Methode hebt die Unterschie-
7 bis 14
de deutlich heraus, da keine Klasse
unter- bzw. überbesetzt ist. Allerdings
0 25 50 km
werden Extremwerte unterdrückt.
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112 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

2002). Wegen des Festhaltens an alten Wahlbezirks- den Indianern ihre eigenen Bedingungen auszuhan-
einheiten, die mit den neuen Konzentrationsgebie- deln hätte (Horseman 1988, Vol. 4, S. 29).
ten hispanischer Bevölkerung nicht übereinstim- Nach dem Unabhängigkeitskrieg betrieb George
men, konnte die für die Legislative wichtige Reprä- Washington eine merkantile Vertragspolitik, die von
sentanz in Bezug auf bestimmte Themen nicht ge- Vertragsunterzeichnungen geprägt war, welche die
wonnen werden – Einwanderung, Gesundheitswe- Abtretung von Indianerland an die Regierung der
sen, Ausbildung und Mindestlohnregelungen zählen USA gegen minimale Kaufsummen beinhalteten.
z. B. hierzu. Gerade im Gesundheitsbereich sind je- Aus Kostengründen wurden Kriege mit den Indianern
doch Präventivmaßnahmen für die verschiedenen zunächst vermieden. In der Amtszeit George Wa-
hispanischen Bevölkerungssegmente besonders shingtons (1789 – 1797) wurde ein Konzept ausge-
wichtig. So stellen diese Gruppen beispielsweise bei arbeitet, das die Beziehungen zu den Indianern und
einem Anteil von nur 13 % an der Gesamtbevölke- eine Umsiedlungspolitik ab den 1830er Jahren
rung rund 19 % aller neu registrierten HIV-Fälle. Die regeln sollte. Es war vorgesehen, das Indianerland
Wahrscheinlichkeit einer Infektion innerhalb der La- möglichst kostengünstig und ohne Kriegsaktivitäten
tino-Bevölkerung ist statistisch gesehen 22-mal grö- zu erlangen, ferner sowohl Siedler als auch Indianer
ßer als bei der weißen nichthispanischen Bevölke- zu unterstützen. Das Überschreiten der Grenzen der
rung (US Center for Disease Control, 2002). den Indianern zugesprochenen Gebiete durch Sied-
ler löste trotz einer Anti-Kriegspolitik den ersten von
Indianer mehreren Indianerkriegen zwischen 1791 und 1794
Die Indianer wurden hauptsächlich aus zwei Grün- aus. Zwischen 1800 und 1810 mussten Indianer
den von ihrem Land vertrieben: Einerseits dienten über 3 Mio. acres an die US-Regierung abtreten
solche Maßnahmen seit dem frühen 17. Jahrhundert (Sword 1985; Talbot 1988, S. 150f.). 1825 wurde
der vermeintlich besseren Inwertsetzung des Landes unter Präsident Monroe der erste Versuch unternom-
durch europäische Siedler, andererseits war es die men, Indianer aus den sogenannten „zivilisierten
Erwartung von gewaltigen Ressourcen, wie sie bei- Gebieten“ umzusiedeln.
spielsweise die Clark-Lewis-Expedition 1803 doku- Am 28. Mai 1830 wurde unter Präsident Andrew
mentierte. Jackson der Indian Removal Act verabschiedet. Das
Die Worte des Predigers Crashaw aus dem Jahre Gesetz ermächtigte die Regierung, alle östlich des
1610 wurden zum Leitmotiv einer jahrhundertelang Mississippi lebenden Indianer zu vertreiben. Eine
vollzogenen Praxis, die Interessen der Indianer zu zweifelhafte Rolle spielte dabei auch das 1824 ge-
ignorieren, und zwar sowohl in kolonialer Zeit als gründete und dem Kriegsministerium unterstellte
auch nach Gründung der Vereinigten Staaten von Bureau of Indian Affairs. Das Umsiedlungsgesetz
Amerika: „Wir geben den Wilden, was sie brauchen. traf das Volk der Cherokesen, die in den südlichen
Erstens Gesittung für ihren Körper, zweitens Chris- Appalachen im Grenzgebiet von Tennessee, North
tentum für ihre Seelen. Wir nehmen von ihnen, was Carolina und Georgia angesiedelt waren und wo
sie leichter entbehren können: erstens ihr überflüs- Goldlagerstätten vermutet wurden, besonders hart,
siges Land, zweitens ihre überflüssigen Naturschät- hatten sich doch die Cherokesen als einer der five
ze“ (zit. in Feest 1976, S. 30). civilized tribes sehr früh entschlossen, die Zivilisa-
Als Indianer die Engländer im Jahr 1620 freund- tion der Weißen anzunehmen. Sie hatten Schulen
lich empfingen und 1625 mit ihnen Landabtretungs- und Kirchen gebaut, unterhielten eine Zeitung und
verträge schlossen, gab es in Amerika zunächst kein gaben sich eine geschriebene Verfassung. Sie reich-
„Indianerproblem“. Erst als sich die puritanischen ten Petitionen im Kongress ein, um das angestamm-
Siedler unter Missachtung der Verträge mehr und te Heimatgebiet nicht verlassen zu müssen. Durch
mehr Land nahmen, kam es 1637 zur Gegenwehr Einschüchterungspolitik unter Druck gesetzt, unter-
(Feest 1976; Farb 1971; Horseman 1967, 1988). schrieben schließlich 500 der 20 000 Cherokee-In-
Später bediente man sich der Indianer in den franzö- dianer den Vertrag, in welchem sie der Umsiedlung
sisch-englischen Kriegen im 18. Jahrhundert (litera- zustimmten. Einer zunächst geplanten, gestaffelten
risch aufgearbeitet in den „Lederstrumpf“-Geschich- und geordneten Umsiedlung folgte nach ersten be-
ten von James Fenimore Cooper), wobei auf beiden stätigten Goldfunden die unter Truppenbegleitung
Seiten Indianer für die Interessen der Weißen starben zwangsweise stattfindende Vertreibung des gesam-
und indianische Völker nahezu ausgerottet wurden. ten Stammes im Winter 1838/39 in das über 2000
1755 wurde erstmals ein sogenannter Superin- km weiter entfernt gelegene Oklahoma-Territorium.
tendent of Indian Affairs offiziell mit Indianerange- Bei dem March of Tears (Weg der Tränen) kam etwa
legenheiten betraut. Dieser sollte den Schutz der In- ein Fünftel des Stammes um. Innerhalb der nächs-
dianer vor Bodenspekulanten, Händlern und Sied- ten zehn Jahre wurden weitere 100 Verträge über
lern gewährleisten und ab 1763 vor allem den un- Landabtretungen geschlossen (Talbot 1988; Prucha
gehinderten Zugriff von Siedlern auf Land der engli- 1969, 1984; Sword 1983; Farb 1971, S. 302).
schen Krone jenseits der Alleghenies verhindern. Im Kreislauf der Beziehungen zwischen Indianern
Mit Inkrafttreten der Unabhängigkeitserklärung si- und Weißen (Abb. 72) wurden Indianer immer mehr
cherten sich die USA diese Gebiete und beriefen Landabtretungen abgepresst. Bis 1868 wurden zwi-
sich auf den Vertrag von Paris 1783, wonach jede schen US-Regierungen und Indianern insgesamt
koloniale oder unabhängige Macht in Amerika mit 400 Verträge über Landabtretungen mit Gegenleis-
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 113

tungen, die allerdings nicht gleichwertig waren, ge-


schlossen und wieder gebrochen, wobei dies unter Periode des Friedens. Weiße Siedler
Diese dauert im Höchstfall einige überschreiten die Grenze
beiden großen Parteien, sowohl den Republikanern Jahre und stellt eine zeitweilige und lassen sich auf
als auch den Demokraten, geschah. Abschluss eines Vertrages
Einstellung der Feindseligkei- Indianerland nieder
Bezeichnend ist, dass die Bundesregierung ihre ten dar
mit folgenden Bestim-
Politik, den Indianern gesicherte, große Reservate mungen:
zuzuweisen, mit zwei Gesetzen selbst wieder änderte: Erklärung freundschaftli- Protest der Indianer,
cher Beziehungen Überfälle auf Siedler,
■ mit dem Landverteilungsgesetz von 1867 (Dawes
Abtretung von indiani- Vergeltungsaktionen der
Severalty Act) und schem Land gegen Zah- Weißen, militanter Zu-
■ mit dem General Allotment Act von 1934, bei dem lung und Übergabe von sammenschluss der
Geschenken Siedler in Grenzsiedlungen
Land analog dem Heimstättengesetz an Indianerfa- Festlegung einer Grenze
milien vergeben wurde, die bereit waren, sesshaft zwischen dem Siedlungs-
zu werden. Dabei wurden Indianer als eigenstän- gebiet und dem Indianer-
land Niederwerfung der Indianer durch Vorbereitung gezielter
dige Farmer steuerpflichtig; sofern sie nicht zahlen weiße Soldaten, Friedensersuchen Aktionen weißer Siedler
der Indianer, Vorbereitung von Ver- gegen Indianer, Einsatz
konnten, weil sie mit der kommerziellen Landwirt- bewaffneter Streitkräfte
trägen mit neuen Landabtretungen
schaft oder schlechten Bodenverhältnissen nicht an die Weißen gegen Indianer
vertraut waren, mussten sie das Land zu Niedrigst-
preisen wieder an weiße Siedler verkaufen.
Von den 55 Mio. Hektar Land, welche die Indianer gierung: Sie kann aus den Reservaten Bodenschätze Abb. 72: Kreislauf der Be-
zwischen 1867 und 1934 im Rahmen dieser beiden exportieren und muss den Indianern als offiziellen ziehungen zwischen India-
Gesetze erhielten, fielen 33 Mio. wieder an Weiße. Nutznießern dieser Territorien nicht unbedingt den nern und Weißen im
Grenzgebiet (verändert
Der den Indianern verbliebene Rest unterlag nach Marktpreis dafür zahlen.
nach Talbot 1988).
Einschätzung des Bureau of Indian Affairs folgen-
den Erosionskategorien: kritischer (5 Mio. ha), erns- Heutige Situation
ter (7 Mio. ha) oder leichter Erosion (10 Mio. ha). Die Der Zensus 2000 wies 1,5 % der 281,4 Mio. Ameri-
Landvergabe an Indianerfamilien im Zuge der bei- kaner, also 4,2 Mio. Menschen, als amerikanische
den genannten Gesetze barg für die US-Regierung Indianer und Ureinwohner Alaskas aus, wovon 2,5
einen großen Vorteil: Land, das nicht individuell ver- Mio. sich als Indianer und 1,66 Mio. Personen sich
geben wurde – und in den kollektiv orientierten als gemischtrassige Indianer deklarierten (US Bureau
Stämmen waren nur wenige an individuellem Eigen- of the Census 2000, Census 2000, Summary Files
tum interessiert –, fiel in den Besitz der Bundes- 2002). Indianer wurden seit dem Zensus 1790 er-
regierung. Auf diese Weise verloren die Stämme bis fasst, aber erst seit 1860 als eigene Bevölkerungs-
1917 über 60 % des Landes, das noch 1887 in gruppe dokumentiert. 1890 begann man, auch die
187 Reservate aufgeteilt worden war. Dabei wurde in Reservaten lebenden Indianer zu erfassen. Die
auch Land, das reich an Bodenschätzen war, in die Zensusregionen im Westen hatten die größte india- Abb. 73: Prozentualer An-
teil der Indianer in den
public domain überführt. Die heutigen Indianerre- nische Bevölkerung in absoluten Zahlen und Pro-
Counties der USA, 2000.
servate entsprechen nur noch einem Bruchteil der zentanteilen: 2,8 % der Bevölkerung im Westen, Aufteilung in Klassen
den Indianern 1887 zugewiesenen Gebiete. Mit dem 1,3 % im Süden, 1,1 % im Mittelwesten und 0,7 % nach dem Prinzip der
Indian Reorganization Act von 1934 wurde den In- im Nordosten (Abb. 73). Quantile (siehe Abb. 71).
dianern wieder mehr Stammesland
zugesprochen, sofern sie sich poli-
tisch in Anlehnung an das parlamen-
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form,

tarische Vorbild der USA organisier-


ten. 1944 löste die sogenannte „Ter-
minationspolitik“ den Indian Reorga-
nization Act jedoch wieder auf und
damit auch alle Reservate. Explizit
wurde damit die Assimilation der In-
dianer in die amerikanische Gesell-
schaft angestrebt. Viele Indianer wur-
den aus den Reservaten in die Groß-
städte umgesiedelt. 1970 beendete
Präsident Nixon die Terminations-
politik durch ein neues Leitbild: self-
determination without termination.
Selbstbestimmung wurde nun im
Anteil in %
Sinne einer Selbstverwaltung ge- 0
währt, allerdings verblieben die india- 1
nischen Reservate in treuhänderi-
Washington, D.C.

N 2 bis 3
scher Verwaltung der Bundesregie- 4 bis 11
rung. Auch dies birgt immense wirt- Alaska Hawaii
0 250 500 Kilometer 12 bis 94
1 : 150 000 000 1 : 50 000 000
schaftliche Vorteile für die Bundesre-
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 114

114 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Indianerorganisationen und -verbände


Alaska Federation of Natives Great Lakes Intertribal Council National Indian Health Board
Alaska Inter-Tribal Council Indian & Native American Employment & National Indian Justice Center
All Indian Pueblo Council Training Coalition National Native American AIDS Prevention
American Indian Disability Technical Indian Art Northwest Center
Assistance Indian Law Resource Center National Tribal Environmental Council
American Indian Higher Education Indian Tribal Council of Arizona National Tribal Environmental Research
Association Intertribal Agricultural Council Institute
Americans for Indian Opportunity Intertribal Bison Cooperative Native American Finance Officers
AMERIND-Risk Management Intertribal Council of Nevada Association
Association of Village Council Presidents Intertribal Timber Council Native American Fish & Wildlife Society
California Indian Lands Office Intertribal Trust Fund Monitoring Association Native American Housing Council
California Nations Indian Gaming Association Montana-Wyoming Tribal Leaders Council Native American Journalists Association
Center (AIDTAC) National Indian Child Welfare Association Native American Rights Fund
Center for World Indigenous Studies National Indian Council on Aging Northwest Indian Fisheries Commission
Columbia River Inter-Tribal Fish Commission National Indian Court Judges Association Northwest Portland Area Indian Health Board
Council of Energy Resource Tribes National Indian Education Association Regional Tribal Organizations
First Nations Development Institute National Indian Gaming Association United Southern and Eastern Tribes

Über die Hälfte aller Indianer und Ureinwohner der ■ Armut, die sowohl infrastrukturbedingt ist als auch
USA einschließlich Alaskas leben heute in nur zehn ein strukturelles Problem der Bevölkerung dar-
Bundesstaaten und in relativ wenigen Großstädten stellt,
(Tab. 17): Die zehn Bundesstaaten mit den größten ■ armuts- und bildungsbedingte Hindernisse, in der
Anteilen der indianischen Bevölkerung (insgesamt Gesellschaft aufsteigen zu können,
62 %) sind nach dem Zensus 2000: Kalifornien ■ das Problem der gegen sie verübten Kriminalität
(627 562 Personen), Oklahoma (391 949), Arizona sowie
(292 552), Texas (215 599), New Mexico (191 475), ■ massive gesundheitliche Beeinträchtigungen, die
New York (171 581), Washington (158 940), North mit Armut in Zusammenhang gebracht werden
Carolina (131 736), Michigan (124 412), Alaska können.
(119 241) und Florida (117 880). In 19 Staaten über- Zwei dieser Probleme seien im Folgenden aufgegrif-
stieg die indianische bzw. Urbevölkerung ihren pro- fen:
zentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung erheb-
lich: In Alaska stellen sie 19 %, in Oklahoma 11 %, Gegen Indianer verübte Kriminalität
in New Mexico 10 %. Die anderen 16 Staaten sind: Berichten des amerikanischen Justizministeriums
Arizona, Kalifornien, Colorado, Idaho, Montana, Neva- zufolge (generelle Informationen zu Indianern 2003)
da, Hawaii, Oregon, Utah, Washington, Wyoming, Kan- werden Indianer mehr als doppelt so häufig wie der
sas, Minnesota, North Dakota, South Dakota, North amerikanische Durchschnitt Opfer gewalttätiger Ver-
Carolina (US Department of Commerce, Economics brechen. 70 % der gegen Indianer verübten Verbre-
and Statistics Administration, US Census Bureau chen werden von Menschen anderer Rassenzugehö-
2002, Census Brief: The American Indian and Alaska rigkeit verübt, was einen weitaus größeren Prozent-
Native Population: 2000. Washingon, D. C., S. 4ff.). satz darstellt, als dies bei weißen oder afroamerika-
New York City und Los Angeles wiesen im Jahr nischen Kriminalitätsopfern der Fall ist; ferner sind
2000 mit 87 241 und 53 092 Personen die höchste bei fast 50 % der Schwerverbrechen gegen Indianer
Zahl an indianischer Bevölkerung auf. In Städten die Täter alkoholisiert. Aus diesen Umständen leitet
lebten insgesamt 8,3 % der amerikanischen India- das Department of Justice eine rassistische Motiva-
ner und der Ureinwohner Alaskas. tion hinter den Straftaten ab.
Zu den größten Stämmen zählte der Zensus 2000 Umgekehrt ist Alkoholkonsum bei der indiani-
die Cherokee- und Navajostämme, ferner die Choc- schen Bevölkerung selbst ein nicht zu unterschät-
taw, Sioux und Chippewa, die zusammen 40 % der zendes Problem: Er stellt bei einem Teil der Bevöl-
Indianer in den USA ausmachten (Tab. 18). kerung in den infrastrukturell defizitären Reservaten
Dutzende von Gesetzeseingaben betreffend ver- mit hoher Arbeitslosigkeit einen Ersatz für produktive
schiedener Anliegen von Indianervölkern wurden im Tätigkeiten dar. Aufgrund genetischer Charakteristi-
United States Senate Committee on Indian Affairs ka fehlen jedoch der indianischen Bevölkerung die
für die Legislaturperiode 2000 vorbereitet (generel- Enzyme zum Abbau von Alkohol, weswegen der Kon-
le Informationen zu Indianern 2003). Dass es noch sum von kleinen Mengen bereits eine übergroße
viel zu tun gibt, zeigt die Vielzahl von indianischen Wirkung haben kann. Zu den Straftaten unter Alko-
Verbänden, die auf Bundesstaaten- und Lokalebene holeinwirkung, welche die Statistik den Indianern
Rechte einfordern. zuschreibt, gehören vor allem das Autofahren unter
Zu den Problemen, mit denen die Indianer heute Alkoholeinfluss oder Trunkenheit in der Öffentlich-
kämpfen, gehören: keit (public drunkenness).
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 115

Stadt Rang- Bevölke- Amerikanische troffen als die weiße, nichthispanische Bevölkerung
größe rungszahl Indianer sowie der gleichen Altersgruppen. Das bundeseigene Cen-
Ureinwohner ter for Disease Control in Atlanta geht davon aus,
Alaskas dass die Anteile tatsächlich noch viel höher liegen:
So zeigten Studien, dass 40 bis 70 % der Indianer
New York 1 8 808 278 87 241 zwischen 45 und 74 Jahren sowie fast ein Viertel der
Los Angeles 2 3 694 820 53 092 Navajos über 20 Jahren Diabetes hatten und weite-
Chicago 3 2 896 016 20 898 re 7 % unerkannt an der Krankheit litten. Sie zieht
Houston 4 1 953 631 15 743 sich durch alle Indianergruppen; wo einzelne Grup-
Philadelphia 5 1 517 550 10 835 pen besonders gründlich wissenschaftlich erforscht
wurden, nähert man sich der wahren Dimension des
Quelle: US Census Bureau, Census 2000; Summary Files 2002.

Phoenix 6 1 321 045 35 093


San Diego 7 1 223 400 16 178 Problems: so fand man, dass bei den Pima-India-
Dallas 8 1 188 580 11 334 nern über 30 Jahren bis zu 50 % betroffen sind. Als
Hintergründe gelten genetische Ursachen wie die
San Antonio 9 1 144 646 15 224
Glukose-Unverträglichkeit, medizinische Risikofak-
Detroit 10 951 270 8 907
toren und ungesunde Lebensführung, darunter auch
Oklahoma City 29 506 132 29 001 Hunger (generelle Informationen zu Indianern
Tucson 30 486 699 15 358 2003). Die Bundesregierung hat sich dem ver-
Albuquerque 35 448 607 22 047 schärften Problem dieser Krankheit unter Indianer-
Tulsa 43 393 049 30 227 völkern 1996 mit dem Diabetes Prevention Program
Anchorage 65 260 283 26 995 angenommen.
Unter den Indianern ist Lungenkrebs aufgrund
Tab. 17: Die 15 Städte mit der höchsten Anzahl in- des Tabakkonsums die Haupttodesursache bei
dianischer Wohnbevölkerung, 2000.
Krebserkrankungen. Auch Herz-Kreislauf-Krankhei-
ten, die im Allgemeinen die Haupttodesursachen
Stammesgruppen Anzahl bei Indianern sind, werden zu einem großen Teil auf
den Risikofaktor Rauchen zurückgeführt. Obwohl
Cherokee 729 533 seit 1978 das Rauchen in den USA durch Kampag-
Navajo 298 197 nen wie rauchfreie öffentliche Zonen, Etikettierung
Quelle: US Census Bureau, Census 2000; Summary Files 2002.

Lateinamerikanische Indianer 180 940 der Gesundheitsgefahr auf Tabakprodukten etc. in


Choctaw 158 774 allen Bevölkerungsgruppen signifikant abnahm, än-
Sioux 153 360 derten sich die Konsumgewohnheiten der indiani-
schen Bevölkerung nicht. Fast ein Vierteljahrhun-
Chippewa 149 669
dert nach dem gezielten Vorgehen der Bundesregie-
Apache 96 833
rung gegen das Rauchen in breiten Bevölkerungs-
Blackfeet 85 750 schichten sind vom Tabakkonsum verursachte Krank-
Irokesen 80 822 heiten und ihre Folgen ein ernstes Problem bei der
Pueblo 74 085 indianischen Bevölkerung geblieben. Ein Grund
Creek 71 310 wird darin gesehen, dass die Tabakindustrie die In-
dianer nach wie vor gezielt als Konsumenten wirbt,
Tab. 18: Die größten indianischen Stammesgruppen indem sie indianische Kulturveranstaltungen, Groß-
in den USA, 2000.
treffen und Rodeos finanziert (generelle Informatio-
nen zu Indianern 2003).
25 % der erwachsenen Indianer standen 2000
unter der Aufsicht von polizeilichen Behörden – ein
Prozentsatz, der mehr als doppelt so hoch ist wie
bei Weißen, über neunmal so hoch wie bei Asiaten,
jedoch nur die Hälfte des Prozentanteils von Schwar-
zen darstellt. Der Anteil der in Staats- und Bundes-
gefängnissen einsitzenden Indianer ist 38 % höher
als der amerikanische Durchschnitt. Indianernatio-
nen haben auf lokaler Ebene ihre eigenen Polizeibe-
hörden (tribal law enforcement agencies). Insgesamt
sind es 135 Behörden mit 1731 staatlich vereidig-
ten Polizisten (generelle Informationen zu Indianern
2003; Department of Justice, Bureau of Justice Sta-
tistics 2000).

Gesundheitsprobleme bei Indianern


Diabetes (Typ II) und Folgekrankheiten gehören zu
den häufigsten Krankheiten bei Indianern. Mit 15 % Abb. 74: Musealisierung der Geschichte. Rekonstruktion der ersten englischen Sied-
Diabeteskranken sind Indianer 2,5-mal stärker be- lung in Plymouth.
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 116

116 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Landverkäufe der Indianer an die Bundesregierung – das Beispiel der Shoshone in Nevada
Im Jahr 1863 unterzeichneten die USA mit den Western Sho- tationslinien gescheitert, jener, die Landrechte der Ureinwohner
shone den Friedens- und Freundschaftsvertrag von Ruby Valley. In einfordert, und der anderen, die individuelle Rechte als Rancher
diesem Jahr befanden sich die USA im Bürgerkrieg, und die Bun- geltend macht; das verfassungsmäßige „pursuit of happiness“
desregierung wollte die Transportrouten für das Gold aus Kalifor- steht im Fall der Shoshone hinter den US-Interessen zurück.
nien durch das Land der Shoshone sichern. Der Vertrag von Ruby Betrachtet man die Interessen der Bundesregierung an dem
Valley erlaubte Amerika, Eisenbahnlinien, Wege und Telegraphen- Shoshone-Land in Nevada, so sieht man neben den Weidege-
leitungen durch das Land der Indianer in Nevada zu bauen, nach bühren, welche die Bundesregierung von den Dann-Sisters einfor-
Bodenschätzen zu suchen und Bergwerke zu errichten. Nicht vor- dert und die sich mittlerweile auf annähernd 1 Mio. Dollar belau-
gesehen war, dass die Indianer ihr Land abtreten sollten. Nicht fen, weitere Gründe. Da nach amtlicher Sichtweise „öffentliches
vorherzusehen war, dass die riesigen Kohlevorkommen im Tage- Land eine Investition des amerikanischen Volkes ist, wofür die-
bau abgebaut würden und dass später in den Bergbauschächten sem ein Ertrag zusteht“, verloren die Geschwister Dann die Was-
Atomtests durchgeführt werden sollten. serrechte für den Bach, der über ihre Ranch fließt, mit der Be-
Verträge wie der von Ruby Valley sind verfassungskonform und gründung, dass sie ihn mehrere Jahre nicht genutzt hätten. Die
als solcher von der Verfassung geschützt. Dass das Verfassungsge- Nachbarranch, der das Wasser zugesprochen wurde, gehört einer
richt (Supreme Court) 1985 den Landanspruch der Shoshone für Bergbaufirma.
erloschen erklärte, konnte daher nicht mit dem Vertrag von Ruby Bergbau ist in dem Elko-Distrikt Nevadas, in dem die Ranch
Valley begründet werden. Vielmehr berief sich das Gericht auf ein der Klägerinnen liegt, ein wichtiger Wirtschaftszweig: 44 % des
1979 von der Indian Claims Commission erlassenes Urteil. Dieses Goldes der USA wird im Elko-Distrikt gefördert. Der Distrikt, vor
Urteil sah eine Abfindungssumme von 26 Mio. Dollar an die Sho- allem die Cortez Mine, ist weltweit der zweitwichtigste Produkti-
shone und eine zwangsweise Auszahlung vor, da die Indianer die onsstandort von Gold, das hier im Tagebau gefördert wird und mit
Ablösesumme nicht annehmen und dadurch das Urteil bestätigen Auswaschverfahren operiert, bei denen sehr viel Wasser aus den
wollten. Zuvor hatte es Verhandlungen gegeben, bei denen das wenigen Flüssen Nord-Nevadas eingesetzt wird und mit Cyanid-
Büro für Indianerangelegenheiten den Shoshone einen staatlichen Lauge gearbeitet wird. Die Umweltproblematik, die dabei ent-
Anwalt zur Seite gestellt hatte. Dieser hatte einerseits den India- steht, wird im Hinblick auf die 450 hoch dotierten Arbeitsplätze
nern geraten, ihr Land gegen eine Entschädigung aufzugeben, an- der Tagebaumine von der Betreiberfirma als weniger wichtig er-
dererseits war ihm selbst ein Anteilsrecht an der zukünftigen Ent- achtet. Den Klagen, dass die amerikanische Bundesregierung ih-
schädigungssumme von der Bundesregierung zugesprochen wor- rerseits den Shoshone Abgaben für die geschürften Bodenschätze
den. In dem folgenden Rechtsstreit zwischen den Indianern und entrichten solle, wird keine Beachtung geschenkt.
dem Bureau of Indian Affairs, bei dem die Indianer ihren Anwalt Die Umweltproblematik in Nevada ist nicht neu. Nur
entließen, die Regierungsstelle die Entlassung jedoch nicht akzep- ca. 120 km von Las Vegas entfernt im Gebiet der Shoshone liegt
tierte, bestimmte das Urteil 1979 die Abfindung, welche durch die Nevada Test Site, das nukleare Versuchsgebiet des Bundes-
den noch agierenden treuhänderischen Anwalt der Indianer für die Energieministeriums (US Department of Energy, Office of Civilian
Shoshone angenommen wurde. Da die Shoshone das Geld verwei- Radioactive Waste Management, Yucca Mountain Project;
gerten, überwies die Indian Claims Commission, die dem Justizmi- http://www.ocrwm.doe.gov/). Dort wurden 100 überirdische und
nisterium zugehörig ist, dem Innenministerium das Geld auf ein bis 1992 825 unterirdische Atomtests auf rund 20 Hektar Fläche
Treuhandkonto. Um das Geld an die Indianer auszahlen und da- durchgeführt. In der Nevada Test Site, die teilweise zu verseucht
durch den andauernden Rechtsstreit beenden zu können, führte ist, um sie betreten zu können, werden schwach- und mittelradio-
das Büro für Indianerangelegenheiten 1999 Anhörungen über die aktive Abfälle in der Wüste entsorgt. Hochradioaktive Abfälle sol-
Zwangsauszahlungen durch. len in Yucca Mountain, dem Heiligen Berg der Shoshone, am
Die weit greifenden Folgen der heutigen Besieglung der westlichen Rand des Testgeländes entsorgt werden. Das Gebiet
Landabtretung für die Shoshone wären, dass viele der viehzüch- der Shoshone ist Teil des nuklearen Zyklus: Der Hauptteil der
tenden Indianer ihr Land verlassen müssten. Ohnehin sind viele Urangewinnung der USA und die nuklearen Tests erfolgen hier,
von der Zwangsvertreibung bedroht. Seit 1973 führen die Sho- und die Endlagerung der radioaktiven Abfälle wird hier vollzogen
shone-Geschwister Dann daher einen Rechtsstreit gegen die Re- (zit. nach NZZ v. 12./13. 6.1999, Nr. 133, S. 109 – 111). Aller-
gierung der USA. Sie klagten zuerst gegen ihre Vertreibung von dings gibt es dazu eine kontrovers geführte Diskussion (Yucca
ihrem Weideland, da sie „auf Land siedeln, deren Eigner das Volk Mountain Project, Bürgerinitiative (http://www.citizenalert.org).
der Vereinigten Staaten ist“. Unter Berufung auf den Vertrag von Die radioaktive Verseuchung von Indianern sowie der Umgang mit
Ruby Valley prozessieren sie gegen die illegale Übernahme durch Minderheiten generell im Zusammenhang mit Umweltabfall hat in
die Bundesregierung von Land, das die Shoshone nie verkauft den USA die politik- und sozialwissenschaftliche Forschungsrich-
haben. Um ihrem Vorgehen, für das die „Dann-Sisters“ 1993 den tung zum Environmental racism hervorgebracht. Diese befasst
alternativen Nobelpreis erhielten, mehr Gewicht zu verleihen, gin- sich mit dem Zusammenhang und den Hintergründen dessen,
gen die Klägerinnen über die Interamerikanische Menschen- dass in den USA nicht selten besonders umweltgefährdende An-
rechtskommission der Organisation der Amerikanischen Staaten lagen in unmittelbarer Nähe von Wohngebieten armer Minderhei-
(OAS) vor. Diese bindende Konvention haben die USA nie unter- ten errichtet werden.
zeichnet, ähnlich dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag,
bei dem ausländische Richter ebenfalls nicht über die USA befin-
den können. Der Rechtsfall Dann ist vorerst auf beiden Argumen-
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 117

Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 117

bedingte eine steigende Nachfrage nach Arbeits-


kräften. Diese konnte nicht länger durch bezahlte
Arbeitskräfte aus Afrika abgedeckt werden, sollten
die zu erwartenden Profitmargen erhalten bleiben.
Von nun an erhielten daher Schwarze in Amerika und
alle unter Zwang einwandernden Schwarzafrikaner
den Sklavenstatus; sie wurden als freiverkäufliche
Arbeitsmaschinen eingestuft und bildeten die nied-
rigste Gesellschaftsschicht. Abgesehen von wirt-
schaftlichen Gründen wurde Sklaverei religiös-ideo-
logisch mit einer gottgewollten Ordnung begründet
(Schäfer 1998, S. 203f.).
Die Sklaveneinfuhr des kolonialen Amerika erfolg-
te ab 1661 unablässig und lässt zwei Hauptphasen
erkennen:
■ 1730 bis 1770, welche auf die Ausweitung des
Tabakanbaus zurückzuführen ist,
■ 1790 bis 1810, die im Zusammenhang mit der
Ausweitung des Baumwollanbaus steht.
Fluchtversuche, Diebstahl und Aufsässigkeit wurden
Abb. 75: Freilichtmuseum bei Plymouth mit indiani- sowohl in der kolonialen als auch in der US-ameri-
schen Statisten. kanischen Zeit der Sklaverei mit Auspeitschungen,
Verstümmelungen und, als Ermessensentscheid, mit
Nach über 225 Jahren Indianerpolitik der ameri- Hinrichtungen bestraft. Aus Angst vor Aufständen
kanischen Bundesregierung bleibt festzustellen, wurden Versammlungen von mehr als drei Sklaven
dass eine Problematik im Umgang mit der indiani- nur unter weißer Aufsicht erlaubt, das Lesen- und
schen Bevölkerung in massiver Ausprägung fortbe- Schreibenlernen wurde Sklaven nicht gestattet.
steht. Indianische Kultur mag lokal im Tourismus Selbst freie Schwarze hatten vor der Unabhängigkeit
und in der Vermarktung des Kulturerbes wertvoll Amerikas nur begrenzte Bürgerrechte. Sie besaßen
sein (Abb. 74 u. 75). An erster Stelle der Lösungs- kein Wahlrecht, lebten unter Ausgangssperren und
ansätze für die Schwierigkeiten der Indianer stünde hatten keinen Anspruch auf Gerichtsverfahren. Auch
jedoch die effektive Hilfe bei der wirtschaftlichen die Verfassung (Constitution) von 1787 gewährte
Entwicklung der Reservatgebiete, die auch 2004 den Sklaven keine Rechte, obwohl die Mehrheit der
noch von der Politik vernachlässigt werden. Zur ef- Verfassunggeber für die Abschaffung der Sklaverei
fektiven Hilfe gehörte auch die Anerkennung der war. Selbst das Amerika nach der Unabhängigkeit,
Ansprüche auf Entschädigung für verlorenes Land das die Grundrechte der Menschen in der Bill of
oder die faire Entschädigung für Schürfrechte bei Rights 1776 festgelegt und mit dem Zusatzartikel
Bodenschätzen. So liegen 70 % der amerikanischen von 1791 zementiert hatte, gestattete den Schwar-
Uranvorkommen in Indianerreservaten; auch Kohle zen erst 1865 die gleichen Rechte, weil die wirt-
und andere Bodenschätze lagern hier in großen schaftlich starken Südstaaten die Sklaven als Stütz-
Mengen. Indianervölker sind jedoch nicht immer die pfeiler ihrer ertragreichen Plantagenindustrie brauch-
Nutznießer dieses Reichtums, da ihnen der An- ten. Noch 1857 wurde im Rechtsfall Dred Scott be-
spruch auf ihr Land und die vollen Nutzungsrechte stritten, dass Sklaven die gleichen Grundrechte hät-
an ihrem Land innerhalb der föderativen Vereinigten ten (Schlott 1967, S. 37).
Staaten versagt bleiben.
Sklavenbefreiung und Rechte der Schwarzen
Afroamerikaner in den USA Schwarze machten zur Zeit der Unabhängigkeitserklä-
rung mit rund 500 000 Personen 21 % der Bevölke-
Sklaveneinfuhr rung der Kolonien aus, wovon 481 000 bzw. 96 %
Menschen schwarzer Hautfarbe wurden von den Spa- Sklaven waren. Die erste Volkszählung von 1790 do-
niern und Portugiesen erstmals Mitte des 16. Jahr- kumentierte 757 000 Schwarze, wovon 633 000 Skla-
hunderts von Afrika auf den amerikanischen Kon- ven zwischen Maryland und Georgia lebten.
tinent gebracht, wo sie als Fronarbeiter in Bergwer- Der Anspruch der jungen Republik auf Gleichheit
ken und auf Plantagen arbeiteten. Ab 1619 kamen aller wurde jedoch schon in der Unabhängigkeitser-
Schwarzafrikaner nach Jamestown, Virginia und in klärung aufgrund politischer und wirtschaftlicher Er-
die übrigen englischen Kolonien. Obwohl sie ur- wägungen bewusst nicht eingelöst. Die amerikani-
sprünglich die gleichen Rechte wie die weißen Ein- sche Revolution, die die Freiheit brachte, war daher
wanderer besaßen und unter festen Dienstverträgen eine unvollständige. Da sie die Sklaverei nicht ab-
arbeiteten, änderte sich dies ab 1661, dem offiziel- schaffte, wurde der Gleichheitsgrundsatz von An-
len Beginn der Sklaverei unter der englischen Re- fang an zum Mythos. In der Realität bedurfte es des
gierung. In England hatte die frühe Phase der In- Sezessionskrieges sowie politischer und wirtschaft-
dustrialisierung begonnen: Der Bedarf an Rohstoffen licher Prozesse, um die Gleichstellung annähe-
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 118

118 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

rungsweise zu erreichen. Aus diesem Grund bilde- desmitteln wurden die ersten Universitäten für
ten freie Schwarze schon früh überwiegend religiös Schwarze errichtet – Atlanta University in Atlanta,
geprägte Solidaritätsgruppen als Überlebensmecha- Fisk University in Nashville, Tennessee und Howard
nismus; die Kirchen und Kirchengemeinden der University in Washington, D.C. Das vom Kongress
Schwarzen blieben die wichtigen Kraftquellen im eingesetzte, bis 1872 bestehende Freemen’s Bu-
Alltagsleben der schwarzen Bevölkerung und in der reau gewährte befreiten Sklaven Rechtshilfe und
Bürgerrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts (Schä- förderte ihre Schulbildung. Nachdem in den Süd-
fer 1998, S. 90 f.). staaten der Widerstand der Weißen gegen das Wahl-
Die unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialstruk- recht der Schwarzen mit einer Militärverwaltung des
tur der Südstaaten mit ihrer Plantagenwirtschaft, Bundes ab 1867 eingedämmt wurde, konnten die
die auf der Sklaverei beruhte, und dem sich schnell Schwarzen auch zahlreiche Vertreter in die Parla-
industrialisierenden Norden, dessen Wirtschaft auch mente der einzelnen Staaten wählen (Schäfer 1998,
auf den schnellen Zuwachs von schwarzen bezahl- S. 241). Als die Bundestruppen 1877 aus dem Sü-
ten Industriearbeitern angewiesen war, war Hinter- den abzogen, war die Phase der Rekonstruktion und
grund der Debatte über die sogenannte „Schwarzen- damit der letzte Versuch auf Bundesebene beendet,
frage“ und schließlich Anlass für den Sezessions- die Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen durch-
bzw. Bürgerkrieg der USA von 1861 – 1865. Wenn zusetzen. Die Stellung der Schwarzen, die sich wäh-
bei der Abschaffung der Sklaverei, die in den Nord- rend einiger Jahre deutlich verbessert hatte, ver-
staaten befürwortet wurde, humanitäre und poli- schlechterte sich daraufhin wieder drastisch.
tisch-demokratische Erwägungen als Hauptargu- Es begann die Phase der ausgeweiteten politi-
mente angeführt wurden, darf man nicht vergessen, schen und rechtlichen Diskriminierung. Dabei wur-
dass wirtschaftliche Gründe mindestens ebenso den in einzelnen Staaten Wahlrechtsbeschränkun-
zählten: Der wirtschaftliche Wettlauf des agrarischen gen eingeführt, wonach sich Schwarze einer Wähler-
Westens mit dem industrialisierten Nordosten und prüfung zu unterziehen hatten. Das Wahlrecht wurde
nördlichen Mittelwesten bedurfte in der zweiten an gewisse Klauseln geknüpft, wie z. B. ein Mindest-
Hälfte des 19. Jahrhunderts der einheimischen steueraufkommen, das von den verarmten, als Klein-
schwarzen Arbeitskräfte aus dem Süden ebenso wie pächtern lebenden Schwarzen des Südens (share
der einwandernden Menschen aus Nord- und West- croppers) kaum aufgebracht werden konnte. In recht-
europa. Als Abraham Lincoln 1863 die Sklavenbe- licher Hinsicht wurden Gerichtsurteile die Norm, bei
freiungsproklamation (Emancipation Proclamation) denen Schwarze für eine Straftat grundsätzlich we-
erließ, die 1865 mit dem 13. Zusatzartikel zur sentlich härter bestraft wurden als Weiße. Rassen-
Verfassung rechtskräftig wurde, geschah dies also trennung wurde in allen Bereichen praktiziert:
nicht nur aus politisch-humanitärer Überzeugung, Schwarze wurden von bestimmten Bildungsstätten
sondern vor allem aus einer wirtschaftlich orientier- ausgeschlossen, sie wurden in bestimmte Stadt-
ten, zweckgebundenen Absicht heraus. quartiere verbannt und durften von Weißen besuch-
Zu diesem Zeitpunkt lebten in den Südstaaten te Hotels, Restaurants usw. nicht oder allenfalls
knapp 4 Mio. Schwarze als Sklaven von 38 400 Wei- durch getrennte Bereiche betreten.
ßen. Hinzuzurechnen waren 482 000 freie Schwarze Im Grundsatzurteil des Prozesses Plessy vs. Fergu-
im Gesamtgebiet der USA, davon die Hälfte in den son 1896 entschied das Verfassungsgericht der USA
Südstaaten. Durch die Proklamation wurden Skla- (Supreme Court), dass Louisiana und damit auch an-
veneigentümer entschädigungslos enteignet, Planta- dere Staaten ein Recht auf Rassentrennung in ihren
genbesitzer verloren dadurch viele Millionen Dollar Eisenbahnwaggons – implizit auch in anderen öffent-
ihres investierten Kapitals. Der Sezessionskrieg ließ lichen und privaten Räumen – hätten. Die Begrün-
die Wirtschaft des Südens geschwächt zurück. Eine dung stützte sich darauf, dass der 14. Zusatzartikel
rentable Fortführung der Monokulturen war nach Ab- zur Verfassung nur die politische, nicht jedoch sozi-
schaffung der Sklaverei nicht mehr möglich. Das ale Gleichstellung beinhalte. Dieses Urteil (separate
lange Festhalten des Südens an der Agrarwirtschaft but equal) leitete die umfassendste, durch zahlrei-
hatte eine nicht mehr aufzuholende wirtschaftliche che Gesetze abgestützte Rassentrennung im Süden
Disparität zum industriellen Norden entstehen lassen. der USA ein, die erst mit dem Grundsatzurteil Brown
Im 14. Zusatzartikel wurden 1868 den Schwarzen vs. Board of Education of Topeka, Kansas 1954 ab-
noch einmal die gleichen Bürgerrechte wie den Wei- geschafft wurde. In diesem Grundsatzurteil ent-
ßen, im 15. Zusatzartikel von 1870 auch das gleiche schied der Oberste Gerichtshof einstimmig, dass Se-
Wahlrecht zugesichert. Viele weitere Gesetze zur gregation in öffentlichen Schulen eine Verletzung
vollen Gleichstellung erfolgten jedoch erst seit der des 14. Zusatzartikels zur Verfassung darstelle. Zur
Bürgerrechtsbewegung der 1950er Jahre. Während Begründung hieß es, dass Segregation Schwarze als
der reconstruction-Phase (1865 – 1877), in der die minderwertig behandle und sie damit ihrer Chancen
Wiederherstellung der Union, u. a. mit militärischer auf gleiche Entwicklung und freie Entfaltung berau-
Verwaltung der Südstaaten, und die Zukunft der be- be. Das Urteil setzte die separate but equal-Doktrin
freiten Sklaven im Vordergrund standen, schien sich außer Kraft. Ein weiteres Grundsatzurteil 1955 ent-
die ökonomische und soziale Stellung der Schwar- schied, dass Schulen in angemessenem Zeitraum
zen zu verbessern: In den Südstaaten entstanden eine Desegregation durchführen müssten. Die anhal-
über 4000 Schulen für schwarze Schüler, mit Bun- tende Kontroverse im öffentlichen Bewusstsein über
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 119

altes und neues Recht leitete die Bürgerrechtsbewe- Rechtshilfeorganisation wie die National Association
gung der 1950er und 1960er Jahre ein. for the Advancement of Colored People (NAACP)
konnte nicht erreichen, dass die alltägliche Diskri-
Wirtschaftliche und soziale Entwicklung minierung aufhörte. Aufgehört hat die rechtlich ab-
Die kritische soziale Situation und die anhaltende gestützte Diskriminierung seitens des Staates und
Diskriminierung im Süden führten besonders nach der Institutionen. Zurückgegangen ist die massive
dem Zweiten Weltkrieg zu einer massiven Binnen- öffentliche Gewalt gegen Minderheiten, die in Ame-
wanderung der Schwarzen in die Städte des Nor- rika eine mehrhundertjährige Tradition hatte.
dens, zumal es dort ein rapides Wachstum an Ar- So waren in den Jahren von 1859 bis 1891 von
beitsplätzen in der Industrie gab. In einigen Städten 1900 öffentlich gelynchten Personen 1132 Afroa-
erhöhten sich die Anteile der schwarzen Bevölke- merikaner, zwischen den Jahren 1811 und 1920 wa-
rung daraufhin stark (Washington, D.C., Chicago, De- ren von 606 öffentlich Ermordeten 554 Schwarze
troit und andere Städte). Der massive Zustrom von (Adams 2000, S. 115). Lynchmorde an Schwarzen
Afroamerikanern in die Innenstädte führte als Reak- sind bis in die allerjüngste Vergangenheit (1998) in
tion zu einer ebenso starken suburbanen Abwande- den USA bekannt geworden, und die brutale Vorge-
rung der weißen Mittelschichtbevölkerung (white hensweise rassistisch motivierter Polizisten hat 1992
flight) und zu einer sich sozial stark verändernden und 2002 weltweit Aufsehen erregt. Die nach den
Stadtstruktur. Die Lebens- und Wohnumstände der Bürgerrechtsbewegungen neu erlassenen Gesetze
schwarzen Bevölkerung, die Isolierung in Armut und schärften das Bewusstsein der öffentlichen Verwal-
Elendsquartieren und die Politik der Vernachlässi- tungen und eines Teils der Öffentlichkeit für die Be-
gung dieser Quartiere führten zu Identifikationspro- achtung von Bürgerrechten und der political correct-
zessen, die sich einerseits in kultureller Hinsicht ness. Nach der offiziellen Gleichstellung in allen
äußerten (Soul, Jazz, Black English – „Ghettoese“ Bereichen verschoben sich im Alltagsleben der
u. a.) und sich andererseits sehr stark in der politi- schwarzen Bevölkerung die Prioritäten: Der Kampf
schen Arena manifestierten. In den 1950er bis um das wirtschaftliche Überleben ersetzte den Kampf
1960er Jahren kam es zu Rassenunruhen, die 1967 um die Gleichberechtigung. Die heutige sozioökono-
ihren Höhepunkt hatten und ein weltweites Echo mische Situation der schwarzen Bevölkerung ist von
fanden. Obwohl sie als friedliche Demonstrationen in massiven Ungleichgewichten gekennzeichnet. Mit
über 100 Städten begonnen hatten, kam es zu hef- 35,4 Mio. sind sie die größte Minderheit zusammen
tigen Straßenkämpfen mit 130 Toten, fast aus- mit den Hispanics (35,3 Mio.), jedoch auch die Be-
nahmslos Schwarzen. Nach der Ermordung von Mar- völkerungsgruppe in den USA mit den niedrigsten
tin Luther King 1968 kam es zu Brandstiftungen Anteilen an berufsqualifizierender Ausbildung,
und Verwüstungen in innenstadtnahen Ghettos von gleichzeitig den höchsten Anteilen an Arbeitslosen
Washington, D.C. und anderen Städten in unmittel- und Sozialhilfeempfängern (Statistical Abstracts
barer Nähe von Regierungsgebäuden, was den Ein- 2001). Zwischen 1980 und 2000 stieg die afro-
satz von Militär notwendig machte. Die Auswirkun- amerikanische Bevölkerung von 26,7 Mio. auf
gen der Brandstiftungen im Stadtbild waren wegen 35,4 Mio. an. Ihre Anzahl in den innerstädtischen
einseitiger Fokussierung der Stadtplanung auf „Ge- Gebieten hat zugenommen, selektiv auch in den
bieten des Potenzials“ (Schneider-Sliwa 1996) Suburbs. Black suburbanization, der Zuzug afro-
noch fast dreißig Jahre später zu sehen und sind amerikanischer Haushalte in die Vororte, ist kein
erst durch aktuelle, flächenhafte neue Überbauun- Massenphänomen, sondern eines, bei dem es aus
gen in der Innenstadt verschwunden. den innerstädtischen Ghettos heraus spill-over-Ef-
Die politischen Interessenvertretungen für die fekte in angrenzende Jurisdiktionen gibt, die z. T.
Rechte der Schwarzen erzielten jedoch weit reichen- von Innenstadtsanierung und Verdrängungsprozes-
de Erfolge. Die bereits 1910 gegründete National As- sen begünstigt werden. Zwar hat seit den 1970er
sociation for the Advancement of Colored People Jahren auch auf lokalpolitischer Ebene eine massive
(NAACP), der 1942 gegründete Congress on Racial Vertretung afroamerikanischer Interessen aufgrund
Equality (CORE) sowie die 1957 ins Leben gerufene der Tatsache eingesetzt, dass einige Metropolen von
Southern Christian Leadership Conference (SCLC) schwarzen Bürgermeistern regiert werden (Chicago,
traten nach ihrem durchschlagenden Erfolg gegen Los Angeles, Washington, D.C., Philadelphia, Cleve-
die Separate but equal-Doktrin stärker in den Vorder- land). Dennoch ist die amerikanische Gesellschaft
grund. Die von Martin Luther King angeführte, ge- der Gegenwart eine duale, sich stetig auseinander
waltlos orientierte Bürgerrechtsbewegung, welche die entwickelnde, was auch die neuesten Zensus-Ergeb-
1954 verordnete Gleichstellung durchsetzen wollte, nisse (Statistical Yearbook 2001) und neue Phäno-
erwirkte vor allem von 1963 bis 1968 Gesetze zur mene der sozialen Ausdifferenzierung wie gated com-
vollen Gleichstellung der Schwarzen bzw. aller Mino- munities dokumentieren. Die Armut der Schwarzen
ritäten in den USA (Civil Rights Acts von 1964/65). ist anteilsmäßig weiter verbreitet als in der weißen
1965 wurden mit den Voting Rights Acts die letz- Bevölkerung und manifestiert sich in einer spezifi-
ten gesetzlichen Wahlbeschränkungen für Schwarze schen räumlichen Separation, die auch die Züge
aufgehoben; der Fair Housing Act von 1968 schuf des environmental racism annehmen kann, wenn
zumindest auf dem Papier gleiche Grundbedingun- beispielsweise gesundheitsschädigende Deponien
gen bei der Wohnungsbeschaffung. Doch selbst eine im engsten Umfeld von afroamerikanischen Stadt-
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 120

120 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Council registriert wurden. Es waren dies 530 Fälle


offener Gewalt seitens der selbsternannten Weißen
Ritter, darunter Mord, Totschlag, tätliche Übergriffe
und Brandanschläge (Chalmers 1965, S. 343).
Auf der ersten organisierten Zusammenkunft des
Klans im Frühsommer 1867 wurde die Deklaration
der Prinzipien beschlossen, welche die Ziele in einer
scheinbar harmlosen Form definierte (Halsey 1967,
S. 193), darunter:
■ die Schwachen zu beschützen,
■ die Verfassung zu schützen,
■ bei der Ausübung von Gesetz und Ordnung zu
helfen.
Tatsächlich bedeutet dies für den Ku Klux Klan:
„Unser Hauptanliegen und oberstes Ziel ist es, die
Abb.76: Die Sondermüll- teilen errichtet werden (Abb. 76 u. Abb. 77). In die Vorherrschaft der weißen Rasse in dieser Republik zu
verbrennungsanlage von Sondermüllverbrennungsanlage von Chester, Penn- erhalten“ (zit. in Randel 1965, S. 49). Einzige Be-
Chester, Pennsylvania sylvania fahren täglich 450 18-Tonnen-Lastkraftwa- dingung für neue Mitglieder war das absolute Still-
(Westinghouse Chester In-
gen mit Müll aus dem Umkreis von Philadelphia schweigen über die eigene Mitgliedschaft und die Tä-
cinerator), gebaut 1997,
verbrennt täglich allein und New York. Die Bewohner sind ungeschützt den tigkeiten des Klans. Angehende Mitglieder mussten
fast 300 Tonnen infektiö- Abgasen ausgesetzt, die aus zu niedrigen Schorn- sich bewerben, damit man im Bedarfsfall angeben
sen medizinischen Son- steinen entweichen. konnte: „Sie sind aus eigenem Antrieb hier und nicht
dermüll, ferner andere Unter den Ghettos der afroamerikanischen Bevöl- aufgrund einer Einladung von uns“ (zit. in Lester &
Arten von Sondermüll. Die kerung gibt es Gebiete, die sich in Sanierung und Wilson 1905, S. 58). Auf diese Weise konnten krimi-
Anlage, 7.-größte ihrer Art wirtschaftlichem Aufschwung befinden, so z. B. Teile nelle Akte im Bedarfsfall einzelnen Personen zuge-
in den USA, wurde trotz
der Klagen der schwarzen des in den 1960er und 1970er Jahren berüchtigten wiesen werden und nicht der gesamten Vereinigung,
Anwohner (Chester Resi- Stadtteils Watts in Los Angeles. Große Gebiete wer- was zu deren Verbot hätte führen können.
dents Concerned for Quali- den aber zunehmend zu Enklaven mit Drittwelt- Die Geschichte des Ku Klux Klan zeigt drei be-
ty Living) bis zum Obers- Charakter, in denen die Lebenserwartung niedriger, deutsame Perioden (Horn 1969; Jackson 1967;
ten Gerichtshof der USA, die Kindersterblichkeit höher ist, die Geburtenraten Sims 1978; Mecklin 1963; Rice 1972; Wade 1987):
mit Unterstützung von der unverheirateten Frauen unter 20 Jahren Extrem- ■ Die erste ist zeitgleich mit der Rekonstruktionszeit
Grundsatzurteilen gebaut.
Seither entweichen Dioxi-
werte haben und die Sozialhilfeabhängigkeit eine des Südens (1865 – 1877) einzuordnen, in der es
ne und andere Emissionen Lebensform in der dritten bis fünften Generation ist. zwar Gesetze zur Gleichstellung der Schwarzen
aus Schornsteinen, deren gab, diese jedoch das Bewusstsein der weißen Be-
geringe Höhe den Höhen- Ku Klux Klan völkerung nicht verändert hatten. Für die weißen
standards europäischer Wegen anhaltender Befürchtungen, dass die Weißen Südstaatler war der Ku Klux Klan die Bewegung,
Müllverbrennungsanlagen durch die Schwarzen minorisiert werden könnten, die Recht und Ordnung wiederherstellen sollte
kaum entsprechen. Die
wurde 1865/1866 in Pulaski, Tennessee, ein Ge- (Chalmers 1965, S. 21). Unter der Führung von
Geschichte dieses Envi-
ronmental-Racism-Prozes- heimbund gegründet, der die als „natürlich“ be- Angehörigen der ehemaligen Südstaatenarmee sah
ses durch den Instanzen- trachtete und empfundene Gesellschaftsordnung man mit einer „Geheimarmee“ die Möglichkeit,
weg und die Situation der des Südens wiederherstellen wollte. Pulaski, nahe dieses Ziel mit den Mitteln und Strukturen des Mi-
Anwohner sind dokumen- der Grenze von Tennessee und Alabama gelegen, litärs durchzusetzen. In dieser Zeit wurden die Ak-
tiert in dem Film „Laid to war auf der Ost-West-Achse des innerstaatlichen tivitäten des Geheimbundes zunehmend gewalt-
Waste“ und auf Sklavenschmuggels eine wichtige Durchgangssta- tätiger. Obwohl die Bundesregierung versuchte, mit
www.ejnet.org/chester/
abrufbar.
tion. Wegen der vielen Großplantagen machten Afro- harten Maßnahmen gegen den Ku Klux Klan vorzu-
amerikaner hier etwa die Hälfte der Bevölkerung gehen, konnte sie ihm nicht wirksam Einhalt ge-
aus. Der ursprünglich aus einer Studentenverbin- bieten. So schuf die Bundesregierung zwar gerade
dung hervorgegangene Geheimbund gab sich den 1871 ein Gesetz („Ku Klux Klan Bill“), das es er-
Namen Ku Klux Klan, wobei die Begriffe „Ku“ und laubte, jeden vor Gericht zu bringen, der eine Per-
„Klux“ aus dem griechischen Wort „Kyklos“ (Ring, son seiner verfassungsmäßigen Rechte, Privilegien
Kreis) hergeleitet wurden und das Wort „Klan“ auf und Immunitäten beraubte und ebenfalls jene, die
die irisch-schottische Abstammung seiner Gründer dazu anstifteten, andere ihrer Rechte zu berauben.
verwies. Dieser Name und seine Wirkung sollten Dieses Gesetz konnte jedoch auch von jenen zu
auch programmatisches Ziel sein: „The sound of it ihren Gunsten ausgelegt und vor allem in die eige-
is suggestive of bones rattling together – der Klang, ne Hand genommen werden, die daran glaubten,
der das Klappern von Knochen suggeriert“ (Lester & dass Minderheiten ihnen ihre angestammten Rech-
Wilson 1905, S. 56). te nähmen. Während der Rekonstruktionsphase war
Wie dies in der Realität aussieht, zeigen Vorfälle der Ku Klux Klan ein vorwiegend ländliches Phäno-
des Jahres 1958, in dem der Ku Klux Klan besonders men, weswegen sich seine Aktivitäten von Lynch-
intensiv agitierte, die in den Reports der Quäker justiz und Mord abseits großer Zentren ungehindert
(Friends’ Services Committee), des National Council entfalten konnten. Afroamerikaner versuchten, die-
of Churches of Christ und des Southern Regional ser realen Bedrohung durch Abwanderung in die
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 121

Städte des Nordens zu entgehen. Mit der zuneh- auch eine neue Strategie des Ku Klux Klans: Die
menden politischen Macht der ehemaligen Skla- radikalen und rassistisch motivierten Ziele sollten
venbefürworter sah der Ku Klux Klan seine Ziele in Anlehnung an verbreitete moralische und ameri-
wieder offiziell auf der politischen Bühne vertreten kanische Grundwerte verschleiert und gleichzeitig
und empfahl 1869 seine Selbstauflösung. Das einer breiten Masse, nämlich jedem patriotisch
Bundesgesetz gegen den Ku Klux Klan von 1871 denkenden Amerikaner, nahe gebracht werden.
erfolgte nach dessen offizieller Selbstauflösung. Mit dem Kriegseintritt der USA 1917 gab sich der
Tatsächlich war der Geheimbund jedoch nicht wirk- moderne Ku Klux Klan eine erweiterte Zielset-
lich verschwunden. Die neu gewonnene Repräsen- zung: „Die Nation müsste gegen fremde Feinde,
tanz der rechtskonservativen Elemente machte ihn Bummelanten, Faulenzer, Streikanführer und un-
nur nicht länger als aktives Instrument erforderlich moralische Frauen verteidigt werden, damit der
(Wade 1987, S. 11). Sieg nicht gefährdet wird“ (zit. in Chalmers 1965,
■ Die zweite Periode ist die „Wiederbelebung“ (revi- S. 31). Da sich der Ku Klux Klan sofort nach
val) von 1915 bis ca. 1930. Die offizielle Wieder- Gründung als Körperschaft registrieren ließ, wurde
gründung des Klans erfolgte 1915 auf dem Stone von Anfang an eine Organisation geschaffen, die
Mountain nahe Atlanta, Georgia. Die starke Ein- durch ihren gesetzlichen Status geschützt war und
wanderung aus Osteuropa hatte eine Xenophobie Einkünfte ausweisen durfte. 1920 erhielt der Klan
ausgelöst. Auch hatte die Bundesgesetzgebung, vor durch die Zusammenarbeit mit einer auf Öffent-
allem der Lesetest für Einwanderer (1917), einem lichkeitsarbeit und Kapitalbeschaffung ausgerich-
patriotischen Amerikanismus Vorschub geleistet. teten Organisation (Southern Publicity Associa-
Wie sehr der Zeitgeist damals auf die „Reinhaltung tion) einen weiteren wichtigen Aufschwung. Die
der angloamerikanischen Rasse“ bedacht war, zei- „pyrotechnisch-aggressive Verteidigung des ein-
gen auch die Eugenik-Gesetze, die in den 1920er hundertprozentigen Amerikanismus“ (Chalmers
Jahren nach dem Vorbild eines Gesetzes von 1924 1964, S. 32) richtete sich fortan kategorisch
in Virginia in 30 Bundesstaaten die Zwangssteri- gegen Afroamerikaner und ihre Sympathisanten,
lisierung von Personen mit angeblich schlechten Katholiken, Juden und ganz allgemein Ausländer
Erbanlagen legalisierten, eine Gesetzgebung, die sowie alles, was den patriotischen, anglokonfor-
1927 vom Obersten Gerichtshof in ihrer Verfas- men Prinzipien vermeintlich widersprach.
sungsmäßigkeit bestätigt wurde. Verfechter der Eu- Verstöße gegen seine selbstgeschaffenen Gesetze
genik-Gesetze gingen davon aus, dass die meisten mit seiner idealisierten Gesellschaft sah der Klan
Krankheiten, aber auch soziale Probleme wie auch in der zunehmenden Streikbewegung, die al-
Armut und Kriminalität vererbbar seien. Als min- lein 1919 zu 3600 Streiks führte, ohne allerdings
derwertig galten beispielsweise Epileptiker, Ma- die für die Arbeitnehmer gewünschten Resultate
nisch-Depressive, Prostituierte, Alkoholiker, Ob- zu erbringen. Mit der russischen Revolution wurde
dachlose und Straffällige. Aufgrund dieser Gesetz- auch der Kommunismus als unvereinbar mit ame-
gebung wurden bis in die 1970er Jahre mindes- rikanischen Idealen erklärt und bekämpft. In der
tens 60 000 Männer und Frauen wegen vermeint- Bekämpfung aufkommender, politisch linksgerich-
licher Erbkrankheiten zwangssterilisiert, die meis- teter sowie gewerkschaftlicher Bewegungen wur-
ten von ihnen waren arm und zählten zu den Min- den gleichsam auch die Katholiken und Juden
derheiten. Oregon, dessen Board of Eugenics bis in zum zweiten Mal zum Angriffsziel des Ku Klux Abb. 77: Prozentualer An-
die 1980er Jahre bestand, ist nach Virginia der Klans erklärt, waren doch irische Katholiken in teil links der weißen,
zweite Bundesstaat, der 2002 die Opfer öffentlich der Arbeiterschaft der USA und Juden stark in der rechts der afroamerikani-
um Entschuldigung bat (NZZ vom 4. 12. 2002, S. progressiven Arbeiterbewegung vertreten. schen Bevölkerung in
Washington, D.C., 2000,
56). Der erneuerte Ku Klux Klan und der von ihm Im Gegensatz zum Ku Klux Klan der ersten Stun- nach Census Tract. Auftei-
propagierte „echte Amerikanismus“ ordneten sich de, der ländlich orientiert war, war der wiederer- lung in Klassen nach dem
also sehr stark in den Zeitgeist und die Stimmung weckte Klan zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ers- Prinzip der Quantile (siehe
der Öffentlichkeit ein. Was unter diesem „echten ter Linie ein vorstädtisches Phänomen, das seine Abb. 71).
Amerikanismus“ verstanden wurde und wie stark
sich der Ku Klux Klan unter den Deckmantel der
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the

traditionellen, religiös geprägten amerikanischen


Grundwerte begab, zeigen mehrere der zehn so-
Census: Census 2000, Long Form, Washington, D.C.

genannten Gewissensfragen, die jeder Klan-


Anwärter beantworten musste, so unter ande-
rem (zit. in Randel 1965, S. 232 f.):
1. Achten Sie die USA und ihre Institutionen
höher als jede andere staatliche, politische oder
kirchliche Regierung in der ganzen Welt? Anteil in %
2. Wollen Sie ohne geheimen Vorbehalt einen fei- 0 bis 1
erlichen Eid leisten, diese jederzeit zu verteidigen 2 bis 5
und zu erhalten? 6 bis 43
Mit diesen Gewissensfragen, die in der zweiten Pha- 44 bis 100
Flüsse 0 3 660 m
se des Geheimbunds eingeführt wurden, begann
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 122

122 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Mitglieder besonders in der weißen Mittelschicht Zugeständnisse gewinnen konnte, wurde sie wieder
rekrutierte, welche sich von möglichen Bevölke- zum Hauptangriffsziel des Klans. Die Entschei-
rungs- und Lebensveränderungen besonders be- dung des Obersten Gerichtshofs vom 17. 5.1954
droht sah und die ihr Umfeld eines „weißen“ gegen die Segregation öffentlicher Schulen gab
small town America verteidigen wollte. Der Ku dem „Unsichtbaren Reich“ nach eigener Auffas-
Klux Klan der zweiten Phase gewann schnell weit sung die Handhabe, Recht und Ordnung, wie man
mehr Mitglieder als sein Vorläufer: 1923 gab es es verstanden wissen wollte, wiederherzustellen.
allein in Pennsylvania 260 000 eingetragene Mit- Zwar hatte der wiederentstandene Ku Klux Klan
glieder – rund 10 % der erwachsenen männlichen zu Beginn der 1960er Jahre nur 17 000 Mitglie-
Bevölkerung. Während seines Höhepunkts 1922/ der, jedoch war zu allen Zeiten die schweigende
1923 hatte der Ku Klux Klan im ganzen Land zwi- Zahl der Sympathisanten, welche die Aktivitäten
schen 4 und 6 Mio. Mitglieder und Hauptquartiere befürworteten, bedeutend. In dem Maße, wie Dr.
in Boston, New York, Philadelphia, Washington, Martin Luther King Jr. die sozialen und politi-
D.C., Chicago, Atlanta, St. Louis, Houston und Los schen Missstände mit Gewaltlosigkeit als oberster
Angeles. Da an das beträchtliche Klan-Vermögen Maxime zu bekämpfen suchte, radikalisierte sich
in späteren Jahren ebenso beträchtliche Forderun- der Ku Klux Klan und wurde immer gewalttätiger
gen im Sinne von Nachzahlungen der Körper- (Rice 1972; Wade 1987).
schaftssteuern gestellt wurden, löste sich der Klan In den USA ist der Ku Klux Klan auch heute noch
1944 ein zweites Mal auf. Die Strategie des Klans „da“, und nach wie vor gilt sowohl der verfassungs-
verfeinerte sich in der dritten Periode dahinge- mäßige Schutz für eingetragene Körperschaften bzw.
hend, dass er sich jetzt als Kirche eintragen ließ, Kirchen als auch der vom Recht auf Meinungsfrei-
somit nicht mehr mit Körperschaftssteuern behel- heit gegebene Schutz.
ligt werden konnte und durch den Grundsatz der Zu erkennen ist die Tatsache, dass das Gedanken-
Glaubensfreiheit geschützt wurde. Als wichtigste gut des Ku Klux Klan auf höchster politischer Ebene
Wirkung der zweiten Phase verblieb jedoch, dass vertreten ist. Das Beispiel des republikanischen Se-
der Klan mit seiner erweiterten Zielgruppe und natsführers Trent Lott beweist dies deutlich. Er im-
seiner stärker patriotisch-amerikanischen Orientie- plizierte im Winter 2002, dass Amerika mit einem
rung den begrenzten Bereich des Alten Südens Rassentrennungsprogramm, wie es der republikani-
verlassen konnte und nicht mehr an dessen beson- sche Senator Strom Thurmond 1948 als demokrati-
dere demographische oder politische Struktur ge- scher Präsidentschaftskandidat propagiert hatte,
bunden war (Jackson 1967). Kennzeichen für den gegenwärtig besser dastehen würde. Für diese Äu-
Ku Klux Klan des 20. Jahrhunderts war, dass er ßerung musste er sein Amt niederlegen. Dass dieses
sich mit seinen vielfältigen Dogmen den jeweiligen radikale Gedankengut nicht parteigebunden ist, of-
politischen und regionalen Erfordernissen strate- fenbarte sich daran, dass die Demokratische Partei
gisch anzupassen wusste und damit auch in gewis- 2002 den Senator Robert Byrd stellte, der erwiese-
ser Weise Mainstream America immer näher kam. nermaßen dem Ku Klux Klan angehört hat (NZZ
Traditionsverbundenheit, Standesdenken, das Be- vom 16.12. 2002, S. 2).
wusstsein der amerikanischen Identität und die re- Wichtig und gefährlich in der Gegenwart bleibt
ligiös-missionarischen Idealvorstellungen von Ame- ■ die Anpassungsfähigkeit, mit welcher sich der
rika als dem einzigen moralischen Leuchtturm in Klan sogenannter all American-Themen der kon-
der Welt waren durch geschickte Strategie jeweils servativ-rechten religiösen Kräfte annimmt wie
leicht in empfänglichen Bevölkerungskreisen zu derzeitig der Abtreibung,
aktivieren. ■ dass er den rechtlichen Status einer Kirche be-
■ Die dritte Phase fällt in die Zeit der Bürgerrechts- sitzt (Church of American Knights of the Ku Klux
bewegung bis in die 1960er Jahre. 1946 wurde Klan) und damit einen vollumfänglichen, verfas-
das selbsternannte „Unsichtbare Reich“ (The In- sungsmäßigen Schutz unter der Maxime der Glau-
visible Empire) des Klans ein weiteres Mal auf bensfreiheit genießt,
dem Stone Mountain bei Atlanta gegründet. Zwei ■ dass er immer stärker auf vermeintlich uramerika-
politische Entwicklungen hatten hierfür den Nähr- nische gesellschaftliche Grundwerte abzielt, mit
boden gegeben: Zum einen der Kalte Krieg und denen sich viele Amerikaner identifizieren kön-
die Angst vor dem Kommunismus, die vom Mc- nen, so z. B. Respekt vor der Verfassung, den
Carthyismus geschürt wurde; zum anderen war es grundlegenden family values (dazu Blankenhorn
die aufkommende Bürgerrechtsbewegung. Wäh- 2002) und gesellschaftlichen Vorstellungen von
rend der Kommunistenhetze von Senator McCar- Recht und Ordnung. So postuliert der Ku Klux
thy von 1950 bis 1954 lag das Hauptaugenmerk Klan heutzutage:
des Ku Klux Klan auf dieser Zielgruppe. Nach of- – dass „Amerika immer vor allen fremden Einflüs-
fizieller Verurteilung des McCarthyismus durch sen oder Interessen Vorrang haben sollte,
den Kongress wandte sich der Ku Klux Klan wie- – dass die Verfassung, wie sie ursprünglich geschrie-
der vornehmlich gegen seine früheren Zielgrup- ben und beabsichtigt war, das beste Regierungs-
pen – Afroamerikaner, Katholiken, Juden und system darstellt, das die Menschheit je erdacht hat,
Ausländer. Da die afroamerikanische Bevölkerung – dass jeder Amerikaner das Recht auf freie Glau-
seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutende politische bensausübung habe, Schulgebete eingeschlossen,
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Ausgewählte Einwanderungsgruppen und vergessene Bevölkerungsgruppen 123

– dass die Familie die Stärke der Nation ist, und seine Führungsriege auf einzelstaatlicher, regio-
– dass den Gesetzen immer Folge geleistet werden naler und lokaler Ebene zu hohen Schadensersatz-
muss. Kriminelle Handlungen jeder Art werden zahlungen verurteilt, um Nachahmer abzuschrecken,
weder erlaubt noch toleriert.“ die Geldmittel des Klans blockiert und er so hand-
Es ist erkennbar, dass die öffentliche Meinung in lungsunfähig gemacht. Im Fall Manning, South Caro-
viel subtilerer Weise beeinflusst wird als in früheren lina betrug die zu leistende Schadensersatzsumme
Jahren. Die Vorgehensweise ist strategisch verfeinert insgesamt 37,8 Mio. Dollar; für einen Lynchmord in
worden und hat sich, da sie sich von der antiquierten Mobile, Alabama wurde der Ku Klux Klan 1987 zu
Symbolik getrennt hat, „verallgemeinert“. So wer- 7 Mio. Dollar Schadensersatz verurteilt (Generelle In-
den in den USA nach wie vor Fälle von Brandstiftun- formationen zum Rassismus gegen Afroamerikaner
gen an Gotteshäusern afroamerikanischer Kirchen- 2003).
gemeinden bekannt, wobei der Ku Klux Klan nicht Dadurch, dass dieser Geheimbund 2003 in seiner
mehr aufgrund seiner eindeutigen Rituale als Urhe- offiziellen Propaganda nun auf uramerikanische
ber auszumachen ist, sondern auf eine „Sachschädi- Werte als Mechanismus setzt, nach denen
gung durch Unbekannt“ abzielt (generelle Informa- ■ Amerika dazu berufen ist, die Welt zu retten (dazu
tionen zum Rassismus gegen Afroamerikaner, 2003). Kap. „Politisch-kulturelle Tradition“) und
Das Niederbrennen sogenannter Black Churches ist ■ das Musterbeispiel des kleinbürgerlichen, kleinstäd-
ein Indiz für den Klan; wo ihm solche Verbrechen tischen Lebens als weltgültig angenommen wird,
nachgewiesen werden konnten, wie 1995 in Man- ■ sogar das moralische Recht beansprucht wird, die
ning, South Carolina, wurden die Klanmitglieder Voraussetzungen eines Krieges zur Sicherung mo-
dafür zu 15 – 20 Jahren Haft verurteilt. Ein signifi- ralischer Werte außerhalb der Grundsätze des Völ-
kanter Hintergrund des Rassenhasses ist die wach- kerrechts zu definieren,
sende Armut Weißer, die sich aus dem Wirtschafts- hat die Organisation sich nicht nur den 18 Mio. wei-
und Erwerbsleben der Arbeiter- und Mittelklasse ßen fundamentalistischen Christen, die es in den
ausgegrenzt sehen. Dies ist nicht selten in abge- USA gibt, angenähert, sondern auch in beunruhi-
schiedenen ländlichen Gebieten der Fall, deren geo- gender Weise einer Mehrheit der Amerikaner, die
graphische Isolation den Arbeitslosen noch weniger schlicht und einfach auf ihre patriotischen, ameri-
wirtschaftliche Möglichkeiten erlaubt als den städti- kanischen Werte bedacht sind.
schen Armen. Kirchen und Schulen sind in länd- Es verwundert nicht, dass nach Angaben des
lichen Gemeinden die Zentren des Gemeindelebens: Southern Poverty Law Center (SPLC) Intelligence
Wenn sie zerstört werden, kann dies eine Gemeinde Report die Anzahl der Gruppen, die Hass predigen
zu größerem Zusammenhalt oder aber zur Desinte- und zu Gewalt aufrufen, in den USA zwischen 1995
gration bringen. Gerade Kirchen als besondere Soli- und 1998 von 163 auf 254 angestiegen ist, und
daritätszentren afroamerikanischer Gemeinden sind dass die Simon Wiesenthal Center Cyber Watch
daher ein bevorzugtes Ziel des Ku Klux Klans, um Group 1526 Internetseiten in den USA mit ein-
die ganze Gemeinde, ihre historischen Kirchenakten schlägigen Inhalten als problematisch identifiziert
und damit auch ihre Geschichte zu zerstören. Zwi- hat (Generelle Informationen zum Rassismus gegen
schen dem 1.1.1995 und dem 8.9.1998 gab es in Afroamerikaner 2003).
den USA 670 Brandstiftungen und versuchte Brand- Ungleichgewichte in der Gesellschaft sind auf de-
stiftungen von Kirchen, in 420 weiteren Fällen war mokratische Art deshalb nur schwer zu beseitigen,
die Brandursache nicht eindeutig festzustellen (ge- weil sich ihre Ursachen in bedeutsamer Weise aus
nerelle Informationen zu Rassismus gegen Afroame- religiös-kulturellen Wertvorstellungen von Auser-
rikaner, 2003). Daher gründete 1996 Präsident Clin- wähltheit und moralischer Überlegenheit der Gesell-
ton die National Church Arson Task Force (NCTF), schaft herleiten. Auch die Kraft von Gesetzen sinkt,
um dieser Problematik verstärkt nachzugehen. Der wenn Gesellschaft und Politik dem moralischen
National Church Arson Task Force Second Report Überlegenheitsanspruch immer wieder neue Impul-
vom 1.11.1998 macht deutlich: se verleihen. Von besonderer symbolischer Bedeu-
„In the African-American community the church tung mag in diesem Zusammenhang die Abschaf-
historically has been a primary community institu- fung des Mischeheverbots in South Carolina vom
tion. It was the only institution permitted during the 1. Juli 1999 sein. An diesem Tag setzte der Gouver-
years of slavery. It was the institution that enabled neur ein Gesetz aus dem ausgehenden 19. Jahrhun-
the people to read. It has been the institution that dert außer Kraft, welches Mischehen zwischen Wei-
formed the backbone for a tremendous amount of ßen und Schwarzen zu einer Straftat machte. South
political activism. Critical events of the civil rights Carolina war der vorletzte Staat, in dem dieses Ge-
movement, such as the Montgomery bus boycott, had setz offiziell noch galt. Allerdings durfte es seit
their genesis in the church. Many leaders within the 1967 nicht mehr angewendet werden, nachdem der
African-American community grew up in the church Supreme Court die entsprechenden Gesetzesbe-
or remain ministers of the church. So, for the Afri- stimmungen in 17 Staaten für verfassungswidrig er-
can-American community, it was decidedly disturb- klärt hatte. Alabama ist nun der letzte Staat, der
ing to see the number of churches being burned.“ noch 2003 an einem bereits verfassungswidrigen
Außer zu harten Haftstrafen für die Täter werden Gesetz festhielt – getreu seinem Image als be-
heute der Ku Klux Klan als nationale Organisation sonders schwieriger Fall in Sachen Bürgerrechten.
05 LdK USA 099-124 30.05.2005 21:53 Uhr Seite 124

124 Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstrukturen

Die USA als multikulturelle Gesellschaft


Abb. 78: (oben) Prozen- Wachsende soziale Distanz sich beständig verschärfenden Sozialproblematik
tualer Anteil der asiati- Galten die USA im 19. Jahrhundert noch als ist.
schen Bevölkerung in der „Schmelztiegel der Nationen“, zeigen gegenwärtige Wie Max Weber in seinem Werk von 1907 „Die
Los Angeles Metropolitan Entwicklungen, dass eine Assimilierung der ver- protestantische Ethik und der Geist des Kapitalis-
Area, 2000, nach Census
Tract. Aufteilung in Klas- schiedenen Einwanderergruppen und Ethnien teil- mus“ analysierte, war das Streben nach Glück, Be-
sen nach dem Prinzip der weise nicht einmal mehr angestrebt wird. Das neue sitz und Wohlstand von jeher das vielleicht wichtigste
Quantile (siehe Abb. 71). Schlagwort von der „multikulturellen Gesellschaft“ Bindeglied im multikulturellen Vielvölkerstaat USA
Abb. 79: (unten) Prozen- signalisiert zwar eine Akzeptanz der Andersartigkeit, gewesen. Daraus leitet sich ab, dass legal erworbenes
tualer Anteil der schwar- die Rückbesinnung auf kulturelles Erbe und harmo- Geld hoch angesehen wird, auch wenn der Besitzer
zen Bevölkerung in der nische Koexistenz der verschiedenen Bevölkerungs- ■ nicht die richtige Schulbildung hat,
Los Angeles Metropolitan
Area, 2000, nach Census
gruppen. Historische und aktuelle Entwicklungen in ■ die Sprache nicht oder nur schlecht spricht,

Tract. Aufteilung in Klas- der amerikanischen Gesellschaft zeigen jedoch, ■ seine Erscheinung nicht den vorherrschenden
sen nach dem Prinzip der dass die sogenannte „multikulturelle“ Gesellschaft Normen entspricht,
Quantile (siehe Abb. 71). eine zutiefst segregierte mit einer ungelösten und ■ seine Hautfarbe oder Rasse ihn zu einer Minder-
heit macht,
■ sein gesellschaftlich-kultureller Hintergrund even-
tuell nicht hochstehend genug ist.
In anderen Ländern gab es rigide Gesellschaftsstruk-
turen, die man kaum durchbrechen konnte. In den
USA, genauer gesagt in der sorgfältig kultivierten
Vorstellung der Amerikaner von ihrem Land, sollte es
jeder zu etwas bringen können, ohne durch Rasse,
Hautfarbe oder Geschlecht behindert zu werden.
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the

Die sozialdemographischen Entwicklungen, vor


allem die Bildungsunterschiede zwischen den eth-
nisch-kulturellen Gruppen zeigen, dass es kurz- und
Census: Census 2000, Long Form, Wash., D.C.

mittelfristig jedoch eher ein Auseinanderdriften der


Gesellschaft, mehr disuniting als uniting effects
(Schlesinger 1992) geben wird. Zwar gibt es Mino-
Anteil der Asiaten ritäten, die sich der amerikanischen work ethic aus-
in % gezeichnet anpassen, amerikanische Werte vertreten
0 bis 2 und leben, finanziell erfolgreich sind und trotz ihrer
3 bis 6 freiwillig abgeschotteten Lebensweise akzeptiert wer-
7 bis 14
den. Es haben sich jedoch Parallelgesellschaften und
15 bis 38
0 25 50 km
Lebensräume der Armut herausgebildet, die zu
39 bis 98
durchbrechen vielen kaum mehr möglich ist.
Die Zusammensetzung der amerikanischen Be-
völkerung ändert sich fortwährend. Schwarze, Latinos
und Asiaten machen heute 20 % aus, jedoch werden
sie bereits in einer Generation mehr als ein Drittel
der US-Bevölkerung stellen. Schon heute besitzt über
die Hälfte der Amerikaner Eltern oder Großeltern ver-
schiedener nationaler Herkunft. 20 Mio. Amerikaner,
das sind 7 %, sprechen zu Hause eine andere Spra-
che als Englisch – und der Anteil steigt. In Los Ange-
les sprechen die Kinder in den öffentlichen Schulen
über 100 verschiedene Muttersprachen, fast die
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the

Hälfte der erwachsenen Einwohner von Los Angeles


spricht zu Hause nicht Englisch. Wohngebiete ver-
schiedener ethnischer Gruppen grenzen sich von-
Census: Census 2000, Long Form, Wash., D.C.

einander ab (Abb. 78 u. 79). Nicht selten sind ethni-


sche Konzentrationsgebiete auch Gebiete großer
Armut.
Anteil der Schwarzen Die Vereinigten Staaten sind bis heute kein klas-
in %
sisch integrierter Nationalstaat geworden. Es gibt
0 bis 2
3 bis 6
ausgesprochene Tendenzen zur Auseinanderent-
7 bis 14 wicklung, zu Separation, Segregation und zur Ver-
15 bis 38 schärfung von Disparitäten zwischen den verschie-
0 25 50 km 39 bis 98 denen Bevölkerungsgruppen, wie das folgende Kapi-
tel ausführt.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 125

125

Einkommensdisparitäten, Armut,
Parallelgesellschaften

Abb. 80: Obdachlosigkeit


Überblick ist in jeder amerikani-
■ Ungleichheit – bereits in der kolonialen und frühen Gesellschaft der USA angelegt – hat heute viele schen Stadt präsent.
Gesichter.
■ Ein wachsendes Wohlstandsgefälle zeigt sich seit den 1980er Jahren besonders deutlich; die Vermö-
gensverteilung verschiebt sich immer stärker zugunsten der Wohlhabenden.
■ Die absolute Armut, bei der es um existenzielle Grundversorgung geht und von der Bevölkerungs-
gruppen unterschiedlich betroffen sind, steigt und ist nicht länger ein zeitlich abgrenzbarer Zustand.
■ Das Fehlen verfassungsmäßig verankerter, sozialer Umverteilungsmechanismen im föderativen Sys-
tem verschärft die Problematik.
■ Das Sozialprofil der Armut zeigt eine ethnische Komponente, ferner eine „Feminisierung“ der Armut,
Kinderarmut, bildungsbedingte Armutsbiographien, Altersarmut sowie eine mit der wirtschaftlichen
Entwicklung einhergehende strukturelle Armut.
■ Während einige Minderheiten überproportional von Armut betroffen sind, gibt es ausgesprochen er-
folgreiche model minorities mit einem hohen Grad an sozialer Mobilität.
■ Indianerreservate sind auch im Amerika der Gegenwart überwiegend Armutsgebiete, die es zudem
auch in beträchtlichem Ausmaß im ländlichen Raum Amerikas gibt.
■ Amerikanische Großstädte sind nach wie vor von extremen sozialräumlichen Disparitäten gekenn-
zeichnet. Weite Innenstadtgebiete bleiben von Wirtschaftskreisläufen abgekoppelt.
■ In zunehmendem Maße zeigen sich die räumlichen Auswirkungen des NIMBY- (not in my back-yard)
Syndroms: Vielfältige Arten von gated communities sind der räumliche Ausdruck einer Gesellschaft,
deren Multikulturalität auch eine Vielfalt der Parallelgesellschaften ist.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 126

126 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Einkommens- und Armutsentwicklung


Einkommensentwicklung im Überblick 33 447 Dollar bzw. 30 439 Dollar. Während weiße,
Ungleichheiten entstanden schon in der kolonialen nicht hispanische Haushalte 45 904 Dollar verzeich-
sowie in der frühen amerikanischen Gesellschaft, neten, wiesen asiatische Haushalte ein mittleres
worauf bereits in den vorigen Kapiteln eingegangen Jahreseinkommen von 55 521 Dollar auf. Von Frauen
wurde. Das heutige Gesicht der Ungleichheit lässt geführte Familienhaushalte zeigten zwischen 1999
sich in vielfältiger Weise dokumentieren. Das mittle- und 2000 einen Einkommenszuwachs von 27 042
re Einkommen (Median) in den USA betrug im Jahr auf 28 116 Dollar. Das Einkommen von Haushalten
2000 42 148 Dollar. Das mittlere Einkommen afro- ausländischer Herkunft stieg im gleichen Zeitraum
amerikanischer und hispanischer Haushalte betrug von 37 250 auf 38 929 Dollar. Die regionale Ein-

Haushalte nach Anzahl von mittleres mittleres mittleres Veränderung


verschiedenen Kriterien Haushalten Einkommen Einkommen Einkommen 1993 – 2000
1999 aufgeschlüsselt 1993 1999 2000 (in %)
(in Dollar) (in Dollar) (in Dollar)

Gesamt 106 417 36746 42 187 42 148 14,7


Art des Haushalts
Familienhaushalte 72 375 44090 51618 51 751 17,4
von alleinstehenden 12 525 21 813 27 043 28 116 28,9
Frauen geführt
Nach Rasse und Herkunft
Weiße 88 545 38 768 43 932 44 226 14,1
nicht hispanische Weiße 79 376 40 195 45 856 45 904 14,2
Afroamerikanische 13 352 22 974 28 848 30 439 32,5
Haushalte von Asiaten 3 257 45 105 52 925 55 521 23,1
und Pazifikinsulanern
Hispanics 9 663 26 919 31 767 33 447 24,3
ausländischer Herkunft 12 359 31 017 37 259 38 929 25,5
US-Region
Nordosten 20 212 39 694 43 394 45 106 13,6
Mittelwesten 24 497 36 933 44 113 44 646 20,9
Süden 38 525 33 453 38 700 38 410 14,8
Westen 23 183 39 685 44 155 44 744 12,7
Lage des Wohnorts
innerhalb von Metropolitan- 85 737 39 074 44 222 44 984 15,1
gebieten

Quelle: US Bureau of the Census 2001: Money Income in the United States 2000; Table A (veränd.).
in Kernstädten 32 030 31 221 36 768 36 987 18,5
in Vororten 53 706 44 945 49 311 50 262 11,8
im ländlichen Raum 20 681 29 769 34 130 32 387 10,3
Ganzjahresbeschäftigte
(„Full-time job“)
Männer 58 731 35 765 37 701 37 339 4,4
Frauen 41 567 25 579 27 208 27 355 6,9

Pro-Kopf-Einkommen Anzahl Personen


in Haushalten (in Tsd.)
Pro-Kopf-Einkommen in 276 540 18 319 21 893 22 199 21,2
Haushalten, alle Rassen
Weiße 226 401 19 497 23 127 23 415 20,1
nicht hispanische Weiße 194 161 20 941 24 919 25 278 20,7
Afroamerikaner 35 919 11 534 14 881 15 197 31,8
Asiaten und Pazifikinsulaner 11 384 18 456 21 844 22 352 21,1
Hispanics* 33 863 10 317 12 011 12 306 19,3
Tab. 19: Einkommensentwicklung im Überblick 1993, 1999 und 2000 (*Hispanics können jeder Rasse zugeordnet werden).
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 127

Einkommens- und Armutsentwicklung 127

Haushaltseinkommen 1967 1970 1980 1990 1995 2000 2001


Quelle: US Bureau of the Census 2002: Money Income in
the United States 2001, Table A-3, S. 20 – 21 (veränd.).

nach ausgewählten
Prozent-Abgrenzungen
in Dollar/Jahr
unterste 10 % 7 325 7 999 9 156 9 613 10 007 10 896 10 913
unterste 20 % 13 474 14 556 15 374 16 416 16 610 18 456 17 970
50 % (Median) 32 081 34 481 36 035 39 324 39 306 43 327 42 228
oberste 20 % 53 181 57 881 64 501 72 501 75 118 84 248 83 500
oberste 10 % 67 553 73 732 83 220 97 315 101 158 114 717 116 105
oberste 5 % 85 334 91 505 104 788 124 432 130 342 149 558 150 499
Tab. 20: Einkommensverteilung 1967 bis 2001.

kommensentwicklung weist den Nordosten der USA 20 % stiegen zwischen 1998 und 2001 um 14,4 %,
in der gleichen Periode als einzige Wachstumsre- die der mittleren Einkommensgruppe um 9,6 %,
gion aus; dort erhöhten sich die mittleren Einkom- und die Einkommen der reichsten 10 % der Bevöl-
men von 43 394 auf 45 106 Dollar. In metropolita- kerung stiegen um 19,3 %. Dabei entwickelten sich
nen Gebieten stiegen die Einkommen im selben Zeit- auch die Einkommen der Afroamerikaner und His-
raum von 44 222 auf 44 984 Dollar, während sie im panics disparitär (Abb. 81 u. 82).
surburbanen Raum von 39 311 auf 50 262 Dollar Bemerkenswert ist, dass das unterste Quantil
anwuchsen. Vollzeit arbeitende Männer mussten trotz des statistisch dokumentierten steigenden
erstmals seit mehreren Jahren einen Einkommens- Wohlstands lediglich ein durchschnittliches Jahres-
rückgang von 37 701 auf 37 339 Dollar hinnehmen, einkommen von unter 10 000 Dollar erreichte. Die
während das mittlere Einkommen von Frauen zwi- reichsten 10 % verfügten dagegen über durch-
schen 1999 und 2000 bei 27 355 Dollar stagnier- schnittliche Jahreseinkommen von 302 000 Dollar.
te. Auffallend bleibt damit, dass Vollzeit arbeitende Nach Ansicht der Notenbank werden dabei die Wer-
Frauen noch im Jahr 2000 im Durchschnitt 25 % te für die reichsten Amerikaner wesentlich unter-
weniger als Männer verdienten. Pro-Kopf-Einkom- schätzt, da die Verweigerung zu Angaben über den
men wuchsen nur von 21 893 auf 22 199 Dollar, persönlichen Wohlstand mit steigendem Reichtum
blieben jedoch für Hispanics und die anderen ethni- korreliert. Laut amerikanischer Notenbank (zit. in
schen Gruppen gleich (Tab. 19). NZZ vom 9. März 2003) verdienen die 130 000
superreichen Familien in den USA gleich viel wie
Zunehmende Ungleichheit – Equality Disappears die 20 Mio. ärmsten Amerikaner zusammen. Im
Das Statistische Bundesamt der USA dokumentiert Land der 226 Milliardäre und der 5 Mio. Millionäre
die Verschiebungen in der Einkommensverteilung wurde 2003 eine Steuerreform erlassen, welche
sehr genau. Danach taten sich die größten Wohl- durch den Wegfall der doppelten Dividendenbesteu-
standsgefälle zwischen 1967 und 1990 auf, die sich erung – von Firmen und Aktionären gezahlt – den
dann einige Jahre zunächst nicht veränderten, um Aktionären 30 % der geplanten Steuerersparungen
dann in den Jahren von 1998 bis 2001 wieder zu- zugute kommen lässt. Und dies, obwohl die Gehäl-
zunehmen (Tab. 20). ter der Spitzenverdiener zwischen 1970 und 2000
Besser verdienend sind überwiegend die im sub- um das Vierzigfache auf 37,5 Mio. Dollar pro Jahr
urbanen Raum großer Städte lebenden Familien mit geklettert sind, während das durchschnittliche Ein-
zwei oder mehr Vollzeitverdienern. Es sind überwie- kommen des Mittelstands im gleichen Zeitraum von
gend Familienhaushalte, wovon 80 % verheiratet 3000 Dollar auf 35 864 Dollar nur um das Zwölf-
sind. Diese Haushalte verfügen also über zwei Ver- fache gestiegen ist. Dieses Missverhältnis lässt
sorgungspersonen und zumeist auch ein doppeltes mittlerweile selbst die Superreichen gegen Steuer-
Einkommen. Die armen Haushalte dagegen ver- erleichterungen sprechen, vor allem angesichts der
zeichneten 2000 entweder einen allein lebenden, Haushaltsdefizite vieler Bundesstaaten, die im
nicht mehr erwerbstätigen Haushaltsvorstand über Grundversorgungsbereich der Schulen, Spitäler, So-
65 Jahre oder 60 % sogenannte Nichtfamilienhaus- zialprogramme, Arbeitslosenunterstützung und Ge-
halte – insgesamt sind hiervon nur 20 % verheiratet. sundheitsversorgung für unterprivilegierte Kinder
Zwischen 1998 und 2001 stieg das Einkommen und Familien massiv abbauen (NZZ v. 9. März
zwar sehr stark an, allerdings verschob sich die Ver- 2003).
mögensverteilung zugunsten der Wohlhabenden. Auch die Statistiken zu Vermögenswerten zeigen
Das mittlere Einkommen (Median) stieg in drei Jah- im Zeitraum 1998 – 2001 die gleichen Trends: Das
ren um 9,6 %, das Durchschnittseinkommen der Durchschnittsvermögen von Haushalten in der mitt-
Haushalte um 17,8 %. Das schnellere Wachstum des leren Einkommenskategorie liegt bei 60 000 Dollar,
Durchschnittswertes im Vergleich zum Medianwert das der reichsten zehn Prozent bei ca. 2,3 Mio. Dol-
zeigt nach Ansicht der US-Notenbank von 2003 an, lar. Einen großen Anteil am Einkommens- und Ver-
dass sich die Einkommens- bzw. Vermögensgefälle mögenszuwachs der Reichsten haben die steigen-
verschärft haben: Die Einkommen der untersten den Gehälter der Spitzenmanager, deren Durch-
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 128

128 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Prozent unter 15 000 US-$ Abb. 81: Veränderung der Einkommenskategorien afro-
amerikanischer Haushalte.
60,0 zwischen 15 000
und 50 000 US-$
über 50 000 US-$ schnittsgehalt sich von 1,3 Mio. innerhalb von drei-
50,0
ßig Jahren auf rd. 37 Mio. Dollar pro Jahr erhöhte
(Tab. 21).
Fast ein Viertel aller Haushalte lebte 2000 mit
40,0 weniger als 29 999 Dollar und 16 % unter der Ar-
mutsgrenze von ca. 13 000 Dollar für einen Drei-
Personen-Haushalt. Für hispanische und afroameri-
30,0 kanische Haushalte liegen die Anteile mit rund
42,5 % und 38,8 % wesentlich höher. Die Verschie-
bung der Einkommensverteilung und die immer grö-
20,0 ßer werdende Einkommenskluft zeigen auch die fol-
genden Statistiken (Tab. 22 – 26).

10,0 Armut
Armut ist kein Novum in den USA, sondern war
stets für Millionen von Menschen bittere Realität
0,0 (Riis 1902/1909; Ford 1936; Patterson 1986). In
1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 den 1950er Jahren und besonders durch die Great
1967 1970 1973 1976 1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 Society und War on Poverty-Programme der Johnson
Jahr
Ära in den 1960er Jahren wurde jedoch der Anteil
Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 661, S. 433 (verändert).
der Armen an der Gesamtbevölkerung drastisch ge-
Prozent unter 15 000 US-$ senkt, und zwar von 30,2 % (1950) auf 22,2 %
70,0 (1960), und von 19 % (1964) auf den historischen
zwischen 15 000
und 50 000 US-$ Tiefstand von 11 % (1974) (Holtfrerich 1991,
60,0 über 50 000 US-$ S. 131 – 142; US Bureau of the Census, Current Po-
pulation Reports, Consumer Income, Series P-60,
laufend).
50,0 Um die Einkommensgruppen besser bewerten zu
können, sind die Werte der jeweils offiziellen Armuts-
grenze in den Vergleich zu ziehen (Tab. 27 u. Abb.
40,0
83). Danach bilden ca. 10 000 Dollar für einen Zwei-
Personenhaushalt und ca. 17 000 Dollar für einen
30,0 Vier-Personenhaushalt im Jahre 1999 die Armuts-
grenze. Überträgt man diese Grenzen und Durch-
schnittsgrößen auf die Haushalte, dann zeigt sich,
20,0 dass fast ein Drittel der hispanischen und afroame-
rikanischen Haushalte in Armut lebt. Noch deut-
licher geht dies aus der Anzahl und den Anteilen von
10,0
Personen unter der Armutsgrenze bzw. unter dem
125 %-Niveau der Armutsgrenze hervor. Letzteres
0,0 bedeutet, dass Personen, die 25 % mehr als die of-
1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 fizielle Armutsgrenze verdienen, nicht unbedingt
1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998
Jahr
besser gestellt sind und daher in eine erweiterte Ar-
mutsgrenze einbezogen werden müssen.
Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 661, S. 433 (verändert).

Abb. 82: Veränderung der Vermögen (in Tsd. Dollar) Einkommen (in Tsd. Dollar)
Einkommenskategorien Median Durchschnitt Median Durchschnitt
hispanischer Haushalte.
1998 2001 1998 2001 1998 2001 1998 2001
Quelle: Federal Reserve 2003 in NZZ vom 9. 3 .2003.

Ganze Bevölk. 78,0 86,1 307 395 36,4 39,9 57,9 68,0
unterste 20 % 6,3 7,9 52 56,6 9,0 10,3 8,6 10,0
20 – 40 % 36,1 37,2 104,7 114,3 22,1 24,4 22,0 24,1
40 – 60 % 58,1 62,5 137,6 160,9 36,4 39,9 37,0 40,3
60 – 80 % 122,2 141,5 223,4 292,1 58,0 64,8 59,1 65,2
80 – 90 % 205,2 263,1 354,0 456,5 860 98,7 86,6 98,0
oberste 10 % 492,4 833,6 1066,0 2260,0 1422,0 169,6 239,0 302,7

Tab. 21: Verteilung von Vermögen und Einkommen in den USA nach Statistiken der US-Notenbank von 2003.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 129

Einkommens- und Armutsentwicklung 129

Statistische Erfassung der Armut kategorien. Dabei werden Haushalte ausgewiesen,


Das US Bureau of the Census erstellt jährlich Sta- deren Einkommen die offiziell definierte Armuts-
tistiken zum Einkommen privater Haushalte, ferner grenze unterschreitet (Tab. 28). Schwierigkeiten bei
zu regionalen Verteilungen und soziodemographi- der Bestimmung der Armutsgrenze liegen bei der
schen Merkmalen der Haushalte wie Altersgruppen, Konstruktion eines „Warenkorbs“, der das Existenz-
Geschlecht, Hautfarbe, Ausbildungs- und Berufs- minimum eines nicht armen Haushalts repräsen-

Jahr Anzahl unter 5000 – 10 000 – 15 000 – 25 000 – 35 000 – 50 000 – 75 000 – über
Haushalte 5000 9999 14 999 24 999 34 999 49 999 74 999 99 999 100 000
(in 1000) $ $ $ $ $ $ $ $ $
2001: Money Income in the United
States 2000; Table A-1 (veränd.).
Quelle: US Bureau of the Census

1967 60 813 5,9 9,1 7,9 16,1 17,4 21,8 14,9 4,1 2,8
1970 64 778 4,8 8,7 7,6 15,2 16,3 21,0 17,6 5,4 3,4
1980 82 368 3,1 8,9 8,2 15,5 14 18,9 18,7 7,5 5,2
1990 94 312 3,2 7,7 7,5 14,1 13,7 17,2 18,8 9,1 8,7
2000 106 417 2,9 6,1 7,0 13,4 12,5 15,5 18,9 10,4 13,4
Tab. 22: Prozentuale Verteilung aller Haushalte nach Einkommensgruppen in ausgewählten Jahren.

Jahr Anzahl unter 5000 – 10 000 – 15 000 – 25 000 – 35 000 – 50 000 – 75 000 – über
Haushalte 5000 9999 14 999 24 999 34 999 49 999 74 999 99 999 100 000
2001: Money Income in the United

(in 1000) $ $ $ $ $ $ $ $ $
States 2000; Table A-1 (veränd.).
Quelle: US Bureau of the Census

1972 58 005 3,5 7,8 7,3 13,8 14,8 21,0 20,1 6,9 4,8
1980 68 106 2,4 7,7 7,5 14,8 13,9 19,6 20,0 8,2 5,8
1990 75 035 2,3 6,3 6,7 13,6 13,6 17,7 20,0 10,0 9,8
2000 79 376 2,2 5,3 6,4 12,4 12,3 15,1 19,7 11,4 15,2

Tab. 23: Prozentuale Verteilung der weißen, nicht hispanischen Haushalte nach Einkommensgruppen in ausgewählten Jahren.

Jahr Anzahl unter 5000 – 10 000 – 15 000 – 25 000 – 35 000 – 50 000 – 75 000 – über
Haushalte 5000 9999 14 999 24 999 34 999 49 999 74 999 99 999 100 000
(in 1000) $ $ $ $ $ $ $ $ $
2001: Money Income in the United
States 2000; Table A-1 (veränd.).
Quelle: US Bureau of the Census

1967 5728 11,3 16,0 13,7 22,5 15,1 12,9 6,1 1,6 0,9
1970 6180 9,6 14,8 12,2 20,9 15,9 14,4 9,2 2,2 0,8
1980 8 847 7,4 17,3 12,9 18,9 13,7 14,4 10,7 3,4 1,3
1990 10 671 8,4 16,0 11,0 15,8 13,7 14,6 12,7 4,7 3,1
2000 13 352 6,1 10,4 9,5 16,5 12,9 16,8 15,2 6,5 6,1
Tab. 24: Prozentuale Verteilung der afroamerikanischen Haushalte nach Einkommensgruppen in ausgewählten Jahren.

Jahr Anzahl unter 5000 – 10 000 – 15 000 – 25 000 – 35 000 – 50 000 – 75 000 – über
2001: Money Income in the United

Haushalte 5000 9999 14 999 24 999 34 999 49 999 74 999 99 999 100 000
States 2000; Table A-1 (veränd.).
Quelle: US Bureau of the Census

(in 1000) $ $ $ $ $ $ $ $ $
1988 1 913 3,2 4,6 6,6 13,1 10,5 15,6 20,0 12,3 14,1
1990 1 958 3,8 4,5 5,6 11,1 10,5 14,7 21,1 13,7 14,9
2000 3 527 3,5 3,1 4,8 10,6 9,4 13,5 20,1 12,1 22,7
Tab. 25: Prozentuale Verteilung der asiatischen Haushalte nach Einkommensgruppen in ausgewählten Jahren.

Jahr Anzahl unter 5000 – 10 000 – 15 000 – 25 000 – 35 000 – 50 000 – 75 000 – über
Haushalte 5000 9999 14 999 24 999 34 999 49 999 74 999 99 999 100 000
2001: Money Income in the United

(in 1000) $ $ $ $ $ $ $ $ $
States 2000; Table A-1 (veränd.).
Quelle: US Bureau of the Census

1972 2 655 3,8 8,6 12,1 20,7 20,5 18,9 11,4 2,6 1,5
1980 3 906 4,7 11,1 10,4 20,1 16,2 17,0 14 4,2 2,2
1990 6 220 4,6 10,5 11,0 18,2 15,7 16,9 14,1 5,2 3,8
2000 9 663 3,3 7,3 8,3 18,3 14,7 17,7 17,4 7,4 5,8
Tab. 26: Prozentuale Verteilung der hispanischen Haushalte nach Einkommensgruppen in ausgewählten Jahren.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 130

130 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Anzahl der Personen unter der Armutsgrenze (in Tausend) Anteil (in %) Anzahl und Anteil

Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract 2001, Tab. 679 (veränd.),
S. 442 (n. e. = nicht erhoben). US Bureau of the Census 2002; Poverty in the United
der Personen
unter 125 % der
Armutsgrenze
Jahr Alle Weiße Afro- Asiaten und Hispanics Alle Weiße Afro- Asiaten und Hispanics Anzahl Anteil

States 2001, 2001; Washington, D.C. 2002 (Tab. A-1 veränd.).


Rassen ameri- Pazifik- * Rassen ameri- Pazifik- * (in %)
kaner Insulaner kaner Insulaner

1970 25 420 17 484 7 548 n. e. n. e. 12,6 9,9 33,5 n. e. n. e. 35 624 17,6


1980 29 272 19 699 8 579 n. e. n. e. 13,0 10,2 32,5 n. e. n. e. 40 658 18,1
1985 33 064 22 860 8 926 n. e. 5 236 14,0 11,4 31,3 n. e. 29,0 44 166 18,7
1990 33 585 22 326 9 837 858 6 006 13,5 10,7 31,9 12,2 28,1 44 837 18,0
1995 36 425 24 232 9 872 1 411 8 574 13,8 11,2 29,3 14,5 30,3 48 761 18,5
1999 32 258 21 922 8 360 1 163 7 439 11,8 9,8 23,6 10,7 22,8 44 286 16,2
2001 32 907 22 739 8 136 1 275 7 997 11,7 9,9 22,7 10,2 21,4

Tab. 27: Anzahl und Anteil der Personen unter der Armutsgrenze und unter 125 % der Armutsgrenze (*Personen hispanischer Herkunft
können jeder Rasse angehören).

Anteil in % bei der Erstellung eines imaginären „Lebensmittel-


40,0 warenkorbs“ gibt, hatte das US Department of Agri-
US Bureau of the Census 2002; Poverty in the United States 2001, 2001; Washington, D.C. 2002 (Tab. A-1 veränd.).
Datengrundlage: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract 2001, Tab. 679 (veränd.), S. 442 (n. e. = nicht

culture (USDA) 1961 erstmals den jährlich revidier-


35,0 ten Nahrungsmittelbedarf festgesetzt, auf den sich
Personen verschiedenen Geschlechts und Alters
üblicherweise beschränken, wenn ihre Kaufkraft vor-
30,0
übergehend extrem niedrig ist. Somit ist dieses
Existenzminimum, das der Armutsgrenze zugrunde
25,0 gelegt wird, auf eine Lebensmittelversorgung abge-
stellt – for temporary or emergency use when funds
20,0 are low –, als preislich minimalem, jedoch ernäh-
rungswissenschaftlich noch gesundem Speiseplan.
15,0 Das Lebensmittelminimum wird von der Social Sec-
urity Administration auf den Bedarf verschiedener
typischer Haushaltsgrößen umgerechnet. Ausge-
10,0
hend davon, dass Familien mit drei oder mehr Per-
sonen üblicherweise etwa ein Drittel ihres Einkom-
5,0 mens für Nahrungsmittel ausgeben, arme Haushalte
aufgrund ihres niedrigen Einkommens bei gleichem
0,0 Lebensmittelbedarf dafür jedoch einen höheren Pro-
1973 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 zentsatz, wird das Dreifache des entsprechenden
1980 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000
Jahr Dollarbetrags für den „Lebensmittelwarenkorb“ als
Armutsgrenze definiert. 2001 betrug die Armuts-
alle Ethnien Asiaten oder pazifische Inselbewohner
grenze für einen Einpersonenhaushalt 9214 Dollar
Weiße Hispanics oder Lateinamerikaner pro Jahr, für einen Haushalt mit vier Personen
Schwarze oder Amerikaner afrikanischer Abstammung 18 267 Dollar. Die generell höhere Armutsgrenze für
den Einpersonenhaushalt ergibt sich aus der Tatsa-
che, dass hier höhere Pro-Kopf-Fixkosten für Miete
Abb. 83: Prozentuale Ver- tiert. Wegen unterschiedlicher klimatischer und re- etc. anfallen als bei Mehrpersonenhaushalten (Holt-
änderung der Armenbevöl- gionaler Verhältnisse, Gebräuche und Gewohnheiten frerich 1991, S. 131f.).
kerung in den USA, unter- lässt sich für den Heizungs- und Wohnungsbedarf Armutsgrenzen werden für über und unter 65-Jäh-
schieden nach einzelnen
kein für alle Teile der USA gültiges Verbrauchsquan- rige gesondert errechnet. Bei der Definition von Ar-
Ethnien.
tum festlegten. Hinzu kommt, dass es in einer mutshaushalten werden nur Geldeinkünfte aus Ver-
wachsenden Wirtschaft, in der die Luxusgüter von mögen, Arbeit, Sozialversicherung, öffentlicher und
heute die Gebrauchsgüter von morgen sind, nur privater Fürsorge berücksichtigt. Sachleistungen der
schwer einen Konsens darüber gibt, welche Güter öffentlichen Hand an minderbemittelte Haushalte
und Gütermengen in einen „Warenkorb“ gehören, (food stamps, Medicaid, public housing, „section
der den Lebensstandard eines Haushalts auf dem 8“ vouchers – Wohnberechtigungsscheine oder
Existenzminimum oder an der Schwelle zur Armut Mietübernahme durch das Wohnungsamt) werden
repräsentiert. Die USA haben daher ein anderes Maß nicht gezählt. Diese Methode der Armutserfassung
für die Bestimmung der Armutsgrenze entwickelt als stellt die großen Unterschiede nicht präzise genug
andere Länder. Da es eine geringere Schwierigkeit dar, ebenso wenig diejenigen zwischen Regionen,
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 131

Einkommens- und Armutsentwicklung 131

Staaten und Kommunen. Sie bezieht weder regiona- Haushaltsgröße 1980 1990 1995 1999 2001
le Preisunterschiede noch die regionalen Unter-
schiede in den gesamten Lebenshaltungskosten mit eine Person 4 190 6 652 7 763 8 501
ein, die zwischen ländlichen und städtischen Räu- unter 65 Jahren 4 290 6 800 7 929 8 667 9 214
men und den Regionen des Nordens und des Sü- über 65 Jahren 3 949 6 268 7 309 7 990 8 494
dens bestehen. In realer Kaufkraft ergibt die bun- zwei Personen 5 363 8 509 9 933 10 869 11 859
deseinheitliche Armutsgrenze im Süden einen hö- drei Personen 6 565 10 419 12 158 13 290 13 853
heren Gegenwert als im Norden. Dies hatte jedoch vier Personen 8 414 13 359 15 569 17 029 18 267
eine sehr gut durchdachte soziale Funktion: In Er-
fünf Personen 9 966 15 792 18 408 20 127 22 029
mangelung verfassungsmäßiger Mandate zum Aus-
gleich unterschiedlicher Lebensverhältnisse und sechs Personen 11 269 17 839 20 804 22 727 25 337
aufgrund der Tatsache, dass regionale Subventio- sieben Personen 12 761 20 241 23 552 25 912 29 154
nierung dem Gleichbehandlungsgrundsatz wider- acht Personen 14 199 22 258 26 237 28 967 32 606
spricht, ist die Bundesdefinition der Armutsgrenze, neun und mehr
welche dem Süden real mehr Geld zukommen lässt, Personen 16 896 26 848 31 280 34 417 39 223
ein indirekter Mechanismus, Finanzen und staat-
Tab. 28: Gewichteter Durchschnittswert der offiziellen Armutsgrenze 1980 bis
liche Transferleistungen in den benachteiligten Sü-
2001, in Dollar pro Jahr.
den zu kanalisieren.
Quelle: US Bureau of the Census, Statistical Abstracts of the United States 2001, Tab. 681 (veränd.), S. 443. US Bureau of the Census
Eine Schwäche dieser Berechnung der Armuts- 2002. Poverty in the United States 2001, 2001, Washington, D.C. 2002, S. 5.
grenze allgemein ist, dass der Minimalspeiseplan
des USDA nicht wirklich gesundheitsfördernd ist, da Dollar, 1 supersize-Tüte Kartoffelchips 3,99 Dollar,
er zu wenig Wahlmöglichkeiten für eine Speisezu- 1 ganzes gebratenes Hähnchen 5 Dollar, 1 Tüte
sammenstellung zulässt und auf die Überbrückung Salat (ca. 300 g) 2 Dollar, 1 supersize-Tüte backfer-
einer kurzfristigen Notsituation und nicht für chroni- tige Pommes Frites 3 Dollar, 1 Paket Cornflakes ca.
sche Armut, also für längere Zeit oder ein ganzes 2,50 Dollar, 1 einfacher Cheeseburger 0,99 Dollar,
Leben, eingerichtet ist. Legte man einen weniger mi- ein doppelter Cheeseburger 1,49 Dollar. Zugrunde
nimalistisch orientierten Speiseplan als den des gelegt sind die unbrand-Angebote, also die Budget-
USDA zugrunde, würde die Zahl der Armen erheb- angebote, die in einfacher Ausstattung und ohne
lich höher ausfallen (Holtfrerich 1991, S. 133 –136). Identifikation des Herstellers verkauft werden. Es
Wie arm man als offiziell definierter „von Armut verwundert nicht, dass Armut, Hunger oder Mangel-
Betroffener“ ist, lässt sich daran erkennen, was ernährung in den USA nicht selten mit extremem
einem Haushalt tatsächlich zum Essen bleibt: Be- Übergewicht und den entsprechenden Folgekrank-
trachtet man bei einer vierköpfigen Familie mit heiten (Diabetes u. a.) einhergehen. Dass „Arme frü-
einem Einkommen von 18 267 Dollar, dass ein Drit- her sterben“ – aus eben den mit der Armut zu-
tel dieses Einkommens für Lebensmittel anfällt, sammenhängenden Gründen der Mangel- und Fehl-
also 6089 Dollar geteilt durch 4 Personen, ergibt ernährungen –, ist mittlerweile auch in anderen
dies für das Essen 1522,25 Dollar pro Jahr und Ländern dokumentiert, so beispielsweise in der
Person, also pro Haushaltsmitglied 4,17 Dollar am Schweiz (Künzler & Knöpfel 2002).
Tag bzw. 1,39 Dollar pro Mahlzeit und Mitglied. Im Jahr 2001 lebten in den USA 32,9 Mio. Perso-
Man sieht dem relativ hohen Betrag von 18 267 nen unter der offiziell ausgewiesenen Armutsgrenze,
Dollar pro Jahr nicht an, dass er nur ca. 1,40 Dollar davon 22,7 Mio. Weiße, 8,1 Mio. Afroamerikaner
pro Mahlzeit und Familienmitglied bedeutet. Dies und 7,8 Mio. Latinos. Weil Personenkreise, die nur
liegt in den USA unter dem Existenzminimum und geringfügig über der Armutsgrenze liegen, deswegen
finanziert auf Dauer nur gesundheitsschädliche Not- nicht besser gestellt, sondern fast ebenso arm sind,
rationen. Man rechne sich aus, was man 2003 in führt das Statistische Bundesamt der USA noch
einem normalen Supermarkt dafür kaufen kann, eine weitere Armutskategorie, die eine Bandbreite
wobei zu beachten ist, dass die großen Supermarkt- um die Armutsgrenze herum angibt: Personen und
ketten ihre Standorte in den inner city poverty areas Haushalte mit Einkommen von „125 % der Armuts-
überwiegend schon in den 1980er und 1990er Jah- grenze“. Nach dieser erweiterten Armutsgrenze gal-
ren geschlossen haben und dort nur noch die über- ten 2001 über 44 Mio. oder 16,2 % der Gesamtbe-
teuerten, zumeist von asiatischen Kleinhändlern be- völkerung als arm. Die Einkommensverteilung zeigt,
triebenen convenience stores mit begrenztem Ange- dass auch die offizielle Armutsgrenze für viele
bot, jedoch rund um die Uhr geöffnet, die Versor- Haushalte eine utopische, unerreichbare Richtgröße
gungsinfrastruktur darstellen. Eine kleine Auswahl ist: Der Anteil der Haushalte, die noch weit darunter
an Nahrungsmitteln, die speziell im unteren Ein- liegen, ist bestürzend hoch (US Bureau of the Cen-
kommenssegment zur Versorgung dienen, da sie sus 2001, Statistical Abstracts of the United States
preiswert und kalorienreich, wenn auch nicht nahr- 2001, Tab. A-3).
haft sind, wird hier gezeigt (Preise im Jahr 2003): 1 Die Armut in den USA ist keine relative Armut,
mittelgroßes Glas Erdnussbutter (Brotaufstrich) bei der es nur um die Ungleichverteilung von Wohl-
ca. 3 Dollar, 1 Glas Marmelade ca. 2 Dollar, 1 gro- stand und jenen Gütern geht, die zum amerikani-
ßes, geschnittenes Toastbrot 1,50 Dollar, 10 mittel- schen Lebensstandard gehören. Es handelt sich
große Beutel mikrowellenfähiger Popcornmais 4 vielmehr um absolute Armut im Zusammenhang mit
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 132

132 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

der existenziellen Grundversorgung (Nahrung, Klei- Gruppe. Der Anteil der Armen an der erwerbsfähigen
dung, Obdach, Gesundheitsvorsorge). Über die abso- Bevölkerung lag bei 10,1 %. Rund 6,8 Mio. Fami-
lut definierte minimale, physiologisch fast nicht mehr lien (9,2 % aller Familien) waren arm. Während die
ausreichende Ernährung hinaus geht es auch um Armutsrate für die afroamerikanische und asiatische
die Teilhabe am volkswirtschaftlichen Wachstums- Bevölkerung zwischen 2000 und 2001 nicht an-
prozess. Armut ist also unabhängig vom absoluten stieg, wuchs die Zahl der armen Hispanics. In der
Schwellenwert auch ein Problem der Einkommens- hispanischen Bevölkerung lebten 4,4 Mio. Personen
verteilung. Zieht man diese in Betracht, wäre die unter der Armutsgrenze. Die regionale Verteilung der
Armutsgrenze auf 50 % des gesamten Medianwerts Armut zeigt im Süden zwischen 2000 und 2001
der gesamten Volkswirtschaft festzusetzen. Danach eine leichte Steigerung von 12,8 % auf 13,5 %,
würde die Armutsrate aber erheblich über der jetzt während die Raten in den anderen Großregionen der
gültigen liegen (Holtfrerich 1991, S. 133 – 136). USA konstant blieben. Einkommen sind regional
Im Jahr 2001 lag die allgemeine Armutsrate bei und nach Bundesstaat unterschiedlich verteilt, wie
11,7 %, womit eine leichte Steigerung zu verzeich- die Karte des durchschnittlichen Haushaltseinkom-
nen war. Die Zahl der unter der Armutsgrenze regis- mens zeigt (Abb. 84 – 91). Die Armutsrate in den
trierten Personen lag bei 32,9 Mio., was eine Erhö- Suburbs stieg von 7,8 % auf 8,2 %, blieb aber noch
hung um 1,3 Mio. Menschen gegenüber dem Jahr deutlich unter der Armutsrate für andere Teilräume
2000 mit 31,6 Mio. Armen bedeutete. Die Kinder- und Teilgruppen der Gesellschaft (US Bureau of the
armut war mit 16,3 % höher als die jeder anderen Census 2002, Poverty; 2001 Highlights).

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form,


Datengrundlage: US Department of Commerce,
in US-$
12692–28642
28643–31998

Washington, D.C.
Abb. 84: Medianeinkom- 31999– 35811
men. Aufteilung in Klas- 35812–40932
sen nach dem Prinzip der 40933–82929 0 500 1 000 km
Quantile (siehe Abb. 71).

Alaska
1:100 000 000
Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form,
Datengrundlage: US Department of Commerce,

Hawaii
1:50 000 000

Abb. 85: Anteil der Haus-


halte in den Counties der Anteil in %
USA, die weniger als 0 bis 14,1
15 000 Dollar im Jahr ver-
Washington, D.C.

14,2 bis 18,0


dienen, 2000. Aufteilung 18,1 bis 21,5
in Klassen nach dem Prin- 21,6 bis 25,9
zip der Quantile (siehe 26,0 bis 54,6 0 500 1 000 km
Abb. 71).
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 133

Einkommens- und Armutsentwicklung 133


Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000,

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Abb. 86: Anteil der Haus-


Long Form, Washington, D.C.

halte in den Counties der


Anteil in % USA, die 15 000 bis
0 bis 13,3 24 999 Dollar im Jahr ver-
13,4 bis 15,4
dienen, 2000. Aufteilung
15,5 bis 16,9
17,0 bis 18,4 in Klassen nach dem Prin-
18,5 bis 33,3 0 500 1000 km
zip der Quantile (siehe
Abb. 71).
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000,

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Abb. 87: Anteil der Haus-


Long Form, Washington, D.C.

halte in den Counties der


Anteil in %
7,9 bis 23,4
USA, die 50 000 Dollar
23,5 bis 27,6 und mehr im Jahr verdie-
27,7 bis 32,4 nen, 2000. Aufteilung in
32,5 bis 39,5 Klassen nach dem Prinzip
39,6 bis 79,2 0 500 1000 km der Quantile (siehe Abb.
71).
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000,

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000
Long Form, Washington, D.C.

Abb. 88: Anteil der Haus-


Anteil in %
halte in den Counties der
0 bis 2,0
2,1 bis 2,7 USA mit „public assis-
2,8 bis 3,4 tance income“, 2000.
3,5 bis 4,6 Aufteilung in Klassen
4,7 bis 36,9 0 500 1 000 km nach dem Prinzip der
Quantile (siehe Abb. 71).
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 134

134 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Alaska

Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the


1:100 000 000

Census: Census 2000, Long Form, Washington, D.C.


Hawaii
1:50 000 000

Abb. 89: Anteil der unter


18-Jährigen, die in einem
Anteil in %
Haushalt leben, der ein
0 bis 2,0
Einkommen unter der Ar-
2,1 bis 2,7
mutsgrenze erzielt. Auftei- 2,8 bis 3,4
lung in Klassen nach dem 3,5 bis 4,6
Prinzip der Quantile (siehe 4,7 bis 36,9 0 500 1 000 km
Abb. 71).

Alaska
1:100 000 000

Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the


Hawaii

Census: Census 2000, Long Form, Washington, D.C.


1:50 000 000

Abb. 90: Anteil der über


64-Jährigen, die in einem Anteil in %
Haushalt leben, der ein 0 bis 7,5
Einkommen unter der Ar- 7,6 bis 9,6
mutsgrenze erzielt. Auftei- 9,7 bis 12,5
lung in Klassen nach dem 12,6 bis 17,2
Prinzip der Quantile (siehe 17,3 bis 50,4 0 500 1000 km
Abb. 71).

Alaska
1:100 000 000
Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form,
Datengrundlage: US Department of Commerce,

Abb. 91: Anteil der Perso- Hawaii


1:50 000 000
nen, die in einem Haus-
halt leben, der von einer
alleinstehenden Frau ge-
führt wird und ein Ein- Anteil in %
kommen unter der Ar- 0 bis 23,6
Washington, D.C.

mutsgrenze erzielt. Auftei- 23,7 bis 29,2


lung in Klassen nach dem 29,3 bis 34,6
34,7 bis 42,0
Prinzip der Quantile (siehe
42,1 bis 72,2 0 500 1 000 km
Abb. 71).
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 135

Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ 135

Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ maß der Schäden bei Kindern erfassen will, die
durch Armut verursacht werden. Zu diesen Indikato-
Feminisierung der Armut und Kinderarmut ren gehören u. a. Gesundheitszustand und altersbe-
Im Verlauf des gut zwanzigjährigen Zeitraums von zogene Lernfähigkeiten (US Bureau of the Census,
1980 bis 2002 zeigt sich in den USA ein Parado- Indicators of Children’s Well Being, Part II, Eco-
xon von zunehmender Armut bei starkem Wirtschafts- nomic Security Indicators, S. 16).
wachstum, das zwar zwei Rezessionen erlebte (1991 Das Problem der Kinderarmut ist in den Kernstäd-
und 2001), ansonsten aber von einer relativ starken ten (central cities) besonders ausgeprägt, wo der
Dynamik geprägt war. Dieses Phänomen geht einher Anteil 1997 bei 28,5 % und 2000 bei 24 % lag, im
mit neuen Entwicklungen, die sich aufgrund des So- Vergleich zu den Suburbs mit 12,1 % (1997) und
zialprofils der Armut und einiger Strukturdaten in 10,6 % (2000). In den Großstädten des Nordostens
fünf Punkten zusammenfassen lassen: betrug die Kinderarmut in denselben Jahren 34,5 %
■ „Feminisierung der Armut“ (10,2 % in den Suburbs), im Mittelwesten 28,6 %
■ Kinderarmut gegenüber 7,3 %, im Süden 24,7 % gegenüber
■ Armutsbiographien bedingt durch unzureichende 13,5 % und im Westen 27,9 % gegenüber 15,6 %.
Bildung Das Problem der Kinderarmut ist in Großstädten
■ Altersarmut kaum weniger ausgeprägt als in Kleinstädten und
■ Strukturelle Armut und Prekarität – postindustri- besonders schwer wiegend in allen ländlichen Re-
elle Entwicklungen und Globalisierung. gionen der USA (US Department of Education
2002: National Center for Education Statistics. The
„Feminisierung“ der Armut Condition of Education 2002. Poverty among School
bedeutet die Verschlechterung des ökonomischen Age Children, Tab. C-2, S. 129).
Status von Frauen, gekennzeichnet durch folgende Die Armutsrate bei afroamerikanischen und hi-
Punkte: spanischen Kindern ist oft deutlich höher als bei
Im Jahr 2001 gab es mehr arme Frauen und von weißen, nicht hispanischen Kindern. 2000 lebten
Frauen geführte Armutshaushalte in den USA als je nur 9 % aller weißen Kinder in Armut, während es
zuvor. Waren es 1980 nur 9,1 Mio. weibliche Haus- 30 % aller afroamerikanischen und 27 % aller hispa-
haltsvorstände in Armutshaushalten, so waren es im nischen Kinder waren. Dass Armut einen unter-
Vergleich dazu 1990 schon 11,27 Mio. weibliche schiedlichen Ausprägungsgrad hat, zeigt sich daran,
gegenüber 2,9 Mio. männlichen Haushaltsvorstän- dass im Jahr 2000 rund 6 % aller Kinder in Familien
den. 2001 wurden rund 13,146 Mio. female head- lebten, die unter der Hälfte der Armutsgrenze liegen,
ed poverty households, dagegen nur 4,44 Mio. mit also bei unter 18 267 Dollar pro Jahr für einen Vier-
male householder registriert (US Bureau of the Cen- Personen-Haushalt. 26 % aller Kinder lebten in
sus 2002, Poverty in the United States 2001. Haushalten mit Einkommen, welche die Armutsgren-
Tab. A-3, S. 31). ze um bis zu 50 % überstiegen, was bei einer vier-
Frauen haben schlechtere Chancen auf dem Ar- köpfigen Familie 26 405 Dollar Jahreseinkommen
beitsmarkt: Das mittlere Einkommen von Frauen mit entspricht. Kinder in konventionellen, d. h. Zwei-El-
High-School-Abschluss betrug 2000 21 963 Dollar tern-Familien, sind weniger stark der Gefahr ausge-
gegenüber 30 868 für Männer mit dem gleichen Ab- setzt, in Armut heranzuwachsen. 2000 waren nur
schluss. Mit Bachelor-Abschlüssen erhielten Frauen 8 % der Kinder solcher Familien arm, während es
im Durchschnitt 35 408 Dollar, gegenüber Männern 40 % der Kinder sind, die in Haushalten aufwach-
mit 49 982 Dollar. Bei gehobenen akademischen sen, die von alleinstehenden Frauen geführt werden.
Abschlüssen stieg das Durchschnittsgehalt von Frau- Dieser Unterschied ist in der afroamerikanischen Be-
en auf 55 460 Dollar gegenüber 90 653 Dollar bei völkerung noch deutlicher, wo 49 % aller Kinder in
Männern (US Bureau of the Census 2000, Census female headed households in Armut aufwachsen
Brief: Women in the United States, A Profile. Wa- (US Bureau of the Census, Indicators of Children’s
shington, D.C., S. 1). Well Being, Part II, Economic Security Indicators, S.
16). Bei der hispanischen Bevölkerung sind 21 % der
Kinderarmut Kinder in Familien und 48 % der Kinder in Haushal-
Das „zweite Amerika“ derer, die nicht am wirtschaft- ten mit weiblichen Haushaltsvorständen betroffen.
lichen Wohlstand der USA teilhaben, wird jünger. Für jeden zweiten afroamerikanischen Jugendli-
Die USA sind die einzige westliche Industrienation, chen, der gegenwärtig heranwächst, und für jeden
in der Kinder und Jugendliche den größten Teil der fünften amerikanischen Jugendlichen ist die Erfah-
Armutsbevölkerung ausmachen. 2000 gab es 65 Mio. rung von Armut, Verelendung und Wohlfahrtsabhän-
weiße, nicht hispanische Kinder, 15 Mio. afroameri- gigkeit etwas ganz Normales, ebenso hohe Gesund-
kanische und 16 Mio. hispanische Kinder in den heitsrisiken, Ernährungsstörungen, psychische und
USA. Die Armutsrate unter Jugendlichen betrug 1990 physische Gefährdungen, Verhaltensstörungen, Ge-
17,9 %, im Jahr 1995 20,2 % und 2001 16,0 %. waltbereitschaft und chronischer Hunger (US Bureau
Beachtenswert ist, dass die Kinderarmut nicht nur of the Census, Current Population Reports, Consu-
am Einkommensstatus des Haushalts gemessen mer Income Series P-60-185; laufend, Tab. 5).
wird. Vielmehr ist eine Modifikation der Indikatoren Die vielfältigen Begleitprobleme der Armut wiegen
in Arbeit, mit der die US-Bundesregierung das Aus- in Haushalten, die von Frauen geführt werden, dop-
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 136

136 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

pelt so schwer: Es trifft die alleinversorgende Mutter households), in denen Hunger oder Unterernährung
besonders stark in ihrer Funktionsfähigkeit, für die zwar noch nicht dokumentiert, jedoch zu erwarten
Familie eine ausreichende Versorgung sicherzustel- waren. 35,3 % aller Kinder in Armutshaushalten
len und auch der heranwachsenden Generation Per- lebten in food secure households, in denen Hunger
spektiven für einen alternativen Lebensentwurf ohne in absehbarer Zeit kein Problem darstellte. 1998
Armut und Sozialhilfeabhängigkeit geben zu kön- befanden sich nur 22 % aller Kinder in Armutshaus-
nen. Wenn man also von den Armen in den USA halten in einer Ernährungssituation, die amtlicher-
spricht, sind arme Frauen und im Elend lebende Kin- seits als „gut“ eingestuft wurde (US Bureau of the
der gemeint. Beide zusammen machen rund 78 % Census, Indicators of Children’s Well Being, Part II,
der Armutsbevölkerung aus. In der Kindergeneration Economic Security Indicators, S. 20, 21).
programmiert die absolute Armut Lebensläufe vor, Zugang zur Gesundheitsversorgung ist wegen
die wenig Möglichkeiten oder Motivation erlauben, Mangel- und Unterernährung ein besonders wichti-
um diesen familiären Armutskreislauf zu durchbre- ges Anliegen. Besaßen im Jahr 2000 fast 39 Mio.
chen. Kurz- bis langfristig sind durch Armut auch Amerikaner überhaupt keine Krankenversicherung,
extreme Gesundheitsgefährdungen vorgegeben, da so war das Problem für Kinder besonders gravierend.
Armut und Wohlfahrtsabhängigkeit auch die finan- 2000 hatten zwar 88 % aller Kinder im Verlauf
ziellen Mittel für eine private Krankenversicherung eines Jahres eine Krankenversicherung, doch stell-
mit weit reichenden Leistungen ausschließen; die ten die anderen 12 % immerhin 8,4 Mio. Kinder dar,
staatliche Gesundheitsversorgung Medicaid für sozial die gar keine Krankenversicherung und damit kei-
Schwache gewährleistet nur die medizinische Grund- nen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten
versorgung. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung während der kritischen Phase ihrer Entwicklung hat-
wird ebenfalls durch andere armutsbedingte Fakto- ten. Diese Gesamtzahlen verschleiern zudem noch
ren hervorgerufen: Unangemessene Wohnverhält- die Tatsache, dass der Prozentsatz der Kinder, die
nisse wie Überbelegung, nicht ausreichender Stan- durch eine Familien-Krankenversicherung geschützt
dard sowie Wohnverhältnisse, die mehr als ein Drit- waren, allgemein von 74 % 1994 bis zum Jahr 2000
tel des Familieneinkommens beanspruchen und – auf 66 % abnahm. Dagegen stieg der Anteil der Kin-
weil dann kaum noch Geld übrig bleibt – besonders der, die in ein staatliches Krankenversicherungssys-
stark die untersten Einkommensgruppen betreffen, tem (Medicaid, staatliche Gesundheitsleistungen für
wirken sich gesundheitsgefährdend aus. Von einem Bedürftige) aufgenommen wurden, von 19 % im Jahr
oder mehreren dieser Probleme im Bereich der 1987 auf 23 % im Jahr 2000. Generell sind dies je-
Wohnversorgung waren 1999 35 % aller Kinder doch nur Neugeborene und Kleinkinder, während
Amerikas betroffen, wobei der Anteil der Kinder zwi- der Anteil der Kinder mit staatlichen Leistungen in
schen 1978 und 1995 signifikant stieg und seither höherem Alter abnimmt. Von gänzlich fehlender
gleich blieb. Insbesondere das Problem des chroni- Krankenversicherung sind hispanische Kinder stär-
schen Hungers betrifft Kinder in Armutshaushalten ker als weiße oder afroamerikanische Kinder betrof-
stark: 2000 lebten 11,9 % der Kinder, die in Armuts- fen. 2000 waren nur 75 % der hispanischen Kinder
haushalten registriert waren, in Haushalten, in denen in irgendeiner Form in der Krankenversicherung re-
nach offizieller Definition „Hunger und Unterer- gistriert, während es 93 % der weißen und 87 % der
Abb. 92: Anteil der Kinder
zwischen 5 und 17 Jah-
nährung dokumentiert“ herrschten. 18 % der Kinder afroamerikanischen Kinder waren. Die niedrigeren
ren, die eine andere Spra- in Armutshaushalten lebten in Haushalten, die amt- Anteile von hispanischen Kindern können mit dem
che als Englisch zu Hause licherseits als gefährdet im Bereich der Lebens- Einwanderungsstatus der Eltern zusammenhängen:
sprechen. mittelversorgung eingestuft waren (food insecure Fehlende Krankenversorgung dürfte besonders stark
die Kinder illegal eingewanderter hispanischer El-
Prozent tern betreffen. Es kann auch mit der mangelnden
Sprachfähigkeit von Kindern und deren Eltern zu-
Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States

90,0
sammenhängen, und demzufolge mangelnden Infor-
80,0
mationen über die Möglichkeiten, Zugang zur Kran-
70,0 kenversicherung zu erhalten. Immerhin sprechen
8,8 Mio. oder 16,7 % aller Kinder zu Hause eine an-
60,0 dere Muttersprache und haben Schwierigkeiten mit
50,0
dem Englischen; bei den hispanischen Kindern sind
es 70,9 % (US Bureau of the Census, Indicators of
40,0 Children’s Well Being, Appendix A, Detailed Statis-
tics, Tab. POP4, S. 72; Abb. 92 u. 93).
30,0
2001, Tab. 224, S. 144 (verändert).

Die amerikanische Gesetzgebung sieht daher vor,


20,0 dass für solche Schüler Hilfestellung gegeben wer-
den muss, um die Sprachfertigkeit im Englischen
10,0 aufzubauen. Der Staat Kalifornien hat dieses Pro-
0,0
blem dahingehend zu lösen versucht, dass für aus-
1979 1989 1992 1995 1999 Jahr ländische Kinder ein einjähriger englischer Sprach-
kurs der eigentlichen Einschulung vorausgehen
alle Kinder Weiße Schwarze Hispanics andere
muss, unabhängig vom Alter des Kindes.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 137

Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ 137

Eine Möglichkeit, Armut und die dadurch beding- Prozent

Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001,
ten Risiken für die Gesundheit der Kinder zu min- 35,0
dern, ist ein sicheres, dauerhaftes Beschäftigungs-
verhältnis der Eltern oder der Haushaltsvorstände. 30,0
Im Jahr 2000 hatten nur 35 % aller Kinder, die in
Armut lebten, mindestens einen Elternteil mit ganz- 25,0
jähriger Vollzeitarbeit, wobei afroamerikanische und
hispanische Haushalte im Allgemeinen stärker be- 20,0
troffen sind. Seit der allgemeinen Reform des Wohl-
fahrtssystem von 1996, als der Sozialhilfebezug an
Beschäftigung gekoppelt wurde (work for pay), stieg 15,0
jedoch der Anteil der afroamerikanischen und his-
panischen Haushalte, in denen mindestens ein El- 10,0
ternteil einer Vollzeitbeschäftigung nachging, we-

Tab. 224, S. 144 (verändert).


sentlich schneller als der für weiße Haushalte. Dies 5,0
hängt rein statistisch gesehen sowohl mit den ho-
hen Anteilen afroamerikanischer und hispanischer 0,0
Haushalte, die Sozialhilfe beziehen, als auch mit 1979 1989 1992 1995 1999 Jahr
den hohen Anteilen der von alleinstehenden Frauen Nordosten mittlerer Westen Süden Westen
geführten Haushalte in dieser Gruppe zusammen,
also der Tatsache, dass diese Haushalte nur einen
Elternteil haben. marken (food stamps) abhängig, die in Supermärk- Abb. 93: Anteil der Kinder
ten gegen Lebensmittel eingetauscht werden kön- zwischen 5 und 17 Jah-
Armutsbiographien – das Bildungsprofil der Armut nen, so waren es 1994 schon 11,1 Mio. Haushalte ren, die eine andere Spra-
che als Englisch zu Hause
Während in früheren Jahrzehnten eine Mehrheit nur mit 28 Mio. Menschen. Politische Maßnahmen,
sprechen, nach Großregio-
zeitweise arm war, also innerhalb mehrerer Jahre zu wozu auch eine Neudefinition der Bemessungsgren- nen der USA.
einem Einkommen über der Armutsgrenze gelangen zen gehörte, reduzierten die Bezieher dieser staat-
konnte, gibt es mehrere wichtige Gründe, warum lichen Leistung bis 1999 auf 18,1 Mio. Menschen
seit den 1970er Jahren die Mehrheit der Armen in in insgesamt 7,6 Mio. Haushalten, bis zum Jahr
dauerhafter Armut verbleibt, d. h., warum aus einer 2001 sogar auf 17,1 Mio. Menschen (US Bureau of
Bevölkerungsgruppe der Armen eine Gruppe der the Census 2001, Statistical Abstract of the United
dauerhaft Verelendeten geworden ist; ferner, warum States 2001, Tab. 550, 551, S. 356f.). Es fielen
die Armutsbevölkerung bis 1995 überproportional also rund 3 Mio. Haushalte oder 11 Mio. Menschen
zur steigenden Bevölkerung wuchs. Anzeichen dafür aus der Armutsstatistik heraus, ohne dass man da-
ist z. B. der rasante Zuwachs der Empfänger von von ausgehen kann, dass sich deren Situation wirk-
AFDC (aid to families with dependent children) bzw. lich sehr stark verbessert hat. Dass Prekarität (nicht
seit 1995 TANF (temporary assistance to needy fam- geschützte Beschäftigung), Mangelernährung und
ilies) genannt, ferner Beziehern von SSI (supple- chronischer Hunger mit der Positiventwicklung der
mental social security income). Diese Wohlfahrts- Statistiken nicht wirklich abgebaut wurden, zeigt
leistungen stiegen von 1980 bis 1999 um 25 % – sich daran, dass das Staatliche Zusatzspeisungspro-
von insgesamt 11 Mio. Beziehern auf 13,8 Mio. – an gramm WIC (Women, Infants, Children – Special Sup-
(US Bureau of the Census, 2001, Statistical Abstract plemental Feeding Program) zwischen 1980 und
of the United States 2001, Tab. 542 und 544, 2001 von 1,9 Mio. Bezieher-Haushalten auf 7,2 Mio.
S. 353). Diese Sozialhilfearten wurden jedoch seit Haushalte anstieg. Im WIC-Programm erhalten be-
Mitte der 1990er Jahre aus Kostengründen seitens dürftige weibliche Haushaltsvorstände mit Kindern
der Bundesregierung eingedämmt. So wuchs die Zahl bei nachgewiesenem Armutseinkommen, Unterge-
der Wohlfahrtsempfänger (AFDC bzw. TANF und SSI) wicht und/oder Mangelernährung, die sich auch in
von 1980 von insgesamt 14,9 Mio. auf insgesamt extremem Übergewicht niederschlagen kann, eine
20,5 Mio. im Jahr 1994 an, sank danach jedoch bis wöchentliche Lebensmittelration in einem Pappkar-
1999 auf insgesamt 13,3 Mio. – trotz des starken ton ins Haus geliefert. Typischerweise enthält er fol-
Bevölkerungswachstums von 226 Mio. (1980) auf gende Lebensmittel: eine Gallone (ca. 4 Liter) Milch,
275 Mio. (2000). Somit sank also die absolute Zahl eine Gallone Saft, ein Dutzend Eier, ein Sack Äpfel,
von Wohlfahrtsempfängern unter das Niveau von eine Packung Toastbrot sowie zwei bis drei Pfund
1980, wofür Clintons work for pay-Programm ver- Schmelzkäse (processed cheese) am Stück. Letzte-
antwortlich ist, das mit dem Personal Responsibility rem haftete der Ruf an, aus den aufgrund der Über-
and Work Opportunity Reconciliation Act von 1996 produktion angelegten „Käsebergen“ bundesstaat-
eingesetzt wurde. Dieses Programm war von der Clin- licher Notvorratslager zu stammen. Bedürftigkeit
ton-Administration forciert worden, nachdem Präsi- bzw. Anspruchsberechtigung im WIC-Programm er-
dent Clinton in seiner Inauguralansprache verspro- mittelt sich auf der Grundlage eines Bruttoeinkom-
chen hatte: „We must end welfare as a way of life.“ mens, das unter 125 % (!) der Armutsgrenze liegen
Waren im Jahr 1990 noch 7,8 Mio. Haushalte bzw. muss. Die Einkommensgrenzen 2003 betragen für
20,41 Mio. Menschen von staatlichen Lebensmittel- einen Einpersonenhaushalt jährlich 16 391, monat-
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 138

138 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Prozent ist, individuelles Einkommen und Wohlstand zu ge-


45,0 nerieren, wächst mit jedem ungenügend ausgebilde-
ten Jugendlichen die schleichende Gefahr:
Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001,

40,0
■ der sozialen Polarisierung,
■ der Verstetigung von Armut und
35,0
■ einer underclass-Entwicklung des sozialen Unfrie-
30,0 dens. Dies tritt besonders dann ein, wenn das Gut
Bildung, das den Ausschlag für den sozialen Auf-
25,0 stieg gibt, zwischen den sozialen und ethnischen
Gruppen unterschiedlich verteilt und systema-
20,0 tisch im Bereich der politischen Kultur und der
Geschichte angelegt ist.
15,0
Jeder schlecht ausgebildete Jugendliche kann daher
10,0 eine höhere Belastung für die Gemeinde, die Region
und den Staat bedeuten, die für die Dauer eines
5,0 halben Jahrhunderts mit höheren Transferleistungen
Tab. 257, S. 162 (verändert).

zu rechnen haben, als sie je für eine gute Ausbil-


0,0 dung in das Humankapital dieses Jugendlichen hät-
1975 1980 1985 1990 1995 1999
Jahr ten investieren müssen. In den USA als einziger
Total Weiße Schwarze Hispanics westlicher Industrienation ohne verfassungsmäßig
weiße Männer schwarze Männer hispanic Männer verankerte soziale Umverteilungsmechanismen zwi-
weiße Frauen schwarze Frauen hispanic Frauen
schen Bund und Bundesstaaten, den einzelnen
Staaten oder den Gemeinden eines Staates sind die
Abb. 94: Anteil der lich 1366 und wöchentlich 316 Dollar, für einen Gefahren, die sich aus dem gravierenden Bildungs-
Schüler, welche die High Zweipersonenhaushalt pro Jahr 22 089, pro Monat gefälle für die Gesellschaft, die Volkswirtschaft und
School nicht beendet 1841 und pro Woche 425 Dollar, für einen Vierper- den Einzelnen ergeben, ungleich höher als in Län-
haben.
sonenhaushalt 33 485 Dollar pro Jahr, 2316 pro dern der sozialen Marktwirtschaft. Daher gewinnt
Monat und 535 pro Woche, wobei sich für jedes wei- Bildung als Hauptmöglichkeit zum sozialen Aufstieg
tere Familienmitglied die Bemessungsgrenzen um je- im Kontext der USA an zusätzlicher Bedeutung.
weils 5698 Dollar pro Jahr, 475 pro Monat und 110 Ein High-School-Abschluss oder sein Äquivalent
pro Woche erhöhen (US Department of Agriculture ist in den USA die Mindestanforderung für den Ein-
2003, WIC – Women, Infants, Children Program). stieg in den Arbeitsmarkt der modernen Gesell-
Ein wichtiger Grund für „Armutsbiographien“ ist schaft. Der Anteil derer zwischen 18 und 24 Jah-
das sich verschlechternde Bildungsprofil, das ledig- ren, die einen solchen Abschluss vorweisen können
lich den Einstieg in Billiglohnjobs ermöglicht. Wenn (Abb. 94), ist daher ein Indikator der Fähigkeit, Ein-
ein junger Erwachsener im Alter von 18 bis 25 Jah- stiegstätigkeiten in vielen Bereichen der Wirtschaft
ren es versäumt, eine gute Ausbildung zu absolvie- und der öffentlichen Verwaltung zu erlangen und
ren, treten gravierende Folgen für ihn und den Staat sich Zugang zum höheren Bildungssystem verschaf-
ein. Jeder mangelhaft ausgebildete Jugendliche fen zu können. 87 % aller jungen Erwachsenen zwi-
trägt für die gesamte Dauer seines Arbeitslebens, schen 18 und 24 Jahren hatten im Jahr 2000 einen
also 40 bis 50 Jahre, ein erhöhtes Risiko: High-School- oder einen äquivalenten Abschluss wie
■ auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar zu das General Education Development Certificate. Der
sein, Prozentsatz der afroamerikanischen Jugendlichen
■ schneller und länger Arbeitslosigkeit zu erleben, lag dabei bei 83 % und hat sich damit seit 1980
■ geringere Chancen zum sozialen Aufstieg zu (75 %) wesentlich verbessert, der Anteil von weißen,
haben, nicht hispanischen Jugendlichen betrug 92 %. Der
■ dauerhaft in die Abhängigkeit von staatlichen Anteil der hispanischen jungen Erwachsenen mit
Transferzahlungen wie Arbeitslosen- und Sozial- Abschluss war mit 64 % im Jahr 2000 deutlich ge-
hilfe abzusinken, ringer, wenngleich er sich seit 1980 ebenfalls ver-
■ seinen Kindern Armut und Abhängigkeit von bessert hat. Der Prozentsatz der jungen Erwachse-
staatlichen Transferleistungen vorzuleben und nen zwischen 16 und 19 Jahren, die weder in der
dieses Verhaltensmuster somit weiterzugeben, Schule noch in Bildungseinrichtungen eingeschrie-
■ zur Verelendung über mehrere Generationen hin- ben noch im Berufsleben sind, ist ein Indikator für
weg beizutragen. die Möglichkeiten, Lebensperspektiven vorzuzeich-
Für die Volkswirtschaft und die Regionalökonomie nen oder „Armutsbiographien“ zu beginnen. Die An-
birgt jeder einzelne mangelhaft ausgebildete Ju- teile derer, die von diesem Problem betroffen sind,
gendliche die Gefahr: sanken von 1980 bis 2001 signifikant und liegen
■ suboptimaler Investitionskraft des Staates auf- derzeit für junge Frauen bei 13 %, für Latinos bei
grund von unproduktiven Transferleistungen sowie 13 %, für Afroamerikaner bei 14 % und für Weiße bei
■ regionaler Entwicklungshemmnisse. 6 % (US Bureau of the Census, Indicators of Chil-
In der modernen westlichen Gesellschaft, in der so- dren’s Well Being, Education Indicators, S. 53). Das
zialer Aufstieg primär mit der Fähigkeit verbunden heißt, dass eine allgemeine Verbesserung eingetre-
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 139

Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ 139

ten ist, die sich zumindest statistisch manifestiert. Konzentrationsgebiete in Großstädten sind aufgrund
Die signifikanteste Abnahme der von Schule und Ar- ihrer sozioökonomischen Strukturen (Armut und Ge-
beitsleben entfernten Personen und die Zunahme burtenraten von 3 bis 3,5 %) und längerfristiger
der gleichen Altersgruppe, die sich in das Erwerbs- Perspektiven Enklaven der Dritten oder Vierten Welt
leben einbringt, ist nach 1995 festzustellen und vergleichbar, die von existenzieller Not, Verfall und
kann u. a. mit der neuen Bundespolitik (work for großer sozialer Krisenhaftigkeit gekennzeichnet sind.
pay) in Verbindung gebracht werden. Gehobene Aus- Hier wächst die Belastung durch Bevölkerungsgrup-
bildungsabschlüsse sind ein Schlüssel zur Fähig- pen mit niedrigem Einkommen und Abhängigkeit
keit, sich erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu inte- von der staatlichen Fürsorge. Überproportional be-
grieren und gute Einkommen zu erzielen. 2001 wie- troffen sind vor allem Minderheiten, Frauen, Kinder
sen 33 % aller High-School-Abgänger mindestens und Jugendliche sowie von Frauen geführte Haus-
einen Bachelor-Abschluss auf. Aufgeschlüsselt nach halte (Schneider-Sliwa 1996a, b).
Ethnien betrugen diese Anteile 35 % für Weiße, Die Tatsache, dass afroamerikanische und hispa-
20 % für Afroamerikaner, 18 % für Hispanics, wobei nische Bevölkerungsgruppen die höchsten Anteile
sich die beiden Letztgenannten signifikant verbes- an Arbeitslosen, Personen, die von der öffentlichen
sert haben (14 % bzw. 13 % im Jahr 1980). Auch Fürsorge leben, und Armen haben, hat damit zu
hier ist also eine allgemeine Verbesserung sichtbar. tun, dass Schwarze und Hispanics insbesondere im
Dennoch verbleiben deutliche Bildungsunterschiede industriellen Sektor beschäftigt waren und die Ent-
ein gesellschaftliches Problem. Die Abbildungen 94 wicklung zur Dienstleistungsgesellschaft sowie die
und 95 verdeutlichen das Ausmaß des Problems im Globalisierung mit ihren Standortverlagerungen in
Bereich der Bildung. Niedriglohnländer solche Arbeitsplätze gefährden.
Es zeigt sich sehr deutlich, dass die Armut eine Die Prekarität verleiht diesen Bevölkerungsgruppen
unterschiedliche ethnische Ausprägung hat: Bis zu einen schlechten Stand in einem Land, das keine
einem Drittel aller Afroamerikaner und Hispanics Akzeptanz für Trittbrettfahrer auf dem sozialen Sys-
sind von Armut betroffen; im Bereich der Bildung tem kennt und das bei den armen Personen zwei
sind diese Gruppen schlechter gestellt. Innerhalb Kategorien unterscheidet, die welfare poor, also die
des ethnischen Profils der Armut wiederum verläuft Sozialhilfeempfänger und die deserving poor, also
ein Riss, der die Geschlechter betrifft: Unter der die für ihre staatliche Sozialhilfe seit einigen Jahren
afroamerikanischen Bevölkerung werden die Verbes- zur Arbeit verpflichtet werden (work for pay). Bevölke-
serungen der Lebensumstände, die über die Bildung rungsprognosen zeigen hier die Dringlichkeit und
erzielt werden können, bei Frauen deutlich aktiver den Handlungsbedarf vor allem im Ausbildungssek-
angestrebt: Zwar hatten nur 25 % der afroamerika- tor.
nischen Bevölkerung über 25 Jahre einen Bachelor-
Abschluss, Frauen hatten dabei jedoch einen statis- Altersarmut
Abb. 95: Anteil der Bevöl-
tisch signifikanten Vorsprung: 16 % der Frauen und Armut hat viele Facetten und Auswirkungen, nur ei-
kerung mit mindestens
14 % der Männer hatten einen Bachelor-Abschluss, nige seien hier aufgezeigt. Aus Gründen prekärer einem College-Abschluss,
während es bei der weißen Bevölkerung umgekehrt Einkommen steigt der Anteil derer, die sich keine nach Ethnie, Herkunft und
war: Nur 25 % der Frauen und 31 % der Männer Krankenversicherung leisten können, stetig an. Eine Geschlecht.
hatten diesen Abschluss (US Bureau of the Census
2000, The Black Population in the United States, Prozent
Population Characteristics, S. 3). Die Struktur des 30,0
dualen Amerika, die sich teilweise entlang eines
einfachen Gegensatzes von schwarz/weiß sowie

Datengrundlage: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001,
arm/mittelständisch zeigte, wird also viel differen- 25,0
zierter und zeigt nun deutlicher als je zuvor eine
sich entwickelnde soziale Distanz auch innerhalb 20,0
des unterprivilegierten Bevölkerungssegments. Die
Lebens- und Integrationsbedingungen für Afroame-
rikaner und Hispanics sehen grundsätzlich anders 15,0
aus als für asiatische Minderheiten. Die Statistik
weist von den über 44 Mio. unter der Armutsgrenze
lebenden Personen im Jahr 2000 Afroamerikaner 10,0
und Hispanics als die Bevölkerungsgruppen mit den
höchsten Anteilen aus. Selbst die offizielle Armuts-
grenze ist für diese Haushalte noch eine unerreich- 5,0
bare Richtgröße. Arme, v. a. Minoritäten, haben
Tab. 216, S. 139 (verändert).

auch heute noch kaum eine Chance, sozial aufzu- 0,0


steigen oder den Elendsvierteln zu entkommen. Die 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Jahr
wissenschaftliche Literatur hat für dieses neue Phä-
nomen des dauerhaften Verbleibens von Bevölke- alle Männer weiße Männer afroamerikanische Männer hispanische Männer
rungssegmenten in Armut den Begriff der urban un- alle Frauen weiße Frauen afroamerikanische Frauen hispanische Frauen
derclass geprägt (Wilson 1987). Die ethnischen
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 140

140 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

USA gesamt 1990 1995 1997 2002 Krankenversicherung ist in den USA nicht obligato-
in % 15,7 17,3 18,3 15,8 risch, daher haben 42,6 Mio. Menschen keine, davon
10,1 Mio. Kinder (1999) (US Bureau of the Census
New England 2001, Statistical Abstracts of the United States
Maine 12,6 15,4 17,1 13,6
2001, Tab. 145, S. 102). Besonders betroffen ist ne-
New Hampshire 11,1 11,4 13,3 7,9
ben den heranwachsenden Kindern und Jugendli-
Vermont 10,5 14,5 10,8 12,6
Massachusetts 10,2 12,5 14,3 10,7
chen die Gruppe derer, die diese am dringendsten
Rhode Island 13,1 15,4 12,3 7,3 benötigen würde – die über 65-Jährigen, die insge-
Connecticut 8,0 10,3 13,8 10,2 samt im Jahr 2000 34,5 Mio. Menschen oder
Middle Atlantic 12,4 % der Bevölkerung der USA ausmachten. Be-
New York 13,6 17,2 10,0 17,0 sonders hohe Anteile zeigen sich zudem noch in
New Jersey 11,3 16,2 18,4 14,2 jenen Bundesstaaten, die als „Rentnerstaaten“ gel-
Pennsylvania 11,8 11,6 11,7 8,5 ten, so z. B. Florida und New Mexico (Tab. 29).
East North Central
Ohio 11,7 13,5 13,1 12,1 Ausländisches Herkunftsgebiet (Foreign Born),
Indiana 12,3 14,6 12,8 13,9 sozioökonomischer Status und Prekarität
Illinois 12,2 12,3 13,9 14,8 Der Bruch, der durch die amerikanische Gesellschaft
Michigan 10,4 11,0 13,2 10,8 geht, zeigt sich in aller Deutlichkeit auch innerhalb
Wisconsin 7,8 8,1 9,1 8,2 der Bevölkerung aus ausländischen Herkunftsgebie-
West North Central ten sowie zwischen Menschen aus ausgewählten
Minnesota 9,9 9 10,2 10,0 Herkunftsgebieten und den in Amerika geborenen
Iowa 9,4 12,9 13,6 10,2
Bürgern. Im Jahr 2000 waren 28,4 Mio. Menschen
Missouri 14,2 16,7 14,7 12,2
North Dakota 7,2 9,4 11,7 13,3
in den USA im Ausland geboren, während es 1990

Quelle: US Department of Health and Human Services 2002, Center for Disease Control and Prevention, National Center for Health Statistics. Health Statistics 2002; Atlanta (veränd.).
South Dakota 13,5 10,8 13,7 14,0 nur 19,8 Mio. waren. Dieser Anstieg um 44 % ist
Nebraska 9,6 10,3 12,2 11,5 hauptsächlich auf die Zuwanderung aus Lateiname-
Kansas 12,3 14,2 13,6 13,7 rika zurückzuführen. Die Hälfte der als foreign born
South Atlantic erfassten Bevölkerung, also 14,5 Mio. Menschen,
Delaware 15,6 17,2 15,1 12,1 kam aus Lateinamerika. Allein aus Mexiko kamen
Maryland 14,2 17,2 14,9 11,6 7,8 Mio. Personen, im Vergleich zu 800 000 im Jahr
District of Columbia 21,3 19,3 18,3 16,6 1970. Jeweils 500 000 Menschen waren aus den
Virginia 17,3 15,2 14,1 14,2 Ländern Kuba, der Dominikanischen Republik und
West Virginia 16,0 18,3 20,5 16,9 El Salvador eingewandert. Mehr als ein Viertel, also
North Carolina 15,6 16,4 17,6 14,6 7,2 Mio. Menschen ausländischer Herkunft, kam aus
South Carolina 18,1 16,0 18,7 13,8 Asien, im Vergleich dazu waren es um 1970 nur 9 %
Georgia 17,1 20,0 19,3 15,8 oder 800 000 Menschen. 15 % oder 4,4 Mio. Men-
Florida 21,5 21,7 23,6 20,5 schen wanderten im Jahr 2000 aus europäischen
East South Central Herkunftsländern zu, im Vergleich dazu waren es
Kentucky 15,1 16,8 16,9 14,6
1970 noch 62 %.
Tennessee 15,4 16,4 15,2 11,6
Alabama 19,3 15,7 18,0 15,3
Die Bevölkerung ausländischer Herkunft konzen-
Mississippi 22,1 22,3 22,6 14,8 triert sich sehr stark auf wenige Bundesstaaten
West South Central (Abb. 96). Die Staaten mit der größten Anzahl Men-
Arkansas 20,1 20,5 28,1 15,9 schen aus anderen Herkunftsländern waren Kalifor-
Louisiana 22,2 22,9 22,0 21,6 nien (8,8 Mio.), New York (3,6 Mio.), Florida (2,8
Oklahoma 21,2 22,1 20,2 22,4 Mio.), Texas (2,4 Mio.), Illinois (1,2 Mio.) und New
Texas 23,2 27 26,7 23,6 Jersey (1 Mio.). Diese Staaten machen insgesamt
Mountain ca. 39 % der Gesamtbevölkerung der USA aus, und
Montana 15,7 14,8 22,0 21,3 ihr Anteil an Ausländern stellt 70 % der gesamten
Idaho 16,9 15,9 19,9 17,4 ausländischen Bevölkerung der USA. Innerhalb die-
Wyoming 13,7 17,6 17,4 16,5 ser Bundesstaaten waren die Personen ausländi-
Colorado 16,3 15,9 16,4 15,0 scher Herkunft in wenigen Städten konzentriert.
New Mexico 24,6 28,3 25,2 26,7 Fünf Metropolitanregionen verzeichnen die Hälfte
Arizona 18,1 23,2 27,7 17,8 aller Ausländer der USA: Los Angeles und New York
Utah 9,8 13,0 14,8 14,5 mit je 4,7 Mio., San Francisco mit 2,0 Mio., Miami
Nevada 18,3 21,1 19,9 17,9
mit 1,6 Mio. und Chicago mit 1,1 Mio., wobei Miami
Pacific
mit 43 % Ausländern den höchsten Prozentsatz aller
Washington 12,7 13,7 12,4 15,4
Oregon 14,6 13,9 14,8 15,9 Städte aufwies. Wegen des hohen Anteils von Hi-
California 21,1 22,6 23,7 19,7 spanics an den Personen ausländischer Herkunft,
Alaska 16,1 12,9 18,9 20,0 des hohen Anteils an Armen unter den Hispanics und
Hawaii 7,8 9,9 8,7 11,9 der Konzentration dieser Bevölkerungsgruppe in
wenigen Metropolitanregionen ist ein Krisenpoten-
Tab. 29: Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren (in %) ohne Krankenversiche- zial in diesen Städten in besonderem Maße vorhan-
rung, nach Bundesstaaten.
den.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 141

Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ 141

In Bezug auf Armut und Wohlerge-


hen von Ausländern spielt es eine
Rolle, aus welcher Herkunftsregion sie
kommen: Immigranten aus asiati-
schen Herkunftsländern haben gene-

Datengrundlage: US Department of Commerce. Bureau of the Census: Census 2000,


rell einen höheren Anteil von Perso-
nen, die den High-School-Abschluss
erworben haben (84 %), bei Afrika-
nern sind es sogar 95 %, da diese zu-
meist wegen des Studiums nach Ame-
rika kamen, während es nur 50 % der
Personen aus lateinamerikanischen
Ländern sind. Ein Viertel aller im Aus-
land geborenen Personen nahm geho-
bene Management- und spezialisierte
Berufskategorien ein, im Vergleich zu
31 % der einheimischen Bevölkerung.

Long Form, Washington, D.C.


Der Anteil der Personen aus dem Aus-
Anteil in %
land in white collar-Berufen variierte 0 bis 0,8
nach Herkunftsregion: 39 % der Be- 0,9 bis 1,4
schäftigten aus asiatischen Herkunfts- 1,5 bis 2,5
2,6 bis 5,3
ländern, 38 % der Europäer und 12 % Alaska Hawaii
1:100 000 000 1:50 000 000 5,4 bis 46,1 0 500 1 000 km
der Personen aus lateinamerikani-
schen Herkunftsländern waren profes-
sionals. Der Anteil der Armen an den Ausländern lag kanische Wertegesellschaft konnten gerade in jün- Abb. 96: Anteil der Perso-
1999 insgesamt bei 17 %, im Vergleich zu 11 % bei gerer Vergangenheit viele Neuankömmlinge trotz nen, die nicht in den USA
der einheimischen Bevölkerung. Bei europäischer ihres unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds sehr geboren worden sind. Auf-
teilung in Klassen nach
Herkunft betrug er nur 9 %, bei Asiaten 13 % und schnell über das Berufsleben, die Schulausbildung
dem Prinzip der Quantile
bei Personen lateinamerikanischer Herkunft 22 % oder unternehmerische Aktivitäten erlangen. Einwan- (siehe Abb. 71).
(US Bureau of the Census 2002: Coming to Ameri- derer sind heute auch besser ausgebildet als früher,
ca: A Profile of the Nation’s Foreign Born, 2000 Up- weil die Einwanderungsbehörde (Immigration and
date, S. 3f. und US Bureau of the Census, Profile of Naturalization Service) seit 1965 eine Präferenz für
the Foreign Born Population in the United States: höchstqualifizierte Arbeitskräfte festgesetzt hat.
2000, Current Population Reports, Special Studies Asiatische Minderheiten, insbesondere Chinesen,
P23-206). Japaner und Koreaner, gehören zu den höchstquali-
Während Armut zwar unter den ethnischen Grup- fizierten Einwandererkategorien. Nach Jahrzehnten
pen – darunter auch denjenigen ausländischer Her- der erst 1945 abgeschafften gesetzlichen Diskrimi-
kunft – weit verbreitet ist, kann man Armut nicht nierung gelten Asiaten mittlerweile als model mi-
per se mit ausländischer Herkunft und mangelnder nority: Sie sind jene Einwanderungsgruppe, die in
Integrationsfähigkeit assoziieren. Vielmehr sind es kürzester Zeit den amerikanischen Traum vom wirt-
aufgrund der Globalisierung, die Arbeitsplatzverlus- schaftlichen und sozialen Aufstieg verwirklicht und
te in bestimmten Bereichen bringt und wegen der darin Anglo-Konformität zeigt. Die in die Hauptauf-
gesellschaftlichen Entwicklung, die mehr hochspe- nahmeregionen Südkalifornien, Los Angeles, Miami,
zialisierte Dienstleistungen braucht, Personen mit New York City und Washington, D.C. einwandernden
entsprechendem Bildungsprofil – unabhängig von Asiaten stellen spätestens in der zweiten Generation
ethnischem Hintergrund oder Herkunftsgebiet –, die unter den Hochschulabsolventen die höchste Quote;
sich in den Arbeitsmarkt integrieren und nicht Teil in Harvard waren es im Jahr 2003 beispielsweise
der Armutsstatistik werden. Auf Schwierigkeiten bei 19 %, in Berkeley 67 % der vollakademischen Ab-
der Integration deuten jene Statistiken hin, welche schlüsse, dies bei nur 3,6 % Anteil an der Gesamt-
die Anteile der Kinder zwischen einem und 17 Jah- bevölkerung. Zu den Mechanismen, die ihre eigenen
ren zeigen, die zu Hause eine andere Sprache als Kulturen für die Akkulturierung und den wirtschaft-
Englisch sprechen und Probleme mit der englischen lichen Erfolg in den USA bieten, gehören:
Sprache haben (Tab. 30). ■ Erziehung zur sozialen Anpassung und zur Ver-
meidung von Konflikten,
Integrationserfolg asiatischer Minderheiten ■ hoher Stellenwert von Bildung und Bildungswe-
sen sowie eine Erziehung zu Leistung, Erfolgsstre-
Integration und Assimilation waren die wichtigste ben und einer Arbeitsdisziplin, die der calvinis-
Aufgabe der Neuankömmlinge in der amerikanischen tisch-protestantischen Ethik ähnelt und daher
Gesellschaft. Integration hatten die Zuwanderer durch Amerika vertraut ist,
Annahme der vorherrschenden Normen, Werte, Denk- ■ vertikale Gruppen- und Familienstruktur, Akzep-
und Lebensweisen, der Mentalität und Kultur selbst tanz von Hierarchien in Gesellschaft und Wirt-
zu leisten. Anerkennung und Aufnahme in die ameri- schaft.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 142

142 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Bevölkerung unter 25 Jahren Bevölkerung über 25 Jahren


Metropolitan- > 5 Jahre, zu Anteil in Anteil zw. 16 Anteil der in Anteil ohne Anteil in Anteil
gebiete Hause nicht privaten und 19 Jahren, Hochschulen 9. Klasse fortgeschrit- zwischen 24
Englisch Grundschulen weder in und Fachhoch- tener akade- und 34 Jahren
sprechend, und Sekundar- Schulen noch schulen mischer mind. mit
Probleme mit schulen mit High- immatriku- Ausbildung Bachelor-
der englischen School-Ab- lierten Abschluss
Sprache schluss regis- Bevölkerung
triert (Schul- zwischen 18
abbrecher) und 24 Jahren
in % in % in % in % in % in % in %

In Großstadtregionen
bundesweit 9,4 11,2 9,8 35,1 7,2 81,3 29,9
In Kernstädten 12,8 12,0 11,9 38,8 9,3 77,3 30,5
In Suburbs 7,3 10,8 8,4 31,8 5,9 83,7 29,5
Atlanta
Kernstadt 14,9 10,0 13,9 40,7 7,2 76,9 44,5
Suburbs 7,0 8,9 13,6 25,3 5,2 84,8 34,6
Boston
Kernstadt 16,3 17,8 6,8 54,8 9,1 78,9 51,8
Suburbs 4,8 11,0 5,1 39,8 3,7 88,9 44,7
Buffalo
Kernstadt 4,5 14,3 12,7 39,9 7,7 75,0 23,1
Suburbs 2,3 14,0 4,5 45,9 4,0 86,0 34,1
Chicago
Kernstadt 16,9 15,3 14,8 31,3 11,9 72,9 34,7
Suburbs 8,7 12,2 7,5 31,9 5,3 86,3 35,2
Houston
Kernstadt 21,1 7,1 18,3 23,4 14,5 70,6 25,7
Suburbs 10,6 6,9 9,9 26,4 7,5 81,3 24,7
Indianapolis
Kernstadt 3,2 15,1 14,9 25,2 4,9 81,0 29,9
Suburbs 1,3 9,0 7,3 22,6 3,3 87,2 32,4
Los Angeles
Kernstadt 29,5 10,3 14,0 34,6 17,2 68,6 23,9
Suburbs 21,7 8,8 9,4 34,2 11,9 75,5 22,4
Minneapolis –
St. Paul
Kernstadt 11,1 13,8 10,6 42,7 6,5 84,5 42,4
Suburbs 2,7 9,9 5,5 28,2 2,5 92,3 39,4
New York

Quelle: US Bureau of the Census, 2002: CG-CT-P11, Census Summary File 3, SF-3 (veränd.).
Kernstadt 22,5 17,6 11,3 34,1 11,8 72,3 34,5
Suburbs 9,8 12,9 6,1 39,9 5,6 85,1 38,5
Philadelphia
Kernstadt 8,8 20,4 10,7 38,4 8,2 70,4 25,0
Suburbs 3,5 17,4 5,8 36,2 3,6 86,5 36,6
Pittsburgh
Kernstadt 3,2 20,7 6,3 60,0 4,6 81,3 41,9
Suburbs 1,3 10,2 4,9 33,5 4,4 85,6 32,5
San Francisco
Suburbs 13,7 12,8 7,6 38,4 5,8 86,5 37,6
Seattle
Kernstadt 8,9 13,9 7,8 39,9 4,2 88,6 45,6
Suburbs 5,4 8,3 7,6 24,3 2,7 89,9 27,8
Washington, D.C.
Kernstadt 7,1 15,3 10,1 46,1 7,8 77,8 50,6
Suburbs 7,0 13,5 7,0 33,8 4,4 87,4 39,9
Tab. 30: Indikatoren der Integrationsfähigkeit.
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Strukturdaten des „Zweiten Amerika“ 143

Chinatown San Francisco


San Franciscos Chinatown ist die älteste in den USA und mit ca. 27 000 Dollar weit unter dem Durchschnitt der
die zweitgrößte nach der von New York City. Über 16 500 Stadt mit knapp 46 000 Dollar angesiedelt. Fast ein Drittel
Bewohner leben in dem 40 Blocks umfassenden Stadtvier- der Bevölkerung erhält Sozialhilfebezüge, und über 20 %
tel zwischen den Straßen Vallejo im Norden und Bush im bekommen weitere Formen von public assistance. Die
Süden sowie den von Süd nach Nord führenden Straßen Armut steigt, knapp 20 % der Familien Chinatowns leben
Mason und Montgomery (Abb. 97). Die Bevölkerungsdichte an oder unter der offiziellen Armutsgrenze. Vielen ist die
ist mit 228 Personen pro acre siebenmal höher als im üb- Integration in die Anglo-Gesellschaft aufgrund fehlender
rigen Stadtgebiet von San Francisco. Das um 1870 ent- Englischkenntnisse versperrt.
standene asiatische Stadtviertel erlebt seit den 1980er Um die Belange der monolingual Chinese speaking
Jahren wegen der Abwanderung von Textil- und Beklei- residents besser vertreten zu können und das Stadtviertel
dungsfabriken in das Ausland einen wirtschaftlichen Nie- in eigener Regie entwickeln, aber auch in seiner jetzigen
dergang. Zuvor war die Immigrantenbevölkerung in wesent- Struktur halten zu können, begannen 1975 das Chinatown
lichem Maße in diesen Industrien beschäftigt gewesen. Resource Center als gemeinnützige Community Develop-
Nach dem Erdbeben von 1989, das den Autobahnzu-
Green
gang zur Chinatown beschädigte, erlitt der Einzelhan-
del- und Dienstleistungssektor des Viertels starke Ein-
bußen. Ladenschließungen, kaum ausgelastete Ge-
schäfte und Leerstand wurden zum Kennzeichen die-
Vallejo
ser Chinatown. Da der Autobahnzugang nicht wieder
aufgebaut wurde und sich ohnehin viele chinesische
„Satellitengemeinden“ außerhalb von Chinatown bil-
deten, verlor Chinatown völlig seine Bedeutung als
Einkaufszentrum und sozialer Treffpunkt für die Sino- Broadway
Amerikaner im Großraum San Francisco. Damit verlor

Co
Chinatown auch seine frühere Sprungbrettfunktion für

lu
m
Einwanderer, die sich über ein Beschäftigungs- ver-

bu
s
hältnis, Lohneinkommen und die Einbettung in ihre
Pacific
eigene Kulturgruppe integrieren konnten.

Beckett
Zu den weiteren Problemen, mit denen eine be-
reits verarmende Bevölkerung in Chinatown konfron-
tiert ist, gehören Maßnahmen, die Häuser China-
Jackson
towns erdbebensicher zu machen. Die 1992 von der

Wentworth
Stadtverwaltung beschlossene Gesetzgebung zur
baulichen Verstärkung erdbebengefährdeter Häuser
(seismic retrofitting of unreinforced masonry build- Washington
ings – UMBs) stellte ein erhebliches Problem dar
Baenham

(Abb. 98). Es stellte sich als schwierig heraus, die


Place

baulichen Maßnahmen in so dicht besiedelten Häu-


sern selber durchzuführen. Zudem war für eine tem- Clay
poräre Umsiedlung nicht genug Wohnraum (replace-
Waverly

ment housing) verfügbar. Hinzu kam die Umsetzung Commercial


der Bauvorschriften gegen bleihaltige Farbe bei Haus-
anstrichen. Nach der 1997 in Konzeption befindli- Sacramento
chen Bleivergiftungs-Präventionsgesetzgebung war
ein signifikanter Anteil der Häuser zu sanieren, um
bewohnbar zu bleiben. Eine dritte Maßnahme für
Chinatown war die Welfare Reform Bill and Immigra- California
tion Reform Proposal. Diese sah vor, Immigranten
vom Sozialhilfebezug auszuschließen – Politikmaß-
nahmen, die mittlerweile in Europa ebenfalls disku-
tiert oder beschlossen werden. Während in den aus-
Quelle: Chinatown Resource Center.

Pine
gehenden 1990er Jahren viele chinesische Einwan-
Montgomery

derer deswegen die Einbürgerung anstrebten, blieb


Stockton
Mason

Kearny
Powell

Grant

es den chinesischen Solidarsystemen in Chinatown


vorbehalten, Hilfestellung für einen Großteil der so-
Bush
zial schwachen chinesischen Immigranten zu schaf-
fen. Dazu zählen die überalterte Bevölkerung von
Wohngebiete Gewerbliche Nutzung Besucherorientierter Einzelhandel
Chinatown mit rund 38 % der über 65-Jährigen und
die Kinder unter 5 Jahren mit 27 % der Bevölkerung
von Chinatown. Das Durchschnittseinkommen ist Abb. 97: Flächennutzung in Chinatown, San Francisco.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 144

144 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Green ment Organization sowie die Chinese Community


Housing Corporation ihre Tätigkeit. Beide Organi-
sationen sind Grassroots-Planungsorganisationen
Vallejo der Chinese Community. Sie versuchen, eine inte-
grierte Nachbarschaftsentwicklungsstrategie und
die Wohnraumversorgung mit bezahlbaren Mieten
durchzusetzen, ferner den Rechten der Bewohner in
Broadway den politischen Gremien Gehör zu verschaffen.
Diese bedürfen tatsächlich einer Vertretung, stellt
doch Chinatown die letzte Baulandreserve für die
Pacific vielfältigen geplanten Downtownerweiterungen,
insbesondere eine Bebauung mit Wolkenkratzern

Montgomery

Sansome
Stockton

Kearny
Mason

Powell
Taylor

Grant
dar. Der touristisch für die Stadt San Francisco
1
verwertbare Teil der jetzigen Chinatown ist ohnehin
Jackson
überwiegend auf Grant Street begrenzt: stadtplane-
2 rischen Überlegungen der Stadt San Francisco zu-
folge wäre diese Hauptgeschäftsstraße in einer
Washington CBD-ähnlichen Umnutzung und Wolkenkratzer-
Neubebauung durchaus als Restfassade integrier-
4 bar.
Nicht umsonst sorgen sich chinesische Stadt-
Clay
planer um den Erhalt von Chinatown als Kulturerbe,
aber auch als Auffangstation für die ärmere chine-
Powell

3 sische Bevölkerung und die Immigranten. Die viel-


Mason

Sacramento
fältigen Maßnahmen, Chinatown zu sanieren, wie
Montgomery

die Verstärkung erdbebengefährdeter Häuser, wel-


che die Hausbesitzer unter Umständen wegen zu
California hoher Kosten zum Verkauf veranlassen, ferner das
Bleivergiftungs-Präventationsprogramm oder das
5 Welfare Reform-Gesetz und der Immigration Re-
form Proposal werden daher als subtile Formen
Pine
von Verdrängung eingeschätzt. Dies umso mehr,
als die Stadtverwaltung auf direktem Wege ver-
Quelle: Chinatown Resource Center.

sucht hat, blockweise Häuser in der Chinatown


Bush aufzukaufen oder umzugswilligen Hausbesitzern
Entschädigungen anzubieten. Auch der Entscheid,
Grenze Broadway-Korridor 1. New Park die durch das Erdbeben von 1989 stark beschä-
2. Library Roof Garden
Erdbebengefährdete Gebäude
Chinatown-Parks 3. Chinese Playground
digte Autobahnzufahrt nicht mehr wiederherzustel-
(nicht verstärktes Mauerwerk)
4. Portsmouth Square len, wodurch die chinesische Enklavenökonomie
Gassen Sozialer Wohnungsbau 5. St. Mary’s Park stark geschwächt wurde, wird in dieser Richtung
gewertet (Chinatown Resource Center und Chinese
Abb. 98: Erdbebengefährdete Gebiete in Chinatown, San Francisco. Community Housing Corporation 1997).

Im Vergleich mit anderen Minoritäten in den USA, Asiatische Kleinhändler:


vor allem Schwarzen und Hispanics, nehmen die ■ spezialisieren sich auf begrenzte Areale, in denen
Asiaten aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs, sie die einzigen Geschäfte zur Versorgung halten,
ihres hohen Bildungsniveaus und ihres neither ■ investieren in Restaurants, Hotels, Tankstellen
Black nor White-Status eine Sonderstellung ein. und Lebensmittelgeschäfte, die rund um die Uhr
Zwar leben asiatische Einwanderer – häufig Klein- geöffnet sind,
unternehmer oder Angehörige der Bildungselite – ■ gründen kleine Unternehmen, die nur von der ei-
räumlich konzentriert, doch integrieren sie sich genen Familie und Familienarbeit, nicht aber von
außerordentlich schnell in die amerikanische Ge- Großunternehmen und -lieferanten abhängig sind,
sellschaft. Kleinunternehmer demonstrieren in be- ■ nutzen eigene rotierende Kreditsysteme und mo-
sonders starkem Maße jenen Erfolg, der in Amerika derne Methoden der Geldbeschaffung durch eige-
schon in den Mythen from rags to riches faszinierte. ne Banken. Dazu zählen Solidaritätssysteme, wie
Dadurch, dass sie Nischenfunktionen wahrnehmen, sie vormals nur die irischen und jüdischen Ein-
so z. B. in den verfallenden Innenstädten eine Ver- wanderer in den USA bildeten. Diese gewähren
sorgungsstruktur aufbauen, stellen sie einen we- beispielsweise einen Vorschuss für die Gründung
sentlichen Impuls in der Revitalisierung von Slums eigener Geschäfte, weswegen viele asiatische Ein-
und Ghettos dar. wanderer innerhalb weniger Jahre nach Ankunft
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 145

Regionale Manifestationen des dualen Amerika 145

in den USA bereits selbständige Kleinunterneh- neration, sondern erfordert nur wenige Jahre. Oft ver-
mer sind. lassen asiatische Einwanderer dann ihre selbstge-
Zusätzlich können Neuankömmlinge auf Hilfestel- wählte Enklave und siedeln sich anderswo an. Enkla-
lung bei Wohnungs- und Arbeitssuche sowie bei Be- venökonomie und der starke ethnische Zusammen-
hördengängen rechnen und erfahren damit eine sehr halt sowie Solidaritätsnetzwerke sind die wichtigs-
starke Einbindung in ihre Gemeinden. Asiatische ten Integrationsmechanismen, welche die Asiaten
Einwanderer gründen häufig Firmen mit Produkten für den Eintritt in den allgemeinen Markt vorberei-
speziell für ihre Landsleute; sie schaffen sich damit ten. Asiaten werden auch als Investoren aktiv um-
selbst einen Markt. Da sie in sogenannten conve- worben. Die Stadt Boston z. B. hält jedes Jahr in
nience stores häufig rund um die Uhr geöffnet haben Hongkong eine Konferenz für Arbeitsplätze schaf-
und mit dem Arbeitseinsatz der ganzen Familie wirt- fende Investoren ab, die das begehrte Dauervisum
schaften, sparen sie Lohnkosten und können in kür- (green card) für die USA erhalten, wenn sie mindes-
zester Zeit weiter investieren. Asiatische communi- tens 1 Mio. Dollar investieren und mindestens 10
ties ermöglichen ihren Gruppen, ihre eigene ge- Arbeitsplätze für Amerikaner schaffen. Anders als
schlossene Enklavenökonomie erfolgreich auf- und noch zur Zeit der Einwanderungsbeschränkung
auszubauen und sich dadurch dem allgemeinen gegen Asiaten geht heute ihre hohe Akzeptanz in
Wirtschaftskreislauf anzupassen. Amerika mit ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrem
Als erfolgreiche Minderheit mit Quasi-Monopol- hohen Bildungsstand Hand in Hand.
stellung in den inner city poverty areas sind sie es Es verwundert nicht, dass die Wertesysteme, die
auch gewesen, die beispielsweise in den Los Ange- der amerikanischen „Leitkultur“ sehr nahe stehen –
les Riots von 1992 den Unmut gegen die wirtschaft- harte Arbeit, Unternehmergeist, upward social mobil-
lich starken Teilen der Gesellschaft in den USA zu ity – den asiatischen Amerikanern heutzutage eine
spüren bekamen. große Akzeptanz einbringen und sie innerhalb der
Die freiwillige Segregation in ethnischen Vierteln amerikanischen Gesellschaft auch tatsächlich eine hö-
– Chinatowns, Koreatowns, Japantowns –, die zu- here soziale Mobilität zeigen. Allerdings gibt es auch
nächst als integrationshinderlich erscheinen mag, in der asiatischen Bevölkerungsgruppe eine sozioöko-
erweist sich dabei als Schlüssel zur erfolgreichen nomische Dualität: Es geht nur einem Teil der asiati-
Integration über die erste Generation hinaus. Zumeist schen Minderheit sehr gut, der Anteil von Asiaten an
dauert der wirtschaftliche Aufstieg keine ganze Ge- der Armutsgrenze ist ebenfalls nicht geringfügig.

Regionale Manifestationen des dualen Amerika


Das duale Amerika zeigt sich nicht nur in den viel- nen wie im nationalen Durchschnitt. Software- und
fältigen Indikatoren der sozialen Distanz zwischen Hardware-Entwicklung und sämtliche verwandte
Bevölkerungssegmenten, sondern auch in räumlich Branchen stellten hier das Zugpferd des Wachstums
getrennten Welten. Der Gegensatz manifestiert sich dar. Insgesamt liegen alle zehn einkommensstärksten
■ regional sowie in Indianerreservaten, ferner in be- Metropolitangebiete der USA entweder an der Ost-
stimmten ländlichen Räumen, oder Westküste: San Francisco, San José, New Haven-
■ zwischen Kernstädten und Suburbs allgemein, Bridgeport-Stamford, Connecticut, Bergen-Passaic,
■ innerhalb der Kernstädte in den inner city poverty Middlesex-Somerset-Hunterdon, New Jersey, West
areas als Gebiete des sozialen Elends, der Armut Palm Beach-Boca Raton, Florida, Trenton, New Jer-
und der Verslumung sowie sey, Seattle-Bellevue-Everet, Washington State,
■ innerhalb der Kernstädte in den gated communi- Nassau-Norfolk, New York und Naples, Florida (Bu-
ties als Enklaven des Wohlstands. reau of Economic Analysis 2002; Regional Ac-
counts Data). Die 15 counties mit den höchsten
Regionale Einkommensdisparitäten Pro-Kopf-Einkommen der USA weist die folgende
Einkommen klaffen regional und bezüglich der Städ- Tabelle aus (Tab. 31).
te auseinander. Zu den Gewinnern einer positiven Zu den ärmsten counties, mit einem Pro-Kopf-Ein-
Einkommensentwicklung gehörte nach Statistiken kommen von unter 16 500 Dollar pro Jahr, gehören
des Bureau of Economic Analysis die Region Nordka- 254 von ca. 3110 counties der USA. Jene mit den
lifornien (Bureau of Economic Analysis 2002; Regio- niedrigsten Einkommen sind in Tab. 32 verzeichnet;
nal Accounts Data). Alle sechs Metropolitangebiete, die gezeigten counties liegen in Indianerreservaten
welche den Großraum San Francisco ausmachen, ver- oder in Gebieten, in denen Indianer oder Afroamerika-
zeichneten bundesweit den größten Zuwachs an Ein- ner einen hohen Anteil der Bevölkerung ausmachen.
kommen. Dazu zählen die von der New Economy ge-
prägten Städte San José, San Francisco, Oakland, Indianerreservate
Santa Rosa, Santa Cruz-Watsonville, Vallejo-Fairfield- Indianerreservate weisen in sämtlichen Regionen
Napa in Kalifornien, ferner Greenville und Rocky der USA ein besonderes Problem auf: Während es
Mount in North Carolina. In diesen Gebieten war ein einige wohlhabende Reservate gibt, deren Haupt-
doppelt so hohes Einkommenswachstum zu verzeich- einnahmequelle der Betrieb von Spielcasinos ist
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 146

146 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Quelle: Bureau of Economic Analysis 2002, Regional Accounts Data, Local Area Personal Income 2000.

Quelle: Bureau of Economic Analysis 2002, Regional Accounts Data, Local Area Personal Income 2000.
County Pro-Kopf- County Pro-Kopf-
Einkommen (in Dollar) Einkommen (in Dollar)
New York 90 902 Loup, Nebraska 6 606
Pitkin, Colorado 68 761 Ziebach, South Dakota 9 183
Marin, California 60 618 Issaquena, Mississippi 9 679
San Mateo, California 58 644 Starr, Texas 9 740
Fairfield, Connecticut 58 254 Jefferson, Mississippi 10 528
Somerset, New Jersey 55 596 Arthur, Nebraska 10 553
San Francisco, California 55 272 McPherson, Nebraska 10 672
Santa Clara, California 55 157 Blaine, Nebraska 11 750
Westchester, New York 54 277 Sioux, Nebraska 11 760
Morris, New Jersey 53 757 Zavala, Texas 11 873
Fairfax City & 51 227 Shannon, South Dakota 11 921
Falls Church, Virginia Maverick, Texas 12 092
Hunterdon, New Jersey 51 018 Buffalo, South Dakota 12 097
Teton, Wyoming 50 913 Long, Georgia 12 374
Bergen, New Jersey 50 913 Elliott, Kentucky 12 400
Tab. 31: Counties mit den höchsten Pro-Kopf-Ein- Tab. 32: Counties mit den niedrigsten Pro-Kopf-
kommen der USA, 2000. Einkommen der USA, 2000.

oder deren Bevölkerung relativ gut bezahlte Be- Danach sind Bergregionen der südlichen Appalachen
schäftigung im Bergbau findet, ist der Großteil der und der Ozarks sowie Gebiete des ländlichen Südens
Reservate arm. 39 % aller 723 Indianerreservate (Georgia, Alabama, Louisiana) besonders betroffen. In
und offiziellen Treuhandgebiete verzeichneten im der Vergangenheit war der ländliche Raum von einer
Jahr 2000 mindestens 25 % ihrer Familien als offi- außerordentlichen ökonomischen Bedeutung: Er be-
ziell unter der Armutsgrenze lebend, 6 % der Reser- schäftigte die notwendigen Arbeitskräfte und stellte
vate und Treuhandgebiete sogar über 50 % der dort Nahrungsmittel und Bodenschätze für die Entwick-
lebenden Familien (Tab. 33). lung zu einer industriellen und wirtschaftlichen Welt-
macht bereit (US Congress, Office of Technology As-
Ländliche Armut sessment, OTA, 1991a, S. 3). Zwischen der Land-
In den USA gibt es auch zusammenhängende, wirtschaft und der industriellen Entwicklung be-
innerregionale Armutsgebiete, in denen verschiede- stand von jeher eine symbiotische Verbindung, die
ne ungünstige Faktoren zusammentreffen, so z. B. sich z. B. in der Überlagerung des Industriegürtels
eine immer noch ungünstige verkehrsräumliche mit großen Teilen der Agrargürtel zeigt. Ungeachtet
Lage, schlechte Böden, mangelnde Ressourcen, der früher echten und heute symbolischen Stärken
weitgehende bis totale Erschöpfung vorhandener na- des ländlichen Raumes gibt es seit geraumer Zeit
türlicher Ressourcen, nicht rentable Rohstoffvor- ernst zu nehmende Probleme: Dazu gehört hohe Ar-
kommen und ungünstige Landbesitzstrukturen für mut allgemein sowie auch besonders unter der ar-
die kommerzielle Landwirtschaft. beitenden Bevölkerung; 70,5 % der Armen im länd-
Zu den Merkmalen, die eine strukturelle Proble- lichen Raum gelten als working poor. Obwohl sie Ar-
matik kennzeichnen, gehören: beit haben, leben sie unter dem Existenzminimum,
■ höhere Arbeitslosigkeit (Abb. 99), wobei eben der relativ hohe Anteil der Vollzeitbe-
■ niedrigere Einkommen, schäftigten unter den Armen (working poor) auffällt.
■ hohe Konzentrationen von Personen ausländischer Ein weiteres, gut dokumentiertes Problem ist die
Herkunft, insbesondere Hispanics, welche teilwei- hohe selektive Abwanderung. Es sind seit langem
se ein ungünstiges Bildungsprofil für eine erfolg- vor allem Personen mit höherem Ausbildungsni-
reiche Integration in den Arbeitsmarkt mitbringen, veau, die den ländlichen Raum verlassen (US Con-
■ hohe Anteile an Personen mit niedrigem Bil- gress, OTA 1990, 1991a, b). Die Gründe dieser Pro-
dungsstatus, bleme sind vielfältig und struktureller Natur, also
■ monostrukturierte lokale Wirtschaft, auch kaum umzukehren. Der wichtigste Faktor ist
■ hohe Anteile von Beschäftigten in der Landwirt- der unaufhaltsame und dramatische Strukturwandel
schaft einerseits sowie sinkende Anteile von Be- der Wirtschaft von einer Produktion, die auf Land-
schäftigten in der Landwirtschaft („Farmenster- wirtschaft, Bergbau und Industrie ausgerichtet war,
ben“) andererseits, hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft, in welcher
■ Bergbaugebiete der Appalachen, des Superior Up- der überwiegende Teil der Beschäftigten selbst im
lands und der Rocky Mountains, ländlichen Raum im Tertiärsektor tätig ist. Es wird
■ ausgewählte Gebiete mit hohen Anteilen an Re- deutlich, dass ländlich nicht mehr gleich landwirt-
gierungsbeschäftigten, vor allem in den Gebieten schaftlich bedeutet, was im Übrigen auch für den
der Nationalparks. ländlichen Raum in Deutschland gilt.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 147

Regionale Manifestationen des dualen Amerika 147

Gebiete Einkommen unter der Armutsgrenze 1999


Medianeinkommen prozentualer Anteil der Bevölkerung,
der als arm gilt
Haushalts- Pro-Kopf- alle verwandte Personen prozentualer
einkommen Einkommen Alters- Kinder unter von 65 Anteil der
(in Dollar) (in Dollar) gruppen 18 Jahren Jahren oder Familien
älter

Amerikanische Indianerreservate und „Official 29 097 12 452 28,4 35,5 20,7 23,5
Reservation Trust Land-Federal“, alle Gebiete
Alabama-Coushatta Reservation, TX 26 458 10 465 23,0 29,5 20,5 17,2
Battle Mountain Reservation, NV 23 750 13 084 28,0 18,8 36,8 23,8
Benton Paiute Reservation, CA 11 875 4 885 47,2 62,5 0 50,0
Berry Creek Official Reservation Trust Land, CA 25 750 8 914 50,0 56,5 – 60,9
Big Lagoon Rancheria, CA 5 000 2 252 86,2 100,0 0 100,0
Big Valley Rancheria, CA 14 583 4 192 64,0 63,7 0 61,3
Bridgeport Reservation, CA 13 750 11 781 40 55,6 0 16,7
Chehalis Reservation, WA 30 000 9 097 24,4 28,5 38,8 19,7
Off-Reservation Trust Land, SD, 22 094 8 710 38,5 45,0 28,4 34,5
Cheyenne River Reservation
Colusa Rancheria, CA 23 750 9 401 43,8 73,9 – 33,3
Official Reservation Trust Land, MT, Crow Reservation 27 044 9 440 30,5 35,8 23,3 26,6
Crow Creek Reservation, SD 12 070 5 272 55,7 58,4 61,8 56,5
Gila River Reservation, AZ 18 599 6 133 52,1 62,7 44,2 46,9
Official Reservation Trust Land, MI, 31 875 8 574 39,1 50,4 42,9 29,0
Hannahville Community
Havasupai Reservation, AZ 20 114 7 422 50,2 56,2 0 46,1
Hoh Reservation, WA 21 875 10 008 42,0 45,2 – 34,6
Off-Reservation Trust Land, AZ, 8 250 3 951 68,4 56,2 – 88,9
Hopi Off-Reservation Trust
Jemez Pueblo, NM 28 889 8 045 25,5 27,1 34,6 27,2
Kickapoo Reservation, TX 8 542 3 435 74,3 79,2 78,6 68,1
Official Reservation Trust Land, WA, 50 139 8 846 0 0 – 0

Quelle: US Bureau of the Census 2002, CG-CT-P14, Income and Poverty 1999, 2000; Census Summary File 3 (SF 3).
Lower Elwha Off-Reservation
Lower Sioux Reservation, MN 69 792 26 181 9,7 9,4 0 6,0
Mashantucket Pequot, 59 375 27 261 5,4 5,7 0 3,1
Reservation and Off-Reservation
Trust Land, CT
Minnesota Chippewa Trust Land, MN 36 667 16 122 5,4 0 0 0
Navajo Nation Official Reservation Trust Land 16 661 5 962 47,8 51,3 44,8 45,4
In Arizona 30 000 6 756 12,0 0 – 0
In New Mexico 16 504 5 892 48,4 52,0 44,7 45,9
In Utah 41 250 10 602 6,4 0 53,3 10,7
South Dakota-Nebraska Trust Land 61 250 21 394 0 0 0 0
Pit River Trust Land, CA 5 000 1 326 100,0 100,0 – 100,0
Prairie Island Indian Community and Official 76 186 26 955 12,4 4,1 70,0 6,1
Reservation Trust Land, MN
Trust Land, MN, Shakopee 70 625 94 843 12,9 17,6 0 14,1
Mdewakanton Sioux Community 23 039 14 255 26,7 30,1 28,2 20,3
Trust Land, NM, Taos Pueblo
Zuni Reservation and Official Reservation Trust 21 122 6 976 45,9 54,3 44,1 43,0
Land, NM – AZ
Oklahoma Tribal Statistical Areas 32 465 16 967 14,8 19,3 12,2 11,5
Alaska Native Village Statistical Area, all areas 45 732 18 746 14,1 17,0 8,4 10,9

Tab. 33: Armut in den Indianerreservaten im Jahr 2000.


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148 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Spezialfunktionen, unterschiedlicher Ent-


Datengrundlage: US Department of Commerce. Bureau of the Census: Census 2000, Long Form, Washington, D.C.

wicklungsdynamik und -problematik,


wobei die Zuordnung zu einer Kategorie
die Zugehörigkeit zu einer anderen Kate-
gorie nicht ausschließt.
Persistent poverty counties sind solche,
deren Pro-Kopf-Einkommen seit 1950 kon-
stant in den untersten 20 % der Einkommens-
skala von allen counties der USA liegen. Betrof-
fen sind 10 % aller ländlichen counties und 6 %
der ländlichen Bevölkerung. Da ihre Einkom-
menssituation bzw. ihr Armutsstatus besonders
gravierend ist, werden sie als eigene Kategorie
geführt. Insgesamt sind diese counties dünn be-
siedelt; 60 % sind völlig ländlich, und nur zwei
haben Städte mit über 20 000 Einwohnern. Sie
0 500 1 000 km
stellen einen überproportional hohen Anteil von Per-
sonen mit Merkmalen, die den Einstieg bzw. die
dauerhafte Integration in den Arbeitsprozess er-
schweren. Dabei hängen die vorherrschende Armut
Anteil in %
0 bis 3,7 und Abhängigkeit von staatlichen Sozialhilfeleistun-
3,8 bis 4,8 gen nicht mit den Besonderheiten der Wirtschafts-
4,9 bis 5,9 struktur zusammen, denn diese ähnelt in ihrer Zu-
Alaska Hawaii 6,0 bis 7,6
1:100 000 000 1:50 000 000
sammensetzung aus landwirtschaftlichen und in-
7,7 bis 41,7
dustriellen Branchen sowie im Bergbau der Wirt-
schaftsstruktur anderer county-Gruppen. Vielmehr
Abb. 99: Arbeitslosenrate Tatsächlich hat die Landwirtschaft für Beschäfti- lässt sich die Armut hier fast gänzlich auf die man-
in den Counties der USA, gung und für das Bruttosozialprodukt nur noch eine gelhafte Ausbildung der Bevölkerung zurückführen.
2000. Aufteilung in Klas- geringe Bedeutung, obwohl sie rein optisch das Bild Mangelndes Humankapital schreibt die Armut der
sen nach dem Prinzip der
des ländlichen Raumes dominiert. Beim ruralen Bevölkerung auf Jahrzehnte fort. Staatliche Pro-
Quantile (siehe Abb. 71).
Amerika handelt es sich gegenwärtig um sehr hetero- gramme haben dies seit 1965 über die Regional
gene Räume, die überwiegend nicht landwirtschaft- Commissions zu korrigieren versucht, die jedoch in
lich ausgerichtet sind. Es gibt mehrere von Bundes- den 1980er Jahren aus Kostengründen weitgehend
behörden erfasste Kategorien ländlicher Räume mit wieder abgeschafft wurden.

Disparitäten in Metropolitangebieten
Das Gefälle zwischen Sicherheit sowie Langzeitperspektiven von Kindern
Kernstadt und suburbanem Raum in Gesellschaft und Wirtschaft. Kinder unverheirate-
Amerikanische Großstädte sind von einer Polarisie- ter Teenage-Mütter haben ein höheres Risiko für
rung innerhalb ihrer Metropolitanregionen gekenn- Untergewicht bei der Geburt, von Krankheit oder Tod
zeichnet, die sich in dieser Ausprägung in keinem im ersten Lebensjahr oder einer Kindheit in Armut
anderen westlichen Land der Welt findet. Einige als Kinder älterer, verheirateter Mütter. Die Gebur-
Strukturdaten verdeutlichen die Disparität zwischen tenrate unverheirateter Teenage-Mütter im Alter von
Kernstadt und suburbanem Raum (Tab. 34). 15 bis 17 Jahren stieg zwischen 1994 und 2000
von 21 auf 32 pro Tausend. Für das Alterssegment
Innerstädtische Armutsgebiete 18 bis 19 Jahre stieg die Geburtenrate von 39 auf
Armut ist ein besonders schweres Problem in struk- 70 pro Tausend, für die Altersgruppe 20 bis 24
turschwachen Kernstadtgebieten, vor allem in Stadt- Jahre von 41 auf 72 pro Tausend (US Department
teilen, in denen jene Afroamerikaner und Hispanics of Health and Human Services 2002, Population and
besonders stark konzentriert sind, die einen hohen Family Characteristics, Part I, America’s Children:
Anteil von Personen mit einem schlechteren Bil- Key National Indicators of Well-Being 2002, S. 8f.).
dungsprofil besitzen. Afroamerikaner und Hispanics, Annähernd 50 % aller Kinder und Jugendlichen
vor allem aber Erstere, machen einen Großteil der Be- der USA wachsen vaterlos auf und damit ohne die
völkerung der riesigen Elendsgebiete aus. Elendsge- Versorgungsmöglichkeiten, die ein zweites, im Allge-
biete sind es, weil in ihnen Armut, Verfall, Arbeitslo- meinen höheres Einkommen gibt, das Zugangsmög-
sigkeit und Abhängigkeit von staatlichen Transferleis- lichkeiten zu vielen Determinanten sozialer Mobi-
tungen sowie extrem hohe Geburtenraten herrschen. lität erlauben würde. Neben Rasse, Ethnie, Klasse
Die wachsende Geburtenzahl von Müttern unter und Religion trennt daher die demographische Struk-
20 Jahren beeinflusst Gesundheit, wirtschaftliche tur – das Aufwachsen in einer Familie mit oder ohne
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Disparitäten in Metropolitangebieten 149

Vater bzw. männlicher Versorgungsperson – die ame- Metropolitan- Einkommen unter der Armutsgrenze 1999
rikanische Gesellschaft. Die öffentliche Debatte, die gebiete Anteil der offiziell definierten
sich um die vaterlose Gesellschaft Amerikas, Vater- Armutsbevölkerung
schaft und den Good Family Man entzündete, birgt an der Gesamtbevölkerung in %
neben den Gründen, die sich mit der sozialen Lage
und der Prekarität befassen, allerdings auch den Pro-Kopf- alle Kinder über 65 Anteil der
Wunsch nach einer kollektiven Rückbesinnung auf Einkommen Alters- unter 18 Jahre Familien
die tradierten Familienwerte einer WASP-Gesell- (in Dollar) gruppen Jahren in %
schaft (s. dazu Institute for American Values New In Metropolitan- 22 729 11,8 15,5 9,1 8,7
York 2002; Blankenhorn 2002). regionen
Im Teufelskreis der Wohlfahrtsabhängigkeit lebt bundesweit
bereits die dritte bis fünfte Generation von Ghetto-
In Kernstädten 20 325 17,6 24,0 12,2 13,6
bewohnern. In Gebieten von fehlenden Arbeitsmög-
In Suburbs 24 189 8,4 10,6 7,3 6,0
lichkeiten und Langzeitperspektiven scheinen viele
Jugendliche ihren Lebensentwurf auf das einfache Atlanta
(Sozialhilfe) oder das schnelle (Drogen) Geld auszu- Kernstadt 25 772 24,4 38,8 20,7 21,3
richten. So ist die Drogenkriminalität, vor allem der Suburbs 24 949 7,8 9,2 8,3 5,6
Handel, in diesen Gebieten sehr hoch, ebenso der Boston
Anteil der Personen, welche die in den USA zur Kernstadt 21 415 16,2 21,7 14,0 12,6
„Grundausstattung“ gehörende High-School-Ausbil- Suburbs 29 159 5,4 5,7 6,8 3,6
dung abbrechen. Die drop out-Rate in innerstädti- Buffalo
schen Problemgebieten beträgt rund 30 – 45 %, Kernstadt 15 108 25,4 37,1 13,4 21,7
womit der Einstieg selbst in wenig qualifizierte Stel- Suburbs 22 277 6,2 7,4 5,7 4,4
len schwierig ist. Das bedeutet, dass die strukturel- Chicago
le Arbeitslosigkeit innerstädtischer Problemgebiete Kernstadt 20 158 18,4 25,8 14,3 15,2
zementiert wird.
Suburbs 27 501 5,3 6,4 5,1 3,8
Houston
Zukunftsperspektiven
für die Kernstädte und Hyper-Ghettos Kernstadt 19 863 19,1 26,0 14,0 15,8
Es ist offensichtlich, dass weder stetiges Wirtschafts- Suburbs 23 279 9,0 11,1 9,0 7,0
wachstum noch das Wachstum der öffentlichen Aus- Los Angeles
Quelle: US Bureau of the Census, 2002, GCT-P14, Income and Poverty in 1999, 2000; Summary Files 3 (SF 3).

gaben die Probleme der Armen auch nur annähernd Kernstadt 20 106 20,4 27,5 11,0 16,5
gelöst haben, sondern dass sich ganz im Gegenteil Suburbs 21 778 12,9 17,2 7,9 9,9
neue Dimensionen auftun, z. B. die Verelendung von New York
Frauen, Kindern und Jugendlichen. Größtenteils hat Kernstadt 22 048 20,6 28,9 17,1 17,8
der Anstieg der working poor mit dem Ansteigen der Suburbs 30 356 6,6 7,9 6,5 4,5
female headed households zu tun. Frauen verdienen Philadelphia
traditionell weniger als Männer; diese Differenz be- Kernstadt 16 433 23,0 31,3 17,0 18,4
deutet eine viel höhere Wahrscheinlichkeit für einen Suburbs 26 786 5,8 6,7 6,1 4,0
female headed household, zu verarmen. Frauen in
Pittsburgh
den inner city poverty areas sind überhaupt häufig
Kernstadt 18 816 20,4 27,5 13,5 15,0
in low wage employment sectors beschäftigt. Wegen
der Wahrscheinlichkeit, nur einen Niedriglohnjob zu Suburbs 21 285 9,3 12,5 8,3 6,8
finden, welcher das Niveau der Wohlfahrtszahlun- San Francisco
gen kaum übersteigt, war Arbeit oft tatsächlich keine Kernstadt 28 518 11,1 13,4 8,7 7,6
Alternative für Frauen, besonders für Frauen mit Suburbs 32 609 6,7 5,5 4,4
Kindern. Nach der Einführung der „work for pay“- Seattle
Regelung zum Sozialhilfebezug sind nun von allein- Kernstadt 27 261 12,3 15,2 9,9 8,0
stehenden Frauen geführte Haushalte vermehrt als Suburbs 25 120 7,0 8,5 5,6 5,0
working poor einzuordnen: Man arbeitet und bezieht Washington, D.C.
Sozialhilfe und liegt dennoch an oder unter der Ar- Kernstadt 28 659 20,2 31,1 16,4 16,7
mutsgrenze. Hinzugekommen ist hier das Problem Suburbs 29 174 5,5 6,3 6,1 3,8
der zu Hause nicht beaufsichtigten oder unversorg-
ten Kinder solcher Haushalte. Tab. 34: Armutseinkommen 1999, nach Pro-Kopf-Einkommen und Anteilen der
Bemerkenswert ist ferner die Tatsache, dass die betroffenen Gruppe in Kernstädten und Suburbs.
Armut kontinuierlich ansteigt, und zwar auch in
Phasen, in denen sich die Arbeitslosenquoten nicht te unter der Armutsgrenze bleiben. Ein vollbeschäf-
erhöhten (US Bureau of the Census, Statistical Ab- tigter Haushaltsvorstand mit Mindestlohnarbeit ver-
stract 2001, S. 414, Tab. 659). Die derzeitige bun- dient im Jahr derzeit rund 9888 Dollar, das ent-
desweite Arbeitsplatzentwicklung zeigt lediglich in spricht 116 % der Armutsgrenze für eine Person
den Billiglohnkategorien starkes Wachstum, deren und liegt fast 8400 Dollar unter der Armutsgrenze
Einkommen oft so niedrig liegen, dass die Haushal- für einen Vier-Personen-Haushalt. Working poor ma-
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150 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

wegen Deregulierungen in der Industrie ihre feste


Besonderheiten des amerikanischen Arbeitsmarktes Anstellung verloren.
■ Zwischen 1980 und 1999 Zuwachs von 24 Mio. Arbeitsplät- Armut wird also nicht nur von Arbeitslosen und
zen Wohlfahrtsempfängern erlebt, sondern ist ein ganz

Quelle: Nach Walther, C. 1994 Zur Dynamik des Arbeitsmarktes in den Vereinigten Staaten. Weltwirtschaft, H. 1, S. 113 – 132; Goldsmith
■ Zuwachs in Billiglohn-Berufsgruppen des Tertiären Sektors alltägliches Problem von Millionen von Arbeitenden,
■ Systematisch niedrigere Löhne und anteilsmäßig mehr Teil- für temporär Arbeitende, aber auch für jene, die
zeitbeschäftigung bei Frauen, Schwarzen, Hispanics Entlassungen anheim fielen (displaced) und nun zu
■ Verschlechterung des Arbeitsmarktes für Jugendliche und einem kleinen Teil ihres vorherigen Lohns arbeiten

W.W. und E. J. Blakely 1992 Separate Societies. Poverty and Inequality in U.S. Cities. Kap. 3., S. 56 – 95, Stat. Jahrbuch.
Sinken der Vollbeschäftigung bei Jugendlichen müssen, ferner für die Vollzeitarbeiter in den Nie-
■ Bevorzugte Einstellung nicht-gewerkschaftlich organisierter driglohnkategorien.
Arbeitskräfte („non union labor“), v. a. durch die öffentliche Gesetzliche Regelungen des Arbeitsmarktes wir-
Hand ken ebenfalls in Richtung einer Verschärfung der
■ unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung („temporary permanent Prekarität.
work force“) zu niedrigeren Löhnen, die keine Krankenversi- Insgesamt ist das amerikanische Tarifvertragssys-
cherung und Sozialleistungen beinhalten – außer den Ren- tem dezentral und der Lohnfindungsprozess flexibel.
tenbeiträgen – eine Regelung, die sogar für Regierungsange- Das bedeutet, dass Manteltarifverträge nicht die
stellte gilt. Norm sind und dass man in Rezessionen zur Be-
Institutionelle Rahmenbedingungen – standssicherung von Arbeitsverhältnissen üblicher-
Geringe Regulationsdichte des Arbeitsmarktes weise größere Zugeständnisse machen muss, so z. B.
das Einfrieren der Löhne oder Nichtanpassung an die
■ Flexible Lohnfindung – Dezentrales Tarifvertragssystem, Feh-
Lebenshaltungskosten. Auch das Prinzip von em-
len von Manteltarifverträgen, „concession bargaining“ auf
ployment at will (frei auszuhandelnde Kündigungs-
Betriebsebene
fristen) oder last hired – first fired und das gestaffel-
■ Fehlen eines gesetzlich geregelten Kündigungsschutzes, tra-
te Lohnsystem mit niedrigeren Löhnen für neu ein-
ditionelle Rechtsdoktrin „employment-at-will“, (Entlassung
gestellte Arbeitnehmer bei gleicher Leistung, das
nach Belieben) Prinzip, „hire and fire employment“ – „last
Fehlen staatlicher Hilfen bei Kurzarbeit oder Früh-
in – first out“
verrentung, die maximale Zahlung des Arbeitslosen-
■ Fehlen eines Betriebsverfassungs-, Urlaubs- oder Mutter-
geldes von generell 26 Wochen (nur in Ausnahme-
schutzgesetzes auf Bundesebene
fällen bis zu 39 Wochen), dies alles trägt dazu bei,
■ Keine staatliche Hilfe bei Kurzarbeit und Frühverrentung
dass die soziale Sicherung der Beschäftigten gering
■ Arbeitslosenunterstützung von 26 bis max. 39 Wochen
ist (Walther 1994, S. 124 – 129).
■ Nichtindexierte Mindestlohnregelung – Verringerung der
Neben den institutionellen Gegebenheiten des Ar-
Kaufkraft der Mindestlöhne
beitsmarktes mit geringer staatlicher Regulierung
und kaum ausgeprägtem Kündigungsschutz liegt
nifestieren im Gegensatz zu den welfare poor ein eine weitere Ursache für die prekären Lebensver-
besonderes strukturelles Problem der Volkswirt- hältnisse in jüngerer Zeit auch in dem Konkurrenz-
schaft, die zwar insgesamt genug Güter und Dienst- druck aus Billiglohnländern, der teilweise von im
leistungen für alle produziert, aufgrund niedriger Ausland produzierenden und reimportierenden US-
Löhne dennoch die Minimalversorgung der erwerbs- Firmen verursacht wird, darunter auch amerikani-
tätigen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet (Gold- sche Maquiladora-Industrien auf der mexikanischen
smith & Blakely 1992, S. 141). Seite der US-Grenze zu Mexiko (s. Kapitel „Wirt-
Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen z. T. in schaftsstrukturen“). Dies ist in allen vormals indus-
längerfristigen wirtschaftlichen und gesellschaftli- triell strukturierten Gebieten, insbesondere den
chen Entwicklungen (Harrison & Bluestone 1988) wie Großstädten der USA der Fall, zeichnet sich aber
dem postindustriellen Abbau hoch dotierter indus- auch in anderen westlichen Industrieländern ab.
trieller Facharbeiterstellen und dem Wachstum terti- Es beginnt sich also in amerikanischen Städten
ärer Arbeitsplätze zum Mindestlohnniveau (5,15 Dol- ein Arbeitsmarkt abzuzeichnen, in dem Arbeitskräf-
lar pro Stunde im Jahr 2002). Während beispiels- te gezwungen sind, unter oder um den Mindestlohn,
weise Stahlarbeiter in den ausgehenden 1970er und ohne Sozialleistungen und in instabilen Arbeitsver-
frühen 1980er Jahren auf 18,50 Dollar Stunden- hältnissen zu arbeiten, und dies nicht nur in der Pri-
lohn kommen konnten, erhielten sie, sofern sie im vatwirtschaft, sondern auch in den Einstiegsstellen
Dienstleistungssektor aufgefangen wurden, nur den der öffentlichen Hand (Goldsmith & Blakely 1992,
gesetzlichen Mindestlohn. Betroffen waren vor allem S. 70 – 74).
afroamerikanische Industriearbeiter, denen damit Amerikanische Städte haben durch den Wandel
die wichtigste Möglichkeit zum sozialen Aufstieg ge- zur Dienstleistungsgesellschaft, den Verlust der
nommen wurde und die aufgrund ihrer fehlenden innerstädtischen Steuerbasis und das Missverhält-
Qualifikationen für verschiedene Dienstleistungen nis zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeits-
nicht mehr in den Arbeitsprozess integriert wurden. kräften ihre soziale Sprungbrettfunktion verloren,
Für Berufseinsteiger gibt es weniger Möglichkei- Arbeitsplätze für die Ärmsten und Minderheiten zu
ten als vor zwanzig Jahren, zu einem guten Lohn zu schaffen, die sich, wie das noch während der Indus-
kommen. Im Vormarsch ist auch die unabhängige trialisierung der Fall war, hocharbeiten und am sozi-
Beschäftigung von Personen – self-employed –, die alen Aufstieg teilhaben konnten.
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 151

Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika 151

Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika


Die Lebenswelt der an der Bevölkerung als normal, sehr oft kann man
Hyper-Ghettos und Inner City Poverty Areas auf der Ebene der kleinsten statistischen Einheiten,
Für die meisten Städte lassen sich die räumlichen der census tracts, welche jeweils ca. 4000 Personen
Dimensionen der segregierten Stadtteile nicht mehr umfassen, auch Anteile von 80 % und mehr als arm
mit ethnisch geprägten Enklaven oder Vierteln wie dokumentieren. Das Bundeswohnungsbauministe-
in Europa vergleichen. Die Hyper-Ghettos haben de rium geht davon aus, dass jede amerikanische Groß-
facto Ausmaße europäischer Großstädte. „Hyper- stadt von mehr als 300 000 – 500 000 Einwohnern
Ghettos“ der urban underclass dehnen sich stetig diese geballte Armut aufweist; räumlich sind es ins-
aus (Wilson 1987; Schneider-Sliwa 1996a). In der besondere die Standorte des sozialen Wohnungs-
Kernstadt Atlanta mit der ungefähren Nord-Süd- baus (die sog. Federal Slums, s. Kap. „Wirtschafts-
und Ost-West-Ausdehnung von 27,5 km bzw. 28 km struktur“) (Abb. 100 – 102).
nehmen diese Gebiete mehr als die Hälfte des
Stadtgebietes ein, in Washington, D.C. knapp 40 %, Inner city poverty areas als
das Hyper-Ghetto von Los Angeles, der Stadtteil Konstruktionsprinzip für eine urban underclass
South Central, hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von In den USA ist daher für die Lebensgestaltung von
24 km. Die Liste der Städte mit Hyper-Ghettos ließe entscheidender Bedeutung, wo man lebt. Manche
sich beliebig fortsetzen. Räume bieten a priori höhere Chancen für die exis-
In den Hyper-Ghettos der urban underclass be- tenzielle Absicherung sowie den eigenen sozialen
steht eine für künftige Generationen sozial vordefi- Aufstieg und den der Kinder. Diese Tatsache ist ins-
nierte Lebenswelt, in der es um basic needs geht, besondere in den USA bewusste Entscheidungs-
also um die nötigste Versorgung mit Nahrung, Klei- grundlage für die Wohnortwahl der Personen außer-
dung und Arbeit. Die Alltagswelt der Unterklasse ist halb der Hyper-Ghettos, wobei bestimmten sozialen
ein Teilsystem, das existenziell von der Vielfalt der Schichten von vornherein und auch zukünftig nur
Wirtschaftskreisläufe, dem sogenannten Mainstream gewisse Stadträume offen stehen. Die amerikani-
America und dem Lebensstil seiner „Leitkultur“ ab- schen high poverty areas der Innenstädte gehören
gekoppelt ist. Den Bewohnern wird ein völlig an- zu den geographisch-statistisch oder durch immate-
dersartiges, kollektives Muster der Lebensbewälti- rielle Grenzen definierbaren Gebieten, in denen be-
gung aufgezwungen, welches kaum Handlungsspiel- sondere Systemstrukturen, z. B. wirtschaftliche Akti-
räume zulässt – mangels Arbeitsplätzen bleiben fast vitäten, infrastrukturelle Defizite, gesellschaftliche
nur die Abhängigkeit von der Fürsorge, der Drogen- Schichten und Verhaltensweisen (z. B. Kriminalität)
handel oder andere kriminelle Aktivitäten. Diese un- ausgeprägt sein können und eine fördernde oder
günstigen lebensweltlichen Rahmenbedingungen vernachlässigende Planungspolitik zur Anwendung Abb. 100: Queens, New
und bewusst wahrgenommenen Begrenzungen kön- kommen kann. Die planungspolitischen, wirtschaft- York: Abgefackelte Gebäu-
nen wiederum zu Verhaltensweisen wie Vandalismus, lichen und räumlichen Strukturen werden von vielen de neben Reihenhäusern
Brandstiftung und anderen Formen der Kriminalität zumindest unbewusst wahrgenommen. Viele erken- (Foto: Alex S. MacLean).
führen, die sich durchaus sichtbar im
Raum und in den Statistiken auf
kleinsten räumlichen Bezugseinheiten
niederschlagen.
Dabei wird diese räumliche Konzen-
tration der Armut von den Behörden
auch als Problem erkannt; der ameri-
kanische Zensus weist beispielsweise
seit 1980 poverty areas aus. Wie im-
mer, wenn das amerikanische Statisti-
sche Bundesamt eine größere Modifi-
kation der statistischen Erfassung vor-
nimmt, wie z. B. 1910 die erstmalige
Kategorisierung der suburbanen Räu-
me oder 1940 die Einführung des
Housing Census zur Dokumentation
der Situation im Wohnungswesen, ge-
schieht dies in Anerkennung eines
ernst zu nehmenden, bis dahin nicht
genügend erfassten Problems. Als pov-
erty areas werden offiziell solche Ge-
biete ausgewiesen, in denen mindes-
tens 20 % der Bevölkerung unter der
Armutsgrenze leben. In vielen Stadt-
gebieten gilt ein Anteil von 40 – 60 %
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 152

152 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

nen aber ganz bewusst, dass ihnen in einer „Zwei- matisierter Raum auch von seinen Bewohnern ge-
klassengesellschaft“ auch nur ein minderwertiger prägt. Der Stadtraum kann andererseits aber auch
Lebensraum zur Verfügung steht. Minderwertig ist deshalb eine poverty area sein, weil nur bestimmte
dieser Raum deshalb, weil in ihm die Möglichkeiten Bevölkerungsschichten ihn bewohnen bzw. gezwun-
zur Befriedigung von Grundbedürfnissen nur unge- gen werden, in ihn abzuwandern. Es besteht also
nügend angelegt sind. Das Hyper-Ghetto ist hin- von vornherein eine direkte Wechselwirkung zwi-
sichtlich seiner funktionalen, ästhetischen oder so- schen städtischen Armutsräumen mit ihren wirt-
zialen Ausstattung eine Lebenswelt mit nur sehr ge- schaftlichen, infrastrukturellen, sozialen Bevölke-
ringem Potenzial, menschliche Grundbedürfnisse in rungsstrukturen sowie bestimmten menschlichen
einem überschaubaren Zeitraum überhaupt befriedi- Handlungsweisen. Der Raum des Hyper-Ghettos
gen zu können. wird damit selbst zum Konstruktionsprinzip einer
Die erlebten Strukturen des Armutsviertels haben urban underclass, die so vielleicht gar nicht in der
für den Einzelnen subjektive Bedeutung und beein- Gesellschaft existent wäre.
Abb. 101: Sozialer Woh-
flussen die Gesamtheit seiner Aktivitäten und Ver- Allein in innerstädtischen Armutsgebieten leben
nungsbau auf der Lower haltensweisen. Diese können sich kollektiv in erhöh- derzeit 20 Mio. Menschen. Bei Geburtenraten von
East Side Manhattans, ter Gewaltbereitschaft und damit verbundenen Kri- 3,5 %, die in lokalen Standesämtern und einzel-
New York City (Bildmitte). minalitätsraten äußern. Damit wird ein bereits stig- staatlichen Gesundheitsbehörden dokumentiert sind,
könnte man im ungünstigsten Falle von einer Ver-
doppelung innerhalb von 20 Jahren ausgehen und
innerhalb von 40 Jahren mit einer innerstädtischen
Armutsbevölkerung von 80 Mio. Menschen rechnen,
wobei hier nur die Zahl von 20 Mio. innerstädti-
schen Armen zugrunde gelegt wurde und nicht die
übrigen 24 Mio. der derzeit erfassten 44 Mio. Armen,
die auch im ländlichen Raum oder in übrigen Stadt-
gebieten der Großräume verteilt leben. Unbeachtet
von vielen, insbesondere auch von Entscheidungs-
trägern, wächst also die Armutsbevölkerung rasant
an und damit die Notwendigkeit für die USA, sich
mit der Innen- und Sozialpolitik im Sinne dauerhaf-
ter Lösungen des Armutsproblems auseinander zu
setzen.

NIMBY-Syndrom und gated communities


Die multikulturelle amerikanische Gesellschaft ist
ein Kompromiss von real existierendem Mit- und
Nebeneinander in Segregationslandschaften. Die
Idee, mit welcher sich die USA erfanden – Streben
nach Glück und Freiheit –, bleibt das Bindeglied
der Gesellschaft, jedoch hat ihre räumliche Mani-
festation neue Charakteristika angenommen: Räum-
lich-geographisch zieht man sich voneinander zu-
rück. Die jüngere Zeit hat neue Wohnformen hervor-
gebracht, in der man seine Privatsphäre bewusst
sucht und seine individuelle Freiheit schützen will.
Die weiße Mittelstandsgesellschaft Amerikas schot-
tet sich seit den 1980er Jahren verstärkt durch ein-
gezäunte Wohnanlagen (gated communities) und
elektronische Identifizierungssysteme ab. Ein Grund
dafür ist, dass mit dem Streben nach Glück auch
das Grundrecht der individuellen Freiheit und die
Unantastbarkeit des privaten Wohnbereichs veran-
kert ist, also auch das Recht der Abschottung vor
unliebsamen „Elementen“. Dies ist juristisch mög-
lich, weil solche Gemeinden administrativ souverän
sind, Steuerhoheit haben und von mehrheitlich ge-
wählten Vertretern oder Hausbesitzergremien selbst
regiert werden. Aufgrund von Verfassung und Bundes-
gesetzen besitzen Kommunen die Oberhoheit in
Planungsfragen; konkret bedeutet dies, dass man
durch lokale Bau- und Nutzungsvorschriften Min-
destgrößen für Wohnparzellen vorschreiben, den
06 LdK USA 125-159 30.05.2005 21:56 Uhr Seite 153

Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika 153

Bau von Mietshäusern oder sozialen Wohnungsbau


verbieten kann und bei Seniorenstädten sogar den
Zuzug von Familien mit Kindern. In Chicago gibt es
z. B. 1113 unabhängige Verwaltungs- und Steuer-
distrikte, in Denver 543, davon 41 unabhängige
Stadtgemeinden, in Philadelphia 876. In den USA
gibt es fast 30 000 solcher unabhängiger Gemein-
den in Großstadtgebieten, davon haben zwei Drittel
weniger als 5000 Einwohner und werden selbst re-
giert. Diese restriktive Entwicklung zeigt ganz klar,
dass vermeintlich nicht integrationsfähige Bevölke-
rungsschichten ausgeschlossen werden sollen.
Bei gated communities handelt es sich um eigen-
ständige Gebietseinheiten, die sich nicht nur durch
eine physische Abgrenzung nach außen, sondern
auch durch eine besondere interne Organisations-
struktur auszeichnen. Die gemeinsamen Interessen
an der Siedlung, besonders der Erhalt der Immobi-
lienwerte, der Investitionen und der siedlungsinter-
nen Standards bezüglich Bewohnerstruktur und
Ausstattung werden mittels eines privaten Gouver-
nanzsystems geschützt, das auch Kontroll- und
Steuerungsmechanismen beinhaltet. In gated com-
munities werden in einer privaten, regierungsähn-
lichen Struktur – als shadow government kritisiert,
als vertragliche Gouvernanz (contractual govern-
ance) jedoch juristisch und offiziell gehandhabt –
Rechte, Pflichten, explizite Zugangsbeschränkungen
und Maßnahmen der Interessensicherung geregelt.
Gated communities wie auch private Siedlungen
ohne explizite Zugangsbeschränkung sind common
interest developments (CIDs), d. h. privat organisier-
te Siedlungsformen (Blakely & Snyder 1997; Bickel
1997; Foldvary 1994; McKenzie 1994). Common
interest developments bestehen in Kalifornien, seit
dort ein Gesetzesbeschluss (Davis-Stirling Common
Interest Development Act von 1985) die Rechts-
grundlage für privat organisierte Siedlungsformen, Die homeowner association ist der wichtigste Akteur Abb. 102: Soziale Woh-
einheitliche Definitionen und Standardkonzepte in einer common interest development. Ihr obliegt nungsbauprojekte westlich
schuf. es, den Wert der Immobilien, die Wohnqualität und des CBD von Chicago
(Foto: Alex MacLean).
Die Merkmale von common interest developments den Unterhalt der Siedlung zu sichern. Der Käufer
sind: eines Grundstücks, einer Wohnung oder eines Hau-
■ eine begrenzte Anzahl von separaten Wohneinhei- ses wird automatisch Mitglied darin, da nach Sicht-
ten oder Grundstücken in Privatbesitz, weise der homeowner associations nur Interesse und
■ Grundstücksflächen oder öffentliche Einrichtun- Verantwortung am Gemeinwesen, regelmäßige Bei-
gen im Gemeinbesitz, die von allen Bewohnern tragszahlungen und die Übernahme von Pflichten
genutzt und finanziert werden, die Standards einer common interest development
■ die Mischung aus Einfamilien-, Reihen- oder wahren können. Um dies zu fördern, ist das Stimm-
Apartmenthäusern, die in Form, Größe, Art und und Wahlrecht über die Angelegenheiten der Sied-
Vielfalt sowie in der Art der bereitgestellten Ge- lung eng mit dem Grundbesitz verbunden: Jede
meindeeinrichtungen variieren. Grundstückseinheit hat eine Stimme in den Abstim-
Schon Ebenezer Howard propagierte um 1893 ein- mungen über öffentliche Geschäfte (Dunbar 1988,
zelne Elemente der späteren gated communities in S. 8, 13f.). In juristischer und finanzieller Hinsicht
einer „Gartenstadt“, insbesondere die Idee eines schufen sich homeowner associations über den Ein-
privaten Gouvernanzsystems mit Gebühren für öf- trag als non-profit organisation mit rechtlicher Aner-
fentliche Leistungen und Güter. Mit Radburn, New kennung einen Mechanismus, der über Gebühren
Jersey, wurde 1923 erstmals die private Verwal- und Gewinne, die nicht an Einzelpersonen oder pri-
tungsform bzw. ein vertragliches Gouvernanzsystem vatwirtschaftliche Organisationen zurückfließen dür-
in einer neuen Siedlung angewendet. Common inte- fen, eine solide Finanzbasis für die vielfältigen Auf-
rest developments sind zumeist als non-profit orga- gaben der Siedlung aufbaute. Das operative Ma-
nisations aufgebaut und als Eigentümergesellschaf- nagement einer Siedlung wird jedoch zumeist an
ten (homeowner associations) amtlich eingetragen. unabhängige, externe Firmen vergeben, welche die
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154 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Siedlung professionell verwalten. Da jeder Haus- oder nung zu öffnende Tore und Metalltüren, Drehkreuze
Wohnungskauf in einer gated community an vertrag- für Fußgänger), bewusster Unattraktivität (gerunde-
liche Regelungen, Beschränkungen und Pflichten te Sitzbänke gegen Obdachlose), Beobachtung und
gekoppelt ist, die sich sowohl auf den Privat- als Überwachung (Kameras, Sicherheitspatrouillen,
auch auf den Gemeinbesitz beziehen, und bei Nicht- neighborhood watch). Im Allgemeinen haben gated
einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen die communities undurchlässige Abgrenzungen, die mit
Pfändung oder Kündigung aus der Siedlung erfolgen Ausnahme weniger Zufahrtsmöglichkeiten die ge-
kann, wird der gehobene Status quo der Gemeinde samte Siedlung von ungewünschten Raumnutzern
über mehrere Kontrollmechanismen erhalten. Dazu abschotten. Die Abgrenzungen sind physischer,
gehören z. B. Gestaltungselemente zur Wahrung und symbolischer, juristischer und administrativer Art
Steigerung der Immobilienwerte (common interest (Lawrence 1996). Das architectural policing of so-
developments) wie Bestimmungen zur Höhe des Ra- cial boundaries (Davis 1992, S. 223) mit einem
sens, der anzupflanzenden Blumen und Sträucher, Nebeneinander kleinräumig befestigter Siedlungen
der Farbe von Haustüren, zum Aufstellen von Gar- (fortified cells, defended neighborhoods) (Flusty
tenmöbeln oder zur Anordnung von Möbeln, die von 1994, S. 57) und größerer Festungsstädte (fortified
außen sichtbar sind. Die Regeln können bis hin zum cities) wird somit zum neuen Trend jenes Segments
Mindestalter von Bewohnern, dem Maximalgewicht der Gesellschaft, das „e pluribus unum“ zur Maxi-
von Haustieren oder der Dauer von Besuchen durch me und einenden Kraft einer Nation machte, jedoch
Kinder und Enkelkinder reichen. heute gegen die Kräfte, die sie zum Teil selbst er-
Das Kontrollbedürfnis ist beidseitig: Es ist der schaffen hat, ein Bollwerk braucht und selbst zur
Schutz gegen unerwünschte Nachbarn und nach- „Festung Amerika“ wird.
teilige Effekte aller Art, verbunden mit einem gewis- Nicht nur in den Innenstädten, sondern auch in
sen angestrebten Lebensstil, der die Bewohner von Suburbia sind eingemauerte gated communities auf
gated communities dazu bewegt, in Siedlungsfor- dem Vormarsch. Mauern von beträchtlicher Länge,
men zu leben, die eine selbst gewählte Isolation Überwachungstechnologie, darunter Bewegungsmel-
darstellen. Als Räume bewusster Exklusion gelten der und Infrarotsensoren, sind besonders häufig in
die gated communities genau wie die großen Ein- den exklusivsten gated communities anzutreffen.
kaufszentren (malls), Büro- und Wohnkomplexe Auch security oriented gardens mit Dornensträu-
(mixed use developments) als Verteidigungsräume chern schützen diese Enklaven nach außen. Ihnen
einer amerikanischen urbanen Gesellschaft, ebenso allen kommt eine prestigeträchtige und identifika-
wie es auf der anderen Seite die umkämpften Re- tionsstiftende Bedeutung zu; nicht zuletzt erhöhen
viere von street gangs gibt. solche Elemente die Immobilienwerte in einer sol-
Als places of exclusion ist der Rückzug in die ge- chen Siedlung. Gated communities ermöglichen
schützte Privatsphäre mit einer architektonischen ihren Bewohnern, aufgrund der Abgrenzung nach
und städtebaulichen Gestaltung verbunden. Diese außen und des kontrollierten Zutritts ein Sicher-
arbeitet mit gestalterischen Elementen (Mauern, heits- und Identifikationsgefühl zu entwickeln. Eine
Abb. 103: Kreisförmig an- Hecken, Zäune, gebrochene Sichtachsen, reflek- permanente und solide Abgrenzungsform erlaubt so-
gelegte Siedlung, Arizona tierende Flächen), unterbrochenen Verbindungen ziale Interaktion unter Gleichgesinnten oder Gleich-
(Foto: Alex S. MacLean). (elektronische Zugangsberechtigung, mit Fernbedie- gestellten. Dies reduziert das allgemeine Konfliktpo-
tenzial heterogener Siedlungen und
fördert die Identifikation von Bewoh-
nern mit ihrem räumlichen Umfeld.
Verstärkt wird dieser Mechanismus
durch die Tatsache, dass die unter-
schiedlichen vertraglichen Regelungen
auch die Kontrolle über eine Einkom-
mensstruktur, ähnlich gelagerte Inter-
essen und Lebensstile erlauben.
Da viele gated communities auf
privater und privatwirtschaftlicher Ebe-
ne die gleichen Aufgaben wie Städte
und Kommunen wahrnehmen und
daher eine Alternative zu Behörden
und föderativen Verwaltungsformen im
Bereich des Wohnens und der Sied-
lungsentwicklung darstellen, finden
diese privaten Gouvernanzformen stei-
gende Akzeptanz, zumal das Versagen
des Staates angesichts von Problemen
in der inner city und in sogenannten
Problemgebieten von Metropolen nicht
von der Hand zu weisen ist. Nach Je-
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Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika 155

remy Rifkin (2000) wird die gesellschaftliche Wert-


vorstellung von Vertrauen und Solidarität durch
kommerzielle Vertragsregelungen abgelöst, bei der
Gemeinschaft und Identifikation mit der Nachbar-
schaft zu einem Konsumgegenstand werden. Damit
wird Rifkin zufolge auch staatsbürgerlich-demokrati-
sches Verhalten – das Einfordern von gesellschaft-
lich wünschenswerten Strukturen über den politi-
schen Prozess – freiwillig zugunsten eines bezahlten
Arrangements abgegeben, bei dem der Torwächter
der gated community die Mandate der Staatsbürger
erhält.
Gated communities, in denen rund 48 Mio. Ame-
rikaner leben, verkörpern den großen Riss durch
die amerikanische Gesellschaft: Die Flucht der wei-
ßen Mittel- und Oberschicht lässt die privaten urba-
nen und suburbanen Räume als Alternative realis-
tisch erscheinen und die verbliebenen öffentlichen
Räume ins Abseits geraten. Im öffentlichen Raum
werden die ohnehin schon beschränkten Möglich-
keiten von Minoritäten weiter begrenzt (Blakely &
Snyder 1997, S. 153). Gated communities sind die
am schnellsten wachsende Form des Eigentumser-
werbs in den USA und weisen in einigen Gebieten,
allen voran in Südkalifornien, Orange County und
Coachella Valley, besonders hohe Konzentrationen
auf.
Es findet sich eine große Vielfalt unterschied-
licher gated communities (Abb. 103 – 106), die man compound). Innerhalb dieser Kategorie kann man Abb. 104: Palm Springs,
wie folgt zusammenfassen kann: weitere Gliederungen vornehmen: Kalifornien (Foto: Alex S.
■ Die rich and famous, dazu gehören die frühesten MacLean).
Klassifikation von Gated Communities nicht militärischen Siedlungen der USA, in denen
(nach Blakely & Snyder 1992) sich bedeutende Persönlichkeiten des öffentli-
chen Lebens, der Kultur und der Wirtschaft nie-
Lifestyle Gated Communities derließen. Beispiele sind Newport, Rhode Island,
Sie werden als all-inclusive bzw. all-amenities com- Bel Air in Los Angeles, viele Siedlungen an der
munities vermarktet. Es handelt sich um erstklassi- Ostküste Floridas, ferner Forest Hills, New York
ge, hochwertige Immobilienanlagen mit regionalen oder Hidden Hills bei Ventura, Kalifornien.
Schwerpunkten in Florida, Südkalifornien und Ari- ■ Die Top Fifth, für die obersten fünf Prozent der
zona, in denen Bevölkerungsschichten zu finden Gesellschaft, also die Superreichen. Diese Anla-
sind, die weniger aus Sicherheitsgründen als aus gen sind vor allem in Südkalifornien und in Flori-
Gründen des carefree living, activity lifestyle und der da zu finden. Sie vermarkten sich mit dem Etikett
vorhandenen Annehmlichkeiten anzutreffen sind. Li- der Privatheit, Exklusivität und des Prestiges.
festyle gated communities zeigen drei bevorzugte Fallbeispiele sind Pacific Palisades in Kalifornien
Ausprägungen: Retirement communities (Karte oder Hernando County bei St. Petersburg in Florida.
Diercke Weltatlas, S. 193, Schneider-Sliwa), Golf ■ Die gated communities vom Typ executive resi-
and leisure communities sowie New Towns. dences zielen auf den Mittelstand ab. Sie haben
üblicherweise einen Swimmingpool oder einen
Elite Communities Tennisplatz, jedoch keine weiteren Sicherheits-
Neben den Lifestyle communities mit ihrem gefä- maßnahmen außer Toren. Hier wohnen insbeson-
cherten Spektrum ist der Typus der Elite communi- dere jüngere Manager und Akademiker, die ein
ties zu finden. Sie vermarkten sich unter dem Eti- exklusives Leben bevorzugen, ohne über ein sehr
kett exclusive privacy and prestige. In diesen com- hohes Einkommen zu verfügen. Fallbeispiele sind
munities grenzt man sich auch bewusst über den University Place in St. Louis oder Magdalene Re-
ökonomischen und sozialen Status ab. Diese Form serve bei Tampa, Florida.
der gated community gehört zu den ältesten in den
USA und ist seit über einhundert Jahren bekannt. Security Zone Communities
Die Oberschicht umgab ihre Anwesen und ebenfalls Der dritte Typ von gated communities sind die secu-
die Siedlungen, in denen sie ihre Villen hatte, im- rity zone communities. Sie gehören zu den am
mer schon mit Mauern. Hier gibt es also ein doppel- schnellsten wachsenden umzäunten Wohnsiedlun-
tes Ummauern: Jedes individuelle Haus ist walled-in gen. Ihre Merkmale sind abgeschlossene Straßen
und die ganze Siedlung ist umschlossen (security und Tore in innerstädtischen Quartieren der unteren
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156 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

Abb. 105: Siedlung mit


eingezäunten Gärten,
Northern Virginia (Foto:
Alex S. MacLean).

Einkommensschichten. Nicht selten handelt es sich kiert sind, welche von den lokalen Wohnungsbauäm-
um eingezäunte, gesicherte soziale Wohnungsbau- tern im Rahmen von Stadtteil-Revitalisierungspro-
projekte, die ursprünglich ohne Mauern und Tore grammen bezahlt wurden. Sie sind weniger eine
geplant waren, diese Sicherheitselemente jedoch freiwillige Abgrenzung der Bewohner als vielmehr
später installierten, um die Kriminalität abzuhalten. eine Schutzmaßnahme von außen, die mittels räum-
Abb. 106: Wohnwagen-
Drei Arten von security zone communities sind zu licher Barrieren Stadtwelten voneinander trennt und
siedlung, Santa Rosa, unterscheiden: Die low income communities sind insbesondere nahe gelegene homeowner associa-
Kalifornien (Foto: Alex S. Abgrenzungen innerhalb sozialer Wohnungsbaupro- tions von den Sozialbauten abschirmt. Betroffen
MacLean). jekte, die durch Straßenblockierung und Tore mar- sind ganze Apartmentanlagen und Nachbarschaften.
Die soziale Distanz vergrößert sich durch diese Maß-
nahmen stark, da der soziale Kontakt zwischen den
Bewohnern abbricht. Beispiele sind in Franklin
Villa, Sacramento, Kalifornien, in Potomac Gardens
in Washington, D. C. oder in den Mar Vista Gardens,
einem sozialen Wohnungsbauprojekt in Los Angeles,
zu sehen.
Working class communities sind häufig in der
Nähe bzw. umgeben von Nachbarschaften mit nie-
drigem Einkommen und Sozialstatus sowie hoher
Kriminalität. Diese communities versuchen, ihre Im-
mobilienwerte über die Wirkung, die eine Umgren-
zung erzielt, in einem städtischen Milieu, das von
Kriminalität gekennzeichnet ist, stabil zu halten.
Die Umzäunung ist weniger die Wahl eines exklusi-
ven Lebensstils als eine ökonomische Notwendig-
keit. Beispiele sind Athens Heights in South Central,
Los Angeles oder Five Oaks in Dayton, Ohio.
Middle class communities entstanden ebenfalls
aus Angst vor der steigenden Kriminalität und aus
der Sorge heraus, dass der soziale Status und damit
die Immobilienwerte gewahrt bleiben. Man findet
sie in den meisten Großstädten als hochverdichtete
Einfamilienhaus-, Eigentumswohnungs- und Rei-
henhaussiedlungen. Sie sind auch für Personen mit
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Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika 157

bescheidenerem Einkommen gedacht. Allerdings gefüllt, ohne dass alle Obdachlosen darin überhaupt
finden auch viele aus der oberen Mittelschicht hier Platz hätten. Ferner kosten Notschlafstellen pro
die für sie geeigneten Wohnverhältnisse, wenn sie Nacht zwischen 15 und 20 Dollar Übernachtungs-
nicht länger in den Einfamilienhaus-suburbs woh- gebühr, was nicht alle Obdachlosen aufbringen kön-
nen wollen und stattdessen Eigentum in gated com- nen. Zugrunde gelegt wird hier jeweils 1 /30 des So-
munities oder genossenschaftlichen Siedlungen be- zialhilfesatzes (AFDS bzw. TANF oder SSI), also der
vorzugen. Fallbeispiele sind Nassau und Suffolk auf Tagessatz. Da diese Sozialhilfeleistungen nur an eine
Long Island in New York oder die Siedlungen Miami permanente Adresse ausgezahlt werden, haben Ob-
Shores und Belle Meade in Süd-Miami. dachlose generell kaum eine Möglichkeit, die staat-
Umzäunte oder ummauerte Einfamilienhaussied- lichen Transferleistungen, die sie benötigen würden
lungen, gated communities, sind kein Phänomen und auf die sie ein Anrecht hätten, zu erhalten. Ob-
der Neuzeit – schon mittelalterliche Städte schütz- wohl viele Städte allein aus diesem Grunde alte
ten sich mit Mauern gegen unliebsame Einflüsse Motels in Notunterkünfte umgewandelt haben, in
von außen. Dezentralisierte Gartenstädte und ein- denen die homeless eine feste Adresse angeben
heitlich gebaute Modellstädte, die sich deutlich von können, fallen sie immer noch zu einem großen Teil
den Industrieagglomerationen abgrenzten, waren ein aus der staatlichen Sozialversorgung heraus.
städtebauliches Leitbild zu Beginn des 20. Jahrhun- Darüber hinaus sind viele Obdachlose wegen der
derts. Die Selbstverwaltung privater Siedlungen – tatsächlichen Gefahr, in der Notschlafstelle ihrer
„Privatopia“ – gilt heute in Amerika als die reprä- Habseligkeiten beraubt zu werden, nicht geneigt,
sentativste Form, Demokratie zu leben (McKenzie überhaupt in einer solchen Sammelschlafstelle zu
1994). Der Trend der Eigentümergesellschaften, übernachten. Einer Studie in 27 US-Städten zu-
ihre Siedlungen als anerkannte Gemeinde eintragen folge (US Conference of Mayors 2001) werden
zu lassen, und die Rolle der gated communities, öf- 37 % des Gesamtbedarfs an Notschlafstellen aus
fentliche Gemeinden als Organisationsform zu erset- finanziellen Gründen nicht gedeckt. Darüber hinaus
zen, ist unverkennbar. Mit dem epochalen Volksent- übersteigt in fast jeder Stadt die tatsächliche An-
scheid von 1978 in Kalifornien („Proposition 13“) zahl der Obdachlosen die Anzahl der vorhandenen
votierten die Stimmbürger seinerzeit für niedrigere Notschlafbetten und Übergangsunterkünfte um ein
Steuern und leiteten damit die rapide sinkende Vielfaches. Das Problem wird verschärft, wenn man
Funktionsfähigkeit und Bedeutung der öffentlichen bedenkt, dass im ländlichen Raum Amerikas so gut
Gemeinden ein, die ohnehin angesichts der vielfäl- wie keine Notschlafstellen vorhanden sind, obwohl
tigen städtischen Probleme als funktionsunfähig die Anzahl der Obdachlosen dort signifikant ist
empfunden worden waren. Mit der Privatisierung (Aron & Fitchen 1996). Die in Folge dieser Situation
vormals öffentlichen Raumes wird nach Ansicht bei Freunden und Familienmitgliedern untergekom-
von Kritikern jedoch auch der fundamentale Wert menen Obdachlosen werden daher in dieser Defini-
gleicher Möglichkeiten einmal mehr untergraben: tion nicht erfasst. So wurden von allen obdachlosen
Fortress America stellt zwar wie die öffentlichen Ge- Kindern im Jahr 2000 nur 35 % in Notschlafstellen
meinden öffentliche Güter bereit, schließt aber registriert, 35 % lebten bei Familienmitgliedern und
einen großen Teil der Menschen bewusst aus und 23 % lebten in Motels, die zu städtischen Notunter-
macht seine Wehrburgen zu no go areas. künften umfunktioniert worden waren. Diese Ob-
dachlosen werden daher nicht sofort als solche
Homeless in America erkannt und erhalten nicht die notwendige staatli-
Nicht hinter Zäunen, freiwillig eingemauert, sondern che Unterstützung, die ihnen nach dem Stuart
nur eine virtuelle Grenze vom materiellen Wohlstand McKinney Act (42, USC § 11 301) von 1987 zu-
der Gesellschaft entfernt, existieren Amerikas Ob- stände. Um bessere statistische Grundlagen für die
dachlose. Sie hausen in Kartonschachteln, über den Planung zu liefern, werden deshalb zwei weitere Er-
warmen Abluftschächten der U-Bahnen, in Hausein- fassungen von Obdachlosen eingesetzt: die Zählung
gängen und Parkanlagen oder auf Parkbänken. Ihre zu einem Stichtag und die Zählung derjenigen, die
Heimstätten sind nicht permanent, geschützt oder während eines gewissen Zeitraums ohne Obdach
offiziell. Ihre Lebensbereiche sind abgesteckt von waren.
Plastikplanen, Wolldecken oder dem Zeitungspapier, ■ Stichtag-Zählungen: Als Ist-Zustandsaufnahmen
in dem sich die homeless zum Schlafen einwickeln. erfassen diese nur diejenigen, die an einem be-
Die Obdachlosen Amerikas werden von der Natio- stimmten Stichtag bzw. in einer Stichnacht auf
nal Coalition for the Homeless (NCH) auf mehrere Straßen und in Notunterkünften gezählt werden
Arten definiert (National Coalition for the Homeless können. Hierbei werden auch die erfasst, die kurz-
2003): Obdachlose (homeless) sind Personen, die fristig obdachlos geworden sind. Das Problem der
auf den Straßen oder in Notschlafstellen übernach- chronischen Obdachlosigkeit wird dabei nur un-
ten. Bei dieser Definition, die sich statistisch durch genügend dokumentiert. Eine von der Bundesre-
die Benutzer von Suppenküchen und Notschlafstel- gierung Mitte der 1980er Jahre durchgeführte und
len erfassen lässt, wird die Zahl der Obdachlosen im von langer Hand mit großem Medienaufwand an-
Allgemeinen unterschätzt. Viele Städte bieten nicht gekündigte Zählung erfasste rund 3,5 Mio. Ob-
genug Notschlafstellen für ihre Obdachlosen, und dachlose in den gesamten USA. Allerdings stellte
die bestehenden sind bis zur völligen Auslastung auch sie eine Untererfassung des Problems dar,
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158 Einkommensdisparitäten, Armut, Parallelgesellschaften

da sich viele Obdachlose in Befürchtung staatlicher Bevölkerungsverteilung entspricht, andererseits eine


Registrierung und gewisser Folgen sich in der Untererfassung anderer, vor allem hispanischer Per-
Nacht der Zählung bewusst auf Standorte zurück- sonen zeigen kann, sofern es hier um illegal einge-
zogen, in denen sie nicht gefunden werden wollten. wanderte, verarmte Menschen geht.
■ Das Problem der chronischen und kurzfristigen Ein Hauptgrund für die wachsende Obdachlosig-
Obdachlosigkeit oder die versteckte Obdachlosig- keit ist die steigende Zahl der Armen. Obwohl die
keit derer, die in alten Autos, auf Zeltplätzen oder Zahl der Armen seit den ausgehenden 1990er Jah-
an anderen verborgenen Standorten übernachten, ren statistisch gesehen abnahm, stieg die Zahl
wird damit nicht erfasst. Hier aber wären die meis- derer, die in extremer Armut leben. Im Jahr 2000
ten Obdachlosen zu suchen (Link 1995). hatten knapp 40 % aller offiziell als „arm“ Klassifi-
■ Aus allen Vor- und Nachteilen der gängigen Erfas- zierten ein Einkommen unter 50 % der Armutsgren-
sungen der Obdachlosigkeit ergibt sich, dass die ze. Weitere Gründe für homelessness in Amerika
Obdachlosen in den USA untererfasst werden und sind der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Fa-
die tatsächliche Zahl signifikant höher liegt. milien sowie die sinkenden Brutto- und Reallöhne.
Die offizielle Dokumentation der Obdachlosen der In den meisten Staaten müsste ein Arbeiter mit
USA geht von 3,5 Mio. homeless aus, wovon 1,35 staatlichem Mindestlohn 89 Stunden pro Woche ar-
Mio. Kinder sind (Urban Institute 2000). Die offi- beiten, um ein 3-Zimmer-Apartment bezahlen zu
ziellen Dienstleister an Obdachlosen zählen jeweils können, dessen Miete 30 % des Einkommens nicht
im Oktober und Februar die Klienten in ihren Ver- übersteigt, was der offiziellen Definition für „be-
sorgungseinrichtungen und fanden beispielsweise zahlbaren“ Wohnraum entspricht. 1999 lebten über
1996 440 000 Personen in 346 000 Haushalten 5 Mio. Mieter-Haushalte mit ungefähr 11 Mio. Per-
obdachlos; im Oktober und im Februar waren es sonen, darunter 3,6 Mio. Kindern, in worst case
842 000 in 637 000 Haushalten, also ca. 10 % der housing needs, sie zahlten über 50 % ihres Einkom-
Armutsbevölkerung desselben Jahres. Aufgrund von mens für Wohnungen, die in gravierender Weise
Hochrechnungen ergeben sich daraus im Jahres- Grundausstattungsmängel und Sanierungsbedarf
durchschnitt zwischen 2,3 Mio. und 3,5 Mio. Obdach- aufwiesen (US Department of Housing and Urban
lose, je nachdem, ob man die Oktober- oder die Fe- Development 1999).
bruarzählung zugrunde legt. Damit wäre rund 1 % Ein nicht zu unterschätzender Grund für steigen-
der US-Bevölkerung obdachlos, wobei viele Gründe de Obdachlosigkeit ist eine Verkettung von Umstän-
für die Mindestzahl von 3,5 Mio. homeless sprechen den, die mit Armutseinkommen und unverhältnismä-
(Urban Institute 2000), unter anderem die Tatsa- ßig hohen Anteilen des Einkommens für die Miete
che, dass Obdachlose sich am Stichtag der Zählung zusammenhängen. Um die Mieten zahlen zu können,
verstecken oder dass viele ganzjährig auf abgelege- sparen viele Familien an der Krankenversicherung
nen, wenig frequentierten Standorten übernachten. (US Bureau of the Census 2001. Health Insurance
Die Zahl der Obdachlosen ist im Steigen begriffen. Coverage 2000; US Bureau of the Census 1998,
Im Vergleich zu einer Benchmark-Studie von 1989 Census Brief; Children without Health Insurance).
zur Obdachlosigkeit in 182 amerikanischen Städten Eine einzige schwere Erkrankung kann dann dazu
hat sich die Obdachlosigkeitsrate, d. h. die Zahl der führen, dass wegen Pfändung oder Ratenzahlung an
Notschlafbetten im Verhältnis zur Gesamtbevölke- Hospitäler die Miete nicht mehr gezahlt werden
rung der Stadt, bis zum Jahr 1991 in nur drei Jah- kann. Wegen des liberalen Kündigungsrechts in den
ren verdreifacht. Ein Zehnjahresvergleich in elf aus- USA kann dann eine einzige unbezahlte Miete aus-
gewählten Städten und vier Bundesstaaten zeigte reichen, eine Familie der Wohnung zu verweisen.
ein etwas langsameres Wachstum – immerhin dauer- Die fast 39 Mio. Menschen in den USA, die im Jahr
te die Verdoppelung der Obdachlosigkeitsrate dort 2000 keine Krankenversicherung besaßen, sind
eine Dekade. daher unabhängig von ihrer tatsächlichen Einkom-
2001 waren über 25 % der Obdachlosen in 27 menshöhe stets gefährdet, durch eine schwere und
Städten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren; teure Erkrankung in die Obdachlosigkeit abzuglei-
4 % der Obdachlosen waren Kinder ohne Eltern (US ten, wobei man annehmen darf, dass ihre finanziel-
Conference of Mayors 2001). Auf nationaler Ebene le Lage bereits so prekär ist, dass für sie eine Kran-
waren 39 % der Obdachlosen Kinder und Jugendli- kenversicherung nicht in Frage kommt.
che. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten machen Der Abbau von verschiedenen öffentlichen Fürsor-
heute weniger die Alleinstehenden als die Familien gegeldern (public assistance) trägt ebenfalls zur Ob-
einen großen Anteil der homeless aus (40 %). Im dachlosigkeit bei. Die heutigen Programme (Lebens-
ländlichen Raum Amerikas bilden Kinder und Ju- mittel-Gutscheine – food stamps – und Temporary
gendliche die größte Gruppe der Obdachlosen (Vis- Assistance to Needy Families – TANF) liegen, zu-
sing 1996). Die offiziell erfasste obdachlose Bevöl- sammen genommen, in jedem Bundesstaat unter
kerung setzte sich 2001 aus rd. 50 % Afroamerika- der Armutsgrenze. Der Mittelwert für TANF liegt un-
nern, 35 % Weißen, 12 % Hispanics, 2 % Indianern gefähr bei einem Drittel der Armutsgrenze. Sozial-
und 1 % Asiaten zusammen. Im ländlichen Raum hilfeleistungen führen die Empfänger daher eindeu-
sind jedoch anteilsmäßig mehr Weiße als jede ande- tig nicht aus der Armut heraus. Dies ist jedoch be-
re Gruppe unter den Obdachlosen vertreten, was absichtigte Politik, ebenso wie auch das work for
einerseits in weiten Landesteilen der allgemeinen pay-Programm; es steht im Einklang mit dem vor-
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Segregationslandschaften und Lebenswelten des dualen Amerika 159

herrschenden Denken, wonach nur Arbeit den Weg Schließlich trägt der Verlust von Ersatz-Notunter-
aus der Armut bahnt – auch wenn die Existenz von künften – des sogenannten SRO-Housing – zu den
working poor dies widerlegt. steigenden Obdachlosenzahlen bei. SRO-Housing
Einen weiteren Grund für die steigende Zahl der bezeichnet single room occupancy in alten, umfunk-
Obdachlosen stellt die De-Institutionalisierung von tionierten innerstädtischen Hotels und Motels. Diese
Personen seit den ausgehenden 1970er Jahren dar. teils aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stam-
Seinerzeit wurden viele Personen, die wegen tat- menden Hotels in verfallenen Innenstadtgebieten
sächlicher oder vermeintlicher psychischer Proble- waren manchmal von den Stadtverwaltungen als
me institutionalisiert waren, aus den überfüllten An- Notunterkünfte angemietet worden. Im Zuge der
stalten entlassen, und zwar sowohl unter demokrati- Innenstadtsanierung mussten allein zwischen 1970
schen wie auch unter republikanischen Regierun- und 1985 fast 1 Mio. SRO-Zimmer den neuen Pres-
gen. Viele dieser Menschen konnten sich nicht mehr tigeobjekten der Stadtentwicklung weichen. Der Ab-
in den Arbeits- und Wohnungsmarkt integrieren und riss von residential hotels erwies sich als ein Haupt-
leben seither auf der Straße. Der Anteil der Obdach- faktor in der Sichtbarmachung und der ansteigen-
losen, die geistig verwirrt wirken, ist also nicht nur den Zahl Obdachloser.
zufällig hoch. Ungefähr 22 % der alleinstehenden In der amerikanischen Realität sind homeless
erwachsenen Obdachlosen sind von schwerer und mehrheitlich nicht „Aussteiger“, die ihre Existenz
dauerhafter Geisteskrankheit – some form of severe ohne festen Wohnsitz selbst zu verantworten hätten.
and persistent mental illness – betroffen (US Con- Arm, krank und geistig verwirrt – diese Charakteristi-
ference of Mayors 2001). Unter den Frauen, die in ka von Obdachlosen in einer Gesellschaft, in der
den USA in Obdachlosigkeit leben, ist der Haupt- Vollzeitarbeit mit Mindestlohn nicht für eine bezahl-
grund die Flucht vor häuslicher Gewalt. Bundesweit bare Mietwohnung ausreichen muss und in der
sind über die Hälfte der in Obdachlosigkeit leben- staatliche Transferleistungen eine Familie insgesamt
den Frauen in den USA aus diesem Grund woh- nur unter der Armutsgrenze finanzieren, zeigen die
nungslos (US Conference of Mayors 1998). systemimmanenten Probleme Amerikas.
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160 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

Stadtentwicklung und
Stadtentwicklungspolitik

Abb. 107: Downtown San


Francisco, Kalifornien Überblick
(Foto: Alex S. MacLean). ■ Jede Dekade seit dem ersten Wohnungs- und Städtebaugesetz der 1930er Jahre brachte eigene Mo-
delle und Konzepte zur Erneuerung städtischer Problemgebiete hervor.
■ In den 1930er und 1940er Jahren wurden die Grundvoraussetzungen, d. h. der gesetzliche, institu-
tionelle, finanzielle und konzeptionelle Rahmen für die Stadterneuerung geschaffen. Die frühen Woh-
nungsbaugesetze begünstigten die Entstehung innerstädtischer Enklaven, in denen soziale Rand-
gruppen und sozioökonomische Probleme sich konzentrieren. Die Gesetzgebung der 1950er und
1960er Jahre schuf die Möglichkeit, Flächen bereitzustellen, auf denen man Langzeitvisionen einer
städtischen Entwicklung großflächig umsetzen konnte.
■ Der großstädtische Ballungsraum der 1990er Jahre ist also von jahrzehntelanger Bundespolitik be-
einflusst worden, speziell die subventionierte Suburbanisierung und Neuansiedlung/Randwanderung
der Arbeitsplätze in immer neue Wachstumsgürtel.
■ Es hat sich eine Kernstadtstruktur herausgebildet, die ebenfalls von der Bundespolitik vergangener
Jahrzehnte geprägt ist: Die Urban Renewal-Gesetzgebung ermöglichte ein Flächenrecycling, indem
sie große Freiflächen für die innerstädtische Umgestaltung schuf.
■ Auch die CDBG/UDAG-Gesetzgebung prägte das Stadtbild, da sie den Bauboom in Downtowns und
Downtown-nahen Bereichen ankurbelte und die Möglichkeit brachte, Büro- und Einzelhandelsflächen
sowie die großen Mischnutzungsprojekte zu subventionieren.
■ Die Gesetzgebung zum Erhalt historischer Viertel und der Bausubstanz leistete der Gentrifizierung
Vorschub.
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Die Bundespolitik in Fragen der Stadterneuerung 161

Die Bundespolitik in Fragen der Stadterneuerung


Kernstadtverfall wird generell als ein Nachkriegs- tensiv untersuchte, massive Slumproblematik der
phänomen gesehen, allerdings haben Verslumung Innenstädte (Zorbaugh 1929; Short 1971; Ford
und das sozioökonomische Gefälle zwischen struk- 1936) war allein kein ausreichender Grund für die
turstarken, mittelständischen Suburbs und struktur- Bundesregierung, sich mit der Krise der Kernstädte
schwachen central cities der Minoritäten und gesell- zu befassen. Ausschlaggebend für Gesetze und Re-
schaftlichen Randgruppen ihren Ursprung in der Zeit vitalisierungsmaßnahmen war vielmehr die Notwen-
der Industrialisierung. Gegen die Verslumung, die digkeit für allgemeine Arbeitsbeschaffungsmaßnah-
Wohnungsnot und die sich verschlechternden sozi- men gewesen (Sternlieb & Listokin 1986; Housing
alen Bedingungen wurden schon zu Beginn des 20. Act P. L. 412, Sept. 1937; Gelfand 1975, S. 99).
Jahrhunderts im Zeitgeist der Progressive Era tief Da bislang Stadterneuerung nicht in das Ressort
greifende städtebauliche Reformen eingeleitet (Riis der Bundesregierung gefallen war, existierte keine
1902/1909; Robinson 1903/1909; Lubove 1967; gesetzliche oder institutionelle Infrastruktur, über
Ladner-Birch & Gardner 1982; Jeffrey-Jones 1988). welche die Regierung Stadterneuerungsprogramme
Wohnungsnot und Überbelegung waren schon Mitte abwickeln konnte. Erstes Ziel war es daher, eine ef-
des 19. Jahrhunderts Aspekte des massiven städte- fiziente, kompetente Verwaltungsinfrastruktur und
baulichen Verfalls und der Verslumung, welche die gesetzliche Rahmenbedingungen für die Eliminie-
Behörden systematisch zu erfassen suchten, um da- rung städtischer Probleme zu schaffen. Während die
nach Reformen zu initiieren (Lubove 1967; Fried- Bundesregierung zur selben Zeit eine Bundesbehör-
man 1978; Philipott 1978). Die Reformen wurden de für die Revitalisierung einer strukturschwachen
jedoch nicht von der Bundesregierung getragen Region schuf (Tennessee Valley Authority – TVA,
(Wilson 1980, S. 25 – 94), sondern waren zumeist 1933), der Bund dort also selbst Träger der wirt-
privater, unternehmerischer und gemeinnütziger schaftlichen Entwicklung wurde, konzipierte man
Natur. Die Bundesregierung hatte lange Zeit indirek- für städtische Problemgebiete kein Pendant; ein
te Lösungen für den Innenstadtverfall bevorzugt, Bundeswohnungs- und Städtebauministerium wurde
d. h. die Suburbanisierung, um die Innenstädte zu sogar erst 1965 eingesetzt. Stadtverfall wurde von
entlasten. Dezentralisierung und Suburbanisierung der sozial orientierten Roosevelt-Administration der
brachten jedoch nicht die gewünschte Entlastung 1930er Jahre als rein lokales Problem angesehen,
der Innenstädte. Vielmehr leitete die Suburbanisa- und die Bundesregierung beabsichtigte nicht, sich
tion eine neue Ära des Verfallsprozesses ein. Damit in lokale Belange einzumischen. Die Rolle der Bun-
begann sich das Verslumungsproblem der Innen- desregierung sollte keine zentralistisch determi-
städte zu einem wirtschaftlichen Problem auszuwei- nierende, sondern lediglich eine vermittelnde zwi-
ten, denn die Arbeitsplätze verlagerten sich, dem all- schen Unternehmertum, speziell der Wohnungsbau-
gemeinen Bevölkerungstrend folgend, aus den Kern- industrie, und strukturschwachen Stadtgebieten sein
städten heraus in die Suburbs. Mit anderen Worten: (Housing Act von 1949, P. L. 81 – 171, Sec. 2).
Das Problem des wirtschaftlichen Verfalls von Kern-
städten, das die heutige Stadtlandschaft charakteri- Wohnungsbauförderung
siert, hat sich nicht zufällig ergeben, sondern ist und sozialräumliche Auswirkungen
durch die Metropolitanplanung und die bewusst vor- Der Bund verfolgte zunächst eine Doppelstrategie.
genommenen Suburbanisierungen seit Beginn des Zum einen wollte man Eigentumsbildung und den
20. Jahrhunderts erst mit geschaffen worden. Erwerb von Eigenheimen in Form von Einfamilien-
häusern fördern. Die ersten Gesetze diesbezüglich
Kernkompetenz der traten 1933 und 1934 in Kraft, sie wurden in spä-
Bundesregierung bei der Stadterneuerung teren Jahren mit einer Reihe von Folgegesetzen er-
Mit dem sogenannten „New Deal“, der eine allge- weitert, deren Schwerpunkt – die Eigentumsförde-
meine Sozialgesetzgebung für die USA schuf, er- rung für den unteren Mittelstand – stets der gleiche
wachte das Interesse der amerikanischen Bundesre- blieb (Sternlieb & Listokin 1986). Ferner wurde seit
gierung an der Großstadtproblematik. Ein Engage- 1932 die Entwicklung industrieller Strukturen an
ment der Bundesregierung bei der Steuerung von der städtischen Peripherie gefördert. Angestrebt
Stadtentwicklungsprozessen kannte man bis dahin wurde eine von einer eigenen Bundesbehörde ver-
nicht; die verfassungsmäßig gewährte zentrale Be- waltete Dezentralisierung der Bevölkerung und der
deutung der Kommunen im föderalen System der Arbeitsplätze aus den verslumten Innenstädten.
USA hatte bereits die Wertvorstellung von einer pri- Nach einer Entkernung in dicht bebauten, verslum-
vate city fest verankert, welche einen Handlungsbe- ten innerstädtischen Wohngebieten sollten dort So-
darf der Bundesregierung ausschloss. Grundsätzlich zialwohnungen errichtet werden.
wich die amerikanische Bundespolitik nie von der Diese Maßnahmen erwiesen sich als folgenschwer
Maxime der Privatstadt („let private enterprise do für die Problematik der Kernstädte. Die Kernstadt-
it“) ab – der Handlungsbedarf in den 1930er Jahren krise war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in erster
war nur die Antwort auf eine akute Wirtschaftskrise, Linie ein Problem der Verslumung in wirtschaftlich
die sich vor allem in den Großstädten manifestierte blühenden Innenstädten gewesen; in den 1920er
(Gelfand 1975). Die zu diesem Zeitpunkt bereits in- Jahren hatte es, begünstigt von der Automobilpro-
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162 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

duktion, eine Suburbanisierung vor allem des geho- wohnungen nicht grundlegend, da die wirtschaftli-
benen Mittelstandes gegeben. In den 1930er Jahren che Verödung nicht von Gewerbeförderung und Ar-
begann die Abwanderung breiter Massen an die Peri- beitsmarktpolitik aufgefangen wurde. Für die Bevöl-
pherie, gefolgt von einer Randwanderung der Ar- kerung fehlten nach wie vor die Chancen zum sozia-
beitsplätze. Der Charakter des Kernstadtverfalls len Aufstieg. Zudem wurde sozialer Wohnungsbau in
weitete sich dadurch aus: Rein städtebaulicher Ver- Hochgeschossbauweise ohne Verkehrsanbindung
fall führte zu wirtschaftlicher Verödung und zu so oder soziale Infrastruktur bevorzugt in schlechter
massiven fiskalischen Problemen, dass der städti- Lage wie z. B. bei Fabriken, Schlachthöfen u. Ä. er-
sche Bankrott bereits für die 1930er Jahre erwartet richtet. Daher wurde er zum Instrument zur Aus-
worden war (Wood 1935, S. 19). Die Innenstädte grenzung von Armen und Schwarzen und galt als
blieben von Verslumung und in zunehmendem Maße der „Abfallhaufen für die Randgruppen der Gesell-
dem Verbleiben der sozial Schwächsten sowie der schaft“ (Haar 1975, S. 21f., 343). Auf diese Weise
Minoritäten gekennzeichnet. Slums, die während der entwickelten sich die neuen öffentlichen Wohnungs-
Industrialisierung noch ethnisch gemischt und in bauprojekte, welche die in der Industrialisierung
hohem Maße von armen Weißen bewohnt waren, entstandenen Slums ablösten, zu neuen Federal
wurden zu Slum-Ghettos, vor allem zu sogenannten Slums, die von Arbeitslosigkeit und Sozialpatholo-
„Schwarzen-Ghettos“. Bestehende sozialräumliche gien gekennzeichnet waren (Rainwater 1970).
Disparitäten zwischen Innenstädten und mittelstän- Die neue Realität der Federal Slums veranlasste
dischen Vororten wurden verschärft, da die städti- die Bundesregierung 1940, a) ihren sozialen Woh-
sche Unterklasse aus den Innenstädten als Folge nungsbau vorläufig einzustellen und b) ihren Zensus
von neuen Bundesgesetzen nicht nachziehen konn- grundlegend neu zu strukturieren, um die Natur und
te. So stellte das erste direkte Bundesgesetz für die das Ausmaß des Innenstadtverfalls und die ihn be-
Verbesserung der Wohnsituation in Problemgebieten, gleitenden sozioökonomischen Prozesse erstmals
der US Housing Act von 1937, der bis in die Gegen- vollständig statistisch erfassen zu können. Erkannt
wart richtungsbestimmend ist, den Gemeinden zwar wurde, dass die Kernstadtkrise eine neue Dimension
Bundeskredite für die Eliminierung von Slums bereit anzunehmen begann. Es zeichnete sich eine totale
und führte den sozialen Wohnungsbau in den USA ethnische Umstrukturierung der Kernstädte ab; ver-
ein. Nach dem Wohnungsbaugesetz von 1937 ursacht wurde sie von der Abwanderung in den sub-
(Housing Act von 1937, bes. Sec. 2, Sec 23, 1 u. 2) urbanen Raum und gleichzeitigen Zuwanderung von
war es den Kommunen jedoch freigestellt, ob sie so- Bevölkerungsgruppen mit hohem natürlichem Zu-
zialen Wohnungsbau schaffen wollten oder nicht wachs in die Innenstädte, besonders der Binnen-
(House of Representatives, Committee on Banking, wanderung von Afroamerikanern in die Städte des
Finance and Urban Affairs, Subcommittee on Hous- Nordens, die schon nach dem Sezessionskrieg und
ing and Community Development Committee 1984, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Industrien
S. 120). Auf der Grundlage dieses Bundesgesetzes des Nordens gegangen waren. Allein zwischen 1940
konnten sich mittelständische Gemeinden weigern, und 1970 kehrte sich dadurch das Verhältnis von
sozialen Wohnungsbau überhaupt zuzulassen. Die afroamerikanischer und weißer Bevölkerung in eini-
Hypothekenversicherung der Bundesregierung mach- gen Großstädten völlig um, so in Washington, D.C.,
te es dem unteren Mittelstand seit den 1930er Jah- das 1940 72 % weiße und 1970 72 % schwarze
ren möglich, Eigenheime in den Vororten zu erwer- Bevölkerung aufwies (Zeitz 1979).
ben; dies hatte eine immense Ausdehnung der sub- Ein ähnlicher Prozess vollzog sich in anderen Kern-
urbanen Wohngebiete durch blue collar suburbaniza- städten, deren Image als so negativ erachtet wurde,
tion zur Folge. Für die sozial Schwächsten gab es in dass die weitere Bevölkerungs- und Arbeitsplatzab-
den Suburbs jedoch weder ausreichend Mietwohn- wanderung allein dadurch neue Impulse erhielt.
raum (aufgrund lokaler Zonierungsverordnungen) Eine nicht beabsichtigte, doch aus der Bundespo-
noch Sozialwohnungen (aufgrund des Bundesgeset- litik logisch resultierende Eigendynamik des Innen-
zes von 1937). stadtverfalls war in Gang gesetzt worden. Sie bestand
Dadurch wurde von der Bundesregierung sozialer aus zwei eng miteinander verknüpften Komponen-
Wohnungsbau nur in den bestehenden Slums und ten: der subventionierten Suburbanisierung zur Ent-
Ghettos der Innenstädte realisiert (Meyerson & Ban- kernung der Innenstädte sowie den Konzentrationen
field 1955; Abrams 1965, S. 238 – 249; Palley & sozialer Randgruppen und Minoritäten in den Kern-
Palley 1977, S. 168f.). Der soziale Wohnungsbau städten. Die wirtschaftliche Verödung und zuneh-
im geographischen Streuungsverfahren scheiterte mende fiskalische Krise führten zu wachsenden
an der in der Verfassung verankerten und von Stadt- Schwierigkeiten, die Minimalversorgung der Kern-
entwicklungsgesetzen bestärkten kommunalen Ober- stadtbevölkerung zu gewährleisten. Der Housing Act
hoheit. Public Housing konnte sich später nur in von 1949 schuf erstmals ein umfassendes Woh-
jenen Suburbs durchsetzen, die unmittelbar an die nungsbau- und zusätzlich ein Stadterneuerungspro-
Slum-Ghettos der Kernstadt grenzten und in denen gramm. Das Gesetz, das zur konzeptionellen Grund-
die mittelständische Bevölkerung bereits im Begriff lage für alle weiteren Stadtentwicklungsgesetze
war, in andere Suburbs abzuwandern. wurde, verstärkte die Tradition der private city – als
In den Slum-Ghettos änderte sich die sozioökono- wichtigster Akteur bei der Revitalisierung verfallener
mische Problematik durch den Neubau von Sozial- Gebiete wurde die Privatwirtschaft angesprochen. In
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Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik 163

Übereinstimmung mit den sozialen Zielvorgaben des den, eine wirtschaftlichere, steuererhöhende Boden-
Gesetzes sollte der Schwerpunkt auf den Wohnungs- nutzung im Stadtgebiet zu erreichen, verfallene Are-
bau gesetzt werden, die Ausführung war der Privat- ale aufzukaufen und Abbruch (slum clearance) zu
wirtschaft, nicht der öffentlichen Hand, also sozialen betreiben. Nach diesen Vorleistungen sollten inter-
Wohnungsbauämtern oder anderen Einrichtungen, essierte Investoren die Flächen unter Marktwert er-
zugeordnet. Träger der Kompromisslösung von sozi- werben können, um das Steueraufkommen der Ge-
alen Zielen mit privatwirtschaftlicher Ausführung meinden durch kommerzielle Projekte wie Einkauf-
sollten Partnerschaften zwischen Bund, Gemeinden szentren, Büro-Parks oder Wohnanlagen zu steigern
und Investoren sein. In den public-private partner- (Borghorst 1979, S. 102 – 128; Perloff et al. 1975,
ships sollten öffentliche Mittel dazu benutzt wer- S.114f.; Grigsby 1966, S.654f.; Gans 1967, S. 471).

Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik


Die Rahmenbedingungen des Bundes sahen zu- gebiete, d. h. Reserveareale für zukünftige Entwick-
nächst vor, a) Sanierungen in den Stadtgebieten lungen ausgewiesen. In der Folgezeit entstanden in
durchzuführen, die ein Slum oder ein anderes ver- einzelnen Städten Revitalisierungsprojekte, so z. B.
fallenes Stadtgebiet mit überwiegender Wohnfunk- Riesensportstadien mit bis zu 100 000 Plätzen,
tion waren, sowie b) in jedem anderen verfallenen aber auch Multifunktionszentren wie das Boston
Gewerbegebiet einzugreifen, das überwiegend als Prudential Center. Boston ist hier ein aufschlussrei-
Wohngebiet erschlossen werden konnte. Der Ver- ches Beispiel. Die Stadt, die schon um 1800 große
bleib der Slumbewohner auf dem sanierten Gebiet Landaufschüttungen vornahm, um ihre Nutzfläche
war ausdrücklich vorgesehen. Verhindert wurden auszudehnen, hat in Downtown und Midtown im Abb. 108: Stadtplanung in
somit aber aus spekulativen Gründen die wirtschaft- 20. Jahrhundert mehrere modellhafte Großprojekte Boston um 1800 – Land-
liche und städtebauliche Revitalisierung von Pro- angelegt, die in vielen Städten kopiert wurden (Abb. aufschüttung in den
blemgebieten ebenso wie wertsteigernde Nutzungen 108 – 112). Sie hatten das Ziel, das Image und die Buchten.
durch Gewerbe- und Büroflächen oder Wohnfunk-
tion für den gehobenen Mittelstand. So wurde zwi-
schen 1949 und 1954 kaum saniert. Um die Revi-
talisierung anzukurbeln, vollzogen Bundesgesetze
deshalb seit 1954 explizit eine zweifache Schwer-
punktsverlagerung und zunehmende Abkehr: 1. von
der Sanierung verfallener Wohngebiete für Wohn-
zwecke hin zur Sanierung von Wohngebieten für Ge-
werbe- und Industrieflächen, Behördenzentren und
Nutzungen durch Institutionen; 2. Abkehr von der
Sanierung verfallener Wohngebiete, Fokus auf der
Revitalisierung verfallener Industrie- und Gewerbe-
flächen. Dies regte das Investoreninteresse stark an,
weil es sich bei den Industrie- und Gewerbebrachen
um die größeren Flächen handelte, diese meist in
der Downtown lagen und daher ein hohes Profitpo-
tenzial mit sich brachten. Ihre Wiederbebauung mit
Büroflächen und Einkaufszentren konnte eine weit-
aus höhere Rendite erzielen als die Wohnnutzung.
Den Kommunen wurden weitgehende Rechte gege-
ben, entsprechende Investitionen anzuziehen. Dabei
erkannte der Gesetzgeber in den Wohnungsbauge-
setzen von 1954 und 1959 auch die alleinige Be-
seitigung von Slums und verfallenen Flächen ohne
sofortige Wiederbebauung oder Bebauung als Wohn-
gebiet als hinreichenden öffentlichen Zweck an,
welcher der Entwicklung einer Gemeinde dienlich
sei und durch Bundesmittel subventioniert werden
Quelle: J. W. Reps 1969, S. 179.

konnte (Sogg & Wertheimer 1966, S. 146 – 150).


Diese Interpretation erlaubte die Enteignung und
Aufbereitung von Arealen verschiedenster Größe,
Sanierungsgebiete wurden beliebig ausgeweitet.
Auch Downtown-Areale, die nicht unbedingt sanie-
rungsbedürftig waren, aber einen möglicherweise
hohen Gewinn versprachen, wurden als Sanierungs-
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164 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

unterschiedlichsten Regelungen, wie Stadtsanie-


rung und Revitalisierung durchgeführt werden konn-
ten. Allein dadurch ließen sich Stadtsanierung und
-revitalisierung in den einzelnen Staaten unter-
schiedlich handhaben und erlaubten sogar jeder
Stadt, völlig andere Prioritäten zu setzen. Darüber
hinaus verabschiedeten die meisten amerikanischen
Großstädte in den 1960er und 1970er Jahren eine
neue Stadtverordnung, die dem Bürgermeister ex-
klusive Entscheidungsbefugnisse in der Sanierungs-
und Revitalisierungspolitik übertrug, die Stadträte
dabei größtenteils ausschaltete oder ihnen lediglich
eine eingeschränkte Kontrolle über den Haushalts-
plan überließ (Gelfand 1975, S. 159).
In einigen Städten entstanden die vorgesehenen
Planungskoalitionen zwischen der Geschäftswelt
und der öffentlichen Hand (public-private partner-
ships); häufig ging die Sanierungsinitiative von den
Unternehmen aus, wie z. B. in Atlanta, während sich
die öffentliche Hand auf die Vermittlung von Bun-
dessubventionen beschränkte. Public-private part-
nerships wurden in einigen Städten, so in Pittsburgh
oder Atlanta, zu mächtigen politischen Kräften
(Stone 1989; Squires 1989), welche die gesamte
Abb. 109: Boston, Blick Entwicklung der Stadt bestimmten. Sie leiteten
von Nordosten auf Land- Umwidmungen ein, die hinsichtlich der Größe von
aufschüttungen am Flächen und Projekten und der Mobilisierung privat-
Charles River (obere Bild-
wirtschaftlicher und öffentlicher Mittel keine Vor-
mitte mit dem Stadtteil
Back Bay) und Boston gänger hatten (Lubove 1969, S. 106 – 141; Lowe
Harbor (links) (Foto: Alex 1967, S. 405 – 436; Stewman & Tarr 1982; Ehrlich
S. MacLean). 1987; Edgar 1970; Barnekov & Rich 1972; Logan &
Molotch 1987). Nach diesen „Modellfällen“ begann
die Revitalisierung mit dem Bau von Megaprojekten,
insbesondere in Downtowns mit Kultur-, Kongress-
und Behördenzentren, Sportarenen, Erweiterungs-
bauten für Institutionen, Büro- und Shoppingzen-
tren. Diese Großprojekte waren kontrovers, entstan-
den sie doch häufig als „Beton-Forts“ im Niemands-
land von Industrie-, Gewerbe- oder Sanierungsbra-
chen auf Freiflächen, die nach slum clearance auf-
gelassen worden waren, und hatten einen erheb-
lichen Verödungseffekt, da sie noch mehr Leben von
den Straßen abzogen. Einige Städte wie beispiels-
weise Boston begannen erst ab 1985, den Effekt
solcher Projekte auf die unmittelbare Nachbarschaft
Abb. 110: Boston, Back rückgängig zu machen.
Bay, Copley Plaza, Pru-
dential Center auf dem
ehemaligen Korridor zwi-
Der Federal Bulldozer
schen Landaufschüttun- Aufgrund der Schwerpunktsetzung auf Revitalisie-
gen (Foto: Alex S. Mac- rung der kommerziellen und industriellen Struktur
Lean). und auf reduzierte Wohnungsbauorientierung hatten
Bundeswohnungs- und Städtebaugesetze, die Urban
Attraktivität dieser Gebiete zu verbessern und Nach- Renewal-Gesetzgebung seit Mitte der 1950er Jahre,
folge-Developments anzuziehen. Kommunale Behör- entscheidende Auswirkungen auf das Bild der In-
den sollten das lokale Unternehmertum bei der Re- nenstädte. Es begannen die großen „Kahlschlag-
vitalisierung maximal unterstützen. Dafür gaben sanierungen“, denen Zehntausende von Slumbe-
Bundesgesetze den Kommunen einen großen Spiel- wohnern weichen mussten (Anderson 1964, S. 53f.;
raum hinsichtlich der Art und Durchführung ihrer Hartman 1966), um Büro- und Einzelhandelsflä-
Sanierungsprogramme (Greer 1965, S. 66). So ent- chen, Behördenzentren (wie in Boston) oder Wohn-
standen in den Bundesstaaten, welche die Bundes- raum für die gehobenen Einkommensschichten oder
gesetzgebung aufgrund einer einzelstaatlichen Ge- Sportarenen (Atlanta) schaffen zu können. Dabei er-
setzgebung für ihr Gebiet geltend machten, die folgte der Abriss größtenteils ohne sofortigen Neu-
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Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik 165

bau. Zeugnis dieser Maßnahmen aus den 1950er


und 1960er Jahren sind die bis in die Gegenwart
als Parkplätze zwischengenutzten Flächen in Down-
town-Bereichen. In Atlanta oder Washington, D.C.
sind diese innerstädtischen Sanierungsbrachen oft
bis zu 40 Jahre lang aufgelassen worden, bevor sie
in der jüngeren Vergangenheit einer neuen Nutzung
zugeführt wurden. Viele dieser Areale sind in Besitz
und Verwaltung der seinerzeit neu gegründeten
städtischen Urban Renewal-Behörden, die Slum-
areale zum Abbruch erwarben oder enteigneten.
Teilweise wurden die so geschaffenen Flächen für
zukünftige Nutzung als innerstädtische Landreserve
freigehalten (z. B. in Atlanta oder Washington, D.C.).
Bei verfallenen Gewerbe- und Industriebrachen
wurde oft im Hinblick auf späteren Abbruch nicht
saniert; in Washington, D.C. werden solche Flächen
erst seit den 1990er Jahren für Nutzungen durch

Quelle:. Campanella 2001, S. 18.


die Bundesregierung massiv umgestaltet.
Ebenso massiv zur Schaffung von innerstädtischem
Ödland beigetragen hat die Gesetzgebung von 1959
(Sec. 418) und 1961, welche den großen gemein-
nützigen Institutionen wie Universitäten, Hospitälern
und anderen Einrichtungen dieser Art den Abbruch
von Slumarealen in ihrer Nachbarschaft ermöglichte.
Die Institutionen, welche nicht selten kapitalkräfti-
gen Großkonzernen ähneln und oft in unmittelbarer wollte. Die Flächenkonsolidierung erlaubte es also, Abb. 111: Downtown
Nähe von Slums liegen, sollten auf diese Weise als große Landstücke innerhalb des CBD (Central Busi- Boston und das Viertel
Ressource zur Revitalisierung von Stadtteilen ge- ness District) neu zu gestalten, ohne vom Grundriss North End 1923, Blick
nach Norden.
nutzt werden. Sie erhielten Sonderrechte, um an- eingeengt zu sein (Abrams 1965, S. 558 – 582).
grenzende bewohnte Slumareale für ihre Expansions- Das Verdienst der Urban Renewal-Ära war es, die
zwecke zu enteignen und zu nutzen, nachdem diese ersten umfassenden Gesetze und Maßnahmen der Abb. 112: Downtown
Gebiete vorher mit Bundesmitteln buchstäblich „be- Bundesregierung zur Revitalisierung der wirtschaft- Boston 1992, Blick von
reinigt“ worden waren. Dieser sichtbare Einfluss in lichen und gewerblichen Strukturen und des Woh- Nordosten (Foto: Alex S.
den Städten war nicht unerheblich, zumal die Insti- nungsbaus geschaffen zu haben. Ferner entstand MacLean).
tutionen die Freiflächen aus spekulativen Gründen
jahrzehntelang nicht bebauten; allein in Boston
machten fast 60 Institutionen (Universitäten, Colle-
ges, medizinische Versorgungs- und Forschungszen-
tren) von dieser Gesetzesregelung Gebrauch. Auch
wurden teilweise Wohngebiete für zukünftige institu-
tionelle Nutzungen total abgetragen. Die Stadt konn-
te erst in den ausgehenden 1980er Jahren mit Hilfe
eines Gerichtsbeschlusses ein Großklinikum dazu
veranlassen, auf einer ihrer langjährigen Sanierungs-
brachen, einem für nicht erfolgte Expansion abgetra-
genen Slum, Ersatzwohnungsbau für sozial schwa-
che und behinderte Personen zu erstellen.
Die Großstadtpolitik des Bundes, wie sie in der
Urban Renewal-Gesetzgebung zum Ausdruck kommt,
verlor also bald ihre eigentliche Zielsetzung, Gebie-
te des baulichen und wirtschaftlichen Verfalls zum
Nutzen einer ansässigen Unterschichtbevölkerung
zu sanieren. Revitalisierung seitens der öffentlichen
Hand diente dazu, Areale infrastrukturell so vorzu-
bereiten, dass private Sanierungsinvestitionen renta-
bel wurden (Borghorst 1979, S. 205f.). Daher wirkte
das Bundesprogramm des Urban Renewal wie eine
städtische Flurbereinigung, welche zersplitterte, un-
genutzte, verlassene und verfallene, aber auch zu
Wohnzwecken genutzte Grundstücke einer Mehr-
zwecknutzung mit breiter Attraktivität zuführen
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166 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

durch die Flächenkonsolidierung die physische Sanierungsämtern überlassen. Ein großer Teil der
Grundlage für dementsprechend groß angelegte Pla- innerstädtischen Kleingewerbestruktur wurde da-
nungen und Bautätigkeiten. Trotzdem erweist sich durch ganz zerstört. In Atlanta und anderen Städten
im Rückblick die Urban Renewal-Ära der 1950er wichen Hunderte von Kleingewerben den Planungen
und 1960er Jahre als eine der größten Planungska- für eine CBD-Ausdehnung (z. B. Midtown Atlanta).
tastrophen schlechthin. So bedeutete das Urban Re- Hohe Leerstandsraten in diesen neuen CBDs und die
newal-Programm de facto nur den Slum-Abbruch im Verdrängung der kleingewerblichen Strukturen hat-
großen Stile, aber kein anschließendes Erneuerungs-, ten den Verlust von realem und potenziellem Steuer-
d. h. Abbruch-Neubau-Programm. Weniger als ein aufkommen zur Folge.
Prozent der eingesetzten Finanzmittel in Milliarden- Trotz hoher Subventionen blieb das Investitionsin-
höhe wurden je für Erneuerungsmaßnahmen ausge- teresse relativ beschränkt. Im Vergleich zu den Sub-
geben, aber mehr als 90 % für den Erwerb von urbs hatten innerstädtische Gebiete weniger Profitpo-
Grundstücken und Gebäuden, deren Abbruch und tenzial: Hohe Vorab- und Planungskosten, soziale
infrastrukturelle Aufbereitung. Im Rahmen der Ab- Auflagen und Richtlinien zur Konstruktion, kompli-
bruchmaßnahmen wurden zwischen 1949 und zierte Ausschreibungs- und jahrelang währende Be-
1959 rund 140 000 Wohnungen bundesweit durch willigungsverfahren für Projekte auf Sanierungsgebie-
den sogenannten Federal Bulldozer abgerissen, nur ten standen in keinem günstigen Verhältnis zu dem
40 000 wurden neu gebaut, wovon nur etwa 2000 preiswerten, auflagenfreien Kauf und der möglichen
für untere Einkommensschichten gedacht waren. Bis Schnellbebauung von „Grüne Wiese“-Flächen in den
1962 wurden durch die Urban Renewal-Maßnahmen Suburbs, wo in wenigen Monaten die ersten Miet-
USA-weit 427 000 Familien mit durchschnittlich oder Verkaufseinnahmen erzielt werden konnten.
4 Mitgliedern sowie 108 000 Individuen verdrängt, Ferner wurden suburbane Developments durch an-
insgesamt also ca. 1,6 Mio. Menschen. Weitere Maß- dere Bundesprogramme, wie z. B. zinsgünstige Kre-
nahmen der Urban Renewal-Administration sahen dite oder eine Bundeshypothekenversicherung sub-
vor, insgesamt über 1 Mio. Familien zu verdrängen ventioniert, sodass dort das Risiko allgemein geringer
(Anderson 1964, S. 5f.). Ein wichtiger Punkt bei der war, die Profitspanne höher und der Planungs- und
Ausweisung von Wohngebieten, die im Rahmen des Implementierungszeitraum nur einige Monate betrug.
Urban Renewal saniert, also erst einmal abgerissen Dazu kam das verbleibende negative Image der Sa-
werden sollten, war, dass es den lokalen Behörden nierungsgebiete nach der Redevelopment, waren
überlassen blieb, wie standardgemäße oder abbruch- doch die meisten Urban Renewal-Gebiete frühere
reife substandard-Wohnungen zu definieren waren; Slums, die von bestehenden Slums umgeben waren.
die Definitionen des Statistischen Bundesamtes wur- Mischnutzungskomplexe in diesen Gebieten waren
den nicht verbindlich zugrunde gelegt. Zwar sollten und sind daher immer noch schwer zu vermieten.
die verdrängten Personen in menschenwürdigere, er- Boston gilt als eine der wenigen Städte, in denen
schwingliche Wohnungen umziehen, aber den ver- das Urban Renewal-Programm nicht nur negative
drängten Familien wurde nichts dergleichen ver- Auswirkungen hatte. Urban Renewal-Maßnahmen
mittelt, sodass sie auf sich selbst angewiesen waren, an der Waterfront, im Central Business District und
um Wohnungen in anderen preiswerten – also verfal- in den alten innerstädtischen Wohnvierteln betrafen
lenen – Wohngebieten zu suchen. So wurde der Ver- 25 % des Kernstadtgebiets und 50 % der damaligen
fall nur von einem Stadtviertel auf ein anderes verla- Stadtbevölkerung. Boston hatte in den 1950er Jah-
gert, zusätzlich wurden bestehende Sozialgefüge zer- ren 14 000 Arbeitsplätze in der Downtown an die
stört. Der Wohnungsbau auf Urban Renewal-Flächen Suburbs verloren; dies brachte Millionenverluste
ließ fast ausnahmslos Luxuswohnungen entstehen, hinsichtlich des Steueraufkommens und der Steuer-
während die verdrängte Bevölkerung in anderen ver- vergünstigungen, um die verbliebenen Firmen zu
fallenen Wohngebieten ebenso ausnahmslos mit hö- halten. Urban Renewal begann hier 1960, als im
heren Mieten bei gleich gebliebenen oder verschlech- West End ein Wohnviertel mit 9000 Einwohnern zu-
terten Bedingungen konfrontiert wurde (Anderson gunsten von Hochhäusern, dem Government Center
1964, S. 54 – 67). Ferner hatte Urban Renewal ca. (einem Behördenkomplex mit Bundesämtern, ein-
101 000 substandard-Wohnungen sowie 25 000 zelstaatlichen und städtischen Ämtern) sowie weite-
standard low-rent-Wohnungen, die dem Standard ren Bürogebäuden und Parkhäusern weichen muss-
entsprachen und preiswert waren, abgerissen, diese te (Vollmar 1983). Da die Stadt in anderen verfalle-
insgesamt 126 000 Wohnungen aber nur durch nen Wohnvierteln behutsame Altbausanierung be-
25 000 Luxusapartments ersetzt. Abgesehen von trieben hatte, konnte sich die verdrängte Bevölke-
den zahlreichen Familien wurden durch den Federal rung auf verschiedene Stadtteile verteilen. Anders
Bulldozer bis 1959 aber auch ca. 100 000 Geschäf- als in anderen Städten konnte dies ohne Schwierig-
te, Gewerbe und kleinere Firmen verdrängt; für die keiten geschehen, da es sich größtenteils um eine
1960er Jahre war eine Verdrängung von weiteren weiße untere Mittelschicht handelte. Vielfach war in
200 000 small businesses geplant. Zwar war auch anderen Städten die verdrängte Bevölkerung afro-
für die betroffenen verdrängten Personen und Ge- amerikanisch, die in einem segmentierten Woh-
schäfte eine Abfindung und Umzugspauschale vor- nungsmarkt geringere Chancen auf eine Wohnung in
gesehen, die Entscheidung über Höhe und Art der einem Stadtteil ihrer Wahl hatte und daher nach der
tatsächlichen Zahlbeträge wurde jedoch den lokalen Sanierung häufig in bestehende Ghettos zog.
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Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik 167

Mit dem Prudential Center (Abb. 110) wurde auf


einem CBD-nahen Verfallsgebiet in der Nähe eines
Wohnviertels vom gehobenen Mittelstand ein neuer
Bürodistrikt aufgebaut. Die Folge war ein positiver
spill over-Effekt auf die unmittelbare, verfallene
Umgebung. Derzeit betrachtet man solche Develop-
ments jedoch noch mit Vorbehalten. Obwohl die Re-
newal-Maßnahmen in Boston auch seinerzeit nicht
unumstritten waren, konnte insgesamt ein positiver
Image-Effekt für die Kernstadt erzielt werden. Dies
hing nicht zuletzt mit der Häufung von traditionsrei-
chen Universitäten und Forschungsstätten im Stadt-
gebiet und dem damit verbundenen Angebot an hoch
qualifizierten Arbeitskräften zusammen (McQuade
1966, S. 259 – 277; Hartmann 1966, S. 293 – 335).

Behutsame Sanierung – Gentrification


Der Bundesregierung gelang in den 1960er Jahren
aber auch eine behutsamere und sozialverträgliche-
re Revitalisierungspolitik. Ein Beispiel ist der De-
monstration Cities and Metropolitan Development Kulturerbes“ fest. In der Folgezeit wurden in vielen Abb. 113: Bahnhof und
Act von 1966, der 1968 erweitert wurde; er schuf Städten ältere Wohnviertel als Ganzes zu Historic Innenstadtmall. Union
die Historic Preservation und Model Cities-Gesetz- Districts erklärt; dies beinhaltete eine Verpflichtung Station in Washington,
D.C.
gebung. Erstere hatte aber ähnlich folgenschwere zu erhaltenden Maßnahmen, erlaubte den Zugang
Auswirkungen wie das Urban Renewal-Programm. zu verschiedenen Förderungsetats des Bundes und
Der 1966 erlassene National Historic Preservation verbot den Abriss. Dadurch wurde in großem Um-
Act stellte erstmals und in scharfem Gegensatz zu fang die von Privatleuten betriebene subventionier-
den Abrissmaßnahmen des Urban Renewal „die Er- te, steuerbegünstigte „Gentrifizierung“ eingeleitet.
haltung der historischen und kulturellen Grundlagen Dies bezeichnet die Luxus-Altbausanierung, welche
der Nation als lebendige Teile des kommunalen Le- z. T. eine Verdrängung und Umstrukturierung der
bens und seiner Entwicklung“ in den Vordergrund. Bevölkerung nach sich zieht (Clay 1979; Zeitz
1969 wurde die Erhaltung historischer Bausubstanz 1979), jedoch auch der Wiederbelebung verödeter
und sogar ganzer Distrikte zu einem der nationalen Geschäftsbereiche dienen kann (Schneider-Sliwa
Umweltschutzziele. Im National Environmental Poli- 1996) (Abb. 113 – 118). Dabei handelt es sich
cy Act legte die Bundesregierung ihre Verantwortung nicht um einen unbeabsichtigten Nebeneffekt, son-
bei der Erhaltung von „wichtigen historischen, kul- dern es ist fast immer, wie im Fall von Washington,
turellen und natürlichen Aspekten des nationalen D.C. ein von der Stadtplanung im Rahmen eines

Abb. 114: Behutsame


Stadtsanierung in Boston
– Quincy Market.
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168 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

Abb. 115: Am Central


Park in New York City.

Abb. 116 (rechts): Integra-


tion von Gebäuden des
18. Jahrhunderts in mo-
dernes Hochhaus auf der
Pennsylvania Avenue in
Washington, D.C.

langfristigen Stadtentwicklungskonzepts mittels His- Art, wie ihn die Clinton-Administration in den
toric District-Ausweisung bewusst in Gang gesetzter 1990er Jahren wieder aufgegriffen hat. Er schloss
Prozess, der die Marktkräfte anregen soll. Der be- die folgenden Aspekte ein: städtebaulichen Verfall
hutsamere Ansatz der Bundesregierung bei der in ganzen Stadtvierteln aufzuhalten, lokale Wirt-
Stadtentwicklung führte in vielen Städten zwar zu schafts- und Transportstrukturen auszubauen, Ar-
einer Rückbesinnung auf erhaltenswerte historische beitsbeschaffungsmaßnahmen zu installieren, den
Bausubstanz und Stadtviertel, schuf aber durch Wohnungsbau für die unteren Einkommensgruppen
Auflagen zur Sanierung auch „Gentrifizierung“ und voranzutreiben, Benachteiligungen in Schul-, Aus-
damit hohe soziale Kosten. bildungs- und Gesundheitswesen mit Verbesserun-
Das Model Cities-Programm der Great Society-Ära gen der sozialen Infrastruktur und des Dienstleis-
unter Präsident Johnson war konzeptionell das ein- tungsangebots auf diesem Sektor auszugleichen, lo-
zige und wichtigste Bundesprogramm, um inner- kale Ressourcen zu mobilisieren, die betroffene Be-
städtische Verslumung, wirtschaftlichen Verfall, Ar- völkerung an Planungen und Ausführungen zu be-
mut, soziale Probleme und Disparitäten abzubauen. teiligen, einen effektiveren lokalen Verwaltungsap-
Es erhob die Verbesserung der Lebensumstände in parat aufzubauen sowie zufrieden stellende Umset-
innerstädtischen Problemgebieten zur wichtigsten zungs- und Sozialpläne unter Mitspracherecht der
Aufgabe der amerikanischen Innenpolitik und stellte Planungsbetroffenen auszuarbeiten. Das Neuartige
fest, dass die Kernstadtprobleme wegen ihrer Grö- an diesem Programm war, dass eine Sozialplanung
ßenordnung und Vielschichtigkeit nur auf Bundes- nicht nur eingeführt, sondern auch als wichtigste
ebene zu lösen seien. Das Model Cities-Programm Planungskomponente eingesetzt wurde. Eine andere
wurde als Urban Tennessee Valley Authority (TVA) Neuheit war die Beteiligung der Bürger am Planungs-
verstanden, da es die Flut von sozialen Problemen prozess. Erstmals wurde ihre Partizipation auf allen
und die Erosion von Städten und Bevölkerung auf- Ebenen der Revitalisierungsplanung angestrebt, so
halten sollte, analog zum Bundesprogramm der z. B. durch Neighborhood Planning Units, die in ver-
1930er Jahre, das die jährlichen Überflutungsge- schiedener Form bis heute bestehen. Allerdings
fahren des Tennessee River und seiner Nebenflüsse blieb es wieder einmal den Kommunen überlassen,
einzudämmen suchte. Das Model Cities-Programm welche Bedeutung sie den Nachbarschafts-Planungs-
sah vor, verfallene Stadtviertel von ca. 50 000 Ein- gruppen einräumen wollten. Boston beispielsweise
wohnern prototypisch mit physischer und sozialer betreibt eine aktive Pflege der Stadtteilorganisatio-
Infrastruktur derart auszubauen, dass sie als Mo- nen und grassroots-Planungsgruppen, in anderen
dellfälle für den Rest der Kernstadt dienen konnten. Städten spielen sie dagegen kaum eine Rolle. In
Angestrebt wurde ein ganzheitlicher Ansatz von der Washington, D.C. muss die Stadtplanung den advi-
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Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik 169

wendung der Mittel abgeschafft wurden, um die Lo-


kalinitiative wieder anzukurbeln.
Wegen seiner Komplexität wurde das Programm
1974 ganz durch ein Pauschalzuschussprogramm –
das CDBG-Programm – ersetzt. Inhaltlich bleibt das
Model Cities-Programm bis in die Gegenwart auf-
grund seines umfassenden Sozialbezugs, seiner Er-
kenntnis einer multidimensionalen Großstadtproble-
matik und dementsprechender übergreifender Pla-
nung interessant. Die Clinton-Administration ver-
suchte in den 1990er Jahren, Teile dieser Konzep-
tion wiederzubeleben.

New Federalism – „Wirtschaftsbulldozer“


In den 1970er Jahren begann die Ära des New Fed-
eralism, die von den Reagan- und Bush-Sen.-Admi-
nistrationen in den 1980er Jahren fortgeführt wurde.
New Federalism bezeichnet die Strategie der Bun-
desregierung, in Wirtschaft und Politik eine stärkere
Rückführung auf die grundsätzlichen amerikani-
schen Werte herbeizuführen. Let private enterprise
Quelle: B. Diamondstein 1986, S. 66.

do it wurde als zentraler Gedanke ab 1974 wieder


verstärkt. Er sah vor, mehr sozialstaatliche Aufgaben
an die Bundesstaaten und Kommunen abzugeben, Abb. 117: Innenstadtmall
um diese Ebenen des föderalen Systems zu stärken des Old Post Office, Wa-
und ihnen mehr Entscheidungsfreiheit über lokale shington, D.C. (links).
Belange einzuräumen (Nixon 1973).
In der Stadtpolitik wurde diese Idee in zweifacher Abb. 118: Washington Old
Weise umgesetzt: Erstens wurden verschiedene Bun- Post Office von außen.

sory neighborhood councils zwar großes Gewicht


einräumen; deren Urteile und Planungen dürfen
und werden aber jederzeit von den offiziellen Behör-
den überstimmt. Dies geschieht selbst in den Fäl-
len, in denen Bürgerplanungsgruppen ausdrücklich
von den Lokalbehörden mit Planungsaufgaben be-
traut worden sind.
Auf nationaler Ebene scheiterte das Model Cities-
Programm an seiner zentralistischen Struktur und
Bürokratisierung. Die Finanzierung erfolgte über
rund 400 verschiedene, einzeln zu beantragende
Bundesmittel von verschiedenen Ministerien; auf
jeder Ebene erfolgte eine Kontrolle durch die Bun-
desregierung. Selbst die Kommunen bewarben sich
bald nicht mehr um die Bundesmittel, da die strik-
ten Auflagen die Lokalautonomie zu stark beschnit-
ten. Politisch war das Programm, welches inhaltlich
das umfassendste gegen den Verfall der Kernstädte
und Stadtteile gewesen war, nicht lange haltbar. Es
wurde als Subventionsprogramm für die Unterschicht
angesehen und weckte das Gefühl von umgekehrter
Diskriminierung: fehlender Mittelklassebezug und
das Ausschütten von Bundesgeldern aus wahltakti-
schen Gründen auf alle Stadtteile, selbst jene ohne
Bedürftigkeit einerseits oder Revitalisierungspoten-
zial andererseits, programmierten in der öffentli-
chen Meinung den Misserfolg vor (Haar 1975, S.
220, 254, 257). Die Ausdünnung der Ressourcen
auf zu viele Gebiete und die gleichzeitige Bürokra-
tisierung führten zu einem tatsächlichen Effektivi-
tätsverlust. Das Programm wurde 1971 dezentrali-
siert, indem alle Bundesüberprüfungen über die Ver-
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170 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

desprogramme für die Stadtentwicklung konsolidiert dringlichem Gemeindeinteresse. Das Gleiche galt für
und gekürzt. Dazu wurde ein Bundesfinanzausgleich die Finanzierung steigender Polizei- und Feuerwehr-
(General Revenue Sharing Program) eingeführt, der kosten oder die Deckung der laufenden Verwaltungs-
auf wenige Jahre begrenzt war und den Staaten und kosten des lokalen Wohnungsamts. Bundesmittel zur
Kommunen aus Bundessteuern einen Ausgleich zur Revitalisierung von städtischen Problemgebieten
Überbrückung gekürzter Bundesmittel bereitstellte. brauchten seit 1974 also nicht mehr wirklich für
Die Kommunen waren aufgerufen, eigene Mittel und Problemgebiete eingesetzt zu werden. Die tatsächli-
Wege zu finden, ihre jeweilige städtische Entwick- che Verteilung der Gelder auf breite Programmkateg-
lungspolitik zu finanzieren. Der Finanzausgleich ver- orien zeigt, dass durchschnittlich nur 35 % für Woh-
schärfte jedoch die bestehende Polarisierung zwi- nungsbau ausgegeben wurden. Dabei ist zu bemer-
schen Kernstädten und Suburbs. Bundesstaaten er- ken, dass diese Kategorie auch die Finanzierung lau-
hielten die Mittel ohne jegliche Auflagen und leite- fender Kosten lokaler Wohnungsbauämter (Housing
ten sie an schnell wachsende Kommunen, die Sub- Authorities) einschließt und das Geld also nicht un-
urbs im Gegensatz zu den Kernstädten, weiter. Pro- bedingt für neue Wohnungen und eine Verbesserung
gramme zur besonderen Unterstützung der Kern- des innerstädtischen Wohnungsmarkts und der Slum-
städte wurden nicht geschaffen. Die Kommunen be- problematik eingesetzt wird.
nutzten die Mittel, um die Grund- und Immobilien- Wenn aber ärmere und mittlere Einkommens-
steuern, die wichtigsten kommunalen Einnahme- schichten direkt angesprochen werden können,
quellen in amerikanischen Städten, zu senken. Fer- dann vor allem über die Kategorie Wohnungsbau.
ner wurden andere Abzweigungen der Gelder vorge- Alle anderen Kategorien, die 65 % der Bundesmittel
nommen, um Routineaufgaben der Städte zu finan- auf sich vereinen, kommen eher in weiterem Sinne
zieren (Haar 1975, S. 266f.). Zweitens wurde das und nur indirekt diesen sozialen Schichten zugute.
Pauschalzuweisungsprogramm, der Community De- Bei einer Betrachtung der Aufteilung des CDBG-Pro-
velopment Block Grant 1974 (Housing and Commu- gramms in seine beiden Hauptkomponenten, näm-
nity Development Act of 1974, Sec. 101b3, c) ein- lich das CDBG-Programm als solchem und das
geführt, dessen wichtigste Komponente die Verein- State and Small Cities Community Development
fachung der Finanzierung von Stadterneuerungs- Block Grant Program, wird ebenfalls erkennbar, dass
maßnahmen war (House of Representatives, Com- nicht die bedürftigen innerstädtischen Problemge-
mittee on Banking, Finance and Urban Affairs, Sub- biete gefördert werden. Unterstützt werden kleinere
committee on Housing and Community Develop- Gemeinden unter 50 000 Einwohnern, die keine
ment Committee 1984, S.120). Das CDBG-Pro- central cities sind. Es zeigt sich, dass
gramm ist bis in die Gegenwart die bedeutendste ■ fast ein Drittel aller CDBG-Gelder an sehr kleine
Maßnahme der Bundesregierung für die Stadterneu- Kommunen und nicht an die Kernstädte gehen,
erung. Es wollte Verslumung, wirtschaftliche Stag- ■ zahlenmäßig insgesamt sehr viele Gemeinden
nation und die sinkende Lebensqualität in Kern- unter 50 000 Einwohnern gefördert werden, die
städten durch Ankurbelung privater Investitionsbe- keine Kernstädte sind,
reitschaft bekämpfen. Den Kommunen wurde wie- ■ der Gesamtbetrag pro kleiner Kommune zwar
der volle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit über niedriger ist als für Großstädte, wegen der gerin-
die Verwendung von Bundesmitteln eingeräumt; geren Bevölkerungszahl aber der Pro-Kopf-Betrag
Zweckbindung und Programmkontrolle durch Bun- weitaus höher sein kann,
desinstanzen wurden weitgehend eliminiert. Die So- ■ die Bundessanierungsgelder neben prestigeträch-
zialbindungsklausel des CDBG-Gesetzes bestimmte tigen Einzelprojekten in Downtown-Bereichen also
lediglich, dass a) 51 % (seit 1986 gilt 56 %) der vornehmlich ein „Leben im Grünen“ subventio-
CDBG-Mittel zum Nutzen unterer und mittlerer Ein- nieren.
kommensschichten verwendet werden, b) Verslu- ■ Zudem ergibt die prozentuale Aufteilung der State
mung und wirtschaftlicher Verfall verhindert oder and Small Cities-CDBG-Gelder, dass Suburbani-
bekämpft werden sollten und c) Mittel auch zur Be- sierung und Counterurbanisierung subventioniert
wältigung dringender städtischer Aufgaben (meeting werden.
urgent community needs) eingesetzt werden konn- Das 1976 eingeführte Komplementärprogramm zum
ten (US Department of Housing and Community De- CDBG, das Urban Development Action Grant (UDAG)-
velopment, Office of Community Development and Programm war mit Schwerpunkt auf der Wirtschafts-
Planning 1987, ix, xiii). förderung innerstädtischer Stagnationsgebiete kon-
Da 49 %, später 44 % der Mittel für Stadtsanie- zipiert. Es war das erste gebietsspezifische Förde-
rung keiner Sozialbindung unterlagen und diese Klau- rungsprogramm für Städte und innerstädtische Prio-
seln insgesamt interpretationsfähig sind, konnte ritätsgebiete (neighborhood strategy areas). Es er-
Kernstadtrevitalisierung unter anderem als Down- hob jedoch die Auflage, dass sich innerhalb von 3 –
town-Aufwertung interpretiert werden. Auch die At- 5 Jahren – später reduziert auf 1 Jahr – Erfolge ab-
traktivitätssteigerung von Downtowns durch Hotels, zeichnen müssten. Die zu erbringenden Erfolgsga-
Kongresszentren, Mehrzweck-, Büro- und Shopping- rantien bedeuteten den systematischen Ausschluss
komplexe sowie Olympiade-Sportanlagen diente laut von Gebieten ohne Revitalisierungspotenzial. Die
offiziellem Sprachgebrauch prinzipiell den ärmeren Vergabe von UDAG-Finanzmitteln wurde darüber
Einkommensgruppen oder war von sogenanntem hinaus von der Vorabgarantie einer privaten Investi-
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Wirtschaftliche und soziale Ziele der Bundespolitik 171

tionsbereitschaft abhängig gemacht. Das Programm In der Praxis trugen UDAGs mit dazu bei, dass
stellte Bundesmittel im Verhältnis 1: 2,5 Dollar pri- Kommunen, die sich bislang auf das sporadische,
vat investierter Mittel bereit. Die UDAGs trugen we- mehr oder weniger systematische Wirken der Han-
sentlich zum großen Downtown-Bauboom der ausge- delskammern und Geschäftsverbände aus der Down-
henden 1970er und 1980er Jahre bei. In den ers- town verlassen hatten, in den ausgehenden 1970er
ten 10 Jahren des Programms wurden fast 3000 Jahren Planungskoalitionen der öffentlichen Hand
UDAG-Projekte mit über 4,4 Mrd. Dollar gefördert, und der Geschäftswelt, sogenannte Public-Private
die Privatwirtschaft hatte in diese Projekte über 26 Partnerships, bildeten. Diese Koalitionen wurden als
Mrd. Dollar investiert, und aus anderen öffentlichen halböffentliche Economic Development Corporations
Mitteln stellten Kommunen weitere 2,5 Mrd. Dollar eingetragen. 1980 waren davon in den USA bereits
für projektrelevante Infrastruktureinrichtungen zur 15 000 verzeichnet, sodass es in jeder Großstadt
Verfügung. Investitionsbereitschaft und Ertragspo- mindestens eine gab (Levy 1981, S. 1). Der Vorteil
tenzial wurden damit zum wichtigsten Standortfak- der Development Corporations war ihr rechtlicher
tor für die Revitalisierungspolitik, womit die eigent- Status als halböffentliche, nicht profitorientierte Or-
lichen Problemgebiete ausgeschaltet wurden (Bar- ganisation, was erhebliche Steuervergünstigungen
nekov, Boyle & Rich 1989, S. 74). Die Standorte der mit sich brachte. Das bedeutete aber nicht, dass
subventionierten UDAG-Projekte liegen daher genau kein Profit erwirtschaftet werden durfte, sondern le-
dort, wo Firmen ohnehin investiert hätten (Webman diglich, dass dieser denselben Zwecken wieder zu-
1981, S. 261). Die Tatsache, dass UDAG-Subven- geführt werden musste, welche die Development
tionen in den Kernstadtgebieten eingesetzt wurden, Corporation verfolgte. Development Corporations ge-
in denen ohnehin starkes Investoreninteresse be- hören nicht zur politischen Verwaltung einer Stadt,
stand, wurde selbst von der Bundesregierung kriti- sondern können unabhängig Entscheidungen über
siert. UDAGs waren damit de facto ein Ersatz für pri- Landnutzungen und -verkäufe und Developments
vate Mittel und hatten keine echte Hebel- oder An- ohne öffentliche Anhörungen treffen. Ferner können
schubwirkung (US Department of Housing and Urban sie Wertpapiere zur Finanzierung ihrer Projekte he-
Development, Office of Policy Development and Re- rausgeben, eine Praxis, die jedoch mit der Steuerre-
search 1982). Die Erfolgsauflage beim UDAG-Pro- form von 1986 erheblich eingeschränkt wurde. Als
gramm und die Klausel im CDBG-Programm, welche halbamtliche Einrichtungen erhalten Development
eine vorbeugende Stadtsanierung erlaubten, wurden Corporations alle Vorteile und Machtbefugnisse von
zur Grundlage für die Bündelung von Maßnahmen in Behörden, ohne den gleichen Restriktionen zu un-
zentralen Geschäftsbereichen und Downtown-nahen terliegen. Koalitionenmodelle dieser Art gab es seit
Wohn- und Gewerbegebieten. Diese Gebiete verspra- den 1940er Jahren in Pittsburgh, Atlanta, Philadel-
chen das höchste Ertragspotenzial; man konnte in- phia, Baltimore oder Minneapolis. Sie wurden
nerhalb kurzer Zeit zu sichtbaren Resultaten gelan- manchmal sogar als „städtische Privatregierungen“
gen. Da Wohn- und Gewerbeviertel diesen Bauakti- bezeichnet, da sie ebenso mächtig waren, ohne zur
vitäten weichen mussten, nannte man diese Phase Rechenschaft gezogen werden zu können und das
den „Wirtschaftsbulldozer“. Stadtbild nach ihren Vorstellungen in entscheiden-
Durch diese Auflagen änderte sich die Orientie- der Weise veränderten (Edgar 1970; Greer 1962).
rung der kommunalen Sanierungspolitik völlig: Der Die Allianzen von öffentlicher Hand und Wirtschaft
Bezug für innerstädtische Problemgebiete ging verlo- sind aufgrund einer neuen Realität in der Großstadt-
ren, und konzeptionell rückte man von einer flächen- politik des Bundes notwendig geworden und haben
deckenden Sanierungspolitik für verfallene Stadt- ihrerseits eine neue Realität in der Großstadtent-
teile ab. Stattdessen wurde eine Revitalisierungspo- wicklung geschaffen.
litik, welche Investoren und höhere Einkommens- Es wird deutlich, dass die Bundespolitik bewusst
schichten zu Verbleib oder Rückkehr in die Kern- darauf ausgerichtet war, die Stadtentwicklung und
stadt bewegen sollte, gefördert. Punktueller geogra- Sanierung mit privaten Entwicklungsträgern und
phischer Schwerpunkt waren dabei die Downtowns -maßnahmen zu fördern. Die Großstadtpolitik zwi-
sowie ausgewiesene urban enterprise zones in deren schen 1930 und 1974 – 1976 zeigte zwar ein wach-
Nähe und andere Strategiegebiete, auf denen inner- sendes Engagement der Bundesregierung, aber Ziel
halb der vorgegebenen Zeit Erfolge und Renditen zu war es einzig und allein, die Investitionsbereitschaft
erwarten waren. So erklärt sich, warum im Normal- des Unternehmertums zu mobilisieren, und nicht
fall amerikanischer Stadtsanierung die Bündelung die Verfallserscheinungen in der private city direkt
der Maßnahmen in eher umgekehrt proportionalem anzugehen. Mit dieser Orientierung unterscheidet
Verhältnis zur Bedürftigkeit eines Stadtteils steht. sich die amerikanische Großstadtpolitik und die dar-
Die amerikanische Stadtentwicklungs- und Sanie- aus resultierende Kernstadtrevitalisierung in funda-
rungspolitik, die sich über Jahrzehnte hinweg ohne- mentaler Weise von derjenigen anderer Länder. In
hin nur unvollkommen und stückchenweise im Ein- anderen zentralstaatlichen, föderalen Systemen wird
klang mit privatwirtschaftlichen Interessen formieren Stadtplanung und Wohnungsbauförderung als Ersatz
konnte, wurde auf lokaler Ebene als Downtown-Be- für oder Alternative zu privatwirtschaftlichem Bau,
bauungs- und Imageaufwertungspolitik interpretiert, Erschließung und Projektentwicklungstätigkeit be-
obwohl sie auch Möglichkeiten schuf, außerhalb der trieben. In den USA ist jedwede Planungsmaßnah-
Downtown liegende verfallene Stadtteile zu sanieren. me und Planungspolitik der öffentlichen Hand da-
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172 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

rauf abgestimmt, private Entwicklungs- und Er- der 1980er Jahre bestand darin, die Städte nicht
schließungstätigkeit zu fördern. Dies gilt im Grund- mehr als Eckpfeiler der Wirtschaft anzusehen.
satz für alle Administrationen. Grund hierfür war, dass sich im postindustriellen
Der Gedanke von der Geschäftswelt als dem Treu- Wandel das enge Verhältnis zwischen Prosperität
händer des städtischen Allgemeinwohls wurde z. B. der Industriestädte und der Volkswirtschaft ent-
auch von der demokratischen Carter-Regierung ver- flochten und eine ganz neue urban reality entwickelt
treten, welche das UDAG-Programm einführte, aber hatte (President’s Commission for a National Agenda
das bestehende CDBG-Programm nicht modifizierte. for the Eighties 1980, S. 65f., 4). Die Kernstädte
Die Carter-Regierung leitete mit dem UDAG-Pro- hatten einen irreversiblen Bedeutungsverlust erfah-
gramm auch die anschließend von Reagan endgültig ren. Die postindustrielle Wirtschaftsstruktur war und
vollzogene Wende zum New Urban Privatism ein. In ist nicht länger vom Wirtschaftswachstum indus-
die Großstadtpolitik wurde erneut der Gedanke ein- trieller Städte abhängig, neue wirtschaftliche und
gebracht, dass es die einzige Aufgabe der Bundesre- technologische Entwicklungen sind dezentralisiert,
gierung sei, als Katalysator für privatwirtschaftliche das Wirtschaftswachstum der USA vollzieht sich im
Stadtentwicklung zu fungieren. Kommunen sollten suburbanen Raum, und der Niedergang der Kern-
Bundesmittel nur noch als Anschub- oder Hebelfi- städte, z. B. der Großstädte des Nordostens, stellt
nanzierung (leverage) für Projekte erhalten. Zum keine Gefahr mehr für die Volkswirtschaft dar (Fal-
größten Teil sollten diese von der Kommune selbst lows 1985). Eine Subventionierung niedergehender
oder der Geschäftswelt finanziert werden. Die grund- Städte würde daher die notwendige wirtschaftliche
legende Auffassung lautete, dass mehr Bundes- Umstrukturierung und Anpassung an postindustriel-
mittel für Stadtentwicklung die Stadtprobleme nicht le Gegebenheiten verhindern. Gerade diese Anpas-
lösen würden. Man ging davon aus, dass weniger sungsfähigkeit der Städte an neue wirtschaftliche
Mittel, die gebündelt und nur nach Zusage privater Gegebenheiten wurde aber als wichtig für das län-
Investitionen als matching fund eingesetzt würden, gerfristige soziale und ökonomische Wohlergehen der
mehr bewirken könnten. Schon in dieser Phase be- Wirtschaft allgemein angesehen. Es war daher im
gann für die Städte die „neue Realität“ der gekürz- nationalen Interesse nicht länger vertretbar, der kon-
ten Bundesmittel und des Disengagements des junkturellen Fluktuation von Städten entgegenzu-
Bundes (Urban and Regional Policy Group Report steuern. Diese Ansicht wurde auch von führenden
von 1978, S. 91), was unter der Reagan-Adminis- Sozialwissenschaftlern und Forschungsinstitutionen
tration noch drastischer durchgesetzt wurde. Dabei getragen (Peterson 1985, S. 1). Als beste Großstadt-
ist es wichtig festzuhalten, dass beide politischen politik des Bundes wurde daher jene vorgeschlagen,
Parteien, also Republikaner wie auch Demokraten, welche das nationale Wirtschaftswachstum ankur-
die gleichen politischen Konzepte und zugrunde lie- beln sollte. Hauptaufgabe der Bundesregierung sei
genden Philosophien vertraten, wie die folgenden es, die Barrieren zwischen den Menschen und den
Zitate veranschaulichen: wirtschaftlichen Möglichkeiten zu entfernen.
„Wir befürworten Privatinitiative und Volontärarbei- Für die Großstadtpolitik bedeutete dies, von di-
ten nicht als halbherzigen Ersatz für einen gekürzten rekten Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung der
Etat. Wir treten dafür ein, weil sie an sich das Rich- Kernstädte verstärkt zu indirekten Maßnahmen über-
tige sind. Sie sind ein Teil dessen, was wir stolz das zugehen. Wirtschaftliche Gesundung der von der
,amerikanische Wesen‘ nennen. Wir haben zugelas- urban crisis betroffenen metropolitanen Gebiete
sen, dass die Regierung uns viele Aufgaben abnahm, sollte über ein kontinuierliches nationales Wirt-
die wir einst als die unsrigen betrachteten und die schaftswachstum erreicht werden; mit einer umfas-
wir freiwillig ausübten. (…) Ich glaube, dass viele senden Steuerreform versuchte man, dies zu errei-
von euch diese Aufgaben wieder übernehmen möch- chen. Dabei nahmen die Initiatoren des richtungs-
ten“ (Ronald Reagan 1981, zit. in: Salamon & Lund weisenden National Urban Policy Report von 1982
1984, S. 462). „Wenn man sich ausschließlich und bewusst in Kauf, dass nicht alle Städte gleicherma-
hauptsächlich auf die Bemühungen der Regierung ßen von der Wirtschaftspolitik profitieren würden
verlässt, verwirft man die Traditionen, welche das (Savas 1983; Glickman 1984; Wolman 1986). Nach
amerikanische Leben und die Politik geprägt haben. dem National Urban Policy Report von 1982 (US
Wenn man den Nutzen des privaten Unternehmer- Department of Housing and Urban Development
tums außer Acht lässt, bekämpft man die Armut mit 1982) sollten Städte in ihren Bemühungen um
nur einer Division, während ganze Armeen untätig Wirtschaftswachstum genauso wie Privatfirmen kon-
abseits stehen“ (Robert F. Kennedy 1967). kurrieren; anstelle des Wettbewerbs um staatliche
Zuschüsse, die gekürzt wurden, sollten Städte eine
New Urban Reality und Städtekonkurrenz unternehmerische Stadtpolitik betreiben und ihre
Der Zeitgeist, der New Federalism und Public-Pri- Attraktivität für potenzielle Investoren, Besucher
vate Partnerships in den 1970er Jahren hervorge- und Einwohner steigern (Peterson & Lewis 1986;
bracht hatte, gelangte in den 1980er Jahren bis in Herbes 1982; Ahlbrandt 1984; Clarke 1984).
die Gegenwart zur vollen Blüte. Die Reagan-Admi- Die Schwerpunktverlagerung von direkter, geziel-
nistration übernahm den Gedanken der bundes- ter Subventionierung der Städte (urban programs)
staatlichen Hebelfunktion, bezog ihn aber nicht län- auf die Initiative der Privatwirtschaft und Wirt-
ger auf die Städte; die Wende der Großstadtpolitik schaftsförderungsmaßnahmen, d. h. urban effects
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Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism 173

einer Politik sowie auf Programme ohne spezifisch lung, der Gesundheits- und Sicherheitsbestim-
städtischen Fokus, war nicht neu. Es war lediglich mungen sowie der Bürgerrechtsregelungen, Zonie-
die direkteste Rückführung auf die schon im Gesetz rungs-, Planungs- und baupolizeilichen Rege-
von 1949 geforderte Rollenzuweisung der Privat- lungen; es sollten Vergünstigungen bei Grund-,
wirtschaft bei der Lösung von innerstädtischen Pro- Umsatz-, Mehrwert-, Einkommens- und Körper-
blemen. Der Abbau von Subventionen sollte in drei- schaftssteuern gewährt werden; zusätzlich sollten
facher Weise ausgeglichen werden: die Kommunen Infrastruktur bereitstellen.
■ Erstens waren private gemeinnützige Initiativen Enterprise-Zonen waren in erster Linie zum Aufbau
(voluntarism, community self-reliance und der einer kleinindustriellen und -gewerblichen Struktur
American spirit of voluntary service, of coopera- vorgesehen. Tatsächlich gefördert wurden aber häu-
tion, of private and community initiative) mit Hilfe fig die Niederlassungen von Konzernverwaltungen
von karitativen Einrichtungen, Spenden und Volon- und größeren Filialen. Obwohl Enterprise-Zonen in
tärdiensten angesprochen. Obwohl diese Ansicht der Gesetzgebung auf Bundesebene nicht verankert
der amerikanischen kulturellen Tradition entspricht, werden konnten, wurden sie de jure und de facto in
wurde diese Politik aufgrund empirischer Untersu- vielen Staaten eingeführt. 1986 existierten auf-
chungen auch aus konservativen Kreisen abgelehnt grund von 675 Jurisdiktionen in 32 Bundesstaaten
(Salamon & Abramson 1982; Salamon 1984). bereits 1400 solcher Zonen (US Department of
■ Zweitens wollte man die Sanierung durch Privat- Housing and Urban Development 1986). Enterprise-
leute anregen. Daher wurde im Rahmen der Steuer- Zonen wurden besonders unter der Regierung von
reform von 1986 erstmals die steuerbegünstigte Bush Sen. vorangetrieben, die eine neue Variante
Renovierung historischer Gebäude, Viertel und Ge- einführte. Es sind die Housing Enterprise Zones: Sie
werbeflächen eingeführt. Dies gab dem Gentrifizie- liegen in der Nähe der Downtown und erlauben den
rungsboom von young urban professionals und der steuerbegünstigten Wohnungsbau für ein neues In-
Renovierung durch Städte, Developer und Kapital- Town Living des gehobenen Mittelstands. Die tat-
gesellschaften einen großen Impuls (Levitt 1986). sächlich eingerichteten Enterprise-Zonen sind Ge-
■ Drittens zählte man auf das private Unternehmer- biete von weitgehend deregulierter, lokaler Markt-
tum, für das auf sogenannten „Enterprise-Zonen“ wirtschaft, von erheblichen gebündelten, öffent-
ein günstigeres Investitionsklima geschaffen wer- lichen Investitionen und Planungsmaßnahmen wie
den sollte (Butler 1981; Bendick & Rasmussen Infrastrukturbereitstellung und -verbesserung, tech-
1986). Gesetzesvorlagen zu Enterprise-Zonen von nischer und finanzieller Hilfe, öffentlich finanzier-
1983 und 1985 sahen eine weitgehende Deregu- ten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Trainee-
lierung vor: das Wegfallen der Mindestlohnrege- programmen (Bendick & Rasmussen 1986).

Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism


Die wichtigste Folge der New Urban Reality, d. h. den 1980er Jahren sind Kommunen also selber in
einer neuen Großstadtpolitik in Anpassung an den bedeutender Weise Developer, Investoren und Kredit-
Bedeutungswandel der Städte, waren die innovati- geber sowie Teilhaber an privatwirtschaftlichen Deve-
ven Konzepte, welche Kommunen für die Finanzie- lopments. Damit war die Ära des New Urban Priva-
rung ihrer Revitalisierungsmaßnahmen entwickel- tism eingeleitet. Städte setzten bei diesen Develop-
ten. Man rückte von den üblichen Steuervergünsti- ments die wenigen Bundesmittel als städtischen Kos-
gungen ab, welche Investoren anziehen sollten. tenbeitrag ein und legten in Verhandlungen (Deal-
Dafür gaben Kommunen öffentliche Anleihen wie Making) eine Profitbeteiligung fest. In dem Maße,
Pfandbriefe und Kommunalobligationen für privat- wie Bundesmittel nur noch als Anschubfinanzierung
wirtschaftliche Projekte aus, sodass der laufende auf kommunaler Ebene eingesetzt wurden, konnten
Haushalt und bestehende Steuereinnahmen nicht auch die letzten Auflagen des Bundes wegfallen. Die
verwendet werden mussten. Da die Kommunalobli- Projekte, auf die typischerweise der Schwerpunkt ge-
gationen von der Kapitalertragssteuer befreit waren, legt wurde, waren deshalb die, welche das Image
wurde das Kapital, das für Großprojekte erforderlich einer Stadt zu einer first-class American city und
war, rasch aufgebracht. Der Verlust an Kapitaler- einem corporate center aufwerten sollten.
tragssteuern, der dabei in Kauf genommen wurde, Ein Beispiel solcher Projekte ist die Sanierung des
sollte durch städtische Profitbeteiligung und Teilha- Quincy Market (s. Abb. 114) in Boston zur 200-
berschaften an diesen Projekten ausgeglichen wer- Jahre-Feier 1976, welche durch die Rouse Corpora-
den (Sagalyn 1990, S. 430ff.). tion vorgenommen wurde, in den USA die erste Sa-
Mit diesen Finanzierungsstrategien nahmen Städte nierung historischer Bausubstanz in einem Verfalls-
eine neue Funktion und Bedeutung in der Revitali- gebiet darstellte und aufgrund ihres Erfolgs eine
sierungspolitik ein. Städte wurden erstmals zu Ko-In- enorme Anschubwirkung in vielen anderen Städten
vestoren und zu einer Art Deal-Maker bei privaten hatte.
Unternehmen, nachdem sie vierzig Jahre lang nur Weitere Beispiele stellen die Bürokomplexe auf
Geldgeber ohne Kontrollfunktion gewesen waren. Seit Landaufschüttungen in New York dar, z. B. Battery
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 174

174 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

Park City, N.Y. oder die Mega-Archi-


tektur von John Portman. Dessen
1960 gebautes, 18 Wolkenkratzer um-
fassendes Peachtree Center in Atlanta
nach Vorbild des Rockefeller Center
aus den 1930er Jahren war nicht nur
modellhaft für viele Multifunktions-
komplexe weltweit, sondern wurde
auch von Portman selbst weltweit
immer wieder nach dem gleichen
Muster mit charakteristischer Atrium-
Architektur gebaut (Abb. 119 – 122).
Seit den 1980er Jahren werden Ho-
tels, Kongress- und Handelszentren,
Luxuswohnanlagen, Urban Malls,
Sportarenen, Museen, Theater, Kon-
zerthallen, Plazas, Arkaden, Skyways
und Parks verstärkt von Public-Private
Partnerships gebaut; dabei hat die öf-
fentliche Hand in der Planung und Fi-
nanzierung mit Hilfe des Wertpapier-
markts eine entscheidende Rolle in
diesen Partnerschaften eingenommen.
Aus ökonomischer Notwendigkeit be-
finden sich deshalb die Standorte all
dieser Projekte dort, wo höchste Profi-
tabilität zu erwarten ist, also in Down-
Abb. 119: Peachtree Cen- towns und Downtown-nahen Bereichen
ter von 1960, Atlanta. (Frieden 1990, S. 426). Die öffentli-
che Hand konnte in anderen Gebieten
bislang weniger erfolgreich eingreifen,
die gekürzten Bundesmittel für Kon-
zentrationsgebiete sozial schwacher
Bevölkerungsschichten erfüllten dabei
sicherlich auch eine willkommene Ali-
bifunktion.

New Towns in Town


und Malling of America
Zu den sichtbaren Ergebnissen der
Großstadtpolitik, welche die New Urban
Reality schuf, gehören insbesondere
die folgenden zwei: Zum einen die
zielgerichtete Verwirklichung des New
Town in Town-Konzepts (Perloff 1975)
in den Downtowns. Dabei handelt es
sich um eine funktionale Aufteilung
innerhalb der Downtowns mit Restnut-
zungen bzw. den Funktionen, in denen
die Kernstadt einen komparativen
Standortvorteil im Vergleich zu den
suburbanen edge cities oder den ande-
ren amerikanischen Großstädten be-
sitzt. Es werden Sektoren mit Spezial-
funktionen geplant, so u. a. ein Korri-
dor für die gehobene öffentliche Ver-
waltung beispielsweise des Bundes-
Abb. 120: Trump Interna- staates, ein Sektor mit Behördenzen-
tional Hotel & Tower von
T. E. Stanley 1971, reno-
tren für die kommunale Verwaltung,
viert von Kondylis und ein weiterer mit gehobenen unter-
Johnson 1997, New York nehmensbezogenen Dienstleistungen
City. der ‘4A’-Kategorie etc. (Abb. 123).
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 175

Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism 175

Die andere sichtbare Auswirkung dieser Politik so die starke Belebung eines verödeten Downtown- Abb. 121: Atrium-Archi-
war die Bestückung der zentralen und neu angeleg- Bezirks auch nach Büroschluss erreichen wollten. tektur von J. C. Portman,
ten Geschäftsbereiche mit sogenannten specialty Urban Malls weisen Merkmale auf, die sie für Atlanta 1998 (links).
oder festival malls, ferner mit großen Einzelhandels- jede Stadt sehr attraktiv machen (Abb. 123). Sie
und Mischnutzungszentren – urban malls, down- verkörpern Mini-Downtowns – eine intakte Stadt in Abb. 122: Mega-Architek-
town malls – sowie Wohnanlagen für gehobene An- der Stadt mit einer Mischung verschiedener Nutzun- tur von J. C. Portman, Los
sprüche wie urban villages, z. T. auf Housing Enter- gen, Vielfalt von Einzelhandels- und Spezialläden, Angeles.
prise Zones. mit Fußgängerzonen, großen Flächen für allgemeine
Die Bestückung der Downtowns mit urban malls ist Nutzung, wo u. a. Spiele, Vorführungen und Künst-
schon seit Ende der 1970er Jahre und in den gesam- lerdarbietungen stattfinden; zudem sind die Besu-
ten 1980er Jahren so intensiv gewesen, dass man cherzahlen hoch. Ferner sind Malls im Besitz einer
diese Phase auch als Malling of America bezeichnet Firma, deren Management für den gesamten Kom-
hat (Kowinski 1985). Diese Phase mit ihrem sichtba- plex zuständig ist. Dies bedeutet unbürokratische,
ren Resultat verdient besondere Aufmerksamkeit, da verbindliche Entscheidungen hinsichtlich Öffnungs-
sie nach dem Urban Renewal das Erscheinungsbild zeiten, Lay-out, Sicherheit und Sauberkeit. Urban
der Städte am nachhaltigsten veränderte. Das Mall- Malls erfüllen darüber hinaus, wie auch ihre subur-
ing of America begann in großem Maße mit dem Er- banen Gegenstücke, eine soziale Funktion (commu-
folg des schon erwähnten Bostoner Quincy Market, nity function), nämlich Treffpunkt für eine Bevölke-
einem stark verfallenen, historischen Gebäude- rung zu sein, die keine intakte Innenstadt mehr
komplex in Bostons Downtown, der 1976 zu einer kennt.
Einkaufsarkade mit Einzelhandelsgeschäften und Die vielen neuen Downtown Malls, die in den
Schnellrestaurants mit Gerichten aus vielerlei Natio- 1970er Jahren noch überwiegend privat finanziert
nen umgebaut wurde. Das historische Ambiente, mo- waren, wurden in den 1980er Jahren in der Mehr-
derne Vermarktungsstrategien und Verkaufskonzepte heit aller Fälle von öffentlichen Anleihen der Städte
und seine jährlich über 16 Mio. Besucher machen finanziert. Es kristallisierten sich außer den Festival
diese Mall zum Prototyp der Festival Mall, mit der oder Specialty Malls noch die großen Mischnut-
Dutzende anderer Städte mit historischer Bausub- zungsprojekte (mixed-use developments) heraus.
stanz einen „Quincy Market“-Effekt duplizieren und Diese Komplexe waren nach prototypischen Ent-
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 176

176 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

T T
Boylston Street P
Elevator to o un d L e v e
Gr l
garage:
green level
P

Boylston Arcade
Lebensmittel

Kleider, Schuhe, Accessoires

Geschenke, Bücher etc.

Diverses
R
Dienstleistungen
The Terrace
Food Court
C
P

Exeter Street
Conference Hall

Kapelle
Hynes Court Fashion Court

P
Elevator to garage:
Prudential Arcade yellow, orange, red levels
Center
Court
Customer serice
visitor
information Back Bay Arcade
Belvidere Arcade

Quelle: R. Schneider-Sliwa 1999, eigene Kartierung Boston.


Huntington Arcade

Bridge
Court

P N
P P
Belvedere
Street
T
Grou
nd Level

Abb. 123: Boston Pruden- wicklungen in Chicago, Atlanta und Boston bewusst ist zu erwarten, dass die Profite der Städte bei den
tial Center, Massachu- und zur gegenseitigen Ergänzung und Stärkung ge- Teilhaberschaften nicht so hoch sind wie ursprüng-
setts. S. auch Abb. 110. wählt worden (Frieden & Sagalyn 1989, S. 172f.). lich angenommen, weil auch die Malls von hohen
Gemeinsam ist den Innenstadtmalls, dass sie auf Leerstands- und Fluktuationsraten gekennzeichnet
einer relativ kleinen Fläche sehr große Umsätze ma- sind. Immer mehr Großprojekte geraten in Schwie-
chen und wieder Leben in einige Teile der verödeten rigkeiten, ihre laufenden Kosten zu erwirtschaften;
Downtown bringen. einige sind deshalb bereits in Konkurs gegangen.
Das urban malling setzte sich in den 1990er Jah- Städtische Haushalte können so in eine Überschul-
ren fort, obwohl ein Konsens darüber bestand, dass dung geraten, wenn Projekte, die mittels öffent-
die Großprojekte nicht ökonomisch sind: In vielen licher Anleihen finanziert wurden, zu geringe Ein-
Projekten werden die hohen laufenden Kosten für nahmen erzielen, um die Rückzahlung der Anleihen
Developer von den Mieteinnahmen nicht gedeckt, zu garantieren.
sodass sich führende Developer, wie z. B. Rouse, der Die Bundesregierung begann ab 1987, auf die
das „Marketplace“-, „Festival“- oder „Quincy Mar- verstärkte Polarisierung in Kernstädten und die Fehl-
ket“-Konzept international einführte, aus dem Ge- entwicklungen, welche die Großstadtpolitik hervor-
schäft mit urban malls wieder zurückziehen. Gegen- gerufen hatte, zu reagieren. Die ersten diesbezüg-
wärtig profitieren noch die Städte, Kreditgeber und lichen Maßnahmen wurden schon von der Reagan-
Besucher, jedoch nicht die Developer. Sie können Administration mit dem Stuart B. McKinney Home-
ihre Unterhaltskosten nur in begrenztem Maße auf less Assistance Act (P. L. 100 – 77) eingeleitet (US
die Mieter abwälzen, ohne den Gesamterfolg – hohe Department of Housing and Urban Development
Besucherzahlen aufgrund des preiswerten Angebots 1987). Die Gesetzgebung zum Wohnungsbau von
in besonderem Ambiente – zu gefährden. Außerdem 1987 (Housing and Community Development Act of
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Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism 177

1987, P. L. 100 – 242, S. 825, 5, 2, 1988) machte Safe Ha


Harbor ym
zum ersten Mal deutlich, dass a) die vielen Maßnah- ar
ke
t

reet
men der Bundesregierung bislang nicht die ge- P

Ce
nt
Union St

ra
wünschten Ergebnisse gezeigt hatten, b) die Maß-

lA
Dock Square

rte
Bostonian
nahmen der achtziger Jahre zum Nachteil für die un- Garage

ry
Hotel
teren Einkommensschichten gewesen waren, und c)
der Bund direkte Maßnahmen zur Wohnungsver- P
et
sorgung dieser sozialen Schichten ergreifen müsse. Stre
rth Clinton Street
In dem Gesetz von 1987 ging man daher erstmals No

seit 1949 nicht mehr von einer überragenden Rolle Tax


i North Market Building
der Privatwirtschaft bei der Wohnungversorgung aus:

Cityhall
Bezahlbarer Wohnraum (affordable housing) und So-
zialwohnungen sollten erhalten, saniert oder neu ge-

Commercial Street
Faneuil Quincy Market Building
baut werden (Emergency Low Income Housing Pre- Hall
servation Act of 1987, Sec. 119 Comprehensive Im-

Market Place Center


Congress Street
Info
provement Assistance Program). Ferner wurden stär-
kere Kontrollen bei der Vergabe von Bundesmitteln
für Stadtentwicklung eingeführt. Durch den US De- South Market Building
partment of Housing and Urban Development Re-
Ohatham Streeet
form Act von 1989 (Public Law 101 – 235 (H. R. 1;
Quelle: R. Schneider-Sliwa, eigene Kartierung Boston.

P
15.12.1989, Sec. 121, 122) wurden erstmals seit

ow
60

ants R
Einrichtung des Ministeriums 1965 ministeriumsin- State
Street
terne Kontroll- und Verwaltungsfunktionen eingerich-

Merch
tet, welche die Verwendung von Bundesmitteln für P
Lebensmittel
die Stadtentwicklung betrafen. State Stre
et
Die Maßnahmen der Administration von Bush Kleider, Schuhe,
Accessoires
75 State Street N
Sen. gingen inhaltlich weiter. Das erste Gesetz zur
Geschenke, Bücher etc.
Stadtentwicklung, welches diese Regierung 1990 in
P
Kraft setzte, zeigte eine deutliche Erkenntnis der Diverses

Kernstadtproblematik sowie die Hinwendung auf so- Dienstleistungen


ziale Probleme und die urban underclass (Cranston-
Gonzales National Affordable Housing Act of 1990;
P. L. 101 – 625, S. 566, 28.11.1990). Das Gesetz punkt im Wohnungsbau ergänzt. Dieser Fokus wurde Abb. 124: Urban Malls,
stellte neue Bundesmittel für die Wohnversorgung bereits durch Änderungen im Bundeshaushalt der Boston, Massachusetts.
mit dem sogenannten „bezahlbaren Wohnraum“ be- USA deutlich, noch bleibt es jedoch abzuwarten, ob
reit. Es zeichnete sich durch einen klaren Sozialbe- und wie sich die Wohnungssituation für die unteren
zug aus und legte einen Schwerpunkt auf die very Einkommensgruppen wirklich verbessert.
low income and low income Americans, jedoch nicht Viele Administrationen zeigten Verständnis für die
mehr auf moderate income families, wie das bei der Problematik der Kernstädte. Die Regierung von
CDBG-Gesetzgebung der Fall gewesen war. Nicht we- Bush Sen. sah beispielsweise große Aufgaben hin-
niger als 90 % aller Mittel, die durch dieses Gesetz sichtlich der Versorgung von Obdachlosen und von
bereitgestellt werden, müssen der Wohnungsversor- Kindern, die nicht in normalen Verhältnissen auf-
gung der Familien zugute kommen, deren Einkom- wachsen, sowie derer, die sich aus der „Sklaverei
men 50 % des Medianeinkommens eines Zielge- der Drogen, der Wohlfahrtsabhängigkeit und der in
biets nicht übersteigen. den Slums herrschenden Demoralisierung nicht
Ferner existierten viele Kontrollmechanismen, um selbst befreien können“ (United States Government
sicherzustellen, dass das income targeting erfüllt 1990, S. 1– 4). Eine neue soziale Orientierung
würde. Nach wie vor behielten Kommunen aber ihren brachte 1990 eine Gesetzgebung, welche Bundes-
großen Ermessensspielraum: Sie brauchten weiter- mittel auf die städtischen Problemgebiete und Ziel-
hin keinen sozialen Wohnungsbau im eigentlichen gruppen konzentrierte und die beiden zentralen Pro-
Sinne zu errichten; vielmehr waren sie für die Schaf- bleme – Wohnungsbau und Wirtschaftsförderung –
fung des sogenannten bezahlbaren Wohnraums ver- ansprach. Gleichzeitig mit dem Cranston-Gonzales
antwortlich. Kommunen mussten einen umfassen- National Affordable Housing Act wurden jedoch die
den Wohnungsbauplan (Comprehensive Housing Af- Bundesmittel für die Städte (CDBG) erneut gekürzt;
fordability Strategy – CHAS Report) erstellen. Dieser für die wenigen verbleibenden Mittel wurden so
Plan setzte Prioritäten und war gewissermaßen ein starke Auflagen gemacht, dass ein unverhältnismä-
Aktionsplan für die Wohnungsversorgung der unte- ßig hoher Verwaltungsaufwand erforderlich wurde.
ren Einkommensgruppen; er wurde in Zusammenar- Viele Stadtplaner messen dieser Initiative daher
beit mit Regierungs-, Wohlfahrts-, Non-profit- und eher einen symbolischen als einen realen Wert bei
privatwirtschaftlichen Organisationen erarbeitet. Der der Lösung städtischer Probleme bei.
vormals ausschließlich wirtschaftliche Schwerpunkt Auch die Clinton-Regierung zeigte ein glaubwür-
in der Revitalisierung wurde also von einem Schwer- diges Verständnis für die Kernstadtproblematik; die
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 178

178 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

Aufbauarbeit im Inland und das Zusammenführen sich dadurch aber geographisch nur auf andere
der polarisierten Gemeinden ist als ein Hauptanlie- Stadtteile. Die Gentrifizierung Downtown-naher Be-
gen der amerikanischen Innenpolitik wiederentdeckt reiche ist z. B. mit steigender Obdachlosigkeit und
worden (US Information Service 1993). Drei neue Überbelegung von Slumwohnungen verbunden. Die
Initiativen wurden ins Leben gerufen: eine innovati- Revitalisierung eines oder mehrerer verfallener Stadt-
ve Erziehungsreform, Arbeitsbeschaffungsmaßnah- teile bedeutet daher nicht unbedingt, dass die Ver-
men in innerstädtischen Problemgebieten sowie der fallsproblematik als solche verschwindet: Es zeich-
Ersatz des bestehenden Wohlfahrtssystems durch net sich eher eine Verschärfung der Problematik ab.
ein umfassendes Ausbildungs- und Umschulungs- Das neue soziale Bewusstsein der 1990er Jahre –
system, verbunden mit Gesundheitsvorsorge und das mit dem von der Clinton-Regierung vorgestellten
Kinderbetreuung, um den weiblichen Haushaltsvor- Konzept der Wiedervereinigung Amerikas einher-
ständen in den städtischen Problemgebieten den ging – wandte sich gleichfalls dem Abbau sozial-
Eintritt in das Berufsleben zu ermöglichen. Vor dem räumlicher Disparitäten zu, welche sich in einer
Kongress machte Präsident Clinton am 17. Februar multikulturellen Gesellschaft ergeben hatten. In die
1993 deutlich: „We will offer plans to end welfare Amtszeit Clintons fiel immerhin auch der Vorschlag
as we know it. (…) We will offer people on welfare von afroamerikanischen Interessensverbänden, die
the education, training, child care and health care Nachfahren der Sklaven seitens der Bundesregie-
they need to get back on their feet. Then, after two rung zu entschädigen. Gegenüber dem sogenannten
years, they must get back to work, in private busi- „Schwarzen Holocaust“ bzw. dem gezielten Geno-
ness if possible, in public service, if necessary. It’s zid, wie ihn afroamerikanische Organisationen nen-
time to end welfare as a way of life“ (United States nen, nahm jedoch auch diese – demokratische –
Information Service US Policy Information and Texts Regierung eine ambivalente bis ablehnende Haltung
Nr.18 vom 18. 2. 1993, S. 7). Als work for pay-Maß- ein. Damit zeigt sich einmal mehr, dass sozialer Ge-
nahme lehnt sich diese Politik der demokratischen rechtigkeit, in welchen Aspekten auch immer, nur
Regierung eng an die über vierhundert Jahre vertre- dann von der amerikanischen Bundesregierung Be-
tene puritanische und republikanische Tradition der deutung beigemessen wird, wenn es wirtschaftlich
Selbstbewährung durch Arbeit an, eine Politik, die opportun ist. Eine Entschädigung an Millionen von
mittlerweile auch in Deutschland in der Debatte um Nachfahren der Sklaven oder etwa eine angemes-
Sozialhilfe zum Modell geworden ist. sene Entschädigung der Indianernationen für ent-
Sozialorientierte Politikinitiativen amerikanischer eignete Territorien wäre wirtschaftlich nicht interes-
Bundesregierungen waren stets von einer begrenzten sant.
Dauer oder Reichweite, obwohl oder gerade weil die Bisher haben die auf Großstädte bezogenen Ge-
amerikanische Gesellschaft im regelmäßigen drei- setze und Maßnahmen jeder Regierung lediglich
ßigjährigen Turnus das Wiedererwachen des sozialen das Konzept der private city verankert. Die Unter-
Bewusstseins erlebt (Schlesinger 1986; Hirschman schiede bei der Gesetzgebung demokratischer oder
1982). Beispiele dafür waren die Progressive Era zu republikanischer Regierungen waren dabei eher gra-
Beginn des 20. Jahrhunderts, der New Deal der duell als prinzipiell, genauso wie bei der Ausländer-
1930er Jahre und die Great Society-Programme der und Minderheitenpolitik.
1960er Jahre; sie brachten einschneidende Verän- Den Kommunen blieb immer ihr Ermessensspiel-
derungen in der Gesetzgebung für die Stadtentwick- raum auf Planungsebene erhalten. Dies hat auf kom-
lung und waren gefolgt von massiven Umstrukturie- munaler Ebene eine Revitalisierungspolitik und Pla-
rungen in Städten und Ballungsräumen. In keinem nungsstrukturen entstehen lassen, die mit Ausnah-
Fall konnten sozialer Zeitgeist und Gesetze die Pro- me einzelner Städte wenig Raum für Sozialorientie-
blematik der Kernstädte ausräumen: Sie veränder- rung haben und in verfallenen Stadtteilen keine Ge-
ten sie lediglich und schufen neue Dimensionen sundung brachten. Die Großstadtpolitik des Bundes
und Problemgebiete; teilweise wurden bestehende allgemein (auch die der Clinton- und der Bush-Jun.-
Probleme auch erheblich verschärft. Da privatwirt- Administration) steht daher einem „amerikanischen
schaftlichen Akteuren eine Hauptaufgabe bei der Dilemma“ gegenüber (Berry 1980): Es gilt, nicht
Lösung der Verfallsproblematik übertragen war, nur wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten ab-
rückte die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Pro- zubauen, sondern sozialunverträgliche Stadtstruktu-
blemgebieten in den Vordergrund. Es wurde spekula- ren zu beeinflussen, die permanent aus dem spe-
tiv und teilweise ohne Rücksicht auf Armut, Verfall ziell amerikanischen Demokratieverständnis, der
und sozialräumliche Polarisierung saniert. Stadtvier- zentralen Bedeutung der Kommunen und der be-
tel wurden eher als Ware und nicht als Sozialsystem reits bestehenden, großstadtbezogenen Gesetzge-
oder Wohnraum gehandelt. Es überrascht nicht, dass bung neu erwachsen. Mit anderen Worten: „Die Städ-
auch nach sechs Jahrzehnten der Großstadtpolitik te sind vielleicht nicht das Hauptproblem der ameri-
des Bundes eine massive, geographisch konzentrier- kanischen Politik, aber Politik ist das Hauptproblem
te Armuts- und Verfallsproblematik in amerikani- amerikanischer Städte“ (Stone 1989, S. xii). Be-
schen Kernstädten fortbesteht. Ein einzelnes ver- zeichnend dafür sind die beiden folgenden Zitate:
slumtes Gebiet kann zwar erfolgreich mit Hilfe von „Es gibt keine nationalen, sondern nur endlos viele
Gentrifizierung und Revitalisierungsmaßnahmen lokale Großstadtprobleme“ (Presidential Committee
umgestaltet werden. Die Slumproblematik verschiebt for a National Urban Policy 1980). „Individuelle
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 179

Kommunale Stadtentwicklungspolitik – New Urban Privatism 179

Handlungen, die von der Regierung nicht behindert


werden, treiben die Wirtschaft voran. Rücksicht auf
I st
die Armen in Form spezieller Programme untergräbt st
die Kräfte, welche die Armen zu wirtschaftlichem st
Handeln und aus der Armut heraustreiben. Wenn st
sich die Regierung nicht mehr den Leuten in den EC
I
Weg stellt, können sie es alleine schaffen“ (Glazer
äu
1984). ße
r

er
Au
I st

tob
Gegenwärtige Strukturen

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nri
in Agglomerationen und Kernstädten EC

ng
(30
Die Kernstadtstrukturen zu Beginn des dritten Jahr-

– 55 M
tausends sind eine Momentaufnahme und Spiegel- ur
st

(10
bild der Großstadtpolitik des Bundes aus sieben ur

Umg

eilen)
– 15 Meilen)
Jahrzehnten sowie der Stadtentwicklungsprioritäten S

e hu n g s a u
Kern- S
stadt
lokaler Planungsallianzen und ihrer jeweiligen
Macht- und Planungsstrukturen (Urban Regimes). EC

t ob
S

a
Bei einer Betrachtung aus heutiger Sicht bleiben
hn
I ur
drei Fragen wichtig: I
1.Welche sichtbaren räumlichen Auswirkungen hat
der geplante und von Bundesgesetzen ermöglich- st
te Strukturwandel auf bauliche und funktionale EC
Strukturen der Stadt gehabt und st EC
2.in welcher Weise sind sozialräumliche Strukturen II I
in Städten und Stadtregionen tangiert worden?
3.Welche Interdependenzen gibt es zwischen Pla-
I st
nungen, Segregationsdynamiken und neuartigen,
allgemein gesellschaftlichen Entwicklungen, die
Quelle: R. Schneider-Sliwa 1996, 2000.

st
zu einer Fortschreibung bestehender, „vielfach
geteilter“ Städte führen? Wohnflächen Bundesautobahn (Interstate Highway)
I
Die Luftbilder verdeutlichen die Homogenität der äußerer Ring 30 – 55 Meilen
Industrieflächen innerer Ring 10 – 15 Meilen von der Kernstadt
städtebaulichen und funktionalen Grundstrukturen,
die intensive Nutzung von Cities sowie die Bauland- Büro- und Gewerbeflächen EC Außenstädte (Edge Cities)
reserven der Urban Renewal-Ära, die in der zone of S suburbaner Raum
ur ländlicher Raum (urban-rural fringe)
transition z. T. seit dreißig oder mehr Jahren als st ländliche Kleinstädte (small towns)
Parkplätze zwischengenutzt sind. Dem morphogene-
tischen Erscheinungsbild von der Downtown in die
City-nahen Randbereiche folgend wird auch eine Art nen der unteren Einkommensschicht aus dem Pla- Abb. 125: Modell der
„Entwicklungsgradient“ sichtbar: Zonen höchster nungsareal weichen. Auch für olympische Sportstät- amerikanischen Agglome-
Wirtschaftskraft sind die Downtowns, obwohl sich ten wurden noch in jüngerer Zeit verslumte, be- ration.
seit den 1980er Jahren signifikante Leerstandsraten wohnte Gebiete geräumt. Es ist nicht immer klar,
hinter den neuen Wolkenkratzern verbergen. Es fol- wohin die verdrängten Personen ziehen, zumal der
gen Urban Renewal-Freiflächen mit mehr oder soziale Wohnungsbau nicht Schritt hält. Das Phäno-
wenig stark ausgeprägtem „Marktpotenzial“. Neuer- men des doubling up, also der Überbelegung bereits
dings werden auf solchen ausgewählten Arealen bestehender Slums, ist seit der Ära des Urban Re-
innerstädtische gated communities gebaut. Eine newal nachgewiesen. Eine von der amerikanischen
große Verkehrsinfrastruktur, die zumeist aus den Regierung in Auftrag gegebene Studie zu den Ver-
Highway-Programmen der 1970er Jahre resultiert, drängungseffekten diverser Urban Renewal-Projek-
bildet häufig die äußere Begrenzung der Downtowns te ging seinerzeit schon von 1,5 Mio. betroffenen
und City-nahen Baulandreserven für Downtown-Er- Personen aus (Anderson 1964).
weiterungen. Diese wurden in nicht wenigen Fällen Seit den 1970er Jahren sind diese Stadtviertel
als physische Abgrenzung gegen die verfallenen von Gentrification erfasst worden. Während die bau-
Wohnviertel errichtet, welche jenseits der großen lichen und funktionalen Grundstrukturen dieser City-
Stadtautobahnen beginnen, teilweise noch von Ge- nahen Altbauquartiere erhalten blieben bzw. eine
werbe und Industrie durchsetzt sind und dem unte- Aufwertung erfuhren, sind die sozialen Strukturen
rem Mittelstand und der urban underclass zuzu- zumeist völlig verändert worden. Generell geht Gen-
rechnen sind. trifikation mit einer sozialen Umschichtung einher,
Auffallend sind in den City-nahen Gebieten die bei der ärmere durch einkommensstärkere Bevölke-
Großsportarenen als neue, jedoch umstrittene Sym- rungsschichten verdrängt und ersetzt werden. Gut
bole der Downtown-Attraktivität. So mussten bei- verdienende, karriereorientierte, oft kinderlose Haus-
spielsweise in Atlanta für das in den 1960er Jahren halte (DINKs – double income, no kids) tragen zu
errichtete Fulton County Stadium ca. 50 000 Perso- einer Wiederbelebung dieser Innenstadtquartiere
07 LdK USA 160-180 30.05.2005 22:00 Uhr Seite 180

180 Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik

und ihrer Infrastrukur bei. Um ein entsprechendes te städtebauliche Erscheinung und ein breites An-
Ambiente bieten zu können, erfahren diese Stadttei- gebot an Dienstleistungen, insbesondere Kultur-
le eine Lifestyle-orientierte Stadtraumgestaltung, und Freizeiteinrichtungen für das urbane Ambiente
die auf Lebensstilpluralismus und -konkurrenz der einer Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft. Die
höheren Sozialschichten eingeht. Aus diesen Pro- Stadttransformation zeigt sich sehr deutlich als Er-
zessen resultiert hinsichtlich der baulich-funktiona- gebnis gesellschaftlicher und politischer Macht-
len Stadtstrukturen gegenwärtig ein anderes Modell strukturen und der Entscheidungsprozesse von Ak-
als beispielsweise das von Hahn (1990, S. 62) auf- teursgruppen, die neue räumliche Strukturen und
gezeigte. damit auch neue soziale Realitäten schaffen.
Nordamerikanische Städte der Gegenwart doku- Auf einer übergeordneten Ebene der Betrachtung
mentieren, dass überkommene Segregationsmuster unterstreicht das Beispiel der Planungen für den
keinen grundlegenden Wandel erfuhren, sondern Strukturwandel mit seinen sozialräumlichen Auswir-
dass die Sanierung der Innenstädte bestehenden so- kungen, dass es besonders Kollektive von Entschei-
zialräumlichen Segregationsmustern lediglich einen dungsträgern sind, die ihr Mandat aus sozialen Struk-
neuen Impuls verlieh. Dabei haben sich räumliche turen beziehen, welche dem Raum eine spezifische
Dimensionen und das Ausmaß der Segregation ver- „Räumlichkeit“ geben. Diese kann beabsichtigt oder
ändert. In seiner zweibändigen Studie für die ameri- unbeabsichtigt negativ behaftet sein. So können
kanische Bundesregierung wies G. Ford schon 1936 Verfallsräume und Slums im Vorfeld einer geplanten
nach, dass sich bauliche und soziale Verfallsprozes- Sanierung medienwirksam „kriminalisiert“ werden,
se stetig ausweiten. Gewarnt wurde vor einer Aus- und zwar in einem erheblich größeren Maße, als die
grenzung, die weite Bevölkerungsteile völlig von den Kriminalstatistik eines Gebietes das tatsächlich aus-
Wirtschaftskreisläufen abkoppelt und als einzige weist. Räumliche Probleme, wie jene in amerikani-
Berührungspunkte mit der Normalgesellschaft die schen Städten und des spezifischen Governanz-
Polizeistationen oder die Ausgabestellen staatlicher systems, müssen daher als Probleme des Handelns
Hilfeleistungen belässt. verstanden werden, das sich aus den jeweiligen
Public-Private Partnerships ergibt. Gegenwärtige
Akzentuierung disparitärer Strukturen amerikanische Stadtstrukturen sind aus dieser
Der planvolle Strukturwandel der Städte akzentuier- Sichtweise nicht das Produkt eines unabänderlichen
te sozialräumliche Disparitäten. Dies ist in den USA Raum-Zeit-gebundenen Entwicklungsprozesses, son-
zu einem erheblichen Teil als unbeabsichtigte Folge dern ein Handlungsergebnis. Die Freiflächen im Er-
der bundesstaatlichen und kommunalen Sanie- gänzungsbereich sowie deren Abgrenzung von den
rungspolitik zu sehen. Darüber hinaus müssen je- zumeist ärmeren Wohnvierteln jenseits der Stadt-
doch disparitäre Strukturen im übergeordneten ge- autobahnen symbolisieren das Endresultat von Ver-
sellschaftlichen und kulturellen Kontext des Priva- teilungskämpfen um Bodenressourcen. Dabei wur-
tism verstanden werden, der auch eine spezifische den Kleingewerbe- und Wohngebiete des unteren
Form der Planung hervorgebracht hat. Mittelstandes und der Armen zugunsten eines zu-
Heutige Strukturen nordamerikanischer Innen- künftigen „Marktpotenzials“ freigeräumt. Struktu-
städte zeigen eine über Jahrzehnte betriebene, auf relle Probleme außerhalb von Downtowns und City-
Imageaufwertung und gehobene Einkommensschich- nahen Ergänzungsbereichen sind gleichermaßen
ten abgestimmte Stadtraumgestaltung. Stadtpla- das Ergebnis einer Politik der Vernachlässigung wie
nung in diesem Sinne bedeutet ein bewusstes Rück- auch Resultat übergeordneter gesellschaftlicher und
führen auf hochwertige und hoch besteuerbare Nut- wirtschaftlicher Entwicklungen (Globalisierung, De-
zungen und Einkommensgruppen sowie das Ver- Industrialisierung, Deregulierung), die in jenen Ge-
drängen minderer Nutzungen im Bereich des Woh- bieten die größten Entzugseffekte haben.
nens und des Gewerbes. Downtown-Bebauung zielt Heutige Strukturen zeigen die Stadt einmal mehr
auf den steuererhöhenden Effekt einer corporate als „Nahkampfschauplatz“ antagonistischer Interes-
city ab. Die Innenstadtgestaltung fokussiert eindeu- sen und des Planungshandelns, in denen Stadtteile
tig auf gehobene Lebensstilgruppen und „weiche Verfügungsmasse für gehobene städtische Haushalts-
Standortfaktoren“ für die Wirtschaft: eine bestimm- politik sowie Wohn- und Lebensinteressen werden.
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181

Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik,
Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Abb. 126: Halbleiter-


Überblick zentrum in Santa Barbara,
■ Die USA stellen heute die einzige noch verbliebene ökonomische und militärische Supermacht der „Silicon Valley“, Kalifor-
nien.
Welt dar. Sie weisen das mit Abstand höchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) aller Länder auf.
■ Metropolitanregionen sind heute die wichtigsten Wirtschaftsräume der USA. Sie erzeugen über 80 %
des amerikanischen BIP. Arbeitskräfte, Konsumenten und Innovationsfähigkeit sind stark auf Stadt-
regionen konzentriert.
■ Strukturelle Probleme der amerikanischen Wirtschaft sind ein exorbitantes, steigendes Handelsdefi-
zit von derzeit über 500 Mrd. Dollar, kreditfinanzierter Konsum, De-Industrialisierung und Massen-
entlassungen, Marktsättigung im Bereich der New Economy, erschwerte Wettbewerbsbedingungen
und wachsende Importabhängigkeit.
■ Wirtschaftswachstum wird heute durch Arbeitsplatzabbau in der Industrie erreicht. Der tertiäre Sek-
tor zeigt zunehmend eine duale Struktur: einerseits einen Zuwachs an hochqualifizierten, unterneh-
mensbezogenen Dienstleistungen, andererseits Expansion der Niedriglohnbereiche. Hochtechnolo-
giebereiche, die mit der inneren Sicherheit der USA verknüpft sind, erleben einen Aufschwung.
■ Flugzeugbau und Automobilindustrie, zwei Schlüsselbranchen der amerikanischen Wirtschaft, sind
von Massenentlassungen und massiven Umstrukturierungen betroffen.
■ Obwohl Landwirtschaft und Agrobusiness Produktivitätssteigerungen verzeichnen, kennzeichnen
Überschuldung, Konzentrationsprozesse zu Ungunsten der Kleinfarmer und Überproduktion bzw. Ex-
portabhängigkeit den Sektor.
■ Neue Exportmärkte schuf der Agrarsektor seit den 1950er Jahren über die Entwicklungshilfepolitik
(food aid) der Bundesregierung und seit den 1990er Jahren durch Umstellung auf höherwertige Pro-
dukte.
■ Die Schaffung eines neuen Binnenmarktes in der NAFTA und die Aufwertung von Mexiko als wichti-
gem Handelspartner eröffnen der amerikanischen Wirtschaft neue Perspektiven.
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182 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft


Eckdaten der Wirtschaft, strukturelle Stärken und Volkswirtschaften übersteigt, verdreifachte sich zwi-
Schwächen schen 1993 und 1999 und verdoppelte sich allein
In weniger als 130 Jahren entwickelten sich die zwischen 1995 und 1999. Innerhalb dieser Negativ-
USA von einem Agrarland zur führenden Industrie- entwicklung der Handelsbilanz, die 2002 bereits
macht, „postindustriellen“ Dienstleistungsgesell- bei ca. minus 472 Mrd. und zu Beginn des Jahres
schaft und zur einzigen ökonomischen und militäri- 2003 bei minus 500 Mrd. Dollar lag, fällt die Um-
schen Supermacht, die mit einer universellen Verfü- schichtung zwischen Ländergruppen besonders auf:
gungsgewalt amerikanische Warenkultur, wirtschaft- Innerhalb des Zeitraums von 1993 bis 1999 ver-
liche Interessen, politisches, sicherheitspolitisches doppelte sich Amerikas Handel mit Industrieländern
und militärisches Handeln weltweit nach ihrem Da- und vervierfachte sich mit anderen Ländern außer-
fürhalten diktiert. Nicht nur geostrategisch, sondern halb der „Triade“, d.h. mit den Ländern der OPEC,
auch über eine „McWorld“-Konsumkultur, die selbst Lateinamerikas und anderen Ländern Asiens und
von US-kritischen Verbrauchern übernommen wird, Afrikas (Council of Economic Advisors 2003, Tab.
erobert sich die Wirtschaftsmacht USA eine Vorherr- B 105 US International trade in goods by area).
schaft in der Welt. Verschiedene Kennziffern der Nach Gruppen von Handelsgütern zeigt sich aller-
Statistik schaffen eine Perspektive für die wirt- dings, dass das Handelsdefizit zu einem hohen Grad
schaftliche Vorrangstellung der USA. von dem Import-Export-Missverhältnis hochwertiger
Das amerikanische Bruttoinlandsprodukt hat sich Güter im Handel mit der Triade bedingt ist, impor-
innerhalb von 30 Jahren verzehnfacht; heute beträgt tieren doch die USA seit 1990 mehr höherwertige
es ein Vielfaches von dem anderer Länder (Tab. 35). Güter aus der Triade als sie in diese exportieren.
Weltweit ist es das höchste mit 9 896 Mrd. Dollar im
Jahr 2000 und 10 506 Mrd. Dollar im Jahr 2002. Land oder Bruttosozial- BSP pro
Allein zehn amerikanische Bundesstaaten, die zu- US-Bundesstaat produkt Einwohner
sammen 50 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der in Mrd. Dollar in Dollar
USA erzeugen, können mit den wichtigsten Volks-
USA 9 896 33 836
wirtschaften der Welt mithalten. Fast ebenso schnell
(USA 2002) (10 506)
wie das BIP wuchsen Unternehmensprofite; zwi-
schen 1970 und 2002 stiegen sie von 74 Mrd. Dol- (USA 1970) (1 040)
lar auf 653 Mrd. Dollar, womit auch Firmengewinne Europäische Union 7 837 22 611
die gleiche Größenordnung wie das BIP bedeuten- Dänemark 162 33 124
der Volkswirtschaften annahmen. Allein der Wert Deutschland 1 873 25 729
der Exporte und Importe eines einzigen Sektors, der Finnland 122 25 046
Landwirtschaft, die mit 50 Mrd. Dollar Produktions- Frankreich 1 294 23 912
wert im Jahr 2002 nur 10 % des Werts des gesam- Großbritannien 1 415 24 228
ten US-Handelsvolumens ausmachte, beträgt 20 bis Italien 1 074 20 473

Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstracts of the United States 2001, Tab. 1340, S. 841 (veränd.).
30 % des BIP so reicher Länder wie der Schweiz
Japan 4 750 35 517
oder Norwegens (Council of Economic Advisors
2003, Economic Report of the President, Tab. B 1, Kanada 689 20 822
Gross Domestic Product 1959 – 2002; Tab. B 91, Luxemburg 19 44 688
Corporate Profits by Industry; Tab. B 102, US Ex- Mexiko 574 4 921
ports and Imports of Agricultural Commodities). Niederlande 365 24 906
Auch die Export- und Importstatistiken zeigen be- Norwegen 162 34 410
eindruckende Dimensionen im Vergleich zum Brut- Schweden 227 27 256
toinlandsprodukt ganzer Volkswirtschaften. Der Wert Schweiz 241 36 247
der Exporte im Jahr 1999 lag bei 684 Mrd. Dollar, Spanien 559 15 220
wovon allein die Exporte in die Industrieländer Ka-
Florida 419
nada, Japan, Westeuropa, Australien, Neuseeland
Illinois 426
und Südafrika 401 Mrd. US-Dollar ausmachten.
Kalifornien 1 119
Handelsbilanz Massachusetts 239
Beeindruckend sind auch die monetären Dimensio- Michigan 295
nen des Imports, die jedoch auch ein Missverhältnis New York 707
und die steigende Abhängigkeit der USA von be- New Jersey 319
stimmten Regionen der Welt dokumentieren. So Ohio 341
wuchs der Wert der Importe zwischen 1993 und Pennsylvania 364
1999 um annähernd 75 %, der Wert der Exporte je- Texas 646
doch nur um 50 %. Das Volumen der Importe über-
stieg 1999 mit 1030 Mrd. Dollar das Exportvolu- Tab. 35: Bruttosozialprodukt in den USA, ausge-
men um 346 Mrd. Dollar. Diese negative Handelsbi- wählten Ländern (2000) und ausgewählten Bundes-
lanz, die ebenfalls das Bruttoinlandsprodukt vieler staaten der USA (1998).
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 183

Ein mit ca. 12 % noch relativ kleiner, aber schnell Herkunftsland 1980 1990 1993 2000
wachsender Anteil an dieser Entwicklung der nega-
tiven Handelsbilanzen wird durch die Importe von Gesamtimport 1921 2151 2477 3320
Rohöl und Amerikas rapide steigendem Verbrauch Irak 166 188 – 227
von Erdöl und Erdölprodukten beigesteuert (Tab. 36 Kuwait 10 29 126 96
u. 37). Dabei kommt der industrielle Verbrauch auf Saudi-Arabien 456 436 468 558
nur gut ein Drittel des Gesamtverbrauchs, während Nigeria 307 286 264 320
privater Konsum, gewerblicher und der mit Perso- Venezuela 57 243 369 448
nenkraftwagen und Transport verbundene Energie-
OPEC insgesamt 1410 1283 1317 1664
verbrauch jeweils ein weiteres Drittel in Anspruch
nehmen. Wegen des hohen privaten Konsums und Kanada 73 235 329 493
der im Vergleich zu den 1990er Jahren besonders Mexiko 185 251 315 480
stark zunehmenden Importe, insbesondere von Nicht-OPEC 511 869 1160 1657
Rohöl, wird aus Sicht der USA die Bemühung lo- insgesamt
gisch nachvollziehbar, die Struktur der Importe zu
Tab. 36: Import von Rohöl nach Ländern, in Mio. Barrels (1 Barrel
ändern und damit die Abhängigkeit von bestimmten
= 42 Gallonen = 158,97 Liter).
Regionen zu senken. So wurde beispielsweise der
Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstracts of the United States 2001, Tab. 904, S. 576 (veränd.).
Ausfall der Erdölimporte aus dem Irak nach 1990
durch die steigenden Importe aus OPEC- und Nicht-
OPEC-Ländern wie Venezuela, Nigeria, Kanada und Jahr Gesamt- Verarbeitete Landwirtschaft- Erdöl
Mexiko mehr als kompensiert. Importe von dort blie- importe Güter liche Güter
ben anhaltend hoch, obwohl mit dem UNO-Pro- in Mrd. $ in Mrd. $ in Mrd. $ in Mrd. $
gramm „Nahrung für Öl“ seit 1999 sogar mehr Öl
aus dem Irak exportiert wurde als vor 1990. 1970 40,4 27,3 5,8 3,1
Auch die Bemühungen der USA, in Alaska Ölvor- 1980 245,3 133,0 17,4 78,9
kommen zu erschließen, waren ein Teil der Diversifi- 1990 495,3 388,8 22,3 64,7
zierungsstrategie. Seit Mitte der 1970er Jahre, in de- 1995 743,4 629,7 29,3 59,1
nen begonnen wurde, in Alaska Öl zu fördern, sind 2000 1218,0 1012,7 39,2 135,4
14 Mio. Barrel produziert worden. 2003 deckten die
USA noch rund ein Fünftel ihres Bedarfs durch Erd- Tab. 37: Importanteil nach Warengruppen.
Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstracts of the United States 2001, Tab. 1297, S. 799 (veränd.).
öl aus Alaska. Man geht jedoch von nicht mehr als
weiteren 20 Mio. Barrel Erdölvorkommen aus, die ben daher zu Beginn des 21. Jahrhunderts hand-
bei dem massiv steigenden Energieverbrauch in weit lungsbestimmende Faktoren für die Weltmacht
weniger als 30 Jahren erschöpft wären. Obwohl die USA. Mit der sogenannten Bush-Doktrin der „prä-
OPEC- wie auch die Nicht-OPEC-Länder kurz- und ventiven Selbstverteidigung gegen Länder, die Terro-
mittelfristig ihre Importe steigern können, um den rismus unterstützen oder Terroristen Zuflucht ge-
wachsenden amerikanischen Konsum zu decken währen“ – vorgestellt am 14. September 2001 und
oder den Weltmarktpreis angesichts geopolitischer aus Sicht der USA Grundlage für den Systemsturz
Krisen zu stabilisieren, wie dies im Irak-Krieg 2003 im Irak – kann zumindest der US-amerikanische
der Fall war, stellt die 75 %ige Steigerung des Ver- Energiekonsum auf hohem Niveau, jedoch zu einem
brauchs in nur sieben Jahren von 1993 bis 2000 Bruchteil der bisherigen Kosten weitergeführt wer-
die USA jedoch vor die grundsätzliche Frage, wie den. Laut CNN vom 29. März 2003 (Reportage von
ein solcher Konsumanstieg zukünftig und langfristig Richard Blystone) werden „die irakischen Ölfelder
gedeckt werden kann. Diese Herausforderung ist die Weltökonomie revolutionieren“. Das hochwerti-
umso größer, als die stetig wachsende negative Han- ge, leichte Erdöl ist vielfältiger verwendbar als das
delsbilanz auch eine wirtschaftliche Weltmacht auf saudi-arabische, es ist oberflächennah gelagert und
lange Sicht schwächt. kann zu 5 Dollar pro Barrel gefördert werden – bei
Die gleichermaßen wichtige Frage, wie sich bei- einem Weltmarktpreis, der 2003 bei 30 Dollar pro
spielsweise der Energieverbrauch senken ließe, ist Barrel lag. Die deutlich niedrigeren Produktionskos-
zwar seit der sogenannten „Erdölkrise“ von 1972 ten würden eine Senkung des Weltmarktpreises auf
von der Automobilindustrie technisch dahingehend 20 Dollar pro Barrel erlauben, was Verbrauchern
gelöst worden, dass man die Produktion kleiner und weltweit und Unternehmen durch eine große Profit-
energiesparender Pkws vorantrieb. Dennoch ist die marge zugute käme. „Revolutionieren“ würde das Öl
Frage der Senkung des privaten Energieverbrauchs des Irak den Weltmarkt deshalb, weil dessen Erdöl-
allein schon deswegen nicht wirklich beantwortet reserven größer als die Saudi-Arabiens sind und
worden, weil steigender Wohlstand und Mobilität seit- zum Zeitpunkt des Irak-Krieges 2003 mindestens
her in einer immer größer werdenden Anzahl von dreimal größer als die der USA (CNN vom 29. März
Haushalten zu mehr Pkws pro Haushalt geführt 2003).
haben.
Die ungelösten Probleme, welche die negative Konsum und Sparquoten
Handelsbilanz aufwirft und die Rolle darin enthalte- Privater Konsum als Zeichen einer starken oder sich
ner, importierter Handelsgüter wie z. B. Rohöl, blei- erholenden Wirtschaft und wachsendes Einkommen
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184 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

als Indikator gesellschaftlichen Wohlstands waren verlusten gekennzeichnet ist, bediente sich die Bun-
zwischen 1995 und 2000 in wesentlichem Maße desnotenbank einer Zinssenkungspolitik. Die Zinsen
vom Boom des Aktienmarktes, insbesondere der Bör- waren im ausgehenden Jahr 2002 so tief wie schon
senentwicklung der sogenannten New Economy seit 40 Jahren nicht mehr. Abzahlungskredite für
(Hochtechnologie-Branchen) und den damit einher- Automobile und Eigenheimhypotheken wurden da-
gehenden Vermögenseffekten bedingt. Dabei konnte durch günstiger.
vor allem die oberste Einkommensschicht den priva- Gerade der Immobilienboom ist angesichts der
ten Konsum erheblich steigern, sind doch 96 % der Fehlentwicklungen am Aktienmarkt bereits seit 2000
Stammaktien bei einem Fünftel der Haushalte mit zum Motor der amerikanischen Wirtschaft avanciert.
den höchsten Einkommen konzentriert. Das einkom- Ausbau, Umbau und Zweitwohnungsbau bei stetig
mensstärkste Prozent der Haushalte besitzt fast steigenden Immobilienwerten sind seit 2000 zur
50 % aller Aktien (Federal Reserve 2003). Da die bevorzugten Geldanlage des Mittelstands geworden.
Hälfte der amerikanischen Haushalte keinerlei Ak- Dabei erlauben die Trends in der Immobilienent-
tienkapital besitzt und weitere 30 % nur so wenig Ak- wicklung, einmal erhaltene Hypotheken laufend bil-
tien, dass sich deren Wertsteigerung nicht signifikant liger zu refinanzieren. Wegen steigender Häuserprei-
auf die Finanzlage auswirkt, sind es also die sehr se beleihen viele Banken Objekte bis zu 110 %
Wohlhabenden, deren erheblicher Vermögenszuwachs ihres Aktualwerts, und viele Zweithypotheken in
in den ausgehenden 1990er Jahren den privaten mittlerer Höhe um ca. 40 000 Dollar können relativ
Konsum besonders stark ankurbelte. Hatten private leicht aufgenommen werden, um Bargeld für andere
Haushalte und gemeinnützige Organisationen 1992 Zwecke zur Verfügung zu haben (BaZ 1995).
Wertpapiere im Wert von „nur“ 3,1 Billionen Dollar, Das Konsumverhalten der jüngeren Vergangenheit
so steigerte sich dieses Vermögen bis Ende 1999, einerseits und das teils spekulative Verhalten auf
Börsenverluste abgerechnet, auf 9,6 Billionen Dollar. dem derzeitigen Immobilienmarkt andererseits sind
Der empirischen Erkenntnis folgend, wonach 1 Dollar zwei Zugpferde der Wirtschaft, die sich ähnlich wie
Vermögenszuwachs zwischen 3 und 5 Dollar Konsum die verheißungsvollen Entwicklungen auf dem Ak-
bewirkt, wird hier durch die wohlhabendste Schicht tienmarkt der New Economy zwischen 1995 und
ein immenser Konsum ausgelöst. Zwar haben sich 2000 jedoch ins Gegenteil kehren können. Insbe-
Einkommen insgesamt verbessert, jedoch haben die sondere Hypotheken, bei denen größere Summen
mittelständischen Haushalte aufgrund der guten Ein- abgezahlt werden müssen, als das Haus an Wert
kommensentwicklung eher ihre Ersparnisse erhöht. besaß oder an Wertsteigerung erzielen konnte, kön-
Von den ca. 100 Mio. Haushalten der USA verfügen nen in eine ernsthafte Wirtschaftskrise münden. Die
die 20 % mit den größten Einkommen über 63 % des hohe aktuelle Verschuldung der Amerikaner, exzes-
Vermögens und tätigen 46 % des privaten Konsums, siver Konsum verbunden mit Arbeitsplatzverlusten
ihre Sparquote sank von 1992 bis 2002 von 8,5 % und stagnierenden oder rückläufigen Schlüsselbran-
auf – 2,1 %; das Fünftel mit den zweithöchsten Ein- chen der Wirtschaft können sich in einer lang anhal-
kommen hatte ebenfalls eine rückläufige Sparquote, tenden Deflation mit sinkenden Einkommen und
während sich die der drei untersten Quantile von Gewinnen auswirken, welche die Rückzahlung der
rund 3 – 4 % des Haushaltseinkommens auf rund 7 % Schuldenlast gefährdet.
erhöhte (Federal Reserve 2001). Im Durchschnitt ist
durch das Konsumverhalten der sehr Wohlhabenden Beschäftigtenentwicklung
die private Sparquote seit 2001 auf Null oder unter In einer derart sensiblen Wirtschaftslage von hohem
Null gesunken. Konsum und hoher Schuldenlast ist daher die Be-
Auch 2002 war der „Konsum auf Pump“ – eine schäftigung die entscheidende Größe der Volkswirt-
moderne Form des pursuit of happiness – in den schaft. Die Arbeitslosigkeit in den USA lag in den
USA ungebrochen. Um eine einbrechende Wirtschaft Jahren 2002 und 2003 unter 6 % (US Department
anzukurbeln, die von Megafusionen, Management- of Labor, Bureau of Labor Statistics 2003; Economy
fehlern und Konzernpleiten, Standortverlagerungen, at a Glance), wobei seit Jahrzehnten ein Niveau von
massiven Umsatzverlusten nach den Terroranschlä- 4 % Arbeitslosigkeit als so normal angesehen wird,
gen vom 11. September 2001 und von Arbeitsplatz- dass Ökonomen dies als „Vollbeschäftigung“ anse-
hen. Allerdings häufen sich Massenentlassungen
Jahr Gesamtzahl Männer Frauen (Tab. 38).
Auffallend ist der stetige Zuwachs der Beschäftig-
1970 78 678 48 990 29 688 ten in jeder Dekade, allerdings auch der starke Rück-
1980 99 303 57 186 42 117 gang an Beschäftigten zwischen 2000 und 2002.
1990 118 793 65 104 53 689 Betrachtet man das Geschlechterverhältnis, erkennt
2000 135 208/ 72 293 68 580 man weitere Dimensionen des Beschäftigtenabbaus:
140 863* Die Gesamtzahlen, die einen Rückgang von ca. 1,3
2002, Dez. 133 952 71 173 62 779 Mio. Beschäftigten anzeigen, verschleiern die Tatsa-
che, dass 2002 annähernd 5,8 Mio. Frauen weniger
Tab. 38: Beschäftigtenentwicklung 1970 bis 2002, in Tausend in den Beschäftigtenstatistiken auftauchten als
(ohne Militärpersonal).
2001, während es bei Männern nur 1,1 Mio. weni-
Quelle: US Department of Labor, Bureau of Labor Statistics 2003; Tab. B – 36 (veränd.).
*Quelle: US Bureau of the Census, Statistical Abstracts of the United States, Tab. 572, S. 370. ger sind. Ein genaueres Bild über Massenentlassun-
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 185


Quelle: US Department of Labor, Bureau of Labor Statistics

alle Privat- Landwirt- verarbei- Bundes- Kommunal- durch durch Standort-


Massen- industrien schaft tende regierung verwal- Firmen- Besitzer- verlage-
entlassungen Industrien tungen bankrott wechsel rung

1996 5697 5394 653 1978 54 175 103 167 26


1997 5683 5394 741 1749 58 177 80 122 38
2003;. Mass Layoff Statistics.

1998 5851 5592 751 2056 50 155 81 154 35


1999 5675 5467 932 1758 38 127 107 190 34
2000 5620 5418 860 1824 51 116 157 125 43
2001 8350 8129 784 3302 52 128 290 209 79

Tab. 39: Massenentlassungen 1996 – 2001, in Tausend.

gen ergeben die Statistiken des Bundesarbeits- wegen der unverändert hohen Zinssätze der Europä-
ministeriums (Tab. 39). ischen Notenbank (3,25 %) und damit auch der Pri-
Die Beschäftigtenentwicklung als wichtigster Kon- vatbanken höhere Erträge als in den USA erwirt-
junkturindikator und das Phänomen der Massenent- schaften konnten. Fazit: Die amerikanische Wirt-
lassungen, die nicht überwiegend durch Standort- schaft wächst heute ganz wesentlich durch die
verlagerungen ins Ausland bedingt sind, zeigen Komsumfreudigkeit der Bevölkerung. Kreditfinan-
deutlich die Gefahr des exzessiven Konsums: Ver- ziertes Konsumverhalten, Massenentlassungen und
mögensbedingter Konsum einer Elite und kreditfi- unsichere Beschäftigungsverhältnisse verleihen die-
nanzierter Konsum des Mittelstands sind die Steu- ser Art von Wachstum jedoch Instabilität.
erkräfte der amerikanischen Wirtschaft, wobei be- Merkmale dieser selbst im traditionellen rugged
achtenswert ist, dass es sich hierbei nicht um kurz- capitalism der USA übersteigerten Entwicklung sind:
fristige konjunkturelle Trends, sondern um langfris- ■ die ahistorischen Managerlöhne, inkl. Aktienop-
tige strukturelle Probleme handelt, die sich in jüngs- tionen, die bis zu 685 Mio. Dollar pro Jahr errei-
ter Zeit aufgrund einer unsicheren Beschäftigten- chen können (Benz & Stutzer 2003, S. 5 – 19;
entwicklung um ein Vielfaches verschärft haben. Es Abowd & Bognanno 1995, S. 67– 103; Abowd &
ist auch nicht kurzfristige Strategie, sondern über Kaplan 1999, S. 145 – 168; Conyon & Peck 1998,
Jahrhunderte etablierte Tradition, dass man in Kri- S. 146 – 157),
sen- wie in Normalzeiten auf der politischen Ebene ■ ferner Megafusionen und Bilanzfälschungen in
den pursuit of happiness mit dem American Dream, bis dahin unbekanntem Ausmaß (Beispiel Enron),
dem Eigenheim und dem Konsum bzw. dem Ideal aber auch
eines land of plenty zu vermitteln sucht. Seit es die ■ die unproduktiven Konsumausgaben der Bundes-
Heimstättengesetzgebung von 1862, die suburbane regierung wie schnelllebige militärische Ver-
Eigenheimsubvention der Nachkriegszeit oder die brauchsgüter (Waffen),
Zinssenkungsrunden zu Beginn des 21. Jahrhun- ■ Kapitalabfluss in ertragreichere Länder und
derts gibt, wird stets das verfassungsmäßig garan- ■ mangelnde Investitionen.
tierte Glück, das für viele eben auch unbegrenzte Mittlerweile wird diese Entwicklung als „Raubtier-“
Möglichkeiten des Konsums bedeutet, als gesell- oder „Dschungelkapitalismus“ thematisiert. So
schaftlicher Wert von der Bundespolitik geschützt. steht dem Bruttoinlandsprodukt von 10 586 Mrd.
Dazu werden eine Vielzahl von Politikbereichen Dollar im Jahr 2002 eine Ausgaben-, Konsum- und
eingesetzt: von der Wirtschaftspolitik mit konsu- Investitionstätigkeit der Bundesregierung von nur
mentenfreundlicher Zinsgebung und unternehmens- 2013 Mrd. Dollar gegenüber, wovon 465 Mrd. Dollar
freundlichem Neoliberalismus bis zu militärstrategi- im Jahr 2002 Militärausgaben (national defense)
schen Optionen, sodass die systemimmanenten und 312 Mrd. Dollar Zinszahlungen waren (US Bu-
strukturellen Schwächen der Wirtschaft einer Super- reau of Economic Analysis 2003, National Income
macht in den Hintergrund treten. Allein die Zinspo- and Product Accounts Tables, Tab. 1.1). Beide las-
litik, welche die Bundesnotenbank zwischen dem sen sich nicht als Investitionen in die wirtschaftli-
Amtsantritt von Präsident Bush im Januar 2001 che Entwicklung sehen, sondern sind prinzipiell
und seinem Irak-Feldzug im März 2003 zwölfmal zu konsumptive Ausgaben, welche nicht geeignet sind,
Senkungen der Leitzinsen veranlasst hat, ist be- grundsätzliche strukturelle Probleme zu lösen.
sonders aufschlussreich: Der Diskontsatz, also der Die Toleranz für ein Handelsdefizit von rund 500
Zinssatz, zu dem die Notenbank Geld an Banken Mrd. Dollar, Verteidigungsausgaben in fast gleicher
leiht, wurde in mehreren, ungewöhnlich großen Höhe, Zinsleistungen in der Größenordnung des BIP
Schritten auf 0,75 % herabgesetzt – den niedrigsten kleinerer westlicher Industrieländer, eine Zins- und
Satz seit 89 Jahren. Der dadurch eingeleitete er- Steuerpolitik, die den Konsum insbesondere der
wünschte Konsum, der Produktion und Beschäfti- Wohlhabenden anheizt – diese Merkmale der ameri-
gung zu einem neuen Aufschwung verhelfen sollte, kanischen Makroökonomie können in ihrer Bedroh-
wurde jedoch gleichzeitig von einem Kapitalabfluss lichkeit sehr einfach verstanden werden, wenn man
nach Europa begleitet, wo Investitionswillige 2002 sich der mikroökonomischen Betrachtungsweise
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186 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

eines Familienhaushalts bedient: Jeder Privathaus- aller Satelliten wird mit europäischen Ariane-Rake-
halt, der deutlich weniger Einkommen erzielt als er ten in die Erdumlaufbahn gebracht, der Flugzeug-
ausgibt, der zudem in großem Umfang Kredite auf- hersteller Airbus hat bereits den amerikanischen
nimmt und dieses Geld in konsumptiven Ausgaben Hersteller Boeing in Auftrags- und Umsatzvolumen
einsetzt, steuert auf ein finanzielles Problem zu. überholt. Der erweiterte EU-Markt mit seinen ca.
Jedes Land, das insgesamt weniger Exporteinnah- 780 Mio. Konsumenten, darunter ein großer, kauf-
men erwirtschaftet als es für den Import ausgibt, kräftiger Mittelstand, aber auch seine Innovations-
das seine Steuereinnahmequellen senkt, zur Finan- und Produktionsfähigkeit im Bereich hochwertiger
zierung wichtiger Ausgaben Kredite aufnimmt, (mi- Güter werden nach Todd die USA langfristig von der
litärische) Konsumausgaben produktiven Investitio- Position der einzigen wirtschaftlichen Supermacht
nen vorzieht und zur Ankurbelung der Wirtschaft verdrängen, als die sie sich zu Ausgang des 20. Jahr-
den kreditfinanzierten Konsum seiner Bevölkerung hunderts darstellte. Will man dieser These Glauben
fördert, riskiert nachhaltigen Schaden seines Haus- schenken, hat der Niedergang der wirtschaftlichen
halts und seiner Wirtschaft. Ohne Änderung von Fi- Supermacht USA schon begonnen, auch wenn sie
nanzierungs- und Ausgabeprioritäten dürfte hier sich in ihrem 2003 und danach präsentierten Mili-
auch die Supermacht USA keine Ausnahme bilden. tarismus noch als die einzige wichtige militärische
Die Toleranz für annähernd 44 Mio. Amerikaner, Supermacht darstellt – denn in historischer Per-
die unter der Armutsgrenze oder bis zu 125 % der spektive war das Ende eines Imperiums stets von
Armutsgrenze leben, und die Millionen von Men- exzessivem Militarismus begleitet, ohne dass dieser
schen, die ohne Gesundheitsversorgung, ausgewo- den Niedergang einer Großmacht hätte aufhalten
gene Ernährung oder adäquate, erschwingliche können. Diese Perspektive wird auch nicht gänzlich
Wohnungen leben, verstärkt die soziale Problematik dadurch widerlegt, dass der amerikanische Nobel-
einer Nationalökonomie, die von jeher „nationale preisträger Gary S. Becker meint nachweisen zu
Interessen“ verfolgte und dies seit dem ausgehen- können, dass die Ölpreise als Folge des Irak-Krieges
den 20. Jahrhundert in besonderem Maße auf der stiegen und ein Land, das dieses und damit seinen
Triebkraft des Exzesses tut. eigenen Schaden riskiert, nicht am Erdöl interes-
Folgt man der Sichtweise von Emanuel Todd siert sei, sondern dieses Risiko um der Demokrati-
(2002), wird daher Amerika als Wirtschafts- und sierung der Welt willen auf sich nahm.
Supermacht überschätzt. Nicht nur installieren die Betrachtet man zusammenfassend die Schwierig-
USA ihre Hegemonie heutzutage, im Gegensatz zur keiten der amerikanischen Wirtschaft im Jahre 2003
Nachkriegszeit, nicht mehr mit dem Einverständnis nicht aus aktualökonomischer Sicht und den vom
eines großen Teils der Welt, sondern auch die eigene Tagesgeschehen geprägten Ereignissen heraus, son-
Wirtschaft zeigt deutliche Anzeichen von systemim- dern vor dem Hintergrund der Geschichte des Lan-
manenten Schwächen. Zudem ist die industrielle des, so wird die lange Tradition von politischen Hand-
Basis kleiner als die Europas und nur in etwa gleich lungsweisen deutlich. Um Ressourcen einer jungen
groß wie die Japans. Das auf fast 500 Mrd. Dollar und expandierenden Nation zu sichern, betrieb die
angelaufene Handelsbilanzdefizit und die Defizitfi- US-Bundesregierung seit der Clark-Lewis-Expedition
nanzierung „geopolitischer Risiken“ – allein der von 1803 die westwärts gerichtete Expansion. Um
Nachtragshaushalt für den Irak-Krieg wurde eine das Land zu erschließen, setzte die Bundesregie-
Woche nach Kriegsbeginn mit 75 Mrd. Dollar bean- rung bewusst auf Unternehmergeist und spekulative
tragt – können als Warnzeichen für die USA als Tätigkeiten und zeigte große Toleranz für paper
Weltwirtschaftsmacht gelten. Im Gegensatz zum In- towns und andere Formen, das „Streben nach Glück“
dustriekapitalismus des 19. und beginnenden 20. (auch auf Kosten anderer) verwirklichen zu können.
Jahrhunderts, in dem die USA der Welt stärkster Dazu gehörte auch die Nutzbarmachung von India-
Produzent und Investor wurden, sind die USA gegen ner-Territorien und die Zuweisung von Indianern in
Ende des 20. Jahrhunderts zum weltstärksten Kon- Reservate. Um die Ressource „Stadt“ zu nutzen,
sumenten avanciert, wobei den übrigen Ländern die wurde dem Unternehmertum freie Hand gelassen.
Rolle des Produzenten und Zulieferers von Nach- Zur Etablierung nationaler Interessen, zunächst in
schub zugewiesen wird. der westlichen Hemisphäre, dann weltweit, wurde
In dieser Richtung aufschlussreich ist auch die ab 1823 die „Monroe-Doktrin“ wichtig, nach der
Tatsache, dass das Handelsbilanzdefizit sich aus man insbesondere im 20. Jahrhundert nationale
dem Missverhältnis von Exporten und Importen aus Interessen auch weltweit zu schützen suchte. Dazu
der Triade ergibt: Hatten die USA 1990 noch für zählte z. B. die Sicherung der für die US-Elektronik-
35 Mrd. Dollar mehr Spitzentechnologie exportiert industrie wichtigen Kupfervorkommen in Chile
als importiert, so ist die Handelsbilanz bei diesen 1972, die von der US-amerikanischen Kennecott
Gütern der Innovationsfähigkeit, die heute als Indi- Company erschlossen wurden und von der sozialisti-
kator der Wirtschaftskraft gesehen werden, inzwi- schen Regierung Allende enteignet werden sollten.
schen negativ. Die Produktion hochinnovativer Güter Dazu gehörte auch die Sicherung geostrategischer
in der EU überholt die USA inzwischen in einigen Positionen wie in Südkorea 1954, Vietnam 1958 –
Bereichen: So war nach Todd (2002) die finnische 1975 oder eben der für die USA ökonomisch wich-
Firma Nokia umsatzmäßig viermal größer als ihr tigen Regionen des Mittleren Ostens, welche mit der
amerikanischer Konkurrent Motorola; die Hälfte Unterstützung Persiens bis 1977 und Saudi-Ara-
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 187

biens seit den 1950er Jahren, zeitweilig aber auch Wirtschaftszweig 1980 1990 1995 2000
mit Hilfe des Irak vollzogen wurde. Auch die „Si-
cherung der Erdölfelder“ des Irak gegen deren Nut- Gesamtbeschäftigung 99 308 118 793 124 900 135 208/
zung durch vermeintlich Terror begünstigende Re- 140 863*
gimes im Rahmen der „präventiven Selbstverteidi- Landwirtschaft 3 364 3 223 3 440 3 305
gung“ 2003 reiht sich in diese Tradition ein. Bergbau 979 724 627 521
Bauwesen 6 215 7 764 7 668 9 433
Schlüsselzweige der
Wirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts Industrie 21 942 21 346 20 493 19 940

Quelle: US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstracts of the United States 2001, Tab. 596, S. 384 (veränd.). * Quelle: US Bureau of the Census 2001, Tab. 572, S. 370.
Während einer kurzen Phase zwischen 1991 und Transport, Kommunikation, 6 525 8 168 8 709 9 740
2000 konnten sich die traditionellen konsumorien- Ver- und Entsorgung
tierten Schlüsselindustrien und jene der Neuen Groß- und Einzelhandel 20 191 24 622 26 071 27 832
Ökonomie extrem vorteilhaft entwickeln. Die Auf- Einzelhandel 16 270 19 953 21 086 22 411
schlüsselung der Beschäftigtenentwicklung zeigt die Finanz-, Versicherungs-, 5 993 8 051 7 983 8 727
starke Veränderung im tertiären und quartären Sek- Immobilienwesen
tor sowie die regionalen Schwerpunkte (Tab. 40; Weitere Dienstleistungen 28 752 39 267 43 953 49 695
Abb. 127– 132). gesamt, davon:
Eine Reihe neuer Branchen bildete sich in den
unternehmensbezogene 3 848 7 485 7 526 9 961
1990er Jahren im hochwertigen Dienstleistungssek-
Dienstleistungen und
tor heraus. Deren Wachstumsprognosen werden auch
für die nähere Zukunft als gut eingestuft (Tab. 41). Reparaturdienste
Dazu gehören beispielsweise Kongress-Manager, Werbung 191 277 267 280
Web-Master, Umweltingenieure, Netzwerkmanager, Arbeitsvermittlungs- 235 710 853 1 063
Liquidationsspezialisten, Desktop-Publishing-Spezi- agenturen
alisten, Qualitätssicherungs-Manager, Konsumen- Computerdienstleistun- 221 805 1 136 2 496
tenkreditberater, Volontärarbeit-Koordinatoren, Pro- gen, Datenverarbeitung
jektentwickler oder Kapazitätsauslastungs-Koordina- Sicherheitsdienste 213 378 506 574
toren. Den größten Zuwachs jedoch verzeichneten Automobilwartung und 952 1 457 1 459 1 626
der gesamte Bereich der Gesundheits- und Sozial- -reparatur
dienste, der unternehmensbezogenen Dienstleistun- personenbezogene 3 839 4 733 4 375 4 515
gen und des Bildungs- und Ausbildungswesens Dienstleistungen
sowie Management-Assistenten, nachdem das tradi- Unterhaltung und Freizeit 1 047 1 526 2 238 2 582
tionelle Sekretariatswesen von Computer, E-Mail- Akademisches und 19 853 25 351 29 661 32 784
Gebrauch und voice mail abgelöst worden ist (US anderes Fachpersonal
Department of Labor, Bureau of Labor Statistics Hospitäler 4 036 4 700 4 961 5 028
1998, Summary 98 – 11 und US Department of andere Gesundheitsdienste 3 345 4 673 5 967 6 569
Labor 2003, Economic News Release, Tab. 3b).
Elementar-, Mittel- u. 5 550 5 994 6 653 7 629
Die Hightech-Branche erlebt seit 2001 wieder in Höhere Schulen
einigen Bereichen Wachstum: Softwarefirmen und Colleges und Universitäten 2 108 2 637 2 768 2 903
Sicherheitsunternehmen erhalten seit den Terroran-
Soziale Dienste 1 590 2 239 2 979 3 519
schlägen vom 11. September 2001 in besonderem
Umfang Staatsaufträge zur Terrorbekämpfung und Rechtsdienste 776 1 215 1 335 1 362
Kriegsführung. Zur Prävention von neuen Terroran- Öffentliche Verwaltung 5 342 5 627 5 957 6 015
schlägen vergab beispielsweise das mit 170 000
Tab. 40: Beschäftigtenentwicklung nach ausgewählten Wirtschaftszweigen 1980
Mitarbeitern neu geschaffene Department of Home-
bis 2000, in Tausend.
land Security einer Reihe von neuartigen Firmen
Großaufträge, so z. B. an Hersteller von Sprengstoff-
erkennungsgeräten, Tarnanzügen mit mobilen Com- ben. Allein das US Department of Homeland Secu-
putersystemen oder von Visualisierungssoftware zur rity ist mit einem Etat von jährlich 37 Mrd. Dollar
Abbildung virtueller, dreidimensionaler Schlachtfel- ausgestattet; das Mandat und die Aufträge dieser
der, ferner an Entwickler von Gesichtserkennungs- Behörde gelten als wichtigster Anschub für die In-
progammen, Bombenerkennungssystemen, Infrarot- formationstechnologie-Industrie, die schon vor den
kameras, Metalldetektoren und Röntgengeräten für Angriffen vom 11. September 20 % ihrer Umsätze
Flughäfen, Analysen elektronischer Kommunikation, durch Aufträge der Bundesregierung erzielte und
Lösungen für Probleme der Grenzsicherheit oder zur seither einen rasant steigenden Anteil verzeichnet.
Abwehr biologischer Waffen. Der wichtigste Auftrag- Zahlreiche große Technologiefirmen wie Microsoft
geber für Sicherheitstechnologie ist daher die US- haben bereits eigene Abteilungen für homeland
Regierung. Sie investierte allein in den zwei Jahren security gegründet, die explizit Akquisition von
nach dem 11. September 2001 mehr als 60 Mrd. Bundesaufträgen und Entwicklung für geeignete
Dollar in derartige Hochtechnologie und plant, ca. Technologien betreiben.
60 Mrd. Dollar pro Jahr in den Bereichen Forschung Während die traditionellen Geschäftsbereiche der
für Verteidigung und homeland security auszuge- Computerindustrie wie Betriebssystemsoftware und
08 LdK USA 181-212 30.05.2005 22:04 Uhr Seite 188

188 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Regionale
Schwerpunkte
der Beschäftigung
in verschiedenen
Sektoren und
Berufsgruppen Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
0 bis 1,2
1,3 bis 2,9
3,0 bis 4,9
5,0 bis 9,5
Abb. 127: 9,6 bis 55,6
Anteil der Beschäftigten 0 500 1 000 km
im Primären Sektor.

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form, Washington, D.C.

0
0,1
0,2 bis 0,4
Abb. 128: 0,5 bis 1,5
Anteil der Beschäftigten 1,6 bis 45,6 0 500 1 000 km
im Bergbau.

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
0 bis 7,2
Abb. 129: 7,3 bis 12,4
Anteil der Beschäftigten 12,5 bis 17,9
18,0 bis 23,8
im produzierenden 23,9 bis 48,6 0 500 1 000 km
Gewerbe.
08 LdK USA 181-212 30.05.2005 22:04 Uhr Seite 189

Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 189

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
0 bis 5
6
7 bis 9
9 bis 11 Abb. 130:
12 bis 24 Anteil der Beschäftigten
0 500 1 000 km in der Forschung oder in
leitenden Positionen.

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
1,3 bis 3,2
3,3 bis 4,1
4,2 bis 5,2 Abb. 131:
5,3 bis 7,1 Anteil der Beschäftigten
7,2 bis 42,6 0 500 1 000 km in der staatlichen
Verwaltung.

Alaska
1:100 000 000

Hawaii
1:50 000 000

Anteil in %
6,5 bis 16,9 Abb. 132:
17,0 bis 18,8
18,9 bis 20,8
Anteil der Beschäftigten in
20,9 bis 23,4 Lehr-, Gesundheitsberufen
23,5 bis 47,1 0 500 1 000 km
und Berufen mit sozialer
Ausrichtung.
08 LdK USA 181-212 30.05.2005 22:04 Uhr Seite 190

190 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Berufszweig Beschäftigte Beschäftigte Veränderung nologie der umsatzstärkste Bereich der amerikani-
2000 (in Tsd.) 2010 (in Tsd.) (in %) schen Wirtschaft und rangiert noch vor der Automo-
bil-, jedoch hinter der Flugzeugbauindustrie (US Bu-
Computer-Software- 380 760 100 reau of the Census 2001, Statistical Abstract of the
Ingenieure, Entwicklung, United States 2001, Tab. 1002 bis 1009, S. 633 –
anwenderorientierte 636). Der Erfolg des Silicon Valley begann 1937,
Softwareentwicklung als die Stanford-Absolventen William Hewlett und
Hardware- und Software- 506 996 97 David Packard aus einer Garage in Palo Alto heraus
Dienstleister begannen, ein Vorläufergerät des Computers zu ent-
Systemsoftware-Entwicklung 317 601 90 wickeln, was im Verlauf der nächsten Jahrzehnte
Netzwerk- u. Betriebs- weitere bahnbrechende Entwicklungen einleitete.
systemadministratoren 229 416 82 Dies führte zur Herstellung von Computern und einer
Netzwerk- u. Daten- heutigen Gesamtproduktion der Firma Hewlett-
kommunikationsanalyse 119 211 77 Packard von rund 80 Mrd. Dollar jährlich, einer Be-
schäftigung von 141 000 Mitarbeitern in 178 Län-
Desktop Publishers 38 63 67
dern, davon 22 000 Forschern/Produktentwicklern,
Datenbank-Administratoren 106 176 66
weltweit 17 000 Patenten, im Jahr 2002 allein
Personen- und 7000 Neuanmeldungen, d. h. täglich 25 Anmeldun-
Heimpflegepersonal 414 672 62 gen auf weltweite Patente. Auch andere Firmenge-
Computersystemanalyse 431 689 60 schichten sind eng mit dem Aufstieg des Silicon
Valley verbunden: So gründeten 1954 ehemalige
Tab. 41: Am schnellsten wachsende Berufszweige 2000 – 2010 (Prognose).
Mitarbeiter von AT&T die Firma Fairchild Semicon-
Quelle: United States Departmemt of Labor 2003, Bureau of Labor Statistics. Economic News Release, Tab. 3b.
ductors, die ihrerseits zahlreiche weitere Spin-off-
Konsumenten-/Anwendertechnologie aufgrund der Firmen hervorbrachte, darunter den weltgrößten
Marktsättigung wenig Wachstumstendenzen zeigen, Produzenten von Siliziumchips für Computer, die
sorgt vor allem das Verteidigungsbudget der Bun- Firma Intel. Hochtechnologie auch für die biomedi-
desregierung für lukrative Technologieaufträge. Für zinische und gentechnologische Forschung fand
viele Firmen im Silicon Valley, die aus militärischen ebenfalls ihren Anfang im Silicon Valley. Dazu ge-
Forschungsprojekten hervorgegangen sind oder seit hört die Firma Genentech, die erste Gentechnologie-
Jahren davon profitieren, wird ein Boom militäri- Firma der Welt, die 1976 im Silicon Valley gegrün-
scher Aufträge, die viele kommerzielle Anwendun- det wurde, im Jahr 2003 rund 3600 Patente welt-
gen erlauben, erwartet. Um die Investitionen in die- weit besaß, 2600 weitere Neuanmeldungen lancier-
sen Bereichen zu beschleunigen, haben das Penta- te und mit 10 proteinbasierten Pharmaprodukten
gon und die CIA besondere Investitionsfirmen ins gegen Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt, hormonelle
Leben gerufen, die vor allem im Silicon Valley bei Wachstumsstörungen und Mukoviszidose ca. 3 Mrd.
San Francisco die Möglichkeiten für die Anschubfi- Dollar Umsatz pro Jahr erzielt. Gerade das Beispiel
nanzierung von innovativen Ideen eruieren. So in- Genentech zeigt, welche Multiplikatorwirkungen
vestierte die CIA-Firma IN-Q-Tel, welche Starthilfen eine Firma auf die Region haben kann. Die Firma
im Silicon Valley ermöglicht, schon in 40 Klein- siedelte sich in South San Francisco in unmittelba-
unternehmen. Die Anlagen in sicherheitsbezogenen rer Nähe zu drei renommierten Universitäten – Uni-
Kleinunternehmen wachsen stetig. Auch die klassi- versity of California, Stanford und Berkeley – an.
sche Rüstungsindustrie hat begonnen, vermehrt in Die Ansiedlung dieser ersten gentechnologischen
sogenannte „intelligente Kriegsmaschinerie“ und Firma führte bis 1995 zu 20 weiteren und bis 1997
hochsensible Informationstechnologien zu investie- zu 51 gentechnologisch arbeitenden Firmen mit
ren. Biotechnologiefirmen profitieren vom Ausbau weltweiten Umsätzen von 2,3 Mrd. Dollar, einem
der Forschungskapazität zum Schutz vor biologi- Arbeitsplatzwachstum von 60 %, wobei Genentech
schen Waffen (NZZ v. 3.4.2003, S. 27). mit 6150 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber der
Gemeinde South San Francisco ist. Die Firma, die
Das Modell „Silicon Valley“ zu 60 % dem Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-
Das Silicon Valley im Gebiet des Santa Clara County La Roche gehört, hat selbst 30 große Biotechnolo-
südlich von San Francisco, in dem Palo Alto, Stanford giefirmen hervorgebracht. Die Bio- und Gentechno-
und San José liegen, ist mit den Gütern und Dienst- logie-Industrie gehörte mit rund 14 – 19 Mrd. Dollar
leistungen, die rund 2 Mio. Beschäftigte stellen und Jahresumsatz 2003 und ihren 115 000 Mitarbeitern,
jährlich über 100 Mrd. Dollar ausmachen, nicht zu- davon 71 000 im Silicon Valley, zu den wichtigen
letzt deswegen auch im Jahr 2003, wie schon in den Wachstumsbranchen. Mitarbeiter der Firma Genen-
Jahren zuvor, die wachstumsstärkste Region der tech sind inzwischen mit ihrer eigenen Spin-off-
USA: Allein zwischen 1992 und 1997 entstanden Firma Tularik unter Schweizer Beteiligung führend
dort 125 000 neue Arbeitsplätze, davon 50 000 im in der Entwicklung von Medikamenten gegen Aids
Jahr 1996. Hochtechnologie im Hard- und Software- tätig.
bereich, die im Silicon Valley entwickelt wird, über- Der amerikanische Staat hat für die Entwicklung
trifft die Umsätze der Automobilindustrie. Mit über des Silicon Valley zu seiner heutigen, weltweit füh-
500 Mrd. Dollar Produktionswert ist die Hochtech- renden Rolle im Hochtechnologiebereich lediglich
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 191

Firma 1995 – 1998 Umsatz 1998 1998 – 2000 Umsatz 2000 2000 – 2001 Umsatz 2001
Wachstum in % in Mio. $ Wachstum in % in Mio. $ Wachstum in % in Mio. $
Hewlett-Packard 14 47 061 5 49 539 –11 44 211
Intel 18 26 273 28 33 726 –21 26 539
www.siliconvalley.com, 15.4. 2002 (veränd.).
Quelle: www.netvalley.com, 8.4.2003 und

Cisco Systems 46 8 459 183 23 906 –23 18 290


Sun Microsystems 15 9 791 96 19 182 –27 14 059
Oracle 27 7 100 55 10 970 –8 10 093
Applied Materials 10 4 042 162 10 573 –43 5 981
Apple – 18 5 941 12 6 647 –14 5 731
Advanced Micro Devices 2 2 542 83 4 644 –16 3 892

Tab. 42: Wachstum, Umsatz und Schrumpfen der größten Computerfirmen mit Hauptsitz im Silicon Valley 1995 – 2001.

Anschubfinanzierung beigetragen, dies allerdings in art in die Höhe getrieben, dass für die vormals an-
Milliardenhöhe in den 1950ern und 1960ern, als sässige Bevölkerung kaum mehr Platz bleibt.
man solche Investitionen in Rüstung, Raumfahrt Die Computer- und Internetfirmen sorgen im Im-
und in die begleitende Hochtechnologieindustrie mobilienmarkt für Büro- und Wohnobjekte nicht nur
mit dem Kalten Krieg legitimierte. Der Erfolg des Si- für Rekordpreise, sondern sind auch Teil einer neuen
licon Valley wird jedoch in den regionalen Clustern Monostruktur, die bei Fehlschlägen auf dem Markt
gesehen, welche sich durch die starke Konkurrenz der New Economy eine ganze Region wirtschaftlich
entwickeln. Dies ist eine Ansammlung von Firmen – gefährden kann. So registrierte die Region San
im Silicon Valley sind es zwischen 3000 und 5000 Francisco in den Jahren 1999 bis 2000 einen Stel-
mit z. T. nicht mehr als 20 Mitarbeitern –, die durch lenzuwachs in den Dot Coms von 300 000 bzw.
den Wettbewerb um bahnbrechende Entdeckungen einen Anstieg um 76 %. 2000 arbeiteten in der Re-
zu immer erfolgreicheren Forschungsleistungen ge- gion San Francisco allein 1,2 Mio. Menschen in den
langen (Tab. 42). Hochtechnologiefirmen, während es 1993 nur ca.
240 000 gewesen waren. Die Risikokapitalgeber in-
„Dot Coms“ und die vestierten im letzten Quartal des Jahres 1999 allein
Begleiterscheinungen des Hochtechnologiebooms 8 Mrd. Dollar in die Bay Area, um innovative Jung-
Silicon Valley schuf im 20. Jahrhundert, ähnlich wie unternehmen zu fördern. Allerdings haben es die
der Gold Rush um 1848, ein „goldenes“ Zeitalter jungen Firmen, die mit dem Cyberspace handeln,
für einen kleinen Teil Kaliforniens, der für das ge- schwer, sich im aufstrebenden Hochtechnologie-
samte Land von übergeordneter Bedeutung wurde. markt überhaupt zu etablieren – viele neue Firmen
Wie schon im 19. Jahrhundert hat Silicon Valley arbeiten aus überteuerten Einzimmerwohnungen
eine weltweite, transatlantische und transpazifische heraus. Auch Einfamilienhäuser machen im Jahr
Ausstrahlung, die jedoch dauerhafter ist, hat doch 2003 mit einem Durchschnittspreis von 415 000
Silicon Valley in den vergangenen fünf Jahrzehnten Dollar den Großraum San Francisco zu einem der
eine führende Rolle in der weltweiten Hochtechno- teuersten Immobilienmärkte Amerikas.
logieentwicklung gespielt. So belastet die Ansiedlung von Dot-Com-Unter-
Diese rasante Entwicklung wird jedoch auch von nehmen in San Francisco und im Silicon Valley die
gewissen Unsicherheiten erschüttert. San Francisco sozioökonomischen Strukturen. Seit 2001 hat die
beispielsweise hat von der jüngeren High-Tech-Ent- Stadtverwaltung von Palo Alto beispielsweise mit
wicklung sowohl profitiert als auch die Probleme einer Notverordnung die Vermietung von innerstädti-
einer hochmodernen monostrukturierten Wirtschaft schen Verkaufsläden an Internetunternehmen unter-
hinzuerhalten: Über 700 Internetfirmen, sogenann- sagt. Weitere Gemeinden des Silicon Valley arbeiten
te „Dot Coms“, die Technologie für das Internet ent- an ähnlichen Verordnungen oder haben diese be-
wickeln, arbeiten in der Stadt. Das Hyperwachstum reits verabschiedet, da die mit der New Economy
der Dot Coms, welches die Arbeitslosenquote von einhergehende Verdreifachung der Mieten lokal nicht
durchschnittlich 6 % im Jahr 2000 auf unter 2 % mehr zu tragen ist. Unerschwingliche Wohnungs-
senkte, trug auch zu einem neuen Boom im Immobi- marktpreise, Verkehrsstaus und fast unkontrollierba-
lienmarkt bei, der die Mieten in einer Weise erhöhte, rer Zuwachs an Arbeitsplätzen in einer Industrie, die
dass jetzt Verdrängungsprozesse eintreten: So wer- sich als Monostruktur im neuen Kleid erweist, ma-
den in San Franciscos ehemals verfallenem Stadtteil chen sich lokal nicht nur positiv bemerkbar. Auch
South of Market Street (SoMa, einem herunterge- im Silicon Valley und der Dot Com Area San Fran-
kommenen Stadtquartier mit hoher Kriminalität und cisco zeigt sich der lokale Effekt der Globalisierung,
Sozialproblematik) Komplexe mit kombinierter Wohn- die in diesem Gebiet ihren Ausgangspunkt nahm.
und Arbeitsfunktion in einer Schnelligkeit gebaut, Der Boom der Dot-Com-Unternehmen zeigte im
dass sich dieses Viertel grundlegend verändert. Die Jahr 2001 seine problematische Seite: Die 50 am
nachrückende Dot-Com-Generation, welche mittler- schnellsten wachsenden Dot Com-Unternehmen des
weile den Mietermarkt dominiert, hat die Preise der- Silicon Valley, die in diesem Jahr Produkte und
08 LdK USA 181-212 30.05.2005 22:04 Uhr Seite 192

192 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Dienstleistungen für über 10 Mrd. Dollar verkauften, gle Park (RTP) ist mit seiner Fläche von 8 Meilen
mussten im gleichen Zeitraum auch Verluste von 28 Länge, 2 Meilen Breite und 7000 acres der größte
Mrd. Dollar durch ihren Börsengang und sinkende Hochtechnologiepark der USA. In der Mitte zwi-
Kurse hinnehmen. In der Folge sank die Zahl der schen den drei renommierten Universitäten Duke
Bestellungen allein in einzelnen Monaten des Jah- University, der University of North Carolina in Cha-
res 2001 bei Computern um 22,3 %, bei Halblei- pel Hill und North Carolina State University in Ra-
tern um 25 % und bei der Kommunikationstechno- leigh gelegen, verzeichnete das Areal im Jahr 2003
logie um 70 %. Die Auslastung der Produktionsstät- 136 Organisationen, die Hochtechnologie risikofi-
ten war davon betroffen und sank von 90 % auf 65 % nanzieren, entwickeln und vermarkten, ferner 109
ab. Als Endergebnis werden im Silicon Valley mittler- Forschungs- und Enwicklungsfirmen.
weile Massenentlassungen registriert (Tab. 42). Der Vorteil dieses Standortes in North Carolina
Die Vermutung, dass der einheimische Markt auch sind seine niedrigeren Gesamtkosten – von 48 Bun-
in Zukunft nicht mehr unbegrenzt ausbaufähig ist, desstaaten im zusammenhängenden Staatsgebiet
sondern einen deutlichen Sättigungsgrad erreicht rangiert North Carolina auf Platz 33. Insbesondere
hat, wird aus folgenden Statistiken deutlich: Mehr die Lohnkosten für Biotechnologiefirmen sind nied-
als die Hälfte der Bevölkerung, 143 Mio. Amerikaner, rig, was durch die geringe gewerkschaftliche Einbin-
benutzten 2001 regelmäßig das Internet, wovon 40 % dung in diesen Staaten des Südens bedingt wird
Interneteinkäufe tätigen. 174 Mio. Amerikaner, d. h. (Research Triangle Park – RTP, North Carolina 2003
66 % der Bevölkerung, gebrauchen Computer, News; http://www.rtp.org). Fünfzig Prozent der
davon 90 % der Kinder und Jugendlichen zwischen 42 000 Beschäftigten des RTP arbeiten für multina-
5 und 17 Jahren; 75 % der Jugendlichen von 14 bis tionale Konzerne, 99,4 % in Forschung und Ent-
17 Jahren und 65 % der 10- bis 13-Jährigen benut- wicklung. Vierzig Prozent der Firmen zählen jedoch
zen das Internet. Wegen des flächendeckenden Ge- mit weniger als 10 Mitarbeitern zu den ausgespro-
brauchs von Computern und Internet in den Schu- chen kleinen und mittelständischen Unternehmen.
len sind auch Kinder armer Familien mit deren Um- Die 2003 geplanten Expansionen sahen ca. 6 Mio.
gang vertraut, weswegen die Benutzung des Internet Quadratmeter neuer Nutzfläche vor, eine Investition
durch die ärmsten Haushalte, die unter 15 000 Dol- von 2 Mrd. Dollar und eine geschätzte jährliche
lar Jahreseinkommen aufweisen, zwischen 1998 Lohnsumme von insgesamt 2,7 Mrd. Dollar. Die Be-
und 2001 um jährlich 25 % stieg. Alle ethnischen schäftigtenzahl stieg von 1960, als es nur drei Fir-
Gruppen nutzen Computer und Internet gleicherma- men mit 500 Angestellten im RTP gab, bis ins Jahr
ßen; so stieg die Nutzung zwischen 2000 und 2001 1975 auf 23 Firmen mit 10 400 Beschäftigten.
bei Afroamerikanern und Hispanics um jährlich je- Nachdem die Beschäftigtenzahl bis auf das Maxi-
weils rund 30 % an. Infolge der drohenden Markt- mum von 44 000 Mitarbeitern in 106 Firmen im Jahr
sättigung suchen viele der im Silicon Valley ansässi- 2000 anwuchs, trat jedoch seither wie in der ge-
gen Hochtechnologiefirmen, allen voran Microsoft, samten New Economy ein durch Börsenverluste be-
IBM, Intel, Hewlett-Packard sowie Dell neue Märkte dingtes Firmensterben ein. 2002 operierten nur
in China zu erschließen, das bis zum Jahr 2010 gut noch 100 Forschungsfirmen mit insgesamt 38 500
90 % seiner Schulen an das Internet anschließen Mitarbeitern. Die Gesamtbevölkerung in den umlie-
will. Zudem halten die zwei größten chinesischen genden Counties wuchs jedoch stetig – von 1990
Computerfirmen nur 35 % des Anteils im eigenen mit 858 485 Einwohnern auf 1,232 Mio. im Jahr
Markt. Auch Indien, ein Exportland für Software-In- 2001 –, wozu auch die hohen mittleren Einkommen,
genieure, gilt als zukunftsträchtig, zumal die Nach- die je nach County zwischen 62 800 und 66 300
frage für Informationstechnologie amerikanischer Dollar pro Jahr liegen, beitragen.
Firmen dort jährlich um ca. 20 % wächst. Auch Süd- Der Multiplikatoreffekt ist nach wie vor erheblich.
korea, wo 10 Mio. der 16 Mio. Haushalte über Breit- So finanzieren die Firmen des RTP auch an den drei
band-Internetverbindungen und 70 % der Einwoh- großen Universitäten Forschung in beträchtlicher
ner über Mobiltelefone mit Wireless-Technologie für Höhe: Von den Forschungsgeldern an die drei Univer-
schnelle Datenübermittlung verfügen und wo ameri- sitäten, die zwischen 1999 und 2000 fast eine Milli-
kanische Computerfirmen führend sind, gilt als arde Dollar betrugen, wurden 33 % von der Bundes-
neuer Markt, der angesichts schrumpfender ameri- regierung bereitgestellt und 17 % von den Firmen
kanischer Nachfrage einen Ausgleich schaffen soll des RTP (Research Triangle Park – RTP, North Caroli-
(US Department of Commerce, National Telecom- na 2003). Wegen der guten Forschungsmöglichkei-
munication and Information Administration 2002). ten sind die Universitäten auch im Ausbildungsbe-
Die Frage stellt sich allerdings, welche Märkte noch reich für diesen Hochtechnologiesektor führend: Fast
zu erschließen sind, wenn diejenigen von China und 11 000 Ingenieur-/Computer-Science-Studenten sind
Indien auch übersättigt sein werden, wie das bei der im Jahr 2003 in den fünf State Universities von
anhaltend schnellen Entwicklung in absehbarer Zeit North Carolina eingeschrieben, und 17 200 angehen-
der Fall sein könnte. de Computerfachleute sind in den 58 anderen Fach-
hochschulen des Bundesstaates immatrikuliert.
Research Triangle North Carolina Im gesamten Bundesstaat waren 1998 rund
Dem Modell Silicon Valley eifert das „Research Tri- 264 000 Personen im Hochtechnologiesektor be-
angle“ in North Carolina nach. Der Research Trian- schäftigt (Hunt 2000).
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 193

Boston – Universitäten als Wirtschaftsfaktor 1,3 Mrd. Dollar an lokale und regionale Zulieferer
Eine Multiplikatorwirkung auf die engere Region von Gütern und Dienstleistungen aus. Zwischen den
und über die Forschungsleistungen und weltweiten Jahren 2000 und 2004 wurden universitäre Bau-
Patente haben Universitäten wie jene im Silicon aufträge im Gesamtwert von 850 Mio. Dollar jährlich
Valley oder im Research Triangle seit jeher gehabt. ausgeführt. Da die Universitäten als Forschungs-
Die Region Boston ist eines der ältesten Beispiele und Bildungseinrichtungen weniger stark zyklischen
dafür. Nicht nur zählten die Universitäten des Rau- Schwankungen unterworfen sind als andere Groß-
mes Boston-Cambridge, wie z. B. Harvard, zu den unternehmen, bilden die Universitäten einen Stabi-
ältesten und führenden Institutionen in der kulturel- litätsfaktor der gesamten regionalen Ökonomie und
len Entwicklung des Landes – vielmehr generierten zeigen starken Arbeitsplatzzuwachs, wenn andere
sie schon in kolonialen Zeiten Unternehmen und Großunternehmen der Region Arbeitsplatzabbau be-
jenes Großkapital, das die infrastrukturelle Erschlie- treiben (Engines of Economic Growth 2003).
ßung der USA, insbesondere durch Eisenbahnge- Ihre Multiplikatorwirkung zeigen die Universitäten
sellschaften, finanzierte. Der regionalwirtschaftliche dadurch, dass sie 2002 über 37 000 Vollzeitarbeits-
Einfluss der acht großen Forschungsuniversitäten plätze in der Region mit einer Gesamtlohnsumme
des Raumes Boston wird anhand einiger Kenngrö- von 1,6 Mrd. Dollar finanzierten. Für ihre Forschun-
ßen deutlich. Die Universitäten sind: Boston Col- gen erzielten die acht Universitäten im Jahr 2000
lege, Boston University, Brandeis University, Har- insgesamt 242 weltweite Patente, lizensierten 250
vard University, Massachusetts Institute of Tech- kommerzielle Produktionen und gründeten 41 neue
nology; Northeastern University, Tufts University Spin-off-Unternehmen. Wegen der Forschungsclus-
und die University of Massachusetts, Boston. Mit ter, der signifikanten Anteile der Forschungsfinan-
Ausnahme der University of Massachusetts, Boston, zierung durch die Bundesregierung und des weniger
die eine öffentliche Institution ist, sind alle anderen regulierten Forschungsmilieus ziehen diese Univer-
private Universitäten. Sie sind die führenden und sitäten auch in hohem Maße ausländische Direktin-
sichersten Arbeitgeber der Region mit einer Gesamt- vestitionen an. So lassen viele Großkonzerne, die in
beschäftigung von 50 750 Personen, womit sie sämt- ihren Ursprungsländern gewisse Forschungen z. B.
liche großen Wirtschaftszweige wie Banken, Versi- im gentechnologischen Bereich nicht oder nur sehr
cherungen, die Computerindustrie und die Manage- stark reguliert durchführen können, in Boston for-
ment-Consulting-Unternehmen übertreffen. schen. Dazu zählen die Pharmakonzerne Schering
Die jährlich 30 000 Hochschulabsolventen aus AG/Schering-Plough, die schweizerische Novartis
einer Gesamtzahl von 118 000 immatrikulierten Stu- (vormals Ciba-Geigy und Sandoz) und Hoffmann-La
dierenden werden im Arbeitsmarkt für hochqualifi- Roche (Engines of Economic Growth 2003).
zierte Stellen absorbiert. 310 000 Absolventen der
Universitäten mit mehr als vier Jahren Universitäts- Metropolitanräume als Motoren der
ausbildung leben im Raum Boston; sie stellen rund wirtschaftlichen Entwicklung
30 % aller Akademiker des Raums Boston dar, die Während Wissenschaftslandschaften mit ihren Clus-
mindestens einen Bachelor-Abschluss oder dessen tern von Forschungsinstitutionen, physischer Infra-
Äquivalent haben. Ihre Forschung ist stark auf neue struktur, Humankapital und ihrem innovativen Mi-
„Zugpferd“-Hochtechnologien wie Genomforschung lieu die Inkubatoren für Hochtechnologieentwick-
und Nanotechnologie ausgerichtet. Allein im Jahr lung (Silicon Landscapes) wurden und mit ihnen zu-
2000 investierten die acht Universitäten 1,5 Mrd. sammen die zukunftsorientierten, führenden Wirt-
Dollar in die Forschung – zusammen mit den ihnen schaftszweige des beginnenden 21. Jahrhunderts
angeschlossenen Forschungskliniken erreichte die bilden, ist das allgemeine Wirtschaftswachstum
Gesamtinvestition 2,3 Mrd. Dollar, von denen 97 % engstens mit dem Wachstum der Metropolitanräume
bundesfinanzierte Forschungsaufträge waren. Zu den verbunden.
Forschungskliniken gehören ebenfalls die führenden Waren im Industriekapitalismus noch einzelne
der USA: Massachusetts General Hospital, Brigham große Industrien die Triebkraft hinter der nationalen
& Women’s Hospital, Dana Farber Cancer Institute, Ökonomie, so sind heute Metropolitanräume die
Beth-Israel Deaconess Medical Center, Children’s wichtigsten Motoren des Wirtschaftswachstums. Die
Hospital, Tufts-New England Medical Center, Boston 317 größten Metropolitanräume wachsen stetig,
Medical Center, McLean Hospital, Massachusetts schaffen mehr Arbeitsplätze und produzieren mehr
Eye and Ear Infirmery, St. Elizabeth’s Hospital, Güter und Dienstleistungen als andere Regionen
Lahey Clinic. Sie alle zusammen vereinten 63 % der oder sogar Länder im internationalen Vergleich. So
gesamten Bundesforschungsgelder für die medizi- rangierte beispielsweise der Großraum Chicago 1999
nisch-klinische Forschung auf sich. im Vergleich der BIP von Ländern weltweit auf Platz
Der finanzielle Gesamtnutzen, den die acht großen 20, Washington, D.C. auf Platz 28, Dallas auf Platz
Universitäten der Stadt im Jahr 2000 hatten, beläuft 37 und der Großraum Denver mit einem Bruttoin-
sich jährlich auf 7,4 Mrd. Dollar, einer Summe, die landsprodukt von 72,5 Mrd. Dollar auf Platz 63 der
in der Größenordnung des regionalwirtschaftlichen Volkswirtschaften. Würde man die Bruttoinlands-
Impakts von Olympischen Spielen liegt, im Gegen- produkte von Ländern im globalen Vergleich mit
satz dazu jedoch jedes Jahr erwirtschaftet wird. Im amerikanischen Metropolitanräumen gleichsetzen,
Jahr 2000 gaben die acht Universitäten ferner so wären die 48 größten Volkswirtschaften der Welt
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194 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Gesamt- Anteile amerikanische Stadtregionen. Das BIP


beschäftigte (in %) der 10 größten Metroregionen der
USA übertraf 1999 das von 31 Län-
Bevölkerung über 16 Jahre 217 168 077 100,0 dern. Das Bruttoinlandsprodukt der
Berufstätige 138 820 935 63,9 fünf größten Metropolitanregionen
nicht militärisch Beschäftigte 137 668 798 63,4 rangierte im Ländervergleich, aber
Erwerbstätige 129 721 512 59,7 auch als Volkswirtschaft betrachtet,
Arbeitslose 7 947 286 3,7 als viertes hinter den USA, Japan und
Anteil an den Erwerbspersonen 5,8 % (X) Deutschland. Der Großraum New York
militärisch Beschäftigte 1 152 137 0,5
produziert ein größeres BIP als Aus-
tralien und Atlanta ein größeres als
nicht erwerbstätig 78 347 142 36,1
Finnland. Im inneramerikanischen
Frauen über 16 Jahren 112 185 795 100,0 Vergleich übertrifft das Bruttoinlands-
nicht erwerbstätig 64 547 732 57,5 produkt von Buffalo das von Hawaii
nicht militärisch Beschäftigte 64 383 493 57,4 und dasjenige von New Haven das BIP
erwerbstätig 60 630 069 54,0 von Nevada. Amerikanische Metro-
eigene Kinder unter 6 Jahren 21 833 613 100,0 politanräume generieren 83 % des
erwerbstätige Elternteile 12 787 501 58,6 Bruttoinlandsprodukts der USA, einen
Pendler gleich hohen Anteil an Beschäftigung
nicht militärisch Erwerbstätige über 16 Jahre 129 721 512 100,0 und waren verantwortlich für 89 % der
2 Billionen Dollar, um die die ameri-
Benutzung des Pkw oder Pick up, alleinfahrend 97 102 050 75,7
kanische Volkswirtschaft zwischen
Carpool/Mitfahrgelegenheit in Pkws oder Pick ups 15 634 051 12,2
1992 und 1998 wuchs (The United
öffentlicher Personennahverkehr, inkl. Taxibenutzung 6 067 703 4,7 States Conference of Mayors 2002,
Fußgänger 3 758 982 2,9 S. 1 – 4).
andere Transportmöglichkeiten 1 532 219 1,2 Vor diesem Hintergrund sind folgen-
zu Hause arbeitend 4 184 223 3,3 de Statistiken besonders relevant, las-
durchschnittliche Pendelzeit in Minuten 25,5 (X) sen sie sich doch nicht nur als Kenn-
Quelle: US Bureau of the Census 2003. American Fact Finder; DP-3, Profile of Selected Economic Characteristics 2000; Data Set Census 2000, Summary File 3.

Berufsgruppen größen der amerikanischen Volkswirt-


Management, akademische und hochqualifizierte Berufe 43 646 731 33,6 schaft, sondern vor allem der Wirt-
Dienstleistungen 19 276 947 14,9 schaftskraft ihrer Metropolitanregio-
nen verstehen (Tab. 43). Im Jahr 2001
Verkaufs- und Büropersonal 34 621 390 26,7
waren 91 % der Beschäftigung im Fi-
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 951 810 0,7 nanzwesen und 87 % der Beschäfti-
Bauwesen, Bergbau und Wartungspersonal 12 256 138 9,4 gung im Transport- und Kommunika-
Produktions- und Transportarbeiter inkl. Warentransport 18 968 496 14,6 tionswesen sowie in der Ver- und Ent-
Wirtschaftszweige sorgung in Metropolitanregionen ange-
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Jagd, Bergbau 2 426 053 1,9 siedelt. Zwischen 1996 und 2001 fan-
Bauwesen 8 801 507 6,8 den 89 % des Wachstums von 9,4 Mio.
verarbeitende Industrie 18 286 005 14,1 Beschäftigten in der Großstadt statt.
Großhandel 4 666 757 3,6 Der größte Teil des Erwerbseinkom-
mens wird ebenfalls in Metroregionen
Einzelhandel 15 221 716 11,7
generiert. 2001 verdienten die in den
Transport und Lagerhaltung, öffentliche Versorgungswerke 6 740 102 5,2
Metropolitanregionen Beschäftigten
Informationswesen 3 996 564 3,1 4,5 Billionen Dollar, während die
Finanz-, Versicherungs-, Immobilienwesen, inkl. 8 934 972 6,9 Beschäftigten im ländlichen Raum
Immobilienvermietung und -verpachtung nur knapp 600 Mrd. Dollar verdienten.
akademisches, wissenschaftliches, Management- und 12 061 865 9,3 Im Durchschnitt bedeutet dies ca.
Administrativpersonal 40 600 Dollar Jahresgehalt pro Be-
Bildung, Gesundheit, Soziales 25 843 029 19,9 schäftigten in der Großstadt, im Ver-
Kunst, Unterhaltung, Freizeitgestaltung, 10 210 295 7,9 gleich zu 28 200 Dollar durchschnitt-
Übernachtungsgewerbe, Gastronomie lichen Jahresgehalts im ländlichen
andere Dienstleistungen 6 320 632 4,9 Raum (The United States Conference
öffentliche Verwaltung 6 212 015 4,8 of Mayors 2002, S. 5 – 6).
Kategorien von Beschäftigten
Städte bieten durch ihre Konzentra-
tion von Arbeitskräften und Consumer-
privatwirtschaftliche Lohn- und Gehaltsempfänger 101 794 361 78,5
märkten sowie Unternehmen der Wirt-
Regierungsangestellte 18 923 353 14,6 schaft einzigartige Bedingungen für
selbständig Erwerbende 8 603 761 6,6 innovative, neuartige Wirtschaftszwei-
unbezahlte Familienangehörige 400 037 0,3 ge und sehr dynamische Entwicklun-
gen der Produktivität. Mit wenigen
Tab. 43: Schlüsselgrößen der Wirtschaft.
Ausnahmen nahmen alle großen, nicht
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Wirtschaftswachstum und Schlüsselindikatoren der Wirtschaft 195

landwirtschaftlichen Wirtschaftszweige der USA ihren erstellt, wo auch 70 % der Beschäftigten des Staa-
Ausgang in Großstädten: die Automobilindustrie in tes tätig sind. In Kalifornien werden 97 % des BIP
Detroit, die Fernseh- und Kommunikationstechnolo- in Metropolitanregionen erstellt. In 31 Bundesstaa-
gie in New York, die PC-Herstellung in San José. ten vereinigen die Ökonomien der Metropolitanre-
Auch die derzeitigen Wachstumsindustrien – Hoch- gionen mehr als 75 % des BIP der jeweiligen Einzel-
technologie-Unternehmen und unternehmensorien- staaten auf sich. Es gibt daher neue Notwendigkei-
tierte Dienstleistungen, in denen die neuesten Bran- ten, Wirtschaftsförderung und -wachstum stärker im
chen Telekommunikation, Internetdienste, Manage- Kontext der Zusammenarbeit innerhalb der Gemein-
mentberatung sowie die Entwicklung von optischen den einer Metropolitanregion zu sehen. Ganz klar
Hochpräzisionsinstrumenten konzentriert sind – bedeutet inneramerikanische Wirtschaftspolitik heut-
finden sich fast ausschließlich in Metropolitan- zutage Investitionsprioritäten in den 317 größten
regionen. und wirtschaftsstärksten Metropolitanregionen, ins-
besondere in Infrastruktur, verfallene Stadtgebiete,
Beispiel New York Bildungs- und Ausbildungsförderung (The United
New York ist Sitz der weltweit größten Finanz- und States Conference of Mayors 2002).
Handelsbörsen sowie der weltgrößten Finanzfirmen
und Investmentbanken. Die sogenannten FIRE- Metropolitaner Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
Branchen (finance, insurance, real estate) und Im- Wegen der herausragenden Bedeutung von Groß-
mobilienbanken verzeichneten 2001 insgesamt mehr städten in der amerikanischen Volkswirtschaft muss
als 12 % der Beschäftigten der gesamten Metro- deren Arbeitsmarkt bzw. Arbeitslosigkeit besondere
region mit einer Bevölkerung von knapp 19 Mio. Beachtung geschenkt werden. 2003 verzeichneten
Menschen, während dieselben Branchen im natio- 169 Metropolitanregionen geringere Arbeitslosen-
nalen Durchschnitt nur 5,8 % ausmachten. Auf- quoten als im Jahr zuvor. Allerdings hatten 139 Me-
grund der Beschäftigtenentwicklung in den wichtigs- troregionen noch höhere Arbeitslosenquoten als im
ten Wirtschaftsbereichen gilt der Großraum als der Jahr zuvor, und nur wenige Metropolitangebiete zeig-
strukturstärkste der USA, obwohl ein signifikanter ten keine Veränderung.
Wandel der Beschäftigungsstruktur stattgefunden Die Städte mit den höchsten Arbeitslosenquoten
hat. Dienstleistungen haben in den vergangenen 25 sind ein Indikator für eine anhaltende Struktur-
Jahren anteilsmäßig die Bedeutung übernommen, schwäche, die nicht durch die Ereignisse des
die ehemals dem verarbeitenden Gewerbe zukam. 11. September ausgelöst wurde. Von den dreizehn
Amerikanische Metropolitanregionen sind wegen Metroregionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit von
ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung in ihrer Ge- mindestens 10 % (und damit signifikant höher als
samtheit zu wichtigen Steuerungszentren der globa- der Bundesdurchschnitt von 6,5 %) lagen neun in
len Wirtschaft geworden; sie stehen miteinander Kalifornien. In Merced, Fresno, Salinas und Yuba
und auch mit Metropolen weltweit stärker in Kon- City, um nur einige zu nennen, lag die Arbeitslosen-
kurrenz als mit Ländern. 85 % der 317 Metroregio- quote zwischen 15 und knapp 18 %. Von den 51 Me-
nen der USA zeigten im Jahr 2001 trotz der Ereig- tropolitanregionen, deren Bevölkerung größer als
nisse vom 11. September ein inflationsbereinigtes eine Million ist, wurden die höchsten Arbeitslosen-
Wirtschaftswachstum, das den nationalen Durch- quoten zwischen 8 und 9 % in San José, Portland-
schnitt überstieg. Dabei ist beachtenswert, dass die Vancouver und New York City verzeichnet, was mit
Industrien und auch ihre Massenentlassungen, die der schwierigeren Marktlage der Dot-Com-Unterneh-
im selben Jahr 1,5 Mio. Personen betrafen, dieses men und der Marktsättigung im Informations- und
Wachstum kaum statistisch beeinträchtigen konn- Telekommunikationsmarkt zusammenhängt. Die größ-
ten, findet das Wirtschaftswachstum doch vor allem ten absoluten Arbeitsplatzverluste mussten 2002
in tertiären Sektor statt. Da industrielle Produktion die Hochburgen der Hochtechnologieentwicklung
in der Volkswirtschaft keine so dominante Rolle mehr San José (– 44 100), New York (– 38 400) und Bos-
spielt wie noch im Industriezeitalter, sondern die ton (– 35 200) hinnehmen (US Department of Labor,
amerikanische Wirtschaft im Wesentlichen auf den Bureau of Labor Statistics 2003; Metropolitan Area
Bedürfnissen und dem Konsum einer Dienstleistungs- Employment and Unemployment Data Files).
gesellschaft wächst, wird nachvollziehbar, warum Die niedrigsten Arbeitslosenquoten wurden in
eine Konsumorientierung auch alle Bereiche der Po- Washington, D.C. mit 3,5 % verzeichnet, was mit
litik, inklusive der Außenpolitik, sowie die Siche- der Neuschaffung des Department of Homeland Sec-
rung nationaler Interessen weltweit bestimmt. urity zusammenhängt, das mit 170 000 neuen Mit-
Da die Städte die bedeutendsten Zentren der ge- arbeitern 2001 seinen Dienst aufnahm. Stark sin-
samten Volkswirtschaft und des Wirtschaftswachs- kende Arbeitslosenquoten verzeichneten Charlotte,
tums sind und sich von den 317 Metropolitanregio- North Carolina, was durch die neuen Aufträge im
nen der USA 31 in zwei Bundesstaaten und drei Bereich der Hochtechnologieentwicklung im Re-
weitere in vier Bundesstaaten ausdehnen, werden search Triangle bedingt wird, wo wegen der allge-
lokale und einzelstaatliche Grenzen in zunehmen- mein geringeren gewerkschaftlichen Entwicklung
dem Maße für die Wirtschaft irrelevant. Städte do- billiger als in anderen Silicon Landscapes der USA
minieren ihre Bundesstaaten erheblich. So werden gearbeitet werden kann; ferner der Raum Miami, wo
71 % des BIP des Bundesstaates Illinois in Chicago die „Rentnerindustrie“ für einen stabil wachsenden
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196 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

New York City– Duale Struktur einer Global City


Über die Hälfte der Arbeitsplätze des fast 19 Mio. Menschen und das Wohnen im urbanen Milieu, das verkehrsmäßig
umfassenden Metropolitanraums liegt in New York City. Die günstig über U-Bahnen, Tunnel, Brücken und Fähren an die
Pendlerströme zeigen, dass 40 % der Erwerbstätigen des Wirtschaftscity angebunden ist, geplant wurde. Auch auf
Großraums innerhalb des Ballungsraums über die County- Manhattan selbst wurde die Wirtschaftscity ausgedehnt. Hier
oder Borough-Grenzen hinweg pendeln; noch im peripheren wurde Battery Park City geschaffen, ein aufgeschütteter
Ring werden rund 70 % des Gesamteinkommens durch Ar- Landstreifen an der Westseite von Manhattan. Die Planungen
beitsplätze im Großraum New York verdient. Dies zeigt die dazu begannen in den 1960er Jahren; ausgeführt wurden sie
außerordentliche wirtschaftliche Verflechtung und Integra- später unter Verwendung des Aushubs vom World Trade Cen-
tion innerhalb des Großraums, ebenso aber auch, dass das ter und seiner fünf Nebentürme, eines Großhotels und fünf
Wirtschaftswachstum der Region sehr stark an den Ausbau neuer U-Bahn-Höfe im Umfeld. Der Großteil wurde jedoch
und die Entwicklung des Verkehrssystems (Autobahnen, durch ausgebaggerte Flusssedimente geschaffen. Battery
Schnellstraßen, Brücken, Tunnel, öffentlicher Personennah- Park City ist 1,5 km lang und ca. 250 m breit und der Be-
verkehr zu Land und zu Wasser) gebunden ist. Das öffent- bauung des benachbarten Finanzdistrikts von Manhattan an-
liche Transportwesen ist also von zentraler Bedeutung für gepasst. Wie auch in den anderen neuen Bürogebäuden von
die Wirtschaft des Großraums New York und seiner Periphe- Downtown Manhattan handelt es sich bei Battery Park City
rie. Transportwesen und Telekommunikation gelten ebenfalls um „intelligente“ Gebäude, bei denen sämtliche Büroflä-
als Grundlage für die überregionale bzw. globale Rolle, die chen total vernetzt sind und den Zugang zu weltweiten Da-
bestimmte Branchen New Yorks innehaben. Modernste Tele- tenbanken und Computerinformationsdiensten erlauben.
kommunikationstechnologie und der internationale Flug- Totalverkabelung und Vernetzung der Kommunikationssyste-
und Schiffsverkehr tragen dazu bei, dass New York in Bezug me gilt in den Bürogebäuden Manhattans als Grundversor-
auf einige seiner wirtschaftlichen Sektoren führend in der gungseinrichtung, wozu auch eigene Breitband-Lokalnetze
Welt wurde und von zentraler Bedeutung für die USA ist. mit duplizierten Leistungsnetzen für den Notfall und die
New York City ist durch seine Konzentration von Kapital- eigene Notstromversorgung gehören.
handelshäusern und Finanzierungsunternehmen, die inter- Außerhalb der Wirtschaftscity Manhattans gibt es in eini-
national tätig sind, Wertpapierhandel und Kapitalanlagen in gen Teilen der Kernstadt regionale Schwerpunktgebiete für
Milliardenhöhe betreiben und in der Weltwirtschaft ent- die Industrieansiedlung durch besondere Förderungsprogram-
scheidende Kontrollfunktionen einnehmen, eine sogenannte me für Industrieparks, z. B. in der Bronx für hafenbezogene
global city, von der wirtschaftliche Entscheidungen weltwei- Industrien, Gewerbe und Dienstleistungen. Auf diesen Indus-
ter Tragweite ausgehen. Angesiedelt sind die „Kapitalfabri- trie-, Gewerbe- und Technologieparks werden bis zu 22 Jah-
ken“ im südlichen Teil Manhattans, wo auch andere hoch- ren Steuerfreiheit gewährt, um diese Gebiete geringeren
spezialisierte, unternehmensbezogene Dienstleitungen wie Profitpotenzials für Investoren interessant zu machen. Trotz
Wirtschafts-, Rechts- und Unternehmensberatung, ferner der wirtschaftlichen Dynamik des Großraums und der beson-
Markt- und Produktforschung und Werbung konzentriert deren planerischen Anstrengungen, die lokale Wirtschaft in
sind. Zudem findet sich hier eine Häufung von Herstellern stagnierenden Stadträumen zu beleben, kann nicht verhin-
oder Händlern von Luxusartikeln wie Diamanten, Pelzen dert werden, dass sich in New York vor allem in sozialer Sicht
oder Antiquitäten. Insgesamt befinden sich im Central Busi- eine duale Stadt abzeichnet und die Polarisierungstendenzen
ness District von New York City, also Downtown und Mid- eher stärker werden. Zwischen der Wirtschaftscity Manhat-
town Manhattan, 455 Hauptkonzernverwaltungen, davon tans und den waterfront-Bereichen von Queens, Brooklyn und
200 multinationale Unternehmen, weil eine erstklassige New Jersey sowie den weiträumigen mittelständischen Peri-
Adresse und face to face-Kontakte in den front offices für phergebieten des Großraums liegt ein Ring anderer Realität,
diese Dienstleistungen wichtige Standortfaktoren sind. Die der Teile von New Jersey, Brooklyn, Queens und der Bronx
eigentlichen Routine- und Verwaltungsfunktionen der Fir- umfasst und als Auffangbecken derer gilt, die nicht in der
men, wie z. B. Datenverarbeitung, sind dagegen in den back Wirtschaftscity arbeiten können. Diese Stadtteile sind über-
offices in angrenzende Stadtteile, z. B. an den Ufern, die wiegend Konzentrationsgebiete der Minderheiten, vor allem
Manhattan gegenüberliegen (waterfront-Bereich), oder in die der Afroamerikaner, und dicht besiedelt. Soziale Ungleichheit
peripheren Counties des Großraums ausgelagert. Es zeich- war immer ein Kennzeichen New Yorks; die Zustände in ge-
nen sich also im Großraum New York Tendenzen zu einer trennten Welten innerhalb der Stadt waren schon um die
Dualität innerhalb des tertiären Sektors ab, wobei Manage- Wende zum 20. Jahrhundert Auslöser großer Sozialreformen.
mentfunktionen und leitende Angestellte in der Wirtschafts- Waren jedoch seinerzeit die Armen und Neueinwanderer
city bleiben, die Masse der Dienstleistungen der unteren überwiegend in die Wirtschaft der Stadt integriert, so haben
und mittleren Ebene aber weniger zentral in angrenzenden die modernen Dienstleistungen heute kaum noch Bedarf an
Stadtteilen und Counties liegt und entsprechende Pendler- den vielen minderqualifizierten Bewohnern, die in den ärme-
ströme anzieht. ren Wohngebieten konzentriert sind. Daher entwickeln sich
Die Büroflächenentwicklung für front offices und back im Gegensatz zur sozialen Ungleichheit früherer Jahrzehnte
offices zeigt sich sehr stark im waterfront-Gebiet, also dem Stadträume, die funktional entkoppelt sind, kaum noch eine
Uferbereich des südlichen Manhattan und den gegenüber- Aufwärtsmobilität erlauben und die Versorgung nicht mehr si-
liegenden Ufern von Brooklyn und Queens sowie New Jersey. cherstellen, denn es gibt nur wenige Subzentren, die als Ver-
Noch fast zur Wirtschaftscity gehören die Ufer von Brooklyn, sorgungseinheiten oder Ausgangspunkte lokaler Wirtschafts-
Queens und New Jersey, wo für ergänzende Dienstleistungen kreisläufe fungieren könnten.
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Industrien – Motoren des Wirtschaftswachstums? 197

Markt sorgt. Aus ähnlichen Gründen verzeichnete nach den Anschlägen überstiegen die vorherigen
Las Vegas den größten Arbeitsplatzzuwachs, der sich noch um ein Vielfaches. Ebenso wie US-Air und
aus drei wichtigen Faktoren ergibt: Rentnerkolonien United Airlines suchte auch die dritte große ameri-
in und im weiteren Umland von Las Vegas – auch als kanische Fluggesellschaft – American Airlines, die
Mobile Home -Billigvariante –, ferner militärische auch die größte der Welt ist – 2003 den Gläubiger-
Nutzungen des Bundesstaates im Interesse der na- schutz nach „Kapitel Elf“, der Konkursverordnung
tionalen Sicherheit und schließlich die Tatsache, nach Nettoverlusten von fast 500 Mio. Dollar im ers-
dass im Bundesstaat Nevada keine Bundessteuern ten Quartal 2003 und 3,2 Mrd. im gesamten Vorjahr
auf Einkommen erhoben werden, womit besonders (2002). Kapitel Elf ist eine juristische Maßnahme
für sehr Wohlhabende der normalerweise größte An- zum beidseitigen Schutz von Gläubigern und
teil der steuerlichen Belastung nicht anfällt. Schuldnern, wonach der Schuldner während mehre-
Die Industrie, die bis weit in die zweite Hälfte des re Monate den Betrieb mit minimierten Kosten auf-
20. Jahrhunderts hinein noch das Zugpferd des Wirt- rechterhalten darf. Chapter Eleven-Insolvenzen er-
schaftswachstums war, ist nicht länger der Motor. In lauben es, Massenentlassungen und Personalbeur-
209 Metropolitanregionen wurde massiver Arbeits- laubungen vorzunehmen, Lohnkürzungen zu erzwin-
platzverlust in den Industrien verzeichnet, wobei gen und Pensionen zu streichen, bevor eine Totalli-
auch die Informations- und Telekommunikationsin- quidation notwendig wird. Allerdings erfolgt nicht
dustrie im produzierenden Bereich, ferner der Han- selten beides: Zunächst kommt es zu Lohn- und
del, das Transportwesen und die städtischen Versor- Pensionsverlusten und später zur Liquidation.
gungsbetriebe einen Arbeitsplatzabbau in 152 Groß- Insgesamt bauten die amerikanischen Fluggesell-
städten registrieren. Arbeitsplatzwachstum findet schaften im Jahr 2001 über 100 000 Stellen ab, wo-
sich besonders in den postindustriellen Bereichen bei die Auswirkungen der Terroranschläge längst fäl-
der Ausbildungs- und Gesundheitsdienstleistungen. lige Restrukturierungsmaßnahmen beschleunigten.
Die Großregionen der USA spiegeln das Bild des Die Fluggesellschaften hatten nicht nur im Jahr 2002
Arbeitsmarktes ihrer Städte und die zum Teil einsei- 10 Mrd. Dollar und 2001 8 Mrd. Dollar Verluste ver-
tige Orientierung auf Hochtechnologiebranchen zeichnet, sondern auch schon in den Jahren vor den
wider, während ein Teil dieser Branchen, vor allem Terroranschlägen erhebliche Einbußen erlitten. Auch
im Bereich der Gebrauchscomputer-Technologie, die 5 Mrd. Dollar Soforthilfe der amerikanischen Bun-
eine starke Marktsättigung erfährt. Kalifornien ver- desregierung und die in Aussicht gestellten Bundes-
zeichnete mit 6,5 % insgesamt die höchste Arbeits- kredite in Höhe von 10 Mrd. Dollar zur Sanierung
losenquote. Andere Regionen mit hochspezialisier- der Fluggesellschaften konnten fehlende Konkur-
ter Ausrichtung der Wirtschaft erfuhren ebenfalls renzvorteile oder Rationalisierungen nicht ersetzen.
starke Einbußen, so z. B. der vom Flugzeugbau ab- Insgesamt sind alle industriell geprägten Regio-
hängige pazifische Nordwesten, der aufgrund der nen von der anhaltenden Strukturkrise des amerika-
Terroranschläge, zurückgehender Fluggastzahlen nischen Arbeitsmarktes betroffen oder sogar in star-
und Flugzeugbestellungen eine dramatische Ab- kem Maße dafür verantwortlich. In den 50 Bundes-
wärtsentwicklung erlebte. Die US-Luftfahrtbranche staaten und im District of Columbia verzeichneten
befand sich bereits zuvor über mehrere Jahre hin- fast alle Bereiche der industriellen Produktion ganz-
weg in einer Phase massiver Verluste. jährig Arbeitsplatzabbau. Ganzjährige Beschäftig-
Schon vor dem 11. September 2001 hatte der tenzunahmen sind jährlich in 41 Bundesstaaten nur
Kampf um Marktpositionen zu einem Flugnetzausbau im Bereich der Regierung/Verwaltung, wozu auch
geführt, der sich als nicht wirtschaftlich erwies und das Militär gehört, sowie im Dienstleistungssektor
Liquidationen, Stellenabbau und Versuche von An- zu vermerken (US Department of Labor, Bureau of
gestellten, ihre Airlines durch Eigenbeteiligung be- Labor Statistics 2003, Regional and State Employ-
triebsfähig zu halten, zur Folge hatte. Die Verluste ment and Unemployment Summary).

Industrien – Motoren des Wirtschaftswachstums?


Das Wirtschaftswachstum im Industriezeitalter sagt: Das Wirtschaftswachstum steigt oder wird er-
schien zu bestätigen, dass mit dem Wachstum der kauft, weil Arbeitsplätze abgebaut werden.
Industrien auch das BIP insgesamt wuchs. Den In-
dustrien und ihrem Arbeitsplatzwachstum wurde Strukturelle Probleme und
von jeher eine führende und strategische Rolle im Anpassungen des industriellen Sektors
Prozess des gesamten Wirtschaftswachstums einge- Deutlich wird das strukturelle Problem der sich fast
räumt (Kusnetz 1966). Die heutigen Zahlen und verdoppelnden Lohnsummen, obwohl Arbeitsplätze
Verhältnisse zeigen, dass diese Rolle nicht mehr be- in starkem Maße abgebaut werden, nicht zuletzt
steht: Das BIP der USA steigt, während der gesam- aufgrund der steigenden Personalkosten. Wie gravie-
te Industriesektor Beschäftigte abbaut und die Pro- rend dies ist, zeigt auch die Betrachtung eines län-
duktivität der verbleibenden Beschäftigten das BIP geren Zeitraumes: Zwischen 1960 und 2000 ver-
nicht mehr erkennbar steigert (Tab. 44). Anders ge- doppelten sich die Arbeitsplätze in den USA von
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198 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Jahr Gesamtbe- Lohnsumme Produktions- Lohnsumme rung haben, oder in Teilräume, die hohe Anteile
schäftigung (in Tausend arbeiter (in Tausend neuer Immigranten stellen. Die neuen Einwande-
Anzahl Dollar) Anzahl Dollar) rerwellen in die USA haben in amerikanischen
Städten einen Arbeitsmarkt nach Drittweltstruktur
1980 19 311 400 316 494 500 13 900 100 198 164 000 entstehen lassen, mit Arbeitskräften, die ohne So-
1990 17 579 400 472 622 300 12 232 700 275 208 400 zialleistungen unter dem Mindestlohn arbeiten und
1995 17 419 200 545 362 700 12 253 100 317 767 500 in instabilen Arbeitsverhältnissen leben. Solche
2000 16 681 425 618 216 523 11 959 223 363 272 413 neuen Standorte sind auch suburbane Räume,
2004 14 365 000 Ghettos, ferner die Städte entlang der mexikani-
schen Grenze und ländliche Kleinstädte, die weit
Tab. 44: Entwicklung des Industriesektors.
außerhalb des gewerkschaftlich noch stark organi-
Quelle: US Bureau of the Census, Economics and Statistics Administration 2003 und 2004; Annual Survey of Manufactures, Tab. 1 (veränd.).
sierten, ehemaligen Manufacturing Belt liegen.
68,5 Mio. auf 140,9 Mio. Die Zahl der industriellen ■ Spekulative finanzielle Operationen.
Arbeitsplätze, die 1960 noch 17,3 Mio. betrug, stieg ■ Deregulation und Zerschlagung einiger Gewerk-
bis 1979 auf den Maximalwert von 21,4 Mio. an schaften (z. B. Fluglotsen) durch den Gesetzgeber.
und fiel seither kontinuierlich. Während dieses Zeit- ■ Umstellung auf Zeitarbeit und weniger Vollzeit-
raums sank der Anteil der Industriearbeiter an der beschäftigte (labor flexibility), womit die Sozial-
Gesamtbeschäftigung von vormals 25 % auf 15 %, versicherung umgangen werden kann. Kurz- und
wobei der größte Niedergang seit 1980 zu verzeich- mittelfristig werden für Arbeiter die Möglichkeiten
nen war. Innerhalb der De-Industrialisierung gab es zum sozialen Aufstieg (opportunity structure) und
eine herausragende Kategorie von Industrien, die die soziale Alterssicherung reduziert.
Hochtechnologiebranchen, die bis zum Jahr 2000 ■ Umstellung der Leistungsbemessung: Nicht mehr
nicht nur ein rasantes Wachstum vorlegten, sondern Arbeit nach Festlohn, sondern nach Stückzahl
auch für über 90 % des Wachstums in der Gesamt- wird in vielen Produktionsstätten praktiziert. Dies
industrie verantwortlich waren (US Department of erlaubt, bei schlechter Auftragslage die Stück-
Commerce, Economics and Statistics Administra- zahl/den Gesamtoutput zu reduzieren. Das be-
tion, Office of Business and Industrial Analysis, deutet jedoch auch geringere und unsicherere
1995. Engines of Growth. Manufacturing Industries Einkommen und ein erhöhtes Risiko, in die Armut
in the US Economy). abzugleiten. Ferner gibt es Kurzarbeitsvereinba-
Innerhalb des Industriesektors verändert sich die rungen von weniger als 40 Stunden pro Woche
Struktur der Beschäftigten: Da immer mehr Produk- oder Verträge, die für mehr als 40 Stunden den-
tionsarbeitsplätze in Niedriglohnländer ausgelagert noch nur denselben Lohn vorsehen.
werden, sind heute anteilsmäßig weniger Produk-
tionsarbeiter im verarbeitenden Sektor zu verzeich- Veränderungen der Firmenstrukturen –
nen als 1960 oder 1980. Seit den 1980er Jahren virtuelle Unternehmen
wurden Hunderttausende von gut bezahlten Fach- Die Möglichkeiten der Informations- und Telekom-
arbeiterstellen in den USA wegrationalisiert. Das munikationstechnologie erlauben es Konzernen,
gleichzeitig stattfindende enorme Wachstum der Ar- sich aufgaben- und projektspezifisch neu zu struk-
beitsplätze im Dienstleistungsbereich brachte je- turieren. Wettbewerbsdruck und Technologiefort-
doch auch hohe Anteile von Stellen im Niedriglohn- schritte, über die man sich mittels gemeinsamer
bereich, in denen zum Teil nur ein Drittel des In- Netzwerke austauschen und Produktionsprozesse
dustrielohns verdient wird. Zudem konnte dieser Be- untereinander absprechen kann, erlauben es, sich
reich den Verlust industrieller Arbeitsplätze, vor jederzeit so zu organisieren, dass man in der Pro-
allem der Facharbeiterstellen, durch das Dienstleis- duktion wie eine Organisation handeln kann. Dies
tungswachstum nicht ganz auffangen, da in beiden ermöglicht Firmen, sich auf ihre Kernkompetenzen
Sektoren der Wirtschaft verschiedene Qualifikations- zu besinnen und die Produktions- oder Vermark-
voraussetzungen herrschen. tungsprozesse einzustellen, in denen sie nicht
Die Umstrukturierung der Industrien als Anpas- marktführend sind. An die Stelle der vertikal inte-
sung an Wettbewerbsfähigkeit ist verschiedener Art: grierten Unternehmen treten mittlerweile in den
■ Verlagerung industrieller Produktionsprozesse USA die Firmen, die in strategischen Allianzen mit
nach Übersee, während die Entscheidungsfunk- anderen Firmen effizienter und als Marktführer
tionen (headquarters) in den USA verbleiben. Die produzieren, was sie zuvor innerhalb ihrer vertikalen
Verlagerung der Produktionsstätten bringt die im Unternehmensstruktur nicht vermochten. Durch
Inland arbeitenden amerikanischen Industrie- strategische Allianzen gebildete, virtuelle Unter-
arbeiter in direkten Wettbewerb mit den Billig- nehmen lassen eine stärkere Spezialisierung in der
lohnarbeitern in Übersee. Kernkompetenz, die Eliminierung von Doppelspurig-
■ Massenentlassungen. keiten innerhalb und zwischen Firmen und Wett-
■ Die Einstellung von nicht gewerkschaftlich organi- bewerbsvorteile in hochspezialisierten Produkten
sierten Arbeitskräften (non union labor) und die mit Marktführerposition zu (US Department of
Verlagerung von Firmenabteilungen und Produk- Commerce, Economics and Statistics Administra-
tionsstätten in Bundesstaaten, die traditionell tion, Office of Business and Industrial Analysis
eine gewerkschaftlich wenig organisierte Bevölke- 1995, S. 32).
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Industrien – Motoren des Wirtschaftswachstums? 199

Stärkere Spezialisierung und Verschlankung auf Investitionsvolumen, welches dasjenige jeder ande-
Kernkompetenzen sind jedoch stets mit Stellenab- ren Industrie übertraf. Der Verkaufswert der Exporte
bau verbunden. Die Massenentlassungen in der In- der Automobilindustrie stieg zwischen 1988 und
dustrie haben Auswirkungen von gesamtwirtschaft- 1997 von 33,4 Mrd. Dollar auf 74 Mrd. Dollar, also
licher Tragweite, auch wenn die Verluste rein statis- um 122 %, und die Anzahl der Fahrzeuge von
tisch durch Zuwachs im Dienstleistungssektor aus- 970 000 auf 1,33 Mio., also um 37 %. Im Jahr
geglichen werden. So hinterlassen die Massenent- 1998 machten Fahrzeugexporte 12 % der gesamten
lassungen ihre Wirkung auf die Börsen, die in immer nicht landwirtschaftlichen Exporterzeugnisse aus.
stärkerem Maße in engen Handelsbreiten der Anla- Auch der Vertrieb und Handel von Fahrzeugen ist
gemöglichkeiten reagieren. Dadurch erreichen Ak- ein wesentlicher Teil der gesamten Automobilbran-
tienumsätze für ausgewählte Industrien Tiefstände, che. 1999 erzielten allein die 22 500 Autohändler,
was sich wiederum auf deren Kapitalgenerierungs- die Neuverkäufe tätigen, Umsätze von 608 Mrd.
und Funktionsfähigkeit auswirkt. Industrien befin- Dollar und schufen 1,9 Mio. Arbeitsplätze mit einer
den sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem Lohnsumme von 65 Mrd. Dollar. Automobile sind
Prozess des Niedergangs, weil gesamtgesellschaftli- ein wesentliches Element der Highway Society USA,
che Entwicklungen und Massenkonsum, der auch waren doch 1999 rund 210 Mio. Autos registriert,
zur Marktsättigung führt, die Nachfrage an viele In- die von 180 Mio. Führerscheininhabern gelenkt wur-
dustrien verringert und Bedürfnisse eher im Bereich den. Mit rund 17 Mio. produzierten Fahrzeugen im
des tertiären Sektors gewachsen sind. Boom-Jahr 2000, einer Zahl, die dreimal größer als
die japanische Autoproduktion und viermal größer als
Schlüsselbranchen der Industrie – die deutsche ist, war die amerikanische Automobil-
Automobilproduktion industrie die größte der Welt, was durch die enorme
Die Automobilproduktion ist mit 6,6 Mio. Beschäf- Nachfrage nach Privatkraftwagen bedingt ist. Ge-
tigten, die 2001 direkt oder indirekt von dieser In- messen am Wert des Output produziert die amerika-
dustrie abhängig waren und eine Lohnsumme von nische Autoindustrie mehr als jede andere Indus-
insgesamt 243 Mrd. Dollar auf sich vereinigten, die trie, 1999 waren es annähernd 350 Mrd. Dollar
größte verarbeitende Industrie der USA. Kein ande- bzw. 3,7 % des BIP, berechnet in konstanten Dollar
rer Wirtschaftszweig ist stärker mit Zulieferindus- mit Basisjahr 1996 (University of Michigan, Insti-
trien sowie im Vertrieb und Handel vernetzt oder ge- tute of Labor and Industrial Relations, University of
neriert mehr Beschäftigung – insgesamt 5 % der pri- Michigan Transportation Research Institute, Office
vatwirtschaftlich Beschäftigten, wobei die Löhne in for the Study of Automotive Transportation & En-
dieser Branche mit rund 65 100 Dollar pro Jahr im vironmental Research Institute of Michigan, Center
Jahr 2001 um 73 % höher lagen als der amerikani- for Automotive Research 2001).
sche Durchschnittsverdienst. Für andere Komsum-
güterindustrien lag er bei 50 900 Dollar pro Jahr, für Stabilität und Wachstum der Automobilindustrie
die gesamten verarbeitenden Industrien bei 48 300 Vier Faktoren können für die relative Stabilität der
und für die USA insgesamt bei 37 600 Dollar pro Automobilindustrie und das Wachstum verantwort-
Jahr: Die direkte Beschäftigung, insgesamt 1 338 700 lich gemacht werden:
Personen, sowie die indirekte Beschäftigung in Zu- 1.Die Tatsache, dass internationale Automobilher-
lieferindustrien und die 3 133 700 durch Nachfrage steller Produktionsstandorte in den USA aufge-
der Beschäftigten induzierten Arbeitsplätze sind in nommen haben, womit sie Importzölle umgehen
jedem Bundesstaat ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, und auf dem amerikanischen Markt außerordent-
der Milliarden an Lohnsummen und Jahresumsätzen lich wettbewerbsfähig sind.
erzeugt (Tab. 45). Die Zahlen belegen eindrücklich, 2.Die Tatsache, dass man innerhalb der USA durch
warum auch die Bundesregierung die Automobilin- geschickte Standortwahl Optimierungschancen
dustrie und die für die Mobilität Amerikas so wichti- wahrnehmen konnte. Die amerikanische Automo-
ge Erdölindustrie so stark fokussiert. bilindustrie zeigt zwar noch eine starke Einbin-
Die amerikanischen Automobilhersteller gehören dung in den traditionellen Standort des Manufac-
mit einer Produktion von 11 424 689 Fahrzeugen turing Belt, der vor allem im Großraum Detroit
2001 und 12 274 917 im Jahr 2002, davon über 5 verhaftet ist, sie hat sich jedoch seit den 1970er
Mio. Pkws und 7 Mio. andere Fahrzeuge (light com- Jahren auch in andere Teilräume der USA verla-
mercial vehicles), zu den Konsumenten mit der gert. Ebenso zeigt auch die ausländische Automo-
größten Nachfrage für Aluminium, Kupfer, Eisen, bilproduktion in den USA ein sehr disperses Stand-
Blei, Kunststoffe, Kautschuk/Gummi, Textilien, Vinyl, ortmuster. Bei der amerikanischen Automobilin-
Stahl und Computerchips. Produktion und Verkauf dustrie waren transportorientierte Entscheidungen
der Automobilindustrie generieren 3,7 % des ameri- (hinsichtlich der Rohstoffe, der zuliefernden In-
kanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Wachs- dustrien und der Absatzmärkte) immer maßgeb-
tum lag sogar während der Rezessionsjahre zwi- lich, insbesondere seit Beginn der Massenproduk-
schen 1987 und 1999 – gemessen in konstanten tion. Mit den Exporten preiswerter Kleinwagen
Preisen auf Basis des Jahres 1996 – bei 47 %. Im aus Europa und Japan ergab sich seit Mitte der
Bereich der Forschung und Entwicklung investierte 1960er Jahre die Notwendigkeit zur Rationalisie-
die Autoindustrie 18,4 Mrd. Dollar im Jahr 1998, ein rung. Die Automobilkonzerne entwickelten eigene
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200 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Bundesstaat Anzahl Einrichtungen der Weitere Auto- Gesamtlohnsumme Jahresumsatz


Beschäftigte Automobilindustrie mobil-bezo- der Beschäftigten aus dem Neu-
gene Unter- (Mrd. Dollar) wagenverkauf

Quelle: The Alliance of Automobile Manufacturers, 2003; US Auto Industry Employment: Direct and Spin-Off Jobs (veränd.). * Hauptverwaltungen, Forschungs- und Entwicklungsstätten, Verkaufs- und Marketingzentren, Ingenieurdesign, Finanzierungszentren, Ersatzteilverteilzentren.
nehmen (ohne Zulieferer)* (Mrd. Dollar)

Michigan 1 007 500 22 % der Beschäftigten des Bundes- 89 44,7 28,3


staates bzw. über 1 Mio. Arbeitsplätze
hängen direkt oder indirekt von der
Autoindustrie ab.
Vier Produktionsstätten von
DaimlerChrysler in Detroit, Sterling
Heights und Warren; vier Ford-Pro-
duktionsstätten in Dearborn und Wayne,
Ford-Mazda-Produktionsstätte in
Flat Rock, sechs weitere GM-Pro-
duktionsstätten. Hinzu kommt eine
große Anzahl von Zulieferunternehmen.
Ohio 630 800 Sieben Produktionsstätten von Daimler- 36 22,6 28,3
Chrysler, Ford, VW, Isuzu, Nissan, GM.
Kalifornien 462 900 Toyota-GM-Joint-Venture-Produktions- 106 17,8 68,5
stätten, Produktionsstätten für Fahr-
zeugteile von Toyota, Ford, Isuzu,
Mazda, Mitsubishi, Nissan. Ferner
US-Hauptverwaltungssitze asiatischer
Automobilhersteller.
Texas 318 900 Eine GM-Produktionsstätte. 32 11,5 50,0
Illinois 311 900 Drei Produktionsstätten von Daimler-
Chrysler, Ford, Mitsubishi. Zuliefer-
betriebe von Ford und GM. 23 12,1 24,9
New York 274 000 Zulieferindustrien von DaimlerChrysler, 20 12,3 29,7
GM, Toyota. Registrierte Fahrzeuge
1998: 10,4 Mio.
Indiana 263 700 Drei Produktionsstätten von GM, Isuzu/ 14 8,9 13,5
Subaru und Toyota. 5,4 Mio. registrierte
Fahrzeuge 1998.
Tennessee 229 900 Zwei Produktionsstätten von GM und 5 8,0 12,2
Nissan, Zulieferbetriebe von Ford und
Nissan.
Missouri 221 200 Produktionsstätten von DaimlerChrysler, 10 7,6 11,9
Ford, Mazda, GM. Zulieferindustrien
von Toyota.
Pennsylvania 220 800 Ein Zulieferbetrieb von GM. 9 7,7 26,7
Georgia 182 900 Zwei Produktionsstätten von Ford und GM. 19 6,4 20,5
6,9 Mio. registrierte Fahrzeuge 1998.
Florida 182 900 11,3 Mio. registrierte Fahrzeuge 1998. 19 5,7 42,1
Kentucky 165 500 Keine näheren Angaben
New Jersey 162 000 Zwei Produktionsstätten von Ford und 28 7,0 20,5
GM. 5,7 Mio. registrierte Fahrzeuge
1998.
Wisconsin 157 200 Eine Produktionsstätte, Zulieferbetrieb 6 5,0 12,4
von DaimlerChrysler. 4,2 Mio. regis-
trierte Autos 1998.
North Carolina 153 800 Vier DaimlerChrysler-Produktionsstätten 11 4,8 17,3
für schwere Fahrzeuge. 5,8 Mio.
registrierte Fahrzeuge 1998.

Tab. 45: Bundesstaaten mit der größten Anzahl der direkt und indirekt in der Automobilindustrie Beschäftigten.
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Industrien – Motoren des Wirtschaftswachstums? 201

compacts, handliche und preiswerte Kleinwagen, ist bislang auch nicht durch verstärktes Engage-
die überwiegend als Zweitwagen dienten. Rationa- ment der Gewerkschaften im Süden beeinträch-
lisierungen bedeuteten Werkschließungen oder tigt worden.
Umstellung auf Lkw-Produktion. Allerdings öffne- 3.Die Tatsache, dass der Pkw in der amerikanischen
ten auch neue amerikanische Produktionsstätten Gesellschaft zum weitaus wichtigsten Transport-
für compacts. Diese Werke waren größtenteils ver- mittel geworden ist. Die Automobil-Orientierung
kehrsgünstig an Eisenbahnstrecken, im 5 – 10-km- ist ein Kennzeichen der modernen amerikani-
Umkreis vom nächsten Highway oder im 50 – schen Gesellschaft. Die Familie mit einem oder
75-km-Radius von einem internationalen Flugha- mehreren Autos ist die Norm und Lebensweise,
fen angelegt. Zwar folgte der zweiten Importwelle für die alle neueren suburbanen Arbeitsplatz- und
von Kleinwagen und der Ölpreiskrise von 1972 Versorgungszentren gezielt in Clustern und in
eine weitere Anpassung der amerikanischen Auto- einer Erreichbarkeit von jeweils rund 30 Automi-
mobilindustrie durch subcompacts; diese Anpas- nuten angelegt sind. Die amerikanische Gesell-
sung an neue Wettbewerbsbedingungen war jedoch schaft ist bereits seit den 1920er Jahren auf
nicht schnell genug. Die japanische Automobilin- Automobile ausgerichtet. 1929 wurden 4,5 Mio.
dustrie hatte eine längere Tradition in der Herstel- Pkw in den USA hergestellt, was einem Verhältnis
lung preiswerter und verbrauchsarmer Fahrzeuge. von 190 Pkw pro 1000 Einwohnern entspricht
Daher konnte die japanische Autoindustrie bis und in Westeuropa erst in den ausgehenden
1980 fast 27 % des US-Marktes erobern, was 1960er Jahren erreicht wurde. Die Massenferti-
auch dadurch erleichtert wurde, dass die japani- gung und der Massenbesitz des Automobils schon
schen Konzerne ihre Werke während der Ölpreiskri- in den zwanziger Jahren (jeder vierte amerikani-
se 1972/73 gezielt in einigen Krisengebieten des scher Haushalt verfügte seinerzeit über ein Auto)
amerikanischen Manufacturing Belt anlegten wie haben zusammen mit der Subventionierung der
Illinois, Indiana, Michigan, Ohio oder Kentucky. Es Autobahnen ebenfalls seit den zwanziger Jahren
waren einerseits Gebiete hoher Arbeitslosigkeit und eine Highway Society entstehen lassen (Abb. 133).
Sozialbedürftigkeit, andererseits relativ starker ge- Die Automobilfreundlichkeit neu angelegter Wohn-
werkschaftlicher Einbindung der Arbeitnehmer im viertel in den Suburbs ist eine moderne Manifes-
Vergleich zu den Staaten des Alten Südens. Da- tation des agrar-romantischen Ideals Thomas Jef-
durch, dass japanische Autokonzerne nicht in ers- fersons, das sich seit mehr als 150 Jahren in
ter Linie Niederlassungen in Bundesstaaten mit einer Wohnpräferenz weiter Schichten der ameri-
geringer gewerkschaftlicher Repräsentanz etablier- kanischen Bevölkerung für die pseudo-ländliche
ten, sondern Arbeitsplätze in den Krisengebieten Welt der Suburbs äußert.
der amerikanischen Automobilindustrie schufen, 4.Die Steigerung des Sicherheitsempfindens durch
steigerten sie die Akzeptanz für die japanische die Privatisierung des öffentlichen Raumes mit Abb. 133: Autofriedhof
Produktion in den USA erheblich. dem Automobil. Amerikaner verbringen einen mit Zubringerstraße, Ayer,
Insgesamt aber ist bei der amerikanischen Großteil ihres Lebens im Auto. Für Berufspendler Massachusetts (Foto: Alex
Automobilindustrie in jüngerer Zeit eine Südwan- sind tägliche An- und Abfahrzeiten bis zu jeweils S. MacLean).
derung festzustellen, um Kosten zu minimieren. zwei Stunden in großstädtischen Ballungsräumen
Dabei sind Transportkosten nicht länger der aus-
schlaggebende Standortfaktor, vielmehr sind wei-
tere wichtige Faktoren, wie die Lohnkosten und
deren Entwicklung, hinzugekommen. Neuere
Standorte machen eine Abwägung zwischen
Transport- und Lohnkosten notwendig. Die Ten-
denz geht dahin, Montage- und Zulieferwerke in
den Bundesstaaten zu etablieren, die traditionell
gegen Gewerkschaften eingestellt waren, oder Ar-
beitskräfte einzustellen, die nicht gewerkschaft-
lich organisiert sind. Ferner profitieren Bundes-
staaten, die sich in jüngerer Zeit als ausgespro-
chen investorenfreundlich erwiesen haben, z. B.
durch die Ausweisung von steuerbegünstigten oder
-freien Enterprise-Zonen. Es sind außerdem länd-
liche Gebiete, in denen die Arbeitsplatzstruktur
schwach ist, und Gebiete, die noch nicht Standor-
te der (von Gewerkschaften sonst sehr stark domi-
nierten) Automobilindustrie waren, die anziehend
wirken. Der Kostenvorteil in „Billiglohn-Bundes-
staaten“ (aufgrund des hohen Anteils gewerk-
schaftlich nicht organisierter Arbeitskräfte) wiegt
dabei den Kostennachteil (höhere Transportkosten
zu den großen Absatzmärkten) offenbar auf und
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202 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

nicht ungewöhnlich; auch das Einkaufs- und Frei- struktur sowie der privaten Sicherheitsdienste mit
zeitverhalten verlangt die Benutzung des Autos. weit reichenden Vollmachten privatisierte, d. h. si-
Zudem wird das persönliche Sicherheitsempfin- chere, öffentliche Räume. Das Automobil schafft
den durch die Benutzung des privaten Automobils also nicht nur eine private Sicherheitszone wäh-
auf öffentlichen Räumen erheblich gesteigert. In rend der Fahrt zu wichtigen Bezugszentren der
zunehmendem Maße werden somit diese öffent- amerikanischen Gesellschaft (Arbeits- und Ein-
lichen Räume zum privaten Lebensraum. Auto- kaufszentren), sondern ist – weil es diese Verbin-
bahnen sind das Bindeglied zwischen der Privat- dung herstellen kann und ein sicheres Leben von
garage, die in den meisten amerikanischen Häu- privater Garage zur Garage eines privatisierten, öf-
sern zweckmäßig im Haus mit einem Eingang fentlichen Raumes ermöglicht –, das wichtigste,
zum Küchenbereich liegt, und der Tiefgarage des (über-)lebensnotwendigste Gut in der Highway-
Arbeits- oder Einkaufsplatzes. Das Auto ermög- Gesellschaft; das Automobil wird in zunehmen-
licht es, sich in einer immer stärker polarisierten dem Maße das verlängerte Ich (extended self). Es
Gesellschaft, in der das individuelle Sicherheits- überrascht aus amerikanischer Perspektive nicht,
empfinden in öffentlichen Räumen stark beein- dass auch die Bundespolitik, insbesondere die
trächtigt ist, sicher in seiner Privatsphäre zum Wirtschafts- und Außenpolitik, dieses die indivi-
nächsten Ziel zu bewegen, ohne diese private Si- duelle Freiheit/Mobilität und Sicherheit gewähr-
cherheitszone – das Auto – verlassen zu müssen. leistende, quasi gesellschaftliche Gut mit allen
Dabei sind ja auch die wichtigsten Ziele neben Mitteln fördert und dabei ihre „nationalen Inter-
dem Arbeitsplatz, die shopping malls, bereits auf- essen“ an Ressourcen, die dafür notwendig sind,
grund ihrer zentralen Besitz- und Management- auch im Ausland zu sichern sucht.

Landwirtschaft und der ländliche Raum Amerikas –


Eckdaten und strukturelle Probleme
Strukturen der Landwirtschaft lichen Nutzfläche von 13,2 % Einkünfte von unter
Mit der Tertiärisierung der Wirtschaft verringerte 10 000 Dollar pro Jahr, während 16,1 % der Betrie-
sich auch die Bedeutung des Agrarsektors, was sich be mit einem Flächenanteil von 57,7 % einen Ver-
durch eine Abnahme der landwirtschaftlichen Be- kaufserlös von über 100 000 Dollar jährlich ver-
triebe und der in der Landwirtschaft Beschäftigten zeichnen. Über ein Viertel aller landwirtschaftlichen
zeigt. Die Zahl der Farmbevölkerung, die direkt oder Betriebe, die nur 4,5 % des bewirtschafteten Lan-
indirekt von der Landwirtschaft lebte, nahm im Lauf des ausmachen, ist in der sehr kleinen Größenklas-
von nur zwei Generationen von über 30 Mio. Men- se des jährlichen Verkaufswertes von unter 2500
schen in den 1930er Jahren auf rund 4,6 Mio. Men- Dollar angesiedelt. 3,2 % der landwirtschaftlichen
schen zu Beginn der 1990er Jahre ab. Der Anteil Betriebe, die immerhin 18,1 % des bewirtschafte-
der Farmbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ten Landes stellen, sind in der Größenklasse der
sank damit von rund einem Viertel auf 1,8 % (Klohn Farmen mit einem Verkaufswert von über einer hal-
& Windhorst 1995, S. 8,18). ben Million Dollar registriert. Sehr deutlich wird hier
Während 1960 noch 3,963 Mio. Farmen im Zen- die duale Struktur des amerikanischen Agrarsektors,
sus erfasst wurden, waren es 1974 nur noch 2,795 der seit Jahrzehnten Konzentrationsprozessen unter-
Mio. Nach der 1974 erfolgten Neudefinition von liegt, bei dem Familienfarmen mittlerer Größe ge-
Farmbetrieben (alle Einheiten mit einer Agrarpro- genüber Großfarmen und agrarindustriellen Unter-
duktion von mindestens 1000 Dollar jährlichem nehmen stetig an Bedeutung verlieren.
Verkaufswert) gab es 1975 2,521 Mio. Betriebe und Der Wert der landwirtschaftlichen Produktion be-
2003 2,13 Mio. Farmen. Die Zahl der in der Land- trug 2000 über 208 Mrd. Dollar, davon lag annä-
wirtschaft Beschäftigten sank von 3,364 Mio. (1980) hernd die Hälfte in der Fleischproduktion, die von
auf 3,281 Mio. (1999) (US Bureau of the Census; 2,172 Mio. Farmen betrieben wurde. Betrachtet man
1987: 620, 1989: 628, 1990: 637 und 2001, S. die Tatsache, dass die Produktion der Automobilin-
384, US Department of Agriculture, National Agri- dustrie im gleichen Jahr über 500 Mrd. Dollar aus-
cultural Statistics Service, Farms and Land in Farms, machte, so erkennt man in der Landwirtschaft einen
2003). Das gesamte landwirtschaftlich bewirtschaf- der wichtigsten Wirtschaftszweige der USA, wobei
tete Land betrug 2003 938,7 Mio. acres bei einer nur ca. 300 000 corporate farms seit den 1980er
Durchschnittsgröße von 441 acres (Tab. 46). Jahren rund 85 % des landwirtschaftlichen Output
Die Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe erzeugen. Insbesondere corporate farming arbeitet
nach Größenklassen – in den USA üblicherweise mit saisonalen Erntehelfern: 2003 waren rund
nicht als Flächengröße, sondern nach Höhe des Ver- 884 000 bezahlte Farmarbeiter auf den landwirt-
kaufswertes agrarischer Güter – ergibt ein differen- schaftlichen Betrieben der USA tätig. Diese erhiel-
ziertes Bild (Tab. 47). ten im Durchschnitt 9,32 Dollar Stundenlohn,
Danach haben 54,4 % aller landwirtschaftlichen wobei Erntearbeiter im Durchschnitt 8,30 Dollar bei
Betriebe mit einem Anteil an der landwirtschaft- einer 38,5-Stunden-Woche erhielten (der Mindest-
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Landwirtschaft und der ländliche Raum Amerikas – Eckdaten und strukturelle Probleme 203

lohn in den USA betrug 2003 5,25 Dollar). Der Jahr Anzahl Agrarisch Durchschnittsgröße
größte Teil der bezahlten Farmarbeiter (84 %) arbei- landwirtschaftlicher bewirtschaftetes landwirtschaftlicher
tete als saisonale Arbeiter, also weniger als 150 Betriebe (in Tausend) Land (in Tausend acres) Betriebe (in acres)
Tage im Jahr.
1992 2 107 978 503 464
Die Exportabhängigkeit 1995 2 196 962 515 438
der amerikanischen Landwirtschaft 2000 2 192 943 090 434
Da die Produktivität der amerikanischen Landwirt- 2001 2 149 942 070 438
schaft schneller steigt als die Nachfrage nach ein- 2002 2 135 940 300 440
heimisch produzierten Lebensmitteln, sind die ame- 2003 2 127 938 750 441
rikanische Landwirtschaft und ihre Einkommen
stark vom Export abhängig. Während mehr als 30 Tab. 46: Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, agrarisch bewirtschaftetes
Jahren machten Exporterlöse 20 bis 30 % des Farm- Land und Durchschnittsgröße landwirtschaftlicher Betriebe.
Quelle: US Department of Agriculture, National Agricultural Statistics Service, Farms and Land in Farms, 2003.
einkommens aus, wobei erwartet wird, dass dieser
Trend mindestens bis zum Jahr 2010 anhält (US Höhe des Anteil an der Anteil des bewirt- Durchschnitts-
Department of Agriculture, Briefing Room; US Agri- Verkaufswerts Gesamtzahl schafteten Landes größe
cultural Trade, 2003). Die Exporterlöse der Land- (in Dollar) landwirtschaft- (in %) (in acres,
wirtschaft haben auch Multiplikatorwirkungen auf licher Betriebe 1 acre =
den nicht landwirtschaftlichen Sektor. (in %) 0,405 ha)
Bei einigen landwirtschaftlichen Produkten ist die
Abhängigkeit vom Export besonders ausgeprägt. 1 000 – 2 499 26,9 4,5 73
Rund 50 % der Reis-, Baumwoll- und Weizenpro- 2 500 – 4 999 14,8 3,8 113
duktion werden exportiert, bei einigen Obstsorten 5 000 – 9 999 12,7 4,9 169
und Nüssen liegt der Anteil noch höher (Tab. 48). 10 000 – 24 999 12,7 7,7 264
Dabei ist der asiatische Exportmarkt seit 1996/97 25 000 – 49 999 8,7 9,9 496
nach einer Krise in den dortigen Kapitalmärkten zu-
50 000 – 99 999 8,1 11,5 619
nehmend von Exporten nach Kanada und Mexiko er-
100 000 – 249 999 8,8 23,5 1 161
setzt worden.
Hatten bis in die 1990er Jahre die Produkte Wei- 250 000 – 499 999 4,1 16,1 1 708
zen, Reis, Getreide, Ölsaaten, Baumwolle und Tabak 500 000 – 999 999 2,0 8,6 1 872
die US-amerikanischen Agrarexporte dominiert, so 1 000 000 und mehr 1,2 9,5 3 457
zeichnet sich seither eine Umstrukturierung der 100,0 100,0 436
Agrarexportorientierung auf das weltweit gestiegene
Tab. 47: Anteil der Farmen nach Größenklasse des Verkaufswerts 2002.
Einkommen und das Bevölkerungswachstum ab: Zu-
Quelle: US Department of Agriculture, National Agricultural Statistics Service, 200; Farms and Land in Farms, 2003.
nehmend werden wertschöpfungsreichere Agrarpro-
dukte weltweit exportiert, und zwar Fleisch, Geflü- sich die Einfuhr von Gartenbauprodukten (Obst, Ge-
gel, Öle, Obst, Gemüse und Getränke (Säfte, Wein müse, Nüsse, Wein, Malzgetränke und Setzlinge),
und anderes). Der Gesamtwert dieser hochwertigen die 40 % der landwirtschaftlichen Importe ausma-
Produkte übersteigt seit 1991 den der klassischen chen. Lebendtier- und Fleischproduk-
agrarischen Handelsprodukte der USA. Im Jahr te sind die nächstgrößere Gruppe, fer- Agrarprodukt Exportanteil an
2000 machten diese Produkte bereits 65 % des Ex- ner tropische Pflanzenprodukte wie der Produktion
porteinkommens von Agrarprodukten aus, während Kaffee, Kakao und Kautschuk. Die (in %)
nur noch 35 % auf die Grundnahrungsgetreide wichtigsten Exporteure in die USA
sowie Tabak entfielen. Die wichtigsten Importeure sind Kanada, Mexiko, die Europäische Mandelkerne 70
amerikanischer Agrarprodukte sind nach Rangfolge Union, Indonesien, Kolumbien, Brasi- Walnusskerne 60
Quelle: US Department of Agriculture, Briefing Room. US Agricultural Trade, 2003.

des Importwerts: Japan, die Europäische Union, Ka- lien und Australien (US Department of Getr. Pflaumen 48
nada, Mexiko, Südkorea, China, Taiwan, Hongkong, Agriculture, Briefing Room; US Agri- Maisöl 42
Ägypten, Russland. Da die US-Agrarexporte seit den cultural Trade, 2003). Reis 42
1950er Jahren den Wert der Agrarimporte bei wei- Leder 41
tem übersteigen, verzeichnen die USA einen Han- Überschuldung, Farmsterben und Grapefruit 38
delsüberschuss im Bereich der Agrarprodukte, der Konzentrationsprozesse in der
Pistazienkerne 37
von großer Bedeutung ist: Die kommerzielle Land- Landwirtschaft
Kirschen 37
wirtschaft (Abb. 134 u. 135) trägt wesentlich dazu Die volkswirtschaftlich gesehen ver-
bei, das Gesamthandelsdefizit der USA, das sich gleichbar gute Position des US-ameri- Unverarb. Tabak 37
aus dem Missverhältnis von Export und Import nicht kanischen Agrarsektors zeigt nicht die Rosinen 36
landwirtschaftlicher Waren ergibt, auf das Niveau eigentliche Problematik des Farmsek- Sojabohnen,
von „nur“ minus 500 Mrd. Dollar (Stand 2003) zu tors an, die sich mit dem mehrere Sojaöl, Tofu 33
senken. Jahrzehnte dauernden Strukturwandel Sonnenblumenöl 33
Der Import landwirtschaftlicher Produkte in die ergeben hat. Zwei strukturelle Merk- Weizen 33
USA stieg seit den 1990er Jahren stark an und male sind zu nennen: die Überschul-
spiegelt das amerikanische Konsumverhalten und dung eines Teils des Farmsektors und Tab. 48: Exportanteil an der Gesamt-
produktion 1999.
seine veränderten Präferenzen wider. So erhöhte die Konzentrationsprozesse, die mit
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204 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Abb. 134: Farmington,


New Mexico (Foto: Alex S.
MacLean).

einem relativ kleinen Prozentsatz sehr großer „Me-


gafarmen“, die vertikal integrierten Unternehmen
angeschlossen sind, und einer großen Anzahl von
kleinen, oft marginal wirtschaftenden Farmen
(Windhorst 1987, S. 474f.). Zwischen 1940 und
1980 stieg die Durchschnittsgröße der Farmen
durch den Erwerb von Ländereien aufgegebener Far-
men von 67,5 auf 173,7 ha (167 bzw. 430 acres).
Dieser Trend setzte sich bis in die 1980er Jahre in
allen Regionen fort und nahm danach ab. Zu den
Faktoren, die in den einzelnen Regionen den Rück-
gang beschleunigten, gehören in East South Central
und South Atlantic die Neuindustrialisierung mittels
Niedriglohnbranchen sowie in West South Central
der hohe Mechanisierungsgrad der Landwirtschaft,
verbunden mit besser bezahlten Arbeitsplätzen in
den übrigen Branchen. In den nördlichen Agrarre-
gionen wiegen neben der allgemeinen Mechanisie-
rung der Landwirtschaft die damit verbundene Über-
schuldung der Farmen, schlechte Absatzmöglichkei-
ten oder Weltmarktpreise, Wertverlust des landwirt-
schaftlichen Grundbesitzes und niedrige Farmein-
kommen besonders schwer.
Abb. 135: Eastern Wa- einem „Farmsterben“, aber auch der Zunahme des
shington (Foto: Alex S. Agrobusiness einhergehen. Strukturelle Anpassungen im Farmsektor
MacLean). Die Gesamthöhe der Verschuldung im Farmsektor Die Unterschiede zwischen den Regionen reflektie-
betrug 2003 202 Mrd. Dollar und entsprach damit ren allerdings in erster Linie agrarökologische und
ungefähr der Höhe des Verkaufswerts der gesamten historische Entwicklungen (wie z. B. größere Land-
Agrarproduktion. Die Kreditaufnahme bei kommer- zuteilungen durch die Heimstättengesetzgebung von
ziellen Banken nahm darin 69 % ein, beim bundes- 1862 in ariden Gebieten westlich des 100. Längen-
eigenen Farm Credit System waren es 26 % der grades) und weniger den postindustriellen Wandel
2002 vollzogenen Kreditaufnahme von ca. 10 Mrd. zu einer dualen Struktur. Letzterer ist in den Grö-
Dollar. Der private Bankensektor verzeichnete rund ßenveränderungen innerhalb der jeweiligen Region
40 % der gesamten Schulden. Der Anteil des Farm sichtbar: Die Konzentrationsprozesse gehen dahin,
Credit System an den Gesamtschulden betrug zum dass eine große Anzahl von Farmen nur einen gerin-
Ende des Jahres 2002 rund 30 %. gen Anteil an der Agrarproduktion und ein kleiner
Der wachsende Kapitaleinsatz und die Kreditauf- Prozentsatz großer Farmen den überwiegenden Teil
nahme in der Landwirtschaft sind von einem Anstei- der Erzeugung und des Farmeinkommens auf sich
gen der durchschnittlichen Farmgrößen und der vereint (Tab. 49, Abb. 136). Der Rückgang der
Ausbildung einer dualen Struktur begleitet, d. h. Klein- und Kleinstfarmen ist direkt mit der Steige-
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Landwirtschaft und der ländliche Raum Amerikas – Eckdaten und strukturelle Probleme 205

rung der Leistungsfähigkeit des Farmsektors in Ver- Statistische 1990 2000 Anzahl der Anzahl der
bindung zu bringen, die auch vom Größenmaßstab Region (in acres) (in acres) Farmen 1990 Farmen 2000
und der dadurch bedingten Effizienz der Inputs ab- (in Tausend) (in Tausend)
hängt. In den Regionen mit hohem Anteil an Klein-
farmen haben Farmergenossenschaften den Trend US-Durchschnitt 460 434 2146 2172
zur automatisierten, rentableren Großfarm durch New England 148 98,7 28 28
Miete und Pacht von Land und Wirtschaftsgebäuden Middle Atlantic 147 162 100 107
aufgegebener Farmen mitgetragen. East North Central 238 239 368 351
Trotz solcher Betriebsvergrößerungen, die eine stär- West North Central 705 748 608 575
kere Automatisierung erlaubten und teilweise erheb-
South Atlantic 210 194,5 243 245
liche Steigerungen des Marktwerts der Farmen mit
sich brachten, verlief das Farmsterben stetig: Waren East South Central 208 182,5 174 180
1974 noch 2,314 Mio. Farmen zu verzeichnen, so West South Central 428 388,5 345 389
waren es 2000 nur noch 2,172 Mio. Farmen. Obwohl Mountain 2572 2107 121 131
auf Bundes- und agrarpolitischer Ebene die Farmkrise Pacific ohne Alaska 427 380 159 166
als Gesundschrumpfung des Farmsektors begrüßt und Hawaii
wurde und einige Unterstützungsprogramme auslie-
fen oder drastisch gekürzt wurden, bleiben einige Tab. 49: Durchschnittsgröße und Anzahl der Farmen 1990 und 2000.
Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 804, S. 526 (veränd., eig. Ber.).
Förderungsmaßnahmen bestehen (oft wegen der
wahlpolitischen Bedeutung der Farmregionen). Dazu
gehören Ausgleichszahlungen, die die Bundesregie- unterstützt worden waren, nach Auslaufen der Sub-
rung dann gewährt, wenn die Preise für Agrarproduk- ventionsprogramme verstärkt aufgegeben (Lutrell
te unter ein festgesetztes Niveau fallen. Im Jahr 1984; Clark 1985). Dieses Farmsterben ist nicht
2001 machten staatliche Ausgleichszahlungen zur etwa Kennzeichen eines schwachen, sondern im
Stabilisierung der Einkommen mit rund 22 Mrd. Dol- Gegenteil eines starken Agrarsektors, dessen Output
lar etwa 10 % des gesamten landwirtschaftlichen in immer weniger Betrieben fortwährend gesteigert
Produktionswerts aus. Im Gegensatz zu den 9,8 Mrd. und den modernen Konsumgewohnheiten einer-
Dollar Zahlungen im Jahr 1990 ist dies zwar eine er- seits, den Weltmarkt- sowie geo- und wirtschafts-
hebliche Steigerung, im Vergleich zum Jahr 2000 strategischen Bedürfnissen der USA andererseits
mit 33,5 Mrd. Dollar jedoch eine signifikante Kür- angepasst werden kann.
zung (US Bureau of the Census 2001: Statistical Ab- Da sich die Hauptlandwirtschaftsgebiete der USA
stracts of the United States 2001, Tab. 463, S. 307). über rund 25 Breitengrade und entsprechend diffe-
renzierte Klimazonen erstrecken und die corporate
Landwirtschaftliche Produktivität farms online mit dem Landwirtschaftlichen Bera- Abb. 136: Censuseintei-
Trotz Abnahme der Durchschnittsgrößen der Farmen tungsdienst des US Department of Agriculture lungen und Regionen der
waren dauerhafte und beträchtliche Ertragssteige- (USDA) verbunden sind, kann stets in irgendeinem USA.
rungen festzustellen. Dieses Wachs-
tum war während des ganzen 20. Jahr- West Midwest Northeast
hunderts in erster Linie auf Produkti- West East Middle
Pacific Mountain
vitätssteigerungen und nicht auf die North Central North Central Atlantic New England
WA
Ausweitung der Anbaufläche zurück- Washington
ND ME
zuführen. Weniger als die Hälfte der MN
MT North Minne- Maine
Montana Dakota
Landfläche der USA galt je als Farm- OR sota VT
Oregon SD WI
land oder ist landwirtschaftlich ge- ID South Wisconsin NH
MI NY MA
nutzt worden, wovon wiederum nur Idaho Dakota New York CT
WY Michigan RI
rund ein Drittel als Anbaufläche kulti- Wyoming IA
NE PA Penn-
NV Iowa
viert wurde, während der Rest nur Nevada Nebraska IL
IN OH sylvania NJ
Indi- Ohio Washington, D.C.
unter bestimmten Marktbedingungen UT CO Illinois ana
DE
als Anbaufläche zum Einsatz kam. Utah Colorado KS
Kansas MO MD
CA WV VA VT Vermont
Die heutige duale Struktur des California
Missouri KY Virginia NH New
Agrarsektors ist ein Ergebnis effizienz- Kentucky Hampshire
NC North
AZ NM TN Carolina MA Massachusetts
steigernder Maßnahmen seitens der Arizona New OK AR Tennessee RI Rhode Island
Oklahoma SC South
amerikanischen Bundesregierung seit Pacific Mexiko Arkan-
Carolina
CT Connecticut
sas MS AL NJ New Jersey
den 1950er Jahren. In fast allen Re- Missis- Ala- GA WV West Virginia
HI
gionen trug direkte oder indirekte Hawaii TX
sippi bama Georgia DE Delaware
MD Maryland
Farmpolitik seit den 1930er Jahren 0 200 miles
Texas LA
Quelle: Ellwood 1996, S. 12.

Louisiana
mit dazu bei, dass Farmen, z. B. durch FL
staatliche Bodenerhaltungsmaßnah- Florida
AK West East
men in erosionsgefährdeten Gebieten, Alaska South South South
aufgegeben wurden. Seit den 1980er Central Central Atlantic
Jahren wurden vor allem marginal 0 400 miles 0 200 miles
wirtschaftende Farmen, die staatlich South
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206 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Landesteil eine „börsengerechte“ Aussaat beginnen, Farm Credit Service rund 25 % des Zuwachses an
die noch innerhalb derselben Anbausaison einen landwirtschaftlichen Krediten (Federal Agricultural
Ernteverlust in einem anderen Land durch amerika- Mortgage Corporation, Legislative History 2003;
nische Produktion und den Verkauf auf dem Welt- USDA Economic Research Service, Agricultural In-
markt ausgleichen kann. Insbesondere Satelliten, come and Finance Outlook, Summary 2003).
die für das USDA im Abstand von rund 18 Tagen Auch mit Hilfe anderer Mechanismen unterstützt
dieselben Areale überfliegen, hatten schon seit den der Staat den Farmsektor; so stieg die Nachfrage
1980er Jahren die Ernte- oder Krankheitsentwick- nach Krediten für den Erwerb von Farmen um fast
lung, auch Schädlingsbefall bei Weizen insbesonde- 30 % im Jahr 2003. Diese Unterstützung steht in
re in der damaligen Sowjetunion, genauestens erfas- der jahrhundertealten Tradition der amerikanischen
sen können. Zeichnete sich die Entwicklung von Bundesregierung zur Förderung der Landwirtschaft,
Ernteverlusten bei Weizen in der Ukraine ab, die im des Farmsektors und der Farmer. Bedenkt man die
Vergleich zu den USA weiter nördlich liegt, konnten oben geschilderten Konzentrationsprozesse im Farm-
sie in fast allen Weizenanbaugebieten der USA, ins- sektor und die zunehmenden Rolle von corporate
besondere auch in den südlich gelegenen Sommer- farms, so erkennt man darin nicht nur die Unter-
weizenanbaugebieten, durch späte Aussaat noch stützung des Agrobusiness seitens der amerikani-
wettgemacht werden. schen Bundesregierung, sondern ebenfalls eine
angestammt amerikanische Kulturtradition, dem
Bundespolitik zur Unterstützung Unternehmertum jeden Spielraum zu gewähren,
des Agrarsektors und des Agrobusiness wenn dies für die nationalen Interessen, also die
Wegen der volkswirtschaftlichen und geopolitischen Volkswirtschaft, die Versorgung und die weltwirt-
Bedeutung der Landwirtschaft hat die amerikani- schaftliche Marktposition amerikanischer Firmen
sche Bundespolitik mehrere wichtige Ansätze zur und Interessen dienlich ist.
Förderung des Agrarsektors hervorgebracht: erstens Die Kreditvergabe bzw. Sicherung der Hypothe-
eine generelle Unterstützung mittels Kredithilfen, kenvergabe kommerzieller Banken ist nur eine von
zweitens die Unterstützung des Agrobusiness, wobei vielen Strategien, welcher sich die amerikanische
Steuerinstrumente und die Entwicklungshilfe durch Regierung bediente, um den Agrarsektor als einen
Nahrungsmittel (food aid) zum Tragen kommen, der wichtigsten Wirtschaftszweige auszubauen und
drittens Hilfsmaßnahmen für den ländlichen Raum, zum weltweit wichtigen Lieferanten von Agrarpro-
vor allem für rückständige Regionen. dukten zu machen.

Kredithilfen Agrobusiness in den USA


Die bundesstaatliche Farmkreditversicherung (Fede- Insgesamt gesehen gehört der auf corporate farming
ral Agricultural Mortgage Corporation – kurz Farmer basierende Agrarsektor der USA zu den Wirtschafts-
Mac genannt) stellt ein bundeseigenes Instrument zweigen mit der größten Wettbewerbsfähigkeit auf
und Unternehmen dar, das vom Kongress 1987 ge- dem Weltmarkt, wie sich an dessen Marktdurchdrin-
gründet wurde. Mit dem Landwirtschaftsgesetz gung zeigt. In vielen agrarischen Produktgruppen
(Agricultural Credit Act von 1987, Public Law 100 – werden die Importe von amerikanischen Erzeugnis-
233, insbes. Titel VIII) wurde das Farmkreditgesetz sen dominiert. Der globale Marktanteil amerikani-
von 1971 ausgedehnt. Dem Gesetz zufolge hat das scher Erzeugnisse fiel zwar zwischen 1976 und
bundeseigene Farmkreditunternehmen das öffentli- 1999 von 34 % auf nur noch 18 %. Dabei sank der
che Mandat, einen stützenden Markt für Farmkredi- Anteil von bulk commodities (Grundnahrungsgetrei-
te zu bieten, welcher wiederum Finanzmittel für den) von über 40 % auf 29 %, während der Prozent-
weitere Farmkredite bereitstellen kann. Nach den satz der hochwertigen Spezialprodukte des Agrar-
Modifikationen von 1996 kann Farmer Mac Erst- sektors von 19 auf 12,5 % fiel. Dennoch ist der An-
hypotheken für landwirtschaftliche Immobilien, teil in vielen Bereichen führend: Zählt man das Vo-
Nutzgebäude und Agrarland von Privatbanken auf- lumen weltweiter Maisexporte zusammen, so mach-
kaufen, die somit wieder liquide Mittel für die wei- ten amerikanische Exporte im Jahr 1999 52 % des
tere Kreditvergabe erhalten. Auf diese Weise haben Weltmarkts aus, bei Sojabohnen 51 %, bei Tabak
auch Farmer, die für Hypotheken ihre Gebäude und 24 % und bei Reis 11 %. Ein Großteil des Output
ihr Land als Sicherheit einsetzen, eine verstärkte Si- und der Exporte werden von vertikal integrierten
cherheit, das Land im Ernstfall einer wegen Zah- Unternehmen produziert. Schon in den 1990er Jah-
lungsschwierigkeiten gekündigten Hypothek nicht ren wurden 85 % des landwirtschaftlichen Output
verlieren zu müssen, sondern von einem Bundespro- der USA von nur ca. 300 000 Megafarmen, die Teile
gramm abgefedert zu sein. Bei dem konsolidierten großer Agrokonzerne sind oder ihnen zuliefern, her-
Aufkauf von Schuldverschreibungen von Privatban- gestellt.
ken durch das Bundesunternehmen fallen darüber Die Unterstützung des Agrobusiness seitens der
hinaus keine Kosten an, wie sie im privaten Ban- amerikanischen Bundesregierung hat mehrere Stoß-
kensektor üblich sind. Farmer Mac, das seine Kre- richtungen: Bereits seit 1942 hatte die Bundesre-
ditaufkäufe durch die zwei Programme Farmer Mac I gierung amerikanischen Firmen, die in Lateiname-
und II abwickelt, sowie Privatbanken bestritten 2002 rika als Western Hemisphere Trade Corporations
rund 70 % des Kreditvolumens und der staatliche tätig wurden, erhebliche Steuervorteile gewährt. Zu-
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Landwirtschaft und der ländliche Raum Amerikas – Eckdaten und strukturelle Probleme 207

sätzlich können amerikanische Firmen so lange ihre produktion abzusetzen und Amerikas strategische
Steuerzahlung verzögern, wie das im Ausland erziel- Interessen wahrzunehmen.
te Einkommen auch dort verbleibt. Ferner werden Ein Beispiel dafür bietet P. L. 480-Wheat: Wäh-
Steuerzahlungen an ausländische Regierungen groß- rend der Hungerkatastrophe in Indien von 1951 er-
zügig von der in den USA zu zahlenden Steuer ab- suchte das Land die USA um Lebensmittellieferun-
geschrieben. Diese steuerlichen Anreize begünsti- gen. Mit dem India Emergency Food Act von 1951,
gen ausländische Direktinvestitionen amerikani- dem Vorläufer des P. L. 480, reagierten die USA mit
scher Firmen, auch wenn sie, nur um US-Steuern Weizenlieferungen aus der einheimischen Überpro-
zu sparen, als Briefkastenfirmen auf den Bahamas duktion. Diese war zu einem volkswirtschaftlichen
oder in Panama als off-shore subsidiary/one room Problem und Politikum geworden. Auf dem einhei-
subsidiary registriert sind. Durch geschickte firmen- mischen und internationalen Markt abgesetzt, hätte
interne Verkäufe kann ein amerikanischer Agrokon- sie einen massiven Preisverfall eingeleitet. Umge-
zern beispielsweise in Mexiko anbauen lassen, seine kehrt hatten die USA im beginnenden Kalten Krieg
Produkte in Panama seiner eigenen Firmennieder- einen Bedarf an strategischen Ressourcen. Da In-
lassung verkaufen und von dort in die USA einfüh- dien als blockfreier Staat einen Exportstopp auf ra-
ren. Die jeweils an Fremdregierungen gezahlten dioaktives Erz, das für die atomare Nutzung geeig-
Steuern können von den in den USA fälligen Kör- net war, verhängt hatte, sahen die USA im P. L. 480
perschaftssteuern auf die Gesamtaktivitäten des eine ideale Lösung mehrerer Probleme: Mit dem
Konzerns abgeschrieben werden. India Emergency Food Act und dem späteren P. L.
Ferner versicherte die Bundesregierung durch ihre 480, das unter dem Schlagwort food for peace be-
Overseas Private Investment Corporation (OPIC) kannt wurde, wurde der gegenseitige Handel wich-
amerikanische Firmen in ihren Überseefilialen ge- tiger Ressourcen eingeleitet: Indien erhielt fortan
gen politisches Risiko. Die vom amerikanischen Weizenlieferungen in großem Maßstab und gab den
Finanzministerium finanzierte OPIC, die eine soge- USA im Gegenzug die für ihre atomare Produktion
nannte political risk insurance verkauft, hilft Firmen wichtigen Ressourcen frei. Der beidseitige volkswirt-
in mehr als 150 Ländern weltweit, ihre Investitio- schaftliche Vorteil lag auf der Hand: Nicht nur
nen zu schützen (Overseas Private Investment Cor- konnten die USA ihre Weizenlieferungen ohne Preis-
poration, Washington, D.C. 2003). Das Bundespro- verluste weltweit weiter durchführen und dafür stra-
gramm versichert Firmen gegen Verluste, wenn loka- tegische Ressourcen geliefert bekommen. Auch In-
le Währungen auf den internationalen Finanzmärk- dien hatte einen Vorteil: Es erhielt die Lebensmittel-
ten nicht konvertierbar sind, ferner bei kriegsbe- lieferungen, ohne Devisen aufbringen zu müssen.
dingten Verlusten und bei Verstaatlichungen. Rund Nach dem Gesetz P. L. 480 von 1954 wurden
zwei Drittel aller amerikanischen Direktinvestitionen viele weitere Länder, deren Währungen nicht kon-
in Übersee, ohne die Erdölbranche einzurechnen, vertierbar waren und international nicht gehandelt
sind OPIC-versichert. Ein großer Teil dieser staat- werden konnten, mit Weizen beliefert. Im Gegenzug
lichen Mittel wird für die Subventionen von rund tauschten sie in Naturalien diverse, für die USA
einem Dutzend amerikanischer Großkonzerne aufge- wichtige Rohstoffe ein. Wegen der kostengünstigen
wendet, darunter z. B. Del Monte oder Ralston Puri- Abwicklung des food for peace-Geschäfts konnte die
na. OPIC versichert nicht nur gegen politisches Risi- US-Regierung für amerikanische Produktionsstät-
ko, sondern handelt auch die besten Investitionsbe- ten, die einen Zugang in ausländischen Märkten
dingungen mit ausländischen Regierungen aus. suchten, unter dem Cooley-Loan Agreement billige
Dabei waren diese Bundessubventionen teilweise Kredite gewähren, so z. B. Union Carbide, American
umstritten. So hat der amerikanische Dachverband Express, Goodyear und anderen. Im Gegensatz zur
der Gewerkschaften (AFL-CIO – American Federation Wirtschaft der USA profitierten die Empfängerlän-
of Labor/Congress of Industrial Organisation) seit den der vom P. L. 480-Weizen allerdings nicht im glei-
1970er Jahren angemahnt, dass gerade die ausländi- chen Maße: Wegen der Billigimporte amerikani-
schen Direktinvestitionen amerikanischer Firmen in schen Weizens sank die einheimische Getreidepro-
den USA selbst zu Arbeitsplatzverlusten führen. duktion in mehreren Ländern (Kolumbien, Indien
Auch wird aus verschiedenen Kreisen kritisiert, dass und andere) seit 1955, während ihre Importabhän-
sich die OPIC-versicherten ausländischen Direktin- gigkeit stieg (Weltbank Jahresberichte, versch.
vestitionen vielfach in Ländern mit undemokrati- Jahre, Washington, D.C.). Kontrovers war die ameri-
schen Strukturen befinden und diese daher stützen. kanische food for peace-Politik nicht nur hinsicht-
Eine weitere Unterstützung der Bundesregierung lich der ökonomischen Abhängigkeiten, die sie
für den Farmsektor wird seit 1954 mit der Entwick- schuf, sondern auch wegen ihres Einsatzes als stra-
lungshilfe gewährleistet. Insbesondere amerikani- tegisches Mittel, wie Senator Hubert Humphrey
sche Nahrungsmittelhilfe (food aid) ist ein wichtiger 1956 vorschlug:
stabilisierender Faktor für die von preissenkenden „… this is a worldwide struggle between the for-
Überproduktionen gekennzeichnete amerikanische ces of evil and the forces of decency (…) We (…)
Landwirtschaft. Mit einem Gesetz von 1954 (Public are engaged in the struggle for men’s minds, for
Law – P. L. 480) wurde es möglich, neue Märkte für their loyalties. There is a struggle between ways of
amerikanische Agrarprodukte in Entwicklungslän- life, a system of values (…) If it is a worldwide
dern zu erschließen, dadurch amerikanische Über- struggle, it would seem to be we would want to mo-
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208 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

bilize all the resources we possibly can in order to weise mehr als die Hälfte des P. L. 480-Weizens in
win it. And in a world of want and hunger what is die Region floss, gingen beispielsweise nur 15 % in
more powerful than food and fibre?“ (Hubert den gesamten Kontinent Afrika. Nach 1973 wurde
Humphrey, Aussage vor dem Senatskomitee für Aus- das in den USA mittlerweile als food for war kritisier-
wärtige Angelegenheiten 1959, zit. in Moore Lappé te Programm vom Kongress dahingehend modifiziert,
1975, S. 379). dass laut Abkommen Regierungen ihre lokalen Wei-
Da die P. L. 480-Weizenlieferungen nach Übersee zenverkäufe nicht mehr direkt den Militärausgaben,
keiner Zuweisungen oder Bedingungen des Kongres- sondern ihrem allgemeinen Haushalt zuführen muss-
ses bedurften, konnten und wurden sie in der Folge- ten, was deren Weiterverwendung nicht mehr trans-
zeit flexibel eingesetzt. So konnten Empfänger-Re- parent machte.
gierungen die P. L. 480-Weizenlieferungen auf dem Dadurch, dass P. L. 480-Weizen die einheimische
lokalen Markt verkaufen und mit diesem Geld ihre Produktion niedergehen ließ, der so importierte Wei-
eigenen strategischen Zwecke finanzieren, wie z. B. zen jedoch vor Ort strategisch eingesetzt wurde, ver-
in Südvietnam, das noch 1973 sein Militärbudget schärfte sich Kritikern zufolge die Hungerproblema-
damit aufstockte – dies sogar in Absprache mit den tik in vielen Entwicklungsländern erheblich (Moore
USA. Während insbesondere im Vietnamkrieg zeit- Lappé 1975).

Regionalentwicklung und der Staat


Dualität des Agrarsektors mission 1998 Annual Report 1998; Isserman & Re-
und des ländlichen Raums phann 1995, S. 345 – 364).
Trotz der massiven Subventionierung des Agrarsek- Das Planungsgebiet der von der Bundesregierung
tors in den USA sind bis in die Gegenwart Dualität eingerichteten Appalachia Regional Commission
und Armutsenklaven festzustellen. Zu den ärmeren umfasst drei Großregionen: Northern Appalachia mit
Gebieten gehören auch im 21. Jahrhundert immer Teilen Marylands, Ohios, Pennsylvanias und West
noch Appalachia und der Alte Süden, insbesondere Virginias; dies ist die am stärksten verstädterte Teil-
das Mississippi-Delta. Für das Gebiet der Appala- region. Ferner Central Appalachia mit Teilen Ken-
chen hatte die Bundesregierung über mehrere Jahr- tuckys, Tennessees, Virginias und West Virginias,
zehnte gezielte Aufbauhilfen für die Regionalent- die größtenteils ländlich geprägt sind. Diese Gebie-
wicklung gewährt. te wurden gezielt durch militärisch-strategische An-
Während um 1960 noch über 33 % der Bevölke- lagen in Wert gesetzt, so z. B. den Militärstützpunkt
rung in den Appalachenregionen offiziell als arm Christian County, Kentucky, der mit 24 000 Statio-
galten, waren es um 1998 nur noch rund 15 % der nierten allein im Jahr 2000 über 600 Mio. Dollar
Bevölkerung, allerdings hatte ein Viertel aller Coun- an Löhnen in die Region brachte, oder Anderson
ties der Region keine wirtschaftlichen Fortschritte County, Tennessee, das im Jahr 2000 für 1,7 Mrd.
zu verzeichnen gehabt (Appalachia Regional Com- Dollar Aufträge von der Bundesregierung erhielt
(Bagi, Reeder & Calhoun 2002). Die dritte Region
ist Southern Appalachia mit Teilen von Georgia,
Federal Regional Policy North Carolina, Tennessee und Virginia, die stark
1961 Redevelopment Act zur Förderung dieses strukturschwachen Raumes. von staatlichen Transferleistungen abhängig bleibt.
1963 Conference of Appalachian Governors zur Bildung einer Federal State Die allgemeine Wohlstandsentwicklung in den
Commission; Gründung einer Presidential Appalachian Regional Com- USA insbesondere in den 1990er Jahren erfasste
mission zur Vorbereitung einer umfassenden Programm-Maßnahme für viele ländliche Gebiete nicht, die aufgrund ihrer
die Region. Armut Abwanderungsgebiete blieben (Beale 2000,
1965 Appalachian Regional Development Act als Teil der War on Poverty-Pro- S. 27 – 31; Gibbs & Cromartie 2000, S. 18 – 26; John-
gramme; Schaffung der Appalachian Regional Commission mit den Auf- son 1999).
gaben, die Hilfspolitik für die Region zu bestimmen, die Finanzmittel Armut hat in einigen Gebieten eine über einhun-
vom Kongress zu sichern, die Planungsabläufe zu koordinieren und dertjährige Tradition, zu der ungleiche Landbesitz-
durchzuführen. strukturen, Naturrisiken wie Dürren, verspätete
1965 Bildung weiterer Regionalkommissionen für strukturschwache Peripher- Gleichstellungsgesetzgebung und teils verfehlte re-
räume der USA: Ozarks Regional Commission, die New England Regio- gionalplanerische Maßnahmen beitrugen (Abb. 137;
nal Commission, die Upper Great Lakes Regional Commission, die Four Flora & Christensen 1991). So wurde zwar 1953
Corners Regional Commission, die Coastal Plains Regional Commission, eine Rentenversicherung und Arbeitslosenunterstüt-
Old West Regional Commission, Pacific Northwest Regional Commission zung eingeführt, allerdings bezog diese erst seit
und die Southwest Border Regional Commission, die wegen mangelnder 1976 Farmarbeiter mit ein. Auch der Fair Labor
finanzieller Unterstützung und Ineffizienz 1982 aufgelöst wurden. Standards Act von 1938, der Minimallöhne für In-
1972 Rural Development Act für die Entwicklung des ländlichen Raumes. dustriearbeiter vorschrieb, wurde erst ab 1966 auf
1980 Rural Development Policy-Gesetze mit dem Schwerpunkt der industriel- Farmarbeiter angewendet, ebenso der National
len Entwicklung des ländlichen Raumes. Labor Relations Act von 1935, der jedem Arbeiter
das Recht auf gewerkschaftliche Organisation zuge-
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Regionalentwicklung und der Staat 209

stand, um kollektive Lohn- und Sozial-

Datengrundlage: US Department of Commerce, Bureau ot the Census: Census 2000, Long Form, Washington D.C.
vertragsleistungen zu erhalten. Letzte-
rer wurde von den meisten Bundes-
staaten (mit Ausnahme von Hawaii
1945 und Kalifornien 1975) nicht für
ihre Farmarbeiterschaft übernommen,
solange mit den Bracero-Programmen
billige Farmarbeiter aus Mexiko zur
Verfügung standen. Nicht zuletzt gibt
es eine bis in die Gegenwart andau-
ernde Politik der Diskriminierung sei-
tens der öffentlichen Hand, insbeson-
dere auf lokaler Ebene, welche Gebie-
te de jure und de facto benachteili-
gen. Dazu gehören überwiegend Black
Counties im Mississippi-Delta, die von
einer weißen, wohlhabenden und die
Lokalpolitik bestimmenden Elite be-
wusst vernachlässigt werden, welche
sich hier bis in die Gegenwart billige
Anteil in %
Arbeitskräfte dadurch sichert, dass sie 0 bis 3,7
diesen die Teilhabe an bestimmten 3,8 bis 4,8
Aufstiegsmöglichkeiten verweigert. 4,9 bis 5,9
Ebenso gehören verarmte Indianerre- Alaska Hawaii 6,0 bis 7,6
1:100 000 000 1:50 000 000 7,7 bis 41,7 0 500 1 000 km
servate dazu,
■ die als eigenständige Gebiete mit
Sonderstatus keine Steueraufkommen haben, rungen im demographischen Verhalten, Fortschritte Abb. 137: Arbeitslosenrate
■ deren Land vom Bureau of Indian Affairs verwal- im Kommunikationswesen und andere technische in den Counties der USA,
tet wird und nicht in eigener Initiative verkauft Neuerungen, ebenso aber auch die Wirtschafts- und 2000. Aufteilung in Klas-
sen nach dem Prinzip der
oder beplant werden und Einkommen generieren Strukturpolitik der öffentlichen Hand waren einige
Quantile (siehe Abb. 71).
kann, der Ursachen.
■ die in hohem Maße von staatlichen Transferleis- Nicht alle Standortkonzentrationen tertiärer Akti-
tungen, ebenso aber auch von den Sparmaßnah- vitäten waren bevölkerungs- und marktbedingt, son-
men der Bundesregierung abhängen, besonders in dern z. T. auch das Resultat staatlicher Planung für
Zusammenhang mit strategischen Entscheidun- periphere Räume, die weit entfernt von den großen
gen, was die Ressourcennutzung und Eigentümer- Bevölkerungs- und Marktzentren liegen, so z. B.
rechte solcher Areale angeht (Kodras 1997). East South Central (Kentucky, Tennessee, Mississip-
Zur Verbesserung der Situation in der ärmsten länd- pi, Alabama), und die eine strukturelle Anpassung
lichen Region der USA, dem Mississippi-Delta, nicht ohne staatliche Hilfe leisten konnten. Die re-
wurde 2000 die Delta Regional Authority gegründet, lativ hohe Konzentration von Funktionen der öffent-
die nach dem Vorbild der Appalachia Regional Com- lichen Verwaltung hier wie auch in South Atlantic
mission in den acht Anrainerstaaten des unteren (West Virginia, North Carolina, South Carolina, Geor-
Mississippi in mehreren Aufgabenbereichen tätig gia, Florida) ist in diesem Zusammenhang zu sehen
ist: Regionalentwicklungspläne und -strategien zu und auf den geplanten Ausbau von bundeseigenen
konzipieren, Hilfs- und Aufbauprogramme für die Einrichtungen (NASA, Militäreinrichtungen, For-
Region durchzuführen, lokale Entwicklungsdistrikte schungszentren, Auslagerungen von Bundesbehör-
aufzubauen und zu unterstützen, Information und den) zurückzuführen. Obwohl eine solche Konzentra-
technische Hilfe bereitzustellen, Entwicklungsbe- tion der öffentlichen Verwaltung als Entwicklungsin-
mühungen zu evaluieren, Finanzierungshilfen aus dikator angesehen wird und oft als sogenannter
Programmen des Bundes und der Bundesstaaten growth pole geschaffen wurde, ist ihre eigentliche
sowie von privaten und gemeinnützigen Trägern zu Auswirkung auf die Regionalentwicklung oft sehr
beantragen (US Department of Transportation – DOT begrenzt. Vor allem dort, wo öffentliche Verwaltung
2000). zum großen Teil militärische Anlagen, Stützpunkte
und Beschäftigte umfasst (North Carolina, Georgia,
Staat als Faktor der Regionalentwicklung Alabama, Virginia), werden wenig trickle-down ef-
Die im Industriezeitalter entstandene, regionale fects spürbar. Die Tausenden von Beschäftigten, die
Struktur der US-amerikanischen Wirtschaft unterlag sich im Verlauf eines Jahres auf solchen Anlagen auf-
seit Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt einem halten, können ihre Nachfrage nach Unterkünften
Wandel: Es findet eine Ablösung des alten, zentral- und täglicher Lebenshaltung durch ein bundeseige-
peripheren Gefüges durch ein Muster mit vielfachen nes, subventioniertes und unter dem Marktpreis lie-
Wirtschaftszentren statt. Der starke Aufschwung des gendes Angebot decken. Auch die erheblichen In-
tertiären Sektors, soziale Entwicklungen und Ände- vestitionen der Bundesregierung, die von großer na-
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210 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

tionaler Bedeutung sind, wirken sich oft mehr auf ■ Ausbau des bilateralen und trilateralen Güter- und
einzelne Städte aus als auf den Bundesstaat oder die Dienstleistungsverkehrs sowie der Investitions-
Gesamtregion, sodass auch zu Beginn des 21. Jahr- tätigkeit,
hunderts noch Teile von East South Central und ■ Abbau von nicht tarifären Handelshemmnissen
South Atlantic als relativ arme Gebiete gelten. Die wie Kontingentierungen, technischen Normen,
Konzentration der öffentlichen Verwaltung in der Standards, Lizenzen, nationalen Anforderungen
dünn besiedelten Mountain-Region ist durch den mit Ausnahme der sensiblen Bereiche wie Agrar-
hohen Anteil der Beschäftigten in bundeseigenen produkte, Kraftfahrzeuge, Energie und Textiler-
Behörden und R & D-Stätten (Research and Develop- zeugnisse,
ment) zu erklären, ferner durch die Arbeitsplätze, ■ Sonderbehandlung von einzelnen Produktgruppen
die mit der Erhaltung der großen Naturparks in aus dem Bereich der Textilindustrie, der Landwirt-
Idaho, Wyoming, Utah oder Arizona verbunden sind. schaft, der Petrochemie und des Dienstleistungs-
Verhältnismäßig wenig öffentliche Verwaltung wei- austausches, des Landtransports, der Finanzdienst-
sen die altindustrialisierten Gebiete New England leistungen sowie Investitionen, die der mexikani-
und East North Central auf, die als Teil des ehema- schen Sonderstellung als wirtschaftlich schwä-
ligen wirtschaftlichen Kernlandes der USA nicht im cherem Partner Rechnung tragen.
selben Maße wie andere Regionen, z. B. der Alte Freier Personenverkehr gehörte nicht zum Abkom-
Süden, der regionalplanerischen Intervention der men der NAFTA, da er der Einwanderung aus süd-
Bundesregierung mit gleichzeitigem Wachstum des amerikanischen Ländern hätte Vorschub leisten kön-
federal employment bedurften. nen.
Beachtenswert ist, dass bundeseigene For- Wegen der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der
schungs- und Entwicklungszentren generell breiter Partnerländer wurde ein gestaffelter Abbau der Zoll-
gestreut sind als privatwirtschaftliche, da diese schranken vereinbart, der ein Zusammenwachsen
Standorte im Rahmen der Regionalplanung nach und eine Angleichung der drei Wirtschaftsräume er-
einem gesamtstaatlichen Dispersionsverfahren ge- lauben sollte. Danach wurde mit Inkrafttreten des
wählt wurden, ferner nach strategischen bzw. vertei- Abkommens ein Großteil der Zölle auf mexikanische
digungspolitischen Aspekten, wonach sowohl Stand- Exporte in die USA und Kanada eliminiert. Bis
orte in entlegenen Teilen des Landesinneren als 1999 wurden auf fast dem gesamten Rest der mexi-
auch an der Küste ausgebaut wurden. Neben Was- kanischen Exporte Zölle abgebaut, während Mexiko
hington, D.C. mit einer großen Anzahl von R & D-Be- als Gegenleistung auf 2500 amerikanische und ka-
schäftigten in seinen Bundesbehörden und bundes- nadische Warengruppen die Zölle beseitigte. Bis
eigenen Forschungszentren gibt es weitere Konzen- 2003 wurden weitere Zölle abgeschafft; in einem
trationen von regierungseigener R & D im space tri- Zeitraum von 15 Jahren nach Inkrafttreten des Ab-
angle Houston (Texas)/Huntsville (Alabama)/Titus- kommens sollten bis auf einige wichtige Produkt-
ville-Cocoa Beach (Florida), ferner in New Orleans gruppen alle Zölle abgeschafft sein. Die Produkte,
(Louisiana), Oak Ridge Knoxville (Tennessee) und die ausgeschlossen werden sollten, waren Mais,
Albuquerque (New Mexico) auf dem Energiesektor, Milchpulver und Bohnen, die im mexikanischen
in Pennsacola (Florida), Newport News/Hampton Agrarsektor wichtig sind und deren preiswerterer Im-
(Virginia) im Verteidigungssektor sowie in Dayton port aus den USA oder Kanada die einheimische
(Ohio) in der Luft- und Raumfahrt (Clark 1985, S. Landwirtschaft existenziell gefährden könnte. Da
95). Mexikos Erdöl- und Erdgasreserven die siebtgrößten
der Welt und daher von besonderer Bedeutung für
NAFTA – regionalwirtschaftliche Effekte die USA sind (Kretschmar 1994, S. 197– 217), war
der nordamerikanischen Freihandelszone es von großer Wichtigkeit, die Belange Mexikos im
Gezielt in Wert gesetzt wurde seitens der Bundesre- NAFTA-Abkommen sorgfältig zu berücksichtigen.
gierung das Lohngefälle entlang der mexikanisch- Die Rücksichtnahme auf mexikanische Interessen
amerikanischen Grenze, indem die nordamerikani- diente insbesondere der Stabilität des Landes, was
sche Freihandelszone geschaffen wurde. in einem Zusammenschluss der drei Volkswirtschaf-
Die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA – ten von Bedeutung ist. Als Folge der Freihandelszo-
North American Free Trade Agreement) schließt seit ne ist ein Binnenmarkt entstanden, der 2003 annä-
dem 1. Januar 1994 die USA, Mexiko und Kanada hernd 420 Mio. Menschen umfasste und dem Han-
in einem nordamerikanischen Handelsblock zusam- del zwischen den drei Ländern einen wichtigen An-
men, um den Schutz der eigenen Märkte vor Impor- schub gegeben hat. 1999 hatte der Handel zwi-
ten aus Übersee zu gewährleisten und die interna- schen Mexiko und den USA ein Volumen von 215
tionale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrien Mrd. Dollar erreicht und sich damit in nur fünf Jah-
auszubauen. Das Abkommen hatte folgende Zielset- ren seit Gründung der NAFTA mehr als verdoppelt.
zungen: Das Handelsvolumen zwischen Mexiko und den
■ Beseitigung von Einfuhrzöllen, USA betrug täglich rund 700 Mio. Dollar. Mexiko
■ Förderung fairen Wettbewerbs bei Wahrung eines war bereits 1999 der drittgrößte Exporteur in die
angemessenen Rechtsschutzes, USA, seine Exporte machten 11 % der amerikani-
■ Förderung der trilateralen und multilateralen Zu- schen Importe aus. Das südliche Nachbarland hat
sammenarbeit, sich mit einem Gesamtexport von 137 Mrd. Dollar
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Regionalentwicklung und der Staat 211

im Jahr 1999 zum achtgrößten Exportland der Welt beidseitig: 1999 betrug der Wert aller Elektronikex-
entwickelt. Besonders folgende Produkte werden porte von den USA nach Mexiko 26 Mrd. Dollar,
von Mexiko in die USA exportiert – in der Reihen- während der Wert der mexikanischen Exporte insge-
folge nach Warenwert von 225 Mio. Dollar sind es: samt 27 Mrd. Dollar ausmachte. Haupthandelsorte
Satellitenantennen, Helikopter, Waschmaschinen, für den mexikanisch-amerikanischen Handel sind
Mikrowellenherde, Baumwollstoffe, einmotorige Flug- Laredo und El Paso, Texas, San Diego, Kalifornien,
zeuge, Mikrophone, Luftfahrtturbinen, Rauchdetek- Nogales, Arizona und Cleveland, Ohio (www.Nafta-
toren, Eisen- und Straßenbahnwaggons. works.org/Nafta Works for Electronics, 2003).
Mexiko ist für amerikanische Direktinvestitionen
ein besonders attraktiver Standort geworden – rund Maquiladora-Industrie
1 Mrd. Dollar werden jährlich in mexikanische In- Ein wichtiges Element in der Entwicklung des Pro-
dustriestandorte investiert. Auch mexikanische In- duktions- und Handelsvolumens stellt die Maquila-
dustrien investierten in den ersten fünf Jahren der dora-Industrie dar. So nennt sich die Veredelungsin-
NAFTA ca. 2,6 Mrd. Dollar in den USA. Die Direkt- dustrie, die in plants oder twin plants (Ablegern) ent-
investitionen modernisierten die Industriestruktur lang der mexikanisch-amerikanischen Grenzregion
und verhalfen damit Mexiko, zu einem führenden arbeitet. Sie wurde 1965 von der mexikanischen Re-
Produktionsstandort für Automobile und Fahrzeug- gierung unter dem Namen Border Industrialization
teile, Textilien, elektronische Geräte und elektrische Program mit dem Ziel gegründet, die US-nahen
Haushaltsgeräte zu werden. Mexiko exportierte 1999 Grenzregionen zu industrialisieren und dadurch Ar-
Fahrzeuge und Fahrzeugteile für 34 Mrd. Dollar in beitsplätze und Deviseneinkommen zu schaffen.
die USA und ist damit nach Kanada der zweitgrößte Das Maquiladora-Programm löste das Bracero-
Lieferant der USA für Automobile und Ersatzteile. Programm der Wanderarbeiter in die USA ab, das
Mexikanische Textilexporte machten 1999 rund 17 zuvor für Lohneinkommen in der mexikanischen
Mrd. Dollar aus, die Exporte elektronischer Güter Grenzregion gesorgt hatte. Der Name des Programms
rund 53 Mrd., Haushaltsgeräte ca. 8,5 Mrd. Dollar. kommt von dem spanischen Verb maquilar, was den
Nach Warenwert der Exporte sind die wichtigsten Anteil Mehl bedeutet, den die Müller sich für das
mexikanischen Importe in die USA: Pkws, Autora- Mahlen einbehalten konnten. Die Lohnarbeit in den
dios, Herren-Sweatshirts, Kühlschränke, Alarmsys- Industrien wurde sozusagen zur Grundlage des Wirt-
teme, Halbleiter, Wohnmobile, elektrische Verstär- schaftszweiges, der an der Grenze in großem Maße
keranlagen und Mobiltelefone. industriell gefertigte Güter hervorbrachte und auf
Mexiko ist Amerikas verlängerte Werkbank. In Me- beiden Seiten der Grenze Nachfrage generierte (Ar-
xiko selbst wurde dadurch eine größere Anzahl bes- reola & Curtis 1993, S. 202). Allerdings war die In-
ser bezahlter Arbeitsplätze geschaffen, die im dustrie von vornherein nicht nur auf die lokalen und
Schnitt 40 % über dem normalen mexikanischen regionalen Wirtschaftskreisläufe, sondern die USA
Lohnniveau in nicht exportorientierten Branchen lie- als einen der größten Märkte ausgerichtet.
gen (www.naftaworks.org/2003). Als Resultat der Die Maquiladora-Industrie arbeitet zwar vorwie-
NAFTA wuchs Mexikos Bruttoinlandprodukt im Jahr gend mit amerikanischem Kapital, jedoch auch mit
2000 um 7,8 %. Eigene Investitionen und ausländi- europäischem, japanischem und kanadischem. Nicht
sche Direktinvestitionen lassen das Land zu einem amerikanische Maquiladoras sind häufig amerikani-
wichtigen internationalen Handelspartner und zu schen Unternehmen angeschlossen, und ihre Pro-
einem strategischen Standort in der Globalisierung duktion ist für den amerikanischen Markt bestimmt.
werden. Auch während der Konjunkturkrise, die sich Es werden captured maquilas unterschieden, bei
nach dem 11. September 2001 deutlich zeigte, denen die Kapitalmehrheit in ausländischem Besitz
wuchs das Handelsvolumen der NAFTA-Partner ist, sheltered maquilas in mexikanischem, nicht
weiterhin stark: 2000 lag das gesamte trinationale staatlichem Besitz, der von ausländischen Kapital-
Handelsvolumen der NAFTA-Partnerländer bei ins- gesellschaften gemanagt wird, sowie subcontracting
gesamt 622 Mrd. Dollar, ca. 1,7 Mrd. Dollar täglich, maquilas, die in mexikanischem oder ausländi-
was einem 95 %igen Anstieg entsprach und sich schem Besitz sein können und unter Vertrag mit ver-
daraus erklärt, dass die NAFTA sukzessive Einfuhr- schiedenen ausländischen Firmen arbeiten (Huf-
zölle abgebaut hat und Konsumenten hochwertige bauer und Schott 1992, S. 95f.).
Güter zu günstigeren Preisen einkaufen können. 2001 förderte die mexikanische Maquiladora-In-
Das Beispiel der Elektronikindustrie belegt dies: dustrie insbesondere folgende Branchen: Elektro-
1993 betrugen die Einfuhrzölle auf amerikanische und Elektronikartikel, Möbel, Spielzeuge, Schuhe,
Elektronik- und Computerprodukte nach Mexiko noch Metall- und Bergbauprodukte, Fotoapparate, land-
13,3 %, im Jahr 1999 nur noch 1,3 %, im Jahr 2003 wirtschaftliche Maschinen, chemische Erzeugnisse,
wurden sie aufgehoben. Auch die Einfuhrzölle auf Gummi und Plastik, medizinische Apparate, Trans-
mexikanische Elektronikartikel in die USA lagen portausrüstung, Papier und Karton, Lederwaren,
1999 nur noch bei 1,6 % und wurden 2003 ganz Automobile, Textilien und Bekleidung (NAFTA Works,
abgeschafft. Im Vergleich dazu müssen Nicht-NAFTA- 2001, A Practical Guide to Mexico’s Maquila 2001
Länder beim Import von Elektronikartikeln nach Me- Program). Insbesondere die Elektronikindustrie ex-
xiko 15,4 % und in die USA 16,4 % bezahlen. Der pandierte stark in Mexiko, seit die Einfuhrzölle in
Nutzen der eliminierten Handelsbeschränkungen ist die USA von 13,8 % im Jahr 1993 auf 1,8 % gesenkt
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212 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik, Vormachtstellung und Regionalentwicklung

Abb. 138: Calexio, Kalifor- und im Jahr 2003 eliminiert wurden, was der mexi- wird ebenso angeprangert wie die Missachtung von
nien – Maquiladora- kanischen Elektronikindustrie gegenüber anderen Kinderschutzgesetzen – die USA haben als eines
Industrien an der mexika- ausländischen Firmen, die 1999 noch 15,4 % Ein- der wenigen Länder der Welt die UNO-Konvention
nisch-amerikanischen
fuhrzoll in die USA bezahlen mussten, einen be- über die Rechte des Kindes nicht unterzeichnet –,
Grenze (links Mexiko,
rechts USA). Foto: Alex S. achtlichen Wettbewerbsvorteil brachte. Zwischen ferner die Arbeitsbedingungen. Hauptkritikpunkt ist
MacLean. 1994 – dem Jahr des NAFTA-Abkommens – und dem der Export amerikanischer Arbeitsplätze durch die
Jahr 2000 wuchs das Handelsvolumen zwischen NAFTA nach Mexiko, das zu einer einzigen Maquila-
Mexiko und den USA für elektronische Artikel auf dora wird (Hufbauer und Schott 1992, S. 101, 103).
53 Mrd. Dollar; 1999 erzielten die mexikanischen Zudem unterstützt das Abkommen die Investitio-
Exporte von Elektronikartikeln in die USA den Wert nen von Konzernen in einem bis dahin ungekannten
von 26 Mrd. Dollar. Dabei wurden einige der bereits Ausmaß. Das Abkommen erlaubt, dass Konzerne
genannten Städte als Einfuhrhäfen besonders wich- nationale Regierungen in Verhandlungstribunalen
tig: Laredo (Einfuhren im Wert von 8,7 Mrd. Dollar), verklagen, von denen die Öffentlichkeit ausge-
El Paso (4,6 Mrd. Dollar), San Diego (3,4 Mrd. Dol- schlossen ist. Die Fälle, die zur Verhandlung kom-
lar), Nogales, Arizona (1,4 Mrd. Dollar). Mexiko, das men können, sind solche, in denen das Unterneh-
1993 nur rund 10 % der Elektronikexporte in die men seine Interessen in Konflikt mit NAFTA-Regu-
USA bestritt, hatte 1999 bereits einen Anteil von larien sieht. Gewinnt das Unternehmen, muss die
17 %. Seit 1999 wurde Mexiko zum führenden jeweilige Landesregierung aus Steuergeldern eine
Handelspartner der USA in Sachen Elektronik und Rechnung in einer vom Tribunal bestimmten Höhe
zum größten Exportmarkt für amerikanische Elektro- bezahlen. Diese „Investor gegen Staat“-Fälle wer-
nik. Mexiko war 1999 der zweitwichtigste Exporteur den in besonderen internationalen Verhandlungsor-
elektronischer Artikel in die USA nach Japan, das ganisationen der Weltbank und der Vereinten Natio-
im gleichen Jahr elektronische Güter im Wert von nen ausgetragen, wobei die Öffentlichkeit weder
34 Mrd. Dollar in die USA exportierte. teilnehmen noch beobachten oder eine Eingabe ma-
Die Maquiladora-Industrie ist nicht ohne Kritiker. chen kann. Ein Entscheidungsgremium von drei
Warnende Stimmen erheben sich wegen wahrge- professionellen Unterhändlern führt die Anhörun-
nommener negativer Folgen für die Regionalent- gen, bewertet die Argumente und hat die Befugnis,
wicklung in verschiedenen Bundesstaaten (Public den Konzernen einen Betrag in unbegrenzter Höhe
Citizen 2003). Verschiedene Entwicklungen werden zuzusprechen, sofern das NAFTA-Abkommen ihnen
als ungünstig erachtet: Die Ausnutzung mexikani- ihre Investorenprivilegien und -rechte ungebührlich
scher Arbeiter, die mehrheitlich junge Frauen sind, beschnitten hätte (Public Citizen 2003).
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213

Einblicke
Institutionelle Systeme

Soziales System und Sozialpolitik

Bildungssystem

Bundespolitisches Planungssystem
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214 Einblicke

Institutionelle Systeme Die amerikanische Demokratie ist, im Gegensatz zu westeuropäischen parlamentarischen Re-
gierungssystemen, ein präsidiales Regierungssystem und damit von einem grundlegend an-
Präsidiales Regierungssystem deren Verhältnis von Legislative und Exekutive gekennzeichnet. Seine Merkmale sind (Klein-
steuber 1974, 1989, S. 68ff.; Hübner 1989, S. 105 – 107):
■ Eine Zentralisierung der gesamten Führung der Exekutive in der Person des Präsidenten,
Das politische System der USA ist (Einheit der Exekutive), der zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef ist; diese Funk-
eine präsidiale Demokratie, in der tionen teilen sich in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise der Bundespräsident
der Präsident gleichzeitig Staats- und der Bundeskanzler.
oberhaupt und Regierungschef ist. ■ Eine Regierung, die formal nur aus dem Präsidenten besteht. Anstelle eines Kabinetts mit
Ein Kabinett mit Ministern ist in Ministern unterstehen dem Präsidenten „Abteilungen“ (Departments) mit Verwaltungslei-
den Verfassungswerken nicht vor- tern. Ein Kabinett mit Ministerien ist in den Verfassungswerken (mit Ausnahme des 25. Zu-
gesehen, entsprechende Funktio- satzartikels zu der Verfassung vom 6. 7. 1965, in Kraft getreten am 10. 2.1967) nicht er-
nen werden von Departments mit wähnt oder vorgesehen. Auch in dieser Erwähnung kommt den Leitern wichtiger Behörden
Verwaltungsleitern ausgeübt. keinerlei große Befugnis zu, vor allem keine eigenen Entscheidungsbefugnisse in der Poli-
tik. Zwar fungieren die Behördenleiter als Minister, der Sprachgebrauch macht aber ihren
tatsächlichen Status deutlich, der es ihnen nicht erlaubt, in ihrem Ressort eigenverant-
wortliche Bundespolitik betreiben zu können: Sie sind „Secretary“ – so ist der Außenminis-
ter der Secretary of State, der Verteidigungsminister der Secretary of Defense usw. Wenn
also in Angelegenheiten, welche die USA als in ihrem nationalen Interesse liegend defi-
nieren, die jedoch von weltpolitischer Tragweite sind, eine einzige Person – der Präsident
– die Stoßrichtung in einem Maße bestimmt, dass die politischen Verbündeten und Secre-
taries als die vom Präsidenten bestimmten Ressortleiter dies unterstützen, so entspricht
dies dem seit über 200 Jahren praktizierten, verfassungskonformen Verfahren. Es versteht
sich von selbst, dass in einer präsidialen Demokratie der Person und Persönlichkeit des
Präsidenten eine ganz besondere Bedeutung zukommt.
■ Eine Unvereinbarkeit der Funktionen als Abgeordneter im Kongress und einer Funktion als
öffentlicher Angestellter im Arbeitsbereich des Präsidenten (US-Verfassung Art. 1, Abschnitt
6, Abs. 2). Dies soll eine Abhängigkeit gewählter Volksvertreter vom Präsidenten verhindern
und steht im Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie, in welcher der Regierungschef
und seine Minister auch gleichzeitig noch stimmberechtigte Mitglieder des Parlaments sind.
■ Eine Verantwortung des Präsidenten allein der Verfassung und nicht dem Kongress gegen-
über. Anders ist es in der parlamentarischen Demokratie, in der ein Regierungschef mit
einem Misstrauensvotum aus dem Amt abberufen werden kann. Aufgrund des Wahlverfah-
rens kann der Präsident auch gegen eine Kongressmehrheit aus der anderen Partei regie-
ren, ohne dass diese seine Amtsführung nachhaltig beeinträchtigen und Regierungskrisen
heraufbeschwören könnte.
■ Ein aufschiebendes Vetorecht des Präsidenten gegenüber Gesetzesbeschlüssen des Kon-
gresses, das jedoch mit der notwendigen Mehrheit im Kongress wiederum übergangen wer-
den kann. Im Gegensatz dazu hat der Regierungschef in der parlamentarischen Demokratie
das Recht, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuberaumen.
Da es in den Parteien keinen ■ Eine Trennung von Exekutive und Legislative auf eine Weise, dass der Präsident nicht selbst
Fraktionszwang gibt, müssen für Gesetzesvorlagen einbringen, sondern dies nur über Abgeordnete und strategische Verbün-
alle wichtigen politischen Ent- dete tun kann. Für alle wichtigen Gesetze und Entscheidungen, die im Kongress getroffen
scheidungen Allianzen geschmie- werden, müssen Allianzen aufgebaut werden, da es keinen Fraktionszwang der Parteien gibt.
det werden. ■ Eine Notwendigkeit für Aushandlungsstrategien: Als Vertreter seiner Partei und als von der
gesamten Partei gewählter Präsidentschaftskandidat hat der Präsident zwar einen gewissen
Status, aber in der Partei keine dominierende Funktion und kann keinen Fraktionsdruck
veranlassen.
■ Anders als in der parlamentarischen Demokratie handelt die Partei nur im Vorfeld von
Wahlen und bei der Berufung auf politische Ämter als geschlossene Einheit.
■ Wegen dieser Machtdiffusion zwischen Legislative und Exekutive, die über alle wichtigen
Entscheidungen ein Konsensverfahren beschreiten müssen, ist die präsidiale Demokratie
nicht allein von der Führerpersönlichkeit des Präsidenten abhängig, sondern vom good will
des Kongresses, der im demokratischen Verfahren in jedem Einzelfall erzielt werden muss.
■ Im Vergleich dazu gilt das parlamentarische System als „Diktatur auf Zeit“, da der Regie-
rungschef mit Hilfe des Fraktionszwangs fast immer die parlamentarische Zustimmung er-
halten kann. Dennoch ist die absolute Entscheidungsbefugnis des amerikanischen Präsi-
denten nicht zu unterschätzen: Da er allein der Verfassung verantwortlich ist, ist das Rich-
tergremium des Obersten Gerichtshofes von zentraler Bedeutung. Dieses Lebenszeitamt
wiederum wird vom Präsidenten bestimmt. Über die Entscheidung, wer zum Obersten Ver-
fassungsrichter berufen wird, besteht die Möglichkeit, dass Richter auf Lebenszeit ernannt
werden, die in jeder Beziehung eine präsidiale Linie unterstützen.
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Institutionelle Systeme 215

Merkmale der föderalen Struktur des amerikanischen Regierungssystems sind: Merkmale des föderalen
■ Die Gewaltenteilung auf Bundesebene in Legislative, welche im Repräsentantenhaus und politischen Systems
im Senat erreicht ist, ferner der Exekutive, verkörpert im Präsidenten und seinen Secreta-
ries, und der Judikative, dem Verfassungsgericht (Supreme Court) und den untergeordneten
Bundesgerichten. Die Gewaltenteilung zeigt sich unter anderem daran, dass der Präsident
sich auf eine Wahl durch das Volk berufen kann und daher bei oppositionellen Mehrheiten
im Kongress nicht regierungsunfähig wird.
■ Die Kompetenzaufteilung zwischen der Bundes- und den Einzelstaatsregierungen. Sie ist
auf zwei Arten geregelt: Einerseits definiert der Bund Zuständigkeit für gewisse Aufgaben-
bereiche wie die nationale Sicherheit, andererseits wurde 1791 per Generalklausel im 10.
Zusatzartikel zur Verfassung festgelegt, dass jene Rechte und Aufgaben, die der Bund nicht
ausdrücklich in seinem Aufgabenbereich definiert hat, von den Bundesstaaten oder den
Kommunen übernommen werden. Er besagt im Wortlaut: Die Machtbefugnisse, die von der
Verfassung weder den Vereinigten Staaten übertragen noch den Einzelstaaten entzogen wer-
den, bleiben den Einzelstaaten oder dem Volke überlassen.
■ Die Aufgabe der Einzelstaaten, Zuständigkeiten für solche Aufgabenbereiche festzulegen
oder diese an die Kommunen zu delegieren. Was es bedeutet, wichtige Aufgaben im föde-
rativen System den Kommunen zu übertragen, lässt sich anhand einiger Zahlen erahnen:
1997 waren 87 453 lokale Regierungen in 3043 Counties und 19 372 Gemeinden regis-
triert. Die Bedeutung, die im föderativen System den Bundesstaaten und Gemeinden zu-
kommt, resultiert aus der Zeit, als gleichzeitig eine Union und selbständige Einzelstaaten
nebeneinander bestanden und ein gemeinsamer Staat, der die Existenz beider Einheiten si-
chern sollte, im Entstehen war (Adams 1991, 1996, S. 46).

Laut Verfassung hat der Bund nur die folgenden acht Hauptkompetenzen als seine Hand- Die Kompetenzaufteilung
lungsdomäne identifiziert (Adams 1991, 1996, S. 47ff.; Peltason 1985, S. 20): im föderalen System
1. Die dem Bund explizit zugesprochenen Aufgaben (enumerated powers) wie der Aufbau der
nationalen Verteidigung.
2. Die sich daraus logischerweise ergebenden impliziten Aufgaben (implied powers) wie der
Aufbau von Militärstützpunkten, wobei die impliziten Befugnisse seit 1819 als verfas-
sungskonform anerkannt und kontinuierlich ausgebaut wurden. Dies steht im Zusammen-
hang mit der Definition von „nationalen Interessen“ und der Monroe-Doktrin.
4. Die sich aus mehreren, explizit als Bundeskompetenz definierten Rechten ergebenden
Pflichten (resulting powers).
5. Die Aufgaben, die darin begründet sind, dass sich die USA mit anderen Nationalstaaten
auseinander setzen müssen (inherent powers).
6. Die ausdrücklich und alleinig vom Bunde ausgeübten Pflichten (exclusive powers) wie die
Einsetzung von Botschaftern.
7. Die vom Bund und den Bundesstaaten gemeinsam wahrgenommenen Pflichten (concurrent
powers) wie die Erhebung von Mehrwertsteuern (sales tax), wobei die Rechte der Bundesre-
gierung im Streitfall vor denen der Bundesstaaten stehen.
8. Die ausdrücklich dem Bund untersagten Aufgaben (expressly forbidden), z. B. die Erhe-
bung eines Ausfuhrzolls, der die Wirtschaft schädigen könnte.
9. Die impliziten Begrenzungen der Bundesregierung (implicit limitations on national power),
die sich aus den wirtschaftlichen Interessen der Einzelstaaten ergeben, die vom Bund
nicht gefährdet werden dürfen.
Durch die Verfassung oder den Obersten Gerichtshof klar definierte Bundesaufgaben sind
demnach (Adams 1991, 1996, S. 48):
■ Außenvertretung der USA durch den Präsidenten,
■ Landesverteidigung,
■ Regelung des Außenhandels und des Verkehrs zwischen den Bundesstaaten,
■ Erhebung von Steuern und Einfuhrzöllen,
■ Festlegung der staatlichen Kreditaufnahme bzw. Verschuldung,
■ Prägung der Landeswährung,
■ Standardisierung von Maßen und Gewichten,
■ Postdienst,
■ Copyright und Patentrecht,
■ Schlichtung von Rechtsfällen zwischen den Bundesstaaten durch den Supreme Court,
■ Schutz der Rechte und Privilegien der Bürger,
■ Schutz der Bundesstaaten vor Invasion und vor Bedrohungen von außen. Aus diesem Recht
wie auch aus dem Recht auf Landesverteidigung leitet sich beispielsweise das Recht zur
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216 Einblicke

Sonderbezirke (Auswahl)

Quelle: US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States 2001,
Alle County Gemeinden Township Schul- Gesamt Natur- und Feuer- Wohnungs-
lokalen bezirke Ressourcen- schutz bau
Regierungen schutz
USA 87 453 3 043 19 372 16 629 13 726 34 683 6 983 5 601 3 469
Kalifornien 4 607 57 471 – 1 069 3 010 472 369 79
Illinois 6 835 102 1 288 1 433 944 3 068 935 827 113
Kansas 3 950 105 627 1 370 324 1 524 260 – 204
Minnesota 3 501 87 854 1 794 360 406 114 – 176
Missouri 3 416 114 944 324 537 1 497 181 273 143
Nebraska 2 894 93 536 455 681 1 130 84 419 126
New York 3 413 57 615 929 686 1 126 2 912 –
Pennsylvania 5 070 66 1 023 1 546 516 1 919 7 – 91

Tab. 414, S. 259.


Texas 4 700 254 1 177 – 1 987 2 182 428 103 395
Wyoming 3 069 72 583 1 266 442 696 184 – 171
Tab. 50: Anzahl der lokalen Regierungen in den USA und in ausgewählten Bundesstaaten, 1997.

„präventiven Selbstverteidigung“ und die Gründung des neuen Ministeriums für Innere Si-
cherheit ab,
■ Aufnahme neuer Bundesstaaten,
■ Verwaltung des District of Columbia mit der Hauptstadt Washington,
■ Regelung der Einwanderung und der Einbürgerung,
■ Regelung von Kompetenzverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten in begründeten Fäl-
len. So wurde mit dem 24. Zusatzartikel zur Verfassung von 1964, dem Bürgerrechtsgesetz
von 1964 und dem Wahlrechtsgesetz von 1965 eine einzelstaatliche Gesetzgebung außer
Kraft gesetzt, die Rassendiskriminierung zuließ und das Wahlrecht der Afroamerikaner ein-
geschränkt hatte.
Aufgaben der Bundesstaaten sind:
■ einzelstaatliche Steuern mit Ausnahme auf Bundesbesitz oder Ausfuhren zu erheben,
■ Wahrung der Sicherheit im Bundesstaat (police power) unter Beachtung der Rahmenge-
setze des Bundes und der Grundrechte des Einzelnen,
■ Einrichtung und Erhalt öffentlicher Schulen und Ausbildungsstätten,
■ Adoption von Bundesgesetzen durch eine einzelstaatliche Gesetzgebung (state enabling le-
gislature) in Bereichen, die laut 10. Zusatzartikel der Verfassung den Einzelstaaten oblie-
gen, jedoch von einer Rahmengesetzgebung des Bundes geregelt sind. Dazu gehört z. B. die
Gesetzgebung zum sozialen Wohnungsbau, die als Stadtentwicklungsaufgabe nicht dem
Bund untersteht, durch diesen jedoch geregelt ist.
■ Rechtsprechung im einzelnen Bundesstaat, die auf Stadt-, County- und Oberstem Gericht
des Bundesstaates verteilt ist, wobei Letzteres über die Verfassungskonformität von Einzel-
staatsgesetzen im jeweiligen Bundesstaat befindet und eine Weiterleitung an den Obersten
Gerichtshof der Vereinigten Staaten ermöglicht, wenn Bundes- oder Verfassungsrechte tan-
giert sind.
■ Die Aufgaben der Kommunen sind von erheblicher Tragweite: Sie beinhalten nicht nur die
klassischen kommunalen Versorgungsaufgaben, sondern können die Stadtentwicklung mit
großer Autonomie in ihren Hunderten von lokalen Regierungen ausgestalten (Tab. 50), was
auch Spielraum für disparitäre Entwicklungen zulässt.

Politische Institutionen und Der Präsident wird für eine Amtsperiode von vier Jahren gewählt (für einen Überblick über
das Wahlsystem – der Präsident alle Präsidenten der USA, ihre Kabinette und die wichtigste personelle Besetzung in politi-
schen Institutionen siehe Sautter 2000; Jäger 1998, S. 136 – 169). Seit dem 22. Zusatzarti-
kel zur Verfassung von 1951 ist die Einmaligkeit der Wiederwahl festgeschrieben. Der Präsi-
dent wird im Verständnis der amerikanischen Präsidialdemokratie mittels eines Wahlmänner-
gremiums (electors) vom Volk gewählt. Jeder Staat wählt so viele Wahlmänner in das Elekto-
rat, wie er auch Vertreter im Kongress hat. Laut Verfassung sind dies üblicherweise mindes-
tens drei Personen – analog zu den zwei Senatoren und mindestens einem Repräsentanten.
2003 waren dies 538 Wahlmänner (100 für die 100 Senatoren und 435 für die 435 Mitglie-
der des Repräsentantenhauses sowie 3 Delegierte des District of Columbia, laut 23. Zusatzar-
tikel zur Verfassung von 1961).
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Institutionelle Systeme 217

Der Präsidentschaftskandidat, der in einem Bundesstaat die Mehrheit der Stimmen erhal-
ten hat, erhält auch sämtliche Wahlmännerstimmen – unabhängig von deren Parteizugehörig-
keit. Daher ist es für jeden Präsidentschaftskandidaten wichtig, in den bevölkerungsreichsten
Bundesstaaten die Mehrheit der Wähler zu erhalten, da diese Bevölkerungsgrößen eine große
Anzahl von Wahlmännern bedeuten. 2003 waren dies in Kalifornien 53, in New York 29 und
in Illinois 19.
Das Prozedere der Präsidentschaftswahl wurde schon von den Gründervätern der Verfas-
sung in den sogenannten Federalist Papers von 1787/88 konzipiert. In dieser Sammlung von
Aufsätzen gaben Alexander Hamilton, James Madison und John Jay Vorschläge und Interpre-
tationen zu einer Verfassung, die für das tatsächliche amerikanische Verfassungswerk zentral
wurden. Die Federalist Papers gelten noch heute als die in Worte gefasste politische Kultur
der USA, welche die politische Macht und ihre Begrenzung, das Wesen des Staates und die
Beziehung des Einzelnen zu seinem Staat philosophisch auslegten (Ermacora 1958). Danach
ist das Volk zwar nicht in der Lage, direkt das Staatsoberhaupt zu bestimmen, jedoch kann es
in einem ihm überschaubaren Bereich und in einer überschaubaren Region jene Personen
auswählen, die am geeignetsten sind, nach bestem Wissen und Gewissen den Regierungschef
auszuwählen. Allerdings bestimmen mittlerweile seit vielen Jahren die politischen Parteien in
den Bundesstaaten, wer in ihrem Bundesstaat für das Wahlmännergremium aufgestellt wird.
Somit sind Wahlmäner de facto parteigebunden und müssen quasi wie im Fraktionszwang
den von ihrer Partei aufgestellten Präsidentschaftskandidaten wählen (Bundeszentrale für po-
litische Bildung 1983). Einen ähnlichen Demokratisierungsverlust hat die Wahl zum Präsi-
denten erlitten: Wurden die Präsidentschaftskandidaten ursprünglich von den Kongressfrak-
tionen nominiert, sind es nun die Delegiertenkonferenzen (National Conventions) der Par-
teien, welche einen Präsidentschaftskandidaten küren. Um das Volk wieder stärker zu beteili-
gen, wurden seit dem beginnenden 20. Jahrhundert Vorwahlen (primaries) durchgeführt, und
zwar als
■ geschlossene Vorwahlen, praktiziert in 39 Bundesstaaten, in denen der Wähler direkt an
der Wahl der Delegierten für die nationale Delegiertenkonferenz seiner Partei teilhaben
kann, sofern er sich als Wähler registrieren lässt, sowie als
■ offene Vorwahlen, praktiziert in 9 Staaten, in welchen der eingetragene Wähler durch sein
Votum noch jeweils den einen oder anderen Präsidentschaftskandidaten wählen kann,
■ verdeckte Vorwahlen, praktiziert in drei Staaten (Washington, Louisiana und Alabama), in
denen der Wähler sowohl für demokratische als auch republikanische Vertreter im Kongress
stimmen kann (Bundeszentrale für politische Bildung 1983).
Wer der jeweilige Präsidentschaftskandidat der demokratischen oder republikanischen Partei
wird, entscheidet sich auf dem Nationalkonvent der Parteien. Nicht selten dienen die prima-
ries als Meinungsmacher für das Stimmverhalten der ganzen Nation. Wegen des gestaffelten
Stimmverfahrens und der Tatsache, dass einige Staaten früher mit ihren Vorwahlen als ande-
re beginnen, sind daher einige vergleichsweise gering bevölkerte oder wenig industrialisierte
Bundesstaaten prägend für das Wahlverhalten der Nation. So kann man beispielsweise nach-
weisen, dass selten ein Kandidat Präsidentschaftskandidat wurde, der nicht schon in den Vor-
wahlen, die als erste – und zwar im Bundesstaat Iowa – gehalten werden, den Sieg errang.
Kritisch sind auch die Stimmenabgaben in anderen Bundesstaaten des Mittelwestens, die
agrarisch geprägt sind. Selten hat ein Präsidentschaftskandidat, der die Bauernlobby nicht
hinter sich hatte, das Präsidentenamt auch tatsächlich erreicht. Ein ebenso bedeutender
Staat für die Präsidentschaftswahlen ist der Bundesstaat New York, und zwar nicht nur auf-
grund seines hohen Anteils an Wahlmännern. Der Bundesstaat New York, dessen Vorwahlen
in der Hauptzeit aller Vorwahlen stattfindet, und insbesondere die Stadt New York stellen
einen hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung. Der New Yorker Stadtteil Brooklyn wäre die
Stadt mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung außerhalb des Staates Israel. In der
Nachkriegsgeschichte ist kein Kandidat Präsident geworden, der nicht vom Bundesstaat New
York unterstützt wurde. Die Israel-Politik der USA ist daher in hohem Maße von wahlstrategi-
schen Überlegungen bestimmt: So entfielen in den späten 1970er und 1980er Jahren rund
50 % der gesamten US-amerikanischen Entwicklungshilfe auf die beiden Staaten Israel und
Ägypten, um eine gewisse Stabilität in der Region herbeizuführen, die durch die Camp-David-
Friedensgespräche gefestigt wurde. Wegen des zeitlich gestaffelten Vorwahlsystems und der
Besonderheiten der Meinungsbildung für die Präsidentschaftskandidaten und die Bewerber
um andere öffentliche Ämter kommt dem Lobbyismus und der politischen Steuerungsfunk-
tion des Verbandsystems in den USA eine besondere Bedeutung zu (Adams 1991, 1996,
S. 77– 87).
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218 Einblicke

Der Kongress Der Kongress als das gesetzgebende Organ der Vereinigten Staaten besteht aus zwei Kam-
mern: dem Senat und dem Repräsentantenhaus, die am Gesetzgebungsprozess gleichberech-
Der Kongress besteht aus tigt beteiligt sind. Der Kongress ist kein Parlament, sondern eine Legislative, deren höchste
zwei im Gesetzgebungs- Funktion und Gewalt die Gesetzgebung ist (Steffani 1998, S. 110 – 135).
prozess gleichwertigen Im Senat sitzen jeweils zwei Vertreter eines jeden Bundesstaates, unabhängig von dessen
Kammern: dem Senat und Bevölkerungsgröße. Diese werden laut 17. Zusatzartikel zur Verfassung von 1913 von den
dem Repräsentantenhaus. stimmberechtigten Bürgern eines jeden Bundesstaates für sechs Jahre gewählt, um eine lang-
fristige Planung zu ermöglichen. Wegen der Bedeutung dieses Verfassungsorgans und um
seine Kontinuität und Funktionstüchtigkeit zu sichern, werden nie alle Senatoren zum glei-
chen Zeitpunkt neu gewählt, sondern jeweils ein Drittel aller Senatoren im Turnus von zwei
Jahren. Als Nachteil ergibt sich daraus für die USA, dass stets irgendwo im Land bedeutende
Wahlen stattfinden und daher die Politik in hohem Maße vom Zeithorizont der Wahl- oder Le-
gislaturperioden einzelner Staatsämter dominiert wird. In Verbindung mit dem geringen Stel-
lenwert von Planung (s. weiter unten) gibt dies der Politik eine kurzfristigere Orientierung, als
es für eine Welt- und Supermacht im 21. Jahrhundert vielleicht angebracht wäre, deren er-
klärtes Ziel es ist, weltweit Orientierung zu vermitteln.
Im Repräsentantenhaus vom Kongress hat jeder Staat ein Anrecht auf mindestens einen
Repräsentanten mit einer zweijährigen Amtszeit. Zusätzliche Repräsentanten werden auf der
Grundlage der Bevölkerungszahl des Bundesstaates zugelassen, im Allgemeinen ein Reprä-
sentant pro ungefähr 500 000 Einwohner. Der Kongress bestimmt über die Größe des Reprä-
sentantenhauses und die Verfahren zur Bestimmung der Anzahl der Repräsentanten in jedem
Bundesstaat. Durch einzelstaatliche Gesetzgebung werden die Abgrenzungen der für den
Kongress relevanten Wahlbezirke bestimmt. Auf der Grundlage der seit 1791 im Zehnjahrs-
turnus durchgeführten Volkszählung wird dann die Zahl der Repräsentanten festgesetzt. Die
Repräsentanten werden in jedem Staat durch Vorwahlen ermittelt (US House of Representa-
tives, Office of the Clerk 2003).
Gesetzesinitiativen können nur vom Kongress als der gesetzgebenden Gewalt ausgehen. Der
Präsident kann jedoch in seinen jährlichen Ansprachen „Zur Lage der Nation“ dem Kongress
Impulse für gesetzgeberisches Wirken geben. So hat die „Bush-Doktrin“ nach dem 11. Sep-
tember 2001 zur „präventiven Selbstverteidigung“ die Anregung zur Gesetzgebung für ein
Bundesministerum für Innere Sicherheit gegeben.
Wichtigstes Steuerungsinstrument der Politik, auch der Exekutive, ist die Budget-Hoheit
des Kongresses. Der Präsident bzw. sein Office of Budget and Management erstellen zwar den
Haushaltsentwurf, jedoch kann der Kongress Ausgaben nur für einen begrenzten Zeitraum be-
willigen, nur unter Vorgaben gestatten oder gänzlich verweigern. Das Congressional Budget
Office verfügt mit seinem riesigen Mitarbeiterstab über ein Gegengewicht von Sachexperten,
die die Haushaltspolitik und damit die Politik des Präsidenten relativieren können. In dem
Mittel der Budget-Hoheit äußert sich die Macht des Kongresses, Politik mitzugestalten und
die Exekutive zu begrenzen. Sein Budgetrecht ist daher eines von vielen von der Verfassung
vorgesehenen checks and balances gegen Machtmissbrauch. Der Kongress wird in seiner Ar-
beit von einer Wissens-Infrastruktur von enormen Ausmaßen unterstützt: So ist die Kongress-
bibliothek (Library of Congress) die größte der Welt. Alle in den USA erscheinenden Druck-
werke müssen in ihr erfasst sein. Als Präsenzbibliothek unterhält sie einen Auskunftsdienst,
der innerhalb einer geringen Zeitspanne Materialien heraussuchen und an einen Arbeitsplatz
bringen lassen kann. Mit dem kongresseigenen Amt für Beratung in Fragen der Gesetzgebung
(Office of Legislative Counsel) können juristische Abklärungen in Vorbereitung der parlamen-
tarischen Gesetzgebung vorgenommen werden. Wegen der Größe des Kongresses und der viel-
fältigen Interessen, die vertreten werden müssen (da es keinen Fraktionszwang gibt), wird die
eigentliche Arbeit von einer großen Anzahl von Ausschüssen, Unterausschüssen, Untersu-
chungsausschüssen und Ad-hoc-Komitees abgewickelt. Wegen der großen Bedeutung der
Kongressausschüsse vereinen deren Vorsitzende zusammen mit den Führern der Mehrheits-
und der Minderheitspartei sowie des Sprechers des Abgeordnetenhauses eine große Macht-
fülle auf sich. Aus ihren Reihen kann sogar ein Amtsenthebungsverfahren (impeachment)
gegen den Präsidenten eingeleitet werden, wie dies 1974 nach dem Watergate-Skandal der
Fall war, nachdem die Beteiligung von Präsident Nixon an einer gesetzeswidrigen Handlung
bekannt geworden war.
Auch innerhalb des Kongresses gibt es vielfältige checks and balances, um das Gemeinwe-
sen auch vor Machtmissbrauch des Parlaments selbst zu schützen. Das Recht eines jeden Ab-
geordneten, den Partikularinteressen des Staates oder Wahlbezirks zuzuliefern, die ihn ge-
wählt haben, ist hier der wichtigste Mechanismus. Diese Dezentralisierung sichert nicht nur
die Repräsentanz der unteren Ebenen des föderativen Systems. Sie bietet auch Spielraum für
einen Aushandlungsprozess vielschichtiger Anliegen, auch des Lobbyismus von Wirtschafts-
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interessen. Dass dieser dezentrale Aushandlungsprozess auch Spielraum für Dominanz mäch-
tiger Wirtschaftszweige bietet, z. B. dem Lobbyismus der Erdölindustrie in der gesamten Poli-
tik, ist hinreichend bekannt. So haben in der Regierung George W. Bush außer dem Präsi-
denten selbst eine Reihe von Personen mit Ministerstatus eine persönliche Verbindung zur
Erdölindustrie, einige sogar in die Vorstandsetagen solcher Konzerne (Woodward 2002).
Um eine bestimmte Politikrichtung dennoch durchsetzen zu können, die erhebliche
Bundesmittel bindet, muss der Präsident im Kongress und im Volk auf besonders intensive
Weise Überzeugungsarbeit leisten. Jüngstes Beispiel war der Nachtragshaushalt von über 75
Mrd. Dollar im laufenden Haushaltsjahr 2003 für die Finanzierung des Irak-Feldzugs der
USA, für dessen Zustimmung durch den Kongress eine monatelange vorbereitende Rhetorik
eingesetzt wurde, deren Hauptargument auf der Vernichtung der im Irak vermuteten Massen-
vernichtungswaffen lag. Ein weiteres Mittel dieser Rhetorik war die Einbindung des Anliegens
in uramerikanische „zivilreligiöse“ Werte, also an fundamentale Überzeugungen eines jeden
einzelnen Amerikaners, womit man das Volk in seiner Gesamtheit überzeugen wollte.
Da in den USA eine strikte konstitutionelle Trennung von Staat und Religion herrscht, reli-
giöse Grundwerte jedoch bereits seit vorkolonialer Zeit und insbesondere in den USA seit
1776 eine gesellschaftsbestimmende Macht sind und die Gesellschaft sich mehrheitlich und
stark religiös sieht, werden und lassen sich viele politische Inhalte leicht über ebensolche
identitätsstiftenden, bekannten Muster vermitteln. Da jedoch die enge Verflechtung von Poli-
tik und Religion nicht institutionell, sondern nur individuell vermittelt werden darf, sieht man
in Zeiten, in denen nationale Interessen sehr stark oder auf besondere Weise vertreten werden
wollen, Politiker sich in hohem Maße in öffentlichen religiösen Bekenntnissen üben. Dieses
Phänomen wurde schon 1967 als civil religion („zivile Religiosität“) bezeichnet (Bellah
1967). Diese bürgerliche Religionskultur, von Kritikern auch als „Wohnzimmer-Deismus“ be-
zeichnet, im neutralen Sprachgebrauch eher public philosophy oder „öffentliche Frömmig-
keit“ (public theology) genannt, ist als geistige Grundlage der US-amerikanischen Identität
allen vertraut und daher stets als starkes Argument in der Politik nutzbar. Als sich beispiels-
weise George W. Bush am 20. September 2002 vor dem Kongress in seiner Ansprache auf
Gott berief, der für die USA Partei im Kampf gegen das Böse ergreife (BaZ v. 8./9. März
2003, S. 37), oder als er sich in öffentlichen Argumentationen für den „Kreuzzug“ gegen
die „Achse des Bösen“ vor christlicher Symbolik photographieren ließ, hat er nur die religiö-
se Prägung der amerikanischen Kulturgeschichte aktiviert. Es handelt sich dabei um die Be-
gründung der für die Gesellschaft, die Politik, das Allgemeinwohl und die Wirtschaft wichti-
gen Werte, die als fest verankert in der besonderen Gottesbeziehung Amerikas gesehen wer-
den. Das Sendungsbewusstsein als „Erlöser-Nation“ und die zivilreligiöse Rhetorik gegen „das
Böse“, dem mit „infinite justice“ (Bezeichnung für den Anti-Terror-Krieg) begegnet werden
soll – diese Topoi finden im Volk und Kongress nahezu unbegrenzten Rückhalt (Bernhardt
2002; NZZ v. 12./13. April 2003, S. 61; Heinrichs 2002, S. 7– 9).

Der US Supreme Court überprüft die Verfassungskonformität von Bundes- und im Rechtsstreit Der Oberste Gerichtshof
von Einzelgesetzen. Dieses Recht auf judicial review – eingeführt unter der Amtszeit des
Bundesrichters John Marshall 1801 – 1835 – verleiht dem Obersten Gericht den Status einer
politischen Institution, die über Rechts- und Revisionsfälle die Einheit der USA stärkt, indem
einerseits die Einzelstaaten trotz erheblicher Autonomie auf die Bundesgesetzgebung zurück-
verwiesen werden, andererseits aber auch die Bundesgesetzgebung einer Kontrollinstanz
unterliegt. Wie wichtig beides ist, ergibt sich aus der Besonderheit des angelsächsischen Ge-
richtswesens überhaupt: Anders als das auf römischer Gesetzgebungssystematik beruhende
Gesetzes- und Gerichtswesen basiert es auf Präzedenzfällen und früheren Grundsatzentschei-
dungen. Da im amerikanischen System die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen höchs-
te Priorität genießen und der Autonomie auf der untersten Ebene des föderativen Systems der
Verfassungsschutz durch den 10. Zusatzartikel zukommt, kann jeder Staat, jede Kommune
und jedes Individuum gegen Gesetze, auch Bundesgesetze klagen, wenn man die verfassungs-
mäßigen Rechte darin beschnitten sieht. Es sind dann Grundsatzentscheide und Präzedenz-
fälle, die zur Basis der weiteren Rechtsprechung werden.
Den Bundesrichtern kommt daher eine starke Machtposition zu, welche im europäischen
Rechtssystem in dieser Form unbekannt ist. Dem Vorwurf der „richterlichen Vorherrschaft“
oder der „Justizokratie“ lässt sich jedoch schon damit begegnen, dass der Präsident die
Bundesrichter mit Zustimmung des Senats auf Lebenszeit ernennt. Die Zahl der Richter ist
seit 1869 auf neun Personen festgelegt. Sofern, wie unter den Präsidenten Reagan und Bush
Sen., sechs der neun Bundesrichter von republikanischen Regierungsadministrationen er-
nannt werden, die ebenfalls als konservativ gelten, können natürlich konservative Grundwerte
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auf mehr als eine Generation im Bundesgericht verankert werden und progressive Gesetzge-
bung oder Rechtsprechung beeinflussen.
Eine derart günstige Situation, bei ausscheidenden Bundesrichtern durch Neuernennung
auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen zu können, hatte es im 20. Jahrhundert nur einmal
zuvor gegeben: Nachdem der Bundesgerichtshof zwischen 1865 und den 1930er Jahren star-
ke privatwirtschaftliche Interessen erfolgreich vor staatlicher Reglementierung geschützt
hatte, wurden in Präsident Franklin Delano Roosevelts Amtsperiode 1933 –1945 sämtliche
Bundesrichterpositionen zur Neubesetzung frei. Durch Besetzung mit sozial orientierten Rich-
tern konnte nicht nur die gesamte Sozialgesetzgebung der USA, wie sie im New Deal von Prä-
sident Roosevelt konzipiert wurde, eingesetzt und verankert werden. Dadurch wurde das im
Folgenden beschriebene gesamte soziale Netz der USA geschaffen, das durch Bundespolitik
und -programme gesichert ist. Aufgrund der Tatsache, dass drei dieser Bundesrichter Lebens-
und Amtszeiten bis in die sozialreformerische „War on Poverty“-Ära der 1960er Jahre hatten
und die Präsidenten Kennedy und Johnson noch vier Bundesrichter ernennen konnten, die
ihre Politik mittrugen, konnten sowohl die zweite Phase der Sozialgesetzgebung der USA als
auch die Bürgerrechtsgesetze als verfassungskonform durchgesetzt werden.

Soziales System
und Sozialpolitik
Überblick – von privater Wesentlich zum Verständnis des Sozialsystems und der Sozialpolitik in den USA ist die Tat-
Mildtätigkeit zu staatlichen sache, dass sich das „Gelobte Land“ zu keiner Zeit als ein System verstand, im dem Segnun-
Sozialleistungen gen nach Bedarf oder Bedürftigkeit verteilt werden sollten. Im Gegenteil: Ein fundamental ge-
sellschaftsprägender Gedanke ist, dass sich wirtschaftliches Wohlergehen und „Glück“ nur
dem arbeitenden Menschen entfalten. Das institutionalisierte Sozialsystem spiegelt daher
auch diese religiös-kulturellen Grundlagen aus puritanisch-vorkolonialer Zeit und der protes-
tantisch-kapitalistischen Ethik des unabhängigen Amerika wider.
Entsprechend seiner geistig-ideellen Grundlagen ruht das heutige, fast unüberschaubar
vielfältige amerikanische Sozialsystem auf drei Stützpfeilern: auf privaten, staatlichen und
gemeinnützigen Vorkehrungen, die zusammen Sicherung gewährleisten, Not abwehren oder
lindern sollen. Gemäß dem individualistischen Gesellschaftsmodell, in dem jeder für sich selbst
Sorge zu tragen hat, wurde und wird die Verantwortung für eine soziale Absicherung in erster
Linie dem Einzelnen und nicht dem Staat zugewiesen. Private Rentenvorsorge, eigene Er-
sparnisse, die in Lebensversicherung oder im Eigenheim angelegt sind, und Einzahlungen in
betriebliche Altersversorgungen sind von jeher wichtiger gewesen als das staatliche Renten-
system. Die Rolle privater Organisationen und Initiativen für die soziale Sicherung und Wohl-
fahrtspflege nahm daher im System der sozialen Sicherungen stets einen sehr breiten Raum
ein. Gegenwärtig liegt der Gesamtwert der karitativen, sozial-gemeinnützigen Schenkungen
bei über 203 Mrd. Dollar (!), also knapp dem Wert der gesamten landwirtschaftlichen Pro-
duktion oder 40 % des Wertes der gesamten Automobilindustrie. Davon wurden 152 Mrd. Dol-
lar durch private Spenden, 24,5 Mrd. Dollar durch Stiftungen, 11 Mrd. Dollar durch Konzerne
und 16 Mrd. durch Vermächtnisse an karitative Organisationen aufgebracht. Dass private
Spendentätigkeit auch Sozialleistungen der Bundesregierung ersetzen soll, ist von der Rea-
gan-Administration nicht nur vorgeschlagen, sondern auch teilweise in die Tat umgesetzt wor-
den, stieg doch die private Spendentätigkeit seit 1980 von nur 48,6 Mrd. auf die besagten
203 Mrd. Dollar an (US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United States
2001, Tab. 561, S. 360). Dass der Geist der Spendentätigkeit ein wesentlicher Teil des Kapi-
talismus war – dienten doch Spenden in erstklassiger Weise über Steuerabschreibungen dazu,
Geld zu akkumulieren und die Spender von noch höheren finanziellen Verpflichtungen an das
Gemeinwesen zu befreien –, ist eine Tatsache, die schon Max Weber beschrieb und die auch
heute noch nachweisbar ist (Groupe Caisses des Dépôts 2002).
Die Bevorzugung der privaten Spartätigkeit in einer Altersabsicherung wird auch daraus
ersichtlich, dass die staatliche Rentenversorgung seit ihrer Gründung 1935 bis in die Gegen-
wart ein Drei-Säulen-Modell geblieben ist: Sie sieht eine staatliche Altersabsicherung in Höhe
von nur rund einem Drittel des letzten Lohnes vor, wobei die anderen zwei Drittel zur eigenen
Altersabsicherung mittels anderer privater Ersparnisse (Immobilien, Lebensversicherungen,
Einzahlungen in betriebliche Versorgungen) gesichert werden sollen. Staatliche Versorgungs-
strukturen, die überhaupt erst seit dem New Deal der 1930er Jahre und damit fast fünfzig
Jahre später als in westeuropäischen Ländern eingesetzt wurden, hatten stets nur die Versor-
gung jener Menschen im Fokus, die unverschuldet in Not geraten. Vor den institutionalisier-
ten staatlichen Versorgungen als einem Faktum des 20. Jahrhunderts hat es von jeher in den
USA zahlreiche öffentliche und gemeinnützige Wohlfahrtsprogramme ohne Versicherungs-
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Soziales System und Sozialpolitik 221

charakter gegeben, und auch das private Spendentum wurde mittels Steuerabschreibungen
seit über einhundert Jahren gefördert. Private soziale Volontärstätigkeit, die auch in der Ge-
genwart in Milliardenhöhe Finanzierung betreibt, wurde seit kolonialer Zeit als Teil der Nach-
barschafts- und kirchlichen Gemeindetätigkeit ausgeübt. Solange die Gesellschaft eine agra-
rische mit einem hohen Grad an Selbstversorgung war, bestand kaum Bedarf, sich von der
privat ausgeübten Form der Wohltätigkeit bei persönlichen Notlagen zu entfernen. Mit der In-
dustrialisierung und dem Wachstum der Städte erwiesen sich jedoch die immer stärker aus-
differenzierende Gesellschaft und ihre kirchlichen oder privaten sozialen Leistungen den stei-
genden sozialen Belastungen nicht mehr gewachsen. Es ist bezeichnend, dass die Bundesre-
gierung auch angesichts massiver Verelendung in den Städten und der sozialreformerischen
Bewegungen zwischen 1890 und 1915 kaum Bemühungen unternahm, eine allgemeine so-
ziale Absicherung zu schaffen.
Ob in der Armutsproblematik oder in der Frage der verelendenden Stadtviertel und unge-
nügenden Wohnraumversorgung: Die Bundesregierung wartete seit Beginn der Sozialreform-
bewegung (Progressive Era beginnend um 1890) noch 45 Jahre, bevor sie sich zum Eingrei-
fen entschied.

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre, Aufbau des sozialen Netzes
die über 10 Mio. Arbeitslose schuf, wurde allgemein deutlich, dass jeder, Lohnempfänger wie
Unternehmer, unverschuldet in Not geraten konnte. Mit dem Sozialversicherungsgesetz von Das amerikanische Sozialsystem
1935 (Social Security Act) wurde erstmals auf Bundesebene ein allgemeines Rentensystem gliedert sich in mehrere Haupt-
eingerichtet, wodurch auf Ebene der Bundesregierung wie auf Ebene der Bevölkerung sich in bereiche: die Sozialversiche-
diesen Notjahren eine Akzeptanz für eine Pflichtversicherung einstellen konnte. Es bedurfte rung, die betriebliche Alters-
weiterer zwanzig Jahre, bis zusätzliche Sozialversicherungsgesetze, z. B. bei Invalidität (1956), sicherung sowie die öffentliche
verabschiedet wurden. Denn auch angesichts der Depression wurde die feste Überzeugung ver- Wohlfahrt. Letzterer wird als
treten, dass jeder letztlich auch nach einer Notlage sein Schicksal selbst meistern könne, einseitiger staatlicher Alimen-
dass der Staat nicht in der Lage sei, mehr als eine Minimalsicherung beizutragen, ferner tierung Bedürftiger wenig
auch, dass sich die Volkswirtschaft nach einer Krise so gut erholen könne, dass ein Ausbau Akzeptanz entgegengebracht,
der Sozialprogramme nicht notwendig sei. Während der New Deal eine große Anzahl von Ge- und sie ist nicht so gut ausge-
setzen erbrachte, welche die Wirtschaft stabilisieren und die Menschen besser versorgen soll- baut wie in europäischen,
ten, darunter die Infrastrukturprogramme (Bau von Autobahnen, Stauseen, Eisenbahnlinien), sozialen Marktwirtschaften.
das erste soziale Wohnungsbauprogramm oder die Elektrifizierung weiter Teile des ländlichen
Amerika, blieb die eigentliche Sozialgesetzgebung rudimentär.
Dem Ausbau des bundesstaatlichen Sozialsystems in den 1960ern in der Johnson-Ära mit
seinen War on Poverty-Programmen folgte ein allmählicher Rückbau ab den 1970ern, in dem
die zahlreichen Bundesprogramme zunächst konsolidiert, dann durch Pauschalzuweisungen
an die Bundesstaaten abgelöst und gleichzeitig reduziert wurden. Die größere Verfügungsge-
walt der einzelnen Bundesstaaten erlaubte es seither, die Sozialausgaben und -programme
durchaus unterschiedlich zu handhaben.
Das amerikanische Sozialversicherungssystem bleibt bis in die Gegenwart wenig einheit-
lich, organisatorisch und finanziell in viele Bereiche aufgegliedert und generell weniger zah-
lungswillig als westeuropäische Sozialsysteme. Seit Einführung des Sozialsystems haben sich
vier Hauptformen der Einkommenssicherung herauskristallisiert:
■ die Sozialversicherung (social security),
■ die betriebliche Altersversorgung,
■ die öffentliche Wohlfahrt (public assistance) und
■ Steuervergünstigungen.

Die umfassendste Form der Einkommensversicherung bei Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Sozialversicherung
Unfall ist die Sozialversicherung von 1935 (OASDI – Old Age, Survivors and Disability Insurance),
welche als „wohlerworbener Anspruch“ jedem Arbeitnehmer zustehen sollte, der in den Ruhe-
stand tritt, schwer krank wird oder unverschuldet seinen Arbeitsplatz verliert. Wichtig an diesem
Konzept war jedoch, dass nur die allgemeine Rentenversicherung zu einer Pflichtversicherung
wurde. Die anderen Formen der Absicherung wurden zwar erstmals möglich, blieben jedoch frei-
willig. Da auch das allgemeine staatliche Rentensystem, obwohl es als Pflichtversicherung kon-
zipiert ist, die Option zulässt, keine Beiträge zu zahlen, erklärt sich, dass auch 1998 nur 79 %
der amerikanische Vollzeitbeschäftigten irgendeine Form der Rentenversicherung hatten (US
Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 533, S. 351).
Die optionale Arbeitslosenversicherung wurde später an die Zuständigkeit der Bundesstaa-
ten ausgelagert, weshalb auch im Jahr 1999 nur rund 37 % der nicht militärisch Beschäftig-
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222 Einblicke

1990 1995 1999 ten eine staatliche Arbeitslosenversi-


cherung hatten. Diese Zahlen spiegeln
Gesamt 561,4 841,0 964,2 auch die jeweilige wirtschaftliche Lage
Rentenleistungen 263,8 350,0 402,8 wider: So fiel der Anteil derer mit Ar-
Medizinische Versorgung 189,1 337,5 399,0 beitslosenversicherung von 1980, dem
– davon im Rahmen von Sozialhilfeleistungen 78,2 155,0 188,9 Beginn der Reagan-Ära, die 19 Mio.
Stellen im Dienstleistungssektor – zu-
Medicaid/public assistance medical aid
meist den Billiglohnbranchen – ge-
Einkommenssicherung 63,5 100,4 104,1
schaffen hatte, von 43 % auf 31,5 %
Arbeitslosenversicherung 18,2 21,8 20,7 (1985), sank bis auf 30,8 % (1993),
Zahlungen an Veteranen 17,7 20,5 24,1 um dann unter dem Druck der wirt-
Bundeshilfen für Ausbildungsprogramme 7,3 9,0 11,3 schaftlichen Lage wieder auf 37 % an-
andere Leistungen an Individuen 1,7 1,6 2,0 zusteigen (US Bureau of the Census
2001, Statistical Abstract of the Unit-
Tab. 51: Ausbau der Sozialleistungen in Mrd. Dollar. ed States 2001, Tab. 531, S. 351).
Quelle: US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United States 2001; Tab. 519, S. 340.

Leistungsart und Beginn Ausdehnung* Vereinheitlichung Finanzierungs- Verwaltungs-

Quelle: Murswieck 1991, 1996, S. 112, 105 – 128 (veränd.); *Quelle: US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 540, S. 353; Tab. 572, S. 370; Tab. 536, S. 250; Tab.
träger zuständigkeit

Sozialversicherung
Rentenversicherung (Old 1999 rund 79 % National, Beiträge Arbeitnehmer, Bund
Age, Survivors, Disability 2000 rund 44,3 Mio. vereinheitlicht Arbeitgeber
Insurance – OASDI) 1935 Bezieher
Arbeitslosenversicherung 1999 rund 37,2 % Einzelstaatliche Beiträge Arbeitgeber, Einzelstaaten
(Unemployment Insurance) Regelung teilweise Arbeitnehmer
1935
Unfallversicherung (Workers’ 2000 rund 88 % Einzelstaatliche Beiträge Arbeitgeber, Einzelstaaten
Compensation – WC) 1948 Regelung teilweise Arbeitnehmer
Krankenversicherung 1999 39,1 Mio. National, einheitlich Beiträge Arbeitgeber, Bund
(Medicare) 1965 Empfänger Arbeitnehmer
Sozialhilfe/Public Assis-
tance (Geldzuweisungen)
Alten-, Blinden- und Behin- 1999 6,5 Mio. National, einheitlich Steuern, Bund Bund
dertenfürsorge (Supplemen- Empfänger
tal Security Income – SSI)
1972
Familienfürsorge (AFDC – 1994 5 Mio. Familien Einzelstaatliche Steuern, Bund, Bund,
Aid to Families with Depend- mit 14,1 Mio. Em- Regelung Staaten, Gemeinden Einzelstaaten
ent Children/TANF – pfängern,
Temporary Aid to Needy 2000 2,2 Mio. Fam.
Families) 1935 mit 5,8 Mio. Empf.
Sozialhilfe
(Sachleistungen) 544, S. 353; Tab. 543, S. 353; Tab. 131, S. 97; Tab. 136, S. 99.

Krankenfürsorge (Medicaid) 1999 27,8 Mio. Einzelstaatliche Steuern, Bund, Bund, Einzelstaaten,
1965 Empfänger Regelung Staaten, Gemeinden Gemeinden
Ernährungsfürsorge 2000 17,1 Mio. National, einheitlich Steuern, Bund Bund,
(Food Stamps) 1964 Empfänger (mit Ausnahmen) Einzelstaaten
Ernährungshilfen, die nicht
als Sozialhilfe gelten
WIC (Women, Infants, 1980 1,9 Mio Nationale Regelung Steuern, Bund, Staaten Einzelstaaten,
Children: Zusatzspeisungs- 2000 7,2 Mio. Bund
programm) 1974 Empfänger

Tab. 52: Die Grundstruktur der Sozialleistungsprogramme der USA im Überblick.


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Soziales System und Sozialpolitik 223

Die Arbeitslosen- und Unfallversicherung blieb bis in die Gegenwart in ihrer Grundstruktur
erhalten, lediglich das staatliche Rentensystem wurde bis in die 1970er Jahre in der Form
ausgebaut, wie sie in anderen westlichen Industriestaaten üblich ist. Gleichwohl bleibt ein
wichtiger Punkt bestehen: Anders als die Altersversorgung in westeuropäischen Ländern
bleibt das staatliche US-amerikanische Rentensystem ein Drei-Säulen-Modell, in dem die
staatliche Rente von rund einem Drittel des letzten Einkommens lediglich die eigenen Spar-
leistungen zusätzlich aufstockt. Ein solches Drei-Säulen-Modell ist in Westeuropa derzeit nur
in der Schweiz seit Jahrzehnten gängig, wo ebenfalls calvinistisch geprägte Kulturnormen die
eigene Sparleistung vor öffentliche Finanzierungen in den Vordergrund rücken und aufgrund
einer langjährig stabilen Wirtschaft die Möglichkeit von Armut bis in die ausgehenden 1990er
Jahre stark unterschätzt wurde.
Eine gesetzliche Krankenversicherung wurde mit dem Sozialversicherungssystem von 1935 in
den USA nicht eingerichtet. Eine Krankenversicherung für alte Menschen wurde erst 1965 mit
dem Medicare-Programm eingeführt. Die Sozialhilfe für die Bedürftigen wurde als Mischfinan-
zierung von Finanzzuschüssen des Bundes in die autonome Verantwortung der Einzelstaaten
gelegt und in der Folge unterschiedlich ausgestaltet. Die Begrenzung auf bestimmte Personen-
gruppen (Alte, Blinde, Kinder und weibliche Haushaltsvorstände mit Kindern) zeigt die Null-Tole-
ranz für einen Sozialhilfebezug anderer Personengruppen. Lediglich während der Bürgerrechts-
bewegung in den 1960er Jahren wurde schrittweise ein finanzieller Ausbau der Leistungen
(Tab. 51) vorgenommen, nicht jedoch eine Umstrukturierung dieses Modells (Tab. 52). Es zeigt
den Habitus des amerikanischen Denkens und der Wertvorstellung von einer kapitalistisch-pro-
testantisch geprägten Arbeitsethik als einzig stabiler Absicherung des eigenen Lebens und lässt
den Anteil der Sozialhilfeleistungen an die Nichtarbeitenden nie zu groß werden.

Die Rentenversicherung ist unter allen Sozialleistungen die umfassendste. Die Altersrenten, Rentenversicherung
die periodisch mit den steigenden Lebenshaltungskosten dynamisiert werden, erhalten gene-
rell alle Versicherungspflichtigen, die als Lohnabhängige oder selbständig Erwerbende be- Die amerikanische Alters-
schäftigt sind; seit 1988 gilt dies auch für ihre mithelfenden Familienangehörigen. Seit 1983 versorgung besteht aus
besteht für alle Angestellten des öffentlichen Dienstes – einschließlich des Präsidenten der drei Säulen: privaten Spar-
USA – Versicherungspflicht, seit 1984 für alle Angestellten der gemeinnützigen Organisatio- leistungen sowie staat-
nen. Beitragszahlungen für Angestellte der Bundesstaaten und Gemeinden, die bis 1983 frei- lichen und gemeinnützigen
willig waren, unterliegen seit der Rentenreform von 1983 der Versicherungspflicht. Die Ren- Versorgungsträgern. Private
tenreform unter Präsident Reagan legte auch gesetzlich fest, dass 50 % einer Alters- oder Alterssicherung ist von
Invaliditätsrente, die 20 000 Dollar im Jahr (bei Verheirateten 25 000 Dollar) übersteigt, jeher bedeutender gewesen
nach der progressiven Einkommenssteuerregelung besteuert werden (Racine, Turner & als das staatliche
White 1986a). Rentensystem.
Entsprechend der Grundstruktur, wonach staatliche Renten nur ca. 30 % des letzten Net-
toeinkommens und ca. 43 % des letzten Bruttoeinkommens finanzieren, fallen staatlich gere-
gelte Monatsrenten aus europäischer Sicht vergleichsweise niedrig aus: Im Haushaltsjahr
2000 betrugen die Monatsrenten pro Arbeitnehmer durchschnittlich 844 Dollar, für ein Rent-
nerpaar 1420 Dollar, für eine durch Unfall oder Berufskrankheit arbeitsunfähige Person 786
Dollar, für die vom Rentenbezieher geschiedenen Mütter mit kleinen Kindern 595 Dollar, für
Witwen und Witwer 810 Dollar, für hinterbliebene Kinder und Jugendliche von Renten-
berechtigten 550 Dollar (US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United
States 2001, Tab. 527, S. 346).
Das Rentenalter, derzeit noch 65 Jahre, wird zwischen dem Jahr 2000 und 2022 schritt-
weise auf 67 Jahre angehoben, dies angesichts der Überalterung der Gesellschaft und der
Tatsache, dass die Renten aus Umlageverfahren und Generationenvertrag, das heißt aus eige-
nen Beiträgen ohne bundes- oder einzelstaatliche Zuschüsse, aufgebracht werden müssen.
Eine flexible Altersgrenze ab 62 Jahren ist seit 1956 für Frauen und seit 1961 für Männer
möglich, wobei beim Renteneintritt in diesem Alter die Pensionen um jeweils 20 % niedriger
ausfallen als bei einem Renteneintritt mit 65 Jahren. Die Frage, ob man von den staatlichen
Renten gut leben kann, wird schon dadurch beantwortet, dass staatliche Renten nur zwischen
30 und 43 % des letzten Netto- bzw. Bruttoeinkommens ausmachen. Eine Alterssicherung,
die einen einigermaßen guten Standard sichert, wird immer von den privaten Ersparnissen
und Zusatzrenten, z. B. einer betrieblichen Versorgung, abhängen. Gerade bei den betrieb-
lichen Renten hat der Einbruch des Aktienmarktes, insbesondere im zeitweise hoch gehan-
delten New Economy-Markt, dazu geführt, dass viele große Unternehmen die Renteneinlagen
ihrer Belegschaft in einem hoch ertragreichen, aber auch hochriskanten Aktienmarkt angelegt
und verspekuliert haben. Schon vor den großen Firmenbankrotten wie im Fall Enron (2002),
wo die Altersversorgung der gesamten Belegschaft verloren wurde, waren Altersarmut und Ar-
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224 Einblicke

beiten bis zum Letzten eine Realität für Millionen von Amerikanern. Gute Betriebsrenten sind
nicht die Norm in den USA – nur rund 50 % der Arbeitnehmer profitieren von diesen benefits.
Die Betriebsrenten machten schon vor dem Einbruch des New Economy- Markts nur ca. 10 bis
15 % der Alterseinkommen aus, sodass selbst Einkünfte aus Kapitalvermögen mit rund 25 %
des gesamten durchschnittlichen Alterseinkommens höher waren. Einkommen aus zusätz-
licher beruflicher Tätigkeit als Pensionär machten weitere 25 % aus.

Unfall- und Die Unfall- und die Arbeitslosenversicherung werden von den einzelnen Bundesstaaten gere-
Arbeitslosenversicherung gelt und verwaltet. Die Unfallversicherung, die in jedem Bundesstaat unterschiedlich ge-
handhabt wird, sieht medizinische Lohnersatz- und Rehabilitationsleistungen vor. Den ers-
ten Anstoß zu dieser Versicherung gab ein 1908 verabschiedetes Gesetz über die Einrichtung
einer Arbeitsunfallversicherung für Bundesbedienstete, ferner die seit 1920 in fast allen Bun-
desstaaten einzeln geregelten Arbeitsunfallbestimmungen. Die Finanzierung erfolgt fast aus-
schließlich über Arbeitgeberbeiträge, in einigen Staaten auch über besonders niedrige Arbeit-
geberbeiträge, die entweder in eine staatliche oder eine private Versicherung eingezahlt wer-
den. Für Bundesbedienstete, Hafenarbeiter und Bergleute bestehen eigene Arbeitsunfallver-
sicherungen. Bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge eines Betriebsunfalls erhalten
die Versicherten nach einer Anspruchsvoraussetzung von 14 bis 20 Wochen Arbeit je nach
Bundesstaat 60 bis 66 % des letzten Arbeitsentgelts bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfä-
higkeit oder bis zum Zahlungsbeginn der Unfallrente. Auch Behandlungskosten werden in
zeitlich begrenztem Umfang (maximal 26 Wochen) bis zu einem Kostenhöchstsatz getragen
(Racine 1986, in: Racine, Turner & White 1986, S. 15 – 22).
Betreffend Arbeitslosigkeit waren es bis 1935 gewerkschaftliche Selbsthilferegelungen, die
im Notfall Unterstützung zusicherten. Das Bundesgesetz von 1935 brachte auch keine Ar-
beitslosenversicherung per se, sondern eine bundesweite Vorgabe für Arbeitgeber mit mehr
als sieben Beschäftigten, auf deren Lohnsumme eine 35 %ige Steuer abzuführen. Gleichzei-
tig wurde die Möglichkeit geschaffen, bis zu 90 % dieser Steuer erlassen zu bekommen, wenn
stattdessen lohnbezogene Beiträge in eine einzelstaatliche Arbeitslosenversicherung gezahlt
würden. Dieser Anreiz führte dazu, dass zwischen 1935 und 1937 alle Bundesstaaten eine
Arbeitslosenversicherung einführten. Die staatlichen Arbeitslosenversicherungen tragen sich
aus einer Mischfinanzierung der vom Bund erhobenen Steuer und der an die Einzelstaaten
gezahlten Arbeitgeberbeiträge (Murswieck 1988). Da das Finanzierungssystem in Anbetracht
des tatsächlichen Bedarfs nicht ausreichend Reserven generiert und die Staaten bei der
Bundesregierung Kredite aufnehmen mussten, wurden seit 1987 im Rahmen eines allgemei-
nen Rückbaus sozialstaatlicher Aufgaben („Reaganomics“) einerseits die Anspruchsberechti-
gung verschärft, andererseits die Leistungen gekürzt (Murswieck 1991, 1995, S. 121). Die
schwachen Leistungen und die verschärften Anspruchsberechtigungen erklären auch, warum
im Jahr 2000 von den 5,665 Mio. registrierten Arbeitslosen nur 2,187 Mio., also nur 38,7 %,
überhaupt arbeitslosenversichert waren (US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract
of the United States 2001, Tab. 606, S. 390). Im Gegensatz zum deutschen System gibt es
in den USA keine Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitslosengeld, weswegen Arbeitslose nach
Ablauf ihres Berechtigungszeitraums von maximal 26 Wochen auf die verschiedenen Formen
der Sozialhilfen angewiesen sind. Auch hierin zeigt sich die über vierhundertjährige Tradition
Amerikas, die individuellen Fähigkeiten zu Arbeit und Selbsterhalt nicht mit als unnötig und
unamerikanisch empfundener staatlicher Unterstützung aufweichen zu wollen.

Krankenversicherung, In den USA besteht mit Ausnahme der staatlichen Medicare, der Krankenversicherung im
Medicare und Medicaid Alter, für die man als Erwerbstätiger Beiträge zahlt, keine obligatorische gesetzliche Kranken-
versicherung. Es ist sowohl den Erwerbstätigen als auch den Arbeitgebern freigestellt, ob sie
Beiträge entrichten. Wo Arbeitgeber Krankenversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer
übernehmen, gehört dies im wahrsten Wortsinne zu den „benefits“ eines Arbeitsverhältnisses.
Die Krankenversicherung wird durch eine Vielzahl privatwirtschaftlicher und einzelstaatlicher
Versicherungen geleistet, in denen man sich unterschiedlich absichern kann. Obwohl das Ge-
sundheitssystem marktwirtschaftlich organisiert ist und demzufolge auch die Preisstruktur für
Leistungen stark diversifiziert ist, hatten 1999 71 % der Amerikaner eine private Gesund-
heitsversicherung und 10 % die für sozial Schwache eintretende, staatliche Medicaid (US Bu-
reau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 144, S. 102).
Überhaupt keine Gesundheitsversicherung, sei es staatlich oder privat, hatten 1999 15,5 %
der Bevölkerung bzw. 42,6 Mio. Menschen (US Bureau of the Census 2001, Statistical Ab-
stract of the United States 2001, Tab. 144, S. 102).
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Soziales System und Sozialpolitik 225

Bei der privaten Gesundheitsversorgung besaßen über 172 Mio. Menschen eine group health
insurance, bei der Arbeitgeber mit großen Versicherungsfirmen für ihre gesamte Belegschaft
eine verbilligte Versicherung abschließen. Auf den beitragszahlenden Arbeitnehmer entfallen
daher geringere Kosten. Rund 81 Mio. Menschen oder fast 30 % der Bevölkerung waren im Jahr
2000 in health maintenance organizations (HMOs) registriert (US Bureau of the Census
2001, Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 143, S. 101). Hierbei handelt es sich
um wettbewerbsfähige, genossenschaftlich organisierte Gesundheitsdienstleister, denen Ärz-
tegemeinschaften, Kliniken inkl. Tageskliniken und Reha-Zentren angeschlossen sind und die
kostendämpfend arbeiten. Vertragsärzte der HMOs arbeiten als Lohnangestellte und nicht auf
Honorarbasis, bei Arzneimitteln werden eher Generika eingesetzt, und die Facharztgemein-
schaften können sicherstellen, dass man den Ausschluss von Krankheiten eher durch Kon-
sultation als teure Labordiagnostik feststellen kann. Für Beitragszahler sind die monatlichen
Kosten als Pauschale zu entrichten, die alle Leistungen einschließt und bei der die Gesunden,
welche das System jahrelang nicht in Anspruch nehmen, die Kranken quer subventionieren.
Medicare ist die Krankenversicherung, die für Personen über 65 Jahre und die Behinderten
eintritt. Es ist die zweite bundesstaatliche Pflichtversicherung neben der Rentenversicherung.
Der obligatorische Teil der Medicare-Beiträge wird von Arbeitgebern als zweckgebundene
Lohnsummensteuer und durch Arbeitnehmerbeiträge finanziert und trägt Krankenhausbe-
handlungen. Eine zusätzliche freiwillige Arztversicherung bezahlt nur noch der Arbeitnehmer.
Auch die unter den Selbstbehalt der obligatorischen Medicare fallenden Leistungen wie Zahn-
behandlung, Brillen, Hörgeräte und viele Medikamente, müssen durch weitere private Zu-
satzversicherungen abgedeckt werden, da Medicare lediglich eine Krankenhaus-Basisversi-
cherung darstellt. Dennoch hat insbesondere in den vergangenen zwanzig Jahren eine Kos-
tenexplosion stattgefunden, bei der die Medicare-Leistungen von 35 Mrd. Dollar im Jahr
1980 auf rund 220 Mrd. Dollar im Jahr 2000 angestiegen sind (US Bureau of the Census
2001, Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 132, S. 97). Wegen der Verdreifa-
chung der Kosten in den 1980ern wurden in mehreren Gesetzen bis 1988 die Leistungen ge-
senkt und die Selbstbeteiligung erhöht. Da auch Medicare bis zum Jahr 2003 nicht alle Leis-
tungen einschließt, wie z. B. Krebsvorsorge oder Medikamentenbehandlung außerhalb des
Krankenhausaufenthalts, ebenso wenig die Kostendeckung von Krankheiten, die einen Klinik-
aufenthalt von mehr als 150 Tagen erfordern, verbleiben bis ins Jahr 2003 im Ernstfall enor-
me finanzielle Risiken. Da sich viele die außerhalb von Krankenhausaufenthalten notwen-
digen Medikamente, ferner die Krebsvorsorge nicht leisten können oder wollen, gibt es auch
ganz erhebliche, nicht erkannte Gesundheitsrisiken in der älteren Normalbevölkerung. Dieses
Problem wird allein zahlenmäßig dadurch verschärft, dass bis zum Jahr 2030 die letzten
Babyboom-Kohorten, die als Erwerbstätige noch eine gute Gesundheitsabsicherung haben,
dann im Rentenalter sein werden. Rund 77 Mio. Menschen werden Medicare-Bezieher mit
den im Vergleich zu privaten Krankenversicherern verminderten Leistungen sein. Genau aus
diesem Grund wurde 2003 eine umfassende Medicare-Reform eingeleitet, bei der die älteren
Menschen im Vergleich zu Bundesangestellten zumindest weniger benachteiligt sein sollen
(Tab. 53).
Die Eigenleistung selbst unter Medicare zeigt eindrücklich, dass bei schweren Krankhei-
ten mit einem Klinikaufenthalt von mehr als 150 Tagen sämtliche Kosten dem Patienten zu-
fallen und dass dabei Lebensersparnisse, darunter auch ein Eigenheim, zur Kostendeckung
eingesetzt werden müssen.
Da das gegenwärtige Medicare-Programm auch keine Kostenübernahme von verschrei-
bungspflichtigen Medikamenten außerhalb von Krankenhausaufenthalten zulässt, nehmen
viele ältere Menschen die verschriebenen Medikamente nicht ein. Ebenso wenig wird die Prä-
ventivmedizin wie Krebs- oder Diabe-
tesfrüherkennung gedeckt. In diesen Patientenzuzahlung
Bereichen sah die Reform von 2003 Aufenthalt unter der gegenwärtigen unter der staatlichen
Verbesserungen vor. Danach sollten im Krankenhaus Medicare-Regelung Blue Cross/
alle Älteren eine Subventionierung Blue Shield-Versicherung
ihrer Medikamentenverschreibung er- für Bundesangestellte
halten. Das von beiden Parteien im
Konsens erarbeitete Modell sollte eine 1 bis 60 Tage 840 Dollar pro Einweisung Zuzahlung von 100 Dollar
elektronische Medikamentenrabattkar- pro Einweisung
te einführen, die ähnlich einer Kredit- 61 bis 90 Tage 210 Dollar pro Tag keine Zahlung
karte bei jedem Medikamenteneinkauf 91 bis 150 Tage 420 Dollar pro Tag keine Zahlung
vorgelegt wird und zu einer 10- bis über 150 Tage sämtliche Kosten keine Zahlung
25 %igen Reduktion der tatsächlichen
Kosten führt. Die Reduktion der Kos- Tab. 53: Kostendeckung der Medicare im Jahr 2003.
Quelle: The Whitehouse, 2003; Framework to Modernize and Improve Medicare Fact Sheet; Executive Summary, Juni 2003; Washington, D.C.
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226 Einblicke

ten wird damit wirksam, ohne die Medicare-Prämien zu erhöhen, und wird von der Bundes-
regierung übernommen. Sofern der verbleibende Selbstbehalt von 90 bis 75 % der Arznei-
kosten geringfügig genug wäre oder der Patient diese durch eine weitere private Versiche-
rung abgedeckt hätte, wäre es denkbar, dass ältere Menschen sich die ihnen verschriebenen
Medikamente nach der Reform besser leisten könnten. Es bleibt abzuwarten, ob Patienten,
die sich vor der Reform keine private Zusatzversicherung für die diversen Selbstbehalte leis-
ten konnten, nun durch die subventionierte Preisreduktion von Medikamenten eine Erspar-
nis haben, mit der sie solch eine private Zusatzversicherung erwerben könnten.
Medicaid ist die staatliche Krankenversicherung für die Armen jedes Alters. Die seit 1965
bestehende Versicherung arbeitet nach den gleichen Grundsätzen wie die Sozialhilfe für Fa-
milien AFDC-TANF (Aid to Families with Dependent Children/Temporary Aid to Needy Fami-
lies). Für bedürftige Familien, die auch sozialhilfeberechtigt sind und zusätzliche staatliche
Einkommenssicherungen erhalten, wird Medicaid wirksam. In 33 Bundesstaaten fallen zu-
sätzlich „medizinisch Bedürftige“ unter die Medicaid-Berechtigung, die zwar nicht dem Per-
sonenkreis der Sozialhilfebezieher zuzurechnen sind, sich aber eine ärztliche Behandlung wie
z. B. Dialyse nicht leisten können. Zu ihnen können auch jene Medicare-Patienten zählen, die
sich den Selbstbehalt nicht leisten können und durch Medicaid subventioniert werden. Dabei
übernimmt Medicaid jedoch nicht den von Medicare nicht abgedeckten Restanteil medizini-
scher Kosten oder die Selbstbehalte. Die Bundesregierung übernimmt in diesen Fällen 50 %
der Kosten, wobei ihr Anteil von Staat zu Staat unterschiedlich hoch sein kann. Die restlichen
Kosten übernehmen die Einzelstaaten, die jedoch unterschiedliche Maßstäbe darüber anle-
gen, wer zu Medicaid berechtigt ist und wer nicht (Racine 1986b, S. 32 – 35). Von den 40,65
Mio. Medicaid-Empfängern im Jahr 1998 waren 26,9 Mio. Sozialhilfeempfänger, und von den
fast 26 Mio. Medicare-Beziehern waren knapp 4 Mio. ältere Menschen (über 65 Jahre) auch
Medicaid-berechtigt (US Bureau of the Census 2001, Statistical Abstract of the United
States 2001, Tab. 139, S. 100).

Sozialhilfe-/ Arme, die in die jährlich neu festgesetzte, offizielle Armutskategorie fallen, sind zum Bezug
Fürsorgeprogramme – Welfare von Sozialhilfeleistungen verschiedener Art (public assistance) berechtigt. Anspruchsberech-
tigt ist jeder offiziell Arme unabhängig von vorher geleisteter Steuer- oder Beitragszahlung
(Racine 1986c, S. 23 – 31). Im Gegensatz zu den oben erwähnten staatlichen Versicherungs-
systemen, die durch erhebliche Eigenbeiträge und eigene Leistungen im Umlageverfahren fi-
nanziert werden, genießen die verschiedenen Formen der welfare, die eine einseitige staatli-
che Alimentierung Bedürftiger darstellen, welche nicht durch eigene Leistungen quasi er-
worben wurde, eine nur sehr geringe Akzeptanz. Zu den welfare-Programmen – in ihrer Ge-
samtheit als public assistance bekannt – gehören mehrere Dutzend Einzelprogramme, die
Geld- oder Sachhilfe nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzung zur Verfügung stellen. Die
Grundstruktur dieser Programme wurde in ihrer Gesamtheit 1935 festgelegt. Nach einem
Ausbau der Programme in den 1960er Jahren wird seither eine Konsolidierung der Einzelpro-
gramme angestrebt und seit 1987 sehr stark vollzogen. Zu den Hauptansätzen der public as-
sistance gehören Geldleistungen wie Sozialhilfe für Familien (AFDC/TANF) und supplemental
security income (SSI), welches anderen Personengruppen, z. B. älteren Menschen, eine zu-
sätzliche minimale Einkommenssicherung gewährt. Ferner gehören dazu die Section-8-Woh-
nungsgutscheine (housing vouchers), die einen Teil der Miete in Sozialwohnungen (public
housing, public housing projects – in vielen Städten auch kurz „projects“ genannt) überneh-
men. Im Gegensatz zu westeuropäischen Ländern, in denen Wohnberechtigungsscheine noch,
wenn auch immer weniger, die Möglichkeit zulassen, dass sich die Einkommensschwächeren
im Stadtbild besser verteilen, sind die section 8 vouchers an definierte Standorte des sozia-
len Wohnungsbaus gebunden. Obwohl der soziale Wohnungsbau in den USA nicht so ausge-
prägt ist wie in Westeuropa, gelten diese Standorte als stigmatisiert. Dennoch bestehen lange
Anmeldelisten für Anspruchsberechtigte, die dort wegen der günstigen Mieten und der sec-
tion 8-Subventionierung wohnen möchten. Als weitere Sachbeihilfe gelten Ernährungspro-
gramme, allen voran das Food Stamp-Programm. Die vier Programme (TANF, SSI, Food
Stamp und Medicaid), welche minimale Geldbeiträge, Ernährung, Wohnen und medizinische
Versorgung sichern sollen, machen zusammen den größten Teil der Ausgaben der öffentlichen
Wohlfahrt aus. Da die Bundesstaaten aufgrund der Pauschalzuweisungen des Bundes zu die-
sen Programmen und der damit verbundenen Entscheidungshoheit durchaus unterschiedliche
Anspruchsvoraussetzungen anlegen, gibt es einen großen Ermessensspielraum der öffent-
lichen Hilfen. So gilt der Staat Texas als der am wenigsten sozial orientierte und der Bundes-
staat Massachusetts als der progressivste, der selbst Möglichkeiten gefunden hat, illegal ein-
gewanderte Bedürftige in offizielle Sozialhilfeprogramme einzubinden, ohne sie der Einwoh-
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Soziales System und Sozialpolitik 227

pro Kopf 1990 in Dollar Massachusetts Texas


Steuereinnahmen 2 359 (+ 41%) 1 662
Ausgaben der öffentlichen Hand 4 598 (+ 41%) 3 242
Öffentliche Verschuldung 4 484 (+18 %) 3 775
Tab. 54: Einzelstaatliche Politik – state policy response.
Quelle: US Bureau of the Census; Government Finances: 1989–90, Series GF/90 – 5, Washington, D.C.

nerkontrolle melden zu müssen (Zimmermann & Fix 1995, S. 367 – 388). Wer als Bedürftiger
dennoch aus dem sozialen Netz der Bundesregierung herausfällt, hat noch ein letztes sozia-
les Netz, nämlich die sogenannte general assistance, das Wohlfahrtsprogramm des einzelnen
Bundesstaates (Tab. 54).

Das AFDC – vom TANF-Programm 1996 unter der Administration Clinton abgelöst – ist ein Familienprogramme:
einzelstaatlich verwaltetes Geldbeihilfeprogramm, das vom Bund und den Einzelstaaten fi- AFDC/TANF
nanziert wird, wobei die vom Einzelstaat jeweils unterschiedlich definierten Anspruchsvo-
raussetzungen und Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Anders als das Kindergeld-
system in westeuropäischen Ländern gibt es unter diesem Programm nicht automatisch eine
Geldallokation an Familien mit Kindern. Auch wird nicht jeder Familie, die als arm klassifi-
ziert ist, eine Zuteilung unter TANF gewährt. Das Programm ist zwar explizit auf die arme Be-
völkerung ausgerichtet, jedoch darin nicht für alle Personenkreise.
Voraussetzung für den TANF-Bezug ist, dass ein Elternteil tot, ständig abwesend oder geis-
tig bzw. körperlich behindert ist. Die Tatsache, dass nur Ein-Eltern-Familien bezuschusst wer-
den, ist umstritten, fördert es doch ein Leben in offiziellen „Restfamilien“, selbst wenn zwei
Partner der Familie zur Verfügung stünden. Zwar finanziert das Programm arme Kinder in
ehelicher Gemeinschaft nicht, doch ist die eheähnliche Familiensituation für viele ohnehin
eher die Ausnahme. Generell sind Bezieher weibliche Haushaltsvorstände, afroamerikanisch,
unter zwanzig Jahren und allein verantwortlich für zwei bis drei Kinder. Die Anzahl der TANF-
Empfänger im Jahr 2000 betrug 5,8 Mio. Menschen (US Bureau of the Census 2001, Sta-
tistical Abstract of the United States 2001, Tab. 545, S. 54).
Obwohl das AFDC/TANF-Programm bereits eine doppelte Auswahl trifft, nämlich ausge-
wählte Personenkreise innerhalb der Armutsbevölkerung zu unterstützen, sind die ausufern-
den Kosten und seine vermeintlich abhängigkeitsfördernde Handhabung seit der Reagan-Ära
stark in die öffentliche Kritik geraten. 1981 reformierte die Reagan-Administration das Pro-
gramm dahingehend, die Bezieher stärker in die Pflicht zu nehmen, wieder eine Arbeit zu su-
chen. Die Sozialhilfe wurde zeitlich begrenzt, und mit dem Family Security Act von 1988 ver-
suchte man die dauerhafte Integration der Bezieher in den Arbeitsmarkt mittels Bildungs-
und Beschäftigungsprogrammen. Kinder sollten temporär betreut werden, damit die Haus-
haltsvorstände daran auch teilnehmen konnten (s. Kap. „Armut“). Die anhaltenden Debatten
um diese Form der Sozialhilfe zeigen jedoch deutlich, dass ein bundeseinheitliches Pro-
gramm, in dem jeder Bezugsberechtigte in jedem Bundesstaat gleichbehandelt werden
würde, politisch in beiden Parteien nicht durchsetzbar ist und vom Kongress in keiner Admi-
nistration Befürwortung findet.
Die Reform des Sozialhilfesystems von 1996 unter der Administration des demokratischen
Präsidenten Clinton brachte den Wendepunkt in der über 15-jährigen Vorbereitung der Wohl-
fahrtsreform. Mit dem sogenannten Personal Responsibility and Work Opportunity Reconcilia-
tion Act (PROWORA) von 1996 wurde das herkömmliche Sozialhilfeverfahren AFDC durch
TANF ersetzt. Das Programm hat mehrere Schwerpunkte: Anreize zu schaffen, sich in den Ar-
beitsmarkt zu integrieren (work for pay), ferner uneheliche Geburten zu reduzieren und Ehe-
und Familienstrukturen zu fördern. Zusätzlich erhielten die Bundesstaaten und lokalen Ge-
meindeverwaltungen mehr Entscheidungsbefugnisse über die Abwicklung des Bundespro-
gramms. Zwei wesentliche Veränderungen wurden wirksam:
Der Bezug von Sozialhilfe wurde an die Aufnahme von Arbeit gebunden (work requirement)
(Abb. 139). Dreißig Staaten verlangen eine sofortige Arbeitsaufnahme als Voraussetzung für
die Sozialleistung. Acht Staaten verlangen eine Arbeitsaufnahme innerhalb von sechs Mona-
ten nach Bezug der ersten Sozialleistung. Zwölf Staaten verlangen Arbeitsaufnahme innerhalb
von 2 Jahren. Wegen der work for pay-Voraussetzung betrachtet die Bundesregierung das Pro-
gramm als erfolgreich in dem Bemühen, sozial Schwache mit mangelnder Integrationsfähig-
keit wieder im Arbeitsmarkt aufzufangen. Es muss jede Arbeit angenommen werden, auch
wenn dabei größere Pendeldistanzen in Kauf zu nehmen sind oder wenn man als alleinste-
hender Elternteil seine Kinder nicht in Tageseinrichtungen unterbringen kann. Wegen dieser
09LdK USA Enbl 213-237 30.05.2005 22:08 Uhr Seite 228

228 Einblicke

Prozent Voraussetzung sank die Zahl der Emp-


45 fänger von ihrem Höchststand von
14,4 Mio. Empfängern 1999 auf 5,3
40
Mio. im Jahr 2001. Um den Übergang
35 von Sozialhilfe in eine Arbeitssituation
zu erleichtern und das Signal zu set-
30 zen, dass sich Arbeit finanziell lohnt,
haben die Bundesstaaten zusätzliche
25
neue Maßnahmen ergriffen, indem sie
20
einen Teil des Erwerbseinkommens
nicht in die Bemessungsgrundlage für
15 die Sozialhilfe einrechnen, was unter
dem AFDC-Programm nicht der Fall
10 war. So bezieht der Staat Idaho 60 %
des Erwerbseinkommens nicht ein,
5
Wyoming rechnet 200 Dollar pro Er-
0 wachsenen ab, was immerhin 25 %
1975 1980 1985 1990 1995 2000 Jahr eines Mindestlohnverdienstes dar-
Total Weiße Schwarze Hispanics stellt; der Bundesstaat Rhode Island
Weiße zwischen 16 Schwarze zwischen Hispanics zwischen erlaubt 170 Dollar Verdienst pro Er-
und 19 Jahren 16 und 19 Jahren 16 und 19 Jahren wachsenen plus 50 % des darüber
Weiße zwischen Schwarze zwischen Hispanics zwischen hinausgehenden Verdienstes und be-
20 und 24 Jahren 20 und 24 Jahren 20 und 24 Jahren
zieht nur den Rest in die Bemes-
Quelle: US Census Bureau 2002: Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 598, S. 386 (verändert).
sungsgrundlage mit ein. Viele Bundes-
Abb. 139: Entwicklung der staaten erlauben dem Soziahilfebezieher kleinere Ersparnisse, die nicht in die Bemessungs-
Arbeitslosenquote einzel- grundlage eingerechnet werden. Diese können zwischen 1500 und 8000 Dollar liegen oder
ner Bevölkerungs- darüber, wenn in der Familie noch eine ältere oder behinderte Person oder mehr als ein Er-
segmente.
wachsener lebt. Alle Bundesstaaten haben die Grenze eigener Ersparnisse oder Wertgegen-
stände über die vorherige Bemessungsgrundlage vom Wert eines Pkw angesetzt. 28 Bundes-
staaten erlauben nun mindestens ein Auto pro Familie, das zwischen 4000 und 12 000 Dol-
lar kosten kann.
TANF hat auch die Möglichkeit geschaffen, zweckgebundene Sparkonten für Sozialhilfe-
empfänger zu eröffnen. Diese Individual Development Accounts können in 31 Bundesstaaten
eingerichtet werden, um damit eine Ausbildung, einen Erstwohnsitz oder eine Unterneh-
mensgründung zu finanzieren, sofern die Finanzierung aus dem eigenen Verdienst erfolgt (US
Department of Health and Human Services. Administration for Children and Families 2002.
Temporary Assistance to Needy Families – TANF. Fourth Annual Report to Congress, 2002).
Die TANF-Finanzierung selbst ist nicht sehr umfangreich und wird – wie auch die Finanzie-
rung unter dem alten Programm – als Ergänzungsleistung, nicht als einziges Einkommen ge-
sehen. TANF-Hilfen lagen 2003 bei durchschnittlich 349 Dollar. Die monatliche Zahlung be-
trug für ein Kind 285 Dollar, 356 Dollar für zwei Kinder, 423 Dollar für drei Kinder, 516 Dol-
lar für vier und mehr Kinder. Der durchschnittliche Monatsverdienst aus Erwerbseinkommen
lag bei 580 Dollar monatlich pro Familie. Jeder zehnte TANF-Bezieher hatte Ersparnisse in
Höhe von durchschnittlich 252 Dollar, 80 % erhielten zusätzlich Lebensmittelhilfe (food
stamp assistance) (US Department of Health and Human Services. Administration for Chil-
dren and Families, Office of Planning, Research and Evaluation 2000. Characteristics and Fi-
nancial Circumstances of TANF Recipients). Es darf also nicht übersehen werden, dass der
Durchschnittshaushalt mit TANF-Bezügen und der verlangten Arbeitsaufnahme im Normalfall
mit seinem gesamten Einkommen noch unter der Armutsgrenze bzw. unter der 125 %igen Ar-
mutsgrenze bleibt.
Die zweite wesentliche Veränderung ist die Fünf-Jahres-Lebenszeit-Begrenzung der Sozial-
hilfe, d. h., man kann nach der Reform von 1996 nur noch maximal fünf Jahre Sozialhilfe
während seines gesamten Lebens erhalten. Bundesstaaten können diese Begrenzung bei bis
zu 20 % ihrer Sozialhilfebezieher in Härtefällen lockern, allerdings dürfen sie für diese Finan-
zierung keine Bundesmittel verwenden. Sechs Bundesstaaten setzen die Sozialhilfe an Kinder
auch nach der Fünf-Jahres-Begrenzung des Sozialhilfebezugs der Eltern fort (Kalifornien, Dis-
trict of Columbia, Maryland, Nebraska, New York und Rhode Island, in denen es hohe Antei-
le von Minderheiten gibt). Achtunddreißig Staaten haben die Fünf-Jahres-Begrenzung einge-
führt. Da die Bundesstaaten die Begrenzung durch ihre eigene Regelung unterschreiten dür-
fen, haben drei Staaten eine Zwei-Jahres-Begrenzung eingeführt (Arkansas, Connecticut,
Idaho). Vier Staaten haben 36- bis 48-Monats-Limits beschlossen (Delaware, Florida, Geor-
gia, Utah). Zwei Staaten haben die Lebenszeitbegrenzung nicht eingeführt (Massachusetts
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Soziales System und Sozialpolitik 229

und Michigan); sie wollen entweder ein jahrhundertealtes progressives Image bewahren oder
verzeichnen einen hohen Anteil afroamerikanischer, arbeitsloser Industriearbeiter. Elf Staaten
haben Sonderregelungen geschaffen, nach denen Familien unter bestimmten Umständen eine
Verlängerung erhalten können (Arizona, Connecticut, Delaware, Hawaii, Indiana, Nebraska,
Oregon, South Carolina, Tennessee, Virginia, Vermont). Einige Bundesstaaten haben begon-
nen, ihr TANF-Programm an die Kommunen zu delegieren, da es keine bundesstaatliche Vor-
gabe dafür gibt, dass das Programm notwendigerweise durch eine einzige einzelstaatliche Be-
hörde verwaltet werden muss (US Department of Health and Human Services. Administration
for Children and Families 2002. Temporary Assistance to Needy Families [TANF]).
Unter der TANF-Regelung werden Bundesstaaten gefördert, in denen die Geburtenrate un-
ehelicher Kinder sinkt. Zu diesem Zwecke bieten TANF-Programme auch familienfreundliche
Kurse an. So können Sozialhilfeempfänger in den Gemeinden einiger Staaten Kommunika-
tions- und Partnerschaftskurse (marriage skills training courses) besuchen. Der Bund wiede-
rum vergibt einen jährlichen finanziellen Anreiz an die fünf Bundesstaaten, deren Geburten-
rate unehelicher Kinder (Out of Wedlock Births) am signifikantesten sinkt. So erhielten im
Jahr 2001 die drei Bundesstaaten mit der größten Reduktion jeweils 25 Mio. Dollar als Bonus
(District of Columbia, Alabama und Michigan).

Das 1939 – 1943 eingeführte Ernährungshilfeprogramm vergibt Geldzuteilungen für den Kauf Ernährungsbeihilfen –
von Lebensmitteln in Supermärkten und anderen Lebensmittelläden. Die monatliche Vergabe Food Stamps
von Bezugsscheinen (food stamps, coupons) ist mittlerweile durch die Einführung einer
elektronischen Karte (Electronic Benefits Transfer – EBT-Access Card) ersetzt worden. Mit ihr
kann man wie mit einer Kreditkarte bis zur Höhe seiner monatlichen Zuteilung Lebensmittel
einkaufen. Im Gegensatz zu einer Kreditkarte kann man die monatliche Zuteilung jedoch
nicht „überziehen“. Bezugsberechtigt ist jeder, der die Voraussetzungen für TANF erfüllt, ins-
besondere Haushaltsvorstände, Ehepartner von Haushaltsvorständen oder andere für einen
Haushalt verantwortliche Personen. Das monatliche Bezugslimit unter dem Food Stamp-Pro-
gramm betrug beispielsweise in Pennsylvania im Jahr 2003 für einen Einpersonenhaushalt
mit Maximaleinkommen von 960 Dollar im Monat 139 Dollar, für einen Zweipersonenhaus-
halt mit 1294 Dollar Monatseinkommen 256 Dollar, für einen Dreipersonenhaushalt mit
1628 Dollar Monatseinkommen 366 Dollar, für einen Vierpersonenhaushalt mit 1961 Dollar
Monatseinkommen 465 Dollar. Ausgenommen von der Bezugsberechtigung sind Alkoholika,
Haustierfutter, warme Imbisse zum sofortigen Verzehr und non-food-Artikel wie Zigaretten,
Papierwaren, Seifen, Arzneien oder Haushaltsgeräte (Pennsylvania Department of Public Wel-
fare, Office of Income Maintenance 2003). Im Jahr 2000 waren insgesamt 14,9 Mio. Perso-
nen Empfänger von Nahrungsmittelgutschriften. 1995, vor der Reform der öffentlichen Wohl-
fahrt, waren es noch 25,6 Mio. Menschen (US Bureau of the Census 2001, Statistical Ab-
stract of the United States 2001, Tab. 550, S. 356).

Wer über 65 Jahre alt oder jünger und erblindet oder anderweitig behindert ist und ein Ar- Ergänzende Einkommens-
mutseinkommen hat, somit TANF-, Medicaid- und Food Stamp-berechtigt ist, erfüllt die Vo- sicherung: SSI – Supplemental
raussetzungen zur ergänzenden Einkommenssicherung durch SSI – Supplemental Security In- Security Income und
come. Der Grundbeitrag ist bundesweit der gleiche, allerdings gewähren die Bundestaaten je Section-8-Gutscheine
nach Lebenshaltungskosten zusätzliche Finanzierung und zahlen dann den Gesamtbetrag, der
sich aus einem Bundesbeitrag und dem des Einzelstaates zusammensetzt, aus. So erhält man
beispielweise in Wisconsin als Alleinstehende(r) SSI-Hilfe bei einem Monatseinkommen unter
532 Dollar und bei 789 Dollar für Verheiratete. Der SSI-Auszahlungsbetrag des Bundesstaa-
tes Wisconsin für Alleinstehende bezifferte sich in diesen Fällen im Jahr 2003 auf 83,78
Dollar und für Verheiratete auf 132,05 Dollar.
Nach dem Wohnungsbaugesetz von 1949, Absatz 8 (daher der Begriff„section 8 housing“),
erhalten (TANF-)Berechtigte eine partielle Mietkostenübernahme. Diese Übernahme wird auf-
grund des Einkommens und des Anteils der Miete am Einkommen des Haushalts berechnet
und als Gutschein ausgegeben. Der Bezugsberechtigte kann damit Wohnraum nach seiner
Wahl mieten, sofern der Besitzer zur Vermietung unter dem Programm des Bundesministeri-
ums für Wohnungs- und Städtebau (Department of Housing and Urban Development – HUD)
bereit ist. Der Mieter zahlt die Differenz zwischen tatsächlicher Miethöhe und dem Wert des
Gutscheins. Das Bundesprogramm wird von den lokalen Behörden des Bundesministeriums
verwaltet (Public Housing Authorities), die einen großen Ermessensspielraum bewahren. Prä-
ferenz wird Obdachlosen gegeben, ferner den aus ihren Wohnungen aufgrund von Stadtteil-
sanierungen unfreiwillig zum Auszug gezwungenen Personen sowie Familien, die mehr als
09LdK USA Enbl 213-237 30.05.2005 22:08 Uhr Seite 230

230 Einblicke

50 % ihres niedrigen Einkommens für die Miete bezahlen (US Department of Housing and
Urban Development, Public and Indian Housing 2003).
Die beschriebenen Programme TANF, SSI, Food Stamps, Medicaid- und Section-8-Berech-
tigung sind aus der Fülle der vielen Sozialleistungsprogramme die wichtigsten existenzsi-
chernden Programme. Sie erlauben im Verständnis der amerikanischen Bundesregierung das
tägliche Überleben und gewähren das dazu notwendige Einkommen, zusätzliche Ernährungs-
hilfen, medizinische Grundversorgung sowie eine Unterkunft. Auffallend bleibt, dass die Be-
zugsberechtigten bei all diesen Programmen inklusive einer Mindestlohnarbeit das Armuts-
einkommen kaum übersteigen. Auch dies spiegelt die lange politisch-kulturelle Tradition
wider, nach der der Staat die Eigeninitiative nicht ersetzt, sondern lediglich gleiche Startbe-
dingungen (equal opportunities) schaffen möchte.

Bildungssystem
Grundstruktur des Während das Wohlfahrtssystem nicht wirklich die duale Struktur der amerikanischen Gesell-
Schulwesens schaft beseitigen kann oder soll und dem Individuum und seiner eigenen Leistung der höchste
Stellenwert eingeräumt wird, haben die USA über das Bildungssystem selbst jenen Mechanis-
Das Bildungssystem der mus zu schaffen versucht, der jedem das soziale Fortkommen garantieren soll. Besonders das
USA ist von einer Dualität Schulwesen ist egalitär angelegt: Es soll in der Tat allen, unabhängig von Herkunft, Wohlstand
gekennzeichnet: ein auf oder intellektueller Differenzierung gleiche Startchancen für das Leben gewähren. Folglich wird
Lebenspraxis ausgerichte- im Schulwesen eine Nivellierung angestrebt und vollzogen, die sich am Durchschnitt orientiert.
tes Schulwesen mit deut- Zwei gegensätzliche Aspekte des amerikanischen Bildungswesens fallen besonders auf:
lichen Mängeln in der ■ zum Einen das aus europäischer Sicht mit erheblichen Leistungsmängeln belastete Schul-
akademischen Grundaus- wesen, dessen Schwachstellen in der ersten universitären Ausbildung (Bachelor-Abschluss)
bildung sowie äußerst durch einjährige „nachhelfende Kurse“ (remedial courses) ausgeglichen werden müssen,
leistungsorientierte, ■ zum Anderen sind es das nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionierende, höchst
kompetitive Fachstudien, kompetitive amerikanische Fachstudium (Master-Abschlüsse und Äquivalente nach dem
die nach marktwirtschaft- Bachelor-Abschluss) sowie die Doktoranden- und Post-Doktorandenausbildung mit einem
lichen Prinzipien aus- Leistungsniveau, nach dem sich Universitäten in Europa und anderen Regionen der Welt
gerichtet sind und derzeit umstrukturieren und ausrichten.
akademische Spitzen- Ausbildung, insbesondere Hochschulausbildung, hat in den USA eine lange Tradition. Die re-
leistungen hervorbringen. nommiertesten Universitäten der USA bestehen seit dem 17. Jahrhundert und wurden von
jeher als Eliteuniversitäten ausgebaut. Einzelne Bundesstaaten hatten bereits als Kolonien
auch ein allgemeines Schulgesetz, so Massachusetts um 1747, wonach jede Stadt über 50
Einwohner einen Lehrer anstellen musste. Im Gegensatz dazu wurden eine landesweit verein-
heitlichte, allgemeine Schulbildung erst in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg eingeführt,
die öffentlichen Grundschulen ausgebaut und erst nach 1870 die Gymnasien (high schools),
wobei jedoch weite Regionen noch ausgespart oder unterversorgt blieben. Da die Industriali-
sierung in zunehmendem Maße auch qualifizierte und höchstqualifizierte Arbeitskräfte be-
nötigte, begannen mit der Errichtung der Oberschulen auch die soziale Öffnung und der sozi-
ale Aufstieg (Frühbrodt 1991, 1996, S. 143 – 212). Hatten 1900 nur 10 % aller Amerikaner
einen High-School-Abschluss, so waren es 2000 84 %. Dabei stellt der High-School-Ab-
schluss, anders als beispielsweise das Abitur, keine Berechtigung zum Eintritt in eine akade-
mische Berufsausbildung dar. Es ist lediglich der Abschluss in einem bundesweit vereinheit-
lichten Schulsystem, das von seiner Struktur her so angelegt ist, dass es jedem die gleichen
Startchancen für das Berufsleben gewährt. Dabei muss man die staatlich vereinheitlichte
Grundstruktur von einem nationalen Schulsystem mit einheitlichen Curricula, Leistungsnach-
weisen oder Bildungschancen deutlich unterscheiden. Ein bundesweit einheitliches Schulbil-
dungssystem gibt es nicht. Mit Ausnahme der Militärakademien existieren auch keine Ausbil-
dungsstätten, die von der Bundesregierung geführt werden. Die Bundesregierung gibt jedoch
generelle Orientierungen zur Gestaltung des Curriculums in öffentlichen und privaten Schu-
len und überwacht diese Programme durch das US Department of Education (www.usembas-
sy.de. Education USA: A Diverse Educational System 2003).

K 12 und intellektuelle Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die K-12-Struktur des amerikanischen Schulwesens
Weiterbildung festgelegt: Nach dem Kindergarten (K) mit Vorschul-Charakter müssen alle 12 Schuljahre ab-
solvieren. Diese werden als 6 Jahre Elementary School abgeleistet, gefolgt von 6 Jahren High
School. Letztere gliedert sich wiederum in eine Junior High School mit der 7. bis 9. Klasse und
der Senior High School mit der 10. bis 12. Klasse. Die 12 obligaten Schuljahre sind in einigen
Regionen der USA auch in drei mal vier Blöcke eingeteilt: Elementary School, Middle School
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Bildungssystem 231

und High School, in einigen auch als 8 Jahre Elementary School und 4 Jahre High School.
Überall jedoch ist das Schulsystem, das allen Amerikanern – mit Ausnahme derer, welche die
High School abbrechen – 12 Schuljahre abverlangt, die Norm. 2002 waren rund 47,6 Mio.
Schüler in allen Stufen des K-12-Systems registriert (US Department of Education. Institute
of Education Sciences. National Center for Education Statistics 2003. The Condition of Edu-
cation 2003 in Brief).
Innerhalb des monostrukturierten Schulwesens ist eine intellektuelle und soziale Ausdiffe-
renzierung über die verschiedenen Curricula möglich. So können Schüler je nach Veranlagung
und Präferenz die unterschiedlichsten Fächerkombinationen in ihren High-School-Jahren
wählen. Während einige ihre Leistungen durch Teilnahme an der Schulband attestieren lassen,
sind wiederum andere bevorzugt in vocational programs engagiert, die auf eine Berufslauf-
bahn, z. B. im kaufmännischen Bereich, vorbereiten. Andere wiederum wählen Kurse, die zum
college preparatory program gehören und jene Fähigkeiten fördern, die für die obligaten Ein-
stiegsexamen in die universitären Studiengänge notwendig sind. Während die verpflichtenden
12 Schuljahre ohne Studiengebühr allen gleiche Einstiegsvoraussetzungen bieten sollen, gibt
es für leistungsorientierte Schüler/Eltern auch die Option, ihre Kinder in Privatschulen ausbil-
den zu lassen. Privatschulen mit ihrer oft religiösen Zugehörigkeit sind aufgrund der Reli-
gionsfreiheit zugelassen. Ihr besonderer Status und vor allem ihre Reputation als leistungs-
starke Bildungsinstitutionen rühren jedoch daher, dass sie aufgrund ihres Sonderstatus auch
ein ausgesprochen kompetitives Curriculum bieten dürfen, das zusätzlich zu den verlangten
Grundfähigkeiten Leistungen weit über das erforderliche Maß hinaus verlangen kann. Es zeich-
nen sich hier die katholischen, vor allem die Jesuitenschulen, aber auch die Schulen der Quä-
kergemeinschaft als sehr leistungsstark aus. Diese werden daher von Eltern/Schülern aller
Konfessionen bevorzugt aufgesucht, um den Schülern einen Bildungsvorteil und das Erreichen
der hohen Leistungsnachweise (Punkte im Scholastic Aptitude Test – SAT) zu verschaffen, die
wiederum in den Zulassungsexamen zu den Elite-Universitäten ausschlaggebend sind.
Abbildung 140 gibt einen Überblick über das Schul- und Hochschulsystem. Die Grund-
schule (Primary School), in der die „drei R“ – reading, (w)riting, (a)rithmetic – vermittelt
werden, beginnt im Alter von 6 Jahren. Es folgen die High School-Jahre, die entweder als
ein Programm von zweimal drei Jahren (Middle School) oder einem Drei- und Vierjahrespro-
gramm (Junior und Senior High School) absolviert werden können. Das Bildungssystem ist
stark an der Praxis orientiert. Ein Wahlfächersystem (elective courses) erlaubt den Schülern,
neben den Pflichtfächern Mathematik, Biologie, Physik, Chemie, Sozialkunde und Sport
sowie English Language aus einer Vielzahl von Angeboten selbst zu wählen. Die Wahlfächer
machen fast die Hälfte des Pensums aus: Die Schüler können hier zwischen berufsvorberei-
tenden kaufmännischen Kursen bis hin zur Teilnahme an der Big Band der Schule wählen.
Daran, dass alle Schüler seit den 1950er Jahren zudem als Kurs in der Schule ihre Führer-
scheinprüfung machen müssen, wird deutlich, dass es das Wesen der amerikanischen High
School ist, eine lebensorientierte und praxisnahe Allgemeinbildung zu vermitteln. Sie ist
nicht darauf ausgerichtet, eine qualifizierende Einstiegsvoraussetzung für eine akademische
Ausbildung zu schaffen, sondern darauf, zu assimilieren und allen, auch den Immigranten,
einen Einstieg in den Prozess des sozialen Aufstiegs zu geben (US Department of State. Inter-
national Information Programs 2000. US Society and Values).
Dass ein Schulwesen, welches sich am Durchschnittsamerikaner orientiert, nur mäßige
oder sogar schlechte Leistungen erbringt und daher reformbedürftig ist, lässt sich an den
Program Goals 2000 erkennen, die Präsident George Bush 1989 mit Bundesmitteln einführ-
te. Danach sollten bis zum Jahr 2000
■ alle Kinder bei ihrer Einschulung auch lernfähig und lernbereit sein, was allein schon für
viele Kinder ausländischer Herkunft, die zu Hause eine andere Muttersprache sprechen,
schwierig war. Ein Vorschulprogramm, das bereits die Vierjährigen einbindet, sollte hier Ab-
hilfe schaffen,
■ 90 % der Schüler auch einen High-School-Abschluss absolvieren,
■ alle Schüler in Schlüsselbereichen Kompetenzen erwerben,
■ amerikanische Schüler in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern im internatio-
nalen Vergleich einen Vorsprung haben,
■ alle amerikanischen Erwachsenen lesen und schreiben können, das Phänomen der funktio-
nalen Analphabeten, derjenigen also, die trotz Schulbesuchs nicht lese- und schreibkundig
sind, sollte eliminiert werden.
■ Ferner sollten alle Schulen drogen- und gewaltfrei gemacht werden (www.usembassy.de.
Education USA: A Diverse Educational System 2003).
09LdK USA Enbl 213-237 30.05.2005 22:08 Uhr Seite 232

232 Einblicke

College- und Es folgt für viele die College- oder Universitätsausbildung. Das Studium mit Abschluss eines
Universitätsausbildung Bachelor ist die Undergraduate-Ausbildung. Sie besteht üblicherweise aus einem Vierjahres-
programm (s. Abb. 140). In den USA wird diese vierjährige akademische Grundausbildung als
College bezeichnet. Es kann nach philosophisch-historisch bzw. sozialwissenschaftlichen Fä-
chern ausgerichtet sein (Liberal Arts College mit den Schwerpunkten auf Sprachen, Literatur,
Geschichte, Philosophie sowie einigen Naturwissenschaften). Es kann das Gewicht auch auf
betriebswirtschaftliche Fächer (Business College) oder andere Fachbereiche legen. Das Col-
lege kann als eigenständige Institution, z. B. als Community College, oder auch als Teil einer
Universität bestehen. Der Begriff kann auch eine ganze Fakultät bezeichnen wie z. B. College
of Social Sciences oder College of Medicine innerhalb der Universität. Rund ein Viertel aller
Colleges werden von privaten religiösen Vereinigungen unterhalten, lassen aber alle Studie-

Alter Schuljahr/ Bildungsabschnitt Abschluss Schulformen / Studiengänge


Studien-
jahr
Postdoctoral Study and Research
7 Postsecondary Ph.D. Advanced Doctor’s Degree Study Professional Schools
6 Education (College, Professional (Medicine,Theology, Law, etc.)
5 University, Profes- Degree
4 sional, Vocational,
Master’s Degree Master’s Degree Study/Master-Abschluss
Technical)
3

Quelle: US Department of Education, National Center for Education Statistics.


2 Bachelor’s Voc./ Tech. Junior or Undergraduate programs
1 Degree Institutions Community Colleges

18
12 Secondary Education High School 4-Year High Schools Senior High School Combined
17
11 (Academic, Vocational, Diploma Junior – Senior
16
10 Technical) High School
15
9
14
8 8–4 Middle Schools Junior High School
13
7
12
6 6–3–3 6– 6
11
5
10
4 4–4–4
9 Elementary (or Primary) Elementary (or Primary) Schools
3
8 Education
2
7
1
6
K
5 Kindergartens
4 Nursery
PK

Abb. 140: Bildungssystem renden, unabhängig von ihrem Glauben, zu (www.usembassy.de. Education USA: A Diverse
in den USA. Educational System 2003).
Die Hochschulausbildung steht seit 1944 weiten Kreisen offen und prägte das Image von
einer egalitären College-Ausbildung. 1944 wurde das Gesetz verabschiedet, das es entlasse-
nen Armeeangehörigen und Kriegsveteranen erlaubte, mit Finanzierung der Bundesregierung
eine College-Ausbildung nachzuholen. Da stets überproportional viele Angehörige von Min-
derheiten sowie Arme wegen der damit verbundenen sozialen Aufstiegschancen in der Armee
dienten, wurde eine College-Ausbildung bereits in der Nachkriegszeit und insbesondere mit
der Bürgerrechtsbewegung, die den Afroamerikanern den Zugang zu allen Hochschulen öff-
nete, zum Allgemeingut. Heute besuchen rund 63 % aller High-School-Absolventen auch das
College, im Vergleich zu 45 % im Jahr 1960, wobei sowohl das Geschlechterverhältnis wie
auch die Proportionen von Allgemeinbevölkerung und Minderheiten ausgewogen sind (US Bu-
reau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States 2001, Tab. 262, S. 164).
Innerhalb der College- und Universitätsausbildung gibt es die beruflich orientierten – den
deutschen Fachhochschulen ähnlichen – Professional Schools für die Bereiche Musik, Kunst,
Ingenieurwesen, Betriebswirtschaften. Auch diese Professional Schools kann man mit weiter-
führenden graduate studies, die zu einem Master-Abschluss oder einem Äquivalent führen,
beenden. Die Technischen Hochschulen (Institutes of Technology) sind auf ein mindestens
vier Jahre dauerndes Studium in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften
ausgerichtet. Technikerschulen (Technical Institutes) erlauben Fachabschlüsse in ausgewähl-
ten Bereichen wie medizinischer Technik, die jedoch nicht immer college- oder universitäts-
äquivalent sind. Der Bachelor-Abschluss, der nach vier Jahren College-Ausbildung vergeben
wird, beendet die übliche 16-jährige Ausbildung in den USA. Eine weiterführende akademi-
sche Ausbildung wird im darauf folgenden, rund zweijährigen Graduate-Programm der Uni-
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Bildungssystem 233

versitäten mit dem Master-Abschluss erreicht, der bei gutem Notendurchschnitt auch die Ein-
stiegsvoraussetzung für das Doktorat ist. Im zumeist vierjährigen Doktorat erfolgt zunächst
eine zweijährige vertiefende Ausbildung in einem strukturierten Programm, das sowohl ein
Hauptfach (major) als auch Nebenfächer (minors) beinhalten kann und mit einer umfassen-
den Prüfung (Ph.D. general exam) abgeschlossen wird, die auch zur eigentlichen Disserta-
tionsarbeit berechtigt. Diese wird nach wiederum rund zwei Jahren mit dem Rigorosum (Ph.D.
defense) abgeschlossen. Master-Abschlüsse werden je nach Studienfach in den folgenden Fa-
kultäten verliehen: Master of Arts (M.A.), Master of Sciences (M.Sc.), Master of Business Ad-
ministration (M.B.A.), Master of Fine Arts (M.F.A.), Master of Social Work (M.S.W.), Master of
Law (LL.M.), Erziehungswissenschaften (Ed.S.). Die gängigen Doktoratsabschlüsse sind: Doc-
tor of Philosophy (Ph.D.), in den Erziehungswissenschaften (Ed.D.), Rechtswissenschaften
(J.D.), Naturwissenschaften (D.Sc.), Medizin (M.D.) und Theologie (D.D.).
Die amerikanische Bundesregierung überwacht und anerkennt Universitäten und Colleges
über eine Akkreditierungs-Institution, die vom Erziehungsministerium (US Department of
Education) mit der Sicherung der Qualitätsstandards von Bildungsstätten und Studienpro-
grammen beauftragt ist. Die Akkreditierung einer Bildungsinstitution sichert die bundesweite
Anerkennung von Abschlüssen durch andere Bildungseinrichtungen und die Arbeitgeber.
Viele Studienrichtungen haben zusätzlich eine regionale Akkreditierungsbehörde, wie z. B. die
Ingenieurwissenschaften, die Juristen oder Mediziner, welche zusätzlich sicherstellt, dass die
Absolventen in den betreffenden Bundesstaaten ihren Beruf ausüben dürfen.

Nach dem 10. Zusatzartikel zur Verfassung, der den Einzelstaaten oder dem Volk explizit alle Kulturhoheit, Finanzierung und
Befugnisse zuweist, welche die Bundesregierung nicht für sich in Anspruch genommen hat, soziale Auswirkungen
untersteht das Bildungswesen der USA der Kulturhoheit der einzelnen Bundesstaaten, die
wiederum ihren lokalen Gebietskörperschaften einen hohen Handlungsspielraum bezüglich
der Ausgestaltung des in seiner Grundstruktur vereinheitlichten Schul- und Bildungswesens
erlaubt. Die Bundesstaaten übernehmen es, einen generellen Orientierungsrahmen für die
Schulen und Schulbezirke vorzugeben, wie Rahmenpläne für Unterrichtscurricula oder die
Festlegung der Schulpflicht. Lokale Schulbezirke unterstehen einer Schulaufsichtsbehörde,
welche Curricula und Finanziell-Administratives festlegt und überwacht.
Das Schulwesen finanziert sich im Wesentlichen aus lokal erhobenen Steuermitteln, wobei
die Grundvermögenssteuer (property tax) die wichtigste Einnahmequelle ist. Wegen des feh-
lenden kommunalen Finanzausgleichs, wie ihn die westeuropäischen sozialen Marktwirt-
schaften kennen, variieren schulische Ausstattung und sogar Lehrergehälter mit dem Steuer-
aufkommen im Schulbezirk. Sofern es sich um ein Armutsgebiet handelt, wie beispielsweise
die innerstädtischen Problemgebiete, spiegeln auch die Schulen diesen desolaten Zustand
wider. Die Qualität der Ausbildung in den Schulen ist daher stets in Bezug zur Armut des Ge-
biets zu setzen. Das Fehlen eines kommunalen Finanzausgleichs ist somit vielleicht der wich-
tigste Mechanismus, der soziale Ungleichheit schon im Schulwesen vorprogrammiert, das ei-
gentlich als Integrationsmedium gedacht war. Da in innerstädtischen Armutsgebieten auch
Minderheiten und vor allem Personen ausländischer Herkunft konzentriert sind, bei denen
eine andere Sprache als Englisch zu Hause gesprochen wird (1999 waren es 17 %) oder die
mit der englischen Sprache Schwierigkeiten haben, sind Schüler dieser Gebiete in einer dop-
pelt schwierigen Situation. 2003 lebten 24 % aller innerstädtischen Schüler in Metropolitan-
gebieten in Armut, 20 % aller innerstädtischen Schüler von mittleren Großstädten und 18 %
aller Schüler im ländlichen Raum (US Department of Education. Institute of Education
Sciences. National Center for Education Statistics 2003. The Condition of Education 2003 in
Brief). Die Bundesregierung hat jedoch mit der Gründung eines eigenen Bildungsministeri-
ums 1979 (Department of Education) auch Subventionen für das staatliche Schulwesen aus-
geschüttet, die wiederum teilweise an Schulbezirke im Sinne eines Pro-Kopf-Sockelbetrags
für Schüler weiterverteilt werden konnten. Dennoch verbleiben insbesondere nach dem Rück-
bau sozialstaatlicher Leistungen unter den Reagan- und Bush-Administrationen die lokalen
Grundvermögenssteuern, in einigen Bundesstaaten auch Anteile der Mehrwertsteuer, die
wichtigste Finanzierungsquelle. Es ist nicht verwunderlich, dass die Schulen wegen dieser Fi-
nanzierung keine gleichen Voraussetzungen für alle Schüler im ganzen Land bieten können
und dass es auch 2003 noch eine Dunkelziffer von 5 – 10 % in der Bevölkerung gibt, die
funktionelle Analphabeten sind.
Anders ist die Finanzierung der privaten und öffentlichen Colleges und Universitäten gesi-
chert. Sie finanzieren sich aus vier Hauptquellen: Studiengebühren, Schenkungen/Stiftungs-
vermögen, öffentlichen Mitteln (Zuschüsse von Bundesstaaten oder Gemeinden, Forschungs-
mittel der Bundesregierung oder der Privatwirtschaft) sowie Zinsen und Renditen aus privat-
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234 Einblicke

wirtschaftlich getätigten Investitionen. Große Schenkungen und hohe Studiengebühren fi-


nanzieren in erster Linie die großen Elite-Universitäten. Studiengebühren entrichten alle Stu-
dierenden; sofern sie ihren Hauptwohnsitz in dem Bundesstaat haben, in dem sie studieren,
wird eine niedrigere in state tuition, ansonsten eine wesentlich höhere out of state tuition be-
rechnet. In öffentlichen Universitäten, die 1862 durch die land grants der Bundesregierung
mit Grundbesitz und den ersten Fakultäten ausgestattet wurden (state universities/land grant
universities), gibt es traditionsgemäß eine erstklassige Ausbildung und Ausstattung, wobei die
Studiengebühren aufgrund hoher Eigenmittel der Universitäten relativ niedrig sind. So zahlte
man 2003 an der Ohio State University nur knapp 6000 Dollar für ein akademisches Jahr
von 9 Monaten, an der Michigan State University je nach Fakultät und Studiengang unter-
schiedliche Ansätze, z. B. in der Medizin 14 800 Dollar pro akademischem Jahr, im Studien-
gang für allgemeine Betriebswirtschaftslehre 10 700 Dollar und für die vertiefende Betriebs-
wirtschaftslehre für Manager 31 300 Dollar pro Jahr. An der Harvard University betrugen die
Studiengebühren im akademischen Jahr 2003 37 950 Dollar im undergraduate-Studium, was
sich auf die eigentliche Studiengebühr (ca. 26 000 Dollar), das Wohnheim (4700 Dollar), die
Verpflegung im Wohnheim (4200 Dollar) und ca. 3000 Dollar für Gesundheitsversicherung
und diverse andere Gebühren verteilte. Ein vierjähriges Bachelor-Studium dort kostet also
151 800 Dollar.
Wenn diese und andere Universitäten als Elite-Einrichtungen gelten, dann nicht aufgrund
ihrer hohen Studiengebühren, die sich längst nicht alle Studierenden leisten können, sondern
aufgrund der Tatsache, dass zwei Drittel der Studierenden von der Universität in einem kom-
petitiven Auswahlverfahren ein Stipendium zugesprochen bekommen. Nicht die Höhe des
Vermögens oder mangelndes Eigenkapital sind für das Studium in Harvard entscheidend,
sondern allein Aufnahmeprüfungen und gute Leistungen. Finanziert werden solche Stipen-
dien durch die vielfachen Schenkungen, Nachlässe und Stiftungen von Gönnern, vor allem an
die eigene Alma Mater. Solche erheblichen Geld- und Sachmittel (neue Institutsgebäude,
Sport-, Konzerthallen u. Ä.) werden, sofern von der Universität gemeinnützig, also zum Zwe-
cke der Forschung, Lehre oder des Ausbaus der Universität angelegt, nicht besteuert.
Allerdings legen auch die großen Universitäten, darunter die state universities, große Ka-
pitalmittel auf dem Aktienmarkt oder in ausländischen Direktinvestitionen gewinnbringend
an. Grundsätzlich wirtschaften alle Universitäten – auch die öffentlichen state universities –
nach privat- und betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Sie erwirtschaften und erhalten Ver-
mögen großen Ausmaßes und haben sich nach ihrer mit Bundesmitteln geförderten Gründung
und Ausstattung mit Grundbesitz im 19. Jahrhundert nicht mehr von Bundesmitteln zur Fi-
nanzierung des operativen Geschäfts abhängig gemacht.
Aufgrund der immensen Stiftungsvermögen und Renditen, eines Teils der Studiengebühren
sowie kompetitiv vergebener Forschungsbeiträge der Bundesregierung, der Privatwirtschaft
oder von Stiftungen sind die großen privaten und öffentlichen Universitäten bestens ausge-
stattet und können im internationalen Vergleich in vielen Fachbereichen führende Forschung
und Ausbildung vor allem im graduate- und postgraduate-Studium betreiben. Im Bereich der
Forschungsbeiträge machen jedoch Regierungsaufträge einen sehr hohen Anteil aus.

Forschung Von den rund 67,8 Mrd. Dollar, welche die Bundesregierung 1999 für Forschung und Ent-
wicklung ausgab (US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States
2001, Tab. 767, S. 507) und den 27,5 Mrd. Dollar, die die Universitäten in Forschung inves-
tierten, waren 18 Mrd. Dollar Mittel des Bundes. Ein Viertel aller Bundesforschungsmittel
geht also direkt an Universitäten, ein Anteil, der bei ihnen selbst wiederum zwei Drittel der
Forschungsgelder ausmacht. Hierbei ist zu beachten, dass es sich nicht um Subventionen,
sondern um Auftragsmittel handelt, die kompetitiv vergeben werden. Rund 5,4 Mrd. Dollar
bzw. fast 20 % ihrer Forschungsmittel generieren die Universitäten selbst über Erträge. Rund
4 Mrd. Dollar oder fast 15 % erhalten sie in Aufträgen von der Wirtschaft oder anderen Geld-
quellen wie Schenkungen. Von den rund 27,5 Mrd. Dollar Forschungsgeld stellten die Univer-
sitäten 1999 wiederum 68 % für die Grundlagenforschung bereit und 32 % für den Ange-
wandten Bereich (US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States
2001, Tab. 773, S. 510).
Rund 60 % aller Bundesforschungsmittel wurden 1999 an 45 der bedeutendsten Universitä-
ten vergeben (US Bureau of the Census 2001; Statistical Abstract of the United States 2001,
Tab. 775, S. 511). Die für europäische Verhältnisse exorbitanten Forschungsaufträge der Bun-
desregierung an die Universitäten erklären sich auch aus der Erfolgstradition. Viele Grundla-
genforschungen, die zu weltweit bahnbrechenden medizinischen oder technologischen Ent-
wicklungen führten, fanden an amerikanischen Universitäten statt, darunter unter anderem:
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Bundespolitisches Planungssystem 235

■ DNA-Technologien, welche neue medizinisch verwertbare und weltweit patentierbare Sub-


stanzen schufen, wie das Wachstumshormon Interferon oder den Hepatitis-B-Impfstoff
(Stanford University, University of California – San Francisco 1974).
■ Satelliten-Fernerkundungstechnologie in der Weltraumfahrt sowie für Wetterprognosen, ge-
ologische Prospektierung und militärische Aufklärung (University of Rochester, University of
Madison – Wisconsin, 1960er Jahre).
■ Grundlegende Berechnungen, die zur späteren Entwicklung des Globalen Positionssystem
(GPS) führten (Columbia University 1938, Harvard University und Massachusetts Institute
of Technology 1949).
■ Erster digitaler Computer, der führend für die Weiterentwicklung von Computern und Mi-
kroprozessoren wurde (University of Pennsylvania 1939 – 1940).
■ Erstes Atomspaltungsgerät (University of California – Berkeley 1931) und grundlegende Ar-
beiten der Nuklearphysik mit Anwendung in der Medizin und geostrategischen Interessens-
gebieten.
■ Entwicklung der Malaria-Präventivmedizin (University of Chicago 1950), der Salk-Polio-
Schluckimpfung (University of Pittsburgh 1954), des Impfstoffes gegen bakterielle Menin-
gitis (University of Rochester 1985).
■ Entwicklung des Krebsvorsorgetests für Frauen (University of California – San Francisco,
Cornell University 1932 – 1942).
■ Entwicklung des ersten Bluttests für Krebs (Columbia University 1936), der Strahlenthera-
pie bei Krebs (University of Rochester 1940er Jahre) und der Chemotherapie bei Krebs
(Yale University 1942).
■ Entwicklung des Dialyse-Verfahrens bei chronischer Nierenkrankheit (University of Wa-
shington 1960) und der ambulanten Heimdialyse (University of Missouri – Columbia
1970er Jahre).
■ Herstellung des synthetischen Penicillins (Massachusetts Institute of Technology 1957),
synthetischen Insulins (University of Pittsburgh 1964), des Antibiotikums Streptomycin
(Rutgers University 1952) und des synthetischen Morphiums (University of Rochester 1952).
■ Entwicklung der Pharmaprodukte, die zur Herstellung der Anti-Baby-Pille führten (Clark
University, Pennsylvania State University 1930er Jahre).
■ Entdeckung der genetischen Mutationen von Darmkrebs und eines diesbezüglichen Blut-
tests (Johns Hopkins University 1997).
■ Entwicklung der Hauttransplantation bei Brandwunden (University of Kansas 1938), der
Operationsmethoden am offenen Herzen und der Herz-Lungen-Maschine bei Herzoperatio-
nen (Case Western Reserve University 1947, 1952).
■ Entwicklung der Lasertechnologie für Augenoperationen (Stanford University 1963).
■ Entwicklung des ersten, extern getragenen Herzschrittmachers (Harvard University 1952)
sowie des implantierten (University of Buffalo – State University of New York 1958 – 1960;
Johns Hopkins University 1972; Pennsylvania State University 1977).
■ Entwicklung der Knochenmarktransplantation bei Leukämie (University of Washington
1957), der Lebertransplantation (University of Colorado – Boulder 1967), des künstlichen
Kniegelenks (University of California – Irvine 1972), der ersten Bluttransfusion (Case West-
ern Reserve University 1908).
■ Nachweis durch Mondgestein und Meteoritenanalysen, dass die chemischen Grundlagen
für außerirdisches Leben auf dem Mars und im Universum allgemein existieren (University
of Maryland, College Park und NASA, 1970er und 1980er Jahre) (Association of American
Universities 2003. University Research – Societal Contributions).

Bundespolitisches
Planungssystem
Betrachten wir noch einen letzten Aspekt des amerikanischen institutionellen Systems – die Wertpräferenzen der
Planung des Bundes. In der amerikanischen Planung, sei es in der Stadtplanung oder der staatlichen Einflussnahme
Bundespolitik für den ländlichen Raum sowie in der Bildungs- oder Sozialpolitik, enthüllten
sich der Habitus des amerikanischen Denkens, die kulturelle Identität und das andere poli- Da die USA sich in ihrer
tisch-demokratische Selbstverständnis. Amerika ist zwar mit dem europäischen Erbe vernetzt, Planungsstruktur bewusst
aber nicht im Bereich der Planung; hier herrschen andere Prämissen, da ein Obrigkeitsden- von Europa lösten, lassen
ken nie institutionalisiert wurde. Daher gibt es in den USA keine offizielle Raumordnungspo- sich amerikanische
litik nach europäischem Vorbild. In den USA war die staatliche Macht immer fragmentiert Entwicklungskonzepte und
und durchdrungen von Privatinteressen. Es gab jedoch raumwirksames Agieren politischer Strategien nicht einfach auf
Handlungsträger und sogar eine sehr massive Intervention des Bundes in der Entwicklung der europäische Verhältnisse
Regionen. Zwar besteht eine ländliche Regionalpolitik/Planung für besonders rückständige übertragen.
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236 Einblicke

ländliche Räume, doch existieren in den USA, verglichen mit europäischen Ländern, keine
festgefügten Planungsstrukturen.
Eine Gemeinde oder auch ein Bundesstaat braucht daher keine Ausgleichsmaßnahmen
gegen disparitäre Entwicklungen vorzunehmen. Raumordnung, das gezielte staatliche Han-
deln gegen räumliche Disparitäten, das in allen westlichen Industrienationen durch das ver-
fassungsmäßige Mandat zur Gleichbehandlung vorgegeben ist, hat daher in den USA keine
verfassungsmäßige Grundlage. Dies erklärt die nichteuropäische Identität und Vorgehens-
weise der amerikanischen Regionalpolitik.
Privatism und Pluralismus kennzeichnen die Bundespolitik sowohl für die Städte als auch
die Regionen, die mit weit über 1000 verschiedenen, unabhängig voneinander arbeitenden
Einrichtungen der öffentlichen Hand (insgesamt 11 Bundesministerien, 49 Behörden und
1200 verschiedene Kommissionen mit weit reichenden Vollmachten für Regionen) plant,
ohne dabei Raumordnung im europäischen Verständnis zu betreiben. Die Struktur des ameri-
kanischen politischen Systems und der institutionellen Mechanismen für die Entwicklung
strukturschwacher Regionen oder Stadtgebiete gibt dem Wettbewerb der Behörden aufgrund
der Verfassung stärkeres Gewicht als der Koordination der Programme. Die verschiedenen Re-
gierungsinstitutionen sind daher unabhängige Einheiten, die sich die Staatsgewalt zur räum-
lichen Entwicklung teilen (Long, Reid & Deavers 1987, S. 28; Lapping, Daniels & Keller
1989).
Eine Koordination oder Vereinheitlichung der Regionalplanungspolitik oder eine, die bis in
die Städte Zielvorgaben für die kommunale Entwicklung macht, ist daher nicht zu erwarten.
Bestärkt wird dies durch die dezentrale Entscheidungsfindung im Kongress: Seinen Commit-
tees und Subcommittees kommt nahezu exklusive Entscheidungsbefugnis über die Politik zu,
welche in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Der einzige formale Mechanismus zur Koordi-
nierung ländlicher Entwicklungspolitik ist das für den Bundeshaushalt zuständige Office of
Management and Budget des Präsidenten.

Zum Vergleich: In Deutschland werden sozialstaatliche Aufgaben und diesbezügliche Planungspolitik grund-
Das staatliche Regulativmandat sätzlich anders verstanden als in den USA. Im Gegensatz zu den USA, wo die staatliche
in Deutschland Macht fragmentiert ist und die Verfassung kein Mandat zur Förderung von Regionen und
Städten hat, steht die Staatslehre Deutschlands, die dem Bund eine Regulativfunktion bei
der Lösung sozialstaatlicher Aufgaben zuweist. Als solche werden zum Beispiel Regional- und
Stadtentwicklungen verstanden. Das Grundgesetz erlaubt den Kommunen und Ländern zwar
einen Autonomiespielraum und kommunale Selbstverwaltung (Art. 28) (ähnlich wie in den
USA) und spricht dem Volke die Staatsgewalt zu (Art. 20 GG), aber es weist dem Bund das
Gesetzgebungsrecht zu, wenn die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet
eines Bundeslandes hinaus es erfordert (Art. 72, Abs. 2, Nr. 3 GG) und verankert die Rah-
menkompetenz des Bundes für die Verabschiedung von Bundesraumordnungsgesetzen (Art.
75 Nr. 4 GG). Anders als in den USA regelt das Grundgesetz auch die Aufgaben und Ausga-
benverteilung zwischen Bund und Ländern, speziell die Ausgleichsmechanismen in Form von
Finanzhilfen, die zur „Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes
oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung
wirtschaftlichen Wachstums“ eingesetzt werden (Art. 104a [4] GG).
Das dafür geschaffene Instrument ist der Finanzausgleich (Art. 107 GG). Auf der Grundla-
ge des Bundesraumordnungsgesetzes von 1965 ist das Bundesgebiet „in seiner allgemeinen
räumlichen Struktur einer Entwicklung zuzuführen, die der freien Entfaltung der Persönlich-
keit in einer Gemeinschaft am besten dient“ (BROG § 1 Abs. 1, Nr. 1, 1965). Eine Verbesse-
rung der Lebensverhältnisse auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet soll unter
Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten und der räumlichen Zusammenhänge er-
reicht werden. Dabei sollen gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen dort gesichert und
weiterentwickelt werden, wo sie bereits bestehen; in den Defizitgebieten sollen sie durch
Maßnahmen zur Strukturverbesserung erzielt werden (30). Das Bundesraumordnungsgesetz
entwarf erstmals umfassende Leitvorstellungen für eine ausgewogene räumliche Gestaltung
des Bundesgebiets und erlegte den Bundesländern eine Pflicht auf, für ihr Gebiet umfassen-
de und übergeordnete Pläne und Programme aufzustellen (§ 5,1 BROG). Die Schaffung
gleichwertiger, gesunder Lebensverhältnisse in allen Teilgebieten der Bundesrepublik
Deutschland ist das übergeordnete Ziel und wurde im Bundesraumordnungsprogramm von
1975 konkretisiert. Aufgrund dieser Leitvorstellungen konnte die Entwicklung des ländlichen
Raumes in Deutschland durch eine zentrale, politisch-administrative Struktur mittels umfas-
sender Steuerungsprogramme und mit Instrumenten der Raumordnung betrieben werden.
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Bundespolitisches Planungssystem 237

Diese Strukur ist hierarchisch vom Bund zu den Gemeinden angelegt und regelt Zielvorgaben
des Bundes über Landesplanung, Landesentwicklungs- und Regionalpläne bis in die ge-
meindliche Flächennutzungs- und Bauleitplanung.
Das Grundverständnis von der Raumordnung ist also das einer umfassenden, übergeordne-
ten Planung und Gestaltung des geographischen Raumes; sie ist auf Veränderungen und ziel-
orientiertes Handeln ausgerichtet und bemüht sich konkret um die Reduzierung oder Beseiti-
gung räumlicher Disparitäten, indem sie Entwicklungsressourcen verstärkt in rückständige
Teilräume lenkt und systematisch den Aufbau der Infra- und Wirtschaftsstruktur fördert. In
Deutschland besteht also ein Prinzip der Aktivsanierung, was bedeutet, dass staatliche För-
derungsmaßnahmen so lange in benachteiligten Regionen durchgeführt werden müssen, bis
eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht ist. Wie wichtig diese regionalpoliti-
schen Steuerungsinstrumente sind, lässt sich dann ermessen, wenn man Länder betrachtet,
in denen sie völlig fehlen, wie beispielsweise in den USA.
Fassen wir nun die Ausführungen zum Demokratieverständnis, zu Staatslehre und Pla-
nungstraditionen zusammen und überdenken die Übertragbarkeit planungspolitischer „Pa-
tentrezepte“. Prinzipiell sind beide Länder als föderative Systeme ähnlich strukturiert – es gibt
sogar Parallelen in der Staatsverfassung. Beide Länder folgen jedoch unterschiedlichen Auf-
fassungen von sozialstaatlichen Aufgaben. Dies begründet wiederum unterschiedliche kom-
plexe Akteursverpflichtungen auf den verschiedenen Ebenen des föderativen Systems und un-
mittelbar eine unterschiedliche Planungs- und Entscheidungskultur.
Regionalpolitik, Stadtplanung, Sozial- und Bildungspolitik haben in den USA nicht, wie in
Westeuropa, übergeordnete politische Ziele, da eine Bundespolitik, die Regional- und Stadt-
entwicklungen oder den Bereich Soziales und Bildung bewusst zu steuern sucht, als „inter-
ventionistisch“ gilt und als unamerikanisch abgelehnt wird. Man sei daran erinnert, dass die
USA bei ihrer Gründung mit (planungs-)politischen Modellen nach europäischem Muster bra-
chen. Daher ist grundsätzlich Vorsicht angebracht, wenn es um die Übertragung amerikani-
scher Strukturen, Modelle und Konzepte in den europäischen Kontext geht.

Die vergangenen Kapitel haben gezeigt, warum und wie die USA zu einer Führungsmacht auf-
steigen konnten:
■ Bewusste Abkehr von engen Herrschafts- und Gesellschaftsmodellen der damaligen Zeit;
■ günstige geographische Voraussetzungen, Größe und Ressourcenreichtum des Landes;
■ die Art, sich als neues Land und neue Gesellschaft zu mythologisieren, zu inszenieren und
dies im Bewusstsein jeder Generation zu verankern;
■ die Art und Weise, wie Amerikaner jeder Generation ihr Leben, ihre eigenen Probleme und
die Probleme und Anliegen ihres Landes sehen und angehen.

Vielfältige Faktoren unterscheiden westliche soziale Marktwirtschaften von der Wirtschaft und
Gesellschaft der USA. Gegensätze und Ambivalenzen prägen auch die europäischen Sicht-
weisen zu den USA. In der Welt der Globalisierung von Wirtschaft, Kultur, Interventionen und
globalen Sicherheitsrisiken wird es jedoch immer wichtiger, einander zu verstehen. Man sei
an den Appell erinnert (Bundeszentrale für politische Bildung 1990, S. 47): „Das kann nicht
heißen, dass ‘verstehen’ immer zugleich ‘billigen’ bedeutet. Im Gegenteil! Die Vergangenheit
und Gegenwart haben viele Beispiele geliefert, die beweisen, dass beiderseits Lernprozesse
nötig sind, dass nämlich auch die Amerikaner bei ihren Entscheidungen, die ihren oft nur
scheinbaren Interessen dienen, vermutlich die Erfahrung der Europäer im Allgemeinen ein-
beziehen müssen. Gegenseitige konstruktive Kritik ist nicht nur berechtigt, sondern auch not-
wendig.“
Dies ist unumgänglich, wenn es um globale Friedensicherung, den Abbau von Armut und
die Demokratisierung durch Dialogprozesse geht.
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 238

238 Anhang

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247

Verzeichnis der Abbildungen


Politisch-kulturelle Tradition Abb. 34: Luftmassen in den USA . . . . . . 36 Abb. 68: Wrought Iron District,
Abb. 1: Das Kapitol in Abb. 35: Tiefdrucksysteme in den USA . . 36 Lower Manhattan . . . . . . . . . . . 94
Washington, D.C. . . . . . . . . . . . 1 Abb. 36: Zonale Ökosystemdifferenzierung Abb. 69: Im Wrought Iron District,
Abb. 2: Ideengeschichtlicher Ursprung nach Bailey . . . . . . . . . . . . . . . 38 Lower Manhattan . . . . . . . . . . . 94
der angloamerikanischen Abb. 37: Klimadiagramme ausgewählter Abb. 69a: Plan von Radburn,
Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 4 Wetterstationen . . . . . . . . . . . . 40 New Jersey . . . . . . . . . . . . . . . 98
Abb. 3: Wertevorstellungen in Staat und Abb. 38: Bahnen tropischer Wirbelstürme
Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 5 (Hurricanes) im Westatlantik . . . 42 Bevölkerungsentwicklung und
Abb. 4: Pioniere auf den Strom- Abb. 39: Das Erdbebenrisiko in den USA Bevölkerungsstrukturen
schnellen eines Flusses und im südlichen Kanada . . . . . 43 Abb. 70: Chinatown, San Francisco . . . . 99
im Westen, 1897 . . . . . . . . . . . 7 Abb. 71: Anteil der hispanischen Bevöl-
Abb. 5: Farmstätte im Winter, 1862 . . . 9 kerung in der Los Angeles
Inwertsetzung des Naturraums
Abb. 6: Straßenszene in Boston vor Einfüh- Metropolitan Area, 2000 . . . . . 111
Abb. 40: Indianische Farmen am Grund
rung der Straßenbahn, 1885 . . 9 Abb. 72: Beziehungen zwischen Indianern
eines Canyons, Arizona . . . . . . . 44
Abb. 7: Verfassungswerke der USA – und Weißen im Grenzgebiet . . . 113
Abb. 41: Montezuma’s Castle: prä-
Die Grundrechte . . . . . . . . . . . 16 Abb. 73: Prozentualer Anteil
historische Felswohnungen,
Arizona . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 der Indianer in den Counties
Naturraum und Abb. 42: Pueblo auf einer Mesa . . . . . . . 46
der USA, 2000 . . . . . . . . . . . . 113
natürliche Ressourcen Abb. 43: Adobehäuser im Pueblo . . . . . . 46
Abb. 74: Rekonstruktion der ersten eng-
Abb. 8: Bryce Canyon, Utah . . . . . . . . . 20 lischen Siedlung in Plymouth . . 115
Abb. 44: Französische Einflussnahme
Abb. 9: Klimaregionen nach Köppen . . 21 Abb. 75: Freilichtmuseum
in Nordamerika . . . . . . . . . . . . 49
Abb. 10: Vegetationszonen Nordamerikas . 22 bei Plymouth . . . . . . . . . . . . . . 117
Abb. 45: Englische Siedlungsgebiete . . . 51
Abb. 11: Physiogeographische Großland- Abb. 76: Müllverbrennungsanlage von
Abb. 46: Transatlantische Verbindungen . 53 Chester, Pennsylvania . . . . . . . 120
schaften Nordamerikas . . . . . . . 22
Abb. 47: Britische Stützpunkte Abb. 77: Anteil der weißen und der afro-
Abb. 12: Vorherrschende Bodentypen in Amerika 1768 . . . . . . . . . . . 55
Nordamerikas . . . . . . . . . . . . . 23 amerikanischen Bevölkerung
Abb. 48: Amish People in Pennsylvania . . 56 in Washington, D.C., 2000 . . . . 120
Abb. 13: Metalllagerstätten
Abb. 49: Anspruchsgebiete auf Territorien Abb. 78: Anteil der asiatischen Bevöl-
Nordamerikas . . . . . . . . . . . . . 24
östlich des Mississippi . . . . . . . 60 kerung in der Los Angeles
Abb. 14: Kohlevorkommen
Abb. 50: Konfligierende Landansprüche Metropolitan Area, 2000 . . . . . 124
Nordamerikas . . . . . . . . . . . . . 25
der ersten Bundesstaaten . . . . . 61 Abb. 79: Anteil der schwarzen Bevölkerung
Abb. 15: Erdöl- und Erdgaslagerstätten
Abb. 51: Das Landvermessungssystem in der Los Angeles Metropolitan
Nordamerikas . . . . . . . . . . . . . 25
nach Robertson 1964 . . . . . . . 64 Area, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . 124
Abb. 16: Granit-Pluton Half Dome im
Abb. 52: Erkundungsexpeditionen im
Yosemite-Nationalpark,
Auftrag der Bundesregierung . . . 65 Einkommensdisparitäten,
Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . 27
Abb. 17: San-Andreas-Verwerfung, Armut, Parallelgesellschaften
Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . 28 Territoriale Expansion, Abb. 80: Obdachlosigkeit ist in jeder
Abb. 18: Verschüttete Straße durch Industriekapitalismus, amerikanischen Stadt präsent . . 125
Mauna-Loa-Ausbruch, Volcanoes Urbanisierung Abb. 81: Veränderung der Einkommens-
National Park, Hawaii . . . . . . . . 28 Abb. 53: Luftbild von Manhattan, hier noch kategorien afroamerikanischer
Abb. 19: Beckenlandschaft bei mit dem World Trade Center . . . 68 Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Palm Desert, Kalifornien . . . . . . 29 Abb. 54: Territoriale Expansion Abb. 82: Veränderung der Einkommens-
Abb. 20: Oberflächenformen im ariden der Vereinigten Staaten . . . . . . 69 kategorien hispanischer
Südwesten der USA . . . . . . . . . 29 Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Abb. 55: „Paper Towns“ –
Abb. 21: Steilwände des Canyon de Chelly, Eden auf dem Plan . . . . . . . . . 71 Abb. 83: Veränderung der Armen-
Arizona . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 bevölkerung, unterschieden
Abb. 56: „Paper Towns“ –
nach Ethnien . . . . . . . . . . . . . . 130
Abb. 22: Inselberg im Monument Valley, Eden in der Realität . . . . . . . . . 71
Arizona . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Abb. 84: Medianeinkommen . . . . . . . . . 132
Abb. 57: „Paper Towns“ – Neu-Babylon . 71
Abb. 23: Erosionsformen, Silent City, Abb. 85: Anteil der Haushalte,
Abb. 58: Grundriss der Stadt Hygeia,
Bryce Canyon, Utah . . . . . . . . . 30 die weniger als 15 000 Dollar
Kentucky, 1827 . . . . . . . . . . . . 72
im Jahr verdienen, 2000 . . . . . 132
Abb. 24: Lake Powell, „Rainbow Bridge“ . 31 Abb. 59: Eisenbahnnetz um 1860 . . . . . 77
Abb. 86: Anteil der Haushalte, die
Abb. 25: Shiprock – vulkanischer Rücken, Abb. 60: Binnenschifffahrtswege 15 000 bis 24 999 Dollar
New Mexico . . . . . . . . . . . . . . 31 um 1825 . . . . . . . . . . . . . . . . 77 im Jahr verdienen, 2000 . . . . . 133
Abb. 26: Schwemmkegel im Death Valley, Abb. 61: Textilfabrik in Lowell, Abb. 87: Anteil der Haushalte, die
Südkalifornien . . . . . . . . . . . . . 32 Massachusetts . . . . . . . . . . . . . 83 50 000 Dollar und mehr
Abb. 27: Dante’s View, ein abflussloses Abb. 62: Nutzung historischer Gebäude, im Jahr verdienen, 2000 . . . . . 133
Salzbecken . . . . . . . . . . . . . . . 32 Lowell, Massachusetts . . . . . . . 83 Abb. 88: Anteil der Haushalte
Abb. 28: Weizenfelder in Montana . . . . . 32 Abb. 63: Übernachtungsstätten zu 7 Cents mit „public assistance
Abb. 29: Kontinentale Vereisung pro Nacht, 1880 . . . . . . . . . . . 89 income“, 2000 . . . . . . . . . . . . 133
im Pleistozän . . . . . . . . . . . . . 33 Abb. 64: Obdachlose Straßenkinder Abb. 89: Anteil der unter 18-Jährigen
Abb. 30: Inlandeis im Pleistozän . . . . . . 33 in New York, um 1900 . . . . . . . 89 in einem Haushalt unterhalb
Abb. 31: Vom Inlandeis erzeugte Abb. 65: Tenement Housing in der Armutsgrenze . . . . . . . . . . . 134
Moränengürtel . . . . . . . . . . . . . 33 New York City nach 1850 . . . . . 90 Abb. 90: Anteil der über 64-Jährigen
Abb. 32: Löss im amerikanischen Abb. 66: Moderne Tenement-Häuser, in einem Haushalt unterhalb
Mittelwesten . . . . . . . . . . . . . . 33 1880 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 der Armutsgrenze . . . . . . . . . . . 134
Abb. 33: Das Einzugsgebiet des Abb. 67: Gebäude aus der City-Beautiful-Be- Abb. 91: Anteil der Personen in einem
Mississippi . . . . . . . . . . . . . . . 34 wegung, Midtown, Manhattan . . 93 Haushalt, geführt von einer
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 248

248 Anhang

alleinstehenden Frau, unterhalb Stadtentwicklung und Abb. 125: Modell der amerikanischen
der Armutsgrenze . . . . . . . . . . . 134 Stadtentwicklungspolitik Agglomeration . . . . . . . . . . . . . 179
Abb. 92: Anteil der Kinder (5 – 17 J.), Abb. 107: Downtown San Francisco,
die eine andere Sprache Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . 160 Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftspolitik,
als Englisch Vormachtstellung und Regional-
zu Hause sprechen . . . . . . . . . 136 Abb. 108: Stadtplanung in Boston
um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . 163 entwicklung
Abb. 93: Anteil der Kinder (5 – 17 J.),
Abb. 109: Boston, Landaufschüttungen Abb. 126: Halbleiterzentrum im
die eine andere Sprache
am Charles River und Boston „Silicon Valley“, Kalifornien . . . 181
als Englisch zu Hause sprechen,
nach Großregionen . . . . . . . . . . 137 Harbor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abb. 127: Anteil der Beschäftigten
Abb. 110: Boston, Back Bay, Copley Plaza, im Primären Sektor, 2000 . . . . 188
Abb. 94: Anteil der Schüler ohne
High-School-Abschluss . . . . . . . 138 Prudential Center . . . . . . . . . . . 164 Abb. 128: Anteil der Beschäftigten
Abb. 111: Downtown Boston und das im Bergbau, 2000 . . . . . . . . . . 188
Abb. 95: Anteil der Bevölkerung mit
mindestens einem Viertel North End 1923 . . . . . . 165 Abb. 129: Anteil der Beschäftigten im pro-
College-Abschluss . . . . . . . . . . 139 Abb. 112: Downtown Boston 1992 . . . . . . 165 duzierenden Gewerbe, 2000 . . . 188
Abb. 96: Anteil der Personen, Abb. 113: Bahnhof und Innenstadtmall. Abb. 130: Anteil der Beschäftigten
die nicht in den USA Union Station in in der Forschung oder
geboren worden sind . . . . . . . . 141 Washington, D.C. . . . . . . . . . . . 167 in leitenden Positionen, 2000 . . 189
Abb. 97: Flächennutzung in Chinatown, Abb. 114: Stadtsanierung in Boston – Abb. 131: Anteil der Beschäftigten in der
San Francisco . . . . . . . . . . . . . 143 Quincy Market . . . . . . . . . . . . . 167 staatlichen Verwaltung, 2000 . . 189
Abb. 98: Erdbebengefährdete Gebiete Abb. 115: Am Central Park in Abb. 132: Anteil der Beschäftigten
in Chinatown, New York City . . . . . . . . . . . . . 168 in Lehr-, Gesundheitsberufen
San Francisco . . . . . . . . . . . . . 144 Abb. 116: Gebäude des 18. Jahrhunderts in und Berufen mit
moderner Innenstadtmall, sozialer Ausrichtung, 2000 . . . . 189
Abb. 99: Arbeitslosenrate in den Counties
der USA, 2000 . . . . . . . . . . . . 148 Washington, D.C. . . . . . . . . . . . 168 Abb. 133: Autofriedhof, Ayer,
Abb. 117: Innenstadtmall des Old Post Massachusetts . . . . . . . . . . . . . 201
Abb. 100: Queens, New York:
Abgefackelte Gebäude Office, Washington, D.C. . . . . . 169 Abb. 134: Farmington, New Mexico . . . . . 204
neben Reihenhäusern . . . . . . . . 151 Abb. 118: Washington Old Post Office Abb. 135: Eastern Washington . . . . . . . . . 204
Abb. 101: Sozialer Wohnungsbau, von außen . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 136: Censuseinteilungen und
Lower East Side, Abb. 119: Peachtree Center von 1960, Regionen der USA . . . . . . . . . . 205
Manhattan, Atlanta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Abb. 137: Arbeitslosenrate in den Counties
New York City . . . . . . . . . . . . . 152 Abb. 120: Trump International der USA, 2000 . . . . . . . . . . . . 209
Abb. 102: Soziale Wohnungsbauprojekte, Hotel & Tower, New York City . . 174 Abb. 138: Calexio, Kalifornien, Maquiladora-
Chicago . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Abb. 121: Atrium-Architektur von Industrien an der mexikanisch-
Abb. 103: Kreisförmig angelegte Siedlung, J. C. Portman, Atlanta 1998 . . . 175 amerikanischen Grenze . . . . . . 212
Arizona . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Abb. 122: Mega-Architektur von
Abb. 104: Palm Springs, Kalifornien . . . . . 155 J. C. Portman, Los Angeles . . . . 175 Einblicke
Abb. 105: Siedlung mit eingezäunten Abb. 123: Boston Prudential Center, Abb. 139: Entwicklung der Arbeitslosen-
Gärten, Northern Virginia . . . . . 156 Massachusetts . . . . . . . . . . . . . 176 quote einzelner Bevölkerungs-
Abb. 106: Wohnwagensiedlung, Abb. 124: Urban Malls, Boston, segmente . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Santa Rosa, Kalifornien . . . . . . 156 Massachusetts . . . . . . . . . . . . . 177 Abb. 140: Bildungssystem in den USA . . . 232
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 249

249

Verzeichnis der Tabellen


Politisch-kulturelle Tradition Tab. 17: Städte mit der höchsten Anzahl Wirtschaftsstruktur, Wirtschafts-
Tab. 1: Ausgewählte literarische indianischer Wohnbevölkerung, politik, Vormachtstellung
Darstellungen des 18. bis 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 und Regionalentwicklung
frühes 20. Jh. . . . . . . . . . . . . . . 8 Tab. 18: Die größten indianischen Tab. 35: Bruttosozialprodukt in den USA, aus-
Tab. 2: Geschätzte Kirchenmitglied- Stammesgruppen in den USA, gewählten Ländern und ausgewähl-
schaften in den Kolonien 1775 . . 10 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 ten Bundesstaaten der USA . . . . 182
Tab. 36: Import von Rohöl nach Ländern . 183
Naturraum und Einkommensdisparitäten, Armut, Tab. 37: Importanteil nach Warengruppen 183
natürliche Ressourcen Parallelgesellschaften Tab. 38: Beschäftigtenentwicklung
Tab. 3: Ökosystemzonen und subzonale Tab. 19: Einkommensentwicklung 1970 – 2002 . . . . . . . . . . . . . . . 184
Differenzierung . . . . . . . . . . . . . 38 im Überblick 1993, 1999 Tab. 39: Massenentlassungen 1996 – 2001 185
und 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Tab. 40: Beschäftigtenentwicklung nach
Inwertsetzung des Naturraums Tab. 20: Einkommensverteilung Wirtschaftszweigen 1980 – 2000 . 187
Tab. 4: Gründung und ursprünglicher 1967 bis 2001 . . . . . . . . . . . . . 127 Tab. 41: Am schnellsten wachsende
Status der Kolonien . . . . . . . . . . 52 Tab. 21: Verteilung von Vermögen und Berufszweige 2000 – 2010 . . . . . 190
Einkommen in den USA . . . . . . . 128 Tab. 42: Wachstum, Umsatz und
Territoriale Expansion, Tab. 22: Haushalte nach Schrumpfen der größten
Industriekapitalismus, Urbanisierung Einkommensgruppen . . . . . . . . . 129 Computerfirmen 1995 – 2001 . . . 191
Tab. 5: Landverkäufe, Erträge aus Tab. 23: Weiße, nicht hispanische Haus- Tab. 43: Schlüsselgrößen der Wirtschaft . . 194
der Public Domain . . . . . . . . . . . 74 halte nach Einkommensgruppen . 129 Tab. 44: Entwicklung
Tab. 24: Afroamerikanische Haushalte des Industriesektors . . . . . . . . . 198
nach Einkommensgruppen . . . . . 129 Tab. 45: Bundesstaaten mit in der Auto-
Bevölkerungsentwicklung und Tab. 25: Asiatische Haushalte mobilindustrie Beschäftigten . . . 200
Bevölkerungsstrukturen nach Einkommensgruppen . . . . . 129 Tab. 46: Landwirtschaftliche Betriebe,
Tab. 6: Einwanderung . . . . . . . . . . . . . . 100 Tab. 26: Hispanische Haushalte Anzahl, bewirtschaftetes Land
Tab. 7: Bevölkerungswachstum . . . . . . . 101 nach Einkommensgruppen . . . . . 129 und Durchschnittsgröße
Tab. 8: Immigranten nach Herkunft Tab. 27: Personen unter der Armutsgrenze 1992 – 2003 . . . . . . . . . . . . . . 203
zwischen 1820 und 1950 . . . . . 101 und unter 125 % Tab. 47: Farmen nach Größenklasse
Tab. 9: Einwanderung in die USA von der Armutsgrenze . . . . . . . . . . . . 130 des Verkaufswerts 2002 . . . . . . . 203
1820 bis 1930, nach Herkunfts- Tab. 28: Durchschnittswert der Tab. 48: Exportanteil an der Gesamt-
gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 offiziellen Armutsgrenze produktion 1999 . . . . . . . . . . . . 203
Tab. 10: Europäische Einwanderung 1980 – 2001 . . . . . . . . . . . . . . . 131 Tab. 49: Durchschnittsgröße und Anzahl
in die USA . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Tab. 29: Bevölkerung über 65 Jahre der Farmen 1990 und 2000 . . . 205
Tab. 11: Anteil irischer, deutscher und ohne Krankenversicherung . . . . . 140
englischer Einwanderer in den Tab. 30: Indikatoren der Integrations-
Großstädten, 1870. . . . . . . . . . . 103 fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Einblicke
Tab. 12: Jüdische Einwanderung in die Tab. 31: Counties mit den höchsten Tab. 50: Lokale Regierungen, USA und aus-
USA 1881 – 1910 . . . . . . . . . . . 104 Pro-Kopf-Einkommen, 2000 . . . . 146 gewählte Bundesstaaten 1997 . . 216
Tab. 13: Jüdische Auswanderung nach Tab. 32: Counties mit den niedrigsten Tab. 51: Ausbau der Sozialleistungen
Zielländern 1933 – 1939 . . . . . . 104 Pro-Kopf-Einkommen, 2000 . . . . 146 1990 bis 1999 . . . . . . . . . . . . . 222
Tab. 14: Einwanderungspräferenzsystem Tab. 33: Armut in den Indianerreservaten Tab. 52: Grundstruktur der
von 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . 147 Sozialleistungsprogramme. . . . . . 222
Tab. 15: Bevölkerung nach Rasse und Tab. 34: Armutseinkommen 1999, Tab. 53: Kostendeckung der Medicare
hispanischer Herkunft, 2002 . . . 110 Pro-Kopf-Einkommen und im Jahr 2003 . . . . . . . . . . . . . . 225
Tab. 16: Braceros – Vertragsarbeiter Anteile in Kernstädten Tab. 54: Einzelstaatliche Politik –
in den USA 1942 – 1964 . . . . . . 111 und Suburbs . . . . . . . . . . . . . . . 149 state policy response . . . . . . . . . 227
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 250

250 Anhang

Geographische Namen und Begriffe


Acoma 46 Bewölkung 36 119, 122, 140, 153, 176, 193, Erdgasvorkommen 25
Adirondack-Gebirgszug 26, 34 Black Hills 32 195 Erdoberfläche 22
Afrika 51, 55, 117, 182, 208 Black und Panamint Mountains 30 Chile 186 Erdöl 23, 24, 25, 31, 85
Ägypten 203 Blei 24, 31 China 102, 103, 192, 203 Erdölsand 31
Alabama 24, 34, 69, 120, 123, Blizzard 37 Christian County 208 Erdölschiefer 31
146, 209, 210, 217, 229 Blue Ridge Mountains 34 Chrom 24 Erdölvorkommen 25
Alaska 21, 24, 25, 26, 28, 31, 35, Bluegrass-Becken 34 Cincinnati 71, 73, 86, 97 Erhebung 26, 34
37, 38, 39, 45, 80, 81, 113, Boden 20, 22, 23, 33, 38, 39 Cleveland 71, 86, 106, 110, 119, Erie-Kanal 74, 77, 84, 86
114, 183 211
– Bodenbedingungen 79 Eriesee 33, 86
Alaska-Kette 26 Coachella Valley 155
– Bodenbildungsfaktoren 22 Erosion 23, 31, 34, 42
Albany 86 Cold Waves 35, 41
– Bodenbildungsprozesse 38 – Erosionsschutt 30
Alberta 39 Colorado 28, 30, 36, 81, 110,
– Bodenfauna 39 – fluviale 32
Albuquerque 210 114
– Bodenformen 20 – glaziale 33
Aleuten 45 Colorado-Plateau 46
– Bodenklassifikation 23 – Winderosion 30, 32
Alfisole 23 Colorado River 28, 30
– Bodenkonservierung 22 Erosionskräfte 26
Alleghenies 73, 75, 112 Columbia 28, 197, 216, 228,
– Bodenpflegemaßnahmen 22 Erosionsschlucht 28
Alter Süden 201, 208, 210 229, 235
– Bodenschätze 20, 23, 32, 49, Eruption 26
Anderson County 208 63, 64, 85 Connecticut 51, 82, 145, 228
Erze 23, 24, 47
Appalachen 22, 23, 24, 25, 26, – Bodenschicht 39 Crater Lake in Oregon 26
Eisenerz 23
31, 32, 34, 58, 63, 77, 84,
– Bodentypen 22, 23 Europa 2, 3, 5, 7, 11, 21, 32, 35,
112, 146, 208 Dakota 32
– Bodenverhältnisse 39, 85 45, 47, 48, 50, 52, 54, 56, 58,
Appalachia 208, 209 Dallas 193
– Bodenwasserhaushalt 39 59, 62, 64, 66, 67, 70, 73, 74,
Appalachisches Faltungssystem 32 Dauerfrost 39 82, 84, 86, 88, 92, 94, 100,
– Halbwüstenboden 23
Arches-National-Park 28 Dayton 71, 210 103, 104, 185, 186, 199, 203
– kalkreicher 34
Argentinien 109 Dearborn 85
– mediterraner 23
Arizona 25, 28, 31, 41, 81, 110, Death Valley 26, 30, 31, 37 Fairfield 145
114, 155, 210, 211, 212, 229 – monokulturgeschädigter
Delaware 45, 56, 58, 86, 228 Faltung 30, 34
Boden 86
Arkansas 80, 228 Denver 26, 31, 110, 153, 193 – appalachische 34
Boralf 23
Arktis 39 Detroit 85, 110, 119, 195, 199 Faltungsvorgang, orogenetischer 26
borealer Nadelwald 23, 37
Asien 45, 100, 103, 108, 140, Deutschland 50, 60, 93, 104, Felsengebirge
182 Boston 55, 57, 59, 60, 82, 85,
86, 90, 92, 95, 96, 97, 100, 106, 194 – amerikanisches 26
Atlanta 115, 118, 121, 122, 151, 102, 122, 145, 163, 164, 165, Devon 34 Feuchtebedingungen 30, 39
164, 166, 171, 176, 179, 194 166, 167, 168, 175, 176, 193, Dominikanische Republik 140 Feuerland 26
Atlantik 22, 36, 37, 39, 42, 48, 195 Downtown und Midtown Manhattan Finnland 194
53, 69, 86 Brasilien 203 196 Five Oaks in Dayton 156
Atlantikküste 11, 34, 35, 83, 102 Brennstoffe, fossile 23, 24 Drumlin 33 Flathead Lake 26
atlantische Nordostküste 35 Bristol 55 Dublin 55 Florida 21, 34, 35, 41, 48, 61,
atmosphärische Zirkulation 42 Bronx 196 Dürre 42, 43, 208 80, 105, 109, 110, 114, 140,
Auffaltung 43 Brooklyn 92, 196, 217 145, 155, 209, 210, 228
Dust Bowl 42, 43
Aufschüttungsebene 34 Bruchfaltengebirge, mesozoisch- Fluss, antezedenter 28
Australien 182, 194, 203 tertiäres 26 East North Central 210 Flusssystem 28
Auswaschung 23 Bruchfaltenkette 30 East South Central 204, 209, 210 Flutwellen 42
Bruchschollengebirge 31 Ebene Forest Hills 155
Badlands 32, 40 Bruchtektonik 26, 30 – atlantische Küstenebene 32, 34 Four Corners 208
Barriere Bryce Canyon 28, 30 – Golfküstenebene 24, 25, 31, Four Corners Region 28
– orographische 35 Buffalo 86, 194 32, 34 Franklin Villa 156
– topographische 34 Bundesrepublik Deutschland 19 Eiszeiten 32, 45 Franklinville 72
Bahamas 207 Bundesstaat Washington 26, 31 – Günz 33 Frankreich 49, 50, 58, 60, 67, 69,
Baltikum 105 Bundesstaaten 17 – Mindel 33 86, 93, 100, 104
Baltimore 55, 77, 86, 100, 171 Bunker Hill 60 – Riss 33 Fresno 195
Basin and Range Province 28, 30, Buttes 30 – Würm 33 Frostperiode 21
31 El Paso 211, 212 Frostschäden 37
Battery Park City, N.Y. 174, 196 Cairo 71 El Salvador 140
Baum- und Waldgrenze, polare 39 Cambridge 4, 53, 193 Elko-Distrikt 116 Gebiete
Baumschicht 39 Canyon 28, 30 Endmoränen 33, 34 – humide kontinentale 37
Bauxit 24 Canyonlandschaften 30, 31 England 3, 47, 49, 50, 51, 52, – zivilisierte 112
Bay Area 191 Cape Cod 2, 3, 54 53, 56, 57, 58, 59, 60, 73, 76, Gebietsinteressen 48
Beckenlandschaft 26, 28, 30, 31 Central Plains 35 82, 84, 85, 86, 96, 117 Gebirge
Bel Air 155 Chapel Hill 192 Englisch-Kanada 60 – Küstengebirge 26
Belle Meade 157 Charleston 55, 59 Entisol 23 Gebirgsbildung, alpidische 26
Bergen-Passaic 145 Charlotte 195 Entstehung, geologische 21 Gebirgsketten
Beringstraße 45 Chesapeake Bay 34, 52 Erdaltertum 34 – pazifische 26
Berkeley 190 Chicago 66, 77, 84, 85, 86, 89, Erdbeben 28, 43 Gebirgssystem 25, 26, 34
Berlin 93, 94 90, 91, 92, 93, 95, 97, 110, Erdbebenrisiko 43 – appalachisches 31, 34
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Geographische Namen und Begriffe 251

– Kordilleren 26 Hidden Hills 155 – polar-kontinentale 37 Kreidezeit 26


– Küstengebirgssystem 26 Hitzeperiode 21 Kaltzeiten 33 Kuba 105
– pazifisches 26 Hochbecken 28 Kambodscha 107 Kupfer 24
Gefrierpunkt 39 Hochdruckgebiete 36 Kanada 21, 23, 39, 50, 61, 100, Küstenfischer 45
gemäßigte Breiten 22, 23 Hochebene, innermontane 21 106, 107, 182, 183, 203, 210, Küstengebiete 35
Genese Hochgebirge der Kordilleren 25 211 Küstengebirge 21, 25
– geologische 23 Hochland 28 kanadische Arktis 21, 23 – westliches 35
– geologisch-tektonische 25 Hollywood 8 Kansas 25, 32, 74, 76, 80 Küstenstädte 53, 56, 65
Georgia 55, 56, 81, 112, 117, Homestead 89 Karbon 34 Küstenzonen 36
121, 146, 208, 209, 228 Hongkong 145, 203 Karibik 36, 42, 58
Gestein Hot Waves 35 Karstphänomene 34 La Bahía 48
– Kalkgestein 34 Houston 122, 210 Kartierung 63 La Rochelle 50
– metamorphes 23, 24, 34 Hudson River 34, 56, 59 – geomorphologische 64 Labradorstrom 35
– präkambrisch-kristallines 28 Huntsville 210 – topographische 64 Lachsfang 46
– präkambrisches 26, 28, 30 Huronsee 33 Kaskaden 22, 26, 31 Lagerstätten 25, 31
– radioaktives 207 Hurricane Tracks 42 Kentucky 34, 43, 72, 201, 208, – Braunkohlelagerstätten 25
– sedimentäres 34 Hygeia 72 209 – Eisenlagerstätten 24
Gesteinsschichten 21, 26, 28, 30 Kernstadt 135 – Erdgaslagerstätten 23
– metamorphe 23 Idaho 31, 80, 114, 210, 228 Key West 21 – fossile 25
– sedimentäre 23 Illinois 24, 25, 32, 73, 79, 81, Klima 11, 20, 21, 35, 36, 38, 39, – Goldlagerstätten 24
Gewitterstürme 41 84, 97, 101, 109, 140, 195, 48, 79 – Kohlelagerstätten 25
Geysir 28 201 – arktisches 35 – Kupferlagerstätten 24
Gila-Wüste 48 Illinois River 71 – feucht-kaltes 23 – Silberlagerstätten 24
glaziale Überprägung 33 Imperial Valley 30 – Klimadifferenzierung 35 Lagerungsverhältnisse 26
Glen Canyon Dam 30 Indian Summer 35, 39 – Klimafaktoren 35, 37 Lake Powell 30
Gold 48, 50 Indiana 73, 79, 201, 229 – Klimagenese 38 landschaftliche Großeinheiten 32
Golf- und Atlantikküste 34 Indien 59, 192, 207 – Klimagliederung 35, 37 Landschaftsgürtel 26
Golf von Mexiko 21, 34, 35, 36, Indonesien 203 – Klimagroßregionen 37 Landschaftsräume 38
37, 41, 50 Inlandvereisung 32, 33, 34 – Klimagürtel 21 Laramische Phase 26
Golfküste 25 – pleistozäne 32 – Klimaklassifikation 37 Laredo 211, 212
Golfküstenregion 41 Inselgruppe Key West 35 – Klimaregionen 21, 37 Las Vegas 197
Golfküstensaum 39 Inselberge 30, 41 – Klimatypen 35 Lateinamerika 80, 103, 140, 182,
Golfstrom 35 Inseln – Klimaunterschiede 21, 37 206
Graben 26, 30 – tropische 20 – Klimazonen 21 Lava
– geologischer 26 interglaziale Periode 33 – kontinentales 35, 36, 37, 39 – basaltische 28
Grand Canyon 28 Interior Plains 22 – maritimes 35 – Lavadecken 31
Granit 26 intermontane Becken 37, 46 – mediterranes 23 – Lavaströme 31
– präkambrischer 32 Intermontane Beckenlandschaft 31 – polares 37 Lemminge 39
Great Plains 22, 24, 25, 26, 32, Intermontane Region 28 – subtropische Klimaregionen 37 Long Island 33, 34, 157
35, 37 Lorenzstrom 50
Intermontane Zone 28, 31 – subtropisches 35
Great Smoky Mountains 34 Los Alamos 48
Intermontanes Hochplateau 22, 26 – Wüstenklima 21
Greenbrook 97 Los Angeles 28, 30, 48, 97, 110,
Iowa 25, 80, 101, 217 Klima- und Witterungseinflüsse 45
Greendale 97 114, 119, 122, 124, 140, 141,
Irak 6, 183, 185, 186, 187 Klimabedingungen 30, 78, 79
Greenhills 97 145, 151, 155, 156
Irland 3, 50, 85, 102 Klimate
Greenville 145 Lösslandschaften 33
Italien 93, 107 – aride 45
Griechenland 107 Louisiana 25, 50, 64, 69, 80,
Klimaverhältnisse 85
Großbritannien 60 118, 146, 210
Jahresamplitude 37 Kohle 24, 25, 28, 31
Große Seen 23, 25, 32, 33, 36, Luftdruck 36
Jamestown 48, 117 Kohlebergbau 24
37, 50, 56, 60, 77, 86, 89 Luftfeuchtigkeit 37
Japan 102, 108, 182, 186, 194, Kohlebergbaugebiete 25
Großes Becken 28 Luftmassen 35, 36
199, 203, 212 Kohleförderung 25
Großlandschaften 20, 21, 23, 25 – arktische 35, 36
– physisch-geographische 23 Kohlekraftwerke 25
Kakteen 41 – feucht-warme 35, 36
Großräume 25, 38 Kohleproduktion 24
Kaldera 26 – Kaltluftmassen 35
Großregionen 37 Kohlevorkommen 23, 24, 25
Kalifornien 31, 48, 55, 69, 78, – kontinentale 35
Großrelief 35 Kolumbien 109, 203, 207
80, 81, 105, 106, 109, 110, – maritime 37
Grundmoränenlandschaften 33 114, 116, 136, 140, 145, 153, Kontinentalität 35
– polare 35, 36, 37, 39
155, 156, 157, 190, 191, 195, Kontinentalrand, aktiver 43
– stabile, warm-trockene 35
Haff 34 197, 209, 211, 217, 228 Kontinentalschelf 34
– subtropische 36, 37
Half Dome 26 Kalifornienstrom 35 Kontinentalverschiebung 26 – tropische 35, 36, 37, 39
Harlem 74 kalifornisches Längstal 22, 26 Kordilleren 25, 26, 35, 36 – Warmluftmassen 35
Hawaii 21, 28, 114, 194, 209, Kalisalz 31 – amerikanische 26 Lystra 72
229 Kalkschichten 34 – nordamerikanische 31
Hawaii-Inseln 35, 41 Kaltfront 36, 37, 41 – westliche 28, 35, 37 Magdalene Reserve 155
Hebung, endogene 30 Kaltluftvorstöße 37, 41 Kräfte Maine 21
Heidelberg 74 – arktische 37 – endogene 26 Makrorelief 35
Hernando County 155 – extreme 36 – erosive 28 Mammoth Cave 34
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252 Anhang

Mangan 24 Nacogdoches 48 Niederschlagsmenge 38, 39 Ozark-Ouachita-Plateaulandschaft


Manhattan 74, 90, 92, 196 Naher Osten 45 Niederschlagsschwankung 23 32
Manning 123 Nährstoffgehalt 23 Nigeria 183 Ozarks 146, 208
Mar Vista Gardens 156 Nantucket 33 Nogales 211, 212
maritime Verhältnisse 35 Naples 145 Nomaden 46 Pacific Palisades 155
Martha’s Vineyard 33 Nashville 118 Nord- und Westeuropa 106, 118 Paläozän 26
Maryland 51, 56, 84, 117, 208, Nashville-Becken 34 Nordafrika 104 Palo Alto 190, 191
228, 235 Nassau 145, 157 Nordamerika 23, 45, 47, 48, 49, Panama 207
Massachusetts 2, 4, 17, 33, 51, Nassau-Norfolk 145 50, 60, 100 Parabraunerde 23
53, 54, 60, 67, 82, 87, 100, Nationalpark 11, 63 Nordatlantik 23 Paris 85
193, 226, 228, 230, 235 Norden 22, 26, 28, 35, 37, 106, Pazifik 48, 64, 69, 80, 82
Naturgefahren 20, 41
Meeresspiegelverlagerung 34 110, 118, 131 Pazifikküste 35
Naturgegebenheiten 64
Meeresströmungen 5 Nordkalifornien 35, 43, 145 pazifische Küste 37
Naturkatastrophen 41
Merced 195 Nordostasien 45 pazifischer Nordwesten 37, 46
Naturlandschaft 73
Mesabi-Gebirgszüge 23 Nordosten 45, 102, 106, 113, Pazifisches Küstengebirge 22
Naturmonumente 28 118, 127, 135
Mexiko 31, 48, 69, 80, 100, Pennsacola 210
Naturraum 20, 21, 44 Nordpazifik 35
105, 108, 109, 110, 140, Pennsylvania 4, 17, 25, 51, 56,
181, 183, 203, 207, 209, Naturraumpotential Nordpol 21 67, 83, 84, 86, 89, 106, 122,
210, 211, 212 – Abhängigkeit 45 Nordstaaten 82, 118 208
Miami 110, 140, 141, 195 Naturrechte 15 Nordwesten 21, 36, 197 Perm 34
Miami Shores 157 Naturrisiken 41, 208 Nordwestterritorien 80 Permafrost 39
Michigan 23, 25, 85, 101, 114, Nebel 35 North Carolina 56, 112, 114, 145, Permafrostboden 39
199, 201, 229, 234 Nehrung 34 192, 195, 208, 209
Persien 186
Michigansee 33 Nebraska 23, 32, 80, 228 North Carolina State 192
Philadelphia 55, 59, 60, 77, 82,
Middlesex-Somerset-Hinterdon 145 Neue Welt 49, 51, 53, 54 North und South Dakota 79, 114 86, 89, 90, 96, 102, 110, 119,
Milwaukee 97 Neuengland 34, 35, 36, 50, 58, Northampton 51 122, 153, 171
Minen 48 52, 54, 58, 63, 82, 84, Northerners 35 Philippinen 102
Mineralien 23, 24, 50 Neuenglandküste 77 Norwegen 182 Phosphor 31
Minneapolis 171 Neues Amerika 48 Piedmont 23, 34
Minnesota 23, 32, 76, 88, 97, Neues Jerusalem 54 Oak Ridge Knoxville 210
Pittsburgh 84, 87, 91, 164, 171,
101, 114 Neufundland 34, 49, 50, 85 Oakland 145
235
Mississippi 12, 21, 22, 24, 25, Neuseeland 182 Oberer See 26, 33, 63, 74, 77
Plateau
32, 34, 36, 37, 42, 50, 57, 60, Neuspanien 48 Oberflächengestalt 25
– Appalachen-Plateau 34
61, 63, 64, 69, 71, 73, 74, 77, Nevada 22, 43, 78, 79, 81, 114, Oberflächenprozesse, klimabedingte
– Colorado-Plateau 28, 30, 31, 41
81, 84, 208, 209 116, 194, 197 21
Ohio 31, 35, 37, 57, 63, 64, 70, – Columbia-River-Plateau 31
Mississippi-Delta 21, 22, 23, 208, Nevada Test Site 116
209 71, 72, 73, 84, 86, 156, 201, – Kaibab-Plateau 28, 41
New Amsterdam 56 – Piedmont-Plateau 34
Mississippi-Einzugsgebiet 43 208, 210, 211
New England 193, 208, 210 – Snake-River-Plateau 28, 31
Mississippi-Tiefebene 24 Ohio River 32
New Haven 194 – Yellowstone-Plateau 28
Mississippi-Tiefland 32 Oklahoma 25, 79, 80, 81, 112,
New Haven-Bridgeport-Stamford 114 Plateaulandschaft 32
Missouri 25, 32 145 Ökosubzonen 39 Platte
Mittel- und Südamerika 105, 106, New Jersey 56, 82, 86, 88, 98,
107 Ökosystemgliederung 38 – Amerikanische 28
140, 145, 153, 196
Mittelgebirge 26 Ökozonen 35, 38 – Pazifische 28
New Mexico 25, 28, 30, 41, 45,
Mittelwesten 33, 35, 41, 42, 43, – humid-gemäßigte 39 Pleistozän 32, 33
48, 81, 110, 114, 140, 210
71, 72, 73, 82, 86, 102, 106, – humid-temperierte 38 pleistozäne Eiszungenbecken 33
New Orleans 35, 50, 84, 106, 210
113, 118, 135 – humid-tropische 38 Podsolierung 23
New Sweden 56
– amerikanischer 23 – polare 38 Polarfront 36
New York 12, 26, 34, 55, 56, 58,
– nördlicher 37 – subarktische 39 Polarfüchse 39
59, 63, 66, 74, 76, 77, 82, 84,
Mittlerer Osten 186 85, 86, 88, 89, 90, 92, 93, 94, – trockene 38 Polarkreis 39
Mittlerer Westen 36, 100, 102 95, 96, 97, 102, 105, 109, Ontariosee 33 Polen 107
Mobile 123 110, 114, 122, 140, 141, 143, Orange County 155
Portland-Vancouver 195
Mollisole 23 145, 149, 155, 157, 194, 195, Ordovizium 34
196, 217, 228, 235 Portugal 49, 104
Molybdän 24 Oregon 26, 35, 78, 80, 114, 121,
Newport 55, 155, 210 Potomac Gardens 156
229
Montana 25, 26, 79, 80, 114 Profil
Niederlande 50, 60 Orogenese 25, 34
Monterrey 48 – geologisches 26
Niederschlag 21, 23, 31, 35, 36, Orographie 25
Montreal 50 37, 39 – orographisches 26
Ost- und Südosteuropa 102, 103
Monument Valley 28 – Dauerregen 36 Provinz Quebec 60
Osten 21, 25, 26, 30, 32, 36, 37
Moosschicht 39 – Frost 37, 39 Prozesse
Osteuropa 121
Moräne 33 – ganzjährige Regenfälle 21 – bodenbildende 23
Ost-Kentucky 24
Morphologie des Talbodens 30 – jährlicher 35, 37 Ostküste 34, 36, 58, 59, 70, 71, Puerto Rico 105, 111
Mt. Elbert 26 – Konvektionsregen 37 72, 73, 86, 100, 102, 145, 155 Puget-Willamette-Senke 26, 43
Mt. Logan 26 – Regen 36, 37 Ost-Oklahoma 25 Pulaski 120
Mt. McKinley 22 – Schnee 36, 37 Ost-Texas 25
Mt. Rainier 26 Niederschlagsdifferenzierung 37 Ouachita-Höhen 32 Quartär 31
Mt. St. Helens 26 Niederschlagsextrema 35 Ozark-Höhenzüge (Interior Quebec 50
Mt. Whitney 22, 26 Niederschlagsfelder 36 Highlands) 32 Queens 196
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Geographische Namen und Begriffe 253

Quellbewölkung 36 Schwemmfächer 30 Südwestkalifornien 48 Ungarn 105


Quincy Market 175, 176 Scrubs 21 Suffolk 157 United States 131, 135,
Seattle 110, 145 Sümpfe 34 137, 139, 140, 141, 190,
Sedimentation 24 Superior Uplands 146 194, 195, 205, 220, 221,
Radburn 66, 98, 153
Sedimente 222, 223, 224, 225, 227,
Rainbow Bridge 30 Susquehenna River 34
229, 232, 234
Raleigh 192 – paläozoische 31
United States of America 15, 17
Range Sedimentdecke Tafelberge 30
University Place 155
– Brook Range 26 – mesozoische 28 Tafellandcharakter 28
Upper Great Lakes 208
– Cascade Range 26, 35 – paläozoische 28, 32 Taiwan 203
Uran 24, 28, 31
– Front Range 26, 32 Sedimentgestein 26, 28 Tampa 155
– Karbon 24 Ustalf 23
– Mesabi Range 26, 32 Taos 48
Sedimentschichten 26, 30, 32 Utah 28, 81, 114, 210, 228
Raumeinheiten tektonische Aktivität 26, 30
– mesozoische 28 Temperatur 36, 37, 39
– klimazonale 38 Vallejo-Fairfield-Napa 145
– paläozoische 28 – Extrema 35
Regenschatten 35 Valley and Ridge Province 34
Senkungszone 26 – Maximum 37
Region Boston 193 Vegetation 20, 21, 37, 38
Sequoia-Bäume 39 – Minimum 37
Regionalisierung, klimatische 37 – borealer Nadelwald 39
Sierra Nevada 22, 26, 30, 35 Temperaturbedingungen 23
Relief 21 – Dorn- und Strauchsavannen-
Silicon Valley 190, 191, 192, 193 Temperaturdifferenzierung 37
Rhode Island 51, 155, 228 vegetation 41
Silikatböden, verwitterte 23 Temperaturschwankungen 35, 36,
Richmond 81 – Flechten 39
Silikatverwitterung 23 38
Rocky Mount 145 – Grasland 21
Soil Groups 22 – winterliche 35
Rocky Mountains 22, 24, 25, 26, – Grassland 73
Soil Series 22 Tennessee 24, 34, 42, 55, 77,
32, 41, 48, 69, 74, 146 – Halbwüste 37
Solfatar 28 112, 118, 120, 168, 208, 209,
Rohstoffe – Heidevegetation 23
Somerset 145 210, 229
– mineralische 47 – Laubmischwald 39
Sonneneinstrahlung 28, 38 Terrassen 30
Rohstoffressourcen 47 – Moose 39
Sonora-Wüste 28 – Küstenterrassen 34
Rohstoffvorkommen 48 – Nadelwaldvegetation 23
South Atlantic 204, 209, 210 Tertiär 26
Russland 80, 81, 84, 93, 102, – Prärie 8, 39, 40, 45, 73
South Carolina 123, 229 Texas 22, 23, 25, 34, 36, 39, 48,
109, 203
South Dakota 114 69, 80, 86, 109, 110, 114, – Regenwald 21, 24
South San Francisco 190 140, 210, 211 – Steppe 37
Sacramento 156 Southern Appalachia 208 Tiefdrucksysteme 35, 36, 37, 39, – Strauchlandschaft 21
Salinas 195 Spanien 14, 30, 48, 50, 61, 69, 41 – Taiga 38, 39
Salzbecken 31 109, 111 Tiefebene – Tundra 37, 38, 39
Sammler und Jäger 46 Spanier 47 – südliche 37 – ursprüngliche 21, 22
San Andres Fault 43 spättertiäre tektonische Tiefland 21, 22, 24, 25, 32 – Wald 21
San Antonio 48, 110 Heraushebung 28 – zentrales 25, 32, 34 – Waldland 73
San Diego 48, 211, 212 Spodsole 23 Tieflandebenen 22 – Wüste 20, 26, 28
San Francisco 21, 26, 37, 48, 84, St.-Lawrence-Seeweg 23, 37, 49, Tijuana/San Diego 21 Vegetationsdecke 39
92, 110, 140, 143, 144, 145, 50 Titusville-Cocoa Beach 210 Vegetationsdifferenzierungen 38
190, 191 St.-Lorenz-Tal 50 Tonanreicherungshorizont 23 Vegetationsformen 20, 38
San José 48, 145, 190, 195 St. Louis 34, 50, 122, 155 Tone 28 Vegetationszonen 21, 38
San-Andreas-Verwerfungssystem 28 St. Petersburg 93, 155 Topographie 24, 32, 35, 36, 37, Venezuela 183
Sandschichten 34 Stanford 190 63 Ventura 155
Sandsteine 28 Staten Island 34 Torfmoore 39 Verdunstung 31, 35
Santa Barbara 48 Steppe Tornado Tracks 42 Vereisung 33
Santa Clara County 190 – tropische und subtropische 39 Trenton 145 Vereisungsschübe 33
Santa Cruz-Watsonville 145 Stone Mountain 121, 122 Trocken- und Wüstengebiete 23 Verkarstung 30, 34
Santa Fé 48 Struktur, geologische 26 Trockengebiete 35
Stufenpyramiden 45 Vermont 229
Santa Rosa 145 Trockengrenze
subarktische Region 37 Versalzung 41
Saudi-Arabien 183, 187 – klimatische 35, 37
Subarktis 39 Verschiebungssystem 28
Saurer Regen 25 Troy 85
Subduktion 43 Verwerfung 26
Savannah 77 Tsunami 43
Südafrika 182 Verwitterung
Schelf Tundra 21
Süd-Dakota 32 – Insolationsverwitterung 41
– kontinentaler 34 – arktische 20
Süden 45, 63, 65, 102, 106, 113, – physikalische 41
– kratogener 26 Tundrenboden 23
118, 119, 120, 122, 131, 132, Verwitterungsschicht 22
Schichten 28 Türkei 45
135, 146, 192, 201 – aus mineralischen und
– paläozoische 31 organischen Substanzen 22
Südkalifornien 24, 25, 35, 46,
Schichtrippenlandschaft 34 141, 155 Übersauerung 23 Vielfalt (des Naturraums) 20, 21,
Schichtstufenlandschaft 32, 34 Südkorea 186, 192, 203 Udalf 23 23, 25, 26, 38
Schild Süd-Miami 157 Ukraine 206 Vietnam 186
– Laurentischer 23, 26, 28, 32 Südosten 35, 37, 45 Ultisol 23 Vincennes 73
Schneehasen 39 Südstaaten 65, 81, 82, 86, 117, Umwelt 25 Virginia 3, 48, 51, 52, 53, 55, 56,
Schotterfelder 33 118 Umweltfaktoren 72, 73, 81, 117, 121, 208,
Schottland 3, 50 Südvietnam 208 – anthropogene 22 209, 210, 229
Schuttdecken, periglaziale 33 Südwesten 21, 30, 35, 37, 46, – natürliche 22 vulkanische Aktivität 30
Schweiz 182, 223 63, 110 Umweltschädigung 25 vulkanischer Kegel 26
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254 Anhang

vulkanisches Material 30 Western Territories 76, 78 Wind Chill Factor 35 Xeralf 23


Vulkanismus 26, 28 Westeuropa 182, 201 Windsysteme 35, 36 Xerophyten 41
Westflorida 69 Wirbelstürme 42
Wales 50 West-Indiana 24 – außertropische 36, 41 Yellowstone Park 11
Wasatchgebirge 30 West-Kentucky 24 – Hurricane Frederick 42 Yosemite-National-Park 26
Washington, D.C. 11, 42, 77, 78, West-Pennsylvania 24 – Hurricanes 36, 37, 41, 42 Yuba City 195
79, 80, 90, 97, 112, 114, 118, West-Virginia 24 – Tornados 36, 41, 42 Yucca Mountain 116
119, 120, 122, 135, 141, 145, Westküste 35, 36, 145 – tropische 36, 37 Yukon-Becken 26, 28
151, 156, 162, 165, 167, 168, Wisconsin 23, 32, 76, 97, 101,
193, 195, 207, 210, 216, 217, Westküstenbedingungen
229, 235
235 – feucht-maritime 35 Zentral- und Südamerika 45
Witterungseinflüsse 35
Wasserreservoirs Westwinde 36 Zentral- und Südkalifornien 23
Wölfe 39
– natürliche 30 – polar-maritime pazifische 37 Zentralasien 45
Wolfram 24
Wasserversorgung 30 Wetter 35, 36 zentrales Tiefland 45
Wüste
West Palm Beach-Boca Raton 145 – wechselhaftes 36 Zeugenberge 30
– Gila 26, 41
West South Central 204 Wetterbedingungen 36, 37 Zink 24, 31
– Mojave 41
West- und Ostflorida 69 – extreme 37 Zinn 24
– Sonora 41
West Virginia 208, 209 Wetterschwankungen 37 Zion Canyon 28
Wüste
Westafrika 58 Wetterstationen 37 – tropische und subtropische 39 Zion-National-Park 28
Westen 21, 22, 26, 30, 32, 34, Wetterverhältnisse 35 Wyoming 25, 26, 80, 81, 114,
35, 36, 37, 106, 113, 118, 135 Wind 36 210
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255

Sachregister
11. September 2001 12, 184, – als normative Idee 6, 14 – sozialistische 88 – der öffentlichen Wohlfahrt 96
187, 197, 211, 218 – duales 139, 145, 151 Arbeiterschutzgesetz 85 – soziale 96
– koloniales 117 Arbeitersiedlungen 90, 95 Aufgabenaufteilung 70
Abfälle, hochradioaktive 116 – Mainstream America 151 – gartenstadtähnliche 98 Aufklärung 3, 4, 6, 10, 17
Abgeordneter 214 – mythischer Raum 6 Arbeiterwohnviertel 90 Aufschwung 181, 185
Abholzung 22 – zweites 135 Arbeitsbedingungen 87, 88, 95 – des tertiären Sektors 209
Absatzmarkt 84 amerikanisches Credo 6, 14 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – industrieller 83
Absentee Speculators 70 amerikanisches Paradigma 47 161, 168, 173, 178 – volkswirtschaftlicher 88
Abwanderung 95, 143, 146 Amerikanisierung 3, 12, 14, 15 Arbeitsethik 85 – wirtschaftlicher 56, 86
Acht Hauptkompetenzen des Amerikanismus 1, 11, 12, 14, 121 Arbeitskräfte 58, 78
Bundes 215 Aufstieg
Amtsenthebungsverfahren 218 – billigere 59 – gesellschaftlicher 57
Acht-Stunden-Arbeitstag 88 Anbau – unbezahlte 58
Ackerbau 45, 46, 48 – sozialer 66, 88, 198
– Baumwolle 48 Arbeitslosenquote 191, 195, 197 – wirtschaftlicher 66
Adams, John 15 – Mais 48 Arbeitslosenunterstützung 208
Adams, Samuel 59 Aufteilung, funktionale 95
Angebotsproblem 96 Arbeitslosenversicherung 221, Ausbeutung 48, 49, 51, 58, 60
Addams, Jane 90, 91 Anpassung, soziale 141 222, 223, 224
AFDC – TANF 227 Auseinandersetzungen
Anpassungspflicht 14 Arbeitslosigkeit 104, 110, 114,
Affordable Housing 96, 177 – kriegerische 48
Ansätze 138, 146, 148, 184, 195, 201
Afrikaner, Schwarzafrikaner 117 Auserwähltheit 1, 3, 5, 10, 51, 54,
– politisch-kulturelle 62 Arbeitsmarkt 150, 193, 195, 198
55
Agrarexporte 203 – regionalplanerische 98 – metropolitaner 195
Ausgrenzung 162, 180
Agrarnation 20, 86 – Sozialreform-orientierte 92 Arbeitsmarktsituation 84
Außenhandel 62
Agrarprodukte 181, 203, 205, Ansiedlung gentechnologischer Arbeitsplatzabbau 181, 193, 197
206, 207 Außenminister 214
Firmen 190 Arbeitsplatzangebot 98
Agrarproduktion 202, 204 Außenpolitik 195, 202
Anthrazitkohle 25 Arbeitsplätze 66
Agrarproduzent 86 Auswanderer 53, 57
Antichristen 52 Arbeitsplatzzentren, industrielle 91
Agrarreform 53 – englische 56
Anti-Etatismus 62 Arbeitsteilung 92
Agrarsektor 181, 202, 203, 205, Autarkie 57, 58
Antisemitismus 104, 106, 109 Arbeitsverträge 88
206, 208 Automobil-Orientierung 201
Anti-Urbanismus 66 archäologische Artefakte 45
– mexikanischer 210 Autonomie 62
Appalachia Regional Commission Architekten 93, 96, 97
Agrarwirtschaft 47, 58 Autonomiespielraum 236
208 – Landschaftsarchitekten 95
Agrobusiness 110, 181, 204, 206 Äquator 21 Architektur 49, 66 Baby-Boom-Kohorten 225
ahistorische Situation 6 Ära der bewussten – puebloähnliche 45 Bachelor-Abschluss 230, 232
Akkulturierung 141 Suburbanisierungspolitik 98 Architekturgeschichte 45 Basic Needs 151
Aktiengesellschaft 54 – der Frontier 79 Areal 70 Bauern 54, 56
Aktienmarkt 84, 87 – der Kanalschifffahrt 84
– Stadtareal 77 Baukunst 45
Alger, Horatio 8 – der unbegrenzten Landverkäufe
Aridität 35, 41 Baulandspekulation 69
Alkoholverkaufsverbot 54 79
– aride Gebiete 37 Baumwolle 51, 56, 58
Alltagsverhältnisse 67 – des Verfallsprozesses 96
Aridosol 23 Bauten
Alte Welt 2, 3, 57 – Johnson-Ära 19
Aristokratie 54, 59 – Anasazi- 45
Alterssicherung 220, 223 – koloniale 6
Armut 2, 11, 12, 14, 110, 111, – Felsen- 45
Altersversorgung – McCarthy-Ära 15
114, 119, 121, 123, 124, 125,
– betriebliche 220, 221 – post-koloniale 6 – Pyramiden- 45
128, 129, 130, 131, 132, 135,
– in westeuropäischen Ländern Arbeiter 58, 89, 90, 95, 98, 102, 137, 138, 139, 141, 143, 145, – Sinagua- 45
223 103, 106, 109, 110, 123 146, 148, 149, 150, 158, 198, Bauwerke
Altersvorsorge 87 – Billiglohnarbeiter 110 208 – klassische 95
Altes Europa 3 – Fabrikarbeiter 87, 88, 103 Armuts- und Verfallsproblematik – neoklassische 95
American City Planning Institute – freie 58 178 Bebauung 91
98 – Fremdarbeiter 109 Armutsbiographien 135, 137, 138 Bebauungspläne 97
American Civic Association 98 – Fronarbeiter 117 Armutsentwicklung 126 Bedingungen 73, 79, 89, 95
American Creed 10, 14 – Hilfsarbeiter 102 Armutsgrenze 128, 129, 130, – Arbeitsbedingungen 59, 97
American Dream 67, 70, 185 – Immigrantenarbeiter 110 131, 132, 135, 137, 139, 143, – gesetzliche 88
– Industriearbeiter 88, 89, 92, 145, 146, 149, 151, 158, 159 – günstige 88
American Federation of Labor 88,
207 94, 118 – 125 % der Armutsgrenze 131 – Lebensbedingungen 59, 87, 88,
American Institute of Architects 98 – Landarbeiter 53, 101, 103, 110 Armutskreislauf, familiärer 136 92, 94
American Party 105 – Lohnarbeiter 82, 84, 86 Armutsproblematik 221 – soziale 90, 95
American Society of Civil Engineers – Saisonarbeiter 110 Armutsstatistik 137, 141 – Wohnbedingungen 90, 92, 95,
98 – schwarze 67 Armutsviertel 80 96, 97
American Telephone and Telegraph – Sklavenarbeiter 86 Army Corps of Engineers 63, 64 Begegnungszentrum 90
Company 85 – Vertragsarbeiter 110 Assimilation 141 Bekleidung 45
American Way of Life 14, 19 – Wanderarbeiter 110 Astor, John J. 74 Bemessungsgrenze 137, 138
Amerika 7, 14, 199, 207 – Zwangsarbeiter 48, 67 Astor, William B. 73 Bergbaugebiete 146
– als „Weltpolizist“ 5 Arbeiterbewegung 121 Atlantiküberquerung 57 Beschäftigung 58, 59
– als Erweiterung der Genesis 4 Arbeiterparteien Aufgaben Beschränkungen
– als kollektive Metapher 6 – sozialdemokratische 88 – der Kommunen 216 – Handelsbeschränkungen 59
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256 Anhang

– Produkionsbeschränkungen 59 Bill of Rights 15, 17 Bush-Doktrin 183, 218 Curricula 230, 231, 233
Besetzung 50 Billiglohn-Bundesstaaten 201 Business College 232 Cyberspace 191
Besiedlung 11, 12, 19, 24, 26, 44, Binnenhandel 59, 86 Business Philanthropists 96
47, 48, 49, 50, 51, 52, 58, 60, Binnenmarkt 61, 62 Da Verrazano, Giovanni 47
63, 69, 70, 73, 74, 78, 79, 81 Cabot, John 47, 49
Binnenwanderung 119 Dachverband der Gewerkschaften
– Amerikas 4 Calvin, Johann 54
Biotechnologie 190, 192 207
– angloamerikanische 7 Calvinismus 12
Birbeck, Morrison 73 Dampfschifffahrt 102
– der Wildnis 11 Calvinisten 54
Bisonjagd 45 Davis, Jefferson 81
– des Kontinents 10 Carnegie Steel Company 89
– jährliche 45 Dawes Act 78
– des Landes 75 Carnegie, Andrew 87
Bison-Kulturen 45 Deindustrialisierung 180, 181,
– englische 54 Carter, Jimmy 66 198
Black Churches 123
– französische 50 Cartier, Jacques 47, 49, 50 Deinstitutionalisierung 159
Black Counties 209
– gezielte 80 Central City 91 Delegiertenkonferenz 217
Black Migration 96
– kontinentale 10 Central Park 92 Delta Regional Authority 209
Black Suburbanization 119
– spanische 48 Chancengleichheit 81 Demokratie 2, 6, 7, 15, 57, 65,
Boarding Houses 90
– westwärts gerichtete 34 Chapter Eleven – Insolvenzen 197 75, 214
– Bodenpreise 73, 74, 91
Besitzansprüche, englische 63 Charaktertypus, amerikanischer 11 – als originär amerikanisches
– Bodenspekulation 75, 79
Besitzrechte, indianische 73 Checks and Balances 17, 218 Produkt 11
Border Industrialization Program
Besteuerung 57, 59 211 Cherokesen 11, 12 – amerikanische 11
Bestimmung, nationale 80, 81 Boston Aristocracy 55, 59 Chicagoer Schule 91 – amerikanisches
Beton-Forts 164 Boston Manufacturing Company 85 Chinatown 143, 145 Demokratieverständnis 19
Bevölkerung 25, 45, 47, 48, 55, Boston Tea Party 57, 59 Chinese Exclusion Act 105, 108 – Demokratieform 17
60, 64, 66, 69, 78, 80, 82, 84, Bostoner Kapital 78 Christentum 52 – Demokratiestruktur 10
86, 91, 93, 185, 186, 191, christlicher Glaube 57 – freie 5
Bracero-Programm 110
192, 195, 198, 201, 208 City and Suburban Homes Company – freiheitliche 60
Broad Acre City 66, 98
– amerikanische 11 92 – heutige 2
Bruttoinlandsprodukt 181, 182,
– der britischen Kolonien 3 City Beautiful 94 – Jefferson’sches
185, 193, 194, 195, 197, 199,
– indianische 45, 48, 114 211 City Functional 94, 95 Demokratieverständnis 18
– indigene 52, 57 Budgethoheit 218 – City Functional-Bewegung 95 – neue 15
– Kernstadtbevölkerung 162 Bulk Commodities 206 City Scientific 94 Demokratisierung 186
– Latino-Bevölkerung (Hispanics) Bundesaufgaben 215 City upon a Hill 3, 5, 7, 54 Demonstration 59
109 Civic Center Approaches 95 Demonstration Cities 167
Bundesaufsichtsbehörde 88
– schwarze 81 Civil Religion 219 Denunziantentum 15
Bundesfinanzausgleich 170
– Urbevölkerung 81 Civil Rights Acts 119 Department of Homeland Security
Bundesgerichtshof 220
– White Anglo-Saxon Protestant 55 Clark, William 64 187, 195
Bundesgesetzgebung 97
Bevölkerungsbestand 45 Clark-Lewis-Expedition 186 Department of Housing and Urban
Bundeshypothekenversicherung
Bevölkerungsbewegungen 95 162, 166 Clinton, Bill 227 Development – HUD 229
Bevölkerungsdichte, niedrige 97 Bundespolitik 74, 95, 160, 161, Clinton, Hillary 59 Deregulierung 173, 180, 198
Bevölkerungsentwicklung 86, 99, 162, 163, 171, 185, 202, 206 College 232, 233, 235 Desert Land Act 78, 79
100 Bundesregierung 17, 18, 62, 63, College of Medicine 232 Design 96
Bevölkerungsgröße 62 64, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 76, College of Social Sciences 232 – architektonisches 96
Bevölkerungsgruppen 91 78, 79, 80, 81, 82, 84, 93, 94, Colorado River Storage-Projekt 30 – bei Abbruch 96
– anglokonforme 109 95, 97, 98, 185, 186, 187,
Common Interest Developments – bei Neubau 96
Bevölkerungsrückgang 47 190, 192, 193, 197, 199, 205,
206, 207, 208, 209, 210 (CIDs) 153 – bei Renovation 96
Bevölkerungssegment 14 Community 54 Development Corporations 171
Bundesstaaten 17, 55, 62, 63, 66,
Bevölkerungsverlagerung 91 Community College 232 – Economic Development
72, 73, 76, 78, 79, 81, 85, 87,
Bevölkerungswachstum 69, 84, 86, 88, 97 Community Development Block Corporations 171
91, 96, 100 Grant 170
– Neugründung von Bundesstaaten Developments, privatwirtschaftliche
Bevölkerungszahl 66 63 Compacts 201 19
Bevölkerungszentren 97 Bundesverfassungsgericht 88 Comprehensive Housing Dezentralisierung 96, 97, 161
Bevölkerungszuwachs 70 Bundeswohnungs- und Affordability Strategy 177 – Arbeitsplatzdezentralisierung 97
Bewaffnung 60 Städtebaugesetze 164 Contract Labor 103 – Bevölkerungsdezentralisierung
Bewässerung, künstliche 41 bürgerliche Religionskultur 219 Contract Labor Law 106, 108, 110 97
Bewässerungsmöglichkeiten 34 Bürgerrechte 62, 117, 118 Contractual Governance 153 – industrieller Produktion 85
Bewässerungsprogramme 79 Bürgerrechtsbewegung 14, 66, Convenience Stores 131, 145 – von Geschäften 97
Bewässerungssystem 46 107, 118, 119, 122, 223, 232 Cooley-Loan Agreement 207 Dienstleistungen 85, 190, 192,
Bewässerungswirtschaft 78 Bürgerrechtsgesetz 216 Corporate Capitalism 87 193, 195, 196
Bewirtschaftung 50, 53, 56 Burgess, Ernest W. 91 Corporate Center 173 – ergänzende 196
Bibliotheken Burnham, Daniel 89, 93 Corporate City 89, 92, 180 – unternehmensbezogene 181,
– öffentliche 93 Burnham-Plan 93, 97 Corporate Farming 202, 206 187
Big Business 88 Bush 66 Corporate Farms 202, 205, 206 Dienstleistungsgesellschaft 195
Bildungsgefälle 138 – Junior 66 Corporate Social Responsibility 19 – postindustrielle 182
Bildungsprofil 137, 138, 141, – Senior 66 Crèvecœur, Hector St. John de 13, Dienstleistungssektor 91
146, 148 Bush, Barbara 59 67 Dienstleistungswachstum 198
Bildungssystem 230, 231 Bush, George W. 218, 219, 231, Cross-Cultural Learning 14 Dienstleistungswirtschaft 92
Bildungswesen 233 233 Culture of Privatism 18 Differenzierung, soziale 58
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Sachregister 257

Dinks (Double Income No Kids) – politische 81 Electronic Benefits Transfer 229 Equal Opportunities 230
179 – sanitäre 90 Elektorat 216 Erbaristokratie 57
Direktinvestition 211 – soziale 74 Elementary School 230 Erdölbranche 66
Diskriminierung 55 Einwanderung 2, 6, 10, 11, 13, Elend 96 Erdölindustrie 199
Disparitäten 55, 59 14, 15, 55, 69, 70, 74, 78, 86, Elendsviertel 139, 148 Erdölreserven 183
– räumliche 19 90, 91, 95, 96, 100, 102, 103, Elisabeth I. 52 Erfassung, funktional-strukturelle
– soziale 18 105, 106, 107, 108, 109, 111,
Emancipation Proclamation 15 38
112, 121
– sozialräumliche 19, 162, 180 Embargo-Gesetz 82 Erholungsgebiete 92, 95
– alte 100
– sozioökonomische 19 Emigration 10 Erikson, Leif 45
– Amish 56, 102
Disparitätenentwicklung 67 Energiekonsum, -verbrauch 183 Ernährung
– anglokonforme 106
Displaced Persons Act 105 Englische Revolution 56 – Mangelernährung 136
– Asien 102, 108
Distrikt Enlarged Homestead Act 79 – Unterernährung 136
– chinesische 105
– Verwaltungs- und Steuerdistrikte Entdecker 47, 48 Ernährungsprogramme 226
153 – deutsche 4, 74, 100, 101, 102,
105 Entdeckungsreisen 47 Erneuerungsplanung 97
Dot Coms 191 – der Kommunen 18
– Durchgangslager Ellis Island 108 Enteignung 163
Downtown 160, 164, 170, 171, Ernteschäden 35
– Einwanderungsphase, dritte 103 Enterprise-Zonen 173, 201
174, 175, 179, 180
– Einwanderungsphase, erste 103 – Housing Enterprise Zones 173, Eroberung 47, 48
Drainage Systems 33
– europäische 2 175 Eroberungskolonien 51
Dreieckshandel 58
– Hugenotten 100 Entfaltung, wirtschaftliche 57 Erosion innerstädtischer
Dritte Welt 14 Wirtschaftsstruktur 98
– Hutterer 102 Entfaltungsmöglichkeiten
Drittweltstruktur 198 Erschließung 18, 19, 44, 46, 47,
– illegale 100, 108 – kulturelle 58
Drop-out Rate 149 53, 62, 63, 64, 69, 70, 78, 79
– illegale hispanische 109 – soziale 58
Druckbedingungen 23 – der Ressourcen 86
– Immigrationswellen 100 – wirtschaftliche 58
duale Stadt 196 – der Territorien 73
– Iren 101, 102, 105 Entlastungsstädte 97
duale Struktur 181, 202, 204, – des Landes 74, 75, 80, 82
– japanische 108 Entlastungszentren, dezentrale 97
205
– Johnson-Reed-Gesetz zur Entmischung, funktionale 94 – des Westens 77
Dumbbell-Wohnungsbau 92
Einwanderung 106 Entwässerungssysteme 33 – durch private Hand 91
East India Company 59 – Kleinasien 102 Entwicklung 7, 69, 78, 79, 86, – flächendeckende 79
Ebene – Masseneinwanderung 84, 85 183, 185, 187, 190, 191, 192, – infrastrukturelle 18, 77, 193
– föderative 62 – Mennoniten 102 195, 196, 197, 199, 201, 206 – territoriale 63
– institutionelle 62 – mexikanische 110 – der Aktienmärkte 87 – wirtschaftliche 63
– politische 62 – neue 102, 103 – der Kolonien 51 Erschließungsaufgaben 63, 80
– soziale 62 – niederländische 92, 100 – der Segregation 91 Erschließungsgeschichte 44
EBT – Access Card 229 – Nord- und Westeuropa 100 – der Vereinigten Staaten 11 Erschließungsmöglichkeiten 64
Edelmetalle 47, 48 – nordeuropäische 13 – des ländlichen Raumes 208 Erschließungspolitik 20, 78, 80
Edge Cities 174 – puritanische 2 – des Produktionsvolumens 211 Erschließungsprojekte 63
Edge City-Phänomen 92 – schwedische 100 – des tertiären und quartären Erschließungsstrategie, merkantile
Edison, Thomas 85, 87 – Steuerung der Einwanderung 108 Sektors 187 51
Edwards, Jonathan 51 – Süd- und Osteuropa 102 – Entwicklungsziel 78 Erschließungsziel 78
Eigeninitiative 57, 72 – Südosteuropa 102 – funktionale 94 Erster Weltkrieg 98
Eigentum – Umschichtung der – industrielle 84, 86, 87 Erweiterung 60
– individuelles privates 65 Einwanderungsströme 102 – kulturelle 193 Ethik
Eigentumsbildung 161 – unregulierte 100 – politische 6 – calvinistische 55
Eigenverantwortlichkeit 4, 7 Einwanderungsbeschränkungen – sektoriale 91 – protestantische 124
105, 108, 109 – soziale 6, 18, 91 – protestantisch-kapitalistische
Eigenversorgung 87
Einwanderungsbestimmungen – städtische 91 220
Einflussnahme
– strenge 104 – urban-industrielle 83 – puritanisch-calvinistische 66
– französische 49
Einwanderungsbewegung 100 – von Armutsvierteln 80 Europäische Union 10
Einfuhrzölle 76, 82
Einwanderungsbewilligung 106, – von Wirtschaftsbranchen 98 Exekutive 214, 215, 218
– protektionistische 88
107 – wirtschaftliche 6, 69, 73, 83, Existenzminimum 110
Einkommen pro Kopf 127, 145
Einwanderungsgesetze 102, 105, 84, 85, 87, 91, 185, 193 Existenzsicherung 70
Einkommensdisparitäten 125, 145 106, 107, 108
Einkommensentwicklung 126, 145 Entwicklungsgefälle, regionale 18 Expansion 48, 50, 69
Einwanderungspolitik 106, 107,
– regionale 127 Entwicklungsgeschichte 47 – kontinentale 69
109
Einkommensgrenze 137 Entwicklungsgesellschaften 76 – militärische 55
Einwanderungsstatistik 69
Einkommenssegment, unteres 131 Entwicklungsgradient 179 – territoriale 68, 69
Einwanderungssteuer 108
Einkommenssicherung 221, 226, Entwicklungshilfe 206, 207 – wirtschaftliche 87
Einwanderungsverbote 103, 108
229 Entwicklungshilfepolitik 181 Expansionspolitik
Einzigartigkeit Amerikas 6, 7, 11
– ergänzende 229 Entwicklungskorridore 97 – merkantile Vertragspolitik 112
Eisenbahnbau 77, 78, 84
Einkommensverteilung 127, 128, Eisenbahngesellschaften 75, 76, Entwicklungsland 207 – territoriale 80
131, 132, 139 77, 78, 87, 88, 193 Entwicklungsplan, funktionaler 95 Expeditionen 47, 49, 64
Einrichtungen Eisenbahnnetz 84, 86, 87 Entwicklungspolitik 78 – Auftragsexpeditionen 47
– Bildungseinrichtungen 76, 95 Eisenbahnstrecke, Entwicklungsrückstand 34, 50 – Clark-Lewis-Expeditionen 11,
– Freizeiteinrichtungen 95 transkontinentale 26 Entwicklungszentren 210 64, 68, 69, 112
– institutionelle 81 Eisenerzeugung 58 Environmental Racism 116 – Erkundungsexpeditionen 52
– öffentliche 93 Eisenproduktion 58, 88 Epidemien 90 – spanische 48
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 258

258 Anhang

Export 58, 182, 186, 199, 203, Flächenkonsolidierung 165, 166 – der Städte 89 – Dienstleistungsgesellschaft 139,
212 Flächennutzung 97 – klassisch-urbane 89 146, 150
– kolonialer 58 Flächennutzungsbestimmungen 97 – städtische 94, 97 – Gesellschaftsschichten 92
Exportabhängigkeit 203 Flächennutzungsplanung 94 – überregionale Versorgungs- und – Gesellschaftsstruktur 10
Exportbeschränkungen 57 Flachwasserkalke 28 Nischenfunktion 56 – hierarchische 57
Exporterfolg 86 Fließbandproduktion 85 – zentrale 92 – Highway-Gesellschaft 199, 201,
Exporteure 53, 58 Floating Claim 74 Funktionalität 94 202
Exportlandwirtschaft 58 Fürsorgeprogramme 226 – indigene 51
Floats 74
Exportmarkt – individualistische 6
Flüchtlinge 104, 105, 107
– asiatischer 203 Gadsen-Kauf 26, 48, 81 – industrialisierende 11
– jüdische 104
– neuer 181 Garreau, Joel 92 – Industriegesellschaft 11, 84, 92
– religiöse 53
Exportorientierung 53 Garten Eden 2, 6, 47, 66 – klassenlose 57
Flüchtlingsgesetz 107
Exportproduktion 82 Gartenstadt 97, 98 – kolonial-amerikanische 58
Flurbereinigung, städtische 165
Exportstatistiken 182 Gated Communities 12, 53, 98, – koloniale 5
Föderalismus 17
Exportwert 58 119, 145, 152, 153, 154, 155, – Mainstream der Gesellschaft 56
Food Aid 181, 207
Expressionisten 156, 157, 179 – Männergesellschaft 67
Food for Peace 207
– europäische 45 Lifestyle Communities 155 – monokulturelle 51
Food for War 208
Exzeptionalismus Amerikas 1, 3, Security Zone Communities 155 – multiethnische 14, 52
Food Insecure Households 136
10, 11, 14 Gated Community-Phänomen 95 – multikulturelle 9, 14, 124
Food Stamps 226, 229, 230
Gedanken – Parallelgesellschaft 125
Fachstudium 230 Ford, Henry 85, 87, 88
– freiheitliche 6 – pluralistische 6
Fair Housing Act 119 Foreign Act 106
– puritanisch-kapitalistische 12 – polarisierte 202
Fake Settlers 74 Forschung 78, 86, 234
– regionalplanerische 97 – reformierte protestantische 57
Faktoren – biomedizinische 190 – urbane 154
– gentechnologische 190 Gefälle, sozioökonomisches 91
– Pull-Faktoren 56, 102 Gefüge – weiße 67
– Push-Faktoren 56, 100, 102 Forschungsreisende 69 – White Anglo-Saxon Protestant-
Forschungszentren 210 – ethnisch-kulturelles 91
Familie 57, 58, 66 Gesellschaft 50, 52, 53, 55
Fortbildungsmöglichkeiten 91 – soziales 91
– Familie als Lebensmittelpunkt – Zweiklassengesellschaft 152
Franklin, Benjamin 4, 12, 13, 15, – wirtschaftliches 91
57 Gesellschaften
67 Gegensatz
– Kleinfamilie 57 – Aktiengesellschaft 87
Frauen 45, 67 – physisch-geographischer 20, 21
Familienprogramme 227 – Erschließungsgesellschaften 57
Free Riders 97 – topographischer 21
Familienreichtum 59 – Handelsgesellschaften 57, 86
Freihandelszone, nordamerikanische Geisteshaltung 2, 6, 7, 14, 15
Familienstrukturen 90 – Kaufmannsgesellschaften 51
210 – amerikanische 3, 12
Familienzusammenführung 106, – Terraingesellschaften 51, 57,
107 Freiheit 2, 6, 11 – individualistische 6 58, 63, 64
Family Security Act 227 – des Einzelnen 57 – religiös geprägte 7 Gesellschaftsbild, puritanisches 96
Family Values 57, 59 – Freiheitsrechte 15 Geistesströmung 5, 6 Gesellschaftsform,
Farmbevölkerung 65 – Gewissensfreiheit 67 Geldadel der Ostküste 59 freiheitliche/neue 6
Farmkreditversicherung 206 – individuelle 6, 62, 66 Gelobtes Land 3, 6, 10 Gesellschaftsmodell, puritanisch-
Farmland 71 – persönliche 17, 66 Gemeinde, puritanisch- calvinistisches 54
– Pressefreiheit 17 protestantische 51 Gesellschaftsmuster 1
Farmsiedlung, englische 73
– Redefreiheit 17 Gemeinschaft, puritanisch-religiöse Gesellschaftsnorm,
Federal Bulldozer 164, 166
– Reich der Freiheit 81 56 vorherrschende 3
Federal Employment 210
– Religionsfreiheit 17, 67 Gemeinschaften Gesellschaftsordnung 45, 62
Federal Land Reserve 69
– religiöse 62 – religiöse 69 Gesellschaftsstrukturen 55
Federalist Papers 217
General Allotment Act 113 Gesetz
Federalists 65 – Versammlungsfreiheit 17, 67
General Revision Act 79 – der Bundesregierung 17
– Anti-Federalists 65 – von Sünde und Irrtum 3
Gentrification 167, 179 – Einquartierungsgesetz 59
Female Headed Households 135, – wirtschaftliche 57
– steuerbegünstigte Gentrifizierung – Grundgesetz 19
149 Freizeitmöglichkeiten 90
167 – Landvergabegesetze 11
Feudalsystem, europäisches 74 Fremdenfeindlichkeit 106
Georeferenzierung 63 – Steuergesetze 59
Finanz- und Währungssystem 62 Frieden
Gerechtigkeit 8, 13 – Teegesetz 59
Finanzausgleich 95, 170 – sozialer 66
Gesamtquote 107, 108 – verfassungsändernde Gesetze
– kommunaler 97 Frieden von Utrecht 50 15, 17
Geschäftsbezirke 91, 92
Finanzierung Friedensnobelpreis 91 – Währungsgesetz 59
Geschäftszentrum 91
– Anschub- und Hebelfinanzierung Friedensvertrag von Paris 60 – Zuckergesetz 59
(leverage) 172 Gesellschaft 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8,
From Rags to Riches 8, 66, 74, 88 – zum Verkaufsrecht 74
10, 11, 13, 14, 44, 54, 56, 57,
Finanzkraft 78 Frontier 1, 7, 8, 10, 11, 12, 54, 58, 59, 60, 61, 65, 66, 83, 92, Gesetze 2
Finanzzentren 89 57, 70 96 Gesetzesrahmen 92, 96
FIRE-Branchen 195 – Frontierdenken 12 – ahistorische 2 Gesetzgebung 52, 57, 62, 63, 75,
First-Class American City 173 – Frontierleben 7 amerikanische 11, 14, 15, 57, 97
Fisch 46, 58 – Frontierverschiebung 11 126, 140, 141, 144, 145, 149, – kommunale 92
Fisch- und Wildreichtum 46 – kriminelle 8 152, 155, 201 – Stempelsteuergesetzgebung 59
Fischfang 45, 49, 50 – Turners Frontierthese 1, 11 – angloamerikanische 3 – Townshend-Gesetzgebung 59
Fischgründe 49 Frontier Rate 74 – ausdifferenzierende 15 Gesetzgebungsprozess 218
Fischhandel 49 Führungspersonen 59 – bürgerliche 2 Gesundheitsversicherung,
– Trocken- und Salzfisch 49 Funktion 92 – demokratische 12 private 136
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Sachregister 259

Gesundheitsvorsorge, staatliche Großunternehmen 70, 88 Haupteinnahmequelle idealtypische Amerikaner 65


(Medicaid) 136 Großunternehmer des Bundes 76 Identität 1, 15, 50, 66
Gesundheitswesen 93 – landwirtschaftliche 58 Haupteinwanderungsgruppe 105 – amerikanische 5, 13, 14
Get up and Go-Mentalität 12 Group Health Insurance 225 Hauptverkehrsknotenpunkt 89 – herkunftsbedingte 14
Getreidehandel 59 Growth Pole 209 Haushalte – kulturelle 14, 51, 56
Gewaltenteilung 215 Grünanlagen 95 – Armutshaushalte 130, 135, 136 – nationale 6, 8, 10, 61
– demokratische 62 Grundbesitz 70, 73 – hispanische 109 – religiöse 51
– Exekutive 62 Gründerväter 11, 54, 64 – Nichtfamilienhaushalte 127 Identitätsbildung 10
– Judikative 62, 215 Grundlage, puritanisch- Headquarters 198 – nationale 64
Gewerbe 86, 92, 97 calvinistische 58 Health Maintenance Organizations Ideologie 65, 67
Gewerbefreiheit 58 Grundrechte 7, 17, 18, 54, 62, 225
– amerikanische 66
Gewerbegebiete 97 66, 88 Hegemonialstreben
– nationale 11
Gewerbezonen 91 – Grundrechtsgarantien 15, 17 – britisches 54, 56
– republikanische 65
Gewerkschaften 85, 88, 89 – Grundrechtsschutz 17 Heimstätten 79
Ideologisierung 1, 19
– Dachverband der Gewerkschaften Grundrissgestaltung, Heimstättengesetzgebung 75, 78,
Imageaufwertung 180
106 quadratische 91 79, 113, 185, 204
Immigranten 55, 198
Ghetto 19, 119, 120, 144, 162, Grundstück 70, 72, 73, 74, 75, Herkunftsgebiet, ausländisches
(Foreign Born) 140 Immigrantenviertel 92, 94
198 76
Herkunftsland 106 Immigration 71, 84, 85, 90, 91,
– Hyper-Ghetto 149, 151, 152 – Grundstücksmarkt 74
102, 109, 110
– Schwarzen-Ghetto 162 – Grundstückspreise 73 – Asien 141
Herkunftsländer 56 – englische 73
Ghettoisierung 95 – Grundstücksverkauf 76
Hierarchiegrenzen Immigration Act 106, 108
Gittersystem 78 – Grundstücksverkaufspolitik 75
– traditionelle 53 Immigration and Nationality
Gläubigerbanken 74 – Kupferkessel-Grundstücke 73 Act 107
Gleichberechtigungsdebatte 67 – Siedlungsgrundstück 74 High School 230, 231, 232
Immigration Control and Reform
Gleichheit 6, 7, 15, 66, 67 – städtische Gründstücke 71 High-School-Abschluss 135, 138,
Act 108
Gleichheitsgrundsatz 67 Gründung 11, 48, 53, 57, 58, 63, 141
Immigrationsströme 107
Gleichheitsideale 67 66, 71 Hinterland 53
Immobilienmakler 70, 91
Gleichstellung 2, 15 – der Vereinigten Staaten 5, 6, 69 Hispanics 105, 109, 110, 111,
119 Impeachment 218
– politische 2 – von Heimstätten 79 Import 55, 182, 186, 203, 210,
Historic Districts 167
– soziale 2 Gründungsgeschäft 211
Hochkulturen 45
Gliederung – Siedlungsgründungsgeschäft 51 – kanadischer 24
Hochtechnologie 24, 181, 184,
– ökozonale 38 – Transportgründungsgeschäft 51 – landwirtschaftlicher Produkte
187, 190, 192, 195
– topographische 22 Gründungsstaaten 64 203
Hochtechnologieboom 191
Global City 196 Gründungsurkunde 51 Importabhängigkeit 181, 207
Holding Company 87
Globalisierung 51 Gründungswelle, Importboykott 59
Holdings 87, 88
Goals 2000 231 von Kleinstädten 77 Importgüter 86
Hollywood 8
Goldrausch 191 Grundvermögenssteuer 233 Importstatistiken 182
Hollywoodfilme 46
göttlicher Heilsauftrag 5 Grundwerte 14 Importzoll 57
Holocaust, schwarzer 178
göttlicher Heilsplan 3 – religiös-ideologische 4 In State Tuition 234
Holz- und Steinschnitzerei 45, 46
Gould, Elgin 92 – republikanische 67 Inbesitznahme, territoriale 52
Homeless 157
Gouverneursverwaltungen 48 Grünflächen 92, 93 Indentured Servants 58, 103
– National Coalition for the
Graduate 232, 234 Gruppen Homeless (NCH) 157 – moderne 110
Grant Policy 76 – indianische 46 Homeowner Associations 153 India Emergency Food Act 207
Great Awakening 4 Homestead Act 65, 78 Indian Claims Commission 116
Great Society-Programm 128 Handel 49, 54, 58, 197, 199, Housing and Community Indian Removal Act 81, 112
Great Society-Sozialprogramme 19 207 Development Act of 1987 177 Indian Reorganization Act 113
Greenbelt Towns 97, 98 – Getreide- und Whiskeyhandel 66 Housing and Urban Development Indianer 45, 46, 47, 48, 52, 53,
Grenzbereich 37 – Immobilienhandel 70, 74 Reform Act of 1989 177 54, 56, 61, 63, 67, 112, 113,
Grenze, mexikanische 198, 210 – mexikanisch-amerikanischer 211 Housing Vouchers 226 114, 115, 116
Grenzen 73 – mit der Triade 182 How the Other Half Lives 89, 92 – Acoma 46
– amerikanische 58 – mit Industrieländern 182, 199, Hugenotten, französische 56 – Apache 46
– Klassengrenzen 88 210 Hull House 90, 91 – Blackfoot 46
– kontinentale 81 – Transatlantik-Handel 53 Humanismus 47 – Cherokee 45, 81
Grenzstreitigkeiten 64 Handelsbilanz 182, 183, 186 Humanität 47 – Cheyenne 46
Grenzziehung 48 – negative 182, 183 Hunger 131, 135, 136 – Creek 45
Große Depression 80 Handelsdefizit 182, 185, 186 – chronischer 137 – Crow 46
Großgrundbesitz 73, 74 Handelsmonopol 50 Hungersnöte 59 – Dakota 46
Großindustrie 49 Handelsvolumen der USA 182, – Delaware 45
Großkonzerne 87 211 Ideal – Hopi 46
Großlandschaften 20, 21, 23, 25 Handelszentren 74, 89 – agrarisch-ländliches 66 – Huronen 45
Großstadt 53, 58, 92, 95, 96, Handwerks- und Gewerbezweige 58 – amerikanisches 66 – Irokesen 11, 12, 45
194, 195 Hard Work 59 – der freien Menschen 66 – Mohikaner 45
– amerikanische 148 Harris 92 – des weiten Landes 66 – Natchez 45
Großstadtpolitik 165, 171, 172, Harrison, William Henry 73 – ländliches 66 – Navajo 25, 46, 115
173, 174, 176, 178, 179 Hart-Celler Act 107 – puritanisches 59 – Powhatan 45
– des Bundes 18 Hatch Act 78 – republikanisches 67 – Prärie-Indianer 45
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 260

260 Anhang

– Seminole 45 Industrieunternehmen 87 Investitionen 49, 62, 70, 74, 84, Kirchenzugehörigkeit 54


– sesshafte 47 Industrieviertel 97 86, 87 Klassengegensätze 67
– Shawnee 45 Industriezeitalter 195, 209 – ausländische 58, 87 Klassenhierarchie 54
– Sioux 46 Industriezentren 74, 86, 89, 97 – einheimische 58 klassenloses Amerika 55
– Zuni 46 Industriezonen 91, 97 – Großinvestitionen 73 Klassenstruktur, rigide 88
Indianerangelegenheiten 112, 116 Industriezweige 86, 88 – Kapitalinvestitionen 87 Kleinfarmer 70, 75, 76
Indianerkulturen Infektionskrankheiten 45, 47 – privatwirtschaftliche 19, 91 Kleininvestoren 70, 76, 87
– Heterogenität 47 Infrastruktur – Risikoinvestitionen 79 Knotenpunkte
Indianerland 55, 58 – Verkehrsinfrastruktur 179 Investitions- und – von Wirtschaft, Gesellschaft,
Indianernation(en) 81, 114, 115 Expansionsabsichten 59 Politik 59
Infrastrukturaufgaben 70
Indianerpolitik 117 Investoren 70, 74, 96 Kollektivbewusstsein 8
Infrastrukturentwicklung 83
Indianerproblem 112 – Großinvestoren 70, 74, 75, 76, – amerikanisches 6
Initiative 80
Indianerreservate 53, 78, 113, – private 92 – religiöses 3
114, 145, 186, 209 Inwertsetzung 44, 47, 51, 52, 55, kollektive Tarifverträge 85
– Sozialreform-orientierte 90 59, 61, 64
Indianerstämme 47, 64, 79, 81 koloniale Mächte 47
Innenstadt 91, 95, 96 – privatwirtschaftliche 63
– Zwangsumsiedlung 32 koloniale Tradition 44
Innenstadtbevölkerung 95, 96 – wirtschaftliche 51, 58
Indianerterritorium 57 Kolonialgebiete 49, 50
Innenstadterneuerung 97 Israel-Politik 217
Indianervölker 45, 50 Kolonialinteressen, französische 50
Innenstadtquartiere 96
Individual Development Accounts Kolonialmacht 48, 50, 58
228 Innenstadtverfall 95, 96 Jackson 74
– englische 80
Individualisierung 8, 57 Inner City 131, 145, 149, 154 Jackson, Andrew 81
Kolonialzeit 1, 6, 44, 47, 48, 49,
Individualismus 3, 4, 7, 8, 10, 11, Inner City Poverty Areas 131, 145, Jagd 46 55, 57, 86
14, 15, 18, 63 149, 151 Jäger und Sammler 45, 46 – englische 50
Individuum 57, 62 Innovationen 82, 85, 86 Jahrhundertplan 93
– französische 49
Industrial Nucleation 86 Institutionalisierung 1 Japanese and Korean Exclusion
Kolonien 2, 3, 4, 6, 48, 51, 52,
Industrial Satellite Cities 90 – Institutionalisierung eines League 106
54, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63
Industrialisierung 8, 24, 57, 65, Nationalstaates 61 Japantown 145
– amerikanische 59, 60
82, 84, 86, 88, 89, 90, 91, 92 – von Gemeinde 19 Jefferson, Thomas 3, 15, 58, 63,
– britische 4
– erste Phase 86 – von Gemeinwesen 2 64, 65, 66, 67, 73, 81
– Eigentümerkolonien 51
Industrie 67, 78, 81, 82, 83, 84, – von Nation 19 Jeffersonians 65
– englische 5, 56
85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, – von Staat 19 Jefferson’sches Ideal 75, 76, 79
– französische 49
95, 97, 181, 191, 193, 195, – von Volk 19 Johnson, Andrew 220
196, 197, 198, 199, 210, 211 – frühe 9
Institutionen 48, 54 Johnson-Ära 128
– Automobilindustrie 181, 183, – Kirchenmitgliedschaften 9
– administrative 62 Juden 56
190, 195, 199, 202 – Neuenglands 3
– politische 62 Jugendkriminalität 90
– Computerindustrie 187, 193 – privatwirtschaftlich gegrün-
Integration 80, 88, 141, 143, dete 56
– Elektronikindustrie 186, 211, K 12 230
145, 146, 148 – südliche 56, 58
212 Kabinett 214
Integrationsbedingungen 139 Kolonisationsversuche, fran-
– Erdölindustrie 219 Kaiser Napoleon 64
Integrationserfolg 141 zösische 50
– Gentechnologie-Industrie 190 Kampagnen, politische 59
Integrationsfähigkeit 141 Kolonisierung 47, 48, 50, 51, 53
– Hochtechnologieindustrie 191 Kapital 87
– Informationstechnologieindustrie Integrität, moralische 59 – britische 57
Interessen 76, 80 – ausländisches 87
187 – englische 50, 54, 56
– amerikanische 69 Kapitalanlage 70
– Maquiladora-Industrie 211, 212 – englisch-puritanische 1
– eines Unternehmens 212 – privatwirtschaftliche 96
– mexikanische 211 – französische 50
Kapitalismus 12, 13, 84, 88, 92
– Plantagenindustrie 117 – französische 49 Kolonisierungsprozess 50
– amerikanischer 19
– Rüstungsindustrie 110, 190 – kommerzielle 47 Kolumbus, Christoph 45, 47, 48
– Handelskapitalismus 86
– Schlüsselbranchen 199 – mexikanische 210 Kompetenzaufteilung 215
– Industriekapitalismus 68, 86,
Stahl- und Fahrzeugbauindustrie – nationale 80, 81, 186, 195, Kongress 60, 62, 63, 214, 215,
87, 89, 92, 186, 193
110 202, 206 216, 217, 218, 219, 227
– Raubtier- oder
– Textilindustrie 82, 85, 90 – politische 81 Dschungelkapitalismus 185 – mit zwei Kammern 62
– verarbeitende 199 – privatwirtschaftliche 57, 63, 80 – westlicher 12 Kongressbibliothek 218
Industrieagglomeration 86 – strategische 207 Kaufleute 70 Königliche Proklamation 58, 59
Industrieansiedlung 95 – wirtschaftliche 51, 52, 59, 80, Kennedy, John F. 59, 220 Konsolidierung
Industriearbeiter 198, 208 81, 182 – des Territoriums 69
– Familie 66
Industriearbeiterviertel 91, 94 Interessen des Besiedelns 47 – gesellschaftliche 69
Kernland
Industriekapitalismus 103 internationaler Interventionismus 5 – kontinentale 69
– wirtschaftliches 86, 210
Industrieländer 182 Internationalisierung 51 Kernstadt 91, 95, 97, 98, 145, – territoriale 61, 81
– westliche 185 Internierung 105 148, 149, 151, 162, 167, 168, Konstituierung
Industriemacht 86, 182 Interstate Commerce 171, 174, 180 – der Nation 69
Industrienation 15, 86 Commission 88 Kinderarbeit 92 Konsum
Industrieproduzenten 85 Intervention Kindersterblichkeit 90 – kreditfinanzierter 181, 185
Industrieregion 24 – regionalplanerische 210 King, Martin Luther 119, 122 Konsumverhalten 184, 185, 203
Industriestadt 87, 90, 91, 92 – staatliche 19 Kinkaid Act 79 Konterrevolution 61
– europäische 91 In-Town-Living 173 Kirchen 54, 57, 76, 78 Kontinentalarmee 60
Industriestandorte Inuit 46 Kirchengemeinde 54, 57 Kontinentalkongress 60
– mexikanische 211 Invasions-Sukzessionsprozess 96 – reformierte englische 47 – zweiter 60
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Sachregister 261

Kontinentalsperre 82 – Sonderkulturen 35, 48 Landverteilungsgesetz 113 Macht 93


Kontraktarbeiter – Sonderkulturlandschaft 73 Landwirtschaft 78, 82, 86, 181, – wirtschaftliche 53, 87
– Indentured Servants 54 – Weizenanbau 73 182, 202, 203, 204, 206, 207, Machtelite
Konvertierung 56 Kulturlandschaftsentwicklung 47 210 – kirchliche 47
Konzentrationsgebiete, ethnische Kulturregionen – amerikanische 203 – weltliche 47
139 – indianische 45 – Bewässerungslandwirtschaft 41 Machtmissbrauch 218
Koreatown 145 – vorkoloniale 45 – Farmsterben 203, 204, 205 Machtverteilung 17
Korruption 70, 88, 93 Kulturtradition Amerikas 18, 206 – kommerzielle 146 Madison, James 17, 69, 73
– politische 90 Kulturzentrum 90 – Landwirtschaftlicher Magna Charta 17
Kräfteverhältnis 66 Beratungsdienst 205
Künstler 93 Mail Order 85
Krankenversicherung 223, 224, – Landwirtschaftsgesetz 206
Mainstream America 56, 65, 122
225, 226 L’Enfant 93 – Megafarmen 204, 206
Mais 45
Krankheiten 90 Labor Flexibility 198 – ökologische 56
Makroökonomie 185
– Dysentherie 47 Laissez-faire-Geist 76 – Pachtfarmstruktur 79
Malerei, amerikanische 7
– Gelbfieber 47 Land Agents 70 – Strukturen 52
Mall
– Malaria 47 Land der unbegrenzten Möglich- Landwirtschaftsförderung 206
– Downtown Mall 175
– Masern 47 keiten 62 Leben im Grünen 12, 92
– Festival Mall 175
– Seuchen 45, 47 Land Grabbing 69, 72, 73 Lebens- und Bewirtschaftungs-
– Specialty Mall 175
Land Grabbing Frontier 73 weise 47
– Typhus 47 – Urban Mall 174, 175
Land Grant Universities 76, 234 Lebensbedingungen 56, 62
– Windpocken 47 Malling of America 174, 175
Land Grants 78, 234 Lebensbewältigung 151
Krieg 58, 62, 67 Manifest Destiny 1, 5, 6, 13, 81
Land of Plenty 185 Lebensformen 67
– amerikanisch-mexikanischer 81 Manifestationen
Land Sales Offices 75 Lebensgestaltung
– Annexionskriege 76 – kulturelle 45
Land, öffentliches 63 – freie 2, 4
– Bürgerkrieg 54, 56, 66, 67, 81 Manufacturing Belt 24, 86, 198,
Landabtretungen 61, 112, 116 – individuelle 66
– Eroberungskriege 76 199, 201
Landagenten 70 Lebensideal, agrarisch-
– europäische Kriege 64 Manufakturen 58
ländliches 66
– Freiheitskrieg 60 Landbesitz 47, 56, 57, 65, 70, Manufakturwaren 58
73, 74, 79, 146 Lebensmittelminimum 130
– Handelskrieg 59 March of Tears 112
– individueller 46 Lebensstandard, amerikani-
– Irak-Krieg 183, 185, 186, 219 scher 131 Mark Twain 87
– Kalter Krieg 207 – kollektiver 46 Markt
Lederverarbeitung 45
– Kriegssituation 60 Landeinheiten 70, 74 – amerikanischer 59
Legislative 214, 215, 218
– Sezessionskrieg 82, 117, 118 Länderkontingentierung 103, 105 – europäischer 56
Legitimation, politische 44
– Unabhängigkeitskrieg 15, 17, Landerwerb 70, 73, 74, 79 – internationaler 58
Leibeigenschaft 59
57, 59, 60, 63, 69, 73, 76, 80 Landesinnere 48 Marlboro Man 8
Leitbilder 3
Kriminalität 191 Landgesellschaften 70 Maskenkunst 45
– der Stadtentwicklung 94
Krisenmanagement 42 – privatwirtschaftliche 69 Massaker von Boston 59
– integrationsfördernde 10
Krisenökonomie 74 Landinteressen 80 Massenanfertigung 85
– normative 65
Kristallisationskerne 92 Landnutzung 63, 64 – industrielle 85
– säkularisierende 11
Ku Klux Klan 106, 120, 121, 122, Landpolitik 76, 80 Massenentlassungen 181, 184,
Leitkultur 58
123 Landreserve 47 185, 192, 195, 197, 198, 199
– amerikanische 145
Kultur 1, 2, 3, 10, 12, 45, 59, 67 Landschaftsgestalter 93 Massenindustrialisierung 82
Leitmotiv 19
– amerikanische 12 Landschaftsplaner 92 Massenproduktion 82, 85, 86
Lesekenntnisse des
– Immigrantenkulturen 14 Landschenkungen 75, 76, 77, 78 Englischen 106 Maßnahmen
– indianische 45, 46 Landschuldschein 76 Lewis, Meriwether 64 – regionalplanerische 208
– planungspolitische 63 Landsitz 66 Liberal Arts College 232 – zentralstaatliche 19
– politische 2, 18, 63 Landspekulation 63, 69, 70, 71, Light Commercial Vehicles 199 Master-Abschlüsse 230, 233
– religiös geprägte 1, 2, 19 72, 73, 74, 75, 76, 79, 87 Matching Fund 172
Lincoln, Abraham 14, 15, 81
– Subkulturen 14 Landvergabe 78, 79 Mayflower-Bündnis 2, 3, 54
Literaturforschung 7
– vorkoloniale indianische 46 – Konzept der staatlichen McArthur, Duncan 72
Locke, John 3
– WASP-Kultur 14 Landvergabe 65
Lohnarbeit 58 McCarran-Walter Act 107
– weiße 1 Landvergabepolitik 75, 77, 78
Lohnersatzleistungen 224 McCarthyismus 122
Kulturentwicklung 44 Landverkauf 64, 70, 71, 73, 74,
Lohnfindung McKim, Charles 93
76, 78, 79
Kulturenvielfalt 47 – flexible 150 McMillan-Plan 93
– spekulativer 75
Kulturformen 2 Lohnniveau 56 Mechanisierung 82, 83, 86
Landvermessung 63, 70, 72, 91
– architektonische 45 Lokalpolitik 209 – der Landwirtschaft 204
– American Rectangular Land
Kulturforschung 7 Survey System 64 lone riders 7 Medicaid s. Wohlfahrtsprogramme
Kulturhoheit 233 – Ausgangspunkt (starting point) Longworth, Nicholas 73 Medicare 223, 224, 225, 226
Kulturland 64 Louisiana-Kauf 64, 69 Megaprojekt 164
– Ackerland 71 – Basislinien (base lines) 64 Low Wage Employment Melting Pot 13, 14, 124
Kulturlandschaft 20, 49, 64 – Gittersystem 64 Sectors 149 Mennoniten 56
– Ackerland 73 – Koordinatenkreuz 64 Lowell, Francis Cabot 82, 85 Menschenrechte 6, 15, 66
– Baumwolle 81, 82, 86 – Landvermessungssystem 63 Lowell-System 85 Mentalität
– Maisanbau 73 – Mittelmeridiane (principal Low-Income Americans 177 – amerikanische 67
– Monokulturen 118 meridians) 64 Luxus-Altbausanierung 167 Merchant Capitalism 86
– Plantagenwirtschaft 86 – quadratische 63, 64 Lynchmorde 106, 119 Merkantilismus 47
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262 Anhang

messianischer Anspruch 5 Muttersprache 136 Nichtakkulturation 111 Panic of 1837 74


Metropolen 92 Mythen 1, 2, 5, 6, 10, 12, 13, 14, Niedriglohnverhältnisse 58 Paper Towns 12, 69, 71, 72, 75,
– der Ostküste 86 15, 46, 47, 48, 72, 81, 84 NIMBY-Syndrom 152 78, 186
– Handelsmetropolen 89 – der einsame Held 7, 8 Nixon, Richard M. 218 Papiergeld 74
– Industriemetropolen 90, 91 – Erfolgsmythos 12, 14 No taxation without representation Paradigma der Entwicklung
– Wirtschaftsmetropole 86 – frontier 12 59 – nicht-europäisches 2
Metropolitan Development Act 167 – Gründungsmythos 10, 12, 14, Nolen, John 95 Park-Bewegung 92
Metropolitanplan 93 15 Non-Profit Organisations 153 Parks 90, 92, 93, 95, 97
Metropolitanplanung 89, 93, 95, – individuelle Freiheit 84 Non-Union Labor 198 Parksystem 93
97 – Kaleidoskop 14 Norm Partei 214, 217, 219
Metropolitanraum 93, 193 – Mosaik 14 – kulturelle 57 Parzellen 70, 71, 72, 73, 76, 79
– amerikanischer 193, 194 – Mythenpflege 10 – puritanisch geprägte 4 Parzellierung 70
Metropolitanregion 140, 148, 181, – Regenbogen Amerika 14 Northwest Ordinance 63 Pauschalzuschussprogramm (CDBG-
194, 195, 197 – Salatschüssel 14 Nutzung 76, 94, 187, 192 Programm) 169
Mietshäuser 90 – Schmelztiegel 13, 14 – atomare 207 Pelzhandel 47, 49, 50
Mietskasernen 90 – vom Leben im Grünen 65 – forstliche 38, 76 Pelztierjäger 69
Migration 10, 56, 63 Mythenbildung 51, 57, 65 – industrielle 97 Perfektionierung des Menschen 66
Migration and Refugee Assistance Mythologisierung 7, 8, 81 – landwirtschaftliche 38, 64, 72 Persistent Poverty Counties 148
Act 108 Personal Responsibility and Work
– militärische 197
Militärausgaben 185, 208 Nachkriegszeit 185, 186 Opportunity Reconciliation Act
– nationale 197
Militarismus 5, 186 Nachtragshaushalt 219 137, 227
– Nutzungsstrukturen 79
Militärposten 48 NAFTA 181, 210, 211, 212 Philanthropic Housing 96
– soziale 76
Military Reserves 75 Naherholungsgebiete 92, 95 Philanthropie 96
– wirtschaftliche 51, 63
Military Warrants 76 Namensnennung 77 Pilgerväter (Pilgrim Fathers) 2, 5, 6,
Nutzungsinteressen, ökonomische
Minderheiten 14, 91 Nation 66 11, 55, 58
48
– asiatische 141 National Association for the Pioniere 7
Nutzungskonzepte 58
– ethnische 9, 95, 100 Advancement of Colored People Pioniergeist 12
Nutzungsplan, funktionaler 95
– kulturelle 9 (NAACP) 119 Places of Exclusion 154
Mindestlohn 150, 158, 159 National Church Arson Task Force OASDI – Old Age, Survivors and Plantagen 55, 58, 65, 117
Ministerium, Bundeswohnungs- und (NCTF) 123 Disability Insurance 221 Plantagenstaaten 58
Städtebauministerium 161 National Conventions 217 Obdachlosigkeit 154, 157, 158, Plantagenwirtschaft
Mischnutzungskomplexe 166 National Defense 185 159 – Baumwollplantagen-
Missionare 69 National Environmental Policy – chronische 157, 158 wirtschaft 82
Missionierung 11, 48 Act 167 Obdachlosigkeitsrate 158 Planung 93, 94, 96, 97
Mitspracherecht 62 National Labor Relations Act 208 Oberster Gerichtshof 17, 62, 72, – bundespolitische 235
Mittelstand National Municipal League 93 214, 215, 216, 219 – Initiativen 92, 93
– gehobener 58 National Urban Policy Report 172 Ödlandgesetz 78 – Konzepte 96
– städtischer 65 Nationalbewusstsein 81 öffentliche Hand 18, 96, 209 – Planungsallianzen 179
Mixed-Use Developments 175 Nationalcharakter 65 Office of Budget and Management – Planungsentwicklung 97
Model Cities-Gesetzgebung 167 Nationalgefühl, amerikanisches 67 218 – Planungspolitik 19
Modell, republikanisches 67 Nationalitätenquote 107 Office of Hispanic Affairs 111 – Planungstraditionen 20
Modellwohnungen 92 Nationalökonomie 186 Office of Legislative Counsel 218 Pledge of Allegiance 15
Möglichkeiten Natives 105 Off-shore-Gebiete 49 Pluralismus 6, 8, 14, 15, 236
– wirtschaftliche 53 Nativism 106 Ohio Company 71 – amerikanischer 9
Monarchie Nativists 102, 105, 106 Okklusion 36 – kultureller 8, 9, 14, 56
– anglikanische 56 Neighborhood Planning Units 168 Ökonomie – Lebensstilpluralismus 56
– Stuart-Monarchie 56 Neue Welt 2, 3, 6, 47, 57 – globale 57 Polarisierung 170, 176, 178
Monopole 87, 92 neuer Persönlichkeitstypus 7 – neoklassische 6, 10 – soziale 138
Monopolgesellschaft 59 Neues Jerusalem 1, 2, 3, 5 Olmstead Jr., Frederick Law 93, 95 Political Risk Insurance 207
Monopolisierung 88 Neusiedler 72 Olmstead Sr., Frederick Law 92 Politik 44, 48, 51, 57, 59, 66, 69,
Monopolstellung 57 Neustrukturierung 60 Ölvorkommen 183 73, 78, 80
Monroe, James 69, 80, 81 Nevada Test Site 116 Opportunity Structure 198 – des Wohlwollens 73
Monroe-Doktrin 13, 69, 80, 81, New Breed 1, 6, 7, 10 Ordinance 63 – Kooperation 44
105, 186 New Creed 6 Ordnungsmuster – Politik der wohlwollenden
Montgomery Ward 85 New Deal 19, 87, 161, 178, 220, – kulturräumliche 38 Akzeptanz 56
Monumentalbauten 221 – naturräumliche 38 – staatliche 66
– klassische 93 New Economy 87, 181, 184, 191, – soziales 1, 3, 15 politischer Aufbau 10
moralische Hilfestellung 5 192, 223, 224 Organisation 87 Ponce de León, Juan 47
Moralphilosophie 6, 10 New Federalism 18, 169, 172 – der Großkonzerne 92 Postgraduate 234
Morgan, J. P. 87, 88 New Lands Reclamation Act 79 – gewerkschaftliche 89 Poverty Areas 151, 152
Mormonen 76 New Race 10 Oriental Exclusion Act 108 Präferenz, Berufsgruppen 107
Morrill Act 76 New Towns 98 Out of State Tuition 234 Prägung, religiös-kulturelle 58
Multifunktionszentren 163 New Towns-in-Town 174 Out of Wedlock Births 229 Präsident 62, 66, 214, 215, 216,
Multikulturalität 14, 111 New Urban Privatism 18, 172, 173 Output, industrielles 87 217, 218, 219, 220, 223, 227,
Multiple-Nuclei-Modell 92 New Urban Reality 18, 172, 173, Overseas Private Investment 231, 236
Mumford, Lewis 98 174 Corporation 207 Preemption Act 74, 75, 79
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Sachregister 263

Prekarität 135, 137, 139, 140, R & D-Stätten 210 Rentenvorsorge 220 – Kahlschlagsanierung 164
149, 150 Radburn-Modell 98 Rentnerindustrie 195 – kommunale Sanierungspolitik
Primaries 217 Rag Money 74 Repräsentantenhaus 62, 215, 216, 171, 180
Privateigentum 10, 12, 17, 57 Randgruppen 218 – Sanierungs- und
Privatinitiative 98 Repräsentation, politische 61 Revitalisierungspolitik 164
– gesellschaftliche 91
Privatisierung des öffentlichen Repräsentativbauten 93, 95 – Sanierungsbrache 164, 165
ranges 64
Raumes 201 – ästhetische 93 – Sanierungsgebiet 163, 166
Rassendiskriminierung 216
Privatism 18, 19, 57, 63, 74, 180, Repression, politische 88 – Sanierungsprogramm 164
Rassentrennung 118
236 Republik 1, 5, 7, 11, 17, 61, 62, – Stadtsanierung 164, 170, 171
Rassismus 123
Privatkolonisation 48 65, 67, 81 Satellitentechnologie 42
Rathäuser 93
Privatpersonen 70, 87 – ideale 15 Schafzucht 46
Raum
Privatwirtschaft 18, 19, 56, 63, Republikaner 67 Schichtung
– ländlicher 135
70, 96, 98 Republikanismus 65 – soziale 54, 58, 59
– suburbaner 94
Problembewusstsein 19 Research Triangle 192, 193, 195 Schicksal, vorbestimmtes 81
Raumordnung 62, 235
Probleme Reserveareal 163 Schifffahrt
Raumstrukturen 86
– der Industrie 197 Resettlement Administration 97 – Transatlantik-Schifffahrt 53
Reagan, Ronald 219, 220, 222, Schiffsbau 59
– soziale 61, 90, 98, 186 Resident Speculators 70
223, 227, 233
– städtebauliche 95, 98 Residential Zoning 97 Schlesinger, Arthur 9, 14
Reagonomics 18
– städtische 95 Schmelztiegel 124
Recht Ressourcen 47, 48, 49, 54, 63,
– städtisch-soziale 98 70, 77, 82, 83, 86, 186, 202, Scholastic Aptitude Test – SAT 231
– Grundrecht auf Eigentum 66
– strukturelle 50 207 Schulabbruchsquote 111
– Recht auf Leben, Freiheit und
– Verslumungsprobleme 95 – Ausschöpfung der Ressourcen Schulaufsichtsbehörde 233
das Streben nach Glück 62
– volkswirtschaftliche 207 64 Schutzzollpolitik 86
– Recht des einzelnen Bürgers 62
– wirtschaftliche 98 – Eisen 83, 84, 86, 88 Schwarzafrikaner 117
– Recht des Individuums 62
Problemgebiete – Erdöl 85, 183, 186, 210 Schwarze 55, 56, 67
Rechtssicherheit 67
– innerstädtische 97, 168, 178 – Kohle 83, 84 Section 8 Vouchers 226
Reconstruction-Phase 118
– städtische 160 – natürliche 20 Security Zone Communities
Redevelopment 166
Produktion 23, 183, 185, 186, – zielorientierte – Low Income Communities 156
Reformbewegung 92
195, 197, 198, 199, 201, 207, Ressourcenausnutzung 44 – Middle Class Communities 156
Reformen 88
211 Ressourcenarmut 48 – Working Class Communities 156
– städtebauliche 95, 161 Segmentierung 90
– amerikanische 206 Ressourcennutzung 209
Reformkonzilien von Konstanz und – ringförmige 92
– Fleischproduktion 202 Ressourcenreichtum 23, 47, 49,
Basel 47
– landwirtschaftliche 202, 203 57, 63, 76 – sektorale 92
Refugee Escape Act 108
Produktionskontingentierung 58 Retirement Communities 155 Segregation 91
Refugee Relief Act 105, 108
Produktionsprozesse 82 Revenue Policy 76, 78 – Segregationslandschaften 151,
Regeln und Kontrollmechanismen 152
Produktionsverbote 57 Revitalisierung 161, 162, 163,
(checks and balances) 62 164, 165, 170, 177, 178 Segregationsdynamik 179
Professional Schools 232 Regierung 50, 51, 59, 62, 64, 65, Revitalisierungspotential 169, 170 Segregationsmuster 91, 180
Profitmaximierung 58 67, 70, 73, 74, 75, 76, 80, 92,
Revitalisierungsprojekt 163 Segregationsprobleme 14
Progresive Era 95, 161, 95
178, 221 Revolution 56, 58, 60 Seinsgrundlagen des Individuums
– britische 59, 60 10
Property Tax 233 – englische 51, 54, 56, 58 – amerikanische 2, 59, 67, 81
Revolutionsjahre 76 Selbstamerikanisierung Amerikas
Protektionismus 82 – französische 60 57
Protest 59 – spanische 48 Reward Policy 76
Selbstbild
– Protestaktionen 59 – städtische Privatregierungen 171 Riis, John Jacob 89, 90, 92, 96
– amerikanisches 67
Protestantismus 52 Regierungsbeamte 70, 91 Ringmodell 91
Selbstentfaltung 6, 7
PROWORA 227 Regierungschef 214, 217 Robinson, Charles Mulford 91, 94 – individuelle 2, 3, 4, 10, 18
Public Assistance 221, 226 Regierungsform 2, 5 Rockefeller, John D. 85, 87, 88 Selbstregierung 81
Public Domain 63, 64, 65, 69, 70, Regierungssystem Rolle Selbstverantwortlichkeit 10
73, 74, 75, 76, 78, 79 – parlamentarisches 214 – der Banken 72 Selbstverständnis 2, 67
Public Housing 162, 226, 229 – präsidentielles 214 – der Privatwirtschaft 19 – amerikanisches 1, 5, 6, 15
public policy choice 19 Regional Planning Association of – des Kapitalismus 19 – individuelles 6
Public-Private Partnerships 18, America 97 – des Unternehmertums 70 – kollektives 6
163, 164, 171, 172, 174 Regionalentwicklung 18, 181, Rolle der USA 15 – kulturelles 14
Pueblo 46 208, 209, 212 – selbstgewählte 5 – politisch-demokratisches 235
Pueblo-Indianer 45, 48 Regionalplan 93, 97 – vorbestimmte 6 – religiöses 3
Puerto Rico 43 – übergeordneter 97 Roosevelt, Franklin Delano 220 Selbstverwaltung 54, 60, 81
Pullman City 90 Regionalplanung 18, 210 – Regierung Roosevelts 19 – kommunale 236
Pullman, George 90 Rehabilitationsleistungen 224 Roosevelt, Theodore 80 Self-Made Man 8
Puritanismus 3, 4, 5, 54 Reich Gottes auf Erden 1, 2 Rotationssystem 28 Senat 62, 215, 218, 219
Pursuit of Happiness 18, 54, 67, Rekonstruktionszeit 120 rugged capitalism 66, 185 Senate Park Commission 93
70, 81, 184, 185 Religionsausübung, freie 51 Sendungsauftrag
Remedial Courses 230 Säkularisierung der puritanisch- – amerikanischer 12
Quarter Section 76 Renditen 70, 87 religiösen Vorstellung 11 – gelebter 4
Quotenregelung 103, 104, 105, Rentenalter 223, 225 Sanierung 163, 166, 171, 173, – göttlicher 5
106, 108, 110 Rentenversicherung 208, 221, 180 Sendungsbewusstsein 14, 51
Quotensystem 107, 108 223, 225 – behutsame 167 – religiöses 11
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264 Anhang

Separate but Equal 118 Sonderstatus 44 Stadtentwicklung 8, 11, 18, 19, – Wirtschafts- und Sozialstruktur
Separation 119, 124 Southern Homestead Act 78 66, 91, 94, 97 118
Separatisten Southerners 35 Stadtentwicklungskonzept 168 Stuart B. McKinney Homeless
– puritanische 52 Sozialarbeiter 91 Stadtentwicklungspolitik 160, 173 Assistance Act 176
Sesshaftigkeit 46 Sozialbewusstsein 19 Stadterneuerung 97, 160, 161, Studium in Harvard 234
Settlement Policy 76 Sozialbindung 170 162, 170 Subsistenzfarmen 58
Settlement-Bewegung 91 Sozialdarwinismus 91 Städtesystem 53, 92 Subsistenzlandwirtschaft 50
Settlement-Zielsetzung 76 soziales Netz 97, 221 Städtewachstum 64 Substandard 91
Share Croppers 118 Stadtflucht 96 Suburban Communities 98
Sozialgefüge 96
Stadtgebiete 92, 93, 95 suburbane Gemeinden 95
Sherman-Anti-Trust-Gesetz 88 Sozialgesetzgebung, allgemeine
161 Stadtgestaltung 96, 98 suburbaner Raum 11
Shopping Malls 92, 96, 202
Sozialhilfe 59, 111, 201, 223, Stadtgrundrisse 49, 64 Suburbanisierung 94, 96, 97, 98,
Sicherheit 87, 88
226 Stadtgründung 49, 53, 70, 71, 74, 161, 162, 170
Siebenjähriger Krieg 49, 50, 57,
Sozialhilfebezug 137 76, 77 – blue collar suburbanization 162
58, 60, 63
Sozialleistungen 150, 198 – religiöse 71 – subventionierte 160
Siedler 50, 51, 52, 53, 54, 60,
63, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, Sozialordnung 57 – spekulative 71 Suburbanisierungsprozesse 65, 94
76, 78, 79, 85 Sozialplanung 168 – Stadtgründungsmanie 71 Suburbia 11
– englische 47, 57 Stadtlandschaft 92, 98 Suburbs 91, 95, 132, 135, 145,
Sozialpolitik 18, 220, 235, 237
– französische 50 Stadtlandschaftsprozesse 148, 157, 201
Sozialproblematik 80, 191
– puritanisch-calvinistische 54 – suburbane 12 – Subventionierung der Städte
Sozialprogramme 221
Stadtleben 66 172
– puritanische 51 Sozialraumanalyse 91
Stadtplanung 18, 77, 93, 94, 95, Subzentren 91
– spanische 48 Sozialreform-Bewegung 221
167, 168, 171, 180 Supermacht USA 186
– wikingische 48 Sozialreformer 96
– amtliche 92 Supplemental Social Security
Siedlerströme 73 Sozialschichten 91
– Stadtplanungsverband 95 Income 226
Siedlung 49, 50 – Mittelschicht 91, 96 Stadtrand 90, 91 Symbol der Erdverbundenheit 66
Siedlungsdichte 49 – untere Einkommensschichten 96 Stadtraumgestaltung 180 Symbolschatz 65
Siedlungsgebiet – Unterschicht 91 Stadtregionen 97 System
– koloniales 53 sozialstaatliche Aufgaben 236, 237 Stadtstruktur 91, 178, 180 – der Vorsorge 87
Siedlungsgefüge 79 Sozialstatus 91 Stadt-Umland-Plan 95 – föderales 215
Siedlungskolonien 51 Sozialsystem 46, 220 Stadtverkäufe 71 – föderatives 17, 18, 61, 87, 215
Siedlungsversuche 50 Sozialutopien 6 Stadtverwaltung 93 – föderatives politisches 62
Silber 48 Sozialversicherung 198, 221 – gesellschaftliches 6, 80
Stadtviertel 92, 94
Silberschmuck 46 Sozialversicherungsgesetze 221 – politisches 2, 6, 62, 66, 80,
Stadtzentrum 95
Silicon Landscapes 193, 195 Sozialversicherungssystem 85 214, 215, 236
Stahlproduktion 85, 88
Sklaven 50, 54, 55, 58, 78, 81, Space Triangle 210 Stammesland 113 – Rentensystem 87
82, 100, 117, 118 Spannungen, soziale 59 – soziales 220
Standard City Planning Enabling Act
Sklavenbefreiung 117 Spekulation 69, 74, 75, 79 97 – städtische Politiksysteme 92
Sklavenbefreiungsproklamation Spekulationswelle 74, 75, 79 Standard Oil Company 85, 87, 88 – wirtschaftliches 6
118
Spendentätigkeit 220 Standortbedingungen 20, 38
Sklaveneinfuhr 117 Tabakanbau 58
Sprachfamilien 45 Standortfaktoren 201
Sklavenhaltung 55, 67 Tagebau 116
SRO-Housing (single room – Rohstoffe 88
Sklavenhandel 58, 59, 82 Tarifvertragssystem
occupancy) 159 – weiche 180
– illegaler 82 – dezentrales 150
SSI – Supplemental Security State Enabling Legislature 216
Sklavenstatus 117 Income 229 Tenement Houses 90, 91, 92
State Universities 76, 234
Sklaverei 55, 66, 67, 81, 82, 117, Staat 54, 55, 62, 64 Tenement Reform 95
Staudämme 30
118 – föderativer 65 Tennessee Valley Authority
Steamboats 84 (TVA) 42
Slater, Samuel 82 Staaten, ländliche 66 Steinbeck, John 80
Slum 19, 90, 91, 95, 96, 102, Tenth Amendment 216
staatliches Regulativmandat 236 Stempelsteuerkongress 59
144, 151, 162, 163, 165, 166, Terminationspolitik 113
Staatsausgaben 76 Steuern 62, 215, 216, 224, 226
177, 179, 180 Terraingesellschaften 70, 74, 76,
Staatsform 67 – Einkommenssteuern 76
– federal slum 162 79
Staatsgebiet 50, 60, 64 – indirekte 76
– Slum Clearance 163, 164 Territorien 45, 46, 47, 48, 49, 50,
Staatsgewalt 236 – Körperschaftssteuern 76 51, 52, 58, 60, 61, 62, 63, 67,
– Slum-Abbruch 166
Staatsschulden 76 Steuerungsmechanismen 63 69, 70, 72, 73, 74, 75, 79, 80,
– Slumbedingungen 94, 96
Staatsstruktur 2 Stichtag-Zählungen 157 81
– Slumbewohner 95, 96
Staatsvertrag 62 Stockraising Act 79 – Bundesterritorien 78
– Slumbildung 84
Stadt 66 Straßenanordnung 71 – englische 69
– Slumproblematik 96, 161, 170,
178 – Kernstadt 135 Straßenbahn 85 – französische 50, 64
– naturnahe 66 Struktur 87 – geschenkte 77
– Verslumung 90, 91, 94, 95, 96,
145 – urban-industrielle, kompakte 66 – funktional aufgeteilte 92 – Indianerterritorien 81, 186
Small Town America 65 – vielfach geteilte Stadt 179 – gesellschaftliche 2 – mexikanische 80
Social Responsibility of Businesses Stadt- und Verwaltungshierarchien – ökonomische 2 – texanische 81
19 50 – politische 2 – ursprüngliche 76
Social Security 130, 221 Städte Amerikas 58 – soziale 2 Terrorismus 183
Solidaritätssysteme, traditionelle Städtebau 19, 77 – sozial segmentierte 92 – internationaler 12
56 – idealer 3 – undemokratische 207 Tertiärisierung 202
10 LdK USA 30.05.2005 22:15 Uhr Seite 265

Sachregister 265

The Constitution of the United Undocumented Aliens 110 Veränderungen Verwaltungsebene 61


States 15 Unfallversicherung 223, 224 – demographische 89 Verwaltungsformen
The Declaration of Ungleichheit 57, 126, 127 – der Firmenstrukturen 198 – demokratische 54
Independence 15 – soziale 58 – infrastrukturelle 89 Verwaltungsgebäude 93
The Gettysburg Address 14, 15 Unilateralismus Amerikas 5, 6 – soziale 89 Viehwirtschaft 34
The Gilded Age 87 Union 63, 65 – statisch-architektonische 96 Vielvölkerstaat 10
tiers 64 United Housing Corporation 95 – wirtschaftliche 89 Virginia Military Reserve 72
Timber and Stone Act 78 Universität Harvard 53 Verantwortung, individuelle 57 Völker
Timber Culture Act 78 Universitäten 47 Verdichtungsräume 97 – indianische 45, 46
Timber Cutting Act 78, 79 Unruhen 90 Verdrängungsprozesse 191 – indigene 45
Tocqueville, Alexis de 2, 6, 7, 12, Unsichtbares Reich 122 Verelendung 90, 95 – nomadische 45
14, 18, 66 – The Invisible Empire 122 – teilnomadische 45
– soziale 84
Töpferei 46, 58 Unterklasse Volkssouveränität 17, 67
Verfall 91, 95, 97
Totempfähle 46 – Alltagswelt der Unterklasse 151 – absolute 5
– baulicher 91
Town Jobbing 70, 71, 74 Unterkunft 90 Volkswirtschaft 82
– Innenstadtverfall 162
Town Lots 71, 75 untermeerisches Telegraphen- Volontärtätigkeit 221
– städtebaulicher 90
Towns by the Tracks 77 kabel 85 Voluntarism, Community Self-
Verfallsproblematik 96, 98, 178
Township 73 Unternehmen Reliance 173
Verfallsprozess 96, 161
Tradition 1, 5, 80 – agrarindustrielle 202 Vorbildfunktion 5
Verfassung 2, 5, 6, 7, 15, 17, 18,
– eigenständige intellektuelle 6 – private 50 19, 54, 62, 63, 65, 66, 76, 95, Vororte 90, 91, 95, 97
– ideengeschichtliche 15 – privatwirtschaftliche 96 117, 214 Vorverkaufsrecht 79
– politisch-kulturelle 1 – virtuelle 198 – Amendments to the Vorwahlen 217, 218
Transatlantikhandel 51 Unternehmer 70, 88, 92 Bill of Rights 62 Voting Rights Acts 119
Transkontinentalbahn 12, 49, 53 Unternehmergeist 63, 186 – amerikanische 60, 67
Transkontinentalverbindungen 77 Unternehmertum 63, 70, 186, – Bill of Rights 62 Wachstum 76, 80, 83
Transportmöglichkeiten 46, 91 206 – Constitution 62 – großstädtisches 91
Transportrouten 48 – privates 18, 44, 84 – englische 59 – industrielles 86, 197
Triade 182, 186 Unterstützungsprogramme 205 – Ten Amendments 15, 17, 18, – wirtschaftliches 34, 84
Trickle-Down Effects 209 Unwirtschaftlichkeit 79 62 Wachstumsperiode 39, 41
Trust Companies 88 Upward Social Mobility 145 – Verfassungsdokumente 6 Wachstumsprozesse 82
Trusts 87, 92 Ur-Amerikaner 8 – Verfassungsgericht 215 Waffen 60, 67
Tugwell Towns 97 Urangewinnung 116 – verfassungsmäßige Rechte 219 Wahlbezirke 218
Tugwell, Rexford 97 Urban Crisis 172 – Verfassungsväter 59 Wahlmännergremium 216
Turner, Frederick Jackson 1, 11, Urban Development Action Grant – Verfassungswerke 6, 15, Wahlrecht 67
12 (UDAG-Programm) 170 62, 67 Wahlrechtsbeschränkungen 118
Urban Enterprise Zones 171 – Zehnter Zusatzartikel 18, 62, Wahlrechtsgesetz 216
Überbelegung 90, 161, 178, 179 Urban Form 98 215
Wahlsystem 66, 216
Überfremdung 102 Urban Life 98 Verflechtungen
wahres Amerika 67
Übergangszone 34 Urban Machines 92 – funktionale 38
Wanderarbeiter 50
Überlebenskampf, Urban Renewal-Ära 165, 179 – wirtschaftliche 53
Wanderbauern 47
sozialdarwinistischer 8 Urban Renewal-Gesetzgebung 160, Verfolgte 103, 105, 108
Wanderfeldbau 45
Übernachtungsstelle 90 164, 165 Verhaltensethik 12
War Brides Act 105
Überproduktion 181, 207 Urban Renewal-Programm 166, Verkehr, öffentlicher 93
War on Poverty 220
– landwirtschaftliche 56 167 Verkehrsanbindung 98
War on Poverty-Programm 128
Überschuldung 181, 203, 204 Urban Tennessee Valley Verkehrsinfrastruktur 84
Ward, Nathaniel 2
Authority 168 Verkehrsmittel 95
Überseekolonien 50 Warmfront 36
Urban Underclass 139, 151, 152, Verkehrsströme 97
Ullmann 92 Washington, George 5, 58, 60, 62
177, 179 Vermessung 63, 64, 77
Umsiedlung 112 WASP – White Anglo-Saxon
Urbanisierung 68, 89 Vermögen
Umsiedlungsgesetz 112 Protestant Culture 14, 51, 56,
Urbanisierungsprozess 89 – Durchschnittsvermögen 127
Umsiedlungspolitik 112 103, 105
Urbarmachung 47 Vermögensverteilung 127
Umstrukturierung Waterfront Developments 95
Ureinwohner 113, 114, 116 Verödung, wirtschaftliche 95
– industrielle 198 weak state-Modell 62
Ursprung Verödungseffekt 164
– landwirtschaftliche 83 Weber, Max 2, 12, 13
– endogener 28 Versammlung, verfassung-
Unabhängigkeit 3, 11, 14, 18, 44, Weberei 45, 46
– ideengeschichtlicher 2, 3, 6, 15 gebende 17
57, 60, 63, 66, 67, 69, 76, 81, Weidegebühren 116
86, 100, 117 – puritanisch-religiöser 6 Verseuchung, radioaktive 116 Weinkulturen 73
– der religiösen Gemeinden 6 US Census 95 Versorgung 82 Welfare 226
– der Vereinigten Staaten 4 US Department of Agriculture – der Stadtbevölkerung 96 Weltanschauung
(USDA) 22, 130 Versorgungseinrichtungen 87
– Kongress zur Unabhängigkeit 60 – individualistische 7
US Department of Education 230, Verteidigungsminister 214
– persönliche 57 231, 233 – rationalistische 4
– Unabhängigkeitserklärung 15, Vertrag von Sevilla 48 Welthandel 48
US Department of Housing and
17, 60, 62, 64, 81, 112, 117 Urban Development 171, 172, Vertragstheorie des Puritanismus 5 Welthandelszentren 59
– wirtschaftliche 57 173, 176 Vertreibung 105, 110, 112, 116 Weltindustrieproduktion 85
Unabhängigkeitskrieg s. Krieg US Housing Act 162 Verwaltung Weltkulturerbe 45
Underclass-Entwicklung 138 US Supreme Court 97, – Englands 51 Weltmarkt 57, 81, 82, 183, 205,
Undergraduate-Ausbildung 232 215, 219 – öffentliche 93, 95 206
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266 Anhang

Weltmarktanteil 58 Wirtschaftsfaktoren Wohlfahrtsabhängigkeit 136, 149, Wohnungsnot 90, 95


Weltmarktproduktion 86 – Universität 193 177 Wohnungsproblem 94
Weltpolitik 52, 81 Wirtschaftsförderung 170, 177, Wohlfahrtsprogramme Wohnungswesen 93
Weltwirtschaftskrise 110 195 – Aid to Families with Dependent Wohnverhältnisse 90, 92, 97
Werte – der Kernstädte 172 Children (AFDC) 137 Wohnviertel 91, 92, 93, 95, 97
– demokratische 65 Wirtschaftsinteressen 44, 47, 48, – Food Stamps 130, 137, 158 – Mittelklasse 98
Wertpräferenzen 235 51, 60, 80 – Medicaid 130, 136, 224, 226, Wohnviertelsbildung 91
Wertvorstellungen 2, 4 – französische 49 229, 230
Wolkenkratzer 91
– koloniale Zeit 6, 57 Wirtschaftskampf 59 – Public Housing Vouchers 130
Work for Pay 59, 227
– naturalistische 11 Wirtschaftskraft 83 – Supplemental Social Security
work for pay-Programm 137
Wirtschaftskrise 74, 75, 82 Income (SSI) 137
– ökonomische 3 Work Requirement 227
– von 1837 74, 75 – Temporary Assistance to Needy
– philosophische 3 Working Poor 146, 149, 159
Wirtschaftslage 184 Families (TANF) 137
– politisch-kulturelle 20 World Refugee Year Law 108
Wirtschaftsmacht 89 – Women, Infants, Children –
– puritanische 3, 4, 10 Special Supplemental Feeding Wright, Frank Lloyd 66, 98
– religiös fundierte 10 Wirtschaftspläne 97
Program (WIC) 137
– theistische 11 Wirtschaftspolitik 18, 66, 181,
Wohlstand 48, 58, 59, 62, 65, 66, Zangwill, Israel 13
Western 8 185, 195
74, 81, 84, 88, 89 Zentralisierung wirtschaftlicher und
Westwärtswanderung 86 – liberal-kapitalistische 66
– individueller 70 politischer Macht 52
Wikinger 45 Wirtschaftsraum 47, 50, 210
Wohngebäude 97 Zentralregierung 91
Wilde 47 – der USA 181
Wohnhäuser 85, 90 Zentralstaat 62
Wildnis 8, 11, 12, 72 Wirtschaftsstruktur
Wohnraum 90, 95 Zentren 86, 91, 95
– amerikanische 47 – diverse 58
Wohnumgebung 95 – großindustrielle 89
Willensbildung – duale 86
Wohnungsbau 19, 92, 95, 96 zivile Religiosität 219
– politische 2 Wirtschaftswachstum 181, 182,
– gemeinnütziger 92, 96 Zölle
193, 195, 196, 197
Wilson, Thomas Woodrow 6 – sozialer 97, 162, 177 – Exportzölle 57
Wirtschaftszentren 58
Winthrop, John 2, 3 – subventionierter 96 – Importzölle 58, 59, 62
Wirtschaftszweig 51, 59
Win-Win-Situation 78 Wohnungsbauamt 163 Zolleinnahmen 76
Wirtschaftszweige 48, 49, 53, 56,
Wirtschaft 50, 53, 59, 80, 82, 83, – lokales 170 Zone of Transition 179
58, 70, 82, 84, 85, 193, 202,
89, 92, 181, 182, 183, 184,
206 Wohnungsbauförderung 161, 171 Zonierung 94, 97
185, 186, 194, 195, 196, 197,
198, 202, 207 – Automobilindustrie 199, 201 Wohnungsbaugesetz Zonierungsbestimmungen 97
– amerikanische 74, 181, 185, – Chemie 86 – von 1937 162 Zonierungsgesetzgebung 97
186, 190, 209 – Eisenindustrie 84, 86 – von 1949 229 Zoning 94, 97
– globale 195 – Flugzeugbau 181, 197 Wohnungsbauindustrie 161 Zugriff, privatwirtschaftlicher 63
– koloniale 59 – innovative 194 Wohnungsbaumaßnahmen 96 Zuwanderung 54, 91, 96
– monostrukturierte 191 – Kohleindustrie 84 Wohnungsbauorientierung 164 Zuwanderungswelle 72
– Schlüsselindikatoren 182 – Landwirtschaft 195 Wohnungsbauprojekte 96 Zwangsumsiedlung 81
– Schlüsselzweige 187 – Maschinenbauindustrie 84 Wohnungsgutscheine 226 Zweiter Neuanfang 2
Wirtschaftsbulldozer 169, 171 – Petroleum 86 Wohnungsmarkt 91, 96 Zweiter Weltkrieg 94
Wirtschaftsfaktor 33, 67 – Stahlindustrie 84, 86 – segmentierter 166
D as Bild der USA steckt voller Widersprüche: Von außen be­
trachtet gelten die USA als junges Land ohne Tradition und
Kultur. Dennoch werden amerikanische Werte und der American
Way of Life zunehmend in den unterschiedlichsten Teilen der Erde
angenommen. Im Inneren schuf das Land, das bei seiner Gründung
eine bewusste Abkehr von der Gesellschaftsordnung der Alten Welt
vollzog und auf die Gleichheit aller setzte, früh neue Gegensätze.
Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten", das sich dem Freiheits­
ideal verschrieb, sind Sklaverei, Aus- und Abgrenzung in Reserva­
ten, eine Politik der Vernachlässigung sowie diskriminierende Ge­
setzgebungen nicht aus der Geschichte wegzudenken.
Diese Länderkunde widmet sich den vielfältigen historischen, öko­
nomischen, gesellschaftlichen und politischen Aspekten der USA,
die als Resultat eines spezifisch amerikanischen Entwicklungs­
musters gesehen werden. Deutlich wird, dass die in Amerika über
mehrere Jahrhunderte bewusst gepflegte, neue politische Kultur ein
anderes Staatsverständnis und andere gesellschaftliche Normen
etablierte als im „Alten Europa". Bis in die Gegenwart wird das
(welt-)politische Handeln der USA davon getragen.

Rita Schneider-Sliwa, geb. 1953, Professorin für Geographie/


Stadt- und Regionalforschung an der Universität Basel, Schweiz.
Studium der Geographie, Anglistik und Geologie an der RWTH
Aachen sowie der Geographie, Volkswirtschaftslehre, Agrarökonomie
und Soziologie an der Ohio State University in Columbus, Ohio/USA.
M.A., Doktorat und Assistenzprofessur in den USA, Habilitation an
der Freien Universität Berlin.

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www.wbg-datmstadt.de
ISBN 353414116-4

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ISBN 3-534-14116-4

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