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Ana ISkript 2021

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Skript zur Vorlesung

Analysis I
Wintersemester 2020/21

Robert Haller-Dintelmann

12. Dezember 2020


Inhaltsverzeichnis
I. Zahlen und Mengen 1
1. Grundlegende Begriffe 3

2. Reelle Zahlen 11

3. Natürliche Zahlen 19

4. Rationale Zahlen und Wurzeln 27

II. Folgen und Reihen 31


5. Folgen und Abzählbarkeit 33

6. Konvergente Folgen 37

7. Grenzwertsätze 41

8. Monotonie-Kriterium und Eulersche Zahl e 47

9. Teilfolgen und Häufungswerte 53

10.Beschränkte Folgen 57

11.Konvergenz von Reihen 65

12.Der Riemannsche Umordnungssatz 71

13.Absolute Konvergenz 81

14.R ist überabzählbar 89

15.Das Cauchyprodukt 95

16.Potenzreihen 101

17.Komplexe Zahlen 107

i
Inhaltsverzeichnis

III. Funktionen 117


18.Grenzwerte bei Funktionen 119

19.Stetigkeit 127

20.Eigenschaften stetiger Funktionen 133

21.Funktionenfolgen und -reihen 141

22.Gleichmäßige Stetigkeit 149

23.Differenzierbarkeit 153

24.Eigenschaften differenzierbarer Funktionen 159

25.Ableitung von Potenzreihen 167

26.Trigonometrische Funktionen 171

27.Höhere Ableitungen 183

28.Der Satz von Taylor 187

29.Das Regelintegral – Teil 1: Treppenfunktionen 195

30.Das Regelintegral – Teil 2: Regelfunktionen 201

31.Eigenschaften des Integrals 209

32.Integrationsregeln 221

33.Uneigentliche Integrale 231

34.Die Γ-Funktion 239

Tabelle der griechischen Buchstaben 243

Index 245

ii
Teil I.

Zahlen und Mengen

1
1. Grundlegende Begriffe
Bevor wir mit der Analysis anfangen, brauchen wir ein paar Grundbegriffe, um
Mathematik sauber aufzuschreiben. Die in diesem Abschnitt eingeführten Kon-
zepte haben also nicht primär etwas mit Analysis zu tun, sondern bilden das
Grundvokabular, in dem eigentlich jeder mathematische Text geschrieben ist.
Wir beginnen mit folgender Übereinkunft zur Verwendung des Gleichheitszei-
chens:

• Das Zeichen :=“ bedeutet per Definition gleich“.


” ”
• Das Zeichen =“ steht in der Gleichheits-Aussage.

1.1. Mengen
Den Begriff der Menge definieren wir hier nicht, sondern legen ihn naiv zu Grun-
de. Wir stellen uns damit auf den Standpunkt der naiven (und nicht der axio-
matischen) Mengenlehre. Dazu dient die folgende, von Georg Cantor gegebene,
Definition: Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung M von be-

stimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Den-
kens (welche die Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen.“
Wenn wir Mengen bilden, ist unser Ausgangspunkt immer eine gegebene, unter
Umständen sehr große Grundmenge G, aus der Elemente ausgesondert und zu
neuen Mengen zusammengefasst werden.
Mengen kann man, solange sie klein genug sind, einfach durch das Aufzählen ihrer
Elemente angeben, z. B.
M1 := {1, 2, 3, 4, 5}.
Es ist jedoch häufig angenehmer, sie durch die Angabe einer definierenden Ei-
genschaft, die genau für die Elemente der Menge, und nur für diese, wahr ist, zu
beschreiben. Für unsere Menge M1 könnte das so aussehen:

M1 = {x ∈ Z : 1 ≤ x < 6} oder M1 = {x ∈ Z : x(x − 6) < 0}.

Allgemein schreibt man


M = {x ∈ G : E(x)}.
Dabei ist G die Grundmenge, aus der die Elemente der Menge M ausgesondert
werden sollen und E(x) ist eine Aussageform, die durch Einsetzen eines Elements

3
1. Grundlegende Begriffe

aus G zu einer Aussage wird, d. h. zu einem Satz, der entweder wahr oder falsch
ist. M enthält dann genau die Elemente, für die E(x) eine wahre Aussage ist.
Betrachtet man das weitere Beispiel

M2 := {n ∈ N : n ist gerade},

so sieht man schnell den Vorteil dieser Methode gegenüber der reinen Aufzählung.
Für die weiteren Betrachtungen in diesem Abschnitt ist stets eine Grundmenge
G als gegeben anzunehmen.

Definition 1.1. Es seien M und N Mengen. Dann verwenden wir die folgenden
Notationen:

(a) a ∈ M: a ist in M enthalten;


a 6∈ M: a gehört nicht zu M.

(b) N ⊆ M: N ist eine Teilmenge von M, d. h. jedes Element von N ist auch
in M enthalten. Eine solche Teilmengenbeziehung nennt man auch eine
Inklusion.

(c) N ⊇ M: N ist Obermenge von M, d. h. M ist eine Teilmenge von N.

(d) N = M: Beide Mengen enthalten genau die gleichen Elemente.

(e) ∅: Dieses Symbol bezeichnet die leere Menge, d. h. eine Menge, die kein
Element enthält.

Bemerkung 1.2. Man beachte, dass zwei Mengen M und N gleich sind, wenn
sowohl M ⊆ N als auch M ⊇ N gilt.

Definition 1.3. Es seien M und N Mengen. Dann heißt

(a) M ∪ N := {x ∈ G : x ∈ M oder x ∈ N} die Vereinigung von M und N.

(b) M ∩ N := {x ∈ G : x ∈ M und x ∈ N} der Durchschnitt oder auch nur


Schnitt der Mengen M und N.

(c) M c := {x ∈ G : x 6∈ M} das Komplement von M (in G).

(d) M \ N := {x ∈ M : x 6∈ N} die Mengendifferenz von M und N.

(e) M × N := {(m, n) : m ∈ Mund n ∈ N} das kartesische Produkt von M


und N.

Mit diesen Begriffen können wir nun schon etwas Mathematik betreiben. Wir
sammeln die wichtigsten Regeln für obige Mengenoperationen in folgendem Satz.

Satz 1.4. Es seien A, B und C Mengen. Dann gelten

4
1.1. Mengen

(a) A ∪ B = B ∪ A und A ∩ B = B ∩ A (Kommutativgesetze),

(b) (A∪B)∪C = A∪(B ∪C) und (A∩B)∩C = A∩(B ∩C) (Assoziativgesetze),

(c) A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) und A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C)
(Distributivgesetze),

(d) (A ∪ B)c = Ac ∩ B c und (A ∩ B)c = Ac ∪ B c (Regeln von De Morgan).

Beweis. Wir behandeln hier das erste Distributivgesetz und die erste Regel von
De Morgan, die weiteren verbleiben als Übungsaufgabe. Für das Distributivgesetz
zeigen wir zuerst (vgl. Bemerkung 1.2)

A ∪ (B ∩ C) ⊆ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C),

und zwar folgendermaßen: Sei x ∈ A ∪ (B ∩ C). Dann ist also x ∈ A oder


x ∈ B ∩ C. Betrachten wir zunächst den Fall x ∈ A. Dann gilt auch x ∈ A ∪ B
und x ∈ A ∪ C, denn diese Mengen enthalten A. Also ist x ∈ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C)
und wir sind fertig. Betrachten wir also den Fall x ∈ B ∩ C. Dann ist x ∈ B und
x ∈ C, also gilt wieder x ∈ A ∪ B und x ∈ A ∪ C, dieses Mal, weil x sowohl in
B als auch in C liegt. Daraus folgt wieder x ∈ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) und wir haben
A ∪ (B ∩ C) ⊆ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) gezeigt.
Um die im ersten Distributivgesetz behauptete Gleichheit zu zeigen, müssen wir
nun noch die umgekehrte Inklusion

A ∪ (B ∩ C) ⊇ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C)

zeigen. Dazu sei x ∈ (A ∪ B) ∩ (A ∪ C). Dann ist x sowohl in A ∪ B als auch in


A ∪ C. Wir betrachten die beiden Fälle x ∈ A und x 6∈ A. Man beachte, dass wir
dann alle möglichen Fälle berücksichtigt haben! Ist x ∈ A, so haben wir sofort
auch x ∈ A ∪ (B ∩ C), was unser Ziel war. Es bleibt also der Fall x 6∈ A. Da dann
x in A ∪ B ist, ohne in A zu sein, muss x zwangsläufig in B sein, denn wie sollte
es sonst da hineinkommen? Genauso folgt x ∈ C aus x ∈ A ∪ C. Also ist x in
B ∩ C und damit auch x ∈ A ∪ (B ∩ C) und wir haben auch die zweite Inklusion
und damit die Gleichheit

(A ∪ B) ∩ (A ∪ C) = A ∪ (B ∩ C)

gezeigt.
Für die erste Regel von De Morgan zeigen wir wieder zuerst

(A ∪ B)c ⊆ Ac ∩ B c .

Sei dazu x ∈ (A∪B)c . Dann ist x 6∈ A∪B, d. h. x ist nicht in der Vereinigung von
A und B enthalten. Damit kann x weder in A noch in B sein, denn sonst würde

5
1. Grundlegende Begriffe

es ja in dieser Vereinigung liegen. Es ist also x 6∈ A und x 6∈ B, d. h. x ∈ Ac und


x ∈ B c , was schließlich x ∈ Ac ∩ B c nach sich zieht.
Die zweite Inklusion
(A ∪ B)c ⊇ Ac ∩ B c
zeigt man folgendermaßen: Es sei x ∈ Ac ∩ B c . Dann ist x ∈ Ac und x ∈ B c . Also
ist x nicht in A und nicht in B, es ist also auch nicht in der Vereinigung von A
und B, was genau x ∈ (A ∪ B)c bedeutet.
Definition 1.5. Ist I eine Menge (Man nennt I in diesem Zusammenhang In-
dexmenge) und ist für jedes i ∈ I eine Menge Mi gegeben, so ist
[
Mi := {x ∈ G : es gibt ein j ∈ I mit x ∈ Mj } und
i∈I
\
Mi := {x ∈ G : x ∈ Mj für alle j ∈ I}.
i∈I
S∞ T∞ S
Ist
T I = N, so schreibt man auch oft n=1 Mn bzw. n=1 Mn statt n∈N Mn und
n∈N Mn .

1.2. Zeichenerklärung für die logischen Symbole


All- und Existenzquantor
Oft werden in mathematischen Texten die folgenden Symbole verwendet:

• Der Allquantor ∀ bedeutet für alle“.



Beispiel: ∀n ∈ N : 2n ist eine gerade Zahl“ ist eine wahre Aussage.

• Der Existenzquantor ∃ steht für es existiert“.

Beispiel: ∃x ∈ R : x2 = −1“ ist eine falsche Aussage.

Beispiel 1.6. Für ein Beispiel, das die beiden Quantoren kombiniert, definieren
wir S als die Menge aller Städte und W als die Menge aller Wege auf der Erde
und betrachten die bekannte Aussage

∃s ∈ S ∀w ∈ W : w führt nach s. (1.1)

Übersetzung: Es gibt eine Stadt (meist Rom genannt), zu der alle Wege hinführen.
Gesucht ist die Verneinung dieser Aussage, d. h. eine Aussage, die genau dann
wahr ist, wenn (1.1) falsch ist und genau dann falsch ist, wenn (1.1) wahr ist.
Es gilt die folgende Regel zum Verneinen von Aussagen:
Jedes ∃ wird ein ∀, jedes ∀ ein ∃ und die Bedingung am Ende wird verneint.
Im obigen Beispiel also

6
1.2. Zeichenerklärung für die logischen Symbole

∀s ∈ S ∃w ∈ W : w führt nicht nach s,


d. h. für jede Stadt gibt es einen Weg, der nicht zu ihr führt. Für den Spezialfall
Rom ergibt sich: Es gibt einen Weg, der nicht nach Rom führt.

Implikation und Äquivalenz


Sind A und B zwei Aussagen, so bezeichnet man mit
• A =⇒ B“ die Aussage Aus A folgt B“ oder A impliziert B“ (Implikati-
” ” ”
on).
• A ⇐⇒ B“ die Aussage A gilt genau dann, wenn B gilt“ oder A ist
” ” ”
äquivalent zu B“ (Äquivalenz ).
Die Wahrheitswerte solcher zusammengesetzter Aussagen kann man durch eine
Wahrheitstafel angeben. Für den Wahrheitsgehalt der Aussagen A und B gibt
es vier verschiedene Fälle (beide wahr, A wahr und B falsch, A falsch und B
wahr sowie beide falsch). Eine Wahrheitstafel gibt nun in jedem dieser Fälle
den Wahrheitsgehalt der zusammengesetzten Aussage an. Für Implikation und
Äquivalenz ergibt das:
A B A =⇒ B A ⇐⇒ B
w w w w
w f f f
f w w f
f f w w

Oft hat man in Beweisen die Äquivalenz zweier Aussagen A und B nachzuweisen.
Dazu ist es meist von Vorteil, diese Aufgabe in die beiden Teilprobleme A =⇒ B“

und B =⇒ A“ aufzuteilen und diese beiden Implikationen getrennt zu beweisen.

Übungsaufgabe 1.7. Machen Sie sich anhand einer Wahrheitstafel klar, dass
die beiden Aussagen A ⇐⇒ B“ sowie A =⇒ B und B =⇒ A“ tatsächlich die
” ”
gleichen Wahrheitswerte haben.
Hat man sogar A ⇐⇒ B ⇐⇒ C ⇐⇒ D ⇐⇒ · · · ⇐⇒ Q“ zu beweisen, so

hilft das Prinzip des Ringschlusses: Man zeigt A =⇒ B, B =⇒ C, . . . , P =⇒ Q

und Q =⇒ A“. Machen Sie sich auch hier klar, dass damit wirklich die obige
Aussage gezeigt ist!
Warnung 1.8. Hüten Sie sich vor dem Umkehrschluss: Wenn die Aussage A =⇒

B“ wahr ist, kann man daraus nicht folgern, dass auch B =⇒ A“ stimmt. Dieser

Fehlschluss wird auch oft in folgender Version gemacht: Aus A =⇒ B“ wird

gefolgert, dass, wenn A falsch ist, auch B falsch sein muss. Ein Blick in obige
Wahrheitstafel zeigt sofort, dass das nicht stimmt. Trotzdem passiert es immer
wieder.

7
1. Grundlegende Begriffe

Bemerkung 1.9. Eine zur Implikation A =⇒ B“ äquivalente Aussage ist da-



gegen die Kontraposition nicht B =⇒ nicht A“, wie man der folgenden Wahr-

heitstafel entnehmen kann:
A B A =⇒ B nicht B nicht A nicht B =⇒ nicht A
w w w f f w
w f f w f f
f w w f w w
f f w w w w

Im sogenannten Beweis durch Kontraposition wird dieser Zusammenhang ge-


nutzt.

1.3. Abbildungen
Wir betrachten nun den für alle Teilbereiche der Mathematik wichtigen Begriff
der Abbildung (oder auch Funktion).
Definition 1.10. Es seien D und Z Mengen und es sei jedem Element d aus D
genau ein Element f (d) in Z zugeordnet. Diese Zuordnung nennt man dann eine
Abbildung oder auch Funktion f und schreibt
(
D→Z
f : D → Z, d 7→ f (d) oder f:
d 7→ f (d).

Dabei heißt D die Definitionsmenge und Z die Zielmenge von f .


Weiter nennt man ein Element d ∈ D auch Argument von f , f (d) das Bild von
d unter f und ist z ∈ Z, so heißt jedes d ∈ D mit f (d) = z ein Urbild von z.
Schließlich ist für jedes A ⊆ D das Bild, auch Bildmenge genannt, von A unter
f gegeben durch
f (A) := {f (a) : a ∈ A}
und für jede Teilmenge B von Z ist

f −1 (B) := {d ∈ D : f (d) ∈ B}

das Urbild bzw. die Urbildmenge der Menge B.


Beispiel 1.11. Im weiteren Verlauf werden wir es vor allem mit Funktionen zu
tun haben, die zwischen Mengen von Zahlen definiert sind. Beispiele wären hier
das Potenzieren mit zwei in den reellen Zahlen:1

f : R → R, x 7→ x2
1
Rein formal betrachtet können wir diese Beispiele hier noch nicht betrachten, da wir die
reellen Zahlen noch nicht eingeführt haben. Es sei also vorübergehend an Ihr Schulwissen
appeliert.

8
1.3. Abbildungen

oder die Wurzelfunktion


√ √
: {x ∈ R : x ≥ 0} → R, x 7→ x.

Im Folgenden definieren wir die Verkettung, d. h. die Nacheinanderausführung


von Abbildungen.

Definition 1.12. Es seien A, B und C Mengen und f : A → B sowie g : B → C


Funktionen. Dann heißt die Funktion g ◦ f (lies g nach f“), gegeben durch

g ◦ f : A → C, a 7→ (g ◦ f )(a) := g(f (a)),

die Verkettung oder auch Komposition von g mit f .

Wir wollen einigen besonders schönen Eigenschaften von Funktionen einen Namen
geben.

Definition 1.13. Es seien D und Z Mengen sowie f : D → Z eine Funktion.


Dann heißt f

(a) surjektiv, wenn f (D) = Z gilt.

(b) injektiv, wenn für alle x, y ∈ D mit f (x) = f (y) stets x = y gilt.

(c) bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist.

Bijektive Abbildungen sind deshalb besonders wichtig, weil sie sich rückgängig
machen lassen. Das konkretisieren wir im folgenden Satz.

Satz 1.14. Es seien D, Z Mengen und f : D → Z eine Funktion. Dann ist


f genau dann bijektiv, wenn es für jedes b ∈ Z genau ein a ∈ D gibt, sodass
f (a) = b gilt. In diesem Fall existiert eine Abbildung f −1 : Z → D mit

f −1 (f (a)) = a für alle a ∈ D und f (f −1(b)) = b für alle b ∈ Z.

Beweis. 1. Schritt: Wir zeigen: f bijektiv =⇒ für alle b ∈ Z existiert genau ein
a ∈ D mit f (a) = b.
Da f surjektiv ist, gibt es zu jedem b ∈ Z mindestens ein a ∈ D mit f (a) = b.
Sind a1 , a2 ∈ D mit f (a1 ) = b = f (a2 ) gegeben, so folgt aus der Injektivität von
f sofort a1 = a2 , es kann also nur genau ein solches a ∈ D geben.
2. Schritt: Wir zeigen: Für alle b ∈ Z existiert genau ein a ∈ D mit f (a) =
b =⇒ f bijektiv.
Nach Voraussetzung sind alle b ∈ Z in f (D) enthalten, also ist f surjektiv. Seien
nun a1 , a2 ∈ D mit f (a1 ) = f (a2 ) gegeben. Da jedes b ∈ Z nur genau ein Urbild
hat, muss dann a1 = a2 sein, d. h. f ist auch injektiv.

9
1. Grundlegende Begriffe

3. Schritt: Wir zeigen: f bijektiv =⇒ es existiert f −1 : Z → D mit f −1 (f (a)) = a


für alle a ∈ D und f (f −1(b)) = b für alle b ∈ Z.
Für jedes b ∈ Z definieren wir f −1 (b) := a, wobei a ∈ D das nach dem ersten
Schritt eindeutig bestimmte Element mit f (a) = b ist. Dann ist f −1 (f (a)) das
Element von D, das in f eingesetzt f (a) ergibt, also f −1 (f (a)) = a für alle a ∈ D.
Sei nun b ∈ Z. Dann ist f −1 (b) das Element von D mit f (f −1 (b)) = b und wir
sind fertig.

Definition 1.15. Es seien D, Z zwei Mengen und f : D → Z bijektiv. Dann


heißt die Abbildung f −1 : Z → D aus Satz 1.14 Umkehrfunktion von f .

Beispiel 1.16. Betrachten wir noch einmal die beiden Abbildungen aus Bei-
spiel 1.11, so ist die erste Funktion

f : R → R, x 7→ x2

weder injektiv (denn f (1) = f (−1), aber 1 6= −1) noch surjektiv (denn −1 6∈
f (R)). Betrachten wir dagegen

fe : R → {x ∈ R : x ≥ 0}, x 7→ x2 ,

so ist diese nun surjektiv, denn jede positive reelle Zahl ist das Quadrat einer
reellen Zahl, aber weiterhin nicht injektiv, denn das Problem mit fe(1) = fe(−1)
bleibt bestehen. Das können wir lösen, indem wir nun noch den Definitionsbereich
einschränken, d. h. wir betrachten

fb : {x ∈ R : x ≥ 0} → {x ∈ R : x ≥ 0}, x 7→ x2 .

Nun ist fb tatsächlich bijektiv und die oben erwähnte Wurzelfunktion ist die
Umkehrabbildung.

Wie in obigem Beispiel will man oft eine gegebene Funktion nur auf einem Teil
ihres Definitionsbereiches untersuchen. Dazu vereinbaren wir die folgende Nota-
tion.

Definition 1.17. Seien D, Z Mengen, f : D → Z eine Funktion und M ⊆ D.


Dann ist f |M die Einschränkung von f auf M, d. h. f |M : M → Z ist gegeben
durch f |M (x) = f (x) für x ∈ M.

10
2. Reelle Zahlen
Die Grundmenge der Analysis ist die Menge der reellen Zahlen, geschrieben R.
Diese führen wir axiomatisch ein, d. h. wir postulieren eine gewisse Anzahl von
Grundannahmen, genannt Axiome, deren Gültigkeit wir ohne Beweis zu Grunde
legen.

Körperaxiome
In R sind zwei Abbildungen ( Verknüpfungen“) + : R×R → R und · : R×R → R

gegeben, genannt Addition und Multiplikation, die jedem Paar von Elementen
a, b ∈ R ein a + b ∈ R, bzw. ein a · b ∈ R zuordnen. Dabei sollen die folgenden
Axiome gelten.
(A1) a + (b + c) = (a + b) + c für alle a, b, c ∈ R (Assoziativgesetz der Addition).

(A2) Es gibt ein Element 0 ∈ R, sodass a+0 = a für alle a ∈ R ist (Nullelement).
(A3) Für jedes a ∈ R gibt es ein −a ∈ R, sodass a + (−a) = 0 gilt (additives
inverses Element).
(A4) a + b = b + a für alle a, b ∈ R (Kommutativgesetz der Addition).

(A5) a · (b · c) = (a · b) · c für alle a, b, c ∈ R (Assoziativgesetz der Multiplikation).


(A6) Es gibt ein Element 1 ∈ R mit 1 6= 0, sodass a · 1 = a für alle a ∈ R ist
(Einselement).

(A7) Für jedes a ∈ R \ {0} gibt es ein a−1 ∈ R, sodass a · a−1 = 1 gilt (multipli-
katives inverses Element).

(A8) a · b = b · a für alle a, b ∈ R (Kommutativgesetz der Multiplikation).


(A9) a · (b + c) = a · b + a · c für alle a, b, c ∈ R (Distributivgesetz ).
Bemerkung 2.1. Alle bekannten Rechenregeln für +“ und ·“ lassen sich aus
” ”
(A1) – (A9) ableiten.
Wir betrachten die folgenden Aussagen als Beispiele:
Satz 2.2. (a) Es gibt genau ein Nullelement in R.

(b) a · 0 = 0 für alle a ∈ R.

11
2. Reelle Zahlen

(c) Gilt a · b = 0 für zwei reelle Zahlen a, b, so ist a = 0 oder b = 0.


Beweis. (a) Sei 0̃ ∈ R ein weiteres Nullelement, d. h. für alle a ∈ R gilt a + 0̃ =
a. Insbesondere gilt also für a = 0 damit 0 + 0̃ = 0. Mit (A2) für a = 0̃
haben wir außerdem 0̃ + 0 = 0̃. Also können wir mit Hilfe von (A4) folgern:

0̃ = 0̃ + 0 = 0 + 0̃ = 0.

(b) Nach (A2) gilt 0 + 0 = 0. also ist auch für jedes a ∈ R unter Zuhilfenahme
von (A9)
a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0.
Daraus folgt nun
(A3)  
0 = a · 0 + −(a · 0) = (a · 0 + a · 0) + −(a · 0)
(A1)  (A3) (A2)
= a · 0 + a · 0 + (−(a · 0)) = a · 0 + 0 = a · 0,

also a · 0 = 0.

(c) Es seien a, b ∈ R mit a · b = 0. Im Falle a = 0 sind wir fertig, wir betrachten


also den Fall a 6= 0. Dann gibt es nach (A7) ein Element a−1 ∈ R mit
a · a−1 = 1. Also ist in diesem Fall
(A6) (A5) (A8) (b)
b = b · 1 = b · (a · a−1 ) = (b · a) · a−1 = (a · b) · a−1 = 0 · a−1 = 0,

d. h. b = 0. Damit folgt die Behauptung.


Definition 2.3. (a) Den ·“ für die Multiplikation lassen wir meist weg und

schreiben einfach ab“ statt a · b“.
” ”
(b) Wir setzen a − b := a + (−b) für a, b ∈ R (Subtraktion).
a
(c) Sind a, b ∈ R und gilt b 6= 0, so schreiben wir b
:= a · b−1 (Division).

Anordnungsaxiome
In R ist eine Relation ≤ mit den folgenden Eigenschaften gegeben.
(A10) Für jede Wahl von a, b ∈ R gilt stets a ≤ b oder b ≤ a (Totalordnung).

(A11) Gelten für zwei Zahlen a, b ∈ R die beiden Aussagen a ≤ b und b ≤ a, so


ist a = b (Antisymmetrie).

(A12) Wenn für drei Zahlen a, b, c ∈ R sowohl a ≤ b als auch b ≤ c gilt, so ist
auch a ≤ c (Transitivität).

(A13) Sind a, b, c ∈ R und gilt a ≤ b, so ist auch a + c ≤ b + c.

12
(A14) Sind a, b, c ∈ R und gilt a ≤ b und 0 ≤ c, so ist auch ac ≤ bc.
Definition 2.4. Seien a, b ∈ R. Wir setzen
(a) a ≥ b, wenn b ≤ a ist,

(b) a < b, wenn a ≤ b und a 6= b ist,

(c) a > b, wenn b < a ist.


Definition 2.5. Eine reelle Zahl a heißt
(a) positiv, falls a ≥ 0 und strikt positiv, wenn a > 0 gilt.

(b) negativ, falls a ≤ 0 und strikt negativ, wenn a < 0 gilt.


Bemerkung 2.6. Alle Regeln für Ungleichungen lassen sich aus den Axiomen
(A1) – (A14) ableiten.
Wir betrachten wieder einige Beispiele.
Satz 2.7. Seien a, b, c ∈ R. Dann gilt
(a) Ist a ≤ b, so gilt −a ≥ −b.

(b) Sind a ≤ b und c ≤ 0, so folgt ac ≥ bc.

(c) 1 > 0.
Beweis. (a) Nach (A13) mit c := −a bekommen wir aus a ≤ b die Ungleichung
0 = a+(−a) ≤ b+(−a). Wenden wir auf diese Ungleichung dasselbe Axiom
mit c := −b an, erhalten wir

−b ≤ b + (−a) + (−b) = −a

und sind fertig.

(b) Nach Teil (a) gilt −c ≥ −0 = 0, also liefert (A14)

−ac = a · (−c) ≤ b · (−c) = −bc.

Eine erneute Anwendung von Teil (a) ergibt dann

ac = −(−ac) ≥ −(−bc) = bc.

(c) Die Annahme 1 ≤ 0 führt nach Teil (b) mit a := c := 1 und b := 0 sofort
auf den Widerspruch 1 = ac ≥ bc = 0.
Wir definieren nun die Betragsfunktion, ein fundamentales Hilsmittel in der ge-
samten Analysis.

13
2. Reelle Zahlen

Definition 2.8. Sei a ∈ R. Dann ist der Betrag von a, symbolisiert durch |a|,
gegeben durch (
a, falls a ≥ 0,
|a| :=
−a, falls a < 0.

Satz 2.9. Für alle a, b ∈ R gilt


(a) |a| ≥ 0

(b) |a| = |−a|,

(c) ±a ≤ |a|,

(d) |ab| = |a| · |b|,

(e) |a| = 0 genau dann, wenn a = 0,

(f ) |a + b| ≤ |a| + |b| (Dreiecksungleichung),

(g) |a − b| ≥ |a| − |b| (umgekehrte Dreiecksungleichung).

Beweis. Die Teile (a) bis (d) verbleiben als Übungsaufgabe.


(e) Zu zeigen ist: |a| = 0 ⇐⇒ a = 0. Die Implikation ⇐=“ folgt direkt aus

der Definition des Betrages. Für die umgekehrte Implikation beobachten
wir, dass für alle a > 0 auch |a| = a > 0 ist und dass für alle a < 0 genauso
|a| = −a > 0 ist. Also gilt |a| = 0 nur für a = 0.

(f) Wir betrachten zunächst den Fall a + b ≥ 0. Dann gilt nach Definition des
Betrags |a + b| = a + b und mit Hilfe von (c) ist |a + b| = a + b ≤ |a| + |b|.
Ist dagegen a + b < 0, so gilt |a + b| = −(a + b) = −a + (−b), woraus mit
(c) wieder |a + b| ≤ |a| + |b| folgt.

(g) Mit Hilfe von (f) gilt |a| = |a − b + b| ≤ |a − b| + |b| und damit haben wir
|a| − |b| ≤ |a − b|. Analog erhält man durch Vertauschen der Rollen von a
und b die Ungleichung |b| − |a| ≤ |b − a| = |a − b|. Da |b| − |a| = −(|a| − |b|)
ist, sehen wir damit |a| − |b| ≤ |a − b| und −(|a| − |b|) ≤ |a − b|, woraus
nach der Definition des Betrages die Behauptung folgt.
Definition 2.10. Es seien zwei Zahlen a, b ∈ R mit a < b gegeben. Dann heißen
• (a, b) := {x ∈ R : a < x < b} offenes Intervall,

• [a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} abgeschlossenes Intervall,

• (a, b] := {x ∈ R : a < x ≤ b} und

• [a, b) := {x ∈ R : a ≤ x < b} halboffene Intervalle.

14
Um auch die Fälle von Halbstrahlen abzudecken, definieren wir weiter:
• [a, ∞) := {x ∈ R : a ≤ x},
• (a, ∞) := {x ∈ R : a < x},
• (−∞, a] := {x ∈ R : x ≤ a},
• (−∞, a) := {x ∈ R : x < a},
• (−∞, ∞) := R.
Als Vorbereitung für das 15. Axiom führen wir einige Schreibweisen und Begriffe
ein, die bei der Untersuchung von Teilmengen von R nützlich sind.
Definition 2.11. Es sei M eine nicht-leere Teilmenge von R.
(a) M heißt nach oben beschränkt, wenn ein C ∈ R existiert, sodass x ≤ C
für alle x ∈ M gilt.
In diesem Fall heißt C eine obere Schranke von M.
(b) M heißt nach unten beschränkt, wenn ein C ∈ R existiert, sodass x ≥ C
für alle x ∈ M gilt.
In diesem Fall heißt C eine untere Schranke von M.
(c) M heißt beschränkt, wenn M nach oben und nach unten beschränkt ist.
e
(d) Ist C eine obere Schranke von M und für jede weitere obere Schranke C
e
von M gilt C ≤ C, so heißt C Supremum von M. Wir bezeichnen es mit
sup M.
(e) Ist C eine untere Schranke von M und für jede weitere untere Schranke
Ce von M gilt C ≥ C,
e so heißt C Infimum von M. Wir bezeichnen es mit
inf M.
Wir überlegen uns kurz, dass das Supremum und das Infimum einer Menge, wenn
es denn existiert, eindeutig bestimmt ist.
Satz 2.12. Eine Teilmenge von R hat höchstens ein Supremum und höchstens
ein Infimum.
Beweis. Wir beweisen die Aussage nur für das Supremum, das Argument für das
Infimum geht analog.
Es sei M ein Teilmenge von R mit zwei Suprema C1 und C2 . Dann sind sowohl
C1 als auch C2 obere Schranken von M. Da also C1 ein Supremum und C2 eine
obere Schranke von M ist, gilt nach der Definition des Supremums C1 ≤ C2 .
Umgekehrt ist aber auch C2 ein Supremum und C1 eine obere Schranke von M.
Also gilt C2 ≤ C1 . Damit ist C2 = C1 .

15
2. Reelle Zahlen

Das ermöglicht die nachstehende Definition.

Definition 2.13. Es sei M ⊆ R und M 6= ∅.

(a) Existiert sup M und gilt sup M ∈ M, so heißt sup M das Maximum von
M. Wir bezeichnen es mit max M.

(b) Existiert inf M und gilt inf M ∈ M, so heißt inf M das Minimum von M.
Wir bezeichnen es mit min M.

Beispiel 2.14. (a) Wir betrachten M = (0, 1]. Dann ist M nach oben und
nach unten beschränkt, also beschränkt. Eine obere Schranke ist 17, eine
untere ist 0. Weiter gilt sup M = max M = 1 und inf M = 0. M hat aber
kein Minimum, denn 0 6∈ M!

(b) Nun sei M = (−∞, −1). Dann ist M nach oben aber nicht nach unten
beschränkt. Weiter gilt sup M = −1, aber M hat kein Maximum. Da M
kein Infimum hat, erübrigt sich die Suche nach einem Minimum.

Wir kommen nun zum letzten Axiom der reellen Zahlen.

Vollständigkeitsaxiom
(A15) Jede Teilmenge M von R mit M 6= ∅, die nach oben beschränkt ist, besitzt
ein Supremum.

Wir können damit die entsprechende Aussage über das Infimum beweisen.

Satz 2.15. Ist M ⊆ R, M 6= ∅ und M nach unten beschränkt, so existiert inf M.

Beweis. Wir setzen M f := {−x : x ∈ M}. Nach Voraussetzung existiert eine


untere Schranke C∗ von M. Für diese gilt also C∗ ≤ x für alle x ∈ M. Damit
ist −x ≤ −C∗ für alle x ∈ M, also ist −C∗ eine obere Schranke von M f. Nach
Axiom (A15) existiert also s := sup Mf. Weiter gilt −x ≤ s für alle x ∈ M, also
ist −s ≤ x für alle diese x. Das bedeutet, dass −s eine untere Schranke von M
ist. Wir müssen noch zeigen, dass −s die größte untere Schranke von M ist. Sei
also σ eine weitere untere Schranke von M. Dann ist wie oben −σ eine obere
Schranke von M.f Da s das Supremum von M f ist, muss also s ≤ −σ, und damit
σ ≤ −s gelten. Also ist −s = inf M.
Wir sammeln einige elementare Eigenschaften von Supremum und Infimum.

Satz 2.16. (a) Ist M ⊆ R nicht-leer und beschränkt, so gilt inf M ≤ sup M.

(b) Ist M ⊆ R nach oben (bzw. unten) beschränkt und N ⊆ M nicht-leer, so


ist auch N nach oben (bzw. unten) beschränkt und es gilt sup N ≤ sup M
(bzw. inf N ≥ inf M).

16
Beweis. Zum Beweis von (a) sei x ∈ M beliebig gewählt. Man beachte dazu,
dass M 6= ∅ vorausgesetzt ist. Nun gilt x ≥ inf M und x ≤ sup M. Also ist
inf M ≤ x ≤ sup M.
Wir wenden uns dem Beweis von (b) zu. Für jedes x ∈ N gilt x ∈ M und damit
x ≤ sup M (bzw. x ≥ inf M). Also ist N nach oben (bzw. unten) beschränkt und
sup M (bzw. inf M) ist eine obere (bzw. untere) Schranke von N. Das impliziert
sup N ≤ sup M (bzw. inf N ≥ inf M).
Zum Abschluss dieses Kapitels beweisen wir noch einen Satz, der es oft ermög-
licht, die Qualität, dass eine Zahl ein Supremum (oder Infimum) ist, in einem
Beweis gewinnbringend umzuformulieren.

Satz 2.17. Ist M ⊆ R nicht-leer und C eine obere (bzw. untere) Schranke von
M, so ist C = sup M (bzw. C = inf M) genau dann, wenn für jedes ε > 0 ein
x ∈ M existiert, für das x > C − ε (bzw. x < C + ε) gilt.

Beweis. Wir beweisen diese Aussage nur für den sup“-Fall.



⇒“ Sei C = sup M und ε > 0. Dann ist C − ε kleiner als das Supremum von

M, also keine obere Schranke von M. Damit existiert ein x ∈ M, sodass
x > C − ε ist.

⇐“ Wir müssen zeigen, dass für jede andere obere Schranke Ce von M gilt
” e Sei also C
e eine weitere solche Schranke und wir nehmen an, es
C ≤ C.
e Dann ist ε := C − C
gelte C > C. e > 0. Nach Voraussetzung existiert zu
diesem ε nun ein x ∈ M, sodass x > C − ε ist. Wir haben aber C − ε =
e = C,
C − (C − C) e also x > C.
e Dann kann aber C e keine obere Schranke von
M sein. Widerspruch.

Übungsaufgabe 2.18. Beweisen Sie die folgende Aussage: Eine Teilmenge M


von R mit M 6= ∅ ist genau dann beschränkt, wenn es ein C > 0 gibt, sodass
|x| ≤ C für alle x ∈ M gilt.

17
3. Natürliche Zahlen
In diesem Kapitel wird die Menge der natürlichen Zahlen N definiert und mit
deren Hilfe auch die Menge der ganzen Zahlen Z. Die Definition der natürlichen
Zahlen ist dabei so gewählt, dass wir das wichtige Beweisverfahren der vollstän-
digen Induktion leicht daraus ableiten können. Als Hilfskonstrukt definieren wir
dazu zunächst den folgenden Begriff.

Definition 3.1. Eine Menge A ⊆ R heißt Induktionsmenge, falls gilt

(a) 1 ∈ A und

(b) ist x ∈ A, so ist auch stets x + 1 ∈ A.

Beispiel 3.2. Beispiele von Induktionsmengen sind R oder {1} ∪ [2, ∞).

Satz 3.3. Ist I eine Indexmenge und ist für jedes i ∈ T


I eine Induktionsmenge
Ai ⊆ R gegeben, so ist auch deren Durchschnitt A := i∈I Ai eine Induktions-
menge.

Beweis. Da die Eins in jeder Induktionsmenge liegt, muss sie in jedem Ai lie-
gen und damit auch in deren Durchschnitt A. Damit ist Bedingung (a) aus der
Definition einer Induktionsmenge gezeigt.
Für den Nachweis der zweiten Bedingung sei x ∈ A. Nach Definition von A gilt
dann x ∈ Ai für jedes i ∈ I. Da die Mengen Ai alle Induktionsmengen sind, muss
dann aber für jedes i ∈ I auch x + 1 ∈ Ai gelten. Damit erhalten wir schließlich
x + 1 ∈ A und sind fertig.

Definition 3.4. Den Durchschnitt aller Induktionsmengen bezeichnen wir mit


N. Das ist die Menge der natürlichen Zahlen.
Weiter setzen wir

N0 := N ∪ {0} und
Z := N0 ∪ {−n : n ∈ N} (ganze Zahlen).

Wir sammeln ein paar grundlegende Eigenschaften von N.

Satz 3.5. (a) N ist eine Induktionsmenge.

(b) Ist A eine Induktionsmenge und A ⊆ N, so ist A = N (Prinzip der voll-


ständigen Induktion).

19
3. Natürliche Zahlen

(c) N ist nicht nach oben beschränkt (Satz von Archimedes).

(d) Für alle x ∈ R gibt es ein n ∈ N mit x < n.

(e) Für alle x ∈ R mit x > 0 gibt es ein n ∈ N, sodass 1/n < x ist.

Beweis. (a) Das folgt sofort aus Satz 3.3.

(b) Sei A ⊆ N eine Induktionsmenge. Da N der Schnitt aller Induktionsmengen


ist, gilt N ⊆ A. Zusammen mit der Voraussetzung A ⊆ N gilt also A = N.

(c) Wir nehmen an, N wäre nach oben beschränkt. Nach dem Vollständig-
keitsaxiom existiert also das Supremum s := sup N in R. Dann liefert
Satz 2.17 ein n ∈ N mit n > s − 1. (Wähle dort ε = 1.) Wir haben damit
n + 1 > s und da N nach (a) eine Induktionsmenge ist, gilt n + 1 ∈ N. Das
heißt wiederum, dass n + 1 ≤ sup N = s gelten muss, sodass wir bei einem
Widerspruch enden.

(d) Wir nehmen an, es gäbe ein x ∈ R mit x ≥ n für alle n ∈ N. Dann wäre x
eine obere Schranke von N, was im Widerspruch zu (c) steht.

(e) Sei x > 0. Dann gibt es nach (d) ein n ∈ N mit 1/x < n. Für dieses n gilt
1/n < x.

Dieses Wissen können wir nun nutzen, um zu zeigen, dass die so definierte Menge
N mit unserer Vorstellung der natürlichen Zahlen übereinstimmt.

Satz 3.6. (a) Für alle n ∈ N gilt n ≥ 1.

(b) Für jedes n ∈ N ist die Menge An := (N ∩ [1, n]) ∪ [n + 1, ∞) eine Indukti-
onsmenge.

(c) Es seien n ∈ N und x ∈ R mit n < x < n + 1 gegeben. Dann gilt x 6∈ N.

Beweis. (a) Wir setzen A := {n ∈ N : n ≥ 1}. Dann gilt 1 ∈ A und wenn


n ∈ A ist, so gilt wegen n ≥ 1 auch n + 1 ≥ 1 + 1 ≥ 1, also ist auch
n + 1 ∈ A und damit A eine Induktionsmenge. Wegen A ⊆ N gilt wegen
Satz 3.5 (b) sofort A = N.

(b) Wir setzen A := {n ∈ N : An ist eine Induktionsmenge}. Der Beweis


verläuft nun in drei Schritten:
Induktionsanfang (1 ist in A): Nach Beispiel 3.2 ist A1 = {1} ∪ [2, ∞) eine
Induktionsmenge. Also ist 1 ∈ A.
Induktionsvoraussetzung: Es sei n ∈ A, d. h. wir wählen ein n ∈ N, sodass
An eine Induktionsmenge ist.

20
Induktionsschluss (zeige, dass auch n+1 ∈ A gilt): Es ist An+1 = (N∩[1, n+
1]) ∪ [n + 2, ∞). Also ist 1 ∈ An+1 . Sei nun x ∈ An+1 . Es können dann zwei
Fälle auftreten. Im ersten Fall ist x ≥ n+2. Dann gilt x+1 ≥ n+3 ≥ n+2,
also haben wir sofort x + 1 ∈ An+1 .
Im zweiten Fall ist x ∈ N mit 1 ≤ x ≤ n+ 1. Dann machen wir uns zunutze,
dass An eine Induktionsmenge ist (Induktionsvoraussetzung!) und deshalb
N ⊆ An gilt. Das liefert uns, dass x ∈ An ist. Damit ist entweder 1 ≤ x ≤ n
oder x ≥ n+1, d. h. entweder wir haben 2 ≤ x+1 ≤ n+1 oder x+1 ≥ n+2.
Also ist x + 1 ∈ An+1 .
(c) Wir nehmen an, es wäre doch x ∈ N. Da nach (b) N ⊆ An gilt, hätten wir
dann x ∈ An . Das impliziert aber x ≤ n oder x ≥ n + 1. Widerspruch.
Die Menge A wird üblicherweise bei einem Induktionsbeweis nicht mehr erwähnt,
da die Methode immer die gleiche ist. Wir wollen uns das an einem weiteren, sehr
typischen Beispiel für einen Induktionsbeweis anschauen.
Satz 3.7. Für alle n ∈ N gilt
n(n + 1)
1+2+3+···+n = .
2
Beweis.
Induktionsanfang: Es gilt 1 = 1·(1+1)/2, also ist die Aussage für n = 1 richtig.
Induktionsvoraussetzung: Die Aussage des Satzes sei für ein bestimmtes n ∈ N
richtig, d. h. es gilt
n(n + 1)
1+2+···+n =
2
für dieses n ∈ N.
Induktionsschluss: Mit Hilfe der Induktionsvoraussetzung gilt
n(n + 1) n(n + 1) + 2(n + 1)
1 + 2 + · · · + n + (n + 1) = +n+1=
2 2
(n + 1)(n + 2) (n + 1)((n + 1) + 1)
= = .
2 2
Also stimmt die Aussage auch für n + 1.
Bemerkung 3.8. (a) Die Pünktchen-Schreibweise im obigen Beweis für die
Summation von n Zahlen ist reichlich schwerfällig und führt oft zu unpräzi-
sen Formulierungen. Deshalb hat sich dafür eine sehr praktische Schreibwei-
se eingebürgert. Sind n, N ∈ Z mit n ≤ N und reelle Zahlen an , an+1 , . . . , aN
gegeben, so schreiben wir
N
X
ak := an + an+1 + · · · + aN −1 + aN
k=n

21
3. Natürliche Zahlen

mit dem sogenannten Summenzeichen. Die Aussage von Satz 3.7 lässt sich
damit z. B. so hinschreiben:
Xn
n(n + 1)
k= .
k=1
2

(b) Analog verwendet man das Produktzeichen


N
Y
ak := an · an+1 · . . . · aN −1 · aN
k=n

mit n, N ∈ Z und an , an+1 , . . . , aN ∈ R wie oben.


Im nächsten Satz zeigen wir, dass N eine sogenannte wohlgeordnete Menge ist,
d. h. jede nicht-leere Teilmenge besitzt ein Minimum.
Satz 3.9 (Wohlordnungsprinzip). Ist M 6= ∅ eine Teilmenge von N, so existiert
min M.
Beweis. Nach Satz 3.6 (a) ist eins eine untere Schranke von N und damit auch
von M. Also ist
1 ∈ A := {ν ∈ N : ν ist untere Schranke von M}.
und diese Menge damit nicht leer. Andererseits ist A durch jedes Element von M
(beachte M 6= ∅) nach oben beschränkt, also ist A nach Satz 3.5 (c) eine echte
Teilmenge von N und damit insbesondere keine Induktionsmenge. Da 1 ∈ A gilt,
bedeutet dies, dass es ein ν0 ∈ A geben muss, für das ν0 + 1 6∈ A gilt. Nach der
Definition von A sind ν0 und damit auch ν0 + 1 in N, ν0 ist eine untere Schranke
von M, aber ν0 + 1 ist keine. Es gibt also ein n0 ∈ M mit ν0 ≤ n0 < ν0 + 1.
Da aber alle drei beteiligten Zahlen in dieser Ungleichungskette in N liegen, gilt
nach Satz 3.6 (c) sogar n0 = ν0 . Damit ist n0 = ν0 eine untere Schranke von M,
die in M liegt, also das Minimum von M.
Zum Abschluss dieses Kapitels führen wir noch ein paar wichtige Schreibweisen
und Rechenoperationen, wie z. B. das Potenzieren mit ganzzahligen Exponenten,
ein und beweisen einige wichtige Ungleichungen und Identitäten.
Definition 3.10. (a) Für a ∈ R und n ∈ N schreiben wir für die Potenzen
n
Y
n
| · a · a{z· . . . · a} =
a := a a.
n Faktoren k=1

Weiter setzen wir a0 := 1.


Ist außerdem a 6= 0, so schreiben wir
1
a−n := .
an

22
(b) Für n ∈ N definieren wir die Fakultät von n als
n
Y
n! := 1 · 2 · 3 · . . . · n = k
k=1

und wir vereinbaren 0! := 1.


(c) Schließlich ist für k, n ∈ N0 mit 0 ≤ k ≤ n der Binomialkoeffizient gegeben
durch  
n n!
:= .
k k!(n − k)!
Satz 3.11. (a) Ist x ≥ −1 und n ∈ N so gilt
(1 + x)n ≥ 1 + nx (Bernoullische Ungleichung).

(b) Für die Binomialkoeffizienten gelten für alle n ∈ N und alle k ∈ N mit
1 ≤ k ≤ n die folgenden Identitäten:
         
n n n n n+1
=1= , + = .
0 n k k−1 k

(c) Für alle a, b ∈ R und alle n ∈ N0 gilt


n
X
n+1 n+1
a −b = (a − b) an−k bk .
k=0

(d) Für alle a, b ∈ R und alle n ∈ N gilt die Binomialformel


X n  
n n n−k k
(a + b) = a b .
k=0
k

Beweis. (a) Wir führen einen Induktionsbeweis.


Induktionsanfang: Für n = 1 lautet die behauptete Ungleichung 1 + x ≥
1 + x und ist offensichtlich wahr.
Induktionsvoraussetzung: Für ein n ∈ N gelte (1 + x)n ≥ 1 + nx für alle
x ≥ −1.
Induktionsschluss: Für x ≥ −1 gilt 1 + x ≥ 0, also können wir mit Hilfe der
Induktionsvoraussetzung folgern
(1 + x)n+1 = (1 + x)(1 + x)n ≥ (1 + x)(1 + nx).
Multiplizieren wir nun aus und lassen den (positiven!) Term mit x2 weg, so
erhalten wir
(1 + x)n+1 ≥ 1 + x + nx + nx2 = 1 + (n + 1)x + nx2 ≥ 1 + (n + 1)x
und sind fertig.

23
3. Natürliche Zahlen
   
n n! n! n n! n!
(b) Es gilt = = = 1 und = = =1
0 0!(n − 0)! 1 · n! n n!(n − n)! n! · 1
sowie
   
n n n! n!
+ = +
k k−1 k!(n − k)! (k − 1)!(n − k + 1)!
n!(n − k + 1) n!k n!(n + 1)
= + =
k!(n − k + 1)! k!(n − k + 1)! k!(n + 1 − k)!
 
(n + 1)! n+1
= = .
k!(n + 1 − k)! k

(c) Es gilt
n
X n
X n
X
n−k k n−k k
(a − b) a b =a a b −b an−k bk
k=0 k=0 k=0
n
X n
X
= an−k+1 bk − an−k bk+1 .
k=0 k=0

Schreibt man beide Summen aus:

= an+1 + an b + an−1 b2 + · · · + a2 bn−1 + abn



− an b + an−1 b2 + · · · + a2 bn−1 + abn + bn+1 ,

so erkennt man, dass sich die meisten Summanden wegheben. Das kann
man auch mit dem Summenzeichen herausarbeiten. Dazu schreiben wir
n
X n
X n
X
n−k k n−k+1 k
(a − b) a b = a b − an−k bk+1
k=0 k=0 k=0
n
X n−1
X
n+1 n−k+1 k
=a + a b − an−k bk+1 − bn+1 . (3.1)
k=1 k=0

Wir machen nun einen sogenannten Indexshift. In der ersten Summe erset-
zen wir ℓ := k − 1. Wenn k von 1 bis n gezählt wird, läuft also ℓ von 0 bis
n − 1 und wir bekommen
n−1
X n−1
X
= an+1 + an−ℓ bℓ+1 − an−k bk+1 − bn+1 (3.2)
ℓ=0 k=0
n+1 n+1
=a −b .

(Eine solche Summe, bei der sich jeweils aufeinanderfolgende Summanden


so wegheben, dass nur am Anfang und am Ende etwas übrigbleibt, nennt
man Teleskopsumme.)

24
(d) Wir verwenden wieder vollständige Induktion.
Induktionsanfang (n = 1):
X1  
1 1−k k
a b = a + b = (a + b)1 .
k=0
k
Induktionsvoraussetzung: Für ein n ∈ N gelte
X n  
n n n−k k
(a + b) = a b .
k
k=0

Induktionsschluss: Es gilt
(a + b)n+1 = (a + b)(a + b)n
Xn  
I.V. n n−k k
= (a + b) a b
k=0
k
X n   n  
n n+1−k k X n n−k k+1
= a b + a b
k=0
k k=0
k
  Xn   n−1    
n n+1 n n+1−k k X n n−k k+1 n n+1
= a + a b + a b + b .
0 k=1
k k=0
k n

Erneut machen wir einen Indexshift. Dieses Mal ersetzen wir in der zweiten
Summe ℓ := k + 1. Das liefert
  n   n    
n n+1 X n n+1−k k X n n+1−ℓ ℓ n n+1
= a + a b + a b + b .
0 k=1
k ℓ=1
ℓ − 1 n

Nun können wir die Zählvariable in der zweiten Summe auch wieder k
nennen und erhalten
  n   n    
n n+1 X n n+1−k k X n n+1−k k n n+1
= a + a b + a b + b .
0 k=1
k k=1
k − 1 n

Damit können wir die beiden Summen zu einer zusammenfassen und mit
Hilfe der Formeln aus (b) folgt
       
n n+1 X n
n
n n+1−k k n n+1
= a + + a b + b
0 k=1
k k−1 n
  n    
n + 1 n+1 X n + 1 n+1−k k n + 1 n+1
= a + a b + b
0 k=1
k n + 1
n+1 
X n+1 
= an+1−k bk .
k=0
k

25
3. Natürliche Zahlen

Das ist genau die behauptete Formel für n + 1 statt n.

Satz 3.12 (Geometrische Summenformel). Es sei q ∈ R \ {1}. Dann gilt für alle
n∈N
Xn
1 − q n+1
qk = .
k=0
1 − q

Beweis. Es gilt für alle n ∈ N und q 6= 1


n
X n
X n
X n
X n−1
X
k k k+1 0 k
(1 − q) q = q − q =q + q − q k+1 − q n+1
k=0 k=0 k=0 k=1 k=0
n
X n
X
= 1 − q n+1 + qk − q k = 1 − q n+1 .
k=1 k=1

Da q 6= 1 ist, liefert Division durch 1 − q die Behauptung.

26
4. Rationale Zahlen und Wurzeln
Nun, da wir die natürlichen Zahlen im Griff haben, können wir ohne weitere
Umschweife die rationalen Zahlen definieren. Das Hauptthema dieses Abschnitts
wird dann sein, das Potenzieren auf rationale Exponenten auszuweiten, d. h.
Wurzeln einzuführen.

Definition 4.1. Wir definieren die rationalen Zahlen Q als die Teilmenge der
reellen Zahlen mit nm o
Q := : m ∈ Z, n ∈ N .
n
Die rationalen Zahlen haben eine bemerkenswerte Eigenschaft, die wir im folgen-
den Satz herausarbeiten wollen.

Satz 4.2. Für jedes x ∈ R und jedes ε > 0 existiert ein q ∈ Q mit |x − q| < ε.

Beweis. 1. Fall x ≥ 0: Nach dem Satz von Archimedes 3.5 (e) gibt es ein m ∈ N
mit 0 < 1/m < ε. Weiter hat dank des Wohlordnungsprinzips aus Satz 3.9 die
Menge M := {k ∈ N : k/m > x} ein Minimum n := min M. Wegen n ∈ M haben
wir n/m > x und, da n − 1 nicht mehr zu M gehört, gilt n−1/m ≤ x. Das liefert

n−1 n n−1 1
−ε < 0 ≤ x − < − = < ε,
m m m m
wir können also q := n−1/m setzen und erhalten |x − q| < ε.
2. Fall x < 0: Da |x| > 0 ist, gibt es nach den Überlegungen im 1. Fall ein q ∈ Q
mit 0 ≤ |x| − q < ε. Nun gilt für q̃ = −q ∈ Q

x − q̃ = −|x| + q = −(|x| − q) ∈ (−ε, 0], d. h. |x − q̃| < ε.

Diese Eigenschaft bekommt einen eigenen Namen.

Definition 4.3. Eine Menge M ⊆ R heißt dicht in R, wenn für jedes x ∈ R und
jedes ε > 0 ein y ∈ M existiert mit |x − y| < ε.

Zur Definition von Wurzeln benötigen wir zunächst den folgenden Hilfssatz.

Lemma 4.4. Sind x, y ≥ 0 und n ∈ N, so gilt x ≤ y genau dann, wenn xn ≤ y n


ist.

27
4. Rationale Zahlen und Wurzeln

Beweis. Für alle n ∈ N haben wir nach Satz 3.11 (c)


n−1
X
n n
x − y = (x − y) xn−1−k y k .
k=0

Da x, y ≥ 0 sind, ist die Summe auf der rechten Seite positiv, also gilt

x ≤ y ⇐⇒ x − y ≤ 0 ⇐⇒ xn − y n ≤ 0 ⇐⇒ xn ≤ y n .

Wir beweisen nun die Existenz und Eindeutigkeit einer positiven n-ten Wurzel
von positiven reellen Zahlen.

Satz 4.5. Es sei a ≥ 0 und n ∈ N. Dann gibt es genau ein x ∈ [0, ∞), sodass
xn = a gilt.

Beweis. Wir zeigen zunächst die Eindeutigkeit. Seien also x, y ≥ 0 gegeben, so-
dass xn = a = y n gilt. Dann gilt insbesondere xn ≤ y n und y n ≤ xn und mit
Lemma 4.4 folgt dann x ≤ y und y ≤ x, also x = y.
Für die Existenz stellen wir zunächst fest, dass die Sache für a = 0 durch x = 0
gelöst wird. Sei also a > 0. Wir betrachten die Menge

M := {x ∈ [0, ∞) : xn ≤ a}.

Dann ist in jedem Fall 0 ∈ M, also M 6= ∅. Da n ∈ N ist, gilt a ≤ na ≤ 1+na und


daher mit der Bernoullischen Ungleichung, vgl. Satz 3.11 (a), auch a ≤ (1 + a)n .
Damit folgern wir nun für alle x ∈ M die Abschätzung xn ≤ a ≤ (1 + a)n , aus der
mit Lemma 4.4 sofort x ≤ 1 + a folgt. Also ist M nach oben beschränkt. Nach
dem Vollständigkeitsaxiom existiert damit s := sup M. Wir nehmen an, es wäre
sn 6= a und unterscheiden zwei Fälle.
1. Fall sn < a: Für jedes m ∈ N gilt mit der Binomialformel aus Satz 3.11 (d)
 n   n  
1 n X n n−k 1 n
X n n−k 1
s+ = s k
= s + s
m k=0
k m k=1
k mk
|{z}
≤1/m
n 
X 
1 n n−k 1
≤ sn + s =: sn + r. (4.1)
m k=1
k m

Man beachte, dass das so definierte r in jedem Fall größer oder gleich null ist.
Nach dem Satz von Archimedes (Satz 3.5 (e)) und da nach Annahme a − sn > 0
gilt, existiert ein m0 ∈ N mit 1/m0 < a−sn/r. Dann gilt sn + r/m0 < a, also ist mit
Hilfe von (4.1), wobei wir m = m0 wählen,
 1 n 1
s+ ≤ sn + r < a.
m0 m0

28
Das liefert uns s + 1/m0 ∈ M, und da s das Supremum dieser Menge war, gilt
s + 1/m0 ≤ s, d. h. 1/m0 ≤ 0. Widerspruch!
2. Fall sn > a: Wir rechnen für jedes m ∈ N (man beachte, dass s 6= 0 sein muss,
da sonst sn = 0 < a wäre)
 1 n h  1 in  1 n
s− = s 1− = sn 1 − .
m ms ms
Nach dem Satz von Archimedes können wir ein m ∈ N mit 1/m ≤ s finden.
Dann gilt −1/ms ≥ −1, wir können folglich die Bernoullische Ungleichung aus
Satz 3.11 (a) anwenden und erhalten
 n 
≥ sn 1 − . (4.2)
ms
Wir machen nun bei Bedarf unser m noch einmal größer, damit 1/m ≤ s und
1/m < s(sn −a)/nsn gilt. Da nach Annahme sn − a > 0 ist, haben wir für ein solches

m
1 s(sn − a) nsn nsn  n 
n n n
< =⇒ < s − a =⇒ a < s − = s 1 −
m nsn ms ms ms
und nehmen wir dies mit (4.2) zusammen, so folgt
 1 n  n 
s− ≥ sn 1 − > a.
m ms
Da s das Supremum von M ist, gibt es nach Satz 2.17 ein x0 ∈ M mit x0 > s− 1/m.
Nach Lemma 4.4 gilt dann auch
 1 n
xn0 ≥ s − > a,
m
was im Widerspruch zu x0 ∈ M steht.
Definition 4.6. Zu gegebenen a ≥ 0 und n ∈ N bezeichnen wir die nach obigem
Satz eindeutig existierende Zahl x, für die xn = a gilt, als n-te Wurzel von a und
schreiben √
a := a /n := x.
n 1


Ist n = 2, so sagt man einfach Wurzel von a und schreibt kurz a.
Außerdem setzen wir für a > 0 wieder
−1/n 1
a := .
a1/n
Wir wissen nun für a > 0, was a±n und a±1/n ist. Im nächsten Schritt wollen wir
uns mit aq für beliebige rationale Zahlen
√ q befassen. Für q = m/n mit m, n ∈ N ist
q m
die naheliegende Definition a := ( a) . Damit das wohldefiniert ist, muss aber
n

29
4. Rationale Zahlen und Wurzeln

zunächst geklärt werden, dass dieser Wert nicht von der speziellen Darstellung
von q als Bruch abhängt.
Seien also m, n, p, r ∈ N, sodass q = m/n = p/r ist. Dann gilt mr = np und es folgt
für jedes a ≥ 0
√ r √ √ √ p
( n a)m = ( n a)mr = ( n a)np = ( n a)n = ap und
√ r √ √ p
( r a)p = ( r a)pr = ( r a)r = ap .
√ √
Also ist dank der Eindeutigkeit der Wurzel ( n a)m = ( r a)p . Damit ist die fol-
gende Definition gerechtfertigt.

Definition 4.7. Es sei a ≥ 0, q ∈ Q mit q > 0 und q = m/n (m, n ∈ N). Dann
setzen wir √
aq := ( n a)m ,
und falls a > 0 gilt, definieren wir für q < 0
1
aq := .
a−q
Übungsaufgabe 4.8. Es gelten die bekannten Rechenregeln für rationale Ex-
ponenten, d. h. für alle a, b ≥ 0 und alle p, q ∈ Q gilt
ap
• ap aq = ap+q • aq
= ap−q
ap
p
• ap bp = (ab)p • bp
= ab
• (ap )q = apq

30
Teil II.

Folgen und Reihen

31
5. Folgen und Abzählbarkeit
Dieses Kapitel führt den für die Analysis fundamentalen Begriff der Folge ein
und beginnt erste Untersuchungen des Unendlichen, indem wir uns die Anzahl
der Elemente von endlichen und unendlichen Mengen genauer anschauen.

Definition 5.1. Sei X eine nicht-leere Menge. Eine Funktion a : N → X heißt


eine Folge in X.
Bei Folgen schreibt man traditionell an statt a(n), n ∈ N, für das n-te Folgenglied.
Die gesamte Folge wird üblicherweise mit (an ) oder (an )∞ n=1 oder (an )n∈N oder
(an )n≥1 oder (a1 , a2 , a3 , . . . ) bezeichnet.

Beispiel 5.2. (a) Ist X = R, so spricht man von einer reellen Folge. Ein Bei-
spiel einer solchen Folge ist
1 1  1 1 
an := , n ∈ N, bzw. (an ) = = 1, , , . . . .
n n 2 3

(b) Für X = {0, 1} sind (an ) = (1, 0, 1, 0, 1, 0, . . . ) oder (bn ) = (1, 1, 1, 1, 1, . . . )


Beispiele für Folgen in {0, 1}.

Mit Hilfe von Folgen können wir Begriffe einführen, um die Größe“ unendlich

großer Mengen zu klassifizieren. Ein erster Schritt zur Beschreibung der Unend-
lichkeit.

Definition 5.3. Eine Menge X 6= ∅ heißt

(a) endlich, wenn ein n ∈ N und eine bijektive Funktion f : {1, 2, . . . , n} → X


existieren.
In diesem Fall ist X = {f (1), f (2), . . . , f (n)} und man sagt, dass M die
Mächtigkeit n hat bzw. n Elemente besitzt.

(b) unendlich, wenn X nicht endlich ist.

(c) abzählbar, wenn eine Folge (an ) in X existiert, die surjektiv ist, d. h. es
gilt X = {a1 , a2 , a3 , . . . } = {an : n ∈ N}.

(d) abzählbar unendlich, wenn X unendlich und abzählbar ist.

(e) überabzählbar, wenn X nicht abzählbar ist.

33
5. Folgen und Abzählbarkeit

Bemerkung 5.4. Beachten Sie, dass nach dieser Definition auch endliche Men-
gen abzählbar sind.
Beispiel 5.5. (a) Die natürlichen Zahlen sind abzählbar unendlich, denn N =
{a1 , a2 , a3 , . . . } mit (an ) = (n) und wegen des Satzes von Archimedes 3.5
ist N nicht endlich.
(b) Die ganzen Zahlen sind ebenfalls abzählbar unendlich, denn es ist Z =
{a1 , a2 , a3 , . . . } mit a1 = 0, a2 = 1, a3 = −1, a4 = 2, a5 = −2, . . . , also
a2n = n und a2n−1 = −n + 1 für alle n ∈ N.
Abzählbarkeit bleibt bei Teilmengenbildung und für abzählbare Vereinigungen
erhalten. Diese wichtigen Eigenschaften halten wir im folgenden Satz fest.
Satz 5.6. (a) Ist A eine abzählbare Menge und B ⊆ A nicht-leer, so ist auch
B abzählbar.
(b) Sei I eine abzählbare Indexmenge
S und für jedes j ∈ I sei Aj eine abzählbare
Menge. Dann ist auch j∈I Aj abzählbar.
Beweis. (a) Da A abzählbar ist, gibt es eine Folge (an ) in A mit A = {an : n ∈
N}. Wähle nun ein beliebiges b ∈ B aus. Damit definieren wir die Folge
(
b, falls an 6∈ B,
bn := n ∈ N.
an , falls an ∈ B,
Sei x ∈ B. Dann gilt nach Voraussetzung x ∈ A, also gibt es ein m ∈ N,
für das x = am ist. Insbesondere ist am ∈ B, womit bm = am = x gilt,
denn so war (bn ) definiert. Damit ist x ∈ {bn : n ∈ N} und wir haben
B ⊆ {bn : n ∈ N} gezeigt. Da aber auch offensichtlich B ⊇ {bn : n ∈ N}
gilt, ist damit B = {bn : n ∈ N}.
(b) Da I abzählbar ist, gibt es eine surjektive Folge (jn ) in I. Für jedes n ∈ N
ist wiederum die Menge Ajn abzählbar, kann also geschrieben werden als
(j ) (j ) (j ) (j )
Ajn = {a1 n , a2 n , a3 n , . . . } mit einer Folge (ak n )k∈N . Wir schreiben alle
diese Elemente als zweidemensionales Raster auf:
(j ) (j ) (j ) (j ) (j )
a1 1 → a2 1 a3 1 → a4 1 a5 1 →
ւ ր ւ ր
(j ) (j ) (j ) (j2 ) (j )
a1 2 a2 2 a3 2 a4 a5 2 . . .
↓ ր ւ ր
(j3 ) (j ) (j ) (j ) (j )
a1 a2 3 a3 3 a4 3 a5 3 . . .
ւ ր
(j4 ) (j ) (j ) (j ) (j )
a1 a2 4 a3 4 a4 4 a5 4 ...
↓ ր
(j ) .. .. ..
a1 5 ... . . .
..
.

34
und nummerieren entlang der Pfeilkette durch. Dank der Surjektivität der
(j )
Folge (jn ) und da jeweils alle Elemente von Ajn von den Folgen (ak n )k∈N
erfasst werden,
S liefert das eine Folge, deren Folgenglieder alle Elemente der
Menge n∈N An durchlaufen.
Mit dem eben bewiesenen Satz können wir zeigen, dass Q abzählbar ist.

Satz 5.7. Die rationalen Zahlen Q sind abzählbar.

Beweis. Für jedes feste m ∈ Z ist die Menge


nm o
Mm := :n∈N
n
abzählbar, z. B. mit Hilfe der Abzählung (m/n)n∈N . Es gilt
[ [ nm o nm o
Mm = :n∈N = : m ∈ Z, n ∈ N = Q.
m∈Z m∈Z
n n

Da nach Beispiel 5.5 (b) die Menge Z abzählbar ist, sind damit die rationalen
Zahlen eine abzählbare Vereinigung von abzählbaren Mengen, d. h. sie sind nach
Satz 5.6 (b) abzählbar.
Zum Abschluss geben wir ein erstes Beispiel einer überabzählbaren Menge an.

Beispiel 5.8. Die Menge F aller Folgen in {0, 1} ist überabzählbar. Um das zu
beweisen, nehmen wir an, F wäre abzählbar, d. h. F = {f1 , f2 , f3 , . . . }, wobei
(j) (j) (j) (j)
fj = (a1 , a2 , a3 , . . . ) und ak ∈ {0, 1} für alle j, k ∈ N.
Wir definieren eine Folge (an )n∈N in {0, 1} wie folgt:
(
(n)
1, falls an = 0,
an := (n)
0, falls an = 1,

für jedes n ∈ N. Dann ist (an )n∈N in F , also gibt es nach Annahme ein m ∈ N,
sodass (an )n∈N = fm gilt. Damit stimmen insbesondere die m-ten Folgenglieder
(m)
dieser beiden Folgen überein, d. h. am = am . Das ist ein Widerspruch, denn wir
haben die Folge (an )n∈N eben so konstruiert, dass dies nicht gilt.

Das Beweisverfahren dieses Überabzählbarkeitsbeweises heißt Cantorsches Dia-


gonalverfahren. Man kann damit auch die Überabzählbarkeit von R nachweisen,
s. Abschnitt 14.

35
6. Konvergente Folgen
Wir wollen uns nun dem zentralen Thema der Analysis zuwenden, der mathe-
matisch exakten Behandlung des unendlich Kleinen und unendlich Großen. Dazu
führen wir den für alles Weitere zentralen Begriff der Konvergenz ein.

Definition 6.1. Eine Folge (an ) in R heißt konvergent gegen a ∈ R, wenn für
alle ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N existiert mit

|an − a| < ε für alle n ≥ n0 .

In diesem Fall heißt a Grenzwert oder Limes der Folge (an ). Man schreibt dafür

a = lim an oder an → a (n → ∞).


n→∞

Ist eine Folge nicht konvergent, so heißt sie divergent.

Für eine Umformulierung dieser Definition benötigen wir die folgenden Begriffe.

Definition 6.2. (a) Seien x0 ∈ R und ε > 0 gegeben. Dann heißt die Menge

Uε (x0 ) := {x ∈ R : |x − x0 | < ε} = (x0 − ε, x0 + ε)

ε-Umgebung von x0 .

(b) Es sei A(n) eine für jedes n ∈ N definierte Aussage. Wir sagen, A(n) gilt
für fast alle n ∈ N, wenn es ein m ∈ N gibt, sodass A(n) für alle n ≥ m
richtig ist.

Damit können wir nun sagen, dass limn→∞ an = a ist, genau dann wenn

∀ε > 0 ∃n0 ∈ N ∀n ≥ n0 : an ∈ Uε (a)

bzw. in Worte gefasst:

Für alle ε > 0 gilt an ∈ Uε (a) für fast alle n ∈ N.

Aus der letzten Formulierung ist gut ersichtlich, dass es für die Konvergenz einer
Folge auf endlich viele Folgenglieder nicht ankommt. Das formalisieren wir in der
folgenden Bemerkung.

37
6. Konvergente Folgen

Bemerkung 6.3. (a) Sind (an ) und (bn ) reelle Folgen mit an = bn für fast alle
n ∈ N, dann ist (an ) konvergent genau dann, wenn (bn ) konvergiert, und in
diesem Fall gilt limn→∞ an = limn→∞ bn .

(b) Eine konvergente Folge mit Grenzwert null wird auch oft kurz eine Nullfolge
genannt.

Beispiel 6.4. (a) Sei an := 1/n, n ∈ N.


Behauptung: (an ) ist konvergent und es gilt limn→∞ an = 0.

Beweis. Sei ε > 0. Nach dem Satz von Archimedes (Satz 3.5 (e)) gibt es
ein n0 ∈ N mit 1/n0 < ε. Damit ist für alle n ≥ n0
1 1
|an − a| = |an − 0| = |an | = ≤ < ε.
n n0

(b) Sei an := (−1)n/n, n ∈ N.


Behauptung: (an ) ist konvergent und limn→∞ an = 0.

Beweis. Es gilt |an − 0| = |(−1)n/n| = 1/n. Wir können also ab jetzt den
Beweis aus (a) übernehmen.

2n2 − n + 5
(c) Sei an := , n ∈ N.
n2 + 1
Behauptung: (an ) konvergiert und limn→∞ an = 2.

Beweis. Es gilt für alle n ∈ N

2n2 − n + 5 − 2n2 − 2 |3 − n| |3 − n| n+3


|an − 2| = 2
= 2 ≤ 2
≤ , (6.1)
n +1 n +1 n n2
wobei wir bei der letzten Abschätzung die Dreiecksungleichung angewendet
haben. Nun verwenden wir noch, dass für alle n ∈ N gilt n+3 ≤ n+3n = 4n
und erhalten damit
4n 4
|an − 2| ≤ 2 = . (6.2)
n n
Sei nun ε > 0. Nach dem Satz von Archimedes existiert ein n0 ∈ N, sodass
1/n0 < ε/4 gilt. Dann haben wir nach obiger Abschätzung für alle n ≥ n
0

4 4 ε
|an − 2| ≤ ≤ < 4 · = ε.
n n0 4

(d) Sei an := (−1)n , n ∈ N.


Behauptung: Die Folge (an ) divergiert.

38
Beweis. Wir nehmen an, es gäbe ein a ∈ R mit an → a (n → ∞). Dann gibt
es zu ε = 1 ein n0 ∈ N, sodass für jedes n ≥ n0 die Ungleichung |an − a| < 1
gilt. Für n ≥ n0 gilt dann aber mit Hilfe der Dreiecksungleichung

2 = |an − an+1 | = |an − a + a − an+1 | ≤ |an − a| + |a − an+1 | < 1 + 1 = 2.

Also folgt 2 < 2, ein Widerspruch.

Satz 6.5. Jede Folge in R hat höchstens einen Grenzwert.

Beweis. Wir nehmen an, es gäbe eine Folge (an ) in R und a, b ∈ R mit a 6= b,
sodass (an ) sowohl gegen a als auch gegen b konvergiert. Dann ist ε := |a−b|/2 > 0
und es gilt Uε (a) ∩ Uε (b) = ∅. Nach der Definition des Grenzwertes existiert aber
ein n0 ∈ N, sodass an ∈ Uε (a) für alle n ≥ n0 gilt. Also gilt an ∈ Uε (b) nur für
höchstens endlich viele n ∈ N. Damit kann (an ) nicht gegen b konvergieren.

Definition 6.6. Eine reelle Folge (an ) heißt beschränkt, wenn die Menge der
Folgenglieder {an : n ∈ N} = {a1 , a2 , a3 , . . . } beschränkt ist. Diese Menge besitzt
dann ein Infimum und ein Supremum. Wir schreiben dafür

sup an := sup an := sup{an : n ∈ N},
n∈N n=1

inf an := inf an := inf{an : n ∈ N}.
n∈N n=1

Beachten Sie, dass eine Folge (an ) genau dann beschränkt ist, wenn ein C ≥ 0
existiert, sodass |an | ≤ C für alle n ∈ N gilt, vgl. Übungsaufgabe 2.18.

Satz 6.7. Jede konvergente Folge in R ist beschränkt.

Beweis. Es sei (an ) eine konvergente Folge in R und a := limn→∞ an . Nach Defi-
nition der Konvergenz existiert zu ε = 1 ein n0 ∈ N, sodass |an − a| < 1 für alle
n ≥ n0 gilt. Wir setzen

C := max{|a1 |, |a2 |, |a3 |, . . . , |an0 −1 |, 1 + |a|}.

Dann gilt zum einen für alle n < n0 sofort |an | ≤ C und zum anderen auch für
alle n ≥ n0 , denn für diese Indizes gilt

|an | = |an − a + a| ≤ |an − a| + |a| < 1 + |a| ≤ C. (6.3)

Zusammengenommen gilt |an | ≤ C für alle n ∈ N und somit die Behauptung.

Warnung 6.8. Die Umkehrung von Satz 6.7 ist falsch! Es gibt durchaus be-
schränkte Folgen, die nicht konvergieren, beispielsweise die Folge ((−1)n ) aus
Beispiel 6.4 (d).

39
6. Konvergente Folgen

Man ist zuweilen versucht zu sagen, dass eine Folge gegen unendlich geht“. Das

ist mit unserem bisherigen Konvergenzbegriff aus gutem Grunde nicht möglich.
Wir können aber die folgende Sprechweise einführen.

Definition 6.9. Eine reelle Folge (an )

(a) divergiert bestimmt gegen ∞, falls für jedes C > 0 ein n0 = n0 (C) ∈ N
existiert, sodass an ≥ C für alle n ≥ n0 gilt.
In diesem Fall schreiben wir analog zum Grenzwert

lim an = ∞ oder an → ∞ (n → ∞).


n→∞

(b) divergiert bestimmt gegen −∞, falls für jedes C > 0 ein n0 = n0 (C) ∈ N
existiert, sodass an ≤ −C für alle n ≥ n0 gilt.
Auch hier schreiben wir

lim an = −∞ oder an → −∞ (n → ∞).


n→∞

Übungsaufgabe 6.10. (a) Zeigen Sie: Ist (an ) eine bestimmt divergente Fol-
ge gegen plus oder minus unendlich, so gilt an 6= 0 für fast alle n ∈ N.
Außerdem ist die Folge (1/an+k )n∈N für ein geeigenetes k ∈ N eine Nullfolge.

(b) Achtung: ist (bn ) eine Nullfolge mit bn 6= 0 für alle n ∈ N, so ist (1/bn ) im
Allgemeinen nicht bestimmt divergent. Geben Sie hierzu ein Beispiel an.

(c) Beweisen Sie, dass für jede Nullfolge (bn ) mit bn 6= 0 für alle n ∈ N die
Folge (1/|bn |) bestimmt gegen ∞ divergiert.

40
7. Grenzwertsätze
In diesem Abschnitt wollen wir die Berechnung von komplizierteren Grenzwer-
ten angehen. Dabei werden wir auch einige wichtige Beispiele von konvergenten
Folgen sehen, die im weiteren Verlauf immer wieder benötigt werden.

Satz 7.1. Sei (an ) eine Folge in R.

(a) Die Folge (an ) konvergiert gegen a ∈ R genau dann, wenn die Folge (|an −
a|)n∈N gegen null konvergiert.

(b) Ist a ∈ R und (βn ) eine Nullfolge mit |an − a| ≤ βn für fast alle n ∈ N, so
ist limn→∞ an = a.

Beweis. (a) Wegen |an − a| = |an − a| − 0 gilt nach der Definition von Kon-
vergenz

lim an = a ⇐⇒ ∀ε > 0 ∃n0 ∈ N ∀n ≥ n0 : |an − a| < ε


n→∞
⇐⇒ ∀ε > 0 ∃n0 ∈ N ∀n ≥ n0 : |an − a| − 0 < ε
⇐⇒ lim |an − a| = 0.
n→∞

(b) Nach Voraussetzung gibt es ein m ∈ N, sodass |an − a| ≤ βn für alle n ≥ m


gilt. Sei nun ε > 0. Dann existiert dank der Konvergenz von (βn ) ein n1 ∈ N
mit 0 ≤ βn < ε für alle n ≥ n1 . Wir wählen n0 := max{m, n1 }. Dann gilt
für alle n ≥ n0 die Abschätzung |an − a| ≤ βn < ε.

Bemerkung 7.2. Von besonderer Bedeutung ist die Aussage von Satz 7.1 (a)
im Fall a = 0. Demnach ist jede reelle Folge mit limn→∞ |an | = 0 schon selbst
eine Nullfolge.

Die folgenden sogenannten Grenzwertsätze enthalten äußerst wichtige Rechen-


regeln für Grenzwerte von Folgen. Mit ihnen ist es oft möglich, die Frage nach
Konvergenz einer komplizierten Folge auf die Untersuchung von mehreren, aber
dafür einfacheren Folgen zurückzuführen.

Satz 7.3 (Grenzwertsätze). Es seien (an ) und (bn ) konvergente Folgen mit a :=
limn→∞ an und b := limn→∞ bn . Dann gilt:

(a) limn→∞ |an | = |a|.

41
7. Grenzwertsätze

(b) limn→∞ (an + bn ) = a + b.

(c) limn→∞ (λan ) = λa für alle λ ∈ R.

(d) limn→∞ (an · bn ) = a · b.

(e) Ist zusätzlich an 6= 0 für alle n ∈ N und a 6= 0, so ist limn→∞ 1/an = 1/a.

Beweis. (a) Nach der umgekehrten Dreiecksungleichung gilt

|an | − |a| ≤ |an − a| =: βn .

Da (an ) gegen a konvergiert, konvergiert nach Satz 7.1 (a) die Folge (βn )
gegen null. Also können wir mit Satz 7.1 (b) folgern, dass (|an |) gegen |a|
konvergiert.

(b)-(d) Übungsaufgabe

(e) Nach Teil (a) konvergiert die Folge (|an |) gegen |a| und nach Voraussetzung
ist |a| > 0. Also gibt es zu ε := |a|/2 > 0 ein m ∈ N mit ||an | − |a|| < |a|/2
für alle n ≥ m. Damit gilt für alle diese n auch
 |a| |a|
|an | = |a| − |a| − |an | ≥ |a| − |a| − |an | > |a| − = .
2 2
Also ist 1/|an | < 2/|a| für alle n ≥ m und wir können für diese n abschätzen:

1 1 a − an |an − a| 2|an − a| 2
− = = ≤ 2
= 2 |an − a| =: βn . (7.1)
an a an a |an ||a| |a| a

Nach (c) und Satz 7.1 (a) gilt nun wieder βn → 0 (n → ∞) und damit folgt
mit Hilfe von Satz 7.1 (b) die Behauptung.

Das folgende Beispiel zeigt, wie mit Hilfe dieses Satzes schon ein bisschen kom-
pliziertere Grenzwerte angegangen werden können.

Beispiel 7.4. (a) Sei p ∈ N fest gewählt und an := 1/np für n ∈ N. Wir wissen
aus Beispiel 6.4 (a), dass die Folge (1/n) gegen null konvergiert. Also gilt
mit p-maliger Anwendung von Satz 7.3 (d)

1  1 p  1 p
lim an = lim = lim = lim = 0p = 0.
n→∞ n→∞ np n→∞ n n→∞ n

(b) Wir untersuchen


n2 + 2n + 3
an := , n ∈ N.
n2 + 3

42
Dazu kürzen wir den Bruch mit der höchsten auftretenden Potenz:
n2 + 2n + 3 1 + n2 + n32
an = = .
n2 + 3 1 + n32
Nun gilt limn→∞ 2/n = 0 nach Beispiel 6.4 (a) und Satz 7.3 (c) sowie
limn→∞ 3/n2 = 0 dank (a) mit p = 2 und wieder Satz 7.3 (c). Das bedeutet
für die Folge im Zähler mit Hilfe von Satz 7.3 (b)
 2 3 2 3
lim 1 + + 2 = lim 1 + lim + lim 2 = 1 + 0 + 0 = 1
n→∞ n n n→∞ n→∞ n n→∞ n

und genauso für die Folge im Nenner limn→∞ (1 + 3/n2 ) = 1. Damit sind die
Voraussetzungen von Satz 7.3 (e) erfüllt und es gilt
1 1 1
lim 3 = 3 = = 1.
n→∞ 1 + 2
n
limn→∞ (1 + n2
) 1
Das liefert schließlich mit einer Anwendung von Satz 7.3 (d)
2 3 1 1
lim an = lim (1 + + 2 ) · lim 3 = = 1.
n→∞ n→∞ n n n→∞ 1 + 2
n
1
Dieses Kürzen mit der höchsten auftretenden Potenz ist bei allen Grenz-
werten der Form Polynom in n geteilt durch Polynom in n“ Erfolg ver-

sprechend.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug für Konvergenzuntersuchungen von reellen Fol-
gen ist der folgende Satz, der zeigt, dass sich die Grenzwertbildung gut mit der
Ordnungsrelation auf R verträgt.
Satz 7.5. Es seien (an ), (bn ) und (cn ) reelle Folgen und (an ) und (bn ) seien
konvergent.
(a) Ist an ≤ bn für fast alle n ∈ N, so folgt limn→∞ an ≤ limn→∞ bn .
(b) Ist an ≤ cn ≤ bn für fast alle n ∈ N und gilt limn→∞ an = limn→∞ bn = a,
so ist auch die Folge (cn ) konvergent und es gilt limn→∞ cn = a (Sandwich-
Theorem).
Beweis. (a) Wir nehmen an, es wäre limn→∞ an =: a > b := limn→∞ bn . Dann
ist ε := a−b/2 > 0 und dank der Konvergenz von (an ) und (bn ) gibt es ein
n0 ∈ N, sodass sowohl bn ∈ Uε (b) = (b − ε, b + ε) als auch an ∈ Uε (a) =
(a − ε, a + ε) für alle n ≥ n0 gilt. Da
a−b a b a−b
b+ε=b+ = + =a− =a−ε
2 2 2 2
gilt, haben wir also für diese n auch bn < b+ε = a−ε < an im Widerspruch
zur Voraussetzung.

43
7. Grenzwertsätze

(b) Sei ε > 0. Dann gibt es ein n0 ∈ N, sodass für alle n ≥ n0 sowohl an ≤ cn ≤
bn als auch |an − a| < ε und |bn − a| < ε gilt. Hieraus folgern wir für alle
diese n
a − ε < an ≤ cn ≤ bn < a + ε.
Also ist a − ε < cn < a + ε oder, anders ausgedrückt, −ε < cn − a < ε,
d. h. |cn − a| < ε für alle n ≥ n0 und damit konvergiert die Folge (cn ) gegen
a.

Satz 7.6. Es sei (an ) eine konvergente reelle Folge mit an ≥ 0 für alle n ∈ N.
Dann gilt für alle p ∈ N
√ q
lim p an = p lim an .
n→∞ n→∞

Beweis. Sei p ∈ N beliebig und a := limn→∞ an . Wir betrachten zunächst den


Fall a = 0. Sei dazu ε > 0 gegeben. Dann gilt auch εp > 0, also gibt es ein n0 ∈ N,
sodass an < εp für alle n ≥ n0 gilt. Damit ist nach Lemma 4.4 für diese n auch
√ √
n < ε, also | an − 0| < ε und wir sind fertig.
p a p

Ab jetzt sei also a > 0. Dann gilt für alle n ∈ N nach Satz 3.11 (c) (setze dort
n := p − 1)

√ √ √ √ X
p−1
√ √
p p
|an − a| = ( an ) − ( a)
p p
= p
an − a
p
( p an )p−1−k ( p a)k
k=0
p−1
√ √ X √ √
= p
an − p
a ( p an )p−1−k ( p a)k .
k=0

Beachten Sie, dass wir bei der Summe die Beträge weglassen können, da alle
Summanden positiv sind, die Summe also in jedem Fall positiv ist. Da auch
unser Gesamtausdruck dank des Betrages positiv ist, können wir diesen kleiner
machen, indem wir in der Summe alle Summanden bis auf den letzten für k = p−1
weglassen. Das ist zugegebenermaßen eine grobe Abschätzung, aber, wie wir sehen
werden, reicht das aus. Damit erhalten wir
√ √ √
|an − a| ≥ p
an − p
a ( p a)p−1.

Setzen wir c := ( p a)p−1, so haben wir für alle n ∈ N

√ √ 1
p
an − p
a ≤ |an − a| =: βn . (7.2)
c
Man beachte, dass c > 0 ist, sodass diese Umformung erlaubt ist.
Die Folge (|an − a|) konvergiert nach Satz 7.1 (a) gegen√null. Also ist (βn ) dank

Satz 7.3 (c) eine Nullfolge. Damit folgt limn→∞ p an = p a aus Satz 7.1 (b).

44
Beispiel 7.7. (a) Wir betrachten
√ √
an := n + 1 − n, n ∈ N.

Für alle n ∈ N gilt mit Hilfe der dritten binomischen Formel


√ √ √ √
( n + 1 − n)( n + 1 + n) n+1−n 1
an = √ √ =√ √ =√ √ .
n+1+ n n+1+ n n+1+ n

Kürzen mit n und anschließende Anwendung der Grenzwertsätze zusam-
men mit Satz 7.6 liefert
q
1 1

n n 0
an = q =q −→ = 0 (n → ∞).
n+1
+1 1+ 1 +1 1+1
n n

(b) Wir wandeln (an ) leicht ab und betrachten


√ √ √  √
bn := n n + 1 − n = n · an , n ∈ N.

Dann gilt wie oben



n 1 1 1
bn = √ √ =q −→ = (n → ∞).
n+1+ n n+1
+1 1+1 2
n

Im folgenden Satz betrachten wir Folgen mit n-ten Wurzeln.


√ √
Satz 7.8. Es ist limn→∞ n n = 1 und für jedes c > 0 gilt limn→∞ n c = 1.

Beweis. √ Für alle n ∈ N gilt 1n = 1 ≤ n und damit 1 ≤ n n nach Lemma 4.4.
Also ist n n = 1 + an mit einer Folge (an ), für die an ≥ 0 für alle n ∈ N gilt. Wir
untersuchen
√ nun die Folge (an ) auf Konvergenz und erledigen damit sofort auch
( n). Es ist für n ≥ 2 mit Hilfe der Binomialformel
n

Xn    
√ n n n k n 2 n! n(n − 1) 2
n = ( n) = (1 + an ) =
n
an ≥ an = a2n = an .
k 2 2!(n − 2)! 2
k=0

Dabei haben wir alle Summanden, bis auf den mit k = 2, weggelassen. Wir formen
um und erhalten a2n ≤ 2/n−1 für alle n ≥ 2. Damit gilt für diese n
r
2
0 ≤ an ≤ .
n−1
Da limn→∞ 2/n−1 = 0 ist, konvergiert nach Satz 7.6 mit p = 2 die rechte Seite
obiger Ungleichungskette ebenfalls gegen √
null. Das Sandwich-Theorem 7.5 (b)
liefert damit an → 0 (n → ∞) und daher n n → 1 (n → ∞).

45
7. Grenzwertsätze

Bei der Betrachtung des zweiten Grenzwertes unterscheiden wir zwei Fälle. Ist
c ≥ 1, so wählen wir ein m ∈ N mit m ≥ c (dieses existiert nach dem Satz von
Archimedes 3.5 (c)). Dann gilt nach Lemma 4.4
√ √ √
1≤ nc≤ nm≤ nn

für alle n ≥ m. Da wir den Grenzwert
√ von n n oben schon zu 1 bestimmt haben,
liefert das Sandwich-Theorem n c → 1 (n → ∞).
Ist hingegen 0 < c < 1, so ist 1/c > 1, wofür wir eben
r
1 n 1
√ = −→ 1 (n → ∞)
n
c c

gezeigt haben. Mit Hilfe von Satz 7.3 (e) ist damit limn→∞ n c = 1.
Einen weiteren wichtigen Grenzwert behandelt der folgende Satz.

Satz 7.9. Sei q ∈ R beliebig. Dann ist die Folge (q n )n∈N genau dann konvergent,
wenn q ∈ (−1, 1] ist und es gilt
(
1, falls q = 1,
lim q n =
n→∞ 0, falls q ∈ (−1, 1).

Beweis. Wir betrachten zunächst die einfachen Fälle q ∈ {−1, 0, 1}. Ist q = 0, so
ist q n = 0 für alle n ∈ N, die Folge konvergiert also gegen null. Im Falle q = 1
findet man genauso wegen q n = 1 für alle n ∈ N Konvergenz gegen eins. Für
q = −1 erhalten wir die schon aus Beispiel 6.4 (d) bekannte divergente Folge
((−1)n ).
Als Nächstes wollen wir die Divergenz der Folge im Fall |q| > 1 zeigen. Wir setzen
dazu p := |q| − 1 > 0 und schätzen mit Hilfe der Bernoullischen Ungleichung ab:

|q n | = |q|n = (1 + p)n ≥ 1 + np ≥ np.

Damit ist die Folge (q n ) nicht beschränkt, denn gäbe es ein M ≥ 0 mit |q n | ≤ M
für alle n ∈ N, so wäre n ≤ |qn |/p ≤ M/p für alle n ∈ N, also N beschränkt. Nach
Satz 6.7 kann damit (q n ) nicht konvergieren.
Schließlich zeigen wir Konvergenz für 0 < |q| < 1. Dann ist 1/|q| > 1, also haben
wir wieder 1/|q| = 1 + p für ein p > 0. Die Bernoullische Ungleichung zeigt uns
1  1 n
n
= = (1 + p)n ≥ 1 + np ≥ np.
|q | |q|

Also ist |q n | ≤ 1/np für alle n ∈ N und da (1/np)n∈N eine Nullfolge ist, konvergiert
nach Satz 7.1 (a) die Folge (q n )n∈N gegen null.

46
8. Monotonie-Kriterium und
Eulersche Zahl e
In diesem Abschnitt definieren wir die nötigen Begriffe, um über das Monotonie-
Verhalten von Folgen zu sprechen. Damit werden wir ein neues wichtiges Kon-
vergenzkriterium herleiten, mit dem wir am Ende die Eulersche Zahl e definieren
können.
Definition 8.1. Eine reelle Folge (an ) heißt
(a) monoton wachsend, wenn an+1 ≥ an für alle n ∈ N gilt.
(b) monoton fallend, wenn an+1 ≤ an für alle n ∈ N gilt.
(c) streng monoton wachsend, wenn an+1 > an für alle n ∈ N gilt.
(d) streng monoton fallend, wenn an+1 < an für alle n ∈ N gilt.
(e) (streng) monoton, wenn sie (streng) monoton wachsend oder (streng) mo-
noton fallend ist.
Damit können wir folgendes Konvergenzkriterium beweisen.
Satz 8.2 (Monotonie-Kriterium). Eine monotone reelle Folge (an ) ist genau dann
konvergent, wenn sie beschränkt ist. In diesem Fall gilt
(
supn∈N an , wenn an monoton wachsend ist,
lim an =
n→∞ inf n∈N an , wenn an monoton fallend ist.

Beweis. Da jede konvergente Folge nach Satz 6.7 beschränkt ist, müssen wir
für die behauptete Äquivalenz nur zeigen, dass jede monotone und beschränkte
Folge konvergent ist. Dazu betrachten wir den Fall, dass (an ) monoton wächst,
der Beweis für monoton fallende Folgen geht dann analog.
Sei ε > 0 und wir setzen a := supn∈N an . Dann existiert nach Satz 2.17 ein
n0 ∈ N mit an0 > a − ε. Damit gilt für alle n ≥ n0 wegen der Monotonie und der
Beschränktheit von (an )

a − ε < an0 ≤ an ≤ a < a + ε.

Das bedeutet |an − a| < ε für alle n ≥ n0 und damit genau die Konvergenz von
(an ) gegen a.

47
8. Monotonie-Kriterium und Eulersche Zahl e

Beispiel 8.3. Wir betrachten eine rekursiv definierte Folge, die gegeben ist durch

3

a1 := 6 und an+1 := 3 6 + an , n ≥ 1.

Bei einer in dieser Weise gegebenen Folge ist keine explizite Rechenvorschrift für
das n-te Folgenglied gegeben, sondern nur ein Startwert a1 und dann eine Formel,
wie man aus einem Folgenglied das jeweils nächste berechnen kann. Auch dadurch
ist die Folge eindeutig bestimmt.
Hier erhält man für die ersten Folgenglieder
r s r
q q q
3 √3
3 3 √3
3 3 3 √
3
a2 = 6 + 6, a3 = 6 + 6 + 6, a4 = 6 + 6 + 6 + 6, . . . .

Um das Monotoniekriterium anzuwenden, prüfen wir die Voraussetzungen nach,


d. h. wir zeigen, dass (an ) nach oben beschränkt und monoton wachsend ist.
Genauer gesagt beweisen wir

(a) an < 2 und an+1 > an für alle n ∈ N,

(b) (an ) konvergiert und limn→∞ an = 2.

Beweis. (a) Wir gehen induktiv vor.


√ √ √ √
Induktionsanfang: Es gilt a1 = 3 6 < 3 8 = 2 und a2 = 3 6 + a1 > 3 6 = a1 ,
da a1 ≥ 0 ist. Also ist die Aussage für n = 1 richtig.
Induktionsvoraussetzung: Für ein n ∈ N gelte an < 2 und an+1 > an .
Induktionsschritt: Es ist mit Hilfe der Induktionsvoraussetzung
√ √ √
3
an+1 = 3 6 + an < 3 6 + 2 = 8 = 2

und p
3

3
an+2 = 6 + an+1 > 6 + an = an+1 .

(b) Nach Satz 8.2 wissen wir nun, dass (an ) konvergiert, und dass limn→∞ an =
supn∈N an ≤ 2 ist, denn 2 ist eine obere Schranke der Folge. Außerdem
wissen wir, dass a3n+1 = 6 + an für alle n ∈ N gilt. Nach den Rechenregeln
für Grenzwertbildung aus Satz 7.3 konvergieren bei dieser Gleichung die
Folgen auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens. Gehen wir zum Limes
über, erhalten wir für a := limn→∞ an die Beziehung a3 = 6 + a bzw.
a3 − a − 6 = 0.
Eine Lösung dieser Gleichung ist a = 2. Polynomdivision liefert (a−2)(a2 +
2a + 3) = 0 und a2 + 2a + 3 = (a + 1)2 + 2 = 0 hat keine weiteren reellen
Lösungen. Also muss a = 2 sein.

48
Wir wenden uns nun zwei besonders wichtigen Folgen zu, die harmlos aussehen,
aber viel Zündstoff enthalten:
 1 n
an := 1 + , n ∈ N,
n
Xn
1 1 1 1
bn := = 1 + 1 + + + · · · + , n ∈ N.
k=0
k! 2! 3! n!

Warnung 8.4. Die Folge (an ) bietet eine gute Gelegenheit, vor einem verbreite-
ten Fehler bei der Bestimmung von Grenzwerten zu warnen. Man könnte auf die
Idee kommen, die Stellen, an denen das n vorkommt, nacheinander zu bearbeiten.
Dazu benennen wir z. B. das n im Exponenten in k um und lassen zunächst das
n und danach dann das k gegen unendlich laufen. Das liefert
 1 k
lim lim 1 + = lim 1k = 1.
k→∞ n→∞ n k→∞

Wenn das ein gültiges Verfahren wäre, sollte es aber natürlich auch andersherum
funktionieren. Bilden wir zunächst den Grenzwert für k gegen unendlich und dann
den für n, so finden wir, dass
 1 k
lim lim 1 +
n→∞ k→∞ n
nicht existiert. Wir werden gleich sehen, dass der Grenzwert von (an ) existiert
und nicht 1 ist. Beide Betrachtungen führen also in die Irre.
Das ist ein Beispiel für eine Grundschwierigkeit in der Analysis und führt gleich
zu einer weiteren Warnung: Grenzwerte lassen sich im Allgemeinen nicht ver-
tauschen! Das gilt sogar, wenn alle beteiligten Grenzwerte existieren, wie das
folgende Beispiel zeigt:
 k n  k n
lim lim = lim lim = lim 1n = 1,
n→∞ k→∞ k + 1 n→∞ k→∞ k + 1 n→∞
 k n
lim lim = lim 0 = 0.
k→∞ n→∞ k + 1 k→∞

Nach diesen Vorbemerkungen wenden wir uns jetzt der Behandlung der beiden
oben angegebenen Folgen zu.

Satz 8.5. Die Folgen (an ) und (bn ) konvergieren und limn→∞ an = limn→∞ bn .

Beweis. Wir beginnen damit, die Konvergenz von (bn ) mit Hilfe des Monotonie-
kriteriums zu beweisen. Da m! > 0 für jedes m ∈ N gilt, sehen wir für jedes
n∈N
n+1
X n
X
1 1 1 1
bn+1 = = + = bn + > bn .
k! k! (n + 1)! (n + 1)!
k=0 k=0

49
8. Monotonie-Kriterium und Eulersche Zahl e

Die Folge (bn ) ist also streng monoton wachsend und es bleibt noch Beschränkt-
heit zu zeigen. Dazu schreiben wir bn aus

1 1 1 1
bn = 1 + 1 + + + +···+
2 2·3 2·3·4 2 · 3 · ...· n

und beobachten, dass wir den Ausdruck größer machen, wenn wir in den Nennern
alle Faktoren, die größer als 2 sind, durch 2 ersetzen:

1 1 1 1
<1+1+ + 2 + 3 +···+
2 2 2 2n−1
1  1 2  1 3  1 n−1
=1+1+ + + +···+ .
2 2 2 2

Wir verwenden nun die geometrische Summenformel aus Satz 3.12 und erhalten
für alle n ∈ N
n−1  
X  1 n
1 k 1 − ( 21 )n
bn < 1 + =1+ = 1 + 2 − 2 < 3.
k=0
2 1 − 12 2

Also ist mit Hilfe des Monotoniekriteriums aus Satz 8.2 die Folge (bn ) konvergent
und für b := limn→∞ bn gilt b ≤ 3.
Wir wenden uns der Folge (an ) zu. Um für diese Folge Monotonie nachzuweisen,
betrachten wir den Quotienten zweier benachbarter Folgenglieder. Es gilt

an+1  1 n+1  1 −n  1  1 n  n + 1 −n


= 1+ 1+ = 1+ 1+
an n+1 n n+1 n+1 n
 1  n+2 n  n  1  n + 2n + 1 − 1 n
2
= 1+ · = 1+
n+1 n+1 n+1 n+1 (n + 1)2
 1  1  n
= 1+ 1− .
n+1 (n + 1)2

Mit der Bernoullischen Ungleichung finden wir dafür die Abschätzung

 1  n  1 n n
≥ 1+ 1− 2
=1+ − 2

n+1 (n + 1) n + 1 (n + 1) (n + 1)3
n2 + 2n + 1 − n2 − n − n 1
=1+ 3
=1+ >1
(n + 1) (n + 1)3

für alle n ∈ N. Daraus folgt, da alle Folgenglieder positiv sind, sofort an <
an+1 für alle n ∈ N, also ist auch die Folge (an ) streng monoton wachsend.
Die Beschränktheit dieser Folge spielen wir nun auf die Beschränktheit von (bn )

50
zurück. Nach der Binomialformel gilt
 n  
1 n X n 1
an = 1 + =
n k=0
k nk
n
X n! 1
= 1+1+ · k
k=2
k!(n − k)! n
Xn
1 n(n − 1)(n − 2) · · · (n − k + 1)
= 1+1+ · k
.
k=2
k! n

Im hinteren Bruch können wir nun ein n kürzen. Dann bleiben sowohl im Zähler
als auch im Nenner genau k − 1 Faktoren übrig:
n
X 1 n−1 n−2 n−k+1
= 1+1+ · ··· . (8.1)
k! n n n
k=2

Schließlich beobachten wir, dass jeder dieser Faktoren kleiner als 1 ist und erhalten
Xn
1
< 1+1+ = bn .
k=2
k!
Also haben wir für jedes n ∈ N nun an < bn < 3 und damit ist auch die Folge
(an ) beschränkt und zusammen mit der oben gezeigten Monotonie folgt damit
die Konvergenz. Wir setzen a := limn→∞ an .
Es bleibt nun noch a = b zu zeigen. Da wir schon an ≤ bn für alle n ∈ N
gezeigt haben, wissen wir wegen Satz 7.5 (a) bereits a ≤ b. Es bleibt also nur die
umgekehrte Ungleichung zu zeigen. Sei dazu ein j ∈ N mit j ≥ 2 fest gewählt
und n ≥ j. Dann gilt wegen (8.1)
1 1  2  k − 1
Xn
an = 1 + 1 + 1− 1− ··· 1−
k=2
k! n n n

1 1  2  k − 1
j
X
≥1+1+ 1− 1− ··· 1− .
k=2
k! n n n
Wir gehen nun in dieser Ungleichung auf beiden Seiten zum Grenzwert n → ∞
über. Man beachte, dass wir es dabei nicht mit Schwierigkeiten wie unendlicher
Summierung oder unendlichen Produkten zu tun bekommen. Wir haben ledig-

lich“ eine endliche Summe von einem endlichen Produkt von Folgen, die alle
konvergieren, Satz 7.3 ist also hier anwendbar.
Da jeder einzelne Klammerausdruck gegen 1 strebt, geht jeder Summand gegen
1/k! und damit strebt der gesamte Ausdruck auf der rechten Seite genau gegen 1 +
P
1 + jk=2 1/k! = bj . Wir erhalten somit aus unserer Ungleichung a = limn→∞ an ≥
bj für jedes j ∈ N mit j ≥ 2. Nun können wir schließlich den Grenzübergang
j → ∞ durchführen und erhalten a ≥ limj→∞ bj = b.

51
8. Monotonie-Kriterium und Eulersche Zahl e

Der Grenzwert dieser beiden Folgen ist so wichtig, dass wir ihm einen eigenen
Namen verpassen.

Definition 8.6. Die Zahl  1 n


e := lim 1 +
n→∞ n
heißt Eulersche Zahl.

52
9. Teilfolgen und Häufungswerte
Auch divergente Folgen enthalten unter Umständen so etwas wie konvergente
Anteile. Die zu deren Beschreibung nützlichen Begriffe wollen wir in diesem Ab-
schnitt herausarbeiten.
Definition 9.1. Sei (an ) eine Folge, ϕ : N → N eine streng monoton wachsende
Funktion und bn := aϕ(n) , n ∈ N. Dann heißt die Folge (bn ) Teilfolge von (an ).
Diese Definition sieht etwas sperrig aus, tut aber genau das, wonach der Name sich
anhört: Einen Teil der Folge herauspicken. Man sucht eine gewisse (unendliche)
Auswahl von Folgengliedern heraus, ohne deren Reihenfolge zu ändern. Um diesen
zweiten Punkt zu gewährleisten, muss ϕ streng monoton wachsend sein. Wir
betrachten zwei Beispiele.
Beispiel 9.2. (a) Für ϕ(k) := 2k, k ∈ N, haben wir bk = a2k , also (bn ) =
(a2 , a4 , a6 , a8 , . . . ) und wir haben so die Teilfolge der Folgenglieder mit ge-
radem Index ausgewählt.
(b) Ist ϕ(k) := k 2 für k ∈ N, so ist (bn ) = (a1 , a4 , a9 , a16 , . . . ).
Bemerkung 9.3. Zur Notation von Teilfolgen wird oft statt der Funktions-
notation wieder die Indexnotation wie bei Folgen üblich verwendet. Man setzt
nk := ϕ(k) für k ∈ N und schreibt für die Teilfolge (ank )k∈N . Diese entsteht also
aus (an ), indem die Indizes n1 < n2 < n3 < . . . ausgewählt werden.
Definition 9.4. Es sei (an ) eine reelle Folge. Eine Zahl α ∈ R heißt Häufungs-
wert von (an ), wenn für jedes ε > 0 die Menge {n ∈ N : an ∈ Uε (α)} unendlich
viele Elemente enthält.
Weiter definieren wir die Menge aller Häufungswerte der Folge als

HW(an ) := α ∈ R : α ist Häufungswert von (an ) .
Bemerkung 9.5. Diese Definition sieht unserer Umformulierung der Konver-
genz-Definition aus Kapitel 6 ähnlich. Wir stellen die beiden gegenüber:
• Es ist limn→∞ an = a, falls
für alle ε > 0 gilt an ∈ Uε (a) für fast alle n ∈ N.

• Es ist a ∈ HW(an ), falls


für alle ε > 0 gilt an ∈ Uε (a) für unendlich viele n ∈ N.

53
9. Teilfolgen und Häufungswerte

Nun sieht man deutlich, dass die Anforderung an einen Häufungswert schwächer
ist als an einen Grenzwert.

Beispiel 9.6. (a) Wir zeigen, dass (an ) = ((−1)n ) genau zwei Häufungswerte
hat, nämlich 1 und −1.
Für jedes gerade n ∈ N gilt an = 1, also liegen für jedes ε > 0 alle Folgen-
glieder mit geradem Index in Uε (1) und da das unendlich viele sind, ist 1
ein Häufungswert. Genauso sieht man durch Betrachtung der Folgenglieder
mit ungeradem Index, dass −1 ein Häufungswert ist.
Es bleibt noch zu zeigen, dass alle anderen reellen Zahlen keine Häufungs-
werte sind. Sei dazu β ∈ R mit β 6= 1 und β 6= −1. Wähle dann ε0 > 0 so
klein, dass 1, −1 6∈ Uε0 (β) gilt. Das geht, da β sowohl von 1 als auch von
−1 einen echt positiven Abstand hat. Dann gilt an ∈ Uε0 (β) für gar kein
n ∈ N. Also kann β kein Häufungswert sein.

(b) Die Folge (an ) = (n) hat gar keinen Häufungswert, denn für jedes β ∈ R
gilt an > β + 1 für fast alle n ∈ N.

(c) Wie wir in Satz 5.7 gesehen haben, ist Q abzählbar. Es gibt also eine Folge
(an ), sodass Q = {an : n ∈ N} gilt. Sei nun α ∈ R beliebig und ε > 0. Dann
liegen im Intervall (α − ε, α + ε) unendlich viele rationale Zahlen, d. h. α
ist ein Häufungswert der Folge (an ). Wir haben eine Folge gefunden, für die
jede reelle Zahl ein Häufungswert ist.

Der folgende Satz befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen Teilfolgen,
Häufungswerten und Konvergenz.

Satz 9.7. Es sei (an ) eine reelle Folge. Dann gilt

(a) Eine Zahl α ∈ R ist Häufungswert von (an ), genau dann wenn eine Teilfolge
(ank )k∈N von (an ) existiert, die gegen α konvergiert.

(b) Ist (an ) konvergent und (ank )k∈N eine Teilfolge von (an ), so ist auch (ank )k∈N
konvergent und es gilt limk→∞ ank = limn→∞ an .

(c) Ist (an ) konvergent, so hat (an ) genau einen Häufungswert, nämlich den
Grenzwert limn→∞ an .

Beweis. (a) Wir zeigen zunächst die Richtung von links nach rechts. Sei also
α ein Häufungswert von (an ). Dann existiert für ε = 1 ein n1 ∈ N mit
|an1 − α| < 1. Da es auch für ε = 1/2 unendlich viele Folgenglieder von (an )
in der 1/2-Umgebung von α gibt, muss es auch ein n2 ∈ N mit n2 > n1 geben,
sodass |an2 − α| < 1/2 gilt. Genauso finden wir ein n3 ∈ N mit n3 > n2 ,
sodass |an3 − α| < 1/3 gilt.

54
Verfahren wir so immer weiter, erhalten wir schließlich eine Folge von Indi-
zes n1 , n2 , n3 , . . . mit n1 < n2 < n3 < . . . , sodass
1
|ank − α| ≤ für alle k ∈ N. (9.1)
k
Damit ist (ank )k∈N , eine Teilfolge von (an ), von der noch zu zeigen ist, dass
sie gegen α konvergiert. Sei dazu ε > 0. Dann gibt es ein k0 ∈ N, sodass
1/k < ε ist und mit (9.1) gilt für alle k ≥ k
0 0

1 1
|ank − α| ≤ ≤ < ε.
k k0
Wir wenden uns nun der Richtung von rechts nach links zu. Sei also (ank )k∈N
eine Teilfolge von (an ) mit ank → α (k → ∞). Zu gegebenem ε > 0 existiert
dann ein k0 ∈ N, sodass |ank − α| < ε für alle k ≥ k0 gilt. Damit ist aber
ank ∈ Uε (α) für alle k ≥ k0 , also für unendlich viele Indizes. D. h. α ist ein
Häufungswert von (an ).

(b) Wir setzen a := limn→∞ an und geben ein ε > 0 vor. Dann gibt es ob der
Konvergenz von (an ) ein n0 ∈ N, sodass |an − a| < ε für alle n ≥ n0 gilt.
Nun wählen wir k0 ∈ N so groß, dass nk0 ≥ n0 gilt. Dann ist für alle k ≥ k0
nämlich nk ≥ nk0 ≥ n0 , weshalb |ank − a| < ε für alle k ≥ k0 folgt.

(c) Zunächst ist a := limn→∞ an ein Häufungswert von (an ), denn in jeder ε-
Umgebung liegen fast alle (also insbesondere unendlich viele) Folgenglieder.
Wir zeigen, dass es keine weiteren Häufungswerte geben kann. Sei dazu
β ∈ R ein Häufungswert von (an ). Dann gibt es wegen (a) eine Teilfolge
(ank )k∈N von (an ), die gegen β konvergiert. Nach (b) gilt dann aber β =
limk→∞ ank = a, also ist a der einzige mögliche Häufungswert.

Übungsaufgabe 9.8. Es sei (an ) eine reelle Folge und λ ∈ R \ {0}. Zeigen Sie

HW(λan ) = {λα : α ∈ HW(an )}.

55
10. Beschränkte Folgen
Beschränkte reelle Folgen sind im Allgemeinen nicht konvergent, aber mit den
im letzten Abschnitt eingeführten Werkzeugen Teilfolge“ und Häufungswert“
” ”
haben wir gute Mittel in der Hand diese genauer zu untersuchen. Zunächst zeigen
wir, dass beschränkte Folgen zumindest immer einen Häufungswert und damit
auch eine konvergente Teilfolge besitzen.

Satz 10.1 (Satz von Bolzano-Weierstraß). Jede beschränkte Folge in R hat min-
destens einen Häufungswert.

Beweis. Sei (an ) eine beschränkte Folge in R und C ≥ 0 so gewählt, dass |an | ≤ C
für alle n ∈ N gilt. Wir betrachten die Menge

M := {x ∈ R : an ≤ x für fast alle n ∈ N}.

Diese ist wegen C ∈ M nicht-leer. Ist außerdem x < −C, so gibt es gar keinen
Index n mit an ≤ x, also kann ein solches x nicht in M liegen. Das zeigt uns,
dass M durch −C nach unten beschränkt ist. Damit existiert α := inf M nach
Satz 2.15. Wir zeigen nun, dass α ein Häufungswert von (an ) ist.
Sei dazu ε > 0. Dann gibt es nach Satz 2.17 ein xε ∈ [α, α + ε), das in M liegt,
d. h. für fast alle n ∈ N gilt an ≤ xε ≤ α + ε. Damit liegen höchstens endlich
viele Folgenglieder oberhalb von α + ε. Andererseits ist α − ε nicht in M, d. h.
es gibt unendlich viele an , die oberhalb von α − ε liegen.
Zusammengenommen bedeutet das, dass unendlich viele Folgenglieder im Inter-
vall (α − ε, α + ε) liegen müssen und wir sind fertig.
Satz 9.7 ermöglicht sofort die folgende Umformulierung des Satzes von Bolzano-
Weierstraß.

Korollar 10.2 (Satz von Bolzano-Weierstraß). Jede beschränkte Folge in R hat


eine konvergente Teilfolge.

Man kann über die Häufungswerte einer beschränkten Folge sogar noch mehr
sagen.

Satz 10.3. Es sei (an ) eine beschränkte Folge in R.

(a) Für alle α ∈ HW(an ) gilt inf n∈N an ≤ α ≤ supn∈N an .

(b) Die Menge HW(an ) hat ein Minimum und ein Maximum.

57
10. Beschränkte Folgen

Beweis. (a) Sei α > supn∈N an . Dann ist ε := α − supn∈N an > 0 und für alle
n ∈ N gilt
|α − an | = α − an ≥ α − sup an = ε.
n∈N

Also liegt kein Folgenglied unserer Folge in Uε/2 (α) und damit kann α kein
Häufungswert von (an ) sein.
Analog zeigt man, dass jedes α < inf n∈N an kein Häufungswert ist.
(b) Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß ist HW(an ) 6= ∅ und nach Teil (a)
ist diese Menge auch beschränkt. Also hat sie ein Supremum und ein Infi-
mum. Wir zeigen, dass auch α := sup HW(an ) ein Häufungswert von (an )
und damit das Maximum dieser Menge ist. Ein analoges Argument für das
Infimum liefert dann die Behauptung.
Sei ε > 0. Nach Satz 2.17 gibt es ein β ∈ HW(an ) mit α − ε < β ≤ α.
Wählen wir nun ein δ ∈ (0, ε − (α − β)), so gilt Uδ (β) ⊆ Uε (α). (Malen Sie
sich ein Bild!) Da β ein Häufungswert der Folge ist, liegen unendlich viele
Folgenglieder in Uδ (β) und damit auch in Uε (α). Also ist α ein Häufungswert
von (an ).
Das ermöglicht uns die folgende Definition.
Definition 10.4. Es sei (an ) eine beschränkte Folge in R. Dann heißt

lim sup an := max HW(an ) oberer Limes oder Limes superior von (an ),
n→∞
lim inf an := min HW(an ) unterer Limes oder Limes inferior von (an ).
n→∞

Beispiel 10.5. In Beispiel 9.6 haben wir gesehen, dass die Folge ((−1)n ) genau
die Häufungswerte 1 und −1 hat. Also gilt hier

lim inf (−1)n = −1 und lim sup(−1)n = 1.


n→∞ n→∞

Bemerkung 10.6. (a) Etwas allgemeiner als in Definition 10.4 kann man den
Limes superior einer Folge auch definieren, wenn die Folge nur nach oben
beschränkt ist und für den Limes inferior reicht Beschränkheit nach unten
aus.
(b) Für jede konvergente Folge (an ) ist HW(an ) nach Satz 9.7 (c) einelementig.
Also ist in diesem Fall

lim sup an = lim inf an = lim an .


n→∞ n→∞ n→∞

Für beschränkte Folgen gilt in Teil (b) sogar die Umkehrung. Das ist ein Teil des
folgenden Satzes, der einige unserer Erkenntnisse aus diesem und dem vorigen
Kapitel für beschränkte Folgen zusammenfasst.

58
Satz 10.7. Es sei (an ) eine beschränkte Folge in R. Dann sind die folgenden
Aussagen äquivalent:

(a) (an ) ist konvergent.

(b) (an ) hat genau einen Häufungswert.

(c) lim supn→∞ an = lim inf n→∞ an .

Ist eine dieser Aussagen erfüllt, so gilt

lim an = lim sup an = lim inf an .


n→∞ n→∞ n→∞

Beweis. Die Äquivalenz (b)⇔(c)“ ergibt sich direkt aus der Definition von Limes

inferior und Limes superior. Außerdem ist die Implikation (a)⇒(b)“ die Aussage

von Satz 9.7 (c). Es bleibt uns also nur noch die Implikation (b)⇒(a)“ zu zeigen.

Sei dazu (an ) eine beschränkte Folge mit genau einem Häufungswert α und wir
nehmen an, diese sei nicht konvergent. Da dann (an ) insbesondere nicht gegen
α konvergiert, gibt es ein ε > 0, für das außerhalb von Uε (α) unendlich viele
Folgenglieder liegen. Fassen wir diese zu einer Teilfolge (ank )k∈N zusammen, so
ist diese als Teilfolge der beschränkten Folge (an ) ebenfalls beschränkt. Sie be-
sitzt also nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß 10.1 eine konvergente Teilfolge
(ankℓ )ℓ∈N . Da (ankℓ )ℓ∈N insbesondere eine Teilfolge der ursprünglichen Folge (an )
ist, ist ihr Grenzwert nach Satz 9.7 (a) ein Häufungswert von (an ). Also muss
limℓ→∞ ankℓ = α sein. Das ist aber ein Widerspruch dazu, dass ankℓ 6∈ Uε (α) für
alle ℓ ∈ N gilt.
Man beachte, dass eine Folge durchaus einmal größer als der Limes superior oder
kleiner als der Limes inferior werden kann. Es gibt dabei aber Grenzen. Das
formulieren wir exakter im folgenden Satz.

Satz 10.8. Ist (an ) eine beschränkte Folge in R und sind a, b ∈ R mit a <
lim inf n→∞ an und b > lim supn→∞ an , so gilt an ∈ (a, b) für fast alle n ∈ N.

Beweis. Wir nehmen an, es gäbe unendlich viele Folgenglieder, die größer oder
gleich b sind. Dann können wir diese als eine Teilfolge von (an ) auffassen. Dank der
Beschränktheit der gesamten Folge ist diese Teilfolge ebenfalls beschränkt, sodass
sie nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß 10.1 wiederum eine konvergente Teil-
folge hat. Diese Teilfolge der Teilfolge ist weiterhin eine Teilfolge der Ausgangs-
folge (an ) und wir bezeichnen sie mit (ank )k∈N . Der Grenzwert β := limk→∞ ank
ist zum einen nach Satz 9.7 (a) ein Häufungswert der Folge (an ), zum anderen
haben wir durch unsere Konstruktion sichergestellt, dass ank ≥ b für jedes k ∈ N
gilt. Damit erhalten wir dank der Monotonie des Grenzwerts, vgl. Satz 7.5 (a),

β = lim ank ≥ b.
k→∞

59
10. Beschränkte Folgen

Das führt aber auf den Widerspruch

lim sup an = max HW (an ) ≥ β ≥ b > lim sup an .


n→∞ n→∞

Die Annahme, es gäbe unendlich viele Folgenglieder, die kleiner oder gleich a
sind, führt man analog zu einem Widerspruch.
Wir beweisen nun die den Grenzwertsätzen entsprechenden Aussagen für Limes
superior und inferior.
Satz 10.9. Es seien (an ) und (bn ) beschränkte Folgen in R. Dann gilt
(a) lim inf an ≤ lim sup an .
n→∞ n→∞

(b) Ist an ≤ bn für fast alle n ∈ N, so gilt

lim sup an ≤ lim sup bn und lim inf an ≤ lim inf bn .


n→∞ n→∞ n→∞ n→∞

(c) lim sup(an + bn ) ≤ lim sup an + lim sup bn und


n→∞ n→∞ n→∞

lim inf (an + bn ) ≥ lim inf an + lim inf bn .


n→∞ n→∞ n→∞

(d) Ist λ ≥ 0, so gilt

lim sup(λan ) = λ lim sup an ,


n→∞ n→∞
lim inf (λan ) = λ lim inf an .
n→∞ n→∞

(e) lim sup(−an ) = − lim inf an und lim inf (−an ) = − lim sup an .
n→∞ n→∞ n→∞ n→∞

Beweis. Wir beweisen in (b) bis (e) jeweils nur die Aussagen für den Limes su-
perior.
(a) Nach der Definition des oberen und unteren Limes gilt

lim inf an = inf HW(an ) ≤ sup HW(an ) = lim sup an .


n→∞ n→∞

(b) Sei α := lim supn→∞ an . Dann ist α ∈ HW(an ), also gibt es nach Satz 9.7 (a)
eine Teilfolge (ank )k∈N , die gegen α konvergiert. Betrachten wir die analog
gebildete Teilfolge (bnk )k∈N von (bn ), so ist diese ebenfalls beschränkt, hat
also nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß 10.1 wiederum eine konvergente
Teilfolge (bnkℓ )ℓ∈N , deren Grenzwert β nach Satz 9.7 (a) ein Häufungswert
von (bn ) ist. Da nach Voraussetzung ankℓ ≤ bnkℓ für fast alle ℓ ∈ N gilt, folgt
mit Hilfe von Satz 9.7 (b) und Satz 7.5 (a)

60
α = lim ank = lim ankℓ ≤ lim bnkℓ = β.
k→∞ ℓ→∞ ℓ→∞
Also ist
lim sup an = α ≤ β ≤ max HW(bn ) = lim sup bn .
n→∞ n→∞

(c) Sei α := lim supn→∞ (an + bn ) und ε > 0. Da α ein Häufungspunkt von
(an + bn ) ist, gibt es nach Satz 9.7 (a) eine Teilfolge (ank + bnk )k∈N von
(an + bn ), die gegen α konvergiert. Weiter gilt nach Satz 10.8 für fast alle
k∈N
ε ε
ank ≤ lim sup an + und bnk ≤ lim sup bn + .
n→∞ 2 n→∞ 2
Damit können wir aus der Monotonie des Grenzwertes in Satz 7.5 (a)
 ε ε
α = lim (ank + bnk ) ≤ lim lim sup an + + lim sup bn +
k→∞ k→∞ n→∞ 2 n→∞ 2
= lim sup an + lim sup bn + ε
n→∞ n→∞

folgern. Insbesondere gilt damit für jedes ℓ ∈ N mit der Wahl ε = 1/ℓ
1
α ≤ lim sup an + lim sup bn + .
n→∞ n→∞ ℓ
Die Ausdrücke auf beiden Seiten dieser Ungleichung konvergieren für ℓ →
∞, also liefert uns Satz 7.5 (a)
 1
lim sup(an + bn ) = α = lim α ≤ lim lim sup an + lim sup bn +
n→∞ ℓ→∞ ℓ→∞ n→∞ n→∞ ℓ
= lim sup an + lim sup bn .
n→∞ n→∞

(d),(e) Übungsaufgabe.
Wir verdeutlichen durch ein Beispiel, dass in (c) im Allgemeinen nicht =“ gilt.

Beispiel 10.10. Für jedes n ∈ N setzen wir an := (−1)n und bn := (−1)n+1 .
Dann gilt an + bn = 0 für jedes n ∈ N, also ist auch der Limes superior und der
Limes inferior der Summenfolge 0. Aber es gilt lim supn→∞ an +lim supn→∞ bn = 2
und lim inf n→∞ an + lim inf n→∞ bn = −2.
Übungsaufgabe 10.11. Es seien (an ) eine beschränkte und (bn ) eine konver-
gente Folge in R mit limn→∞ bn ≥ 0. Zeigen Sie
lim sup(an · bn ) = lim bn · lim sup an und
n→∞ n→∞ n→∞
lim inf (an · bn ) = lim bn · lim inf an .
n→∞ n→∞ n→∞

Gilt für zwei beschränkte Folgen (an ) und (bn ) in R auch


lim sup(an · bn ) = lim sup an · lim sup bn ?
n→∞ n→∞ n→∞

61
10. Beschränkte Folgen

Als weitere Anwendung des Satzes von Bolzano-Weierstraß können wir nun das
Cauchy-Kriterium beweisen. Dieses Konvergenzkriterium hat vor allem in theo-
retischen Betrachtungen eine hohe Relevanz. Sein entscheidender Vorteil ist, dass
es die Konvergenz einer reellen Folge nur anhand der Abstände der Folgenglieder
untereinander, d. h. insbesondere auch ohne Kenntnis des Grenzwerts, charakte-
risiert.
Um ein solches Kriterium herzuleiten, beginnen wir andersherum und überlegen
uns, wie sich der Abstand zweier weit draußen liegender Folgenglieder bei einer
konvergenten Folge verhält.
Sei also (an ) eine konvergente Folge in R mit Grenzwert a. Dann gibt es für jedes
ε > 0 ein n0 ∈ N, sodass |an − a| ≤ ε/2 für alle n ≥ n0 gilt. Wählen wir nun einen
weiteren beliebigen Index m ≥ n0 , so gilt mit der Dreiecksungleichung
ε ε
|an − am | = |an − a + a − am | ≤ |an − a| + |am − a| < + = ε. (10.1)
2 2
Diese wichtige Eigenschaft gießen wir nun in eine Definition.

Definition 10.12. Eine reelle Folge (an ) heißt Cauchy-Folge, wenn für jedes
ε > 0 ein Index n0 ∈ N existiert, sodass gilt

|an − am | < ε für alle n, m ≥ n0 . (10.2)

Satz 10.13 (Cauchy-Kriterium). Eine Folge in R ist genau dann konvergent,


wenn sie eine Cauchy-Folge ist.

Beweis. Den Beweis, dass jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist, haben
wir schon in obiger Vorüberlegung erbracht. Wir wenden unser Augenmerk also
der anderen Beweisrichtung zu.
Sei dazu (an ) eine Cauchy-Folge. Wir überlegen uns zunächst, dass diese Folge
beschränkt sein muss. Nach der Definition einer Cauchy-Folge gibt es ein n0 ∈ N,
sodass |an − am | < 1 für alle n, m ≥ n0 ist. Insbesondere haben wir für den
Spezialfall m = n0 die Ungleichung |an − an0 | < 1 für alle n ≥ n0 . Also gilt für
alle n ≥ n0

|an | = |an − an0 + an0 | ≤ |an − an0 | + |an0 | < 1 + |an0 |.

Damit haben wir alle bis auf endlich viele Folgenglieder beschränkt, d. h. es gilt

|an | ≤ max{|a1 |, |a2 |, |a3|, . . . , |an0 −1 |, 1 + |an0 |} für alle n ∈ N,

womit die gesamte Folge (an ) beschränkt ist. Nach dem Satz von Bolzano-Weier-
straß 10.1 hat die Folge (an ) einen Häufungswert α. Wir zeigen, dass dieser sogar
der Grenzwert der Folge ist, und geben dafür ein ε > 0 vor. Da (an ) eine Cauchy-
Folge ist, gibt es ein n0 ∈ N mit |an − am | < ε/2 für alle n, m ≥ n0 . Außerdem

62
liegen in Uε/2 (α) unendlich viele Folgenglieder von (an ), also gibt es ein n∗ ≥ n0
mit |an∗ − α| < ε/2. Für alle n ≥ n0 gilt damit
ε ε
|an − α| ≤ |an − an∗ | + |an∗ − α| < + = ε
2 2
und das bedeutet, dass (an ) gegen α konvergiert.
Bemerkung 10.14. (a) Man kann das Cauchy-Kriterium auch folgenderma-
ßen umformulieren: Eine reelle Folge (an ) ist eine Cauchy-Folge, genau dann
wenn
∀ε > 0 ∃n0 ∈ N ∀n ≥ n0 ∀k ∈ N : |an − an+k | < ε.
(b) Die Richtigkeit der Aussage, dass jede Cauchy-Folge konvergiert, ist eng mit
dem Vollständigkeitsaxiom verknüpft. So ist diese Aussage z. B. in Q falsch!
Machen Sie sich das anhand einer Folge in Q, die gegen eine irrationale Zahl
strebt, klar.
Ein erstes Anwendungsbeispiel für das Cauchy-Kriterium bietet der folgende Satz.
Satz 10.15 (Prinzip der Intervallschachtelung). Seien In , n ∈ N, abgeschlossene
und nicht-leere Intervalle in R mit I1 ⊇ I2 ⊇ I3 ⊇T . . . , sodass die Länge von In
für n gegen unendlich gegen null strebt. Dann ist n∈N In = {x∗ } für ein x∗ ∈ R.
Beweis. Für jedes n ∈ N bezeichnen wir den linken Randpunkt des Intervalls In
mit an und den rechten mit bn , sodass In = [an , bn ] ist. Dann gilt nach Voraus-
setzung limn→∞ (bn − an ) = 0.
Zunächst überlegen wir uns, dass T
der Schnitt aller Intervalle höchstens einen
Punkt enthalten kann. Sind x, y ∈ n∈N In , so sind beide in jedem Intervall In ,
also gilt für alle n ∈ N
|x − y| ≤ bn − an −→ 0 (n → ∞).
Damit ist |x − y| = 0, d. h. es gilt x = y.
Es bleibt noch auszuschließen, dass der betrachtete Schnitt leer ist. Dazu zeigen
wir als Erstes, dass (an ) eine Cauchy-Folge ist.
Sei ε > 0. Da die Länge der Intervalle In gegen null konvergiert, gibt es ein
n0 ∈ N mit bn0 − an0 < ε. Wählen wir nun n, m ≥ n0 , so gilt nach Voraussetzung
an ∈ In ⊆ In0 und am ∈ Im ⊆ In0 . Der Abstand von an zu am kann also nicht
größer werden als die Länge des Intervalls In0 und das bedeutet
|an − am | ≤ bn0 − an0 < ε.
Folglich ist (an ) eine Cauchy-Folge und damitTnach Satz 10.13 konvergent. Wir
nennen den Grenzwert a und zeigen, dass a ∈ k∈N Ik gilt.
Sei k ∈ N beliebig. Dann gilt für alle n ≥ k nach Voraussetzung In ⊆ Ik und
deshalb ak ≤ an ≤ bn ≤ bk . Dank der Konvergenz von (an ) und der Monotonie
des Grenzwerts folgt ak ≤ limn→∞ an ≤ bk , also gilt a ∈ Ik .

63
11. Konvergenz von Reihen
Will man unendlich viele Zahlen addieren, bekommt man es wieder mit einem
Grenzwert zu tun. Das führt auf den Begriff einer Reihe, mit dem wir uns in
diesem Abschnitt beschäftigen.

Definition 11.1. Es sei (an ) eine Folge in R.


P
(a) Wir setzen sn := nk=1 ak , n ∈ N, und nennen sn die n-te Partialsumme.
Weiter heißt die Folge (sn ) (unendliche) Reihe und wir schreiben dafür

X
ak = a1 + a2 + a3 + . . . .
k=1

P
(b) Die Reihe ∞ k=1 ak heißt konvergent (bzw. divergent bzw. bestimmt diver-
gent gegen ±∞), wenn die Folge (sn ) konvergiert (bzw. divergiert bzw. be-
stimmt gegen ±∞ divergiert).
P
(c) Ist die Reihe ∞ k=1 ak konvergent, so heißt limn→∞ sn der Reihenwert und
wir schreiben

X
ak := lim sn .
n→∞
k=1

P
Bemerkung 11.2. (a) Beachten Sie, dass das Symbol ∞ k=1 ak nun zwei Be-
deutungen hat. Es steht zum einen für die Folge der Partialsummen und
ist damit ein abstraktes Zeichen, das unabhängig davon sinnvoll ist, ob die
Partialsummen konvergieren. Zum anderen symbolisiert es den Reihenwert,
und bevor man es in dieser Bedeutung verwendet, muss zunächst geklärt
werden, ob die Folge (sn ) konvergiert.
Diese Doppelbelegung hat sich fest eingebürgert, daher machen wir uns
diesen Sprachgebrauch im Folgenden ebenfalls zu eigen.

(b) Der Name des Summationsindexes spielt für die Bedeutung des Symbols
keine Rolle, d. h. es ist

X ∞
X ∞
X
an = ak = aν .
n=1 k=1 ν=1

65
11. Konvergenz von Reihen

Bei der Behandlung von Reihen ist es unpraktisch, dass wir durch unsere Defini-
tion einer Folge darauf festgelegt sind, die Summation immer mit eins als Index
zu beginnen. Deshalb erweitern wir unseren Folgenbegriff ein wenig.
Definition 11.3. Es sei p ∈ Z und X 6= ∅ eine Menge. Eine Abbildung
a : {p + n : n ∈ N0 } −→ X
nennen wir in Erweiterung von Definition 5.1 ebenfalls Folge in X und bezeichnen
diese mit (an )∞ ∞
n=p . Ist p = 1, so schreiben wir weiterhin (an ) für (an )n=1 .

Bemerkung 11.4. (a) Für eine Folge (an )∞ n=p können wir durch bn := an+p−1 ,
n ∈ N, eine Folge (bn ) konstruieren, die unserer alten Definition entspricht.
Alle Erkenntnisse aus den letzten Kapiteln lassen sich damit problemlos auf
diesen verallgemeinerten Folgenbegriff übertragen.
(b) Ist p ∈ Z und (an )∞
n=p eine Folge, so definiert man für die Reihe
Pn über diese
Folge entsprechend die Folge der PartialsummenP als sn := k=p ak für alle
n ≥ p und schreibt für die Folge (sn )n=p wieder ∞

k=p ak , genau so wie für
den Reihenwert, falls dieser existiert.
Auch im Folgenden werden Definitionen und Sätze immer für den Fall p = 1
angeben, um nicht zu viele Notationen zu produzieren. Diese gelten dann
stets in diesem Sinne auch für allgemeines p ∈ Z.
Beispiel 11.5. Wir betrachten einige wichtige Reihen, untersuchen diese auf
Konvergenz und bestimmen die Reihenwerte.
P
(a) Wir haben in Kapitel 8 bereits eine Reihe kennengelernt, nämlich ∞ 1
k=0 k!
mit n
X 1
sn =
k=0
k!
In Satz 8.5 haben wir gesehen, dass limn→∞ sn = e ist. Also ist dieses nach
Definition eine konvergente Reihe mit Reihenwert
X∞
1
= e.
k=0
k!

(b) Die geometrische Reihe ist für x ∈ R gegeben durch



X
xk (geometrische Reihe).
k=0

In Satz 3.12 haben wir schon gesehen, dass für die Partialsummen dieser
Reihe  n+1
Xn 1−x , falls x 6= 1,
k
sn = x = 1−x

k=0 n + 1, falls x = 1

66
gilt.
Für x = 1 konvergiert diese Folge offensichtlich nicht und nach Satz 7.9
konvergiert die Folge (xn+1 ) genau dann, wenn x ∈ (−1, 1] ist und dann
ist der Grenzwert 0, falls x 6= 1 ist. Fazit: Unsere Folge (sn ) und damit die
geometrische Reihe konvergiert, genau dann wenn |x| < 1 ist und in diesem
Fall gilt
X∞
1 − xn+1 1
xk = lim sn = lim = .
n→∞ n→∞ 1 − x 1 − x
k=0

(c) Um die Reihe



X 1
k=1
k(k + 1)
zu untersuchen, beobachten wir, dass für jedes k ∈ N gilt
1 k+1−k 1 1
= = − .
k(k + 1) k(k + 1) k k+1
Also bekommen wir für die zugehörigen Partialsummen für alle n ≥ 2
n 
1 
Xn X Xn n−1
1 1 1 X 1 1
sn = = − =1+ − −
k=1
k(k + 1) k=1 k k + 1 k=2
k k=1 k + 1 n + 1
1
= 1−
n+1
dank einer freundlichen Teleskopsumme. Für n → ∞ folgt sn → 1 und
damit haben wir auch hier eine konvergente Reihe mit Reihenwert 1, in
Formeln ∞
X 1
= 1.
k=1
k(k + 1)

(d) Abschließend betrachten wir die harmonische Reihe


X∞
1 1 1 1 1
= 1 + + + + + ... (harmonische Reihe).
k=1
k 2 3 4 5
Für diese Reihe gilt
2n
X 2n
X 2n
X
1 1 1 1 1
s2n = = sn + ≥ sn + = sn + n · = sn +
k k
|{z} 2n 2n 2
k=1 k=n+1 k=n+1
≥1/2n

für alle n ∈ N. Nehmen wir an, die Folge (sn ), und damit die harmonische
Reihe, wäre konvergent, so existiert s := limn→∞ sn . Da dann aber nach
Satz 9.7 (b) auch die Teilfolge (s2n ) gegen s konvergiert, liefert uns obige
Ungleichung den Widerspruch s ≥ s + 1/2. Also ist die harmonische Reihe
divergent.

67
11. Konvergenz von Reihen

Wir beweisen nun die ersten Aussagen über Konvergenz von Reihen. Dazu über-
tragen wir einige unserer Konvergenzkriterien für Folgen auf den Fall von Reihen.
P
Satz 11.6. Es sei (an ) eine reelle Folge und sn := nk=1 ak , n ∈ N. Dann gilt
Ist an ≥ 0 für alle n ∈ N und die Folge (sn ) nach oben beschränkt, so ist
(a) P

n=1 an konvergent. (Monotonie-Kriterium)
P
(b) Die Reihe ∞ n=1 an ist genau dann konvergent, wenn für jedes ε > 0 ein
n0 = n0 (ε) ∈ N existiert, sodass
m
X
ak < ε für alle n, m ∈ N mit m > n > n0
k=n+1

gilt. (Cauchy-Kriterium)
Beweis. (a) Da alle an positiv sind, gilt für jedes n ∈ N
n
X
sn+1 = ak + an+1 = sn + an+1 ≥ sn ,
k=1

die Folge (sn ) ist also monoton wachsend. Da sie nach Voraussetzung auch
beschränkt ist, folgt die Behauptung direkt aus dem Monotonie-Kriterium
für Folgen, Satz 8.2.
(b) Seien m, n ∈ N mit n < m. Dann gilt
m
X
|sm − sn | = |an+1 + an+2 + . . . + am | = ak .
k=n+1

Sei ε > 0. Ist der linke Ausdruck in dieser Gleichheit für alle großen n, m
kleiner als ε, so auch der linke und umgekehrt. Entsprechend folgt die Be-
hauptung aus dem Cauchy-Kriterium für Folgen in Satz 10.13.
Auch die Linearität des Grenzwerts überträgt sich auf Reihen.
P P∞
Satz 11.7. Es seien ∞ k=1 ak und k=1 bk P
zwei konvergente Reihen in R sowie
α, β ∈ R. Dann konvergiert auch die Reihe ∞ k=1 (αak + βbk ) mit

X ∞
X ∞
X
(αak + βbk ) = α ak + β bk .
k=1 k=1 k=1
Pn Pn
Beweis. Für n ∈ N setzen wir sn := k=1 ak und tn :=
P k=1 bk sowie rn :=
n
k=1 (αak + βbk ). Dann gilt für jedes n ∈ N
n
X n
X n
X
rn = (αak + βbk ) = α ak + β bk = αsn + βtn . (11.1)
k=1 k=1 k=1

68
Also ist

X ∞
X ∞
X
(αak + βbk ) = lim rn = α lim sn + β lim tn = α ak + β bk
n→∞ n→∞ n→∞
k=1 k=1 k=1

nach den Grenzwertsätzen für Folgen in Satz 7.3.


Außerdem gelten für konvergente Reihen die folgenden Aussagen.
P
Satz 11.8. Es sei ∞ k=1 ak eine konvergente Reihe in R. Dann gilt:
P
(a) Für jedes ν ∈ N ist die Reihe ∞ k=ν ak ebenfalls konvergent.
P
(b) Die Folge rν := ∞ k=ν ak , ν ∈ N, ist eine Nullfolge.

(c) Die Folge (an ) konvergiert gegen 0.


P P
Beweis. Wir setzen wieder sn := nk=1 ak , n ∈ N, und s := limn→∞ sn = ∞k=1 ak .

(a) Sei ν ∈
PN. Für jedesPm ∈ N mit m ≥ ν betrachten wir die Partialsummen
σm = k=ν ak von ∞
m
k=ν ak . Dann gilt

m
X ν−1
X
σm = ak − ak = sm − sν−1 .
k=1 k=1

Die Folge auf der rechten Seite der Gleichung ist für m → ∞ konvergent,
also konvergiert auch (σm ) mit σm → s − sν−1 (m → ∞).

(b) Nach dem vorherigen Punkt gilt rν = s − sν−1 für jedes ν ∈ N. Da


limν→∞ sν−1 = s gilt, ist damit (rν ) eine Nullfolge.

(c) Hierzu beobachten wir, dass an = sn − sn−1 für jedes n ∈ N gilt. Daraus
folgt limn→∞ an = limn→∞ (sn − sn−1 ) = s − s = 0.

Warnung 11.9. In (c) im obigen Satz gilt die Umkehrung nicht, wie das Beispiel
der harmonischen Reihe, vgl. Beispiel 11.5 (d), zeigt.

69
12. Der Riemannsche
Umordnungssatz
Im Folgenden betrachten wir Reihen, deren Summanden teils positives und teils
negatives Vorzeichen haben. Diese haben es leichter zu konvergieren als Reihen,
deren Summanden ein konstantes Vorzeichen haben, da sich Beiträge der posi-
tiven und der negativen Summanden gegenseitig wegheben können. Wird dieser
Effekt sehr stark, können allerdings Überraschungen passieren. Diese guten und
schlechten Eigenschaften solcher Reihen wollen wir in diesem Abschnitt beleuch-
ten.
Als Modellfall betrachten wir sogenannte alternierende Reihen, bei denen die
Summanden abwechselnd positiv und negativ sind.
Beispiel 12.1. Durch Einbauen von alternierenden Vorzeichen in die harmoni-
schen Reihe, s. Beispiel 11.5 (d), ergibt sich die alternierende harmonische Reihe

X (−1)n+1 1 1 1 1
=1− + − + − ....
n=1
n 2 3 4 5

Abbildung 12.1 zeigt die ersten Partialsummen dieser Reihe. Das sieht sehr kon-
vergent aus und wir wollen im Folgenden zeigen, dass die alternierende harmoni-
sche Reihe im Gegensatz zur harmonischen Reihe tatsächlich konvergent ist.

Abbildung 12.1.: Die ersten dreißig Partialsummen der alternierenden harmoni-


schen Reihe.
Pn
Wir setzen dazu an := (−1)n+1/n und sn := k=1 ak für jedes n ∈ N.

71
12. Der Riemannsche Umordnungssatz

Betrachten wir nur die geraden n, so finden wir


1 1
sn+2 = sn + an+1 + an+2 = sn + − ≥ sn .
|n + 1 {z n + 2}
≥0

Die Teilfolge (s2n ) von (sn ) ist also monoton wachsend. Analog erkennen wir,
dass die Teilfolge (s2n−1 ) der ungeraden Folgenglieder monoton fällt. Außerdem
gilt für jedes n ∈ N
1
s2n+1 = s2n + a2n+1 = s2n + ≥ s2n ,
2n + 1
d. h. die ungeraden Folgenglieder liegen immer oberhalb des vorhergehenden ge-
raden Folgenglieds. Setzen wir diese beiden Einsichten zusammen, bekommen wir
für alle n ∈ N.

s2 ≤ s4 ≤ . . . ≤ s2n ≤ s2n+1 ≤ . . . ≤ s3 ≤ s1 .

Somit sind beide Teilfolgen auch beschränkt, die der geraden Folgenglieder nach
oben durch s1 und die der ungeraden nach unten durch s2 . Nach dem Monotonie-
Kriterium sind daher beide Teilfolgen konvergent. Wir setzen s := limn→∞ s2n
und σ := limn→∞ s2n−1 .
Nehmen wir uns noch einmal die Identität s2n+1 = s2n + a2n+1 vor und lassen
darin n nach ∞ streben, so gelangen wir wegen limn→∞ an = 0 zu der Erkenntnis
σ = s + 0, also σ = s.
Sei nun ε > 0 gegeben. Dann gilt für fast alle k ∈ N sowohl s2k ∈ Uε (s) als auch
s2k−1 ∈ Uε (s). Da aber jede natürliche Zahl entweder gerade oder ungerade ist,
liegt damit sk ∈ Uε (s) für fast alle k ∈ N und wir haben gezeigt, dass (sn ) und
damit auch die Reihe konvergent ist.
Schaut man sich die Argumentation in obigem Beispiel an, so stellt man fest,
dass die konkrete Formel für die Folgenglieder an gar nicht verwendet wurde,
sodass diese Vorgehensweise ohne Mühe auf viele andere alternierende Reihen
übertragen werden kann. In diesem Sinne können Sie den Beweis des folgenden
Konvergenzkriteriums für Reihen mit alternierenden Vorzeichen selbst führen.
Satz 12.2 (Leibniz-Kriterium). EsPsei (an ) eine monotone Folge und es gelte
limn→∞ an = 0. Dann ist die Reihe ∞ n
n=1 (−1) an konvergent.

Als Nächstes wollen wir untersuchen, ob und wie sich das Umordnen von Folgen-
gliedern auf die Konvergenz einer Folge und der zugehörigen Reihe auswirkt. Wir
definieren zunächst, was mit Umordnen gemeint ist.
Definition 12.3. Es sei (an ) eine reelle Folge und ϕ : N → N eine bijektive
jedes n ∈ N. Dann heißt die Folge
Abbildung. Wir setzen bn := aϕ(n) fürP P∞(bn ) eine
Umordnung von (an ) und die Reihe ∞ b
n=1 n eine Umordnung von n=1 an .

72
Bemerkung 12.4. Wegen der Bijektivität der Abbildung ϕ existiert die Um-
kehrabbildung ϕ−1 mit ϕ(ϕ−1 (n)) = n für jedes n ∈ N. Damit lässt sich jede
Umordnung rückgängig machen. Außerdem ist bϕ−1 (n) = aϕ(ϕ−1 (n)) = an , d. h.
wann immer (bn ) eine Umordnung von (an ) ist, ist auch (an ) eine Umordnung
von (bn ).

An der Konvergenz von Folgen ändert Umsortieren nichts, wie der folgende Satz
zeigt.

Satz 12.5. Es sei (an ) eine konvergente reelle Folge und (bn ) eine Umordnung
von (an ). Dann ist auch (bn ) konvergent und es gilt limn→∞ bn = limn→∞ an .

Beweis. Es sei ϕ : N → N die zur Umordnung gehörige bijektive Abbildung, d. h.


es gilt bn = aϕ(n) für alle n ∈ N. Wir setzen a := limn→∞ an und geben ein ε > 0
vor. Dann gibt es ein n∗ ∈ N, sodass |an − a| < ε für alle n ≥ n∗ gilt.
Nun muss es ein n0 ∈ N geben mit ϕ(n) ≥ n∗ für alle n ≥ n0 , denn wäre das
nicht der Fall, so gäbe es unendlich viele n ∈ N mit ϕ(n) ∈ {1, 2, . . . , n∗ − 1} und
das stünde im Widerspruch zur Bijektivität von ϕ. Nehmen wir uns ein solches
n0 her, so haben wir für alle n ≥ n0 , dass ϕ(n) ≥ n∗ ist, und damit ist für alle
n ≥ n0
|bn − a| = |aϕ(n) − a| < ε.
Also konvergiert (bn ) ebenfalls gegen a.

Wir geben Reihen, deren Konvergenz von der Reihenfolge der Summanden un-
abhängig ist, eine eigene Bezeichnung.

Definition 12.6. Eine konvergente Reihe heißt unbedingt konvergent, wenn jede
ihrer Umordnungen auch konvergent ist und alle Umordnungen denselben Reihen-
wert besitzen.
Ist eine konvergente Reihe nicht unbedingt konvergent, so heißt sie bedingt kon-
vergent.

Wir werden gleich sehen, dass es bedingt konvergente Reihen gibt. Dazu brauchen
wir eine kleine Vorüberlegung.
P P∞
Lemma 12.7. Es sei ∞ n=1 an eine konvergente Reihe, für die n=1 |an | diver-
gent ist. Setzen
P∞ wir an,+ := max{a n , 0} und an,−
P∞:= min{a n , 0} für jedes n ∈ N,
so divergiert n=1 an,+ bestimmt gegen ∞ und n=1 an,− bestimmt gegen −∞.

Beweis. Wir beobachten zuerst, dass für alle n ∈ N gilt


 
0, falls an ≥ 0,
an − an,+ = = an,− (12.1)
an , falls an < 0,

73
12. Der Riemannsche Umordnungssatz

und
 
an , falls an ≥ 0,
an,+ − an,− = = |an |. (12.2)
−an falls an < 0,
P
Wir nehmen an, dass die Reihe ∞ n=1 an,+ nicht bestimmt gegen ∞ divergiert.
Da
PN alle Summanden dieser Reihe positiv sind, ist die Folge der Partialsummen
( n=1 an,+ )N ∈N monoton wachsend. Die Annahme sagt uns dann, dass diese be-
schränkt ist, sodass das Monotoniekriterium für Reihen aus Satz 11.6 (a) die
Konvergenz dieser Reihe liefert. P
Nach Satz 11.7 ist dann wegen der Konvergenz von ∞ n=1 an und dank (12.1)
auch

X X∞ X∞ X∞
an,− = (an − an,+ ) = an − an,+ (12.3)
n=1 n=1 n=1 n=1

konvergent. Nochmals Satz 11.7 zusammen mit (12.2) liefert daraus die Konver-
genz von
X∞ X∞ X∞ ∞
X
an,+ − an,− = (an,+ − an,− ) = |an |, (12.4)
n=1 n=1 n=1 n=1
P∞
aber das war ja gerade ausgeschlossen. Also divergiert n=1 an,+ bestimmt gegen
∞. P
Nimmt man an, dass die Reihe ∞ n=1 an,− nicht bestimmt gegen −∞ divergiert,
kommt man analog zu einem Widerspruch.
P∞
Satz 12.8 (Riemannscher
P∞ Umordnungssatz). Es sei n=1 an eine konvergente
Reihe, für die n=1 |an | divergiert.
P∞ Dann gibt es für jedes S ∈ R ∪ {∞, −∞} eine
Umordnung (bn ) von (an ) mit n=1 bn = S.

Bemerkung 12.9. (a) Der Satz besagt nicht nur, dass man beim betrachteten
Typ von Reihen durch Umordnen den Reihenwert ändern kann, sondern
dass man allein durch Umordnen jeden beliebigen Reihenwert ansteuern
kann, ja sogar eine divergente Reihe erzeugen kann. Außerdem bedeutet
dieser Satz, dass es bedingt konvergente Reihen gibt, z. B. die alternierende
harmonische Reihe aus Beispiel 12.1.

(b) Der Beweis dieses Satzes ist deutlich länger als alle bisherigen und reichlich
technisch. Beim ersten Lesen kann er gefahrlos überblättert werden. Dabei
ist die Beweisidee recht schön zu erklären:
P
Wir wollen die konvergente Reihe ∞ n=1 an so umordnen, dass als Grenzwert
S herauskommt und konzentrieren uns auf den Fall S ∈ [0, ∞). Wegen Lem-
ma 12.7 muss unsere Reihe sowohl unendlich viele positive als auch unend-
lich viele strikt negative Summanden haben. Dementsprechend können wir
die Teilfolge (ank )k∈N aller positiven Summanden und die Teilfolge (amℓ )ℓ∈N

74
der strikt negativen Summanden betrachten. Für diese gilt mit der Notation
aus Lemma 12.7
X∞ ∞
X X ∞ X∞
ank = an,+ und amℓ = an,− ,
k=1 n=1 ℓ=1 n=1

sodass nach ebendiesem Lemma beide Reihen bestimmt divergieren, und


zwar gegen ∞ bzw. −∞. Insbesondere gibt es jeweils unendlich viele strikt
positive und strikt negative Summanden und wir können jede beliebige po-
sitive Zahl durch Addition endlich vieler positiver Summanden übertreffen,
sowie jede beliebige negative Zahl durch Addition endlich vieler negativer
Summanden unterbieten.
Das machen wir uns zu Nutze, um genau den Grenzwert S zu erreichen. Man
addiert zunächst die ersten positiven Summanden, solange bis S zum ersten
Mal überboten ist. Dann addiert man die ersten negativen Summanden so
lange, bis man zum ersten Mal wieder unterhalb von S ist. Wir haben schon
endlich viele positive Summanden verbraucht, aber auch die verbliebene
Restreihe der noch nicht verwendeten positiven Summanden muss noch
bestimmt gegen ∞ divergieren, denn sonst wäre auch die gesamte Reihe
P ∞
n=1 an,+ konvergent gewesen. Also haben wir noch beliebig viel positives
Baumaterial“ übrig und können wieder solange davon addieren, bis wir

zum ersten Mal wieder über S liegen. Auch das ist nach endlich vielen
Summanden der Fall.
So wechselt man immer Blöcke von positiven und negativen Summanden ab
und pendelt sich dabei immer näher auf S ein. Letzteres liegt daran, dass
nach Satz 11.8 (c) die Folge (an ) eine Nullfolge sein muss. Da im Verlauf
unserer Umordnerei die Summanden also betragsmäßig immer kleiner wer-
den, wird der Wert, um den wir S in jedem Block über- bzw. unterbieten,
immer näher an null rutschen.
Will man die Reihe so umordnen, dass sie bestimmt gegen ∞ divergiert,
so behält man die Grundkonstruktion bei. Man summiert aber in jedem
Schritt nicht, bis man über bzw. unter S ist, sondern man verschiebt diese
Marke im Verlauf der Zeit nach oben. Beispielsweise kann man addieren,
bis man über zwei ist, dann abziehen bis unter eins, addieren bis über drei,
abziehen bis unter zwei, addieren bis über vier, usw.
(c) Wenn Sie den folgenden Beweis genau durcharbeiten, werden Sie feststellen,
dass Summen auftreten können, bei denen dieP obere Grenze der Zählvariable
0
echt kleiner als die untere ist, wie z. B. in a “. Solche sogenannten
” k=1 k
leeren Summen“ sind hier als null zu lesen. Dann gehen alle Rechnungen

auf und das entspricht auch einer weitverbreiteten notationellen Tradition.
Q0
Ganz analog sind leere Produkte wie z. B. a “ üblicherweise als eins
” k=1 k
zu lesen.

75
12. Der Riemannsche Umordnungssatz

Beweis von Satz 12.8. Der Beweis wird hier für den Fall S ∈ [0, ∞) vorgeführt
und am Ende werden die nötigen Modifikationen für den Fall S = ∞ aufgeführt.
Für S < 0 kann man eine analoge Argumentation führen.
Unser Ziel ist es, einePUmordnung von (an ) zu finden, d. h. eine bijektive Funktion
ϕ : N → N, sodass ∞ n=1 aϕ(n) gegen S konvergiert. Nehmen wir an, (an ) hätte
nur endlichP viele positive Folgenglieder, so hätte in der Notation aus Lemma 12.7

die Reihe n=1 an,+ nur endlich viele von null verschiedene Summanden und
wäre damit im Widerspruch zu diesem Lemma konvergent. Es gibt also unendlich
viele positive Summanden und mit einem analogen Argument ergibt sich, dass
unendlich viele Folgenglieder von (an ) strikt negativ sind. Wir können also die
Teilfolgen (ank )k∈N aller positiven Folgenglieder von (an ) betrachten und genauso
die Teilfolge (amℓ )ℓ∈N aller strikt negativen Folgenglieder. Da jedes an entweder
positiv oder strikt negativ ist, findet sich jeder Summand unserer Reihe in genau
einer dieser Teilfolgen wieder.
1. Schritt: Konstruktion der Umordnung ϕ.
P
Nach Lemma 12.7 gilt ∞ k=1 ank = ∞, also gibt es ein k1 ∈ N mit

kX
1 −1 k1
X
ank ≤ S < ank =: s+
1.
k=1 k=1

Dabei hebt uns der letzte Summand ank1 so eben über S, es gilt also 0 < s+
1 −S ≤
ank1 .
Diese ersten k1 positiven Summanden bilden die ersten Summanden unserer um-
geordneten Reihe, wir setzen also

ϕ(j) := nj für j = 1, . . . , k1 .

Dann haben wir


k1
X k1
X
s+
1 = anj = aϕ(j) .
j=1 j=1

Es wird Zeit die ersten


P∞ strikt negativen Summanden zu verwenden. Hier sagt uns
Lemma 12.7, dass ℓ=1 amℓ = −∞ ist. Also gibt es ein ℓ1 ∈ N mit

ℓX
1 −1 ℓ1
X
s+
1 + amℓ ≥ S > s+
1 + amℓ =: s−
1.
ℓ=1 ℓ=1

und es ist 0 < S − s−


1 ≤ amℓ1 .
Diese ℓ1 Summanden kommen in unserer Umordnung als Nächstes, wir setzen
also
ϕ(j) := mj−k1 , für j = k1 + 1, k1 + 2, . . . , k1 + ℓ1 .

76
Dann haben wir
ℓ1
X kX
1 +ℓ1 kX
1 +ℓ1 kX
1 +ℓ1

s− +
1 = s1 + amj = s+
1 + amj−k1 = s+
1 + aϕ(j) = aϕ(j) .
j=1 j=k1 +1 j=k1 +1 j=1

P∞
Wir addieren wieder positive Summanden.
P∞ Wäre k=k1 +1 ank endlich, so gälte
dasselbe für die gesamte Reihe k=1 ank , was nach Lemma 12.7 nicht sein kann.
Also gibt es ein k2 ∈ N mit
kX
2 −1 k2
X
s−
1 + ank ≤ S < s−
1 + ank =: s+
2.
k=k1 +1 k=k1 +1

Damit gilt 0 < s+


2 − S ≤ ank2 und wir setzen

ϕ(j) := nj−ℓ1 , für j ∈ {k1 + 1 + ℓ1 , k1 + 2 + ℓ1 , . . . , k2 + ℓ1 }.

Auch jetzt folgt wieder


k2
X kX
2 +ℓ1 kX
2 +ℓ1 kX
2 +ℓ1

s+
2 = s−
1 + anj = s−
1 + anj−ℓ1 = s−
1 + aϕ(j) = aϕ(j) .
j=k1 +1 j=k1 +1+ℓ1 j=k1 +1+ℓ1 j=1

Iteriert man dieses Vorgehen, erhält man zwei streng monoton wachsende Folgen
(ki )i∈N und (ℓi )i∈N von natürlichen Zahlen. Diese ergänzen wir, damit im Folgen-
den die Notation aufgeht, um die Setzungen k0 := ℓ0 := 0. Die ki und ℓi sind
dabei so gewählt, dass mit


nj−ℓi , für j ∈ Ai := {ki + 1 + ℓi , ki + 2 + ℓi , . . . , ki+1 + ℓi }, i ∈ N0
ϕ(j) := mj−ki+1 , für j ∈ Bi := {ki+1 + ℓi + 1, ki+1 + ℓi + 2, . . . , ki+1 + ℓi+1 },


i ∈ N0

und
ki +ℓi−1 kX
i +ℓi
X
s+
i := aϕ(j) und s−
i := aϕ(j) , i ∈ N,
j=1 j=1

für alle i ∈ N gilt

0 < s+
i − S ≤ anki und 0 < S − s−
i ≤ amℓi . (12.5)

Es bleibt nun zum einen zu zeigen, dass ϕ eine gültige Umordnung produziert,
d. h. wir müssen die Bijektivität dieser Abbildung sicherstellen. Zum anderen
bleibt zu beweisen, dass die durch ϕ umgeordnete Reihe gegen S konvergiert.
2. Schritt: ϕ ist injektiv

77
12. Der Riemannsche Umordnungssatz

Es seien p, q ∈ N mit ϕ(p) = ϕ(q) und wir dürfen annehmen, dass p ≤ q ist.
Anderenfalls tauschen wir die Bezeichnungen. Da die Indexfolgen (nk ) und (mℓ )
keine gemeinsamen Folgenglieder haben, muss es dann ip , iq ∈ N0 geben mit
entweder

p ∈ Aip und q ∈ Aiq , d. h. ϕ(p) = np−ℓip = nq−ℓiq = ϕ(q)

oder
p ∈ Bip und q ∈ Biq , d. h. ϕ(p) = mp−kip +1 = mq−kiq +1 = ϕ(q).
Wir betrachten hier nur den ersten Fall, der zweite kann analog behandelt werden.
Da (ank )k∈N eine Teilfolge von (an ) ist, ist die Folge (nk )k∈N streng monoton
wachsend. Insbesondere folgt aus np−ℓip = nq−ℓiq sofort p − ℓip = q − ℓiq und somit
p − q = ℓip − ℓiq . Damit bekommen wir im Falle, dass ip = iq ist, sofort p = q.
Wir nehmen nun an, es wäre ip 6= iq . Da (ℓi ) eine monoton wachsende Folge ist
und p ≤ q ist, muss dann ip < iq sein. Da weiter (ki ) ebenfalls monoton wächst,
folgt kip +1 ≤ kiq . Nutzen wir aus, dass p in Aip und q in Aiq liegt, so folgt

p − q ≤ kip +1 + ℓip − kiq − 1 − ℓiq ≤ ℓip − 1 − ℓiq < ℓip − ℓiq ,

was im Widerspruch zu p − q = ℓip − ℓiq liegt.


3. Schritt: Surjektivität von ϕ.
Sei a ∈ N. Gesucht ist ein j ∈ N mit ϕ(j) = a. Da jede natürliche Zahl entweder
in (nk )k∈N oder in (mℓ )ℓ∈N auftaucht, gibt es entweder ein p ∈ N mit a = np oder
ein q ∈ N mit a = mq . Wir führen wieder nur den ersten Fall, also a = np aus.
Da (ki )i∈N eine streng monoton wachsende Folge von natürlichen Zahlen ist, gibt
es einen Index ip ∈ N0 mit kip < p ≤ kip +1 . Das bedeutet, dass

j := p + ℓip ∈ {kip + 1 + ℓip , kip + 2 + ℓip , . . . , kip +1 + ℓip } = Aip

gilt und das liefert

ϕ(j) = ϕ(p + ℓip ) = np+ℓip −ℓip = np = a.

4. Schritt: Konvergenz der umgeordneten Reihe gegen S.


PN
Wir betrachten die Partialsummen n=1 aϕ(n) für N ∈ N. Dann gibt es ein
iN ∈ N0 , sodass entweder N ∈ AiN oder N ∈ BiN gilt.
Wir betrachten als erstes den Fall, dass N ∈ AiN gilt. Ist dabei speziell N =
kiN +1 + ℓiN , d. h. wir betrachten den letzten positiven Summanden in diesem
P PkiN +1 +ℓiN
Block, so gilt N n=1 aϕ(n) = n=1 aϕ(n) = s+
iN +1 .
Nach (12.5) gilt also in diesem speziellen Fall
N
X
aϕ(n) − S = |s+
iN +1 − S| ≤ anki .
N +1
n=1

78
Für alle anderen N ∈ {kiN + 1 + ℓiN , kiN + 2 + ℓiN , . . . , kiN +1 − 1 + ℓiN } ist unsere
Partialsumme zum Index N kleiner oder gleich S. Das bedeutet
N
X N
X
aϕ(n) − S = S − aϕ(n) .
n=1 n=1

Daraus bekommen wir durch Weglassen einiger (positiver!) Summanden und wie-
derum mit Hilfe von (12.5)

N N kiN +ℓiN
X X X
aϕ(n) − S = S − aϕ(n) ≤ S − aϕ(n) = S − s−
iN ≤ amℓi .
N
n=1 n=1 n=1

Liegt unser N dagegen in BiN befinden wir uns in einem Block von negativen
Summanden. Auch hier betrachten wir zuerst
PN den Fall P
des letzten Index im Block
kiN +1 +ℓiN +1
N = kiN +1 + ℓiN +1 gesondert. Dann ist n=1 aϕ(n) = n=1 aϕ(n) = s−
iN +1
und wir bekommen erneut mit (12.5)

N
X
aϕ(n) − S = |s−
iN +1 − S| ≤ amℓi .
N +1
n=1

Schließlich ist für alle N ∈ {kiN +1 + ℓiN + 1, kiN +1 + ℓiN + 2, . . . , kiN +1 + ℓiN +1 − 1}
die Partialsumme größer als S und somit gilt
N
X N
X
aϕ(n) − S = aϕ(n) − S.
n=1 n=1

Für alle n ∈ {kiN +1 + ℓiN + 1, . . . , N} ist ϕ(n) = mn−kiN +1 , d. h. aϕ(n) ist negativ.
Lassen wir alle diese negativen Summanden in der zuletzt verbliebenen Summe
weg, machen wir den Gesamtausdruck also größer und erhalten ein letztes Mal
mit Hilfe von (12.5)

N kiN +1 +ℓiN
X X
aϕ(n) − S ≤ aϕ(n) − S = s+
iN +1 − S ≤ anki .
N +1
n=1 n=1

P∞
Sei nun ε > 0. Da die Reihe n=1 an konvergent ist, gilt nach Satz 11.8 (c)
limn→∞ an = 0. Es gibt also ein n0 ∈ N mit |an | < ε für alle n ≥ n0 . Nun sind
(ki )i≥0 und (ℓi )i≥0 streng monoton wachsende Folgen von natürlichen Zahlen. Das
bedeutet, dass es ein i0 ∈ N gibt, sodass für i ≥ i0 sowohl ki ≥ n0 als auch ℓi ≥ n0
ist.
Wählen wir schließlich ein N0 ∈ N so groß, dass für alle N ≥ N0 das zugehörige
iN vom Anfang des vierten Schritts größer als i0 wird, so sind für diese N die

79
12. Der Riemannsche Umordnungssatz

Werte von anki +1 , amℓi und amℓi +1 kleiner als ε und wir bekommen für all
N N N
diese N dank obiger Fallunterscheidung
N
X
aϕ(n) − S < ε.
n=1
P∞
Das bedeutet, dass n=1 aϕ(n) gegen S konvergiert.
5. Schritt: Der Fall S = ∞.
Wie schon in Bemerkung 12.9 beschrieben, bleibt die Beweisidee gleich. Man
wählt allerdings die Folgen (ki ) und (ℓi ) so, dass anstatt (12.5)

0 < s+
i − i ≤ anki und 0 < i − 1 − s−
i ≤ amℓi

gilt. Dann werden s+ −


i und si mit wachsendem i beliebig groß, was die bestimmte
Divergenz gegen ∞ liefert.

Beispiel 12.10. Wir betrachten die Umordnung der alternierenden harmoni-


schen Reihe, die man bekommt, wenn man immer einen positiven und zwei ne-
gative Summanden abwechseln lässt, also
1 1 1 1 1 1 1 1
1− − + − − + − − + ....
2 4 3 6 8 5 10 12
Das Schöne an dieser speziellen Umordnung ist, dass man nachrechnen“ kann,

wie der Reihenwert dadurch modifiziert wird. Jeder Dreierblock ist von der Form
1 1 1 1 1 1
− − = − (12.6)
2k − 1 2(2k − 1) 2(2k − 1) + 2 2 2k − 1 2k

für k ∈ N. Damit bekommen wir für diese Umordnung


∞   X 1 1 1
X ∞
1 1 1
− − = −
k=1
2k − 1 2(2k − 1) 2(2k − 1) + 2 k=1
2 2k − 1 2k
1  1X ∞
1 1 1 1 1 1
= 1 − + − + − + ... = (−1)n+1 .
2 2 3 4 5 6 2 n=1 n

Durch diese spezielle Umordnung wird der Wert der alternierenden harmonischen
Reihe damit halbiert.

80
13. Absolute Konvergenz
In diesem Abschnitt werden wir feststellen, dass es auch unbedingt konvergen-
te Reihen gibt, und diese näher untersuchen. Im weiteren Verlauf sammeln wir
wichtige Konvergenzkriterien für Reihen.
Schaut man sich den Riemannschen Umordnungssatz an, so stellt man fest, dass
dieser damit steht und fällt, ob die Reihe über die Beträge der Summanden
divergiert. Um solche Reihen auszuschließen, geben wir die folgende Definition.
P∞
Definition
P∞ 13.1. Eine Reihe k=1 ak heißt absolut konvergent, wenn die Reihe
k=1 |ak | konvergiert.

Wir zeigen zunächst, dass absolute Konvergenz ein stärkerer Begriff als Konver-
genz ist.
P
Satz 13.2. Es sei ∞ k=1 ak eine absolut konvergente Reihe. Dann ist sie konver-
gent und es gilt die verallgemeinerte Dreiecksungleichung

X ∞
X
ak ≤ |ak |. (13.1)
k=1 k=1

Beweis. Wir verwenden das Cauchy-Kriterium aus Satz 11.6. Sei dazu ε > 0
gegeben. Dann gibt es dank derPabsoluten Konvergenz ein n0 ∈ N, sodass für alle
n, m ∈ N mit m > n > n0 gilt m k=n+1 |ak | < ε. Mit der Dreiecksungleichung gilt
dann sofort für alle m > n > n0 auch
m
X m
X
ak ≤ |ak | < ε.
k=n+1 k=n+1

Also ist die ReihePnach dem Cauchy-Kriterium


Pn konvergent.
n
Setzen wir sn := k=1 ak und σn := k=1 |ak | für jedes n ∈ N, so erhalten wir wie
oben mit der Dreiecksungleichung |sn | ≤ σn für alle n und damit im Grenzwert
n→∞ ∞ ∞
X X
ak = lim sn = lim |sn | ≤ lim σn = |ak |.
n→∞ n→∞ n→∞
k=1 k=1

Bemerkung 13.3. (a) Jede absolut konvergente Reihe in R ist konvergent,


aber die Umkehrung gilt nicht, wie das Beispiel der alternierenden harmo-
nischen Reihe zeigt.

81
13. Absolute Konvergenz

(b) Ist (an ) eine Folge mit an ≥ 0 für alle n ∈ N und ist die Reihe über (an )
konvergent, so ist sie auch absolut konvergent.

(c) Mit diesem neuen Begriff lässt sich auch die Voraussetzung des Riemann-
schen Umordnungssatzes 12.8 einfacher hinschreiben. Seine Aussage gilt für
alle Reihen, die konvergent, aber nicht absolut konvergent sind.

Der nächste Satz bestätigt, dass absolut konvergente Reihen unbedingt konver-
gent sind.

Satz 13.4. Eine Reihe ist genau dann unbedingt konvergent, wenn sie absolut
konvergent ist.

Beweis. Jede konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe erfüllt die Vor-
aussetzungen des Riemannschen Umordnungssatzes, ist also bedingt konvergent.
Die Kontraposition dieser Erkenntnis liefert, dass jede unbedingt konvergente
Reihe absolut konvergent ist.
Wir wenden uns der Umkehrung zu und P∞ zeigen, dass jede absolut konvergente
Reihe unbedingt konvergiert. Sei dazu n=1 an eine absolut konvergente Reihe
und (bn ) eine Umordnung von (an ). Wir behandeln zunächst den Spezialfall, P
dass an ≥ 0 für alle n ∈ N gilt und betrachten die Partialsummen σn := nk=1 bk ,
n ∈ N. Ist j ∈ N vorgegeben, so können wir uns dazu wie im Beweis von Satz 12.5
ein N ∈ N verschaffen, für das {b1 , b2 , . . . , bj } ⊆ {a1 , a2 , . . . , aN } gilt. Da alle
P
Folgenglieder von (an ) positiv sind, folgern wir daraus, dass σj ≤ N k=1 ak ist.
Wir machen diesen Ausdruck noch größer, indem wir weitere positive Summanden
dazu addieren, und erhalten für alle j ∈ N
N
X ∞
X
σj ≤ ak ≤ ak =: s. (13.2)
k=1 k=1

Damit ist die Partialsummen-Folge (σnP ) beschränkt und wegen der Positivität
der Summanden konvergiert die Reihe ∞ k=1 bk nach dem Monotonie-Kriterium,
vgl. Satz 11.6 (a). Somit gilt dank (13.2)

X
bn = lim σn ≤ s.
n→∞
n=1
P∞
Nun ist aber wegen Bemerkung 12.4 auch n=1 an eine Umordnung der Rei-
he über (bn ). Man kann damit obigen Beweis mit vertauschten Rollen von (an )
P∞ (bn ) noch einmal führen und erhält dann die umgekehrte Ungleichung s ≤
und
n=1 bn . Also sind die beiden Reihenwerte gleich.
Es bleibt noch der Fall einer
PFolge (an ) zu betrachten, deren Folgenglieder beliebi-

ge Vorzeichen haben. Da n=1 |an | absolut konvergent ist und alle Summanden
dieser Reihe positiv sind, ist nach dem ersten Teil dieses Beweises die Reihe

82
P∞ P P∞
n=1 |bn | konvergent und es gilt ∞
n=1 |bn | = n=1 |an |. Also ist die Reihe über
(bn ) absolut konvergent.
Es bleibt noch die Gleichheit der Reihenwerte für die Reihen ohne Betragsstriche
zu zeigen. Dazu setzen wir

ãn := an + |an |, b̃n := bn + |bn |, n ∈ N.

Dann gilt ãn ≥ 0 und b̃n ≥ 0 für alle n ∈ N und (b̃n ) ist eine Umordnung von (ãn )
(mit Pder gleichen Funktion
P∞ϕ). Außerdem ist wegen der absoluten Konvergenz
von ∞ n=1 na die Reihe n=1 ãn konvergent, ja sogar absolut konvergent, denn
P∞
alle Folgenglieder von (ãn ) sind positiv. Nun können wir für die Reihe n=1 b̃n
wieder den schon bewiesenen Fall von oben Pverwenden Pund wissen hiermit, dass
∞ ∞
auch diese Reihe absolut konvergiert und n=1 ãn = n=1 b̃n gilt. Damit ergibt
sich schließlich

X ∞
X ∞
X ∞
X ∞
X ∞
X
bn = (b̃n − |bn |) = b̃n − |bn | = ãn − |an |
n=1 n=1 n=1 n=1 n=1 n=1

X X∞
= (ãn − |an |) = an .
n=1 n=1

Beachten Sie, dass das Auseinanderziehen und Zusammenfassen der Summation


jeweils nach Satz 11.7 erlaubt ist, da wir nun von allen beteiligten Reihen wissen,
dass sie konvergent sind.
Die Untersuchung einer Reihe auf Konvergenz kann ein verzwicktes Problem dar-
stellen. In diesem Abschnitt wollen wir einige Kriterien beweisen, die dabei helfen
können.
Satz 13.5. Es seien (an ) und (bn ) zwei reelle Folgen.
P
bn für fast alle n ∈ N und konvergiert die Reihe ∞
(a) Ist |an | ≤ P n=1 bn , so ist
die Reihe ∞ n=1 na absolut konvergent. (Majorantenkriterium)
Man nennt (bn ) dann eine konvergente Majorante von (an ).
P∞
(b) Ist an ≥ bn ≥ 0 für fast alle
P∞ n ∈ N und divergiert die Reihe n=1 bn , so
divergiert auch die Reihe n=1 an . (Minorantenkriterium)
Man nennt (bn ) dann eine divergente Minorante von (an ).
Beweis. (a) Nach Voraussetzung gibt es ein k ∈ N, sodass |an | ≤ bn für alle
n ≥ k gilt. Seien nun n, m ∈ N mit m > n > k gegeben. Dann gilt, da (bn )
nach Voraussetzung positive Folgenglieder hat,
m
X m
X m
X
|aj | ≤ bj = bj .
j=n+1 j=n+1 j=n+1

83
13. Absolute Konvergenz

Zu gegebenem ε > 0 wird nach dem Cauchy-Kriterium der Ausdruck rechts


für hinreichend große n, m kleiner als ε. Damit ist für diese n, m auch der
Ausdruck links kleiner als ε und die Behauptung folgt aus dem Cauchy-
Kriterium.
(b) Den Beweis des Minorantenkriteriums können wir einfach P∞ auf das Majoran-
tenkriterium zurückspielen. Wenn wir annehmen, dass n=1 an konvergent
P∞so wäre (an ) eine konvergente Majorante von (bn ) und P
ist, somit die Reihe

n=1 bn konvergent, was ja nicht sein soll. Also divergiert n=1 an .

Wir wollen diese sehr nützlichen Kriterien an zwei Beispielen erproben.


Beispiel 13.6. (a) Es sei α ∈ Q mit 0 < α ≤ 1. Wir betrachten die Reihe
X∞
1
.
n=1

P
Für alle n ∈ N gilt nα ≤ n und damit 1/nα ≥ 1/n. Da die Reihe ∞ n=1 /n
1

divergiert, ist (1/n) eine divergente Minorante für unsere Reihe und diese
damit auch divergent.
Sobald die allgemeine Potenz nx für alle x ∈ R definiert ist, verallgemeinert
sich auch dieser Beweis sofort und die Aussage bleibt richtig für alle α ∈
(0, 1].
(b) Nun stellt sich die Frage, wie das Konvergenzverhalten der Reihe aus (a)
für Exponenten α aussieht, die größer als eins sind. Um eine Intuition zu
bekommen, untersuchen wir die Reihe
X∞
1
2
.
n=1
n
Dazu zeigen wir mit Hilfe des Majorantenkriteriums, dass die Reihe

X 1
n=0
(n + 1)2
konvergiert. Dann konvergiert wegen
X∞ X∞
1 1
2
=
n=1
n n=0
(n + 1)2
auch obige Reihe. Wir beobachten dazu, dass für jedes n ∈ N gilt
1 1
2
≤ .
(n + 1) n(n + 1)
Wir wissen aber seit Beispiel 11.5 (c), dass die Reihe über (1/n(n+1)) konver-
giert, also haben
Pwir mit dieser Folge eine konvergente Majorante gefunden
und mithin ist ∞ n=1 /n konvergent.
1 2

84
Ein vollständiges Bild liefert der folgende Satz.

Satz 13.7. Ist α ∈ Q mit α > 1, so konvergiert die Reihe


X∞
1
α
.
n=1
n

Beweis. Da alle Summanden der Reihe positiv sind, reicht es nach dem Mo-
notoniekriterium
Pn aus Satz 11.6 (a) aus, die Beschränktheit der Partialsummen
sn := k=1 /k , n ∈ N, zu zeigen. Zu gegebenem n ∈ N sei dazu j ∈ N mit
1 α

2j − 1 ≥ n gewählt. Damit ist


1 1 1 1 1 1
sn ≤ s2j −1 = 1 + α
+ α + α + ···+ α + α + ···+ α +...
|2 {z 3 } |4 {z 7 } |8 {z 15 }
≤2· 21α ≤4· 41α ≤8· 81α

1 1
+ + · · · +
(2j−1 )α (2j − 1)α
| {z }
1
≤2j−1 ·
(2j−1 )α

j−1 
1 k
j−1
X 2k X
≤ = .
k=0
(2k )α k=0
2α−1

Setzt man q := 1/2α−1 , so ist wegen α > 1 der Exponent positiv und deshalb 0 <
q < 1. Damit können wir mit Hilfe der geometrischen Reihe weiter abschätzen:
j−1 ∞
X X 1
k
sn ≤ q ≤ qk =
k=0 k=0
1−q

und sind fertig.

Wir haben gesehen, dass es für die Konvergenz der Reihe notwendig ist, dass
über eine Nullfolge summiert wird, aber dass dies alleine kein hinreichendes Kri-
terium darstellt. Die Folgenglieder müssen sich in einem gewissen Sinne schnell

genug“ der Null annähern. Wir brauchen also Techniken, um diese Annäherungs-
geschwindigkeit zu messen. Die zwei folgenden Sätze basieren auf dieser Idee.

Satz 13.8 (Wurzelkriterium). Es sei (an ) eine reelle Folge und


p
wn := n |an |, n ∈ N.

(a) P
Ist die Folge (wn ) beschränkt und α := lim supn→∞ wn , so ist die Reihe

n=1 an absolut konvergent, wenn α < 1 ist, und divergent, falls α > 1 gilt.
P
(b) Ist die Folge (wn ) unbeschränkt, so divergiert die Reihe ∞n=1 an .

85
13. Absolute Konvergenz

Bemerkung 13.9. Beachten Sie, dass dieser Satz im Falle α = 1 keine Aussage
trifft. Das ist kein Versehen, sondern nicht zu ändern, denn mit α = 1 gibt
es sowohl Folgen, für welche die Reihe konvergiert, als auch Folgen, für die sie
divergiert. Spuckt die Überprüfung dieses Kriteriums also α = 1 aus, muss man
sich etwas Neues einfallen lassen.
p
Beweis von Satz 13.8. Wir betrachten zunächst den Fall, dass die p Folge ( n |an |)
beschränkt und α < 1 ist. Sei q ∈ (α, 1) fest gewählt. Dann gilt n |an | ≤ q für
n
fast alle n ∈ N nach Satz 10.8, d. h. wir haben |aP n | ≤ q für fast alle n ∈ N. Nun
ist aber wegen 0 < q < 1 die geometrische Reihe ∞ n
n=1 q konvergent, und damit
haben wir eine konvergente Majorante für unsere Reihe gefunden. Das sichert die
absolute Konvergenz. p
Ist α > 1 oder die
p Folge ( n
|an |) sogar unbeschränkt, dann gibt es unendlich viele
n ∈ N, für die |an | ≥ 1 gilt. Das heißt aber, dass für diese n auch |an | ≥ 1n = 1
n

gilt. Damit konvergiert die Folge (an ) sicher nicht gegen null, was aber nach
Satz 11.8 (c) eine notwendige
P∞ Voraussetzung für die Konvergenz der Reihe ist.
Also divergiert die Reihe n=1 an in diesen Fällen.
Wir betrachten wieder einige Beispiele für die Anwendung dieses Satzes, bei denen
wir auch sehen werden, dass im Fall α = 1 tatsächlich sowohl Konvergenz als auch
Divergenz der Reihe auftreten können.
P p
Beispiel 13.10. (a) Für die Reihe ∞ n=1 /n ist an = /n und damit
1 1 n
|an | =

1/ n n. Diese Folge konvergiert gegen 1. Also ist für diese Reihe α = 1 und

sie ist nach Beispiel 11.5 (d) divergent.


P √ √
(b) Für die Reihe ∞
n
n=1 /n gilt wegen limn→∞
1 2 n2 = limn→∞ ( n n)2 = 12 = 1
genauso α = 1, aber wie wir bereits gesehen haben, ist die Reihe in diesem
Fall konvergent, vgl. Beispiel 13.6 (b).

X 3n
(c) Wir betrachten die Reihe 2+1
.
n=1
n
√ √ √n
√ √ 2
n
Es gilt 1 = 1 ≤ n + 1 ≤ 2n2 = n 2 n n . Mit Hilfe von √
n 2 Satz 7.8 und
n
dem Sandwich-Theorem aus Satz 7.5 erhalten wir also limn→∞ n2 + 1 = 1.
n
Das impliziert mit an = n23+1

p n
3n limn→∞ 3
lim n
|an | = lim √ n
= √ = 3.
n→∞ n→∞ n2 + 1 limn→∞ n n2 + 1
Also ist α = 3 > 1 und damit die Reihe divergent.
P
(d) Wir untersuchen schließlich die Reihe ∞ n=1 an mit
  n
 1
 , falls n gerade,
an :=  2 n
 1 , falls n ungerade.

3

86
p p
Dann gilt n |an | = 1/2 für alle geraden n und n |an | = 1/3 für alle ungeraden.
Der größte Häufungswert dieser Folge ist 1/2, also ist α = 1/2 < 1 und unsere
Reihe damit absolut konvergent.

Satz 13.11 (Quotientenkriterium). Es sei (an ) eine reelle Folge mit an 6= 0 für
alle n ∈ N und
an+1
qn := , n ∈ N.
an
Dann gilt:

(a) Ist die Folge (qn ) beschränkt und gilt

α := lim sup qn < 1,


n→∞
P∞
so konvergiert die Reihe n=1 an absolut.
P∞
(b) Ist qn ≥ 1 für fast alle n ∈ N, so divergiert die Reihe n=1 an .

Beweis. (a) Wie im Beweis des Wurzelkriteriums wählen wir ein q ∈ (α, 1) und
folgern, dass qn ≤ q für fast alle n ∈ N gilt. Sei also n0 ∈ N so gewählt,
dass für alle n ≥ n0 gilt qn ≤ q. Für all diese n haben wir dann
|an+1 | an+1
= = qn ≤ q.
|an | an

Also ist |an+1 | ≤ q|an | für alle n ≥ n0 und wir bekommen

|an | ≤ q|an−1 | ≤ q 2 |an−2 | ≤ · · · ≤ q n−n0 |an0 |.

Da die Reihe ∞ ∞
X |an0 | X n
q n−n0 |an0 | = q
n=1
q n0 n=1
als geometrische Reihe konvergent ist, haben wir eine konvergente Majo-
rante gefunden und damit konvergiert auch die Reihe über (|an |) nach dem
Majorantenkriterium.

(b) Sei k ∈ N so groß, dass qn = |an+1 |/|an | ≥ 1 für alle n ≥ k gilt. Dann ist

|ak+1 | ≥ |ak |, |ak+2| ≥ |ak+1 | ≥ |ak |, |ak+3| ≥ |ak+2| ≥ |ak |, . . .

und allgemein |ak+j | ≥ |ak | > 0 für alle j ∈ N. Damit kann (an ) wieder
keine Nullfolge sein, d. h. die Reihe über (an ) ist divergent.

Bemerkung 13.12. Ist (an ) eine reelle Folge, für die die Folge (qn ) aus
P∞dem
Quotientenkriterium konvergiert und gilt limn→∞ qn > 1, so ist die Reihe n=1 an
divergent. Warum?

87
13. Absolute Konvergenz

Beispiel 13.13. Als Beispielanwendung für das Quotientenkriterium untersu-


chen wir für jedes x ∈ R die Reihe

X xn
.
n=0
n!

Für x = 0 besteht die Reihe nur aus einem Summanden und ist daher offen-
sichtlich konvergent. Weiterhin ist die Konvergenz für x = 1 nach Satz 8.5 schon
bekannt. Sei x 6= 0. Dann ist jeder Summand von null verschieden, sodass wir
das Quotientenkriterium anwenden können. In diesem Fall ist an = xn/n! und wir
erhalten
an+1 xn+1 n! |x|
qn = = · n = −→ 0 (n → ∞).
an (n + 1)! x n+1
Damit ist lim supn→∞ qn = 0, d. h. die Reihe ist absolut konvergent und zwar für
jedes beliebige x ∈ R.

Das Ergebnis des vorhergehenden Beispiels ermöglicht die folgende Definition.


P
Definition 13.14. Wir nennen die Reihe ∞ xn
n=0 /n! Exponentialreihe und defi-
nieren die Exponentialfunktion exp : R → R durch

X xn
exp(x) := , x ∈ R.
n=0
n!

Im weiteren Verlauf werden wir zeigen, dass der Name dieser Funktion insofern
gerechtfertigt ist, als er = exp(r) für alle r ∈ Q gilt. Durch die Setzung ex :=
exp(x) für beliebiges x ∈ R und mit Hilfe des noch zu definierenden Logarithmus
ist das schließlich der Schlüssel, um die allgemeine Potenz mit reellen Exponenten
zu definieren.

88
14. R ist überabzählbar
Wir führen in diesem Kapitel die sogenannte b-adische Entwicklung ein, die in
unserem durch das Zahlsystem zur Basis b = 10 bestimmten Alltag als Dezimal-
bruchdarstellung bekannt ist. Damit werden wir dann den schon seit Kapitel 5
versprochenen Beweis der Überabzählbarkeit von R führen.
In diesem gesamten Abschnitt ist b ≥ 2 eine natürliche Zahl, die Basis des unter-
suchten Stellenwertsystems.
Definition 14.1. Es sei a ∈ R. Dann heißt die größte ganze Zahl, die kleiner
oder gleich a ist, also die Zahl

⌊a⌋ := max{k ∈ Z : k ≤ a},

die Gaußklammer von a.


Man beachte, dass immer die Ungleichungskette

⌊a⌋ ≤ a < ⌊a⌋ + 1 (14.1)

gilt.
Sei nun a ∈ R mit a ≥ 0 gewählt. Wir erhalten die b-adische Entwicklung von a
folgendermaßen: Wir setzen zunächst

z0 := ⌊a⌋.

Dann ist z0 ∈ N0 und wegen (14.1) gilt z0 ≤ a < z0 + 1. Weiter definieren wir
rekursiv
j n−1
X zj  n k
zn := a − j
· b , n ∈ N.
j=0
b

Für diese Folge (zn )n≥0 zeigen wir die folgenden Eigenschaften.
Satz 14.2. Sei a ≥ 0 und (zn )n≥0 die oben dazu konstruierte Folge. Dann gelten
die folgenden Aussagen.
(a) zn ∈ N0 für alle n ∈ N0 .
(b) zn ≤ b − 1 für alle n ∈ N (ohne Null!).
n
X n
X
zj zj 1
(c) ≤a< + für alle n ∈ N0 .
j=0
bj j=0
bj bn

89
14. R ist überabzählbar

(d) Ist (ezn )n≥0 eine weitere Folge, die die Punkte (a) – (c) erfüllt, dann gilt
(e
zn )n≥0 = (zn )n≥0 .
Beweis. Wir zeigen zunächst (c). Für n = 0 haben wir die gewünschte Aussage
schon in obigen Überlegungen gezeigt. Für jedes n ∈ N erhalten wir anhand der
Definition von zn und wegen (14.1)
 n−1
X zj 
zn ≤ a − · bn < zn + 1.
j=0
bj

wir diese Ungleichungen durch den strikt positiven Term bn und addieren
TeilenP
n−1 zj
dann j=0 bj
, so erhalten wir
n−1
X X zj zn n−1
zj zn 1
j
+ n
≤ a < j
+ n + n.
j=0
b b j=0
b b b

Das ist genau die Behauptung in (c).


Aus (c) folgt weiter, dass für jedes n ∈ N gilt
n−1
X zj 1
0≤a− < .
j=0
bj bn−1

Multipliziert man diese Ungleichungen mit bn durch, so findet man


 n−1
X zj  n bn
0≤ a− b < n−1 = b.
j=0
bj b

Damit ist für jedes n ∈ N der Wert von zn gegeben als die Gaußklammer einer
reellen Zahl aus dem Intervall [0, b), also ist zn eine ganze Zahl zwischen null und
b − 1 und wir haben (a) und (b) gezeigt.
Es bleibt noch (d) zu zeigen. Wir nehmen an, die beiden Folgen (zn )n≥0 und
zn )n≥0 wären verschieden und wir wählen k ∈ N0 als den kleinsten Index mit
(e
zk 6= zek . Im Folgenden betrachten wir den Fall, dass zk < zek ist, der Beweis im
umgekehrten Fall ergibt sich mit demselben Argument.
Da beide Folgen die Eigenschaft in (c) haben, wissen wir
k
X k
X
zj 1 zej
a− j
< k und 0≤a− . (14.2)
j=0
b b j=0
bj

Außerdem stimmen die beiden Folgen für alle kleineren Indizes als k überein. Das
und die beiden obigen Abschätzungen liefern
zek zk X zj 
k X zej  1
k
1
0< − = a − − a − < − 0 = .
bk bk j=0
bj
j=0
bj bk bk

Daraus folgt 0 < zek − zk < 1, was ein Widerspruch dazu ist, dass zk und zek ganze
Zahlen sein müssen.

90
Nun betrachten wir die Reihe ∞
X zn
.
n=0
bn
Da zn ≤Pb − 1 für alle n ≥ 1 gilt, ist 0 ≤ zn/bn ≤ b−1/bn für all diese n. Die Reihe
(b − 1) ∞n=0 /b ist aber konvergent (geometrische Reihe), also haben wir eine
1 n

konvergente Majorante gefunden. Damit konvergiert unsere Reihe absolut nach


dem Majorantenkriterium aus Satz 13.5. Da wegen (c) aus obigem Satz

X zj
n
X zj X
n
zj 1  X zj

= lim ≤ a ≤ lim + =
j=0
bj n→∞
j=0
bj n→∞
j=0
bj bn j=0
bj

gilt, erhalten wir



X zn
a= . (14.3)
n=0
bn

Definition 14.3. Sei a ∈ [0, ∞). Dann heißt die Darstellung aus (14.3) mit der
oben konstruierten Folge (zn )n≥0 die b-adische Entwicklung von a. Man schreibt

a = z0 , z1 z2 z3 z4 . . .

Ist a ∈ (−∞, 0), und (zn )n≥0 die b-adische Entwicklung von −a, so schreibt man

a = −z0 , z1 z2 z3 z4 . . .

Dass wir tatsächlich die alltägliche Dezimalbruchdarstellung konstruiert haben,


verdeutlichen wir uns anhand zweier Beispiele.

Beispiel 14.4. Wir wählen b = 10 und a = 1. Dann ist z0 = 1 und z1 =


⌊(1 − z0 ) · b⌋ = 0. Genauso sieht man, dass zn = 0 sogar für alle n ≥ 1 gilt, also
ist
1 = 1, 00000 . . .
Wählen wir a = 1/2, so ist z0 = 0 und z1 = ⌊(1/2 − 0) · 10⌋ = 5 sowie z2 =
⌊(1/2 − 1/2) · 100⌋ = 0, was auch wieder für alle n ≥ 2 zutrifft. Also haben wir
1
= 0, 5000000 . . .
2
Bemerkung 14.5. Man beachte, dass Satz 14.2 (d) die Eindeutigkeit der b-
adischen Entwicklung garantiert. Für die Definition hätte es noch eine andere,
gleichwertige Möglichkeit gegeben. Dazu definiert man auf analoge Weise eine
Folge (b
zn )n≥0 mit
Xn Xn
zbj zbj 1
< a ≤ +
j=0
bj j=0
bj bn

91
14. R ist überabzählbar

für jedes n ∈ N0 . Dann wäre für a = 1 in obigem Beispiel zb0 < 1 ≤ zb0 + 1, also
zb0 = 0 und zbn = 9 für alle n ≥ 1, sodass

1 = 0, 9999999 . . . .

Für a = 1/2 bekäme man entsprechend


1
= 0, 499999999 . . . .
2
Wir zeigen, dass so lange Schlangen von Neunen bzw. (b − 1)-en in unserem
System nicht auftreten können.

Satz 14.6. Es sei a ≥ 0 und z0 , z1 z2 z3 . . . die b-adische Entwicklung von a gemäß


Definition 14.3. Dann gilt zn 6= b − 1 für unendlich viele n ∈ N.

Beweis. Wir nehmen an, es wäre zn = b − 1 für fast alle n ∈ N. Sei m ∈ N so


groß, dass zn = b − 1 für alle n ≥ m ist. Dann gilt

X m−1
X ∞ m−1 ∞
zn zn X zn X zn X 1
a= = + = + (b − 1)
n=0
bn n=0
bn
n=m
bn
n=0
bn
n=m
bn
m−1
X ∞ m−1 ∞
zn b − 1 X 1 X zn b − 1 X 1
= n
+ m n−m
= n
+ m
n=0
b b n=m b n=0
b b n=0
bn
m−1
X m−1
X zn
zn b − 1 1 1
= n
+ m
· = n
+ m−1
n=0
b b 1 − /b
1
n=0
b b

und das ist ein Widerspruch zu Satz 14.2 (c).


Nun kommen wir zum versprochenen Nachweis der Überabzählbarkeit von R.
Wir verwenden wieder das Cantorsche Diagonalverfahren, vgl. Beispiel 5.8.

Satz 14.7. Die Menge R ist überabzählbar.

Beweis. Wir zeigen, dass sogar das Intervall [0, 1) schon überabzählbar ist. Dazu
nehmen wir an, es wäre [0, 1) = {an : n ∈ N} für eine reelle Folge (an ). Dann
(n) 
können wir jedes an durch seine 3-adische Entwicklung zk k≥0 darstellen. Dem-
nach ist für jedes n ∈ N
(n) (n) (n) (n)
an = 0, z1 z2 z3 ... mit zk ∈ {0, 1, 2} für alle k ∈ N.

Wir definieren nun eine Folge (zk )k≥0 durch z0 := 0 und


( (k)
1, falls zk ∈ {0, 2},
zk := (k)
0, falls zk = 1,

92
P
für k ≥ 1. Damit setzen wir a := ∞ k=0 /3 . Dann ist a ∈ [0, 1), denn es gilt
zk k

sogar
X∞ X∞
zk 1 1 3 1
0≤a= k
≤ k
= −1 = −1= .
k=0
3 k=1
3 1 − /3
1 2 2
Für die Folge (zk )k≥0 haben wir außerdem für jedes n ∈ N
n
X ∞
X
zk zk
≤ =a
k=0
3k k=0
3k

und wegen
X∞ ∞
X X∞ ∞
zk 1 1 1 X 1 1 1 1
≤ = = = · <
k=n+1
3k k=n+1 3k j=1
3n+j 3n j=1 3j 3n 2 3n

gilt
n
X X∞ n
zk zk X zk 1
a= k
+ k
< k
+ n.
k=0
3 k=n+1
3 k=0
3 3

Damit erfüllen die Folge (zk )k≥0 und die Zahl a die Punkte (a)–(c) aus Satz 14.2.
Also gibt diese Folge nach Satz 14.2 (d) die eindeutige 3-adische Entwicklung von
a an.
Nach unserer Annahme muss ein Folgenglied ak mit a = ak und damit ein Index
(k)
k ∈ N existieren, sodass zj = zj für alle j ∈ N gilt. Dann ist aber insbesondere
(k)
zk = zk und das ist ein Widerspruch zu unserer Wahl von zk .

93
15. Das Cauchyprodukt
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem Produkt von konvergenten
Reihen. Dabei werden wir wieder unsere P∞Überlegungen
P∞ zu Umordnungen von
Reihen benötigen. Sollen zwei Reihen n=0 an und n=0 bn multipliziert wer-
den, so erhält man beim formalen Ausmultiplizieren alle Produkte der Form aj bk
mit j, k ∈ N0 je genau einmal. Ordnet man all diese Produkte in einer Folge
(pn )n≥0 an, wobei jedes einzelne
P aj bk genau
P∞ einmal vorkommt,
P∞ so erhält man eine
sogenannte Produktreihe ∞ p
n=0 n von a
n=0 n und b
n=0 n . Präziser formuliert
bekommt man eine solche Produktreihe, indem man eine bijektive Abbildung
Φ : N0 × N0 → N0 wählt und pΦ(j,k) = aj bk für alle Paare j, k ∈ N0 setzt.
Beispiel 15.1. Wir geben zwei Beispiele solcher Anordnungen der Produkte.
Dazu schreiben wir uns die zu nummerierenden Folgenglieder in ein Schema und
nummerieren in diesem auf verschiedenen Wegen:
(a) Anordnung nach Diagonalen:

a0 b0 a0 b1
a0 b2 . . .
ւ ւ ւ
a1 b0 a1 b1 a1 b2 . . .
ւ ւ
a2 b0 a2 b1 a2 b2 . . .
.. . ...
. ւ ..

Wir wählen also

p0 = a0 b0 , p1 = a0 b1 , p2 = a1 b0 , p3 = a0 b2 , p4 = a1 b1 , p5 = a2 b0 , . . .

(b) Anordnung nach Quadraten:

a0 b0 a0 b1 a0 b2 . . .
↓ ↓
a1 b0 ← a1 b1 a1 b2 . . .

a2 b0 ← a2 b1 ← a2 b2 . . .
.. .. ..
. . .

95
15. Das Cauchyprodukt

Wir wählen also

p0 = a0 b0 , p1 = a0 b1 , p2 = a1 b1 , p3 = a1 b0 , p4 = a0 b2 , p5 = a1 b2 , . . .

Dank Satz 13.4 können wir nun hoffen, dass es zumindest für absolut konvergente
Reihen egal ist, welche der Anordnungen wir wählen. Tatsächlich gilt das folgende
Resultat.
P∞ P∞
P∞ 15.2. Es seien n=0 an und n=0 bn zwei absolut konvergente
Satz P∞ Reihen und
p
n=0 n irgendeine ihrer Produktreihen. Dann konvergiert auch n=0 pn absolut
und es gilt
X∞ X∞ X
∞ 
pn = an bn .
n=0 n=0 n=0

Beweis. In einem ersten Schritt zeigen wir die Behauptung für den Pnspeziellen
Fall der
Pn Anordnung nach Quadraten von oben. Wir setzen s n := k=0 pk und
σn := k=0 |pk |, wobei (pk ) die Anordnung nach Quadraten sei. Wir wählen ein
n ∈ N0 fix und betrachten alle Summanden von σn . Jeder einzelne ist von der
Form |aj bk | mit j, k ∈ N0 . Sei nun N der höchste Wert für j oder k, der dabei
vorkommt. Dann gilt durch Hinzunahme von weiteren positiven(!) Summanden:
n
X X
N X
N  X
∞ X
∞ 
σn = |pk | ≤ |ak | |bk | ≤ |ak | |bk | .
k=0 k=0 k=0 k=0 k=0

Also ist die FolgeP(σn ) beschränkt. Nach dem Monotoniekriterium für Reihen ist
damit die Reihe ∞ n=0 pn absolut konvergent. P
Damit konvergiert aber auch die Folge (sn ). Es sei s := limn→∞ sn = ∞ n=0 pn .
Für die Anordnung nach Quadraten im Speziellen gilt die Beziehung
X
n X
n 
sn2 +2n = ak bk , (15.1)
k=0 k=0

die man z. B. durch Induktion beweisen kann. Lassen wir in dieser Gleichung
n → ∞ streben, erhalten wir die gewünschte Aussage
X
∞ X
∞ 
s= an bn ,
n=0 n=0

denn auch die Teilfolge (sn2 +2n )n∈N von (sn ) konvergiert
P∞ gegen
P∞s.
Ist schließlich eine weitere Produktreihe
P von n=0 an und n=0 bn gegeben, so
ist diese eine Umordnung von ∞ p
n=0 n und damit gilt nach Satz 13.4 die Behaup-
tung.
Am häufigsten arbeitet man mit der oben angegebenen Anordnung nach Diago-
nalen. Diese formalisieren wir in der folgenden Definition.

96
P∞ P∞
Definition 15.3. Es seien zwei Reihen n=0 an und n=0 bn gegeben. Die Reihe
∞ X
X n
ak bn−k
n=0 k=0

P∞ P∞
heißt das Cauchy-Produkt von n=0 an und n=0 bn .
P P∞
Satz 15.4. Sind ∞ n=0 an und n=0 bn zwei absolut konvergente Reihen, so ist
das Cauchy-Produkt der beiden ebenfalls absolut konvergent. Weiter gilt dann für
den Reihenwert
X∞ X n X∞ X∞ 
ak bn−k = an bn .
n=0 k=0 n=0 n=0

Der Beweis dieses Satzes ergibt sich sofort aus Satz 15.2 und dem folgenden
Lemma über blockweises Aufsummieren.
P
Lemma 15.5. Es sei ∞ n=0 an konvergent und (n1 , n2 , n3 , . . . ) eine streng mono-
ton wachsende Folge in N0 . Setzen wir
n1
X
b0 := ak
k=0

und für jedes j ∈ N


nj+1
X
bj = ak ,
k=nj +1
P∞
so ist auch die Reihe n=0 bn konvergent und es gilt

X ∞
X
bn = an .
n=0 n=0

Pn Pn
Beweis. Für jedes n ∈ N setzen wir sn := j=0 aj , σn := j=0 bj und s :=
limn→∞ sn . Dann gilt für jedes j ∈ N
nj+1
X
σj = ak = snj+1 .
k=0

Also ist (σj ) eine Teilfolge von (sn ) und da diese konvergiert, gilt insbesondere
auch σn → s (n → ∞), was die Behauptung beweist.

Wir wollen das Cauchy-Produkt nun einmal in Aktion sehen.

97
15. Das Cauchyprodukt

P
Beispiel 15.6. Für jedes q ∈ (−1, 1) ist die geometrische Reihe ∞ n
n=0 q absolut
konvergent, also können wir diese mit sich selbst multiplizieren und erhalten mit
Hilfe des Cauchyprodukts
 1 2 X∞ X∞  X∞ X n X∞ X n
n n k n−k
= q q = q q = qn
1−q n=0 n=0 n=0 k=0 n=0 k=0

X n
X ∞
X
= qn 1= (n + 1)q n .
n=0 k=0 n=0

Wir können abschließend noch die folgenden Eigenschaften der Exponentialfunk-


tion zeigen.
Satz 15.7. (a) Es ist exp(0) = 1 und exp(1) = e.
(b) Für alle x, y ∈ R gilt exp(x) exp(y) = exp(x + y). (Funktionalgleichung der
Exponentialfunktion)
(c) Für alle x ∈ R ist exp(x) > 0 und exp(x)−1 = exp(−x).
(d) Für alle r ∈ Q gilt exp(r) = er .
(e) Die Funktion exp : R → R ist streng monoton wachsend, d. h. für alle
x, y ∈ R mit x < y gilt exp(x) < exp(y).
Beweis. (a) exp(0) = 1 ist klar und exp(1) = e ergibt sich aus der Definition
der Eulerzahl in Definition 8.6 und Satz 8.5.
(b) Es seien x, y ∈ R. Dann sind die Werte exp(x) und exp(y) der Exponen-
tialfunktion durch absolut konvergente Reihen gegeben. Wir erhalten also
mit dem Cauchyprodukt, vgl. Satz 15.4:
X

xn X y n 
∞ ∞
X
exp(x) exp(y) = = cn ,
n=0
n! n=0
n! n=0

wobei n
X xk y n−k
cn = ·
k=0
k! (n − k)!
ist. Mit Hilfe der Binomialformel gilt
n n  
1 X n! k n−k 1 X n k n−k 1
cn = x y = x y = (x + y)n
n! k=0 k!(n − k)! n! k=0 k n!

Setzen wir das wieder oben ein, erhalten wir



X
X∞
1
exp(x) exp(y) = cn = (x + y)n = exp(x + y).
n=0 n=0
n!

98
(c) Mit Hilfe der ersten beiden Punkte gilt für alle x ∈ R

1 = exp(0) = exp(x − x) = exp(x) exp(−x).

Also gilt exp(x) 6= 0 und exp(−x) = exp(x)−1 . Um die Positivität von


exp(x) nachzuweisen, betrachten wir zunächst den Fall x ≥ 0. Dann gilt

X xn
exp(x) = 1 + ≥ 1 > 0.
n=1
n!

Ist x < 0, so ist exp(x) = exp(−x)−1 > 0, da −x > 0 ist.

(d) Zunächst ist exp(0) = 1 = e0 . Sei nun n ∈ N. Dann gilt mit der Funktio-
nalgleichung

· · + 1}) = (exp(1))n = en
exp(n) = exp(1| + ·{z
n Stück

und genauso
 1    1 n
e = exp(1) = exp n · = exp .
n n
Also ist exp(1/n) = e1/n .
Somit gilt für strikt positive rationale Zahlen r := m/n mit n, m ∈ N die
Gleichung
    
1 1 1 m m
= e /n = e /n = er .
1 m
exp(r) = exp +···+ = exp
|n {z n} n
m Stück

Ist r ∈ Q kleiner als null, so ist −r > 0 und es gilt exp(r) = exp(−r)−1 =
(e−r )−1 = er .

(e) Es seien x, y ∈ R mit x < y gegeben. Dann ist y − x > 0 und damit gilt wie
im den Beweis von (c) exp(y − x) > 1. Damit ist

exp(y)
1 < exp(y − x) = exp(y) exp(−x) = ,
exp(x)

also exp(y) > exp(x).


Wir definieren die Werte von ex für nichtrationale Exponenten nun mit Hilfe der
Exponentialfunktion.

Definition 15.8. Für alle x ∈ R schreiben wir ex := exp(x).

99
16. Potenzreihen
Definition 16.1. Es sei (an )n≥0 eine Folge in R und x0 ∈ R. Eine Reihe der
Form
X∞
an (x − x0 )n = a0 + a1 (x − x0 ) + a2 (x − x0 )2 + a3 (x − x0 )3 + . . . , x ∈ R,
n=0

heißt Potenzreihe in R mit Entwicklungspunkt x0 .


Zwei Beispiele von Potenzreihen mit Entwicklungspunkt null sind die Exponen-
tialfunktion (Beispiel 13.13) und die geometrische Reihe (Beispiel 11.5 (b)). Wir
wollen eine allgemeine Theorie solcher Reihen entwickeln.
Jede Potenzreihe konvergiert an ihrem Entwicklungspunkt, also für x = x0 . Zur
weiteren Untersuchung der Konvergenz einer Potenzreihe dient der folgende Satz,
der sich aus dem Wurzelkriterium ableitet.
P
Satz 16.2 (Satz von Hadamard). Sei ∞ n
n=0 an (x − x0 ) eine Potenzreihe. Dann
gilt:
p
(a) Ist die Folge ( n |an |) unbeschränkt, so konvergiert die Potenzreihe nur für
x = x0 .
p p
(b) Ist die Folge ( n |an |) beschränkt und ̺ := lim supn→∞ n |an | = 0, so kon-
vergiert die Potenzreihe für alle x ∈ R absolut.
p
(c) Ist die Folge ( n |an |) beschränkt und ̺ > 0, so ist die Potenzreihe für
alle x ∈ R mit |x − x0 | < 1/̺ absolut konvergent und für alle x ∈ R mit
|x − x0 | > 1/̺ divergent.
Beweis.
p Wir zeigen zunächstp (a). Dazu nehmen wir uns ein x 6= x0 . Dann ist
n n
|an (x − x0 ) | = |x − x0 | |an | für jedes n ∈ N und diese Folge ist nach Vor-
n

aussetzung unbeschränkt. Damit folgt die Divergenz der Reihe aus dem Wurzel-
kriterium (Satz 13.8).
Auch (b) und (c) ergeben sich aus dem Wurzelkriterium, denn hier gilt
p p
lim sup n |an (x − x0 )n | = lim sup |x − x0 | n |an | = |x − x0 | · ̺.
n→∞ n→∞

Ist ̺ = 0, so ist dieser Wert immer null und damit kleiner als eins und wir
bekommen die Aussage in (b). Ist ̺ > 0, so ist der betrachtete Limes superior, je
nachdem, ob |x − x0 | < 1/̺ oder |x − x0 | > 1/̺ gilt, größer oder kleiner als 1, was
nach dem Wurzelkriterium genau absolute Konvergenz von Divergenz der Reihe
scheidet. Das liefert (c).

101
16. Potenzreihen

Die Zahl 1/̺ aus obigem Satz enthält also wesentliche Informationen zur Konver-
genz der Potenzreihe. Sie ist damit eine charakteristische Größe, die einen Namen
verdient hat.
P∞ n
Definition
p 16.3. Es sei n=0 an (x − x0 ) eine Potenzreihe und im Falle, dass
( n |an |) beschränkt ist, ̺ wie in Satz 16.2. Dann heißt die Zahl

 0, falls in obigem Satz (a) gilt,


∞, falls in obigem Satz (b) gilt,
r :=

 1 , falls in obigem Satz (c) gilt,

̺
der Konvergenzradius der Potenzreihe.
Wir betrachten einige Beispiele, die verdeutlichen, dass am Rand des Konver-
genzintervalls alles passieren kann. Dazu betrachten wir, der Übersichtlichkeit
halber, Reihen mit Entwicklungspunkt null.
Beispiel 16.4. (a) Wir beginnen mit an := 1, n ∈ N0 , d. h. der Potenzreihe

X
xn .
n=0

Das ist die geometrische Reihe aus Beispiel 11.5 (b)


p und insofern ist es auch
nicht verwunderlich, dass hier wegen lim supn→∞ |an | = lim supn→∞ 1 = 1
n

der Konvergenzradius 1 ist. D. h. diese Potenzreihe konvergiert, wie wir


schon wissen, absolut für |x| < 1 und divergiert für |x| > 1. Über das
Konvergenzverhalten am Rand des Konvergenzintervalls gibt der Konver-
genzradius keine Auskunft. Aber wir wissen schon, dass diese sowohl für
x = −1 als auch für x = 1 divergiert.
(b) Nun sei an = 1/n, n ∈ N, wir betrachten also

X xn
.
n=1
n

Auch hier ist der Konvergenzradius 1, denn


r
n 1 1 1
lim sup = lim sup √ = √ = 1.
n→∞ n n→∞
n
n limn→∞ n n
Damit konvergiert diese Reihe für x ∈ (−1, 1) absolut und divergiert für
|x| > 1. An den Rändern des Intervalls (−1, 1) erhalten wir für x = 1
genau die harmonische Reihe (divergent) und für x = −1 die alternierende
harmonische Reihe (konvergent), sodass wir Konvergenz für alle x ∈ [−1, 1)
und Divergenz für alle anderen x haben.

102
(c) Schließlich nehmen wir an = 1/n2 , d. h. die Potenzreihe

X xn
.
n=1
n2

Für diese ist ebenso der Konvergenzradius 1, aber diese Reihe konvergiert
an beiden Randpunkten des Konvergenzintervalls, denn für x = 1 erhalten
wir die nach Beispiel 13.6 (b) konvergente Reihe über
P∞ /n und
1 2 für x = −1
die nach dem Leibniz-Kriterium konvergente Reihe n=1 (−1)n/n2 . Also ist in
diesem Fall das Konvergenzintervall der Potenzreihe [−1, 1] und wir haben
Divergenz für alle x ∈ R mit |x| > 1.
Beispiel 16.5. Es kommt immer mal wieder vor, dass in einer Potenzreihe nicht
alle Potenzen vorkommen, wie z. B. in

X 2n+1
x3n .
n=0
3n

Will man dann den Satz von Hadamard zur Bestimmung des Konvergenzradius
anwenden, muss man zunächst dafür sorgen, dass die Reihe die dort behandelte
Form hat. Das erreicht man hier durch die Substitution y := x3 . Diese liefert die
Reihe ∞ ∞  
X 2n+1 n X 2 n n
n
y = 2 y .
n=0
3 n=0
3
Der Konvergenzradius dieser Reihe berechnet sich nach Hadamard als Kehrwert
von r 
n 2 n 2
lim sup = ,
n→∞ 3 3
zu /2. Weiter ist
3
r
3 3 3
|x|3 = |x3 | = |y| < ⇐⇒ |x| < .
2 2
Wir
p bekommen für die ursprünglich betrachtete Reihe also den Konvergenzradius
3 3
/2 heraus.
Bemerkung 16.6. Der Satz von Hadamard kann uns auch noch zu einer ande-
ren, eher unerwarteten Erkenntnis verhelfen. Wir haben in Beispiel P 13.13 mit
∞ xn
Hilfe des Quotientenkriteriums gesehen, dass die Exponentialreihe n=0 /n!
für alle x ∈ R konvergiert. Nach dem Satz von Hadamard bedeutet dies, dass

lim supn→∞ 1/ n n! = 0 sein muss. Da diese Folge außerdem positiv ist, kann sie kei-
nen weiteren Häufungswert haben, denn der müsste wegen der Positivität größer
oder gleich null sein. Beachten wir nun noch, dass diese Folge beschränkt ist, so
konvergiert sie nach Satz 10.7 und es gilt
1 1
lim √
n
= lim sup √
n
= 0.
n→∞ n! n→∞ n!

103
16. Potenzreihen

Natürlich kann man auch mit dem Quotientenkriterium Konvergenzuntersuchun-


gen bei Potenzreihen anstellen. Wir führen das exemplarisch an einem prominen-
ten Beispiel durch.
Beispiel 16.7. Wir betrachten die Potenzreihe

X (−1)n
x2n
n=0
(2n)!

und untersuchen diese mit dem Quotientenkriterium für Reihen aus Satz 13.11.
Für den dort betrachteten Quotienten gilt
(−1)n+1 2n+2
(2n+2)!
x x2n+2 (2n)! x2
(−1)n 2n
= · 2n = ,
x (2n + 2)! x (2n + 2)(2n + 1)
(2n)!

P∞ geht nfür jedes2nx ∈ R gegen null für n → ∞. Also konvergiert


und dieser Ausdruck
die Potenzreihe n=0 (−1) /(2n)! x für jedes x ∈ R absolut. Der Konvergenzra-
dius ist damit unendlich.
Was war daran nun prominent? Wie bei der Exponentialfunktion ist durch diese
Potenzreihe eine Funktion auf ganz R gegeben, der wir einen Namen geben.
Definition 16.8. Für jedes x ∈ R nennen wir die Zahl

X (−1)n x2 x4 x6
cos(x) := x2n = 1 − + − + ...
n=0
(2n)! 2! 4! 6!

den Cosinus von x.


Ganz ähnlich wie in obigem Beispiel kann man für die Reihe in der folgenden
Definition absolute Konvergenz für alle x ∈ R zeigen.
Definition 16.9. Für jedes x ∈ R nennen wir die Zahl
X∞
(−1)n 2n+1 x3 x5 x7
sin(x) := x = x− + − + ...
n=0
(2n + 1)! 3! 5! 7!

den Sinus von x.


Wir wollen uns nun dem Cauchy-Produkt zweier Potenzreihen zuwenden.
P P∞
Satz 16.10. Es seien ∞ n
n=0 an (x − x0 ) und
n
n=0 bn (x − x0 ) Potenzreihen mit
demselben Entwicklungspunkt x0 ∈ R und zugehörigen Konvergenzradien ra > 0
bzw. rb > 0 (dabei sind ra = ∞ oder rb = ∞ zugelassen). Wir setzen
n
X
cn := ak bn−k , n ∈ N0 , und R := min{ra , rb }.
k=0

104
Dann P ist das Cauchy-Produkt der beiden Potenzreihen gegeben durch die Potenz-
reihe ∞ n
n=0 cn (x − x0 ) , deren Konvergenzradius beträgt mindestens R, und es
gilt für alle x ∈ R mit |x − x0 | < R

X X
∞ X
∞ 
n n n
cn (x − x0 ) = an (x − x0 ) bn (x − x0 ) .
n=0 n=0 n=0

Beweis. Für |x − x0 | < R sind beide Potenzreihen absolut konvergent, also kon-
vergiert nach Satz 15.4 auch das Cauchy-Produkt der beiden absolut und es gilt
X
∞ X
∞  ∞ X
X n
n n
an (x − x0 ) bn (x − x0 ) = ak (x − x0 )k bn−k (x − x0 )n−k
n=0 n=0 n=0 k=0
∞ X
X n
= ak bn−k (x − x0 )n
n=0 k=0
X∞
= cn (x − x0 )n .
n=0

105
17. Komplexe Zahlen
Wir wollen nun noch einmal unseren Zahlenraum erweitern und die komplexen
Zahlen einführen. Betrachten wir die bisherigen Zahlenraumerweiterungen, so
erlauben diese jeweils die Lösung weiterer Gleichungen: in N kann man die Glei-
chung x + 3 = 5, aber nicht x + 5 = 3 lösen. Diese zweite ist aber in Z lösbar, wo
wiederum 3x = 5 nicht lösbar ist. Die Lösung dieser Gleichung findet sich in Q,
wo aber x3 = 5 nicht lösbar ist. So kommt man schließlich nach R.
Die Gleichung, die uns nun in R Kopfzerbrechen macht, ist x2 = −1. Um diese
Gleichung zu lösen, müssen wir offensichtlich nicht-reelle Zahlen bemühen, eben
die komplexen. Sie werden in den Algebra-Vorlesungen sehen, dass man damit
insofern am Ende der Zahlenraumerweiterei ist, als jede polynomiale Gleichung
in den komplexen Zahlen lösbar ist.

Definition 17.1. Wir betrachten die Menge

C := R2 = {(x, y) : x, y ∈ R}

der komplexen Zahlen aller geordneten Paare von reellen Zahlen mit der Addition

(x1 , y1 ) ⊕ (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 ) für alle (x1 , y1), (x2 , y2) ∈ C

und der Multiplikation

(x1 , y1) ⊙ (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + x2 y1 ) für alle (x1 , y1), (x2 , y2) ∈ C.

Ist z = (x, y) ∈ C, so heißt x der Realteil (Notation x = Re(z)) und y der


Imaginärteil (Notation y = Im(z)) von z.

Beispiel 17.2. Wir berechnen einige wichtige Produkte:

(0, 1)2 = (0, 1) ⊙ (0, 1) = (0 · 0 − 1 · 1, 0 · 1 + 1 · 0) = (−1, 0)


(x, y) ⊙ (1, 0) = (x · 1 − y · 0, x · 0 + y · 1) = (x, y) für alle x, y ∈ R
(y, 0) ⊙ (0, 1) = (y · 0 − 0 · 1, y · 1 + 0 · 0) = (0, y) für alle y ∈ R.

Üblicherweise wird eine andere Schreibweise für die komplexen Zahlen verwendet,
die wir auch im Folgenden verwenden wollen. Dazu definiert man die imaginäre
Einheit
i := (0, 1)

107
17. Komplexe Zahlen

und interpretiert die komplexen Zahlen als Erweiterung der reellen, indem man
die reelle Zahl x mit der komplexen Zahl (x, 0) identifiziert (deshalb auch die
Bezeichung als Realteil). Das ergibt mit den Rechnungen aus obigem Beispiel für
alle x, y ∈ R

(x, y) = (x, 0) ⊕ (0, y) = (x, 0) ⊙ (1, 0) ⊕ (y, 0) ⊙ (0, 1) = x · 1 + y · i = x + iy.

Bemerkung 17.3. (a) Nun können wir auch die Gleichung z 2 = −1 lösen,
denn es gilt nach der ersten Berechnung in Beispiel 17.2

i2 = (0, 1) ⊙ (0, 1) = (−1, 0) = −1,

genauso wie übrigens auch (−i)2 = (0, −1) ⊙ (0, −1) = −1 gilt.
(b) Der Vorteil davon, die komplexe Zahl z = (x, y) ∈ C mit x, y ∈ R als
x + iy zu schreiben, ist, dass man damit rechnen kann wie gewohnt, solange
man immer i2 = −1 beachtet. Denn für alle x1 , x2 , y1, y2 ∈ R gilt nach den
gewohnten Rechenregeln

(x1 + iy1 ) + (x2 + iy2 ) = x1 + x2 + i(y1 + y2 ),

was mit der Definition von i und der Identifikation der reellen Zahlen mit
dem Realteil genau der Definition der Addition oben entspricht.
Für die Multiplikation sieht man

(x1 + iy1 ) · (x2 + iy2 ) = x1 x2 + ix1 y2 + iy1 x2 + i2 y1 y2


= x1 x2 + i(x1 y2 + x2 y1 ) − y1 y2
= x1 x2 − y1 y2 + i(x1 y2 + x2 y1 ),

was wieder genau zur Definition passt.


(c) Im Folgenden verwenden wir nicht weiter die schwerfälligen Bezeichnungen
⊕ und ⊙ für die Verknüpfungen in C, sondern schreiben auch zwischen
komplexen Zahlen wieder + bzw. ·, da wir nach obigen Überlegungen mit
den komplexen Zahlen wie gewohnt weiter rechnen können.
Satz 17.4. Die Menge C mit den eingeführten Verknüpfungen Plus und Mal ist
im algebraischen Sinne ein Körper, d. h. sie erfüllt die Axiome (A1) bis (A9) aus
Kapitel 2.
Beweis. Das Axiom (A6) haben wir bereits in Beispiel 17.2 nachgerechnet und
auch fast alle anderen Aussagen des Satzes kann man schlicht nachrechnen. Wir
behandeln hier nur noch (A7). Sei z = x + iy ∈ C \ {0} mit x, y ∈ R. Da z 6= 0
ist, muss x 6= 0 oder y 6= 0 gelten. Insbesondere ist x2 + y 2 > 0. Wir setzen
x −y x − iy
z −1 := +i 2 = 2 .
x2 +y 2 x +y 2 x + y2

108
Dann gilt unter anderem mit dem Distributivgesetz (A9)
x − iy x2 + iyx − ixy − i2 y 2 x2 + y 2
zz −1 = (x + iy) = = = 1,
x2 + y 2 x2 + y 2 x2 + y 2
wir haben damit also ein multiplikativ-inverses Element zu z angegeben.
Veranschaulichen kann man sich die komplexen Zahlen am besten in der komple-
xen Zahlenebene (auch Gaußsche Zahlenebene genannt), s. Abbildung 17.1.
Definition 17.5. Ist z = x + iy mit x, y ∈ R eine komplexe Zahl, so heißt
z := x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl,
p
|z| := x2 + y 2 der Betrag von z.

Im(z) z
i |z|

1 Re(z)

_
z

Abbildung 17.1.: Die Gaußsche Zahlenebene

Offensichtlich gilt z = z für alle z ∈ C. Einige weitere bemerkenswerte Eigen-


schaften der komplexen Konjugation sammeln wir im folgenden Satz.
Satz 17.6. Sind z, z1 , z2 ∈ C, so gilt
(a) z1 + z2 = z1 + z2 und z1 z2 = z1 · z2 .
(b) z + z = 2 · Re(z) und z − z = 2 i · Im(z).
Beweis. (a) Es gilt für z1 = x1 + iy1 und z2 = x2 + iy2
z1 + z2 = x1 + x2 + i(y1 + y2 ) = x1 + x2 − i(y1 + y2 )
= x1 − iy1 + x2 − iy2 = z1 + z2
und
z1 z2 = (x1 x2 − y1 y2 ) + i(x1 y2 + x2 y1 ) = (x1 x2 − y1 y2 ) − i(x1 y2 + x2 y1 )
= x1 x2 − ix1 y2 − ix2 y1 − y1 y2 = (x1 − iy1 )(x2 − iy2 ) = z1 · z2 .

109
17. Komplexe Zahlen

(b) z + z = Re(z) + iIm(z) + Re(z) − iIm(z) = 2 · Re(z) und


z − z = Re(z) + iIm(z) − Re(z) + iIm(z) = 2i · Im(z).
Für den Betrag sehen wir sofort, dass |z| = |z| für alle z ∈ C ist. Außerdem gelten
die folgenden Aussagen.
Satz 17.7. Für alle komplexen Zahlen z = x + iy mit x, y ∈ R und z1 , z2 ∈ C gilt
(a) z · z = |z|2 ,

(b) |Re(z)| ≤ |z| und |Im(z)| ≤ |z|,

(c) |z| ≥ 0 und |z| = 0 genau dann, wenn z = 0,

(d) |z1 z2 | = |z1 ||z2 |,

(e) |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 | (Dreiecksungleichung).


Beweis.p (a) Es gilt zz = (x + iy)(x − iy) = x2 + iyx − iyx − i2 y 2 = x2 + y 2 =
( x2 + y 2 )2 = |z|2 .
√ p
(b) Diese Aussage folgt für den Realteil sofort aus |x| = x2 ≤ x2 + y 2 = |z|
und genauso für den Imaginärteil.
p
(c) Ist |z| = 0, so ist x2 + y 2 = 0 und damit auch x2 +y 2 = 0. Diese Gleichung
(in R!) hat nur die Lösung x = y = 0, also ist in diesem Fall z = 0.

(d) Nachrechnen.

(e) Nach (a) und Satz 17.6 ist

|z1 + z2 |2 = (z1 + z2 )(z1 + z2 ) = (z1 + z2 )(z1 + z2 )


= z1 z1 + z1 z2 + z1 z2 + z2 z2 = |z1 |2 + |z2 |2 + z1 z2 + z1 z2
= |z1 |2 + |z2 |2 + 2 · Re(z1 z2 )

Nach (b) und (d) gilt nun Re(z1 z2 ) ≤ |Re(z1 z2 )| ≤ |z1 z2 | = |z1 ||z2 |. Also ist

|z1 + z2 |2 ≤ |z1 |2 + |z2 |2 + 2|z1 ||z2 | = (|z1 | + |z2 |)2 .

Da alle beteiligten Größen positiv sind, kann man auf beiden Seiten der
Ungleichung die Wurzel ziehen und erhält die Behauptung.
Eine natürliche Frage ist nun: Welche Erkenntnisse, die wir bisher in R gewonnen
haben, gelten auch in C weiter? Zunächst schauen wir uns aber an, was nicht
geht.
Satz 17.8. Es gibt auf C keine Relation ≤“, die die Axiome (A10) bis (A14)

erfüllt.

110
Beweis. Nehmen wir an, es ginge doch, so muss nach (A10) entweder i ≥ 0 oder
i ≤ 0 gelten. Wäre i ≥ 0, so ist wegen (A14) auch −1 = i · i ≥ 0 und mit
Satz 2.7 (a) folgt 1 ≤ 0, was ein Widerspruch zu (c) desselben Satzes ist.
Nehmen wir dagegen an, dass i ≤ 0 ist, so bekommen wir mit Satz 2.7 (b) die
Ungleichung −1 ≥ 0, was zum selben Widerspruch führt.

Es ist also nicht möglich, zwei komplexe Zahlen der Größe nach zu vergleichen.
Man kann aber Beträge von komplexen Zahlen vergleichen, denn das sind reelle
Zahlen. Das werden wir uns oft zu Nutze machen. So kann man z. B. unsere
Schreibweise Uε (x0 ) für eine ε-Umgebung sofort nach C ziehen: Für ε > 0 und
z0 ∈ C setzen wir
Uε (z0 ) := {z ∈ C : |z − z0 | < ε}.
Wir wollen im Rest dieses Abschnitts einen Schnelldurchlauf durch die komplexen
Folgen und Reihen machen und die Exponentialfunktion in C definieren. Wir
werden dabei feststellen, dass viele Dinge in C genauso wie in R funktionieren. Um
nicht immer mühsam in R oder C“ schreiben zu müssen, wird im weiteren Skript

der Buchstabe K verwendet, wann immer man sowohl R als auch C einsetzen
kann.
Wir übertragen zunächst den Begriff der Konvergenz. Diesen können wir auf
Konvergenz in R zurückspielen, vgl. Satz 7.1 (a).

Definition 17.9. Es sei (zn ) eine Folge in C.

(a) Die Folge (zn ) konvergiert gegen z0 ∈ C, wenn die reelle Folge (|zn − z0 |)
in R gegen Null konvergiert.

(b) Wir nennen (zn ) beschränkt, wenn es ein C ≥ 0 gibt mit |zn | ≤ C für alle
n ∈ N.

(c) Wir nennen (zn ) Cauchy-Folge in C, wenn für jedes ε > 0 ein n0 ∈ N
existiert mit |zn − zm | < ε für alle n, m ≥ n0 .
P∞ Pn
(d) Das Symbol P n=1 zn bezeichnet wieder die Folge (sn ) mit sn := k=1 zk
und die P Reihe ∞ n=1 nz heißt konvergent, falls (s n ) konvergiert. In diesem
Fall gilt ∞ n=1 zn := limn→∞ s n .
P∞ P
(e) Die Reihe n=1 zn heißt absolut konvergent, falls die Reihe ∞ n=1 |zn | kon-
vergiert.

Satz 17.10. Es sei (zn ) eine Folge in C.

(a) Die Folge (zn ) konvergiert genau dann gegen z0 ∈ C, wenn die beiden Folgen
(Re(zn )) und (Im(zn )) in R konvergieren und

lim Re(zn ) = Re(z0 ) sowie lim Im(zn ) = Im(z0 )


n→∞ n→∞

111
17. Komplexe Zahlen

gilt.
Insbesondere ist der Limes einer in C konvergenten Folge eindeutig be-
stimmt.

(b) Eine Folge in C ist genau dann eine Cauchy-Folge, wenn sie konvergiert.
(Cauchy-Kriterium)
P∞
(c) P
Die Reihe n=1 zP
n ist genau dann konvergent, wenn die beiden Reihen
∞ ∞
n=1 Re(zn ) und n=1 Im(zn ) in R konvergieren. In diesem Fall gilt


X ∞
X ∞
X
zn = Re(zn ) + i Im(zn ).
n=1 n=1 n=1

Beweis. (a) Wir setzen xn := Re(zn ) und yn := Im(zn ) für alle n ∈ N0 . Nun
gilt für jedes n ∈ N
p p
|xn − x0 | = (xn − x0 )2 ≤ (xn − x0 )2 + (yn − y0 )2 = |zn − z0 |

und genauso |yn − y0 | ≤ |zn − z0 |. Wenn also (zn ) gegen z0 konvergiert, so


haben wir auch limn→∞ xn = x0 und limn→∞ yn = y0 . Haben wir umgekehrt
diese beiden Grenzwertbeziehungen, so gilt
p
|zn − z0 | = Re(zn − z0 )2 + Im(zn − z0 )2
p
= (xn − x0 )2 + (yn − y0 )2 −→ 0 (n → ∞),

wegen Satz 7.6.

(b) Dass jede konvergente Folge eine Cauchyfolge ist, zeigt man genauso wie
im Kapitel 10 in R. Für die umgekehrte Implikation schätzt man mit Hilfe
von Satz 17.7 (b) folgendermaßen ab:

|Re(zn ) − Re(zm )| = |Re(zn − zm )| ≤ |zn − zm |, n, m ∈ N.

Ist nun (zn ) eine Cauchyfolge in C, so liefert diese Abschätzung, dass die
reelle Folge (Re(zn )) eine Cauchyfolge in R ist. Dank Satz 10.13 ist diese
also konvergent. Eine analoge Argumentation liefert die Konvergenz von
(Im(zn )) und damit liefert Teil (a) die Behauptung.

(c) Die Aussage folgt aus (a), da Reihen auch nur Folgen sind.
Mit Hilfe der Überlegungen aus dem vorhergehenden Satz lassen sich viele Re-
sultate über reelle Folgen ins Komplexe übertragen. Als prominentes Beispiel
beweisen wir eine komplexe Version des Satzes von Bolzano-Weierstraß.

Satz 17.11. Jede beschränkte Folge in C besitzt eine konvergente Teilfolge.

112
Beweis. Sei (zn ) eine beschränkte Folge in C und C ≥ 0 so, dass |zn | ≤ C für
alle n ∈ N ist. Es gilt |Re(zn )| ≤ |zn | ≤ C für alle n ∈ N, also ist auch die
reelle Folge (Re(zn )) beschränkt. Nach dem reellen Satz von Bolzano-Weierstraß
in Satz 10.1 hat diese eine konvergente Teilfolge (Re(znk ))k∈N . Mit einem analo-
gen Argument ist (Im(znk ))k∈N beschränkt in R und wir bekommen eine erneute
Teilfolge (znkℓ )ℓ∈N , so dass (Im(znkℓ ))ℓ∈N konvergent ist. Als Teilfolge der konver-
genten Folge (Re(znk ))k∈N ist auch die Folge (Re(znkℓ ))ℓ∈N konvergent. Schließlich
bedeutet das mit Satz 17.10 (a), dass (znkℓ )ℓ∈N eine in C konvergente Folge ist
und wir haben unsere konvergente Teilfolge von (zn ) gefunden.

Viele Sätze lassen sich wortwörtlich wie im Reellen beweisen. Das führen wir am
Cauchy-Kriterium und an der Dreiecksungleichung für Reihen vor.

Satz 17.12. Es sei (zn ) eine komplexe Folge. Dann gilt:


P
(a) Die Reihe ∞ n=1 zn konvergiert genau dann, wenn für jedes ε > 0 ein n0 ∈ N
existiert mit
m
X
zk < ε für alle m > n ≥ n0 .
k=n+1

(Cauchy-Kriterium)
P P∞
(b) Ist ∞ n=1 zn absolut konvergent, so ist die Reihe n=1 zn konvergent und es
gilt

X ∞
X
zn ≤ |zn |. (verallgemeinerte Dreiecksungleichung)
n=1 n=1

Pn
Beweis. (a) Für jedes n ∈ N bezeichne sn := k=1 zk die n-te Partialsumme.
Seien m, n ∈ N mit n < m. Dann gilt
m
X
|sm − sn | = zk .
k=n+1

Die Behauptung folgt damit direkt aus dem Cauchy-Kriterium für komplexe
Folgen in Satz 17.10 (b).

(b) Wir verwenden das Cauchy-Kriterium aus Teil (a). Sei dazu ε > 0 gege-
ben. Dann gibt es dank der absoluten Konvergenz ein n0 ∈ N, so dass
P m
k=n+1 |zk | < ε für alle n, m ∈ N mit m > n > n0 gilt. Mit der Dreiecks-
ungleichung gilt dann sofort für alle m > n > n0 auch
m
X m
X
zk ≤ |zk | < ε.
k=n+1 k=n+1

113
17. Komplexe Zahlen

Also ist die Reihe nach dem Cauchy-Kriterium konvergent.


P P
Setzen wir sn := nk=1 zk und σn := nk=1 |zk | für jedes n ∈ N, so erhalten
wir wie oben mit der Dreiecksungleichung |sn | ≤ σn für alle n und damit
im Grenzwert n → ∞

X ∞
X
zk = lim sn = lim |sn | ≤ lim σn = |zk |.
n→∞ n→∞ n→∞
k=1 k=1

Schließlich übertragen sich auch unsere Konvergenzkriterien. Dies fassen wir im


folgenden Satz zusammen.

Satz 17.13. Es sei (zn ) eine Folge in C und (an ) eine reelle Folge.
P∞
(a) Ist n=1 zn konvergent, so gilt limn→∞ zn = 0.
P
Gilt |zn | ≤ an für fast alle n ∈ N und ist ∞
(b) P n=1 an konvergent, so konvergiert

n=1 zn absolut. (Majorantenkriterium)
p P p
(c) Ist die Folge ( n |zn |) unbeschränkt, so divergiert ∞n=1 zn . Ist ( p|zn |) be-
n

schränkt, so ist die Reihe absolut konvergent,


p wenn lim supn→∞ n |zn | < 1
ist und divergent, wenn lim supn→∞ n |zn | > 1 ist. (Wurzelkriterium)

(d) Gilt zn 6= 0 für alle n ∈ N und ist die Folge


P∞(| /zn |) beschränkt und gilt
zn+1

lim supn→∞ | /zn | < 1, so ist die Reihe n=1 zn absolut konvergent.
z n+1
P Gilt
dagegen |zn+1/zn | ≥ 1 für fast alle n ∈ N, so divergiert die Reihe ∞n=1 zn .
(Quotientenkriterium)

Die Beweise für diesen Satz lassen sich entweder direkt auf die entsprechenden Re-
sultate über reelle Reihen zurückspielen oder direkt aus dem Reellen übertragen.
Gleiches gilt für den folgenden Satz über das wie in R definierte Cauchy-Produkt.
P∞ P∞
Definition 17.14. Es seien n=0 zn und n=0 wn zwei komplexe Reihen. Dann
heißt die Reihe
∞ X
X n
zk wn−k
n=0 k=0

das Cauchy-Produkt dieser beiden Reihen.


P P∞
Satz 17.15. Es seien ∞ n=0 zn und n=0 wn absolut konvergente Reihen in C.
Dann ist auch das Cauchy-Produkt der beiden Reihen absolut konvergent und es
gilt
X∞ X∞  X ∞ Xn
zn wn = zk wn−k .
n=0 n=0 n=0 k=0

114
Da sich also herausstellt, dass unsere Ergebnisse über Reihen in großen Teilen
auch im Komplexen gelten, ist es natürlich, auch über Potenzreihen mit kom-
plexen Variablen und Koeffizienten nachzudenken. Das wird sich als eine sehr
fruchtbare Idee – auch für zukünftige Semester – erweisen. So können wir z. B.
problemlos die Exponentialfunktion für komplexe Zahlen definieren. Tatsächlich
kann man leicht feststellen, dass der Satz von Hadamard 16.2 genauso in C funk-
tioniert.

Beispiel 17.16. (a) Wir betrachten zunächst die komplexe geometrische Rei-
he, also die Potenzreihe
X∞
z n , z ∈ C.
n=0

Für z = 1 ist diese Reihe bekanntermaßen nicht konvergent und wie in


Satz 3.12 gilt für alle z ∈ C \ {1} und alle N ∈ N
N
X
n1 − z N +1
z =
n=0
1−z

und dieser Ausdruck konvergiert für N → ∞, falls |z| < 1. In diesem Fall
ist ∞
X 1
zn = , |z| < 1.
n=0
1−z
Die komplexen Zahlen mit |z| < 1 sind genau die, die innerhalb des Kreises
mit Radius 1 um den Ursprung in der komplexen Zahlenebene liegen. Nun
wird auch der bisher u.U. eher verwirrende Begriff Konvergenzradius klar.

(b) Der Kandidat für die Definition einer komplexen Exponentialfunktion ist
natürlich
X ∞
zn
, z ∈ C.
n=0
n!
P∞
|z|n
Tatsächlich wissen wir schon, dass die Reihe P∞ /n!n für alle z ∈ C
n=0
konvergiert, denn |z| ist ja reell. Also ist die Reihe n=0 z /n! für alle z ∈ C
sogar absolut konvergent. Das rechtfertigt die nun folgende Definition.

Definition 17.17. Die Funktion



X
z zn
e := , z ∈ C,
n=0
n!

heißt (komplexe) Exponentialfunktion.

Wir sammeln einige Eigenschaften dieser Funktion.

115
17. Komplexe Zahlen

Satz 17.18. (a) Für alle z1 , z2 ∈ C gilt ez1 +z2 = ez1 · ez2 .
(b) Für alle z ∈ C gilt ez 6= 0 und 1/ez = e−z .
(c) Für alle t ∈ R gilt eit = cos(t) + i sin(t). (Euler-Formel)
(d) Ist z = x + iy ∈ C mit x, y ∈ R, so gilt ez = ex cos(y) + iex sin(y).
(e) Für alle t ∈ R und alle n ∈ N gilt die Formel von De Moivre:
n
cos(nt) + i sin(nt) = cos(t) + i sin(t) .

Beweis. (a) Genau wie im Beweis von Satz 15.7 (b) berechnet man dies über
das Cauchy-Produkt.
(b) Aus (a) folgt sofort für jedes z ∈ C

1 = e0 = ez−z = ez e−z ,
1
und damit ez 6= 0 sowie e−z = ez
.
(c) Für alle t ∈ R können wir wegen der absoluten Konvergenz der Exponen-
tialreihe die Summation umordnen und zunächst über alle geraden n und
dann über alle ungeraden n summieren:
∞ n n
X ∞ 2k 2k
X ∞ 2k+1 2k+1
X
it i t i t i t
e = = +
n=0
n! k=0
(2k)! k=0
(2k + 1)!
X∞ ∞
X (−1)k t2k+1
(−1)k t2k
= +i = cos(t) + i sin(t).
(2k)! (2k + 1)!
k=0 k=0

(d) Es ist mit (a) und (c)

ez = ex+iy = ex eiy = ex cos(y) + iex sin(y).

(e) Auch dieses folgt sofort aus (c) und (a), denn
n n
cos(nt) + i sin(nt) = eint = eit = cos(t) + i sin(t) .

Auf gleiche Weise kann man auch den Sinus und den Cosinus für komplexe Ar-
gumente definieren, denn auch deren Reihen haben Konvergenzradius unendlich.
Definition 17.19. Für alle z ∈ C definieren wir den Cosinus und den Sinus
durch

X X∞
(−1)k 2k (−1)k 2k+1
cos(z) := z und sin(z) := z .
k=0
(2k)! k=0
(2k + 1)!

116
Teil III.

Funktionen

117
18. Grenzwerte bei Funktionen
In diesem Abschnitt übertragen wir Begriffe, die wir im Kontext der Folgen ken-
nen gelernt haben, auf Funktionen von D ⊆ K nach K. In diesem Zusammenhang
sei an die Konvention zum Buchstaben K von Seite 111 erinnert.
Wir beginnen mit dem Monotoniebegriff. Dieser funktioniert naturgemäß nur für
K = R.

Definition 18.1. Es sei I ⊆ R ein Intervall. Eine Funktion f : I → R heißt

(a) monoton wachsend, falls für alle x, y ∈ I mit x ≤ y gilt, dass f (x) ≤ f (y)
ist.

(b) monoton fallend, falls für alle x, y ∈ I mit x ≤ y gilt, dass f (x) ≥ f (y) ist.

(c) streng monoton wachsend, falls für alle x, y ∈ I mit x < y gilt, dass f (x) <
f (y) ist.

(d) streng monoton fallend, falls für alle x, y ∈ I mit x < y gilt, dass f (x) >
f (y) ist.

(e) (streng) monoton, falls sie (streng) monoton wachsend oder (streng) mo-
noton fallend ist.

Definition 18.2. Es sei D ⊆ K eine Menge. Eine Zahl x0 ∈ K heißt Häufungs-


punkt von D, wenn für jedes ε > 0 ein x ∈ D existiert mit

x ∈ Uε (x0 ) \ {x0 }.

Um ein bisschen mehr Vorstellung von diesem Begriff zu bekommen, betrachten


wir zwei äquivalente Formulierungen dieser Definition.

Satz 18.3. Es sei D ⊆ K und x0 ∈ K. Dann sind die folgenden Aussagen


äquivalent.

(a) Die Zahl x0 ist ein Häufungspunkt von D.

(b) Für alle ε > 0 ist die Menge D ∩ Uε (x0 ) unendlich.

(c) Es existiert eine Folge (xn ) in D mit xn 6= x0 für alle n ∈ N, die gegen x0
konvergiert.

119
18. Grenzwerte bei Funktionen

Beweis. (a)⇒(c)“ Sei x0 ein Häufungspunkt von D. Zu jedem n ∈ N exis-



tiert dann nach der Definition des Häufungspunktes ein xn ∈ D mit xn ∈
U1/n (x0 ) \ {x0 }. Für alle n ∈ N zusammengenommen bilden diese eine Folge
(xn ) in D mit xn 6= x0 für alle n ∈ N und es gilt |xn − x0 | < 1/n für alle
n ∈ N. Aus letzterem folgt schließlich auch, dass (xn ) gegen x0 konvergiert
und wir haben damit die in (c) geforderte Folge konstruiert.
(c)⇒(b)“ Sei (xn ) eine Folge in D mit xn 6= x0 für alle n ∈ N, die gegen x0

konvergiert. Weiter sei ε > 0 vorgegeben. Dann gilt xn ∈ Uε (x0 ) für fast
alle n ∈ N. Insbesondere ist die Menge D ∩ Uε (x0 ) unendlich.
(b)⇒(a)“ Sei ε > 0. Dann hat nach Voraussetzung D ∩ Uε (x0 ) unendlich viele

Elemente. Insbesondere gibt es darin ein Element, das nicht x0 ist. Damit
ist x0 ein Häufungspunkt von D.
Mit Hilfe dieser Umformulierungen kann man sich leicht die folgenden Beispiele
veranschaulichen.
Beispiel 18.4. (a) Ist D endlich, so hat D keinen Häufungspunkt.
(b) Ist D = (0, 1], so ist die Menge aller Häufungspunkte von D genau das
Intervall [0, 1].
(c) Ist D = {1/n : n ∈ N}, so ist genau 0 ein Häufungspunkt von D.
Die Definition des Grenzwertes einer Funktion an einer Stelle spielen wir auf den
Konvergenzbegriff bei Folgen zurück.
Definition 18.5. Es sei D ⊆ K und f : D → K eine Funktion sowie a ∈ K.
(a) Ist x0 ein Häufungspunkt von D, so sagen wir, dass f für x gegen x0 den
Grenzwert a hat, wenn für jede Folge (xn ) in D, die gegen x0 konvergiert
und für die xn 6= x0 für alle n ∈ N gilt, die Folge (f (xn )) gegen a konver-
giert. Wir schreiben dafür
lim f (x) = a.
x→x0

(b) Ist D ⊆ R und x0 ein Häufungspunkt von D+ := {x ∈ D : x > x0 }, so hat


f für x gegen x0 den rechtsseitigen Grenzwert a, wenn für jede Folge (xn )
in D+ , die gegen x0 konvergiert, die Folge (f (xn )) gegen a konvergiert. Wir
schreiben
lim f (x) = a.
x→x0 +

(c) Ist D ⊆ R und x0 ein Häufungspunkt von D− := {x ∈ D : x < x0 }, so hat


f für x gegen x0 den linksseitigen Grenzwert a, wenn für jede Folge (xn )
in D− , die gegen x0 konvergiert, die Folge (f (xn )) gegen a konvergiert. Wir
schreiben
lim f (x) = a.
x→x0 −

120
Bemerkung 18.6. (a) Eine besondere Betonung beim Lesen dieser Definition
sollte jeweils auf den Worten jede Folge“ liegen.

(b) Wie bei den Grenzwerten für Folgen gibt es auch hier die alternativen
Schreibweisen

f (x) → a (x → x0 ), f (x) → a (x → x0 +) bzw. f (x) → a (x → x0 −).

(c) Man beachte die Einschränkung, dass links- und rechtsseitige Grenzwerte
nur bei auf Teilmengen von R definierten Funktionen Sinn ergeben. In C
gibt es einfach kein rechts“ und links“.
” ”
(d) In den folgenden Sätzen und Definitionen werden wir alle Aussagen jeweils
nur für Grenzwerte von Funktionen machen. Diese gelten dann sinngemäß
auch für den rechtsseitigen und linksseitigen Grenzwert, wenn dieser sinnvoll
ist.
Die Subtilitäten dieser Definition verdeutlichen wir uns an einem Beispiel.
Beispiel 18.7. (a) Wir setzen D = (0, 1] und

 1

 x2
, 0 < x < ,

 2
f (x) = 1, falls 1 ≤ x < 1,



 2
 7, x = 1.

Wie wir schon im vorherigen Beispiel gesehen haben, ist jedes x ∈ [0, 1] ein
Häufungspunkt von D. Wir können also Grenzwertbetrachtungen in allen
diesen Punkten anstellen. Wir untersuchen das Verhalten in den interessan-
ten Stellen 0, 1/2 und 1. Es gilt

lim f (x) = 0 und lim f (x) = 1.


x→0 x→1

Wir begründen die erste Aussage. Es sei (xn ) eine beliebige Nullfolge in
D (xn 6= 0 gilt sowieso, da 0 6∈ D). Dann gibt es ein n0 ∈ N, so dass
xn < 1/2 für alle n ≥ n0 gilt. Für diese n ist dann f (xn ) = x2n . Nach den
Grenzwertsätzen für Folgen konvergiert die Folge (x2n ) gegen Null, womit
limx→0 f (x) = 0 gezeigt ist. Den zweiten Limes bestimmt man analog.
Was ist aber nun mit limx→1/2 f (x)? Dieser Grenzwert existiert nicht, denn
es gilt 1 1  1 1 1 
lim f − = und lim f + = 1.
n→∞ 2 n 4 n→∞ 2 n
Nach unserer Definition müsste der Grenzwert aber für jede Folge, die gegen
1/2 konvergiert, ohne 1/2 zu treffen, der selbe sein.

121
18. Grenzwerte bei Funktionen

Das Problem tritt hier auf, weil wir uns einmal von links und einmal von
rechts an die kritische Stelle 1/2 angenähert haben. Genau dafür haben wir
aber die Begriffe des links- bzw. rechtsseitigen Grenzwertes. Tatsächlich
zeigt man wie oben, dass diese existieren und dass gilt
1
lim f (x) = 1 und lim f (x) = .
x→1/2+ x→1/2− 4

(b) Ohne es so zu nennen, haben wir schon einmal solche Grenzwerte berechnet.
Satz 7.6 können wir nun folgendermaßen formulieren:
√ √
lim p x = p x0 für alle p ∈ N und alle x0 ∈ [0, ∞).
x→x0

Wir beweisen ein alternatives Kriterium, wann limx→x0 f (x) = a gilt.

Satz 18.8. Es sei D ⊆ K und x0 ein Häufungspunkt von D sowie f : D → K


eine Funktion und a ∈ K. Dann gilt limx→x0 f (x) = a genau dann, wenn für jedes
ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 existiert, so dass

|f (x) − a| < ε für alle x ∈ D mit 0 < |x − x0 | < δ (18.1)

gilt.

Beweis. Wir beweisen zunächst =⇒“. Dazu nehmen wir an, die ε-Bedingung sei

falsch, d. h. es gibt ein ε0 > 0, so dass (18.1) für kein δ > 0 gilt. Für dieses ε0
gibt es also zu jedem δ > 0 ein x = x(δ) ∈ D, für das 0 < |x − x0 | < δ, aber
|f (x) − a| ≥ ε0 gilt. Wählen wir für jedes n ∈ N speziell δ = 1/n, so erhalten wir
eine Folge (xn ) in D mit
1
0 < |xn − x0 | < aber |f (xn ) − a| ≥ ε0 für alle n ∈ N.
n
Das bedeutet, dass die Folge (xn ) gegen x0 konvergiert und xn 6= x0 für alle
n ∈ N gilt, aber f (xn ) nicht gegen a konvergiert. Das ist ein Widerspruch zu
limx→x0 f (x) = a.
Zum Beweis von ⇐=“ sei (xn ) eine Folge in D, die gegen x0 konvergiert, mit

xn 6= x0 für alle n ∈ N. Wir müssen nun zeigen, dass die Folge (f (xn )) konvergiert
und den Limes a hat. Sei also ε > 0 gegeben. Nach Voraussetzung existiert dann
ein δ > 0, so dass (18.1) gilt. Weiter ergibt sich aus der Konvergenz der Folge
(xn ) die Existenz eines n0 ∈ N, so dass 0 < |xn − x0 | < δ für alle n ≥ n0 gilt.
Damit haben wir aber nach (18.1) für alle n ≥ n0

|f (xn ) − a| < ε

und sind damit fertig.

122
Satz 18.9. Es sei D ⊆ K, f : D → K eine Funktion und x0 ein Häufungspunkt
von D. Weiter sei für jede Folge (xn ) in D, die gegen x0 konvergiert und für
die xn 6= x0 für alle n ∈ N gilt, die Folge (f (xn )) konvergent. Dann existiert
limx→x0 f (x).
Beweis. Es seien (xn ) und (yn ) Folgen in D, welche die Voraussetzungen des
Satzes erfüllen. Wir müssen nun zeigen, dass
lim f (xn ) = lim f (yn )
n→∞ n→∞

gilt. Dazu definieren wir eine Folge (zn ) durch z2n−1 = xn und z2n = yn für alle
n ∈ N, d. h. es ist
(z1 , z2 , z3 , . . . ) = (x1 , y1, x2 , y2 , x3 , y3 , . . . ).
Dann gilt auch bei dieser Folge zn ∈ D und zn 6= x0 für alle n ∈ N und zn konver-
giert gegen x0 . Also existiert nach Voraussetzung der Limes a := limn→∞ f (zn ).
Die Folgen (f (xn )) und (f (yn )) sind aber Teilfolgen von (f (zn )), also konvergieren
diese nach Satz 9.7 (b) gegen den selben Grenzwert, d. h.
lim f (xn ) = a = lim f (yn ).
n→∞ n→∞

Auch für Grenzwerte von Funktionen können wir Grenzwertsätze formulieren.


Satz 18.10. Es sei D ⊆ K und x0 ein Häufungspunkt von D. Desweiteren seien
drei Funktionen f, g, h : D → K gegeben, so dass die Grenzwerte
a := lim f (x) und b := lim g(x)
x→x0 x→x0

existieren. Dann gilt:


(a) Die Grenzwerte für x → x0 von f +g, f g, |f |, Re(f ), Im(f ) und f existieren
und es gilt
 
lim f (x) + g(x) = a + b, lim f (x)g(x) = ab, lim |f (x)| = |a|
x→x0 x→x0 x→x0
 
lim Re f (x) = Re(a), lim Im f (x) = Im(a), lim f (x) = a.
x→x0 x→x0 x→x0

(b) Ist b 6= 0, so existiert ein δ > 0, so dass |g(x)| ≥ |b|/2 für alle x ∈ (D ∩
Uδ (x0 )) \ {x0 } ist. Wir können also die Funktion
f  f f (x)
: D ∩ Uδ (x0 ) \ {x0 } → K mit (x) :=
g g g(x)
definieren. Für diese existiert dann der Limes für x gegen x0 mit
f (x) limx→x0 f (x) a
lim = = .
x→x0 g(x) limx→x0 g(x) b

123
18. Grenzwerte bei Funktionen

(c) Sind f, g reellwertig und gibt es ein δ > 0, so dass für alle x ∈ (D ∩Uδ (x0 ))\
{x0 } die Ungleichung f (x) ≤ g(x) gilt, so folgt a ≤ b.

(d) Sind f, g, h reellwertig, a = b und gibt es ein δ > 0 mit

f (x) ≤ h(x) ≤ g(x) für alle x ∈ (D ∩ Uδ (x0 )) \ {x0 },

so existiert auch der Limes von h für x → x0 und es gilt limx→x0 h(x) = a.

Beweis. Der Beweis dieses Satzes ergibt sich direkt aus den Grenzwertsätzen für
Folgen in Satz 7.3. Nur die erste Aussage in (b) wollen wir kurz beweisen.
Es sei ε := |b|/2 > 0. Da limx→x0 g(x) = b gilt, existiert dann nach Satz 18.8 ein
δ > 0 mit |g(x) − b| < ε = |b|/2 für alle x ∈ (D ∩ Uδ (x0 )) \ {x0 }. Also gilt für alle
diese x mit der Dreiecksungleichung
|b|
|b| = |b − g(x) + g(x)| ≤ |b − g(x)| + |g(x)| ≤ + |g(x)|,
2
d. h. |g(x)| ≥ |b|/2.
Wir wollen im Folgenden auch untersuchen, wie sich Funktionen im Unendli-

chen“, also für sehr große (bzw. kleine) x verhalten. Um den dazu erforderlichen
lim “ zu definieren, greifen wir auf den Begriff einer bestimmt divergenten
” x→∞
Folge aus Definition 6.9 zurück. Dieser ermöglicht es außerdem zu formulieren,
dass f (x) für x → x0 gegen unendlich geht. Wir führen beides in den folgenden
zwei Definitionen sauber ein.

Definition 18.11. Es sei D ⊆ K, f : D → R eine Funktion und x0 ein Häufungs-


punkt von D. Wir schreiben

lim f (x) = ∞ bzw. lim f (x) = −∞ ,
x→x0 x→x0

wenn für jede Folge (xn ) in D, die gegen x0 konvergiert und für die xn 6= x0 für
alle n ∈ N gilt, die Folge (f (xn )) bestimmt gegen ∞ (bzw. −∞) divergiert.

Definition 18.12. Es sei D ⊆ R nicht nach oben (bzw. unten) beschränkt, f :


D → K eine Funktion und a ∈ R ∪ {∞, −∞}, bzw. a ∈ C. Wir sagen

lim f (x) = a bzw. lim f (x) = a ,
x→∞ x→−∞

wenn für jede Folge (xn ) in D, die bestimmt gegen ∞ (bzw. −∞) divergiert,
limn→∞ f (xn ) = a gilt.

Beispiel 18.13. (a) Es gilt


1 1 1
lim = 0, lim = ∞, lim = −∞.
x→∞ x x→0+ x x→0− x

124
(b) Wir untersuchen abermals die Exponentialfunktion und interessieren uns
für ihr Verhalten für sehr große und sehr kleine x ∈ R. Sei zunächst x > 0
und p ∈ N beliebig. Da x > 0 ist, gilt unter Weglassen aller Summanden
bis auf einen: ∞
X xn xp+1
ex = ≥ .
n=0
n! (p + 1)!
Das liefert
ex x ex
p
≥ , d. h. lim = ∞.
x (p + 1)! x→∞ xp

Das bedeutet, dass die Exponentialfunktion schneller wächst als jede Po-
tenzfunktion. Insbesondere gilt also

lim ex = ∞.
x→∞

Wir untersuchen noch das Verhalten für x gegen minus unendlich. Sei dazu
(xn ) eine bestimmt gegen −∞ divergente Folge. Dann divergiert die Folge
(−xn ) bestimmt gegen ∞. Da für jedes n ∈ N
1
exn =
e−xn
gilt, und die Folge (e−xn ) nach unseren obigen Überlegungen bestimmt nach
∞ divergiert, folgt mit Hilfe der Übungsaufgabe 6.10 sofort

lim ex = 0.
x→−∞

125
19. Stetigkeit
Definition 19.1. Es sei D ⊆ K und x0 ∈ D. Eine Funkion f : D → K heißt
stetig in x0 , wenn es zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε, x0 ) > 0 gibt, so dass

|f (x) − f (x0 )| < ε für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ

gilt. Ansonsten nennt man sie unstetig in x0 .


Weiter heißt f stetig auf D, wenn f in jedem Punkt x0 ∈ D stetig ist. Wir setzen

C(D, K) := {f : D → K : f stetig auf D}.

Ist aus dem Zusammenhang klar, ob reell- oder komplexwertige Funktionen be-
trachtet werden, so wird auch oft einfach C(D) geschrieben.
Wir können stetige Funktionen auch äquivalent mit Hilfe von Folgen charakteri-
sieren:
Satz 19.2. Es sei D ⊆ K und f : D → K eine Funktion. Dann ist f genau dann
in x0 ∈ D stetig, wenn für jede Folge (xn ) in D, die gegen x0 konvergiert, auch
die Folge (f (xn )) konvergiert und limn→∞ f (xn ) = f (x0 ) gilt (Folgenstetigkeit).
Beweis. Sei zunächst f in x0 stetig, (xn ) eine Folge in D, die gegen x0 konvergiert
und ε > 0. Dann existiert nach der Definition der Stetigkeit ein δ > 0 mit
|f (x) − f (x0 )| < ε für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ. Da (xn ) gegen x0 konvergiert,
gibt es nun weiter ein n0 ∈ N mit |xn − x0 | < δ für alle n ≥ n0 . Also gilt für all
diese n auch |f (xn ) − f (x0 )| < ε und wir haben Konvergenz der Folge (f (xn ))
gegen f (x0 ) gezeigt.
Es bleibt die umgekehrte Implikation zu zeigen. Dazu nehmen wir an, f wäre
nicht stetig in x0 . Das bedeutet (vgl. Abschnitt 1.2): es gibt ein ε0 > 0, so dass es
für jedes δ > 0 ein x = x(δ) ∈ D gibt mit |x − x0 | < δ, aber |f (x) − f (x0 )| ≥ ε0 .
Insbesondere gilt das für alle δ der Form 1/n mit n ∈ N. Also gibt es für jedes
n ∈ N ein xn ∈ D mit |xn − x0 | < 1/n und |f (xn ) − f (x0 )| ≥ ε0 . Wir betrachten
nun die Folge (xn ). Wegen |xn − x0 | < 1/n für alle n ∈ N konvergiert diese Folge
gegen x0 . Andererseits bleibt die Folge (f (xn )) aber immer mindestens ε0 von
f (x0 ) entfernt, im Widerspruch zur Voraussetzung, nach der (f (xn )) gegen f (x0 )
konvergieren muss.
Übungsaufgabe 19.3. Es sei D ⊆ K und f : D → K eine Funktion sowie
x0 ∈ D ein Häufungspunkt von D. Dann ist f in x0 genau dann stetig, wenn
limx→x0 f (x) = f (x0 ) gilt.

127
19. Stetigkeit

Satz 19.4. Es sei D ⊆ K, λ ∈ K und f, g : D → K seien stetig in x0 ∈ D. Dann


gelten die folgenden Aussagen.

(a) Die Funktionen λf , f + g, f g und |f | sind stetig in x0 . Im Falle K = C


sind auch f , Re(f ) und Im(f ) stetig in x0 .

e := {x ∈ D : g(x) 6= 0}, so ist die Funktion f/g : D


(b) Ist x0 ∈ D e → K stetig in
x0 .

(c) Ist h : f (D) → K stetig in f (x0 ), so ist h ◦ f : D → K stetig in x0 .

Beweis. Die Beweise von (a) und (b) ergeben sich aus der Kombination von
Satz 19.2 und den entsprechenden Aussagen in Satz 7.3. Wir führen das nur
exemplarisch für die Summe f + g aus. Sei (xn ) eine Folge in D, die gegen x0
konvergiert. Da f und g in x0 stetig sind, konvergieren dann nach Satz 19.2 auch
die Folgen (f (xn )) und (g(xn )) und es gilt

lim f (xn ) = f (x0 ) und lim g(xn ) = g(x0 ).


n→∞ n→∞

Damit ist nach Satz 7.3(b) auch die Folge (f (xn ) + g(xn )) konvergent und es gilt

lim f (xn ) + g(xn ) = lim f (xn ) + lim g(xn ) = f (x0 ) + g(x0 ),
n→∞ n→∞ n→∞

womit die Stetigkeit von f + g in x0 nach Satz 19.2 bewiesen ist.


Zum Nachweis von (c) sei (xn ) eine Folge in D mit xn → x0 (n → ∞). Dann
folgt aus der Stetigkeit von f mit Satz 19.2 wieder f (xn ) → f (x0 ) (n → ∞).
Der selbe Satz zusammen mit der Stetigkeit von h in f (x0 ) liefert uns dann
h(f (xn )) → h(f (x0 )) (n → ∞). Also ist wiederum nach Satz 19.2 die Funktion
h ◦ f stetig in x0 .

Wir wollen nun die Stetigkeit einer ganzen Klasse von Funktionen auf einmal
zeigen, nämlich all derer, die durch eine Potenzreihe mit positivem Konvergenz-
radius gegeben sind.
P
Satz 19.5. Es sei ∞ n
n=0 an x eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0 (dabei
ist r = ∞ zugelassen). Setzen wir D := {x ∈ K : P |x| < r}, bzw. D := K, falls
r = ∞, so ist die Funktion f : D → K mit f (x) = ∞ n
n=0 an x , x ∈ D, stetig auf
D.

Beweis. Es sei x0 ∈ D beliebig und ̺ ∈ R sei so gewählt, dass |x0 | < ̺ < r gilt.
Ist x ∈ K mit |x| ≤ ̺, so ist

X
f (x) − f (x0 ) = an (xn − xn0 ) (19.1)
n=1

128
und für jedes n ∈ N ist (vgl. Satz 3.11 (c))
n−1
X n−1
X
n
an (x − xn0 ) = an (x − x0 ) xk x0n−1−k ≤ |an ||x − x0 | |x|k |x0 |n−1−k
k=0 k=0
n−1
X
≤ |an ||x − x0 | ̺n−1 = |an ||x − x0 |n̺n−1 , (19.2)
k=0

da sowohl |x| ≤ ̺ als auch |x0 | ≤ ̺ gilt. P


Wir zeigen als nächstes, dass die Reihe ∞ n=1 |an |n̺
n−1
konvergiert. Zur Anwen-
dung des Wurzelkriteriums berechnen wir
p √
p n
|an | n
n̺ p
lim sup |an |n̺n−1 = lim sup
n

n ̺
= ̺ lim sup n
|an |.
n→∞ n→∞ n→∞

Dabei haben wir im letzten√ Schritt Übungsaufgabe 10.11 verwendet und dabei

ausgenutzt, dass limn→∞ n = limn→∞ n ̺ = 1 gilt.
n
p
Aus dem Satz von Hadamard folgern wir im Fallp r = ∞, dass lim sup n→∞
n
|an | =
0 ist und für r < ∞ erhalten wir lim supn→∞ |an | = /r. Zusammen ist
n 1

p
n ̺
lim sup |an |n̺n−1 ≤ < 1,
n→∞ r

die Reihe ist also nach dem Wurzelkriterium konvergent. Wir setzen

X
s := |an |n̺n−1 .
n=1

Damit ist die Reihe über an (xn − xn0 ) absolut konvergent und wir können mit der
verallgemeinerten Dreiecksungleichung abschätzen:

X ∞
X
n
|f (x) − f (x0 )| = an (x − xn0 ) ≤ |an (xn − xn0 )|
n=1 n=1

X
≤ |an ||x − x0 |n̺n−1 = |x − x0 |s.
n=1

Wir haben also die Ungleichungskette

0 ≤ |f (x) − f (x0 )| ≤ s|x − x0 |. (19.3)

Mit dem Sandwich-Theorem für Funktionsgrenzwerte (siehe Satz 18.10 (d)) folgt
daraus limx→x0 f (x) = f (x0 ) und damit ist f nach Übungsaufgabe 19.3 stetig in
x0 . Da x0 beliebig war, ist f stetig auf ganz D.

129
19. Stetigkeit

Beispiel 19.6. (a) Dank Satz 19.5 wissen wir nun, dass alle Polynome, die
Exponentialfunktion, Sinus und Cosinus jeweils auf ganz C, bzw. R, stetige
Funktionen sind.

(b) Es gilt
sin(x)
lim = 1.
x→0 x
Zum Nachweis dieser Aussage überlegen wir uns, dass für x 6= 0 gilt
∞ ∞
sin(x) 1 X (−1)n 2n+1 X (−1)n 2n
= x = x =: g(x)
x x n=0 (2n + 1)! n=0
(2n + 1)!

und die Potenzreihe, die g definiert, hat den Konvergenzradius unendlich


(nachrechnen!). Also ist diese Funktion in 0 stetig und es gilt, da g mit der
von uns untersuchten Funktion für alle x 6= 0 übereinstimmt,

sin(x)
lim = lim g(x) = g(0) = 1.
x→0 x x→0

Die Funktion f : R → R, gegeben durch



 sin(x)
, falls x 6= 0,
f (x) = x

1, falls x = 0,

ist also auf ganz R stetig. Man nennt f die stetige Fortsetzung der Funktion
x 7→ sin(x)/x.

(c) Genauso wie eben kann man den Grenzwert

ex − 1
lim =1
x→0 x
bestimmen, denn es ist für alle x 6= 0

1 X xn  1 X xn X xn−1 X xn
∞ ∞ ∞ ∞
ex − 1
= −1 = = =
x x n=0 n! x n=1 n! n=1
n! n=0
(n + 1)!

und auch diese Potenzreihe hat den Konvergenzradius ∞.

Zum Abschluss dieses Abschnittes können wir aus der Stetigkeit der Funktionen,
die durch Potenzreihen gegeben sind, noch einen wichtigen, überraschenden Satz
folgern. Er besagt, dass zwei Funktionen, die durch Potenzreihen gegeben sind
und die auf einer Nullfolge von Punkten übereinstimmen, schon identisch sein
müssen.

130
P∞ 19.7n (Identitätssatz
Satz P∞ n
für Potenzreihen). Gegeben seien zwei Potenzreihen
n=0 an x und n=0 bn x mit Konvergenzradien ra > 0, bzw. rb > 0. Wir setzen
R := min{ra rb } > 0 und

X ∞
X
f (x) := an xn , |x| < ra , und g(x) := bn xn , |x| < rb .
n=0 n=0

Gibt es dann eine Folge (xk ) in UR (0) mit limk→∞ xk = 0, sowie xk = 6 0 und
f (xk ) = g(xk ) für alle k ∈ N, so gilt an = bn für alle n ∈ N0 , d. h. es ist
f (x) = g(x) für alle |x| < R.
Beweis. Wir führen den Nachweis, dass an = bn für alle n ∈ N0 gilt, induktiv.
Für den Induktionsanfang (n = 0) überlegen wir uns, dass f nach Satz 19.5 in
0 stetig ist, also gilt limk→∞ f (xk ) = f (0) = a0 . Dasselbe folgt für g und da
f (xk ) = g(xk ) für alle k ∈ N ist, beobachten wir
a0 = f (0) = lim f (xk ) = lim g(xk ) = g(0) = b0 .
k→∞ k→∞

Als Induktionsvoraussetzung gelte im Folgenden aj = bj für alle j ∈ {0, . . . , n}.


Damit gilt für alle |x| < R

X
f (x) − g(x) = (aj − bj )xj .
j=n+1

Also ergibt sich für alle k ∈ N



X
0 = f (xk ) − g(xk ) = (aj − bj )xjk
j=n+1
n+1
= (an+1 − bn+1 )xk + (an+2 − bn+2 )xn+2
k + ...
und da xk 6= 0 für alle k ∈ N ist, dürfen wir diese Gleichung durch xn+1
k teilen.
Das ergibt

X
(an+1+j − bn+1+j )xjk = 0
j=0

für alle k ∈ N. Setzen wir



X
ϕ(x) := (an+1+j − bn+1+j )xj ,
j=0

so ist das eine Potenzreihe mit Konvergenzradius größer oder gleich R > 0
(nachrechnen!) und somit ist ϕ wieder dank Satz 19.5 stetig in 0. Außerdem
gilt ϕ(xk ) = 0 für alle k ∈ N. Daraus folgt
an+1 − bn+1 = ϕ(0) = lim ϕ(xk ) = lim 0 = 0,
k→∞ k→∞

also an+1 = bn+1 .

131
20. Eigenschaften stetiger
Funktionen
Dieser Abschnitt enthält einen wichtigen Satz über stetige, reellwertige Funktio-
nen nach dem anderen. Wir werden später immer wieder auf die hier entwickelten
Ergebnisse zurückgreifen. Allke Sätze dieses Abschnitts gelten nur für reellwertige
Funktionen. Überlegen Sie sich jeweils, warum!
Satz 20.1 (Zwischenwertsatz). Es seien a, b ∈ R mit a < b und f : [a, b] → R sei
stetig auf [a, b]. Ist y0 eine Zahl zwischen f (a) und f (b), so gibt es ein x0 ∈ [a, b]
mit f (x0 ) = y0 .

f(x)

f(b)
y
0
x
a x0 b
f(a)

Abbildung 20.1.: Der Zwischenwertsatz

Beweis. Ist y0 = f (a) oder y0 = f (b), so sind wir bereits fertig. Wir können
also annehmen, dass y0 6= f (a) und y0 6= f (b) gilt. Weiter nehmen wir an, dass
f (a) < f (b) ist, denn im Fall f (a) = f (b) muss y0 = f (a) = f (b) sein, und den
Fall f (a) > f (b) kann man analog behandeln. Wir haben also f (a) < y0 < f (b).
Setze
M := {x ∈ [a, b] : f (x) ≤ y0 }.
Dann gilt a ∈ M, also ist M 6= ∅. Außerdem ist M durch b nach oben beschränkt,
d. h. x0 := sup M existiert. In einem nächsten Schritt existiert für jedes n ∈ N
nach Satz 2.17 ein xn ∈ M mit
1
x0 − < xn ≤ x0 .
n
Die so entstandene Folge (xn ) konvergiert nach dem Sandwich-Theorem gegen
x0 und da für jedes Folgenglied a ≤ xn ≤ b gilt, haben wir damit auch gleich
x0 ∈ [a, b].

133
20. Eigenschaften stetiger Funktionen

Nun folgern wir aus der Stetigkeit von f mit Satz 19.2, dass die Folge (f (xn ))
konvergiert und limn→∞ f (xn ) = f (x0 ) gilt. Da außerdem jedes xn in M gewählt
war, gilt f (xn ) ≤ y0 für alle n ∈ N, also ist im Grenzwert f (x0 ) ≤ y0 . Es bleibt
noch die umgekehrte Ungleichung f (x0 ) ≥ y0 zu zeigen.
Dazu beobachten wir zunächst, dass sogar x0 ∈ [a, b) gelten muss, denn x0 = b
kann wegen f (x0 ) ≤ y0 und f (b) > y0 nicht sein. Nun nehmen wir an, es wäre
f (x0 ) < y0 . Dann ist ε := y0 − f (x0 ) > 0. Nach der Definition der Stetigkeit gibt
es zu diesem ε ein δ > 0, so dass
|f (z) − f (x0 )| < ε für alle z ∈ [a, b] ∩ Uδ (x0 )
gilt. Sei nun ein z ∈ [a, b] mit x0 < z < x0 + δ gewählt. Das geht, da x0 < b ist.
Dann gilt
f (z) − f (x0 ) ≤ |f (z) − f (x0 )| < ε = y0 − f (x0 ).
Also ist f (z) < y0 und damit z ∈ M. Da x0 das Supremum von M ist, muss dann
z ≤ x0 gelten, was ein Widerspruch ist.
Zusammen ist damit f (x0 ) = y0 .
Eine wichtige Folgerung aus diesem Satz ist die folgende.
Satz 20.2 (Nullstellensatz von Bolzano). Es seien a, b ∈ R mit a < b und
f ∈ C([a, b], R) mit f (a)f (b) < 0 gegeben. Dann gibt es ein x0 ∈ (a, b) mit
f (x0 ) = 0.
Beweis. Wir müssen uns nur klarmachen, dass die Voraussetzung f (a)f (b) < 0
bedeutet, dass entweder f (a) > 0 und f (b) < 0 oder f (a) < 0 und f (b) > 0 ist.
Dann folgt die Behauptung sofort aus Satz 20.1.
Wir können dieses Ergebnis nun anwenden, um das Bild der reellen Exponenti-
alfunktion zu bestimmen.
Beispiel 20.3. Wir zeigen, dass für die Exponentialfunktion gilt:
exp(R) = {ex : x ∈ R} = (0, ∞).
Wir wissen schon (vgl. Satz 15.7 (c)), dass ex > 0 für alle x ∈ R gilt, d. h. es ist
exp(R) ⊆ (0, ∞). Es bleibt die umgekehrte Inklusion zu zeigen.
Sei dazu y0 ∈ (0, ∞). Wir wissen aus Beispiel 18.13 (b), dass
lim ex = 0 und lim ex = ∞
x→−∞ x→∞

gilt. Also gibt es ein a ∈ R, so dass ea < y0 gilt und ein b ∈ R mit eb > y0 . Da
damit zwangsläufig ea < eb gilt und die Exponentialfunktion nach Satz 15.7 (e)
streng monoton wachsend ist, muss a < b gelten. Da die Exponentialfunktion
nach Satz 19.5 auch auf ganz R stetig ist, sind nun alle Voraussetzungen von
Satz 20.1 erfüllt. Es gibt also ein x0 ∈ (a, b) mit ex0 = y0 . Damit ist y0 ∈ exp(R)
und wir sind fertig.

134
Definition 20.4. Es sei D ⊆ K. Eine Funktion f : D → K heißt beschränkt,
falls die Menge f (D) beschränkt ist, d. h. falls ein C ≥ 0 existiert, so dass
|f (x)| ≤ C für alle x ∈ D gilt.

Definition 20.5. (a) Eine Teilmenge D von K heißt abgeschlossen, wenn für
jede Folge (xn ) in D, die in K konvergiert, limn→∞ xn ∈ D gilt.

(b) Eine Teilmenge von K heißt kompakt, wenn sie abgeschlossen und be-
schränkt ist.

Warnung 20.6. Die angegebene Definition der Kompaktheit ist für die hier
betrachteten Teilmengen von K sehr einfach und praktisch. Der Kompaktheits-
begriff kommt in vielen Bereichen der Mathematik vor und ist oft sehr wichtig.
Im Allgemeinen hat er eine andere, leider deutlich sprödere, Definition, die wir
zu Beginn der Analysis II kennenlernen werden. Diese ist im Allgemeinen nicht
äquivalent zu der hier angegebenen Definition!

Wir können nun den fundamentalen Satz formulieren, der das Verhalten stetiger
Funktionen auf kompakten Mengen beschreibt.

Satz 20.7. Es sei K ⊆ K kompakt und nicht-leer sowie f : K → R stetig. Dann


gibt es x∗ , x∗ ∈ K, so dass

f (x∗ ) ≤ f (x) ≤ f (x∗ ) für alle x ∈ K

gilt. Insbesondere ist f beschränkt.

Man beachte, dass damit insbesondere max f (K) = f (x∗ ) und min f (K) = f (x∗ )
existieren.
In Worte gefasst lautet dieser Satz damit:

Eine stetige Funktion auf einem Kompaktum nimmt ihr Maximum


und ihr Minimum auf dem Kompaktum an.

Dass dabei jede der Voraussetzungen zwingend nötig ist, veranschaulichen die
folgenden Beispiele.

Beispiel 20.8. (a) Ist K = [0, 1] und



 x, falls x ∈ (0, 1),
f (x) = 1
 , falls x = 0 oder x = 1,
2
so ist f (K) = (0, 1), d. h. es gibt keine x∗ , x∗ ∈ [0, 1] mit f (x∗ ) = 0 und
f (x∗ ) = 1. Wir brauchen also die Stetigkeit von f .

135
20. Eigenschaften stetiger Funktionen

(b) Ist K = (0, 1] und f (x) = 1/x für x ∈ K, so ist f auf K stetig, aber die
Menge f (K) ist nicht beschränkt, da limx→0+ f (x) = ∞ ist. Wir brauchen
also die Abgeschlossenheit von K.
(c) Ist schließlich K = R und f (x) = ex , so ist diese Funktion wieder auf ganz
K stetig und K ist abgeschlossen, aber f nicht beschränkt. Wir brauchen
also die Beschränktheit von K.
Beweis von Satz 20.7. Wir zeigen zunächst, dass unter den Voraussetzungen des
Satzes die Funktion f beschränkt ist. Wäre dem nicht so, gäbe es für jedes n ∈ N
ein xn ∈ K mit |f (xn )| > n. Dank der Beschränktheit von K und dem Satz von
Bolzano-Weierstraß (Satz 10.1) können wir nun aus der Folge (xn ) eine konver-
gente Teilfolge (xnk ) auswählen. Da K außerdem abgeschlossen ist, muss deren
Grenzwert x0 := limk→∞ xnk ebenfalls in K liegen. Nun nutzen wir die Stetig-
keit von f auf K und folgern, dass die Folge (f (xnk )) gegen f (x0 ) konvergiert.
Insbesondere ist damit die Folge (f (xnk )) beschränkt, was im Widerspruch zur
Konstruktion der Folge (xn ) steht, nach der |f (xnk )| > nk für alle k ∈ N gilt.
Da nun f (K) beschränkt ist, existieren zumindest sup f (K) und inf f (K). Wir
betrachten hier nur S := sup f (K), die Untersuchung für das Infimum verläuft
analog. Zu zeigen ist, dass es ein x∗ ∈ K gibt, so dass f (x∗ ) = S gilt. Dazu stellen
wir zunächst fest, dass es nach Satz 2.17 für jedes n ∈ N ein yn ∈ f (K) gibt mit
S − 1/n < yn ≤ S. Dazu finden wir jeweils ein xn ∈ K mit f (xn ) = yn , so dass
zusammengenommen
1
S− < f (xn ) ≤ S für alle n ∈ N (20.1)
n
gilt. Die so gewonnene Folge (xn ) enthält wie jede Folge in K eine konvergente
Teilfolge (xnk ). Wir setzen
x∗ := lim xnk .
k→∞

Dann gilt wegen der Abgeschlossenheit von K sofort x∗ ∈ K und dank der
Stetigkeit von f haben wir f (xnk ) → f (x∗ ) für k → ∞. Mit Hilfe von (20.1) und
dem Sandwich-Theorem gilt außerdem

lim f (xnk ) = lim f (xn ) = S.


k→∞ n→∞

Also ist f (x∗ ) = S.


Als nächstes wollen wir zeigen, dass sich die Stetigkeit einer Funktion auf ihre
Umkehrfunktion überträgt, sofern diese existiert. Wir beobachten dazu, dass für
ein Intervall I, insbesondere ist auch I = R zugelassen, jede streng monotone
Funktion f : I → R injektiv ist (Übungsaufgabe!). Damit ist nach Einschränkung
des Wertebereichs die Funktion f : I → f (I) bijektiv und die Umkehrfunktion
f −1 existiert in diesem Fall. Wir wissen über die Umkehrfunktion sogar noch
mehr.

136
Lemma 20.9. Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → f (I) eine streng monoton
wachsende (bzw. fallende) Funktion. Dann ist die Umkehrfunktion f −1 ebenfalls
streng monoton wachsend (bzw. fallend).

Beweis. Wir führen den Beweis nur für wachsende Funktionen, die geklammerte
Aussage beweist man analog. Es sei also f streng monoton wachsend.
Es seien y1 , y2 ∈ f (I) mit y1 < y2 gegeben. Dann existieren x1 , x2 ∈ I, so dass
f (x1 ) = y1 und f (x2 ) = y2 gilt. Da f streng monoton wächst und f (x1 ) < f (x2 )
gilt, muss auch x1 < x2 sein. Damit ist aber

f −1 (y1 ) = x1 < x2 = f −1 (y2 ),

was nichts anderes bedeutet, als dass f −1 streng monoton wächst.

Für den Beweis des nächsten Satzes brauchen wir noch das folgende Lemma,
dessen Beweis als Übung stehen bleibt.

Lemma 20.10. Eine Menge M ⊆ R ist genau dann ein Intervall, wenn für je
zwei Zahlen a, b ∈ M mit a < b stets [a, b] ⊆ M gilt.

Satz 20.11. Es sei I ⊆ R ein beliebiges Intervall und f ∈ C(I, R) sei streng
monoton. Dann ist f (I) ebenfalls ein Intervall und es gilt f −1 ∈ C(f (I), R).

Beweis. Wir führen den Beweis wieder nur für streng wachsende Funktionen f .
Wir verwenden zunächst Lemma 20.10, um zu zeigen, dass f (I) ein Intervall ist.
Seien dazu a, b ∈ f (I) mit a < b und ein y0 ∈ [a, b] gegeben. Dann gibt es α, β ∈ I,
so dass f (α) = a und f (β) = b gilt. Wir haben also

f (α) = a ≤ y0 ≤ b = f (β).

Da f stetig ist, existiert also nach dem Zwischenwertsatz 20.1 ein x0 ∈ I mit
f (x0 ) = y0 . Also ist y0 ∈ f (I) und wir erhalten [a, b] ⊆ f (I).
Nun bleibt noch zu zeigen, dass f −1 auf f (I) stetig ist. Sei dazu y0 ∈ f (I) und (yn )
eine Folge in f (I), die gegen y0 konvergiert. Für diese ist zu zeigen, dass die Folge
(xn ) := (f −1 (yn )) gegen x0 := f −1 (y0) konvergiert. Wir nehmen dazu an, das wäre
nicht so. Dann gibt es ein ε0 > 0, für das die Menge M := {n ∈ N : xn 6∈ Uε0 (x0 )}
unendlich viele Elemente besitzt.
Die Bedingung xn 6∈ Uε0 (x0 ) bedeutet, dass entweder xn ≤ x0 − ε0 oder xn ≥
x0 + ε0 gilt, d. h. es ist

M = {n ∈ N : xn ≤ x0 − ε0 } ∪ {n ∈ N : xn ≥ x0 + ε0 } =: M− ∪ M+ .

Ist n ∈ M− , so folgt dank der Monotonie von f

yn = f (xn ) ≤ f (x0 − ε0 ) < f (x0 ) = y0 ,

137
20. Eigenschaften stetiger Funktionen

also gilt
|yn − y0 | = y0 − yn > f (x0 ) − f (x0 − ε0 ) > 0.
Ist hingegen n ∈ M+ so folgt in gleicher Weise

yn = f (xn ) ≥ f (x0 + ε0 ) > f (x0 ) = y0 ,

d. h.
|yn − y0 | = yn − y0 ≥ f (x0 + ε0 ) − f (x0 ) > 0.
Mit ε := min{f (x0 ) − f (x0 − ε0 ), f (x0 + ε0 ) − f (x0 )} > 0 ist also M ⊆ {n ∈
N : |yn − y0 | ≥ ε} und da M unendlich ist, hat auch diese Obermenge unendlich
viele Elemente. Das steht im Widerspruch dazu, dass (yn ) gegen y0 konvergiert.
Unsere Annahme lässt sich also nicht halten und es gilt limn→∞ xn = x0 . Wir
haben damit die Stetigkeit von f −1 in y0 gezeigt und da y0 ∈ f (I) beliebig war,
bedeutet das, dass f −1 auf f (I) stetig ist.
Auch dieser Satz liefert uns eine neue spannende Information über die Expo-
nentialfunktion, denn von dieser wissen wir, dass sie auf I = R streng monoton
wächst (vgl. Satz 15.7 (e)). Außerdem haben wir in Beispiel 20.3 gesehen, dass
exp(R) = (0, ∞) gilt. Damit wissen wir, dass die Umkehrfunktion existiert. Diese
bekommt einen eigenen Namen.
Definition 20.12. Die Funktion

ln := log := exp−1 : (0, ∞) → R mit ln(x) := log(x) := exp−1 (x), x ∈ (0, ∞),

heißt (natürlicher) Logarithmus.


Der Logarithmus hat die folgenden Eigenschaften.
Satz 20.13. (a) Die Funktion ln ist auf (0, ∞) stetig und wächst streng mono-
ton.

(b) Es gilt ln(1) = 0 und ln(e) = 1.

(c) lim ln(x) = ∞ und lim ln(x) = −∞.


x→∞ x→0+

(d) Für alle x, y ∈ (0, ∞) und alle r ∈ Q gilt


x
ln(xy) = ln(x) + ln(y), ln = ln(x) − ln(y) und ln(xr ) = r ln(x).
y

Beweis. (a) Ergibt sich sofort aus Satz 20.11.

(b) Ergibt sich aus Satz 15.7 (a).

(c) Ergibt sich aus Beispiel 18.13 (b).

138
4

K1 0 1 2 3 4
x

K2

K4

E(x) ln(x)

Abbildung 20.2.: Die Graphen der Exponentialfunktion und des Logarithmus

(d) Es gilt nach Satz 15.7 (b)


eln(x)+ln(y) = eln(x) eln(y) = xy.
Also ist 
ln(xy) = ln eln(x)+ln(y) = ln(x) + ln(y).
Weiter gilt mit Satz 15.7 (c)
1 1
e− ln( /x) =
1
= = x.
eln(1/x) 1/x

Also ist 1


ln(x) = ln(e− ln( /x) ) = − ln
1
. (20.2)
x
Damit können wir aus der ersten Formel sofort folgern
x  1 1
ln = ln x = ln(x) + ln = ln(x) − ln(y).
y y y
Es bleibt noch die dritte Formel. Für r ∈ N folgt diese sofort aus der ersten
und für negative r ∈ Z ist −r ∈ N, sodass mit Hilfe von (20.2) folgt

ln(xr ) = ln (x−r )−1 ) = − ln(x−r ) = −(−r) ln(x) = r ln(x).
Ist r ∈ Q und r = m/n mit m ∈ Z und n ∈ N so gilt alles zusammengenom-
men
 
ln(xr ) = ln (x /n )m = m ln(x /n ) = nr ln(x /n ) = r ln (x /n )n = r ln(x).
1 1 1 1

139
20. Eigenschaften stetiger Funktionen

Sehen wir uns die dritte Rechenregel in (d) noch einmal an, so folgt daraus
r
insbesondere für alle a ∈ (0, ∞) und alle r ∈ Q die Beziehung ar = eln(a ) = er ln(a) .
Diese verwenden wir nun um die allgemeine Potenzfunktion zu definieren.

Definition 20.14. Für alle a ∈ (0, ∞) und alle x ∈ R definieren wir die allge-
meine Potenz durch
ax := ex·ln(a) .

Wir sammeln Eigenschaften dieser Funktion.

Satz 20.15. Es sei a ∈ (0, ∞). Dann ist die Funktion x 7→ ax stetig auf R und
es gelten die bekannten Rechenregeln für Potenzen wie beispielsweise
1
ax+y = ax ay , a−1 = , (ax )y = axy .
a
Beweis. Wir beobachten zunächst, dass die beiden Funktionen x 7→ x · ln(a) und
exp jeweils auf R stetig sind, also ist auch die Potenzfunktion als deren Verkettung
nach Satz 19.4(c) stetig.
Die Rechenregeln lassen sich alle direkt aus jenen für die Exponentialfunktion
ableiten. Wir behandeln deshalb hier nur beispielhaft

ax+y = e(x+y) ln(a) = ex ln(a)+y ln(a) = ex ln(a) ey ln(a) = ax ay .

140
21. Funktionenfolgen und -reihen
In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen, deren Glieder, bzw. Reihen, deren
Summanden selbst wieder Funktionen sind. Dabei verwenden wir weiterhin die
Absprache von Seite 111, dass der Buchstabe K jeweils für R oder C steht. Wir
beginnen mit den folgenden Begriffen
Definition 21.1. Es sei D ⊆ K und für jedes n ∈ N sei eine Funktion fn : D →
K gegeben.
(a) Wir bezeichnen mit (fn ) die Funktionenfolge (f1 , f2 , f3 , . . . ) und sagen, die
Funktionenfolge konvergiert punktweise, wenn für jedes x ∈ D die Folge
(fn (x)) in K konvergiert. In diesem Fall heißt die Funktion
(
D→K
f:
x 7→ lim fn (x)
n→∞

die Grenzfunktion von (fn ).


P
(b) Wir bezeichnen mit ∞ n=1 fn die Funktionenreihe f1 + f2 + f3 + . . . . Die
Funktionenreihe konvergiert punktweise, wenn für jedes x ∈ D die Reihe
P ∞
n=1 fn (x) konvergiert. In diesem Fall heißt die Funktion

D → K

X ∞
s:

 x 7→ fn (x)
n=1

die Summenfunktion.
Beispiel 21.2. (a) Es sei D = [0, 1] und

fn (x) := xn , x ∈ [0, 1],

für jedes n ∈ N.
Nach Satz 7.9 gilt limn→∞ xn = 0 für alle x ∈ [0, 1) und für x = 1 erhalten
wir für jedes n ∈ N den Wert 1, also konvergiert (fn ) punktweise gegen die
Funktion f : [0, 1] → R mit
(
0, falls x ∈ [0, 1),
f (x) :=
1, falls x = 1.

141
21. Funktionenfolgen und -reihen

(b) Es sei (an ) eine Folge in K und für jedes n ∈ N die Funktion

fn (x) = an xn

gegeben. Dann ist die aus diesen Funktionen gebildete Funktionenreihe ge-
nau die durch die Folge (an ) gegebene Potenzreihe. Sie konvergiert also, falls
der Konvergenzradius r der Potenzreihe positiv ist, innerhalb des Intervalls
(−r, r) punktweise gegen die Funktion s : (−r, r) → R mit

X
s(x) = an xn .
n=1

Die Potenzreihen sind also ein Spezialfall von Funktionenreihen.


(c) Es sei D := [0, ∞) und für jedes n ∈ N sei fn : [0, ∞) → R gegeben durch
nx
fn (x) := , x ∈ [0, ∞).
1 + n2 x2
Dann gilt für alle x ∈ [0, ∞)
x/n
lim fn (x) = lim = 0,
n→∞ n→∞ 1/n2 + x2
also konvergiert (fn ) in diesem Beispiel auf [0, ∞) punktweise gegen f = 0.
Bemerkung 21.3. (a) In Epsilons ausgedrückt bedeutet punktweise Konver-
genz einer Funktionenfolge (fn ) auf einer Menge D ⊆ K:

∀ε > 0 ∀x ∈ D ∃n0 = n0 (ε, x) ∈ N ∀n ≥ n0 : |fn (x) − f (x)| < ε. (21.1)

Eine entsprechende Aussage lässt sich natürlich auch für Funktionenreihen


hinschreiben, wenn man beachtet, dass Konvergenz der Reihe nichts anderes
als die Konvergenz der Folge der Partialsummen bedeutet.
(b) Schauen wir uns noch einmal unser drittes Beispiel von oben an, vgl. Ab-
bildung 21.1, so sehen wir rechnerisch sofort ein, dass diese Funktionenfolge
punktweise gegen die Nullfunktion konvergiert. Schaut man sich jedoch für
jedes n ∈ N den größten Abstand des Funktionsgraphen der Funktion fn
von der x-Achse und damit vom Graphen der Nullfunktion an, so weigert
sich dieser hartnäckig gegen Null zu streben, sondern bleibt immer konstant
1/2. Rechnerisch, sieht man das daran, dass für alle n ∈ N gilt

1 1 n n1 1 1
fn −f = 2 1 2 −0 = = . (21.2)
n n 1 + n (n) 1+1 2
Wir wollen im Folgenden einen weiteren, restriktiveren Konvergenzbegriff
einführen, der solch ein Konvergenzverhalten nicht mehr toleriert“.

142
Abbildung 21.1.: Die Graphen der ersten vier Funktionen in der Funktionenfolge
aus Beispiel 21.2 (c).

Definition 21.4. Es sei D ⊆ K, f : D → K und für jedes n ∈ N seien Funktio-


nen fn : D → K gegeben.
(a) Die Funktionenfolge (fn ) konvergiert gleichmäßig auf D gegen f , falls für
jedes ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N existiert, so dass

|fn (x) − f (x)| < ε für alle n ≥ n0 und alle x ∈ D

gilt.
P
(b) Die Funktionenreihe ∞ n=1 fn konvergiert gleichmäßig auf D gegen s, wenn
für jedes ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N existiert, so dass
n
X
fk (x) − s(x) < ε für alle n ≥ n0 und alle x ∈ D
k=1

gilt.
P
(c) Die Funktionenfolge (fn ) (bzw. Funktionenreihe ∞ n=1 fn ) konvergiert lokal
gleichmäßig auf D gegen f (bzw. s), wenn für jedes K ⊆ D kompakt ihre
Einschränkungen auf K gleichmäßig gegen f (bzw. s) konvergieren.
Bemerkung 21.5. (a) Schreiben wir nun auch die Bedingung für gleichmäßige
Konvergenz in Epsilontisch, so erhalten wir

∀ε > 0 ∃n0 = n0 (ε) ∈ N ∀n ≥ n0 ∀x ∈ D : |fn (x) − f (x)| < ε.

143
21. Funktionenfolgen und -reihen

Vergleichen wir mit der entsprechenden Definition der punktweisen Kon-


vergenz aus (21.1), so sehen wir den Unterschied: Der Quantor ∀x ∈ D“

ist von vorne nach hinten gerutscht. Das macht einen großen Unterschied.
Bei punktweiser Konvergenz dürfen wir bei der Auswahl des n0 sowohl die
zugelassene Abweichung von der Grenzfunktion ε als auch den Wert für x
einfließen lassen und für verschiedene x unter Umständen verschiedene n0
wählen, während es bei gleichmäßiger Konvergenz zu jedem ε ein n0 geben
muss, das für alle x ∈ D das selbe ist. Wir brauchen in diesem Sinne ein
universelles oder eben gleichmäßiges n0 , dass für alle x ∈ D simultan den
Abstand |fn (x) − f (x)| kleiner als ε garantiert.

(b) Obige Überlegung zeigt auch sofort, dass jede Funktionenfolge, die gleich-
mäßig gegen eine Funktion f konvergiert, insbesondere auch punktweise
gegen die selbe Funktion konvergiert: Wenn wir ein universelles n0 haben,
erfüllt dieses die Konvergenzbedingung natürlich auch für jedes x ∈ D
einzeln.

(c) Anschaulich bedeutet gleichmäßige Konvergenz gegen f , dass die Graphen


der Funktionen fn ab einem gewissen n0 alle ganz in einem ε-Streifen um
den Graphen der Funktion f liegen, vgl. Abbildung 21.2.

f(x)

ε
ε
x

Abbildung 21.2.: Der ε-Streifen um den Graphen der Grenzfunktion f .

Betrachten wir wieder das Beispiel 21.2 (c) von oben, so sehen wir, dass das
eben nicht der Fall ist. So verlässt jede Funktion fn irgendwo den Streifen
um die x-Achse mit Breite 1/4.

Beispiel 21.6. Wir betrachten im Lichte der neuen Definition noch einmal (a)
und (c) aus Beispiel 21.2. Beide Funktionenfolgen sind nicht gleichmäßig konver-
gent.
Für das Beispiel
nx
fn (x) = , x ∈ [0, ∞),
1 + n2 x2

144
folgt das direkt aus (21.2), denn für ε := 1/4 gibt es für jedes n ∈ N ein x ∈ [0, ∞),
für das |fn (x) − f (x)| ≥ ε gilt.
Für
fn (x) = xn , x ∈ [0, 1],

erhält man wegen 1/ n 2 ∈ (0, 1) für alle n ∈ N
 1   1   1 n 1
fn √ − f √ = √ −0 =
n
2 n
2 n
2 2
auf dem gleichen Wege, dass die Funktionenfolge nicht gleichmäßig konvergiert.
Die Frage der gleichmäßigen Konvergenz hängt manchmal sehr stark vom be-
trachteten Intervall ab, was nicht weiter verwundert, denn je größer dieses ist,
desto mehr x muss ein zu vorgegebenem ε gewähltes n0 gleichzeitig verarzten.
Schauen wir nochmals die obigen Beispiele an, so sehen, wir, dass bei (a) das
Problem bei x = 1 liegt und bei (c) bei x = 0. Halten wir uns von diesen beiden
Punkten fern, so können wir tatsächlich gleichmäßige Konvergenz nachweisen.
Beispiel 21.7. (a) Wählen wir ein α ∈ (0, 1), setzen wir D̃ := [0, α] und be-
trachten nun auf dieser Menge die Funktionenfolge
fn (x) := xn , x ∈ D̃,
so gilt für alle x ∈ D̃ die Abschätzung |fn (x) − f (x)| = |xn − 0| = xn ≤ αn .
(Man beachte, dass die Grenzfunktion auf D̃ nun die Nullfunktion ist.) Sei
nun ε > 0 gegeben. Dann gibt es ein n0 = n0 (ε) ∈ N, so dass αn < ε für
alle n ≥ n0 ist, da limn→∞ αn = 0 ist. Also gilt
|fn (x) − f (x)| ≤ αn < ε für alle n ≥ n0 und alle x ∈ D̃
und das ist genau die Bedingung für gleichmäßige Konvergenz.
Zusammengefasst ist die Funktionenfolge (xn ) also gleichmäßig konvergent
auf jedem Intervall der Form [0, α] mit 0 < α < 1, aber nicht auf [0, 1]. Auf
diesem ist sie aber noch punktweise konvergent.
Jede kompakte Teilmenge von [0, 1) ist in einem Intervall der Form [0, α]
mit α ∈ (0, 1) enthalten. Also haben wir lokal gleichmäßige Konvergenz auf
[0, 1). Achtung: Diese Funktionenfolge konvergiert nicht lokal gleichmäßig
auf [0, 1]! Warum?
(b) Für ein α > 0 setzen wir nun D̃ := [α, ∞) und betrachten darauf die
Funktionenfolge
nx
fn (x) = , x ∈ D̃.
1 + n2 x2
Dann gilt für jedes n ∈ N
nx nx 1 1
|fn (x) − f (x)| = ≤ = ≤ .
1 + n2 x2 n2 x2 nx nα

145
21. Funktionenfolgen und -reihen

Für jedes ε > 0 gibt es nun ein n0 ∈ N mit 1/(nα) < ε für alle n ≥ n0 , also
gilt
1
|fn (x) − f (x)| ≤ < ε für alle n ≥ n0 und alle x ∈ D̃.

Zusammenfassend ist diese Funktionenfolge also auf jedem Intervall der
Form [α, ∞) für α > 0 gleichmäßig konvergent, aber nicht auf [0, ∞). Lokal
gleichmäßige Konvergenz haben wir in diesem Fall auf (0, ∞), aber ebenfalls
nicht auf [0, ∞).
Beim Nachweis der gleichmäßigen Konvergenz in obigem Beispiel haben wir je-
weils das folgende allgemeine Prinzip verwendet.
Satz 21.8. Es sei D ⊆ K und (fn ) eine Funktionenfolge auf D sowie f : D → K
eine Funktion. Gibt es eine Nullfolge (αn ), so dass
|fn (x) − f (x)| ≤ αn für fast alle n ∈ N und alle x ∈ D
gilt, so konvergiert (fn ) gleichmäßig auf D gegen f .
Der Beweis verläuft genau wie in obigem Beispiel. Führen Sie ihn dennoch zu
Übungszwecken aus.
Übungsaufgabe 21.9. Es sei D ⊆ K und (fn ) eine Funktionenfolge auf D.
(a) Ist (fn ) gleichmäßig konvergent gegen f : D → K, so konvergiert auch die
Folge (|fn |) gleichmäßig auf D und zwar gegen |f |.
(b) Die Funktionenfolge (fn ) konvergiert genau dann gleichmäßig gegen f :
D → K, wenn limn→∞ supx∈D |fn (x) − f (x)| = 0 gilt. Ist die Funktion
f beschränkt, so gilt in diesem Fall außerdem limn→∞ supx∈D |fn (x)| =
supx∈D |f (x)|.
Satz 21.10 (Majorantenkriterium für Funktionenreihen). Es seien D ⊆ K und
(fn ) eine Funktionenfolge auf D. Gibt es dann eine Folge (cn ) in R, so dass
P ∞
n=1 cn konvergiert und

|fn (x)| ≤ cn für fast alle n ∈ N und alle x ∈ D,


P
so konvergiert die Funktionenreihe ∞ n=1 fn auf D gleichmäßig.
P∞
Beweis. Zuerst beobachten wir, dass für jedes x ∈ D die Reihe n=1 fn (x)
die Voraussetzungen des Majorantenkriteriums für Reihen in Satz 13.5 – bzw.
Satz 17.13 für K = C – erfüllt. Also ist die betrachtete Funktionenreihe punkt-
weise absolut konvergent. Weiter gilt für jedes x ∈ D und alle ausreichend großen
n∈N
X n ∞
X ∞
X X∞ ∞
X
fk (x) − fk (x) = fk (x) ≤ |fk (x)| ≤ ck =: αn .
k=1 k=1 k=n+1 k=n+1 k=n+1

Da die Reihe über die cn , n ∈ N, konvergiert, ist die Folge der Reihenreste (αn )
nach Satz 11.8 (b) eine Nullfolge. Damit folgt die Behauptung aus Satz 21.8.

146
Wir bestätigen uns nun erneut, dass Potenzreihen etwas Freundliches sind und
beweisen, dass diese (als Funktionenreihen aufgefasst) auf ihrem Konvergenzbe-
reich sogar lokal gleichmäßig gegen ihre Summenfunktion konvergieren.
P
Satz 21.11. Es sei ∞ n
n=0 an x eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0.
Dann konvergiert die Potenzreihe (als Funktionenreihe aufgefasst) lokal gleich-
mäßig auf Ur (0).
Beweis. Die Potenzreihe ist eine Funktionenreihe, bei der über die Funktionen
fn (x) = an xn , n ∈ N, summiert wird.
Es sei K ⊆ Ur (0) kompakt. Da die Betragsfunktion stetig und K kompakt ist,
gibt es nach Satz 20.7 ein x0 ∈ K mit |x0 | = max{|x| : x ∈ K}. Weiter ist
K ⊆ Ur (0), also bekommen wir

̺ := max{|x| : x ∈ K} = |x0 | < r.

Damit gilt |x| ≤ ̺ < r für alle x ∈ K. Das bedeutet

|fn (x)| = |an xn | = |an ||x|n ≤ |an |̺n =: cn .


P
Da ̺ ∈ (−r, r) gilt, konvergiert die Reihe ∞ n=1 cn nach dem Satz von Hada-
mard. Damit ist diese eine konvergente Majorante und die Behauptung folgt aus
Satz 21.10.
Um zu sehen, dass eine Potenzreihe im Allgemeinen nicht gleichmäßig auf dem
vollen Konvergenzintervall konvergiert, kann dass das folgende Beispiel dienen.
P
Übungsaufgabe 21.12. Die geometrische Reihe ∞ n
n=0 x ist auf (−1, 1) nicht
gleichmäßig konvergent.
Wir zeigen nun, dass gleichmäßige Konvergenz Stetigkeit erhält, eine sehr wichtige
Konsequenz dieser Eigenschaft.
P
Satz 21.13. Es sei D ⊆ K und (fn ) sei eine Funktionenfolge (bzw. ∞ n=1 fn eine
Funktionenreihe) auf D, die auf D lokal gleichmäßig gegen eine Funktion f (bzw.
s) konvergiere. Sind die Funktionen fn für alle n ∈ N in einem Punkt x0 ∈ D
stetig, so ist auch die Grenzfunktion f (bzw. die Summenfunktion s) in x0 stetig.
Beweis. Wir führen den Beweis im Fall von Funktionenfolgen.
Sei (xk ) eine Folge in D, die gegen x0 konvergiert. Nach Satz 19.2 müssen wir
zeigen, dass limk→∞ f (xk ) = f (x0 ) ist.
Sei ε > 0. Wir betrachten {xk : k ∈ N0 }, d. h. die Menge aller Folgenglieder von
(xk ) zusammen mit dem Grenzwert. Dank der Konvergenz von (xk ) ist das eine
abgeschlossene und beschränkte und damit kompakte Teilmenge von D. Wegen
der lokal gleichmäßigen Konvergenz von (fn ) gibt es also ein m ∈ N, sodass
ε
|fm (xk ) − f (xk )| < für alle k ∈ N0
3

147
21. Funktionenfolgen und -reihen

gilt.
Weiter ist nach Voraussetzung die Funktion fm stetig, also gibt es ein δ > 0, so
dass
ε
|fm (x) − fm (x0 )| < für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ
3
ist. Sei nun k0 so gewählt, dass |xk − x0 | < δ für alle k ≥ k0 ist. Dann gilt für alle
k ≥ k0 durch Kombination dieser Überlegungen

|f (xk ) − f (x0 )| = f (xk ) − fm (xk ) + fm (xk ) − fm (x0 ) + fm (x0 ) − f (x0 )


≤ f (xk ) − fm (xk ) + fm (xk ) − fm (x0 ) + fm (x0 ) − f (x0 )
ε ε ε
< + + = ε.
3 3 3
Bemerkung 21.14. (a) Wir können Satz 21.13 auch folgendermaßen formu-
lieren: Konvergiert eine Funktionenfolge (fn ) auf D lokal gleichmäßig gegen
f und sind alle Funktionen fn in x0 ∈ D stetig, so gilt

lim lim fn (x) = lim f (x) = f (x0 ) = lim fn (x0 ) = lim lim fn (x).
x→x0 n→∞ x→x0 n→∞ n→∞ x→x0

Wir haben in diesem Satz also gezeigt, dass man bei gleichmäßig konver-
genten Funktionenfolgen den Konvergenz-Limes mit dem Stetigkeits-Limes
vertauschen kann. Dieses Vertauschen von Grenzwerten ist im Allgemeinen
nicht erlaubt, vgl. Warnung 8.4, und insofern sind Sätze dieser Art, die ein
Vertauschen gestatten, sehr wertvoll.
Tatsächlich ist diese Vertauscherei für nur punktweise Konvergenz im All-
gemeinen falsch. Beispielsweise gilt für unsere Funktionenfolge aus Bei-
spiel 21.2 (a)

lim lim xn = lim 0 = 0 6= 1 = lim 1 = lim lim xn .


x→1− n→∞ x→1− n→∞ n→∞ x→1−

(b) Satz 21.13 gibt außerdem noch ein manchmal sehr brauchbares Kriterium
ab, um nachzuweisen, dass eine punktweise konvergente Funktionenfolge
oder -reihe nicht gleichmäßig konvergiert. Sind nämlich alle Folgenglieder
(bzw. alle Summanden) stetige Funktionen, aber die punktweise Grenzfunk-
tion ist unstetig, so kann die Konvergenz nach diesem Satz nicht gleichmäßig
sein.

148
22. Gleichmäßige Stetigkeit
Wir bekommen es in diesem Abschnitt mit einem ähnlichen Phänomen wie bei
der Unterscheidung zwischen punktweiser und gleichmäßiger Konvergenz zu tun.
Erinnern wir uns an die Definition der Stetigkeit, so war f : D → K in einem
Punkt x0 ∈ D genau dann stetig, wenn
∀ε > 0 ∃δ = δ(ε, x0 ) > 0 ∀x ∈ D mit |x − x0 | < δ gilt |f (x) − f (x0 )| < ε.
Das zu bestimmende δ darf hierbei außer von ε, von dem es logischerweise
abhängen muss, auch von x0 abhängen. Es liegt also nahe, ähnlich wie bei der
Konvergenz von Funktionenfolgen eine Stetigkeit von höherer Qualität“ zu de-

finieren, bei der das δ gleichmäßig in x0 ∈ D gewählt werden muss.
Dass das tatsächlich zu einem restriktiveren Begriff führt, zeigt das folgende Bei-
spiel.
f(x) = x 2

f(x1) εε

f(x0) εε
x
x0 1 x1

Abbildung 22.1.: Die Abhängigkeit des Stetigkeits-Deltas von x0

Beispiel 22.1. Es sei D = [0, ∞) und f (x) = x2 , x ∈ D, vgl. Abbildung 22.1.


Diese Funktion ist offensichtlich stetig, beispielsweise weil sie durch eine Potenz-
reihe mit Konvergenzradius unendlich dargestellt wird. Also gibt es zu jedem
x0 > 0 und jedem ε > 0 ein δ > 0, so dass
|x2 − x20 | < ε

149
22. Gleichmäßige Stetigkeit

für alle x > 0 mit |x − x0 | < δ gilt. Können wir aber dieses δ unabhängig von
x0 wählen? Die Antwort ist Nein, denn wenn wir x = x0 + δ/2 setzen, so gilt
|x − x0 | = δ/2 < δ, aber damit ist auch
 δδ δ2
2
ε > |x − x20 | = |x + x0 ||x − x0 | = 2x0 + = δx0 + .
2 2 4
Insbesondere ist damit δx0 < ε, d. h.
ε
δ< .
x0
Je größer also das x0 wird, umso kleiner müssen wir bei gegebenem ε das δ
wählen. Anschaulich liegt das daran, dass der Graph der Funktion für große x
immer weiter ansteigt, wenn wir also im Bildbereich nur eine Abweichung von
ε um das f (x0 ) zulassen, wird der verfügbare Platz für das δ auf der x-Achse
immer geringer je weiter wir mit dem x0 nach rechts rutschen.
Wir wollen nun die gleichmäßige Stetigkeit exakt definieren.
Definition 22.2. Es sei D ⊆ K. Dann heißt f : D → K gleichmäßig stetig auf
D, falls für jedes ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 existiert, so dass

|f (x) − f (y)| < ε für alle x, y ∈ D mit |x − y| < δ gilt.

Bemerkung 22.3. (a) Es ist klar, dass eine Funktion, die auf einer Menge D
gleichmäßig stetig ist, auch auf dieser Menge stetig ist, also zu C(D, K)
gehört. Die Umkehrung gilt i.A. nicht, wie Beispiel 22.1 zeigt.

(b) Wie bei der gleichmäßigen Konvergenz auch, ist die Frage, ob eine stetige
Funktion sogar gleichmäßig stetig ist, sehr vom zu Grunde gelegten Defini-
tionsbereich abhängig. Es ist eine Eigenschaft, die der Funktion auf einer
Menge zukommt. Es ist deshalb im Gegensatz zur Stetigkeit nicht sinnvoll
von gleichmäßiger Stetigkeit in einem Punkt“ zu sprechen.

Wir wollen nun einen Fall behandeln, in dem Stetigkeit und gleichmäßige Stetig-
keit tatsächlich zusammenfallen.
Satz 22.4. Ist K ⊆ K kompakt und f ∈ C(K, K), so ist f gleichmäßig stetig auf
K.
Beweis. Wir nehmen an, f wäre nicht gleichmäßig stetig auf K. Nun müssen
wir unsere Gesellenprüfung in elementarer Logik ablegen und die Definition der
gleichmäßigen Stetigkeit negieren. Am besten macht man das ganz formal und
ohne viel nachzudenken mit den Quantoren. Wir schreiben uns noch einmal hin,
was gleichmäßige Stetigkeit bedeutet:

∀ε > 0 ∃δ > 0, so dass ∀x, y ∈ K mit |x − y| < δ gilt |f (x) − f (y)| < ε.

150
Beim Negieren müssen wir aus jedem ∀ ein ∃ und aus jedem ∃ ein ∀ machen sowie
die Aussage negieren. Das ergibt: f ist auf K nicht gleichmäßig stetig, falls
∃ε0 > 0 ∀δ > 0 ∃x = x(δ) ∈ K ∃y = y(δ) ∈ K mit |x − y| < δ,
so dass |f (x) − f (y)| ≥ ε0 .
Nun machen wir uns klar, was wir da bekommen haben. Nach Annahme gibt es
ein ε0 > 0, so dass für alle δ > 0 etwas gilt. Wir begnügen uns damit, alle δ
anzuschauen, die von der Form 1/n für ein n ∈ N sind. Also gibt es ein ε0 > 0, so
dass für alle n ∈ N zwei Zahlen xn , yn ∈ K existieren, für die zum einen
1
|xn − yn | < δ = und zum anderen |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε0
n
gilt. Nun ist die Folge (xn ) eine Folge in der kompakten Menge K, d. h. sie ist ins-
besondere beschränkt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß 10.1 – bzw. 17.11
im Fall K = C – besitzt sie damit eine konvergente Teilfolge (xnk ) und es gilt
x0 := limk→∞ xnk ∈ K, da K abgeschlossen ist. Betrachten wir die Folge (ynk ),
so bekommen wir
ynk = xnk + (ynk − xnk ).
Der erste Summand auf der rechten Seite konvergiert gegen x0 nach Konstruktion
und wegen |xn − yn | < 1/n für alle n ∈ N konvergiert der zweite gegen Null. Also
sind beide Summanden auf der rechten Seite für k → ∞ konvergent, was bedeutet,
dass auch die Folge (ynk ) für k → ∞ konvergiert mit limk→∞ ynk = x0 . Da f in
x0 stetig ist, gilt

lim |f (xnk ) − f (ynk )| ≤ lim |f (xnk ) − f (x0 )| + |f (x0 ) − f (ynk )| = 0 + 0 = 0,
k→∞ k→∞

was im Widerspruch zu |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε0 für alle n ∈ N steht. Also muss f


gleichmäßig stetig in K sein.
Wir führen noch einen weiteren Stetigkeitsbegriff ein.
Definition 22.5. Es sei D ⊆ K und f : D → K eine Funktion. Diese heißt
Lipschitz-stetig, falls eine Konstante L > 0 existiert, so dass
|f (x) − f (y)| ≤ L|x − y|
für alle x, y ∈ D gilt.
Bemerkung 22.6. Man kann sich leicht überlegen, dass der Begriff der Lipschitz-
Stetigkeit sogar ein noch stärkerer als der der gleichmäßigen Stetigkeit ist, denn
wenn f Lipschitz-stetig und ε > 0 ist, so gilt für jedes 0 < δ < ε/L sofort
ε
|f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| < L = ε
L
für alle x, y ∈ D mit |x − y| < δ. Man beachte, dass das δ nur von ε und nicht
von x oder y abhängt, also ist f tatsächlich gleichmäßig stetig. Die Umkehrung
ist auch hier wieder i.A. falsch, wie das folgende Beispiel zeigt.

151
22. Gleichmäßige Stetigkeit


Beispiel 22.7. Wir setzen D = [0, 1] und f (x) = x. Dann ist f nach Satz 7.6
stetig und nach Satz 22.4 auch gleichmäßig stetig auf D. Nehmen wir aber an, es
gäbe ein L ≥ 0, so dass für alle x, y ∈ D gilt
√ √
| x − y| ≤ L|x − y|,

so folgt für die spezielle Wahl y = 0 sofort x ≤ Lx, d. h.
1
L ≥ √ für alle x ∈ (0, 1].
x

Also ist f nicht Lipschitz-stetig.

152
23. Differenzierbarkeit
Schon aus der Schule werden Sie das Thema dieses Abschnitts kennen. Man
möchte das Änderungsverhalten einer Funktion in einem Punkt, d. h. anschaulich
gesprochen die Steigung des Funktionsgraphen an dieser Stelle quantitativ fassen.
Dazu nähert man die Tangentensteigung mit den bekannten Sekantensteigungen
an und kommt auf den Differenzenquotienten. Dessen Grenzwert, die Ableitung,
gibt dann die Steigung an. Auch die Differenzierbarkeit einer Funktion ist so im
Grunde nichts anderes als ein Grenzwertproblem, das wir mit unseren bisherigen
Erkenntnissen behandeln können.
Bei allem was mit ableiten zu tun hat, werden wir hier nur Funktionen mit
Definitionsbereich in R anschauen. Die Übertragung der Differenzialrechnung ins
Komplexe, also für Funktionen mit komplexen Argumenten wird uns dann in
der Analysis III ausführlicher beschäftigen, denn der Differenzierbarkeitsbegriff
verhält sich im komplexen völlig anders als im reellen.
In diesem Abschnitt sei I ⊆ R immer ein Intervall.

Definition 23.1. (a) Es sei x0 ∈ I. Eine Funktion f : I → K heißt differen-


zierbar in x0 , wenn der Grenzwert

f (x) − f (x0 )
lim
x→x0 x − x0
in K existiert. In diesem Fall heißt dieser Grenzwert die Ableitung von f
in x0 und wird mit f ′ (x0 ) bezeichnet.

(b) Eine Funktion f : I → K heißt differenzierbar auf I, falls sie in allen


Punkten x0 ∈ I differenzierbar ist. In diesem Fall wird durch x 7→ f ′ (x)
für x ∈ I eine Funktion f ′ : I → K definiert. Diese Funktion heißt die
Ableitung oder auch Ableitungsfunktion von f auf I.

Bemerkung 23.2. Es ist nicht schwer sich klarzumachen, dass der Grenzwert
in obiger Definition genau dann existiert, wenn der Grenzwert

f (x0 + h) − f (x0 )
lim
h→0 h
existiert, und dass dann diese beiden Limites übereinstimmen. Man kann also je
nachdem, was in der jeweiligen Situation übersichtlicher erscheint, den einen oder
den anderen Grenzwert untersuchen.

153
23. Differenzierbarkeit

Beispiel 23.3. (a) Es sei zunächst f (x) = c ∈ K konstant für alle x ∈ I. Dann
ist f in I differenzierbar und es gilt f ′ (x) = 0 für alle x ∈ I.
(b) Wir betrachten I = R, x0 = 0 und

f (x) = |x|, x ∈ R.

Dann gilt (
f (x) − f (x0 ) |x| 1, für x > 0,
= =
x − x0 x −1, für x < 0.
Also existiert der Grenzwert dieses Ausdrucks für x → x0 = 0 nicht, d. h.
f ist in 0 nicht differenzierbar. Man beachte, dass f aber in 0 stetig ist.
Wir haben soeben gesehen, dass es stetige Funktionen gibt, die nicht differen-
zierbar sind. Wir wollen nun zeigen, dass aber umgekehrt jede differenzierbare
Funktion notwendigerweise stetig ist.
Satz 23.4. Es sei f : I → K in x0 ∈ I differenzierbar. Dann ist f stetig in x0 .
Beweis. Es gilt
 f (x) − f (x0 )
lim f (x) − f (x0 ) = lim f (x) − f (x0 ) = lim (x − x0 )
x→x0 x→x0 x→x0 x − x0
= f ′ (x0 ) · 0 = 0.

Damit haben wir limx→x0 f (x) = f (x0 ), also ist f in x0 stetig.


Wir berechnen beispielhaft noch weitere Ableitungen.
Beispiel 23.5. (a) Es sei I = R und n ∈ N. Wir betrachten

f (x) = xn , x ∈ R.

Dann gilt nach Satz 3.11 (c) für alle x, x0 ∈ R mit x 6= x0

X n−1
f (x) − f (x0 ) xn − xn0
= = xk x0n−1−k .
x − x0 x − x0 k=0

Also ist
n−1
X n−1
X
f (x) − f (x0 ) k n−1−k
lim = lim x x0 = lim xk x0n−1−k
x→x0 x − x0 x→x0
k=0 k=0
x→x0

n−1
X
= x0n−1 = nx0n−1 .
k=0

Damit ist f auf R differenzierbar und es gilt (xn )′ = nxn−1 .

154
(b) Es sei wieder I = R und jetzt

f (x) = exp(x) = ex , x ∈ R.

Dann gilt
f (x0 + h) − f (x0 ) ex0 +h − ex0 ex0 eh − ex0
= =
h h h
h
e − 1
= ex0 −→ ex0 (h → 0)
h
mit Hilfe von Beispiel 19.6 (c). Also ist die Exponentialfunktion auf R
differenzierbar und es gilt exp′ (x) = ex = exp(x).
Die folgende Umformulierung von Differenzierbarkeit ist im Moment noch von
rein theoretischem Interesse, sie wird uns aber im nächsten Semester in großer
Notlage retten. Der Beweis ist eine schöne Übung in Funktionengrenzwerten.
Satz 23.6. Eine Funktion f : I → K ist in x0 ∈ I genau dann differenzierbar
mit f ′ (x0 ) = a, wenn

f (x) = f (x0 ) + a(x − x0 ) + r(x), x ∈ I,

ist mit einer Funktion r : I → K, für die gilt


r(x)
lim = 0.
x→x0 |x − x0 |

Um kompliziertere Ableitungen berechnen zu können, brauchen wir Rechenregeln.


Einen ersten Satz wollen wir jetzt beweisen.
Satz 23.7. Es seien f, g : I → K in x0 ∈ I differenzierbar und α, β ∈ K. Dann
gilt
(a) αf + βg ist in x0 differenzierbar und

(αf + βg)′(x0 ) = αf ′ (x0 ) + βg ′(x0 ). (Linearität)

(b) f g ist differenzierbar in x0 und

(f g)′(x0 ) = f ′ (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g ′ (x0 ). (Produktregel)

(c) Ist g(x0 ) 6= 0, so existiert ein Intervall J ⊆ I mit x0 ∈ J und g(x) 6= 0 für
alle x ∈ J. Außerdem ist die Funktion f/g : J → K differenzierbar in x0
und es gilt
 f ′ f ′ (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g ′ (x0 )
(x0 ) = 2 . (Quotientenregel)
g g(x0 )

155
23. Differenzierbarkeit

(d) Im Falle K = C sind auch f : I → C sowie Ref, Imf : I → R differenzierbar


in x0 mit (f )′ (x0 ) = f ′ (x0 ) sowie (Ref )′ (x0 ) = Re(f ′ (x0 )) und (Imf )′ (x0 ) =
Im(f ′ (x0 )).
Beweis. Die Aussagen (a) und (b) behandeln wir als Übungsaufgaben.
Zum Beweis von (c) müssen wir zuerst die Existenz von J begründen. Da g
in x0 stetig ist, gibt es ein δ > 0, so dass |g(x) − g(x0 )| < |g(x0 )|/2 für alle x ∈
(x0 −δ, x0 +δ) =: J gilt. Für diese x ist dann |g(x)| > |g(x0 )|/2 > 0, also insbesondere
g(x) 6= 0.
Weiter gilt
f (x) f (x0 )
g(x)
− g(x0 ) 1 f (x)g(x0 ) − f (x0 )g(x)
= ·
x − x0 g(x)g(x0 ) x − x0
1 f (x)g(x0 ) − f (x0 )g(x0 ) + f (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g(x)
= ·
g(x)g(x0 ) x − x0
1  f (x) − f (x0 ) g(x) − g(x0 ) 
= g(x0 ) − f (x0 ) .
g(x)g(x0 ) x − x0 x − x0
Da g in x0 differenzierbar ist, ist diese Funktion insbesondere in x0 stetig (vgl.
Satz 23.4), also können wir in obiger Gleichung zum Grenzwert x → x0 übergehen
und erhalten die Behauptung.
Es bleibt noch (d) zu zeigen. Nach den Rechenregeln für die komplexe Konjuga-
tion, vgl. Satz 17.6, und Dank Satz 19.4, gilt
 
′ f (x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 )
(f ) (x0 ) = lim = lim = lim
x→x0 x − x0 x→x0 x − x0 x→x0 x − x0
f (x) − f (x0 )
= lim = f ′ (x0 ).
x→x0 x − x0
Die Differenzierbarkeit von Ref und Imf folgt jetzt aus Ref = f +f/2 und Imf =
f −f/2i, in Zusammenarbeit mit (a).

Es folgt sogleich die Rechenregel für die Verkettung differenzierbarer Funktionen.


Satz 23.8 (Kettenregel). Es seien I, J ⊆ R Intervalle und g : I → R sei dif-
ferenzierbar in x0 ∈ I. Weiter gelte g(I) ⊆ J und die Funktion f : J → K
sei differenzierbar in y0 = g(x0 ). Dann ist auch die Funktion f ◦ g : I → K
differenzierbar in x0 und es gilt
(f ◦ g)′ (x0 ) = f ′ (g(x0 )) · g ′(x0 ).
Beweis. Wir betrachten die Hilfsfunktion f˜ : J → K mit

 f (y) − f (y0 ) , für y ∈ J mit y 6= y0 ,
f˜(y) = y − y0
 ′
f (y0 ), für y = y0 .

156
Dann gilt
f˜(y)(y − y0 ) = f (y) − f (y0 ) (23.1)
für alle y ∈ J (auch für y0 !). Da f in y0 differenzierbar ist, haben wir nun

lim f˜(y) = f˜(y0 ) = f ′ (y0 ) = f ′ (g(x0 )),


y→y0

insbesondere ist f˜ stetig in y0 . Nach Satz 23.4 ist g stetig in x0 , und da die
Verkettung von stetigen Funktionen wieder stetig ist, sehen wir damit

lim f˜(g(x)) = f˜(g(x0 )) = f ′ (g(x0 )).


x→x0

Daher folgt schließlich mit Hilfe von (23.1)



f (g(x)) − f (g(x0 )) f˜(g(x)) g(x) − g(x0 )
=
x − x0 x − x0
g(x) − g(x0 )
= f˜(g(x)) −→ f ′ (g(x0 )) · g ′ (x0 ) (x → x0 ).
x − x0
Beispiel 23.9. Es sei a > 0 gegeben. Dann betrachten wir auf I = R die Funktion

ϕ(x) := ax , x ∈ R.

Dann ist nach Definition ϕ(x) = ex ln a . Um die Kettenregel anzuwenden setzen wir
f (y) := ey und g(x) := x ln(a). Dann ist ϕ = f ◦g. Da sowohl f als auch g auf ganz
R differenzierbar sind und f auf ganz R definiert ist, sind die Voraussetzungen
von Satz 23.8 erfüllt und es gilt

(ax )′ = f ′ (g(x))g ′(x) = eg(x) ln(a) = ex ln(a) ln(a) = ax ln(a).

Wir können sogar eine allgemeine Rechenregel für die Ableitung der Umkehr-
funktion angeben.

Satz 23.10. Es sei f : I → R stetig, streng monoton und in x0 ∈ I differenzierbar


mit f ′ (x0 ) 6= 0. Dann existiert die Umkehrfunktion f −1 : f (I) → R, diese ist
differenzierbar in y0 := f (x0 ) und es gilt
1
(f −1 )′ (y0 ) = .
f ′ (x0 )

Beweis. Die Existenz der Umkehrfunktion folgt sofort aus der strengen Monoto-
nie von f .
Zu gegebenem h 6= 0 setzen wir

k := f −1 (y0 + h) − f −1 (y0 ) = f −1 (y0 + h) − x0 .

157
23. Differenzierbarkeit

Da f −1 nach Satz 20.11 in y0 stetig ist, folgt aus h → 0 sofort k → 0. Außerdem


ist x0 + k = f −1 (y0 + h), d. h. f (x0 + k) = y0 + h und wir erhalten
h = f (x0 + k) − f (x0 ).

Das liefert schließlich


f −1 (y0 + h) − f −1 (y0) k 1
= −→ ′ (h → 0),
h f (x0 + k) − f (x0 ) f (x0 )
da f ′ (x0 ) 6= 0 gilt.
Bemerkung 23.11. Man beachte, dass die Voraussetzung f ′ (x0 ) 6= 0 notwendig
ist. Als Beispiel diene hierzu I = [0, ∞) und f (x) = x2 . Dann √
ist f ′ (x) = 2x und
′ −1
somit f (0) = 0. Tatsächlich ist die Umkehrfunktion f (x) = x in x0 = 0 nicht
differenzierbar, denn es gilt
√ √ √
x− 0 x 1
= = √ −→ ∞ (x → 0+).
x−0 x x
Beispiel 23.12. (a) Wir bestimmen die Ableitung des Logarithmus als Um-
kehrfunktion der Exponentialfunktion. Sei dazu I = R und f (x) = ex auf
I. Dann ist f −1 (x) = ln(x) für alle x ∈ (0, ∞) und mit Satz 23.10 gilt für
y = f (x) die Beziehung
1 1 1 1
(ln)′ (y) = (f −1 )′ (y) = = = ln(y) = , y ∈ (0, ∞).
f ′ (x) ex e y

(b) Damit bekommen wir dank der Kettenregel für jede auf I differenzierbare
Funktion f : I → R, die f (x) > 0 für alle x ∈ I erfüllt,
1 ′ f ′ (x)
(ln ◦f )′(x) = f (x) = , x ∈ I.
f (x) f (x)
Man nennt das die logarithmische Ableitung von f .
(c) Für x > 0, α ∈ R und f (x) := xα = eα ln(x) erhalten wir
α
f ′ (x) = eα ln(x) (α ln(x))′ = xα = αxα−1 .
x
Die Ableitungsregel für die Potenz mit natürlichem Exponenten aus Bei-
spiel 23.5 (a) verallgemeinert sich also auch auf die allgemeine Potenz, so-
lange x > 0.
Insbesondere haben wir im Fall α = 1/2
√ 1
( ·)′ (x) = √ , x > 0.
2 x

158
24. Eigenschaften differenzierbarer
Funktionen
Dieses Kapitel sammelt wichtige Sätze über differenzierbare Funktionen, ver-
gleichbar mit Kapitel 20 für stetige Funktionen. Wir beginnen mit dem Satz,
der im Zusammenhang mit Ableitungen in den verschiedensten Wissenschaften
wahrscheinlich am häufigsten verwendet wird. Er ermöglicht die Bestimmung von
Maximal- und Minimalstellen einer Funktion. Wir definieren zunächst genau was
wir damit meinen.
Definition 24.1. Es sei D ⊆ K und f : D → R eine Funktion.
(a) Man sagt, dass f in x0 ∈ D ein globales Maximum (bzw. globales Mini-
mum) hat, falls f (x) ≤ f (x0 ) (bzw. f (x) ≥ f (x0 )) für alle x ∈ D gilt.
(b) f hat in x0 ∈ D ein relatives Maximum (bzw. relatives Minimum), falls
ein δ > 0 existiert, so dass f (x) ≤ f (x0 ) (bzw. f (x) ≥ f (x0 )) für alle
x ∈ D ∩ Uδ (x0 ) gilt.
(c) Allgemein spricht man von einem globalen bzw. relativen Extremum in x0 ,
wenn f dort ein entsprechendes Maximum oder Minimum hat.
Bemerkung 24.2. Statt relatives“ Extremum/Maximum/Minimum ist auch

die Bezeichnung lokales Extremum/Maximum/Minimum üblich.
Satz 24.3. Es seien I ⊆ R ein offenes Intervall und f : I → R differenzierbar
in x0 ∈ I. Hat f in x0 ein relatives Extremum, so gilt f ′ (x0 ) = 0.
Warnung 24.4. Da dieser Satz so oft verwendet wird, wird er auch gerne falsch
verwendet. Darum hier (aus vielfach gegebenem Anlass) zwei Warnungen.
(a) Die Voraussetzung, dass f auf einem Intervall ohne Randpunkte als Defi-
nitionsbereich betrachtet wird, ist wesentlich. Ein einfaches Beispiel ist die
Funktion f (x) = x auf dem Intervall [0, 1]. Diese hat ein relatives Minimum
in x0 = 0, aber f ′ (0) = 1.
(b) Die Umkehrung gilt nicht! Das sieht man sofort an dem Beispiel f (x) = x3
auf I = R. Dann ist nämlich f ′ (x) = 3x2 , also f ′ (0) = 0, aber diese Funktion
hat in 0 kein Extremum, denn in jeder Umgebung Uδ (0) für δ > 0 liegen
Punkte mit f (x) > 0 = f (0), z. B. x = δ/2, und mit f (x) < 0 = f (0), z. B.
x = −δ/2.

159
24. Eigenschaften differenzierbarer Funktionen

Beweis von Satz 24.3. Wir gehen zunächst davon aus, dass f in x0 ein relatives
Maximum hat. Dann existiert ein δ > 0, so dass gleichzeitig Uδ (x0 ) ⊆ I und
f (x) ≤ f (x0 ) für alle x ∈ Uδ (x0 ) gilt. Die erste Bedingung können wir erfüllen,
weil x0 kein Randpunkt von I ist, die zweite ist genau die Definition des relativen
Maximums. Sei nun x ∈ Uδ (x0 ) aber x 6= x0 . Dann ist
(
f (x) − f (x0 ) ≤ 0, falls x > x0 ,
x − x0 ≥ 0, falls x < x0 .

Da f außerdem in x0 differenzierbar ist, muss damit gelten


f (x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 )
f ′ (x0 ) = lim ≤ 0 und f ′ (x0 ) = lim ≥ 0.
x→x0 + x − x0 x→x0 − x − x0
Also ist f ′ (x0 ) = 0.
Wir widmen uns nun dem Fall, dass f ein relatives Minimum in x0 hat. Dann
hat die Funktion −f in x0 ein relatives Maximum, denn es gibt ein δ > 0, so
dass für alle x ∈ Uδ (x0 ) die Ungleichung f (x) ≥ f (x0 ) erfüllt ist. Also ist für
alle diese x auch −f (x) ≤ −f (x0 ). Nach dem ersten Teil des Beweises gilt also
f ′ (x0 ) = −(−f )′ (x0 ) = −0 = 0.
Satz 24.5 (Mittelwertsatz der Differenzialrechnung). Seien a, b ∈ R mit a < b
und f : [a, b] → R sei stetig auf [a, b] und differenzierbar in (a, b). Dann gibt es
ein ξ ∈ (a, b), so dass
f (b) − f (a)
= f ′ (ξ), bzw. gleichbedeutend f (b) − f (a) = f ′ (ξ)(b − a)
b−a
gilt.
Anschaulich bedeutet dieser Satz, dass die Sekantensteigung der Funktion, die
man anhand der beiden Punkte a und b erhält, irgendwann dazwischen tatsächlich
als Tangentensteigung angenommen wird, vgl. Abbildung 24.1. Man kann sich das
verdeutlichen, indem man versucht, eine differenzierbare Funktion zu zeichnen,
für die das nicht gilt, was (hoffentlich) nicht klappen wird.
Beweis. Wir betrachten die Hilfsfunktion
f (b) − f (a)
g(x) := f (x) − f (a) − (x − a), x ∈ [a, b].
b−a
Dann ist offensichtlich auch g ∈ C([a, b], R) und g ist differenzierbar auf (a, b) mit
f (b) − f (a)
g ′(x) = f ′ (x) − , x ∈ (a, b).
b−a
Außerdem ist g(a) = g(b) = 0. Können wir nun zeigen, dass es ein ξ ∈ (a, b) gibt,
für das g ′ (ξ) = 0 gilt, so haben wir damit f ′ (ξ) = f (b)−f (a)/b−a und sind fertig.

160
y

f(b)
ante
Sek

e nte
Tang
f(a)
x
a ξ b

Abbildung 24.1.: Der Mittelwertsatz der Differenzialrechnung

Wir beobachten zunächst, dass im Fall g(x) = 0 für alle x ∈ [a, b] nichts mehr
zu tun ist, denn dann ist insbesondere g ′(x) = 0 für alle x ∈ (a, b). Es sei also
g nicht konstant. Da g eine stetige Funktion auf der kompakten Menge [a, b] ist,
gibt es nach Satz 20.7 Zahlen t, s ∈ [a, b], so dass

g(t) ≤ g(x) ≤ g(s) für alle x ∈ [a, b]

gilt. Wäre nun sowohl t ∈ {a, b}, als auch s ∈ {a, b}, so wäre g(s) = g(t) = 0 und
damit wieder g(x) = 0 für alle x ∈ [a, b], was wir gerade ausgeschlossen haben.
Es gilt also t ∈ (a, b) oder s ∈ (a, b), d. h. eins der beiden ist ein innerer Punkt
von [a, b]. Weiterhin hat g dort ein relatives Extremum. Also gilt nach Satz 24.3
g ′ (t) = 0 oder g ′(s) = 0 und der Beweis ist beendet.

Warnung 24.6. Die Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes auf komplexwertige


Funktionen ist im Allgemeinen falsch! Hier ist Vorsicht angebracht, auch im Hin-
blick auf alles, was im Folgenden mit Hilfe des Mittelwertsatzes bewiesen wird.
Manchmal kann man sich allerdings durch die getrennte Behandlung von Real-
und Imaginärteil einer komplexwertigen Funktion behelfen, vgl. den Beweis von
Satz 24.7 (c).

Wir wollen nun einige Folgerungen aus dem Mittelwertsatz ziehen.

Satz 24.7. (a) Es seien a, b ∈ R mit a < b und f : [a, b] → R sei stetig. Ist f
auf (a, b) differenzierbar und gilt f (a) = f (b), so gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit
f ′ (ξ) = 0. (Satz von Rolle)

(b) Es sei f : I → R auf dem Intervall I differenzierbar. Dann gilt

Ist f ′ = 0 auf I, so ist f auf I konstant.


Ist f ′ > 0 auf I, so ist f auf I streng monoton wachsend.

161
24. Eigenschaften differenzierbarer Funktionen

Ist f ′ < 0 auf I, so ist f auf I streng monoton fallend.


Ist f ′ ≥ 0 auf I, so ist f auf I monoton wachsend.
Ist f ′ ≤ 0 auf I, so ist f auf I monoton fallend.

(c) Sind f, g : I → K auf I differenzierbare Funktionen und gilt f ′ = g ′ auf I,


so gibt es eine Konstante c ∈ K, so dass f (x) = g(x) + c für alle x ∈ I gilt.
Beweis. (a) folgt direkt aus dem Mittelwertsatz.
(b) Es seien a, b ∈ I mit a < b. Dann gibt es nach dem Mittelwertsatz ein
ξ ∈ (a, b) mit f (b) − f (a) = (b − a)f ′ (ξ). Ist die Ableitung von f nun
konstant Null auf I, so muss also f (a) = f (b) gelten. Da a und b in I
beliebig waren, ist f auf I konstant,
Weiter ist der Ausdruck b − a immer positiv, also ergibt sich das Vorzeichen
von f (b) − f (a) direkt aus dem Vorzeichen von f ′ (ξ). Daraus kann man die
4 restlichen Behauptungen sofort ablesen.
(c) Mit f ′ = g ′ gelten auch (Re(f ))′ = Re(f ′ ) = Re(g ′ ) = (Re(g))′ und
(Im(f ))′ = Im(f ′ ) = Im(g ′ ) = (Im(g))′, vgl. Satz 23.7 (d). Wir setzen
h := Re(f ) − Re(g). Dann ist h′ = Re(f ′ ) − Re(g ′) = 0 auf I, d. h. h ist
konstant nach (b). Genauso erhält man, dass k := Im(f ) − Im(g) konstant
ist. Setzt man c = h(x0 ) + ik(x0 ) für ein x0 ∈ I, so gilt damit für alle x ∈ I
    
f (x) = Re f (x) + iIm f (x) = Re g(x) + h(x) + i Im g(x) + k(x)
= g(x) + h(x) + ik(x) = g(x) + h(x0 ) + ik(x0 ) = g(x) + c.
Schon an diesen reichhaltigen Folgerungen sieht man die Stärke des Mittelwertsat-
zes. Dieser ist aber auch im analytischen Alltag immer wieder ein unverzichtbares
Hilfmittel. Eine typische Anwendung zeigt das folgende Beispiel.
Beispiel 24.8. Wir zeigen, dass für alle a, b ≥ 1 die Ungleichung
√ √ |a − b|
a− b ≤
2
gilt. Dazu seien a, bó 1 gegeben. Wir wenden den Mittelwertsatz auf die Wur-
zelfunktion f (x) = x an und erhalten mit einem ξ zwischen a und b
√ √
a − b = f (a) − f (b) = f ′ (ξ)(a − b) = f ′ (ξ) |a − b|.
Da a und b größer oder gleich 1 sind, gilt ξ > 1, also ist
1 1
f ′ (ξ) = √ <
2 ξ 2
und wir erhalten
√ √ 1 |a − b|
a− b ≤ |a − b| = .
2 2

162
Satz 24.9 (verallgemeinerter Mittelwertsatz). Es seien a, b ∈ R mit a < b und
f, g : [a, b] → R seien stetig sowie differenzierbar auf (a, b). Ist g ′ (x) 6= 0 für alle
x ∈ (a, b), so gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a) f ′ (ξ)
= ′ .
g(b) − g(a) g (ξ)
Beweis. Wir betrachten die Hilfsfunktion
 
h(x) = f (b) − f (a) g(x) − g(b) − g(a) f (x).
Dann ist h ∈ C([a, b], R), differenzierbar in (a, b) und es gilt
h(a) = f (b)g(a) − f (a)g(a) − g(b)f (a) + g(a)f (a)
= f (b)g(b) − f (a)g(b) − g(b)f (b) + g(a)f (b) = h(b).
Also gibt es nach dem Satz von Rolle ein ξ ∈ (a, b) mit
 
0 = h′ (ξ) = f (b) − f (a) g ′(ξ) − g(b) − g(a) f ′ (ξ),
woraus wegen g ′ (x) 6= 0 für alle x ∈ I die Behauptung folgt.
Übungsaufgabe 24.10. Es sei f : I → R differenzierbar auf einem Intervall
I ⊆ R. Dann erfüllt f ′ die Zwischenwerteigenschaft, d. h. sind u, w ∈ f ′ (I) mit
u < w und y0 ∈ (u, w), so gibt es ein x0 ∈ I mit f ′ (x0 ) = y0 .
Anders formuliert: Für jede differenzierbare Funktion f : I → R ist f ′ (I) ein
Intervall (oder ein Punkt).
Beachten Sie bei Ihrem Beweis, dass f ′ nicht unbedingt stetig vorausgesetzt ist,
den Zwischenwertsatz können Sie also in der Tasche lassen.
Die Differenzierbarkeit gibt uns unter Anderem ein starkes Hilfsmittel zur Be-
stimmung von Grenzwerten bei Quotienten von Funktionen in die Hand, das wir
zum Abschluss dieses Abschnitts beweisen wollen.
Satz 24.11 (Satz von de l’Hospital). Es sei (a, b) ein offenes Intervall in R
(dabei ist hier a = −∞ oder b = ∞ zugelassen) und f, g : (a, b) → R seien
differenzierbar auf (a, b) mit g ′ (x) 6= 0 für alle x ∈ (a, b). Gilt dann
(I) lim f (x) = lim g(x) = 0 oder
x→a x→a

(II) lim g(x) = ±∞


x→a

und existiert der Grenzwert


f ′ (x)
L := lim
x→a g ′ (x)

oder hat dieser im Sinne von bestimmter Divergenz einen Wert ∞ oder −∞,
dann gilt
f (x)
lim = L.
x→a g(x)

Die Aussage dieses Satzes bleibt richtig, wenn man überall a durch b ersetzt.

163
24. Eigenschaften differenzierbarer Funktionen

Beweis. Wir betrachten den Fall (I) und gehen zunächst davon aus, dass a ∈ R
gilt. Dann setzen wir f und g durch f (a) := g(a) := 0 stetig fort und wählen
ein b̃ ∈ (a, b). Dann gilt f, g ∈ C([a, b̃], R), denn die Funktionen sind ja auf (a, b)
differenzierbar und damit insbesondere stetig. Ist nun x ∈ (a, b̃), so gibt es nach
dem verallgemeinerten Mittelwertsatz (Satz 24.9) ein ξ = ξ(x) ∈ (a, x) mit
f (x) f (x) − f (a) f ′ (ξ)
= = ′ .
g(x) g(x) − g(a) g (ξ)
Strebt nun x → a, so muss zwangsläufig auch ξ → a gehen, also folgt
f (x) f ′ (ξ(x)) f ′ (ξ)
lim = lim ′ = lim ′ = L.
x→a g(x) x→a g (ξ(x)) ξ→a g (ξ)

Wir können uns also dem Fall a = −∞ zuwenden. Dann substituieren wir t = 1/x.
Das führt dazu, dass der Grenzübergang x → a = −∞ in t → 0− übergeht. Wir
setzen
f˜(t) := f (1/t) und g̃(t) := g(1/t), t ∈ (−1/|b|, 0).
Dann gilt für alle t ∈ (−1/|b|, 0)
1  1  1  1 
f˜′ (t) = f ′ · − 2 und g̃ ′ (t) = g ′ · − 2
t t t t
und somit gilt auch
f˜′ (t) f ′ (1/t)(−t2 ) f ′ (1/t) f ′ (x)
lim ′ = lim ′ 1 = lim = lim = L.
t→0− g̃ (t) t→0− g ( /t)(−t2 ) t→0− g ′ (1/t) x→−∞ g ′ (x)

Wir können also das oben schon Bewiesene anwenden und erhalten
f (x) f (1/t) f˜(t) f˜′ (t)
lim = lim 1 = lim = lim ′ = L.
x→−∞ g(x) t→0− g( /t) t→0− g̃(t) t→0− g̃ (t)

Der Fall (II) und die Ersetzung von a durch b bleiben als Übungsaufgabe stehen.

Beispiel 24.12. (a) Es seien a, b > 0. Wir wollen den Grenzwert


ax − bx
lim
x→0+ x
untersuchen. Wir betrachten das Intervall (0, 1) und die Funktionen f (x) =
ax − bx und g(x) = x auf (0, 1). Diese sind dort beide differenzierbar und
es gilt g ′(x) = 1 6= 0 für alle x ∈ (0, 1). Außerdem ist
lim f (x) = lim (ax − bx ) = lim ax − lim bx = 1 − 1 = 0 = lim g(x).
x→0+ x→0+ x→0+ x→0+ x→0+

Wir können also den Satz von de l’Hospital anwenden und erhalten
ax − bx ax ln(a) − bx ln(b)
lim = lim = ln(a) − ln(b),
x→0+ x x→0+ 1
was wohl nur sehr schwer zu erraten gewesen wäre.

164
(b) Ebenso kann man zeigen:

ln(x) 1/x
lim = lim = 0.
x→∞ x x→∞ 1

In diesem Fall hat man es mit einem uneigentlichen Grenzwert der Form
∞/∞ zu tun.

(c) Eine kleine Umformung führt dazu, dass man mit der Regel von de l’Hospi-
tal auch Grenzwerte der Form 0 · ∞ behandeln kann. Das geht exemplarisch
so:
ln(x) 1/x
lim x ln(x) = lim 1 = lim 1 2 = lim (−x) = 0.
x→0+ x→0+ /x x→0+ − /x x→0+

Man beachte, dass hier u.a. wegen limx→0+ ln(x) = −∞ und limx→0+ 1/x =
∞ die Anwendung des Satzes gerechtfertigt war.
Dieser Grenzwert ermöglicht uns nun zusammen mit der Stetigkeit der Ex-
ponentialfunktion noch die Berechnung von

lim xx = lim ex ln(x) = elimx→0+ x ln(x) = e0 = 1.


x→0+ x→0+

Warnung 24.13. Dieser Satz hat viele Voraussetzungen und diese sind wirklich
alle nötig! Im Eifer des Gefechts gegen einen hartnäckigen Grenzwert wird hier
gerne die eine oder andere vergessen. Besonderer Beliebtheit erfreut es sich, nicht
nachzuprüfen, ob es sich wirklich um einen sogenannten uneigentlichen“ Grenz-

wert der Form 0/0 oder ±∞/±∞ handelt. Nur solche kann dieser Satz behandeln!
Die besondere Gemeinheit ist, dass man bei einer nicht gerechtfertigten Anwen-
dung von Hospital keine Warnmeldung zurückbekommt, sondern ein schönes Er-
gebnis, das aber meistens leider einfach falsch ist. Hier ist ein typisches Beispiel:
Einfach mit Anwendung der Grenzwertsätze ergibt sich, dass

ex − 1 limx→0 (ex − 1) 0
lim = = =0
x→0 x − 1 limx→0 (x − 1) −1

ist. Hospital ist hier nicht anwendbar, da weder Fall (I) noch Fall (II) aus dem
Satz vorliegt. Wendet man ihn aber trotzdem an, bekommt man
ex − 1 ??? ex
lim = lim = e0 = 1,
x→0 x − 1 x→0 1

also ein falsches Ergebnis.

165
25. Ableitung von Potenzreihen
Wir wollen uns in diesem Abschnitt zunächst mit der Ableitung von Funktionen,
die durch Potenzreihen gegeben sind, beschäftigen. Wie nicht anders zu erwarten
stellt sich heraus, dass diese wieder besonders schön sind.
P
Satz 25.1. Es sei f (x) = ∞ n
n=0 an x eine Potenzreihe mit strikt positivem Kon-
vergenzradius r und wir setzen I := (−r, r). Dann gilt:
(a) Die Potenzreihe

X
g(x) = nan xn−1
n=1

hat ebenfalls den Konvergenzradius r.

(b) Die Funktion f ist auf I differenzierbar und es gilt



X

f (x) = g(x) = nan xn−1 für alle x ∈ I.
n=1

Beweis. Da mit Hilfe von Übungsaufgabe 10.11


p √ p  √ p p
lim sup n |nan | = lim sup n n n |an | = lim n n lim sup n |an | = lim sup n |an |
n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ n→∞

gilt, folgt die Aussage in (a) sofort aus dem Satz von Hadamard.
Zum Beweis der Aussage in (b) bezeichnen wirPfür jedes n ∈ N mit sn :=
P n k ∞ k
k=0 ak x die n-te Partialsumme und mit Rn := k=n+1 ak x den n-ten Reihen-
rest. Nun sei x0 ∈ I fest. Dann wählen wir ein 0 < ̺ < r, so dass x0 ∈ [−̺, ̺] ⊆ I
gilt. Es folgt für alle x ∈ [−̺, ̺] mit x 6= x0 und alle n ∈ N

f (x) − f (x0 )
− g(x0 )
x − x0
sn (x) + Rn (x) − sn (x0 ) − Rn (x0 )
= − s′n (x0 ) + s′n (x0 ) − g(x0 )
x − x0
sn (x) − sn (x0 ) Rn (x) − Rn (x0 )
≤ − s′n (x0 ) + + |s′n (x0 ) − g(x0 )|. (25.1)
x − x0 x − x0
Sei nun ε > 0. Unser Ziel ist es, abhängig von ε ein δ > 0 zu finden, so dass für
alle x ∈ Uδ (x0 ) der Ausdruck auf der linken Seite der oberen Ungleichung kleiner

167
25. Ableitung von Potenzreihen

als ε wird. Dazu untersuchen wir die 3 Summanden auf der rechten Seite jeweils
einzeln und versuchen sie jeweils kleiner als ε/3 abzuschätzen.
Zunächst gilt
Xn
s′n (x) = kak xk−1 ,
k=1

also gilt nach (a) limn→∞ s′n (x) = g(x) für alle x ∈ I. Insbesondere gibt es also
ein n1 ∈ N, so dass
ε
|s′n (x0 ) − g(x0 )| <
3
für alle n ≥ n1 gilt.
Wir wenden uns dem zweiten Summanden zu. Für alle x ∈ [−̺, ̺] mit x 6= x0
und alle n ∈ N gilt nach der Dreiecksungleichung und mit Hilfe von Satz 3.11 (c)

X ∞
X
Rn (x) − Rn (x0 ) ak (xk − xk0 ) xk − xk0
= ≤ |ak |
x − x0 x − x0 x − x0
k=n+1 k=n+1

X k−1
X ∞
X k−1
X
= |ak | xj0 xk−1−j ≤ |ak | |x0 |j |x|k−1−j .
k=n+1 j=0 k=n+1 j=0

Verwenden wir nun, dass sowohl x als auch x0 im Betrag unterhalb ̺ bleiben,
ergibt sich als weitere Abschätzung

X k−1
X ∞
X k−1
X
j k−1−j
≤ |ak | ̺̺ = |ak | ̺k−1
k=n+1 j=0 k=n+1 j=0
X∞
= k|ak |̺k−1 =: cn .
k=n+1
P
Wir haben in (a) gesehen, dass die Potenzreihe ∞ n=1 n|an |x
n−1
auch den Kon-
P
vergenzradius r hat. Da ̺ ∈ (−r, r) gilt, konvergiert die Reihe ∞ n=1 n|an |̺
n−1

und damit folgt limn→∞ cn = 0, da es sich dabei um die Folge der Reihenreste
handelt, vgl. Satz 11.8 (b). Also können wir ein n2 ∈ N wählen, so dass
Rn (x) − Rn (x0 ) ε
<
x − x0 3
für alle n ≥ n2 gilt. Sei nun n0 = max{n1 , n2 }. Da sn für jedes n ∈ N als Polynom
differenzierbar ist, gibt es nun ein δ > 0, so dass für alle x ∈ Uδ (x0 ) mit x 6= x0
gilt
sn0 (x) − sn0 (x0 ) ε
− s′n0 (x0 ) < .
x − x0 3
Wiederholen wir die Abschätzung aus (25.1) für n = n0 , und nehmen wir das
soeben gewählte δ, so ist jeder der 3 Summanden auf der rechten Seite von (25.1)
kleiner als ε/3 und die Behauptung ist bewiesen.

168
Die besondere Stärke dieses Satzes besteht darin, dass er uns nicht nur abstrakt
die Differenzierbarkeit einer durch eine Potenzreihe gegebenen Funktion sichert,
sondern dass er uns auch gleich sagt, wie wir diese, oder wenigstens eine Potenz-
reihe dieser Ableitungsfunktion, bekommen können: Nämlich auf die denkbar
einfachste Weise, wir dürfen jeden einzelnen Summanden unter dem Summen-

zeichen“ differenzieren. Da sowohl die Summation als auch die Differenziation
einen Grenzübergang darstellen, haben wir hier also wieder ein Beispiel für einen
Satz, der das Vertauschen zweier Grenzprozesse gestattet.
Einen kreativen Einsatz dieses Satzes zeigt das folgende Beispiel.

Beispiel 25.2. Wir betrachten die durch eine Potenzreihe gegebene Funktion

X xn+1
f (x) = (−1)n .
n=0
n+1

Wie man leicht nachrechnet, hat diese den Konvergenzradius 1. Für |x| < 1 gilt
nun nach dem obigen Satz

X ∞
X
′ n n
f (x) = (−1) x = (−x)n
n=0 n=0

und – welch Glücksfall – diese Reihe ist eine geometrische, wir können also den
Reihenwert angeben und erhalten
1 ′
f ′ (x) = = ln(1 + x) .
1+x
Nach Satz 24.7 (b) gibt es also ein c ∈ R, so dass f (x) = ln(1 + x) + c für alle
x ∈ (−1, 1) gilt. Nun gilt aber f (0) = 0, genauso wie ln(1 + 0) = ln(1) = 0 ist,
also muss c = 0 sein. Das liefert

X xn+1
ln(1 + x) = (−1)n , x ∈ (−1, 1).
n=0
n+1

Wir konnten also mit Hilfe des obigen Satzes eine Potenzreihendarstellung einer
Funktion angeben, für die wir bis jetzt keine solche hatten, bzw. andersherum
formuliert, hat obiger Satz uns geholfen, einen zunächst schwierig aussehenden
Reihenwert zu berechnen.

169
26. Trigonometrische Funktionen
Wir hatten im Abschnitt 16 über Potenzreihen die trigonometrischen Funktionen
Sinus und Cosinus definiert als
X∞ ∞
X
x2n+1 x2n
sin(x) = (−1)n und cos(x) = (−1)n .
n=0
(2n + 1)! n=0
(2n)!

Mit unserem Satz 25.1 über die Differenzierbarkeit von Potenzreihen können wir
nun die Ableitungen dieser Funktionen bestimmen und erhalten

X X ∞
x2n x2n
sin′ (x) = (−1)n (2n + 1) = (−1)n = cos(x).
n=0
(2n + 1)! n=0 (2n)!

Genauso berechnet man die Ableitung des Cosinus und erhält zusammengefasst
das folgende Resultat.
Satz 26.1. Sinus und Cosinus sind auf R differenzierbar und es gilt

sin′ (x) = cos(x) und cos′ (x) = − sin(x), x ∈ R.

Wir wollen noch weitere Eigenschaften von Cosinus und Sinus beweisen.
Satz 26.2. Für alle x, y ∈ R gelten die folgenden Aussagen:
(a) sin2 (x) + cos2 (x) = 1. (trigonometrischer Pythagoras)
(b) | sin(x)| ≤ 1 und | cos(x)| ≤ 1.
(c) sin(−x) = − sin(x) und cos(−x) = cos(x).
(d) Additionstheoreme:

sin(x + y) = sin(x) cos(y) + sin(y) cos(x),


cos(x + y) = cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y).

Beweis. (a) Wir setzen g(x) := sin2 (x) + cos2 (x) für x ∈ R. Dann gilt

g ′(x) = 2 sin(x) cos(x) + 2 cos(x) − sin(x) = 0 für alle x ∈ R.

Also ist g wieder eine konstante Funktion und da g(0) = sin2 (0) + cos2 (0) =
0 + 1 = 1 ist, gilt g(x) = 1 für alle x ∈ R.

171
26. Trigonometrische Funktionen

sin(α)
α .
cos(α) 1

Abbildung 26.1.: Trigonometrischer Pythagoras

p p
(b) Für alle x ∈ R gilt | sin(x)| = sin2 (x) ≤ sin2 (x) + cos2 (x) = 1. Genauso
rechnet man für den Cosinus.

(c) Diese Beziehungen folgen direkt aus der Potenzreihendarstellung, denn in


der Potenzreihe des Sinus tauchen nur ungerade x-Potenzen und in der des
Cosinus nur gerade x-Potenzen auf.

(d) Nach der Euler-Formel aus Satz 17.18 (c) gilt

cos(x + y) + i sin(x + y) = ei(x+y) .

Nach Teil (a) des selben Satzes haben wir für die komplexe Exponenti-
alfunktion die gewohnten Potenzrechenregeln, also gilt mit rückwärtiger
Anwendung der Euler-Formel
 
cos(x + y) + i sin(x + y) = eix eiy = cos(x) + i sin(x) cos(y) + i sin(y)
= cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y)

+ i cos(x) sin(y) + sin(x) cos(y) .

Vergleicht man links und rechts dieser Gleichung jeweils den Real- und den
Imaginärteil, so ergeben sich gleich beide Additionstheoreme.

Die Eigenschaften aus Teil (c) des obigen Satzes sind sehr wichtig und bekommen
deshalb einen eigenen Namen.

Definition 26.3. Eine Funktion f : K → K heißt

(a) gerade, wenn für alle x ∈ K gilt f (−x) = f (x).

(b) ungerade, wenn für alle x ∈ K gilt f (−x) = −f (x).

Satz 26.4. (a) Für alle x ∈ (0, 2) gilt sin(x) > x − x3/3! > 0.

(b) Die Funktion cos hat eine kleinste strikt positive Nullstelle ξ0 .

172
Beweis. (a) Sei x ∈ (0, 2). Dann gilt für alle n ∈ N

x2 < 4 ≤ 4n2 ≤ 4n2 + 2n = 2n(2n + 1)

und deshalb x2/2n(2n+1) < 1. Multiplizieren wir diese Ungleichung nun mit
x2n−1/(2n−1)! > 0 durch, so erhalten wir

x2n+1 x2n−1 x2n−1 x2n+1


< bzw. − >0
(2n + 1)! (2n − 1)! (2n − 1)! (2n + 1)!

für jedes n ∈ N. Damit ist


 x3   x5 x7   x9 x11  x3
sin(x) = x − + − + − +··· > x − > 0.
| {z 3! } | 5! {z 7! } | 9! {z 11! } 3!
>0 >0 >0

(b) Wir beobachten zunächst, dass aus (a)


1 1 5
sin(1) > 1 − =1− =
3! 6 6
folgt. Damit gilt mit dem Additionstheorem und mit Satz 26.2 (b)

cos(2) = cos(1 + 1) = cos2 (1) − sin2 (1) = cos2 (1) + sin2 (1) − 2 sin2 (1)
2 52 50
= 1 − 2 sin (1) < 1 − 2 · 2 = 1 − < 0.
6 36
Da außerdem cos(0) = 1 > 0 gilt und cos eine stetige Funktion ist, gibt es
nach dem Zwischenwertsatz ein ξ ∈ (0, 2) mit cos(ξ) = 0.
Nun haben wir also eine Nullstelle, sind aber noch nicht fertig, denn wir
wollen ja zeigen, dass es eine kleinste positive Nullstelle gibt. Dazu setzen
wir M := {η > 0 : cos(η) = 0}. Nach dem oben Gezeigten wissen wir,
dass M 6= ∅ ist. Da M außerdem durch Null nach unten beschränkt ist,
existiert also ξ0 := inf M. Zu zeigen ist noch, dass ξ0 selbst eine Nullstelle
des Cosinus ist, dass also ξ0 ∈ M und damit das Minimum von M ist. Da
ξ0 das Infimum ist, gibt es nach Satz 2.17 für jedes n ∈ N ein ξn ∈ M mit
ξ0 ≤ ξn ≤ ξ0 + 1/n. Insbesondere konvergiert diese Folge (ξn ) gegen ξ0 . Nun
ist aber die Cosinus-Funktion stetig, d. h.

cos(ξ0 ) = lim cos(ξn ) = lim 0 = 0.


n→∞ n→∞

Also ist ξ0 = min M und schließlich ist ξ0 strikt positiv, da ξ0 ≥ 0 ist und
ξ0 = 0 wegen cos(0) = 1 nicht sein kann.
Das Ergebnis des vorstehenden Satzes gibt Anlass zu folgender Definition.

173
26. Trigonometrische Funktionen

Definition 26.5. Die Zahl


π := 2ξ0
heißt Pi.

Da nach obigem Satz ξ0 ∈ (0, 2) liegt, wissen wir bereits, dass π echt zwischen 0
und 4 liegt, tatsächlich ist π eine irrationale Zahl, deren Wert ungefähr 3, 1415 . . .
beträgt.
Wir haben nun also nach Definition cos(π/2) = 0 und dank π/2 ∈ (0, 2) und
Satz 26.4 (a) außerdem sin(π/2) > 0. Wir können diesen Wert sogar ausrechnen,
denn nach dem trigonometrischen Pythagoras gilt

1 = sin2 (π/2) + cos2 (π/2) = sin2 (π/2), also sin(π/2) = 1,

da der Wert nicht negativ und somit nicht −1 sein kann. Kombiniert man nun
dieses Wissen mit den Additionstheoremen, so sieht man schnell ein, dass die
folgenden Identitäten gelten.

Satz 26.6. Für alle x ∈ R gilt

sin(x + π/2) = cos(x), cos(x + π/2) = − sin(x),


sin(x + π) = − sin(x), cos(x + π) = − cos(x),
sin(x + 2π) = sin(x), cos(x + 2π) = cos(x).

Auch diese Eigenschaft von Sinus und Cosinus, dass die Funktionen bei einer
geeigneten Verschiebung im Argument unverändert bleiben, bekommt einen Na-
men.

Definition 26.7. Eine Funktion f : K → K heißt periodisch mit Periode L ∈ K


oder kurz L-periodisch, wenn für alle x ∈ K gilt f (x + L) = f (x).

Damit sind Cosinus und Sinus beide 2π-periodisch.

Satz 26.8. Der Cosinus hat in [0, π] genau eine Nullstelle, nämlich π/2.

Beweis. Es sei η ∈ [0, π] eine Nullstelle des Cosinus. Dann gilt nach Satz 26.4
sofort η ≥ π/2. Wir setzen η̃ := π − η. Dann ist η̃ ∈ [0, π/2]. Außerdem ist nach
Satz 26.6 und da der Cosinus eine gerade Funktion ist

cos(η̃) = cos(−η + π) = − cos(−η) = − cos(η) = 0.

Somit muss aber η̃ = π/2 und damit auch η = π/2 sein.


Nun haben wir das gesamte Rüstzeug zusammen, um sämtliche Nullstellen von
Sinus und Cosinus zu bestimmen und das sind ganz schön viele.

Satz 26.9. Es gilt

174
π
(a) cos(x) = 0 ⇐⇒ x = kπ + für ein k ∈ Z.
2
(b) sin(x) = 0 ⇐⇒ x = kπ für ein k ∈ Z.

Beweis. Die Beweisrichtung von rechts nach links ergibt sich in beiden Fällen
sofort aus Satz 26.6. Wir beweisen also jeweils nur noch von links nach rechts.

(a) Sei x ∈ R mit cos(x) = 0. Dann gibt es ein k ∈ Z, so dass kπ ≤ x ≤ (k +1)π


gilt. (Wer sich noch an die Gaußklammer erinnert, kann k = ⌊x/π⌋ nehmen.)
Setze nun η := x − kπ. Dann gilt η ∈ [0, π] und

cos(η) = cos(x − kπ) = cos(x) cos(−kπ) − sin(x) sin(−kπ) = 0,

da cos(x) = 0 und sin(−kπ) = 0 gilt. Nach Satz 26.8 ist damit η = x−kπ =
π/2, d. h. x = kπ + π/2.

(b) Für die entsprechende Aussage für den Sinus müssen wir die Arbeit nicht
wiederholen, denn falls sin(x) = 0 ist, so haben wir cos(x + π/2) = 0. Also
gibt es nach dem soeben Bewiesenen ein k ∈ Z mit
π π
x+ = kπ + ,
2 2
d. h. x = kπ.

Mit Hilfe von Sinus und Cosinus können wir nun noch die komplexen Zahlen
etwas genauer verstehen. Insbesondere lässt sich beschreiben, was die komplexe
Multiplikation anschaulich tut. Dazu erinnern wir uns erneut an die Euler-Formel

eit = cos(t) + i sin(t) für alle t ∈ R

aus Satz 15.7(c). Diese liefert uns im Zusammenspiel mit dem trigonometrischen
Pythagoras, vgl. Satz 26.2 (b), die folgenden Erkenntnisse.

Satz 26.10. Für alle t ∈ R und alle z ∈ C gelten:

(a) |eit | = 1 und |ez | = eRe(z) .

(b) ez+2πi = ez , d. h. exp : C → C ist 2πi-periodisch.

Beweis. Alle drei Gleichheiten rechnet man mit den oben schon angegebenen
Zutaten direkt nach:
q √
it
|e | = cos(t) + i sin(t) = cos2 (t) + sin2 (t) = 1 = 1,
|ez | = eRe(z)+iIm(z) = |eRe(z) ||eiIm(z) | = eRe(z) · 1 = eRe(z) ,

ez+2πi = ez e2πi = ez cos(2π) + i sin(2π) = ez (1 + 0) = ez .

175
26. Trigonometrische Funktionen

Neben der Darstellung einer komplexen Zahl als x + iy mit x, y ∈ R, die dem
kartesischen Koordinatensystem in der komplexen Zahlenebene entspricht, gibt
es eine zweite Möglichkeit der Darstellung, die in Polarkoordinaten. Dazu beob-
achten wir zunächst anschaulich geometrisch, vgl. Abbildung 26.1, dass für jede
komplexe Zahl z gilt

Re(z) = |z| cos(ϕ) Im(z) = |z| sin(ϕ),

wobei ϕ den Winkel zwischen der positiven reellen Achse und der Verbindungs-
linie zwischen z und dem Ursprung bezeichnet. Also ist

z = |z| cos(ϕ) + i sin(ϕ) = |z|eiϕ .

Diese geometrische Überlegung können wir auch analytisch untermauern.


Satz 26.11. Es sei z ∈ C\{0}. Dann gibt es genau ein ϕ ∈ (−π, π] mit z = |z|eiϕ .
Beweis. Wir setzen w := z/|z| und wählen u, v ∈ R so, dass w = u + iv. Wegen
|w| = 1 gilt dann |u| = |Re(w)| ≤ 1. Nach dem Zwischenwertsatz gibt es dann
wegen cos(0) = 1 und cos(π) = −1 ein α ∈ [0, π] mit u = cos(α).
Nun ist u2 + v 2 = |w|2 = 1, also haben wir v 2 = 1 − cos2 (α) = sin2 (α), womit
v = sin(α) oder v = − sin(α) gelten muss. Ist v = sin(α), so setzen wir ϕ := α,
denn dann gilt

z = |z|w = |z|(u + iv) = |z| cos(ϕ) + i sin(ϕ) = |z|eiϕ ,

wobei ϕ ∈ [0, π] ist.


Ist dagegen v = − sin(α), so setzen wir ϕ := −α, denn dann gilt, da der Cosinus
gerade und der Sinus ungerade ist
 
z = |z|(u + iv) = |z| cos(−ϕ) − i sin(−ϕ) = |z| cos(ϕ) + i sin(ϕ) = |z|eiϕ .

In diesem zweiten Fall ist dabei ϕ ∈ [−π, 0]. Wir haben jetzt also immer ein
ϕ ∈ [−π, π] gefunden, wollten aber eigentlich den Fall ϕ = −π ausschließen.
Das ist kein Problem, denn es gilt cos(π) = cos(−π) und sin(π) = sin(−π), also
können wir falls ϕ = −π ist, auch ϕ = π nehmen.
Schließlich müssen wir noch die behauptete Eindeutigkeit beweisen. Wir nehmen
also an, wir hätten zwei Winkel φ, ψ ∈ (−π, π] mit z = |z|eiφ = |z|eiψ . Dann ist
eiφ = eiψ , d. h. wir haben ei(φ−ψ) = 1. Damit muss
 
cos(φ − ψ) = Re ei(φ−ψ) = 1 und sin(φ − ψ) = Im ei(φ−ψ) = 0

sein. Diese Konstellation tritt nur genau an den Stellen φ − ψ = 2πk für alle
k ∈ Z auf. Da aber sowohl φ als auch ψ in (−π, π] liegen, gilt |φ − ψ| < 2π.
Damit kommt nur der Fall k = 0 in Frage, was aber φ − ψ = 0 und damit φ = ψ
impliziert.

176
Definition 26.12. Es sei z ∈ C \ {0}. Die nach Satz 26.11 existierende Zahl
ϕ ∈ (−π, π] heißt das Argument von z und wird mit arg(z) bezeichnet.
Anschaulich gibt das Argument von z ∈ C \ {0} den Winkel an, in dem diese
Zahl in der Gaußschen Zahlenebene zur positiven reellen Achse steht.
Wir haben damit für alle z ∈ C, die nicht Null sind, mit z = |z|ei arg(z) eine
weitere Möglichkeit neben z = Re(z) + iIm(z) diese durch reelle Größen auszu-
drücken. Umgekehrt erhalten wir für r ∈ (0, ∞) und φ ∈ (−π, π] mit reiφ genau
alle komplexen Zahlen außer der Null. Als Faustregel kann man sagen, dass diese
Polardarstellung immer dann zu bevorzugen ist, wenn komplexe Zahlen multipli-
ziert oder dividiert werden müssen, denn für zwei komplexe Zahlen z = reiφ und
w = seiψ gilt
z reiφ r
zw = rseiφ eiψ = rsei(φ+ψ) und = iψ = ei(φ−ψ) ,
w se s
d. h. man muss zum Multiplizieren (Dividieren) nur die Beträge multiplizieren
(dividieren) und die Argumente addieren (subtrahieren).
Nun, da wir eine Exponentialfunktion haben, stellt sich die Frage nach einem
komplexen Logarithmus. Dies ist nicht so einfach wie im reellen, denn durch
die Periodizität der Exponentialfunktion wird der Logarithmus im Komplexen
mehrdeutig. Zuerst definieren wir die Logarithmen aber ganz abstrakt.
Definition 26.13. Es sei w ∈ C. Jede Zahl z ∈ C mit ez = w heißt ein Loga-
rithmus von w.
Nun wollen wir natürlich wissen, wie man einen solchen Logarithmus finden kann.
Wir suchen also für ein vorgegebenes w ∈ C \ {0} (einen Logarithmus für Null
wird es natürlich auch im komplexen nicht geben, da ja ez 6= 0 für alle z ∈ C
gilt, vgl. Satz 17.18 (b)) also alle Lösungen z ∈ C der Gleichung ez = w. Sei dazu
r := |w| und φ := arg(w) ∈ (−π, π]. Weiter setzen wir z in der Form x + iy mit
x, y ∈ R an. Dann soll also gelten

ez = ex+iy = ex eiy = reiφ .

Also müssen insbesondere die beiden letzten Ausdrücke in dieser Gleichungskette


den selben Betrag haben, was wegen |eiy | = |eiφ | = 1, sofort r = ex , also

Re(z) = x = ln(r) = ln(|w|)

liefert. Es bleibt also noch y zu bestimmen. Da nun ex = r gilt, muss auch eiy = eiφ
gelten, d. h. wir haben ei(y−φ) = 1. Wie am Schluss des Beweises von Satz 26.11
folgt daraus y − φ = 2kπ für ein k ∈ Z. Als Lösungen unserer Gleichung kommen
also nur solche Zahlen z = x + iy mit x = ln(|w|) und

y = φ + 2kπ = arg(w) + 2kπ für ein k ∈ Z

177
26. Trigonometrische Funktionen

in Betracht. Dass alle diese Zahlen tatsächlich Logarithmen von w sind, rechnet
man schließlich einfach nach:

eln(|w|)+i(arg(w)+2kπ) = eln(|w|) ei arg(w) ei2kπ = |w|ei arg(w) · 1 = w.

Da der komplexe Logarithmus mehrdeutig, und damit gar keine Funktion mehr
ist, tritt das gleiche Phänomen auch beim Versuch auf, eine allgemeine Potenz-
funktion in C zu definieren. Wir wollen das hier nicht weiter vertiefen, sondern
nur vorwarnen, dass in diesem Zusammenhang größte Vorsicht angeraten ist.
Wir können nun weitere trigonometrische Funktionen definieren.
Definition 26.14. Für x ∈ R \ {kπ + π/2 : k ∈ Z} heißt die Funktion

sin(x)
tan(x) :=
cos(x)

der Tangens und für x ∈ R \ {kπ : k ∈ Z}

cos(x)
cot(x) :=
sin(x)
der Cotangens von x.
Nach der Quotientenregel gilt

cos2 (x) + sin2 (x) 1


tan′ (x) = 2
= = 1 + tan2 (x) > 0
cos (x) cos2 (x)
für alle x im Definitionsbereich des Tangens. Also ist der Tangens insbesondere
auf dem Intervall (−π/2, π/2) streng monoton wachsend und da

lim tan(x) = −∞ und lim tan(x) = ∞


x→−π/2+ x→π/2−

gilt, ist tan((−π/2, π/2)) = R. Somit existiert die Umkehrfunktion tan−1 : R →


(−π/2, π/2). Diese bekommt wieder einen Namen.
Definition 26.15. Die Umkehrfunktion des Tangens auf (−π/2, π/2)

arctan : R → (−π/2, π/2)

heißt Arcustangens.
Die Ableitung des Arcustangens können wir nun nach der Formel für die Ablei-
tung der Umkehrfunktion (Satz 23.10) bestimmen:
1 1 1
arctan′ (y) = ′
= 2
= .
tan (arctan(y)) 1 + tan (arctan(y)) 1 + y2

178
2

y 1

K2 p Kp 0 p 2p
x

K1

K2
Sinus Cosinus Tangens Arcustangens

Abbildung 26.2.: Die Graphen von Sinus, Cosinus, Tangens und Arcustangens

Überraschenderweise erhalten wir als Ableitung eine gebrochen-rationale Funkti-


on und nichts Trigonometrisches.
In der gleichen Weise kann man auch Umkehrfunktionen von Sinus und Cosinus
definieren, wenn man sich im Definitionsbereich einschränkt. So sind

sin : [−π/2, π/2] → [−1, 1] und cos : [0, π] → [−1, 1]

bijektiv. Das rechtfertigt die folgende Definition.


Definition 26.16.

arcsin := sin−1 : [−1, 1] → [−π/2, π/2] (Arcussinus),


arccos := cos−1 : [−1, 1] → [0, π] (Arcuscosinus).

Die Ableitungen berechnen sich wieder mit Hilfe der Ableitungsregel für die Um-
kehrfunktion zu
1 1 1
arcsin′ (x) = =p =√
cos(arcsin(x)) 2
1 − sin (arcsin(x)) 1 − x2

und genauso
1
arccos′ (x) = − √
1 − x2
für alle |x| < 1.
Man beachte, dass die Auswahl des Bereichs, in dem man diese Funktionen in-
vertiert, willkürlich ist. Üblicherweise werden zwar die hier gewählten Intervalle

179
26. Trigonometrische Funktionen

verwendet, aber welcher Bereich gewählt wurde, sollte bei Verwendung der Arcus-
funktionen am besten immer dazugesagt werden. Hier ist Wachsamkeit angesagt!
Zum Abschluss definieren wir noch die hyperbolischen Funktionen.

Definition 26.17. Für alle x ∈ K definieren wir

1
cosh(x) := (ex + e−x ) (Cosinus hyperbolicus),
2
1 x
sinh(x) := (e − e−x ) (Sinus hyperbolicus),
2
sinh(x)
tanh(x) := (Tangens hyperbolicus).
cosh(x)

Diese sind über die komplexe Exponentialfunktion eng mit den trigonometrischen
Funktionen verwandt.

Übungsaufgabe 26.18. Zeigen Sie die folgenden Identitäten für alle z = x+yi ∈
C mit x, y ∈ R.

(a) cosh2 (z) − sinh2 (z) = 1.

(b) sin(z) = sin(x + yi) = sin(x) cosh(y) + cos(x) sinh(y)i.

(c) cos(z) = cos(x + yi) = cos(x) cosh(y) − sin(x) sinh(y)i.

K2 K 1 0 1 2
x
K
1

K
2

K
3

sinh(x) cosh(x) tanh(x)

Abbildung 26.3.: Die Graphen von Sinus, Cosinus und Tangens hyperbolicus

180
Wir berechnen auch hier die Ableitungen:
1 1
cosh′ (x) = (ex − e−x ) = sinh(x) und sinh′ (x) = (ex + e−x ) = cosh(x),
2 2
sowie
cosh2 (x) − sinh2 (x)
tanh′ (x) = 2 = 1 − tanh2 (x) > 0
cosh (x)
für alle x ∈ R, und weiterhin die Grenzwerte

ex − e−x ex 1 − e−2x 1−0


lim tanh(x) = lim = lim · = = 1.
x→∞ x→∞ ex + e−x x→∞ ex 1 + e−2x 1+0
ex − e−x e2x − 1 0−1
lim tanh(x) = lim x −x
= lim 2x
= = −1.
x→−∞ x→−∞ e + e x→−∞ e +1 0+1
Damit ist der Tangens hyperbolicus streng motonon wachsend auf R und es gilt
tanh(R) = (−1, 1). Also existiert auch hier die Umkehrfunktion

Artanh : (−1, 1) → R (Areatangens hyperbolicus).

Die Ableitung ergibt sich hier zu


1 1
Artanh′ (x) = 2 = , |x| < 1.
1 − tanh (Artanh(x))) 1 − x2

In diesem Abschnitt haben wir nun so viele neue Funktionen eingeführt, dass wir
diese noch einmal alle in einer Tabelle zusammenfassen wollen:
Name Symbol Def.-bereich Bild Ableitung
Sinus sin R [−1, 1] cos
Cosinus cos R [−1, 1] − sin
1
Tangens tan R \ {kπ + π/2} R cos2
= 1 + tan2
1
Cotangens cot R \ {kπ} R − sin2 = −1 − cot2
Arcussinus arcsin [−1, 1] [− π2 , π2 ] √ 1
1−x2
1
Arcuscosinus arccos [−1, 1] [0, π] − √1−x 2

Arcustangens arctan R (− π2 , π2 ) 1
1+x 2

Sinus hyperbolicus sinh R R cosh


Cosinus hyp. cosh R [1, ∞) sinh
Tangens hyp. tanh R (−1, 1) 1
cosh2
= 1 − tanh2
1
Areasinus hyp. Arsinh R R √
x2 +1
Areacosinus hyp. Arcosh [1, ∞) [0, ∞) √ 1
x2 −1
1
Areatangens hyp. Artanh (−1, 1) R 1−x2

181
27. Höhere Ableitungen
Wir wollen in diesem Abschnitt das Konzept der zweiten, dritten und allgemein
n-ten Ableitung einer Funktion einführen.
Definition 27.1. Es sei I ⊆ R ein Intervall, x0 ∈ I und f : I → K sei differen-
zierbar auf I.
(a) Die Funktion f heißt in x0 zweimal differenzierbar, falls die Funktion f ′ :
I → K in x0 wiederum differenzierbar ist. In diesem Fall heißt f ′′ (x0 ) :=
(f ′ )′ (x0 ) die zweite Ableitung von f in x0 .

(b) Ist f in jedem Punkt x ∈ I zweimal differenzierbar, so heißt f zweimal


differenzierbar auf I und die Funktion x 7→ f ′′ (x) ist die zweite Ableitung
von f auf I.

(c) Für n ≥ 3 beliebig definieren wir rekursiv: Die Funktion f heißt in x0 (bzw.
auf I) n mal differenzierbar, falls sie (n − 1) mal differenzierbar ist und
die Funktion f (n−1) in x0 (bzw. auf I) wieder differenzierbar ist. In diesem
Fall heißt f (n) (x0 ) = (f (n−1) )′ (x0 ) die n-te Ableitung von f in x0 , bzw.
x 7→ f (n) (x) die n-te Ableitung von f auf I.
Häufig ist es praktisch die Funktion selbst als ihre nullte Ableitung aufzufassen,
also
f (0) := f.
Beispiel 27.2. (a) Ist f (x) = sin(x), so gilt

f ′ (x) = cos(x), f ′′ (x) = − sin(x),


f ′′′ (x) = − cos(x), f (4) (x) = sin(x) = f (x).

(b) Betrachten wir auf R die Funktion


(
x2 , falls x ≥ 0
f (x) =
−x2 , falls x < 0,

so ist f auf ganz R differenzierbar mit f ′ (x) = 2|x|, x ∈ R (nachrech-


nen!), aber da die Betragsfunktion in Null nicht differenzierbar ist (vgl.
Beispiel 23.3 (b)), ist diese Funktion in Null nicht mehr differenzierbar,
d. h. f ist in x0 = 0 nicht zweimal differenzierbar.

183
27. Höhere Ableitungen

P
(c) Es sei f (x) = ∞ n
n=0 an (x − x0 ) , d. h. f sei durch eine Potenzreihe gegeben,
von der wir annehmen wollen, dass der Konvergenzradius r > 0 ist. Wir
setzen wieder I := (x0 − r, x0 + r). In Satz 25.1 haben wir gesehen, dass f
dann auf I differenzierbar ist mit

X
f ′ (x) = an n(x − x0 )n−1 , x ∈ I,
n=1

und dass dies wieder eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r ist. Also ist
nach nochmaliger Anwendung dieses Satzes f sogar zweimal auf I differen-
zierbar mit

X
′′
f (x) = an n(n − 1)(x − x0 )n−2 , x ∈ I.
n=2

Durch weitere Iteration dieses Arguments (Formalisten mögen eine saubere


Induktion führen), ist dann f auf I beliebig oft differenzierbar und es gilt
für jedes k ∈ N

X
f (k) (x) = an n(n − 1) · · · (n − (k − 1))(x − x0 )n−k , x ∈ I.
n=k

Setzt man speziell x = x0 ein, so erhält man die für das Weitere wichtige
Beziehung
f (k) (x0 ) = ak k(k − 1) · · · 2 · 1 = k!ak .
Diese verrät uns insbesondere die Gestalt der Koeffizienten ak für Funktio-
nen, die durch eine Potenzreihe dargestellt werden:

f (k) (x0 )
ak = .
k!

(d) Wir betrachten auf I = [0, ∞) die Funktion


( 3
x /2 sin(1/x), falls x > 0
f (x) :=
0, falls x = 0,

vgl. Abbildung 27.1.


Dann ist f in allen x > 0 offensichtlich differenzierbar und es gilt

3√ 1  1  1 
′ 3/2
f (x) = x sin + x cos − 2
2 x x x
3√ 1 1 1
= x sin − √ cos .
2 x x x

184
Abbildung 27.1.: Der Graph des Flattersinus’“ aus Beispiel 27.2 (d)

Um f auf Differenzierbarkeit in 0 zu untersuchen, betrachten wir den Dif-


ferenzenquotienten

f (x) − f (0) x3/2 sin(1/x) √ 1


lim = lim = lim x sin
x→0 x−0 x→0 x x→0 x

≤ lim x = 0.
x→0

Da der Grenzwert selbst über etwas Positives gebildet wird, muss er auch
größer oder gleich Null und damit gleich Null sein. Somit ist f auf ganz
[0, ∞) differenzierbar, wobei f ′ (0) = 0 gilt.
Anhand dieses Beispiels sieht man nun, dass etwas Abstruses passieren
kann. Die Funktion f ′ : [0, ∞) ist nämlich in Null nicht nur nicht noch
einmal differenzierbar, sie ist nicht einmal mehr stetig, so dass wir über
Differenzierbarkeit erst gar nicht mehr nachzudenken brauchen. Um das zu
sehen, betrachten wir die Folge xn := 1/nπ, n ∈ N. Dann gilt für jedes n ∈ N

3 1 √ √
f ′ (xn ) =√ sin(nπ) − nπ cos(nπ) = − nπ cos(nπ)
2 nπ
√ √
= −(−1)n nπ = (−1)n+1 nπ.

Also ist die Funktion f ′ auf dem kompakten Intervall [0, 1] nicht beschränkt,
sie kann also nach Satz 20.7 nicht stetig sein.

Das schlechte Differenzierbarkeitsverhalten der Funktion in (d) des obigen Bei-


spiels nehmen wir zum Anlass, um einen stärkeren Differenzierbarkeitsbegriff zu
formulieren, der so hässliche“ Funktionen ausschließt.

Definition 27.3. Es sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → K eine Funktion.

185
27. Höhere Ableitungen

(a) Für n ∈ N heißt die Funktion f n-mal stetig differenzierbar auf I, falls sie
n-mal differenzierbar auf I ist und die Funktion f (n) auf I stetig ist.
Wir setzen Cn (I, K) := {f : I → K : f n-mal stetig differenzierbar auf I}.

(b) Wir setzen


\
C0 (I, K) := C(I, K) und C∞ (I, K) := Cn (I, K)
n∈N0

und nennen eine Funktion f ∈ C∞ (I, K) beliebig oft differenzierbar.


Auch hier wird, wenn der betrachtete Körper R oder C aus dem Zusam-
menhang klar ist, oft nur Cn (I) bzw. C∞ (I) geschrieben.

Bemerkung 27.4. (a) Da die Differenzierbarkeit insbesondere Stetigkeit im-


pliziert, sind für eine Funktion f ∈ Cn (I, K) alle Ableitungen f ′ , f ′′ , . . . , f (n)
stetige Funktionen auf I.

(b) Oft hört man statt beliebig oft“ auch die Bezeichnung unendlich oft“
” ”
differenzierbar. Diese ist etwas unglücklich, denn sie hört sich so an, als
existiere auch eine unendlichste“ Ableitung. f ∈ C∞ (I) heißt aber eben

nur, dass f (n) für jedes n ∈ N auf I existiert und dort stetig ist.

186
28. Der Satz von Taylor
Dieser Abschnitt stellt mit dem Satz von Taylor einen fundamental wichtigen
Satz der Analysis vor, der sowohl in abstrakten als auch in ganz angewandten
Zusammenhängen immer wieder gebraucht wird. Es geht dabei darum kompli-
zierte Funktionen durch möglichst angepasste Polynome zu nähern. Vor allem die
PhysikerInnen werden mit diesem Satz sehr häufig zu tun bekommen.
Wir haben in Beispiel 27.2
P (c) gesehen, dass eine Funktion, die auf einem Intervall
durch eine Potenzreihe ∞ a
n=0 n (x − x 0 ) n
gegeben ist, immer Koeffizienten an der
Form
f (n) (x0 )
an = für alle n ∈ N0
n!
aufweist. Haben wir umgekehrt eine Funktion aus C∞ (I, K) vorliegen, können
wir für ein x0 ∈ I obige Koeffizienten ausrechnen und die dadurch gegebene
Potenzreihe betrachten. Diese bekommt zunächst einen Namen.

Definition 28.1. Es sei I ⊆ R ein Intervall, x0 ∈ I und f ∈ C∞ (I, K). Die


Potenzreihe
X∞
f (n) (x0 )
(x − x0 )n
n=0
n!

heißt dann die Taylorreihe von f um x0 .

Nun stellt sich sofort die

Frage: Gilt in der Situation obiger Definition nun in einer Umgebung von x0

X f (n) (x0 )
f (x) = (x − x0 )n ?
n=0
n!

Die Anwort ist ein entschiedenes manchmal. Wir betrachten dazu das folgende
Beispiel.

Beispiel 28.2. Wir wählen I = R, x0 = 0 und


( 1 2
e− /x , falls x 6= 0,
f (x) :=
0, falls x = 0.

187
28. Der Satz von Taylor

Dann ist f offensichtlich in jedem Punkt x 6= 0 differenzierbar, aber wir sind


ja gerade an x0 = 0 interessiert. Um Differenzierbarkeit in Null zu untersuchen,
müssen wir über den Differenzenquotienten gehen. Es ist für alle x 6= 0
2
f (x) − f (0) e−1/x 1/x
= = 1/x2 .
x−0 x e
Da der Nenner dieses Ausdrucks für x gegen null bestimmt nach unendlich diver-
giert, ist die Bedingung (II) für die Regel von de l’Hospital aus Satz 24.11 erfüllt.
Dieser Satz liefert dann
f (x) − f (0) 1/x −1/x2
f ′ (0) = lim = lim 1/c2 = lim 1/x2
x→0 x−0 x→0 e x→0 e · (−2/x3 )
x 1 2
= lim · e− /x = 0 · 0 = 0.
x→0 2

Mittels Induktion kann man sogar zeigen, dass f in null beliebig oft differenzierbar
ist und f (n) (0) = 0 für alle n ∈ N gilt. Also ist in diesem Fall die Taylorreihe

X ∞
X
f (n) (0) n
x = 0 · xn = 0 6= f (x) für alle x 6= 0.
n=0
n! n=0

Für diese Funktion stellt die Taylorreihe also in keiner auch noch so kleinen
Umgebung des Nullpunktes die Funktion f dar.
Da die Taylorreihe nach einem vielversprechenden Mittel aussieht, um Potenzrei-
henentwicklungen von Funktionen auszurechnen, und da diese ein unverzichtbares
Hilfsmittel der Analysis, der Physik, der Ingenieurwissenschaften und vieler an-
derer Bereiche sind, hätten wir gerne ein Kriterium, wann die Taylorreihe brav
zu ihrer Funktion passt. Ein solches folgt aus dem folgenden Satz.
Satz 28.3 (Satz von Taylor). Es sei I ⊆ R ein Intervall, x, x0 ∈ I und f : I → R
sei (n + 1)-mal differenzierbar auf I. Dann gibt es ein ξ zwischen x und x0 , so
dass gilt
n
X f (k) (x0 ) f (n+1) (ξ)
f (x) = (x − x0 )k + (x − x0 )n+1 .
k=0
k! (n + 1)!

Bemerkung 28.4. (a) Im Fall n = 0 ist dieser Satz genau der Mittelwertsatz
(vgl. Satz 24.5).
(b) Der Wert von ξ hängt natürlich jeweils von x0 , x und n ab und ist im
Allgemeinen nicht zu bestimmen. Das wäre auch sehr erstaunlich, denn
dann wäre ja die Berechnung von f auf den Schwierigkeitsgrad eines Poly-
noms zurückgeführt, was dann für einfach nur (n + 1)-mal differenzierbare
Funktionen doch ein bisschen zu simpel wäre. Im ξ steckt sozusagen die
Komplexität der Funktion f .

188
Beweis von Satz 28.3. Wir betrachten ohne Beschränkung der Allgemeinheit den
Fall x0 < x und setzen

(n + 1)!  
Xn
f (k) (x0 ) k
̺ := f (x) − (x − x0 ) .
(x − x0 )n+1 k=0
k!

Dann gilt
n
X f (k) (x0 ) (x − x0 )n+1
f (x) − (x − x0 )k = ̺
k=0
k! (n + 1)!

und unsere Aufgabe ist es ein ξ ∈ (x0 , x) zu finden, so dass ̺ = f (n+1) (ξ) ist.
Dazu schreiben wir die letzte Gleichung so um, dass auf der rechten Seite Null
steht und definieren dann die Hilfsfunktion
n
X f (k) (t) (x − t)n+1
g(t) := f (x) − (x − t)k − ̺ , t ∈ [x0 , x].
k=0
k! (n + 1)!

Dann ist nach den Voraussetzungen g ∈ C([x0 , x], R) und da in g höchstens die
n-te Ableitung von f auftaucht, ist g sogar noch einmal differenzierbar auf [x0 , x].
Außerdem gilt direkt g(x) = f (x) − f (x) = 0 und so wie wir ̺ gewählt haben
gilt auch g(x0 ) = 0. Nach dem Satz von Rolle gibt es also ein ξ ∈ (x0 , x), so dass

g(x) − g(x0 )
g ′(ξ) = =0
x − x0
gilt.
Andererseits ist (nachrechnen!)

(x − t)n (x − t)n
g ′ (t) = ̺ − f (n+1) (t) ,
n! n!
womit
(x − ξ)n (x − ξ)n
0 = g ′(ξ) = ̺ − f (n+1) (ξ)
n! n!
und schließlich ̺ = f (n+1) (ξ) folgt.
Wir wollen diesen Satz nun in konkreten Situationen anwenden. Zunächst ein-
mal kann man den Satz dazu verwenden, den einen oder anderen Reihenwert zu
bestimmen. Wir betrachten hierzu das folgende Beispiel.

Beispiel 28.5. Wir untersuchen auf (−1, ∞) die Funktion f (x) = ln(1 + x) um
x0 = 0. Um den Satz anwenden zu können, müssen wir die ersten n + 1, also alle,
Ableitungen von f ausrechnen. Wir finden für x > −1
1 −1 2 −2 · 3
f ′ (x) = , f ′′ (x) = , f ′′′ (x) = , f (4) (x) =
1+x (1 + x)2 (1 + x)3 (1 + x)4

189
28. Der Satz von Taylor

und per Induktion allgemein

(−1)k−1 (k − 1)!
f (k) (x) = , k ∈ N.
(1 + x)k
Insbesondere ist also für alle k ∈ N
f (k) (0) (−1)k−1
= .
k! k
Nach dem Satz von Taylor gilt nun (mit x = 1):
n
X f (k) (0) f (n+1) (ξ) n+1
ln(2) = f (1) = f (0) + 1k + 1 (28.1)
k=1
k! (n + 1)!
n
X n
X (−1)k−1
(−1)k−1 (−1)n
= + =: + cn
k=1
k (1 + ξ)n+1(n + 1) k=1
k

mit einem ξ ∈ (0, 1). Unabhängig davon was das ξ nun genau ist, haben wir in
jedem Fall 1 + ξ > 1 und damit auch (1 + ξ)n+1 > 1. Deshalb gilt

(−1)n 1
|cn | = n+1
≤ , n ∈ N.
(1 + ξ) (n + 1) n+1

Also gilt limn→∞ cn = 0. Damit können wir in (28.1) n gegen unendlich streben
lassen und erhalten mit ∞
X (−1)k−1
= ln(2)
k
k=1

den Reihenwert der alternierenden harmonischen Reihe (vgl. Beispiel 12.1).


Um etwaigen Mäkeleien zuvorzukommen: Wer meint, dass das aber viel Aufwand
für so einen mickrigen Reihenwert war, hat noch nie selbst versucht einen Rei-
henwert zu bestimmen.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass wir damit unser Ergebnis aus Bei-
spiel 25.2 insofern verbessert haben, als wir nun

X (−1)k
ln(1 + x) = xk+1 für alle x ∈ (−1, 1]
k=0
k+1

und damit auch an einem Randpunkt wissen. Am anderen Randpunkt x = −1


ist die Reihe eine harmonische Reihe und somit divergent.

Wir haben hier schon gesehen, dass man mit dem Satz von Taylor auch andere
Dinge als Potenzreihen berechnen kann, z. B. eben den obigen Reihenwert. Wir
kommen nun zu einer weiteren, eher überraschenden, Anwendung des Satzes von
Taylor.

190
Satz 28.6. e 6∈ Q.

Beweis. Wir wissen schon, dass 2 < e < 3 gilt. Nehmen wir nun an, es gäbe
n, m ∈ N mit e = m/n, so muss n ≥ 2 sein, denn sonst wäre e ∈ N. Mit dem so
gewählten n, f (x) = ex , x = 1 und x0 = 0 wenden wir nun den Satz von Taylor
an. Dieser liefert ein ξ ∈ (0, 1) mit
n
X f (k) (0) f (n+1) (ξ)
m
= e = f (1) = + .
n k! (n + 1)!
k=0

Nun sind die Ableitungen der Exponentialfunktion zum Glück nicht schwer zu
bestimmen. Wir erhalten also
n
m X 1 eξ
= +
n k=0
k! (n + 1)!

und nach Multiplikation dieser Gleichung mit n!

n! eξ
m(n − 1)! = n! + n! + + · · · + 1 + .
| {z } | 2!
{z } n+1
∈N
∈N

Da der Ausdruck eξ/n+1 positiv ist, bleibt ihm damit nichts anderes übrig als
selbst zu N zu gehören. Damit haben wir aber einen Widerspruch, denn wegen
n ≥ 2 und ξ ∈ (0, 1) gilt

eξ e e
0< < ≤ < 1.
n+1 n+1 3

Was uns immer noch fehlt, ist ein Kriterium, wann eine beliebig oft differenzierba-
re Funktion in einer Umgebung des Entwicklungspunktes durch ihre Taylorreihe
dargestellt wird, wann also solch unangenehme Dinge wie in Beispiel 28.2 nicht
passieren können. Hier ist eines.

Satz 28.7. Es sei I ⊆ R ein Intervall und f ∈ C∞ (I, R) eine Funktion. Weiter
existiere eine Konstante C ≥ 0, so dass für alle n ∈ N und alle x ∈ I gilt

f (n) (x)
≤ C n.
n!
Dann gilt für jedes x0 ∈ I die Identität

X f (n) (x0 )
f (x) = (x − x0 )n für alle x ∈ J := I ∩ (x0 − 1/C , x0 + 1/C ).
n=0
n!

191
28. Der Satz von Taylor

Beweis. Wir müssen zunächst sicherstellen, dass die obige Potenzreihe überhaupt
für alle x ∈ J konvergiert. Das folgt direkt aus der Voraussetzung und dem Satz
von Hadamard, denn
r r
n f (n) (x0 ) n f (n) (x0 )
≤ C, d. h. lim sup ≤C
n! n∈N n!

und damit ist der Konvergenzradius größer oder gleich 1/C .


Sei nun x ∈ J beliebig gewählt. Nach dem Satz von Taylor gibt es für jedes n ∈ N
ein ξn zwischen x0 und x, so dass
n
X f (k) (x0 ) f (n+1) (ξn )
f (x) = (x − x0 )k + (x − x0 )n+1 .
k=0
k! (n + 1)!

Uns bleibt nun wie im Beispiel 28.5 zu zeigen, dass der letzte Summand für n
gegen unendlich gegen Null strebt. Dazu schätzen wir mit der Voraussetzung ab:

f (n+1) (ξn ) n+1


(x − x0 )n+1 ≤ C n+1 |x − x0 |n+1 = C|x − x0 | .
(n + 1)!

Da aber x ∈ J ist, gilt |x − x0 | < 1/C , bzw. C|x − x0 | < 1, so dass obiger Ausdruck
tatsächlich gegen Null geht, wenn n nach unendlich strebt.

Definition 28.8. Es sei I ⊆ R ein Intervall, x0 ∈ I, n ≥ 1 und f ∈ Cn (I, R).


Dann heißt das Polynom
n
X f (k) (x0 )
Tn (x, x0 ) := (x − x0 )k
k=0
k!

n-tes Taylorpolynom von f in x0 .

Bemerkung 28.9. (a) Das n-te Taylorpolynom hat immer höchstens Grad n,
dieser kann aber auch kleiner sein. Es ist das eindeutig bestimmte Polynom
p vom Grade kleiner oder gleich n, für das p(k) (x0 ) = f (k) (x0 ) für alle
k ∈ {0, 1, . . . , n} gilt.

(b) Wir können mit dieser Definition den Satz von Taylor (Satz 28.3) folgen-
dermaßen umformulieren:
Sei I ⊆ R ein Intervall, x0 ∈ I und f : I → R sei (n+1)-mal differenzierbar.
Dann gibt es zu jedem x ∈ I ein ξ = ξ(x) zwischen x0 und x mit

f (n+1) (ξ)
f (x) = Tn (x, x0 ) + (x − x0 )n+1 .
(n + 1)!

192
(c) Die Differenz zwischen der Funktion und ihrem Taylorpolynom, also der
Wert
f (n+1) (ξ)
(x − x0 )n+1
(n + 1)!
wird oft als Restglied bezeichnet.
Wir haben in Satz 24.3 gesehen, dass eine differenzierbare Funktion, die im Inne-
ren eines Intervalls ein relatives Extremum hat, dort eine verschwindende Ablei-
tung haben muss. Allerdings ist dies kein hinreichendes Kriterium für das Vorlie-
gen eines Extremums, d. h. es kann sein, dass die Ableitung Null ist, ohne dass
an dieser Stelle tatsächlich ein relatives Extremum vorliegen muss. Um wirklich
nachzuweisen, dass eine solche kritische Stelle ein relatives Extremum ist, brau-
chen wir genauere Hilfsmittel und auch hier hilft der Satz von Taylor.
Satz 28.10. Es sei I ⊆ R ein offenes Intervall, x0 ∈ I und f ∈ Cn (I, R) für ein
n ≥ 2. Weiter gelte f ′ (x0 ) = f ′′ (x0 ) = · · · = f (n−1) (x0 ) = 0, aber f (n) (x0 ) 6= 0. Ist
nun n ungerade, so hat f in x0 kein relatives Extremum, ist n gerade, so liegt in
x0 ein relatives Extremum vor, und zwar falls f (n) (x0 ) > 0 ein relatives Minimum
und falls f (n) (x0 ) < 0 ein relatives Maximum.
Beweis. Da f (n) in x0 stetig und I ein offenes Intervall ist, gibt es ein δ > 0 mit
Uδ (x0 ) ⊆ I, so dass f (n) (x) für alle x ∈ Uδ (x0 ) dasselbe Vorzeichen wie f (n) (x0 )
hat. Sei nun x ∈ Uδ (x0 ) \ {x0 } gewählt. Dann gibt es nach dem Satz von Taylor
ein ξ zwischen x und x0 mit
f (n) (ξ)
f (x) = Tn−1 (x, x0 ) + (x − x0 )n .
n!
Nach Voraussetzung sind aber die ersten n − 1 Ableitungen von f in x0 alle Null,
also bleibt vom (n − 1)-ten Taylorpolynom nur der Summand nullter Ordnung
übrig, d. h. es gilt Tn−1 (x, x0 ) = f (x0 ) und damit
f (n) (ξ)
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )n =: f (x0 ) + c(x).
n!
Da ξ zwischen x0 und x liegt, liegt es auch in Uδ (x0 ), also hat f (n) (ξ) dasselbe Vor-
zeichen wie f (n) (x0 ). Mit diesen Überlegungen können wir nun die verschiedenen
Fälle der Behauptung nacheinander untersuchen.
Ist n ungerade und f (n) (x0 ) ≷ 0, so gilt dasselbe für f (n) (ξ) und damit ist
(
≷ 0, falls x ∈ (x0 , x0 + δ),
c(x)
≶ 0, falls x ∈ (x0 − δ, x0 ),
da Potenzieren mit einem ungeraden Exponenten das Vorzeichen erhält. Daraus
folgt aber mit f (x) = f (x0 ) + c(x)
(
≷ f (x0 ), falls x ∈ (x0 , x0 + δ),
f (x)
≶ f (x0 ), falls x ∈ (x0 − δ, x0 ).

193
28. Der Satz von Taylor

Damit kann f in x0 kein Extremum haben, denn die Funktionswerte von f sind
auf der einen Seite von x0 kleiner und auf der anderen Seite von x0 größer als in
x0 .
Ist dagegen n gerade, so lässt das Potenzieren mit n das Vorzeichen verschwinden.
Also gilt für f (n) (x0 ) ≷ 0 wegen f (n) (ξ) ≷ 0 dann c(x) ≷ 0 unabhängig davon
auf welcher Seite von x0 das x liegt. Das liefert schließlich f (x) ≷ f (x0 ) für alle
x ∈ Uδ (x0 ) und damit die Behauptung.

194
29. Das Regelintegral – Teil 1:
Treppenfunktionen
Wir haben nun zunächst mal unsere Betrachtungen zur Differenziation abge-
schlossen und wollen uns einem auf den ersten Blick ganz anderen Problem zuwen-
den, der Berechnung von Flächeninhalten von krummlinig begrenzten Flächen.
Wir werden jedoch feststellen, dass sich uns dabei ein sehr überraschender Zu-
sammenhang zur Differenziation offenbart.
Wir betrachten das Problem der Flächenberechnung unter einem Funktionsgra-
phen, d. h. für a, b ∈ R mit a < b und eine gegebene beschränkte Funktion
f : [a, b] → R wollen wir den Flächeninhalt der Fläche berechnen, die von der
x-Achse, den beiden Geraden x = a und x = b und dem Graphen der Funktion
eingeschlossen wird.1

f(x)

a b x

Abbildung 29.1.: Zu bestimmende Fläche unter dem Funktionsgraphen

Wir werden dazu zunächst ganz einfache Funktionen, sogenannte Treppenfunktio-


nen, betrachten, für die sich der Flächeninhalt elementar-geometrisch bestimmen
lässt. Den Übergang zu allgemeineren Funktionen wird dann im folgenden Kapi-
tel wieder durch einen Grenzwertprozess gewährleistet, bei dem wir unser bisher
gesammeltes Wissen über Funktionenfolgen gewinnbringend verwenden können.
Dabei werden wir den oben schon angedeuteten Zusammenhang zur Differenzial-
rechnung entdecken, und so schließlich tatsächlich in der Lage sein, den Flächen-
inhalt unter Umständen exakt angeben zu können.
Wie schon vorher verwenden wir wieder den Buchstaben K, wann immer man
sowohl R als auch C einsetzen kann. Außerdem seien in diesem gesamten Kapitel
1
Genaugenommen geht es um die signierte Fläche, d. h. es sollen Flächen oberhalb der x-Achse
positiv und Flächen unterhalb der x-Achse negativ zählen.

195
29. Das Regelintegral – Teil 1: Treppenfunktionen

a, b ∈ R mit a < b gegeben und wir bezeichnen mit I das abgeschlossene Intervall
[a, b].

Definition 29.1. (a) Eine endliche Menge Z := {x0 , x1 , . . . , xn } ⊆ I heißt


Zerlegung des Intervalls I, wenn gilt

a = x0 < x1 < x2 < · · · < xn−1 < xn = b.

(b) Sind Z und Z̃ zwei Zerlegungen des Intervalls I, so heißt Z̃ eine Verfeine-
rung von Z, falls Z ⊆ Z̃ gilt.

(c) Sind Z1 und Z2 zwei Zerlegungen von I, so ist auch Z := Z1 ∪ Z2 eine Zer-
legung dieses Intervalls (warum?) und heißt die gemeinsame Verfeinerung
von Z1 und Z2 .

(d) Eine Funktion f : I → K heißt Treppenfunktion, falls es eine Zerlegung


Z = {x0 , . . . , xn } von I gibt, so dass f |(xj−1 ,xj ) für jedes j ∈ {1, . . . , n}
konstant ist.
Eine solche Zerlegung Z heißt zu f passend.

(e) Die Menge aller Treppenfunktionen auf I bezeichnen wir mit T (I).

(f ) Ist A ⊆ K, so heißt 1A : K → K mit


(
1, falls x ∈ A,
1A (x) :=
0, falls x ∈
6 A

charakteristische Funktion von A.

f(x)

a b x
x0 x1 x2 x3

Abbildung 29.2.: Beispiel einer Treppenfunktion

Bemerkung 29.2. (a) Man beachte, dass bei der Definition einer Treppen-
funktion die Werte von f an den Zerlegungsstellen x0 , . . . , xn keinen Ein-
schränkungen unterliegen. Hier kann f irgendwelche Werte annehmen.

196
(b) Ist A ⊆ I eine endliche Vereinigung von Intervallen, so ist 1A eine Trep-
penfunktion.

(c) Ist f : I → K eine Treppenfunktion, so können wir mit einer zu f passenden


Zerlegung {x0 , . . . , xn } und geeigneten c1 , . . . , cn ∈ K diese schreiben als
n
X
f (x) = cj 1(xj−1 ,xj ) (x) für alle x ∈ I \ {x0 , . . . , xn }.
j=1

(d) Hat man eine Treppenfunktion f auf I und eine zu f passende Zerlegung
von I, so passt auch jede Verfeinerung dieser Zerlegung wieder zu f .

Die Fläche unter dem Graph einer Treppenfunktion ist leicht zu bestimmen,
es sind nur einige Rechteckflächen zu bestimmen. Das führt auf die folgende
Definition.
Pn
Definition 29.3. Sei f ∈ T (I) mit einer Darstellung f (x) = j=1 cj 1(xj−1 ,xj ) (x)
für eine passende Zerlegung Z = {x0 , . . . , xn }. Dann heißt

ZZ n
X
f := cj (xj − xj−1 )
j=1

das Integral von f bezüglich Z.

Damit aus dieser Definition eine sinnvolle Setzung des Integrals von f werden
kann, müssen wir nun natürlich als erstes sicherstellen, dass der Wert des Inte-
grals für jede zu f passende Zerlegung derselbe ist. Das ist der Inhalt des ersten
Lemmas in diesem Abschnitt.

Lemma 29.4. Ist f ∈ T (I) eine Treppenfunktion und sind Z1 und Z2 zwei zu f
passende Zerlegungen von I, so gilt

ZZ1 ZZ2
f= f.

Beweis. Wir betrachten zunächst den Spezialfall, dass Z2 eine Verfeinerung von
Z1 um genau einen Punkt ist, d. h. es gilt

Z1 = {x0 , . . . , xn } und Z2 = {x0 , . . . xk−1 , y, xk , . . . , xn }

für ein k ∈ {1, . . . , n} und ein y ∈ (xk−1 , xk ). Dann gilt, da schon Z1 zu f passend
war, dass die jeweils konstanten Werte von f |(xk−1 ,y) , f |(y,xk ) und f |(xk−1 ,xk ) alle

197
29. Das Regelintegral – Teil 1: Treppenfunktionen

gleich sind. Also erhalten wir mit der vorstehenden Definition


ZZ1 n
X k−1
X n
X
f= cj (xj − xj−1 ) = cj (xj − xj−1 ) + ck (xk − xk−1 ) + cj (xj − xj−1 )
j=1 j=1 j=k+1

k−1
X n
X ZZ2
= cj (xj − xj−1 ) + ck (xk − y) + ck (y − xk−1 ) + cj (xj − xj−1 ) = f,
j=1 j=k+1

d. h. die Behauptung in diesem Spezialfall.


Ist Z2 eine beliebige Verfeinerung von Z1 , so können wir einfach das obere Ar-
gument mehrfach anwenden, und so immer noch einen Punkt mehr dazu packen.
Ganz formal sauber würde man dazu eine Induktion machen.
Wir wenden uns dem allgemeinen Fall zu, dass Z1 und Z2 beide zu f passen, aber
keine der beiden eine Verfeinerung der anderen ist. In diesem Fall betrachten wir
die gemeinsame Verfeinerung Z := Z1 ∪ Z2 . Auch diese ist dann zu f passend
und wir erhalten mit obigen Überlegungen

ZZ1 ZZ ZZ2
f= f= f

und sind fertig.

Definition 29.5. Sei f ∈ T (I) und Z eine zu f passende Zerlegung. Dann heißt

Z ZZ
f := f
I

das Integral von f über I.

Bemerkung 29.6. Für das Integral gibt es mehrere synonyme Schreibweisen.


Es ist Z Z b Z b Z
f =: f =: f (x) dx =: f (x) dx.
I a a I

Wir wollen in den folgenden Sätzen ein paar erste Eigenschaften des Integrals für
Treppenfunktionen beweisen.

Satz 29.7. Seien f, g ∈ T (I) und λ, µ ∈ K. Dann sind auch λf + µg, |f |, Re(f ),
Im(f ) und f Treppenfunktionen auf I und es gilt
Z Z Z
(a) (λf + µg) = λ f + µ g (Linearität des Integrals),
I I I
Z Z
(b) f ≤ |f | (Dreiecksungleichung).
I I

198
Z Z  Z Z  Z Z
(c) Re(f ) = Re f , Im(f ) = Im f , und f= f.
I I I I I I

Beweis. Übung.

Satz 29.8. Sei f ∈ T (I) eine Treppenfunktion. Dann gilt


Z
f ≤ (b − a) · sup |f (x)|. ( Standardabschätzung“)
I x∈I ”

Beweis. Sei Z = {x0 , . . . , xn } eine zu f passende Zerlegung von I und f (x) =


P n
j=1 cj 1(xj−1 ,xj ) (x) für geeigente c1 , . . . , cn ∈ K. Dann gilt nach der Defintion des
Integrals für Treppenfunktionen

Z ZZ n
X
f = f = cj (xj − xj−1 ) .
I j=1

Also erhalten wir mit der Dreiecksungleichung für Summen und dank einer freund-
lichen Teleskopsumme
Z n
X n
X
f ≤ |cj ||xj − xj−1 | ≤ max{|c1 |, . . . |cn |} · (xj − xj−1 )
I j=1 j=1
n
X
≤ sup |f (x)| (xj − xj−1 ) = sup |f (x)|(xn − x0 ) = sup |f (x)|(b − a).
x∈I x∈I x∈I
j=1

Satz 29.9.R SeienRf, g : I → R Treppenfunktionen mit f (x) ≤ g(x) für alle x ∈ I.


Dann gilt I f ≤ I g.

Beweis. Seien Z eine zu f passende und W eine zu g passende Zerlegung von I.


Dann passt die gemeinsame Verfeinerung Z ∪ W =: {x0 , . . . xn } sowohl zu f als
auch zu g und es sei für alle x ∈ I \ {x0 , . . . , xn }
n
X n
X
f (x) = cj 1(xj−1 ,xj ) (x), g(x) = dj 1(xj−1 ,xj ) (x)
j=1 j=1

für geeignete c1 , . . . , cn , d1 , . . . , dn ∈ R. Nach Voraussetzung gilt dann cj ≤ dj für


alle j = 1, . . . , n und wir haben damit

Z Z
Z∪W n
X n
X Z
Z∪W Z
f= f= cj (xj − xj−1 ) ≤ dj (xj − xj−1 ) = g= g.
I j=1 j=1 I

199
30. Das Regelintegral – Teil 2:
Regelfunktionen
Wir wollen natürlich nicht nur Treppenfunktionen integrieren, denn das Leben
ist im Allgemeinen nicht stückweise konstant und irgenwann werden die auch
langweilig. Das nächste Ziel ist es daher, unseren Integralbegriff auf eine größere
Funktionenklasse auszuweiten, die wir nun definieren. Auch in diesem Abschnitt
seien wieder grundsätzlich a, b ∈ R mit a < b und I := [a, b].
Definition 30.1. Eine Funktion f : I → K heißt sprungstetig auf I, falls für
alle x0 ∈ [a, b) der rechtsseitige Grenzwert limx→x0 + f (x) und für alle x0 ∈ (a, b]
der linksseitige Grenzwert limx→x0− f (x) existiert.
Die Menge aller sprungstetigen Funktionen auf I bezeichnen wir mit S(I).
Um einem häufigen Missverständnis gleich vorzubeugen: Nichts, aber auch gar
nichts in dieser Definition fordert, dass der links- und der rechtsseitige Grenzwert
in obiger Definition gleich sein müssen. Damit eine Funktion sprungstetig ist,
müssen die beiden nur existieren.
Lemma 30.2. Jede sprungstetige Funktion f : I → K ist beschränkt.
Beweis. Wir nehmen an, es gäbe eine unbeschränkte Funktion f ∈ S(I). Dann
gibt es für jedes n ∈ N ein xn ∈ I mit |f (xn )| ≥ n. Damit ist (xn ) eine Folge
in dem kompakten Intervall I = [a, b], also hat diese eine konvergente Teilfolge
(xnk )k∈N und es gilt x0 := limk→∞ xnk ∈ I. Wir wählen ein k0 ∈ N so, dass für
alle k ≥ k0 gilt nk > |f (x0 )|. Dann ist |f (xnk )| ≥ nk > |f (x0 )| und damit ist für
alle k ≥ k0 insbesondere xnk 6= x0 .
Das liefert weiter, dass mindestens eine der beiden Mengen {k ≥ k0 : xnk < x0 }
und {k ≥ k0 : xnk > x0 } unendlich viele Elemente hat. Eine solche Auswahl von
unendlich vielen Elementen bildet eine Teilfolge (xnkℓ )ℓ∈N von (xn ), die immer echt
oberhalb oder echt unterhalb von x0 liegt und weiterhin gegen x0 konvergiert. Da
nach Voraussetzung limx→x0 − f (x) und limx→x0 + f (x) existieren, muss insbeson-
dere limℓ→∞ f (xnkℓ ) existieren, was aber im Widerspruch zu |f (xnkℓ )| ≥ nkℓ für
alle ℓ ∈ N steht. Also kann es so eine Funktion nicht geben und wir sind fertig.
Das folgende Lemma liefert einen großen Zoo von Beispielen sprungstetiger Funk-
tionen.
Lemma 30.3. Alle

201
30. Das Regelintegral – Teil 2: Regelfunktionen

(a) Treppenfunktionen f : I → K

(b) stetigen Funktionen f : I → K und

(c) monotonen Funktionen f : I → R

sind sprungstetig.

Beweis. Für Treppenfunktionen und stetige Funktionen ist die Behauptung klar.
Wir wenden uns also (c) zu und betrachten im Folgenden nur den Fall einer
monoton wachsenden Funktion f . Für monoton fallende Funktionen kann man
entweder einen analogen Beweis führen oder −f betrachten.
Sei also x0 ∈ (a, b]. Dann setzen wir

α := sup{f (x) : x ∈ [a, x0 )}.

Sei nun (xn ) eine Folge in [a, x0 ) mit xn → x0 (n → ∞). Wir wollen nun zeigen,
dass limn→∞ f (xn ) = α ist. Dann folgt limx→x0 − f (x) = α und dieser Grenzwert
existiert damit.
Zunächst beobachten wir, dass nach Defintion von α auf jeden Fall f (xn ) ≤ α
für alle n ∈ N gilt. Die Folge (f (xn )) ist also nach oben beschränkt. Ein erster
Reflex ist nun auf das Monotoniekriterium loszugehen, schließlich ist f monoton!
Aber das funktioniert nicht, denn wir wissen nichts über Monotonie von (xn ).
Wir müssen uns also etwas anderes einfallen lassen.
Sei also ε > 0 gegeben. Nach Satz 2.17 gibt es dann ein y ∈ [a, x0 ) mit f (y) >
α − ε. Nun gilt limn→∞ xn = x0 , also existiert ein n0 ∈ N mit xn ≥ y für alle
n ≥ n0 . Für all diese n haben wir nun schlussendlich mit Hilfe der Monotonie
von f
f (xn ) ≥ f (y) > α − ε, d. h. 0 ≤ α − f (xn ) < ε.
Das liefert limn→∞ f (xn ) = α.
Zur Behandlung der rechtsseitigen Grenzwerte, betrachtet man x0 ∈ [a, b) und
definiert
β := inf{f (x) : x ∈ (x0 , b]}.
Ein analoges Argument liefert dann limx→x0 + f (x) = β.

Was haben nun sprungstetige Funktionen mit unseren Integralen zu tun? Die
Verbindung schafft das folgende für unser Integral fundamentale Theorem, der
Approximationssatz für sprungstetige Funktionen.

Satz 30.4 (Approximationssatz für sprungstetige Funktionen).


Eine Funktion f : I → K ist genau dann sprungstetig, wenn es eine Folge (fn )
von Treppenfunktionen auf I gibt, die gleichmäßig auf I gegen f konvergiert.

202
Beweis. ⇒“ 1 Wir führen einen Beweis durch Widerspruch. Dazu nehmen wir

an, die zu beweisende Aussage wäre falsch, d. h. es gibt eine sprungstetige
Funktion f ∈ S(I), die sich nicht gleichmäßig durch Treppenfunktionen
approximieren lässt und zeigen, dass das auf einen Widerspruch führt.
In einem ersten Schritt überlegen wir uns, dass es unter dieser Annahme
ein ε0 > 0 geben muss, so dass für alle Treppenfunktionen g ∈ T (I) gilt

sup |g(x) − f (x)| > ε0 .


x∈I

Nehmen wir an, das wäre nicht so, so gibt es für jedes ε > 0 ein g ∈ T (I)
mit supx∈I |g(x) − f (x)| ≤ ε. Nimmt man speziell für jedes n ∈ N die Wahl
ε = 1/n, so erhalten wir eine Folge (gn ) von Treppenfunktionen auf I, so
dass supx∈I |gn (x) − f (x)| ≤ 1/n ist. Also gilt

1
gn (x) − f (x) ≤ für alle n ∈ N und alle x ∈ I.
n
Nach Satz 21.8 konvergiert also die Folge von Treppenfunktionen (gn ) gleich-
mäßig gegen f , aber gerade das ist ja nicht möglich. Das postulierte ε0 > 0
existiert also und wir bewahren dieses für die weiteren Schritte des Beweises
sicher auf.
Im ebenfalls vorbereitenden zweiten Schritt betrachten wir ein beliebiges
abgeschlossenes Teilintervall J = [c, d] von I, wobei natürlich c < d gelten
soll sowie die beiden Teilintervalle J − := [c, c+d/2] und J + := [c+d/2, d], d. h.
die linke und rechte Hälfte“ von J.

Für ε > 0 nennen wir ein ϕ ∈ S(J) ε-biestig auf J, falls für jede Treppen-
funktion g : J → K gilt, dass supx∈J |g(x) − ϕ(x)| > ε ist. Das Ziel ist nun
zu zeigen, dass für jedes ϕ ∈ S(J), das ε-biestig auf J ist, auch zumindest
eine der beiden Einschränkungen ϕ|J − und ϕ|J + ε-biestig auf J − oder J +
sein muss. Auch hier gehen wir indirekt vor und zeigen die Kontraposition,
d. h. wir beweisen: Ist ϕ ∈ S(J) so, dass ϕJ − und ϕ|J + nicht ε-biestig auf
J − bzw. J + sind, so ist auch ϕ nicht ε-biestig auf J.
Also los: Da ϕ|J − und ϕ|J + nicht ε-biestig sind, gibt es Treppenfunktio-
nen g− ∈ T (J − ) und g+ ∈ T (J + ) mit supx∈J − |g− (x) − ϕ(x)| ≤ ε und
supx∈J + |g+ (x) − ϕ(x)| ≤ ε. Wir betrachten nun die Funktion g : J → K,
die durch 
 g− (x), c ≤ x < c+d/2
g(x) = ϕ(x), falls x = c+d/2
 c+d/2 < x ≤ d
g+ (x),
1
Ich danke Herrn Moritz Egert für die schöne Idee zu diesem Beweis, der mit den Mitteln
dieser Vorlesung darstellbar ist.

203
30. Das Regelintegral – Teil 2: Regelfunktionen

gegeben ist. Diese ist wieder eine Treppenfunktion auf J (warum?) und es
gilt dank J = J − ∪ J +

sup g(x) − ϕ(x) = max sup g(x) − ϕ(x) , sup g(x) − ϕ(x)
x∈J x∈J − x∈J +

= max sup g− (x) − ϕ(x) , sup g+ (x) − ϕ(x) ≤ ε.
x∈J − x∈J +

Also ist auch ϕ nicht ε-biestig auf J und Schritt 2 ist erledigt.
Im dritten Schritt können wir nun den eigentlichen Beweis führen. Sei
also f ∈ S(I) nicht gleichmäßig durch Treppenfunktionen approximierbar.
Dann haben wir im ersten Schritt gezeigt, dass es ein ε0 > 0 gibt, für das
f ε0 -biestig auf I ist. Wir wissen nun aus Schritt 2, dass eine der beiden
Einschränkungen f |I + oder f |I − ebenfalls auf I + bzw. I − ε0 -biestig sein
muss. Eine Hälfte von I, für die das der Fall ist, nennen wir I1 .
Nun können wir dieses Verfahren iterieren und erhalten eine Folge I =
I0 ⊇ I1 ⊇ I2 ⊇ I3 ⊇ . . . von abgeschlossenen Teilintervallen von I, deren
Länge gegen Null schrumpft und auf denen die Einschränkung von f jeweils
ε0 -biestig ist.
T
Nach Satz 10.15 gilt also n∈N In = {x∞ } mit einem x∞ ∈ I. Der weitere
Beweis geht davon aus, dass x∞ weder mit a noch b übereinstimmt. Die
(einfachen) Modifikationen, die sonst nötig werden, verbleiben als Übung.
Da f sprungstetig auf I ist, existieren die beiden Grenzwerte f (x∞ −) :=
limx→x∞ − f (x) und f (x∞ +) := limx→x∞ + f (x). Zu unserem ε0 gibt es daher
a∞ , b∞ ∈ I mit a∞ < x∞ < b∞ sowie |f (x) − f (x∞ −)| < ε0 für alle
x ∈ [a∞ , x∞ ] und |f (x) − f (x∞ +)| < ε0 für alle x ∈ [x∞ , b∞ ].
Wir betrachten nun die Treppenfunktion

 f (x∞ −), a∞ ≤ x < x∞
g(x) = f (x∞ ), falls x = x∞

f (x∞ +), x∞ < x ≤ b∞

auf [a∞ , b∞ ]. Für diese gilt dort nach den obigen Erkenntnissen

sup g(x) − f (x) ≤ ε0 .


x∈[a∞ ,b∞ ]

Sei nun n0 ∈ N so, dass In0 ⊆ [a∞ , b∞ ] gilt. Das geht, da die Länge der
Intervalle In gegen Null schrumpft und x∞ in jedem In enthalten ist. Dann
ist g|In0 auch eine Treppenfunktion auf In0 , für die gilt

sup g(x) − f (x) ≤ ε0 .


x∈In0

Also ist f nicht ε0 -biestig auf In0 , womit wir bei einem Widerspruch wären.

204
⇐“ Seien nun fn : I → K für jedes n ∈ N Treppenfunktionen und die Folge

(fn ) konvergiere gleichmäßig auf I gegen eine Funktion f : I → K. Wir
müssen nun zeigen, dass f sprungstetig ist.
Seien dazu x0 ∈ (a, b] und eine Folge (xj ) in [a, x0 ) mit xj → x0 (j → ∞)
gegeben. Sei außerdem ε > 0. Dank der gleichmäßigen Konvgergenz von
(fn ) existiert dann ein n0 ∈ N, so dass
ε
|fn (x) − f (x)| < für alle n ≥ n0 und alle x ∈ I
2
gilt. Wir wählen für das Folgende ein n ≥ n0 fest. Nun ist fn nach Voraus-
setzung eine Treppenfunktion, also gibt es ein α ∈ [a, x0 ), so dass fn |(α,x0 )
konstant ist. Da weiterhin (xj ) von links gegen x0 konvergiert, gibt es ein
j0 ∈ N mit xj ∈ (α, x0 ) für alle j ≥ j0 . Das bedeutet, dass fn (xj ) = fn (xk )
für alle Wahlen von j, k ≥ j0 gilt. Also haben wir für alle j, k ≥ j0 mit der
Dreiecksungleichung

f (xj ) − f (xk ) = f (xj ) − fn (xj ) + fn (xk ) − f (xk )


ε ε
≤ f (xj ) − fn (xj ) + f (xk ) − fn (xk ) < + = ε.
2 2
D. h. (f (xj )) ist eine Cauchy-Folge und damit konvergent.
Wir haben damit gezeigt, dass für jede Folge (xj ) die von links gegen x0
konvergiert, der Grenzwert limj→∞ f (xj ) existiert. Nach Satz 18.9 existiert
damit der Grenzwert limx→x0 − f (x).
Der Beweis zur Existenz von limx→x0 + f (x) für alle x0 ∈ [a, b) geht analog.

Die Idee für das weitere Vorgehen ist nun vorgezeichnet. Wir können jede sprung-
stetige Funktion f gleichmäßig durch Treppenfunktionen annähern und von jeder
Treppenfunktion das Integral bestimmen. Wir zeigen nun also, dass die Integrale
dieser annähernden Treppenfunktionen konvergiereren und definieren dann den
Grenzwert als Integral von f . Dabei müssen wir natürlich sicherstellen, dass der so
definierte Wert des Integrals nicht von der speziellen Wahl der approximierenden
Folge von Treppenfunktionen abhängt.

Satz 30.5. Sei f ∈ S(I). Dann existiert für jede Folge (fn ) von Treppenfunktio-
R
nen in I, die gleichmäßig auf I gegen f konvergieren, der Grenzwert limn→∞ I fn
und dieser ist für alle solchen Folgen derselbe.
R
Beweis. Es sei αn := I fn und ε > 0. Dank der gleichmäßigen Konvergenz von
(fn ) gegen f existiert dann ein n0 ∈ N mit
ε
fn (x) − f (x) ≤ für alle n ≥ n0 und alle x ∈ I.
2(b − a)

205
30. Das Regelintegral – Teil 2: Regelfunktionen

Für alle Wahlen von n, m ≥ n0 gilt damit mit ein wenig Unterstützung der
Standardabschätzung aus Satz 29.8
Z
|αn − αm | = (fn − fm ) ≤ (b − a) sup fn (x) − fm (x)
I x∈I

≤ (b − a) sup |fn (x) − f (x)| + |f (x) − fm (x)|
x∈I
 
≤ (b − a) sup |fn (x) − f (x)| + sup |f (x) − fm (x)|
x∈I x∈I
h ε ε i
≤ (b − a) + = ε.
2(b − a) 2(b − a)

Also ist (αn ) eine Cauchy-Folge und damit schon mal konvergent.
Sei nun (gn ) eine weitere Folge von Treppenfunktionen auf I, die gleichmäßig auf
I gegen f konvergiert. Wir betrachten die Folge (hn ) := (f1 , g1 , f2 , g2 , f3 , g3 , . . . ).
Dann ist auch (hn ) eine Folge von Treppenfunktionen auf I und diese konvergiert
auch gleichmäßig auf I gegen f (Nachweisen!). R
Nach dem ersten Teil des Beweises ist dann die Folge ( I hn ) konvergent.
R Damit
R
haben aber insbesondere die beiden Teilfolgen dieser Folge ( I fn ) und ( I gn )
denselben Grenzwert und wir sind fertig.
Das vorstehende Theorem rechtfertigt nun also die folgende Defintion.
Definition 30.6. Sei f : I → K sprungstetig und (fn ) eine Folge von Treppen-
funktionen auf I, die gleichmäßig auf I gegen f konvergiert. Dann heißt
Z Z b Z Z b Z
f := f := f (x) dx := f (x) dx := lim fn
I a I a n→∞ I

das Integral von f über I.


Eine erste Idee davon, wie regulär oder wild sprungstetige Funktionen sein kön-
nen, gibt der nächste Satz.
Satz 30.7. Jede sprungstetige Funktion auf I besitzt höchstens abzählbar viele
Unstetigkeitsstellen. Insbesondere gilt das damit für alle monotonen Funktionen.
Beweis. Sei f ∈ S(I). Dann existiert nach Satz 30.4 eine Folge (fn ) von Trep-
penfunktionen auf I, die gleichmäßig auf I gegen f konvergieren. Für jedes n ∈ N
sei
Mn := {x ∈ I : fn unstetig in x}.
Da jedesS fn eine Treppenfunktion ist, sind alle Mengen Mn endlich. Also ist
M := ∞ n=1 Mn abzählbar und in jedem Punkt x ∈ I, der nicht in M liegt,
sind alle Funktionen fn , n ∈ N, stetig. Satz 21.13 liefert also die Stetigkeit von
f in allen x ∈ I \ M, womit f höchstens abzählbar viele Unstetigkeitsstellen
besitzt.

206
Damit haben wir unseren Integralbegriff nun auf eine große Klasse von Funktio-
nen ausgeweitet. Man beachte, dass wir damit dank Lemma 30.3 insbesondere
alle stetigen und alle monotonen Funktionen auf I integrieren können. Nun brau-
chen wir natürlich ein Beispiel einer so nicht integrierbaren Funktion. Zunächst
sind alle unbeschränkten Funktionen zu nennen, die wir bisher nicht behandeln
können. Aber gibt es auch beschränkte Funktionen, die sich unserem Integral
widersetzen? Ja, hier ist so eine:

Beispiel 30.8. Es sei f : [0, 1] → R die sogenannte Dirichletsche Sprungfunktion,


gegeben durch (
1, falls x ∈ [0, 1] ∩ Q
f (x) =
0, falls x ∈ [0, 1] und x 6∈ Q.
Da man jeden rationalen Punkt in [0, 1] durch eine irrationale Folge und jeden
irrationalen Punkt durch eine rationale Folge annähern kann, ist diese Funktion
in keinem x ∈ [0, 1] stetig. Wegen Satz 30.7 kann sie dann nie und nimmer in
unserem Integralbegriff integrierbar sein.

In der Vorlesung Maß- und Intgrationstheorie werden Sie mit dem Lebesgue-
Integral einen deutlich mächtigeren Integralbegriff kennen lernen, mit dem man
sogar dem Integral über die Dirichletsche Sprungfunktion einen sinnvoll definier-
ten Wert zuweisen kann. Das Lebesgue-Integral basiert auf der gleichen Idee wie
das Regelintegral, der Approximation durch Treppenfunktionen. Es weitet die
Betrachtungen jedoch auf punktweise Grenzwerte von Treppenfunktionen aus,
was deutlich mehr Funktionen integrierbar macht. Diese Verallgemeinerung wirft
jedoch einige knifflige Probleme auf, die eine genauere Beschäftigung mit der Fra-
ge nötig machen, wie man das Volumen von Mengen messen kann. Wir stellen
die Behandlung dieses Integralbegriffs, der die Grundlage der modernen Analysis
darstellt, deshalb erst einmal zurück. Im Moment reicht uns das Regelintegral
vollständig aus.

207
31. Eigenschaften des Integrals
Wir wollen nun Rechenregeln und Eigenschaften unseres Integrals sammeln und
insbesondere den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung beweisen, der
uns die Möglichkeit eröffnet, verschiedenste Integrale auch konkret zu bestimmen.
Zunächst übertragen wir die Eigenschaften des Integrals über Treppenfunktionen,
indem wir die sprungstetigen Funktionen durch Treppenfunktionen approximie-
ren und dann die gleichmäßige Konvergenz ausnutzen.
Auch in diesem Kapitel seien wieder durchgehend a, b ∈ R mit a < b und I :=
[a, b] und wir verwenden wieder den Buchstaben K für R oder C.

Satz 31.1. Es seien f, g ∈ S(I) und α, β ∈ K. Dann sind auch αf + βg, |f |,


Re f , Im f sowie f sprungstetig und es gilt
Z Z Z
(a) (αf + βg) = α f + β g. (Linearität des Integrals)
I I I
Z b Z b
(b) f ≤ |f | ≤ (b − a) sup |f (x)|.
a a x∈I

(Dreiecksungleichung und Standardabschätzung)


Z  Z Z  Z Z Z
(c) Re f = Re(f ), Im f = Im(f ), und f= f.
I I I I I I

(d) Ist K = R und gilt f (x) ≤ g(x) für alle x ∈ I, so ist auch
Z Z
f ≤ g. (Monotonie des Integrals)
I I

Beweis. (a) Wir wählen Folgen (fn ) und (gn ) von Treppenfunktionen auf I, so
dass (fn ) gleichmäßig gegen f und (gn ) gleichmäßig gegen g konvergiert.
Dann konvergiert auch die Funktionenfolge (αfn + βgn ) gleichmäßig gegen
αf + βg und für jedes n ∈ N ist αfn + βgn eine Treppenfunktion auf I. Also
ist nach dem Approximationssatz für sprungstetige Funktionen 30.4 auch
αf + βg sprungstetig.
Weiter haben wir nach Defintion des Integrals und da das Integral für Trep-
penfunktionen nach Satz 29.7 linear ist
Z Z  Z Z  Z Z
(αf +βg) = lim (αfn +βgn ) = lim α fn +β gn = α f +β g.
I n→∞ I n→∞ I I I I

209
31. Eigenschaften des Integrals

(b) Wir wählen eine Folge (fn ) von Treppenfunktionen auf I, die gleichmäßig
auf I gegen f konvergiert. Nach Übungsaufgabe 21.9 (a) konvergiert dann
auch (|fn |) gleichmäßig auf I gegen |f |. Da auch die Funktionen |fn |, n ∈ N,
Treppenfunktionen sind, ist damit also auch |f | sprungstetig und wir haben
Z Z
|f | = lim |fn |.
I n→∞ I

Weiter gilt mit Hilfe der Dreiecksungleichung


Z Z Z Z Z
f = lim fn = lim fn ≤ lim |fn | = |f |.
I n→∞ I n→∞ I n→∞ I I

Weiter bekommen wir mit der Standardabschätzung aus Satz 29.8 und
Übungsaufgabe 21.9 (b)
Z b Z b
|f | = lim |fn | ≤ lim (b − a) sup |fn (x)| = (b − a) sup |f (x)|.
a n→∞ a n→∞ x∈I x∈I

(c) Übungsaufgabe.

(d) Seien wieder fn , gn ∈ T (I), n ∈ N, so dass (fn ) gleichmäßig gegen f und


(gn ) gleichmäßig gegen g konvergiert. Dann konvergieren nach Übungsauf-
gabe 21.9 (b) die Folgen

αn := sup |f (y) − fn (y)| und βn := sup |g(y) − gn (y)|, n ∈ N,


y∈I y∈I

gegen Null.
Wir betrachten nun die Funktionenfolgen

ϕn (x) := fn (x) − αn und ψn (x) := gn (x) + βn , x ∈ I, n ∈ N.

Dann sind auch ϕn und ψn für jedes n ∈ N Treppenfunktionen auf I. Wir


zeigen, dass auch (ϕn ) gleichmäßig gegen f konvergiert. Für alle x ∈ I gilt

|ϕn (x) − f (x)| = |fn (x) − αn − f (x)| ≤ |fn (x) − f (x)| + |αn |.

Also ist
sup |ϕn (x) − f (x)| ≤ |αn | + sup |fn (x) − f (x)|
x∈I x∈I

und die gewünschte Konvergenzaussage folgt aus der gleichmäßigen Konver-


genz von (fn ) und wieder Übungsaufgabe 21.9 (b). Eine analoge Überlegung
zeigt schließlich, dass auch (ψn ) gleichmäßig auf I gegen g konvergiert.

210
Als nächsten Schritt beobachten wir, dass für alle n ∈ N und alle x ∈ I

ϕn (x) = fn (x) − αn + f (x) − f (x) ≤ fn (x) − f (x) −αn + f (x)


| {z }
≤αn

≤ f (x) ≤ g(x) = g(x) − gn (x) + gn (x) = g(x) − gn (x) + ψn (x) − βn


≤ g(x) − gn (x) −βn + ψn (x) ≤ ψn (x)
| {z }
≤βn

gilt. Also haben wir mit Hilfe von Satz 29.9 schlussendlich
Z Z Z Z
f = lim ϕn ≤ lim ψn = g.
I n→∞ I n→∞ I I

Definition 31.2. Es seien f ∈ S(I) und c, d ∈ I mit c < d. Dann definieren wir
Z c Z c Z d Z
f (x) dx := 0 und f (x) dx := − f (x) dx = − f.
c d c [c,d]

Lemma 31.3. Seien f : I → K eine sprungstetige Funktion und c ∈ I. Dann


gilt Z b Z c Z b
f= f+ f.
a a c

Beweis. Die Aussage ist richtig für Treppenfunktionen (man wähle eine zu f
passende Zerlegung von I, die c enthält). Wählen wir nun eine Folge (fn ) von
Treppenfunktionen auf I, die auf I gleichmäßig gegen f konvergiert, so sind auch
fn |[a,c] und fn |[c,b] für jedes n ∈ N Treppenfunktionen auf [a, c] bzw. [c, b] und es
gilt

sup |fn (x) − f (x)| ≤ sup |fn (x) − f (x)| und


x∈[a,c] x∈I

sup |fn (x) − f (x)| ≤ sup |fn (x) − f (x)|.


x∈[c,b] x∈I

Also konvergieren dank Übungsaufgabe 21.9 (b) auch (fn |[a,c]) bzw. (fn |[c,b]) gleich-
mäßig auf [a, c] bzw. [c, b] gegen f |[a,c] bzw. f |[c,b]. Das liefert
Z Z Z Z  Z Z
f = lim fn = lim fn + fn = f+ f.
I n→∞ I n→∞ [a,c] [c,b] [a,c] [c,b]

Lemma 31.4. Es sei f : I → R eine sprungstetige Funktion mit R f (x) ≥ 0 für


alle x ∈ I. Ist f an einer Stelle c ∈ I stetig mit f (c) > 0, so gilt I f > 0.
Beweis. Wir führen den Beweis für den Fall c ∈ (a, b). Die einfachen Modifikatio-
nen der Argumentation in den Fällen c = a und c = b bleiben als Übungsaufgabe
stehen.

211
31. Eigenschaften des Integrals

Da f in c stetig ist und c ∈ (a, b) liegt, existiert ein δ > 0 mit [c − δ, c + δ] ⊆ (a, b)
und
1
f (x) ≥ f (c) > 0 für alle x ∈ [c − δ, c + δ].
2
Weiter istR f auf ganz I nicht-negativ,
R also haben wir dank der Monotonie des
Integrals [a,c−δ] f ≥ 0 und [c+δ,b] f ≥ 0. Damit erhalten wir
Z Z c−δ Z c+δ Z b Z c+δ Z c+δ
1 1
f= f+ f+ f≥ f≥ f (c) = 2δ f (c) > 0.
I a c−δ c+δ c−δ c−δ 2 2

Mit der Vorarbeit aus diesem Lemma können wir nun den Mittelwertsatz der
Integralrechnung beweisen.

Satz 31.5 (Mittelwertsatz der Integralrechnung). Seien f, ϕ : I → R stetig und


es gelte ϕ(x) ≥ 0 für alle x ∈ I. Dann existiert ein ξ ∈ I mit
Z b Z b
f (x)ϕ(x) dx = f (ξ) ϕ(x) dx.
a a

Bemerkung 31.6. Bevor wir diesen Satz beweisen, lohnt es sich den wichtigen
Spezialfall ϕ = 1 zu betrachten. Er lautet dann: Es existiert ein ξ ∈ I mit
Z b
f (x) dx = f (ξ)(b − a).
a

In dieser Formulierung hat der Satz auch eine geometrisch-anschauliche Bedeu-


tung. Er besagt, dass es einen Funktionswert f (ξ) mit ξ ∈ [a, b] gibt, so dass das
Rechteck mit den Seitenlängen f (ξ) und b − a den gleichen Flächeninhalt hat wie
die Fläche unter dem Graphen von f zwischen a und b, vgl. Abbildung 31.1.
Wie schon in mehreren ähnlichen Fällen vorher (Mittelwertsatz der Differenzi-
alrechnung, Satz von Taylor) ist auch hier der genaue Wert von ξ meist nicht
bestimmbar, oder seine Bestimmung zumindest genau so schwierig wie die Be-
stimmung des Integrals von f .

Beweis von Satz 31.5. Wir bemerken zunächst, dass die Aussage des Satzes für
den Fall, dass ϕ konstant Null ist, offensichtlich richtig ist. Folglich konzentrieren
wir uns auf den Fall, dass es ein x0 ∈ I mit ϕ(x0 )R 6= 0 gibt. Da ϕ nicht-negativ
ist, muss dann ϕ(x0 ) > 0 gelten und wir erhalten I ϕ > 0 aus Lemma 31.4.
Da I kompakt und f stetig ist, nimmt f auf I sein Minimum und Maximum an,
wir können also

m := min f (x) und M := max f (x)


x∈I x∈I

212
11111111111
00000000000 00
11
Rechteck gleicher
00000000000
11111111111
y Z b

10
Fläche
00000000000
11111111111 00
11 f (x) dx
10
00000000000
11111111111
a

00000000000
11111111111
00000000000
11111111111
1011111111111
0
1
000000000000
1
1011111111111
a 0
1ξ 0b x
1
00000000000
Abbildung 31.1.: Der Mittelwertsatz der Integralrechnung

setzen. Dann gilt – eingedenk der Positivität von ϕ – die Ungleichungskette


mϕ(x) ≤ f (x)ϕ(x) ≤ Mϕ(x) für alle x ∈ I. Also erhalten wir
Z Z Z Z
m ϕ(x) dx = mϕ(x) dx ≤ f (x)ϕ(x) dx ≤ M ϕ(x) dx
I I I I
R
und damit ist wegen I
ϕ 6= 0
R

m ≤ RI ≤ M.
I
ϕ

Nun ist f nach Voraussetzung eine stetige Funktion, also erkennen wir an dieser
Ungleichungskette, dass es nach dem Zwischenwertsatz ein ξ ∈ I geben muss mit
R

f (ξ) = RI .
I
ϕ
R
Multiplikation dieser Gleichung mit I
ϕ liefert die Behauptung.

Satz 31.7. Es Rsei f ∈ S(I). Für c ∈ I definieren wir die Funktion Fc : I → K


x
durch Fc (x) := c f , x ∈ I. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) Fc ist Lipschitz-stetig, also insbesondere stetig auf I.

(b) Ist f an einer Stelle x ∈ I stetig, so ist Fc in x differenzierbar und es gilt


Fc′ (x) = f (x).

Beweis. (a) Es seien x, y ∈ I. Dann gilt nach der Definition von Fc


Z x Z y Z x
Fc (x) − Fc (y) = f− f= f.
c c y

213
31. Eigenschaften des Integrals

Also können wir den Betrag mit Hilfe der Standardabschätzung durch
Z x
Fc (x) − Fc (y) = f ≤ |x − y| sup |f (s)| ≤ sup |f (s)| · |x − y|
y s∈[x,y] s∈I

abschätzen. Mit L := sups∈I |f (s)| (Man bedenke, dass f als sprungstetige


Funktion auf I insbesondere beschränkt ist, vgl. Lemma 30.2) folgt damit
die Behauptung.

(b) Für jedes h ∈ R \ {0} mit x + h ∈ I gilt


Z Z x  Z
Fc (x + h) − Fc (x) 1  x+h 1 x+h
= f− f = f.
h h c c h x
R x+h
Weiter gilt f (x) = h1 · x
f (x) ds. Also haben wir, wieder mit Hilfe der
Standardabschätzung,
Z Z
Fc (x + h) − Fc (x) 1 x+h 1 x+h
− f (x) = f (s) ds − f (x) ds
h h x h x
Z x+h
1 
= f (s) − f (x) ds ≤ sup f (s) − f (x) .
|h| x s∈[x−|h|,x+|h|]

Da f in x stetig ist, geht nun dieses Supremum für h → 0 gegen Null


(warum?). Damit ist gezeigt, dass Fc in x differenzierbar ist mit Fc′ (x) =
f (x).
Mit diesen Vorarbeiten können wir nun den Hauptsatz der Differenzial- und In-
tegralrechnung beweisen. Dieser verknüpft auf verblüffend einfache Weise die
Integral- mit der Differenzialrechung und ermöglicht so die explizite Berechnung
von vielen Integralen, indem er unsere Erkenntnisse über die Differentiation zur
Integralberechnung nutzbar macht.

Satz 31.8 (Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung).


Sei f : I → K eine stetige Funktion. Dann gelten die folgenden Aussagen.
Rx
(a) Sei c ∈ I fest und Fc (x) := c f (s) ds für jedes x ∈ I. Dann ist Fc
differenzierbar auf I und Fc′ (x) = f (x) für alle x ∈ I.

(b) Ist Φ : I → K differenzierbar mit Φ′ (x) = f (x) für jedes x ∈ I, dann gilt
Z x
Φ(x) = Φ(c) + f (s) ds für alle c, x ∈ I.
c

Beweis. Die Hauptarbeit ist schon erledigt, wir müssen nur noch alles zusam-
mensetzen.

214
(a) Ist bereits mit Satz 31.7 (b) erledigt.
(b) Sei Fa wie in (a) mit c = a. Dann gilt mit Hilfe von (a) und der Vorausset-
zung für jedes x ∈ I

(Fa − Φ)′ (x) = Fa′ (x) − Φ′ (x) = f (x) − f (x) = 0.

Also gibt es eine Konstante α ∈ K mit Fa (x) = Φ(x) + α. Damit erhalten


wir schließlich für jede Wahl von c und x aus I
Z x Z x Z c
f (s) ds = f (s) ds − f (s) ds = Fa (x) − Fa (c)
c a a
= Φ(x) + α − Φ(c) − α = Φ(x) − Φ(c),

woraus durch Umstellen der Gleichung die Behauptung folgt.


Nach Teil (b) des Hauptsatzes können wir den Wert eines Integrals über f leicht
bestimmen, wenn wir eine Funktion Φ finden, für die Φ′ = f gilt. Damit ist das
Problem der Integration darauf zurück geführt den Vorgang der Differentiation
umzukehren. Das ist leider leichter gesagt als getan, hilft aber schon oft weiter.
Definition 31.9. Sei f : I → K eine Funktion. Jede differenzierbare Funktion
F : I → K mit F ′ (x) = f (x) für alle x ∈ I heißt eine Stammfunktion von f .
Mit diesem Begriff formulieren wir den Hauptsatz noch einmal leicht um.
Korollar 31.10. (a) Ist f : I → K stetig, so besitzt f eine Stammfunktion F
auf I und es gilt
Z x
s=x
f (s) ds = F (x) − F (y) =: F (s) s=y für alle x, y ∈ I.
y

(b) Sind F, F̂ : I → K Stammfunktionen einer Funktion f : I → K, so existiert


eine Konstante α ∈ K mit F (x) = F̂ (x) + α für alle x ∈ I.

R x dem Hauptsatz 31.8 (a) ist die Funktion F : I → K mit


Beweis. (a) Nach
F (x) := a f (s) ds eine Stammfunktion von f und aus Teil (b) desselben
Satzes folgt Z x
f (s) ds = F (x) − F (y).
y

(b) Nach Satz 31.8 (b) muss für die beiden Stammfunktionen F und F̂ von f
für jedes x ∈ I gelten
Z x Z x
F (x) = F (a) + f (s) ds und F̂ (x) = F̂ (a) + f (s) ds.
a a

Also ist F (x) − F̂ (x) = F (a) − F̂ (a) =: c konstant auf I.

215
31. Eigenschaften des Integrals

Warnung 31.11. (a) Es gibt Funktionen, die eine Stammfunktion besitzen,


aber nicht sprungstetig sind. Zur Konstruktion eines Beispiels betrachten
wir auf [0, 1] die Funktion
( 3
x /2 sin(1/x), falls x ∈ (0, 1],
F (x) =
0, falls x = 0.

Von dieser haben wir in Beispiel 27.2 (d) gezeigt, dass sie auf [0, 1] differen-
zierbar ist, aber dass die Funktion f := F ′ auf [0, 1] nicht beschränkt ist.
Damit kann f auf [0, 1] nicht sprungstetig sein, aber F ist natürlich eine
Stammfunktion von f .
(b) Andersherum gibt es auch sprungstetige Funktionen, die keine Stammfunk-
tion besitzen. Als Beispiel dient uns hier auf [−1, 1] die Funktion
(
−1, falls x ∈ [−1, 0),
f (x) =
1, falls x ∈ [0, 1].

Diese ist als Treppenfunktion integrierbar. Nehmen wir an, es gäbe auf dem
Intervall [−1, 1] eine Stammfunktion F von f , so muss F nach Definition
differenzierbar sein, d. h. die Ableitung F ′ = f müsste die Zwischenwertei-
genschaft erfüllen, s. Übungsaufgabe 24.10. Da dies offensichtlich nicht der
Fall ist (−1 und 1 werden von F ′ als Werte angenommen, aber Null nicht),
kann es eine solche Stammfunktion nicht geben.
Wir haben unser Integral auf den sprungstetigen Funktionen bekommen, indem
wir es auf Treppenfunktionen definiert haben und dann gleichmäßige Grenzwer-
te von Treppenfunktionen betrachtet haben. Da wir nun für jede sprungstetige
Funktion ein Integral haben, könnte man auf die Idee kommen, denselben Trick
noch einmal zu machen und gleichmäßige Limiten von sprungstetigen Funktio-
nen betrachten, in der Hoffnung, so für eine noch größere Klasse von Funktionen
einen Integralbegriff definieren zu können.
Der nachfolgende Satz zeigt, dass das leider nichts wird, denn es stellt sich heraus,
dass eine Funktion, die gleichmäßig durch sprungstetige Funktionen approximiert
werden kann, selbst schon sprungstetig sein muss, wir bekommen also durch so
ein Vorgehen keine neuen Funktionen mehr dazu.
Dahinter steckt ein allgemeines Prinzip. Spätestens nach dem Besuch einer Vorle-
sung in Topologie oder Funktionalanalysis im weiteren Studium werden Sie obige
Hoffnung als naiv erkennen, aber im Moment spricht noch nichts gegen sie.
Satz 31.12. Für jedes n ∈ N sei fn : I → K eine sprungstetige Funktion, so dass
die Funktionenfolge (fn ) gleichmäßig auf I gegen eine Funktion f konvergiert.
Dann ist f sprungstetig und es gilt
Z Z Z
lim fn = lim fn = f.
n→∞ I I n→∞ I

216
Bemerkung 31.13. (a) Die Bedeutung dieses Satzes geht weit über die Zer-
störung der obigen Hoffnung hinaus. Wir haben es hier wieder mit einem
Resultat zu tun, das uns das Vertauschen von zwei Grenzwertprozessen
erlaubt, nämlich die Integration und den Grenzwert der Funktionenfolge.
Auch hier zeigt sich wieder wie nützlich der Begriff der gleichmäßigen Kon-
vergenz ist. Tatsächlich ist ein entsprechender Satz für nur punktweise kon-
vergente Funktionenfolgen falsch.

(b) Beachten Sie, dass nach obigem Satz für gleichmäßig konvergente Funktio-
nenreihen von sprungstetigen Funktionen
∞ Z
X Z X

fn = fn
n=0 I I n=0

gilt.

Übungsaufgabe 31.14. Zeigen Sie durch ein Beispiel, dass Satz 31.12 für eine
nur punktweise konvergente Funktionenfolge im Allgemeinen falsch ist.

Beweis von Satz 31.12. Für jedes n ∈ N ist fn nach Voraussetzung sprungste-
tig, also gibt es nach Satz 30.4 jeweils eine Treppenfunktion ϕn auf I, für die
|ϕn (x) − fn (x)| < 1/n für alle x ∈ I gilt. Auf diese Weise erhalten wir eine Funk-
tionenfolge (ϕn ) von Treppenfunktionen auf I, von der wir nun zeigen wollen,
dass sie ebenfalls gleichmäßig gegen f konvergiert.
Sei dazu ε > 0. Wir wählen nun ein n0 ∈ N so groß, dass erstens n0 > 2/ε gilt und
zweitens |fn (x) − f (x)| < ε/2 ist für alle n ≥ n0 und alle x ∈ I. Letzteres geht, da
(fn ) gleichmäßig gegen f konvergiert. Dann erhalten wir für alle x ∈ I und alle
n ≥ n0
1 ε
ϕn (x) − f (x) ≤ ϕn (x) − fn (x) + fn (x) − f (x) < + ≤ ε.
n 2
Somit ist die gleichmäßige Konvergenz von (ϕn ) Rgegen f auf I gezeigt. Damit
folgt sofort, dass f sprungstetig ist, also existiert I f . Mit diesem Wissen haben
wir nun gewonnen, denn mit Hilfe der Standardabschätzung gilt
Z Z Z
fn − f = (fn − f ) ≤ (b − a) sup fn (x) − f (x)
I I I x∈I

und letzterer Ausdruck geht nach Übungsaufgabe 21.9 (b) gegen Null. Also gilt
Z Z
lim fn = f
n→∞ I I

und wir sind fertig.

217
31. Eigenschaften des Integrals

Als Anwendung dieses Ergebnisses wollen wir abschließend einen Satz beweisen,
der thematisch ins Kapitel 21 gehört, der sich allerdings schön mit Hilfe der
Integralrechnung beweisen lässt. Deshalb liefern wir ihn hier nach.

Satz 31.15. Es sei (fn ) eine Funktionenfolge auf I = [a, b] mit fn ∈ C1 (I, K)
für alle n ∈ N. Konvergiert die Funktionenfolge (fn′ )n∈N gleichmäßig auf I gegen
eine Funktion g : I → K und ist die Folge (fn (x0 ))n∈N für ein x0 ∈ I konvergent,
so konvergiert auch die Funktionenfolge (fn )n∈N gleichmäßig auf I gegen eine
Funktion f ∈ C1 (I, K) und es gilt f ′ = g, d. h.
′
lim fn = lim fn′ .
n→∞ n→∞

Beweis. Wir setzen c := limn→∞ fn (x0 ). Nach dem Hauptsatz gilt nun für alle
x ∈ I und alle n ∈ N Z x
fn (x) = fn (x0 ) + fn′ (t) dt.
x0

Da (fn′ ) auf dem Intervall zwischen x0 und x eine gleichmäßig konvergente Funk-
tionenfolge ist und die Funktionen fn′ für jedes n ∈ N stetig und damit insbeson-
dere sprungstetig sind, gilt nach Satz 31.12
Z x Z x

lim fn (t) dt = g(t) dt.
n→∞ x0 x0

Also ist (fn ) auf I punktweise konvergent und für die Grenzfunktion f gilt
Z x
f (x) = lim fn (x) = c + g(t) dt
n→∞ x0

für jedes x ∈ I. Rx
Weiter ist nach dem Hauptsatz die Abbildung x 7→ x0 g(t) dt differenzierbar und
für die Ableitung gilt
Z x ′
g(t) dt = g(x).
x0

Da g ein gleichmäßiger Limes der nach Voraussetzung stetigen Funktionen fn′ ,


n ∈ N ist, ist auch g eine stetige Funktion. Das bedeutet weiter, dass f ′ = g auf
I stetig ist, d. h. f ∈ C1 (I, K). Es bleibt noch die gleichmäßige Konvergenz von
(fn ) auf I zu zeigen. Dazu beobachten wir für jedes x ∈ I
Z x Z x
|fn (x) − f (x)| = fn (x0 ) + fn′ (t)
dt − c − g(t) dt
x0 x0
Z x

≤ fn′ (t) − g(t) dt + |fn (x0 ) − c|
x0

218
Z x
≤ |fn′ (t) − g(t)| dt + |fn (x0 ) − c|
x0
Z b
≤ |fn′ (t) − g(t)| dt + |fn (x0 ) − c|.
a

Sein nun ε > 0 vorgegeben. Dann existiert zum einen dank der gleichmäßigen
Konvergenz von (fn′ ) ein n1 ∈ N, so dass für alle n ≥ n1 und alle t ∈ I
ε
fn′ (t) − g(t) <
2(b − a)

gilt. Zum anderen gibt es ein n2 ∈ N mit |fn (x0 )−c| < ε/2 für alle n ≥ n2 . Wählen
wir nun n0 := max{n1 , n2 }, so gilt für alle n ≥ n0 mit der Abschätzung von oben
Z b
ε ε
fn (x) − f (x) ≤ fn′ (t) − g(t) dt + |fn (x0 ) − c| ≤ (b − a) + = ε.
a 2(b − a) 2

Da wir n0 unabhängig von x wählen konnten, ist damit die Gleichmäßigkeit der
Konvergenz bewiesen.

219
32. Integrationsregeln
Zur Integration von Funktionen ist das Auffinden von Stammfunktionen von
zentraler Bedeutung. Leider gibt es dazu nicht wie bei der Differenziation einen
kompletten Satz von Regeln, mit dessen Hilfe, genug Zeit und Konzentration
vorausgesetzt, im Prinzip jede Funktion differenziert werden kann. Stattdessen
müssen wir uns mit Rechenregeln begnügen, die meist das Problem der Inte-
gration einer Funktion auf das entsprechende Problem für eine andere Funktion
zurückspielen, die dann hoffentlich einfacher ist.
Das liegt nicht daran, dass uns im Moment noch starke mathematische Hilfsmit-
tel fehlen, sondern ist ein prinzipielles Problem. Es gibt einfache stetige (sogar
beliebig oft differenzierbare) Funktionen, die nach dem Hauptsatz eine Stamm-
funktion haben, die aber nicht in einer geschlossenen Form angebbar ist.
Zusammengefasst ist dies in dem Spruch:
Differenzieren ist Handwerk, Integrieren ist Kunst.
Wir wollen uns dieser Kunst nun nähern, indem wir aus den bekannten Dif-
ferenziationsregeln, Rechenregeln für Integrale ableiten. Wir beginnen mit der
Produktregel.
Auch in diesem Kapitel steht wieder K für die mögliche Wahl von R oder C.
Satz 32.1 (Partielle Integration). Es seien I := [a, b] ⊆ R ein kompaktes Intervall
und f, g : I → K stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt
Z b Z b b
Z b
′ ′
f g = f (b)g(b) − f (a)g(a) − fg = fg − f g ′.
a a a a

Beweis. Zunächst einmal existieren alle in der Behauptung auftretenden Integra-


le, denn nach Voraussetzung sind f ′ g und f g ′ stetige Funktionen und damit auch
sprungstetig auf I.
Nach der Produktregel gilt nun
(f g)′ = f ′ g + f g ′ .
Also haben wir mit dem Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung aus
Satz 31.8,
Z b Z b Z b Z b
′ ′
 ′
b

b
f g + fg = (f g) = f g , d. h. f g = fg − f g′
a a a a a a

und damit die Behauptung.

221
32. Integrationsregeln

Beispiel 32.2. (a) Wir betrachten das Integral


Z 1
x sinh(x) dx,
0

d. h. wir wenden unseren Satz mit g(x) = x und f ′ (x) = sinh(x) auf dem
Intervall [0, 1] an. Dann ist f (x) = cosh(x) eine mögliche Wahl für die
Funktion f und wir erhalten mit partieller Integration:
Z 1 x=1
Z 1
x sinh(x) dx = x cosh(x) − cosh(x) dx
0 x=0 0
 x=1 
= cosh(1) − 0 − sinh(x) = cosh(1) − sinh(1)
x=0
e+ 1/e e− 1/e 1
= − = .
2 2 e

(b) Die Wahl von f und g kann für den Erfolg einer Anwendung dieser Regel
sehr entscheidend sein. Wenn wir beispielsweise im Integral aus (a) umge-
kehrt g(x) = sinh(x) und f ′ (x) = x genommen hätten, wären wir bei
Z 1 Z 1
1 2 x=1 1 2
x sinh(x) dx = x sinh(x) − x cosh(x) dx
0 2 x=0 0 2

gelandet. Diese Umformung ist natürlich auch richtig, aber von dem nun
entstandenen Integral weiß man erst recht nicht, wie man es berechnen soll.

(c) Manchmal muss man sich die zweite Funktion zur partiellen Integration
erst künstlich schaffen:
Z 2 Z 2 Z 2
x=2 1
ln(x) dx = 1 · ln(x) dx = x ln(x) − x dx
1 1 x=1 1 x
 x=2
= x ln(x) − x = 2 · ln(2) − 2 − 0 + 1 = 2 · ln(2) − 1,
x=1

wobei wir g(x) = ln(x) und f ′ (x) = 1 gewählt haben.

(d) Wir wollen


Z π/2

A := sin2 (x) dx
0

bestimmen. Dazu wählen wir f ′ (x) = g(x) = sin(x) und berechnen

x=π/2
Z π/2 Z π/2

= − cos(x) sin(x) − cos(x)(− cos(x)) dx = cos2 (x) dx.


x=0 0 0

222
Wenden wir nun mit f ′ (x) = g(x) = cos(x) noch einmal partielle Integrati-
on an, so erhalten wir
x=π/2
Z π/2 Z π/2

= sin(x) cos(x) − sin(x)(− sin(x)) dx = sin2 (x) dx = A


x=0 0 0

und damit außer der Gewissheit, dass wir uns unterwegs nicht verrechnet
haben, nichts neues. Wir müssen also einen anderen Weg suchen: Mit dem
Ergebnis unserer ersten partiellen Integration und dem trigonometrischen
Pythagoras sin2 (x) + cos2 (x) = 1, finden wir
Z π/2 Z π/2 Z π/2
2 2 π π
A= cos (x) dx = (1−sin (x)) dx = − sin2 (x) dx = −A,
0 0 2 0 2
woraus 2A = π/2 und schließlich
Z π/2
π
A= sin2 (x) dx =
0 4
folgt.
Die zweite wichtige Integrationsregel ergibt sich aus der Kettenregel der Diffe-
renzialrechnung.
Satz 32.3 (Substitutionsregel). Es seien [a, b] ⊆ R und [c, d] ⊆ R kompakte
Intervalle, sowie f ∈ C([a, b], K) und g ∈ C1 ([c, d], R) mit g([c, d]) ⊆ [a, b]. Dann
ist Z Z
d g(d)
f (g(t)) · g ′(t) dt = f (x) dx.
c g(c)

Beweis. Nach Korollar 31.10 besitzt f auf [a, b] eine Stammfunktion F . Wir be-
trachten die Funktion H := F ◦ g auf [c, d]. Dann gilt für alle t ∈ [c, d] nach der
Kettenregel
H ′(t) = F ′ (g(t)) · g ′(t) = f (g(t)) · g ′(t).
Also können wir mit zweimaliger Anwendung des Hauptsatzes folgern:
Z d Z g(d)

f (g(t)) · g (t) dt = H(d) − H(c) = F (g(d)) − F (g(c)) = f (x) dx.
c g(c)

Bemerkung 32.4. Häufig behilft man sich bei der Anwendung der Substituti-
onsregel einer intuitiven, aber nicht rigorosen Schreibweise. Diese leitet sich aus
dy
der alternativen Notation dx (gesprochen dy nach dx“) statt y ′ für eine diffe-

renzierbare Funktion y ab. Man fasst dann in der Substitutionsregel die Setzung
x = g(t) so auf, als sei x eine Funktion von t und rechnet mit den Differenzialen
dx und dy wie gewohnt:
dx
= g ′(t) ⇒ dx = g ′ (t) dt. “
dt ”

223
32. Integrationsregeln

Dabei erhält man genau die in der Substitionsformel stehende Ersetzung von dx
durch g ′(t)dt.
Dieser Formalismus ist sehr übersichtlich und praktisch, es sollte dabei aber nicht
in Vergessenheit geraten, dass das keine saubere Mathematik ist.

Beispiel 32.5. (a) Wir berechnen das Integral


Z 2
x
√ dx
1 2 + x2
mit unserer Schmierrechnungsmethode. Dazu√setzen wir 2 + x2 = t. Wegen
x ∈ [1, 2] können wir das auflösen √ zu x = t − 2, d. h. wir wenden die
Substitutionsregel mit g(t) := t − 2 an. Weiter ist bei der Anwendung
des Satzes c = 3 und d = 6, denn dann ist g(c) = 1 und g(d) = 2. Die
natürliche Wahl für [a, b] ist [1, 2], aber auch [a, b] = [−3, 15] ist in Ordnung.

Nun wenden wir die Substitutionsregel an. Es ist dx dt
= 1/2 t−2 = 1/2x, also
2xdx = dt“. Damit haben wir

Z 2 Z Z Z 6
x 1 2 1 1 6 1 1
√ dx = √ · 2xdx = √ dt = √ dt
1 2 + x2 2 1 2 + x2 2 3 t 3 2 t
√ t=6 √ √
= t = 6 − 3.
t=3

(b) Als zweites Beispiel wollen wir das Integral


Z 1√
A := 1 − x2 dx
0

bestimmen. Dieses
√ hat auch eine anschauliche Bedeutung, denn der Graph
der Funktion 1 − x2 ist für x ∈ [0, 1] der Viertelkreisbogen des Kreises
mit Radius 1 um 0 zwischen den Punkten (1, 0) und (0, 1). Wir bestim-
men mit diesem Integral also die Fläche dieses Viertelkreises, es sollte also,
bitteschön, π/4 herauskommen.
Wir substituieren x = cos(t). Dann gilt z. B. x = 0 für t = π/2 und x = 1
für t = 0. Wir wählen also c = π/2 und d = 0. Die Schmierrechnung gibt
uns wegen dx/dt = cos′ (t) = − sin(t) die Ersetzung dx = − sin(t) dt. Nun
gilt für alle t ∈ [0, π/2]
√ p q
1 − x = 1 − cos (t) = sin2 (t) = | sin(t)| = sin(t).
2 2

Setzen wir das nun alles zusammen, ergibt sich mit Beispiel 32.2 (d) tat-
sächlich Z 0 Z π/2
π
A= sin(t)(− sin(t)) dt = sin2 (t) dt = .
π/2 0 4

224
Im Verlauf der letzten Abschnitte hat sich aus unserer ursprünglichen Motiva-
tion für die Integralrechnung, nämlich die der Flächenberechnung, zunehmend
die abstrakte Fragestellung nach Bestimmung einer Stammfunktion ergeben. Der
Integralkalkül kann natürlich auch von Anfang an so motiviert werden. Dann
gelangt man zum unbestimmten Integral, das wir nun einführen wollen.
Definition 32.6. Es sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → K. Besitzt f auf I eine
Stammfunktion, so schreibt man für die Menge aller Stammfunktionen auch das
sogenannte unbestimmte Integral
Z Z
f oder f (x) dx.
R
Man beachte dabei, dass nun das Symbol f eine Menge von Funktionen be-
Rb
zeichnet, während das bestimmte Integral a f für vorgegebene a, b ∈ R eine
Zahl ist.
Z
Beispiel 32.7. (a) Es gilt ex dx = ex + c, c ∈ R.

Diese Zeile ist formal unsauber, denn es fehlen rechts vom Gleichheitszei-
chen die Mengenklammern. Da das aber dem üblichen Formelgebrauch in
der Analysis entspricht, wird dieser auch hier verwendet. Es ist tatsächlich
oft notationell praktisch, die Grenzen zwischen einer Stammfunktion und
der Menge aller Stammfunktionen schwammig verwischen zu lassen. Es
muss einem dann aber umso klarer sein, was hier gerade passiert und wie die
Dinge zu interpretieren sind. Nur wenn man genau weiß, dass man gerade
schlampt, darf man in der Mathematik schlampen!
Z
(b) sin(x) dx = − cos(x) + c, c ∈ R.

(c) Man beachte, dass das unbestimmte Integral auch für Funktionen Sinn er-
geben kann, die überhaupt nicht integrierbar sind. So gilt zum Beispiel für
die Funktion
 √    
 3 x sin 1 − √1 cos 1 , falls x > 0,
f (x) = 2 x x x

0, falls x = 0

wegen Beispiel 27.2 (d)


Z ( )
x /2 · sin(1/x),
3
falls x > 0,
f (x) dx = + c, c∈R
0, falls x = 0,

aber f ist für jedes b > 0 auf dem Intervall [0, b] nicht integrierbar (vgl.
Warnung 31.11 (a)).

225
32. Integrationsregeln

Wir können nun unsere Rechenregeln für Integrale auch für die unbestimmten
Integrale formulieren. Zuvor ist jedoch noch die folgende Beoachtung interessant.

Bemerkung 32.8. Auf einem kompakten Intervall [a, b] ⊆ R besitzt nach Ko-
rollar 31.10 jede stetige Funktion eine Stammfunktion. Dies gilt tatsächlich sogar
für jedes beliebige Intervall I ⊆ R. Dazu wählen wir ein beliebiges ξ ∈ I, das kein
Randpunkt von I ist, und setzen für jedes x ∈ I
Z x
F (x) = f (t) dt.
ξ

Zum Nachweis, dass nun F tatsächlich eine Stammfunktion von f ist, unterschei-
den wir die Fälle x ≥ ξ und x < ξ. Ist x ≥ ξ, so wählen wir ein b ≥ x (Im
Falle x = ξ, bitte nicht auch noch b = x, was sich dank unserer Wahl von ξ
im Inneren des Intervalls zum Glück vermeiden lässt). Nun ist nach dem Haupt-
satz die Funktion F auf dem Intervall [ξ, b] eine Stammfunktion von f , also ist
F ′ (x) = f (x).
Der Fall x < ξ geht analog.

Im Lichte dieser Bemerkung können wir also die folgenden Betrachtungen auf
beliebigen Intervallen in R anstellen.

Satz 32.9 (Partielle Integration). Es sei I ⊆ R ein Intervall und f, g : I → K


seien differenzierbare Funktionen auf I. Besitzt dann die Funktion f g ′ auf I eine
Stammfunktion, so besitzt auch f ′ g dort eine Stammfunktion und es gilt
Z Z
f g = f g − f g′

Beweis. Sei H eine Stammfunktion von f g ′ auf I. Nach der Produktregel gilt
(f g)′ = f ′ g + f g ′, also ist

f ′ g = (f g)′ − f g ′ = (f g)′ − H ′ = (f g − H)′ .

Das bedeutet, dass f g − H eine Stammfunktion von f ′ g auf I ist und mit deren
Hilfe gilt schließlich
Z Z
f g = f g − H + c = f g − f g ′.

Beispiel 32.10. (a) Parallel zu Beispiel 32.2 (c) bekommt man allgemein
Z Z Z Z
1
ln(x) dx = 1 · ln(x) dx = x · ln(x) − x · dx = x · ln(x) − 1 dx
x
= x · ln(x) − x + c, c ∈ R.

226
(b) Manchmal führt auch erst mehrmalige Anwendung der partiellen Integra-
tion zum Ziel:
Z Z  Z 
x e dx = x e − 2xe dx = x e − 2xe − 2ex dx
2 x 2 x x 2 x x

Z
= x e − 2xe + 2 ex = x2 ex − 2xex + 2ex + c,
2 x x

= ex (x2 − 2x + 2) + c, c ∈ R.
Satz 32.11 (Substitutionsregeln für unbestimmte Integrale).
Es seien I, J ⊆ R Intervalle und f ∈ C(I, K), sowie g ∈ C1 (J, R) seien Funktio-
nen mit g(J) = I. Dann gilt
Z Z

(a) f (g(t)) · g (t) dt = f (x) dx auf J.
x=g(t)

(b) Ist g ′(t) 6= 0 für alle t ∈ J, so gilt


Z Z
f (x) dx = f (g(t)) · g ′(t) dt .
t=g −1 (x)

Bemerkung 32.12. (a) Die Notation |x=g(t) bedeutet, dass man zunächst den
davor stehenden Ausdruck bestimmt, und dann überall g(t) für x einsetzt.
(b) Man beachte, dass die Voraussetzung g ′ (t) 6= 0 für alle t ∈ J in Teil (b)
des Satzes, dank der Stetigkeit der Ableitung impliziert, dass g ′ entweder
überall strikt positiv oder überall strikt negativ ist. Auf jeden Fall ist also
g streng monoton auf J und damit existiert die Umkehrfunktion g −1 auf J,
die ja in der dann folgenden Aussage auch verwendet wird.
Beweis. Nach Bemerkung 32.8 hat f auf I eine Stammfunktion F . Damit setzen
wir H := F ◦ g. Man beachte, dass damit für alle t ∈ J
Z
H(t) = F (g(t)) = f (x) dx
x=g(t)

gilt. Außerdem gilt nach der Kettenregel für alle t ∈ J


H ′ (t) = F ′ (g(t)) · g ′ (t) = f (g(t)) · g ′ (t) (32.1)
woraus bereits die erste Aussage folgt. Für die zweite Aussage machen wir uns
klar, dass
H ◦ g −1 = F ◦ g ◦ g −1 = F
gilt. Also ist wieder mit Hilfe von (32.1)
Z
f (x) dx = F (x) + c = H(g −1(x)) + c = H(t) t=g −1 (x)
+c
Z
= f (g(t)) · g ′(t) dt .
t=g −1 (x)

227
32. Integrationsregeln

Beispiel 32.13. (a) Wir berechnen auf dem Intervall (0, ∞)


Z Z
t+5 1 2t + 10
h(t) := dt = dt.
t2 + 10t + 4 2 t2 + 10t + 4

Dazu setzen wir f (x) = 1/x und g(t) = t2 + 10t + 4. Dann ist
Z ′ Z
1 g (t) 1
h(t) = dt = f (g(t)) · g ′(t) dt.
2 g(t) 2
Also haben wir mit der Substitutionsregel
Z
1 1 1
h(t) = f (x) dx = · ln(x) x=t2 +10t+4 + c = · ln(t2 + 10t + 4) + c.
2 x=g(t) 2 2

(b) Auf dem Intervall (0, 1) betrachten wir das unbestimmte Integral (vgl. Bei-
spiel 32.5 (b)) Z √
1 − x2 dx.

An diesem Beispiel werden wir sehen, wie die verschiedenen Integrationsre-


geln zusammenwirken können, denn die Stammfunktion hiervon wird sich
als einigermaßen anstrengend zu berechnen erweisen.
Wir setzen zunächst x = g(t) = sin(t) für t ∈ J := (0, π/2). Dann ist
dx/dt = cos(t), also dx = cos(t) dt und damit haben wir

Z √ Z p
1 − x2 dx = cos2 (t) cos(t) dt .
t=arcsin(x)

Da t ∈ (0, π/p
2) ist, ist das Vorzeichen des Cosinus hier immer positiv, so dass
tatsächlich cos2 (t) = cos(t) gilt. Das nun auftretende Integral über cos2 (t)
berechnen wir wieder wie in Beispiel 32.2 (d) mit partieller Integration:
Z Z Z
cos (t) dt = sin(t) cos(t) + sin (t) = sin(t) cos(t) + (1 − cos2 (t)) dt
2 2

Z
= sin(t) cos(t) + t − cos2 (t) dt,

woraus mit der Rücksubstitution t = arcsin(x) (man beachte, dass unser


Intervall (0, 1) im Definitionsbereich des Arcussinus liegt) folgt:
Z √ Z
2 1 − x dx = 2 cos2 (t) dt = sin(t) cos(t) + t + c
2

= sin(arcsin(x)) cos(arcsin(x)) + arcsin(x) + c


= x cos(arcsin(x)) + arcsin(x) + c.

228
Das können wir noch ein wenig vereinfachen, denn wegen cos2 (y)+sin2 (y) =
1 gilt (mit y = arcsin(x))
cos2 (arcsin(x)) = 1 − sin2 (arcsin(x)) = 1 − x2 ,

also cos(arcsin(x)) = 1 − x2 . Damit haben wir nun das Endergebnis
Z √
1 √ 
1 − x2 dx = x 1 − x2 + arcsin(x) + c auf (0, 1).
2
Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir nun einen weiteren Beweis für den
Satz von Taylor mit Methoden aus der Integrationstheorie angeben. Auf diese
Weise bekommen wir als neue Erkenntnis eine alternative Darstellung des Rest-
gliedes mit Hilfe eines Integrals. Da der schwierigste Teil bei der Anwendung
dieses Satzes meist die Abschätzung des Restgliedes ist, ist es natürlich praktisch
möglichst viele Darstellungen für dieses zu haben.
Satz 32.14 (Satz von Taylor (mit Integralrestglied)). Es seien I ⊆ R ein Inter-
vall, f ∈ Cn+1 (I, K) für ein n ∈ N0 und x, x0 ∈ I. Dann gilt
X n Z b
f (k) (x0 ) k (x − t)n (n+1)
f (x) = (x − x0 ) + f (t) dt.
k=0
k! a n!

Beweis. Wir führen einen Induktionsbeweis. Für n = 0 ist die Behauptung


Z x
f (x) = f (x0 ) + f ′ (t) dt,
x0

was gerade der Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung ist. Gilt die
Formel nun für ein n ∈ N0 , so haben wir für f ∈ Cn+2 (I, K) nach Induktionsvor-
aussetzung
Xn Z x
f (k) (x0 ) k (x − t)n (n+1)
f (x) = (x − x0 ) + f (t) dt.
k=0
k! x0 n!

Mit partieller Integration folgt daraus


n
X f (k) (x0 )  1 −(x − t)n+1  t=x
= (x − x0 )k + f (n+1) (t)
k=0
k! n+1 n! t=x0
Z x
(x − t)n+1 (n+2)
+ f (t) dt
x0 (n + 1)!
n
X Z x
f (k) (x0 ) f (n+1) (x0 )
k n+1 (x − t)n+1 (n+2)
= (x − x0 ) + (x − x0 ) + f (t) dt
k=0
k! (n + 1)! x 0
(n + 1)!
n+1
X f (k) (x0 ) Z x
k (x − t)n+1 (n+2)
= (x − x0 ) + f (t) dt.
k=0
k! x 0
(n + 1)!

229
33. Uneigentliche Integrale
Bisher können wir Integrale nur über kompakte Intervalle und sprungstetige,
d. h. insbesondere beschränkte Funktionen bilden. Wir wollen unser mächtiges
Werkzeug des Grenzübergangs jetzt auch hier verwenden, um etwas allgemeinere
Integrale zuzulassen.
In diesem Abschnitt seien stets a, b ∈ R und α ∈ R ∪ {−∞} sowie β ∈ R ∪ {∞}.

Definition 33.1. Es sei f : [a, β) → K (bzw. f : (α, b] → K) sprungstetig auf


dem Intervall [a, t] (bzw. [t, b]) für jedes t ∈ (a, β) (bzw. t ∈ (α, b)). Dann heißt
f uneigentlich integrierbar, wenn der Grenzwert
Z t  Z b 
lim f bzw. lim f
t→β− a t→α+ t

existiert. In diesem Fall heißt das uneigentliche Integral


Z β Z t  Z b Z b 
f := lim f bzw. f := lim f
a t→β− a α t→α+ t

konvergent. Sonst nennt man es divergent.

Beispiel 33.2. (a) Wir betrachten


Z 1
1
√ dx.
0 1 − x2

Das ist ein uneigentliches Integral, denn die Funktion 1/ 1−x2 ist auf [0, 1]

wegen limx→1− 1/ 1−x2 = ∞ nicht beschränkt. Für jedes t ∈ (0, 1) ist sie
aber stetig auf dem Intervall [0, t], also dort insbesondere sprungstetig. Wir
haben damit im Sinne der obigen Defintion den Fall a = 0 und β = 1. Dann
ist für jedes t ∈ (0, 1)
Z t
1 x=t
√ dx = arcsin(x) = arcsin(t)
0 1 − x2 x=0

und wegen limt→1− arcsin(t) = π/2 ist das uneigentliche Integral konvergent
und wir haben
Z 1 Z t
1 1 π
√ dx = lim √ dx = lim arcsin(t) = .
0 1−x 2 t→1− 0 1−x 2 t→1− 2

231
33. Uneigentliche Integrale

(b) Während im ersten Beispiel die Funktion unbeschränkt war, schauen wir
uns nun eine Integration über ein unbeschränktes Intervall an:
Z ∞
1
dx,
0 1 + x2
es ist also a = 0 und β = ∞. Für t ∈ (0, ∞) gilt nun
Z t x=t
1 π
2
dx = arctan(x) = arctan(t) −→ (t → ∞),
0 1+x x=0 2
also ist auch dieses uneigentliche Integral konvergent und es ist
Z ∞
1 π
2
dx = .
0 1+x 2
Genauso sieht man Z 0
1 π
= .
−∞ 1 + x2 2
(c) Es sei s > 0. Wann ist die Funktion 1/xs auf dem Intervall [1, ∞) uneigentlich
integrierbar? Für t ∈ (1, ∞) gilt für s = 1
Z t x=t
1
dx = ln(x) = ln(t),
1 x x=1

also ist das uneigentliche Integral in diesem Fall wegen limt→∞ ln(t) = ∞
divergent.
Für s 6= 1 ist
Z t x=t
1 1 1−s 1
s
dx = x = (t1−s − 1).
1 x 1−s x=1 1−s
Der Grenzwert dieses Ausdrucks existiert nun genau für s > 1 und es ist in
diesem Fall
Z ∞
1 1 1 1
s
dx = lim (t1−s − 1) = − = .
1 x t→∞ 1−s 1−s s−1

(d) Genauso wie im vorherigen Beispiel kann man zeigen, dass das uneigentliche
Integral Z 1
1
s
dx
0 x
genau dann konvergiert, wenn s < 1 ist. In diesem Fall gilt
Z 1
1 1
s
dx = .
0 x 1−s

232
Bisher haben wir nur uneigentliche Integrale betrachtet, die an einer Grenze un-
eigentlich sind. Natürlich will man auch den Fall behandeln, dass es an beiden
Intervallgrenzen Probleme gibt, man spricht dann oft von einem doppelt unei-
gentlichen Integral. Dazu müssen wir unsere Definition modifizieren.
Definition 33.3. Es sei f : (α, β) → K sprungstetig auf jedem Intervall [ξ, η] ⊆
(α, β). Dann heißt f auf (α, β) uneigentlich integrierbar, wenn es ein c ∈ (α, β)
gibt, so dass die beiden uneigentlichen Integrale
Z c Z β
f und f
α c

im Sinne von Defintion 33.1 konvergieren. In diesem Fall heißt das uneigentliche
Integral Z β Z c Z β
f := f+ f
α α c
konvergent.
Natürlich muss man, damit diese Definition Sinn macht, zeigen, dass der so er-
haltene Wert für das uneigentliche Integral nicht von der speziellen Wahl von c
abhängt:
Übungsaufgabe 33.4. Definition 33.3 ist von der Wahl von c ∈ (α, β) un-
abhängig.
R∞
Warnung 33.5. Das uneigentliche Integral −∞ f ist bewusst nicht definiert
Rt
durch limt→∞ −t f , sondern
Z ∞ Z 0 Z s
f = lim f + lim f.
−∞ t→−∞ t s→∞ 0
R∞
Das ist ein wesentlicher Unterschied, wie man an dem Beispiel −∞ x dx sieht.
R0 R∞
Dieses ist offensichtlich divergent, denn sowohl −∞ x dx, als auch 0 x dx sind
divergent, aber für jedes t > 0 gilt
Z t
x dx = 0.
−t

Der oben angegebene Limes existiert hier also und ist Null. Trotzdem ergibt es
keinen Sinn, dadurch das uneigentliche Integral zu definieren, denn dass sich die
positiven und negativen Beiträge hier gerade aufheben, liegt daran, dass wir die
Grenzwerte in Richtung ∞ und −∞ genau gleich schnell laufen lassen. Bildet
man z.B. den genau so sinnvollen (bzw. nicht sinnvollen) Grenzwert
Z t+1 
1 2 1 2 1
lim x dx = lim (t + 1) − t = lim t + = ∞,
t→∞ −t t→∞ 2 2 t→∞ 2

233
33. Uneigentliche Integrale

sieht das Ergebnis schon anders aus.


Also merke: Ein doppelt uneigentliches Integral konvergiert nur dann, wenn es
an beiden Integrationsgrenzen unabhängig voneinander konvergiert.
Beispiel 33.6. (a) Es ist mit Hilfe von Beispiel 33.2 (b) das doppelt uneigent-
liche Integral Z ∞
1
2
dx
−∞ 1 + x
konvergent und gleich π.
(b) Sei s > 0. Kombiniert man (c) und (d) aus Beispiel 33.2, so sieht man, dass
das doppelt uneigentliche Integral
Z ∞
1
dx
0 xs
genau dann konvergiert, wenn s > 1 und s < 1 gilt, d. h. es ist immer
divergent.
Die folgenden Sätze und Definitionen formulieren
Rβ wir der Übersichtlichkeit halber
nur für uneigentliche Integrale der Form a f (x) dx. Dabei sei stets vorausgesetzt,
dass f für jedes t ∈ (a, β) auf [a, t] sprungstetig ist. Entsprechende Sätze und
Defintionen gelten auch für die anderen Arten uneigentlicher Integrale, wobei bei
doppelt uneigentlichen Integralen immer darauf geachtet werden muss, dass an
beiden Grenzen unabhängig voneinander Konvergenz vorliegt.
Die Beweise der nächsten Sätze sind denen der entsprechenden Aussagen für Rei-
hen nachgebildet. Hier wird die enge Verwandtschaft der uneigentlichen Integrale
mit den uendlichen Reihen überaus deutlich.
Im Folgenden seien jeweils f, g : [a, β) → K Funktionen, die für jedes t ∈ (a, β)
auf dem Intervall [a, t] sprungstetig sind.

Satz 33.7 (Cauchy-Kriterium). Das uneigentliche Integral a f ist genau dann
konvergent, wenn es für jedes ε > 0 ein c = c(ε) ∈ (a, β) gibt, so dass
Z v
f < ε für alle u, v ∈ (c, β)
u

gilt.
Beweis. =⇒“ Sei ε > 0. Nach Voraussetzung existiert der Grenzwert

Z t Z β
lim f= f
t→β− a a

und das bedeutet mit Hilfe von Satz 18.8, dass wir ein δ > 0 finden, so dass
für alle t ∈ (β − δ, β) gilt
Z t Z β
ε
f− f < .
a a 2

234
Nehmen wir nun u, v ∈ (β − δ, β) so gilt
Z v Z v Z u Z v Z β Z u Z β
ε ε
f = f− f ≤ f− f + f− f < + = ε.
u a a a a a a 2 2
Mit c := β − δ haben wir damit die Richtung von links nach rechts.
⇐=“ Sei (tn ) eine Folge in [a, β) mit limn→∞ tn = β und R v sei ε > 0. Nach

Voraussetzung existiert dann ein c ∈ (a, β), so dass | u f | < ε ist für alle
u, v ∈ (c, β). Dank der Konvergenz der Folge (tn ) gegen β gibt es weiter ein
n0 ∈ N mit tn ∈ (c, β) für alle n ≥ n0 . Damit wissen wir für alle n, m ≥ n0
Z tn Z tm Z tm
f− f = f < ε.
a a tn
R tn
Wir haben gezeigt, dass ( a f )n∈N eine Cauchyfolge in K ist, also ist diese
konvergent. Da wir dies für jede Folge in [a, β) gezeigt haben, die gegen
Rt
β konvergiert, liefert Satz 18.9, dass der Funktionengrenzwert limt→β− a f

existiert. Damit konvergiert a f und wir sind fertig.
Beispiel 33.8. Wir weisen mit Hilfe des Cauchykriteriums nach, dass
Z ∞
sin(x)
dx
0 x
ein konvergentes uneigentliches Integral ist. Dazu stellen wir zunächst fest, dass
dieses, obwohl es auf den ersten Blick doppelt uneigentlich aussieht, eigentlich nur
einfach uneigentlich für x gegen unendlich ist, denn nach Beispiel 19.6 (b) können
wir die Funktion x 7→ sin(x)/x durch den Wert 1 stetig nach x = 0 fortsetzen.
Es seien u, v ∈ (0, ∞) mit u < v. Dann gilt mit Hilfe partieller Integration
Z v Z v
sin(x) cos(x) x=v 1
dx = − − − 2 (− cos(x)) dx
u x x x=u u x
Z v
cos(u) cos(v) cos(x)
≤ − − dx .
u v u x2

Im nächsten Schritt schätzen wir mehrfach mit Dreiecksungleichungen ab und


erhalten, da u und v strikt positiv sind,
Z v
| cos(u)| | cos(v)| | cos(x)|
≤ + + dx.
u v u x2

Da die Cosinusfuktion auf R durch eins beschränkt ist, geht die Abschätzung
munter weiter:
Z v
1 1 1 1 1 1 x=v 1 1 1 1 2
≤ + + 2
dx = + − = + + − = .
u v u x u v x x=u u v u v u

235
33. Uneigentliche Integrale

Sei ε > 0. Dann gibt es ein c > 0 mit c > 2/ε und es gilt für alle u, v ∈ (c, ∞)
dank obiger Rechnung
Z v
sin(x) 2 2
dx ≤ ≤ < ε.
u x u c
Das Cauchykriterium aus Satz 33.7 liefert damit die Konvergenz des betrachteten
Integrals.
betrachtet man dagegen das Integral
Z ∞
| sin(x)|
dx,
0 x
so stellt sich heraus, dass dieses divergent ist. Wir haben hier einen ähnlichen
Effekt wie bei der harmonischen und der alternierenden harmonischen Reihe.
Das motiviert die folgende Definition.

Definition 33.9. Das uneigentliche Integral a f heißt absolut konvergent, wenn

das uneigentliche Integral a |f | konvergent ist.

Parallel zu unseren Überlegungen bei absolut konvergenten Reihen, können wir


auch hier den folgenden Satz zeigen.

Satz 33.10 (Dreiecksungleichung für uneigentliche Integrale). Ist das uneigent-



liche Integral a f absolut konvergent, so ist es auch konvergent und es gilt
Z β Z β
f ≤ |f |.
a a

Beweis. Wir wenden das Cauchykriterium gleich zweimal an. Sei dazu ε > 0.
Dann gibt es dank der absoluten Konvergenz des Integrals nach Satz 33.7 ein
c ∈ (a, β), so dass für alle u, v ∈ (c, β) gilt
Z v
|f | < ε.
u

Nach der Dreiecksungleichung aus Satz 31.1 (b) ist dann für alle u, v ∈ (c, β)
Z v Z v
f ≤ |f | < ε,
u u

was wiederum nach Satz 33.7 bedeutet, dass das Integral a f konvergent ist. Mit
diesem Wissen ausgestattet, folgern wir daraus schließlich
Z β Z t Z t Z t Z β
f = lim f = lim f ≤ lim |f | = |f |.
a t→β− a t→β− a t→β− a a

236
Die Übertragung des Beweises des folgenden Satzes aus dem Kapitel über absolute
Konvergenz bleibt als Übungsaufgabe.
Satz 33.11 (Majoranten-/Minorantenkriterium). Es sei K = R.

(a) Ist |f (x)| ≤ g(x) für alle x ∈ [a, β) und ist das uneigentliche Integral a
g

konvergent, so konvergiert a f absolut.

(b) Ist f (x) ≥ g(x) ≥ 0 für alle x ∈ [a, β) und ist das uneigentliche Integral
Rβ Rβ
a
g divergent, so ist auch a f divergent.
Beispiel 33.12. (a) Wir untersuchen
Z ∞ Z ∞
x
√ dx =: f (x) dx
1 1 + x5 1

auf Konvergenz. Wegen


x x 1
|f (x)| = √ ≤ √ = 3/2 =: g(x)
1+x5 x 5 x
R∞
und da nach Beispiel 33.2 (c) das uneigentliche Integral 1 x−3/2 dx kon-
vergiert, ist das untersuchte uneigentliche Integral nach dem Majoranten-
kriterium absolut konvergent.
Einen genauen Wert für das Integral können wir, wie beim Majorantenkri-
terium üblich, nicht angeben, aber das ist auch meist nicht nötig, denn wir
haben ja mit Hilfe der Dreiecksungleichung die Abschätzung
Z ∞ Z ∞ Z ∞
1 1
f (x) dx ≤ g(x) dx = 3/2
dx = 3 = 2.
1 1 1 x /2 − 1

(b) Wir untersuchen noch das uneigentliche Integral


Z ∞ Z ∞
x
dx =: f (x) dx.
1 x2 + 7x + 10 1

Vergleichen wollen wir die Funktion f mit der Funktion g(x) := 1/x für
große x. Dazu bemerken wir zunächst
f (x) x2
lim = lim 2 = 1.
x→∞ g(x) x→∞ x + 7x + 10

Also gibt es ein c > 1, so dass f (x)/g(x) ≥ 1/2 für alle x ≥ c gilt, was wiederum
f (x) ≥ g(x)
R /∞2 = /2x > 0 für alle diese x bedeutet. Da nun das uneigentliche
1

Integral c /2x dx nach Beispiel 33.2 (c) divergent ist,R divergiert nach
1

dem Minorantenkriterium auch das uneigentliche Integral c f (x) dx, und
damit divergiert auch das Ausgangsintegral.

237
33. Uneigentliche Integrale

Bemerkung 33.13. Das im letzten Beispiel verwendete Verfahren ist ziemlich


universell einsetzbar. Allgemein folgt für zwei Funktionen f und g aus der Bezie-
hung limx→β f (x)/g(x) = L > 0 die Ungleichungskette

1 f (x) 3
L≤ ≤ L für alle x ∈ [c, β)
2 g(x) 2

für ein nahe genug bei β gewähltes c. Daraus lässt sich dann immer wie oben
eine Abschätzung für das Majoranten- bzw. das Minorantenkriterium bekommen.
Qualitativ gesprochen bedeutet die Existenz eines endlichen Grenzwertes von
f (x)/g(x), wenn x gegen die Problemstelle läuft, dass f und g das gleiche Verhalten

an der Problemstelle haben.

Bevor wir dieses Kapitel abschließen, sei noch einmal vor einem typischen Fehler
gewarnt.

Warnung 33.14. Wir haben in Beispiel 33.2 (d) bemerkt, dass das uneigentliche
R1 R1
Integral 0 1/√x dx konvergiert, aber 0 1/x dx divergiert. Daran sieht man, dass
man im Allgmeinen nicht schließen kann, dass mit f auch sofort f 2 uneigentlich
integrierbar ist! Das wird trotzdem immer wieder gerne versucht. Es gilt also
allgemein nicht, dass das Produkt uneigentlich integrierbarer Funktionen wieder
uneigentlich integrierbar ist.

Übungsaufgabe 33.15. Das uneigentliche Integral a f ist genau dann konver-

gent, wenn es ein c ∈ [a, β) gibt, so dass c f konvergent ist. In diesem Falle
gilt Z Z Z
β c β
f= f+ f.
a a c

238
34. Die Γ-Funktion
Satz 34.1. Es sei x > 0. Dann ist das doppelt uneigentliche Integral
Z ∞
e−t tx−1 dt
0

konvergent.

Beweis. Wir untersuchen zunächst das Integral von Null bis Eins. Dazu beob-
achten wir, dass
e−t tx−1
lim 1 = lim e−t = 1
t→0+ t→0+
t1−x

ist. Also gibt es wie in Bemerkung 33.13 ein c ∈ (0, 1) mit

3 1
0 ≤ e−t tx−1 ≤ für alle t ∈ (0, c).
2 t1−x
Rc
Da außerdem für alle x > 0 das uneigentliche Integral 0 1/t1−x dt konvergiert, ist
Rc
nach dem Majorantenkriterium auch 0 e−t tx−1 dt, und damit nach Übungsauf-
R1
gabe 33.15 auch 0 e−t tx−1 dt konvergent.
Für das Integral von Eins bis ∞ vergleichen wir mit 1/t2 und erhalten

e−t tx−1 tx+1


lim 1 = lim = 0.
t→∞ t→∞ et
t2

Also gibt es wieder ein c > 1 mit

11
0 ≤ e−t tx−1 ≤ für alle t ≥ c
2 t2
R∞
und da c 1/t2 dt konvergent
R ∞ −t x−1 ist, konvergiert damit
R ∞nach dem Majorantenkrite-
−t x−1
rium auch wieder c e t dt und somit auch 1 e t dt. Also sind beide
Teile des doppelt uneigentlichen Integrals konvergent, d. h. es konvergiert auch
als ganzes.

Das soeben behandelte Integral ist wichtig genug, dass es einen Namen verdient
hat.

239
34. Die Γ-Funktion

Definition 34.2. Die nach Satz 34.1 durch Γ : (0, ∞) → R mit


Z ∞
Γ(x) := e−t tx−1 dt, x > 0,
0

gegebene Funktion heißt Gamma-Funktion.


Satz 34.3. Für alle x > 0 gilt Γ(x + 1) = xΓ(x).
Beweis. Es seien 0 < α < β. Dann gilt mit partieller Integration
Z β Z β Z β
−t x −t x
β
−t x−1 1 x 1 x
e t dt = −e t − (−e )xt dt = α α − β β + x e−t tx−1 dt.
α α α e e α

Setzen wir speziell β = 1, so erhalten wir


Z 1 Z 1
−t x 1 x 1
e t dt = α α − + x e−t tx−1 dt.
α e e α

und mit α → 0 also


Z 1 Z 1
−t x 1
e t dt = − + x e−t tx−1 dt.
0 e 0

Machen wir die gleichen Überlegungen mit der speziellen Wahl α = 1 und dem
Grenzübergang β → ∞, so erhalten wir
Z β Z β
−t x 1 1 x
e t dt = − β β + x e−t tx−1 dt,
1 e e 1

bzw. Z ∞ Z ∞
−t x 1
e t dt = + x e−t tx−1 dt.
1 e 1
Zusammengenommen bedeutet das
Z ∞ Z 1 Z ∞
−t x −t x
Γ(x + 1) = e t dt = e t dt + e−t tx dt
0 0 1
Z 1 Z ∞ Z ∞
1 −t x−1 1 −t x−1
=− +x e t dt + + x e t dt = x e−t tx−1 dt
e 0 e 1 0
= xΓ(x).

Aus diesem Resultat lässt sich nun relativ schnell folgern, dass die Gamma-
Funktion eine Erweiterung der Fakultät auf die reellen Zahlen darstellt.
Korollar 34.4. Für alle n ∈ N0 gilt

Γ(n + 1) = n!

240
Beweis. Wir führen einen Induktionsbeweis. Für n = 0 gilt
Z ∞ Z s s
−t 0
Γ(1) = e t dt = lim e−t dt = lim −e−t = lim 1 − e−s = 1 = 0!.
0 s→∞ 0 s→∞ 0 s→∞

Also haben wir den Induktionsanfang erledigt. Gilt nun Γ(n + 1) = n! für ein
n ∈ N0 , so haben wir nach Satz 34.3

Γ(n + 2) = Γ((n + 1) + 1) = (n + 1)Γ(n + 1) = (n + 1)n! = (n + 1)!.

241
Tabelle der griechischen Buchstaben
groß klein Name
A α Alpha
B β Beta
Γ γ Gamma
∆ δ Delta
E ǫ, ε Epsilon
Z ζ Zeta
H η Eta
Θ θ, ϑ Theta
I ι Iota
K κ, κ Kappa
Λ λ Lambda
M µ My
N ν Ny
Ξ ξ Xi
O o Omikron
Π π, ̟ Pi
P ρ, ̺ Rho
Σ σ, ς Sigma
T τ Tau
Y υ Ypsilon
Φ φ, ϕ Phi
X χ Chi
Ψ ψ Psi
Ω ω Omega

243
Index

Abbildung, 8 Aussageform, 3
abgeschlossene Menge, 135 Axiom, 11
abgeschlossenes Intervall, 14
Ableitung, 153 b-adische Entwicklung, 91
logarithmische, 158 bedingt konvergente Reihe, 73
Ableitungsfunktion, 153 Bernoullische Ungleichung, 23
absolute Konvergenz, 81 beschränkte
für uneigentliche Integrale, 236 Funktion, 135
in C, 111 beschränkte
abzählbar unendliche Menge, 33 Folge, 39
abzählbare Menge, 33 in C, 111
Addition, 11 Menge, 15
bestimmt divergente Folge, 40
in C, 107
bestimmt divergente Reihe, 65
Additionstheoreme, 171
Betrag, 13
allgemeine Potenz, 140
in C, 109
Allquantor, 6
Beweis
alternierende harmonische Reihe, 71
durch Kontraposition, 8
alternierende Reihen, 71
durch vollständige Induktion, 19
Antisymmetrie, 12
bijektiv, 9
Approximationssatz für sprungsteti-
Bild, 8
ge Funktionen, 202
Bildmenge, 8
Äquivalenz von Aussagen, 7
Binomialformel, 23
Archimedes, Satz von, 20 Binomialkoeffizienten, 23
Arcuscosinus, 179 Bolzano, Nullstellensatz von, 134
Arcussinus, 179 Bolzano-Weierstraß, Satz von, 57
Arcustangens, 178 in C, 112
Areacosinus hyperbolicus, 181
Areasinus hyperbolicus, 181 C(D, K), 127
Areatangens hyperbolicus, 181 Cantorsches Diagonalverfahren, 35, 92
Argument einer Funktion, 8 Cauchy-Folge, 62
Argument einer komplexen Zahl, 177 in C, 111
Assoziativgesetz, 11 Cauchy-Kriterium
Aussage, 4 für Folgen, 62

245
in C, 112 e, 52
für Reihen, 68 Eins, 11
in C, 113 Einschränkung einer Funktion, 10
für uneigentliche Integrale, 234 Element, 3
Cauchy-Produkt, 97 endliche Menge, 33
in C, 114 Entwicklungspunkt, 101
charakteristische Funktion, 196 ε-Umgebung, 37
Cn (I, K), 186 in C, 111
Cosinus, 104 Euler-Formel, 116
hyperbolicus, 180 Eulersche Zahl, 52
in C, 116 Existenzquantor, 6
Cotangens, 178 Exponentialfunktion, 88, 98
C∞ (I, K), 186 Funktionalgleichung, 98
in C, 115
de l’ Hospital, Satz von, 163 Exponentialreihe, 88
De Moivre, Formel von, 116 Extremum
De Morgan, Regeln von, 5 globales, 159
Definitionsmenge, 8 lokales, 159
Diagonalverfahren, Cantorsches, 35, relatives, 159
92
dichte Teilmenge, 27 Fakultät, 23
Differenzierbarkeit, 153 Folge, 33
der Umkehrfunktion, 157 beschränkte, 39
n-malige, 183 in C, 111
stetige, 186 bestimmt divergente, 40
zweimalige, 183 Cauchy-, 62
Dirichletsche Sprungfunktion, 207 in C, 111
Distributivgesetz, 11 divergente, 37
divergente geometrische, 46
Folge, 37 konvergente, 37
Minorante, 83 in C, 111
Reihe, 65 monoton fallende, 47
∼s uneigentliches Integral , 231 monoton wachsende, 47
Divergenz, bestimmte, 40 monotone, 47
Division, 12 Null-, 38
Dreiecksungleichung, 14 rekursiv definierte, 48
für uneigentliche Integrale, 236 streng monoton fallende, 47
für Integrale, 198, 209 streng monoton wachsende, 47
in C, 110 streng monotone, 47
umgekehrte, 14 Teil-, 53
verallgemeinerte, 81 umgeordnete, 72
in C, 113 Folgenglied, 33
Durchschnitt von Mengen, 4 Folgenstetigkeit, 127
Fortsetzung ganze Zahlen, 19
stetige, 130 Gaußklammer, 89
Funktion, 8 Gaußsche Zahlenebene, 109
beliebig oft differenzierbare, 186 geometrische
beschränkte, 135 Folge, 46
bijektive, 9 Reihe, 66
charakteristische, 196 in C, 115
differenzierbare, 153 Summenformel, 26
gerade, 172 gerade Funktion, 172
gleichmäßig stetige, 150 Gleichheitszeichen, 3
injektive, 9 gleichmäßige Konvergenz, 143
Lipschitz-stetige, 151 gleichmäßige Konvergenz
monoton fallende, 119 lokal, 143
monoton wachsende, 119 gleichmäßige Stetigkeit, 150
monotone, 119 globales Maximum/Minimum, 159
n mal differenzierbare, 183 globlaes Extremum, 159
periodische, 174 Grenzfunktion, 141
sprungstetige, 201 Grenzwert, 37
Stamm-, 215 einer Funktion, 120
stetig differenzierbare, 186 linksseitig, 120
stetige, 127 rechtsseitig, 120
streng monoton fallende, 119 Vertauschung, 49
streng monoton wachsende, 119 Grenzwertsätze
streng monotone, 119 für Funktionen, 123
surjektive, 9 Grenzwertsätze, 41
Treppen-, 196 für Reihen, 68
Umkehr-, 10
uneigentlich integrierbare, 231, 233 Hadamard, Satz von, 101, 115
ungerade, 172 Häufungspunkt einer Menge, 119
unstetige, 127 Häufungswert einer Folge, 53
zweimal differenzierbare, 183 halboffenes Intervall, 14
Funktionalgleichung der Exponenti- harmonische Reihe, 67
alfunktion, 98 Hauptsatz d. Diff.- u. Integr.-Rechn.,
Funktionenfolge, 141 214
gleichmäßig konvergente, 143 Hospital, Satz von de l’, 163
lokal gleichmäßig konvergente, 143
punktweise konvergente, 141 i, 107
Funktionenreihe, 141 Identitätssatz für Potenzreihen, 131
gleichmäßig konvergente, 143 imaginäre Einheit, 107
lokal gleichmäßig konvergente, 143 Imaginärteil, 107
punktweise konvergente, 141 Implikation, 7
Indexmenge, 6
Gamma-Funktion, 240 Indexshift, 24
Induktion, vollständige, 19 gleichmäßige, 143
Induktionsmenge, 19 lokal gleichmäßige, 143
Infimum einer Menge, 15 punktweise, 141
injektiv, 9 unbedingte, 73
Inklusion, 4 Konvergenzradius, 102, 115
Integral
bezüglich Z, 197 leere Menge, 4
einer sprungstetigen Funktion, 206 leere Summe, 75
einer Treppenfunktion, 198 Leibniz-Kriterium, 72
Standardabschätzung, 199 Limes, 37
unbestimmtes, 225 inferior, 58
uneigentliches, 231, 233 superior, 58
Integration, partielle, 221 linksseitiger Grenzwert, 120
für unbestimmte Integrale, 226 Lipschitz-Stetigkeit, 151
Integrierbarkeit, uneigentliche, 231, 233 logarithmische Ableitung, 158
Intervall, 14 Logarithmus
abgeschlossenes, 14 in C, 177
halboffenes, 14 natürlicher, 138
offenes, 14 Reihenentwicklung, 169
Intervallschachtelung, Prinzip der, 63 lokal gleichmäßige Konvergenz, 143
lokales Maximum/Minimum, 159
K, 111
kartesisches Produkt, 4 Mächtigkeit, 33
Kettenregel, 156 Majorantenkriterium, 83
Kommutativgesetz, 11 für Funktionenreihen, 146
kompakte Menge, 135 für uneigentliche Integrale, 237
Komplement einer Menge, 4 in C, 114
komplexe Zahlen, 107 Maximum
Komposition, 9 einer Funktion, 159
Konjugation, 109 globales, 159
konjugiert komplexe Zahl, 109 lokales, 159
Kontraposition, 8 relatives, 159
konvergente Maximum einer Menge, 16
Folge, 37 Menge, 3
in C, 111 abgeschlossene, 135
Majorante, 83 abzählbar unendliche, 33
Reihe, 65 abzählbare, 33
in C, 111 beschränkte, 15
∼s uneigentliches Integral , 231 Bild-, 8
Konvergenz, 37 Definitions-, 8
absolute, 81 dichte, 27
in C, 111 Element einer, 3
bedingte, 73 endliche, 33
Index-, 6 negative reelle Zahlen, 13
kompakte, 135 strikt, 13
Komplement einer, 4 Null, 11
Mächtigkeit einer, 33 Nullfolge, 38
nach oben beschränkte, 15 Nullstellensatz von Bolzano, 134
nach unten beschränkte, 15
Ober-, 4 obere Schranke, 15
Teil-, 4 oberer Limes, 58
überabzählbare, 33 Obermenge, 4
unendliche, 33 offenes Intervall, 14
Urbild-, 8
Partialsumme, 65
wohlgeordnete, 22
partielle Integration, 221
Ziel-, 8
für unbestimmte Integrale, 226
Mengendifferenz, 4
passende Zerlegung, 196
Minimum periodische Funktion, 174
einer Funktion, 159 π, 174
globales, 159 Poduktzeichen, 22
lokales, 159 Polarkoordinaten, 176
relatives, 159 positive reelle Zahlen, 13
Minimum einer Menge, 16 strikt, 13
Minorantenkriterium, 83 Potenz
für uneigentliche Integrale, 237 allgemeine, 140
Mittelwertsatz, 160 ganzzahliger Exponent, 22
der Integralrechnung, 212 rationaler Exponent, 30
verallgemeinerter, 163 Potenzfunktion, 140
monoton fallende Potenzreihe, 101
Funktion, 119 Entwicklungspunkt einer, 101
monoton fallende Folge, 47 Konvergenzradius einer, 102
monoton wachsende Prinzip der Intervallschachtelung, 63
Funktion, 119 Produkt, kartesisches, 4
monoton wachsende Folge, 47 Produktregel, 155
monotone Produktreihe, 95
Funktion, 119 punktweise Konvergenz, 141
monotone Folge, 47
Monotonie-Kriterium, 47 Q, 27
für Reihen, 68 Quantor, 6
Multiplikation, 11 Quantoren-Umklappprinzip, 6
in C, 107 Quotientenkriterium, 87
in C, 114
N, 19 Quotientenregel, 155
n-te Ableitung, 183
natürlicher Logarithmus, 138 rationale Zahlen, 27
natürliche Zahlen, 19 Realteil, 107
rechtsseitiger Grenzwert, 120 von Bolzano, Nullstellen-, 134
reelle Zahlen, 11 von Bolzano-Weierstraß, 57
negative, 13 in C, 112
positive, 13 von de l’Hospital, 163
strikt negative, 13 von Hadamard, 101, 115
strikt positive, 13 von Rolle, 161
Reihe, 65 von Taylor, 188
absolut konvergente, 81 mit Integralrestglied, 229
in C, 111 Zwischenwert-, 133
alternierende, 71 Schnitt von Mengen, 4
alternierende harmonische, 71 Schranke
bedingt konvergente, 73 obere, 15
bestimmt divergente, 65 untere, 15
divergente, 65 Sinus, 104
Exponential-, 88 hyperbolicus, 180
geometrische, 66 in C, 116
in C, 115 sprungstetige Funktion, 201
harmonische, 67 Stammfunktion, 215
konvergente, 65 Standardabschätzung für Integrale, 199,
in C, 111 209
Potenz-, 101 stetige Differenzierbarkeit, 186
umgeordnete, 72 stetige Fortsetzung, 130
unbedingt konvergente, 73 Stetigkeit, 127
Reihenwert, 65 gleichmäßige, 150
rekursiv definierte Folge, 48 Lipschitz-, 151
relatives Extremum, 159 streng monoton fallende
relatives Maximum/Minimum, 159 Funktion, 119
Restglied, 193 streng monoton fallende Folge, 47
Riemannscher Umordnungssatz, 74 streng monoton wachsende
Ringschluss, 7 Funktion, 119
Rolle, Satz von, 161 streng monoton wachsende Folge, 47
streng monotone
S(I), 201 Funktion, 119
Sandwich-Theorem, 43 streng monotone Folge, 47
Satz strikt negative reelle Zahlen, 13
Approximations- für sprungsteti- strikt positive reelle Zahlen, 13
ge Funktionen, 202 Substitutionsregel, 223
Haupt-, 214 für unbestimmte Integrale, 227
Mittelwert-, 160 Subtraktion, 12
für Integrale, 212 Summe
verallgemeinerter, 163 leere, 75
Riemannscher Umordnungs-, 74 Partial-, 65
von Archimedes, 20 Summenfunktion, 141
Summenzeichen, 22 Urbild, 8
Supremum einer Menge, 15 Urbildmenge, 8
surjektiv, 9
verallgemeinerte Dreiecksungleichung,
T (I), 196 81
Tangens, 178 verallgemeinerter Mittelwertsatz, 163
hyperbolicus, 180 Vereinigung von Mengen, 4
Taylor, Satz von, 188 Verfeinerung einer Zerlegung, 196
mit Integralrestglied, 229 Verkettung von Funktionen, 9
Taylorpolynom, 192 Verneinen von Aussagen, 6
Taylorreihe, 187 Vertauschen von Grenzwerten, 49
Teilfolge, 53 vollständige Induktion, 19
Teilmenge, 4 Vollständigkeitsaxiom, 16
Teleskopsumme, 24
Wahrheitstafel, 7
Totalordnung, 12
wohlgeordnete Menge, 22
Transitivität, 12
Wohlordnungsprinzip, 22
Treppenfunktion, 196
Wurzel, 29
trigonometrische Funktionen, 104, 171
n-te, 29
Additionstheoreme, 171 Wurzelkriterium, 85
trigonometrischer Pythagoras, 171 in C, 114
überabzählbare Menge, 33 Z, 19
umgekehrte Dreiecksungleichung, 14 Zahlen
Umkehrfunktion, 10 ganze, 19
Differenzierbarkeit der, 157 komplexe, 107
Umordnung, 72 konjugiert komplexe, 109
unbedingt konvergente Reihe, 73 natürliche, 19
unbestimmtes Integral, 225 rationale, 27
uneigentlich integrierbar, 231, 233 reelle, 11
uneigentliches Integral, 231, 233 Zerlegung eines Intervalls, 196
absolut konvergentes, 236 passende, 196
unendliche Menge, 33 Verfeinerung, 196
ungerade Funktion, 172 Zielmenge, 8
Ungleichung zweite Ableitung, 183
Bernoullische, 23 Zwischenwerteigenschaft, 163
Dreiecks-, 14, 198, 209, 236 Zwischenwertsatz, 133
in C, 110
umgekehrte Dreiecks-, 14
verallgemeinerte Dreiecks-, 81
in C, 113
Unstetigkeit, 127
untere Schranke, 15
unterer Limes, 58

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