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Neurologie Psychi

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Springer-Lehrbuch

Das Zweite – kompakt


Herausgeber
Klaus-Peter Schaps
Oliver Kessler
Ulrich Fetzner

Weitere Titel dieser Reihe:


Grundlagen
978-3-540-46344-3

Innere Medizin
978-3-540-46350-4

Chirurgie – Orthopädie –Urologie


978-3-540-46335-1

Gynäkologie – Pädiatrie
978-3-540-46347-4

Allgemeinmedizin – Anästhesie – Arbeits- und Sozialmedizin – Rechtsmedizin


978-3-540-46333-7

Querschnittsbereiche
978-3-540-46357-3

Gesundheitsstörungen
978-3-540-46339-9

Das Zweite – kompakt (Set)


978-3-540-69558-5
J. Bremer, H. Wiendl

Neurologie
E. N. Cho, H. Thieme

Psychiatrie
V. Kollenbaum

Psychosomatik
Mit 48 größtenteils farbigen Abbildungen und 38 Tabellen

123
Reihenherausgeber
Dr. med. Klaus-Peter Schaps
Rostocker-Str. 21
26388 Wilhelmshaven

Dr. med. Oliver Kessler


Leisibüelstr. 128
CH-8708 Männedorf

Ulrich Fetzner
Von-Lobdeburg-Str. 4
97688 Bad Kissingen

ISBN-13 978-3-540-46353-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfil-
mung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben,
auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses
Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätz-
lich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer Medizin Verlag


springer.de

© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand ande-
rer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere
Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzge-
bung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Planung: Peter Bergmann, Heidelberg
Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg
Lektorat: Dr. med. Monika Merz, Leimen, Ursula Illig, Stockdorf
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg

SPIN 11885528

Gedruckt auf säurefreiem Papier 15/2117 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Das Hammerexamen: die letzte große Hürde vor dem Traumberuf »Arzt«. So mag es all jenen vor-
kommen, die sich kurz vor dem Hammerexamen befinden. Der gesamte klinische Stoff – und noch
dazu im PJ – wie soll das gehen?
Daher hat sich der Springer Medizin Verlag entschlossen, eine neue Repetitorien-Reihe ins Leben
zu rufen. Ideal für das Lernen auf die 2. Ärztliche Prüfung hin – gerade während des PJ – und für das
kurze Repetieren vor dem Examen bieten die 9 Bände alle Krankheitsbilder und die Gesundheits-
störungen des aktuellen Gegenstandskataloges.
Das Besondere daran: Die Krankheitsbilder, die in den ersten 8 Bänden behandelt werden, werden
nach wie vor nach Fächern geordnet angeboten – ganz so, wie es jeder Student aus dem klinischen
Studienabschnitt kennt. In Lerntexten, die größtenteils von Studenten und jungen Assistenzärzten
verfasst und von Fachärzten der jeweiligen Disziplinen gegengelesen wurden, wird all das noch mal
kurz wiederholt, was in der 2. Ärztlichen Prüfung angewandt werden soll. Nach jedem GK-Krank-
heitsbild findet sich eine Zusammenfassung für das schnelle Repetieren an den Tagen unmittelbar vor
dem Examen. Für grafische Lerner stellen große Übersichtsschaubilder, die »Mindmaps«, komplexe
Sachverhalte übersichtlich dar.
Der 9. Band enthält die Gesundheitsstörungen: Jede Gesundheitsstörung wird durch einen Fall
lebendig gemacht und vom Leitsymptom ausgehend die Differentialdiagnose entwickelt. Zusätzlich
finden sich am Ende jeder Gesundheitsstörung noch eine Wiederholung der häufigsten Krankheits-
bilder, die diese Störung hervorrufen, eine grafische Darstellung der Differentialdiagnostik und einige
Fragen zur Selbstprüfung.
»GK2 Das Zweite – kompakt« ist die ideale Reihe, um sich das Grundwissen anzueignen, das man
zum Lösen der Probeexamina in schwarzer oder gelber Reihe und natürlich zum Bestehen der 2. ÄP
benötigt.
Allen Mitwirkenden, den Herausgebern, Herrn Dr. Schaps, Herrn Dr. Kessler und Herrn Fetzner,
allen Autoren und Fachärzten und auch allen studentischen Testlesern sei an dieser Stelle von Seiten
des Springer Medizin Verlags noch einmal sehr herzlich für Ihre Mitarbeit am Entstehen dieses Pro-
jektes gedankt. Wir hoffen alle sehr, den Studenten mit diesem Werk eine echte »erste Hilfe« zum
Bestehen des »Hammerexamens« an die Hand gegeben zu haben.
Auszüge aus Vorabrezensionen:
»Aufgrund der oben genannten Aspekte finde ich das neue Konzept hervorragend!! Der GK wird
erfüllt; ich kann systematisch vorgehen und gleichzeitig verknüpfen, wiederholen und die neue Frage-
stellung üben. Von dem Arbeitsbuch-Charakter des letzten Bandes »Gesundheitsstörungen« halte
ich sehr viel. Der Platz für eigene Notizen, ein einprägsames Bild und die 2-Farbigkeit setzen das sehr
gut um.«
»Das Konzept ist vernünftig und schlüssig. Auch die Aufteilung der Themen ist meiner Meinung
nach gelungen. … Die Sprache finde ich sehr gut getroffen, … das Lesen fällt leicht, was das Arbeiten
mit dem Text angenehm gestaltet. … Auch das Layout der einzelnen Seiten wirkt übersichtlich, nicht
voll gepackt und ist durch Absätze, Tabellen und die farbliche Gestaltung ansprechend und über-
sichtlich.«

Springer Medizin Verlag


Heidelberg im Sommer 2007
Das Zweite – kompakt: Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik

Leitsystem:
Schnelle Orientierung
über alle Kapitel

Mindmap:
Grafische Übersicht
komplexer Sachver-
halte

Inhaltliche Struktur:
Klare Gliederung
durch alle Kapitel

Übersichten:
Wichtige Fakten
werden übersichtlich
dargestellt

Zahlreiche Abbildungen ver-


anschaulichen komplizierte und
komplexe Sachverhalte
Navigation: Seitenzahl
und Kapitelnummer
für die schnelle Orien-
tierung

Tabellen:
Klare Übersicht der
wichtigsten Fakten

Aufzählungen:
Lerninhalte über-
sichtlich präsentiert

Wichtig
Zentrale Informatio-
nen auf einen Blick

In Kürze:
Wiederholung der
wichtigsten Fakten zu
jedem Krankheitsbild
zum schnellen
Repetieren kurz vor
dem Examen

Cave:
Vorsicht! Bei falschem Vorgehen
Gefahr für den Patienten
VIII

Mitarbeiterverzeichnis
J. Bremer H. Thieme
Platten-Str. 10 Dr. Dr.
Zimmer 1710 Kaiserslauterner Str. 35
CH-8032 Zürich 66123 Saarbrücken

E. N. Cho H. Wiendl
Universitätsstr. 1 Prof. Dr. med.
Zimmer 17602 Universität Würzburg
40225 Düsseldorf Neurologische Klinik
Josef-Scheider-Str. 11
V. Kollenbaum 97080 Würzburg
Prof. Dr. Dr.
Fachklinik Heiligenfeld GmbH
Euerdorfer-Str. 4–6
97688 Bad Kissingen
IX

Gegenstandskatalog

Teil 1: Gesundheitsstörungen 7 Band Gesundheitsstörungen

Teil 2: Krankheitsbilder
1 A00-A09 Infektiöse Darmkrankheiten, (z.B. Salmonellenenteritis, Lebensmittel- 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
vergiftung durch Staphylokokken, Enteritis
durch Rotaviren)
2 A15-A19 Tuberkulose 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin,
7 Band Querschnittsbereiche
3 A20-A28 Bestimmte bakterielle Zoonosen

A20 Pest 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin,7 Band Querschnitts-


bereiche
A22 Anthrax [Milzbrand] 7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie

A23 Brucellose 7 Band Grundlagen


A27 Leptospirose 7 Band Grundlagen
4 A30-A49 Sonstige bakterielle Krankheiten
A31 Infektion durch sonstige Mykobakterien 7 Band Grundlagen
A32 Listeriose 7 Band Grundlagen
A35 Sonstiger Tetanus, (Wundstarrkrampf ) 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche

A36 Diphtherie 7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,


7 Band Querschnittsbereiche
A37 Keuchhusten 7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
7 Band Querschnittsbereiche
A38 Scharlach 7 Band Grundlagen, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
7 Band Querschnittsbereiche
A39 Meningokokkeninfektion 7 Band Grundlagen
A40 Streptokokkensepsis 7 Band Grundlagen, Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
A41 Sonstige Sepsis (z.B. Sepsis durch Staphylococcus aureus, 7 Band Querschnittsbereiche
Systemic inflammatory response
syndrome [SIRS])
A42 Aktinomykose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
A46 Erysipel [Wundrose] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
A48 Sonstige bakterielle Krankheiten, anderenorts (z.B. Gasbrand, Legionellose, Toxisches 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen
nicht klassifiziert Schocksyndrom)
A49 Bakterielle Infektion nicht näher bezeichneter (z.B. Helicobacter-Infektion) 7 Band Grundlagen
Lokalisation
5 A50-A64 Infektionen, die vorwiegend durch (z.B. Syphilis, Gonokokkeninfektion, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde,
Geschlechtsverkehr übertragen werden Chlamydienkrankheiten, Ulcus molle HNO
[venereum], Infektionen des Anogenital-
bereiches durch Herpesviren [Herpes
simplex], Condylomata acuminata, Tricho-
moniasis)
6 A65-A69 Sonstige Spirochätenkrankheiten
A69 Sonstige Spirochäteninfektionen 7 Band Grundlagen
(z.B. Lyme-Krankheit)
7 A70-A74 Sonstige Krankheiten durch Chlamydien (z.B. Infektion durch Chlamydia psittaci, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
Trachom) 7 Band Grundlagen
8 A75-A79 Rickettsiosen (z.B. Zeckenbissfieber, Q-Fieber) 7 Band Grundlagen
9 A80-A89 Virusinfektionen des Zentralnervensystems
A80 Akute Poliomyelitis [Spinale Kinderlähmung] 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Querschnittsbereiche
A81 Atypische Virus-Infektionen des Zentralner- (z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
vensystems 7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.4.1
A82 Tollwut [Rabies] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Grundlagen
7 Band Querschnittsbereiche
A84 Virusenzephalitis, durch Zecken übertragen (z.B. FSME) 7 Band Grundlagen
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.1.4
7 Band Querschnittsbereiche
10 A90-A99 Durch Arthropoden übertragene Viruskrankheiten und virale hämorrhagische Fieber 7 Band Grundlagen

11 B00-B09 Virusinfektionen, die durch Haut- und (z.B. Herpesenzephalitis, Varizellen, Zoster, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.4.1.3
Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind Masern, Röteln, Viruswarzen, Mollusca 7 Band Querschnittsbereiche
contagiosa, Dreitagefieber, Ringelröteln) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkoloige, Pädiatrie
X Gegenstandskatalog

12 B15-B19 Virushepatitis 7 Band Querschnittsbereiche


7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
13 B20-B24 HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-
Viruskrankheit]
B20 Infektiöse und parasitäre Krankheiten infolge 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz- Urologie,
Viruskrankheit] 7 Band Grundlagen
B24 Nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
[Humane Immundefizienz-Viruskrankheit] Urologie
7 Band Grundlagen
14 B25-B34 Sonstige Viruskrankheiten
B25 Zytomegalie 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B26 Mumps 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B27 Infektiöse Mononukleose 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B30 Viruskonjunktivitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
15 B35-B49 Mykosen
B35 Dermatophytose [Tinea] 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Grundlagen
B36 Sonstige oberflächliche Mykosen (z.B. Pityriasis versicolor) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Grundlagen
B37 Kandidose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
7 Band Grundlagen
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
B44 Aspergillose 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
B45 Kryptokokkose 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
16 B50-B64 Protozoenkrankheiten (z.B. Malaria, Leishmaniose, Toxoplasmose, 7 Band Querschnittsbereiche
Pneumozystose) 7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
17 B65-B83 Helminthosen
B65 Schistosomiasis [Bilharziose] 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Grundlagen
B67 Echinokokkose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin
B68 Taeniasis 7 Band Grundlagen
B69 Zystizerkose 7 Band Grundlagen
B77 Askaridose 7 Band Grundlagen
B80 Enterobiasis 7 Band Grundlagen
18 B85-B89 Pedikulose [Läusebefall], Akarinose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
[Milbenbefall] und sonstiger Parasitenbefall
der Haut
B85 Pedikulose [Läusebefall] und Phthiriasis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
[Filzläusebefall] 7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
B86 Skabies 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
7 Band Grundlagen
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
19 C00-C14 Bösartige Neubildungen der Lippe, der (z.B. Bösartige Neubildung der Parotis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie,
Mundhöhle und des Pharynx Augenheilkunde, HNO
20 C15-C26 Bösartige Neubildungen der Verdauungs-
organe
C15 Bösartige Neubildung des Ösophagus 7 Band Innere Medizin
C16 Bösartige Neubildung des Magens 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin
C17 Bösartige Neubildung des Dünndarmes 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin
C18 Bösartige Neubildung des Kolons 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie und
Unfallchirurgie, Urologie
7 Band Grundlagen
7 Band Innere Medizin

C19 Bösartige Neubildung am Rektosigmoid, Über- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie


gang 7 Band Innere Medizin
C20 Bösartige Neubildung des Rektums 7 Band Querschnittsbereiche
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin
XI
Gegenstandskatalog

C21 Bösartige Neubildung des Anus und 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
des Analkanals 7 Band Innere Medizin
C22 Bösartige Neubildung der Leber und der intra- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
hepatischen Gallengänge 7 Band Innere Medizin
C23 Bösartige Neubildung der Gallenblase 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin
C24 Bösartige Neubildung sonstiger und nicht (z.B. Gallenwegskarzinom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
näher bezeichneter Teile der Gallenwege 7 Band Innere Medizin
C25 Bösartige Neubildung des Pankreas 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
7 Band Innere Medizin
21 C30-C39 Bösartige Neubildungen der Atmungsor-
gane und sonstiger intrathorakaler Organe
C32 Bösartige Neubildung des Larynx 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C33 Bösartige Neubildung der Trachea 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
und der Lunge 7 Band Innere Medizin
22 C40-C41 Bösartige Neubildungen des Knochens
und des Gelenkknorpels
C40 Bösartige Neubildung des Knochens und des (z.B. Osteosarkom des Femurs) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Gelenkknorpels der Extremitäten

C41 Bösartige Neubildung des Knochens und (z.B. Chondrosarkom, Ewing-Sarkom des 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
des Gelenkknorpels sonstiger und nicht näher Beckens) Urologie
bezeichneter Lokalisationen
23 C43-C44 Melanom und sonstige bösartige Neubil- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
dungen der Haut
C43 Bösartiges Melanom der Haut 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde,
HNO
C44 Sonstige bösartige Neubildungen der Haut (z.B. Basalzellenkarzinom, Plattenepithel- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
karzinom)
24 C45-C49 Bösartige Neubildungen des mesothelialen (z.B. Pleuramesotheliom, Kaposi-Sarkom, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Gewebes und des Weichteilgewebes Liposarkom) Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopäadie, Urologie, 7 Band
Dermatologie, Augenheilkunde 7 Band Innere Medizin

25 C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
[Mamma] Urologie, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
7 Band Grundlagen
26 C51-C58 Bösartige Neubildungen der weiblichen
Genitalorgane
C51 Bösartige Neubildung der Vulva 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C52 Bösartige Neubildung der Vagina 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C53 Bösartige Neubildung der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C54 Bösartige Neubildung des Corpus uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C56 Bösartige Neubildung des Ovars 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
C57 Bösartige Neubildung sonstiger und nicht 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
näher bezeichneter weiblicher Genitalorgane
27 C60-C63 Bösartige Neubildungen der männlichen (z.B. Peniskarzinom, Prostatakarzinom, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
Genitalorgane Hodenmalignom) 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
28 C64-C68 Bösartige Neubildungen der Harnorgane (z.B. Nierenzellkarzinom, Wilms-Tumor, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
Urothelkarzinom) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Innere Medizin
7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
29 C69-C72 Bösartige Neubildungen des Auges,
des Gehirns und sonstiger Teile des Zentral-
nervensystems
C69 Bösartige Neubildung des Auges und der (z.B. Retinoblastom, Aderhautmelanom) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Augenanhangsgebilde
C71 Bösartige Neubildung des Gehirns 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
C72 Bösartige Neubildung des Rückenmarkes, 7 Band Chirurgie, Urologie
der Hirnnerven und anderer Teile des Zentral-
nervensystems
30 C73-C75 Bösartige Neubildungen der Schilddrüse
und sonstiger endokriner Drüsen
C73 Bösartige Neubildung der Schilddrüse 7 Band Innere Medizin
C74 Bösartige Neubildung der Nebenniere (z.B. Neuroblastom, Phäochromozytom) 7 Band Innere Medizin
31 C76-C80 Bösartige Neubildungen ungenau bezeich- (z.B. Metastasen, Paraneoplastisches 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4.2
neter, sekundärer und nicht näher bezeich- Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Grundlagen,
neter Lokalisationen 7 Band Innere Medizin
32 C81-C96 Bösartige Neubildungen des lymphatischen,
blutbildenden und verwandten Gewebes
C81 Hodgkin-Krankheit [Lymphogranulomatose] 7 Band Innere Medizin
C82 Follikuläres [noduläres] Non-Hodgkin- 7 Band Innere Medizin
Lymphom
XII Gegenstandskatalog

C83 Diffuses Non-Hodgkin-Lymphom 7 Band Innere Medizin


C84 Periphere und kutane T-Zell-Lymphome (z.B. Mycosis fungoides) 7 Band Innere Medizin
C90 Plasmozytom und bösartige Plasmazellen- 7 Band Innere Medizin
Neubildungen
C91 Lymphatische Leukämie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C92 Myeloische Leukämie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
C96 Sonstige und nicht näher bezeichnete bös- (z.B. Abt-Letterer-Siwe-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
artige Neubildungen des lymphatischen,
blutbildenden und verwandten Gewebes
33 D00-D09 In-situ-Neubildungen
D00 Carcinoma in situ der Mundhöhle, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
des Ösophagus und des Magens 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D04 Carcinoma in situ der Haut (z.B. M. Bowen) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
34 D10-D36 Gutartige Neubildungen
D12 Gutartige Neubildung des Kolons, des (z.B. Polyposis coli) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche,
Rektums, des Analkanals und des Anus 7 Band Chrirugie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Grundlagen
D13 Gutartige Neubildung sonstiger und ungenau (z.B. Gutartige Tumoren der Leber) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
bezeichneter Teile des Verdauungssystems
D14 Gutartige Neubildung des Mittelohres und des (z.B. Adenomatöse Polypen) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Atmungssystems
D16 gutartige Neubildung des Knochens und des (z.B. Osteochondrom, Osteoid-Osteom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Gelenkknorpels
D17 Gutartige Neubildung des Fettgewebes 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D18 Hämangiom und Lymphangiom 7 Band Innere Medizin
7 Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D21 Sonstige gutartige Neubildungen des Binde- (z.B. Hautfibrome) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
gewebes und anderer Weichteilgewebe
D22 Melanozytennävus 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
D25 Leiomyom des Uterus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
D32 Gutartige Neubildung der Meningen (z.B. Meningeom) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.5.4
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
D33 Gutartige Neubildung des Gehirns und (z.B. Akustikusneurinom) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Neurologie,
anderer Teile des Zentralnervensystems Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.5.4.1
D35 Gutartige Neubildung sonstiger und nicht 7 Band Innere Medizin
näher bezeichneter endokriner Drüsen
35 D37-D48 Neubildungen unsicheren oder unbe-
kannten Verhaltens
D44 Neubildung unsicheren oder unbekannten (z.B. »Inzidentalome« [Nebenniere, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Verhaltens der endokrinen Drüsen Hypophyse], Kraniopharyngeom)
D46 Myelodysplastische Syndrome 7 Band Innere Medizin
D47 Sonstige Neubildungen unsicheren (z.B. Myelofibrose) 7 Band Innere Medizin
oder unbekannten Verhaltens des
lymphatischen, blutbildenden und verwand-
ten Gewebes
36 D50-D53 Alimentäre Anämien
D50 Eisenmangelanämie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen,
7 Band Querschnittsbereiche
D51 Vitamin-B12-Mangelanämie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen,
7 Band Querschnittsbereiche
D52 Folsäure-Mangelanämie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen,
7 Band Querschnittsbereiche
37 D55-D59 Hämolytische Anämien (z.B. Hereditäre Sphärozytose, 7 Band Innere Medizin
Autoimmunhämolytische Anämien)
38 D60-D64 Aplastische und sonstige Anämien (z.B. Akute Blutungsanämie, Tumoranämie) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnitts-
bereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
39 D65-D69 Koagulopathien, Purpura und sonstige (z.B. Disseminierte intravasale Gerinnung, 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemein-
hämorrhagische Diathesen Hämophilie A, Willebrand-Jürgens-Syn- medizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
drom, Allergische Vaskulitis)
40 D70-D77 Sonstige Krankheiten des Blutes und der (z.B. Agranulozytose, Methämoglobin- 7 Band Innere Medizin
blutbildenden Organe ämie, Hypersplenismus, sekundäre
Polyglobulie)
41 D80-D90 Bestimmte Störungen mit Beteiligung des
Immunsystems
D83 Variabler Immundefekt [common variable 7 Band Querschnittsbereiche
immunodeficiency]
D84 Sonstige Immundefekte (z.B. Hereditäres Quincke-Ödem) 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheil-
kunde, HNO
D86 Sarkoidose 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
XIII
Gegenstandskatalog

D90 Immunkompromittierung nach Bestrahlung, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Chemotherapie und sonstigen immunsup- Rechtsmedizin
pressiven Maßnahmen
42 E00-E07 Krankheiten der Schilddrüse (z.B. Endemische Struma, Hypothyreose, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
Hyperthyreose, Thyreoiditis)
43 E10-E14 Diabetes mellitus
E10 Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
[Typ-1-Diabetes]
E11 Nicht primär insulinabhängiger Diabetes 7 Band Innere Medizin
mellitus [Typ-2-Diabetes]
E14 Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
44 E15-E16 Sonstige Störungen der Blutglukose-Regula- (z.B. Hypoglykämie) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psycho-
tion und der inneren Sekretion des Pankreas somatik 7 Kap. 2.3, 7 Band Querschnittsbereiche
45 E20-E35 Krankheiten sonstiger endokriner Drüsen
E21 Hyperparathyreoidismus und sonstige Krank- 7 Band Innere Medizin
heiten der Nebenschilddrüse
E23 Unterfunktion und andere Störungen der (z.B. Hypopituitarismus, Diabetes insipidus) 7 Band Innere Medizin
Hypophyse
E24 Cushing-Syndrom 7 Band Innere Medizin
E25 Adrenogenitale Störungen 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
E26 Hyperaldosteronismus (z.B. Conn-Syndrom) 7 Band Innere Medizin
E27 Sonstige Krankheiten der Nebenniere (z.B. Nebennierenrinden-Insuffizienz) 7 Band Innere Medizin
E28 Ovarielle Dysfunktion 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
E29 Testikuläre Dysfunktion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
E30 Pubertätsstörungen, anderenorts nicht (z.B. Pubertas praecox, Pubertas tarda) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
klassifiziert
E31 Polyglanduläre Dysfunktion 7 Band Innere Medizin
E34 Sonstige endokrine Störungen (z.B. Karzinoid-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin
46 E40-E46 Mangelernährung 7 Band Querschnittsbereiche
47 E50-E64 Sonstige alimentäre Mangelzustände (z.B. Vitamin-D-Mangel) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Quer-
schnittsbereiche
48 E65-E68 Adipositas und sonstige Überernährung
E66 Adipositas 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
49 E70-E90 Stoffwechselstörungen
E70 Störungen des Stoffwechsels aromatischer (z.B. Phenylketonurie) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
Aminosäuren
E78 Störungen des Lipoproteinstoffwechsels 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
und sonstige Lipidämien
E79 Störungen des Purin- und Pyrimidinstoff- 7 Band Innere Medizin
wechsels
E80 Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoff- 7 Band Innere Medizin
wechsels
E83 Störungen des Mineralstoffwechsels (z.B. Hämochromatose) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
E84 Zystische Fibrose 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie,
Pädiatrie
50 F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer
psychischer Störungen
F00 Demenz bei Alzheimer-Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.1,
Kap. 2.4.2, 7 Band Querschnittsbereiche
F01 Vaskuläre Demenz 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.3.
7 Band Querschnittsbereiche
F02 Demenz bei anderenorts klassifizierten Krank- (z.B. bei Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.4.,
heiten HIV-Krankheit) Kap. 1.4.4.1., Kap. 2.4.3., Kap. 2.4.4., Kap. 2.4.5.
7 Band Querschnittsbereiche
F05 Delir, nicht durch Alkohol oder andere psycho- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psycosomatik 7 Kap. 2.2.1.1
trope Substanzen bedingt
F06 Andere psychische Störungen aufgrund einer (z.B. Organische Halluzinose) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.2.1.2
Schädigung oder Funktionsstörung des
Gehirns oder einer körperlichen Krankheit
F07 Persönlichkeits- und Verhaltensstörung (z.B. Organische Persönlichkeitsstörung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.2.1.3
aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder
Funktionsstörung des Gehirns
51 F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch (z.B. Psychische und Verhaltensstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.7.1.,
psychotrope Substanzen durch Alkohol, Opioide und Cannabinoide, Kap. 2.7.2., Kap. 2.7.5., Kap. 2.7.1.4., 7 Band Querschnittsbereiche
Entzugssyndrom mit Delir)
52 F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte
Störungen
F20 Schizophrenie 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Kap. 2.8.1
F22 Anhaltende wahnhafte Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.8.3
F25 Schizoaffektive Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.8.2
XIV Gegenstandskatalog

53 F30-F39 Affektive Störungen


F31 Bipolare affektive Störung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.5
F32 Depressive Episode 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.6.1., Kap. 2.9.1
F33 Rezidivierende depressive Störung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.2
F34 Anhaltende affektive Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.9.3
54 F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme
Störungen
F40 Phobische Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.7.1
F41 Andere Angststörungen (z.B. Panikstörung, Generalisierte Angst- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.7.3.,
störung) Kap. 3.7.2., 7 Band Querschnittsbereiche
F42 Zwangsstörung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.11
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und (z.B. Akute Belastungsreaktion, Post- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.8.1.,
Anpassungsstörungen traumatische Belastungsstörung, Kap. 3.8.3., Kap. 3.8.2
Anpassungsstörungen)
F44 Dissoziative Störungen [Konversions- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.10
störungen]
F45 Somatoforme Störungen (z.B. Hypochrondrische Störung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.2
55 F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen
Störungen und Faktoren
F50 Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.3.1.,
Kap. 3.3.2., Kap. 2.5.1., Kap. 2.5.2
F51 Nichtorganische Schlafstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.4.,
7 Band Querschnittsbereiche
F52 Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht (z.B. Erektile Dysfunktion) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.5.1,
durch eine organische Störung oder Krankheit 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Querschnitts-
bereiche
F54 Psychologische Faktoren oder Verhaltens- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.12
faktoren bei anderenorts klassifizierten Krank-
heiten
56 F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F60 Spezifische Persönlichkeitsstörungen (z.B. Dissoziale Persönlichkeitsstörung, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 3.9.1., Kap. 3.9.2
Emotional instabile Persönlichkeits-
störung)
57 F70-F79 Intelligenzminderung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.3
58 F80-F89 Entwicklungsstörungen (z.B. des Sprechens und der Sprache, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10. 4.,
schulischer Fertigkeiten; Frühkindlicher Kap. 2.10.5, Kap. 2.10.6.1
Autismus)
59 F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit
Beginn in der Kindheit und Jugend
F90 Hyperkinetische Störungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.2.1
F91 Störungen des Sozialverhaltens 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.9
F93 Emotionale Störungen des Kindesalters 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.8
F94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in (z.B. Elektiver Mutismus) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.4
der Kindheit und Jugend
F95 Ticstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.2.2
F98 Andere Verhaltens- und emotionale Störun- (z.B. Nichtorganische Enuresis) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.7.1
gen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
60 G00-G09 Entzündliche Krankheiten des Zentral- (z.B. Meningitis, Enzephalitis, Myelitis, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
nervensystems Enzephalomyelitis, Intrakranielle und 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
intraspinale Abszesse und Granulome) 7 Kap. 1.4
61 G10-G13 Systematrophien, die vorwiegend das
Zentralnervensystem betreffen
G10 Chorea Huntington 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2.,
7 Band Grundlagen
G11 Hereditäre Ataxie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.5.
G12 Spinale Muskelatrophie und verwandte 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.4.2
Syndrome
62 G20-G26 Extrapyramidale Krankheiten und
Bewegungsstörungen
G20 Primäres Parkinson-Syndrom (z.B. Demenz mit Lewy-Körperchen 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie,
bei Parkinson-Syndrom) Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.2., Kap. 1.6.2.1
G21 Sekundäres Parkinson-Syndrom 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie,
Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.1
G23 Sonstige degenerative Krankheiten der Basal- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2
ganglien
G24 Dystonie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2
G25 Sonstige extrapyramidale Krankheiten und (z.B. Restless-Legs-Syndrom) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.2
Bewegungsstörungen
63 G30-G32 Sonstige degenerative Krankheiten des
Nervensystems
G30 Alzheimer-Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.3.1.,
7 Band Querschnittsbereiche
XV
Gegenstandskatalog

64 G35-G37 Demyelinisierende Krankheiten des Zentral-


nervensystems
G35 Multiple Sklerose [Encephalomyelitis 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.1
disseminata]
65 G40-G47 Episodische und paroxysmale Krankheiten
des Nervensystems
G40 Epilepsie 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen, 7 Band Neuro-
logie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.8
G41 Status epilepticus 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie,
Psychosomatik 7 Kap. 1.8.1
G43 Migräne 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.9.2

G44 Sonstige Kopfschmerzsyndrome (z.B. Cluster-Kopfschmerz, Vasomotori- 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Uro-
scher Kopfschmerz, Spannungskopf- logie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.9.3.,
schmerz, Chronischer posttraumatischer Kap. 1.9.1., Kap. 1.9.4
Kopfschmerz, Arzneimittelinduzierter
Kopfschmerz)
G45 Zerebrale transitorische Ischämie und ver- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1.1
wandte Syndrome
G46 Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovas- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.,
kulären Krankheiten 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G47 Schlafstörungen 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.6
66 G50-G59 Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln
und Nervenplexus
G50 Krankheiten des N. trigeminus [V. Hirnnerv] 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.1.,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G51 Krankheiten des N. facialis [VII. Hirnnerv] 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.2
G52 Krankheiten sonstiger Hirnnerven 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.4.3
G54 Krankheiten von Nervenwurzeln und Nerven- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.1.,
plexus Kap. 1.10.2
G56 Mononeuropathien der oberen Extremität 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.5.,
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G57 Mononeuropathien der unteren Extremität 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.6
67 G60-G64 Polyneuropathien und sonstige Krankheiten
des peripheren Nervensystems
G61 Polyneuritis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Kap. 1.10.3
G62 Sonstige Polyneuropathien (z.B. Alkoholneuropathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.3
G63 Polyneuropathie bei anderenorts klassifizier- (z.B. Diabetische Polyneuropathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.10.3
ten Krankheiten
68 G70-G73 Krankheiten im Bereich der neuromusku-
lären Synapse und des Muskels
G70 Myasthenia gravis und sonstige neuromusku- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.11.3.1
läre Krankheiten

G71 Primäre Myopathien (z.B. Muskeldystrophien, Myotone 7 Band Grundlagen, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
Syndrome) 7 Kap. 1.11.2., Kap. 1.11.1
G72 Sonstige Myopathien (z.B. Arzneimittelinduzierte Myopathie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.11.3.2.,
7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
69 G80-G83 Zerebrale Lähmung und sonstige Lähmungs-
syndrome
G80 Infantile Zerebralparese 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie

G81 Hemiparese und Hemiplegie 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.2
G82 Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.2.,
Tetraplegie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G83 Sonstige Lähmungssyndrome (z.B. Cauda-equina-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.3.2
70 G90-G99 Sonstige Krankheiten des Nervensystems
G90 Krankheiten des autonomen Nervensystems (z.B. Multisystem-Atrophie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.2.1
G91 Hydrozephalus (z.B. Normaldruckhydozephalus) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.5.2.,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
G95 Sonstige Krankheiten des Rückenmarkes (z.B. Syringomyelie) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik, 7 Kap. 1.6.6.3.,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
71 H00-H06 Affektionen des Augenlides, des Tränen- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
apparates und der Orbita
H00 Hordeolum und Chalazion 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H02 Sonstige Affektionen des Augenlides (z.B. Ektropium, Entropium, Ptosis) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H04 Affektionen des Tränenapparates 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XVI Gegenstandskatalog

72 H10-H13 Affektionen der Konjunktiva 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO


H10 Konjunktivitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
73 H15-H22 Affektionen der Sklera, der Hornhaut, der Iris
und des Ziliarkörpers
H15 Affektionen der Sklera (z.B. Skleritis, Episkleritis) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H16 Keratitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H18 Sonstige Affektionen der Hornhaut (z.B. Keratokonus) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H20 Iridozyklitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H22 Affektionen der Iris und des Ziliarkörpers bei (z.B. Iridozyklitis bei Zoster, bei Spondylitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
anderenorts klassifizierten Krankheiten ankylopoetica)
74 H25-H28 Affektionen der Linse
H25 Cataracta senilis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
H26 Sonstige Kataraktformen (z.B. Cataracta traumatica) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Allgemein-
medizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
75 H30-H36 Affektionen der Aderhaut und der Netzhaut
H30 Chorioretinitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H32 Chorioretinale Affektionen bei anderenorts (z.B. bei Toxoplasmose) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
klassifizierten Krankheiten
H33 Netzhautablösung und Netzhautriss 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H34 Netzhautgefäßverschluss 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H35 Sonstige Affektionen der Netzhaut (z.B. Hypertensive Retinopathie, Retino- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
pathia praematurorum, Altersbedingte
Makuladegeneration [AMD], Retinopathia
pigmentosa)
H36 Affektionen der Netzhaut bei anderenorts (z.B. Diabetische Retinopathie, Athero- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
klassifizierten Krankheiten sklerotische Retinopathie)
76 H40-H42 Glaukom 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
bereiche
77 H43-H45 Affektionen des Glaskörpers und des 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
Augapfels
H43 Affektionen des Glaskörpers (z.B. Glaskörperblutung) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H44 Affektionen des Augapfels (z.B. Endophthalmitis, Intraokularer Fremd- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
körper)
78 H46-H48 Affektionen des N. opticus und der Sehbahn 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H46 Neuritis nervi optici 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H47 Sonstige Affektionen des N. opticus (z.B. Anteriore ischämische Optikusneuro- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
[II. Hirnnerv] und der Sehbahn pathie (AION), arteriosklerotisch)
H48 Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und (z.B. bei Multipler Sklerose) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
der Sehbahn bei anderenorts klassifizierten
Krankheiten
79 H49-H52 Affektionen der Augenmuskeln, Störungen 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
der Blickbewegungen sowie Akkommoda-
tionsstörungen und Refraktionsfehler
H49 Strabismus paralyticus 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H50 Sonstiger Strabismus (z.B. Strabismus concomitans) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H52 Akkommodationsstörungen und Refraktions- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
fehler
80 H53-H54 Sehstörungen und Blindheit 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
81 H60-H62 Krankheiten des äußeren Ohres 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H60 Otitis externa 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
82 H65-H75 Krankheiten des Mittelohres und 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
des Warzenfortsatzes
H65 Nichteitrige Otitis media 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H66 Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
media
H68 Entzündung und Verschluß der Tuba auditiva 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H70 Mastoiditis und verwandte Zustände 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H71 Cholesteatom des Mittelohres 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H72 Trommelfellperforation 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
83 H80-H83 Krankheiten des Innenohres 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H80 Otosklerose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H81 Störungen der Vestibularfunktion (z.B. Ménière-Krankheit) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
H83 Sonstige Krankheiten des Innenohres (z.B. Lärmschwerhörigkeit) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
bereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeit- und Sozial-
medizin, Rechtsmedizin
84 H90-H95 Sonstige Krankheiten des Ohres
H90 Hörverlust durch Schalleitungs- oder Schall- (z.B. Angeborene Taubheit) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
empfindungsstörung Pädiatrie
XVII
Gegenstandskatalog

H91 Sonstiger Hörverlust (z.B. Altersschwerhörigkeit) 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde,
HNO
85 I00-I02 Akutes rheumatisches Fieber 7 Band Innere Medizin
86 I05-I09 Chronische rheumatische Herzkrankheiten
I05 Rheumatische Mitralklappenkrankheiten
I06 Rheumatische Aortenklappenkrankheiten 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
87 I10-I15 Hypertonie [Hochdruckkrankheit]
I10 Essentielle (primäre) Hypertonie 7 Band Grundlagen, 7 Band Innere Medizin
7 Band Querschnittsbereiche
I11 Hypertensive Herzkrankheit 7 Band Innere Medizin
I12 Hypertensive Nierenkrankheit 7 Band Innere Medizin
I15 Sekundäre Hypertonie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Grundlagen
88 I20-I25 Ischämische Herzkrankheiten
I20 Angina pectoris 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I21 Akuter Myokardinfarkt 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
I22 Rezidivierender Myokardinfarkt 7 Band Innere Medizin
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit 7 Band Innere Medizin
89 I26-I28 Pulmonale Herzkrankheit und Krankheiten
des Lungenkreislaufes
I26 Lungenembolie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnitts-
bereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I27 Sonstige pulmonale Herzkrankheiten (z.B. Cor pulmonale) 7 Band Innere Medizin
90 I30-I52 Sonstige Formen der Herzkrankheit
I30 Akute Perikarditis 7 Band Innere Medizin
I31 Sonstige Krankheiten des Perikards (z.B. Chronische Perikarditis) 7 Band Innere Medizin
I34 Nichtrheumatische Mitralklappenkrankheiten 7 Band Innere Medizin,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie

I35 Nichtrheumatische Aortenklappenkrank- 7 Band Innere Medizin


heiten
I38 Endokarditis, Herzklappe nicht näher 7 Band Innere Medizin
bezeichnet
I39 Endokarditis und Herzklappenkrankheiten 7 Band Innere Medizin
bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
I40 Akute Myokarditis 7 Band Innere Medizin
I41 Myokarditis bei anderenorts klassifizierten 7 Band Innere Medizin
Krankheiten
I42 Kardiomyopathie 7 Band Innere Medizin
I44 Atrioventrikulärer Block und Linksschenkel- 7 Band Innere Medizin
block
I45 Sonstige kardiale Erregungsleitungsstörungen (z.B. Rechtsschenkelblock, Präexitations- 7 Band Innere Medizin
Syndrom)
I46 Herzstillstand (z.B. Plötzlicher Herztod) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
I47 Herzstillstand 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
I48 Vorhofflattern und Vorhofflimmern 7 Band Innere Medizin
I49 Sonstige kardiale Arrhythmien (z.B. Kammerflimmern, Sick-Sinus- 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
Syndrom)
I50 Herzinsuffizienz 7 Band Innere Medizin
91 I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten
I60 Subarachnoidalblutung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.3.,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I61 Intrazerebrale Blutung 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.4.,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I62 Sonstige nichttraumatische intrakranielle (z.B. Spontane subarachnoidale Blutung) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.3.3
Blutung
I63 Hirninfarkt 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1
I65 Verschluss und Stenose präzerebraler Arterien (z.B. Basilaristhrombose) 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.1.2
ohne resultierenden Hirninfarkt
I66 Verschluss und Stenose zerebraler Arterien 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
ohne resultierenden Hirninfarkt
I67 Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten (z.B. Hirnatherosklerose, Hirnvenen- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2.2.,
thrombose) Kap. 1.2.4., 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I69 Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.2
XVIII Gegenstandskatalog

92 I70-I79 Krankheiten der Arterien, Arteriolen und


Kapillaren
I70 Atherosklerose 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen,
7 Band Querschnittsbereiche
I71 Aortenaneurysma und -dissektion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
I72 Sonstiges Aneurysma (z.B. Aneurysma der A. carotis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
I73 Sonstige periphere Gefäßkrankheiten (z.B. Raynaud-Syndrom, Thrombangiitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
obliterans, Claudicatio intermittens)
I74 Arterielle Embolie und Thrombose 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
93 I80-I89 Krankheiten der Venen, der Lymphgefäße
und der Lymphknoten, anderenorts nicht
klassifiziert
I80 Phlebitis und Thrombophlebitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
I81 Pfortaderthrombose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin
I82 Sonstige venöse Embolie und Thrombose (z.B. Thrombophilie wie Protein-S-Mangel, 7 Band Innere Medizin
Protein-C-Mangel, APC-Resistenz)
I83 Varizen der unteren Extremitäten (z.B. Ulcus cruris venosum) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
I84 Hämorrhoiden 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I85 Ösophagusvarizen 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
I86 Varizen sonstiger Lokalisationen (z.B. Magenvarizen, Varikozele) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin
I87 Sonstige Venenkrankheiten (z.B. Postthrombotisches Syndrom, Venöse 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere Medizin
Insuffizienz)
I88 Unspezifische Lymphadenitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
I89 Sonstige nichtinfektiöse Krankheiten der (z.B. Lymphödem) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere Medizin
Lymphgefäße und Lymphknoten
94 J00-J06 Akute Infektionen der oberen Atemwege 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J00 Akute Rhinopharyngitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
[Erkältungsschnupfen]
J01 Akute Sinusitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J02 Akute Pharyngitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J03 Akute Tonsillitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J04 Akute Laryngitis und Tracheitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J05 Akute obstruktive Laryngitis [Krupp] und 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Epiglottitis Pädiatrie
J06 Akute Infektionen an mehreren oder nicht (z.B. Grippaler Infekt) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen,
näher bezeichneten Lokalisationen der oberen 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche
Atemwege
95 J10-J18 Grippe und Pneumonie 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grund-
lagen
96 J20-J22 Sonstige akute Infektionen der unteren
Atemwege
J20 Akute Bronchitis 7 Band Innere Medizin
J21 Akute Bronchiolitis (z.B. RSV-Infektion) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
7 Band Grundlagen
97 J30-J39 Sonstige Krankheiten der oberen Atemwege 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J30 Vasomotorische und allergische Rhinopathie 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J31 Chronische Rhinitis, Rhinopharyngitis und 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Pharyngitis
J32 Chronische Sinusitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
J33 Nasenpolyp 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Dermatologie, Augenheil-
kunde, HNO
J34 Sonstige Krankheiten der Nase und der Nasen- (z.B. Nasenfurunkel) 7 Band Chirurgie, Orthopädie,Urologie, 7 Band Dermatologie,
nebenhöhlen Augenheilkunde, HNO
J35 Chronische Krankheiten der Gaumen- und 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Rachenmandeln Pädiatrie
J38 Krankheiten der Stimmlippen und des Kehl- (z.B. Stimmlippenknötchen) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
kopfes, anderenorts nicht klassifiziert
98 J40-J47 Chronische Krankheiten der unteren Atem-
wege
J41 Einfache und schleimig-eitrige chronische 7 Band Innere Medizin
Bronchitis
J43 Emphysem 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
J44 Sonstige chronische obstruktive Lungen- (z.B. COPD) 7 Band Innere Medizin
krankheit
XIX
Gegenstandskatalog

J45 Asthma bronchiale 7 Band Innere Medizin


J46 Status asthmaticus 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Innere Medizin
J47 Bronchiektasen 7 Band Innere Medizin
99 J60-J70 Lungenkrankheiten durch exogene
Substanzen
J61 Pneumokoniose durch Asbest und sonstige (Asbestose) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
anorganische Fasern Rechtsmedizin, 7 Band Innere Medizin
J62 Pneumokoniose durch Quarzstaub (z.B. Silikose) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
J67 Allergische Alveolitis durch organischen Staub (z.B. Farmerlunge) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
100 J80-J84 Sonstige Krankheiten der Atmungsorgane,
die hauptsächlich das Interstitium betreffen
J81 Lungenödem 7 Band Innere Medizin, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin,
7 Band Grundlagen
J84 Sonstige interstitielle Lungenkrankheiten (z.B. Hamman-Rich-Syndrom) 7 Band Innere Medizin
101 J85-J86 Purulente und nekrotisierende Krankheits-
zustände der unteren Atemwege
J86 Pyothorax 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
102 J90-J94 Sonstige Krankheiten der Pleura
J90 Pleuraerguss, anderenorts nicht klassifiziert (z.B. Exsudative Pleuritis) 7 Band Innere Medizin
J91 Pleuraerguß bei anderenorts klassifizierten 7 Band Innere Medizin
Krankheiten
J93 Pneumothorax 7 Band Innere Medizin, 7 Band Querschnittsbereiche,
7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
103 J95-J99 Sonstige Krankheiten des Atmungssystems
J98 Sonstige Krankheiten der Atemwege (z.B. Atelektase, Interstitielles Emphysem, 7 Band Innere Medizin
Mediastinitis)
104 K00-K14 Krankheiten der Mundhöhle, der Speichel-
drüsen und der Kiefer
K10 Sonstige Krankheiten der Kiefer (z.B. Kieferosteomyelitis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K11 Krankheiten der Speicheldrüsen (z.B. Sialolithiasis) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
K12 Stomatitis und verwandte Krankheiten (z.B. Rezidivierende orale Aphthen) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Pädiatrie
K13 Sonstige Krankheiten der Lippe und der (z.B. Cheilitis, Leukoplakie) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Mundschleimhaut Pädiatrie
105 K20-K31 Krankheiten des Ösophagus, des Magens
und des Duodenums
K20 Ösophagitis 7 Band Innere Medizin

K21 Gastroösophageale Refluxkrankheit 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urolo-


gie, 7 Band Innere Medizin

K22 Sonstige Krankheiten des Ösophagus (z.B. Erworbene Divertikel, Mallory-Weiss- 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthiopädie, Urologie
Syndrom, Perforation)
K25 Ulcus ventriculi 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin,
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
K26 Ulcus duodeni 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbetis- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin
K29 Gastritis und Duodenitis 7 Band Innere Medizin
K30 Dyspepsie 7 Band Querschnittsbereiche
106 K35-K38 Krankheiten der Appendix
K35 Akute Appendizitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
107 K40-K46 Hernien
K40 Hernia inguinalis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K41 Hernia femoralis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K42 Hernia umbilicalis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K43 Hernia ventralis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K44 Hernia diaphragmatica 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
108 K50-K52 Nichtinfektiöse Enteritis und Kolitis
K50 Crohn-Krankheit [Enteritis regionalis] 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie und Unfall-
[Morbus Crohn] chirurgie, Urologie
K51 Colitis ulcerosa 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
109 K55-K63 Sonstige Krankheiten des Darmes
K55 Gefäßkrankheiten des Darmes (z.B. Mesenterialinfarkt, Ischämische 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie
Kolitis)
XX Gegenstandskatalog

K56 Paralytischer Ileus und mechanischer Ileus (z.B. Invagination, Bridenileus) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
ohne Hernie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K57 Divertikulose des Darmes 7 Band Innere Medizin, 7 Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie,
Urologie
K58 Reizdarmsyndrom 7 Band Innere Medizin
K60 Fissur und Fistel in der Anal- und Rektalregion 7 Band Innere Medizin
K61 Abszess in der Anal- und Rektalregion 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K62 Sonstige Krankheiten des Anus und (z.B. Analpolyp, Analprolaps) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
des Rektums
K63 Sonstige Krankheiten des Darmes (z.B. Darmabszess, Darmfistel) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Innere Medizin
110 K65-K67 Krankheiten des Peritoneums
K65 Peritonitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
111 K70-K77 Krankheiten der Leber
K70 Alkoholische Leberkrankheit 7 Band Innere Medizin
K71 Toxische Leberkrankheit 7 Band Innere Medizin
K72 Leberversagen, anderenorts nicht klassifiziert 7 Band Innere Medizin
K74 Fibrose und Zirrhose der Leber 7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,Urologie,
7 Band Innere Medizin
K75 Sonstige entzündliche Leberkrankheiten (z.B. Leberabszess, Autoimmune Hepatitis) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K76 Sonstige Krankheiten der Leber (z.B. Fettleber) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Grundlagen
112 K80-K87 Krankheiten der Gallenblase, der Gallen-
wege und des Pankreas
K80 Cholelithiasis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K81 Cholezystitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K83 Sonstige Krankheiten der Gallenwege (z.B. Gallengangsverschluss) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
K85 Akute Pankreatitis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädiee, Urologie
K86 Sonstige Krankheiten des Pankreas (z.B. Chronische Pankreatitis) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
113 K90-K93 Sonstige Krankheiten des Verdauungs-
systems
K90 Intestinale Malabsorption (z.B. Zöliakie) 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
114 L00-L08 Infektionen der Haut und der Unterhaut 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
L00 Staphylococcal scalded skin syndrome 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO7 Band Grundlagen
[SSS-Syndrom]
L01 Impetigo 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L02 Hautabszess, Furunkel und Karbunkel 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie
L03 Phlegmone 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie
L04 Akute Lymphadenitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L05 Pilonidalzyste 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie
L08 Sonstige lokale Infektionen der Haut und (z.B. Pyodermie, Erythrasma) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
der Unterhaut
115 L10-L14 Bullöse Dermatosen 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L10 Pemphiguskrankheiten 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L12 Pemphigoidkrankheiten 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L13 Sonstige bullöse Dermatosen (z.B. Dermatitis herpetiformis Duhring) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
116 L20-L30 Dermatitis und Ekzem 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L20 Atopisches [endogenes] Ekzem 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L21 Seborrhoisches Ekzem 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L22 Windeldermatitis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Pädiatrie
L23 Allergische Kontaktdermatitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L24 Toxische Kontaktdermatitis 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L27 Dermatitis durch oral, enteral oder parenteral (z.B. Arzneimittelexanthem) 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheil-
aufgenommene Substanzen kunde, HNO
L30 Sonstige Dermatitis (z.B. Nummuläres Ekzem) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
117 L40-L45 Papulosquamöse Hautkrankheiten 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L40 Psoriasis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L41 Parapsoriasis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L42 Pityriasis rosea 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L43 Lichen ruber planus 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
XXI
Gegenstandskatalog

118 L50-L54 Urtikaria und Erythem 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO


L50 Urtikaria 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L51 Erythema exsudativum multiforme (z.B. Toxische epidermale Nekrolyse) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L52 Erythema nodosum 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
119 L55-L59 Krankheiten der Haut und der Unterhaut 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
durch Strahleneinwirkung
L55 Dermatitis solaris acuta 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
bereiche
L56 Sonstige akute Hautveränderungen durch (z.B. Polymorphe Lichtdermatose) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
Ultraviolettstrahlen bereiche
L57 Hautveränderungen durch chronische Exposi- (z.B. Aktinische Keratose) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
tion gegenüber nichtionisierender Strahlung bereiche
120 L60-L75 Krankheiten der Hautanhangsgebilde 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO

L60 Krankheiten der Nägel 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO


L63 Alopecia areata 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L64 Alopecia androgenetica 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L70 Akne 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Gynäkologie,
Pädiatrie
L71 Rosazea 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO,
L72 Follikuläre Zysten der Haut und der Unterhaut (z.B. Atherom) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie
L73 Sonstige Krankheiten der Haarfollikel (z.B. Hidradenitis suppurativa) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
bereiche
121 L80-L99 Sonstige Krankheiten der Haut und der
Unterhaut
L80 Vitiligo 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L82 Seborrhoische Keratose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L83 Acanthosis nigricans 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L85 Sonstige Epidermisverdickung (z.B. Cornu cutaneum, Akrale Hyper- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
keratosen)
L88 Pyoderma gangraenosum 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L89 Dekubitalgeschwür 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Querschnitts-
bereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
L90 Atrophische Hautkrankheiten (z.B. Lichen sclerosus et atrophicus, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie,
Narben, Striae cutis atrophicae) Orthopädie, Urologie
L92 Granulomatöse Krankheiten der Haut und (z.B. Granuloma anulare, Nekrobiosis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
der Unterhaut lipoidica)
L93 Lupus erythematodes 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
L94 Sonstige lokalisierte Krankheiten des Binde- (z.B. Sclerodermia circumscripta) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
gewebes
122 M00-M03 Infektiöse Arthropathien
M00 Eitrige Arthritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
M01 Direkte Gelenkinfektionen bei anderenorts (z.B. Arthritis bei Lyme-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
klassifizierten infektiösen und parasitären
Krankheiten
M02 Reaktive Arthritiden (z.B. Reiter-Krankheit) 7 Band Innere Medizin
M03 Postinfektiöse und Reaktive Arthritiden bei 7 Band Innere Medizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie , Urologie
anderenorts klassifizierten Krankheiten
123 M05-M14 Entzündliche Polyarthropathien (z.B. Chronische Polyarthritis, Arthritis 7 Band Innere Medizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie,
psoriatica, Juvenile Arthritis, Gicht, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Dermatologie,
Begleitarthropathien) Augenheilkunde, HNO
124 M15-M19 Arthrose
M15 Polyarthrose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M16 Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M17 Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M19 Sonstige Arthrose (z.B. Omarthrose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
125 M20-M25 Sonstige Gelenkkrankheiten
M20 Erworbene Deformitäten der Finger und (z.B. Hallux valgus) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Zehen
M21 Sonstige erworbene Deformitäten der (z.B. Fallhand) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Extremitäten Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M22 Krankheiten der Patella 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M23 Binnenschädigung des Kniegelenkes [internal (z.B. Meniskusschädigung) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
derangement]
M24 Sonstige näher bezeichnete Gelenk- (z.B. Freier Gelenkkörper) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
schädigungen
M25 Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts (z.B. Hämarthros, Gelenkinstabilität, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
nicht klassifiziert Gelenksteife)
XXII Gegenstandskatalog

126 M30-M36 Systemkrankheiten des Bindegewebes


M30 Panarteriitis nodosa und verwandte Zustände (z.B. Kawasaki-Krankheit) 7 Band Innere Medizin 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M31 Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien (z.B. Hypersensitivitätsangiitis, Riesenzell- 7 Band Innere Medizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
arteriitis)
M32 Systemischer Lupus erythematodes 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M33 Dermatomyositis-Polymyositis 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M34 Systemische Sklerose 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
M35 Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung (z.B. Polymyalgia rheumatica) 7 Band Innere Medizin
des Bindegewebes
127 M40-M43 Deformitäten der Wirbelsäule und des
Rückens
M40 Kyphose und Lordose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M41 Skoliose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M42 Osteochondrose der Wirbelsäule 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M43 Sonstige Deformitäten der Wirbelsäule und (z.B. Spondylolisthesis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
des Rückens
128 M45-M49 Spondylopathien
M45 Spondylitis ankylosans 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M46 Sonstige entzündliche Spondylopathien (z.B. Spondylodiszitis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M47 Spondylose 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M48 Sonstige Spondylopathien (z.B. Lumbale Spinalstenose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
129 M50-M54 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und
des Rückens
M50 Zervikale Bandscheibenschäden (z.B. zervikale Myelopathie) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M51 Sonstige Bandscheibenschäden (z.B. Lumbaler Bandscheibenvorfall) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M53 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des (z.B. Zervikobrachial-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Rückens, anderenorts nicht klassifiziert
M54 Rückenschmerzen (z.B. Lumboischialgie) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
130 M60-M63 Krankheiten der Muskeln
M60 Myositis 7 Band Innere Medizin
M61 Kalzifikation und Ossifikation von Muskeln 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
131 M65-M68 Krankheiten der Synovialis und der Sehnen
M65 Synovitis und Tenosynovitis (z.B. Schnellender Finger) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
132 M70-M79 Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes
M70 Krankheiten des Weichteilgewebes im (z.B. Bursitis praepatellaris) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin,
Zusammenhang mit Beanspruchung, Über- Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
beanspruchung und Druck
M72 Fibromatosen (z.B. Nekrotisierende Fasziitis) 7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M75 Schulterläsionen (z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M76 Enthesopathien der unteren Extremität mit (z.B. Tractus-iliotibialis-Syndrom) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Ausnahme des Fußes
M77 Sonstige Enthesopathien (z.B. Epicondylitis radialis humeri) 7 Band Chirurgie, Orthopädie und, Urologie
M79 Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes, (z.B. Fibromyalgie, Neuralgie) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Innere
anderenorts nicht klassifiziert Medizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Kap. 1.1.2.4., Kap. 1.10.4.1., Kap. 1.10.4.3
133 M80-M85 Veränderungen der Knochendichte und
-struktur
M80 Osteoporose mit pathologischer Fraktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Querschnittsbereiche
M81 Osteoporose ohne pathologische Fraktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
7 Band Querschnittsbereiche
M85 Sonstige Veränderungen der Knochendichte (z.B. Knochenzyste) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
und -struktur
134 M86-M90 Sonstige Osteopathien
M86 Osteomyelitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M87 Knochennekrose (z.B. Idiopathische aseptische Knochen- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
nekrose)
M88 Osteodystrophia deformans [Paget-Krankheit] 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
M89 Sonstige Knochenkrankheiten (z.B. Komplexes regionales Schmerz- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.1.2.4
syndrom)
135 M91-M94 Chondropathien (z.B. M. Perthes, Osteochondrosis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
dissecans 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
136 M95-M99 Sonstige Krankheiten des Muskel-Skelett-
Systems und des Bindegewebes
M99 Biomechanische Funktionsstörungen, (z.B. Knöcherne Stenose des Spinalkanals, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
anderenorts nicht klassifiziert Stenose des Spinalkanals durch Band-
scheiben)
XXIII
Gegenstandskatalog

137 N00-N08 Glomeruläre Krankheiten


N00 Akutes nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N01 Rapid-progressives nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N02 Rezidivierende und persistierende Hämaturie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N03 Chronisches nephritisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N04 Nephrotisches Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie Urologie, 7 Band Innere Medizin
138 N10-N16 Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten
N10 Akute tubulointerstitielle Nephritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N11 Chronische tubulointerstitielle Nephritis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N13 Obstruktive Uropathie und Refluxuropathie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N15 Sonstige tubulointerstitielle Nierenkrank- (z.B. Nierenkarbunkel, Paranephritis) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
heiten
139 N17-N19 Niereninsuffizienz
N17 Akutes Nierenversagen 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin,
7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
N18 Chronische Niereninsuffizienz 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin,
7 Band Querschnittsbereiche
140 N20-N23 Urolithiasis
N20 Nieren- und Ureterstein 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N21 Stein in den unteren Harnwegen (z.B. Blasenstein) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
141 N25-N29 Sonstige Krankheiten der Niere und des
Ureters
N26 Schrumpfniere, nicht näher bezeichnet 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
N28 Sonstige Krankheiten der Niere und des (z.B. Niereninfarkt) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin
Ureters, anderenorts nicht klassifiziert
142 N30-N39 Sonstige Krankheiten des Harnsystems
N30 Zystitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie

N31 Neuromuskuläre Dysfunktion der Harnblase, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie


anderenorts nicht klassifiziert
N32 Sonstige Krankheiten der Harnblase (z.B. Blasenhalsobstruktion) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N34 Urethritis und urethrales Syndrom 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N35 Harnröhrenstriktur 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N39 Sonstige Krankheiten des Harnsystems (z.B. Stressinkontinenz, Urgeinkontinenz, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Innere Medizin,
Harnwegsinfektion, Urosepsis) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
143 N40-N51 Krankheiten der männlichen Genitalorgane
N40 Prostatahyperplasie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N41 Entzündliche Krankheiten der Prostata 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N43 Hydrozele und Spermatozele 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N44 Hodentorsion und Hydatidentorsion 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N45 Orchitis und Epididymitis 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
N46 Sterilität beim Mann 7 Band Chirurgie, Orthopädie und Urologie
N47 Vorhauthypertrophie, Phimose und 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Paraphimose
N48 Sonstige Krankheiten des Penis (z.B. Balanoposthitis, Priapismus, Impotenz 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
organischen Usprungs, Penisfraktur)
N49 Entzündliche Krankheiten der männlichen (z.B. Fournier-Gangrän) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Genitalorgane, anderenorts nicht klassifiziert
144 N60-N64 Krankheiten der Mamma [Brustdrüse]
N60 Gutartige Mammadysplasie (z.B. Fibrozystische Mastopathie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N61 Entzündliche Krankheiten der Mamma 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
[Brustdrüse]
145 N70-N77 Entzündliche Krankheiten der weiblichen
Beckenorgane
N70 Salpingitis und Oophoritis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N71 Entzündliche Krankheit des Uterus, ausge- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
nommen der Zervix
N72 Entzündliche Krankheit der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N73 Sonstige entzündliche Krankheiten im weib- (z.B. Parametritis, Pelveoperitonitis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
lichen Becken Urologie
N75 Krankheiten der Bartholin-Drüsen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N76 Sonstige entzündliche Krankheit der Vagina (z.B. Akute Kolpitis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
und Vulva
XXIV Gegenstandskatalog

146 N80-N98 Nichtentzündliche Krankheiten des weib-


lichen Genitaltraktes
N80 Endometriose 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N81 Genitalprolaps bei der Frau 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N85 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten des (z.B. Glanduläre Hyperplasie, Adenoma- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Uterus, ausgenommen der Zervix töse Hyperplasie)
N86 Erosion und Ektropium der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N87 Dysplasie der Cervix uteri 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N89 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der (z.B. Hochgradige Dysplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Vagina
N90 Sonstige nichtentzündliche Krankheiten der (z.B. Atrophie der Vulva) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Vulva und des Perineums
N91 Ausgebliebene, zu schwache oder zu seltene 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Menstruation
N92 Zu starke, zu häufige oder unregelmäßige 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Menstruation
N94 Schmerz und andere Zustände im Zusammen- (z.B. Dyspareunie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
hang mit den weiblichen Genitalorganen und
dem Menstruationszyklus
N95 Klimakterische Störungen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
N97 Sterilität der Frau 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
147 O00-O08 Schwangerschaft mit abortivem Ausgang
O00 Extrauteringravidität 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O01 Blasenmole 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O03 Spontanabort 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
148 O10-O16 Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft, der Geburt
und des Wochenbettes
O14 Gestationshypertonie [schwangerschafts- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
induziert] mit bedeutsamer Proteinurie
O15 Eklampsie 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
149 O20-O29 Sonstige Krankheiten der Mutter, die vor-
wiegend mit der Schwangerschaft verbun-
den sind
O20 Blutung in der Frühschwangerschaft (z.B. Drohender Abort) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O24 Diabetes mellitus in der Schwangerschaft 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
O26 Betreuung der Mutter bei sonstigen Zustän- (z.B. Übermäßige Gewichtszunahme, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
den, die vorwiegend mit der Schwangerschaft Herpes gestationis)
verbunden sind
150 O30-O48 Betreuung der Mutter im Hinblick auf den (z.B. Mehrlingsschwangerschaft, Übertra- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Feten und die Amnionhöhle sowie mögliche gene Schwangerschaft, Polyhydramnion)
Entbindungskomplikationen
151 O60-O75 Komplikationen bei Wehentätigkeit und (z.B. Abnorme Wehentätigkeit, Geburts- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Entbindung hindernis)
152 O85-O92 Komplikationen, die vorwiegend im
Wochenbett auftreten
O91 Infektionen der Mamma [Brustdrüse] im 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Zusammenhang mit der Gestation
153 O95-O99 Sonstige Krankheitszustände während (z.B. Infektionskrankheiten während der 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
der Gestationsperiode, die anderenorts Schwangerschaft, Schwangerschafts-
nicht klassifiziert sind dermatosen)
154 P00-P04 Schädigung des Feten und Neugeborenen (z.B. Schädigung des Kindes durch 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
durch mütterliche Faktoren und durch Placenta praevia)
Komplikationen bei Schwangerschaft,
Wehentätigkeit und Entbindung
155 P05-P08 Störungen im Zusammenhang mit der
Schwangerschaftsdauer und dem fetalen
Wachstum
P05 Intrauterine Mangelentwicklung und fetale 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Mangelernährung
P07 Störungen im Zusammenhang mit kurzer 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Schwangerschaftsdauer und niedrigem Ge-
burtsgewicht, anderenorts nicht klassifiziert
156 P10-P15 Geburtstrauma 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
157 P20-P29 Krankheiten des Atmungs- und Herz-Kreis- (z.B. Intrauterine Hypoxie, Atemnot-Syn- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
laufsystems, die für die Perinatalperiode drom und Aspirationssyndrome beim Urologie
spezifisch sind Neugeborenen, Angeborene Pneumonie,
Bronchopulmonale Dysplasie bei Frühge-
burtlichkeit, Herzrhythmusstörung beim
Neugeborenen, Persistierender Fetalkreis-
lauf )
158 P35-P39 Infektionen, die für die Perinatalperiode (z.B. Angeborene Sepsis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
spezifisch sind
XXV
Gegenstandskatalog

159 P50-P61 Hämorrhagische und hämatologische Krank-


heiten beim Feten und Neugeborenen
P53 Hämorrhagische Krankheit beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Neugeborenen
P55 Hämolytische Krankheit beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Neugeborenen
P57 Kernikterus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
P59 Neugeborenenikterus durch sonstige und (z.B. Hyperbilirubinämie bei Frühgeburt- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
nicht näher bezeichnete Ursachen lichkeit)
160 P70-P74 Transitorische endokrine und Stoffwechsel-
störungen, die für den Feten und das Neu-
geborene spezifisch sind
P70 Transitorische Störungen des Kohlenhydrat- (z.B. Syndrom des Kindes einer diabeti- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Grundlagen
stoffwechsels, die für den Feten und das schen Mutter)
Neugeborene spezifisch sind
P74 Sonstige transitorische Störungen des Elektro- (z.B. Dehydratation beim Neugeborenen) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
lythaushaltes und des Stoffwechsels beim
Neugeborenen
161 P75-P78 Krankheiten des Verdauungssystems beim
Feten und Neugeborenen
P75 Mekoniumileus 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie
P77 Enterocolitis necroticans beim Feten und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Neugeborenen Urologie
162 P90-P96 Sonstige Störungen, die ihren Ursprung in
der Perinatalperiode haben
P90 Krämpfe beim Neugeborenen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Querschnittsbereiche,
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.8
P91 Sonstige zerebrale Störungen beim Neuge- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
borenen
P92 Ernährungsprobleme beim Neugeborenen 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
163 Q00-Q07 Angeborene Fehlbildungen des Nerven-
systems
Q05 Spina bifida 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie,7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Kap. 1.6.6.2
Q07 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Arnold-Chiari-Syndrom) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Neurologie, Psychiatrie,
Nervensystems Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.4
164 Q10-Q18 Angeborene Fehlbildungen des Auges, (z.B. Angeborene Fehlbildungen des 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
des Ohres, des Gesichtes und des Halses Tränenapparats)
165 Q20-Q28 Angeborene Fehlbildungen des Kreislauf- (z.B. Transposition der großen Gefäße, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
systems Septumdefekte, Klappenstenosen und 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Klappeninsuffizienzen, Hypoplastisches
Linksherzsyndrom, Offener Ductus Botalli,
Aortenisthmusstenose, Lungenvenen-
Fehleinmündungen, Hirngefäßaneurysma)
166 Q30-Q34 Angeborene Fehlbildungen des Atmungs-
systems
Q30 Angeborene Fehlbildungen der Nase (z.B. Choanalatresie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Dermatologie, Augenheil-
kunde, HNO
167 Q35-Q37 Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
168 Q38-Q45 Sonstige angeborene Fehlbildungen des
Verdauungssystems
Q39 Angeborene Fehlbildungen des Ösophagus (z.B. Ösophagusatresie, Ösophagus- 7 Band Chirurgie, Orthopädi, Urologie, 7 Band Innere Medizin,
divertikeln) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
Q40 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Angeborene hypertrophische 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
oberen Verdauungstraktes Pylorusstenose) 7 Band Gynäkologie, Pädiatire
Q43 Sonstige angeborene Fehlbildungen des (z.B. Meckel-Divertikel, Hirschsprung- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Darmes Krankheit)
169 Q50-Q56 Angeborene Fehlbildungen der Genital-
organe
Q51 Angeborene Fehlbildungen des Uterus und (z.B. Uterusaplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
der Cervix uteri
Q52 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Hymenalatresie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
weiblichen Genitalorgane
Q53 Nondescensus testis 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie
Q54 Hypospadie 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q55 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Pendelhoden) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
männlichen Genitalorgane
170 Q60-Q64 Angeborene Fehlbildungen des Harnsystems (z.B. Nierenzyste, Zystische Nierenkrank- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie,
heit, Nierenbecken-Abgangsstenose, 7 Band Innere Medizin
Megaureter, Ektope Niere, Epispadie,
Harnblasenekstrophie)
XXVI Gegenstandskatalog

171 Q65-Q79 Angeborene Fehlbildungen und Defor-


mitäten des Muskel-Skelett-Systems
Q65 Angeborene Deformitäten der Hüfte (z.B. Hüftdysplasie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie
Q66 Angeborene Deformitäten der Füße (z.B. Pes equinovarus congenitus) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie
Q67 Angeborene Muskel-Skelett-Deformitäten des (z.B. Angeborene Skoliose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Kopfes, des Gesichtes, der Wirbelsäule und des
Thorax
Q71 Reduktionsdefekte der oberen Extremität (z.B. Spalthand) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q72 Reduktionsdefekte der unteren Extremität (z.B. Spaltfuß) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q73 Reduktionsdefekte nicht näher bezeichneter (z.B. Dysmelie, Phokomelie) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Extremität (en) Urologie
Q75 Sonstige angeborene Fehlbildungen der (z.B. Kraniosynostose) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Schädel- und Gesichtsschädelknochen Urologie
Q76 Angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule (z.B. Spina bifida occulta, Angeborene 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.2.,
und des knöchernen Thorax Kyphose) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q78 Sonstige Osteochondrodysplasien (z.B. Osteogenesis imperfecta) 7 Band Grundlagen, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Q79 Angeborene Fehlbildungen des Muskel-Ske- (z.B. Omphalozele, Gastroschisis) 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
lett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert Urologie
172 Q80-Q89 Sonstige angeborene Fehlbildungen
Q80 Ichthyosis congenita 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
Q82 Sonstige angeborene Fehlbildungen der Haut (z.B. Mastozytosen, Angeborener nicht- 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
neoplastischer Nävus)
Q85 Phakomatosen, anderenorts nicht klassifiziert (z.B. Neurofibromatose) 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Grundlagen,
7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.6.6.1
Q86 Angeborene Fehlbildungssyndrome durch (z.B. Alkohol-Embryopathie [mit Dys- 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie
bekannte äußere Ursachen, anderenorts nicht morphien])
klassifiziert
173 Q90-Q99 Chromosomenanomalien, anderenorts nicht (z.B. Down-Syndrom, Turner-Syndrom, 7 Band Grundlagen
klassifiziert Klinefelter-Syndrom, Syndrom des fragilen
X-Chromosoms)
174 R95-R99 Ungenau bezeichnete und unbekannte
Todesursachen
R95 Plötzlicher Kindstod 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
175 S00-S09 Verletzungen des Kopfes (z.B. Schädel-Hirn-Trauma) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik
7 Kap. 1.3.1, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie
176 S10-S1 Verletzungen des Halses 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
177 S20-S29 Verletzungen des Thorax 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Urologie
178 S30-S39 Verletzungen des Abdomens, der Lumbo- 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
sakralgegend, der Lendenwirbelsäule und Urologie
des Beckens
179 S40-S49 Verletzungen der Schulter und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Oberarmes
180 S50-S59 Verletzungen des Ellenbogens und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Unterarmes
181 S60-S69 Verletzungen des Handgelenkes und der 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Hand
182 S70-S79 Verletzungen der Hüfte und des Ober- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
schenkels
183 S80-S89 Verletzungen des Knies und des Unter- 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
schenkels
184 S90-S99 Verletzungen der Knöchelregion und des 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie
Fußes
185 T00-T07 Verletzungen mit Beteiligung mehrerer
Körperregionen
186 T08-T14 Verletzungen nicht näher bezeichneter Teile (z.B. Wirbelsäulenfraktur, Rückenmarksver- 7 Band Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 1.3.2.,
des Rumpfes, der Extremitäten oder anderer letzung ohne Höhenbezeichnung) 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie
Körperregionen
187 T15-T19 Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers (z.B. Fremdkörper in den Atemwegen) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
durch eine natürliche Körperöffnung Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche
188 T20-T32 Verbrennungen oder Verätzungen 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO, 7 Band Chirurgie,
Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits-
und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche
189 T33-T35 Erfrierungen 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Uro-
logie, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialme-
dizin, Rechtsmedizin, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
190 T36-T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen, 7 Band Allgemein-
und biologisch aktive Substanzen medizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
191 T51-T65 Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
medizinisch verwendeten Substanzen Rechtsmedizin, 7 Band Grundlagen
XXVII
Gegenstandskatalog

192 T66-T78 Sonstige und nicht näher bezeichnete


Schäden durch äußere Ursachen
T67 Schäden durch Hitze und Sonnenlicht 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
T68 Hypothermie 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
T69 Sonstige Schäden durch niedrige Temperatur (z.B. Frostbeulen) 7 Band Chirurgie, Orthopädie, Urologie, 7 Band Allgemeinmedizin,
Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Quer-
schnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheilkunde, HNO
T71 Erstickung 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
T74 Missbrauch von Personen (z.B. Kindesmisshandlung) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin, 7 Band Gynäkologie, Pädiatrie, 7 Band Neurologie,
Psychiatrie, Psychosomatik 7 Kap. 2.10.1
T75 Schäden durch sonstige äußere Ursachen (z.B. Ertrinken, Schäden durch elektrischen 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Strom) Rechtsmedizin, 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie,
Augenheilkunde, HNO
T78 Unerwünschte Nebenwirkungen, anderenorts (z.B. Anaphylaktischer Schock, Angio- 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Dermatologie, Augenheil-
nicht klassifiziert neurotisches Ödem, Kuhmilchprotein- kunde, 7 Band Innere Medizin
intoleranz)
T79 Bestimmte Frühkomplikationen eines (z.B. Luftembolie, Schock, Kompartment- 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Chirurgie, Orthopädie,
Traumas, anderenorts nicht klassifiziert syndrom) Urologie, 7 Band Grundlagen, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
193 T80-T88 Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen (z.B. Septikämie, Transfusionsreaktion) 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
und medizinischer Behandlung, anderenorts Rechtsmedizin, 7 Band Grundlagen
nicht klassifiziert
194 U00-U49 Vorläufige Zuordnungen für Krankheiten mit
unklarer Ätiologie
195 U04 Schweres akutes respiratorisches Syndrom 7 Band Grundlagen
[SARS]
196 U80-U85 Infektionserreger mit Resistenzen gegen be-
stimmte Antibiotika oder Chemotherapeutika
U80 Erreger mit bestimmten Antibiotikaresisten- 7 Band Grundlagen, 7 Band Querschnittsbereiche
zen, die besondere therapeutische oder hygie-
nische Maßnahmen erfordern
U82 Mykobakterien mit Resistenz gegen Antituber- 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Grundlagen
kulotika (Erstrangmedikamente)
197 V01-X59 Unfälle 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, 7 Band Chirurgie, Ortho-
pädie, Urologie
198 X60-X84 Vorsätzliche Selbstbeschädigung 7 Band Querschnittsbereiche, 7 Band Neurologie, Psychiatrie,
Psychosomatik 7 Kap. 2.11., 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie,
Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin
199 X85-Y09 Tätlicher Angriff 7 Band Allgemeinmedizin, Anästhesie, Arbeits- und Sozialmedizin,
Rechtsmedizin
XXIX

Inhaltsverzeichnis
1 Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.9.2 Migräne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
J. Bremer, H. Wiendl 1.9.3 Cluster-Kopfschmerz . . . . . . . . . . . . . 78
1.1 Neurologische Untersuchung . . . . . . . 3 1.9.4 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz . . 78
1.1.1 Psychischer Befund . . . . . . . . . . . . . . 3 1.10 Erkrankungen des peripheren
1.1.2 Neurologischer Befund . . . . . . . . . . . . 3 Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . 81
1.1.3 Apparative Diagnostik . . . . . . . . . . . . 13 1.10.1 Spinale radikuläre Syndrome . . . . . . . . 81
1.1.4 Liquorpunktion und -diagnostik . . . . . . 15 1.10.2 Plexusparese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
1.1.5 Muskel- und Nervenbiopsie . . . . . . . . . 16 1.10.3 Polyneuropathie, Polyneuritis . . . . . . . 84
1.2 Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn 1.10.4 Hirnnerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
und Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.10.5 Mononeuropathien der oberen
1.2.1 Schlaganfall (Hirninfarkt, Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
zerebrale Blutung) . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.10.6 Mononeuropathien der unteren
1.2.2 Hirnatheriosklerose . . . . . . . . . . . . . . 21 Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
1.2.3 Intrakranielle Blutungen . . . . . . . . . . . 24 1.11 Muskelkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . 96
1.2.4 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose (SVT) 29 1.11.1 Myotone Syndrome . . . . . . . . . . . . . . 96
1.3 Neurotraumatologie . . . . . . . . . . . . . 30 1.11.2 Muskeldystrophien . . . . . . . . . . . . . . 98
1.3.1 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) . . . . . . . . . 30 1.11.3 Neuromuskuläre Erkrankungen . . . . . . 99
1.3.2 Rückenmarksverletzungen,
Cauda-equina-Syndrom . . . . . . . . . . . 31 2 Psychiatrie, Psychotherapie . . . . . . . 103
1.4 Entzündliche Erkrankungen des zentralen E. N. Cho, H. Thieme
Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1 Anamnese, Befunde, Therapie . . . . . . 105
1.4.1 Meningitis, Enzephalitis . . . . . . . . . . . 33 2.1.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
1.4.2 Nichteitrige Meningoenzephalitiden . . . 38 2.1.2 Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
1.4.3 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose . . . . . 39 2.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
1.4.4 Neurosyphilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Körperlich begründbare psychische
1.4.5 Intrakranielle und intraspinale Abszesse 44 Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
1.5 Raumforderungen im ZNS . . . . . . . . . 45 2.2.1 Syndromatische Erscheinungsformen
1.5.1 Hydrozephalus . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 exogener Psychosen . . . . . . . . . . . . . 119
1.5.2 Normaldruckhydrozephalus (NPH) . . . . 45 2.3 Hypoglykämie . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
1.5.3 Hirnödem, erhöhter intrakranieller Druck 2.4 Krankheitsbilder mit sich im Verlauf
(ICP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 verändernden Syndromen . . . . . . . . . . 126
1.5.4 Intrakranielle Tumoren . . . . . . . . . . . . 47 2.4.1 Demenz als gemeinsames Leitsymptom 126
1.6 Demyelinisierende Erkrankungen 2.4.2 Demenz bei Alzheimer-Krankheit . . . . . 128
des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.4.3 Demenz bei HIV-assoziierter
1.6.1 Multiple Sklerose (MS) . . . . . . . . . . . . 53 Enzephalopathie . . . . . . . . . . . . . . . 129
1.6.2 Degenerative, atrophische 2.4.4 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-
ZNS-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 57 Erkrankung (CJE) . . . . . . . . . . . . . . . . 130
1.6.3 Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.4.5 Demenz bei Morbus Parkinson . . . . . . . 130
1.6.4 Degenerative Erkrankungen mit Leit- 2.5 Esstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
symptomen Schwäche, Muskelatrophie . 66 2.5.1 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . 132
1.6.5 Degenerative Erkrankungen mit Leit- 2.5.2 Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . 132
symptom Ataxie . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.6 Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 133
1.6.6 Fehlbildungen von Gehirn 2.7 Missbrauch, Abhängigkeit . . . . . . . . . 134
und Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.7.1 Alkoholismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
1.7 Infantile Zerebralparese . . . . . . . . . . 70 2.7.2 Opioide (Morphintyp) . . . . . . . . . . . . 140
1.8 Epilepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.7.3 Cannabinoide, Marihuana . . . . . . . . . 140
1.8.1 Status epilepticus . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.8 Schizophrenie, anhaltende wahnhafte
1.9 Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Störung, schizoaffektive Störung . . . . 143
1.9.1 Spannungskopfschmerz (SK) . . . . . . . . 76 2.8.1 Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
XXX Inhaltsverzeichnis

2.8.2 Schizoaffektive Störung . . . . . . . . . . . 147 3.3.1 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . 171


2.8.3 Anhaltende wahnhafte Störung . . . . . . 147 3.3.2 Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . 173
2.9 Affektive Erkrankungen . . . . . . . . . . . 149 3.4 Nichtorganische Schlafstörungen . . . . 176
2.9.1 Depressive Störung . . . . . . . . . . . . . . 149 3.5 Nichtorganische sexuelle Funktions-
2.9.2 Rezidivierende depressive Störung . . . . 150 störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
2.9.3 Anhaltende affektive Störung . . . . . . . 151 3.5.1 Erektile Dysfunktion nicht durch orga-
2.9.4 Manie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 nische Störungen/Krankheit bedingt . . . 178
2.9.5 Bipolare Störung . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.6 Affektive Störungen . . . . . . . . . . . . . 181
2.10 Psychiatrische Aspekte im Kinder- 3.6.1 Depressive Episode . . . . . . . . . . . . . . 181
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3.7 Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 182
2.10.1 Kindesmisshandlung . . . . . . . . . . . . . 154 3.7.1 Phobische Störung . . . . . . . . . . . . . . 182
2.10.2 Störungen der Motorik 3.7.2 Generalisierte Angststörung . . . . . . . . 184
und Psychomotorik . . . . . . . . . . . . . . 155 3.7.3 Panikstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
2.10.3 Intelligenzminderung . . . . . . . . . . . . 157 3.8 Belastungsreaktionen, Anpassungs-
2.10.4 Störungen des Sprechens störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
und der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3.8.1 Akute Belastungsreaktion . . . . . . . . . . 187
2.10.5 Störungen im Zusammenhang 3.8.2 Anpassungsstörung . . . . . . . . . . . . . . 189
mit schulischen Leistungen . . . . . . . . . 158 3.8.3 Posttraumatische Belastungsstörung . . . 189
2.10.6 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen . . 160 3.9 Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . 192
2.10.7 Psychogene Störungen . . . . . . . . . . . 161 3.9.1 Dissoziale Persönlichkeitsstörung . . . . . 192
2.10.8 Emotionale Störungen im Kindes- 3.9.2 Emotional instabile Persönlichkeits-
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . 162 störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
2.10.9 Störungen des Sozialverhaltens . . . . . . 162 3.10 Dissoziative Störungen, Konversions-
2.11 Vorsätzliche Selbstbeschädigung . . . . 164 störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
3.11 Zwangstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
3 Psychosomatik . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3.12 Psychologische Faktoren oder
V. Kollenbaum Verhaltensfaktoren bei anderenorts
3.1 Definition, Diagnostik, Therapie . . . . . 166 klassifizierten Krankheiten . . . . . . . . . 197
3.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
3.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Farbabbildungen zu Kapitel 1:
3.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
3.2 Somatoforme Störungen . . . . . . . . . . 168
3.3 Störungen des Essenverhaltens . . . . . 171 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
1 Neurologie
J. Bremer, H. Wiendl

1.1 Neurologische Untersuchung –3


1.1.1 Psychischer Befund –3
1.1.2 Neurologischer Befund –3
1.1.3 Apparative Diagnostik –13
1.1.4 Liquorpunktion und -diagnostik –15
1.1.5 Muskel- und Nervenbiopsie –16

1.2 Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark –16


1.2.1 Schlaganfall (Hirninfarkt, zerebrale Blutung) –16
1.2.2 Hirnatheriosklerose –21
1.2.3 Intrakranielle Blutungen –24
1.2.4 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose (SVT) –29

1.3 Neurotraumatologie –30


1.3.1 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) –30
1.3.2 Rückenmarksverletzungen, Cauda-equina-Syndrom –31

1.4 Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems –33


1.4.1 Meningitis, Enzephalitis –33
1.4.2 Nichteitrige Meningoenzephalitiden –38
1.4.3 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose –39
1.4.4 Neurosyphilis –41
1.4.5 Intrakranielle und intraspinale Abszesse –44

1.5 Raumforderungen im ZNS –45


1.5.1 Hydrozephalus –45
1.5.2 Normaldruckhydrozephalus (NPH) –45
1.5.3 Hirnödem, erhöhter intrakranieller Druck (ICP) –46
1.5.4 Intrakranielle Tumoren –47

1.6 Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS –53


1.6.1 Multiple Sklerose (MS) –53
1.6.2 Degenerative, atrophische ZNS-Erkrankungen –57
1.6.3 Demenz –62
1.6.4 Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptomen Schwäche, Muskelatrophie –66
1.6.5 Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptom Ataxie –67
1.6.6 Fehlbildungen von Gehirn und Rückenmark –68

1.7 Infantile Zerebralparese –70


1.8 Epilepsie –71
1.8.1 Status epilepticus –75

1.9 Kopfschmerzen –76


1.9.1 Spannungskopfschmerz (SK) –76
1.9.2 Migräne –77
1.9.3 Cluster-Kopfschmerz –78
1.9.4 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz –78

1.10 Erkrankungen des peripheren Nervensystems –81


1.10.1 Spinale radikuläre Syndrome –81
1.10.2 Plexusparese –82
1.10.3 Polyneuropathie, Polyneuritis –84
1.10.4 Hirnnerven –87
1.10.5 Mononeuropathien der oberen Extremität –90
1.10.6 Mononeuropathien der unteren Extremität –94

1.11 Muskelkrankheiten –96


1.11.1 Myotone Syndrome –96
1.11.2 Muskeldystrophien –98
1.11.3 Neuromuskuläre Erkrankungen –99
1.1 · Neurologische Untersuchung
3 1
1.1 Neurologische Untersuchung 4 Muskeltonus-Anomalien: Hypertonus (Rigor,
Spastik), Hypotonus
1.1.1 Psychischer Befund 4 Unwillkürliche Spontanbewegungen: Tremor,
Bewegungsunruhe
Im Anamnesegespräch sollte orientierend der psychi- 4 Muskelfaszikulationen: unwillkürliche sichtbare
sche Status erfasst werden: Muskelzuckungen ohne Bewegungseffekt, v. a. bei
4 Bewusstsein Schädigung des Vorderhorns im Rückenmark
4 Orientierung (zu Zeit, Ort, Situation und Person)
4 Aufmerksamkeit und Gedächtnis (amnestische Reflexe
Funktion) Man unterscheidet physiologische von pathologischen
4 Affektivität Reflexen sowie Eigen- und Fremdreflexe.
4 Antrieb Muskeleigenreflexe (MER, . Tab. 1.2) sind Eigenreflexe,
die auf »Lebhaftigkeit« untersucht werden. Sie sollten
an Armen und Beinen etwa gleich lebhaft sein. Norma-
1.1.2 Neurologischer Befund lerweise sind MER seitengleich auslösbar.

1.1.2.1 Kopf und Hirnnerven > Pathologische Reflexe sind Fremdreflexe, die bei
Der Kopf sollte auf erkenn- oder tastbare Läsionen, Ka- Läsion des 1. motorischen Neurons oder der Pyrami-
lottenklopfschmerz, Schmerzen bei Druck auf Austritts- denbahn auftreten und als Pyramidenbahnzeichen
punkte der Trigeminusäste, Beweglichkeit der HWS, bezeichnet werden.
Meningismus untersucht werden (. Tab. 1.1).
Normalerweise werden sie durch inhibitorische Inner-
1.1.2.2 Motorik vation unterdrückt. Dazu gehören die Reflexe der Ba-
Bei der Untersuchung achtet man auf: binski-Gruppe, die alle die gleiche Reflexantwort aus-
4 Lähmungen: Haltungsbesonderheiten, Schonung lösen: tonische Dorsalbewegung der großen Zehe und
bestimmter Körperteile oder Kraftminderung spreizende Plantarflexion der übrigen Zehen »Fächer-
4 Muskuläre Atrophien phänomen«.

. Tab. 1.1. Hirnnerven

Hirnnerv Funktionstestung durch Symptome bei Funktionsstörung


Untersuchung von

I 4 Geruchssinn 4 Hyp- oder Anosmie


Nn. olfactorii

II 4 Gesichtsfeld 4 Gesichtsfeldausfälle, Visusminderung, afferente Störung der Pupillo-


N. opticus 4 Visus motorik
4 Spiegelung des 4 Evtl. Veränderungen am Augenhintergrund
Augenhintergrundes

III 4 Okulo- und Pupillo- 4 Ptosis


N. oculomotori- motorik 4 Beim Geradeausblick Bulbusabweichung nach unten außen
us 4 Einschränkung der Bulbusbeweglichkeit nach innen, oben und unten
4 Schrägstehende Doppelbilder besonders bei Blick nach innen oben
4 Nahakkomodation gestört
4 Mydriasis
4 Absolute Pupillenstarre

IV 4 Okulomotorik 4 Primärstellung des Bulbus nach innen oben, stärker bei Kopfneigung
N. trochlearis zur betroffenen Seite (Bielschowsky-Phänomen)
4 Schräg und übereinander stehende Doppelbilder
4 Kompensatorische Neigung und Drehung des Kopfes zur gesunden
Seite
4 Doppelbilder sind bei Blick nach innen unten am stärksten
4 Kapitel 1 · Neurologie

1 . Tab. 1.1 (Fortsetzung)

Hirnnerv Funktionstestung durch Symptome bei Funktionsstörung


Untersuchung von

V 4 Sensibilität, 4 Sensibilitätsausfälle
N. trigeminus Kaumuskulatur, 4 Ausfall des Kornealreflexes
Korneal- und 4 Ausfall/Schwäche der Kaumuskulatur
Masseterreflex 4 veränderter Masseterreflexes

VI 4 Okulomotorik 4 Beim Gradeausblick diskretes Abweichen des Bulbus nach innen


N. abducens 4 Bei Blick zur betroffenen Seite: Abduktionsdefizit
4 Nebeneinanderstehende Doppelbilder
4 Kompensatorische Drehung des Kopfes zur Gegenseite

VII 4 Mimische Gesichts- 4 Abhängig vom Ort der Läsion


N. facialis muskulatur 4 Zentrale Läsion: Lähmung der kontralateralen oralen mimischen Mus-
4 Geschmack (vordere kulatur, oft inkomplette Lähmung, da Stirnmuskulatur doppelseitig
2/3 der Zunge) innerviert ist
4 Schirmer-Test 4 Periphere Läsion: abhängig vom Ort der Läsion homolaterale Sympto-
me:
4 N. petrosus major: gestörte Tränensekretion, pathologischer Schirmer-
Test
4 N. stapedius: Hyperakusis
4 Chorda tympani: Ageusie der vorderen 2/3 der Zunge; gestörte Spei-
chelsekretion
4 Paresen der mimischen Muskulatur

VIII 4 Gleichgewicht 4 Systematischer Schwindel


N. vestibulo- 4 Nystagmus (Frenzel- 4 Pathologischer Nystagmus
cochlearis Brille) 4 Oszillopsien
4 Hören 4 Peripher-vestibuläre Störung meist starke Übelkeit, Erbrechen,
Untererregbarkeit in der kalorischen Nystagmusprüfung
4 Hirnstammläsion: Übelkeit und Erbrachen oft geringer, normale ther-
mische Labyrintherregbarkeit, oft mit weiteren neurologischen Aus-
fällen kombiniert
4 Hypakusis bei Innenohrschwerhörigkeit
4 Tinnitus

IX 4 Geschmack (hinteres 4 Ageusie, abgeschwächter Würgereflex, Kulissenphänomen, leichte


N. glossopha- 1/3 der Zunge, v. a. Dysphagie, Störung der Speichelsekretion aus der Parotis, Anästhesie
ryngeus bitter) und Analgesie (hinteres Zungendrittel, obere Pharynxschleimhaut,
4 Würgereflex afferent Tonsillen)

X 4 Würgereflex efferent 4 Abschwächung des Würgereflexes, Dysphagie


N. vagus 4 Einseitig: Heiserkeit, näselnde Sprache, Kulissenphänomen
4 Beidseitiger Ausfall: Aphonie, Atemnot
4 Vegetativ: Tachykardie (rechter N. vagus), Arrhythmie (linker N. vagus)

XI 4 Anheben der 4 M. trapezius: Atrophie, Schultertiefstand


N. accessorius Schultern und Kopf- 4 M. sternocleidomastoideus: Schwäche beim Kopfdrehen zur Gegen-
drehung gegen den seite
Widerstand

XII 4 Zungenmuskulatur 4 Abweichen zur kranken Seite beim Herausstrecken der Zunge, ggf.
N. hypoglossus Atrophie und Faszikulieren der Zunge

Optokinetischer Reflex: physiologischer optokinetischer Nystagmus, vestibulo-okulärer Reflex (VOR) und okulozephaler
Reflex = OCR (Puppenaugenphänomen, beruht auf dem VOR, physiologisch bis zum 10. Lebenstag
1.1 · Neurologische Untersuchung
5 1

. Tab. 1.2. Muskeleigenreflexe

Reflex Peripherer Nerv Segment

Masseterreflex N. trigeminus (V3)

Bizepssehnenreflex (BSR) N. musculo cutaneus C5–C6

Brachioradialisreflex (BRR, auch als Radiusperiostreflex, RPR, bezeichnet) N. radialis C5–C6

Trizepssehnenreflex (TSR) N. radialis C6–C7

Trömner-Reflex (Fingerbeugereflex) N. medianus und N. ulnaris C7–C8

Adduktorenreflex (ADR) N. obturatorius L2–L4

Patellarsehnenreflex (PSR; Synonym: Quadriceps-femoris-Sehnenreflex) N. femoralis (L2) L3–L4

Tibialis-posterior-Reflex (TPR) N. tibialis L5

Achillessehnenreflex (ASR; Synonym: Triceps-surae-Reflex) N. tibialis S1–S2

Rossolimo-Reflex N. tibialis S1–S2

Auslösende Reize sind: oder aller 4 Extremitäten = Tetraparese/-plegie. Eine sen-


4 Babinski-Reflex: Bestreichen des lateralen Fuß- sible Lähmung kann auch aus Parese bezeichnet werden.
sohlenrandes (. Abb. 1.1)
4 Chaddock-Reflex: Bestreichen des lateralen Fuß- Ätiopathogenese. Typische Verteilungsmuster bei Lä-
rückens (geeignet bei empfindlichen Menschen) sion im zentralen Nervensystem, z. B. durch Trauma,
4 Gordon-Reflex: Kneten der Wade Blutung, Ischämie, Tumor oder Entzündung:
4 Oppenheim-Reflex: kräftiges Bestreichen der Ti- 4 Hemisymptomatik tritt typischerweise bei einem
biavorderkante von proximal nach distal Prozess im Gehirn auf. Ist das Großhirn betroffen
(z. B. Mediainfarkt) ist die kontralaterale Körper-
Hemi-, Tetra- und Paraplegie, Hemi-, Tetra- hälfte gelähmt.
und Paraparese 4 Tetrasymptomatik deutet auf Läsion im Rücken-
Definition. Bezeichnungen von Symptomen. Parese = mark (Querschnittslähmung) oberhalb oder auf
Minderung bzw. Paralyse oder Plegie = Ausfall der mus- Höhe der Segmente des Plexus brachialis oder im
kulären Kraft. Lähmung einer gesamten Körperhälfte = Hirnstamm hin.
Hemiparese/-plegie; beider Beine = Paraparese/-plegie 4 Parasymptomatik deutet auf eine Rückenmarkslä-
sion unterhalb der Höhe der Segmente des Plexus
brachialis bzw. auf einen Prozess der die Beine ver-
sorgenden Nervenfasern hin, wie beim Mantelkan-
tensyndrom, z. B. bei Meningeom. Auch periphere
Nervenläsionen können ursächlich sein, z. B. Tetra-
parese bei Guillain-Barré-Syndrom, Paraparese bei
Läsion der Cauda equina.

Symptomatik. Siehe oben. Die Lähmung ist bei zentra-


ler Läsion in der Regel spastisch, bei peripherer Läh-
mung schlaff (. Tab. 1.3).

Diagnostik. Anamnese, Befund (Arm- und Beinhaltever-


such dienen der Erkennung diskreter zentraler Paresen).
Wichtig ist die Abklärung der ursächlichen Erkrankung.
. Abb. 1.1. Positiver Babinski-Reflex mit dorsaler Extension
der linken Großzehe und angedeuteter Spreizung der kleinen Therapie. Abhängig von der Grundkrankheit, ggf. ope-
Zehen, besonders deutlich zwischen dem 2. und 3. Strahl rative Dekompression, ggf. symptomatische Therapie.
6 Kapitel 1 · Neurologie

1 . Tab. 1.3. Unterscheidung von zentraler und peripherer Lähmung

Zentrale (»spastische«) Lähmung Periphere (»schlaffe«) Lähmung

Lokalisation der 1. motorisches Neuron (Motorkortex oder Pyramidenbahn) 2. motorisches Neuron im Vorder-
Schädigung bis zu den 2. motorischen Neuronen der Hirnnervenkerne horn des Rückenmarks, vordere Wur-
bzw. in den Vorderhörnern des Rückenmarks (exklusive des zel, peripherer Nerv bis zur motori-
2. Neurons selbst) schen Endplatte

Verteilungsmuster Hemiparese, Paraparese, Tetraparese/-plegie Lähmungen, deren Verteilung einem


der Lähmung Segment, einem Plexus oder einem
peripheren Nerven zuzuordnen ist

Ruhetonus der Eine zentrale Läsion verursacht akut eine schlaffe Lähmung, Hypoton
Muskulatur die später meist hyperton-spastisch wird (bei Läsion von Ze-
rebellum oder zerebellärer Bahnen auch hypoton)

Muskeleigenreflexe Gesteigert Abgeschwächt oder erloschen

Muskelatrophie Nein, evtl. geringe Atrophie Ja

Pyramidenbahn- Positiv Negativ


zeichen (z. B.
Babinski-Zeichen)

In Kürze
Lähmungen

Hemiparese/-plegie; 4 Symptomatik: Parese = Minderung; Plegie = Ausfall der muskulären Kraft. Lähmung
Tetraparese/-plegie, einer gesamten Körperhälfte = Hemiparese/-plegie; beider Beine = Paraparese/-
Paraparese plegie oder aller 4 Extremitäten = Tetraparese/-plegie
4 Ätiologie: Typische Verteilungsmuster bei ZNS-Läsion. Hemisymptomatik v. a. bei
Prozess im Gehirn; Tetrasymptomatik bei Läsion im Rückenmark (Querschnittsläh-
mung); Parasymptomatik bei Rückenmarkläsion unterhalb der Höhe der Segmente
des Plexus brachialis bzw. Läsion der die Beine versorgenden Nervenfasern (z. B.
Mantelkantensyndrom)
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Identifizierung der Ursache
4 Therapie: abhängig von der Grundkrankheit

1.1.2.3 Koordination und Artikulation Wichtig sind die anamnestische Erfassung spontaner
Schmerzen, sensibler Ausfälle (Taubheit) oder Reizstö-
1.1.2.4 Sensibilität rungen (Kribbeln oder Ameisenlaufen).
Man unterscheidet Oberflächen- und Tiefensensibi- Komplexe sensible Leistungen: räumliches Auf-
lität: lösungsvermögen (Zweipunkt-Diskrimination, Der-
Zur Oberflächensensibilität zählen: molexie)
4 Schmerzsinn (Algesie) Dermatom = sensibel versorgtes Hautareal mit Be-
4 Temperatursinn (Thermästhesie) zug zum Rückenmarkssegment und zugehörigen Spi-
4 Tastsinn (Ästhesie) nalnerven. Kenntnis der Dermatome kann wichtig sein
für die Lokalisation einer Läsion (. Tab. 1.4, . Abb. 1.2,
Zur Tiefensensibilität zählen: . Abb. 1.3).
4 Lagesinn (Gelenklagesinn)
4 Bewegungssinn und Kraftsinn
4 Vibrationsempfinden (Pallästhesie)
1.1 · Neurologische Untersuchung
7 1

. Tab. 1.4. Dermatome

Segment Hautareal

C3/4 Schulterbereich

C5 Lateraler Schulterbereich über dem M. deltoideus

C6 Radialseite von Ober- und Unterarm bis zum Daumen

C7 Zwischen C6 und C8 bis zum 2. bis 4. Finger ziehend

C8 Ulnarseite von Ober- und Unterarm bis zum Kleinfinger

L3 Vom Trochanter major über die Streckseite zur Innenseite des Oberschenkels bis zum Knie

L4 Von der Außenseite des Oberschenkels über die Patellaregion zum Unterschenkel vorne innen bis zum inneren
Fußrand

L5 Von oberhalb des Knies am lateralen Kondylus beginnend über den Unterschenkel vorne außen bis zur Großzehe

S1 Von dorsal am Oberschenkel über den Unterschenkel hinten außen über den Außenknöchel zur Kleinzehe

Pathologisch sind:
4 Störungen der Algesie: Hyperalgesie, Hyp- und
Analgesie
5 Kausalgie: brennender Dauerschmerz mit Hy-
perpathie und Allodynie (durch Kurzschlüsse
zwischen sensiblen und vegetativen Fasern bei
unvollständiger Nervenläsion)
5 Hyperpathie: Überempfindlichkeit für sensib-
le Reize bei gleichzeitig erhöhter Reizschwelle,
nach Verletzung peripherer Nerven oder bei
Thalamusläsion
5 Allodynie: Schmerzauslösung durch Reize, die
normalerweise keinen Schmerz verursachen
z. B. Berührung
5 Neuralgie: neuralgiformer, d. h. einschie-
ßender, brennender oder stechender Schmerz
4 Störungen der Thermästhesie: Thermohyp- oder
-anästhesie, Kältehyperpathie (Überempfindlich-
keit auf Kälte)
4 Störungen der Ästhesie
5 Parästhesie: spontane Missempfindung wie
Kribbeln, Brennen, Ameisenlaufen
5 Dysästhesie: ein Reiz wird als eine andere Qua-
lität wahrgenommen
5 Hyper-, Hyp- oder Anästhesie
5 Astereognosie: taktiles Erkennen von Gegen-
ständen ist trotz intaktem Druck- und Berüh-
rungsempfinden gestört (zentrale Läsion)
4 Störungen der Pallästhesie: Pallhyp- oder -anäs-
thesie
4 Dissoziierte Empfindungsstörung: gestörtes
Schmerz- und Temperaturempfinden bei erhalte-
. Abb. 1.2. Radikuläre und periphere Innervation der Haut nem Druck- und Berührungsempfinden
in der Ventralansicht und in der Dorsalansicht
8 Kapitel 1 · Neurologie

. Abb. 1.3. Periphere sensible Versorgung des Kopfes, zentrale sensible Versorgung des Kopfes

Ursachen dissoziierter Empfindungsstörungen: Schmerzentstehung ist dabei ein anderer als der, wo
4 Brown-Séquard-Syndrom er wahrgenommen wird (übertragener Schmerz).
4 Syringomyelie Bei den neuropathischen Schmerzen unterscheidet
4 A.-spinalis-anterior-Syndrom = ischämische Schä- man neuralgiforme Schmerzen, Sympathalgien
digung vorderer Rückenmarkanteile (Commissura wie CRPS und Deafferenzierungsschmerzen.
ant. und Tractus spinothalamicus) auf Höhe und 5 Neuralgiforme Schmerzen entstehen bei Ner-
unterhalb der Läsion, Hinterstränge bleiben intakt venkompression oder -infiltration z. B. durch
5 Unterhalb der Läsion dissoziierte Empfin- Karzinome. CRPS tritt u. a. nach distaler Radi-
dungsstörung und anfangs schlaffe später spas- usfraktur auf. Die Pathogenese ist nicht voll-
tische Parese ständig geklärt.
5 Auf Höhe der Läsion dissoziierte Empfin- 5 Deafferenzierungsschmerzen entstehen durch
dungsstörung und schlaffe Parese sowie Bla- komplette Durchtrennung von Nerven.
sen- und Mastdarmlähmung, Priapismus
Symptomatik. Neuralgiforme Schmerzen sind bren-
Schmerzen inkl. nend, scharf und einschießend und werden in das Ver-
»complex regional pain syndrome« (CRPS) sorgungsgebiet eines Nerven projiziert.
Synonym. Für CRPS: sympathische Reflexdystrophie,
sympathische Algodystrophie, Sudeck-Syndrom. Sympathalgien/CRPS: Schmerzen können keinem spe-
zifischen Nerven zugeordnet werden, Mitbeteiligung
Definition. Schmerz ist eine komplexe Sinneswahrneh- sympathischer Nervenfasern bewirkt Durchblutungs-
mung unterschiedlicher Qualität, die in der Regel als störungen, Veränderung der Schweißneigung, Haut-,
unangenehm empfunden wird. Sie entsteht durch Rei- Nagel- und Haarwachstumsveränderungen, Kausal-
zung von Nozizeptoren bei Gewebeschädigung oder gien und Hyperalgesien.
durch eine Nervenläsion (neuropathischer Schmerz). Verlauf der CRPS in 3 Stadien:
4 Akute entzündliche Schwellung: 0–3 Monate,
Ätiopathogenese. Differenziert wird in: starker Schmerz, vermehrten Nagel- und Haar-
4 Nozizeptorschmerzen entstehen durch direkte wachstum
Gewebeschädigung und nachfolgende Reizung von 4 Dystrophie: 3–6 Monate
Nozizeptoren. 4 Atrophie: 6–12 Monate = Endstadium: Atrophie
4 Neuropathischer Schmerz entsteht im zentralen der Muskeln, Knochen, Fibrose und Ausbildung
oder peripheren Nervensystem. Der Ort der von Kontrakturen, Blaufärbung, Kältegefühl
1.1 · Neurologische Untersuchung
9 1

Der Verlauf ist individuell unterschiedlich, eine sponta- Epidemiologie. 0,6–4% der Bevölkerung, überwiegend
ne Totalremission möglich. Frauen.

Diagnostik. Anamnese, Befund, Identifizierung der Ur- Symptomatik. Diagnosekriterien des ACR (American
sache/Ausmaß der Schädigung. College of Rheumatology):
4 Schmerz in mindestens 3 Körperregionen über
Therapie. Die Therapie, insbesondere chronischer mindestens 3 Monate
Schmerzen ist schwierig, sie sollte dann interdisziplinär 4 Mindestens 11 schmerzhafte von 18 getesteten
erfolgen. Optionen: konservative (Physio-, Psycho- und »tender points«
medikamentöse Therapie) und operative Maßnahmen 4 Vegetative Symptome: kalte Akren, Hyperhidrosis,
(Dekompression eines Nerven, Schmerzpumpen). Tremor, Mundtrockenheit
Bei CRPS symptomatische Therapie: 4 Funktionelle Beschwerden: Schlafstörungen, Glo-
4 Physiotherapie: in der Phase der akuten Entzün- busgefühl, Abgeschlagenheit, Atem- und Herzbe-
dung Ruhigstellung der betroffenen Extremität, schwerden, gastrointestinale Beschwerden, Dys-
Lymphdrainage, später aktive Übungen menorrhö, Dysurie
4 Medikamentöse Schmerztherapie: trizyklische
Antidepressiva, Kalziumkanalblocker, periphere Diagnostik. Anamnese, Befund (Diagnosekriterien),
Analgetika (NSAIDS: Aspirin, Paracetamol) oder normale Laborwerte, Ausschluss anderer Ursachen für
Opioide (Morphin). Kalzitonin (Nasenspray) kann die Symptome.
den Verlauf positiv beeinflussen
4 Lokale Anwendung von steroidhaltiger Salbe oder Therapie. Multimodale symptomatische Therapie:
DMSO Physio-, Sport- und physikalische Therapie, psycholo-
4 Blockade des sympathischen Ganglion stellatum gische Begleittherapie, Entspannungsübungen, medi-
(innerhalb der ersten 6 Monate) kamentöse Therapie mit Antidepressiva, Antikonvulsi-
va. Bis zu 50% der Betroffenen profitieren von Ernäh-
Fibromyalgie rungsumstellung.
Definition. Multifokales Schmerzsyndrom mit typi-
schen schmerzhaften Druckpunkten (»tender points«) ! Cave
sowie vegetativen und funktionellen Beschwerden. Medikamentenmissbrauch bei unkontrollierter Anal-
getika-Einnahme.
Ätiopathogenese. Unbekannt.

In Kürze

Schmerzsyndrome

Fibro- 4 Symptomatik: Diagnosekriterien: Schmerzen in Muskeln, Sehnen und Sehnenansätzen mindes-


myalgie tens 3 Monate sowie »tender points«; begleitend vegetative und funktionelle Symptome
4 Ätiologie: unklar
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss rheumatischer Erkrankungen, Borreliose etc.
4 Therapie: multimodal symptomatisch

CRPS 4 Symptomatik: Schmerzen, sympathische Dysregulation mit Vasokonstriktion und Durchblutungs-


störungen, Veränderung der Schweißneigung, Haut-, Nagel- und Haarwachstumsveränderungen.
Verlauf in 3 Stadien:
5 Akute entzündliche Schwellung
5 Dystrophie
5 Atrophie
4 Ätiopathogenese: nach Trauma mit oder ohne Nervenläsion, oft nach distaler Radiusfraktur (frü-
her M. Sudeck)
4 Diagnostik: Anamnese, Befund
4 Therapie: symptomatisch: Physiotherapie, kontrollierte medikamentöse Schmerztherapie, lokale
Anwendung von steroidhaltiger Salbe oder DMSO, Blockade des sympathischen Ganglion stellatum
10 Kapitel 1 · Neurologie

1.1.2.5 Vegetative Funktion Zentrales Horner-Syndrom


1 Dazu gehören: 4 Läsion zwischen Hypothalamus und Seitenhörnern
4 Schweißdrüsensekretion, Vasomotorik, Piloarrek- im Rückenmark, fast immer mit Schweißsekretions-
tion störungen
4 Miktion, Defäkation, Genitalfunktion, Verdauung
4 Herzfrequenzregulation und -variabilität
4 Pupillomotorik, Tränen- und Speicheldrüsensekre- 1.1.2.6 Neuropsychologische Syndrome
tion Störungen komplexer neuropsychischer Funktionen,
die oft kombiniert auftreten und auf kortikale Funkti-
Peripheres Horner-Syndrom onsstörungen hindeuten.
4 Trias: Ptosis, Miosis, Enophthalmus Aphasie (. Tab. 1.5), Apraxie (Störung der Ausfüh-
4 Bei Wurzelläsion von Th3 oder darunter bzw. bei Läsion rung willkürlicher, zielgerichteter und geordneter Be-
des Grenzstrangs zwischen Ganglion stellatum und wegungen bei erhaltener Motorik und Koordination,
Ganglion cervicale sup. zusätzlich ipsilaterale Schweiß- v. a. bei parietaler Läsion), Akalkulie, Agnosie (Stö-
sekretionsstörung im Gesicht rung des Erkennens bei erhaltener Funktion der jewei-
4 Bei Läsion des Ganglion stellatum Schweißsekretions- ligen Sinnesorgane), Alexie, Agraphie.
störung im Gesichts, an Hals und Arm Neglect: Störung der Aufmerksamkeit auf Reize
4 Keine Schweißsekretionsstörungen bei Läsion der Vor- trotz erhaltener Wahrnehmung (. Abb. 1.4). Wird ein
derwurzeln C8–Th2 vor Erreichen des Grenzstrangs Reiz auf beiden Seiten gleichzeitig dargebotenen, wird
4 Bei Grenzstrangläsion kaudal des Ganglion stellatum er auf der betroffenen Seite nicht wahrgenommen, wohl
Schweißsekretionsstörungen des oberen Körpervier- aber wenn die Reizung nur auf dieser Seite erfolgt. Man
tels ohne Horner-Syndrom unterscheidet sensiblen, visuellen, auditorischen und

. Tab. 1.5. Aphasien

Motorische Aphasie Sensorische Aphasie Amnestische Aphasie


(Broca-Aphasie) (Wernicke-Aphasie) Ausgedehnte Schädigung
Schädigung posterior-inferior Schädigung posterior-superior temporo-parietal
im Frontallappen der domi- im Temporallappen der domi-
nante Hemisphäre (meist links) nanten Hemisphäre

Sprachproduktion Nicht-flüssig, vermehrte Flüssig Meist flüssig


Sprachanstengung

Artikulation Oft dysarthrisch Oft ungestört Oft ungestört

Satzbau Agrammatismus mit Tele- Paragrammatismus (grammatika- Kaum gestört


grammstil der Sätze lisch fehlerhafte Sätze)

Wortfindung Eng begrenztes Vokabular, Viele semantische Paraphasien = Wortfindungsstörungen


kaum semantische Paraphasien Benutzung von existierenden aber mit Ersatzstrategien
falsch verwendeten Wörtern. (Umschreibungen)

Lautbildung Viele phonematische Viele phonematische Paraphasien Wenig phonematische


Paraphasien = Lautverwechs- + Neologismen = neue Wort- Paraphasien
lungen schöpfungen, bis zur Unverständ-
lichkeit = Jargon

Srachverständnis Gering gestört Stark gestört Gering gestört

Nachsprechen Gestört Gestört Intakt

Globale Aphasie: Störung von Sprachverständnis sowie -produktion. Oft werden nur einzelne Worte gesprochen, es beste-
hen ausgeprägte Paraphasien oder Neologismen. Verbale Kommunikation ist kaum möglich.
Leitungsaphasie: Sonderform mit Störung insbesondere des Nachsprechens und Schreibens eines Diktats
1.1 · Neurologische Untersuchung
11 1

4 Nackenbeugezeichen (Signe de Lhermitte): Krib-


bel-Parästhesien der Hände und elektrisierende
Schmerzen entlang der Wirbelsäule evtl. bis in die
Extremitäten bei Beugung des Kopfes (z. B. bei Me-
ningismus oder multipler Sklerose).

Nervendehnungszeichen:
4 Lasègue-Zeichen: Das gestreckte Bein des Patien-
ten wird langsam passiv angehoben. Das Zeichen ist
positiv, wenn der Patient dabei unter 70° bzw. sei-
tendifferent einen homolateralen lumbalen und ins
Bein ausstrahlenden Schmerz spürt. Dies weist auf
eine Läsion der Spinalnervenwurzeln L4–S1 hin.
4 Ist dieser Test bei zusätzlicher Dorsalflexion im Fuß
auffällig, spricht man von positivem Bragard-Go-
wers-Zeichen.
4 Umgekehrtes Lasègue-Zeichen: Wird in Bauchla-
ge getestet, bei Überstreckung in der Hüfte wird der
N. femoralis gedehnt. Dabei auftretende sakrale
Schmerzen weisen auf Läsion der Spinalnerven-
wurzeln L2–L4 hin.
4 Gekreuztes Lasègue-Zeichen: Beschreibt Schmer-
zen bei Prüfung des Lasègue-Zeichens in der kon-
tralateralen Hüfte.

Opisthotonus: Krampfartige Überstreckung von Kopf,


. Abb. 1.4. Vernachlässigung einer (hier der linken) Raum- Nacken- und Rückenmuskulatur, v. a. bei Meningitis
hälfte beim Abzeichnen oder freien Zeichnen einer Blume.
und Tetanus.
(Aus Poeck 1989)
1.1.2.8 Untersuchung bei quantitativen
motorischen Neglect. Die Mitte eines vorgehaltenen Bewusstseinsstörungen
Gegenstands wird oft nicht mittig, sondern kontralate-
ral zur Seite des Neglects angegeben. Wird der Patient Quantitative Bewusstseinsstörungen
aufgefordert, ein Bild zu beschreiben oder abzumalen, 4 Benommenheit: wach, aber verlangsamte Re-
wird eine Seite vernachlässigt. Die ursächliche Läsion aktion
liegt meist rechts-, seltener linksparietal. 4 Somnolenz: schläfriger Zustand, durch äußere
Reize noch voll erweckbar
1.1.2.7 Meningismus und 4 Sopor: schlafähnlicher Zustand, durch äußere
Nervendehnungszeichen Reize nicht mehr voll erweckbar; nur stärkste
Meningismus: Schmerzen und Gegenspannen im Na- Stimuli wie Schmerzreize können verzögerte,
cken (Nackensteife) bei passiver Beugung des Patien- aber gezielte Abwehrreaktionen auslösen.
tenkopfes als Hinweis auf eine meningeale Reizung 4 Koma: unerweckbarer Patient, Augen meist
(Meningitis, Meningoenzephalitis, Subarachnoidalblu- geschlossen:
tung, Sonnenstich, evtl. nach Liquorpunktion). Ner- – Leichtes Koma:
vendehnungstests können dabei positiv sein. – I: gezielte Abwehrreaktion auf Schmerz-
Dehnungstests der Meningen: Bei Reizung oder reize
Schädigung von Meningen oder mit ihnen verbunde- – II: konstant ungezielte Abwehrreaktion
ner Spinalnervenwurzeln führt die passive Dehnungen auf Schmerzreize
zu typischer Schonhaltung zur Schmerzlinderung: – Tiefes Koma:
4 Brudzinski-Zeichen: Bei Beugung des Kopfes wer- – III: ungezielte Abwehrreaktion auf
den Hüfte- und Kniegelenk gebeugt. Schmerzreize; vestibulo-okulärer Reflex
4 Kernig-Zeichen: Bei Beugung im Hüftgelenk kann 6
der Patient das Kniegelenk nicht gestreckt halten.
12 Kapitel 1 · Neurologie

und intaktes Mittelhirn sind Bewusstsein und Wachheit


1 und okulozephaler Reflex pathologisch, voll erhalten.
evtl. Beuge- und Strecksynergismen, Pu-
pillen variabel Hirntod
– IV: keine Schmerzreaktion, Pupillen weit Irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Groß-, des
und reaktionslos Kleinhirns und des Hirnstamms. Durch kontrollierte
Beatmung kann die Herz- und Kreislauffunktion noch
künstlich aufrechterhalten werden.
Mögliche Ursachen: Dem Hirntod geht eine akute schwere primäre
4 Kortikale Hypoxie nach Reanimation bei Herz- Hirnschädigung (Trauma, Blutung, Infarkt, Tumor
und Atemstillstand, Narkosezwischenfall etc.) oder eine sekundäre Hirnschädigung (z.B. Hypoxie
4 Isolierte Hirnstammläsionen bei Ischämie, Blu- durch kardial bedingten Kreislaufstillstand, lang dau-
tung, Kompression etc. ernden Schock) voraus. Ausgeschlossen werden müs-
4 Metabolische Enzephalopathie (diabetisch, hepa- sen andere Ursachen der Symptome wie Intoxikation/
tisch, urämisch) Medikamentenwirkung, neuromuskuläre Blockade,
4 Intoxikation (Alkohol) Unterkühlung, endokrine, metabolische oder entzünd-
4 Enzephalitis liche Erkrankungen.
4 SVT Diagnosestellung erfordert:
4 Trauma 4 Feststellung der oben genannten Vorerkrankun-
4 Raumforderung mit erhöhtem Hirndruck gen
4 Feststellung der klinischen Symptome: Bewusstlo-
Kriterien zur Beurteilung des komatösen Patienten: sigkeit (Koma – ohne Augenöffnung und ohne an-
4 Bewusstsein dere zerebrale Reaktion auf wiederholte adäquate
4 Körpermotorik Schmerzreize), Hirnstamm-Areflexie (Lichtstarre
4 Pupillen (Größe, Symmetrie, Reaktion) mittel- bis maximal weite Pupillen, Fehlen von Ves-
4 Bulbusstellung und Okulomotorik tibularisfunktion OCR, kalorische Vestibularisprü-
4 Kreislauf und Atmung fung, des Kornealreflexes, von Reaktionen auf
Schmerzreize im Trigeminusbereich und des Pha-
Die Glasgow Coma Scale (GCS) dient der standardi- ryngeal- und Trachealreflexes), Atemstillstand
sierten Untersuchung der Bewusstseinslage und um- (Apnoe)
fasst Beurteilung von Augenöffnen sowie der besten 4 Nachweis der Irreversibilität der klinischen Aus-
motorischen und verbalen Reaktion. fallsymptome

Apallisches Syndrom Der Ausfall der Spontanatmung muss im Apnoe-Test


Ausfall der Funktion des zerebralen Kortex (Ausfall des festgestellt werden. Ein zentraler Atemstillstand liegt
Bewusstseins) bei erhaltenem Aktivierungssystem der vor, wenn beim zuvor kardiopulmonal gesunden Men-
Formatio reticularis (erhaltene Wachheit, Coma vigile). schen bei einem paCO2 von 60 mmHg keine Eigenat-
Augen können schlafähnlich geschlossen oder of- mung einsetzt.
fen sein, es fehlen jedoch Blickkontakt und Reaktion
auf verbale und Schmerzreize. Typisch sind generali- > Die Erfüllung der Voraussetzungen und alle geforder-
sierte Tonuserhöhung, fehlende Willkürmotorik, orale ten klinischen Symptome müssen übereinstimmend
Automatismen (Schnauz- und Saugreaktion), vegetati- und unabhängig von 2 qualifizierten Ärzten festge-
ve Enthemmung mit Tachykardie, Hyperpnoe, ver- stellt und dokumentiert werden.
mehrtem Schwitzen und gesteigertem Stoffwechsel.
Bei primären supratentoriellen oder sekundären Hirn-
Locked-in-Syndrom schädigungen muss die Irreversibilität der klinischen
Durch bilaterale Schädigung der ventralen Pons fal- Ausfallsymptome nachgewiesen werden. Dies erfolgt
len kortikobulbäre und kortikonukleäre Bahnen sowie entweder durch klinische Beobachtung über eine be-
Teile der Formatio reticularis aus. Symptome: Tetrapa- stimmte Zeit:
rese, Ausfall fast aller Hirnnerven und aller Hirn- 4 ab dem 3. Lebensjahr bei primärer Hirnschädigung
stammreflexe. Erhaltene Willkürbewegungen sind Lid- mindestens 12 h,
bewegungen, evtl. vertikale Augenbewegungen und 4 bei sekundärer Hirnschädigung mindestens 3
Atemfunktion. Durch intakte dorsale Brückenanteile Tage,
1.1 · Neurologische Untersuchung
13 1

oder durch ergänzende Untersuchungen ohne weitere Potenzials. So genannte F-Wellen und H-Reflexe sind
Beobachtungszeit: wichtig in der Diagnostik proximaler peripherer Ner-
4 Null-Linien-EEG über mindestens 30 min, venläsionen.
4 zerebraler Zirkulationsstillstand in Dopplersono- Die transkranielle Magnetstimulation dient der
graphie, Angiographie bzw. Perfusionsszintigra- Messung der Leitfähigkeit im Tractus corticospinalis und
phie. in peripheren Nerven inkl. motorischer Hirnnerven. Ge-
messen werden motorisch evozierte Potenziale (MEP).
Bei primärer infratentorieller Hirnschädigung kann Die zentrale motorische Leitzeit kann daraus abgeleitet
der Hirntod immer erst durch ein Null-Linien-EEG werden. Sie dient z. B. der Frühdiagnostik von multipler
oder durch Nachweis des zerebralen Zirkulationsstill- Sklerose, amyotrophischer Lateralsklerose.
standes festgestellt werden.
Elektromyographie (EMG)
Untersuchung der elektrischen Aktivität der Muskulatur.
1.1.3 Apparative Diagnostik Eine in den Muskel eingestochene konzentrische Nadel-
elektrode dient der Ableitung von Potenzialschwankungen,
1.1.3.1 Bildgebende Verfahren die durch Aktivierung motorischer Einheiten entstehen.
4 Röntgen Beurteilt werden: Einstich- und Spontanaktivität, Potenzi-
5 Röntgen-Nativaufnahme ale motorischer Einheiten, maximale Willküraktivität.
5 Röntgenaufnahme nach Stenvers/Schüller Stimulations-EMG (Ermüdungstest-EMG): Repeti-
5 Myelographie tive Reizung führt bei Myasthenia gravis zu Amplituden-
5 Zerebrale Angiographie: zunehmend als arteri- abnahme (Dekrement), bei Pseudomyasthenie zu vorü-
elle DSA, digitale Subtraktionsangiographie bergehender Amplitudenzunahmen (Inkrement). Patho-
5 Ggf. interventionelle Verfahren (Aneurysma- logische Einstichaktivität mit myotoner Entladungsserie
Coiling, Stentimplantation) ist typisch bei Myotonien (Sturzkampfbombergeräusch).
4 Computertomographie (CT)
5 Nativ-CT Evozierte Potenziale (EP)
5 CT mit Kontrastmittel (KM) EEG-Veränderungen nach Reizapplikation, VEP (nach
5 CT-Angiographie visueller Stimulation), SEP (nach sensibler), AEP (nach
5 Myelo-CT akustischer Stimulation).
4 Kernspintomographie (MRT, Magnetresonanzto-
mographie, NMR, »nuclear magnetic resonance«) Elektroenzephalographie (EEG)
5 MR-Angiographie Messung der elektrischen Aktivität der Hirnrinde mit-
4 Ultraschall tels auf der Schädeldecke lokalisierter Oberflächene-
5 Dopplersonographie (hirnversorgende Arte- lektroden, v. a. in der Epilepsiediagnostik, aber auch
rien) bei Intoxikation, Enzephalitis, Stoffwechselerkrankun-
5 Transkranielle Dopplersonographie (intrakra- gen, Trauma, intraoperativ als Monitoring, differenzi-
nielle Gefäße) aldiagnostisch bei Koma und zum Hirntodnachweis.
5 B-Mode-Sonographie Vermutlich entsprechen kortikale Spannungsschwan-
5 Farbkodierte Duplex-Sonographie (FKDS, kungen synchronisierten postsynaptischen Potenzia-
Kombination aus Dopplersonographie und len in größeren Nervenzellverbänden. Der Spannungs-
B-Bild) verlauf dieser Summenpotenziale wird in der EEG-
4 Liquorszintigraphie (Injektion von 169Ytterbium- Kurve über die Zeit aufgezeichnet. Beurteilt werden:
DTPA, Liquorfistel) 4 Amplitude
4 Knochenszintigraphie 4 Frequenz
4 Wellenform
1.1.3.2 Neurophysiologische Methoden 4 Lokalisation pathologischer Potenziale
Elektroneurographie (ENG)
Die Messung der sensiblen und motorischen Nervenleit- Pathologische Befunde (. Abb. 1.5, . Abb. 1.6) sind:
geschwindigkeit (NLG) dient der Objektivierung und 4 Herdbefunde: kortikale Funktionsstörung über
Lokalisation von Störungen der Nervenleitung. einem umschriebenen Hirnareal als fokale Ver-
Schädigung der Myelinscheide vermindert v. a. langsamung der Grundaktivität
die NLG. Primär axonale Schädigung beeinflusst die 4 Allgemeinveränderungen: Verlangsamung oder
NLG oft nur wenig, verringert aber die Amplitude des Beschleunigung der Grundaktivität
14 Kapitel 1 · Neurologie

a b
. Abb. 1.5a, b. Ten-twenty-System. a Schemazeichnung, b EEG-Haube zur Ableitung

b
. Abb. 1.6a, b. a EEG- Ableitung bei Absence bei Pyknolep- myoklonischer Anfälle. Fast kontinuierliches, generalisiertes
sie. Spike-and-wave-Komplexe über allen Regionen. b Staus Polyspike-wave-Muster
1.1 · Neurologische Untersuchung
15 1

4 Epilepsiespezifische Potenziale: steile und spitze weisen, entwickelt sich aber meist erst im Verlauf
Wellen (»sharp waves«, »spikes«, »polyspikes«), von Tagen, ein erhöhter Hirndruck sollte daher
Spitzen mit langsamer Nachschwankung (»spike mittels Bildgebung ausgeschlossen werden.
waves«). Evtl. werden diese erst durch Provokation 4 Blutungsneigung: Quick, PTT und Thrombozy-
wie Hyperventilation, Stimulation durch Flacker- tenzahl kontrollieren
licht (Photostimulation), Schlafen nach vorange- 4 Infektion an der Punktionsstelle
gangenem Schlafentzug erkennbar.
Durchführung: Liquorgewinnung erfolgt über eine
Liquorpunktion, meist als Lumbalpunktion mittels lan-
1.1.4 Liquorpunktion und -diagnostik ger Hohlnadel mit Mandrin meist zwischen dem 3./4.
oder 4./5. Lendenwirbeldornfortsatzes. Merke: In Höhe
Indikation bei Verdacht auf: der Beckenkämme liegt LWK 4.
4 Entzündlichen Prozess: Meningitis, Enzephalitis, Mögliche Komplikationen:
Multiple Sklerose, Guillain-Barré-Syndrom, Kolla- 4 Postpunktionelles Syndrom: Liquorunterdruck
genose durch Liquorverlust an der Punktionsstelle bewirkt
4 Subarachnoidalblutung Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel,
4 Meningeosis leucaemica oder carcinomatosa Tinnitus, Meningismus und orthostatische Be-
schwerden
Kontraindikationen sind: 4 Selten: Infektionen an der Punktionsstelle bzw. im
4 Hirndrucksteigerung: Gefahr der unteren Ein- Liquorraum
klemmung durch postpunktionellen Druck- 4 Blutungen
abfall. Eine beim Augenspiegeln festgestellte Stau-
ungspapille kann auf erhöhten Hirndruck hin- Zur Diagnostik . Tab. 1.6.

. Tab. 1.6. Liquordiagnostik

Normwerte Pathologische Befunde

Äußerer Aspekt Klar, pH 7,3 Trübe oder eitrig bei Meningitis


Spezifisches Gewicht = Rot bei frischer Blutung
1,003–1,009 g/cm3 Xanthochrom (gelb) bei älterer Blutung

Liquordruck 15–25 cm H2O im Sitzen, Queckenstedt-Versuch: bei intakter Liquorpassage kommt es


6–20 cm H2O im Liegen bei Abdrücken der Vv. jugulares zur Druckerhöhung

Eiweiß 15–45 mg/dl Eine Erhöhung hat unterschiedliche Ursachen. Ob eine Schran-
Albumin bis 35 mg/dl kenstörung oder autochthone IgG-Produktion vorliegt, kann
IgG bis 4 mg/dl man mit dem Reiber-Schema beurteilen (. Abb. 1.7). Die
Pandy-Reaktion dient dem orientierenden Nachweis erhöhten
Liquoreiweißes

Zellzahl 0/3–12/3 Zellen, d. h. bis 4/µl Pleozytose (erhöhte Zellzahl) z. B. bei Entzündungen
Lymphozyten und Monozyten

Glukose 2,7–4,8 mmol/l = 45–80 mg/dl, Erniedrigt bei bakterieller Meningitis


etwas >50% des Blutzuckers

Laktat Normal bis 2 mmol/l Erhöht durch Verstoffwechselung von Liquor-Glukose, z. B. bei
bakterieller Meningitis

Elektrophorese mit Oligoklonale Banden: bei chronisch-entzündlichen Erkrankun-


isoelektrischer gen im ZNS gebildete oligoklonale IgG-Proteine (MS, chroni-
Fokussierung sche Infektionen)

Mikrobiologische Nachweis von Bakterien, Viren und Pilzen


Untersuchung

Histo-pathologische Nachweis von Tumorzellen


Untersuchung
16 Kapitel 1 · Neurologie

1.2 Vaskuläre Erkrankungen


1 von Gehirn und Rückenmark

1.2.1 Schlaganfall
(Hirninfarkt, zerebrale Blutung)

Synonym. Apoplex, zerebraler Insult, apoplektischer


Insult (. Abb. 1.8).

Definition. Akutes oder subakutes Auftreten von zent-


ralen neurologischen Defiziten durch zerebrale Durch-
blutungsstörungen. Ursache kann eine zerebrale Ischä-
mie (85% der Fälle) oder eine Blutung (5–15% der
Fälle) sein.
. Abb. 1.7. Graphische Darstellung des Eiweißquotienten
(Reiber-Schema)
1.2.1.1 Zerebrale Ischämie mit transitorischer
Ischämie oder Hirninfarkt)

Eiweißerhöhungen im Liquor: Die intakte Blut- Definition. Sauerstoffminderversorgung des Hirnge-


Hirn-Schranke lässt keine hochmolekularen Eiweiße webes mit Funktionsverlust.
durch, wohl aber eine gestörte. Isolierte Erhöhung von
Liquor-Ig bei normalem Albumin deutet auf eine »au- Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen sind:
tochthone« Ig-Produktion innerhalb der intakten Blut- 4 Arteriosklerose mit Makro- oder Mikroangiopa-
Hirn-Schranke hin. Die Beurteilung erfolgt unter Be- thie
rücksichtigung der Eiweißkonzentration im Serum 4 Thrombembolie (20–30% der Fälle) Ursprung des
mittels: Thrombus:
5 Herz: Vorhofflimmern, Herzwandaneurys-
Eiweißquotienten = [IgG-Liquor/IgG-Serum]/ men, Herzinfarkt, Mitral- und Aortenklappen-
[Albumin-Liquor/Albumin-Serum] vitien, mechanische Kunstklappen, Klappenve-
getationen bei bakterieller Endokarditis, Herz-
Zur Darstellung verwendet man das Reiber-Schema katheter-Manipulationen, Vorhofmyxom
(. Abb. 1.7). 5 Arteriosklerose der A. carotis interna (oft
Blut kann artifiziell durch Punktion in den Karotisgabel) oder des Aortenbogens, arte-
Liquor gelangen. Die 3-Gläser-Probe zeigt einen ab- rio-arteriell-embolische Verschleppung von
nehmenden Blutgehalt in 3 nacheinander abgenom- Plaqueanteilen
men Liquorproben. Freies Hämoglobin wird bei ar- 5 Venöse Thrombose mit paradoxer Embolie:
tifizieller Blutbeimengung nicht gefunden. Nach Bei PFO (persistierendes offenes Foramen
Zentrifugation ist der Überstand klar, bei Subarach- ovale) oder Vorhofseptumdefekt kann bei
noidalblutung hingegen xanthochrom. Außerdem Rechts-Links-Shunt auf Vorhofebene ein ve-
können nach Blutung Siderophagen nachgewiesen nöser Thrombus embolisch statt in den Lun-
werden. genkreislauf (Lungenembolie) in den arteriel-
len Kreislauf (arterielle Embolie) gelangen.
Risikofaktoren für venöse Thrombosen (Vir-
1.1.5 Muskel- und Nervenbiopsie chow Trias):
– Verminderte Blutflussgeschwindigkeit
4 Muskelbiopsie: Differenzierung neurogener, ent- – Gefäßwandschaden
zündlicher und nichtentzündlicher Muskelverän- – Veränderung der Blutzusammensetzung:
derungen Hyperkoagulabilität bei Polyglobulie, Poly-
4 Nervenbiopsie: meist vom rein sensiblen N. suralis zythämie, APC-Resistenz, ATIII-Mangel,
lateralis Protein-C- oder -S-Mangel oder hormonel-
len Veränderungen
4 Aneurysma dissecans/Gefäßdissektion, z. B.
posttraumatisch: SHT, HWS-Distorsion, nach chi-
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
17 1

. Abb. 1.8. Mindmap Schlaganfall


18 Kapitel 1 · Neurologie

ropraktischer Manipulation, bei fibromuskulärer störung im Raum (abhängig von der dominanten
1 Dysplasie Hemisphäre)
4 Vaskulitis 4 A. vertebralis, A. basilaris (Hirnstammischämie)
4 Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom 4 Lakunäre Infarkte: rein motorische oder rein sen-
1. Moya-Moya-Syndrom: progressive Stenosierung sible Ausfälle, evtl. auch sensomotorische Hemipa-
beider Karotiden resen, ataktische Hemiparese oder Dysarthrie mit
2. CADASIL: zerebrale-autosomal-dominante Arte- Feinmotorikstörung der Hand (»dysarthria clumsy
riopathie mit subkortikalen Infarkten und Leuk- hand syndrome«)
enzephalopathie
Einteilung nach der zeitlichen Dauer:
Epidemiologie. Lebenszeitprävalenz 15%, dritthäufigs- 4 Transitorische Ausfälle:
te Todesursache, Inzidenz: 55–64 Jahre: 300/100.000/ 5 TIA (transitorische ischämische Attacke): Dau-
Jahr; 65–74 Jahre: 800/100.000/Jahr. er der Ausfälle einige Minuten bis maximal
24 h. Amaurosis fugax: kurze meist einseitige
Symptomatik. Abhängig vom betroffenen Hirnareal. Erblindung, Leitsymptom einer ipsilateralen
Stenose der A. carotis interna
> Die Einschätzung des initialen Schweregrad (NIH
Stroke Scale, NIHSS) ist wichtig für Therapieentschei- ! Cave
dung und Prognoseeinschätzung. Bei 40% der Patienten mit TIA kommt es innerhalb
von 5 Jahren zum kompletten Hirninfarkt.
Einteilung nach der Lokalisation:
4 Territorialinfarkt: Embolisch bedingter Gefäßver- 5 (P)RIND (prolongiertes, reversibles neurolo-
schluss; betroffen ist das gesamte Versorgungsge- gisches Defizit): Dauer der vollständig rever-
biet des Gefäßes. siblen Ausfälle >24 h (nicht mehr gebräuch-
4 Grenzzoneninfarkt: hämodynamisch bedingte licher Begriff)
Minderversorgung bei Makroangiopathie. Im End- 4 Permanente Ausfälle:
stromgebiet, wo Gefäßversorgungsgebiete aneinan- 5 Kompletter Hirninfarkt: nicht oder nur par-
dergrenzen, kommt es zu einem Perfusionsdefizit tiell rückbildungsfähiges ischämisches neuro-
»letzte Wiese«. logisches Defizit
4 Lakunärer Infarkt: Mikroangiopathisch (hyper- 5 Progredienter Hirninfarkt: neurologische De-
tensive Arteriosklerose, M. Binswanger, CADA- fizite nehmen im Verlauf von Stunden oder
SIL), Endarterienverschlüsse führen zu kleinen Tagen weiter zu
subkortikalen ischämischen Infarkten. Betroffen 5 In der Regel spricht man bei Symptomdauer
sind häufig Capsula interna, Basalganglien, Pons >24 h heute von »vollendetem Insult«
und Thalamus.
Komplikationen:
Ausfallserscheinungen: 4 Hirnödem, Steigerung des intrakraniellen Drucks
4 A. cerebri anterior: kontralaterale beinbetonte He- mit Einklemmungsgefahr
miparese/-hypästhesie, Inkontinenz, Antriebsstö- 4 Einblutung ins Infarktareal
rung bis zum akinetischen Mutismus 4 Epileptischer Anfall
4 A. cerebri media: kontralaterale Mono- oder 4 Depression
Hemiparese, initial schlaff, später spastisch 4 Durch Immobilisation: Dekubitus, Beinvenen-
(positives Babinski-Zeichen), oft brachiofazial thrombose und Lungenembolie, Harnwegsinfekte,
betonte, sensible kontralaterale Ausfälle/Hemi- Aspirationspneumonie
hypästhesie, Aphasie/Dysarthrie, Neglect, Ano- 4 Rezidiv
sognosie, Dyslexie/-graphie (wenn dominante
Hemisphäre betroffen ist), kontralaterale homo- Diagnostik. Anamnese, Befund.
nyme Hemianopsie, Kopf und Augen sind der 4 Akutphase: präklinisch keine sichere Differenzie-
ischämischen Hirnseite zugewandt (»Herd- rung zwischen Schlaganfallsubtypen möglich
blick«) 5 CT: Ausschluss einer Blutung (. Abb. 1.9)
4 A. cerebri posterior: kontralaterale homoyme He- 5 Routinelabor (Blutbild, Gerinnung, Elektro-
mianopsie, Hemihypästhesie, Lese-/Rechenstö- lyte, Blutzucker, Nierenwerte), EKG, Pulsoxy-
rung, visuelle Agnosie, Neglect oder Orientierungs- metrie, Thoraxröntgen
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
19 1

. Abb. 1.9a–d. a Kraniales CT, axial, alter Posteriorinfarkt


links. Man erkennt eine scharf abgegrenzte hypodense Läsion
im Stromgebiet der linken A. cerebri posterior. b Kraniales
MRT in Diffusionswichtung, axial. Frischer Mediainfarkt rechts.
c Kraniales MRT, T2, axial: Hyperdense Läsion bei frischem Me-
diainfarkt rechts. d Kraniales CT in Diffusionswichtung, axial.
Im Bereich der A. cerebri media links demarkiert sich ein In-
farkt, erkennbar als hypodense Läsion. Die Grenze zum umge-
benden Hirngewebe ist noch unscharf, da es sich um einen
frischen Infarkt handelt. (Klinik und Hochschulambulanz für
Radiologie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benja-
min Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )

b c d

5 Ggf. CMRT in Diffusionswichtung (. Abb. 1.9): 5 FKDS: hirnversorgende Arterien (Stenosen)


sensitivere Detektion einer zerebralen Ischä- 5 Dopplersonographie der Karotiden und der A.
mie, Unterscheidung irreversibel geschädigten supratrochlearis (Stenosen, Flussumkehr in der
Gewebes von evtl. durch Lyse zu rettendem Ge- A. supratrochlearis)
webe, sog. Penumbra 5 Transthorakale bzw. transösophageale Echo-
4 Ursachenabklärung als Basis für Sekundärpräven- kardiographie (kardiale Emboliequelle, PFO,
tion: Herzwandaneurysma, Klappenvitien)
5 Labor: Kardiovaskuläre Risikofaktoren, Blut- 5 Ggf. MR-Angiographie: arterielle Dissektion,
zucker, HbA1c, Cholesterin, Homozystein, Vaskulitis
BSG, ggf. Vaskulitisdiagnostik, Schildrüsen- 5 Konventionelle Angiographie als selektive in-
funktionsparameter, Gerinnungsdiagnostik traarterielle DSA: Vermessung von Stenosen,
5 EKG: Sinusrhythmus, Ischämie-Zeichen Zugang für intraarterielle Thrombolyse
5 Langzeit-EKG: Herzrhythmusstörungen (in-
termittierendes Vorhofflimmern) Therapie. Wenn möglich sollte schnellstmöglich die
5 Blutdruckmessung: evtl. über 24 h, an den Ar- Unterbringung auf einer Stroke Unit erfolgen:
men im Seitenvergleich 4 Überwachung/Therapie von:
20 Kapitel 1 · Neurologie

5 Neurologischem Status 4 Rehabilitation nach Abschluss der Akutbehand-


1 5 Vitalfunktionen: Kreislauf, O2-Sättigung, At- lung oft sinnvoll und wichtig: frühe Krankengym-
mung nastik, Logopädie, Ergotherapie
5 Herzrhythmusstörungen 4 Sekundärprophylaxe
5 Blutzucker (80–120 mg%, bei Diabetikern 80– 5 ASS (100–300 mg/Tag), alternativ Clopidogrel
200 mg%) (1×75 mg/Tag) oder ASS und Dipyridamol
5 Körpertemperatur, ggf. Infektsuche/-behand- 5 Vollheparinisierung in Akutphase bei Embolie-
lung quelle mit erhöhtem Rezidivrisiko (Vorhofflim-
5 Flüssigkeits-/Elektrolythaushalt mern) oder arterieller Dissektion, später Antiko-
5 Blutdruck agulation mit Cumarinen (INR 2–3; bei mecha-
nischer Herzklappe/Klappendefekt: INR 3,5–4,5;
Blutdruck bei Kontraindikation: 300 mg ASS/Tag)
Die Autoregulation des zerebralen Blutflusses kann in In- 5 Therapie bzw. Ausschaltung von Risikofakto-
farktarealen aufgehoben sein, Blutdruckabfälle sind des- ren: Einstellung von Blutdruck und Blutzucker,
halb zu vermeiden. Oft ist der Blutdruck von Schlaganfall- Senkung von LDL-Cholesterin, falls möglich
patienten erhöht. Bei vorbestehender arterieller Hyperto- Rauchen aufgeben, Therapie einer Vaskulitis
nie sind Werte von 180/100–105 mmHg tolerabel, sonst 5 Karotis-TEA (Thrombendarteriektomie):
von 160–180/90–100 mmHg. Besteht gleichzeitig ein aku- Starke Senkung des Rezidivrisikos bei >70%iger
ter Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, akutes Nierenversa- symptomatischer extrakranieller Karotissteno-
gen, akute hypertensive Enzephalopathie, vor Thromboly- se, kein Benefit bei Stenose <50%
se oder bei Werten >220/>120 mmHg muss der Blutdruck 5 Stent-Implantation: Erfolgsrate ähnlich der
medikamentös vorsichtig auf ≤160/100 mmHg gesenkt Karotis-TEA; auch bei Stenose der A. vertebra-
werden, z. B. mit Urapidil, Clonodin (zentrale Senkung des lis möglich
Sympathikotonus/α2-Rezeptorstimulation), reine Vasodila- 5 Katheterinterventioneller Verschluss bei
tatoren sind zu vermeiden! PFO/Vorhofseptumaneurysma und Kontrain-
dikation für orale Antikoagulation bzw. Rezi-
> Die Thrombolyse sollte möglichst rasch beginnen, div unter oraler Antikoagulation
»time is brain«.
Eine extrakranielle Bypass-Operation zwischen der
4 Rekanalisierende Therapie/Thrombolyse: A. temporalis superficialis und der A. cerebri media ist
5 Intravenöse Lyse mit rtPA (»Recombinant-tis- nur in seltenen Fällen, z. B. bei langstreckigem Ver-
sue«-Gewebeplasminogenaktivator) innerhalb schluss oder Moya-Moya-Syndrom indiziert.
von 3 h nach Symptombeginn Ob die Senkung von Homozystein bei Homozys-
5 Intraarterielle Lyse mit pro-Urokinase oder teinämie durch Gabe von Vitaminen der B-Gruppe und
rtPA bei proximalen Verschlüssen der A. cere- Folsäure das Schlaganfallrisiko senkt, ist fraglich.
bri media innerhalb von 6 h bzw. mit Urokina-
se oder rtPA bei akuten Basilarisverschlüssen Prognose. Überlebensrate abhängig vom Ausmaß der
Schädigung, Klinikletalität bis 20%. Ein Jahr überleben
! Cave 80% der initial Bewusstseinsklaren, 50% der Bewusst-
Lyse mit rtPA darf nicht bei Schlaganfällen, die beim seinsgetrübten und 20% der Komatösen.
Aufwachen festgestellt wurden und nicht mit Strep-
tokinase durchgeführt werden! Keine Thrombolyse > Unter den Überlebenden werden 1/3 »wieder herge-
bei erhöhter Blutungsneigung (Gerinnungsstörung, stellt«, 1/3 lebt mit Einschränkungen im Alltag, 1/3
nach Trauma oder Operation). wird pflegebedürftig.

4 Prophylaxe von Komplikationen Häufige Todesursachen der Patienten sind Herz- oder
5 Tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie: ein weiterer Hirninfarkt.
niedermolekulares Heparin s.c., Frühmobilisa-
tion 1.2.1.1 Hirnstammischämien,
5 Aspirationspneumonie: Nasensonde, Frühmo- Basilaristhrombose
bilisation Definition. Sauerstoffminderversorgung des
5 Dekubitalgeschwüre: Frühmobilisation Hirnstamms bzw. thrombotischer Verschluss der A.
4 Ggf. Therapie eines Hirnödems basilaris mit Ischämie versorgter Hirnareale.
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
21 1

Ätiopathogenese. 7 Kap. 1.2.1.1. 1.2.2 Hirnatheriosklerose

Symptomatik. Abhängig von der Lokalisation: Definition. Arteriosklerose: Erkrankung der Arterien
4 Bewusstseinsstörungen mit Ablagerungen von Fetten, Thromben, Bindegewe-
4 Blickparesen be und Kalk in den Gefäßwänden.
4 Hemiplegia alterans: ipsilaterale Hirnnervenläh-
mungen bei Läsion der Kerngebiete und kontrala- Ätiopathogenese. Meist liegt der Arteriosklerose eine
terale motorische/sensible Ausfälle bei Läsion ent- Atherosklerose zugrunde. Initial kommt es dabei zu
sprechender Bahnen (. Tab. 1.7). einem Endothelsschaden. LDL-Cholesterin dringt in
4 Drehschwindel die Gefäßwand ein, das von Makrophagen phagozytiert
4 Nystagmus wird, die dadurch zu Schaumzellen werden. Aus Ma-
4 Erbrechen krophagen im Atherom freigesetzte Wachstumsfakto-
ren und Zytokine stimulieren glatte Muskelzellen, die
Diagnostik/Therapie. 7 Kap. 1.2.1.1. proliferieren und in die Intima einwandern. Es bilden
sich fibröse Plaques, es kommt zu Bindegewebsbildung
Subclavian-Steal-Syndrom und weiteren Lipidablagerungen, der Prozess wird irre-
Bei Stenose oder Verschluss der A. subclavia vor Abgang versibel. Durch Thrombozytenaggregation und Mi-
der A. vertebralis kann es durch Flussumkehr in der A. ver- krothrombenbildung oder durch Blutung in das athe-
tebralis zu Blutentzug im Hirnstamm kommen. Arbeit romatöse Plaque hinein (und dadurch Anschwellung)
mit dem ipsilateralen Arm kann eine Hirnstammsympto- kann es zu einem Gefäßverschluss kommen.
matik mit Schwindel, Sehstörungen, plötzlichem Hinfallen Wichtigste Risikofaktoren: arterielle Hypertonie,
ohne Bewusstlosigkeit, amnestischer Lücke (»drop attack«) Diabetes mellitus, Rauchen, Hypercholesterinämie,
oder Ataxie auslösen. Der Arm ist schnell ermüdbar, belas- Hyperlipidämie, familiäres Risiko, besonders bei Be-
tungsabhängige treten Schmerzen auf. troffensein von Verwandten 1. Grades vor dem 66. Le-
Diagnostik: Anamnese, Befund, Pulsuntersuchung (abge- bensjahr, hohes Alter, männliches Geschlecht.
schwächter Radialispuls im Seitenvergleich), Seitendiffe-
renz des Blutdrucks über 20 mmHg, Faustschlussprobe Symptomatik. Der Verlauf ist in der Regel langsam
(Symptomprovokation), Stenosegeräusch über der A. sub- und über Jahre und Jahrzehnte symptomlos. Gefäßlu-
clavia, FKDS und Angiographie. meneinengung kann zu Ischämie der Hirnareale im
Therapie: interventionelle Ballondilatation (PTA) oder Stent, Versorgungsgebiet führen, die asymptomatisch sein
Karotis-Subclavia-Bypass-OperationnurbeischwererSymp- kann oder zu transienten Ischämien bzw. Hirninfarkt
tomatik. führt.

. Tab. 1.7. Alterans-Syndrome

Syndrom Lokalisation Ipsilateral Kontralateral

Weber Mittelhirnfuß Parese des N. oculomotorius Hemiparese

Parinaud Vierhügel-Region Vertikale Blickparese und Konvergenzlähmung, oft


gleichzeitig Okulomotoriuslähmung

Millard-Gubler Kaudale Brückenhaube Fazialisparese Hemiparese

Wallenberg Dorsolateraler Medulla- 4 Spontannystagmus, Drehschwindel Dissoziierte Emp-


oblongata-Verschluss 4 N. IX-, N. X-Parese mit Stimmbandparese/Heiserkeit, findungsstörung
der PICA (A. cerebelli Rachenhinterwand- und Gaumensegelparese, Kulis- ab Hals abwärts
inferior post.) sen-Phänomen Keine motorische
4 Zentrales Horner-Syndrom Hemiparese
4 Ataxie
4 Ausfall des N. trigeminus (Analgesie etc.)
4 Übelkeit und Erbrechen, Hypakusis
4 Ausfall der Tiefensensibilität

Jackson Medulla oblongata Hypoglossusparese Hemiparese


22 Kapitel 1 · Neurologie

1
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
23 1

Diagnostik. Anamnese, Befund, Beurteilung der Steno- Therapie. Konsequente Therapie von Risikofaktoren,
se mittels FKDS oder Angiographie (. Abb. 1.10). Iden- falls beeinflussbar! Oft sind ausreichende Bewegung, ge-
tifizierung der Risikofaktoren. sunde kalorienarme Ernährung und ggf. medikamentöse
Therapie von Risikofaktoren bzw. prophylaktische
> Da in der Regel auch extrazerebrale Gefäße betroffen Thrombozytenaggregationshemmung sinnvoll. Je nach
sind, ist die Untersuchung dieser, v. a. der Koronarge- Grad der Stenose und Konsequenzen evtl. operatives
fäße (EKG, ggf. Belastungs-EKG, Koronarangiographie) Vorgehen (Karotis-TEA bzw. Stent-Implantation – siehe
und der peripheren Gefäße (peripherer Gefäßstatus) Therapie der zerebralen Ischämie). Extrakranielle Mani-
wichtig. festationen der Arteriosklerose sind zu berücksichtigen.

In Kürze

Hirnatherosklerose, zerebrale Ischämie, Hirninfarkt, Basilaristhrombose

Hirnarterio- 4 Symptomatik: Eine Hirnarteriosklerose kann asymptomatisch sein, zu transitorischen


sklerose mit Ischämien oder Infarkten führen. Symptomatik bei Infarkt ist abhängig von der betrof-
Makro- oder fenen Hirnregion:
Mikroangio- – Territorialinfarkt (embolisch): betroffen ist ein arterielles Stromgebiet: A. cerebri
pathie anterior und media (oft sensomotorische Hemiparese, je nach Seite: Aphasien oder
Neglect), A. cerebri post. (homonyme Hemianopsie) oder A. vertebralis/A. basilaris
(Hirnstamminfarkte mit Alterans-Syndromen)
– Grenzzoneninfarkt: hämodynamisch bedingte Minderversorgung durch Makro-
angiopathie im Endstromgebiet
– Lakunäre Infarkt (mikroangiopathisch): oft rein motorische oder rein sensible aber
auch Hemiparesen
4 Einteilung nach Dauer:
– TIA = transitorische ischämische Attacke (Minuten bis maximal 24 h)
– (P)RIND = (prolongiertes) reversibles neurologisches Defizit; Dauer der vollständig
reversiblen Ausfälle >24 h
– Permanente Ausfälle bei komplettem oder progredientem Hirninfarkt
– Basilaristhrombose: Bewusstseinsstörungen, Blickparesen, Hemiplegia alterans,
Drehschwindel, Nystagmus, Erbrechen
6

. Abb. 1.10. a Darstellung eines geringfügig arteriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangs durch verschiedene Methoden.
Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Normale Frequenzspektren in der Karotis-
bifurkation (oben links), im Bulbus caroticus (oben Mitte) und in der distalen A. carotis interna. Die leichte Störung des Frequenz-
spektrums im Bulbus caroticus (oben rechts) ist an dieser Stelle nicht pathologisch. Mitte links Die Strukturdarsellung der Gefäß-
wand im Ultraschall-B-Bild zeigt mehrere nichtstenosierende Plaques und flache Nischen. Mitte rechts Die eingeblendete farbko-
dierte Strömungsinformation (»Farbduplex«) zeigt ein weitgehend normales Strömungsmuster mit kleinen Rezirkulationszonen
in Wandnischen. Unten Die digitale Substraktionsangiographie (DSA) lässt entsprechend nur leichte Wandunregelmäßigkeiten
der A. carotis interna erkennen. b Darstellung einer 70–80%igen ateriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangsstenose durch
verschiedene Methoden: Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Vorwiegend dias-
tolisch reduzierte Strömungsgeschwindigkeit in der distalen A. carotis communis (oben links). Hochgradige Strömungsbe-
schleunigung mit über 500 cm/s Spitzengeschwindigkeit in der A.-carotis-interna-Stenose (oben Mitte links). Unmittelbar post-
stenostisch immer noch hohe Spitzengeschwindigkeit. Gleichzeitig Zeichen starker Verwirbelung mit Frequenzverdichtung um
die Nullinie (oben Mitte rechts). Weiter stromabwärts langsamere, verwirbelte Strömung (oben rechts). Meherer cm distal der Ste-
nose geglättete, aber reduzierte Strömung mit abgeflachtem systolischen Anstieg. Man beachte, dass gegenüber Abb. 1b die
Frequenz- bzw. Geschwindigkeitsskala verändert wurde. Mitte links Die Strukturdarstelllung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild
zeigt echoarme Wandveränderungen, in denen das Restlumen nicht klar abgrenzbar ist. Mitte rechts Durch die farbkodierte Strö-
mungsinformation werden Strombahnverengung, Strömungsbeschleunigung und poststenotische Verwibelung nicht genau,
aber übersichtlich dargestellt. Unten DSA der Stenose, die eine genaue Beurteilung auch des weiteren Gefäßverlaufs erlaubt.
(R. Winter, Heidelberg) (7 Farbtafelteil)
24 Kapitel 1 · Neurologie

1 4 Ätiologie: Risikofaktoren sind arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen, Hyper-


cholesterinämie, Dyslipidämie, familiäres Risiko, hohes Alter, männliches Geschlecht.
Thrombembolien aus:
– Herz: Vorhofflimmern, Endokarditis
– Hirnversorgenden Gefäßen: arteriosklerotisch Plaques
– Venöses System: paradoxe Embolie bei persistierendem Foramen ovale oder Vorhof-
septumdefekt
– Weitere Ursachen:
– Gefäßdissektion
– Vaskulitis
4 Diagnostik: ggf. CMRT in Diffusionswichtung (frühere und sensitiveren Detektion einer
zerebralen Ischämie); CCT zeigt ein Infarkt erst nach etwa 6 h (akut wichtig zur Abgren-
zung einer Blutung). Ursachenabklärung:
– Labor: Erfassung kardiovaskulärer Risikofaktoren
– EKG und Langzeit-EKG
– Blutdruckmessung
– Dopplersonographie der hirnversorgenden Arterien
– Transthorakale/transösophageale Echokardiographie
– Ggf. MR-Angiographie oder konventionelle Angiographie
4 Therapie: Überwachung/Kontrolle der Vitalparameter; Prophylaxe/Therapie von Kom-
plikationen; Thrombolyse möglichst schnell – i.v. bis 3 h nach Symptombeginn, intraar-
teriell innerhalb von 6 h oder bei Basilarisverschluss; Sekundärprophylaxe

1.2.3 Intrakranielle Blutungen 1.2.3.1 Epiduralblutung


Definition. Blutung zwischen Schädelkalotte und Dura
Definition. Unterschieden werden Epidural-, Subdural-, mater.
Subarachnoidal- oder intrazerebrale Blutung.
Ätiopathogenese. Häufig SHT mit temporaler
Ätiopathogenese. Differenziert wird: Schädelfraktur und Riss der A. meningea media, selte-
4 Traumatisch: in abnehmender Häufigkeit subdu- ner venöse Blutung oder Blutung aus dem Fraktur-
ral, epidural, subarachnoidal, intraparenchymatös spalt.
4 Spontan:
5 Arteriosklerose Epidemiologie. Meist jüngere Patienten, M>W.
5 Arterieller Hypertonie
5 Angiom Symptomatik. Kurzzeitige Bewusstlosigkeit, dann mi-
5 Aneurysma nuten- bis stundenlanges symptomfreies Intervall (ca.
5 Gerinnungsstörung: Hämophilie, Antikoagu- 1/3 der Patienten). Erst danach tritt durch die gehirn-
lation komprimierende Blutmasse eine sekundäre Bewusstlo-
5 Tumorblutung sigkeit auf.
5 Vaskulitis
! Cave Start
Komplikationen: Sowohl initiale Bewusstlosigkeit als auch freies Inter-
4 Hydrocephalus occlusus oder malresorptivus vall können fehlen.
4 Hirndrucksteigerung und untere Einklemmung
4 Zerebraler Vasospasmus 2–3 Tage nach Trauma Weitere Symptome:
bzw. Aneurysmablutung 4 Kontralaterale Paresen
4 Homolaterale Pupillenerweiterung
Diagnostik. (Fremd-)Anamnese, Befund, evtl. Röntgen 4 Augenbewegungsstörungen bei Läsion des N. ocu-
(Fraktur?), Nativ-CT zeigt am sensitivsten eine Blu- lomotorius und N. abducens
tung. 4 Evtl. epileptische Anfälle
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
25 1

Diagnostik. CT: hyperdense, scharf abgegrenzte linsen-


förmige, bikonvexe Raumforderung, da die Dura an
den Schädelnähten fixiert ist und die Blutung diese
nicht überschreitet.

Therapie. Sofortige Operation mit Trepanation und


Hämatom-Entlastung. Im peripheren Krankenhaus
evtl. Kröhnlein-Bohrung (Entlastungslöcher vor und
hinter dem Ohr auf der betroffenen Seite in der Höhe
der Augenbrauen).

Prognose. Umso besser je schneller die Entlastung er-


folgt, Letalität 30%.

1.2.3.2 Subduralblutung
Definition. Blutung zwischen Dura mater und Arach-
noidea, akut oder chronisch.

Ätiopathogenese. Unterschieden werden:


4 Akut: starkes SHT mit Zerreißen der Brücken-
venen zwischen Gehirnoberfläche und venösen . Abb. 1.11. Häufigste Prädilektionsstellen für sakkuläre An-
Sinus eurysmen am Circulus arteriosus willisii und an den Aufzwei-
4 Chronisch: meist durch ein leichtes SHT; prädispo- gungsstellen der großen pialen Arterien
nierend sind hohes Alter, Alkoholismus, Gerin-
nungsstörungen, oft ist kein Trauma eruierbar
Ätiopathogenese. Ursächlich sind:
Symptomatik. Typisch sind bei: 4 80% angeborene Aneurysmen (. Abb. 1.11) basaler
4 Akuter Blutung: oft initiale Bewusstlosigkeit, ver- Hirnarterien, in abnehmender Häufigkeit R. com-
bunden mit schwerer Hirnsubstanzschädigung. municans anterior/A. cerebri anterior, A. carotis
Klinisch: Pupillenstörungen, Halbseitensympto- interna, A. cerebri media, A. basilaris/Vertebralar-
matik, epileptische Anfälle, Kopfschmerzen, psy- terien; in 4–6% der Fälle gleichzeitig Zystennieren
chische Veränderungen 4 5% arteriovenöse Fehlbildungen: Angiome
4 Chronischer Blutung: zwischen einer initialen Be- 4 Traumatisch
wusstseinsstörung und dem Auftreten von Symp- 4 Dissektion intrakranieller Arterien
tomen kann ein freies Intervall von Tagen bis Mo- 4 Selten arteriosklerotische oder mykotische Aneu-
naten bestehen rysmen, Vaskulitiden, Gerinnungsstörungen, Si-
nusvenenthrombose, Gefäßarrosion durch Tumo-
Diagnostik. Das CT zeigt bei: ren, hämorrhagische Diathese
4 Akuter Blutung: sichelförmige oder plankonvexe
Hyperdensität In 10–15% der Fälle wird keine Blutungsquelle gefun-
4 Chronischer Blutung: abhängig vom Alter der Blu- den. In 5–20% positive Familienanamnese, weitere Ri-
tung erst hyperdens, später iso- bis hypodens sikofaktoren: arterielle Hypertonie, Rauchen, Hyper-
cholesterinämie, Drogen, evtl. Kontrazeptiva.
Therapie. Operative Entlastung (Kraniotomie); bei
chronischer Blutung Bohrlochkraniotomie und Drai- > Die Aneurysmaruptur erfolgt oft ohne vorheriges
nage, bei kleinem Hämatom ist eine konservative Be- Ereignis oder tritt seltener nach Pressakt, Heben von
handlung möglich. Lasten oder Koitus auf.

Prognose. Letalität bei akuter Blutung bis 90%; bei Epidemiologie. 10/100.000/Jahr. Vor dem 40. Lebens-
chronischer <10%. jahr häufiger bei Männern, nach dem 50. Lebensjahr
häufiger bei Frauen, insgesamt v. a. in der 5. bis 6. De-
1.2.3.3 Subarachnoidalblutung (SAB) kade. SAB wird von manchen Autoren als Ursache von
Definition. Blutung in den Subarachnoidalraum. 3% der Schlaganfällen genannt.
26 Kapitel 1 · Neurologie

Symptomatik. Leitsymptome sind:


1 4 Akut einsetzende okzipitalnuchale oder diffuse
Kopf- und Nackenschmerzen: plötzlicher Vernich-
tungskopfschmerz, »so schlimm wie noch nie«
4 Akute Bewusstseinsstörung
4 Nackensteife, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu und
Atemstörungen evtl. erst nach Stunden

50% der Patienten haben keinen explosionsartigen


Kopfschmerz, sondern über Minuten stärker werdende
Kopfschmerzen.
1/4 der Patienten mit Aneurysmablutung hat Tage bis
Wochen zuvor ein kleines Aneurysmaleck (»minor leak«,
Warnblutung) mit plötzlichen Kopfschmerzen und gerin-
ger Nackensteifigkeit. Wird dies erkannt, kann die opera-
tive Sanierung erfolgen, oft ist das CT aber unauffällig.
Mögliche Komplikationen:
4 Rezidivblutung (Letalität 50–70%), höchstes Risiko
am 1. Tag, insgesamt 50% in den ersten 6 Monaten
4 In 15–20% der Fälle Hydrozephalus bei Verschluss
des Aquädukts, Austrittsstellen des IV. Ventrikels . Abb. 1.12. Kraniales CT, axial. Hyperdensität im Bereich
bzw. bei Verklebung der Pacchioni-Granulationen der Fossa interpeduncularis bei Subarachnoidalblutung. (Kli-
4 In 30–70% der Fälle Vasospasmus der basalen nik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedi-
Hirnarterien (evtl. mit Infarkt) ab 3. bis 5. Tag nach zin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter:
SAB, Dauer bis zu 4 Wochen. Hypovolämie, Hypo- Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
natriämie, zu niedriger Blutdruck können Va-
sospasmen begünstigen. ! Cave
4 In 25% der Fälle Hyponatriämie im Verlauf Vasospasmus erhöht das Operationsrisiko, deshalb
4 Epileptische Anfälle akut selten, bis 30% im Verlauf sollte die operative Clippung oder die endovaskuläre
4 Kardiale Komplikation (Arrhythmien) Therapie innerhalb der ersten 3 Tage erfolgen.

Diagnostik. Anamnese, Befund. 4 Aneurysma-Operation: Operatives Clippung


4 Nativ-CT sichert fast immer die Diagnose (Clip am Hals des Aneurysmas)
(. Abb. 1.12) 5 Frühzeitige Operation (Tag 1–3): Indikati-
4 Lumbalpunktion bei negativer Bildgebung: Was- onen: guter klinischer Zustand, evtl. bei gerin-
serklarer, unauffälliger Liquor schließt eine SAB in gem Operationsrisiko auch bei schlechterem
den letzten 2–3 Wochen aus. 12 h nach Blutungsbe- klinischen Zustand
ginn ist der Liquor durch Blutabbauprodukte xan- 5 Spätoperation nach 10–12 Tagen bzw. nach
thochrom verfärbt. Xanthochromie ist ca. 2 Wo- dopplersonographisch festgestelltem Abflauen
chen, Ferritin und Siderophagen 3–4 Wochen im des Vasospasmus
Liquor nachweisbar
4 Katheterangiographie in DSA-Technik: höchste > Frühzeitige operative Clippung kann eine Nachblu-
Nachweisgenauigkeit eines Aneurysmas tung am sichersten verhindern.
4 CT-/MR-Angiographie: Planung einer endovas-
kulären Therapie. 4 Endovaskulärer Aneurysmaverschluss Aneurys-
4 Transkranielle Dopplersonographie: Beurteilung ma-Coiling: über arterielle Mikrokatheter plat-
eines Vasospasmus zierte Platinspiralen führen zur Thrombosierung
des Aneurysmas. Indikationen:
Therapie. Überwachung auf Intensivstation. 5 Aneurysmalokalisation mit hohem chirur-
4 Allgemeinmaßnahmen: Bettruhe, milde Laxanzi- gischen Risiko, z. B. Basilariskopfaneurysma
en (Vermeidung von Pressen beim Stuhlgang), 3 l/ 5 Schlechterer klinischer Zustand
Tag isotone Flüssigkeit mit positiver Flüssigkeitsbi- 5 Rezidivblutung in der Vasospasmusphase
lanz von 750 ml/Tag, Thromboseprophylaxe 5 Allgemein hohes Operationsrisiko
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
27 1

4 Ggf. ventrikuläre Liquordrainage bei Hydroze- 4 Kleinhirnblutungen: Kleinhirnhemisphären,


phalus Kleinhirnwurm
4 Behandlung bei Vasospasmus: prophylaktisch
positive Flüssigkeitsbilanz, Hypervolämie, Ver- Spontane (primäre) ICB: Meist hypertensiv bedingt,
meidung hypotensiver Blutdruckwerte und nied- ursächlich Ruptur eines arteriellen Gefäßes. Lokalisati-
riger Natriumwerte, Nimodipin (Kalziumantago- on v. a. in den tiefen Regionen der Hemisphären, Basal-
nist) für 2–3 Wochen. Hypertensive hypervolä- ganglien und Thalamus.
mische Hämodilution (Triple-H-Therapie) wird In der Umgebung der Blutung können sich durch
unter Intensivüberwachung durchgeführt. Bei Verminderung des zerebralen Perfusionsdruck und
frühem Behandlungsbeginn können sich ischä- Hirnödem sekundär Ischämien entwickeln.
mische Symptome dauerhaft zurückbilden. Die Sekundäre ICB:
Therapie ist nur bei ausgeschaltetem Aneurysma 4 1/4 bei vaskulärer Malformationen: arteriovenöse
durchführbar. Malformationen, Aneurysmen, Kavernome, Dura-
fisteln
> In den ersten 10 Tagen sollte täglich eine transkrani- 4 Vaskulitis
elle Dopplersonographie der basalen Hirnarterien zur 4 Moya-Moya-Syndrom
frühzeitigen Erkennung eines Vasospasmus erfolgen. 4 1–2%/Jahr unter Marcumartherapie
4 1/1000/Jahr unter ASS-Therapie
Prognose. Letalität im 1. Monat >40%, 15–20% der 4 Unter Thrombolyse 10 mal häufigeres Auftreten als
Patienten versterben vor Erreichen des Kranken- spontan
hauses: 4 Hereditäre Gerinnungsstörung
4 Schlechtere Prognose bei Aneurysmen im hinteren 4 Tumoren, SVT, Trauma, Eklampsie
Hirnversorgungsgebiet und großen Mengen suba- 4 Leukämie
rachnoidalen Bluts in Zisternen und Ventrikeln
4 Die Letalität beträgt 13% bei initial wachen Patien- Epidemiologie. Inzidenz steigend im Alter, ethnische
ten, 75% bei initial komatösen Patienten Unterschiede, häufiger in Japan.
4 Bei 1/3 der überlebenden Patienten bleibendes
neurologisches Defizit Symptomatik. Meist tritt die Blutung abrupt auf. An-
4 Neuropsychologische Defizite persistieren v. a. bei fangs kommt es bei Ausbreitung des Hämatoms zur
Patienten mit linksseitigem Mediaaneurysma, in- Progredienz neurologischer Ausfälle. Neben fokal-
traventrikulärem Blut und Hydrozephalus neurologischen Ausfällen (lokalisationsabhängig)
manifestieren sich Symptome des erhöhten intrakra-
1.2.3.4 Intrazerebrale Blutungen (ICB) niellen Drucks (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbre-
Definition. Blutung im Gehirn, intraparenchymatöse chen) und Bewusstseinsstörungen. Blutungen in der
Massenblutungen (ca. 15% der Schlaganfälle) oder in- hinteren Schädelgruppe können rasch eine Hirn-
traventrikuläre Blutungen. stammkompression und Hydrocephalus occlusus be-
wirken. Anfälle und vegetative Störungen können
Ätiopathogenese. Risikofaktoren sind: auftreten.
4 Arterielle Hypertonie
4 Amyloidangiopathie Diagnostik. Anamnese, Befund, Nativ-CT, evtl. Rönt-
4 Hohes Alter gen, Angiographie, Liquorpunktion.
4 Rauchen
4 Alkohol Therapie. Rasche Klinikeinweisung, Überwachung
4 Sympathomimetische Drogen: Amphetamine, Ko- der Vitalfunktionen auf Stroke Unit oder Intensivsta-
kain, Crack tion:
4 Gerinnungsstörungen/Antikoagulation 4 Senkung des Blutdrucks bei Werten diastolisch
>120 mmHg oder arterieller Mitteldruck >130
Einteilung nach der Lokalisation: mmHg senkt das Nachblutungsrisiko
4 Großhirnblutungen: lobär parietal, temporal,
frontal oder okzipital > Cave
4 Stammganglienblutungen: häufigste Lokalisation Forcierte Blutdrucksenkung vermeiden, um den Per-
4 Hirnstammblutungen: Pons, Mesenzephalon, fusionsdruck aufrechtzuerhalten (systolisch nicht
Medulla oblongata <160 mmHg).
28 Kapitel 1 · Neurologie

4 Schnellstmögliche Korrektur von Gerinnungsstö- Hämatome <10 ml haben meist ohne Operation eine
1 rungen gute Prognose.
4 Bei erhöhtem ICP: Oberkörper hochlagern, kont- Bei initial komatösen Patienten sowie bei großen
rollierte Hyperventilation, Osmotherapie, Barbitu- linkshirnigen Blutungen oder solitären Hirnstamm-
ratnarkose und Thalamusblutungen wird aufgrund der schlechten
4 Operative Therapie: Prognose meist keine Hämatomausräumung mehr
5 Beseitigung der Blutungsquelle durchgeführt.
5 Ventrikeldrainage bei intraventrikulärer Betei-
ligung und Liquorabflussstörung Prognose. Schlechter als beim Hirninfarkt: 30-Tage-
5 Hämatomevakuation bei Kleinhirnblutung Letalität 20–56%, bei initialem Koma Letalität bis
(Hirnstammkompression), evtl. bei mittelgroßen 60%; insgesamt abhängig von Blutungslokalisation und
Hämatomen und mittelschwerer klinischer Symp- -größe.
tomatik, v. a. bei zunehmender Bewusstseinstrü-
bung oder bildgebend zunehmender Raumfor- > 1/3 sterben, 1/3 zeigen schwere, 1/3 leichte oder kei-
derung mit Verschiebung der Mittellinie ne Behinderungen.

In Kürze

Intrakranielle Blutungen

Epiduralblutung 4 Symptomatik: initial oft kurze Bewusstlosigkeit, symptomfreies Intervall, sekundäre


Bewusstlosigkeit. Kontralaterale Paresen, homolateral: Mydriasis, Augenbewegungs-
störungen, evtl. epileptische Anfälle
4 Ätiologie: Blutung aus A. meningea media zwischen Schädelkalotte und Dura mater
bei SHT
4 Diagnostik: CCT: hyperdense, scharf abgegrenzte linsenförmige, konvexe Raumforde-
rung, ggf. Fraktur
4 Therapie: operative Entlastung

Akute und 4 Symptomatik:


chronische 4 Akut: oft initiale Bewusstlosigkeit, ggf. neurologische Defizite
Subduralblutung 4 Chronisch: oft langes symptomfreies Intervall
4 Ätiologie: Blutung aus Brückenvenen nach SHT zwischen Dura mater und Arachnoi-
dea
4 Diagnostik: CCT: akut: sichelförmige, plankonvexe Hyperdensität, chronisch: altersab-
hängig erst hyperdens, später iso-/hypodens
4 Therapie: operative Entlastung, bei kleinem Hämatom konservative Behandlung
möglich

Subarachnoidal- 4 Symptomatik: akuter Kopf- und Nackenschmerz, akute Bewusstseinsstörung, Nacken-


blutung steife, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Atemstörungen
4 Komplikationen: Rezidivblutung, Hydrozephalus, Vasospasmus der basalen Hirnarte-
rien, Hyponatriämie, epileptische Anfälle im Verlauf, Herzrhythmusstörungen
4 Ätiologie: Blutung in den Subarachnoidalraum, oft im Bereich der basalen Zisternen
(bei angeborenem Aneurysma)
4 Diagnostik: CCT: Hyperdensitäten der äußeren Liquorräume. Lumbalpunktion: xan-
thochromer Liquor, Ferritin, Siderophagen. Aneurysmasuche mit Katheterangiogra-
phie oder CT-/MR-Angiographie. Transkranielle Dopplersonographie (Vasospasmus?)
4 Therapie: Überwachung auf Intensivstation, operatives Aneurysma-Clipping, interven-
tionell-radiologisch: endovaskulärer Aneurysmaverschluss mittels Aneurysma-Coiling

6
1.2 · Vaskuläre Erkrankungen von Gehirn und Rückenmark
29 1

Intrazerebrale 4 Symptomatik: Akuter Beginn, progrediente neurologische Ausfälle (Hämatomaus-


Blutung (ICB) dehnung), Symptome des erhöhten intrakraniellen Drucks, Bewusstseinsstörungen
4 Ätiologie: spontane (primäre) ICB: Meist hypertensiv bedingt, Ruptur eines arteriel-
len Gefäßes, Lokalisation v. a. Basalganglien und Thalamus
4 Diagnostik: Nativ-CT, Angiographie (Blutungsquelle), Liquordiagnostik
4 Therapie: Überwachung auf Stroke Unit oder Intensivstation. Korrektur von Gerin-
nungsstörungen. Operative Beseitigung der Blutungsquelle, Ventrikeldrainage bei
intraventrikulärer Blutung mit Liquorabflussstörung, evtl. Hämatomevakuation.
Sekundärprophylaxe

1.2.4 Hirnvenen-, Sinusvenenthrombose 4 Kopfschmerzen: häufigstes, oft erstes/einziges


(SVT) Symptom
4 Symptome der Hirndrucksteigerung: Übelkeit, Er-
Definition. Thrombose intrakranieller Sinus- und brechen, Sehstörungen
Hirnvenen. 4 Bewusstseinsstörung, Desorientierung, Stauungspa-
pille (Differenzialdiagnose: Pseudotumor cerebri)
Ätiopathogenese. Unterschieden werden septische 4 Fieber, Nackensteifigkeit
und blande SVT. Ursachen können sein: 4 Organische Psychose
4 Blande SVT 4 Fokale und sekundär-generalisierte epileptische
5 Hyperkoagulabilität des Blutes: Anfälle
– Orale Kontrazeptiva: alleiniger ätiologischer 4 Fokale neurologische Defizite je nach Lokalisation
Faktor in 10% der Fälle 5 Sinus cavernosus: Augenmuskellähmung
– Andere Medikamente wie Kortikosteroide (Hirnnerven III, IV, V, VI), Protrusio bulbi
– Hereditäre Gerinnungsstörungen wie Fak- (pulsierender Exophthalmus), Chemosis (Bin-
tor-V-Leiden-Mutation mit APC-Resistenz: dehautödem des Auges), Papillenödem
10–25% der Fälle 5 Sinus transversus: Hirnnerven IX, X, XI
– Kollagenose, Vaskulitis 5 Sinus sagittalis sup.: Kopfschmerzen, Stau-
– Hämatologische Erkrankungen: Polyzythä- ungspapillen, epileptische Anfälle, motorische
mie, Sichelzellanämie Defizite und Vigilanzminderung, Miktionsstö-
– Postpartal oder in der Schwangerschaft rungen
– Paraneoplastisch 5 V. cerebri magna: hämorrhagische Infarzie-
– Schwere Dehydratation rung der Stammganglien beidseits, Folge:
5 Venöse Stase: abflussbehindernde Tumoren, schweres amnestisches Syndrom
ZVK, Herzinsuffizienz 5 Kortikale Venen: fokale neurologische Ausfäl-
4 Septische SVT (seltener) le, epileptische Anfälle
5 Infektiös/septische Thrombophlebitis
– Fortgeleitet bei Gesichtsfurunkel, Otitis me- Mögliche Komplikationen:
dia/Mastoiditis oder Meningitis 4 Hirndruckanstieg mit Einklemmung
– Bei Bakteriämie im Rahmen eines generali- 4 Langzeitfolgen: Kopfschmerzen, Epilepsie
sierten Infekts
– Liquorfistel nach SHT Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Idiopathisch (25%) 4 Labor: D-Dimere (sensitiv, aber unspezifisch),
erhöhte BSG, Leukozytose, ggf. spezifische Labor-
Epidemiologie. 1:100.000/Jahr, oft <40 Jahre, Altergip- diagnostik zur Thrombophilie- und Vaskulitisdi-
fel 3. bis 4. Lebensjahrzehnt, W>M, SVT wird von man- agnostik
chen Autoren als Ursache von 1% der Schlaganfällen 4 Liquor (in 50% normal): Schrankenstörung, Pleo-
genannt. zytose, Erythrozyten, Xanthochromie, erhöhter
Eröffnungsdruck. Ausschluss einer Infektion/Be-
Symptomatik. Bei 1/3 der Fälle ist der Krankheitsbe- gleitmeningitis
ginn akut, bei 1/3 subakut, bei 1/3 chronisch. 4 EEG: Allgemeinveränderungen, Herdbefund
30 Kapitel 1 · Neurologie

4 Zum Nachweis der Blutung und ggf. der Blutungs- 1.3 Neurotraumatologie
1 quelle (Tumor) sind CT und MRT mit Angiogra-
phie (Venographie) gleichwertig, das Nativ-CT 1.3.1 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
zeigt ggf. Stauungsblutungen, unter KM-Gabe sieht
man manchmal das »empty triangle sign« (kont- Definition. Schädelverletzungen mit Gehirnbeteili-
rastmittelumspülter Thrombus) gung.

Therapie. Ätiopathogenese. Mögliche Ursachen:


4 Initial Vollheparinisierung (PTT: 80–100 s) für 2–3 4 Stumpfe Gewalt: Schlag, Sturz, Anprall bei Unfäl-
Wochen, überlappende Umstellung auf orale Anti- len, meist geschlossenes SHT
koagulation mindestens 6 Monate (INR: 2,3–3,5), 4 Scharfe Gewalt: Schuss, Pfählungsverletzung, offe-
bei Thrombophilie lebenslang nes SHT
4 Bei septischer Thrombose: chirurgische Herdsa-
nierung, Antibiotika Einteilung:
4 Ultima Ratio bei Progredienz der klinischen Symp- 4 Nach Schweregrad neurologischer Ausfälle (Au-
tomatik unter ausreichender Antikoagulation: genöffnen, sprachliche und motorische Reaktio-
lokale Thrombolyse in erfahrenen neuroradiolo- nen/Glasgow Coma Scale; Dauer einer Bewusst-
gischen Zentren seinsstörung und Amnesie) in leichtes, mittel-
4 Symptomatische Therapie bei Hirnödem, epilepti- schweres und schweres SHT
schen Anfällen, Schmerz (kein ASS) 4 Abhängig von der Eröffnung des Liquorraums in
offenes SHT mit Durchtrennung der Dura mater
Prognose. und geschlossenes SHT ohne Durchtrennung
4 Akutsterblichkeit 14% 4 Nach Art der Hirnschädigung:
4 Etwa 1/3 der Überlebenden sind beschwerdefrei 5 Schädelprellung: Schädeltrauma ohne Hirn-
4 1/3 haben kognitive Einschränkungen trauma, Differenzialdiagnose zum SHT: keine
4 6% sind pflegebedürftig Bewusstseinsstörung, keine neurologischen
Symptome, ggf. Kopfschmerzen, Schwindel,
In Kürze Übelkeit
Hirnvenen-, 4 Symptomatik: häufig Kopf- 5 Commotio cerebri: Gehirnerschütterung ohne
Sinusvenen- schmerzen pathoanatomische Veränderungen
thrombose 4 Ätiologie: blande SVT (Hyper- 5 Contusio cerebri: Hirnprellung immer mit pa-
koagulabilität des Blutes, thoanatomisch fassbaren Gewebeschädigun-
venöse Stase), septische SVT gen, Stoßherd durch den Anprall (Coup) und
(Thrombophlebitis: fortgeleitet, Gegenstoß und Rindenanprall auf der anderen
bei Bakteriämie, Liquorfistel Seite des Gehirns (Contrecoup)
nach SHT), 25% idiopathisch 5 Compressio cerebri: Hirnquetschung, Hirn-
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, kompression durch Hämatom oder Ödem
Labor, evtl. Liquordiagnostik,
EEG, wichtig sind CMRT/CCT Epidemiologie. 200.000/Jahr. Bis zum 45. Lebensjahr
mit Venographie häufigste Todesursache in Deutschland.
4 Therapie: initial Vollhepari-
nisierung, überlappend orale Symptomatik. Differenziert werden:
Antikoagulation, bei septischer 4 Leichtes SHT
Thrombose chirurgische Herd- 5 Kurze Bewusstlosigkeit bzw. Veränderung der
sanierung und Antibiose Bewusstseinslage (posttraumatischer Däm-
merzustand) bis zu 15 min
5 Erinnerungslücke (retro-/anterograde Amne-
sie, Bewusstlosigkeit) bis 24 h
5 GCS 14–15
5 Keine fokalen neurologischen Defizite
5 Vorübergehend Kopfschmerz, Nacken-
schmerz/-steife, Übelkeit/Erbrechen, Schwin-
del, orthostatische Dysregulation, distale Hy-
1.3 · Neurotraumatologie
31 1

perhidrose, Tremor, Licht-/Geräuschempfind- Therapie. Abhängig vom Schweregrad:


lichkeit, Geruchs-/Geschmacksstörungen, 4 Leichtes SHT:
neurasthenisches Syndrom (depressive Ver- 5 Stationäre Überwachung mindestens 24 h
stimmung, Schlafstörungen, Leistungsminde- (Ausschluss sekundärer Traumafolgen, bei Ri-
rung, Reizbarkeit) sikopatienten, zur Ursachenabklärung)
4 Mittelschweres SHT 5 Medikamentöse Therapie von Schmerzen,
5 Bewusstlosigkeit bis 24 h Schwindel, Übelkeit
5 GCS initial 9–13 4 Schweres SHT: zusätzlich:
4 Schweres SHT 5 Intensivstation, Intubation, kontrollierte Beat-
5 Bewusstlosigkeit >24 h mung, Überwachung der Vitalparameter
5 GCS initial 3–8 5 Bei Verdacht auf erhöhten Hirndruck: Messung
mit intraventrikulärer Hirndrucksonde (ICP-
Mögliche Komplikationen: Sonde)
4 Traumatische Hämatome/Blutungen
4 Hirnödem ! Cave
4 Epileptische Anfälle Ein erhöhter ICP ist behandlungsbedürftig, wenn er
4 Hydrozephalus >5 min 20–25 mmHg übersteigt oder der zerebrale
4 Elektrolytstörungen Perfusionsdruck (= mittlerer arterieller Blutdruck –
4 Bei offenem SHT: Liquorfisteln, Meningitis, Enze- ICP) unter 70 mmHg fällt.
phalitis, Hirnabszess
4 Bei leichtem SHT: in 10–20% der Fälle chronisch 4 Antibiotikaschutz bei offenem SHT
posttraumatisches Syndrom (bis zu 3‒6 Monaten 4 Evtl. operative Maßnahmen bei Weichteilverlet-
persistierende zervikozephale Schmerzen, fakul- zungen, dekompressive Kraniotomie und ggf. Hä-
tativ vegetative Symptome, neurasthenisches matomausräumung, bei Schädelbasisfraktur
Syndrom)
> Eine Felsenbeinlängsfraktur mit otogener Liquorrhö
Diagnostik. Anamnese, Befund (GCS, Suche nach wei- muss nicht, eine Liquorfistel bei frontobasaler Fraktur
teren Verletzungen). muss operativ verschlossen werden.
4 Überwachung der Vitalparameter
4 Labor: Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Blutzu- 4 Rehabilitation: Physiotherapie, Logopädie und Er-
cker, Leber- und Nierenfunktionsparameter, CK, gotherapie so früh wie möglich
BGA, Blutgruppe, Urinstatus, ggf. Ursachenabklä- 4 Bei chronisch posttraumatischem Syndrom: psy-
rung (Alkoholspiegel, Drogenscreening) chosomatische/psychiatrische Therapie, soziothe-
4 Bildgebung: Nachweis/Ausschluss von Fraktur, rapeutische Maßnahmen, trizyklische Antidepres-
Blutung, Parenchymschädigung siva, Entspannungsübungen, Physiotherapie
5 Leichtes SHT ohne Risikofaktoren, GCS=15:
Schädelröntgen Prognose. Schlechter je niedriger der initiale GCS-
5 Leichtes SHT mit Risikofaktoren (Alter >60, Wert, je länger die Bewusstlosigkeit und je älter der
Gerinnungsstörungen, Fraktur, neurologische Patient. 40% der Patienten versterben, 20% bleiben
Defizite) CCT durchführen! schwerst behindert, 20% mittelgradig behindert und
5 Ggf. Röntgen der HWS, Karotis-Dopplersono- 20% erholen sich gut.
graphie
5 Bei schwerem SHT Ganzkörper-CT (Polytrau-
ma-CT) 1.3.2 Rückenmarksverletzungen,
5 Evtl. CMRT, bei Verdacht auf arterielle Dissek- Cauda-equina-Syndrom
tion MR-Angiographie
4 EEG Definition. Primär mechanisch oder sekundär ischä-
4 EP in Postakutphase zur Prognoseerstellung misch bedingte Rückenmark- bzw. Cauda-equina-
4 Ggf. HNO- und augenärztliche Untersuchung Läsion.

> Beim leichten SHT ohne Komplikationen ist das CCT Ätiopathogenese. Ursachen können sein:
in der Regel ohne pathologischen Herdbefund. 4 Traumatisch: stumpfes Trauma, Luxation, instabi-
le Wirbelkörperfraktur, Elektrotrauma, ionisieren-
32 Kapitel 1 · Neurologie

de Strahlen (Tumorbestrahlung >40 Gy), chiro- – Kontralaterale Störung von Schmerz- und
1 praktische Therapie. Temperaturempfinden bei erhaltenem
4 Nichttraumatisch, z. B. vaskulär, entzündlich, me- Druck- und Berührungsempfinden (dissozi-
tabolisch, neoplastisch ierte Empfindungsstörung)
5 Auf Höhe der Läsion kommt es zu ipsilateraler
Epidemiologie. Traumatisch: 1–3/100.000/Jahr, M>W. Aufhebung aller sensiblen Qualitäten und
schlaffer Parese
Symptomatik. Unterschieden werden: 4 Central-cord-Syndrom: Verletzung des zentralen
4 Commotio spinalis: Erschütterung des Rücken- Rückenmarks oft im HWS-Bereich mit Ausfällen
marks, innerhalb von Stunden komplett reversibel im Armbereich, meist gute Erholung (Stehen und
4 Contusio spinalis: mit Substanzschädigung, ver- Gehen möglich)
bleiben können motorische Lähmungen, Sensibili- 4 Conus-medullaris-Syndrom: unterer Teil des Rü-
tätsausfälle, Blasen- und Mastdarmstörungen, im ckenmarks mit Lähmung der Mm. glutei, Reitho-
Extremfall komplette Zerreißung des Rückenmarks senanästhesie, Blasen- und Mastdarmstörung
4 Compressio spinalis 4 Cauda-equina-Syndrom: Nervenfasern L2–S5
kaudal des Rückenmarks mit schlaffen Paresen,
Querschnittlähmungen sind Folge einer Schädigung Sensibilitätsstörungen der Beine, Blasen- und
von Rückenmark/Cauda equina: Mastdarmlähmung
4 Einteilung nach dem Verlauf:
5 Akute Querschittslähmung mit schlaffer Läh- Mögliche Komplikationen:
mung und Überlaufblase (Phase des spinalen 4 Dekubitus
Schocks, Tage bis Wochen) 4 Blasen- und Niereninfektionen, Urosepsis
5 Bei bleibender Querschnittslähmung entwi- 4 Autonome Dysreflexie: Bei Rückenmarkläsion
ckelt sich im Verlauf eine Spastik (nicht bei oberhalb von Th 6 werden supraspinale vegetative
Cauda-equina-Syndrom, da periphere Läsion) Kontrollzentren abgetrennt, Folge ist eine Überre-
4 Einteilung nach neurologischen Ausfällen (lokali- aktion des spinalen sympathischen Nervensystems:
sationsabhängig): Reize in Darm oder Blase lösen anfallsartig hyper-
5 Motorisch: spastische Para- bzw. Tetraplegie tone Krisen aus
mit spinalen Automatismen (unwillkürliche 4 Posttraumatische Syringomyelie in ca. 5% der Fälle
Beuge- oder Strecksynergismen), Pyramiden- bis zu Jahrzehnten nach der Läsion
bahnzeichen, gesteigerte Reflexe. Schlaffe Para- 4 Heterotope Ossifikation: Periartikuläre Knochen-
parese bei Caudaläsion, schlaffe Parese/Plegie neubildung bei tetraplegischen Patienten v. a. im
während des spinalen Schocks Hüft-Bereich, Therapie: Bestrahlung, Indometacin,
5 Sensibel: spinales sensibles Niveau, d. h. unter- evtl. operativ
halb eines bestimmten Dermatoms (entspre- 4 Gelenkkontrakturen
chend der Höhe der Läsion) bestehen Hypäs-
thesie und Hypalgesie, darüber ist die Ästhesie Diagnostik. Anamnese, Befund (gemäß ASIA, Ameri-
normal can Spinal Injury Association).
5 Vegetativ: neurogene Blasenlähmung (abhän- 4 Atem-, Blasen-, Mastdarm-, Sexualfunktion, Sudo-
gig von Läsionshöhe Überlaufblase oder Re- motorik, kardiovaskuläre Funktionen, Extremitä-
flexblase), Sexualdysfunktion, Herz-Kreislauf- tendurchblutung, Körpertemperatur
Dysregulation 4 Röntgen, CT, MRT, selten Myelographie (bei Ver-
dacht auf Wurzelausrisse, ggf. Suche nach weiteren
Rückenmarksyndrome: Verletzungen)
4 Anterior-cord-Syndrom: Verletzung der vorderen 4 Elektrophysiologie
2/3 des Rückenmarks mit motorischen Ausfällen und 4 Differenzialdiagnostische Abklärung bei nichttrau-
dissoziierter Empfindungsstörung (ähnlich dem A.- matischer Querschnittlähmung
spinalis-anterior-Syndrom), schlechte Prognose
4 Brown-Séquard-Syndrom: halbseitige Quer- Therapie. Erstversorgung, intensivmedizinische Über-
schnittslähmung wachung:
5 Unterhalb der Läsion: 4 Sicherung der Vitalfunktionen
– Ipsilaterale Störung der Tiefensensibilität 4 Engmaschige Kontrolle neurologischer Ausfälle,
und spastische Parese GCS
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
33 1

4 Achsengerechte Lagerung 4 Darmentleerungen


4 Ggf. operative Dekompression, Wirbelkörperstabi- 4 Methylprednisolon bei traumatischer Schädigung
lisierung bei instabiler Fraktur 4 Frühzeitige Rehabilitation
4 Sonst konservative Therapie und Prophylaxe von 4 Ggf. antispastische medikamentöse Therapie
Komplikationen 4 Bei therapierefraktärer Spastik: Baclofenpumpe
4 Bei Blasenstörung: Katheterisierung oder besser 4 Bei fokaler Spastik: Injektion von Botulinumtoxin
suprapubische Ableitung

In Kürze

Neurotraumatologie

Schädel-Hirn- 4 Symptomatik: je nach Schweregrad Bewusstseinsstörungen, ggf. Übelkeit, Erbrechen,


Trauma (SHT) neurologische Defizite
4 Ätiologie: Verletzung von Schädel und Gehirn durch stumpfe oder scharfe Gewalt
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Labor, Bildgebung
4 Therapie: abhängig vom Schweregrad, 24-h-Überwachung oder Intensivmedizinische
Überwachung und Therapie von Komplikationen, ggf. operative Versorgung

Rückenmarks- 4 Symptomatik: Querschnittlähmung:


verletzung, – Akut: schlaffe sensomotorische Lähmung und vegetative Ausfälle, Überlaufblase
Cauda-equina- – Im Verlauf Spastik
Syndrom – Cauda-equina-Syndrom: schlaffe Paraparese, Blasen- und Mastdarmlähmung
4 Ätiologie: Trauma, Tumor, Ischämie, Blutung, Entzündung
4 Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung, Elektrophysiologie, Labor, Differenzialdiag-
nostische Abklärung bei nichttraumatischer Ursache
4 Therapie: Erstversorgung, intensivmedizinische Überwachung, ggf. operative Dekom-
pression, Wirbelkörperstabilisierung; konservative Therapie und Prophylaxe von Kompli-
kationen, frühzeitige Rehabilitation

1.4 Entzündliche Erkrankungen Erwachsene:


des zentralen Nervensystems 4 Streptococcus pneumoniae
4 Neisseria meningitidis, in Deutschland 75% Sero-
1.4.1 Meningitis, Enzephalitis gruppe B, 25% C
4 Listerien <5% der Fälle, meist ältere Patienten, bei
1.4.1.1 Bakterielle Meningitis Abwehrschwäche
Synonym. Eitrige Meningitis. 4 Staphylokokken, v. a. bei offenem SHT
4 Gramnegativen Enterobakterien, Pseudomonas ae-
Definition. Entzündung der Hirn- und Rückenmark- ruginosa <10% der Fälle
häute durch bakterielle Infektion.
Kinder:
Ätiopathogenese. Die Übertragung kann erfolgen 4 Meningokokken
über: 4 Haemophilus influenzae, selten seit Einführung der
4 Tröpfcheninfektion (Meningokokken) HiB-Impfung
4 Hämatogen (Pneumokokken-Pneumonie) 4 Pneumokokken
4 Per continuitatem (Otitis, Mastoiditid, Sinusitis)
4 Direkt bei offenem SHT, nach neurochirurgischen Neugeborene:
Operationen 4 Gruppe B-Streptokokken (Streptococcus agalac-
tiae)
> Das Erregerspektrum ist abhängig vom Patientenalter 4 E. coli
und Begleiterkrankungen. Ein erhöhtes Risiko für Me- 4 Listerien
ningokokkenmeningitis besteht nach Splenektomie.
34 Kapitel 1 · Neurologie

Epidemiologie. 3–10/100.000/Jahr, 80% Säuglinge und Therapie. Initiale Antibiotikawahl bei unbekanntem
1 Kleinkinder. Erreger:
4 Ceftriaxon und Ampicilin: Patienten ohne Grund-
Symptomatik. Typisch sind: krankheit (Ampicillin wirkt auch gegen Listerien,
4 Prodromi: grippeähnliche Beschwerden Cephalosporine alleine nicht!)
4 Kopfschmerzen 4 Ceftriaxon und Fosfomycin bei HNO-Infektion
4 Meningismus oder offenem SHT (Fosfomycin wirkt gegen Sta-
4 Hohes Fieber phylokokken)
4 Übelkeit, Erbrechen 4 Ceftriaxon, Fosfomycin und Gentamycin: noso-
4 Lichtscheue komiale Infektion (Staphylokokken und gram-
4 Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen negative Enterobakterien wie Pseudomonas aeru-
4 Epileptische Anfälle ginosa)
4 Hirnnervenbeteiligungen (ca. 10%) 4 Ceftriaxon + Fosfomycin + Ampicillin bei Immun-
4 Evtl. Hautexanthem defizienz
5 Meningokokkenmeningitis: Oft plötzlicher 4 Penicillin G i.v.: Verdacht auf Meningikokkenme-
Krankheitsbeginn mit Petechien oder Purpura ningitis
der Haut. In 10% der Fälle große petechiale Haut-
blutungen, Verbrauchskoagulopathie, Kreislauf- > Besteht bei Bewusstseinsstörung oder fokal neuro-
versagen (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) logischem Defizit der Verdacht auf Meningitis, wird
5 Septische Endokarditis mit Osler-Knötchen sofort nach Abnahme der Blutkulturen antibiotisch
an Fingern und Zehen behandelt. Dann erfolgen CCT (Ausschluss erhöh-
ten intrakraniellen Drucks) und Lumbalpunktion.
! Cave Bestehen keine Bewusstseinsstörungen oder fokal
Bei Säuglingen fehlt der Meningismus oft, unspezifi- neurologischen Defizite wird die Lumbalpunktion
sche Symptome wie Trinkfaulheit stehen im Vorder- vor Beginn der antibiotischen Therapie durch-
grund. geführt.

Komplikationen (bei etwa 50% der Erwachsenen, meist Falls notwendig muss später nach Antibiogramm auf
in der 1. Woche): eine gezielte antibiotische Therapie umgestellt werden.
4 Hirnödem Dauer der Antibiotikatherapie:
4 Hydrozephalus (Liquorresorptionsstörung) 4 Unkompliziert verlaufende Meningitis bei Hae-
4 Sinusvenenthrombose mophilus influenzae oder Meningokokken: 7–10
4 Infarkte (evtl. hämorrhagisch transformiert) bei Tage
zerebraler Vaskulitis, bei septisch-embolischer 4 Pneumokokkenmeningitis: 10–14 Tage
Herdenzephalitis oder Stauungsinfarkten bei SVT 4 Listerien oder gramnegativen Enterobakterien:
4 Intrazerebrale Blutung meist >3 Wochen
4 Hirnabszess (Staphylokokken, Streptokokken,
Pneumokokken) In der ersten Woche ist die Unterbringung auf einer
4 Epileptische Anfälle Intensivstation sinnvoll. Ggf. muss die operative Sanie-
4 Hörstörungen(Labyrinthitis)/Vestibulopathie rung einer Infektionsquelle erfolgen.
4 Extrakranielle Komplikationen (septischer Schock
mit Verbrauchskoagulopathie, ARDS) Meldepflicht und Prophylaxe
4 Elektrolytstörungen (Hyponatriämie, SIADH) 4 Meningokokken:
5 Meldepflicht bei Meningitis oder Sepsis (Verdacht,
Diagnostik. Anamnese, Befund. Erkrankung, Tod) und dem Erregernachweis
4 Labor: Entzündungsparameter, d. h. Leukozytose, 5 Isolierung bei Verdacht bis 24 h nach Beginn der
CRP, PCT (Prokalzitonin, spricht für eine bakteri- Antibiotikatherapie
elle, gegen eine virale Meningitis), Blutkulturen 5 Hygienemaßnahmen des Personals
sind in etwa 50% der Fälle positiv 5 Frühe Chemoprophylaxe für enge Kontaktper-
4 Liquordiagnostik, . Tab. 1.8. sonen bis 10 Tage nach Exposition (Rifampicin,
4 CCT/CMRT: KM-Anreicherung in den Meningen, Ciprofloxacin oder Ceftriaxon)
evtl. Ursache der Meningitis darstellbar 5 Meningokokken-Impfung: für alle Kleinkinder ab
4 HNO-Untersuchung (Otitis o. ä.?) dem vollendeten 12. Lebensmonat (gegen Sero-
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
35 1

. Tab. 1.8. Liquordiagnostik bei Meningitis

Aspekt Bakterielle Meningitis Virale Meningitis Tuberkulöse Meningitis

Aussehen Eitrig-trüb Klar Klar mit Spinngewebsgerinnseln

Zellzahl/µl 4 Meist >1000 – einige tausend 25–1000 – oft einige hundert, 50–300
4 Zellzahlen <1000 zum Krank- bei chronischem Verlauf fehlt
heitsbeginn, unter Antibiose, die Liquorpleozytose oft oder
bei fulminantem Verlauf oder ist gering
Abwehrschwäche möglich.

Zellart Granulozytäre Pleozytose Überwiegend mononukleäre Lymphozytäre Pleozytose


Zellen

Glukose 4 Meist <30 mg/dl normal Vermindert <30 mg/dl


4 Liquor-Serum-Glukose-Quoti-
ent <0,3

Eiweiß 4 Erhöht Leichter Anstieg oder normal Erhöht


4 Schwere Blut-Liquor-
Schrankenstörung

Laktat Meist >3,5 mmol/l Leichter Anstieg oder normal Erhöht

Mikro- 4 Mikroskopie nach Gram-Fär- 4 PCR 4 PCR


biologische bung (z. B. gramnegative Diplo- 4 Nachweis viraler Antigene 4 Ziehl-Neelsen-Färbung
Unter- kokken o Meningokokken), 4 Bei chronischen Infek- (negatives Ergebnis schließt
suchung Methylenblau-Färbung tionen Nachweis in- Infektion nicht aus)
4 Latexagglutinationstest zum trathekaler Antikörper- 4 Kultureller Erregernachweis
Nachweis bakterieller Antigene produktion (mindestens 1–2 Wochen)
4 PCR
4 Kulturelle Anzüchtung

gruppe C) sowie bei Reisen in Endemiegebiete Ätiopathogenese. Virale Meningitiden treten bei ver-
(Meningitis-Gürtel Afrikas, v. a. gegen Serogruppe schiedenen Virusinfektionen auf.
A), bei Ausbrüchen und bei Personen mit Immun- 4 Häufige Erreger viraler Enzephalitiden:
defekten (Aplenie) empfohlen 5 Herpes-simplex-Virus (HSV-1, HSV-2) und
4 Haemophilus influenza, Listeria monocytogenes, Zytomegalie-Virus (CMV)
Pneumokokken 5 Enteroviren: Poliomyelitis-, ECHO- und Cox-
5 Meldepflicht bei direktem Nachweis von Haemo- sackie-Virus
philus influenzae oder Listeria monocytogenes im 5 Arbovirus = Arthropode-borne (meist durch
Liquor oder Blut Insekten übertragen): FSME und japanische
5 Impfung gegen Pneumokokken und Haemophilus Enzephalitis
influenzae Typ B für alle Kinder empfohlen 4 Parainfektiöse/immunvermittelte Enzephalitis im
Rahmen viraler Allgemeinerkrankungen: Mumps,
Prognose. Höchste Letalität bei Pneumokokken- und Masern, Röteln, Varizella-Zoster-Virus (VZV)
Listerienmeningitiden (20–40%), Meningokokkenme- 4 Postvakzinale Enzephalitis: Risiko 1/300.000–
ningitiden (3–10%). Neurologische Ausfälle verbleiben 500.000 nach Tollwut-, Masern-, Pertussis- oder
in etwa 1/3 der Fälle. FSME-Impfungen

1.4.1.2 Virale lymphozytäre Meningitis Epidemiologie. In Deutschland: 3/100.000/Jahr virale


und (Meningo-)Enzephalitis Meningoenzephalitiden und Enzephalitiden.
Definition. Entzündung der Hirnhäute (Meningitis)
oder des Hirnparenchyms (Enzephalitis) im Rahmen Symptomatik. Die Virusmeningitis ist meist harmlos,
einer Virusinfektion. auch viele Virusenzephalitiden haben eine gute Prog-
36 Kapitel 1 · Neurologie

nose, selbst wenn sie als akute Krankheitsbilder hoch Intervall vor Einsetzen der neurologischen Beschwer-
1 dramatisch in Erscheinung treten können. den (und ein negativer Erregernachweis).

> Die HSV-Enzephalitis hat dagegen unerkannt und Diagnostik. Zur Diagnostik gehören:
unbehandelt eine Letalität von mindestens 70%, 4 Labor: meist unauffällige oder geringfügig erhöhte
unbehandelt Überlebende behalten schwere Defekte Entzündungsparameter, relative Lymphozytose,
zurück. Virusnachweis, PCR/Serologie (Liquordiagnostik:
. Tab. 1.8)
Tollwut (Rabies) endet letal, da eine spezifische Thera- 4 Bildgebung: cCT/cMRT
pie fehlt. 4 EEG (Verlangsamung des Grundrhythmus, Herd-
Virale Meningitis: befunde?)
4 Kopfschmerz
4 Fieber Therapie. Einige Viren können spezifisch antiviral
4 Übelkeit und Erbrechen therapiert werden, z. B. HSV-Enzephalitis. Passive
4 Meningitische Reizsymptome Immunisierung, z. B. bei Rabiesinfektion. Kontrolle
4 Überempfindlichkeit gegenüber Licht und lauten von Vitalparametern, Temperatur und Elektrolyten,
Geräuschen Therapie und Prophylaxe von Hirnödem, Epilepsie,
4 Die akute Symptomatik klingt auch ohne Therapie Thrombembolie.
nach Tagen bis wenigen Wochen ab
! Cave
Akute virale Meningoenzephalitis: Oft im Anschluss Prophylaktisch wird eine generelle aktive Immunisie-
an rung (Mumps, Masern, Röteln, Varizellen, Poliomyeli-
4 eine Allgemeinerkrankung (Mumps, Masern, Rö- tis) bzw. bei Reisen bzw. Aufenthalt in Endemiegebie-
teln, Windpocken, Exanthema subitum, Ringelrö- ten oder bei exponierten Berufsgruppen (FSME,
teln), Tollwut) empfohlen.
4 eine Gastroenteritis (Enteroviren) oder
4 ein katarrhalisches Prodromalstadium (HSV-Enze-
phalitis, FSME). 1.4.1.3 Herpes-simplex-Enzephalitis
4 Beginn der Symptomatik meist mit Fieber, Kopf- Definition. Entzündung des Gehirns durch Herpes-
schmerzen und meningitischen Reizsymptomen simplex-Virus.

! Cave Ätiopathogenese. Akute nekrotisierende Enzephalitis


Verhaltensauffälligkeiten, Verwirrtheit, Desorientiert- nahezu immer durch HSV-Typ 1 bedingt. HSV-Typ 2
heit, Bewusstseinseinschränkungen, neurologische kann eine meist gutartige Meningitis verursachen.
Herdsymptome und epileptische Anfälle im Verlauf Neugeborenen jedoch können an einer hämorrhagisch-
weisen auf eine Beteiligung des Hirnparenchyms hin! nekrotisierenden Enzephalitis erkranken.

Chronische virale Enzephalitiden manifestieren sich Epidemiologie. 1,5–4/1.000.000 Einwohner, kein ge-
langsam progredient mit Persönlichkeitsveränderun- häuftes Auftreten bei rekurrierendem Herpes labialis.
gen, pseudodemenziellem Syndrom und neurologi-
schen Ausfällen. Symptomatik. Verlauf in 3–5 Phasen:
Die Varizellenenzephalitis manifestiert sich 4–8 4 Grippales Vorstadium (Kopfschmerz, Fieber), dann
Tage nach den Hauteffloreszenzen, häufig treten zere- oft kurzzeitige Besserung
belläre Symptome auf. 4 Wernicke-Aphasie, wenn dominante Hemisphäre
Eine Zosterenzephalitis als Komplikation eines betroffen, und Hemiparese
Herpes zoster betrifft meist Personen mit einem Im- 4 Psychotische Episoden (Verwirrtheit, Geruchshal-
mundefekt, z. B. Leukämie-Kranke. Tage bis Wochen luzinationen)
nach Auftreten der kutanen Bläschen kommt es zu 4 Epileptische Anfälle (initial komplex-fokal, sekun-
Symptomen der Enzephalitis, meist ist der Verlauf we- där Generalisierung möglich)
niger schwer als die HSV-1-Enzephalitis. 4 Zunehmende Bewusstseinsstörung bis Koma
Für eine parainfektiöse/postvakzinale Ursache
sprechen eine Infektion oder Impfung in den vorausge- > Leitsymptome: Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung,
gangenen 1–4 Wochen, meist gefolgt von einem freien Fieber.
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
37 1

Diagnostik. Zur Diagnostik gehören: Prognose. Letalität ohne Behandlung mindestens


4 Anamnese, Befund 70%, bei rechtzeitigem Therapiebeginn Letalität 20%
4 Liquor: lymphozytäre Pleozytose im Allgemeinen (. Abb. 1.13).
<300/µl, leichte Eiweißerhöhung bei normaler Li-
quorglukose. In etwa 5% der Fälle kann die Zellzahl Zytomegalievirus (CMV)-Enzephalitis
zunächst normal sein. Die Diagnosesicherung er- Infektionen verlaufen in der Regel inapparent, 50–60% der
folgt zunächst durch die Liquor-PCR, ab Ende der Erwachsenen in Europa sind CMV-seropositiv. Bei Immun-
2. Woche auch durch Nachweis der intrathekalen defizienz, z. B. AIDS oder nach Knochenmarkstransplantati-
Antikörperproduktion on kann es durch Virusreaktivierung zu Enzephalitis, oft
4 MRT: Früh mediotemporo-basale Hyperintensitä- zusammen mit Hepatitis, Myokarditis und Pneumonie
ten in T2- und FLAIR-Wichtung kommen. Therapie: Ganciclovir i.v., Foscarnet oder Cidofo-
4 CCT: Kann anfangs normal sein vir i.v.
4 EEG: Herdbefund im Temporallappen
Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)
Therapie. Kontrolle von Vitalparametern, Temperatur, Erreger sind Masernvirusmutanten, etwa 5 SSPE-Fäl-
Elektrolyten, Therapie und Prophylaxe von Hirnödem, le/1.000.000 Masern-Erkrankungen treten auf. Betroffen
Epilepsie, Thrombembolie. ist die weiße und graue Substanz (Panenzephalitis).
Die Erkrankung tritt fast nur im Kindes- und Jugendalter,
! Cave öfter bei Jungen auf. Nach langen Inkubationszeiten
Gabe von Aciclovir i.v. sofort schon bei Verdacht! (durchschnittlich 8 Jahre) kommt es zur chronisch-

. Abb. 1.13. Klinische, apparative und liquordiagnostische Befunde bei der Herpes-simplex-Enzephalitis. (Nach Hacke u.
Zeumer 1985)
38 Kapitel 1 · Neurologie

progredienten Symptomatik mit psychischen Verände- 1.4.2 Nichteitrige


1 rungen (demenzielle Symptomatik, Verhaltens- und Per- Meningoenzephalitiden
sönlichkeitsveränderungen), neurologischen Ausfällen,
Myoklonien, Rigor, Hyperkinesen, vegetativen Sympto- Ätiopathogenese. Auftreten bei:
men (Hyperthermie, Tachykardie), Coma vigile und Tod 4 Infektionen mit bestimmten bakteriellen Erregern:
nach 1–2 Jahren. 5 Spirochäten: Neurolues, Neuroborreliose
Diagnostik: Liquor (Nachweis einer intrathekalen Anti- 5 Mykobakterien: Neurotuberkulose
körperproduktion gegen Masernviren bzw. SSPE-Antigen), 5 Bruzellen, Nokardien, intrazelluläre Erregern
EEG (Radermecker-Komplexe) und CCT (rasch progrediente wie Bartonellen, Rickettsien, Mykoplasmen
Hirnatrophie)- (Mycoplasma pneumoniae)
Therapie: Nur symptomatisch. 4 Protozoen: Toxoplasma gondii, Trypanosomen,
zerebraler Malaria bei Plasmodium falciparum
1.4.1.4 Frühsommer-Meningoenzephalitis 4 Nematodenlarven: eosinophile Meningitis bzw.
(FSME) Meningoenzephalitis
Definition. Entzündung von Hirnhäuten/Hirnparen-
chym durch FSME-Virus. 1.4.2.1 Tuberkulöse Meningitis
Definition. Entzündung der Hirnhäute bei Infektion
Ätiopathogenese. Erreger: FSME-Virus aus der Fami- mit Mycobacterium tuberculosis.
lie der Flavi-Viren (RNA-Viren). Übertragung erfolgt
durch Zeckenbisse, natürliches Reservoir sind v. a. Ätiopathogenese. Selten im Rahmen einer septischen
Mäuse. Endemiegebiete sind Süddeutschland (Baden- Streuung bei Organtuberkulose, hämatogen bei Miliar-
Württemberg, Bayern, Südhessen), Österreich, Osteu- tuberkulose (v. a. bei Kindern).
ropa, Russland (bis zu 5% der Zecken sind dort Virus- Weltweit ist 1/3 der Menschheit mit Tbc infiziert
träger). und 2 Mio. Menschen sterben jährlich daran. 5–10%
(bei HIV-Infektion mehr) der Infizierten erkranken
Epidemiologie. In Deutschland 150–250 Erkrankun- oder werden infektiös. In Südostasien ist die Inzidenz
gen/Jahr. Erkrankungsgipfel Juni bis August. am höchsten. Die Infektion erfolgt meist aerogen von
Mensch zu Mensch, Erreger gelangen in die Lunge.
Symptomatik. Nach einer mittleren Inkubationszeit Problematisch sind multiresistente (mindestens gegen
von 10 Tagen kommt es in 10–30% der Fälle zu: Isoniazid und Rifampicin resistente) Erreger.
4 1. Prodromalphase: Grippeähnlich mit Fieber,
Kopf- und Gliederschmerzen Symptomatik. Befallen ist v. a. die Hirnbasis. Anfangs
4 Fieberfreies Intervall von 2–5 Tagen meist schleichender Verlauf mit subfebrilen Temperatu-
4 Bei 10% der Erkrankten 2. Fieberanstieg (50% mit ren, Reizbarkeit, Leistungsminderung, Appetitlosigkeit,
Meningitis, 40% mit Meningenzephalitis/Enzepha- Kopfschmerzen. Aufgrund der basalen Lokalisation sind
litis, 10% mit Myelitis) Hirnnervenausfälle (N. oculomotorius, N. abducens,
N. fazialis u. a.) typisch. Weitere Symptome: Meningis-
> 70–90% der Fälle verlaufen asymptomatisch. mus, Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, epileptische
Anfälle oder radikuläre Symptome bei spinalen Läsio-
Diagnostik. Entzündungsparameter im Blut (mit Leu- nen. Der Verlauf kann subakut oder chronisch sein.
kozytose). Serologie: Im Verlauf Antikörper in Blut und
Liquor. Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 EEG: Allgemeinveränderungen, evtl. Herdbefund
Therapie. Symptomatisch. 4 cMRT: basale KM-Aufnahme von Meningen und
verdickten Hirnnerven, Tuberkulom, Abszess, Hy-
> Expositionsprophylaxe und aktive Immunisierung bei drozephalus, fragliche Vaskulitiszeichen, Infarkte
Risikopersonen (Forstarbeiter in Endemiegebieten). 4 Thoraxröntgen: Lungentuberkulose, Miliartuber-
kulose
Prognose. Letalität 1%. Die Meningitis heilt in der Re- 4 Liquordiagnostik: lymphomonozytäre Pleozytose
gel folgenlos aus, bei Enzephalitis oder Myelitis in (selten >1000/µl), Proteinerhöhung, Glukose er-
10–30% Defektheilungen mit neurologischen Defizi- niedrigt, mikrobiologische Untersuchungen (Ziehl-
ten. Nach der Infektion besteht meist lebenslange Im- Neelsen-Färbung, säurefeste Stäbchen), Kultur
munität. über 6–8 Wochen, PCR innerhalb weniger Tage
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
39 1

Therapie. Standardtherapie: 2 Monate 4er-Kombinati- munfluoreszenztest. Ab 2 bis 6–8 Wochen nach


on (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol), Infektion sind die Titer besonders hoch
dann weitere 10 Monate 2er-Kombination (Isoniazid, (>1:1000), später sinken sie ab und persistieren
Rifampicin). Vitamin B6 zur Prophylaxe einer medika- meist lebenslang bei ca. 1:64, ein signifikanter
mentös induzierten Polyneuropathie, evtl. initial ergän- Titeranstieg beweist die frische Infektion.
zend Glukokortikoide. 5 Nachweis von IgM-Antikörpern bei frischer
Infektion und konnataler Toxoplasmose, eine
1.4.2.2 Toxoplasmose IgM-Bildung kann bei Immunschwäche aus-
Definition. ZNS-Befall bei Infektion mit dem Protozo- bleiben.
on Toxoplasma gondii. 4 CCT, MRT: bei fetaler Infektion multiple Verkal-
kungen, bei AIDS ringförmige Kontrastmittelan-
Ätiopathogenese. Wird der Zwischenwirt (Mensch, reicherungen
Schwein, Maus, Schaf, Rind) infiziert, bilden sich infek-
tiöse Zysten in inneren Organen und Muskulatur, im > Erregernachweis bei konnataler Toxoplasmose ist
Endwirt (Katze) entstehen infektiöse Oozysten. Die nichtnamentlich meldepflichtig.
Übertragung erfolgt durch Verzehr von zystenhaltigem
rohen Fleisch oder Kontakt mit oozytenhaltigem Kat- Therapie. Pyrimethamin plus Folsäure (Prophylaxe hä-
zenkot. matologischer Nebenwirkungen) und Sulfadiazin oder
Spiramycin (bei Allergie oder bis zur 16. SSW), bei
Epidemiologie. 50% der Erwachsenen in Deutschland ZNS-Befall Atovaquon. Bei HIV-Infektion wird Cotri-
sind latent infiziert; pro Jahr gibt es ca. 20 Fälle einer moxazol dauerhaft als Primärprophylaxe bei einer
konnatalen Toxoplasmose. CD4+-Zellzahl <200/µl (schützt auch vor Pneumocys-
tis-jiroveci-Pneumonie) oder als Sekundärprophylaxe
Symptomatik. Bei 1% der Immunkompetenten führt gegeben.
die Toxoplasmose zu einem grippeähnlichen Krank-
heitsbild (Fieber, Myalgien), Lymphknotenschwellung,
seltener Iridozyklitis und Chorioretinitis. Im ZNS per- 1.4.3 Lyme-Borreliose, Neuroborreliose
sistieren die Erreger als Bradyzoiten lebenslang und
verursachen keine Symptome. Definition. Generalisierte Erkrankung bei Infektion mit
Bei Immunsupprimierten kann es zur Reaktivie- Borrelien (Borrelia burgdorferi sensu stricto, afzelii
rung mit schwerem Verlauf kommen: ZNS-Toxoplas- oder garinii). Neuroborreliose: Beteiligung des Ner-
mose, septische Streuung in Leber, Lungen, Milz, Herz. vensystems.

! Cave Ätiopathogenese. Übertragung in Europa meist durch


Bei Erstinfektion der Mutter während der Schwanger- Zecken (Ixodes ricinus), Übertragungswahrscheinlichkeit
schaft (v. a. 2. und 3. Trimenon) kann es zur diaplazen- nimmt mit der Verweildauer der Zecke am Körper zu.
taren Infektion und Schädigung des Kindes kommen: Durchseuchungsrate der Zecken: 10–30%, in Endemiege-
Abort, Frühgeburt, Enzephalitis mit den Folgen Hy- bieten führen 1–3% der Zeckenstiche zur Infektion.
drozephalus, Chorioretinitis, zerebrale Verkalkungen,
Krampfneigung, geistige Retardierung, Hepatosple- Epidemiologie. In der gemäßigten Klimazone der
nomegalie und Ikterus. Nordhalbkugel endemisch. Nach Zeckenstichen er-
kranken in Deutschland ca. 20.000/Jahr an Borreliose,
Der Toxoplasma-Antikörper-Suchtest bei Schwangeren saisonale Häufung im Sommer und Herbst.
ist laut Mutterschaftsrichtlinien nur bei begründetem
Verdacht durchzuführen und wird nur dann von der Symptomatik. Unterschieden werden:
Krankenkasse bezahlt. 4 Stadium 1: Einige Tage bis 4 Wochen nach Infek-
tion
Diagnostik. Anamnese, Befund. 5 Kopfschmerz, evtl. Fieber, Arthralgie, Myalgie
4 Labor: 5 Erythema (chronicum) migrans: sich zentri-
5 Erregernachweis in Blut, ggf. im Liquor mit fugal ausbreitendes Erythem meist an der Ze-
PCR ckenbissstelle
5 Nachweis von IgG-Antikörpern früher im Sa- 4 Stadium 2: Bis Monate nach der Infektion, Tage bis
bin-Feldmann Test, jetzt mittels indirekten Im- Wochen nach Erstmanifestation. Disseminierte In-
40 Kapitel 1 · Neurologie

fektion mit Befall von Nervensystem, Gelenken 4 <10% der Fälle chronische Infektion mit schlei-
1 und Herz chender Symptomentwicklung und Dauer >6
5 Meningitis fast nur bei Kindern Monate
5 Meningoenzephalitis 4 Eine Beteiligung des ZNS ist bei der Neuroborreli-
5 (Garin-Bujadoux-)Bannwarth-Syndrom ose eher selten und kann betreffen:
(Meningoradikuloneuritis): Neben dem Ery- 5 Rückenmark: Myelitis, meist chronisch Verlauf
thema migrans in Europa häufigste Manifesta- (Blasenstörung, spastischer und ataktischer
tion einer akuten Borreliose Gangstörung, Paresen)
– Radikulitis mit segmentalen Schmerzen 5 Gehirn: Enzephalitis, meist chronisch, Borreli-
wechselnder Lokalisation, nachts verstärkt, en-induzierte zerebrale Vaskulitis
schlechtes Ansprechen auf herkömmliche
Analgetika Eine Borrelien-induzierte Myositis ist sehr selten.
– Meist nach 1–4 Wochen neurologische Aus-
fälle: oft asymmetrische periphere Paresen, Diagnostik. Anamnese (Zeckenbiss, Aufenthalt in En-
seltener Sensibilitätsstörungen (Reizerschei- demiegebieten, Erythema migrans, Lymphadenosis cu-
nungen, Taubheit) tis benigna), Befund, Labor (Entzündungsparameter).
– Promptes Ansprechen auf Antibiotika ist ty- 4 Liquor:
pisch 5 Lymphomonozytäre Liquorpleozytose (bei ak-
– Über die Hälfte der Patienten hat Hirnner- tueller Krankheitsaktivität), Schrankenstörung,
venausfälle (häufig auch bilaterale Fazia- Nachweis oligoklonaler Banden. Glukose und
lisparese) Laktat kaum verändert, Protein im Liquor
– Meist vollständige Rückbildung in 1–2 Mo- leicht erhöht
naten 5 Serologie: Nachweis Borrelien-spezifischer in-
– Residuen oder Defektheilungen mit Fazialis- trathekaler Antikörperproduktion: Liquor/Se-
synkinesien in ca. 5% der Fälle rum-Index
5 Karditis mit Reizleitungsstörungen, Myokardi- – Ab der 2. Krankheitswoche, nach 2–3 Mona-
tis, Perikarditis ten bei Neuroborreliose fast immer nach-
5 Arthralgien und Myalgien, selten Arthritis und weisbar
Myositis – Antikörper, auch IgM können lange nach
5 Lymphadenosis cutis benigna: halbkugelige abgelaufener Entzündung nachweisbar blei-
Tumoren v. a. an Mamillen, im Genitalbereich ben, so dass nur die gleichzeitige Liquor-Pleo-
und an den Ohrläppchen zytose für eine aktive Infektion spricht
4 Stadium 3: Selten nach Monaten bis Jahren, späte – PCR: Nachweis von Borrelien-DNA im Li-
bzw. chronische Manifestation, oft ohne vorherge- quor bei ca. ¼ der Patienten mit akuter Neu-
hende Krankheitszeichen roborreliose
5 Haut: Acrodermatitis chronica atrophicans 4 Serodiagnostik:
Herxheimer 5 Suchtest (Enzym-Immuno-Assay -EIA)
5 Neuroborreliose: 5 Anschließend Bestätigungstest (Western-Blot)
– Chronische Meningitis
– Myelitis Therapie.
– Enzephalitis 4 Antibiotisch: bei Bannwarth-Syndrom, Erythema
– Polyneuropathie/Polyneuritis (häufig zu- chronicum migrans, lymphomonozytärer Pleozy-
sammen mit der Acrodermatitis chronica tose im Liquor und Nachweis einer spezifischen
atrophicans), Hirnnervenlähmungen intrathekalen Antikörperproduktion:
– Selten Mononeuritis multiplex oder Plexus- 5 Doxycyclin ist Mittel der Wahl bei Erythema
neuritis chronicum migrans
5 Lyme-Arthritis v. a. großer Gelenke 5 Ceftriaxon ist Mittel der Wahl bei Neuroborre-
5 Chronisch dilatative Kardiomyopathie liose (liquorgängig, lange HWZ)

Einteilung der Neuroborreliose: Bei unspezifischen Allgemeinbeschwerden (Müdigkeit,


4 >90% der Fälle akute Infektion mit Symptom- Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen), aber normalem
dauer <6 Monate meist als Meningoradikulo- neurologischen Untersuchungs- und Liquorbefund
neuritis und lediglich positivem Borrelien-Titer im Serum be-
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
41 1

steht keine klare Indikation. Therapiedauer bei akuten Unterschieden werden:


Neuroborreliose mindestens 2, bei der chronischen 3 4 Meningovaskuläre Neurosyphilis (Lues cerebrospi-
Wochen. Der Therapieerfolg wird am Rückgang neuro- nalis)
logischer Symptome und Normalisierung der Liquor- 5 Meningitische Variante mit Kopfschmerzen,
Pleozytose beurteilt. Hirnnervenläsionen, Optikusschädigung, sel-
4 Prophylaxe: Eine durchgemachte, klinische Borre- ten Hydrozephalusentwicklung
liose schützt nicht vor Reinfektionen. Repellents 5 Vaskulitische Variante mit zerebraler oder spi-
(Insektenabwehrmittel) wehren Zecken schlecht naler Minderperfusion bzw. Infarkten und
ab. Polyvalente OspC- bzw. OspA-Impfstoffe für neurologischen Defiziten
Europa sind in Entwicklung. 4 Progressive Paralyse: Befall der grauen Substanz
5 Expositionsprophylaxe und Demyelinisierungen (chronische luische Enze-
5 Möglichst rasches Entfernen einer Zecke (Pin- phalitis)
zette, Zeckenzange), Hautdesinfektion 5 Psychische Symptome wie Persönlichkeitsver-
5 Patientenaufklärung über Symptome bei In- änderungen, psychotische z. B. schizophreni-
fektion forme Episoden
5 Dysarthrie
> Eine routinemäßige antibiotische Prophylaxe nach
5 Pupillenstörungen
Zeckenbiss wird in Deutschland nicht empfohlen.
5 Demenz
5 Harn- und Stuhlinkontinenz
1.4.4 Neurosyphilis 4 Tabes dorsalis: Läsion der Hinterstränge und
-wurzeln
Synonym. Neurolues. 5 MER-Ausfall der unteren Extremitäten
5 Pallanästhesie
Definition. Spätform der Lues mit Befall des ZNS. 5 Pupillenstörungen (Argyll-Robertson-Zeichen
der Pupille, Störung der Lichtreaktion bei er-
Ätiopathogenese. Erreger: Treponema pallidum. Einzi- haltener Konvergenzreaktion)
ger Wirt ist der Mensch. Die Erkrankung ist weltweit 5 Lanzinierende Schmerzen (einschießend, v. a.
verbreitet. Die Infektion erfolgt beim Geschlechtsverkehr in die Beine)
oder diaplazentar bzw. im Geburtskanal (Lues connata). 5 Gangataxie
5 Überstreckbarkeit der Knie- und Hüftgelenke
Epidemiologie. Inzidenz der Syphilis in Deutschland 5 Deafferenzierte Blase
ist steigend: >2/100.000/Jahr. typisches Erkrankungsal- 5 Tabische Optikusatrophie
ter: 20. bis 40. Lebensjahr, M>W, Neurosyphilis in ca. 5 Schmerzlose Arthropathie
7% der Fälle. 5 Keine Spastik

Symptomatik. Inkubationszeit: 2–4 Wochen. Verlauf in Diagnostik. Anamnese, Befund (chronisch-progredi-


3 Stadien: enter Verlauf einer neurologisch-psychiatrischen Symp-
4 Primäraffekt: Ulcus durum tomatik mit phasenweiser Veränderung).
4 Sekundärstadium: Condylomata in Anal-/Genital- 4 Liquor: gemischtzellige oder mononukleäre Pleo-
region zytose, Schrankenstörung mit autochtoner Anti-
4 Tertiärstadium: Organmanifestation: gummatöse/ körperproduktion (intrathekaler, Liquor/Serum-
granulomatöse Syphilis, kardiovaskuläre Beteili- Index)
gung, Neurosyphilis 4 Dunkelfeldmikroskopie: Primär- und Sekundär-
stadium, heute geringe Bedeutung
Mögliche neurologische Symptome: 4 Erregerkultivierung mit mikrobiologischen Stan-
4 Im Sekundärstadium: frühluische Meningitis (Lues dardmethoden nicht möglich.
cerebrospinalis) 4 PCR: hohe Sensitivität und Spezifität
4 Im Tertiärstadium: leichte Meningitis, Hirnnerven- 4 Serologie: Serokonversion nach 14–40 Tagen, zu-
beteiligung (N. VIII, VII und III), Polyradikulitis, nächst IgM-Antikörper, später auch IgG nachweis-
selten vaskuläre Hirnstammsyndrome bar
4 Serologische Tests
> Die eigentliche Neurosyphilis tritt mit einer Latenz 5 TPHA-Test (Treponema-pallidum-Hämagglu-
von 4–40 Jahren im Tertiärstadium auf. tinationstest): Suchtest, 4–5 Wochen nach In-
42 Kapitel 1 · Neurologie

fektion positiv, bleibt lebenslang positiv, falsch Therapie. Behandlungsbedarf besteht bei positivem
1 positiv z. B. bei Borreliose Ausfall einer Lipoidantikörperreaktion (VDRL-Test)
5 FTA-ABS-Test (Fluoreszenz-Treponema-An- bzw. Nachweis Treponemen-spezifischer IgM-Antikör-
tikörper-Absorptionstest): Bestätigungsreakti- per im Serum.
on bei positivem TPHA-Test, 3–4 Wochen nach
Infektion positiv, bleibt lebenslang positiv ! Cave
5 Beide Tests beruhen auf dem Nachweis Trepo- Bei aktiver Neurosyphilis im Tertiärstadium können
nemen-spezifischer Antikörper, falsch-positive der VDRL-Test und selten auch der IgM-ELISA negativ
Ergebnisse kommen selten vor, z. B. im Rah- sein. Dann wird die Behandlungsbedürftigkeit in Ab-
men von Autoimmunkrankheiten. Der Nach- hängigkeit von Liquorbefund (Pleozytose und hoher
weis Treponemen-spezifischer IgM-Antikör- TPPA-Titer) sowie klinischer Progredienz abgeschätzt.
per spricht für das Vorhandensein von Erre-
gern und zeigt Behandlungsbedarf an. Mittel der 1. Wahl: Penicillin G i.v. in kristalloider Lö-
5 CMF-Test (Cardiolipinmikroflockungstest) sung über mindestens 14 Tage. Alternativ: tägliche i.v.
und VDRL-Test (Veneral-Disease-Research- Gabe von 2 g Ceftriaxon für 10–14 Tage. Ggf. sympto-
Laboratory-Slide-Test): Nachweis von unspezi- matische Therapie epileptischer Anfälle, lanzierender
fischen Reaginen, die z. B. mit Cardiolipin rea- Schmerzen, psychotischer Episoden.
gieren und etwa 5 Wochen nach der Infektion
auftreten. Der Test ist unspezifisch bei einigen Jarisch-Herxheimer-Reaktion
viralen und bakteriellen Erkrankungen sowie Tritt 12–24 h nach Beginn der Antibiotikatherapie, v. a. bei
bei Kollagenosen positiv. Er dient der Beurtei- Primär- und Sekundärsyphilis auf, wenn durch Erregerzer-
lung der Krankheitsaktivität. fall Endotoxine frei werden. Bei Neurosyphilis tritt sie nur in
4 MRT: Ischämie, Hydrozephalus, Gumma?, Aus- 1–2% der Fälle auf. Symptome: Fieber, Tachykardie, Blut-
schluss anderer Krankheiten druckveränderungen, epileptische Anfälle und neurolo-
4 EEG bei epileptischen Anfällen, evozierte Potenzi- gische Ausfälle, die symptomatisch behandelt werden.
ale und ophthalmologische Untersuchung bei Ta- Wichtig ist die Überwachung, das Antibiotikum muss wei-
bes dorsalis tergegeben werden.

In Kürze

Entzündliche Erkrankungen des ZNS

Bakterielle 4 Symptomatik: grippeähnliche Prodromi, Kopfschmerzen, Meningismus, hohes Fieber


Meningitis Übelkeit, Erbrechen, Photo- und Phonophobie, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen,
epileptische Anfälle, Hirnnervenbeteiligung
4 Ätiologie: Infektion mit Pneumokokken, Meningokokken, Staphylokokken, gramnegati-
ve Enterokokken, Listerien, Haemophilus influenzae
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: eitrig, stark erhöhte Zellzahl, granulozytäre Pleo-
zytose, Eiweiß und Laktat erhöht, Glukose vermindert; Erregernachweis im Liquor und
ggf. Im Blut (Blutkulturen), Infektfokussuche, CCT/CMRT: KM-Anreicherung in den Me-
ningen, Röntgen-Thorax (Pneumonie?)
4 Therapie: Antibiotika

Tuberkulöse 4 Symptomatik: oft schleichender Beginn mit unspezifischen Beschwerden, subfebrilen


Meningitis Temperaturen, Kopfschmerzen. Oft Befall der Hirnbasis mit Hirnnervenausfällen, Menin-
gismus, Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, epileptische Anfälle
4 Ätiologie: Mycobacterium tuberculosis, meist hämatogene Streuung bei Lungen-Tbc
oder im Rahmen einer Miliar-Tbc
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: Spinngewebsgerinnsel, lymphozytäre Pleozyto-
se, Glukose vermindert, Eiweiß und Laktat erhöht, PCR, Ziehl-Neelsen-Färbung, kulturel-
ler Erregernachweis, CCT/CMRT: KM-Anreicherung meist in den basalen Meningen, evtl.
Tuberkulom, Vaskulitis, Infarkte, Röntgenthorax (Tbc?)
4 Therapie: 2 Monate Kombination Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol; dann
6 weitere 10 Monate Isoniazid, Rifampicin
1.4 · Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems
43 1

Virale lympho- 4 Symptomatik:


zytäre Meningi- 4 Virusmeningitis (oft harmlos): Kopfschmerz, Fieber, Übelkeit und Erbrechen, Photo- und
tis/Meningoen- Phonophobie, Meningismus.
zephalitis, 4 HSV-Enzephalitis: Leitsymptome Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung, Fieber. 3–5 Pha-
Herpes- sen: grippeähnliches Vorstadium, Wernicke-Aphasie, psychotische Episoden, epilepti-
simplex- sche Anfälle, Bewusstseinsstörung bis Koma
Enzephalitis 4 Akute virale Meningoenzephalitis: Verhaltensauffälligkeiten, Desorientiertheit, Verwirrt-
heit, Bewusstseinsstörungen, neurologische Herdsymptome, epileptische Anfälle
4 Chronische virale Enzephalitiden: langsam progrediente Persönlichkeitsveränderungen,
demenzielles Syndrom, neurologische Ausfälle
4 FSME: 70–90% asymptomatisch, Inkubationszeit ca. 10 Tage, grippeähnliche Prodromal-
phase, fieberfreies Intervall von 2–5 Tagen, in 10% der Fälle 2. Fieberanstieg mit Menin-
gitis, (Meningo-)Enzephalitis oder Myelitis
4 Ätiologie: virale Meningitis bei vielen Virusinfektionen. Erreger virale Enzephalitiden:
HSV-1, HSV-2, CMV, Enteroviren (Poliomyelitis u. a.), Arboviren (FSME, die durch Zecken
in Endemiegebieten übertragen werden kann).
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: klar, mononukleäre Pleozytose, Eiweiß und Laktat
normal oder leicht erhöht, PCR, Nachweis viraler Antigene, bei chronischen Infektionen
Nachweis intrathekaler Antikörperproduktion, Erregernachweis (Liquor, Blut, Stuhl), Se-
rologie, Bildgebung (CCT; CMRT: KM-Anreicherung in den Meningen), bei HSV-Enzephali-
tis im MRT (T2- und FLAIR-Wichtung) mediotemporo-basale Hyperintensitäten, EEG
4 Therapie: symptomatisch, z. B. antikonvulsive und Hirnödemtherapie. Spezifische antivi-
rale Therapie, z. B. bei HSV-Enzephalitis mit Aciclovir i.v.

Neurosyphilis 4 Symptomatik: Manifestationsformen der Neurosyphilis:


4 Meningovaskuläre Neurosyphilis = Lues cerebrospinalis: Meningitisch oder Vaskulitisch
4 Progressive Paralyse: chronische luische Enzephalitis mit Persönlichkeitsveränderungen,
schizophreniforme Episoden, Demenz
4 Tabes dorsalis: MER-Ausfall, Pallanästhesie, Argyll-Robertson-Zeichen der Pupillen, lanzi-
nierende Schmerzen, Gangataxie, deafferenzierte Blase, Optikusatrophie, schmerzlose
Arthropathie
4 Ätiologie: Infektion mit Treponema pallidum, Neurolues ist Spätform der Lues mit ZNS-
Befall
4 Diagnostik: Serologie: TPHA-Test (Suchtest), FTA-ABS-Test (Bestätigungstest). Trepone-
men-spezifische IgM-Antikörper (Vorhandensein von Erregern, Behandlungsbedarf ),
CMF- und VDRL-Test (unspezifisch zur Beurteilung der Krankheitsaktivität)
4 Therapie: Penicillin G oder Ceftriaxon i.v.

Neuroborreliose 4 Symptomatik: Borreliose ist eine in Stadien verlaufende systemische Erkrankung mit All-
gemeinsymptomen und Symptomen an Haut, Herz, Gelenken und Nervensystem.
4 Manifestationen der Neuroborreliose:
4 Bannwarth-Syndrom = Meningoradikuloneuritis
4 Hirnnervenausfälle, oft (bilaterale) Fazialisparese
4 Polyneuropathie/Polyneuritis
4 Selten Mononeuritis multiplex oder Plexusneuritis
4 Ätiologie: Übertragung von Borrelien durch Zecken
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Liquor: lymphomonozytäre Liquorpleozytose (bei aktu-
eller Krankheitsaktivität), Nachweis oligoklonaler Banden. Glukose und Laktat kaum ver-
ändert, Protein leicht erhöht; Nachweis der Borrelien-spezifischen intrathekalen Anti-
körperproduktion (Liquor/Serum-Index!). Serodiagnostik: Suchtest (EIA), Bestätigungs-
test (Western Blot). Labor: Entzündungsparameter im Blut
4 Therapie: Ceftriaxon
44 Kapitel 1 · Neurologie

1.4.4.1 Humane spongiforme 4 Liquor: erhöhte neuronenspezifische Enolase


1 Enzephalopathie (HSE), (NSE) als unspezifisches Zeichen des Neuronenun-
Creutzfeldt-Jakob-Krankung (CJK) tergangs, erhöhtes Protein 14-3-3, sonst Normal-
Definition. Prionenerkrankungen. befund.
4 MRT (T2): hyperintense Läsionen in den Basalgan-
Ätiopathogenese. Infektion vermutlich durch die fehl- glien
gefaltete Form eines körpereigenen Proteins (Prion-
Protein PrPc). Unter Einfluss des infektiösen, β-Falt- Familiär-hereditäre Prionerkrankungen
blattstruktur-reichen, fehlgefalteten Prion-Proteins Unterschieden werden:
(PrPsc) faltet sich PrPc zu PrPsc um, das aggregiert 4 Familiäre Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
und unlösliche Amyloid-Plaques bildet. Es kommt zu 4 Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS)
spongiformen Veränderungen im ZNS, astrozytärer 4 Letale familiäre Insomnie (FFI)
Gliose, Neuronenverlust. Prionenerkrankungen des
Menschen können spontan auftreten (sporadisch) oder Die familiäre CJK tritt früher auf (um das 50. Lebensjahr),
familiär-hereditär bzw. übertragen (Kannibalismus, ia- dauert länger und periodische EEG-Veränderungen sind
trogen, kontaminierte Nahrungsmittel) sein. Die Inku- seltener, sie kann oft nicht von der sporadischen unter-
bationszeit beträgt Monate bis Jahre, der Verlauf ist schieden werden. Beim GSS steht eine langsam progredi-
progredient. ente Gangataxie im Vordergrund. Erst im Verlauf kommt es
zur Demenz. Bei der FFI treten typischerweise Schlaf- und
> Es gibt keine kausale Therapie und keine Impfungen. autonome Störungen auf.
Alle HSE verlaufen tödlich. Verdacht, Erkrankung und
Tod sind meldepflichtig. Iatrogen übertragene Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Die Übertragung erfolgt bei:
Hereditäre HSE können durch Mutationen im Prion- 4 Direktem Kontakt mit infektiösem Gewebe (Übertra-
proteingen ausgelöst werden. Die Familienanamnese ist gung von Dura oder Cornea)
trotzdem oft negativ (Neumutation). 4 Gabe von Hypophysenhormonen
Die neue Variante der CJK (vCJK) wird vermutlich 4 Kontaminierten Operationsgeräten
durch Verzehr von Fleisch von an boviner spongifor-
mer Enzephalopathie (BSE) erkrankten Rindern über- Neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK)
tragen. Die meisten an vCJK Erkrankten haben einen Erstmals 1996 in Großbritannien aufgetretene Variante der
bestimmten Genotyp (homozygot für Methionin an CJK, die sich in jüngerem Alter manifestiert (Median 29 Jah-
Kodon 129 des Prion-Proteins). re), länger dauert (Median 14 Monate) und früh im Verlauf
Insgesamt gehören BSE, CJK und vCJK zu den psychiatrische Auffälligkeiten (Depression, Angst, Apathie,
übertragbaren spongiformen Enzephalopathien. Rückzug und Wahn) hervorruft. Später treten neurologi-
sche Auffälligkeiten wie Sprach- und Koordinationsstörun-
Sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gen, schmerzhafte Dysästhesien, Gangataxie und Demenz
Epidemiologie. 1: 1 Mio. Erkrankungen/Jahr, häufigste hinzu.
HSE, Durchschnittsalter 65 Jahre. Bis 03/2005 sind v. a. in Großbritannien 154 Fälle aufge-
treten. Vereinzelte Fälle wurden auch in anderen europäi-
Symptomatik. schen Ländern, Kanada und den USA berichtet.
4 Rasch fortschreitende Demenz Im EEG sind keine PSWCs nachweisbar, das MRT zeigt
4 Myoklonien in 80% Auffälligkeiten im Pulvinar des Thalamus. Histolo-
4 Evtl. zerebelläre, extrapyramidale Symptome und gisch sind nicht die CJK typischen Veränderungen, sondern
Pyramidenbahnzeichen floride Plaques nachweisbar.
4 Mediane Überlebenszeit 6 Monate

Diagnostik. Anamnese, Befund. 1.4.5 Intrakranielle und intraspinale


4 »Startle response«: Myoklonien werde typischer- Abszesse
weise durch laute Geräusche oder Berührungen
ausgelöst Definition. Abszess: Ansammlung von Eiter in einem
4 EEG: oft »periodic sharp and slow waves comple- durch Gewebeeinschmelzung entstandenen, nicht vor-
xes« (PSWCs), periodische bi- und triphasische gebildeten Gewebehohlraum.
Komplexe mit einer Frequenz um 1/s
1.5 · Raumforderungen im ZNS
45 1

Ätiopathogenese. Offenes SHT, fortgeleitet bei Ent- 4 Hydrocephalus e vacuo: Vergrößerung der Li-
zündungen im HNO-Bereich (Otitis, Mastoiditis etc.), quorräume durch primär hirnatrophischen Prozess
hämatogen, Erreger: oft Staphylokokken, Streptokok- bei normalem Hirndruck
ken, E. coli. 4 Normaldruckhydrozephalus

Symptomatik. Abhängig von Lokalisation und Symptomatik. Abhängig vom Alter und von der Ge-
Größe: zerebrale Herdsymptome (fokales neuro- schwindigkeit der intrakraniellen Drucksteigerung Kopf-
logisches Defizit, epileptische Anfälle) und Zeichen schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, psychische Veränderun-
der Hirndrucksteigerung mit Übelkeit, Erbrechen, gen (Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen).
Kopfschmerzen, ggf. Bewusstseinstrübung, oft Bei Säuglingen und Kleinkindern vor Verschluss
afebril. der Schädelnähte nimmt der Kopfumfang bis zum Was-
serkopf zu, Schädelnähte klaffen, Fontanellen sind ge-
Diagnostik. Anamnese, Befund, Labor: Entzündungs- spannt. Die Pupillen zeigen das Sonnenuntergangszei-
parameter, Blutkulturen, Infektfokussuche (Pneumo- chen (Pupillen sind nach unten gerichtet und ver-
nie, HNO-ärztliche Untersuchung, Endokarditis?), schwinden unter dem Unterlid). Ohne Therapie können
Immundefizienz, ggf. Punktion und Erregergewin- Spastik, Nystagmus, motorische und geistige Retardie-
nung aus dem Abszess, Liquordiagnostik, Bildgebung rung auftreten.
(CCT, CMRT).
! Cave
Therapie. Antibiotische Therapie je nach Erreger, symp- Nach Verschluss der Schädelnähte nimmt der Kopf-
tomatische Therapie, neurochirurgische Versorgung umfang nicht mehr zu, der ICP steigt, es kann zu Ein-
(Drainage), Behandlung des ggf. vorliegenden Erreger- klemmung, Koma und Tod kommen.
herdes (Endokarditis etc.).
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Augenspiegelung (Stauungspapille)
1.5 Raumforderungen im ZNS 4 Bei Säuglingen Kopfumfangsmessung im Verlauf
4 CCT, CMRT, Sonographie bei noch offenen Fonta-
1.5.1 Hydrozephalus nellen, Liquorszintigraphie
4 EEG
Definition. Erweiterung der liquorhaltigen Räume des 4 Liquordruckmessung
Gehirns als:
4 Hydrocephalus internus: Vergrößerung der Vent- Therapie. Therapie der Grundkrankheit. Liquorablei-
rikelräume (innere Liquorräume) tung mittels Katheter vom Seitenventrikel in den rech-
4 Hydrocephalus externus: Vergrößerung der äuße- ten Herzvorhof (ventrikulo-atrialer Shunt) oder ins
ren Liquorräume Peritoneum (ventrikulo-peritonealer Shunt).
4 Hydrocephalus communicans: Vergrößerung der
inneren und äußeren Liquorräume
1.5.2 Normaldruckhydrozephalus (NPH)
Ätiopathogenese. Angeboren oder erworben. Eintei-
lung: Definition. Ventrikelerweiterung bei normalem Li-
4 Hydrocephalus occlusus: Verschlusshydrozepha- quordruck und kommunizierenden Liquorräumen
lus durch Abflussstörung im Ventrikelsystem: Blo- plus typische Symptomatik.
ckade der Foramina, Aquäduktstenose bei Tumor,
Ventrikelblutung, Entzündung, Arnold-Chiari- Ätiopathogenese. Diskutiert wird die Diffusion von
Malformation Liquor durch die Ventrikelwände (Liquordiapedese)
4 Hydrocephalus malresorptivus/aresorptivus: und periventrikuläre Ödembildung, Reduktion der
Resorptionsstörung des Liquors durch Verkle- Blutversorgung und Läsionen im periventrikulären
bung der Granulationes arachnoidales nach SAB, Marklager. Häufig haben Betroffene eine arterielle
eitriger Meningitis, Meningeosis carcinomatosa, Hypertonie.
postoperativ
4 Hydrocephalus hypersecretorius: vermehrte Symptomatik. Der Verlauf ist langsam progredient.
Liquorproduktion (entzündlicher, toxischer Reiz, 4 Gangstörung: häufigstes Symptom variabler Aus-
Plexuspapillom) prägung mit Gangunsicherheit, frontaler Abasie/
46 Kapitel 1 · Neurologie

Astasie mit Gleichgewichtsstörungen, kleinschritti- gen energieabhängiger zellulären Pumpen be-


1 gem, breitbasigem Gang, Starthemmung und wirkt.
Schwierigkeiten beim Umdrehen 4 Interstitielles Hirnödem durch vermehrten Ein-
4 kognitive Defizite: subkortikale Demenz mit An- strom von Liquor cerebrospinalis in das Interstitium
triebsmangel, Verlangsamung, affektive Indiffe-
renz, amnestischen Funktionsstörungen; Fragen > Der Hirndruck steigt direkt durch das Ödem sowie
werden häufig zwar verzögert, aber korrekt beant- durch die hypoxiebedingte Azidose mit nachfol-
wortet; selten massive kognitive Störungen gender hirndrucksteigernder Vasodilatation. Der
4 Harninkontinenz: meist Dranginkontinenz zerebrale Perfusionsdruck sinkt und die Hypoxie wird
verstärkt (Circulus vitiosus).
> Typische Trias: Gangstörung, kognitive Defizite,
Harninkontinenz. Raumfordernde Prozesse (Tumor, Blutung, Abszess)
erhöhen direkt den Hirndruck, der zusätzlich durch ein
Diagnostik. Vorliegen von mindestens 2 Symptomen v. a. bei malignen Tumoren auftretendes perifokales
der Trias sowie im CT/MRT nachweisbare Erweiterung Ödem verstärkt wird.
der Hirnventrikel (alle Ventrikel gleichermaßen; enger
Subarachnoidalraum) trotz kommunizierender Li- ! Cave
quorräume. Nach Hirninfarkt kann sich nach etwa 1–2 Tagen ein
4 CCT: überproportional große Seitenventrikel mit Hirnödem entwickeln, insbesondere bei jüngeren Pa-
Ballonierung der Vorderhörner und ausgerundeten tienten und kompletten Mediainfarkten drohen Ein-
Temporalhörnern bei in der Regel fehlender korti- klemmung und Tod.
kaler Atrophie, frontal betonte periventrikuläre
Hypodensitäten Auch Liquorabflussbehinderungen können einen er-
4 CMRT in T2-Wichtung: periventrikuläre Signalan- höhten ICP bewirken.
hebungen (Liquordiapedese)
4 Lumbalpunktion mit Druckmessung: Symptomatik. Typisch sind:
5 Normaler Liquordruck 4 Kopfschmerzen, v. a. morgens, verstärkt bei Valsal-
5 Ausschluss von Meningitis oder Sperrliquor vamanövern
(erhöhtes Liquoreiweiß bei spinalem raumfor- 4 Erbrechen mit oder ohne Übelkeit
dernden Prozess) 4 »Cushing-Reflex«: reflektorische Hypertonie zur
5 Besserung der Klinik, v. a. der Gangstörung Aufrechterhaltung der zerebralen Perfusion bei ge-
nach Entnahme von 30–50 ml Liquor steigertem Hirndruck, gelegentlich mit Brady-
kardie
Therapie. Intermittierende therapeutische Liquor- 4 Sehstörungen: Stauungspapille bei chronischem
punktionen. Ggf. Shunt-Implantation (ventrikulo-atri- Hirndruck, Vergrößerung des blinden Flecks, Ab-
al oder ventrikulo-peritoneal). duzensparese, gestörte Pupillomotorik
4 Bewusstseinsminderung bis zum Koma

1.5.3 Hirnödem, erhöhter intrakranieller ! Cave


Druck (ICP) Ist der Hirndruck auf die Höhe des arteriellen Blut-
drucks angestiegen, sistiert die zerebrale Durchblu-
Definition. Hirnödem: vermehrte Einlagerung von tung. Massenverschiebungen können Herniationen
Wasser in das Gehirn. von Gehirnteilen und Einklemmungssyndrome be-
wirken.
Ätiopathogenese. Differenziert wird:
4 Vasogenes Hirnödem: extrazellulär lokalisiert bei Diagnostik. Anamnese, Befund.
Störung der Blut-Hirn-Schranke (z. B. um Tumo- 4 Stauungspapille, erst nach einigen Tagen
ren), vermehrtem intravasalem Blutvolumen (ge- 4 Gesichtsfeldausfälle
störte Autoregulation der zerebralen Durchblutung), 4 EEG: Herdbefund oder Allgemeinveränderungen
osmotischen Störungen (Hyponatriämie, SIADH) 4 CCT
4 Zytotoxisches Hirnödem: intrazellulär lokalisiert 4 Invasive Hirndruckmessung erforderlich, wenn
bei Hypoxie, Intoxikation, metabolisch verursach- klinische Verlaufskontrollen nicht möglich sind
ten intrazellulären Energiemangel, der ein Versa- (sedierter Patient).
1.5 · Raumforderungen im ZNS
47 1

! Cave 4 Hyperventilation (meist nur kurzfristiger Ef-


Die Lumbalpunktion ist kontraindiziert. fekt)
4 Kortikosteroide bei vasogenem Hirnödem (pri-
Therapie. Grundversorgung bei erhöhtem ICP: märe Hirntumoren, Metastasen, Lymphome, spi-
4 Oberkörperhochlagerung (30°) nale Trauma), unwirksam bei postischämischem
4 Ausreichende Oxygenierung, ggf. Intubation, leich- Hirnödem.
te Hyperventilation
4 Stabilisierung des Blutdrucks, ggf. Volumensubsti- Operative Verfahren:
tution, Katecholamine 4 Entfernung eines raumfordernden Prozesses
4 Schmerzbehandlung, Sedierung 4 Dekompressive Kraniektomie (Trepanation) zur
4 Normalisierung der Körpertemperatur Druckentlastung geschwollenen Hirngewebes und
4 Therapie metabolischer Störungen (Glukose, Nat- Verbesserung der zerebralen Perfusion, bei Klein-
rium) hirninfarkten mit drohender Hirnstammkompres-
sion und Hemisphäreninfarkten
Bei Auftreten klinischer oder neuroradiologsicher Zei- 4 Ventrikeldrainage und Liquorableitung, bei Klein-
chen eines erhöhten ICP: hirninfarkt mit Verschlusshydrozephalus durch
4 Osmotherapie: Glycerol, Mannitol, Hyper-HAES Aquäduktkompression
4 keine hypotonen und glukosehaltigen Lösungen als
Flüssigkeitsersatz
4 kurz wirksame Barbiturate wie Thiopental als Bo- 1.5.4 Intrakranielle Tumoren
lus verabreicht können den Hirndruck senken
(CAVE Blutdruckabfälle, EEG-Kontrolle nötig) Definition. ZNS-Tumoren (. Tab. 1.9) werden nach der
4 Tris-hydroxymethyl-aminomethan (THAM) embryonalen Abstammung der malignen Zellen einge-
Pufferlösungen statt Barbituratbehandlung teilt.

ZNS-Tumoren
4 Neuroepitheliale Tumoren
– Astrozytäre Tumoren: Astrozytom, Glioblastom
– Oligodendrogliale Tumoren: Oligodendrogliom
– Mischgliome: Oligoastrozytom
– Ependymale Tumoren: Ependymom
– Tumoren des Plexus choroideus: Plexuspapillom, Plexuskarzinom
– Neuroblastäre Tumoren: Olfaktoriusneuroblastom, Neuroblastome der Nebenniere und des sympa-
thischen Nervensystems
– Pinealisparenchym-Tumoren: Pineozytom, Pineoblastom
– Embryonale Tumoren: Medulloblastom, Neuroblastom
4 Tumoren peripherer Nerven
– Schwannom (Neurilemmom, Neurinom)
– Neurofibrom
– Tumoren meningothelialer Zellen: Menigeom
4 Mesenchymale, nichtmeningotheliale Tumoren wie Lipom, Lipo- und Fibrosarkom, malignes fibröses Histio-
zytom
4 Lymphome und hämatopoetische Neoplasien
4 Keimzelltumoren: Germinom, Embryonales Karzinom, Dottersack-Tumor, Chorion-Karzinom, Teratom
4 Tumoren der Sella-Region: Kraniopharyngeom
4 Metastasen

Ätiopathogenese. Die Ätiologie der meisten Hirntu- Epidemiologie. Inzidenz primärer intrakranieller Tu-
moren ist unbekannt. Strahlentherapie und bestimmte moren: 1:10.000/Jahr. Erster Häufigkeitsgipfel im 1.
Erbkrankheiten (z. B. Neurofibromatose) können das Lebensjahrzehnt, Abfall zwischen dem 15. und 24. Le-
Risiko für die Entstehung eines Hirntumors erhöhen. bensjahr, dann kontinuierlicher Anstieg, 2. Gipfel zwi-
48 Kapitel 1 · Neurologie

1 . Tab. 1.9. Intrakranielle neuroepitheliale und meningeale Tumoren

Tumor WHO- Alter, Geschlecht Lokalisation Bildgebung Prognose


Grad

Pilozytisches I Beide Geschlechter, Meist Scharf abgegrenzt, häufig Geringe Tendenz zur
Astrozytom v. a. bei Kindern bis infratentoriell Zysten, kräftig KM auf- Proliferation und fast
20. Lebensjahr nehmend, im CT oft hy- keine zur malignen
podens, im MRT in T1 Transformation; Hei-
leicht hypointens, in T2 lung durch Operati-
hyperintens on möglich

Fibrilläres, II Astrozytome II–III Vor allem CT: homogen hypo- bis Fibrilläres, gemisto-
gemistozys- 25% der intrakrani- Großhirn-hemi- isodens, oft unscharf ab- zystisches und pro-
tisches und ellen Tumoren sphären grenzbar, meist keine KM toplasmatisches As-
proto- Gipfel 30. bis Aufnahme, kein Ödem, in trozytom
plasmatisches 40. Lebensjahr, 10% Verkalkung
Astrozytom M>W MRT: T1 homogen, leicht
hypointens, keine KM-
Aufnahme, T2 homogen
hyperintens

Anaplastisches III CT: inhomogen hy- Überlebenszeit 2–5


Astrozytom podens, inhomogene Jahre, maligne Trans-
randständige, fleckförmi- formation zum Glio-
ge KM-Aufnahme, perifo- blastom möglich
kales Ödem, z. T. Zysten
Glioblastoma IV 15% der intrakrani- MRT: T1 inhomogen hy- Hoch maligne, ra-
multiforme ellen Tumoren pointens, KM-Aufnahme sche Progression,
(GBM) Mittleres Alter wie im CT, T2: inhomogen mittlere Überlebens-
53 Jahre, M>W hyperintens zeit bis 1 Jahr

Meningeom I 1/5 der intrakraniel- Dura-assoziiert CT: nativ meist scharf Grad I: Heilung
len Tumoren: von 90% intrakrani- abgegrenzt hyperdens, durch Operation
der Arachnoidea ell: Falx, parasag- Verkalkungen, intensive möglich (20% über
ausgehend; meist ittal, Konvexität, homogene KM-Auf- 20 Jahre)
benigner Tumor Olfaktoriusrinne, nahme, Duraassoziation, Grad III: Überlebens-
(WHO-Grad I), selte- Keilbein, hintere ossäre osteoplastische zeit <2 Jahre
ner anaplastisches Schädelgrube Auftreibungen
M. (WHO-Grad III) Selten spinal, MRT: T1 und T2 hyperin-
Gipfel: 6. bis 7. dann v. a. thora- tens, in T1 heterogenes
Dekade, W:M = 3:2 kal KM-Enhancement, Ver-
kalkungen

Ependymom II–III Meist Kinder oder 60% infratento- CT: iso-hyperdens, oft zys- Frühe Metastasie-
Erwachsene im 20. riell, spinal häu- tisch und Verkalkungen, rung, 5-Jahres-Über-
bis 30. Lebensjahr figster neuroepi- irreguläres KM-Enhance- lebensrate bis 50%
thelialer Tumor ment
MRT: T1: hypointens, T2:
hyperintens

Medullo- IV 70% Kinder (5. bis 9. Oft Dach des IV. CT: homogen, leicht hy- 5-Jahres-Überle-
blastom Lebensjahr) M>W Ventrikels, perdens, z. T. Blutungen, bensrate bis 60%
Metastasen im Zysten, kräftige KM-
Subarachnoidal- Aufnahme
raum, Spinal- MRT: hypointens, z. T. zys-
kanal tisch, starke KM-Aufnah-
me, evtl. Hydrozephalus,
T2: isointens
1.5 · Raumforderungen im ZNS
49 1

schen 60 und 75 Jahren. 15% der primären ZNS Tumo- Spezielle Symptome von Meningeomen, abhängig von
ren sind spinal lokalisiert. der Lokalisation:
Bei Erwachsenen überwiegen supratentorielle Tu- 4 Einseitige Parese oder Paraparese der Beine
more: Gliome, Meningeome, Metastasen; bei Kindern 4 Geruchsstörung, Hör- oder Sehstörungen
infratentorielle Tumore (unterhalb des Tentorium ce- 4 Foster-Kennedy-Syndrom: ipsilaterale Optikusa-
rebelli): pilozytisches Astrozytom, Medulloblastom, trophie, kontralaterale Stauungspapille, bei Keil-
Ependymom. beinflügelmeningeom
4 Querschnittlähmung bei spinaler Lokalisation
> Nach den Leukämien sind ZNS-Tumoren bei Kindern
die häufigsten Tumorerkrankungen. Komplikationen: Durch raumfordernde Wirkung des
Tumors und des perifokalen Ödems:
Symptomatik. Typisch sind: 4 Massenverschiebung und Einklemmung
4 Hirndruckzeichen: 4 Durchblutungs- und Liquorzirkulationsstörungen:
5 Kopfschmerzen Infarkte bzw. Hydrozephalus
5 Übelkeit, Erbrechen, v. a. morgens, Nüchtern-
erbrechen Diagnostik. Anamnese, Befund, Erfassung von Tumor-
5 Singultus progression und Therapiefolgen.
5 Vigilanzstörungen 4 CMRT (. Abb. 1.14, . Abb. 1.15) mit KM (1. Wahl)
5 Zeichen drohender Einklemmung oder CCT (Operationsplanung, unruhige Patien-
4 Epileptische Anfälle ten, Therapieüberwachung, meist bessere Verfüg-
4 Wesens- und Verhaltensänderungen: Konzentrati- barkeit), ggf. zerebrale Angiographie (Operations-
onsstörungen, Antriebslosigkeit, Affektverände- planung, präoperative Embolisierung tumorver-
rung, Dysphorie sorgender Gefäße)
4 Fokale neurologische Ausfälle je nach Lokalisation 4 Bei Metastasen (Diagnostik des Primärtumors)

a b

. Abb. 1.14a, b. a Kraniales MRT, T1, axial mit KM: Man er- ist duraassoziiert lokalisiert. Es kommt zur Kompression des
kennt eine hyperintense, KM-aufnehmende Raumforderung umgebenden Hirnparenchyms sowie der Hinterhörner der
im Bereich des Tentorium cerebri. b Kraniales MRT, T2, axial Seitenventrikel. Die Sulci sind okzipital verstrichen. (Klinik und
mit KM: Die Raumforderung stellt sich hier nahezu isointens Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklearmedizin an
zum Hirnparenchym dar. Gut erkennbar ist das hyperintense der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr.
perifokale Hirnödem, das die eigentliche Raumforderung um- med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
gibt. In beiden Abbildungen ist die Läsion scharf begrenzt. Sie
50 Kapitel 1 · Neurologie

a b c

. Abb. 1.15a–c. Glioblastom rechts. a Kraniales MRT, axial, Zeichen eines perifokalen Hirnödems. c Kraniales MRT, axial,
T1: Hypodenser Herd rechts, Zeichen der Raumforderung: T2-Flair-Sequenz: Das Glioblastom stellt sich hyperdens dar.
Kompression der Ventrikel, verstrichene Gyri und Sulci, Mittel- (Klinik und Hochschulambulanz für Radiologie und Nuklear-
linienverlagerung. b Kraniales MRT, axial, T1 nach der Kont- medizin an der Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin, Lei-
rastmittelgabe (KM) sieht man eine ringförmige KM-Aufnah- ter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
me. In der Umgebung grenzt sich eine Hypodensität ab, als

4 EEG 1.5.4.1 Akustikusneurinom


4 Liquordiagnostik Definition. Neurinom des N. vestibularis.

! Cave Ätiopathogenese. Langsam und verdrängend wach-


Prinzipiell sollte jeder Tumor histologisch untersucht sender Schwannzell-Tumor, bei Neurofibromatose Typ
werden! 2 auch beidseitig.

Gewebe wird entweder durch stereotaktische Serienbi- Epidemiologie. 1:100.000/Jahr, häufigstes Neurinom,
opsie (ungünstige Lokalisation, multiple Läsionen, Altersgipfel 4. bis 6. Dekade.
schlechter Allgemeinzustand) oder offene Tumorresek-
tion gewonnen. Symptomatik. Langsame Entwicklung von Symptomen:
4 Progrediente, meist schrittweise einseitige Hör-
Therapie. Chemotherapie ist abgesehen von einigen Aus- minderung im Hochtonbereich, in >70% Erst-
nahmen (Lymphom) von untergeordneter Bedeutung. symptom
4 Selten Hörsturz
> Therapie der Wahl bei primären Hirntumoren: Ope- 4 Tinnitus
ration mit möglichst vollständiger Resektion und 4 Gestörte Vestibularisfunktion: Schwindel, Gleich-
primärer oder postoperativer Strahlentherapie. gewichtsstörung, Fallneigung
4 Bei Druck auf Pons oder Kleinhirn: Ataxie, Nystag-
Symptomatische Behandlung: mus, evtl. kontralaterale Pyramidenbahnzeichen
4 Perifokales, postoperatives Hirnödem: präopera- 4 Kopfschmerz
tiv Steroide (z. B. 4×4 mg Dexamethason), nach 4 Hyp- oder Parästhesien im Versorgungsbereich des
Operation ausschleichen N. trigeminus, ipsilaterale Fazialisparese, Ausfälle
4 Antikonvulsive Therapie: empfohlen bei epilepti- kaudaler Hirnnerven
schem Anfall als Erstmanifestation, präoperativ 4 Bei großen Tumoren: Zwangshaltung des Kopfes
und bis 3 Monate nach Operation zur erkrankten Seite, Hirndruckzeichen durch Li-
4 Antiemetika, Sedativa, Opiate quorstopp

Menigeom: Operative Tumorentfernung, postoperati- Diagnostik. Anamnese, Befund (inkl. Gleichgewichts-


ve Bestrahlung bei inkompletter Entfernung, Rezidiv prüfung: vestibuläre Untererregbarkeit der betroffenen
oder anaplastischem Meningeom. Seite).
1.5 · Raumforderungen im ZNS
51 1

4 Bildgebung: Diagnostik. Anamnese, Befund.


5 CMRT (Methode der Wahl): in T1 scharf abge- 4 Primärtumorsuche
grenzt, hypo- bis isointens, z. T. Zysten, evtl. 4 CMRT mit KM (sensitiver), CCT (runde, meist
Aufweitung des Meatus acusticus internus, in- hypo-/isodense Raumforderung mit perifokalem
homogene KM-Aufnahme, in T2 heterogen Ödem, homogene oder bei zentraler Nekrose ring-
hyperintens förmige KM-Aufnahme, DD Abszess)
5 CCT: meist isodens, kräftige KM-Anreiche- 4 Bei unbekanntem Primärtumor: Histologie (stereo-
rung, scharf abgegrenzt, evtl. Aufweitung des taktische Biopsie bei multiplen Metastasen oder
Meatus acusticus internus offener Operation)
5 Röntgen nach Stenvers 4 Liquordiagnostik: Ausschluss einer Meningeosis
4 AEP (BERA): Verlängerung der Leitzeit, Latenzver- carcinomatosa
längerung der frühen Potenziale
4 Audiogramm: Hochtonschwerhörigkeit Therapie. Die Therapie richtet sich nach dem Primär-
4 Liquordiagnostik: Eiweißerhöhung tumor.

Therapie. Ältere Patienten ohne oder mit nur > Cave


wenigen Symptomen: klinische und bildgebende Hirnmetastasen kleinzelliger Bronchialkarzinome,
Kontrolle. Unter 65 Jahre: operative Entfernung. Keimzelltumoren oder Lymphomen sind meist strah-
Alternative, v. a. bei kleineren Tumoren: gezielte len- und chemosensitiv, neigen zu disseminierter Aus-
Radiotherapie. saat und sollten nicht operativ angegangen werden.

1.5.4.2 Hirnmetastasen 4 Strahlentherapie, meist Ganzhirnbestrahlung


Ätiopathogenese. Häufigkeit von zerebralen Metasta- (wichtigste therapeutische Maßnahme zur Verbes-
sen bei einzelnen Tumorarten: malignes Melanom und serung der neurologischen Symptomatik und Ver-
kleinzelliges Bronchialkarzinom 45%, nicht-kleinzelli- längerung der Überlebenszeit)
ges Bronchialkarzinom 30%, Mamma- und Nierenzell- 4 Palliative Operation: Entfernung nur singulärer
karzinom 20%. Metastasen
4 Chemotherapie: geringe Bedeutung, viele zere-
> Insgesamt haben >20% aller Patienten mit systemi- bral metastasierende Tumoren (Nierenzellkarzi-
schen Malignomen zerebrale Metastasen. nome, maligne Melanome, nichtkleinzellige Bron-
chialkarzinome) sind primär chemotherapieresis-
Häufigkeitsverteilung von Primärtumoren beim Vor- tent
liegen zerebraler Metastasen: 4 Radiochirurgie: Vor allem bei nicht operations-
4 Bronchialkarzinom: 40–60% fähigen Patienten, Größe bis 3 cm. Zunehmend
4 Mammakarzinom: 20% Bedeutung erlangt die perkutane stereotaktische
4 Malignes Melanom: 10–15% Applikation hoher Strahlendosen mittels Linearbe-
4 Nierenzellkarzinom: 5% schleuniger oder Gamma-knife
4 Unbekannte Primärtumoren: 10–20% zerebrale 4 Symptomatisch: antiödematöse Therapie (Korti-
Erstmanifestation, 5% bleiben unbekannt kosteroide), evtl. hyperosmolare Pharmaka, kont-
4 Gastrointestinale Karzinome: 5% rollierte Hyperventilation, externe Liquordrainage,
antikonvulsive Therapie, Analgetika
Die Metastasierung erfolgt meist hämatogen, seltener
per continuitatem. Prognose. Mediane Überlebenszeit:
4 Bei supportiver Therapie: 1–3 Monate
Symptomatik. Typisch sind: 4 Nach Strahlentherapie: 3–6 Monate
4 Kopfschmerz 4 Nach Resektion singulärer Metastasen und an-
4 Hemiparese schließender Bestrahlung: bis 21 Monate
4 Wesensveränderung
4 Krampfanfälle Meningeosis neoplastica
4 Hirnnervenparesen Metastatische Ausbreitung von Tumorzellen im Subarach-
4 Hirndruckzeichen noidalraum bei ca. 10% maligner Erkrankungen als Zeichen
4 Tumoreinblutungen systemischer Disseminierung mit infauster Prognose (oft
bei Mamma-, Bronchialkarzinom, malignem Melanom,
52 Kapitel 1 · Neurologie

Lymphom, Leukämie oder auch bei primären Hirntumoren: derate Pleozytose, erhöhtes Protein und Laktat, erhöhter Li-
1 Germinomen, Medulloblastomen). quordruck, Nachweis von Tumorzellen gelingt nicht immer!).
Typische Symptome sind Hirndruckzeichen, Kopf-, Na- Therapie: Strahlentherapie, systemische und intrathekale
cken- und Rückenschmerzen, Hirnnervenparesen, bei spi- Chemotherapie. Klinische Kontrollen und supportive Behand-
nalen Läsionen radikuläre Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, lung (Dexamethason) sind wichtig. Ohne Therapie mediane
Paresen, Blasen- und Mastdarmstörungen. Die Diagnostik be- Überlebenszeit bei soliden Tumoren von 6–8 Wochen, mit
ruht auf CMRT/spinalem MRT (oft weite Ventrikel, KM-Anrei- Therapie 2–8 Monate, etwas günstigere Prognose bei lymp-
cherung entlang der Ventrikelwände), Liquordiagnostik (mo- hohämatopoetischen Tumorerkrankungen.

In Kürze

Raumforderungen im ZNS

Hydrozephalus 4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, psychische Veränderungen, vor Ver-


schluss der Schädelnähte Kopfumfangszunahme (sog. Wasserkopf )
4 Ätiologie: Abflussstörung im Ventrikelsystem, Resorptionsstörung des Liquors, vermehrte
Liquorproduktion
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Augenspiegelung (Stauungspapille?), Säuglinge: Kopf-
umfangsmessung im Verlauf, Bildgebung: CCT, CMRT, Sonographie bei noch nicht ver-
schlossenen Fontanellen, Liquorszintigraphie, EEG, Liquordruckmessung
4 Therapie: ggf. Behandlung einer Grundkrankheit, Liquorableitung

Normaldruck- 4 Symptomatik: Trias: Gangstörung, kognitive Defizite, Harninkontinenz


hydrozephalus 4 Ätiologie: unklar, evtl. Liquordiapedese, periventrikuläre Ödembildung
(NPH) 4 Diagnostik: Klinik, Hirnventrikelerweiterung und periventrikuläre Liquordiapedese in CT/
MRT, Liquorentnahme bessert typischerweise die Symptome.
4 Therapie: intermittierende therapeutische Liquorpunktionen, evtl. operative Implantati-
on eines Shunts

Hirnödem 4 Symptomatik: Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Sehstörungen: Bewusstseinsminde-


rung, ggf. Einklemmungssyndrome
4 Ätiologie:
4 Vasogen: extrazellulär lokalisiertes Ödem durch Störung der Blut-Hirn-Schranke
4 Zytotoxisch: intrazellulär lokalisiertes Ödem durch intrazellulären Energiemangel (z. B.
Hypoxie)
4 Interstitiell: Liquorübertritt ins Interstitium
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Stauungspapille, CCT, ggf. invasive Hirndruckmessung
4 Therapie: Oberkörperhochlagerung, Oxygenierung, leichte Hyperventilation, Stabilisierung
des systemischen Blutdrucks, Normalisierung von Körpertemperatur, Glukose, Natrium
4 Medikamentös: Osmotherapie, kurz wirksame Barbiturate, Kortikosteroide zur Behand-
lung des vasogenen Hirnödems
4 Operativ: dekompressive Kraniektomie, Ventrikeldrainage und Liquorableitung

Hirntumoren 4 Symptomatik: Hirndruckzeichen, Singultus, Vigilanzstörungen, symptomatische epilepti-


(Meningeom, sche Anfälle, Wesens- und Verhaltensänderungen, fokale neurologische Ausfälle
Gliom, 4 Ätiologie: primär intrazerebrale gliale und meningeale Tumoren bzw. Metastasen primär
Metastase) extrakranieller Tumoren
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung: CMRT mit KM (Bildgebung der 1. Wahl) oder
CCT, Suche nach/Staging von Primärtumoren, EEG, Liquordiagnostik, Biopsie und histolo-
gische Untersuchung
4 Therapie: bei primärem Hirntumor möglichst vollständige Resektion und primäre oder
postoperative Strahlentherapie, bei Metastasen abhängig vom Primärtumor, Größe, An-
zahl und Lokalisation Operation, Bestrahlung, Chemotherapie. Symptomatische Therapie
von Hirnödem, epileptischen Anfällen, Übelkeit
6
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
53 1

Akustik- 4 Symptomatik: progrediente Hörminderung, Tinnitus, gestörte Vestibularisfunktion mit


usneurinom Schwindel, Kopfschmerzen
4 Ätiologie: Schwannom
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CCT/CMRT, AEP, Audiogramm, Gleichgewichtsprüfung,
Eiweißerhöhung im Liquor
4 Therapie: bei Patienten <65 Jahre operative Entfernung

1.6 Demyelinisierende Erkrankungen > Schub: Neuauftreten oder Reaktivierung von sub-
des ZNS jektiv berichteten oder in der Untersuchung objekti-
vierbaren klinischen Ausfällen und Symptomen, die
1.6.1 Multiple Sklerose (MS) mindestens 24 h anhalten.

Synonym. Encephalomyelitis disseminata (. Abb. Schübe treten mit einem Zeitintervall von 30 Tagen zu
1.16). vorausgegangenen Schüben auf. Sie dürfen nicht durch
Änderungen der Körpertemperatur (Uhthoff-Phäno-
Definition. Chronisch entzündliche demyelinisierende men) oder im Rahmen von Infektionen erklärbar sein.
ZNS-Erkrankung. Kurzdauernde Paroxysmen müssen von Schüben abge-
grenzt werden.
Ätiopathogenese. T-Zell- und Antikörper-vermittelte Frühsymptome:
autoimmunologische Prozesse gegen Antigene im Mye- 4 Sensibilitätsstörungen (1/3 der Fälle)
lin führen zur Demyelinisierung und Zerstörung der 4 Retrobulbärneuritis mit plötzlicher Sehverschlech-
Oligodendrozyten. Entmarkungsherde werden durch terung, vermindertem Farberkennen, Zentralskotom,
Neuroglia ersetzt (Sklerose). Herde liegen oft periven- Schmerzen bei Bulbusbewegungen (1/3 der Fälle)
trikulär, im Kleinhirn, Hirnstamm, N. opticus und im
Rückenmark. Familiäre Häufung in 10% der Fälle. As- > 45–80% der Patienten mit einer Retrobulbärneuritis
soziation mit Histokompatibilitätsantigen HLA-DR2. entwickeln innerhalb von 15 Jahren eine mulitple
Bestimmte Virusinfektionen (Ebstein-Barr-Virus) wer- Sklerose.
den unter Erkrankten häufiger gefunden.
Im Verlauf häufige Symptome:
Epidemiologie. In Deutschland leben ca. 100.000– 4 Motorisch: spastische Paresen, Myoklonien
120.000 MS-Kranke, weltweit ca. 1 Mio. W:M = 3:2. 4 Sensibel: positives Lhermitte-Zeichen, Par- und Hy-
Häufiger tritt MS in der weißen Bevölkerung und äqua- pästhesien, Allodynie, fehlende Bauchhautreflexe
torfern, auf der Nordhalbkugel und in Australien auf. 4 Zerebellär: Ataxie, Nystagmus, Intentionstremor,
Bei Auswanderung aus dem Geburtsland vor dem Dysdiadochokinese, Dysarthrie
15. Lebensjahr entspricht das individuelle Erkran- 4 Augen: Neuritis N. optici (v. a. Retrobulbärneuri-
kungsrisiko dem des Ziellands. Bei Auswanderung tis), temporale Papillenabblassung, Augenmuskel-
nach dem 15. Lebensjahr dem des Herkunftslands. paresen mit Doppelbildern, internukleäre Oph-
thalmoplegie
Symptomatik. Beginn meist zwischen 20.-40. Lebens- 4 Vegetativ: Dranginkontinenz, Mastdarmstörun-
jahr. Verlaufsformen: gen, sexuelle Funktionsstörungen
4 Schubförmig remittierend: Schübe mit Remission 4 Psychisch: Dysphorie, inadäquate Euphorie, De-
(komplett/inkomplett) pression, Fatigue (pathologische Ermüdbarkeit),
4 Schubförmig mit sekundärer Progredienz: zu- emotionale Labilität, Demenz
nächst schubförmig, später progrediente Beschwer-
den (mit oder ohne aufgelagerte Schübe; ohne The- Depressive Symptome kommen bei bis zu 50% der MS-
rapie bei ca. 40% der Patienten nach 10 Jahren) Patienten vor, das Suizidrisiko ist erhöht.
4 Primär chronisch progredient: zunehmende Klinische Symptomenkomplexe:
Symptomatik ohne Remission, mit oder ohne auf- 4 Charcot-Trias: Nystagmus, Intentionstremor,
gelagerte Schübe skandierte Sprache
54 Kapitel 1 · Neurologie

. Abb. 1.16. Mindmap Multiple Sklerose


1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
55 1

4 Trias von Marburg: Paraspastik, Erlöschen der International anerkannt sind die Kriterien nach McDo-
Bauchhautreflexe, temporale Papillenabblassung nald (2001).
Die Diagnose MS kann bereits gestellt werden,
Mögliche Komplikationen: Infektion, Thrombose und wenn
Lungenembolie, Dekubitus. 4 nach einem 1. Krankheitsschub mit mindestens ei-
ner objektivierbaren klinischen Läsion der Liquor
Diagnostik. Anamnese, Befund. MS-typische Veränderungen zeigt,
4 Visusprüfung, Augenspiegelung 4 das MRT mindestens 2 für MS charakteristische
4 Pathologische Leitungsverzögerung evozierter Poten- Läsionen zeigt und sich im Verlaufs-MRT (≥3 Mo-
ziale oder in der transkraniellen Magnetstimulation nate nach dem 1. Schub) eine neue KM-aufneh-
(VEP, Tibialis- und Medianus-SEP, MEP und AEP) mende oder T2-hyperintense Läsion darstellt.
4 CMRT/spinales MRT mit Kontrastmittel: hyperin-
tense Herde anfangs nur in der T1-Wichtung mit Differenzialdiagnose. Chronisch-infektiöse Erkran-
Kontrastmittel, später auch in der nativen T2- kungen (Neuro-Lues, Borreliose), Kollagenose, Vasku-
Wichtung. Lokalisation möglich im gesamten ZNS, litis, Sarkoidose, metabolische Erkrankungen wie Vita-
häufig periventrikulär oder subkortikal. Typisch min-B12-Mangel, Sonderformen entzündlich-demyeli-
sind auch Läsionen im Balken, infratentoriell und nisierender Erkrankungen.
spinal (. Abb. 1.17)
4 Liquordiagnostik: Therapie. Unterschieden wird:
5 Oligoklonale IgG-Banden im Liquor sind in 4 Schubtherapie:
95% der Fälle positiv 5 Hochdosiert Methylprednisolon 1 g i.v. (3
5 Intrathekale IgG-Synthese (in 85%), d. h. IgG Tage) oder 500 mg i.v. (5 Tage)
ist im Liquor erhöht, im Serum aber nicht 5 Bei unzureichender Besserung Methylpred-
nachweisbar nisolon oral ausschleichen
5 Evtl. lymphoplasmazelluläre Pleozytose 10–150 5 Ggf. Wiederholung
Zellen/µl 5 Wenn keine Besserung erfolgt und bei klinisch
5 Eiweiß ist oft normal oder gering erhöht schwerem Schub evtl. Plasmapherese oder frü-
her Beginn einer immunsuppressiven Therapie
> Die Diagnose MS lässt sich im Allgemeinen stellen, z. B. mit Mitoxantron
wenn klinisch oder in der Bildgebung eine zeitliche 4 Verlaufsmodifizierende (immunmodulatori-
und räumliche Dissemination MS-typischer Läsionen sche) Therapie bei schubförmigen Verlauf:
nachweisbar sind. 5 Möglichst früh

a b c

. Abb. 1.17a–c. a Kraniales MRT, T2, axial: Man erkennt bei Schrankenstörung hier bedingt durch einen frischen Herd
mehrere hyperintense Läsionen im Marklager bei zerebraler bei zerebraler MS. (Klinik und Hochschulambulanz für Radio-
MS. b Kraniales MRT, T1 vor Kontrastmittelgabe (KM): Hypoin- logie und Nuklearmedizin an der Charite Campus Benjamin
tense Läsionen bei alten Herden einer MS. c Kraniales MRT, T1 Franklin, Berlin, Leiter: Prof. Dr. med. Dr. h.c. K.-J. Wolf )
vor KM-Gabe: KM-aufnehmende Läsion periventrikulär rechts
56 Kapitel 1 · Neurologie

5 Ziel: Reduktion der Anzahl und Dauer der – Myoklonien: Clonazepam, Valproinsäure
1 Schübe – Intentionstremor: Betablocker, Antiepilep-
– Rekombinantes Interferon (IFN)-β-1-a (i.m. tika (Propanolol/Primidom, Carbamazepin,
Injektionen) oder -b; s.c. Injektionen. Oft Clonazepam)
initial grippale Nebenwirkung, lokale Rei- – Fatigue: Modafinil, Amantadin
zung an Einstichstelle, relative Kontraindika- – Paroxysmen: Carbamazepin, ggf. trizyk-
tion ist Depressionsverstärkung, passagere lische Antidepressiva, Valproat
Verstärkung einer Spastik, Absetzen bei Kin- – Schmerzen
derwunsch wegen möglicher Aborte. – Depressiver Symptomatik
– Copaxone (Copolymer-1, syn. Glatiramer- – Harnwegsinfekt: Antibiose, bei rezidivie-
acetat): s.c. Injektionen; wirkt erst nach etwa renden Infekten Harnansäuerung (Meth-
6 Monaten, im Allgemeinen gut verträglich). ionin)
– Alternativen: Azathioprin (oral), Immunglo- – Imperativer Harndrang: Oxybutynin
buline (z. B. in Schwangerschaft und Still- (dämpft Detrusor) unter Restharnkontrol-
zeit), Cyclophosphamid (i.v.), Mitoxantron len, bei Obstruktion intermittierende
(i.v., evtl. kumulative Kardiotoxizität, Einmalkatheterisierung, suprapubische
Höchstdosis beachten), additiv bei unzurei- Blasenfistel
chender Wirkung der Monotherapie die in-
termittierende Kortikosteroid-Pulstherapie. Prognose. Ungünstig bei:
4 Sekundär progrediente MS: IFN-Präparat, Mitox- 4 Erkrankungsalter >40 Jahre, männliches Ge-
antron, bei Zeichen entzündlicher Krankheitsaktivi- schlecht
tät sinnvoll (rasche Progression, aufgelagerte Schü- 4 Initial hoher Entzündungsaktivität (Schubfrequenz,
be, kontrastmittelanreichernde Herde im MRI). MRT-Läsionen)
4 Primär progrediente MS: keine gesicherte Thera- 4 Polysymptomatischem Beginn (pyramidale oder
pie bekannt, evtl. Glukokortikoidstoßtherapie oder zerebelläre Systeme, psychoorganische Auffällig-
Mitoxantron (bei rascher Progression) keiten)
4 Weitere Therapieoptionen: 4 Anhaltenden Defiziten, geringer Remission
5 Physiotherapie 4 Progredientem im Vergleich zum schubförmigen
5 Einsatz von Hilfsmitteln (Orthesen, Rollstuhl) Verlauf
5 Symptomatische medikamentöse Therapie von:
– Spastik: Baclofen, Dantrolen, Tizanidin, Te- Nach 20 Jahren Krankheit leben noch etwa 3/4, nach 30
trazepam, Memantin, Botulinumtoxin Jahren noch 2/3.

In Kürze

Demyelinisierende ZNS-Erkrankung

Multiple 4 Symptomatik: Frühsymptome: Sensibilitätsstörungen, Retrobulbärneuritis. Je nach Lokalisation


Sklerose der Läsionen motorische, sensible, zerebelläre, ophthalmologische, vegetative und psychische
(MS) Symptome
4 Ätiologie: chronisch disseminierte entzündliche ZNS-Erkrankung mit Demyelinisierung durch
autoimmunologische Prozesse
4 Diagnostik: zeitliche und räumliche Dissemination MS-typischer Läsionen in Klinik, Bildgebung,
augenärztlicher Untersuchung, Elektrophysiologie, Liquordiagnostik
4 Therapie:
– Schubtherapie: hochdosiert Methylprednisolon
– Verlaufsmodifizierende Therapie bei schubförmigen Verlauf: Frühzeitig mit IFN β-1-a
oder -b oder Copaxone
– Sekundär progrediente MS: IFN, Mitoxantron
– Primär progrediente MS: keine gesicherte Therapie
– Symptomatische medikamentöse Therapie
– Physiotherapie
– Hilfsmittel (Orthesen, Rollstuhl)
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
57 1
1.6.2 Degenerative, atrophische ZNS- 5 Neuroleptika (D2-Rezeptor-Antagonisten),
Erkrankungen Kalziumantagonisten (Flunarizin), α-Methyl-
Dopa
5 Reserpin, Antiemetika (Metoclopramid)
Einteilung nach Lokalisation der Schädigung
4 Diffuse Hirnatrophien Epidemiologie. In Deutschland: 100–200/100.000,
– generalisierte Atrophie bei Morbus Alzhei- >65. Lebensjahr: 1.800/100.000.
mer
– subkortikale Atrophie bei Morbus Bins- Symptomatik. Parkinson-Syndrom ist definiert als hy-
wanger pokinetisch-hypertones extrapyramidal-motorisches
4 Systematrophien Syndrom mit:
– Frontalhirn: Pick-Krankheit 4 Hypo- oder Akinese: Bewegungsverlangsamung
– Stammganglien: extrapyramidale Syndrome bis -unfähigkeit, Hemmung von Bewegungsstart
wie Parkinson-Syndrom, Chorea Hunting- oder -stopp
ton, Dystonie
– Pyramidenbahn, Vorderhornzellen: amyo- sowie mindestens einem der folgenden Symptome:
trophe Lateralsklerose 4 Rigor
– Kleinhirn, spinozerebellare Bahnen: Fried- 4 Ruhetremor
reich-Ataxie, Refsum-Krankheit u. a. Here- 4 Posturale Instabilität (Haltungsstörungen)
doataxien
4 Multisystematrophien Fakultative Begleitsymptome:
4 Störungen der Sensibilität und Sensorik: Dysästhe-
sien, Schmerzen, Geruchsstörungen, Verminde-
1.6.2.1 Extrapyramidale Syndrome, rung des Farbensehens
Multisystematrophie 4 Vegetative Störungen: orthostatische Hypotonie,
Parkinson-Syndrom (PS) Obstipation, Seborrhö (Salbengesicht), Schwitzen,
Synonym. Paralysis agitans. Temperaturregulations- und Miktionsstörungen
4 Psychische Symptome: Depression, Angststörung
Definition. Progredienter Untergang melaninhaltiger 4 Neuropsychologische Symptome: Frontalhirnfunk-
nigrostriataler dopaminerger Nervenzellen, v. a. in der tionsstörungen, Verlangsamung der Denkabläufe
Substantia nigra, mit resultierendem Ungleichgewicht (Bradyphrenie), Schlafstörungen
der Transmitter Dopamin und Azetylcholin und Dopa- 4 Demenzieller Abbau
minmangel im Striatum.
Hypo- oder Akinese: Hypomimie (Maskengesicht),
Ätiopathogenese. Meist sporadisch, selten hereditär seltener Lidschlag, leises wenig modelliertes Spre-
auftretende Erkrankung. Unterschieden werden: chen, verminderte Mitbewegungen der Arme beim
4 Idiopathisches Parkinson-Syndrom (Morbus Par- Laufen, reduzierte Finger- und Fußgeschicklichkeit,
kinson) Bradydiadochokinese, Mikrographie, leicht vornü-
4 Sekundäres/symptomatisches Parkinson-Syn- bergebeugtes, kleinschrittiges, schlurfendes Gang-
drom bild, Camptocornia (extremes Vornüberbeugen),
4 Atypisches Parkinson-Syndrom (bei anderen neu- Freezing (kurze völlige Unbeweglichkeit beim Ge-
rodegenerativen Erkrankungen) hen). Axiale Akinese (Probleme beim Umdrehen im
Bett). Hypersalivation.
Ursachen des sekundären/symptomatischen PS: Rigor: Subjektives Steifigkeitsgefühl. Zahnradphä-
4 Intoxikation (Mangan, CO, MPTP in synthetischen nomen (ruckartigen Nachlassen des Widerstands bei
Drogen) passiver Bewegung). Hebt man den Kopf des liegenden
4 Multiple Traumata (Boxer) Patienten vom Kissen hoch und lässt ihn plötzlich los,
4 Postenzephalitisch (Encephalitis lethargica sive fällt der Kopf bei erhöhtem Rigor nicht oder nur lang-
epidemica, HIV-Enzephalopathie) sam zurück (psychisches Kopfkissen).
4 Subkortikale vaskuläre/arteriosklerotische Enze- Ruhetremor: distal betont, grobschlägig (Frequenz
phalopathie 4–6 Hz), nimmt bei Bewegungen ab: Pillendrehen,
4 Metabolische Ursachen (Morbus Wilson) Geldzählen an der oberen Extremität, Rabbit-Phäno-
4 Unerwünschte Arzneimittelwirkung: men des Kiefers.
58 Kapitel 1 · Neurologie

Für idiopathisches PS sprechen:


1 4 Ruhetremor
4 Einseitiger Beginn, persistierende Asymmetrie im
Verlauf
4 Positives Ansprechen auf L-DOPA, Ruhetremor
evtl. nicht gebessert

Der L-Dopa-Test kann in Zweifelsfällen diagnostisch


genutzt werden. Klinische Parameter werden vor und
nach Medikamenteneinnahme verglichen, Symptom-
verbesserung zeigt L-Dopa-Sensitivität an.
Zur Abgrenzung des symptomatischen PS und
möglicher Differenzialdiagnosen:
4 Anamnese: Medikamente, Schlaganfälle, Trauma
etc.
4 Bildgebung
4 Vor dem 50. Lebensjahr Ausschluss eines M. Wil-
son
4 Evtl. SPECT Untersuchung mit Bestimmung der
Dichte dopaminerger D2 Rezeptoren auf striatalen
Neuronen, die bei MSA, nicht aber beim Morbus
a Parkinson vermindert sein kann.

Gegen idiopathisches PS sprechen:


4 Rasche Progrdienz
4 Früh im Verlauf:
5 Autonome Störungen: orthostatische Hypoten-
sion, Synkopen, Impotenz, verringerte genitale
Empfindlichkeit, Urininkontinenz oder -reten-
tion, Anhidrose
5 Zerebelläre Symptome
b
5 Pyramidenbahnzeichen
. Abb. 1.18. a Typische Körperhaltung bei Parkinson- 5 Supranukleärer vertikaler Blickparese
Syndrom. b Längere Schriftprobe mit Mikrographie bei Par- 5 Gangstörungen (Stürze)
kinson-Syndrom 5 Frühe und schwere Demenz, Fluktuation der
kognitiven Funktionen
5 Halluzinationen
Durch gestörte Stellreflexe kommt es zu Retro-, 5 Sprech- und Schluckstörungen
Pro- oder Lateropulsionstendenzen mit Fallneigung 5 Myoklonien
und Stürzen. Haltungsstörungen wie Flexion in HWS
und BWS kommen vor (. Abb. 1.18). Differenzialdiagnose. Essenzieller Tremor, Normal-
Fakultative Symptome treten beim idiopathischen druckhydrozephalus, subkortikale vaskuläre Enzepha-
PS meist spät auf. Sie können auch Folge der medika- lopathie.
mentösen Therapie sein.
Therapie. Die medikamentöse Therapie ist indiziert bei
! Cave Beeinträchtigung des Berufs-, Alltags- oder Sozialle-
Die akinetische Krise, die akute Bewegungsunfähig- bens oder der allgemeinen Lebensqualität.
keit trotz dopaminerger Therapie über 48 h anhal-
tend, ist ein lebensbedrohlicher Zustand mit Rigor, > L-Dopa ist das wirksamste Medikament bei idiopathi-
Hyperthermie, Hyperhidrosis und Exsikkose. schem PS.

Diagnostik. Klinische Diagnosestellung. Zur Quantifi- 4 L-Dopa (Levo-Dopa) plus Decarboxylase-Inhibi-


zierung der Symptome dienen verschiedene Skalen. tor wirkt v. a. gegen Akinese und Rigor. Bei >70-
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
59 1

Jährigen ist L-Dopa Monotherapie die 1. Wahl; kein Dyskinesien, repetitive unangenehm empfunde-
Einfluss auf die Krankheitsprogression, nach eini- ne Bewegungen von Armen und Beinen
gen Jahren Therapiekomplikationen.
4 Dopaminagonisten wirken v. a. gegen Akinese und Weitere Therapieansätze:
Rigor, Mittel der Wahl in der Monotherapie bei <70- 4 Stereotaktische Verfahren beim idiopathischen PS:
Jährigen. Bei Versagen der Monotherapie Kombina- 5 Tiefenhirnstimulation: Stimulation des Nuc-
tion mit möglichst geringer L-Dopa-Dosis. leus subthalamicus über stereotaktisch implan-
4 COMT-Inhibitor Entacapone: Hemmt den Dopa- tierte Elektroden, wirkt auf alle vier Haupt-
minabbau, wirksam in der Behandlung von Fluktua- symptome des PS. Ein Stimulator unter dem
tionen, nicht in der Monotherapie eingesetzt. Schlüsselbein ist reversibel und individuell an-
4 MAO-B-Hemmer Selegilin: Hemmt den Dopa- passbar.
min-Abbau; gering wirksam in der symptomati- 4 Physiotherapie
schen Therapie im frühen Stadium. 4 Logopädie
4 Glutamat-Rezeptor-Antagonist Amantadin: 4 Antidepressive Therapie
Schwache Dopamin-freisetzende und anticholiner-
ge Wirkung, nicht-kompetitive Hemmung von Therapie der akinetischen Krise
NMDA Rezeptoren. Rascher Wirkungseintritt, 4 Identifizierung, Beseitigung des Auslösers: Resorp-
aber schwächer wirksam als L-Dopa. Wirkt v. a. bei tionsstörungen, Einnahmefehler, Einnahme von
Akinese und Rigor. Alternatives Monotherapeuti- Neuroleptika, Dehydrierung, Infektion
kum bei milder Symptomatik, Wirkungsverlust 4 Allgemeine Maßnahmen: Flüssigkeits- und Elek-
nach einigen Monaten, i.v. bei akinetischer Krise. trolytausgleich, Fiebersenkung, ausreichende Kalo-
4 Wenn nach ausreichender Besserung der Akinese rienzufuhr, Thrombose-, Dekubitus- und Pneumo-
und Rigor der Tremor noch therapiebedürftig ist, nieprophylaxe
zusätzlich Anticholinergika, NMDA-Antagonist 4 Medikamentöse Durchbrechung der akinetischen
Budipin oder Betablocker. Krise mit:
4 Sinnvoll sind eine proteinarme Diät und Einnahme 5 Amantadin i.v.
von L-Dopa in zeitlichem Abstand von den Mahlzei- 5 L-Dopa und Dopaminagonisten oral oder per
ten. Eine proteinreiche Nahrung kann den L-Dopa- Magensonde
Plasmaspiegel und die zerebrale Verfügbarkeit redu- 5 Apomorphin s.c. unter intensivmedizinischen
zieren. Die Gabe von Domperidon kann die Resorp- Bedingungen
tion und gastrointestinale Motilität verbessern. 5 Evtl. Dantrolen bei erheblicher Erhöhung der
Kreatinkinase
Therapiekomplikationen
4 Hypokinetische Wirkungsfluktuationen Prognose. Pflegebedürftigkeit nach ca. 20 Jahren, unter
5 Wearing off/End-of-dose-Akinese: häufig und optimaler Therapie annähernd normale Lebenserwar-
früh auftretend, Nachlassen der Medikamenten- tung.
wirkung ca. 4–6 h Einnahme
5 On-off: rascher Wirkungsverlust mit oder ohne zeit- Weitere degenerative Systemerkrankungen mit
lichen Bezug zur Medikamenteneinnahme. Die Be- hyperton-hypokinetischem Syndrom
weglichkeit kann ähnlich schnell wieder eintreten sog. Parkinson plus Erkrankungen (Parkinson-Symptome
5 Freezing: plötzliche Blockade des Gehens, Unfä- plus zusätzliche Symptome). Die medikamentöse Behand-
higkeit der Ganginitiierung lung hat häufig nur geringe Wirksamkeit und sollte mit Phy-
4 Hyperkinetische Fluktuationen sio-, Ergo- und logopädischer Therapie kombiniert werden:
5 ON-Dyskinesien: meist choreatische nicht 4 Multisystematrophie (MSA)
schmerzhafte Dyskinesien, bei relativ guter Be- 4 Zelluntergang in bestimmten Kerngebieten des ZNS
weglichkeit im ON auftretend (»Peak-dose«-Dyski- führt zu einer olivo-ponto-zerebellären Atrophie, stria-
nesien, Plateau-Dyskinesien, sistieren mit Beginn tonigraler Degeneration, Shy-Drager-Syndrom oder
der Off-Phase) Mischformen
5 OFF-Dyskinesien: bei niedriger dopaminerger 4 Leitsymptome, die je nach Form unterschiedlich ak-
Stimulation im OFF, meist schmerzhaft, häufig zentuiert sind:
»Early-morning«-Dystonie 5 Autonom: orthostatische Hypotonie, Blasendys-
5 Biphasische Dyskinesien: zu Beginn oder am funktion (Inkontinenz oder unvollständige Entlee-
Ende einer On-Phase, oft dystone oder ballistische rung) und sexuelle Funktionsstörung
60 Kapitel 1 · Neurologie

4 motorisch: Parkinson-Syndrom ohne oder mit ge- Abbrechen sozialer Kontakte, Verwahrlosung, psychiat-
1 ringem Ansprechen auf L-Dopa rische Störungen wie Depression.
4 zerebelläre Dysfunktion: Gang- und Extremitä- 10% juvenile Form: oft vom Vater vererbt, früher
tenataxie, Dysarthrie, Blickrichtungsnystagmus Beginn, klinisch v. a. Rigor und Akinese.
4 Pyramidenbahnzeichen
4 Progressive supranukleäre Blickparese (syn. Steele- Diagnostik. (Familien-)Anamnese (Mediamente?), Be-
Richardson-Olszewski-Syndrom) fund:
4 Kortikobasale Degeneration 4 Ausschluss einer symptomatischen Chorea: Hyper-
4 Demenz mit Lewy-Körperchen thyreose, M. Wilson, Lupus erythematodes
4 Molekulargenetischer Nachweis der Mutation
1.6.2.2 Extrapyramidale Erkrankungen mit 4 Bildgebung: Nucleus-caudatum-Atrophie bei Cho-
hyperkinetischem Syndrom rea Huntington

Syndrom mit Hyperkinesien und muskulärem Therapie. Symptomatisch.


Hypotonus
Bei den Hyperkinesien unterscheidet man: Prognose. Tod im Mittel nach 15–18 Jahren.
4 Choreatische Bewegungsstörungen
4 Athetotische Bewegungsstörungen Weitere Formen der Chorea:
4 Ballistische Bewegungsstörungen 4 Chorea minor (Sydenham): Häufigste Form, v. a. bei
4 Dystone Bewegungsstörungen Mädchen im Schulalter. Heilt nach etwa 1–6 Monaten
ohne Residuen aus. Tritt im Rahmen des rheumati-
Choreatische Bewegungen sind gekennzeichnet schen Fiebers mit Latenz nach Streptokokkeninfektion
durch unwillkürliche, plötzliche, schnelle, unregel- (Angina tonsillaris) auf, ursächlich sind kreuzreagieren-
mäßige Bewegungen, die diskret wie Verlegenheits- de Antikörper. Therapie: Penicillin
bewegungen erscheinen oder massiv sein können. 4 Chorea gravidarum: reversible Form im 3. bis 5.
Sie treten ein- (Hemichorea) oder beidseitig auf, die Schwangerschaftsmonat, evtl. auch nach Einnahme
Intensität nimmt bei Stress und Anspannung zu und von hormonalen Kontrazeptiva
sistieren weitgehend im Schlaf und in Narkose. 4 Senile Chorea: vaskulär, z. B. nach Hirninfarkt
4 Symptomatische Chorea: medikamentös, toxisch, bei
Lupus erythematodes oder anderer erblicher Erkrankun-
Chorea Huntington gen (Morbus Wilson). Behandlung der Grundkrankheit
Synonym. Chorea major.
Restless-legs-Syndrom (RLS)
Definition. Autosomal-dominant vererbte extrapyra- Definition. Syndrom der unruhigen Beine.
midale Erkrankung mit hyperkinetischem Syndrom.
Ätiopathogenese. Evtl. Störung dopaminerger und
Ätiopathogenese. CAG-Repeat-Expansion im Hun- opioiderger Neurotransmittersysteme, oft familiäre
tington-Gen auf Chromosom 4. Je größer die Zahl der Häufung. Symptomatisch bei Urämie, rheumatischer
Repeats, desto früher der Beginn und desto schwerer Polyarthritis, Eisenmangelanämie, in der Schwanger-
der Verlauf. Ein progressiver Neuronenverlust in den schaft, Polyneuropathien und Morbus Parkinson.
Basalganglien, v. a. des Nucleus caudatus, führt zum
Transmitterungleichgewicht mit Überwiegen der Do- Epidemiologie. 5–10% der Bevölkerung.
paminwirkung.
Symptomatik. Typisch sind:
Epidemiologie. 3–7/100.000 in Westeuropa, Erkran- 4 In Ruhe, v. a. abends und nachts, unangenehme
kungsbeginn: 1. bis 7. Lebensjahrzehnt, oft 30.-50. Le- Dys- oder Parästhesien der Beine, seltener auch der
bensjahr. Arme, verbunden mit erheblichem Bewegungs-
drang und motorischer Unruhe
Symptomatik. Beginn als extrapyramidales Syndrom 4 Besserung durch Bewegung oder Aktivität
mit Hyperkinesen und Hypotonie der Muskulatur; zu- 4 Ein- und Durchschlafstörungen
nächst Unruhe, Umsetzen in Verlegenheitsgesten, spä- 4 Tagesmüdigkeit
ter Behinderung koordinierter Bewegungen. Progredi- 4 Periodische Beinbewegungen (»periodic limb mo-
ente Demenz, Persönlichkeitsänderungen (Reizbarkeit, vements«. PLM)
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
61 1

Diagnostik. Wichtig ist die Abgrenzung eines sekun- oder hereditär, klinisch und vermutlich genetisch
dären RLS. Dazu dienen neurologischer Untersu- heterogen) und einer sekundären (symptomatisch
chungsbefund, ENG und EMG (bei primärem RLS bei Grunderkrankung oder Medikamentenein-
regelrecht) sowie Labor: Ausschluss von Nierenin- nahme) Form.
suffizienz, Eisenmangel, Elektrolytstörungen. Bei
diagnostischer Unsicherheit Polysomnographie mit Epidemiologie. >40/100.000. Am häufigsten idiopa-
Videoüberwachung. thische fokale oder segmentale Dystonien mit gutar-
tigem Verlauf ohne wesentliche Progressionsneigung
Therapie. Bei ausgeprägten Beschwerden/Schlafstö- und oft gutem Ansprechen auf lokale Botulinum-
rungen L-DOPA plus Benserazid (primäres und urä- toxin-Injektion. Beginn meist zwischen 30. bis 50.
mischen RLS, rascher Wirkungsbeginn). Bei unzu- Lebensjahr.
reichender Wirkung Umsetzen auf Dopaminagonis-
ten. In symptomatischen Fällen Behandlung der Symptomatik. Typisch sind länger anhaltende unwill-
Grunderkrankung. RLS-verstärkende Medikamente kürliche Kontraktionen der quergestreiften Muskulatur
ggf. absetzen. mit repetitiven Bewegungen, abnormen Haltungen
oder bizarren Fehlstellungen von Körperteilen. Auftre-
Athetosen ten können:
Unwillkürliche, langsame, distal betonte, wurmförmige 4 Oromandibuläre Dystonie
Bewegungen. Zellverluste, v. a. im Striatum und sub- 4 Zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus)
thalamischen Kernen durch perinatalen Hirnschaden (O2- 4 Schreibkrampf (Graphospasmus)
Mangel), verursachen eine beidseitige Athetose. Eine ze- 4 Laryngeale Dystonie (spasmodische Dysphonie)
rebrovaskuläre Insuffizienz kann zur kontralateraler Hemi- 4 Meige-Syndrom: oromandibuläre Dystonie und
athetose führen. Bizarre Stellungen der mimischer Blepharospasmus (Lidkrampf)
Muskulatur oder der Hände (Subluxationsstellung der In- 4 Tardive Dystonien sind medikamentös (insbeson-
terphalangealgelenke, Bajonett-Finger-Stellung). Kombi- dere durch Neuroleptika) ausgelöst
nationen mit choreatischen Bewegungsstörungen kom-
men vor. Bei der idiopathischen Form fehlen in der Regel weite-
re neurologische Defizite.
Ballismus
Blitzartige, schleudernde, weit ausfahrende Bewegungen. Diagnostik. Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer
Läsion im Nucleus subthalamicus bzw. seiner Verbindun- Form (Stoffwechselstörungen, v. a. beim Auftreten im
gen zum Thalamus. Häufig liegt ein fokaler Hirninfarkt Kindes- oder Jugendalter).
zugrunde, seltener eine Raumforderung. Ein beidseitiger
Ballismus tritt bei Icterus gravis neonatorum oder degene- Therapie. Je nach Symptomatik:
rativen Erkrankungen auf. Beid- oder einseitig (Hemibal- 4 L-Dopa-sensitive Form: L-Dopa und Decarboxy-
lismus) auftretend, v. a. die proximalen Extremitäten be- lasehemmer
treffend. 4 Fokale Dystonien: lokale Injektion von Botuli-
numtoxin
Dystonie 4 Segmentale, generalisierte Dystonien: Anticholi-
Definition. Fehlerhafter Spannungszustand (Tonus) nergika, bei besonders störenden Fokalsymptomen
der Muskulatur. Unterschieden wird die fokale, seg- lokale Botulinumtoxin-Injektion
mentale, multifokale bzw. generalisierte Dystonie.
Therapierefraktäre Fälle: Chirurgische Behandlungs-
Ätiopathogenese. Zugrunde liegt der Erkrankung verfahren, peripher denervierende Verfahren, stereo-
eine Funktionsstörung der Basalganglien. Differen- taktische Operationsverfahren bei generalisierten Dys-
ziert wird zwischen einer primären (idiopathisch tonien.
62 Kapitel 1 · Neurologie

In Kürze
1
Degenerative Erkrankungen des ZNS

Parkinson- 4 Symptomatik: Hypo- oder Akinese und Rigor, Ruhetremor oder posturale Instabilität
Syndrom (PS) 4 Ätiologie: progredienter Untergang melaninhaltiger nigrostriataler dopaminerger Nerven-
zellen v. a. in der Substantia nigra, überwiegend sporadisch
4 Diagnostik: klinisch
4 Therapie:
– Medikamentös: L-Dopa (Levo-Dopa) plus Decarboxylase-Inhibitor, Dopaminagonisten,
COMT-Inhibitor, MAO-B-Hemmer, Glutamat-Rezeptor-Antagonisten
– Stereotaktische Verfahren beim idiopathischen PS, Physiotherapie, Logopädie, ggf. anti-
depressive Therapie

Chorea Hun- 4 Symptomatik: Hyperkinesen und Hypotonie der Muskulatur, progrediente Demenz, Persön-
tington lichkeitsänderungen, psychiatrische Störungen
4 Ätiologie: autosomal-dominant, CAG-Repeat-Expansion im Huntingtin-Gen, progressiver
Neuronenverlust v. a. im Nucleus caudatus
4 Diagnostik: Befund, Ausschluss einer symptomatischen Chorea, molekulargenetisch (PCR),
Bildgebung: Nucleus-caudatum-Atrophie
4 Therapie: symptomatisch

Multisystema- 4 Symptomatik: autonome Funktionsstörung, Parkinson-Syndrom mit fehlendem oder gerin-


trophien gem Ansprechen auf L-Dopa, zerebelläre Dysfunktion, Pyramidenbahnzeichen
4 Ätiologie: neurodegenerative Erkrankung
4 Diagnostik: Anamnese, Befund; Abgrenzung vom M. Parkinson, geringes Ansprechen auf
L-Dopa, evtl. Bildgebung
4 Therapie: v. a. symptomatische Therapie

Restless-legs- 4 Symptomatik: abends und nachts auftretende Dys- oder Parästhesien meist der Beine ver-
Syndrom bunden mit erheblichem Bewegungsdrang und motorischer Unruhe; Ein- und Durchschlaf-
(RLS) störungen, Tagesmüdigkeit
4 Ätiologie: evtl. durch Störung dopaminerger und opioiderger Neurotransmittersysteme, oft
familiäre Häufung; z. T. sekundär symptomatisches RLS z. B. bei Urämie
4 Diagnostik: primäres RLS: normaler neurologischer Befund, Ausschluss eines sekundären
RLS; evtl. Polysomnographie
4 Therapie: evtl. L-DOPA plus Benserazid

1.6.3 Demenz Infektion, Neurolues, metabolische, endokrine, bei


intrazerebralen Raumforderungen, paraneoplas-
Definition. Erworbener Abbau intellektueller und kog- tisch, mechanisch (Dementia pugilistica, Boxeren-
nitiver Fähigkeiten, insbesondere des Gedächtnisses. zephalopathie, nach Schädel-Hirn-Trauma)
Dagegen sind mentale Retardierung und Oligophrenie
angeboren. > Die 3 häufigsten Ursachen für eine Demenz sind Mor-
bus Alzheimer (60%), vaskuläre Demenz (10–20%)
Ätiopathogenese. Unterschieden werden: und Demenz durch Alkoholkonsum.
4 Alzheimer-Demenz (AD)
4 Vaskuläre Demenz Epidemiologie. In Deutschland >1 Mio. Demenzkranke.
4 Demenz vom Frontalhirn-Typ = Pick-Komplex
4 Demenz mit Lewy-Körperchen bei Parkinson- Diagnostik. Klinische Diagnose! Diagnosekriterien sind:
Syndrom 4 Gedächtnisstörungen
4 Demenzen bei anderen Erkrankungen: Multisys- 4 Zusätzlich Beeinträchtigung von mindestens 2 kog-
temerkrankungen, Chorea Huntington, CJK, HIV- nitiven Bereichen: Orientierung, abstraktes Den-
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
63 1

ken, Urteilsfähigkeit, Persönlichkeit, Verhalten, dächtnisstörungen, Aphasie, Apraxie. Aktivität, Kom-


Aphasien, Apraxien, Agnosien petenz und Leistungsniveau im sozialen und berufli-
4 Nachweis/Ausschluss einer organischen Erkran- chen Alltagsleben sind beeinträchtigt. Evtl. depressive
kung: CCT/CMRT, EEG, Labor- und Liquordiag- Beschwerden. Antrieb, Vigilanz, psychomotorisches
nostik (kardiovaskuläre Risikofaktoren, Avitamino- Tempo und Persönlichkeit bleiben lange erhalten. Spät
se, Hyperkalzämie, Schilddrüsenstörung, Borreliose, kommt es zum Abbau aller höheren Hirnleistungen,
Lues), Doppleruntersuchung der Hirngefäße, EKG Mutismus und Inkontinenz. Motorik und Sensorik sind
4 Psychometrische Tests wie MMST (Mini-Mental- relativ resistent.
Status, standardisierter Kurztest, prüft Orientie-
rung, mnestische und neuropsychologische Funk- > Typisch sind multiple kognitive Defizite, frühe fokale
tionen), DemTect u. a. Symptome sind nicht typisch.
4 Evtl. SPECT (zerebrale Perfusion), FDG-PET (ze-
rebraler Glukosestoffwechsel) Diagnostik. Klinische Ausschlussdiagnose, beweisend
ist die Histopathologie. Für Morbus Alzheimer spre-
Differenzialdiagnose. Pseudodemenzen bei Depressi- chen: keine Hinweis auf andere Demenzursachen, pro-
on, Schizophrenie, Delir mit gestörter Bewusstseinsla- grediente parietotemporal-betonte Hirnatrophie in der
ge, angeborene Störungen. Bildgebung, unauffälliger Liquorbefund, evtl. unspezi-
fische EEG-Veränderungen.
Therapie. Mitbetreuung von Angehörigen und Pflege-
personal. Therapie. Evtl. medikamentöse Therapie:
4 Cholinesterasehemmer
1.6.3.1 Morbus Alzheimer 4 Antioxidanzien: Vitamin E, Selegilin
Definition. degenerative Hirnerkrankung mit progredi- 4 Glutamat-Antagonist Memantin
enter Demenz. 4 Evtl. Statine, Gingko biloba (Wirksamkeit in Studi-
en unterschiedlich beurteilt)
Ätiopathogenese. Meist multifaktoriell, d. h. genetische 4 Bei Depression MAO-B-Hemmer, SSRI
Faktoren (familiäre Häufung) und Umweltfaktoren (Er-
nährung) sind bedeutsam. Selten autosomal-dominant ! Cave
vererbt mit Erkrankungsbeginn um das 40. Lebensjahr. Keine klassischen tri- oder tetrazyklische Antidepres-
Risikofaktoren: positive Familienanamnese, Down- siva wegen anticholinerger Nebenwirkung.
Syndrom, Apolipoprotein-E-Genotyp (e4-Allel)
Morphologische Veränderungen: Prognose. Dauer der Erkrankung meist 9–12 Jahre.
4 Parietotemporale Hirnatrophie
4 Histopathologisch: 1.6.3.2 Demenz mit Lewy-Körperchen
5 β-Amyloid-Plaques (unphysiologisch gespal- Definition. Demenz mit histopathologischem Nach-
tene, aggregierte Stücken des β-Amyloid-Pre- weis von Lewy-Körperchen.
cursor-Proteins) in kortikalen Amyloidplaques
und perivaskulär Ätiopathogenese. Histopathologie:
5 Aggregation von hyperphosphoryliertem Tau- 4 Eosinophile Einschlusskörperchen (Lewy-Körper-
Protein zu intrazellulären helikalen Neurofib- chen) aus abnorm phosphorylierten Neurofila-
rillenbündeln (Tangels) in den Neuronen. ment-Proteinen, Ubiquitin, D-Synuklein in Neuro-
5 Degeneration von Axonen assoziiert mit neuri- nen in der Hirnrinde (Lewy-Körperchen gibt es in
tischen Plaques geringerer Zahl in der Substantia nigra auch beim
5 Neuronenverluste, v. a. der großen Pyramiden- M. Parkinson)
neurone 4 Diffuse senile Plaques
5 Azetylcholinmangel unter Beteiligung des 4 Neuritische Degeneration im Hippokampus
Nucleus basalis Meynert
Epidemiologie. Erkrankungsbeginn 60–68 Lebensjahr,
Epidemiologie. Meist nach dem 65, selten vor dem M>W.
50. Lebensjahr, W:M = 2:1.
Symptomatik. Kombination kortikaler Demenz mit L-
Symptomatik. Schleichender Beginn, progredienter Dopa-sensitiven Parkinsonsymptomen. Typisch sind
Abbau kognitiver Fähigkeiten. In der Frühphase Ge- Fluktuationen (ausgeprägte Variabilität von Aufmerk-
64 Kapitel 1 · Neurologie

samkeit und Wachheit) und gestörte räumlich-kon- Symptomatik. Unterschieden werden:


1 struktive Leistungen. 4 Subkortikale Demenz: Verlangsamung gedankli-
cher Abläufe, psychomotorische Verlangsamung,
> Im Vordergrund stehen visuelle Halluzinationen und Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Stim-
motorische Parkinsonsymptome. mungsveränderungen (Depression, Antriebsman-
gel, Apathie oder Reizbarkeit)
Evtl. systematisierter Wahn, nichtvisuelle Halluzinatio- 4 Kortikale Demenz: umschriebene neuropsycho-
nen, Synkopen, wiederholte Stürze. logische Syndrome (Aphasie, Apraxie, Dyslexie,
Orientierungsstörungen) oder generelle kognitive
Diagnostik. Klinische Diagnose; in der Bildgebung ge- Defizite (Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstö-
ringere temporale Atrophie als beim M. Alzheimer. rungen)

Therapie. Symptomatisch, ggf. Therapie von Parkin- Häufiger als beim Morbus Alzheimer psychiatrische
sonsymptomen. Patienten können auf Neuroleptika Begleitsymptome wie Depression, emotionale Labilität
empfindlich reagieren. und Persönlichkeitsveränderungen.

Frontotemporale Lobäratrophien/Pick-Komplex Diagnostik. Anamnese (vaskuläre Risikofaktoren, TIA,


Frontotemporal betonte Hirnatrophie, der die typische Hirninfarkt) und Befund (demenzielles Syndrom, ggf.
Alzheimer-Histopathologie fehlt, z. T. finden sich typische neurologische Defizite).
neuronale, argyrophile Einschlüsse, aufgrund derer die
Bezeichnung Pick-Komplex verwendet wird. Typisch ist > Für die Diagnose ist der zeitliche Zusammenhang zur
ein schleichender Beginn vor dem 65. Lebensjahr zerebrovaskulären Störung wichtig, etwa Auftreten
und langsame Progredienz. Im Gegensatz zur AD stehen eines demenziellen Syndroms zusammen mit einem
Persönlichkeits-, Verhaltensänderungen und Sprach- Hirninfarkt oder TIA. Schrittweise oder abrupte Ver-
störungen im Vordergrund, Gedächtnisstörungen eher schlechterung spricht für eine vaskuläre Demenz. Oft
im Hintergrund. Die familiäre Häufung ist häufiger als treten früh Stürze, Gangstörungen und Inkontinenz auf.
bei AD.
4 Bildgebung: Zeichen zerebraler Ischämien wie La-
1.6.3.3 Vaskuläre Demenz kunen, Infarkte oder subkortikale arterioskleroti-
Definition. Demenz infolge von Gefäßveränderungen. sche Enzephalopathie
4 EEG: evtl. fokale Veränderungen
Ätiopathogenese. Einteilung: 4 Ggf. kardiologische Zusatzuntersuchungen (kardi-
4 Multiinfarktdemenz: mehrere umschriebene kor- ovaskuläre Erkrankung?)
tikale Infarkte 4 Erfassung zerebrovaskulärer Risikofaktoren
4 Multiple lakunäre Infarkte (Status lacunaris) mit
subkortikaler Demenz Therapie. Behandlung der zerebrovaskulären Grunder-
4 Binswanger-Erkrankung: Subkortikale arterio- krankung/Risikofaktoren. Evtl. medikamentöse Thera-
sklerotische Enzephalopathie mit diffusen pie mit Ginko biloba, Pentoxyphyllin. Therapie von
Marklagerveränderungen und subkortikaler De- Begleiterkrankungen und Folgen (medikamentös, Phy-
menz, oft weitere neurologische und vegetative siotherapie etc.).
Defizite wie Inkontinenz, Gangstörung. Stufen-
weise Verschlechterung ist typisch, tritt v. a. bei 1.6.3.4 Demenz bei HIV-Enzephalopathie
arterieller Hypertonie auf (hypertensive Enze- Definition. Subakut bis chronisch progredient verlau-
phalopathie) fende subkortikale Demenz bei HIV-Infektion.
4 Mischformen
4 Intrazerebrale Hämatome Epidemiologie. 10–20% der HIV-Infizierten im fortge-
4 CADASIL (zerebrale autosomal-dominante Arte- schrittenen Stadium.
riopathie mit subkortikalen Infarkten und Leuken-
zephalopathie) Symptomatik. Konzentrations- und Gedächtnisstö-
rungen, psychomotorische Verlangsamung, leichte ko-
Epidemiologie. Zweithäufigste Ursache einer Demenz, gnitive Störungen bis Demenz, Mutismus, Antriebs-
M>W. minderung, sozialer Rückzug, depressive Symptomatik,
Motorische Störungen bis zur spastischen Tetraparese
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
65 1

(Feinmotorik, extrapyramidale oder zerebelläre Stö- Viruslast, Ausschluss/Nachweis einer oppor-


rungen). tunistischen Infektion mittels PCR: JC-Virus-
(progressive multifokale Leukenzephalopathie)
Diagnostik. Zur Diagnostik gehören: oder CMV
4 Nachweis einer HIV-Infektion
4 MRT: T2-Hyperintensitäten in der tiefen weißen Therapie. HAART mit liquorgängigen Substanzen:
Substanz und in den Basalganglien, globale korti- Azidothymidin oder Stavudin als Kombinationspart-
kale Atrophie ner. Symptomatische Therapie, ggf. Unterbringung in
4 EEG: unspezifisch, oft Verlangsamung des Grund- einer psychiatrischen Klinik, ggf. Therapie von oppor-
rhythmus tunistischen Infektionen.
4 Evtl. EP
4 Liquordiagnostik: Leichte entzündliche (lym- Prognose. Ohne Therapie Überlebenszeit nach Diag-
phozytäre) Veränderungen. Nachweis der HI- nose nur 5–6 Monate.

In Kürze
Demenz. Die Diagnose Demenz wird klinisch gestellt! Diagnosekriterien: Gedächtnisstörungen + zusätzlich Be-
einträchtigung von mindestens 2 kognitiven Bereichen

Morbus 4 Symptomatik: schleichender Beginn, progredienter Abbau kognitiver Fähigkeiten, Gedächt-


Alzheimer nisstörungen, früh Aphasie und Apraxie; Beeinträchtigung vom sozialen und beruflichen
Alltagsleben.
4 Ätiologie: meist multifaktoriell, selten autosomal-dominant vererbt
4 Diagnostik: histopathologische Diagnose; klinische Hinweise: keine andere Ursache nach-
weisbar, progrediente parietotemporal betonte Hirnatrophie in der Bildgebung
4 Therapie: medikamentös evtl. Cholinesterasehemmer, Antioxidanzien, Glutamat-Antagonisten

Vaskuläre 4 Symptomatik: Subkortikale Demenz: Verlangsamung gedanklicher Abläufe, psychomo-


Demenz torische Verlangsamung, Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale und Stimmungsver-
änderungen
4 Kortikale Demenz: umschriebene neuropsychologische Syndrome oder generelle kognitive
Defizite
4 Ätiologie: kortikale Infarkte (Multiinfarktdemenz), multiple lakunäre Infarkte (Status lacuna-
ris), Binswangersche Erkrankung (hypertensive Enzephalopathie)
4 Diagnostik: Ausschluss anderer Demenzursachen. Oft zeitlicher Zusammenhang zu einer ze-
rebrovaskulären Störung bzw. schrittweise oder abrupte Verschlechterung. Erfassung zereb-
rovaskulärer Risikofaktoren, Zeichen zerebraler Ischämien in der Bildgebung, EEG: evtl. foka-
le Veränderungen, EKG, Langzeit-EKG, Echokardiographie, RR-Messungen, Gefäßdoppler
4 Therapie: Ausschaltung kardiovaskulärer Risikofaktoren, Sekundärprophylaxe

Demenz 4 Symptomatik: Kombination kortikaler Demenz mit L-Dopa-sensitiven Parkinsonsymptomen,


mit Lewy- Fluktuationen, gestörte räumlich-konstruktive Leistungen, visuelle Halluzinationen
Körperchen 4 Ätiologie: neurodegenerative Erkrankung
4 Diagnostik: klinische Diagnose
4 Therapie: Therapie von Parkinsonsymptomen

Demenz 4 Symptomatik: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, psychomotorische Verlangsa-


bei HIV mung, leichte kognitive Störungen bis Demenz, Mutismus, Antriebsminderung, sozialer
Rückzug, depressive Symptomatik, Motorische Störungen
4 Ätiologie: HIV-Infektion im fortgeschrittenen Stadium
4 Diagnostik: HIV-Diagnostik, MRT: Hyperintensitäten in T2, EEG mit unspezifischen Verände-
rungen, Ausschluss einer opportunistischen Infektion
4 Therapie: Therapie der HIV-Infektion (HAART) inkl. opportunistischer Infektionen
66 Kapitel 1 · Neurologie

1.6.4 Degenerative Erkrankungen mit 4 Frühzeitige Aufklärung von Patient und Ange-
1 Leitsymptom Schwäche, hörigen
Muskelatrophie 4 Physio- und Ergotherapie, Logopädie, orthopä-
dische Hilfsmittel
1.6.4.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 4 Pneumonieprophylaxe
Definition. Degenerative Erkrankung des 1. und 2. mo- 4 Psychische Unterstützung
torischen Neurons. 4 Symptomatische medikamentöse Therapie bei
Schmerzen, Spastik, Depression etc.
Ätiopathogenese. Überwiegend sporadisch, seltener 4 Bei chronisch respiratorischer Insuffizienz Heim-
autosomal-dominant erblich, selten Mutationen im beatmung, Mukolytika, ausreichend Flüssigkeits-
Gen einer Superoxiddismutase oder im Alsingen. zufuhr

Epidemiologie. 2/100.000/Jahr, Beginn oft um das Prognose. Progrediente Paresen, nach 3–5 Jahren Tod
60. Lebensjahr. durch Ateminsuffizienz.

Symptomatik. Anfangs oft distal betonte Muskelschwä- 1.6.4.2 Spinale Muskelatrophie


che/-atrophie (Handmuskeln, Fußheber). Bulbäre Definition. Degenerative Erkrankung des 2. motori-
Symptome zu Beginn bedeuten eine schlechte Progno- schen Neurons.
se, im Verlauf sind sie häufig. Die Symptomatik kann
einseitig beginnen (hemiplegische Variante). Ätiopathogenese. Erblich oder sporadisch, im Ver-
gleich zur ALS häufiger hereditär.
> Zeichen der Schädigung des 1. Motoneurons und der
Pyramidenbahn (gesteigerte MER und Spastik) treten Epidemiologie. 1:5000–1:10.000.
typischerweise zusammen mit Zeichen der Schädi-
gung des 2. Motoneurons (Muskelschwäche, -atrophie, Symptomatik. Langsam progrediente periphere
schlaffe Lähmung, Krämpfe, Faszikulationen) auf. Muskellähmung und -atrophie, Faszikulationen
der Muskeln, erloschene MER, keine Pyramiden-
Oft gesteigerte emotionale Labilität, pathologisches Wei- bahnzeichen. Bulbäre Störungen wie Kau- und
nen und Lachen. Harnblasen- und Analsphinkter sowie Schluckstörungen, Dysarthrie, Heiserkeit, Fazia-
okulomotorische Hirnnervenkerne sind selten betroffen. lisparese, Zungen- und Augenlidfaszikulationen.
Sensible oder vegetative Störungen fehlen. Sekundär
> Sensible Störungen sind in der Regel nicht vorhanden. können durch Fehlhaltungen Skelettanomalien
auftreten.
Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 Bildgebung: Ausschluss einer Myelopathie Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 EMG: Riesenpotenziale (Aussprossen der α-Moto- 4 EMG: neurogene Muskelatrophie
neuronen im Rückenmark auf bereits untergegan- 4 NLG: meist Normalbefund
gene Neurone, dadurch vergrößerte motorische 4 Labor: CK nicht oder leicht erhöht
Einheiten), Fibrillationen 4 Muskelbiopsie: neurogene Muskelatrophie.
4 NLG: meist normal, ggf. geringe Verzögerung der
motorischen NLG Therapie. Krankengymnastik, Hilfsmittel, Selbsthilfe-
4 Muskelbiopsie bei atypischem Krankheitsbild: neu- gruppen.
rogene Muskelatrophie
4 Bei Ateminsuffizienz Bestimmung von Vitalkapa- Spastische Spinalparalyse
zität, Blutgasen Seltene, überwiegend erbliche degenerative Erkrankung
4 Liquordiagnostik: oft Eiweißerhöhung des 1. motorischen Neurons mit Degeneration der Pyrami-
4 Evtl. MEP: Erhöhung der zentral-motorischen denbahn, geringe Degeneration der spinozerebellären
Leitzeit (Leitzeit im Tractus cerebrospinalis). Bahnen sowie der Hinterstränge. Es kommt zu langsam
progredienter spastischer Paraparese, meist mit geringen
Therapie. Die Behandlung umfasst: sensiblen und vegetativen Symptomen. Die Therapie ist
4 Medikamentös: neuroprotektives Riluzol (Rilutek) symptomatisch.
hemmt die Glutamat-Ausschüttung, verbessert die
Überlebenszeit
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
67 1

In Kürze

Degenerative Erkrankungen mit Leitsymptom Muskelschwäche und -atrophie

Amyotrophe 4 Symptomatik: Zeichen der Schädigung des 1. Motoneurons (gesteigerte MER und Spastik)
Lateralsklerose und des 2. Motoneurons (Muskelschwäche, -atrophie, schlaffe Lähmung, Krämpfe, Fasziku-
(ALS) lationen), keine sensiblen Störungen
4 Ätiologie: überwiegend sporadische degenerative Erkrankung, seltener autosomal-
dominant erblich
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung, EMG: Riesenpotenziale, Fibrillationen, erhöhte
zentral-motorische Leitzeit
4 Therapie: neuroprotektives Riluzol, Aufklärung, Physiotherapie, symptomatische Therapie

Spinale 4 Symptomatik: langsam progrediente periphere Muskellähmung und -atrophie, Faszikula-


Muskelatrophie tionen, Ausfall von MER, keine Pyramidenbahnzeichen
4 Ätiologie: degenerative Erkrankung des 2. Motoneurons
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, EMG und Muskelbiopsie: Zeichen einer neurogenen
Muskelatrophie
4 Therapie: symptomatisch

1.6.5 Degenerative Erkrankungen mit 1.6.5.1 Friedreich-Ataxie


Leitsymptom Ataxie Ätiopathogenese. Autosomal-rezessiv vererbte Muta-
tion im Fataxin-Gen (GAA-Repeat-Expansion, gestör-
Definition. Ataxie: Störung der Koordination von Be- ter Einbau von Eisen in Atmungsketten-Enzyme). De-
wegungsabläufen aufgrund von Asynergie (gestörtes generation von langen spinalen Bahnen (spinozerebel-
Zusammenspiel von Agonisten und Antagonisten) lären Bahnen, Hintersträngen, evtl. Pyramidenbahn)
und Dysmetrie (gestörte Abmessung von Zielbewe- sowie Nucleus dentatus und axonale Neuropathie.
gungen).
Epidemiologie. 1:30.000, häufigste erbliche Ataxie.
Ätiopathogenese. Nach dem Ort der Läsion unter-
scheidet man zerebelläre, afferente (spinale Ataxie Symptomatik. Beginn vor dem 25. Lebensjahr mit pro-
oder Läsion peripherer Nerven) und vestibuläre Ata- gressiver Ataxie, Areflexie der unteren Extremitäten
xie. Ätiologisch werden unterschieden: und Dysarthrie. Zusätzlich evtl. distale atrophische Pa-
4 Hereditäre Ataxie (Friedreich-Ataxie) resen, Hohlfuß, Kyphoskoliose, Hinterstrangsensibili-
4 Nichterblich degenerative Ataxie täts-Störungen, Okulomotorikstörungen, Optikusatro-
4 Erworbene symptomatische Ataxie. phie, Schwerhörigkeit, Schwindel, Demenz, Kardiomyo-
pathie, kardiale Reizleitungsstörungen, in 10% Diabetes
Symptomatik. Zeichen der Ataxie: mellitus.
4 Stand-, Gang- und Rumpfataxie
4 Gestörte Zielbewegungen Diagnostik. Familienanamnese, Befund.
4 Tremor 4 MRT: Atrophie des zervikalen Rückenmarks, keine
4 Gestörte Feinmotorik wesentliche Kleinhirnatrophie
4 Dysdiadochokinese 4 ENG: axonale Neuropathie
4 Pathologisches Rebound-Phänomen 4 Kardiologische Untersuchung, Ausschluss eines
4 Dysarthrie, Dysarthrophonie Diabetes mellitus
4 Megalographie (verzitterte, übernormal große 4 Molekulargenetische Diagnostik
Schrift)
4 Gestörte Okulomotorik: Nystagmus, Oszillopsien, Therapie. Symptomatisch, genetische Beratung.
sakkadierte (ruckartige) Augenbewegungen beim
Hin- und Herblicken Prognose. Gehunfähigkeit nach 15, Tod nach 35 Jahren.
68 Kapitel 1 · Neurologie

Weitere hereditäre Ataxien sionen identifiziert; Beginn meist mit 30–50 Jahren:
1 4 Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar-Syndrom): Seltene zunehmende Gang- und Standataxie, muskuläre Hy-
autosomal-rezessiv vererbt mit Mutation im DNA-Re- potonie, Dysdiadochokinese, Dysarthrie (Löwenstim-
paratur-System. Beginn in der Kindheit mit: Augenbe- me), Dysphagie, gestörte Okulomotorik, Faszikulatio-
wegungsstörungen (Frühsymptom), Ataxie, okuloku- nen, Hyperreflexie, choreatischen Bewegungsstörun-
tane Teleangiektasien, Pigmentflecken, PNP, kombi- gen. Bei SCA3 (Machado-Joseph-Krankheit, häufigste
niertem Immundefekt (Immunglobulinmangel und Form) zusätzlich PNP und Demenz.
Störung der zellvermittelten Immunität) mit Sinusiti- 4 Sporadische degenerative Ataxie bei Multisyste-
den, bronchopulmonalen Infekten, Bronchiektasen, matrophie (MSA)
respiratorischer Insuffizienz, 10- bis 20%-iges Leukä- 4 Kleinhirndegeneration durch chronischen Alkoho-
mie- bzw. Lymphom- sowie erhöhtes Mammakarzi- lismus: Stand- und Gangataxie stehen imVordergrund.
nomrisiko. Zur Diagnostik gehören Anamnese, Befund, Neben der toxischen Alkoholwirkung wird auch die
CMRT, ENG, erhöhtes α-Fetoprotein im Serum, In-vitro- begleitende Malnutrition (Vitamin-B1-Mangel) als Ur-
Test: erhöhte Strahlensensitivität von Lymphozyten, sache diskutiert.
molekulargenetische Diagnostik. Die Therapie umfasst 4 Paraneoplastische Kleinhirndegeneration: Autoim-
symptomatische Maßnahmen sowie eine genetische munvermittelte zerebelläre Degeneration, Symptome
Beratung. gehen der Tumorentdeckung oft vorraus. Beispiele:
4 Dominant vererbte spinozerebelläre Ataxien (SCA, kleinzelliges Bronchialkarzinom (Anti-Hu-Antikörper),
Nonne-Marie-Krankheit): Verschiedene genetische Ovarial- und Mammakarzinom (Anti-Yo bei gynäkologi-
Subtypen, z. T. wurden CAG- oder CGT-Repeat-Expan- schen Tumoren), Lymphom (Anti-Tr beim M. Hodgkin).

In Kürze
Hereditäre Ataxien

Friedreich-Ataxie 4 Symptomatik: vor dem 25. Lebensjahr beginnende progressive Ataxie, Areflexie der
unteren Extremitäten und Dysarthrie, distale atrophische Paresen
4 Ätiologie: autosomal-rezessiv vererbte Mutation im Fataxin-Gen
4 Diagnostik: (Familien-)Anamnese, Befund, MRT, ENG: axonale Neuropathie, kardiolo-
gische und endokrinologische Untersuchung, molekulargenetische Diagnostik
4 Therapie: symptomatisch, genetische Beratung

1.6.6 Fehlbildungen von Gehirn Symptomatik. Typisch sind:


und Rückenmark 4 ZNS: NF1: mentale Retardierung, Optikus-/Chias-
magliome; NF2: uni- oder bilaterale Akustikusneu-
1.6.6.1 Neurofibromatose rinome, Meningeome
Definition. Neurokutanes Syndrom (Phakomatose): 4 Augen: Lisch-Knötchen (Irishamartome) bei NF1
Fehlbildung aller 3 Keimblätter in der Embryogenese 4 Haut: multiple Neurofibrome (maligne Transfor-
mit ektodermalen bzw. mesenchymalen Tumoren so- mation in 5%), Pigmentanomalien: Café-au-lait-
wie kongenitalen Gefäßveränderungen an Haut, Augen Flecken, axilläre und inguinale Lentigines
und ZNS. Unterschieden werden: 4 Bei NF1 auch Phäochromozytom, Knochenano-
4 Typ 1(NF 1): peripherer Typ, Recklinghausen- malien, Skoliose, gehäuft Hypertonie
Krankheit
4 Typ 2 (NF 2): zentraler Typ Diagnostik. (Familien-)Anamnese, Befund, ggf. Bild-
gebung zum Nachweis der Tumoren.
Ätiopathogenese. Autosomal-dominant erbliche
Mutation oder Neumutation in Tumorsuppressorge- Therapie. Gegebenenfalls chirurgische Tumorentfer-
nen Neurofibromin (NF1) bzw. Merlin/Schwannomin nung, Chemotherapie.
(NF2).
1.6.6.2 Spina bifida
Epidemiologie. NF1: 1:3000, NF2: 1:35.000. Definition. Dysraphische Fehlbildungen: Störungen in
der frühen Embryonalentwicklung mit mangelhafter
1.6 · Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS
69 1

Rückenmark- oder Gehirnanlage bzw. Hemmung des nal, meist im HWS- oder BWS-Bereich bzw. Syringo-
Schließungsprozesses der Neuralplatten. bulbie in der Medulla oblongata.

Ätiopathogenese. Genetisch, mechanisch, infektiös, Symptomatik. Manifestation meist im 2. oder 3. Le-


alimentär (Folsäuremangel) oder toxisch (Valproat) in- bensjahrzehnt durch Druckschädigung des Tractus
trauterine Schädigungen. Unterschieden werden: spinothalamicus sowie der Pyramidenbahn. Hinter-
4 Spina bifida totalis: vollständige Spaltung von stränge bleiben häufig intakt. Diffuser Schulter-Arm-
Wirbelsäule und Rückenmark, nicht mit dem Le- Schmerz, trophische Störungen mit Mutilationen der
ben vereinbar Finger. Thoraxdeformität und Kyphoskoliose im Ver-
4 Spina bifida partialis: Teilspaltung als lauf durch die Paresen der Rückenmuskulatur.
5 Meningozele: Protrusion von Dura und Arach- 4 Horner-Syndrom: Ptosis, Miosis (und Enophthal-
noidea bei normaler Lage vom Rückenmark im mus) bei Sympathikus-Läsion im Rückenmark-Sei-
Spinalkanal tenhorn
5 Meningomyelozele: Protrusion von Rücken- 4 Unterhalb der Läsion dissoziierte Empfindungsstö-
mark oder Cauda equina mit den Meningen rung und spastische Parese
durch knöchernen Defekt. Je nach Läsionshöhe 4 Auf Höhe der Läsion je nach Lokalisation unter-
unterschiedliche motorische und sensible Aus- schiedliche Kombinationen von Empfindungsstö-
fällen (Lähmung von Beinen, Blase, Mastdarm) rungen (alle sensiblen Qualitäten bei Läsion der
5 Myelozele: Protrusion von Rückenmark oder Hinterwurzeln oder dissoziierte Empfindungsstö-
Cauda equina durch knöchernen und menin- rung bei Druck auf die Commissura ant.) und
gealen Defekt schlaffen Paresen
4 Spina bifida aperta: offene Form mit Freiliegen 4 Bei Syringobulbie: Nystagmus, dissoziierte Sensi-
vom Rückenmark bilitätsstörungen des Gesichts und motorische
4 Spina bifida cystica: Defekt unter intakter Haut Hirnnervenausfälle
4 Spina bifida occulta: äußerlich nicht sichtbarer
knöcherner Schließungsdefekt bei normaler Lage Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung (spinales
von Rückenmark und Meningen, meist lumbosa- CT/MRT): Lokalisation und Ausdehnung.
kral. Weitgehend normale Anlage und Funktion
von Rückenmark und Weichteilen über dem De- Therapie. Evtl. neurochirurgische Drainage.
fekt, äußerlich oft abnorme Behaarung, Pigmentie-
rung und Grübchenbildung 1.6.6.4 (Arnold-)Chiari-Malformation
4 Tethered cord: Adhäsion von Rückenmark oder Definition. Komplexe kraniozervikale embryonale
Nervenwurzeln/Filum terminale am Spinalkanal. Fehlbildung.
Durch relatives Höhertreten vom Rückenmark
während des Wachstums kommt es zu Traktionslä- Ätiopathogenese. Kaudalverlagerung von Kleinhirn
sionen und Hirnstamm mit Aquäduktstenosen (Liquorab-
flussstörungen und Hydrozephalus); oft assoziiert mit
Symptomatik. Abhängig von der Schädigung: Spina bifida oder Syringomyelie. Unterschieden wer-
4 Spina bifida occulta: häufig asymptomatisch den:
4 Spina bifida partialis: oft sensomotorische Quer- 4 Chiari I: Herniation der zerebellären Tonsillen
schnittssymptomatik, neurogene Blasenstörung und/oder der Medulla oblongata durch das erwei-
terte Foramen magnum
Diagnostik. Anamnese, Befund, Bildgebung. 4 Chiari II: Kleinhirnhypoplasie, zystische Erweite-
rung des 4. Ventrikels, Erweiterung der hinteren
Therapie. Offene Spina bifida: operativer Verschluss Schädelgrube
innerhalb von 24–36 h, orthopädische Behandlung 4 Chiari III: Kombination aus Chiari II und einer ok-
sekundärer Deformitäten. Prophylaxe. Gabe von zipitalen oder hochzervikalen Enzephalozele
Folsäure bereits vor der Konzeption und in der
(Früh-)Schwangerschaft. Epidemiologie. 1:25.000.

1.6.6.3 Syringomyelie Symptomatik. Neugeborene können durch Hydroze-


Definition. Dysraphische Störung mit Höhlenbildung phalus oder Meningomyelozele auffallen. Weitere
im Rückenmark oft parazentral neben dem Zentralka- Symptome können durch Schädigung von Kleinhirn,
70 Kapitel 1 · Neurologie

kaudalen Hirnnerven, oberen Zervikalnerven (Dau- Diagnostik. Anamnese, Befund, CMRT, Schädelsonogra-
1 menballenatrophie) und Hirnstamm (Atem-, Herz- phie, SEP des N. medianus, AEP, Polysomnographie.
rhythmusstörungen) entstehen, evtl. Nacken- od. Hin-
terkopfschmerzen. Therapie. Gegebenenfalls Operation.

In Kürze

Fehlbildungen von Gehirn und Rückenmark

Neurofibro- 4 Symptomatik: mentale Retardierung, Optikus-/Chiasmagliome, Akustikusneurinome, Me-


matose ningeome; Lisch-Knötchen der Iris, Neurofibrome, Café-au-lait-Flecken, axilläre und ingui-
nale Lentigines, ggf. Phäochromozytom, Knochenanomalien, Skoliose, gehäuft Hypertonie
4 Ätiologie: Phakomatose, autosomal-dominant erblich, oft Neumutation
4 Diagnostik: Familienanamnese, ggf. Tumorsuche
4 Therapie: ggf. Tumorentfernung/Chemotherapie

Spina bifida 4 Symptomatik: Spina bifida occulta: häufig asymptomatisch; Spina bifida partialis: oft senso-
motorische Querschnittssymptomatik, neurogene Blasenstörung
4 Ätiologie: dysraphische Fehlbildungen bei genetischer, mechanischer, infektiöser, alimentä-
rer (Folsäuremangel) oder toxischer (Valproat) intrauterine Schädigung
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung
4 Therapie: bei offener Spina bifida operativer Verschluss, ggf. orthopädische Versorgung

Arnold-Chiari- 4 Symptomatik: Hydrozephalus, Meningomyelozele, Symptome durch Schädigung von Klein-


Syndrom hirn, Hirnstamm, kaudalen Hirnnerven, oberen Zervikalnerven Hirnstamm
4 Ätiologie: kraniozervikale embryonale Fehlbildung mit Kaudalverlagerung von Kleinhirn
und Hirnstamm
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CMRT, Schädelsonographie, SEP des N. medianus, AEP, Poly-
somnographie
4 Therapie: ggf. Operation

1.7 Infantile Zerebralparese motorische Entwicklung auffallen. Entsteht die Schädi-


gung pränatal, kann schon bei der Geburt ein einseiti-
Definition. prä-, peri- oder postnatal erworbener Hirn- ger Wachstumsrückstand der gelähmten Extremität
schaden. auffallen.
Morbus Little: Häufigste Form mit beinbetonter
Ätiopathogenese. Ursachen können sein: Tetra- oder Paraparese, Adduktionsspasmus und Spitz-
4 Ischämie: Anoxie, Asphyxie des Feten/Neugebore- fußstellung. Extrapyramidale Hyperkinesien (Athetose
nen oder Choreoathetose bei Kernikterus), zerebelläre
4 intrazerebrale Blutung Symptome, Augenbewegungsstörungen, Epilepsie,
4 Kernikterus Hörstörungen und geistige Behinderung oder Teilleis-
4 Infektion tungsstörungen können hinzukommen.
4 Traumatisch
4 Toxisch Diagnostik. Anamnese, Befund.

Epidemiologie. Prävalenz: 9/100.000. Therapie. Früher Beginn einer Krankengymnastik auf


neurophysiologischer Grundlage.
Symptomatik. Neugeborene können durch reduzierte
Spontanbewegungen, Opisthotonus oder verzögerte
1.8 · Epilepsie
71 1

In Kürze

Infantile 4 Symptomatik: mögliche Symptome beim Neugeborenen: Reduzierte Spontanbewe-


Zerebralparese gungen, Opisthotonus, verzögerte motorische Entwicklung. Morbus Little: häufigste
Form mit beinbetonter Tetra- oder Paraparese
4 Ätiopathogenese: prä-, peri- oder postnatal erworbener Hirnschaden (durch z. B. Is-
chämie, Kernikterus etc.)
4 Diagnostik: Anamnese, Befund
4 Therapie: Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage

1.8 Epilepsie 5 Einfache fokale/partielle Anfälle von um-


schriebenem Hirnareal ausgehend, keine Be-
Definition. Erkrankung mit rezidivierenden oft spon- wusstseinsstörung
tan auftretenden epileptischen Anfällen. – Somatosensible, sensorische, psychische
Symptome: subjektiv Sehstörungen, Krib-
Ätiopathogenese. Paroxysmale, rhythmische, abnorm belgefühl, Übelkeit, Angst, erlebte Gedanken
synchrone Entladung einer kortikalen Neuronengrup- und Bilder (déjà vu). Symptome sind oft hin-
pe, regional begrenzt oder generalisiert. Unterschieden weisend auf die Lokalisation des Herdes
werden: – Motorisch: tonisch oder klonisch, oft unwill-
4 Idiopathische Epilepsie bei vermuteter oder nach- kürliche rhythmische Zuckungen oder Ver-
gewiesener genetischer Disposition, überwiegend steifungen einer Körperregion oder -hälfte,
primär generalisiert mit altersgebundenem Beginn postiktal evtl. Parese (Todd-Lähmung)
meist bis zum 20. Lebensjahr. – Jackson-Anfall: fokale Anfälle mit Ausbrei-
4 Kryptogene Epilepsien vermutlich symptoma- tung von distal nach proximal (»march of
tisch, die Ursache ist aber nicht nachweisbar convulsion«), sensible bzw. motorische EEG:
4 Symptomatische Epilepsie als Ausdruck einer Spikes
Grunderkrankung, beginnt meist fokal, Ursachen: – Versivanfall: frontal generiert. Mit typischer
5 Tumor, erhöhter Hirndruck, SHT, Infektion tonischer Wendebewegung von Augen,
5 Zerebrovaskuläre Prozesse wie Ischämien, Blu- Kopf, evtl. auch Schulter und Arm (Fechter-
tungen stellung) zur Gegenseite des Herdes
5 Hirnatrophische Prozesse (Ammonshornskle- – Sensomotorisch,Rolando-Epilepsie(benig-
rose) ne Epilepsie des Kindesalters): 10% der
5 Metabolische Störung kindlichen Epilepsien. Beginn im 3.–13. Le-
5 Schwangerschaft (Eklampsie) bensjahr mit guter Prognose (Meist Sistieren
5 Toxisch: Alkohol, Medikamente nach der Pubertät), familiäre Häufung,
5 Drogen-/Medikamentenentzug: Alkohol, Ben- M>W, vorwiegend nächtliche fokale Krämp-
zodiazepine, Barbiturate fe mit einseitigen Parästhesien und tonischer
5 Perinataler Hirnschaden Verziehung oder tonisch-klonischer Zu-
5 Fehlbildungen, Gefäßmalformationen, Phako- ckung im Gesichtsbereich, Sprachunfähig-
matosen keit, Speichelfluss, kann generalisieren, EEG:
zentrotemporaler »Sharp-wave«-Fokus
> Beginnt die Erkrankung nach dem 30. Lebensjahr, – Epilepsia partialis continua (Kozhevni-
besteht immer der Verdacht auf symptomatische kov-Syndrom): fast kontinuierliche rhyth-
Epilepsie. mische muskuläre Zuckungen eines Körper-
bezirks, über Stunden, Tage oder sogar Jahre
Epidemiologie. Epilepsie: 0,5–1% der Bevölkerung, 5% bestehend, kann auch im Schlaf persistieren
haben einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. 5 Komplex fokale Anfälle (psychomotorischer
Anfall, Temporallappenepilepsie) mit Bewusst-
Symptomatik. Unterschieden werden: seinsstörungen und stadienhaftem Ablauf
4 Fokale Anfälle: Beginn lokal, überwiegend symp- – Oft Beginn mit Aura (sensorische, autonome
tomatisch oder psychische Erscheinungen)
72 Kapitel 1 · Neurologie

– Bewusstseinsstörung, psychomotorische Kopfes und Rumpfes, Auseinanderbreiten


1 Verlangsamung, Desorientiertheit und Beugen der Arme, Anziehen der Beine.
– Dämmerattacke/Dämmerzustand (schein- Neigung zum Auftreten in Serien (20–30
bar geordnetes Ausführen komplexer Hand- Anfälle hintereinander mit kurzen Pausen)
lungen oder Handlungsfolgen) – Astatische Anfälle: plötzlicher Sturz ohne
– Unwillkürliche motorische Erscheinungen: Vorboten
oroalimentäres Kauen und Schlucken, ande- – Atonisch-astatischer Anfall: Erschlaffung
re Sterotypien wie nestelnde Bewegungen, der Rumpf- und Standmuskulatur
Gestikulieren oder Erstarrung – Tonisch-astatischer Anfall: Muskelver-
– anschließend >1 min lange Reorientierungs- krampfung
phase (postiktale Verwirrtheit, Amnesie) – Myoklonisch-astatischer Anfall: blitzartige
5 Fokale Anfälle mit sekundärer Generalisati- kurze Verkrampfung, danach Sturz
on: von einem Fokus ausgehend, im Verlauf – Lennox-Gastaut-Syndrom: myoklonisch-
Generalisierung astatische Anfälle, häufig symptomatisch
4 Generalisierte Anfälle (bei Hirnschaden), Auftreten im Alter
5 Grand mal Anfall: Leitsymptom ist der gene- von 2–8 Jahren, M>W, oft nach dem Erwa-
ralisierte tonisch-klonische Anfall (Grand- chen. Die Prognose ist schlecht, etwa
mal-Anfälle können auch nur tonisch oder nur 20% der Patienten hatten zuvor ein West-
klonisch ablaufen) Syndrom
– Mit oder ohne Aura – Juvenile myoklonische Epilepsie (»im-
– Oft Initialschrei pulsiv petit mal«): meist idiopathisch bei
– Plötzliches Hinstürzen mit großem Verlet- 10- bis 20-Jährigen mit guter Prognose,
zungsrisiko oft nach dem Erwachen, 2–3 s unsyste-
– 20–30 s dauernde tonische Phase mit Ver- matische Zuckungen, z. B. der oberen Ex-
krampfung der Muskulatur (Kopfhaltung tremität ohne wesentliche Bewusstseins-
gebeugt oder opisthoton, oft gebeugte Arme einschränkung
und gestreckte Beine) und Zungenbiss 5 Absencenepilepsie: kurze, bis 30 s lange Be-
– Oft Apnoe, das Gesicht ist erst blass, dann wusstseinspause, teilweise zusätzlich motori-
zyanotisch sche Entäußerungen
– Generalisierte, oft seitengleiche Kloni (Zu- – Absencenepilepsie des früheren Schulal-
ckungen der Arme und Beine) ters (Pyknolepsie): Beginn mit 2‒8 Jahren,
– Speichelfluss, Einnässen, Einkoten, lichtstar- täglich bis 100 Absencen. Kinder können
re Pupillen durch kurze Bewusstseinspausen (Innehal-
– Gesamtdauer 1–2 min ten der gerade durchgeführten Tätigkeit,
– Amnesie ca. 10 min Hans guck in die Luft) auffallen. Gute Prog-
– Terminalschlaf nose, bei ungenügender Behandlung evtl.
– Aufwachepilepsie: Grand mal nur in der später Grand-mal-Anfälle
Aufwachphase – Absencenepilepsie des Jugendalters: Be-
– Schlafepilepsie: nur nachts, aus dem Schlaf ginn mit 9–15 Jahren, viel seltener Absencen,
heraus, berufliche und soziale Karriere meist häufig Grand-mal-Anfälle
unbehindert
5 Petit-mal-Anfall Mögliche Komplikationen:
– Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (BNS, West- 4 Status epilepticus
Syndrom, »propulsiv petit mal«): meist zere- 4 Morphologische Veränderungen, iktogene Hypo-
brale Vorschädigung, wie perinataler Hirn- xie, Ammonshornsklerose
schaden, tuberöse Sklerose, Phenylketonu- 4 Epileptische Wesensveränderungen: psychomoto-
rie, deshalb oft zusätzliche neurologische rische Verlangsamung, Umständlichkeit im Den-
Ausfälle und Entwicklungsrückstand, Prog- ken und Handeln, enechetisches (klebriges) Wesen,
nose dann eher schlecht. Beginn fast immer Demenz
im Säuglingsalter. Anfälle v. a. morgens nach 4 Verletzungen durch Stürze, Wirbelkörperfraktu-
dem Erwachen. Ein Blitzkrampf äußert sich ren
durch kurz dauernde Zuckung wie ein Blitz 4 Nebenwirkungen der Antiepileptika
durch den Körper mit rascher Beugung von 4 Suizid
1.8 · Epilepsie
73 1

Diagnostik. (Fremd-)Anamnese ist bei erstmaligem rhythmischen 10–12–15/s Spitzen; im Intervall


Auftreten eines epileptischen Anfalls oder zu Beginn ei- unterschiedliche Befunde.
ner Epilepsie oft entscheidend für die Einordnung. Bei 4 Petit-mal-Anfall:
bekannter Epilepsie ist sie wichtig zur Erkennung von 5 Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe: Hypsarrhyth-
Unterschieden zu vorangegangen Anfällen und Auslö- mie (langsame, unregelmäßige Wellen, eingela-
sern. Sie umfasst: Zeitpunkt des Auftretens, Dauer, be- gerte epileptische Potenziale wechselnder Lo-
troffene Körperregion, Reihenfolge der aufgetretenen kalisation und Häufigkeit auch im Intervall)
Phänomene (Prodromi, Aura, Bewusstseinsstörung, 5 Lennox-Gastaut-Syndrom: 2/s »spike wave«
Amnesie, sensorische, motorische, vegetative Entäuße- 5 Juvenile myoklonische Epilepsie (»impulsiv
rungen, postiktale Lähmungen, Sprachstörungen, Deso- petit mal«): »poly-spikes-and-waves«
rientiertheit, Folgen wie lateraler Zungenbiss, Einnässen, 4 Absencenepilepsie
Einkoten, Verletzungen), Identifizierung von Provokati- 5 Absencenepilepsie des frühen Schulalters: 3/s
onsmechanismen: Schlafentzug, Hyperventilation, »Spike-wave«-Muster
Alkohol (Exzesse, Abusus, Entzug), Drogenkonsum, 5 Absencenepilepsie des Jugendalters: »Spike-
Medikamente, Menstruation, Stress, Computerspielen/ wave«-Entladungen schneller als 3/s
Musterprovokation/Flackerlicht; Familienanamnese,
Gehirnerkrankung, internistische Erkrankung. > Die Diagnose Epilepsie ergibt sich in der Regel erst
Ausschluss/Nachweis einer symptomatischen Ge- nach Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle.
nese bei Erstanfall oder bei Veränderung der klinischen
Symptomatik: Ein einzelner epileptischer Anfall wird als Gelegen-
4 CMRT, meist sensitiver als CCT heitsanfall bezeichnet, er bedeutet ein hohes Risiko,
4 Liquordiagnostik dass sich eine Epilepsie entwickelt.
4 Labor: Blutbild, harnpflichtige Substanzen, Leber-
transaminasen, Elektrolyte, Schilddrüsenhormone, Differenzialdiagnosen
CK, BSG, CRP, Vitamin B1, B6, B12, Folsäure, Blut- 4 Synkopen: Oft kardiovaskulärer Genese.
zucker, Drogen- und Medikamentenscreening 4 Psychogene (dissoziative) Anfälle: Können in affek-
tiv belastenden Situationen auftreten, typisch sind
EEG: Ruhe-Wach-EEG, ggf. Provokation durch Hyper- eine extreme ventral-konvexe Flexion des Körpers (»arc
ventilation, Fotostimulation, Schlafentzugs-EEG, mo- de cercle«), Zuckungen und Tremor. Patienten sind oft
biles Langzeit-EEG, simultane Video-EEG-Doppel- nicht ansprechbar, der Zustand kann Stunden lang an-
bildaufzeichnung. halten. Das EEG ist unauffällig.
Epilepsietypische Potenziale und Herdbefunde 4 TIA
liefern Hinweise auf Ursprung und Art der Anfälle, 4 Narkolepsie oder »drop attacks«
während des Anfalls sind sie meist im Oberflächen- 4 Transiente globale Amnesie (TGA): Unklare Ätiolo-
EEG nachweisbar. gie, vermutet wird eine passagere Funktionsstörung
mediobasaler Temporallappenanteile. Inzidenz: 5–
! Cave 10/100.000/Jahr, meist 50. bis 70. Lebensjahr. Es kommt
Im Intervall zwischen epileptischen Anfällen ist das plötzlich zu einer 1–24 h anhaltenden Gedächtnisstö-
EEG in 30% normal. Andererseits haben 10% der rung. Bei einigen Patienten lässt sich ein Auslöser wie
Menschen ohne Epilepsie Krampfpotenziale im EEG. z. B. körperliche Anstrengung feststellen. Während der
Die Diagnose wird deshalb in der Regel auf der Attacke tritt eine anterograde Amnesie auf, neue Infor-
Grundlage der Anfallsanamnese gestellt. mationen werden nur noch für einige Sekunden behal-
ten. Die Orientierung zu Zeit und Situation ist gestört,
4 Grand-mal-Anfall die zur Person jedoch nicht. Die Betroffenen wirken
5 Klonische Anfälle/Phase: Im Anfall Spitzen ratlos und beunruhigt, stellen wiederholt die gleiche
(10/s oder schneller) und langsame Wellen im Frage. Es besteht auch eine retrograde Amnesie in Be-
Wechsel, gelegentlich auch »Spike-wave«-Mus- zug auf die jüngere Vergangenheit. Komplexe Tätigkei-
ter; im Intervall unterschiedliche Befunde. Bei ten wie Kochen, Autofahren und Kartenspielen können
primär generalisierten Epilepsien häufig kurze weiterhin verrichtet werden. Unspezifische Begleit-
Paroxysmen von »Spike-and-wave«- oder symptome wie Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmer-
»Poly-spike-and-wave«-Entladungen. zen können vorkommen. Weitere neurologische Defi-
5 Tonische Anfälle/Phase: Im Anfall Folge von zite und Bewusstseinstörungen fehlen. Diagnostisch
bilateral-symmetrischen kleinamplitudigen, ist der Ausschluss einer anderen Ursache (Intoxikation,
74 Kapitel 1 · Neurologie

Trauma, Enzephalitis, Epilepsie) entscheidend. CMRT, Anfall zunächst als Monotherapie, da das Wieder-
1 CCT und EEG sollten Normalbefunde ergeben. holungsrisiko mit 50% innerhalb eines Jahres hoch
4 Fieberkrämpfe: 2–5% aller Kinder haben im Alter von ist. Wenn selten Anfälle auftreten (<1- bis 2-mal
6 Monaten bis 4 Jahren bei Fieber derartige, meist ge- pro Jahr), die Anfälle wenig belastend sind oder
neralisierte epileptische Anfälle, bei 1/3 treten 2 oder der Patient keine Medikation wünscht, kann auch
mehr Fieberkrämpfe auf. Unterschieden werden einfa- bei mehrmaligem Auftreten darauf verzichtet
che und komplizierte Fieberkrämpfe, typisch sind: werden.
5 Familiäres Auftreten einer Epilepsie
5 Mehrmaliges Auftreten während eines Infekts > Der Anfallstyp bestimmt wesentlich die Auswahl der
5 Dauer >15 min Antikonvulsiva.
5 Fokale Anfälle
5 Zerebrale Vorschädigung 4 Bei symptomatischen und kryptogenen fokalen
5 Hypersonore Aktivität im Intervall-EEG Epilepsien:
5 Klassische Medikamente: Carbamazepin,
4% der Kinder mit Fieberkrämpfen erkranken später an Epi- Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Valpro-
lepsie. Das Risiko ist höher bei komplizierten Krämpfen. insäure
Fieberkrämpfe treten familiär gehäuft auf. Todesfälle sind 5 Neuere Medikamente: Gabapentin, Lamotri-
extrem selten, Folgeschäden nicht zu erwarten. Vor allem gin, Oxcarbazepin, Topiramat, als Kombinati-
bei Säuglingen muss an Meningitis gedacht werden. onstherapie Tiagabin und Levetiracetam, Ben-
4 Respiratorische Affektkrämpfe (Wutkrämpfe):Treten zodiazepine, bevorzugt Clobazam
bei ca. 3% der Kleinkinder auf und haben kein organi- 4 Erste Wahl bei Rolando-Epilepsie: Sultiam
sches Korrelat. Nach einem emotionalen Auslöser 4 Idiopathische Epilepsie mit generalisierten An-
kommt es zu einem initialen Schrei, Atemanhalten, Zy- fällen:
anose und möglicherweise Bewusstlosigkeit. Auch 5 Ersttherapie: Monotherapie mit Valproinsäure,
klonisches Krampfen kann auftreten. Sie dauern weni- bei Absencen alternativ Monotherapie mit
ger als 1 min. Ethosuximid
4 Pavor nocturnus: Nachtangst bei Kleinkindern, die zum 5 Alternativ: Monotherapie mit Lamotrigin oder
Aufwachen führt. Topiramat
5 Bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation:
Therapie. Die Behandlung umfasst: Phenobarbital
4 Beratung, Aufklärung, Ausschalten von Provoka- 5 Bei BNS-Krämpfen: ACTH oder Glukokorti-
tionsmaßnahmen, Vorsichtsmaßnahmen (Vermei- koide
dung gefährlicher Situationen bei Arbeit oder Frei-
zeit, Autofahrverbot/Richtlinien zur Fahrtauglich- ! Cave
keit) Bei Kombinationstherapie können sich Nebenwirkun-
4 Bei symptomatischer Epilepsie Behandlung der gen durch Medikamenteninteraktion v. a. klassischer
Grundkrankheit Antikonvulsiva verstärken.
4 Die medikamentöse Therapie beruht auf Hem-
mung der neuronalen Erregung durch 4 Epilepsiechirurgie: bei pharmakoresistenter foka-
5 Hemmung exzitatorischer Potenziale ler Epilepsie
5 oder Erregung inhibitorischer Potenziale durch 4 Vagusnervstimulator bei Pharmakoresistenz und
direkte Interaktion mit neuronalen Rezeptoren Unmöglichkeit der Epilepsiechirurgie. Im Brustbe-
oder Kanälen reich wird ein Stimulationsgerät von der Größe ei-
5 oder Beeinflussung von Neurotransmittern. nes Herzschrittmachers implantiert, das alle 5 min
den linken N. vagus stimuliert. Die Wirksamkeit
> Behandlungsziel ist Anfallsfreiheit, die bei fokalen entwickelt sich erst im Laufe der Zeit.
Epilepsien in etwa 60% der Fälle und bei idiopathisch
generalisierten Epilepsien in ca. 80% medikamentös Therapieende: langsames Ausschleichen des Antiepi-
erreicht wird. leptikums bei chronischer Epilepsie frühestens nach
mindestens einjähriger Anfallsfreiheit. Lag einem 1.
Einige antikonvulsive Medikamente haben stark beein- epileptischen Anfall eine therapierte und ausgeheilte
trächtigende Nebenwirkungen. Begonnen wird die Ursache zugrunde, kann nach 6–12 Monaten ein Ab-
Therapie meist nach dem 2. oder 3. tonisch-klonischen setzversuch erfolgen.
1.8 · Epilepsie
75 1
1.8.1 Status epilepticus Allgemeinmaßnahmen:
4 Lagerung zum Schutz vor Verletzungen während
Definition. Epileptischer Anfall mit einer Dauer von des Anfalls, bei postiktaler Bewusstseinstrübung
>5 min bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen stabile Seitenlage
bzw. >20–30 min bei fokalen Anfällen und Absencen 4 Freihalten der Atemwege
oder Abfolge von einzelnen epileptischen Anfällen in 4 Überwachung der Vitalfunktionen, ggf. Gabe von
kurzen Abständen mit oben genannter Mindestdauer, Sauerstoff
zwischen denen klinisch oder elektroenzephalogra- 4 Bei symptomatischem Status epilepticus Behand-
phisch keine vollständige Restitution erfolgt, z. B. das lung der Ursache (Thiamin bei alkoholinduziertem
Bewusstsein nicht wiedererlangt wird. Status, Glukose bei Hypoglykämie, Absetzen pro-
konvulsiver Medikamente)
Atiopathogenese. Status generalisiert tonisch-kloni-
scher Anfälle: Häufigster Status epilepticus mit einer > Gummikeile zwischen Ober-/Unterkiefer und Fixie-
Letalität von 20%. Häufigste Ursache ist das Absinken rung der Extremitäten können die Verletzungsgefahr
des Antikonvulsivaspiegels bei bekannter Epilepsie, erhöhen!
meistens symptomatische Anfälle.
Medikamentöse antikonvulsive i.v. Therapie:
Diagnostik. (Fremd-)Anamnese, Befund, EEG, Liquor- 4 Benzodiazepin (Lorazepam 4–8 mg, Diazepam
diagnostik, weitere ätiologische Diagnostik. 20–50 mg, Clonazepam 3–6 mg)
4 2. Schritt (ggf. parallel über einen separaten i.v. Zu-
Therapie. Der Status epilepticus ist ein akut behand- gang): Phenytoin oder Valproat i.v.
lungsbedürftiger neurologischer Notfall. Ein Status 4 bei Versagen der Benzodiazepin- und Phenytoin-
fokaler Anfälle und von Absencen ist nicht per se le- therapie intensivmedizinische Überwachung, eine
bensbedrohlich, sollte aber ebenfalls unterbrochen Phenobarbital-Narkose kann versucht werden
werden. Bei bekannter Epilepsie sollte unmittelbar 4 Bei Versagen von Phenobarbital: Thiopental, Pro-
nach Blutentnahme zur Bestimmung des Serumspie- pofol, Midazolam unter EEG-Monitoring oder Val-
gels des Antiepileptikums die Therapie eingeleitet proat
werden. 4 Langfristig: Etablieren einer Dauermedikation

In Kürze
Epilepsie

Epilepsie 4 Symptomatik: FOKALE Anfälle beginnen lokal und sind überwiegend symptomatisch:
5 Einfache fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörungen
5 Komplex fokale Anfälle: stadienhafter Verlauf: Aura, Bewusstseinsstörung, Sterotypien, Re-
orientierungsphase.
5 Fokale Anfälle können sekundär generalisieren
5 Generalisierte Anfälle:
– Grand-mal-Anfälle meist generalisierte tonisch-klonische Anfälle mit oder ohne Aura
– Petit-mal-Anfälle: Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (BNS) = West-Syndrom = »propulsiv petit
mal«, astatische Anfälle, juvenile myoklonische Epilepsie = »impulsiv petit mal« und
Absencenepilepsie
4 Ätiologie: rezidivierend auftretende epileptische Anfälle, idiopathisch bei vermuteter oder
nachgewiesener genetischer Disposition oder symptomatisch als Ausdruck einer identifizierba-
ren Grunderkrankung
4 Diagnostik: Eigen- und Fremdanamnese, Befund (evtl. neurologische Defizite bei symptomati-
scher Epilepsie, Zungenbiss?), Ausschluss einer symptomatischen Epilepsie (Labor, Bildgebung,
Liquor), EEG (Epilepsietypische Potenzialen und Herdbefunde)
4 Therapie: Aufklärung, Vermeidung von Provokationsmechanismen, bei symptomatischer Epi-
lepsie Behandlung der Grundkrankheit, medikamentöse Therapie, seltener: Epilepsiechirurgie,
Vagusnervstimulation
6
76 Kapitel 1 · Neurologie

1 Status 4 Symptomatik: >5 min andauernder generalisiert tonisch-klonischen Anfall bzw. >20–30 min
epilepticus dauernder fokaler Anfall/Abscence oder Abfolge einzelner epileptischer Anfälle >5 bzw. 20–
30 min ohne vollständige Restitution
4 Ätiologie: s. Epilepsie
4 Diagnostik: Fremdanamnese, Befund, EEG, Liquordiagnostik, weitere ätiologische Diagnostik,
ggf. Medikamenten-Serumspiegel bestimmen
4 Therapie: Lagerung zum Schutz vor Verletzungen, Überwachung der Vitalfunktionen, ggf. Be-
handlung der Ursache, Medikamentöse antikonvulsive i.v. Therapie (stufenweise), langfristig:
Dauermedikation

1.9 Kopfschmerzen 1.9.1 Spannungskopfschmerz (SK)

Primäre Kopfschmerzen: Synonym. Früher vasomotorischer Kopfschmerz.


4 Spannungskopfschmerz
4 Migräne Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp-
4 Cluster-Kopfschmerz tomatik. Unterschieden werden episodischer
4 Hirnnervenerkrankungen mit Schmerzen im Kopf- (<180 Tage pro Jahr, hält 30 min bis 7 Tage an) und
bereich chronischer SK (mindestens 15 Tage im Monat über
5 Trigeminusneuralgie mindestens 6 Monate).
5 atypischer Gesichtsschmerz
5 Zosterneuralgie Ätiopathogenese. Unklar, familiäre Häufung.

Sekundärere Kopfschmerzen können Symptom einer Epidemiologie. Episodischer SK bei >90% aller Men-
neurologischen oder nicht-neurologischen Erkrankung schen einmal im Leben. Chronischer SK 3% der Bevöl-
sein kerung, W>M.
Neurologische Erkrankungen:
4 Dissektion hirnversorgender Arterien Symptomatik. Schmerzen haben leichte bis mittlere
4 SVT Intensität, sind dumpf oder drückend, oft bilateral oder
4 Erhöhter intrakranieller Druck holozephal lokalisiert (ein Band, das um den Kopf ge-
4 intrakranielle Blutung schnürt ist, Gefühl, nicht klar denken zu können). Ak-
4 Meningitis, Enzephalitis tivität führt in der Regel nicht zur Schmerzzunahme.
4 Arteriitis temporalis Keine Übelkeit, evtl. Photo- oder Phonophobie.
4 Tolosa-Hunt-Syndrom: Granulomatöse Entzün-
dung im Sinus cavernosus oder im Bereich der Fis- ! Cave
sura orbitalis superior, die zu episodischen, einsei- Bei Patienten mit chronischem Spannungskopf-
tigen orbitalen Schmerzen und Lähmung okulo- schmerz kommt es gehäuft zu Analgetikaabusus,
motorischer Nerven führen kann. Schmerzen Angst, depressiven Symptomen, Schlafstörungen.
sistieren typischerweise innerhalb von 72 h nach
Beginn der Kortikosteroidtherapie, Entzündungs- Diagnostik. Fehlen von neurologischen Ausfällen, Aus-
parameter (BSG) sind erhöht. schluss symptomatischer Kopfschmerzen.
4 Optikusneuritis
Therapie. Die Behandlung umfasst bei:
Nichtneurologische Krankheitsbilder: 4 Episodischem SK: symptomatische Therapie (ASS,
4 Arterieller Hypertonus, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol)
Infekt, Sinusitis, Glaukom etc. 4 Chronischem SK:
4 Iatrogen (postpunktioneller Kopfschmerz, nach 5 Entspannungsübungen, Stressbewältigungs-
Liquorpunktion) training (z. B. progressive Muskelentspan-
4 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz (uner- nung nach Jacobsen), regelmäßiger Schlaf-
wünschte Medikamentennebenwirkung, bei Wach-Rhythmus, Führen eines Kopfschmerz-
Schmerzmittelabusus) Kalenders
1.9 · Kopfschmerzen
77 1

5 Prophylaktische Therapie: Kombination von o. g. Symptomatik. Attackenweise, starke, oft einseitige pul-
Allgemeinmaßnahmen mit trizyklischen Antide- sierend-pochende Kopfschmerzen, die bei körperlicher
pressiva, z. B. Amitriptylin (Wirkung unabhängig Aktivität zunehmen. 1/3 der Patienten hat jedoch holo-
von antidepressivem Effekt, bereits bei geringerer kranielle Kopfschmerzen. Bei einseitigen Attacken
Dosierung), Mittel der 2. Wahl: Valproinsäure kann die betroffene Seite von Mal zu Mal wechseln. At-
tacken-Dauer: 4–72 h.
! Cave Vegetative Symptome:
Therapie mit Schmerzmitteln wegen der Gefahr des 4 Appetitlosigkeit
Analgetikaabusus begrenzen! 4 Übelkeit
4 Erbrechen
4 Lichtscheu, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit
1.9.2 Migräne
Diagnostik. Anamnese, Befund, Kopfschmerzkalender,
Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp- evtl. Herdbefund im EEG während einer Attacke, Aus-
tomatik. schluss sekundärer Kopfschmerzen, v. a. erstmaligem
Auftreten der Migräne nach dem 40 Lebensjahr oder
Ätiopathogenese. Pathophysiologisches Korrelat des Häufung von Auren.
Schmerzes ist vermutlich eine trigeminovaskuläre Re-
aktion mit steriler neurogene Entzündung, bei der u. a. Therapie. Abhängig von der Art der Attacke:
serotoninerge Rezeptoren eine Rolle spielen. An der 4 Akute Migräne-Attacke:
Entstehung der Aura-Symptome scheint eine »cortical 5 Reizabschirmung im abgedunkelten, geräusch-
spreading depression« beteiligt zu sein (Exzitation von armen Raum
kortikalen Neuronen und anschließend sich ausbrei- 5 Kombination von Analgetikum (ASS, Paracet-
tende Depolarisationswelle). Unterschieden werden: amol, Ibuprofen, Diclofenac, evtl. Metaminzol)
4 Einfache Migräne (ohne Aura) und Antiemetikum (Metoclopramid, Dompe-
4 Klassische Migräne (mit Aura) ridon)
4 Komplizierte Migräne mit neurologischen Ausfäl- 4 Mittelschwere, schwere Attacken:
len bis zu 7 Tage (oder bildgebend ischämische Lä- 5 1. Wahl: Serotonin-(5-HT-1B/1D)-Rezeptor-
sion ohne Nachweis einer anderen Ursache) Agonisten: Triptane (Sumatriptan, Wirkung
4 Ophthalmoplegische Migräne mit Störung der bei s.c. Gabe nach 10 min, Applikation auch als
Okulomotorik Nasenspray oder Zäpfchen) wirken oral nach
4 Status migraenosus bis zu 72 h, trotz Behandlung 30–60 min, bei langer Migräneattacke evtl. er-
geht eine Attacke in die andere über, Exsikkose neute Gabe von Triptanen nötig.
kann Folge des Erbrechens sein 5 Reservesubstanz: Mutterkornalkaloide (Ergo-
taminzäpfchen bzw Dihydroergotamin, DHE
Aura = vegetativen Symptomen und Kopfschmerzen parenteral)
vorausgehende neurologische Symptome, häufig visu-
elle Aura mit Flimmern als heller leicht oszillierender ! Cave
Zackenkranz (Fortifikation), der von der Mitte nach Triptane oder Mutterkornalkaloide wegen der Gefahr
peripher wandert und ein Skotom nach sich zieht. Die einer Erhöhung der Attackenfrequenz bzw. dem Auf-
neurologischen Ausfall-/Reizerscheinungen einer Aura treten von medikamenteninduzierten Dauerkopf-
sistieren im Allgemeinen innerhalb von 60 min voll- schmerzen nicht häufiger als 12 Tage im Monat ein-
ständig. Sehr selten kann die Aura auch ohne Kopf- nehmen.
schmerzen auftreten.
Migräneprophylaxe: Reduktion von Häufigkeit,
! Cave Schwere und Dauer der Attacken, Prophylaxe des me-
Patientinnen mit Migräne, insbesondere bei gleich- dikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes (Kopf-
zeitigem Rauchen und Einnahme hormoneller Kon- schmerztagebuch)
trazeptiva, haben ein erhöhtes Hirninfarktrisiko. Indikationen:
4 Mind. 3 Attacken pro Monat
Epidemiologie. 6–8% der Männer, 12–14% der Frauen, 4 Attackendauer >48 h
v. a. im mittleren Lebensalter. Bis 30% aller Frauen ha- 4 Komplizierte Migräne mit manifesten neurologi-
ben im Leben mindestens einmal Migräne. schen Ausfällen >7 Tage anhaltend
78 Kapitel 1 · Neurologie

4 Starker Leidensdruck 8-mal täglich auf und dauern 15–180 min Typische
1 4 Unverträglichkeit der Akuttherapie Trigger: Aufenthalt in großen Höhen (Flug), Alkohol,
Nitroglyzerin, Histamin oder Glutamat (chinesisches
Eingesetzt werden als: Essen, Geschmacksverstärker in Fertiggerichten). Oft
4 Mittel der 1. Wahl besteht eine Bewegungsunruhe während der Attacken.
5 Betablocker Metoprolol und Propranolol (auch Der Kopfschmerz tritt überwiegend episodisch mit lan-
in der Schwangerschaft) gen symptomfreien Phasen auf. Episoden häufen sich
5 Kalziumantagonist Flunarizin im Frühjahr und Herbst.
5 Valproinsäure
4 Mittel der 2. Wahl Diagnostik. Anamnese, Befund.
5 Nichtsteroidale Antirheumatika (ASS, Na-
proxen) Differenzialdiagnose. Sekundäre Kopfschmerzen, v. a.
5 Amitriptylin (trizyklisches Antidepressivum) Glaukomanfall, Sinusitis, Karotisdissektion.
bei gleichzeitigen Spannungskopfschmerzen,
chronischen Schmerzen oder Depression Therapie. Die Behandlung umfasst:
5 Lisurid (Dopaminagonist) 4 Inhalation von 100%-igem Sauerstoff: 7 l/min, über
5 Pizotifen und Methysergid (Serotoninantago- Gesichtsmaske bis 15 min
nisten), Methysergid darf wegen der Gefahr 4 Sumatriptan 6 mg s.c., 20 mg nasal
von Retroperitoneal- und Lungenfibrosen 4 Dihydroergotamin s.c. oder i.m.
nicht länger als 3–6 Monate gegeben werden. 4 Intranasal Lidocain
5 DHE
5 Magnesium (umstrittene Wirksamkeit) Zur Prophylaxe werden eingesetzt:
4 Zusätzlich nicht-medikamentöse Verfahren: Ver- 4 Verapamil
haltenstherapie, Ausdauersport 4 Methysergid bis 6 Monate
4 Lithium (Serumspiegel 0,6–0,8 mmol/l)
4 Kurzzeitig und additiv Prednison
1.9.3 Cluster-Kopfschmerz 4 Ergotamin-Suppositorien abends zur Kurzpro-
phylaxe
Synonym. Bing-Horton-Kopfschmerz, Horton-Neu-
ralgie, Erythroprosopalgie.
1.9.4 Arzneimittelinduzierter
Definition. Primärer Kopfschmerz mit typischer Symp- Kopfschmerz
tomatik.
Definition. Kopfschmerzen nach langfristiger, häufiger
Ätiopathogenese. Diskutiert wird eine trigeminovas- Einnahme von Arzneimitteln, v. a. Analgetika-(Kom-
kuläre Reaktion mit Vasodilatation und Aktivierung binationspräparate): mindestens 15 Tage/Monat,
parasympathischer Nerven im Hypothalamus. >3 Monate, mindestens 100 Tabletten Analgetikum
pro Monat.
Epidemiologie. 10/100.000/Jahr, M>W.
Ätiopathogenese. Andere Kopfschmerzformen kön-
Symptomatik. Attackenartiges Auftreten eines streng nen zum Analgetikaabusus verleiten und eine Chroni-
einseitigen, sehr starken orbitalen, supraorbitalen (als fizierung der Schmerzen bewirken.
ob das Auge herausgedrückt wird) oder temporalen
Kopfschmerzes. Symptomatik. Oft dumpfer, drückender oder pulsie-
Ipsilaterale vegetative Symptome: render Kopfschmerz, kann von Übelkeit, Kältegefühl
4 Konjunktivale Injektion oder Schwindel begleitet sein.
4 Lakrimation
4 Rhinorrhö Therapie. Nach Aufklärung Absetzen aller Schmerz-
4 Schwitzen im Gesicht mittel, Behandlung der Entzugssymptome. Schmer-
4 Miosis, Ptosis zen bessern sich meist innerhalb eines Monats.
Bei zusätzlichen primären Kopfschmerzen entspre-
Attacken treten gehäuft nachts, besonders am frühen chende Prophylaxe in Kombination mit Verhaltens-
Morgen oder kurz nach dem Einschlafen, alle 2 Tage bis therapie.
1.9 · Kopfschmerzen
79 1

Arteriitis temporalis Horton 4 Ist die Augenmuskulatur beteiligt, kann es zu Augen-


Synonym: Riesenzellarteriitis, Arteriitis cranialis. Häufigste bewegungsschmerzen, Doppelbildern und Ptosis
systemische Vaskulitis der mittelgroßen und großen Arte- kommen.
rien, v. a. der extrakraniellen Äste der A. carotis externa und 4 Ischämische Störungen des ZNS sind selten.
kleinen Augenarterien. Prävalenz: 15–30/100.000, W>M. 4 Das PNS kann in Form einer Mononeuritis multiplex
Diagnosekriterien des ACR (American College of Rheuma- betroffen sein.
tology) sind: 4 Die A. temporalis ist druckdolent, der Puls abge-
4 Alter >50 Jahre schwächt, es bestehen eine seitendifferente Rötung,
4 Neuauftreten lokalisierter Kopfschmerzen Verdickung, Verhärtung und Schlängelung
4 Druckdolenz und Pulsabschwächung der Temporalar- 4 Die Hälfte der Patienten erkrankt außerdem an Poly-
terien myalgia rheumatica mit bilateralen Schmerzen in
4 BSG >50 mm in der 1. Stunde Schultergürtel- und Beckengürtelmuskulatur, Muskel-
4 Histologischer Nachweis einer Vaskulitis in der Tempo- steifigkeit, Druckschmerzempfindlichkeit der Ober-
ralarterienbiopsie arme, Gewichtsverlust, Allgemeinsymptomen.

Sind mindestens 3 Kriterien erfüllt, liegt mit einer Spezifität Labor: BSG-Erhöhung in 95% der Fälle, CRP ist guter Ver-
und Sensitivität von >90% eine Arteriitis temporalis vor. laufparameter und in >90% erhöht. Häufig besteht eine
Weitere Symptome: normo- oder leicht hypochrome Anämie, die AP ist oft er-
4 Allgemeinsymptome höht, die CK in der Regel normal.
4 Kopfschmerzen sind meist erstes Symptom, oft ein- Temporalarterienbiopsie: Immer vorher Dopplersono-
seitig, pulsierend, frontotemporal und verstärken sich graphie der A. carotis und ihrer extrakraniellen Äste (bei
durch Husten und Kopfbewegung einer hochgradigen Stenose der A. carotis interna kann die
4 Pathognomonisch sind Kauschmerzen durch Ischämie zerebrale Blutversorgung über die Temporalarterien erfol-
der Kaumuskulatur (Claudicatio masticatoria) gen). Farbduplex kann außerdem Arteriitis-typische Befun-
4 Visusverlust durch oder Zentralarterienverschluss oder de liefern. Falsch negative Befunde bei Temporalarterienbi-
anteriore ischämische Optikusneuropathie, Vorläufer opsie sind häufig, v. a. unter Kortisonbehandlung.
kann eine Amaurosis fugax sein. Bei dringendem Verdacht sollte sofort Prednison oder
4 Ein ophthalmologischer Befund inkl. Fundoskopie soll- Prednisolon gegeben werden: 40–60 mg Prednison/Tag für
te immer erhoben werden. ca. 1 Monat, dann langsame Dosisreduktion. Meist ist eine
Behandlung über mindestens 2 Jahre notwendig.

In Kürze

Kopfschmerz

Spannungs- 4 Symptomatik: beidseits, drückend oder beengend, nicht pulsierend, leichte bis mittlere In-
kopfschmerz tensität, keine Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten, keine Übelkeit/Erbrechen,
(SK) evtl. Photophobie oder Phonophobie
4 Ätiologie: unklar, familiäre Häufung
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen
4 Therapie: episodischer SK: Analgetika, chronischer SK: Entspannungsübungen, Stressbewäl-
tigungstraining, Kopfschmerzkalender, begrenzte symptomatische medikamentöse Analge-
tikatherapie

Migräne 4 Symptomatik: 4–72 h lang einseitige, pulsierende Kopfschmerzen, Verstärkung durch kör-
perliche Aktivitäten, Übelkeit/Erbrechen, Photophobie, Phonophobie, evtl. mit Aura
4 Ätiologie: trigeminovaskuläre Reaktion mit steriler neurogener Entzündung, »cortical sprea-
ding depression« führt vermutlich zu Aura-Symptomen.
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen
4 Therapie: Reizabschirmung, bei leichten bis mittelschweren Attacken Analgetikum + Anti-
emetikum, bei mittelschweren bis schweren Attacken Triptane; Prophylaxe: Betablocker,
Flunarizin, Valproinsäure
6
80 Kapitel 1 · Neurologie

Cluster- 4 Symptomatik: Attacken starker einseitiger Kopfschmerzen, 15–180 min, bis 8-mal täglich.
1 Kopfschmerz Ipsilaterale konjunktivale Injektion, Tränen, nasale Kongestion, Rhinorrhö, Lidödem,
Schwitzen, Horner-Trias
4 Ätiologie: trigeminovaskuläre Reaktion, Aktivierung parasympathischer Nerven im Hypotha-
lamus
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Ausschluss sekundärer Kopfschmerzen
4 Therapie: Inhalation von 100%-igem Sauerstoff, Sumatriptan, Dihydroergotamin, intranasal
Lidocain; Prophylaxe Verapamil, Methysergid, Lithium

Arzneimit- 4 Symptomatik: dumpfe drückend oder pulsierender Kopfschmerzen, vegetative Symptome


telinduzierter 4 Ätiologie: langfristige, häufige Einnahme von Analgetika-Kombinationspräparaten
Kopfschmerz 4 Diagnostik: Anamnese, Ausschluss primärer und sekundärer Kopfschmerzen
4 Therapie: Absetzen aller Schmerzmittel, Behandlung der Entzugssymptome

Schwindel Lokalisation der Schädigung:


Synonym: Vertigo. Subjektive Empfindung mit Störungen 4 Innenohr
der Orientierung des Körpers im Raum. Häufiges Symptom; 5 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (sie-
Prävalenz: 20–30%, bei >80-Jährigen fast 40%. he unten)
Nach der subjektiven Wahrnehmung unterschei- 5 Vestibularisausfall, Labyrinthitis, Neuronitis vesti-
det man systematischen (meist vestibulär ausgelöst) bularis, Morbus Menière, Perilymphfistel
und unsystematischen Schwindel (z. B. durch Kreislauf- (7 Kap. HNO)
störungen/Orthostase oder psychogen). Ein systema- 4 N. vestibularis (z. B. Vestibularisparoxysmie durch neu-
tischer Schwindel ist ein Dreh-, Schwank- oder Lift- rovaskuläre Kompression)
schwindel, ein unsystematischer Schwindel eher ein
Benommenheitsgefühl ohne Bewegungsillusion der Zentraler vestibulärer Schwindel
Umwelt oder des eigenen Körpers. Liegt ein systema- Die Ursache liegt zentral: Meist Läsion vestibulärer Bahnen
tischer (vestibulärer) Schwindel vor, ist die Unter- (Hirnstamm, Vestibulozerebellum, Thalamus/vestibulärer
scheidung zwischen peripherem (bei peripherer Läsi- Kortex). Je nach Lokalisation treten zusätzlich Symptome
on) und zentralem vestibulären Schwindel (bei zen- wie Gang- und Standataxie, Hirnnervenausfälle, Nystag-
traler Läsion) wichtig. mus auf.
Bei peripher vestibulärer Schädigung können andere
Innenohrfunktionen (Hören) beeinträchtigt sein. Bei zent- Schwindel als Symptom bei internistischen
ralem vestibulärem Schwindel können weitere fokale neu- Erkrankungen
rologische Symptome auftreten. meist unsystematischer Schwindel verbunden mit Schwarz-
Nach dem Auslösemechanismus unterscheidet werden vor den Augen, Benommenheit, Schweißausbrü-
man Lagerungsschwindel (z. B. benigner paroxysmaler chen, Kollaps. Ursachen: meist Herz-Kreislauf-Erkrankun-
Lagerungsschwindel), orthostatischer Schwindel gen, Stoffwechselerkrankungen, Elektrolytstörungen, Anä-
(Benommenheitsgefühl mit Schwarzwerden vor den mie, Medikamente.
Augen beim Aufrichten) und phobischer Schwank-
schwindel. Psychogener Schwindel/somatoformer Schwindel
Nach der Dauer wird differenziert zwischen Attacken- Schwindel kommt bei psychischen Erkrankungen (Angst-
(z. B. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, ortho- störung, phobische, affektive, dissoziative und somatofor-
statischer Schwindel) und Dauerschwindel (z. B. bei Vesti- me Störung). Oft äußert er sich als diffuser Schwindel mit
bularisausfall). Benommenheits- und Leeregefühl im Kopf, subjektive
Peripherer vestibulärer Schwindel Gangunsicherheit.
4 systematischer Schwindel: Dreh-, Schwank- oder Lift-
schwindel Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)
4 evtl. Lateropulsion und Taumelgefühl Betrifft oft ältere Menschen: 1/3 der >70-Jährigen hatte ihn
4 oft begleitender Nystagmus und Oszillopsien schon mal. 50% der Fälle sind degenerativ oder idiopa-
4 Hören kann beeinträchtigt sein (Tinnitus oder Schwer- thisch, symptomatische Fälle durch Schädeltrauma oder
hörigkeit) Neuritis vestibularis kommen vor. Bei Kanalolithiasis kön-
nen sich traumatisch oder spontan Partikel des Utrikuluso-
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
81 1

tolithen ablösen und Konglomerate im hinteren, vertikalen nome, Meningeome), intramedullär (Ependymo-
Bogengang (selten im horizontalen Bogengang) bilden. Bei me, Gliome)
Kopflagewechsel (Hinlegen, Aufrichten oder Umdrehen im 4 Epiduralblutung
Bett) bewegen sich die Partikel im Kanal und verursachen
eine Auslenkung der Cupula. Es kommt zu etwa 30 s dau- Weitere Ursachen:
ernden Drehschwindelattacken, Nystagmus und Oszillop- 4 Entzündungen: Abszesse, Borreliose, Zoster, rheu-
sien (Scheinbewegungen der Umwelt), evtl. Übelkeit. Zent- matische Erkrankungen
rale Hirnstammzeichen fehlen. Attacken schwächen bei 4 metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus
wiederholtem Lagewechsel ab. 4 Trauma: Wirbelkörperfrakturen, Wurzelausrisse
Diagnostisch hilft das Lagerungsmanöver: Der Pati- 4 Angeborene Spinalkanalstenosen: Kompression
ent wird auf das betroffene Ohr gelegt, wobei der Kopf von Nervenwurzeln/Rückenmark
um 45° zum »gesunden Ohr« gedreht wird. Nach kurzer 4 Zervikale Myelopathie: Schädigung des zervikalen
Latenz tritt ein etwa halbminütiger, erschöpflicher Rückenmark durch chronisch degenerative, trau-
nach unten gerichteter, rotierender Nystagmus auf. matische oder angeborene Spinalkanaleinengung,
Beim Aufrichten kehren sich Drehschwindel und Nys- Folge Pyramidenbahn-Läsion
tagmusrichtung um. Therapeutisch ist das physikalische
Befreiungsmanöver fast immer erfolgreich: Lagerungs- > Bandscheibenvorfälle treten meist lumbal (L5 >S1),
manöver nach Semont oder Epley. Manchmal ist seltener zervikal (C6–C8) auf.
eine begleitende medikamentöse Therapie nötig. Die
Beschwerden klingen meist nach Wochen bis Monaten Unterschieden werden laterale (Einengung des Fora-
ab, können in 30% der unbehandelten Fälle jedoch per- men intervertebrale) von medialen (Einengung des
sistieren. Spinalkanals) Bandscheibenvorfällen.

Basilarismigräne/vestibuläre Migräne Epidemiologie. Bandscheibenvorfälle sind häufig und


Wiederholtes Auftreten reversibler Attacken mit unter- treten meist im mittleren und höheren Alter auf.
schiedlicher Kombination von Schwindel, Sehstörungen,
Stand- und Gangataxie, anderen Hirnstammausfällen zu- Symptomatik. Typisch sind
sammen mit meist okzipital betontem Kopfschmerz (Basi- 4 Schmerzen und sensible Ausfälle oder Reizerschei-
larismigräne). nungen im entsprechenden Dermatom (Ischialgie,
dermatomorientierter Schmerz im Versorgungsbe-
reich des N. ischiadicus bei Läsion des Nerven bzw.
1.10 Erkrankungen des peripheren seiner Wurzeln)
Nervensystems 4 Hypalgesie: bei monoradikulärer Läsion meist
deutlicher ausgeprägt als Hypästhesie (geringere
Dazu gehören Läsion von: Überlappung der Dermatome)
4 Spinalnervenwurzeln 4 Schlaffe Paresen, Reflexabschwächung oder -ausfall
4 Plexus
4 peripheren Nerven Typisch beim Bandscheibenvorfall:
4 Lokaler Schmerz im entsprechenden Wirbelsäu-
lenabschnitt, Bewegungseinschränkung, Fehlhal-
1.10.1 Spinale radikuläre Syndrome tung, paravertebraler Hartspann, Klopf- oder
Druckschmerz der Wirbelsäule.
Definition. peripheres neurologisches Defizit durch 4 Positive Nervendehnungszeichen: Lasègue-, Bra-
Spinalnervenwurzelläsion. gard-Zeichen, umgekehrter Lasègue
4 Verstärkung der Schmerzen beim Husten, Niesen
Ätiopathogenese. Mechanische Kompression der Spi- oder Pressen (Erhöhung des intraspinalen Druckes)
nalnervenwurzel:
4 Bandscheibenvorfall: Protrusion einer Bandschei- Wurzelausrisse: Radikuläres Defizit, oft mit Deaffe-
be oder Prolaps des Nucleus pulposus durch den renzierungsschmerzen bei Mitschädigung des Hinter-
Anulus fibrosus horns oder Tractus spinothalamicus.
4 Knöcherne Degeneration Lumbalkanalstenosen: Chronische lumbale
4 Tumoren: extradural (Knochenmetastasen, Kno- Schmerzen, neurogene Claudicatio intemittens (beim
chentumoren), extramedullär-intradural (Neuri- Gehen treten zunehmend ischialgieforme Schmerzen
82 Kapitel 1 · Neurologie

dorsal an einem oder beiden Beinen auf), auch senso- – Ggf. interkorporelle Spondylodese zum Aus-
1 motorische Ausfälle. Lordosierung der LWS (Bergabge- gleich der Höhenminderung
hen verstärkt die Symptomatik). Kyphosierung (Vorn- – Lumbal auch minimal invasive (perkutan
überbeugen, Radfahren), Hinlegen oder Hinsetzen endoskopische) Verfahren
bessert die Beschwerden. Stehenbleiben ändert die – Ggf. Erweiterung der Foramina interverte-
Schmerzen im Gegensatz zur vaskulären Claudicatio bralia, Laminektomie (Entfernung eines
intermittens nicht. Wirbelbogenteils bei Wirbelkanalstenose)

Diagnostik. Anamnese, Befund. ! Cave


4 LWS-Nativröntgen in 3 bzw. HWS-Nativröntgen in Das Cauda-Syndrom bei medialem, lumbalem Prolaps
4 Ebenen, spinales CT oder MRT, ggf. Myelographie mit Miktionsstörungen, Beeinträchtigung des Anal-
4 Labor: Entzündungszeichen, Glukose, HBA1c (di- reflexes, Reithosenhypästhesie ist ein neurochirurgi-
abetische Radikulopathie), evtl. Serologie und Li- scher Notfall.
quordiagnostik (Borreliose, Herpes zoster, Menin-
geosis carcinomatosa, Polyradikulitis)
4 Restharnbestimmung 1.10.2 Plexusparese
4 EMG (subklinische motorische Ausfälle), sensible
ENG in Zweifelsfällen zur Abgrenzung peripherer Definition. Peripheres neurologisches Defizit durch Lä-
Nervenläsionen sion einer Nervenplexus.

Differenzialdiagnose. Pseudoradikuläre Schmerzen Ätiopathogenese. Ursächlich sind:


sind Schmerzprojektionen in die Extremitäten ohne 4 Trauma: Unfälle (Motorradfahren, Arbeit), Ge-
segmentale Begrenzung, meist nicht distaler als Ellen- burtstrauma (obere > untere Armplexusläsion, La-
bogen- bzw. Kniegelenk. Meist gehen sie von Wirbelge- geanomalie, Zangengeburt)
lenken aus. 4 Kompression: Rucksacklähmung, Koma/Lagerung
bei Operation, anatomische Engen (Thoracic-out-
Therapie. Abhängig von der Grundkrankheit. Therapie let-Syndrom), Hämatom nach arterieller Punktion,
beim Bandscheibenvorfall: Aneurysmen, retroperitoneale Blutung, Abszess
4 Konservativ 4 Tumoröse Plexusinfiltration: oft Schmerzen und
5 Entlastung, Ruhigstellung, Halskrawatte für andere Zeichen der Tumorinfiltration, z. B. Hor-
wenige Tage, im LWS-Bereich Stufenbett ner-Syndrom bei Pancoast-Tumor
5 physikalische und Physiotherapie 4 Radiogen: meist >1 Jahr Latenz nach Bestrahlungs-
5 Analgesie (Vermeidung von Schmerzchronifizie- therapie, oft Schmerzen.
rung durch Fehlhaltung, möglichst kurz NSAR)
5 Myotonolytika (Tetrazepam) Symptomatik. Schmerzen, Paresen, Sensibilitäts-
5 Trizyklische Antidepressiva bei chronischen störungen, verbunden mit vegetativen Funktionsstö-
Schmerzen rungen:
5 Lokale epidurale Kortikosteroidgabe (Wurzel- 4 Obere Armplexusläsion (Duchenne-Erb) C5–C6
blockade) bei Therapieresistenz 5 Motorische Ausfälle: Abduktoren und Außen-
4 Operativ rotatoren der Schulter, Ellenbogenbeuger, M.
5 Operationsindikationen supinator (die Hand wird einwärts gedreht ge-
– Akuter medialer Prolaps mit Zeichen der halten).
Rückenmarkkompression, polyradikuläre 5 Sensible Ausfälle: Schulteraußenseite bis radi-
sensomotorische Ausfälle aler Unterarm
– Lateraler Prolaps mit progredienten oder 4 Mittlere Armplexusläsion C7
funktionell bedeutsamen motorische Ausfäl- 5 Motorische Ausfälle: M. triceps brachii, M.
len ohne Rückbildungstendenz und aktiver pectoralis, lange Fingerbeuger
Denervierung im EMG oder therapieresis- 5 Sensible Ausfälle: mittlere Finger
tente starke Schmerzen 4 Untere Armplexusläsion (Déjerine-Klumpke)
5 Vorgehen C8–Th1
– mikrochirurgisch offene Operation zur 5 Motorische Ausfälle: v. a. kleiner Handmus-
Entfernung des prolabierten Bandscheiben- keln, evtl. auch langer Fingerbeuger (Krallen-
gewebes stellung) sowie Handbeuger
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
83 1

5 Sensible Ausfälle: ulnar an Hand und Unter- zur N.-axillaris- oder Rotatorenmanschetten-Läsi-
arm on oft schwierig
5 Wenn proximaler Anteil der Th1-Wurzel be- 4 Bei Wurzelläsionen C8–Th2: Horner-Sydrom, un-
troffen, Horner-Syndrom terhalb Th2 auch Schweißsekretionsstörungen
4 Bei Faszikelläsion: Sensibilitätsstörungen und
Bei weiter proximal lokalisierten Armplexusläsionen Schweißsekretionsstörungen
(Faszikelläsion) Kombination der o. g. Symptome.
> Wegweisend für die Diagnostik sind Verteilungsmus-
Neuralgische Schulteramyotrophie (neuralgische Mya- ter der neurologischen Defizite und Beteiligung des
trophie) vegetativen Nervensystems.
Einseitige Entzündung von Nerven des Plexus brachialis,
vermutlich immunologisch nach Impfungen, Infektionen, Therapie. Die Behandlung umfasst:
Lymphomen oder bei i.v. Drogenabusus. Typisch sind akut 4 Armlagerung, Physiotherapie, Analgetika
einsetzende Schmerzen im Schulter- und Oberarmbereich 4 Operative Dekompression: Bei Kompression mit
v. a. nachts. Schmerzen sistieren nach einigen Tagen, dann neurologischen Ausfällen, Durchblutungsstörun-
treten Paresen auf, deren Verteilungsmuster der Läsion ei- gen oder therapieresistenten Schmerzen. Drucklä-
nes peripheren Nerven- oder Plexus entspricht. Sensibili- sionen erholen sich meist gut. Ggf. Tumorbehand-
tätsstörungen sind gering. Gute Prognose, meist mono- lung, Hämatomausräumung, Abszessdrainage
phasischer Verlauf. 4 Neurolyse, Nerveninterposition: Wenn keine Rein-
nervation erfolgt, innerhalb der ersten 6 Monate bei
Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, oberer Armplexusläsion
Abklärung der Ursache: Bildgebung, Labor. 4 Ersatzoperation auch später möglich: Verlagerung
4 Abgrenzung der unterer Armplexusläsion zur N.- der Ansätze intakter Muskeln, die die Funktion pa-
ulnaris-Läsion bzw. der oberen Armplexusläsion retischer Muskeln übernehmen

In Kürze

Krankheiten von Nervenwurzeln und -plexus

Spinale radiku- 4 Symptomatik: Schmerzen, schlaffe Paresen, Sensibilitäts- und vegetative Störungen
läre Syndrome 4 Ätiologie: mechanische Kompression (Bandscheibenvorfall, Tumor, Blutung), Entzündun-
gen (Abszess), metabolische Erkrankungen, Trauma, angeborene oder erworbene Spinal-
kanalstenose
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Bildgebung (Nativröntgen, spinales CT oder MRT, ggf. Mye-
lographie), Labor, evtl. Serologie und Liquordiagnostik, Restharnbestimmung, Elektrophy-
siologie
4 Therapie: Bandscheibenvorfall: konservativ (Entlastung, Ruhigstellung, physikalische The-
rapie, Physiotherapie, Analgesie, Myotonolytika, trizyklische Antidepressiva bei chroni-
schen Schmerzen, lokale epidurale Kortikosteroidgabe); ggf. operative Dekompression

Plexusparese 4 Symptomatik: Schmerzen, schlaffe Paresen, Sensibilitätsstörungen und vegetative Funk-


tionsstörungen
4 Ätiologie: Trauma (Unfall, Geburtstrauma), Kompression (Operationslagerung, anatomi-
sche Engen, Hämatom, Abszess etc.), tumoröse Plexusinfiltration, Bestrahlung, neuralgi-
sche Schulteramyotrophie
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Abklärung der Ursache: Bildgebung,
Labor
4 Therapie:
4 Konservativ: Lagerung, Physiotherapie, ggf. Analgetika
4 Operation: Dekompression, Beseitigung von Tumor, Hämatom, Abszessdrainage, ggf. Neu-
rolyse, Nerveninterposition, Ersatzoperation
84 Kapitel 1 · Neurologie

1.10.3 Polyneuropathie, Polyneuritis 4 Elektrophysiologisch: demyelinisierend oder axonal


1 4 Nach Dauer: akut/chronisch
Definition. Die Polyneuropathie (PNP) ist eine generali-
sierte Erkrankungen des peripheren Nervensystems, d. h. > Häufigste Ursachen einer PNP in Deutschland sind
der außerhalb des ZNS liegenden motorischen, sensiblen Diabetes mellitus und Alkohol.
und autonomen Nerven inkl. ihrer Hüllstrukturen.
Symptomatik. Typisch sind:
Ätiopathogenese. PNP ist ein Syndrom, dem verschie- 4 Sensible Reiz- und Ausfallserscheinungen:
dene Ursachen (systemische Grunderkrankung, Ein- Kribbeln, Ameisenlaufen, Wärme- und Kältepar-
wirken einer Noxe) zugrunde liegen können. Die Ursa- ästhesien, oft strumpf- bzw. handschuhförmige
chenabklärung ist daher wichtig. Hyp-, An- oder Parästhesie bzw. Hyp- oder Anal-
Die Neuritis ist eine immunvermittelte oder infek- gesie, anfangs sind oft Pallästhesie und Lagesinn
tiöse entzündliche Erkrankung des PNS mit demyelini- betroffen
sierender oder axonaler Schädigung. Betroffen sind ein 4 Motorische Reiz- und Ausfallerscheinungen:
Nerv (Mononeuritis), mehrere Nerven (Polyneuritis) Muskelzuckungen, schlaffe, atrophische Paresen,
oder Nervenwurzeln (Polyradikulitis) Reflexabschwächung oder -ausfall, oft v. a. ASR
4 Autonome Ausfallserscheinungen: Pupillenstö-
Einteilung (. Tab. 1.10): rungen, trophische Störungen der Haut (z. B. Ulze-
4 Motorisch/sensibel/autonom/sensomotorisch ra), Hypo- oder Anhidrosis, orthostatische Hypo-
4 Verteilung: distal/proximal, symmetrisch/asym- tension, Ruhetachykardie, fehlende respiratorische
metrisch Arrhythmie, Miktions- oder Defäkationsstörun-

. Tab. 1.10. Ätiologische Einteilung der Neuropathien und Neuritiden

Erkrankung Ätiopathogenese

Metabolische Neuropathie Diabetes mellitus, Urämie, Leberzirrhose, Gicht, Hypothyreose, Akromegalie, Hyperlipidämie
Diabetes mellitus: direkte Stoffwechselstörung der Nerven sowie Nervenschädigung durch
diabetische Mikroangiopathie der Vasa nervorum

Ernährungsbedingte Mangel-, Fehlernährung oder Resorptionsstörung, z. B. Vitamin B12 + Myelopathie = funikuläre


Neuropathie Myelinose und Mangel an Vitamin B1

Toxische Neuropathie Alkohol, Triarylphosphat aus Mineralölen, Blei, Arsen, Thallium, Schwefelkohlenstoff, Medika-
mente: Isoniazid, Statine, Zytostatika (Cisplatin, Vincristin und Vinblastin), antiretrovirale Sub-
stanzen, IFN-α
Alkohol und der Metabolit Acetaldehyd schädigen die Nerven vermutlich direkt, weiterhin
kommt bei Alkoholkranken oft eine Mangelernährung vor

Immunvermittelte Neuritis Guillain-Barré-Syndrom (GBS)


Chronische inflammatorische demyelinisierende PNP (CIDP)

Hereditäre Neuropathie Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HSMN), z. B. Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung,


Refsum, Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen (HNPP), bei Porphyrie, primärer Amyloi-
dose und Lipidspeicherkrankheiten

Infektiöse Neuritis Bakteriell: Borreliose, Lepra, Diphtherie, Bruzellose, Botulismus, Typhus und Paratyphus, Fleck-
fieber
Viral: HIV, Mumps, Mononucleosis infectiosa

Bei nicht neoplastischer Neuritis bei Kollagenose, Vaskulitis, Sarkoidose


Grunderkrankung »Critical-illness«-Neuropathie bei Patienten mit Sepsis/Multiorganversagen, v. a. nach langer
Beatmung

Neuropathie im Rahmen Paraproteinämisch bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) oder
einer neoplastischen lymphoproliferativen Erkrankungen: Plasmozytom, Morbus Waldenström, B-Zell-Lymphom,
Erkrankung CLL
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
85 1

gen, Gastroparese, Diarrhö, Obstipation, erektile


Dysfunktion, fehlender Schmerz bei Koronarischä-
mie, fehlendes Gefühl der Blasenfüllung, Arthro-
und Osteopathien
Der Verlauf ist diagnostisch richtungsweisend:
4 Bis 4 Wochen: akut (z. B. GBS)
4 4–8 Wochen: subakut
4 Länger als 8 Wochen: chronisch

Verteilungstyp:
4 Distal symmetrisch
5 Mit Sensibilitätsstörungen: Reflexabschwä-
chung/-verlust, zuerst oft ASR; z. B. bei alko-
holtoxischer, urämischer und oft bei diabeti-
scher PNP
5 Mit sensomotorischen Störungen: z. B. GBS,
akute intermittierende Porphyrie, hereditäre
motorische und sensible Neuropathien
5 Mit ausgeprägten autonomen Symptomen: z. B.
Amyloid-PNP, diabetische autonome Neuro-
pathie
4 Asymmetrische Manifestationstypen
5 Mononeuropathia multiplex (Ausfälle ent-
sprechen dem Versorgungsmuster einzelner
Nerven) Ursächlich ist meist eine Vaskulopa-
thie z. B. Mikroangiopathie bei Diabetes melli- a
tus, Panarteriitis nodosa oder Lupus erythema-
todes
5 Schwerpunkt-PNP mit zusätzlich sym-
metrischen, distal betonten Ausfällen z. B.
vaskulitische Neuropathie, Borreliose-
Neuropathie, Zoster-Neuritis, neuralgische
Neuritis
4 Proximal, z. B. Plexusneuritis, proximale diabeti-
sche Neuropathie
4 Proximal und distal, z. B. GBS, Porphyrie
b
Oft beginnt die Erkrankung an der unteren Extremität . Abb. 1.19. a Deutliche Unterschenkelatrophie und beid-
(distal-symmetrisch) und ist langsam progredient. seitiger Hohlfluß bei einem 40-jährigen Mann mit HMSN,
Bei der diabetischen PNP (typischerweise axonal Typ I. b Hohlfuß bei HMSN. (A. Ferbert, Kassel)
und demyelinisierend) stehen meist sensible Reizer-
scheinungen (Brennen, Schmerzen, »burning feet«) im
Vordergrund, neben der häufigen distal-symmetri- Bei der »Critical-illness«-Neuropathie überwie-
schen Form mit anfangs v. a. abgeschwächtem ASR gen motorische Ausfälle, meist beginnt sie mit symme-
und Pallhypästhesie gibt es auch asymmetrische, pro- trischen Paresen an der unteren Extremität.
ximale Formen (diabetische Amyotrophie) und Mono- Unter den HMSN ist Typ I (Charcot-Marie-Tooth-
neuropathien. Oft sind Hirnnerven (III, VI, VII) und Krankheit; demyelinisierend, . Abb. 1.19) der häufigs-
auch vegetative Nerven (cave: stumme Myokardischä- te. Es entwickeln sich zunächst Hohlfüße, im Verlauf
mien) betroffen. Atrophie der Unterschenkelmuskulatur bei erhaltener
Bei alkoholtoxischer PNP (axonal betont) stehen Oberschenkelmuskulatur (Storchenbeine), später auch
oft Schmerzen im Vordergrund, Muskelkrämpfe sind der distalen oberen Extremität. Der Verlauf ist langsam
häufig. Die Verteilung ist in der Regel distal-symmet- progredient. Die Sensibilität ist später und geringer be-
risch. troffen als die Motorik.
86 Kapitel 1 · Neurologie

Diagnostik. Anamnese, Befund. kommen schlaffe, meist symmetrische, innerhalb von Ta-
1 4 Elektrophysiologie gen (manchmal Stunden) aufsteigende Paresen, die meist
5 Nachweis und Bestimmung des Verteilungs- in den Beinen beginnen und zu Atemlähmung führen
typs können, sowie Myalgien, Gang- und Standataxie durch
5 Nachweis einer subklinischen Mitbeteiligung gestörte Tiefensensibilität und Hirnnervenausfälle (in 50%
von klinisch nicht-betroffenen Faserqualitäten Fazialisparese). Autonome Störungen sind häufigste To-
5 Unterscheidung zwischen axonaler (Axonschä- desursache: Tachy- oder Bradyarrhythmie, Hyper- oder
digung) und demyelinisierender (Myelinschä- Hypotonie, ADH-Mangel oder SIADH mit Hyponatriämie.
digung) PNP mit Einschränkungen möglich Selten ist eine zentrale enzephalitische Mitbeteiligung.
5 Zu den axonalen PNP gehören v. a. die to- Das Symptommaximum wird nach ca. 2 Wochen erreicht.
xischen (auch alkoholtoxische), z. T. HMSN, Sonderformen sind das Miller-Fisher-Syndrom mit Oph-
paraneoplastische PNP. In der ENG sind die thalmoplegie, Ataxie, Areflexie sowie die (Pan-)Dysauto-
Amplituden der Muskel- und Nervenaktions- nomie mit fast ausschließlicher Beteiligung des vegetati-
potenziale erniedrigt, die NLG ist normal. Die ven Nervensystems.
EMG zeigt frühzeitig Denervierungszeichen Die Diagnostik umfasst Anamnese, Befund, Liquor-Ei-
(positive Wellen, Fibrillationen) und neurogen weißerhöhung >1 g/l (kann initial gering erhöht sein) bei
veränderte Potenziale normaler oder leicht erhöhter Zellzahl (bis 50/µl), sog. zyto-
5 Zu den demyelinisierenden PNP gehören: GBS albuminäre Dissoziation. Elektrophysiologische Untersu-
(z. T. auch axonal), z. T. HMSN und PNP bei chungen (können anfangs noch normal sein):
Dysproteinämie. ENG: deutliche Verzögerung 4 Neurographie: verlängerte F-Wellen-Latenz, H-Reflexe
der NLG und der distal motorischen Latenz reduziert, verlängerte distale motorische Latenz, ver-
4 Zum Nachweis/Ausschluss zugrunde liegender Er- langsamte Nervenleitfähigkeit
krankungen: Labor und Bildgebung; evtl. Nerven- 4 EMG: Erst nach 2–3 Wochen ist pathologische Spontan-
biopsie bei schwerer oder progredienter PNP un- aktivität nachweisbar.
klarer Genese 4 EKG (Rhythmusstörungen?)
4 Molekulardiagnostik bei hereditären Formen
Therapeutisch eingesetzt werden Immunglobuline oder
> 10–20% der Fälle bleiben ätiologisch ungeklärt. Plasmapherese bei mäßig schwerem bis schwerem Verlauf
(Gehstrecke<5 m, rasche Progression, deutliche Atem-/
Therapie. Behebung der Ursache/Behandlung der Schluckstörung; bei maximal 2 Wochen Krankheitsdauer).
Grundkrankheit: Die symptomatische Behandlung umfasst:
4 Entfernung der Noxe 4 Überwachung der Vitalfunktionen, insbesondere Herz-
4 Ggf. Antidot bei Intoxikation frequenz, Blutdruck, Vitalkapazität
4 Substitution bei Vitamin-Mangel 4 Thromboseprophylaxe, Dekubitusprophylaxe, Physio-
4 Diabeteseinstellung therapie, ggf. Schmerztherapie
4 Behandlung einer Infektionskrankheit 4 Beatmung bei Abfall der Vitalkapazität auf 25% des
4 Schmerzen bei diabetischer PNP zusätzlich symp- Normwertes oder <20 ml/kg KG
tomatisch u. a. mit Carbamazepin, Gabapentin und 4 Therapie von Herzrhythmusstörungen und Hypo- oder
Thioctsäure; weiterhin Neuroleptika und trizykli- Hypertonie
sche Antidepressiva
4 Krankengymnastik Nach Erreichen des Beschwerdemaximums erfolgt die
Rückbildung der Symptome in umgekehrter Reihenfolge
Guillain-Barré-Syndrom (Polyradikulitis) des Auftretens. Meist bleibt keine wesentliche Behinde-
Vermutlich autoimmunologische Genese (Antikörper u. a. rung bestehen, schwere Defektzustände sind möglich, Le-
gegen Myelinbestandteile), oft 1–3 Wochen nach respirato- talität 5%.
rischen oder gastrointestinalen Infektionen durch Viren
oder Bakterien, z. B. Campylobacter jejuni. Meist verläuft CIDP (chronische inflammatorische demyelinisierende
ein GBS als akute inflammatorische demyelinisierende Po- Polyradikuloneuropathie)
lyradikuloneuropathie (AIDP). Die Häufigkeit liegt bei 1– Unterscheidet sich vom GBS im Wesentlichen über die >8
2/100.000/Jahr. Wochen lange Progredienz. Therapie: Kortikosteroide und
Die Erkrankung beginnt oft mit Parästhesien, Taubheit Immunglobuline.
und/oder Schmerzen im Rücken oder in den Muskeln. Dazu
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
87 1

In Kürze
Polyneuropathie, 4 Symptomatik: sensible und motorische Reiz- und Ausfallserscheinungen: Parästhesien,
Polyneuritis oft strumpf- bzw. handschuhförmige Hyp-, An- oder Parästhesie/-algesie, anfangs sind
oft Pallästhesie und Lagesinn betroffen, schlaffe, atrophische Paresen, Reflexabschwä-
chung oder -ausfall, oft v. a. ASR, autonome Ausfallserscheinungen: trophische Störun-
gen der Haut Hypo- oder Anhidrosis etc.
4 Ätiologie: häufigste Ursachen in Deutschland: Diabetes mellitus und Alkohol, weitere
Ursachen: genetisch, Vitaminmangel, Medikamentennebenwirkung, bei monoklonaler
Gammopathie oder lymphoproliferativen Erkrankungen. Neuritiden sind entzündliche
Neuropathien ausgelöst durch Infektionen oder immunvermittelt (z. B. Guillain-Barré-
Syndrom)
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Nachweis/Ausschluss zugrunde
liegender Erkrankungen
4 Therapie: Behandlung der Grundkrankheit, KG, symptomatische Therapie

1.10.4 Hirnnerven tomatischen Trigeminusneuralgien meist nicht, dafür


besteht oft ein sensibles Defizit.
1.10.4.1 Trigeminusneuralgie
Definition. Neuralgie: brennender, scharfer und ein- Diagnostik. Anamnese, Befund, ggf. kraniales MRT,
schießender Schmerz mit Projektion in das Versor- konventionelle Angiographie bei geplanter Jannetta-
gungsgebiet eines Nerven. Operation.

Ätiopathogenese. Differenziert werden: Differenzialdiagnose. Glossopharyngeus-Neuralgie


4 Idiopathische Trigeminusneuralgie: In 70–100% (seltener als Trigeminusneuralgie, bevorzugte Schmerz-
wird intraoperativ ein pathologischer Gefäß-Nerv- lokalisation: Ohr, Tonsille, Larynx und Zunge, Trigger
Kontakt gefunden: Kompression des Nerven durch ist oft das Schlucken), Karotisdissektion, atypischer Ge-
A. cerebelli superior, seltener pontine Venen oder sichtsschmerz.
A. cerebelli inferior anterior (im eigentlichen Sinne
auch symptomatisch) Therapie. Abhängig von der Ätiologie:
4 Symptomatische Trigeminusneuralgie: Bei MS, 4 Idiopathische Trigeminusneuralgie
Raumforderungen der hinteren/mittleren Schädel- 5 Konservative Monotherapie 1. Wahl: Carba-
grube (Akustikusneurinom, Meningeom, Metasta- mazepin, Oxcarbazepin. 2. Wahl: Lamotrigin,
sen), Angiome, Hirnstammischämien Gabapentin, Baclofen
5 Chirurgische Therapie bei Erfolglosigkeit
Epidemiologie. 3–6:100.000/Jahr. Beginn der idiopathi- oder Unverträglichkeit der konservativen Be-
schen meist nach dem 40. Lebensjahr. Inzidenz mit dem handlung
Lebensalter zunehmend, W>M. Patienten mit sympto- – Perkutane Verfahren im oder am Ganglion
matischer Trigeminusneuralgie sind meist jünger. Gasseri (Thermokoagulation, Glyzerinrhi-
zolyse, Ballonkompression), frühe Erfolgsra-
Symptomatik. Blitzartig einschießender, heftiger, elek- te über 90% (bei älteren Patienten in redu-
trisierender und stechender, sehr starker Schmerz im ziertem Allgemeinzustand)
Versorgungsgebiet v. a. der Trigeminusäste V2 und V3. – Mikrovaskuläre Dekompression des
Die Attacken dauern Sekunden bis zu 2 min, treten N. trigeminus im Kleinhirnbrücken-
spontan oder getriggert nach einem Reiz (Berührung, winkel (Jannetta-Operation): Beseitigung
Kauen, Sprechen, Schlucken, Zähneputzen) auf; Evtl. des Kontaktes zwischen Gefäß und Nerv
reflektorisches Zucken der Gesichtsmuskulatur (Tic durch Einfügen eines kleinen Stücks
douloureux) sowie autonome Reaktionen (Gesichtsrö- Teflon
tung, Augentränen). – Radiochirurgische Behandlung mit Gam-
Bei idiopathischen Trigeminusneuralgien besteht ma-knife oder Linearbeschleuniger bei Blu-
zwischen den Attacken Beschwerdefreiheit, bei symp- tungsneigung
88 Kapitel 1 · Neurologie

4 Symptomatische Trigeminusneuralgie: Behand- Bei gleichzeitiger Gesichts-, Lippen- und Zungen-


1 lung der Grundkrankheit schwellung, v. a. bei familiärer Häufung kann ein
Melkersson-Rosenthal-Syndrom vorliegen (Lingua
Prognose. Schwer voraussagbar, Schmerzepisoden plicata, rezidivierende ödematöse Gesichts- und
können jahrelang anhalten, spontane Remissionen Mundschleimhautschwellung, später Cheilitis granu-
kommen vor. lomatosa).
Bei einigen Tumoren (z. B. Akustikusneurinom)
1.10.4.2 Periphere Fazialisparese entwickelt sich die Parese langsam progredient.
Definition. Schädigung des N. facialis mit je nach Loka-
lisation der Schädigung auftretender schlaffer Läh- Diagnostik. Anamnese, Befund (. Abb. 1.20).
mung aller oder einiger vom N. facialis innervierten
Muskeln, ggf. Verminderung von Tränensekretion und ! Cave
Geschmack. Ausfälle weiterer Hirnnerven können auf Lokalisation
eines Hirnstamminfarktes hinweisen.
Ätiopathogenese. Läsion des N. facialis oder des Fazi-
aliskerns im Hirnstamm: 4 Labor: Entzündungsparameter, Ausschluss eines
4 Oft Nervenentzündung mit schwellungsbedingter Diabetes mellitus, Serologie (VZV, HSV, Borrelien,
Kompression FSME)
4 Meist idiopathisch (möglicherweise lokale Reakti- 4 CCT (Schädelfraktur), CCT/CMRT (Hirnstamm-
vierung einer latenten HSV-Typ-1-Infektion im infarkt, Tumor)
Ganglion geniculi) 4 Fazialisneurographie: zwecks Prognose und Loka-
4 Infektionen: Borreliose, Zoster oticus, andere Vi- lisation der Nervenläsion
ruskrankheiten
4 Sarkoidose Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Läsionen der Fazialiskerne im Hirnstamm: multip- 4 Operation bei Trauma/Tumor
le Sklerose, Hirnstammischämie 4 Verhütung von Sekundärschäden der Kornea (Uhr-
4 Trauma, Felsenbeinfrakturen glasverband, Augensalbe, künstliche Tränen)
4 Nervenkompression bei Parotistumor, Akustikus- 4 Medikamentöse Therapie
neurinom, Tumor im Schädelbasis-Bereich. 5 Prednison/Methylprednisolon möglichst in-
nerhalb der ersten 7 Tage
Erhöhte Inzidenz bei Schwangerschaft, Diabetes melli- 5 Zoster oticus: Prednison, Aciclovir
tus und Bluthochdruck. 5 Otitis media: Antibiotika, abschwellende Na-
sentropfen, Prednison, Parazentese
Symptomatik. Bei der idiopathischen Parese entwickelt 4 Aktive Bewegungsübungen der Gesichtsmuskeln
sich innerhalb von Stunden bis Tagen eine meist einsei- 4 Bei unvollständiger Restitution evtl. Botulinum-
tige Schwäche oder Lähmung der Gesichtsmuskeln. Oft Injektionen, Goldgewichtimplantate in die Au-
treten einige Tage vor der Parese ohrnahe Schmerzen genlider
und Sensibilitätsminderung im Wangenbereich der be-
troffenen Seite auf.

> Im Gegensatz zur zentralen Parese ist die Stirnmusku-


latur bei peripherer Parese mitbetroffen.

Beim inkompletten Augenschluss wird der Bulbus


nach oben und innen gedreht (Bell-Zeichen). Ver-
minderte Tränensekretion, Hyperakusis und Ge-
schmackstörung weisen auf eine Schädigung im
Felsenbeinbereich hin.
Auftreten in Frühjahrs- und Sommermonaten, Ze- a b
ckenbiss oder Erythema migrans: Ausschluss einer
Borreliose. . Abb. 1.20. Fazialisparese. a periphere Fazialisparese links.
Schmerzhafte Bläschen am Ohr und auf dem Trom- b zentrale Fazialisparese links
melfell weisen auf einen Zoster oticus hin.
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
89 1

Prognose. Meist Spontanremission bei idiopathischer 5 Zoster ophthalmicus: Befall des 1. Trigeminu-
Parese, in 80% komplette Erholung, beginnende Besse- sastes birgt die Gefahr der Korneaschädigung
rung innerhalb von 3 Wochen. und Erblindung. Bläschen an der Nasenspitze
sind wegweisend!
Herpes zoster (Gürtelrose), Zosterneuralgie
Ätiopathogenese. Akuter Herpes zoster: Reaktivierung Mögliche Komplikationen: beidseitiger Befall, Zoster ge-
von nach Windpocken in den sensiblen Ganglien per- neralisatus (generalisierter Befall mit Beteiligung innerer
sistierenden Varizella-Zoster-Viren durch Abwehr- Organe – Pneumonie, Hepatitis bei Abwehrschwäche),
schwäche, Trauma, Stress oder Sonneneinwirkung; oft Zoster haemorrhagicus (hämorrhagische Transformation
in höherem Lebensalter. der Bläschen), Meningitis, Myelitis, Enzephalitis.

Epidemiologie. Inzidenz: 100–200/100.000/Jahr. ! Cave


Herpes zoster ist ansteckend (geringer als Windpo-
Symptomatik. Unterschieden werden: cken), Kontakt zu nicht immunisierten Schwangeren,
4 Zosterneuralgie: Bezeichnet neuropathische Immunsupprimierten meiden bis 3 Tage nach Einlei-
Schmerzen. Man unterscheidet die akute Zoster- tung einer Aciclovirbehandlung!
neuralgie, d. h. Schmerzen bei akutem Herpes
zoster und postzosterische Neuralgie (bei Der Herpes zoster heilt meist innerhalb von 2–3 Wo-
10–70% der Patienten), d. h. Schmerzen, die chen narbenfrei ab.
mindestens 6 Monate nach Abheilen der akuten Die Schmerzen einer Postzoster-Neuralgie sind
Effloreszenzen bestehen bleiben. Bei älteren andauernd brennend-bohrend, neuralgiform oder ent-
oder abwehrgeschwächten Menschen sowie bei sprechen einer Allodynie.
vorbestehender PNP tritt häufiger eine postzos-
terische Neuralgie auf. Diagnostik. Liquordiagnostik; Augen- und HNO-ärzt-
4 Akuter Herpes zoster: Allgemeinsymptome (Fie- liche Untersuchung.
ber, Abgeschlagenheit), kurze, einschießende,
neuralgiforme Schmerzattacken im entsprechen- Therapie. Analgetika zur Behandlung der Akutschmer-
den Dermatom meist bevor Effloreszenzen auftre- zen.
ten; Sensibilitätsstörungen (Hypästhesie und -al- Frühzeitige medikamentöse virostatische Therapie
gesie, Analgesie, Par- und Dysästhesien, manch- z. B. mit Aciclovir bei akutem Herpes zoster (Alter >50
mal Juckreiz). In 5% der Fälle segmentale Jahre, Zoster im Kopf-Hals-Bereich, schwerem Zoster
motorische Ausfälle. am Stamm (z. B. hämorrhagische Transformation,
4 Hauteffloreszenzen: Erythem und gruppierte her- mehrere Segmente betroffen), bei Immundefizienten,
petiforme Bläschen, meist einseitiger Befall am bei florider Dermatitis atopica und Ekzemen)
häufigsten thorakal, der bei segmentaler Ausbrei- Medikamentöse Therapie der Zosterneuralgie: in-
tung am Stamm wie ein halber Gürtel (Gürtelrose) dividuelle Erprobung und Dosisfindung von Antide-
imponiert. pressiva, Antikonvulsiva, Opioidanalgetika, wochen-
4 Sonderformen: langer Anwendung von Capsaicin-Creme (reversibler
5 Zoster oticus: Befall des N. facialis mit Fazia- Funktionsverlust der Nozizeptoren) Lidocain-Creme
lisparese sowie heftigen Schmerzen im Ohrbe- oder -Pflaster, transkutanen elektrischen Nervenstimu-
reich (Ramsay-Hunt-Syndrom), Bläschen am lation (TENS), Sympathikusblockaden bei akuter Zos-
Ohr, im Gehörgang oder auf dem Trommelfell terneuralgie, intrathekale Glukokortikoide.
90 Kapitel 1 · Neurologie

In Kürze
1
Hirnnervenerkrankungen

Trigeminus- 4 Symptomatik: spontaner oder durch Trigger ausgelöster neuralgiformer Schmerz im Versor-
neuralgie gungsgebiet der Trigeminusäste (V2, V3), evtl. Tic douloureux, autonome Reaktionen
4 Ätiologie: idiopathisch: häufig Kompression durch A. cerebelli superior; symptomatisch: bei
MS oder Raumforderungen
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, CMRT
4 Therapie: idiopathische Trigeminusneuralgie: 1. Wahl konservativ mit Carbamazepin, Oxcar-
bazepin, evtl. chirurgische Therapie (Jannetta-Operation, Thermokoagulation des Ganglion
Gasseri); symptomatische Trigeminusneuralgie: Behandlung der Grundkrankheit

Periphere 4 Symptomatik: Lähmung der mimischen Gesichtsmuskeln mit Bell-Zeichen, bei Schädigung
Fazialisparese im Felsenbeinbereich: verminderte Tränensekretion, Hyperakusis, Geschmackstörung
4 Ätiologie: meist idiopathisch, Infektion (Borreliose, Zoster oticus), Sarkoidose, Trauma, Ner-
venkompression Tumorerkrankung, erhöhte Inzidenz bei Schwangerschaft, Bluthochdruck
und Diabetes mellitus
4 Diagnostik: Anamnese, Befund (Ausschluss einer zentralen Parese!). Ausschluss von Infekti-
on, Trauma, Tumor, evtl. Fazialisneurographie
4 Therapie: Operation bei Trauma/Tumor, Verhütung von Sekundärschäden (Uhrglasverband,
Augensalbe, künstliche Tränen), medikamentöse Therapie: Prednison/Methylprednisolon
möglichst frühzeitig, Bewegungsübungen der Gesichtsmuskeln, spezifische Therapie bei
Zoster oticus, Otitis media

1.10.5 Mononeuropathien der oberen Diagnostik. Anamnese, Befund, EMG, NLG, evtl. Bild-
Extremität gebung.

Definition. Schädigung einzelner peripherer Nerven. Differenzialdiagnose. Radikuläre Läsion: Da die Mus-
keln durch mehr als ein Rückenmarksegment inner-
Ätiopathogenese. Ursachen sind: viert werden (außer Kennmuskeln) sind Paresen und
4 Druckeinwirkung (falsche Lagerung bei Narkose, Muskelatrophien hier geringer ausgeprägt. Im Extremi-
Engpass-Syndrome, Kallusbildung nach Frakturen, tätenbereich sind vegetative Fasern nicht mitbetroffen.
Kompartmentsyndrom, weichteilgewebige Raum-
forderungen wie Hämatom und Abszess, schlechte Therapie. Konservativ: Ruhigstellung, Schienung, Elek-
Gipsanlage) trostimulation, Hilfsmittel (Orthesen), medikamentö-
4 Trauma (Zug, Zerrung, Quetschung des Nerven; ser Therapieversuch von Parästhesien (α-Liponsäure,
Durchtrennung bei Stich- oder Schnittverletzun- Carbamazepin). Operationen sind indiziert bei schwe-
gen; Zerreißung bei Frakturen) ren Nervenläsionen oder Engpass-Syndromen.
4 Iatrogen (Injektion oder Bestrahlung)
4 Toxisch 1.10.5.1 Läsion des Nervus ulnaris (C8–Th1)
4 Infektiös Definition. Schädigung des N. ulnaris mit Ausfällen im
4 Ischämisch Versorgungsgebiet.

Symptomatik. Typisch sind: Ätiopathogenese. Spezielle Ursachen:


4 Schlaffe motorische Paresen, abgeschwächte oder 4 Chronische Ulnarisneuropathie am Ellenbogen:
erloschene MER, später sichtbare Atrophien Zweithäufigste nichttraumatische Mononeuropa-
4 Sensible Ausfälle, Schmerzen, Dys- und Parästhe- thie; durch chronisch progrediente mechanische
sien Schädigung des N. ulnaris im Bereich des Ellenbo-
4 Vegetative Störungen: trophische Störungen, gens unter dem M. flexor carpi ulnaris (Kubitaltun-
Schweißsekretionsstörung nel), in der Ulnarisrinne oder bei Valgusfehlstel-
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
91 1

lung nach Frakturen (posttraumatische Ulnaris-


Spätlähmung)
4 Syndrom der Guyon-Loge (Läsion des R. profun-
dus im Bereich des Handgelenks)
4 Nervenkompression bei Hyperextension, z. B. beim
Radfahren

Insgesamt häufigste periphere Nervenläsion.

Symptomatik. Typisch sind: a


4 Sensible Ausfälle:
5 Palmar: Kleinfinger, ulnare Hälfte des Ringfin-
gers, ulnare Handinnenfläche (R. superficialis),
Kleinfingerballen, angrenzendes Handgelenk
(R. plamaris)
5 Dorsal: Finger V und IV, z. T. III (Anastomosen
vom N. medianus, Martin-Gruber-Anastomo-
se), ulnarer Handrücken (R. dorsalis manus)
4 Motorische Ausfälle: M. flexor carpi ulnaris, M.
flexor dig. prof. (Finger IV und V), Mm. interossei,
ulnare Mm. lumbricales III–IV (Beugung im
Grundgelenk, Streckung in den Mittel- und Endge- b
lenken); M. adductor pollicis, M. abductor und . Abb. 1.21a,b. a Froment-Zeichen links bei Drucklähmung
M. opponens dig. IV des N. ulnaris im Sulcus ulnaris nach Ellenbogenfraktur
4 Syndrom der Guyon-Loge: nur Ulnaris-innervier- (A. Ferbert, Kassel). b Muskelatrophien bei Sulcus-ulnaris-Syn-
te Handmuskeln betroffen, Innervation der proxi- drom. Nach operativer Dekompression des Nerven trat nur
malen Muskulatur und Sensibilität im Bereich des eine geringfügige Besserung der Motorik ein, während die
R. superficialis bleibt intakt sensiblen Reizsymptome aussetzten. (A. Ferbert, Kassel)

> Resultierende Haltung: Krallenstellung der Finger


(insbesondere IV, V), überstreckte Grundphalangen, 1.10.5.2 Läsion des Nervus medianus
Beugung der Mittel- und Endphalangen. (C5–Th1)
Definition. Schädigung des N. medianus mit Ausfällen
Diagnostik. im Versorgungsgebiet.
4 Fromnent-Zeichen: Beim Versuch, ein Blatt Papier
zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten und Ätiopathogenese. Spezielle Ursachen:
dem Untersucher aus der Hand zu ziehen, wird bei 4 Trauma: Humerusfraktur, Luxation, Krückenläh-
Parese des M. adductor pollicis ersatzweise im mung, Druckläsion bei Liegen des Kopfes des Part-
Daumen maximal gebeugt (M. flexor pollicis lon- ners im Schlaf auf dem Oberarm
gus) 4 Proximal des Handgelenks: Pronator-teres-Synd-
4 Eingeschränkte Nasenstüberbewegung: abge- rom (Kompression zwischen den beiden Köpfen
schwächtes Schnippsen des Mittelfingers gegen die des Muskels)
Handfläche des Untersuchers 4 Druckläsion in der Hohlhand bei Werkzeugge-
4 Hoffmann-Tinel-Zeichen: bei chronischer Schä- brauch
digung positiv 4 Karpaltunnelsyndrom

Differenzialdiagnose. C8-Läsion: Zusätzlich Parese des Symptomatik. Typisch sind.


M. triceps brachii, TSR-Abschwächung, EMG der para- 4 Sensible Ausfälle:
vertebralen Muskulatur; vegetative Innervation bleibt 5 Palmar: Finger I bis radiale Hälfte Finger II
intakt (. Abb. 1.21a,b). 5 Dorsal: Endglieder Finger II–III
4 Motorische Ausfälle:
5 Radiale Flexoren am Unterarm, M. pronator
teres und quadratus (Pronationsschwäche),
92 Kapitel 1 · Neurologie

M. flexor carpi radialis (Ulnarabduktionsstel- In ca. 10% lässt sich eine Ursache finden: posttrauma-
1 lung) tisch, belastungsinduziert (Polsterer oder Arbeiten mit
5 M. abductor pollicis brevis, M. opponens (feh- stark vibrierenden Maschinen), rheumatische Erkrankung,
lende Daumenopposition, sog. Affenhand, Flüssigkeitsretention in der Schwangerschaft, endokrine
Thenaratrophie), Mm. lumbricales I und II, Störungen wie Diabetes mellitus, Hypothyreose, Akrome-
Caput superficiale des M. flexor pollicis brevis galie, Hyper- und Hypoparathyreoidismus, Amyloidose,
5 N.-interosseus-ant.-Syndrom (Kiloh-Nevin- Mukopolysacharidose, Gicht, chronische Niereninsuffizienz
Syndrom, rein motorische Ausfälle mit Lähmung sowie anatomische Varianten.
des M. flexor pollicis longus und digitorum pro-
fundus II und des M. pronator quadratus) Typische Symptome sind:
5 Komplette Lähmung bei Läsion am Oberarm 4 Parästhesien: Kribbeln, Stechen, v. a. Finger I–III, auch
oder Ellenbogenbereich ulnar
4 Brachialgia paraesthetica nocturna: Beschwerden
Diagnostik. Anamnese, Befund: auch proximal des Handgelenks mit Ausbreitung bis
4 Schwurhand: Bei Faustschluss werden nur die zur Schulter, Symptomatik v. a. nachts oder bei fixierter
Finger IV und V gebeugt, da vom N. ulnaris in- Beuge- oder Streckstellung der Hand, Schütteln der
nerviert. Hand führt zur Besserung.
4 Flaschenzeichen: Beim Versuch, eine Flasche zu 4 Im fortgeschritteneren Stadium Hypästhesien, Parese
umgreifen, kann die Hand wegen mangelhafter In- und Atrophie der laterale Daumenballenmuskulatur
nervation des M. abductor pollicis brevis nicht aus- 4 Keine Schwurhand (distale Läsion)
reichend geöffnet werden, zwischen Finger I und II 4 Evtl. trophische Störungen und Hyp- oder Anhidrose
kann kein »O« geformt werden (. Abb. 1.22).
Zur Diagnostik gehören positiver Phalen-Test (maximale
Differenzialdiagnose. Radikuläre Läsionen: Flexion im Handgelenk für eine Minute löst Parästhesien
4 C6, C7: auch Sensibilitätsstörungen in den radialen aus), Hoffmann-Tinel-Zeichen (Perkussion des Hautare-
Fingern, bei C6 besteht eine M.-biceps-brachi-Pa- als über dem geschädigten N. medianus kann ein elektri-
rese, bei C7 M.-triceps- und M.-brachioradialis-Pa- sierendes Gefühl auslösen), sensible Neurographie, Be-
rese und TSR-Abschwächung stimmung der distalen motorischen Latenzzeit des N.
4 C8, Th1: auch Daumenballenatrophie medianus.
Die Behandlung beruht bei leichteren Fällen, jungen
Karpaltunnelsyndrom (KTS) Patienten und in der Schwangerschaft auf Schonung,
10% aller Menschen betroffen, meist nach dem 30. Lebens- nächtlicher Schienung, Reduktion manueller Beanspru-
jahr, W:M = 2:1. Ursache: chronische Druckschädigung des chung, evtl. Glukokortikoidgabe. Die operative Therapie
N. medianus im Karpaltunnel zwischen Handwurzelkno- mit offener oder endoskopischer Durchtrennung des Reti-
chen und dem Retinaculum flexorum, durch Einengung naculum flexorum ist indiziert bei Versagen konservativer
des Tunnels oder Volumenzunahme des Tunnelinhaltes. Maßnahmen, funktionell behindernden sensomotorischen
Ausfallserscheinungen, bei akutem und rasch progredien-
tem Verlauf.

1.10.5.3 Läsion des Nervus radialis (C5–C8)


Definition. Schädigung des N. radialis mit Ausfällen im
Versorgungsgebiet.

Ätiopathogenese. Differenziert werden:


4 Proximale Läsion: Humerusschaftfraktur, Krü-
ckenlähmung in der Axilla, Parkbanklähmung.
4 Mittlere Läsion: Supinator-Syndrom, Radiusköpf-
chenluxation, Radiusfraktur
4 Distale Läsion: Arbeiten mit der Schere oder Halten
. Abb. 1.22. Medianuslähmung. Ausgedehnte Muskelat- einer Farbpalette, enge Handschellen oder Arm-
rophien der medianusversorgten Thenarmuskulatur, beson- bänder, Shunt-Operation
ders des M. abductor pollicis brevis, bei einem Patienten mit 4 Blei-Intoxikation
Karpaltunnelsyndrom
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
93 1

Symptomatik. Typisch sind. 5 Ausfall M. brachioradialis und Extensoren


4 Sensible Ausfälle: am Unterarm mit Fallhand und Fallfinger bei
5 Dorsal radial am Unterarm und Handgelenk, Läsion im Oberarmbereich, nur Fallfinger bei
dorsal Finger I, II und radial III (II, III ohne Läsion im Unterarmbereich
Endglieder) 5 Supinator-Syndrom: Druckläsion des rein
5 Autonomes Areal: dorsale Daumenwurzelregion motorischen R. profundus des N. radialis bei
5 Chiralgia paraesthetica: Sensibilitätsstörungen Durchtritt durch den M. supinator; Sensibili-
und Schmerzen dorsal an der 1. Zwischenfin- tätsstörungen fehlen. Der M. extensor carpi
gerfalte bei Läsion des R. superficialis radialis bleibt innerviert (inkomplette Fall-
4 Motorische Ausfälle: hand), ulnare partielle Fallhand und Fallfinger,
5 M. triceps brachi (Läsion Axilla, proximaler Radialwendung der Hand bei Versuch der Stre-
Oberarm), M. brachioradialis (Läsion bis ckung
Oberarm), M. supinator, M. abductor pollicis
longus, Fingerextensoren (bis Unterarm), Diagnostik. Anamnese, Befund.
Handgelenksextensoren (bis distaler Oberarm
bzw. proximaler Unterarm), Differenzialdiagnose. C6-Läsion: Parese des M. biceps
5 Mangelhafte Streckung im Ellenbogen (M. tri- brachii.
ceps brachi)

In Kürze

Mononeuropathien der oberen Extremität

N. ulnaris 4 Symptomatik: sensibel: palmar: Kleinfinger, ulnare Hälfte des Ringfingers, ulnare Handin-
nenfläche, Kleinfingerballen, angrenzendes Handgelenk; dorsal: Finger V und IV, z. T. III,
ulnarer Handrücken. Motorisch: Beugung im Grundgelenk, Streckung in den Mittel- und
Endgelenken, Krallenstellung der Finger
4 Ätiologie: chronisch progrediente mechanische Schädigung, Syndrom der Guyon-Loge,
Kompression bei Hyperextension, Trauma
4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Fromnent-Zeichen, eingeschränkte Nasenstüberbewe-
gung, Hoffmann-Tinel-Zeichen bei chronischer Schädigung positiv; Elektrophysiologie, ggf.
Bildgebung
4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie

N. medianus 4 Symptomatik: sensibel: palmar: Finger I bis radiale Hälfte Finger II, dorsal: Endglieder Finger
II und III. Motorisch: Pronationsschwäche, Ulnarabduktionsstellung, fehlende Daumenop-
position, sog. Affenhand, Thenaratrophie. Nervus-interosseus-ant.-Syndrom: rein motorisch
4 Ätiologie: Trauma (Fraktur, Luxation etc.), Kompression (Karpaltunnelsyndrom, Pronator-te-
res-Syndrom)
4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Schwurhand, Flaschenzeichen; Elektrophysiologie, ggf.
Bildgebung
4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie

N. radialis 4 Symptomatik: sensibel: dorsal radial am Unterarm und Handgelenk, dorsal Finger I–III (III
nur radial). Motorisch: mangelhafte Streckung im Ellenbogen, Fallhand, Fallfinger, ggf. rein
motorische Lähmung bei Supinator-Syndrom
4 Ätiologie: Humerusschaftfraktur, Krücken- oder Parkbanklähmung, Supinator-Syndrom,
Radiusköpfchenluxation, Radiusfraktur, Blei-Intoxikation u. a.
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, ggf. Bildgebung
4 Therapie: ggf. chirurgische Dekompression, Physiotherapie
94 Kapitel 1 · Neurologie

1.10.6 Mononeuropathien der unteren sam. Das Knie gibt beim Gehen nach, knickt ein und
1 Extremität wird übertrieben überstreckt. Das Treppensteigen ist
besonders erschwert oder unmöglich. Der PSR ist ab-
Meralgia paraesthetica geschwächt. Die Patella steht im Stehen tief. Eine
Kompression des N. cutaneus femoris lateralis am Durchtritt Schonhaltung bei retroperitonealer Raumforderung
durchdasLeistenbandbeirascherGewichtszunahme,Schwan- (Außenrotation, Flexion, Abduktion in der Hüfte) ist
gerschaft, engen Hosen (Jeanskrankheit), Korsett etc. typisch.
Iatrogene Verletzung bei Spongiosaentnahme oder
Hüftoperation. M>W, v. a. im mittleren Alter, in 10% beid- Differenzialdiagnose. L4-Läsion: Zusätzlich Fußheber-
seitig. schwäche (M. tibialis ant.). L3-Läsion: Keine Sensibili-
Symptome: tätsstörungen im Bereich des N. saphenus.
4 Brennende Schmerzen, Missempfindungen in hand-
tellergroßem Areal an der Vorder- und Außenseite des Therapie. Abhängig von der Ursache; Physiotherapie,
Oberschenkels, Provokation durch Hüftstreckung ggf. operative Dekompression/Neurolyse.
4 Druckschmerz an der Durchtrittsstelle durch das Leis-
tenband (2 Querfinger medial der Spina iliaca ant. sup.) 1.10.6.2 Läsion des Nervus ischiadicus (L4–S3)
4 Positives umgekehrtes Lasègue-Zeichen Definition. Schädigung des N. ischiadicus mit Ausfällen
im Versorgungsgebiet.
Die Rate an Spontanremissionen ist hoch, konservative
Therapie meist erfolgreich: Vermeidung von Streckbelas- Ätiopathogenese. Ursächlich sind:
tung in der Hüfte, Lokalanästhetika, lokale Glukokortikoid- 4 Druckeinwirkung: falsche Lagerung bei Narkose,
therapie. weichteilgewebige Raumforderungen: Hämatom,
Differenzialdiagnostik: radikuläre L3-Läsion: zusätzli- Abszess
che Abschwächung des PSR, Sensibilitätsstörungen kön- 4 Trauma
nen die Mittellinie überschreiten. 4 Iatrogen
4 Toxisch
1.10.6.1 Läsion des Nervus femoralis (L1–L4) 4 Infektiös
Definition. Schädigung des N. femoralis mit Ausfällen 4 Ischämisch
im Versorgungsgebiet-
Symptomatik. Typisch sind:
Ätiopathogenese. Ursächlich sind: 4 Motorische Ausfälle: ischiokrurale Muskulatur,
4 Retroperitoneale Einblutung unter Marcumarthe- alle Muskeln am Unterschenkel und Fuß, Kniebeu-
rapie gung ist nur noch durch den M. sartorius und den
4 Retroperitoneale Raumforderungen (Fibrose etc.) M. gracilis möglich, bei intakter Innervation der
4 Diabetische Mononeuropathie Gesäßmuskeln und der Adduktoren ist Gehen
4 Neuralgische Beckengürtelamyotrophie (analog trotzdem möglich
zur neuralgischen Schulteramyotrophie) 4 Sensible Ausfälle: vor Aufteilung in N. peroneus
4 Druckschädigung des sensiblen N. saphenus im und tibialis unten am Gesäß, Oberschenkelrück-
Canalis adductorius oder Schädigung bei Phlebitis seite
der V. saphena magna.
4 Iatrogen nach Operationen der (Hüfte), Angiogra- Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie,
phien (Punktion der A. femoralis), Bestrahlung Bildgebung.

Symptomatik. Typisch sind: Therapie. Abhängig von der Ursache; Physiotherapie,


4 Motorische Ausfälle: M. iliopsoas (Hüftbeugung), ggf. operative Dekompression/Neurolyse.
M. quadriceps femoris (Kniestreckung), M. sarto-
rius, M. pectineus 1.10.6.3 Läsion des Nervus peroneus (L4–S2)
4 Sensible Ausfälle: Oberschenkelvorderseite, N.-sa- Definition. Schädigung des N. peroneus mit Ausfällen
phenus-Innervationsgebiet: Unterschenkel-Innen- im Versorgungsgebiet.
seite, medialer Fußrand
Ätiopathogenese. Oft Druck oder Dehnung in Höhe
Die Läsion liegt meist distal des M. iliopsoas, motorisch des Fibulaköpfchens (Sitzen mit überschlagenen Bei-
ist v. a. die Parese des M. quadriceps femoris bedeut- nen, »crossed legs palsy«), Unterschenkelgipsschiene,
1.10 · Erkrankungen des peripheren Nervensystems
95 1

Fraktur des Fibulaköpfchens etc. Isolierte Läsionen 5 Bei ausbleibender Reinnervation Dekompres-
des distalen N. peronaeus profundus im sog. vorderen sion, Neurolyse, mikrochirurgische Nerven-
Tarsaltunnel oder des N. peronaeus superficialis sind naht mit End-zu-End-Anastomose oder auto-
möglich. loges Nerventransplantat.
5 Bei traumatischer Läsion mit glatter Nerven-
> Peronaeuslähmung ist der häufigste periphere Ner- Durchtrennung primäre End-zu-End-Anasto-
venschaden am Bein. mose bis zu 3 Wochen nach dem Trauma.
5 Bei persistierender Fußheberparese kann die
Symptomatik. Typisch sind: M.-tibialis-posterior-Sehne vor die Sprungge-
4 N. peronaeus profundus: Paresen der Fuß- und lenksachse verlegt werden.
Zehenheber, inkl. der Fußmuskeln auf dem Fußrü-
cken (Fallfuß, Steppergang, Gefahr der Spitzfuß- 1.10.6.4 Läsion des Nervus tibialis (L4–S3)
kontraktur). Die Sensibilität ist im 1. Zehenzwi- Definition. Schädigung des N. tibialis mit Ausfällen im
schenraum gemindert. Versorgungsgebiet.
4 N. peronaeus superficialis: Parese der Fußprona-
tion (Mm. peronaei, keine Elevation des lateralen Ätiopathogenese. Tibiafraktur, Tarsaltunnelsyndrom.
Fußrandes), meist inkomplette Sensibilitätsstörung
des Fußrückens und seitlich am Unterschenkel. Symptomatik. Typisch sind:
4 Motorische Ausfalle: M. triceps surae, M. plantaris,
Differenzialdiagnose. L5-Läsion: Zusätzlich Hüftab- kleine Fußmuskeln der Fußsohle (Störung der Knie-
duktoren- und M.-tibialis-posterior-Parese, TPR abge- beugung und Plantarflexion von Fuß und Zehen,
schwächt. Rein motorische Ausfälle bei Dystrophia Zehenspitzengang ist nicht möglich, sog. Bügeleisen-
myotonica, amyotrophe Lateralsklerose, spinaler Mus- gang mit Schleifen des Fußes am Boden, da Abrollen
kelatrophie. nicht möglich). Im Verlauf Krallenstellung der Ze-
hen. Durch Ausfall des M. tibialis post. ist die Fußsu-
! Cave pination gestört, es kommt zur Pronationsstellung.
Insbesondere nach einer Fraktur an ein Kompart- 4 Sensible Ausfälle (N. suralis): Ferse, Fußsohle.
mentsyndrom denken! Ggf. muss frühzeitig die Faszi-
enspaltung erfolgen. Diagnostik. Anamnese, Befund, Elektrophysiologie,
Bildgebung.
Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Konservativ: Krankengymnastik, Spitzfußpro- Therapie. abhängig von der Ursache; Physiotherapie,
phylaxe. ggf. operative Dekompression/Neurolyse, Versorgung
4 Operativ: einer Fraktur.

In Kürze

Mononeuropathien der unteren Extremität

N. femoralis 4 Symptomatik: motorische Ausfälle: Hüftbeugung, Kniestreckung. Sensible Ausfälle:


Oberschenkelvorderseite, Unterschenkel-Innenseite, medialer Fußrand
4 Ätiologie: retroperitoneale Einblutung/Raumforderung, diabetische Mononeuropathie,
neuralgische Beckengürtelamyotrophie, Druckschädigung, Phlebitis der V. saphena
magna, iatrogen nach Operation, Punktion der A. femoralis, Bestrahlung
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Bildgebung
4 Therapie: abhängig von der Ursache; Physiotherapie, ggf. operative Dekompression,
Neurolyse, Nervennaht oder -transplantation, Frakturversorgung

N. ischiadicus 4 Symptomatik:
– Motorische Ausfälle: ischiokrurale Muskulatur, alle Muskeln am Unterschenkel und
Fuß, Kniebeugung ist nur noch durch den M. sartorius und den M. gracilis möglich,
bei intakter Innervation der Gesäßmuskeln und der Adduktoren ist Gehen trotzdem
möglich
6
96 Kapitel 1 · Neurologie

1 – Sensible Ausfälle: bei Läsion vor Aufteilung in N. peronaeus und tibialis: unten am
Gesäß, Oberschenkelrückseite
4 Ätiologie: Druckeinwirkung (Lagerung bei Narkose, Raumforderungen: Hämatom, Abs-
zess), Trauma, toxisch, infektiös, ischämisch
4 Diagnostik: 7 N. femoralis
4 Therapie: 7 N. femoralis

N. peronaeus 4 Symptomatik: N. peronaeus profundus: Fallfuß, Steppergang, Gefahr der Spitzfußkontrak-


tur, Sensibilität im 1. Zehenzwischenraum gemindert; N. peronaeus superficialis: Parese der
Fußpronation, meist inkomplette Sensibilitätsstörung des Fußrückens und seitlich am Un-
terschenkel
4 Ätiologie: Druck oder Dehnung in Höhe des Fibulaköpfchens, Unterschenkelgipsschiene,
Fraktur des Fibulaköpfchens, isolierte Läsionen des distalen N. peronaeus profundus im
vorderen Tarsaltunnel, Kompartmentsyndrom
4 Diagnostik: 7 N. femoralis
4 Therapie: 7 N. femoralis, Spitzfußprophylaxe

N. tibialis 4 Symptomatik: motorisch: Störung der Kniebeugung und Plantarflexion, Zehenspitzengang


unmöglich, Bügeleisengang, Krallenstellung der Zehen, Pronationsstellung, sensible Aus-
fälle: Ferse, Fußsohle
4 Ätiologie: Tibiafraktur, Tarsaltunnelsyndrom
4 Diagnostik: 7 N. femoralis
4 Therapie: 7 N. femoralis

1.11 Muskelkrankheiten 5 Beteiligung der mimischen Muskulatur (myo-


pathische Fazies), pharyngealen Muskulatur
1.11.1 Myotone Syndrome (näselndes Sprechen), Kaumuskulatur und
Halsbeugemuskulatur
1.11.1.1 Myotone Dystrophien 5 Myotonie, v. a. im Bereich der Hände und Bei-
Myotone Dystrophie Typ 1 ne, selten schwerwiegend (werden daher von
Synonym. Curschmann-Steinert-Erkrankung. Patienten oft nicht spontan berichtet)
5 Selten Muskelschmerzen
Definition. Autosomal-dominant vererbte, multisyste- 5 Kardiale Beteiligung (Herzrhythmusstörungen
mische Erkrankung mit muskulären und extramusku- bei 90%, AV-Block, Kardiomyopathie, Herzin-
lären Symptomen. suffizienz bei 10%)
5 Dilatation und verminderte Motilität des Gas-
Ätiopathogenese. CTG-Repeat-Expansion im Dystro- trointestinaltraktes
phia-myotonica-Proteinkinase-Gen. Bei kurzer Re- 4 Extramuskuläre Symptome:
peat-Expansion ist die klinische Symptomatik meist 5 Katarakt: polychromatische, sog. bunte Ein-
nur mild ausgeprägt, je länger die Repeat-Expansion, schlüsse in der hinteren Linsenkapsel (myoto-
desto schwerer das klinische Bild und die mentale Be- ne, »Christbaumschmuck-Katarakt«)
einträchtigung. Typisch ist die Antizipation: Früheres 5 Innenohrschwerhörigkeit
Manifestationsalters und zunehmende Schwere der 5 Hypogonadismus, v. a. bei Männern (Atrophie
Symptomatik in nachfolgenden Generationen. der Tubuli seminiferi, primärer Hypogonadis-
mus)
Epidemiologie. 55:100.000, häufigste Muskeldystro- 5 Stirnglatze
phie bei Erwachsenen in Europa. 5 Diabetes mellitus durch Insulinresistenz
5 Schilddrüsenerkrankung
Symptomatik. Typisch sind: 5 Kognitive Einschränkung, Dissimulationsnei-
4 Muskuläre Symptome: gung
5 Zunächst distale, später auch proximale Schwä- 5 Persönlichkeitsveränderung mit Vernachlässi-
che und Atrophie der Extremitätenmuskulatur gungstendenzen und sozialem Rückzug
1.11 · Muskelkrankheiten
97 1

5 Tagesmüdigkeit bei vielen Patienten mit und Epidemiologie. Typ Thomsen 1:400.000, Typ Becker
ohne Schlaf-Apnoe-Syndrom 1:25.000.
5 Gelegentlich periphere Neuropathie
Symptomatik. Typisch sind für:
! Hauptsymptome: 4 Beide Typen
4 Distal betonte, progrediente Muskelschwäche/- 5 Myotonie: Störung der Muskelerschlaffung
atrophie 5 Warm-up-Phänomen: Abnahme der myotonen
4 Myotonie: verzögerte Muskelerschlaffung, emp- Symptomatik durch wiederholte Bewegungen
funden als Muskelsteife 4 Typ Thomsen
4 In 75% der Fälle Katarakt 5 Manifestation im Kleinkindalter mit Kontrak-
turen der Wadenmuskulatur, Spitzfußneigung,
Die Symptomatik beginnt meist im 15. bis 30. Lebens- häufigem Hinfallen, ungeschicktem Greifen
jahr (adulte Form). 5 Betroffene wirken oft athletisch
Eine schwere, kongenitale Sonderform fällt oft 5 Frauen sind meist leichter betroffen
schon vor der Geburt auf (Polyhydramnion infolge ei- 4 Typ Becker
ner Schluckschwäche). Postpartal kommt es zum Flop- 5 Beginn 5. bis 8. Lebensjahr
py-infant-Syndrom mit Trinkschwäche, offen stehen- 5 Myotonie in den Armmuskeln häufig stärker
dem Mund, hohem Gaumen und psychomotorischer ausgeprägt als in den Beinmuskeln
Entwicklungsretardierung. 5 Gelegentlich Achillessehnenkontrakturen oder
Kontrakturen in Ellbogen- und Schultergelenk
Diagnostik. Anamnese, Befund. 5 Passagere Störung der Muskelkontraktion mit
4 Labor: CK (mäßig erhöht), Transaminasen und γ- transienter Schwäche
GT of leicht erhöht, Abklärung endokriner Störun- 5 Disproportionierte Figur mit schmächtiger
gen: Blutzucker, HbA1c, Schilddrüsenparameter, Hals-, Schulter- und Armmuskulatur und hy-
ggf. Geschlechtshormone pertropher Bein- und Glutealmuskulatur
4 EMG: myotone Entladungsserien (Entladungsseri- 5 Lordose der Wirbelsäule
en z. B. im Perkussionstest »Sturzkampfbomberge-
räusch«) und Myopathie-typische Veränderungen > Beide Formen sind nicht kaliumempfindlich und wer-
4 Augenärztliche Spaltlampenuntersuchung (Kata- den nicht durch Kälte beeinflusst.
rakt)
4 Molekulargenetischer Nachweis Diagnostik. Anamnese, Befund.
4 EKG 4 Faustschlussmyotonie
4 Perkussionsmyotonie der Zungen- oder Extremitä-
Therapie. Physio- und Ergotherapie, Logopädie. Ggf. tenmuskulatur
symptomatische Therapie endokriner Störungen, Kata- 4 Lid-lag
raktoperation, Herzschrittmacher. 4 Bei Typ Becker transiente Parese mit Abnahme der
Kraft bei wiederholten Muskelkontraktionen
Prognose. Progredienter Verlauf, Lebenserwartung oft 4 EMG-Untersuchung (myotone Salven)
auf 50–60 Jahre verkürzt, Herzrhythmusstörungen sind 4 Labor: CK (maximal 2-fach erhöht) und Transami-
oft limitierend. nasen
4 Evtl. molekulargenetische Diagnostik
1.11.1.2 Nichtdystrophe Myotonien: Myotonia
congenita Thomsen und Becker Therapie. Antimyotone medikamentöse Therapie bei
Definition. Ionenkanalkrankheiten mit Übererregbar- Beeinträchtigung im sozialen oder beruflichen Alltag
keit (Myotonie: Störung der Erschlaffung des Muskels/ mit Lokalanästhetika/Antiarrhythmika. 1. Wahl: Mexi-
Relaxationsstörung) und Untererregbarkeit (Störung letin (vor Therapiebeginn (Langzeit-)EKG).
der Muskelkontraktion und transiente Schwäche/
schlaffe Lähmung). Prognose. Nicht progredient.

Ätiopathogenese. Autosomal-dominant (Myotonia Weitere Ionenkanalkrankheiten


congenita Thomsen) oder autosomal-rezessiv vererbte 4 Paramyotonia congenita (Eulenburg): In Kälte zuneh-
(Myotonia congenita Becker) Mutation in Chlorid- mende Myotonie mit nachfolgend über mehrere Stun-
kanälen. den anhaltende Schwäche. Betroffen sind v. a. Augen-
98 Kapitel 1 · Neurologie

muskeln, Gesicht, Hals, obere distale Extremitäten. Pa- Diagnostik. Anamnese, Befund.
1 radoxe Myotonie: Zunahme der Myotonie durch 4 Paresen, kein Faszikulieren, MER bleiben lange er-
repetitive Bewegungen/körperliche Aktivität, Atrophi- halten
en oder eine persistierende Muskelschwäche entwi- 4 EMG: myopathisch verändert
ckeln sich im Verlauf nicht. Symptome bestehen von 4 Muskelbiopsie: unregelmäßige Faserdurchmesser,
der Geburt an und sind in Wärme gering oder fehlen. zentral liegende Kerne, Bindegewebs- und Fettge-
4 Hyperkaliämische periodische Lähmung (Adynamia websvermehrung
episodica hereditaria) 4 Labor: erhöhte CK, Überträgerinnen haben in 2/3
4 Hypokaliämische periodische Lähmung der Fälle erhöhte CK-Werte
4 Molekulargenetische Diagnostik

1.11.2 Muskeldystrophien Therapie. Symptomatisch, Physiotherapie, ggf. Orthe-


sen oder operative Korrektur von Kontrakturen, Be-
1.11.2.1 Muskeldystrophie Typ Duchenne handlung von Atemwegsinfekten, Heimbeatmung.
Definition. X-chromosomal-rezessiv vererbte Muskel-
dystrophie. Prognose. Meist sterben Betroffene im Alter von 20
Jahren an Herz- und Ateminsuffizienz.
Ätiopathogenese. Mutationen im Dystrophin-Gen.
Muskeldystrophie Typ Becker-Kiener
Epidemiologie. 1:3500 Männer, fast nur Männer. X-chromosomal-rezessiv vererbte Mutation im Dystrophin-
Gen, 1:20.000 Männer. Beginn: 5. bis 20. Lebensjahr, der
Symptomatik. Beginn meist bis zum 3. Lebensjahr mit Verlauf ist gutartiger als bei Typ Duchenne, die Lebenser-
progressiver Dystrophie der proximalen Muskulatur, wartung nur gering verkürzt (Tod in der 5. bis 6. Lebensde-
v. a. der Beckengürtelmuskulatur (schlaffe Paresen). kade), der Intellekt ist normal.
Charakteristisch sind:
4 Pseudohypertrophie der Waden (Gnomenwaden) Muskeldystrophie Typ Emery-Dreifuss
durch Binde- und Fettwebszunahme X-chromosomal-rezessiv vererbte Mutation des Emerin-
4 Wespentaille Gens. Beginn: 5. bis 10. Lebensjahr an Oberarmmuskeln,
4 Watschelgang Fußhebern, Rückenmuskulatur. Es treten Kardiomyopathie,
4 Positives Trendelenburg-Zeichen geistige Retardierung und Kontrakturen auf.
4 Gowers-Manöwer: Betroffene nehmen beim Auf-
richten die Arme zur Hilfe und stützen sich an sich Autosomal-dominant vererbte Muskeldystrophien
selbst ab (Hochklettern an sich selbst) 4 Fazioskapulohumerale Form: Beginn 2. bis 3. Lebens-
jahrzehnt im Gesicht »Facies myopathica« mit leicht
Mit etwa 12 Jahren besteht Rollstuhlabhängigkeit, es offenem Mund und Lippenvorstülpung (»Tapirmund«)
kommt zu Flexionskontrakturen, Lendenlordose und sowie Scapula alata
Skoliose. In 1/3 der Fälle tritt eine milde mentale Retardie- 4 Okulopharyngeale Form: betrifft Lidheber, Schlund-
rung auf. Oft sind Herzmuskel (dilatative Kardiomyopa- muskulatur und äußere Augenmuskeln
thie) und glatte Muskulatur mitbetroffen. Keine sensiblen
oder vegetativen Störungen, keine Faszikulationen.

In Kürze

Muskelkrankheiten

Myotone 4 Symptomatik: Beginn meist 15. bis 30. Lebensjahr. Distal betonte, progrediente
Dystrophie Typ 1 Muskelschwäche und -atrophie, Myotonie. Häufig kardiale Beteiligung, Katarakt,
Innenohrschwerhörigkeit, endokrine Erkrankungen, Kognitive Einschränkungen,
Persönlichkeitsveränderung
4 Ätiologie: autosomal-dominant vererbte multisystemische Erkrankung, CTG-
Repeat-Expansion im Dystrophia-myotonica-Proteinkinase- Gen
6
1.11 · Muskelkrankheiten
99 1

4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Labor: CK (mäßig erhöht), Transaminasen und GGT


oft leicht erhöht, endokrine Störungen?, EMG: myotone Entladungsserien und Myo-
pathie-typische Veränderungen, Spaltlampe (Katarakt?), molekulargenetische Diag-
nostik, EKG
4 Therapie: Physio-, Ergotherapie und Logopädie, ggf. Therapie endokriner Störun-
gen, Kataraktoperation, Herzschrittmacher

Myotonia congenita 4 Symptomatik: Myotonie, Warm-up-Phänomen, athletisches Aussehen, bei Typ Be-
Thomsen, Myotonia cker transiente Paresen
congenita Becker 4 Ätiologie: Mutation von Chloridkanälen
4 Diagnostik: Anamnese, Befund: Faustschluss- und Perkussionsmyotonie, Lid-lag,
EMG: myotone Salven, Labor: CK (maximal 2-fach) und Transaminasen erhöht, evtl.
molekulargenetische Diagnostik
4 Therapie: ggf. antimyotone medikamentöse Therapie mit Mexiletin

Muskeldystrophie Typ 4 Symptomatik: Beginn meist bis zum 3. Lebensjahr mit schlaffen Paresen, v. a. der
Duchenne Beckengürtelmuskulatur, »Gnomenwaden«, Wespentaille, Watschelgang, positives
Trendelenburg-Zeichen, Gowers-Manöwer, mentale Retardierung, Beteiligung von
Herz- und glatter Muskulatur, Tod meist bis zum 20. Lebensjahr
4 Ätiologie: Mutationen im Dystrophin-Gen
4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Paresen, kein Faszikulieren, MER lange erhalten,
EMG und Muskelbiopsie: myopathisch verändert, Labor: erhöhte CK, molekularge-
netische Diagnostik
4 Therapie: symptomatisch, Physiotherapie, ggf. Orthesen oder operative Korrektur
von Kontrakturen, Behandlung von Atemwegsinfekten, Heimbeatmung

1.11.3 Neuromuskuläre Erkrankungen bei einem Kind, bildet sich nach einigen Wochen zu-
rück.
1.11.3.1 Myasthenia gravis pseudoparalytica Weitere Autoimmunerkrankungen (Schilddrü-
Definition. Autoimmunerkrankung mit Verlust nikotin- senerkrankungen, andere Endokrinopathien) können
erger Azetylcholinrezeptoren (AChR) an der motorischen assoziiert sein.
Endplatte, das Endplattenpotenzial erreicht die Schwelle Verschlechterung einer Myasthenia gravis bei:
zur Depolarisation der Muskelmembran nicht immer. 4 Infektion
4 Muskelrelaxanzien vom Kurare-Typ
Ätiopathogenese. Autoantikörper gegen AChR lassen 4 Benzodiazepinen
sich bei generalisierter Myasthenie in >80%, bei okulä- 4 Antibiotika (Aminoglykoside, Gyrasehemmer,
rer in 50% der Fälle nachweisen (serumpositive Myas- Makrolide, Ketolide)
thenie). 4 Antirheumatika (D-Penicillamin, Chloroquin)
Seltener sind Antikörper gegen Muskel-spezifische
Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK, positiv bei 50–75% Epidemiologie. Prävalenz: 3–10:100.000, W>M (W oft
der Patienten mit serumnegativer Myasthenie) und 20. bis 40. Lebensjahr; M oft >50 Jahre)
weitere Antigene der Skelettmuskulatur.
Symptomatik. Oft beginnt die Erkrankung als okuläre
> In 75% Thymushyperplasie (Thymitis mit lympho- Myasthenie an den äußeren Augenmuskeln mit transi-
follikulärer Hyperplasie) als Ausdruck eines aktiven enten, fluktuierenden Doppelbildern und Ptosis. In
immunologischen Prozesses. In 10–15% der Fälle 10% der Fälle bleibt die Erkrankung okulär. Häufig ent-
besteht ein Thymom. wickelt sich innerhalb von 2 Jahren eine generalisierte
Myasthenie (. Abb. 1.23a,b).
Neonatalen Myasthenie: durch plazentagängige Auto-
antikörper der Mutter ausgelöste myasthene Symptome
100 Kapitel 1 · Neurologie

von 5 Reizen mit 2–3 Hz) führt zu einer pathologi-


1 schen Abnahme (Dekrement) der Amplitude der
Muskelsummenpotenziale
4 Einzelfaser-EMG: Dispersion der Aktionspotenzial
einer motorischen Einheit (Jitter-Phänomen)
4 Tensilon-Test: Injektion von Edrophonium (Aze-
tylcholinesterasehemmer) verzögert den Abbau
von Azetylcholin. Die muskuläre Schwäche wird
für einige Minuten reduziert, eine Ptosis kann kurz
verschwinden (Atropin als Antidot bereithalten
und bei muskarinen Nebenwirkungen (Bradykar-
a die, Hypotonie, Bronchospasmus) injizieren)
4 Labor: CK meist normal, Autoantikörpernachweis
4 Antikörper gegen Azetylcholinrezeptoren korrelie-
ren mit dem klinischen Verlauf und können zur
längerfristigen Therapiekontrolle herangezogen
werden.
4 Thorax-CT mit Kontrastmittel und ggf. MRT (Thy-
mom)

Lambert-Eaton-Syndrom
Antikörpervermittelte Zerstörung präsynaptischer Kalzi-
umkanäle führt zu reduzierter Azetylcholinsekretion an
cholinergen Synapsen motorischer und vegetativer Nerven.
b 2/3 der Betroffenen haben ein kleinzelliges Bronchialkarzi-
. Abb. 1.23a,b. Okuläre Myasthenie mit leichter Ptose und nom, weiterhin besteht eine Assoziation zu Autoimmuner-
Schwäche des M. rectus superior auf dem linken Auge vor (a) krankungen wie z. B. perniziöse Anämie, Sjögren-Syndrom,
und nach (b) Tensilontest. Man erkennt, dass die Ptose deut- Hypo- oder Hyperthyreose. Im EMG-Ermüdungstest Amp-
lich zurückgegangen ist und das linke Auge weiter nach oben litudenzunahme (Inkrement).
gewandt werden kann
Therapie. Die Behandlung umfasst:
4 Symptomatisch: Cholinesterase-Inhibitoren, z. B.
> Typisch ist die abnorme, meist bilateral symmetrische Pyridostigmin
Ermüdbarkeit der Muskulatur verschiedener Körper- 4 Immunsuppressiv: anfangs einschleichend Gluko-
regionen. kortikoide, nach Symptom-Rückbildung schritt-
weise Reduktion auf Erhaltungsdosis. Bei zusätzli-
Symptome nehmen bei Belastung und im Tagesverlauf cher Gabe von Azathioprin, evtl. Ciclosporin A,
zu und bessern sich nach Ruhepausen. Mykophenolat Mofetil oder Cyclophosphamid
können Steroide reduziert werden
! Cave 4 Thymektomie:
Myasthene Krise kann durch respiratorische Insuffizi- 5 Bei Thymom: Operation
enz mit Aspirationsgefahr lebensbedrohlich sein. 5 Generalisierte, serumpositive Myasthenie: frü-
he Operation bei jungen Patienten, keine Ope-
Diagnostik. Anamnese, Befund. ration bei älteren Patienten über 60–65 Jahren
4 Quantifizierung der Muskelschwäche 5 Bei rein okulären Symptomen ohne Hinweis auf
4 Klinische Tests: Arm-, Bein-, und Kopfhalteversu- Thymom zurückhaltende Indikationsstellung
che, Messung der Vitalkapazität, Einschätzung des 5 Seronegative Patienten haben selten patholo-
Kauens und Schluckens, Lidschluss, Doppellbilder gische Thymusbefunde und profitieren wenig
beim Blick zur Seite, zunehmende Ptose beim Blick von einer Thymektomie
nach oben (Simpson-Test). Zahlenreihensprechen
(zunehmend verwaschene Sprache) Myasthene Krise: Atemwege freihalten, Sauerstoffzu-
4 EMG-Ermüdungstest (Stimulations-EMG): su- fuhr sichern, intensivmedizinische Überwachung, ggf.
pramaximale, repetitive Nervenstimulation (Serie Intubation, Antibiose, Cholinesterase-Inhibitoren i.v.
1.11 · Muskelkrankheiten
101 1

Plasmapherese oder Immunadsorption zur Entfernung nom). Die Myositis kann dem Tumornachweis um Jahre vor-
von Autoantikörper. Bei Kontraindikation Gabe hoch- ausgehen, man sollte daher bei DM und PM immer aufTumor-
dosierter Immunglobuline. suche gehen. IBM ist in 20% der Fälle mit anderen Autoimmun-
erkrankungen, nicht jedoch mit Malignomen assoziiert.
! Cave Leitsymptom ist die Muskelschwäche. Bei DM und PM
Unter i.v. Gabe von Cholinesterase-Inhibitoren kann weitgehend symmetrisch und v. a. proximal, bei IBM früh
eine cholinerge Krise entstehen. auch distale Muskeln, v. a. Fußextensoren und Fingerflexo-
ren, evtl. asymmetrisch betroffen. Schluck-, Atem- und Na-
Symptome der cholinergen Krise: ckenmuskulatur können mitbeteiligt sein. Ca. 50% der Pa-
4 Glatte Muskulatur: Miosis, abdominelle und epi- tienten leiden an Myalgien oder Arthralgien. Gelegentlich
gastrische Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Harn- kommt es zu einem Raynaud-Syndrom (PM, DM), zu kardi-
drang aler oder pulmonaler Beteiligung. Sensibilität und Mus-
4 Kardial: AV-Block, Bradykardie keleigenreflexe bleiben erhalten.
4 Gesteigerte Drüsensekretion: Bronchialsekretion,
Tränenlaufen, Hypersalivation, Schwitzen Hautveränderungen bei der DM:
4 Skelettmuskuläre Spasmen und Faszikulationen 4 Rote oder lilafarbene Erytheme im Gesicht v. a. perior-
bzw. Depolarisationsblock mit Muskelschwäche bital, Wangen
4 ZNS-Symptome außer bei Pyridostigmin: Reizbar- 4 De- und Hyperpigmentierungen
keit, Unruhe, Krampfanfälle, Koma 4 Gottron-Zeichen: schuppige Erosionen an den Finger-
knöcheln
Nach mehrjähriger stabiler Remission können Immun- 4 Keinig-Zeichen: schmerzhafte erweiterte Kapillaren an
suppressiva langsam reduziert werden, bei abruptem der Basis der Fingernägel
Absetzen können myasthene Symptome wieder auftre- 4 »Mechanikerhände«: raue Haut an Handflächen und
ten und zu einer myasthenen Krise führen. Oft ist die Fingern
lebenslange immunsuppressive Therapie erforderlich. 4 Subkutane Verkalkungen
4 Evtl. auch intestinale Ulzerationen
Myositis
Erworbene entzündliche Muskelerkrankungen: Diagnostik: Anamnese, Befund, Tumorsuche, Elektrophy-
4 Autoimmunmyositis siologie, Muskelbiopsie.
4 Bei Kollagenose »Overlap-Syndrom«
4 Bei anderen Systemerkrankungen, z. B. granulomatöse Therapie bei PM und DM: Immunsuppression mit Kortikos-
Myositis bei Sarkoidose teroiden, in der Langzeittherapie oft in Kombination mit
4 Erregerbedingte Myositis Immunsuppressiva wie Azathioprin. Bei Therapieresistenz
5 Protozoen und Helminthen: Toxoplasmose, Trichi- Versuch mit intravenösen Immunglobulinen. IBM ist weit-
nose, Zystizerkose gehend therapieresistent. Immunglobulin-Infusionen kön-
5 Bakterien: Borreliose, Tbc, Bruzellen, Staphylo- nen versucht werden. Bei paraneoplastischen Myositiden
kokken Behandlung des Grundleidens.
5 Viren: HIV, Coxsackie, Influenza
1.11.3.2 Arzneimittelinduzierte Myopathie
Autoimmunmyositiden Definition. Myopathie als unerwünschte Arzneimittel-
4 Polymyositis (PM) wirkung.
4 Dermatomyositis (DM)
4 Sporadische oder hereditäre Einschlusskörpermyositis Ätiopathogenese. Direkt toxische Wirkung auf den
(»inclusion body myositis«, IBM) Muskel oder immunvermittelter Muskelschaden; auslö-
sende Medikamente können sein: Glukokortikoide, Zi-
Vermutlich sind T-Zell- (PM) bzw. Antikörper-vermittelte dovudin, Chloroquin, Colchizin, Betablocker, Ciclospo-
(DM) Autoimmunprozesse beteiligt. Bei der IBM wird ein rin, Vincristin und mit Rhabdomyolyse durch Fibrate,
ähnlicher degenerativer Prozess wie beim Morbus Alzhei- Statine, Amphetamine, Kokain, Heroin, Barbiturate.
mer mit Akkumulation pathologischer Proteinfibrillen und
sekundärer Entzündungsreaktion diskutiert. Symptomatik. Verlauf akut oder chronisch; unter-
Paraneoplastisches Auftreten: Relatives Malignomrisi- schiedliche Symptomatik mit Schmerzen, Muskel-
ko bei DM etwa 4 (keine speziellen Tumorarten), bei PM etwa schwäche/-atrophie; ggf. bei Rhabdomyolyse Symptome
2 (v. a. Non-Hodgkin-Lymphom, Lungen- und Blasenkarzi- und Komplikationen durch akutes Nierenversagen.
102 Kapitel 1 · Neurologie

Diagnostik. Anamnese (Medikamente?), Befund, Elek- Weitere Ursachen toxischer Myopathien


1 trophysiologie, Muskelbiopsie. Übermäßiger Alkoholkonsum, endokrine Erkrankungen:
Cushing-Syndrom, Morbus Addison, Akromegalie, Hypo-
Therapie. Absetzen des auslösenden Medikaments, physeninsuffizienz, Hypo- und Hyperthyreose, Hypo- und
symptomatische Therapie, Physiotherapie, Glukokorti- Hyperparathyreoidismus.
koide bei Immunvermittelter Genese.

In Kürze

Neuromuskuläre Erkrankungen

Myasthenia gravis 4 Symptomatik: bilateral symmetrische Ermüdbarkeit der Muskulatur, zunehmende Symp-
tome im Tagesverlauf/nach Belastung, Beginn oft mit okulären Symptomen (Doppel-
bilder und Ptosis)
4 Ätiologie: oft Autoantikörper-vermittelter Verlust nikotinerger Azetylcholin-Rezeptoren
(AChR) an der motorischen Endplatte. In ¾ der Fälle besteht eine Thymushyperplasie
(Thymitis mit lymphofollikulärer Hyperplasie), bei 10–15% der Fälle ein Thymom, Asso-
ziation mit Autoimmunerkrankungen
4 Diagnostik: Anamese, Befund, klinische Tests: Simpson-Test, Zahlenreihensprechen
4 Dekrement im EMG-Ermüdungstest, Tensilon-Test, Labor: CK in der Regel normal, Nach-
weis von Autoantikörpernachweis, Thorax-CT mit KM und ggf. MRT (Thymom?)
4 Therapie: Cholinesterase-Inhibitoren, Immunsuppressiva, ggf. Thymektomie

Arzneimittel- 4 Symptomatik: Muskelschwäche, -schmerzen und/oder -atrophien


induzierte 4 Ätiologie: Medikamentennebenwirkung, direkt toxische Wirkung oder immunvermittelt
Myopathie 4 Diagnostik: Anamnese, Befund, Elektrophysiologie, Muskelbiopsie
4 Therapie: Absetzen auslösender Medikamente, Glukokortikoide bei immunvermittelter
Genese, symptomatische Therapie, Physiotherapie
2 Psychiatrie, Psychotherapie
E. N. Cho, H. Thieme

2.1 Anamnese, Befund, Therapie –105


2.1.1 Anamnese –105
2.1.2 Befund –106
2.1.3 Therapie –112

2.2 Körperlich begründbare psychische Störungen –119


2.2.1 Syndromatische Erscheinungsformen exogener Psychosen –119

2.3 Hypoglykämie –124

2.4 Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen –126


2.4.1 Demenz als gemeinsames Leitsymptom –126
2.4.2 Demenz bei Alzheimer-Krankheit –128
2.4.3 Demenz bei HIV-assoziierter Enzephalopathie –129
2.4.4 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJE) –130
2.4.5 Demenz bei Morbus Parkinson –130

2.5 Esstörungen –132


2.5.1 Anorexia nervosa –132
2.5.2 Bulimia nervosa –132

2.6 Schlafstörungen –133

2.7 Missbrauch, Abhängigkeit –134


2.7.1 Alkoholismus –134
2.7.2 Opioide (Morphintyp) –140
2.7.3 Cannabinoide, Marihuana –140

2.8 Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung,


schizoaffektive Störung –143
2.8.1 Schizophrenie –143
2.8.2 Schizoaffektive Störung –147
2.8.3 Anhaltende wahnhafte Störung –147

2.9 Affektive Erkrankungen –149


2.9.1 Depressive Störung –149
2.9.2 Rezidivierende depressive Störung –150
2.9.3 Anhaltende affektive Störung –151
2.9.4 Manie –151
2.9.5 Bipolare Störung –152
2.10 Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter –154
2.10.1 Kindesmisshandlung –154
2.10.2 Störungen der Motorik und Psychomotorik –155
2.10.3 Intelligenzminderung –157
2.10.4 Störungen des Sprechens und der Sprache –158
2.10.5 Störungen im Zusammenhang mit schulischen Leistungen –158
2.10.6 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen –160
2.10.7 Psychogene Störungen –161
2.10.8 Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter –162
2.10.9 Störungen des Sozialverhaltens –162

2.11 Vorsätzliche Selbstbeschädigung –164


2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
105 2

Definition. Die Psychiatrie ist ein medizinisches Fach- 5 Prämorbide Persönlichkeitseigenschaften


gebiet, das sich mit der Psyche und Psychopathologie (pedantisch, niedergestimmt, hypochondrisch,
beschäftigt, sich auch psychologischer Erkenntnisse himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt)
bedient und als biologisch-naturwissenschaftliches 4 Somatische Anamnese (frühere Erkrankungen,
Fach eng mit der Inneren Medizin und Neurologie ver- Therapien)
knüpft ist. 4 Psychiatrische, psychotherapeutische psychoso-
matische Anamnese (aktuelle Beschwerden, Aus-
löser, Krankheitskonzept, Erwartungen an die The-
2.1 Anamnese, Befund, Therapie rapie, ggf. frühere psychiatrische, psychosomatische
Erkrankungen)
2.1.1 Anamnese 4 Konfliktklärung (intrapsychische Konflikte, Be-
lastungssituationen, Auslöser, . Tab. 2.1)
4 Medikamentenanamnese (evtl. Rausch-/Sucht-
Allgemeine Untersuchungshinweise mittel)
4 Ruhiges, sicheres Auftreten des Untersuchers
4 Räumliche Distanz zum Patienten halten > AIDS, Herzinsuffizienz, Schilddrüsenüberfunktion,
(plötzliche aggressive Reaktionen, potenzielle Exsikkose (v. a. beim älteren Menschen) u. v. a. Erkran-
Waffen entfernen) kungen können psychische Störungen verursachen.
4 Patient nicht bedrängen, kurze einfache Fragen
4 Keine Kritik äußern Die Krankengeschichte wird nicht chronologisch erho-
4 Keine passiven Suggestivfragen (Patient spürt ben, sondern nach Schwerpunkten gegliedert (Anam-
Erwartung des Arztes) nesenmosaik). Explizit gefragt werden muss nach
4 Keine aktiven Suggestivfragen (Nur bei klarem psychiatrischen Erkrankungen, Suizidversuchen,
Sachverhalt, wie Alkoholabhängigkeit, direkt Suchtkrankheiten, Kriminalität etc.
nachfragen)
! Cave
In jeder psychiatrischen Exploration muss die Suizida-
Als systematisches Vorgehen empfiehlt sich: lität erfragt werden.
4 Familienanamnese (Stammbaum, soziale und be-
rufliche Situation, Erbkrankheiten, Suizidversuche, Das Suizid-Risiko kann abhängig von der Erkrankung,
Suchtkrankheiten, Kriminalität, Familienklima, wie bei Depression, Chorea Huntington, Epilepsie (5-
Charakterisierung von Eltern, Großeltern und an- fach erhöht) oder der Medikation erhöht sein.
derer)
4 Lebensgeschichte des Patienten
5 Äußere Lebensgeschichte: Geburtsort, Lebens- . Tab. 2.1. Konfliktarten
raum, Geschwisterstellung, Schwangerschafts-
Art Charakterisierung
und Geburtsbesonderheiten, Kindergarten,
schulische Ausbildung (Lehre, Studium), be- Normale Entschärfung oder Lösung durch
rufliche Entwicklung, Partnerschaft, Heirat, Konflikte Aussprachen, Interessenausgleich
Kinder, wirtschaftliche Situation, Wohnver- oder Kompromisse möglich
hältnisse
Antinomische Unaufhebbare Gegensätze der Im-
5 Innere Lebensgeschichte: Subjektive Schilde-
Konflikte pulse und Bedürfnisse (z. B. Zölibat)
rung von frühkindlicher Entwicklung (erste
Erinnerungen, Neurotizismen in der Kindheit Tragische Unaufhebbare Gegensätze in existen-
wie Kontaktstörungen, Bezugspersonen, Erzie- Konflikte ziellen Bereichen (z. B. Gesundheit)
hungsstil der Eltern, Geschlechtsrolle, sexuelle
Neurotische Reaktion auf Situationen mit unange-
Entwicklung, Kinder und deren Entwicklung, Konflikte passten Verhaltensweisen, die der
Sozialkontakte, Freunde, Religion, Weltan- Mensch in der Jugend erworben hat
schauung, Freizeitaktivitäten (Hobbies, Ste-
ckenpferde, individuelle Interessen) Häufige Konfliktbereiche: Verluste durch Tod oder Tren-
4 Primärpersönlichkeit nung, Partnerwahl, Bindungsverhalten, Beziehung zu
eigenen Kindern, Herkunftsfamilie, Arbeitsbereich, Besitz,
5 Persönlichkeitsstruktur (schizoid, depressiv,
soziokultureller Bereich
hysterisch, histrionisch)
106 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

> Viel wichtiger als in anderen medizinischen Bereichen 2.1.2 Befund


ist die Fähigkeit der empathischen Einfühlung.
2.1.2.1 Somatischer Befund
2 Aus den emotionalen Reaktionen des Untersuchers im Körperliche, internistische und neurologische Untersu-
Gesprächsverlauf wird Einblick in das Beziehungsver- chung (Abgrenzung funktioneller Störungen), Labor
halten des Patienten gewonnen (Wahrnehmung der (Psychosyndrom bei postoperativer Elektrolytentglei-
Übertragung beim Patienten und Gegenübertragung sung), Röntgen, EEG (Epilepsie), EKG, CCT, Kernspin-
beim Untersucher). tomographie, PET.
Abhängig davon, ob ein Patient
4 motiviert (freiwillig) für eine Therapie, 2.1.2.2 Psychischer Befund
4 abwehrend (gezwungenermaßen) oder Psychopathologie des Patienten (. Tab. 2.2), äußeres
4 psychisch schwerkrank (unkooperativ, stuporös) Erscheinungsbild, Sprechverhalten, Sprache. Subjekti-
ist, ves Krankheitsgefühl, Krankheitseinsicht, Leidens-
druck und Krankheitsgewinn u.v.a. spielen eine wich-
muss das sog. »Untersuchungssetting« modifiziert tige Rolle.
werden.

. Tab. 2.2. Psychopathologische Befunde

Störung Mögliche Befunde Exploration/Hinweise

Bewusstseinslage (Be- 4 Bewusstseinsverminderung, 4 Reagiert der Patient auf Ansprache, Schmerz-


nommenheit, Somno- -einengung, -verschiebung reize, Aufforderung?
lenz, Sopor, Koma)

Orientierung (falsch in- 4 Falsche Angaben zu Zeit, Ort, Person, 4 Namen, Datum, Ort erfragen
formiert, verwirrt, deso- Situation
rientiert)

Auffassung und Ge- 4 Auffassungsstörung 4 Nachsprechenlassen von Zahlenreihen


dächtnis (verlangsamt, 4 Konzentrationsstörung 4 Nacherzählen von Fabeln (lückenhafte
fehlend) 4 Störung des Gedächtnisses (Konfuba- Erzählungen? Konfabulationen? Perser-
lationen, antero-/retrograde Amnesie) veration?)
4 Paramnesien 4 Befolgt Patient Anweisungen?
4 Patient soll sich von Beginn bis Ende der
Untersuchung drei Worte merken
4 Versteht er reale/abstrakte Gedankeninhalte?

Formale Denkstörungen 4 Gehemmt, verlangsamt, umständlich, 4 Sprechgeschwindigkeit, Ausdrucksweise,


(Tempo, Inhalt und eingeengt Sprache und Gesprächsführung
Denkziel) 4 Perseveration, Ideenflucht, Vorbeireden 4 Ist das Gesagte logisch/zusammenhängend?
4 Gesperrt, zerfahren, inkohärentes 4 Unterbrechungen des Gedankenablaufs
Denken

Wahn (Beziehungs-, Ver- 4 Wahnstimmung 4 Hört der Patient Stimmen, erhält er in irgend-
folgung-, Eifersuchts-, 4 Wahnwahrnehmung einer Form Botschaften?
Größen-, Verarmungs- 4 Wahneinfall 4 Geht mit seinem Körper etwas Eigenartiges
und hypochondrischer 4 Systematisierter Wahn vor?
Wahn) 4 Sieht er Absonderliches?

Befürchtungen, Zwang 4 Hypochondrie 4 Gibt es Gedanken, die der Patient immer


4 Phobie (Agora-, Klaustro, Akrophobie) wieder denken muss, auch wenn sie ihm
4 Zwangsdenken (Zwangsideen, -vor- unsinnig vorkommen?
stellungen, -gedanken, -fragen, -grü- 4 Hat er vor manchen Dingen besondere
beln, -erinnerungen, -befürchtungen) Angst? Fürchtet er sich davor, krank zu sein?
4 Zwangshandlungen (Zähl-, Wasch-
zwang)
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
107 2

. Tab. 2.2 (Fortsetzung)

Störung Mögliche Befunde Exploration/Hinweise

Wahrnehmung 4 Halluzinationen (optisch, akustisch, 4 Wendet sich der Patient lauschend ab?
olfaktorisch) 4 Werden abwehrende Handbewegungen
4 Illusionen sichtbar?

Stimmungen, Affektivi- 4 Depressiv, bedrückt, Gefühl der 4 Ansprechen eventueller Suizidgedanken?


tät, affektive Resonanz Gefühllosigkeit 4 Zukunftsvorstellungen?
4 Affektarmut 4 Private/berufliche Pläne?
4 Misstrauisch, dys-/euphorisch
4 Affektlabil/-inkontinent/-starr
4 Ambivalent

Antrieb 4 Antriebsarm, gehemmt, Mutismus, 4 Fallen dem Patienten alltägliche Tätigkeiten


stuporös schwer?
4 Logorrhö, antriebsgesteigert, moto- 4 Unternimmt er überdurchschnittlich viel?
risch unruhig Ist er innerlich unruhig?
4 Stereotypien. Automatismen

Ich-Erleben 4 Depersonalisation, Derealisation 4 Gibt es aus Sicht des Patienten Veränderun-


4 Gedankenausbreitung, -entzug-, gen an sich/seiner Umgebung?
enteignung, -eingebung 4 Ist er der Ansicht, dass seine Gedanken
4 Fremdbeeinflussung beeinflusst werden?
4 Transitivismus (Patient schreibt seine
Erlebnisse anderen zu)

> Simulation (Vortäuschung einer Krankheit) und Dissi- Suizidalität(srisiko) müssen bereits im Erstinterview
mulation (Vortäuschung von Gesundheit, Leugnung eruiert werden.
von Krankheit), Selbstbeschädigung(stendenzen) und

Glossar zu psychischen Elementarfunktionen und deren Störungen


4 Bewusstsein/Vigilanz (quantitative oder qualita- Bewusstseinsfeldes). Beispiele: Delir, schwere
tive Störungen): Vigilanz (Wachheit) als Vorausset- halluzinatorische Psychosen.
zung für reflektierendes Bewusstsein, d. h. das 4 Aufmerksamkeit/Gedächtnis: Aufmerksamkeits-
Wissen um die Beziehung zwischen Bewusstseins- und Konzentrationsstörungen, Auffassungsstörun-
inhalten (Erleben, Erinnerung, Vorstellung, Den- gen, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen.
ken) und dem Ich, dem etwas bewusst ist. Meist Beispiele: physiologische Müdigkeit, organisches
organische Ursache (hirnorganische Störung, Psychosyndrom; Aphasie, exogene Störung.
Intoxikationen, Allgemeinerkrankungen, Schädel- 4 Orientierungsstörungen (Zeit, Ort, Situation, in
Hirn-Trauma, präfinal)! Bezug auf die eigene Person). Bei körperlich be-
– Quantitative Störung: Benommenheit, Som- dingten psychischen Störungen.
nolenz (abnorme Schläfrigkeit), Sopor (Betäu- 4 Wahrnehmungsstörungen:
bung), Koma (Bewusstlosigkeit). Beispiele: – Quantitative Störungen (fehlerhafte Wahrneh-
Dämmerzustand bei Epilepsie, Intoxikationen, mung aufgrund von verminderter Wahrneh-
Hirntraumen, Rausch, Enzephalitis, später Am- mungsfähigkeit). Beispiele: Bei körperlich beding-
nesie. ten psychischen Störungen, zerebrovaskulären
– Qualitative Störung: Veränderung des Be- Erkrankungen, visueller Hemineglect (optischer
wusstseins, Trübung/Verwirrtheit, Einengung Ausfall einer Seite). Bei psychotischer Personen-
(traumhafte Verkleinerung des Bewusstseins- verkennung (Capgras-Syndrom: eine bekannte
feldes), Verschiebung (abnorme Helligkeit des Person wird für deren Doppelgänger gehalten).
6
108 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

– Qualitative Störungen (veränderte Wahrneh- – Gedankendrängen: übermäßiger Druck vieler


mung ohne entsprechende Sinnesreize: Illu- oder ständig wiederkehrender Gedanken
2 sionen (Wahrnehmungsgegenstand ist vorhan- 4 Inhaltliche Denkstörungen:
den), Dysästhesien (veränderte unangenehme – Wahn: irrige, im Widerspruch zur Realität stehen-
Wahrnehmungen auf der Körperoberfläche, de Überzeugung mit unmittelbarer persönlicher
z. B. bei Berührung). Evidenz (Wahngewissheit), gleichzeitig besteht
– Makropsie, Mikrosie, Metamorphopsie kein Bedürfnis nach Ergründung dieser Fehl-
– Zönästhesien: bei neurotischen Störungen, bei beurteilung (z. B. Querulantenwahn: uneinsich-
Überforderung tiger, selbstgerechter Kampf ums Recht, der sich
– (Pseudo-)Halluzinationen (Wahrnehmungs- vom ursprünglichen Gegner auf die ganze
gegenstand ist nicht vorhanden): Gesellschaft ausweitet); Cotard-Syndrom/nihilis-
– Akustisch: Schizophrenie, Alkoholhalluzinose tischer Wahn; symbiontischer Wahn/Folie-a-deux:
– Optisch: Alkoholdelir ein dem Erkrankten Nahestehender partizipiert
– Olfaktorisch und gustatorisch: bei epilepti- an dessen Wahnerleben)
scher Aura, manchmal Initialsymptom einer – Überwertige Ideen: sind nichtwahnhafte, aber
Schizophrenie inhaltlich als Komplex fest miteinander verbun-
– Haptisch (taktil): Dermatozoenwahn, Delir, dene Gedanken, die in unangemessener Weise
Kokainpsychose die Person beherrschen
– Leibhalluzinationen (Beeinflussungserleb- – Zwang: Auftreten von als ichfremd erlebten,
nisse durch Apparate, Hypnose, Strahlung): nicht unterdrückbaren Vorstellungen und
Schizophrenie Handlungsimpulsen, die als unsinnig erkannt
4 Formale Denkstörungen (subjektive oder objek- werden
tive Veränderung des normalen Denkvorgangs, – Phobien: unangemessene Angst vor Personen,
z. B. unlogisches Denken): Lebewesen, Situationen oder Gegenständen
– Hemmung (subjektive Erschwerung) des Den- 4 Störungen der Affektivität (zusammenfassende
kens und Sperrung des Denkens (Gedanken- Bezeichnung für Gefühle, Affekte (kurz dauernde
abreißen) umschriebene Gefühlwallungen, z. B. Wut) und
– Verlangsamung (objektiv wahrgenommene Stimmungen):
Verzögerung), Gegensatz Beschleunigung – Affektlabilität: Schwankungen mit raschem
– Perserveration: an einem Thema »klebend« Wechsel
(inhaltlich) oder Verbigeration (verbal) – Affektinkontinenz: fehlende Beherrschung von
– Umständlichkeit (Weitschweifigkeit) und Vor- Affektäußerungen (bei zerebralen Abbaupro-
beireden zessen)
– Begriffsverschiebung: Konkretismus (Begriffe – Stimmungslabilität: Stimmungswechsel und
werden nur wörtlich verstanden), Symbolden- Beeinflussbarkeit je nach Denkinhalt
ken (Begriffe werden nur metaphorisch ver- – Depressivität: Niedergeschlagenheit
standen) – Euphorie, Hypomanie, Manie
– Begriffszerfall: Begriffe werden nicht exakt ein- – Dysphorie: gereizte Verstimmtheit
gesetzt (Relativismus) – Affektverflachung: mangelnde Ansprechbarkeit
– Kontamination: unlogische Wortneubildungen, des Gefühls
bei Schizophrenie (Schizophasie) – Apathie: Gefühllosigkeit, Teilnahmslosigkeit
– Zerfahrenheit: dissoziierter Gedankengang, nur – Torpidität: Stumpfheit, Unansprechbarkeit bei
bei guter Kenntnis des Patienten verstehbar, bis Schwachsinnigen (bei Intelligenzminderung)
zum unverständlichen »Wortsalat« – Ambivalenz: meist quälende Koexistenz gegen-
– Inkohärenz: Zerfahrenheit mit qualitativer Be- sätzlicher Gefühle
wusstseinsstörung, z. B. bei exogenen Psycho- – Vitalstörungen
sen vom amentiellen Typ – Angst
– Ideenflüchtiges/sprunghaftes Denken (leichte – Phobie
Ablenkbarkeit) 4 Antrieb (vom Willen weitgehend unabhängig wir-
– Logorrhö: unkontrollierter Redefluss kende Kraft, verantwortlich für die Bewegung aller
6
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
109 2

seelischen Leistungen bezüglich Tempo, Initiative, – Entfremdungserlebnisse: Depersonalisation (ab-


Aufmerksamkeit, Tatkraft): norme Gefühle der Veränderung des Körpers,
– Antriebsstörungen (Steigerung oder Verminde- das Handeln wird als mechanisch/automatisch
rung): Antriebsschwäche/-mangel, Hemmung, erlebt) und Derealisation (Erlebnis der abnorm
Beschäftigungsdrang, Mutismus (Nichtspre- veränderten Umwelt)
chen über längere Zeit bei intakten Sprech- – Beeinflussungserlebnisse: Gedankenentzug, -
organen und Sprachfähigkeit) ausbreitung; Gefühl, dass das Erleben von außen
– Trieb: vitale Lebensbedürfnisse wie Nahrungs- »gemacht« wird)
trieb, Sexualtrieb etc. (Triebhandlung: gerichte- – Transitivismus: Projektion eigenen Krankseins
te Handlung zur Erreichung eines bestimmten auf andere
Triebziels) 4 Psychomotorische Störungen: Hyperkinese, Aki-
– Drang: ungerichtetes, nach Entladung drän- nese/Hypokinese, Katalepsie (starres Verharren in ein-
gendes Gefühl innerer Unruhe wie Poriomanie mal eingenommener Körperhaltung), Stupor, Stereo-
(Fugue, Weglaufen), Pyromanie, Kleptomanie typien, Manierismen (Manieriertheit: sonderbare
etc., oft bei zerebral Geschädigten/Anfalls- Gestik und Mimik), Faxen (albern wirkendes Grimas-
kranken sieren), Raptus (ungeordneter Bewegungssturm)
4 Störungen des Ich-Erlebens: Störungen des Ein- 4 Minderung der Intelligenz:
heitserlebens des Ichs (der Meinhaftigkeit); Verän- – Angeboren (Oligophrenie)
derung der Ich-Umweltgrenze: größere Durchläs- – Erworben (Demenz):
sigkeit bis hin zum Verlust oder (meist sekundär) – Pseudodebilität: Vortäuschung von Schwach-
Autismus (Abschottung) sinn (ähnlich dem Ganser-Syndrom: bewusst-
– Autismus: Isolierung des Ichs, Sichzurückziehen seinsnahes Vortäuschen von intellektuellen
in eine eigene innere Welt Fähigkeiten)
– Doppelte Persönlichkeit (doppeltes Bewusst- – Depressive Pseudodemenz: scheinbare »Ver-
sein): hintereinander auftretende Zustände un- blödung« mit Hemmung kognitiver Funktio-
terschiedlichen Bewusstseins (bei multipler Per- nen bei schweren Depressionen im Alter
sönlichkeit meist ohne Kenntnis der einen von (v. a. subjektiv), gute Prognose, wenn kein
der anderen Form) Übergang in eine Demenz erfolgt

. Tab. 2.3. Prüfungen einzelner Teilleistungen

Test Indikation/Befund Prüfungsinhalt

Persönlichkeitsdiagnostik

Thematischer Tiefenpsychologische Interviews bei nicht- Zu einer schemenhaften Bilderreihe soll eine Geschichte
Apperzeptions- psychotischen Störungen als Ergänzung, erzählt werden, die erklärt, wie es zu der dargestellten
test (TAT) geben Einblick in das Konfliktverhalten des Situation kam und wie es weitergeht
Patienten

Minnesota Hervorstechende Persönlichkeitseigenschaf- Fragengruppen zusammengefasst zu Skalen (Depres-


Multiphasic ten werden erfasst (v. a. für Gruppenunter- sion, Schizophrenie, Hypochondrie, Hysterie, Psychopa-
Personality suchungen). Objektivität ist ausreichend thie, Paranoia, Psychasthenie, Hypomanie, Maskulinität/
Inventory gewährleistet. Fragen, die mit »weiß ich Femininität, soziale Introvertiertheit), aus deren Punkt-
(MMPI) nicht«, »richtig« oder »falsch« beantwortet zahl ein Testprofil gezeichnet wird
werden

Freiburger Als Verlaufskontrolle (z. B. bei neurotischen Ähnlich MMPI, Skalen für Lebenszufriedenheit, soziale
Persönlichkeits- Störungen), ermöglicht Beurteilung des ak- Orientierung, Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Er-
inventar (FPI) tuellen Befindens und der Persönlichkeits- regbarkeit, Aggressivität, Beanspruchung, körperliche
eigenarten. Ausreichende Trennschärfe, zu- Beschwerden, Gesundheitssorgen, Offenheit, Extraver-
friedenstellende Validität sion, Emotionalität
110 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.3 (Fortsetzung)

Test Indikation/Befund Prüfungsinhalt


2 Sprachdiagnostik

Aachener Unterscheidung hirngeschädigter Patienten Besteht aus sechs Untertests:


Aphasie-Test in aphasische und nichtaphasische Patient- 4 Spontansprache: semistandardisiertes Interview,
en und in verschiedene Aphasieformen. Re- Beurteilung von Kommunikationsverhalten, Artiku-
liabilität und Validität sind zufriedenstellend lation, Prosodie, automatisierte Sprache (semanti-
sche, phonematische und syntaktische Struktur
4 Token-Test: Patient zeigt und ordnet unterschied-
liche, farbige geometrische Formen nach Anwei-
sung; als Maß Schweregrad der Störung
4 Nachsprechen: Patient spricht Laute, einsilbige
Wörter, Lehn- und Fremdworte, zusammengesetzte
Wörter und Sätze nach
4 Schriftsprache: Patient liest laut, nach dem Diktat
setzt er Laute, Wörter und Sätze zusammen,
schreibt nach Diktat
4 Benennen: Objekte, Farben, Situationen und Hand-
lungen (durch einfache/zusammengesetzte Nomi-
na, Sätze)
4 Sprachverständnis: Überprüfung des auditiven und
des Leseverständnisses für Worte und Sätze. Selek-
tive Prüfung der Erinnerung zur Quantifizierung der
verbalen Lern- und Gedächtnisleistung. Bei Störun-
gen der Sprachrezeption, -expression und ungenü-
genden Deutschkenntnissen nicht anwendbar.
Dient als Screening-Verfahren zur Aufdeckung ver-
baler mnestischer Verluste nach Hirnverletzungen.
Objektiver Test mit guter Reliabilität und Validität.
Bildungs- und altersabhängige Bewertung
4 Nach 5 Durchgängen <5 Worte: Beeinträchtigung
des verbalen Lernens
4 Nach 15 min unter 3–4 Worte: unterdurchschnittli-
ches verbales Gedächtnis

Gedächtnisprüfung und Demenzdiagnostik

Memo-Test Erstdiagnostik, Verlaufskontrolle unter The- Globale Einschätzung des Demenzschweregrades, Ab-
rapie. Im ersten Durchgang werden 10 Wor- stufung kognitiver Störungen, um von gesunden Älte-
te vorgesprochen, die erinnert werden sol- ren bis hin zu schwerer Alzheimer-Demenz zu differen-
len. In den folgenden 3 Durchgängen wer- zieren (Orientierungsprüfung, Aufmerksamkeit, Merk-
den die nicht erinnerten Worte vorgespro- fähigkeit, Zahlenverständnis, Sprache)
chen. Nach 15 min erneutes Abfragen

Mini-Mental- Beurteilung der Selbstständigkeit im alltägli- Beurteilung neurologischer und psychiatrischer Störun-
State (MMS) chen Leben, Erstdiagnostik, Verlaufskontrol- gen zur Unterscheidung zwischen vaskulärer und dege-
le unter Therapie, Bewertung anhand Skala nerativer Demenz, Abstufung kognitiver Störungen, um
von gesunden Älteren bis hin zu schwerer Alzheimer-
Demenz zu differenzieren

Global Beurteilung der Selbstständigkeit im alltägli- Fragen nach täglichen Handlungen, z. B. Körperpflege,
Deterioration- chen Leben, Erstdiagnostik, Verlaufskontrol- Haushalt, Hilfsbedürftigkeit, Beurteilung neurologischer
Scale (GDS) le unter Therapie, Bewertung anhand Skala und psychiatrischer Störungen zur Unterscheidung zwi-
schen vaskulärer und degenerativer Demenz
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
111 2

. Tab. 2.3 (Fortsetzung)

Test Indikation/Befund Prüfungsinhalt

Hachinski- Beobachtung und Beurteilung des Verhal- Fragen nach täglichen Handlungen, z. B. Körperpflege,
Ischämie-Skala tens unter Zeitdruck. Gedächtnis, Auffas- Haushalt, Hilfsbedürftigkeit
sung und Merkfähigkeit werden untersucht.
Bestimmung des Intelligenzquotienten (nor-
mal 80–120), Beurteilung der Selbstständig-
keit im alltäglichen Leben

Activities of Rückschlüsse auf logisch-kombinatorisches Allgemeinwissen, rechnerisches Denken, Finden von


Daily Living Denken, räumliches Vorstellungsvermögen, Gemeinsamkeiten, Definition von Begriffen, Zuordnung
(ADL) Unterscheiden und Vergleichen, Beobach- von Zahlen zu bestimmten Symbolen, Bilder zur sinnvol-
tung und Beurteilung des Verhaltens unter len Geschichte ordnen, Ergänzen unvollständiger Bilder
Zeitdruck, Gedächtnis, Auffassung und unter Zeitdruck, Legen von Mosaiken und Figuren unter
Merkfähigkeit werden untersucht. Bestim- Zeitdruck, Verständnis, Reproduktion
mung des Intelligenzquotienten (normal
80–120)

Prüfung der Arbeitsintelligenz

HAWIE (für Er- Messung kognitiver Leitungs- und Verarbei- Lücken in geometrischen Figuren müssen ausgefüllt
wachsene) und tungsgeschwindigkeit (z. B. nach Hirnschä- werden, Test wird ohne Sprache ausgeführt, daher auch
HAWIK (für den) bei motorischer Intaktheit des Sch- für fremdsprachige Personen geeignet
Kinder) reibarms und visuellen Funktionen und Aus-
Hamburger- schluss einer Aphasie. Objektiver Test mit
Wechsler-Intelli- guter Realiabilität und Validität, Rückschlüs-
genztest se auf logisch-kombinatorisches Denken,
räumliches Vorstellungsvermögen, Unter-
scheiden und Vergleichen

Progressiver Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Kon- Auf Din-A4-Matrizen zufällig verteilte Zahlen von 1–90
Matrizentest zentrationsfähigkeit, organisch bedingte sollen so schnell wie möglich in aufsteigender Reihen-
von Raven Leistungseinbußen werden erfasst. Alterab- folge miteinander verbunden werden (Zeit wird ges-
hängige Normwerte, Messung kognitiver toppt)
Leistungs- und Verarbeitungsgeschwindig-
keit (z. B. nach Hirnschäden), bei motori-
scher Intaktheit des Schreibarms und visuel-
len Funktionen und Ausschluss einer Apha-
sie. Objektiver Test mit guter Reliabilität und
Validität

Prüfung der Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Spezielle Buchstabenkombinationen sollen markiert
Aufmerksam- Konzentrationsfähigkeit, organisch bedingte werden unter Zeitdruck; Test ist relativ unabhängig von
keit Leistungseinbußen werden erfasst: Altersab- Intelligenz und Bildungseinflüssen. Auf Din-A4-Matrizen
hängige Normwerte, Messung kognitiver zufällig verteilte Zahlen von 1–90 sollen so schnell wie
Leistungs- und Verarbeitungsgeschwindig- möglich in aufsteigender Reihenfolge miteinander ver-
keit (z. B. nach Hirnschäden), bei motori- bunden werden (Zeit wird gestoppt)
scher Intaktheit des Schreibarms und visuel-
len Funktionen und Ausschluss einer Apha-
sie. Objektiver Test mit guter Reliabilität und
Validität

Zahlenverbin- Prüfung visueller Aufmerksamkeit und Spezielle Buchstabenkombinationen sollen markiert


dungstest Konzentrationsfähigkeit, organisch bedingte werden unter Zeitdruck; Test ist relativ unabhängig von
(ZVT) Leistungseinbußen werden erfasst, altersab- Intelligenz und Bildungseinflüssen
hängige Normwerte
112 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.4. Tests zur Verlaufs- und Therapiekontrolle bei Depression sowie zur Erfassung eines chronischen Alkoholabusus

Test Indikation/Befund Prüfungsinhalt


2 Hamilton-Depressions- Verlaufs- und Therapiekontrolle Schwere der depressiven Symptome (Niederge-
Skala (HAMD) bei Depression schlagenheit, Schuldgefühl, Suizidalität, Schlaf-
Score: ab 10 Punkte leichte, ab 20 Punkte störungen, Antriebsverhalten, Angst, Zwänge,
mittelschwere, ab 30 Punkte schwere Vitalstörungen) auf einer 3- bis 5-fach gestaffel-
Depression ten Skala

Münchner-Alkoholismus- Erfassen eines chronischen Alkoholabusus Mit »trifft zu/trifft nicht zu« wird eine Liste mit
test (MALT) Score: bei 6–10 Punkten Alkohol- Symptomen, die auf einen chronischen Alkohol-
gefährdung, ab 11 Punkten Alkoholismus konsum hinweisen, von Patient und Untersu-
cher beurteilt, wobei die Beurteilung des Unter-
suchers bei der Auswertung mehr berücksich-
tigt wird

Trierer Alkoholismus- Erfassung und Einschätzung des Schwere- Trinkgewohnheiten und -folgeerscheinungen
inventar (TAI) grades eines chronischen Alkoholkon- werden vom Patienten beurteilt
sums Skalen umfassen: Schweregrad, soziales Trinken,
Motive, süchtiges Trinken, Schädigung, Partner-
probleme durch den Alkoholabusus oder als Ur-
sache

Zur Befunderhebung werden klinisch-psychologische 2.1.3 Therapie


Testfragen, psychologische Testverfahren herangezo-
gen. (. Tab. 2.3 und 2.4). 2.1.3.1 Psychotherapie
Im Erstgespräch wird versucht, einen Zusammenhang
Beurteilung der Befunde zwischen der Symptomatik/Störung des Patienten und
Folgendes Schema zur Diagnosefindung hat sich be- Details seiner Biographie herzustellen, d. h. seine Stö-
währt: rung auf dem Hintergrund seiner bisherigen Entwick-
4 Feststellung des psychopathologischen Befundes lung sichtbar und zumindest ansatzweise auch versteh-
4 Herausbildung von psychiatrischen Syndromen an- bar werden zu lassen.
hand von unspezifischen Symptomenkomplexen
4 Darstellung der Syndrome nach psychopathologischen Anamnesegespräch
Kriterien Geachtet wird auf:
4 Syndrombestimmung durch Leitsymptome (beson- 4 Beobachtung des szenischen Arrangements (wie insze-
ders hervorstechend) und Versuch die prämorbide niert der Patient das Gespräch, wie erlebt er sein thera-
Persönlichkeit, den Krankheitsverlauf und ätiologisch peutisches Gegenüber, welche Ängste/Erwartungen
relevante Befunde einzuschließen (Interpretation mit überträgt er auf den Arzt, welche Themen spricht er an,
ätiologischen Vermutungen) was verschweigt er, wie stellen sich Aktivität/Passivität
4 Versuch einer diagnostischen Beurteilung zwischen den Gesprächspartnern her usw.)
4 Bisherige Entwicklung (frühe Lebensbedingungen,
Aus Datenschutzgründen nur Weitergabe von aggre- subjektives Erleben der wichtigsten Beziehungsper-
gierten (Verschlüsselung bzw. zweckmäßige Zusam- sonen, frühkindliche/spätere Traumatisierungen wie
menstellung nur benötigter Informationen) Daten. Verluste, (früh-)kindliche Symptome wie Enuresis).
Krankenkassen, Sozialämter etc. benötigen Krankheits- 4 Versuch einer gemeinsamen abschließenden Überle-
befund, nicht aber biographische, oft sehr persönliche gung (keine Deutung!)
Details. Fakten über namentlich genannte Dritte mög- 4 Nach mehreren Sitzungen/Stunden Frage nach Indika-
lichst nicht weitergeben. tion für Psychotherapie oder anderen Verfahren

> Die Indikation zur Psychotherapie wird abhängig von


Motivation, intellektueller und selbstkritischer Refle-
xionsfähigkeit gestellt.
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
113 2

Vorgeschlagen werden sollte die am wenigsten eingrei- Tiefenpsychologie) mit der umfassendsten Persönlich-
fende Therapiemethode. Prognostisch ungünstig sind keitstheorie, ein mittel- bis langfristiges Verfahren
mangelnde Frustrationstoleranz, Tendenzen zur Ver- (. Tab. 2.5):
wahrlosung, Komorbidität, Abhängigkeit, psychotische 4 Unbewusste Vorgänge und deren komplexe Bear-
Störungen und starker sekundärer Krankheitsgewinn. beitungsvorgänge sollen im Dialog von Therapeut
Es muss darauf geachtet werden, den Patienten nicht zu und Patient gefördert werden.
überfordern und Abwehr/Widerstand nicht noch zu 4 Freie Assoziation, Analyse von Träumen und Be-
vergrößern. rücksichtigung aktueller Gefühle/Problemstellun-
Einzige Kontraindikation zur Psychotherapie ist gen des Patienten sowie Beobachtung der Interak-
ein klagender Patient mit starkem Leidensdruck, der tion (Beziehung, die der Patient zum Therapeuten
sich aber nicht mit den angebotenen Methoden helfen aufbaut). Therapeut und Patient bemühen sich um
lassen will. Verstehen problematischer Lebensbereiche und de-
ren mögliche (frühere) Entwicklungsbedingungen
Psychodynamische Therapien sowie um Veränderung. Dieser Prozess wird über-
Die Psychoanalyse ist, als psychodynamische Therapie wiegend durch verbale Interpretationen und Deu-
(andere: Individualpsychologie, Verhaltenstherapie, tungen bewirkt.

. Tab. 2.5. Psychotherapie-, Entspannungsverfahren, körperorientierte Verfahren

Therapieform Voraussetzungen/Indikationen Besonderheiten


Psychoanalyse 4 Relative Ich-Stabilität, Kohärenz Nur ambulant, intensiv (3–4 h/Woche)
4 Reflexionsfähigkeit, Introspektion
4 Bereitschaft, einen emotional intensi-
ven Therapieprozess über lange Zeit
durchzuhalten
Für Patienten mit gravierenden Lebens-
problemen und lang anhaltenden, die
Persönlichkeit umfassend betreffenden
Störungen
Abgeleitete modifizierte Arbeit an frühen Störungsanteilen, aktuel- Mittel- bis längerfristige Therapien; Patient
Therapien len Problemen des Patienten, seinem Selb- und Therapeut sitzen sich gegenüber
stkonzept und dessen Störungen. Auftre-
tende Übertragungen und Abwehrmecha-
nismen werden bearbeitet
4 Tiefenpsychologisch Neurosen, bei rigider Abwehr, wenn mit
fundierte Psycho- verbal-introspektiven Methoden der Tie-
therapien fenpsychologie der Patient nur schwer er-
reicht wird
4 Katathym-imaginative Nur aktueller Hauptkonflikt wird bearbei- Im induzierten Tagtraum (»Bilder« mit be-
Psychotherapie tet oder nach Abklingen akuter Konflikte, stimmten Standardmotiven) finden sich opti-
(KIP; katathymes Bilder- die rasche psychotherapeutische Hilfe be- sche Projektionen, die unbewusste und be-
leben) nötigen. In besonderen Dringlichkeits- wusste Zustände bildhaft-symbolisch darstel-
und Krisensituationen, z. B. nach Suizid- len, tiefenpsychologische Nachbearbeitung
versuchen. Hilfe beim Verbalisieren aktuel-
ler Emotionen. Danach Neuorientierung
und Strategien zur Distanzierung
Kurzpsychotherapien Wenige Stunden bis 25 h. Übertragungsaspe-
kte werden wahrgenommen, aber nicht in
dem Umfang besprochen wie in längerfristi-
gen Therapien
Notfall-Psychotherapie 1 bis ca. 6 Sitzungen. Kombination mit Psycho-
pharmaka (z. B. sedierende) sinnvoll und hilf-
reich
114 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.5 (Fortsetzung)

Therapieform Voraussetzungen/Indikationen Besonderheiten

2 Gesprächspsychotherapie Breites Indikationsspektrum, z. B. Border- Mittlere Dauer 70 h bis 2 Jahre


(klientenzentrierte Psycho- line-Persönlichkeitsstörungen. Im Fokus
therapie) steht die Förderung der Selbstwertschät-
zung des Patienten (Abnahme von Inkon-
gruenz durch Selbstkonzeptveränderung).
Verhaltenstherapie Lerntheorien (operante und instrumentel-
le Konditionierung nach Pawlow) dienen
der Ausbildung eines bestimmten Verhal-
tens
4 Systematische Desensibilisierung: Sukzessive Konfrontation mit angstauslösen-
Im entspannten Zustand wird auftre- den Situationen. Vorbereitend Erlernen eines
tende Angst »reziprok gehemmt« Entspannungsverfahrens (z. B. progressive
(Gegenkonditionierung) Muskelentspannung nach Jacobson)
4 Angstbewältigungstraining: Aufkom- Frühzeitiges Erkennen von Spannung und
mende Angst wird durch Erlernen Erregung wird erlernt
von Entspannung kontrolliert und re-
duziert
4 Graduiertes Expositionsmanagement Direkte aufsteigende Konfrontation mit der
(Habituation) angstauslösenden Situation oder dem ang-
stauslösenden Subjekt/Objekt, nachdem eine
Hierachisierung der einzelnen Angstreize
vorgenommen wurde
4 Reizüberflutung (»Flooding«) Der Patient wird so lange der Angstsituation
ausgesetzt, bis die Angst abnimmt
4 Aversionstherapie: Bildung bedingter
Reflexe durch negative Verstärkung
(z. B. Strafreize)
4 Modelllernen: Lernen am Verhalten
einer Person oder eines Symbols (Mo-
dell), wenn neue Fertigkeiten nicht al-
lein aufgrund von Instruktionen ler-
nen können
4 Selbstsicherheitstraining/Rollen-
spiele: Abbau sozialer Ängste, Förde-
rung sozialer Fertigkeiten und positi-
ver Selbstwahrnehmung
4 Problemlösetraining: Für Patienten,
die zu impulsiven oder unüberlegten
Reaktionen neigen
4 Selbstkontrolle: Erlernen von Selbst- Mittels Problemformulierung, Erarbeiten
steuerung (Selbstmanagementthe- von Alternativen und Auswahl jener mit dem
rapie) günstigsten Ergebnis
4 Kognitive Therapien: z. B. Einwirken Zukünftige Probleme sollen selbstgesteuert
auf sog. kognitive Triade der Depres- analysiert, beeinflusst und dauerhaft verän-
sion nach Beck: negative Selbstein- dert werden (z. B. durch Selbstbeobachtung,
schätzung, subjektive Überforderung Selbstverstärkung, Verhaltensverträge). Ab-
durch die Umwelt, negative Zukunfts- bau von krankmachenden Denkprozessen,
vorstellungen Vorstellungen, Erwartungen. Durch Änder-
ung von Denkmustern kommt es zu Änderun-
gen des Verhaltens
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
115 2

. Tab. 2.5 (Fortsetzung)

Therapieform Voraussetzungen/Indikationen Besonderheiten

Entspannungsverfahren Autogenes Training: Nach Johannes Hein- Erfolgt durch körpergerichtete Übungen zu
rich Schultz (1884–1970) ein Verfahren zur Ruhe und Schwere, Erleben und Wärme und
konzentrativen (Selbst-)Entspannung. In- Übungen zur Regulation bestimmter Organe
diziert bei psychovegetativen Irritationen, (Herz) bzw. vegetativer Funktionen (Atmung).
Erschöpfungszuständen, Angst- und Un- Effekte: Entspannung, Beruhigung, Selbstkon-
ruhezuständen, Schlafstörungen trolle, Schmerzbekämpfung, Verbesserung
des Körpergefühls

Progressive Muskelentspannung nach Praktische Übungen der Gliedmaßen und


E. Jacobson bei psychosomatischen Stö- ihren einzelnen muskulären Anteilen
rungen

Hypnose: Durch Suggestion herbeigeführ- Mittels der Fixationsmethode (ein kleiner Ge-
ter schlafähnlicher Zustand mit Bewusst- genstand wird möglichst nah fixiert, es treten
seinseinengung und besonderen (positiv Ermüdungserscheinungen auf, der Fixations-
affektiven und identifizierenden) Kontakt gegenstand wird undeutlich, begleitende
zum Hypnotiseur. Die Bewusstseinsein- monotonisierende Verbalsuggestionen wie
senkung fördert außerdem regressive Wärme, Ruhe, zunehmende Müdigkeit und
Prozesse (Passivität, Hingabe). Bei positi- Schläfrigkeit führen in einen hypnotischen
ver Suggestibilität und bestimmten psy- Zustand
chosomatischen Erkrankungen (z. B. Herz- Cave: Kontraindiziert bei Patienten mit Psy-
phobie, Asthma). Einzelbehandlung ist zu chosen und Vergewaltigungstraumata in der
bevorzugen Vorgeschichte

Körperorientierte Verfahren Konzentrative Bewegungstherapie (KBT): Das Spüren des Körpers im Raum und das
Körperbezogene Übungen unter Ein- Erspüren einzelner Körperfunktionen gehen
schluss der Atmung mit dem Ziel »An- über Entspannungstechniken hinaus.
spüren« des eigenen Körpers und damit Meist stationär und in Gruppen praktiziert
eine Verbesserung des Körpererlebens zu in Kombination mit anderen (z. B. verbalen)
erreichen, in vier Hauptpositionen (liegen, Therapien
sitzen, stehen, gehen).
Bei funktionellen und psychosomatischen
Beschwerden (auch bei Neurosen, Körper-
schemastörungen, bei Neigung zum
Intellektualisieren)

Funktionelle Entspannung: von Marianne Verfahren ohne feste Regeln. Ziel ist eine ver-
Fuchs entwickeltes kombiniertes Verfah- besserte Selbstwahrnehmung über leibliche
ren bestehend aus autogenem Training Zustandsänderungen
und konzentrativer Selbstentspannung
sowie angestrebte Selbstregulation ge-
störter Funktionen

> Die Selbsterkenntnis des Patienten, d. h. die Erkennt- ren Dramas des Patienten kann zu unbewussten Solida-
nis seines eigenen Anteils an der Aufrechterhaltung ritätskonflikten mit früheren wichtigen Bezugsper-
seiner Störung kann schmerzhaft, verunsichernd und sonen führen (unsichtbare Bindungen) und ihn an der
kränkend sein und wird deshalb immer wieder be- Lösung seiner neurotischen Fixierungen hindern. Der
hindert. Therapeut sollte nicht direkt aktiv werden, sondern im
Hintergrund bleiben, die Projektion des Patienten er-
Im therapeutischen Prozess können zunächst er- möglichen, aber sich nicht in Gefühlsverstrickungen
wünschte Übertragungen früherer (meist familiärer) einlassen.
Gefühlskonstellationen hinderlich sein, wenn der Pa-
tient lange an ihnen festhält. Die Aufdeckung des inne-
116 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.6. Antidepressiva

Stoffgruppe Beispiel und Dosis Wirkung und Indikation


2 Phytopharmaka Johanniskrautextrakt, Hyperikum, Bei leichter und mittelschwerer Depression
(z. B. Jarsin)

Monoaminooxidase-Hemmer Tranylcypromin (z. B. Jatrosom), Stark antriebssteigernd, auch bei Therapie-


(MAO-Hemmer) irreversibler MAO-Hemmer resistenz, tyraminarme Diät notwendig!

Moclobemid (z. B. Aurorix), Antriebssteigernd, auch bei sozialer Phobie


reversibler MAO-Hemmer

Selektive Serotonin-Wiederauf- Fluoxetin (z. B. Fluctin) Antriebssteigernd, auch bei Zwangs- und
nahmehemmer (SSRI) Panikstörung, prämenstruellem Syndrom,
Bulimie

Trizyklika (unspezifische Amitriptylin (z. B. Saroten) Akut sedierend, anticholinerg


Noradrenalin- und Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer) Doxepin (z. B. Aponal) Sedierend, auch bei Entzug

Trimipramin (z. B. Stangyl) Sedierend, auch bei Wahn oder zum Schlafen

Clomipramin (z. B. Anafranil) Antriebssteigernd, auch bei Angst- und


Zwangsstörungen

Tetrazyklika Maprotilin (z. B. Ludiomil) Sedierend, mäßig anticholinerg

Spezifische Noradrenalin- (und Mirtazapin (z. B. Remergil) Sedierend auch bei Wahn oder zum Schlafen
Serotonin-) Wiederaufnahme-
hemmer Nefazodon (z. B. Nefadar) Sedierend

Verhaltenstherapie
. Tab. 2.7. Neuroleptika
Leitet sich aus der experimentellen der Psychologie ab
(. Tab. 2.5). Den verschiedenen Verfahren gemeinsam Substanzgruppe Substanz (Handelsname)
ist eine naturwissenschaftlich-behavioristische Orien-
Benzamide Amisulprid (z. B. Solian)
tierung mit dem Ziel, erwünschte Verhaltensweisen
Sulpirid (z. B. Dogmatil)
aufzubauen und unerwünschte Verhaltensweisen zu
eliminieren. Somit liefern die Lerntheorien das Grund- Benzisoxazol Risperidon (z. B. Risperdal)
gerüst, auf dessen Prinzipien die Verhaltenstherapie
Butyrophenone Benperidol (z. B. Glianimon)
aufbaut. Die Konzepte innerhalb der klinischen Psy-
Haloperidol (z. B. Haldol)
chiatrie, auch innerhalb der Tiefenpsychologie, werden
von manchen Verhaltenstherapeuten abgelehnt, da sie Dibenzodiazepin Clozapin
das zu ändernde Verhalten als das Problem des Patien- Olanzapin
ten ansehen. Dieses Problem wird als erlernte Reaktion Phenozthiazine Levomepromazin (z. B. Neurocil)
verstanden und wird damit zum Ziel der therapeu- Perazin (z. B. Taxilan)
tischen Bemühungen.
Thioxanthene Chlorprotixen (z. B. Truxal)
Psychopharmaka Clopenthixol (z. B. Ciatyl)
Zur Wirkung und Indikation der Psychopharmaka
. Tab. 2.6 bis . Tab. 2.9 sowie . Abb. 2.1.
2.1 · Anamnese, Befunde, Therapie
117 2

. Abb. 2.1. Mindmap Unerwünschte Wirkungen von trizyklischen Antidepressiva


118 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.8. Phasenprophylaktika

Substanz Besonderheiten Indikationen


2 Lithium Lebensbedrohliche Lithiumintoxikation durch Stö- 4 Therapie akuter Manien
rungen des Wasserhaushaltes (z. B. Diarrhö, Diuretika- 4 Rezidivprophylaxe affektiver Störungen
einnahme); langsames Ausschleichen, sonst treten 4 Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen
vermehrt manische Syndrome oder auch Depressio- 4 Augmentation: additive Gabe zu Anti-
nen auf depressiva oder Neuroleptika, zu deren
Wirkungsverstärkung

Carbamazepin Hämatotoxische Nebenwirkung (reversible Leuko- 4 Phasenprophylaxe bipolarer Störungen


zytopenie): daher nicht mit Clozapin kombinieren!; 4 Fokale Epilepsien
bei zu schneller Aufdosierung nach 1–2 Wochen
Exanthem (häufig Stamm und Extremitäten) möglich,
welches in ein lebensbedrohliches Lyell-Syndrom
übergehen kann, Umsetzungsversuch auf ein ande-
res Carbamazepinpräparat, bei Vergrößerung des
Exanthems: sofort absetzen! Ausschleichen!

Valproinsäure Weniger sedierend als andere Antiepileptika; Antiepileptikum der 1. Wahl bei Absencen
Cave: schwere Hepatitis mit tödlichem Leberkoma (ab dem 10. Lebensjahr), Aufwach-Grand-Mal,
möglich (Transaminasen engmaschig kontrollieren); atonische, myoklonisch-astatische, tonische
Reye-Syndrom (Lebernekrose), Tremor (behandelbar und myoklonische Anfällen und Lennox-
mit E-Blockern), fetale Neuralrohrdefekte, Intoxika- Gastaut-Syndrom
tion, Thrombozytopenie, Gerinnungsstörungen,
Leukopenie; Ausschleichen!

Lamotrigin HWZ-Halbierung bei Kombination mit Carbamaze- Antiepileptikum der 2. Wahl


pin/Phenytoin; HWZ-Verdoppelung bei Kombination
mit Valproinsäure; allergische Reaktionen, Doppel-
bilder, Ataxie, Nystagmus, Schwindel, gastrointesti-
nale Beschwerden; regelmäßige Kontrollen von
Transaminasen, Kreatinin, Elektrolyten und Blutbild;
Ausschleichen!

. Tab. 2.9. Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika

Substanz(gruppe) Besonderheiten Indikationen

Benzodiazepine Schnell wirksam, gut verträglich, wegen 4 Psychiatrische Erregungszustände


kurzer Wirkdauer und daher gute Steuer- 4 Angstzustände
barkeit ist Mittel der Wahl Lorazepam 4 Mutismus
(z. B. Tavor), auch als sublingual resorbierba- 4 Akute Suizidalität
res »Epidet-Plättchen« (Wirkungseintritt in- 4 Helfen bei schizophrenen Psychosen Neuro-
nerhalb von Minuten) leptika zu sparen (Reduktion des Risikos von
Spätdyskinesien)

Bupiron Zum Beispiel Bespar Angstzustände

β-Rezeptorenblocker Verstärkter kardiodepressiver Effekt von Angstzustände, Somatische Auswirkungen


mit anxiolytischer Antiarrhythmika, Kalziumantagonisten vom psychischer Erregung
Wirkung Verapamil/Diltiazem-Typ; verstärkte RR-Sen-
kung bei zentral wirkenden Anti-
hypertensiva: z. B. Reserpin, Methyldopa,
Clonidin

Opipramol Zum Beispiel Insidon Depression, Angst-, Unruhe-, Spannungszustände


2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
119 2

. Tab. 2.9 (Fortsetzung)

Substanz(gruppe) Besonderheiten Indikationen

Chloralhydrat Zum Beispiel Chloraldurat, ähnlich Ethyl- Hypnotikum


alkohol, Abhängigkeitspotenzial, zeitlich
kontrolliert und begrenzt einsetzen

Zolpidem Zum Beispiel Stilnox, geringeres Abhängig- Schlafstörungen


keitspotenzial als Benzodiazepine;
cave bei Schwangerschaft und Stillzeit

Zopliclon Zum Beispiel Ximovan Schlafstörungen

Barbiturate Durch Enzyminduktion Verminderung des Einsatz mit verschiedensten Indikationen, Wir-
Serumspiegels von oralen Antikonzeptiva, kung: sedierend, schlafinduzierend, anxiolytisch,
Cumarin-Derivate, Kortikosteroide, Pheny- antiaggressiv, antikonvulsiv, muskelrelaxierend
toin, Digitoxin, Chloramphenicol; mit Alko-
hol gegenseitige Wirkungsverstärkung;
Valproinsäure erhöht Barbituratspiegel um
bis zu 40%; erhöhte Methotrexat-Toxizität

2.2 Körperlich begründbare 5 Cushing-Syndrom (Überproduktion von


psychische Störungen ACTH oder Kortisol, z. B. bei basophilem Ade-
nom des HVL, weil Kortisonbehandlung: An-
Synonym. Exogene Psychosen. triebsminderung, Verstimmung, Schlafstörun-
gen, endogeniforme Psychosen)
Differenzialdiagnose. Abzugrenzen sind: 5 Morbus Addison (Nebennierenrindenatrophie:
4 Hirntumor (Temporallappentumor: olfaktorisch- Ermüdbarkeit, Depression)
gustatorische Halluzinationen/schizophreniforme
Psychosen) Prognose. Bei exogenen Psychosen häufig kurz dauern-
4 Hirnabszess, Hirnverletzung der Verlauf mit Reversibilität und günstiger Prognose!
4 Infektionen (Meningoenzephalitis, Typhus abdo-
minalis) > Chronifizierung und Übergang in irreversibles orga-
4 Herzerkrankungen nisches Psychosyndrom sind möglich.
4 Stoffwechselerkrankungen (Leberzirrhose: porto-
kavale Anastomosen, portokavaler Shunt, portoka-
vale Enzephalopathie) 2.2.1 Syndromatische Erscheinungs-
4 Akute intermittierende Porphyrie formen exogener Psychosen
4 Vitamin-B12-Mangel (funikuläre Myelose, Schädi-
gungen des N. opticus, Perniziosa) Definition. Psychische Störungen mit allgemein feh-
4 Thiamin/Vitamin-B1-Mangel (Beriberi, Wernicke- lender Produktivität, sodass sie nicht die Wertigkeit
Enzephalopathie) von Psychosen erlangen. Primär keine Bewusstseins-
4 Medikamentenwirkung (z. B. Komplikation bei trübung, keine Bewusstseinsminderung; oft chroni-
Therapie mit Anti-Parkinson-Präparaten: L-Dopa) sche, irreversible Verläufe, auch als akutes reversibles
4 Intoxikation psychotropen Substanzen wie Meska- Syndrom.
lin, LSD, Psilocybin
4 Endokrine Störungen: 2.2.1.1 Delir, nicht durch Alkohol und andere
5 Hypothyreose (wenn angeboren: geistige Be- psychotrope Substanzen bedingt
hinderung; Apathie, Depression, Kälteüber- Definition. Akute reversible Psychose mit Bewusst-
empfindlichkeit) seinsstörung und Sinnestäuschungen nicht durch Alko-
5 Hyperthyreose (Unruhe, Agitiertheit, Reizbar- hol und andere psychotrope Substanzen bedingt (z. B.
keit, Hitzeüberempfindlichkeit, auch Depres- Amphetamine, Nikotin, Cannabis) bedingt (Alkohol-
sion) delir, Delirium tremens 7 Kap. 2.7.1.5).
120 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

Ätiopathogenese. Ursachen sind: leber; GOT stark erhöht, GPT erhöht bei Fettleber-
4 Medikamentenintoxikation: Komplikation bei hepatitis), Gerinnung (Quick erniedrigt bei Leber-
Neuroleptika- und Antidepressivagabe und/oder schäden), CK, Amylase, Lipase, NH3 , Alkohol- und
2 Anti-Parkinson-Mitteln (Anticholinergika, L-Do- Medikamentenspiegel, Serum und Urinproben (Dro-
pa), auch bei plötzlichem Benzodiazepinentzug genscreening).
4 Infektionskrankheiten, Urämie Im Röntgenthorax auf Pneumonie, Rippenserien-
4 Traumata (Schädel-Hirn-Trauma mit Substanz- fraktur (nach Sturz), Pneumothorax (Hypoxie) achten.
schädigung) Bei Verdacht auf Meningitis ist eine Liquorpunktion
indiziert. Bei Verdacht auf eine intrakranielle Blutung,
Symptomatik. Hirnödem, Hirntumor oder Ischämie ein CCT veran-
4 Obligate Symptome lassen.
5 Wechselnde Bewusstseinslage (Somnolenz,
Sopor), Verwirrtheit, Desorientiertheit; Auf- ! Cave
merksamkeit-, Auffassungs-, Immediatgedächt- Wegen der oft ausgeprägten vegetativen Symptome
nisstörung (Speicherung unmittelbar zuvor regelmäßige EKG- und Blutdruckkontrollen!
aufgenommener Sinneseindrücke oder intra-
psychischer Wahrnehmungen) Differenzialdiagnose. Malignes neuroleptisches Syn-
5 Inkohärentes (zerfahrenes) Denken drom (Muskelsteifigkeit, Hyperthermie und Stupor als
5 Wahrnehmungsstörungen (optische, szenische, Neuroleptikanebenwirkung), maligne Hyperthermie,
gelegentlich haptische, akustische Halluzina- fieberhafte Infektionen, Herzrhythmusstörungen ande-
tionen, Illusionen) rer Genese (paroxysmale supraventrikuläre oder Re-
5 Vegetative Störungen (adrenergsympathi- entry-Tachykardie), akute Vewirrtheitszustände nach
kotone Überregulation: Pulsbeschleunigung, Schädel-Hirn-Trauma oder bei Exsikkose, Schizophre-
Schwitzen, Tremor, allgemeine psychomoto- nie, Demenz.
rische Unruhe, Schlafstörungen (Schlafum-
kehr: nachts unruhig, tagsüber schläfrig) Therapie. Zu allgemeinen Maßnahmen . Tab. 2.10.
5 Reizbarkeit, Angst, leichte Ablenkbarkeit, er-
höhte Suggestibilität (Lesen von einem leeren ! Cave
Blatt Papier) Haloperidol senkt die Krampfschwelle, besitzt aber
4 Spezifische Symptome keine sedierende Wirkung, daher Kombination mit
5 Delir durch Anticholinergika: Zusätzlich Diazepam nach Bedarf (z. B. 5–10 mg i.v.)!
Mydriasis, Anhidrose, verminderte Peristaltik,
Harnretention, Tachykardie, Tachypnoe, Ata- Zur Therapie des Delirs, das durch Alkoholentzug,
xie, Tremor Drogen, Hypnotika ausgelöst wird, 7 Kap. 2.7.1.5.
Therapie bei kardiopulmonalen Vorerkrankun-
Mögliche Komplikation des Alkoholentzugsdelir: gen:
Wernicke-Enzephalopathie, Korsakow-Syndrom. 4 Vorzugsweise Benzodiazepine (antikonvulsiv,
hypnotisch), wie Diazepam (z. B. Valium) mehr-
Diagnostik. Klinik: immer Überprüfung von Bewusst- mals täglich p.o. oder i.v. bis zur Symptomfrei-
seinslage, Puls, Blutdruck, Temperatur und EKG-Kon- heit maximal 1 mg), ab dem 2. Tag Dosisreduk-
trolle (Arrhythmien, tachy- oder bradykarde Rhyth- tion. Alternativ Chlordiazepoxid (z. B. Librium)
musstörungen, Blockbildner). Fremdanamnestisch mehrmals täglich p.o. bis zur Symptomfreiheit,
müssen Anfälle, Medikamente und Dosis erfragt ab dem 2. Tag Dosisreduktion. Alternativ Clor-
werden. azepat (z. B. Tranxilium), Intensive Überwachung
nötig
! Cave 4 Ausschleichen über 5–7 Tage
Bei Bewusstseinsstörung und/oder vegetativen 4 Bei starker psychotischer Symptomatik Haloperi-
Symptomen weitere Behandlung auf der Wach-/In- dol (z. B. Haldol) bis 10–15 mg i.v. täglich
tensivstation. 4 Bei schwerem Delir mit Hypertonie vor Gabe von
Clonidin (z. B. Catapresan) über Perfusor, Aus-
Labor: Kreatinin, Elektrolyte (Hyponatriämie, Hypo- schleichen wegen Rebound-Phänomen, kontra-
kaliämie), Blutzucker, Blutbild (Leukozytose), Hämo- indiziert bei bradykarder Herzrhythmusstörung,
globin, Leberenzyme (γ-GT erhöht bei Alkoholfett- AV-Block und Sick-Sinus-Syndrom
2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
121 2

. Tab. 2.10. Allgemeine therapeutische Maßnahmen beim Delir

Symptom Therapeutische Maßnahmen

Prädelir Stationäre Aufnahme, Monitoring der Vitalfunktionen. Wenn keine stationäre Aufnahme
möglich ist: Haloperidol (z. B. Haldol) 5–10 mg i.m. oder i.v., zügig Krankenhaustransport

Krampfanfall Diazepam (z. B. Valium) 10 mg i.v., alternativ Clonzepam (z. B. Rivotril) 2 mg i.v.

Abweichende Vitalparameter, Korrektur entsprechender Mangelerscheinungen, 2500–4500 ml Flüssigkeit täglich, auf


Elektrolyte, Flüssigkeitsmenge ausreichende Kalorienzufuhr achten. Häufig Hypokaliämie. Langsamer Ausgleich einer
Hyponatriämie

NH3-Erhöhung Laktulose (z. B. Laevilac, Bifiteral), 3–5 Esslöffel täglich

Hyperthermie Eisbeutel, Wadenwickel

! Cave Symptomatik. Akustische (Prototyp: Alkoholhalluzi-


Bei gleichzeitigem Benzodiazepinabusus ist Therapie nose), optische oder haptische Halluzinationen. Keine
mit Benzodiazepinen unwirksam! Bei älteren Patien- Bewusstseinsstörung! Inhaltliche Denkstörungen
ten paradoxe Wirkung und Atemdepression beachten! (Wahn).

Prognose. Das Prädelir klingt nach 5–7 Tagen ab oder Diagnostik. Toxikologische Untersuchungen (Blut,
entwickelt sich zum Delir. Schlafstörungen können Urin). EEG: Allgemeinveränderung, Herdbefund,
nach Abklingen des Prädelirs noch über Monate fort- Krampfpotenziale. CCT/MRT: Lakunäre Infarkte,
bestehen. Raumforderung.
Das Delir hält 4–10 Tage ohne Therapie an und
klingt mit Terminalschlaf ab. Differenzialdiagnose. Physiologische hypnagoge (beim
Einschlafen) oder hypnopompe (beim Aufwachen)
! Cave Halluzinationen, Delir (wechselnde Bewusstseinslage,
Unbehandelt besteht eine Letalität von 15–30%, be- Desorientiertheit, vegetative Störungen), Schizophre-
handelt von 1–5%. Häufigste Todesursache ist Kam- nie (meist akustische Halluzinationen).
merflimmern.
Therapie. Behandlung der Grunderkrankung im Vor-
2.2.1.2 Organisch bedingte Halluzinose dergrund. Ggf. 5 mg Diazepam p.o./i.m., Haloperidol
Definition. Zustand fortlaufender Sinnestäuschungen 5 mg p.o./i.m. oder alternativ Pipamperon-HCL (z. B.
ohne entsprechenden Außenreiz bei erhaltener Be- Dipiperon) 80–160 mg p.o. Bei Alkoholabusus Entzug.
wusstseinshelligkeit und Orientiertheit. Besteht gleichzeitig quälende Angst Gabe von Chlordi-
azepoxid (z. B. Librium) 25–100 mg p.o., eventuell nach
Ätiopathogenese. Häufigste Ursachen: 4 h wiederholen. Alternativ Haloperidol 2–10 mg p.o.
4 Akustischer Halluzinose: Alkoholabhängigkeit
4 Optischer Halluzinose: Intoxikation mit Halluzi- Prognose. Chronische Verläufe bei Dermatozoenwahn
nogenen (LSD), Funktionsstörungen des Okzipi- (taktile Halluzinose: kleine Tiere wie Käfer oder Wür-
tallappens mer krabbeln auf der Haut).
4 Haptischer (taktile) Halluzinose: Intoxikation mit
Amphetaminen, Epilepsie mit Krampfanfallsher- 2.2.1.3 Organische Persönlichkeitsstörung
den temporal oder okzipital, sensorische Depriva- Definition. Psychische Störungen, denen eine (meist)
tion bei Blindheit oder Taubheit, degenerative und/ körperliche Erkrankung zugrunde liegt, die das Gehirn
oder ischämische Veränderungen, raumfordernde direkt (morphologisch fassbar) oder indirekt (in der
Prozesse, Radiojodtherapie bei Hyperthyreose, Regel funktionell, neurochemisch, neurophysiologisch
sehr selten: Charles-Bonnet-Syndrom (bei Sehver- auf dem Umweg über Kreislauf oder Stoffwechsel) in
schlechterung Entstehung von visuellen Trugwahr- Mitleidenschaft zieht.
nehmungen)
122 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

Ätiopathogenese. Organische psychische Störungen – Affektive Störungen (z. B. Angst)


sind ätiologisch unspezifisch. Ein Rückschluss vom – Vegetative Störungen (z. B. Schweiß)
psychopathologischen Bild auf die Art der Schädi- 4 Die typischen Symptome der chronischen orga-
2 gung ist nicht möglich. Das Gehirn reagiert auf die nischen Persönlichkeitsstörungen sind die Verluste
verschiedenen Krankheitsursachen mit einer begrenz- der kognitiven Fähigkeiten (Gedächtnis, Orien-
ten Anzahl von Syndromen. Mögliche Krankheits- tierung, Urteilsfähigkeit etc.) und organische Per-
ursachen: sönlichkeitsveränderung. Es besteht keine Be-
4 Schädel-Hirn-Traumen wusstseinstrübung. Nach Psychopathologie und
4 Hirneigene Erkrankungen (z. B. degenerative Er- Schweregrad werden unterschieden:
krankungen, Entzündungen, Geschwülste, Ge- 5 Chronische pseudoneurasthenische Syn-
fäßerkrankungen) drom (Hirnleistungsschwäche): Vorkommen
4 Intoxikationen (Medikamente, Alkohol, Drogen, bei zerebralen Gefäßerkrankungen, nach Schä-
gewerbliche Vergiftungen mit Blei, anderen Schwer- del-Hirn-Traumen und Hirnentzündungen, als
metallen, Kohlenmonoxid) erstes Stadium eines dementiven Prozesses.
4 Infektiöse Allgemeinerkrankungen (z. B. Pneumo- Symptome sind eine gesteigerte emotionale La-
nie, Sepsis) bilität und Erregbarkeit, Konzentrationsstö-
4 Innere Erkrankungen: Herz-Kreislauferkrankun- rungen, Merkfähigkeitsschwäche, abnorme
gen, Anämie (zerebrale Hypoxie), Leberkrank- Erschöpfbarkeit und vegetativ-vasomotorische
heiten, Niereninsuffizienz, Avitaminosen, endokri- Störungen.
ne Störungen (z. B. Diabetes mellitus, Über- oder 5 OrganischePersönlichkeitsveränderung (We-
Unterfunktion von Schilddrüse, Nebenschilddrüse, sensveränderung): Bei der echten Wesensände-
Addison-Erkrankung, chronische Hypophysen- rung treten persönlichkeitsfremde Verhaltens-
insuffizienz) weisen auf mit Verlust von Takt und mora-
lischen Wertungen.
Symptomatik. Differenziert werden: 5 Demenz: Erworbene Persönlichkeitsverände-
4 Akute organische Persönlichkeitsstörungen: Aku- rungen mit Beeinträchtigung des Kurz- und
ter Beginn, fluktuierender (vorübergehender, re- Langzeitgedächtnisses, des abstrakten Denkens
versibler) Verlauf von Bewusstseinsstörung (Leit- und Urteilsvermögens und höhere kortikaler
symptom), Störung der kognitiven Fähigkeiten, der Leistungen (Aphasie, Apraxie u. a.)
Psychomotorik und Affektivität.
5 Quantitative Bewusstseinsstörungen (Bewusst- Diagnostik. Die Diagnose einer organischen psy-
seinstrübungen): quantitative Herabsetzung chischen Störung ist an folgende Kriterien gebunden:
der Wachheit in Schweregraden: 4 Meist Nachweis eines belangvollen Körperbe-
– Leichte Verhangenheit fundes
– Somnolenz (Schläfrigkeit) 4 Im Verlauf weitgehende zeitliche Parallelität von
– Sopor (weckbar durch heftiges Ansprechen, körperlicher Erkrankung und Psychose
auf Schmerzreize gezielte Abwehrbewe- 4 Vorhandensein bestimmter typischer Symptome
gungen) (v. a. kognitive Störungen, Bewusstseinsstörungen
– Koma (tiefe Bewusstlosigkeit, auf Schmerz- und Störungen der Gefühlswelt und Wahrneh-
reize unkontrollierte Abwehrbewegungen mung)
oder keine Reaktion) 4 Genaue (auch Fremd-)Anamnese (Veränderung
5 Qualitative Bewusstseinsstörungen (Bewusst- des Leistungsniveaus, des Verhaltens, der Persön-
seinsveränderungen): Desintegration der psy- lichkeit etc.)
chischen Abläufe bei: 4 Internistische und neurologische Untersuchung
– Dämmerzustand 4 Labor: Urinstatus, Blutbild, Elektrolyte, Harn-
– Traumhaftem Erleben stoff, Kreatinin, Leberfunktionsparameter, Ei-
– Einengung im Affekt weißelektrophorese, Cholesterin, Triglyzeride,
5 Weitere Symptome: Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest,
– Desorientiertheit Schilddrüsenhormone, Vitamin B12, Folsäure,
– Kognitive Störungen Liquor
– Wahrnehmungsstörung (z. B. Halluzina- 4 Apparative Untersuchungen: EKG, EEG, Thorax-
tionen) röntgen, CCT oder MRT, Doppler-Sonographie,
– Psychomotorische Störungen (z. B. agitiert) evtl. SPECT und PET
2.2 · Körperlich begründbare psychische Störungen
123 2

Therapie. Die Behandlung umfasst bei: 4 Expansiv-maniformes Syndrom: Auftreten bei pro-
4 Akuter organischer Persönlichkeitsstörung: gressiver Paralyse, fieberhaften Infektionen, Fleckfie-
5 Allgemeine Maßnahmen: ber nach der Entfieberung, nach Schädel-Hirn-Trauma,
– Soweit möglich Behandlung der Grund- nach Einnahme von Weckaminen (z. B. Ecstasy). Ty-
krankheit pische Symptomatik ist Megalomanie mit Selbstüber-
– Überwachung von Herz-Kreislaufsystem, schätzung einhergehend, Größenideen, -wahn, oft mit
Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt Konfabulationen. Infolge Hirnschädigung Verände-
– Zuverlässige pflegerische Überwachung rungen von Euphorie, Passivität, Reversibilität möglich.
(z. B. Blasenentleerung, Freihalten der Atem- Bei chronischem Alkoholismus nach Wernicke-Enze-
wege) phalopathie, nach CO-Vergiftung, nach schwerem
– Bei Selbst- und Fremdgefährdung Einwei- Schädeltrauma
sung in eine psychiatrische Klinik 4 Demenz: Meist im höheren Alter auftretender, aus
5 Medikamentöse Therapie: organischer Ursache entstehender, progredienter,
– Bei Erregung, Agitiertheit, starker Angst meist irreversibler, mnestischer und intellektueller
(Suizidgefahr!): Tranquilizer (Benzodiaze- Abbau der Persönlichkeit, verbunden mit Wesensän-
pine), z. B. Diazepam, 10–20 mg, ggf. paren- derungen und schwerer Behinderung sozialer Funkti-
teral onen (erworbene »Verblödung«). Im Unterschied zur
– Bei stärkerer Ausprägung niederpotente primären Intelligenzminderung (Oligophrenie) bei
Neuroleptika, z. B. 50–100 mg Chlorproxthi- mittlerem Schweregrad der Demenz noch Fragmente
xen oder Levomepromazin. Auch Haloperi- früheren Wissens. Insbesondere bei vaskulären dege-
dol oder Risperidon, ggf. parenteral nerativen Erkrankungen, bei Pickscher oder Alzhei-
4 Chronischer organischer Persönlichkeitsstörung: merscher Erkrankung, Chorea Huntington, Vitamin
5 Körperliche Behandlung wie bei akuter orga- B12-Mangel. Im ärztlichen Gespräch oft lange Zeit gut
nischer Persönlichkeitsstörung, zusätzlich Ver- erhaltene Fassade und guter affektiver Rapport. Des-
such mit Nootropika, z. B. Dihydroergotoxin, halb gezielte Fragen (Orientierung, Merkfähigkeit,
Piracetam, Pyritinol, Nimodipin Rechenvermögen).
5 Supportive Psychotherapie, Verhaltensthera- 4 Hirnlokales Psychosyndrom (nach Bleuler): Durch
pie, Hirnleistungstraining lokale Schädigung der Hirnsubstanz hervorgerufene
5 Ggf. rechtzeitige Mobilisierung von Hilfe für Störung. Bei Strinhirnkonvexitätssyndrom Abulie (Wil-
den Patienten und seine ihn betreuenden lenslähmung), Antriebsmangel, beim Orbitalhirnsyn-
Angehörigen, um eine Dekompensation des drom mit Enthemmung und Euphorie, bei Hirntumo-
sozialen Netzes möglichst zu verhindern und ren, Morbus Pick, Enzephalitis, in Anfangsstadien von
den (Alters-)Patienten in seinem Milieu zu Chorea Huntington. Zur Symptomatik gehören Stö-
halten rungen des Antriebs, der Einzeltriebe, der Stimmung.
In der Regel keine intellektuellen Ausfälle, jedoch Ent-
Prognose. In der Regel mit der Grundkrankheit rück- differenzierung der Persönlichkeit (z. B. Störungen des
bildungsfähig, abhängig vom Schweregrad der akuten Taktgefühls). Keine produktiv-psychotischen Symp-
organischen Persönlichkeitsstörung ist der Übergang in tome und keine Bewusstseinsstörungen. Häufig exis-
eine chronische organische Psychose/Persönlichkeits- tiert keine Korrelation zwischen Morphologie und
störung möglich. Das Querschnittsbild erlaubt keine Psychopathologie. Es sind keine sicheren Rückschlüsse
sichere Prognose. in eine der beiden Richtungen möglich. Die Differenzi-
aldiagnose gegenüber neurotischen Störungen ist oft
4 Amentielles Syndrom: Typische Symptome sind Rat- schwierig. Zur Therapie 7 Kap. 2.2.1.3 (organische Per-
losigkeit, verworrenes, inkohärentes Denken, Bewusst- sönlichkeitsstörung).
seinstrübung, keine eindeutige produktive Sympto-
matik.
4 Depressives Syndrom: Auftreten bei Schlaganfall,
Morbus Parkinson, Hypothyreose, raumfordernden in-
trakraniellen, frontalen Prozessen, Pankreaskarzinom,
Kortisontherapie. Bei exogenen Psychosen häufig mit
depressivem Wahn und Symptomen wie Merkfähig-
keits- und Gedächtnisstörungen kombiniert.
6
124 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

In Kürze

Körperlich begründbare psychische Störungen (exogene Psychosen)

2
Delir, nicht durch Alkohol und andere 4 Symptomatik: Bewusstseinsstörung, Desorientiertheit, Halluzina-
psychotrope Substanzen bedingt tionen, illusionäre Verkennung, psychomotorische Unruhe,
grobschlägiger Tremor, vegetativ-vasomotorische Symptome
4 Ätiologie: hochfieberhafte Erkrankungen, Intoxikationen, zerebrale
Gefäßprozesse
4 Diagnostik: Psychostatus, Klinik, Labor, Vorerkrankungen, EEG,
CCT, MRT
4 Therapie: Flüssigkeit, Elektrolytsubstitution, stationäre Aufnahme,
Grunderkrankung behandeln

Organisch bedingte Halluzinose 4 Symptomatik: Trugwahrnehmungen


4 Ätiologie: Alkohol, Halluzinogene, Radioiodidtherapie, Sehstörun-
gen, endokrine Störungen
4 Diagnostik: Labor, EEG, CCT, MRT
4 Therapie: Grunderkrankung behandeln

Organische Persönlichkeitsstörung 4 Symptomatik: Bewusstseinsstörungen, pseudneurastenisches


Syndrom, Persönlichkeitsveränderungen, Demenz
4 Ätiologie: Organerkrankungen, Intoxikationen, Infektionen,
Schädel-Hirn-Traumen
4 Diagnostik: Körperbefund, (Fremd-)Anamnese, Psycho-/Neuro-
status, Labor, CCT, MRT, EEG
4 Therapie: Grunderkrankung behandeln, Psychotherapie, Flüssig-
keits-/Elektrolytsubstitution, Benzodiazepine, Neuroleptika,
Nootropika

2.3 Hypoglykämie erkrankungen (verminderte Glukoneogenese und


Glukoseabgabe), Urämie (Substratmangel für Glu-
Synonym. Unterzucker. koneogenese), Insuffizienz von NNR oder HVL
(Ausfall kontrainsulinärer Hormone), sehr selten
Definition. Glukosegehalt im kapillären Blut unter β-Zellhyperplasie in den ersten Lebensjahren (Ne-
50 mg/dl, bei Diabetikern auch höher. sidioblastose) durch Mutation des Sulfonylharn-
stoffrezeptors, Glykogenosen, renaler Hypoglykä-
Ätiopathogenese. Hypoglykämie ist keine selbständige mie (renaler Diabetes mellitus) und Neugebore-
Krankheit, sondern ein Zustand, der von vielen ver- nenhypoglykämie bei diabetischer Mutter sein.
schiedenen Grunderkrankungen ausgelöst werden 4 Reaktive (postprandiale) Hypoglykämie: Auftre-
kann. ten im Anfangsstadium eines Diabetes mellitus, bei
Magenentleerungsstörungen infolge autonomer
> Bei plötzlich auftretenden unklaren neurologischen Neuropathie eines Diabetikers, Dumping-Spätsyn-
oder psychiatrischen Symptomen immer an eine Hy- drom nach Magenresektion, reaktive Hypoglykä-
poglykämie denken und den Blutzucker bestimmen! mien bei vegetativer Labilität (verstärkter Vagoto-
nus) und seltene erbliche Defekte (Leucin-Über-
Unterschieden werden: empfindlichkeit, Fruktoseintoleranz).
4 Nüchternhypoglykämie: Ursachen können Insu- 4 Exogene Hypoglykämie:
linome, extrapankreatische Tumoren (Leberzell- 5 Überdosierung von Insulin oder Sulfonyl-
karzinom), seltener paraneoplastische Sekretion harnstoffen: Relative Überdosierung infolge
insulinähnlicher Peptide (IGF II), schwere Leber- Änderung der Nahrungszufuhr bei Erkrankung
2.3 · Hypoglykämie
125 2

und gleichbleibender Antidiabetikadosierung, oder Proinsulin i. S. (hoch bei Insulinom, normal bei
Interaktionen mit anderen, blutzuckersenken- Einnahme von Sulfonylharnstoffen) können hilfreich
den Medikamenten (Sulfonamide, nichtsteroi- sein. Späthypoglykämien sind mit OGTT (oraler Glu-
dale Antirheumatika, Betablocker, ACE-Hem- kosetoleranztest) über 5 h objektivierbar.
mer), starke körperliche Belastung, Alkoholge-
nuss (Alkohol hemmt die Glukoneogenese) oft Differenzialdiagnose. Psychosen, Epilepsie, Schlagan-
in Kombination mit Nahrungskarenz. fall.
5 Hypoglycaemia factitia: Absolute Überdosie-
rung, Insulininjektion oder Einnahme von Sul- Therapie. Beseitigung der kausalen Ursache. Bei
fonylharnstoffen akzidentiell, in suizidaler oder leichter Hypoglykämie (mit vorhandenem Bewusst-
krimineller Absicht, bei Psychose. Typischer- sein) Gabe von 5–20 g Glukose (Dextrose, Trauben-
weise völlig regelloses Auftreten, unabhängig zucker) oral. Oligosaccharid-Getränke (Obstsäfte,
von Mahlzeiten. Betroffene sind oft in Heilbe- Cola) sind auch geeignet, sofern nicht mit Acarbose
rufen tätig oder Angehörige von Diabetikern. (α-Glukosidasehemmer) therapiert wurde. Liegt eine
schwere Hypoglykämie vor, werden 25–100ml
Symptomatik. . Tab. 2.11. 40%-ige Glukose i.v.verabreicht, evtl. nach 20 min wie-
Bei häufigen Hypoglykämien sinkt die Hypoglykämie- derholen oder anschließend 5%-ige Glukose per infu-
wahrnehmung. sionem, bis zu einem Blutzucker von ca. 200 mg/dl.

> Bei schwerer Neuropathie können die autonomen > Wenn kein venöser Zugang möglich ist, der Patient
Symptome abgeschwächt sein oder fehlen! aggressiv oder durch Laien versorgt wird: 1 mg Glu-
kagon i.m. oder s.c. (z. B. Gluca Gen Hypokit).
Diagnostik. Blutglukose-Bestimmung, bei Spontan-
hypoglykämien von Nicht-Diabetikern Seruminsulin, Dadurch steigt die endogene Glukoseproduktion. Glu-
C-Peptid oder im 72h-Hungerversuch (Fastentest) Be- kagon wirkt nicht bei Erschöpfung der Glykogen-
stimmung des Insulin-/Glukose-Quotienten während reserve. Nach dem Erwachen sofort Glukose oral oder
einer Hypoglykämie. i.v. weiter zuführen unter Blutzuckerkontrolle.
Reaktive Hypoglykämien werden bei vegetativer
> Insulin und C-Peptid zeigen bei endogener Sekretion Labilität versorgt mit kohlenhydratarmer, fett- und
einen parallelen Anstieg, bei Hypoglykämie infolge eiweißreicher Kost in Form vieler kleiner Mahlzeiten,
exogener Insulinzufuhr (Hypoglycaemia factitia) ist dazu Gabe von Parasympatholytika.
das C-Peptid erniedrigt!
> Präventiv müssen Diabetiker geschult werden und
Insulin und C-Peptid sind bei Einnahme von Sulfonyl- erlernen auf Frühsymptome einer Hypoglykämie zu
harnstoffen erhöht. Nachweis von Glibenclamid i. S. achten.

. Tab. 2.11. Klinische Phasen einer Hypoglykämie

Phasen Klinische Symptome

Autonome Reaktionen
4 Parasympathikoton 4 Heißhunger, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche
4 Sympathikoton 4 Unruhe, Schwitzen, Tachykardie, Tremor, Hypertonus, Mydriasis

Zentralnervöse = neurogluko- Kopfschmerzen, endokrines Psychosyndrom (Verstimmung, Reizbarkeit, Konzentrations-


penische Reaktionen schwäche, Verwirrtheit), Koordinationsstörungen, primitive Automatismen (Grimassie-
ren, Greifen, Schmatzen), Konvulsionen, fokale Zeichen (Hemiplegien, Aphasien, Doppel-
bildersehen), hypoglykämischer Schock = hypoglykämisches Koma, Somnolenz, zentrale
Atem- und Kreislaufstörungen
126 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

In Kürze
Hypoglykämie 4 Symptomatik: Heißhunger, Schwindel, Übelkeit, Tachykardie, Tremor, Schwitzen, Hyper-
tonus, Mydriasis, primitive Automatismen, fokale Zeichen
2 4 Ätiologie: Insulin-/Sulfonylharnstoff-Überdosierung, Dumping-Spätsyndrom, endokrine
Erkrankungen
4 Diagnostik: Blutglukose-Bestimmung, bei Spontanhypoglykämien von Nicht-Diabeti-
kern Seruminsulin, C-Peptid oder im 72-h-Hungerversuch (Fastentest) Bestimmung des
Insulin-/Glukose-Quotienten während einer Hypoglykämie, OGTT (oraler Glukosebela-
stungstest)
4 Therapie: leichte Hypoglykämie: 5–20 g Glukose (Dextrose, Traubenzucker) oral. Schwere
Hypoglykämie: 25–100 ml 40%-ige Glukose i.v.

2.4 Krankheitsbilder mit sich im 4 Zerebelläre Herodoataxie (Ataxie, spastische Pare-


Verlauf verändernden Syndromen sen. CT: Kleinhirnatrophie, positive Familienanam-
nese)
2.4.1 Demenz als gemeinsames 4 Spastische Spinalparalyse
Leitsymptom 4 Phakomatosen (Anfälle, Café-au-lait-Flecken. CT/MRT:
Raumforderung)
Definition. Organisch bedingte, meist progrediente und 4 Lipidspeicherkrankheiten (Ataxie, Myoklonien, Erblin-
nicht reversible Minderung der in früheren Lebensab- dung, Spastik. Leberbiopsie)
schnitten erworbenen intellektuellen Fähigkeiten. 4 Lupus erythematodes (ANA, Anti-dsDNS im Serum)
4 Intoxikation (Schwermetalle, Medikamente wie Brom,
Ätiopathogenese. 50–60% Morbus Alzheimer, 15–20% Disulfiram)
vaskuläre Demenz, 15% Mischformen beider Krank- 4 Depression (kontinuierlich bestehend, daneben kog-
heiten. nitive und affektive Störungen, die unter medika-
Seltenere Demenzursachen mentöser Therapie abklingen)
4 Chronische hepatische Enzephalopathie (erhöhte
Transaminasen und Albumin im Serum) Epidemiologie. Etwa 5–10% der über 65-Jährigen sind
4 Urämie (deutlich erhöhtes Kreatinin und Harnstoff im betroffen, davon ca. 65% durch Morbus Alzheimer und
Serum) ca. 10% durch vaskuläre Demenz.
4 Vitamin-B12-Mangel (Blutbild: Anämie, erhöhtes MCV,
MCH, MCHC. Magensaftanalyse, Schilling-Test) Symptomatik. Zu Leitsymptome der Demenz
4 Zustand nach zerebraler Hypoxie (CT: Aufhebung der . Tab. 2.12.
Mark-Rindengrenze) Typische Begleitsymptome sind:
4 Schädel-Hirn-Trauma (selten nach schweren oder rezi- 4 Schlafstörungen
divierenden Traumen: Dementia pugilistica, Boxer- 4 Paranoid-halluzinatorische Symptome und Erregt-
demenz. CT: Kontusionsblutung, Coup- und Contre- heit
coup-Herde) 4 Inkontinenz
4 Neurolues, progressive Paralyse (TPHA, VDRL, Liquor- 4 Depressive Verstimmung (bei Persistenz)
Serologie, CCT: multiple Infarkte, Penicillingabe!) 4 Elektrolytstörungen, Vitaminmangel
4 Multiple Sklerose (schubförmiger Verlauf, Paresen, Ata-
xie, Blasenstörung. Liquor: oligoklonale Banden, MRT: Differenzialdiagnose. Die wichtigsten Differenzial-
Demyelinisierung diagnosen einer Demenz sind:
4 Myoklonische Epilepsie (EEG: Paroxysmen) 4 Tumor (v. a. frontobasale Hirntumoren)
4 Chorea Huntington (Familienanamnese, Gendiagnos- 4 Normaldruckhydrozephalus
tik) 4 Benigne Altersvergesslichkeit (mit/ohne chroni-
4 Morbus Wilson (Athetose, Hepatomegalie, Kayser-Flei- scher Depression)
scher-Korneal-Ring. Kupferionen, Coeruloplasmin sind 4 Subdurales Hämatom (auch nach Bagatelltrauma)
im Serum und Urin erhöht) 4 Hypothyreose
6
2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
127 2

. Tab. 2.12. Leitsymptome der Demenz

Symptom Beispiel

Verstärkte Vergesslichkeit Schlüssel oder andere Gegenstände werden häufiger als gewohnt verlegt, Fragen wieder-
holen sich, der Herd wird angelassen

Orientierungsstörungen Tag, Monat, Jahr können nicht benannt werden, früher bekannte Orte werden nicht erinnert,
Zuordnung von Namen zu Personen geht verloren

Sprachstörungen Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden, zu verstehen, was gemeint ist, sich selbst
verständlich zu machen. Umschreibungen häufen sich

Gefühlsstörungen Leichte Euphorie, Depressivität und auch Aggressivität können auftreten. Häufig werden
diese Gefühle als »Böswilligkeit« oder »wahre Gefühle« von Fremden verkannt

Wahnvorstellungen Kranke können sich bestohlen fühlen, wenn sie vergessen, wohin sie ihre Gegenstände
gelegt haben

Erhaltene Fassade Die vorhandenen Fähigkeiten werden genutzt, um die Beschwerden zu überspielen:
die äußere Fassade ist sehr lange intakt

Neuropsychologische Agnosie, Apraxie, Aphasie (amnestisch und sensorisch mit Konfabulationen, Perserveratio-
Auffälligkeiten nen, Paraphasien), später Agraphie, Alexie

Denkstörungen Verlangsamung, Konzentrationsschwäche

Organisch bedingte Zum Beispiel Delir, häufig durch interkurrente Infektionen oder Medikamentenumstellung
psychische Störungen ausgelöst

Neurologische Symptome Extrapyramidal-motorische Störungen (z. B. Parkinson-Syndrom mit Rigor, Akinese, Ruhe-
tremor), träge Pupillenreaktion auf Licht, vertikale Blickparese und Gesichtsausfälle,
Geruchs- und Geschmacksstörungen, Auftreten von Primitivreflexen (Greif-, Schnauz- und
Saugreflexe), Pyramidenbahnsymptome, später Blasen- und Darmentleerungsstörungen

Weitere Symptome Motorische Unruhe, Umherlaufen, Halluzinationen, Unsicherheit, Interesselosigkeit, fehlen-


de Organisation von Körperpflege und Kleidung, Persönlichkeitsveränderungen

Diagnostik. Zur Diagnostik gehören: 4 EKG/Langzeit-EKG: Überprüfung von Rhyth-


4 Labor, zum Ausschluss organischer Ursachen: musstörungen, Infarktzeichen
Blutbild, BSG, Blutzucker, Gesamtprotein, Kreati- 4 Herzecho (ggf. transösophageal durchgeführt):
nin, Harnstoff, Elektrolyte, Cholesterin, Triglyzeri- Emboliequellen, Klappenfehler
de, T3, T4, TSH, Transaminasen, Vitamin B12, Fol- 4 Liquorpunktion, bei Verdacht auf entzündliche
säure, Ammoniak, TPHA-Test, Medikamenten- Genese: Eiweißerhöhung (Schrankenstörung),
spiegel, evtl. HIV-Test und ANA-Titer (antinukleäre Zellzahlerhöhung (v. a. bei unter 60-Jährigen). An-
Antikörper positiv beim systemischen Lupus ery- tikörper, oligoklonale Bande, Verbesserung der
thematodes: bei ZNS-Beteiligung Psychosen/ Symptomatik nach Lumbalpunktion bei Normal-
Krampfanfälle) druckhydrozephalus
4 CT: Atrophie, vaskulär bedingte Infarkte (lakunäre 4 Des Weiteren:
Infarkte), Raumforderungen, Hinweise auf Hypo- 5 EEG: Herdbefunde, anfallstypische Potenziale
xie, Normaldruckhydrozephalus, subdurales Hä- 5 Thoraxröntgen in zwei Ebenen: Obligat, An-
matom halt für Tumor, Metastasen
4 Blutdruckkontrollen: Hypertonus-Abklärung bei 5 MRT: Bei unklaren CCT-Befunden, entzünd-
wiederholt hohen Werten durch 24-h-RR-Messung lichen Veränderungen, Raumforderungen zur
(Prüfung auf Vorliegen eines sekundären Hyperto- Diagnosesicherung
nus bei fehlendem nächtlichem Blutdruckabfall) 5 Unter Umständen SPECT, PET: Beurteilung
4 Dopplersono: Stenosen, Plaques der Durchblutung und des Stoffwechsels
128 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.13. Therapie der Begleitsymptome

Begleitsymptom Therapie Bemerkungen


2 Schlafstörung Patienten tagsüber wach halten (Beschäfti- Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und
gungstherapie, Gymnastik, häufige An- Barbituraten keine paradoxe Wirkung.
sprache); zur Nacht Promethazin (z. B. Atosil), Cave: Gefahr der Abhängigkeit! Immer
auch Trazadon (z. B. Thombran), alternativ abends Blutdruckkontrolle, da oft ein
Pipamperon (z. B. Dipiperon-Saft) oder RR-Abfall für Einschlaf- bzw. Durchschlaf-
Melperon (z. B. Eunerpan-Saft). Ggf. lome- störung verantwortlich ist
thiazol (z. B. Distraneurin) p.o.

Paranoid-halluzinatorische Pipamperon (z. B. Dipiperon-Saft) p.o., Dosierung insgesamt möglichst niedrig


Symptome und Erregtheit Haloperidol (z. B. Haldol) p.o. halten, regelmäßige Wirksamkeitskontrolle,
rasches Absetzen bei Symptombesserung.
Cave: Keine Benzodiazepine wegen parado-
xer Wirkung, verlängerter HWZ, Abhängig-
keit, Zunahme kognitiver Störungen, vorze-
itigem Auftreten von Inkontinenz und
Stürzen

Inkontinenz Initial Blasentraining, um schwere Inkontinenz Regelmäßige Urinkontrolle auf Harnwegs-


hinauszuzögern. Insgesamt medikamentös infekte
kaum beeinflussbar

Depressive Verstimmung Moclobemid (z. B. Aurorix) Nebenwirkungen und Kontraindikationen:


(bei Persistenz) Bei Apathie und Hypersomnie Desipramin
(z. B. Pertofran), bei starker Unruhe Trazo-
don (z. B. Thombran) oder Mianserin
(z. B. Tolvin)

Elektrolyte und Vitamine Ggf. Substitution Regelmäßige Kontrollen

Das Krankheitsausmaß wird durch psychometrische 2.4.2 Demenz bei Alzheimer-Krankheit


Testverfahren bestimmt: Mini-Mental-Status-Test, Auf-
merksamkeitstests, Benton-Test, Global-Deterioration- Definition. Klinisch kennzeichnend sind Zeichen ei-
Scale (Maß zur Schweregradbestimmung). ner Demenz bei relativ erhaltenen Persönlichkeits-
merkmalen mit Beibehaltung der sozialen Umgangs-
Therapie. Förderung verbliebener Leistungsreserven formen.
durch Hirnleistungstraining: Stationär regelmäßige
Gedächtnis- und Konzentrationsübungen, die dem Ätiopathogenenese. Kortikale neuronale Degene-
Leistungsniveau des Patienten angepasst werden, häus- ration vor allem der Frontal-, Temporal- und Parietal-
lich helfen Beteiligung an hauswirtschaftlichen Tätig- region mit Gliose, extrazellulären senilen Plaques,
keiten, anregende Gespräche, Beschäftigung mit der intrazellulären Fibrillen. Befall mehrerer Trans-
eigenen Biografie (z. B. mittels Familienalben). mittersysteme, insbesondere des cholinergen Sys-
tems. In 5% der Fälle Nachweis eines genetischer
> Keine Konfrontation mit kognitiven Defiziten, die Einflusses.
Selbstständigkeit sollte weitgehend erhalten werden Risikofaktoren sind:
(Beibehaltung der gewohnten Umgebung, Struktu- 4 Alter
rierung des Tagesablaufes). 4 Positive Familienanamnese
4 Vorliegen der Allelkonfiguration APO-ε4 auf Chro-
Weitere therapeutische Möglichkeiten . Tab. 2.13. mosom 19 (3- bis 6-fach erhöhtes Risiko, späte
Manifestation)
> Jeder 10. Demenzfall ist therapierbar! Behandelbare 4 Alter der Mutter bei Geburt (>32 Jahre)
Demenzursachen ausschließen! 4 Schädel-Hirn-Trauma in der Anamnese
2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
129 2

Epidemiologie. Beginn der Erkrankung vor dem 2.4.3 Demenz bei HIV-assoziierter
65. Lebensjahr. 45% der über 60-Jährigen sind betrof- Enzephalopathie
fen. 50–60% der Demenz-Erkrankten haben einen
Morbus Alzheimer. Definition. Die HIV-assoziierte Enzephalopathie (HAE)
zählt zu den AIDS-Indikatorkrankheiten (»AIDS-de-
Symptomatik. Typisch für die Alzheimer-Demenz ist fining illness«, ADI) und kann als Demenz in Erschei-
ihr langsamer Beginn und progredienter Verlauf. nung treten.

Diagnostik. Ätiopathogenese. Aufgrund der Immuninsuffizienz


4 EEG: verlangsamter Grundrhythmus (4–8/s) mit erhöhte Anfälligkeit für opportunistische Infektionen
eingelagerten langsamen Wellen und Immunregulationsstörung. Die häufigsten Erreger
4 Liquor: Eiweißerhöhung (Schrankenstörung) zeigt . Tab. 2.15.
4 CT: Bei fortgeschrittenen Stadien innere und äuße-
re Atrophie Epidemiologie. 30% aller AIDS-Patienten sind be-
4 SPECT: Abnahme der frontoparietalen und tem- troffen.
poralen Hirndurchblutung. Außerdem liegt ein
verminderter frontoparietaler und temporaler Glu- Symptomatik. Konzentrations-, Gedächtnisstörungen,
kosestoffwechsel vor motorische Verlangsamung, psychische Veränderungen
und Dementiakomplex (metabolische Enzephalopathie
> Die Alzheimer-Krankheit kann nur neuropathologisch bei AIDS).
endgültig sicher diagnostiziert werden.
Diagnostik. Frühdiagnose mit psychomentalen Test-
Therapie. . Tab. 2.14. verfahren. Die HAE tritt meist erst bei CD4-Zellzahlen

. Tab. 2.14. Spezielle Medikation der Alzheimer-Krankheit

Substanz Besonderheiten Nebenwirkungen/Kontraindikationen

Nootropika Begrenzte Wirkung bei Geringe Nebenwirkungen: selten psychomotorische


(Piracetam, z. B. Nootrop) kognitiven Störungen Unruhe, Schwindel, selten Erniedrigung der Krampf-
schwelle, depressive Verstimmung; ggf. mit Acetyl-
cholinvorstufen (z. B. Lecithin) kombinieren

Nimodipin (z. B. Nimotop) Alternativ oder in Kombination Nebenwirkungen: Schwitzen, Kopfschmerzen,


mit Nootropika Übelkeit, Blutdrucksenkung, Extrasystolen

Cholinesterasehemmer Nur unter engmaschiger Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie,


(Tetrahydroaminoacridin, Kontrolle! erhöhte Leberenzyme (Kontrolle alle 1–2 Wochen!)
z. B. Cognex) Kontraindikationen: Wirkstoff-Überempfindlichkeit,
Vorsicht bei gastrointestinalem Ulkus, Asthma bron-
chiale, Leberfunktionsstörung

Memantin Versuch bei unspezifischen Nebenwirkungen: Schwindel, Unruhe, Müdigkeit,


(z. B. Akatinol-Memantine) Verhaltensstörungen im Alltag Kopfdruck, Übelkeit

. Tab. 2.15. Häufige Erreger einer HIV-assoziierten Enzephalopathie

Erreger (Klinik, Häufigkeit)) Diagnose Therapie

Toxoplasma gondii (Enzephalitis, 30%) Klinik, CT, MRT Clindamycin + Pyrimethamin


+ Leukovorin

Papovavirus (JC-Virus) (Progressive Neurologische Symptomatik HAART (hochreaktive antiretrovirale


multifokale Leukoenzephalopathie, 5%) (bis zur Demenz), CT, MRT Therapie)
(zerebrale Entmarkung)
130 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

<200/μl auf, kann aber auch bei normaler CD4-Zellzahl zunehmen. Histologisch findet sich in Rinde,
vorliegen. Im MRT/CT kann eine frontotemporale Ge- Stammganglien und Vorderhorn des Rücken-
hirnatrophie hinweisend sein. Serologie, EEG. markes ein Status spongiosus
2
Therapie. . Tab. 2.15. Therapie. Keine kausale Therapie bekannt. Psycho-
soziale Unterstützung der Erkrankten und Familie. We-
gen Gefahr der Übertragung Desinfektion der bei dem
2.4.4 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob- Patienten verwendeten Geräte. Vernichtung der Ge-
Erkrankung (CJE) genstände, die mit Liquor oder Gehirngewebe in Be-
rührung gekommen sind.
Definition. Progrediente Demenz aufgrund einer spon-
giösen Enzephalopathie.
2.4.5 Demenz bei Morbus Parkinson
Ätiopathogenese. Unterschieden werden:
4 Spordische Form: Inzidenz 1:1.000.000, Erkran- Definition. Selten wirkliche demenzielle Entwicklung.
kungsgipfel zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr Aspontanität, Bradyphrenität (möglicherweise nur
4 Familiäre Form: akinesebedingt), Depression können Demenz vortäu-
5 Genetische CJD-Erkrankung schen.
5 Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom
(GSS) Ätiopathogenese. Unklare Degeneration von melan-
5 Letale familiäre Insomnie (FFI) inhaltigen, Dopamin-produzierenden Zellen in der
4 Iatrogene Form: Übertragung im Rahmen von Substantia nigra mit konsekutivem Dopaminmangel
operativen Eingriffen (infektiöse Dura oder Cor- in den Stammganglien. Diskutiert wird neurotoxische
nea) oder durch Gabe von Wachstumshormon Wirkung von Glutamat oder freien Sauerstoffradi-
4 Neue Variante der CJD: Durch Genuss von Fleisch kalen.
an boviner Enzephalopathie erkrankter Rinder
(sog. Rinderwahnsinn, BSE). Erkrankungsgipfel im Epidemiologie. Prävalenz bei 100–200/100.000 Ein-
3. Lebensjahrzehnt wohner, Neuerkrankungen treten mit 20/100.000/Jahr
auf. Das Manifestationsalter liegt zwischen dem 40. bis
Symptomatik. Initial zeigen sich uncharakteristische 60. Lebensjahr.
psychische Symptome, später dementieller Abbau, Ale-
xie, Aphasie, Visusverlust, Okulomotorikstörungen, Symptomatik. Typische Trias: Rigor, Tremor und Aki-
zentrale Paresen, extrapyramidale Störungen, Ataxie, nese. Maskengesicht, gebeugter Oberkörper, Nichtmit-
Myoklonien, epileptische Anfälle. schwingen der Arme beim Gehen, kleinschrittiger und
schlurfender Gang. Psychische Veränderungen sind
Diagnostik. Die Diagnostik umfasst: Aspontaneität, Depression und selten Demenz.
4 Psychopathologische und körperliche Untersu-
chung Diagnostik. Apomorphintest, psychologische Testver-
4 Neurostatus: GSS (zerebelläre Ataxie und spasti- fahren.
sche Paraparese), FFI (progressive Insomnie und
autonome Dysregulation) Therapie. Die Therapie umfasst:
4 EEG: Periodische bi- und triphasische Komplexe, 4 Medikamentös:
sog. »Sharp-wave«-Komplexe (PSWC) bei der 5 Bei hypokinetisch-rigidem Typ: L-Dopa und
sporadischen Form Decarboxylasehemmer (Benserazid oder Car-
4 MRT: Hyperintensitäten in den Basalganglien bei bidopa), Dopaminagonisten (z. B. Lisurid),
der sporadischen Form oder im posterioren Thala- MAO-B-(Selegilin), COMT-Hemmer (mit L-
mus (»pulvinar sign«) bei der neuen Variante Dopa), Amantadin (parenteral bei akinetischer
4 Liquor: Pleozytose (Protein 14-3-3, TAU, NSE, Krise)
S100 5 Bei Tremordominanztyp: Anticholinergika
4 Biopsie: Diagnosesicherung und um Hygienemaß- (z. B. Biperidin, Benzatropin), Antihistami-
nahmen (Desinfektion der verwendeten Geräte/In- nika (z. B. Diphenhydramin), Beta-Blocker,
strumente, Entsorgung von Gegenständen, die mit trizyklische Antidepressiva, Dopaminagonis-
Blut/Liquor in Kontakt gekommen sind) ggf. vor- ten (z. B. Bromocriptin), Antikonvulsiva (z. B.
2.4 · Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen
131 2

Primidon), atypische Antipsychotika (z. B. 4 Psychiatrisch: begleitende Psychotherapie, Psy-


Clozapin) choeduktion, Selbsthilfegruppe
4 Neurochirurgisch: operative stereotaktische Be- 4 Physikalisch/Ergotherapie: Krankengymnastik,
handlung, Transplantation neuronaler Zellen, tiefe Massagen, Beschäftigungstherapie
elektrische Hirnstimulation

In Kürze
Krankheitsbilder mit sich im Verlauf verändernden Syndromen

Demenz als gemeinsames 4 Symptomatik: Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Sprachstörungen,


Leitsymptom Gefühlsstörungen, Wahnvorstellungen, erhaltene Fassade, neuropsycholo-
gische Auffälligkeiten, Denkstörungen, neurologische Ausfälle
4 Ätiologie: häufigste Formen: M. Alzheimer, vaskuläre Demenz
4 Diagnostik: Labor, CT, Blutdruckkontrolle, Dopplersono, EKG, Herzecho,
Liquorpunktion, EEG, Thoraxröntgen, MRT (SPECT, PET)
4 Therapie: Hirnleistungstraining

Demenz bei Alzheimer- 4 Symptomatik: langsamer Beginn, progredienter Verlauf


Krankheit 4 Ätiologie: kortikale neuronale Degeneration, Gliose, Plaques, Fibrillen
4 Diagnostik: EEG, Liquor, CT, SPECT
4 Therapie: Nootropika, Nimodipin, Cholinesterasehemmer, Memantin

Demenz bei HIV-assoziierter 4 Symptomatik: Dementia-Komplex, Gedächtnisstörungen, Konzentrations-


Enzephalopathie störungen, motorische Verlangsamung, psychische Veränderungen
4 Ätiologie: opportunistische Infektionen (Toxoplasma gondii, Papovavirus)
4 Diagnostik: psychomentale Tests, MRT/CT, Serologie, EEG
4 Therapie: Clindamycin + Pyrimethamin + Leukovorin, HAART

Demenz bei Creutzfeldt- 4 Symptomatik: Demenz, Depression, Angstsymptome, paranoid-halluzinato-


Jacob-Erkrankung rische Symptome, Ataxie, Myoklonien, extrapyramidale Störungen, Pyrami-
denbahnzeichen, Dysästhesien
4 Ätiologie: sporadisch, familiär, iatrogen, BSE
4 Diagnostik: Psychopathologie, Neurostatus, Liquor, MRT, EEG
4 Therapie: keine kausale Therapie, psychosoziale Unterstützung

Demenz bei Morbus 4 Symptomatik: Rigor, Tremor, Akinese, Apathie, Verwirrtheit, Bradyphrenie
Parkinson (Denkverlangsamung), kleinschrittiger Gang, Mikrographie, Speichelfluss,
Schwitzen
4 Ätiologie: Dopaminmangel durch Systematrophie der Substantia nigra und
Globus pallidus mit Nervenzelldegeneration
4 Diagnostik: Klinik, Neurostatus, CCT, EEG, Labor, Liquor (Entzündung?)
4 Therapie: Medikamente abhängig von hypokinetisch-rigidem bzw. Tremor-
dominanztyp. Neurochirurgie, Psychotherapie, Ergotherapie, Krankengym-
nastik, Massagen
132 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

2.5 Esstörungen Differenzialdiagnose. Konsumierende Tumorerkran-


kung, endokrine Störung, Magen-Darm-Erkrankun-
2.5.1 Anorexia nervosa gen, affektive, depressive und schizophrene Störungen,
2 Zwangsstörungen,
Synonym. Magersucht.
Therapie. Psychotherapie (verschiedene Formen) und
Definition. Schwere Störung des Essverhaltens mit be- sorgfältige Kontrolle des somatischen Zustandes. In
drohlich werdender Abmagerung bis zur Kachexie. lebensbedrohlichen Zuständen: Sondenernährung.

Ätiopathogenese. Psychodynamisch liegt eine Störung Prognose. Das Vollbild der Anorexie hat eine Mortali-
der psychosexuellen Entwicklung vor mit einer Ableh- tätsrate von 10%, 40% der Krankheitsfälle chronifizie-
nung der eigenen Geschlechtsrolle. Ambivalenz kenn- ren. Manchmal Wechsel in eine andere Symptomatik
zeichnet die Einstellung zum eigenen Körper, Sexualität (z. B. Medikamentensucht). Somatische Komplikatio-
wird auch abgelehnt; die Beziehung zu primären Be- nen (auch Infektionen), Psychosen und Suizid tragen
zugspersonen (Vater, Mutter) ist oft gestört; auch als mit der Kachexie zur hohen Mortalität bei.
Reaktion auf Essgewohnheiten im sozialen Umfeld.

Epidemiologie. 1% der Frauen während der Adoles- 2.5.2 Bulimia nervosa


zenz (unter 0,1% der Männer). Verhältnis Männer zu
Frauen beträgt 1:20. Familiäre Häufung. Anorektische Synonym. Ochsenhunger, Ess-Brech-Sucht.
Erscheinungen finden sich vorübergehend bei vielen
Jugendlichen. Definition. Häufige Anfälle von Heißhunger mit großer
Nahrungsaufnahme (Fressanfälle) mit anschließendem,
Symptomatik. Folgende Symptome sind anamnestisch selbstinduziertem Erbrechen.
relevant:
4 Angst vor Gewichtszunahme Ätiopathogenese. Problematisch ist die Akzeptanz der
4 Selbstinduzierte Gewichtsreduktion eigenen Geschlechtsrolle bzw. der eigenen Attraktivität
4 Körpergewicht mehr als 15% unter dem Normalge- mit einer unbewussten Orientierung am gesellschaft-
wicht (Broca-Formel: Normalgewicht = Körper- lichen Schönheitsideal. Psychodynamisch herrschen
größe – 100) narzisstische Spannungen mit einem Gefühl der inne-
4 Vermeidung hochkalorischer Nahrungsmittel ren Leere und gleichzeitiger Suche nach Geborgenheit
4 Körperschemastörung: Gefühl zu dick zu sein und Selbstwertgefühl vor.
4 Exzessive körperliche Aktivitäten (z. B. Marathon-
läufe) Epidemiologie. Häufigkeitsgipfel zwischen dem 20. und
30. Lebensjahr. 95% sind Frauen. 1–5% der weiblichen
Unterschieden wird: Bevölkerung sind betroffen.
4 Asketisch (passiv): ohne aktive Maßnahmen zur
Gewichtsreduktion Symptomatik. Typische Symptome sind:
4 Bulimisch (aktiv): mit Heißhungerattacken, Erbre- 4 Angst, zu dick zu sein
chen, Abführen 4 Fressattacken, danach depressive Verarbeitung,
Schuld- und Schamgefühle
Typisch sind jugendliches Alter, ritualisiertes Essver- 4 Ständige Beschäftigung mit Nahrung
halten, selbst ausgelöstes Erbrechen und Abführen, 4 Setzen einer Gewichtsgrenze
Auslassen von Mahlzeiten, Verwendung von Diuretika, 4 Zeitweilig Diät
Isolierung (u. a. Kontaktstörungen), hohes Leistungs- 4 Verwendung von Laxanzien und Diuretika
ideal, geringer Leidensdruck sowie sekundär endokrine 4 Größerer Leidensdruck und Krankheitseinsicht als
Störungen (erhöhte Kortisolsekretion, erhöhte LH- und bei Anorexie
GH-Ausschüttung, Amenorrhö; trockene Haut). 4 Zusätzlich: Selbstbeschädigungen, Suizidversuche
und Amenorrhö
Diagnostik. Klinische Untersuchung.
4 Körperschemastörung
! Cave
Vitale Bedrohung bei Kachexie (unter 50% des Sollge- Diagnostik. Klinische Untersuchung. Zahnschmelzab-
wichts)! bau, Karies, Parotitis, Ösophagitis und Elektrolytstö-
2.6 · Schlafstörungen
133 2

rungen (Hypokaliämie) können auf eine Bulimie hin- Therapie. Psychotherapie (z. B. analytisch orientiert,
weisen. Verhaltenstherapie), Selbsthilfegruppen (z. B. OA =
Overeaters Anonymous).
> Unspezifische einzelne auffällige Befunde (z. B. Hypo-
kaliämie, erhöhte Triglyzeride) können bei jungen Prognose. Jeweils ein Drittel wird geheilt, erfährt eine
Frauen auf eine Essstörung hinweisen. Symptomverbesserung und chronifiziert oder zeigt
eine Symptomverschlechterung nach 6- bis 12-mona-
Differenzialdiagnose. Störungen des oberen Gastroin- tiger Therapie. Außer in Extremfällen (Ösophagus-,
testinaltrakts mit wiederholtem Erbrechen, organische Magenperforation, sekundäre Depression mit Suizid)
Hirnstörungen (z. B. traumatisch), Persönlichkeitsstö- kein letaler Ausgang.
rungen.

In Kürze
Essstörungen

Anorexia nervosa 4 Symptomatik: Nahrungsrestriktion, Kachexie, exzessiver Sport, Amenorrhö,


trockene Haut
4 Ätiologie: Körperschemastörung, Störung der psychosexuellen Entwicklung
mit Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle
4 Diagnostik: Anamnese, Klinik
4 Therapie: Psychotherapie, Sondenernährung bei lebensbedrohlicher Kachexie

Bulimia nervosa 4 Symptomatik: Karies, Parotitis, Ösophagitis, Elektrolytstörungen


4 Ätiologie: Körperschemastörung, Selbstwertstörung
4 Diagnostik: Klinik (Zähne, Elektrolyte)
4 Therapie: Psychotherapie, Selbsthilfegruppen

2.6 Schlafstörungen 5 Kleine-Levin-Syndrom, sog. Hypersomnie


(Schlafsucht), Bulimie-Syndrom

Definition. Mangel an Dauer (Insomnie) und/oder Symptomatik. Unterschieden werden:


Qualität des Schlafes (Dysomnie, Parasomnie) mit 4 Dysomnien: Insomnie (Schlafmangel), Hypers-
Leistungsminderung und Befindlichkeitsstörungen. omnie mit verlängertem Nachtschlaf, die Nar-
kolepsie mit imperativen Einschlafattacken sowie
Ätiopathogenese. Organische Schlafstörungen: Apnoesyndrome und Störungen, die durch die zir-
4 Hypersomnien bei Klinefelter-Syndrom, bei Nar- kadiane Rhythmikbedingt sind (Jet-lag, Schicht-
kolepsie (mit Schlafattacken, kataplektischen An- arbeit)
fällen, Schlaflähmung, hypnagogen Halluzinatio- 4 Parasomnien: Schlafwandeln (Somnambulismus)
nen), bei periodischen Myoklonien oder Restless- Pavor nocturnus (Aufwachstörung meistens bei
legs-Syndrom Kindern mit Schreien und Erregung) sowie nächt-
4 Hyposomnien z. B. bei Schlafapnoe liche Albträume)
4 Nicht krankheitsbedingt: Schlafstörung infolge 4 Schlafstörungen bei Begleiterkrankungen: psychia-
Überstimulation durch abendliche Erlebnisreize, trische Erkrankungen, organische Erkrankungen
Stimulanzieneinnahme (Koffein!) oder unter psy-
chischem Stress Diagnostik. Anamnese (Schlafverhalten, Medikamente,
4 Krankheitsbedingt Alkohol, Stress, Genussmittel), körperlicher Befund,
5 Erlebnisreaktion und Belastungsstörung, neu- EEG (Polysomnographie im Schlaflabor), EKG, Thorax-
rotische Anpassungsstörung röntgen.
5 Alkohol-, Medikamentenmissbrauch
5 Depression Therapie. Schlafhygiene, Therapie der Grunderkran-
5 Hirnfunktionsstörungen kung, Entspannungsübungen, kognitive Verhaltens-
134 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

therapie, Phytopharmaka (Baldrian, Hopfen, Melisse, methazin), Antihistaminikum, Melatonin (bei Jet-lag),
Passionsblume), sedierende Antidepressiva (z. B. Trimi- Benzodiazepine über 2 bis maxiaml 4 Wochen, Zale-
pramin), schwachpotente Antipsychotika (z. B. Pro- phon zur Schlafeinleitung, Lichttherapie.
2 In Kürze
Schlafstörungen 4 Symptomatik: Durchschlaf-, Einschlafstörung, Mangelschlaf, Narkolepsie, Aufwach-
störung, Schläfrigkeit, Schlafwandeln
4 Ätiologie: intrinsisch, extrinsisch, organisch, psychisch, toxisch, medikamentös
4 Diagnostik: Anamnese, EEG, Schlaflabor
4 Therapie: Schlafhygiene, Psychotherapie, Entspannungsübungen, Medikamente

2.7 Missbrauch, Abhängigkeit


Substanzabhängigkeit
Definition. Unterschieden wird zwischen: Mindestens drei der folgenden Symptome sollten
4 Missbrauch: Schädlicher, übermäßiger oder un- während eines Jahres vorliegen:
zweckmäßiger Substanzgebrauch ohne dass eine 4 Eingeschränkte Kontrollfähigkeit/Kontroll-
Abhängigkeit besteht, d. h. Missbrauch als Vor- verlust von Beginn, Substanzverbrauch und
stufe! Beendigung des Substanzkonsums
4 Abhängigkeit: Nach WHO-Definition unwider- 4 Zwanghafter Konsumwunsch der Substanz
stehlicher Drang, ein Suchtmittel einzunehmen, (Craving: psychische Abhängigkeit)
um entweder ein Gefühl des Wohlbefindens zu 4 Körperliches Entzugssyndrom und Substan-
erzielen oder Missempfindungen auszuschalten. zeinnahme, um Entzugssymptome zu lindern
Kontrollverlust, körperliche Entzugserscheinun- 4 Toleranzentwicklung: Dosissteigerung, um
gen (Entzugssyndrom, Besserung durch Zufuhr eine gleiche Wirkung zu erzeugen wie zuvor
des Suchtmittels), eingeengtes Verhaltensmuster mit einer niedrigeren Dosis
im Umgang mit der Substanz, Toleranzentwick- 4 Vernachlässigung anderer Interessen und Hob-
lung (Dosissteigerung) kennzeichnen das Ver- bys
halten. 4 Fortsetzung des Substanzgebrauchs trotz
4 Süchtige Fehlhaltung: Auch süchtige Verhaltens- nachgewiesener sozialer, körperlicher und psy-
weisen, wie Kaufsucht, Spielsucht etc. chischer Schäden

Ätiopathogenese. Es wird eine multifaktorielle Gene-


se für die Entstehung von Missbrauch (Abusus) und
Abhängigkeit in Interaktion mit Persönlichkeit (Dispo- 2.7.1 Alkoholismus
sition und Entwicklung), Umwelt (Sozialfeld und Ge-
sellschaft, z. B. Gruppenzwang) und Droge (Angebot, Definition. Andauernder, suchtmäßiger Konsum von
Erreichbarkeit, Wirkung) vermutet. Alkohol. WHO-Definition: Chronische Verhaltens-
störung, die bestimmt wird durch exzessives Trinken
Symptomatik. Akute Intoxikationen, Entzugssyndro- von Alkohol über das sozial übliche Maß hinaus, unter
me (Craving) und exogene Psychosen sind allgemeine anderem mit Folge körperlicher und psychischer Ab-
Hinweise auf einen Substanzabusus. Bei chronischem hängigkeit.
Missbrauch zeigen sich Wesensveränderungen (Fremd-
anamnese!). Ätiopathogenese. Die Psychoanalyse nimmt starke
orale Anteile in der Persönlichkeit an (geringe Frustra-
Beschaffungskriminalität und eine Polytoxikomanie tionstoleranz).
(Mehrfachsubstanzabhängigkeit) treten oft sekundär
auf. Das Suchtpotenzial für z. B. Heroin ist sehr hoch, > Präventiv entscheidend ist die Früherkennung
d. h. praktisch alle Konsumenten werden innerhalb (. Tab. 2.16).
kürzester Zeit abhängig. Alkohol hat ein niedriges
Suchtpotenzial, dennoch entwickeln 5% aller Men- Die Alkoholtoleranz ist herabgesetzt bei Epilepsie, He-
schen, die Alkohol trinken, eine Alkoholsucht. patopathie, neuroleptischer Therapie, Ermüdung, Hirn-
2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
135 2

. Tab. 2.16. Phasen nach Jellinek. Symptome nach Stadium der Alkoholabhängigkeit

Stadium Merkmale

Präalkoholische Phase 4 Spannungsreduktion durch Alkohol


4 Häufiges Trinken
4 Leichte Toleranzerhöhung

Prodromalphase 4 Erleichterungstrinken (gierig!)


4 Toleranzerhöhung
4 Gedächtnislücken (Palimpset = Verblassen alter Erinnerungen, Erinnerungslücken,
Black-out, »Filmriss«)
4 Heimliches Trinken mit Schuldgefühlen
4 Dauerndes Denken an Alkohol, aber Vermeidung von Gesprächen über Alkohol

Kritische Phase 4 Nach Trinkbeginn: Kontrollverlust


4 Ausreden, Alibis, Rationalisierung
4 Aggression und Schuldgefühle (Zerknirschung)
4 Nach Perioden von Abstinenz stets Rückfälle
4 Trinksystem (nicht vor bestimmten Stunden!) gelockert
4 Interesseneinengung, Verlust von Sozialbezügen
4 Toleranzverminderung
4 Zittern und morgendliches Trinken
4 Mangelhafte Ernährung
4 Libido- und Potenzverlust (evtl. Eifersucht)

Chronische Phase 4 Verlängerte Räusche


4 Ethischer Abbau
4 Fehlbeurteilung der eigenen Lage
4 Trinken mit Alkoholikern (»unter Stand«)
4 Trinken als Besessenheit
4 Angstzustände, Zittern
4 Auftreten von Psychosen
4 Toleranzverlust
4 Erklärungssystem versagt – Niederlage zugegeben – Behandlungsansatz!

gefäßsklerose, nach Hirntraumen und bei Alkoholikern 20%. Jeweils 50% aller Straftaten (Aggressionsdelikte!)
in der chronischen Phase. Potenzierung der Alkohol- und Selbstmordversuche geschehen unter Beteiligung
wirkung erfolgt durch Barbiturate, Tranquilizer, Neuro- von Alkohol. Risikofaktor für Leberzirrhose ist Alkohol
leptika, Antidepressiva. ab 60 g pro Tag für Männer ab; für Frauen ab 40 g Al-
Unterschieden werden verschiedene Typen kohol pro Tag.
(. Tab. 2.17).
Symptomatik. Psychisch zeigt der Alkoholiker in der
Epidemiologie. Neben den neurotischen (psycho- Regel passiv abhängige Persönlichkeitszüge mit de-
genen) Störungen in Europa die weitverbreiteste psy- pressiver Verstimmung und Affektlabilität. Schon im
chische Störung! Erstgespräch werden oft eine Distanzlosigkeit (Wesens-
änderung) und eine latente Gereiztheit spürbar, die un-
> 2–3 Millionen (3% der Erwachsenen) in der BRD ter einer Gefälligkeitshaltung durchschimmern. Häufig
sind alkoholabhängig, etwa die gleiche Anzahl sind hat sich schon ein psychoorganisches Syndrom entwi-
gefährdet, d. h. insgesamt sind 6–10 Millionen direkt ckelt. Eine Fremdanamnese kann sehr hilfreich sein.
oder indirekt (z. B. Angehörige) betroffen. An Alkoholmissbrauch sollte gedacht werden bei:
4 Gastritis mit Erbrechen und Übelkeit
Zurzeit besteht ein Männer-Frauen-Verhältnis von 4:1. 4 Leberschädigung (Fettleber, Leberzirrhose) mit Er-
30% der psychiatrischen Krankenhausaufnahmen sind höhung von γ-GT, GOT, GPT, alkalische Phospha-
Alkoholiker, in Allgemeinkrankenhäusern sind es 10– tase, CDT (Carbohydrat-defizientes Transferrin)
136 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.17. Formen des Alkoholismus nach Jellinek

Art des Alkoholismus Typisierung und Kontrolle Abhängigkeit und Klinik (Folgen)
2 Alphatypus Konflikttrinker ohne Kontrollverlust Nur psychisch, Abstinenz möglich; Übergang
zum Gammatyp möglich; keine Spätfolgen

Betatypus Gelegenheitstrinker ohne Kontrollverlust Keine Abhängigkeit; Übergang in Epsilontyp


möglich

Gammatypus Suchttrinker mit Kontrollverlust, aber Erst psychisch, dann auch physisch; Toleranz-
abstinenzfähig entwicklung, soziale Spätfolgen

Deltatypus Gewohnheitstrinker ohne Kontrollverlust, Physisch, Spiegeltrinker ohne Rausch


nicht abstinenzfähig

Epsilontypus Episodischer Trinker (»Quartalstrinker«) Psychisch; »Dipsomanie«, teilweise als larvierte


mit Kontrollverlust, aber abstinenzfähig Depression anzusehen, Tendenz zum Übergang
in Gammatypus

[Gamma-, Delta- und Epsilontypus kennzeichnen die Alkoholkrankheit im engeren Sinne mit seelischen, körperlichen und
sozialen Schädigungen und Abhängigkeit.

Folgen eines chronischen Alkoholabusus können Prognose. Abhängig von der Ausgangspopulation.
sein: Dauerabstinenz wird bei 30–60% erreicht, aber starke
4 Erhöhung der MCV (Makrozyten) Selektion. Nach dem körperlichen Entzug erhalten nur
4 Pankreatitis 10% eine stationäre Kurztherapie, bei einem noch ge-
4 Herzmuskel-Erkrankungen ringeren Anteil zu langfristiger Entwöhnung. Unbe-
4 Akute Myopathie handelt verkürzte Lebenszeit und hohe Suizidrate. Re-
4 Neurologische Störungen: Polyneuropathie zidivgefährdung besteht lebenslang, höchstes Rückfall-
(Gangstörungen, Sensibilitätsstörungen) risiko innerhalb des 1. Jahres.
4 Krampfanfälle
4 Zieve-Syndrom (akutes hämolytisches Syndrom, 2.7.1.1 Einfacher Rausch
Leberzirrhose oder Pankreatitis) Definition. Passagere Alkoholvergiftung.

Zum klinischen Bild des chronischen Alkoholikers Symptomatik. Typisch ist eine zerebelläre Symptoma-
. Abb. 2.2. tik mit Ataxie, Dysarthrie, Koordinationsstörungen
beim Sprechen, Gehen, Schreiben; Blickrichtungsnys-
Diagnostik. Klinisch wegweisend sind eine rötliche, tagmus). Vegetative Reaktionen sind erweiterte Haut-
aufgedunsene Gesichtshaut mit Tränensäcken, Telean- gefäße, Mydriasis und eine Pulsbeschleunigung. Ent-
giektasien und eine belegte Zunge. Ein Foetor ex ore ist hemmung, Euphorisierung, Urteilsschwäche und
oft stark ausgeprägt. Unverzichtbar ist die Bestimmung Selbstüberschätzung zählen zur Bandbreite der psy-
von Blutspiegel und/oder Atemalkohol (bis 1,5‰ leich- chischen Symptome.
ter, bis 2,5‰ mittelschwerer Rausch).
! Cave
Differenzialdiagnose. Durch Alkohol bedingte, psych- Bei depressiver Symptomatik besteht die Gefahr der
iatrische Krankheitsbilder können als akute Intoxika- Suizidalität!
tionen oder als metalkoholische Psychosen auftreten.
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Depression, Allgemein treten Konzentrations-, Merkfähigkeits-,
bei der es hin und wieder beim Versuch einer Selbst- Orientierungs- und Bewusstseinsstörungen auf. Für die
heilung zu einem sekundären Alkoholmissbrauch Zeit des Rausches ist oft eine (partielle) Amnesie (Black-
kommt. out) gegeben.

Therapie. Sie erfolgt als Stufentherapie (. Tab. 2.18). Diagnostik. Klinische Untersuchung.
2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
137 2

. Abb. 2.2. Mindmap Körperliche Störungen bei Alkoholismus


138 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.18. Therapie des Alkoholismus: Entzug und Entwöhnung sind 2 voneinander abgrenzbare Phasen

Phase Maßnahmen
2 Entzug Körperlicher Entzug (I) mit Carbamazepin, evtl. Distraneurin (nur stationäre Anwendung)
über 10 Tage, maximal 2 Wochen. Cave: Suchtgefahr!, Clonidin (stationär); unmittelbar
danach Motivations(gruppen)behandlung (Entzug II) als Vorbereitung zur Entwöhnung
(Dauer: 2–3 Wochen)

Entwöhnung Ziel ist Abstinenz, d. h. kein Alkohol oder verarbeiteter Alkohol (cave: Arzneimittel!);
zunächst stationär, dann ambulante Therapie

Psychotherapeutische Intensive Gruppenbehandlung nach psychoanalytischem oder verhaltenstherapeutischen


(stationäre) Behandlung Prinzipien: Erlernen von Frustrationstoleranz, Aufgabe der Ersatzbefriedigungsfunktion
der Droge, Unterstützung von Autonomiebestrebungen, Festlegen einer Tages- bzw.
Wochenstruktur, Behandlungsdauer in Spezialkliniken bis 3 Monate; langfristige Teilnah-
me an Selbsthilfegruppen (Guttempler, Blaukreuz, Anonyme Alkoholiker), später Einbe-
ziehung von Angehörigen

Medikamentöse Therapie Noch im Erprobungsstadium: Mittel zur Reduktion des Trinkverlangens (Anticraving),
z. B. Acamprosat (Campral) (Nebenwirkungen: Hauterscheinungen, gastrointestinale
Symptome (Diarrhö); Prinzip der Alkoholmeidung durch Angst vor Unverträglichkeits-
reaktionen mit dem Medikament Disulfiram (Antabus), nur bei motivierten Patienten
unter ständiger ärztlicher Kontrolle (cave: bei Überdosierung Leberschädigung, Psycho-
segefahr, Krampfanfälle, deshalb kein Trinkversuch)

Therapie. Bei Erregung u. U. Neuroleptikagabe, sonst Symptomatik. Desorientiertheit (Situationsverken-


ist meist keine Therapie nötig. nung), Personenverkennung, Wahrnehmungsstörun-
gen (Halluzinationen), schwere Erregung, sinnlose
2.7.1.2 Komplizierter Rausch Gewalttaten, Terminalschlaf und Erinnerungslücken
Definition. Stadium der Alkoholintoxikation zwischen (15 min bis Stunden)
einfachem und pathologischem Rausch.
Therapie. Wie beim komplizierten Rausch 7 Kap.2.7.1.2.
Symptomatik. Die Symptomatik ist stärker ausgeprägt
als beim einfachen Rausch, hinzu kommen Erregung 2.7.1.4 Entzugssyndrom
und Bewusstseinstrübung, öfter auch eine Amnesie, vor Synonym. Abstinenzsyndrom.
allem bei Oligophrenen und hirnorganisch Kranken.
Definition. Körperliche oder/und psychische Beschwer-
Therapie. Sedierung mit Neuroleptika wie Haloperidol den bei Entzug von psychotropen Substanzen.
(z. B. Haldol), Chorprothixen (z. B. Truxal), Prometha-
zin (z. B. Atosil), evtl. Diazepam (z. B. Valium) langsam Symptomatik. Bei Abhängigen finden sich nach länge-
i.v. ren Trinkpausen meist zunächst vegetative Symptome
(feuchte Hände!).
2.7.1.3 Pathologischer Rausch
Definition. Der pathologische Rausch ist eine alkohol- Therapie. Carbamazepin. Ein protrahierter Entzug ist
bedingte symptomatische Psychose (Dämmerzu- prognostisch ungünstig.
stand).
2.7.1.5 Delirium tremens
Ätiopathogenese. Bei Hirntraumatikern, Epileptikern, Synonym. Alkoholdelir.
chronischen Alkoholikern; psychoreaktiv bei abnormen
Persönlichkeiten auftretend. Definition. Tritt einige Tage nach Entzug als Entzugs-
delir (akute organische Psychose mit quantitativer und
> Bei Alkoholunverträglichkeit genügt nur eine mi- qualitativer Bewusstseinsstörung, Orientierungsstö-
nimale Alkoholmenge, um einen pathologischen rungen, Halluzinationen und vegetativen Dysregula-
Rausch zu provozieren. tionen) oder (selten) als Kontinuitätsdelir auf.
2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
139 2

Ätiopathogenese. Das Delirium tremens ist auch Symptomatik. Vorherrschend sind akustische Hallu-
durch Anticholinergika (Anti-Parkinson-Mittel, Anti- zinationen. Syndromatisch sind alle Übergänge zu
depressiva), Neuroleptika, Spasmolytika provozierbar. Delir und Schizophrenie möglich. Die Dauer beträgt
Unbehandelt kann das Delir 3 bis maximal 20 Tage Stunden bis maximal 6 Monate. Stimmenhören in
andauern. Früher nahm das Delir oft einen letalen dialogischer und kommentierender Form (bedroh-
Ausgang. lich, Beschimpfungen, Sprechchöre, »Über-Ich«),
(Verfolgungs-)Wahn, Angst, durch das Erleben der
Symptomatik. Als Prodromi (subdelirantes Syndrom) Patienten erklärbare Handlungen (z. B. Aggressivität
gelten Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, gegen vermeintliche Personen), keine Bewusstseins-
Angst, Unruhe (nächtliche Verwirrtheit), Zittern, störung, Orientierung erhalten, zeitweilige Krankheits-
Schwitzen, Tachykardie, Fieber, Durchfall (vegetatives einsicht.
Entzugssyndrom), Muskelwogen (besonders mi-
misches Beben). Differenzialdiagnose. Dauert eine Alkoholhalluzinose
Das Vollbild eines Delirium tremens ist gekenn- länger als 6 Monate an, Schizophrenie ausschließen.
zeichnet durch Bewusstseinstrübung, Störung von Auf-
merksamkeit, Auffassung und Immediatgedächnisstö- Therapie. Neuroleptika, Abstinenz.
rung, Desorientiertheit, Beschäftigungsdrang, moto-
rische Unruhe, Schreckhaftigkeit, Nesteln, gesteigerte Alkoholischer Eifersuchtswahn
Suggestibilität (z. B. Ablesen von einem weißen Blatt), Durch Impotenz des Alkoholikers und Ablehnung der
inkohärentes Denken, Konfabulationen, Personenver- Partnerin/Ehefrau bedingte seltene Wahnentwicklung.
kennungen, optische und szenische Halluzinationen, Öfter bei Männern auftretend. Typisch sind groteske Be-
Akoasmen. schuldigungen ohne Krankheitseinsicht. Therapeutisch
sind Alkoholabstinenz und (danach) Psychotherapie an-
Therapie. Behandelt werden kann mit: zuvisieren.
4 Clomethiazol (z. B. Distraneurin) auch im begin-
nenden Delir möglichst oral, da gute Resorption, 2.7.1.7 Alkoholisches Korsakow-Syndrom
nur unter Intensivbeobachtung Infusionen (ver- Synonym. Amnestisches Durchgangssyndrom
mehrte Bronchialsekretion!).
4 Clonidin (Catapresan): nur unter Intensivbe- Definition. Tritt bei Hrinschädigungen verschiedenster
dingungen. Bei starker paranoider Symptomatik Art auf, am häufigsten bei alkoholtoxischen Hirnschä-
Kombination mit Neuroleptika (z. B. Haloperidol), den.
Nachteil: Erniedrigung der Krampfschwelle.
4 Carbamezepin zur Anfallsprophylaxe und im Sub- Ätiopathogenese. Häufig im Anschluss an Alkoholde-
delir (schweres Entzugsyndrom; u. U. Vermeidung lir, an Wernicke-Enzephalopathie oder chronisch-pro-
des Volldelirs) geben. Herz- und Kreislaufstützung gredient auftretend; bei 3–5% der Alkoholiker; auch
gegebenenfalls. Vitamin-B1-Gaben. Eine genaue nach Monaten noch Besserung möglich, aber auch un-
Beobachtung (Intensivstation) ist indiziert. günstige, irreversible Verläufe sind möglich.

! Cave Symptomatik. Typisch ist die Symptomen-Trias:


Clomethiazol nach etwa 10 Tagen ausschleichend ab- 4 Merkfähigkeitsstörungen
setzen: Gefahr der Abhängigkeit! Beim abrupten Ab- 4 Desorientiertheit
setzen: Gefahr von Entzugserscheinungen (Krampf- 4 Konfabulationen
anfall)! Außerdem: Atemdepression, Blutdruckabfall!
Keine Alkoholinfusionen (auch aus ethischen Er- Hinzu kommt oft flach euphorische Stimmung, Passi-
wägungen) alternativ zu Distraneurin! vität, Auffassungsstörungen, das Kurzzeitgedächtnis ist
am stärksten betroffen, Immediatgedächtnis bleibt er-
halten.
2.7.1.6 Alkoholhalluzinose
Definition. Paranoid-halluzinatorische Psychose, die Diagnostik. Psychostatus, Alkoholanamnese, Klinik,
während chronischen Trinkens, häufiger nach Alkoho- neurologische Untersuchung, CCT.
lexzessen auftritt.
Therapie. Versuch mit Vitamin-B-Komplex, insbeson-
Epidemiologie. Relativ seltenes Krankheitsbild. dere Vitamin B1 wird gegeben.
140 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

2.7.1.8 Wernicke-Enzephalopathie (in Hustenmitteln), Pethidin (Dolantin), Methadon


Synonym. Polioencephalopathia haemorrhagica supe- (Polamidon), Buprenorphin (Temgesic), Tramadol
rior Wernicke. (Tramal) etc.
2
Definition. Lebensbedrohlicher Zustand infolge Gefäß- Symptomatik. Typisch sind:
läsionen mit Blutungen im Gehirn. Schwerste Alkohol- 4 Kurz nach der Einnahme: Stimulation, Euphori-
folgeerkrankung. sierung, Sistieren von Missbefinden, Reaktionsver-
langsamung, Rückzug auf das innere Erleben, Ab-
Ätiopathogenese. Infolge Thiaminmngels, bei Magen- kapselung, Analgesie, hypnogen
erkrankungen, Mangelernährung, schweren Infek- 4 Nach wenigen Tagen: Gewöhnung mit Dosis-/To-
tionskrankheiten etc. Neuropathologisch: bei Blutun- leranzsteigerung und Abhängigkeit mit chronischer
gen und Gefäßläsionen im Thalamus, den Corpora Intoxikation, Tonuserhöhung des Parasympathikus
mamillaria, der Gegend des Aquädukts und des 3. und (Bradykardie, Blutdruckabfall, Müdigkeit, Miosis),
4. Ventrikels sowie im Zerebellum vorhanden. Haarausfall, Stimmungslabilität, Beschaffungskri-
minalität, Prostitution, Erschleichung von Klein-
Symptomatik. Auffassungs- und Gedächtnisstörungen, krediten, soziale Deprivation, fahle Haut
Desorientiertheit, Bewusstseinsstörungen (Delir), Vi- 4 Intoxikation: Enthemmung, Apathie, Ataxie, un-
gilanzstörung, Erregungszustände; Augenmuskelläh- deutliche Sprache, Miosis, Vigilanzstörung
mungen, Pupillenstörungen (Miosis), horizontaler 4 Entzugserscheinungen (sympathikotone Reak-
Blickrichtungsnystagmus, zerebelläre Ataxie (Gangata- tion): Mydriasis, Schwitzen, Naselaufen, Zittern,
xie), zentralvegetative Störungen (Hypersomnie). Muskelkrämpfe, Tachykardie, Blutdruck- und
Temperaturanstieg, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Er-
! Cave regungszustände, Drogenhunger (Craving), symp-
Die Wernicke-Enzephalopathie muss bei jedem Alko- tomatische Psychosen (selten), neonatales Absti-
holiker bedacht werden. Sie ist lebensbedrohlich. nenzsyndrom bei Neugeborenen opiatabhängiger
Mütter
Diagnostik. Psychostatus, Alkoholanamnese, Klinik,
neurologische Untersuchung, CCT. > Mydriasis bei Anoxie nach schwerer Überdosierung
mit Opioiden!
Differenzialdiagnose. Korsakow-Syndrom (klinisch oft
schwer unterscheidbar, Übergang möglich). Mögliche Komplikationen: Intoxikation (als psycho-
gene Fehlreaktion, als Suizidversuch, als Überdosie-
Therapie. Vitamin-B1-Gabe (sofort hohe Dosen, dann rung aus Unwissenheit), Spritzeninfektion mit Hepati-
100 mg i.v. pro Tag). tis-B-Viren oder HIV.

! Cave Diagnostik. Trunkenheit ohne Alkohol, vegetative Er-


Keine Glukosegabe vor Vitamin-B1-Gabe wegen Ge- regungserscheinungen, Einstiche (Hautläsionen), psy-
fahr der Laktatazidose! chische Auffälligkeit (nervös-gereizt, vernachlässigt)

Prognose. Die Letalität beträgt 10–20% trotz Therapie. Therapie. Schwere des Entzugs entsprechend der
Schwere der Abhängigkeit und Konzentration des Mit-
tels (Reinheitsgrad). Dauer 2 Wochen und länger, Maxi-
2.7.2 Opioide (Morphintyp) mum nach zwei Tagen (. Tab. 2.19). Provokation von
Entzugssyndromen durch Morphinantagonisten (Dap-
Definition. Starke psychische und körperliche Abhän- tazile, Lorfan, Narlorphin, Naloxon).
gigkeit bei Missbrauch. Besonders beim Heroin können
bereits 2–3 Injektionen abhängig machen (hohes Sucht-
potenzial). 2.7.3 Cannabinoide, Marihuana

Ätiopathogenese. Hierzu gehören: Opium, Morphium Definition. Psychotrope Droge mit psychischem Sucht-
hydrochloricum (Alkaloid des Opiums), synthetische potenzial (nicht körperlich) und langer Halbwertszeit,
Suchtmittel (austauschbar, Kreuztoleranz): Diacetyl- sodass Kumulationseffekte zu protrahierten Rauschzu-
morphin (Heroin), Hydromorphon (Dilaudid), Codein ständen und verstärkter Symptomatik führen.
2.7 · Missbrauch, Abhängigkeit
141 2

. Tab. 2.19. Therapie von Störungen durch Opioide

Stadium Therapie

Akute Morphinintoxikation Keine Magenspülung, keine Flüssigkeit! Atemwege freihalten. Morphinantagonisten


mit Bewusstlosigkeit Naloxon (Narcanti£) i.v. 0,2 mg bis zum Wirkungseintritt. Bei Verwendung Beachtung
und Atemdepression möglicher Suchtpotenz! Ferner Gabe von Tierkohle und Natriumsulfat.

Im Entzug Niedrigpotente Neuroleptika; Antidepressiva z. B. Doxepin (Aponal); Clonidin (Paracepan),


internistische Überwachung!

Zur Entwöhnung Möglichst drogenfreie Entwöhnung in Behandlungsketten mehrerer Einrichtungen im


Verbund mit Psycho- und Soziotherapie; Langzeitbehandlung erforderlich. Für Konsu-
menten, die noch nicht zur Entwöhnung bereit sind stehen »Drogenkonsumräume« mit
hygienischen Bedingungen zur Verfügung. Methadon-Ersatzbehandlung von Entzugsers-
cheinungen der Opiatabhängigen; zwar Gefahr der Suchtstabilisierung sowie der Weiter-
gabe des Suchtpräparates; aber Verringerung des Infektionsrisikos durch Nadeln! Über-
brückungsbehandlung! Entkriminalisierung! Zunehmend häufigere Anwendung! Plasma-
halbwertszeit von L-Methadon länger als bei Morphin

Ätiopathogenese. Die aktive Substanz ist Tetrahdro- Therapie. Beruhigendes Gespräch. Bei stärkerer Angst-
cannabinol (THC). In anderen Kulturen hat Haschisch reaktion 5–10 mg Diazepam (z. B. Valium) p.o. oder i.v.
eine ähnliche Funktion wie Alkohol im europäischen Neuroleptika.
Raum.
Tranquilizer (Benzodiazepine)
> Haschisch kann Einstiegsdroge sein, hat aber ein Die Wirkung umfasst Anxiolyse, Sedierung, Euphori-
wesentlich geringeres Suchtpotenzial als Opioide. sierung, Schlafstörungen, psychische und körperliche
Abhängigkeit, bei längerfristiger Anwendung Dyspho-
Symptomatik. Typisch sind: rie, Muskelschwäche, Mundtrockenheit, amnestische Stö-
4 Gastrointestinaltrakt: Übelkeit, Erbrechen, Appetit- rungen. Tranquilizer dürfen als Schlafmittel nicht länger
steigerung, Mundtrockenheit als 3 Wochen verschrieben werden, wegen der Gefahr
4 Auge: Konjunktivitis, Mydriasis der iatrogenen Abhängigkeit! Auch in niedriger Dosis
4 Tachykardie, Ataxie, Blässe, Schwindel, Fieber ist eine Niedrig-Dosis-Abhängigkeit nicht selten. Schlaf-
4 ZNS: Halluzinationen, Erregungszustände, Somno- losigkeit kann als Rebound-Effekt beim Absetzen resul-
lenz, Panikreaktionen, Suizidtendenzen, Deperso- tieren. Diagnostisch erfolgt der Nachweis von Benzo-
nalisationserlebnisse, gehobene Stimmung, eupho- diazepinmetaboliten im Urin/Serum. Zur Therapie ge-
risch, albern, friedliche, Wahrnehmungsstörungen hört:
(akustische und Farbwahrnehmungen intensiver 4 Bei akuter Intoxikation, wachem Patienten: Induziertes
etc., illusionäre Verkennungen), Realitätsverände- Erbrechen oder Magenspülung, danach Kohle und Ab-
rungen, Gefühl der Irrealität, Denkstörungen, Ver- führmaßnahmen.
schiebung der Zeit-/Raumdimension 4 Bei bewusstlosem Patienten: Flumazenil (z. B. Anexate)
4 Bei Intoxikation: paranoide Gedanken, optische initial 0,2 mg = 2 ml i.v., 0,1 mg/min. bis Patient wach
(Pseudo-)Halluzinationen (Formen und Farben), ist. Intoxikationserscheinungen möglich, deshalb wei-
vegetative Störungen (Schwindel, Tränenfluss, tere Überwachung trotz subjektiven Wohlbefindens
Schwitzen, Erbrechen, Übelkeit, Tachykardie, Pu- notwendig. Die Dosis muss bei Leberinsuffizienz redu-
pillenerweiterung), Horrortrip mit Angst (sehr sel- ziert werden, bei Kindern unter 15 Jahren, in Schwan-
ten!); Nachhallzustände (Echophänomene, Flash- gerschaft und Stillzeit strenge Indikationsstellung.
back) tage- bis wochenlang (bei Anhalten: Diffe- Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen,
renzialdiagnose Schizophrenie); Wesensänderung RR- und Frequenzanschwankungen, epileptische An-
bei chronischer Einnahme: adynames Syndrom fälle (selten).
mit Apathie, Rückzug, evtl. Verwahrlosung 4 Im Entzug: Carbamazepin, bei Bedarf zusätzlich nied-
rigpotente Neuroleptika. Häufig prolongierte Entzüge
Diagnostik. Nachweis im Urin bis. Zu 10 Tagen nach über viele Wochen.
Einnahme möglich (EMIT-Test). 6
142 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

4 Entzugserscheinungen: Angstzustände, depressive nationen, Mikrohalluzinationen, ähnlich wie bei Kokain-


Verstimmung, Suizidimpulse; Zittern, motorische Un- psychosen, Schlafstörungen (REM-Deprivation, deshalb
ruhe; Schlafstörungen; manchmal Delir und Anfälle. werden häufig abends Hypnotika, morgens Stimulanzien
2 Kokain
genommen). Beim Missbrauch von MDMA kommt es zum
Flüssigkeitsverlust, Kreislaufversagen (Todesfälle!). Thera-
Die Wirkung umfasst keine Toleranzsteigerung, fehlender peutisch werden bei Psychosen hochpotente Neuroleptika,
körperlicher Entzug, nur psychische Abhängigkeit, mani- bei Schlafstörungen niedrigpotente Neuroleptika verab-
forme Erregung, Rededrang, sexuelle Enthemmung, eu- reicht. Symptome beim prolongierten Entzug sind Müdig-
phorische (oder ängstliche) Verstimmung (Kokainschwips), keit, Angeschlagenheit, Verstimmung, Angst.
anschließend Apathie, Depression, Sympathikusreaktion,
Kokainpsychosen (Delir mit euphorisch/ängstlicher Ver- Sedativa, Hypnotika, Halluzinogene
stimmung), Kokainwahnsinn (fahrige Betriebsamkeit, (Phantastika, Dysleptika)
Angst, (Verfolgungs-)Wahn und (taktile) Halluzinationen), Dazu gehören LSD (Lysergsäurediäthylamid), Psilocybin,
langfristig Wesensänderung (organisches Psychosyndrom), Meskalin, Ketamin (Narkotikum), Phencyclidin (Angel Dust,
Impotenz, Dermatozoenwahn, sonstige chronische Psy- Crystal). Die Wirkung umfasst vegetative Symptome; psy-
chosen. Therapeutisch ist ein prolongierter Entzug möglich chedelische Zustände, meist optische (Pseudo-)Halluzi-
mit Müdigkeit, Unruhe, Angst, Traurigkeit, bei Intoxikati- nationen, Depersonalisation, sog. Horrortrips mit Angst,
onen Gabe von Diazepam, Neuroleptika, bei Blutdruckstei- Aggressionen (mögliche Selbst- und Fremdgefährdung),
gerung Betablocker. Nachhallpsychosen (Echopsychosen, Flashbacks). Ausge-
schlossen werden sollte eine Schizophrenie, der Übergang
Crack ist möglich. Therapeutisch werden eingesetzt:
Entspricht mit Bikarbonat (Backpulver) versetztem Kokain. 4 Beim Horrortrip: Diazepam, dämpfende Neuroleptika,
Beim Inhalieren des Rauchs sofortiger »Kick«. Mögliche Fol- ruhiges Gespräch
gen sind Psychosen, schwere Kreislaufregulationsstörun- 4 Bei prolongiertem Verlauf von LSD-Psychosen: Neuro-
gen, u. U. Todesfälle. leptika
4 Nach Phencylidin: Physostigmin
Stimulanzien (Psychotonika)
4 Bei Nachhallzuständen: psychotherapeutisches Ge-
Dazu gehören Weckamine, Amphetamine (Speed) wie
spräch
Methamphetamin (Pervitin), MDMA (3,4-Methylendioxy-
metamphetamin, Ecstasy) in der Technoszene und als Ap- Flüchtige Lösungsmittel/Schnüffelstoffe
petitzügler weitverbreitet (z. T. rezeptfrei), in der Kinder- Umfasst das Einatmen von Lösungs- und Reinigungsmit-
psychiatrie bei hyperkinetischem Syndrom angewandt; teln (Ether, Chloroform, Azeton, Pattexverdünner etc.),
Verwendung bei Narkolepsie. Typisch sind Antriebssteige- auch Holzleim. Führt zu Intoxikationen mit Rauschzustand
rung, Enthemmung, psychische keine körperliche Abhän- und Euphorie, ggf. Ataxie, verwaschene Sprache, Tremor,
gigkeit, rasche Gewöhnung und Dosissteigerung, gerin- Bewusstseinsstörungen, Apathie, Aggressivität, Verwirrt-
geres Schlafbedürfnis, akute paranoid-halluzinatorische heit, kein Entzugssyndrom. Bei chronischem Missbrauch
Psychosen (Angst, Verfolgungswahn, haptische Halluzi- treten irreversible zerebrale Schäden auf.

In Kürze
Missbrauch und Abhängigkeit

Alkoholismus 5 Symptomatik: Gereiztheit, organische Folgeerkrankungen


5 Ätiologie: Alkoholabusus
5 Diagnostik: Anamnese, Blutalkoholspiegel, körperlicher Befund, Labor
5 Therapie: Stufentherapie (Entzug, Entwöhnung, Psychotherapie, Medikamente
Störungen durch 5 Symptomatik: psychische und körperliche Abhängigkeit
Opioide (Morphintyp) 5 Ätiologie: Opium, Morphium, Codein, Pethidin, Tramadol
5 Diagnostik: Einstiche, psychische Auffälligkeiten
5 Therapie: Entzugstherapie
Störungen durch 5 Symptomatik: psychische, nicht körperliche Abhängigkeit
Cannabinoide, Marihuana 5 Ätiologie: Tetrahydrocannabinol (THC)
5 Diagnostik: Urinnachweis (EMIT-Test)
5 Therapie: Gesprächstherapie, Diazepam
2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
143 2
2.8 Schizophrenie, anhaltende später). Ca. 2% sind im Kindesalter betroffen, ca. 20%
wahnhafte Störung, nach dem 40. Lebensjahr als sog. Spätschizophrenie.
schizoaffektive Störung 90% erkranken vor dem 30. Lebensjahr.

2.8.1 Schizophrenie Symptomatik. Nach Eugen Bleuler (1911) unterschei-


det man Grundsymptome und akzessorische Symp-
Definition. Schizophrenien (»Spaltungsirresein«) zäh- tome (. Tab. 2.20), die passager und komplizierend den
len zur Gruppe der endogenen Psychosen. Die gesamte Verlauf der Schizophrenie bestimmen können. Der Be-
Persönlichkeit ist betroffen und psychopathologisch ginn ist akut oder schleichend.
gekennzeichnet durch Auffälligkeiten des Denkens, der Faktorenanalytisch ergeben sich drei Symptomen-
Wahrnehmung und der Affektivität. Der Verlauf kann gruppen:
kontinuierlich oder episodisch (schub- oder wellenför- 4 Positivsymptomatik: produktive Symptomatik mit
mig) erfolgen, der Patient weist einen deutlichen Man- Wahn und Halluzinationen
gel an Krankheitseinsicht auf. 4 Negativsymptomatik: affektiver Rückzug, Aus-
druckverarmung, Antriebsarmut
Ätiopathogenese. Derzeit wird von einer multikau- 4 Desorganisierte Symptomgruppe: formale
salen Pathogenese ausgegangen. Zu den psychogenen Denkstörungen, Inkongruenz von Denken und
Auslösefaktoren zählen ein Ich-Entwicklungsdefizit Handeln
(Ich-Schwäche, Persistieren der Mutter-Kind-Symbio-
se, »broken home«) und eine gestörte familiäre Kom- Hinweise auf ein affektives Syndrom liegen vor bei de-
munikation (Entwertung, Überprotektion, Rollendif- pressiver oder maniformer Symptomatik.
fusion). Eine prämorbide Persönlichkeit ist z. B. ein Zu den Formen schizophrener Psychosen . Tab.
asthenisch-schizoider Typus mit Distanziertheit, Re- 2.21.
serviertheit, geringem emotionalen Kontakt, hoher
Empfindlichkeit und Schwierigkeiten im Umgang mit Katatoner Stupor
Emotionen. Komplexe Dysbalancen mehrerer Trans- Der katatone Stupor ist als Erstarren, Angst, Schrecken und
mittersysteme zählen zu den kausalen Ursachen. Aus- Ratlosigkeit etwa infolge halluzinatorischer bzw. wahn-
lösende äußere Faktoren können belastende und ent- hafter Erlebnisse zu deuten. Die motorische Aktivität bei
lastende Lebensereignisse sein. der katatonen Erregung wird als Möglichkeit verstanden,
Unspezifische Frühwarnzeichen können Hinweise sich selbst zu spüren. Sie kann Wochen bis Monate, unbe-
auf eine erneute Krankheitsepisode sein, welche die handelt bis zu Jahren dauern. Der Katatone nimmt wahr
meisten Patienten an sich wahrnehmen können. Durch und hat keine Amnesie!
gezielte Intervention kann eine akute Phase abgewen-
det werden. Es ist sinnvoll nach einer Erstmanifestation Diagnostik. Bei der klinischen Untersuchung finden
einen Krisenplan herauszuarbeiten und Strategien sich Störungen der Feinmotorik (»neurological soft
festzulegen, wie der Patient sich ggf. zu verhalten hat signs«, »clumsiness« der Körperbewegungen) bei etwa
(Stressreduktion, Aufsuchen des behandelnden Arztes). der Hälfte der Schizophrenen und Angehörigen ersten
Häufige Frühwarnzeichen können sein: Nervosität; Grades. Kennzeichnend ist eine Sakkadierung der lang-
Anspannung, innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Konzen- samen Augenfolgebewegungen.
trationsschwierigkeiten, Geräusch-, Licht-, Lärmemp- Im CCT/MRT können Atrophien frontal, fronto-
findlichkeit, Abgeschlagenheit, Gereiztheit, Misstrauen, temporal, im limbischen System und eine Erweiterung
unbestimmte Angst, Niedergeschlagenheit und sozialer des III. Ventrikels sowie der Seitenventrikel sichtbar
Rückzug. werden.
Die Diagnose erfolgt nach klinischen Kriterien
Epidemiologie. Die Jahresinzidenz liegt bei 0,03– nach Ausschluss von körperlich begründbaren psy-
0,06%, das Lebenszeitrisiko beträgt ca. 1% der Bevöl- chischen Störungen. Mindestens ein eindeutiges Symp-
kerung. Die Prävalenzrate liegt bei 0,5–1% und ist tom der Grundsymptome 1–4 der folgenden Liste oder
weltweit etwa gleich und unabhängig vom soziokul- mindestens zwei Symptome der Symptomgruppen 5–8
turellen Hintergrund. Es lässt sich keine Abhängigkeit müssen mindestens einen Monat bestanden haben.
vom sozialen Status feststellen. Der Häufigkeitsgipfel 1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -aus-
findet sich zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr (bei breitung
Männern 15. bis 24. Lebensjahr, bei Frauen 25. bis 2. Kontroll- und Beeinflussungswahn; Gefühl des Ge-
34. Lebensjahr, Frauen erkranken im Schnitt 5 Jahre machten; Wahnwahrnehmungen
144 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.20. Grundsymptome und akzessorische Symptome der Schizophrenie

Grundsymptome
2 Formale Denkstörungen Assoziationsstörungen, Zerfahrenheit, Begriffszerfall, Kontamination, Begriffszerfall
(Konkretismus, Symbolismus), Sperrung des Denkens oder Gedankenabreißen

Affektstörungen Parathymie (inadäquater Affekt bezogen auf den Gedankeninhalt; Affekt bzw. Erleben
entsprechen nicht dem Affektausdruck), Ambivalenz (beziehungsloses Nebeneinander-
bestehen, unvereinbare Erlebnisqualitäten, Entscheidungsunfähigkeit), Stimmungs-
instabilität, Ratlosigkeit, die erlebte Gefühlsverarmung, depressive Verstimmungen, auch
ekstatische Stimmung mit Glücksgefühl und Entrücktheit, Schuld- und Versündigungsge-
fühl, Trema (Lampenfieber)

Ich-Störungen Desintegration von Denken, Fühlen, Wollen, Handeln

Autismus Rückzug aus der Wirklichkeit, überwiegendes Binnenleben, auch sekundär nach
negativen Umwelterfahrungen

Entfremdungserlebnisse Depersonalisation, Derealisation (eher unspezifisch), Verlust der Meinhaftigkeit (Gefühl,


das eigene Ich verloren zu haben), häufig verbunden mit dem Erleben des von außen
Gemachten und der Beeinflussung von Fühlen, Wollen und Denken

Akzessorische Symptome

Wahn Verfolgung, Beeinträchtigung, Kontrolle, Vergiftung, die aber auch Berufung und Größe),
Apophänie (Offenbarung)

Halluzinationen Stimmen, Apokalyptik (Weltuntergang)

Katatone Symptome Motorik- und Antriebsstörungen: Stupor, Mutismus, psychomotorische Unruhe und
katatone Erregungszustände, die Haltungs- und Bewegungsstereotypien, Negativismus
und Befehlsautomatie

3. Dialogische oder kommentierende Stimmen; Stim- möglich ist. Halluzinatorisches Verhalten darf an-
men aus einem Körperglied gesprochen werden.
4. Bizarrer, völlig »unrealistischer Wahn« 4 Unruhige, aggressive Patienten sollten in einem be-
5. Sonstige anhaltende Halluzinationen jeder Sinnes- ruhigenden Gespräch aus ihrer Erregung zurück-
modalität, welche von Wahn oder überwertigen geholt werden. Hilfe holen bei Gefahr, gegebenen-
Ideen begleitet werden können falls wird mit Gewalt mediziert und im Bett mit
6. Gedankenabreißen, Zerfahrenheit, Danebenreden, Bauchgurt bzw. an Händen und Füßen fixiert. Ge-
Neologismen naue rechtliche Vorgehensweise und Dokumenta-
7. Katatone Symptome tion in Erfahrung bringen! Dies erfolgt immer als
8. Negative Symptome wie Apathie, Sprachverar- ärztliche Anordnung und muss mit exakten Zeitan-
mung, verflachte oder inadäquate Affekte, gefolgt gaben dokumentiert werden! Dem Patienten ist zu
von sozialem Rückzug erklären, weshalb man so vorgehen musste.
4 Insgesamt ist zum Aufbau einer vertrauensvollen
Differenzialdiagnose. Enzephalitis (Lumbalpunktion), therapeutischen Beziehung wichtig, dem Patienten
malignes neuroleptisches Syndrom. die Möglichkeit zu lassen, Nähe und Distanz selbst
zu bestimmen.
Therapie. Umgang mit schizophrenen Patienten:
4 Wahnhaften Patienten zuhören, aber wenige Fra- In Abhängigkeit vom aktuellen Befinden, Begleiter-
gen stellen. Der Patient mit seinem Wahn sollte krankungen (depressive Symptomatik) und Verlauf der
akzeptiert werden, aber nicht so tun als ob man Erkrankung (Rezidiv, Therapieresistenz) werden Neu-
Wahninhalte für die Realität hält. Erst später sollte roleptika in unterschiedlicher Dosierung und Darrei-
geprüft werden, ob eine Distanzierung zum Wahn chungsform gegeben (. Tab. 2.22 und . Tab. 2.23).
2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
145 2

. Tab. 2.21. Formen schizophrener Psychosen

Form Manifestationsalter Symptome Besonderheiten

Hebephrenie Beginn in der Adoles- Leistungsknick; auffällige Symp- In den Vorstadien wird oft eine
zenzzeit bzw. im frü- tome: läppische Gestimmtheit, Beschäftigung mit Themen wie
hen Erwachsenenalter Affektindolenz, Grimassieren, Faxen, Religion, Philosophie, Esoterik,
Manierismen; Rückzug, Beziehung- Parapsychologie beobachtet
slosigkeit, auch Enthemmung; ab-
schweifend, verfahren, konfus, häu-
fig Wahnvorstellungen

Paranoid-halluzina- Erkrankungsgipfel Vor allem schizoide, sensitive Per- Persönlichkeit bleibt überwie-
torische Schizo- liegt um das 4. Lebens- sönlichkeiten sind betroffen. Akoas- gend intakt
phrenie jahrzehnt; häufigste men, Körperhalluzinationen. Nach
Form schizophrener abklingendem Schub tritt eine all-
Psychosen mähliche Distanzierung von den
Wahninhalten ein, häufig mit erheb-
licher Ambivalenz gegenüber dem
Wahn

Schizophrenia Seltene Diagnose; Im Vordergrund stehen ein Antriebs- Keine auffälligen produktiven
simplex prognostisch ist ein defizit, Initiativeverlust und ein Symptome vorhanden
ungünstiger Verlauf Mangel an Vitalität und Aktivität.
die Regel Charakteristisch ist ein Knick in der
Lebensentwicklung. Häufig wird
ein Übergang in einen Residual-
zustand beobachtet.

Katatone Formen; Beginnt im frühen Erstarren mit Katalepsie (Haltungs- Die Feststellung der wächsernen
febrile (perniziöse) Erwachsenenalter mit verharren), Haltungsstereotypien Biegsamkeit (Flexibilitas cerea)
Katatonie (seltene, häufig plötzlicher und Mutismus sind typische Er- und der kataleptischen Starre er-
lebensbedrohliche Manifestation; Progno- scheinungsbilder katatoner For- folgt durch das Hochheben einer
Sonderform): mit Er- se ist eher günstig men. Die katatone Erregung ist ge- Extremität oder auch des Kopfes
regung oder häufiger kennzeichnet durch Toben, Schrei- (»orreiller psychique« – psychi-
Stupor hohes Fieber, en, Bewegungssturm mit starker sches Kissen) mit anschließender
Kreislaufstörungen motorischer Aktivität, Aggressivität, Beibehaltung dieser Stellung.
und Exsikkose Selbst- und Fremdgefährdung. Bei erfolgloser Behandlung mit
4 Echopraxie (spiegelbildliche Neuroleptikainfusion Indikation
Wiederholungen von Handlun- für Elektrokrampftherapie! Flüs-
gen des Gegenübers) sigkeitszufuhr!
4 Echolalie (lalein gr. sprechen);
Sprachstereotypien
4 Aktiver und passiver Negativis-
mus (tut das Gegenteil oder
nichts bei Aufforderungen)

Koenästhetische Vielfältige Koenästhesien (Leibge- Ausgeprägt ist das Kriterium des


Form (Huber 1957) fühlsstörungen, wie Nichtvorhan- von außen Gemachten (durch
densein von Organen) und Körper- fremde Mächte etc.)
halluzinationen (z. B. Elektrisiert-
werden am Genitale, Verfaulen der
Leber) sind typisch

Schizophrenes Chronisches Stadium Negativsymptomatik (Affektverfla- Zusätzlich subjektive Basis-


Residuum nach früherer akuter chung, verminderte Aktivität, man- störungen (nach Huber), wie er-
schizophrener Episode gelnde Körperpflege etc.) lebte Denkstörungen, Ord-
nungsverlust, Einfallsverarmung,
Verständnisbeeinträchtigung
und Blockierungen
146 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.22. Wichtigste Neuroleptika zur Behandlung von Symptomen schizophrener Psychosen

Wirkstoffgruppe Niederpotent/hochpotent Freiname (Handelsname)


2 Phenothiazine Niederpotent: sedierend, vegetative Levomepromazin (z. B. Neurocil),
Begleiterscheinungen Perazin (z. B. Taxilan)

Höher- bis hochpotent: antipsychotisch; Chlorperphenazin (z. B. Decentan),


extrapyramidale Nebenwirkungen Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)

Thioxantene Hochpotent Flupentixol (z. B. Fluanxol),


Clopentixol (z. B. Ciatye)

Butyrophenonderivate Hochpotent: antipsychotisch; außerordentliche Haloperidol (z. B. Haldol),


extrapyramidale Nebenwirkungen Benperidol (z. B. Glianimon)

»Atypische” Neuroleptika Nieder- bis mittelpotent: geringe extra- Bei Therapieresistenz:


pyramidale Nebenwirkungen Clozapin (z. B. Leponex)

Höher- bis hochpotent: kaum extrapyramidale Zotepin (z. B. Nipolept), Olanzapin


Nebenwirkungen (z. B. Zyprexa), Amisulprid (z. B. Solian),
Risperidon (z. B. Risperdal)

. Tab. 2.23. Therapieschema

Symptom/Zustand Niederpotent/hochpotent Freiname (Handelsname)

Akute Psychose Hochpotente Neuroleptika (initial Clozapin (z. B. Leponex); Chlorperphe-


bevorzugt: atypische Neuroleptika nazin (z. B. Decentan), Fluphenazin
(z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)

Zusätzliche Spannungs- und Nur für kurze Zeit: Benzodiazepine Diazepam (z. B. Valium)
Erregungszustände (Tranquilizer)

Katatoner Stupor Infusionen mit hochpotenten Neuro-


leptika (evtl. Clozapin zusätzlich)

Nach akuter Erstmanifestation (Depot-)Neuroleptikum für einige Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)
Monate oder Flupentixol (z. B. Fluanxol)

Nach Zweitmanifestation 1–2 Jahre Weiterbehandlung, nach Fluphenazin (z. B. Lyogen, z. B. Dapotum)
mehrfachen Rezidiven mit einer Dauer- oder Flupentixol (z. B. Fluanxol) als Depot-
medikation eines Depotneuroleptikums; neuroleptikum
bei zuverlässigen Patienten können Bei zuverlässigen Patienten: Zotepin
orale (stark- bis mittel)potente Neuro- (z. B. Nipolept), Olanzapin (z. B. Zyprexa),
leptika gegeben werden, hierbei ist Amisulprid (z. B. Solian), Risperidon
neueren atypischen Neuroleptika der (z. B. Risperdal); Clozapin (z. B. Leponex)
Vorzug zu geben (evtl. Clozapin)

Febrile Katatonie, medikamentöse Lebensrettend: Elektrokrampftherapie


schwer beherrschbare hochgradige (s. unten)
Unruhe und Verwirrtheit (»Delirium
acutum«)

Interaktionen mit anderen Medikamenten sind zu ! Cave


beachten, so können Anti-Parkinson-Mittel mit zen- Glaukom und Prostatahyperplasie sind Kontraindika-
traler anticholinerger Wirkung die neuroleptische Po- tionen für eine Neuroleptikatherapie, Herzreizlei-
tenz verringern, Koffein kann die Wirkung von Neuro- tungsstörungen beachten!
leptika herabsetzen.
2.8 · Schizophrenie, anhaltende wahnhafte Störung, schizoaffektive Störung
147 2

Hochpotente Butyrophenone oder Phenothiazine > Medikation, unterstützende Psychotherapie und


können zur Ausprägung von Früh-, insbesondere aber strukturierende Soziotherapie gelten in Kombination
von Spätdystonien oder -dyskinesien führen. Antipar- als erfolgversprechende Rezidivprophylaxe.
kinsonmittel verstärken die Ausbildung von Spätdys-
kinesien, welche nur schwer therapierbar sind.
2.8.2 Schizoaffektive Störung
! Cave
Clozapin-Anwendung nur unter engmaschiger Blut- Synonym. Schizoaffektive Psychosen, Mischpsychosen,
bildkontrolle wegen erhöhter Agranulozytosegefahr. atypische endogene Psychosen.

Bei febriler Katatonie und medikamentös schwer be- Definition. Zählt zu den endogenen Psychosen, zeigt
herrschbaren Zuständen hochgradiger Unruhe und Symptome sowohl aus dem schizophrenen als auch aus
Verwirrtheit (Delirium acutum) kann die Elektro- dem manisch-depressiven Formenkreis.
krampftherapie lebensrettend sein. Sie erfolgt in Kurz-
narkose, Muskelrelaxation und mit O2-Beatmung. Die Symptomatik. Entweder zeigt sich eine Symptomatik
Risiken entsprechen der einer Kurznarkose. Vorüber- wie bei Manie (7 Kap. 2.9.4) oder wie bei Depression/
gehend kommen Gedächtnisstörungen vor, es wurde Melancholie. Zusätzlich sind Symptome der schizo-
jedoch keine Substanzschädigung nachgewiesen. phrenen Psychose vorhanden.

! Cave Diagnostik. Die Abgrenzung gegen Schizophrenie und


Elektrokrampftherapie: Somatische Voruntersu- affektive Störungen ist ein diagnostisches Problem, es
chungen sind notwendig, beachte vor allem den gibt keine klare Definition. Zykloide Psychosen (nicht auf
Hirndruck! äußeren Einflüssen beruhende schwere psychische Stö-
rung) sind eine Sonderform schizoaffektiver Psychosen.
Im Rahmen einer Psychotherapie und Sozialtherapie/
Rehabilitation sind stützende Gespräche indiziert, um Therapie. Neuroleptikagabe bei schizomanischen und
isolatorischen Tendenzen entgegenzuwirken. Es sollte -depressiven Phasen. Bei letzterem sollten außerdem
eine Psychoedukation erfolgen mit Aufklärung über Antidepressiva gegeben und eine stützende Psychothe-
Krankheitserscheinungen und Therapie und anschlie- rapie erfolgen, bei Therapieresistenz sollte eine Elek-
ßender Übungsphase und Realitätstraining. Dazu ge- trokrampftherapie erwogen werden. In symptom-
hören auch eine Verhaltenstherapie, kognitives Trai- freien Zeiten kommt eine Phasenprophylaxe mit
ning mit computergesteuerten Lernprogrammen, Mu- Carbamazepin und Lithium zum Einsatz, unter Um-
siktherapie, Ergotherapie ebenso wie Angehörigenarbeit ständen zweigleisig mit (Depot-)Neuroleptika.
und Familientherapie. Behandlungsinstitutionen, wie
Tageskliniken, therapeutische Wohngemeinschaften Prognose. Der Verlauf ähnelt demjenigen der bipolarer
und Patientenclubs, sollten möglichst gemeindenah ge- Psychosen und ist phasenhaft. Im Intervall entwickelt
legen sein. Wichtig ist eine vertrauensvolle Beziehung sich ein Restitutio ad intgegrum. In der Regel ist kein
zum Patienten, in der der Patient lernen kann, die Dosis Residuum und Persönlichkeitsdefekt zu erwarten.
seiner vielen nebenwirkungsreichen Medikamente ent- Langfristig gesehen ist die Prognose günstig.
sprechend seiner Symptomwahrnehmungen zu vari-
ieren.
2.8.3 Anhaltende wahnhafte Störung
! Cave
Überforderung durch therapeutische Maßnahmen Definition. Wahnentwicklung ohne begleitende pro-
kann zu Suizidalität führen. Daher ist eine langsame duktive Symptome wie Halluzinationen und ohne tief-
Belastungssteigerung durch Patient und Therapeut greifende Persönlichkeitsveränderung.
vorsichtig auszuloten.
Ätiopathogenese. Die Ursache lässt sich oft nicht nach-
Prognose. Ein Drittel heilt folgenlos ab, ein Drittel re- weisen.
zidiviert mit leichtem Residuum und ein Drittel hat
beträchtliche bis schwere Dauerdefekte. Mit zuneh- Symptomatik. Chronische, nichtschizophrene parano-
mendem Alter tritt eine Tendenz zur Schwächung und ide Psychosen mit Paramnesien und Sinnestäuschungen
Milderung der Erkrankung ein. gehören dazu (. Tab. 2.24).
148 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.24. Formen von Wahnentwicklung

Form Charakterisierung
2 Paranoia Ein nichtschizophrener chronischer systematischer Wahn, der sich auf Eifersucht, Verfol-
gung, Beeinträchtigung etc. bezieht

Sensitiver Beziehungswahn Er entwickelt sich aus dem Zusammentreffen von Charakter (sensitiver Persönlichkeits-
(Kretschmer) struktur), Erlebnis (persönliche Niederlage) und sozialem Milieu. Aus dem Primär-
erlebens der peinlichen Kränkung und der Minderwertigkeit entsteht die Gewissheit,
von allen betrachtet, gekannt und verachtet zu werden. Es handelt sich um die Negativ-
variante des Größenwahns und ist schwer vom Begriff der »Paranoia« abzugrenzen.
Frauen sind häufiger betroffen mit einem Beginn ab dem 40. Lebensjahr. Ein Teil der Fälle
geht in eine Schizophrenie über. Die Prognose ist nicht primär ungünstig bei frühzeiti-
gem Beginn der Therapie

Querulantenwahn Psychopathologisch handelt es sich um einen Übergang von einer überwertigen Idee
(Paranoia querulans) zum systematisierten Wahn. Die prämorbide Persönlichkeitsstruktur ist starrsinnig,
rechthaberisch, häufig nachdrücklich und kampfeslustig. Auslöser ist eine wirkliche oder
vermeintliche Ungerechtigkeit. Häufig folgt jahrelanges Prozessieren mit schlüssiger
Argumentation. Der Verlauf ist im Allgemeinen ungünstig und therapeutisch schwer
beeinflussbar

Eigengeruchsparanoia Entweder als isolierter eingebildeter Wahrnehmunswahn von unangenehmen Gerüchen


(z. B. Fäkalgeruch) oder als Symptom ihm Rahmen schizophrener Psychosen

Dysmorphophobie Wahn: Aufgrund eines vermeintlichen oder tatsächlichen Körperfehlers von anderen
Menschen abschätzig beurteilt zu werden. Plastische Chirurgen sollten einen Psychiater
hinzuziehen. Folgen der Wahnentwicklung: depressive Verstimmungen, suizidale Hand-
lungen, psychotische Dekompensation, gelegentliches Symptom bei Beginn einer
Schizophrenie

Dermatozoenwahn Gewissheit, dass am Körper kleine Tierchen (Parasiten, Würmer) vorhanden sind (Miss-
empfindugen, taktile Halluzinationen). Psychiater werden gemieden, stattdessen wer-
den Dermatologen und Hygieniker aufgesucht. Vorwiegend ältere Frauen mit psycho-
organischen Erkrankungen (v. a. Demenz) sind betroffen

(Prä)seniler Beeinträchtigungs- Im Alter auftretender Wahn (mit demenziellen Prozessen), bei vereinsamten Personen
wahn/Kontaktmangelparanoid und nach Verlust des Kontakts zur Umwelt. Er kann jahrelang verborgen bleiben

Wahnentwicklung bei Ähnlich wie beim Kontaktmangelparanoid auch nach Hörverlust. Vergleichbare Störun-
Schwerhörigen gen entwickeln sich in sprachfremder Umgebung sowie in sensorisch-deprivierender
Situation

Induzierte wahnhafte Störung Ein nichtwahnhafter Partner oder die Familie (Gruppe) eines Primärerkrankten (Induktor)
(symbiotischer Wahn, »folie à übernimmt dessen Wahnsymptomatik. Typischerweise besteht ein enge symbioseähn-
deux«) liche Verbindung mit der Familie oder dem Partner bei gleichzeitiger Abkapselung ge-
genüber der Außenwelt (»encapsulated unit«). Die Primärerkrankung ist oft eine para-
noide Schizophrenie. Erfolgreiche Therapie des Induktors korreliert mit Gesundung der
Induzierten. Differenzialdiagnostisch muss ein konformer Wahn abgegrenzt werden:
unabhängige, individuelle Erkrankung aber zusammenwachsende Ausformung zu einer
Wahnsymptomatik

Diagnostik. Anamnese, Psychostatus. Therapie. Häufig fehlt eine Behandlungsbereitschaft


von Seiten des Patienten, die Therapie ist dann schwierig
Differenzialdiagnose. Spät auftretende, rein wahnhafte, mit ungewissem Ausgang. Eine guter Beziehungsaufbau
chronisch verlaufende Schizophrenie (Paraphrenie, und u. U. eine sozialtherapeutische Betreuung kommen
schwierige Abgrenzung). eine große Bedeutung zu. Zusätzlich ist die Gabe von
Neuroleptika und/oder Antidepressiva indiziert.
2.9 · Affektive Erkrankungen
149 2

In Kürze

Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Schizophrenie 4 Symptomatik: Grundsymptome (formale Denkstörungen, Affektstörungen,


Ich-Störungen, Autismus, Entfremdungserlebnisse), akzessorische Symptome
(Wahn, Halluzinationen, katatone Symptome)
4 Ätiologie: multikausal
4 Diagnostik: Klinik, CCT/MRT
4 Therapie: Psychotherapie, Neuroleptika, Sozialtherapie, Elektrokrampftherapie

Anhaltende wahnhafte 4 Symptomatik: paranoide Psychosen, Paramnesien, Sinnestäuschungen


Störung 4 Ätiologie: unbekannt
4 Diagnostik: Anamnese, Psychostatus
4 Therapie: Soziotherapie, Neuroleptika/Antidepressiva

Schizoaffektive Störung 4 Symptomatik: Manie, Depression/Melancholie


4 Ätiologie: multikausal
4 Diagnostik: keine klare Abgrenzung zu Schizophrenie und affektiven Störungen
4 Therapie: Neuroleptika/Antidepressiva, Elektrokrampftherapie, Cabamazepin,
Lithium

2.9 Affektive Erkrankungen Auslöser können sein: körperliche Erkrankungen,


hormonelle Störungen, Operationen, Abmagerungs-
2.9.1 Depressive Störung kuren, Wochenbett, Klimakterium; Konflikte, Einsam-
keit/Vereinsamung, Kränkungen, Umzug, Entlastung.
Synonym. Depressive Episode. Präventiv wirkt allgemein die Vermeidung von
traumatischen Erlebnissen in der Kindheit, emotionale
Definition. Herabsetzung der Stimmung ohne ersicht- Kühle, Abwendung oder Abwesenheit signifikanter Be-
lichen Anlass. zugspersonen, Arbeitslosigkeit, sozialer Verelendung
und Isolation.
Ätiopathogenese. Genetische Prädispositionsgene
und Assoziationsbefunde (Serotonin-Transporter-Gen, Symptomatik. Symptomatisch betroffen sind
Catecholamin-O-Methyltransferase-Gen) werden an- (. Tab. 2.25):
genommen. 4 Affektivität: Traurigkeit, Bedrücktheit bis zu Ge-
Monoaminhypothese: Balancestörung der bio- fühlen innerer Leere, Gefühllosigkeit, Sinn- und
genen Amine im ZNS (Serotonin, Noradrenalin, Dopa- Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Resignation, In-
min) ist Mitauslöser von Depressionen (und Manien). suffizienz, eigene Wertlosigkeit, Unfähigkeit zur
Gedrosselte (bei Manien gesteigerte) monoaminerge Freude und Verlust, häufig quälende Unruhe/
Neurotransmission, Neurotransmittermangel im syn- Angst, Tagesschwankungen (Morgentief und
aptischen Spalt, Dysfunktionen prä- und postsynap- abendliche Besserung) von Stimmung und Antrieb
tischer Rezeptoren. sind typisch für melancholischen Subtyp, aber auch
Endokrine Störungen sind gehäuft bei schwerer Aggressivität gegenüber anderen und sich (Suizid-
Depression (Hochregulation der Hypothalamus-Hypo- gefahr!).
physen-Nebenrinden-Achse: Hyperkortisolismus, 4 Antrieb: Der Antrieb ist gehemmt (gehemmte De-
Dexamethason-Hemmtest pathologisch). pression): Energielosigkeit; Initiativeverlust, er-
Bei depressiver Episode (»major depression«) mit me- höhte Ermüd- und Erschöpfbarkeit; Arbeitsunfä-
lancholischer Symptomatik, oft sog. Typus melancholi- higkeit), bis hin zum depressiven Stupor (kaum
cus (Tellenbach), ist die prämorbide Persönlichkeit ge- Reaktionen auf Ansprache, kaum Bewegung). Der
kennzeichnet durch: Überangepasstheit, Zwanghaftig- Antrieb kann aber auch gesteigert (agitierte De-
keit, ausgeprägter Ordnungsliebe, Autoritätskonflikte. pression) sein. Typisch ist eine innere oder/und
150 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

. Tab. 2.25. Spezielle Formen der depressiven Episode

Melancholische Depression Freudlosigkeit, innere Leere, Appetitlosigkeit, Insuffizienz- und Schuldgefühle,


2 Schlafstörungen

Psychotische Depression Stimmungskongruente (synthyme) Symptome: (Pseudo)Wahn und stimmungsinkon-


gruente (parathyme) Symptome: Eingebung, Wahn, Halluzinationen

Atypische Depression Atypisch, weil affektive Reagibilität und Modulationsfähigkeit erhalten, Appetit ist
untypischerweise gesteigert, gesteigerte Schlaffähigkeit, bleierne Gliederschwere,
hohe Kränkbarkeit, oft mit neurotischer Komponente

Kurzfristige rezidivierende Weniger als 2 Wochen, oft nur 3 Tage anhaltend oder stundenlang mit erheblichem
depressive Störung Schweregrad und Suizidgefährdung!

Saisonale Depression Jahreszeitliche Gebundenheit (Herbst/Winter) mit Besserung bzw. Remission im Frühling

motorisch geäußerte Unruhe mit deutlich geäu- len Kortex, anteriorem Zingulum und Amygdala und
ßerter Verzweiflung. einen verminderten Blutfluss im orbitofrontalen Kor-
4 Denken: Denkhemmung (verlangsamt, einför- tex, z. T. bestehen diese Veränderungen auch im symp-
mig). Inhaltlich herrschen vor depressiver Wahn tomfreien Intervall. Strukturell zeigt sich eine Volu-
mit Schuld- und Versündigung, Verarmung (exis- menminderung der Frontal- und Parietallappen, des
tenzielle Angst), hypochondrischer Krankheits- Hippokampus sowie der Basalganglien. Eine neuro-
wahn (irrationale Sorge um eigene Gesundheit), psychologische Testung ergibt verminderte kognitive
nihilistischer Wahn (Cotard-Syndrom): Vernich- Leistungen. Chronobiologisch zeigt sich eine verkürzt
tung (Familie, Existenz, Welt). Zwangsgedanken REM-Schlaf-Latenz mit einem insgesamt erhöhten
können eine führende Rolle spielen (anakastische REM-Anteil am Schlaf und vermindertem Tiefschlaf-
Depression), auch Tötungsimpulse. anteil.
4 Kognitive Leistungen: Pseudodemenz, quälende
Unfähigkeit zu Aufmerksamkeit, Konzentration, Differenzialdiagnose. Depressive Verstimmungen bei
Auffassung, Lernen. Schizophrenien, depressiv-organisches Psychosyn-
4 Vitalstörungen, vegetative Symptome: Schlafstö- drom; Depression aufgrund somatischer Grunderkran-
rungen; Libidoverlust; Erschöpfung; körperliche kungen (z. B. Hypothyreose), pharmakogene Depres-
Missempfindungen; Übelkeit, Obstipation; Zoen- sion.
ästhesien (Stromgefühl); Gewichtsabnahme.
Therapie. Psychotherapeutische und pharmakologische
> Pathologisches Weinen bezeichnet hingegen eine Maßnahmen stehen an erster Stelle (. Tab. 2.26).
psychische Störung aufgrund einer erworbenen
Schädigung des Gehirns.
2.9.2 Rezidivierende depressive
Weitere Depressionen Störung
Einige klinisch relevante Konstellationen erfordern eine
speziell abgestimmte Therapie, jedoch rechtfertigen sie Definition. Ähnelt der depressiven Episode, jedoch ent-
nicht die Einordnung in eine spezielle Depressionsform. fallen die melancholische Depression und psychotische
4 Postpartale Depression Symptome. Wiederkehrende anhaltende depressive
4 Erschöpfungsdepression Störung von 2 Jahren Dauer ohne längere Unterbre-
4 Somatisierte, larvierte Depression (verschoben in kör- chung von 2 Monaten.
perliche Beschwerden)
4 Involutionsdepression (Erstmanifestation zwischen Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1.
dem 45. bis 65. Lebensjahr)
4 Depression im Senium (nach dem 65. Lebensjahr) Symptomatik. 7 Kap. 2.9.1.

Diagnostik. Eine funktionelle Bildgebung (PET) zeigt Diagnostik. 2 Jahre Dauer ohne längere Unterbrechung
vermehrten Blutfluss im lateralen inferioren präfronta- der Symptomatik von 2 Monaten.
2.9 · Affektive Erkrankungen
151 2

. Tab. 2.26. Therapeutische Maßnahmen bei depressiver Symptomatik

Antidepressiva Selektive Serotonin- bzw. Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder


trizyklische Antidepressiva; bei Versagen: Kombination von genannten Medika-
menten und/oder Augmentation mit Lithiumsalzen oder T3/T4. Eventuell Mono-
aminooxidasehemmer (2. Wahl). Bei psychotischen Symptomen: zusätzlich Neuro-
leptika. Rezidivprophylaxe: Dauermedikation mit Antidepressiva; u. U. sind Lithium-
salze wirksam

Elektrokrampftherapie (EKT) Bei Versagen nach zwei aufeinander abgestimmten psychotherapeutischen und
pharmakologischen Therapien. Hochwirksam bei depressiven Episoden mit melan-
cholischem Subtypus (besonders bei synthymen Wahn)

Schlafentzug (Wachtherapie) Totaler oder partieller Schlafentzug (2. Nachthälfte) mit meist nur kurz anhaltender
Milderung depressiver Episoden

Lichttherapie Bei Winterdepression: Applikation von sehr hellem Licht (bevorzugt morgens)
für 1–2 h/Tag über 1–3 Wochen mit raschem Eintritt von Besserung (innerhalb von
3–4 Tage)

Supportive Psychotherapie Gezielte Unterstützung von persönlichen Ressourcen

Kognitive Psychotherapie nach Beck Abbau negativer Kognitionen (Kognitive Triade: negative Sicht von sich selbst, der
Umwelt und der Zukunft)

Interpersonale Psychotherapie nach Fokussierte Kurztherapie, in der das Krankheitskonzept und die mit der depres-
Klerman und Weissman (IPT) siven Symptomatik zusammenhängenden zwischenmenschlichen Probleme bear-
beitet werden

Psychodynamische Psychotherapie Ungelöste und pathologische, teilweise auch unbewusste Konflikte werden heraus-
gearbeitet und Lösungsstrategien erarbeitet

Differenzialdiagnose. Depressive Episode, depressive Ätiopathogenese/Symptomatik/Diagnostik/Therapie.


Reaktion, organische Depressionsformen. 7 Kap. 2.9.1.

Therapie. Wie bei depressiven Episoden mit einer qua-


lifizierten Psychotherapie (wirksam: psychodynamisch, 2.9.4 Manie
kognitiv und interpersonell). Die Angehörigen stehen
unter großem Leidendruck vor allem bei Chronifizie- Definition. Manische (griech. Mania: Begeisterung, Be-
rung und bedürfen einer Mitbehandlung. sessenheit, Raserei) Psychose meist ohne subjektives
Krankheitsgefühl.
Prognose. Die persistierende depressive Episode ist
eine Chronifizierung aufgrund von Fehldiagnosen und Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1.
damit der fehlenden Einleitung intensiver antidepres-
siver Therapie (auch EKT). In 20% der Fälle bildet sich Symptomatik. Betroffen sind:
depressiver Residualzustand aus, der in seiner Symp- 4 Affektivität: gehobene Stimmung, selbstüberschät-
tomatik der Dysthymie gleicht. Hier ist die Prognose zend, gereizt, aggressiv, distanzlos
ungünstig. 4 Antrieb: gesteigert, (psychomotorische) Erregung,
enthemmt, promiskuitiv, Umsetzen von Größeni-
deen in Taten, initiale Leistungssteigerung schwenkt
2.9.3 Anhaltende affektive Störung um durch fehlende Zielorientiertheit und Fokussie-
rung
Definition. Anhaltende affektive Störungen sind die 4 Denken: formal handelt es sich um eine Ideen-
Dysthymie (dauerhaft leicht depressive Stimmung) und flucht (beschleunigtes Denken, ständig neue Ein-
die Zyklothymie (dauerhaft zwischen leicht depressiv fälle, dabei sprunghaft und ablenkbar), Extrem-
und leicht gehoben wechselnde Stimmung). form: verworrene Manie; inhaltlich: Größenwahn
152 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

und Wahnbildungen mit Beobachtungs- und Ver- 4 Bipolar-II-Störung. Zusätzliches Auftreten von
folgungsthematik hypomanen Episoden, erhöhte Suizidgefahr.
4 Kognitive Leistungen: subjektiv eher gesteigert,
2 objektiv z. T. ausgeprägte Aufmerksamkeitsmangel Zyklothymia
und fehlende Konzentrationsfähigkeit, die teilweise Persistierende, mit bipolarer Symptomatik einhergehende
persistieren; erschwertes Lernen Erkrankung. Jedoch liegen nur subdepressive oder hypo-
4 Vitalsymptome: Schlafstörungen (z. T. nicht quä- mane Symptomkonstellationen vor. Diagnose nur bei Min-
lendes extremes Schlafdefizit); gesteigerte Libido/ destdauer von 2 Jahren ohne Symptomfreiheit über 2 Mo-
Potenz; eventuell Gewichtsabnahme (ohne Appe- naten.
titstörung)
Diagnostik. 7 Kap. 2.9.1
> Hypomanie. Kurz dauernde Variante (mindesten vier
Tage) der Manie mit geringerer Ausprägung. Häufige ! Cave
Nichtbeachtung und Bagatellisierung mit medizi- Bei allen Bipolaren Störungen ist die Suizidgefahr er-
nischen und forensischen Konsequenzen. höht, hypomane Episoden dürfen nicht unterschätzt
werden.
Diagnostik. Fremdanamnese einholen. Die Psychopa-
thologie ist eindrucksvoll und daher meist eindeutig. Differenzialdiagnose. Hypomanie, Manie, organische
und substanzbedingte Störungen. Schizoaffektive Psycho-
Differenzialdignose. Bei psychotischen Symptomen sen, Schizophrenien (oft erst im Verlauf abzugrenzen.)
schwierige Abgrenzung von schizoaffektiven und schizo-
phrenen Psychosen. Schizomanische Störung. Hyper- Therapie. Im Vordergrund steht die Behandlung der
thyme Persönlichkeit als dauerhaftes Merkmal. Soma- manischen oder depressiven Akutsymptomatik. In den
tische Erkrankungen können manische Symptome USA ist Standard, eine Stimmungsstabilisierung zu er-
hervorrufen. reichen und zu erhalten durch Gabe von Lithiumsalzen
und/oder Valproat/(Ox-)Carbamazepin (Antiepilepti-
Therapie. Oft ist eine stationäre Aufnahme (nach dem ka: bei ungenügender Stabilität oder erneutem Auftre-
psychiatrischen Krankengesetz) erforderlich. Die so- ten von Phasen), ggf. Lamotrigin (bei Neigung zu de-
matische Therapie erfolgt stimmungsstabilisierend pressiven Phasen). Bei ungenügendem Therapiean-
(Lithium, Valproat oder/und (Ox-)Carbamazepin) und schlag Gabe von Antidepressiva (bei bestehender
hochpotent neuroleptisch. Eine Psychotherapie ist Stimmungsinstabilität) bzw. hochpotenten Neurolepti-
häufig schwierig. ka (atypische vor typischen).
Atypische Neuroleptika wie Clozapin und Olanzapin
wirken vorteilhaft stimmungsstabilisierend. Ein Nachteil
2.9.5 Bipolare Störung könnte jedoch eine unzureichende Besserung der
Akutsymptomatik sein mit entsprechender Gefährdung.
Synonym. Bipolare affektive Störung
> Langzeitprophylaxe dringend notwendig mit Lithium-
salzen, ggf. zusätzliche Medikation bei schwerpunkt-
Definition. Manische und depressive Symptomatik im
mäßigen Phasen.
phasenhaften Wechsel, ggf. mit symptomfreien Inter-
vallen. Wenn die medikamentöse Therapie versagt, wird EKT
(Elektrokrampftherapie) angewandt. Bestanden min-
Ätiopathogenese. 7 Kap. 2.9.1. Bei der prämorbiden destens 4 affektive Episoden innerhalb der letzten
Persönlichkeit handelt es sich oft um eine hyperthyme 12 Monate (»rapid cyclings«, begünstigend sind hohe
Persönlichkeit mit meist guter Stimmung, Antriebs- Phasenhäufigkeit, lang andauernde Behandlung mit
reichtum mit mangelnder Fokussierung und wenig Antidepressiva, weibliches Geschlecht, Menopause,
emotionaler Tiefe und Selbstkritik. Hyperthyreose, Stimulanzien und Alkoholmissbrauch),
kann mit Valproat eine gute Wirkung erzielt werden. In
Symptomatik. Unterschieden werden: beiden Fällen stimmungsstabilisierende Therapie an-
4 Bipolar-I-Störung: Möglicher Substanzmiss- schließen.
brauch, Komorbidität mit Persönlichkeitsstörun-
gen sind häufig. Die Bagatellisierungsneigung ist Prognose. Im Verlauf können sich schwerwiegende
ausgeprägt. Krankheitszustände entwickeln.
2.9 · Affektive Erkrankungen
153 2

In Kürze

Affektive Erkrankungen

Depressive 4 Symptomatik: Typus melancholicus (Tellenbach), prämorbide Persönlichkeit gekennzeich-


Störung net durch Überangepasstheit, Zwanghaftigkeit, ausgeprägte Ordnungsliebe, Autoritäts-
konflikte
4 Ätiologie: vermutlich genetische Prädispositionsgene und Assoziationsbefunde (Sero-
tonin-Transporter-Gen, Catecholamin-O-Methyltransferase-Gen). Monoaminhypothese.
Endokrine Störungen gehäuft bei schwerer Depression (Hochregulation der Hypothala-
mus-Hypophysen-Nebenrinden-Achse: Hyperkortisolismus, Dexamethason-Hemmtest
pathologisch). Mögliche Auslöser: körperliche Erkrankungen, hormonelle Störungen,
Operationen, Abmagerungskuren, Wochenbett, Klimakterium, Konflikte, Einsamkeit/Ver-
einsamung, Kränkungen, Umzug, Entlastung.
4 Diagnostik: Funktionelle Bildgebung (PET): vermehrter Blutfluss im lateralen inferioren
präfrontalen Kortex, anteriorem Zingulum, Amygdala sowie verminderten Blutfluss im or-
bitofrontalen Kortex, z. T. auch im symptomfreien Intervall. Strukturell Volumenminderung
der Frontal- und Parietallappen, des Hippokampus sowie der Basalganglien. Neurophysio-
logische Testung: verminderte kognitive Leistungen. Chronobiologisch: verkürzte REM-
Schlaf-Latenz mit insgesamt erhöhtem REM-Anteil am Schlaf und vermindertem Tief-
schlafanteil
4 Therapie: Antidepressiva, Elektrokrampftherapie, Schlafentzug, Lichttherapie, Psycho-
therapie

Rezidivierende 4 Symptomatik: wie depressive Störung


depressive 4 Ätiologie: wie depressive Störung
Störung 4 Diagnostik: 2 Jahre Dauer ohne längere Unterbrechung der Symptomatik von 2 Monaten,
wie depressive Störung
4 Therapie: Wie bei depressiven Episoden mit qualifizierter Psychotherapie (wirksam:
psychodynamisch, kognitiv, interpersonell). Großer Leidensdruck der Angehörigen bei
v. a. bei Chronifizierung, deshalb Mitbehandlung

Anhaltende 4 Symptomatik: Dysthymie (dauerhaft leicht depressive Stimmung), Zyklothymie (dauerhaft


affektive zwischen leicht depressiv und leicht gehoben wechselnde Stimmung)
Störung 4 Ätiologie: wie depressive Störung
4 Diagnostik: wie depressive Störung
4 Therapie: wie depressive Störung

Bipolare 4 Symptomatik: Bipolar-I-Störung: Möglicher Substanzmissbrauch, häufig Komorbidität


affektive mit Persönlichkeitsstörung, ausgeprägte Bagatellisierungsneigung
Störung 4 Ätiologie: prämorbide Persönlichkeit: oft hyperthyme Persönlichkeit mit meist guter
Stimmung, Antriebsreichtum mit mangelnder Fokussierung, wenig emotionaler Tiefe
und Selbstkritik.
4 Diagnostik: wie depressive Störung
4 Therapie: Lithiumsalze und/oder Valproat/(Ox-)Carbamazepin (Antiepileptikum: bei unge-
nügender Stabilität oder erneutem Auftreten von Phasen), ggf. Lamotrigin (bei Neigung
zu depressiven Phasen); ggf. Antidepressiva (bei bestehender Stimmungsinstabilität) bzw.
hochpotente Neuroleptika
154 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

2.10 Psychiatrische Aspekte Krankenhäusern oder Erwartungen der Eltern ge-


im Kinder- und Jugendalter genüber dem Kind, welche unrealistisch der alters-
unangemessen sind. Überprüft werden sollte eine
2.10.1 Kindesmisshandlung
2 Beschuldigung der Verletzung des Kindes gegen die
Eltern.
Definition. Strafbare Handlungen, die sich auf körper-
liche bzw. schwer wiegende Gefährdungen der körper- Therapie. Schutz des Kindes, therapeutische Arbeit
lichen Gesundheit eines Kindes erstrecken und von (z. B. Sozialarbeit, Beratung, Training) mit Eltern und
Eltern oder Erziehungsberechtigten ausgeführt bzw. Familie, Psychotherapie und Entwicklungsförderung.
zugelassen werden. Gegebenenfalls Fremdunterbringung des Kindes.

Ätiopathogenese. Entwicklungsbeeinträchtigungen Prognose. Gefahr besteht durch eine Wiederholung,


oder psychische Störungen der Eltern oder aktuelle be- Todesfolge und Generationenkreislauf. Entwicklungs-
lastende Lebensumstände bei den Eltern (dadurch beeinträchtigungen, Intelligenzminderungen, schwere
Überforderung durch Erziehungsaufgaben). Zum Teil emotionale Störungen, autodestruktive Handlungen
sind misshandelnde Eltern selber Opfer von Misshand- und mangelnde Impulssteuerung können die Folgen
lungen gewesen. Risikofaktoren beim Kind sind eine sein.
Behinderung, Krankheit, Frühgeburt, Unehelichkeit,
Stiefkind oder zurückgekehrtes Heimkind, sowie un- Sexueller Missbrauch
günstige Temperamentsmerkmale. Erzwungener sexueller Kontakt zwischen Kind und Erwach-
senen. Unterschieden werden:
Epidemiologie. Hohe Dunkelziffer (1:15–20) 4 Zurschaustellung von sexuellen Akten, Pornographie
und/oder Exhibitionismus
Symptomatik. Unterschieden werden: 4 Berührung der Genitalien oder Aufforderung zur Be-
4 Battered-child-Syndrom: Schwerste Form der rührung der Genitalien des Erwachsenen
Kindesmisshandlung mit subduralem Hämatom, 4 Sexueller Verkehr
Frakturen der langen Röhrenknochen und Weich- 4 Vergewaltigung
teilschwellungen. Hinweise auf Misshandlung:
Unterernährung, striemenförmige Hautverände- Präventiv wirken Förderung der Unabhängigkeit und Stär-
rungen, Blutergüsse, Verbrennungsmale, zahlreiche ke von Kindern, unsichere Kinder sind ideale Opfer. Kinder
Narben, multiple Knochenbrüche in unterschied- sollen lernen, zwischen guten und schlechten bzw. merk-
lichen Heilungsstadien, subperiostale Blutungen würdigen Berührungen zu unterscheiden und letztere ab-
und subdurale Hämatome. Die Kinder sind in ih- zuweisen, Nein zu sagen und Grenzen auch gegenüber
rem Verhalten häufig ängstlich, überangepasst, ver- Erwachsenen zu ziehen, adäquate Geheimnisse von un-
schüchtert, suchen bei Eltern wenig Schutz. heimlichen Heimlichkeiten zu unterscheiden und sie mit-
4 Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom: Mütter zuteilen.
erfinden oder erzeugen bei ihrem Kind (Stellvertre- Die unmittelbaren Auswirkungen von sexuellem Miss-
ter) körperliche Symptome. brauch sind unspezifisch. Körperliche Symptome können
4 Kindesvernachlässigung: Entbehrung von Nah- genitale oder rektale Verletzungen, Fremdkörper in Ureth-
rung, Kleidung und Unterkunft; Mangel an emo- ral-, Genital- und/oder Rektalmündungen, Körperverlet-
tionaler Zuwendung. zungen an Brüsten, Gesäß, Schenkeln oder Unterleib, Ge-
schlechtskrankheiten (Pilzinfektionen), rezidivierende
Diagnostik. Anamnestisch hinweisend können eine Harnwegsinfekte sowie eine Schwangerschaft sein. Auffäl-
unerklärliche Verzögerung einer Behandlungseinlei- liges Verhalten in Form von altersunangemessenen sexuel-
tung nach einer Verletzung sein, eine nicht plausible len Aktivitäten einschließlich exhibitionistischem Verhal-
oder widersprüchliche Anamnese und/oder eine mit ten, ausgeprägte sexuelle Neugierde, zwanghafte Mastur-
den körperlichen Symptomen nicht vereinbare Anam- bation, Jugendlichen-Prostitution. Außerdem Trennungs-
nese. Eine Anamnese mit Verdacht auf wiederholte ängste, regressives Verhalten, depressive Verstimmung,
Verletzungen und/oder eine Beschuldigung der Ge- Schlaf- und Beziehungsstörungen, Nachlassen der Schul-
schwister oder Dritter durch die Eltern für die Ver- leistungen, unangemessenes Verhalten gegenüber Män-
letzung ist verdächtig. Wegweisend können ferner nern, übermäßig angepasstes Verhalten, Weglaufen, Delin-
sein: eine Behauptung, das Kind habe sich selbst ver- quenz, pseudoreifes Verhalten, fehlender Kontakt zu
letzt, eine Vorstellung bei zahlreichen Ärzten oder 6
2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
155 2

Gleichaltrigen und Veränderungen hinsichtlich der Schul- vität, Hyperaktivität, Reizhunger, Stimmungsschwan-
anwesenheit. kungen, geringe Frustrationstoleranz, häufige Un-
Die Dunkelziffer ist hoch. Bei Prävalenzerhebungen fälle durch Nichterkennen von Gefahrenquellen.
gaben 2% (Frauen : Männer: 3–4:1) an, im Kindesalter von Sekundär Anpassungsprobleme, Schulschwierig-
Erwachsenen zu vaginalem, analem oder oralem Ge- keiten, dissoziales Verhalten, sekundäre Neurotisie-
schlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Bis zu 12% rung.
der Frauen berichteten über Exhibitionistenkontakte, ver-
bale Belästigung, pornographische Stimulation. Unter- Diagnostik. Verhaltensbeobachtung v. a. mit anderen,
schieden werden: Fragebogen nach Conners für Eltern und Lehrer, Fami-
4 Regressive Täter: am häufigsten, primäre sexuelle Ori- lienanamnese (unruhige Familienverhältnisse), prä-,
entierung auf Erwachsene gerichtet, aufgrund leich- peri- oder postnatale Entwicklung.
terer Verfügbarkeit von Kindern, nichtsexueller Pro-
bleme, Problemen mit erwachsenen Sexualpartnern Differenzialdiagnose. Hyperaktivität (normale Rei-
Rückgriff auf Kinder (Ersatzobjekttäter) fungsvariante, Folge eines Sozialisationsdefizites), hirn-
4 Fixierte Täter: primär sexuelle Orientierung auf Kinder organisches Psychosyndrom, Oligophrenie, psycho-
aus, durch Erwachsene nicht oder kaum erregbar (klas- gene Hyperaktivität (emotionale Spannungen, chro-
sische Pädophile) nische Konflikte, Angst, Depressionen), Deprivations-
4 Soziopathische Täter: mangelnde Empathie für das Op- syndrom, Psychosen, akute und chronische Intoxikation
fer, ggf. sadistische Vorlieben, Sexualität dient ihm zur (z. B. Blei).
Unterdrückung (sadistischer Typ)
Therapie. Psychotherapie, Psychostimulanzien (Am-
Zur Therapie gehören Krisenintervention, Beratung unter phetamine, Methylpheniat, z. B. Ritalin mit paradoxer
Einbezug der Eltern, Einzel- und Gruppenpsychiatrie, Wirkung, keine Suchtgefahr, evtl. Appetitstörungen,
Fremdunterbringung, Präventionsprogramm. Eine Trau- Einschlafstörung, daher keine abendliche Einnahme,
matisierung hinsichtlich emotionaler Reaktionen, psy- vermindertes Größenwachstum, Tics, Stereotypien
chischer Funktionen, Beziehungsfähigkeit, sexueller Ent- (Absetzen!), hoher Blutdruck möglich, Elterntraining,
wicklung und sozialer Funktionen ist häufig. Es findet sich Verhaltenstherapie.
eine erhöhte Rate psychischer Störungen mit hoher Persis-
tenz (Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Sui- 2.10.2.2 Tic-Störung
zidalität, sexuelle Störungen). Prognostisch besonders Definition. Der Tic (franz. das Zucken der Glieder, der
ungünstig ist der Täter in der Familie, genitaler Verkehr, Tick im Sinne von wunderliche Angewohnheit) be-
Einsatz von Gewalt, fehlende Unterstützung durch die zeichnet eine rasche, unwillkürliche, unregelmäßig
Familie. wiederkehrende motorische Entladung in einzelnen
Muskeln oder Muskelgruppen. Auffallend wird ein Tic
durch teilweise heftige körperliche Bewegungen oder
2.10.2 Störungen der Motorik Lautäußerungen.
und Psychomotorik
Ätiopathogenese. Angenommen wird eine hereditäre
2.10.2.1 Hyperkinetisches Syndrom (HKS) Störung in den Basalganglien. Seltener sind organische
Tics als Folge einer generellen Hirnschädigung (z. B.
Definition. Leichte Ablenkbarkeit und geringes Durch- Enzephalitis) oder einer Läsion der Basalganglien (des
haltevermögen, sowie leicht aufbrausendes Wesen striatopallidären System). Zunehmend wird die striato-
mit der Neigung zum Handeln ohne nachzuden- frontale Dysfunktion für die Entstehung von Tics ver-
ken, häufig auch in Kombination mit Hyperaktivität antwortlich gemacht, was erklären würde, dass die Tic-
(ADHS). Störung eine häufige Komorbidität von ADHS darstellt.
Der Tic-Patient kann sowohl den Zeitpunkt des Auftre-
Ätiopathogenese. Unklar. tens als auch den des Verschwindens des Tics nicht
kontrollieren. Tics beginnen zumeist im Alter von 7–12
Epidemiologie. Meist Beginn vor dem 6. Lebensjahr, Jahren mehrheitlich bei Jungen. Die schwerste und des-
Jungen : Mädchen = 3–9:1. halb eindrücklichste Verlaufsform wird nach dem Erst-
beschreiber, dem französischem Neurologen Georges
Symptomatik. Wahrnehmungsstörungen, Aufmerk- Gilles de la Tourette als sog. Tourette-Syndrom be-
samkeitsstörungen, Irritierbarkeit, motorische Akti- zeichnet.
156 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

Symptomatik. Man unterscheidet: Als Sonderformen mit anderer Ursache gilt der Tic
4 die primäre, idiopathische Tic-Störung (Ursache douloureux (franz. der schmerzhafte Tic): ein heftiger,
noch unbekannt) kurzer und sich oft wiederholender Schmerzanfall mit
2 4 von der sekundären, symptomatischen Tic-Störung Gesichtszuckungen bei Trigeminusneuralgie.
(Ursache bekannt).
Diagnostik. Anamnese, Beobachtung.
Nach Ausprägungs- und Schweregrad werden 4 Sub-
typen von Tics, die besonders im kopf- und Schulterbe- Therapie. Bei geringgradiger Beeinträchtigung können
reich auftreten, unterschieden: neben einer umfassenden Aufklärung und Beratung der
4 Einfache motorische Tics, z. B. Stirnrunzeln, Au- Bezugspersonen (bei betroffenen Kindern v. a. Eltern
genblinzeln, ruckartige Kopfbewegungen, Hoch- und Lehrpersonal) die Psychotherapie und Verhaltens-
ziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimas- therapie gute Erfolge erzielen. Eine pharmakologische
sieren Behandlung ist indiziert bei lang anhaltender Sympto-
4 Einfache vokale Tics, z. B. Räuspern, mit der Zunge matik (>12 Monate), vokalen Tics, psychiatrischen Be-
schnalzen, Hüsteln, Schmatzen, Grunzen gleiterkrankungen und dem Vollbild des Gilles-de-la-
4 Komplexe motorische Tics, z. B. Springen, Berüh- Tourette-Syndroms. Mittel der Wahl sind hochpotente
ren anderer Leute oder Gegenstände, Körperver- Neuroleptika aus der Klasse der Dopamin-Rezeptorblo-
drehungen, Kopropraxie (Ausführen obszöner cker (z. B. Tiaprid, Pimozid, Haloperidol) sowie bei ent-
Gesten), selbstverletzendes Verhalten sprechender Begleitsymptomatik Antidepressiva (v. a.
4 Komplexe vokale Tics, z. B. Herausschleudern von selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer).
zusammenhanglosen Wörtern und kurzen Sätzen,
Koprolalie (Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie Prognose. Bei leichteren Verlaufsformen hören die Tics
(Wiederholung von gehörten Lauten und Wortfet- in der Regel zu Beginn des Erwachsenenalters auf. Bei
zen), Palilalie (Wiederholung von gerade selbst ge- schweren Verlaufsformen bleiben die Symptome auch
sprochenen Worten) im Erwachsenenalter bestehen, oft jedoch in abge-
schwächter Form.

In Kürze

Kindesmisshandlung, Störungen der Motorik und Psychomotorik

Kindesmisshandlung 4 Symptomatik:
– Battered-child-Syndrom: subdurales Hämatom, Frakturen der langen Röhren-
knochen, Weichteilschwellungen
– Hinweise auf Misshandlung: Unterernährung, striemenförmige Hautveränderun-
gen, Blutergüsse, Verbrennungsmale, zahlreiche Narben, multiple Knochenbrüche
in unterschiedlichen Heilungsstadien, subperiostale Blutungen, subdurale Häma-
tome. Kindliches Verhalten oft ängstlich, überangepasst, verschüchtert, suchen
bei Eltern wenig Schutz
– Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom: Mütter erfinden oder erzeugen beim Kind
(Stellvertreter) körperliche Symptome
– Kindesvernachlässigung: Entbehrung von Nahrung, Kleidung, Unterkunft; Mangel
an emotionaler Zuwendung
4 Ätiologie: Entwicklungsbeeinträchtigungen, psychische Störungen der Eltern,
aktuell belastende Lebensumstände der Eltern
4 Diagnostik: widersprüchliche Anamnese, Beschuldigung der Verletzung des Kindes
gegen die Eltern prüfen
4 Therapie: Schutz des Kindes, therapeutische Arbeit (z. B. Sozialarbeit, Beratung,
Training) mit Eltern und Familie, Psychotherapie, Entwicklungsförderung, ggf. Fremd-
unterbringung des Kindes
6
2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
157 2

Hyperkinetisches 4 Symptomatik: leichte Ablenkbarkeit, geringes Durchhaltevermögen, leicht aufbrau-


Syndrom (HKS) sendes Wesen, Neigung zum Handeln ohne Nachzudenken
4 Ätiologie: unklar
4 Diagnostik: Verhaltensbeobachtung v. a. mit anderen, Fragebogen nach Conners
für Eltern und Lehrer, Familienanamnese (unruhige Familienverhältnisse), prä-, per-
oder postnatale Entwicklung
4 Therapie: Psychotherapie, Psychostimulanzien, Elterntraining, Verhaltenstherapie

Tic-Störungen 4 Symptomatik:
– einfache motorische Tics, z. B. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, ruckartige Kopfbewe-
gungen, Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimassieren
– einfache vokale Tics, z. B. Räuspern, mit der Zunge schnalzen, Hüsteln, Schmatzen,
Grunzen
– komplexe motorische Tics, z. B. Springen, Berühren anderer Leute oder Gegen-
stände, Körperverdrehungen, Kopropraxie (Ausführen obszöner Gesten), selbst-
verletzendes Verhalten
– komplexe vokale Tics, z. B. Herausschleudern von zusammenhanglosen Wörtern
und kurzen Sätzen, Koprolalie (Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederho-
lung von gehörten Lauten und Wortfetzen), Palilalie (Wiederholung von gerade
selbst gesprochenen Worten
4 Ätiologie: hereditäre Störung der Basalganglien, Hirnschädigung (z. B. Enzephalitis),
Läsion der Basalganglien (des striatopallidären Systems), striatofrontale Dysfunktion
4 Diagnostik: Anamnese, Beobachtung
4 Therapie: Aufklärung, Beratung der Bezugspersonen, Psychotherapie, Verhaltensthe-
rapie. Pharmakologische Behandlung indiziert bei lang anhaltender Symptomatik
(>12 Monate), vokalen Tics, psychiatrischen Begleiterkrankungen, dem Vollbild des
Gilles-de-la-Tourette-Syndroms. Mittel der Wahl: hochpotente Neuroleptika aus der
Klasse der Dopamin-Rezeptorblocker (z. B. Tiaprid, Pimozid, Haloperidol), ggf. Anti-
depressiva (v. a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)

2.10.3 Intelligenzminderung Formen der Intelligenzverminderung


4 Chromosomenschädigungen: (Langdon-)Down-Syn-
Synonym. Oligophrenie. drom (Mongolismus) und Cri-du-chat-Syndrom betref-
fen die Autosomen. Ullrich-Turner(XO)-Syndrom, Kli-
Definition. Unterdurchschnittliche Intelligenz bzw. nefelter-Syndrom, xyy-Syndrom und Marker-X-Syn-
geistige Behinderung und dadurch Beeinträchtigung drom (Syndrom des fragilen X-Chromosoms) zählen zu
des adaptiven Verhaltens. Gonosomen-Störungen
4 Stoffwechselstörungen: Phenylketonurie, Galaktosä-
Ätiopathogenese. Meist Ursachen nicht klärbar. Bei mie, Morbus Gaucher, Niemann-Pick-Krankheit, Tay-
leichten Formen beträchtliche Umwelteinflüsse (z. B. Sachs-Erkrankung
Vernachlässigung), bei schweren Formen sind orga- 4 Exogene Schädigungen: pränatal (Embryopathie), pe-
nische Ursachen (Chromosomenstörungen, Stoffwech- rinatal (Sauerstoffmangel, Hirnblutungen) und postna-
selstörungen) bekannt. tal (Erythroblastose, Infekte)
Präventiv können humangenetische Beratung und
Frühdiagnostik (Phenylketonurie, Neugeborenenhy- Epidemiologie. Insgesamt 5% der Bevölkerung haben
pothyreose) wirken. eine Intelligenzminderung.

Symptomatik. Leichte Anpassungsstörungen bis zu


schwersten pflegebedürftigen Zuständen, motorischen
Stereotypien, ohne Spracherwerb und Inkontinenz.
158 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

Ätiopathogenese. Bei den Sprachentwicklungsstörun-


. Tab. 2.27. Intelligenzminderung nach der ICD-10-Klas-
gen fehlt die Sprachentwicklung oder ist verzögert ab
sifikation
dem 2,5. bis 3. Lebensjahr bei Vorliegen einer Minder-
2 Intelligenz-
minderung
IQ Bezeichnung begabung. Im Einschulungsalter sind 3–4% betroffen
(Jungen 2- bis 3-mal häufiger). Bei den Sprechstörun-
Grenzbereich 70–84 Lernbehinderung
gen handelt es sich um »Werkzeugstörungen«. Hierzu
gehören das Stammeln, Poltern, Stottern und die psy-
Leicht 50–69 Oligophrenie I. Grades chogenen Sprechstörungen.
(Debilität)

Mittelgradig 35–49 Oligophrenie II. Grades Symptomatik. Typisch sind:


(Imbezillität) 4 Stottern (Balbuties): Störung des Redeflusses, Sin-
Schwer 20–34 gen meist nicht beeinträchtigt
Schwerst 1–19 Oligophrenie III. Grades 4 Poltern (Tachyphemie): Störung des Sprechablaufs
(Idiotie) 4 Dysarthrie: kloßige, verwaschene, verlangsamte
Sprache
4 Mutismus: Sprechverweigerung meist im Vor-
Diagnostik. Bestimmung des IQ mit HAWIK (Ham- schulalter (elektiv: in Belastungssituationen, bei
burg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder), Binet-Si- Fremden; total: Verstummen bei Psychosen, als
mon-Test oder TBGB (Testbatterie für geistig behin- hysterische Reaktion, nach schwerem Trauma)
derte Kinder, . Tab. 2.27). 4 Dyslalie (Stammeln): fehlerhafte Lautbildung
(Phonembildung, physiologisch mit 2–4 Jahren,
Therapie. Die Therapie umfasst Frühförderung, Heil- Konsonantenaustausch
pädagogik, Vermeidung von Sekundärschädigungen, 4 Dysgrammatismus, Agrammatismus: bis zum
Diät bei Stoffwechselerkrankungen, Förderung in Son- 4. Lebensjahr Teil der normalen Entwicklung,
derkindergärten, Sonderschulen, später beschützende grammatisch entstellte Sprache
Werkstätten. Nur in schweren Fällen und bei ungeeig- 4 Hörstummheit (Audimutitas): nach dem 3. Le-
neter familiärer Umwelt Heimunterbringung. Verhal- bensjahr weiter bestehende Stummheit (motorisch:
tenstherapie zur Entwicklung lebenspraktischer Fertig- bei Sprachverständnis, sensorisch: mit Sprachver-
keiten, zum Aufbau eines kommunikativen sozialen ständnisschwierigkeiten)
Verhaltens.
Diagnostik. Klinisch meist keine Unterscheidung mög-
lich.
2.10.4 Störungen des Sprechens
und der Sprache Therapie. Logopädie; Förderung von Sprache durch
Sinneswahrnehmung, Gefühlserfahrung in sprachmo-
Definition. Unterschieden werden Sprechstörungen tivierender Situation, psychotherapeutische Elemente,
(Stottern, Poltern, Dysarthrie, Mutismus) von Spra- Vermeidung negativer Verstärkungen, Vermeidung
chentwicklungsstörungen (Dyslalie, Dysgrammatis- von sekundärer Verhaltensstörungen und Prävention
mus, Agrammatismus, Hörstummheit). von späterem Schulversagen.
Unterschieden werden:
4 Mutismus: Patient ist stumm geworden
4 Audimutitas: Patient hat noch nie gesprochen 2.10.5 Störungen im Zusammenhang
(frühkindlicher Hirnschaden; Hörvermögen in- mit schulischen Leistungen
takt)
4 Taubstummheit: Surdomutitas, Hörvermögen Teilleistungsschwächen
fehlt, keine akustisch evozierten Potenziale Umschriebene Leistungsausfälle bei durchschnittlicher
oder überdurchschnittlicher Intelligenz:
Sprachabbau- und Sprachverlustsyndrom 4 Wahrnehmungsstörungen (Störungen der senso-
4 Wortfindungsstörungen rischen Integration wie der Lokalisation taktiler Reize,
4 Motorische (Broca) oder sensorische (Wernicke-) Apha- Rechts-Links-Diskrimination, Position im Raum)
sie: meist durch Schädigung kortikaler Zentren Verlust 4 Störungen der visuomotorischen Koordination (Stö-
vorhandener Sprachfähigkeit rungen der Raumlage und räumlicher Beziehungen
4 Dysphasie: abgeschwächte oder gebesserte Aphasie 6
2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
159 2

von Figur-Grund-Wahrnehmung, Unterscheidung von Symptomatik. Schwächen vor allem in der Mengen-
wesentlichen und unwesentlichen Reizen und der lehre.
Wahrnehmungskonstanz/Wiedererkennen)
Diagnostik. Klassengestufte Rechentests.
2.10.5.1 Legasthenie
Definition. Lese-Rechtschreib-Schwäche ohne Ein- Therapie. Einübung von Rechenoperationen (Lernen
schränkung der Intelligenz. am Computer). Psychotherapie, Elternberatung.

Ätiopathogenese. Meist bildet sich ein Schwerpunkt 2.10.5.3 Weitere Störungen


im Lesen oder Schreiben. Definition. Verschiedenartige Störungen, die jede für
sich zu einer Beeinträchtigung der Schulleistung führen
Epidemiologie. 3–7% der Grundschulkinder (Jungen kann.
häufiger) sind betroffen.
Epidemiologie. 20% aller Grundschüler sind betroffen.
Symptomatik. Bestimmte Buchstabenkonstellationen
werden nicht erfasst, die simultane Gestalterfassung Symptomatik. Dazu gehören:
fehlt. Buchstaben werden vertauscht, Worte oder Wort- 4 Lern- und Leistungsstörungen: Konzentrations-
teile verdreht. Außerdem werden Silben ausgelassen störungen, Wahrnehmungsstörungen, Sprachent-
oder hinzugefügt. Begleitend können auditive oder op- wicklungsstörungen
tische Wahrnehmungsdefizite, Sprachentwicklungsstö- 4 Schulphobie: Trennungsangst bei oft übervorsorg-
rungen und Sprechstörungen auftreten, ferner emotio- licher Mutter; Befürchtung der Muter könnte etwas
nale Störungen und dissoziales Verhalten. zustoßen; Persistenz der Mutter-Kind-Symbiose;
häufig somatische Beschwerden
Therapie. Frühzeitige gezielte Trainingsprogramme 4 Schulangst: traumatische Erlebnisse in der Schule
mit möglichst Verbleib im Klassenverband. oder eigene physische oder psychische Insuffizienz.
Vermeidungsverhalten und Rückzug
Prognose. Langfristig bleibt oft eine Rechtschreib- 4 Schuleschwänzen: Schule wird negativ erlebt.
schwäche bestehen. Lustbetonte Verhaltensweisen werden bevorzugt.
Es liegt keine Angst vor; dissoziales Verhalten; Ver-
2.10.5.2 Rechenschwäche nachlässigung; Identitätsprobleme
Synonym. Dyskalkulie.
Therapie. Die Behandlung umfasst:
Definition. Ohne Hirnfunktionsstörung auftretende 4 Zusätzlichen Unterricht, ggf. Umschulung bei in-
Schwäche im abstrakten Denken und räumlichen Vor- tellektueller Leistungsunfähigkeit
stellungsvermögen. 4 Familienpsychotherapie bei Schulphobie
4 Psychotherapeutische Gespräche bei Schulangst
4 Pädagogische Maßnahmen bei Schuleschwänzen

In Kürze
Intelligenzminderung, Störungen des Sprechens und der Sprache, Störungen im Zusammenhang
mit schulischen Leistungen

Intelligenzminderung 4 Symptomatik: leichte Anpassungsstörungen bis schwerste pflegebedürftige Zu-


stände, motorische Stereotypien, ohne Spracherwerb und Inkontinenz
4 Ätiologie: meist unklar, Chromosomenstörungen, Stoffwechselstörungen
4 Diagnostik: Bestimmung des IQ mit HAWIK (Hamburger-Wechsler-Intelligenztest für
Kinder), Binet-Simon-Test, TBGB (Testbatterie für geistig behinderte Kinder), Anamnese
4 Therapie: Frühförderung, Heilpädagogik, Vermeidung von Sekundärschädigungen,
Diät bei Stoffwechselerkrankungen, Förderung in Sonderkindergärten, Sonderschu-
len, später beschützende Werkstätten. In schweren Fällen Heimunterbringung. Ver-
haltenstherapie zur Entwicklung lebenspraktischer Fertigkeiten, zum Aufbau eines
6 kommunikativen sozialen Verhaltens
160 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

Störungen des 4 Symptomatik: Stottern (Balbuties, Störung des Redeflusses, Singen meist nicht be-
Sprechens und einträchtigt), Poltern (Tachyphemie, Störung des Sprechablaufs), Dysarthrie (kloßige,
2 der Sprache verwaschene, verlangsamte Sprache), Mutismus (Sprechverweigerung meist im Vor-
schulalter, elektiv: in Belastungssituationen, bei Fremden bzw. total: bei Psychosen,
als hysterische Reaktion, nach schwerem Trauma), Dyslalie (Stammeln, fehlerhafte
Laut(Phonem-)bildung, physiologisch mit 2–4 Jahren, Konsonantenaustausch),
Dysgrammatismus/Agrammatismus (bis zum 4. Lebensjahr Teil der normalen Ent-
wicklung, grammatisch entstellte Sprache), Hörstummheit (Audimutitas, nach dem
3. Lebensjahr weiter bestehende Stummheit, motorisch: bei Sprachverständnis,
sensorisch: mit Sprachverständnisschwierigkeiten)
4 Ätiologie: Sprachentwicklungsstörungen: Sprachentwicklung fehlt, ist verzögert ab
dem 2,5. bis 3. Lebensjahr bei Vorliegen einer Minderbegabung. Im Einschulungs-
alter 3–4%betroffen, Jungen 2- bis 3-mal häufiger
4 Diagnostik: Anamnese, Sprachtests
4 Therapie: Logopädie, Förderung der Sprache durch Sinneswahrnehmung, Gefühls-
erfahrung in sprachmotivierender Situation

Legasthenie 4 Symptomatik: Lese- und/oder Schreibschwäche, begleitend auditive, optische Wahr-


nehmungsdefizite, Sprachentwicklungsstörungen und Sprechstörungen auftreten,
ferner emotionale Störungen, dissoziales Verhalten.
4 Ätiologie: 3–7% der Grundschulkinder, Jungen häufiger
4 Diagnostik: Lese-, Schreibschwäche
4 Therapie: frühzeitige gezielte Trainingsprogramme, möglichst Verbleib im Klassen-
verband

Dyskalkulie 4 Symptomatik: ohne Hirnfunktionsstörung auftretende Schwäche im abstrakten


Denken und räumlichen Vorstellungsvermögen
4 Ätiologie: Leistungsstörung
4 Diagnostik: abgestufte Rechentests
4 Therapie: Einüben von Rechenoperationen, Psychotherapie, Elternberatung

2.10.6 Tiefgreifende 4 Mangel an Mimik und Gestik


Entwicklungsstörungen 4 Verhaltensrituale, (verbale) Handlungsstereo-
typien, zwanghafte Phänomene
2.10.6.1 Frühkindlicher Autismus 4 Wahrnehmungsstörung (Wahrnehmungsintegra-
nach Kanner tion ist beeinträchtigt: vestibulär-kinästhetisch-
Definition. Schwere Störung emotionaler und moto- taktil, taktil-visuell, visuell-auditiv)
rischer Entwicklung mit starker Abkapselung der Kin- 4 Motorische Koordinationsschwäche
der. 4 Intellektueller Rückstand
4 Sprachentwicklungsstörung und -retardierung
Ätiopathogenese. Polygenetische Veranlagung. 4 Echolalie
4 Sprachverständnisstörung
Epidemiologie. 2–4:10.000. Jungen sind 3-mal häufiger 4 Starke Abkapselung
betroffen. 4 Defizientes Ich-Bewusstsein, pronominale Umkehr
(»ich« wird zu »du« und umgekehrt)
Symptomatik. Typisch sind: 4 Bevorzugung von Nahrezeptoren (Mund, Riechen,
4 Beginn vor dem 30. Lebensmonat Tasten)
4 Kontaktstörung: Kein soziales Lächeln, keine Re- 4 Heftige und panikartige Reaktionen bei Verände-
aktion auf Zuwendung der Mutter, Kinder starr rungen
und emotionslos mit Spielstörungen
2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
161 2

Bei 75% der Patienten besteht zusätzlich eine Intelli- Desintegrative Störung des Kindesalters
genzminderung. Im Jugendalter sind epileptische An- (Dementia infantilis, Heller-Syndrom)
fälle möglich. Im 3. und 4. Lebensjahr eintretender Rückschritt erreichter
Entwicklungsstufen mit Sprachverlust, Verhaltensdesinteg-
> Bei autistischer Entwicklung und geistiger Beein- ration, neurologischen Symptomen, Wesensänderung. Dif-
trächtigung in über 30% Grand-mal-Epilepsie. ferenzialdiagnostisch abgegrenzt werden müssen psycho-
gener Autismus bei Deprivation, somatogener Autismus
Diagnostik. Früherkennungszeichen: Keine oder selek- bei Oligophrenie, Pseudoautismus bei blinden und gehör-
tive Reaktion auf akustische und visuelle Reize. Aus- losen Kindern. Häufig schlechte Prognose.
bleiben des Lächelns nach dem 3. Lebensmonat, des
Arm-Austreckens nach dem 6. Lebensmonat und des
Nachnamens nach dem 10. Lebensmonat. Ungewöhn- 2.10.7 Psychogene Störungen
lich ruhiges Verhalten oder lang andauernde unerklär-
liche Erregungs-, Schrei- oder Weinphasen. Definition. Störungen aufgrund gestörter Primärbezie-
hung, vor allem im 1. Lebensjahr.
Differenzialdiagnose. Taubheit, Oligophrenie, Rötel-
nembryopathie. 2.10.7.1 Nichtorganische Enuresis
Definition. Einnässen bei Kindern über 4 Jahren ohne
Therapie. Verhaltenstherapie, ggf. Heilpädagogik, organische Ursache.
Sprachheilbehandlung, Musiktherapie; Aufbau sozialer
Kontakte und sprachlicher Fähigkeiten, Elternbera- Ätiopathogenese. Üblicherweise sind Kinder im 3. Le-
tungs- und Betreuungsarbeit auch zur Krankheitsbe- bensjahr trocken. Zu den Ursachen der Enuresis zählen
wältigung (Selbsthilfegruppen für Eltern); Neurolepti- Regression bei Trennung von Bezugsperson, Geburt
ka eventuell bei motorischer Unruhe und Affektdurch- eines Geschwisterkindes, zu früh erzwungene Reinlich-
brüchen keitserziehung.
> Die Enuresis tritt familiär gehäuft auf, insbesondere
Prognose. Oft lebenslange Behinderung. Günstig sind
bei zwanghaften Erziehungsmaßnahmen.
gute allgemeine Lern- und Leistungsmöglichkeiten und
Sprachaneignung nach dem 5. Lebensjahr. In ca. 20% der Fälle liegt eine organische Ursache vor
(Entwicklungsrückstand, Anomalie der ableitenden
Autistische Psychopathie nach Asperger Harnwege).
Autismus wird erst im Kleinkindalter deutlich. Auffällige
frühe sprachliche und späte motorische Entwicklung. Symptomatik. Unterschieden werden:
Kennzeichnend sind motorische Ungeschicklichkeit, re- 4 Enuresis persistens: noch nie trocken (Enuresis
petitive stereotype Verhaltensmuster, Sprache mit Wort- nocturna, Bettnässen)
schöpfungen, zusätzlich Sonderinteressen und Spezial- 4 Enuresis acquisata: sekundäre Enuresis nach Tro-
kenntnisse, Kommunikationsstörungen. Betroffen sind ckenheit von etwa 1 Jahr
fast nur Knaben, der Vater ist häufig autistisch-schizoid. 4 Enuresis diurna (Hosennässen): mehrmals täglich
Zur Behandlung gehören Verhaltenstherapie, motorisches
Training, Psychotherapie, Musiktherapie, Familientherapie. Therapie. Blasentraining, Verhaltenstherapie.
Die Prognose ist günstiger als beim frühkindlichen Autis- Prognose. Meist günstig.
mus.
Enkopresis
Rett-Syndrom Einkoten bei Kindern über 4 Jahren (Sauberkeit üblicher-
Tritt bei Mädchen nach scheinbar normaler früher Entwick- weise im 3. Lebensjahr). Betroffen sind 1,5% der Kinder
lung auf, Beginn liegt zwischen dem 7. und 24. Lebensmo- zwischen dem 7. bis 9. Lebensjahr. Die Störung tritt 10-mal
nat. Kennzeichnend sind der Verlust erworbener sprach- seltener als Enuresis auf, häufiger bei Jungen. Ätiologisch
liche und manueller Fähigkeiten, langsames Wachstum des stehen psychogene Faktoren (Verlusterlebnisse; Übergefü-
Kopfes, Ataxie, stereotype windend-wringende Hände- gigkeit gegenüber dominanter, fordernder Mutter, Furcht
waschbewegungen, exzessives Sabbern und Bespeicheln vor allzu fordernder Sauberkeitserziehung, Aggressions-
der Hände und ein leeres soziales Lächeln. Die Prognose ist hemmung, pathologische Familieninteraktionsmuster) im
ungünstig. Vordergrund. Therapeutisch werden Psychotherapie, Ver-
6 haltenstherapie eingesetzt.
162 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

In Kürze

Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, psychogene Störungen

2
Frühkindlicher Autismus 4 Symptomatik: Kontaktstörung, Mangel an Mimik und Gestik, Verhaltensrituale,
(verbale) Handlungsstereotypien, zwanghafte Phänomene, Wahrnehmungs-
störung, motorische Koordinationsschwäche, intellektueller Rückstand, Sprach-
entwicklungsstörung, starke Abkapselung, defizientes Ich-Bewusstsein, pro-
nominale Umkehr, Bevorzugung von Nahrezeptoren, epileptische Anfälle
4 Ätiologie: polygenetische Veranlagung
4 Diagnostik: Auftreten vor dem 30. Lebensmonat, Fremdanamnese
4 Therapie: Verhaltenstherapie, ggf. Heilpädagogik, Sprachheilbehandlung, Musik-
therapie, Aufbau sozialer Kontakte, sprachlicher Fähigkeiten, Elternberatungs-
Betreuungsarbeit (Selbsthilfegruppen), Neuroleptika evtl. bei motorischer Un-
ruhe und Affektausbrüchen

Nichtorganische Enuresis 4 Symptomatik: Enuresis persistens, Enuresis acquisata, Enuresis diurna


4 Ätiologie: Regression bei Trennung von Bezugspersonen, Geburt eines Geschwi-
sterkindes, zu früh erzwungene Reinlichkeitserziehung
4 Diagnostik: Anamnese
4 Therapie: Blasentraining, Verhaltenstherapie

2.10.8 Emotionale Störungen therapie, Einbeziehung der Familie/Familientherapie,


im Kindes- und Jugendalter Pharmakotherapie.

Definition. Gruppe von Störungen, bei der Angst durch


bestimmte, im Allgemeinen ungefährliche Objekte, die 2.10.9 Störungen des Sozialverhaltens
sich außerhalb der Person befinden, hervorgerufen
werden. Sie stellen eine Verstärkung normaler Entwick- Definition. Dissozialität, Verwahrlosung und Delin-
lungen dar. quenz als untaugliche Reaktion auf Probleme und Kon-
flikte.
Ätiopathogenese. Konfliktbehaftete Situationen, z. B.
Trennung. > Es handelt es sich nicht um eine psychiatrische Er-
krankung.
Epidemiologie. Angststörungen treten sehr häufig im
Laufe der Entwicklung auf. Die Häufigkeit von Tren- Epidemiologie. Jungen neigen zu Eigentumsdelikten.
nungsängsten wird auf 1–4% geschätzt. Bei Mädchen überwiegen Herumtreiben, oft wechseln-
de Sexualpartner und Prostitution.
Symptomatik. Emotionale Störung mit Trennung-
sangst, phobischer Störung, Störung mit sozialer Ängst- Symptomatik. Destruktives Verhalten, Lügen, Dieb-
lichkeit des Kindesalters, Geschwisterrivalität (. Tab. stahl, Aggression, Wutausbrüche, Beziehungsabbrüche,
2.28). Süchte.

Diagnostik. Anamnese, Analyse des Verhaltens Therapie. Milieubeeinflussung, Familientherapie, päda-


gogische Maßnahmen.
Therapie. Informationsvermittlung über Angststörun-
gen für Eltern und Kinder (Psychoedukation), Rück- Prognose. Da Therapie oft erzwungen wird, ist das Ge-
sprache/Beratung mit Schule und Hausarzt, verhalten- lingen von der Compliance und Komorbidität/Schwere
sorientierte Interventionen, psychodynamische Psycho- der Begleiterkrankungen abhängig.
2.10 · Psychiatrische Aspekte im Kinder- und Jugendalter
163 2

. Tab. 2.28. Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter

Störung Spezielle hinweisende Symptome Therapie

Depressive Verstimmungen Spielhemmung; regressive Symptome: Nägelkauen, Daumen-


lutschen, Naschsucht, Enuresis, Enkopresis; Vorwürfe, Klagen

Angststörungen Trennungsangst (Kleinkind), zwangsähnliche Rituale bei Schul- Verhaltenstherapie


kindern zur Vermeidung von Angst (Schulkind)
Physiologisch: Achtmonatsangst: (Fremdeln, Xenophobiereaktion)

Phobien Zoophobien (Vorschule) Systematische


Desensibilisierung

Zwangsstörungen Ritualbildung Verhaltenstherapie

Hysterie, dissoziative Bei Kindern häufig Dämmerzustände mit Drang zum Davonlaufen Analytisch orientierte
Störungen Psychotherapie,
Familientherapie,
evtl. Antidepressiva

Psychoreaktive Störungen Zusammenhang mit psychischem Trauma oder Belastung Psycho-, Familien-
(akute Belastungsreaktionen (Battered-child-Syndrom); Symptomdauer je kürzer, desto jünger therapie
oder andauernde Anpas- das Kind
sungsreaktionen)

Pubertäts- und Reifungs- Besonders: Sexual- und Bindungsprobleme, Leistungsfragen, Be- Psycho-, Familien-
krisen in der Adoleszenz rufsfindungsprobleme therapie
Suizid bei über 15-jährigen männlichen Jugendlichen eine der
häufigsten Todesursachen, Suizidversuche öfter von Mädchen (In-
toxikation), Kinder sind immer mehr betroffen

In Kürze

Emotionale Störungen im Kindes- und Jugendalter, Störungen des Sozialverhaltens

Emotionale Störungen 4 Symptomatik: Trennungsangst, phobische Störung, Störung mit sozialer


im Kindes- und Jugendalter Ängstlichkeit des Kindesalter, Geschwisterrivalität
4 Ätiologie: Konflikte
4 Diagnostik: Anamnese, Verhaltensanalyse
4 Therapie: Informationsvermittlung für Eltern und Kinder (Psychoeduka-
tion), Rücksprache/Beratung mit Schule und Hausarzt, verhaltensorien-
tierte Interventionen, psychodynamische Psychotherapie, Einbeziehung
der Familie/Familientherapie, Pharmakotherapie

Störungen des Sozialverhaltens 4 Symptomatik: destruktives Verhalten, Lügen, Diebstahl, Aggression,


Wutausbrüche, Beziehungsabbrüche, Süchte
4 Ätiologie: Familienprobleme, Konflikte
4 Diagnostik: Dissozialisation, Verwahrlosung, Delinquenz als untaugliche
Reaktion auf Probleme und Konflikte
4 Therapie: Milieubeeinflussung, Familientherapie, pädagogische Maß-
nahmen
164 Kapitel 2 · Psychiatrie, Psychotherapie

2.11 Vorsätzliche Selbstbeschädigung Symptomatik. Verletzungen, Symptome der Grund-


krankheit.
Definition. Neigung zur Selbstverletzung.
2 Diagnostik. Anamnese, körperlicher Befund, Psy-
Ätiopathogenese. Autoaggressivität (Münchhausen- chostatus.
Syndrom), schwere Persönlichkeitsstörungen, Suizida-
lität, Psychosen. Therapie. Behandlung der Grundkrankheit.

In Kürze
Vorsätzliche Selbstbeschädigung 4 Symptomatik: körperliche Verletzung unklarer Genese
4 Ätiologie: Suizidalität, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen
4 Diagnostik: Anamnese, körperlicher Befund, Psychostatus
4 Therapie: kausal, symptomatisch
3 Psychosomatik
V. Kollenbaum

3.1 Definition, Diagnostik, Therapie –166


3.1.1 Definition –166
3.1.2 Diagnostik –166
3.1.3 Therapie –166

3.2 Somatoforme Störungen –168

3.3 Störungen des Essenverhaltens –171


3.3.1 Anorexia nervosa –171
3.3.2 Bulimia nervosa –173

3.4 Nichtorganische Schlafstörungen –176

3.5 Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen –177


3.5.1 Erektile Dysfunktion nicht durch organische Störungen/Krankheit bedingt –178

3.6 Affektive Störungen –181


3.6.1 Depressive Episode –181

3.7 Angststörungen –182


3.7.1 Phobische Störung –182
3.7.2 Generalisierte Angststörung –184
3.7.3 Panikstörung –185

3.8 Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen –187


3.8.1 Akute Belastungsreaktion –187
3.8.2 Anpassungsstörung –189
3.8.3 Posttraumatische Belastungsstörung –189

3.9 Persönlichkeitsstörungen –192


3.9.1 Dissoziale Persönlichkeitsstörung –192
3.9.2 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung –193

3.10 Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen –194

3.11 Zwangstörung –195

3.12 Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren


bei anderenorts klassifizierten Krankheiten –197
166 Kapitel 3 · Psychosomatik

3.1 Definition, Diagnostik, Therapie 3.1.2 Diagnostik

3.1.1 Definition Das Gespräch mit dem Patienten (psychosomatische


Anamnese) ist von tragender Bedeutung. Ziel ist die
> Psychosomatische Störungen gehören zu den häu- Erfassung ätiopathogenetisch bedeutsamer Einfluss-
figsten Krankheitsbildern, mit denen Ärzte aller Fach- faktoren für die vorliegende Störung. In der Regel wer-
3 richtungen konfrontiert werden. den dazu sehr detaillierte Beschreibungen der Patienten
erfordert.
Psychosomatische Medizin (PM) beschäftigt sich zum Zusätzlich werden testdiagnostische Verfahren
einen mit der Interaktion körperlicher und psychischer eingesetzt, die
Prozesse und deren Störungen. Nach anderer Auffas- 4 als Screening-Verfahren einen ökonomischeren
sung ist Psychosomatik gekennzeichnet durch eine Einsatz des (aufwendigen) Interviews erlauben,
ganzheitliche Sichtweise, welche die gesamte Medizin 4 vergleichend eine annähernde Quantifizierung
durchziehen sollte (. Abb. 3.1). (Ausprägungsgrad) eines Befundes ermöglichen,
Die Bundesärztekammer definiert als Aufgaben- 4 durch objektivierte Befunde die theoriegeleitete
gebiet der Psychosomatik »Krankheiten und Leidens- Falldarstellung ergänzen.
zustände, an deren Verursachung psychosoziale und
psychosomatische Faktoren einschließlich dadurch Die Auswahl und Anwendung diagnostischer Verfah-
bedingter körperlich-seelischer Wechselwirkungen ren ist in der PM stark von der Schule des Therapeuten
maßgeblich beteiligt sind« (2004). geprägt. Ziel der Diagnostik ist es, eine für die jeweilige
So werden auch die Auswirkungen körperlicher Schule typische Arbeitshypothese zu bilden, welche die
Erkrankungen (gravierende chronische Krankheiten, für die Behandlung erforderlichen Schritte plausibel
Unfälle) über psychosoziale oder psychosomatische macht. Tiefenpsychologisch arbeitende Therapeuten
Faktoren zum Gegenstand des Fachgebietes. sprechen hier meist von Psychodynamik, lerntheore-
Im Folgenden werden als Gegenstand der Psycho- tisch orientierte von Verhaltensanalyse.
somatischen Medizin Erkrankungen/Störungsbilder
verstanden,
4 die durch psychosoziale Faktoren wesentlich mit- 3.1.3 Therapie
bedingt sind und körperliche Auswirkungen auf-
weisen (Angst, Depressive Verstimmung, Essstö- Unter dem Begriff Psychotherapie werden verschie-
rungen); dene Behandlungsmethoden verstanden. Basis ist eine
4 für deren Aufrechterhaltung oder Verlauf psy- tragfähige, vertrauensvolle Beziehung (Arbeitsbünd-
chische und Verhaltensfaktoren eine bedeutsame nis) zwischen dem Therapeuten (Arzt, Psychologe) und
Rolle spielen (EHT, KHK, chronische Rücken- dem Patienten. Die Behandlung kann verbale und non-
schmerzen); verbale Interventionen enthalten und bewusste oder
4 bei denen psychische Symptome durch die somat- dem Bewusstsein nicht zugängliche Bereiche in Erleben
opsychischen Auswirkungen einer körperlichen und Verhalten des Patienten ansprechen.
Erkrankung zu erklären sind (Anpassungsstörun-
gen, Angst, Depression bei tiefgreifenden Erkran- > Von Seiten des Therapeuten ist Psychotherapie be-
kungen wie Krebserkrankungen, systemische Er- wusst gestaltete Kommunikation.
krankungen, Verletzungsfolgen).
Psychotherapie
Risikofaktoren. Man geht heute davon aus, dass eine 4 dient der Veränderung von belastenden (krankma-
erworbene oder angeborene Vulnerabilität einerseits, chenden) Einflussfaktoren und Verhaltensmustern,
sowie eine die Kompensationsfähigkeit des indivi- 4 wird auf der Basis gemeinsam festgelegter Behand-
duellen Organismus überfordernde Belastung ande- lungsziele durchgeführt,
rerseits zur Entwicklung eines entsprechenden Stö- 4 beinhaltet die Vermittlung neuer emotionaler Er-
rungsbildes beitragen (Diathese-Stress-Modell). fahrungen und emotionaler, kognitiver und moto-
rischer Fertigkeiten (Kompetenzen).
> Die Bemühungen einer Zuordnung bestimmter
Persönlichkeitstypen oder auch bestimmter Konflikt- In der Psychosomatischen Medizin herrschen zur Zeit
arten zu spezifischen Störungsbildern haben sich zwei Systeme (Schulen) vor, auf deren Grundlage Ar-
als relativ fruchtlos erwiesen. beitshypothesen über psychosomatische Störungsbil-
3.1 · Definition, Diagnostik, Therapie
167 3

. Abb. 3.1. Mindmap Psychosomatik


168 Kapitel 3 · Psychosomatik

der entwickelt werden: Tiefenpsychologie und Lern- Anders als in der übrigen Medizin wird die eigene Per-
theorie. sönlichkeit massiv in den Therapieprozess einbezogen.
In der Psychoanalyse haben sich zahlreiche Strö- Daher ist eine Klärung von Verstrickungen immer wie-
mungen entwickelt, denen die Vorstellung eines struk- der hilfreich. Gleichzeitig fördert die Supervision das
turierten psychischen Apparates (Ich, Über-Ich, Es) Verständnis des »Falles«, so dass eine wirksame Be-
gemeinsam ist, der durch frühkindliche Erfahrungen handlung zügiger entwickelt und beibehalten werden
3 und ungelöste (und zusätzlich unbewusste) Konflikte kann. Diesem Ziel dienen auch Balint-Gruppen (Inter-
zu Lösungsversuchen (Neurosen) kommt. Darin wird aktionelle Fallarbeit, IFA-Gruppen in der Verhaltens-
die Grundlage für psychosomatische Störungen gese- therapie), die als besonderes Supervisionskonzept an-
hen. Psychodynamisch arbeitende Therapeuten legen gesehen werden können.
besonderes Gewicht auf die biographische Anamnese, Wo nötig oder förderlich wird eine zusätzliche, sel-
das Verständnis von Übertragungs- und Gegenüber- ten auch alleinige, medikamentöse Therapie durchge-
tragungsreaktionen und die Erarbeitung eines psycho- führt.
dynamischen Fallkonzepts.
Unter dem Einfluss der Lerntheorien hat sich ande-
rerseits die Verhaltenstherapie und die Verhaltens- 3.2 Somatoforme Störungen
medizin entwickelt, die psychosomatische Störungen
als Effekte problematischer Lernprozesse ansehen. Definition. Körperliche Symptome, für die keine organi-
sche Ursache gefunden werden können. Unterschieden
> Vor allem operante Konditionierungen (Lernen am werden
Erfolg) werden als Paradigma für viele psychosoma- 4 Somatisierungsstörung
tische Störungen postuliert. 4 Hypochondrische Störung
4 Somatoforme autonome Funktionsstörung
Lerntheoretisch orientierte Therapeuten werden eine
Verhaltensanalyse (Mikroanalyse als S-O-R-K-C-Mo- > Hypochondrie: Überdauernde, geradezu zwang-
dell, Makroanalyse zur Berücksichtigung von Funktio- hafte Besorgnis, an einer ernsthaften Erkrankung zu
nalitäten) zur Erarbeitung einer Arbeitshypothese an- leiden.
streben.
Die Sprache beider Systeme unterscheidet sich er- Ätiopathogenese. Es wird davon ausgegangen, dass
heblich, obwohl selbstverständlich häufig ähnliche sich die körperlichen Symptome als unbewusster Lö-
Phänomene beschrieben werden. Da der Blickwinkel sungsversuch eines psychischen, nicht aushaltbaren
sich unterscheidet, kann die Ergänzung der jeweils an- inneren Konfliktes herausbilden. Wesentlich ist eine
deren Schule klinisch sehr fruchtbar genutzt werden. damit einhergehende starke emotionale Erregung, die
zur Symptombildung führt. Die Störung wird als inter-
> Eine Verschmelzung der Theoriegebäude ist bislang aktives Phänomen biologischer, sozialer und lebensge-
nicht gelungen. schichtlicher Einflüsse gesehen.
In retrospektiven Studien fielen vermehrte Krank-
Die Psychotherapie lässt sich auch nach dem Setting heitserfahrungen bei Familienangehörigen auf. Lern-
klassifizieren. So kann sie einzeln oder in Gruppe, als theoretisch wird daher Modelllernen als möglicher
Paartherapie oder als Familientherapie durchgeführt Faktor angenommen, der durch operante Bedingungen
werden. Auch die Zeitdauer, sowohl die Dauer einer (Entlastung von aversiv erlebten Pflichten oder Aufga-
Sitzung wie auch die Zahl der Sitzungen über die Zeit, ben, Schonungsverhalten) unterstützt wird.
kann variieren. Eine als Kurzzeit- (bis 25 h) oder Lang-
zeittherapie (50 h) konzipierte Behandlung ist gegen- Bei der hypochondrischen Störung sind die Wahrneh-
wärtig in der niedergelassenen Praxis der Regelfall. mung und die Bewertung der Wahrnehmung verzerrt.
Kennzeichnend für psychosomatisches Arbeiten ist Sekundär sind meist auch zwischenmenschliche Be-
der hohe Stellenwert, den die Supervision für die Be- ziehungen betroffen. Operante Mechanismen (ver-
handlung besitzt. mehrte Aufmerksamkeit durch Angehörige oder medi-
zinische Institutionen) können erklären, warum die
! Cave Störung einer Behandlung lange widersteht. Hypo-
Auch über die Aus- oder Weiterbildungszeit hinaus ist chondrisches Verhalten wird auch als dysfunktionaler
eine Zweitsicht durch einen erfahrenen Therapeuten Lösungsversuch bei primär gestörtem Bindungsverhal-
für eine zielführende Behandlung dringend geboten. ten gesehen.
3.2 · Somatoforme Störungen
169 3

Prävention > Der Anteil psychosomatischer Störungen in Allge-


Ein hohes Chronifizierungsrisiko unterstreicht die Bedeu- meinarztpraxen liegt bei mindestens 20–30%.
tung präventiver Maßnahmen. Dazu gehören
4 die erworbene (biologische) Vulnerabilität vermeiden Auch in Kliniken finden sich bis zu 30% Patienten mit
oder lindern (Förderung einer gesunden Entwicklung behandlungsbedürftigen somatoformen Störungen, die
junger Menschen, Vermeidung von Traumatisierungen jedoch oft nicht erkannt und unbehandelt behandelt
bzw. Neurotisierungen), bleiben. Für die Hypochondrie wird eine Häufigkeit
4 die (psychische) Bewältigungskapazität der Individuen von 1–3% angegeben. Bei der Hypochondrie gibt es
fördern (Entwicklung von Kompetenzen zur Bewälti- keine Geschlechtsunterschiede, sonst sind Frauen häufi-
gung von Beanspruchungssituationen, ohne dass es ger betroffen. Störungen nehmen mit dem Alter tenden-
zur Überforderung und Erkrankung kommt, Fähig- ziell zu.
keiten, unbewusste Konflikte zu erkennen und kons-
truktiv anzugehen ohne in ein neurotisches Verarbei- Symptomatik. Häufigste Symptome sind Kopf- und
tungsmuster zu geraten), Rückenschmerzen, Beschwerden des Gastrointestinal-
4 Verhinderung vermeidbarer Überforderungen in der traktes (Colon irritabile, Globus, Dyspepsie, Aero-
Organisation gesellschaftlicher Prozesse. phagie, Schluckstörung, Diarrhö, Obstipation), Herz-
Kreislaufbeschwerden (Herzneurose) und Urogenital-
Schlüssige Konzepte, in denen Präventionsmöglichkeiten system (Dysurie, Pruritus, Dyspareunie, erektile Dys-
umgesetzt werden, gibt es bislang kaum. funktion).
Die vorherrschende Symptomatik kann im Verlauf
Psychische Komorbidität bei organischen wechseln oder durch weitere Symptome ergänzt wer-
Erkrankungen den. Die Patienten sind jedoch meist fixiert auf eine
Mit allen schwerwiegenden oder chronischen Erkrankun- körperliche Erklärung für ihre Beschwerden und erwir-
gen können sich psychische Störungen verbinden. Wird die ken häufig sehr weitgehende diagnostische, teils auch
organische Erkrankung als Anlass für die Entwicklung der therapeutische Eingriffe.
psychischen Störung angesehen, liegt eine Anpassungs-
störung vor. > Die Patienten haben meist sehr viele Arztbesuchen
So kommt es im Rahmen eines Myokardinfarkts nicht hinter sich, darunter oft auch viele Spezialisten (»doc-
selten zur Entwicklung einer depressiven Störung, welche tor shopping«).
gleichzeitig einen Risikoindikator für den weiteren Verlauf
der koronaren Herzerkrankung darstellt. Bei onkologi- Bei der Hypochondrie werden ungewohnte oder auch
schen Erkrankungen kommt es etwa bei einem Drittel gewöhnliche Körpersignale als Beweis einer ernsthaf-
der Betroffenen zu behandlungsbedürftigen psychischen ten Erkrankung interpretiert. Die Überzeugung kann
Symptomen, am häufigsten sind dies Depressivität und in ihrer Intensität stark variieren, bis hin zum wahn-
Angst. haften Erleben (Psychose).
Weitere Beispiele für organische Erkrankungen mit
häufiger psychischer Begleitsymptomatik sind atopisches Diagnostik. Eine Somatisierungsstörung liegt vor, wenn
Ekzem, Urtikaria, chronische Lumbalschmerzen, Poly- vielfältige körperliche Beschwerden mit mindestens 6
myalgie oder andere chronische Schmerzerkrankungen. Symptomen aus 2 Organgruppen bestehen, über 2 Jah-
Einige dieser Erkrankungen wurden schon früh mit psycho- re persistieren und nicht körperlich bedingt sind.
somatischen Konzepten in Verbindung gebracht und ge-
hören traditionell zu den klassischen Erkrankungen der > Kennzeichnend ist das Bedürfnis nach einer soma-
Psychosomatik (»Holy Seven«). Dazu werden gerechnet tischen Genese.
Asthma bronchiale, Chronische Polyarthritis, Colitis ulcero-
sa, essenzielle Hypertonie, Hyperthyreose, Neurodermitis Eine somatoforme Störung liegt nicht vor, wenn die Be-
und Ulcus duodeni. Dies ist jedoch lediglich von histo- schwerden lediglich während einer Schizophrenie, ei-
rischer Bedeutung. ner Depression oder im Rahmen einer Panikstörung
bestehen.
Epidemiologie. Die Zahlenangaben schwanken erheb-
lich. Die Lebenszeitprävalenz für behandlungsbedürf- Differenzialdiagnose. Besonders wichtig ist die Ab-
tige psychosomatische Störungen wird in westlichen grenzung gegenüber depressiven Störungen, bei denen
Ländern mit 10–15% angenommen. auch funktionelle Körperbeschwerden und Schmerzen
ohne organisches Korrelat auftreten.
170 Kapitel 3 · Psychosomatik

> Meist ist eine somatoforme Störung vergesellschaftet Alle geäußerten Beschwerden müssen ernst genommen
mit einer weiteren psychischen Störung. werden.

Komorbiditäten bestehen mit Depression, Suchterkran- ! Cave


kungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Persön- Vorhandensein der Beschwerden nicht anzweifeln,
lichkeitsstörungen. Die Hypochondrie weist eine häu- keine Sätze wie: »Das kann gar nicht sein, dass Sie
3 fige Komorbidität zu generalisierter Angststörung, solche Schmerzen haben«.
Zwangsstörung, Panikstörung und depressiven Stö-
rungen auf. Die Patienten kommen mit einer meist primär auf die
körperliche Symptomatik bezogenen Motivation in die
Therapie. Im Vordergrund einer psychotherapeu- Behandlung. Zur Bearbeitung der psychischen Hinter-
tischen Behandlung steht die Vermittlung eines für gründe der Beschwerden ist der schrittweise Aufbau
den Patienten plausiblen Krankheitsmodells, das die einer weitergehenden Motivation erforderlich. Aus-
Entwicklung einer ausreichenden Motivation für die gangspunkt dafür kann nur das jeweils schon vorhan-
Behandlung erlaubt. Erst im zweiten Schritt ist die dene Behandlungsmotiv sein.
Bearbeitung der zugrunde liegenden Mechanismen Im Rahmen einer Nachsorge ist es vor allem in der
möglich. ersten Zeit nach einer wirksamen Therapie sinnvoll, in
größeren Zeitabständen die Umsetzung der neu erlern-
Motivation zur Therapie ten Verhaltensweisen oder Erkenntnisgewinne zu über-
Patienten sind häufig frustriert durch den Satz »Sie sind prüfen.
kerngesund, Sie haben nichts« und dann wenig bereit, sich
auf eine psychotherapeutische Behandlung einzulassen. Prognose. Unbehandelt kann es durch die zahlreichen
Daraus entwickelt sich gelegentlich die Überzeugung, für diagnostischen Maßnahmen zur Überbewertung von
verrückt gehalten zu werden und dass der Untersucher die Zufallsbefunden kommen, zu bleibenden Folgen nach
Beschwerden als eingebildet ansieht. Die Schonungshal- diagnostischen Eingriffen oder therapeutischen Versu-
tung steigert sich oft dahingehend, dass die Patienten chen (Verwachsungen nach Laparotomie). Bei adäqua-
schon ganz auf eine Berentung eingestellt sind und eine ter und frühzeitiger psychotherapeutischer Behandlung
wirksame Behandlung nicht mehr erwarten. ist die Prognose gut.

In Kürze
Somatoforme Störungen

Somatoforme 4 Symptomatik: Patienten meist auf organische Ursache fixiert, Symptomatik kann
Störung variieren
(allgemein) 4 Ätiologie: Unbewusster Lösungsversuch eines früheren Konfliktes? Modelllernen?
4 Diagnostik: detaillierte Anamnese, Funktionalität der Beschwerden, sekundärer
Krankheitsgewinn
4 Therapie: ausreichende Motivation, plausibles individuelles Krankheitsmodell, dann
Behandlung mit gutem Erfolg möglich

Hypochondrische 4 Symptomatik: fast zwanghafte Besorgnis an einer ernsten Erkrankung zu leiden


Störung 4 Ätiologie: verzerrte Bewertung von Wahrnehmungen
4 Diagnostik: detaillierte Anamnese, Funktionalität der Beschwerden, sekundärer
Krankheitsgewinn
4 Therapie: Funktionalität der Störung berücksichtigen
3.3 · Störungen des Essenverhaltens
171 3
3.3 Störungen des Essenverhaltens 4 Idealtypus des (Frauen-)Körpers: Dieses in den Me-
dien propagierte Schlankheitsideal ist für die meisten
3.3.1 Anorexia nervosa Frauen nicht erreichbar, veranlasst jedoch wiederholte
Diätbemühungen, die zu einer Essstörung beitragen
Synonym. Magersucht. können.
4 Lernerfahrungen: Unter lerntheoretischem Aspekt
Definition. Die Weigerung, das für Alter und Körper- sind klinisch schwierige Bedingungen in der Herkunfts-
größe minimal-normale Körpergewicht zu halten, und familie auffällig (problematische Identifizierung mit
eine willentliche Regulation über das Essverhalten einem Elternteil), Rigidität, Überbehütung, Konflikt-
kennzeichnen dieses Störungsbild. vermeidung, wechselnde Koalitionsbildung), die dazu
führen, dass Nahrungsverweigerung als Druckmittel
> Die Erkrankung tritt überwiegend bei heranwach- eingesetzt wird. Der Erfolg durch Machtzuwachs und
senden und jungen Frauen auf und ist sehr ernst zu vermehrte Aufmerksamkeit zementiert dann das pro-
nehmen. blematische Verhalten.
4 Körperschemastörungen: Störung der eigenen Kör-
Ätiopathogenese. Ein einheitliches, empirisch belegtes perwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe oder
Modell gibt es nicht (. Abb. 3.2). Die meisten Forscher Form sind im Hinblick auf ihren ätiologische Bedeu-
stimmen darin überein, dass ein multidimensionaler tung ungeklärt.
Ansatz am ehesten zur Erklärung der Ätiopathogenese
geeignet ist. Kennzeichnend für die Aufrechterhaltung der Erkrankung
sind dysfunktionale Kognitionen, also (teils unausge-
Ätiopathogenese der Anorexia nervosa sprochene) Überzeugungen, die das Verhalten bestimmen.
4 Genetische Faktoren: Aus Zwillingsstudien lässt sich Dazu gehören:
schließen, dass diesen bei der Anorexia nervosa, im 4 Selektive Abstraktion (»Ich bin besonders gut, wenn
Gegensatz zur Bulimie, eine Bedeutung zukommt. ich dünn bin.«).
6 6

. Abb. 3.2. Zusammenfassendes Störungsmodell für Anorexia nervosa und Bulimie. (Aus Margraf 2003)
172 Kapitel 3 · Psychosomatik

4 Übergeneralisierung (»Fleisch macht fett, deshalb Es liegt in der Regel eine Unterernährung unter-
esse ich jetzt kein Fleisch mehr.«). schiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endo-
4 Übertreibung (»Wenn ich jetzt nur noch etwas zu- krinen und metabolischen Veränderungen und zu kör-
nehme, sehe ich aus wie eine Wurst in der Pelle und perlichen Funktionsstörungen führt:
kann mich nirgends mehr sehen lassen.«) 4 Amenorrhö bei postmenarchalen Frauen (Ausset-
4 Dichotomes Denken (»Ich muss jetzt die Kontrolle zen von mindestens 3 aufeinander folgenden Men-
3 über das Essen behalten, oder ich verliere sie für immer struationszyklen).
und werde fett.«) 4 Finger- und Zehenspitzen sind oft schlecht durch-
4 Personalisierung (»Ich merke doch, wie die Leute sich blutet und kühl (Akrozyanose).
lustig machen, weil ich fett aussehe.«), 4 Blutdruck und Körpertemperatur sind typischer-
4 Magisches Denken (»Jedes Stück Schokolade, das ich weise erniedrigt. Letzteres kann zum Wiederauftre-
esse, verwandelt sich sofort in Fettpolster.«). ten der Lanugobehaarung führen.
4 Schlafprobleme und depressive Störungen treten
In Kombination mit schwierigen Bedingungen in der Fa- häufig im Gefolge der Fehlernährung auf.
milie und den oben beschriebenen kognitiven Defiziten
können seelischen Belastungen, Traumatisierungen Die Sorge um die vermeintliche Körperfülle wird
oder Überforderungen (Verlusterlebnisse, sexuelle Über- mit schwindendem Körpergewicht nicht etwa ge-
griffe) zur Überforderung der individuellen Bewältigungs- ringer; eher nimmt die Befürchtung, dick zu wer-
möglichkeiten führen. Ereignisse, die für andere Personen den, paradoxerweise zu. Das mit dem Untergewicht
verarbeitbar sind (wie körperliche Veränderungen durch verbundene körperliche Risiko wird in der Regel ge-
die Pubertät), reichen dann zur Auslösung der Störung, die leugnet.
durch sekundären Krankheitsgewinn oder entsprechende Unterschieden werden 2 Typen der Anorexia ner-
Lernerfahrung (Nahrungsverweigerung als Druckmittel) vosa:
stabilisiert wird. 4 Restriktiver Typus: Alleinige Reduktion der Nah-
rungsaufnahme.
Gezielte und spezifische Präventionsmaßnahmen sind 4 Binge-Eating-Typus/Purging-Typus: Ausgeprägte
nicht bekannt. Essanfälle, Purging-Verhalten oder beides. (Pur-
ging bezeichnet alle Maßnahmen, die darauf zie-
Epidemiologie. Am weitaus häufigsten ist die Störung len, die Nahrung schnellstmöglich wieder aus dem
bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; Körper zu entfernen). Bei dieser zweiten Gruppe
jedoch können heranwachsende Jungen und junge kann sich die Störung aus einer Bulimie heraus
Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur entwickeln, sie weist meist zu Beginn der Erkran-
Menopause ebenfalls betroffen sein. kung ein höheres Körpergewicht auf und ist durch
eine höhere Komorbidität (affektive Störungen,
> Ca. 1% der jungen Frauen zwischen 14 und 21 Jah- Zwangssymptome, Substanzabusus, Persönlich-
ren sind von der Magersucht (Anorexia nervosa) be- keitsstörungen) belastet. Im Vordergrund steht das
troffen. Bedürfnis nach einem extrem niedrigen Körperge-
wicht.
Inzwischen ist bekannt, dass auch ca. 1% der Män-
ner zwischen 14 und 25 Jahren an einer Essstörung Diagnostik. Das Körpergewicht liegt 15% unter dem
leiden. Normalgewicht. Das entspricht etwa einem Body-
Mass-Index (BMI) von 17,5 oder weniger.
Symptomatik. Charakteristisch ist die Befürchtung Der wesentlichste Bestandteil der Diagnostik ist
oder Vorstellung, übermäßig dick zu sein und einen eine detaillierte Exploration, in der Hintergrund und
schlaff wirkenden Körper zu haben. Daraus resultiert Ausprägung des Essverhaltens erhoben werden. Er-
ein ständiges Bemühen, das Gewicht durch einge- kennbar muss sein, dass die Gewichtsverminde-
schränkte Nahrungsauswahl zu reduzieren, sich in er- rung selbst induziert wurde und die Selbstwahrneh-
heblichem Maß körperlich zu betätigen und andere mung im Hinblick auf den eigenen Körper in der
Maßnahmen zur Verringerung des Körpergewichts zu oben beschriebenen Weise verzerrt ist. Typisch ist
ergreifen (selbstinduziertes Erbrechen 7 Kap. 3.3.1, Ein- weiterhin eine ausgeprägte Störung des Hormonhaus-
nahme von Abführmitteln, Appetitzüglern und Diu- halts (Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden-Achse)
retika). Diese Maßnahmen beherrschen Gedanken, mit Amenorrhö bei Frauen und Potenzverlust bei
Gefühle und Verhalten der Betroffenen. Männern.
3.3 · Störungen des Essenverhaltens
173 3

> Anorektische Frauen können unter hormoneller Anti- Medikamentöse Behandlungsversuche sind bislang
konzeption oft sehr viel länger vaginale Blutungen ohne überzeugende Erfolge verlaufen.
aufweisen.
Prognose. In einem Viertel der Fälle besteht die Ano-
Gleichzeitig besteht bei stark anorektischen Patien- rexia nervosa auch nach Therapie weiter fort.
tinnen eine Überfunktion der Hypothalamus-Hypo-
physen-Nebennierenrinden-Achse mit Abschwächung ! Cave
der zirkadianen Rhythmik des Kortisolspiegels. In 10% der Fälle endet die Erkrankung tödlich.

Differenzialdiagnose. Organische Störungen, die mit In einem Viertel der Fälle chronifiziert die Erkrankung.
einer Gewichtsverminderung einhergehen. Bulimia 2/3 der Patienten können von der Behandlung profitie-
nervosa: Anorektische Frauen haben im Allgemeinen ren und zeigen eine Besserung bis hin zu völliger Hei-
keine Fressattacken, keine Gier nach Essen oder den lung der Störung.
Zwang, große Mengen zu verschlingen. Allerdings gibt
es Übergänge zwischen verschiedenen Formen von
Essstörungen. 3.3.2 Bulimia nervosa

Therapie. In der Therapie kommen oft Behandlungs- Synonym. Ess-Brech-Sucht.


ansätze aus sehr unterschiedlichen theoretischen Be-
zugsrahmen zum Einsatz. Von großer Wichtigkeit sind Definition. Wiederholte Anfälle von Heißhunger und
Motivationsstrategien, um Betroffene einerseits zur eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des
Psychotherapie zu motivieren und andererseits in der Körpergewichts charakterisieren dieses Störungsbild.
Therapie zu halten. Auch in der ambulanten Behand- Dazu gehört ein Verhaltensmuster von Essanfällen
lung sollte der Aufbau eines gesunden Essverhaltens (Verzehr von erheblichen Nahrungsmengen innerhalb
betont und eine Gewichtszunahme mit Reduktion kör- eines Zeitraums von 2 h) und Erbrechen oder Gebrauch
perlicher Risiken angestrebt werden. von Abführmitteln.

! Cave Ätiopathogenese. Ein einheitliches, empirisch belegtes


Eine alleinige Diätberatung wird im Regelfall unzurei- Modell gibt es auch für die Entstehung der Bulimia ner-
chend sein. vosa nicht.

Eine stationäre Therapie spielt in der Behandlung der Lerntheoretisch werden die Abhängigkeit des Selbst-
Anorexia nervosa eine größere Rolle als bei anderen wertes von Gewicht und Figur sowie die Wichtigkeit
Essstörungen, wobei strukturierte Therapieprogramme der Kontrolle über die Nahrungsaufnahme als zen-
angewandt werden sollten, die eine Normalisierung des trale dysfunktionale Überzeugung angesehen. Bei vie-
Essverhaltens mit Gewichtszunahme und eine Ände- len Patientinnen wird die negative Selbstbewertung
rung der Einstellung zu Gewicht und Figur zum Ziel als Teil der eigenen Identität erlebt. Eine solche Selbst-
haben. Es wird eine durchschnittliche wöchentliche wahrnehmung behindert Veränderung in einem wei-
Gewichtszunahme von 500–1000 g empfohlen. ten Lebensbereich. Strikte Diätregeln, die nahezu un-
Vermieden werden sollten sehr rigide, unflexible möglich eingehalten werden können, prägen das Ver-
und strafende Programme. Viel Wert ist auf die Kon- halten. Durch den ständigen Hungerzustand und
trolle körperlicher Komplikationen und Risiken zu le- durch den ständigen Wunsch nach kontrollierter
gen. Einrichtungen mit ausgewiesener Erfahrung bei Nahrungsaufnahme werden Essanfälle begünstigt.
der stationären Therapie der Anorexia nervosa sollten Diese ziehen dann wieder kompensatorisches Ver-
bevorzugt werden. Es ist auch in der stationären Be- halten wie Erbrechen oder Laxanzieneinnahme nach
handlung sinnvoll, Angehörige in die Therapie einzu- sich und führen zu erneutem Streben nach strikter
beziehen, um den oft schwierigen Übergang zur ambu- Diät. Die Patienten sind oft von pathologischem Per-
lanten Therapie zu erleichtern. Eine unfreiwillige Un- fektionismus gekennzeichnet, der mit einer Über-
terbringung sollte möglichst vermieden werden. Im bewertung des Erreichens hoher persönlicher Stan-
Anschluss an die stationäre Phase wird eine zumindest dards und Ziele einhergeht. Gleichzeitig bewirkt eine
12-monatige ambulante Nachbehandlung empfohlen. übersteigerte selbstkritische Haltung ständige Unzu-
Zur Stabilisierung von Behandlungseffekten kann die friedenheit mit eigenen Leistungen. Kennzeichnend
Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein. sind weiterhin ähnliche dysfunktionale Kognitionen
174 Kapitel 3 · Psychosomatik

wie sie auch bei der Anorexia nervosa (7 Kap. 3.3.1) gesunden Vergleichspersonen. Wiederholtes selbstin-
anzutreffen sind. duziertes Erbrechen kann zu Komplikationen (Elektro-
Unter tiefenpsychologischem Aspekt liegt häufig lytstörungen, Karies) führen. Auch Fasten, Sport oder
ein narzisstisch-depressiver Kernkonflikt vor. Die dazu Abführmittel werden von den Patienten eingesetzt, um
gehörenden Persönlichkeitsstrukturen liegen allerdings das Körpergewicht zu kontrollieren. Die übertriebene
nicht bei allen Bulimikerinnen vor. Mangelndes Selbst- Sorge um Körperform und Gewicht ähnelt der Anore-
3 wertgefühl ist fassadenhaft überdeckt von äußerer Stär- xia nervosa.
ke und Pseudoautonomie.
Viele Patientinnen haben große Schwierigkeiten, > Eine Bulimia nervosa kann im Verlauf einer Anorexia
angemessen mit Emotionen umzugehen. Eine Vermin- nervosa, bei Normalgewicht oder Übergewicht auf-
derung der rigiden Diätregeln wird bei diesen Patien- treten.
tinnen allein nicht ausreichen, um Essanfälle zu regu-
lieren. Die vorhandenen Störungen werden von den Betrof-
fenen oft geleugnet. Die Patientinnen unternehmen
> Neben Essanfällen zeigen diese Patientinnen häufig dann große Anstrengungen vor ihrer Umgebung, ein-
selbstverletzendes Verhalten oder Substanzmiss- schließlich nahen Angehörigen, die Krankheit zu ver-
brauch. bergen, was oft über erstaunlich lange Zeiträume ge-
lingt.
Als Risikofaktoren sind ebenso wie bei der Anorexia Unterschieden werden 2 Typen der Bulimia ner-
nervosa ein soziokulturell vorgegebenes Schlankheits- vosa:
modell und problematische Bedingungen in der Fa- 4 Purging-Typus (Erbrechen oder Missbrauch von
milie (Verstrickung, rigides Erziehungsverhalten, Miss- Laxanzien, Diuretika, Klistiere)
brauchserfahrungen, Traumatisierungen, aber auch 4 Nicht-Purging-Typus (andere gegensteuernde
Überbehütung, Konfliktvermeidung, wechselnde Koa- Maßnahmen wie Fasten, übermäßige körperliche
litionsbildung) anzusehen. Betätigung)
Zu den biologischen Faktoren, die zur Entstehung
beitragen können, wird ein veränderter Set point ge- Diagnostik. Die Diagnose ist nur durch eine detaillierte
rechnet, eine Art Sollwertverstellung des Normalge- Exploration zu stellen. Das Körpergewicht kann nor-
wichts, die mit Zeichen von Mangelernährung bei sta- mal, erhöht oder erniedrigt sein. Die Essattacken müs-
tistischem Normalgewicht einhergeht. Es werden auch sen über mindestens 3 Monate durchschnittlich 2-mal/
Störungen der Regulation von Hunger und Sättigung Woche nachweisbar sein.
und neurodendokrine Veränderungen vor allem im Die Fressanfälle sind charakterisiert durch:
serotonergen System diskutiert. 4 Essen einer Nahrungsmenge, die eindeutig größer
Als Auslöser können Spannungen in der Familie ist, als die, die die meisten Menschen in einem ähn-
oder veränderte Rollenerwartungen in der späten Ado- lichen Zeitraum essen würden
leszenz und im frühen Erwachsenenalter wirken bzw. 4 Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen wäh-
die Erkrankung aufrechterhalten. rend des Fressanfalls
Im Bereich psychosozialer auslösender Faktoren fal-
len kritische Lebenssituationen wie Trennung, Verlust, Die Fressanfälle treten gemeinsam mit mindestens 3
neue Leistungsanforderungen auf. Die kognitive Beein- der folgenden Symptome auf:
trächtigung durch die ständige gedankliche Beschäfti- 4 Wesentlich schneller essen als normal
gung mit Nahrung könnte eine Art dysfunktionalen 4 Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
Bewältigungsversuch für das Lebensereignis darstellen, 4 Essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich
der allerdings mit erheblichen Nachteilen erkauft wird. körperlich nicht hungrig fühlt
Klare und gesicherte Vorstellungen für eine gezielte 4 Alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die
Prävention der Bulimie existieren nicht. man isst
4 Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit
Epidemiologie. Insbesondere junge Frauen der Alters- oder große Schuldgefühle nach dem übermäßigen
gruppe von 15–30 Jahren sind betroffen, ca. 2‒3% der Essen.
Frauen dieser Altersgruppe sind erkrankt.
> Die Patientinnen leiden deutlich unter ihrer Erkran-
Symptomatik. Typisch ist ein Kontrollverlust während kung.
der Essattacke, es wird deutlich mehr gegessen als von
3.3 · Störungen des Essenverhaltens
175 3

Differenzialdiagnose. Binge-Eating-Störung (alle typi- 20 Sitzungen in ambulanter Einzeltherapie über einen


schen Symptome einer Bulimie bis auf das unangemes- Zeitraum von 4‒5 Monaten angeboten. Auch Gruppen-
sene Kompensationsverhalten, purging mit Erbrechen, therapie hat sich als wirksam erwiesen. Bei ambulanter
Abführen usw.). Persönlichkeitsstörungen können zu- Behandlung sind im ersten Monat 2 Therapiesitzungen
sätzlich auftreten. Sonstige Essstörung (nicht alle Krite- pro Woche sinnvoll, um vor allem bei Patientinnen mit
rien der Bulimie erfüllt). sehr chaotischem Essverhalten initial eine gewisse Sta-
bilisierung zu erzielen sowie eine therapeutische Bezie-
Therapie. Initial kommt eine antidepressive Medika- hung aufzubauen. Die KVT fokussiert vor allem die
tion mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahme- aufrechterhaltenden Mechanismen der Essstörung, ihr
Hemmer (SSRI, vor allem Fluoxetin) in Frage. Günstige Schwerpunkt liegt in der Gegenwart und Zukunft.
Effekte sind in der Regel bereits nach kurzer Einnahme- Tiefenpsychologisch orientierte Behandlungen
zeit zu beobachten, die Langzeiteffekte sind jedoch un- gehen davon aus, dass die Bulimie einen psychosoma-
gewiss. tischen Lösungsversuch eines neurotischen Konfliktes
Alternativ kann ein kognitiv-verhaltenstherapeu- darstellt. Die Behandlung setzt daher bei diesen Kon-
tisches Selbsthilfe-Programm unter Anleitung angebo- flikten und Defiziten an und wird auf der Übertra-
ten werden. Ist nach wenigen Wochen kein Therapie- gungsebene die Zuwendungswünsche und Abhängig-
erfolg zu verzeichnen, sind intensivere psychothera- keitsängste der Patientinnen beachten. Im Vordergrund
peutische Ansätze nötig. stehen Stärkung des Selbstwertgefühls, Bearbeitung der
Pseudoautonomie, Abgrenzungsfähigkeit, Umgang mit
> Ein Therapieerfolg kann in der Regel erst nach 8–12 negativen Affekten.
Monaten erwartet werden kann. Alle psychothera- In schweren Fällen ist eine stationäre Behandlung
peutischen Ansätze haben nur einen geringen Effekt mit anschließend ambulanter Weiterbehandlung zur
auf das Körpergewicht. Sicherung des Therapieerfolges dringend erforderlich.
Auch nach einer ambulanten Therapie kann der Besuch
Die Wirksamkeit bei der Behandlung von Erwachsenen einer Selbsthilfegruppe sinnvoll sein.
mit Bulimia nervosa ist für die Kognitive Verhaltens-
therapie (KVT, nach Fairburn) am besten nachgewie- Prognose. Auch bei guter Psychotherapie kann nur eine
sen. Üblicherweise wird eine Kurzzeittherapie von 16‒ Remissionsrate von 40‒50% erwartet werden.

In Kürze
Essstörungen

Anorexia nervosa 4 Symptomatik: willentliche Reduktion des Körpergewichtes durch Regulation des
Essverhaltens unterhalb minimal-normaler Werte, tödlicher Ausgang möglich
4 Ätiologie: Zusammenwirkung von genetischen, gesellschaftlichen, biographischen
Ursachen
4 Diagnostik: eigener Körper wird als zu dick erlebt (auch bei groteskem Untergewicht),
selbstinduzierte Gewichtsreduktion, gestörter Hormonhaushalt
4 Therapie: Motivation, Kombination einsichts- und handlungsorientierter Ansätze mit
körperpsychotherapeutischem Vorgehen

Bulimia nervosa 4 Symptomatik: meist Heißhungerattacken mit Kontrollverlust während des Essens
(ungewöhnliche Mengen), anschließende Maßnahmen, die Nahrungszufuhr rück-
gängig zu machen (z. B. Erbrechen)
4 Ätiologie: Selbstabwertung (oft biographisch bedingt bei invalidierenden Erfahrun-
gen), narzisstisch-depressiver Kernkonflikt.
4 Diagnostik: Essattacken ca. 2-mal/Woche über mindestens 3 Monate, Verheimlichung-
stendenz, Ekelgefühl vor sich selbst
4 Therapie: kognitive Verhaltenstherapie (KVT), initial auch SSRI, in schweren Fällen
stationäre Therapie mit anschließender ambulanter Weiterbehandlung, Stabilisierung
ggf. in Selbsthilfegruppe und weitere Maßnahmen. Erfolg erst nach Monaten bei
ca. nur 50%
176 Kapitel 3 · Psychosomatik

3.4 Nichtorganische Schlafstörungen 4 bei unwillkürlichen motorischen Reaktionen wäh-


rend des Schlafes (periodische Beinbewegungen,
Definition. Veränderungen des Schlafverhaltens oder Restless-leg-Syndrom),
Schlaferlebens, die einen Leidenszustand hervorrufen. 4 bei unüberwindlichen Müdigkeitsattacken am Tag
(Narkolepsie),
Ätiopathogenese. Häufig werden Probleme mit dem
3 Ein- oder Durchschlafen genannt, die mit Verminde- sollte an die Weiterleitung des Patienten an ein von der
rung der als subjektiv nötig angesehenen Schlafmenge Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlaf-
(Insomnie, besser: Hyposomnie) einhergehen. Ein medizin (DGSM) auf Qualität überprüftes und akkre-
vollständiger Verlust der Schlaffähigkeit tritt praktisch ditiertes Schlaflabor gedacht werden.
nur im Zusammenhang mit hirnorganischen Verände-
rungen auf. > Zu Schlafstörungen werden auch Schlafwandeln,
Bei den chronifizierten primären Schlafstörungen Pavor nocturnus (Nachtangst) und Albträume ge-
sind in sehr starkem Maße Lernprozesse und Teufels- zählt.
kreise der Symptomerwartung beteiligt, so dass ein
lerntheoretisch gut erklärbarer Anteil der Symptom- Diagnostik. Die Diagnose einer gesundheitsrelevanten
Aufrechterhaltung vorliegt. Dieser wird nach kurzer Schlafstörung setzt voraus, dass die Probleme mit dem
Zeit unabhängig von möglicherweise ursprünglich zu- Ein- oder Durchschlafen seit mehr als einem Monat an
grunde liegenden Konflikt- oder Spannungssituationen mindestens 4 von 7 Tagen auftreten und zu einer Ein-
wirksam. schränkung der Befindlichkeit und des (subjektiv er-
Die Grundelemente einer psychotherapeutischen lebten oder objektiven) Leistungsvermögens am nächs-
Behandlung von Schlafstörungen sind auch präventiv ten Tag führen.
wirksam.
Differenzialdiagnose. Schlafproblematik infolge einer
Epidemiologie. Die Häufigkeit relevanter Schlafstörun- anderen Erkrankung (Schilddrüsenfehlfunktionen
gen wird auf über 5% in der Bevölkerung geschätzt. oder andere endokrine Störungen, Magen-Darm-Ge-
Durchschlafprobleme stellen möglicherweise die am wei- schwüre, depressive Störung u. a.).
test verbreiteten psychosomatischen Erkrankung dar.
Therapie. Schlafstörungen sind häufig, sehr beeinträch-
> Etwa die Hälfte der Patienten in einer Allgemein- tigend, aber oft nur unzureichend behandelt. Medika-
arztpraxis haben Probleme mit ihrem Schlaf, davon mentöse Maßnahmen können im Sinne einer Krisen-
nimmt ein Fünftel regelmäßig verschreibungspflich- intervention sinnvoll sein.
tige Schlafmittel ein.
! Cave
Schlafmittelabhängigkeit (meist Benzodiazepine) ist Die medikamentöse Therapie muss auf einen Zeit-
ein häufiges sekundäres, oft iatrogenes Problem. Ein zu raum von höchstens 3 Wochen begrenzt bleiben und
abrupter Entzug kann eine ernste Entzugssymptomatik vom Behandler explizit beendet werden.
nach sich ziehen. Wenn ein Absetzversuch ohne psycho-
therapeutische Begleitung unternommen wird, ist bei Psychotherapeutische Maßnahmen sind insbeson-
hoher Ausgangsdosis zunächst eine Reduktion der Ta- dere indiziert bei primärer Insomnie. Ist die Schlaf-
gesdosis und dann über mehrere Tage eine Einnahme störung Ausdruck aktueller oder aktualisierter Kon-
nur noch an jedem zweiten Abend zu empfehlen, bevor flikte, wird eine wirksame Behandlung deren Be-
die Medikation vollständig beendet wird. Dazu kom- seitigung voraussetzen. Häufig sind jedoch keine
men in jedem Fall Maßnahmen der allgemeinen Schlaf- bedeutsamen Konflikte erkennbar, während mehrere
hygiene (möglichst regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhyth- Hinweise auf ungünstige Lebensführung und Schlaf-
mus, keine schlafbehindernden Nahrungsmittel vor kultur bestehen.
dem Zu-Bett-Gehen, ausreichende körperliche Betäti- Vor dem Erkunden unbewusster Konflikte sollte
gung, kein Verweilen im Bett bei Schlaflosigkeit u. a.). die Aufklärung über gesundes Schlafverhalten
(Verbesserung der Schlafhygiene) stehen. Eine asso-
Symptomatik. Typisch sind Einschlafstörungen und ziative Verknüpfung der Schlafumgebung mit Ruhe
Durchschlafstörungen. Besonders beim Vorliegen und Entspannung sollte etabliert werden (Stimulus-
4 eines chronifizierten Schlafmittelabusus, kontrolle).
4 bei nächtlichen Atemstillständen (Apnoen),
3.5 · Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
177 3

Schlafhygiene diese Weise wird eine Verknüpfung der Schlafumgebung


Obwohl ein zu sehr am Symptom orientiertes Vorgehen zu mit Nervosität, Angst oder Ärger vermieden bzw. wieder
Misserfolgen führen kann, muss vor einer ausschließlichen abgebaut.
Konzentration auf dahinter liegende Ursachen genauso
gewarnt werden. Chronifizierte Ein- und Durchschlaf- Entspannungsverfahren (autogenes Training, progres-
probleme entwickeln über den Teufelskreis der Erwartung- sive Muskelentspannung) helfen allein bei länger beste-
sangst eine Eigendynamik, die auch nach dem Beheben henden Schlafstörungen nicht weiter, sind aber unter-
der ursprünglichen Probleme die Schlafstörung aufrecht- stützend geeignet. Hilfreich ist es auch, den Patienten
erhält. standardisierte Empfehlungen (z. B. der Deutschen Ge-
Die konsequente Anwendung lerntheoretischer Er- sellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin,
kenntnisse hilft, schlafförderndes Verhalten zu erwerben. DGSM) an die Hand zu geben.
So haben Fernseher und Telefon im Schlafzimmer nichts zu
suchen. Der Schlafsuchende sollte, wenn es ihm nach ca. 30 Prognose. Patienten äußern oft die Befürchtung, der
Minuten nicht gelungen ist einzuschlafen, wieder aufste- durch die Therapie erlebte Schlafmangel könne schäd-
hen und das Schlafzimmer verlassen. Er sollte dann einer liche Folgen haben. Wichtig ist, die Patienten zur kon-
aktiven Beschäftigung nachgehen (nicht Fernsehen) und sequenten Umsetzung des Behandlungsprinzips zu
erst dann erneut zu Bett gehen, wenn er sich müde fühlt. motivieren. Nach kurzer Zeit stellt sich in der Regel bei
Sofern sich der Schlaf auch dann nicht innerhalb einer hal- diesem Vorgehen eine deutliche Besserung des Schlaf-
ben Stunde einstellt, ist die Prozedur zu wiederholen. Auf verhaltens ein, die eine langfristige Besserung des Be-
6 findens bewirkt.

In Kürze
Nichtorganische Schlafstörungen

Nichtorganische 4 Symptomatik: Ein- oder Durchschlafstörungen, als Leidenszustand empfunden


Schlafstörung 4 Ätiologie: Spannungssituationen, ungünstige Lernprozesse
4 Diagnostik: Ein- oder Durchschlafstörungen seit mehr als einem Monat an mindestens
4 von 7 Tagen mit Befindlichkeits- und Leistungseinschränkungen, in Zweifelsfällen
Schlaflabor
4 Therapie: Schlafhygiene, Bearbeitung zugrunde liegender Konflikte, Medikamente nur
zur Krisenintervention

3.5 Nichtorganische sexuelle senden Triebimpulsen und deren Abwehr und der da-
Funktionsstörungen raus resultierenden Stabilisierung des psychischen
Gleichgewichts darstellt.
Definition. Störungen des sexuellen Erlebens und Ver- Unabhängig von diesen Modellbildungen wird
haltens durch Beeinträchtigung von Appetenz, sexuel- angenommen, dass auf unterschiedlichen Ebenen
ler Erregung oder Orgasmusfähigkeit. Auch Schmerzen wirksame Faktoren interagieren müssen, um eine
im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, die Funktionsstörung zu bewirken. Danach wirken sich
nicht auf organische Bedingungen zurückführbar sind, auf dem Boden einer entsprechenden Disposition
gehören zu den sexuellen Funktionsstörungen. tiefer liegende, ätiologisch wirksame Faktoren (intra-
psychische Konflikte, partnerschaftliche Probleme,
Ätiopathogenese. Sowohl lerntheoretisch als auch psy- »life events«) dann aus, wenn unmittelbare Ursachen
chodynamisch wird Angst eine hohe Bedeutung zuge- (Fehlerwartungen, übermäßige Kontrollbedürfnisse,
sprochen. Von verhaltenstherapeutischer Seite wird Versagensangst) situativ mit ihnen zusammenwir-
die sich durch den sog. Selbstverstärkungsmechanis- ken und unerwünschte psychophysiologische Effekte
mus aufbauende Versagensangst betont (durch mehre- zeigen.
re vergebliche und enttäuschende Erfahrungen gelernte Angst beeinträchtigt durch starke Hemmung des
negative Reaktion mit anschließendem Vermeidungs- autonomen Nervensystems die adäquate sexuelle und
verhalten), während sie sich aus tiefenpsychologischer somit auch die entsprechende physiologische Erregung.
Sicht als das Ergebnis eines Konflikts von angstauslö- Außerdem stört Angst die kognitiven und emotionalen
178 Kapitel 3 · Psychosomatik

Empfindungen, die zur Entstehung sexueller Erregung 4 Aufrechterhaltende Bedingungen, wie die Angst,
nötig sind. sexuell zu versagen, sind meist notwendig, um eine
länger andauernde funktionelle Störung auszu-
> Ein entspanntes Einlassen auf sexuelle Aktivität ist prägen.
unter ängstlicher Anspannung kaum möglich.
Möglichkeiten zur Prävention liegen im Bereich der
3 Ähnliche Einflüsse scheinen Ärger, Feindseligkeit und Psychoedukation und Wissensvermittlung.
Unterlegenheitsgefühle gegenüber Partner oder Part-
nerin zu spielen. Wissensvermittlung über Sexualverhalten
Im Folgenden wird die erektile Dysfunktion exem- Trotz breiter Diskussion über Sexualität in der Öffentlichkeit
plarisch näher beschrieben. ist diese meist nicht aufklärend, sondern sensationslüstern
und auf Deviationen abzielend, insbesondere in den Me-
dien. Die Durchschnittsbevölkerung ist eher »pseudo-auf-
3.5.1 Erektile Dysfunktion nicht durch geklärt«, ihre Sexualbildung ist angefüllt mit Idealvorstel-
organische Störungen/Krankheit lungen und Mythen. Verzerrte Vorstellungen oder mangeln-
bedingt des Wissen über die »nötige« Penisgröße, die Wichtigkeit
der Gleichzeitigkeit der Orgasmen, irrige Vorstellungen
Selbstverstärkendes Geschehen über die Erregungskurve der Frau, die Koitushäufigkeit,
Bei einem Patienten mit vorliegendem Alkoholabusus mangelnde Zärtlichkeit durch Penisfixierung beim Mann
kommt es aufgrund der Intoxikation zu einer unvollstän- etc. können Versagensängste stabilisieren. Wichtig ist ne-
digen Erektion. Obwohl dies primär Effekt des Alkohols ben umfassender, objektiver Aufklärung, die Förderung der
ist, kann das Gefühl entstehen, durch sexuelle Unzuläng- Kommunikation zwischen den Sexualpartnern bezüglich
lichkeit versagt zu haben. Unsicherheit bezüglich der eige- etwa des sexuellen Erlebens, des vom anderen erwünschten
nen sexuellen Potenz ist die Folge: »Wird es das nächste Sexualverhaltens, Abneigungen und Präferenzen bezüglich
Mal gehen? Versage ich wieder?« Es entsteht eine Fokus- bestimmter Praktiken usw. Eine differenzierte Betrachtung
sierung auf den nächsten Koitus mit Gedanken wie: »Ist und Diskussion über vermeintliche Normen und die Infor-
meine Erektion stark genug? Wird sie lange genug an- mationen über das tatsächlich durchschnittliche Sexual-
dauern?« Womöglich trinkt sich der Mann vorher mittels verhalten können wesentlich zur Entmythologisierung und
Alkohol Mut an, oder versucht, durch Alkohol entspannter somit zur Entlastung und Angstreduktion beitragen.
zu werden, was neben der verstärkten Selbstbeobachtung
und den beginnenden Zweifeln an der eigenen Potenz die Epidemiologie. Prinzipiell ist bei Untersuchungen zur
physiologische Reaktion weiter erschwert. Nach einigen Häufigkeit funktioneller Sexualstörungen von einer ho-
Misserfolgen und eventuell negativen Reaktionen seitens hen Dunkelziffer auszugehen, da der Problembereich
der Partnerin können sich so schnell ein stabiles Vermei- bei vielen Männern stark schambesetzt ist. Zusammen-
dungsverhalten und ausgeprägte Versagensängste ein- fassend zeigen Untersuchungen:
stellen. 4 Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern sind ein
häufiges Problem und bedürfen bei jeder Anam-
Definition. Funktionelle, d. h. primär psychisch be- nese der Erhebung.
dingte Erektionsstörung. 4 Erektionsstörungen nehmen mit dem Alter deut-
lich zu. Das Thema Sexualität sollte bei älteren Pa-
Ätiopathogenese. Unterschieden wird zwischen prä- tienten angesprochen werden, um entlastend und
disponierenden oder auslösenden Bedingungen sowie präventiv zu wirken.
aufrechterhaltenden Faktoren: 4 Sexualtherapeuten werden primär wegen Erek-
4 Prädisponierend können sein allgemeine Ge- tionsproblemen und Ejaculatio praecox aufgesucht.
hemmtheit, Partnerschaftskonflikte, dysthyme In den letzten Jahren nehmen Appetenzstörungen
Stimmungslagen, Probleme der Geschlechtsiden- bei Männern zu, was eventuell mit dem veränderten
tität, Stress, psychosexuelle Traumata, falsche Vor- sexuellen Selbstverständnis und dem resultieren-
stellungen oder Unwissenheit über Sexualität. den veränderten Verhalten der Partnerinnen zu
Hingegen erlegen viele Menschen entsprechende erklären wäre.
Probleme, ohne eine Sexualstörung zu entwickeln.
Häufig ist erst das gemeinsame Auftreten mehre- Symptomatik. Unterschieden wird zwischen
rer dieser Faktoren entscheidend für die Patho- 4 Störungen der sexuellen Appetenz (deutliche und
genese. anhaltende Minderung des sexuellen Verlangens)
3.5 · Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen
179 3

4 Störungen der Erregung (Störungen in Bezug auf schen Mechanismen der Versagensangst eingestellt,
zum Geschlechtsverkehr nötige Dauer und Stärke sodass die Störung persistiert, obwohl der Auslösefak-
der Erektion, Schmerzen bei dessen Ausführung, tor (die Medikation) bereits entzogen wurde.
Dyspareunie)
4 Orgasmusstörungen (Ejaculatio praecox, Anor- Therapie. Entsprechend der multifaktoriellen Genese
gasmie, Ejaculatio ohne Orgasmusgefühl) der erektilen Dysfunktion kommt ein breites Spektrum
4 Störungen der postkoitalen Entspannung (Miss- an Behandlungsmöglichkeiten in Frage. Der Patient
empfindungen im Genitalbereich, postkoitale De- oder besser das Paar sollten in der Wahl der therapeu-
pression, Gereiztheit, Weinkrämpfe, Schlafstörun- tischen Maßnahmen einbezogen werden.
gen Von somatischer Seite bietet sich die Anwendung
oral applizierbarer Medikamente mit zentraler (z. B.
Diagnostik. Formale Beschreibungskriterien sind zur Yohimbin) oder peripherer (PDE-5-Hemmer wie Sil-
Diagnose ebenso wichtig wie inhaltliche Elemente: denafil [Viagra], Tadalafil [Cialis] Wirkung an. Auch
4 Frequenz der Störung (immer oder gelegentlich) die lokale Gabe von Medikamenten (intrakavernöse
4 Situativen Faktoren (wo, wie, mit wem, welche Le- Autoinjektion von Prostaglandin E1 oder speziellen
bensbelastungen, Stressoren etc.) Kombinationspräparaten; intraurethrales Prostaglan-
4 Chronologischer Verlauf (seit wann, Schwan- din E1) kann in Frage kommen. Auch Vakuum-Erek-
kungen) tionshilfen oder Penisprothesen stehen als Behand-
4 Schweregrad (keinerlei/geringe/gerade noch aus- lungsoption zur Verfügung.
reichende Erektion, lange Erregungs- oder Refrak- Psychosoziale Interventionen reichen von ein-
tärzeit, subjektiver Leidensdruck) fachen Beratungen über Paar-Sexualtherapie bis hin
zur umfassenden speziellen psychotherapeutischen Be-
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen primärer (seit handlung zugrunde liegender Problembereiche.
Anbeginn der sexuellen Aktivität bestehender) und se- Hat eine Sexualberatung (primär Psychoeduka-
kundärer Störung (erworbene Störung). Letztere sind tion, Paarberatung, Kommunikationsförderung) nach
meist hinsichtlich auslösender und aufrechterhaltender einigen Sitzungen keine Besserung initiiert, sollte der
Bedingungen besser analysierbar und in der Therapie Patient einer qualifizierten Psychotherapie zugeführt
leichter zugänglich. werden.
Weiter ist die Situationsabhängigkeit ein wichtiges
Kriterium, um entscheiden zu können, ob es sich um > Die sehr häufig zu beobachtende Interdependenz
eine vorwiegend psychogenetische oder eher körper- sexueller und partnerschaftlicher Probleme hat dazu
liche (oder bereits stark chronifizierte und generali- geführt, dass gegenwärtig sexualtherapeutische Inter-
sierte) Problematik handelt. vention und Therapie meist eng mit paartherapeuti-
Die Partnerabhängigkeit ist ein weiterer Hinweis schen Elementen verbunden ist.
darauf, ob es sich um ein partnerschaftsspezifisches
und somit beziehungsrelevantes Geschehen handelt, Die sexualtherapeutische Therapie besteht aus einer
für dessen Therapie der Partner unverzichtbar wäre. Sequenz aufeinander aufbauender Verhaltensübungen.
Sie werden vor- und nachbesprochen und im häus-
Differenzialdiagnose. Auszuschließen sind lichen Bereich durchgeführt.
4 Körperliche Erkrankungen: Diabetes mellitus, Es wird mit dem sog. Sensualitätstraining (»sensate
Herz-Kreislauf-Störungen (insbesondere Hyperto- focus«) begonnen, es folgen Petting-Übungen ohne/mit
nie), neurologische Erkrankungen (Multiple Skle- Orgasmus, Einführung des Penis ohne/mit Bewegung
rose, Polyneuropathien, Temporallappenschädi- usw. bis hin zum nicht mehr durch Anweisungen be-
gungen), urologische Erkrankungen (vor allem der schränkten Koitus. Über graduierte Stufen wird das
Prostata) sexuelle Verhalten wieder aufgebaut und eingeübt.
4 Pharmakanebenwirkungen Begleitend werden die einzel- und paartherapeu-
4 Komorbide psychische Störungen (Depressionen, tischen Elemente der Therapie durchgeführt: Kommu-
Alkoholabhängigkeit) nikationstraining, Probleme der körperbezogenen Ak-
zeptanz und des Selbstwertgefühls, Stressmanagement,
Bei Nebenwirkungen von Pharmaka hilft oft schon eine Konflikte in der Partnerschaft, Fragen der gemein-
Veränderung der Medikation oder eine Neueinstellung, samen Lebensplanung etc.
um die sexuelle Dysfunktion zu beheben. Häufig haben Aufgrund der Interdependenz von sexuellen und
sich aber schon nach kurzer Dysfunktion die psychi- partnerschaftlichen Störungen kann es sein, dass das
180 Kapitel 3 · Psychosomatik

sexualtherapeutische Vorgehen nicht durchgeführt auftretenden Störungen), ein hohes Maß von Aufmerk-
werden kann, bevor grundlegende partnerschaftliche samkeit bezüglich begleitender oder konfundierender
Themen bearbeitet wurden. Faktoren (situative Bedingungen, Partnerschaftskon-
flikte, Stressoren etc.) zu installieren, damit zügig auf
Behandlungsziele solche Faktoren reagiert wird und bei defizitärer Selbst-
Die positive Modifikation dysfunktionaler Selbstverstär- bewältigung frühzeitig wieder externe Hilfe in An-
3 kungsmechanismen der Versagensangst ist (zumindest spruch genommen wird, bevor es zu einer erneuten,
beim lerntheoretisch begründeten therapeutischen Vorge- sich selbst verstärkenden Lernerfahrung mit eventu-
hen) von entscheidender Bedeutung; alle begleitenden eller Resignation kommt.
Faktoren, die hier hinderlich sind (Vermeidungsverhalten,
situativ hinderliche Bedingungen, Konflikte in der Partner- Prognose. Insgesamt sind die Erfolgsquoten von 50‒
schaft etc.) müssen selbstverständlich vorher oder beglei- 80% im Vergleich mit der Behandlung anderer psy-
tend ebenfalls therapeutisch behandelt werden. Bei Män- chischer Störungen erfreulich, wobei die einzelnen
nern ohne Partnerin sind andere Faktoren wesentlich: hier Störungsbilder unterschiedliche Prognosen aufweisen.
stehen Informationsvermittlung und kognitive Umstruktu-
rierungen bezüglich Partnerschaft und Sexualität, Abbau Prognose verschiedener Sexualstörungen
von Beziehungsängsten, Bearbeitung eines negativen Bei der Ejaculatio praecox sind die Behandlungserfolge be-
Selbstwertgefühls und Reduktion von Selbstunsicherheit sonders gut, die Resultate bei primären Erektionsstörun-
sowie der Erwerb sozialer Kompetenzen in Hinsicht auf die gen und gestörter Appetenz liegen darunter. Ungünstig
Partnersuche im Vordergrund. sind konfundierte und/oder co-morbide Störungen (gene-
relle Ängstlichkeit, Chronifizierung der Störung, mangeln-
Bei der Rezidivprophylaxe ist ein effektives Selbst- de Autonomie des Mannes vom Elternhaus, psychiatrische
management mit graduierten posttherapeutischen In- Störungen).
terventionen zu vermitteln.
Als prognostisch valide Indikatoren erweisen sich:
> Insbesondere der schnell einsetzende Selbstverstär- 4 Güte der Partnerschaft, also die Dimension der lie-
kungsmechanismus der Versagensangst sollte in aller bevollen, akzeptierenden und co-operativen Bin-
Transparenz dem Patienten (und seiner Partnerin) dung bis hin zu deren Gegenteil
bewusst sein. 4 Art der Störung
4 Grad der Therapiemotivation und der Com-
Die Notwendigkeit der offenen Kommunikation über pliance
das Wiederauftreten von Störungen und der Rückgriff 4 Vorhandensein weiterer psychischer Störungen
auf erlernte Modifikatoren sollten klar besprochen wor- 4 Erfolg, der bis zur dritten (!) Therapiesitzung zu
den sein. Ebenfalls wichtig ist es (bei in Partnerschaften erzielen ist

In Kürze
Nichtorganische sexuelle Funktionsstörungen

Erektile Dysfunktion nicht 4 Symptomatik: unzureichende Erektion ohne organische Ursache


durch organische Störung/ 4 Ätiologie: Angst oder Anspannung in der Folge biographisch erklärter
Krankheit bedingt Konflikte oder als Ergebnis ungünstiger Konditionierungen
4 Diagnostik: nach Ausschluss organischer Ursachen ist die genaue Erhebung
situativer Bedingungen und der Partnerschaftsdynamik erforderlich.
4 Therapie: möglichst kausaler Ansatz, Prognose insgesamt gut, aber abhängig
von Begleitfaktoren
3.6 · Affektive Störungen
181 3
3.6 Affektive Störungen pressiven Erkrankung. In der Allgemeinarztpraxis ist
bei mehr als 10% der Patienten mit einer aktuellen
Definition. Kennzeichnend für diese Störungsgruppe depressiven Erkrankung. Bislang wird allenfalls jeder
sind Abweichungen von Stimmung und Antrieb gegen- 10. davon im Hinblick auf die depressive Störung be-
über einem (unscharf abgegrenzten) Normalbereich: handelt. In den letzten Jahren nehmen depressive Stö-
4 Manische Symptome machen sich mit gehobener rungen bei jungen Erwachsenen zu, während früher
oder reizbarer Stimmung und einer Antriebssteige- von einem Erkrankungsgipfel bei Personen über
rung über eine bestimmte Zeit hin bemerkbar. 45 Jahren ausgegangen wurde. Vor allem bei Jüngeren
4 Depressive Symptome sind von Bedrücktheit, Nie- sind Frauen annähernd doppelt so häufig betroffen wie
dergeschlagenheit, evtl. Gleichgültigkeit und häufig Männer.
Antriebsverminderung geprägt (7 Psychiatrie).
Symptomatik. Eine depressive Störung wirkt sich auf
körperlicher, emotionaler und kognitiver Ebene aus
3.6.1 Depressive Episode und unterscheidet sich von einer vorübergehenden
Niedergeschlagenheit.
Definition. Einmalig auftretende Depression.
4 Rezidivierende Depression: wiederholt auftretende, > Die depressive Störung ist weder ein Zeichen persön-
wieder völlig abklingende Depression licher Schwäche noch ein Zustand, der durch einen
4 Dysthyme Störung: sich immer verstärkende, nie Willensakt beendet werden kann.
völlig abklingende Depression
Häufig ist das Bild weniger von offensichtlicher Trau-
Ätiopathogenese. Für die Entstehung depressiver Stö- rigkeit geprägt als vielmehr von Nihilismus, Interessen-
rungen sind genetische Prädisposition, biographische verlust und innerer Leere. Antriebs-, Lust-, Freud-, In-
und sozioökonomische Faktoren bedeutsam. Auf der teressen-, Mutlosigkeit und weitere Defiziterschei-
Ebene des cerebralen Stoffwechsels fällt vor allem ein nungen stehen häufig im Vordergrund. Meist lassen
Mangel an Serotonin auf (7 Psychiatrie). sich begleitend Schlafstörungen und Appetitmangel
Tiefenpsychologische Schulen betonen die zentra- beobachten. Die Patienten fühlen sich in der Regel
le Bedeutung von frühen Verlust-, Verunsicherungs- energielos, besonders morgens (Morgentief), während
oder Enttäuschungserlebnissen, die zu einem Grund- abends eine leichte Stimmungsverbesserung erlebt
konflikt zwischen Bindungswunsch und Autonomie- wird. Psychomotorisch fällt oft eine geringe Mimik und
strebungen führen. allgemeine Starre auf.
Lerntheoretisch orientierte Ansätze betonen die
Wirkung depressionsfördernder Kognitionen (eindi- > Depressive Erkrankungen sind häufig, sie beeinträch-
mensional, absolutistisch, generalisierend, invariant, tigen die Leistungsfähigkeit und verursachen nicht
undifferenziert) sowie den Einfluss von Verstärker- nur bei den Betroffenen Schmerzen und Leiden. Sie
verlust-Erlebnissen (Trennungen, Verluste, sozialer können sowohl das Leben der erkrankten Person als
Abstieg) oder erlernter Hilflosigkeit. Nicht selten steht auch das Familienleben zerstören. Depressive Erkran-
die Depression in Zusammenhang mit einem Ereig- kungen werden erschreckend oft nicht erkannt.
nis, einer Ereigniskombination im Leben des Betrof-
fenen. Depressive Störungen kommen in verschiedenen For-
Eine depressive Störung kann auch durch eine kör- men vor, unterschieden werden sie nach Schweregrad,
perliche Erkrankung oder durch Medikamentenein- Verlauf und zusätzlichen, beeinflussenden Faktoren
nahme hervorgerufen werden. (Alter, Auslöser u. a.).
Als präventiv wirksam ist eine ausgeglichene Ge-
staltung der Lebensführung mit selbstwertstabili- Manisch-depressive Erkrankung
sierenden Kognitionen und einem angemessenen An- Bei der manisch-depressiven Erkrankung (bipolare Stö-
spruchsniveau anzusehen. Da genetische Faktoren in rung), treten neben ausgeprägten Tiefs auch ausge-
unterschiedlichem Ausmaß zur Störung beitragen, prägte Hochs auf. In diesen manischen Hochphasen ist
dürfte der Beitrag exogener Faktoren allerdings unter- der Betroffene oft überaktiv und ausgesprochen redselig.
schiedlich bedeutsam sein. Die Manie beeinflusst häufig das Denken, die Urteils-
fähigkeit und das Sozialverhalten auf eine Weise, die zu
Epidemiologie. Etwa 6,5 Millionen Menschen (8% schweren Problemen und peinlichen Situationen führen
der Bevölkerung) leiden in Deutschland an einer de- kann.
182 Kapitel 3 · Psychosomatik

Die Bewertung des Schweregrades der Depression an- falls wirksam, jedoch von einer höheren Rückfallrate
hand der Anzahl und Art der Symptome korreliert kei- nach Beendigung der Medikamenteneinnahme ge-
neswegs immer mit dem subjektiven Leiden des Betrof- kennzeichnet. Eine Kombination von Psychotherapie
fenen. und Medikation ist bei schwereren Erscheinungs-
formen sinnvoll. In besonderen Situationen können
> Affektive Störungen begegnen dem Arzt in allen auch weitere Maßnahmen (Schlafentzug, Lichtthera-
3 Bereichen der Medizin, sind oft schwerwiegende pie) zur Anwendung kommen.
Beeinträchtigungen und beeinflussen die therapeu-
tische Beziehung – besonders, wenn sie unerkannt > Den meisten Menschen mit depressiver Erkrankung
bleiben. kann geholfen werden: Die Depression ist eine be-
handelbare Krankheit.
Diagnostik. Entscheidend ist die oben beschriebene
Symptomatik auf psychischer und psychomotorischer Prognose. Der Verlauf ist abhängig von der Form der
Ebene. Körpermissempfindungen und Vitalfunktionen Depression und vielen weiteren Faktoren. Vollständige
sind anamnestisch zu erheben. Testpsychologische Be- Remissionen, Rezidive und chronifizierter Verlauf (10‒
funde können die Diagnose erhärten und, insbesonde- 15%) sind möglich. Die Häufigkeit von Suiziden wird
re für eine Verlaufsdiagnostik wichtig, quantifizieren. unter depressiven Patienten auf 15% geschätzt. Es ist
daher eine wichtige Aufgabe des Arztes, diese Gefahr
Differenzialdiagnose. Pharmakogene oder organisch im Blick zu behalten und gegebenenfalls präventiv zu
begründete depressive Erscheinungsbilder, depressive handeln.
Symptomatik bei Schizophrenie, Persönlichkeitsstö-
rung. ! Cave
Suizidales Verhalten ist ein Notsignal, das in jedem
Therapie. Psychotherapie hat eine nachgewiesene Wir- Fall ernst genommen werden muss.
kung in der Behandlung der Depression. Besonders gut
untersucht sind kognitive Verhaltenstherapie und in- Depressive Störungen erhöhen das Risiko für koronare
terpersonelle Psychotherapie. Eine medikamentöse Herzkrankheit, Infektionen, allergische und andere Er-
Therapie (trizyklische Antidepressiva, selektive Sero- krankungen. Der Mechanismus für diesen Zusammen-
tonin-Wiederaufnahme-Hemmer [SSRI] u. a.) ist eben- hang ist ungeklärt.

In Kürze
Affektive Störungen

Depressive Episode 4 Symptomatik: Symptome auf körperlicher, emotionaler, kognitiver Ebene;


Vitalitätsverlust: Traurigkeit, aber auch Antriebs-, Lust-, Interessen-, Mutlosigkeit
4 Ätiologie: genetische Faktoren, ungünstige Kognitionen, biographische Einflüsse
(Verstärkerverlust, unbewusste Konflikte), Störungen im Neurotransmittersystem
(Serotoninmangel)
4 Diagnostik: klinische Symptomatik, ggf. ergänzt durch Testdiagnostik
4 Therapie: Medikamente (Trizyklika, SSRI), Psychotherapie, Kombination beider
Maßnahmen

3.7 Angststörungen fremd erlebt) und dem bewussten Willen entzogen. Es


werden Agoraphobie, soziale Phobie und andere iso-
3.7.1 Phobische Störung lierte Phobien unterschieden.

Definition. Gerichtete, an ein normalerweise ungefähr- Ätiopathogenese. Tiefenpsychologisch handelt es


liches Objekt, d. h. einen Gegenstand oder eine spezi- meist sich um den Abwehrmechanismus der Verschie-
fische Situation gebundene Ängste, die nicht durch bung bei einem unbewussten Konflikt. Dabei werden
Vernunft erklärt oder beseitigt werden können. Die innere, angstbesetzte Impulse durch äußere Objekte
Angst ist unverhältnismäßig, ichdyston (als wesens- symbolisiert und übernehmen dadurch eine Funktion,
3.7 · Angststörungen
183 3

die das psychische System in seinem Konflikt zwischen ten. Sekundäre Ängste beziehen sich häufig auf Kon-
Bedürfnis (Impuls) und Überich-Verbot entlastet. trollverlust, Verrücktwerden, Sterben.
Menschen mit phobischen Störungen haben oft auch Die angstauslösenden Situationen werden zuneh-
eine histrionische (u. a. gekennzeichnet durch sich in mend gemieden, wodurch die Angst reduziert wird.
den Mittelpunkt rückendes, theatralisches Verhalten) Nach tiefenpsychologischem Verständnis sind Ab-
oder zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Bei zwang- wehr und Ichstärke besser entwickelt als bei anderen
haften Charakteren handelt es sich häufig um aggres- Angstkrankheiten. Durch das Vermeidungsverhalten
sive Impulse, die abgewehrt werden, bei histrionischen wird die Symptomatik jedoch verstärkt und stabilisiert,
dagegen häufig um sexuelle Impulse. was ohne Behandlung zu einer schnellen und oft lang
In lerntheoretischer Sicht spielen negative Vorer- anhaltenden Chronifizierung führt.
fahrungen mit dem auslösenden Objekt eine Rolle
(Klassische Konditionierung). Im weiteren Verlauf, ins- > Der Leidensdruck hängt von der Vermeidbarkeit des
besondere bei Chronifizierung, spielen dysfunktionale Objektes und von den daraus resultierenden Ein-
und auch fehlende Lernprozesse eine zentrale Rolle. schränkungen des täglichen Lebens ab.
Insofern können Phobien als Weigerung aufgefasst
werden, neue und korrigierende Erfahrungen zu ma- Bei der Agoraphobie stehen Ängste vor offenen Plät-
chen. Bei der Aufrechterhaltung des Störungsbildes zen, Menschenmengen und alleinigem Fernreisen im
haben auch sekundäre negative Erwartungen und ein Vordergrund, in schweren Fällen auch davor, sich in der
dadurch erhöhtes Stressniveau einen starken Einfluss. Öffentlichkeit zu bewegen. Betroffene sind häufig über
Zur Prävention ist eine konsequente und angemes- Jahre ans Haus gebunden.
sene Konfrontation mit im phobischen Sinne ängsti- Die soziale Phobie bezieht sich auf die prüfende
genden Reizen und den dahinter liegenden Grund- Betrachtung durch andere Menschen im Einzelkontakt
ängsten unumgänglich, da das Vermeidungsverhalten oder in kleinen Gruppen. Sie ist entweder klar abge-
eine notwendige Bedingung zur Entstehung einer pho- grenzt auf Sprechen oder Essen in der Öffentlichkeit
bischen Störung darstellt. Mit gutem Erfolg kommen oder auf das Zusammentreffen mit dem anderen Ge-
Expositionstechniken aus dem verhaltenstherapeu- schlecht, oder sie ist unbestimmt in sozialen Situatio-
tischen Repertoire zur Anwendung. nen außerhalb der Familie. Befürchtet wird Aufmerk-
samkeit mit der Folge von Beschämung. Es werden
Epidemiologie. In der Gesamtbevölkerung treten Pho- häufig sekundäre Beschwerden wie Erröten oder Bla-
bien mit 5–10% auf, erreichen jedoch nur zu einem sendrang irrtümlich als Ursache angesehen.
kleinen Teil ein schweres klinisches Ausmaß. Frauen Isolierte Phobien sind Ängste vor spezifischen Si-
sind häufiger betroffen (Agoraphobie, Angst vor öffent- tuationen (Höhe, Dunkelheit), Gegenständen oder Tie-
lichen Plätzen: 80–90%). Bei den sozialen Phobien ist ren (Blut, Schlangen).
das Geschlechterverhältnis in etwa gleich.
Die Hälfte aller phobischen Erkrankungen sind Diagnostik. Da leichte Formen von Angststörungen
Agoraphobien, diese übertreffen die anderen pho- sehr häufig sind, werden nur Ängste von erheblicher
bischen Störungen auch meist an Schweregrad und Aus- Relevanz als Gesundheitsstörung diagnostiziert. Banale
maß. Sie entstehen zumeist im dritten Lebensjahrzehnt, und daher subklinische Alltagsphobien werden außer
wohingegen isolierte Phobien im Kindesalter entstehen Acht gelassen. Die Symptome müssen deutlich und an-
und dann zum Teil persistieren oder später wieder- haltend und dabei ichdyston sein. Es müssen psychische
auftauchen. Soziale Phobien entstehen überwiegend in und vegetative Symptome gegeben sein. Außerdem
der Adoleszenz. Es überwiegen insgesamt chronische muss eine deutliche psychische Belastung durch die
Verläufe, spontane Rückbildungen sind eher selten. Symptome und/oder das Vermeidungsverhalten gege-
ben sein.
Symptomatik. In der realen oder vorgestellten Kon-
frontation mit dem angstauslösenden Objekt entstehen Differenzialdiagnose. Angst bei organischen oder-
neben der eigentlichen Angst zahlreiche körperliche schizophrenen Erkrankungen, generalisierte Angst
angstäquivalente vegetative Erscheinungen wie Herz- (7 Kap. 3.7.2), Persönlichkeitsstörung: Durch Vermei-
klopfen, Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Enge dung wird keine Angstfreiheit erreicht. Hypochond-
in der Brust, Atembeschwerden, Schwindel, Schwäche, rische Erkrankungen: Ängste vor körperlicher Erkran-
Ohnmacht. Zusätzlich können dissoziative Symptome kung, die nicht auf bestimmte Erkrankungsvorstellun-
erscheinen (Derealisation, Depersonalisation). Es kön- gen begrenzt sind. Panikattacken (7 Kap. 3.7.3). Angst
nen in diesem Zusammenhang Panikattacken auftre- bei Zwangserkrankung.
184 Kapitel 3 · Psychosomatik

Therapie. Bei tiefenpsychologisch orientiertem Vorge- der neuen Verhaltensweisen und Denkmuster bei zusätz-
hen hat sich als hilfreich erwiesen, rigide Überich-In- licher Belastung durch evtl. pathogene häusliche Umfelder
halte als Ursache der vorherrschenden innerpsychi- und erhöhte familiäre und/oder berufliche Anforderungen
schen Konflikte aufzuspüren, bestehende Phantasien zu gewährleisten. Zu empfehlen sind darüber hinaus Ver-
über mögliche Bestrafungen oder negative Konse- netzung mit anderen Betroffenen zur Stärkung der Motiva-
quenzen des unerwünschten Verhaltens durchzuarbei- tion und des Durchhaltevermögens (Selbsthilfegruppe,
3 ten und – falls möglich – bei gruppentherapeutischem Internet) und weitere, eigenständige Psychoedukation
Setting eine Realitätsüberprüfung einzuleiten. Darauf- durch vertiefende Laienliteratur.
hin wären die Entstehungsbedingungen der häufig un-
bewussten Befürchtungen zu erforschen und explizit zu Prognose. Bei konsequenter und angemessener Kon-
würdigen, um sich erst dann den bislang abgewehrten frontation mit dem angstauslösenden Reiz, gleichzei-
Impulsen und Wünschen zuzuwenden, diesen Raum zu tiger Aufarbeitung der biografischen Hintergründe,
geben und sie gegebenenfalls trainierend einzuüben. insbesondere der unbewussten inneren Konflikte, und
Im weiteren Verlauf ist es notwendig, die Patienten Einübung gesünderer Verhaltensweisen ist von einem
bei der Übernahme von Verantwortung und Manage- guten Behandlungsergebnis mit guten Chancen für
ment sowohl der krankmachenden als auch der heil- langfristige Ausheilung auszugehen. Rückfälle sollten
samen Prozesse zu unterstützen und auch zu fordern. miteinberechnet und konsequent in die (Selbst-)Be-
Auch sollte neben der Aufarbeitung der zugrunde lie- handlung einbezogen werden. Bei Komorbidität ver-
genden psychodynamischen Konflikte unbedingt eine schlechtert sich die Prognose.
gründliche Aufklärung über Zusammenhänge zwi-
schen Symptomatik, Vermeidungsverhalten und beste- > Phobien sind häufig und quälend, aber gut behandel-
henden kognitiven Verzerrungen stattfinden. bar.
Dies ist auch beim verhaltenstherapeutischen
Vorgehen als Vorbereitung für eine Expositionsbe-
handlung zu empfehlen. Die vorherige Umwandlung 3.7.2 Generalisierte Angststörung
dysfunktionaler Kognitionen sollte eingeübt und voll-
zogen werden. Die Konfrontation mit dem auslösenden Definition. Bei der generalisierten Angststörung han-
Objekt sollte nach Möglichkeit während der Therapie delt es sich um eine in zahlreichen Situationen auftre-
möglichst häufig real oder mental stattfinden, in der tende Ängstlichkeit, die sich mitunter an Kleinigkeiten
Intensität und Rangfolge der Exposition entsprechend entzündet. Zusätzlich kann es zur übermäßigen und
angepasst (und ggf. in den psychodynamischen Prozess überdauernden Sorge um alle möglichen Lebensbe-
miteinbezogen) werden. Für eine erfolgreiche Exposi- reiche kommen, die von außen kaum nachvollziehbar
tion ist es bedeutsam, dass ein Abflauen der zunächst ist.
ansteigenden Angstintensität erlebbar wird. Da der da-
für erforderliche Zeitraum interindividuell unter- Ätiopathogenese. Menschen, die unter sozialem Druck
schiedlich ist, sollte die Behandlungsdauer der Exposi- stehen oder vermehrten realen Gefahren ausgesetzt
tionssitzungen daher entsprechend flexibel eingeplant sind, entwickeln häufiger eine generalisierte Angststö-
werden. rung als andere. Generalisierte Angststörungen kom-
men häufiger in städtischer als in ländlicher Umgebung
> Die Expositionsbehandlung hat sich in vielen Studien vor. Kriege, politische Unterdrückung, Modernisie-
als wirkungsvolle Therapietechnik erwiesen. rungsmaßnahmen und ähnliches können zu einem
erhöhten Auftreten beitragen. Ein niedriger sozioöko-
Häufig müssen Betroffene und Angehörige bezüglich nomischer Status ist ein zusätzlicher Risikofaktor.
eines angemessenen Helferverhaltens wie auch bezüg- Zusätzlich kommen individuelle Bedingungen zum
lich zu erwartender Rückfälle geschult oder zumindest Zuge, die je nach theoretischer Ausrichtung unter-
informiert werden. schiedlich konzipiert sind.
Aus tiefenpsychologischer Sicht werden Triebim-
Nachsorge pulse, die meist sexuelle oder aggressive Tendenz ha-
Vor allem bei stationärer Erstbehandlung, aber auch bei ben, durch die Ich-Funktion an ihrem Ausdruck gehin-
ambulanter Vorbehandlung, sollte dringend eine ambu- dert. Dies erfolgt jedoch unbewusst, so dass die Angst,
lante Nach- oder Weiterbehandlung angestrebt werden, die mit der Realisierung des Triebimpulses oder mit
um eine konsequente Umsetzung und Weiterverfolgung einer phantasierten Bestrafung zusammenhängen
6 kann, in ihrer Herkunft und Bedeutung ebenfalls unbe-
3.7 · Angststörungen
185 3

wusst bleibt. Lediglich die physiologischen Erschei- bewusstseinsfähig zu machen und sich diesen Kon-
nungen und der Affekt der Angst werden spürbar. Da flikten zu stellen.
es kein auslösendes Objekt gibt, kann die Angst nicht Im lerntheoretischen Behandlungsansatz werden
vermieden werden und in allen möglichen Situationen 2 Strategien verfolgt:
auftreten. 4 Identifizierung und Veränderung dysfunktionaler
In lerntheoretisch fundierter Sicht spielt es eine Kognitionen (Katastrophisierungen, Übergenerali-
Rolle, dass Patienten bedrohliche Ereignisse als nicht sierungen)
kontrollierbar wahrnehmen. Kontrollverlust und resul- 4 Verbesserte Bewältigung von Belastungssituatio-
tierende Hilflosigkeit sind damit zentrale Merkmale der nen durch kognitive Neustrukturierung
generalisierten Angst. Zusätzliche Merkmale von Pa-
tienten mit generalisierten Angststörungen betreffen Ein dritter Behandlungsansatz, der die biologische
katastrophisierende Kognitionen, die auch unbedeu- Grundlage von Angststörungen betont, lässt sich mit
tenden Ereignissen eine potenzielle Gefährlichkeit zu- den bisher genannten Möglichkeiten gut verbinden und
schreiben. Ein weiterer kognitiver Ansatz geht davon besteht in der Anwendung einer Entspannungstechnik
aus, dass durch die Konzentration auf Sorgen die Ver- und/oder in der Verordnung von Medikamenten:
arbeitung der unangenehmen emotionalen Inhalte ver- 4 Benzodiazepine, kurzfristig günstige angstlösende
mieden wird. Dadurch wird dieses Verhalten, sich Sor- Effekte, langfristig droht Abhängigkeit
gen zu machen, aufrechterhalten. 4 Antidepressiva (angstlösende Wirkung)
Entsprechend diesen Annahmen über die Ätio-
pathogenese müssten sozialtherapeutische Maßnah- Abgesehen von den Nebenwirkungen dieser Substan-
men sowie günstige entwicklungspsychologische Be- zen ist eine alleinige Behandlung mit Medikamenten
dingungen präventiv wirken. Gesicherte Erkenntnisse dadurch beeinträchtigt, dass nach Absetzen des Medi-
aus Interventionsstudien sind dazu jedoch nicht vor- kamentes die Angststörung in der Regel wieder auftritt.
handen. Dieser Aspekt ist auch für die Nachsorge wichtig. So ist
die Aufnahme mit angstinkompatibler Aktivitäten (po-
Epidemiologie. Die Lebenszeitprävalenz der generali- sitiv wahrgenommene Tätigkeiten, die einen Zugewinn
sierten Angststörung wird mit etwa 5% in der Allge- an sozialen Verstärkern mit sich bringen) von Bedeu-
meinbevölkerung angegeben. Die Störung tritt bei tung. Dabei werden Ressourcen aktiviert, die Lebens-
Frauen etwa doppelt so häufig auf wie bei Männern. qualität wird gefördert. Dies zu etablieren gelingt in
Der Beginn liegt oft bereits in der Adoleszenz oder in vielen Fällen erst in einer psychotherapeutischen Be-
jungen Erwachsenenjahren. handlung.

Symptomatik. Außer Angst und Sorge treten häufig Prognose. Unbehandelt bleibt eine generalisierte
Konzentrationsprobleme und Ruhelosigkeit auf. Die Pa- Angststörung in der Regel bestehen. Es zeigen sich le-
tienten sind leicht gereizt, schnell ermüdbar und leiten diglich Schwankungen in der Schwere der Symptoma-
oft unter starken Muskelverspannungen. Auch Schlaf- tik. Vor allem beim Vorliegen psychischer Komorbidi-
störungen gehören häufig dazu. In der Regel kann, wenn täten ist mit einer Spontanremission nicht zu rechnen.
auch mit Schwierigkeiten, ein geregeltes berufliches und Durch psychotherapeutische Behandlung ist eine deut-
soziales Leben dennoch geführt werden. liche Linderung der Beschwerden bis hin zur Beschwer-
defreiheit zu erwarten. Mitunter sind auch nach abge-
Diagnostik. Eine generalisierte und anhaltende Angst, schlossener Therapie gelegentliche Sitzungen zur Auf-
die mit Anspannung und Besorgnis über Ereignisse frischung der Bewältigungsstrategien erforderlich.
einhergeht, die für Dritte unerheblich erscheinen, wird
als generalisierte Angststörung diagnostiziert, wenn sie
über einen Zeitraum von 6 Monaten oder mehr be- 3.7.3 Panikstörung
steht.
Definition. Unterschieden werden:
Differenzialdiagnose. Hypochondrie: Hypochondri- 4 Panikattacke: spontanes Auftreten akuter Angst,
sche Ängste werden durch den Einfluss des Behandlers ohne dass eine reale Gefahr vorhanden ist, Dauer
situativ nur wenig gemindert. Depressive Störung. begrenzt (Minuten bis wenige Stunden)
4 Panikstörung: wiederholtes Auftreten solcher
Therapie. Aus tiefenpsychologischer Sicht ist die Be- Panikanfälle kombiniert mit körperlichen Symp-
handlung darauf gerichtet, die verdrängten Konflikte tomen
186 Kapitel 3 · Psychosomatik

. Abb. 3.3. Das psychophysiologische Modell des Paniksyndroms. (Aus Margraf 2003)

Ätiopathogenese. Die Panikstörung (. Abb. 3.3) weist Diagnostik. Wiederholte Panikanfälle, die in der Regel
eine familiäre Häufung auf und zeigt auch in Zwillings- spontan auftreten und keine spezifischen Auslösersitua-
studien eine genetische Komponente. Es gibt Hinweise tionen aufweisen, sprechen für eine Panikstörung. Die
auf eine übermäßige noradrenerge Aktivität. Bei Pa- einzelnen Panikanfälle dürfen nicht in Folge einer kör-
tienten mit Panikstörungen wurde beobachtet, dass an perlichen oder psychischen anderen Störung auftreten.
sich harmlose körperliche Empfindungen zu einer Die einzelne Panikattacke ist gekennzeichnet als inten-
übermäßigen Beunruhigung führen und die Aufmerk- sive Angst oder intensives Missbehagen, das abrupt
samkeit auf die Körperempfindungen intensiviert wird. beginnt und mindestens einige Minuten lang anhält.
Gleichzeitig werden Bewertungen der Körpersymp- Innerhalb weniger Minuten wird ein hohes Maß an In-
tome vorgenommen, die angststeigernd wirken und tensität erreicht und es sind mindestens vier weitere
weitere Körpersymptome produzieren. Da das Gesche- Symptome vorhanden, die problematisch bewerteten
hen als unbeeinflussbar erlebt wird, kommt es zu Angst Körperwahrnehmungen entsprechen und gegebenen-
vor Kontrollverlust, was weiter zu einer Steigerung der falls auch von Kontrollverlustängsten begleitet sind.
körperlichen Symptome führt.
Maßnahmen zur gezielten Prävention der Panik- > Für die Unterscheidung von anderen Angststörungen
störung sind nicht untersucht. ist es wichtig, dass Panikstörungen ohne reproduzier-
baren Auslöser auftreten.
Epidemiologie. Für die Panikstörung wird eine Lebens-
zeitprävalenz von 2,4% angegeben. Der Beginn der Stö- Panikanfälle können zusammen mit anderen, z. B. pho-
rung liegt meist im jungen Erwachsenenalter, Frauen bischen Störungen auftreten. Da keine spezifische Aus-
sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. lösesituation vorliegt, fürchten die Patienten den Panik-
anfall selbst oder beschreiben eine Angst vor der Angst.
Symptomatik. Eine Panikattacke beginnt plötzlich und Das Vorliegen somatischer Erkrankungen schließt eine
erreicht innerhalb von wenigen Minuten ein hohes Panikstörung nicht aus.
Niveau. Sie hält mindestens einige Minuten an und
ist begleitet von körperlichen Symptomen und meist Therapie. Für die Behandlung der Panikstörung in
auch kognitiven Besonderheiten. Zu den körperlichen einem lerntheoretisch orientierten Ansatz ist die Ver-
Erscheinungen können gehören Herzklopfen, Schweiß- mittlung eines plausiblen Störungsmodells grundle-
ausbrüche, Zittern oder Mundtrockenheit. Auch gend. Darauf aufbauend kann die ungünstige Bewer-
Atem- oder Brustbeschwerden, ein Beklemmungsge- tung körperlicher Symptome durch kognitive Neu-
fühl oder Übelkeit, Schwindel oder Benommenheit strukturierung korrigiert werden. In einer folgenden
können auftreten. Häufig wird eine Angst vor Kon- Phase können die neu erworbenen Kognitionen unter
trollverlust, die Angst zu Sterben oder Verrückt zu provozierten Körperwahrnehmungen erprobt werden.
werden erlebt. Von besonderer Bedeutung ist die Einbeziehung einer
3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
187 3

Rückfallprophylaxe, die unter anderem auch die kog- Prognose. Eine unbehandelte Panikstörung kommt
nitive Verarbeitung gelegentlich wieder auftretender nur sehr selten spontan zur Remission. Auch unter ei-
Panikattacken beinhaltet. Unterstützend kann in die ner adäquaten psychotherapeutischen Behandlung
Behandlung mit einem selektiven Serotonin-Wieder- kann es zum Wiederauftreten einzelner Panikattacken
aufnahme-Hemmer oder einem trizyklischen Anti- kommen. Diese sind meist schwächer und für die Be-
depressivum vorgenommen werden. troffenen leichter zu handhaben.

In Kürze
Angststörungen

Phobische Störung 4 Symptomatik: emotionale, kognitive, vegetative Angstzeichen, auf ein normalerweise
ungefährliches Objekt gerichtete Angst, Auslöser klar.
4 Ätiologie: unbewusste Konflikte, Konditionierungsprozesse
4 Diagnostik: reversible Angst mit identifizierbarem Auslöser
4 Therapie: Exposition (verhaltenstherapeutisch), Bearbeitung unbewusster Konflikte
(tiefenpsychologisch). Kombination möglich, Prognose gut

Generalisierte 4 Symptomatik: in zahlreichen Situationen auftretende Angst ohne klare Auslöser


Angststörung (Kleinigkeiten)
4 Ätiologie: unbewusste Triebimpulse, die an ihrem Ausdruck gehindert werden;
dysfunktionale Kognitionen, Kontrollverlust
4 Diagnostik: wiederholte Anspannung und Besorgnis, für Dritte nicht adäquat, mehr
als 6 Monate lang auftretend.
4 Therapie: Bewusstmachen der Konflikte, kognitive Neustrukturierung. Unterstützung
durch Antidepressiva möglich.

Panikstörung 4 Symptomatik: plötzlicher Beginn, heftigste Angst, körperliche Symptome, kein


Auslöser
4 Ätiologie: genetische Komponente wahrscheinlich, dysfunktionale Bewertung von
Körperwahrnehmungen
4 Diagnostik: anfallsartig auftretende Angst ohne wohl definierten Auslöser
4 Therapie: kognitive Neustrukturierung der Bewertung von Körperwahrnehmungen.
Unterstützend Antidepressiva möglich

3.8 Belastungsreaktionen, Ätiopathogenese. Bei der akuten Belastungsreaktion


Anpassungsstörungen werden die wichtigsten Überlegungen zu deren Entste-
hung im Zusammenhang mit den Dissoziationssymp-
3.8.1 Akute Belastungsreaktion tomen angestellt, die Teil der Diagnose sind. Es wird
davon ausgegangen, dass Dissoziationen ein primärer
Definition. Veränderung des Verhaltens und Erlebens, Copingmechanismus sind, um mit traumatischen Er-
die innerhalb von einem Monat in Folge eines trauma- fahrungen umzugehen. Die unangenehmen emotio-
tischen Ereignisses auftreten und von 2 Tagen bis zu nalen Konsequenzen der traumatischen Ereignisse
einem Monat andauern kann. Das traumatische Er- werden minimiert, indem die Wahrnehmung dieser
eignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Erfahrungen eingeschränkt wird, was sich in Wahrneh-
Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des mungsveränderungen, Gedächtnisstörungen oder
Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen emotionaler Losgelöstheit äußert.
Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit der eige- Zur effektiven Prävention der akuten Belastungs-
nen oder der einer anderen, auch nahe stehenden Per- reaktion gehört die Stärkung des Selbstwirksamkeitser-
son, einhergeht. lebens und das Ausbilden positiver Einstellungen, die
die Fähigkeit geben, das Leben mit dem Gefühl von
Stärke, Kontrolle und Engagement zu leben (»hardi-
188 Kapitel 3 · Psychosomatik

ness«). Ebenfalls präventiv wirksam ist das soziale Un- Therapie. Psychotherapeutische Maßnahmen sollten
terstützungssystem, in dem ein Mensch sich bewegt. Je sobald als möglich nach dem traumatischen Ereignis
stärker dieses ist, desto weniger gefährdet ist ein einsetzen. Wesentlicher Bestandteil des Vorgehens ist
Traumaopfer, eine akute Belastungsreaktion zu entwi- zunächst die Aufklärung des Patienten über die Symp-
ckeln. Grundlegend präventiv wirksam ist außerdem tome als Reaktion auf das traumatische Ereignis. Als
noch eine intakte Kindheit ohne Armut, ohne Fami- nächster Schritt werden Angstmanagementfähigkeiten
3 lienangehörige mit psychischen Störungen, ohne Miss- ausgebildet (Muskelentspannungstraining). Im Rah-
handlung, Missbrauch, Katastrophen bzw. ohne ge- men kognitiver Therapie werden dysfunktionale Ge-
schiedene Eltern. danken und Glaubenssätze in Bezug auf das trauma-
tische Ereignis herausgearbeitet und umstrukturiert.
Epidemiologie. Die Häufigkeit des Auftretens einer Danach erfolgt die Traumakonfrontation, in dem der
akuten Belastungsreaktion schwankt in Abhängigkeit Patient die Erinnerungen und Gefühle in Zusam-
von der Art des traumatischen Ereignisses zwischen 10 menhang mit dem traumatischen Ereignis zunächst in
und 16%. Frauen haben ein ca. 2-mal so hohes Risiko sensu, später in vivo konfrontiert.
wie Männer. Etwa 20% aller Frauen, die einem trauma- Neuere Ansätze psychotherapeutischen Vorgehens
tischen Ereignis ausgesetzt waren, entwickeln eine aku- zur Behandlung von Traumafolgen beziehen die kör-
te Belastungsstörung. Jedes traumatische Ereignis kann perlichen Reaktionen bzw. die Deregulationssymptome
eine Belastungsstörung verursachen. Nach Vergewalti- des autonomen Nervensystems stärker mit ein. Dabei
gung, kriegerischen Handlungen, Vernachlässigung, werden die Symptome als das Ergebnis einer hochakti-
körperlicher Gewalt und Naturkatastrophen ist die vierten, unvollständigen biologischen Antwort auf die
Wahrscheinlichkeit der Entwicklung höher. Bedrohung durch das traumatische Ereignis angesehen.
Es kommt zu einer Überladung im autonomen Nerven-
Symptomatik. Bei der akuten Belastungsreaktion ent- system, die vor allen Dingen durch ressourcenorien-
wickelt die Person als Reaktion auf das traumatische tiertes, körperorientiertes, kleinschrittiges Vorgehen
Ereignis, auf das sie währenddessen oder danach mit behandelt wird (»somatic experiencing«). Des Weiteren
intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagier- hat sich der Einsatz imaginativer Stabilisierungsverfah-
te, dissoziative Symptome, d. h. subjektive Gefühle ren (nach Reddemann) und die Methode des »Eye Mo-
emotionaler Taubheit, Losgelöstheit, das Fehlen einer vement Desensitization and Reprocessing« (EMDR)
normalen emotionalen Reaktionsfähigkeit, Beeinträch- bewährt. Eine pharmakologische Begleittherapie ist ad-
tigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt und juvant bei Symptomen wie Depression, Angst, Psycho-
des Gedächtnisses, hier insbesondere Schwierigkeiten, se, emotionaler Instabilität. Vor allem werden mittel-
sich an bestimmte Details des traumatischen Ereig- potente Neuroleptika und Antidepressiva eingesetzt,
nisses zu erinnern. Des Weiteren leidet die betroffene mit Benzodiazepin sollte wegen der Suchtgefahr zu-
Person an einem deutlichen Freud- und Interessenver- rückhaltend umgegangen werden. Eine Behandlung
lust und hat häufig Schuldgefühle und Konzentrations- mit Antikonvulsiva kann im Einzelfall sinnvoll sein.
schwierigkeiten. Außerdem liegt mindestens ein Symp- Nach stationärer Behandlung haben sich Nachsor-
tom aus den Bereichen anhaltenden Wiedererlebens gegespräche, 2– Wochen nach Entlassung als sinnvoll
(Intrusionen), Vermeidung und erhöhter Erregung erwiesen. Ebenfalls hat sich nachbetreuende Hilfen
(»arousal«) vor, die auch zu den Symptomclustern der durch Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen etc. be-
posttraumatischen Belastungsstörung gehören. währt.

Diagnostik. Die Diagnose setzt voraus, dass die Symp- Prognose. Die Behandlung ist schwierig und nicht im-
tome innerhalb eines Monats nach dem traumatischen mer vollständig erfolgreich. Eine erfolgreiche Behand-
Ereignis auftreten, mindestens 2 Tage bis höchstens lung ist möglich, aber eine relativ große Zahl der Pa-
4 Wochen dauern und zu einer Einschränkung der Be- tienten profitiert nur unvollständig. Es gibt Hinweise
findlichkeit oder Beeinträchtigung in sozialen, beruf- auf einen Zusammenhang zwischen dem Sich-Aufge-
lichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen ben während des Traumas und schlechtem Ansprechen
führen. auf Konfrontationstherapie. Weiteren Forschungen zu-
folge hängt auch die Aktivierung von Furcht positiv
Differenzialdiagnose. Psychische Störung auf Grund und die Aktivierung von Ärger negativ mit dem Thera-
eines medizinischen Krankheitsfaktors (z. B. Kopfver- pieerfolg zusammen. Ein weiterer möglicher Prädiktor
letzung). Substanzinduzierte Störung (z. B. Alkohol- für schlechten Therapieerfolg ist ausgeprägte Dissozia-
intoxikation). tion. Erste Ergebnisse beim Vorgehen mit körperorien-
3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
189 3

tierten Verfahren geben Anlass zu begründeter Hoff- Diagnostik. In Abgrenzung von normalen psychischen
nung auf verbesserte Ergebnisse. Reaktionen auf Belastungen ist bei der Anpassungs-
störung eine erhebliche Beeinträchtigung der beruf-
lichen und/oder sozialen Leistungsfähigkeit zu beob-
3.8.2 Anpassungsstörung achten. Die Symptome müssen innerhalb eines Monats
nach Beginn der Belastung auftreten und dürfen nicht
Definition. Zeitlich begrenzte Störung, die sich auf länger als 2 Jahre nach dem Ende der Belastung persis-
konkrete Ereignisse beziehen lässt und nicht in schwere tieren.
depressive oder posttraumatische Bilder einmündet.
Differenzialdiagnose. Depressive Störungen, Angststö-
> Ohne auslösende Situation, z. B. ein schwerwie- rungen, posttraumatische Belastungsstörungen, soma-
gendes Lebensereignis, kann diese Diagnose nicht toforme und dissoziative Störungen, selten Persönlich-
gestellt werden. keitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens.

Ätiopathogenese. Ähnlich wie bei der posttrauma- Therapie. Zur kurzfristigen Kupierung einer Krise kann
tischen Belastungsstörung (7 Kap. 3.8.3) wird ange- medikamentös (Benzodiazepine) behandelt werden.
nommen, dass es neben dem auslösenden Ereignis an- Tiefenpsychologische Kurztherapien oder kognitiv-be-
dere Bedingungen geben muss, die die Entwicklung haviorale Verfahren lassen eine nachhaltig verbesserte
einer Anpassungsstörung ermöglichen. Fähigkeit zur Bewältigung der Belastungssituation er-
warten und werden üblicherweise zur Behandlung ein-
> Es handelt sich bei den auslösenden Ereignissen de- gesetzt. Wesentlich sind oftmals eine Neubewertung
finitionsgemäß um solche, die keinen katastrophalen der Situation und eine Aktivierung vorhandener Res-
oder aus der normalen Vorstellungswelt herausfal- sourcen.
lenden Charakter haben und die normalerweise von In schwereren Fällen können abgewandelte Vorge-
der Mehrzahl der Betroffenen ohne Entwicklung hensweisen wie bei der Behandlung von Traumafolgen
einer Störung bewältigt werden können. zum Einsatz kommen.
Ambulante Nachsorgegespräche im Anschluss an
Schwere Erkrankungen, Trennung, Verlusterlebnisse eine stationäre Behandlung 2–4 Wochen nach Entlas-
u. a. können als Beispiele für solche Auslöser dienen. sung, haben sich bewährt, ebenso wie die nachbetreu-
Zur Prävention dürften die Stärkung des Selbst- enden Hilfen von Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen
wirksamkeitserlebens und das Ausbilden von Problem- etc.
lösefertigkeiten beitragen. Ebenfalls präventiv wirksam
ist die Fähigkeit zum Einwerben sozialer Unterstüt- Prognose. Die Prognose ist meist günstig, jedoch lässt
zung. das Auftreten einer Anpassungsstörung erwarten, dass
auch weitere Belastungssituationen krisenhaft erlebt
Epidemiologie. Angaben zur Häufigkeit einer Anpas- werden.
sungsstörung fehlen. Entsprechend dem Auslöser (z. B.
Krebserkrankung) liegen spezifische Zahlen vor, die ! Cave
jedoch erheblich variieren (10–30%). Bei Gruppen Frühes Auftreten bei Jugendlichen oder jungen Er-
psychiatrischer Patienten werden Anpassungsstörun- wachsenen ist ein Signal zu erhöhter Wachsamkeit
gen beispielsweise bei 5‒28% der Patienten festgestellt. bzw. verstärkten Bemühungen zur Sekundär- und
Tertiärprävention.
Symptomatik. Bei der Anpassungsstörung entwickelt
die Person innerhalb eines Monats nach einem psy-
chosozial belastenden Ereignis eine Reaktion, die 3.8.3 Posttraumatische Belastungsstörung
meist durch depressive oder ängstliche Tönung ge-
kennzeichnet ist. Aber auch andere oder unspezi- Definition. Veränderung des Verhaltens und Erlebens
fischere emotionale Reaktionen (Besorgnis, Ärger, frühestens einen Monat bis meistens sechs Monate
Anspannung, Regression) sind möglich. Mitunter nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses für
kann die Störung auch auf eine Veränderung des Sozial- die Dauer von mindestens einem Monat. Das trauma-
verhaltens beschränkt bleiben oder es kann zum Auf- tische Ereignis beinhaltet das direkte, persönliche Erle-
treten somatoformer oder dissoziativer Symptome ben einer Situation, die mit dem Tod oder der Andro-
kommen. hung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer
190 Kapitel 3 · Psychosomatik

anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit, tische Ereignis, auf das sie währenddessen oder danach
der eigenen oder der einer anderen, insbesondere einer mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen rea-
nahe stehenden Person einhergeht. Klinisch resultiert gierte. Kennzeichnend sind:
eine Angstreaktion, die durch eine Vielzahl von exter- 4 Dissoziative Zustände
nen und internen an das Trauma erinnernden Stimuli 4 Intrusionen (Symptome von anhaltendem Wieder-
ausgelöst werden kann. erleben, Flashbacks, Wiederholungsträume)
3 4 Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma asso-
Ätiopathogenese. Pathophysiologisch kommt es of- ziiert sind
fensichtlich zu einer unvollkommenen Verarbeitung 4 Abgeflachte, allgemeine Reagibilität (emotionale
der traumaassoziierten Reize, indem die Einordnung Taubheit, Teilnahmslosigkeit)
und Bewertung des Traumas angesichts der Heftig- 4 Anhaltende, erhöhte Erregung (Schlafstörungen,
keit der Ereignisse nicht stattfindet, sondern die Er- Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit)
eignisse vom Bewusstsein abgespalten werden. Biolo-
gisch geht dies mit erhöhter Aktivierung des Kate- Biologisch geht dies mit erhöhter Aktivierung des Ka-
cholaminsystems bei gleichzeitiger Abschwächung der techolaminsystems bei gleichzeitiger Abschwächung
Nebennierenrindenaktivität einher. Bei den bildge- der Nebennierenrindenaktivität einher. Bei den bildge-
benden Verfahren fallen eine Atrophie des Hippokam- benden Verfahren fallen eine Atrophie des Hippokam-
pus und eine funktionelle Hyperreagibilität der Amyg- pus und eine funktionelle Hyperreagibilität der Amyg-
dala auf. dala auf.
Nicht alle Personen entwickeln nach dem Erleben
eines traumatischen Ereignisses diese Störung. Vor Diagnostik. Die Diagnose einer posttraumatischen Be-
allem Personen mit gehäuften Stresserfahrungen in der lastungsstörung setzt voraus, dass die Symptome nach
Kindheit scheinen über eine Schädigung des orbitalen einem Monat für die Dauer von meistens 6 Monaten
Cortex praefrontalis (verringerte Bewältigungskompe- nach dem traumatischen Ereignis auftreten und zu
tenz) sowie des Hippokampus (Einbußen im deklara- einer Einschränkung der Befindlichkeit oder Beein-
tiven Gedächtnis) empfänglich für die Entwicklung ei- trächtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wich-
ner posttraumatischen Belastungsstörung. tigen Funktionsbereichen führen. Ein verzögerter Be-
Zur effektiven Prävention gehört die Stärkung des ginn ist möglich, bei dem die Symptome erst sechs
Selbstwirksamkeitserlebens und das Ausbilden posi- Monate oder später nach dem traumatischen Ereignis
tiver Einstellungen, die die Fähigkeit geben, das Leben auftreten.
mit dem Gefühl von Stärke, Kontrolle und Engagement
zu leben (»hardiness«). Ebenfalls präventiv wirksam ist Differenzialdiagnose. Anpassungsstörung (kein le-
das soziale Unterstützungssystem, in dem ein Mensch bensbedrohlicher Belastungsfaktor, sondern z. B. Tren-
sich bewegt. Je stärker dieses ist, desto weniger gefähr- nung vom Partner, Wohnungswechsel). Affektive oder
det ist ein Traumaopfer eine posttraumatische Belas- andere Angststörungen (auch Symptome von Vermei-
tungsstörung zu entwickeln. Grundlegend präventiv dung, Empfindungslosigkeit, erhöhtem Arousalvor-
wirksam ist zudem eine intakte Kindheit ohne Armut, kommen). Akute Belastungsreaktion (kürzere Dauer
ohne Familienangehörige mit psychischen Störungen, und früheres Eintreten der Beschwerden). Zwangsstö-
ohne Misshandlung, Missbrauch, Katastrophen bzw. rung (wiederkehrende aufdringliche Gedanken, die
ohne geschiedene Eltern. aber als unangemessen empfunden werden und nicht
im Zusammenhang mit einem erlebten traumatischen
Epidemiologie. Die Häufigkeit wird mit etwa 9,2% an- Ereignis stehen).
gegeben, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind
wie Männer (3,0 versus 6,2%), obwohl Männer häufiger Therapie. Zu den initialen Maßnahmen gehört die
einem traumatischen Ereignis ausgesetzt sind. Dies Herstellung einer sicheren Umgebung und Vermitt-
liegt u. a. daran, dass Frauen im Vergleich zu Männer lung eines plausiblen und akzeptablen Störungs-
signifikant häufiger Opfer einer Art Trauma werden, modells.
das mit hoher Wahrscheinlichkeit eine posttrauma- Bevor eine Konfrontation mit den traumaauslösen-
tische Belastungsstörung zur Folge hat, wie z. B. eine den Ereignissen stattfinden kann, sind stabilisierende
Vergewaltigung. Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören Entspan-
nungsverfahren, Distanzierungstechniken, imaginative
Symptomatik. Die betroffene Person entwickelt eine Verfahren sowie evtl. eine pharmakotherapeutische
verzögerte oder protrahierte Reaktion auf das trauma- Unterstützung (vorzugsweise mit SSRI).
3.8 · Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen
191 3

Die Traumabearbeitung kann nach ausreichender Traumata können Ausgangspunkt für eine Einstel-
Stabilisierung als dosierte Konfrontation mit dem aus- lungsveränderung auf höheren Ebenen (spirituelle Ent-
lösenden Ereignis in Angriff genommen werden. Ziel wicklung, transpersonale Orientierung, Sinnfragen,
ist die Durcharbeitung und Integration unter ge- existentielle Dimension des Traumas) werden. Es wird
schützten therapeutischen Bedingungen. dann zwischen dem Leben vor und nach dem Trauma
Neben psychotherapeutischer Behandlung ist eine strikt unterschieden. Im günstigen Fall entwickelt sich
angemessene soziale Unterstützung (Einbeziehung von daraus eine persönliche Reifung.
Angehörigen, Opferhilfsorganisationen, berufliche Re-
habilitation) zu organisieren. Prognose. Bei etwa einem Drittel der Patienten mit
Auch für die Behandlung der posttraumatischen posttraumatischer Belastungsstörung muss ohne Be-
Belastungsreaktion werden Maßnahmen eines ressour- handlung mit einer Chronifizierung gerechnet werden.
cenorientierten, körperorientierten, kleinschrittigen Das Risiko für einen chronischen Verlauf steigt dabei
Vorgehens gewählt, wie sie unter der akuten Belas- mit dem Schweregrad der anfänglichen Symptome.
tungsreaktion (7 Kap. 3.8.1) beschrieben sind. Wichtig Meistens kommt es parallel oder zeitversetzt zur post-
ist stets, dass die einzelnen Maßnahmen in einen Ge- traumatischen Belastungsstörung zu weiteren psychi-
samtbehandlungsplan eingebettet sind. schen Störungen (vor allem Angst, Depression, Sucht,
Im Fall einer stationären Behandlung sind ambu- Somatisierung).
lante Nachsorgegespräche, 2–4 Wochen nach Entlas- Sowohl verhaltenstherapeutisch-kognitive als auch
sung sinnvoll. Auch die die Vermittlung nachbetreuen- psychodynamische Therapien führen zu einer Reduk-
der Hilfen wie Selbsthilfegruppen, Regionalgruppen tion der spezifischen Symptome der posttraumatischen
etc. hat sich bewährt. Belastungsstörung.

In Kürze
Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen

Akute 4 Symptomatik: dissoziative Symptome, Erinnerungslücken, Interessenverlust,


Belastungsreaktion Konzentrationsschwierigkeiten, Intrusionen
4 Ätiologie: Dissoziation als Schutzmechanismus, anschließend unvollständige
Verarbeitung der Erlebnisinhalte
4 Diagnostik: innerhalb von einem Monat nach traumatischem Ereignis auftretende
Störung mit einer Dauer von 2 Tagen bis zu 1 Monat
4 Therapie: Konfrontation mit dem Trauma nach Erarbeiten stabilisierender Strate-
gien, imaginative Verfahren, EMDR, adjuvant Medikamente (Neuroleptika, Anti-
depressiva)

Anpassungsstörung 4 Symptomatik: psychische Reaktion, meist depressiv oder ängstlich getönt.


4 Ätiologie: Überforderung der Bewältigungskapazität
4 Diagnostik: zeitlich begrenzte psychische Störung nach einem gravierenden,
jedoch nicht katastrophalen Geschehen
4 Therapie: Stärkung der Bewältigungskompetenz (»coping«)

Posttraumatische 4 Symptomatik: Intrusionen, Vermeidungsverhalten, verminderte allgemeine


Belastungsstörung Reagibilität, erhöhte Erregung
4 Ätiologie: unvollständige Verarbeitung eines überwältigenden Reizes
4 Diagnostik: mindestens einen Monat lang anhaltende Störung, die ein bis sechs
Monate nach einem lebensbedrohlichem Ereignis einsetzt
4 Therapie: zunächst Stabilisierung, dann allmählich Konfrontation mit den
Erinnerungen, Verarbeitung und Überwindung des Vermeidungsverhaltens
192 Kapitel 3 · Psychosomatik

3.9 Persönlichkeitsstörungen > Üblicherweise wird keine Reue für die angerichteten
Schäden empfunden. Komorbidität besteht vor allem
Definition. Unterschieden werden: zum Substanzmissbrauch.
4 Persönlichkeitszüge: Überdauernde Muster des
Erlebens und Verhaltens. Das Verhalten erscheint durch aversive Reize wie Straf-
4 Persönlichkeitsstörungen: Extreme und unfle- androhung und Bestrafung kaum änderungsfähig. Es
3 xible, im sozialen Kontext problematische Ausprä- besteht eine geringe Frustrationstoleranz und eine hohe
gungen von Persönlichkeitszügen. Die bisher üb- Gewaltbereitschaft, eine Neigung, andere zu beschuldi-
liche Klassifizierung zeigt Überschneidungen, so- gen oder vordergründige Rationalisierungen für das
dass sich oftmals keine »reinen« Bilder präsentieren. Verhalten anzubieten, durch das der betreffende Patient
Meist sind auch Komorbiditäten mit anderen Stö- in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist.
rungen vorhanden.
4 Persönlichkeitsstil: Akzentuierter Persönlichkeits- Diagnostik. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung ist
zug, der nicht den Kriterien einer Persönlich- wesentlich durch Verhaltensauffälligkeiten (unerlaub-
keitsstörung entspricht. Bei der Behandlung von tes Fehlen in der Schule, Diebstahl, Zerstörung von
Persönlichkeitsstörungen wird es daher häufig Eigentum, Brandstiftung, habituelles Lügen, Weglaufen
als erheblicher Erfolg bezeichnet, wenn es ge- von Zuhause) gekennzeichnet. Diese treten bereits vor
lingt, die Symptomatik so weit abzuschwächen, Vollendung des 15. Lebensjahres auf; die Verhaltensauf-
dass lediglich ein Persönlichkeitsstil festzustellen fälligkeiten werden auch im Erwachsenenalter fortge-
ist. setzt.

> 40% der Kinder, die ursprünglich die beschriebenen


3.9.1 Dissoziale Persönlichkeitsstörung Verhaltensauffälligkeiten gezeigt haben, münden
später in einen normalen Entwicklungsgang.
Definition. Kennzeichnend ist eine erhebliche Diskre-
panz zwischen den im kulturellen Umfeld geltenden
sozialen Normen und dem Verhalten. Typischerweise Differenzialdiagnose. Soziopathie, Psychopathie, Bor-
wird sozialen Pflichten nicht nachkommen, Gefühle derline-Persönlichkeitsstörung (besonders Männer).
für Mitmenschen lassen sich nicht erkennen.
Therapie. Eine primäre Behandlungsmotivation be-
Ätiopathogenese. Fehlende emotionale Wärme sowie steht meist nicht. Personen, die zur Behandlung kom-
inkonsistente oder fehlende Maßnahmen zur Erzie- men, präsentieren primär andere Probleme (z. B. Dro-
hung eines Kindes begünstigen bei diesem das Auftre- genabusus), befinden sich oftmals in Justizvollzugsan-
ten einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Zusätzlich stalten oder haben nach der Haftentlassung eine
müssen jedoch weitere Faktoren wirksam werden, zu Auflage erhalten, sich zur Psychotherapie zu melden.
denen auch genetische Einflüsse gehören. Bestrafungen Die Therapie zielt darauf ab, bestehende Defizite im
oder ein schlechtes Gewissen lassen kaum Verhaltens- Bereich der Impulskontrollstörung, der Handlungs-
veränderungen erkennen. Das Angstniveau ist auffällig steuerung, der emotionalen Wahrnehmung und der
niedrig und bewirkt entsprechend kaum Vermeidungs- Empathie aufzuarbeiten.
verhalten. Die Erfahrungen mit somatischen Behandlungs-
versuchen (Medikamente, neurochriurgische Eingriffe,
Epidemiologie. Die Störung kommt bei niedrigeren Elektrokrampftherapie) sind ebenfalls überwiegend
sozialen Schichten häufiger vor, insgesamt liegt die enttäuschend.
Häufigkeit bei etwa 3% der Männer sowie 1% der
Frauen. Prognose. Die Prognose ist im Allgemeinen nicht güns-
tig. Allerdings mildern sich die Symptome in der zwei-
Symptomatik. Die dissoziale Persönlichkeit fällt durch ten Lebenshälfte häufig ab, ohne dass bekannt ist, wor-
verantwortungsloses und antisoziales Verhalten auf. auf dieser Effekt zurückzuführen ist.
Auffälligkeiten bestehen am Arbeitsplatz, der meist nur
für kurze Zeit innegehalten wird, bei Auseinanderset-
zungen, die häufig mit körperlicher Aggression einher-
gehen, Rücksichtslosigkeit bis zur Gesetzesübertretung
sowie häufig Schulden.
3.9 · Persönlichkeitsstörungen
193 3
3.9.2 Emotional instabile von Glücksspielen, unverantwortlichen Geldausgaben,
Persönlichkeitsstörung Fressanfällen, Substanzmissbrauch, risikoreichem Se-
xualverhalten oder rücksichtslosem Fahren. Die Stim-
Definition. Schwerwiegende psychische Störung, auch mung wirkt wechselnd und ist von Launen geprägt.
als Borderline-Persönlichkeitsstörung bezeichnet, die Weitere Persönlichkeitszüge sind die mangelnde Fähig-
mit einer anhaltenden und übergreifenden Persönlich- keit zur Vorausplanung und intensive Ärgerreaktionen,
keitsveränderung einhergeht. Unterschieden wird der die besonders dann zum Ausbruch kommen, wenn im-
impulsive vom Borderline-Typ. pulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behin-
dert werden.
Ätiopathogenese. In der Entstehung spielen Lerner- Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstö-
fahrungen in wichtigen frühen Beziehungen eine rung bemühen sich verzweifelt, tatsächliches oder er-
grundlegende Rolle. Modelle wie die Objektbezie- wartetes Verlassenwerden zu vermeiden. Selbstbild und
hungstheorie (Kernberg) und das Konzept der Bin- Geschlechtsidentität sind unklar und gestört. Bezie-
dungsstörung im Kindesalter können helfen, die frühen hungen sind ebenso intensiv wie unbeständig. Es
Beziehungserfahrungen in ihren Erscheinungen und kommt oft zu Suiziddrohungen oder selbstschädi-
Auswirkungen zu verstehen. Häufig lassen sich schwere genden Handlungen.
Traumatisierungen in der Kindheit erheben (sexuelle
und körperliche Gewalterfahrungen, Vernachlässi- Diagnostik. Zur Diagnosefindung stehen das diagnos-
gung, Verlust eines Elternteils). tische Gespräch (Eigen-/Fremdanamnese), Fragebö-
Möglicherweise spielt eine Veranlagung zu inten- gen, strukturierte Interviews und Checklisten zur Per-
sivem emotionalen Erleben eine zusätzliche Rolle. sönlichkeitsdiagnostik zur Verfügung.
Für alle Bereiche der Prävention (Primär-, Sekun-
där-, Tertiärprävention) spielen sowohl Psychoeduka- Differenzialdiagnose. Histrionische Persönlichkeits-
tion wie auch ambulante, teilstationäre oder stationäre störung, affektive Störungen (Depression, Manie, Bipo-
Psychotherapie neben einer medikamentösen Therapie lare Störung), akute bzw. posttraumatische Belastungs-
eine Rolle. störung/Anpassungsstörung, Substanzmissbrauch/-
abhängigkeit oder selbstverletzendes Verhalten im
Epidemiologie. Die Prävalenz wird auf ca. 2% in der Zusammenhang mit anderen psychischen Störungen,
Allgemeinbevölkerung, auf ca. 10% bei ambulanten vorübergehende Identitätsstörungen und Sinnkrisen
und ca. 20% bei stationären psychiatrischen Patienten (differenzialdiagnostische Herausforderung bei jungen
geschätzt. In klinischen Populationen mit Persönlich- Erwachsenen).
keitsstörungen liegt sie im Bereich von 30–60%. Die
Störung tritt überwiegend bei Frauen (ca. 75%) auf und Therapie. Die Behandlung beinhaltet Psychotherapie
scheint unabhängig von geographischer oder kulturel- (inkl. Psychoedukation) und oft eine zusätzliche medi-
ler Herkunft. Dagegen ist die Störung bei erstgradigen kamentöse Therapie (SSRI). Beides kann ambulant,
biologischen Verwandten fünfmal häufiger als in der teiltstationär oder stationär durchgeführt werden. Im
Allgemeinbevölkerung. ambulanten Setting hat sich eine eher niederfrequente
und eher strukturbildende Behandlung bewährt. Gän-
Symptomatik. Das typische Merkmal ist eine Instabili- gige Therapieansätze sind die nach Linehan (dialek-
tät in den Bereichen Emotionen, Beziehungen und tisch-behaviorale Psychotherapie) oder nach Kernberg
Selbstbild. Dies hat zur Folge, dass es häufig zu Impul- (Übertragungsfokussierte Psychotherapie). Die Thera-
sivität oder Affektlabilität, Beziehungsabbrüchen und pie ist oft durch schwankende Compliance gekenn-
einer Identitätsstörung bzw. einem Gefühl der inneren zeichnet und, mehr als bei anderen Störungen von The-
Leere kommt. Daneben tritt oft zusätzlich autodestruk- rapieabbruch bedroht, weswegen sich von Beginn an
tives Verhalten auf. ein Therapievertrag empfiehlt. Damit kann auch das
Auftreten selbstschädigender Impulse gemindert wer-
> Die Störung führt zu großen Einschränkungen der den (vollendete Suizide kommen immerhin bei 8–10%
persönlichen Lebensführung in den Bereichen zwi- der Betroffenen vor). Die Behandlung ist komplex und
schenmenschliche Beziehungen und Beruf. langwierig.
In der Nachsorge sollte die Therapie durch aus-
Beim impulsiven Typ herrscht die Tendenz vor, die ei- reichende Beratung (Sozialberatung, Berufsbera-
genen Impulse auszuagieren, ohne die damit verbunde- tung), begrenzte telefonische Nachkontakte durch
nen Konsequenzen zu berücksichtigen, z. B. in Form den vormals behandelnden Therapeuten nach Ent-
194 Kapitel 3 · Psychosomatik

lassung aus der stationären Behandlung und (bei Eig- pieerfolge bestehen oft in einer graduellen Besserung
nung) Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe ergänzt der Symptomatik, die Behandlung gehört in die Hände
werden. erfahrener Therapeuten.

Prognose. Die Prognose ist bei schweren Ausprägungen > Wesentlich für eine günstige Prognose ist eine an-
der Persönlichkeitsstörungen eher ungünstig, Thera- dauernde und regelmäßige Psychotherapie.
3
In Kürze
Persönlichkeitsstörungen

Dissoziale 4 Symptomatik: impulsives Verhalten ohne die Interessen und Rechte anderer zu
Persönlichkeitsstörung berücksichtigen; kaum Angst, fast keine Empathie, häufig delinquent
4 Ätiologie: genetische Einflüsse, problematische Bedingungen während der Kindheit
4 Diagnostik: Symptomatik im Verlauf, ggf. ergänzt durch strukturiertes Interview
und Testdiagnostik
4 Therapie: aufgrund mangelnder Motivation schwierig

Emotional instabile 4 Symptomatik: Instabilität in Emotionen, Beziehungen und Selbstbild. Beziehungs-


Persönlichkeitsstörung abbrüche, autodestruktives Verhalten
4 Impulsiver Typ 4 Ätiologie: schwere Störung des Bindungsverhaltens durch problematische frühe
4 Borderline-Typ Beziehungserfahrungen
4 Diagnostik: Anamnese, Fragebögen, strukturiertes Interview, Checklisten zur
Persönlichkeitsdiagnostik
4 Therapie: übertragungsfokussierte Psychotherapie, dialektisch-behaviorale
Psychotherapie, lange Behandlungszeiten, schwankende Compliance

3.10 Dissoziative Störungen, Epidemiologie. Präzise Daten über Prävalenz und Inzi-
Konversionsstörungen denz dissoziativer Störungen und von Konversionsstö-
rung liegen nicht vor. Es scheint, dass auch unter dem
Definition. Störungen, die neurologischen Erkrankun- Einfluss des kulturellen Wandels die Häufigkeit dieser
gen ähneln, ohne dass eine körperliche neurologische Störungen nicht konstant bleibt.
oder sonstige organische Ursache aufgedeckt werden
könnte. Symptomatik. Häufig prägen motorische Phänomene
(Bewegungs-, Haltungs- und Koordinationsstörungen,
Ätiopathogenese. Die ursprünglich von Freud als Kon- Lähmungen) das klinische Bild. Es kann aber auch zu
versionssymptomatik geprägte Vorstellung ging von krampfartigen Anfällen oder Sensibilitätsstörungen
der Theorie aus, dass die Energie eines verdrängten kommen.
Triebanspruchs in sensomotorische Funktionen hin-
einwirke und damit Funktionsstörungen verursache. > Die Symptome entsprechen den Vorstellungen des
Modernere Konzepte gehen von einem Zusammenwir- Patienten von Funktionszusammenhängen im Kör-
ken genetischer, kultureller und entwicklungspsycholo- per und nicht so sehr anatomischen oder physiolo-
gischer Einflussfaktoren aus. Zu den biographischen gischen Gegebenheiten.
Faktoren gehören während der Kindheit erlebter sexu-
eller Übergriffe, erlernter familiärer Krankheitsmodelle Diagnostik. Beim Vorliegen von Bewegungsstörungen
sowie ein sehr organ-medizinisch orientierter Gesund- folgen diese häufig einem ähnlichen Muster. Anderer-
heitsbegriff. Diese Einflussfaktoren werden durch kri- seits sind die Merkmale organischer Bewegungsstörun-
tische Lebensereignisse als auslösende Faktoren sowie gen davon deutlich unterschieden. Der Nachweis einer
aufrechterhaltende Faktoren zusätzlich beeinflusst. vorangehenden psychischen Belastung unterstützt die
Abgesehen von allgemeinen Maßnahmen zur Psy- Diagnose, ist jedoch nicht pathognomonisch, da auch
chohygiene sind keine spezifischen präventiven Maß- organische Erkrankungen in der Folge psychischer Be-
nahmen bekannt. lastungen auftreten können.
3.11 · Zwangstörung
195 3

Differenzialdiagnose. Neurologisch bedingte Erkran- ten Konfliktes im Vordergrund stehen und die Sympto-
kungen, Simulationen oder Aggravationen einer blan- matik nach dessen Auflösen überflüssig machen.
den Symptomatik. Eine Stabilisierung nach erfolgter psychotherapeu-
tischer Behandlung kann durch niederfrequente Be-
> Es existieren keine klaren Kriterien, die es erlauben handlungssitzungen angestrebt werden.
würden, eine Konversionssymptomatik von einer
Simulation sicher abzugrenzen. Gegebenenfalls Prognose. Studien an Patienten mit dissoziativen Stö-
können Symptomvalidierungstests einen Verdacht rungen zeigen, dass bei der Hälfte der Patienten auch
entkräften oder unterstützen. Jahre nach der Diagnosestellung eine entsprechende
Symptomatik nachweisbar ist. Das Problem dieser Pa-
Therapie. Soweit beim Patienten ein entsprechendes tienten ist vor allem die weitere und vergebliche Inan-
Störungsmodell plausibel gemacht werden konnte, spruchnahme des Gesundheitssystems. Durch psycho-
kann eine unmittelbare Beeinflussung der Symptoma- therapeutische Behandlung werden deutlich günstigere
tik durch eine kognitiv-behaviorale Psychotherapie Bedingungen geschaffen, ohne jedoch bei allen Patien-
angegangen werden. Dabei ist insbesondere die Be- ten Symptomfreiheit zu erzielen. Ein günstiges stabiles
rücksichtigung auslösender und aufrechterhaltender soziales Umfeld sowie ein psychosomatisches Verständ-
Bedingungen von Bedeutung. Unter tiefenpsycholo- nis in der Störung stellen günstige Prognosefaktoren
gischem Aspekt würde die Bearbeitung des unbewuss- dar.

In Kürze
Dissoziative und Konversionsstörungen

Dissoziative und 4 Symptomatik: motorische Phänomene, krampfartige Anfälle, Sensibilitätsstörun-


Konversionsstörungen gen, die neurologischen Erkrankungen ähneln, jedoch ohne organische Ursache
bestehen
4 Ätiologie: vermutlich Zusammenwirken genetischer, kultureller und biographi-
scher Einflüsse
4 Diagnostik: die Störungen entsprechen laientheoretischen Funktionszusammen-
hängen
4 Therapie: tiefenpsychologische Erarbeitung des zugrunde liegenden Konfliktes,
verhaltenstherapeutisches Umlernen unter Berücksichtigung aufrechterhaltender
Bedingungen (Funktionalität)

3.11 Zwangstörung ängstigende Es-Impulse in ihrer Wirkung eindämmen


soll, als Abwehrmaßnahmen, die in den meisten Fällen
Synonym. Anankastisches Syndrom. als Isolation (z. B. als fremd erlebte Zwangsgedanken),
Ungeschehenmachen (z. B. Waschzwang) oder Reak-
Definition. Als charakteristische Leitsymptome sind tionsbildung (übertriebene Moral zur Abwehr von se-
definiert: xuellen Impulsen) imponieren. Ursprünglich wurde
4 Zwangsgedanken: Gedanken, Bilder oder Impulse, postuliert, dass der Ursprung des unbewussten Kon-
die sich gegen den Willen des Betroffenen aufdrän- fliktes stets in der analen Entwicklungsphase zu suchen
gen, als lästig oder beunruhigend erlebt werden sei.
und in der Phantasie oft wie Taten gewertet werden. Lerntheoretiker gehen häufig davon aus, dass ein
Auch als Gegenmaßnahme dazu gedachte Gedan- zufällig in einer spannungsgeladenen Situation ge-
ken sind den Zwangsgedanken zuzurechnen. zeigtes Verhalten wie Händewaschen zu einer Reduk-
4 Zwangshandlungen: Objektiv überflüssige Hand- tion der dabei erlebten aversiven Gefühle (negative
lungen, deren Unterlassung extreme Beunruhigung Verstärkung) führt und damit operant konditioniert
auslöst. wird. Von kognitiver Seite wird der Aspekt hinzugefügt,
dass eine Selbstverurteilung wegen nicht-akzeptier-
Ätiopathogenese. Psychodynamische Erklärungen barer Gedanken und eine verzerrte Bewertung der er-
sehen die Zwangssymptomatik als Lösungsversuch, der warteten Konsequenzen eine große Rolle spielen.
196 Kapitel 3 · Psychosomatik

Alle Zwänge: 4 Persönlichkeitsstörungen (ängstlich-vermeidende,


4 können eine magische Komponente beinhalten, dependente, Borderline-Persönlichkeitsstörungen)
4 können eine der subjektiv effektivsten Coping- 4 Tics
Strategien für primäre Depressionen im Sinne einer 4 Essstörungen
Ablenkung von negativer Befindlichkeit darstel- 4 Hypochondrie
len,
3 4 können durch ein Streben nach 100%-iger Sicher- Diagnostik. Drei Fragen erfassen 80% der Zwangsstö-
heit mitbedingt sein. rungen:
4 Müssen Sie sich immer wieder die Hände wa-
Epidemiologie. Zwangsstörungen stellen die vierthäu- schen?
figste psychische Störung dar, etwa 1–2% der Bevölke- 4 Müssen Sie alles mehrmals kontrollieren?
rung sind betroffen, Männer etwa gleich häufig wie 4 Haben Sie (evtl. unsinnige) Gedanken, die sie be-
Frauen. Die Erkrankung beginnt in etwa der Hälfte der lasten und die sie nicht loswerden können?
Fälle vor dem 20. Lebensjahr.
Differenzialdiagnose. Anankastische oder zwanghafte
Symptomatik. Typische Zwangsgedanken sind mit der Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie, Depression,
Persönlichkeit des Betroffenen nicht vereinbar. Sie wer- Angststörung. Neurologische Erkrankungen wie Gil-
den als unbehaglich bis bedrohlich erlebt und haben oft les-de-la-Tourette-Syndrom, bilaterale Nekrose des
aggressive oder sexuelle Inhalte. Sie stellen sich wie von Nucleus pallidus, Sydenham-Chorea, substanzindu-
selbst oder bei geringsten Anlässen ein und sind mit zierte Zwänge durch Gabe dopaminerger Substanzen.
Willenskraft nicht abzustellen (Intrusionen). Die Pa-
tienten haben Sorge, ihre Gedanken in Taten umzuset- Therapie. Als psychotherapeutische Behandlung der
zen, ja sie nehmen die Existenz des Gedankens oft als Zwangsstörung hat die Verhaltenstherapie besondere
Beweis für die drohende Handlung (beispielsweise wird Bedeutung erlangt. Das Behandlungsprinzip besteht
der Gedanke, einen anderen mit einem Messer verlet- darin, den Patienten mit der Situation zu konfrontieren,
zen zu können oder zu wollen, als Beleg für die eigene die Zwangssymptome auslöst ohne dass die Zwangs-
Gefährlichkeit und Schlechtheit gewertet). handlungen ausgeführt werden (Reaktionsverhinde-
Unter den Zwangshandlungen stechen Kontroll- rung). Unter Einbeziehung kognitiver Therapieansätze
und Waschzwänge besonders häufig hervor. Letztere (Selbstinstruktionstraining) lernt der Patient, den
können verbunden sein mit der Angst vor Ansteckung Zwängen zu widerstehen, und in der Folge verlieren
oder Verunreinigung. Wiederholungszwänge, Zähl- sich diese oder schwächen sich ab. Das Prinzip ent-
zwänge oder zwanghaftes Ordnen bestimmter Gegen- spricht der Expositionsbehandlung bei Phobien. Die
stände haben oft den Charakter magischer Rituale, die Besserungsraten liegen zwischen 50 und 70%.
eine vorgestellte Gefahr abwenden helfen sollen. Parallel zur Verhaltenstherapie hat sich die psycho-
pharmakologische Behandlung mit Serotonin-Wieder-
> Meist zeigt die Störung einen chronischen Verlauf. aufnahme-Hemmern (SSRI) etabliert, die in vergleich-
barem Ausmaß zu Besserungen der Symptomatik führt.
Zu den häufigsten Zwängen gehören: Die Kombination von Verhaltenstherapie und SSRI ist
4 Wasch- und Säuberungszwänge der Monotherapie in ihrer Wirksamkeit überlegen.
4 Kontroll- und Ordnungszwänge Darüber hinaus vermindert sie das Risiko einer Symp-
4 Zähl- und Wiederholungszwänge tomexazerbation nach Absetzen des Psychopharma-
4 Berühr- und Sprechzwänge kons. Deutlichen Vorteil scheint die Kombinationsthe-
rapie bei gleichzeitigem Vorliegen einer depressiven
Es besteht eine hohe Komorbidität von 30–50%, insbe- Komorbidität zu erbringen.
sondere mit: In der Nachsorge kann dem Patienten geholfen
4 Affektiven Störungen werden durch konkrete Übungen, die erworbene Fä-
4 Angststörungen higkeiten festigen und Sicherheit stiften.
3.12 · Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren
197 3

In Kürze

Zwangsstörungen

Zwangsstörung 4 Symptomatik: als unbehaglich oder bedrohlich erlebte Gedanken, Bilder, Impulse. Objek-
tiv überflüssige Handlungen, deren Unterlassen erhebliche Angst und Unruhe auslöst.
4 Ätiologie: Abwehrmaßnahme gegen nicht bewusstseinsfähige Impulse, Ergebnis
ungünstiger Lernvorgänge auf dem Boden einer genetischen Prädisposition
4 Diagnostik: Frage nach Händewaschen, Kontrollwunsch, belastenden Gedanken
4 Therapie: Exposition und Reaktionsverhinderung, ggf. unterstützende Pharmakotherapie
(SSRI)

3.12 Psychologische Faktoren oder Ätiopathogenese. Es handelt sich um sehr unterschied-


Verhaltensfaktoren bei anderen- liche Krankheitsbilder, für die eine einheitliche Ätio-
orts klassifizierten Krankheiten pathogenese nicht existiert. Für die meisten dieser Stö-
rungen wird jedoch im Kern eine Verursachung durch
Beispiele für organische Erkrankungen mit häufiger dysfunktionale Belastungsverarbeitung bzw. missglückte
psychischer Begleitsymptomatik sind atopisches Ek- Anpassung an Umgebungsanforderungen angenom-
zem, Urtikaria, mukomembranöse Kolitis, chronische men. Biologische, psychische und soziale Einflussfak-
Lumbalschmerzen, Polymyalgie, andere chronische toren sind miteinander verflochten und beeinflussen
Schmerzerkrankungen und viele weitere. sich gegenseitig. Dies ist die Grundlage des bio-psycho-
Einige dieser Erkrankungen wurden schon früh sozialen Krankheitsmodells, das den Unterschied zu
mit psychosomatischen Konzepten in Verbindung ge- einem einfaktoriellen Ursache-Wirkungsprinzip betont.
bracht und gehören traditionell zu den klassischen Als etwas spezifischeres Modell wird lässt sich das
Erkrankungen der Psychosomatik (»Holy Seven«). Da- Diathese-Stress-Modell (. Abb. 3.4) verstehen. Es be-
zu werden gerechnet Asthma bronchiale, chronische sagt, dass eine Veranlagung (vorhandene Organschwä-
Polyarthritis, Colitis ulcerosa, essenzielle Hypertonie, che, Diathese) in Kombination mit einer starken Bean-
Hyperthyreose, Neurodermitis und Ulcus duodeni. spruchung zu einer zunächst funktionellen psychosoma-
Dies ist jedoch eher von historischer Bedeutung. tischen Störung führt, die durch anhaltende Wirkung
morphologische Veränderungen nach sich zieht und zu
Definition. Faktoren und Verhaltenseinflüsse, die für einer Organschädigung führt, die von einem bestimm-
andere klassifizierte körperliche Krankheiten bedeut- ten Moment an nicht mehr reversibel ist. Die tiefenpsy-
sam sind. chologische Zusatzannahme geht davon aus, dass frühe

. Abb. 3.4. Diathese-Stress-Modell chronischer Schmerzen. (Aus Ehlert 2003)


198 Kapitel 3 · Psychosomatik

Konfliktsituationen zu einer Organschwächung führen und nicht auf den ersten Blick als behandlungsbedürf-
oder zu einer besonderen Bereitschaft, mit diesem Organ tig erkennbar.
zu reagieren. Einige tiefenpsychologische Schulen ver-
> Den Betroffenen ist der Zusammenhang zwischen
muten sogar eine Art Organsprache, die dem zugrunde
diesen Störungen und den sehr viel stärker imponie-
liegenden Konflikt Gehör verschaffen will. Diese Annah-
renden körperlichen Beschwerden in der Regel nicht
men sind empirisch nicht belegt, können aber u. U. einen
3 therapeutischen Prozess günstig beeinflussen.
unmittelbar zugänglich, meist wird er sogar als abwe-
gig zurückgewiesen.
Zu den Faktoren, die begünstigend auf die Entste-
hung der Störung wirken, je nach zugrunde gelegter Diagnostik. Neben klinische Interviews können Frage-
Theorie genetische Besonderheiten, Vorerkrankungen, bogen zur Erfassung von Stressbelastung und -verar-
Traumata und frühkindliche Konflikte. Es handelt sich beitung hilfreich sein. Es ist keine gute Praxis, erst an
jedoch in allen Fällen um Hypothesen, die einer wei- begleitende Verhaltensfaktoren zu denken, wenn die
teren Überprüfung bedürfen. somatische Therapie unzureichend wirkt.
Ausgehend von dem Diathese-Stress-Modell liegen
Möglichkeiten zur Vorbeugung psychosomatischer Differenzialdiagnose. Zu warnen ist vor einer Überbe-
Erkrankungen einerseits in der Verbesserung individu- tonung der Verhaltensfaktoren, die zu einer Vernach-
eller Belastungsverarbeitung (Stressbewältigung, sozi- lässigung der körperlichen Seite der Behandlung führt.
ale Unterstützung), andererseits in Maßnahmen zur Die Vorstellung, dass psychosomatische Krankheiten
Reduktion vermeidbarer Belastungen (Lärmreduktion, ausschließlich mit psychotherapeutischen Methoden
Ergonomie, Arbeitsorganisation, Pausen usw.). zu behandeln seien oder dass es sich bei der Psychothe-
rapie um die kausale und damit »einzig relevante« The-
Epidemiologie. Verhaltensfaktoren bei somatischen rapie handle, führt leicht zu unnötig langem Leiden
Störungen werden außerordentlich häufig beobachtet. und therapeutischen Misserfolgen.
Da bisher keine Einigkeit darüber besteht, welche quan-
titative Rolle die unterschiedlichen Einflüsse auf das Therapie. Erst eine genaue Analyse der individuellen
Zustandekommen der jeweiligen Störung besteht, gibt Verhaltensfaktoren kann eine zielführende Therapie
es sehr unterschiedliche Zahlenangaben zu Prävalenz ermöglichen. Häufig werden jedoch Maßnahmen hilf-
und Inzidenz. reich sein, die zu einer verbesserten Belastungsverar-
beitung führen. Dazu gehören aus verhaltenstherapeu-
> Da für die Mehrzahl der häufigen Krankheiten, be-
tischer Sicht in der Regel Entspannungsverfahren in
sonders der sog. Zivilisationskrankheiten, Verhalten-
Kombination mit Stressbewältigungstrainings. Diese
seinflüsse nachgewiesen sind oder wahrscheinlich
können auch einen direkten Einfluss auf körperliche
gemacht wurden, sind Krankheiten ohne Verhaltens-
Prozesse nehmen (vegetative Stabilisierung). Dazu
faktoren eher die Ausnahme!
können auch andere Komponenten wie Selbstsicher-
Schätzungen über die Häufigkeit funktioneller psycho- heitstraining, Problemlösetechniken und anderes kom-
somatischer Erkrankungen in der Bevölkerung liegen men. Ferner sind sekundäre oder komorbide psychische
bei 10–20%. Störungen zu berücksichtigen.
In jedem Fall sind psychoedukative Maßnahmen
Symptomatik. Die psychischen Störungen sind oft we- (Informationsvermittlung, Schulung) hilfreich, die auf
nig eindrucksvoll, meist lang anhaltend (wie alltägliche das konkrete Verhalten abzielen und den Verlauf der
Sorgen, emotionale Konflikte, ängstliche Erwartung) Erkrankung günstig beeinflussen helfen.

In Kürze
Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderorts klassifizierten Krankheiten

Psychologische 4 Symptomatik: körperliche Beschwerden dominieren vordergründig


Faktoren oder Ver- 4 Ätiologie: oft dysfunktionale Belastungsverarbeitung
haltensfaktoren bei 4 Diagnostik: klinische Interviews, ausführliche Anamnese, Verhaltensbeobachtung,
anderorts klassifi- Tagebuch zur Identifikation individueller Fehlanpassung an Anforderungssituationen
zierten Krankheiten 4 Therapie: entsprechend den diagnostizierten individuellen Verhaltensfaktoren, oft
unter Einbeziehung von Entspannungsverfahren und kognitiver Neubewertung
(Stressbewältigung)
199

Farbabbildungen zu Kapitel 1: Neurologie

. Abb. 1.10. a Darstellung eines geringfügig arteriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangs durch verschiedene Methoden.
Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Normale Frequenzspektren in der Karotis-
bifurkation (oben links), im Bulbus caroticus (oben Mitte) und in der distalen A. carotis interna. Sie leichte Störung des Frequenz-
spektrums im Bulbus caroticus (oben rechts) ist an dieser Stelle nit pathologisch. Mitte links Die Strukturdarsellung der Gefäß-
wand im Ultraschall-B-Bild zeigt mehrere nichtstenosierende Plaques und flache Nischen. Mitte rechts Die eingeblendete farbko-
dierte Strömungsinformation (»Farbduplex«) zeigt ein weitgehend normales Strömungsmuster mit kleinen Rezirkulationszonen
in Wandnischen. Unten Die digitale Substraktionsangiographie (DSA) läßt entsprechend nur leichte Wandunregelmäßigkeiten
der A. carotis interna erkennen.
200

. Abb. 1.10. b Darstellung einer 70–80%igen ateriosklerotischen A.-carotis-interna-Abgangsstenose durch verschiedene Me-
thoden: Oben Strömungsmessung durch gepulste Dopplersonographie mit Frequenzanalyse. Vorwiegend diastolisch reduzierte
Strömungsgeschwindigkeit in der distalen A. carotis communis (oben links). Hochgradige Strömungsbeschleunigung mit über
500 cm/s Spitzengeschwindigkeit in der A.-carotis-interna-Sternose (oben Mitte links). Unmittelbar poststenostisch immer noch
hohe Spitzengeschwindigkeit. Gleichzeitig Zeichen starker Verwirbelung mit Frequenzverdichtung um die Nullinie (oben Mitte
rechts). Weiter stromabwärts langsamere, verwirbelt Strömung (oben rechts). Meherer cm distal der Stenose geglättete, aber
reduzierte Strömung mit abgeflachtem systolischen Anstieg. Man beachte, daß gegenüber Abb. 1b die Frequenz- bzw. Ge-
schwindigkeitsskala verändert wurde. Mitte links Die Strukturdarstelllung der Gefäßwand im Ultraschall-B-Bild zeigt echoarme
Wandveränderungen, in denen das Restlumen nicht klar abgrenzbar ist. Mitte rechts Durch die farbkodierte Strömungsinforma-
tion werden Strombahnverengung, Störumungsbeschleunigung und poststenotische Verwibelung nicht genau, aber über-
sichtlich dargestellt. Unten DSA der Stenose, die eine genaue Beurteilung auch des weiteren Gefäßverlaufs erlaubt. (R. Winter,
Heidelberg)
201 A–B

Sachverzeichnis
Aneurysma-Clippung 26 – fibrilläres 48
A Aneurysma-Coiling 26 – pilozysisches 48
Anfall Ataxia teleangiectatica 68
Aachener Aphasie-Test 110 – astatischer 72 Ataxie 67, 68
Abhängigkeit, Definition 134 – epileptischer 29, 36, 71, 72 – degenerative 68
Absenceepilepsie 72, 73 – fokaler 71, 72 – spinozerebelläre 68
Abstinenzsyndrom, neonatales 140 – generalisierter 72 – vestibuläre 67
Abszess – myoklonischer 72 – zerebelläre 67
– intrakranieller 44, 45 – psychogener 73 Audimutitas 158
– intraspinaler 44, 45 – tonischer 73 Aufmerksamkeitsprüfung 111
Achillessehnenreflex 5 Angststörung 163, 182–187 Aufmerksamkeitsstörung 107
Acitivites of Daily Living 111 – generalisierte 184, 185 Aufwachsepilepsie 72
Adduktorenreflex 5 Anorexia nervosa 132, 171–173 Autismus 109
Adynamia episodica hereditaria 98 – Ätiopathogenese 171 – frühkindlicher 160, 161
Affektkrampf, respiratorischer 73 – Symptomatik 172 Autoimmunmyositis 101
Affektstörung 108, 149 – Therapie 173
Agnosie 10 Anosmie 3
Agoraphobie 182, 183 Anpassungsstörung 168, 189
Agrammatismus 158 Anterior-cord-Syndrom 32
B
Agraphie 10 Anticholinergika 130
Akalkulie 10 Antidepressiva 63, 116, 151 Babinski-Reflex 3, 4
Akinese 57, 59, 109 – trizyklische 116, 117 Balint-Gruppe 168
– axiale 57 Antikoagulation 20 Bandscheibenvorfall 82
akinetische Krise Antikonvulsiva 75, 130 Bannwarth-Syndrom 40
Akustikusneurinom 50, 51 Antiphospholipid-Antikörper- Barbiturate 119
Alexie 10 Syndrom 18 Basilarismigräne 81
Alkoholhalluzinose 139 Antriebsstörung 108, 109, 149 Basilaristhrombose 20, 21
Alkoholismus 134–140 Anxiolytika 118 Battered-child-Syndrom 154
– Diagnostik 135 apallisches Syndrom 12 Becker-Kiener-Muskeldystrophie 98
– Formen 135 Apathie 108 Beinhalteversuch 5
– körperliche Störungen 137 Aphasie 10 Belastungsreaktion, akute 187, 188
– Phasen 134 – globale 10 Belastungsstörung, posttraumatische
– Symptomatik 134 Apomorphintest 130 189–191
Allodynie 7 Apoplex 7 Schlaganfall Bell-Zeichen 88
Alterans-Syndrome 21 Appetenz, sexuelle 178 Benzodiazepine 118
Alzheimer-Demenz 63, 128, 129 Apraxie 10 – Missbrauch 141
Amantadin 59, 130 Arbeitsintelligenz 111 Beschaffungskriminalität 134
Amaurosis fugax 18, 79 Armhalteversuch 5 Bewegungstherapie 115
Ambivalenz 108 Armplexusläsion 82 Bewusstseinslage 11, 106
amentielles Syndrom 123 Arnold-Chiari-Malformation 69, 70 Bewusstseinsstörung 11, 29, 36,
Amnesie, transiente globale 73 Arovirus 35 107
Amyloidangiopathie 27 Arteria-spinalis-anterior-Syndrom Beziehungswahn 148
Amyloid-Plaques 44 8 binge eating 172, 175
Analgesie 7 Arteriitis temporalis Horton 79 Bing-Horton-Kopfschmerz 78
Anamnese Arteriosklerose 16 Binswanger-Erkrankung 64
– psychiatrische 105, 106 Asperger-Syndrom 161 Bizepssehnenreflex 5
– psychosomatische 166 Astereognosie 7 Blickparese, progressive supra-
Anamnesemosaik 105 Astrozytom nukleäre 60
Aneurysma dissecans 16 – anaplastisches 48 Blitz-Nick-Salaam-Krampf 72
202 Sachverzeichnis

Blutung Compressio – Symptomatik 126


– epidurale 24, 25 – cerebri 30 – Therapie 128
– intrakranielle 24 – spinalis 32 – vaskuläre 62
– intrazerebrale 27, 28 COMT-Hemmer 59, 130 Denken
– subdurale 25 Contusio cerebri – dichotomes 172
Borderline-Persönlichkeits- – cerebri 30 – magisches 172
störung 193 – spinalis 32 Denkhemmung 150
Borreliose Conus-medullaris-Syndrom 32 Denkstörung 150
– 7 Lyme-Borreliose Coxsackie-Virus 35 – formale 106, 108
– 7 Neuroborreliose Crack 142 – inhaltliche 108
Brachialgia paraesthetica nocturna Craving 134 Depersonalisation 107
92 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 44 Depression 149, 150
Brachioradialisreflex 5 – Demenz 130 – agitierte 149
Bragard-Gowers-Zeichen 11, 81 – familiäre 44 – anakastische 150
Broca-Aphasie 158 – iatrogen übertragene 44 – larvierte 150
Brown-Séquard-Syndrom 8, 32 – vCJK 44 – melancholische 150
Brudzinski-Zeichen 11 Critical-illness-Neuropathie 85 – portpartale 150
Bulimia nervosa 132, 173–175 CRPS 8 – postkoitale 179
– Ätiopathogenese 173, 174 – Therapie 151
– Diagnostik 174 depressive Episode 149, 181, 182
– Symptomatik 174 – persistierende 151
– Therapie 175
D – rezidivierende 150
Bupiron 118 depressives Syndrom 123
Dauerschwindel 80 Derealisation 107
Deafferenzierungsschmerz 8 Dermatom 6, 7
Debilität 158 Dermatomyositis 101
C Decarboxylasehemmer 130 Dermatozoenwahn 148
Degeneration, kortikobasale 60 Diathese-Stress-Modell 197
Cannabis 140, 141 Delir Diplopie 3
Capgras-Syndrom 107 – medikamentös bedingtes 119, Dopaminagonisten 59
Carbamazepin 118, 139 120 Dopaminantagonisten 130
Cauda-equina-Syndrom 32 – Therapie 120, 121 Druck, intrakranieller 7 Hirndruck
Central-cord-Syndrom 32 – traumatisch bedingtes 120 Duchenne-Muskeldystrophie 98
Cephalosporine 34 Delirium Dysarthrie 67, 158
Chaddock-Reflex 5 – acutum 146 Dysarthrophonie 67
Charcot-Marie-Tooth-Krankheit – tremens 138 Dysästhesie 7
85 Dementia Dysfunktion, erektile 178
Chloralhydrat 119 – infantilis 161 Dysgrammatismus 158
cholinerge Krise 101 – pugilistica 62 Dyskalkulie 159
Chorea Demenz 62–65, 109, 122, 123, Dyskinesie 59
– gravidarum 60 126–131 Dyslalie 158
– Huntington 60 – Alzheimer 63, 128, 129 Dysmorphophobie 148
– minor 60 – Ätiopathogenese 62, 126 Dysomnie 133
– senile 60 – Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung Dysphasie 158
Cialis 179 130 Dystonie 61
Clomethiazol 139 – Diagnostik 62, 63, 127 – laryngeale 61
Clonidin 139 – HIV-assozierte Enzephalopathie – oromandibuläre 61
Clozapin 131 64, 65, 129, 130 – tardive 61
Cluster-Kopfschmerz 78 – kortikale 64 – zervikale 61
CMF-Test 42 – Leitsymptome 127 Dystrophie, myotone 96, 97
Commotio – mit Lewy-Körperchen 60, 63, 64
– cerebri 30 – Parkinson 130, 131
– spinalis 32 – subkortikale 64
Sachverzeichnis
203 B–H

E F H
ECHO-Virus 35 Fallneigung 58 Hachinski-Ischämie-Skale 111
Eifersuchtswahn, alkoholischer 139 Familienanamnese, psychiatrische Haemophilus influenzae 33,
Eigenreflexe 3, 5 105 Halluzinogene 142
Einschlusskörpermyositis 101 Faszikelläsion 83 Halluzinose, organisch bedingte
Elektroenzephalographie 13 Faszikulation 3 121
Elektrokrampftherapie 147, 151 Fazialisparese 88 Hamilton-Depressions-Skala
Elektromyographie 13 Feinmotorik, gestörte 67 112
Elektroneurographie 13 Fibromyalgie 9 Hämodilution, hypertensive
Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie Fieberkrampf 73 hypervolämische 27
98 Fingerbeugerreflex 5 HAWIE 111
EMG-Ermüdungstest 100 Freiburger Persönlichkeitsinventar HAWIK 111
Empfindungsstörung, dissoziierte 109 Hebephrenie 145
7, 8 Fremdreflexe 3, 5 Heller-Syndrom 161
Endokarditits, septische 34 Fressanfall 174 Hemiparese 21
Entspannungstherapie 115 Friedreich-Ataxie 67 – Definition 5
Entzugsdelir 138 Fromnent-Zeichen 91 Hemiplegia alterans 21
Entzugssyndrom 134, 138 Frühsommer-Meningoenzephalitis Hemiplegie, Definition 5
Enuresis 161 38 Heparinisierung 20
Enzephalitis FSME 38 Herpes zoster 89
– hämorrhagisch nekrotisierende FTA-ABS-Test 42 Herpes-simplex-Enzephalitis
36 Funktionsstörung, sexuelle 177–180 36, 37
– postvakzinale 36 Herpes-simplex-Virus 35, 36
– virale 35, 36 Hirnatherosklerose 21, 23
Enzephalopathie Hirndruck, erhöhter 27, 46
– HIV-assoziierte 64, 65, 129, 130
G – Therapie 47
– humane spongiforme 44 Hirnentzündung 7 Enzephalitis
– spongiforme 44 Gangataxie 67 Hirnhautentzündung 7 Meningitis
Ependymom 48 Ganglion-stellatum-Blockade 9 Hirninfarkt 16
Epiduralblutung 24, 25 Garin-Bujadoux-Bannwarth- Hirnleistungsschwäche 122
Epilepsie 71–76 Syndrom 40 Hirnmetastase 51
– Diagnostik 73 Gedächtnisprüfung 110 Hirnnerven
– idiopathische 71, 74 Gedächtnisstörung 107 – Funktionsausfall 3, 4
– juvenile myoklonische 72 Gegenübrtragung 106 – Untersuchung 3, 4
– kryptogene 71 Gerstmann-Sträussler-Scheinker- Hirnödem 46
– Operation 74 Syndrom 44, 130 – interstitielles 46
– pharmakoresistente 74 Gesprächstherapie 114 – postoperatives 50
– rolandische 71, 74 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom – Therapie 47
– symptomatische 71 196 – vasogenes 46
– Therapie 74, 75 Glasgow Coma Scale 12, 31 – zytotoxisches 46
Ermüdungs-EMG 13 Glioblastom 48 Hirnstammblutung 27
Erythema migrans 39, 40 Gliose, astrozytäre 44 Hirnstammischämie 20, 21
Ess-Brech-Sucht 7 Bulimia nervosa Global Deterioriation Scale 110 Hirnstimulation, elektrische 59,
Essstörungen 132, 133, 171 Gnomenwade 98 131
Euphorie 108 Gordon-Reflex 5 Hirntod 12, 13
extrapyramidales Syndrom 57 Grand-mal-Anfall 73 Hirnvenenthrombose 29
Grenzzoneninfarkt 18 HIV-Enzephalopathie 64, 65, 129,
Größenwahn 151 130
Großhirnblutung 27 Hoffmann-Tinel-Zeichen 91, 92
Guillain-Barré-Syndrom 84, 86 Horner-Syndrom 10
Gürtelrose 89 Hörstummheit 158
204 Sachverzeichnis

Hydrocephalus 45, 46 Jannetta-Operation 87 L-Dopa-Test 58


– communicans 45 Jarisch-Herxheimer-Reaktion 42 Legasthenie 159
– e vacuo 45 Leitungsaphasie 10
– externus 45 Lennox-Gastaut-Syndrom 73
– hypersecretorius 45 Lernbehinderung 158
– internus 45
K Lernstörung 159
– malresorptivus 45 Lerntheorie 116, 168
– occlusus 45 Karotis-TEA 20 Lese-Rechtschreib-Schwäche 159
Hyperalgesie 7 Karpaltunnelsyndrom 92 Lhermitte-Zeichen 11
Hyperkinese 109 Katalepsie 109 Lichttherapie 151
hyperkinetisches Syndrom 155 katathymes Bilderleben 113 Liquordiagnostik 15, 16
Hyperkoagulabilität 29 Katatonie, febrile 146 Liquordrainage, ventrikuläre 27
Hyperpathie 7 Kernig-Zeichen 11 Liquorfistel 29
Hypersomnie 133 Kindesmissbrauch, sexueller 154, Liquorpunktion 15
Hyperventilation 47 155 Liquorszintigraphie 13
Hypoalgesie 7 Kindesmisshandlung 154, 155 Listeria monocytogenes 35
Hypochondrie 168, 169 Kindesvernachlässigung 154 Lithium 118
Hypoglycaemia factitia 125 Kleinhirnblutung 27 Lobäratrophie, frontotemporale 64
Hypoglykämie 124, 125 Kleinhirndegeneration 68 Locked-in-Syndrom 12
– exogene 124 Kokain 142 Logorrhö 108
– postprandiale 124 Koma 11, 12, 106 Lösungsmittelmissbrauch 142
Hypokinese 57, 109 Konfliktarten 105 Lues cerebrospinalis 41
Hypomanie 108 Kontinuitätsdelir 138 Lumbalkanalstenose 81
Hyposmie 3 Konversionsstörung 194, 195 Lumbalpunktion 26
Hyposomnie 133 Kopfschmerz 76–80 Lyme-Arthritis 40
Hysterie 163 – arzneimittelinduzierter 78, 79 Lyme-Borreliose 39–41
– primärer 76 Lyse
– psychosomatischer 168 – intraarterielle 20
– sekundärer 76 – intravenöse 20
I – Sinusvenenthrombose 29
Körperschemastörung 132, 171
Ich-Erleben 107 Korsakow-Syndrom 139
– gestörtes 109 Kozhevnikov-Syndrom 71
M
Ideenflucht 151
Idiotie 158 Magersucht 7 Anorexia nervosa
Imbezillität 158 Magnetstimulation, transkranielle
Infarkt, lakunärer 18, 64
L 13
Inkohärenz 108 Manie 151, 152
Insomnie, letale familiäre 44, 130 Lagerungsschwindel 80, 81 MAO-Hemmer 59, 116
Insult, zerebraler 7 Schlaganfall Lähmung Marburg-Trias 55
Intelligenzminderung 109, 157, 158 – 7 Parese Marihuana 140, 141
Intentionstremor 53 – hyperkaliämische periodische 98 Maskengesicht 57
Ionenkanalkrankheiten 97, 98 – hypokaliämische periodische 98 Masseter-Reflex 5
Ischämie – periphere 6 Medikamentenanamnese 105
– transitorische 16 – zentrale 6 Medulloblastom 48
– zerebrale 16 Lambert-Eaton-Syndrom 100 Meige-Syndrom 61
Lamotrigin 118 Melkersson-Rosenthal-Syndrom
Lasègue-Zeichen 11, 81 88
– gekreuztes 11 Memantin 129
J – umgekehrtes 11, 81 Memo-Test 110
Lateralsklerose, amyotrophe 66 Meningeom 48–50
Jackson-Anfall 71 Laxanzienmissbrauch 174 Meningeosis neoplastica 51
Jackson-Syndrom 21 L-Dopa 58, 130 Meningismus 11, 33–36
Sachverzeichnis
205 H–P

Meningitis myasthene Krise 100 Nonne-Marie-Krankheit 68


– Ätiologie 33 Myasthenia gravis 99 Nootropika 129
– bakterielle 33, 34 Myasthenie Noradrenalin-Wiederaufnahme-
– Diagnostik 34, 35 – neonatale 99 hemmer 116
– Meldepflicht 34 – okuläre 99, 100 Normaldruckhydrozephalus 45, 46
– Symptomatik 34 – serumpositive 99 Nozizeptor 8
– Therapie 34 Myatrophie, neuralgische 83 Nüchternhypoglykämie 124
– tuberkulöse 38 Mycobacterium tuberculosis 38
– virale 35, 36 Mydriasis 3
Meningoenzephalitis Myopathie
– nichteitrige 38 – arzneimittelinduzierte 101
O
– virale 35, 36 – toxische 101, 102
Meningokokkenimpfung 34 Myositis 101 Oberflächensensibilität 6
Meningokokkenmeningitis – Borrelien-induzierte 40 Okulomotorik 3
Meningomyelozele 69 Myotonia congenita 97 – gestörte 67
Meningozele 69 Myotonie Oligophrenie 109, 158
Meralgia paraesthecia 94 – dystrophe 96, 97 Opioidabhängigkeit 140
Migräne 77, 78 – nichtdystrophe 97 Opioidintoxikation 140
– vestibuläre 81 Opipramol 118
Millard-Gubler-Syndrom 21 Oppenheim-Reflex 5
Mini-Mental-State 110 Orgasmusstörung 179
Minnesota Multiphasic Personality
N Orientierung 106
Inventory 109 Orientierungsstörung 107
Missbrauch Nackenbeugerzeichen 11 Osler-Knötchen 34
– Definition 134 Narkolepsie 73 Oszillopsie 67
– sexueller 154, 155 Neglect 10, 11
Monoaminooxidasehemmer 59, 116 Neisseria meningitidis 33
Mononeuropathia multiplex 85 Nervenbiopsie 16
Morbus Nervendehnungszeichen 11
P
– Alzheimer 63 Nervus
– Little 70 – facialis, Parese 88 Pallästhesie 7
– Parkinson 130, 131 – femoralis, Läsion 94 Panenzephalitis, subakute
Motorik – ischiadicus, Läsion 94 sklerosierende 37, 38
– Störungen 155, 156 – medianus, Läsion 91, 92 Panikattacke 185
– Untersuchung 3 – peroneus, Läsion 94, 95 Panikstörung 185–187
Moya-Moya-Syndrom 18 – radialis, Läsion 92, 93 Papovavirus 129
Multiinfarktdemenz 64 – tibialis, Läsion 95 Paralyse
multiple Sklerose 53–56 – trigeminus, Neuralgie 87 – Definition 5
– Diagnostik 55 – ulnaris, Läsion 90, 91 – progressive 41
– Symptomatik 53 Neuralgie 7 Paramyotonia congenita 97, 98
– Therapie 55, 56 Neuritis Paranoia 148
Multisystematrophie 59, 68 – immunvermittelte 84 Paraparese, Definition 5
Münchhausen-Stellvertreter- – infektiöse 84 Paraphasie 10
Syndrom 154 Neuroborreliose 39, 40 Paraplegie, Definition 5
Münchhausen-Syndrom 164 Neurofibromatose 68 Parasomnie 133
Münchner Alkoholismustest 112 Neuroleptika 116, 146 Parästhesie 7
Muskelatrophie, spinale 66 Neuropathie Parese, Definition 5
Muskelbiopsie 16 – ernährungsbedingte 84 Parinaud-Syndrom 21
Muskeldystrophie 98 – hereditäre 84 Parkinson-Demenz 130, 131
– fazioskapulohumerale 98 – metabolische 84 Parkinson-Syndrom 57
– okulopharyngeale 98 – toxische 84 Patellarsehnenreflex 5
Muskelfaszikulation 3 Neurosyphilis 41, 42 Pavor nocturnus 176
Mutismus 158 Nimodipin 129 Perseveration 108
206 Sachverzeichnis

Persönlichkeitsstörung 192–194 – Setting 168 Schlafentzug 151


– dissoziale 192 – Supervision 168 Schlafepilepsie 72
– emotional instabile 193 – supportive 151 Schlafhygiene 176, 177
– organische 121, 122 – tiefenpsychologische 113 Schlafmittelabhängigkeit 176
Persönlichkeitsstruktur 105 Ptosis 3 Schlafstörungen 133, 134, 176, 177
Petit-mal-Anfall 72, 73 Pupillenerweiterung, Schlafwandeln 176
Phalen-Test 92 homolaterale 24 Schlaganfall 16–21
Phenothiazine 146, 147 Pupillenstarre 3 – Diagnostik 18, 19
Phobie 182–184 – Rehabilitation 20
– isolierte 182, 183 – Sekundärprophylaxe 20
– soziale 182, 183 – Therapie 19, 20
– Therapie 184
Q Schmerz 8, 9
Pick-Komplex 64 – chronischer 9
Plexusparese 82 Querschnittlähmung 32 – Diathese-Stress-Modell 197
Pneumokokkenmeningitis – Therapie 9
Poliomyelitis-Virus 35 – neuralgiformer 8
Poltern 158 – neuropathischer 8
Polymyositis 101
R Schmerzsyndrom, komplexes
Polyneuritis 84–86 regionales 8, 9
Polyneuropathie 84–86 Rausch Schmerztherapie 9
– diabetische 85 – einfacher 136 Schnüffelstoffe 142
Polyradikulitis 86 – komplizierter 138 Schreibkrampf 61
Polyradikuloneuropathie, chronische – pathologischer 138 Schulangst 159
inflammatorische demyelini- Rechenschwäche 159 Schulteramyotrophie, neuralgische
sierende 86 Reiber-Schema 16 83
Polytoxikomanie 134 Relativismus 108 Schwankschwindel 80
Polytrauma 30 Restless-legs-Syndrom 60, 61 Schwindel 80
Postzoster-Neuralgie 89 Retrobulbärneuritis 53 – orthostatischer 80
Potenzial, evoziertes 13 Rett-Syndrom 161 – psychogener 80
Prion 44 Rigor 57 – vestibulärer 80
Progressiver Matrizentest von Rolando-Epilepsie 71, 74 Sedativa, Missbrauch 142
Raven 111 Rossolimo-Reflex 5 Selbstbeschädigung 164
Pseudodebilität 109 rtPA 20 Sensibilität 6, 7
Pseudodemenz 109, 150 Rückenmarksverletzungen 31, 32 Sensualitätstraining 179
Psychoanalyse 113 Rückenmarksyndrome 32 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer,
Psychopharmaka 116 Ruhetremor 57 selektive 116
Psychose Rumpfataxie 67 Setting 168
– akute 146 Sexualstörung 177–180
– endogene 147 Sexualtherapie 179, 180
– exogene 119–123, 134 Sinusvenenthrombose 29
– organische 29
S Sklerose, multiple 7 multiple
– symptomatische 138 Sklerose
Psychosomatik, Definition 166 Schädel-Hirn-Trauma 30, 31 Soazialverhalten, gestörtes 162
Psychosomatische Medizin 166 – Liquorfistel 29 Somnolenz 11, 106
Psychosyndrom, hirnlokales 123 Schädelprellung 30 Sopor 11, 106
Psychotherapie 112, 113 Schizophrenie 143–147 Spannungskopfschmerz 76
– Definition 166 – Ätiopathogenese 143 Spina bifida 68, 69
– Indikationen 112 – Diagnostik 143, 144 Spinalparalyse, spastische 66
– interpersonale 151 – katatone 145 Sprachstörung 158
– katathym-imaginative 113 – paranoid-halluzinaotirsche Sprachverlustsyndrom 158
– kognitive 151 145 Sprechstörung 158
– Kontraindikationen 113 – Symptomatik 143 Stammeln 158
– psychodynamische 151, 168 – Therapie 144, 147 Stammganglienblutung 27
Sachverzeichnis
207 P–Z

Standataxie 67 Territorialinfarkt 18
Status Tethered-cord-Syndrom 69
W
– epilepticus 72, 75 Tetraparese, Definition 5
– psychischer 3 Tetraplegie, Definition 5 Wahn 106, 147, 148
Stent-Implantation 20 Thematischer Apperzeptionstest 109 – symbiotischer 148
Stimulanzien, Missbrauch 142 Thrombendarteriektomie 20 Wahrnehmungsstörung 107, 108,
Stimulations-EMG 13 Thrombolyse 20 158, 160
Störung Thrombophlebitis, infektiöse 29 Wallenberg-Syndrom 21
– affektive 181, 182 Thymektomie 100 Weber-Syndrom 21
– anhaltende 151 TIA 18 Wernicke-Aphasie 36, 158
– bipolare 152, 181 Tic 155, 156 Wernicke-Enzephalopathie 140
– depressive 149, 150 Tiefenhirnstimulation 59, 131 Wortfindungsstörung 158
– dissoziative 163, 194, 195 Tiefenpsychologie 168
– emotionale 162, 163 Tiefensensibilität 6
– hypochondrische 168 Toleranzentwicklung 134
– psychogene 161, 162 Torpidität 108
X
– psychosomatische, Definition 166 Toxoplasma gondii 129
– schizoaffektive 147 Toxoplasmose 39 Xanthochromie 26
– somatoforme 168–170 TPHA-Test 41
– Sozialverhalten 162 Tranquilizer 141
– wahnhafte 147, 148 Transitivismus 107
Stottern 158 transitorische ischämie Attacke 18
Y
Stupor Treponema pallidum 41
– depressiver 149 Trierer Alkoholismusinventar 112 Yohimbin 179
– katatoner 143, 146 Trigeminusneuralgie 87
Subarachnoidalblutung 25, 26 Trizepssehnenreflex 5
Subclavian-Steal-Syndrom 21 Trömner-Reflex 5
Subduralblutung 25
Z
Supervision 168
Supinatorsyndrom 93 Zahlenverbindungstest 111
Sympathalgie 8
U Zerebralparese, infantile 70
Syndrom ZNS-Tumoren 47–52
– amentielles 123 Übertragung 106 – Diagnostik 49, 50
– apallisches 12 Untersuchung – Symptomatik 49
– chronisch posttraumatisches 30 – Hirnnerven 3 – Therapie 50
– depressives 123 – Motorik 3 Zolpidem 119
– expansiv-maniformes 123 – neurologische 3–16 Zopliclon 119
– extrapyramidales 57 – psychiatrische 105–112 Zoster
– hyperkinetisches 155 – ophthalmicus 89
Synkope 73 – oticus 88, 89
Syringobulbie 69 Zosterenzephalitis 36
Syringomyelie 8, 69
V Zosterneuralgie 89
Zwangsgedanke 195, 196
Vagusnervstimulation 74 Zwangshandlung 195, 196
Valproinsäure 118 Zwangsstörung 163, 195, 196
T Varizellenenzephalitis 36 Zyklothymie 152
Vasospasmus 27 Zytomegalievirus 35, 37
Tabes dorsalis 41 VDRL-Test 42 Zytomegalievirus-Enzephalitis 37
Tadalafil 179 Verhaltenstherapie 114, 116, 168
Taubstummheit 158 Versivanfall 71
Teilleistungen, Prüfung 109, 110 Viagra 179
Teilleistungsschwäche 158 Vigilanz 107
Tensilon-Test 100 Virchow-Trias 16

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