Didaktische Grammatik 77
Didaktische Grammatik
Hee Hyun
(Seoul National Universität)
Hyun, Hee (2011). Didaktische grammatik. Foreign Language Education Research, 14, 77-100.
Im vorliegenden Beitrag möchte ich die Wichtigkeit der Grammatikvermittlung im
Fremdsprachenunterricht darlegen, indem ich versuche, den Begriff der didaktischen Grammatik zu
beschreiben. Die Beschreibung soll dadurch geschehen, dass eingangs die Geschichte des
Fremdsprachenunterrichts unter dem Aspekt der Grammatikvermittlung in Deutschland skizziert wird.
Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Versuche zur Definition des Begriffs ‘didaktische
Grammatik’ erläutert, dann verschiedene Arten von didaktischen Grammatiken vorgestellt. Daran
anschließend werden die Aufgaben einer didaktischen Grammatik formuliert. In einem weiteren Kapitel
soll ihre Beziehung zur linguistischen Grammatik näher erörtert werden. Zum Schluss wird dann das
Lehrwerk Schritte 1 international mit Blick auf die didaktische Grammatik näher betrachtet. Im
Ausblick werde ich ein paar Überlegungen zum DaF-Unterricht in Korea anstellen.
Stichwörter: Fremdsprachenunterricht, didaktische Grammatik, Lernergrammatik, linguistische
Grammatik, pädagogische Grammatik
Ⅰ. Einleitung
Wir erleben zurzeit einen “interkulturellen Boom” im
Fremdsprachenunterricht. Eine Folge davon ist, dass man in den letzten
Jahren oft den Eindruck gewinnen konnte, dass der Grammatikunterricht
auf Kosten des kommunikativen und interkulturellen Lernens
vernachlässigt werde. Denn kommunikative und interkulturelle
Kompetenzen bzw. Handlungsfähigkeiten werden als oberste Ziele des
Fremdsprachenunterrichts definiert: “Verständlichkeit gilt als wichtiger
denn formale Korrektheit” (eine kritische Anmerkung von Thurmair 1997,
p. 25). Grammatik spielt dabei eine sekundäre, eher dienende Rolle, so
dass zurecht kritische Stimmen laut werden: “[...] Auch irritiert die anti-
sprachliche Ideologie, die in solchen Ansichten zur interkulturellen
Kompetenz implizit vorhanden ist. Mit ihr geht eine profunde
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Fehleinschätzung der Natur und der Schwierigkeit des Erlernens einer
fremden Sprache als Sprache einher, denn den Lernern wird suggeriert,
dass die sprachliche Seite des Fremdsprachenlernens ja nicht so wichtig
sei.” (House, 1998a, p. 64).
Die bewusste Beherrschung der Grammatik ist heute zwar kein
Lernziel, wohl aber ein wichtiges Mittel zum Zweck im Sinne des
kommunikativ und interkulturell ausgerichteten Fremdsprachenunt-
errichts 1). Kein Lehrer hegt heute Zweifel daran, dass die Vermittlung von
Grammatik einen wesentlichen Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts
ausmacht. Die Frage, über die die Fremdsprachendidaktiker immer
wieder kontrovers diskutieren, lautet, wie die Strukturen der Zielsprache
kommunikationsfördernd und effektiv vermittelt werden können. In
diesem Zusammenhang wurde eine sogenannte didaktische Grammatik
(DG) gefordert.
In diesem Beitrag möchte ich mich mit dem Begriff der DG
auseinandersetzen, um die Rolle der Grammatikvermittlung im
Fremdsprachenunterricht auszuleuchten und den Beitrag der DG zur
Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zur Diskussion zu stellen.
Zunächst soll ein geschichtlicher Überblick über den Stellenwert
der Grammatik im Fremdsprachenunterricht gegeben werden.
Ⅱ. Geschichtlicher Überblick
Im Laufe der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts hat die
Rolle der Grammatik bei der Erlernung einer Fremdsprache
unterschiedliche Bewertungen erfahren. Lange Zeit wurde die Ansicht
vertreten, dass der Erwerb einer Fremdsprache nur über die Vermittlung
grammatischer Regeln möglich sei.
Besonders in der Grammatik-Übersetzungs-Methode 2), die in
Anlehnung an die klassische Unterrichtsmethode für alte Sprachen
entstanden ist, sollte sich der Spracherwerb vor allem am Erschließen von
Regeln durch Analyse und Einsicht orientieren. Ziel der Grammatik-
1)
Auch der 'Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen'
(Europarat, 2001, p. 109) zählt zu den kommunkativen Kompetenzen neben soziolinguistischen und
pragmatischen Kompetenzen auch die linguistischen.
2)
Das Lehrwerk Deutsche Sprachlehre für Ausländer (Griesbach & Schulz, 1955) ist dieser Methode
verpflichtet.
Didaktische Grammatik 79
Übersetzungs-Methode ist die Kenntnis und Reproduktion des formalen
Systems der Zielsprache. Die Grammatik galt als Gerüst, als Zentrum des
Unterrichts und alles andere hatte dienende Funktion. Die Lerner lernten
Grammatikregeln und ihre Ausnahmen auswendig. Mit Hilfe von Lexika
und unter Anwendung der gelernten Grammatikregeln sollen die Lerner
in erster Linie einen Text verstehen lernen und ihn in die Muttersprache
übersetzen können (Neuner & Hunsfeld, 2004, p. 31). Nicht das
Kommunizieren, sondern die Schriftlichkeit stand im Mittelpunkt.
Die Vertreter der audio-lingualen Methode 3) hielten es dagegen
für effektiver, die Internalisierung der Strukturen von Sprache durch
“pattern drills”, d.h. durch Nachahmung und kontinuierliches Einüben
von vorgegebenen Satzmustern, zu erreichen. 4) Demnach sollen die
Lerner durch die Imitation und ohne Kenntnis komplizierter Regeln
korrekte Sätze produzieren. Die Entwicklung dieser Methode wurde
bestimmt unter anderem durch die Bezugswissenschaften des
Fremdsprachenunterrichts, nämlich der Linguistik mit ihrem
strukturalistischen Ansatz und der behavioristischen Psychologie. Da die
Unterrichtssprache die Zielsprache sein musste, kommt viel mehr
Anschauungsmaterial zum Einsatz. Gerade die technischen Fortschritte in
den 50er und 60er Jahren kamen diesem Bedarf entgegen. Insbesondere
das Sprachlabor fungierte als Impulsgeber und Korrektor bei
Substitutionsübungen (Funk & Koenig, 1991, p. 47). Das multimediale
Materialangebot führte zu einem abwechslungsreicheren Unterricht.
Diese Methode wurde deshalb populär, weil die Lerner auch ohne
explizite Regelkenntnis korrekte Sätze produzieren konnten, da sie Sätze
imitierten. Probleme traten aber bei den Lernern auf, die aus einer
anderen Lerntradition kamen, in der der gesamte Sprachenerwerbsprozess
kognitiv, d.h. durch die Regeleinsicht und- anwendung verläuft. Ein
anderes Problem besteht einfach in der Tatsache, dass bei der Vermittlung
einer fremden Sprache, gerade im erwachsenen Alter auf die Vermittlung
einer systematischen Grundgrammatik nicht verzichtet werden kann
(Funk & Koenig, 1991, p. 48).
Erst im Gefolge der pragmatischen Neuorientierung um 1970 und
3)
Lehrwerke wie Deutsch 2000 (Schäpers, Luscher, & Glück, 1972) oder Deutsch als Fremdsprache I
(Braun, Nieder, & Schmöe, 1967) folgen dieser Methode.
4)
Näheres bei Hüllen (2005).
80 Hyun, Hee
durch die Sprachakttheorie (Austin, 1962; Searle, 1969) fand in einer bis
dahin auf die Beschreibung von Sprachsystemen eingegrenzten Linguistik
ein Tendenzwechsel in der Fremdsprachendidaktik statt. In Deutschland
hat vor allem Piepho (1974) eine stärkere Ausrichtung der
Fremdsprachenvermittlung auf “kommunikative Kompetenz” hin
gefordert. Im Vordergrund des Fremdsprachenunterrichts sollten nicht
mehr, wie traditionell, formalsprachige Lehr- und Lernziele stehen, d.h.
eine bewusste Produktion grammatisch richtiger Sätze, sondern vielmehr
die kommunikative Verwendung der Sprache. 5) Mitte der 80er Jahre
entwickelte sich aus dem kommunikativen Ansatz der interkulturelle
Ansatz mit dem Ziel der interkulturellen Kompetenz (Pfeiffer, 2002 p.
132). Man hatte erkannt, dass die “Verständigungsfähigkeit nicht auf die
konkrete Verwendung eines fremden sprachlichen Systems oder die
situationsadäquate Verwendung von Sprache allein reduziert werden
kann” (Zeuner, 2003, p. 11). Mit der interkulturellen Orientierung des
Fremdsprachenunterrichts, die die Sensibilisierung für fremde Kulturen
und Relativierung der eigenen Kultur, den Abbau von Vorurteilen und
Stereotypen und ferner die Entwicklung kritischer Toleranz gegenüber
anderen Kulturen beinhaltet, wird die interkulturelle Kompetenz fortan als
erweitertes landeskundliches, aber auch als allgemein pädagogisches
Lernziel betrachtet (Hyun, 2010a, p. 45). Hiermit erfuhr der
kommunikative Ansatz eine Aufwertung, indem das pragmatisch-
funktionale Konzept in Richtung auf eine zielgruppen- bzw.
regionalspezifische Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts
weiterentwickelt wurde. 6)
In der gegenwärtigen Literatur wird das Ziel des Erwerbs einer
“kommunikativen und interkulturellen Kompetenz” in der didaktischen
Diskussion grundsätzlich bejaht; gleichzeitig wird aber auch
hervorgehoben, dass ein gewisses Maß an Regelkenntnis und -
beherrschung unerlässlich sei, um den Lernprozess durch Einsicht in
5)
Lehrwerke wie Tangram aktuell 1 (Dallapiazza, von Jan, & Schön, 2008); Schritte 1
international (Niebusch, Penning-Hiemstra, Specht, Bovermann, & Reimann, 2011) folgen
dieser Methode.
6)
Siehe hierzu Lehrwerke wie Sprachbrücke (Mebus, Pauldrach, & Rall, 1987);
Sichtwechsel (Hog, Müller, & Wessling, 1984). Regionalspezifische Lehrwerke sind z. B.
Typisch Deutsch (Behal-Thomsen, Lundquist-Mog, & Mog, 1993); Für- und
Widersprüche (Roche &Webber, 1995).
Didaktische Grammatik 81
bestimmte elementare Strukturen der Zielsprache zu fördern. Die
verstärkte Forderung nach Bewusstmachung grammatischer Prinzipien,
die den Lernern den Zugang zur Grammatik und damit zur Struktur
verschaffen, fand Unterstützung in den 90er Jahren mit der sog.
‘kognitiven Wende’ 7) in der Fremdsprachendidaktik (Thurmair, 1997, p.
25).
Unter dieser Prämisse wird seit langer Zeit versucht, die
kommunikativen und interkulturellen Verwendungsmöglichkeiten von
Sprache und das Erlernen ihrer formalen Struktur in das Gesamtkonzept
einer didaktischen (bzw. pädagogischen) Grammatik zu integrieren. 8)
Im nächsten Kapitel werde ich die verschiedenen Definitions- und
Systematisierungsversuche näher vorstellen, um daran anschließend die
Arten und die Aufgaben einer möglichen DG zu bestimmen.
Ⅲ. Die didaktische Grammatik
1. Definitionsversuche
Seit Mitte der 70er Jahre begann man in der Forschung über den
Begriff der “didaktischen Grammatik” 9) zu diskutieren (Königs 1999, p.
305). Trotz reger Diskussionen und Auseinandersetzungen um die DG in
der Wissenschaft ist es nicht gelungen, eindeutige Begriffsbestimmung
7)
Zum Begriff 'kognitive Wende' siehe Timm (1998). House (1998b, p. 91) übt mit Recht Kritik an dem
Begriff: "Zugleich möchte ich jedoch noch einmal betonen, daß ich selbst niemals von einer
"kognitiven Wende" sprechen würde, da das Lehren und Lernen von Fremdsprachen per se kognitiv
ist, eine "Wende" also schlicht nicht möglich ist."
8)
In den Lehrwerken der sog. 5. Lehrwerkgeneration kommen die oben ausgeführten Ansätze in
kombinierter Form vor.
9)
In der Fachliteratur werden für DG unterschiedliche Termini gebraucht: z.B pädagogische Grammatik;
Lernergrammatik. Der Begriff der pädagogischen Grammatik ist eine Übertragung aus dem Englischen
(pedagogic grammar). Hüllen schlägt dafür den Begriff der DG vor (Näheres bei Schlüter, 2002, p. 8).
Während die DG und die pädagogische Grammatik heute als Synonyme gebraucht weden (Funk & Koenig,
1999, p. 1), nehmen einige Wissenschaftler eine explizite Trennung zwischen der DG und der
Lernergrammatik vor, da Lernergrammatik doppeldeutig ist. Einerseits meint man mit ihr die linguistische
Struktur in den 'Köpfen' der Lerner, mit deren Hilfe er zielsprachliche Äußerungen produzieren.
Andererseits bedeutet Lernergrammatik eine didaktisch aufbereitete Grammatikbeschreibung, die dem
Lerner hilft, jene Struktur zu erwerben bzw. zu erlernen (Tschirner, 1999, p. 220).
82 Hyun, Hee
vorzunehmen. Der Grund liegt wohl darin, dass es die oder nur eine
“didaktische Grammatik” nicht geben kann (Huneke & Steinig 2000, p.
145). Eine Reihe von Wissenschaftlern haben dennoch immer wieder den
Versuch unternommen, die DG näher zu bestimmen.
Für Funk und Koenig (1991, p. 13) ist eine DG mehr als eine
Sprachbeschreibung. Eine DG ist eine Grammatikdarstellung, die von
Kenntnissen, Bedürfnissen und Voraussetzungen der Lerner ausgeht. Auf
dieser Basis werden die Teile der grammatischen Regeln ausgewählt und
beschrieben, die für einen bestimmten Verwendungszweck gerade
gebraucht werden. Zur Erleichterung wird bei der Erklärung der
grammatischen Regeln auf außerlinguistische und visuelle Materialien
zurückgegriffen (z.B. Farben, Bilder, Grafiken). Für Funk und Koenig hat
die Grammatik eine die Kommunikation ermöglichende Funktion und ist
nicht das eigentliche Ziel des Fremdsprachenunterrichts.
Eine ähnliche Definition liefert Götze (2001, p. 188). Auch er
plädiert dafür, dass man bei der Darstellung der Grammatik selektiv
verfährt und bei der Auswahl des Grammatikstoffes die Anforderungen
und Bedürfnisse der Lernenden berücksichtigt werden sollen. Wichtig ist,
dass die Grammatikdarstellung induktiv präsentiert wird. Daher soll der
Ausgangpunkt der Text sein, nicht Laut, Wortart und Satzglied. Die
sprachliche Struktur soll in ihrem textuellen Zusammenhang beschrieben
werden. Die DG soll also implizit eine Textgrammatik sein.
Thurmair (1997) wiederum bevorzugt den Begriff “pädagogische
Grammatik”, weil er ihrer Meinung nach umfangreicher und allgemeiner
ist als der Begriff DG. Sie versteht unter einer pädagogischen Grammatik
nicht nur eine Grammatik für die Lerner, sondern auch eine pädagogische
Grammatikdarstellung für Lehrzwecke, also für Lehrer und
Lehrbuchautoren. Diese pädagogische Grammatik ist somit eine
linguistische Beschreibung des Sprachsystems aus einer Fremd- und
Vermittlungsperspektive. Bei der Grammatikvermittlung hält sie aus
gedächtnispsychologischer Sicht eine Visualisierung von Formen und
Strukturen für effektiv, so wie bei Funk und Koenig. Sie plädiert auch für
den Einsatz von Mnemotechniken. Hinsichtlich der induktiven
Vorgehensweise bei der Grammatikpräsentation stimmt sie mit Götze
überein. Jedoch ist das induktive Vorgehen in der Forschung sehr
umstritten. Auch scheint die Forderung nach der Induktion
widersprüchlich, wenn man die Grammatik aus der Fremdperspektive
beschreibt. Denn viele Lerner kommen aus einer anderen Lerntradition, in
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der Wissen auf deduktivem Wege vermittelt wird und auch anders
gedacht wird.
Die Darstellung der wenigen Definitionsversuche reicht, um zu
demonstrieren, wie komplex und vielschichtig der Begriff DG ist.
Dennoch kann man zusammenfassend feststellen, dass der Terminus DG
ganz allgemein eine auf das Lehren und Lernen bezogene
Sprachbeschreibung bezeichnet, also eine Grammatik im Sinne moderner,
wissenschaftlich konzipierter Lehr- und Lernmedien, die hilft, den
Fremdsprachenlernprozess zu fördern und effektiv zu steuern. Der Begriff
Grammatik umfasst somit nicht mehr nur die traditionelle Bereiche
Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik etc., sondern auch die
gesamten mit der Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts
zusammenhängenden Fragen.
2. Arten von didaktischen Grammatiken
Heute ist die Mehrheit der Autoren der Auffassung, dass die
Erstellung von “didaktischen Grammatiken” von der
10)
Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts abhängt. Das hat
zur Folge, dass aus bestimmten Faktorenkonstellationen heraus
verschiedene DGn erstellt werden können.
So hat Zimmermann (1979, p. 97) nach den Parametern Lehrer vs.
Lerner und Lehrwerkunabhängigkeit vs. Lehrwerkabhängigkeit vier
Formen der DG unterschieden:
a) lehrwerkunabhängige Lehrergrammatiken;
b) lehrwerkbezogene Lehrergrammatiken;
c) lehrwerkunabhängige Nachschlagwerke für Lerner;
d) lehrwerkbezogene Lerngrammatiken.
Ähnlich unterscheiden Grotjahn & Kasper (1979, p. 101) DGn
1. nach der Beziehung zum Lehrwerk:
a) lehrbuchidentisch;
b) lehrbuchbegleitend, als Komponente eines Lehrbuchs;
c) lehrbuchunabhängig;
2. nach der Beziehung zum Lehr-/Lernprozess:
a) lehr-/lernprozessbegleitende Grammatik: dynamisch,
10)
Näheres bei Edmondson & House (2006).
84 Hyun, Hee
abhängig von Progression, steuert den Lernprozess;
b) Referenzgrammatik: statisch, unabhängig von Progression,
unterstützt den Lernprozess direkt, d. h. ohne den Lehrer als
notwendige Zwischenstufe und vermittelnde Instanz.
Kleineidam & Raupach (1995, p. 298) differenzieren wiederum nach
folgenden Gesichtspunkten:
a) Eigenschaften der Adressaten und angenommene Bedürfnisse;
b) Funktionen im Sprachlehr- und Lernprozess;
c) angestrebte Fertigkeiten;
d) und Darstellungssystematik.
Wie man sehen kann, richtet sich eine DG an spezifische
Zielgruppen: Lerner, Lehrer, Lehrwerkautoren usw. Welche Grammatik
der jeweiligen Zielgruppe eine Grundlage zum effektiven Lehren und
Lernen liefert, ist von Fall zu Fall anhand eines Faktorenkomplexes zu
entscheiden.
3. Aufgaben einer DG
Indem man nun diese lernerbezogenen Aspekte berücksichtigt und
die kommunikative und interkulturelle Orientierung des
Fremdsprachenunterrichts im Blick behält, können die wichtigsten
Aufgaben einer DG in den folgenden Punkten zusammengefasst werden
(vgl. TABELLE, Kap. IV).
Ausgangspunkt sollte die Sprachproduktion sein. Eine DG muss
also fragen, welche sprachlichen Formen als Ausdrucksmittel einer
bestimmten Funktion verwendet werden können. Aus der Erkenntnis
heraus, dass der Erwerb einer Fremdsprache zum großen Teil kognitiv
abläuft, der Lerner beim Aufbau einer neuen Sprache internen
Lernbedingungen folgt und individuelle Lern- und
Kommunikationserfahrungen den Aufbau mitbeeinflussen, müssen diese
auch kontrastiv sein, insofern sie nicht nur morpho-syntaktische
Unterschiede herausstellen, sondern auch kulturelle, damit der Lerner die
der Zielsprache angemessene Sprachverwendung lernt. Da zwischen
Kommunikationsintention und ihrer sprachlichen Realisierung keine
Eins-zu-eins-Beziehung besteht, muss eine DG aufzeigen, welche
Verbalisierungsmöglichkeiten es für eine Kommunikationsintention gibt,
und umgekehrt, dass ein sprachlicher Ausdruck verschiedene
Sprachintentionen wiedergeben kann. Da zur pragmatischen Fähigkeit
Didaktische Grammatik 85
nicht nur die Beherrschung verbaler, sondern auch nonverbaler Mittel
gehören, müssen auch letztere Gegenstand der DG sein, d.h. eine DG
muss dem Lerner beim Aufbau des zielsprachlichen Systems helfen und
alle erforderlichen, dem jeweiligen Lernstadium erforderlichen Daten zur
Verfügung stellen.
Sie muss in jeder Phase des Fremdsprachenlernprozesses
zwischen dem, was wichtig ist, und dem, was unwichtig ist, entscheiden
und aus den Regelfällen eine entsprechende Auswahl treffen. Sie sollte
aus der “Signalgrammatik” brauchbare Möglichkeiten optischer
Repräsentation und Veranschaulichung (Anordnung, Farbe, Fettdruck
usw.) der jeweiligen Regularitäten nutzen und ausbauen. Schließlich
sollte sie Methoden vorschlagen, die zur Regelformulierung führen.
4. Strukturierung didaktischer Grammatiken
Aus der oben dargestellten Aufgabenstellung der DG heraus
postulierten Vogel & Vogel (1975, p. 23), dass grammatische Regeln als
Handlungsanweisungen formuliert werden sollten, und führen eine Liste
von Kriterien auf, an der sich die didaktische Relevanz und Brauchbarkeit
der verschiedenen Grammatikkonzeptionen zu messen hat.
Dementsprechend müssen grammatische Regeln
plausibel und einfach sein,
die sprachlichen Erscheinungen angemessen (d.h. für die Praxis
zugänglich, verständlich, leicht erfassbar) beschreiben und
erklären,
die Einsicht in sprachliche Funktionszusammenhänge
ermöglichen,
das Behalten von sprachlichen Mechanismen fördern,
einen größtmöglichen Verwendungsumfang haben,
die Produktion von neuen sprachlichen Einheiten und
Äußerungen ermöglichen,
den Transfer fördern,
dem Entwicklungsstand der Lerner angepasst sein,
motivierende Wirkung haben.
86 Hyun, Hee
Ⅳ. Linguistische Grammatik vs. didaktische
Grammatik
Im Brennpunkt der Auseinandersetzung um die DG stand lange
die Frage, ob die DGn primär bzw. ausschließlich aus der LG oder aus der
Lehr-/Lernperspektive abgeleitet werden sollten (Helbig, 1999, p. 14).
Die Auffassung, dass die traditionelle Linguistik in ihren verschiedensten
Ausprägungen die Grundlage für die Grammatiken im
Fremdsprachenunterricht zu liefern habe, ist unbestritten. Besonders in
Bezug auf die Grammatikvermittlung hat das Verfahren, eine
linguistische Beschreibung als Grundlage für den Lernprozess zu nehmen,
bis heute einen starken Einfluss auf die Fremdsprachendidaktik ausgeübt
(vgl. Mindt 1981, p. 28).
In den frühen Phasen des Fremdsprachenunterrichts wurden die
linguistischen Deskriptionen eklektisch und vereinfacht in den Unterricht
überführt. Man erkannte aber, dass eine simultane bzw. unkritische
Übertragung der linguistischen Erkenntnisse auf den Fremd-
sprachenunterricht nicht ihre Aufgabe erfüllte. Die spezifischen
Fragestellungen und Interessen der Linguisten unterscheiden sich deutlich
von jener der Didaktiker. Während die Linguisten im allgemeinen daran
interessiert sind, die Sprachuniversalien aufzuspüren und zu formalisieren,
wollen Didaktiker dagegen gezielt den Sprachunterricht steuern, indem
sie klare Regeln vermitteln, die zum effektiven Sprachenlernen dienen,
und sie kommunikativ anzuwenden helfen. Im Fremdsprachenunterricht
vermittelt man also keine Grammatik im Sinne einer Linguistik, sondern
vielmehr die sprachlichen Fertigkeiten, wobei die Kenntnis der
grammatischen Regeln eine unterstützende, die Einsicht in die Struktur
verschaffende Bedeutung trägt.
Olejarka hat bezugnehmend auf Helbig (1999), Götze (2001) und
Thurmair (1997) die wesentlichen Unterschiede zwischen einer
‘wissenschaftlichen (linguistischen)’ und einer ‘didaktischen’ Grammatik
übersichtlich und systematisch in einer Tabelle zusammengefasst. Vieles
wurde schon oben dargelegt.
Didaktische Grammatik 87
TABELLE 1
Linguistische Grammatik Didaktische Grammatik
deskriptiv in der Regel präskriptiv
vollständig auswählend (selektiv)
einsprachig bzw. zweisprachig;
einsprachig (kann aber auch kontrastiv die zweisprachigen Grammatiken kann
sein) man unterteilen in kontrastive und
übersetzte Grammatiken
widerspruchsfrei und nicht eklektisch widerspruchsfrei und nicht eklektisch
Die LG basiert auf Erkenntnissen aus der
Die LG basiert häufig auf einer (oder Linguistik und Spracherwerbsforschung
mehreren) linguistischen Theorie(n), wie und muss nicht einem bestimmten
z.B. der Generativen theoretischen Modell entsprechen. Sie
Transformationsgrammatik
kann eine “Mischgrammatik” sein.
Im Aufbau kann sie mit den kleinsten
Elementen der Sprache beginnen, wie
Laut, Wort, Satz und Text. Es gibt aber Die empfohlene
auch Grammatiken, wie z.B. die Aufbauhierarchie ist Text -Satz-Wort-
Deutsche Grammatik von Engel (1996), Laut (vgl. Götze, 1999, p. 86)
die von der Textebene ausgehen, dann
Satz und Wort inkorporieren.
Interessen am Sprachenlernen und - Aspekte wie Sprachlernen und -lehren
lehren sind in der LG fremd. stehen im Fokus dieser Grammatik.
In der DG dominiert die Lehrfunktion
In der LG dominieren Beschreibungs-
(Helbig, 1999, p. 12). Beim Lernen
und Informationsfunktion (Helbig, 1999,
besitzt sie unterstützende Funktion
p. 12)
(Steuerungs- und Anweisungsfunktion)
In der DG richtete sich die Ordnung nach
Die LG hat eine nach den Sprachdaten
Sprachlehr- und -lernprozess. D.h. sie ist
(systemintern) bestimmte Ordnung
kursabhängig und weist Progressionen
(Helbig, 1999, p. 12)
auf (Helbig, 1999, p. 12).
In der DG machen die grammatischen
Die LG strebt nach einer geschlossenen
Regularitäten nur einen Teil des
Darstellung des grammatischen
Lehrwerks aus (neben Übungen,
Regelwerks (Helbig, 1999, p. 12)
Lesetexten etc.) (Helbig, 1999, p. 12)
In der DG ist die Bewusstmachung nur
integraler Bestandteil der Entwicklung
Die LG ist auf eine Bewusstmachung
von sprachlichen Fähigkeiten und
und Systematisierung des
Fertigkeiten (Sprachkönnen), weil der
grammatischen Regelwerks ausgerichtet.
Weg von der Bewusstmachung über die
Die LG will das Sprachwissen erweitern
Automatisierung bis zur praktischen
(Helbig, 1999, p. 12)
Anwendung in der Kommunikation
führen sollte (Helbig, 1999, p. 12)
88 Hyun, Hee
Eine LG dient dem Diskurs zwischen
Fachwissenschaftlern und zielt darauf Eine DG dient Unterrichts- bzw.
ab, den linguistischen Erkenntnisstand (Selbst-)Lernzwecken
zu verbessern (Götze, 2001, p. 188)
In der LG wird die Fremd- und Eine DG sollte die Fremd- und
Vermittlungsperspektive nicht Vermittlungsperspektive berücksichtigen
berücksichtigt. (Götze, 1993; Thurmair, 1997)
(Olejarka 2008, p. 131)
Ⅴ. Untersuchung der Lektion 7 aus dem Lehrwerk
‘Schritte international 1’
Um der Frage nachzugehen, inwiefern bzw. ob die Diskussionen
um die DG in den modernen Lehrwerken Niederschlag gefunden haben,
soll die Lekt. 7 aus dem Lehrwerk “Schritte international 1” (Niveau
A1/1) im Hinblick darauf untersucht werden. Schritte wird an vielen
Universitäten hier in Korea eingesetzt, so dass ich in jahrelanger Arbeit
Erfahrungen mit dem Lehrwerk sammeln konnte. In der Lektion 7 werden
die Modalverben können und wollen eingeführt. Ich habe diese Lektion
ausgewählt, weil die koreanischen Lerneranfänger besondere
Schwierigkeiten mit den Modalverben haben.
1. Allgemeines zum Lehrwerk
“Schritte international” ist ein Lehrwerk für Deutsch als
Fremdsprache, das sich an Erwachsene im Ausland richtet, die in einem
institutionellen Rahmen Deutsch lernen, um sich auf einen Studien- oder
Arbeitsaufenthalt vorzubereiten. 11) Es ist von einem Autorenteam nach
den Vorgaben des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens
konzipiert. Dementsprechend wollen die Autoren den pragmatischen, d.h.
den kommunikativen Gebrauch der Fremdsprache im Unterricht umsetzen.
Die Auswahl und Progression von Sprachmaterial und Sprachstrukturen
richten sich primär nach dem Kriterium der Verbalisierungsbedürfnisse
der Lerner. Demzufolge bilden Verständigungsbereiche das inhaltliche
Organisationsprinzip. Das Autorenteam nimmt zudem eine
11)
Ursprünglich war Schritte für Aussiedlerprogramme in Deutschland konzipiert.
Didaktische Grammatik 89
Binnendifferenzierung vor. 12)
Das Lehrwerk besteht aus 6 Bänden, jeweils mit integriertem
Arbeitsbuch. 13) Jeder Band besteht aus 7 Lektionen. Am Endes eines
Bandes ist eine alphabetische Wortliste vorhanden. Der Lerner erfährt auf
diesen Seiten, wo das gesuchte Wort im Kursbuch zu finden ist.
2. Aufbau der Lektionen
Jede Lektion beginnt mit einer Foto-Hörgeschichte und besteht
aus in sich abgeschlossenen Modulen, was die Orientierung erleichtert.
Jedes Modul enthält Textpassagen oder Dialoge, die zumeist recht kurz
sind und so den Kompetenzen der Sprachlerner auf jeweiligem Niveau
angepasst sind.
Am Ende jeder Lektion befindet sich eine Zusammenfassung.
Dort werden die bedeutsamsten grammatischen Regeln sowie wichtige
Wörter und Wendungen noch einmal für den Lerner zusammengefasst, so
dass dieser einen Überblick über den durchgenommenen Stoff bekommt.
3. Aufbau der Lektion 7
Die Lektion 7 behandelt das Alltagsthema Lernen - ein Leben lang.
Aus dem Inhaltsverzeichnis geht hervor, dass hier die Modalverben
können und wollen und die Satzklammer durchgenommen werden sollen.
Ein weiteres Grammatikthema ist das Perfekt. Die Lektion hat fünf
Module (ABCDE). Nur die ersten zwei Module A und B behandeln die
Modalverben, daher sollen nur sie näher betrachtet werden.
In dieser Lektion werden zum ersten Mal die Modalverben
12)
Binnendifferenzierung (auch Innere Differenzierung) bezeichnet man in der Pädagogik individuelle
Förderung einzelner Lernender innerhalb der bestehenden Lerngruppe. Auch die modernen
Lehrwerke wie Schritte heben stärker die Möglichkeit der Binnendifferenzierung hervor, um für alle
Kursteilnehmer eine motivierende Lernsituation zu schaffen. D.h. bei der Unterrichtsplanung und -
durchführung werden auf geübte, weniger geübte und lernunerfahrene Lerner Rücksicht genommen
(vgl. Rautenhaus, 1995, p. 212).
13)
Zu jedem Band gibt es CDs/Kassetten und ein Lehrerhandbuch; außerdem stellt der Verlag
verschiedene Zusatzmaterialien und Übungen online zur Verfügung; ausführlich bei:
http://www.hueber.de/seite/pg_info_bestandteile_sit?menu=89874
90 Hyun, Hee
können und wollen eingeführt. 14) Die Lektion beginnt wie üblich mit einer
Foto-Hörgeschichte. In Aufgabe 1 zur Foto-Hörgeschichte sollen die
Lerner, bevor sie die Geschichte hören, fünf Aussagen den Personen aus
der Foto-Hörgeschichte zuordnen. In den Aussagen kommt wollen in der
ersten Person im Präsens zweimal vor. In diesen Sätzen sehen die Lerner
zum ersten Mal das Modalverb wollen. Als nächste Aufgabe hören die
Lerner die Foto-Hörgeschichte, in der die Modalverben vorkommen. In
Aufgabe 3 sollen die Lerner die vorgegebenen Sätze in die richtige
Reihenfolge ordnen. Ein Satz enthält das Modalverb wollen (will).
Im Modul A wird gezielt das Modalverb können geübt (siehe
Anhang I): In Aufgabe A1 hören die Lerner einen kurzen Dialog und
ergänzen die Lücken in den vorgegebenen Dialogen mit den richtigen
Formen von können. Am Rand sehen die Lerner eine Tabelle mit der
Konjugation von können. Auf grammatische Terminologie wird
verzichtet. In Aufgabe A2 hören die Lerner wiederum einen Hörtext und
anschließend sollen sie mit Hilfe von vorgegebenen Ausdrücken selbst
kurze Dialoge bilden und in Partnerarbeit die Dialoge sprechen. Hier wird
die Satzklammer (Modalklammer) bewusst gemacht, indem zur
Lernerleichterung zwei Sätze mit Hilfe visueller Mittel übersichtlich
dargestellt werden. Es folgen interaktive Aufgaben (A3/A4), in denen das
Modalverb können eingeübt wird. Das Modul B ist genauso wie das
Modul A aufgebaut und nimmt das Modalverb wollen durch (siehe
Anhang II). Die vereinfachte Darstellungsform der Satzklammer in
beiden Modulen entspricht der der Dependenzgrammatik. Hierbei wird
auf eine explizite Regelformulierung verzichtet. Möglichst auf
induktivem Wege sollen sich die einfachen Formen der Modalverben
erschließen. In beiden Modulen werden die Hörtexte durch Fotos, die
Dialogübungen durch Zeichnungen illustriert.
In dem Grammatikteil am Ende der Lektion findet man eine
Tabelle mit der Konjugation der beiden Modalverben und eine weitere
Tabelle mit der Überschrift ‘Modalverben im Satz’, in der anhand zweier
Beispielsätze die Wortstellung im Satz, d.h. die Position des infiniten
Verbs (Infinitiv/Vollverb) und des finiten Modalverbs, verdeutlicht wird.
Auch hier werden weder traditionelle linguistische Begriffe gebraucht
14)
Das (Modal)Verb möchten wird bereits in der Lektion 3 des ersten Bandes behandelt, müssen und
dürfen in der Lekt. 9, sollen in der Lekt. 10 des zweiten Bandes.
Didaktische Grammatik 91
noch Regeln formuliert (siehe Anhang III).
Im Arbeitsbuch sind zur Einübung von Modalverben zwölf
gezielte Übungen: lexikalische (Aufgabe 12), grammatische (Aufgabe 1,
2, 4, 5, 8, 9, 10) phonologische (Aufgabe 6, 7) Übungen.
Mit diesen Übungen sollen die Lerner das im Kursbuch gelernte
wiederholen, kognitiv verarbeiten; aber es gibt sehr wenige Übungen, die
Sprechen und freies Schreiben trainieren. Am Ende befindet sich ein
Lernwortschatz.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich in dem
Lehrbuch “Schritte international” das Bemühen der Autoren widerspiegelt,
die Grammatik im Sinne einer lernerorientierten “didaktischen
Grammatik” für die Optimierung des kommunikativ und interkulturell
orientierten DaF-Unterrichts methodisch umzusetzen. Inwieweit das
gesteckte Ziel erreicht werden kann, liegt jedoch in der Hand des
Lehrers. 15) Was dies in Korea bedeutet, möchte ich in ein paar Punkten
ausführen.
- In Schritte wird gänzlich auf interkulturelle Komponente verzichtet.
Obwohl das Lehrwerk mit dem Atrribut ‘international’ versehen ist, hat
man eher den Eindruck, dass es für Deutschland konzipiert ist. Dialoge
sind oft viel zu kurz, um mit ihnen adäquate Handlungsfähigkeiten zu
entwickeln. Um es für Korea brauchbar zu machen, muss der Lehrer viele
Zusatzmaterialien erstellen. Er muss viele Sprechübungen erarbeiten und
sowohl landeskundliche als auch interkulturelle Informationen liefern. Im
Gegensatz dazu wird die Grammatik, die in der Lektion durchgenommen
wird, sehr strukturiert und explizit und laut Lehrerhandbuch in kleinen
“Portionen” eingeführt und intensiv geübt, was positiv zu bewerten ist
(Klimaszyk & Krämer-Kienle, 2006, p. 9).
- In meiner Unterrichtspraxis mit koreanischen Lernern mache ich oft die
Erfahrung, dass die Studenten eine explizite Regelformulierung und
entsprechende grammatische Terminologie verlangen. In den meisten
Universitäten erhalten die Studenten in einem Tutorium
Grammatikunterricht, dessen Stoff über den parallel laufenden
Konversationsunterricht hinausgeht. So schlagen sie bestimmte
15)
Aus persönlichen Gesprächen mit Kollegen ist mir bekannt, dass manche Lehrer an der Univerisität in
ihrem Unterricht mit dem Lehrwerk Schritte die Grammatik-Übersetzungs-Methode anwenden und
sich darüber beklagen, dass das Lehrwerk sehr wenig "hergibt".
92 Hyun, Hee
Grammatikteile in einer traditionellen linguistischen Grammatik nach, die
sie gerade im Unterricht durchnehmen. Dann kommen sie mit vielen W-
Fragen zum Unterricht, auf die der Lehrer explizit und überzeugend
antworten sollte. Das Erschließen einer Grammatikform bzw. -struktur
auf induktivem Wege funktioniert dann nicht so, wie man es geplant hat.
Daher muss ein koreanischer Lehrer bei der Grammatikvermittlung
anders vorgehen als der Lehrer in Deutschland.
- Da auch berücksichtigt werden muss, dass koreanische Studenten ganz
andere Schwierigkeiten mit der Grammatik (z.B. Modalverben; Artikel;
Adjektivendungen, etc.) haben als die Deutschlerner anderer
Muttersprachen, muss der Lehrer den Studenten Zusatzmaterialien zur
Verfügung stellen, die ihren Bedürfnissen entsprechen und ihre
Vorkenntnisse berücksichtigen. 16)
Ⅵ. Ausblick
Das Ziel jedes Fremdsprachenunterrichts besteht darin, dem
Lernenden Fertigkeiten auf allen Ebenen der Sprache zu vermitteln, damit
dieser die Fähigkeit erwirbt, die erlernte Sprache zum erwünschten Zweck
einzusetzen.
Dass es nicht immer so war, hat die Geschichte des
Fremdsprachenunterrichts gezeigt. Heute werden kommunikative und
interkulturelle Kompetenzen als ‘oberste’ Ziele des
Fremdsprachenunterrichts formuliert. Aber wie House (1998a, p. 65)
bereits gemahnt hat, “[darf] das ‘Kulturelle’ im Fremdsprachenunterricht
nicht auf Kosten des ‘Sprachlichen’ betont werden [...]” Es darf kein
Zweifel daran bestehen, dass der Fremdsprachenunterricht primär dazu
dient, Lernenden das richtige Sprechen/Hören und Schreiben/Lesen in der
Zielsprache beizubringen. Die Ziele widersprechen sich nicht. Denn allein
durch die Beherrschung der oben genannten Fertigkeiten kann langfristig
garantiert werden, dass die Verständigung, mit welchem Ziel auch immer,
erreicht wird. Sprachliche Korrektheit ist also die Voraussetzung für das
kommunikative und interkulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht
16)
Wünschenswert wäre ein regionales Lehrwerk für Koreaner, aber "in Anbetracht der Lage, in der die
Nachfrage nach der deutschen Sprachetendenziell abnimmt und viele Germanistikabteilungen ums
Überleben kämpfen,wird dieser Wunsch noch lange ein Wunsch bleiben." (Hyun, 2010b, p. 285) Daher
sollte und muss man adressatenspezifische Zusatzmaterialien entwickeln (vgl.Hyun & Ahn, 2011).
Didaktische Grammatik 93
(vgl. Hyun, 2010a, p. 50). Und die Grundsteine zum Erwerb dieser
Fertigkeiten liefert die Grammatik. Man darf auch nicht aus Idealismus
vergessen, dass die Lerner sich meistens einer Prüfung unterziehen
müssen, die aus dem Abfragen der genannten vier Fertigkeiten besteht.
Tatsache ist, dass auch in Zukunft nicht so schnell eine
allgemeingültige DG entstehen wird. Aber ein Konsens ist jetzt schon
dahingehend erreicht, dass für einen effektiven Fremdsprachenunterricht
eine DG gebraucht wird, und zwar sowohl für den Lehrer als auch den
Lerner. In Kapitel 5 wurde gezeigt, dass ein modernes Lehrwerk wie
Schritte 1 international die Bemühungen der Autoren widerspiegelt, viele
Elemente der DG umzusetzen. Aber es wurde auch gezeigt, dass Schritte
nicht alle Bedürfnisse der koreanischen Lerner abdeckt, abdecken kann,
weil es eben für Lerner verschiedener Muttersprachen konzipiert ist.
Arbeitet der Lehrer jedoch ohne solch ein Lehrwerk, steht er mit
einem noch größeren Problem allein da und muss für seinen aktuellen
Unterricht selbst eine DG erarbeiten, was in Korea oft der Fall ist. Daher
ist es wünschenswert, gemeinsam eine elementare DG auszuarbeiten, auf
die der Lehrer sofort zugreifen kann. In Deutschland sind in letzter Zeit
viele Arbeiten erschienen, 17) die versuchen, bestimmte Teile der
Grammatik zu einer DG zu verarbeiten. In Korea wurden seit jeher
Untersuchungen über Grammatik auf traditionell linguistischer Basis
durchgeführt, wogegen aber selten Überlegungen über die DG angestellt
worden sind.
Künftige Aufgaben der Fremdsprachendidaktiker sollten im
Hinblick auf die Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht in
Korea mehr auf die Erarbeitung einer DG verlagert werden.
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Internetseiten
http://www.hueber.de/seite/pg_info_bestandteile_sit?menu=89874
www.linguistik-online.de
Anhang I
98 Hyun, Hee
Anhang II
Didaktische Grammatik 99
Anhang III
100 Hyun, Hee
Hyun, Hee
Deutsche Abteilung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät,
Staatliche Universität Seoul
599 Gwanak-ro(St), Gwanak-gu, Seoul, South Korea
Tel: +82-(0)2-880-7681
Email: [email protected]
Received on June 20, 2011
Reviewed on Sept 17, 2011
Revised version received on Nov 12, 2011
Accepted on Dec 2, 2011