Kapitel 119 128
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In der für seinen Sohn Ioannes VIII. verfassten Paränese erklärt Manuel II. Palaiologos, warum er sich
entschloss, die Feder selbst zu ergreifen, statt diese Aufgabe Lehrern zu übertragen. Mit kaiserlicher Selbst-
sicherheit beteuert er, dass die Ermahnung eines Vaters, der zusätzlich der König ist, sogar der Erziehung der
meist erfahrenen Lehrer und Pädagogen überlegen sei.1 Sein Vorhaben untermauert er mit folgender Be-
obachtung: Mangels der aus der väterlichen Beziehung (πατρικὴ σχέσις) und der Kaiserwürde entspringen-
den Freimütigkeit (σχήματος ἀφοβία) sowie aus Angst vor der Gefahr, hochmütig und arrogant zu erschei-
nen, sahen sich frühere Verfasser von kaiserlichen Mahnreden gezwungen, sich der langjährigen Redekunst
(τέχνη μακρά) zuzuwenden, um ihre Adressaten zunächst zu lobpreisen und erst dann auf die nötige Ermah-
nung behutsam (συνεσταλμένως) überzugehen.2 Dies sei bei ihm nicht der Fall. Dennoch bekennt Manuel II.
weiters in seinem einleitenden Brief, zwar die eigenen Gedanken niederzulegen, jedoch nicht auf die Wei-
sungen antiker und christlicher Lehrer zu verzichten.3
Den Ausführungen Manuels II. ist zu entnehmen, dass er eine Gruppe paränetischer Schriften im Sinne
hat, die ihren kaiserlichen Adressaten schmerzhaft (δάκνον) erscheinen können und daher vor allem von den
„normal sterblichen“ Autoren Freimütigkeit und Kunstfertigkeit erfordern. Er nennt sogar namentlich ihre
Vorbilder, nämlich Isokrates und Dion von Prusa (mit dem Beinamen Chrysostomos), und führt somit ihre
Tradition auf die klassische und die hellenistische Zeit der Antike zurück.4 In diese Textgruppe ordnet er
auch sein eigenes Werk ein. Die bewusste Auseinandersetzung des Kaisers mit der Tradition, wie sie sich im
Prooimion seines Werkes dokumentiert, führt zur Frage, um welche Textgruppe es sich dabei eigentlich han-
delt, und wie diese von den Byzantinern aufgefasst wird.
Die Schriften, die Ermahnungen an einen jüngst gekrönten Kaiser oder Thronfolger hinsichtlich der rich-
tigen Lebensführung und des idealen Verhaltens eines Königs erteilen, werden von ihren Verfassern bzw. in
—————
* Im Bewusstsein der Vielschichtigkeit des Terminus βασιλεύς wird dieser im vorliegenden Beitrag, unabhängig von der Datierung
des Werkes und von dessen Adressaten, möglichst konsequent mit „König“ wiedergegeben. An dieser Stelle möchte ich Herrn
Prof. Johannes Koder (Wien) meinen aufrichtigen Dank für seine kritischen Bemerkungen aussprechen.
1
Manuel Palaiologos verfasste seine Ὑποθῆκαι βασιλικῆς ἀγωγῆς gegen 1406–1413. Zum Prooimion siehe PG 156,316B–317C:
Ἤ ρ κ ε ι τοιγαροῦν ἐ π ι τ ά ξ α ι , παρὰ τουτουσὶ τοὺς ἄνδρας φοιτῆσαί σε, καὶ τὴν ταχίστην αὐτοὺς διελθεῖν, καὶ ταῖς σφῶν
διδασκαλίαις σαὐτὸν κοσμῆσαι, καὶ πραγμάτων ἡμᾶς ἀπηλλάχθαι. Καὶ φημὶ, μηδὲν ἀπᾷδον τουτονὶ τὸν ἄνδρα ἐρεῖν. [...]
Ἡγησάμην δὲ τ ο ὐ μ ὸ ν , καίτοι τἄλλα ταπεινῶς ἔχον, ἔνθα δή τι π λ έ ο ν σ χ ή σ ε ι ν τοὐκείνων. Λέγω δὴ τὴν π α τ ρ ι κ ὴ ν
σ χ έ σ ι ν , ἧς τὸ πῦρ μέγα ἀνάπτον, σφόδρα γὲ πρὸς μεῖζον ἐξαίρει, ἃ σύ μοι δίδως μαντεύεσθαι περὶ τῆς σῆς φύσεως. [...] 316D
οὔτε γὰρ ἀπιστεῖν ἔστι τινὶ τῶν λεγομένων, οὔτε ὅλως ἀπειθεῖν, ὁπόταν καί τι δ ά κ ν ο ν φανῇ, οὔτε μὴ θέλειν χαρίζεσθαι, τῷ
ὑποτετάχθαι τοῖς λόγοις ἔργοις. [...] 317A: Οὐ μὴν ἀλλ’ ἔστι καὶ ἕ τ ε ρ ο ν , ἐ ν ᾧ π λ ε ο ν ε κ τ ο ῦ μ ε ν ἐ κ ε ί ν ω ν . Τὸ γὰρ δὴ
μ ε τ ’ ἐ ξ ο υ σ ί α ς ε ἰ π ε ῖ ν , ὃ πολλὴν τὴν δύναμιν ἔχει καὶ παιδοτρίβῃ, καὶ διδασκάλῳ, καὶ παντὶ διορθουμένῳ φύσεις νέων, ἢ
πλάττοντι, ἐμοὶ μὲν ἔξεστι παντελῶς, ἐκείνοις δὲ οὐδαμῶς, οὐδ’ ἂν ἡ πάντων σοφία εἰς ἕν γε τούτοις συνέλθῃ. Πῶς γὰρ ἂν
προστάξαιεν ἀ δ ε ῶ ς , πῶς δὲ π ι σ τ ῶ ς , πῶς δὲ θ α ρ ρ ο ύ ν τ ω ς , κατὰ βασιλέα, καὶ πατέρα, καὶ φίλον, οἵτινες ἐστέρηνται καὶ
σ χ ή μ α τ ο ς ἀ φ ο β ί α ν διδόντος, καὶ σχέσεως πασῶν κρατούσης τῷ τῆς φύσεως φίλτρῳ, καὶ φιλίας συνηθείᾳ θαρρυνούσης;
(Hervorhebungen hier sowie in den nachstehenden Anmerkungen stammen stets von mir [A.G.]).
2
Ibid. 317Β: τηρεῖν δὲ ὅμως ἐθέλοντες τὰ πρέποντα σφίσιν αὐτοῖς, καὶ τοῖς βασιλεῦσι, καὶ μὴ δοκεῖν θρασύνεσθαι, μηδὲ προπετῶς
ἔχειν, τ έ χ ν ῃ μ α κ ρ ᾷ δ ε ξ ι ο ύ μ ε ν ο ι ὑ π ε ρ ο χ ὰ ς τ ῶ ν κ ρ α τ ο ύ ν τ ω ν , ἔ π ε ι τ α κ α ὶ τ α ύ τ ῃ σ υ ν ε σ τ α λ μ έ ν ω ς τ ὸ
δέον ἀποφαινόμενοι.
3
Ibid. 317A–B: Παρ’ αὐτῶν ἐγὼ τ ὰ ς γ ν ώ μ α ς ἐ ρ α ν ι σ ά μ ε ν ο ς , κ α ὶ π ρ ο σ έ τ ι θ ε ι ο τ έ ρ ω ν ἀ ν δ ρ ῶ ν , π ρ ο σ θ ε ί ς τ ι
κ α ὶ π α ρ ’ ἐ μ α υ τ ο ῦ , ἴσως οὐ πάντῃ φαῦλον, οὕτως ἐ λ ε υ θ έ ρ ω ς κ α ὶ π α τ ρ ι κ ῶ ς (ὡς ἂν εἴποι τις) ἀποδέδωκα.
4
Ibid. 317A–B: Δ η λ ο ῦ σ ι δὲ Δίων, Ἰσοκράτης, πολλοὶ ἕτεροι, βασιλικοὺς μὲν λόγους ὀνομασθέντας, καὶ πρὸς αὐτοὺς βασιλέας,
πολλούς τινας γεγραφότες.
120 Antonia Giannouli
der handschriftlichen Überlieferung mit den Überschriften παραίνεσις, παραινετικὰ κεφάλαια, λόγος νουθε-
τητικός, ὑποθῆκαι und βασιλικὸς ἀνδριάς versehen oder allgemein περὶ βασιλείας genannt. Aus praktischen
Gründen wurde in der deutschsprachigen Fachliteratur der Terminus „Fürstenspiegel“ nachträglich zu ihrer
Bezeichnung festgelegt. Sie weisen zwar beachtliche formale Unterschiede untereinander auf; dennoch wer-
den sie alle (vor allem aufgrund inhaltlicher Kriterien und ihrer Adressaten) als eine eigenständige „Gattung“
aufgefasst und in der Literaturgeschichte gemeinhin der byzantinischen rhetorischen Produktion zugeordnet.
Auf diese Gattung lenkt vorliegender Beitrag das Augenmerk; Anliegen ist es, zur Frage nach der bewusst
treuen, wetteifernden bzw. schöpferischen rhetorischen Nachahmung von literarischen Vorbildern in der by-
zantinischen Literatur Bemerkungen beizusteuern.
Abgesehen von literaturhistorischen Problemstellungen5 zogen diese Texte als Zeugnisse der Kaiserideo-
logie der Byzantiner und ihres ethisch-politischen Selbstverständnisses in erster Linie die Aufmerksamkeit
der Historiker auf sich.6 Die rhetorisch-theoretischen Grundlagen und ihre Bedeutung für die Gestaltung
dieser Texte wurden hingegen erst in jüngerer Zeit in den Vordergrund der Forschung gestellt.7 Hier werden
folgende Fragen angeschnitten: Stellt Manuels Aussage über die Freimütigkeit der Autoren einen allgemein
bekannten Topos dar, oder entspricht sie der Realität? Wenn es sich bei diesen Texten um eine Form von
Paränese handelt, wie fassen dann die Autoren ihr Verhältnis zu Lob und Tadel auf? Folgen die Verfasser
einer Tradition, mit der sie sich bewusst auseinandersetzen, und versuchen sie überhaupt, über die Tradition
hinauszugehen? Die Antworten auf diese Fragen lassen sich zum Teil den eigenen Aussagen der Autoren
entnehmen, zum Teil auch aus dem Inhalt der Schriften erschließen, die ihre Intentionen verkörpern.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Fragen nach der Gestaltung und der Form dieser Texte,8
nach ihrer Selbstständigkeit, nach der Historizität oder Fiktivität eine beachtenswerte Vielfalt erkennen las-
sen, werden als Arbeitsgrundlage vorliegender Studie jene Werke dienen, die als wahre Paränese an eine
historische Person bzw. an einen bestimmten Kaiser gelten und als selbstständige Schriften verfasst wurden.9
Es handelt sich dabei um Texte folgender Autoren: Synesios von Kyrene, Agapetos Diakonos, Kaiser Basi-
leios I., Nikephoros Blemmydes, Thomas Magistros und Kaiser Manuel II. Palaiologos. Ferner werden die
„integrierten“ Fürstenspiegel von Photios, Kekaumenos und Theophylaktos von Achrida herangezogen, bil-
den sie doch jeweils einen in sich geschlossenen und mit dem übrigen Textstück gleichwertigen Teil. Ke-
kaumenos wendet sich im Fürstenspiegel selbst an den zeitgenössischen Kaiser – wohl Michael VII. –, ob-
wohl er eingangs dieses Werk ganz allgemein an die „gottesfürchtigen und christusliebenden Könige“ rich-
tet.10 Die Musen dagegen, das paränetische Gedicht des Kaisers Alexios I. an seinen Sohn, bilden zwar ein
„einzigartiges Dokument“ in der byzantinischen Dichtung, sie sind aber für unsere Fragestellung weniger
—————
5
Bereits bei P. HADOT, Fürstenspiegel. RAC 8 (1972) 555–632; W. BLUM, Byzantinische Fürstenspiegel: Αgapetos, Theophylakt
von Ochrid, Thomas Magister (Bibliothek der Griechischen Literatur 14). Stuttgart 1958; G. PRINZING, Beobachtungen zu „in-
tegrierten“ Fürstenspiegeln der Byzantiner. JÖB 38 (1988) 1–31.
6
In Bezug auf das ideale Bild des Königs siehe u.a. A.P. KAZHDAN – A.W. EPSTEIN, Change in Byzantine Culture in the Eleventh
and Twelfth Centuries. Berkeley u.a. 1985, 109–116; A. KAZHDAN, The Aristocracy and the Imperial Ideal, in: M. ANGOLD (ed.),
The Byzantine Aristocracy IX to XIII Centuries. Oxford 1984, 43–57; I. ČIČUROV, Gesetz und Gerechtigkeit in den byzantini-
schen Fürstenspiegeln des 6.–9. Jahrhunderts, in: L. BURGMANN – M.Th. FÖGEN – A. SCHMINCK (ed.), Cupido legum. Frankfurt
1985, 33–45; K.D.S. PAЇDAS, Η θεματική των „Κατόπτρων ηγεμόνος“ της πρώιμης και μέσης περιόδου (398–1085). Συμβολή
στην πολιτική θεωρία των Βυζαντινών. Athen 2005; IDEM, Τα βυζαντινά „Κάτοπτρα ηγεμόνος“ της ύστερης περιόδου (1254–
1403). Εκφράσεις του βυζαντινού βασιλικού ιδεώδους. Athen 2006.
7
Siehe z.B. C. ROUECHÉ, The Rhetoric of Kekaumenos, in: JEFFREYS, Rhetoric 23–37; EADEM, The Literary Background of Ke-
kaumenos, in: C. HOLMES – J. WARING (ed.), Literacy, Εducation and Μanuscript Τransmission in Byzantium and Βeyond (The
Medieval Mediterranean 42). Leiden u.a. 2002, 144–177.
8
O. EBERHARDT, Via Regia: Der Fürstenspiegel Smaragds von St. Mihiel und seine literarische Gattung (Münstersche Mittelalter-
Schriften 28). München 1977, 679–680: Er konstatiert, dass die westliche Fürstenspiegel-Gattung keinen einheitlichen spezifi-
schen Formtyp besitzt. Die einzelnen Formen lassen sich je nachdem durch „relative äußere Kürze“, „kunstvolle Durchformung“,
oder durch „Florilegiencharakter“ unterscheiden. Ähnliches gilt auch für die byzantinischen Fürstenspiegel.
9
Von den 18 byzantinischen Werken, die Prinzing als Fürstenspiegel auflistet, gelten acht als selbstständig und zehn als integriert:
PRINZING, Beobachtungen 30.
10
Ibid. 19 und 22. Siehe dazu die Edition des Kekaumenos: Sovety i rasskazy: poučenie vizantijskogo polkovodca XI veka, ed.
G.G. LITAVRIN. Sankt Peterburg 22003 (Moskau 1972), 290,8–9 (Kap. 77).
Paränese zwischen Enkomion und Psogos 121
aussagekräftig und bedürfen einer besonderen Untersuchung;11 abgesehen davon, dass das Werk fragmenta-
risch erhalten und inhaltlich uneinheitlich ist, ist die Echtheit einiger seiner Teile umstritten.12
Die Aussage Manuels II. über die erforderliche Freimütigkeit der Autoren für die Abfassung einer Par-
änese an den Kaiser und über die zu diesem Zweck notwendige Redekunst wird durch die Vorgehensweise
früherer Autoren bestätigt: Sieht man von jenen Paränesen ab, die vom Vater des Kaisers verfasst wurden,13
fällt das Bemühen der Autoren auf, bereits in den Prooimien ihre Entscheidung zu rechtfertigen, eine freimü-
tige Mahnrede statt einer Lobpreisung an den Kaiser zu richten. Einerseits greifen sie auf die antike Tradition
zurück, indem sie die Paränese als philosophisches Geschenk an den König,14 und zwar als das geeignetste
von allen, darstellen;15 sie fassen es daher als ihre Aufgabe und Pflicht auf, die Paränese an den Kaiser zu
richten. Dabei nehmen sie sich Isokrates zum Vorbild, der die Vertrautheit mit der Philosophie zu den Eigen-
schaften des idealen Königs zählte. Ferner berufen sie sich auf die für Platons Politeia zentrale Vorstellung
des Königs als Philosophen. Andererseits rechtfertigen sie, dass sie der Paränese gegenüber dem Enkomion
den Vorzug geben, indem sie Erstere hervorheben und Zweiteres verwerfen. Die Ansicht, dass Lobreden
verderben, während Mahnreden zur Besserung dienen, geht auf die Antike zurück. Dabei wird die Ermah-
nung als freimütige und wahre Rede dargestellt, während das Lob negativ als exzessives rhetorisches Lob
aufgefasst und mit Schmeichelei gleichgesetzt wird.16 Im Folgenden ist zu zeigen, wie diese Gedanken bei
den byzantinischen Autoren abgewandelt werden.
In seiner an Arkadios gerichteten Paränese verwendet Synesios von Kyrene Metaphern und Vergleiche,
um diese Ansicht zu verbildlichen:17 Einerseits wird das Enkomion mit Gift gleichgesetzt, welches, mit Ho-
nig versüßt, dem Opfer verabreicht wird, um den Tod langsam und unmerklich herbeizuführen. Es wirke
auch wie die gewürzreiche Kochkunst, die wegen der Gewürze falschen Appetit anrege und der Gesundheit
—————
11
Laut P. MAAS, Die Musen des Kaisers Alexios I. BZ 22 (1913) 348–369, hier 366, handelt es sich dabei neben traditionellen
allgemeinen moralischen Vorschriften auch um „praktische Ratschläge, persönliche Beobachtungen, Bekenntnisse und Empfin-
dungen, die durchaus original anmuten und dies Gedicht zu einem in der byzantinischen Poesie einzigartigen Dokument ma-
chen“.
12
Bei diesen kurz vor dem Tod (37 ἐσχάτως ἀποπνέων) erteilten Weisungen und Ratschlägen des Vaters des Kaisers fällt inhaltlich
auf, dass die Vorstellung des moralischen Lebens im Allgemeinen stärker als die des idealen Herrschens hervortritt. Die inhaltli-
che Einheitlichkeit wird durch einen umfassenden Exkurs über die Lebenskürze und die Bedeutung der tugendhaften Lebensfüh-
rung (Verse 170–238) gestört. Auf Grund des schlechten Überlieferungszustandes des Textes und der ersten 53 Verse, die von
einem anonymen Dichter verfasst zu sein scheinen, vermutete Maas, dass das Werk nach dem Tod des Kaisers auf der Basis von
seinen ungeordneten Notizen verfasst wurde (MAAS, Die Musen 364f.).
13
Dazu zählen die Kaiser Basileios I. zugeschriebene Schrift und jene des Kaisers Manuel II. Palaiologos. Die Darstellung der
Paränese als väterliches Vermächtnis an den Sohn geht auf die Antike zurück. Zu Beispielen aus der byzantinischen Literatur
siehe G. DANEZIS, Spaneas: Vorlage, Quellen, Versionen (MBM 31). München 1987, 120–126.
14
Isocrates, Ad Nicoclem 35,1–4: Ὅ τι ἂν ἀκριβῶσαι βουληθῇς ὧν ἐπίστασθαι προσήκει τοὺς βασιλέας, ἐμπειρίᾳ μέτιθι καὶ
φ ι λ ο σ ο φ ί ᾳ · τὸ μὲν γὰρ φιλοσοφεῖν τὰς ὁδούς σοι δείξει. Unter Philosophie ist die allgemeine Bildung und die rhetorische Bil-
dung gemeint; dazu siehe HADOT, Fürstenspiegel 574.
15
Isocrates, Ad Nicoclem 2,1–6: ἡγησάμην δ’ ἂν γενέσθαι ταύτην κ α λ λ ί σ τ η ν δ ω ρ ε ὰ ν καὶ χ ρ η σ ι μ ω τ ά τ η ν καὶ μάλιστα
π ρ έ π ο υ σ α ν ἐμοί τε δοῦναι καὶ σοὶ λαβεῖν, εἰ δυνηθείην ὁρίσαι ποίων ἐπιτηδευμάτων ὀρεγόμενος καὶ τίνων [ἔργων] ἀπεχόμενος
ἄριστ’ ἂν καὶ τὴν πόλιν καὶ τὴν βασιλείαν διοικοίης. Pseudo-Isocrates, Ad Demonicum 2,1–6: Ἡγούμενος οὖν πρέπειν τοὺς δόξης
ὀρεγομένους καὶ παιδείας ἀντιποιουμένους τῶν σπουδαίων ἀλλὰ μὴ τῶν φαύλων εἶναι μιμητὰς, ἀπέσταλκά σοι τόνδε τὸν λόγον
δ ῶ ρ ο ν , τεκμήριον μὲν τῆς πρὸς ὑμᾶς εὐνοίας.
16
Demosthenes warnt die Athener öfters vor der gefährlichen Schmeichelei der Redner, wie in seiner Rede über die Hilfssendung
an die Olynthier. Dazu siehe Olynthiaca III 3,7–11: ἀξιῶ δ᾽ ὑμᾶς, ἂν μετὰ παρρησίας ποιῶμαι τοὺς λόγους, ὑπομένειν, τοῦτο
θεωροῦντας, εἰ τἀληθῆ λέγω, καὶ διὰ τοῦτο, ἵνα τὰ λοιπὰ βελτίω γένηται· ὁρᾶτε γὰρ ὡς ἐκ τοῦ πρὸς χάριν δημηγορεῖν ἐνίους εἰς
πᾶν προελήλυθε μοχθηρίας τὰ παρόντα. Vgl. auch seine dritte, leidenschaftlichste Rede gegen Philipp (Philippica III 4,1–5,1) εἶθ᾽
ὑμῖν συμβέβηκεν ἐκ τούτου ἐν μὲν ταῖς ἐκκλησίαις τρυφᾶν καὶ κολακεύεσθαι πάντα πρὸς ἡδονὴν ἀκούουσιν, ἐν δὲ τοῖς πράγμασι
καὶ τοῖς γιγνομένοις περὶ τῶν ἐσχάτων ἤδη κινδυνεύειν. εἰ μὲν οὖν καὶ νῦν οὕτω διάκεισθε, οὐκ ἔχω τί λέγω· εἰ δ᾽ ἃ συμφέρει χωρὶς
κολακείας ἐθελήσετ᾽ ἀκούειν, ἕτοιμος λέγειν. καὶ γὰρ εἰ πάνυ φαύλως τὰ πράγματ᾽ ἔχει καὶ πολλὰ προεῖται, ὅμως ἔστιν, ἐὰν ὑμεῖς
τὰ δέοντα ποιεῖν βούλησθε, ἔτι πάντα ταῦτ᾽ ἐπανορθώσασθαι.
17
Im Auftrag seiner Heimatstadt trug Synesios seine Mahnrede, die er als „Bekränzung der Seele des Kaisers mit der Philosophie“
darstellt, vor dem Kaiser und den Hofberaten im Jahr 399 vor, Synesios, Oratio de regno 3,2–2 (ed. N. TERZAGHI. Roma 1944):
Ἐμέ σοι πέμπει Κυρήνη, στεφανώσοντα χρυσῷ μὲν τὴν κεφαλήν, φιλοσοφίᾳ δὲ τὴν ψυχήν.
122 Antonia Giannouli
schade. Andererseits wird die freimütige Paränese mit Gymnastik und Medizin verglichen: Beide können
zwar anstrengend bzw. unangenehm werden, dennoch führen nur sie zur Heilung. Ihre positive Wirkung
wird weiterhin mit der des Salzes verglichen: Wie nämlich Salz das Fleisch zusammenhalte und es vor der
Verwesung bewahre, so halte auch die Paränese den Charakter des jungen Königs vom Verderben ab.18 Aus
diesem Grund erklärt Synesios schließlich, warum er den jungen Kaiser nur glücklich preisen kann, nachdem
er den Unterschied zwischen Lobpreis (ἔπαινος) und Glücklichpreisen (μακαρισμός) festgelegt hat; Ersteres
hält er für erstrebenswert, Zweiteres für zufallsbedingt.19
Auf dieselbe Tradition zurückgreifend zeichnet sich Nikephoros Blemmydes durch die durchdachte rheto-
rische Ausarbeitung der Details aus: Er stellt seinen Βασιλικὸς Ἀνδριάς als das beste Geschenk für den jun-
gen Kaiser Theodoros II. Laskaris dar und das Verfassen desselben als seinen eigenen „Steuerbeitrag“.20
Seine Bevorzugung dieser Textgattung erklärt er weiters durch folgenden Syllogismus:21 Da der König allen
Menschen vorstehe und die Philosophie allen Wissenschaften und Künsten überlegen sei, könne das geeig-
netste Geschenk für den König nur die Philosophie sein, dargeboten in der Form der paränetischen Schrift.
Auch Thomas Magistros stellt sich gegen das Abfassen eines Enkomions, erlaubt sich aber außerdem eine
Erklärung mit einer spitzen Bemerkung: In seiner wohl eher an Andronikos III. Palaiologos gerichteten
Mahnrede22 lehnt er ein Enkomion für seinen Adressaten ab, weil dies ihn arrogant machen und zu seinem
Unwillen führen würde, nach einem tugendhaften Leben zu streben.23 Hinter dieser Andeutung ist die An-
redefigur der licentia (παρρησία) zu erkennen.24 Dem isokratischen Vorbild (Ad Nicoclem 2,1) folgend stellt
auch er seine Paränese als das edelste Geschenk für den „allerbesten König“ dar; denn es sei ein Geschenk
—————
18
Synesios, Oratio de regno 2,1–16: Πολλοῦ μέντ’ ἂν ἄξιος εἴη βασιλέως ἀκοῇ λ ό γ ο ς ἐ λ ε ύ θ ε ρ ο ς · ὁ δὲ ἐφ’ ἅπαντι γινόμενος
ἔ π α ι ν ο ς σ ὺ ν ἡ δ ο ν ῇ λυμαινόμενος ἐοικέναι μοι δοκεῖ τῶν φ α ρ μ ά κ ω ν ἃ μ έ λ ι τ ι δεύσαντες τοῖς ἀπολουμένοις ὀρέγουσιν.
οὐκ οἶσθ’ ὅτι μ α γ ε ι ρ ι κ ὴ μὲν κατακαρυκεύουσα καὶ νόθους ὀρέξεις ἐκκαλουμένη λωβᾶται τοῖς σώμασι, γ υ μ ν α σ τ ι κ ὴ δὲ καὶ
ἰ α τ ρ ι κ ὴ σῴζετον ἄμφω τὸ παραυτίκα λυποῦσαι; σὲ τοίνυν ἐγὼ βούλομαι τῶν σῳζομένων εἶναι, καὶ εἰ μέλλεις δυσχεραίνειν ἐπὶ
τῷ σῴζεσθαι. κρέα μὲν γὰρ οὐκ ἐᾷ διαρραγῆναι σ τ υ φ ό τ η ς ἁ λ ῶ ν · νέου δὲ βασιλέως γνώμην ὑπ’ ἐξουσίας ᾗ ἂν τύχῃ
βαδιουμένην συνέχει λόγων ἀλήθεια. οὕτως οὖν ἀνάσχοισθε τ ο ῦ ξ έ ν ο υ γ έ ν ο υ ς τῶν λόγων· ἀλλὰ μὴ ἀγροικίας ἐν ὑμῖν
ἁλώσονται καὶ κατασιγασθεῖεν, πρὶν καὶ βραχὺ προχωρῆσαι, ὅτι μὴ εἰσὶ θεραπευταὶ πειθοῦς, νέοις ἡδεῖς καὶ συμπαίστορες, ἀλλὰ
π α ι δ α γ ω γ ο ί τ ι ν ε ς ἀ τ ε χ ν ῶ ς σ ω φ ρ ο ν ι σ τ α ὶ κ α ὶ β α ρ ε ῖ ς ἐντυχεῖν.
19
Synesios, Oratio de regno 4,13–21: τί οὖν τὸ μὴ συμβαῖνον ἡμῶν ἐκείνοις; οἱ μὲν ἐντεῦθέν σοι πλέκουσιν ἔπαινον, καὶ καλοῦσιν
εὐδαίμονα, ἐγὼ δὲ ἥκιστα μὲν ἂν ἐντεῦθεν ἐ π α ι ν έ σ α ι μ ι · μάλιστα δὲ ἂν μ α κ α ρ ί σ α ι μ ι . ἔστι δὲ οὐ μία φύσις, ἀλλ’ ἕτερον
ἑκάτερον, μ α κ α ρ ι σ μ ὸ ς καὶ ἔ π α ι ν ο ς . μακαρίζεται μὲν γάρ τις ἐπὶ τοῖς ἔξωθεν· ἐπαινεῖται δὲ ἐπὶ τοῖς ἔνδοθεν, ἐφ’ ὧν
εὐδαιμονία τὴν ἕδραν ἴσχει. κἀκεῖνο μέν ἐστι τύχης ἀτέκμαρτον δῶρον, τοῦτο δὲ γνώμης οἰκεῖον ἀγαθόν.
20
Blemmydes, Βασιλικὸς Ἀνδριάς 1 (H. HUNGER – I. ŠEVČENKO, Des Nikephoros Blemmydes Βασιλικὸς Ἀνδριὰς und dessen
Metaphrase von Georgios Galesiotes und Georgios Oinaiotes. Ein weiterer Beitrag zum Verständnis der byzantinischen Schrift-
Koine [WBS 28]. Wien 1986): Νόμος ἀρχῆθεν, συμβαίνων τοῖς πράγμασι, τοὺς ὑπηκόους ε ἰ σ φ έ ρ ε ι ν τῷ βασιλεῖ, und weiter un-
ten 4–5: τῷ τοι καὶ βασιλεύς, κεφαλὴ τῶν ὑπηκόων ἢ νοῦς καθεστώς, ἔχοι ἂν δικαίως ἀπαιτεῖν ἐξ ἁπάντων κ α τ α λ λ ή λ ο υ ς τ ὰ ς
ε ἰ σ φ ο ρ ά ς , καὶ τοῦτο δρᾶν εἰς συντήρησιν τῆς ὁλότητος. τοὺς μὲν οὖν περὶ τὰς ὕλας ἠσχολημένους εὖ ἂν ἔχοι προσήκουσαν τῶν
ἐργασιῶν εἰσπράττεσθαι τὴν ἀπόμοιραν, ἢ ταύτην αὐτήν, ἢ μὴν ἀνταλλαττομένους καὶ καθαρμόζοντας πρὸς τὴν κρίσιν τοῦ
ὑπερέχοντος. τοὺς δὲ περὶ λόγον ἐσπουδακότας καὶ τὴν ἀλήθειαν, τ ὸ ν ἀ λ η θ ῆ λ ό γ ο ν ε ἰ σ φ έ ρ ε ι ν , φ ό ρ ο υ π α ν τ ὸ ς
ἑ τ έ ρ ο υ λ υ σ ι τ ε λ έ σ τ ε ρ ο ν , ὅσῳ καὶ τὸ σπούδασμα τῶν ἄλλων ἁπλῶς ὑπερέκεινα.
21
Blemmydes, Βασιλικὸς Ἀνδριάς 6: τοιγαροῦν, εἰ πάντων ἀνθρώπων ὑπερτερεῖ βασιλεύς, ἡ φιλοσοφία δὲ πασῶν ἐπιστημῶν ὁμοῦ
καὶ τεχνῶν, τί ἂν εἴη φιλοσοφίας δώρου τῷ βασιλεῖ πρεπωδέστερον, εἴ γε τὰ ὑπερέχοντα τοῖς ὑπερέχουσι καὶ αἱ ἀπαρχαὶ τοῖς
ἐξάρχουσι; Zur Beweismethode ratiocinatio siehe LAUSBERG, Handbuch §371 (S. 198–200).
22
Siehe hierzu den Anhang: „Der Adressat des Fürstenspiegels des Thomas Magistros“ am Ende dieses Beitrages.
23
Thomas Magistros, De Regno 19–29, Kap. 1: Εἰ μὲν γὰρ ἀμείνω σε τοῖς ἐπαίνοις ἐργασόμενος ᾔδειν, καὶ τοῖς καλοῖς οἷς ἔχεις
μάλα προσθήσων, οὐκ ἄν ποτ’ εὖ ἴσθι ταυτησὶ τῆς εἰσφορᾶς ἀπεσχόμην· νῦν δ’ εἴ μοι δίδως εἰπεῖν, οὕτως ἄ γ α ν ὑμεῖς ὑπὸ τοῦ
πλήθους καὶ μεγέθους τῶν ἐπαίνων δ ι έ φ θ α ρ θ ε , ὡς καὶ τὸ πᾶν ἐντεῦθεν κατωρθωκέναι δ ο κ ο ῦ ν τ ε ς ὑμῶν αὐτῶν ἀμελῶς
ἴσχειν καὶ ῥᾳστωνεύεσθαι, μήτε τοῦ καλοῦ μηδένα μηκέθ’ αἱρούμενοι λόγον ποιεῖσθαι, μήθ’ ἃν τῶν φαύλων πρόσεσθ’ ὑμῖν, τούτων
ὑμᾶς αὐτοὺς ἀφιστάναι, καὶ μεθιστάναι πρὸς ἃ δεῖ.
24
Zu dieser Figur, die unter „Figuren der Publikumszugewandtheit“ eingeordnet wird, siehe LAUSBERG, Handbuch §761 (S. 376).
Es handelt sich dabei um „einen freimütigen, nur auf die Wahrheit pochenden brüskierenden Vorwurf an das Publikum auch auf
die Gefahr hin, das Publikum gegen die sprechende Partei zu verstimmen: der Redner traut dem Publikum die Verkraftung einer
unangenehmen objektiven Wahrheit zu und hofft, damit erst recht an Sympathie zu gewinnen, was er in für das Publikum
schmeichelhafter Weise durchblicken lässt“.
Paränese zwischen Enkomion und Psogos 123
der Tugend, das sich wertvoller als das Gold der ganzen Erde und solider als der Reichtum erweise, und au-
ßerdem Ruhm und Unsterblichkeit für seine Herrschaft in den nachkommenden Generationen verspreche.25
Diese Beispiele bezeugen nicht nur die Kunstfertigkeit der Autoren in ihrem Bemühen, die Sympathie
und die Aufmerksamkeit ihrer Adressaten zu gewinnen, sondern auch ihre Einstellung gegenüber ihrer
Schrift. Der Vorzug der Ermahnung gegenüber dem Lob ist nicht bloß ein auf antike Redner zurückzufüh-
render Topos, sondern die bewusste Entscheidung für eine eigenständige Textgruppe, die Kaiser-Paränese
gegenüber dem Kaiser-Enkomion. Die Kaiser-Paränese wird als Übergangsform zum Enkomion aufgefasst,
wobei das Lob seitens des Redners und der Untertanen neben dem von Gott erteilten Lob und dem himmli-
schen Reich als Belohnung des idealen Königs dargestellt wird.26
Aufgrund des Inhalts und der rhetorischen Methoden stehen die beiden Textgruppen – die an den Kaiser
gerichteten Paränesen und Enkomien – in enger Beziehung. Beide heben die Tugenden des idealen Königs
hervor und dienen der Verbreitung der Kaiserideologie, wobei sie ihre Themen und Motive aus der gleichen
Tradition schöpfen.27 Aus diesen Gründen wurden sie von der früheren Forschung nicht deutlich auseinan-
dergehalten.28 Gegen die bis dahin vorherrschende verwirrende Sicht wandte sich ausdrücklich H. Hunger,
der das grundlegende Unterscheidungsmerkmal in der Erteilung von „echten Ratschlägen“ bzw. „ernsten
Warnungen“ erkannte, die in den Kaiser-Enkomien fehlen.29 Das Verhältnis der beiden Textgruppen zuein-
ander lässt sich aber genauer definieren. Davon ausgehend, dass die Paränesen der beratenden Rede näher
stehen30 und die Enkomien der epideiktischen Rede angehören, lassen sich zwei wesentliche Unterschiede in
Bezug auf die Darstellung der Tugenden des idealen Königs feststellen. Der erste Unterschied betrifft den
Wahrheitsgrad der Darstellung: In den Kaiser-Enkomien werden die Tugenden als Tatsache, als ein certum,
betrachtet, auf Basis derer gelobt wird, während die gleichen Tugenden in den Fürstenspiegeln als erwünsch-
tes Ziel vorgeschrieben werden.31 Der zweite Unterschied betrifft die Zeitebene der Darstellung der Tugen-
den: In den Fürstenspiegeln bezieht sich diese auf die Zukunft, in den Enkomien hingegen auf die Vergan-
genheit.32
Unter bewusster Berücksichtigung dieser Unterschiede führt der Autor seine Paränese nach den Regeln
der Redekunst, nach dem officium suadendi und dem officium dissuadendi, aus.33 Zum einen ermuntert er
seinen Adressaten zu einer nützlichen und moralisch notwendigen Handlung, zum anderen rät er ihm von
—————
25
Thomas Magistros, De Regno 31–39, Kap. 1: Ἢν γάρ σου, δι’ ὧν ἂν ἐγὼ μὲν ὑποθείμην, σὺ δὲ ταῦτ’ ἀκούσας εἰς ἔργον ἐξενεγκεῖν
ἐθελήσαις, τὸν ἅπαντ’ αἰῶνα θαυμαστὴν παρασκευάσω γενέσθαι καὶ τὴν ἀρχὴν τοῖς ἐπαίνοις ἀθάνατον, χαριοῦμαί σοι πολὺ
μᾶλλον, ἢ εἰ πάντα τὸν ὑπὸ γῆν καὶ ὑπὲρ γῆν χρυσόν, εἴπερ οἷόν τ’ ἦν, συνειλοχὼς παρεσχόμην. Χρήματα μὲν γὰρ ἄλλοτε ἄλλως
ἴσχει, ἀρετὴ δὲ οὕτω κατὰ παντὸς ἵσταται χρόνου, ὥστ’ οὐκ ἔστιν ὅτ’ οὐκέτι λόγος αὐτῆς.
26
Zum Lob der Untertanen siehe z.B Synesios, Oratio de regno 29,29–35: οὐ μὴν ἀθεεὶ πείθομαι φιλοσοφίαν ἐπὶ τὴν παραίνεσιν
ἐξωρμῆσθαι σὺν σπουδῇ τῷ θεῷ προθυμουμένῳ τὰ σὰ αὔξειν, ὡς εἰκάσαι ῥᾴδιον. ἐγὼ δ’ ἂν δίκαιος εἴην ἀπολαῦσαι πρῶτος τῶν
ἐμαυτοῦ σπερμάτων τῆς βλάστης, οἷόν σε πλάττω βασιλέα, τοιούτου πειρώμενος, ὅταν περὶ ὧν αἱ πόλεις αἰτοῦσι παρέχω λόγον καὶ
δέχωμαι. Thomas Magistros, De Regno 33–35, Kap. 1: τὸν ἅπαντ’ αἰῶνα θ α υ μ α σ τ ὴ ν παρασκευάσω γενέσθαι καὶ τὴν ἀρχὴν
τ ο ῖ ς ἐ π α ί ν ο ι ς ἀ θ ά ν α τ ο ν (= siehe oben, Anm. 25). Siehe auch Theophylaktos von Achrida, Λόγος εἰς τὸν
πορφυρογέννητον κῦρ Κωνσταντῖνον (Théophylacte d’Achrida, Discours, Traités, Poésies, ed. P. GAUTIER [CFHB 16.1]. Thessa-
lonike 1980) 211,9–10: Λ ό γ ο ν τ ε τ ι μ ῴ η ς κ α ὶ λ ό γ ο ι ς τ ι μ ῷ ο . Zum Lob Gottes siehe z.B. Agapetos Diakonos 59,1–2
(Agapetos Diakonos, Der Fürstenspiegel für Kaiser Justinianos, ed. R. RIEDINGER. Würzburg 1994): Χρῆσαι δεόντως τῇ κάτω
βασιλείᾳ, ἵνα κλῖμάξ σοι γένηται τῆς ἄνω εὐδοξίας; vgl. ibid. 72,4–5; Blemmydes, Βασιλικὸς Ἀνδριάς 219; Photii Epistula
1,1170–1208 (ed. B. LAOURDAS – L.G. WESTERINK, I. Leipzig 1983).
27
Dazu vgl. D.G. ANGELOV, Byzantine imperial panegyric as advice literature (1204–c.1350), in: JEFFREYS, Rhetoric 55–72.
28
HADOT, Fürstenspiegel 602, rechnet die Werke der griechischen Panegyriker (C.III.l.) unter die Fürstenspiegel der hellenistisch-
römischen Zeit; et passim.
29
HUNGER, Literatur I 157.
30
Als solche bezeugen sie das Überleben des genus deliberativum der antiken Rhetorik in Byzanz, wenn auch in einem unter-
schiedlichen Rahmen als in der Antike, in welcher Reden solcher Art vor der Volksversammlung gehalten wurden.
31
LAUSBERG, Handbuch §59 (S. 53) und §62.3 (S. 55).
32
Ibid. §60 (S. 53), §61.2 (S. 54) und §228 (S. 124).
33
Zum Verhältnis zwischen der beratenden und der epideiktischen Rede auf Basis des Zuratens oder Abratens siehe ibid. §224 (S.
123): „Insofern das officium suadendi ein Lob, das officium dissuadendi einen Tadel der zukünftigen Handlung in sich schließt,
bestehen Beziehungen <des genus deliberativum> zum genus demonstrativum“.
124 Antonia Giannouli
einer schädlichen Handlung ab und warnt ihn vor der Gefahr des Tadels; mehr oder weniger verhüllte Kritik
ist nicht auszuschließen.34 Dabei wechselt er zwischen Androhung eines zukünftigen Psogos und Verspre-
chen eines zukünftigen Enkomions. Es liege an dem Kaiser selbst, meint er, ob er die anzustrebenden Tu-
genden erreicht und die Lobpreisung in der Zukunft verdient, oder ob er die Ermahnungen überhört und das
Lob verwirkt.35 Allerdings versäumt der Verfasser nicht, seine Zuversicht auszudrücken, dass seine Mahn-
rede ihr eigentliches Ziel im Hinblick auf das Lob nicht verfehlt.36
Das Bedürfnis der Autoren, den Kaiser durch die Erteilung ihrer Paränese nicht zu verstimmen, ist auch
hinter der Entscheidung zu sehen, ihre Mahnrede mit anderen Gattungen in einem Text zusammenzufassen.37
Diese Vorgangsweise stellt eindeutig eine Neuerung dar, die die Byzantiner selbst beisteuerten. Dies sei hier
anhand zweier Beispiele gezeigt: Patriarch Photios richtete nach 864 eine Paränese in der Form eines Briefes
an den Bulgaren-Khan Boris-Michael, indem er diese einer Art Katechese anschloss38. Im ersten Teil des
Briefes (Zeilen 1–586) bietet der Patriarch einen auf den Konzilsakten beruhenden Abriss des rechten christ-
lichen Glaubens als Einführung in die Orthodoxie für den jüngst getauften fremden Herrscher, während er im
zweiten Teil (Zeilen 587–1208) das ideale Bild des byzantinischen Kaisers zeichnet, um diesem die rechte
christliche Lebensführung in der byzantinischen Welt nahe zu legen.
Die von Theophylaktos von Achrida an seinen Schüler, den Mitkaiser Konstantinos Dukas, gerichtete
Rede kombiniert einen Lobpreis seiner Eltern mit einer ausführlichen Paränese an ihn selbst.39 Das Enkomi-
on weist die charakteristischen Elemente des logos basilikos auf, die den Anweisungen des Rhetors Me-
nandros von Laodikeia entsprechen40 – bis auf die Lobpreisung der Taten des Adressaten: Nachdem er die
Rede – der isokratischen Tradition folgend – als Geschenk präsentiert hat, spricht er vom Stolz des Lehrers
und von der Schwierigkeit des Unternehmens, um dann zum Lob des Geburtsortes, der körperlichen und
geistigen Vorzüge, des Charakters und der Erziehung des Prinzen zu kommen, einschließlich einer Lobprei-
—————
34
Wohlwollende Kritik wird bereits im Prooimion als Vorhaben angedeutet, und das Publikum wird vor Beunruhigung im Voraus
gewarnt. Im Text wird das Vorhaben realisiert: Vgl. Kekaumenos’ Kritik über maßlose Steuereinnahmen: Kekaumenos, Kap. 82:
Αἱ χῶραι αἱ ὑπὸ τὸ κράτος σου μὴ δεχέσθωσαν καθημερινὰς αὐξήσεις [...] Καὶ τί ἐστιν ὃ βλέπομεν θέαμα; Ἐκταγὴν μείζονα τοῦ
κεφαλαίου καὶ οὐ μόνον εἰς τὰ ἀπαιτούμενα χρέη, ἀλλά καὶ ἐν ταῖς ματαίαις ἀγωγαῖς. Zu auf die Zeit bezogenen Ratschlägen in
den Παραινετικὰ Κεφάλαια siehe HUNGER, Literatur I 161. Einzigartig ist Synesios’ Bemühen, das von der berechtigten Kritik
hervorgerufene Unbehagen des Kaisers zu mildern: Oratio de regno 14,11–13: ἀλλὰ σύ γε μὴ δυσχεράνῃς, ὡς τοῦτό γε οὐκ ἔστι
σόν, ἀλλὰ τῶν ἀρξάντων τῆς νόσου καὶ παραδόντων τῇ διαδοχῇ τοῦ χρόνου ζηλούμενον τὸ κακόν. Das Kaiserideal kann in Zu-
sammenhang mit der in der Geschichtsschreibung geübten Kaiserkritik stehen; dennoch ist sie nicht als eine Art negativer Fürs-
tenspiegel zu betrachten. Dazu siehe F.H. TINNEFELD, Kategorien der Kaiserkritik in der byzantinischen Historiographie von
Prokop bis Niketas Choniates. München 1971, 192–193. Zur Verwendung der Topoi in der Kaiserkritik siehe auch P. MAGDALI-
NO, Aspects of Twelfth-Century Byzantine „Kaiserkritik“. Speculum 58/2 (1982) 326–346, hier 328–329.
35
Siehe z.B. Kekaumenos, Kap. 83 (ed. LITAVRIN): Καὶ εἰ τοὺς ἐμοὺς πτωχοὺς λόγους καὶ οὐδαμινοὺς φυλάσσεις, ἐν εἰρήνῃ βαθείᾳ
τοῦ βίου ἐξέλθῃς. Εἰ δὲ εἰς ἀλλοκότους ἐρώτων ἐπιθυμίας ἐκδώσῃς ἑαυτόν, πολλὰ κατὰ τὸν βίον ἐμποδισθήσῃ. Thomas Magistros,
De regno 1349–1353, Kap. 30: τὸ καλῶς ἢ κακῶς ἀκούειν καὶ τυγχάνειν εὐφημιῶν ἢ μὴ παρ’ ἡμῖν μάλιστα κεῖται· καὶ τούτων ἡμεῖς
αὐτοὶ κύριοι, ἀντιποιούμενοί τε ἀρετῆς, καὶ ταύτης αὖ ἀλογοῦντες. Bezeichnend sind Synesios’ Ratschläge: Synesios, Oratio de
regno 3,26–30: ἀλλὰ παρὰ τὸν καιρὸν τῶν λόγων, ἐπὶ τοῖς μὴ χρεών, οἷς ἡμεῖς τε σύ τε σαυτῷ συνεπίστασαι, δ υ σ χ ε ρ α ί ν ω ν
τ ε φ α ί ν ο υ σ α υ τ ῷ κ α ὶ ἐ ρ υ θ ρ ι ῶ ν , ὅ τ ι δ ὴ π έ φ η ν ε σ ὸ ν ὃ μ ὴ ἄ ξ ι ο ν ε ἶ ν α ι σ ό ν . τό τοι χρῶμα τοῦτο τὴν ἐκ
μετανοίας ἀρετὴν ὑπισχνεῖται; vgl. ibid. 4,1–5: Αἰσθάνομαι γάρ τοι ἐνίων ὑμῶν ἐκταραττομένων τε ἤδη, καὶ τὴν ἐλευθερίαν ἐν
δεινῷ τιθεμένων· ἀλλ’ ὑπεσχόμην τε οὕτω ποιεῖν, καὶ τῶν προγνόντων ἦν δήπου φράξασθαι καρτερῶς, καὶ ἀντέχειν ταῖς ἐμβολαῖς·
καίτοι ταῦτα σύ τε χαίρεις ἀκούων, καὶ ἅπαντες ὑμνοῦσι; Photii Epistula 1,1202–1208.
36
Siehe oben Anm. 26.
37
Zur Kombination von Gattungen in der byzantinischen Literatur siehe M. ΜULLETT, The Madness of Genre. DOP 46 (1992) (=
Ηοmo Byzantinus: Papers in Honor of Alexander Kazhdan) 233–243, hier 236 (= MULLETT, Letters, IX); P.A. AGAPITOS, Mi-
schung der Gattungen und Überschreitung der Gesetze: Die Grabrede des Eustathios von Thessalonike auf Nikolaos Hagiotheo-
dorites. JÖB 48 (1998) 119–146.
38
Photii Epistula 1,1–1208. Zu Übersetzung und Kommentar siehe D. STRATOUDAKI-WHITE – J.R. BERRIGAN, The Patriarch and
the Prince. The Letter of Patriarch Photios of Constantinople to Khan Boris of Bulgaria (Holy Cross Orthodox Press and Hel-
lenic College Press). Brookline 1982. Vgl. EADEM, The Hellenistic Tradition as an Influence on Ninth-Century Byzantium: Pa-
triarch Photios’ Letter to Boris-Michael, the Archon of Bulgaria. The Patristic and Byzantine Review 6 (1987) 121–129.
39
Theophylaktos, Λόγος, ed. GAUTIER, 179–193 (Lobpreis) und 193–211 (Paränese).
40
Menander Rhetor, ed. D.A. RUSSELL – N.G. WILSON. Oxford 1981, 76–95.
Paränese zwischen Enkomion und Psogos 125
sung seiner Familie und besonders seiner Mutter, Maria von Alanien. Als er zu dem Punkt gelangt, an dem
nach der Vorschrift des Menandros die guten Taten des Königs dargelegt werden sollen, geht Theophylaktos
zum paränetischen Teil seiner Rede über. Die Paränese steht folglich an Stelle der Herrschertaten, die im
Enkomion laut Menandros in Kriegs- und Friedenstaten unterschieden und jeweils nach den vier platoni-
schen Kardinaltugenden eingeteilt werden sollen. In der Mahnrede werden die edlen Taten nicht als solche,
die in der Vergangenheit vollbracht wurden, hervorgehoben, sondern als anzustrebende präsentiert, damit der
junge König seine Vorgänger überragt und als Idealkönig anerkannt wird. Zum Schluss der Rede bringt
Theophylaktos die beiden Teile miteinander in Verbindung, indem er seinen Adressaten ermuntert, dem Bei-
spiel der Mutter zu folgen.
Die Erfindungsgabe der Byzantiner manifestiert sich ferner in der rhetorischen Ausarbeitung der Ermah-
nung: Die Paränese wird auf kleinen Kapiteln bzw. Abschnitten aufgebaut;41 in jedem Abschnitt geht der
Verfasser von einer Aufforderung oder Warnung aus, die er in der Regel wie eine Gnome ausarbeitet;42 nach
der Vorschrift der Progymnasmatik gibt es acht Behandlungsarten (modi), die in Byzanz oft zu einer Ab-
handlung zusammengefasst wurden.43 Alle Behandlungsarten kehren – wenn auch in unterschiedlicher Kom-
bination – in den Fürstenspiegeln wieder, wie eine genauere Untersuchung von thematisch verwandten Ab-
schnitten zeigt. Im Folgenden wird die Thematik „Freund – Schmeichler“ skizziert, in deren Kontext Lob
und Ermahnung, Schmeichelei und Kritik vorkommen; da sich die Autoren dabei auf die Seite der Freunde
stellen, bieten sie indirekt eine weitere Rechtfertigung ihrer Schrift.
Mit dem Gedanken der idealen Freundschaft aus der antiken Philosophie vertraut setzen die Byzantiner
jedoch in ihren an die Kaiser gerichteten Paränesen den Schwerpunkt auf den praktischen Wert der „wahren
Freunde“ und fassen diese als dessen strenge Kritiker, Berater oder Helfer auf.44 Die Freunde sollen die Stüt-
ze des Königs (βασιλεύς) sein, während dieser – entsprechend einer in der mittelbyzantinischen Zeit verbrei-
teten Etymologie – als das Fundament des Volkes (βάσις λαοῦ) betrachtet wird.45 Die Gegenüberstellung der
wahren Freunde zu den „angenehm sprechenden“ Heuchlern wird in der Form der Synkrisis ausgearbeitet.
Sowohl Synesios als auch Agapetos Diakonos erteilen allgemeine Ratschläge in Bezug auf diese Thema-
tik: Synesios (11,1–27) beginnt mit dem Rat an den Kaiser, sich von seinen Freunden beraten zu lassen, und
setzt mit einer Reihe von rhetorischen Fragen fort, die den Wert der wahren Freunde hervorheben. Er erklärt,
dass sie als Richter des Verhaltens des Königs sowie auch als Berater wertvoll sind, die seine Macht und
seinen Ruhm vermehren. Agapetos Diakonos geht von der Gleichsetzung der Schmeichler mit den Feinden
aus, um vom Umgang mit beiden abzuraten (Kap. 31). Er begründet auch den Nutzen der wahren Freunde
als freimütige Beurteiler und aufrichtige Berater (Kap. 32), und schließlich mahnt er zur gerechten Behand-
lung der gerecht oder ungerecht handelnden Freunde und Feinde (Kap. 41).
Erst Photios, der dem Thema „Freunde“ einen langen Abschnitt (Epistula 1,718–774) widmet, bereichert
die bekannten Ermahnungen mit neuen Gedanken, die wahrscheinlich auf seine eigenen vielfältigen Lebens-
erfahrungen zurückzuführen sind. Es sei hier auf folgende drei Ratschläge hingewiesen, die für diese Text-
—————
41
Diese Struktur ist in beiden Formtypen mehr oder weniger deutlich erkennbar, sowohl in den Fürstenspiegeln, die „in zusam-
menhängender Darstellung stilisiert“ wurden, als auch in jenen, die in kleine Kapitel gegliedert sind. Zu dieser Unterscheidung
siehe HUNGER, Literatur I 158–159.
42
Zur Definition der Gnome als Sinnspruch, der eine Aufforderung oder Warnung enthält, siehe Hermogenes, Progymnasmata 4,3
(ed. H. RABE. Leipzig 1913) und Aphthonius, Progymnasmata 4,2–3 (ed. M. PATILLON. Paris 2008). Vgl. LAUSBERG, Handbuch
§872 (S. 431); HUNGER, Literatur I 100.
43
Nach Hermogenes (Progymn. 4,33–48) handelt es sich um folgende Behandlungsarten: Lob des Weisheitsspruchs, Paraphrase
(erweiterte Ausführung), Begründung, negative Formulierung, Vergleich (mit gleichwertigen oder ungleichwertigen Gegenstän-
den), exemplum, Urteilsspruch, Aufforderung; vgl. Aphthonius (Progymn. 4). Zu den verschiedenen Behandlungsarten siehe auch
LAUSBERG, Handbuch §1120 (S. 540).
44
Dazu siehe M. MULLETT, Byzantium: A friendly Society? Past and Present 118 (1988) 3–24, hier 9f.; EADEM, Friendship in
Byzantium: Genre, Topos and Network, in: J. HASELDINE (ed.), Friendship in Medieval Europe. Stroud 1999, 166–184, hier 174.
45
Die Etymologie ist nicht nur bei Nikephoros Blemmydes (Βασιλικὸς Ἀνδριάς 8,2) bezeugt, wie HUNGER (Literatur I 163) vermu-
tete, sondern kommt auch im Fürstenspiegel von Theophylaktos (Λόγος 195,10 [GAUTIER]) und im Etymologicum genuinum 46,9
s.v. βασιλεύς (ed. F. LASSERRE – N. LIVADARAS, II. Athen 1992) vor. Letzteres bildet den terminus ante quem für ihre Verbrei-
tung, i.e. die Mitte des 9. Jahrhunderts.
126 Antonia Giannouli
gruppe einzigartig sind: Erstens, der König soll sich nicht mit Personen anfreunden, die zwar das große Un-
glück ihrer „Freunde“ teilen können, jedoch nicht deren großes Glück ertragen können. Der König soll zwei-
tens bei seinen Freunden immer ein ideales Bild von sich pflegen und bewahren, sodass diese im Falle eines
Abbruchs der Freundschaft seiner Herrschaft nicht schaden können. Drittens: Das öffentliche Lob der Freun-
de, und zwar in ihrer Abwesenheit, vervielfacht die Zuneigung der Freunde, ohne die Gefahr dieses Verhal-
ten als Schmeichelei erscheinen zu lassen.
Die Freundschaftsthematik kehrt dreimal im Basileios I. zugeschriebenen Fürstenspiegel wieder.46 In die-
sem wohl von Patriarch Photios verfassten Werk47 fällt die Bemerkung auf, dass die wahren Freunde im Ge-
gensatz zu Verwandten nicht eigennützig sind.
Erst bei Kekaumenos merkt man eine stärkere Tendenz zu Berufung auf praktische Ratschläge und Bei-
spiele (exempla). Kekaumenos befasst sich in fast all seinen paränetischen Schriften mit dem Thema
„Freundschaft“. In seinen „Ratschlägen für das private Leben“ rät er seinem Empfänger, selbst seinen
Freunden gegenüber vorsichtig zu sein, sie nicht nach Hause einzuladen und ihnen seine Geheimnisse nicht
anzuvertrauen (Kap. 39).48 In seinem Fürstenspiegel erteilt er dem König dennoch andere Ratschläge (Kap.
84): Der bekannten Tradition folgend, hebt er dort den Wert des wahren Freundes als Berater hervor. Zur
Bekräftigung seiner Ermahnung führt er aber ein positives historisches Beispiel an, nämlich Augustus Cae-
sar, der sich Athenodoros und Abgaros anvertraute. Kekaumenos schließt seine Ermahnung mit einer Auf-
forderung an den Kaiser, dem Beispiel von Augustus zu folgen, und endet dann mit einer Chrie.
Theophylaktos von Achrida führt zwar die bekannten traditionellen Ermahnungen in Bezug auf die The-
matik „Freunde – Schmeichler“ an, jedoch in einer rhetorisch besonders ausgestalteten Form.49 Um die Ver-
führungskunst der Schmeichler und den Nutzen der Freunde zu demonstrieren, stellt er die Freunde des Kö-
nigs den Leibwächtern (δορυφόροι) eines Tyrannen und die Freundschaft der Schmeichelei gegenüber; er
vergleicht die Schmeichelei mit der Feindschaft und verwendet hierzu Metaphern bzw. Vergleiche (die
Schmeichelei als todbringenden Honig, die Schmeichler als Sirenen, die Freunde dagegen als Ärzte). Origi-
nell scheinen auch die zum Schluss gebotenen praktischen Ratschläge, wie der Kaiser Freunde aufgrund
ihrer Selbstbeherrschung und Lebensführung einschätzen soll, bevor er ihnen die Stadtverwaltung (πόλεως
διοίκησις) anvertraut.
Einzigartig ist die Behandlung des Themas durch Nikephoros Blemmydes aufgrund eines ausschließli-
chen Gebrauchs von historischen Beispielen (exempla), und zwar von positiven, die er anführt, um die
Freunde als Schutz und Ruhm für den König hervorzuheben (Beispiele: Alexander der Große und Kyros).50
Auch Thomas Magistros führt historische Beispiele zur Bekräftigung seiner Ermahnungen an – nämlich die
positiven historischen Beispiele Alexanders des Großen (wie Nikephoros Blemmydes), Themistokles’ und
Kleons.51
Der antiken Tradition zufolge stellt Kaiser Manuel II. in einem rhetorisch hochstilisierten Kapitel, in dem
er sich der Synkrisis bedient, den Nutzen der guten Freunde dem Schaden der Schmeichler gegenüber und
vergleicht die Schmeichler mit den Feinden, wobei er Erstere für gefährlicher hält.52
—————
46
Basileios I., Κεφάλαια παραινετικὰ ξς΄ πρὸς τὸν ἑαυτοῦ υἱὸν Λέοντα, PG 107, XXVIIIA–B (Περὶ φίλων πιστῶν). Das empfohle-
ne Kriterium für die Wahl der Freunde aufgrund ihrer weiteren Freundschaften ist nicht originell (ibid. XXXIIIA–B: Περὶ φίλων),
wie auch der Rat, Freundschaften zu pflegen und Freunden Dankbarkeit zu erweisen (ibid. XXXVIID– XLA: Περὶ ἀγάπης
φίλων). Zur Frage der wirklichen Vaterschaft in Bezug auf Basileios I. und Leon VI. siehe P. SCHREINER, Das Herrscherbild in
der byzantinischen Literatur des 9. bis 11. Jahrhunderts. Saeculum 61 (1991) 132–151, hier 135 (= Byzantinische Kultur [wie un-
ten Anm. 60], IX).
47
Vgl. Α. MARKOPOULOS, Autour des Chapitres Parénétiques de Basile Ier, in: ΕΥΨΥΧΙΑ. Mélanges offerts à Hélène Ahrweiler, II
(Byzantina Sorbonensia 16). Paris 1998, 469–479.
48
Vgl. MULLETT, Byzantium (wie Anm. 44) 14.
49
Theophylaktos, Λόγος, ed. GAUTIER, 201,24–205,14.
50
Blemmydes, Βασιλικὸς Ἀνδριάς 75–79. Er kehrt zu dieser Thematik (§92–94) zurück, um die Selbstlosigkeit der wahren Freunde
der Eigennützigkeit der Schmeichler gegenüberzustellen.
51
Thomas Magistros, De Regno 700–751, Kap. 16 und 752–792, Kap. 17.
52
Manuel II. Palaiologos, Ὑποθῆκαι, PG 156,332A–B, Kap. κα΄.
Paränese zwischen Enkomion und Psogos 127
Aus der näheren Betrachtung der thematisch parallelen Abschnitte lässt sich, trotz der vergleichsweise ge-
ringen Zahl der Texte, eine im Laufe der Zeit steigende Tendenz zu konkreten Ratschlägen und Beispielen
feststellen. Die Neigung zu Ermahnungen, die aus dem eigenen Erfahrungskreis stammen, tritt bei Photios
stärker hervor und wird seit Kekaumenos allmählich intensiviert, der die Tradition mit praktischen Ratschlä-
gen und historischen Beispielen anreichert. Dies ist auch in den Mahnreden des Nikephoros Blemmydes und
Thomas Magistros der Fall. Die Schrift Manuels II. Palaiologos knüpft enger an die antike Tradition an, aber
auch mit nachhaltigerem Bezug auf die christliche Kaiseridee. Zugleich ist eine Intensivierung der rhetori-
schen Ausarbeitung der Paränese zu beobachten, nämlich bei Theophylaktos von Achrida, Nikephoros
Blemmydes, Thomas Magistros und Manuel II. Palaiologos. Sie hängt nicht nur mit der Ausbildung und dem
persönlichen Geschmack der Autoren zusammen, sondern auch mit der Blüte der Rhetorik, die die byzantini-
sche Literatur ab dem 11. Jahrhundert erfährt.53
In diesem Beitrag wurde das Augenmerk zunächst auf das Gattungsverständnis der Byzantiner bei den
sogenannten Fürstenspiegeln gelenkt; dann wurde ihre besondere Vorgehensweise behandelt, nämlich auf
die Anwendung der rhetorischen Regeln beim Aufbau der an den Kaiser gerichteten Paränese. Die Analyse
der Gattung hinsichtlich der Anwendung theoretischer Vorschriften kann den individuellen Beitrag der by-
zantinischen Autoren zur Entwicklung dieser Textgruppe erhellen. Die Autoren verraten bereits durch die
Wahl dieser Textform und ihrer Abgrenzung von den Kaiser-Enkomien ihre Sorge und ihr Interesse in Bezug
auf den Adressaten. Sie bekennen zwar, dass sie der antiken Tradition folgen, aber zugleich demonstrieren
sie ihre Kreativität, indem sie die traditionelle Textform und das Gedankengut durch Kombination verschie-
dener Gattungsformen, durch neue Gedanken sowie durch die Anwendung rhetorischer Regeln je nach ihrem
Geschmack und ihrer Absicht anreichern und aktualisieren.
—————
53
Dazu siehe ΜULLETT, The Madness (wie oben Anm. 37) 238; H. HUNGER, The Classical Tradition in Byzantine Literature: the
Importance of Rhetoric, in: MULLETT – SCOTT, Byzantium and the Classical Tradition 35–47. Zur Änderung der Einstellung ge-
genüber der klassischen Kultur siehe auch KAZHDAN – EPSTEIN, Change (wie oben Anm. 6) 136–139.
54
HUNGER, Literatur I 164; Toma Magistro, La regalità, ed. P. VOLPE CACCIATORE. Napoli 1997, 7.
55
BLUM, Fürstenspiegel 49–50; A. HOHLWEG, in: Tusculum-Lexikon griechischer und lateinischer Autoren. München – Zürich
3
1982, 798f.
56
De Regno 107–109, Kap. 4: Ἀλλὰ τοῦ μεγάλου βασιλέως ἐπείπερ ὁ μ ώ ν υ μ ο ς εἶ, σπουδάσεις εὖ οἶδα καὶ τούτου ζηλωτὴς
γεγονέναι κατὰ τὸ σὸν δεδυνῆσθαι.
57
BLUM, Fürstenspiegel 140, Anm. 3.
58
D.M. NICOL, The Last Centuries of Byzantium, 1261–1453. Cambridge 21993, 102 und 152.
128 Antonia Giannouli
dabei nicht um einen Topos handelt, der auf Gott hinweist,59 dann wäre zu erwägen, dass Thomas mit „gro-
ßer König“ den Großvater Andronikos II. meint. Stimmt diese Annahme, richtet er sein Werk an den Enkel
Andronikos III. Da der Konflikt um die Nachfolge zwischen Andronikos II. und seinem Enkel erst später
ausbrach, ist – auch von der oben zitierten Anrede und der damit verbundenen traditionellen Ermahnung
ausgehend – anzunehmen, dass die Abfassung der Mahnrede eher kurz nach dem Jahr 1316 erfolgte als nach
Januar 1325 bzw. nach der Krönung des Andronikos III. zum Kaiser.60
—————
59
So bei Synesios, Oratio de regno 8,27–29; Chr. LACOMBRADE, Le Discours sur la royauté de Synésios de Cyrène à l’empereur
Arcadios. Paris 1951, 42 und Anm. 38.
60
NICOL, Last Centuries 158. – Zur vielfachen Anwendung des megas basileus vgl. P. SCHREINER, Zur Bezeichnung „Megas“ und
„Megas Basileus“ in der byzantinischen Kaisertitulatur. Byzantina 3 (1971) 173–192, hier 182 und 186 (= Byzantinische Kultur.
Eine Aufsatzsammlung. Band I: Die Macht, hg. v. S. RONCHEY – E. VELKOVSKA [Opuscula Collecta 3]. Rom 2006, VIII).