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Genaue Darlegung Des Orthodoxen Glaubens (BKV) - Deutsch - 137

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Inhaltsverzeichnis
Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (Expositio fidei) 1
Erstes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Zweites Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Drittes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Viertes Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Titel Werk: Expositio fidei Autor: Johannes von Damaskus Identifier: CPG 8043 Tag: dog-
matische Literatur Time: 8. Jhd.

Titel Version: Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (BKV) Sprache: deutsch Bi-
bliographie: Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (Expositio fidei) In: Des Johan-
nes von Damaskus genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens. Aus dem Griechischen
übersetzt von Dr. Dionys Steinhofer. (b0ibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 44)
München 1923. Unter der Mitarbeit von: Eveline Brühwiler und Rudolf Heumann

Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (Expositio fi-


dei)
Erstes Buch
I. KAPITEL. Das göttliche Wesen ist unbegreiflich. Man darf sich nicht um das bemü-
hen und bekümmern, was uns von den heiligen Propheten, Aposteln und Evangelisten
nicht überliefert ist.

S. 1 „Gott hat niemand jemals gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters
ist, er hat [ihn] kundgemacht“ 1 . Unaussprechlich also ist das göttliche Wesen und unbe-
greiflich. Denn „niemand kennt den Vater außer der Sohn und niemand den Sohn außer
der Vater“ 2 . Aber auch der Hl. Geist weiß, was Gottes ist, so, wie der Geist des Menschen
weiß, was in ihm ist 3 . Nach der ersten, seligen (� göttlichen) Natur aber hat niemand Gott
je erkannt, außer der, dem er sich persönlich geoffenbart, nicht bloß kein Mensch, sondern
auch keine überweltliche Macht, ja, ich behaupte, selbst kein Cherubim und Seraphim 4 .

Gleichwohl hat uns Gott nicht in völliger Unkenntnis gelassen. Denn die Erkenntnis des
Daseins Gottes ist von ihm allen von Natur aus eingepflanzt. Aber auch die Schöpfung
1
Joh. 1, 18.
2
Matth. 11, 27.
3
Vgl. 1 Kor. 2, 11.
4
Vgl. Greg. Naz., Or. 28, 3 (Migne, P. gr. 36, 29 A). Hier liegt wohl eine Spitze gegen Eunomius, Bischof von
Cyzikus in Mysien († um 395), der eine adäquate Erkenntnis des Wesens Gottes behauptete.

1
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selbst, deren Erhaltung und Regierung verkündet die Majestät der göttlichen Natur 5 . Fer-
ner hat er sich, zuerst durch Gesetz und Propheten, dann aber auch durch seinen einge-
borenen Sohn, unseren Herrn, Gott und Heiland Jesus Christus entsprechend unserem
Fassungsvermögen erkennbar gemacht. Daher S. 2 nehmen wir alles an, was uns durch
Gesetz und Propheten, Apostel und Evangelisten überliefert ist, studieren und verehren
es und suchen nichts darüber hinaus. Gott ist gut, darum ist er der Geber alles Guten; er
unterliegt nicht Neid oder einer Leidenschaft. Ja, fern von der göttlichen Natur, die leiden-
schaftslos und nur gut ist, ist Neid. Da er alles weiß und eines jeden Interesse im Auge hat,
so hat er gerade das geoffenbart, dessen Kenntnis in unserem Interesse lag. Was wir jedoch
nicht ertragen konnten, hat er verschwiegen. Damit wollen wir uns zufrieden geben; dabei
wollen wir bleiben; wir wollen nicht die ewigen Grenzen verrücken 6 und über die göttliche
Überlieferung hinausgehen.

II. KAPITEL. Aussprechbares und Unaussprechbares, Erkennbares und Unerkennba-


res.

Wer von Gott reden oder hören will, muß sich klar sein,* daß in der Gotteslehre wie in der
Heilsveranstaltung weder alles unaussprechbar noch alles aussprechbar, weder alles uner-
kennbar noch alles erkennbar ist.* Etwas anderes ist das Erkennbare und etwas anderes
das Aussprechbare,* wie etwas anderes das Reden und etwas anderes das Erkennen ist 7 .*
Darum kann man vieles von dem, was sich von Gott schwer erkennen läßt, nicht in den
rechten sprachlichen Ausdruck bringen. Vielmehr sehen wir uns genötigt, das, was über
uns hinausliegt, nach unserer (menschlichen) Art auszudrücken. So z. B. reden wir bei
Gott von Schlaf, Zorn, Sorglosigkeit, Händen und Füßen und dergleichen.

Daß Gott ohne Anfang und Ende ist, ewig und immerwährend, ungeschaffen, unwandel-
bar, S. 3 unveränderlich, einfach, nicht zusammengesetzt, unkörperlich, unsichtbar, un-
greifbar, unbegrenzt, unendlich, unbegreiflich, uneingeschränkt, unfaßbar, gut, gerecht,
Bildner aller Geschöpfe, allmächtig, allherrschend, allsehend, allsorgend, Machthaber und
Richter — das erkennen und bekennen wir. Und daß nur* ein* Gott ist, d. h.* eine* We-
senheit; daß er in drei Personen erkannt wird und ist, nämlich im Vater, Sohn und Hl.
Geist; daß der Vater, Sohn und der Hl. Geist in allem eins sind, ausgenommen das Unge-
zeugtsein, das Gezeugtsein und das Hervorgehen; daß der eingeborene Sohn und Logos
Gottes und Gott „aus herzinnigem Erbarmen“ 8 unseres Heiles wegen durch den Willen
des Vaters und die Mitwirkung des allheiligen Geistes ohne Samen empfangen, unbefleckt
aus der heiligen Jungfrau und Gottesgebärerin Maria durch den Hl. Geist geboren worden
5
Vgl. a. a. 0. (Migne, P. gr. 36, 29 AB).
6
Vgl. Sprüche 22, 28.
7
Das kursiv Gedruckte ist fast wörtlich dem Scholion zu Cyr. Alex., Thesaurus c. 5 (Migne, P. gr. 75, 72 C) in
der Doctrina Patrum de incarnatione Verbi (ed. Diekamp, Münster 1907), S. 7, 16�19 u. 8, 1 entnommen.
8
Luk. 1, 78.

2
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und als vollkommener Mensch aus ihr hervorgegangen ist; daß derselbe vollkommener
Gott und vollkommener Mensch zugleich ist, [bestehend] aus zwei Naturen, Gottheit und
Menschheit, und in zwei Naturen, die vernünftig, wollend, wirkend, selbstmächtig, mit
einem Wort vollkommen sind, eine jede in der ihr zukommenden Bestimmtheit und Be-
schaffenheit, in der Gottheit und Menschheit nämlich, aber in* einer* zusammengesetzten
Person (Hypostase); daß er hungerte und dürstete und müde ward, gekreuzigt wurde, drei
Tage lang Tod und Grab kostete, in den Himmel aufstieg, von wo er auch zu uns gekom-
men und am Ende wiederkommen wird — dafür sind Zeuge die Hl. Schrift und der ganze
Chor der Heiligen (= der Väter).

Was aber das Wesen Gottes ist, oder wie er in allem ist, oder wie der eingeborene Sohn
und Gott sich selbst entäußerte und aus jungfräulichem Blute Mensch wurde, durch ein
anderes als das Naturgesetz gebildet, oder wie er trockenen Fußes auf dem Wasser gewan-
delt 9 , das erkennen wir nicht und können es nicht sagen. Es ist also, abgesehen von dem,
was uns von Gott durch die göttlichen Aussprüche des Alten und S. 4 Neuen Testamentes
verkündet oder mitgeteilt und geoffenbart worden ist, nicht möglich, etwas von Gott zu
sagen oder überhaupt zu denken.

III. KAPITEL. Beweis für das Dasein Gottes.

Die Existenz Gottes ist denen, die die heiligen Schriften, nämlich das Alte und Neue Tes-
tament, annehmen, nicht zweifelhaft, aber auch der Mehrzahl der Heiden nicht. Denn die
Erkenntnis des Daseins Gottes ist, wie gesagt 10 , uns von Natur aus eingepflanzt. Allein
die Schlechtigkeit des Bösen11 (� des Teufels) übte auf die Menschennatur eine so große
Gewalt aus, daß sie sogar manche in den unvernünftigsten und allerübelsten Abgrund des
Verderbens stürzte: sie leugneten nämlich das Dasein Gottes. Ihren Unverstand zeigt der
heilige Seher David auf, wenn er sagt: „Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott“
12
. Darum haben die Jünger und Apostel des Herrn, die vom allheiligen Geiste Belehrung
bekommen und durch seine Kraft und Gnade die göttlichen Zeichen wirkten, mit dem Net-
ze der Wunder sie lebendig gefangen 13 und aus der Tiefe der Unwissenheit zum Lichte der
Gotteserkenntnis emporgeführt. Desgleichen haben auch ihre Nachfolger in der Gnade
und Würde, die Hirten und Lehrer, welche die erleuchtende Gnade des Geistes empfan-
gen, durch die Macht der Wunder und „die Lehre der Gnade“ 14 die erleuchtet, die in der
9
Matth. 14, 25 f.
10
Siehe 1. Kap.
11
ὁ πονηρός [ho ponēros] : Matth. 5, 37; 13, 19. 38; Joh. 17, 15; 1 Joh. 2, 13 f.; 3, 12; 5, 18 f.; Eph. 6, 16.
12
Ps. 13, 1 [hebr. Ps. 14, 1].
13
Vgl. Luk. 5, 10.
14
Apg. 14, 3; 20, 32.

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Finsternis waren, und auf den rechten Weg gebracht, die in die Irre gegangen 15 . Wir aber,
die weder die Gabe der Wunder noch die der S. 5 Unterweisung empfangen haben — wir
haben uns nämlich durch die Vorliebe zu den Lüsten unwürdig gemacht —, wohlan, wir
wollen einiges von dem, was uns hierüber von den Erklärern der Gnade überliefert worden
ist, besprechen, zuvor aber den Vater und den Sohn und den Hl. Geist anrufen.

Alles, was existiert, ist entweder geschaffen oder ungeschaffen. Wenn nun geschaffen, so
ist es sicherlich auch veränderlich. Denn wessen Sein mit Veränderung begonnen, das wird
bestimmt der Veränderung unterliegen, sei es, daß es vernichtet wird oder freiwillig sich
ändert. Wenn aber ungeschaffen, so ist es folgerichtig sicher auch unveränderlich. Denn
wessen Sein gegensätzlich ist, bei dem ist auch die Art des Wieseins, d. h. die Eigenschaften,
gegensätzlich. Wer also wird nicht dem beistimmen, daß alles Seiende, das in unsere Sinne
fällt, ja sogar die Engel sich ändern und wandeln und vielfältigem Wechsel unterstehen,
und zwar die geistigen Wesen, die Engel, Seelen und Dämonen, durch freie Willensent-
scheidung, durch den Fortschritt im Guten und die Abkehr vom Guten, worin es ein Mehr
und ein Minder gibt, die übrigen Wesen aber durch Entstehen und Vergehen, durch Zu-
nehmen und Abnehmen, durch den Eigenschaftswechsel und die Ortsbewegung? Da sie
also veränderlich sind, so sind sie sicherlich auch geschaffen. Wenn aber geschaffen, dann
wurden sie gewiß von jemand geschaffen. Der Schöpfer aber muß ungeschaffen sein. Denn
ward auch jener geschaffen, so ist er sicher von jemand [anderem] geschaffen [und so fort],
bis wir zu etwas Ungeschaffenem kommen. Da also der Schöpfer ungeschaffen ist, so ist
er sicherlich auch unveränderlich. Was anders aber sollte dieses [Ungeschaffene] sein als
Gott?

Aber auch der Zusammenhalt, die Erhaltung und Regierung der Welt lehrt uns, daß ein
Gott ist, der dies All zusammengesetzt hat, es zusammenhält 16 und erhält und immer dafür
sorgt. Denn wie hätten die entgegengesetzten Naturen von Feuer und Wasser, von Luft und
Erde zur Vollendung* einer* Welt zusammenkommen S. 6 können, und wie könnten sie
unaufgelöst bleiben, wenn nicht eine allmächtige Gewalt diese zusammengezwungen hätte
und sie immerdar unaufgelöst erhielte?

Was ist das, das die Dinge am Himmel und auf Erden, und alles, was in der Luft, und
alles, was im Wasser ist, ja vielmehr das, was vor diesen ist, Himmel und Erde und Luft und
die Natur von Wasser und Feuer geordnet hat? Was hat diese Dinge vermischt und verteilt?
Was ist das, das sie in Bewegung gesetzt hat und den unaufhörlichen, ungehinderten Lauf
leitet?* Nicht etwa ihr Künstler, der, der in alle Gesetzmäßigkeit gelegt, wonach das All
gelenkt und regiert wird? Wer ist ihr Künstler? Nicht der, der sie gemacht und ins Dasein
gerufen? Wir werden doch nicht dem Zufall eine solche Macht einräumen. Denn gesetzt,
15
1 Clem. ad Cor. 59, 4:* τοὺς πλανωμένους ἐπέστρεψον [tous planōmenous epestrepson] (im Gemeindege-
bet) = die Irrenden bringe auf den rechten Weg.
16
1 Clem. ad Cor. 27, 4:* συνεστάσατο τὰ πάντα* [synestasato ta panta].

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ihr Entstehen sei Sache des Zufalls: Wessen ist die Ordnung? Auch darauf wollen wir, wenn
es beliebt, hinweisen: Wessen Sache ist es, sie nach den Gesetzen, nach denen sie zuerst
entstanden, zu erhalten und zu bewahren ? Eines anderen offenbar als des Zufalls. Was
anders aber ist dieses [Wesen] als Gott? 17

IV. KAPITEL. Das Wesen Gottes. Seine Unbegreifbarkeit.

Daß es also einen Gott gibt, ist klar. Was er aber seiner Wesenheit und Natur nach ist, das ist
völlig unbegreiflich und unerkennbar. Daß er unkörperlich ist, ist klar. Denn* wie* sollte
das ein Körper sein,* das unendlich und unbegrenzt, gestaltlos, ungreifbar und unsichtbar,*
einfach und nicht zusammengesetzt ist? Wie wäre etwas unveränderlich, wenn es begrenzt
und leidensfähig wäre? Und wie das leidenslos,* das aus Grundstoffen zusammengesetzt
ist und sich wieder in sie auflöst? Denn Zusammensetzung ist der Grund des Kampfes,
Kampf [der Grund] der Trennung, Trennung S. 7 [der Grund] der Auflösung. Auflösung
aber ist für Gott ein völlig fremder Begriff 18 .*

Wie ließe sich aber auch die Tatsache halten, daß Gott alles durchdringt und alles erfüllt,
wie die Schrift sagt:* „Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde, spricht der Herr?“ 19 *
Denn es ist unmöglich, daß ein Körper Körper durchdringt, ohne zu spalten und gespaltet,*
verflochten und gegenübergestellt* zu werden,* wie alles Flüssige sich vermischt 20 * und
verbindet.

Mögen auch manche 21 einen immateriellen (stofflosen) Körper annehmen, etwa den
fünften Körper, wie er bei den griechischen Weisen heißt, was allerdings unmöglich ist; in
Bewegung wird er jedenfalls sein so wie der Himmel. Denn diesen (� den immateriellen
Körper) nennen sie fünften Körper. Wer ist es nun, der diesen bewegt? Denn alles, was
in Bewegung ist, wird von anderem bewegt. Und wer [bewegt] letzteres? Und so fort ins
Unendliche, bis wir auf etwas Unbewegtes stoßen. Denn das Erstbewegende ist unbewegt,
und das ist das göttliche Wesen. Wie wäre ferner das Bewegte nicht örtlich begrenzt? Dar-
um ist nur das göttliche Wesen unbewegt, in Unbewegtheit alles bewegend. Mithin ist das
göttliche Wesen unkörperlich zu fassen 22 .

Aber auch* dieses* (= das Unkörperliche) ist* nicht imstande, sein (= Gottes) Wesen zu
erklären, wie auch nicht das Ungezeugtsein, das Anfangslose, das Unveränderliche, das
17
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 16 (Migne, P. gr. 36, 48 AB).
18
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 7 (Migne, P. gr. 36, 33 BC.
19
Jer. 23, 24. Das kursiv Gedruckte aus Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 33 D.
20
Nach Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 36 A).
21
Die Aristoteliker. Aristoteles lehrte, der Himmel sei gleichsam der Körper Gottes. Weil inkorruptibel und
von den vier Elementen, Feuer, Luft, Wasser und Erde, verschieden, nannte er ihn nach Pythagoras fünften
Körper.
22
Vgl. zu diesem Abschnitt Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 36 AB).

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Unvergängliche und was sonst von Gott oder in Beziehung auf Gott ausgesagt wird 23 .*
Denn dieses bezeichnet nicht das, was er ist, sondern das, was S. 8 er nicht ist. Wer das
Wesen von einem Ding angeben will, der muß sagen, was es ist, nicht das, was es nicht ist.
Gleichwohl läßt sich bei Gott unmöglich sagen, was er dem Wesen nach ist. Viel geeigneter
ist es, von allem [Seienden] abzusehen und so die Erörterung [über ihn] anzustellen. Denn
er ist nichts vom Seienden. Nicht als ob er nicht wäre, sondern weil er über allem Seienden
und über dem Sein selbst ist. Denn mag es auch vom Seienden Erkenntnisse geben, das,
was über der Erkenntnis ist, wird sicherlich auch über dem Sein sein. Und umgekehrt wird
das, was über dem Sein ist, auch über der Erkenntnis sein.

Unendlich und unbegreifbar also ist das göttliche Wesen. Nur das ist von ihm begreifbar,
seine Unendlichkeit und Unbegreifbarkeit. All unsere bejahenden Aussagen von Gott be-
zeichnen nicht die Natur, sondern die Beziehungen der Natur. Wenn du [ihn] gut, wenn
gerecht, wenn weise und was sonst noch nennst, so meinst du nicht die Natur Gottes, son-
dern die Beziehungen seiner Natur. Es gibt aber auch bejahende Aussagen von Gott, die
die Bedeutung einer überschwenglichen Verneinung haben. Wenn wir z. B. von Gott Fins-
ternis aussagen, so denken wir nicht an Finsternis, sondern [denken], daß er nicht Licht,
ja sogar, daß er mehr als Licht ist. Und [sagen wir von Gott] Licht 24 aus, [so denken wir,]
daß er nicht Finsternis ist.

V. KAPITEL. Beweis, daß es nur* einen* Gott gibt und nicht viele.

Daß Gott existiert, sowie daß sein Wesen unbegreifbar ist, ist zur Genüge bewiesen worden.
Daß es aber nur* einen* Gott gibt und nicht viele, das ist denen, die der göttlichen Schrift
glauben, nicht zweifelhaft. Es sagt ja der Herr zu Anfang der Gesetzgebung: „Ich bin der
Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt. Du sollst keine anderen Götter außer mir
haben 25 .“ Und S. 9 wiederum: „Höre, Israel, der Herr, dein Gott, ist der einzige Herr 26 .“
Und durch den Propheten Isaias spricht er: „Ich bin Gott von Anbeginn und ich bin es hin-
fort, und außer mir ist kein Gott. Vor mir war kein anderer Gott, und nach mir wird keiner
sein, und außer mir ist keiner 27 .“ Und der Herr spricht in den heiligen Evangelien zum
Vater also: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den* allein* wahren Gott 28 .“
Mit denen aber, die der göttlichen Schrift nicht glauben, wollen wir uns folgendermaßen
auseinandersetzen:

Das göttliche Wesen ist vollkommen, ihm mangelt nichts an Güte, an Weisheit und an
23
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 9 (Migne, P. gr. 36, 36 C).
24
Vgl. 1 Joh. 1, 5.
25
Exod. 20, 2 f.
26
Deut. 6, 4.
27
Vgl. Is. 43, 10 f.
28
Joh. 17, 3.

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Macht, es ist ohne Anfang, ohne Ende, ewig, unbegrenzt — kurz, absolut vollkommen.
Gesetzt nun, wir wollen viele Götter annehmen, so wird sich notwendig ein Unterschied
unter den vielen bemerkbar machen. Denn wenn gar kein Unterschied unter ihnen besteht,
so ist vielmehr einer und nicht viele. Ist aber ein Unterschied unter ihnen, wo ist dann
die Vollkommenheit? Denn stünde einer in Hinsicht auf Güte oder auf Macht oder auf
Weisheit oder auf Zeit oder auf Ort hinter dem Vollkommenen zurück, so wäre er nicht
Gott. Die vollständige Identität aber beweist erst recht* einen* und nicht viele.

Wie wäre es aber auch möglich, daß beim Dasein vieler die Unbegrenztheit gewahrt blie-
be? Denn wo der eine wäre, könnte der andere nicht sein.

Wie ließe sich ferner von vielen die Welt regieren? Müßte sie sich nicht auflösen und
zugrundegehen, da doch ein Kampf unter den Regierenden offensichtlich wäre? Denn der
Unterschied bringt Gegensätzlichkeit mit sich. Wollte man aber behaupten, jeder beherr-
sche seinen Teil, [dann frage ich,] was ist denn das, das die Ordnung geschaffen und die
Verteilung unter ihnen vorgenommen? Das ist doch wohl erst recht Gott.* Einer* also ist
Gott, vollkommen, unbegrenzt, Schöpfer des Alls, Erhalter und Regierer, übervollkommen
und übervollendet.

S. 10 Zudem ist es aber auch eine Naturnotwendigkeit, daß die Einheit Grund der Zwei-
heit ist.

VI. KAPITEL. Vom Logos und Sohne Gottes — Vernunftbeweis.


29
Dieser einzige und alleinige Gott ist nicht* ohne Logos* (Wort) 30 .* Hat er aber ein Wort,*
so wird er kein solches haben, das keine eigene Subsistenz besitzt oder zu sein angefangen
hat oder aufhören wird. Denn es gab nie eine Zeit, da Gott das Wort nicht war. Vielmehr
hat er immer sein aus ihm gezeugtes Wort. Dieses hat nicht wie unser Wort* keine eigene
Subsistenz* und ergießt sich nicht in die Luft, nein, es ist subsistierend, lebendig und voll-
kommen, weicht nicht von ihm, sondern ist stets in ihm. Denn wo sollte es sein, wenn es
sich von ihm trennte? Weil* unsere Natur hinfällig* und leicht auflösbar ist, deshalb hat
auch unser Wort keine eigene Subsistenz. Weil aber Gott* immer besteht* und vollkommen
ist, deshalb wird auch sein Wort vollkommen, subsistierend, immer bestehend, lebendig
sein und alles besitzen, was der Erzeuger hat. Unser* Wort, das vom Geiste* ausgeht,* ist
29
[Vernunftbeweis:]* συλλογιστικὴ ἀπόδειξις* [syllogistikē apodeixis]. Dieser Zusatz fehlt in einigen Hand-
schriften.
30
Bilz (Die Trinitätslehre des hl. Johannes von Damaskus, Paderborn 1909, S. 144 f.) macht darauf aufmerk-
sam, daß hier das Argument anklingt, das Athanasius und andere Väter, wie Cyrill von Alexandrien, Gregor
von Nyssa, Gregor von Nazianz, oft gegen die Arianer gebrauchen: Wenn es eine Zeit gab, wo der Sohn, der
das Wort und die Weisheit des Vaters ist, nicht war, dann gab es eine Zeit, wo Gott ohne Wort und ohne
Weisheit war. Dies ist aber ungereimt. Also hat Gott immer sein Wort und seine Weisheit. Bilz (a. a. O. S.
144 ²) führt die betreffenden Väterstellen an.

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weder ganz dasselbe wie der Geist noch völlig verschieden* [von ihm]. Da es aus dem Geis-
te ist, ist es etwas anderes als er.* Da es aber den Geist selbst zur Erscheinung bringt, ist
es doch nicht mehr völlig verschieden vom Geiste. Es ist vielmehr der Natur nach S. 11
eins mit ihm, dem Subjekt nach ist es verschieden. So ist es auch mit dem Worte Gottes.
Dadurch, daß es für sich besteht, ist es verschieden von jenem, von dem es das Sein hat.
Insofern es aber in sich all das aufweist, was man an Gott erblickt, ist es der Natur nach
ein und dasselbe mit ihm.* Wie man nämlich* die allseitige Vollkommenheit 31 * am Vater
sieht, so sieht man sie auch an dem aus ihm gezeugten Wort.

VII. KAPITEL. Vom Hl. Geiste — Vernunftbeweis.


32
Es muß aber das Wort auch ein Pneuma (einen Hauch) haben. Denn nicht einmal unser
Wort ist ohne Hauch.* Allein bei uns ist der Hauch* etwas unserer Wesenheit Fremdes.*
Er ist ein Einnehmen* und Abgeben* der Luft, die man zur Erhaltung des Körpers einzieht
und ausstößt. Zur Zeit des Sprechens wird er zur Stimme des Wortes, die die Bedeutung
des Wortes in sich offenbart. Bei der göttlichen Natur nun,* die einfach und nicht zusam-
mengesetzt ist,* muß man zwar die Existenz eines Pneuma Gottes fromm* zugeben,* denn
das Wort* [Gottes]* steht nicht hinter dem unsrigen Wort zurück.* Aber nicht fromm ist
es, das Pneuma für etwas* Fremdes,* von außen zu Gott Hinzukommendes zu halten wie
bei uns, die wir zusammengesetzt sind.* Nein. Denn wenn wir vom Worte Gottes hören,
sind wir nicht der Meinung, es habe keine eigene Subsistenz oder es entstehe durch Lernen
oder es werde durch eine Stimme erzeugt* oder es ergieße sich in die Luft und* vergehe,
vielmehr* [meinen wir],* es subsistiere wesenhaft* (in eigener Hypostase),* habe freien
Willen, sei wirksam und allmächtig. In gleicher Weise denken wir auch, wenn wir vom
Pneuma Gottes hören, das das Wort begleitet und S. 12 seine Wirksamkeit offenbart, nicht
an einen Hauch,* der keine eigene Subsistenz hat.* Es würde* ja* so die Hoheit der gött-
lichen Natur zur Niedrigkeit herabgedrückt, dächte man sich das Pneuma in ihm ähnlich
unserem* Hauch.* Nein,* [wir denken]* an eine wesenhafte Kraft, die man für sich in ei-
gener Hypostase betrachtet.* Sie geht vom Vater aus und ruht im Worte und offenbart es.*
Sie kann sich von Gott, in dem sie ist, und vom Worte, das sie begleitet, nicht trennen
noch ihr Sein verlieren, sondern sie besteht ebenso wie das Wort selbständig für sich,* ist
lebendig,* hat freien Willen, bewegt sich selbst, ist wirksam, will stets das Gute, besitzt un-
umschränkte Willensmacht 33 ,* hat keinen Anfang und kein Ende. Denn nie fehlte dem
Vater das Wort noch dem Worte das Pneuma.
31
Das kursiv Gedruckte in diesem Kapitel fast wörtlich, aus Greg. Nyss., Orat. catech. c. 1 Migne, P. gr. 45, 13
ff.
32
[Vernunftbeweis:]* συλλογιστικὴ ἀπόδειξις* [syllogistikē apodeixis]. Diesen Zusatz haben nicht alle Hand-
schriften.
33
Das in diesem Kapitel bis hierher kursiv Gedruckte ist fast Wort für Wort aus Greg. Nyss., Orat. catech. c. 2
Migne, P. gr. 45, 17.

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So wird durch die Einheit der Natur der polytheistische Irrtum der Heiden zunichte ge-
macht, durch die Annahme des Logos und Pneuma aber die Lehre der Juden 34 abgetan,
und von den beiden Ansichten bleibt das Brauchbare: von der jüdischen Anschauung die
Einheit der Natur, vom Heidentum aber nur die Unterscheidung der Personen 35 .

Sollte aber der Jude gegen die Lehre vom Worte und Geiste Widerspruch erheben, so soll
er sich von der Hl. Schrift widerlegen und den Mund zum Schweigen bringen lassen. Denn
vom Worte sagt der göttliche David: „In Ewigkeit, Herr, währt dein Wort im Himmel 36 .“
Und wiederum: „Er sandte sein Wort und heilte sie 37 .“ Das Wort aber, das man mit dem
Munde ausspricht38 , wird nicht gesandt und bleibt auch nicht in S. 13 Ewigkeit. Vom Hl.
Geiste aber [sagt] derselbe David: „Du sendest aus deinen Geist [Hauch], und sie werden
geschaffen 39 .“ Und wiederum: „Durch das Wort des Herrn sind die Himmel befestigt (ge-
schaffen) und durch den Geist (Hauch) seines Mundes ihr ganzes Heer 40 .“ Und Job: „Ein
göttlicher Geist ist es, der mich geschaffen, und ein allmächtiger Hauch, der mich erhalten
41
.“ Geist (Hauch) aber, der gesandt wird, schafft, befestigt und erhält, ist kein Odem, der
sich auflöst, wie auch der Mund Gottes kein körperliches Glied ist. Beides nämlich muß
man auf eine gotteswürdige Art verstehen.

VIII. KAPITEL. Von der heiligen Dreieinigkeit.

Wir glauben also an* einen* Gott,* einen* Urgrund, der anfangslos, ungeschaffen, unge-
zeugt 42 , unvergänglich und unsterblich, ewig, unendlich, unumschränkt, unbegrenzt, un-
endlich mächtig, einfach, nicht zusammengesetzt, unkörperlich, leidenschaftslos, unwan-
delbar, unveränderlich, unsichtbar, Quelle der Güte und Gerechtigkeit, geistiges Licht, un-
zugänglich ist. [Wir glauben] an eine Macht, die durch kein Maß erkannt, die nur durch
den eigenen Willen gemessen wird. Denn sie kann alles, was sie will 43 . Sie erschafft alle
sichtbaren und unsichtbaren Dinge, erhält und bewahrt alles, sorgt für alles, behauptet und
beherrscht und regiert alles in unendlicher, unvergänglicher Herrschaft, hat keinen Ge-
gensatz, sie erfüllt alles, ist von nichts umschlossen, umschließt vielmehr selbst alles, hält
34
Sie lehrten einen abstrakten Monotheismus.
35
Bilz (a. a. O. S. 39) weist darauf hin, daß dieser Gedanke bereits bei Basilius, Contra Sab. I (Migne, P. gr. 31,
600 C); Ep. 210 (l. c. 32, 776 B), bei Gregor von Nazianz, Orat. 25, 16 (l. c. 35, 1221 A) und bei Gregor von
Nyssa, Orat. catech. c. 3 (l. c. 45, 17 D) sich findet.
36
Ps. 118, 89 [hebr. Ps. 119, 89].
37
Ebd. [Ps.] 106, 20 [hebr. Ps. 107, 20].
38
λόγος προφορικός. [logos prophorikos].
39
Ps. 103, 30 [hebr. Ps. 104, 30].
40
Ebd. [Ps.] 32, 6 [hebr. Ps. 33, 6].
41
Vgl. Job 33, 4.
42
Das hier auffallende, aber gut bezeugte Wort* ἀγέννητος* [agennētos] erklärt sich nach Bilz (a. a. O. S. 45
1) daraus, daß unsere Stelle einer Stelle bei Theodoret (Haeretic. Fabul. Compendium I. 5, 1 Migne, P. gr.
83, 441 C) nachgebildet ist.
43
Ps. 134, 6 [hebr. Ps. 135, 6].

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es zusammen und überragt es, durchdringt alle Wesenheiten, S. 14 ohne befleckt zu wer-
den, steht über allem, ist über jede Wesenheit erhaben, darum überwesentlich, allüberra-
gend, übergöttlich, übergut, übervollkommen. Sie setzt alle Anfänge und Ordnungen fest,
ist über jeden Anfang und jede Ordnung erhaben, steht über Wesenheit und Leben und
Wort und Gedanken. Sie ist Selbst-Licht, Selbst-Güte, Selbst-Leben, Selbst-Wesen. Denn
sie hat weder das Sein noch sonst etwas von einem andern, sie ist vielmehr selbst Quel-
le des Seins für’s Seiende, des Lebens für’s Lebende, der Vernunft für’s Vernünftige, und
für alle Ursache aller Güter. Sie weiß alles, ehe es geschieht. [Wir glauben] an* eine* We-
senheit,* eine* Gottheit,* eine* Kraft,* einen* Willen,* eine* Wirksamkeit,* ein* Prinzip,*
eine* Macht,* eine* Herrschaft,* eine* Regierung. Sie wird in drei vollkommenen Hyposta-
sen (Personen) erkannt, genießt aber nur* eine* Anbetung, sie wird geglaubt und verehrt
von jedem vernünftigen Geschöpfe. Sie (= die Hypostasen) sind ohne Vermischung vereint
und ohne Trennung unterschieden, was geradezu unglaublich scheint. [Wir glauben] an
den Vater, Sohn und Hl. Geist, auf die wir auch getauft sind44 . Denn so hat der Herr seinen
Aposteln zu taufen befohlen, da er sprach: „Taufet sie auf den Namen des Vaters und des
Sohnes und des Hl. Geistes45 .“

[Wir glauben] an* einen* Vater, das Prinzip und die Ursache von allem. Er ist aus nie-
mand gezeugt, er ist allein ohne jedes Prinzip und ungezeugt. Er ist Schöpfer aller Dinge 46 .
Kraft der Natur ist er Vater seines einen, alleinigen, eingeborenen Sohnes, unseres Herrn
und Gottes und Heilandes Jesus Christus, und Hervorbringer des allheiligen Geistes. Und
[wir glauben] „an* einen* Sohn Gottes, den Eingeborenen“, unseren Herrn Jesus Chris-
tus, „der aus dem Vater gezeugt ist vor aller Zeit, Licht vom Licht, wahrer Gott vom S. 15
wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, gleichen Wesens mit dem Vater, durch den alles
erschaffen ist 47 .“ Mit den Worten „vor aller Zeit“ zeigen wir an, daß seine Zeugung zeit-
und anfangslos ist. Denn der Sohn Gottes ward nicht aus dem Nichtsein ins Sein hervor-
gebracht, er, „der Abglanz der Herrlichkeit, der Abdruck des Wesens des Vaters 48 “, die
lebendige „Weisheit und Kraft49 “, das Wort, das in sich selbst besteht, das wesenhafte, voll-
kommene und lebendige „Abbild des unsichtbaren Gottes 50 “, nein, immer war er mit dem
Vater und in ihm, ewig und anfangslos aus ihm gezeugt. Denn es gab nie eine Zeit, da der
Vater war, als der Sohn nicht war, sondern mit dem Vater war zu gleicher Zeit der Sohn,
44
εἰς ἃ καὶ βεβαπτίσμεθα [eis ha kai bebaptismetha]. Ähnlich Greg. Naz., Or. 34, 11 (Migne, P. gr. 36, 252 B):*
τῶν τριῶν, εἰς ἃ βεβάπτισμαι* [tōn triōn, eis ha bebaptismai]. Die Väter gebrauchten dieses Argument im
Kampfe gegen die Arianer, Mazedonianer und Sabellianer.
45
Matth. 28, 19.
46
Vgl. Sir. 24, 12; 2 Makk. 1, 24.
47
Nicänisch-konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis.
48
Hebr. 1, 3; vgl. Weish. 7, 26.
49
1 Kor. 1, 24.
50
Kol. 1, 15.

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der aus ihm gezeugt ist. Denn ohne Sohn könnte er (Gott) nicht Vater heißen 51 . War er
einmal ohne Sohn, dann war er nicht Vater. Und hat er später einen Sohn bekommen, so ist
er später Vater geworden, während er vorher nicht Vater gewesen, und er hat sich geändert,
aus dem Nicht-Vatersein ist er zum Vatersein gekommen. Allein das wäre schlimmer als
jede Lästerung. Denn man kann nicht sagen, Gott entbehre der natürlichen Fruchtbarkeit.
Die Fruchtbarkeit besteht nämlich darin, daß er aus ihm, d. h. aus seinem eigenen Wesen,
etwas erzeugt, das ihm der Natur nach gleich ist.

Was also die Zeugung des Sohnes betrifft, so ist es gottlos, wenn man von einer Zwi-
schenzeit spricht und den Sohn nach dem Vater geschaffen sein läßt. Denn aus ihm, d. h.
aus der Natur des Vaters, so sagen wir, erfolgte die Zeugung des Sohnes. Geben wir nicht
zu, daß von Anfang an mit dem Vater zugleich der aus ihm S. 16 gezeugte Sohn existie-
re, dann tragen wir eine Veränderung in die Hypostase (Person) des Vaters hinein. Denn
dann ist sie später Vater geworden, während sie es [zuerst] nicht war. Die Schöpfung ist ja
allerdings später entstanden, allein nicht aus der Wesenheit des Vaters, sie ward vielmehr
durch seine Kraft und seinen Willen aus dem Nichtsein ins Sein hervorgebracht. Darum
hat die Natur Gottes keine Änderung erfahren. Zeugung ist nämlich der Hervorgang aus
der Wesenheit des Zeugenden, so daß das Erzeugte [ihm] wesensgleich ist. Schöpfung aber
und Erschaffung ist das Werden von außen her und nicht [das Werden] aus der Wesenheit
des Erschaffenden und Bildenden, so daß das Geschaffene und Gebildete [ihm] vollständig
ungleich ist.

Bei dem allein leidenschaftslosen, unwandelbaren, unveränderlichen, sich immer gleich


bleibenden Gott also geschieht das Zeugen wie das Schaffen ohne Leidenschaft. Denn da
er von Natur leidenschaftslos und ohne Fluß ist, weil einfach und nicht zusammengesetzt,
kann er weder beim Zeugen noch beim Schaffen einer Leidenschaft oder einem Fluß un-
terworfen sein, auch bedarf er keiner Mitwirkung. Im Gegenteil. Denn die Zeugung ist
anfangslos und ewig, weil sie ein Werk der Natur ist und aus seiner (� Gottes) Wesenheit
hervorgeht, so daß der Zeugende keine Veränderung erleidet, und es nicht einen früheren
Gott und einen späteren Gott gibt, und er einen Zuwachs bekommt. Die Schöpfung bei
Gott aber ist, weil sie ein Werk seines Willens ist, nicht gleichewig wie Gott. Denn das,
was aus dem Nichtsein ins Sein hervorgebracht wird, kann nicht gleichewig sein mit dem,
was ohne Anfang und immer ist. Mensch und Gott schaffen also nicht auf gleiche Weise.
Der Mensch bringt nicht etwas aus dem Nichtsein ins Sein hervor, sondern was er schafft,
schafft er aus einem vorher vorhandenen Stoff, und er* will* nicht bloß, sondern er überlegt
auch zuvor und macht sich im Geiste ein Bild von dem, was werden soll, sodann arbeitet er
51
Johannes betont mit Gregor von Nazianz (Or. 29, 16 Migne, P. gr. 36, 96 A), daß der Name Vater eine*
Beziehung* bezeichne. Die Eunomianer erklärten, der Name Vater drücke entweder eine Wesenheit oder
eine Wirksamkeit aus, um im ersten Falle die Wesensverschiedenheit des Sohnes, im zweiten dessen Ge-
schöpflichkeit behaupten zu können (Greg. Naz., a. a. 0. 93 C ff.).

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auch mit den Händen und erträgt Mühsal und Anstrengung, oft verfehlt er aber auch das
Ziel, sein Bemühen hat nicht den gewünschten Erfolg. Gott jedoch bringt durch bloßes S.
17 Wollen alles aus dem Nichtsein ins Sein hervor. Ebenso zeugen Gott und Mensch auch
nicht auf gleiche Weise. Denn Gott, der zeitlos, anfangslos, leidenschaftslos, ohne Fluß,
unkörperlich, einzig und endlos ist, zeugt zeitlos, anfangslos, leidenschaftslos, ohne Fluß
und Paarung 52 . Seine unfaßbare Zeugung hat keinen Anfang und kein Ende. Anfangslos
[zeugt] er wegen seiner Unveränderlichkeit; ohne Fluß wegen seiner Leidenschaftslosig-
keit und Unkörperlichkeit; ohne Paarung, wiederum weil er unkörperlich und der einzige
und alleinige Gott ist, der keines andern bedarf; endlos aber und unaufhörlich wegen der
Anfangs-, Zeit- und Endlosigkeit und des immerwährenden Gleichseins. Denn was keinen
Anfang hat, hat kein Ende. Was aber durch Gnade ohne Ende ist, ist sicherlich nicht ohne
Anfang, wie z. B. die Engel.

Anfangs- und endlos also zeugt der immerseiende Gott sein vollkommenes Wort. Denn
sonst würde Gott in der Zeit zeugen, er, der eine über die Zeit erhabene Natur und Existenz
besitzt. Der Mensch aber zeugt offenbar gerade auf entgegengesetzte Weise, weil er dem
Entstehen und Vergehen, dem Fluß und der Vervielfältigung unterliegt und mit einem
Körper umhüllt ist und das Männliche und das Weibliche in seiner Natur besitzt (zweige-
schlechtig ist). Denn es bedarf das Männliche der Hilfe des Weiblichen. — Nun denn, so
möge gnädig sein der, der über alles erhaben ist und alles Denken und Begreifen übersteigt.

Es lehrt also die heilige, katholische und apostolische Kirche, daß zu gleicher Zeit mit
dem Vater sein eingeborener Sohn ist, der zeitlos, ohne Fluß, leidenschaftslos und auf eine
[uns] unbegreifliche, nur dem Gott aller Dinge bekannte Weise gezeugt ist, geradeso S. 18
wie das Feuer und das Licht 53 , das von ihm ausgeht, gleichzeitig sind, und nicht zuerst das
Feuer und dann das Licht ist, sondern beide zu gleicher Zeit sind. Wie sodann das Licht,
das ständig aus dem Feuer erzeugt wird, immer in ihm ist und sich nie von ihm trennt,
so wird auch der Sohn aus dem Vater gezeugt und trennt sich durchaus nicht von ihm,
sondern ist immer in ihm. Allein das Licht, das ohne Trennung aus dem Feuer erzeugt
wird und ständig in ihm bleibt, hat keine eigene Subsistenz neben dem Feuer, denn es ist
eine natürliche Beschaffenheit des Feuers. Der eingeborene Sohn Gottes aber, der ohne
Trennung und Scheidung aus dem Vater gezeugt ist und immerdar in ihm bleibt, besitzt
eigene Subsistenz neben der des Vaters 54 .
52
Johannes kämpft hier einerseits gegen die Gnostiker, die behaupteten, das Wort sei durch Emanation aus
Gott, oder durch Paarung eines männlichen Äon mit einem weiblichen, oder durch Verbindung Gottes mit
seinem eigenen Willen (Vgl. Greg. Naz., Or. 31, 7 Migne, P. gr. 36, 141 A) gezeugt, andrerseits gegen die
Arianer, welche die Zeugung des Wortes in gnostischem Sinne lehrten.
53
Bilz (a. a. O. S. 47 u. 47 5) hat gefunden, daß den Vergleich mit dem Feuer und Licht bereits Gregor von
Nyssa, Contra Eunom. l. 8 (Migne, P. gr. 45, 779 C, 784 B) und Cyrill von Alexandrien, Thesaur. assert. 5
(Migne, P. gr. 75, 61 C) ausgeführt haben.
54
Ob dieser Mängel will Gregor von Nazianz (cf. Or. 31, 32 Migne, P. gr. 36, 169 BC) dieses Bild nicht recht

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Er heißt Wort und „Abglanz“ 55 , weil er ohne Paarung, leidenschaftslos und zeitlos, ohne
Fluß und ohne Trennung aus dem Vater gezeugt ist. Sohn aber und „Abdruck des väterli-
chen Wesens 56 “, weil er vollkommen ist, eigene Subsistenz besitzt und in allem dem Vater
gleich ist, ausgenommen die Ungezeugtheit (Agennesie). Eingeborener aber, weil er ein-
zig aus dem einzigen Vater auf einzige Weise gezeugt ist 57 . Denn keine andere Zeugung
läßt sich mit der Zeugung des Sohnes Gottes vergleichen. Es gibt ja auch keinen ande-
ren Sohn Gottes. Wohl geht auch der Hl. Geist vom Vater aus, aber nicht zeugungsweise,
sondern ausgangsweise. Das ist eine andere Existenzweise, unbegreifbar und unerkennbar,
wie auch die Zeugung des Sohnes. Darum ist auch alles, was der Vater hat, sein, ausgenom-
men die Ungezeugtheit. Diese bezeichnet jedoch keinen Unterschied im S. 19 Wesen noch
eine Würde 58 , sondern eine Existenzweise. Ein Beispiel: Adam ist ungezeugt, denn er ist
ein Gebilde Gottes. Seth ist gezeugt, denn er ist ein Sohn Adams. Eva ist aus einer Rippe
Adams hervorgegangen, also ist diese nicht gezeugt. Sie unterscheiden sich nicht durch die
Natur voneinander — sie sind ja Menschen —, sondern durch die Existenzweise 59 .

Man muß nämlich wissen, daß* ἀγένητον* [agenēton] (mit* einem* ν [n] geschrieben)
das Ungeschaffene oder Nicht-Gewordene bezeichnet,* ἀγέννητον* [agennēton] aber (mit
zwei νν [nn] geschrieben) das Nicht-Gezeugte bedeutet. Nach der ersten Bezeichnung nun
unterscheidet sich Wesenheit von Wesenheit, denn eine andere ist die ungeschaffene und
ungewordene (ἀγένητος [agenētos] mit einem ν [n]) und eine andere die gewordene oder
geschaffene. Nach der zweiten Bezeichnung aber unterscheidet sich nicht Wesen vom We-
sen. Denn in jeder Art (Spezies) lebender Wesen ist die erste Hypostase ungezeugt, aber
nicht ungeworden. Sie wurden ja vom Schöpfer gebildet und durch sein Wort ins Dasein
gesetzt. Aber gezeugt wurden sie wahrlich nicht, da ein anderes von gleicher Art, woraus
sie erzeugt wären, vorher nicht existierte 60 .

Nach der ersten Bezeichnung also kommen die drei übergöttlichen Personen der heiligen
Gottheit [gegenseitig] überein, denn sie sind wesensgleich und ungeschaffen. Nach der
zweiten Bezeichnung aber durchaus nicht. Denn nur der Vater ist ungezeugt, er hat das Sein
von keiner anderen Person. Nur der Sohn ist gezeugt, denn er ist anfangslos und zeitlos aus
dem Wesen des Vaters gezeugt. Nur der Hl. Geist geht vom Wesen des Vaters aus, denn er
gefallen. Siehe Bilz, a. a. O. S. 48 1.
55
Hebr. 1, 3.
56
Ebd. [Hebr. 1, 3].
57
Vgl. Greg. Naz., Or. 30, 20 (Migne, P. gr. 36,128 D—129 A).
58
Das geht gegen Eunomius, Bischof von Cyzikus († 395), Hauptanführer der streng arianischen Partei. Er
setzte das Wesen Gottes in das Ungezeugtsein. Darum habe der Sohn, weil gezeugt, anderes Wesen als der
Vater; er sei dem Vater völlig unähnlich.
59
Vgl. Greg. Naz., Or. 31,11 (Migne, P. gr. 36,144 D—145 B).
60
In ähnlicher Weise erörtert Maximus Confessor († 662), Dial. de Trinit. I in Oper. S. Max. ed. Combefis II
(Paris 1675) 399 f. den Unterschied zwischen * ἀγένητον* [agenēton] und * ἀγέννητον* [agennēton] mit
Anwendung auf die Trinität.

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wird nicht gezeugt, sondern geht S. 20 aus. So lehrt es die Hl. Schrift. Freilich die Art der
Zeugung und des Ausgangs ist unbegreifbar.

Aber auch das muß man wissen, daß nicht von uns der Name der Vaterschaft, der Sohn-
schaft und des Ausgangs auf die selige Gottheit übertragen, sondern umgekehrt von dort-
her uns mitgeteilt worden ist, wie der göttliche Apostel sagt: „Darum beuge ich meine Knie
vor dem Vater, von dem jegliche Vaterschaft im Himmel und auf Erden ist 61 “.

Wenn wir aber sagen, der Vater sei Prinzip des Sohnes und größer 62 , so meinen wir
nicht, er habe bezüglich der Zeit oder der Natur dem Sohne gegenüber einen Vorrang, „er
hat ja durch ihn die Zeiten geschaffen 63 “; nein, das gilt einzig und allein hinsichtlich der
Ursache (des Prinzips), insofern der Sohn aus dem Vater gezeugt ist, und nicht der Vater
aus dem Sohn, und der Vater das natürliche Prinzip des Sohnes ist. Wir sagen ja auch
nicht, aus dem Lichte geht das Feuer hervor, sondern umgekehrt, das Licht geht aus dem
Feuer hervor. Wenn wir also hören, der Vater sei Prinzip des Sohnes und größer, so wollen
wir dies in Rücksicht auf die Ursache (das Prinzip) verstehen. Und wie wir nicht sagen,
eine andere Wesenheit hat das Feuer, und eine andere das Licht, so kann man nicht sagen,
eine andere Wesenheit hat der Vater und eine andere der Sohn. Sie haben vielmehr ein
und dieselbe. Ferner sagen wir, das Feuer leuchtet durch das Licht, das von ihm ausgeht;
wir behaupten nicht, ein dienendes Werkzeug des Feuers ist das Licht, das ihm entspringt,
sondern [behaupten] vielmehr, es ist eine natürliche Kraft. Ebenso sagen wir, der Vater tut
alles, was er tut, durch seinen eingeborenen Sohn; nicht wie durch ein dienendes Werkzeug
64
, sondern durch natürliche S. 21 und subsistierende Kraft. Und wie wir sagen, das Feuer
leuchtet, und wiederum sagen, das Licht des Feuers leuchtet, so „tut alles, was der Vater
tut, in gleicher Weise auch der Sohn 65 “. Allein das Licht besitzt keine eigene Subsistenz
neben dem Feuer. Der Sohn aber ist eine vollkommene Hypostase, nicht getrennt von der
väterlichen Hypostase, wie wir weiter oben dargetan haben. In der Schöpfung läßt sich eben
unmöglich ein Bild finden, das völlig entsprechend (adäquat) in sich die Art und Weise der
heiligen Dreieinigkeit darstellte. Denn wie könnte das, was geschaffen, zusammengesetzt,
fließend, wandelbar und begrenzt ist, Gestalt hat und vergänglich ist, die von all dem freie,
überwesentliche, göttliche Natur klar und deutlich machen? Alle Geschöpfe aber tragen
offenbar die meisten dieser Merkmale an sich, und ein jedes verfällt gemäß seiner eigenen
Natur dem Untergang.
61
Eph. 3, 14 f.
62
Vgl. Joh. 14, 28. Johannes folgt in der Erklärung dieser Stelle Gregor von Nazianz, Or. 30, 7 (Migne, P. gr.
36, 112 C, 113 A); Or. 29, 15 (a. a. O. 36, 93 B); Or. 40, 43 (a. a. O. 36, 420 BC).
63
Hebr. 1, 2.
64
Die Arianer lehrten, der Vater habe durch seinen Willen aus Nichts den Sohn hervorgebracht, um* durch*
ihn die Welt zu erschaffen.
65
1 Joh. 5, 19.

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Gleicherweise glauben wir auch „an einen Hl. Geist, den Herrn und Lebendigmacher, der
vom Vater ausgeht 66 “ und im Sohne ruht 67 , „der mit dem Vater und dem Sohne zugleich
angebetet und verherrlicht wird“, als wesensgleich und gleichewig; an den Geist aus Gott,
„den rechten, den vorzüglichen 68 “, den Quell der Weisheit 69 , des Lebens und der Heiligung
70
. Er ist und heißt Gott wie der Vater und der Sohn, ungeschaffen, vollkommen, Schöpfer,
allherrschend, allwirkend, allmächtig, unendlich gewaltig; er herrscht über jedes Geschöpf,
wird aber nicht beherrscht, er vergöttlicht, wird aber nicht vergöttlicht, er erfüllt, wird aber
nicht erfüllt, er läßt teilnehmen, hat aber nicht teil, er heiligt, wird aber nicht geheiligt, er
ist Anwalt, denn er nimmt aller Bitten entgegen. In allem ist er dem Vater und dem Sohne
S. 22 gleich. Er geht vom Vater aus, wird durch den Sohn mitgeteilt und von jeglichem
Geschöpf empfangen. Er schafft durch sich selbst, macht alles zu Wesen, heiligt und hält
zusammen. Er subsistiert in eigener Hypostase, ohne sich jedoch vom Vater und Sohne zu
trennen und zu entfernen. Er besitzt alles, was der Vater und der Sohn hat, ausgenommen
die Ungezeugtheit und das Gezeugtsein. Denn der Vater ist ohne Prinzip und ungezeugt,
er ist aus keinem, er hat das Sein aus sich, und von allem, was er besitzt, hat er nichts von
einem andern. Er ist vielmehr selbst für alles natürliches Prinzip und Ursache des Wieseins.
Der Sohn aber ist aus dem Vater nach Art der Zeugung. Aber auch der Hl. Geist selbst ist
aus dem Vater, jedoch nicht zeugungsweise, sondern ausgangsweise. Daß ein Unterschied
zwischen Zeugung und Ausgang besteht, wissen wir. Welcher Art aber der Unterschied ist,
[wissen] wir durchaus nicht. Die Zeugung des Sohnes aus dem Vater und der Ausgang des
Hl. Geistes sind jedoch zugleich.

Alles also, was der Sohn besitzt, hat auch der Geist vom Vater, ja selbst das Sein. Wenn der
Vater nicht ist, dann ist auch nicht der Sohn und nicht der Geist. Und wenn der Vater etwas
nicht hat, dann hat es auch der Sohn und der Geist nicht. Wegen des Vaters, d. h. weil der
Vater ist, ist der Sohn und der Geist. Und wegen des Vaters hat der Sohn und der Geist alles,
was er hat, d. h. weil der Vater es hat, ausgenommen das Ungezeugtsein, das Gezeugtsein
und Ausgehen. Denn nur in diesen persönlichen Eigentümlichkeiten unterscheiden sich
die heiligen drei Personen voneinander. Nicht durch die Wesenheit, sondern durch das
Merkmal der eigenen Hypostase sind sie ohne Trennung unterschieden.

Wir sagen, jeder von den dreien hat eine vollkommene Hypostase, damit wir nicht eine
aus drei unvollkommenen [Hypostasen] zusammengesetzte vollkommene Natur anneh-
men, sondern eine in drei vollkommenen Hypostasen bestehende einzige, einfache, über-
66
Nic.-konstantinop. Glaubensbekenntnis.
67
Das „Ruhen des Geistes im Sohn“, das Johannes einigemal hervorhebt, „schließt den Gedanken ein oder
setzt ihn voraus, daß der Geist vom Sohn unmittelbar ausgeht“. Bilz, Die Trinitätslehre des hl. Johannes
von Damaskus, Paderborn 1909, S. 171.
68
Ps. 50, 12. 14 [hebr. Ps. 51, 12].
69
Vgl. Is. 11, 2; Eph. 1, 17; 1 Kor. 12, 8.
70
Vgl. 2 Thess. 2, 13; 1 Petr. 1, 2.

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vollkommene, übervollendete Wesenheit. Denn alles, was aus Unvollkommenem besteht,


ist sicherlich zusammengesetzt. Eine Zusammensetzung aus vollkommenen S. 23 Hypo-
stasen aber ist ausgeschlossen. Darum sagen wir auch nicht, das Wesen bestehe* aus* Hy-
postasen, sondern* in* Hypostasen. Wir sprachen von Unvollkommenem, das das Wesen
der Sache, die man aus ihm macht, nicht behält. Stein, Holz, Eisen: ein jedes ist für sich
in seiner eigenen Natur vollkommen. In Rücksicht auf das Haus aber, das man aus ihnen
herstellt, ist ein jedes unvollkommen. Denn keines von ihnen ist für sich ein Haus.

Vollkommen also nennen wir die Hypostasen, um nicht an eine Zusammensetzung bei
der göttlichen Natur zu denken. Denn Zusammensetzung ist der Grund der Trennung.
Ferner sagen wir, die drei Hypostasen sind ineinander, um nicht eine Menge und Schar
von Göttern einzuführen. Die drei Hypostasen schließen für unser Erkennen eine Zusam-
mensetzung und Vermischung aus, die Wesensgleichheit aber und das Ineinandersein der
Hypostasen und die Identität des Willens, der Wirksamkeit, der Kraft, der Macht und der
Tätigkeit lassen uns sozusagen die Untrennbarkeit und Einheit Gottes erkennen. Denn
nur* einer* ist in Wahrheit Gott, der Gott und das Wort und sein Geist.

Vom Unterschied der drei Personen. Sachliche, logische und begriffliche Betrachtung 71 .

Man muß wissen, daß etwas anderes die sachliche Betrachtung und etwas anderes die
logische und begriffliche 72 ist. Bei allen Geschöpfen wird der Unterschied der Hyposta-
sen* sachlich* betrachtet. So sind Petrus und Paulus, sachlich betrachtet, voneinander ge-
trennt.* Die Gemeinsamkeit* aber, die Zusammengehörigkeit und die Einheit* werden
logisch und begrifflich angeschaut.* Denn wir denken mit dem Verstande, daß Petrus und
Paulus von derselben Natur sind und eine einzige, gemeinsame Natur haben. Ein jeder von
ihnen ist ein vernünftiges, sterbliches Lebewesen, und ein jeder von ihnen ist S. 24 Fleisch,
das durch eine vernünftige und denkende Seele belebt wird. Diese gemeinsame Natur al-
so wird begrifflich betrachtet. Denn die Personen sind auch nicht ineinander. Eine jede
ist eigens und besonders oder für sich getrennt, da sie sehr vieles haben, was sie vonein-
ander scheidet. Denn sie sind örtlich getrennt, der Zeit nach verschieden, geteilt durch
Gesinnung, Kraft, Gestalt oder Form, Fähigkeit, Temperament, Würde, Lebensart und alle
charakteristischen Eigentümlichkeiten, vor allem aber dadurch, daß sie nicht ineinander,
sondern getrennt [voneinander] sind. Man spricht darum auch von zwei, drei und vielen
Menschen.

Das ist in der ganzen Schöpfung zu sehen. Bei der heiligen, überwesentlichen, allerhabe-
nen, unbegreifbaren Dreieinigkeit aber ist es umgekehrt. Denn hier wird das Gemeinsame
71
Randbemerkung des Kodex.
72
Johannes fußt in seinen Erörterungen über das* πράγματι* [pragmati] (sachlich) und* ἐπινοίᾳ* [epinoia]
(b0egrifflich)* θεωρεῖσθαι* [theōreisthai] (b0etrachtet werden) auf c. 26 der Doctrina Patr. de incarn. Verbi
(S. 188, 16 ff.—190).

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und* Eine sachlich* betrachtet* wegen der Gleichewigkeit und der Identität* des Wesens,*
der Wirksamkeit des Willens,* wegen der Übereinstimmung der Denkweise und der Die-
selbigkeit der Macht, der Kraft und* der Güte.* Ich sprach nicht von Ähnlichkeit, sondern
von Identität und Einheitlichkeit der Tätigkeit. Denn es handelt sich um* eine* Wesenheit,*
eine* Güte,* eine* Kraft,* einen* Willen,* eine* Wirksamkeit,* eine* Macht, eine und die-
selbe, nicht um drei einander ähnliche, sondern um eine und dieselbe Tätigkeit der drei
Personen. Eine jede von ihnen besitzt ja nicht weniger Einheit mit der anderen als mit
sich selbst 73 , d. h. der Vater und der Sohn und der Hl. Geist sind in allem eins, ausge-
nommen die Ungezeugtheit, das Gezeugtsein und den Ausgang.* Begrifflich aber sind sie
unterschieden.* Denn wir erkennen* einen* Gott.* Nur in den Eigentümlichkeiten der Va-
terschaft, der Sohnschaft und des Ausgangs, hinsichtlich des Prinzipes (� der Ursache) und
des Prinzipiierten (� des Verursachten)* und der Vollkommenheit der Hypostase, nämlich
der Existenzweise, denken wir den Unterschied.* Bei der unbegrenzten Gottheit können
wir nicht wie bei uns von einer örtlichen S. 25 Trennung reden;* denn die Personen sind
ineinander nicht so, daß sie sich vermischen, sondern so, daß sie zusammenhängen nach
dem Worte des Herrn, der gesagt: „Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir 74 .“* Fer-
ner nicht von einem Unterschied des Willens oder der Denkweise* oder der Wirksamkeit*
oder der Kraft* oder in irgendeinem anderen Punkte,* dergleichen bei uns die sachliche
(reale) und gänzliche Trennung erzeugt 75 .* Wir behaupten deshalb auch nicht, daß der Va-
ter und der Sohn und der Hl. Geist drei Götter sind, vielmehr [sagen] wir, daß die heilige
Dreiheit nur* ein* Gott ist. Denn* Sohn und Geist führen sich auf ein Prinzip zurück, sie
setzen sich nicht zusammen und verschmelzen nicht 76 * im Sinne der Synäresis (� Zusam-
menziehung) des Sabellius 77 . Sie sind ja, wie gesagt, eins, nicht so, daß sie sich vermischen,
sondern so, daß sie gegenseitig zusammenhängen (einander inhärieren), sie haben das In-
einandersein (die Perichorese) ohne jede Verschmelzung und Vermischung. Sie sind ferner
nicht auseinander oder dem Wesen nach getrennt im Sinne der Diäresis (� Trennung) des
Arius 78 .* Denn die Gottheit S. 26 ist, wenn man es kurz sagen soll, ungeteilt in Geteilten
73
Dieser Satz findet sich, wie Bilz (a. a. O. S. 58) beobachtet, in ähnlichem Zusammenhang, nur in etwas
anderer Form bei Gregor von Nazianz, Or. 31, 16 (Migne, P. gr. 36, 152 AB).
74
Joh. 14, 11.
75
Das in diesem Abschnitt kursiv Gedruckte ist wörtlich aus c. 26 der Doctrina (S. 188, 17; 189, 2—7 u. 9—
12).
76
Wörtlich aus Greg. Naz., Or. 20, 7 (Migne, P. gr. 35, 1073 A).
77
Vgl. Greg. Naz., Or. 39, 11 (Migne, P. gr. 36, 348 A); Or. 42, 16 (l. c. 476 C). — Sabellius († um 260), Priester
aus Libyen, der in Rom unter Papst Zephyrin (199—217) die Lehre der Noetianer zu einem eigenen System
weiterbildete, hob den Personenunterschied auf. Gott, der* einpersönliche,* hat sich nach ihm der Welt auf
drei verschiedene Weisen geoffenbart und führt danach verschiedene Namen: als Weltschöpfer heißt er
Vater, als Welterlöser Sohn, als Heiligmacher Heiliger Geist. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind also nur
drei Erscheinungsweisen* (πρόσωπα)* [prosōpa] oder Rollen der* einen* göttlichen Person.
78
Ebd. — Arius, Priester in Alexandrien († 336), trat gegen seinen Bischof Alexander auf mit der Anklage,
er sabellianisiere, d.h. er unterscheide die Personen zu wenig. Er selbst erklärte, der Sohn sei das erste Ge-

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und gleichsam in drei zusammenhängenden und ungetrennten Sonnen eine Verbindung*


und Einheit* des Lichtes. Wenn wir also zur Gottheit aufblicken und zu dem ersten Grund,
zur Alleinherrschaft (Monarchie), zu dem einen und demselben Tun und Wollen der Gott-
heit, wenn ich so sagen darf, zur Identität des Wesens,* der Kraft, der Wirksamkeit und
Herrschaft,* so ist eines das, was wir uns vorstellen; wenn aber zu dem, worin die Gottheit
ist,* oder genauer gesagt, was die Gottheit ist,* und auf das, was aus der ersten Ursache zeit-
los, gleichherrlich* und ungetrennt* entspringt,* nämlich die Personen des Sohnes und des
Geistes,* so sind es drei, die angebetet werden79 .* * Ein* Vater ist der Vater und anfangs-
los, d. i. prinziplos, denn er ist aus keinem.* Ein* Sohn ist der Sohn, aber nicht anfangslos,
d. i. nicht prinziplos, denn er ist aus dem Vater. Faßt man aber* ἀρχή* [archē] (= Anfang)
zeitlich, so ist er gleichfalls anfangslos. Denn er ist der Schöpfer der Zeiten 80 und der Zeit
nicht unterworfen.* Ein* Geist ist der Hl. Geist. Er geht vom Vater aus, aber nicht nach Art
eines Sohnes, sondern ausgangsweise. Der Vater ermangelt nicht der Ungezeugtheit, weil
er gezeugt hat, der Sohn nicht der Zeugung, weil er vom Ungezeugten gezeugt worden ist
(wie denn ?), und der Hl. Geist geht weder in den Vater noch in den Sohn über, weil er
ausgeht und Gott ist. Denn die Eigentümlichkeit ist unbeweglich (unveränderlich). Oder
wie könnte die Eigentümlichkeit bleiben, wenn sie sich veränderte und überginge? Wenn
nämlich der Vater Sohn wird, ist er nicht mehr Vater im eigentlichen Sinne, denn nur einer
ist Vater im eigentlichen Sinne. Und wenn der Sohn Vater wird, ist er nicht im eigentlichen
Sinne S. 27 Sohn, denn nur einer ist im eigentlichen Sinne Sohn und einer Hl. Geist.

Man muß aber wissen, daß wir nicht sagen, der Vater ist aus jemand, sondern wir nennen
ihn Vater des Sohnes. Den Sohn nennen wir nicht Ursache (Prinzip) noch Vater, wir sagen
vielmehr, er ist aus dem Vater und der Sohn des Vaters. Der Hl. Geist aber, sagen wir, ist aus
dem Vater, und wir nennen ihn Geist des Vaters. Dagegen behaupten wir nicht, daß er aus
dem Sohne ist 81 , nennen ihn jedoch Geist des Sohnes. „Wer den Geist Christi nicht hat“,
sagt der göttliche Apostel, „der ist nicht sein 82 .“ Auch bekennen wir, daß er uns durch den
Sohn geoffenbart worden ist und mitgeteilt wird. Denn es heißt: „Er hauchte seine Jünger
schöpf des Vaters, durch dessen Willen aus dem Nichts ins Dasein gerufen; er lehrte also eine Trennung der
Personen dem Wesen nach, er behauptete, die drei Personen seien in ihrem Wesen spezifisch voneinander
verschieden und nicht ineinander, sondern außereinander.
79
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Orat. 31, 14 (Migne, P. gr. 36, 149 A). Doctr. Patr. de incarn.
Verb. S. 191, III. Die Worte: „zu dem einen und demselben Tun und Wollen der Gottheit, wenn ich so sagen
darf, zur Identität des Wesens“ sind aus Greg. Naz., Or. 20, 7 (Migne, P. gr. 35, 1073 A).
80
Vgl. Hebr. 1, 2.
81
Nicht mit Unrecht vermutet man hier eine Polemik gegen die Lehre der lateinischen Kirche, der Hei-
lige Geist gehe vom Vater* und Sohne* (filioque) aus. Das Filioque ward als Zusatz zum nicänisch-
konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis zuerst von der dritten Synode zu Toledo (589) angewendet.
Johannes konnte vom Filioque der Abendländer recht wohl Kenntnis haben. Siehe Bilz, a. a. O. S. 156 ff.
82
Röm. 8, 9. Wie Bilz (a. a. Ο. S. 158 ³) gesehen, bestimmt Gregor von Nyssa in einem von der Doctr. Patr.
de incarn. Verb. S. 5, 12 ff. mitgeteilten Text die Eigentümlichkeit des Hl. Geistes ebenso wie Johannes, nur
unterläßt er die Polemik gegen die Behauptung, der Hl. Geist sei aus dem Sohne.

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an und sprach zu ihnen: Empfanget den Hl. Geist 83 .“ In gleicher Weise ist aus der Sonne
sowohl der Strahl wie der Glanz — sie selbst ist ja die Quelle des Strahles und des Glanzes
—, durch den Strahl aber wird der Glanz uns mitgeteilt, und dieser ist es, der uns erleuchtet
und von uns aufgenommen wird. Der Sohn aber, sagen wir, ist weder des Geistes noch aus
dem Geiste.

IX. KAPITEL. Von den Prädikaten Gottes.

Das göttliche Wesen ist einfach und nicht zusammengesetzt. Was aus Vielem und Verschie-
denem S. 28 besteht, ist zusammengesetzt. Würden wir nun das Ungeschaffensein, die
Anfangslosigkeit, Unkörperlichkeit, Unsterblichkeit, Ewigkeit, Güte, Schöpfermacht und
dergleichen als wesenhafte Unterschiede in Gott nehmen, so wäre das aus so vielem Be-
stehende nicht einfach, sondern zusammengesetzt. Man muß demnach dafürhalten, daß
ein jedes der Prädikate Gottes nicht bezeichnet, was Gott seinem Wesen nach ist, sondern
anzeigt, entweder was er nicht ist, oder eine Beziehung zu etwas, das sich von ihm unter-
scheidet, oder etwas, das seine Natur begleitet, oder eine Wirksamkeit.

Von all den Namen, die von Gott ausgesagt werden, scheint der treffendste „der Seien-
de“ zu sein. So* nennt er sich selbst dem Moses gegenüber beim Berge* (Horeb), wenn er
spricht: „Sage den Söhnen Israels: Der Seiende (der da ist) hat mich gesandt 84 .“* Denn er
hat das ganze Sein in sich zusammengefaßt wie ein unendliches, grenzenloses Meer von
Wesenheit 85 .* Wie aber der hl. Dionysius 86 sagt, [ist der treffendste Name] „der Gute“.
Denn man kann bei Gott nicht sagen: Zuerst das Sein und dann das Gute.

Ein zweiter Name ist* Θεός* [Theos] (Gott). Er wird abgeleitet von* θέειν 87 ,* laufen,
alles umkreisen, oder von S. 29 * αἴθειν* [aithein], d. h. brennen; denn Gott ist ein Feuer,
das jegliche Schlechtigkeit verzehrt 88 , oder von* θεᾶσθαι* [theasthai], weil er alles sieht.
83
Joh. 20, 22.
84
Exod. 3, 14.
85
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 38, 7 (Migne, P. gr. 36, 317 B).
86
Eine Stelle, worin von Pseudo-Dionysius Gott ausdrücklich „der Gute“* (ὁ ἀγαθός)* [ho agathos] genannt
wird, konnte ich nicht finden. Dagegen handelt er De div. nominibus c. 2, 1 (Migne, P. gr. 3, 636 C—637 C)
über diesen Namen* ἀγαθός* [agathos], der Gott zukommt. Er führt Matth. 19, 17 an: „Einer ist* der Gute,*
Gott!“ A. a. O. 636 C heißt Gott „die absolute Güte“* (ἡ αὑτοαγαθὀτης)* [hē autoagathotēs], c. 2, 3 (Migne,
P. gr. 3, 640 B) „das Übergute“* (τὸ ὑπεραγαθόν)* [to hyperagathon] und „das Gute“* (τὸ ἀγαθόν)* [to
agathon], c. 2, 4 (Migne, P. gr. 3, 641 A) „die übergute Güte“* (ἡ ὑπεράγαθος ἀγαθὀτης)* [hē hyperagathos
agathotēs].
87
Bereits* Platon* leitet* θεός* [theos] von* θέειν* [theein] � laufen ab. Er ist der Meinung, die Ureinwohner
Griechenlands hätten nur die Götter gehabt, die zu seiner Zeit die meisten Barbaren verehrten, nämlich
Sonne, Mond, Erde, Gestirne, Himmel. Da sie alle diese in beständigem* Laufe* sahen, so nannten sie
dieselben nach ihrer Natur, nach dem Laufen � * θεῖν* [thein],* θεούς* [theous]. Plat. in Cratylo ap. Eus.,
Evangelic. Praeparat. I 9, rec. Gaisford (Oxonii 1843) 63.
88
Vgl. Deut. 4, 24; 9, 3; Hebr. 12, 29. Auch Gregor v. Nazianz, Or. 30, 18 (Migne, P. gr. 36, 128 A) leitet* θεός*

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Denn nichts entgeht ihm, von allem ist er Augenzeuge. [Er sieht alles, bevor es geschieht
89
, in zeitlosem Denken, und jegliches geschieht nach seinem zeitlosen Willensentschluß,
der Vorherbestimmung, Bild und Muster ist, in der vorherbestimmten Zeit] 90 .

Der erste [Name] also bezeichnet das Sein selbst und das Wassein, der zweite aber eine
Tätigkeit. Die Anfangslosigkeit, die Unvergänglichkeit, das Ungewordensein oder Unge-
schaffensein, die Unkörperlichkeit, die Unsichtbarkeit u. dgl. zeigen an, was er nicht ist,
nämlich, daß er nicht zu sein angefangen hat, nicht vergeht, nicht geschaffen ist, nicht Kör-
per, nicht sichtbar ist. Die Güte, Gerechtigkeit, Heiligkeit u. dgl. begleiten die Natur, allein
das Wesen selbst offenbaren sie nicht. Der Name Herr, König u. dgl. drückt eine Beziehung
aus zu dem, was gegenübersteht. Den Beherrschten gegenüber heißt er Herrscher (Herr),
den Regierten gegenüber Regent (König), den Geschöpfen gegenüber Schöpfer, den Gehü-
teten gegenüber Hüter (Hirte).

X. KAPITEL. Von der göttlichen Einheit und Unterscheidung.

Alle diese Bezeichnungen sind* gemeinsam* von der ganzen Gottheit zu gebrauchen und
gleichmäßig, einfach (� einzeln, für jede göttliche Person), ungeteilt und einheitlich;* un-
terscheidungsweise* dagegen die Ausdrücke: Vater, Sohn, Geist, nichtprinzipiiert, prinzi-
piiert, ungezeugt, gezeugt und ausgegangen. Denn diese bezeichnen nicht das Wesen, son-
dern die gegenseitige Beziehung und die Subsistenzweise.

S. 30 Dies wissen wir nun und werden dadurch zum göttlichen Wesen hingeführt, allein
das Wesen selbst erfassen wir nicht, sondern nur das, was in der Umgebung des Wesens
ist. Wenn wir z. B. erkennen, daß die Seele ohne Körper, ohne Quantität und ohne Gestalt
ist, so haben wir nicht auch schon ihr Wesen erfaßt und ebensowenig [das Wesen] des
Körpers, wenn wir erkennen, daß er weiß oder schwarz ist, sondern nur das, was in der
Umgebung des Wesens ist. Die wahre Lehre aber lehrt, daß das göttliche Wesen einfach ist
und eine einzige, einfache Wirksamkeit hat, die gut ist und in allen alles wirkt, gleich dem
Sonnenstrahl, der alles erwärmt und in jedem entsprechend seiner natürlichen Empfäng-
lichkeit und Aufnahmsfähigkeit wirkt, da er vom Schöpfer-Gott eine solche Wirksamkeit
erhalten hat.

Unterschieden aber ist alles, was zur göttlichen, menschenfreundlichen Fleischwerdung


des göttlichen Wortes gehört. Denn daran hat der Vater und der Geist in keiner Hinsicht
einen Anteil, ausgenommen [den Anteil] in Hinsicht auf das Wohlgefallen und die unaus-
sprechlichen Wundertaten, die auch der für uns Mensch gewordene Gott-Logos vollbracht
hat als unwandelbarer Gott und Gottes Sohn.
[theos] von* θέειν* [theein] oder* αἴθειν* [aithein] ab.
89
Dan. 13, 42 nach der Vulgata.
90
Das Eingeklammerte fehlt in einigen Handschriften und scheint eine Glosse zu sein.

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XI. KAPITEL. Von den körperlichen Prädikaten Gottes.

Wir finden, daß in der göttlichen Schrift sehr vieles von Gott auf etwas körperliche Art sym-
bolisch ausgedrückt ist. Allein man muß wissen, daß wir, die wir ja Menschen sind und
dieses grobe Fleisch an uns tragen, unmöglich die göttlichen, erhabenen, immateriellen Tä-
tigkeiten Gottes denken oder aussprechen können, wenn wir nicht Bilder, Typen und Sym-
bole gebrauchen, die uns angemessen sind. Was immer also von Gott auf etwas körperliche
Weise gesagt ist, ist symbolisch gesprochen, es hat aber einen höheren Sinn. Denn das gött-
liche Wesen ist einfach und gestaltlos. Unter den Augen, den Wimpern und dem Gesicht
Gottes sollen S. 31 wir seine allsehende Kraft und seine nichts übersehende Erkenntnis
verstehen, weil durch diesen Sinn eine vollkommenere Erkenntnis und Einsicht bei uns
entsteht. Unter den Ohren und dem Gehör seine Geneigtheit, Gnade zu üben und unser
Flehen aufzunehmen. Denn auch wir zeigen uns durch diesen Sinn denen, die flehentlich
bitten, gnädig, freundlich neigen wir zu ihnen das Ohr. Unter dem Mund und dem Re-
den den Ausdruck seines Willens, weil bei uns durch Mund und Reden die Gedanken des
Herzens zum Ausdruck kommen. Unter Speise und Trank unsere Übereinstimmung mit
seinem Willen, denn auch wir sättigen durch den Geschmacksinn das notwendige Begeh-
ren der Natur. Unter Geruch die Annahme 91 wohlwollender Gesinnung 92 gegen ihn, weil
auch bei uns durch diesen Sinn die Aufnahme des Wohlgeruchs erfolgt. Unter Angesicht
sein Erscheinen und Sichtbarwerden in den Werken, weil auch wir durch das Angesicht er-
kennbar werden. Unter den Händen seine erfolgreiche Wirksamkeit, denn auch wir führen
das Nützliche und besonders Wertvolle mit unseren Händen aus. Unter der Rechten seine
Hilfe zur rechten Zeit, denn auch wir bedienen uns da, wo es sich um höheren Anstand
und Wert handelt, und sehr viel Kraft nötig ist, lieber der Rechten. Unter Betastung seine
ganz genaue Erkenntnis und Erforschung der unscheinbarsten und verborgensten Dinge,
weil bei uns die, die betastet werden, nichts in sich verbergen können. Unter Füßen und
Gehen sein Kommen und Erscheinen zur Unterstützung der Bedürftigen oder zur Bestra-
fung der Feinde oder zu anderem Tun, weil sich bei uns durch den Gebrauch der Füße das
Kommen vollzieht. Unter dem Schwur die Unveränderlichkeit seines Ratschlusses, weil bei
uns die gegenseitigen Verträge durch einen Eid befestigt werden. Unter Zorn und Grimm
seine Feindschaft und Abneigung gegen die Schlechtigkeit, denn auch wir zeigen Haß und
Zorn gegen das, was unserer Gesinnung entgegengesetzt ist. Unter Vergessen, Schlaf und
Schlummer die Verzögerung der Bestrafung S. 32 der Feinde und den Aufschub der ge-
wohnten Hilfe gegen die Seinen. Kurz, alle die körperlichen Bezeichnungen Gottes haben
einen verborgenen Sinn, der uns aus dem, was uns entspricht, das lehrt, was über uns ist,
ausgenommen das, was etwa über den körperlichen Erdenwandel des Gott-Logos gesagt
ist. Denn er hat unseres Heiles wegen den ganzen Menschen angenommen, eine vernünf-
91
Lies* ἀποδεκτικόν* [apodektikon].
92
Lies* ἐννοίας καὶ εὐνοίας* [ennoias kai eunoias].

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tige Seele und einen Leib und die Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur und die
natürlichen, untadeligen Affekte.

XII. KAPITEL. Über das nämliche.

Das also lernen wir, wie der göttliche Dionysius der Areopagite sagt, aus den heiligen Aus-
sprüchen: Gott ist* die Ursache und das Prinzip aller Dinge, die Wesenheit* der Wesen,*
das Leben* der Lebenden, die Vernunft der Vernünftigen, der Verstand der Verständigen,*
Rückruf und Auferstehung der von ihm Abfallenden, Erneuerung und Umwandlung* der
das Naturgemäße Verderbenden,* heiliger Halt der von unheiliger Unruhe Geplagten, Si-
cherheit der Stehenden, Weg und Emporführung der zu ihm Gehenden 93 .* Er ist aber
auch, das möchte ich hinzusetzen, Vater seiner Geschöpfe. Ja, unser Gott, der uns aus dem
Nichtsein ins Sein gerufen, ist Vater in eigentlicherem Sinne als die Eltern, die ja von ihm
sowohl das Sein als das Zeugen empfangen haben. Er ist ferner der Hirte der ihm Folgen-
den und von ihm sich weiden Lassenden, das Licht der Licht Werdenden, der Vollendungs-
grund der sich Vollendenden, der Vergöttlichungsgrund der sich Vergöttlichenden, der
Friede der Entzweiten, die Einfachheit der einfach Werdenden, die S. 33 Einheit der sich
Einenden, jeglichen Anfangs überwesentlicher, weil überanfänglicher Anfang, gütige Mit-
teilung des Verborgenen, d. i. seiner Erkenntnis, soweit es möglich und für den einzelnen
faßbar ist.

Noch Genaueres über die göttlichen Namen 94 .

Die Gottheit ist unbegreifbar, darum wird sie sicherlich auch ohne Namen sein 95 . Da
wir also ihr Wesen nicht kennen, wollen wir auch nicht nach dem Namen ihres Wesens
forschen. Die Namen bezeichnen die Sachen. Wohl ist Gott gütig, er hat, um seine Güte
mitzuteilen, uns aus dem Nichtsein ins Sein gerufen und uns mit Erkenntnis ausgestat-
tet; allein die Erkenntnis seines Wesens hat er uns nicht mitgeteilt, so wenig wie sein We-
sen. Denn unmöglich kann eine Natur die Übernatur vollkommen erkennen. Mag man
93
Das kursiv Gedruckte findet sich wörtlich bei Ps.-Dionys., De div. nom. c. 1. 3 (Migne, P. gr. 3, 589 B—C).
Am Ende von c. 1, 3 (a. a. O. 589 C), das ist einige Zeilen nach dem Stücke, das Johannes aus Pseudo-
Dionysius genommen, steht der volle Ausdruck: „Das Leben der Lebenden und die Wesenheit der Wesen.“
94
Folgender Zusatz fehlt in älteren Handschriften. Nur in einigen jüngeren findet er sich an dieser Stelle, in
Cod. Reg. n. 3109 nach IV. 9 und in Cod. Reg. n. 3451 nach II, 2 von De fid. orth., in Cod. Caesarian. n. 200
am Schlusse des Werkes (Migne, P. gr. 94, 845. 846). Langen (Johannes von Damaskus, Gotha 1879, S. 68)
dürfte recht haben, wenn er sagt, daß dieser Zusatz „eine, wenn auch nicht von dem Damaszener selbst
herrührende, so doch aus seinen Expositionen zusammengesetzte Umarbeitung des über Gottes Wesen
und Namen Gesagten bildet“. Das hat Bilz (a. a. O. S. 106 1), der den Zusatz in Cod. Vatic. gr. 491, 494, 495
gefunden, übersehen.
95
Justin (Apol. I, 61) schreibt: „Einen Namen für den unnennbaren Gott vermag niemand anzugeben, und
sollte jemand behaupten wollen, es gebe einen solchen, so wäre er mit unheilbarem Wahnsinn behaftet.“
Übers. v. G. Rauschen in der Bibliothek der Kirchenväter: Frühchristliche Apologeten und Martyrerakten
aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, I (Kempten u. München 1913) 76.

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auch das Seiende erkennen, doch wie soll man das Überseiende erkennen? In seiner un-
aussprechlichen Güte gefiel es ihm (Gott) nun, sich nach dem nennen zu lassen, was uns
entspricht, so daß wir seiner Erkenntnis nicht völlig bar sind und ein, wenn auch dunkles
Verständnis von ihm haben. Insofern er also unbegreifbar ist, ist er auch unbenennbar. Da
er aber die Ursache aller Dinge ist und die S. 34 Begriffe und die Ursachen von allem Seien-
den in sich befaßt, wird er auch nach allem Seienden, selbst nach dem Entgegengesetzten,
benannt, wie z. B. nach Licht und Finsternis, Wasser und Feuer. Wir sollen dadurch erken-
nen, daß er dieses nicht dem Wesen nach ist. Denn er ist überwesentlich und unbenennbar.
Als Ursache alles Seienden wird er jedoch nach allem Verursachten benannt.

Deshalb werden von den Namen Gottes die einen verneinend ausgesagt, sofern sie das
Überwesentliche bezeichnen, wie wesenlos, zeitlos, anfangslos, unsichtbar, nicht als ob er
geringer wäre als etwas oder als ob ihm etwas fehlte — sein ist ja alles und aus ihm und
durch ihn ist es geworden und in ihm hat es seinen Bestand 96 —, sondern weil er über-
schwenglich erhaben über alle Wesen ist. Die anderen aber werden bejahend ausgesagt,
sie werden von ihm gebraucht, insofern er die Ursache von allem ist. Als die Ursache alles
Seienden und jeglicher Wesenheit heißt er Seiender und Wesenheit. Als Ursache jeglicher
Vernunft und Weisheit, des Vernünftigen und Weisen, heißt er Vernunft und vernünftig,
Weisheit und weise; desgleichen Verstand und verständig, Leben und lebendig, Macht und
mächtig und ebenso in allem übrigen. Viel passender jedoch wird man ihn nach dem Hö-
heren und ihm Nahestehenden benennen. Höher aber und ihm viel näher ist das Imma-
terielle als das Materielle, das Reine als das Befleckte, das Heilige als das Fluchbeladene.
Denn ersteres hat auch mehr an ihm teil. Darum wird man ihn passender Sonne und Licht
nennen als Finsternis, Tag als Nacht, Leben als Tod, Feuer, Luft und Wasser (weil zum Le-
ben gehörig) als Erde und vor allem und ganz besonders Güte als Schlechtigkeit oder, was
dasselbe ist, seiend als nicht seiend. Denn das Gute ist Sein und Ursache des Seins, das
Böse aber Beraubung von Gutem oder Sein. Das nun sind die Verneinungen und Bejahun-
gen. Sehr fein ist aber auch die Verbindung beider, wie z. B. die überwesentliche Wesenheit,
die übergöttliche Gottheit, der überanfängliche Anfang u. dgl. Es gibt ferner gewisse S. 35
bejahende Aussagen von Gott, die die Bedeutung einer überschwenglichen Verneinung ha-
ben, wie z. B. Finsternis. Nicht als ob Gott Finsternis wäre, sondern weil er nicht Licht ist,
vielmehr erhaben über das Licht ist.

Es heißt also Gott Verstand, Vernunft, Geist, Weisheit und Kraft 97 , da er deren Urhe-
ber, immateriell, allschaffend und allmächtig ist. Diese Prädikate werden gemeinsam von
der ganzen Gottheit gebraucht, die Verneinung wie die Bejahung, und von jeder einzel-
nen Person der heiligen Dreieinigkeit gleichmäßig auf dieselbe Weise und unterschiedslos
96
Kol. 1, 16 f.
97
1 Kor. 1, 24 heißt Christus „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“.

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98
. Denn denke ich an eine der Personen, so weiß ich, daß sie vollkommener Gott, voll-
kommene Wesenheit ist. Nehme und zähle ich aber die drei zusammen, so weiß ich, daß
sie* ein* vollkommener Gott sind. Denn nicht zusammengesetzt ist die Gottheit, sondern
in drei Vollkommenen* ein* Ungeteiltes und zusammengesetztes Vollkommenes. Denke
ich aber an das wechselseitige Verhältnis der Personen, so weiß ich, daß der Vater über-
wesentliche Sonne, Quelle der Güte, Abgrund von Wesenheit, Vernunft, Weisheit, Kraft,
Licht und Gottheit, erzeugende und hervorbringende Quelle des darin verborgenen Gu-
ten ist. Er ist also Verstand, Abgrund von Vernunft, Erzeuger des Wortes und durch das
Wort Hervorbringer des offenbarenden Geistes, und, um es kurz zu sagen, nur der Sohn
ist Wort, Weisheit, Kraft 99 und Wille des Vaters, die einzige Kraft, die der Schöpfung aller
Dinge vorangeht, die so als vollkommene Person aus einer vollkommenen Person gezeugt
ist, wie der selbst weiß, der Sohn ist und heißt. Der Hl. Geist aber ist die das Verborgene
der Gottheit offenbarende Kraft des Vaters, die vom S. 36 Vater durch den Sohn 100 ausgeht,
wie er selbst weiß, nicht zeugungsweise. Darum ist auch der Hl. Geist der Vollender alles
Geschaffenen. Alles nun, was dem verursachenden Vater, der Quelle, dem Erzeuger eignet,
ist nur dem Vater zuzueignen. Alles aber, was dem verursachten (prinzipiierten), gezeug-
ten Sohne, dem Logos, der vorangehenden Kraft, dem Willen, der Weisheit eignet, ist dem
Sohne zuzueignen. Alles jedoch, was der verursachten, ausgehenden, offenbarenden, voll-
endenden Kraft eignet, ist dem Hl. Geiste zuzueignen. Der Vater ist Quelle und Ursache
des Sohnes und des Hl. Geistes, Vater jedoch nur vom Sohne, vom Hl. Geiste Hervorbrin-
ger. Der Sohn ist Sohn, Wort, Weisheit, Kraft, Bild, „Abglanz, Abdruck“ 101 des Vaters und
aus dem Vater. Der Hl. Geist aber ist nicht Sohn des Vaters, er ist Geist des Vaters, da er
vom Vater ausgeht — ohne Geist keine Betätigung —, aber auch Geist des Sohnes, nicht
weil er aus ihm, sondern weil er durch ihn vom Vater ausgeht. Urgrund ist nämlich nur der
Vater.

XIII. KAPITEL. Vom Orte Gottes. Das göttliche Wesen allein ist unbegrenzt.

Der Ort ist körperlich, Grenze des Umgebenden, sofern das Umgebene umgeben wird. Die
Luft z. B. umgibt, der Körper aber wird umgeben. Nicht ganz jedoch ist die umgebende Luft
Ort des umgebenen Körpers, sondern das Ende der umgebenden Luft, die den umgebenen
Körper berührt. Jedenfalls aber ist das Umgebende nicht im Umgebenen.

Es gibt aber auch einen geistigen Ort, wo die geistige, unkörperliche Natur gedacht wird
und ist, wo sie zugegen ist und wirkt, nicht körperlich, sondern geistig umgeben wird.
98
Wohl* ἀπαραλλάκτως* [aparallaktōs] zu lesen.
99
Vgl. die wahrscheinlich nicht von Athanasius verfaßte Orat. 4, 1 contra Arian. (Migne, P. gr. 26, 469 A). Or.
1, 5 contra Arian. (Migne, P. gr. 26, 21 A ff.) berichtet Athanasius, wie Arius die Namen Wort, Weisheit und
Kraft erklärte. Über den Sohn als Weisheit, Macht und Wille des Vaters handelt Bilz, a. a. O. S. 133-152.
100
Bilz, a. a. O. S. 165 f.
101
Vgl. Hebr. 1, 3.

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Denn sie hat keine Gestalt, um körperlich umgeben werden zu können. Darum ist Gott, da
er S. 37 immateriell und unbegrenzt ist, an keinem Orte. Er selbst ist sein Ort, da er alles er-
füllt und über allem ist und selbst alles zusammenhält. Man sagt aber auch, er sei an einem
Orte. Ort Gottes heißt der Ort, wo seine Wirksamkeit sich offenbart. Er selbst durchdringt
ja alles ohne Vermischung und teilt allem von seiner eigenen Wirksamkeit mit, so wie es der
Empfänglichkeit und Aufnahmsfähigkeit, ich meine der natürlichen, und Willensreinheit
des einzelnen entspricht. Reiner ist das Immaterielle als das Materielle, das Tugendhafte
als das mit Schlechtigkeit Gepaarte. Es heißt demnach Ort Gottes der, der mehr teil hat
an seiner Wirksamkeit und Gnade. Darum ist der Himmel sein Thron 102 . Denn in ihm
sind die Engel, die seinen Willen tun und ihn immerdar preisen. Das ist seine Ruhestät-
te, die Erde aber ist der Schemel seiner Füße 103 . Denn auf ihr hat er im Fleische mit den
Menschen verkehrt 104 . Fuß Gottes jedoch ist sein heiliges Fleisch genannt. Es heißt aber
auch die Kirche Ort Gottes. Denn diesen haben wir zu seinem Lobpreis als ein Heiligtum
ausgesondert; in ihm richten wir auch unsere Bitten an ihn. Desgleichen werden auch die
Orte, an denen uns seine Wirksamkeit offenbar wird, sei es im Fleische, sei es ohne Körper,
Orte Gottes genannt.

Man muß jedoch wissen, daß das göttliche Wesen unteilbar ist, überall vollständig ganz
ist und sich nicht nach Körperart in einzelne Teile auflöst. Nein, es ist ganz in allem und
ganz über allem.

Vom Orte des Engels und der Seele und vom Unumschriebenen 105 .

Der Engel wird zwar nicht 106 nach Körperart an einem Orte umschlossen, so daß er
Form und Gestalt annähme. Gleichwohl sagt man, er sei an einem Orte, weil er eben auf
geistige Art zugegen ist und seiner S. 38 Natur entsprechend wirkt, und er sei nicht an-
derswo, sondern werde an seinem Wirkungsorte geistig umgrenzt. Denn er kann nicht zu
gleicher Zeit an verschiedenen Orten wirken. Gott allein ist es eigen, überall zu derselben
Zeit zu wirken. Der Engel wirkt durch die Schnelligkeit seiner Natur, durch seine Fähigkeit,
sich flink und rasch von einem Ort zum andern zu bewegen, an verschiedenen Orten. Das
göttliche Wesen aber, das ja überall und über allem ist, wirkt zu gleicher Zeit auf verschie-
dene Weise durch eine einzige und einfache Tätigkeit.

Die Seele aber ist ganz mit dem ganzen Körper verbunden, und nicht ein Teil mit dem
andern. Und sie wird von ihm nicht umfaßt, sondern sie umfaßt ihn wie Feuer das Eisen
und bringt in ihm ihre eigenen Tätigkeiten hervor.
102
Vgl. Is. 66, 1; Apg. 7, 49.
103
Ebd. [Vgl. Is. 66, 1; Apg. 7, 49].
104
Vgl. Bar. 3, 38.
105
Randglosse des Kodex!
106
Im griechischen Text fehlt die Negation.

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Umschrieben ist, was von Ort, Zeit oder Begriff begrenzt ist; unumschrieben aber, was
keine dieser Grenzen hat. Unumschrieben ist also nur die Gottheit, da sie ohne Anfang und
Ende ist, alles umfaßt und von keinem Begriff umfaßt wird. Denn sie allein ist unbegreifbar
und unbegrenzt, von niemand wird sie erkannt, nur sie selbst erkennt sich. Der Engel aber
wird umschrieben: von der Zeit, denn er hat zu sein angefangen; vom Orte, wenn auch auf
geistige Weise, wie oben gesagt, und vom Begriff. Denn sie (die Engel) kennen doch wohl
ihre gegenseitige Natur und sie werden vollständig vom Schöpfer begrenzt. Die Körper aber
[werden] durch Anfang und Ende, durch körperlichen Ort und Begriff [umschrieben].

Folgerungen von Gott dem Vater und dem Sohne und dem Hl. Geiste 107 .

Völlig unveränderlich und unwandelbar also ist die Gottheit. Sie hat, was nicht in unse-
rer Macht gelegen ist, alles kraft ihres Vorauswissens vorherbestimmt, jedes einzelne für
den geeigneten, entsprechenden Zeitpunkt und Ort. Und demgemäß „richtet der Vater
niemand, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohne S. 39 gegeben 108 “. Es richtet ja al-
lerdings der Vater und der Sohn als Gott und der Hl. Geist. Aber der Sohn selbst wird als
Mensch in körperlicher Gestalt herabkommen und „auf dem Throne der Herrlichkeit sit-
zen 109 “ — das Herabkommen und das Sitzen ist Sache eines umschriebenen Körpers —
und den ganzen Erdkreis in Gerechtigkeit richten 110 .

Alles steht Gott ferne, nicht dem Orte, sondern der Natur nach. Klugheit, Weisheit und
Rat kommen und gehen bei uns, da sie eine Beschaffenheit sind, nicht aber bei Gott. Denn
bei ihm entsteht und vergeht nichts. Er ist ja unveränderlich und unwandelbar, bei ihm darf
man von keinem Akzidens reden. Denn das Gute trifft mit dem Wesen zusammen. Wer
nach Gott allzeit verlangt, der sieht ihn; Gott ist ja in allem. Denn an dem Seienden (� Gott)
hängt das Seiende, und es kann nichts sein, außer es hat in dem Seienden (� Gott) das Sein.
Mit allen Dingen ist Gott vermischt, da er ihre Natur zusammenhält. Mit seiner heiligen
Natur aber ist der Gott-Logos hypostatisch geeint und mit der unsrigen ohne Vermischung
verbunden.

Niemand sieht den Vater, außer der Sohn und der Geist 111 .

Wille, Weisheit und Kraft 112 des Vaters ist der Sohn. Man darf nämlich bei Gott von kei-
ner Beschaffenheit reden, damit wir nicht sagen, er sei aus Wesenheit und Beschaffenheit
zusammengesetzt.

Der Sohn ist aus dem Vater, und alles, was er besitzt, hat er aus ihm. Deshalb kann er auch
107
Randglosse des Kodex.
108
Joh. 5, 22.
109
Matth. 19, 28; 25, 31.
110
Apg. 17, 31.
111
Vgl. Joh. 6, 46.
112
Vgl. 1 Kor. 1, 24.

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nichts aus sich selbst tun 113 . Denn er hat keine eigene Wirksamkeit neben dem Vater.

Daß aber Gott, obwohl er seiner Natur nach unsichtbar ist 114 , durch seine Wirksamkei-
ten sichtbar wird, erkennen wir aus dem Bestand und der Regierung der Welt.

S. 40 Bild 115 des Vaters ist der Sohn 116 und [Bild] des Sohnes der Geist. Durch ihn
verleiht Christus dem Menschen, in dem er wohnt, die Gottebenbildlichkeit.

Der Hl. Geist ist Gott. Er steht in der Mitte zwischen dem Ungezeugten und Gezeug-
ten und wird durch den Sohn mit dem Vater verbunden. Er heißt Geist Gottes 117 , Geist
Christi 118 , Verstand Christi 119 , Geist des Herrn 120 , Selbstherr 121 , Geist der Annahme an
Kindesstatt (Adoption) 122 , der Wahrheit 123 , Freiheit 124 , Weisheit 125 (denn all das bewirkt
er), er erfüllt alles durch seine Wesenheit, hält alles zusammen, er erfüllt die Welt in seiner
Wesenheit, ist unfaßbar für die Welt in seiner Macht.

Gott ist immerwährende und unveränderliche Wesenheit, sie ist Schöpferin des Seienden
und wird in frommer Erwägung angebetet.

Gott der Vater, der immer Seiende, ist ungezeugt, denn er ist aus niemand gezeugt, son-
dern er hat den gleichewigen Sohn gezeugt.* Gott ist auch der Sohn, der immer* zugleich
mit dem Vater* ist,* zeitlos, ewig, ohne Fluß und Leidenschaft und Trennung aus ihm ge-
zeugt.* Gott ist auch der Hl. Geist, die heilige,* subsistierende* Kraft,* die ohne Trennung
vom Vater ausgeht und im Sohne ruht,* gleichen Wesens mit dem Vater und dem Sohne.*

Logos (Wort) ist der immer wesenhaft mit dem Vater zugleich Seiende. Logos ist dann auch
die natürliche Bewegung des Geistes, in der er tätig ist, denkt und urteilt, gleichsam sein
Licht und Abglanz.* Logos ist* ferner* das innerliche, im Herzen gesprochene Wort. S.
41 Logos ist endlich der Bote des Gedankens 126 .* Der Gott-Logos ist also wesenhaft und
113
Joh. 5, 30.
114
Vgl. Kol. 1, 15.
115
Vgl. 2 Kor. 4, 4; Kol. 1, 15.
116
Cf. Joh. Damasc., De Imag. orat. 1, 9 und 3, 18 (Migne, P. gr. 94, 1240 C u. 1340 A). Bilz (a. a. O. 131 1)
verweist auf zwei ganz ähnliche Stellen bei Cyrill von Alexandrien (Thesaurus, assert. 10 u. 1 Migne, P. gr.
75, 132 C u. 25 A). Über den Sohn als Bild des Vaters siehe Bilz, a. a. O. S. 129—133.
117
Röm. 8, 9; 1 Kor. 2, 11; 3, 16; 7, 40; Eph. 4, 30.
118
Röm. 8, 9.
119
Joh. hat wohl 1 Kor. 2, 16 im Auge.
120
Luk. 4, 18; Apg. 5, 9.
121
Wohl mit Rücksicht auf 2 Kor. 3, 17.
122
Röm. 8, 15.
123
Joh. 14, 17; 15, 26; 16, 13.
124
Vgl. 2 Kor. 3, 17.
125
Eph. 1, 17.
126
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus der Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 261, 13—18; 263, 5—7. Die-
kamp (Doctr. Patr. S. 263 ad 5, 6 u. 7) verweist für die drei Definitionen von Logos auf den Patriarchen
Anastasius I. von Antiochien (559—599), Capita philos. n. 11, 10 u. 9 (cod. Vindob. philos. 74 f. 158 V).

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subsistierend. Die übrigen drei Arten des Logos sind Kräfte der Seele und werden nicht in
eigener Subsistenz betrachtet. Der Logos der ersten Art ist ein natürliches Erzeugnis des
Geistes, das auf natürliche Weise immer aus ihm hervorquillt. Der der zweiten Art heißt
das im Herzen gesprochene Wort127 , der der dritten Art das mit dem Munde gesprochene
Wort128 .

Das Wort Pneuma ist vieldeutig. Es bedeutet den Hl. Geist. Es heißen aber auch die Kräfte
(Wirkungen) des Hl. Geistes Pneumata. Pneuma [heißt] auch der gute Engel, Pneuma auch
der Dämon, Pneuma auch die Seele. Bisweilen wird auch der Verstand Pneuma genannt.
Pneuma [heißt] auch der Wind, Pneuma auch die Luft 129 .

XIV. KAPITEL. Die Eigentümlichkeiten (ldiomata) der göttlichen Natur.

Die Ungeschaffenheit, die Anfangslosigkeit, die Unsterblichkeit, Unendlichkeit, Ewigkeit,


die Immateriälität, die Güte, die Schöpferkraft, die Gerechtigkeit, die Lichtgebung, die
Unveränderlichkeit, die Leidenschaftslosigkeit, die Unumschriebenheit, die Unfaßbarkeit,
die Unumschränktheit, die Unbegrenztheit, die Unsichtbarkeit, die Unbegreifbarkeit, die
Bedürfnislosigkeit, die Selbstherrschaft und Selbstbestimmung, die Allgewalt, die Lebens-
spendung, die Allmacht, die Machtvollkommenheit, die Heiligung und Mitteilung, das All-
umfassen S. 42 und Allzusammenhalten, die Allfürsorge — all das u. dgl. besitzt [das gött-
liche Wesen] von Natur; es hat dies nicht anderswoher bekommen, sondern teilt selbst
seinen Geschöpfen entsprechend der Aufnahmsfähigkeit des einzelnen alles Gute mit.

Die Personen weilen und wohnen ineinander. Denn sie sind unzertrennlich und gehen
nicht auseinander, sie sind unvermischt ineinander, jedoch nicht so, daß sie verschmelzen
oder verfließen, sondern so, daß sie gegenseitig zusammenhängen. Denn der Sohn ist im
Vater und Geiste, und der Geist im Vater und Sohne, und der Vater im Sohne und Geis-
te, ohne daß eine Zerfließung oder Verschmelzung oder Vermischung stattfände. Und es
besteht Einheit und Identität in der Bewegung, denn die drei Personen haben nur* eine*
Bewegung,* eine* Tätigkeit. Das läßt sich bei der geschaffenen Natur nicht beobachten.

So bleibt auch die göttliche Erleuchtung und Wirksamkeit, die nur eine, einfach und un-
geteilt ist, obwohl sie in den geteilten Dingen verschiedenartiges Gute wirkt und allen das
zuteilt, was den Bestand ihrer Natur bedingt, einfach, sie vervielfältigt sich ungeteilt im Ge-
teilten und sammelt und wendet das Geteilte zu seiner eigenen Einfachheit hin. Denn alles
verlangt nach ihr und hat in ihr seine Existenz. Sie teilt allem das Sein mit, so, wie es seine
Natur braucht. Sie ist das Sein der Seienden, das Leben der Lebendigen, die Vernunft der
127
λόγος ἐνδιάθετος [logos endiathetos].
128
λόγος προφορικός [logos prophorikos].
129
Bilz (a. a. O. S. 152 1) macht darauf aufmerksam, daß im Fragment der Catena regia in Lucam (Migne,
P. gr. 95, 233 D) die Bedeutungen von* πνεῦμα* [pneuma] genau so aufgezählt werden wie hier. Zu jeder
Bedeutung wird im Fragment noch eine Belegstelle aus der Hl. Schrift angeführt.

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Vernünftigen und der Verstand der Verständigen, während sie selbst über dem Verstand,
über der Vernunft, über dem Leben und über dem Sein ist.

Außerdem dringt sie auch durch alles ohne Vermischung, durch sie aber [dringt] nichts.
Ferner erkennt sie auch alles in einfacher Erkenntnis. Mit ihrem göttlichen, allschauenden
und immateriellen Auge sieht sie alles auf einfache Weise, das Gegenwärtige, das Vergan-
gene und das Zukünftige, ehe es geschieht 130 . Sie ist ohne Sünde, läßt Sünden nach und
rettet. Sie kann alles, was sie will, aber nicht alles, was sie kann, will sie. Sie kann nämlich
die Welt vernichten, will es aber nicht.

Zweites Buch
I. KAPITEL. Vom Äon.

S. 43 Der hat die Zeiten (Äonen) geschaffen, der vor den Zeiten ist, zu dem der göttliche
David spricht: „Von Ewigkeit (Äon) zu Ewigkeit bist du 131 .“ Und der Apostel [sagt]: „Durch
den er auch die Zeiten geschaffen 132 .“

Man muß also wissen, daß der Name Äon vieldeutig ist. Ja, er hat mehrfachen Sinn. Äon
heißt einmal jedes menschliche Lebensalter. Dann heißt Äon der Zeitraum von tausend
Jahren. Weiterhin heißt Äon das ganze gegenwärtige Leben und Äon [heißt] das zukünfti-
ge, das endlose [Leben] nach der Auferstehung. Es heißt ferner* Äon nicht eine Zeit oder
ein Zeitteil, der nach Gang* und Lauf* der Sonne gemessen wird,* also aus Tagen und
Nächten besteht,* sondern die Bewegung und Dauer, die, gleichsam zeitlich, mit dem Ewi-
gen gleichläuft 133 .* Denn was für das Zeitliche die Zeit, das ist für das Ewige die Ewigkeit
(der Äon).

Man zählt nun sieben Zeitalter dieser Welt 134 , angefangen von Erschaffung des Himmels
und der Erde bis zur allgemeinen Vollendung und Auferstehung der Menschen. Es gibt
eine teilweise Vollendung, d. i. der Tod des einzelnen. Es gibt aber auch eine allgemeine
und ganze Vollendung, wenn die allgemeine Auferstehung der Menschen erfolgen wird.
Das achte Zeitalter aber ist das zukünftige 135 .

Vor dem Bestehen der Welt, als es noch keine Sonne gab, die den Tag von der Nacht
schied, gab es S. 44 auch keine meßbare Zeit (Äon),* sondern die Bewegung und Dauer,
130
Vgl. Dan. 13, 42 nach der Vulgata.
131
Ps. 89, 2 [hebr. Ps. 90, 2].
132
Hebr. 1, 2.
133
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 320 AB) u. Or. 45, 4 (Migne, l.
c. 628 C).
134
Vgl. Eph. 2, 2.
135
Das Zeitalter, das auf das Weltende folgt und ewig währt.

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die, gleichsam zeitlich, mit dem Ewigen gleichläuft 136 .* In dieser Hinsicht gibt es nur einen
Äon 137 . Deshalb heißt Gott unzeitlich138 , aber auch vorzeitlich139 . Er hat ja die Zeit selbst
geschaffen. Gott allein ist anfangslos, darum ist er der Schöpfer von allem, der Zeiten und
alles Seienden. Ich habe von Gott gesprochen. Darunter verstehe ich natürlich den Vater
und seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus, und seinen allheiligen Geist
als unseren einzigen Gott 140 .

Man spricht auch von Zeiten der Zeiten141 deshalb, weil ja die sieben Zeitalter der ge-
genwärtigen Welt viele Zeiten, nämlich Menschenleben, umfassen, und der eine Äon alle
Äonen in sich schließt. Und Zeit der Zeit heißt die gegenwärtige wie die zukünftige. Ewiges
Leben aber und ewige Strafe bezeichnet die Endlosigkeit der zukünftigen Zeit. Denn nach
der Auferstehung wird die Zeit nicht nach Tagen und Nächten gerechnet werden. Es wird
vielmehr ein Tag ohne Abend sein, da „die Sonne der Gerechtigkeit“ 142 den Gerechten hell
strahlt. Für die Sünder aber wird tiefe, endlose Nacht sein. Wie wird es deshalb möglich
sein, die tausendjährige Zeit der origenistischen Wiederherstellung (Apokatastasis) 143 zu
136
Greg. Naz., a. a. O.
137
nämlich die Ewigkeit.
138
Αἰώνιος [Aiōnios].
139
προαιώνιος [proaiōnios].
140
Vgl. Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 320 B) und Or. 45, 4 (Migne, I. c. 628 C).
141
Αἰῶνες αἰώνων [Aiōnes aiōnōn] � saecula saeculorum.
142
Mal. 4, 2.
143
Origenes († 254 oder 255) lehrte: Alle Geister, auch die Menschenseelen, sind von Ewigkeit her gleich
vollkommen vor Gott geschaffen. In freier Selbstbestimmung sollten sie das Gute wählen. Allein leider
sind sie davon abgewichen, die einen mehr, die andern weniger. Um sie zu strafen und zu läutern, schuf
Gott in seiner Gerechtigkeit und Güte die vergängliche Materie und daraus diese sichtbare Welt mit ihren
himmlischen, irdischen und unterirdischen Regionen als Läuterungsort für die gefallenen Geister. Je nach
der Schwere ihrer Schuld bannte er sie in verschiedenartige materielle Körper, auch in Menschenleiber.
Die am wenigsten gefallenen Geister sind die Engel, die am tiefsten gesunkenen die Dämonen. Auch die
Menschenseelen sind gefallene Geister. Die Erlösung schafft allen Christus, der göttliche Logos, durch sei-
ne Menschwerdung, seine Lehre und seinen Tod. Doch volle Erlösung bringt erst das Sterben. Die Guten
kommen in einem neuen, pneumatischen Leib ins „Paradies“, die Bösen in die Hölle, ins reinigende Feuer.
Doch schließlich kehren auch letztere, selbst der Teufel, zu Gott zurück. Dann ist „die Wiederherstellung
aller Dinge“* (ἀποκατάστασις πάντων* [apokatastasis pantōn] [nicht: πνάτων [pnatōn]], Apg. 3, 21) er-
folgt, der Zweck der Sinnenwelt erfüllt, alles Materielle sinkt ins Nichts zurück, der uranfängliche Zustand
der Einheit Gottes und aller geistigen Wesenheit ist wiederhergestellt. (Siehe Loofs, Leitfaden zum Studi-
um der Dogmengeschichte4, Halle 1906, S. 197—202. Bardenhewer, Patrologie³, Freib. 1910, S. 133.) —
Johannes spricht von der* „tausendjährigen* Zeit der origenistischen Wiederherstellung“. Hier klingt ein*
platonischer* Gedanke an. Nach Platon währen die Belohnungen und Strafen im Jenseits tausend Jahre.
Danach können sich die Menschenseelen eine neue Lebensweise auf der Erde wählen, auch in Tierleibern
wohnen. Nur die, die dreimal nacheinander hienieden in aufrichtigem Streben nach Weisheit gelebt, keh-
ren nach Ablauf der 3x1000 Jahre völlig gereinigt von ihrer vorweltlichen Verfehlung zu den Fixsternen
zurück und bleiben dort für immer. — Gegen diese Auffassung Platons wendet sich bereits der Philosoph
und Märtyrer Justin in seiner ersten, zwischen 150 und 155 verfaßten Apologie c. 8.

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S. 45 zählen? Aller Zeiten einziger Schöpfer also ist Gott, er, der ja alles geschaffen hat, der
vor den Zeiten ist.

II. KAPITEL. Von der Schöpfertätigkeit.

[Forts. v. S. 45 ] Der gute, übergute Gott hat sich nicht mit der Betrachtung seiner selbst be-
gnügt, nein, im Übermaße seiner Güte hat er gewollt, daß etwas werde, das seine Wohltaten
empfangen und an seiner Güte teilnehmen soll. Darum bringt er alles aus dem Nichtsein
ins Sein hervor und schafft es, das Unsichtbare wie das Sichtbare und den Menschen, der
aus Sichtbarem und Unsichtbarem zusammengesetzt ist. Er schafft aber, indem er denkt,
und* der Gedanke subsistiert als Werk, durch das Wort vollbracht und durch den Geist
vollendet 144 .*

III. KAPITEL. Von den Engeln.

S. 46 Er selbst ist der Schöpfer und Bildner der Engel. Er hat sie aus dem Nichtsein ins Sein
gerufen, nach seinem Bilde hat er sie geschaffen als eine körperlose Natur, eine Art Wind
und* unstoffliches Feuer 145 ,* wie der göttliche David sagt: „Der seine Engel zu Winden und
seine Diener zur Feuerflamme macht“ 146 . Damit beschreibt er die Leichtigkeit, Feurigkeit,
Wärme, Eindringlichkeit und Schnelligkeit, womit sie sich Gott hingeben und ihm dienen,
ihr Aufwärtsstreben und Freisein von jeder materiellen Gesinnung.

Ein Engel ist demnach* ein denkendes, allzeit tätiges, willensfreies,* unkörperliches,*
Gott dienendes Wesen 147 ,* dessen Natur die Unsterblichkeit aus Gnade empfangen hat.
Die Form und Bestimmung seines Wesens kennt allein der Schöpfer. Unkörperlich aber
und immateriell heißt er in Beziehung auf uns. Denn verglichen mit Gott, dem allein Un-
vergleichbaren, erscheint alles grob und stofflich. Wahrhaft unstofflich und unkörperlich
ist eben nur das göttliche Wesen.

Er (der Engel) ist also ein vernünftiges, denkendes, willensfreies, in Gesinnung oder Wil-
len wandelbares Wesen. Denn alles Geschaffene ist auch wandelbar, nur das Ungeschaf-
fene ist unwandelbar. Und alles Vernünftige kann sich selbst bestimmen. Als vernünftig
und denkend hat es (das Wesen des Engels) darum freie Selbstbestimmung. Als geschaffen
ist es jedoch wandelbar, es hat die Macht, sowohl im Guten zu bleiben und vorwärts zu
kommen, als sich zum Schlechten zu wenden.

Unfähig ist er (der Engel) einer Bekehrung, weil er ja unkörperlich ist. Denn der Mensch
144
Greg. Naz., Or. 38, 9 (Migne, P. gr. 36, 320 C) u. Or. 45, 5 (Migne, I. c. 629 A).
145
Greg. Naz., Or. 38, 9 (Migne, I. c. 320 D) u. Or. 45, 5 (Migne, I. c. 629 B).
146
Ps. 103, 4 [hebr. Ps. 104, 4]; Hebr. 1, 7.
147
Wörtlich aus Kap. 33 der Doctr. Patr. de incarn. Verb. (S. 250, 1 f.), das eine Sammlung von Definitionen
enthält.

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hat wegen der Schwachheit des Körpers Bekehrung erlangt 148 . S. 47 Unsterblich ist er
nicht kraft seiner Natur, sondern durch Gnade. Denn alles, was einen Anfang gehabt, hat
naturgemäß auch ein Ende. Nur Gott ist immer, ja noch mehr, er ist sogar über dem Immer.
Denn nicht unter der Zeit, sondern über der Zeit ist der Schöpfer der Zeiten.

Sie (die Engel) sind sekundäre, geistige Lichter. Ihre Erleuchtung haben sie vom ersten,
anfangslosen Lichte 149 . Sprache und Gehör brauchen sie nicht, sie teilen vielmehr ohne
gesprochenes Wort einander ihre Gedanken und Entschlüsse mit.

Durch das Wort (den Logos) wurden alle Engel geschaffen und vom Hl. Geiste durch
die Heiligung vollendet, entsprechend ihrer Würde und ihrer Rangordnung sind sie der
Erleuchtung und der Gnade teilhaftig geworden.

Sie sind umschrieben. Denn wenn sie im Himmel sind, sind sie nicht auf der Erde. Und
werden sie von Gott auf die Erde gesandt, so bleiben sie nicht im Himmel zurück. Sie wer-
den aber nicht begrenzt von Mauern und Türen, Riegeln und Siegeln, denn sie sind un-
begrenzt. Unbegrenzt sage ich. Denn nicht so, wie sie sind, erscheinen sie den Würdigen,
denen sie Gott erscheinen lassen will, sondern in veränderter Gestalt, so, wie die Sehenden
sie sehen können. Denn* unbegrenzt* von Natur aus und im eigentlichen Sinne* ist nur
das Ungeschaffene. Jedes Geschöpf wird* ja* von* Gott,* seinem Schöpfer, begrenzt 150 .*

Die Heiligung haben sie außerhalb ihrer Natur vom Hl. Geiste empfangen. Durch die
göttliche Gnade weissagen sie. Eine Ehe haben sie nicht nötig, denn sie sind nicht sterblich.

Sie sind Geister, darum sind sie auch an geistigen Orten. Sie werden umschrieben, zwar
nicht nach Körperart — sie haben ja ihrer Natur nach keine Körpergestalt noch dreifache
Ausdehnung 151 — sondern dadurch, daß S. 48 sie dort, wo sie hinbefohlen werden, geistig
zugegen sind und wirken und nicht zu gleicher Zeit da und dort sein und wirken können.

Ob sie dem Wesen nach gleich oder voneinander verschieden sind, wissen wir nicht. Gott
allein weiß es, er, der sie erschaffen hat, der ja alles weiß. Verschieden jedoch sind sie von-
einander durch den Lichtglanz und den Stand, sei es, daß dem Lichtmaß ihr Stand oder
dem Stand ihr Lichtanteil entspricht. Wegen der Überordnung des Ranges oder der Natur
erleuchten sie sich gegenseitig. Es ist klar, daß die Höheren den Niederen das Licht und
die Erkenntnis mitteilen.

Sie sind stark und bereit zur Erfüllung des göttlichen Willens; dank ihrer schnellen Natur
finden sie sich sogleich überall ein, wo der göttliche Wink es befiehlt. Sie beschützen die
148
Cf. Nemes., De nat. hom. c. 1, ed. Chr. Fr. Matthaei, Halle 1802, S. 53.
149
Vgl. Greg. Naz., Or. 28, 9 (Migne, P. gr. 36, 320 C) u. Or. 45, 5 (Migne, I. c. 629 AB). Vgl. Or. 6, 15 (Migne,
P. gr. 35, 740 A).
150
Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 252, 23 f.
151
Länge, Breite, Höhe.

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Erdteile, sie stehen Völkern und Orten vor, wie es ihnen vom Schöpfer aufgetragen ist, sie
besorgen unsere Angelegenheiten und helfen uns. Es ist sicher, daß sie nach dem göttlichen
Willen und Gebot über uns stehen und beständig um Gott sind.

Schwer beweglich sind sie zum Bösen, doch nicht unbeweglich 152 . Jetzt sind sie ja un-
beweglich, nicht kraft ihrer Natur, sondern kraft der Gnade und dem Eifer, womit sie aus-
schließlich am Guten festhalten.

Sie schauen Gott, soweit es ihnen möglich ist, und das ist ihre Nahrung.

Sie stehen über uns, denn sie sind unkörperlich und frei von jeder körperlichen Leiden-
schaft, aber wahrlich nicht leidenschaftslos. Denn nur die Gottheit ist leidenschaftslos.

Sie nehmen die Gestalt an, die Gott, der Herr, befiehlt, und so erscheinen sie den Men-
schen und enthüllen ihnen die göttlichen Geheimnisse.

Sie weilen im Himmel, und ihre einzige Arbeit ist, Gott zu preisen und seinem göttlichen
Willen zu dienen. Wie der überaus heilige, fromme und große Gottesgelehrte Dionysius
der Areopagite 153 sagt,* hat die ganze S. 49 Theologie,* d. i. die Hl. Schrift,* den himm-
lischen Wesen neun Namen gegeben. Diese gruppiert der göttliche Lehrer, der uns in die
heilige Wissenschaft eingeweiht, in drei dreiteilige Ordnungen. Die erste, sagt er, ist die, die
immerdar um Gott ist, und, wie die Überlieferung berichtet, ununterbrochen und unmit-
telbar mit ihm vereinigt ist,* nämlich die der sechsflügeligen 154 Seraphim, der vieläugigen
155
Cherubim und der hochheiligen Throne.* Die zweite die der Herrschaften, der Gewal-
ten* und der Mächte. * Die dritte* und letzte die der Fürstentümer,* Erzengel und Engel.*

Einige behaupten nun, sie (die Engel) seien vor jeder Schöpfung ins Dasein getreten. So
sagt Gregor der Theologe 156 : „Zuerst denkt Gott die englischen und himmlischen Mächte,
und der Gedanke ward Tat.“ Andere [behaupten] jedoch, nach der Erschaffung des ersten
Himmels. Daß aber vor der Schöpfung des Menschen, darin sind alle einig. Ich stimme
dem Theologen bei. Denn es ziemte sich, daß zuerst die geistige Natur, dann die sinnliche
und schließlich der aus beiden bestehende Mensch geschaffen wurde.

Alle, die behaupten, die Engel seien Schöpfer von was immer für einer Wesenheit 157 ,
diese sind ein Sprachrohr ihres Vaters, des Teufels. Denn sie sind Geschöpfe, darum sind
152
Greg Naz., Or. 38, 9 (Migne, P. gr. 36, 321 A) u. Or. 45, 5 (Migne, I. c. 629 B ).
153
De hierarch. cael. c. 6, 2 (Migne, P. gr. 3, 200 D—201 A). Das kursiv Gedruckte ist wörtlich aus Pseudo-
Dionysius, das übrige ist etwas abgeändert. Siehe auch Stiglmayr, Des heiligen Dionysius Areopagita an-
gebliche Schriften über die beiden Hierarchien, aus dem Griechischen übersetzt, Kempten u. München
1911, S. 33 f.
154
Is. 6, 2.
155
Nach Ez. 1, 18; 10, 12 war der ganze Leib der Cherubim voll von Augen.
156
Or. 38, 9 (Migne, P. gr. 36, 320 C) u. Or. 45, 5 (Migne, I. c. 629 A).
157
Gemeint sind die Gnostiker.

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sie keine Schöpfer. Schöpfer und Vorseher und Erhalter von allem ist Gott, der allein un-
erschaffen ist, der im Vater und Sohne und Hl. Geiste gepriesen und verherrlicht wird.

IV. KAPITEL. Vom Teufel und den Dämonen.

S. 50 Von diesen englischen Mächten hat sich der Fürst der die Erde umgebenden Rangklas-
se, dem von Gott die Bewachung der Erde übertragen war, der von Natur aus nicht böse,
sondern gut und für das Gute geschaffen war, der durchaus keine Spur von Schlechtig-
keit vom Schöpfer in sich gehabt, der jedoch das Licht und die Ehre, die ihm der Schöpfer
geschenkt, nicht ertragen, durch freie Selbstbestimmung vom Naturgemäßen zum Wider-
natürlichen gewendet und sich gegen Gott, seinen Schöpfer, erhoben, in der Absicht, sich
ihm zu widersetzen. Zuerst ist er vom Guten abgefallen, dann ist er ins Böse geraten. Das
Böse ist ja nichts anderes als eine Beraubung des Guten, wie auch die Finsternis eine Be-
raubung des Lichtes ist. Denn das Gute ist ein geistiges Licht. Ebenso ist auch das Böse
eine geistige Finsternis. Als Licht also war er vom Schöpfer geschaffen und gut — denn:
„Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ 158 —, durch freie Willens-
entscheidung ist er Finsternis geworden. Mit ihm riß sich eine unendliche Menge der ihm
unterstellten Engel los, folgte ihm und fiel mit ihm. Obwohl sie also von derselben Natur
sind wie die Engel, sind sie böse geworden, sie haben aus freien Stücken ihren Willen vom
Guten zum Bösen gewendet.

Sie haben keine Macht und Gewalt über jemand, es müßte denn sein, daß sie ihnen von
Gott aus Gründen der Heilsordnung eingeräumt würde, wie von Job 159 und wie von den
Schweinen im Evangelium 160 geschrieben steht. Erhalten sie aber von Gott die Erlaubnis,
dann haben sie die Macht, sie wandeln und ändern sich um und nehmen die Gestalt an, in
der sie erscheinen wollen.

Das Zukünftige wissen zwar weder die Engel Gottes noch die Dämonen. Gleichwohl sa-
gen sie es voraus. S. 51 Die Engel, wenn Gott es ihnen offenbart und vorherzusagen heißt.
Deshalb trifft alles, was sie sagen, ein. Es sagen aber auch die Dämonen voraus, weil sie die
fernen Ereignisse teils schauen, teils vermuten. Deshalb lügen sie auch häufig, man darf
ihnen nicht glauben, auch wenn sie unter den genannten Umständen oft die Wahrheit
sprechen. Sie kennen aber auch die Schriften.

Jegliche Bosheit ward von ihnen ersonnen und die unreinen Leidenschaften. Zwar wurde
ihnen erlaubt, dem Menschen zuzusetzen, zwingen aber können sie niemand. Denn an
uns ist es, den Angriff aufzunehmen oder nicht aufzunehmen. Deshalb ist dem Teufel und
seinen Dämonen und seinen Anhängern das unauslöschliche Feuer und die ewige Strafe
158
Gen. 1, 31.
159
Job 1, 12.
160
Mark. 5, 13.

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bereitet 161 .

Man muß aber wissen: Was für die Menschen der Tod ist, das ist für die Engel der Abfall.
Denn nach dem Abfall gibt es für sie keine Buße, so wenig wie für die Menschen nach dem
Tode 162 .

V. KAPITEL. Von der sichtbaren Schöpfung.

[Forts. von S. 51 ] Unser Gott selbst, der in der Dreiheit und Einheit gepriesen wird, „hat
den Himmel und die Erde und alles, was darin ist, gemacht“ 163 . Alles hat er aus dem Nicht-
sein ins Sein hervorgebracht, teils aus nicht vorhandenem Stoff, wie Himmel, Erde, Luft,
Feuer, Wasser, teils aus dem von ihm geschaffenen, wie Tiere, Pflanzen, Samen. Denn diese
sind aus Erde, Wasser, Luft und Feuer auf den Befehl des Schöpfers entstanden.

VI. KAPITEL. Vom Himmel.

Himmel ist die Umfassung der sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe. Denn in seinem
Bereiche sind die S. 52 geistigen Mächte der Engel und alle sinnlichen Dinge umschlossen
und umgrenzt. Nur das göttliche Wesen ist unumschrieben, es erfüllt alles, umfaßt alles
und umgrenzt alles, da es über allem ist und alles geschaffen hat.

Da nun die Schrift von einem Himmel und einem „Himmel des Himmels“ 164 und von
„Himmeln der Himmel“ 165 spricht, und der selige Paulus sagt, er sei bis in den dritten
Himmel entrückt worden 166 , so behaupten wir, daß wir bei der Entstehung des Weltalls*
den* Himmel geschaffen bekamen, den die außenstehenden167 (= heidnischen) Weisen,
die sich die Lehre des Moses angeeignet, die sternlose Sphäre nennen. Außerdem nannte
Gott auch noch das Firmament Himmel 168 . Diesen ließ er inmitten des Wassers entstehen
und bestimmte ihn als Scheide zwischen dem Wasser ober dem Firmament und zwischen
dem Wasser unter dem Firmament 169 . Der göttliche Basilius 170 , aus der Hl. Schrift be-
lehrt, nennt dessen Natur fein wie Rauch. Andere aber [nennen] sie wässrig, da sie sich
161
Vgl. Matth. 25, 41.
162
Cf. Nem., De. nat. hom. c. 1, Halle 1802, S. 53 ff.
163
Ps. 145, 6 [hebr. Ps. 146, 6].
164
Deut. 10, 14; Ps. 67, 34; 113, 24. [hebr. Ps. 68, 34; 114, 24].
165
3 Kön. 8, 27 [1 Kön. nach neuerer Zählart]; 2 Chron. 2, 6; 6,18; Ps. 148, 4 [hebr. Ps. 148, 4.]; Ekkli. 16, 18.
166
2 Kor. 12, 2.
167
ὁι ἔξω [hoi exō] = die Nichtchristen: 1 Kor. 5, 12 f.; Kol. 4, 5; 1 Thess. 4, 12.
168
Gen. 1, 8.
169
Ebd. [Gen.] 1, 6 f.
170
Homil. 1, 8 in Hexaem. (Migne, P. gr. 29, 20 C—21 A) schreibt Basilius: „Was die Wesenheit des Himmels
betrifft, so genügen uns dafür die Aussprüche des Isaias, der uns in schlichten Worten eine hinreichende
Kenntnis von dessen Beschaffenheit gibt, indem er sagt: ‚Er bildete den Himmel wie Rauch‘ (vgl. 51, 6
nach LXX [Septuaginta]), d. h. er nahm zur Bildung des Himmels einen dünnen, nicht festen und nicht
dichten Stoff.“

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inmitten der Wasser befindet, andere aus den vier Elementen [zusammengesetzt], andere
einen fünften, von den vier [Elementen] verschiedenen Körper.

Einige meinten nun, der Himmel umfasse das All im Kreise, sei kugelförmig und auf
allen Seiten der oberste Teil, der von ihm umfaßte Zwischenraum aber sei der untere Teil.
Die leichten und flüchtigen Körper hätten vom Schöpfer den oberen Raum bekommen, die
schweren, abwärtsstrebenden aber den unteren Raum, S. 53 d. i. den Zwischenraum. Das
leichtere, aufwärtsstrebende Element nun ist das Feuer, das, wie sie behaupten, gleich nach
dem Himmel seinen Platz hat. Dies nennen sie den Äther, das aber, was weiter abwärts liegt,
die Luft. Die Erde und das Wasser jedoch seien, da schwerer und mehr abwärtsstrebend,
im Zwischenraum befestigt, so daß einander gegenüber unten die Erde und das Wasser
ist — das Wasser ist leichter als die Erde, darum ist es beweglicher als sie —, oben aber
ringsum auf allen Seiten wie ein Umwurf die Luft, und um die Luft auf allen Seiten der
Äther, außerhalb allem jedoch im Umkreis der Himmel.

Weiter behaupten sie, der Himmel bewege sich kreisförmig und halte das, was sich inner-
halb befindet, zusammen, und so bleibe es fest und falle nicht.

Ferner nehmen sie sieben Zonen des Himmels an, die eine höher als die andere. Er selbst,
sagen sie, sei von sehr feiner Natur wie Rauch, und in jeder Zone sei einer der Planeten.
Es gebe nämlich, so behaupten sie, sieben Planeten: Sonne, Mond, Jupiter, Merkur, Mars,
Venus und Saturn. Die Venus, sagen sie, sei bald Morgen-, bald Abendstern. Planeten aber
nannten sie diese, weil sie eine dem Himmel entgegengesetzte Bewegung machen. Denn
während der Himmel und die übrigen Gestirne sich von Aufgang gegen Untergang bewe-
gen, haben diese allein ihre Bewegung von Untergang gegen Aufgang. Das werden wir am
Mond bemerken, der jeden Abend ein wenig rückwärts geht.

Alle, die den Himmel für kugelförmig erklärten, schreiben ihm gleichen Abstand und
Entfernung von der Erde zu, sowohl von oben, wie nach den Seiten und von unten. Von
unten und nach den Seiten, sage ich, soweit unsere sinnliche Wahrnehmung in Betracht
kommt. Denn, wie aus dem Gesagten folgt, nimmt der Himmel von allen Seiten den oberen
Raum und die Erde den unteren ein. Und sie sagen, der Himmel drehe sich im Kreise um
die Erde und trage durch seine äußerst schnelle Bewegung Sonne, Mond und die Sterne
mit herum, und, wenn die Sonne über der Erde sei, dann sei es hier Tag, unter der Erde
aber Nacht. Wenn jedoch S. 54 die Sonne unter die Erde hinabsteige, dann sei es hier Nacht,
dort aber Tag.

Andere dagegen stellten sich den Himmel als eine Halbkugel vor, weil der göttliche David
sagt: „Der den Himmel ausspannt wie ein Fell“ 171 , was soviel als Zelt bedeutet, und der se-
lige Isaias: „Der den Himmel befestigt wie ein Gewölbe 172 “, und weil die Sonne, der Mond
171
Ps. 103, 2 [hebr. Ps. 104, 2].
172
Is. 40, 22 nach LXX [Septuaginta].

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und die Sterne bei ihrem Untergang die Erde von Westen gegen Norden umkreisen und so
wiederum zum Aufgang gelangen. Doch, ob so oder so, alles ist durch den göttlichen Befehl
geschaffen und begründet und hat den göttlichen Willensbeschluß zur unerschütterlichen
Grundlage. „Denn er sprach, und sie wurden; er befahl, und sie wurden geschaffen. Er gab
ihnen Bestand für alle Ewigkeit; er gab ein Gesetz und übertritt es nicht 173 .“

„Himmel des Himmels“ ist also der erste Himmel, der ober dem Firmamente ist. Siehe
da, zwei Himmel! Denn auch das Firmament nannte Gott Himmel 174 . Es pflegt aber die
göttliche Schrift auch die Luft Himmel zu nennen, weil sie oben gesehen wird. Denn sie
sagt: „Preiset ihn, all ihr Vögel des Himmels 175 “, d. i. der Luft. Die Luft ist ja der Aufent-
haltsort der Vögel, und nicht der Himmel. Siehe da, drei Himmel! Von diesen sprach der
göttliche Apostel 176 . Willst du aber auch die sieben [Planeten-] Zonen als sieben Himmel
fassen, so tut das dem „Wort der Wahrheit 177 “ durchaus keinen Eintrag 178 . Es pflegt auch
die hebräische Sprache statt [der Einzahl] der Himmel die Mehrzahl: die Himmel zu ge-
brauchen. S. 55 Indem sie also Himmel des Himmels sagen wollte, sagte sie Himmel der
Himmel, was Himmel des Himmels, der [Himmel] ober dem Firmament, bedeutet, und
[sie sagte] „die Wasser ober den Himmeln“ 179 , indem die Luft und das Firmament oder die
sieben Zonen des Firmaments oder das Firmament nach dem hebräischen Sprachgebrauch
mit dem Plural Himmel bezeichnet werden.

Alle geschaffenen Dinge unterliegen naturgemäß der Vergänglichkeit, auch die Himmel.
180
. Durch die Gnade Gottes werden sie jedoch erhalten und bewahrt. Nur das göttliche
Wesen ist seiner Natur nach ohne Anfang und ohne Ende. Darum heißt es auch: „Sie gehen
unter, du aber bleibst 181 .“ Doch werden die Himmel nicht vollständig vergehen. Denn sie
werden altern, und wie ein Mantel werden sie aufgerollt und geändert werden 182 , und es
wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein 183 .

Der Himmel ist vielmal größer als die Erde. Nach dem Wesen des Himmels zu forschen,
ist jedoch nicht nötig, denn es ist für uns unerkennbar.

Niemand soll die Himmel oder die Himmelslichter für beseelt halten, denn sie sind unbe-
173
Ps. 148, 5 f. [hebr. Ps. 148, 5 f.].
174
Gen. 1, 8.
175
Dan. 3, 80 nach der Vulgata, 3, 57 nach LXX [Septuaginta].
176
2 Kor. 12, 2.
177
Eph. 1, 13; Kol. 1, 5; 2 Tim. 2, 15; Jak. 1, 18.
178
Johannes nimmt also drei Himmel an: die Luft, das Firmament und die sternlose Sphäre. Die Väter hüteten
sich, die Zahl der Himmel zu vermehren, um nicht die Gnostiker zu begünstigen, von denen einige sieben,
manche sogar 365 Himmel zählten. Migne, P. gr. 94, 880 A (58).
179
Ps. 148, 4 [hebr. Ps. 148, 4].
180
Die Vertreter der aristotelischen Richtung lehrten die Unvergänglichkeit des Himmels.
181
Ps. 101, 27 [hebr. Ps. 102, 27].
182
Ebd. [Ps.] 101, 27 nach LXX [hebr. Ps. 102, 27]; Hebr. 1, 11 f.
183
Offenb. 21, 1; vgl. 2 Petr. 3, 13.

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seelt und empfindungslos 184 . Deshalb ruft die göttliche Schrift, wenn sie auch sagt: „Freuen
sollen sich die Himmel, und frohlocken soll die Erde 185 “, die Engel im Himmel und die
Menschen auf der Erde zur Freude auf. Es weiß die Schrift zu personifizieren und vom
Unbeseelten gleichwie von Beseeltem zu sprechen. Z. B.: „Das Meer schaute und floh; der
Jordan wandte sich zurück 186 .“ Und: „Was ist dir, o Meer, daß du fliehst? Und dir, o S. 56
Jordan, daß du dich zurückwendest 187 ?“ Auch Berge und Hügel werden um den Grund
ihres Hüpfens gefragt 188 . So pflegen auch wir zu sagen: Die Stadt versammelte sich. Da-
mit wollen wir nicht die Häuser, sondern die Bewohner der Stadt bezeichnen. Und: „Die
Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes189 .“ Sie geben zwar keinen für sinnliche Ohren
vernehmbaren Laut von sich, aber durch die Größe, die ihnen eigen ist, stellen sie uns die
Macht des Schöpfers dar. Wir betrachten ihre Schönheit und preisen den Schöpfer als den
trefflichsten Künstler.

VII. KAPITEL. Von Licht, Feuer, Leuchtkörpern, Sonne, Mond und Sternen.

Das Feuer ist eines der vier Elemente, leicht und mehr aufwärtsstrebend als die andern,
brennend und leuchtend zugleich, am ersten Tage vom Schöpfer geschaffen. Es sagt ja die
göttliche Schrift: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht 190 .“ Das Feuer ist
nicht, wie einige sagen, etwas anderes als das Licht. Andere behaupten, es (� das Licht) sei
das kosmische Feuer über der Luft, das sie Äther nennen. Im Anfang also oder am ersten
Tag schuf Gott das Licht, den Schmuck und die Zierde der ganzen sichtbaren Schöpfung.
Denn, nimm das Licht weg, und alles bleibt in der Finsternis unerkennbar, es kann seine
Schönheit nicht zeigen. „Es nannte aber Gott das Licht Tag, die Finsternis aber nannte er
Nacht 191 .“ Finsternis ist keine Wesenheit (Substanz), sondern ein Akzidens, denn sie ist
Beraubung des Lichtes. Die Luft besitzt ja nicht in ihrer Wesenheit das Licht. Gerade das
Lichtberaubtsein der Luft also nannte Gott Finsternis. Und nicht die Wesenheit der Luft ist
Finsternis, sondern die S. 57 Beraubung des Lichtes. Dies zeigt doch viel mehr ein Akzidens
als eine Wesenheit an. Es ward aber nicht zuerst die Nacht, sondern der Tag genannt. Daher
ist zuerst der Tag und danach die Nacht. Es folgt also die Nacht dem Tag, und von Beginn
des einen Tages bis zum andern ist ein Tag und eine Nacht (� ein Tag). Es sagt ja die Schrift:
„Und es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag 192 .“
184
Damit wendet sich Johannes gegen Platoniker, Manichäer und Origenisten, die die Gestirne für beseelte
Wesen hielten.
185
Ps. 95, 11 [hebr. Ps. 96, 11].
186
Ebd. [Ps.] 113, 3 [hebr. Ps. 114, 3].
187
Ps. 113, 5 [hebr. Ps. 114, 5].
188
Ebd. [Ps.] 113, 6 [hebr. Ps. 114, 6].
189
Ebd. [Ps.] 18, 2 [hebr. Ps. 19, 2].
190
Gen. 1, 3.
191
Ebd. [Gen.] 1, 5.
192
Gen. 1, 5.

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In den drei Tagen also, da auf den göttlichen Befehl das Licht sich ausbreitete und zusam-
menzog, ward der Tag und die Nacht. Am vierten Tage aber schuf Gott die große Leuchte
oder die Sonne, auf daß sie den Tag beherrsche und regiere 193 — denn durch sie wird der
Tag bewirkt; Tag ist es nämlich, wenn die Sonne über der Erde ist, und eine Tagesdauer ist
der Lauf der Sonne über der Erde vom Aufgang bis zum Untergang —, und die kleinere
Leuchte oder den Mond und die Sterne, um die Nacht zu beherrschen und zu regieren und
sie zu erleuchten 194 . Nacht ist es, wenn die Sonne unter der Erde ist, und eine Nachtdauer
ist der Lauf der Sonne unter der Erde vom Untergang bis zum Aufgang. Der Mond und
die Sterne also sind bestimmt, die Nacht zu erleuchten; nicht als ob sie bei Tag stets unter
der Erde wären — es sind ja auch bei Tag Sterne am Himmel über der Erde —, aber die
Sonne verbirgt diese zugleich und den Mond durch ihren helleren Glanz und läßt sie nicht
scheinen.

Diesen Leuchten hat Gott das erstgeschaffene Licht (� Urlicht) gegeben, nicht als ob es
ihm an anderem Licht gebrochen, sondern damit jenes Licht nicht unnütz bleibe. Denn
Leuchte (Leuchtkörper) ist nicht das Licht selbst, sondern ein Lichtträger.

Zu diesen Leuchten zählen die sieben Planeten. Sie sollen eine dem Himmel entgegen-
gesetzte Bewegung haben. Darum hat man sie Planeten genannt. Denn der Himmel, sagt
man, bewege sich von Aufgang gegen Untergang, die Planeten dagegen von Untergang ge-
gen S. 58 Aufgang, der Himmel aber trage durch seine schnellere Bewegung die sieben
Planeten mit sich. Die Namen der sieben Planeten sind folgende: Mond, Merkur, Venus,
Sonne, Mars, Jupiter, Saturn. In jeder Himmelszone aber befinde sich einer von den sieben
Planeten:

In der ersten oder der obersten der Saturn. � In der zweiten der Jupiter. In der dritten der
Mars. � In der vierten die Sonne. � In der fünften die Venus. � In der sechsten der Merkur.
� In der siebten und untersten der Mond. �

Sie nehmen unaufhörlich ihren Lauf ein, wie ihn der Schöpfer ihnen bestimmt hat, und
so, wie er sie gegründet hat — nach dem Worte des göttlichen David: „Mond und Sterne,
die du gegründet hast 195 .“ Denn durch den Ausdruck: „Du hast gegründet“ bezeichnete
er das Feste und Unveränderliche der ihnen von Gott gegebenen Ordnung und Stellung.
Denn er bestimmte sie „zu Zeiten und Zeichen, zu Tagen und Jahren 196 “. Durch die Sonne
werden nämlich die vier Jahreszeiten bestimmt. Die erste ist der Frühling. Denn in ihr hat
Gott alles geschaffen. Das beweist der Umstand, daß in ihr bis heute noch das Sprossen der
Blüten vor sich geht. Sie ist auch die Zeit der Tag- und Nachtgleiche. Sie macht sowohl den
193
Ebd. [Ps.] 1, 16 [hebr. Ps. 1, 16]; Ps. 135, 8 [hebr. Ps. 136, 8].
194
Gen. 1, 16; Ps. 135, 9 [hebr. Ps. 136, 9].
195
Ps. 8, 4 [hebr. Ps. 8, 4].
196
Gen. 1, 14.

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Tag wie die Nacht zwölf Stunden lang. Sie wird durch den mittleren Aufgang der Sonne
bestimmt, ist gemäßigt, blutmehrend, warm und feucht, hält sich in der Mitte zwischen
Winter und Sommer, ist wärmer und trockener als der Winter, kälter und feuchter aber
als der Sommer. Diese Zeit erstreckt sich vom 21. März bis zum 24. Juni. Dann, wenn sich
der Aufgang der Sonne gegen die nördlicheren Teile erhebt, folgt die Sommerzeit. Sie hält
die Mitte zwischen dem Frühling und dem Herbst: vom Frühling hat sie die Wärme, vom
Herbst aber die Trockenheit. Denn sie ist warm und trocken und vermehrt die gelbe Gal-
le. Sie hat den längsten Tag von fünfzehn Stunden und die kürzeste S. 59 Nacht mit einer
Dauer von neun Stunden. Sie reicht vom 24. Juni bis zum 25. September. Dann, wenn die
Sonne wieder zum mittleren Aufgang zurückkehrt, löst die Herbstzeit die Sommerzeit ab,
sie hält gewissermaßen die Mitte zwischen Kälte und Wärme, Trockenheit und Feuchtig-
keit, und sie hält sich in der Mitte zwischen Sommer und Winter: vom Sommer hat sie
die Trockenheit und vom Winter die Kälte. Denn sie ist kalt und trocken und vermehrt
die schwarze Galle. Sie ist wiederum die Zeit der Tag- und Nachtgleiche, an ihr hat sowohl
der Tag wie die Nacht zwölf Stunden. Sie reicht vom 25. September bis zum 25. Dezember.
Steigt aber die Sonne zum kleinsten und niedrigsten oder zum südlichen Aufgang hinab,
dann kommt die Winterszeit. Sie ist kalt und feucht und hält die Mitte zwischen der Herbst-
und Frühlingszeit: von der Herbstzeit hat sie die Kälte, von der Frühlingszeit besitzt sie die
Feuchtigkeit. Sie hat den kürzesten Tag von neun Stunden und die längste Nacht von fünf-
zehn Stunden. Sie vermehrt das Phlegma. Sie reicht vom 25. Dezember bis zum 21. März.
Weise hat der Schöpfer vorgesorgt, daß wir nicht durch den Übergang von der höchsten
Kälte oder Wärme oder Nässe oder Dürre zum äußersten Gegenteil in schwere Krankheit
fallen. Als gefährlich erkennt nämlich die Vernunft die plötzlichen Übergänge.

So bewirkt also die Sonne die Jahreszeiten und durch sie das Jahr, ebenso die Tage und
die Nächte: erstere, indem sie aufgeht und über der Erde steht, letztere, indem sie unter die
Erde sinkt. Und sie überläßt und übergibt den andern das Leuchten, dem Mond und den
Sternen das Licht.

Sie sagen aber auch, es seien am Himmel zwölf Sternbilder, die eine der Sonne und dem
Monde und den fünf andern Planeten entgegengesetzte Bewegung haben, und durch die
zwölf Sternbilder gingen die sieben [Planeten]. Die Sonne nun vollendet in jedem Sternbild
einen Monat und durchwandert in den zwölf Monaten die zwölf Sternbilder. Die Namen
der zwölf Sternbilder und deren Monate sind folgende:

Der Widder � nimmt die Sonne am 21. März auf. Der Stier � am 23. April. S. 60 Die
Zwillinge � am 24. Mai. Der Krebs � am 24. Juni. Der Löwe � am 25. Juli. Die Jungfrau �
am 25. August. Die Wage � am 25. September. Der Skorpion � am 25. Oktober. Der Schütze
� am 25. November. Der Steinbock � am 25. Dezember. Der Wassermann � am 25. Januar.
Die Fische � am 24. Februar.

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Der Mond � aber durchwandert in jedem Monat die zwölf Sternbilder, weil er weiter
unten ist und diese schneller durchläuft. Machst du einen Kreis in einem andern Kreis,
so wird der innere Kreis als kleiner erscheinen. Ebenso ist auch der Lauf des Mondes, der
weiter unten ist, kleiner und wird schneller vollendet.

Die Heiden behaupten nun, durch den Auf- und Untergang und das Zusammentreffen
dieser Gestirne, der Sonne und des Mondes würden alle unsere Angelegenheiten gelenkt
— damit beschäftigt sich die Astrologie —, wir jedoch erklären sie zwar für Zeichen von
Regen und Regenmangel, Kälte und Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit, von Winden 197
u. dgl., aber durchaus nicht von unseren Handlungen. Wir, die vom Schöpfer einen freien
Willen erhalten haben, sind ja Herren unseres Handelns. Denn wenn wir alles infolge der
Bewegung der Sterne tun, dann tun wir das, was wir tun, gezwungen. Was aber gezwungen
geschieht, ist weder Tugend noch Schlechtigkeit. Besitzen wir jedoch weder Tugend noch
Schlechtigkeit, dann verdienen wir weder Belobungen noch Strafen. Es wird aber auch
Gott als ungerecht erscheinen, wenn er den einen Güter, den anderen Drangsale gibt. Aber
auch Gottes Leitung und Vorsehung werden seine Geschöpfe nicht S. 61 erfahren, wenn
alles Tun und Handeln aus Zwang geschieht. Auch die Vernunft wird bei uns überflüssig
sein. Denn sind wir über keine Handlung Herr, dann ist unser Überlegen überflüssig. Die
Vernunft ist uns aber sicherlich zum Zwecke der Überlegung gegeben. Darum hat alles
Vernünftige auch einen freien Willen 198 .

Wir sagen: Sie (� die Gestirne) sind nicht Ursachen von irgend etwas, das geschieht, we-
der von der Entstehung dessen, was entsteht, noch vom Untergang dessen, was vergeht,
sondern vielmehr Anzeichen von Regen und Luftveränderung. Vielleicht könnte aber je-
mand sagen, sie seien auch von Kriegen zwar nicht Ursachen, aber doch Zeichen 199 . Auch
die Beschaffenheit der Luft, die von Sonne, Mond und den Sternen herrühre, bewirke so
oder anders verschiedene Temperamente, Stimmungen und Zustände. Die Stimmungen
gehören zu dem, was in unserer Macht liegt. Denn sie stehen, wie sich gebührt, unter der
Herrschaft und Leitung der Vernunft.

Es erscheinen aber oft auch Kometen, gewisse Zeichen, die den Tod von Königen an-
kündigen. Diese gehören nicht zu den von Anfang geschaffenen Gestirnen (Urgestirnen),
sondern sie entstehen durch den göttlichen Befehl genau zur festgesetzten Zeit und lösen
197
So deuten die meisten altchristlichen Exegeten die Genesisstelle 1, 14: „Sie (die Leuchten) sollen Zeichen
sein“, z. B. Basilius (in Hexaem. Hom. VI. 4. Migne, P. gr. 29, 125), Chrysostomus (in Genes. Hom. VI, 5.
Migne, P. gr. 53, 59 - 60), Severian, Bischof von Gabala in Syrien, gest. nach 408, (Or. III, 3 in mundi crea-
tionem. Migne, P. gr. 56, 450. Zellinger, Die Genesishomilien des Bischofs Severian von Gabala, Münster
1916, S. 86).
198
Den heidnischen Irrtum, daß die Gestirne die Geschicke und Angelegenheiten der Menschen bestimmen,
hat auch Nemesius (De nat. hom. c. 35 u. 36 I. c. S. 289—298) eingehend widerlegt.
199
Severian von Gabala läßt Krieg und Frieden in den Sternen lesen (Orat. III, 3. Migne, P. gr. 56, 450. Zel-
linger, a. a O. S. 86).

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sich wieder auf. Es befand sich ja auch der Stern, der zur Zeit der unsertwegen im Fleische
erfolgten, menschenfreundlichen und heilbringenden Geburt des Herrn von den Magiern
gesehen ward 200 , nicht unter den am Anfang geschaffenen Gestirnen. Das erhellt daraus,
daß er seinen Lauf bald von Aufgang nach Untergang, bald von Norden nach Süden nahm,
daß er bald sich verbarg, S. 62 bald sich zeigte. Denn das liegt nicht in der Ordnung oder
Natur der Gestirne.

Man muss wissen, daß der Mond von der Sonne beleuchtet wird, nicht als hätte Gott kei-
ne Mittel und Wege gewußt, um ihm eigenes Licht zu gewähren, nein, es sollte Harmonie
und Ordnung, wonach der eine herrscht, der andere beherrscht wird, in die Schöpfung
gelegt werden, und wir sollten lernen, einander mitzuteilen und zu geben und Untertan zu
sein, zuerst dem Schöpfer und Bildner, Gott dem Herrn, dann aber den von ihm bestellten
Herrschern, und nicht lange zu fragen: Warum herrscht der, ich aber nicht?, sondern alles,
was von Gott ist, in dankbarer, guter Gesinnung anzunehmen.

Die Sonne und der Mond verfinstern sich. Sie beweisen dadurch den Unverstand derer,
die die Schöpfung mehr als den Schöpfer verehren 201 . Sie lehren, daß sie wandelbar und
veränderlich sind. Alles Wandelbare aber ist nicht Gott, denn alles Wandelbare ist seiner
Natur nach vergänglich.

Die Sonne verfinstert sich, wenn der Mondkörper wie eine Wand dazwischen tritt, Schat-
ten wirft und kein Licht uns zukommen läßt. Die Größe, in der der Mondkörper erscheint,
der die Sonne verbirgt, erhält auch die Verfinsterung. Wundere dich nicht, wenn der Mond-
körper kleiner ist! Denn auch die Sonne gilt manchen als vielmal größer wie die Erde, den
heiligen Vätern aber als der Erde gleich, und doch verbirgt oft eine kleine Wolke oder ein
kleiner Hügel oder eine Wand dieselbe.

Die Verfinsterung des Mondes tritt durch den Schattenwurf der Erde ein, wenn der Mond
den fünfzehnten Tag erreicht und sich ihr gegenüber in der Höhenmitte [des Erdschattens]
zeigt — die Sonne unter der Erde, der Mond aber über der Erde. Denn die Erde wirft einen
Schatten, und es kann das Sonnenlicht den Mond nicht beleuchten, darum verfinstert er
sich.

Man muß ferner wissen, daß der Mond vom Schöpfer als Vollmond, d. h. so, wie er am
fünfzehnten Tage S. 63 ist, geschaffen wurde. Denn es ziemte sich, daß er vollkommen ge-
schaffen wurde. Am vierten Tage ward, wie gesagt, die Sonne geschaffen. Er ist also der
Sonne um elf Tage voraus. Denn vom vierten Tage bis zum fünfzehnten sind elf. Deshalb
haben auch in einem Jahre die zwölf Mondmonate elf Tage weniger als die zwölf Sonnen-
200
Matth. 2, 2. Über den „Stern der Weisen“ handelt ausführlich Steinmetzer: Die Geschichte der Geburt
und Kindheit Christi, Münster 1910, S. 84—109. Derselbe: Der Stern von Bethlehem, Münster 1913 (b0ibl.
Zeitfrag., 6. Folge, Heft 3, S. [83�[120).
201
Röm. 1, 25.

42
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monate. Denn die Sonnenmonate haben 365 1/4 Tage. Nimmt man nun das ein Viertel in
je vier Jahren zusammen, so macht das einen Tag aus, der Schalttag heißt. Und jenes Jahr
hat 366 Tage. Die Mondjahre aber haben 354 Tage. Denn der Mond wächst von der Zeit
an, da er geboren oder erneuert wird, bis er 14 3/4 Tage alt ist, er nimmt allmählich bis zu
29 1/2 Tagen ab und ist dann völlig unbeleuchtet. Nun nimmt er die Sonne wieder auf und
wird wiedergeboren und erneuert — er erinnert uns an unsere Auferstehung. Jedes Jahr
also zahlt er die elf Tage an die Sonne ab 202 . Daher ist in je drei Jahren bei den Hebräern
ein Schaltmonat, und es zeigt sich, daß jenes Jahr infolge der Zulage von den [dreimal] elf
Tagen dreizehn Monate hat.

Es ist klar, daß die Sonne, der Mond und die Gestirne zusammengesetzt sind und gemäß
ihrer Natur der Vergänglichkeit unterliegen. Ihre Natur jedoch kennen wir nicht. Einige
behaupten nun, das Feuer sei außerhalb eines Stoffes unsichtbar. Daher verschwindet es
auch, wenn es erlöscht. Andere aber sagen, es verwandle sich beim Erlöschen in Luft 203 .

S. 64 Der Tierkreis bewegt sich schief, er ist in zwölf Abschnitte geteilt, die Sternbilder
heißen. Das Sternbild hat drei Zehnteile, dreißig Grade, der Grad hat sechzig Minuten. Es
hat also der Himmel 360 Grade, die Halbkugel über der Erde 180 Grade und die unter der
Erde 180.

Planetenhäuser 204 .

Widder und Skorpion [sind Häuser] des Mars, Stier und Wage der Venus, Zwillinge und
Jungfrau des Merkur, Krebs [ist Haus] des Mondes, Löwe der Sonne, Schütze und Fische
[sind Häuser] des Jupiter, Steinbock und Wassermann des Saturn.

Höhen.

Der Widder [hat die Höhe] der Sonne, der Stier die des Mondes, der Krebs die des Jupiter,
die Jungfrau die des Mars, die Wage die des Saturn, der Steinbock die des Merkur, die Fische
[haben die Höhe] der Venus.

Die Gestalten (Phasen) des Mondes.


202
Hier ist Severian von Gabala (Orat. III, 2. Migne, P, gr. 56, 449) Gewährsmann für Johannes. Severian selbst
hat, wie Zellinger (a. a. O. S. 84 f.) nachgewiesen, Ephräm den Syrer (Opera omnia, quae exstant Graece,
Syriace, Latine, ed. Petrus Benedictus I (Romae 1737) 16 D—17 E) als Quelle benützt. Nach Severian
wurde der Mond als Vollmond geschaffen. Obwohl er am vierten Weltentage erst eine viertägige Sichel
sein durfte, zeigte er das Bild des vierzehn Tage alten Mondes. Infolgedessen hatte er nach der Meinung
Severians einen Vorsprung von elf Tagen. Dieses Mehr* zahlt* der Mond während des Jahres* an die Sonne
ab* (* ἀποδίδωσι τῷ ἡλίω* [apodidōsi tō hēliō]— Johannes gebraucht dieselbe Wendung). Daher komme
es, daß Sonnen- und Mondjahr um elf Tage differieren.
203
Nemes., De nat. hom., ed. Chr. F. Matthaei, Halle 1802, S. 157.
204
Auch Planetenstationen genannt. Sie sind, wie neuere Forschungen ergeben haben, babylonischen Ur-
sprungs und sehr alt. Sie bestehen aus mehreren auffälligeren Sternen und hatten den Zweck, den Lauf
der Planeten dem Gedächtnis einzuprägen.

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Ein Zusammentreffen (eine Konjunktion) [des Mondes mit der Sonne findet statt], wenn
er in demselben Grade steht, in dem die Sonne ist. Er wächst, wenn er 15 Grade von der
Sonne absteht. Er geht auf, wenn er sichelförmig erscheint, zweimal, sobald er 60 Grade
entfernt ist. Er ist zweimal halbvoll bei einer Entfernung von 90 Grad, zweimal überhalb-
voll bei einer Entfernung von 120 Grad, zweimal fast voll und fast ganz leuchtend bei einer
Entfernung von 150 Grad, Vollmond bei einer Entfernung von 180 Grad. „Zweimal“, sag-
ten wir, nämlich einmal beim Zunehmen und einmal beim Abnehmen. In 2 1/2 Tagen
durchwandert der Mond jedes Sternbild.

VIII. KAPITEL. Von der Luft und den Winden.

S. 65 * Die Luft ist ein* sehr feines* Element 205 ,* feucht und warm, schwerer als das Feuer,
aber leichter als die Erde und die Wasser, Grund des Atemholens und der Stimme, farblos,
d. h. von Natur aus ohne Farbe, durchsichtig, durchscheinend, denn sie nimmt das Licht
auf. Sie dient dreien unserer Sinne. Denn durch sie sehen, hören, riechen wir. Sie nimmt
Wärme und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit an, und all ihre örtlichen Bewegungen
sind: aufwärts, abwärts, hinein, heraus, nach rechts und links, und die Kreisbewegung.

Von Haus aus besitzt sie kein Licht, sondern wird von Sonne, Mond und Sternen und vom
Feuer beleuchtet. Und das ist es, was die Schrift sagt: „Finsternis war über dem Abgrund
206
.“ Damit will sie zeigen, daß die Luft das Licht nicht von Haus aus besitze, sondern die
Wesenheit des Lichtes eine andere sei.

Wind ist Luftbewegung oder* Wind ist ein Luftstrom, der entsprechend dem Wechsel
der Orte, von denen er kommt, seine Namen ändert 207 .*

Die Luft hat auch ihren Ort. Denn Ort eines jeden Körpers ist dessen Umgebung. Was
aber umgibt die Körper außer Luft? Es gibt jedoch verschiedene Orte, woher die Bewegung
der Luft kommt, von denen auch die Winde ihre Namen haben. Im ganzen sind es zwölf.
Man sagt,* die Luft sei ein erloschenes Feuer oder ein Dunst erhitzten Wassers. Es ist daher
die Luft ihrer Natur nach warm. Sie wird jedoch durch ihre Annäherung an das Wasser und
die Erde abgekühlt, so daß ihre unteren Teile kalt, die oberen aber warm sind 208 .*

Winde wehen: Vom sommerlichen Aufgang [der Sonne] der Kaikias oder auch Meses
(� der Nordostwind), vom äquinoktialischen Aufgang der Ostwind, vom winterlichen
Aufgang der Südostwind, vom winterlichen S. 66 Untergang der Südwestwind, vom
äquinoktialischen Untergang der Westwind, vom sommerlichen Untergang der Agrestes
oder Olympias oder auch Japyx (� der Nordwestwind). Dann der Süd- und Nordwind, die
205
Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 252, 9.
206
Gen. 1, 2.
207
Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 252, 11 f.
208
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Nemes., De nat. hom. c. 5, Halle 1802, S. 157.

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einander entgegenwehen. Zwischen Nord- und Nordostwind aber der Nordnordostwind,


zwischen Südost- und Südwind der Phoinikias, der sog. Euronotos (� der Südsüdost-
wind), zwischen dem Nord- und Nordwestwind aber der Thraskias, von den Umwohnern
Kerkios genannt (� der Nordnordwestwind).

Völker 209 wohnen: An den Grenzen [der Erde] gegen Osten die Baktrianer, gegen Südos-
ten die Indier, gegen Südsüdost [liegt] das Rote Meer und Äthiopien; gegen Südsüdwesten
[wohnen] die Garamanten 210 jenseits (� südlich) der Syrte, gegen Südwesten die Äthiopen
und westlichen Mauren, gegen Westen [sind] die Säulen [des Herkules] und die Anfänge
von Libyen und Europa, gegen Nordwesten [ist] Iberien, jetzt Spanien, gegen Nordnord-
westen [wohnen] die Kelten und angrenzende Völker, gegen Norden die hyperthrakischen
Skythen, gegen Nordnordost [sind] der Pontus, die Mäotis und die Sarmaten, gegen Nord-
osten das Kaspische Meer und die Saken.

IX. KAPITEL. Von den Wassern.

Auch das Wasser ist eines der vier Elemente, ein überaus schönes Gottesgebilde. Das Was-
ser ist ein nasses und kaltes, schweres und abwärtsstrebendes, leicht zerfließendes Element.
Seiner erwähnt die göttliche Schrift, wenn sie sagt: „Und Finsternis war über dem Abgrund,
und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser 211 .“ Abgrund ist nichts anderes als viel
Wasser, dessen Ende für Menschen unerreichbar ist. Am Anfang überflutete das Wasser die
ganze Erde. Zuerst schuf Gott das Firmament, welches das Wasser ober S. 67 dem Firma-
ment vom Wasser unter dem Firmament schied 212 . Denn es ward inmitten des Abgrunds
der Wasser durch den Befehl des Herrn festgemacht. Deshalb sprach ja Gott, es solle eine
Feste werden, und es geschah 213 . Weshalb aber brachte Gott ober dem Firmamente Wasser
an? Wegen der äußerst heißen Glut der Sonne und des Äthers. Denn gleich nach dem Fir-
mament ist der Äther ausgebreitet. Auch die Sonne mit dem Mond und den Sternen sind
am Firmament. Läge nicht Wasser darüber, so würde vor Hitze das Firmament verbrennen
214
.
209
Folgender Abschnitt fehlt in den meisten Handschriften.
210
Ein Volk in Afrika im heutigen Fessan, südlich der Großen und Kleinen Syrte.
211
Gen. 1, 2.
212
Gen. 1, 7.
213
Ebd. [Gen.] 1, 6.
214
Johannes teilt hier die plumpe, realistische Auffassung des Bischofs Severian von Gabala in Syrien. Dieser
denkt sich die Bildung des Firmaments buchstäblich als Entstehung eines* στερέωμα* [stereōma] (Feste)
inmitten des Wassers. Zur Veranschaulichung setzt er den Fall, die Wasser hätten dreißig Ellen über der
Erdoberfläche gestanden. Auf den göttlichen Befehl: „Es werde ein Firmament inmitten der Wasser und es
scheide Wasser von Wassern“ (Gen. 1, 6) „bildete sich in der Mitte dieser Wasserschichte eine kristallartige
Feste, die mit der über ihr lastenden Ozeanhälfte sich in die Höhe hob zur jetzigen Lage des Firmamentes,
während die untere Wasserhälfte weiterhin die Erde überflutete“. (Or. II, 3 in mundi creationem. Migne, P.
gr. 56, 442. Vgl. Or. III, 6 l. c. 454. Zellinger, a. a. O. S. 75). Im Grunde vertritt Severian in diesem Punkte

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Sodann befahl Gott, die Wasser sollen sich sammeln an* einen* Sammlungsort 215 . Der
Ausdruck* „ein* Sammlungsort“ bedeutet nicht, daß sie sich an* einem* Orte sammelten.
Denn sieh, hernach heißt es: „Und die Ansammlungen der Wasser nannte er Meere 216 .“
Nein, der Ausdruck zeigt an, daß die Wasser auf einmal für sich, getrennt von der Erde,
entstanden. Es sammelten sich also die Wasser an ihre Sammlungsorte, und es erschien
das Trockene 217 . Daher die zwei Meere 218 , die Ägypten S. 68 umgeben, denn dieses liegt
zwischen zwei Meeren. Es sammelten sich verschiedene Meere, die Berge, Inseln, Vorgebir-
ge und Häfen haben und verschiedene Busen, Flach- und Steilküsten umgeben. Flachküste
(Strand) heißt die sandige [Küste], Steilküste die felsige, an der das Meer tief ist, die gleich
am Anfang eine Tiefe hat. In gleicher Weise [sammelte sich] auch das gegen Aufgang ge-
legene Meer, welches das Indische heißt, und das nordische, welches das Kaspische heißt.
Auch die Seen sammelten sich von da an.

Der Ozean umkreist wie ein Fluß die ganze Erde. Von ihm hat, wie mir scheint, die gött-
liche Schrift gesagt: „Ein Fluß geht aus vom Paradiese 219 .“ Er hat trinkbares und süßes
Wasser. Er liefert das Wasser den Meeren. Ist dieses eine Zeitlang in den Meeren und steht
es unbewegt, dann wird es bitter. Denn die Sonne und die Wasserhosen ziehen das Feinere
in die Höhe. Daher bilden sich auch die Wolken und entstehen die Regengüsse. Mittels der
Durchseihung wird das Wasser süß.

Dieser [Ozean] teilt sich auch in vier Anfänge oder in vier Flüsse. Der Name des ersten
ist Phison, d. i. der indische Ganges. Der Name des zweiten ist Gehon, d. i. der Nil, der
von Äthiopien nach Ägypten hinabfließt. Der Name des dritten ist Tigris und der Name
des vierten Euphrat 220 . Es gibt aber auch sehr viele und sehr große andere Flüsse, wovon
die einen sich in das S. 69 Meer entleeren, die andern auf der Erde verschwinden. Darum
ist die ganze Erde durchlöchert und unterwühlt, sie hat gleichsam Adern, durch die sie
nur die Lehrmeinung der syrisch-antiochenischen Schule (Zellinger, a. a. O. S. 75 f.). Auch in der Frage
nach der Zweckbestimmung der Wasser ober dem Firmament schließt sich Johannes an den Bischof von
Gabala an (Or. II, 3 Migne, P. gr. 56, 442. Zellinger, a. a. O. S. 77).
215
Gen. 1, 9.
216
Ebd. [Gen.] 1, 10.
217
Ebd. [Gen.] 1, 9.
218
Das Mittelländische und das Rote Meer.
219
Gen. 2, 10.
220
Ebd. [Gen.] 2, 10—14. — Die Alten, z. B. der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, glaubten, der
Phison sei der große Strom Indiens, der Ganges (oder auch der Indus), der Gehon aber der Fluß Ägyptens,
der Nil. Sie kannten eben die Quellen des Nil und des Ganges (b0zw. des Indus) nicht, sie suchten diesel-
ben in Armenien bei den Quellen des Euphrat und Tigris. Vom Nil meinten sie, er umfließe in großem
Bogen Arabien und Äthiopien, werde dann der Fluß Ägyptens und münde ins Mittelländische Meer. Die
Alten vermuteten also in Armenien das Paradies. Nach Armenien verlegen es auch neuere Gelehrte, wie
Fr. Kaulen, G. Hoberg, M. Hetzenauer. Sie suchen den Phison und Gehon im Quellgebiet des Euphrat und
Tigris. Als Phison bezeichnen sie den Cyrus (Kur), der das Goldland Kolchis durchfließt, und als Gehon
den Araxes. Beide münden vereint ins Kaspische Meer.

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vom Meere die Wasser aufnimmt, die Quellen ergießt. Je nach der Beschaffenheit der Erde
also wird auch das Wasser der Quellen. Denn durch die Erde wird das Meerwasser geseiht
und geläutert und wird so süß. Ist aber der Ort, wo die Quelle entspringt, etwa bitter oder
salzig, so quillt je nach der Erde auch das Wasser hervor. Oft aber wird das Wasser, wenn es
eingeengt ist und mit Gewalt hervorbricht, warm. Daher kommen die von Natur warmen
Wasser.

Durch den göttlichen Befehl entstanden also Höhlungen in der Erde, und so sammelten
sich die Wasser an ihre Sammlungsorte. Dadurch sind auch die Berge entstanden 221 . Dem
Urwasser nun befahl Gott, lebendes Wesen hervorzubringen 222 . Denn durch das Wasser
und den Hl. Geist, der am Anfang über den Wassern schwebte 223 , wollte er den Menschen
erneuern 224 . Das sagte nämlich der göttliche Basilius 225 . Es (� das Urwasser) brachte Tiere
hervor, kleine und große, Meerungeheuer, Drachen, Fische, die in Wassern schwimmen,
und Flugtiere. Durch die Flugtiere also stehen das Wasser und die Erde und die Luft mit-
einander in Verbindung. Denn aus den Wassern sind diese entstanden, auf der Erde aber
leben sie und in der Luft fliegen sie. Ein ganz vortreffliches und ungemein nützliches Ele-
ment ist das Wasser, es reinigt von Schmutz, nicht bloß von körperlichem, sondern auch
von seelischem, wenn es die Gnade des Geistes aufnimmt.

Von den Meeren 226 .

Das Ägäische Meer nimmt der Hellespont auf, der bei Abydus und Sestus aufhört. Dann
die Propontis, S. 70 die bei Chalzedon und Byzanz aufhört; dort ist die Enge, mit der der
Pontus beginnt. Dann der Mäotische See (� das Asowsche Meer). Ferner am Anfang von
Europa und Libyen das Iberische Meer, von den Säulen [des Herkules] bis zu den Pyrenä-
en; das Ligurische Meer bis zu den Grenzen Tyrrheniens; das Sardinische, das sich jenseits
von Sardinien bis hinab gegen Libyen erstreckt; das Tyrrhenische, das bis Sizilien reicht
und am äußersten Ende Liguriens beginnt; dann das Libysche, dann das Kretische, Sizili-
sche, Jonische und das Adriatische, das sich aus dem Sizilischen Meere ergießt, das man
auch Korinthischen Meerbusen oder Alkyonisches Meer nennt. Das vom Sunischen und
Skilläischen [Meer] umfaßte Meer ist das Saronische. Dann das Myrtoische und Ikarische,
in dem auch die Cykladen sind. Dann das Karpathische, Pamphylische und Ägyptische.
Die Fahrt an Europa vorbei von der Mündung des Flusses Tanais (Don) bis zu den Säulen
des Herkules beträgt 609 709 Stadien; die an Libyen (Afrika) vorbei von Tingis 227 bis zur
221
Diese Vorstellung fand Johannes bei Severian von Gabala (Or. III, 1 Migne, P. gr. 56, 447—448. Zellinger,
a. a. O. S. 89).
222
Gen. 1, 20.
223
Ebd. [Gen.] 1, 2.
224
Vgl. Joh. 3, 5.
225
Homil. 2, 6 in Hexaem. Migne, P. gr. 29, 41 C—44 C.
226
Dieser Abschnitt fehlt in einigen Handschriften.
227
Jetzt Tanger.

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Kanopischen (oder westlichen) Nilmündung 209 252 Stadien; die Fahrt an Asien vorbei
von Kanopus bis zum Flusse Tanais nebst den Busen 4111 Stadien. Zusammen beträgt die
Küstenausdehnung unserer bewohnten Erde einschließlich der Busen 1 309 072 Stadien.

X. KAPITEL. Von der Erde und dem, was sie hervorgebracht.

Die Erde ist eines der vier Elemente, trocken und kalt, schwer und unbeweglich, von Gott
am ersten Tage aus dem Nichtsein ins Sein gerufen. Denn es heißt: „Im Anfang schuf Gott
den Himmel und die Erde 228 .“ Ihren Sitz und ihre Grundlage aber hat kein Mensch ange-
ben können. Die einen behaupten, sie sei über Wassern gegründet und befestigt, wie der
göttliche David sagt: „Der die Erde über Wassern befestigt 229 “, S. 71 die andern: über der
Luft. Ein anderer aber sagt: „Der die Erde über dem Nichts gegründet hat 230 .“ Und wie-
derum sagt der göttlich redende David gleichsam in der Person des Schöpfers: „Ich habe
ihre Säulen festgestellt 231 .“ Er hat die Kraft, die sie zusammenhält, Säulen genannt. Das
Wort aber: „Er hat sie über den Meeren gegründet 232 “, zeigt an, daß die Natur des Wassers
die Erde von allen Seiten umfließt. Ob wir nun zugeben, daß sie auf sich selbst oder über
der Luft oder über Wassern oder über dem Nichts gegründet ist, die fromme Gesinnung
dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen bekennen, daß alles zumal durch die Macht
des Schöpfers beherrscht und zusammengehalten wird.

Im Anfang also war sie (die Erde), wie die göttliche Schrift sagt, von Wassern bedeckt
und sie war nicht hergerichtet, d. h. sie hatte keinen Schmuck 233 . Auf Gottes Befehl aber
entstanden die Wasserbehälter, und dann traten die Berge ins Dasein, und auf den göttli-
chen Befehl erhielt sie ihren Schmuck, sie ward mit mannigfachen Kräutern und Pflanzen
geziert. In diese legte der göttliche Befehl die Kraft, sich zu vermehren, sich zu nähren, Sa-
men zu bilden, d. h. ihresgleichen zu erzeugen. Auf Befehl des Schöpfers brachte sie (� die
Erde) aber auch allerlei Arten von Tieren, kriechenden, wilden und zahmen hervor — alle
zum passenden Gebrauch des Menschen: die einen davon zur Nahrung, wie Hirsche, Scha-
fe, Rehe u. dgl., die andern zur Dienstleistung, wie Kamele, Rinder, Pferde, Esel u. dgl., die
andern zur Ergötzung, wie Affen, und unter den Vögeln Häher, Papageien u. dgl. Von den
Gewächsen und Pflanzen [brachte sie hervor] teils fruchttragende, teils eßbare, teils wohl-
riechende und bunte, zur Ergötzung uns geschenkte, wie die Rose u. dgl., teils Krankheiten
heilende. Gibt es doch kein Tier und kein Gewächs, in das der Schöpfer nicht eine Kraft
gelegt, die dem Nutzen der Menschen dient. Denn er, der alles weiß, eh’ es S. 72 geschieht
228
Gen. 1, 1.
229
Ps. 135, 6 [hebr. Ps. 136, 6].
230
Job 26, 7.
231
Ps. 74, 4 [hebr. Ps. 75, 4].
232
Ebd. [Ps.] 23, 2 [hebr. Ps. 24, 2].
233
Vgl. Gen. 1, 2.

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234
, wußte, daß der Mensch sich freiwilliger Übertretung schuldig machen und sich dem
Verderben überantworten werde. Darum hat er alles am Firmament, auf der Erde und in
den Wassern zu dessen passendem Gebrauch geschaffen.

Vor der Übertretung war alles dem Menschen untertan. Denn Gott hatte ihn zum Herr-
scher über alles auf Erden und in den Wassern gesetzt. Sogar die Schlange lebte vertraulich
mit dem Menschen zusammen, sie kam mehr als die andern zu ihm heran und verkehr-
te in ergötzlichen Bewegungen mit ihm. Daher gab durch sie der Urheber des Bösen, der
Teufel, den Stammeltern den so schlimmen Rat ein. Die Erde trug von selbst die Früchte
zum Bedarf der ihm untertänigen Tiere. Auch hatte die Erde weder Regen noch Winter.
Nach der Übertretung aber, als er „den unvernünftigen Tieren gleich und ihnen ähnlich
geworden 235 “, da er es in seinem Ungehorsam gegen das Gebot des Herrn dahin gebracht,
daß in ihm die unvernünftige Begierde über den vernünftigen Geist herrschte, empörte
sich gegen den, der vom Schöpfer zum Herrscher bestimmt war, die [ihm] untergebene
Schöpfung. Und es erging an ihn der Befehl, im Schweiße die Erde zu bearbeiten, von der
er genommen war 236 .

Aber auch jetzt sind die wilden Tiere nicht umsonst und unnütz da. Denn sie jagen Schre-
cken ein und treiben zur Erkenntnis und Anrufung Gottes, der sie geschaffen. Auch der
Dorn sproßte nach der Übertretung aus der Erde gemäß dem Urteilsspruch des Herrn.
Nach ihm gesellte sich selbst zum Genuß der Rose der Dorn. Er erinnert uns an die Über-
tretung, derentwegen die Erde verurteilt ward, für uns Dornen und Disteln hervorzubrin-
gen 237 .

Weil sich dies so verhält, so muß man glauben, daß dessen Fortdauer bis jetzt das Wort
des Herrn bewirkt, das er gesprochen: „Wachset und vermehret euch und erfüllet die Erde
238
.“

S. 73 Einige erklären die Erde für kugelförmig, andere für kegelförmig. Sie ist jedoch
weniger und bedeutend kleiner als der Himmel, gleichsam ein Punkt, der in dessen Mit-
te hängt. Aber auch sie wird vergehen und verwandelt werden. Selig jedoch ist, wer die
Erde der Sanftmütigen erbt 239 . Denn die Erde, welche die Heiligen aufnehmen soll, ist
unvergänglich. Wer könnte also die unendliche und unbegreifliche Weisheit des Schöp-
fers gebührend bewundern? Oder wer könnte dem Geber solcher Güter den geziemenden
Dank abstatten?

[Es sind aber der bekannten Provinzen oder Statthalterschaften der Erde in Europa 34,
234
Dan. 13, 42 nach der Vulgata.
235
Ps. 48, 13 [hebr. Ps. 49, 13].
236
Gen. 3, 19.
237
Ebd. [Gen.] 3, 18.
238
Ebd. [Gen.] 1, 22. 28.
239
Vgl. Matth. 5, 4.

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auf dem großen Festland von Asien 48 Provinzen; Kirchenprovinzen240 12.]

XI. KAPITEL. Vom Paradies.

Gott wollte den Menschen aus sichtbarer und unsichtbarer Natur nach seinem Bild und
Gleichnis 241 wie einen König und Herrscher über die ganze Erde und ihre Dinge bilden.
Darum errichtete er ihm zuvor gleichsam eine Königsburg, in der er wohnen 242 und ein
ganz glückseliges Leben haben sollte. Dies ist das göttliche Paradies, von Gottes Händen
in Eden gepflanzt, ein Vorratsort jeglicher Freude und Wonne — Eden bedeutet ja Üp-
pigkeit243 —, gegen Aufgang höher als die ganze Erde S. 74 gelegen, gemäßigt und von
feinster und reinster Luft umstrahlt, mit immergrünen Pflanzen bewachsen, von Wohlge-
ruch erfüllt, voll Licht, den Begriff aller sinnlichen Anmut und Schönheit übersteigend,
ein wahrhaft göttlicher Ort, eine Wohnung würdig dessen, der nach Gottes Bild geschaf-
fen ist. In ihm wohnte kein unvernünftiges Wesen, sondern nur der Mensch, das Gebilde
der göttlichen Hände.

Mitten in diesem pflanzte er (� Gott) den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis
244
. Den Baum der Erkenntnis als eine Versuchung, Erprobung und Übung des Gehorsams
und Ungehorsams des Menschen. Darum heißt er auch Baum der Erkenntnis des Guten
und Bösen 245 oder [er heißt Baum der Erkenntnis], weil er denen, die davon nahmen, die
Kraft gab, ihre eigene Natur zu erkennen. Das ist zwar gut für die Vollkommenen, schlecht
aber für die weniger Vollkommenen und „allzu Gierigen, wie feste Speise für die noch
Zarten und Milchbedürftigen 246 “. Denn Gott, der uns erschaffen, wollte nicht, daß wir in
Sorge und Unruhe um vielerlei sind 247 und uns um unser Leben härmen und kümmern.
Das eben ist gerade auch bei Adam der Fall gewesen. Denn als er gekostet, erkannte er,
daß er nackt war, und er machte sich eine Schürze, er umgürtete sich mit Feigenblättern
248
. Vor dem Genusse waren „beide nackt, Adam wie Eva, und sie schämten sich nicht 249 “.
Gott wollte, daß wir so leidenschaftslos seien — denn das ist ein Zeichen höchster Leiden-
240
κανόνες [kanones].
241
Vgl. Gen. 1, 26.
242
Severian von Gabala (Or. VI, 1 Migne, P. gr. 56, 484) nennt das Paradies einen „königlichen Herrschafts-
sitz“* βασιλικὸν καὶ δεσποτικὸν ἐνδιαίτημα* [basilikon kai despotikon endiaitēma]. Zellinger, a. a. O. S.
105.
243
τρυφή [tryphē]. So übersetzen das hebräische Wort Eden, wie Zellinger (a. a. O. S. 101) bemerkt, bereits
Philo (De Cherub. 12. Ed Cohn I, 172�173), Theophilus von Antiochien (Ad Autol. II, 24. J.C.Th. Otto,
Corpus Apolog. christ. saec. secundi VIII [Jenae 1861] 122), Klemens von Alexandrien (Strom. II c. XI,
51, ed. Stählin II (Leipzig 1906) 140), Severian von Gabala (Or. V, 5 Migne, P. gr. 56, 477) u. a.
244
Gen. 2, 9.
245
Ebd. [Gen. 2, 9].
246
Greg. Naz., Or. 38, 12 (Migne, P. gr. 36, 324 C). Vgl. Hebr. 5, 12—14.
247
Vgl. Luk. 10, 41.
248
Gen. 3, 7.
249
Ebd. [Gen.] 2, 25.

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schaftslosigkeit —, außerdem auch noch sorglos, daß wir nur eine Beschäftigung haben,
nämlich die der Engel, unaufhörlich und unablässig den Schöpfer zu preisen und in seiner
Anschauung zu schwelgen und auf ihn unsere Sorge zu werfen. Das ließ er auch frei und
offen durch den Propheten David uns verkünden. „Wirf auf den Herrn deine Sorge“, sagt
S. 75 er, „und er wird dich erhalten 250 “. Und in den Evangelien spricht er, seine Jünger
belehrend: „Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen, noch für euren Leib, was ihr anzie-
hen werdet 251 .“ Und wiederum: „Suchet das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und
alles wird euch dazugegeben werden 252 .“ Und zu Martha: „Martha, Martha, du machst dir
Sorge und Unruhe um vielerlei: Eines nur ist not. Maria hat den besten Teil erwählt, der
ihr nicht wird genommen werden 253 “ — insofern sie nämlich zu seinen Füßen saß und
auf seine Worte hörte.

Der Baum des Lebens war ein Baum, der lebenspendende Kraft besaß, oder von dem nur
die des Lebens Würdigen und dem Tode nicht Unterworfenen essen konnten. Einige nun
stellten sich das Paradies sinnlich vor, andere geistig 254 . Meine Ansicht jedoch ist die: Wie
der Mensch sinnlich und geistig zugleich erschaffen worden war, so war auch dessen hoch-
heiliger Tempel sinnlich und geistig zugleich, er hatte somit eine doppelte Seite. Denn mit
dem Leibe wohnte er, wie erwähnt, an dem hochgöttlichen, über die Maßen schönen Orte.
Mit der Seele aber weilte er an einem noch erhabeneren und schöneren Orte. Er hatte ja
Gott, der in ihm wohnte, zum Tempel, er war sein herrliches Gewand, er war mit seiner
Gnade bekleidet, er erfreute sich wie irgendein anderer Engel seiner Anschauung, der ei-
nen, süßesten Frucht. Von dieser nährte er sich: Das eben heißt doch ganz entsprechend
Baum des Lebens. Denn die süße Teilnahme an Gott verleiht denen, die sie genießen, ein
S. 76 Leben, das vom Tode nicht zerschlagen wird. Das eben hat Gott auch „alle Bäume“
genannt, da er sprach: „Von allen Bäumen im Paradiese mögt ihr essen 255 .“ Denn er selbst
ist alles, in ihm und durch ihn besteht alles.

Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber ist die praktische Wertung der theo-
retischen Kenntnis, d. i. die Erkenntnis der eigenen Natur. Sie ist gut für die Vollkomme-
nen und in der göttlichen Erkenntnis Fortgeschrittenen. Sie verkündet ja aus sich selbst
die Größe des Schöpfers denen, die keinen Fall befürchten, weil sie es mit der Zeit zu einer
250
Ps. 54, 23 [hebr. Ps. 55, 23].
251
Matth. 6, 25.
252
Ebd. [Matth.] 6, 33.
253
Luk. 10, 41 f.
254
Die syrisch-antiochenische Schule faßte im Gegensatz zur alexandrinischen das Paradies als eine konkrete
Gegend unserer Erde. Severian von Gabala, ein Vertreter der antiochenischen Richtung, bekämpft scharf
die von Philo (Legum allegor. I, 14. Philonis Alexandrini opera I, ed. L. Cohn, Berolini 1896, 71—72)
eingeleitete allegoristische Paradieseserklärung der alexandrinischen Exegese: „Schämen sollen sich die
Allegoristen, die sagen, das Paradies sei im Himmel und geistig“ (Or. VI, 7 Migne, P. gr. 56, 492. Zellinger,
a. a. O. S. 99 f.
255
Vgl. Gen. 2, 16.

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gewissen Fertigkeit in solcher Erkenntnis gebracht haben. Nicht gut aber [ist sie] für die
noch Jungen und „allzu Gierigen 256 “. Denn da sie im Besseren noch nicht kräftig verhar-
ren, und das eine Gute noch nicht fest bei ihnen sitzt, pflegt die Sorge um ihren Leib sie
auf ihre Seite zu ziehen und zu zerstreuen.

So ist, wie ich glaube, das Paradies zweifach (� sinnlich und geistig) gewesen. Und in der
Tat, das ist die Überlieferung der Väter, die Gott in sich getragen, mögen sie nun so oder so
gelehrt haben. Man kann ferner unter „allen Bäumen“ die Erkenntnis der göttlichen Macht
verstehen, die man aus den Geschöpfen gewinnt, wie der göttliche Apostel sagt: „Denn
sein unsichtbares Wesen wird seit der Weltschöpfung in den Geschöpfen mit geistigem
Auge geschaut 257 .“ Erhabener jedoch als all diese Erkenntnisse und Betrachtungen ist die
unserer selbst, d. h. die unserer Zusammensetzung (Natur), wie der göttliche David sagt:
„Wunderbar ist deine Erkenntnis aus mir 258 “, d. i. aus meinem Bau. Gefährlich aber war
diese für Adam, da er noch ein Neuling war, aus den Gründen, die wir angeführt.

Oder [man kann] unter dem Baume des Lebens die Gotteserkenntnis, die aus allen sinn-
lichen Dingen zustandekommt, und die durch sie bewirkte Hinführung zum Schöpfer und
Bildner und Urheber aller Dinge S. 77 [verstehen]. Das nannte er auch „alle Bäume“ und
meinte damit das Volle und Ungeteilte und die bleibende Teilnahme am Guten. Unter dem
Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber die sinnliche und ergötzende Speise, die
scheinbar süß ist, in Wirklichkeit aber den, der davon nimmt, mit Übeln in Verbindung
bringt. Denn Gott sprach: „Von allen Bäumen im Paradiese magst du essen 259 .“ Damit,
glaube ich, sagte er: Durch alle Geschöpfe erhebe dich zu mir, dem Schöpfer, und pflücke
von allen* eine* Frucht, mich, „das wahre Leben 260 “, alles soll dir Lebensfrucht bringen,
und die Teilnahme an mir mache zu deinem Daseinsbestand. Denn so wirst du unsterb-
lich sein. „Vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber, von dem sollt ihr nicht
essen. An dem Tage nämlich, da ihr davon esset, werdet ihr des Todes sterben 261 .“ Denn
naturgemäß ist die sinnliche Speise die Ergänzung des Abgangs und gelangt in den Abort
262
und zur Vernichtung. Und so kann unmöglich unvergänglich bleiben, wer die sinnliche
Speise genießt.

XII. KAPITEL. Vom Menschen.

So hat denn Gott die geistige Wesenheit, nämlich die Engel und alle himmlischen Ord-
nungen geschaffen — denn diese sind ganz offenkundig geistiger, unkörperlicher Natur:
256
Greg. Naz., Or. 38, 12 (Migne, P. gr. 36, 324 C).
257
Röm. 1, 20.
258
Ps. 138, 6 [hebr. Ps. 139, 6].
259
Gen. 2, 16.
260
1 Tim. 6, 19.
261
Vgl. Gen. 2, 17.
262
Vgl. Matth. 15, 17; Mark. 7, 19.

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unkörperlicher, sage ich, im Zusammenhalt mit der Grobheit der Materie, in Wahrheit
ist ja nur das göttliche Wesen immateriell und unkörperlich — außerdem auch noch die
sinnliche [Wesenheit], Himmel und Erde, und was sich darin befindet, und zwar die eine
als [ihm] verwandt — denn Gott verwandt ist die S. 78 vernünftige, nur mit dem Geiste
erfaßbare Natur 263 —, die andere aber als in ganz weiter Ferne [von ihm] liegend, da sie
natürlich unter die sinnliche Wahrnehmung fällt 264 . Es mußte aber auch, wie der göttlich
redende Gregorius 265 sagt,* aus beiden* (� Geist und Sinnenwesen)* eine Mischung* erfol-
gen* als Erweis einer höheren Weisheit und des großen Aufwandes betreffs der Naturen,*
gleichsam eine Verbindung* der sichtbaren und unsichtbaren Natur.* Das „es mußte“ deu-
tet auf den Willen des Schöpfers hin. Denn dieser ist höchstgeziemendes Maß und Gesetz.
Und niemand wird zu seinem Bildner sagen: Warum hast du mich so gemacht? Denn der
Töpfer hat Gewalt, aus seinem Tone verschiedene Gefäße zum Beweis seiner Geschicklich-
keit zu fertigen 266 .

So nun verhält es sich in dieser Sache. Darum hat er (� Gott) den Menschen aus sichtba-
rer und unsichtbarer Natur mit eigenen Händen und nach seinem Bild und Gleichnis 267
geschaffen. Den Leib hat er aus Erde gebildet, die vernünftige und denkende Seele aber hat
er ihm durch seinen Hauch gegeben 268 . Das eben nennen wir göttliches Bild. Denn das
„nach dem Bilde“ bedeutet den Verstand und die Willensfreiheit, das „nach dem Gleichnis“
aber die [Gott-] Ähnlichkeit in der Tugend, soweit es möglich ist.

Der Leib und die Seele sind gleichzeitig gebildet worden, nicht das eine früher, das andere
später, wie Origenes 269 töricht behauptet.

Es schuf also Gott den Menschen unschuldig, rechtschaffen, tugendhaft, leidenschaftslos,


sorgenfrei, mit aller Tugend geschmückt, mit allen Gütern ausgestattet,* gleichsam eine
zweite Welt, in der großen eine kleine, S. 79 einen anderen Engel, einen gemischten Anbe-
ter, einen Augenzeugen der sichtbaren Schöpfung, Kenner des Geistigen, Herrscher übers
Irdische, beherrscht von oben, irdisch und himmlisch, vergänglich und unsterblich, sicht-
bar und geistig, in der Mitte zwischen Größe und Niedrigkeit, Geist und Fleisch zugleich:
Geist auf Grund der Gnade, Fleisch in Anbetracht der Erhebung; das eine, daß er bleibe
und seinen Wohltäter preise, das andere, daß er leide und durch Leiden gemahnt und ge-
züchtigt werde wegen seines Größenstolzes; ein Wesen, das hier,* d. i. im gegenwärtigen
263
Greg. Naz., Or. 38, 10 (Migne, P. gr. 36, 321 B).
264
Ebd.
265
Or. 38, 11 (Migne, P. gr. 36, 321 C). Das kursiv Gedruckte wörtlich, das übrige dem Sinne nach!
266
Vgl. Röm. 9, 20 f.; Weish. 15, 7; Is. 45, 9; 29, 16; Jer. 18, 6.
267
Vgl. Gen. 1, 26.
268
Vgl. ebd. [Gen.] 2, 7.
269
Er lehrte, die Menschenseelen, überhaupt alle Geister, seien vor aller Welt von Ewigkeit her gleich voll-
kommen von Gott geschaffen worden.

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Leben,* geleitet und anderswohin,* d. i. in die zukünftige Welt 270 ,* versetzt und, was das
höchste Geheimnis ist, durch die Hinneigung zu Gott vergöttlicht wird 271 ;* vergöttlicht
aber durch Teilnahme an der göttlichen Erleuchtung und nicht durch Verwandlung ins
göttliche Wesen.

Er schuf ihn der Natur nach sündlos und dem Willen nach frei. Sündlos, sage ich, nicht
als wäre er keiner Sünde fähig gewesen — nur das göttliche Wesen ist keiner Sünde fähig
—, nein, deshalb, weil es nicht in seiner Natur, sondern vielmehr in seinem freien Willen
lag, zu sündigen, oder weil er die Macht hatte, mit Hilfe der göttlichen Gnade im Guten
zu verbleiben und fortzuschreiten, sowie mit Zulassung Gottes in Anbetracht seiner frei-
en Selbstbestimmung sich auch vom Guten abzuwenden und sich zum Bösen zu gesellen.
Denn was aus Zwang geschieht, ist keine Tugend.

Die Seele 272 ist eine lebendige Substanz, einfach und unkörperlich, in ihrer Natur für
körperliche Augen unsichtbar, unsterblich, vernünftig, denkend, gestaltlos, sie bedient sich
eines organischen Leibes und gibt diesem Leben, Wachstum, Empfindung und Zeugung;
sie hat S. 80 nicht einen von ihr verschiedenen Geist 273 — dieser ist vielmehr der reinste
Teil 274 von ihr. Denn wie das Auge im Leibe, so ist der Geist in der Seele — sie ist selbst-
mächtig, wollend und wirkend, wandelbar oder willensveränderlich, weil ja geschaffen. All
das hat sie von Natur aus durch die Gnade des Schöpfers empfangen, durch die sie auch
das Sein und das von Natur Sosein erhalten hat.

Wie vielerlei ist der Sinn des Wortes „unkörperlich“ 275 ?

Unkörperliches, Unsichtbares und Gestaltloses verstehen wir auf zweierlei Art: das eine ist
[so] kraft seines Wesens, das andere kraft der Gnade, das eine ist [so] von Natur, das andere
im Vergleich mit der Grobheit der Materie 276 . Von Gott wird Unkörperliches ausgesagt der
Natur nach, von den Engeln, Dämonen und Seelen aber der Gnade nach und im Vergleich
mit der Grobheit der Materie.
270
Matth. 12, 32; Eph. 1, 21; Hebr. 6, 5.
271
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. von Nazianz, Or. 38, 11 (Migne, P. gr. 36, 324 A).
272
In der Definition der Seele lehnt sich Johannes ganz merklich an den Traktat De anima des Maximus
Konfessor († 662) [Maxim. Conf. Opera ed. Combefis II (Par. 1675) 195—200; Migne, P. gr, 91, 353�362]
an.
273
Platon unterschied im Menschen den Geist* (νοῦς)* [nous], die Seele* (ψυχὴ)* [psychē] und das Fleisch*
(σάρξ)* [sarx], er nahm eine geistige und tierische Seele an, welch letztere nur den Leib belebte. Auf Grund
der Platonischen Trichotomie lehrte Apollinaris der Jüngere, Bischof von Laodicea († um 390), der Logos
habe wohl den menschlichen Leib und die menschliche unvernünftige Seele, nicht aber die vernünftige
Seele oder den* νοῦς* [nous] angenommen. An Stelle des letzteren sei er selber getreten.
274
Nach Maximus Konfessor, der am Schlusse seines eben erwähnten Traktates Opera ed. Combefis, I. c. S.
200; Migne, l. c. 362) vom Geist* (νοῦς)* [nous] sagt: „Er ist von der Seele das Reinste und Vernünftige.“
275
Randglosse.
276
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 253, 4�7.

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Ein Körper ist ein Ding, das drei Dimensionen, oder das Länge, Breite und Tiefe oder
Dicke hat. Jeder Körper besteht aus den vier Elementen, die Körper der Lebewesen aber
[bestehen] aus den vier Säften.

Man muß wissen, daß es vier [Elemente] gibt:* die Erde, trocken und kalt, das Wasser, kalt
und feucht, die Luft, feucht und warm, das Feuer, warm und trocken 277 .* S. 81 Ebenso gibt
es auch vier Säfte 278 , die den vier Elementen entsprechen: die schwarze Galle, sie entspricht
der Erde, denn sie ist trocken und kalt; das Phlegma, es entspricht dem Wasser, denn es
ist kalt und feucht; das Blut, es entspricht der Luft, denn es ist feucht und warm; die gelbe
Galle, sie entspricht dem Feuer, denn sie ist warm und trocken. Die Früchte nun bestehen
aus den Elementen, die Säfte aus den Früchten, die Körper der Lebewesen aber aus den
Säften und sie lösen sich in sie (in die Elemente) auf. Denn alles Zusammengesetzte löst
sich in sie auf.

Der Mensch hat mit den beseelten, mit den unvernünftigen und vernünftigen Wesen etwas
gemein 279 .

Man muß wissen, daß der Mensch mit den unbeseelten Wesen etwas gemein hat, am Le-
ben der vernunftlosen teilnimmt und der Denkkraft der vernünftigen teilhaftig ist. An den
unbeseelten hat er Anteil hinsichtlich des Lebens und der Mischung aus den vier Elemen-
ten, an den Pflanzen sowohl in genannter Hinsicht als auch hinsichtlich der ernährenden,
wachstumgebenden, samenbildenden oder zeugenden Kraft, an den unvernünftigen aber
in erwähnter Hinsicht und überdies hinsichtlich des Verlangens, d. i. des Zornes und der
Begierde, und hinsichtlich der Sinnesempfindung und hinsichtlich der Bewegungstätig-
keit.

Sinnesempfindungen nun gibt es fünf: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tast-
sinn.* Zur Bewegungstätigkeit gehört die Fähigkeit, von einem Ort zum andern überzuge-
hen, den ganzen Leib zu bewegen, einen Laut zu geben und zu atmen. Denn es steht bei
uns, dies zu tun oder nicht zu tun 280 .*

Durch die Vernunft hängt er (� der Mensch) mit den unkörperlichen und geistigen Natu-
ren zusammen. Denn er überlegt und denkt und beurteilt jegliches, er strebt nach Tugen-
den und trachtet nach dem Gipfel der Tugend, der Frömmigkeit. Deshalb ist der Mensch
auch eine kleine Welt.

S. 82 Man muß wissen, daß* Teilung, Fluß und Veränderung* nur dem Körper eigen
sind.* Veränderung hinsichtlich der Beschaffenheit,* wie Erwärmung, Erkältung u. dgl.*
277
Das kursiv Gedruckte wörtl. aus Nem., De nat. hom. c. 5 l. c. S. 151.
278
Folgendes nach Nem., l. c. c. 4, S. 145 f.
279
Randglosse.
280
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 27, S. 249.

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Fluß hinsichtlich des Abgangs, denn es geht Trockenes und Nasses und Odem ab 281 * und
bedarf der Ergänzung; darum sind der Hunger und der Durst natürliche Triebe. Teilung
aber ist die Trennung der Säfte voneinander und die Scheidung nach Form und Materie.

Der Seele eigen sind die Frömmigkeit und das Denken. Seele und Leib gemeinsam aber
sind die Tugenden. Zwar beziehen sich auch diese auf die Seele. Allein die Seele gebraucht
dazu den Leib.

Man muß wissen, daß das Vernünftige seiner Natur nach über das Unvernünftige
herrscht. Es scheiden sich nämlich die Kräfte der Seele in einen vernünftigen und einen
unvernünftigen [Teil]. Das Unvernünftige aber hat zwei Teile: der eine hört nicht auf
die Vernunft, d. h. er gehorcht der Vernunft nicht, der andere hört auf die Vernunft und
gehorcht ihr 282 . Nicht hört auf die Vernunft und nicht gehorcht ihr die Lebenstätigkeit,
die auch Pulstätigkeit heißt, die samenbildende oder zeugende, die Wachskraft, auch
Nährkraft genannt. Zu letzterer gehört auch die mehrende, die auch die Körper gestaltet.
Diese wird nämlich nicht durch die Vernunft, sondern durch die Natur geleitet. Der Teil
aber, der auf die Vernunft hört und ihr gehorcht, scheidet sich in Zorn und Begierde. Der
unvernünftige Teil der Seele heißt mit einem gemeinsamen Namen der leidenschaftliche
(pathetische) und begehrende. Man muß jedoch wissen, daß zu dem [Teil], der der
Vernunft gehorcht, auch die Bewegungstätigkeit gehört.

Zu dem [Teil], der der Vernunft nicht gehorcht, gehört die Ernährungs-, Zeugungs- und
Pulsierkraft. Die mehrende, nährende und zeugende Kraft nennt man vegetativ, die pulsie-
rende aber Lebenskraft.

Die Ernährungstätigkeit hat vier Kräfte: die aufnehmende, welche die Nahrung auf-
nimmt;* die S. 83 behaltende,* welche die Nahrung festhält und nicht zuläßt, daß sie sich
sogleich ausscheidet;* die verwandelnde,* welche die Nahrung in die Säfte verwandelt;*
die ausscheidende 283 ,* die den Überfluß durch den After ausscheidet und ausstößt.

Man muß wissen, daß* von den tierischen Kräften die einen seelisch (psychisch), die
andern vegetativ, die andern lebengebend (vital) sind. Seelisch sind die freiwilligen,* näm-
lich* die Bewegungstätigkeit und die Empfindung — zur Bewegungstätigkeit gehört die
Fähigkeit, den Ort zu verändern, den ganzen Leib zu bewegen, einen Laut zu geben und
zu atmen —, denn es steht bei uns, dies zu tun oder nicht zu tun. Die vegetativen und vita-
len* aber sind unfreiwillig — vegetativ sind die* nährende, mehrende und samenbildende*
[Kraft],* vital aber ist die pulsierende 284 * —, denn diese sind tätig, wir mögen wollen oder
281
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Nem., l. c. c. 1, S. 48.
282
Nem., l. c. c. 16, S. 214 f.
283
Das kursiv Gedruckte wörtl. aus Nem., l. c. c. 23, S. 236. Hier wird über diese vier Kräfte ausführlich
gesprochen.
284
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 27, S. 249 f.

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nicht.

Man muß wissen, daß von den Dingen die einen gut, die andern schlecht sind. Ein er-
wartetes Gut weckt Verlangen, ein gegenwärtiges Freude. Ebenso wiederum ein erwartetes
Übel Furcht, ein gegenwärtiges Schmerz. Zu beachten ist, daß wir unter dem Guten, von
dem wir sprachen, entweder das wahrhaft Gute oder das scheinbar Gute verstanden haben,
desgleichen auch unter dem Übel.

XIII. KAPITEL. Von den Lüsten.


285
Von den Lüsten sind die einen seelisch, die andern leiblich. Seelisch sind alle, die an sich
nur der Seele angehören, wie die an den Wissenschaften und der Betrachtung. Leiblich die,
die aus der Verbindung der S. 84 Seele und des Leibes entstehen und deshalb auch leiblich
heißen, alle, die sich auf Nahrung, Geschlechtsverkehr u. dgl. beziehen. Lüste, die nur dem
Leibe eigen sind, findet man wohl nicht.

Des weiteren sind von den Lüsten die einen wahr, die andern falsch. Die rein geistigen
(seelischen) bestehen in Wissenschaft und Betrachtung, die leiblichen aber in der Sinnes-
empfindung. Von den leiblichen Lüsten sind die einen natürlich und zugleich notwendig,
ohne sie kann man nicht leben, wie die das Bedürfnis befriedigenden Speisen und die not-
wendigen Kleider, die andern natürlich, jedoch nicht notwendig, wie die natürlichen und
rechtmäßigen Beiwohnungen. Denn letztere dienen zwar zur Fortdauer des ganzen Ge-
schlechtes, aber man kann ohne sie in Jungfräulichkeit leben. Andere endlich sind weder
notwendig noch natürlich, wie Trunkenheit, Unzucht und Übersättigung. Denn sie nützen
weder zur Erhaltung unseres Lebens noch zur Fortpflanzung des Geschlechtes. Im Gegen-
teil, sie schaden vielmehr sogar. Darum muß der nach Gottes Willen 286 Lebende den not-
wendigen und natürlichen zugleich folgen, an zweite Stelle aber die natürlichen und nicht
notwendigen, wie sie in der entsprechenden Zeit und Weise und im entsprechenden Maße
auftreten, setzen. Die andern aber muß er durchaus zurückweisen.

Als gute Lüste müssen die gelten, die nicht mit Traurigkeit verbunden sind und keine
Reue mit sich bringen noch sonst einen Schaden verursachen noch die Grenze des Mäßi-
gen überschreiten noch uns für lange von den wichtigen Arbeiten abziehen oder unterjo-
chen.

XIV. KAPITEL. Von der Traurigkeit.


287
Die Traurigkeit hat vier Arten: Schmerz, Ärger, Neid, Mitleid. Schmerz ist Trauer, die
sprachlos macht. S. 85 Ärger Trauer, die beschwert. Neid Trauer bei fremdem Glück, Mit-
285
Dieses ganze Kap. 13 hat Johannes fast wortgetreu aus Nem., l. c. c. 18, S. 220—222, genommen.
286
Vgl. Röm. 8, 27; 2 Kor. 7, 9 f.
287
Kapitel 14 wörtlich aus Nem., l. c. c. 19, S. 229.

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leid Trauer bei fremdem Unglück.

XV. KAPITEL. Von der Furcht.

[Forts. von S. 85 ] 288 Auch die Furcht unterscheidet sich in sechs [Arten]: in Zaudern, in
Scheu, in Scham, in Schrecken, in Bestürzung, in Angst. Zaudern ist Furcht vor einer be-
vorstehenden Tätigkeit. Scheu ist Furcht bei Erwartung von Tadel. Dieser Affekt ist sehr
gut. Scham ist Furcht ob einer schändlichen Tat. Auch dieser [Affekt] ist nicht ohne Aus-
sicht auf Heil. Schrecken ist Furcht auf Grund einer gewaltigen Vorstellung. Bestürzung ist
Furcht infolge einer ungewohnten Vorstellung. Angst ist Furcht vor Fall oder Fehlschlag.
Denn fürchten wir, daß unser Tun mißlingt, so ängstigen wir uns.

XVI. KAPITEL. Vom Zorn.

Zorn ist ein Aufwallen des Herzblutes, das infolge Aufdampfens oder Erregens der Galle ent-
steht. Deshalb heißt er auch Chole und Cholos (� Galle). Es ist aber bisweilen der Zorn auch
ein Verlangen nach Rache. Denn werden wir beleidigt oder glauben wir beleidigt zu werden,
so sind wir traurig, und es entsteht dann der Affekt, der aus Begier und Zorn gemischt ist 289 .

Es gibt drei [Arten] des Zornes: Ärger, der auch Chole und Cholos (� Galle) heißt, Groll
und Rachsucht. Wenn nämlich der Zorn anhebt und sich regt, heißt er Chole und Cholos
(� Galle � Ärger). Groll (μῆνις) [mēnis] ist bleibender Ärger oder Gedenken des erlittenen
Bösen* (μνησικακία)* [mnēsikakia].* Er heißt so, weil er bleibt S. 86 (παρὰ τὸ μένειν) [para
to menein] und sich dem Gedächtnis (τῇ μνήμῃ) [tē mnēmē] einprägt. Rachsucht (κότος)
[kotos] aber ist Ärger, der die Zeit zur Rache abpaßt. Diese hat ihren Namen von κεῖσθαι
[keisthai]* (liegen bleiben = auf der Lauer liegen).

Der Zorn ist der Trabant des Verstandes, ein Rächer der Begierde. Denn wenn wir eine Sa-
che begehren und von jemand gehindert werden, so sind wir, gleich als wäre uns Unrecht
widerfahren, über ihn zornig,* nachdem offenbar der Verstand geurteilt, daß das Gesche-
hene bei denen, die naturgemäß ihre Stellung wahren, Zorn verdient 290 .*

XVII. KAPITEL. Vom Vorstellungsvermögen.

[Forts. von S. 86 ] * Vorstellungsvermögen ist eine Kraft der unvernünftigen Seele, die
durch die Sinne wirkt* und die Sinnesempfindung (Wahrnehmung) heißt.* Sinnlich vor-
stellbar* und wahrnehmbar* ist das, was unter die Vorstellung* und die Wahrnehmung*
fällt.* So ist Gesicht die Sehkraft selbst, sichtbar aber ist das, was unter das Gesicht fällt,
288
Kapitel 15 wortgetreu aus Nem., l. c. c. 19, S. 231 f.
289
Wörtlich aus Nem., l. c. c. 21, S. 234.
290
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 21, S. 234 f.

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etwa ein Stein oder sonst dergleichen.* Vorstellung jedoch ist ein Zustand der unvernünf-
tigen Seele, der durch etwas Vorstellbares entsteht. Einbildung (leere Vorstellung) ist ein
nichtiger Zustand im unvernünftigen Teil der Seele, der von keinem vorstellbaren Gegen-
stand herrührt 291 .* Organ des Vorstellungsvermögens ist die vordere Gehirnhöhle.

XVIII. KAPITEL. Von der Sinneswahrnehmung.

Sinneswahrnehmung ist eine Kraft der Seele, die das Stoffliche bemerkt 292 oder unter-
scheidet. Sinne aber S. 87 sind die Werkzeuge 293 oder Glieder, durch die wir wahrnehmen.
Sinnlich ist das, was unter die Sinneswahrnehmung fällt. Sinnbegabt ist das Tier, das die
Sinneswahrnehmung besitzt 294 . Es gibt fünf Sinneswahrnehmungen, ebenso auch fünf
Sinnesorgane 295 .

Der erste Sinn ist das Gesicht. Werkzeuge und Organe des Gesichtes sind die Gehirnner-
ven und die Augen.* An erster Stelle nimmt das Gesicht die Farbe wahr.* Mit der Farbe
aber* unterscheidet es auch den farbigen Körper, seine Größe, Gestalt, den Ort, wo er ist,
den Zwischenraum, die Anzahl, Bewegung und Ruhe, das Rauhe und Glatte, Ebene und
Unebene, das Spitze und das Stumpfe und seinen Bestand, ob er wasser- oder erdartig, d. h.
naß oder trocken ist 296 .*

Der zweite Sinn ist* das Gehör. Es nimmt die Stimmen und die Töne wahr. Es unterschei-
det ihre Höhe und Tiefe, Feinheit und Stärke. Seine Organe sind die weichen Gehirnnerven
und die hierfür eingerichteten Ohren. Nur der Mensch und Affe bewegen die Ohren nicht
297
.*

Der dritte Sinn ist* der Geruch. Er entsteht durch die* die Dünste ins Gehirn führenden*
Nasenhöhlen und geht bis an die Grenzen der vorderen Gehirnhöhlen. Er* empfindet und*
bemerkt die Dünste. Der allgemeinste Unterschied der Dünste ist Wohl- und Übelgeruch
und das, was dazwischen liegt, was weder wohl noch übel riecht. Wohlgeruch entsteht,
wenn die in den Körpern befindlichen Feuchtigkeiten gut verkocht sind. Wenn [sie] aber
mittelmäßig [verkocht sind], so [entsteht] ein Zwischenzustand. Sind sie jedoch wenig oder
gar nicht verkocht, so entsteht der Übelgeruch 298 .*

Der vierte Sinn ist* der Geschmack. Er bemerkt oder empfindet die Säfte. Seine Organe
sind die Zunge, und von dieser besonders die Spitze und der Gaumen,* den manche Him-
291
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Nem., I. c. c. 6, S. 171 f.
292
Vgl. Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 250, 20 f.
293
Vgl. l. c. S. 250, 22.
294
Vgl. l. c. S. 250, 24 f.
295
Vgl. zum ganzen Abschnitt auch Nem., I. c. c. 6, S. 176 u. 174.
296
Fast wörtlich aus Nem., I. c. c. 7, S. 182 f.
297
Wörtlich aus Nem., I. c. c. 10, S. 197 f.
298
Fast wörtlich aus Nem., I. c. c. 11, S. 199 f.

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melchen nennen.* In ihnen sind die vom S. 88 Gehirn kommenden Nerven ausgebreitet,
sie melden dem herrschenden Teil (der Seele) die erfolgte Wahrnehmung* oder Empfin-
dung.* Die sog. Geschmackseigenschaften der Säfte sind folgende: Süße, Schärfe, Säure,
Bitterkeit, Herbheit, Kälte, Salzigkeit, Fettigkeit, Klebrigkeit. Diese unterscheidet nämlich
der Geschmack. In Hinsicht auf diese Eigenschaften ist das Wasser geschmacklos. Denn es
besitzt keine von ihnen 299 .* Die Bitterkeit aber ist ein hoher Grad der Herbheit.

Der fünfte Sinn ist* der Tastsinn. Er ist auch allen Tieren gemein. Er entsteht durch die
Nerven, die vom Gehirn in den ganzen Körper ausgehen.* Deshalb besitzen der ganze
Körper wie auch die andern Sinneswerkzeuge die Tastempfindung. Es fällt aber unter den
Tastsinn* das Warme und Kalte, das Weiche und Harte, Klebrige und Spröde, Schwere
und Leichte. Denn dies erkennt man nur durch Betasten. Tastsinn und Gesicht gemeinsam
aber sind das Rauhe und Glatte, das Trockene und Nasse, Grobe und Feine, Oben und
Unten, der Ort und die Größe, wenn sie derart ist, daß sie sich durch Annäherung des
Tastsinns umfassen läßt, das Dichte und Dünne oder Spärliche und das Runde, wenn es
klein ist, und manch andere Formen. Desgleichen bemerkt er (� der Tastsinn) mit Hilfe
des Gedächtnisses und des Verstandes auch den in der Nähe befindlichen Körper, ebenso
auch die Zahl bis zwei oder drei und solch kleine, die man leicht umfassen kann. Diese
jedoch nimmt mehr das Gesicht als der Tastsinn wahr 300 .*

Man muß wissen, daß der Schöpfer ein jedes der andern Sinneswerkzeuge doppelt ge-
macht hat, damit, wenn eines Schaden leidet, das andere den Dienst versieht. Denn [er
machte] zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher und zwei Zungen, die jedoch bei ei-
nigen Lebewesen geteilt sind, wie bei den Schlangen, bei den andern aber verbunden, wie
beim Menschen. Den Tastsinn aber [machte er] im ganzen Körper, ausgenommen Kno-
chen, Nerven, Nägel und Hörner, Haare, Bänder und anderes dergleichen.

S. 89 Man muß wissen, daß das Gesicht nach geraden Linien wahrnimmt, der Geruch
und das Gehör aber nicht bloß geradeaus, sondern nach allen Seiten. Der Tastsinn und der
Geschmack aber nehmen weder geradeaus noch nach allen Seiten wahr, sondern nur dann,
wenn sie ihren sinnlichen Gegenständen selbst nahe sind.

XIX. KAPITEL. Vom Denkvermögen.

[Forts. von S. 89 ] * Zum Denkvermögen gehören die Urteile, die Zustimmungen, die Ent-
schlüsse* zum Handeln, die Abneigung* und die Scheu vor dem Handeln, besonders aber
die Betrachtungen* des Geistigen,* die Tugenden und Wissenschaften, die Begriffe der
Künste, die Beratung und die Wahl. Dieses* (� das Denkvermögen)* ist es aber auch, das
uns in Träumen die Zukunft weissagt. Diese Weissagung erklären die Pythagoräer, den He-
299
Fast wörtlich aus Nem., I. c. c. 9, S. 196.
300
Fast wörtlich aus Nem., I. c. c. 8, S. 190—193.

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bräern folgend, für die allein wahre. Auch hiervon ist Organ die mittlere Gehirnhöhle und
der seelische Geist, der in ihr ist 301 .*

XX. KAPITEL. Vom Erinnerungsvermögen.

Das Erinnerungsvermögen ist Grund und Vorratskammer des Gedenkens und Erinnerns. Er-
innerung ist nämlich eine Vorstellung, die von einem wirksam stattgehabten Wahrnehmen
und Denken* zurückbleibt oder Behaltung einer Wahrnehmung und eines Gedankens. Die
Seele bemerkt* oder empfindet* das Sinnliche durch die Sinnesorgane, und es entsteht ei-
ne Vorstellung, das Geistige aber durch den Geist, und es entsteht ein Gedanke. Wenn sie
also die Bilder dessen, was sie wahrgenommen und was sie gedacht, behält, so heißt man
das: sich erinnern.*

S. 90 Man muß jedoch wissen, daß* die Erfassung des Geistigen nur durch Lernen und
natürliches Denken,* nicht durch Sinneswahrnehmung erfolgt.* Denn des Sinnlichen er-
innert man sich von selbst, des Geistigen aber erinnern wir uns, wenn wir etwas gelernt
haben. Von seinem Wesen freilich haben wir keine Erinnerung.*

Wiedererinnerung nennt man den Wiedererwerb einer infolge Vergessens verlorenen


Erinnerung.* Vergessenheit ist Verlust einer Erinnerung. Die Vorstellungskraft also,*
die durch die Sinne die Stoffe wahrnimmt,* übergibt sie der Denk-* oder Urteilskraft
— beides ist nämlich dasselbe —* diese empfängt und beurteilt sie und überschickt sie
dem Erinnerungsvermögen* (Gedächtnis).* Organ* des Erinnerungsvermögens* ist die
hintere Gehirnhöhle, die man auch Kleinhirn nennt, und der seelische Geist, der darin ist
302
.*

XXI. KAPITEL. Vom innerlichen und ausgesprochenen Wort.

Weiterhin unterscheidet* sich der vernünftige Teil der Seele ins innerliche und ins ausge-
sprochene Wort. Das innerliche Wort ist eine Bewegung der Seele, die sich im überlegen-
den Teil ohne eine Aussprache vollzieht. Deshalb gehen wir oft auch stillschweigend eine
ganze Rede in uns durch und unterhalten uns in den Träumen. Hauptsächlich mit Rück-
sicht darauf sind wir alle vernünftige Wesen. Denn auch die, die von Geburt aus stumm
sind oder die infolge einer Krankheit oder eines Unfalls ihre Stimme verloren, sind nichts-
destoweniger vernünftige Wesen. Das ausgesprochene Wort aber macht sich in der Stimme
und in den Dialekten (Mundarten) geltend 303 ,* es ist also das Wort, das durch Zunge und
Mund hervorgebracht wird. Darum heißt es auch hervorgebrachtes [Wort]. Es ist Bote des
S. 91 Gedankens. Mit Rücksicht darauf heißen wir auch redende Wesen.
301
Wörtlich aus Nem., l, c. c. 12, S. 201.
302
Johannes hat das Kap. 20 fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 13, S. 202—204 geholt.
303
Wörtlich aus Nem., l. c. c. 14, S. 208 f.

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XXII. KAPITEL. Vom Leiden (Pathos) und Wirken.

Das Wort Pathos (Leiden) hat mehrfache Bedeutung.* Man bezeichnet damit das körper-
liche Leiden, wie die Krankheiten und die Wunden. Ferner bezeichnet man damit das see-
lische Leiden, die Begierde und den Zorn. Allgemein oder generell ist es Leiden (untätiges
Verhalten) eines Lebewesens, dem Freude oder Trauer folgen. Es folgt nämlich dem Lei-
den Trauer, und nicht das Leiden selbst ist die Trauer. Denn das Empfindungslose leidet
zwar, hat aber trotzdem keinen Schmerz. Nicht das Leiden also ist Schmerz, sondern die
Empfindung des Leidens.* Es* muß aber der Rede wert,* d. h. groß* sein, um unter die
Empfindung zu fallen.*

Eine Definition der seelischen Leiden ist folgende: Leiden ist eine empfindbare Bewegung
des Bewegungsvermögens bei Vorstellung eines Gutes oder eines Übels. Oder anders: Leiden
ist eine unvernünftige Bewegung der Seele infolge Vorstellung eines Gutes oder eines Übels.
Die Vorstellung des Gutes also bewegt (erregt) das Verlangen, die Vorstellung des Übels
jedoch den Unwillen (Zorn).* Das generelle oder allgemeine Leiden aber wird so definiert:
Leiden ist eine Bewegung in dem einen durch ein anderes. Tätigkeit aber ist eine wirksame
Bewegung. Wirksam nennt man das, was sich aus sich selbst bewegt. So ist der Zorn eine
Tätigkeit des zürnenden [Teils], Leiden aber [eine Tätigkeit] der beiden Teile: der Seele und
überdies des ganzen Leibes, wenn er vom Zorn mit Gewalt zum Handeln getrieben wird.
Denn die Bewegung findet in dem einen durch ein anderes statt. Das eben heißt Leiden.*

Auch in anderer Hinsicht nennt man die Tätigkeit Leiden. Tätigkeit ist nämlich eine na-
turgemäße Bewegung, Leiden dagegen eine naturwidrige. Mit Rücksicht darauf heißt nun
Tätigkeit Leiden, wenn sie sich nämlich nicht naturgemäß bewegt, sei es durch sich selbst, S.
92 sei es durch ein anderes. Die Pulsbewegung des Herzens also ist, da sie natürlich ist,* eine
Tätigkeit. Die* [Bewegung des Herzens]* aber, die infolge der Erschütterung entsteht, ist,*
da sie ungemessen und* nicht naturgemäß* ist,* Leiden* und nicht Tätigkeit.

Allein nicht jede Bewegung des leidensfähigen (leidenden) Teiles heißt Leiden, sondern nur
die stärkeren und zur Empfindung gelangenden. Die kleinen und unempfindbaren sind noch
keine Leiden. Denn das Leiden muß auch eine der Rede werte Größe haben. Darum ist der
Definition des Leidens beigefügt: eine empfindbare Bewegung. Denn die kleinen Bewegungen,
die der Empfindung entgehen, bewirken nicht das Leiden 304 .

Man muß wissen, daß unsere Seele zweierlei Kräfte hat, die erkennenden und die le-
benstätigen. Die erkennenden sind: Einsicht, Überlegung, Meinung, Vorstellung, Wahr-
nehmung. Die lebenstätigen oder begehrenden sind: Wille und Wahl. Damit jedoch das
Gesagte klarer werde, wollen wir darüber eingehend reden. Zuerst wollen wir von den er-
kennenden sprechen.
304
Bis hierher hat Johannes wörtlich Nem., l. c. c. 16, S. 216—218 ausgeschrieben.

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Von der Vorstellung und Wahrnehmung ist schon im Vorausgehenden genugsam die
Rede gewesen. Durch die Wahrnehmung also bildet sich in der Seele ein Leiden, das Vor-
stellung heißt. Aus der Vorstellung aber entsteht eine Meinung. Die Überlegung sodann,
die über die Meinung urteilt, ob sie wahr oder falsch ist, beurteilt, was wahr ist. Deshalb
versteht man auch unter Überlegung das Überlegen und Beurteilen. Das Beurteilte und als
wahr Bestimmte nun heißt Einsicht.

Oder anders: Man muß wissen, daß die erste Bewegung der Einsicht* (νοῦς)* [nous]
Nachdenken* (νόησις)* [noēsis] heißt. Das Nachdenken über etwas nennt man Überle-
gung. Bleibt diese und gestaltet sie die Seele nach dem Gedachten, so heißt sie Beherzi-
gung. Wenn die Beherzigung darin verharrt und sich selbst erforscht und die Seele mit
dem Gedachten vertraut macht, so heißt sie Besinnung. Erweitert sich aber die Besinnung,
so bewirkt sie die Erwägung, die innerliche Rede genannt S. 93 wird. Diese definiert man
als vollkommenste Bewegung der Seele, die sich in dem erwägenden Teile der Seele ohne
eine Aussprache vollzieht, woraus, wie man sagt, die äußerliche, durch die Zunge gespro-
chene Rede hervorgeht. — Nachdem wir nun von den erkennenden Kräften gesprochen,
wollen wir auch von den lebenstätigen oder begehrenden sprechen.

Man muß wissen, daß der Seele von Natur aus eine Kraft eingepflanzt ist,* die das Natur-
gemäße begehrt und alles erhält, was der Natur wesenhaft zukommt. Sie* heißt* θέλησις*
[thelēsis] (Wille � das einfache, das schlechthinige Vermögen, zu wollen). Denn* die We-
senheit begehrt nach dem Sein, dem Leben und der geistigen und sinnlichen Bewegung
(b0etätigung), indem sie nach ihrem natürlichen und vollkommenen Sein strebt. Deshalb*
definiert man auch dieses natürliche Wollen* (θέλημα)* [thelēma] so:* θέλημα [thelēma]
ist ein vernünftiges und lebenstätiges, nur am Natürlichen hängendes Begehren 305 .* Dar-
um ist die* θέλησις* [thelēsis] das gleiche, das natürliche, lebenstätige und vernünftige Be-
gehren nach allem, was zum Bestande der Natur gehört, ein einfaches (� ein schlechthini-
ges) Vermögen. Denn das Begehren der vernunftlosen Wesen heißt, da es nicht vernünftig
ist, nicht Wollen.

Βούλησις [Boulēsis] (Wille) aber ist* ein bestimmtes natürliches Wollen (θέλησις) [thelē-
sis]* oder ein natürliches und vernünftiges Begehren* nach irgendeiner Sache.* Es liegt
nämlich in der Menschenseele die Kraft zum vernünftigen Begehren. Bewegt sich nun
dieses vernünftige Begehren in natürlicher Weise auf eine Sache hin, so heißt es Wille*
(βούλησις)* [boulēsis]. Denn Wille* (βούλησις)* [boulēsis] ist ein vernünftiges Begehren
und Streben nach einer Sache.

Wille* (βούλησις)* [boulēsis] gebraucht man sowohl für das, was in unserer Macht steht,
als auch für das, was nicht in unserer Macht steht, d. i.* für das Mögliche wie für das Un-
305
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Max. Conf., Ep. 1 ad Marin., ed. Combefis II, 2 f.

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mögliche 306 .* Oft wollen wir Unzucht treiben oder enthaltsam sein oder schlafen oder
etwas dergleichen. — Das steht in unserer Macht und ist möglich. Wir wollen S. 94 aber
auch Könige sein — das jedoch steht nicht in unserer Macht. Wir wollen vielleicht auch
niemals sterben — das gehört zum Unmöglichen.

Der Wille geht auf das Ziel, nicht* auf die Mittel zum Ziel. Ziel also ist das Gewollte,
wie* das Königsein,* das Gesundsein, Mittel zum Ziel aber das, worüber man beratschla-
gen kann, oder die Art und Weise, wodurch wir gesund* oder König* sein können.* Nach
dem Willen [kommt] dann eine Untersuchung und Überlegung, und danach folgt, wenn es
sich um Dinge handelt, die in unserer Macht stehen, eine Beratschlagung* (βουλή)* [bou-
lē] oder Beratung* (βούλευσις)* [bouleusis].* Beratung ist ein suchendes Begehren, das
betreffs dessen entsteht, was wir vollbringen können307 .* Man beratet nämlich, ob man an
die Sache gehen soll oder nicht. Dann urteilt man, was besser ist — und das heißt Urteil*
(κρίσις)* [krisis]. Sodann hat man Hinneigung und Liebe zu dem, was man auf Grund der
Beratung geurteilt, und das heißt Gesinnung* (γνώμη)* [gnōmē]. Denn wenn man urteilt,
aber zu dem, worüber man geurteilt, keine Hinneigung und Liebe hat, so heißt man es
nicht Gesinnung. Auf die Hinneigung folgt sodann die Wahl* (προαίρεσις)* [proairesis]
oder Erwählung* (ἐπιλογή)* [epilogē]. Die Wahl besteht darin, daß man von zwei vorlie-
genden Dingen das eine vor dem andern erwählt und ausliest. Dann schreitet man zur Tat,
und das heißt Angriff (Unternehmen,* ὁρμή* [hormē]). Danach macht man Gebrauch,
und das heißt Gebrauch* (χρῆσις)* [chrēsis]. Endlich ruht nach dem Gebrauch das Begeh-
ren.

In den vernunftlosen Wesen nun entsteht ein Begehren nach etwas, und sogleich erfolgt
ein Angriff zur Tat. Denn das Begehren der vernunftlosen Wesen ist unvernünftig, sie wer-
den vom natürlichen Begehren getrieben. Darum nennt man das Begehren der vernunft-
losen Wesen nicht Wollen* (θέλησις)* [thelēsis] und nicht Willen* (βούλησις)* [boulēsis].
Denn das Wollen* (θέλησις)* [thelēsis] ist ein vernünftiges und freiwilliges, natürliches Be-
gehren. Bei den Menschen wird, da sie vernünftig sind, das natürliche Begehren viel mehr
geleitet als daß es leitet. Denn frei und vernünftig bewegt er (� der Mensch) sich (� ist er
tätig), da die erkennenden und lebenstätigen Kräfte S. 95 in ihm miteinander verbunden
sind. Frei also begehrt er und frei will er, und frei sucht und überlegt er, und frei berat-
schlagt und frei urteilt er, und frei neigt er sich hin und frei wählt er, und frei greift er an,
und frei handelt er in dem, was naturgemäß ist.

Man muß wissen, daß wir bei Gott zwar von einem Willen reden, aber von Wahl im
eigentlichen Sinn nicht sprechen. Denn Gott geht nicht mit sich zu Rate. Ist es doch ein
Zeichen von Unwissenheit, sich zu beraten. Denn niemand beratet über das, was man er-
306
Max. Conf., l. c. S. 3 f.
307
Das kursiv Gedruckte fast wortgetreu aus Max. Conf., l. c. S. 4.

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kennt. Wenn aber Beratung Unwissenheit verrät, dann sicherlich auch die Wahl. Da nun
Gott schlechthin alles weiß, so geht er nicht mit sich zu Rate.

Aber auch bei der Seele des Herrn reden wir von keiner Beratung oder Wahl. Sie war
ja frei von Unwissenheit. Denn hatte sie auch eine [menschliche] Natur, die das Künfti-
ge nicht wußte, so besaß sie gleichwohl, da sie mit dem Gott-Logos hypostatisch geeint
war, die Kenntnis von allem nicht aus Gnade, sondern, wie gesagt, wegen der hypostati-
schen Union. Ein und derselbe war nämlich sowohl Gott als Mensch. Darum hatte er auch
keinen Gesinnungswillen 308 . Er hatte ja wohl einen natürlichen, einfachen Willen, wie
man ihn in gleicher Weise bei allen menschlichen Personen sieht, aber eine Gesinnung
oder ein Wollen im Gegensatz zu seinem göttlichen Willen oder verschieden von seinem
göttlichen Willen hatte seine heilige Seele nicht. Denn die Gesinnung trennt sich mit den
Personen, ausgenommen die heilige, einfache, nicht zusammengesetzte, ungetrennte Gott-
heit. Da nun hier die Personen in keiner Weise getrennt oder geschieden sind, so ist auch
das Wollen nicht getrennt, und es ist hier, da eine einzige Natur, auch ein einziger natür-
licher Wille. Da die Personen ungetrennt sind, gibt es auch nur ein einziges Wollen und
eine einzige Bewegung der drei Personen. Bei den Menschen ist, da die Natur eine ist, auch
der natürliche Wille einer. Da aber die Personen nach Ort und Zeit und der Neigung zu
den Dingen und sehr S. 96 vielem anderen voneinander getrennt und geschieden sind, dar-
um sind die Willen und die Gesinnungen verschieden. Bei unserem Herrn Jesus Christus
aber sind, da die Naturen verschieden, auch die natürlichen Willen oder die Willensvermö-
gen seiner Gottheit und seiner Menschheit verschieden. Da jedoch die Person eine, und
der Wollende einer ist, so ist eines auch das Wollen oder der Gesinnungswille. Denn sein
menschlicher Wille folgt natürlich seinem göttlichen Willen und will das, was der göttliche
Wille zu wollen beliebt.

Man muß wissen, daß etwas anderes ist das Wollen* (θέλησις)* [thelēsis] und etwas ande-
res der Wille* (βούλησις)* [boulēsis], etwas anderes das Gewollte* (θελητόν)* [thelēton]
und etwas anderes das Wollensfähige* (θελητικόν)* [thelētikon] und etwas anderes der
Wollende* (θέλων)* [thelōn].* Θέλησις* [Thelēsis] ist das einfache (� das schlechthinige)
Vermögen, zu wollen.* Βούλησις* [Boulēsis] aber ist der auf eine Sache gerichtete Wille.
Gewollt ist die dem Willen unterliegende Sache oder* was* wir wollen. Ein Beispiel: Es
regt sich die Begierde nach Speise. Die Begierde schlechthin (als solche) ist ein vernünfti-
ges Wollen* (θέλησις)* [thelēsis]. Wollensfähig ist das, was die Willensfähigkeit hat, z. B.
der Mensch. Wollend aber ist eben der, der vom Wollen Gebrauch macht.

Man muß aber wissen, daß* θέλημα* [thelēma] (Wille) bald das Wollen* (θέλησις)*
[thelēsis], d. i. das Willensvermögen, bedeutet — dann heißt er natürlicher Wille —, bald
das Gewollte, und dann heißt er Gesinnungswille (gnomischer Wille).
308
Vgl. Max. Conf., Disput. cum Pyrrho. l. c. II, 171; Ep. 1 ad Marin. II, 12 ff.

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XXIII. KAPITEL. Von der Tätigkeit.

Man muß wissen, daß alle die vorgenannten Kräfte, die erkennenden wie die lebenstäti-
gen, die natürlichen wie die kunstfertigen, Tätigkeiten genannt werden. Denn Tätigkeit ist
die natürliche Kraft und Bewegung einer jeden Wesenheit. Und wiederum: Natürliche Tä-
tigkeit ist die eingepflanzte Bewegung einer jeden Wesenheit. Daher ist klar, daß das, was
dieselbe Wesenheit hat, auch dieselbe Tätigkeit hat. Wo aber die Naturen S. 97 verschieden
sind, da sind auch die Tätigkeiten verschieden. Denn es ist unmöglich, daß eine Wesenheit
ohne natürliche Tätigkeit ist.

Ferner ist natürliche Tätigkeit die jede Wesenheit offenbarende Kraft. Und wiederum:
Natürliche Tätigkeit ist auch die erste (ursprüngliche) sich stets bewegende Kraft der ver-
nünftigen Seele, d. i. ihr stets regsames Denken, das auf natürliche Weise immerfort aus
ihr quillt. Und wiederum: Natürliche Tätigkeit ist die Kraft und Bewegung einer jeden We-
senheit, ohne die nur das nicht Seiende ist.

Tätigkeiten heißen aber auch die Handlungen, wie das Reden, das Gehen, das Essen, das
Trinken u. dgl. Auch die natürlichen Affekte* (πάθη)* [pathē] werden oft Tätigkeiten ge-
nannt, wie Hunger, Durst u. dgl. Tätigkeit heißt ferner auch die Verwirklichung der Mög-
lichkeit.

Auf zweifache Weise wird die Möglichkeit und die Wirklichkeit ausgesagt. Wir nennen
einen Knaben, der noch Säugling ist, einen Grammatiker der Möglichkeit nach. Er hat ja
die Befähigung, durch Lernen ein Grammatiker zu werden. Wir nennen ferner den Gram-
matiker einen Grammatiker der Möglichkeit und der Wirklichkeit nach: der Wirklichkeit
nach, weil er die Kenntnis der Grammatik besitzt; der Möglichkeit nach, weil er sie lehren
kann, aber den Unterricht nicht ausübt. Und wieder nennen wir ihn einen Grammatiker
der Wirklichkeit nach, wenn er wirkt, d. h. lehrt 309 .

Man muß also wissen, daß die zweite Art sowohl die Möglichkeit wie die Wirklichkeit
bedeutet: an zweiter Stelle die Möglichkeit, an erster aber die Wirklichkeit.

Erste und alleinige und wahre Naturtätigkeit ist das freiwillige oder vernünftige und
selbstmächtige Leben, S. 98 das auch unsere Art begründet. Die dem Herrn dies nehmen,
von denen weiß ich nicht, wie sie ihn als den menschgewordenen Gott bezeichnen.
310
Tätigkeit ist wirksame Naturbewegung . Wirksam heißt das, was sich aus sich selbst
309
Johannes hat dieses Beispiel den Scholien des um die Mitte des 6. Jahrhunderts (Krumbacher, Geschichte
der byzantinischen Literatur, München ² 1897, S. 432) lebenden Neuplatonikers Elias (Helias) in der Doctr.
Patr. de incarn. Verb., S. 201, 17—27 u. 202, 1—6, entnommen. Dasselbe Beispiel gebraucht, wenn auch
nicht in dieser Ausführlichkeit, etwas später Stephanus, ein Philosoph (Aristoteliker) in Alexandrien um
620 (Krumbacher, a. a. O. S. 430): Doctr. Patr. S. 203, 5 ff.
310
Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 258, 6. Diekamp (Doctr. Patr. l. c. zu Zeile 6) verweist auf Gregor von

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bewegt.

XXIV. KAPITEL. Vom Freiwilligen und Unfreiwilligen.

Das Freiwillige liegt in einem gewissen Handeln, und das, was als unfreiwillig gilt, liegt in
einem gewissen Handeln. Viele nehmen aber auch das wirklich Unfreiwillige nicht bloß
im Leiden, sondern auch im Handeln an. Darum muß man wissen, daß Handlung eine
vernünftige Tätigkeit ist. Den Handlungen folgt Lob oder Tadel. Die einen davon vollbringt
man mit Freud’, die andern mit Leid. Die einen davon sind dem Handelnden erwünscht,
die andern verhaßt. Von den erwünschten sind die einen immer erwünscht, die andern nur
zu einer gewissen Zeit. Dasselbe gilt auch von den verhaßten. Und wiederum: Die einen
Handlungen läßt man Erbarmen finden und würdigt sie der Nachsicht, die andern aber
haßt und straft man. Dem Freiwilligen nun folgt jedenfalls Lob oder Tadel, man tut es mit
Freude, und die Handlungen sind den Handelnden erwünscht, entweder immer oder zu
der Zeit, da sie geschehen. Dem Unfreiwilligen aber [folgt]: Man würdigt es der Nachsicht
oder des Erbarmens, man tut es mit Schmerz, [die Handlungen] sind nicht erwünscht 311 ,
man vollbringt die Tat nicht aus sich selbst, auch wenn man dazu gezwungen wird.

Das Unfreiwillige geschieht teils aus Zwang, teils aus Unwissenheit. Aus Zwang, wenn das
wirkende S. 99 Prinzip oder die Ursache* von außen stammt 312 ,* d. h. wenn wir von einem
andern gezwungen werden, ohne daß wir uns überhaupt bereden lassen oder aus eigenem
Antrieb beistimmen oder überhaupt mitwirken oder durch uns selbst das Erzwungene tun.
Das können wir auch so definieren: Unfreiwillig ist das, dessen Prinzip von außen stammt,*
ohne daß der Gezwungene aus eigenem Antrieb beistimmt 313 .* Unter Prinzip aber verste-
hen wir die Wirkursache. Das Unfreiwillige aus Unwissenheit ist dann gegeben,* wenn wir
nicht selber an der Unwissenheit schuld sind, sondern es sich zufällig so trifft 314 .* Wenn z.
B. jemand im Rausch einen Mord begeht, so hat er zwar unwissend getötet, aber wahrlich
nicht unfreiwillig. Denn die Ursache der Unwissenheit, nämlich den Rausch, hat er selbst
hervorgerufen.* Wenn aber einer, der am gewohnten Orte schießt, den vorbeigehenden
Nyssa bei Maximus, Diversae definitiones (Migne, P. gr. 91, 281 A).
311
Kap. 24 bis hierher fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 29, S. 264 f.
312
Nem., l. c. c. 30, S. 265.
313

l. c. S. 266.

314

l. c. c. 31, S. 272.

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Vater tötet 315 ,* so sagt man, er habe dies aus Unwissenheit unfreiwillig getan.

Da es also eine doppelte Art von Unfreiwilligem gibt, nämlich das aus Zwang und das aus
Unwissenheit, so steht das Freiwillige beiden gegenüber. Denn freiwillig ist, was weder aus
Zwang noch aus Unwissenheit geschieht. Freiwillig ist also das, dessen Prinzip, d. i. Ursache,
in dem ist, der selber alle Einzelheiten kennt, wodurch und worin die Handlung besteht. Ein-
zelheiten aber sind das,* was bei den Rednern Umstände heißt 316 ;* z. B.* wer,* d. i. der,
der gehandelt hat;* wen,* d. i. den, der gelitten hat;* was, d. i. die Tat selbst,* etwa: er hat
getötet;* wodurch,* d. i. durch welches Werkzeug;* wo,* d. i. an welchem Ort;* wann,* d. i.
zu welcher Zeit;* wie,* d. i. die Art und Weise der Handlung;* warum 317 ,* d. i. aus welchem
Grunde.

Man muß wissen, daß manches in der Mitte zwischen Freiwilligem und Unfreiwilligem
steht. Obwohl dies unerfreulich und betrübend ist, tun wir es doch um S. 100 eines größe-
ren Übels willen. So werfen wir des Schiffbruchs wegen hinaus, was im Schiffe ist 318 .

Man muß wissen, daß* die Kindlein und die vernunftlosen Wesen zwar freiwillig, aber
wahrlich nicht aus Wahl handeln, und daß wir alles, was wir im Zorn tun, ohne zu über-
legen, freiwillig, doch wahrlich nicht auch vorsätzlich tun. Auch der Freund begegnet uns
plötzlich, zwar freiwillig (erwünscht) für uns, aber wahrlich nicht auch mit unserem Vor-
satz. Und wer unverhofft auf einen Schatz gestoßen, ist freiwillig, aber wahrlich nicht auch
vorsätzlich auf ihn gestoßen 319 .* All das ist zwar freiwillig, weil wir uns darüber freuen,
aber wahrlich nicht auch vorsätzlich, weil ohne Überlegung. Eine Überlegung muß aber
jedenfalls, wie gesagt, der Wahl (dem Vorsatz) vorausgehen.

XXV. KAPITEL. Von dem, was in unserer Macht steht, d. i. vom freien Willen.
320
Bei der Untersuchung über den freien Willen, d. i. über das, was in unserer Macht steht,
ist die erste Frage, ob es etwas gibt, was in unserer Macht steht. Denn viele sind es, die dem
entgegentreten. Die zweite [Frage ist die], was das ist, was in unserer Macht steht und über
315
I. c.
316
Nem., l. c. c. 32, S. 274 f.
317

l. c. c. 31, S. 272 f.

318
Cf. Nem., l. c. c. 30, S. 265.
319

l. c. c. 33, S. 277 f.

320
Dieses ganze Kapitel 25 hat Johannes fast Wort für Wort aus Nem., l. c. c. 39, S. 311�314 abgeschrieben.

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was wir Macht haben. Die dritte hat zu untersuchen, aus welchem Grunde Gott, der uns
erschaffen, uns frei erschaffen hat. Wir wollen also mit dem ersten Punkt beginnen und
zuerst aus dem, was von jenen zugestanden wird, zeigen, daß es etwas gibt, das in unserer
Macht steht, und zwar folgendermaßen:

Die Ursache von allem, was geschieht, ist, so sagen sie, entweder Gott oder die Notwen-
digkeit oder das Schicksal oder die Natur oder das Glück oder der S. 101 Zufall. Nun, ein
Werk Gottes ist die Wesenheit und Vorsehung; [Werk] der Notwendigkeit die Bewegung
dessen, was sich immer gleich bleibt; des Schicksals, daß das, was durch dasselbe geschieht,
sich mit Notwendigkeit vollzieht — denn auch dieses ist Sache der Notwendigkeit; [Werk]
der Natur Werden, Wachstum, Vergehen, Pflanzen und Tiere; des Glücks das Seltene und
Unerwartete. Man definiert nämlich das Glück als ein Zusammentreffen und Zusammen-
kommen zweier Ursachen, denen ein Vorsatz zugrundeliegt, die aber eine andere Wirkung
haben als ihrer Natur entspricht. Z. B.: Es hebt jemand einen Graben aus und findet einen
Schatz. Denn weder hat der, der den Schatz hingelegt, ihn in der Absicht hingelegt, daß
ein anderer diesen finde, noch hat der, der ihn gefunden, in der Absicht gegraben, einen
Schatz zu finden, sondern der eine, um ihn zu heben, wann es ihm beliebte, der andere,
um einen Graben zu machen. Es traf sich jedoch etwas anderes, als beide beabsichtigten.
[Ein Werk] des Zufalls endlich ist das, was außer Natur und Kunst den unbeseelten oder
unvernünftigen Wesen zustößt. So ihre Ansicht. Worunter sollen wir also das einreihen,
was durch die Menschen geschieht, wenn nämlich der Mensch nicht Ursache und Prinzip
(Grund) seines Tuns ist? Denn die bisweilen schändlichen und ungerechten Handlungen
darf man weder Gott zuschreiben noch der Notwendigkeit — sie gehören ja nicht zu dem
immer sich gleich Bleibenden —, noch dem Schicksal — denn nicht zum Möglichen, son-
dern zum Notwendigen gehören, wie sie sagen, die Bestimmungen des Schicksals —, noch
der Natur — denn Werke der Natur sind Tiere und Pflanzen —, noch dem Glück — denn
nicht selten und unerwartet sind die Handlungen der Menschen —, noch dem Zufall —
denn sie sagen, Zufall begegne dem Unbeseelten oder Unvernünftigen. Es bleibt also nur
übrig: Der handelnde und wirkende Mensch ist Prinzip (Ursache) seiner Werke und hat
einen freien Willen.

Ferner, wenn der Mensch von keiner Handlung die Ursache ist, so hat er nicht nötig, sich
zu beraten. Denn wozu braucht er die Beratung, wenn er über keine Handlung Herr ist? Je-
de Beratung [erfolgt] doch um S. 102 einer Handlung willen. Das Schönste und Wertvollste
am Menschen aber als überflüssig hinzustellen, dürfte zu dem Törichtesten gehören. Wenn
er sich also berät, so berät er sich um einer Handlung willen. Denn jede Beratung [erfolgt]
um einer Handlung willen und wegen einer Handlung.

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XXVI. KAPITEL. Von dem, was geschieht.

Das, was geschieht, steht teils in unserer Macht, teils nicht.* In unserer Macht steht* das,
was wir in freier Entscheidung tun oder lassen können, d. i.* das, was von uns freiwillig ge-
tan wird — man würde ja nicht sagen, daß es freiwillig getan wird, stünde das Tun nicht in
unserer Macht —, kurz das, worauf Tadel oder Lob folgt, und wofür es Aufmunterung und
Gesetz gibt. Im eigentlichen Sinn aber steht in unserer Macht alles, was unsere Seele angeht
und worüber wir beraten. Die Beratung aber betrifft das, was gleich (so oder so) möglich
ist. Gleichmöglichkeit besteht da, wo sowohl das wie sein Gegenteil in unserer Macht liegt.
Die Wahl darüber trifft unser Verstand, dieser ist Anfang (Prinzip) der Handlung. Das also
steht in unserer Macht, was gleich möglich ist, wie z. B. sich bewegen und sich nicht bewe-
gen, angreifen und nicht angreifen, das nicht Notwendige begehren und nicht begehren,
lügen und nicht lügen, geben und nicht geben, sich freuen, wo man soll, und ebenso sich
nicht freuen, wo man nicht soll, und alles dergleichen, worin die Werke der Tugend und
der Schlechtigkeit bestehen. Denn hierüber sind wir unser eigener Herr. Zu dem gleich
Möglichen gehören auch die Künste 321 .* Denn es steht bei uns, sie zu betreiben, wenn wir
wollen, und sie nicht zu betreiben.

Man muß aber wissen, daß zwar* die Wahl dessen, was zu tun ist, immer in unserer
Macht steht 322 ,* die S. 103 Ausführung jedoch infolge eines bestimmten Verhaltens der
göttlichen Vorsehung oft verhindert wird 323 .

XXVII. KAPITEL. Über die Frage, warum wir einen freien Willen haben.

Wir sagen allsogleich, die Willensfreiheit begleite die Vernunft und dem Geschaffenen sei Ver-
änderung und Wandel eigen. Alles Geschaffene ist eben auch wandelbar. Denn wessen*
Entstehung* mit Veränderung begonnen, das ist notwendig wandelbar. Wandel aber ist es,
aus dem Nichtsein ins Dasein zu treten und* aus einem vorhandenen Stoff* etwas anderes
zu werden. Die unbeseelten und unvernünftigen Wesen nun verwandeln sich nach den
erwähnten körperlichen Veränderungen, die vernünftigen aber durch freie Wahl.* Vom
Vernünftigen ist das eine theoretisch, das andere praktisch: theoretisch das Nachdenken
darüber, wie sich das Seiende verhält, praktisch aber die Beratung, die für das, was zu tun
ist, den rechten Maßstab bestimmt. Man nennt das Theoretische Verstand (νοῦς) [nous],
das Praktische aber [praktische] Vernunft, das Theoretische Weisheit, das Praktische Klug-
heit. Jeder nun, der ratschlagt, ratschlagt so, als stünde die Wahl dessen, was zu tun ist, in
seiner Macht, um das zu wählen, was auf Grund der Beratung den Vorzug verdient, und es
dann nach der Wahl zu tun. Wenn aber das, dann steht notwendig der Vernunft der freie
Wille zur Seite. Denn entweder wird keine Vernunft da sein, oder, wenn eine Vernunft da
321
Alles fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 40, S, 317 f.
322
Nem., l. c. c. 37, S. 299.
323
Vgl. Nem., c. 40, S. 320.

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ist, wird sie Herrin der Handlungen und selbstmächtig sein 324 .* Daher haben auch die
unvernünftigen Wesen keinen freien Willen. Denn sie werden von der Natur mehr geleitet
als sie leiten. Deshalb widersprechen sie auch nicht dem natürlichen Begehren, sondern
sobald sie nach etwas begehren, schreiten sie zur Tat. Der Mensch aber, der ja vernünftig
ist, leitet die Natur viel S. 104 mehr, als er [von ihr] geleitet wird. Deshalb hat er auch beim
Begehren, wenn er will, die Macht, die Begierde zu zügeln oder ihr zu folgen. Darum wer-
den die vernunftlosen Wesen weder gelobt noch getadelt, der Mensch jedoch wird sowohl
gelobt als getadelt.

Man muß wissen, daß die Engel, da sie vernünftig sind, selbstmächtig, und da geschaf-
fen, wandelbar sind 325 . Das hat der Teufel bewiesen. Er ward vom Schöpfer gut geschaffen,
aber eigenmächtig ist er nebst den mit ihm abgefallenen Mächten oder den Dämonen Er-
finder der Schlechtigkeit geworden, während die übrigen Ordnungen der Engel im Guten
verharrten.

XXVIII. KAPITEL. Von dem, was nicht in unserer Macht steht.

Von dem, was nicht in unserer Macht steht, hat einiges in dem, was in unserer Macht steht,
seine Gründe oder Ursachen, nämlich die Vergeltung unserer Handlungen in der gegen-
wärtigen und in der zukünftigen Welt, alles übrige aber hängt vom göttlichen Ratschluß ab.
Denn das Entstehen aller Dinge hat seinen Grund in Gott, das Vergehen aber ward unserer
Bosheit wegen zu Straf ’ und Nutzen eingeführt. „Gott hat ja den Tod nicht gemacht, noch
freut er sich am Untergang der Lebendigen 326 .“ Durch den Menschen vielmehr, d. i. durch
Adams Übertretung, ist der Tod gekommen 327 , desgleichen auch die übrigen Strafen. Al-
les andere aber muß man Gott beilegen. Denn unsere Entstehung verdanken wir seiner
schöpferischen Kraft, die Fortdauer seiner erhaltenden Kraft, die Leitung und Erhaltung
seiner vorsehenden Kraft, den ewigen Genuß der Güter seiner Güte gegen die, die das Na-
turgemäße bewahren, wozu wir auch gebildet wurden. Da aber einige die S. 105 Vorsehung
leugnen, so wollen wir auch über die Vorsehung noch ein paar Worte sprechen.

XXIX. KAPITEL. Von der Vorsehung.

Vorsehung ist die Sorge, die Gott dem Seienden zuwendet. Und wiederum:* Vorsehung ist
der Wille Gottes, durch den alles Seiende die angemessene Leitung erhält. Ist aber die Vor-
sehung Gottes Wille, so muß folgerichtig* alles, was durch die Vorsehung geschieht,* über-
aus schön und gotteswürdig und so geschehen, wie es besser gar nicht geschehen könnte.
Denn es muß der Schöpfer und Vorseher des Seienden ein und derselbe sein. Es wäre ja
324
Das kursiv Gedruckte aus Nem., l. c. c. 41, S. 324—326.
325
Vgl. Nem., l. c. c. 41, S. 328.
326
Weish. 1, 13.
327
Vgl. Röm. 5, 12.

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weder geziemend noch folgerichtig, wenn einer Schöpfer des Seienden und einer Vorseher
wäre. Denn da fehlte* sicherlich beiden* die Kraft 328 :* dem einen, um zu schaffen, dem
andern, um vorzusehen. Gott ist also sowohl Schöpfer als Vorseher, und seine schaffende
und erhaltende und vorsehende Kraft ist sein guter Wille. Denn „alles, was er wollte, hat
der Herr im Himmel und auf der Erde gemacht 329 “, und seinem Willen widersteht nie-
mand 330 . Er wollte, daß alles werde, und es ward. Er will, daß die Welt bestehe, und sie
besteht, und alles, was er will, geschieht.

Daß Gott vorsorgt und daß er trefflich vorsorgt, zeigt wohl am richtigsten folgende Erwä-
gung: Gott allein ist von Natur aus gut und weise. Da er also gut ist, sorgt er vor. Denn wer
nicht vorsorgt, ist nicht gut. Auch die Menschen und die vernunftlosen Wesen sorgen ja
naturgemäß für ihre Kinder vor. Und wer nicht vorsorgt, wird getadelt. Da er ferner weise
ist, sorgt er aufs beste für das Seiende.

Beachten wir dies, so müssen wir alle Werke der Vorsehung bewundern, alle loben, alle
ohne Grübeln S. 106 hinnehmen, auch wenn sie der Menge ungerecht scheinen. Denn die
Vorsehung Gottes ist unerkennbar und unbegreifbar, und unsere Gedanken und Hand-
lungen sowie die Zukunft sind ihm allein bekannt. All das steht nämlich nicht in unserer
Macht. Denn was in unserer Macht liegt, ist nicht Sache der Vorsehung, sondern unseres
freien Willens.

Was Sache der Vorsehung ist, geschieht teils nach Wohlgefallen, teils nach Zulassung.
Nach Wohlgefallen alles, was unwidersprechlich gut ist.* Nach Zulassung aber [auf ver-
schiedene Art]. Oft läßt sie zu, daß auch der Gerechte in Unglück fällt, um die in ihm
verborgenen Tugenden den andern kundzutun, wie bei Job 331 . Ein andermal läßt sie et-
was Unziemliches geschehen, auf daß durch die unziemlich scheinende Tat etwas Großes
und Wunderbares vollbracht werde, wie durch das Kreuz das Heil der Menschen. In ande-
rer Weise läßt sie den Frommen Übles leiden, auf daß er nicht das gute Gewissen verliere
oder auch ob der ihm verliehenen Kraft und Gnade in Prahlerei verfalle, wie bei Paulus 332 .
Mancher wird eine Zeitlang zur Besserung eines andern verlassen, damit die andern, die
seine Lage sehen, unterwiesen werden, wie bei Lazarus und dem Reichen 333 . Denn natur-
gemäß gehen wir, wenn wir welche leiden sehen, in uns. Manch einer wird auch zur Ehre
eines andern, nicht durch eigene oder der Eltern Sünde, verlassen, wie der Blindgeborene
zur Ehre des Menschensohnes 334 . Ferner wird zugelassen, daß mancher zur Aneiferung
eines andern leidet, damit, wenn des Leidenden Ruhm sich erhöht, die andern das Leiden
328
Fast wörtlich aus Nem., l. c. c. 43, S. 343 f.
329
Ps. 134, 6 [hebr. Ps. 135, 6].
330
Vgl. Röm. 9, 19.
331
Job 1, 12 ff.
332
2 Kor. 12, 7.
333
Luk. 16, 19 ff.
334
Joh. 9, 3.

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ohne Zaudern ertragen in der Hoffnung auf die „künftige Herrlichkeit 335 “ und im Ver-
langen nach den „künftigen Gütern 336 “ , wie bei den Märtyrern 337 .* Es wird zugelassen,
S. 107 daß mancher zuweilen sogar eine schändliche Handlung begeht, um ein anderes,
noch schlimmeres Übel zu verhindern. Z. B.: Es ist einer stolz auf seine Tugenden und gu-
ten Werke. Diesen läßt Gott in Unzucht fallen, daß er durch den Fall zur Erkenntnis seiner
Schwäche komme, sich demütige, zum Herrn hinzutrete und ihm ein Bekenntnis ablege.

Man muß wissen, daß zwar* die Wahl dessen, was zu tun ist, in unserer Macht steht
338
.** Das Vollziehen* jedoch liegt, was das Gute betrifft, an der Mitwirkung Gottes, der
gemäß seines Vorherwissens mit denen, die mit gutem Gewissen das Gute wählen, mit
Recht mitwirkt; was aber das Böse betrifft, am Verlassen Gottes, der wieder gemäß seines
Vorherwissens mit Recht [den Bösen] verläßt.

Es gibt zwei Arten der Verlassung. Es gibt nämlich eine in der Heilsordnung gelegene
und erziehliche Verlassung, und es gibt eine vollständige, verwerfende Verlassung. In der
Heilsordnung gelegen und erziehlich ist die, die zur Besserung und Rettung und Ehre des
Leidenden oder zur Aneiferung und Nachahmung anderer oder zur Ehre Gottes erfolgt.
Die vollständige Verlassung aber ist dann da, wenn der Mensch, trotzdem Gott alles zum
Heile Dienende getan, vorsätzlich gefühllos und ungeheilt, oder besser gesagt, unheilbar
bleibt. Dann wird er dem völligen Verderben überantwortet wie Judas. Möge Gott uns
gnädig sein und uns vor einer solchen Verlassung bewahren!

Man muß wissen, daß es viele Arten der Vorsehung Gottes gibt, die man weder mit Wor-
ten erklären noch mit dem Verstande begreifen kann.

Man muß wissen, daß alle traurigen Geschicke denen, die sie mit Dank annehmen, zum
Heil gereichen und gewiß nutzbringend sind.

Man muß wissen, daß Gott in vorangehender Weise will, daß alle gerettet werden 339 und
sein Reich erlangen. Denn nicht zur Bestrafung hat er uns geschaffen, S. 108 sondem zur
Teilnahme an seiner Güte, da er gut ist. Die Bestrafung der Sünder aber* will* er, da er
gerecht ist.

Den ersten [Willen] nun nennt man vorangehenden Willen und Wohlgefallen, da er
(Gott) selbst dessen Ursache ist; den zweiten nachfolgenden Willen und Zulassung, da
seine Ursache wir sind. Und diese (� die Zulassung) ist eine doppelte: die eine ist in der
Heilsordnung gelegen und erzieht zum Heile, die andere verwirft zur vollen Bestrafung,
wie gesagt. Dies aber bezieht sich auf das, was nicht in unserer Macht steht.
335
1 Petr. 5, 1.
336
Hebr. 10, 1.
337
Das kursiv Gedruckte wortgetreu aus Nem., l. c. c. 44, S. 362—364.
338
Nem., l. c. c. 37, S. 299.
339
Vgl. 1 Tim. 2, 4.

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Von dem, was in unserer Macht steht, will er (Gott) das Gute in vorangehender Weise
und hat daran sein Wohlgefallen. Das Böse und wirklich Schlechte aber will er weder in
vorangehender noch nachfolgender Weise. Er erlaubt es jedoch dem freien Willen. Denn
was aus Zwang geschieht, ist nicht vernünftig noch Tugend. Gott sorgt für die ganze Schöp-
fung, und durch die ganze Schöpfung spendet er Wohltaten und erzieht, ja oft sogar durch
die Dämonen, wie bei Job 340 und den Schweinen 341 .

XXX. KAPITEL. Vom Vorherwissen und Vorherbestimmen.

Man muß wissen, daß Gott alles vorherweiß, aber nicht alles vorherbestimmt. Er weiß
vorher, was in unserer Macht steht, aber er bestimmt es nicht vorher. Er will ja nicht, daß die
Schlechtigkeit geschehe, noch erzwingt er die Tugend. Daher ist die Vorherbestimmung ein
Werk des auf Vorherwissen beruhenden Befehles Gottes. Er bestimmt aber das, was nicht in
unserer Macht steht, gemäß seinem Vorherwissen voraus. Denn kraft seines Vorherwissens
hat Gott bereits alles nach seiner Güte und Gerechtigkeit vorausentschieden.

Man muß wissen, daß die Tugend von Gott in die Natur gegeben wurde, daß er selbst
Prinzip und Ursache S. 109 alles Guten ist, und daß wir ohne seine Mitwirkung und Hil-
fe unmöglich Gutes wollen oder tun können. In unserer Macht aber steht es, entweder in
der Tugend zu verharren und Gott zu folgen, der dazu ruft, oder von der Tugend abzu-
gehen, d. i. sich dem Bösen hinzugeben und dem Teufel zu folgen, der ohne Zwang dazu
ruft. Denn das Böse ist nichts anderes als ein Zurückweichen vom Guten, wie die Finster-
nis ein Zurückweichen vom Licht. Bleiben wir also im Naturgemäßen, so sind wir in der
Tugend. Weichen wir aber vom Naturgemäßen oder von der Tugend ab, so kommen wir
ins Naturwidrige und fallen ins Böse.

Bekehrung ist die Rückkehr vom Naturwidrigen zum Naturgemäßen und vom Teufel zu
Gott durch Übung und Mühen.

Der Schöpfer hat den Menschen als Mann geschaffen, er hat ihm seine göttliche Gnade
mitgeteilt und durch diese ihn in Gemeinschaft mit ihm gebracht. Deshalb hat er auch
wie ein Herr den ihm gleichsam als Diener zugewiesenen Tieren prophetisch die Namen
gegeben 342 . Denn da er nach Gottes Bild vernünftig und denkend und frei geschaffen ward,
hat er mit Recht die Herrschaft übers Irdische vom gemeinsamen Schöpfer und Herrn aller
Dinge empfangen.

Da aber der vorauswissende Gott wußte, daß er sich der Übertretung [des Gebotes] schul-
dig machen und dem Verderben verfallen werde, schuf er aus ihm ein Weib, eine Gehilfin
340
Job 1, 12 ff.
341
Matth. 8, 30 ff.; Mark. 5, 11 ff.; Luk. 8, 32 ff.
342
Gen. 2, 19 f.

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für ihn, ihm entsprechend 343 . Eine Gehilfin, um nach der Übertretung das Geschlecht
durch eine mittels Zeugung zu erzielende Nachkommenschaft zu erhalten. Die ursprüngli-
che Bildung heißt Erschaffung* (γένεσις)* (genesis) und nicht Zeugung* (γέννησις)* [gen-
nēsis). Erschaffung ist die ursprüngliche Bildung durch Gott, Zeugung aber ist die kraft des
Todesurteils wegen der Übertretung erfolgte Abstammung voneinander.

Diesen (� den ersten Menschen) versetzte er ins Paradies, das sowohl geistig als sinnlich
war. Denn in dem sinnlichen [Paradies] lebte er auf Erden dem S. 110 Körper nach, der See-
le nach aber verkehrte er mit den Engeln, bebaute göttliche Gedanken und nährte sich mit
diesen. Nackt ob der Einfachheit und des ungekünstelten Lebens, erhob er sich durch die
Geschöpfe zum alleinigen Schöpfer und erfreute und ergötzte sich in seiner Betrachtung.

Da er ihn von Natur mit freiem Willen ausgestattet, gab er ihm ein Gebot, vom Baume
der Erkenntnis nicht zu kosten 344 . Von diesem Baume haben wir im Kapitel vom Para-
dies, so gut wir es vermochten, zur Genüge gesprochen. Dieses Gebot gab er ihm mit der
Verheißung, er werde, wenn er die Würde der Seele bewahre, der Vernunft den Sieg las-
se, den Schöpfer anerkenne und dessen Befehl beachte, die ewige Seligkeit erlangen und,
dem Tode überlegen, leben in Ewigkeit. Wenn er aber die Seele dem Leibe unterordne und
die Lüste des Leibes vorziehe, nachdem er seine Ehre verkannt und, den unvernünftigen
Tieren gleich geworden 345 , das Joch des Schöpfers abgeschüttelt und sein göttliches Ge-
bot mißachtet, so werde er dem Tode und Verderben verfallen, der Mühsal unterworfen
werden und ein elendes Leben führen. Denn es war zum Vorteil, daß er nicht ohne Erpro-
bung und Bewährung die Unsterblichkeit erlangte, nämlich um nicht in Hochmut und ins
Gericht des Teufels zu fallen 346 . Denn infolge der Unsterblichkeit ist jener nach seinem
freiwilligen Fall unwiderruflich und unabänderlich im Bösen gefestigt. Andrerseits sind
die Engel, nachdem sie freiwillig die Tugend erwählt, durch die Gnade unbeweglich im
Guten gegründet.

Es sollte sich also der Mensch zuerst bewähren — ein ungeprüfter, unbewährter Mann
ist keines Wortes wert 347 —, in der Prüfung durch Haltung des Gebotes vollkommen wer-
den und so die Unsterblichkeit als Kampfpreis der Tugend davontragen. Denn, zwischen
Gott und die Materie gestellt, sollte er durch Beobachtung des Gebotes, nachdem er sein
natürliches S. 111 Verhältnis zu den Dingen aufgegeben, zur möglichsten Gotteinigung
kommen und die unerschütterliche Festigkeit im Guten erlangen. Da er sich aber durch
die Übertretung vielmehr zur Materie hingewendet und seinen Geist von seiner Ursache,
von Gott, losgerissen, so sollte er dem Verderben anheimfallen, leidensvoll statt leidens-
343
Ebd. [Gen.] 2, 18.
344
Gen. 2, 17.
345
Ps. 48, 13 [hebr. Ps. 49, 13].
346
1 Tim. 3, 6.
347
Vgl. Sir. 34, 11.

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los, sterblich statt unsterblich werden, Paarung und flüssige Zeugung brauchen, sich aus
Verlangen nach dem Leben an die Annehmlichkeiten hängen, gleich als könnten diese es
enthalten, die aber, die ihn dieser berauben wollen, ungescheut hassen, die Zuneigung von
Gott auf die Materie und den Zorn vom wirklichen Feind des Heiles auf den Geschlechtsge-
nossen (Mitmenschen) übertragen. „Durch den Neid des Teufels 348 “ also ward der Mensch
besiegt. Denn nicht ertrug es der neidische, das Gute hassende Dämon, daß wir das Obere
(� den Himmel) erlangen, nachdem* er* wegen seiner Erhebung hinabgestürzt war. Dar-
um betrügt auch der Lügner 349 den Unglücklichen, indem er ihm Hoffnung auf Gottsein
macht, führt ihn zur eigenen Höhe des Hochmuts hinauf und stürzt ihn dann in den glei-
chen Abgrund des Verderbens hinab.

Drittes Buch
I. KAPITEL. Von der göttlichen Heilsveranstaltung, von der Sorge um uns und von
unserem Heil.

S. 112 Den Menschen nun, der sich durch diesen Angriff des erzbösen Dämon betrügen
ließ, der das Gebot des Schöpfers nicht befolgt, der die Gnade verloren und „die Zuversicht
zu Gott 350 “ ausgezogen, der mit der Rauheit des mühseligen Lebens bedeckt war � denn
das bedeuten die Feigenblätter 351 �, der das Sterben, d. h. die Sterblichkeit und Grobheit
des Fleisches, angezogen � denn das bedeutet die Umhüllung mit den Fellen 352 �, der nach
„Gottes gerechtem Gericht 353 “ aus dem Paradies vertrieben, zum Tode verurteilt und der
Vergänglichkeit unterworfen war, diesen übersah der Mitfühlende nicht, er, der [ihm] das
Sein gegeben und das Wohlsein geschenkt. Nein, zuerst züchtigte er [ihn] durch viele Mit-
tel und rief ihn zur Bekehrung durch Seufzen und Zittern, durch Sintflut und fast völligen
Untergang des ganzen Geschlechtes 354 , durch Verwirrung und Teilung der Sprachen 355 ,
Aufsicht von Engeln 356 , Verbrennung von Städten 357 , vorbildliche Gotteserscheinungen,
Kriege, Siege, Niederlagen, Zeichen und Wunder 358 , verschiedene Machterweise, durch
Gesetz, Propheten. Der Zweck von [all] dem war die Aufhebung der Sünde, S. 113 die sich
mannigfaltig ausgebreitet, den Menschen unterjocht und Schlechtigkeit aller Art aufs Le-
348
Weish. 2, 24.
349
Vgl. Joh. 8, 44.
350
Vgl. 1 Joh. 3, 21; 5, 14.
351
Gen. 3, 7.
352
Ebd. [Gen. 3, 7].
353
Röm. 2, 5.
354
Gen. 6, 13.
355
Ebd. [Gen.] 11, 7.
356
Ebd. [Gen.] 18, 1 ff.
357
Ebd. [Gen.] 19, 1.
358
Dieser Ausdruck findet sich Deut. 4, 34; 7, 19; 13, 1; 26, 8; 34, 11; Jos. 24, 5; 2 Esdr. 9, 10; Weish. 10, 16; Is.
20, 3; Jer. 32, 20 f.; Mark. 13, 22; Hebr. 2, 4.

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ben gehäuft, und die Rückkehr des Menschen zum Wohlsein (Glück). Durch die Sünde war
ja der Tod in die Welt gekommen 359 , der wie ein wildes, ungezähmtes Tier das menschli-
che Leben verwüstet. Der Erlöser aber durfte keine Sünde haben und durch die Sünde dem
Tode nicht unterworfen sein. Zudem galt es, die Natur zu stärken und zu erneuern und den
Weg der Tugend, der vom Verderben weg- und zum ewigen Leben hinführt, durch die Tat
zu weisen und zu lehren. Da endlich zeigt er das große Meer der Liebe, die er zu ihm (�
dem Menschen) hat. Denn der Schöpfer und Herr selbst übernimmt für sein Gebilde den
Kampf und wird Lehrer durch die Tat. Und da der Feind den Menschen geködert, indem
er ihm Hoffnung auf Gottsein gemacht 360 , so wird* er* geködert, indem er (� der Herr)
ihm Fleisch entgegenhält, und es zeigt sich zugleich die Güte und die Weisheit, die Gerech-
tigkeit und die Macht Gottes 361 . Die Güte. Denn er hat die Schwachheit seines Gebildes
nicht übersehen, sondern sich des Gefallenen erbarmt und ihm die Hand gereicht. Die Ge-
rechtigkeit. Denn, als der Mensch besiegt worden, läßt er nicht einen andern den Tyrannen
besiegen noch entreißt er mit Gewalt den Menschen dem Tode; nein den, den einst der Tod
wegen der Sünden unterjocht, hat der Gute und Gerechte wiederum zum Sieger gemacht
und durch den Gleichen den Gleichen gerettet, was unmöglich schien. Die Weisheit. Er hat
ja die treffendste Lösung des [scheinbar] Unmöglichen gefunden. Denn „der eingeborene
Sohn“, das Wort Gottes und Gott, „der im Schoße Gottes, des Vaters, ist 362 “, der dem Vater
und dem Hl. Geiste Wesensgleiche, der Ewige, der Anfangslose, der im Anfang war und
bei Gott dem Vater war und S. 114 Gott war 363 , der „in göttlicher Gestalt existierte 364 “,
der neigt nach dem Wohlgefallen Gottes des Vaters die Himmel und steigt herab 365 , d. i. er
erniedrigt seine Hoheit, die keine Erniedrigung kennt, ohne sich zu erniedrigen, und steigt
in unaussprechlicher und unbegreiflicher Herablassung zu seinen Knechten herab. Denn
das bedeutet das Herabsteigen. Und obwohl er vollkommener Gott ist, wird er vollkomme-
ner Mensch und vollbringt das Neueste von allem Neuen, das allein Neue unter der Sonne
366
, wodurch sich die unendliche Macht Gottes offenbart. Denn was gibt es Größeres, als
daß Gott Mensch wird? „Und das Wort ist“, ohne sich zu verwandeln, „Fleisch geworden
367
“ aus dem Hl. Geiste und der heiligen, immerwährenden Jungfrau und Gottesgebärerin
Maria. Und es läßt sich „Mittler zwischen Gott und den Menschen 368 “ nennen, der einzige
359
Weish. 2, 24.
360
Gen. 3, 5.
361
Johannes folgt in seinen Ausführungen über die Güte, Weisheit, Gerechtigkeit und Macht Gottes Gregor
von Nyssa (Catech. Orat. c. 22 Migne, P. gr. 45, 60 C�D, 65 B�C).
362
Joh. 1, 18.
363
Vgl. Joh. 1, 1 f.
364
Phil. 2, 6.
365
Vgl. Ps. 17, 10; 143, 5 [hebr. Ps. 18, 10; 144, 5].
366
Vgl. Pred. 1, 10 nach der Vulgata, 1, 9 nach LXX [Septuaginta].
367
Joh. 1, 14.
368
1 Tim. 2, 5.

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Menschenfreund, nicht „aus dem Gelüst 369 “ oder dem Trieb oder der Umarmung eines
Mannes oder aus wollüstigem Zeugen im unbefleckten Schoße der Jungfrau, sondern aus
dem Hl. Geiste und nach Art der ursprünglichen Entstehung Adams empfangen. Und er
wird gehorsam dem Vater, durch die Annahme dessen, was uns entsprechend und aus uns
ist, heilt es unsern Ungehorsam und wird uns ein Vorbild des Gehorsams, ohne den man
das Heil nicht erlangen kann.

II. KAPITEL. Von der Empfängnisweise des Wortes und seiner göttlichen Fleischwer-
dung.

Ein Engel des Herrn ward zur heiligen Jungfrau, die aus Davids Stamm entsprossen, ge-
sandt 370 . „Es ist S. 115 ja wohlbekannt, daß unser Herr aus Judäa hervorgegangen, einem
Stamme, von dem niemand Dienst am Altare getan 371 “, wie der göttliche Apostel sagt. Dar-
über wollen wir später ausführlicher reden. Dieser (� der Jungfrau) brachte er auch frohe
Botschaft und sprach: „Sei gegrüßt, Begnadigte, der Herr ist mit dir 372 .“ Sie aber wurde
infolge des Wortes verwirrt, doch der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn
du hast Gnade gefunden beim Herrn, du wirst einen Sohn gebären und seinen Namen Jesus
nennen 373 .“ „Denn er wird sein Volk von seinen Sünden erretten 374 .“ Deshalb wird auch
das Wort Jesus mit Retter übersetzt. Sie aber war in großer Verlegenheit: „Wie wird mir das
geschehen, da ich keinen Mann erkenne 375 ?“ Wiederum sprach der Engel zu ihr: „Der Hl.
Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschat-
ten. Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden
376
.“ Sie aber sprach zu ihm: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem
Worte 377 .“

Nach der Zustimmung der heiligen Jungfrau kam also der Hl. Geist über sie gemäß dem
Worte des Herrn, das der Engel gesprochen, und reinigte 378 sie und gab ihr die zur Auf-
nahme der Gottheit des Wortes, zugleich aber auch die zum Erzeugen gehörige Kraft. Und
damals überschattete sie die persönliche Weisheit und Macht Gottes, des Höchsten, der
Sohn Gottes, der dem Vater wesensgleich ist, wie ein göttlicher Same und bildete sich aus
ihrem heiligen und reinsten Blute Fleisch, von einer vernünftigen und denkenden Seele
369
Joh. 1, 13.
370
Luk. 1, 26 f.
371
Hebr. 7, 14. 13.
372
Luk. 1, 28.
373
Ebd. [Luk.] 1, 29 f.
374
Matth. 1, 21.
375
Luk. 1, 34.
376
Ebd. [Luk.] 1, 35.
377
Ebd. [Luk.] 1, 38.
378
Greg. Naz., Or. 38, 13 (Migne, P. gr. 36, 325 B): „Empfangen aus der Jungfrau, die zuvor vom (Hl.) Geist
an Fleisch und Seele gereinigt worden.“

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belebt, als Erstling unseres Teiges 379 , nicht samenhaft, sondern schöpferisch S. 116 durch
den Hl. Geist. Nicht durch allmähliches Hinzukommen bildete sich die Gestalt, sondern
sie ward auf einmal vollendet. Das Wort Gottes selbst wurde ja für das Fleisch die Hypo-
stase. Denn nicht mit einem Fleische, das vorher für sich selbst existierte, vereinigte sich
das göttliche Wort, sondern es wohnte dem Schoße der heiligen Jungfrau inne und bildete,
ohne in seiner eigenen Hypostase umschrieben zu sein, aus dem heiligen Blute der immer-
währenden Jungfrau Fleisch, von einer vernünftigen und denkenden Seele belebt, es nahm
die Erstlinge des menschlichen Teiges an, das Wort selbst wurde für das Fleisch die Hy-
postase. Darum ist es einerseits Fleisch, andrerseits Fleisch des Gott-Logos und zugleich
beseeltes Fleisch, vernünftig und denkend. Deshalb reden wir nicht von einem vergotteten
Menschen, sondern von einem menschgewordenen Gott. Denn dasselbe [Wort], das kraft
der Natur vollkommener Gott ist, ist kraft der Natur vollkommener Mensch. Es hat sich
nicht in seiner Natur geändert noch die Heilsveranstaltung nur zum Schein zur Schau ge-
stellt, nein, es hat sich mit dem Fleisch, das aus der heiligen Jungfrau genommen und mit
einer vernünftigen und denkenden Seele belebt ward, das in ihm selbst sein Sein erhalten,
hypostatisch geeint ohne Vermischung, ohne Verwandlung und ohne Trennung. Denn es
hat die Natur seiner Gottheit nicht in die Wesenheit des Fleisches verwandelt noch die
Wesenheit seines Fleisches in die Natur seiner Gottheit, noch hat es aus seiner göttlichen
Natur und aus der menschlichen Natur, die es angenommen, eine einzige, zusammenge-
setzte Natur gebildet.

III. KAPITEL. Von den zwei Naturen. Gegen die Monophysiten.

Ohne Änderung und ohne Wandlung sind die Naturen miteinander vereinigt: Die göttli-
che Natur hat ihre Einfachheit nicht verloren und die menschliche hat sich wahrlich nicht
in die Natur der Gottheit verwandelt oder ihr Sein aufgegeben, noch ist aus den zweien
eine S. 117 einzige, zusammengesetzte Natur entstanden. Denn die zusammengesetzte Na-
tur kann keiner der beiden Naturen, aus denen sie besteht, wesensgleich sein, da sie etwas
anderes als die beiden geworden. Ein Beispiel 380 : Ein Körper, der aus den vier Elementen
zusammengesetzt ist, gilt nicht als wesensgleich dem Feuer, noch wird er Feuer oder Luft
oder Wasser oder Erde genannt, er ist eben keinem davon wesensgleich. Wenn also den Hä-
retikern 381 gemäß Christus eine einzige, zusammengesetzte Natur nach der Vereinigung
gehabt, so ist er aus einer einfachen Natur in eine zusammengesetzte verwandelt worden
und ist weder dem Vater, der von einfacher Natur ist, wesensgleich noch der Mutter. Denn
diese ist nicht aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzt. Und er existiert dann wahr-
lich nicht in Gottheit und Menschheit und wird weder Gott noch Mensch, sondern nur
379
Vgl. Röm. 11, 16.
380
Dies Beispiel gebraucht Eulogius, Patriarch von Alexandrien (580—607): Fragm. (Migne. P. gr. 86, 2, 2956
C). Doctr. Patr. S. 211, 11 ff. Johannes hat es aus der Doctrina genommen.
381
Monophysiten.

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Christus genannt werden. Und es wird das Wort Christus nicht der Name der Hypostase,
sondern der nach ihnen (� den Häretikern)* einen* Natur sein.

Wir aber lehren, Christus sei nicht von zusammengesetzter Natur, aus verschiedenen
[Naturen] etwas Verschiedenes, wie aus Seele und Leib ein Mensch oder wie aus vier Ele-
menten ein Körper, sondern aus verschiedenen dasselbe. Wir bekennen nämlich, daß aus
Gottheit und Menschheit der nämliche vollkommener Gott sei und heiße, aus zwei und in
zwei Naturen. Das Wort Christus aber, sagen wir, ist der Name der Hypostase, der nicht
auf* eine* Art (� von etwas, das aus* einer* Natur besteht) ausgesagt wird, sondern etwas
bezeichnet, das aus zwei Naturen besteht. Denn er selbst hat sich selbst gesalbt. Als Gott
salbt er mit seiner Gottheit den Leib, gesalbt aber wird er als Mensch. Denn er ist das ei-
ne wie das andere. Salbung der Menschheit aber ist die Gottheit. Denn wäre Christus von
einer einzigen, zusammengesetzten Natur und dem Vater wesensgleich, so wäre auch der
Vater S. 118 zusammengesetzt und dem Fleische wesensgleich. Doch das ist ungereimt und
aller Lästerung voll.

Wie wird aber auch* eine* Natur der entgegengesetzten wesenhaften Unterschiede fähig
sein? Denn wie ist es möglich, daß dieselbe Natur in derselben Hinsicht geschaffen und
ungeschaffen, sterblich und unsterblich, umschrieben und unumschrieben sei?

Behaupten sie aber, Christus habe nur* eine* Natur, und erklären sie diese für einfach, so
werden sie ihn entweder als bloßen Gott bekennen und ein Scheinbild, nicht eine Mensch-
werdung einführen, oder als bloßen Menschen, wie Nestorius 382 . Und wo ist dann das
Vollkommene in der Gottheit und das Vollkommene in der Menschheit? Wann wollen sie
aber auch sagen, Christus habe zwei Naturen, wenn sie behaupten, er habe nach der Verei-
nigung eine einzige, zusammengesetzte Natur? Denn daß Christus vor der Einigung* eine*
Natur gehabt, ist doch jedem klar.

Aber das ist der Grund des Irrtums bei den Häretikern, daß sie die Natur und die Hy-
postase für dasselbe erklären. Wohl behaupten wir die Einheit der Natur der Menschen.
Allein dies behaupten wir, das muß man wissen, weil wir nicht den Begriff der Seele und
des Leibes im Auge haben. Denn vergleicht man die Seele und den Leib miteinander, so
kann man unmöglich sagen, sie seien* einer* Natur. Nein [dies behaupten wir], weil es
eben sehr viele Hypostasen der Menschen gibt, allen (� Menschen) aber derselbe Begriff
der Natur zukommt. Denn alle sind aus Seele und Leib zusammengesetzt und alle sind
der Natur der Seele teilhaftig und besitzen die Wesenheit des Leibes und die gemeinsame
382
Nestorius, seit 428 Patriarch von Konstantinopel, lehrte im Anschluß an Theodor von Mopsueste in Antio-
chien zwei Personen in Christus. In dem von Maria geborenen Menschen Jesus habe der Sohn Gottes wie
in einem Tempel gewohnt. Die Einheit des Göttlichen und Menschlichen in Christus sei keine physische,
sondern eine moralische, d. i. eine Einheit des bloßen Willens. Seine Lehre wurde auf dem 3. allgemeinen
Konzil zu Ephesus 431 verurteilt, er selbst abgesetzt und nach Ägypten verbannt, wo er 439 starb.

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Wesensform. Die Natur der überaus vielen S. 119 und verschiedenen Hypostasen, sagen
wir, ist eine. Jede Hypostase hat natürlich zwei Naturen und besteht in den zwei Naturen
der Seele und des Leibes.

Bei unserem Herrn Jesus Christus aber darf man keine gemeinsame Wesensform anneh-
men. Denn weder war noch ist noch wird je ein anderer Christus sein aus Gottheit und
Menschheit, in Gottheit und Menschheit, derselbe vollkommener Gott und vollkomme-
ner Mensch. Darum darf man von unserem Herrn Jesus Christus nicht* eine* Natur aussa-
gen, von dem aus Gottheit und Menschheit bestehenden Christus nicht so wie von einem
aus Seele und Leib bestehenden Individuum [sprechen]. Denn dort ist ein Individuum,
Christus aber ist kein Individuum. Er hat ja nicht die Form der Christusheit als [allgemei-
nes] Prädikat. Darum sagen wir eben, aus zwei vollkommenen Naturen, der göttlichen
und menschlichen, sei die Einigung erfolgt, nicht nach Art einer Vermengung oder Zer-
fließung oder Vermischung oder Verschmelzung, wie der von Gott geschlagene Dioskur
383
behauptete und Eutyches und Severus 384 und ihr fluchbeladener Anhang, auch nicht
dem Äußeren oder der Beziehung nach oder der Würde oder dem gleichen Willen oder
der gleichen Ehre oder dem gleichen Namen oder der [gleichen] Gesinnung nach, wie der
gottverhaßte Nestorius sagte und Diodor und Theodor 385 von S. 120 Mopsueste und deren
dämonische Schar, sondern durch Verbindung oder hypostatisch, ohne Veränderung, oh-
ne Vermischung, ohne Verwandlung, ohne Zerreißung und ohne Trennung. Wir bekennen
in zwei vollkommenen Naturen* eine* Hypostase des Gottessohnes und des Fleischgewor-
denen, wir erklären die Hypostase seiner Gottheit und Menschheit für eine und dieselbe,
wir bekennen, daß die zwei Naturen in ihm nach der Einigung gewahrt blieben, wir setzen
aber nicht eine jede für sich, und besonders, sondern lassen sie miteinander verbunden
sein in der einen zusammengesetzten Hypostase. Denn für wesenhaft erklären wir die Ei-
nigung, d. i. für wirklich und nicht scheinbar. Für wesenhaft, nicht als ob die zwei Naturen
383
Dioskur I., Patriarch von Alexandrien (444—451). Er schützte den Eutyches, Archimandrit von Konstan-
tinopel, den Vater des Monophysitismus, führte den Vorsitz auf der Räubersynode von Ephesus 449, die
den Eutyches für rechtgläubig erklärte und die Zweinaturenlehre verurteilte. Auf dem 4. allgemeinen Kon-
zil zu Chalzedon 451 wurde er nebst Eutyches abgesetzt und starb 454 in der Verbannung zu Gangra in
Paphlagonien.
384
Severus, Patriarch von Antiochien (512—518), war die führende Persönlichkeit der Monophysiten Syriens.
518 von Kaiser Justin abgesetzt, flüchtete er nach Alexandrien. Er starb 538 in Ägypten.
385
Diodor, Bischof von Tarsus (seit 378), gest. vor 394, der Begründer der antiochenischen Exegetenschule.
Er faßte das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur als ein bloßes Einwohnen des Logos im
Menschen Jesus wie in einem Tempel oder in einem Kleid. Man müsse nicht bloß zwei Naturen, sondern
zwei Personen, einen Sohn Gottes und einen Sohn Davids unterscheiden. Wie Diodor, so lehrte auch
sein Schüler* Theodor,* Bischof von Mopsuestia (392 — 428), der bedeutendste Exeget und das geistige
Haupt der antiochenischen Schule, das Innewohnen des Logos im Menschen Jesus, darum zwei Personen
in Christus, eine relative oder moralische Einheit der beiden Naturen, nämlich eine Einheit der Willens-
richtung und eine Einheit der himmlischen Herrlichkeit. Theodor ist mit Diodor der geistige Urheber des
Nestorianismus, er war der Lehrer des Nestorius.

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eine einzige, zusammengesetzte Natur ausmachten, sondern sofern sie wirklich in einer
einzigen, zusammengesetzten Hypostase des Sohnes Gottes miteinander verbunden sind,
und wir halten fest, daß ihr wesenhafter Unterschied gewahrt ist. Denn das Geschaffene
ist geschaffen, das Ungeschaffene ungeschaffen geblieben. Das Sterbliche blieb sterblich,
und das Unsterbliche unsterblich, das Umschriebene umschrieben, das Unumschriebene
unumschrieben, das Sichtbare sichtbar, und das Unsichtbare unsichtbar. „Das eine glänzt
durch die Wundertaten, das andere unterliegt den Schmähungen 386 .“

Es eignet sich aber das Wort (der Logos) das Menschliche an — denn sein ist, was seines
heiligen Fleisches ist � und teilt von seinen Eigenheiten dem Fleische mit in der Weise einer
wechselseitigen Mitteilung wegen des gegenseitigen Ineinanderseins der Teile S. 121 und
der hypostatischen Einigung, und weil einer und derselbe war, der sowohl das Göttliche
als das Menschliche in jeder von beiden Formen in Gemeinschaft mit dem andern wirkte
387
. Darum heißt es ja auch, der Herr der Herrlichkeit sei gekreuzigt worden 388 , obgleich
seine göttliche Natur nicht gelitten, und es ist erklärt, daß der Menschensohn vor dem Lei-
den im Himmel war 389 , wie der Herr selbst gesagt. Denn einer und derselbe war der Herr
der Herrlichkeit und der, der nach der Naturordnung und wirklich Menschensohn oder
Mensch geworden ist, und als sein erkennen wir die Wunder wie die Leiden, wenn auch
der nämliche in anderer Hinsicht Wunder wirkte und in anderer Hinsicht die Leiden erdul-
dete. Wir wissen nämlich, daß, wie seine* eine* Hypostase, so der wesenhafte Unterschied
der Naturen gewahrt ist. Denn wie würde der Unterschied gewahrt, wenn nicht das ge-
wahrt bliebe, was sich gegenseitig unterscheidet? Unterschied besteht doch zwischen dem,
was verschieden ist. Mit Rücksicht auf die Art und Weise also, wodurch sich die Naturen
Christi voneinander unterscheiden, d. i. mit Rücksicht auf die Wesenheit, sagen wir, sei er
mit dem Gegensätzlichen verbunden: der Gottheit nach mit dem Vater und dem Geiste,
der Menschheit nach aber mit seiner Mutter und allen Menschen. In Rücksicht auf die Art
und Weise, wodurch seine Naturen verbunden sind, sagen wir, er unterscheide sich sowohl
vom Vater und vom Geiste als auch von seiner Mutter und den übrigen Menschen. Seine
Naturen sind nämlich durch die Hypostase verbunden, sie haben eine einzige, zusammen-
gesetzte Hypostase. Nach dieser unterscheidet er sich sowohl vom Vater und vom Geiste
als von der Mutter und uns.

IV. KAPITEL. Über die Art der Wechselmitteilung.

S. 122 Daß etwas anderes die Wesenheit (Natur), etwas anderes die Hypostase ist, haben
386
Leo Rom., Ep. 28, 4 (Migne, P. l. 54, 768 B). Doctrina Patrum de incarnatione Verbi, ed. Diekamp, Münster
1907, p. 94, 15 f.; cf. p. 83, 12 ff.
387
Leo Rom., l. c. Doctr. Patr. de incarn. Verb. l. c. p. 94, 12; cf. p. 83, 5 f.: „Es wirkt eine jede von beiden
Formen in Gemeinschaft mit dem andern.“
388
Vgl. 1 Kor. 2, 8.
389
Vgl. Joh. 3, 13.

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wir schon vielmals gesagt, ebenso, daß die Wesenheit die gemeinsame, die gleichartigen
Hypostasen umfassende Form bedeutet, wie: Gott, Mensch, die Hypostase aber das Indi-
viduum bezeichnet, wie: Vater, Sohn, Hl. Geist, Petrus, Paulus. Der Name Gottheit und
Menschheit zeigt also, das muß man wissen, die Wesenheit oder die Natur an. Der [Na-
me] Gott und Mensch aber wird auch von der Natur gebraucht. So, wenn wir sagen: Gott
ist eine unfaßbare Wesenheit, und: Gott ist einer. Er wird aber auch von den Hypostasen
(Personen) genommen, da das Partikularere den Namen des Allgemeineren annimmt. So,
wenn die Schrift sagt: „Darum hat dich, o Gott, dein Gott gesalbt 390 Denn siehe, sie be-
zeichnet [mit Gott] den Vater und den Sohn. Und so, wenn sie sagt: „Es war ein Mensch
im Lande Ausitis (Hus) 391 .“ Denn sie bezeichnet [mit Mensch] nur den Job.

Bei unserm Herrn Jesus Christus nun erkennen wir zwei Naturen und eine einzige, aus
beiden zusammengesetzte Hypostase an. Wenn wir die Naturen betrachten, so nennen wir
[sie] Gottheit und Menschheit. Wenn [wir] jedoch die aus den Naturen zusammengesetzte
Hypostase [betrachten], so nennen wir Christus bald nach beiden zusammen Gott und
Mensch zugleich und fleischgewordenen Gott, bald aber nach einem der Teile bloß Gott
und Gottessohn und bloß Mensch und Menschensohn, bald nur nach dem Erhabenen und
bald nur nach dem Niedrigen. Denn einer ist, der in gleicher Weise das eine wie das andere
ist: das eine ist er ohne Ursache (� ohne daß die Ursache in ihm liegt) immer aus dem Vater,
das andere aber ist er ob seiner Menschenliebe später geworden.

Wenn wir also von der Gottheit reden, so sagen wir von ihr nicht die Eigentümlichkeiten
der Menschheit S. 123 aus. Denn wir bezeichnen nicht die Gottheit als leidensfähig oder
geschaffen. Andrerseits sagen wir von dem Fleische oder der Menschheit nicht die Eigen-
tümlichkeiten der Gottheit aus. Denn wir nennen nicht das Fleisch oder die Menschheit
ungeschaffen. [Reden] wir aber von der Hypostase (Person), sei es, daß wir diese nach bei-
den Teilen oder nach einem benennen, so legen wir ihr die Eigentümlichkeiten der beiden
Naturen bei. Denn Christus — das ist die Benennung nach beiden — wird sowohl Gott als
Mensch, geschaffen und ungeschaffen, leidensfähig und leidenslos genannt. Und wird er
nach einem der Teile Gottessohn und Gott genannt, so nimmt er die Eigentümlichkeiten
der mitbestehenden Natur oder des Fleisches an: Er wird leidender Gott und gekreuzigter
Herr der Herrlichkeit 392 genannt, nicht sofern er Gott, sondern sofern der nämliche auch
Mensch ist. Und wird er Mensch und Menschensohn genannt, so nimmt er die Eigentüm-
lichkeiten und Auszeichnungen der göttlichen Natur an: vorzeitliches Kind, anfangsloser
Mensch, nicht sofern er Kind und Mensch ist, sondern sofern er, der vorzeitlicher Gott
ist, zuletzt ein Kind wurde. Ja, das ist die Art der Wechselmitteilung: Jede Natur teilt der
andern infolge der hypostatischen Identität und ihres gegenseitigen Ineinanderseins ihre
390
Ps. 44, 8 [hebr. Ps. 45, 8].
391
Job 1, 1.
392
Vgl. 1 Kor. 2, 8.

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Eigenheiten mit. Demgemäß können wir von Christus sagen: „Dieser ist unser Gott, er
ward auf der Erde gesehen und hat mit den Menschen verkehrt 393 “, und: Dieser Mensch
ist ungeschaffen und leidenslos und unumschrieben.

V. KAPITEL. Von der Zahl der Naturen.

Wir bekennen bei der Gottheit* eine* Natur, wir unterscheiden aber drei wirkliche
Hypostasen und nennen alles, was zur Natur und Wesenheit gehört, einfach, den Unter-
schied der Hypostasen aber erkennen wir nur S. 124 in den drei Eigentümlichkeiten des
Nichtprinzipiiert- und Vaterseins, des Prinzipiiert- und Sohnseins, des Prinzipiiert- und
Ausgegangenseins. Wir wissen, daß sie voneinander nicht zu trennen und zu scheiden,
sondern vereint und ohne Vermischung ineinander sind — denn es sind drei, wenn sie
auch vereint sind —, und daß sie unterschieden sind, ohne geschieden zu sein. Denn
wenn auch eine jede für sich subsistiert oder eine vollkommene Hypostase ist und ihre be-
sondere Eigentümlichkeit und ihre verschiedene Subsistenzweise besitzt, so sind sie doch
durch die Wesenheit und die natürlichen Eigentümlichkeiten und dadurch, daß sie sich
von der Hypostase des Vaters nicht scheiden und trennen, geeint und sind und heißen*
ein* Gott. In gleicher Weise bekennen wir auch bei der göttlichen, unaussprechlichen,
alles Fassen und Begreifen übersteigenden 394 Heilsveranstaltung des einen der heiligen
Dreiheit, des Gott-Logos und unseres Herrn Jesus Christus, zwar zwei Naturen, eine
göttliche und eine menschliche, die miteinander verbunden und hypostatisch geeint sind,
aber nur eine einzige, aus den Naturen bestehende, zusammengesetzte Hypostase. Ferner
sagen wir, daß die zwei Naturen auch nach der Einigung in der einen zusammengesetzten
Hypostase oder in dem einen Christus gewahrt sind, daß sie und ihre natürlichen Ei-
gentümlichkeiten wirklich existieren, daß sie geeint sind, jedoch ohne Vermischung und
verschieden sind ohne Trennung und gezählt werden. Und wie die drei Hypostasen der
heiligen Dreiheit ohne Vermischung geeint und ohne Trennung unterschieden sind, und
die Zahl keine Trennung oder Scheidung oder Entfremdung oder Absonderung in ihnen
wirkt — denn als* einen* Gott erkennen wir den Vater, den Sohn und den Hl. Geist —, so
sind auch die Naturen Christi zwar vereint, aber ohne Vermischung vereint, und sie sind
wohl ineinander, aber sie lassen keine Verwandlung und keinen Übergang ineinander
zu. Denn jede bewahrt unverändert ihre natürliche Eigentümlichkeit. Darum werden sie
auch gezählt, aber die Zahl führt keine Trennung ein. Denn Christus S. 125 ist* einer,*
vollkommen in Gottheit und Menschheit. Die Zahl bildet nämlich keinen Trennungs-
oder Einigungsgrund, sondern sie bezeichnet nur die Quantität der Gezählten, ob sie nun
vereint oder getrennt sind: vereint, wie: Diese Wand hat fünfzig Steine; getrennt: Fünfzig
Steine liegen auf diesem Feld; geeint: Zwei Naturen sind in der Kohle, nämlich die des
393
Bar. 3, 36. 38.
394
Vgl. Phil. 4, 7.

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Feuers und des Holzes; getrennt aber: Die Natur des Feuers ist eine andere und die des
Holzes ist eine andere. Ein anderer Grund eint und trennt sie, und nicht die Zahl. Wie
man also die drei Hypostasen der Gottheit, auch wenn sie miteinander geeint sind, nicht*
eine* Hypostase nennen kann, da man sonst den Unterschied der Hypostasen zerstören
und aufheben würde, so kann man auch die zwei hypostatisch geeinten Naturen Christi
nicht* eine* Natur nennen, da wir sonst ihren Unterschied aufheben, zerstören und
vernichten würden.

VI. KAPITEL. Die ganze göttliche Natur ist in einer ihrer Hypostasen mit der ganzen
menschlichen Natur geeint, und nicht Teil mit Teil.

Das Gemeinsame und Allgemeine wird von dem unter ihm begriffenen Partikularen aus-
gesagt. Gemeinsam nun ist die Wesenheit als Form, partikular aber die Hypostase (Per-
son). Partikular, nicht als ob sie einen Teil von der Natur hätte, sie hat keinen Teil, sondern
partikular der Zahl nach als Individuum. Denn der Zahl und nicht der Natur nach unter-
scheiden sich, wie man sagt, die Hypostasen. Es wird aber die Wesenheit von der Hypo-
stase ausgesagt, weil in jeder der gleichartigen Hypostasen die vollkommene Wesenheit ist.
Darum unterscheiden sich auch die Hypostasen nicht der Wesenheit nach voneinander,
sondern nach dem, was hinzukommt, d. i. nach den charakteristischen Eigentümlichkei-
ten: charakteristisch aber für die Hypostase (Person), nicht für die Natur. Man definiert
ja auch die Hypostase als Wesenheit samt den hinzukommenden S. 126 Merkmalen (Ak-
zidenzien) 395 . Daher besitzt die Hypostase das Gemeinsame nebst dem Eigentümlichen
und das Fürsichbestehen. Die Wesenheit aber besteht nicht für sich selbst, sondern wird
in den Hypostasen betrachtet. Darum sagt man: Leidet eine der Hypostasen, so leidet die
ganze leidensfähige Wesenheit, nach der die Hypostase leidet, in einer ihrer Hypostasen.
Es ist jedoch nicht notwendig, daß auch alle gleichartigen Hypostasen zugleich mit der
leidenden Hypostase leiden.

So bekennen wir denn, daß die Natur der Gottheit ganz auf vollkommene Weise in jeder
ihrer Hypostasen ist, ganz im Vater, ganz im Sohne, ganz im Hl. Geiste. Darum ist auch
der Vater vollkommener Gott, der Sohn vollkommener Gott, der Hl. Geist vollkommener
Gott. So hat sich auch, sagen wir, bei der Menschwerdung des einen der heiligen Dreiheit,
des Gott-Logos, die ganze und vollkommene Natur der Gottheit in einer ihrer Hypostasen
mit der ganzen menschlichen Natur geeint, und nicht Teil mit Teil. Es sagt ja der göttliche
Apostel: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig 396 “, d. i. in seinem Flei-
sche. Und dessen Schüler, der Gottesträger und Gottesgelehrte Dionysius 397 , [sagt], „sie
395
Bilz (a. a. O. S. 16) weist darauf hin, daß Johannes hier der Auffassung der Kappadozier folgt, wie sie
Basilius (ep. 38, 6 Migne, P. gr. 32, 336 C) im Anschluß an die Neuplatoniker Ammonius († 242 ? n. Chr.)
und Porphyrius († ca. 303) zur Geltung gebracht.
396
Kol. 2, 9.
397
De div. nom. c. 1, 4 (Migne, P. gr. 3, 592 A). Der hier erwähnte Dionysius ist nicht der vom hl. Paulus

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habe sich uns ganz und gar in einer ihrer Hypostasen mitgeteilt“. Wir werden darum nicht
zu sagen brauchen, alle, d. h. die drei Hypostasen der heiligen Gottheit, seien mit allen
Hypostasen der Menschheit hypostatisch geeint; denn nach keiner Hinsicht hat der Vater
und der Hl. Geist an der Fleischwerdung des Gott-Logos teil, S. 127 außer dem Wohlgefal-
len und Willen nach. Wir sagen jedoch, mit der ganzen menschlichen Natur sei die ganze
Wesenheit der Gottheit geeint. Denn nichts von dem, was der Gott-Logos unserer Natur
anerschaffen, da er uns am Anfang gebildet, hat er weggelassen, sondern alles hat er ange-
nommen, einen Leib, eine vernünftige und denkende Seele und deren Eigentümlichkeiten.
Denn das Lebewesen, das eines hievon nicht hat, ist kein Mensch. Ja, ganz hat er mich ganz
angenommen und ganz hat er sich mit dem Ganzen geeint, um dem Ganzen das Heil zu
spenden. Denn was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden.

Geeint also ist das Wort Gottes mit dem Fleische mittels des Geistes* (νοῦς)* [nous],
der zwischen der Reinheit Gottes und der Grobheit (Materialität) des Fleisches vermittelt.
Denn der Geist herrscht über Seele und Fleisch — der Geist ist ja das Reinste der Seele —,
Gott aber über den Geist. Und sobald die Zulassung vom Höheren kommt, zeigt der Geist
Christi seine Herrschaft. Er steht jedoch unter dem Höheren und folgt ihm und wirkt das,
was der göttliche Wille fordert.

Der Geist ist Wohnstätte der mit ihm hypostatisch geeinten Gottheit, ebenso natürlich
auch das Fleisch, nicht Mitbewohner, wie die gottlose Meinung der Häretiker irrig behaup-
tet, da sie sagt: Ein Scheffel wird doch nicht zwei Scheffel fassen. Sie beurteilt eben das
Immaterielle nach Art der Körper. Wie soll man aber Christus vollkommenen Gott und
vollkommenen Menschen und wesensgleich mit dem Vater und mit uns nennen, wenn in
ihm ein Teil der göttlichen Natur mit einem Teile der menschlichen Natur geeint ist?

Wir sagen, unsere Natur ist von den Toten auferstanden und aufgefahren und sitzt zur
Rechten des Vaters, nicht sofern alle Hypostasen der Menschen auferstanden sind und
zur Rechten des Vaters sitzen, sondern sofern dies unserer ganzen Natur in der Person
(Hypostase) Christi zuteil geworden. Darum sagt der göttliche Apostel: „Er (Gott) hat uns
in Christus mitauferweckt und mitversetzt [in die Himmelswelt] 398 .“

S. 128 Auch das sagen wir, daß sich aus gemeinsamen Wesenheiten die Einigung voll-
zog. Jede Wesenheit ist nämlich den unter ihr begriffenen Hypostasen gemeinsam, und
man kann keine partikulare und eigentümliche (individuelle) Natur oder Wesenheit fin-
den. Denn sonst müßte man dieselben Hypostasen für wesensgleich und wesensverschie-
auf dem Areopag in Athen bekehrte Dionysius (Apg .17, 34), sondern ein Schriftsteller, der Ende des
5. oder Anfang des 6. Jahrhunderts mehrere theologisch-mystische Schriften, wahrscheinlich in Syrien,
geschrieben hat und diese fälschlicher Weise von Dionysius, dem Schüler des Weltapostels, verfaßt sein
läßt.
398
Eph. 2, 6.

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den erklären und die heilige Dreiheit der Gottheit nach sowohl wesensgleich als wesensver-
schieden nennen. Dieselbe Natur also wird in jeder der Hypostasen betrachtet. Und wenn
wir nach dem hl. Athanasius und Cyrillus 399 sagen, die* Natur* des Wortes sei Fleisch
geworden, so meinen wir, die Gottheit habe sich mit dem Fleische geeint. Darum können
wir auch nicht sagen: Die Natur des Wortes hat gelitten, denn es hat nicht die Gottheit in
ihm gelitten. Wir sagen aber, die menschliche Natur habe in Christus gelitten, ohne jedoch
alle Hypostasen (Personen) der Menschen zu meinen. Wir bekennen aber auch, Christus
habe in der menschlichen Natur gelitten. Darum bezeichnen wir, wenn wir „Natur des
Wortes“ sagen, [damit] das Wort selbst. Das Wort aber besitzt sowohl das Gemeinsame
der Wesenheit als das Eigentümliche der Person (Hypostase) .

VII. KAPITEL. Von der einen zusammengesetzten Hypostase des Gott-Logos.

Wir sagen also, die göttliche Hypostase des Gott-Logos präexistiere zeitlos und ewig als
einfach und S. 129 nicht zusammengesetzt, ungeschaffen und unkörperlich, unsichtbar,
ungreifbar, unumschrieben, alles besitzend, was der Vater hat, da ihm wesensgleich, durch
die Art der Zeugung und die Beziehung (Relation) von der Hypostase des Vaters verschie-
den, vollkommen, niemals von der Hypostase des Vaters getrennt; in den letzten Zeiten
aber habe das Wort, ohne sich vom väterlichen Schoße zu trennen, im Schoße der heiligen
Jungfrau gewohnt, ohne umschrieben zu werden, ohne Samen, auf unbegreifliche Weise,
wie er selbst weiß, und habe in seiner ewigen Hypostase aus der heiligen Jungfrau Fleisch
angenommen.

In allem und über allem also war es, selbst als es im Schoße der heiligen Gottesgebäre-
rin existierte. In ihr aber [war es] durch die Wirksamkeit der Fleischwerdung. Es ist also
Fleisch geworden, es hat die Erstlinge unseres Teiges 400 angenommen, Fleisch, von einer
vernünftigen und denkenden Seele belebt. Darum bildete die Hypostase des Gott-Logos
selbst die Hypostase für das Fleisch, und aus der zuvor einfachen Hypostase des Logos
(Wortes) entstand eine zusammengesetzte, zusammengesetzt aus zwei vollkommenen Na-
turen, Gottheit und Menschheit. Darum trägt sie sowohl die charakteristische und abgren-
zende Eigentümlichkeit der göttlichen Sohnschaft des Gott-Logos an sich, wonach sie vom
399
Johannes hat hier die vielerörterte Formel im Auge, die sich im Glaubensbekenntnis De incarnatione Dei,
Verbi,* (Περὶ τῆς σαρκὠσεως τοῦ θεοῦ λόγου)* [peri tēs sarkōseōs tou theou logou] findet, das als ein
Werk des hl. Athanasius galt, in Wirklichkeit aber von Apollinaris, dem Bischof von Laodicea, verfaßt
und von ihm dem Kaiser Jovian eingereicht worden ist (b0ardenhewer, Patrologie ³, Freib. 1910, S. 213):*
„Eine* fleischgewordene Natur des Gott-Logos“ � μία φύσις τοῦ θεοῦ λόγου σεσαρκωμένη [mia physis
tou theou logou sesarkōmenē] (Apollin., Ep. ad Jovian. Lietzmann, Apollinaris von Laodicea und seine
Schule I, Tübingen 1904, 250, 7). Cyrill von Alexandrien hat diese apollinaristische Formel, die er für
athanasianisch gehalten, übernommen: (ad regin. 1, 9 Migne, P. gr. 76, 1212 A; ep. 44 l. c. 77, 224 D ep. 46,
4 l. c. 77, 245 A).
400
Vgl. Röm. 11, 16.

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Vater und vom Geiste unterschieden ist, als auch die charakteristischen und abgrenzenden
Eigentümlichkeiten des Fleisches, wonach sie von der Mutter und den übrigen Menschen
verschieden ist. Sie trägt aber auch die Eigentümlichkeiten der göttlichen Natur an sich,
wonach sie mit dem Vater und dem Geiste geeint ist, und die Kennzeichen der menschli-
chen Natur, wonach sie mit der Mutter und uns vereint ist. Außerdem unterscheidet sie
sich sowohl vom Vater und vom Geiste als auch von der Mutter und uns dadurch, daß der
nämliche zugleich Gott und Mensch ist. Denn das S. 130 erkennen wir als die eigentüm-
lichste Eigenheit der Hypostase Christi.

Daher bekennen wir ihn denn als den einzigen Gottessohn auch nach der Menschwer-
dung und den nämlichen als Menschensohn,* einen* Christus,* einen* Herrn, den allei-
nigen eingeborenen Sohn und Logos Gottes, Jesum, unsern Herrn. Wir verehren bei ihm
eine doppelte Geburt: eine aus dem Vater vor aller Zeit, über Ursache und Begriff, Zeit
und Natur erhaben, und eine in den letzten Zeiten wegen uns, gemäß uns und über uns.
Wegen uns, weil um unseres Heiles willen; gemäß uns, weil er aus dem Weibe und in der
Zeit der Schwangerschaft Mensch geworden ist; über uns, weil er nicht aus Samen, son-
dern aus dem Hl. Geiste und der heiligen Jungfrau Maria über dem Gesetz der Schwanger-
schaft [Mensch geworden ist]. Wir verkünden ihn nicht als bloßen Gott, der nicht dieselbe
Menschheit wie wir besäße, noch auch als bloßen Menschen, indem wir ihn der Gottheit
entkleiden; nicht als den einen und den andern, sondern als einen und denselben, als Gott
und Mensch zugleich, vollkommenen Gott und vollkommenen Menschen, ganzen Gott
und ganzen Menschen, denselben als ganzen Gott auch mit seinem Fleisch und als ganzen
Menschen auch mit seiner übergöttlichen Gottheit. Mit dem Ausdruck „vollkommener
Gott und vollkommener Mensch“ bezeichnen wir die Vollständigkeit und Unversehrtheit
der Naturen. Mit dem Ausdruck „ganzer Gott und ganzer Mensch“ weisen wir auf die Ein-
zigkeit und Ungeteiltheit der Hypostase hin.

Wir bekennen aber auch „eine einzige fleischgewordene Natur des Gott-Logos“. Wir be-
zeichnen nach dem seligen Cyrillus 401 mit dem Ausdruck „fleischgeworden“ die Wesen-
heit des Fleisches. Es ist also das Wort Fleisch geworden und hat seine Immaterialität nicht
verloren und es ist ganz Fleisch geworden und ist ganz unumgrenzt. Dem Körper nach
wird es klein und zieht sich zusammen, der Gottheit nach aber ist es unumgrenzt, da sein
Fleisch sich nicht zugleich mit seiner unumgrenzten Gottheit ausdehnt.

S. 131 Ganz also ist es (� das Wort) vollkommener Gott, aber nicht das Ganze ist Gott.
Denn es ist nicht bloß Gott, sondern auch Mensch. Und ganz ist es vollkommener Mensch,
aber nicht das Ganze ist Mensch. Es ist ja nicht bloß Mensch, sondern auch Gott. Denn
„das Ganze“ bezeichnet die Natur, „der Ganze“ aber die Hypostase, wie „das andere“ die
Natur, „der andere“ aber die Hypostase.
401
Siehe S. 1281 u. 129 Anm.

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Das jedoch muß klar sein. Wir sagen zwar, die Naturen des Herrn durchdringen sich
gegenseitig, gleichwohl aber wissen wir, daß die Durchdringung von Seiten der göttlichen
Natur geschehen ist. Denn diese geht, wie sie will, durch alles hindurch und durchdringt
es, durch sie aber [geht] nichts. Und diese teilt ihre Vorzüge dem Fleische mit, selbst aber
bleibt sie unaffiziert und hat an den Affektionen des Fleisches nicht teil. Die Sonne teilt
uns ihre Kräfte mit, allein die unsrigen genießt sie nicht. Um wieviel mehr gilt das vom
Schöpfer und Herrn der Sonne!

VIII. KAPITEL. Gegen die, die sagen: Die Naturen des Herrn fallen unter die kontinu-
ierliche oder unter die diskrete Quantität.
402
Fragt jemand betreffs der Naturen des Herrn, ob sie unter die kontinuierliche oder un-
ter die diskrete Quantität fallen, so werden wir sagen: Die Naturen des Herrn sind weder
ein Körper noch eine Fläche noch eine Linie, nicht Zeit, nicht Ort, um unter die kontinu-
ierliche Quantität zu fallen. Denn diese Dinge sind es, die kontinuierlich gezählt werden.

Man muß aber wissen: Nur, was verschieden ist, wird gezählt. Was in keiner Hinsicht
verschieden ist, kann man nicht zählen. Sofern die Dinge sich S. 132 unterscheiden, sofern
werden sie auch gezählt. So werden z. B. Petrus und Paulus, sofern sie eins sind, nicht
gezählt. Eins sind sie in Anbetracht der Wesenheit, darum können sie nicht zwei Naturen
genannt werden. Verschieden aber sind sie der Hypostase nach, darum heißen sie zwei
Hypostasen. Gezählt wird also, was verschieden ist, und sofern das, was verschieden ist,
sich unterscheidet, sofern wird es auch gezählt.

Geeint also ohne Mischung sind die Naturen des Herrn der Hypostase nach, verschie-
den aber ohne Trennung sind sie in Ansehung und Anbetracht des Unterschiedes, und
sofern sie geeint sind, werden sie nicht gezählt. Denn wir sagen nicht, die Naturen Christi
seien der Hypostase nach zwei. Sofern sie aber ohne Trennung verschieden sind, werden
sie gezählt. Zwei nämlich sind die Naturen Christi in Ansehung und Anbetracht des Un-
terschiedes. Denn da sie hypostatisch geeint sind und sich gegenseitig durchdringen, so
sind sie ohne Vermischung geeint, eine jede behält ihren natürlichen Unterschied. Daher
werden sie auch nur in Ansehung des Unterschiedes gezählt und fallen unter die diskrete
Quantität.

Einer also ist Christus, vollkommener Gott und vollkommener Mensch. Wir erweisen
ihm mit dem Vater und dem Geiste* eine* Anbetung und schließen dabei sein unbeflecktes
Fleisch nicht aus. Denn wir sagen nicht, sein Fleisch sei nicht anzubeten. Es wird nämlich
in der* einen* Hypostase des Wortes, die für dasselbe (� das Fleisch) Hypostase geworden,
angebetet. Dadurch dienen wir nicht dem Geschöpf. Denn nicht als bloßes Fleisch beten
402
Gegen die Severianer, die Anhänger des monophysitischen Patriarchen Severus von Antiochien († wahr-
scheinlich 538).

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wir es an, sondern als geeint mit der Gottheit, und weil* eine* Person und* eine* Hypostase
des Gott-Logos Träger seiner zwei Naturen ist. Ich scheue mich, die Kohle anzufassen we-
gen des Feuers, das mit dem Holz verbunden ist. Ich bete in Christus beides zusammen an
wegen der Gottheit, die mit dem Fleische geeint ist. Denn ich führe keine vierte Person in
der Trinität ein, das sei ferne, nein, ich bekenne* eine* Person des Gott-Logos und seines
Fleisches. Denn eine Dreiheit blieb die Dreiheit auch nach der Fleischwerdung des Wortes.

S. 133 Zusatz 403 .

Gegen die, die fragen, ob die zwei Naturen zur kontinuierlichen oder diskreten Quantität
(Größe) gehören.

Die Naturen des Herrn sind weder ein Körper noch eine Fläche noch eine Linie, nicht
Ort, nicht Zeit, um unter die kontinuierliche Quantität (Größe) zu fallen. Denn diese Din-
ge sind es, die man kontinuierlich zählt. Geeint ohne Vermischung sind die Naturen des
Herrn der Hypostase nach, verschieden aber ohne Trennung sind sie in Ansehung und
Anbetracht des Unterschiedes. Und sofern sie geeint sind, werden sie nicht gezählt. Denn
wir sagen nicht, die Naturen Christi seien zwei Hypostasen oder zwei der Hypostase nach.
Sofern sie aber ohne Trennung verschieden sind, werden sie gezählt. Denn zwei Naturen
sind es in Ansehung und Anbetracht des Unterschiedes. Da sie nämlich hypostatisch ge-
eint sind und einander gegenseitig durchdringen, sind sie ohne Vermischung geeint, sie
gehen nicht ineinander über, sondern bewahren auch nach der Einigung die natürliche
Verschiedenheit, die einer jeden eigen ist. Denn das Geschaffene blieb geschaffen, das Un-
geschaffene ungeschaffen. Nur in Ansehung des Unterschiedes also werden sie gezählt und
fallen unter die diskrete Größe. Denn es ist unmöglich, das zu zählen, was in keiner Hin-
sicht verschieden ist. Sofern sie aber verschieden sind, sofern werden sie gezählt. So z. B.
werden Petrus und Paulus, sofern sie eins sind, nicht gezählt. Eins sind sie in Anbetracht
der Wesenheit, weder sind noch heißen sie darum zwei Naturen. Verschieden aber sind sie
der Hypostase nach, darum heißen sie zwei Hypostasen. So ist also der Unterschied Grund
der Zählung.

IX. KAPITEL. Antwort auf die Frage, ob es eine subsistenzlose Natur gebe.

S. 134 Wenn es auch keine unhypostatische Natur oder unpersönliche Wesenheit gibt —
denn die Wesenheit und die Natur wird in Hypostasen und Personen betrachtet —, so ist es
doch nicht notwendig, daß von den miteinander hypostatisch geeinten Naturen eine jede
eine eigene Hypostase besitze. Es kann ja sein, daß sie in* eine* Hypostase zusammenlau-
fen und dann weder unhypostatisch sind noch für jede eine eigene Hypostase haben, son-
403
Dieser Zusatz steht in den Ausgaben und Manuskripten gewöhnlich nach dem 9. Kapitel des 4. Buches,
paßt jedoch in keiner Weise dorthin. Die Überschrift, die ersten sieben Sätze, die erste Hälfte des achten
Satzes, sowie der zehnte Satz dieses Zusatzes finden sich wörtlich im vorausgehenden Kapitel S. 131 f.

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dern beide ein und dieselbe. Dieselbe Hypostase des Wortes bildet nämlich die Hypostase
der beiden Naturen, sie läßt weder eine von ihnen unhypostatisch sein noch gestattet sie
fürwahr, daß sie hypostatisch voneinander verschieden sind, noch ist sie [die Hypostase]
bald von dieser, bald von jener [Natur], sondern sie ist immer ohne Trennung und ohne
Scheidung Hypostase beider. Sie teilt und scheidet sich ja nicht und weist nicht einen Teil
von ihr dieser [Natur], einen Teil jener zu, sondern sie ist ungeteilt und vollständig [Hy-
postase] ganz von dieser und ganz von jener. Denn nicht in eigener Hypostase subsistiert
das Fleisch des Gott-Logos, noch existiert außer der Hypostase des Gott-Logos eine andere
Hypostase, sondern es subsistiert in ihr, ist vielmehr hypostasiert, es hat kein selbständiges
Fürsichsein. Daher ist es weder subsistenzlos (unhypostatisch) noch führt es eine andere
Hypostase in die Dreiheit ein.

X. KAPITEL. Über das Trishagion (Dreimalheilig).

Daher erklären wir auch den Zusatz im Trishagion, der von dem törichten Petrus dem Wal-
ker 404 stammt, für S. 135 gotteslästerlich. Denn er (� der Zusatz) führt eine vierte Person
ein, er stellt den Sohn Gottes, die persönliche Kraft des Vaters, eigens und den Gekreuzig-
ten eigens, als wäre er ein anderer als „der Starke“, oder aber er läßt die heilige Dreifaltigkeit
leiden und kreuzigt mit dem Sohne den Vater und den Hl. Geist. Fort mit diesem läster-
lichen und falschen Geschwätz! Wir verstehen das „heiliger Gott“ vom Vater, legen aber
nicht bloß ihm den Namen der Gottheit bei, sondern wissen wohl, daß auch der Sohn und
der Hl. Geist Gott ist. Und das „heiliger Starker“ beziehen wir auf den Sohn, ohne jedoch
den Vater und den Hl. Geist der Stärke zu entkleiden. Und das „heiliger Unsterblicher“
bestimmen wir für den Hl. Geist. Wir schließen damit den Vater und den Sohn nicht von
der Unsterblichkeit aus, sondern wir wenden alle Gottesbezeichnungen schlechthin und
uneingeschränkt auf jede der Hypostasen an, wir ahmen den göttlichen Apostel nach, der
sagt: „Wir aber haben* einen* Gott, den Vater, aus dem alles ist, und wir aus ihm, und*
einen* Herrn Jesus Christus, durch den alles ist, und wir durch ihn 405 “, und einen Hl.
Geist, in dem alles ist, und wir in ihm, und fürwahr nicht bloß ihn, sondern auch Gregor
den Theologen 406 , der irgendwo also sagt: „Wir aber haben* einen* Gott, den Vater, aus
dem alles, und* einen* Herrn Jesus Christus, durch den alles, und* einen* Hl. Geist, in
dem alles ist.“ Die Ausdrücke: „aus dem, durch den und in dem“ scheiden keine Naturen
— man könnte ja auch die Vorwörter oder die Reihenfolge der Namen nicht umkehren
—, sondern sie bezeichnen Eigentümlichkeiten einer einzigen und unvermischten Natur.
404
Der Monophysit Petrus Fullo (d. i. der Walker) hatte als Patriarch von Antiochien um 470 zum Trishagion:
„Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher“ (ἅγιος ὁ θεός, ἅγιος ἰσχυρός, ἅγιος ἀθάνατος) [ha-
gios ho theos, hagios ischyros, hagios athanatos] den Zusatz gemacht: „der du für uns gekreuzigt worden“
(ὁ σταυρωθεὶς δ’ ἡμᾶς) [ho staurōtheis d’ hēmas].
405
1 Kor. 8, 6.
406
Orat. 39, 12 (Migne, P. gr. 36, 348 A—B).

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Und das erhellt daraus, daß sie wieder in Eins verbunden werden, es müßte denn sein, daß
man unachtsam bei demselben Apostel jenes Wort läse: „Aus ihm und durch ihn und in
ihm ist alles, ihm sei Ehre in alle Ewigkeit. Amen 407 .“

Denn daß das Trishagion nicht allein vom Sohne, sondern von der heiligen Dreiheit ge-
sagt ist, bezeugen S. 136 der göttliche und hl. Athanasius 408 , Basilius 409 , Gregorius 410
und der ganze Chor der Väter 411 , der Gottesträger. [Sie bezeugen] nämlich, daß durch das
Dreimalheilig die heiligen Seraphim uns die drei Hypostasen der überwesentlichen Gott-
heit anzeigen. Dadurch aber, daß sie nur* einen* Herrn nennen, bezeichnen sie die eine
Wesenheit und Herrschaft der göttlichen Dreiheit. Es sagt daher Gregor der Theologe 412 :
„So kommen also die Heiligen der Heiligen, die auch von den Seraphim verborgen und in
drei Heilig gepriesen werden, in* einem* Herrsein und Gottsein zusammen. Dies ist auch
von einem andern vor uns 413 in überaus treffender und erhabener Weise wissenschaftlich
erörtert worden.“

Es berichten auch die Kirchengeschichtsschreiber: Als das Volk in Konstantinopel wegen


einer von Gott verhängten Bedrohung unter dem Erzbischof Proklus 414 betete, da traf sich
folgendes: Ein Knabe aus dem Volke geriet in Verzückung und lernte durch englische Be-
lehrung das Dreimalheilig-Lied so: „Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher,
erbarme dich unser.“ Und als der Knabe wieder zu sich kam und das Gelernte verkündete,
sang die ganze Menge das Lied, und so hörte die Bedrohung auf 415 . Auch auf der vierten S.
137 heiligen, großen, allgemeinen Synode zu Chalzedon 416 soll dieses Dreimalheilig-Lied
so gesungen worden sein. So wird nämlich in den Akten derselben heiligen Synode berich-
tet 417 . Lächerlich also und läppisch fürwahr ist es, daß das Dreimalheilig-Lied, das von En-
geln gelehrt, durch das Aufhören des Schrecknisses beglaubigt, durch die Versammlung so
407
Röm. 11, 36. Bis hierher* wörtlich* aus Gregor v. Naz.
408
De synodis n. 38 (Migne, P. gr. 26, 760 B). Doctr. Patr. l. c. p. 10, XXX.
409
Adv. Eunom. l. 3 n. 3 (Migne, P. gr. 29, 661 A). Epist. 226 n. 3 (Migne, P. gr. 32, 848 C). Doctr. Patr. l. c. p. 10,
XXVIII, XXXI u. XXXII u. 316, II.).
410
Or. 38, 8 (Migne, P. gr. 36, 320 B).
411
Doctr. Patr. l. c. p. 10 u. 316 ff. enthält eine Zusammenstellung von Väterzitaten über das Trishagion.
412
Orat. 38, 8 (Migne, P. gr. 36, 320 B). Doctr. Patr. de incar. Verb. l. c. p. 316, I.
413
Athanasius. (?)
414
Proklus von Konstantinopel, seit 426 Bischof von Cyzikus, seit 434 Patriarch von Konstantinopel, † 446,
war im Vereine mit Cyrill von Alexandrien ein feuriger Bekämpfer des Nestorius.
415
Tatsache ist, daß das Trishagion in dieser Form von Kaiser Theodosius II. (408—450) vorgeschrieben
worden ist (vgl. Theoph., Chronogr. Migne, P. gr. 108, 245 s.). In griechisch-lateinischer Form gelangte es
zu Anfang des 6. Jahrh. (Konzil von Vaison 529, c. 3) in die gallikanische Meßliturgie (Vgl. Migne, P. l. 72,
90 s.). In St. Gallen sang man bereits im 9. und 10. Jahrhundert bei der Verehrung des heiligen Kreuzes
am Karfreitag das griechisch-lateinische Trishagion (Lambillote, Antiphonaire, Brüssel 1867, S. 116 ff. und
Paleogr. music. I [Solesmes 1889] 70 f.).
416
Im Jahre 451.
417
Concil. Chalcedon. Act. I (Mansi VI 936 C). Doctr. Patr. de incarn. Verb. I. c. p. 318, 10 ff.

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vieler heiliger Väter bestätigt und bekräftigt und ehedem von den Seraphim zur Bezeich-
nung der dreipersönlichen Gottheit gesungen worden, durch die unvernünftige Meinung
des Walkers gleichsam mit Füßen getreten und wohl gar verbessert worden ist, als über-
treffe er die Seraphim. O der Keckheit, um nicht zu sagen, der Torheit! Wir aber sagen,
auch wenn Dämonen bersten, so: „Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher,
erbarme dich unser!“

XI. KAPITEL. Von der in der Art und im Individuum betrachteten Natur und vom Un-
terschied von Einigung und Menschwerdung. Ferner, wie ist jenes Wort zu verstehen:
„Die eine, fleischgewordene Natur des Gott-Logos“ ?

Die Natur wird entweder rein gedanklich (abstrakt) betrachtet — denn sie hat kein Für-
sichbestehen — oder gemeinsam in allen gleichartigen Hypostasen, diese umfassend, und
heißt dann eine in der Art betrachtete Natur, oder im Ganzen unter Hinzunahme der Akzi-
denzien, wie sie in* einer* Hypostase existiert, und heißt dann eine im Individuum betrach-
tete Natur. Sie ist dieselbe wie die in der Art betrachtete. Der fleischgewordene Gott-Logos
nun hat weder die rein gedanklich betrachtete Natur angenommen — denn das wäre nicht
Fleischwerdung, sondern Trug und Schein einer Fleischwerdung —, noch die in der Art
betrachtete — denn S. 138 nicht alle Hypostasen hat er angenommen —, sondern die im
Individuum [betrachtete], die dieselbe ist wie die in der Art [betrachtete] — denn er hat
die Erstlinge unseres Teiges 418 angenommen —, letztere aber nicht als solche, die früher
für sich selbst subsistierte und ein Individuum gewesen und so von ihm angenommen wor-
den wäre, sondern als solche, die in seiner Subsistenz ihre Existenz bekam. Denn dieselbe
Hypostase des Gott-Logos ward Hypostase für das Fleisch, und auf diese Art „ist der Lo-
gos (das Wort) Fleisch geworden 419 “, ohne Verwandlung natürlich, und das Fleisch Logos,
ohne Veränderung, und Gott Mensch. Denn Gott ist das Wort 420 , und der Mensch Gott
auf Grund der hypostatischen Einigung. Es ist daher gleich, ob man sagt Natur des Wortes
oder die individuelle Natur. Denn man bezeichnet damit weder eigentlich und ausschließ-
lich das Individuum oder die Hypostase noch das Gemeinsame der Hypostasen, sondern
die gemeinsame Natur in einer der Hypostasen betrachtet und untersucht.

Etwas anderes nun ist Einigung und etwas anderes Fleischwerdung. Die Einigung bedeu-
tet nämlich nur die Verbindung. Womit aber die Verbindung geschehen ist, [bedeutet] es
nicht mehr. Die Fleischwerdung jedoch oder, was dasselbe ist, die Menschwerdung, be-
deutet die Verbindung mit Fleisch oder mit einem Menschen, wie auch das Feurigwerden
des Eisens seine Einigung mit dem Feuer. Der selige Cyrillus 421 selbst erklärt im zwei-
418
Vgl. Röm. 11, 16.
419
Joh. 1, 14.
420
Ebd. [Joh.] 1,1.
421
Ep. 46, ad Succ. 2 (Migne, P. gr. 77, 244 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. l. c. p. 16, XX.

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ten Briefe an Sukensus das „* eine,* fleischgewordene Natur des Gott-Logos“. Er sagt also:
„Hätten wir gesagt: ‚* eine* Natur des Wortes‘ und dann geschwiegen und nicht ‚fleischge-
wordene‘ hinzugefügt, sondern die Heilsveranstaltung (� die Menschwerdung) gleichsam
ausgeschlossen, so würde ihre Rede vielleicht gar Glauben finden, wenn sie zum Scheine
fragten: Ist das Ganze* eine* Natur, wo ist dann die vollkommene Menschheit? Oder wie
subsistierte die uns gleiche Wesenheit? Da S. 139 jedoch sowohl die Vollkommenheit der
Menschheit wie die Bezeichnung der uns gleichen Wesenheit durch das Wort ‚fleischgewor-
dene‘ hinzugefügt worden ist, so sollen sie aufhören, sich auf einen Rohrstab zu stützen.“
Hier hat er also unter der Natur die Natur des Wortes gemeint. Hätte er nämlich Natur
statt Hypostase genommen, so wäre es nicht unstatthaft, dies auch ohne das „fleischgewor-
den“ zu sagen. Denn wenn wir von* einer* Hypostase des Gott-Logos schlechthin reden,
irren wir nicht. Ebenso hat auch Leontius von Byzanz 422 den Ausdruck von der Natur ver-
standen, nicht von der Hypostase. In der Verteidigung 423 des zweiten gegen die Vorwürfe
des Theodoret 424 gerichteten Anathematismus sagt der selige Cyrill 425 so: „Die Natur des
Wortes oder die Hypostase, d. i. das Wort selbst.“ Daher bezeichnet der Ausdruck „Natur
des Wortes“ weder die Hypostase allein noch das Gemeinsame der Hypostasen, sondern
die gemeinsame, voll und ganz in der Hypostase des Wortes betrachtete Natur.

Daß also die Natur des Wortes Fleisch geworden, d. h. sich mit dem Fleisch vereinigt hat,
ist gesagt worden. Daß aber die Natur des Wortes dem Fleische nach gelitten hat, haben wir
jetzt noch nicht gehört. Daß Christus dem Fleische nach gelitten hat, darüber wurden wir
belehrt. Daher bedeutet der Ausdruck „Natur des Wortes“ nicht die Hypostase. Es erübrigt
also nur noch zu sagen: Die Fleischwerdung ist die Vereinigung mit dem Fleische, und
der Satz: „Das Wort ist Fleisch geworden 426 “ heißt: Die Hypostase des Wortes selbst ist,
ohne sich zu verändern, Hypostase des Fleisches S. 140 geworden. Und daß Gott Mensch
geworden und der Mensch Gott, ist gesagt worden. Denn das Wort, das Gott ist, ist, ohne
sich zu verwandeln, Mensch geworden. Daß aber die* Gottheit* Mensch geworden ist oder
Fleisch oder die menschliche Natur angenommen hat, haben wir nirgends gehört. Daß
jedoch die Gottheit sich mit der Menschheit in einer ihrer Hypostasen vereint hat, wissen
wir. Und daß Gott eine fremde Form und Wesenheit, nämlich die unsrige, angenommen
hat, ist gesagt worden. Jeder der Hypostasen wird ja der Name Gott beigelegt, „Gottheit“
aber können wir von der Hypostase nicht sagen. Denn daß der Vater allein oder der Sohn
422
De sect., act. 8 n. 2 u. 4. Migne, P. gr. 86, 1, 1252 B�D, 1253 A—D, 1256, 1257 AB. Die Autorschaft von De
sectis bleibt zweifelhaft. Junglas sieht in „De sectis, ursprünglich σχόλια Λεοντίου ἀπὸ φωνῆς Θεοδώρου
[scholia Leontiou apo phōnēs Τheodōrou] überschrieben, eine zwar von Leontius († um 543) abhängi-
ge, aber selbständige Arbeit des Theodorus von Raithu, zu Anfang des 7. Jahrhunderts“ (b0ardenhewer,
Patrologie³, S. 473).
423
Lies* ἐν ἀπολογίᾳ* [en apologia] statt* ἀπολογίαν!* [apologian!].
424
Bischof von Cyrus (Syrien) seit 423, der gelehrteste Gegner des Cyrill von Alexandrien, † um 458.
425
Apol. c. Theodoret. 2 (Migne, P. gr. 76, 401 A).
426
Joh. 1, 14.

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allein oder der Hl. Geist allein „Gottheit“ sei, haben wir nicht gehört. Gottheit bedeutet
nämlich die Natur, Vater aber die Hypostase, wie auch Menschheit die Natur, Petrus aber
die Hypostase. „Gott“ jedoch bezeichnet einerseits das Gemeinsame der Natur, andrerseits
wird es jeder der Hypostasen als Beiname gegeben, wie auch „Mensch“. Denn Gott ist, wer
die göttliche Natur hat, und Mensch, wer die menschliche [Natur hat].

Zu alledem muß man wissen, daß der Vater und der Hl. Geist in keiner Weise an der
Fleischwerdung des Wortes Anteil haben außer hinsichtlich der Wunder, des Wohlgefal-
lens und des Willens.

XII. KAPITEL. Die heilige Jungfrau Gottesgebärerin. Gegen die Nestorianer.

Wir predigen die heilige Jungfrau als Gottesgebärerin im eigentlichen und wahren Sinne.
Denn wie wahrer Gott der ist, der aus ihr geboren worden, so ist wahre Gottesgebärerin
die, die den wahren Gott, der aus ihr Fleisch angenommen, geboren hat. Denn Gott, sa-
gen wir, ist aus ihr geboren worden, nicht als hätte die Gottheit des Wortes den Anfang
des Seins aus ihr genommen, sondern weil der Gott-Logos selbst, der „von Ewigkeit her
427
“ zeitlos aus dem Vater gezeugt ist und anfangslos und ewig mit dem Vater und dem
Geiste S. 141 zugleich existiert, „am Ende der Tage 428 “ um unseres Heiles willen in ihrem
Schoße Wohnung nahm und, ohne sich zu verwandeln, aus ihr Fleisch annahm und gebo-
ren wurde. Denn nicht einen bloßen Menschen gebar die heilige Jungfrau, sondern einen
wahrhaftigen Gott, nicht einen nackten, sondern fleischbekleideten, nicht einen, der vom
Himmel den Leib herabbrachte und wie durch einen Kanal durch sie hindurchging 429 ,
sondern einen, der aus ihr uns wesensgleiches Fleisch annahm und es in ihm selbst subsis-
tieren machte (hypostasierte). Wäre nämlich der Leib vom Himmel gebracht und nicht von
unserer Natur genommen, was hälfe dann die Menschwerdung? Die Menschwerdung des
Gott-Logos geschah ja darum, daß die sündige, gefallene und verdorbene Natur selbst den
Tyrannen, der sie getäuscht, besiege und so vom Verderben befreit werde, wie der göttliche
Apostel sagt: „Denn durch einen Menschen [kommt] der Tod und durch einen Menschen
die Auferstehung der Toten 430 .“ Ist das erste wahr, dann auch das zweite.

Wenn er aber auch sagt: „Der erste Adam ist von der Erde, irdisch, der zweite Adam ist
der Herr vom Himmel 431 “, so meint er nicht, sein Leib sei vom Himmel, sondern [meint]
offenbar, er sei kein bloßer Mensch. Denn sieh, er nannte ihn sowohl Adam wie Herrn und
zeigte damit beides zugleich an. Adam heißt ja Erdgeborener. Erdgeboren aber ist offenbar
die Natur des Menschen, sie ist aus Staub gebildet. Herr dagegen bezeichnet die göttliche
427
1 Kor. 2, 7.
428
Hebr. 1, 2. Vgl. 2 Petr. 3, 3.
429
So lehrten die Gnostiker (der Syrer Bardesanes, † 222 oder 223).
430
1 Kor. 15, 21.
431
Ebd. [Kor.] 15, 47.

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Wesenheit.

Ferner sagt der Apostel: „Es sandte Gott seinen eingeborenen Sohn, geboren aus einem
Weibe 432 . Er sagte nicht:* durch* ein Weib, sondern:* aus* einem Weibe. Es zeigte also
der göttliche Apostel an, daß der eingeborene Sohn Gottes und Gott der ist, der aus der
Jungfrau Mensch geworden, er hat nicht in einem zuvor S. 142 gebildeten Menschen wie
in einem Propheten Wohnung genommen, sondern er ist wesenhaft und wirklich Mensch
geworden, d. h. er hat in seiner Hypostase ein mit einer vernünftigen und denkenden Seele
belebtes Fleisch hypostasiert und ist selbst dessen Hypostase geworden. Denn dies bedeutet
das „geboren aus einem Weibe“. Wie wäre es denn möglich gewesen, daß das Wort Got-
tes selbst „dem Gesetze unterstellt 433 “ war, wenn es nicht ein uns wesensgleicher Mensch
geworden wäre?

Darum nennen wir die heilige Jungfrau mit Recht und in Wahrheit Gottesgebärerin. Stellt
doch dieser Name das ganze Geheimnis der Heilsveranstaltung (� Menschwerdung) dar.
Ist nämlich die Gebärerin Gottesgebärerin, so ist sicherlich der aus ihr Geborene Gott, si-
cherlich aber auch Mensch. Denn wie sollte Gott, der von Ewigkeit her existiert, aus einem
Weibe geboren sein, wenn er nicht Mensch geworden wäre? Der Sohn eines Menschen ist
doch offenbar ein Mensch. Ist aber der aus einem Weibe Geborene selbst Gott, dann ist
offenbar der, welcher der göttlichen und anfangslosen Wesenheit nach aus Gott dem Va-
ter gezeugt ist, und der, der am Ende der Zeiten der anfänglichen und zeitlichen, d. h. der
menschlichen Wesenheit nach, aus der Jungfrau geboren ist, ein einziger. Das weist aber
auf* eine* Hypostase, zwei Naturen und zwei Geburten unseres Herrn Jesus Christus hin.

Christusgebärerin aber nennen wir die heilige Jungfrau durchaus nicht. Denn der ver-
ruchte, verabscheuungswürdige und jüdisch gesinnte Nestorius, das Gefäß der Schande,
hat zur Aufhebung des Ausdruckes Gottesgebärerin und zur Bekämpfung der Gottesgebä-
rerin, die in Wahrheit allein höher als jedes Geschöpf geehrt wird, und mag dieser samt
seinem Vater, dem Satan, bersten, diese kränkende Benennung erfunden. Denn ein Chris-
tus (� ein Gesalbter) ist auch der König David und der Hohepriester Aaron — Könige
und Priester sind es, die gesalbt werden —, und jeder gotttragende Mensch kann Chris-
tus, dagegen nicht von Natur Gott S. 143 genannt werden. So hat auch der gottverfluchte
Nestorius sich erfrecht, den aus der Jungfrau Geborenen Gottesträger zu nennen. Fern sei
es uns, ihn als Gottesträger zu bezeichnen oder zu denken, sondern als fleischgeworde-
nen Gott. Denn das Wort selbst ist Fleisch geworden, empfangen zwar von der Jungfrau,
hervorgegangen aber als Gott unter Annahme [der menschlichen Natur], die auch selbst
zugleich mit ihrer Hervorbringung ins Sein von ihm vergottet wurde. Darum erfolgte zu
gleicher Zeit dreierlei: ihre Annahme, ihre Existenz und ihre Vergottung durch das Wort.
432
Gal. 4,4.
433
Gal. 4, 4.

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Und so kommt es, daß die heilige Jungfrau als Gottesgebärerin bezeichnet und gedacht
wird, nicht bloß wegen der Natur des Wortes, sondern auch wegen der Vergottung des
Menschlichen. Deren Empfängnis wie Existenz, nämlich die Empfängnis des Wortes und
die Existenz des Fleisches im Worte selbst, ist zu gleicher Zeit auf wunderbare Weise er-
folgt. Denn die Gottesgebärerin selbst bot wunderbar den Stoff zur Bildung dem Bildner
dar und den Stoff zur Menschwerdung dem Gott und Schöpfer des Alls, der das Angenom-
mene vergottete, während die Einigung das Geeinte so, wie es eben geeint worden, wahrte,
nämlich nicht bloß das Göttliche, sondern auch das Menschliche von Christus, das, was
über uns ist, und das, was wir sind. Denn nicht etwas, das zuerst wie wir geworden, ist
später höher als wir geworden, nein, beides existierte immer vom ersten Dasein an, weil es
von Anfang der Empfängnis an die Existenz im Worte selbst hatte. Menschlich also ist es (�
das Angenommene) seiner eigenen Natur nach, Gott aber und göttlich auf übernatürliche
Weise. Weiterhin besaß es auch die Eigentümlichkeiten des beseelten Fleisches, denn das
Wort nahm sie in Rücksicht auf die Heilsordnung an. Sie sind in der Ordnung natürlicher
Bewegung (Tätigkeit) in Wahrheit natürlich.

XIII. KAPITEL. Von den Eigentümlichkeiten der beiden Naturen.

Wir bekennen denselben Jesus Christus, unseren Herrn, als vollkommenen Gott und voll-
kommenen S. 144 Menschen. Darum sagen wir: Er besitzt, abgesehen von der Ungezeugt-
heit, alles, was der Vater hat, und er besitzt, nur die Sünde ausgenommen, alles, was der
erste Adam hatte, d. i. einen Leib und eine vernünftige und denkende Seele. Er hat entspre-
chend den zwei Naturen die zweifachen natürlichen [Eigentümlichkeiten] der zwei Natu-
ren: zwei natürliche Willen, den göttlichen und den menschlichen, und zwei natürliche
Tätigkeiten, eine göttliche und eine menschliche, und zwei natürliche Willensfreiheiten,
eine göttliche und eine menschliche, und eine [zweifache] Weisheit und Erkenntnis, eine
göttliche und eine menschliche. Denn da er wesensgleich mit Gott dem Vater ist, will und
wirkt er selbstmächtig wie Gott. Da er aber auch mit uns wesensgleich ist, will und wirkt
er selbstmächtig wie ein Mensch. Denn sein sind die Wunder, sein auch die Leiden.

XIV. KAPITEL. Von den Willen und Willensfreiheiten unseres Herrn Jesus Christus.

Da also Christi Naturen zwei sind, so sind, sagen wir, seine natürlichen Willen und seine
natürlichen Tätigkeiten zwei. Da aber die Hypostase seiner zwei Naturen eine ist, so sagen
wir: Es ist einer und derselbe, der auf natürliche Weise will und wirkt entsprechend den
beiden Naturen, aus denen und in denen [er besteht], nämlich Christus, unser Gott. Er will
und wirkt aber nicht getrennt, sondern vereint. Denn er will und „wirkt in jeder der beiden
Formen in Gemeinschaft mit der andern 434 “. Was nämlich dieselbe Wesenheit hat, das hat
auch dasselbe Wollen und Wirken. Was aber eine verschiedene Wesenheit hat, das hat auch
434
Leo I. P., Ep. 28, 4 (Migne, P. l. 54, 768 B).

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verschiedenes Wollen und Wirken. Und umgekehrt, was dasselbe Wollen und Wirken hat,
das hat auch dieselbe Wesenheit; was aber verschiedenes Wollen und Wirken hat, das hat
auch verschiedene Wesenheit.

S. 145 Darum erkennen wir eben bei Vater, Sohn und Hl. Geist aus der Identität des
Wirkens und Wollens die Identität der Natur. In der göttlichen Heilsveranstaltung aber
erkennen wir aus der Verschiedenheit der Tätigkeiten und der Willen auch die Verschie-
denheit der Naturen, und wenn wir die Verschiedenheit der Naturen erkennen, bekennen
wir zugleich auch die Verschiedenheit der Willen und Tätigkeiten. Denn wie die Zahl der
Naturen des nämlichen und einen Christus, fromm gedacht und gemeint, den einen Chris-
tus nicht trennt, sondern den Unterschied der Naturen auch in der Einigung als gewahrt
darstellt, so führt auch die Zahl der seinen Naturen wesenhaft zukommenden Willen und
Tätigkeiten — denn nach den beiden Naturen wollte und wirkte er unser Heil — keine
Trennung ein (das sei ferne!), sondern zeigt nur, auch in der Einigung, deren Wahrung
und Erhaltung an. Denn natürlich und nicht hypostatisch nennen wir die Willen und Tä-
tigkeiten. Ich meine die wollende und wirkende Kraft, nach der das Wollende und Wir-
kende will und wirkt. Denn geben wir zu, es sei hypostatisch, so werden wir uns genötigt
sehen zu sagen, die drei Hypostasen der heiligen Dreiheit hätten verschiedene Willen und
verschiedene Tätigkeiten.

Man muß nämlich wissen,* daß Wollen und So-oder-Sowollen nicht dasselbe ist. Denn
das Wollen ist wie auch das Sehen Sache der Natur,* es kommt ja allen Menschen zu.*
Das So-oder-Sowollen aber* ist wie* auch das So-oder-Sosehen,* das Gut- oder Schlecht-
[Sehen] nicht Sache der Natur, sondern unseres Sinnes. Denn nicht alle Menschen wollen
auf gleiche Weise noch sehen sie auf gleiche Weise. Das werden wir auch von den Tätig-
keiten zugeben. Denn das So-oder-Sowollen, So-oder-Sosehen oder So-oder-Sowirken* ist
die Art und Weise der Ausübung des Wollens, Sehens und Wirkens, die nur dem zukommt,
der sie ausübt, und ihn nach dem gemeinhin sogenannten Unterschied von andern abson-
dert 435 .*

S. 146 Man nennt also das Wollen schlechthin Willen* (θέλησις)* [thelēsis] oder die
Willenskraft, die ein vernünftiges Verlangen und ein natürliches Wollen ist, das So-oder-
Sowollen jedoch oder das, was dem Wollen unterliegt, Gewolltes und gnomischen (� durch
Wahl bestimmten) Willen (Wahlwillen). Wollensfähig aber ist das, was in der Lage ist, zu
wollen. So ist z. B. die göttliche Natur wollensfähig, ebenso auch die menschliche. Wollend
aber ist der, der den Willen ausübt, d. h. die Hypostase, wie z. B. Petrus.

Da nun Christus einer, und seine Hypostase eine ist, so ist einer und derselbe, der will so-
wohl auf göttliche wie menschliche Weise 436 . Da er aber zwei wollensfähige, weil vernünfti-
435
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II, 162.
436
Vgl. zu diesem Abschnitt Max. Conf., l. c. II, 160 f.

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ge Naturen hat — denn alles Vernünftige ist wollensfähig und selbstmächtig —, so werden
wir von ihm zwei natürliche Willen oder Wollungen aussagen. Der Gleiche ist nämlich wol-
lensfähig nach seinen beiden Naturen. Er nahm ja die von Natur aus in uns vorhandene
Willenskraft an. Und da einer und derselbe Christus ist, der nach beiden Naturen will, so
sagen wir das Gewollte eben von ihm aus, nicht als ob er nur das wollte, was er natürli-
cherweise als Gott wollte — denn es ist nicht Sache der Gottheit, essen und trinken und
Ähnliches zu wollen —, vielmehr [wollte er] auch das, was die menschliche Natur erhält,
freilich nicht in einem Gegensatz der Gesinnung [zum göttlichen Wollen], sondern in Ei-
gentümlichkeit der Naturen. Denn dann wollte er letzteres auf natürliche Weise, wann sein
göttlicher Wille es wollte und dem Fleische gestattete, das [ihm] Eigentümliche zu leiden
und zu tun.

Daraus erhellt, daß der Wille dem Menschen von Natur aus zukommt.* Abgesehen vom
göttlichen gibt es drei Arten von Leben: das pflanzliche, das empfindende, das denken-
de. Dem pflanzlichen eigen ist die ernährende, die mehrende, die zeugende Bewegung
(Tätigkeit), dem empfindenden die antreibende, dem vernünftigen und denkenden die
selbstmächtige* (freie).* Wenn* nun* dem pflanzlichen die ernährende, dem S. 147 empfin-
denden die antreibende von Natur aus innewohnt, so wohnt folglich dem* vernünftigen
und* denkenden die selbstmächtige* von Natur aus inne. Selbstmacht (Freiheit) aber ist
nichts anderes als der Wille. Da nun das Wort ein beseeltes, denkendes und selbstmächti-
ges Fleisch geworden ist, so ist es auch wollensfähig geworden 437 .

Ferner: Das* Natürliche ist nicht gelernt.* Denn niemand lernt denken oder leben oder
hungern oder dürsten oder schlafen. Auch wollen lernen wir nicht. Darum ist das Wollen
natürlich.

Und wiederum: In unvernünftigen Wesen lenkt die Natur, im Menschen aber wird sie ge-
lenkt, da er selbstmächtig nach seinem eigenen Willen sich bewegt. Folglich ist der Mensch
von Natur aus wollensfähig.

Und wiederum: Der Mensch ist nach dem Bilde der seligen und überwesentlichen Gottheit
geschaffen, die göttliche Natur aber ist von Natur aus selbstmächtig und wollensfähig. Denn*
das Selbstmächtige bestimmten die Väter als Wollen.*

Ferner: Allen Menschen wohnt das Wollen inne, es wohnt nicht den einen inne, den an-
dern nicht. Was man aber an allen gemeinsam wahrnimmt, kennzeichnet die Natur in den
darunter begriffenen Individuen. Also ist der Mensch von Natur aus wollensfähig 438 .

Und weiters: Die Natur nimmt kein Mehr oder Weniger an; das Wollen wohnt allen
437
Das in diesem Abschnitt kursiv Gedruckte ist wörtlich, das übrige dem Sinne nach aus Max. Conf., Disput.
cum Pyrrho, l. c. II, 167 f.
438
Das kursiv Gedruckte wörtlich, das andere dem Sinne nach aus Max. Conf., l. c. II, 169.

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in gleicher Weise inne, den einen nicht mehr, den andern nicht weniger. Folglich ist der
Mensch von Natur aus wollensfähig. Ist also der Mensch von Natur aus wollensfähig, so
ist auch der Herr, nicht bloß sofern er Gott ist, sondern sofern er Mensch ist, von Natur
wollensfähig. Wie er nämlich unsere Natur angenommen, so hat er auch unseren Natur-
willen angenommen. Und in diesem Sinne sagten die Väter, er habe unser Wollen in sich
nachgebildet.

S. 148 Ist* das Wollen nicht natürlich, so wird es entweder hypostatisch (persönlich) oder
widernatürlich sein. Allein wenn hypostatisch, so wird der Sohn einen andern Willen als
der Vater haben, denn nur eine Hypostase hat das Hypostatische als Merkmal. Wenn aber
widernatürlich,* so wird das Wollen* Abfall* von der Natur sein,* denn das Widernatürli-
che verdirbt das Naturgemäße.*

Der Gott und Vater von allem will entweder als Vater oder als Gott. Wenn er als Vater [will],
so wird sein Wollen von dem des Sohnes verschieden sein. Der Sohn ist ja nicht Vater. Wenn
er jedoch als Gott [will], der Sohn aber Gott und der Hl. Geist auch Gott ist, so [wird] das
Wollen Sache der Natur oder natürlich [sein].

Ferner: Wovon das Wollen eines ist, davon ist gemäß den Vätern auch die Wesenheit eine.
Nun ist auch das Wollen der Gottheit Christi und seiner Menschheit eines. Also wird auch
deren Wesenheit eine und dieselbe sein.

Und wiederum: Nach den Vätern wird der Unterschied der Natur durch den einen Willen
nicht ersichtlich. Entweder nimmt man nun einen Willen an, dann darf man keinen natürli-
chen Unterschied (� Unterschied der Natur) in Christus annehmen, oder man nimmt einen
natürlichen Unterschied an, dann darf man nicht einen Willen annehmen 439 .

Und weiters: Das göttliche Evangelium erzählt:* Der Herr kam in die Landschaft von
Tyrus und Sidon und „er trat in ein Haus und wollte, daß es niemand erfahren sollte; er
konnte aber nicht verborgen bleiben 440 “.* Nun S. 149 ist aber sein göttlicher Wille all-
mächtig, er hat jedoch, obwohl er wollte, nicht verborgen bleiben können. Also konnte er
es nicht, obwohl er wollte, sofern er Mensch war, und er* war wollensfähig, auch sofern er
Mensch war 441 .*
439
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 174.
440
Mark. 7, 24. Vgl. Matth. 15, 21. Siehe auch Joh. Damasc., De duabus in Christo voluntatibus c. 40 (Migne.
P. gr. 95, 180 A). Mark. 7, 24 war, wie Bardenhewer (Unedierte Exzerpte aus einer Schrift des Patriarchen
Eulogius von Alexandrien über Trinität und Inkarnation: Theol. Quartalschr. 78 (1896) 401 Anm. zu 5,
7) bemerkt, die klassische Stelle für die Gegner des Monotheletismus. Sie diente im Kampfe gegen diese
Irrlehre dem Patriarchen Eulogius von Alexandrien, 580—607, (b0ardenhewer, Exzerpte usw. V, 7 a. a. O.
S. 373 u. 388), ferner, wie Bardenhewer (a. a. O. S. 401 Anm. zu 5, 7) gesehen, dem Maximus Konfessor
(Disput. cum Pyrrho l. c. II, 178 Migne, P. gr. 91, 321), an den sich Johannes hier anlehnt, und Papst Agatho,
678—681, (Ep. ad Augustos Imperatores, Mansi SS. Conc. Coll. XI, 252; Migne, P. l. 87, 1179).
441
Das kursiv Gedruckte in diesem Abschnitt wörtlich aus Max. Conf., l c. II, 178.

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Und wiederum:* „Als er“,* heißt es,* „an den Ort kam, sprach er: Mich dürstet. Und sie
gaben ihm Wein mit Galle vermischt: er kostete, wollte aber nicht trinken“ 442 . * Wenn er
nun als Gott dürstete und kostete, aber nicht trinken wollte, so ist er auch als Gott leidens-
fähig, denn ein Leiden ist sowohl der Durst als das Kosten. Wenn aber nicht als Gott, so
dürstete er sicherlich als Mensch und war auch als Mensch wollensfähig 443 .

Und der selige Apostel Paulus sagt: „Er ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am
Kreuze 444 .“ Der Gehorsam ist eine Unterwerfung des wirklichen, nicht des nicht wirkli-
chen Willens. Denn das unvernünftige Wesen werden wir nicht gehorsam oder ungehor-
sam nennen. Wenn nun der Herr dem Vater* gehorsam* ward, so* ist er es nicht als Gott,
sondern als Mensch gewesen. Als Gott ist er ja „weder gehorsam noch ungehorsam.* Denn*
das ist Sache dessen, was unterworfen ist“,* wie der Gottesträger* Gregorius sagte 445 . Also
ist* Christus* auch als Mensch wollensfähig 446 .*

Nennen wir den* Willen natürlich,* so meinen wir damit* nicht einen gezwungenen,*
sondern einen selbstmächtigen (freien); denn wenn vernünftig, ist er sicherlich auch selbst-
mächtig (frei).* Es hat ja nicht bloß die göttliche und ungeschaffene Natur, sondern auch
die S. 150 denkende und geschaffene nichts Gezwungenes.* Das ist klar.* Gott, der von Na-
tur gut und von Natur Schöpfer und von Natur Gott ist, ist dieses nicht mit Notwendigkeit.
Denn wer ist der, der [ihm] die Notwendigkeit auferlegt? 447 *

Man muß aber wissen, daß die Selbstmächtigkeit (Freiheit) in verschiedenem Sinne aus-
gelegt wird: anders bei Gott, anders bei Engeln und anders bei Menschen. Bei Gott in über-
natürlicher Weise. Bei Engeln so, daß die Inangriffnahme zugleich mit der Neigung erfolgt
und durchaus keine Zwischenzeit zuläßt. Denn da er (� der Engel) die Selbstmacht von Na-
tur aus hat, gebraucht er diese ungehindert; er hat ja weder das Widerstreben seitens des
Körpers noch den Widersacher.* Bei Menschen aber so, daß die Neigung zeitlich vor der
Inangriffnahme gedacht wird 448 .* Zwar ist der Mensch selbstmächtig von Natur aus, er
hat aber auch den Widerstand des Teufels und die Bewegung des Körpers. Darum bleibt
wegen des Widerstandes [des Teufels] und der Schwere des Körpers die Inangriffnahme
hinter der Neigung zurück.

Adam gehorchte, weil er wollte, und er aß, weil er wollte. Also leidet in uns zuerst der Wille.
Leidet nun zuerst der Wille, nahm diesen aber das fleischgewordene Wort nicht mit der Natur
an, dann sind wir der Sünde nicht los geworden 449 .
442
Matth. 27, 34; Joh. 19, 28.
443
Nach Max. Conf., l. c. Das kursiv Gedruckte wörtlich).
444
Phil. 2, 8.
445
Greg. Naz., Or. 30, 6 (Migne, P. gr. 36, 109 C).
446
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 179, dem Johannes in diesem Abschnitt folgt.
447
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 163.
448
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 180.
449
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c.

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Ferner:* Ist die freie Willenskraft der Natur sein* (� des Wortes)* Werk, hat es jedoch
diese nicht angenommen, so hat es damit entweder seine eigene Schöpfung für nicht gut
erklärt oder es hat uns die Heilung in diesem Punkte mißgönnt und uns der vollständi-
gen Heilung beraubt, sich selbst aber als leidend gezeigt, da es uns nicht vollständig retten
wollte oder nicht konnte 450 .*

Man kann nicht sagen, aus zwei Willen entstehe ein zusammengesetzter, wie aus den
Naturen eine S. 151 zusammengesetzte Hypostase. Denn erstens* ist zusammengesetzt
nur das, was in einer Hypostase existiert (= was subsistiert), nicht aber, was man in einer
andern und nicht in eigener Natur schaut.* Zweitens werden wir uns,* falls wir eine Zu-
sammensetzung der Willen* und Tätigkeiten* annehmen wollen, genötigt sehen, eine Zu-
sammensetzung auch der andern natürlichen Eigentümlichkeiten des „ungeschaffen und
geschaffen“,* des „unsichtbar und sichtbar“ und dergleichen anzunehmen.* Wie soll man
auch den aus den Willen zusammengesetzten Willen benennen? Denn unmöglich kann
man dem Zusammengesetzten den Namen der Bestandteile geben. Sonst müßten* wir*
auch das aus den Naturen Zusammengesetzte Natur* und nicht Hypostase* nennen.* Fer-
ner: Wollen wir einen einzigen, zusammengesetzten Willen bei Christus annehmen, so*
trennen wir ihn* (� Christus)* vom Willen des Vaters 451 .* Denn der Wille des Vaters ist
nicht zusammengesetzt. Es bleibt also nur übrig zu sagen, die Hypostase Christi sei zu-
sammengesetzt und wie seinen Naturen, so auch seinen natürlichen Eigentümlichkeiten
gemeinsam.

Von einer Meinung und Wahl können wir beim Herrn nicht reden, wollen wir im ei-
gentlichen Sinne reden. Denn die Meinung, die der Untersuchung und Überlegung oder
Beratung und Beurteilung bezüglich etwas Unerkanntem folgt, ist eine Hinneigung zu dem
Geurteilten. Danach kommt die Wahl. Sie wählt aus und zieht das eine dem andern vor.
Der Herr aber, der kein bloßer Mensch, sondern auch Gott war und alles wußte, bedurfte
keiner Untersuchung, Überlegung, Beratung und Beurteilung, und er war von Natur aus
dem Guten zugeneigt und dem Bösen abgeneigt. Denn so sagt auch der Prophet Isaias 452 :
„Bevor der Knabe das Böse zu erwählen weiß, wird er das Gute erwählen; denn bevor der
Knabe Gutes oder Böses erkennt, wird er das Böse verwerfen und das Gute erwählen.“ Das
„bevor“ zeigt nämlich an, daß er nicht wie wir durch S. 152 Untersuchung und Beratung,
sondern durch das Sein selbst und seine Allwissenheit von Natur aus das Gute hatte, weil er
eben Gott war und auf göttliche Weise im Fleische subsistierte, d. h. hypostatisch mit dem
Fleische geeint war. Denn natürlich sind die Tugenden und wohnen von Natur aus und
auf gleiche Weise allen inne, wenn wir auch nicht alle auf gleiche Weise das Naturgemäße
450
Das kursiv Gedruckte fast Wort für Wort aus Max. Conf., l. c.
451
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich, das übrige dem Sinne nach aus Max. Conf., l. c. II, 164.
452
Is. 7, 15 f. nach LXX [Septuaginta] (messianisch).

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wirken 453 . Denn durch die Übertretung [des Gebotes] sind wir aus dem Naturgemäßen
ins Naturwidrige gefallen. Der Herr aber hat uns aus dem Naturwidrigen zum Naturge-
mäßen zurückgeführt. Denn das heißt der Ausdruck: „Nach dem Bild und Geichnis 454 .“
Die Askese aber und deren Mühseligkeiten wurden nicht zur Erwerbung der von außen
kommenden Tugenden ersonnen, sondern zur Vertreibung der eingedrungenen und na-
turwidrigen Schlechtigkeit, gleichwie wir auch den Rost des Eisens, der nicht natürlich ist,
sondern durch Nachlässigkeit hinzugekommen ist, mit Mühe entfernen und dadurch den
natürlichen Glanz des Eisens sichtbar machen.

Man muß wissen, daß das Wort * (γνώμη)* [gnōmē] vielsinnig und vieldeutig ist 455 .
Bald bedeutet es Ermahnung. So, wenn der göttliche Apostel sagt: „Betreffs der Jungfrauen
besitze ich kein Gebot vom Herrn, eine Ermahnung aber gebe ich 456 .“ Bald auch Rat. So,
wenn der Prophet David sagt: „Wider dein Volk hielten sie bösen Rat 457 .“ Bald Beschluß.
So, wenn Daniel sagt: „Von wem ging dieser schamlose Beschluß aus 458 ?“ Bald aber [steht
es] für Glaube oder Meinung oder Gesinnung, ja, es wird, um es kurz zu sagen, der Name*
(γνὠμη)* [gnōmē] in achtundzwanzig Bedeutungen gebraucht.

XV. KAPITEL. Von den Wirksamkeiten (Tätigkeiten) in unserem Herrn Jesus Christus.

S. 153 Wir reden bei unserem Herrn Jesus Christus auch von zwei Tätigkeiten. Als Gott und
dem Vater wesensgleich, besaß er gleichfalls die göttliche Tätigkeit (Wirksamkeit) und als
Menschgewordener und uns wesensgleich die Tätigkeit der menschlichen Natur.

Man muß jedoch wissen, daß etwas anderes die Wirksamkeit, etwas anderes das Wirksa-
me, etwas anderes die Wirkung und etwas anderes der Wirkende ist 459 .* Wirksamkeit ist*
die* tätige* und wesenhafte* Bewegung 460 * der Natur. Das Wirksame ist die Natur, von
der eine Wirksamkeit ausgeht. Wirkung ist die Vollziehung der Wirksamkeit. Wirkend ist
der, der die Wirksamkeit ausübt, oder die Hypostase. Man nennt aber auch die Wirksam-
keit Wirkung und die Wirkung Wirksamkeit, wie auch das Geschöpf Schöpfung. Denn so
sagen wir: „Die ganze Schöpfung“ und bezeichnen damit die Geschöpfe.

Man muß wissen, daß die Wirksamkeit eine Bewegung ist und vielmehr gewirkt wird
453
Bis hierher lehnt sich in diesem Abschnitt Johannes an Maximus Confessor (Disput. cum Pyrrho, l. e. II,
170 ff.) an.
454
Gen. 1, 26.
455
Was Johannes im folgenden über die Bedeutung von* (γνὠμη )* sagt, ebenso die Schriftstellen, hat er ganz
aus Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II, 173 genommen.
456
1 Kor. 7, 25. Hier wird * (γνὠμη)* [gnōmē] gewöhnlich mit „Rat“ übersetzt!
457
Ps. 82, 4 [hebr. Ps. 83, 4].
458
Dan. 2, 15 nach LXX [Septuaginta].
459
Vgl. Bas., Adv. Eunom. l. 4 (Migne, P. gr. 29, 689 C). Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 80, II.
460
Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 258, 6. Diekamp (Doctr. Patr., l. c. ad 6) verweist auf Greg. Nyss. bei
Maximus, Diversae definitiones (Migne, P. gr. 91, 281 A).

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als wirkt, wie Gregor 461 der Theologe in seiner Rede über den Hl. Geist sagt: „Ist er eine
Wirksamkeit, so wird er offenbar gewirkt werden und nicht wirken und zugleich mit dem
Gewirktsein aufhören.“

Man muß wissen, daß* auch das Leben* selbst* eine Wirksamkeit, ja die erste Wirksam-
keit des Lebewesens ist,* auch die ganze Einrichtung des Lebewesens: die nährende und
mehrende oder natürliche [Bewegung], die antreibende oder die empfindende und die
denkende und selbstmächtige (freie) Bewegung. „Die S. 154 Wirksamkeit aber ist die Voll-
endung der Möglichkeit 462 .“ Wenn wir nun all das in Christus schauen, so werden wir ihm
auch eine menschliche Wirksamkeit zuschreiben.

Wirksamkeit heißt auch der erste in uns entstehende Gedanke. Er ist eine einfache und
verhältnislose Wirksamkeit des Geistes, der in sich unsichtbar seine Gedanken hervorbringt,
ohne die er mit Recht nicht einmal Geist genannt werden könnte. Weiterhin heißt Wirksam-
keit auch die Offenbarung und Kundgebung des Gedachten durch die Aussprache des Wortes.
Diese aber ist nicht mehr verhältnislos und einfach, sondern sie wird in einem Verhältnis ge-
dacht, da sie aus Gedanke und Wort zusammengesetzt ist.* Aber auch das Verhalten selbst,
das der Handelnde zum Geschehenden zeigt, ist eine Wirksamkeit. Und das Vollbringen
selbst heißt Wirksamkeit. Das erste ist Sache der Seele allein, das zweite [Sache] der sich
des Körpers bedienenden Seele, das dritte [Sache] des geistig beseelten Körpers, das vier-
te aber Vollbringung.* Der Geist* erwägt zum voraus, was geschehen soll,* und wirkt so
durch den Körper. Der Seele kommt also die Herrschaft zu. Denn sie gebraucht den Kör-
per wie ein Werkzeug, führt und lenkt diesen.* Eine andere aber ist die Wirksamkeit des
Körpers 463 ,* der von der Seele geführt und bewegt wird. Die Vollbringung dagegen ist, was
den Körper betrifft, das Berühren und das Festhalten und gleichsam das Umfassen dessen,
was geschieht; was aber die Seele betrifft, gleichsam das Formen und Gestalten dessen,
was geschieht. So war auch bei unserem Herrn Jesus Christus die Macht der Wunder eine
Wirksamkeit seiner Gottheit, die Handleistung aber und das Wollen und Sagen: „Ich will,
werde rein 464 “ war eine Wirksamkeit seiner Menschheit. Vollbringung jedoch war seitens
der menschlichen S. 155 [Natur] die Brechung der Brote 465 , die Anhörung des Aussätzigen,
das „ich will“, seitens der göttlichen aber die Vermehrung der Brote und die Reinigung des
Aussätzigen 466 . Durch beides nämlich, durch die Wirksamkeit der Seele wie des Körpers,
zeigte er eine und dieselbe, übereinstimmende und gleiche, seine göttliche Wirksamkeit.
461
Orat. 31, 6 (Migne, P. gr. 36, 140 A). Doctr. Patr. S. 80, III.
462
Greg. Nyss., De orat. dom. orat. 3 (Migne, P. gr. 44, 1160 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 258, 5.
463
Das kursiv Gedruckte steht wörtlich in einem Fragment des Patriarchen Anastasius I. von Antiochien
(559—599) in der Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 79, 25 f.; 78, 23—26 u. 79, 1—4, 9—11, 5. Das Fragment
ist auch bei Migne, P. gr. 94, 1048 C Anm. 36 mitgeteilt.
464
Matth. 8, 3.
465
Joh. 6, 11.
466
Vgl. Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II, 190.

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Wie wir nämlich die Naturen als vereint und sich gegenseitig durchdringend erkennen und
doch deren Unterschied nicht leugnen, sondern diese zählen und als getrennt erkennen,
so erkennen wir einerseits die Verbindung der Willen und Wirksamkeiten, andrerseits er-
kennen wir den Unterschied an und zählen sie und führen doch keine Trennung ein. Denn
gleichwie das Fleisch vergottet worden und doch keine Änderung seiner eigenen Natur er-
litten hat, ebenso sind auch der Wille und die Wirksamkeit vergottet und haben dennoch
ihre eigenen Grenzen nicht überschritten. Denn einer ist es, der dieses und jenes ist, der
auf diese und jene Weise, d. h. auf göttliche und menschliche wollte und wirkte.

Man muß also wegen der Doppelnatur in Christus zwei Wirksamkeiten annehmen.
Denn wovon die Natur verschieden ist, davon ist die Wirksamkeit verschieden, und
wovon die Wirksamkeit verschieden ist, davon ist die Natur verschieden. Und umgekehrt,
wovon die Natur dieselbe ist, davon ist auch die Wirksamkeit dieselbe, und wovon die
Wirksamkeit* eine* ist, davon ist auch die Wesenheit* eine,* wie die göttlich redenden
Väter lehren. Eines von beiden ist also notwendig: Entweder erklärt man die Wirksamkeit
in Christus für eine, dann muß man auch die Wesenheit für eine erklären, oder wir halten
uns an die Wahrheit und erklären mit dem Evangelium und den Vätern die Wesenheiten
für zwei, dann müssen wir zugleich auch die ihnen entsprechend folgenden Wirksamkei-
ten für zwei erklären. Denn da er nach seiner Gottheit Gott dem Vater wesensgleich ist,
wird er [ihm] auch in der Wirksamkeit gleich sein. Und da der nämliche nach seiner S.
156 Menschheit uns wesensgleich ist, wird er [uns] auch in der Wirksamkeit gleich sein.
Sagt doch der selige Gregorius, der Bischof von Nyssa 467 : „Wovon die Wirksamkeit* eine*
ist, davon ist gewiß auch das Vermögen dasselbe. Denn jede Wirksamkeit ist Vollendung
eines Vermögens.“ Unmöglich kann ferner die Natur oder Macht oder Wirksamkeit
einer ungeschaffenen und einer geschaffenen Natur eine einzige sein. Wollten wir nun
die Wirksamkeit Christi für eine erklären, so würden wir der Gottheit des Wortes die
Leidenschaften (Affekte) der vernünftigen Seele, nämlich Furcht und Schmerz und Angst,
zuschreiben.

Sollten sie jedoch einwenden: Die heiligen Väter, die über die heilige Dreiheit handelten,
sagten allerdings: „Wovon die Wesenheit eine ist, davon ist auch die Wirksamkeit eine, und
wovon die Wesenheit verschieden ist, davon ist auch die Wirksamkeit verschieden 468 “, aber
man darf* die Sätze der Gotteslehre nicht auf die Heilsveranstaltung (Menschwerdung)
übertragen,* so werden wir antworten:* Ist bei den Vätern bloß von der Gotteslehre die
Rede,* und hat der Sohn* nicht auch nach der Fleischwerdung* dieselbe Wirksamkeit wie
der Vater,* dann wird er auch nicht dieselbe Wesenheit haben. Wem aber werden wir dann
das zuschreiben: „Mein Vater wirkt bis auf diese Stunde, und auch ich wirke 469 “, und: „Was
467
De orat. dom. orat. 3 (Migne, P. gr. 44, 1160 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. l. c. S. 76, XVI; 258, 5.
468
Max. Conf., l. c. II, 192.
469
Joh. 5, 17.

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er den Vater tun sieht, das tut in gleicher Weise auch der Sohn 470 “, und: „Wenn ihr mir
nicht glauben wollt, dann glaubet meinen Werken 471 “, und: „Die Werke, die ich tue, legen
Zeugnis von mir ab 472 “, und: „Wie der Vater die Toten aufweckt und lebendig macht, so
macht auch der Sohn die lebendig, die er will 473 “? Dies alles zeigt, daß er auch nach der
Fleischwerdung nicht bloß wesensgleich mit dem Vater ist, sondern daß er auch dieselbe
Wirksamkeit hat.*

S. 157 * Und wiederum: Wenn die Sorge für das Seiende nicht bloß dem Vater und dem
Hl. Geiste, sondern auch dem Sohne auch nach der Fleischwerdung zukommt, dieses aber
eine Wirksamkeit ist, so hat er auch nach der Fleischwerdung dieselbe Wirksamkeit wie
der Vater.*

Wenn wir aus den Wundern erkennen, daß Christus* dieselbe Wesenheit wie der Vater
hat, die Wunder aber eine Wirksamkeit Gottes sind,* so hat er nach der Fleischwerdung*
dieselbe Wirksamkeit wie der Vater 474 .*

Wenn die Wirksamkeit seiner Gottheit und seines Fleisches* eine* ist, so wird sie zu-
sammengesetzt sein, und er wird entweder eine andere Wirksamkeit haben als der Vater,
oder es wird auch der Vater eine zusammengesetzte Wirksamkeit besitzen. Wenn aber eine
zusammengesetzte Wirksamkeit, dann offenbar auch eine [solche] Natur.

Sollten sie aber sagen,* mit der Wirksamkeit werde zugleich eine Person eingeführt,* so
werden wir erwidern: Wird mit der Wirksamkeit zugleich eine Person eingeführt, so wird
nach der vernunftgemäßen Umkehrung auch mit der Person zugleich eine Wirksamkeit
eingeführt werden, und es wird, wie drei Personen oder Hypostasen der heiligen Dreiheit,
so auch drei Wirksamkeiten geben 475 , oder wie* eine* Wirksamkeit, so* eine* Person und*
eine* Hypostase. Die heiligen Väter haben aber einstimmig erklärt, das, was dieselbe We-
senheit habe, besitze auch dieselbe Wirksamkeit.

Ferner:* Wenn mit der Wirksamkeit zugleich eine Person eingeführt wird,* so haben
die, die bestimmt haben, weder von einer noch von zwei Wirksamkeiten Christi zu reden,
angeordnet, weder von einer noch von zwei Personen bei ihm zu reden 476 .

Bei* dem feurig gemachten Messer* bleiben die Naturen* des Feuers und des Eisens ge-
wahrt,* ebenso auch zwei Wirksamkeiten und deren Wirkungen. Denn das S. 158 Eisen
kann schneiden, das Feuer brennen, und der Schnitt ist die Wirkung von der Wirksam-
470
Ebd. [Joh.] 5, 19.
471
Ebd. [Joh.] 10, 38.
472
Ebd. [Joh.] 10, 25.
473
Ebd. [Joh.] 5, 21.
474
Das kursiv Gedruckte fast Wort für Wort aus Max. Conf., l. c. II, 192 f.
475
Vgl. Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II, 186. Das kursiv Gedruckte wörtlich.
476
Vgl. Max. Conf., l. c. Das kursiv Gedruckte wörtlich.

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keit des Eisens und das Brennen von der des Feuers. Und ihr Unterschied bleibt in dem
gebrannten Schnitt und in dem geschnittenen Brand gewahrt, wenn auch* nach der Verei-
nigung* [des Feuers und Eisens]* weder das Brennen ohne den Schnitt noch der Schnitt
ohne das Brennen* geschieht. Und wir reden* wegen der doppelten natürlichen Wirksam-
keit weder von zwei glühend gemachten Messern,* noch* vermischen wir wegen des ein-
zigen glühend gemachten Messers ihren wesenhaften Unterschied 477 .* So gehört auch in
Christus die göttliche und allmächtige Wirksamkeit seiner Gottheit an, die uns gemäße
aber seiner Menschheit. Tat der menschlichen war es, daß er das Mädchen bei der Hand
nahm und zog 478 , [Tat] der göttlichen, daß er es lebendig machte. Denn etwas anderes war
dieses und etwas anderes jenes, wenngleich sie (� die Wirksamkeiten) in der gottmensch-
lichen Wirksamkeit nicht voneinander getrennt waren. Wird aber deshalb, weil die Hypo-
stase des Herrn* eine* ist, auch die Wirksamkeit* eine* sein, dann wird wegen der* einen*
Hypostase auch die Wesenheit* eine* sein.

Und wiederum: Wollen wir* eine** Wirksamkeit* beim Herrn annehmen, so werden wir
diese* entweder göttlich oder menschlich oder keines von beiden* nennen.* Allein wenn
göttlich,* dann* werden wir ihn nur für Gott erklären,* der die uns gleiche Menschheit
nicht hat.* Wenn aber menschlich,* dann werden wir ihn* einen bloßen S. 159 Menschen*
lästern. Wenn jedoch weder göttlich noch menschlich, [dann werden wir ihn] * weder für
Gott noch für einen Menschen 479 ,* weder dem Vater noch uns wesensgleich [erklären].
Denn durch die Einigung ist die persönliche Identität entstanden, nicht aber ist auch der
Unterschied der Naturen aufgehoben worden. Bleibt jedoch der Unterschied der Naturen
gewahrt, so werden natürlich auch deren Wirksamkeiten gewahrt bleiben. Denn es gibt
keine unwirksame Natur.

Ist die Wirksamkeit Christi, des Herrn, eine, so wird sie entweder* geschaffen oder unge-
schaffen* sein. Denn dazwischen gibt es keine Wirksamkeit, wie auch keine Natur. Wenn
nun* geschaffen, so wird sie nur eine geschaffene Natur anzeigen. Wenn aber ungeschaf-
fen, so wird sie nur eine ungeschaffene Wesenheit kennzeichnen. Denn das Natürliche
muß jedenfalls den Naturen entsprechen 480 .* Eine unvollständige Natur kann nicht exis-
tieren. Die naturgemäße Wirksamkeit ist nicht außerhalb des Naturgemäßen, und es ist
477
Siehe auch Joh. Damasc., De duabus in Christo voluntatibus c. 43 (Migne, P. gr. 95, 184). Dieses Beispiel
vom glühend gemachten Messer, das schneidet und zugleich brennt, verwendet, wenn auch nicht in dieser
Ausführlichkeit wie Johannes, bereits Eulogius von Alexandrien (b0ardenhewer, Ungedruckte Exzerpte
usw. VII, 7 a. a. O. S. 376 u. 392), ferner Maximus Confessor, an den sich Johannes hier anschließt (Disput.
cum Pyrrho, l. c. II, 187; Migne, P. gr. 91, 337—340; De duabus unius Christi Dei nostri voluntatibus l.
c. II, 102; Migne, P. gr. 91, 189—192. Bardenhewer, a. a. O. S. 401 A. zu 7, 7). Das kursiv Gedruckte ist fast
wörtlich aus Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c.
478
Luk. 8, 54.
479
Das in diesem Abschnitt kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II. 187 f.
480
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 188.

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klar, daß die Natur ohne ihre naturgemäße Wirksamkeit weder existieren noch erkannt
werden kann. Denn jedwedes verbürgt durch das, was es wirkt, seine Natur, sofern es sich
nicht ändert.

Ist die Wirksamkeit Christi* eine,* so tut die nämliche* das Göttliche und Menschliche.
Kein Seiendes aber kann, wenn es in dem bleibt, was seiner Natur gemäß ist, das Gegenteil
tun. Das Feuer kann nicht kühlen und wärmen, das Wasser nicht trocknen und nässen.*
Wie ist es also möglich, daß der, der von Natur Gott ist und von Natur Mensch geworden
ist,* sowohl die Wunder als die Leiden durch eine Wirksamkeit vollbracht hat 481 ?*

Hat Christus einen menschlichen Geist* (νοῦς)* [nous] oder eine denkende und ver-
nünftige Seele angenommen, so wird er sicherlich gedacht haben und immer gedacht ha-
ben. Das Denken ist aber eine Wirksamkeit des S. 160 Geistes. Also ist Christus auch als
Mensch wirksam (tätig) und immer wirksam.

Der hochweise und große heilige Chrysostomus 482 sagt in seiner Erklärung der Apostel-
geschichte in der zweiten Rede also: „Man dürfte nicht irren, wenn man auch sein Leiden
ein Tun nennt. Denn dadurch, daß er alles litt,* tat* er jenes große und wunderbare Werk,
indem er den Tod vernichtete und alles andere vollbrachte.“

Wenn jede Wirksamkeit als wesenhafte Bewegung einer Natur bestimmt wird, wie die hier-
in Erfahrenen lehren: Wo weiß jemand eine untätige oder völlig unwirksame Natur oder wo
hat er eine Wirksamkeit gefunden, die nicht Bewegung eines natürlichen Vermögens wäre
483
? Daß aber Gott und Geschöpf eine einzige natürliche Wirksamkeit haben, wird wohl
kein Vernünftiger zugeben gemäß dem seligen Cyrillus 484 : „Weder macht die menschliche
Natur den Lazarus lebendig 485 , noch weint 486 die göttliche Macht. Denn die Träne ist der
Menschheit eigen, das Leben jedoch dem an sich subsistierenden Leben.“ Aber gleichwohl
ist wegen der Identität der Person beides beiden gemeinsam. Denn* einer* ist Christus,
und* eine* ist seine Person oder Hypostase. Aber er hat doch zwei Naturen, [die Natur]
seiner Gottheit und seiner Menschheit. Von der Gottheit her ist nun die Herrlichkeit, die
naturgemäß von ihr ausgeht, wegen der Identität der Hypostase beiden gemeinsam, vom
Fleische her ist das Niedrige beiden gemeinsam. Denn einer und derselbe ist der, der so-
wohl dieses wie jenes ist, nämlich Gott und S. 161 Mensch, und der nämliche hat sowohl
die Eigenschaften der Gottheit wie die der Menschheit. Die Wunder wirkte die Gottheit, je-
481
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich, das übrige dem Sinne nach aus Max. Conf., l. c. II, 189.
482
In acta apost. hom. 1, 3 (Migne, P. gr. 60, 18 al. 17). Doctr. Patr. de incarn. Verb. l. c. S. 86, XVI.
483
Das kursiv Gedruckte ist wörtlich aus einem Scholion des Sophronius, Patriarchen von Jerusalem († 638),
in der Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 89, 8—12.
484
Greg. Nyss., Contra Eunom. l. 5 (Migne, P. gr. 45, 705 C). Doctr. Patr. S. 97, XIX. Der Text dieser Stel-
le, die Johannes irrtümlicherweise Cyrill von Alexandrien zuschreibt, zeigt bei Gregor von Nyssa einige
Abweichungen.
485
Joh. 11, 1 ff.
486
Ebd. [Joh.] 11, 35.

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doch nicht ohne das Fleisch, das Niedrige aber das Fleisch, jedoch nicht ohne die Gottheit.
Denn einerseits war mit dem leidenden Fleische die Gottheit verbunden, die leidensfrei
blieb und die Leiden heilbringend machte, andrerseits war mit der wirkenden Gottheit
des Wortes der heilige Verstand* (νοῦς)* [nous] verbunden, der das, was vollbracht wurde,
bedachte und wußte.

Ihre eigenen Vollkommenheiten teilt die Gottheit dem Leibe mit, sie selbst aber bleibt
von den Leiden des Fleisches unberührt. Denn nicht so, wie durch das Fleisch die Gottheit
wirkte, litt auch durch die Gottheit sein Fleisch. Das Fleisch war nämlich Werkzeug der
Gottheit. Obgleich daher von der ersten Empfängnis an nicht die geringste Trennung zwi-
schen den beiden Gestalten (� der göttlichen und menschlichen Gestalt) bestand, sondern
die Handlungen der* einen* Person jederzeit beiden Gestalten zugehörten, so vermischen
wir doch das, was ungetrennt geschehen, in keiner Weise, sondern erkennen aus der Be-
schaffenheit der Werke, was Sache der einen oder andern Form ist.

Es wirkt also Christus nach jeder seiner beiden Naturen, und es wirkt jede der beiden
Naturen in ihm in Gemeinschaft mit der andern: Das Wort wirkt durch die Macht und
Kraft der Gottheit, was des Wortes ist, alles, was des Herrschers und Königs ist, der Leib
aber nach dem Willen des mit ihm geeinten Wortes, dem er ja angehört. Denn nicht* von
sich selbst aus* erregte er den Trieb zu den natürlichen Affekten noch auch die Abneigung
und den Widerwillen gegen das Lästige oder litt er das von außen her Zustoßende, sondern
er bewegte (� betätigte) sich entsprechend dem Naturverhältnis: Gemäß der Heilsordnung
war es nämlich das Wort, das wollte und zuließ, daß er das Seinige leide und tue, damit
durch die Werke die Wirklichkeit der Natur beglaubigt würde.

Gleichwie er, aus einer Jungfrau geboren, in überwesentlicher Weise Wesenheit annahm,
so wirkte er auch in übermenschlicher Weise, was Sache der S. 162 Menschen ist: Er wandel-
te mit irdischen Füßen auf unstetem Wasser 487 . Das Wasser ward nicht zur Erde, sondern
es wurde durch die übernatürliche Macht der Gottheit zusammengehalten, so daß es nicht
zerfloß und der Schwere der materiellen Füße nicht nachgab. Denn nicht auf menschliche
Weise tat er das Menschliche, er war ja nicht bloß Mensch, sondern auch Gott. Deshalb wa-
ren auch seine Leiden lebendigmachend und heilbringend. Und nicht auf göttliche Weise
wirkte er das Göttliche, er war ja nicht bloß Gott, sondern auch Mensch. Deshalb wirkte
er durch Berührung, Wort und dergleichen die Wunder.

Wollte aber jemand sagen:* Nicht um die menschliche Wirksamkeit aufzuheben, behaup-
ten wir eine Wirksamkeit* in Christus,* sondern weil im Gegensatz zur göttlichen Wirk-
samkeit* die menschliche Wirksamkeit* ein Leiden genannt wird,* insofern behaupten
wir* eine* Wirksamkeit in Christus, so werden wir antworten:* Demgemäß halten auch
die, die eine Natur behaupten, diese fest, nicht um die menschliche aufzuheben, sondern
487
Matth. 14, 25 f.

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weil im Gegensatz zur göttlichen Natur die menschliche leidend heißt.* Von uns aber* sei
es ferne, daß wir im Gegensatz zur göttlichen Wirksamkeit die menschliche Bewegung ein
Leiden nennen. Denn, um allgemein zu sprechen, von keiner Sache läßt sich die Existenz
durch Gegenüberstellung oder Vergleichung erkennen und bestimmen. Auf diese Weise
würde es sich zeigen, daß die Dinge wechselseitig Ursachen voneinander sind. Denn wenn
deshalb, weil die göttliche Bewegung eine Wirksamkeit ist, die menschliche ein Leiden ist,
so wird gewiß auch deshalb, weil die göttliche Natur gut ist, die menschliche schlecht sein.
Und umgekehrt wird, weil die menschliche Bewegung ein Leiden genannt wird, die gött-
liche Bewegung eine Wirksamkeit genannt, und weil die menschliche Natur schlecht ist,
wird die göttliche gut sein 488 .* Und auch alle Geschöpfe werden auf diese Weise schlecht
sein, und es wird der lügen, der sagt: S. 163 „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und
siehe, es war sehr gut 489 .“

Wir aber sagen:* Die heiligen Väter haben die menschliche Bewegung (Tätigkeit) je nach
den Gedanken, die sie entwickelten, auf mannigfache Weise benannt. Sie nannten sie näm-
lich Vermögen, Wirksamkeit, Unterschied, Bewegung, Eigentümlichkeit, Beschaffenheit,
Leiden. Vermögen [nannten sie dieselbe] nicht im Gegensatz zur göttlichen, sondern da
sie bleibend und unwandelbar ist. Wirksamkeit, da sie kennzeichnend ist und die Gleich-
heit in allen Gleichartigen anzeigt. Unterschied, da sie unterscheidend ist. Bewegung, da
sie sich kundgibt. Eigentümlichkeit, da sie bestimmend ist und nur ihr selbst und keiner
andern zukommt. Beschaffenheit, da sie formbildend ist. Leiden, da sie bewegt wird —
denn alles, was aus Gott und nach Gott ist, leidet dadurch, daß es bewegt wird, da es nicht
Selbstbewegung oder Selbstmacht ist —, also, wie gesagt, nicht im Gegensatz, sondern nach
dem Inhalt, der ihr von der Ursache, die das All begründet, schöpferisch eingepflanzt ist.
Deshalb gaben sie ihr auch die gleiche Bezeichnung wie der göttlichen, sie nannten sie
Wirksamkeit. Denn der gesagt hat: „Es wirkt jede der beiden Formen in Gemeinschaft mit
der andern 490 “, was hat er anderes getan als der, der gesagt: „Als er vierzig Tage gefastet,
hungerte ihn zuletzt 491 “ — denn wann er wollte, ließ er die Natur das Ihrige wirken —
oder die, die eine verschiedene, oder die, die eine doppelte, oder die, die eine andere und
wieder andere Wirksamkeit in ihm lehrten 492 ?* Letzteres ist ja nur ein Benennungswechsel
(Antonomasie) und bezeichnet die beiden Wirksamkeiten. Oft wird nämlich durch einen
Benennungswechsel die Zahl angezeigt, wie dadurch, daß man sagt: göttlich und mensch-
lich. Denn* der Unterschied ist ein S. 164 Unterschied von etwas, das verschieden ist 493 .*
488
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., Disput. cum Pyrrho, l. c. II, 193.
489
Gen. 1, 31.
490
Leo I. P., Ep. 28, 4 (Migne, P. l. 54, 768 B).
491
Matth. 4, 2.
492
Das kursiv Gedruckte Wort für Wort aus Max. Conf., l. c. II, 193 f.
493
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Leont., Triginta capita contra Sever. n. 23 Migne, P. gr. 86, 2, 1909 A.
Doctr. Patr. S. 159, 35.

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Wie soll das, was nicht ist, verschieden sein?

XVI. KAPITEL. Gegen die, die sagen: Hat der Mensch zwei Naturen und Wirksamkei-
ten (Tätigkeiten), so muß man bei Christus drei Naturen und ebensoviele Wirksam-
keiten annehmen.

Da der einzelne Mensch aus zwei Naturen, Seele und Leib, besteht und diese unverändert in
sich trägt, so wird man mit Recht sagen, er habe zwei Naturen. Er bewahrt nämlich auch
nach der Einigung die natürlichen Eigentümlichkeiten einer jeden. Denn der Körper ist
nicht unsterblich, sondern vergänglich, die Seele nicht sterblich, sondern unsterblich. Der
Körper ist nicht unsichtbar, die Seele für leibliche Augen nicht sichtbar. Sie ist vernünftig,
denkend und unkörperlich, er grob, sichtbar und unvernünftig.* Nicht einer Natur aber
ist, was der Wesenheit nach einen Gegensatz bildet. Also sind Seele und Leib nicht einer
Natur 494 .*

Und wiederum:* Der Mensch ist ein vernünftiges, sterbliches Wesen, jedes Wesensmerk-
mal zeigt die in Rede stehenden Naturen an. Das Vernünftige aber ist gemäß dem Begriffe
der Natur nicht dasselbe wie das Sterbliche. Also hat der Mensch nach seiner Normaldefi-
nition wohl nicht eine Natur 495 .*

Sagt man jedoch bisweilen, der Mensch habe eine Natur, dann nimmt man den Namen
Natur für Art. So wenn wir sagen, ein Mensch unterscheide sich vom andern durch keinen
Unterschied der Natur. Da alle Menschen dieselbe Zusammensetzung haben, aus Seele und
S. 165 Leib bestehen, ein jeder zwei Naturen umfaßt, so werden eben alle unter* eine* De-
finition gebracht. Und das ist nicht unvernünftig. Denn der heilige Athanasius sagte sogar,
daß alle Geschöpfe, sofern sie geworden,* eine* Natur haben.* Bei der Widerlegung der
Lästerer des Hl. Geistes sagt er nämlich also: „Daß der Hl. Geist über der Schöpfung steht,
von der Natur der Geschöpfe verschieden ist und allein der Gottheit angehört, ist wieder-
um leicht einzusehen 496 .“ „Denn alles, was man gemeinsam und in vielen schaut, nicht im
einen mehr, im andern weniger existiert, heißt Wesenheit 497 .“* Nun ist jeder Mensch aus
Seele und Leib zusammengesetzt, insofern redet man von* einer* Natur der Menschen. Bei
der Hypostase des Herrn aber können wir nicht von* einer* Natur reden. Denn eine jede
(der beiden Naturen) bewahrt auch nach der Einigung ihre natürliche Eigentümlichkeit,
494
Fast wörtlich aus Fragm. II des Patriarchen Anastasius I. von Antiochien (559—599) [Migne, P. gr. 89,
1283 B]. Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 204, 20 f.
495
Dieser Abschnitt ist wörtlich aus Fragm. II des Anastasius (Migne, l. c.). Doctr. Patr. S. 204, 22—26.
496
Athan., Ad. Serap. ep. 1, 26 (Migne, P. gr. 26, 589 C). Bis hierher alles aus Fragm. II des Anastasius, das
kursiv Gedruckte wörtlich, das andere dem Sinne nach. Migne, l. c. Doctr. Patr. p. 204, 26 u. 205, 1—15.
497
Wörtlich aus den Fragmenten des Eulogius, Patriarchen von Alexandrien (580—607) [Migne, P. gr. 86, 2,
2953 C]. Doctr. Patr. p. 205, 20 f. Dieser Satz des Eulogius folgt in der Doctrina unmittelbar auf den aus
den Fragmenten des Anastasius angeführten Text.

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und eine Art von Christussen ist nicht zu finden. Es existiert ja kein anderer aus Gottheit
und Menschheit bestehender Christus, der Gott und Mensch zugleich wäre.

Und wiederum: Die Arteinheit des Menschen und die Wesenseinheit von Seele und Leib
sind nicht dasselbe. Die Arteinheit des Menschen zeigt nämlich die in allen Menschen
vorhandene Gleichheit an, die Wesenseinheit von Seele und Leib aber zerstört deren Sein
und bringt sie zum völligen Nichtsein. Denn entweder wird das eine in die Wesenheit des
andern verwandelt werden, oder aus beiden ein anderes entstehen, und beide verwandelt
werden, oder sie werden in den eigenen Grenzen bleiben und zwei Naturen sein. Nach dem
Begriff der Wesenheit ist eben der Körper mit dem Unkörperlichen nicht identisch. Darum
darf man, wenn S. 166 man beim Menschen von* einer* Natur redet — nicht wegen der
Identität der wesenhaften Beschaffenheit von Seele und Leib, sondern wegen der Gleichheit
der unter eine Art befaßten Individuen —, nicht auch bei Christus von* einer* Natur reden,
wo es eine Art, die viele Hypostasen umfaßt, nicht gibt.

Ferner: Jede Zusammensetzung, sagt man, bestehe aus dem* zunächst Verbundenen.*
Denn wir sagen nicht, das Haus sei aus Erde und Wasser zusammengesetzt, sondern aus
Ziegelsteinen und Holz. Sonst müßte man sagen, auch der Mensch sei wenigstens aus fünf
Naturen zusammengesetzt,* aus den vier Elementen* und der Seele. So ziehen wir auch bei
unserem Herrn Jesus Christus nicht die Teile der Teile in Betracht, sondern das* zunächst
Verbundene,* Gottheit und Menschheit 498 .

Ferner: Wenn wir sagen, der Mensch habe zwei Naturen, und darum genötigt sein wer-
den, bei Christus drei Naturen anzunehmen, so werdet auch ihr, da ihr den Menschen aus
zwei Naturen bestehen laßt, lehren, Christus bestehe aus drei Naturen. Dasselbe gilt auch
von den Wirksamkeiten. Denn die Wirksamkeit muß der Natur entsprechen. Daß aber der
Mensch zweinaturig heißt und ist, bezeugt Gregor der Theologe 499 , da er sagt: „Denn zwei
Naturen sind Gott und Mensch, weil auch Seele und Leib es sind.“ Und in der Rede über
die Taufe sagt er also: „Da wir zweifach sind, aus Seele und Leib, der sichtbaren und der un-
sichtbaren Natur [bestehen], so ist zweifach auch die Reinigung, durch Wasser und Geist
500
.“

XVII. KAPITEL. Von der Vergottung der Fleischnatur und des Willens des Herrn.

S. 167 Man muß wissen:* Nicht weil ein Übergang oder eine Verwandlung oder Verände-
rung oder Vermischung der Natur erfolgte, sagt man, das Fleisch des Herrn sei vergottet
498
In diesem Abschnitt hat Johannes ein Fragment des Heraklian, Bischof von Chalzedon um 500, benützt,
besonders hat er daraus das Beispiel vom Haus genommen. Das kursiv Gedruckte ist wörtlich aus dem
Fragment (Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 207, 19 f.—208. Das Fragment ist auch bei Migne, P. gr. 94, 1065
Anm. 40).
499
Ep. 101, 4 (Migne, P. gr. 37, 180 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 11, I.
500
Orat. 40, 8 (Migne, P. gr. 36, 368 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 207, VII.

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und Mitgott und Gott geworden, wie der Theologe Gregorius sagt:* „Wovon das eine ver-
gottete, das andere „vergottet wurde“ und,* ich wage zu sagen, Mitgott* [wurde], und es
sei* Mensch* geworden,* was salbte, und Gott, was gesalbt wurde.* Denn das [sagt man]
nicht* mit Rücksicht auf eine Verwandlung der Natur, sondern mit Rücksicht auf die heils-
ordnungsmäßige, d. i. hypostatische Einigung, wonach es* (� das Fleisch)* unzertrennlich
mit dem Gott-Logos geeint ist,* wie wir auch von einem Feurigwerden des Eisens reden.*
Wie wir die Menschwerdung ohne Verwandlung und Veränderung bekennen, so glauben
wir auch, daß die Vergottung des Fleisches geschah. Denn weder trat das Wort deshalb,
weil es Fleisch wurde, aus den Grenzen seiner Gottheit und der ihr zukommenden göttli-
chen Vollkommenheiten heraus, noch wurde durch die Vergottung das Fleisch in seiner
Natur oder seinen natürlichen Eigentümlichkeiten verwandelt. Es sind nämlich auch nach
der Einigung sowohl die Naturen unvermengt als deren Eigenschaften unversehrt geblie-
ben. Das Fleisch des Herrn aber gewann ob seiner reinsten, nämlich seiner hypostatischen
Einigung mit dem Worte die göttlichen Wirksamkeiten, ohne irgendeinen Verlust seiner
natürlichen Eigenschaften zu erleiden 501 .* Denn nicht in eigener Wirksamkeit, S. 168 *
sondern kraft des mit ihm geeinten Wortes wirkte es das Göttliche 502 ,* durch dasselbe
erwies das Wort seine eigene Wirksamkeit. Es brennt ja das feurig gemachte Eisen nicht,
weil es durch seine Natur die brennende Wirksamkeit besitzt, sondern weil es dieses durch
seine Vereinigung mit dem Feuer erlangt hat 503 .

Das nämliche (� das Fleisch) ist also sterblich ob seiner selbst und lebendigmachend
ob seiner hypostatischen Einigung mit dem Worte. Desgleichen behaupten wir auch die
Vergottung des Willens, nicht als wäre seine natürliche Bewegung (Tätigkeit) verändert
worden, sondern weil sie mit seinem göttlichen und allmächtigen Willen vereint ward und
derselbe der Wille des menschgewordenen Gottes wurde. Daher konnte er nicht* aus sich
selbst* verborgen bleiben 504 , als er wollte, da es dem Gott-Logos gefiel, daß die in ihm
wirklich vorhandene Schwäche des menschlichen Willens sich zeige. Er wirkte aber, als
501
Das kursiv Gedruckte findet sich* wörtlich* in der Doctr. Patr. in dem Scholion zu einem den Namen des
Bischofs Theodotus von Ancyra († vor 446) tragenden Fragment, dessen Text Diekamp in den Schriften
des Theodotus nicht gefunden (Doctr. Patr. S. LII). Johannes hat den Text des Scholions manchmal um-
gestellt. Siehe Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 127, 8 ff. und 128, 6 ff. Die von Johannes angeführten Worte
Gregors von Nazianz sind zum Teil nur dem Sinne nach zitiert. Der Damaszener hat aus drei Stellen in
Gregors Reden eine einzige gemacht. Der erste Satz: „Wovon das eine vergottete, das andere vergottet
wurde“, ist wörtlich aus Greg. Naz., Or. 38, 13 (Migne, P. gr. 36, 325 C) genommen. Das übrige: „und, ich
wage zu sagen, Mitgott [wurde], und es sei Mensch geworden, was salbte, und Gott, was gesalbt wurde“,
ist eine ziemlich freie Kombination zweier Gregorstellen (Or. 45, 13 Migne, P. gr. 36, 641 A und Or. 30,
21 Migne, P. gr. 36, 132 BC), die auch das Scholion enthält (Doctr. Patr. S. 127, 13—20).
502
Dieser kursiv gedruckte Satz stimmt, wie Diekamp (Doctr. S. LXVIII) gleichfalls wahrgenommen, wörtlich
mit einer Randglosse der Doctrina S. 129 zu Zeile 16 überein.
503
Davon handelt das ebenerwähnte Fragment des Theodotus (Doctr. Patr. 126, 22 ff. u. 127, 1—7).
504
Mark. 7, 24.

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505
er wollte, die Reinigung des Aussätzigen wegen der Vereinigung mit dem göttlichen
Willen.

Man muß aber wissen, daß die Vergottung der Natur wie des Willens ganz klar und deut-
lich die zwei Naturen und die zwei Willen erkennen läßt. Denn wie das Feurigwerden nicht
die Natur des Feuriggewordenen in die des Feuers verwandelt, sondern sowohl das Feurig-
gewordene als das Feurigmachende anzeigt, und nicht eines, sondern zwei ausdrückt, so
stellt auch die Vergottung nicht eine einzige, zusammengesetzte Natur S. 169 her, sondern
[zeigt] die beiden und ihre hypostatische Einigung [an]. Darum sagt der Theologe Grego-
rius 506 : „Von denen das eine vergottete und das andere vergottet wurde.“ Denn da er sagte:
„Von denen das eine und das andere“, hat er zwei aufgezeigt.

XVIII. KAPITEL. Abermals von Willen und Selbstmacht, von Verstand, Erkenntnis
und Weisheit.

Wir nennen Christus vollkommenen Gott und vollkommenen Menschen, darum werden
wir [ihm] gewiß alles zugestehen, was sowohl dem Vater als der Mutter natürlich ist. Denn
er ist Mensch geworden, damit das Besiegte siege. Er, der alles kann, hätte zwar die Macht
gehabt, durch seine allmächtige Kraft und Gewalt den Menschen vom Tyrannen zu befrei-
en. Allein das hätte dem Tyrannen, der den* Menschen* besiegt, aber von einem* Gott*
bezwungen worden wäre, Stoff zur Anklage gegeben. Da jedoch der mitleidige und men-
schenfreundliche Gott den Gefallenen selbst als Sieger erklären wollte, ward er Mensch,
um Gleiches mit Gleichem wieder gut zu machen.

Daß der Mensch ein vernünftiges und denkendes Wesen ist, wird niemand leugnen. Wie
wäre es also möglich, daß er (Christus) Mensch geworden, wenn er ein beseeltes Fleisch
oder eine geistlose Seele 507 angenommen hätte? Denn das ist kein Mensch. Was hätten
wir auch einen Nutzen von der Menschwerdung gehabt, wäre der Erstverwundete nicht
gerettet und durch die Verbindung mit der Gottheit nicht erneuert und gekräftigt worden?
Denn was nicht angenommen ist, ist nicht geheilt. Er nimmt also den ganzen Menschen
an, sein Bestes, das aus Schwachheit gefallen, um dem ganzen das Heil zu schenken. Einen
Geist aber ohne Weisheit, der Erkenntnis bar, dürfte es niemals geben. Denn ist S. 170 er
ohne Tätigkeit und Bewegung, dann ist er sicherlich auch ohne Existenz.

Da also der Gott-Logos das Ebenbildliche erneuern wollte, ist er Mensch geworden. Was
aber ist das Ebenbildliche, außer der Geist? Soll er also das Bessere ausgelassen und das
Geringere angezogen haben? Der Geist steht in der Mitte zwischen Gott und Fleisch, die-
sem als Hausgenosse, Gott als Ebenbild 508 . Geist vermischt sich also mit Geist, und der
505
Matth. 8, 3.
506
Or. 38, 13 (Migne, P. gr. 36, 325 C).
507
Das behaupteten die Apollinaristen, die Anhänger des Bischofs Apollinaris von Laodicea († um 390).
508
Dieser Satz ist fast wörtlich aus Greg. Naz., Carm. l. 1 sect. 1 carm. 10 vers. 57 f. Migne, P. gr. 37, 469 A,

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Geist vermittelt zwischen der Reinheit Gottes und der Grobheit des Fleisches. Denn hat der
Herr eine geistlose Seele angenommen, dann hat er die Seele eines unvernünftigen Tieres
angenommen.

Wenn aber der Evangelist sagte: „Das Wort ist Fleisch geworden 509 “, so muß man wissen:
In der Hl. Schrift wird der Mensch bald Seele genannt, so z. B.: „In fünfundsiebzig Seelen
kam Jakob nach Ägypten 510 “, bald Fleisch, so z. B.: „Alles Fleisch wird das Heil Gottes
schauen 511 .“ Nicht unbeseeltes oder geistloses Fleisch aber, sondern* Mensch* ist der Herr
geworden. Sagt er ja selbst: „Was schlägst du mich, einen Menschen, der ich die Wahrheit zu
euch gesprochen 512 ?“ Er nahm also Fleisch an, das von einer vernünftigen und denkenden
Seele beseelt war, die über das Fleisch herrschte, selbst aber von der Gottheit des Wortes
beherrscht war.

Er besaß also von Natur aus sowohl als Gott wie als Mensch das Wollen. Es folgte und
gehorchte aber seinem [göttlichen] Willen der menschliche, er wurde nicht durch eine ei-
gene Meinung bewegt, sondern wollte das, was sein göttlicher Wille wollte. Denn nur mit
Zulassung des göttlichen Willens erlitt er naturgemäß das Eigene. Als er sich den Tod ver-
bat, verbat er sich ihn naturgemäß, und er hatte Angst und Furcht, da sein S. 171 göttlicher
Wille es wollte und zuließ. Und als sein göttlicher Wille wollte, daß sein menschlicher Wil-
le den Tod erwähle, wurde für ihn das Leiden ein freiwilliges. Denn nicht bloß als Gott
überantwortete er sich freiwillig dem Tode, sondern auch als Mensch. Dadurch flößte er
auch uns Mut gegen den Tod ein. Denn so sagt er vor dem heilbringenden Leiden: „Vater,
ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber 513 .“ Natürlich sollte er als Mensch den
Kelch trinken, nicht als Gott. Als Mensch also will er, daß der Kelch vorübergehe. Das sind
die Worte der natürlichen Furcht. „Doch nicht mein Wille geschehe,“ nämlich sofern ich
von dir wesensverschieden bin, „sondern der deine 514 “, d. h. der meine und deine, sofern
ich dir wesensgleich bin. Das sind wieder Worte des Mutes. Denn als die Seele des Herrn,
dem es gefallen, wahrhaft Mensch zu werden, zuerst die natürliche Schwachheit erfahren,
da sie bei der Trennung vom Leibe auch ein natürliches Schmerzgefühl empfunden, faßt
sie, vom göttlichen Willen gestärkt, wieder Mut gegen den Tod. Denn weil der nämliche
ganz Gott war mit seiner Menschheit und ganz Mensch mit seiner Gottheit, unterwarf er
als Mensch in sich und durch sich das Menschliche Gott dem Vater, indem er sich selbst
uns als bestes Vorbild und Muster gab, und er ward dem Vater gehorsam.

Frei aber wollte er durch den göttlichen und menschlichen Willen. Jeder vernünftigen
nur läßt Gregor die* Seele* in der Mitte zwischen* Geist* und Fleisch stehen.
509
Joh. 1, 14.
510
Vgl. Gen. 46, 27 nach LXX [Septuaginta]. Apg. 7, 14.
511
Luk. 3, 6; Is. 40, 5.
512
Joh. 18, 23; 8, 40.
513
Matth. 26, 39; Luk. 22, 42.
514
Ebd. [Matth. 26, 39; Luk. 22, 42.].

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Natur ist doch sicherlich der freie Wille angeboren. Denn wozu soll sie die Vernunft ha-
ben, wenn sie nicht frei überlegt? Das natürliche Begehren hat der Schöpfer ja auch den
unvernünftigen Tieren eingepflanzt, dieses lenkt sie mit Notwendigkeit zur Erhaltung ihrer
Natur. Denn die [Wesen], die der Vernunft nicht teilhaft sind, können nicht lenken, son-
dern werden vom Naturtrieb gelenkt. Deshalb erfolgt, sobald der Trieb sich regt, sogleich
auch der Angriff zum Handeln. Denn sie brauchen nicht Vernunft oder Beratung oder
Erwägung oder Beurteilung. Deshalb werden sie weder gelobt und selig S. 172 gepriesen,
sofern sie der Tugend folgen, noch gestraft, sofern sie Böses tun. Die vernünftige Natur hat
zwar das natürliche Verlangen, das sich regt, es wird aber in dem, was das Naturgemäße
bewahrt, von der Vernunft gelenkt und geregelt. Das ist eben der Vorzug der Vernunft, der
freie Wille, den wir eine natürliche Bewegung im Vernünftigen nennen. Darum wird sie
auch gelobt und gepriesen, sofern sie der Tugend folgt, und gestraft, sofern sie dem Bösen
nachgeht.

Daher wollte die Seele des Herrn in freier Bewegung, aber sie wollte frei das, von dem
sein göttlicher Wille wollte, daß sie es wolle.* Denn nicht auf den Wink des Wortes be-
wegte sich das Fleisch,* auch Moses und alle Heiligen bewegten sich auf den göttlichen
Wink, nein, als Gott und Mensch zugleich wollte er sowohl nach dem göttlichen als dem
menschlichen Willen 515 . Darum unterschieden sich die zwei Willen des Herrn nicht durch
Gesinnung, sondern vielmehr durch natürliche Macht voneinander. Denn sein göttlicher
Wille war anfangslos und allwirkend, von der Macht begleitet und leidenslos. Sein mensch-
licher Wille aber begann in der Zeit und erfuhr die natürlichen und tadellosen Affekte. Er
war zwar von Natur nicht allmächtig, aber da er in Wahrheit und der Natur nach [Wille]
des Gott-Logos wurde, war er doch allmächtig.

XIX. KAPITEL. Von der gottmenschlichen Wirksamkeit.

Der selige* Dionysius 516 * sagt,* Christus „habe uns eine neue, gottmenschliche Wirksam-
keit vorgelebt.“* Nicht um die natürlichen Wirksamkeiten aufzuheben, sagt er, es sei aus
der menschlichen und göttlichen* eine* Wirksamkeit entstanden — denn so könnten wir
auch von einer einzigen neuen Natur reden, die aus der göttlichen und S. 173 menschlichen
entstanden. Wovon nämlich die Wirksamkeit eine ist, davon ist nach den heiligen Vätern
auch die Wesenheit eine 517 � er wollte* vielmehr die neue, unaussprechliche Erscheinungs-
weise der natürlichen Wirksamkeiten Christi, die der unaussprechlichen Weise des Inein-
anderseins der Naturen Christi entspricht, sein fremdartiges, wunderbares, der Natur der
Wesen unbekanntes Walten als Mensch, sowie die Weise der der unaussprechlichen Eini-
515
Nach Max. Conf., Disp. cum Pyrrho, l. c. II, 165. Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max., l. c.
516
Pseud.-Dionys. Areop., Ep. 4 (Migne, P. gr. 3, 1072 B). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 97, 17 f. (XXI).
517
Maximus Confessor (Disput. cum Pyrrho l. c. II, 192) schreibt: „Alle sagten und lehrten: Was dieselbe
Wirksamkeit hat, das hat auch dieselbe Wesenheit.“

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gung entsprechenden Wechselmitteilung zeigen 518 .* Denn nicht getrennt lassen wir die
Wirksamkeiten sein und nicht getrennt die Naturen wirken, sondern vereinigt, eine jede
in Gemeinschaft mit der andern das wirken, was sie Eigentümliches hat. Er wirkte näm-
lich weder das Menschliche [bloß] auf menschliche Weise, er war ja nicht bloßer Mensch,
noch das Göttliche bloß auf göttliche, er war kein bloßer Gott, sondern Gott und Mensch
zugleich. Denn wie wir von den Naturen sowohl die Vereinigung als den natürlichen Un-
terschied kennen, so auch von den natürlichen Willen und Wirksamkeiten.

Man muß demnach wissen, daß wir von unserem Herrn Jesus Christus bald als von zwei
Naturen, bald als von* einer* Person reden. Aber das eine wie das andere bezieht sich auf*
einen* Gedanken. Denn die zwei Naturen sind* ein* Christus, und der* eine* Christus
besteht aus zwei Naturen. Es ist also dasselbe, wenn man sagt: Es wirkt Christus nach jeder
seiner beiden Naturen, und: Es wirkt jede der beiden Naturen in Christus in Gemeinschaft
mit der andern. Es hat also die göttliche Natur teil am Fleische, das wirkt, weil ihm durch
das Wohlgefallen des göttlichen Willens eingeräumt wird, das Eigene zu leiden und zu
tun, und weil die Wirksamkeit des Fleisches sicherlich heilbringend ist. Das ist nicht Sache
der menschlichen Wirksamkeit, sondern der göttlichen. Das Fleisch aber [hat teil] an der
Gottheit des Wortes, die wirkt, weil sie S. 174 durch den Leib wie durch ein Werkzeug die
göttlichen Wirksamkeiten vollzieht, und weil einer der ist, der göttlich und menschlich
wirkt.

Man muß aber wissen: Seine heilige Vernunft betätigt auch ihre natürlichen Tätigkeiten,
sie bedenkt und erkennt, daß sie Vernunft Gottes ist und von der ganzen Schöpfung ange-
betet wird, und sie erinnert sich ihres Wirkens und Leidens auf Erden. Sie hat aber teil an
der Gottheit des Wortes, die wirkt und alles leitet und regiert, sie denkt und erkennt und
lenkt, nicht als bloße Vernunft eines Menschen, sondern als hypostatisch mit Gott geeint
und als Vernunft Gottes.

Das also bedeutet die gottmenschliche Wirksamkeit: Als „Gott Mann 519 “ oder Mensch
„geworden“, war auch seine menschliche Wirksamkeit göttlich oder vergottet, sie entbehrte
nicht seiner göttlichen Wirksamkeit, und seine göttliche Wirksamkeit entbehrte nicht sei-
ner menschlichen Wirksamkeit, sondern jede von beiden zeigte sich in Verbindung mit der
andern. Diese Redeweise heißt Periphrase, wenn man nämlich zweierlei durch* ein* Wort
ausdrückt. Den geschnittenen Brand und den gebrannten Schnitt des feurig gemachten
Messers nennen wir* einen;* wir sagen jedoch, Schneiden und Brennen seien verschiede-
ne Wirksamkeiten und rührten von verschiedenen Naturen her, das Brennen vom Feuer,
das Schneiden vom Eisen. Ebenso verstehen wir auch, wenn wir von einer gottmenschli-
chen Wirksamkeit Christi reden, die zwei Wirksamkeiten seiner zwei Naturen, die göttli-
518
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Max. Conf., l. c. II, 191.
519
Pseud.-Dionys. Areop., Ep. 4 (Migne, P. gr. 3, 1072 B):* (ἀνδρωθέντος θεοῦ)* [andrōthentos theou].

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che Wirksamkeit seiner Gottheit und die menschliche seiner Menschheit.

XX. KAPITEL. Von den natürlichen und untadelhaften Leidenschaften (Affekten).

Wir bekennen, daß er (� Christus) alle natürlichen und untadelhaften Affekte des Men-
schen angenommen S. 175 hat. Denn den ganzen Menschen und alles Menschliche hat er
angenommen, nur die Sünde ausgenommen. Diese ist ja nicht natürlich, auch nicht vom
Schöpfer in uns gesät, sondern, weil der Teufel darauf gesät, ist sie in unserem Willen frei-
willig entstanden, sie herrscht jedoch nicht mit Gewalt über uns. Natürliche und untadel-
hafte Affekte aber sind solche, die nicht von uns abhängen, alle, die infolge der Verurtei-
lung, die wegen der Übertretung erfolgt, ins menschliche Leben gekommen sind, wie Hun-
ger, Durst, Ermüdung, Mühe, die Träne, die Vergänglichkeit, die Todesscheu, die Furcht,
die Angst, daher die Schweiß- und Blutstropfen, die Hilfe der Engel ob der Schwachheit
der Natur und anderes dergleichen, das allen Menschen naturgemäß zukommt.

Alles also hat er angenommen, um alles zu heiligen. Er ward versucht 520 und siegte,
um uns den Sieg zu bereiten und der Natur Kraft zu geben, den Widersacher zu besiegen,
damit die ehedem besiegte Natur durch die Angriffe, durch welche sie besiegt worden, den
ehemaligen Sieger besiege.

Der Böse 521 (� der Teufel) griff [ihn] also von außen, nicht durch Gedanken an, des-
gleichen auch den Adam; denn auch letzteren nicht durch Gedanken, sondern durch die
Schlange. Der Herr aber schlug den Angriff zurück und löste ihn auf wie Rauch, damit auch
wir die Affekte, die ihn angriffen und die besiegt wurden, leicht niederkämpfen könnten,
und der neue Adam den alten rette.

Ohne Zweifel waren unsere natürlichen Affekte gemäß der Natur und über der Natur in
Christus. Gemäß der Natur nämlich regten sie sich in ihm, wenn er dem Fleisch erlaubte,
das [ihm] Eigene zu leiden. Über der Natur aber, weil beim Herrn das Natürliche den Wil-
len nicht beherrschte. Denn nichts Gezwungenes, sondern lauter Freiwilliges schaut man
bei ihm. Freiwillig S. 176 hungerte, freiwillig dürstete, freiwillig zagte, freiwillig starb er.

XXI. KAPITEL. Von der Unwissenheit und Knechtschaft.

Man muß wissen, daß er (� Christus) die unwissende und dienende Natur angenommen
hat. Denn die Menschennatur ist Dienerin Gottes, der sie geschaffen, und sie besitzt nicht
die Kenntnis der Zukunft. „Wenn du also nach dem Theologen Gregorius das Sichtbare
vom Geistigen sonderst 522 “, so heißt das Fleisch dienend und unwissend. Allein wegen
520
Matth. 4, 1 ff.; Mark. 1, 12 f.; Luk. 4, 1 ff.
521
Matth. 5, 37; 13, 19. 38; Joh. 17, 15; Eph. 6, 16; 1 Joh. 2, 13 f.; 3, 12; 5, 18 f.
522
Aus einem gegen die Agnoeten gerichteten Text der Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 105, 1 f. Greg. Naz.,
Orat. 30, 15 (Migne, P. gr. 36, 124 B).

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der Identität der Hypostase und der unzertrennlichen Einigung war die Seele des Herrn
mit der Kenntnis der Zukunft und den übrigen Wundern bereichert. Das Fleisch der Men-
schen ist seiner eigenen Natur nach nicht lebendigmachend. Das hypostatisch mit dem
Gott-Logos selbst geeinte Fleisch des Herrn verlor zwar die natürliche Sterblichkeit nicht,
allein infolge der hypostatischen Einigung mit dem Worte wurde es lebendigmachend, und
wir können nicht sagen, daß es nicht lebendigmachend war und immer ist. Ebenso besitzt
die menschliche Natur die Kenntnis der Zukunft nicht wesenhaft, aber die Seele des Herrn
gewann, wie gesagt, infolge der Einigung mit dem Gott-Logos selbst und der hypostati-
schen Identität mit den übrigen Wundern auch die Kenntnis der Zukunft 523 .

Man muß ferner wissen, daß wir ihn auch nicht Knecht nennen können. Denn der Name
Knechtschaft und Herrschaft bezeichnet nicht eine Natur, sondern Beziehungen, wie der
[Name] Vaterschaft und der [Name] Sohnschaft. Diese zeigen ja nicht eine Wesenheit, son-
dern ein Verhältnis an. [Wir sagen], wie wir auch von der Unwissenheit sagten: Wenn du
in reinen S. 177 Gedanken oder feinen Verstandesvorstellungen 524 das Geschaffene vom
Ungeschaffenen sonderst, so ist das Fleisch knechtisch, falls es mit dem Gott-Logos nicht
geeint ist. Wie soll es aber, einmal hypostatisch geeint, knechtisch sein? Denn da Christus*
einer* ist, so kann er nicht sein eigener Knecht und Herr sein. Diese Bezeichnungen ge-
hören ja nicht zu den schlechthinigen (absoluten), sondern zu denen, die sich auf anderes
beziehen (� zu den relativen). Wessen Knecht also wird er sein? Des Vaters? Also gehört
nicht alles, was der Vater hat, auch dem Sohn, wenn er nämlich ein Knecht des Vaters ist.
Sein eigener [Knecht] aber ist er gewiß nicht. Wie ist es möglich, daß von uns, die wir durch
ihn Söhne geworden, der Apostel sagt: „Daher bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn
525
“, wenn er selbst ein Knecht ist? Zunamensweise also wird er Knecht genannt, nicht als
ob er selbst dies wäre, sondern weil er unsertwegen Knechtesgestalt annahm 526 und mit
uns sich Knecht nennen ließ. Denn, obwohl leidenslos, unterwarf er sich unsertwegen Lei-
den und wurde Diener unseres Heiles. Die ihn aber Knecht nennen, trennen den* einen*
Christus in zwei, wie Nestorius. Wir jedoch nennen ihn Gebieter und Herrn der ganzen
Schöpfung, den* einen* Christus, der Gott und Mensch zugleich ist und alles weiß. Denn
„in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen 527 “.

XXII. KAPITEL. Vom Fortschritt.

„Er nahm zu“, heißt es, „an Weisheit und Alter und Gnade 528 .“ Er wuchs an Alter. Mit dem
zunehmenden Alter aber ließ er die in ihm wohnende Weisheit ans Licht treten. Ferner
523
Dieser ganze Abschnitt klingt an den erwähnten Text der Doctr. Patr. (p. 104, 12 ff. bis 105, 1—3) an.
524
Vgl. Cyr. Alex., Ep. 46 (Migne, P. gr. 77, 245 A).
525
Gal. 4, 7.
526
Phil. 2, 7.
527
Kol. 2, 3.
528
Luk. 2, 52.

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machte er den Fortschritt der S. 178 Menschen in Weisheit und Gnade und die Erfüllung
des Vaterwillens, d. h. die Gotteserkenntnis und das Heil der Menschen, zu seinem eigenen
Fortschritt und eignete sich überall das Unsrige an. Die aber bei ihm einen Fortschritt in
Weisheit und Gnade in dem Sinne behaupten, als hätte er hierin eine Vermehrung erfahren,
die lassen die Einigung nicht mit der ersten Entstehung des Fleisches erfolgt sein und sie
lehren auch keine hypostatische Einigung, sondern dem eitlen Nestorius folgend 529 fabeln
sie von einer äußerlichen Einigung und einer bloßen Einwohnung, „verstehen aber gar
nicht, was sie sagen, noch worüber sie kühn Behauptungen aufstellen 530 “. Denn wenn
das Fleisch im Anfange seiner Existenz mit dem Gott-Logos wirklich geeint wurde oder
vielmehr in ihm seinen Anfang nahm und die hypostatische Identität mit ihm hatte, wie
war es dann möglich, daß es nicht vollkommen alle Weisheit und Gnade besaß? Es ward
nicht der Gnade teilhaftig oder hatte aus Gnade an dem, was des Wortes ist, teil, nein,
es ist vielmehr kraft der hypostatischen Einigung, wodurch sowohl das Menschliche als
das Göttliche dem* einen* Christus eigen war — der nämliche war ja Gott und Mensch
zugleich —, Quelle der Gnade und Weisheit und Fülle aller Güter für die Welt geworden.

XXIII. KAPITEL. Von der Furcht.

Der Name Furcht hat einen doppelten Sinn. Natürlich ist die Furcht, wenn die Seele sich
nicht vom Leibe trennen will wegen der ihr ursprünglich vom Schöpfer eingepflanzten na-
türlichen Zuneigung und Angehörigkeit, derentwegen sie naturgemäß Furcht und Angst
hat und den Tod verschmäht. Ihre Definition lautet:* Naturgemäße Furcht ist eine mit
Beklommenheit am Sein S. 179 festhaltende Macht 531 .* Denn, ward vom Schöpfer alles
aus dem Nichtsein ins Sein gerufen, so hat es naturgemäß ein Verlangen nach dem Sein
und nicht nach dem Nichtsein. Diesem aber eignet von Natur das Streben nach dem, was
[das Sein] erhält. Es hatte also auch der menschgewordene Gott-Logos dieses Verlangen,
er zeigte zu dem, was die Natur erhält, eine Zuneigung, indem er nach Speise und Trank
und Schlaf begehrte und naturgemäß davon Gebrauch machte, gegen das aber, was ihr (�
der Natur) verderblich ist, eine Abneigung, so daß er zur Zeit des Leidens freiwillig die
Beklommenheit vor dem Tode durchmachte. Wohl geschah das, was geschah, durch ein
Naturgesetz, aber doch nicht wie bei uns auf gezwungene Weise. Denn frei wollend nahm
er das Natürliche an. Darum gehört das Zagen, die Furcht und Angst zu den natürlichen,
untadelhaften und keiner Sünde unterliegenden Affekten.

Es gibt ferner eine Furcht, die aus Ratlosigkeit, Mißtrauen und Unkenntnis der Todes-
stunde entspringt, so wenn wir uns nachts fürchten, wenn ein Geräusch entsteht. Diese ist
widernatürlich, und wir definieren sie so:* Widernatürliche Furcht ist eine unvorhergese-
529
Lies* πειθόμενοι* [peithomenoi] statt* πείθομαι* [peithomai].
530
1 Tim. 1, 7.
531
Max. Conf., Disputatio cum Pyrrho, ed. Combefis II, 166.

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hene Beklommenheit.* Diese* hat der Herr nicht zugelassen 532 .* Darum fürchtete er sich
auch nie außer zur Zeit des Leidens, und wenn er oft gemäß der Heilsordnung sich selbst
betrübte. Ihm war ja die Zeit nicht unbekannt.

Daß er sich aber wirklich gefürchtet, sagt der heilige Athanasius 533 in seiner Abhand-
lung gegen Apollinaris: „Darum sprach der Herr: Jetzt ist meine Seele erschüttert 534 . Das
‚Jetzt‘ aber heißt: Als er wollte. Gleichwohl zeigte er an, was wirklich der Fall war. Denn er
bezeichnete nicht das Nichtwirkliche als wirklich, als ob das, was [von ihm] gesagt würde,
nur zum Schein geschähe. Denn in Wirklichkeit und Wahrheit S. 180 geschah alles.“ Und
später: „Keineswegs läßt die Gottheit ein Leiden zu ohne einen leidenden Körper, noch
zeigt sie Erschütterung und Trauer ohne eine betrübte und erschütterte Seele, noch ängs-
tigt sie sich und betet ohne einen sich ängstigenden und betenden Geist. Nein. Denn wenn
auch das, was geschah, nicht durch ein Erliegen seiner Natur eintrat, so geschah es doch
zum Beweise dessen, was er wirklich war 535 .“ Daß aber das, was geschah, nicht durch ein
Erliegen seiner Natur eintrat, beweist der Umstand, daß er dies nicht unfreiwillig litt.

XXIV. KAPITEL. Vom Gebet des Herrn.

Gebet ist ein Aufstieg des Geistes zu Gott oder eine Bitte an Gott ums Zukömmliche. Wie
war es also möglich, daß der Herr bei Lazarus und zur Zeit des Leidens betete? Denn seine
heilige Vernunft* (νοῦς)* [nous], die doch ein für allemal hypostatisch mit dem Gott-Logos
geeint war, bedurfte weder eines Aufstieges zu Gott noch einer Bitte an Gott. Christus ist
ja einer. Nein, [er betete,] weil er unsere Stelle vertrat, das Unsrige in sich nachbildete, uns
ein Muster wurde, uns lehrte, Gott zu bitten und uns zu ihm zu erheben, und durch seine
heilige Vernunft uns den Weg zum Aufstieg zu Gott bahnte. Denn wie er die Affekte auf
sich nahm, um uns den Sieg über sie zu geben, so betete er auch, wie gesagt, um uns den
Weg zum Aufstieg zu Gott zu bahnen und „für uns alles, was recht ist, zu tun 536 “, wie er zu
Johannes sagte, und seinen Vater mit uns zu versöhnen und diesen als Grund und Prinzip
zu ehren und zu zeigen, daß er kein Gottesfeind ist. Denn als er im Falle Lazarus sagte:
„Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Ich wußte, daß du mich allezeit erhörest,
aber wegen der Menge, die hier steht, habe ich es gesagt, S. 181 damit sie erkennen, da du
mich gesandt hast 537 “, ist da nicht für alle ganz klar, daß er dieses sagte, um seinen Vater
als sein Prinzip zu ehren und zu zeigen, daß er kein Gottesfeind ist?

Als er aber sagte: „Vater, wenn es möglich ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen.
532
Das kursiv Gedruckte aus Max. Conf., l. c.
533
Contr. Apollinar. 1, 16 (Migne, P. gr. 26, 1124 A). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 98, XXII. Die sog. zwei
Bücher gegen Apollinaris sind unecht (b0ardenhewer, Patrologie³, Freib. 1910, S. 213).
534
Joh. 12, 27.
535
Contr. Apollinar. 2, 13 (Migne, P. gr. 26, 1153 B). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 98, XXIII.
536
Matth. 3, 15.
537
Joh. 11, 41 f.

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Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst 538 “, ist es da nicht jedem klar, daß er uns
lehrt, in den Prüfungen von Gott allein die Hilfe zu erflehen und den göttlichen Willen dem
unsrigen vorzuziehen, und zeigt, daß er sich wirklich unsere Natur angeeignet und daß er
in Wahrheit zwei natürliche, seinen Naturen entsprechende, aber nicht entgegengesetzte
Willen besaß? „Vater,“ sprach er als wesensgleich, „wenn es möglich ist.“ Nicht als ob er
es nicht wußte — was wäre auch Gott unmöglich? — sondern um uns zu unterweisen,
den göttlichen Willen dem unsrigen vorzuziehen. Denn nur das ist unmöglich, was Gott
nicht will und nicht zuläßt. „Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Als Gott ist
er zwar gleichen Willens mit dem Vater. Als Mensch aber zeigt er naturgemäß den Willen
der Menschheit. Dieser verschmäht naturgemäß den Tod.

Das Wort aber: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 539 “, sprach er,
weil er unsere Stelle vertrat. Denn der Vater ist nur dann sein Gott, wenn er (� Christus)
uns gleichgestellt ist, wobei man durch feine Verstandesvorstellungen das Sichtbare vom
Geistigen sondert. Außerdem ward er nie von seiner eigenen Gottheit verlassen, sondern*
wir* waren die Verlassenen und Verachteten. Daher betete er dieses, weil er unsere Stelle
vertrat.

XXV. KAPITEL. Von der Aneignung.

Man muß wissen, daß es zwei Aneignungen gibt: eine natürliche und wesenhafte, eine
persönliche und S. 182 relative. Natürlich und wesenhaft ist die, nach der der Herr aus
Menschenliebe unsere Natur und alles Natürliche angenommen, indem er von Natur und
in Wahrheit Mensch geworden und das Natürliche an sich erfahren. Persönlich und relativ
aber ist sie, wenn jemand auf Grund einer Beziehung (Relation), ich meine aus Mitleid
oder Liebe, die Person eines andern vertritt und an seiner Statt für ihn die Worte redet, die
ihm selber in keiner Hinsicht zukommen. Dieser [Aneignung] gemäß hat er (� Christus)
sich unsern Fluch und unsere Verlassenheit und anderes von der Art, was nicht natürlich
ist, angeeignet, nicht sofern er selber das gewesen oder geworden wäre, sondern sofern er
unsere Rolle annahm und sich uns gleichstellte. Solchen Sinn hat auch das Wort: „Da er
für uns zum Fluche geworden 540 .“

XXVI. KAPITEL. Vom körperlichen Leiden des Herrn und der Leidenslosigkeit seiner
Gottheit.

Das Wort Gottes selbst litt alles im Fleische, während seine göttliche, allein leidenslose
Natur leidenslos blieb. Denn da der eine, aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzte,
in Gottheit und Menschheit existierende Christus litt, so litt der leidensfähige, von Natur
538
Matth. 26, 39.
539
Ebd. [Matth.] 27, 46.
540
Gal. 3, 13.

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aus zum Leiden geeignete Teil, der leidenslose aber litt nicht mit. Die Seele ist leidensfähig.
Darum leidet und duldet sie, wenn der Leib geschnitten wird, mit dem Leibe mit, obwohl
sie selbst nicht geschnitten wird. Die Gottheit aber ist leidenslos, darum litt sie nicht mit
dem Leibe mit.

Wohlgemerkt, wir sagen zwar: Gott litt im Fleische 541 , keineswegs aber: Die Gottheit
litt im Fleische oder Gott litt durch das Fleisch. Bescheint die Sonne den Baum, wenn die
Axt ihn behaut, so bleibt die Sonne S. 183 unbehauen und leidenslos 542 . Um wieviel mehr
bleibt die leidenslose, mit dem Fleische hypostatisch geeinte Gottheit des Wortes leidenslos,
wenn das Fleisch leidet? Gießt man auf ein feurig gemachtes Eisen Wasser, so löscht das,
was geeignet ist, vom Wasser etwas zu erleiden, nämlich das Feuer, aus, das Eisen aber bleibt
unversehrt. Es ist ja von Natur aus nicht geeignet, vom Wasser zerstört zu werden. Um
wieviel weniger ließ beim Leiden des Fleisches die allein leidenslose Gottheit das Leiden
zu, obwohl sie von ihm (� dem Fleische) nicht getrennt war. Es ist nicht notwendig, daß sich
die Beispiele vollkommen und restlos decken. Man muß doch in den Beispielen sowohl die
Ähnlichkeit wie die Verschiedenheit sehen, sonst wäre es kein Beispiel. Denn das in allem
Gleiche wäre ja das nämliche und kein Gleichnis, und besonders [gilt das] beim Göttlichen.
Es ist ja unmöglich, ein in allem gleiches Beispiel zu finden, mag es sich um die Gotteslehre
oder die Heilsveranstaltung handeln.

XXVII. KAPITEL. Die Gottheit des Wortes war auch heim Tode des Herrn von der
Seele und dem Leibe nicht getrennt und blieb eine Hypostase.

Unser Herr Jesus Christus war sündenlos. Denn „es hat keine Sünde getan, der die Sünde
der Welt hinwegnimmt, und in seinem Munde ward kein Trug gefunden 543 “. Darum war er
dem Tode nicht unterworfen, wenn anders durch die Sünde der Tod in die Welt gekommen
ist 544 . Er stirbt also, weil er für uns den Tod auf sich nimmt, und er bringt sich selbst
dem Vater als S. 184 Opfer für uns dar. Denn gegen ihn haben wir gesündigt 545 , und es
war nötig, daß er das Lösegeld für uns 546 entrichtete und wir so von der Verdammung
erlöst wurden. Denn das Blut des Herrn ward gewiß nicht dem Tyrannen dargebracht. Es
kommt also der Tod heran und verschlingt den Köder des Leibes, wird aber vom Haken
der Gottheit durchbohrt. Und nachdem er den sündenlosen und lebendigmachenden Leib
541
Vgl. 1 Petr. 4, 1.
542
Dieses Beispiel hat Johannes bei Eulogius von Alexandrien gefunden. Siehe Bardenhewer, Ungedruckte
Exzerpte aus einer Schrift des Patriarchen Eulogius von Alexandrien (580—607) über Trinität und In-
karnation VII, 11 in der Tübinger Theolog. Quartalschrift 78 (1896), S. 377, 393: „Wie die am Baume
befindliche Sonne beim Fällen des Baumes ihrerseits nicht verwundet wird…“
543
Is. 53, 9; Joh. 1, 29; 1 Joh. 3, 5; 1 Petr. 2, 22.
544
Röm. 5, 12.
545
Vgl. Ps. 50, 6 [hebr. Ps. 51, 6].
546
Matth. 20, 28; Mark. 10, 45.

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gekostet, geht er zugrunde und gibt alle wieder von sich, die er zuvor verschlungen. Denn
wie die Finsternis schwindet, wenn das Licht erscheint, so weicht das Verderben, wenn das
Leben auftritt, und allen wird Leben zuteil, Verderben aber dem Verderber.

Wenn er also auch wie ein Mensch gestorben ist und seine heilige Seele von dem unbe-
fleckten Leibe sich getrennt hat, so ward doch die Gottheit von beiden, der Seele und dem
Leibe nämlich, nicht getrennt, es ward auch so die eine Hypostase nicht in zwei Hypostasen
geschieden. Denn der Leib und die Seele hatten zugleich von Anfang an in der Hypostase
des Wortes ihre Existenz, und obwohl im Tode voneinander getrennt, blieb ein jedes davon
in der* einen* Hypostase des Wortes. Daher war die eine Hypostase des Wortes Hypostase
sowohl des Wortes als der Seele und des Leibes. Denn nie besaß die Seele oder der Leib
außer der Hypostase des Wortes eine eigene Hypostase, die Hypostase des Wortes aber ist
stets eine und nie zwei, daher ist die Hypostase Christi immer eine. Denn wenn die Seele
auch örtlich vom Leibe getrennt war, so war sie doch hypostatisch durch das Wort vereint.

XXVIII. KAPITEL. Von der Vergänglichkeit und Vernichtung.

Der Name Vergänglichkeit bedeutet zweierlei: Er bedeutet* folgende menschliche Leiden:


Hunger, Durst, S. 185 Ermüdung,* das Durchbohren mit Nägeln, Tod oder Trennung der
Seele vom Leibe und dergleichen. Nach dieser Bedeutung nennen wir den Leib des Herrn
vergänglich. Denn all das nahm er freiwillig an. Es bedeutet aber* die Vergänglichkeit
(φθορά)* [phthora] auch* die völlige Auflösung des Leibes in die Elemente, aus denen er
zusammengesetzt ist 547 ,* seine Vernichtung* (ἀφανισμός)* [aphanismos], die von vielen
lieber* διαφθορά* [diaphthora] genannt wird. Diese erfuhr der Leib des Herrn nicht, wie
der Prophet David sagt: „Denn nicht lässest du mich in die Unterwelt sinken, noch deinen
Heiligen (Verehrer) Vernichtung erfahren 548 .“

Darum ist es gottlos, nach der ersten Bedeutung von Vergänglichkeit den Leib des Herrn
vor der Auferstehung unvergänglich zu nennen 549 , wie der unsinnige Julian und Gajanus
550
lehrten. Denn war er unvergänglich, dann war er uns nicht wesensgleich, sondern nur
scheinbar und nicht wirklich geschah, was das Evangelium von seinem Hunger, seinem
547
Das kursiv Gedruckte in diesem Abschnitt ist fast wörtlich aus Leont. (?), De sectis act. 10 n. 2 (Migne, P.
gr. 86, 1, 1261 CD). Doctr. Patr. de incarn. Verb. S. 114, 17—20.
548
Ps. 15, 10 [hebr. Ps. 16, 10].
549
Im folgenden lehnt sich Johannes deutlich an De sectis a. a. O. Doctr. Patr. S. 113, 7 ff. bis 114, 1 — 11.
550
Julianus, monophysitischer Bischof von Halikarnaß in Karien, † nach 518, behauptete gegen Severus, den
Patriarchen von Antiochien, † wahrscheinlich 538, der Leib Christi sei auch vor der Auferstehung schon
unverweslich und inkorruptibel gewesen. Die Severianer hießen Phthartolatren (Vergänglichkeitsanbe-
ter), die Julianisten Aphthartodoketen (Unvergänglichkeitslehrer). Nach dem Tode des severianisch ge-
sinnten Patriarchen Timotheus von Alexandrien (536) wählten beide Parteien einen eigenen Patriarchen,
die Severianer Theodosius, die Julianisten Gajanus, und so entstanden die Parteinamen Theodosianer (�
Severianer) und Gajaniten (� Julianisten).

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Durst, den Nägeln, der Seitenwunde, dem Tod erzählt. Geschah es aber nur scheinbar,
dann ist das Geheimnis der Heilsveranstaltung Täuschung und Theater, dann ist er schein-
bar und nicht wirklich Mensch geworden, dann sind wir nur scheinbar und nicht wirklich
gerettet. Doch fort damit! Die dies behaupten, sollen am Heile nicht teil haben. S. 186 Wir
haben das wahre Heil erlangt und werden es erlangen. — Nach der zweiten Bedeutung
von Vergänglichkeit aber bekennen wir, daß der Leib des Herrn unvergänglich und unver-
weslich ist, wie uns die gotterfüllten Väter überliefert haben. Nach der Auferstehung des
Heilands von den Toten jedoch erklären wir auch nach der ersten Bedeutung den Leib des
Herrn für unvergänglich. Denn auch unserem Leib hat der Herr durch seinen Leib die Auf-
erstehung und die darauffolgende Unvergänglichkeit geschenkt, da er für uns der Erstling
551
der Auferstehung, der Unvergänglichkeit und der Leidenslosigkeit geworden ist. „Es
muß nämlich dieses Vergängliche die Unvergänglichkeit anziehen 552 “, sagt der Apostel.

XXIX. KAPITEL. Von der Höllenfahrt.

[Forts. von S. 186 ] Die vergottete Seele ist abgestiegen zu der Hölle (in die Unterwelt).
Wie den Irdischen „die Sonne der Gerechtigkeit 553 “ aufging, so sollte auch den Unterir-
dischen, „in Finsternis und Todesschatten Sitzenden 554 “ das Licht aufleuchten 555 . Den
Irdischen hat er den Frieden, den Gefangenen die Entlassung, den Blinden das Gesicht
verkündet 556 , den Gläubigen ewiges Heil begründet und die Ungläubigen ihres Unglau-
bens überführt. Dasselbe sollte auch den Unterirdischen widerfahren 557 , „damit sich ihm
jedes Knie der Himmlischen, Irdischen und Unterirdischen beuge 558 .“ Und so erlöste er
die seit Weltaltern Gefesselten, erstand wieder von den Toten und bahnte uns den Weg zur
Auferstehung.

Viertes Buch
I. KAPITEL. Vom Zustand [Christi] nach der Auferstehung.

S. 187 Nach der Auferstehung legte er alle Leiden: Vergänglichkeit, Hunger und Durst,
Schlaf und Ermüdung und dergleichen ab. Zwar kostete er auch nach der Auferstehung
Speise 559 , aber nicht kraft eines Naturgesetzes — er hatte ja keinen Hunger —, sondern
gemäß der Heilsveranstaltung: Er sollte beglaubigen, daß seine Auferstehung Wirklichkeit
551
Vgl. 1 Kor. 15, 20.
552
Ebd. [1 Kor.] 15, 53.
553
Mal. 4, 2.
554
Luk. 1, 79.
555
Vgl. Is. 9, 2.
556
Luk. 4, 19; Is. 61, 1.
557
Vgl. 1 Petr. 3, 19 f.
558
Phil. 2, 10.
559
Vgl. Luk. 24, 43.

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sei, daß es dasselbe Fleisch sei, das litt und auferstand. Keinen von den Bestandteilen der
Natur, nicht den Leib, nicht die Seele, hat er abgelegt, nein, er besitzt sowohl den Leib als
die vernünftige und denkende, wollende und wirkende Seele. Und so sitzet er zur Rechten
des Vaters 560 und will und wirkt auf göttliche und menschliche Weise unser Heil: auf gött-
liche, sofern er für alles sorgt, es erhält und regiert; auf menschliche, sofern er sich seines
Erdenlebens erinnert und sieht und weiß, daß er von der ganzen vernünftigen Schöpfung
angebetet wird. Es weiß ja seine heilige Seele, daß sie hypostatisch mit dem Gott-Logos
geeint ist und mitangebetet wird als Seele Gottes und nicht als Seele schlechthin. Auch die
Auffahrt von der Erde zum Himmel und die Wiederherabkunft sind Wirksamkeiten eines
umschriebenen Leibes. Denn es heißt: „So wird er wieder zu euch kommen, wie ihr ihn
zum Himmel hinauffahren sahet 561 .“

II. KAPITEL. Vom Sitzen zur Rechten des Vaters.

S. 188 Wir sagen: Christus sitzet körperlich zur Rechten Gottes, des Vaters, allein wir lehren
keine örtliche Rechte des Vaters. Denn wie sollte der Unumschriebene eine örtliche Rechte
haben? Eine Rechte und Linke haben ja nur umschriebene Wesen. Nein, unter der Rechten
des Vaters verstehen wir die Herrlichkeit und die Ehre der Gottheit, in welcher der Sohn
Gottes als Gott und wesensgleich mit dem Vater von Ewigkeit existiert und in der er nun,
nachdem er in den letzten Zeiten Fleisch geworden, auch körperlich sitzt, da sein Fleisch
mitverherrlicht ist. Denn er wird mit seinem Fleisch in* einer* Anbetung von der ganzen
Schöpfung angebetet.

III. KAPITEL. Gegen die, die einwenden: Wenn Christus zwei Naturen hat, so dienet
ihr auch dem Geschöpf, da ihr ja eine geschaffene Natur anbetet, oder ihr sagt, eine
Natur sei anzubeten und die andere nicht.
562
Den Sohn Gottes beten wir mit dem Vater und dem Hl. Geiste an, vor der Menschwer-
dung als unkörperlich und jetzt den nämlichen als Fleisch- und Menschgewordenen und
Gott zugleich. Sein Fleisch nun ist seiner eigenen Natur nach, sofern du in feinen Gedan-
ken das Sichtbare vom Geistigen sonderst, nicht anzubeten, da geschaffen. Vereint aber mit
dem Gott-Logos, wird es wegen seiner und in ihm angebetet. Der König wird verehrt, mag
er nackt oder bekleidet sein. Der Purpur wird als bloßer Purpur getreten und weggewor-
fen, als königliches Gewand aber geehrt und gerühmt, und wer ihn verunehrt, wird, wie
es häufig geschieht, zum Tode verurteilt. Bloßes Holz ist der Berührung nicht unzugäng-
lich, aber mit dem Feuer verbunden und Kohle S. 189 geworden, wird es [der Berührung]
unzugänglich, nicht seiner selbst wegen, sondern wegen des damit verbundenen Feuers,
560
Vgl. Mark. 16, 19; Matth. 26, 64; Röm. 8, 34; Eph. 1, 20; Kol. 3, 1; Hebr. 12, 2; 1 Petr. 3, 22.
561
Apg. 1, 11.
562
So argumentierten die Apollinaristen, sie nannten die Katholiken Anthropolatren (Menschheitsanbeter).

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und nicht die Natur des Holzes ist unzugänglich, sondern die Kohle oder das feurige Holz.
So ist auch das Fleisch seiner eigenen Natur nach nicht anzubeten. Angebetet jedoch wird
es in dem Fleisch gewordenen Gott-Logos nicht seiner selbst willen, sondern wegen des
mit ihm hypostatisch geeinten Gott-Logos. Und wir sagen nicht, daß wir bloßes Fleisch
anbeten, sondern Fleisch Gottes oder den fleischgewordenen Gott.

IV. KAPITEL. Warum ist der Sohn Gottes Mensch geworden, und nicht der Vater und
der Geist? Und was hat er geleistet dadurch, daß er Mensch geworden?
563
Der Vater ist Vater und nicht Sohn, der Sohn Sohn und nicht Vater, der Hl. Geist Geist
und nicht Vater noch Sohn. Denn die Eigentümlichkeit ist unbeweglich. Oder wie wäre es
möglich, daß sie Eigentümlichkeit bliebe, wenn sie bewegt würde und überginge? Darum
wird der Sohn Gottes Sohn eines Menschen, damit die Eigentümlichkeit unbewegt blei-
be. Denn da er Sohn Gottes war, wurde er Sohn eines Menschen, nahm aus der heiligen
Jungfrau Fleisch an und legte seine Sohnes-Eigentümlichkeit nicht ab.

Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um dem Menschen wiederzugeben, wozu er ihn
geschaffen 564 . Geschaffen hatte er ihn nach seinem Bilde, denkend und selbstmächtig, und
nach seinem Gleichnis, d. h. vollkommen in Tugenden, soweit es für eines Menschen Natur
erreichbar ist. Das sind gleichsam die Kennzeichen der göttlichen Natur: die Kummer- und
S. 190 Sorglosigkeit, die Lauterkeit, die Güte, die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Freiheit
von jeglichem Übel. Er setzte den Menschen mit sich in Gemeinschaft — „zur Unvergäng-
lichkeit erschuf er ihn 565 “ — und durch die Gemeinschaft mit sich erhob er ihn zur Un-
vergänglichkeit. Durch die Übertretung des Gebotes aber verdunkelten und verwischten
wir die Züge des göttlichen Bildes, gerieten in Schlechtigkeit und wurden der göttlichen
Gemeinschaft beraubt — denn „was hat die Finsternis mit dem Lichte gemein 566 ?“ —,
wir gingen des Lebens verlustig und verfielen dem Verderben des Todes, er gab uns An-
teil am Besseren, und wir bewahrten es nicht. Darum nimmt er am Schlechteren, nämlich
an unserer Natur teil, um durch sich und in sich die Form des Bildes und Gleichnisses zu
erneuern, aber auch um uns den tugendhaften Wandel zu lehren, den er durch sich uns
leicht gemacht, um [uns] durch die Lebensgemeinschaft vom Untergang zu befreien, da
er der Erstling unserer Auferstehung 567 geworden, um das abgenützte und verbrauchte
Gefäß zu erneuern, um uns von der Gewaltherrschaft des Teufels zu erlösen, indem er uns
zur Gotteserkenntnis berief, um [uns] zu stärken und zu unterweisen, durch Geduld und
563
Bornhäuser, Die Vergottungslehre des Athanasius und Johannes Damascenus, Gütersloh 1903, S. 54 hat
wahrgenommen, daß dieses Kapitel „nichts weiter als ein Exzerpt“ aus des Athanasius Schrift De incarna-
tione Verbi ist. Über deren Echtheit s. Bardenhewer, Patrologie³, S. 213.
564
Vgl. Hebr. 2, 10. Athan., Orat. de incarnatione Verbi n. 10.
565
Weish. 2, 23.
566
2 Kor. 6, 14.
567
Vgl. 1 Kor. 15, 20.

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Demut den Tyrannen zu bezwingen.

Nun hat der Dämonenkult aufgehört, die Schöpfung ist durchs göttliche Blut geheiligt,
Götzenaltäre und -tempel sind niedergerissen, Gotteserkenntnis ist gepflanzt, die wesens-
gleiche Dreiheit, die ungeschaffene Gottheit wird angebetet,* ein* wahrer Gott, Schöpfer
und Herr aller Dinge, Tugenden werden gepflegt, Auferstehungshoffnung ist durch Christi
Auferstehung gegeben, vor den Menschen, die zuvor in Knechtschaft waren, erschrecken
die Dämonen, und das Wunderbare ist, daß dies alles durch Kreuz und Leiden und Tod
zustandegekommen. Auf der ganzen Erde ist das Evangelium der Gotteserkenntnis verkün-
det. Nicht durch Krieg und Waffen und Heere hat es die Gegner S. 191 geschlagen. Nein,
Unbewaffnete, Arme, Ungelehrte, Verfolgte, Mißhandelte, dem Tode Überlieferte haben
den im Fleische Gekreuzigten und Gestorbenen verkündet und dadurch die Weisen und
Mächtigen besiegt. Denn es folgte ihnen die allmächtige Kraft des Gekreuzigten. Der Tod,
der ehedem so gefürchtet war, ist überwunden, er, der ehedem so gescheut und gehaßt
war, wird jetzt dem Leben vorgezogen. Das sind die Großtaten der Erscheinung Christi,
das die Kennzeichen seiner Macht. Denn nicht wie durch Moses hat er nur* ein* Volk aus
Ägypten und der Knechtschaft des Pharao errettet, indem er das Meer geteilt 568 , er hat viel-
mehr die ganze Menschheit vom Verderben des Todes und dem grausamen Tyrannen, der
Sünde, befreit. Nicht mit Gewalt trieb er die Sünder zur Tugend, er verschüttete sie nicht
mit Erde und verbrannte sie nicht mit Feuer 569 und ließ sie nicht steinigen 570 , sondern
mit Sanftmut und Geduld überredete er die Menschen, die Tugend zu wählen und für sie
freudig Mühen und Kämpfe auf sich zu nehmen. Ja, einst wurden die Sünder mißhandelt
und hielten doch noch an der Sünde fest, die Sünde galt ihnen als Gott. Jetzt wählen sie
um Frömmigkeit und Tugend willen Mißhandlungen und Martern und Tod.

Wohlan, Christus, Wort Gottes, Weisheit und Macht und allherrschender Gott, wie sollen
wir Arme dir dieses alles vergelten? Denn dein ist alles, und du verlangst von uns nichts, als
daß wir uns retten lassen, und auch dies gibst du selbst und weißt in unsäglicher Güte den
Empfängern Dank. Dank dir, der du das Sein gegeben und das Wohlsein geschenkt und die,
die dies verloren, in deiner unaussprechlichen Herablassung wieder hierzu zurückgeführt.
568
Exod. 14, 16.
569
Vgl. Num. 16, 31 ff.; Deut. 11, 6; Ps. 105, 17 f. [hebr. Ps. 106, 17 f.]. Hier wird berichtet, daß Kore, Dathan
und Abiron samt ihren Zelten und ihrer Habe wegen ihrer Empörung gegen Moses von der Erde ver-
schlungen, und zweihundertfünfzig Männer durch Feuer getötet wurden.
570
Vgl. Jos. 7, 25. Hier wird erzählt, daß auf Josues Geheiß ganz Israel den Achan wegen seiner Habsucht
steinigte, und Feuer all seine Habe verzehrte.

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V. KAPITEL. Gegen die, die fragen, ob die Hypostase Christi geschaffen oder unge-
schaffen ist.

S. 192 571 Die Hypostase des Gott-Logos war vor der Fleischwerdung einfach, nicht zusam-
mengesetzt, unkörperlich und ungeschaffen. Bei der Fleischwerdung aber wurde sie auch
für das Fleisch Hypostase, sie ist eine zusammengesetzte geworden, [bestehend] aus der
Gottheit, die sie immer hatte, und aus dem Fleische, das sie angenommen. Sie trägt die Ei-
gentümlichkeiten der zwei Naturen, da sie sich in zwei Naturen kenntlich macht. Darum
ist sie dieselbe* eine* Hypostase, sowohl ungeschaffen der Gottheit nach als geschaffen der
Menschheit nach, sichtbar und unsichtbar. Denn sonst sehen wir uns gezwungen, den ei-
nen Christus zu teilen, indem wir zwei Hypostasen annehmen, oder den Unterschied der
Naturen zu leugnen und eine Verwandlung und Vermischung einzuführen.

VI. KAPITEL. Wann hat Christus seinen Namen erhalten?

Die Vernunft* (νοῦς)* [nous] wurde nicht, wie einige falsch lehren 572 , vor der Annah-
me des Fleisches aus der Jungfrau mit dem Gott-Logos geeint und seit damals Christus
genannt. Diese Ungereimtheit gehört zu den Albernheiten des Origenes, der eine Präexis-
tenz der Seele lehrte. Wir aber sagen, der Sohn und das Wort Gottes sei Christus geworden,
seitdem er im Schoße der heiligen, immerwährenden Jungfrau Wohnung nahm und ohne
Verwandlung Fleisch wurde, und das Fleisch mit der Gottheit gesalbt wurde. „Denn die-
se ist die Salbung der Menschheit“, wie Gregor der Theologe 573 sagt. Und der so heilige
Cyrill von Alexandrien 574 sagt in einem S. 193 Schreiben an den Kaiser Theodosius (II.)
also: „Nach meiner Ansicht wenigstens darf man weder das aus Gott gezeugte Wort ohne
Menschheit, noch den aus dem Weibe geborenen Tempel ohne Einigung mit dem Worte
Christus Jesus nennen. Denn unter Christus versteht man das in heilsordnungsmäßiger
Einigung auf unaussprechliche Weise mit der Gottheit verbundene Wort aus Gott.“ Und
an die Kaiserinnen 575 [schreibt er]: „Einige sagen, der Name Christus komme auch dem
allein und an und für sich gedachten und existierenden, aus Gott Vater gezeugten Worte zu.
Wir aber sind nicht gelehrt worden, so zu denken oder zu reden. Denn wir sagen, das Wort
sei damals, als es Fleisch geworden, auch Christus Jesus genannt worden. Weil er von Gott
dem Vater mit dem Freudenöl, d. h. mit dem Geiste gesalbt worden ist 576 , darum heißt
er Christus. Daß aber die Salbung das Menschliche betraf, daran zweifelt wohl keiner von
571
Abweisung einer monophysitischen Spitzfindigkeit.
572
Origenes.
573
Or. 30, 21 (Migne, P. gr. 36, 132 B).
574
De recta fide ad Theodos. n. 28 (Migne, P. gr. 76, 1173 C). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 26, II.
575
De recta fide ad Reginas n. 13 (Migne, P. gr. 76, 1220 C). Doctr. Patr. p. 26, III. Unter den Kaiserinnen sind
die beiden jüngeren Schwestern des Kaisers Theodosius II. gemeint, Arkadia und Marina.
576
Ps. 44, 8 [hebr. Ps. 45, 8]; Hebr. 1, 9.

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denen, die richtig zu denken gewohnt sind.“ Und der allberühmte Athanasius 577 sagt in
seiner Abhandlung über die heilbringende Erscheinung [Christi] etwa so: „Der präexistie-
rende Gott war vor seinem Leben im Fleische nicht Mensch, sondern er war Gott bei Gott,
unsichtbar und leidenslos. Wie er aber Mensch geworden, wird ihm der Name Christus
des Fleisches wegen beigelegt, da dem Namen das Leiden und der Tod folgen.“

Zwar sagt auch die Hl. Schrift: „Deshalb hat dich Gott, dein Gott, mit dem Freudenöl
gesalbt 578 .“ Allein man muß wissen, daß die Hl. Schrift oft die Vergangenheit statt der Zu-
kunft gebraucht, so z. B.: „Danach ward er auf Erden gesehen und ist unter den Menschen
gewandelt 579 .“ Denn Gott ward noch nicht gesehen und S. 194 ist nicht unter den Men-
schen gewandelt, als dieses gesagt wurde. Ferner: „An den Flüssen Babylons saßen wir und
weinten 580 .“ Denn das war noch nicht geschehen.

VII. KAPITEL. Gegen die, die fragen, ob die heilige Gottesgebärerin zwei Naturen ge-
bar, oder ob zwei Naturen am Kreuze hingen.

Das Ungeworden- und Gewordensein —* ἀγἐνητον* [agenēton] und* γενητόν* [genēton]


mit* einem ν * [ n ] geschrieben — betrifft die Natur und ist gleichbedeutend mit dem
Ungeschaffen- und Geschaffensein. Das Ungezeugt- und Gezeugtsein aber —* ἀγἐννητον
* [agennēton] und* γεννητόν* [gennēton] mit zwei ν [ n ] — betrifft nicht die Natur, son-
dern die Hypostase. Es ist also die göttliche Natur ungeworden oder ungeschaffen, außer
der göttlichen Natur aber ist alles geworden oder geschaffen. Man betrachtet nun in der
göttlichen und ungeschaffenen Natur das Ungezeugtsein im Vater — denn er ist nicht ge-
zeugt —, das Gezeugtsein im Sohne — denn er ist ewig aus dem Vater gezeugt —, das
Ausgehen aber im Hl. Geiste. In jeder Art von Lebewesen sind die ersten zwar ungezeugt,
aber nicht ungeworden. Denn sie sind durch den Schöpfer geworden, sie wurden nicht
von ihresgleichen erzeugt. Werden* (γένεσις)* [genesis] nämlich ist Schöpfung, Zeugung*
(γέννησις)* [gennēsis] aber ist bei Gott der Hervorgang des wesensgleichen Sohnes aus
dem Vater allein, bei den Körpern jedoch der Hervorgang einer wesensgleichen Hypostase
aus der Verbindung von Männchen und Weibchen. Daraus erkennen wir, daß das Gezeugt-
werden nicht Sache der Natur, sondern der Hypostase ist. Denn wäre es Sache der Natur,
so betrachtete man nicht in der [nämlichen] Natur das Gezeugte und das Ungezeugte. Eine
Hypostase also gebar die heilige Gottesgebärerin. Diese stellt sich in zwei Naturen dar. Der
Gottheit nach ist sie zeitlos aus dem Vater gezeugt, zuletzt aber, in der Zeit, nahm sie aus
S. 195 ihr (� der Gottesgebärerin) Fleisch an und wurde dem Fleische nach geboren.

Sollten aber die Frager sticheln und sagen, der aus der heiligen Gottesgebärerin Gebo-
577
Contra Apollinar. 2, 1 (Migne, P. gr. 26, 1133 B). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 25, 22—25 u. 26, 1.
578
Ps. 44, 8 [hebr. Ps. 45, 8].
579
Bar. 3, 38.
580
Ps. 136, 1 [hebr. Ps. 137, 1].

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rene habe zwei Naturen, so antworten wir: Ja, er hat zwei Naturen, denn der nämliche ist
Gott und Mensch. Ebenso [sagen wir] auch bezüglich der Kreuzigung, Auferstehung und
Himmelfahrt. Dieses ist nämlich nicht Sache der Natur, sondern der Hypostase. Es litt also
Christus, der in zwei Naturen existiert, und er wurde gekreuzigt der leidensfähigen Natur
nach. Denn dem Fleische und nicht der Gottheit nach hing er am Kreuze. Sollten sie auf
unsere Frage: Sind zwei Naturen gestorben? antworten: Nein, so werden wir sagen: Also
sind auch nicht zwei Naturen gekreuzigt worden. Nein, Christus oder das menschgewor-
dene göttliche Wort wurde geboren, wurde geboren dem Fleische nach, wurde gekreuzigt
dem Fleische nach, litt dem Fleische nach, starb dem Fleische nach, während seine Gottheit
leidenslos blieb.

VIII. KAPITEL. Wie kann der eingeborene Sohn Gottes Erstgeborener heißen?

Erstgeborener 581 ist der zuerst Geborene, mag er nun Eingeborener oder auch älter als
die andern Brüder sein. Würde nun der Sohn Gottes Erstgeborener genannt, Eingebore-
ner aber nicht genannt, so könnten wir meinen, er sei unter Geschöpfen zuerst geboren,
gleich als wäre er ein Geschöpf. Da er aber sowohl Erstgeborener als auch Eingeborener
genannt wird, so muß man auch beides bei ihm festhalten. „Erstgeboren vor aller Schöp-
fung 582 “ nennen wir ihn, da sowohl er aus Gott, als auch die Schöpfung aus Gott ist. Aber
er, der S. 196 allein zeitlos aus der Wesenheit Gottes, des Vaters, gezeugt ist, wird mit Recht
eingeborener, erstgeborener und nicht erstgeschaffener Sohn genannt werden. Denn die
Schöpfung ist nicht aus der Wesenheit des Vaters, sondern durch seinen Willen aus dem
Nichtsein ins Sein hervorgebracht. „Erstgeborener aber unter vielen Brüdern 583 “ — als
Eingeborener ist er ja auch aus der Mutter [geboren] — [wird er genannt], weil er gleich
uns an Blut und Fleisch teil hatte und Mensch wurde, und auch wir durch ihn „Söhne Got-
tes 584 “ wurden, da durch die Taufe unsere Annahme an Kindesstatt erfolgte 585 . Er, der
Sohn Gottes von Natur, ist Erstgeborener geworden unter uns, die wir durch Annahme
und Gnade „Söhne Gottes“ wurden und als seine Brüder gelten. Deshalb sprach er: „Ich
steige hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater 586 .“ Er sagte nicht: unserem Vater, son-
dern „meinem Vater“, [Vater] nämlich von Natur, und „eurem Vater“, [Vater] durch Gnade.
Und [er sprach]: „zu meinem Gott und eurem Gott 587 .“ Er sagte nicht: unserem Gott, son-
dern „meinem Gott“ — sofern du in feinen Gedanken das Sichtbare vom Geistigen trennst
— und „eurem Gott“, als dem Schöpfer und Herrn.
581
Johannes lehnt sich in seinen Ausführungen über die Bezeichnung „Erstgeborener“ an Gregor von Nyssa
(Contra Eunom. I, 4. Migne, P. gr. 45, 633 B—637 A) an.
582
Kol. 1, 15.
583
Röm. 8, 29.
584
Vgl. ebd. [Röm.] 8, 14; Gal. 3, 26; Matth. 5, 9. 45.
585
Vgl. Gal. 4, 5.
586
Joh. 20, 17.
587
Ebd. [Joh. 20, 17].

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IX. KAPITEL. Von dem Glauben und der Taufe


588
Wir bekennen* eine* Taufe „zur Vergebung der Sünden 589 “ und zum ewigen Leben. Die
Taufe bedeutet den S. 197 Tod des Herrn 590 . Wir werden nämlich durch die Taufe mit dem
Herrn begraben, wie der göttliche Apostel 591 sagt. Gleichwie nun der Herr einmal gestor-
ben ist, so müssen auch wir einmal getauft werden, getauft werden aber nach dem Worte
des Herrn auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes 592 , wodurch
uns das Bekenntnis des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes gelehrt wird. Alle also,
die auf den Vater, Sohn und Hl. Geist getauft und über die eine Natur der Gottheit in drei
Personen belehrt sind und trotzdem sich wieder taufen lassen, die kreuzigen Christus von
neuem, wie der göttliche Apostel sagt: „Denn es ist unmöglich, die, die einmal erleuchtet
worden usf., wieder zur Buße zu erneuern, weil sie für sich Christus von neuem kreuzigen
und zum Gespötte machen 593 .“ Alle, die nicht auf die heilige Dreifaltigkeit getauft sind, die
müssen wiedergetauft werden. Denn wenn auch der göttliche Apostel sagt: „Wir sind auf
Christus und seinen Tod getauft 594 , so sagt er doch nicht, die Anrufung bei der Taufe müs-
se in dieser Weise geschehen 595 , sondern die Taufe sei ein Bild des Todes Christi. Durch
die drei Untertauchungen deutet nämlich die Taufe die drei Tage an, in denen der Herr im
Grabe lag. Auf Christus getauft sein bedeutet also im Glauben an ihn getauft werden. Un-
möglich aber ist es, an Christus zu glauben, wenn man nicht gelernt hat, Vater, Sohn und
Hl. Geist zu bekennen. Denn Christus ist der Sohn des S. 198 lebendigen Gottes 596 , den der
Vater mit dem Hl. Geiste gesalbt hat, wie der göttliche David sagt: „Darum hat dich Gott,
dein Gott, mit dem Öl der Freude gesalbt vor deinen Genossen 597 .“ Und Isaias 598 [sagt] in
der Person des Herrn: „Der Geist des Herrn ist über mir. Darum hat er mich gesalbt.“ Da
jedoch der Herr seinen Jüngern die Anrufung lehrte, sprach er: „Taufet sie auf den Namen
des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes 599 .“ Denn Gott hat uns zur Unsterblichkeit
588
Bornhäuser (a. a. O. S. 56 ff.) hat gesehen, daß Johannes in seinen Ausführungen über die Taufe in weit-
gehendem Maße mit Athanasius übereinstimmt, daß er aber auch manches Besondere hat.
589
Matth. 26, 28; Mark. 1, 4; Luk. 3, 3; Apg. 2, 38.
590
Röm. 6, 4.
591
Kol. 2, 12.
592
Matth. 28, 19.
593
Hebr. 6, 4 ff.
594
Röm. 6, 3.
595
Johannes wendet sich hier gegen die Taufe „im Namen Jesu“ oder „im Namen Christi“, über die schon
in der ältesten christlichen Zeit Zeugnisse vorliegen. Siehe darüber Schermann, Die allgemeine Kirchen-
ordnung, frühchristliche Liturgien und kirchliche Ueberlieferung. Zweiter Teil. Frühchristliche Liturgien
(Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums), Paderborn 1915, S. 168 ff. bzw. S. 304 ff. Hier ist auch
die einschlägige Literatur angegeben. In späterer Zeit galt die Formel „im Namen Jesu“ oder „im Namen
Christi“ als gültige Taufform.
596
Matth. 16, 16.
597
Ps. 44, 8 [hebr. Ps. 45, 8].
598
Is. 61, 1.
599
Matth. 28, 19.

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geschaffen 600 , nach Übertretung seines heilsamen Gebotes aber zur Vergänglichkeit des
Todes verurteilt, damit das Böse nicht unsterblich sei. Da er jedoch barmherzig ist, ist er zu
den Knechten herabgestiegen; er ist uns gleich geworden und hat uns durch sein eigenes
Leiden vom Verderben erlöst. Er ließ uns aus seiner heiligen, unbefleckten Seite 601 eine
Quelle der Vergebung entspringen: Wasser zur Wiedergeburt und Abwaschung der Sünde
und des Verderbens, Blut zum Trank, der ewiges Leben vermittelt. Er hat uns den Auftrag
gegeben, wir sollen durch Wasser und Geist wiedergeboren werden 602 , indem durch Ge-
bet und Anrufung der Hl. Geist zum Wasser hinzukommt. Da der Mensch zweifach ist,
aus Seele und Leib [besteht], gab er uns auch eine zweifache Reinigung, durch Wasser und
Geist 603 : der Geist erneuert in uns die Form des Bildes und Gleichnisses, das Wasser aber
reinigt durch die Gnade des Geistes den Leib von der Sünde und befreit ihn von der Ver-
gänglichkeit; das Wasser stellt das Bild des Todes dar, der Geist aber reicht das Pfand des
Lebens.

Am Anfang „schwebte der Geist Gottes über den Wassern 604 “. Und von Anfang an stellt
die Schrift dem Wasser das Zeugnis aus, daß es ein Reinigungsmittel ist. S. 199 Durch Was-
ser tilgte Gott zu Noës Zeit die Sünde der Welt 605 . Durch Wasser wird nach dem Gesetz
jeder Unreine gereinigt, selbst die Kleider werden mit dem Wasser gewaschen 606 . Elias
zeigte, daß die Gnade des Geistes mit dem Wasser in Verbindung stehe: mit Wasser ver-
brannte er das Brandopfer 607 . Und fast alles wird nach dem Gesetz mit Wasser gereinigt.
Denn das Sichtbare ist Sinnbild des Geistes. Die Wiedergeburt geschieht an der Seele. Der
Glaube kann uns, obwohl wir Geschöpfe sind, durch den Geist zu Söhnen (Kindern) ma-
chen und zur ursprünglichen Seligkeit führen.

Die Vergebung der Sünden wird allen in gleicher Weise durch die Taufe verliehen, die
Gnade des Geistes aber „nach Maßgabe des Glaubens 608 “ und der vorhergehenden Reini-
gung. Jetzt also empfangen wir durch die Taufe „die Erstlingsfrucht, den Hl. Geist 609 “, und
die Wiedergeburt ist für uns Anfang eines andern Lebens und Siegel und Schutzwehr und
Erleuchtung.

Wir müssen aber mit aller Kraft uns selbst „in sicherem Gewahrsam“ rein von schmut-
zigen Werken „halten 610 “, um nicht wie ein Hund wieder zum eigenen Gespei zurückzu-
600
Weish. 2, 23.
601
Vgl. Joh. 19, 34.
602
Ebd. [Joh.] 3, 5.
603
Greg. Naz., Or. 40, 8. Migne, P. gr. 36, 368 AB.
604
Gen. 1, 2.
605
Gen. 6, 17; 7, 10 ff.
606
Lev. 15, 10 ff.
607
3 Kön. 18, 32 ff. [= 1 Kön. nach neuerer Zählart].
608
Röm. 12, 6.
609
Ebd. [Röm.] 8, 23.
610
Apg. 16, 23.

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kehren 611 und uns abermals zu Sklaven der Sünde zu machen. Denn „Glaube ohne Werke
ist tot 612 “, gleichwie auch Werke ohne Glauben. Der wahre Glaube bewährt sich durch die
Werke.

Wir werden auf die heilige Dreieinigkeit getauft. Denn das, was getauft wird, bedarf zu
seinem dauernden Bestand der heiligen Dreieinigkeit, und es ist unmöglich, daß die drei
Personen nicht beisammen sind. Ungetrennt ist ja die heilige Dreiheit.

Die erste Taufe war die der Sintflut zur Tilgung der Sünde 613 . Die zweite war die [Taufe]
durch das Meer und die Wolke 614 . Die Wolke war nämlich das Sinnbild des Geistes, das
Meer das des Wassers. Die dritte war die gesetzliche. Denn jeder Unreine wusch sich mit
Wasser und wusch seine Kleider, und so trat er in das S. 200 Lager ein 615 . Die vierte war
die des Johannes. Sie war eine einführende, sie führte die, die sich taufen ließen, zur Buße
616
, auf daß sie an Christus glaubten. „Ich“, sagt er, „taufe euch mit Wasser. Der nach mir
kommt“, sagt er, . . . „der wird euch mit Hl. Geist und Feuer taufen 617 .“ Johannes reinigt also
durch Wasser voraus zum Empfang des Geistes. Die fünfte war die Taufe des Herrn, mit
der er sich selbst taufen ließ. Er läßt sich taufen, nicht als bedürfte er selbst einer Reinigung,
sondern weil er meine Reinigung sich zueignet, um die Köpfe der Drachen im Wasser zu
zermalmen 618 , um die Sünde abzuwaschen und den ganzen alten Adam im Wasser zu
begraben, um den Täufer zu heiligen, um das Gesetz zu erfüllen 619 , um das Geheimnis
der Dreieinigkeit zu offenbaren, um uns ein Vorbild und Beispiel zu werden, daß wir uns
taufen lassen. Auch wir werden mit der vollkommenen Taufe des Herrn getauft, mit der
durch Wasser sowohl als [mit der] durch Geist. Mit Feuer aber, heißt es, taufe Christus,
weil er in Gestalt feuriger Zungen die Gnade des Geistes über die heiligen Apostel ausgoß,
wie der Herr selbst sagt: „Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet nach wenigen
Tagen mit heiligem Geist und Feuer getauft werden 620 “, oder wegen der Straftaufe des
künftigen Feuers. Die sechste ist* die durch Buße und Tränen,* in der Tat eine mühselige.
Die siebente ist* die durch Blut und Martyrium, mit der auch Christus selbst sich* für uns*
taufen ließ.* Sie ist ja sehr erhaben und selig,* da sie durch keine zweite Befleckung mehr
besudelt wird 621 .* Die achte, die letzte 622 , ist nicht heilbringend. Sie hebt zwar die Bosheit
611
2 Petr. 2, 22.
612
Jak. 2, 26.
613
Gen. 7, 17 ff.
614
1 Kor. 10, 2.
615
Lev. 15, 5 ff.
616
Luk. 3, 3.
617
Matth. 3, 11; Mark. 1, 7 ff.
618
Ps. 73, 13 [hebr. Ps. 74, 13].
619
Vgl. Matth. 5, 17; Röm. 13, 8; Gal. 5, 14.
620
Apg. 1, 5.
621
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 39, 17 Migne, P. gr. 36, 356 A.
622
D. i. die Taufe mit dem ewigen Feuer.

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auf, denn nicht mehr waltet da Bosheit und Sünde, aber sie straft ohne Ende.

S. 201 In körperlicher Gestalt* wie eine Taube* kam der Hl. Geist [auf Christus] herab
623
, er zeigte die Erstlingsfrucht unserer Taufe an und* ehrte den Leib. Denn auch dieser,*
nämlich der Leib,* war durch die Vergottung Gott, und außerdem pflegte ehedem eine
Taube das Aufhören der Flut zu verkünden 624 .* Auf die heiligen Apostel aber kommt er in
feuriger Gestalt herab 625 . Denn er ist Gott, „Gott aber ist ein verzehrendes Feuer 626 .“

Das Öl wird zur Taufe genommen, weil es unsere Salbung anzeigt, uns zu Christen (Ge-
salbten) macht und uns durch den Hl. Geist das Erbarmen Gottes verheißt. Es hat ja auch
die Taube den aus der Flut Geretteten einen Ölzweig gebracht 627 .

Johannes ward durch Auflegung seiner Hand aufs göttliche Haupt des Herrn und durch
sein eigenes Blut 628 getauft.

Man darf die Taufe nicht verschieben, wenn durch Werke der Glaube der Hinzutretenden
bezeugt ist. Wer hinterlistig zur Taufe tritt, wird, weit entfernt, einen Nutzen davon zu
haben, vielmehr verdammt werden.

X. KAPITEL. Vom Glauben.

S. 202 Der Glaube ist zweifach. Denn „der Glaube kommt vom Hören 629 “. Wir hören die
heiligen Schriften und glauben der Lehre des Hl. Geistes. Dieser [Glaube] wird vollendet
durch alles, was von Christus angeordnet ist, er ist im Werke gläubig und fromm und voll-
bringt die Gebote dessen, der uns erneuert hat. Denn wer nicht „entsprechend der Über-
lieferung 630 “ der katholischen Kirche glaubt oder durch verkehrte Werke mit dem Teufel
Gemeinschaft hat, ist ein Ungläubiger.

Weiterhin „ist aber der Glaube die Zuversicht auf das, was man hofft, die Überzeugung
von Dingen, die man nicht sieht 631 “, oder die zuversichtliche und zweifellose Hoffnung
auf die uns von Gott gegebenen Verheißungen und die Erfüllung unserer Bitten. Der ers-
623
Luk. 3, 22; Matth. 3, 16; Mark 1, 10; Joh. 1, 32.
624
Gen. 8, 11. Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 39, 16 Migne, P. gr. 36, 353 B.
625
Apg. 2, 3.
626
Deut. 4, 24; Hebr. 12, 29.
627
Gen. 8, 11. Ob Johannes hier die Ölsalbung unmittelbar vor der Taufe meint oder die Chrismation nach
der Taufe, die seit dem 4./5. Jahrhundert als eigener, von der Firmung getrennter Ritus erscheint, ist nicht
klar. Freilich, wenn Dölgers (Der Exorzismus im altchristlichen Taufritual, Paderborn 1909, S. 137 ff.)
Behauptung, die Ölsalbung vor dem Taufakt habe den Charakter eines* Exorzismus* gehabt, in vollem
Umfang zu Recht besteht, dann kommt nur die Chrismation in Betracht. An die Firmsalbung ist wohl
nicht zu denken, da Johannes ausdrücklich hervorhebt, daß das Öl* zur Taufe* genommen wird.
628
Matth. 14, 10; Mark. 6, 27.
629
Röm. 10, 17.
630
Mark. 7, 5.
631
Hebr. 11, 1.

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te [Glaube] ist Sache unserer Entscheidung, der zweite gehört zu den Gnadengaben des
Geistes.

Man muß wissen, daß wir durch die Taufe an der ganzen, von Geburt an vorhandenen
Hülle oder an der Sünde beschnitten werden 632 und geistige Israeliten und „Volk Gottes
633
“ werden.

XI. KAPITEL. Vom Kreuze. Dabei noch einmal vom Glauben.

„Das Wort vom Kreuze ist denen, die verloren gehen, eine Torheit, uns aber, die geret-
tet werden, eine Gotteskraft 634 .“ Denn „der Geistige beurteilt alles, ein [bloß] seelischer
Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes ist 635 .“ Torheit nämlich ist es (� das Wort
vom S. 203 Kreuze) für die, die es nicht im Glauben annehmen und nicht die Güte und All-
macht Gottes bedenken, sondern mit menschlichen und natürlichen Gedanken das Göttli-
che erforschen. Denn alles, was Gottes ist, ist über Natur und Wort und Gedanke erhaben.
Bedenkt einer, wie und warum Gott alles aus dem Nichtsein ins Sein hervorgebracht und
will er es mit natürlichen Gedanken ergründen, so erfaßt er es nicht. Denn diese Erkennt-
nis ist seelisch und dämonisch. Hält aber einer, vom Glauben geleitet, die Gottheit für gut,
allmächtig, wahrhaft, weise und gerecht, so wird er alles glatt und eben und einen geraden
Weg finden. Denn ohne Glauben ist es unmöglich, gerettet zu werden 636 . Auf Glauben
beruht ja alles, das Menschliche wie das Geistige. Ohne Glauben durchfurcht weder der
Landmann die Erde, noch vertraut der Kaufmann auf kleinem Boot sein Leben dem ra-
senden Meere an, noch werden Ehen gegründet, noch [geschieht] etwas anderes von dem,
was im Leben [vorkommt]. Durch den Glauben erkennen wir, daß alles durch Gottes Kraft
aus dem Nichtsein ins Sein gelangt ist. Durch den Glauben vollbringen wir alles Göttliche
und Menschliche. Glaube aber ist Zustimmung ohne Grübelei.

Wohl ist jede Handlung und Wundertat Christi überaus groß und göttlich und wunder-
bar, aber bewundernswerter als alle ist sein kostbares Kreuz. Denn durch nichts anderes
ward der Tod vernichtet, die Sünde des Stammvaters nachgelassen, die Hölle beraubt, die
Auferstehung geschenkt, die Kraft uns gegeben, das Gegenwärtige, ja selbst den Tod zu
verachten, die Rückkehr zur ursprünglichen Seligkeit vollführt, das Paradiesestor geöffnet,
unsere Natur zur Rechten Gottes gesetzt, [durch nichts anderes] sind wir Gotteskinder und
Erben 637 geworden als durch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Durch das Kreuz
ward ja alles vollbracht. Sagt doch der Apostel: „Wir alle, die wir auf Christus getauft sind,
632
Vgl. Kol. 2, 11.
633
Hebr. 4, 9; 11, 25; 1 Petr. 2, 10.
634
1 Kor. 1, 18.
635
Ebd. [1 Kor.] 2, 15. 14.
636
Vgl. Hebr. 11, 6.
637
Röm. 8, 16 f.; Gal. 4, 7.

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sind auf seinen Tod getauft 638 S. 204 „Wir alle, die wir auf Christus getauft sind, haben
Christus angezogen 639 .“ „Christus ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit 640 .“ Siehe, der
Tod Christi oder das Kreuz hat uns mit der subsistierenden Weisheit und Kraft Gottes
bekleidet. Eine Gotteskraft aber ist das Wort vom Kreuze, entweder weil durch dasselbe
die Kraft Gottes oder der Sieg über den Tod uns kundgemacht ward, oder weil durch die
Kraft Gottes die Höhe und die Tiefe, Länge und Breite, d. h. alle sichtbare und unsichtbare
Schöpfung zusammengehalten wird, gleichwie die vier Kreuzesenden durch das mittlere
Zentrum gehalten und verbunden sind.

Dieses [Kreuz] ist uns als Zeichen auf die Stirne gegeben, wie Israel die Beschneidung.
Denn durch dasselbe unterscheiden wir Gläubige uns von den Ungläubigen und erkennen
uns. Dieses ist Schild und Waffe und Siegeszeichen gegen den Teufel. Dieses ist ein Siegel,
daß uns der Erwürger nicht berühre, wie die Schrift 641 sagt. Dieses ist Aufrichtung der
Liegenden, Halt der Stehenden, Stütze der Schwachen, Stab der Geleiteten 642 , Führer der
Umkehrenden, Vollendung der Fortschreitenden, Heil der Seele und des Leibes, Abwehr
aller Übel, Gewähr aller Güter, Tilgung der Sünde, Reis der Auferstehung, Baum ewigen
Lebens.

Dieses wirklich kostbare und verehrungswürdige Holz (Kreuz) nun, an dem sich Chris-
tus selbst für uns zum Opfer gebracht, ist zu verehren, da es durch die Berührung des
heiligen Leibes und Blutes geheiligt ist, desgleichen die Nägel, die Lanze, die Kleider und
seine heiligen Stätten, als da sind: die Krippe, die Höhle, das heilbringende Golgatha, das
lebengebende Grab, Sion, die Burg der Kirchen, und dergleichen. So sagt der Stammvater
Gottes, David: „Laßt uns in sein Zelt eintreten, anbeten an dem Ort, wo seine Füße standen
643
.“ Daß er aber das Kreuz meint, zeigt das folgende: „Steh S. 205 auf, Herr, zu deinem Ru-
heorte 644 .“ Die Auferstehung folgt ja auf das Kreuz. Wenn [uns] Haus und Bett und Kleid
der Lieben teuer sind, um wieviel mehr das, was Gottes und des Erlösers ist, wodurch wir
ja auch gerettet worden sind.

Wir verehren aber auch das Bild des kostbaren und lebenspendenden Kreuzes, mag es
auch aus anderem Stoff bestehen. Wir ehren ja nicht den Stoff - das sei ferne -, sondern
das Bild als Sinnbild Christi. Denn so erklärte er seinen Jüngern: „Alsdann wird das Zei-
chen des Menschensohnes am Himmel erscheinen 645 “, nämlich das Kreuz. Darum sprach
auch der Auferstehungsengel zu den Frauen: „Ihr suchet Jesus von Nazareth, den Gekreu-
638
Röm. 6, 3.
639
Vgl. Gal. 3, 27.
640
Vgl. 1 Kor. 1, 24.
641
Vgl. Hebr. 11, 28.
642
Vgl. Off. 2, 28; 12, 5.
643
Ps. 131, 7 [hebr. Ps. 132, 7].
644
Ps. 131, 8 [hebr. Ps. 132, 8].
645
Matth. 24, 30.

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zigten 646 .“ Und der Apostel: „Wir predigen Christus, den Gekreuzigten 647 .“ Es gibt viele
Christusse und Jesusse, aber nur* einen* Gekreuzigten. Er sagte nicht: den mit der Lanze
Durchbohrten 648 , sondern den Gekreuzigten. Deshalb ist das Zeichen Christi zu vereh-
ren. Denn wo das Zeichen ist, da wird auch er selbst sein. Der Stoff aber, aus dem das
Kreuzesbild besteht, ist, selbst wenn es Gold oder kostbare Steine wären, nach der etwai-
gen Zerstörung des Bildes nicht zu verehren. Somit verehren wir alles, was Gott geweiht
ist, indem wir ihm (� Gott) die Verehrung bezeigen.

Ein Vorbild dieses kostbaren Kreuzes war der von Gott im Paradiese gepflanzte Baum
des Lebens 649 . Denn da durch einen Baum der Tod 650 [gegeben worden], so mußte durch
einen Baum das Leben und die Auferstehung geschenkt werden. Zuerst hat Jakob, da er die
Spitze von Josephs Stab verehrte 651 , das Kreuz angedeutet, und als er mit übereinander-
gelegten Händen dessen Söhne segnete 652 , hat er ganz deutlich das Zeichen des Kreuzes
beschrieben. [Ferner deuteten das Kreuz an] der Stab des Moses, der in Kreuzesform das
Meer schlug und Israel rettete, den Pharao aber ertränkte 653 , die kreuzweise ausgestreck-
ten und den S. 206 Amalek (� die Amalekiter) schlagenden Hände 654 , das bittere, durch
Holz süß gemachte Wasser 655 , der durch Holz gesprengte, wasserströmende Fels 656 , der
Stab, der Aaron die Würde des Priestertums verlieh 657 , die wie ein Siegeszeichen am Hol-
ze erhöhte Schlange — sie ward gleichsam getötet. Die den toten Feind gläubig anblickten,
rettete das Holz 658 . So ward Christus im „sündigen Fleische 659 “, das keine Sünde kannte,
an [das Holz] genagelt — der große Moses, der rief: „Ihr werdet euer Leben am Holze hän-
gend vor euren Augen sehen 660 “, Isaias [wenn er sagt]: „Den ganzen Tag streckte ich meine
Hände aus nach einem ungläubigen und widerspenstigen Volke 661 .“ — Möchten doch wir,
die es (� das Kreuz) verehren, Christi des Gekreuzigten teilhaftig werden! Amen.
646
Mark. 16, 6.
647
1 Kor. 1, 23.
648
Vgl. Joh. 19, 34.
649
Gen. 2, 9.
650
Ebd. [Gen.] 3, 1 ff.
651
Ebd. [Gen.] 47, 31 nach LXX [Septuaginta].
652
Ebd. [Gen.] 48, 14.
653
Exod. 14, 16 ff.
654
Exod. 17, 11.
655
Ebd. [Exod.] 15, 25.
656
Ebd. [Exod.] 17, 6.
657
Num. 17, 8.
658
Ebd. [Num.] 21, 9.
659
Röm. 8, 3.
660
Vgl. Deut. 28, 66.
661
Is. 65, 2.

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XII. KAPITEL. Von der Anbetung gegen Sonnenaufgang.

Nicht zufällig und grundlos beten wir gegen Aufgang an. Nein. Weil wir aus einer sichtba-
ren und unsichtbaren oder geistigen und sinnlichen Natur zusammengesetzt sind, bringen
wir dem Schöpfer auch eine doppelte Anbetung dar, gleichwie wir sowohl mit dem Geist
als mit den leiblichen Lippen psallieren, mit Wasser und Geist getauft werden und uns auf
doppelte Weise mit dem Herrn vereinigen, indem wir an den Mysterien (Sakramenten)
und an der Gnade des Geistes teilhaben.

Weil Gott ein geistiges Licht 662 ist, und Christus in den Schriften „Sonne der Gerech-
tigkeit 663 “ und „Aufgang 664 “ heißt, darum gilt es, ihm den Aufgang zur S. 207 Anbetung
zu weihen. Denn alles Schöne muß man Gott weihen. Durch ihn ist alles Gute gut. Es sagt
auch der göttliche David: „Ihr Reiche der Erde, singet Gott, lobsinget dem Herrn, der über
dem höchsten Himmel einherfährt gegen Aufgang 665 .“ Ferner sagt die Hl. Schrift: „Gott
hatte einen Garten gepflanzt, in Eden gegen Aufgang; dorthin versetzte er den Menschen,
den er gebildet 666 .“ Nach der Übertretung vertrieb er ihn 667 und siedelte ihn gegenüber
dem Garten der Wonne an, natürlich gegen Untergang. Wir suchen also das alte Vaterland
und blicken zu ihm auf, wenn wir Gott anbeten. Auch das mosaische Zelt hatte den Vor-
hang und den Sühnedeckel [der Bundeslade] gegen Aufgang 668 . Der Stamm Juda schlug
sein Lager gegen Aufgang 669 auf, da er einen Ehrenvorzug besaß. In dem berühmten salo-
monischen Tempel war die Pforte des Herrn gegen Aufgang gelegen. Ja, auch der Herr sah
gegen Untergang, als er am Kreuze war, und so sehen wir auf ihn hin und beten an. Und als
er [in den Himmel] aufgenommen wurde, schwebte er gegen Aufgang, und so beteten ihn
die Apostel an, und „er wird genau so wiederkommen, wie sie ihn zum Himmel hinauffah-
ren sahen 670 “, wie der Herr selbst sagte: „Gleichwie der Blitz gegen Aufgang ausgeht und
bis Untergang leuchtet, so wird es mit der Ankunft des Menschensohnes sein 671 .“ Darum
beten wir, weil wir ihn erwarten, gegen Aufgang an. Diese Überlieferung der Apostel ist
nicht aufgeschrieben. Denn vieles haben sie uns ungeschrieben überliefert.

XIII. KAPITEL. Von den heiligen, makellosen Mysterien des Herrn.

Der gute, allgute, übergute Gott, der ganz Güte ist, ertrug es ob des überströmenden Reich-
tums seiner Güte S. 208 nicht, daß nur das Gute, d. h. seine eigene Natur, existiere, ohne
662
1 Joh. 1, 5.
663
Mal. 4, 2.
664
Luk. 1, 78; Zach. 6, 12.
665
Ps. 67, 33 f. [hebr. Ps. 68, 33 f.].
666
Gen. 2, 8.
667
Ebd. [Gen.] 3, 23 f.
668
Vgl. Lev. 16, 14.
669
Num. 2, 3.
670
Vgl. Apg. 1, 11.
671
Matth. 24, 27.

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daß jemand daran teilnehme, und eben deswegen schuf er zuerst die geistigen und himmli-
schen Mächte, dann die sichtbare und sinnliche Welt, dann aus Geistigem und Sinnlichem
den Menschen. Alles von ihm Geschaffene hat dem Sein nach an seiner Güte teil. Denn
er selbst ist für alles das Sein, da das Seiende in ihm ist, nicht bloß weil* er* es aus dem
Nichtsein ins Sein gerufen, sondern weil* seine* Wirksamkeit das von ihm Geschaffene
bewahrt und erhält. In höherem Maße [bewahrt und erhält er] die lebenden Wesen. Denn
sie nehmen am Guten teil, sofern sie sowohl das Sein als das Leben besitzen. Aber noch
mehr die vernünftigen Wesen, sowohl mit Rücksicht auf das eben Gesagte als auch mit
Rücksicht auf die Vernunft. Denn sie sind gewissermaßen näher mit ihm verwandt, wenn
er sie auch sicherlich unvergleichlich überragt.

Der Mensch hatte, da er vernünftig und selbstmächtig war, die Macht empfangen, sich
durch eigene Wahl unaufhörlich mit Gott zu vereinigen, wenn anders er im Guten, d, h. im
Gehorsam gegen den Schöpfer beharrte. Weil er nun das Gebot dessen, der ihn geschaffen,
übertrat und dem Tode und Verderben verfiel, wurde der Schöpfer und Bildner unseres
Geschlechtes „in seinem herzlichen Erbarmen 672 “ uns gleich 673 , er wurde in allem, die
Sünde ausgenommen, Mensch und vereinigte sich mit unserer Natur. Denn da er uns sein
Bild und seinen Geist mitgeteilt, und wir sie nicht bewahrten, nimmt er selbst unsere ar-
me und schwache Natur an, um uns rein und unvergänglich und wieder seiner Gottheit
teilhaftig zu machen.

Es sollte aber nicht bloß der Erstling unserer Natur zur Teilnahme am Guten gelangen,
nein, es sollte auch jeder Mensch, der will, in zweiter Geburt geboren und mit einer neuen,
der Geburt entsprechenden Speise genährt werden und so das Maß der Vollkommenheit
erreichen. Durch seine Geburt oder Fleischwerdung, S. 209 seine Taufe, sein Leiden und
seine Auferstehung befreite er die Natur von der Sünde des Stammvaters, von dem Tode
und dem Verderben, er ist der Erstling der Auferstehung geworden und hat sich selbst zum
Weg und Vorbild und Beispiel gemacht, damit auch wir seinen Spuren folgen 674 und durch
Annahme werden, was er von Natur ist: Söhne und Erben Gottes und seine Miterben 675 .
Er gab uns also, wie gesagt, eine zweite Geburt. Wie wir, aus Adam geboren, ihm gleich
wurden und den Fluch und das Verderben erbten, so sollten wir auch, aus ihm geboren,
ihm gleich werden und seine Unvergänglichkeit, seinen Segen und seine Herrlichkeit er-
ben.

Da dieser Adam geistig ist, mußte auch die Geburt geistig sein, ebenso auch die Spei-
se. Aber weil wir Doppelwesen und zusammengesetzt sind, muß auch die Geburt doppelt,
desgleichen auch die Speise zusammengesetzt sein. Die Geburt nun ist uns durch Geist
672
Luk. 1, 78.
673
Hebr. 2, 17.
674
1 Petr. 2, 21.
675
Röm. 8, 17.

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und Wasser 676 , nämlich durch die Taufe, gegeben. Die Speise aber ist „das Brot des Lebens
677
“ selbst, unser Herr Jesus Christus, der vom Himmel herabgekommen 678 . Im Begriffe,
den freiwilligen Tod für uns auf sich zu nehmen, in der Nacht, in der er sich überlieferte,
vermachte er seinen heiligen Jüngern und Aposteln und durch sie allen, die an ihn glauben,
ein neues Testament. Nachdem er im Obergemach des heiligen und herrlichen Zion mit
seinen Jüngern das alte Pascha gegessen und das Alte Testament erfüllt, wäscht er den Jün-
gern die Füße 679 , die heilige Taufe versinnbildend. Dann brach er Brot und gab es ihnen
mit den Worten: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird zur
Vergebung der Sünden.“ Desgleichen nahm er auch den Kelch mit Wein und Wasser und
reichte ihnen denselben mit den Worten: „Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Neuen
Bundes, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tuet dies zu meinem An-
denken.“ Denn so oft ihr dieses Brot esset und S. 210 diesen Kelch trinket, verkündet ihr
den Tod des Menschensohnes und bekennet seine Auferstehung, bis er kommt 680 .

Wenn „das Wort Gottes lebendig und wirksam ist 681 “, und der Herr alles, was er wollte,
gemacht hat 682 , wenn er sprach; „Es werde Licht 683 “ — und es ward —, „es werde das Fir-
mament 684 “ — und es ward —, wenn „durch das Wort des Herrn die Himmel geschaffen
sind und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer 685 “, wenn der Himmel und die
Erde, Wasser und Feuer und Luft und all ihr Schmuck und vollends dieses hochgefeierte
Wesen, der Mensch, durch das Wort des Herrn entstanden, wenn der Gott-Logos selbst frei-
willig Mensch wurde, und das reine, unbefleckte Geblüte der heiligen, immerwährenden
Jungfrau sich ohne Samen zum Fleische bildete — kann er dann nicht das Brot zu seinem
Leib und den Wein und das Wasser zu seinem Blute machen? Er sprach am Anfang: „Es
bringe die Erde zartes Grün hervor 686 “, und bis jetzt bringt sie, durchs göttliche Gebot ge-
drängt und befähigt, ihre Gewächse hervor. Es sprach Gott: „Das ist mein Leib“, und: „Das
ist mein Blut“, und: „Das tuet zu meinem Andenken.“ Und durch sein allmächtiges Gebot
geschieht es, bis er kommt. Denn so heißt es: „Bis er kommt 687 .“ Und es kommt durch die
676
Joh. 3, 5.
677
Ebd. [Joh.] 6, 48.
678
Vgl. ebd. [Joh.] 6, 50.
679
Joh. 13, 2 ff.
680
Über die Einsetzungsworte der Eucharistie siehe Matth. 26, 26 ff.; Mark. 14, 22 ff.; Luk. 22, 19 f.; 1 Kor. 11,
23 ff. Johannes führt sie genau in dem Wortlaut an, den sie in der Anaphora der griechischen Jakobuslit-
urgie haben. Storf, Griechische Liturgien (b0ibliothek der Kirchenväter), Kempten u. München 1912, S.
105 f.
681
Hebr. 4, 12.
682
Vgl. Ps. 134, 6 [hebr. Ps. 135, 6].
683
Gen. 1, 3.
684
Ebd. [Gen.] 1, 6.
685
Ps. 32, 6 [hebr. Ps. 33, 6].
686
Gen. 1, 11.
687
1 Kor. 11, 26.

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Anrufung (Epiklese) 688 als Regen auf dies neue Ackerfeld die S. 211 überschattende Kraft
des Hl. Geistes. Denn wie Gott alles, was er gemacht, durch die Wirksamkeit des Hl. Geis-
tes gemacht hat, so schafft auch jetzt die Wirksamkeit des Hl. Geistes das Übernatürliche,
das nur der Glaube fassen kann. „Wie wird mir das geschehen,“ sagt die heilige Jungfrau,
„da ich keinen Mann erkenne 689 ?“ Der Erzengel Gabriel antwortet: „Der Hl. Geist wird
auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten dich überschatten 690 .“ Und jetzt
fragst du, wie das Brot Leib Christi und der Wein und das Wasser Blut Christi wird. Auch
ich sage dir: Der Hl. Geist kommt hinzu und wirkt das, was Begreifen und Denken über-
steigt.

Es wird Brot und Wein genommen. Denn Gott kennt die menschliche Schwachheit. Sie
wendet sich nämlich meist von dem, was nicht in gewohnheitsmäßigem Gebrauche ist,
unwillig ab. In seiner gewohnten Herablassung also bewirkt er auch durch das, woran die
Natur gewöhnt ist, das Übernatürliche. Weil die Menschen sich mit Wasser zu waschen
und mit Öl zu salben pflegen, so verband er bei der Taufe mit Öl und Wasser die Gnade
des Geistes und machte sie zum „Bade der Wiedergeburt 691 .“ Und weil die Menschen Brot
zu essen und Wasser und Wein zu trinken pflegen, so verband er mit ihnen seine Gottheit
und machte sie zu einem Leib und Blut, damit wir durch das Gewohnte und Natürliche
das Übernatürliche erlangen.

Der Leib ist wahrhaft mit der Gottheit vereint, der Leib aus der heiligen Jungfrau, nicht
als ob der [in den Himmel] aufgenommene Leib vom Himmel herabkäme, sondern weil
das Brot und der Wein selbst in Leib und Blut Gottes verwandelt wird. Fragst du aber, wie
es geschieht, so genügt dir zu hören, daß es durch den Hl. Geist [geschieht]. So bildete
auch der Herr aus der heiligen Gottesgebärerin durch den Hl. Geist für sich und in sich
Fleisch. Und mehr wissen wir nicht, als daß S. 212 das Wort Gottes wahr und wirksam
692
und allmächtig ist, das Wie aber ist unerforschlich. Zweckdienlich ist auch folgende
Bemerkung: Wie auf natürliche Weise das Brot durch Essen und der Wein und das Wasser
durch Trinken in Leib und Blut des Essenden und Trinkenden verwandelt werden, und
nicht ein Leib entsteht, der von seinem früheren Leibe verschieden ist, so wird auch das
Opferbrot693 und Wein und Wasser durch die Anrufung und Herabkunft des Hl. Geistes
auf übernatürliche Weise in den Leib und das Blut Christi verwandelt, und es sind nicht
688
Epiklese ist ein altliturgisches Meßgebet, das feierlich den Hl. Geist herabruft, daß er Brot und Wein in
Christi Fleisch und Blut verwandle. Sie steht in fast allen morgenländischen und manchen abendländi-
schen Liturgien* nach* den Einsetzungsworten, in anderen abendländischen Liturgien fehlt sie oder sie
findet sich in nicht so ausgeprägter Form* vor* den Einsetzungsworten.
689
Luk. 1, 34.
690
Ebd. [Luk.] 1, 35.
691
Tit. 3, 5.
692
Hebr. 4, 12.
693
(Ὁ τῆς προθέσεως ἄρτος) [ho tēs protheseōs artos], wörtlich das Brot auf der Prothesis, d. i. auf dem Kre-
denztisch, der bei den Griechen auf der rechten Seite des Altares zur Zubereitung der Opfergaben steht.

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zwei, sondern es ist ein und derselbe 694 .

Es gereicht denen, die es im Glauben würdig empfangen, „zur Vergebung der Sünden
695
“, zum ewigen Leben und zum Schutze des Leibes und der Seele; denen aber, die es im
Unglauben unwürdig genießen, zur Züchtigung und Strafe, gleichwie auch der Tod des
Herrn den Gläubigen Leben und Unvergänglichkeit zum Genusse der ewigen Seligkeit ist,
den Ungläubigen und Mördern des Herrn aber zur ewigen Strafe und Pein gereicht.

Das Brot und der Wein sind nicht ein Bild des Leibes und Blutes Christi — das sei ferne
—, sondern der vergottete Leib des Herrn selbst. Denn der Herr selber sprach: „Das ist
mein Leib“, nicht: [Das ist] ein Bild des Leibes, und nicht: [Das ist] ein Bild des Blutes,
sondern: „[Das ist] mein Blut.“ Und vorher sagte er zu den Juden: „Wenn ihr das Fleisch
des Menschensohnes nicht esset und sein Blut nicht trinket, so habt ihr kein Leben in euch.
Denn mein Fleisch ist wahrhaftige Speise, und mein Blut ist wahrhaftiger Trank 696 .“ Und
wiederum: „Wer mich ißt, wird leben 697 .“

S. 213 Darum wollen wir mit aller Ehrfurcht, reinem Gewissen und zuversichtlichem
Glauben hinzutreten, und gewiß wird uns geschehen, wie wir glauben, wenn wir nicht
zweifeln. Ehren wir es (� Leib und Blut Christi) durch jegliche Reinheit, seelische wie leib-
liche, denn es ist zweifach. Treten wir mit glühendem Verlangen zu ihm hin und empfangen
wir, die flachen Hände kreuzweise gelegt, den Leib des Gekreuzigten. Halten wir Augen,
Lippen und Stirne hin 698 und nehmen wir die göttliche (glühende) Kohle, damit das Feuer
sehnsüchtiger Liebe in uns, verbunden mit der Glut der Kohle, unsere Sünden verbrenne
und unsere Herzen erleuchte, und wir durch die Teilnahme am göttlichen Feuer feurig und
vergottet werden. Eine glühende Kohle sah Isaias 699 . Kohle ist nicht einfaches, sondern mit
694
Vgl. Greg. Nyss., Orat. catech. 37 (Migne, P. gr. 45, 93 ff., besonders 96 D u. 97 A).
695
Matth. 26, 28.
696
Joh. 6, 53. 55.
697
Vgl. ebd. [Joh.] 6, 57.
698
Ähnlich, nur viel ausführlicher beschreibt Cyrill von Jerusalem den Kommunionritus (Catech. 23 Mystag.
5, 21—22 Migne, P. gr. 33, 1124 C—1125): „Wenn du (nach dem Ruf: ,Das Heilige den Heiligen‘) hingehst
(zur Kommunion), so gehe nicht hin die flachen Hände ausstreckend oder die Finger auseinandersprei-
zend, sondern mache die linke Hand zu einer Art Thron für die rechte als für die, welche den König in
Empfang nehmen soll (d. h. lege die linke unter die rechte), und dann mache die flache Hand hohl und
nimm (in sie hinein) den Leib Christi in Empfang und sage das Amen dazu (auf die Spendeformel). Nach-
dem du dann behutsam deine Augen durch Berührung mit dem heiligen Leib geheiligt hast, genieße ihn,
habe aber wohl acht, daß dir nichts - auch nicht eine Brosame - davon verloren gehe . . . nicht die Hän-
de ausstreckend (nach dem Kelche), sondern dich niederbeugend und in der Weise der Anbetung und
Verehrung (� gebeugt) das Amen sprechend, heilige dich, indem du auch vom Blute Christi empfängst.
Und während noch die Feuchtigkeit an deinen Lippen ist, berühre sie mit den Händen und heilige damit
die Augen und die Stirne und die übrigen Sinne.“ Thalhofer-Eisenhofer, Handbuch der kath. Liturgik, II
(Freib. i. B. 1912), 354.
699
Is. 6, 6 f.

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Feuer vereintes Holz 700 . So ist auch das Brot der Gemeinschaft nicht einfaches, sondern
mit der Gottheit vereintes Brot. Der mit der Gottheit vereinte Leib aber ist nicht* eine* Na-
tur. Nein, die eine ist die des Leibes, die andere die S. 214 der Gottheit, die mit ihm vereint
ist, so daß beides zusammen nicht* eine* Natur ist, sondern zwei.

Mit Brot und Wein empfing Melchisedech, „der Priester des höchsten Gottes 701 “, den
Abraham bei seinem Rückmarsch von der Niederwerfung der fremden Stämme 702 . Jener
Tisch bildete diesen geheimnisvollen Tisch vor, wie jener Priester ein Typus und Bild des
wahren Hohenpriesters Christus war. Denn es heißt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der
Ordnung Melchisedechs 703 Dieses Brot sinnbildeten die Schaubrote 704 . Dies ist das reine,
allerdings auch unblutige Opfer, von dem der Herr durch den Propheten gesagt, daß es
vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang dargebracht wird 705 .

Leib und Blut Christi dienen zum Bestande unserer Seele und unseres Leibes. Denn sie
werden nicht aufgezehrt, vergehen nicht, kommen nicht zur Ausscheidung 706 — das sei
ferne —, sondern sie gehen in unsere Wesenheit ein und dienen zu unserer Erhaltung, sie
wehren jeglichen Schaden ab, sie reinigen von jedem Schmutz, wie wenn man unreines
Gold nimmt und es durchs prüfende (läuternde) Feuer reinigt, „auf daß wir nicht einstens
mit der Welt verdammt werden 707 “. Er (� der Herr) reinigt nämlich durch Krankheiten
und allerlei Schickungen, wie der göttliche Apostel sagt: „Würden wir uns selbst prüfen
(richten), würden wir S. 215 nicht geprüft (gerichtet) werden. Wenn wir aber vom Herrn
geprüft (gerichtet) werden, werden wir dadurch gezüchtigt, damit wir nicht [einstens] mit
der Welt verdammt werden 708 .“ Und das meint er, wenn er sagt: „Wer den Leib und das
Blut des Herrn unwürdig genießt, ißt und trinkt sich das Gericht 709 .“ Durch ihn gereinigt,
werden wir mit dem Leibe des Herrn und seinem Geiste vereint und werden Leib Christi.

Dieses Brot ist der Erstling des künftigen Brotes, „welches das kommende* (ἐπιούσιος
710
)* [epiousios], auch das zum Sein gehörige ist. Denn das* ἐπιούσιος* [epiousios] bedeu-
700
Ein von den griechischen Vätern oft gebrauchtes Bild.
701
Gen. 14, 18; Hebr. 7, 1.
702
Gen. 14, 17 f.; Hebr. 7, 1.
703
Ps. 109, 4 [hebr. Ps. 110, 4]; Hebr. 7, 17.
704
Zwölf dünne, ungesäuerte Brotkuchen aus Weizenmehl (mit Weihrauch), die auf einem mit Gold über-
zogenen Tische, dem Schaubrottische, im Heiligen der jüdischen Stiftshütte bzw. des Tempels in zwei
Schichten auflagen und jeden Sabbat erneuert wurden. Exod. 25, 23—30; 37, 10—15; Levit. 24, 5—9; 1
Chron. 28, 16.
705
Mal. 1, 11.
706
Derselbe Gedanke bei Cyr. Hieros., Catech. 23 Mystag. 5, 15 (Migne, P. gr. 33, 1120 B): „Dieses Brot*
kommt nicht in den Bauch und gelangt nicht zur Ausscheidung* (Matth. 15, 17; vgl. Mark. 7, 19), sondern
wird für deinen Bestand zum Nutzen des Leibes und der Seele gegeben.“
707
1 Kor. 11, 32.
708
1 Kor. 11, 31 f.
709
Ebd. [1 Kor.] 11, 29.
710
Matth. 6, 11; Luk. 11, 3.

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tet entweder das künftige, d. i. [das Brot] des künftigen Lebens, oder das, das zur* Erhal-
tung* unseres* Seins (οὐσία)* [ousia] empfangen wird. Sei es nun so oder so, man wird
darunter passend den Leib des Herrn verstehen.* „Denn lebendigmachender Geist 711 “ ist
das Fleisch des Herrn, weil es vom lebendigmachenden Geiste empfangen ward. Was näm-
lich aus dem Geiste geboren ist, ist Geist712 .* Das aber sage ich, nicht S. 216 um die Natur
des Leibes aufzuheben, sondern um das Lebendigmachende und Göttliche desselben zu
zeigen.

Wenn aber auch einige das Brot und den Wein Abbilder des Leibes und Blutes 713 des
Herrn nannten, wie der Gottesträger Basilius sagte, so meinten sie dieselben nicht* nach*
der Heiligung (Konsekration), sondern* vor* der Heiligung, sie nannten die Opfergabe
selbst so.

Teilnahme heißt sie (� die Opfergabe). Denn durch sie nehmen wir an der Gottheit Je-
su teil. Gemeinschaft heißt und ist sie wirklich. Denn durch sie haben wir Gemeinschaft
mit Christus und werden seines Fleisches und seiner Gottheit teilhaftig. Durch sie treten
wir aber auch untereinander in Gemeinschaft und Verbindung. Denn wir alle, die wir an*
711
Joh. 6, 63; 1 Kor. 15, 45; 2 Kor. 3, 6.
712
J. P. Bock (Die Brotbitte des Vaterunsers, Paderborn 1911, S. 98) hat wahrgenommen, daß Johannes in
vorliegendem Abschnitt* Athanasius* und* Gregor von Nyssa* in ihrer Erklärung der Brotbitte gefolgt
ist. Athanasius bietet in seiner Schrift „Über die Menschwerdung des göttlichen Wortes und gegen die
Arianer“, deren Echtheit wohl mit Unrecht bezweifelt wurde (b0ardenhewer, Patrologie³, Freib. 1910, S.
212 f.), folgende Stelle über die Brotbitte des Vaterunsers : „Während der Herr von sich selbst sagt: Ich
bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen, nennt er anderswo den Hl. Geist himmlisches
Brot, indem er spricht: Gib uns heute unser* kommendes (ἐπιούσιοv)* [epiousion] Brot. Er lehrte uns
nämlich während des Gebetes, in der jetzigen Lebenszeit das kommende Brot, d. i. das zukünftige, erfle-
hen, dessen* Erstlinge* wir im gegenwärtigen Leben haben durch die Teilnahme am Fleische des Herrn,
wie er selbst sagte: Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.* Denn das
Fleisch des Herrn ist ein lebendig machender Geist, weil es vom lebendigmachenden Geiste empfangen
wurde. Was nämlich aus dem Geiste geboren ist, ist Geist.“* (Migne, P. gr. 26, 1011. Bock, a. a. O. S. 84);
Athanasius leitet also* ἐπιούσιος* [epiousios] von* ἐπιέναι* [epienai] � kommen, Gregor von Nyssa dage-
gen von* οὐσία* [ousia] � Wesen, Sein ab. In seiner vierten Rede über das Vaterunser erklärt Gregor, im
Anschluß an die Worte „also auch auf Erden“ wolle Christus in der vierten Bitte dem Bedenken begegnen,
ob wir Menschen auf Erden den Willen Gottes so vollkommen wie die Engel im Himmel erfüllen können,
da doch unsere Seele infolge der Bedürfnisse des Leibes in mannigfachen Sorgen befangen sei. Darauf-
hin schreibt er: „Deshalb wurde uns aufgetragen, das zu erflehen, was* zur Erhaltung des leiblichen Seins
(οὐσία)* [ousia] hinreicht“ (De orat. Domin. orat. 4 Migne, P. gr. 44, 1169. Bock, a. a. O. S. 98. 100). Jo-
hannes hat diese Worterklärung des Nysseners verallgemeinert, sie nicht bloß auf die Erhaltung unseres*
leiblichen* Seins, sondern unseres Seins überhaupt, also auch der Seele, ausgedehnt. — Über die Brotbit-
te des Vaterunsers und speziell über das* ἐπιούσιος* [epiousios] bei den* Vätern* siehe die gründlichen
Untersuchungen von Bock, a. a. O. S. 67 —144.
713
In der Epiklese der Basiliusliturgie heißt es: Ïndem wir die Abbilder des heiligen Leibes und Blutes deines
Christus darbringen, beten und rufen wir dich an . .“ Storf, Griechische Liturgien, Kempten u. München
1912, S. 272 (b0iblioth. der Kirchenväter).

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einem* Brote teilnehmen, werden* ein* Leib 714 und* ein* Blut Christi und Glieder von-
einander 715 , da wir mit Christus zu* einem* Leib vereinigt sind 716 .

S. 217 Mit aller Kraft wollen wir uns hüten, die „Teilnahme“ (Kommunion) von den
Häretikern zu empfangen oder ihnen zu geben. Denn der Herr sagt: „Gebet das Heilige
nicht den Hunden und werfet eure Perlen nicht vor die Schweine 717 “, damit wir nicht Ge-
nossen ihrer Irrlehre und ihrer Verdammung werden. Gewiß, wenn sie (� die Teilnahme,
Kommunion) mit Christus uns gegenseitig vereinigt, so verbinden wir uns sicherlich auch
mit allen, die dem Willen nach daran teilnehmen. Denn mit Willen geschieht diese Ver-
einigung, nicht ohne unsere Gesinnung. Ja, „wir alle sind* ein* Leib, weil wir an* einem*
Brote teilnehmen 718 “, wie der göttliche Apostel sagt.

Abbilder des Künftigen aber heißen sie (� Brot und Wein), nicht als wären sie nicht wirk-
lich Leib und Blut Christi, sondern weil wir jetzt durch sie an der Gottheit Christi teilhaben,
dann aber geistig nur durch die Anschauung.

XIV. KAPITEL. Vom Geschlechtsregister des Herrn und von der heiligen Gottesgebä-
rerin.

Über die heilige, überaus preiswürdige, immerwährende Jungfrau und Gottesgebärerin


Maria haben wir im Vorausgehenden in mäßigem Umfang gehandelt und hauptsächlich
festgestellt, daß sie im eigentlichen und wirklichen Sinne Gottesgebärerin ist und heißt.
Wir wollen jetzt das noch Fehlende nachtragen. Sie, die durch den ewigen, vorausschau-
enden Ratschluß Gottes vorherbestimmt und in verschiedenen Bildern und Aussprüchen
der Propheten durch den Hl. Geist vorgebildet und vorherverkündet war, entsproßte in der
vorherbestimmten Zeit aus der Wurzel Davids auf Grund der Verheißungen, die an ihn er-
gangen. Denn es heißt: „Geschworen hat der Herr Treue dem David und er S. 218 bricht
sie nicht: Von deines Leibes Frucht (� Nachkommen von dir) werde ich auf deinen Thron
setzen 719 .“ Und wiederum: „Einmal habe ich geschworen bei meiner Heiligkeit, wahrlich,
David täusche ich nicht. Seine Nachkommen bleiben in Ewigkeit. Und sein Thron ist wie
die Sonne vor mir und wie der Mond, der für die Ewigkeit geschaffen und ein zuverlässiger
Zeuge am Himmel ist 720 .“ Und Isaias: „Aufsprossen wird ein Reis aus Jesse, und eine Blüte
aus seiner Wurzel aufgehen 721 .“

Daß Joseph sich aus Davidischem Stamm herleitet, haben die hochheiligen Evangelisten
714
1 Kor. 10, 17; Röm. 12, 5.
715
Röm. 12, 5; vgl. 1 Kor. 12, 12. 27; Eph. 5, 30.
716
Vgl. Eph. 3, 6.
717
Matth. 7, 6.
718
1 Kor. 10, 17.
719
Ps. 131, 11 [hebr. Ps. 132, 11]; 2 Kön. 7, 12 [2 Samuel nach neuerer Zählart]; vgl. Apg. 2, 30.
720
Ps. 88, 36�38 [hebr. Ps. 89, 36�38].
721
Is. 11, 1.

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Matthäus und Lukas deutlich gezeigt. Allein Matthäus leitet Joseph von David durch Sa-
lomon her 722 , Lukas dagegen durch Nathan 723 . Die Abstammung der heiligen Jungfrau
aber haben beide verschwiegen.

Man muß wissen, daß es nicht Gewohnheit der Hebräer und auch nicht der Hl. Schrift
gewesen, die weibliche Linie anzugeben. Gesetz war, daß nicht ein Stamm aus einem an-
dern Stamme heirate 724 . Joseph, der aus Davidischem Stamme hervorging und gerecht
war — denn dieses Zeugnis stellt ihm das göttliche Evangelium 725 aus —, hätte die heili-
ge Jungfrau nicht widergesetzlich zur Ehe genommen, hätte sie nicht demselben Stamme
angehört. Es genügte also, die Abstammung Josephs aufzuzeigen.

Man muß aber auch folgendes wissen: Es war Gesetz, daß beim kinderlosen Tode eines
Mannes dessen Bruder die Ehefrau des Verstorbenen zur Ehe nehmen und dem Bruder
Nachkommenschaft erwecken sollte 726 . Die Nachkommenschaft gehörte der Natur nach
dem Zweiten, d. h. dem Erzeuger, dem Gesetze nach dem Verstorbenen an.

S. 219 Aus der Linie Nathans nun, des Sohnes Davids 727 , erzeugt, zeugte Levi den Mel-
chi 728 und den Panther. Panther zeugte den sogenannten Barpanther. Dieser Barpanther
zeugte den Joachim. Joachim zeugte die heilige Gottesgebärerin. Aus der Linie Salomons
aber, des Sohnes Davids, hatte Mathan ein Weib, aus dem er den Jakob zeugte. Als jedoch
Mathan starb, heiratete Melchi, der aus dem Stamme Nathans war, der Sohn des Levi und
Bruder des Panther, das Weib des Mathan, die Mutter des Jakob, und zeugte aus ihr den
Heli. Es waren also Jakob und Heli Brüder von* einer* Mutter, Jakob aus dem Stamme Sa-
lomons, Heli aus dem Stamme Nathans. Es starb aber Heli, der aus dem Stamme Nathans
war, kinderlos, und es nahm Jakob, sein Bruder, der aus dem Stamme Salomons war, des-
sen Weib und erweckte seinem Bruder Nachkommenschaft und zeugte den Joseph. Joseph
ist also der Natur nach ein Sohn Jakobs, der aus der Linie Salomons war, dem Gesetze nach
aber [ein Sohn] Helis, der von Nathan stammt.

Joachim nun nahm die ehr- und lobwürdige Anna zur Ehe 729 . Aber wie die frühere Anna
durch Gebet und Verheißung den Samuel geboren, da sie unfruchtbar war730 , so empfängt
auch diese durch Flehen und Verheißung von Gott die Gottesgebärerin, damit sie auch
722
Matth. 1, 6 ff.
723
Luk. 3, 31.
724
Num. 36, 6 ff.
725
Matth. 1, 19.
726
Gen. 38, 8 f.; Deut. 25, 5; Matth. 22, 24; Mark. 12, 19; Luk. 20, 28.
727
Luk. 3, 31.
728
Ebd. [Luk.] 3, 24.
729
Die erste Nachricht, daß Joachim und Anna die Eltern Marias waren, enthält das apokryphe Protevange-
lium Jacobi (2. Jahrhundert), das von der Geburt Mariens, ihren Tugenden als Tempeljungfrau, ihrer Ehe,
der jungfräulichen Geburt Christi und der Ermordung des Zacharias handelt.
730
1 Kön. 1, 10 f. 20. [1 Samuel nach neuerer Zählart].

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hierin keiner der berühmten [Frauen] nachstehe 731 . Es gebiert also die Gnade (denn das
heißt Anna) die Herrin (denn das bedeutet der Name Maria 732 ). Sie ist wirklich S. 220
Herrin aller Geschöpfe geworden, da sie Mutter des Schöpfers wurde. Sie wird geboren im
Hause Joachims am Schaftore733 und dem Heiligtum zugeführt. Sodann im Hause Gottes
gepflanzt 734 und befruchtet durch den Geist, wurde sie, „wie ein fruchttragender Ölbaum
735
“, eine Herberge jeglicher Tugend, sie hielt von jeder weltlichen und fleischlichen Begier
den Geist fern und bewahrte so die Seele samt dem Leibe jungfräulich, wie es sich für die
ziemte, die Gott in ihrem Schoße aufnehmen sollte. Denn er, der Heilige, ruht in Heiligen
736
. So also geht sie der Heiligung nach und erweist sich als heiliger und wunderbarer, „des
allerhöchsten Gottes 737 “ würdiger Tempel.

Es belauerte aber der Feind unseres Heiles die Jungfrauen wegen der Vorhersagung des
Isaias, der sprach: „Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären,
und man wird ihm den Namen Emmanuel geben, d. h. verdolmetscht Gott-mit-uns 738 .“
Damit nun der, der „die Weisen in ihrer Schlauheit fängt 739 “, den täusche, der sich im-
mer mit Weisheit brüstet, darum wird die Jungfrau von den Priestern dem Joseph zur Ehe
übergeben, die neue Buchrolle dem Schriftkundigen 740 . Die Vermählung war einerseits
ein Schutz der Jungfrau, andrerseits eine Täuschung dessen, der die Jungfrauen belauer-
te. „Als aber die Fülle der Zeiten kam 741 “, wurde ein Engel des Herrn zu ihr gesandt, der
verkündete, daß sie den Herrn empfange 742 . S. 221 Und so empfing sie den Sohn Got-
tes, die subsistierende Kraft des Vaters, „nicht aus dem Trieb des Fleisches, nicht aus dem
Trieb des Mannes 743 “, d. h. aus Umarmung und Samen, sondern durch das Wohlgefallen
des Vaters und Mitwirkung des Hl. Geistes. Sie gewährte dem Schöpfer die Möglichkeit,
geschaffen, dem Bildner, gebildet zu werden, dem Sohne Gottes und Gott, Fleisch und
731
Vgl. Greg. Nyss. Orat. in diem natalem Christi (Migne, P. gr. 46, 1137 D—1140 A). Bardenhewer (Patro-
logie³, Freib. 1910, S. 262) urteilt: „Die Weihnachtspredigt dürfte alten und neuen Zweifeln zum Trotz als
echt zu betrachten sein.“
732
Über die verschiedenen, mehr als sechzig existierenden Deutungen des Wortes Maria (Mirjam) siehe Bar-
denhewer, Bibl. Studien I 1 (1895). Zeitschrift f. kath. Theologie 1906, 356 ff. Herrin bedeutet es bei Ab-
leitung aus dem Syrischen.
733
Ἡ προβατική [Hē probatikē]* (sc. πύλη)* [pylē]. Tor in der nördlichen Stadtmauer in Jerusalem, dem
Tempel zunächst gelegen. Durch dieses führte man das Vieh zum Schlachten in den Tempel. 2 Esdr. 3, 1.
31; 12, 38.
734
Vgl. Ps. 91, 14 [hebr. Ps. 92, 14].
735
Ebd. [Ps.] 51, 10 [hebr. Ps. 52, 10].
736
Is. 57, 15; 1 Clem. ad Cor. 59, 3.
737
Gen. 14, 18; Ps. 56, 3 [hebr. Ps. 57, 3]; Mark. 5, 7; Luk. 8, 28; Apg. 16, 17; Hebr. 7, 1.
738
Is. 7, 14; Matth. 1, 23.
739
Job 5, 13; 1 Kor. 3, 19.
740
Vgl. Is. 29, 11.
741
Gal. 4, 4.
742
Luk. 1, 26 ff.
743
Joh. 1, 13.

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Mensch zu werden aus ihrem heiligen, makellosen Fleisch und Blut. Damit erfüllte sie das
Amt der Stammesmutter. Wie nämlich jene ohne Umarmung aus Adam gebildet ward, so
gebar auch diese den neuen Adam, der zwar nach dem Gesetz der Schwangerschaft, aber
entgegen der natürlichen Erzeugung geboren wurde. Denn geboren wird vom Weibe ohne
Vater der, der aus dem Vater ist ohne Mutter. Weil vom Weibe, darum nach dem Gesetz der
Schwangerschaft; weil aber ohne Vater, darum entgegen der natürlichen Erzeugung. Weil
zur gewöhnlichen Zeit — denn wer die neun Monate vollendet hat und in den zehnten
geht, wird geboren —, darum nach dem Gesetz der Schwangerschaft; weil aber ohne We-
hen, darum entgegen dem Gesetz der Geburt. Denn der, der keine Lust voranging, folgten
auch keine Wehen, gemäß dem Propheten, der sagt: „Bevor sie Wehen hatte, gebar sie 744
Und wiederum: „Bevor die Zeit der Wehen kam, entfloh sie und gebar ein Männliches (ein
Knäblein) 745 .“

Geboren ward also aus ihr der fleischgewordene Sohn Gottes; nicht ein gotttragender
Mensch, sondern ein fleischgewordener Gott, nicht wie ein Prophet durch Wirksamkeit ge-
salbt, sondern durch die Anwesenheit des ganzen Salbenden, so daß das Salbende Mensch
und das Gesalbte Gott wurde, nicht durch Umwandlung der Natur, sondern durch hypo-
statische Einigung. Denn der nämliche war sowohl der Salbende als der Gesalbte, salbend
als Gott sich selbst als Menschen. Wie sollte also die nicht Gottesgebärerin sein, die den
fleischgewordenen Gott aus sich geboren? Fürwahr, im eigentlichen S. 222 und wahren
Sinne ist sie Gottesgebärerin und Herrin, sie gebietet über alle Geschöpfe, da sie Magd
und Mutter des Schöpfers ist. Gleichwie er aber in der Empfängnis die Empfangende jung-
fräulich erhielt, so bewahrte er auch in der Geburt ihre Jungfräulichkeit unversehrt, da er
allein durch sie hindurchging und sie verschlossen erhielt 746 . Durch Hören [erfolgte] die
Empfängnis, die Geburt durch den gewöhnlichen Ausgang der Geburten, wenn auch ei-
nige fabeln, er sei durch die Seite der Gottesmutter geboren worden. Es war ihm ja nicht
unmöglich, durch die Pforte hindurchzugehen und deren Siegel nicht zu verletzen.

Es bleibt also Jungfrau auch nach der Geburt die immerwährende Jungfrau, da sie bis
zum Tode mit keinem Manne einen Verkehr gehabt. Denn wenn auch geschrieben steht:
„Und er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn, den Erstgeborenen, gebar 747 “, so muß man
wissen, daß Erstgeborener der zuerst Geborene ist, auch wenn er Eingeborener wäre. Denn
744
Is. 66, 7.
745
Ebd. [Is.] 66, 7 nach LXX [Septuaginta].
746
Vgl. Ez. 44, 2. In dieser Schriftstelle haben bereits Ambrosius, Ep. 42, 6 (Migne, P. l. 16, 1126 A) und
Hieronymus, Dial. adv. Pelag. 2, 4 (Migne, P. l. 23, 538 BC) einen Beweis dafür gesehen, daß Maria in der
Geburt Jungfrau geblieben ist. Die wichtigsten patristischen Zeugnisse für die Jungfrauengeburt, das des
Ignatius von Antiochien, des Justin, des Irenäus, des Tertullian, des Origenes, des Athanasius, Ephräms
des Syrers, des Hieronymus, des Augustinus und des Epiphanius bespricht Steinmann, Die jungfräuliche
Geburt des Herrn, Münster 1916, S. 36—43 (b0ibl. Zeitfragen, achte Folge [S. 284—291]).
747
Matth. 1, 25.

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das „Erstgeborener“ bedeutet zuerst geboren sein, es zeigt aber gewiß nicht an, daß auch
andere [danach] geboren worden sind. Das „bis“ bezeichnet zwar den bestimmten Zeitter-
min, verneint aber nicht das darauffolgende. Es sagt nämlich der Herr: „Und siehe, ich bin
bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt 748 “, nicht als werde er nach dem Ende der Welt
sich trennen. Sagt doch der göttliche Apostel: „Und so werden wir allezeit beim Herrn sein
749
“, nach der allgemeinen Auferstehung nämlich.

S. 223 Denn wie wäre es möglich, daß sie, die Gott geboren, und aus der Erfahrung dessen,
was folgte, das Wunder erkannt, eines Mannes Umarmung zugelassen hätte? Fort damit!
Keinem keuschen Sinn ziemt es, sich solches zu denken, geschweige zu tun.

Aber diese selige, der übernatürlichen Gaben Gewürdigte erlitt diese Wehen, denen sie
bei der Geburt entging, in der Zeit des Leidens, da sie in mütterlichem Mitgefühl die Zer-
fleischung des Innern erduldete. Als sie sah, daß der, den sie durch die Geburt als Gott
erkannt, wie ein Missetäter getötet wurde, da wurde sie von den Gedanken wie von einem
Schwerte zerfleischt. Und das ist es: „Und auch deine eigene Seele wird ein Schwert durch-
dringen 750 .“ Doch den Schmerz änderte die Freude der Auferstehung, die den als Gott
verkündet, der dem Fleische nach gestorben.

XV. KAPITEL. Von der Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien.

Man muß die Heiligen als Freunde Christi, als Kinder und Erben Gottes ehren, wie der
Theologe und Evangelist Johannes sagt: „Allen aber, die ihn aufnahmen, denen gab er
Macht, Kinder Gottes zu werden 751 .“ „Daher sind sie nicht mehr Knechte, sondern Söh-
ne; wenn aber Söhne, auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi 752 .“ Auch der Herr
sagt in den heiligen Evangelien zu den Aposteln: „Ihr seid meine Freunde. Ich nenne euch
nicht mehr Knechte. Denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut 753 Wenn der Schöp-
fer und Herr aller Dinge „König der Könige, Herr der Herren 754 “ und „Gott der Götter
755
“ genannt wird, so sind gewiß auch die Heiligen Götter und Herren und Könige. S. 224
Ihr Gott und Herr und König ist und heißt Gott. Denn er sagt zu Moses: „Ich bin der Gott
Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs 756 .“ Und den Moses hat Gott zu einem
Gott über Pharao gemacht 757 . Götter aber und Könige und Herren nenne ich sie nicht von
748
Ebd. [Matth.] 28, 20.
749
1 Thess. 4, 17.
750
Luk. 2, 35.
751
Joh. 1, 12.
752
Gal. 4, 7; Röm. 8, 17.
753
Joh. 15, 14 f.
754
Off. 19, 16.
755
Deut. 10, 17 ; Ps. 49, 1 [hebr. Ps. 50, 1]; 83, 8 [hebr. Ps. 84, 8]; 135, 2 [hebr. Ps. 136, 2]; Dan. 2, 47; 11, 36.
756
Exod. 3, 6; Matth. 22, 32; Mark. 12, 26; vgl. Luk. 20, 37.
757
Exod. 7, 1.

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Natur, sondern sofern sie über die Leidenschaften geboten und herrschten und die Ähn-
lichkeit mit dem göttlichen Bilde, wonach sie ja geschaffen sind, unverfälscht bewahrten —
denn König wird auch das Bild des Königs genannt — und sofern sie dem Willen nach mit
Gott geeint waren und diesen als Gast aufnahmen und durch die Teilnahme an ihm aus
Gnade das wurden, was er selbst von Natur aus ist. Wie soll man also die nicht ehren, die
Diener und Freunde und Söhne Gottes sind? Denn „die Ehre, die man den gutgesinnten
Mitknechten erweist, ist ein Beweis der Liebe gegen den gemeinsamen Herrn 758 “.

Diese sind Schatzkammern und reine Herbergen Gottes. Denn Gott sagt: „Ich will in
ihnen wohnen und wandeln und ich werde Gott sein 759 .“ Daß „die Seelen der Gerechten
in der Hand Gottes sind und der Tod sie nicht berührt 760 , sagt die Hl. Schrift. Der Tod der
Heiligen ist ja viel mehr ein Schlaf als ein Tod. Denn sie haben sich geplagt ihr Leben lang
und werden leben ohne Ende 761 . Und: „Kostbar vor dem Herrn ist der Tod seiner Heiligen
762
Was ist nun kostbarer als in der Hand Gottes zu sein? Denn Gott ist Leben und Licht,
und die in der Hand Gottes sind, sind im Leben und Lichte.

Daß aber Gott auch in ihren* Leibern* durch den Geist gewohnt, sagt der Apostel: „Wißt
ihr nicht, daß eure Leiber ein Tempel des Hl. Geistes sind, der in S. 225 euch wohnt 763 ?“
„Der Herr aber ist Geist 764 .“ Und: „Wenn einer den Tempel Gottes vernichtet, so wird
ihn Gott vernichten 765 .“ Wie soll man also die lebendigen Gottestempel, die lebendigen
Gotteszelte nicht ehren? Diese haben sich im Leben freimütig auf Seite Gottes gestellt.

Als heilbringende Quellen gab uns der Herr Christus die Reliquien der Heiligen, die auf
mannigfache Weise die Wohltaten ausströmen, wohlriechendes Öl 766 hervorquellen. Und
niemand sei ungläubig! Denn wenn aus hartem, festem Fels in der Wüste Wasser quoll
767
, weil Gott es wollte, und aus einem Eselskinnbacken dem dürstenden Samson 768 , ist
es dann unglaublich, daß aus Märtyrerreliquien wohlriechendes Öl quelle? Keineswegs,
wenigstens für die, welche die Macht Gottes und die Ehre kennen, die den Heiligen von
ihm zuteil wird.

Im Gesetze galt jeder, der einen Toten berührte, für unrein 769 . Aber diese sind keine
Toten. Denn seitdem er, der selbst das Leben, der Grund des Lebens ist, zu den Toten ge-
758
Bas., Hom. 19 in s. quadrag. Martyr. (Migne, P. gr. 31, 508 B).
759
2 Kor. 6, 16; Lev. 26, 11 f.
760
Weish. 3, 1; vgl. Deut. 33, 3.
761
Vgl. Ps. 48, 9 f. [hebr. Ps. 49, 9 f.].
762
Ebd. [Ps.] 115, 6 [=Septuaginta = LXX] [Ps. 115, 15 nach Vulgata] [hebr. Ps. 116, 15].
763
1 Kor. 6, 19; vgl. 3, 16.
764
2 Kor. 3, 17.
765
1 Kor. 3, 17.
766
Beispiele dieser Art bei Günter, Legenden-Studien, Köln 1906, S. 63, 155, 156, 179.
767
Exod. 17, 6.
768
Richt. 15, 19.
769
Num. 19, 11.

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zählt ward, nennen wir die, die in der Hoffnung auf Auferstehung und im Glauben an ihn
entschlafen sind, nicht Tote. Denn wie kann ein toter Körper Wunder wirken? Wie also
werden durch sie Dämonen ausgetrieben, Krankheiten verscheucht, Kranke geheilt, Blin-
de sehend, Aussätzige rein, Versuchungen und Kümmernisse gehoben, wie kommt durch
sie jede gute Gabe vom Vater der Lichter auf die herab 770 , die in zuversichtlichem Glauben
bitten? Wieviel Mühe gäbest du dir, um einen Helfer zu finden, der dich einem sterblichen
König vorstellte und für dich einen Fürsprecher bei ihm machte! Sollte man nun die Für-
sprecher des ganzen Geschlechts, die für uns die Bitten Gott S. 226 darbringen, nicht ehren?
Ja gewiß, wir müssen sie ehren, wir errichten Gott Tempel auf ihre Namen, bringen Früchte
dar, feiern ihr Andenken und freuen uns dabei auf geistige Weise, damit die Freude denen
entspreche, die uns dazu laden, auf daß wir nicht, während wir ihnen zu huldigen suchen,
sie im Gegenteil erzürnen. Denn an dem, wodurch man Gott verehrt, werden sich auch
seine Verehrer erfreuen. Worüber aber Gott zürnt, darüber werden auch seine Diener zür-
nen. „In Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern 771 “, in Zerknirschung und
Barmherzigkeit mit den Dürftigen wollen wir Gläubige die Heiligen verehren. Dadurch
wird auch Gott am meisten verehrt. Denksäulen wollen wir ihnen errichten und sichtbare
Bilder und selbst lebendige Denksäulen und Bilder derselben durch die Nachahmung ihrer
Tugenden werden. Die Gottesgebärerin wollen wir ehren als Gottesmutter im eigentlichen
und wahren Sinne; den Propheten Johannes als Vorläufer und Täufer, Apostel und Märty-
rer — denn „unter den von Weibern Geborenen ist kein Größerer erstanden als Johannes
der Täufer 772 “, wie der Herr gesagt, und er ist der erste Herold des Reiches gewesen —; die
Apostel als Brüder des Herrn und Augenzeugen und Diener seiner Leiden, die Gott der
Vater „in seinem Vorherwissen auch vorherbestimmt hat, dem Bilde seines Sohnes gleich-
gestaltet zu werden 773 “, „erstens zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Hirten
und Lehrern 774 “; die aus jedem Stande erwählten Märtyrer des Herrn „als Streiter Christi
775
“, die seinen Kelch getrunken, als sie mit der Taufe des lebendigmachenden Todes sel-
ber getauft wurden, als Genossen seiner Leiden und seiner Herrlichkeit, deren Anführer
der Erzdiakon und Apostel und Erzmärtyrer Christi, Stephanus, war; unsere heiligen Väter,
die gotterfüllten Asketen, die das langwierigere und mühsamere Martyrium des Gewissens
durchgekämpft, „die in Schaf- und Ziegenfellen S. 227 umhergingen, darbend, leidend, dul-
dend, die in Einöden, in Gebirgen, in Höhlen und Klüften der Erde umherirrten, deren die
Welt nicht wert war 776 ; die endlich, die* vor* der Gnade lebten, die Propheten, Patriarchen,
Gerechten, die die Ankunft des Herrn vorherverkündet. Auf den Wandel all dieser wollen
770
Jak. 1, 17.
771
Eph. 5, 19.
772
Matth. 11, 11.
773
Röm. 8, 29.
774
1 Kor. 12, 28.
775
2 Tim. 2, 3.
776
Hebr. 11, 37.

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wir achten und ihren Glauben 777 , ihre Liebe, ihre Hoffnung, ihren Eifer, ihr Leben, ihren
Starkmut in den Leiden, ihre Ausdauer bis zum Blute nachahmen, damit wir mit ihnen
auch an den Ehrenkronen teilhaben.

XVI. KAPITEL. Von den Bildern.

Weil einige uns tadeln, da wir dem Bilde des Herrn und unserer Herrin, dann aber auch
der übrigen Heiligen und Diener Christi Ehrfurcht und Ehre erweisen, so sollen sie hören,
daß am Anfang Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat 778 . Weshalb bezeigen
wir einander Ehre? Doch nur, weil wir nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Denn „die
Ehre des Bildes geht“, wie der Gotteslehrer und Gottesgelehrte Basilius 779 sagt, „auf das Ur-
bild über“. Urbild aber ist das, dem etwas nachgebildet, von dem ein Abbild gemacht wird.
Warum betete das mosaische Volk das Zelt ringsum an 780 ? Weil es ein Abbild und Typus
der himmlischen Dinge oder vielmehr der ganzen Schöpfung war. Es sprach nämlich Gott
zu Moses: „Siehe, du sollst alles machen nach dem Vorbild, das dir auf dem Berge gezeigt
wurde 781 .“ Und die Cherubim, die den Sühnedeckel (der Bundeslade) beschatteten 782 , wa-
ren sie nicht S. 228 „Werke von Menschenhänden 783 “? Was war der berühmte Tempel in
Jerusalem? War er nicht mit Händen gemacht und durch Menschenkunst hergestellt 784 ?

Die Hl. Schrift klagt die an, welche „die Schnitzbilder anbeten 785 “, aber auch die, die „den
Dämonen opfern 786 “. Es opferten die Heiden, es opferten aber auch die Juden, freilich, die
Heiden den Dämonen, die Juden Gott. Und das Opfer der Heiden ward verworfen und
verdammt, das der Gerechten aber war Gott willkommen. Denn Noë opferte, und „Gott
roch den lieblichen Duft 787 “, er nahm den Wohlgeruch seines guten Willens und seiner
Liebe zu ihm an. So sind die Schnitzbilder der Heiden, da sie Abbilder von Dämonen waren,
verworfen und verboten worden.

Zudem, wer kann sich von dem unsichtbaren, unkörperlichen, unumschriebenen und
gestaltlosen Gott ein Abbild machen? Höchst töricht und gottlos also ist es, die Gottheit
zu gestalten (darzustellen). Daher war im Alten Testament der Gebrauch der Bilder nicht
777
Ebd. [Hebr.] 13, 7.
778
Gen. 1, 26.
779
De spir. s. c. 18 (Migne, P. gr. 32, 149 C).
780
Exod. 33, 10.
781
Ebd. [Exod.] 25, 40; Hebr. 8, 5.
782
Exod. 25, 18 ff.; Hebr. 9, 5.
783
4 Kön. 19, 18 [2 Kön. nach neuerer Zählart]; 2 Chron. 32, 19; Ps. 113, 12 [hebr. Ps. 115, 4]; 134, 15 [hebr.
Ps. 135, 15]; Is. 37, 19; Bar. 6, 50 nach der Vulgata.
784
3 Kön. 6, 1 ff. [1 Kön. nach neuerer Zählart]; 2 Chron. 3, 1 ff.; vgl. Mark. 14, 58.
785
Ps. 96, 7 [hebr. Ps. 97, 7]; 105, 19 [Ps. 106, 19]; Exod. 20, 4; Lev. 26, 1; Deut. 4, 16 ff.; 5, 8.
786
Deut. 32, 17; Bar. 4, 7.
787
Gen. 8, 21.

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üblich. Es ist aber Gott „in seinem herzlichen Erbarmen 788 “ unseres Heiles wegen wahr-
haftig Mensch geworden, nicht wie er dem Abraham in Menschengestalt erschienen ist 789 ,
auch nicht wie den Propheten, nein wesenhaft, wirklich ist er Mensch geworden, hat auf Er-
den gelebt und mit den Menschen verkehrt 790 , hat Wunder gewirkt, gelitten, ist gekreuzigt
worden, auferstanden, [in den Himmel] aufgenommen worden, und all das ist wirklich ge-
schehen und von den Menschen gesehen worden, und es ist zu unserer Erinnerung und
zur Belehrung derer, die damals nicht zugegen waren, aufgeschrieben worden, damit wir,
die es nicht gesehen, S. 229 aber gehört und geglaubt haben, der Seligpreisung des Herrn
791
teilhaftig würden. Da aber nicht alle die Buchstaben kennen und sich mit dem Lesen
beschäftigen, schien es den Vätern geraten, diese Begebenheiten wie Heldentaten in Bil-
dern darstellen zu lassen, um sich daran kurz zu erinnern. Gewiß erinnern wir uns oft, wo
wir nicht an das Leiden des Herrn denken, beim Anblick des Bildes der Kreuzigung Chris-
ti, des heilbringenden Leidens, und fallen nieder und beten an, nicht den Stoff, sondern
den Abgebildeten, gleichwie wir auch nicht den Stoff des Evangeliums und den Stoff des
Kreuzes, sondern das dadurch Ausgedrückte anbeten. Denn was ist für ein Unterschied
zwischen einem Kreuz, das das Bild des Herrn nicht hat, und dem, das es hat? So ist es
auch mit der Gottesmutter. Denn die Verehrung, die man ihr erweist, bezieht sich auf den,
der aus ihr Fleisch geworden. Ebenso spornen uns auch die Heldentaten der heiligen Män-
ner zur Mannhaftigkeit, zum Eifer, zur Nachahmung ihrer Tugend und zum Preise Gottes
an. Denn, wie gesagt, „die Ehre, die wir den Edelgesinnten unserer Mitknechte erweisen,
ist ein Beweis der Liebe gegen den gemeinsamen Herrn 792 “, und „die Ehre des Bildes geht
auf das Urbild über 793 “. Es ist dies jedoch eine ungeschriebene Überlieferung wie auch die
Anbetung gegen Aufgang und die Verehrung des Kreuzes und sehr viel anderes derglei-
chen.

Man erzählt aber auch eine Geschichte: Als Abgar, König von Edessa, einen Maler ab-
sandte, um ein Bildnis des Herrn zu machen, und der Maler es wegen des strahlenden
Glanzes seines Antlitzes nicht vermochte, habe der Herr selbst sein Oberkleid auf sein gött-
liches, lebenspendendes Antlitz gelegt und sein Bild im Kleide abgeprägt und es so dem
danach verlangenden Abgar geschickt 794 .
788
Luk. 1, 78.
789
Gen. 18, 1 ff.
790
Bar. 3, 38.
791
Joh. 20, 29.
792
Bas., Hom. 19 in s. quadrag. Martyr. ([Migne] P. gr. 31, 508 B).
793
Bas., De spir. s. c. 18 (Migne. P. gr. 32, 149 C).
794
Diese Legende von dem zu Edessa aufbewahrten Bildnis Christi (Edessenum oder Abgarbild), das Abgar
V. Ukkama (der Schwarze) von Edessa (4 v.—7 n. Chr. und wieder 13 — 50 n. Chr., nachdem er eine
Zeitlang vor seinem Bruder Ma’anu IV. hatte flüchten müssen) von Christus selbst erhalten haben soll, ist
390/430 entstanden. Das Bild, das auf faltigem Tuch den Christuskopf zeigt, kam 944 nach Konstantinopel
(später das heilige Mandylion genannt), verschwand aber nach Eroberung der Stadt 1204. In der Folgezeit

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S. 230 Daß aber die Apostel auch sehr vieles ungeschrieben überliefert haben, schreibt der
Völkerapostel Paulus: „So stehet denn fest, Brüder, und haltet an unsern Überlieferungen
fest, die ihr gelernt habt, sei es durch mündliche Rede, sei es durch einen Brief von uns 795 .“
Und an die Korinther: „Ich lobe euch aber, Brüder, daß ihr in allem meiner eingedenk seid
und an den Überlieferungen, wie ich sie euch überliefert habe, festhaltet 796 .“

XVII. KAPITEL. Von der Schrift.

Einer ist Gott, er, der sowohl vom Alten wie vom Neuen Testament 797 verkündet, der in
Dreiheit (� in drei Personen) besungen und gepriesen wird. Denn der Herr sprach: „Ich bin
nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern zu erfüllen 798 .“ Er selbst wirkte ja unser
Heil, um dessentwillen jegliche Schrift und jegliches Mysterium da ist. Und wiederum: „Ihr
durchforschet die Schriften, denn die sind es, die über mich Zeugnis ablegen 799 .“ Und der
Apostel sagt: „Zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise hat Gott vor alters S.
231 zu unseren Vätern geredet durch die Propheten. Am Ende dieser Tage sprach er zu uns
in seinem Sohne 800 .“ Durch den Hl. Geist also haben „das Gesetz und die Propheten 801 “,
die Evangelisten und Apostel, Hirten und Lehrer geredet.

Demnach „ist“ sicherlich „jede von Gott eingegebene Schrift auch nützlich 802 “. Daher ist
es sehr gut und heilsam, die göttlichen Schriften zu durchforschen. Denn „wie ein Baum,
der neben Wasserläufe gepflanzt ist 803 “, so wird auch die Seele genährt, die von der göttli-
chen Schrift bewässert wird, und „sie bringt Frucht zu ihrer Zeit 804 “, den rechten Glauben,
und prangt in immergrünen Blättern, den gottgefälligen Werken. Denn zu tugendhaftem
Handeln und ungetrübtem Betrachten werden wir durch die heiligen Schriften angeleitet.
In diesen finden wir ja Ermahnung zu jeder Tugend und Warnung vor allem Schlechten.
Sind wir also lernbegierig, so werden wir auch viel lernen. Durch Fleiß und Mühe und
die Gnade des gebenden Gottes kommt ja alles zustande. Denn „wer bittet, empfängt, und
stritten sich um seinen Besitz Rom, Genua (14. Jahrh.) und mit mehr Recht die Sainte Chapelle zu Paris,
wohin 1247 der byzantinische Reliquienschatz gewandert war. Siehe Dobschütz, Christusbilder in Texte
und Untersuchungen, hrsg. von A. Harnack, 1899, 102—196.
795
2 Thess. 2, 15.
796
1 Kor. 11, 2.
797
Cyr. Hieros., Catech. 4, 33: De divinis scripturis (Migne, P. gr. 33, 496 A) sagt: „Einer ist der Gott der zwei
Testamente.“ Hier liegt eine Polemik gegen die Gnostiker, die behaupteten, im Alten Testament herrsche
der gerechte Gott, im Neuen der gnädige. Dagegen wendet sich bereits Irenäus, Adv. haer. IV, 9, 1: „Beide
Testamente hat ein und derselbe Hausvater hervorgebracht.“
798
Matth. 5, 17. Diese Schriftstelle führt auch Cyrill (l. c.) an.
799
Joh. 5, 39.
800
Hebr. 1, 1 f.
801
Matth. 7, 12; 11, 13; Luk. 16, 16; Apg. 24, 14; 28, 23; Röm. 3, 21.
802
2 Tim. 3, 16.
803
Ps. 1, 3 [hebr. Ps. 1, 3].
804
Ebd. [Ps. 1, 3 [hebr. Ps. 1, 3].

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wer sucht, findet, und wer anklopft, dem wird aufgetan 805 “. Klopfen wir also an dem so
herrlichen Paradiese der Schriften an, dem duftigen, dem so lieblichen, dem so frucht-
prangenden, das mit mannigfachen Liedern der geistigen, gottvollen Vögel unsere Ohren
umtönt, das unser Herz berührt, in der Trauer tröstet, im Zorne besänftigt und mit ewi-
ger Freude erfüllt, das unser Denken auf den goldstrahlenden, hellglänzenden Rücken der
göttlichen Taube erhebt 806 und durch deren hellleuchtende Flügel hin zum eingeborenen
Sohn und Erben des Pflanzers des geistigen Weinstocks 807 trägt und durch ihn zum „Va-
ter der Lichter 808 “ bringt. Aber nicht nachlässig, sondern inständig und anhaltend wollen
wir anklopfen. Wir wollen unermüdlich anklopfen. Denn nur so wird uns aufgetan wer-
den. Wenn wir S. 232 ein- und zweimal lesen und nicht verstehen, was wir lesen, so wollen
wir gleichwohl nicht ermüden, sondern anhalten, nachsinnen, fragen. Es heißt ja: „Frage
deinen Vater, und er wird es dir kundtun; deine Vorfahren, und sie werden es dir sagen
809
.“ Denn nicht allen ist die Erkenntnis eigen 810 . Schöpfen wir aus der Paradiesesquelle
unversieglicher, reinster Wasser, die ins ewige Leben strömen 811 . Ergötzen wir uns dar-
an, schwelgen wir darin unersättlich. Denn sie enthalten die Gnade kostenlos. Sollten wir
auch von den „Außenstehenden 812 “ (� von den heidnischen Schriftstellern) etwas Nützli-
ches gewinnen können, so steht dem nichts im Wege. Werden wir bewährte Wechsler 813 ,
die das echte und reine Gold aufhäufen, das unechte aber zurückweisen. Nehmen wir gute
Lehren an 814 , lächerliche Götter aber und alberne Fabeln laßt uns den Hunden hinwerfen.
Denn aus ihnen (� den guten Lehren) können wir wohl sehr große Kraft gegen letztere
holen.

Man muß wissen, daß das Alte Testament zweiundzwanzig Bücher hat, entsprechend
den Buchstaben der hebräischen Sprache. Sie (� die Hebräer) haben nämlich zweiund-
zwanzig Buchstaben, von denen fünf verdoppelt werden, so daß sich siebenundzwanzig
ergeben. Doppelt 815 nämlich sind das Kaph, das Mem, das Nun, das Pe und das Zade. Da-
her zählt man auch auf diese Weise zweiundzwanzig Bücher, siebenundzwanzig aber findet
man, weil fünf von ihnen Doppelbücher sind. Es wird nämlich Ruth mit Richter verbunden
und bei den Hebräern als* ein* Buch gezählt. Das erste und zweite [Buch] der Könige ist*
805
Luk. 11, 10.
806
Vgl. Ps. 67, 14 [hebr. Ps. 68, 14].
807
Vgl. Matth. 21, 38.
808
Jak. 1, 17.
809
Deut. 32, 7; vgl. Job 8, 8.
810
1 Kor. 8, 7.
811
Joh. 4, 14.
812
1 Tim. 3, 7.
813
„Werdet bewährte Wechsler“, ein von Klemens von Alexandrien (Strom. I, 28, 177) überliefertes Jesuswort,
das den Stempel der Echtheit trägt. Siehe Uckeley, Worte Jesu, die nicht in der Bibel stehen, Lichterfelde-
Berlin 1911, S. 25 (b0ibl. Zeit- und Streitfragen VII, 117).
814
Vgl. Matth. 13, 20; Mark. 4, 16.
815
D. h. fünf Buchstaben haben am Ende eines Wortes eine andere Figur.

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ein* Buch, das dritte und S. 233 vierte [Buch] der Könige* ein* Buch, das erste und zweite
[Buch] Paralipomenon* ein* Buch, das erste und zweite [Buch] Esdras* ein* Buch. So lie-
gen denn die Bücher in vier Pentateuchen (� Fünfbüchern) vor, zwei bleiben noch übrig,
so daß die [in den Kanon] aufgenommenen Bücher folgende sind: Fünf gesetzliche: Ge-
nesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium. Das ist der erste Pentateuch, der auch
Gesetzgebung heißt. Den anderen Pentateuch sodann bilden die sogenannten Grapheia
(� Schriften � Geschichtsbücher), von einigen Hagiographa genannt. Diese sind: Jesus, der
Sohn Naves 816 , Richter mit Ruth, Könige, erstes und zweites [Buch der Könige]* ein* Buch,
drittes und viertes [Buch der Könige]* ein* Buch, und die zwei [Bücher] Paralipomenon*
ein* Buch. Das ist der zweite Pentateuch. Den dritten Pentateuch bilden die Versbücher (�
poetischen Bücher): Job, der Psalter, die Sprüche Salomons, sein Prediger und sein Hohes
Lied. Der vierte Pentateuch ist der prophetische: Die zwölf Propheten* ein* Buch, Isaias,
Jeremias, Ezechiel, Daniel, dann die zu* einem* Buch vereinigten zwei Bücher Esdras und
Esther. Das Tugendbuch (Panaretos), d. i. die Weisheit Salomons und die Weisheit Jesu,
die der Vater des Sirach hebräisch herausgab und dessen Enkel Jesus, des Sirachs Sohn, ins
Griechische übersetzte — sie sind zwar trefflich und gut, werden aber nicht gezählt und
lagen auch nicht in der Bundeslade.

[Die Bücher] des Neuen Testamentes aber sind: Die vier Evangelien nach Matthäus, nach
Markus, nach Lukas, nach Johannes; die Taten der heiligen Apostel (Apostelgeschichte)
vom Evangelisten Lukas; sieben katholische Briefe: einer von Jakobus, zwei von Petrus,
drei von Johannes, einer von Judas; vierzehn Briefe vom Apostel Paulus; die Apokalypse
des Evangelisten Johannes; die Kanones der heiligen Apostel von Klemens 817 .

XVIII. KAPITEL. Von den Aussagen über Christus.

S. 234 Von den Aussagen über Christus 818 gibt es vier Gattungsweisen. Die einen kommen
ihm schon vor der Menschwerdung zu, die andern in der Einigung, die andern nach der
Einigung, die andern nach der Auferstehung. Von denen vor der Menschwerdung gibt es
sechs Weisen. Die einen davon bezeichnen die Einheit der Natur und die Wesensgleichheit
mit dem Vater, wie: „Ich und der Vater sind eins 819 “, und: „Wer mich gesehen hat, hat
den Vater gesehen 820 “, und: „Er, der in Gottes Gestalt sich befand 821 “ u. dgl. Die andern
[bezeichnen] die Vollkommenheit der Hypostase, wie: „Sohn Gottes 822 “, und: „Abdruck
816
D. i. das Buch Josue.
817
Die 85 apostolischen Kanones, die einen Anhang zu den zu Ende des 4. oder zu Anfang des 5. Jahrhunderts
in Syrien entstandenen apostolischen Konstitutionen bilden, wurden vom Trullanum (692) den heiligen
Schriften beigefügt.
818
Vgl. zum folgenden Greg. Naz., Or. 30, 1—16 (Migne, P. gr. 36, 104 C - 125 A).
819
Joh. 10, 30.
820
Ebd. [Joh.] 14, 9.
821
Phil. 2, 6.
822
Matth. 4, 3. 6; 8, 29; 14, 33; 16, 16; 26, 63; 27, 40. 54; Mark. 3, 12; 5, 7; 15, 39; Luk. 1, 35; 4, 3. 9. 41; 8, 28;

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seines Wesens 823 “, und: „Engel des guten Rates, Wunderbarer, Ratgeber 824 “ und ähnliche
[Aussagen].

Andere [bezeichnen] das Ineinandersein der Hypostasen, wie: „Ich im Vater und der Va-
ter in mir 825 “, und ihre unzertrennliche Verbindung, wie: „Wort 826 “, „Weisheit 827 “, „Macht
828
“, „Abglanz 829 “. Denn das Wort — ich meine das wesenhafte Wort — haftet untrennbar
im Verstande und ebenso die Weisheit, und im Mächtigen die Macht und im Lichte der
Abglanz, aus ihnen quellend 830 .

S. 235 Andere [bezeichnen] das Begründetsein im Vater, wie: „Der Vater ist größer als ich
831
“. Aus ihm hat er (Christus) ja das Sein und alles, was er hat: das Sein durch Zeugung und
nicht durch Schöpfung. Daher sein Wort: „Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen
832
“, und: „Ich lebe durch den Vater 833 .“ Alles, was er hat, hat er nicht durch Mitteilung
oder Belehrung, sondern aus ihm (� dem Vater) als seinem Prinzip. So sagt er: „Der Sohn
kann nichts aus sich selbst tun, wenn er es nicht den Vater hat tun sehen 834 .“ Denn ist der
Vater nicht, so ist auch der Sohn nicht. Der Sohn ist ja aus dem Vater und im Vater und
zugleich mit dem Vater und nicht nach dem Vater. Ebenso tut er auch, was er tut, aus ihm
und mit ihm. Denn einer und derselbe, nicht ähnlich, nein, derselbe ist der Wille und die
Wirksamkeit und die Macht des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes.

Andere [bezeichnen] die Erfüllung des väterlichen Willens durch seine Wirksamkeit. Sie
ist nicht die eines Werkzeuges oder eines Knechtes, sondern die seines wesenhaften und
subsistierenden Wortes, seiner Weisheit und Macht, weil sich die Bewegung (Tätigkeit) im
Vater und Sohn als* eine* darstellt. So die Stelle: Älles ist durch dasselbe (� das Wort) ge-
worden 835 “, und die: „Er sandte sein Wort und heilte sie 836 “, und die: „Damit sie erkennen,
daß du mich gesandt hast 837 .“
Joh. 9, 35; 10, 36; 11, 27; Röm. 1, 4; 2 Kor. 1, 19; Gal. 2, 20; Eph. 4, 13.
823
Hebr. 1, 3.
824
Is. 9, 6 nach LXX [Septuaginta].
825
Joh. 14, 10.
826
Ebd. [Joh.] 1, 1. 14.
827
1 Kor. 1, 24.
828
Ebd. [1 Kor. 1, 24].
829
Hebr. 1, 3.
830
Cf. Cyr. Alex., Thesaurus, assert. 12 (Migne, P. gr. 75, 184 A—B): „Wie die Sonne in ihrem Abglanz ist,
der aus ihr hervorgegangen, und der Abglanz in der Sonne, von der er ja ausgegangen, so ist der Vater im
Sohne und der Sohn im Vater.“
831
Joh. 14, 28. Greg. Naz., Or. 30, 7 (Migne, P. gr. 36, 112 C—113 A).
832
Joh. 16, 28.
833
Ebd. [Joh.] 6, 57 (griechischer Text), 6, 58 (Vulgata).
834
Ebd. [Joh.] 5, 19.
835
Ebd. [Joh.] 1, 3.
836
Ps. 106, 20 [hebr. Ps. 107, 20].
837
Joh. 11, 42.

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Andere [Aussagen] werden* prophetisch* gemacht. Von diesen gehen die einen auf die
Zukunft, wie: „Er wird sichtbar kommen 838 “, und das Wort des Zacharias: „Siehe, dein
König kommt zu dir 839 “, und der S. 236 Ausspruch des Michäas: „Siehe, der Herr zieht aus
von seiner Stätte und er wird herabsteigen und über die Höhen der Erde dahinschreiten
840
“. Die andern [von den prophetischen Aussagen] gehen zwar auf die Zukunft, werden
jedoch gemacht, als bezögen sie sich auf die Vergangenheit, wie die Stelle: „Dieser ist unser
Gott . . . Danach ist er auf Erden erschienen und unter den Menschen gewandelt 841 “, und
die: „Der Herr schuf mich als Anfang seiner Wege zu seinen Werken 842 “, und die: „Darum
hat dich Gott, dein Gott, mit dem Öl der Freude vor deinen Genossen gesalbt 843 “ u. dgl.

Die Aussagen vor der Einigung werden auch nach der Einigung von ihm gelten, die nach
der Einigung aber keineswegs vor der Einigung, außer, wie gesagt, prophetisch. Von den
Aussagen in der Einigung gibt es dreierlei Weisen. Reden wir von dem Höheren, so sa-
gen wir Vergottung, Wortwerdung* (λὀγωσις)* [logōsis], Erhöhung des Fleisches u. dgl.
Dadurch zeigen wir die Bereicherung an, die dem Fleische aus seiner Einigung und Ver-
bindung mit dem höchsten Gott, dem Worte, erwachsen ist. [Reden wir] aber von dem
Geringeren, so sagen wir Fleischwerdung, Menschwerdung, Entäußerung, Armut, Ernied-
rigung des Gott-Logos. Denn dieses und dergleichen wird infolge der Verbindung mit dem
Menschlichen von dem Worte und Gott ausgesagt. [Reden wir] aber von beiden (� dem
Höheren und dem Geringeren) zugleich, so sagen wir Einigung, Gemeinschaft, Salbung,
Verwachsung, Verbindung u. dgl. Wegen dieser dritten Weise also werden die beiden vorge-
nannten Weisen ausgesagt. Durch die Vereinigung wird nämlich angegeben, was ein jedes
von beiden aus der Verbindung und dem Ineinandersein mit dem zugleich mit ihm Be-
stehenden erhalten hat. Denn wegen der hypostatischen Einigung wird vom Fleische ge-
sagt, es sei vergottet, Gott geworden und zugleich Gott wie das Wort, und vom Gott-Logos,
er sei Fleisch und S. 237 Mensch geworden, er heißt Geschöpf und nennt sich „den Letzten
844
“, nicht als hätten sich die zwei Naturen in* eine* zusammengesetzte Natur verwandelt
— denn es ist unmöglich, daß die natürlichen Gegensätze in* einer* Natur zugleich sind
—, sondern weil die zwei Naturen hypostatisch geeint und ohne Vermischung und Ver-
wandlung ineinander sind. Die Durchdringung (Perichorese) erfolgte nicht von Seiten des
Fleisches, sondern von seiten der Gottheit. Denn unmöglich kann das Fleisch die Gottheit
durchdringen. Nein, die göttliche Natur, die einmal das Fleisch durchdrang, verlieh auch
dem Fleische die unaussprechliche Durchdringung mit ihr, die wir eben Einigung nennen.
838
Ps. 49, 3 [hebr. Ps. 50, 3].
839
Zach. 9, 9.
840
Mich. 1, 3.
841
Bar. 3, 36. 38.
842
Spr. 8, 22.
843
Ps. 44, 8 [hebr. 45, 8].
844
Off. 1, 17; 22, 13; vgl. Is. 41, 4; 44, 6; 48, 12.

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Man muß wissen, daß bei der ersten und zweiten Weise der Aussagen in der Einigung
die Wechselseitigkeit ins Auge gefaßt wird. Denn reden wir vom Fleische, so sagen wir Ver-
gottung, Wortwerdung, Erhöhung, Salbung. Das geht zwar von der Gottheit aus, wird aber
am Fleische geschaut. [Reden wir] jedoch vom Worte, so sagen wir Entäußerung, Fleisch-
werdung, Menschwerdung, Erniedrigung u. dgl. Das geht zwar, wie bemerkt, vom Fleische
aus, wird aber von dem Worte und Gott ausgesagt. Denn er selbst nahm dieses freiwillig
auf sich.

Von den Aussagen* nach* der Einigung gibt es drei Weisen. Die erste zeigt die göttliche
Natur an, wie: „Ich im Vater und der Vater in mir 845 “, und: „Ich und der Vater sind eins
846
.“ Alles, was vor der Menschwerdung von ihm ausgesagt wird, das wird auch nach der
Menschwerdung von ihm ausgesagt werden, nur das nicht, daß er nicht Fleisch und dessen
natürliche Eigenschaften angenommen habe.

Die zweite [Weise zeigt] die menschliche [Natur] an, wie das Wort: „Was sucht ihr mich
zu töten, einen Menschen, der die Wahrheit zu euch gesprochen 847 ?“, und das: „So muß
der Menschensohn erhöht werden 848 “ u. dgl.

S. 238 Von dem, was auf* menschliche* Art von Christus, dem Heiland, ausgesagt wird
und geschrieben steht, seien es Worte oder Taten, gibt es sechs Weisen. Einiges davon ist
gemäß der Heilsordnung auf natürliche Weise erfolgt und gesagt, wie die Geburt aus der
Jungfrau, das Wachstum und die Zunahme an Alter 849 , der Hunger, der Durst, die Er-
müdung, das Weinen, der Schlaf, die Durchbohrung mit den Nägeln, der Tod und alles
dergleichen, was natürliche und untadelhafte Leiden sind. In all diesem besteht eine Ver-
bindung des Göttlichen mit dem Menschlichen, mag man auch des Glaubens sein, daß es
in Wirklichkeit dem Leibe angehört. Denn das Göttliche erleidet hiervon nichts, aber es
besorgt dadurch unser Heil.

Einiges [ist] verstellungsweise [geschehen und gesagt], wie die Frage: „Wo habt ihr den
Lazarus hingelegt 850 ?“, sein Hingehen zum Feigenbaum 851 , sein Sichverbergen oder Sich-
zurückziehen 852 , sein Gebet 853 , das: „Er stellte sich, als wollte er weitergehen 854 .“ Denn
dieses und Ähnliches hatte er weder als Gott noch als Mensch nötig, sondern er nahm
nach menschlicher Art eine Haltung an, wie sie das Bedürfnis und der Nutzen erheischte.
845
Joh. 14, 29.
846
Ebd. [Joh.] 10, 30.
847
Ebd. [Joh.] 7, 19; 8, 40.
848
Ebd. [Joh.] 3, 14.
849
Vgl. Luk. 2, 52.
850
Joh. 11, 34.
851
Matth. 21, 19; Mark. 11, 13.
852
Matth. 12, 15; 14, 13; Mark. 1, 35; Joh. 6, 15.
853
Joh. 11, 41.
854
Luk. 24, 28.

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So betete er, um zu zeigen, daß er kein Gottesfeind sei, da er ja den Vater als sein Prinzip
ehrte. Er fragte nicht aus Unwissenheit, sondern um neben dem Gottsein das wirkliche
Menschsein zu zeigen. Er zog sich zurück, um zu lehren, nicht vorschnell zu handeln und
sich nicht selbst preiszugeben.

Einiges [ist] aneignungs- und übernahmsweise [gesagt], wie: „Mein Gott, mein Gott, war-
um hast du mich verlassen 855 ?“, und: „Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur
Sünde gemacht 856 “, und: „Der für uns zum Fluche geworden 857 “, und: „Der Sohn selbst
wird dem unterworfen werden, der ihm alles unterworfen hat 858 .“ S. 239 Denn weder als
Gott noch als Mensch ward er je vom Vater verlassen, er ist weder Sünde noch Fluch gewor-
den, noch braucht er sich dem Vater zu unterwerfen. Sofern er Gott ist, ist er dem Vater
gleich und weder entgegengesetzt noch unterworfen. Sofern er aber Mensch ist, war er
dem Erzeuger nie ungehorsam, um eine Unterwerfung zu brauchen. Sofern er sich* unse-
re* Person aneignete und sich mit uns zusammenstellte, sagte er dieses. Denn* wir* waren
die der Sünde und dem Fluche Verfallenen,* wir* waren ja widerspenstig und ungehorsam
und darum verlassen 859 .

Manches ist auf Grund der gedanklichen Trennung (Abstraktion) [gesagt]. Denn wenn
du das in der Wirklichkeit Untrennbare in Gedanken trennst, nämlich das Fleisch vom
Worte, so heißt er auch Knecht 860 und unwissend 861 . Er hatte ja die knechtische und
unwissende Natur. Denn wäre das Fleisch nicht mit dem Gott-Logos geeint, so wäre es
knechtisch und unwissend. Allein wegen der hypostatischen Einigung mit dem Gott-Logos
war es weder knechtisch noch unwissend. In diesem Sinne nannte er auch den Vater seinen
Gott.

Manches [ist gesagt] wegen der Offenbarung und Beglaubigung uns gegenüber, wie: „Va-
ter, verherrliche du mich mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war 862 .“
Denn er selbst war und ist verherrlicht, aber uns gegenüber war seine Herrlichkeit nicht
geoffenbart und beglaubigt. Und der Ausspruch des Apostels: „Der zum Sohne Gottes be-
stimmt ward in Kraft [Gottes] nach dem Geiste der Heiligung durch die Auferstehung von
den Toten 863 .“ Denn durch die Wunder und die Auferstehung und die Herabkunft des
Hl. Geistes ward der Welt geoffenbart und beglaubigt, daß er der Sohn Gottes ist. Und die
855
Matth. 27, 46.
856
2 Kor. 5, 21.
857
Gal. 3, 13.
858
1 Kor. 15, 28.
859
Vgl. zu diesem Abschnitt Greg. Naz., Or. 30, 5 (Migne, P. gr. 36, 108 CD—109 AB).
860
Vgl. Is. 49, 6. Greg. Naz., Or. 30, 3 (Migne, P. gr. 36, 105 C).
861
Mark. 13, 32. Greg. Naz., Or. 30, 15 (Migne, P. gr. 36, 124 AB).
862
Joh. 17, 5.
863
Röm. 1, 4.

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Stelle: „Er nahm zu an Weisheit und Gnade 864 .“

S. 240 Manches [ist gesagt] mit Rücksicht auf die Aneignung der Person der Juden, in-
sofern er sich zu den Juden zählte. So sagt er zur Samariterin: „Ihr betet an, was ihr nicht
kennt, wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden 865 .“

Die dritte Weise zeigt die* eine* Hypostase an und stellt beides (� die beiden Naturen)
zusammen dar, wie z. B.: „Ich lebe durch den Vater, und wer mich ißt, der wird leben
durch mich 866 “, und: „Ich gehe zum Vater, und ihr sehet mich nicht mehr 867 “, und: „Sie
hätten den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt 868 “, und: „Niemand ist in den Himmel
aufgestiegen als nur der eine, der vom Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn, der
im Himmel ist 869 “ u. dgl.

Von den Aussagen nach der Auferstehung sind die einen* Gott* angemessen, wie: „Taufet
sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes 870 “, des Sohnes natürlich
als Gott, und: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt 871 “ u. dgl. Denn als
Gott ist er bei uns. Die andern [Aussagen] aber sind dem* Menschen* angemessen, wie:
„Sie umfaßten seine Füße 872 “, und: „Dort werden sie mich sehen 873 “ u. dgl.

Von den dem* Menschen* angemessenen [Aussagen] nach der Auferstehung gibt es ver-
schiedene Weisen. Einiges [geschah] wirklich, aber nicht auf natürliche Weise, sondern ge-
mäß der Heilsordnung zur Beglaubigung, daß derselbe Leib, der litt, auch auferstand, wie
die Wundmale 874 , das Essen 875 und das Trinken nach der Auferstehung. Anderes aber
[geschah] S. 241 wirklich und natürlich, wie das mühelose Übergehen von einem Ort zum
andern und das Eintreten durch die verschlossenen Türen 876 . Anderes [geschah] durch
Verstellung, wie: „Er stellte sich an, als wollte er weitergehen 877 .“ Einiges gilt von beiden
[Naturen] zusammen, wie das Wort: „Ich steige hinauf zu meinem Vater und eurem Vater,
zu meinem Gott und eurem Gott 878 “, und das: „Einziehen wird der König der Herrlichkeit
864
Luk. 2, 52.
865
Joh. 4, 22.
866
Ebd. [Joh.] 6, 57 (griechischer Text); 6, 58 (Vulgata).
867
Ebd. 16, 10. 16.
868
1 Kor. 2, 8.
869
Joh. 3, 13.
870
Matth. 28, 19.
871
Ebd. [Matth.] 28, 20.
872
Ebd. [Matth.] 28, 9.
873
Ebd. [Matth.] 28, 10.
874
Vgl. Joh. 20, 27.
875
Luk. 24, 43; vgl. Joh. 21, 5.
876
Joh. 20, 19.
877
Luk. 24, 28.
878
Joh. 20, 17.

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879
“, und das: „Er setzte sich zur Rechten der Majestät in der Höhe 880 .“ Anderes endlich
[wird] von ihm, der sich ja gleichsam mit uns zusammenstellt, in Weise einer rein gedank-
lichen Trennung [ausgesagt], wie: „Meinem Gott und eurem Gott 881 .“

Man muß also das Erhabene der göttlichen, über Leiden und Körperlichkeit erhabenen
Natur zuteilen, das Niedrige dagegen der menschlichen, das Gemeinsame aber dem Zu-
sammengesetzten, d. h. dem* einen* Christus, der Gott und Mensch ist, und man muß
wissen, daß beides einem und demselben Jesus Christus, unserm Herrn, zukomme. Denn
wenn wir das Eigentümliche eines jeden erkennen und einsehen, daß beides (� Erhabenes
und Niedriges) von* einem* vollbracht wird, so werden wir recht glauben und nicht irren.
Aus all dem erkennt man den Unterschied der geeinten Naturen, und daß Gottheit und
Menschheit in natürlicher Beschaffenheit nicht dasselbe sind, wie der so göttliche Cyrillus
sagt: „Einer fürwahr ist Sohn und Christus und Herr 882 .“ Und da er einer ist, so ist auch
seine Person* eine,* denn infolge der Anerkennung des Unterschieds der S. 242 Naturen
wird in keiner Weise die hypostatische Einheit geteilt.

XIX. KAPITEL. Gott ist nicht Urheber der Übel.


883
Man muß wissen, daß die göttliche Schrift die Zulassung Gottes dessen Wirksamkeit
zu nennen pflegt. So, wenn der Apostel im Briefe an die Römer sagt: „Oder hat nicht der
Töpfer Gewalt über den Ton, um aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das ande-
re aber zur Unehre zu machen 884 ?“ Denn* er* macht sowohl dies wie das, nur er ist der
Schöpfer aller Dinge. Aber nicht er selbst macht geehrte oder ungeehrte [Gefäße], sondern
der eigene Wille eines jeden. Das erhellt aus dem, was derselbe Apostel im zweiten Briefe
an Timotheus sagt: „In einem großen Hause gibt es nicht nur goldene und silberne Gefä-
ße, sondern auch hölzerne und irdene; die einen zur Ehre, die andern zur Unehre. Wenn
sich nun jemand von diesen (letzteren) rein hält, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, ge-
heiligt, brauchbar für den Herrn, zu jedem guten Werke bereit 885 .“ Offenbar geschieht die
Reinhaltung freiwillig, denn er sagt: „Wenn jemand sich rein hält.“ Der folgerichtige Ge-
gensatz dazu lautet: Wenn jemand sich nicht rein hält, wird er ein Gefäß zur Unehre sein,
unbrauchbar für den Herrn, wert, zerbrochen zu werden. Der vorliegende Ausspruch al-
so, ferner die Stelle: „Gott hat sie alle unter den Ungehorsam beschlossen (gebracht) 886 “,
ebenso die: „Gott gab ihnen den Geist der Betäubung, Augen, mit denen sie nicht sehen,
879
Ps. 23, 7. 9 [hebr. Ps. 24, 7. 9].
880
Hebr.1, 3.
881
Joh. 20, 17. Vgl. Greg. Naz., Or. 30, 8 (Migne, P. gr. 36, 113 AB).
882
Vgl. Cyr. Alex., Ep. 4 (Migne, P. gr. 77, 45 C). Doctr. Patr. de incarn. Verb. p. 34, V. Cyr. Alex., Ep. 45 (Migne,
P. gr. 77, 233 A). Doctr. Patr. p. 170, 6. Cyr. Alex., Ep. 50 (Migne, P. gr. 77, 257 B). Doctr. Patr. 212, 26.
883
Gegen die Gnostiker und Manichäer.
884
Röm. 9, 21.
885
2 Tim. 2, 20 f.
886
Röm. 11, 32.

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und Ohren, mit denen sie nicht hören 887 “ — dies alles ist nicht im Sinne von göttlicher
Wirksamkeit, sondern im Sinne von göttlicher Zulassung zu nehmen, weil der Wille frei
und das Gute ohne Zwang ist.

S. 243 Die göttliche Schrift pflegt also seine Zulassung als sein Wirken und Tun zu be-
zeichnen. Ja, auch wenn sie sagt, „Gott schaffe Übles 888 “, und es gebe in einer Stadt kein
Übel, das nicht der Herr gemacht 889 , stellt sie Gott nicht als Urheber der Übel hin, son-
dern [sagt so], weil der Name Übel zweideutig ist, zweierlei ausdrückt. Bisweilen bedeutet
er nämlich das durch seine Natur Schlechte, was der Tugend und dem Willen Gottes ent-
gegen ist, bisweilen das für unser Empfinden Schlimme und Lästige, d. i. die Trübsale und
Mißgeschicke. Diese sind zwar scheinbar schlimm, da sie schmerzlich sind, in Wirklich-
keit aber gut. Denn sie gereichen den Einsichtigen zur Bekehrung und Rettung. Diese, sagt
die Schrift, geschehen durch Gott.

Man muß jedoch wissen, daß auch an diesen* wir* schuld sind. Denn aus den freiwilligen
Übeln entspringen die unfreiwilligen.

Auch das muß man wissen, daß die Schrift manches, was ausgangsweise gesagt werden
sollte, ursachsweise auszudrücken pflegt. So an der Stelle: „Gegen dich allein habe ich ge-
sündigt und Böses vor dir getan, damit du gerecht erscheinst in deinen Worten und siegest,
wenn man dich richtet 890 .“ Denn der, der gesündigt, hat nicht deshalb gesündigt, damit
Gott siege, noch bedurfte Gott unserer Sünde, um dadurch als Sieger zu erscheinen — denn
er trägt in unvergleichlicher Weise über alle, auch über die, die nicht sündigen, den Sieg
davon, weil er Schöpfer ist und unerfaßbar und ungeschaffen, und die natürliche Herr-
lichkeit, nicht eine erworbene hat —, nein, weil er, wenn wir sündigen, nicht ungerecht
ist, sofern er zürnt, und verzeiht, wenn wir uns bekehren, deshalb zeigt er sich als Sieger
über unsere Bosheit. Aber nicht zu diesem Zwecke sündigen wir, sondern die Sache geht
eben so aus. Z. B.: Es sitzt jemand an der Arbeit, und ein Freund kommt dazu. Da sagt er:
Damit ich heute nichts arbeite, ist der Freund gekommen. Doch der Freund ist nicht ge-
kommen, damit S. 244 er nichts arbeite, sondern es ist eben so geschehen. Weil er mit dem
Empfang des Freundes beschäftigt ist, arbeitet er nicht. Es wird auch dieses ausgangsweise
gesagt, weil die Dinge einen solchen Ausgang nehmen. Gott will aber nicht allein gerecht
sein, sondern [er will], daß alle ihm möglichst ähnlich werden.
887
Ebd. [Röm.] 11, 8; Is. 6, 10; 29, 10.
888
Is. 45, 7.
889
Amos 3, 6.
890
Ps. 50, 6 [hebr. Ps. 51, 6].

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XX. KAPITEL. Es gibt nicht zwei Prinzipe.


891
Daß es nicht zwei Prinzipe, ein gutes und ein böses, gibt, werden wir daraus (� aus dieser
Abhandlung) erkennen. Denn das Gute und das Böse sind einander entgegengesetzt und
zerstören sich gegenseitig und können nicht ineinander oder miteinander bestehen. Jedes
von diesen wird also in einem Teile des Alls sein. Und fürs erste werden sie nicht bloß
vom All umschrieben werden, sondern jedes davon wird auch von einem Teil des Alls
[umschrieben werden].

Sodann: Wer hat einem jeden seinen Platz angewiesen? Denn man wird nicht sagen, sie
hätten sich miteinander vertragen und verglichen, da das Böse nicht böse ist, wenn es Frie-
den hält und sich mit dem Guten vergleicht, und das Gute nicht gut, wenn es sich freund-
lich zum Bösen verhält. Ist es jedoch ein anderer, der jedem von diesen seinen Aufenthalt
angewiesen, so wird vielmehr* dieser* Gott sein.

Es ist aber auch eins von beiden notwendig: Entweder berühren und zerstören sie sich
gegenseitig, oder es gibt ein Mittleres, worin weder Gutes noch Böses sein wird, das wie ei-
ne Scheidewand beide voneinander trennt. Und dann werden es nicht mehr zwei, sondern
drei Prinzipe sein.

Es ist aber auch das eine oder andere von folgendem notwendig: Entweder halten sie
Frieden — doch dies kann das Böse nicht, denn was Frieden hält, ist nicht bös — oder sie
kämpfen. Allein dies kann das S. 245 Gute nicht, denn was kämpft, ist nicht vollkommen
gut. Oder das Böse kämpft, das Gute aber kämpft nicht dagegen, sondern wird vom Bösen
zerstört oder immerfort mißhelligt und mißhandelt, was wahrlich kein Merkmal des Guten
ist. Es existiert also* ein* Prinzip, das von allem Bösen frei ist.

Aber, sagen sie, wenn dem so ist, woher das Böse? Denn unmöglich hat das Böse vom
Guten seinen Ursprung. Wir sagen: Das Böse ist nichts anderes als Beraubung des Guten,
Abkehr vom Naturgemäßen und Hinkehr zum Naturwidrigen. Denn nichts ist von Natur
aus böse. Alles, was Gott gemacht, ist ja sehr gut 892 , sofern es geschaffen ist. Bleibt es also,
wie es geschaffen ist, so ist es sehr gut. Tritt es aber freiwillig aus dem Naturgemäßen heraus
und geht es zum Naturwidrigen über, so wird es böse.

Naturgemäß ist alles dem Schöpfer untertan und gehorsam. Wenn also eines der Ge-
schöpfe freiwillig die Zügel abstreift und seinem Schöpfer ungehorsam wird, so begründet
es in sich selbst das Böse. Denn das Böse ist keine Wesenheit noch Eigentümlichkeit einer
Wesenheit, sondern etwas Hinzukommendes (� ein Akzidens), d. h. die freiwillige Abkehr
vom Naturgemäßen und Hinkehr zum Naturwidrigen, was eben Sünde ist.

Woher also die Sünde? Sie ist eine Erfindung der freien Entschließung des Teufels. Ist
891
Gegen die Manichäer.
892
Gen. 1, 31.

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also der Teufel bös? Sofern er geschaffen ist, ist er nicht bös, sondern gut. Denn als lich-
ter, hellstrahlender Engel ward er vom Schöpfer geschaffen, selbstmächtig, da vernünftig.
Freiwillig machte er sich von der naturgemäßen Tugend los, er geriet in die Finsternis der
Bosheit, nachdem er sich von Gott, dem allein Guten 893 , dem Lebensspender und Lichtge-
ber, entfernt. Denn durch ihn ist alles Gute gut. Sofern es sich aber von ihm der Gesinnung,
nicht dem Orte nach entfernt, wird es bös.

XXI. KAPITEL. Warum erschuf der vorauswissende Gott die, die sündigen und nicht
Buße tun werden?

S. 246 Gott bringt aus Güte das Werdende aus dem Nichtsein ins Sein hervor und weiß
das Künftige voraus. Würden sie also gar nicht* sein,* so würden sie auch nicht böse sein
und nicht vorausgewußt werden. Denn auf das, was* ist,* geht die Erkenntnis, und auf das,
was gewiß* sein wird,* das Vorauswissen. Zuerst das Sein und dann das Gut- oder Bössein.
Würde nämlich der Umstand, daß die, die durch Gottes Güte künftig* sein* sollen, aus ei-
genem Willen böse sein werden, ihre Erschaffung verhindern, so würde das Böse die Güte
Gottes besiegen. Es macht also Gott alles, was er macht, gut. Jeder aber wird durch eige-
nen Willen gut oder bös. Zwar sagte der Herr: „Es wäre jenem Menschen besser, wenn er
nicht geboren wäre 894 .“ Allein mit diesen Worten tadelte er nicht seine eigene Schöpfung,
sondern die Bosheit, die sich bei seinem Geschöpf durch eigenen Willen und Leichtsinn
eingestellt. Denn der Leichtsinn der eigenen Gesinnung hat die Wohltat des Schöpfers für
ihn unnütz gemacht. [Das ist geradeso], wie wenn einer, der von seinem König Reichtum
und Herrschaft bekommen, seinen Wohltäter vergewaltigen will. Jener wird ihn mit Recht
unterwerfen und strafen, wenn er sieht, daß dieser fort und fort bei seiner Tyrannei be-
harrt.

XXII. KAPITEL. Vom Gesetz Gottes und Gesetz der Sünde.

Gut, übergut ist das göttliche Wesen und sein Wille. Denn was Gott will, das ist gut. Gesetz
aber ist das Gebot, das dies lehrt, damit wir darin verharren und so im Lichte seien 895 . Die
Übertretung dieses Gebotes ist Sünde. Diese aber kommt durch den Angriff des Teufels S.
247 und unsere ungezwungene, freiwillige Zustimmung zustande. Auch diese heißt Gesetz
896
.

„Das Gesetz Gottes 897 “, das in unserer Vernunft waltet, zieht diese an sich und stachelt
unser Gewissen auf. Es heißt auch unser Gewissen Gesetz unserer Vernunft 898 . Und der
893
Vgl. Matth. 19, 17; Mark. 10, 18; Luk. 18, 19.
894
Mark. 14, 21.
895
Vgl. 1 Joh. 1, 7.
896
Röm. 7, 23.
897
Ebd. [ Röm.] 7, 25.
898
Vgl. ebd. [Röm.] 7, 23.

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Angriff „des Bösen 899 “ (� des Teufels) ist das Gesetz der Sünde, das in den Gliedern unseres
Fleisches waltet 900 . Es greift durch dasselbe (� das Fleisch) uns an. Denn nachdem wir
einmal freiwillig „das Gesetz Gottes“ übertraten und dem Angriff „des Bösen“ zustimmten,
gewährten wir ihm Zugang, wir verkauften uns selbst an die Sünde 901 . Deshalb wird unser
Leib leicht zu ihr hingezogen. Es heißt also auch der Geruch und die Empfindung der
Sünde, die sich in unserem Leibe befinden, d. h. die Begierde und Lust des Leibes 902 , Gesetz
in den Gliedern unseres Fleisches 903 .

„Das Gesetz meiner Vernunft 904 “ oder das Gewissen freut sich an dem Gesetze oder
Gebote Gottes 905 und will dieses. „Das Gesetz der Sünde“ aber oder der Angriff durch
„das Gesetz in den Gliedern“ oder durch die Begierde und Neigung und Bewegung des
Leibes und des unvernünftigen Teiles der Seele widerstreitet dem Gesetz meiner Vernunft,
d. i. dem Gewissen, und nimmt mich gefangen 906 infolge der Vermischung [der Seele
mit dem Leibe], auch wenn ich „das Gesetz Gottes“ will und liebe und die Sünde nicht
will, und verführt mich, wie gesagt, durch die Lockung der Lust und die Begier des Leibes
und des unvernünftigen Teiles der Seele, und beredet mich, der Sünde zu dienen. Aber
„was dem Fleisch unmöglich war, weil es durch das Fleisch unvermögend war, das hat Gott
getan: Er sandte seinen Sohn in Gestalt des Sündenfleisches“ — Fleisch nahm er an, Sünde
aber keineswegs — „und verdammte die Sünde S. 248 im Fleische, damit die Forderungen
des Gesetzes in denen erfüllt werden, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach
dem Geiste 907 .“ Denn „der Geist hift unserer Schwäche auf 908 “ und verleiht dem „Gesetz
unserer Vernunft“ Kraft gegen „das Gesetz in unsern Gliedern“. Denn: „Um was wir bitten
sollen, so wie es sich ziemt, wissen wir nicht, aber der Geist selbst tritt für uns ein mit
unaussprechlichen Seufzern 909 “, d. h. er lehrt uns, um was wir bitten sollen. Darum ist es
unmöglich, anders als durch Geduld und Gebet die Gebote des Herrn zu erfüllen.

XXIII. KAPITEL. Gegen die Juden. Vom Sabbat.

Sabbat heißt der siebente Tag. Er bedeutet die Ruhe. Denn an ihm „ruhte Gott von allen
seinen Werken 910 “, wie die göttliche Schrift sagt. Darum macht auch die Zahl der Tage,
899
Matth. 5, 37; 13, 19. 38; Joh. 17, 15; 1 Joh. 2, 13 f.; 3, 12; 5, 18 f.; Eph. 6, 16.
900
Röm. 7, 23.
901
Vgl. ebd [Röm.] 7, 14.
902
Vgl. ebd. [Röm.] 6, 12.
903
Vgl. ebd. [Röm.] 7, 23.
904
Ebd. [Röm. 7, 23].
905
Ebd. [Röm.] 7, 22.
906
Ebd. [Röm.] 7, 23.
907
Röm. 8, 3 f.
908
Ebd. [Röm.] 8, 26.
909
Ebd. [Röm.] 8, 26.
910
Gen. 2, 2; Hebr. 4, 4.

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wenn sie bis sieben fortgeschritten ist, wieder den Kreislauf und beginnt mit dem ersten
[Tage]. Diese Zahl stand bei den Juden in Ehren, da Gott befahl, sie zu ehren, und das nicht
beliebig, sondern unter den schwersten Strafen im Übertretungsfalle 911 . Nicht grundlos
befahl er dies, sondern aus gewissen Gründen, die von „Geistigen 912 “ und Scharfsichtigen
mystisch verstanden werden.

Was mich, den Ungelehrten, betrifft, so ist meine Ansicht darüber — ich beginne mit
dem Niedrigeren und Gröberen — folgende: Gott kannte die Roheit und Fleischlichkeit
und ganz materielle Neigung des israelitischen Volkes, zugleich aber auch seinen Unver-
stand. Darum [befahl er es], erstens damit der Knecht und das S. 249 Zugvieh ruhe, wie
geschrieben steht 913 , weil „ein gerechter Mann sich seines Viehes erbarmt 914 “, dann aber
auch, damit sie (� die Israeliten) sich der Beschäftigung mit der Materie enthielten, sich zu
Gott hinsammelten, „mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern 915 “ und Stu-
dium der göttlichen Schriften den ganzen siebenten Tag verbrächten und in Gott ruhten.
Denn als es noch kein Gesetz und keine „von Gott eingegebene Schrift 916 “ gab, war auch
der Sabbat Gott nicht geheiligt. Als aber „die von Gott eingegebene Schrift“ durch Moses
gegeben ward, wurde der Sabbat Gott geheiligt, damit sich an ihm auf das Studium dieser (�
der Schrift) die verlegten, die nicht ihr ganzes Leben Gott weihten, die nicht aus Liebe dem
Herrn als Vater dienten, sondern als gedankenlose Knechte, und wenigstens einen kleinen,
ganz geringen Teil ihres Lebens Gott widmeten, und dies aus Furcht vor Rechenschaft und
Strafe im Übertretungsfalle. Denn „das Gesetz gilt nicht für den Gerechten, sondern für
den Ungerechten 917 “. Denn zuerst hat Moses, da er vierzig Tage und wieder weitere vier-
zig unter Fasten bei Gott lag 918 , sicherlich auch an den Sabbaten sich durch Fasten kasteit,
während doch das Gesetz befahl, sich am Tage des Sabbats nicht zu kasteien 919 . Wollten
sie aber sagen, das sei* vor* dem Gesetz gewesen, was werden sie von Elias dem Thesbiter
sagen, der mit einer einzigen Speise einen Weg von vierzig Tagen zurückgelegt 920 ? Denn
da dieser nicht bloß durch Fasten, sondern auch durch die Reise sich an den Sabbaten der
vierzig Tage kasteit, so hat er den Sabbat verletzt. Und doch hat Gott, der das Gesetz ge-
geben, diesem nicht gezürnt, sondern er hat sich ihm sogar gleichsam als Tugendlohn auf
dem Horeb S. 250 geoffenbart 921 . Was werden sie ferner von Daniel sagen? Hat er nicht
911
Exod. 13, 6; Num. 15, 35.
912
1 Kor. 2, 13. 15; 3, 1; 14, 37; Gal. 6, 1.
913
Exod. 20, 10; Deut. 5, 14.
914
Sprichw. 12, 10.
915
Eph. 5, 19; Kol. 3, 16.
916
2 Tim. 3, 16.
917
Vgl. 1 Tim. 1, 9.
918
Exod. 24, 18; 34, 28; Deut. 9, 18.
919
Judith 8, 6.
920
3 Kön. 19, 8 [1 Kön. nach neuerer Zählart].
921
3 Kön. 19, 9 ff. [1 Kön. nach neuerer Zählart].

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drei Wochen ohne Speise zugebracht 922 ? Wie? Beschneidet nicht ganz Israel das Knäblein
am Sabbat, wenn es da gerade acht Tage alt ist 923 ? Und werden sie (� die Israeliten) nicht
auch das große Fasten 924 , das ihnen im Gesetz vorgeschrieben ist, halten, wenn es etwa
auf den Sabbat trifft? Und entweihen nicht auch die Priester und die Leviten bei den Ar-
beiten im Zelte (� Tempel) den Sabbat und sind doch schuldlos 925 ? Aber auch der, der ein
Vieh, das am Sabbat in eine Grube fällt 926 , herauszieht, ist ohne Schuld, schuldig, wer es
unterläßt. Und wie? Ist nicht ganz Israel, die Gotteslade tragend, sieben Tage lang um die
Mauern Jerichos gezogen 927 , worunter sicherlich auch der Sabbat war?

Also, wie gesagt, wegen der Beschäftigung mit Gott, damit sie wenigstens einen ganz ge-
ringen Zeitteil ihm widmeten und ruhten, der Knecht wie das Vieh, ward die Beobachtung
des Sabbats ersonnen, für „die noch Unmündigen und den Elementargeistern Untertanen
928
“, für „die fleischlich Gesinnten 929 “ und die, die nicht über den Leib und den Buch-
staben hinaus zu denken vermögen. „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen
eingeborenen Sohn, Mensch geworden aus dem Weibe, Untertan dem Gesetze, um die, die
unter dem Gesetze standen, zu erlösen, damit wir als Kinder angenommen würden 930 .“
Denn uns „allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, [uns,] die
an ihn glauben 931 “. Daher sind wir nicht mehr Knechte, sondern Söhne 932 , nicht mehr
„unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade 933 “. Wir dienen nicht mehr zeitweilig dem
Herrn aus Furcht, sondern wir S. 251 müssen die ganze Lebenszeit ihm weihen, wir lassen
den Knecht, ich meine den Zorn und die Begierde, immerdar von der Sünde ruhen und
bei Gott feiern, all unsere Begierde richten wir immerdar auf Gott, den Zorn aber waff-
nen wir gegen die Feinde Gottes und ebenso lassen wir das Lasttier, d. h. den Leib, vom
Knechtesdienst der Sünde ruhen und treiben es an, den göttlichen Geboten zu gehorchen.

Dies befiehlt uns das geistige Gesetz Christi 934 , und die dieses beobachten, sind über
das mosaische Gesetz erhaben. Denn als das Vollendete gekommen, hat das Stückwerk
aufgehört 935 , und als die Hülle des Gesetzes oder der Vorhang durch die Kreuzigung des
922
Dan. 10, 2 f.
923
Gen. 17, 12; Lev. 12, 3.
924
Das Fasten am Versöhnungstag. Lev. 23, 27 ff.
925
Matth. 12, 5.
926
Vgl. ebd. [Matth.] 12, 11.
927
Jos. Kap. 6.
928
Gal. 4, 3.
929
1 Kor. 3, 3.
930
Gal. 4, 4 f.
931
Joh. 1, 12.
932
Vgl. Gal. 4, 7.
933
Röm. 6, 14 f.
934
Vgl. Röm. 7, 14; Gal. 6, 2.
935
Vgl. 1 Kor. 13, 10.

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Heilands zerriß 936 , und der Geist in feurigen Zungen aufleuchtete 937 , ward der Buchstabe
abgetan, das Körperliche beendet, das Gesetz der Knechtschaft erfüllt und „das Gesetz
der Freiheit 938 “ uns geschenkt. Und wir feiern die vollkommene Ruhe der menschlichen
Natur, ich meine den Tag der Auferstehung, an dem uns der Herr Jesus, „der Führer zum
Leben und Heiland 939 “, in das Erbteil eingeführt, das denen verheißen ist, die auf geistige
Weise Gott dienen, in das er selbst als unser Vorläufer eingegangen 940 , als er von den Toten
auferstanden. Es öffneten sich ihm die Himmelspforten, und er setzte sich leibhaftig zur
Rechten Gottes 941 . Dahin werden auch die kommen, die das geistige Gesetz beobachten.

Uns also, die wir nach dem Geiste und nicht nach dem Buchstaben wandeln 942 , kommt
die völlige Ablegung des Fleischlichen, der geistige Gottesdienst und die Verbindung mit
Gott zu. Beschneidung ist das Ablegen der körperlichen Lust und des Überflüssigen und
nicht S. 252 Notwendigen. Vorhaut ist nämlich nichts anderes als die überflüssige Haut
eines wollüstigen Gliedes. Jede Lust jedoch, die nicht aus Gott und in Gott ist, ist eine
überflüssige Lust, deren Sinnbild die Vorhaut ist. Sabbat aber ist die Ruhe von der Sünde.
Daher sind beide (� Beschneidung und Sabbat) eines, und so bewirken beide zusammen,
wenn sie von den „Geistigen“ beobachtet werden, nicht die mindeste Ungesetzlichkeit.

Ferner muß man wissen, daß die Siebenzahl die ganze gegenwärtige Zeit bedeutet. So
sagt der hochweise Salomon, man solle unter sieben und wohl auch unter acht austeilen
943
. Und der göttlich redende David sang, da er für die Oktav 944 Psalmen machte, von
der Wiederherstellung, die nach der Auferstehung von den Toten kommen wird. Als das
Gesetz befahl, am siebenten Tage sich vom Körperlichen zu enthalten und dem Geistigen
zu obliegen, zeigte es dem wahren Israel, das befähigt ist, Gott zu sehen, auf mystische
Weise [die Pflicht] an, die ganze Zeit sich Gott zu weihen und sich über das Körperliche zu
erheben.
936
Vgl. Matth. 27, 51; Mark. 15, 38; Luk. 23, 45.
937
Apg. 2, 3.
938
Jak. 1, 25; 2, 12.
939
Apg. 3, 15; vgl. 5, 31.
940
Vgl. Hebr. 6, 20.
941
Mark. 16, 19; Kol. 3, 1; Hebr. 10, 12.
942
Gal. 5, 25; Röm. 2, 29.
943
Pred. 11, 2. Johannes folgt in der Erklärung dieser Stelle Gregor von Nazianz, Or. 44, 5 (Migne, P. gr.
36, 612 D—613 A). Gregor versteht unter den sieben, an die man austeilen soll, das gegenwärtige Leben,
unter den acht das zukünftige. Dann fährt er fort: „Aber auch der große David scheint diesem Tag (� dem
zukünftigen) die Psalmen mit der Überschrift: ”Für die Oktav“ (für die acht) zu widmen“ (a. a. O. 613 A).
944
Ps. 6 und 11 [hebr. Ps. 6 und 12] tragen die rätselhafte Überschrift: „Für die Oktav“. Octava � eine be-
stimmte Tonart oder ein Instrument mit acht Saiten.

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XXIV. KAPITEL. Von der Jungfräulichkeit.

„Die Fleischlichen 945 “ schmähen die Jungfräulichkeit, und zum Zeugnis führen die Lüst-
linge das Wort an: „Verflucht jeder, der keine Nachkommenschaft erweckt in Israel 946 .“
Wir aber sagen, uns auf den Gott-Logos S. 253 stützend, der aus der Jungfrau Fleisch an-
genommen, daß die Jungfräulichkeit von vornherein und von Anfang der Menschenna-
tur eingepflanzt wurde. Denn aus jungfräulicher Erde ward der Mensch gebildet. Nur aus
Adam ward die Eva erschaffen. Im Paradiese waltete Jungfräulichkeit. Es sagt ja die göttli-
che Schrift, daß sie nackt waren, Adam und Eva, und sich nicht schämten 947 . Als sie aber
[das Gebot] übertraten, erkannten sie, daß sie nackt waren, und sie schämten sich und
flochten sich Schürzen 948 . Und erst dann, als er nach der Übertretung hörte: „Erde bist du
und zur Erde sollst du zurückkehren 949 “, als infolge der Übertretung der Tod in die Welt
kam 950 , „erkannte Adam die Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar 951 “. Darum also
ward die Ehe ersonnen, damit das Geschlecht vom Tode nicht aufgerieben und vernichtet
würde. Es sollte durch die Kindererzeugung das Menschengeschlecht erhalten werden.

Aber sie werden vielleicht sagen: Was will also das Wort: „Mann und Weib 952 “ und das:
„Wachset und mehret euch 953 “? Darauf werden wir erwidern: Das „wachset und mehret
euch“ bedeutet sicherlich nicht die Vermehrung durch ehelichen Verkehr. Es konnte ja
Gott auch auf andere Weise das Geschlecht vermehren, wenn sie bis ans Ende das Gebot
unverletzt beobachteten. Allein Gott, der alles weiß, eh’ es geschieht 954 , wußte kraft seines
Vorauswissens, daß sie die Übertretung begehen und zum Tode verurteilt würden. Darum
erschuf er zum voraus Mann und Weib und befahl ihnen, zu wachsen und sich zu mehren.
Wir wollen daher des Weges weitergehen und die Vorzüge der Jungfräulichkeit betrachten,
dasselbe aber auch von der Keuschheit sagen.

S. 254 Wie Noë den Befehl erhält, in die Arche zu gehen, und ihm die Erhaltung des Welt-
samens übertragen wird, empfängt er den Auftrag: „Gehe hinein, du und deine Söhne und
dein Weib und die Weiber deiner Söhne 955 .“ Er sonderte sie von den Weibern ab, damit
sie mittels der Keuschheit dem Meere und jenem Allerweltsschiffbruche entgingen. Nach
dem Aufhören der Sintflut sprach er: „Gehe heraus, du und dein Weib und deine Söhne
945
1 Kor. 3, 3.
946
Dieses Wort findet sich in dieser Form nicht in der heiligen Schrift. Vgl. Deut. 25, 9.
947
Gen. 2, 25.
948
Ebd. [Gen.] 3, 7.
949
Ebd. [Gen.] 3, 19.
950
Vgl. Röm. 5, 12.
951
Gen. 4, 1.
952
Ebd. [Gen.] 1, 27.
953
Ebd. [Gen.] 1, 28.
954
Dan. 13, 42 nach der Vulgata.
955
Vgl. Gen. 7, 1. 7.

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und die Weiber deiner Söhne 956 .“ Siehe, hier ward wieder der Vermehrung wegen die Ehe
gestattet. Sodann Elias, der feueratmende Wagenlenker und Himmelsfahrer 957 , huldigte
er nicht der Ehelosigkeit 958 und bewahrte sie durch seine übermenschliche Himmelfahrt?
Wer verschloß die Himmel 959 ? Wer erweckte Tote 960 ? Wer teilte den Jordan 961 ? Nicht
der jungfräuliche Elias? Und Elisäus, sein Schüler, hat er nicht, da er die gleiche Tugend
(� die Jungfräulichkeit) bewiesen, in doppeltem Maße die Gnade des Geistes empfangen,
um die er gebeten 962 ? Und die drei Jünglinge? Haben sie nicht durch Übung der Jungfräu-
lichkeit das Feuer überwunden, da ihre Leiber durch die Jungfräulichkeit vom Feuer nicht
verzehrt werden konnten 963 ? War es nicht Daniel, dessen Leib durch die Jungfräulichkeit
so gehärtet war, daß die Zähne der wilden Tiere nicht einzudringen vermochten 964 ? Gab
nicht Gott, da er den Israeliten erscheinen wollte, den Befehl, den Leib keusch zu halten
965
? Hielten sich nicht die Priester rein und gingen so in das Heiligtum ein und brachten
die Opfer dar? Hat nicht das Gesetz die Keuschheit ein großes Gelübde genannt?

S. 255 Man muß also die Vorschrift des Gesetzes mehr geistig nehmen. Es gibt nämlich
eine geistige Nachkommenschaft. Sie wird durch Liebe und Furcht Gottes im seelischen
Schoße empfangen, der den Geist des Heiles gebiert und hervorbringt. So ist auch das
Wort zu fassen: „Selig, wer Nachkommenschaft hat in Sion und Verwandte in Jerusalem
966
.“ Denn wie ist einer, trotzdem er „ein Hurer oder Trunkenbold oder Götzendiener 967 “
ist, selig, wenn er nur Nachkommenschaft in Sion und Verwandte in Jerusalem hat? Kein
Vernünftiger wird das behaupten.

Jungfräulichkeit ist der Wandel der Engel, die Eigentümlichkeit einer jeden unkörperli-
chen Natur. Das sagen wir nicht, um die Ehe zu schmähen, das sei ferne — wir wissen ja,
daß der Herr in seiner Gegenwart die Ehe segnete 968 und [wir kennen] den, der gesagt:
„Ehrbar sei die Ehe, und das Ehebett unbefleckt 969 “ —, sondern weil wir erkennen, daß
die Jungfräulichkeit besser ist als die Ehe, die ja gut ist. Denn sowohl bei den Tugenden wie
bei den Lastern gibt es höhere und geringere Grade. Wir wissen, daß, abgesehen von den
Stammeltern des Geschlechts, alle Sterblichen Sprößlinge der Ehe sind. Denn jene sind ein
956
Ebd. [Gen.] 8, 16.
957
4 Kön. 2, 11 [2 Kön. nach neuerer Zählart].
958
Das ist die gemeinsame Ansicht der Väter.
959
Vgl. 3 Kön. 17, 1 [1 Kön. nach neuerer Zählart]; Sir. 48, 3; Jak. 5, 17.
960
3 Kön. 17, 22 [1 Kön. nach neuerer Zählart]; Sir. 48, 5.
961
4 Kön. 2, 8 [2 Kön. nach neuerer Zählart].
962
Ebd. [4 Kön.] 2, 9 f. [2 Kön. nach neuerer Zählart].
963
Dan. 3, 24.
964
Ebd. [Dan.] 6, 22.
965
Gen. 19, 15.
966
Dieses Wort findet sich nicht in der heiligen Schrift.
967
1 Kor. 5, 11.
968
Joh. 2, 1�10.
969
Hebr. 13, 4.

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Gebilde der Jungfräulichkeit, und nicht der Ehe. Allein die Ehelosigkeit ist, wie gesagt, eine
Nachahmung der Engel. Um soviel also ein Engel höher steht als ein Mensch, um soviel
ist Jungfräulichkeit wertvoller als Ehe. Doch was sage ich? Ein Engel? Christus selbst ist
der Ruhm der Jungfräulichkeit. Denn er ist nicht bloß aus dem Vater ohne Anfang, ohne
[Samen] fluß und ohne Paarung erzeugt, sondern er hat auch, da er Mensch wurde wie
wir, auf höhere Weise als wir Fleisch angenommen, nämlich aus einer Jungfrau ohne Ge-
schlechtsgemeinschaft, und er hat selbst die wahre und vollkommene Jungfräulichkeit an
sich gezeigt. Darum hat er auch diese für uns nicht zum Gesetze gemacht — denn „nicht S.
256 alle fassen das Wort 970 “, wie er selbst gesagt —, allein durch die Tat hat er uns [in ihr]
unterwiesen und uns dazu befähigt. Denn wem ist nicht klar, daß jetzt die Jungfräulichkeit
unter den Menschen heimisch ist?

Gut ist die Kindererzeugung, welche die Ehe erzielt, und gut die Ehe „wegen [der Gefahr]
der Unzuchtssünden 971 “, da sie diese abschneidet und das Wutartige der Begierde durch
die gesetzliche Verbindung nicht zum ungesetzlichen Handeln ausrasen läßt. Gut ist die
Ehe für die, denen nicht Enthaltsamkeit innewohnt. Besser aber ist die Jungfräulichkeit,
welche die Fruchtbarkeit der Seele mehrt und Gott als reife Frucht das Gebet darbringt.
„Ehrbar sei die Ehe, und das Ehebett unbefleckt, Unzüchtige und Ehebrecher aber wird
Gott richten 972 .“

XXV. KAPITEL. Von der Beschneidung.

Die Beschneidung ward vor dem Gesetz dem Abraham nach den Segnungen 973 , nach der
Verheißung 974 gegeben 975 als ein Zeichen, das ihn und seine Kinder und seine Hausge-
nossen von den Heiden, mit denen er verkehrte, unterscheiden sollte. Es ist klar: Als Israel
vierzig Jahre in der Wüste allein für sich verweilte, ohne mit einem andern Volk in Berüh-
rung zu kommen, wurden alle, die in der Wüste geboren wurden, nicht beschnitten. Als
aber Josue sie (� die Israeliten) über den Jordan führte, wurden sie beschnitten, und es
entstand ein zweites Gesetz der Beschneidung. Unter Abraham ward nämlich ein Gesetz
der Beschneidung gegeben, dann ruhte es in der Wüste vierzig Jahre. Und wiederum zum
zweitenmal gab Gott dem Jesus (� Josue) ein Gesetz der Beschneidung nach dem Über-
gang über den Jordan, wie im Buche Jesus (� Josue), des Sohnes Naves, geschrieben steht:
„Um diese Zeit S. 257 sprach der Herr zu Jesus (� Josue): Mache dir steinerne Messer aus
hartem Stein und setze dich und beschneide die Söhne Israels zum zweitenmal 976 .“ Und
970
Matth. 19, 11.
971
1 Kor. 7, 2.
972
Hebr. 13, 4.
973
Gen. 17, 4 ff.
974
Ebd. [Gen.] 17, 6.
975
Ebd. [Gen.] 17, 10 ff.
976
Jos. 5, 2 nach LXX [Septuaginta].

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kurz darauf: „Zweiundvierzig Jahre lang weilte Israel in der Wüste Madbaritis 977 . Darum
waren von ihnen (� den Israeliten) unbeschnitten geblieben die meisten der Kämpfer, die
aus Ägypten ausgezogen waren, die den Befehlen Gottes nicht gehorcht, denen er auch
erklärt, daß sie das gute Land nicht sehen, das der Herr ihren Vätern zu geben zugeschwo-
ren, das Land, das von Milch und Honig fließt. An deren Stelle aber setzte er ihre Söhne,
die Jesus (� Josue) beschnitt, weil sie auf dem Wege nicht beschnitten worden waren 978 .“
Die Beschneidung war also ein Zeichen, das Israel von den Heiden schied, mit denen es
verkehrte.

Sie war ein Vorbild der Taufe. Denn wie die Beschneidung kein nützliches Glied des Lei-
bes abschneidet, sondern einen unnützen Überfluß, so werden wir durch die heilige Taufe
an der Sünde beschnitten. Die Sünde ist aber offenbar gleichsam ein Überfluß von Begier-
de und kein nützliches Begehren. Es ist ja unmöglich, überhaupt nicht zu begehren oder
vollständig ohne Lustgenuß zu sein. Aber das Unnütze der Lust, d. h. die unnütze Begierde
und Lust, d. i. die Sünde, welche die heilige Taufe beschneidet, indem sie uns als Zeichen
das kostbare Kreuz auf die Stirne gibt, nicht um uns von [andern] Völkern abzusondern
— denn alle Völker gelangten zur Taufe und wurden mit dem Zeichen des Kreuzes besie-
gelt —, sondern um in jedem Volke den Gläubigen vom Ungläubigen zu unterscheiden.
Nachdem also die Wahrheit offenbar geworden, ist das Vorbild und der Schatten unnütz.
Daher ist jetzt die Beschneidung überflüssig und der heiligen Taufe zuwider. „Denn wer
sich beschneiden läßt, ist verpflichtet, das ganze Gesetz zu beobachten 979 .“ Der Herr aber
ließ sich beschneiden 980 , um das Gesetz zu erfüllen 981 . Er S. 258 beobachtete das ganze
Gesetz und den Sabbat, um das Gesetz zu erfüllen und zu bestätigen 982 . Seitdem er aber
getauft worden, und der Hl. Geist den Menschen erschienen ist, als er in Gestalt einer Tau-
be auf ihn herabkam 983 , seitdem ward der geistige Gottesdienst und Lebenswandel und
das Himmelreich verkündet.

XXVI. KAPITEL. Vom Antichrist.

Man muß wissen, daß der Antichrist kommen muß. Nun ist zwar „jeder, der nicht bekennt,
daß der Sohn Gottes im Fleische gekommen 984 “ und vollkommener Gott ist und zum Gott-
sein hin vollkommener Mensch geworden, ein Antichrist (Widerchrist). Gleichwohl heißt
besonders und vorzugsweise Antichrist der, der „am Ende der Welt 985 “ kommt. Es muß
977
Vom hebräischen Midbar � die Wüste.
978
Jos. 5, 5�7 nach LXX [Septuaginta].
979
Gal. 5, 3.
980
Luk. 2, 21.
981
Vgl. Matth. 5, 17.
982
Vgl. Matth. 5, 17.
983
Ebd. [Matth.] 3, 16; Mark. 1, 10; Luk. 3, 22; Joh. 1, 32.
984
Joh. 4, 2; 2 Joh. 7.
985
Matth. 13, 40. 49; vgl. 13, 39; 24, 3; 28, 20.

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also zuerst das Evangelium unter allen Völkern verkündet sein, wie der Herr sagt 986 , und
dann wird er kommen zur Überführung der gottesfeindlichen Juden. Sprach doch zu ih-
nen der Herr: „Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, aber ihr nehmt mich nicht
an. Ein anderer kommt in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen 987 .“ Und der
Apostel: „Darum, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen, um gerettet zu wer-
den. Und deshalb wird Gott ihnen wirkungsvollen Trug schicken, daß sie der Lüge glauben,
damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern an der Ungerechtig-
keit Gefallen gehabt 988 .“ Die Juden nahmen also den wirklichen Sohn Gottes, den Herrn
Jesus Christus und Gott, nicht auf, den Betrüger 989 aber, der sich für Gott S. 259 ausgibt,
werden sie aufnehmen. Denn daß er sich Gott nennen wird, das sagt der Engel, der den
Daniel belehrt, mit folgenden Worten: „Auf die Götter seiner Väter wird er nicht achten
990
“, und der Apostel: „Niemand betöre euch auf irgendeine Weise, denn zuvor muß Abfall
kommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens offenbar werden,
der der Widersacher ist und sich über alles erhebt, was Gott heißt und göttlich verehrt
wird, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt 991 “ — in den
Tempel Gottes, nicht den unsrigen, sondern den alten, den jüdischen 992 . Denn nicht zu
uns, sondern zu den Juden wird er kommen, nicht für Christus und die Christen, weshalb
er auch Widerchrist (Antichrist) heißt.

Es muß also zuerst das Evangelium unter allen Völkern verkündet sein 993 , und „alsdann
wird offen hervortreten der Ruchlose, dessen Ankunft in Kraft des Satans erfolgt mit jegli-
cher Machttat und trügerischen Zeichen und Wundern 994 , mit jedem Trug der Ungerech-
tigkeit für die, die verloren gehen, den der Herr töten wird mit dem Worte seines Mun-
des und zunichte machen durch seine Wiederkunft 995 “. Nicht der Teufel selbst also wird
Mensch nach Art der Menschwerdung des Herrn. Das sei ferne! Nein, ein Mensch wird
aus Hurerei erzeugt und empfängt die ganze Wirksamkeit des Satans. Denn Gott, der die
Verkehrtheit seines künftigen Willens vorausweiß, gestattet dem Teufel, in ihm zu wohnen.
986
Ebd. [Matth.] 24, 14.
987
Joh. 5, 43.
988
2 Thess. 2, 10 ff.
989
Vgl. 2 Joh. 7.
990
Dan. 11, 37.
991
2 Thess. 2, 3 f.
992
Diese Auffassung begegnet uns bereits bei Irenäus (Adv. haer. V, 25, 2). Allein es ist hier weder der Tempel
zu Jerusalem, noch die Kirche gemeint. Paulus will sagen, der Antichrist eigne sich alle Rechte Gottes,
besonders sein Heiligtum, an. Dieses wird als Tempel bezeichnet, da es zur Zeit des Apostels eine andere
öffentliche Kultstätte des wahren Gottes nicht gab. Als Vorlage diente Paulus allerdings Dan. 11, 36. Vgl.
auch Dan. 11, 31 f. (Steinmann, Die Briefe an die Thessalonicher und Galater, übersetzt und erklärt, Bonn
1918, S. 51, Anm. zu 2 Thess. 2, 4).
993
Matth. 24, 14.
994
Lies* τέρασι* [terasi] statt* πέρασι* [perasi].
995
2 Thess. 2, 8. 9 f. 8.

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S. 260 Erzeugt also wird er, wie gesagt, aus Hurerei und in der Verborgenheit aufgezogen,
und plötzlich steht er auf und erhebt sich und herrscht. Und im Anfang seiner Herrschaft
oder vielmehr Gewaltherrschaft heuchelt er Heiligkeit. Wann er aber mächtig geworden,
verfolgt er die Kirche Gottes 996 und offenbart seine ganze Schlechtigkeit. Er wird kom-
men „mit trügerischen Zeichen und Wundern 997 “, erdichteten und nicht wirklichen, und
die, deren Denken eine schwache, nicht starke Grundlage hat, täuschen und vom „leben-
digen Gott 998 “ abtrünnig machen, „so daß womöglich auch die Auserwählten irregeführt
werden 999 “.

Es wird aber Henoch und Elias der Thesbiter gesandt werden 1000 und „sie werden die
Herzen der Väter zu den Kindern kehren 1001 “, d. i. die Synagoge zu unserm Herrn Jesus
Christus und der Predigt der Apostel und von ihm (� dem Antichrist) getötet werden. Und
der Herr wird so vom Himmel kommen, wie ihn die heiligen Apostel in den Himmel hin-
auffahren sahen 1002 , als vollkommener Gott und vollkommener Mensch, „mit Macht und
Herrlichkeit 1003 “, und er wird den Menschen der Gesetzlosigkeit, den Sohn des Verder-
bens mit dem Hauche seines Mundes töten 1004 . Niemand also erwarte den Herrn von der
Erde, sondern vom Himmel her, wie er selbst versichert hat 1005 .

XXVII. KAPITEL. Von der Auferstehung.

S. 261 Wir glauben auch an eine Auferstehung der Toten. Denn es wird wirklich, ja es
wird eine Auferstehung der Toten stattfinden. Reden wir aber von Auferstehung, so mei-
nen wir eine Auferstehung der* Leiber*. Auferstehung ist ja eine Wiedererstehung dessen,
was dahingesunken. Wie wird es also möglich sein, daß die Seelen, die doch unsterblich
sind, auferstehen? Definiert man den Tod als eine Trennung der Seele vom Leibe, so ist
Auferstehung sicherlich eine Wiederverbindung von Seele und Leib und eine Wiedererste-
hung des aufgelösten und dahingesunkenen Lebewesens. Der Leib selbst also, der vergeht
und sich auflöst, der wird unvergänglich auferstehen 1006 . Denn der, der am Anfang ihn
996
1 Kor. 15, 9; Gal. 1, 13; 1 Kor. 10, 32; 11, 16. 22; 2 Kor. 1, 1; 1 Tim. 3, 5.
997
2 Thess. 2, 9.
998
Matth. 16, 16; 26, 63; Röm. 9, 26; 2 Kor. 3, 3; 6, 16; 1 Thess. 1, 9; 1 Tim. 3, 15; 4, 10; Hebr. 3, 12; 9, 14; 10,
31; 12, 22; Off. 7, 2.
999
Matth. 24, 24.
1000
Sir. 44, 16; 48, 10; Mal. 4, 5; Matth. 17, 11; Mark. 9, 11. Auch in Off. 11, 3 ff. ist von Henoch und Elias die
Rede. Auf diesen Bibelstellen fußend, vertraten altchristliche Lehrer, wie Irenäus, Tertullian, Hippolyt u.
a., die Ansicht, daß Henoch und Elias am Ende der Zeit als Bußprediger erscheinen, für Christus Zeugnis
ablegen und gegen den Antichrist auftreten, durch diesen aber den Martertod erleiden werden.
1001
Mal. 4, 6.
1002
Apg. 1, 11.
1003
Luk. 21, 27.
1004
2 Thess. 2, 3. 8.
1005
Matth. 25, 31; Luk. 21, 27.
1006
Vgl. 1 Kor. 15, 42.

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aus dem Erdenstaub gebildet 1007 , vermag recht wohl ihn, der nach dem Richterspruch des
Schöpfers sich wieder auflöste und zur Erde zurückkehrte, von der er genommen war 1008 ,
wiederherzustellen.

Gibt es keine Auferstehung, dann „laßt uns essen und trinken 1009 “, ein Freuden- und
Genußleben führen. Gibt es keine Auferstehung, worin unterscheiden wir uns dann von
den Tieren? Gibt es keine Auferstehung, dann laßt uns „die Tiere des Feldes 1010 “ selig
preisen, die ein sorgenfreies Leben führen. Gibt es keine Auferstehung, dann gibt es auch
keinen Gott und keine Vorsehung, sondern alles geht und vollzieht sich durch Zufall. Denn
siehe, wir sehen, daß sehr viele Gerechte in Armut leben und Unrecht leiden und keine
Hilfe im gegenwärtigen Leben erlangen, daß Sünder und Ungerechte aber in Reichtum
und jeglicher Üppigkeit schwelgen. Welcher Vernünftige sollte dies für ein Werk „eines
gerechten Gerichtes 1011 “ oder einer weisen S. 262 Vorsehung halten? Es wird also, ja es
wird eine Auferstehung stattfinden. Denn Gott ist gerecht, und er wird denen, die bei ihm
ausharren, ein Vergelter 1012 . Hat die Seele allein in den Tugendkämpfen gerungen, dann
wird sie auch allein gekrönt werden. Und hätte sie sich allein in den Lüsten gewälzt, dann
würde sie mit Recht allein gestraft. Doch da sie ohne den Leib weder der Tugend noch dem
Laster nachgegangen, werden mit Recht beide zugleich auch die Vergeltung empfangen.

Es bezeugt aber auch die göttliche Schrift, daß eine Auferstehung der Leiber stattfinden
wird. Sagt doch Gott nach der Sintflut zu Noë: „Wie das grüne Kraut gebe ich euch alles. Nur
Fleisch, das noch sein Blut in sich hat, sollt ihr nicht essen. Und ich will euer eigenes Blut
rächen, an allen Tieren will ich es rächen und an jedem Menschen, auch am Manne, der
sein Bruder ist, will ich sein (� des Menschen) Leben rächen. Wer Menschenblut vergießt,
dessen Blut soll auch vergossen werden. Denn nach Gottes Bild habe ich den Menschen
geschaffen 1013 .“ Wie wird er das Blut des Menschen an allen Tieren [anders] rächen, als
daß er die Leiber der gestorbenen Menschen auferwecken wird? Denn nicht werden für
den Menschen die Tiere sterben.

Ferner [sprach er] zu Moses: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der
Gott Jakobs 1014 .“ Aber „Gott ist kein Gott von Toten“, von solchen, die gestorben sind und
nicht mehr sein werden, „sondern von Lebendigen 1015 “, deren Seelen in seiner Hand leben
1007
Gen. 2, 7.
1008
Vgl. ebd. [Gen.] 3, 19; Pred. 12, 7.
1009
1 Kor. 15, 32; Is. 22, 13.
1010
Job 39, 15; Ps. 103, 11 [hebr. Ps. 104, 11]; Is. 43, 20; 56, 9; Jer. 34, 6 nach LXX, 27, 6 nach der Vulgata; Os.
2, 12. 18; 13, 8.
1011
Röm. 2, 5; vgl. 2 Thess. 1, 5.
1012
Vgl. Hebr. 11, 6.
1013
Gen. 9, 3�6.
1014
Exod. 3, 6; Matth. 22, 32; Mark. 12, 26; vgl. Luk. 20, 37.
1015
Matth. 22, 32; Mark. 12, 27; Luk. 20, 38.

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1016
, deren Leiber aber durch die Auferstehung wieder leben werden. Und der Stammvater
Gottes, David, sagt zu Gott: „Nimmst du ihren Odem weg, so schwinden sie hin und wer-
den wieder Staub 1017 .“ Sieh, von den Leibern ist die Rede! Dann fährt er fort: „Sendest du
aus deinen Geist, so werden sie geschaffen, und du erneuerst das Angesicht der Erde 1018 .“

S. 263 Ferner Isaias: „Auferstehen werden die Toten und auferweckt werden, die in den
Gräbern sind 1019 .“ Es ist klar, daß nicht die Seelen, sondern die Leiber in die Gräber gelegt
werden.

Und der selige Ezechiel sagt: „Als ich weissagte, siehe, da entstand eine Erderschütterung,
und die Gebeine näherten sich, Gebein zu Gebein, ein jedes zu seinem Gelenk. Und ich
schaute, und siehe, es entstanden an ihnen Sehnen, und Fleisch wuchs an und legte sich
über sie, und die Haut spannte sich darüber 1020 .“ Dann lehrt er, wie auf Befehl der Geist
zurückkehrt 1021 .

Und der göttliche Daniel sagt: „In jener Zeit wird Michael, der große Fürst, sich erheben,
der für die Söhne seines Volkes einsteht. Und es wird eine Zeit der Trübsal sein, eine Trüb-
sal, wie keine gewesen, seitdem ein Volk auf der Erde existiert bis zu jener Zeit. Und in
jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, ein jeder, von dem sich zeigt, daß er im Buche
aufgeschrieben ist. Und viele von denen, die im Erdenstaube schlafen, werden auferweckt
werden, die einen zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Schmach und Schande. Und
die einsichtig waren, werden strahlen wie der Glanz der Himmelsfeste und sie werden
unter den vielen Gerechten wie Sterne leuchten auf immer und ewig 1022 .“ Wenn er sagt:
„Viele, die im Erdenstaube schlafen, werden auferweckt werden“, so ist klar, daß er die
Auferstehung der* Leiber* meint. Denn es wird doch wohl niemand behaupten, daß die*
Seelen* im Erdenstaube schlafen.

Aber fürwahr, auch der Herr lehrt in den heiligen Evangelien sehr deutlich die Auferste-
hung der Leiber. Denn er sagt: „Die in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes
Gottes hören, und es werden [aus den Gräbern] hervorkommen, die das Gute getan, zur
Auferstehung zum Leben, die aber das Schlechte getrieben, zur Auferstehung zum Gericht
1023
.“ Kein S. 264 Vernünftiger aber dürfte je sagen, in den Gräbern seien die* Seelen*.

Doch nicht bloß mit Worten, sondern auch durch die Tat hat er die Auferstehung der
1016
Vgl. Weish. 3, 1.
1017
Ps. 103, 29 [hebr. Ps. 104, 29].
1018
Ebd. [Ps.] 103, 30 [hebr. Ps. 104, 30].
1019
Is. 26, 19 nach LXX [Septuaginta].
1020
Ez. 37, 7 f.
1021
Ebd. [Ez.] 37, 9.
1022
Dan. 12, 1�3 nach LXX [Septuaginta].
1023
Joh. 5, 28 f.

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Leiber gelehrt. Erstens hat er den Lazarus erweckt 1024 , der schon vier Tage lag und bereits
in Verwesung überging und roch 1025 . Denn nicht eine des Leibes beraubte Seele, sondern
einen Leib mit der Seele, und keinen andern [Leib], sondern den verwesenden selbst hat er
erweckt. Denn wie wäre es möglich gewesen, daß man die Auferstehung des Gestorbenen
erkannt oder geglaubt hätte, ohne daß die charakteristischen Eigentümlichkeiten diese be-
stätigt? Er erweckte jedoch den Lazarus zum Erweise seiner Gottheit und zur Beglaubigung
seiner wie unserer Auferstehung. Er (� Lazarus) mußte wieder in den Tod zurückkehren.
Der Herr selbst aber ist der Erstling der vollkommenen, dem Tode nicht mehr unterliegen-
den Auferstehung geworden. Darum sagte auch der göttliche Apostel Paulus: „Wenn Tote
nicht erweckt werden, ist auch Christus nicht erweckt worden. Ist aber Christus nicht er-
weckt worden, dann ist euer Glaube vergeblich, und wir sind noch in unsern Sünden 1026 “,
und: „Weil Christus erweckt worden ist [und zwar] als Erstling der Entschlafenen 1027 “,
und: „Erstgeborener von den Toten 1028 “, und wiederum: „Denn wenn wir glauben, daß
Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird ja auch Gott die, die durch Jesus entschlafen
sind, mit ihm herbeiführen 1029 .“ „So“, sagte er; nämlich wie der Herr auferstanden ist.

Daß aber die Auferstehung des Herrn eine Vereinigung des unsterblich gewordenen Lei-
bes und der Seele war — diese waren ja getrennt —, ist klar. Denn er sagte: „Zerstöret
diesen Tempel, und in drei Tagen werde ich ihn [wieder] aufrichten 1030 .“ Ein glaubwürdi-
ger Zeuge dafür, daß er von seinem Leibe sprach, ist das heilige Evangelium. „Rühret mich
an und sehet“, S. 265 sprach der Herr zu seinen Jüngern, die einen Geist zu sehen mein-
ten 1031 , „daß ich es bin“ und mich nicht verwandelt habe 1032 . „Denn ein Geist hat nicht
Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe 1033 .“ „Und als er dies gesagt hatte, zeigte er
1024
Joh. 11, 38�44.
1025
Ebd. [Joh.] 11, 39.
1026
1 Kor. 15, 16 f.
1027
Ebd. [1 Kor.] 15, 20.
1028
Kol. 1, 18.
1029
1 Thess. 4, 14.
1030
Joh. 2, 19.
1031
Luk. 24, 37.
1032
Nach Migne, P. gr. 94, 1224 (13) fügen manche Väter bei Zitation von Luk. 24, 39 nach den Worten: „daß
ich es bin“ hinzu: „und mich nicht verwandelt habe“. Athanasius (Epist. ad Epictet. n. 7) bemerkt zu dieser
Stelle, die er ohne den letzteren Zusatz anführt, folgendes: „Damit können außerdem auch die widerlegt
werden, die zur Behauptung sich erdreisten, der Herr habe sich in Fleisch und Bein* verwandelt*. Denn
er sagt nicht: Wie ihr seht, daß ich Fleisch und Bein bin, sondern habe; damit man nicht annehme, der
Logos selbst habe sich in dieselben verwandelt, sondern damit man glaube, daß er dieselben sowohl vor
dem Tode als auch nach der Auferstehung gehabt habe“ (Deutsch übersetzt von J. Lippl in der Bibliothek
der Kirchenväter: „Des heiligen Athanasius vier Reden gegen die Arianer, vier Briefe an Serapion, Brief
an Epiktet“, Kempten-München 1913, S. 512).
1033
Luk. 24, 39.

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ihnen die Hände 1034 “ und die Seite und bot sie Thomas zum Betasten hin 1035 . Genügt das
nicht, um die Auferstehung der Leiber zu beglaubigen?

Wiederum sagt der göttliche Apostel: „Denn dieses Vergängliche muß Unvergänglich-
keit anziehen, und dieses Sterbliche muß Unsterblichkeit anziehen 1036 .“ Und wiederum:
„Gesät wird in Vergänglichkeit, erweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Schwachheit,
erweckt in Kraft; gesät wird in Unehre, erweckt in Herrlichkeit. Gesät wird ein seelischer
Leib“, d. h. ein grober und sterblicher, „erweckt ein geistiger Leib 1037 “, wie der Leib des
Herrn nach der Auferstehung, der durch verschlossene Türe ging 1038 , frei von Ermüdung
war und nicht der Nahrung, des Schlafes und Trankes bedurfte. Denn der Herr sagt: „Sie
werden sein wie die Engel Gottes 1039 .“ Da gibt es kein Heiraten 1040 und Kindergebären
mehr. Daher sagt der göttliche Apostel: „Unser Staat (unsere Heimat) ist im Himmel, von
wo wir auch als Heiland S. 266 den Herrn Jesus erwarten, der unsern Niedrigkeitsleib ver-
wandeln wird, daß er seinem Herrlichkeitsleibe gleichgestaltet werde 1041 .“ Er meinte nicht
die Umwandlung in eine andere Form — das sei ferne! —, sondern vielmehr den Übergang
aus Vergänglichkeit in Unvergänglichkeit.

„Aber [da] wird einer sagen: Wie werden [denn] die Toten erweckt 1042 ?“ O des Unglau-
bens! O des Unverstandes! Er, der durch bloßen Willen Staub in einen Leib verwandelt, der
bestimmt, daß ein kleiner Samentropfen im Mutterschoße wachse und dies vielgestaltige
und vielgliedrige Werkzeug des Leibes zustande bringe, wird er nicht vielmehr den schon
gewesenen und hingeschwundenen [Leib] durch seinen bloßen Willen wiederherstellen
[können]? „Wie ist aber der Leib beschaffen, mit dem sie kommen? O Tor 1043 !“ Wenn
deine Verhärtung dich den Worten Gottes nicht glauben läßt, so glaube doch wenigstens
seinen Werken 1044 ! Denn „was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht ge-
storben ist. Und bezüglich dessen, was du säst, [gilt]: Du säst nicht den in der Zukunft
werdenden Leib, sondern ein nacktes Korn, z. B. vom Weizen oder irgendeiner der übri-
gen [Arten]. Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er es gewollt hat, und [zwar] einem jeden
der Samen einen besonderen Leib 1045 .“ Betrachte also die in Furchen wie in Gräbern ver-
grabenen Samen! Wer ist es, der ihnen Wurzeln, Rohr, Blätter und Ähren und die feinsten
1034
Ebd. [Luk.] 24, 40.
1035
Joh. 20, 27.
1036
1 Kor. 15, 53.
1037
1 Kor. 15, 42�44.
1038
Joh. 20, 26.
1039
Mark. 12, 25.
1040
Ebd. [Mark. 12, 25].
1041
Phil. 3, 20 f.
1042
1 Kor. 15, 35.
1043
Ebd. [1 Kor.] 15, 35 f.
1044
Vgl. Joh. 5, 47; 10, 38.
1045
1 Kor. 15, 36�38.

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Halme gibt? [Ist es] nicht der Schöpfer aller Dinge? Nicht der Befehl dessen, der alles gefer-
tigt? Glaube daher ebenso, daß auch die Auferstehung der Toten durch göttlichen Willen
und Wink stattfinden wird. Denn als Begleiter des Willens hat er (� der göttliche Wink)
die Macht.

Wir werden also auferstehen: Die Seelen werden sich wieder mit den Leibern vereinigen,
die die S. 267 Unvergänglichkeit angezogen und die Vergänglichkeit ausgezogen haben,
und wir werden vor den furchtbaren Richterstuhl Christi gestellt werden 1046 . Und es wer-
den der Teufel und seine Dämonen und sein Mensch, d. h. der Antichrist, und die Gott-
losen und die Sünder dem ewigen Feuer übergeben werden 1047 , nicht einem materiellen,
wie es das unsrige ist, sondern einem, dessen Beschaffenheit nur Gott kennt. Die aber das
Gute getan 1048 , „werden leuchten wie die Sonne 1049 “ mit den Engeln im ewigen Leben,
mit unserm Herrn Jesus Christus, und sie werden ihn sehen immerdar und gesehen wer-
den und unaufhörliche Freude von ihm ernten und ihn loben mit dem Vater und dem Hl.
Geiste ohn’ Ende in alle Ewigkeit. Amen.

1046
Vgl. Röm. 14, 10; 2 Kor. 5, 10.
1047
Matth. 25, 41.
1048
Joh. 5, 29.
1049
Matth. 13, 43.

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