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Vermittlung von Sprachfertigkeiten und digitalen Kompetenzen in der


tertiären Englischlehre. Extramural English als Ressource

Chapter · September 2017

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ÖGSD TAGUNGSBERICHTE

Vol. 2.1 / 2017

Symposium Sprachlehr/lernforschung in
Österreich – 10 Jahre ÖGSD
Christiane Dalton-Puffer, Klaus-Börge Boeckmann und
Barbara Hinger (Hrsg.)
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Christiane Dalton-Puffer, Klaus-Börge Boeckmann & Barbara Hinger (Hrsg.) 2017.


ÖGSD Tagungsberichte Vol. 2.1.: Symposium Sprachlehr/lernforschung in Österreich.
10 Jahre ÖGSD. 19. Mai 2017, Universität Wien, (170 Seiten). Graz: ÖGSD.

Medieneigentümer: Österreichische Gesellschaft für Sprachendidaktik (ÖGSD). Graz.


www.oegsd.at
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Inhaltsverzeichnis
Vorwort………………………………………………………………………………………………………………………………..1

Marktplatz 1: Literatur & Kulturdidaktik, CLIL und Fachsprache


Alter Grit, Universität Innsbruck
Transkulturelle Kompetenzen durch transkulturelle Literatur – Eine Definition für den
Fremdsprachenunterricht?.........................................................................................................3

Brunsmeier Sonja, Pädagogische Hochschule Tirol


Die Entwicklung Interkultureller Kommunikativer Kompetenzen im Fremdsprachenfrühbeginn……..7

Fasching Maria, KPH Graz


Drama- und Theaterpädagogik im Fremdsprachenunterricht. Zur Evaluierung und Implementierung
eines dramapädagogisch-orientierten Fremdsprachenunterrichts von der Primar- bis zur
Sekundarstufe II…………………………………………………………………………………………………………………………14

Rieder-Bünemann, Angelika, Julia Hüttner & Ute Smit, Universität Wien, University of
Southampton Fach trifft Sprache: Untersuchungen zum Erwerb fach-spezifischer Terminologie im
CLIL-Unterricht…………………………………………………………………………………………………….………………………….19

Sing Christine, Wirtschaftsuniversität Wien / Universität Wien Zum Erwerb


wissenschaftlicher Textkompetenz in der Wirtschaftssprache Englisch…………...…………………..25

Smit Ute & Thomas Finker, Universität Wien


CLIL im Regelunterricht: Fallstudien zum Unterrichtsdiskurs an HTLs…………………………………..31

Marktplatz 2: Methoden & Unterricht, SprachlehrerInnenbildung


Blaschitz Verena, Universität Wien
Die Rolle des INPUTS für die Aneignung narrativer Fähigkeiten………………………………………………..37

Bogensperger Theresa, Denis Weger & Margareta Strasser


Universität Salzburg*, Universität Wien
„Erzähl mir, Salzburg“ – Deutsch lernen im Museum……………………………………………………………42

Hargaßner Julia, Universität Salzburg


„Echtem Scherz liegt Ernst zum Grunde“: Eine Pilotstudie über den Einsatz des Witzes im
Russischunterricht…………………………………………………………………………………………………………….…46

Konzett-Firth Carmen, Universität Innsbruck


FRAISE – Französisch in Interaktion in der Schule. Ein CA-SLA-Longitudinalprojekt………….…..51

Dawidowicz Marta, Karen Schramm, Roberta Abbate, Doris Abitzsch, Ilona Feld-Knapp,
Sabine Hoffmann, Gabriella Perge, Ewout van der Knaap, Universität Wien, Universitá degli
Studi di Palermo, Universiteit Utrecht, Eötvös Loránd Tudományegyetem Budapest
Lehrkompetenzentwicklung für extensiven Leseunterricht…………………………………………………..55
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lechner Christine & Renata Scaratti-Zanin, PH Tirol, Universität Bozen


ARC: Action Research Communities for Language Teachers………………………………………………..60

Rückl Michaela, Universität Salzburg


Förderung berufsrelevanter Kompetenzen durch Mentoring-Tandems. Ein fachdidaktisches Pilot-
Lehrprojekt ……………………………………………………………………………………………………………………………..65

Wipperfürth Manuela, Universität Salzburg, Montessori-ORG Grödig


Wie reflective best practice in dialogue in der Praxis gelingen kann.Professionalisierung von
Fremdsprachen-lehrerInnen in Netzwerken ……………………………………………………………………..…71

Ender Andrea, Margareta Strasser & Maria Zauner, Universität Salzburg


Sprachentwicklungsförderliches Handeln im Lehramtsstudium – Begleitforschung in einem
Praxisprojekt……………………………………………………………………………………………………………………….77

Zirngast Waltraud, Universität Wien


Zwei didaktische Grundüberzeugungen von Lehrkräften für Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache an privaten österreichischen Erwachsenenbildungseinrichtungen………………….82

Marktplatz 3: Digitale Medien, Testen und Standardisierung


Höfler Elke, Universität Graz
Videoblogger/innen: Die neuen Sprachlehrer/innen? Die Videos der YouTube-Stars als
Ressource für den Sprachunterricht……………………………………………………………………………………..90

Miglbauer Marlene, PH Burgenland


Vermittlung von Sprachfertigkeiten und digitalen Kompetenzen in der tertiären Englischlehre:
Extramural Englisch als Ressource……………………………………………………………………………………….95

Renner Julia, Yasmin El-Hariri, Marie-Luise Volgger, Ilona Elisabeth Fink, Eva Vetter,
Universität Wien
FAME - Förderung von Autonomie und Motivation durch den Einsatz von E-Tandems im
schulischen Fremdsprachenunterricht……………………………………………………………………………….100

Vetter Eva, Javier Bru-Peral, Yan Li, Yasmin El-Hariri, Rebecca Hübler, Susanne Lesk, Martin
Stegu, Universität Wien / Wirtschaftsuniversität Wien
L3-TASK – L3-Lernen in Online-Tandems Schule als Sprachraum………………………………………..104

Eberharter Kathrin, Carol Spöttl & Matthias Zehentner, Universität Innsbruck


Die Entwicklung illustrativer mündlicher und schriftlicher Performanzen für die SR(D)P
Englisch…………………………………………………………………………………………………………………………..…108

Holzknecht Franz, Kathrin Eberharter, Benjamin Kremmel, Gareth McCray, Matthias Zehentner,
Eva Konrad & Carol Spöttl, Universität Innsbruck, Keele University
Kognitive Prozesse von FremdsprachenlernerInnen während Hörverstehensaufgaben:Eine
Eye-Tracking und Stimulated-Recall Untersuchung…………………………………………………………...112

Kremmel Benjamin, Universität Innsbruck & Universität Nottingham


Entwicklung und Validierung eines computer-adaptiven Wortschatztests………………………..116
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Marktplatz 4: Frühes Spachenlernen, Sprachpolitik, Mehrsprachigkeit


Zipser Katharina, Universität Innsbruck
Lernerwörterbuch für Kinder Englisch-Österreichisch, Österreichisch-Englisch. Konzeption und
Umsetzung ……………………………………………………………………………………………………………………….121

Monika Dannerer, Philip Vergeiner & Peter Mauser


Universität Innsbruck, Universität Salzburg
Sprachen und Varietäten an der Universität – Das Projekt „VAMUS“…………………………………129

Imamović-Topčić Edna, Miroslav Janík, Tomáš Janík, Karolína Pešková, Brigitte Sorger, Eva
Vetter, Denis Weger, PH Wien, Masaryk Universität Brünn, Universität Wien
Schule als Sprachraum. Mehrsprachige Realität an Schulen in Wien und Brünn…………….….134

Ransmayr Jutta, Österreichische Akademie der Wissenschaften


Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache………………………………………………138

Akbulut Muhammad, Universität Graz


Metasprachliche Kompetenzen mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler im Übergang von
der Grundschule in die Sekundarstufe……………………………………………………………………………….145

Hülsmann Christoph & Margareta Strasser, Universität Salzburg


Das Projekt EVAL-IC und die Entwicklung eines Modells der (rezeptiven)
Interkomprehensionskompetenz……………………………………………………………………………………….151

Kerschhofer-Puhalo Nadja & Werner Mayer, Universität Wien und Universität Innsbruck
Individuelle Erwerbsverläufe im sinnerfassenden Lesen ein- und mehrsprachiger
Grundschulkinder……………………………………………………………………………………………………….……..157

Mewald Claudia & Sabine Wallner, PH Niederösterreich


PALM Eine Projektbeschreibung…………………………………………………………………………………..……162

Niederdorfer Lisa, Muhammed Akbulut, Sabine Schmölzer-Eibinger, Universität Graz


MeLA: Mehr-sprachliche Bildung-Language-Awareness-Konzepte im Unterricht
aller Fächer……………………………………………………………………………………………………..……………….166
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Vorwort

Aus Anlass ihres 10jährigen Bestehens veranstaltete die Österreichische Gesellschaft für
Sprachendidaktik - ÖGSD am 19. Mai 2017 das Symposium „Sprachlehr/lernforschung in
Österreich“, um die mittlerweile vielfältige österreichische Forschungsszene miteinander ins
Gespräch zu bringen und einen umfassenden Einblick in ihre Aktivitäten zu geben. Das
Symposium folgte deshalb nicht dem traditionellen Tagungsformat mit ausführlicher
Diskussion einzelner Beiträge in thematischen Sektionen, sondern war als Forum
(Marktplatz) konzipiert, auf dem TeilnehmerInnen ihre aktuellen Forschungsinteressen
darstellen, Einblick in jene ihrer KollegInnen erhalten und informell miteinander in Kontakt
treten können.
Am 19. Mai 2017 trafen sich an der Universität Wien 85 ForscherInnen, LehrerbildnerInnen,
LehrerInnen, sowie VertreterInnen von Bildungsadministration und Verlagen zu einem
intensiven Austausch. TeilnehmerInnen aus Deutschland, Italien und Ungarn ergänzten die
österreichische Community. Als Auftakt der Veranstaltung blickten David Newby als
Gründungsobmann, und Erwin Gierlinger, der derzeitige Obmann, zurück auf die bisherige
Tätigkeit der ÖGSD. Kernstück des Tages bildeten 39 Forschungs- und Entwicklungsprojekte,
die mittels einer Kombination von Poster und dreiminütigem Plenarvortrag vorgestellt und
anhand der Poster intensiv diskutiert wurden. Friederike Klippels (LMU München und Uni
Wien) Plenarvortrag Forschungstraditionen in der Fremdsprachendidaktik im deutsch-
sprachigen Raum stellte dazu einen Bezugsrahmen zur Verfügung, der die Historizität von
Forschungsinteressen deutlich werden ließ.
Im vorliegenden zweiten Band der ÖGSD Tagungsberichte freuen wir uns nun, insgesamt 34
Symposiumsbeiträge in Form von Kurzartikeln (Band 2.1.) und/oder Posters (Band 2.2)
präsentieren zu können. Damit spiegelt sich das Format der Tagung auch in der schriftlichen
Dokumentation wieder. In ihrer Gesamtheit geben sie einen guten Einblick in die
Kernthemen sprachlicher Bildung, die derzeit in Österreich bearbeitet werden und
gleichzeitig auf vielfältige Weise im Zentrum internationaler Diskurse stehen.
Das Programmteam des Symposiums und Herausgabeteam des vorliegenden Tagungsbandes
bedankt sich beim Institut für Anglistik und Amerikanistik, Institut für Germanistik und
Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien für die finanzielle Unterstützung des
Symposiums. Ein großes Dankeschön an Diana Feick (Fachbereich Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache) für die ausgezeichnete Zusammenarbeit in der Organisation, ebenso an
Monika Fahrnberger vom Institut für Anglistik und Amerikanistik. Die Herausgabe der
Tagungsberichte wurde durch Hanna Herret in höchst kompetenter Weise unterstützt.

Christiane Dalton-Puffer, Klaus Börge Boeckmann, Barbara Hinger


August 2017

1
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Marktplatz 1:
Kultur-Literatur-Drama, CLIL

2
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Transkulturelle Kompetenzen durch


transkulturelle Literatur – Ein Ansatz im
Fremdsprachenunterricht?
Grit Alter
Universität Innsbruck

1. Inter- und transkulturelles Lernen


Durch wichtige Impulse in Theorie und Praxis der fremdsprachlichen Forschung wurde in den
letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vom inter- zum transkulturellen Lernen eingeleitet,
der stetig kritisch diskutiert und reflektiert wird (z.B. Fäcke 2006, Freitag-Hild 2010).
Während einige dem Paradigmenwechsel gegenüber offen Positionen einnehmen (z.B.
Welsch 2000, Flechsig 2000), sehen ihn andere kritisch (z.B. Bredella 2010, Delanoy 2011,
2012). Zentral sind dabei die Fragen, wie entscheidend die Unterschiede zum
interkulturellen Lernen sind und wie sich transkulturelles Lernen im Englischunterricht
widerspiegeln kann. Beim inter- wie auch beim transkulturellen Lernen geht es darum,
eine*n Andere*n zu verstehen und ihm/ihr mit Interesse, Aufgeschlossenheit und Respekt
zu begegnen. Im Kontext des kulturellen Lernens spricht man hier von Prozessen des
Fremdverstehens, bei denen ein Wechsel von Innen- und Außenperspektive stattfindet, um
Empathie zu entwickeln. Auf der einen Seite versuchen Lerner*innen die Anderen aus einer
Innenperspektive heraus wahrzunehmen und kennenzulernen. Lerner*innen lassen sich auf
den anderen Kontext ein und entfernen sich zeitweise von eigenen Sichtweisen und
Wertvorstellungen. Gleichzeitig ist eine Außenperspektive wichtig, um die Anderen nicht zu
vereinnahmen und ihnen auch kritisch gegenüber stehen zu können. Dadurch werden
Aushandlungsprozesse im kulturellen Verstehen initiiert, die inter- wie auch transkulturelles
Lernen charakterisieren.
In bisherigen Betrachtungen wird deutlich, dass im Fremdsprachenunterricht vor allem
literarische Texte genutzt werden, um Prozesse des Fremdverstehens und des inter- und
transkulturellen Lernens anzuregen. In den vergangenen Jahren werden vermehrt auch
Filme oder Online-Medien eingesetzt. Rückt man in diesen Texten die Narration und die
Entwicklung der Protagonist*innen in den Vordergrund, fällt auf, dass es sich häufig um
coming of age stories handelt, in denen ein*e multikulturelle*r Protagonist*in als ein*e
kulturell Andere*r konstruiert wird, der/die eine kulturelle Identitätskrise überwinden muss,
um ein glückliches und zufriedenes Leben führen zu können. Dabei muss er/sie sich ändern
und anpassen, während die diskriminierende Gesellschaft gleich bleibt und keinerlei
Änderung durchläuft. Zum einen stellt dies oftmals eine oberflächliche und stereotype
Verknüpfung von kultureller Identität und gesellschaftlicher Herausforderung dar. Zum
anderen findet hier eine Reduzierung auf cultural otherness bzw. auf einen cultural other mit
3
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Migrationshintergrund statt, während weitere Aspekte der kulturellen Identität unbeachtet


bleiben. So können auch sexuelle Orientierung, Religion, soziales Milieu, Lebensalter,
körperliche oder psychische Beeinträchtigung oder bestimmte ethische Einstellungen dazu
führen, dass Andere als fremd wahrgenommen werden. Eine solche Differenzierung
unterstreicht einen prozesshaften, hybriden und diskursiven Kultur- und Identitätsbegriff,
wie er im Konzept der Transkulturalität (Welsch 2000) deutlich wird. Transkulturalität
versteht Kulturen als heterogene Gebilde, in denen mehrere Innenperspektiven möglich
sind, zwischen denen ein Spannungsverhältnis innerhalb individueller und kollektiver
Identitäten bestehen kann. Dass Eigenes und Fremdes relationale und dynamische Begriffe
sind und es sich bei Identität um ein komplexes Konstrukt handelt, das unterschiedlich
beeinflusst werden kann, wird im Ansatz der Transkulturalität besonders betont. Damit kann
Transkulturalität kulturelle Komplexität und Hybridität deskriptiv erfassen und analysieren
und dadurch global geprägten Migrationsphänomenen gerecht werden. Von diesem Konzept
wird die Idee des transkulturellen Lernens abgeleitet, das die Aufmerksamkeit auf
Gestaltungsspielräume von Individuen bei der Konstruktion kultureller Identitäten und das
Eigene lenkt.
Auf dieser Grundlage vertiefte ich in meiner Dissertation den Ansatz des transkulturellen
Lernens und der transkulturellen Literatur. Um eine Konzeptualisierung transkulturellen
Lernens in Relation zum interkulturellen Lernen zu fundieren, schlägt meine
Forschungsarbeit ein Verständnis transkultureller Literatur für den Fremdsprachenunterricht
vor. Grundlegend dafür ist eine veränderte Wahrnehmung von Alterität, die in der Arbeit
anhand von Beispielen der Kinder- und Jugendliteratur illustriert wird. In transkulturellen
Texten wird Anderssein beiläufig thematisiert, Homosexualität wird sichtbar, aber nicht
problematisiert (z.B. Sydor 2008) und körperliche Einschränkung wird sinnstiftend, nicht
sinnnehmend dargestellt (z.B. Walters 2003). In diesen Texten steht die Identität der
Protagonist*innen im Vordergrund, nicht deren ethnic otherness. Mit Hilfe transkultureller
Literatur können komplexere Identitäten abgebildet und die menschliche Entwicklung
fokussiert werden. Dies weist über multikulturelle Identitätsfindung, wie sie in
interkulturellen Texten oftmals thematisiert wird, hinaus. Kulturelle Identität wird nicht als
Problemidentität definiert und wahrgenommen; Identitätsfragen gehen über kulturelle
Determinationen hinaus. Protagonist*innen werden zu Problemlöser*innen, die ihre
Identität auch unabhängig von kultureller Identität entwickeln.

2. Kompetenzen und Methoden


Ein weiteres Ergebnis der Forschungsarbeit ist die Erweiterung bestehender
Kompetenzmodelle zum interkulturellen Lernen durch Identitätskompetenz und einem
Bewusstsein für Alterität (Alter 2013). Letzteres ist vor allem in Abgrenzung zum
Fremdverstehen zu sehen, denn das Verstehen Anderer kann schnell oberflächlich wirken,
die Komplexität der Anderen negieren und sie vereinnahmen. Der Alteritätsbegriff schließt
nicht nur ethnisch andere ein, wie es oft im interkulturellen Lernen konnotiert ist, sondern
umfasst weitere Formen von otherness wie etwa bereits genannte Identitätsmerkmale wie
4
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

sexuelle Orientierung, Religion, soziales Milieu und Lebensalter. Zudem wahrt Bewusstsein
eine respektvolle Distanz zu Anderen und öffnet Raum zum Nichtverstehen.
Zusätzlich wird auch die unterrichtspraktische Perspektive kulturellen Lernens reflektiert,
in dem eine methodische Erweiterung des kulturellen Lernens angedacht wird. Lerner*innen
sind sich oft bewusst, welche Meinungen im institutionalisierten Unterricht erwünscht sind.
Da in kulturellen Lernszenarien oftmals ethische und soziale Sichtweisen zum Tragen
kommen, kann es vorkommen, dass diese soziale Erwünschtheit bestimmter Meinungen
eine ernsthafte und tiefgründige Auseinandersetzung mit soziokulturellen Themen von
Seiten der Lerner*innen einschränkt. Daher werden in der Forschungsarbeit Methoden
vorgeschlagen, die es den Lerner*innen erlauben, Meinungen unter sich auszuhandeln, ohne
dass Lehrpersonen dabei unbedingt mithören oder lesen.
Die sich durch diese Details ergebenden Unterschiede zwischen inter- und
transkulturellem Lernen machen deutlich, dass sich beide auf einem offenen Kontinuum
bewegen. Das Konzept der transkulturellen Literatur im transkulturellen Lernen ermöglicht
es, verschiedene Identitäten mehrdimensional wahrzunehmen und unterschiedlichen
Formen von Identitätskonstruktionen Raum zu bieten. Kulturelles Lernen kann dann auch
abseits problemgebundener kultureller Identitätsfindung erlebt werden und aktuellen
soziokulturellen und soziopolitischen Entwicklungen gerecht werden.

3. Zusammenfassung und Ausblick


Meine theoretisch-konzeptionelle Arbeit spiegelt die Konzepte des interkulturellen Lernen
und des Fremdverstehens mit aktuellen Konstrukten der Kultur- und Literaturwissenschaft
und erarbeitet daraus wesentliche, wenn auch nuancierte Unterscheidungen zwischen inter-
und transkulturellem Lernen. Die Reflexion von Erkenntnissen aus der Kinder- und
Jugendliteraturforschung, der allgemeinen Pädagogik und Psychologie ergab, dass die Art
und Weise, wie kulturelle Identitäten in literarischen Texten konstruiert und repräsentiert
werden, erhebliche Einflüsse auf die Selbstwahrnehmung, das Selbstverständnis und das
Selbstbewusstsein Leser*innen hat, insbesondere auch auf die Identitätsentwicklung von
Kindern und Jugendlichen. Der literarischen Grundlage, auf der kulturelles Lernen im
Englisch- und Fremdsprachenunterricht basiert, muss daher besondere Beachtung geschenkt
werden, damit Lerner*innen Anderen aufgeschlossen und frei von Diskriminierung und
Stereotypen begegnen können.
Auf Grundlage dieser Skizzierungen bleibt zu diskutieren, inwiefern aktuellere Ansätze der
Kulturwissenschaften, wie etwa der Cosmopolitanism weitere Impulse für kulturelles Lernen
in den Fremdsprachen bieten könnten. Zudem müssten empirische Untersuchungen zum
kulturellen Lernen folgen, die konzeptuell zwischen kultureller Performance und kultureller
Kompetenz unterscheiden und somit eine Entwicklung von kulturellen Kompetenzen
unabhängig von sozialer Erwünschtheit ermöglichen. Die Forschungsarbeit liefert hier erste
theoretische Ansätze.

5
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Alter, Grit. (2015). Inter- and transcultural learning in the context of Canadian Young Adult Fiction. Münster:
LIT.

Bredella, Lothar. (2010d). Trans- oder Interkulturalität als Bildungsziel des Fremdsprachenlehrens und -lernens?
ForumSprache, 4, S. 21-41.

Delanoy, Werner. (2011). Do we really need transculturality as a concept for cultural learning. In Nicoletta
Vasta, Antonella Riem, Maia Bortuluzzi & Deborah Saidero (Hrsg.), Identities in transition in the
English-speaking world (S. 277-290). Udine: Forum.

Delanoy, Werner. (2012). From ‘inter’ to ‘irans’? Or: quo vadis cultural learning? In Maria Eisenmann &Theresa
Summer (Hrsg.), Basic Issues in EFL Teaching and Learning (S. 157-169). Heidelberg: Winter.

Fäcke, Christiane. (2006). Transkulturalität und fremdsprachliche Literatur. Eine empirische Studie zu mentalen
Prozessen von primär mono- oder bikulturell sozialisierten Jugendlichen. Frankfurt am Main: Peter
Lang.

Flechsig, Karl-Heinz. (2000). Transkulturelles Lernen. Interne Arbeitspapiere des Instituts für interkulturelle
Didaktik Göttingen, 2/2000.

Freitag-Hild, Britta. (2010). Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller
Literaturdidaktik: British Fictions of Migration im Fremdsprachenunterricht. Trier: WVT.

Sydor, Colleen. (2008). My Mother is a French Fry and other proof of my fuzzed up life. Toronto: Kids Can Press.

Walters, Eric. (2003). Run. Toronto: Penguin.

Welsch, Wolfgang. (2000). Transkulturalität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung. Jahrbuch Deutsch
als Fremdsprache, 26, S. 327-351.

6
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die Entwicklung Interkultureller


Kommunikativer Kompetenzen im
Fremdsprachenfrühbeginn
Sonja Brunsmeier
Pädagogische Hochschule Tirol

1. Einleitung
Die Interkulturelle Kommunikative Kompetenz (IKK) ist in den regionalen und nationalen
Bildungsplänen sowie im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GERS)
(vgl. Council of Europe 2001) inzwischen fest im Fremdsprachenunterricht verankert.
Fremdsprachenforscher/innen fordern dieses zentrale Bildungsziel ebenfalls. Daher erstaunt
es, dass im deutschsprachigen Raum kaum empirisch überprüfte Erkenntnisse zu der
Entwicklung von IKK im Englischunterricht der Grundschule vorliegen. Forschungsbedarf
besteht zum einen auf konzeptioneller Ebene, denn bei der Beschreibung von IKK als
didaktischem Schlüsselbegriff bleibt „the concept (…) as fuzzy as ever“ (Hu & Byram 2009: XI)
und „neither the concept nor the term has been stable and each of the two terms in the
phrase ‚intercultural competence‘ is likewise much debated“ (Guilherme 2013: 346). Es gilt
daher zu ermitteln, wie IKK für junge Fremdsprachenlernernenden modelliert werden kann.
Weiterhin gilt es für die unterrichtspraktische Ebene zu klären, wie Lernaufgaben beschaffen
sein müssen, damit sie das Potenzial haben, IKK bei Grundschüler/innen anzubahnen.

2. Byrams Model of Intercultural Communication für den


Englischunterricht auf der Primarstufe
Eine der einflussreichsten Modellierungen von IKK für den Bildungsbereich legte Byram
(1997) mit seinem Model of Intercultural Communication vor. Sein Konzept hat seither nicht
nur Einzug in bildungspolitische Papiere, wie den GER, gehalten und die fremdsprachliche
Bildungslandschaft damit maßgeblich geprägt, sondern wurde darüber hinaus auch in vielen
Studien zu IKK im Schulkontext aufgegriffen (vgl. Eberhardt 2013). Byram präsentiert in
seinem Modell (vgl. Abbildung 1) fünf gleichwertige, interdependente Dimensionen (savoirs),
die zentral für eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation sind.

7
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Abbildung 1: Factors in intercultural communication (verändert nach Byram 1997: 34)

Skills
Interpret and Relate
(savoir comprendre)

Knowledge
Education Attitudes
of self and other;
political education relativising self
of interaction:
critical cultural awareness valuing other
individual and societal
(savoir s’engager) (savoir être)
(savoirs)

Skills
Discover and/or Interact
(savoir apprendre/faire)

Obwohl Byram (1997) sein Modell für den educational context entwickelte, es
kompetenzorientiert modellierte, diesem ein dynamisches Kulturverständnis zu Grunde
legte und eine so komplexe Kompetenz klar dimensionierte, ist sein Konzept für den
Englischunterricht in der Grundschule unter Vorbehalt zu betrachten. Byram (2008) merkt
von sich aus kritisch an, dass „[i]ntercultural competence is certainly not attainable in all its
dimensions at the end of primary schooling, but the foundation for this important
competence can be laid” (S. 83). Allerdings nimmt er sich der Aufgabe, IKK für den
Primarbereich zu modellieren, nicht an. Daher ist seine Konzeption lediglich als
Ausgangspunkt zu betrachten und muss in Bezug auf den Englischunterricht in der
Grundschule reflektiert werden.

3. Aufgaben als Medium zur Entwicklung von IKK


Aufgaben sind ein wichtiges Medium im Klassenzimmer, da sie den Lehr- und Lernprozess
maßgeblich strukturieren. Aufgaben fungieren somit also als „tools or instruments for
learners to support their language learning“ (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth
2011: 17). Sie können verstanden werden als ein Angebot an die Schüler/innen (vgl. Hallet
2011: 150) die Fremdsprache kommunikativ in verschiedenen Aktivitäten und entsprechend
individuellen Interessen und Voraussetzungen zu nutzen. Im aufgabenorientierten
Unterricht sind Aufgaben der zentrale Bestandteil des Geschehens. Dabei „können
grundlegende Merkmale eines aufgabenorientierten Ansatzes auch bereits für den frühen

8
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Fremdsprachenunterricht identifiziert werden“ (Dreßler 2012: 227). Im Unterrichtsprozess


(task-in-process) zeigt sich, inwiefern die Schüler/innen das Aufgabenangebot im geplanten
Sinne nutzen bzw. für sich interpretieren. Allerdings liegen aktuell keine empirisch
überprüften interkulturell kommunikativen Aufgaben für den Englischunterricht auf der
Primarstufe vor. Es existieren bisher nur sehr vage und offene Vorschläge für die Konzeption
zu Aufgaben, die IKK im Englischunterricht der Grundschule anbahnen. Beispielsweise
schlägt Byram (2008) allgemein, aber richtungsweisend in Bezug auf den Ansatz (in der
Lebenswelt der Kinder begründet) und auf die Ausrichtung (erfahrungsbasiertes und
entdeckendes Lernen) der Aufgaben vor, wenn er rät:
For the intercultural education of primary schoolchildren, this means that the
tasks given and the experiences offered must be selected in accordance with the
learners’ stage of development. They may be cognitively demanding as long as
they are concrete; they may be emotionally complex as long as they are
experiential; they may be practically exacting as long as they are systematically
arranged, i.e. they permit the progression from simple to difficult. (S. 81)
Diese sehr vage gehaltenen Vorschläge sind als konkrete Leitlinien für die Entwicklung von
Aufgaben nicht geeignet. Es bedarf deshalb einer weitergehenden Reflexion ihrer Merkmale.
Im Zentrum der Studie stand daher die Forschungsfrage:
Welche Merkmale zeichnen Aufgaben aus, die das Potenzial haben, IKK im
Englischunterricht der Primarstufe anzubahnen?

3. Forschungsdesign
Die empirische Studie ist explorativ angelegt, denn nur ein qualitatives Design ermöglicht es,
sich der Thematik induktiv-verstehend zu nähern und das Feld explorativ-interpretativ zu
erforschen. Dabei können, gerade in einem Feld, in dem bisher nur sehr wenige Kenntnisse
vorliegen, neue Erkenntnisse präsentiert und neue Theorien generiert werden.
Abbildung 2 visualisiert das Forschungsdesign und gibt einen Überblick über den Ablauf
der Untersuchung (vgl. Brunsmeier 2016).

9
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Abbildung 2: Überblick über den Ablauf der Untersuchung

Die empirische Studie bestand aus einer breit angelegten Vorstudie. Ziel dieser war es, IKK
für den Englischunterricht in der Grundschule in Form von Könnensbeschreibungen (Can-Do
Statements) und Aufgabendeskriptoren zu modellieren. So wurden vorliegende Definitionen
und Modelle auf die Rahmenbedingungen bezogen, unter denen frühes
Fremdsprachenlernen stattfindet. Dazu zählten eine Analyse bildungspolitischer Papiere, die
Betrachtung institutioneller Rahmenbedingungen, die Berücksichtigung vorhandener
Erkenntnisse der Lern- und Entwicklungspsychologie im Kindesalter, die Kompetenzen der
10
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Grundschullehrer/innen1 und eine Lehrwerksanalyse, da alle diese Faktoren bei der


Anbahnung von IKK eine wichtige Rolle spielen. Auf diese Weise konnte ermittelt werden,
welche Zielvorstellungen angemessen für das Grundschulalter sind. Diese wurden in Form
von Könnensbeschreibungen dargestellt. Darauf aufbauend wurde in einem nächsten Schritt
geklärt, wie Lernaufgaben beschaffen sein müssen, damit sie das Potenzial haben, IKK bei
jungen Lerner/innen anzubahnen. Theoriegeleitet wurden Aufgabendeskriptoren für diese
spezifische Altersgruppe formuliert. Die Aufgabendeskriptoren waren die Grundlage für die
modellhafte Erstellung von Aufgaben und Materialien. In der Hauptstudie wurden diese
Aufgaben und Materialien im Rahmen eines Aktionsforschungsansatzes (Participatory Action
Research) in insgesamt fünf Grundschulklassen in einem 1. Aufgabenzyklus und einem 2.
Aufgabenzyklus empirisch erprobt. Participatory Action Research vereint das gemeinsame
Interesse von Teilnehmer/innen und Forscher/innen, ein ‚Problem‘ (issue) unter den
gegebenen Rahmenbedingungen eines spezifischen Feldes gemeinsam zu untersuchen (vgl.
McIntyre 2008: 1). In der Untersuchung stellte sich für die Lehrpersonen und die Forscherin
gleichermaßen die Frage, wie IKK über Aufgaben im Englischunterricht der Grundschule
umsetzbar ist und wie dabei erkennbar wird, welche Zielvorstellungen realistisch für diese
junge Zielgruppe sind.
In der Hauptstudie wurden verschiedene Erhebungsmethoden verwendet, um möglichst
vielfältige Einblicke in interkulturelle Lernprozesse zu erhalten. Es wurden emische
Sichtweisen der Lehrpersonen und Schüler/innen mit der etischen Perspektive der
Forscherin trianguliert (between method; vgl. Flick 2011: 15-16). Durch die Kombination von
Methoden und Perspektiven wurde ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn im Hinblick auf den
Untersuchungsgegenstand angestrebt. Das umfangreiche Datenmaterial wurde mittels der
Qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Mayring 2010). Auf diese Weise konnte das
interkulturell kommunikative Potenzial der Aufgaben in beiden Aufgabenzyklen anhand der
Aufgabendeskriptoren bewertet sowie Chancen und Herausforderungen von interkulturellen
Lernprozessen herausgearbeitet werden.

5. Fazit: Aufgabenmerkmale, Zielvorstellung und Prozesskompetenzen


In der heutigen Zeit ist IKK eine Kompetenz, die in unserer mehrsprachigen und
multikulturellen Welt bereits für junge Lernernende unabdingbar ist, da sie das Welt-,
Handlungs- und Sprachwissen der Kinder erweitert und sie auf die gesellschaftliche Teilhabe
vorbereitet. Dabei kommt dem Englischunterricht bei der Vermittlung von IKK eine
besondere Rolle zu, weil Englisch als lingua franca das Medium zur Verständigung zwischen
Menschen aus verschiedenen Kulturen ist. Um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ist
IKK eine sehr wichtige Kompetenz. In der präsentierten Studie wurde IKK für den
Englischunterricht in der Primarstufe konzeptualisiert.

1
Eine ausführliche Darlegung der Lehrerbefragung findet sich in Brunsmeier 2017.
11
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

In den beiden Aufgabenzyklen der Hauptstudie (→ Abbildung 2) wurde deutlich, dass die
theoriegestutzten Aufgabendeskriptoren dafür geeignet sind, Aufgaben zu entwickeln, die
das Potenzial haben, IKK im Englischunterricht der Primarstufe anzubahnen. Aufbauend auf
Byrams Kompetenzmodell konnte als ein Ergebnis dieser Studie für die vier Dimensionen
(attitudes, knowledge, skills of interpreting and relating und skills of discovery and/or
interaction) eine Handlungsanleitung für die Entwicklung von interkulturellen
kommunikativen Aufgaben generiert werden (Brunsmeier 2016). Über zentrale Leitfragen,
die für jede Dimension weiter detailliert aufgeschlüsselt werden (ebd.), werden Impulse für
die Aufgabenentwicklung gesetzt. Für die Dimension attitudes sind beispielsweise die
folgenden beiden Leitfragen richtungsweisend:
 Wecken die Aufgaben das Interesse der Schüler/innen für andere Kulturen,
motivieren sie die Schüler/innen, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen,
und/oder ermöglichen sie es den Schüler/innen, sich anderen Kulturen gegenüber zu
öffnen?
 Ermöglichen die Aufgaben eine Auseinandersetzung mit eigenen und anderen
Kulturen bzw. kulturellen Praktiken aus verschiedenen Blickwinkeln?

Die Handlungsanleitung kann sowohl als Orientierung bei der eigenständigen Entwicklung
von Aufgaben als auch für die Reflexion von vorhandenen Aufgaben (z.B. in Lehrwerken)
dienen. Ferner wird durch die Aufgabenmerkmale deutlich, welche Lernziele für IKK
angemessen für die jungen Fremdsprachenlernenden sind. Allerdings wurde die Dimension
critical cultural awareness, die im Zentrum von Byrams Modells steht und alle vier anderen
Dimensionen miteinander verbindet, zunächst ganz bewusst nicht berücksichtigt. Denn diese
Dimension ist sehr komplex und für Lernende im Grundschulalter aufgrund ihrer lern- und
entwicklungspsychologischen Voraussetzungen keine angemessene Zielvorstellung. Deshalb
präsentiert die Studie als weiteres Ergebnis die Begrifflichkeit der ‚Reflektierten
Interkulturellen Aufmerksamkeit‘ (RIA). Diese definiert realistische Erwartungen für den
interkulturellen kommunikativen Englischunterricht auf der Primarstufe (ebd.). In der Studie
zeigte sich die bedeutungsvolle Rolle der Lehrpersonen. Für die qualitätsvolle Umsetzung der
Aufgaben benötigen Lehrer/innen entsprechende Prozesskompetenzen (ebd.). Die
Prozesskompetenzen beschreiben das enge Zusammenspiel einer guten Unterrichtsplanung
und einer situativ angemessenen Umsetzung. Die Aspekte der Fremdsprachenkompetenz
und des Einsatzes der Fremdsprache, der Umgang mit kulturellem Orientierungswissen und
die Bereitstellung von task support zeigten sich in der Studie als wichtige
Prozesskompetenzen in den drei Phasen der Initiierung, Begleitung und Reflexion von
interkulturellen kommunikativen Lernprozessen. Im Unterricht ist dann die
situationsgerechte Umsetzung der Planungen zentral und ebenfalls, inwieweit und auf
welche Weise die Lehrpersonen spontan auf ungeplante Situationen eingehen bzw. mit
diesen umgehen können. Die ermittelten Prozesskompetenzen ermöglichen
Ausbildungsmodule für die Lehreraus- und -weiterbildung zu entwickeln, die Lehrpersonen
gezielt auf den Umgang mit komplexen interkulturellen kommunikativen Lernprozessen
vorbereiten.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Brunsmeier, Sonja (2017). Primary Teachers’ Knowledge when Initiating Intercultural Communicative
Competence. TESOL Quartely, 51/1, S. 143-155.
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Eberhardt, Jan-Oliver (2013). Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Auf dem Weg zu einem
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Müller-Hartmann, Andreas & Schocker-von Ditfurth, Marita (2011). Task-Supported Language Learning.
Paderborn: Ferdinand Schöningh.

13
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Drama- und Theaterpädagogik im


Fremdsprachenunterricht.
Zur Evaluierung und Implementierung
eines dramapädagogisch-orientierten
Fremdsprachenunterrichts von der
Primar- bis zur Sekundarstufe II.
Maria Fasching
KPH Graz

1. Begründung für die Studie


Die vorliegende Studie widmet sich den Einsatzmöglichkeiten des Theaters im
Fremdsprachenunterricht. Seit den 1980er Jahren hat ein theaterbezogener Ansatz in der
Fremdsprachendidaktik an Einfluss gewonnen, der das Lehren und Lernen fremder Sprachen
mit aus der Theaterarbeit entlehnten Mitteln befördert, ohne an den Einsatz dramatischer
Texte gebunden zu sein. Die Rede ist von der Dramapädagogik. Sie ist in den letzten
Jahrzehnten zu einer wichtigen Bezugsdisziplin für die Fremdsprachendidaktik aufgestiegen,
weil sie ausgehend von theaterpädagogischen Konzepten und fremdsprachendidaktischen,
lerner- und handlungsorientierten Ansätzen, Sprache nicht nur als Text, sondern als Ereignis
und performativen Akt ansieht (vgl. Surkamp & Hallet 2015, S. 6).
Dies bedingt, dass Körperlichkeit, Handlungsorientierung und Ganzheitlichkeit als
wichtige Bestandteile der fremdsprachlichen Kommunikation aufgefasst werden. Ihre
Ursprünge hat die Dramapädagogik in Großbritannien, wo sie in den 1960er bis 1980er
Jahren als Drama in Education vor allem von Dorothy Heathcote und Gavin Bolton zunächst
in allgemeinpädagogischen Kontexten und bezogen auf unterschiedliche Fächer entwickelt
und weiter ausgeformt wurde (vgl. Bolton 1979).
Die Grundidee ist, szenisch-dramatische Formen der Unterrichtsgestaltung zum Er-
kenntnisgewinn einzusetzen. Neben fachspezifischen Lernzielen wird dabei immer auch auf
die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler abgezielt, denen es im
spielerisch-dramatischen „Als-ob“ ermöglicht werden soll, auch ihr eigenes soziales
Verhalten zu erproben (vgl. Walter 2012, S. 184). Für den Fremdsprachenkontext heißt dies,
dass in Anlehnung an die Kunstform „Theater“, durch den Einsatz von Körper-, Stimm- und
Sprechübungen sowie durch das Spiel in unterschiedlichen Rollen ein Fremdsprachenlernen
mit allen Sinnen ermöglicht werden soll. Die Dramapädagogik erscheint aufgrund ihres
ganzheitlichen Ansatzes, der lerntheoretisch auf Howard Gardners Theorie der multiplen
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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Intelligenzen und das neuropsychologische Prinzip der multiplen Vernetzung (vgl. Gardner,
2011) zurückgreift, d.h. je mehr Sinnesleistungen miteinbezogen werden, desto wirksamer
und nachhaltiger wird gelernt, geradezu prädestiniert für eine kommunikativ-orientierte
Fremdsprachendidaktik.
Die Bandbreite an spielerisch-dramatischen Methoden und Übungsformen ist groß und
reicht von kleineren, in sich geschlossenen Übungen, wie z.B. Körper-, Atem-,
Sprechübungen, Wortschatz- und Grammatikspielen, dem Nachspielen von Szenen,
Rollenspielen oder Simulationen, die vorwiegend der Erhöhung der Sprechbereitschaft und
der Einübung von Strukturen dienen, bis hin zu offenen, ungelenkten Inszenierungsformen
(vgl. Even 2003, S. 59f.), die im Sinne des Process drama von Kao/O´Neill (1998) durch die
Verwendung von Bildmaterialien, Gegenständen, Geräuschen oder Texten fiktive
Handlungskontexte schaffen, innerhalb dessen sich die dramatische Handlung in Form von
Pantomimen, akustischen Collagen, Standbildern oder Improvisationen entfaltet. Hierbei
sollte auch die Verbindung und Nähe zur Theaterpädagogik hergestellt werden.
Theaterpädagogische Arbeit in, an und um Schule findet unter den verschiedensten
Bedingungen statt, das Spektrum der Methoden und Projekte ist ebenfalls breit gefächert.
Einen aktuellen Überblick über die Möglichkeiten des Theaterunterrichts an Österreichs
Schulen gibt Höfferer-Brunthaler (2016). Die Palette reicht von Schülerinszenierungen, dem
Schulfach „Darstellendes Spiel“, Schultheater-projekten über Kulturtransferprogramme (vgl.
KulturKontaktAustria, 2016) bis hin zu Theater als Methode im Unterricht. Letzteres bildet
die größte gemeinsame Schnittmenge mit der Dramapädagogik.

2. Forschungsfrage(n)
Ziel dieser Arbeit ist es, das Potential der Drama- und Theaterpädagogik für den
Fremdsprachenunterricht aufzuzeigen, die Möglichkeiten für die soziale und
persönlichkeitsbildende Entwicklung von Kindern und Jugendlichen darzulegen und nicht
zuletzt die Bedeutung theatraler Arbeitsweisen für den Beruf des Lehrers/ der Lehrerin
deutlich zu machen. Dabei wird zunächst auf die Bildungswirkung von Drama und Theater im
Kontext Schule ganz allgemein eingegangen. Eckhart Liebau, Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls
für Kulturelle Bildung an der Universität Erlangen-Nürnberg, meint dazu:

Weil Theater so vieles fordert (Aufmerksamkeit, Präsenz, sprachlichen Ausdruck,


Körperbeherrschung, Gedächtnis, Kommunikation, Kooperation, Organisation…),
fördert es auch vieles.“ (Liebau 2015, S. 218f.)

Das Theaterspiel kann wie keine andere Kunstform viele Bereiche vereinigen. Es dient der
ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung der Schüler/innen, indem es gleichermaßen deren
rationalen wie emotionalen, intellektuellen wie kreativen, physischen wie musischen,
individuellen wie sozialen Fähigkeiten fördert. (vgl. Kunstkonzeption 1990, S. 34) Auch
seitens der Gehirnforschung wird bestätigt, dass Drama- und Theaterpädagogik der
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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Forderung nach vernetztem Lernen gerecht werden. Auf den persönlichen Erfahrungen und
Erlebnissen der Schüler/innen aufbauend, werden fiktive Handlungssituationen geschaffen,
mittels derer neue Themen, Sachverhalte und Inhalte erarbeitet werden. Manfred Spitzer
formuliert dazu pointiert: „Je bunter und bewegter, je lustiger und spielähnlicher, je
interaktiver und leibhaftiger die zu lernenden Inhalte dargeboten werden, umso besser wird
gelernt.“ (Spitzer 2007, S.2) Und fügt hinzu: „…, dass man wohl kaum etwas Besseres mit
jungen Menschen tun kann [als Theater zu spielen].“ (Spitzer 2009, S. 102)
Hernach erfolgt die vielschichtige Verortung der Drama- und Theaterpädagogik in einer
auf interkultureller, kommunikativer Kompetenz ausgerichteten Fremdsprachendidaktik.
Die didaktischen Prinzipien der Handlungsorientierung, des interkulturellen Lernens, der
Aufgabenorientierung, der bedeutsamen Inhalte, der Lernerzentrierung, der Ganzheitlichkeit
und des selbstbestimmten und kooperativen Lernens (vgl. Haß 2014, S. 21ff.) werden mit
drama- und theaterpädagogischen Arbeitsweisen in Verbindung gebracht. Nicht zuletzt wird
das Spannungsverhältnis von Drama und Theater in einem zunehmend auf Output und
Standards abzielenden Fremdsprachenunterricht kritisch beleuchtet.

3. Die Studie
Der empirische Teil, ausgelegt als deskriptive Evaluationsstudie anhand zweier Frage-
bogenuntersuchungen, betrachtet die Methode Drama im Fremdsprachenunterricht der
Primar-, sowie Sekundarstufe I und II auf deren Einsatz und Effizienz hin. Befragt werden
zum einen Lehrende (n=34) aus acht österreichischen Bundesländern, die
dramapädagogische Elemente vermehrt in ihrem Fremdsprachenunterricht einsetzen. Dabei
sollen Aspekte wie Häufigkeit, Form der Verwendung, Stellenwert, Interesse der Lernenden,
persönliches Engagement und Motive, Art der sprachlichen Teilkompetenzschulung,
Schwerpunktsetzungen, förderliche und erschwerende Rahmenbedingungen in der
Umsetzung von dramapädagogischen Arbeitsweisen untersucht werden.
Das zweite Frageinstrumentarium geht auf die Zielgruppe der Schüler und Schülerinnen
(n=190) ein, die einen dramaorientierten Fremdsprachenunterricht hinsichtlich persönlicher
Motive, verwendeter Zeitrahmen, Einschätzung der erzielten Sprachkompetenzzuwächse,
Qualität und Quantität, Motivation durch die Lehrer/innen und erlebte Vor- und Nachteile
für ihr Fremdsprachenlernen bewerten. Mittels der Fragebogenuntersuchungen sollen
Aussagen zu Sinn, Gehalt, Qualität und Quantität des Einsatzes von Dramapädagogik im
österreichischen Fremdsprachenunterricht gemacht werden, die bei hohen Effizienzwerten
für die flächendeckende Verwendung dramapädagogischer Inhalte im Fremdsprachen-
unterricht der untersuchten Schularten sprechen und eine Implementierung der Methode
Drama in die Curricula der gegenwärtigen Lehrer/innenbildung Neu indizieren.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Nach Codierung aller Fragebögen in Excel-Tabellen erfolgt die Einspielung der Daten in
das Computerprogramm SPSS 24.0 für Windows. SPSS steht für Statistical Package for Social
Science und ist das Standardprogramm zur Auswertung von empirisch erhobenen Daten (vgl.
Schwetz & et al. 2013, S. 53). Für die vorliegende Untersuchung wurden als
Auswertungsmethode Häufigkeitsanalysen durchgeführt, d.h. es erfolgte aufgrund des
Datenniveaus eine Darstellung der Ergebnisse deskriptiv in Form von Häufigkeiten und
Prozentwerten. Im Falle möglicher Mehrfachantworten beziehen sich die im Text
angegebenen Prozentwerte jeweils auf die Anzahl der eingegangen Fälle (d.h. Personen) und
stellen die relative Häufigkeit einer bestimmten Antwortkategorie bezogen auf die Anzahl
der Personen dar. Da jede Person die Möglichkeit hat, mehr als eine Antwort zu geben,
ergänzen sich die einzelnen Prozentangaben daher nicht auf eine Summe von 100% (vgl.
Brosius 2011, S. 457).

4. Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass die Relevanz und Beliebtheit dramapädagogischer Arbeits-
weisen sowohl bei den Lehrer/innen als auch den Schüler/innen als überaus hoch einge-
schätzt werden kann. Ebenso wird die positive Einschätzung von Drama als wirksames
Medium für das Erlernen einer Fremdsprache im Ergebnis der Schüler/innenbefragung als
auch der Lehrer/innenbefragung bestätigt.
Soziale und persönlichkeitsbildende Faktoren, wie z.B. Gruppen- und Partnerarbeit,
entspannte, spielerische Atmosphäre, Freude und Spaß, das Einnehmen einer neuen Rolle
sind die wichtigsten Beweggründe für die Verwendung drama- und theaterpädagogischer
Aktivitäten bei den Lehrenden. Ebenso werden diese Motive als am häufigsten genannte
Vorteile für die Verwendung theaterorientierter Lernformen in der Schüler/innenbefragung
gesehen.
Eine dritte zentrale Aussage der vorliegenden Arbeit beschäftigte sich mit der Bedeutung
drama- und theaterpädagogischer Arbeitsweisen für den Beruf des/der Lehrer/in und der
Notwendigkeit diesen Ansatz in der Lehrer/innenausbildung verstärkt zu verankern. Diese
Forderung wird von den befragten Lehrenden eindeutig bestätigt. 96,6% der Befragten
geben an, dass Inhal-te und Arbeitsweisen der Dramapädagogik verpflichtend in die
Ausbildung der Spra-chenlehrer/innen integriert werden sollten. 90,9% sprechen sich für
eine verpflichtende Verankerung in die generelle Lehrer/innenausbildung aus und 78,3%
sind für ein un-verbindliches Angebot für interessierte Lehramtskandidatinnen und
Lehramtskandidaten.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Bolton, G. (1979). Towards a theory of drama in education. London: Longman.

Brosius, F. (2011). SPSS 19 (1. Aufl). Heidelberg: Mitp.

Even, S. (2003). Drama Grammatik: dramapädagogische Ansätze für den Grammatikunterricht Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium-Verl.

Gardner, H. (2011). Frames of mind: the theory of multiple intelligences. New York, NY: Basic Books.

Haß, F. (Hrsg.). (2014). Fachdidaktik Englisch: Tradition, Innovation, Praxis (1. Aufl., 11. Dr). Stuttgart: Klett
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Höfferer-Brunthaler, D. (2016). Schultheater und Darstellendes Spiel - in Österreich. Länderbericht: Österreich.


In: Scenario 2016/2, http://scenario.ucc.ie; abgerufen am 03.02.2017, S. 88–98.

Kao, S.-M., & O’Neill, C. (1998). Words into worlds: learning a second language through process drama.
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Kunstkonzeption des Landes Baden-Württemberg (1990). Stuttgart.


Liebau, E. (2015). Performative Dimensionen des Lehrerhandelns und das Schultheater. In: Erziehung und
Unterricht 3-4 2015, 165. Jahrgang, S. 216–221.

Spitzer, M. (2007). Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens (1. Aufl). München: Spektrum
Akademischer Verlag.

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Schwetz, H., & et al. (Hrsg.). (2013). Einführung in das quantitativ orientierte Forschen und erste Analysen mit
SPSS 19 (3., überarb. Aufl). Wien: Facultas.wuv.

Surkamp, C., & Hallet, W. (2015). Dramendidaktik und Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht: Zur
Einleitung. In: W. Hallet & C. Surkamp (Hrsg.), Dramendidaktik und Dramapädagogik im
Fremdsprachenunterricht (Bd. 5, S. 1–18). Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Fach trifft Sprache.


Untersuchungen zum Erwerb
fachspezifischer Terminologie im CLIL-
Unterricht
Angelika Rieder-Bünemann*, Julia Hüttner°, Ute Smit*
Universität Wien*, University of Southampton°

1. Begründung für die Studie


Content and language integrated learning (CLIL) ist an europäischen Schulen mittlerweile
eine weitverbreitete und etablierte Unterrichtsform, was sich nicht zuletzt auch in regen
Forschungstätigkeiten in diesem Bereich äußert. Bisherige Forschungsarbeiten im Bereich
CLIL mit lexikalischem Schwerpunkt haben sich vornehmlich mit der allgemeinen
lexikalischen Kompetenz befasst und legen hier einen durchwegs positiven Einfluss von CLIL
auf die Zweitsprache nahe (Xanthou 2011, Jiménez Catalán & Riuz de Zarobe 2009). Im
Gegensatz dazu ist der Effekt von CLIL auf das fachspezifische L2-Vokabular der Lernenden
noch sehr wenig beforscht. Hier gibt es zwar einige Studien auf fachsprachlicher
Diskursebene (vgl. Nikula 2012, 2015), allerdings nur sehr vereinzelt Studien, die sich explizit
mit dem Erwerb fachspezifischer Ausdrücke in CLIL beschäftigen (vgl. Gablasova 2014, Heras
& Lasagabaster 2015), von denen sich bisher zudem keine auf mündliche Sprachdaten
bezieht. Des Weiteren fällt auf, dass die Spezifikation dessen, was als fachspezifischer
Ausdruck betrachtet wird, durchwegs eher unsystematisch zu sein scheint.
Dies scheint auf zwei grundlegende Probleme bei der Erfassung fachspezifischer
Ausdrücke hinzudeuten: Einerseits ist bereits die Spezifikation dessen, was als
fachspezifischer Ausdruck gilt, keine triviale Aufgabe (Nikula 2012: 137), zumal es
unterschiedliche Ansätze bezüglich der Abgrenzung von Fachausdrücken gegenüber
allgemeinsprachlichen Ausdrücken, allgemein-wissenschaftlichen Ausdrücken oder der
Einbeziehung von Phrasen gibt (vgl. Diagramm 1) und speziell in CLIL-Fächern oft keine
eindeutige Korrespondenz mit einer einzelnen Fachdisziplin gegeben ist. Andererseits stellt
die Operationalisierung dieser Spezifikation vor allem bei der Analyse mündlicher
Äußerungen im CLIL-Kontext eine zusätzliche Herausforderung dar, da hier viele der
vorgeschlagenen einschlägigen Methoden, wie etwa die Verwendung von
Fachwörterbüchern (vgl. Chung & Nation 2004) oder die systematische Analyse von
schriftlichen Fachtexten (vgl. Woodward-Kron 2008) nicht in Frage kommen.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Fachspezifisches Vokabular und CLIL

2. Forschungsfrage(n)
Das vorliegende Projekt kommt diesem Forschungsdesiderat nach und widmet sich der
disziplinspezifischen Terminologie und Phraseologie in mündlichen Äußerungen von
fortgeschrittenen CLIL-SchülerInnen und hat zum Ziel, das Potential von CLIL bezüglich der
Vermittlung fachspezifischer Ausdrücke exemplarisch zu erkunden. Folgende auf einander
aufbauende Forschungsfragen sind hier von Interesse:

Forschungsfrage 1
Welche fachspezifischen Ausdrücke und Phrasen verwenden CLIL LernerInnen
aktiv in ihren mündlichen Äußerungen, die als fachspezifisch klassifiziert werden
können?

Forschungsfrage 2
In wie weit übersteigt der aktive Fachwortschatz der CLIL-SchülerInnen das aktive
Vokabular, das von RegelschülerInnen ohne CLIL zu erwarten wäre?

3. Die Studie
Die Studie wurde mit Wiener Schulklassen der 12. Schulstufe an einer Höheren Lehranstalt
für Tourismus (HLT) durchgeführt, wobei das untersuchte CLIL-Fach den Schwerpunkt
internationale Wirtschaft und europäische Politik hatte und von zwei CLIL-LehrerInnen
unterrichtet wurde, die den Stoff gemeinsam vorbereiteten. Der Datenkorpus umfasst
Audio- und Videoaufnahmen von 16 Schulstunden, einer SchülerInnen-
fragebogenuntersuchung und Interviews mit LehrerInnen und SchülerInnen. Insgesamt
waren 36 SchülerInnen am Unterricht beteiligt. Die Interaktionsformate waren durchwegs
schülerzentriert und teils unvorbereitet (Gruppenarbeit, spontane Rollenspiele) bzw. teils
vorbereitet (inhaltlich vorbereitete Rollenspiele, Präsentationen).
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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Für die Datenanalyse wurden die Transkripte der Tonaufnahmen herangezogen und
ausschließlich die englischsprachigen Äußerungen der SchülerInnen ausgewertet. Der
Datenkorpus wurde für die Analyse entsprechend inhaltlich (Entfernung von Kommentaren
der LehrerInnen und von deutschsprachigen Äußerungen) und formal (Entfernung von
unvollständigen Wörtern, von Füllwörtern, sowie von Notationen unverständlicher
Äußerungen) bereinigt und umfasste nach der Bereinigung 38.081 Wort-Tokens (bzw. 2389
Wort-Types).
Die Datenanalyse verlief in zwei Schritten (A & B, vgl. Diagramm 2), wobei Analyseschritt
A (Klassifikation des Fachvokabulars) abgeschlossen ist und die Voraussetzung für den noch
laufenden Analyseschritt B (Analyse der SchülerInnensprache) bildet. Teil A bestand
wiederum aus drei Phasen: Zunächst wurde in der ersten Phase eine automatisierte
quantitative Keyword-Analyse mittels der Korpus-Software AntConc (Anthony 2010)
vorgenommen, bei der der CLIL-Korpus mit einem nicht spezialisierten Korpus mündlicher
Äußerungen verglichen wurde, der aus den gesprochenen Teilen des Corpus of
Contemporary American English (Davies 2008-) und des British National Corpus (The British
National Corpus 2007) bestand, um diejenigen Ausdrücke als potentielle Fachausdrücke
herauszufiltern, die im CLIL-Korpus überdurchschnittlich häufig vorkommen. Da die
Keyword-Suche jedoch auf Einzelwörter beschränkt ist und in die Analyse auch Phrasen
einbezogen werden sollten, wurde die Auswahl mittels einer Clustersuche durch AntConc
auf Phrasen erweitert. In der zweiten Phase wurden die Ergebnisse der quantitativen
Keyword-Analyse und Clustersuche durch das Forschungsteam unter Anwendung einer
Beurteilungsskala von Chung & Nation (2004) qualitativ untersucht und so eine Vorauswahl
erstellt. Diese Vorauswahl wurde in einer dritten Phase den CLIL-LehrerInnen als
FachexpertInnen vorgelegt, die die Endauswahl der fachspezifischen Wörter und Phrasen
vornahmen. In einem zusätzlichen Schritt wurden die Listen vier AHS/BHS-LehrerInnen
vorgelegt, die gebeten wurden, einzuschätzen, welche der fachspezifischen Wörter und
Phrasen im aktiven Vokabular von RegelschülerInnen ohne CLIL zu erwarten wären.
Auf der Basis dieser Wort- bzw. Phrasenliste werden schließlich in Schritt B die
Korpusdaten nach verschiedenen Kriterien quantitativ und qualitativ untersucht, um
Einblicke in Variationen zwischen verschiedenen LernerInnen bei der Verwendung von
Fachausdrücken zu bekommen (abgeschlossen) und um Strategien im Umgang mit
Fachausdrücken einzelner SchülerInnen bzw. innerhalb der LernerInnengruppen zu
beleuchten (noch durchzuführen).

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 2: Datananalyse

4. Ergebnisse
Insgesamt wurden in der Analyse 76 fachspezifische Wörter (715 Tokens) und 53
fachspezifische Phrasen (342 Tokens) identifiziert, die die SchülerInnen aktiv im Unterricht
verwendeten. Darunter waren Wörter bzw. Phrasen wie convergence, subsidiarity, austerity
package oder sole proprietor, die laut Einschätzung der AHS/BHS-LehrerInnen über das zu
erwartende aktive Vokabular von SchülerInnen ohne CLIL hinaus gehen, aber auch
Ausdrücke wie currency, invest, economic crisis oder fossil fuels, die auch RegelschülerInnen
in der Regel aktiv beherrschen dürften.
Insgesamt ergab die Befragung der AHS/BHS-LehrerInnen, dass mehr als 50% der
fachspezifischen Wörter und Phrasen nicht im aktiven Wortschatz von SchülerInnen ohne
CLIL zu erwarten sind. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass 18 der fachspezifischen Wörter
(zB. balance (N), profit(N), salary) auch allgemeinsprachlich verwendet werden (und in dieser
Bedeutung von den RegelschülerInnen aktiv beherrscht werden sollten), dass, wie die CLIL-
LehrerInnen feststellten, diese Wörter allerdings im CLIL-Fach eine spezialisierte, vom
Alltagsgebrauch abweichende Bedeutung haben, die SchülerInnen ohne CLIL in der Regel
nicht kennen.
Gleichzeitig zeigte die Analyse der Schülersprache jedoch, dass erhebliche Schwankungen
zwischen den SchülerInnen zu beobachten waren, sowohl die Quantität als auch die Qualität

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

der Beiträge angeht. Abhängig davon, an wie vielen der Interaktionen die SchülerInnen
beteiligt waren, reichten die quantitativen Schwankungen der Beiträge von einem Maximum
von 4563 Wort-Tokens bis zu einem Minimum von lediglich 63 Wort-Tokens. Was die Anzahl
der verwendeten Fachausdrücke betrifft, so wurden auch hier große Schwankungen
beobachtet. So verwendete etwa bei vergleichbarer Beitragsquantität (1000-1200 Word-
Tokens) eine Schülerin lediglich 6 Fachausdrücke, ein anderer Schüler hingegen 18 der
fachspezifischen Wörter und Phrasen.

5. Diskussion und Schlusswort


Inhaltlich unterstreichen die Untersuchungsergebnisse das Potential von CLIL, erfolgreich als
Schnittstelle zwischen sprachlichem Lernen und Fachlernen zu fungieren und speziell im
fortgeschrittenen Stadium zu einer Erweiterung des aktiven fachspezifischen Wortschatzes
beizutragen, der das Vokabular von SchülerInnen ohne CLIL beträchtlich übersteigt.
Gleichzeitig zeigen die großen Schwankungen zwischen den LernerInnen jedoch, dass es eine
beträchtliche Variation zwischen den erreichten Kompetenzen zu geben scheint.
Methodisch legen die Studienergebnisse eine breit gefasste Spezifikation von
fachspezifischem Vokabular nahe, die dieses nicht von allgemeinsprachlichen Ausdrücken
abgrenzt, und auch Phrasen in die Auswahl einbezieht (was speziell im Englischen für die
Miteinbeziehung von z.B. zusammengesetzten Wörtern unerlässlich ist). Des Weiteren
zeigen die Datenanalysen auch die Grenzen der Auswertung mündlicher Sprachdaten, da bei
der z.B. Nicht-Verwendung von Fachausdrücken nicht automatisch davon ausgegangen
werden kann, dass diese Ausdrücke auch tatsächlich nicht beherrscht werden.

Literaturangaben

Anthony, Laurence. (2010). AntConc. Version 3.4.4. http://www.laurenceanthony.net/software/antconc/.


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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Zum Erwerb wissenschaftlicher


Textkompetenz in der Wirtschaftssprache
Englisch
Christine S. Sing
Wirtschaftsuniversität Wien / Universität Wien

1. Ausgangspunkt
Lehren und Lernen im Fachsprachenunterricht Englisch vollzieht sich innerhalb des English
for Specific Purposes (ESP)-Paradigmas. ESP unterscheidet sich von der englischen
Allgemeinsprache hinsichtlich seiner Nutzer, spezifischer Verwendungsweisen, sprachlicher
Merkmale sowie charakteristischer Lehr-und Lernsituation (Dudley-Evans & St John 1998).
Letztere ist auf Erwachsene im tertiären Bildungsbereich ausgerichtet (Gnutzmann 2011)
und orientiert sich im Kursdesign an den durch eine needs analysis ermittelten Bedürfnissen
von Nutzern (Flowerdew 2013). Ferner differieren die Lehrmethoden in Abhängigkeit vom
jeweiligen Verwendungszweck bzw. der Spezifik der Zielsprache.
Neben der Vermittlung von Fachterminologie kommt der Textproduktionskompetenz in
ESP-Programmen eine zentrale Bedeutung zu, insbesondere in der englischen Wirtschafts-
und Wissenschaftssprache (Tardy 2012, S. 6266). Wissenschaftliches Schreiben ist jedoch
kein homogenes Ganzes, sondern lässt sich in mehrere „subject-specific literacies“ (Hyland
2002, S. 352) untergliedern. Obwohl die ESP-Schreibaufgabe als Prototyp des writing to learn
betrachtet werden kann, sind Lehrveranstaltungen zum Erwerb wissenschaftlicher
Schreibkompetenz im ESP-Kontext häufig unzureichend curricular verankert. Studierende,
deren Erstsprache nicht Englisch ist, sehen sich im internationalisierten tertiären
Bildungsbereich mit Herausforderungen im allgemeinsprachlichen, wissenschaftlichen und
fach(wissenschaft)lichen Englisch konfrontiert (Peters et al. 2014).
Vorliegendes Forschungsprojekt setzt an diesen Herausforderungen für die
Schreibdidaktik im fachsprachlichen Fremdsprachenunterricht an. Im Mittelpunkt stehen
Verfahren zur Herstellung von Technizität (technicality) im (fach)wissenschaftlichen
Schreiben im Kontext einer Wirtschaftsuniversität. Die Fähigkeit zur Herstellung von
Technizität wird als wesentliche Teilkompetenz von wissenschaftlich-disziplinspezifischer
Textproduktionskompetenz verstanden.

2. Rahmen und Forschungsfragen


Das Projekt verortet sich in der empirischen Schreibforschung. Die linguistische
Bezugsdisziplin ist die Systemic-Functional Linguistics (SFL), die davon ausgeht, dass die

25
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

erfahrbare Welt sprachlich unterschiedlich repräsentiert wird und verschiedene Disziplinen


diese unterschiedlich ordnen und klassifizieren. Die daraus resultierende Komplexität von
Texten lässt sich anhand von zwei funktionalen Dimensionen - technicality und abstraction -
ermitteln (Martin 1993). Je nach fachlicher Ausprägung erfolgt Einordnen in
Wissenszusammenhänge entweder taxonomisch und empirisch begründend, wie in den
Naturwissenschaften, oder abstrahierend und diskursiv argumentierend, wie in den
Geisteswissenschaften. Die Darstellung und Entwicklung von Wissen in Texten beruht auf
zwei Verfahren: Benennen von Dingen/Prozessen und Herstellen logischer Relationen
zwischen diesen Dingen/Prozessen (Ravelli 2004). In (fach)wissenschaftlichen Texten wird
dies durch Signalwörter (Chung & Nation 2004) oder Sprachhandlungen wie beispielsweise
Definieren oder Erklären markiert.
Das Ziel der Untersuchung ist, solche textuellen Verfahren zu ermitteln, die von den
Schreibenden zur Einbettung wirtschaftswissenschaftlicher Fachtermini in den Text genutzt
werden. Dazu sind drei Forschungsfragen leitend: (1) Über welches Inventar an
englischsprachigen Schreibpraktiken verfügen Studierende der internationalen
Betriebswirtschaftslehre? (2) Welche sprachlichen Ressourcen stehen diesen Studierenden
zur Verfügung, um fach(sprach)liche Spezifik zu markieren und Technizität herzustellen? (3)
Welche lehr- / lernorientierten Implikationen bestehen hinsichtlich des Kontexts für die
Debatte um academic literacies?

3. Daten und Methode


In den empirischen Studien im ESP-Paradigma zur wissenschaftlichen Text-
produktionskompetenz in der Zweitsprache Englisch hat sich Korpuslinguistik als Methode
der Wahl etabliert (z. B. Sing 2013, Chang & Schleppegrell 2011, Charles 2006; anders die
ethnographische Studie Gnutzmann & Rabe 2014). Da jedoch eine umfassende Analyse von
Textproduktionskompetenz auch deren Entstehungs- und Interpretationsbedingungen
innerhalb eines institutionellen Kontexts einschließt, muss die Korpusanalyse ergänzt
werden, wie es die methodische Personalunion aus „corpus compiler-cum-analyst“
(Flowerdew 2005) bietet. Im Zusammenspiel mit einer content analysis, die die
Makrostrukturen von Texten einschließt, wird eine vollständig kontextualisierte
Untersuchung ermöglicht. Methodisch werden folglich im mixed methods Ansatz
korpuslinguistische mit interpretatorischen Verfahren kombiniert.

26
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Tabelle 1: Beschreibung des Corpus of Academic Business English (ABE)


Subkorpora Seminararbeiten (=N) Anzahl Wörter (tokens)
Business 103 236,917
Economics 104 273,455
Finance 104 253,203
Marketing 102 251,156
Insgesamt 413 1,014,731

Die zugrundeliegenden Daten sind das von der Autorin erhobene ABE Corpus (siehe Tabelle
1), es umfasst 413 Seminararbeiten (SA) von Studierenden der internationalen
Betriebswirtschaftslehre im Englischen als Zweitsprache zu Themen aus Finanzwesen,
Marketing, Management sowie Volkswirtschaft. Durch die Erhebung dieses fachsprachlichen
Korpus liegt erstmals im deutschsprachigen tertiären Bildungsbereich geeignetes
Datenmaterial vor, um fachwissenschaftliche Textproduktionskompetenz anhand des
pädagogischen Genres der Seminararbeit im ESP Kontext zu untersuchen.

4. Ergebnisse
Technizität wird im ABE Corpus hauptsächlich mittels der Handlungen des Exemplifizierens
und Erklärens hergestellt; das Verwenden sprachlicher Ressourcen, die auf Definieren
verweisen, ist in allen vier Subkorpora relativ selten (siehe Diagramm 1). Wird bedacht, dass
alle Subkorpora aus dem gleichen Genre bestehen und dass alle Texte im gleichen
Kursformat als Teil einer identischen Schreibaufgabe entstanden sind, ist die Variation
innerhalb des Korpus bemerkenswert und verweist auf disziplingebundene Variation. Es gilt
daher, zwischen Frequenz, Verwendungsmuster und Distribution zu unterscheiden. So
produzierte die häufigkeitsbasierte Analyse sprachlicher Ressourcen des Exemplifizierens
und Erklärens ähnliche Ergebnisse für die Subkorpora Business und Economics. Steht jedoch
die Relation zwischen diesen beiden Handlungen im Fokus, lassen sich ähnliche
Verteilungsrelationen einerseits für die Subkorpora Business und Finance und andererseits
für Economics und Marketing ableiten. Das heißt, dass die Studierenden in letzteren mehr
sprachliche Ressourcen des Exemplifizierens verwenden also solche des Erklärens, während
es sich in den Subkorpora Business und Finance gegenteilig verhält. Dies lässt sich u.a. durch
die unterschiedlichen Makrostrukturen der SA in diesen Disziplinen erklären, denn in
Business und Finance sind dies meist Fallstudien, die dem Problemlösungsschema
zugeordnet werden können, während es sich in den anderen beiden Subkorpora um
deskriptive, diskursiv argumentierende Texte handelt, in denen Studierende verstärkt auf
Exemplifikationen rekurrieren.

27
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Häufigkeit und Verteilung textueller Verfahren zur Herstellung von Technizität

2,5
Häufigkeit per 1000 Wörter

2
Definieren

1,5 Exemplifizieren

Erklären
1

0,5

0
Business Economics Finance Marketing

Was die Distribution der untersuchten sprachlichen Ressourcen betrifft, konnte deren
Verteilung mittels der Plot-Funktion, einem konkordanzgestützten Analyseinstrument,
ermittelt werden. Demgemäß verteilen sich diese Ressourcen sehr ungleichmäßig in den SA;
sie bilden insbesondere in der ersten Texthälfte cluster, in denen sich mehrere dieser
Sprachhandlungen in knowledge rich-Textpassagen konzentrieren und im Sinne einer
Wissensverdichtung der Herstellung von Technizität dienen. Die fünf am häufigsten dazu
verwendeten sprachlichen Ressourcen zeigt Tabelle 2:

Tabelle 2: Sprachliche Ressourcen zur Herstellung von Technizität

Sprachhandlungen Verwendete Ressourcen


Definieren called, the term X, defined as, define, known as
Exemplifizieren such as, for example, include, e.g., for instance
Erklären means that, i.e., explain, namely, refers to

Erst die content analysis erlaubt jedoch einen genaueren Einblick in diejenigen textuellen
Verfahren, die dem Aufbau von Technizität in den Seminararbeiten dienen. Im Ergebnis kann
das Herstellen von Technizität als ein zweistufiger Prozess aufgezeigt werden, bei dem der
Fachausdruck benannt und dann in eine taxonomische Beziehung eingebettet wird. Dadurch
entstehen genrekonstitutive Referenzketten. Bei diesen genrespezifischen
Verwendungsmustern handelt es sich um ein Vorgehen, das in der Makrostruktur der
Seminararbeiten vorgegeben ist, wie folgende Beispiele zeigen:

28
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

1. Joint Ventures [= section heading] A joint venture can be defined as a company


which is owned corporately by two or more parties [ABE_Bus]
2. Equity capital markets deal with stocks and derivative instruments, such as forward
contracts, futures, and options (AUTHOR 2011:14). [ABE_Finance]
3. […] characteristic is the oligopoly market situation which means that the market is
dominated by a few companies that fight over market […] [ABE_Econ]

In Beispiel 1 wird durch die Kapitelüberschrift „Joint Ventures“ das globale Thema gesetzt,
das im Anschluss an die Benennung als terminus technicus definiert wird. Ähnlich verhält es
sich im zweiten Beispiel, in welchem der Terminus „equity capital market“ anhand von
weiteren Fachtermini („stocks and derivative instruments“) im Rückgriff auf die verwendete
Fachliteratur in einen Wissenszusammenhang eingebettet wird. In Beispiel 3 handelt es sich
um die Ausarbeitung des Prozesses der Kommerzialisierung von Sport. Die Verfasserin
erklärt die beschriebene „oligopoly market situation“ als wesentliches Charakteristikum
dieses Prozesses mit eigenen Worten. Gerade in diesem letzten Beispiel wird der
Assessment Charakter der Seminararbeit deutlich, denn die Verfasserin hat zu zeigen, dass
sie den komplexen Zusammenhang verstanden hat. Anderswo zeigt sich, dass Schreibende
verstärkt auf Textmuster zurückgreifen, die sie in den Ausgangstexten vorfinden.

5. Lehr- und lernorientierte Implikationen


In anwendungsorientierter Perspektive haben die gewonnenen Ergebnisse für die Didaktik
der Schreibkompetenz in wirtschaftswissenschaftlichen Lehr-/Lernkontexten relevante
Implikationen. Erstens zeigte sich, dass die Studierenden in der untersuchten Schreibaufgabe
– dem Verfassen einer fachspezifischen Seminararbeit in der Zweitsprache Englisch – mit
multiple literacies konfrontiert sind: Sie kämpfen mit den fachspezifischen Ausprägungen der
englischen Wirtschaftssprache ebenso wie mit den sprachkulturellen und fachlichen
Konventionen des Genres Seminararbeit.
Zu diesen lernorientierten Schwierigkeiten sprachlicher Natur wurden grundlegende
konzeptuelle Herausforderungen in der Vermittlung von fachsprachlicher
Textproduktionskompetenz nachgewiesen. Da der Erwerb von Fachwissen Grundbaustein
universitärer Curricula ist, macht sich eine unzureichende Abstimmung des Erwerbs
fachspezifischer Termini und dem Erlernen der zugehörigen Fachsprache in doppelter
Hinsicht negativ bemerkbar.
Zu Recht ist mehrfach verdeutlicht worden, dass gerade im ESP-Bereich der Kontext eine
wesentliche Rolle spielt (Sing, Peters & Stegu 2014). Durch die bestehende Kluft zwischen
Forschung und Praxis differieren universitäres und professionelles Schreiben im Hinblick auf
mögliche target genres beträchtlich. Studierende haben in diesen Lehr-/Lernkontexten oft
einen eigenen Zugang zu den bestehenden pädagogischen Herausforderungen entwickelt, so
neigen sie beispielsweise in den Wirtschafswissenschaften zu Imitationslernen (Limburg
2014). Studierende begreifen sich in ihrer Identität als Schreibende nicht als angehende
WissenschaftlerInnen, sondern orientieren sich an künftigen professionellen Rollen (Sing
2015).
29
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Chang, P., & Schleppegrell, M. (2011). Taking an effective authorial stance in academic writing: Making the
linguistic resources explicit for L2 writers in the social sciences. Journal of English for Academic
Purposes, 10(3), S. 140–151.
Charles, M. (2006). Phraseological patterns in reporting clauses used in citation: A corpus-based study of theses
in two disciplines. English for Specific Purposes, 25(3), S. 310–331.
Chung, T. M., & Nation, P. (2004). Identifying technical vocabulary. System, 32(2), S. 251–263.
Dudley-Evans, T., & St John, M. J. (1998). Developments in ESP: A multi-disciplinary approach. Cambridge:
Cambridge University Press.
Flowerdew, L. (2013). Needs analysis and curriculum development in ESP. In B. Paltridge & S. Starfield (Eds.),
The handbook of English for specific purposes (S. 325–346). Malden, Mass: Wiley-Blackwell.
Flowerdew, L. (2005). An integration of corpus-based and genre-based approaches to text analysis in EAP/ESP:
countering criticisms against corpus-based methodologies. English for Specific Purposes, 24(3), S. 321–
332.
Gnutzmann, C. (2011). Language for specific purposes vs. general language. In K. Knapp, B. Seidlhofer, & H. G.
Widdowson (Eds.), Handbook of foreign language communication and learning (S. 517–544). Berlin: De
Gruyter.
Gnutzmann, C., & Rabe, F. (2014). ‘Theoretical subtleties’ or ‘text modules’? German researchers' language
demands and attitudes across disciplinary cultures. Journal of English for Academic Purposes, 13(0), S.
31–40.
Hyland, K. (2002). Options of identity in academic writing. ELT Journal, 56(4), 351–358.
Limburg, A. (2014). Imitationslernen in den Wirtschaftswissenschaften: Unterschiede zwischen
Examensarbeiten und Forschungsartikeln. Zeitschrift Schreiben. www.zeitschrift-
schreiben.eu/2014/#limburg.
Martin, J. R. (1993). Technicality and abstraction: Language for the creation of specialized texts. In M. A. K.
Halliday & J. R. Martin (Eds.), Writing science. Literacy and discursive power (S. 203–220). London:
Falmer Press.
Peters, P., Smith, A., Middledorp, J., Karpin, A., Sin, S., & Kilgore, A. (2014). Learning essential terms and
concepts in Statistics and Accounting. Higher Education Research & Development, 33(4), S. 742–756.
Ravelli, L. J. (2004). Signalling the organization of written texts: hyper-Themes in management and history
essays. In L. J. Ravelli & R. Ellis (Eds.), Analysing academic writing. Contextualized frameworks (S. 104–
130). London: Continuum.
Sing, C. S. (2013). Shell noun patterns in student writing in English for specific academic purposes (ESAP). In S.
Granger, G. Gilquin, & F. Meunier (Eds.), Twenty years of learner corpus research. Looking back,
moving ahead (S. 411–422). Louvain-la-Neuve: Presses universitaires de Louvain.
Sing, C. S. (2015). “My own summary is definitely less scientific but more easy to grasp”: ESP writing and
disciplinary identity. Fremdsprachen Lehren und Lernen, 44(1), S. 82–96.
Sing, C. S. (2016). Writing for specific purposes: Developing business students’ ability to ‘technicalize’. In S.
Göpferich & I. Neumann (Eds.), Developing and assessing academic and professional writing skills (S.
15–45). Frankfurt/M.: Peter Lang.
Sing, C. S. (2017). English as a lingua franca in international business contexts business contexts: Pedagogical
implications for the teaching of English for Specific Business Purposes. In G. Mautner & F. Rainer (Eds.),
Business Communication: Linguistic Approaches (S. 319-356). Berlin: De Gruyter.
Sing, C. S., Peters, E., & Stegu, M. (2014). Fachsprachenunterricht heute: Bedarf – (Fach-)Wissen – Kontext.
Fachsprache/International Journal of Specialized Communication, 36(1-2), S. 2–11.
Tardy, C. M. (2012). Writing and Language for Specific Purposes. In C. A. Chapelle (Ed.), The Encyclopedia of
Applied Linguistics (S. 6266–6274). Oxford: Wiley-Blackwell.

30
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

CLIL im Regelunterricht. Fallstudien zu


Unterrichtsdiskurs und -praxis an HTLs
Ute Smit, Thomas Finker
Universität Wien

1. Begründung der Studie und ihre Ziele


Seit nun schon mehr als 20 Jahren ist CLIL (Content and Language Integrated Learning) ein in
steigender Verbreitung befindlicher Unterrichtsansatz im Pflicht- und weiterführenden
Schulbereich in Europa und auch auf anderen Kontinenten. In der rasant angestiegenen
einschlägigen Forschung (vgl. z.B. Coyle et al 2010; Dalton-Puffer & Smit 2013; Llinares et al
2012; Nikula et al. 2016; Rüschoff et al 2015) wird die Mannigfaltigkeit der jeweiligen
Ausgestaltung und Implementierung von CLIL-Unterricht beleuchtet und diskutiert,
basierend auf einem oszillierendem Verständnis von CLIL als einen „dual-focused
educational approach in which an additional language is used for the learning and teaching
of both content and language” (Coyle, Hood, Marsh 2010, S. 1), bei dem sachfach- und
sprachdidaktische Ziele relevant sind, und einer pädagogisch weniger spezifischen
Interpretation als Unterrichtsansatz, „where curricular content is taught through the
medium of a foreign language” (Dalton-Puffer 2011, S. 183).
Diese innovative didaktische Entwicklung resultierte in Österreich nach Jahren lokal
initiierter und stark vom Engagement einzelner Lehrkräfte abhängiger CLIL-Umsetzung (vgl.
die Schulentwicklungsstudie CLIL an österreichischen HTLs (Dalton-Puffer et al. 2008)) in
gesetzlich verbindlichen Richtlinien zur Umsetzung von CLIL an österreichischen Höheren
Technischen Lehranstalten (HTLs) mit einer Mindestanzahl von 72 CLIL-Unterrichtsstunden
pro Schuljahr in den letzten drei Schulstufen (www.htl.at, Verankerung im Lehrplan). Diese
Vorgaben, verankert in den HTL-Lehrplänen vom Bundesministerium für Bildung (BMB) in
2011, sollen eine vergleichbare, zentralisierte und strukturierte Implementierung
englischsprachigen CLIL-Unterrichts ermöglichen und die betroffenen HTL-Lehrkräfte in
diesem Vorhaben unterstützen (vgl. CLIL. Content and Language Integrated Learning.
Leitfaden zur Umsetzung an HTLs, BMB 2016). Die vorliegende Studie repräsentiert die erste
nationale Untersuchung dieses gesetzlich vorgeschriebenen CLIL-Unterrichts in Österreich
und vereint Forschungsziele sowohl auf der Ebene des tatsächlichen CLIL-
Unterrichtsdiskurses als auch auf der Ebene der wahrgenommenen CLIL-Erfahrungen von
Lehrenden und SchülerInnen.

31
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Genauer wurden die folgenden vier Untersuchungsziele angepeilt:


1. Gewinnung von CLIL-Unterrichtsdaten, als Basis für
a. Einblick in den CLIL-Unterrichtsdiskurs
b. Einblick in das pädagogische Handeln im CLIL-Unterricht
2. Einblick in die subjektive Wahrnehmung von HTL-Lehrenden in Bezug auf den
CLIL-Unterricht und dessen potentielle Auswirkung auf Unterrichtsmethodik
und -praxis
3. Einblick in die subjektive Wahrnehmung von HTL-SchülerInnen in Bezug auf den
CLIL-Unterricht und dessen potentielle Auswirkung auf Unterrichtsmethodik
und -praxis
4. Ausgehend von der Identifikation guter CLIL-Praxis Entwicklung von
Vorschlägen zur Implementierung der CLIL-Bestimmungen auf der Mikroebene
des Unterrichts

2. Die Studie
Die qualitative Untersuchung zur Implementierung von CLIL an vier ausgewählten HTLs in
Österreich bediente sich dreier Forschungsmethoden, nämlich Video- und Audiographie von
CLIL-Unterrichtsstunden, Leitfadeninterviews mit CLIL-Lehrenden und SchülerInnen sowie
Analyse von CLIL-Unterrichtstranskripten.
Insgesamt wurden an den vier Schulstandorten 33 fachtheoretische Unterrichtsstunden
sowie 13 Laborstunden aufgezeichnet. Die dabei beobachteten Unterrichtsfächer umfassten
in erster Linie Bereiche der Informationstechnologie (unterrichtete Themengebiete: z.B.
Netzwerke, Datenbanken, Signaltechnik), aber auch Wirtschaft und Recht (z.B.
Bilanzerstellung) (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Überblick der analysierten Daten


Theoriestunden Laborstunden
Video- & Audiographie 33 13
SchülerInnen (gesamt) 120 11
Fallstudie A 9 (Wirtschaft & Recht) --
Fallstudie B 4 (Kommunikationssysteme) 8 (Netzwerke)
Fallstudie C 12 (Digitale Signalverarbeitung) --
Fallstudie D 4 (Softwaretechnik) 5 (Messtechnik)
Fallstudie E 4 (Datenbanken) --
Lehrende SchülerInnen
Interviews 5 29 Ss (in Gruppen)

Die videographierten und transkribierten Unterrichtsdiskurse ermöglichten das genaue


Erfassen pädagogischer Handlungsmuster sowie spezifischer linguistischer Muster (z.B.
Verwendung von Deutsch als Unterrichtssprache) und Phänomene (z.B. Korrektur
fremdsprachlicher Fehler). Bei sämtlichen Leitfadeninterviews war die Extraktion von
32
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Aussagen zum persönlichen Profil der Befragten (insb. (Fremd-)Sprachenkenntnisse), zum


Stundenverlauf, zur Sprachverwendung im Unterricht und zur generellen Umsetzung von
CLIL das vorrangige Ziel. Schließlich wurden die Unterrichtsvideos nochmals einer
detaillierten Analyse unterzogen. Hierfür kam die eigens entwickelte Methode der‚
systematischen videobasierten Unterrichtsbeobachtung’ (Smit & Finker vorgelegt) zum Zug,
die besonderes Augenmerk auf Lehrstrategien, Formen der Interaktion und der Sprachwahl
legte.

3. Ergebnisse
Bezüglich der beobachteten Lehrstrategien kann folgendes Bild skizziert werden: Im
Theorieunterricht herrschte stark lehrergeleiteter Unterricht vor, der gelegentlich kurze
Gruppenarbeitsphasen inkludierte. Laborunterricht hingegen verlief tendenziell
schülerzentrierter mit ausgiebigen Phasen der Einzel- bzw. Gruppenarbeit sowie einem
hohen Ausmaß an individueller Betreuung durch die Lehrperson je SchülerIn.
Die o.g. Lehrstrategien beeinflussen direkt die analysierten Interaktionsmuster. So konnte
im Theorieunterricht aufgrund des expliziten plenaren Lehrervortrags beobachtet werden,
wie das Muster ‚L (LehrerIn) spricht zur gesamten K (Klasse)’ Raum greift. In Theoriestunden
mit Gruppenarbeitsphasen erschienen zusätzlich zu diesem ‚L zu K’ auch vereinzelt
Sequenzen schülerinitiierter Interaktion, wobei ein/e SchülerIn S Ideen, Meinungen, Fragen
etc. in den Diskurs einbringt (‚S zu L’). Dieses aktive Momentum aufseiten der SchülerInnen
ist schließlich auch charakteristisch für den videographierten Laborunterricht. Obwohl die
beobachteten Interaktionen auch als typisch für den in Deutsch abgehaltenen Unterricht
beschrieben wurden, zeigten die Interviews, dass in CLIL-Stunden die Kommunikation
während der beschriebenen Interaktionen zusätzlich von häufigeren und detaillierteren
inhaltlichen Erklärungen gekennzeichnet ist. Weiters wurde auf angepasste
Lehrendensprache verwiesen, die sich langsamer darstellt und vermehrt Paraphrasen
enthält. Dies führt insgesamt zu einer entspannteren Unterrichtsatmosphäre und, vor allem
im Laborunterricht, zu egalitäreren Interaktionsmustern.
Basierend auf der Analyse der Unterrichtstranskripte und insbesondere auch aufgrund
der ‚systematischen videobasierten Unterrichtsbeobachtung’ zeigte die Sprachwahl im CLIL-
Unterricht auf, dass Englisch die eindeutig vorherrschende Unterrichtssprache in den
technischen Fächern war2. Diese Dominanz des Englischen war gelegentlich ergänzt mit
Einwürfen, Erläuterungen und Klarstellungen auf Deutsch. Weiters wurde Deutsch in erster
Linie auch zur Disziplinierung sowie für Aspekte des ‚classroom management’ eingesetzt und
grundsätzlich als mögliche vorhandene ‚fall-back option’ betrachtet, die flüssige

2
Eine Ausnahme stellte der Wirtschaft & Recht-Unterricht im Fallbeispiel A dar, in dem Deutsch die dominante
Unterrichtssprache war. Auch wenn eine genauere Diskussion den Rahmen dieses Kurzbeitrags sprengen
würde, sei angemerkt, dass es sich in diesem Fall um die allerersten CLIL-Stunden der betroffenen SchülerInnen
handelte.

33
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Kommunikation und unmittelbares Verstehen von Zeit zu Zeit erleichtert. Insgesamt zeigte
sich die realisierte Präferenz für Englisch vor allem in der LehrerInnen-Sprache. Aufseiten der
SchülerInnen musste großteils die Verwendung des Englischen durch die Lehrpersonen
eingefordert werden, speziell in den Theoriestunden.
Die didaktischen, interaktionellen und linguistischen Analysen der Videos und Interviews
vereinend zeigen die Daten schließlich, dass erfolgreiche CLIL-Praktiken in erster Linie auf
der Inklusion von Sprachbewusstheit im Fachunterricht, auf einer tiefgehenden
Überzeugung von CLIL-Lehrenden bezüglich der Sinnhaftigkeit von CLIL, auf dem Einschätzen
von CLIL als zusätzliche Förderung der Englisch-Sprachkompetenz sowie auf einem
proaktiven Umgang mit dem zusätzlichen zeitlichen, kognitiven und emotionalen
Mehraufwand durch CLIL beruhen.

4. Schlussbemerkung
Die Ergebnisse dieses Projekts und die darauf aufbauenden Vorschläge für eine zukünftige
nachhaltige Umsetzung von CLIL zeigen, dass viele der ministeriellen Empfehlungen zur CLIL-
Implementierung bestätigt werden können (vgl.
http://www.htl.at/htlat/schwerpunktportale/clil-content-and-language-integrated-
learning.html). Jedoch wird auch deutlich, dass die Eingliederung von CLIL in den
Regelunterricht an HTL vermehrt unterstützender Maßnahmen bedarf, um einen gangbaren
Weg der Umsetzung von CLIL an individuellen Schulstandorten, in den vielfältigen
fachspezifischen Abteilungen und schließlich im einzelnen pädagogischen Handeln der
Lehrpersonen zu gewährleisten. CLIL ist eben kein „nimm 2, zahl 1“ Angebot, sondern ein
Unterrichtsansatz, dessen Mehrwert nur mit dem nötigen Einsatz (d.h. Engagement, Struktur
und Unterstützung) nachhaltig umgesetzt und gesichert werden kann.

Literaturangaben

BMB. (2016). CLIL. Content and Language Integrated Learning. Leitfaden zur Umsetzung an HTLs.
https://www.cebs.at/fileadmin/user_upload/service/CLIL/CLIL_Leitfaden_2016_17.pdf (22. Mai 2017).
Coyle, Do, Hood, Philip, & Marsh, David. (2010). Content and Language Integrated Learning. Cambridge:
Cambridge University Press.
Dalton-Puffer, Christiane. (2011). Content-and-Language Integrated Learning: From Practice to Principle?.
Annual Review of Applied Linguistics, 31, S. 182 – 204.
Dalton-Puffer, Christiane, Hüttner, Julia, Jexenflicker, Silvia, Schindlegger, Veronika, & Smit, Ute. (2008). CLIL an
österreichischen HTLs: Endbericht des Forschungsprojekts. Unveröffentlichter Bericht,
Bundesministerium für Bildung, Kunst und Kultur.
Dalton-Puffer, Christiane, & Smit, Ute. (2013). Content and Language Integrated Learning: A research agenda.
Language Teaching 46 4, S. 545 – 559.
Llinares, Ana, Morton, Tom, & Whittaker, Rachel. (2012). The Roles of Language in CLIL. Cambridge: Cambridge
University Press.
Nikula, Tarja, Dafouz, Emma, Moore, Pat, & Smit, Ute (eds.). (2016). Conceptualising Integration in CLIL and
multilingual education. Bristol: Multilingual Matters.

34
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Rüschoff, Bernd, Sudhoff, Julian, & Wolff, Dieter (Eds.). (2015). CLIL Revisited: Eine kritische Analyse zum
gegenwärtigen Stand des bilingualen Sachfachunterrichts (= Forum Angewandte Linguistik F.A.L. 54.).
Frankfurt am Main: Peter Lang.
Smit, Ute, & Finker, Thomas. (vorgelegt). CLIL in Austrian technical colleges (‚HTL’): an analysis of classroom
practices based on systematic videobased lesson observations. In Monika Dannerer & Peter Mauser
(Hrsg.), Formen der Mehrsprachigkeit (S. XX-XXX). Tübingen: Stauffenburg.
www.htl.at – Eine Portalseite der berufsbildenden Schulen. (2017). Verankerung im Lehrplan.
http://www.htl.at/htlat/schwerpunktportale/clil-content-and-language-integrated-learning.html (22.
Mai 2017).

35
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Marktplatz 2:
Methoden & Unterricht,
SprachLehrerInnenbildung

36
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die Rolle des INPUTS für die Aneignung


narrativer Fähigkeiten
Verena Blaschitz
Universität Wien

1. Einleitung
Die Aneignung narrativer Fähigkeiten spielt eine erhebliche Rolle für die Aneignung der Erst-
und Zweitsprache sowie in weiterer Folge auch für die Fremdsprache (Strömqvist/Aksu-Koç
2004: 3). In das zunächst mündliche und später durch die schulische Vermittlung auch
schriftliche Erzählen fließen Prozesse der kognitiven Entwicklung, der Aneignung
sprachlicher Mittel und der institutionellen Bildung ein (Landua/Meier-Lohmann/Reich 2008:
194). Insbesondere das schriftliche Erzählen ist bei der Ausbildung der Bildungssprache von
zentraler Bedeutung, was auch seine didaktische Bedeutung hervorhebt.
Um neben grammatischen und lexikalischen auch diskursive Fähigkeiten untersuchen zu
können, wurden im Rahmen des INPUT-Projekts auch narrative Daten erhoben. Diese
erlauben Einblicke in die „hochkomplexe und vielfältige sprachliche Handlung“ (Becker 2009:
66), die als protoliterale Praxis (Ohlhus 2011: 338) wesentlich an der Ausbildung literaler
Fähigkeiten beteiligt ist (Schmölzer-Eibinger 2010: 1132; Vollmann/Schwabl 2014: 31).

2. Das INPUT-Projekt
Das INPUT-Projekt (Investigating Parental and Other Caretakers’ Utterances to Kindergarten
Children) untersuchte den Einfluss der von den erwachsenen Hauptbezugspersonen zu
Hause und im Kindergarten an das Kind gerichteten Sprache, des Inputs, auf die kindliche
Sprachaneignung.3 Insbesondere das Zusammenwirken verschiedener familiärer und
institutioneller Einflussfaktoren (Bildungs- bzw. sozioökonomischer Hintergrund,
Mehrsprachigkeit) war im Rahmen des Projekts von wesentlichem Interesse.
Das Projektsample setzte sich aus 56 dreijährigen Wiener Kindern und ihren
Hauptbezugspersonen in der Familie und im Kindergarten zusammen (vgl. Czinglar/Korecky-
Kröll/Uzunkaya-Sharma/Dressler 2015: 209). Jeweils die Hälfte der Familien wies einen
höheren bzw. niedrigeren sozioökonomische Status (SES) auf (vgl. Czinglar/Rüdiger/Korecky-
Kröll/Uzunkaya-Sharma/Dressler i.Dr.); außerdem war die Hälfte der Familien einsprachig
(Deutsch) bzw. zweisprachig (Deutsch-Türkisch). In einem Mixed-Methods-Design wurden zu
vier Zeitpunkten unterschiedliche Daten erhoben: Tests in den Bereichen Wortschatz,

3 Diese Studie entstand im Rahmen des Projekts INPUT.Leitung: Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang U. Dressler,

Universität Wien (2012 - 2016); Finanzierung: Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF
Webseite des Projekts: http://comparative-psycholinguistics.univie.ac.at/projects/input/.
37
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Morphologie und Syntax, Wiedergabe einer Bildgeschichte, spontansprachliche Daten


(zuhause und im Kindergarten) sowie ausführliche Interviews mit Eltern und PädagogInnen.
Die Wiedergabe der Bildgeschichte, der so genannten Frogstory (Mayer 1969)4, ist von 24
Kindern auf Deutsch5 vorhanden. Die 12 Mädchen und 12 Buben hatten alle Deutsch als
(einzige) Erstsprache und waren zum Erhebungszeitpunkt zwischen 4;2 und 4;6 Jahre alt. Die
Hälfte der 24 Kinder hatte einen höheren (HSES), die andere Hälfte einen niedrigeren
sozioökonomischen Status (LSES).

3. Narrative Ergebnisse aus dem INPUT-Projekt


Die Analyse der Frogstory erfolgte in einem zweigliedrigen Analyseverfahren, das zum einen
auf die Erzählstruktur (Wiedergabe des Plots), zum anderen auf die sprachlich-narrative
Umsetzung fokussiert6 (vgl. Blaschitz in Dr.). Im Anschluss an die Analyse ergaben sich drei
Gruppen: Wiedergaben mit narrativem Charakter sind solche, in denen der Anteil narrativer
Elemente überwiegt. Als deskriptiv-narrativ werden Wiedergaben bezeichnet, in denen sich
narrative und deskriptive Merkmale ungefähr die Waage halten, während deskriptive
Wiedergaben solche sind, in denen kaum oder gar keine narrativen Elemente feststellbar
sind. Von den 24 Wiedergaben wiesen sechs einen narrativen bzw. deskriptiv-narrativen
Charakter auf, die übrigen zwölf Wiedergaben waren primär deskriptiv.
Es zeigte sich ein SES-Effekt in dem Sinn, dass unter jenen Kindern, die eher narrative
Wiedergaben produzierten, fast nur HSES-Kinder waren, während jene Kinder, die
deskriptive Wiedergaben produzierten, größtenteils LSES hatten. Auch die Kombination von
Angaben aus den Elterninterviews und der narrativen Analyse ergab einen Einfluss des SES:
Es zeigte sich nicht nur, dass die den HSES-Kindern signifikant mehr vorgelesen wird pro
Woche (1,89h HSES vs. 0,68h LSES)7 (Korecky-Kröll/Sommer-Lolei 2015), sondern auch, dass
fast alle Kinder, denen täglich oder mehrmals/Woche vorgelesen wird, eine eher narrative
Wiedergabe produzierten, während die Wiedergaben von allen Kindern, denen nie oder nur
1x/Woche vorgelesen wird, deskriptiv war.

4. Zur Rolle von Familie und Schule


Die Rolle der Familie für die Aneignung narrativer Fähigkeiten wird auch daran deutlich, dass
Kinder in unterschiedlichen Gesprächskulturen aufwachsen, wodurch ihr Zugang zu
diskursiven Praktiken ein unterschiedliches Ausmaß umfasst (Stude 2015: 259). Dies hat

4 Die 24 Bilder umfassende Originalfassung der Frogstory wurde für die Zwecke des INPUT-Projekts auf neun

Bilder gekürzt.
5 Die Frogstory wurden auch von den L2-Kindern auf Deutsch und Türkisch wiedergegeben. Diese Daten

werden aber im Rahmen einer Dissertation bearbeitet, weshalb sie hier nicht einbezogen werden.
6 Dabei werden Kriterien wie „Progression durch Konnektoren“, „Redewiedergabe“, „Höhepunktmarkierung“,

„Einsatz von Interjektionen und Onomatopoetika“ und „narrative Detaillierung“ untersucht.


7 N=29, nur L1-Kinder.

38
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

nachweislich einen Einfluss auf die Diskurskompetenzen (vgl. Quasthoff/Kern 2007; a.a.O.).
Von wesentlicher Bedeutung ist auch der „sprachliche Anregungsgehalt“ in der Familie,
namentlich sog. homeliteracy-Aktivitäten (Lengyel 2017: 8).
Eine zentrale Rolle hinsichtlich der Sprachaneignung nimmt neben der Familie die Schule
ein (vgl. Dannerer 2013: 295; Becker 2009: 70). Die Sprachaneignung, inklusive der
Aneignung narrativer Fähigkeiten, ist mit Eintritt in die Schule keineswegs abgeschlossen
(vgl. Becker/Stude 2017: 63). Vor allem die Aneignung schriftlicher Erzählfähigkeiten
unterliegt stark der schulischen Steuerung (Dannerer 2013: 295), schriftliches Erzählen ist
von Anfang an didaktisch induziert (a.a.O.; Guckelsberger 2008: 126). Von besonderer
Bedeutung ist die Schule aber vor allem bezüglich der Kompensation fehlender
Vorerfahrungen mit konzeptioneller Schriftlichkeit (Stude 2015: 262). Speziell die
Sprachdidaktik hat hier die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Erwerbsprozesse
(Becker 2009: 71). Dies gilt auch für den Kindergarten, in dem – sei es durch den „normalen“
Input der PädagogInnen, sei es durch spezielle Sprachfördermaßnahmen – die Qualität des
sprachlichen Inputs bzw. der Interaktionen mit den PädagogInnen eine erhebliche
Auswirkung auf die Sprachaneignung der ein- und mehrsprachigen Kinder hat (Albers 2009;
Czinglar/Rüdiger/Korecky-Kröll/Uzunkaya-Sharma/Dressler i.Dr.: 15).

5. „Geschichten erzählen und Lesen – Der Spracherwerb von Wiener


Kindern vom Kindergarten bis in die zweite Klasse Volkschule“
Die Bedeutung der Schule als nächster Bildungseinrichtung nach dem Kindergarten wird nun
in einem aktuellen Forschungsprojekt beleuchtet. Die von der Arbeiterkammer Wien
finanzierte Studie mit dem oben genannten Titel (Leitung: Katharina Korecky-Kröll und
Verena Blaschitz) nimmt die Auswirkung des Schuleintritts auf die sprachlichen Leistungen
der Kinder (vgl. Dannerer 2013: 295; Becker 2009: 70) in den Fokus. Zentral ist dabei die
Frage, welche familiären und außerfamiliären Faktoren den Erfolg des Lese- und
Erzählerwerbs am stärksten beeinflussen (Bredel/Reich 2008: 95; Ohlhus 2011: 339; 352;
Quasthoff/Kern 2007; Stude 2015: 259; Topalović/Uhl 2014: 30; 31).
ProbandInnen des Projekts sind jene Kinder, die im Kindergartenalter am INPUT-Projekt
beteiligt waren und die mittlerweile die zweite Klasse der Volksschule besuchen. Die
Kombination der Ergebnisse des neuen Projekts mit jenen des INPUT-Projekts ermöglicht
eine longitudinale Perspektive auf dieselben Kinder über einen Zeitraum von ca. fünf
Lebensjahren.
Im Zentrum des Projekts steht die Frage, ob der Einfluss der unterschiedlichen im Fokus
stehenden Faktoren (sozioökonomischer Hintergrund, Mehrsprachigkeit vs. Einsprachigkeit,
Dauer des Kindergartenbesuchs, Art der Kinderbetreuungseinrichtung, Art und Umfang
elterlicher Beschäftigung mit dem Kind, Lesegewohnheiten, sonstiger Medienkonsum)
konstant geblieben ist oder ob sich eine Verschiebung des einen zugunsten eines anderen
Faktors ergeben hat.

39
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Bei der Datenerhebung werden folgenden Bereiche berücksichtigt: Hinsichtlich der


narrativen Fähigkeiten soll neben einer neuerlichen Wiedergabe der Frogstory eine
mündliche Erlebniserzählung elizitiert werden. Zur Untersuchung der Lesefertigkeiten
werden den Kindern je eine Aufgabenstellung zur Leseflüssigkeit sowie zum Leseverständnis
vorgelegt. Neben Wortschatz- und Grammatiktests werden ein Eltern- und ein
Kinderinterview durchgeführt. Die Interviews mit den Kindern und Eltern dienen in erster
Linie dazu, weitere relevante Variablen (z. B. wöchentliche Lese- und Fernsehzeit,
Leselehrgang, Sprachförderlehrkraft, muttersprachlicher Unterricht, Sprachen der Peers etc.)
zu bestimmen.

6. Diskussion und Schluss


Die Ergebnisse des INPUT-Projekts belegen zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen L1-
Kindern aus HSES- bzw. LSES-Familien in verschiedenen sprachlichen Bereichen (Narration,
Pluralbildung, Adjektivsteigerung, Verbstellung) (Czinglar/Korecky-Kröll/Uzunkaya-
Sharma/Dressler 2015: 236f.). Bei den mehrsprachigen Kindern üben dagegen andere
Faktoren (Kontaktzeit zum Deutschen, Anteil an deutschsprachiger Peers im Kindergarten,
Art der Kinderbetreuungseinrichtung) einen größeren Einfluss aus
(Czinglar/Rüdiger/Korecky-Kröll/Uzunkaya-Sharma/Dressler i.Dr.: 27).
Insbesondere präliterale Erfahrungen können den Erfolg des Lesen- und Schreibenlernens
beeinflussen (Ohlhus 2011: 339; Bredel/Reich 2008: 95; Lengyel 2017: 8:), sodass etwa
Kinder in Abhängigkeit von entsprechenden literalen Erfahrungen (vgl. Becker 2009: 71) über
ein unterschiedliches Ausmaß an konzeptuell protoliteralen Konzepten verfügen (Pätzold
2005).
Der Schule und insbesondere den Lehrkräften kommt demnach die Aufgabe zu, die
Diskrepanzen im Input auszugleichen (vgl. Kapica/Klages/Pagonis 2014: 8).

Literaturangaben

Albers, Timm. (2009). Sprache und Interaktion im Kindergarten: eine quantitativ-qualitative Analyse der
sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen von drei- bis sechsjährigen Kindern. Bad Heilbrunn:
Klinkhardt.
Becker, Tabea. (2009). Erzählentwicklung beschreiben, diagnostizieren und fördern. In Carmen Spiegel &
Michael Krelle (Hrsg.), Sprechen und Kommunizieren in der Schule (S. 64 – 81). Baltmannsweiler:
Schneider.
Becker, Tabea, & Stude, Juliane. (2017). Erzählen. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Blaschitz, Verena. (i. Dr.). (Dis-)Kontinuitäten in der (narrativen) Sprachaneignung von Zehnjährigen mit
Deutsch als Zweitsprache. In Sabine Schmölzer-Eibinger & Muhammed Akbulut (Hrsg.), Erzählen in der
Zweitsprache. Stuttgart: Klett.
Bredel, Ursula, & Reich, Hans H. (2008). Literale Basisqualifikationen I und II. In Konrad Ehlich, Ursula Bredel &
Hans H. Reich (Hrsg.), Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung (S. 95 – 106). Berlin:
BMBF.

40
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Czinglar, Christine, Rüdiger, Jan Oliver, Korecky-Kröll, Katharina, Uzunkaya-Sharma, Kumru, & Dressler,
Wolfgang U. (i. Dr.). Inputfaktoren im DaZ-Erwerb von sukzessiv bilingualen Kindern mit L1 Türkisch. In
Isabel Fuchs & Stefan Jeuk & Werner Knapp (Hrsg.), Mehrsprachigkeit: Spracherwerb,
Unterrichtsprozesse, Schulentwicklung (S. 13 – 32). Freiburg: Filibach bei Klett.
Czinglar, Christine, Korecky-Kröll, Katharina, Uzunkaya-Sharma, Kumru, & Dressler, Wolfgang U. (2015). Wie
beeinflusst der sozioökonomische Status den Erwerb der Erst- und Zweitsprache? Wortschatzerwerb
und Geschwindigkeit im NP/DP-Erwerb bei Kindergartenkindern im türkisch-deutschen Kontrast. In
Klaus-Michael Köpcke & Arne Ziegler (Hrsg.), Deutsche Grammatik in Kontakt. Deutsch als
Zweitsprache in Schule und Unterricht (S. 207 – 240.) Berlin: De Gruyter.
Dannerer, Monika. (2013). „Verwende wörtliche Reden, dadurch wirkt deine Bildgeschichte lebendiger!“ –
Entwicklung von Formenvielfalt der Redewiedergabe im schriftlichen Erzählerwerb von der 5. bis 12.
Schulstufe. In Tabea Becker & Petra Wieler (Hrsg.), Erzählforschung und Erzähldidaktik heute –
Entwicklungslinien, Konzepte, Perspektiven (S. 295 – 315). Tübingen: Stauffenburg.
Guckelsberger, Susanne. (2008). Diskursive Basisqualifikation. In Konrad Ehlich & Ursula Bredel & Hans H. Reich
(Hrsg.), Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung – Forschungsgrundlagen (S. 103 –
133). Berlin: BMBF.
Kapica, Natalia, Klages, Hana, & Pagonis, Giulio. (2014). Narrative Kompetenz: Anforderungen an ein Verfahren
der Sprachstandsfeststellung im Elementarbereich. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht, 19(2), S. 5 – 19.
Korecky-Kröll, Katharina, & Sommer-Lolei, Sabine. (2015). Die Elterninterviews. INPUT-Workshop, 9.11.2015.
Landua, Sabine, Maier-Lohmann, Christa. & Reich, Hans H. (2008). Deutsch als Zweitsprache. In Konrad Ehlich,
Ursula Bredel & Hans H. Reich (Hrsg.), Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung –
Forschungsgrundlagen (S. 171 – 201). Berlin: BMBF.
Lengyel, Drorit. (2017). Stichwort: Mehrsprachigkeitsforschung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft,
3/1/2017.
Mayer, Mercer. (1969). Frog, where are you? New York: Dial Press.
Ohlhus, Sören. (2011). Mündliche Erzählinteraktionen und literale Sozialisation. In Ludger Hoffmann & Uta M.
Quasthoff & Kerstin Leimbrink (Hrsg.), Die Matrix der menschlichen Entwicklung (S. 338 – 365). Berlin:
De Gruyter.
Pätzold, Margita. (2013). Literales Erzählen: Von außen angeregt und von innen hervorgebracht. In Tabea
Becker & Petra Wieler (Hrsg.), Erzählforschung und Erzähldidaktik heute – Entwicklungslinien,
Konzepte, Perspektiven (S. 279 – 293). Tübingen: Stauffenburg.
Quasthoff, Uta & Kern, Friederike. (2007). Familiale Interaktionsmuster und kindliche Diskursfähigkeit. In Heiko
Hausendorf (Hrsg.), Gespräch als Prozess: linguistische Aspekte der Zeitlichkeit verbaler Interaktion (S.
277 – 306). Tübingen: Narr.
Schmölzer-Eibinger, Sabine. (2010). Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache. In Hans-Jürgen Krumm,
Christian Fandrych, Britta Hufeisen & Claudia Riemer (Hrsg.), Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein
internationales Handbuch. 2. Halbbd. (S. 1130 – 1137). Berlin: de Gruyter.
Strömqvist, Sven, & Ayhan, Aksu-Koç (Hrsg.) (2004), Relating Events in Narrative. Volume 2: Typological and
Contextual Perspectives. Hillsdale: Erlbaum.
Stude, Juliane. (2015). Kindlicher Erzählerwerb – Was wir schon wissen und was noch fehlt. Mitteilungen des
Deutschen Germanistenverbandes, 3, S. 255 – 265.
Topalović, Elvira & Uhl, Benjamin. (2014). Linguistik des literarischen Erzählen. Zeitschrift für Germanistische
Linguistik, Vol. 42 (1), S. 26 – 49.
Vollmann, Ralf. & Schwabl, Katharina. (2014). Entwicklung der narrativen Kompetenz von Vorschulkindern mit
Migrationshintergrund. In İnci Dirim, Hans-Jürgen Krumm, Paul Portmann-Tselikas & Sabine
Schmölzer-Eibinger (Hrsg.), Theorie und Praxis. Schwerpunkt: Schreiben und Literalität (S. 29 – 49).
Wien: Präsens.

41
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

„Erzähl mir, Salzburg“ – Deutsch lernen


im Museum
Theresa Bogensperger*, Denis Weger°, Margareta Strasser*
Universität Salzburg*, Universität Wien°

1. Hintergrund
Als eines der ersten Museen in ganz Österreich realisierte das Salzburg Museum 2016
Leichte Sprache in der Textgestaltung im Rahmen der Ausstellungstrilogie Bischof. Kaiser.
Jedermann zum 200-jährigen Jubiläum Salzburgs bei Österreich. Gleichwertig in die
Ausstellung integriert, waren diese Texte vor allem für jene Besucher_innen gedacht, die mit
den häufig komplexen und fachspezifischen Museumstexten nicht entsprechend adressiert
werden. Eine dieser drei Sonderausstellungen, konkret die Ausstellung Erzähl mir Salzburg,
bildete die Grundlage für die Konzeption eines Deutschkurses im Museum für Lernende auf
Niveau A2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Zielgruppe des
Kurses waren junge Erwachsene, die erst vor kurzem nach Salzburg migriert waren.
Der Deutschkurs ist Teil des Kultur- und Forschungsprojekts Sag es einfach. Sag es laut.
Leichte Sprache als Schlüssel zum Museum, eines vom Bundeskanzleramt geförderten
Projekts des Salzburg Museums in Kooperation mit dem Kooperationsschwerpunkt
Wissenschaft & Kunst und dem Sprachenzentrum der Universität Salzburg. Das Projekt
umfasst drei Säulen: Neben dem Deutschkurs sind dies eine Lehrveranstaltung zum
inklusiven Museum und begleitende empirische Forschung. In der Lehrveranstaltung werden
Studierende des Schwerpunkts Wissenschaft & Kunst mit dem Konzept des inklusiven
Museums vertraut gemacht. Gleichzeitig fungieren die Studierenden als Kultur_patinnen und
Begleiter_innen für die Teilnehmer_innen des Kurses. Anhand von Methoden der
wissenssoziologischen Diskursanalyse, der teilnehmenden Beobachtung und der
Besucher_innenbefragung wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Umsetzung des
Konzepts der Leichten Sprache zu einem inklusiven Museum beitragen kann (Al-Masri &
Reitstätter 2017). In diesem Beitrag werden der Ansatz und das Konzept des Deutschkurses
dargestellt.

2. Sprachenlernen im Museum
Das Museum bietet die Möglichkeit einer besonders intensiven und authentischen
Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur und kann somit als wertvoller außerschulischer
Lernort fungieren. Der besondere Wert des Lernorts Museum besteht für den
fremdsprachlichen Unterricht in Bezug auf interkulturelles Lernen vor allem darin, dass das

42
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Museum Ausstellungsstücke bietet, durch die den Lernenden die zielsprachliche Kultur
authentisch vermittelt werden kann (Rymarczyk 2015, S. 203).
Neben landeskundlichen Informationen ist für einen Sprachunterricht auch die
Vermittlung der sprachlichen Aktivitäten Verstehen (Hören, Lesen), Sprechen
(zusammenhängendes Sprechen, an Gesprächen teilnehmen) und Schreiben sowie
interkulturelles Lernen wesentlich. Der Lernort Museum kann auch hier unterstützend für
das Fremdsprachenlernen wirken, denn er bietet verschiedene sprachliche Inputs in Form
von Texten (sowohl schriftliche Ausstellungstexte als auch Hörtexte und Filme) sowie
gesprochene Sprache bei Führungen. Auch das Versprachlichen von Gedanken und
Eindrücken zu Exponaten sowie das Diskutieren darüber fördert die sprachliche Kompetenz
der Lernenden. Das Fremdsprachenlernen im Museum verbindet damit visuelle und
sprachliche Kompetenzen und spricht verschiedene Sinneskanäle an (Biener 2004, S. 6;
Rohmann 2013, S. 149). Es bietet sich daher an, fremdsprachlichen Unterricht durch Lernen
im Museum zu ergänzen.

3. Ansatz des Deutschkurses


Die Ausstellung Erzähl mir Salzburg bietet in zwölf Räumen Einblicke in Salzburgs Kunst- und
Kulturgeschichte der Jahre 1816 bis 2016. Der sehr offene Lernort Museum wurde didaktisch
vorstrukturiert, um es den Lernenden einerseits zu ermöglichen, sich möglichst frei mit den
Exponaten auseinanderzusetzen, sie andererseits aber nicht zu überfordern (Rymarczyk
2015, S. 208). Dazu wurden ausgehend von den Ausstellungstexten in Leichter Sprache, die
in jedem Raum gleichwertig neben den herkömmlichen Ausstellungstexten angebracht sind,
und den Ausstellungstücken Kursmaterialien entwickelt. Die Materialien sind sowohl auf
sprachliche als auch auf kulturelle Lernziele hin ausgerichtet. Auf diese beiden Ebenen wird
in weiterer Folge detaillierter eingegangen.

4. Sprachliche Ebene
Auf sprachlicher Ebene sollen die Lernenden ausgehend von den Texten in Leichter Sprache
an die regulären Ausstellungstexte herangeführt werden, etwa indem
Texterschließungsstrategien vermittelt werden und indem mit beiden Textversionen
gearbeitet wird (Foschi Albert 2012). Die unterschiedlichen Ausstellungsräume und -objekte
bieten außerdem eine Vielzahl an handlungsorientierten Schreib- und Sprechanlässen, in
deren Rahmen die Lernenden sich individuell oder gemeinsam mit verschiedenen Facetten
der Geschichte Salzburgs kreativ auseinandersetzen (Biener 2004).

43
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

5. Kulturelle Ebene
Auf kultureller Ebene sollen die Lernenden durch eine Auseinandersetzung mit den diversen
Facetten der Geschichte Salzburgs auch lokale Diskurse besser verstehen und im Idealfall
daran partizipieren können (Altmayer 2015, S. 31f.). Dies geschieht durch verschiedene
Aufgabenstellungen zu ausgewählten bzw. von den Lernenden selbst gewählten
Ausstellungsstücken, die sie auch in Bezug zu ihrer eigenen Geschichte setzen und sich
dadurch auch persönlich in das Kursgeschehen einbringen können. Die diesbezüglichen
Aufgabenstellungen sind bewusst offen gehalten, um eine Kulturalisierung zu vermeiden
(Heinemann 2015).
Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus den Arbeitsmaterialien zum Thema
Nationalsozialismus in Salzburg und ist als Beispiel dafür angeführt, wie versucht wurde, den
Teilnehmer_innen lokale bzw. nationale Diskurse zugänglich zu machen (Aufgabe F–H) und
thematisch einen Bezug zur jeweils eigenen Geschichte herzustellen (Aufgabe I). Bewusst
offen gehalten ist dabei, was unter „eigene Geschichte“ zu verstehen ist.

Abbildung 1: Ausschnitt aus den Arbeitsmaterialien zum Ausstellungsraum Salzburg und


der Nationalsozialismus aus Weger, Bogensperger, & Strasser (2017)

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

6. Ergebnisse
Als Ergebnisse des Kultur- und Forschungsprojekts Sag es einfach. Sag es laut. Leichte
Sprache als Schlüssel zum Museum sind ein Handbuch mit den Forschungsergebnissen zur
wissenssoziologischen Diskursanalyse und der teilnehmenden Beobachtung zur Ausstellung
insgesamt sowie mit Erfahrungsberichten und dem Kurskonzept zum Deutschkurs geplant.
Angedacht ist außerdem die Onlineveröffentlichung der im Kurs verwendeten
Unterrichtsmaterialien.

Literaturangaben

Al-Masri, Nadja, & Reitstätter, Luise. (2017). Leichte Sprache im Museum. Ein Erfahrungsbericht als Handbuch.
Abgerufen von http://www.salzburgmuseum.at/index.php?id=2101
Altmayer, Claus. (2015). Sprache/Kultur - Kultur/Sprache. Annäherung an einen komplexen Zusammenhang aus
Sicht der Kulturstudien im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. In M. Dobstadt, C. Fandrych, &
R. Riedner (Hrsg.), Linguistik und Kulturwissenschaft (S. 17 – 36). Frankfurt am Main: Peter Lang.
https://doi.org/10.3726/978-3-653-04503-1
Biener, Bianca. (2004). Konstruktivistische Lerntheorie und ihre Anwendung im Museum. Standbein Spielbein.
Museumspädagogik aktuell, 70, S. 6 – 9.
Foschi Albert, Marina. (2012). Lesestrategien zur Ermittlung der Textkohärenz in fremdsprachigen Texten.
Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 17(1), S. 25 – 39. Abgerufen von
http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-13-1/beitrag/Feist1.htm%5Cnhttp://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-13-
1/docs/Feist1.pdf
Heinemann, Alisha M. B. (2015). Risiken und reflexive Anforderungen des sogenannten „kulturellen Lernens“
im Deutsch als Fremd- und Zweitsprachenunterricht. ÖDaF-Mitteilungen, 2, S. 75 – 83.
Rohmann, Heike. (2013). Historical museums as learning sites in foreign language education and cultural
studies. In Jutta Rymarczyk (Hrsg.), Foreign Language Learning Outside School. Places to See, Learn and
Enjoy (S. 147 – 158). Frankfurt am Main: Peter Lang.
Rymarczyk, Jutta. (2015). Museen als außerschulische Lernorte. In Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs, &
Claudia Riemer (Hrsg.), Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von
Fremdsprachen (S. 201 – 210). Tübingen: Narr Francke Attempo.
Weger, Denis, Bogensperger, Theresa, & Strasser, Margareta. (2017). Erzähl mir Salzburg. Deutsch im Museum
(DiM). Abgerufen von www.uni-salzburg.at/dim

45
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

„Echtem Scherz liegt Ernst zum Grunde“:


Eine Pilotstudie über den Einsatz des
Witzes im Russischunterricht
Julia Hargaßner
Universität Salzburg°

Das Verstehen eines Witzes in einer fremden Sprache stellt mehrere Herausforderungen dar,
zugleich aber vermittelt es das befriedigende Gefühl der kompetenten Beherrschung dieser
fremden Sprache. Der Witz nimmt im Kontext des Russischunterrichts eine besondere
Stellung ein: Er kommt zum einen in der schriftlichen Sprache als eine Textsorte und zum
anderen in der mündlichen Sprache als eine Redegattung vor. Diese Zweiteilung wird mit der
Aktivierung unterschiedlicher Aktivitäten in der (unterrichtlichen) Kommunikation begründet
und folgt dem zeitgenössischen Paradigma der russischsprachigen Witzforschung (Chimik
2002; Šmeleva, Šmelev 2002; Dement’ev 2010; Kurganov 2015).
Das Ziel der Pilotstudie ist es, die subjektive Haltung der Lerner in Bezug auf den Witz im
Unterricht zu eruieren. Die Umfrage wurde an die Studierenden aller Russischkurse, die im
WS 2016/17 an der Uni Salzburg stattgefunden haben, gerichtet und in demselben Semester
durchgeführt. Es wurden insgesamt 45 Fragebögen (11 Männer, 28 Frauen und 6 Personen
ohne Angabe) erfasst.

1. Forschungsdesign
Im Fragebogen (insgesamt 25 Items) wurden die folgenden Bereiche erhoben: der Einsatz
des Witzes im Russischunterricht (11 Items), das Verständnis des Witzes (7 Items), die
Lernbiographien der Befragten (7 Items). Die Ergebnisse der Fragen zu Lern- und
Sprachbiographien wurden als nicht repräsentativ gedeutet und hier nicht angegeben.

1.1 Items zum Einsatz des Witzes im Russischunterricht

Den Studierenden wurden in dieser ersten Gruppe zehn Aussagen angeboten, die die
Einstellungen der Lerner zu drei Fertigkeiten (Sprechen, Lesen, Hören) in Bezug auf den Witz
in ihrer Muttersprache und in der Zielsprache Russisch festhalten sollten. Sie sind
handlungsorientiert formuliert und enthalten Interesse eruierende Elemente, z. B. „Ich
erzähle gern Witze in meiner Muttersprache“. Die Verbindung zwischen dem Interesse am
Gegenstand bzw. der Lernmotivation und dem Lernerfolg steht im Fokus mehrerer
pädagogisch-psychologischer Studien (Hoffmann 2014) und ist für die Planung und „optimale
Gestaltung des Unterrichts [...] ein wichtiger Aspekt“ (Krapp 1996: 105). Außerdem zeigen
die Aussagen die subjektive Wahrnehmung des Witzes hinsichtlich seines Einflusses auf die
46
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lernatmosphäre. Zuletzt wurde die subjektive Häufigkeit des Witzeinsatzes abgefragt. Die
folgenden Hypothesen wurden überprüft:
1. Die Haltung zum Witz in Bezug auf die drei Fertigkeiten (Sprechen, Lesen,
Hören) in der Muttersprache spiegelt sich in der Haltung zum Witz in der Lernsprache
Russisch wider.
2. Die subjektive Meinung der Lerner ist, dass Witze in der Zielsprache die
Lernatmosphäre positiv beeinflussen.
3. Der Witz kommt im Russischunterricht selten vor.

1.2 Items zum Verständnis des Witzes

Die Aussagen der zweiten Gruppe gehen auf den Begriff des Witzes bzw. das Verstehen
dieses Begriffs sowie unterschiedlicher Arten von Witzen ein. Die Formulierung der Aussagen
dieser Gruppe geht von der breiten Definition des Witzes aus, die nicht nur pointierte Texte,
sondern alle Texte, die in Verbindung mit Lachen und Humor stehen, umfasst. Außerdem
überprüfen die Aussagen die subjektive Verständlichkeit von Witzen in der russischen
Sprache in Abhängigkeit von verschiedenen Arten von Humor, dem verbalen und dem
referenziellen (Attardo 1994). Die referenziellen Witze, die als leichter übersetzbar gelten
(ebd.), wurden zusätzlich in zwei Kategorien unterteilt angeboten: Witze, die sich auf das
Allgemeinwissen und die sich auf kulturelle Besonderheiten Russlands beziehen (universal
und culture-based). Folgende Hypothesen wurden dabei überprüft:
1. Russischsprachige Witze, die sich auf das Allgemeinwissen beziehen, werden
besser verstanden.
2. Russischsprachige Witze, die sich auf kulturelle Besonderheiten Russlands
beziehen, werden im Vergleich zu der ersten Kategorie (Allgemeinwissen) schwerer
verstanden.
3. Russischsprachige Witze, die sich auf sprachliche Besonderheiten des
Russischen beziehen, werden am schwersten verstanden.
4. Das Verstehen des russischsprachigen Witzes stellt für Lerner eine subjektiv
empfundene Herausforderung dar.

2. Ergebnisse
2.1 Einsatz des Witzes im Russischunterricht

Die Überprüfung der Hypothesen dieser Gruppe bringt folgende Erkenntnisse ans Licht. Die
erste Hypothese hat sich dabei nicht gänzlich bestätigt. Die ProbandInnen zeigen eine
eindeutig ablehnende Haltung zum Erzählen russischsprachiger Witze. Die rezeptiven
Fertigkeiten Hören und Lesen erfreuen sich im Vergleich zum Erzählen größerer Beliebtheit
in Bezug auf den Witz im Unterricht. Die subjektive Haltung zum Witz in Bezug auf diese zwei
Bereiche in der Muttersprache spiegelt sich in der Haltung zum russischen Witz wider.

47
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Haltung zum Witz in der Muttersprache und im Russischen

Die zweite Hypothese, dass der russischsprachige Witz in der subjektiven Wahrnehmung der
Lernenden die Lernatmosphäre positiv beeinflusst, wurde bestätigt. Für die Aussage „Ich bin
der Meinung, dass russischsprachige Witze die Lernatmosphäre positiv beeinflussen“
wurden ausschließlich positive Kategorien gewählt: 33,3% für „trifft eher zu“ und 57,8% für
„trifft zu“. Die übrigen 10% haben keine Angaben zu dieser Frage gemacht.
Die dritte Hypothese der ersten Gruppe der Fragen, dass der Witz im Unterricht selten
eingesetzt wird, wurde durch die Frage „Wie häufig wurde Ihrer Schätzung nach der
russische Witz in Ihrer Lernvergangenheit im Russischunterricht eingesetzt?“ überprüft.
71,1% der Befragten beantworten die Frage mit der Auswahl „eher selten“. Dies führt zu der
Folgerung, dass der Witz im Russischunterricht selten vorkommt, was wiederum die
Hypothese bestätigt.

2.2. Verständnis des Witzes

Die erste Aussage dieser Gruppe hält die subjektive Auffassung des Begriffs Witz fest. Den
Studierenden wurden vier Aussagen zur Definition des Witzes sowie eine Möglichkeit, eine
eigene Definition zu geben, angeboten. Mehrfachantworten waren erlaubt. Dabei formen
sich zwei Kategorien als charakteristische Merkmale des Witzes in der subjektiven
Auffassung dieses Begriffs seitens der Befragten: 53,3% verbinden den Witz mit Humor und
60,0% halten eine Pointe für notwendig. Zwei andere Kategorien „Lachen“ und „lustiger
Text“ werden von je 37,8% für wichtig wahrgenommen.

48
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die Überprüfung der Hypothesen 1 bis 3 zeigt, dass der Schwierigkeitsgrad des
subjektiven Verstehens russischsprachiger Witze in der folgenden Reihe aufsteigt: Witze, die
sich auf das Allgemeinwissen beziehen, werden von 55,6% „eher häufig“ verstanden, Witze,
die sich auf kulturelle Besonderheiten Russlands beziehen, werden von 40,0% der Befragten
„eher selten“ und von 31,1% „eher häufig“ verstanden, und Witze, die sich auf sprachliche
Besonderheiten des Russischen beziehen werden von 40,0% „eher selten“ und von 26,7%
„nie“ verstanden. Somit bestätigen die Ergebnisse die subjektive Taxonomie der
Schwierigkeit des Verständnisses.
Die letzte Hypothese für diese Gruppe zum subjektiven Verstehen des russischsprachigen
Witzes wird durch die Aussage „Ich verstehe russischsprachige Witze“ überprüft.

Tabelle 1: Haltung zum Witz in der Muttersprache und im Russischen

Ich verstehe russischsprachige Witze

Gültige
Häufigkeit Prozent Prozente Kumulierte Prozente

Gültig nie 4 9,1 9,1 9,1

eher selten 18 40,9 40,9 50,0

eher 14 31,8 31,8 81,8


häufig

sehr häufig 8 18,2 18,2 100,0

Gesamt 44 100,0 100,0

Der höchste Prozentanteil zu der Aussage liegt bei 40,9% und gilt für die Kategorie „eher
selten“. Demgegenüber stehen 31,1% in der Kategorie „eher häufig“ zu dieser Aussage. Bei
einer Gegenüberstellung der zusammengesetzten positiven („eher häufig“ und „sehr
häufig“) und negativen („nie“ und „eher selten“) Kategorien, 48,9% gegenüber 51,1%, ist das
Verhältnis aber relativ ausgeglichen.

3. Conclusio
Die Ergebnisse der Pilotstudie sind für die Witzforschung insofern von Bedeutung, als sie die
Haltung der Lerner zum Witz als auch ihr Witzverständnis feststellen. So sind sich die Lerner
des Russischen der Herausforderungen des Witzes im Unterricht bewusst, dennoch stehen
sie dem Witz positiv gegenüber. Die handlungsorientierte Progression des Einsatzes des
Witzes im Unterricht sollte dem Grad der Willigkeit der Auseinandersetzung mit dem Witz
folgen. Genauso verhält es sich mit den verschiedenen Arten des Witzes: die am leichtesten
zu verstehenden Arten sollen vor der schwierigeren im Unterricht eingesetzt werden.

49
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Attardo, Salvatore. (1994). Linguistic Theories of Humor. Berlin: Mouton de Gruyter.


Dement’ev, Vadim. (2010). Teorija rečevych žanrov. Moskva: Znak.
Hoffmann, Sabine. (2014). Mündliche Kompetenz und Bewusstsein beim unterrichtlichen Fremdsprachenlernen.
Tübingen: Narr Verlag.
Krapp, Andreas. (1996). Die Bedeutung von Interesse und intrinsischer Motivation für den Erfolg und die
Steuerung des schulischen Lernens. In Gerald Schnaitmann (Hrsg.), Theorie und Praxis der
Unterrichtsforschung. Methodologische und praktische Ansätze zur Erforschung von Lernprozessen (S.
7 – 110). Donauwörth: Auer Verlag.
Kurganov, Efim. (2015). Anekdot kak žanr russkoj slovesnosti. Moskva: Arsis Books.
Šmeleva, Elena, Šmelev, Aleksej. (2002). Russkij anekdot: Tekst i rečevoj žanr. Moskva: Jazyki slavjanskoj
kul’tury.

50
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

FRAISE – Französisch in Interaktion in der


Schule. Ein CA-SLA-Longitudinalprojekt
Carmen Konzett-Firth
Universität Innsbruck

1. Einleitung
Österreichische Schülerinnen und Schüler erreichen im Laufe ihres vier- oder sechsjährigen
Französischunterrichts in der im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen genannten
Fertigkeit „zusammenhängendes Sprechen“ laut Lehrplan ein Niveau zwischen B1 und B2.
Konkret bedeutet das, dass sie dann selbständige SprachverwenderInnen des Französischen
und damit in der Lage sind, Gesprächen zu folgen, an ihnen teilzunehmen, sie zu eröffnen
und zu beenden, auf ausgedrückte Gefühle zu reagieren, sich auch über abstrakte Themen
zu unterhalten, Informationen auszutauschen und persönliche Meinungen auszudrücken.
Mindestens seit dem neuen, teilstandardisierten Format der mündlichen Reifeprüfung in
Österreich wissen wir, dass den Schülerinnen und Schülern dies auch tatsächlich gelingt. Wie
aber kommen sie dorthin? Wie entwickeln Lernende im Französischunterricht eine
„Interaktionskompetenz“, d.h. die Fähigkeit, ihr phonologisches, lexikalisches,
grammatikalisches und pragmatisches Wissen so einzusetzen, dass sie sich an einer
Interaktion in der Fremdsprache beteiligen können? Dieser Frage geht das Projekt FRAISE am
Institut für Romanistik der Universität Innsbruck nach.
Zu diesem Zweck wurden zwischen 2012 und 2017 regelmäßig Videoaufnahmen von
Französischunterricht in drei Klassen eines Tiroler Gymnasiums angefertigt. Die
Korpuserhebung ist seit kurzem abgeschlossen; das Korpus umfasst rund 150
Aufnahmestunden und spannt den Bogen vom ersten bis zum sechsten Lernjahr.

2. Forschungsfrage und Methodologie

Das Forschungsprojekt FRAISE gehört methodologisch gesehen zum Forschungsbereich CA-


for-SLA (e.g. Pallotti & Wagner, 2011), in welchem Fremdsprachenerwerb bzw. –entwicklung
der Perspektive des sozialen Handelns betrachtet wird. Forschungsobjekt sind demnach die
sozialen Interaktionen von Fremdsprachenlernenden, im Falle von FRAISE jene im Rahmen
des schulischen Französischunterrichts. Der spezifische Untersuchungsfokus von FRAISE liegt
auf der Entwicklung der sogenannten „Interaktionskompetenz“ (Hall & Pekarek-Doehler
2011, Pekarek-Doehler & Pochon Berger 2015) von Lernenden. Interaktionskompetenz
beinhaltet sowohl Wissen über soziale, linguistische und gesprächsorganisatorische
Konventionen als auch die Fähigkeit, diese Konventionen kontextspezifisch zu adaptieren

51
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(vgl. z.B. Hall & Pekarek-Doehler 2011, Young & Miller 2004). In FRAISE wird nun untersucht,
wie die Entwicklung der schülerischen Interaktionskompetenz in den Korpusdaten verläuft,
welche Interaktionsmuster für bestimmte Stadien typisch sind und welche unterschiedlichen
Methoden die Lernenden anwenden um mit ihren jeweils verfügbaren sprachlichen Mitteln
an Interaktionen teilzunehmen.
Die Perspektive der CA-SLA impliziert ein Verständnis von Sprachkompetenz als
„provisional, grounded in and emergent from language use in concrete social activity for
specific purposes that are tied to specific communities of practice“ (Hall, Cheng, & Carlson,
2006, S. 235). Die konversationsanalytische Sequenzanalyse ist in diesem Sinne eine äußerst
objektadäquate Untersuchungsmethode, weil sie es erlaubt, die Details lokal-interaktionaler
Zusammenhänge aufzuzeigen, die von den TeilnehmerInnen jeweils in der Situation
gemeinsam bzw. gegenseitig hergestellt, interpretiert und weiterbearbeitet werden. Auf
diese Weise ist es möglich, auf der Mikroebene der Gesprächssequenz die Komplexität und
Dynamik von Sprachentwicklungsprozessen abzubilden und besser zu verstehen. FRAISE
untersucht zudem Interaktion in ihrer Multimodalität, d.h. unter Einbezug der verbalen,
vokalen, prosodischen, gestischen, mimischen und proxemischen Elemente, die zur
Konstruktion des Diskurses beitragen (cf. Konzett 2017).

3. Bisher beforschte Themen und Bereiche


Während des Zeitraums der Korpuserstellung wurden im FRAISE-Projekt bereits einige
explorative Fallanalysen durchgeführt, die zunächst wertvolle Einzelergebnisse liefern, aber
auch als Pilotuntersuchungen für größer angelegte, longitudinale Studien fungieren. Ein
Schwerpunkt liegt dabei auf Schüler-Lehrer-Interaktionen im plenaren Setting, einem
Interaktionstyp, der in einer Basisstudie (Konzett 2016) zunächst auf sein analyserelevantes
Potenzial hin beleuchtet wurde, wobei besonderes Augenmerk auf den Handlungsspielraum
der Lernenden gelegt wurde. Damit in Verbindung steht ein Untersuchungsinteresse für die
interaktive Herstellung von Lehr-Lern- sowie Verstehensprozessen in Schüler-Lehrer-
Interaktionen. Ausgehend von Fällen, in welchen mangelndes Verstehen diese routiniert
ablaufenden Prozesse zum Stillstand bringt und damit die TeilnehmerInnen zur exponierten
Aushandlung zwingt (Konzett 2015a) werden interaktionale Strategien und kommunikative
Muster im Umgang mit Verstehen und Nicht-Verstehen im Lehrer-Schüler-Gespräch
beschrieben (Konzett-Firth in Vorb. a). Eine weitere Studie (Konzett-Firth 2016) beschäftigt
sich mit dem Phänomen der Mehrsprachigkeit im Französischunterricht und untersucht
Formen der Bezugnahme auf andere Sprachen und auf Mehrsprachigkeit in Schüler-Lehrer-
Interaktionen. Die FRAISE-Daten zeigen, dass im Unterricht eine utilitaristisch orientierte
Perspektive auf Mehrsprachigkeit vorherrscht, die auf die Verwertbarkeit von anderen
Sprachen zum Zweck des Französischlernens abzielt. Darüber hinaus wurden bereits zwei
Einzelphänomene der Lehrer-Schüler-Interaktion jeweils in Diplomarbeiten untersucht: Haas
(2017) beschreibt detailliert die diversen Möglichkeiten der konversationellen Reparatur im

52
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Rahmen von Vorlese-Aktivitäten im Klassenzimmer, während Mair (2017) einen Einblick in


die interaktionale Herstellung von Vokabel-Erklär-Sequenzen gibt.
Neben den Studien zu Lehrer-Schüler-Interaktionen ist aus FRAISE auch bereits eine
Studie zur Kommunikation von Schülern untereinander hervorgegangen. Konzett (2015b)
beschreibt in Form einer Einzelfallanalyse die Interaktion von Schülerinnen während eines
Grammatik-Brettspiels und zeigt auf, wie die Schülerinnen Artefakte wie den Würfel und die
Kegel sowie Rituale wie den Spielablauf dazu nützen, auf sozial möglichst verträgliche Weise
mündliche Peer-Assessments durchzuführen.
Aus Sicht der Sprachentwicklungsforschung ist in FRAISE bisher erst eine explorative,
gruppenvergleichende, d.h. pseudo-longitudinale Studie publiziert worden. In Konzett (2014)
werden Formen der Schülerbeteiligung im plenaren Lehrer-Schüler-Gespräch beschrieben,
und zwar im Vergleich zwischen erstem und zweitem Lernjahr. Da das Korpus jetzt
abgeschlossen ist, können nun auch „echte“ longitudinale Studien durchgeführt werden.
Derzeit in Vorbereitung ist eine Untersuchung zu Interdependenzen zwischen
Interaktionskompetenz und lexiko-grammatikalischer Kompetenz (Konzett-Firth in Vorb. b.),
deren erste Ergebnisse bei der IPrA in Belfast im Juli 2017 vorgestellt werden.

Literaturangaben

Haas, L. (2017). La réparation dans la lecture à haute voix en cours de français (Diplomarbeit). Universität
Innsbruck.

Hall, J.K., Cheng, A. & Carlson, M. T. (2006). Reconceptualizing multicompetence as a theory of language
knowledge. Applied Linguistics, 27, S. 220–240.

Hall, J.K. & Pekarek Doehler, S. (2011). L2 Interactional Competence and Development. In J.K. Hall, J.
Hellermann, & S. Pekarek Doehler (Hrsg.), L2 Interactional Competence and Development (S. 1–15).
Bristol: Multilingual Matters.

Pallotti, G. & Wagner, J. (2011). L2 Learning as Social Practice: Conversation-Analytic Perspectives. In G. Pallotti
& J. Wagner (Hrsg.), L2 Learning as Social Practice: Conversation-Analytic Perspectives (S. 1 – 16).
Honolulu: National Foreign Language Resource Center

Konzett, C. (2014). ähm je ne peux (.) mei na (.) je ne (.) trouve pas (.) ce (.) äh ça (.) ähm also. Wie Französisch-
Anfänger das Wort ergreifen: Entwicklung von Interaktionskompetenz am Beispiel Schülerinitiativen
und Sprecherselbstwahl. In C. Schwarze & C. Konzett (Hrsg.), Interaktionsforschung:
Gesprächsanalytische Fallstudien und Forschungspraxis (S. 49 – 82). Berlin: Frank&Timme.

Konzett, C. (2015a). What shall we learn today? How students and teachers negotiate objects for learning in
plenary classroom interaction. Vortrag, Groningen Symposium on Language and Social Interaction
(GSLI), Groningen, Jänner 2015.

Konzett, C. (2015b). Who says what’s correct and how do you say it? Multimodal management of oral peer-
assessment in a grammar board game in a foreign language classroom. Novitas-ROYAL (Research on
Youth and Language), 9 (2), S. 157 – 173.

Konzett, C. (2016). Wie LehrerInnen und SchülerInnen miteinander reden oder Das Erkenntnispotenzial von
Sequenzanalysen plenarer SchülerInnen- LehrerInnen-Interaktionen. In B. Hinger (Hrsg.),Zweite
„Tagung der Fachdidaktik“ 2015.
Sprachsensibler Sach-Fach-Unterricht – Sprachen im Sprachunterricht (S. 137 – 155). Innsbruck:
Innsbruck University Press.

53
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Konzett-Firth, C. (2016). „ähm is jetzt pétrole heißt öl oder und was hoaßt dann benzin?“ Formen der
Bezugnahme auf Mehrsprachigkeit im schulischen Französischunterricht. Vortrag bei der Tagung
"Formen der Mehrsprachigkeit in sekundären und tertiären Bildungskontexten", Innsbruck, September
2016.

Konzett-Firth, C. (in Vorb. a). Negotiating knowledge gaps: Participants’ interpretations of non-answer
responses to teachers’ questions in plenary classroom talk.

Konzett-Firth, C. (in Vorb. b). Some evidence of the mutual interdependence of L2 interactional competence
and lexico-grammatical development. Vortrag im Panel Interactional competence: CA perspectives on
second language development bei der IPrA Conference 2017.

Mair, I. (2017). Vokabelerklärstrategien in Lehrer-Schüler-Interaktion. Eine Untersuchung anhand von Daten


aus dem Französischunterricht. Diplomarbeit, Universität Innsbruck.

Pekarek Doehler, S. & Pochon-Berger, E. (2015). The development of L2 interactional competence: evidence
from turn-taking organization, sequence organization, repair organization and preference
organization. In Teresa Cadierno & Søren Wind Eskildsen (Hrsg.), Usage-Based Perspectives on Second
Language Learning (S. 233 – 270). Berlin/New York: De Gruyter Mouton.

Young, R. F. & Miller, E. R. (2004). Learning as Changing Participation: Discourse Roles in ESL Writing
Conferences. Modern Language Journal, 88(4), S. 519 – 535.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lehrkompetenzentwicklung für
extensiven Leseunterricht8
Marta Dawidowicz1, Karen Schramm1, Roberta Abbate2, Doris Abitzsch3,
Ilona Feld-Knapp4, Sabine Hoffmann2, Gabriella Perge4, Ewout van der
Knaap3
1Universität
Wien, 2Universitá degli Studi di Palermo, 3Universiteit Utrecht, 4Eötvös Loránd
Tudományegyetem Budapest

1. Ausgangspunkt und Zielsetzungen des LEELU-Projekts


Das LEELU-Projekt nimmt im Bereich Deutsch als Fremdsprache die unbefriedigende
Lesekompetenz und -sozialisation vieler europäischer SchülerInnen zum Ausgangspunkt und
konzipiert eine internationale Lehrendenbildungsmaßnahme zum Thema Extensives Lesen.
Somit leistet LEELU einerseits einen Beitrag zur Steigerung der Lese- und
Fremdsprachenkompetenz europäischer SchülerInnen und bietet andererseits ein
praxistaugliches Modell der länderübergreifenden Zusammenarbeit angehender und
erfahrener Lehrpersonen in digitalen Netzwerken (vgl. auch Dawidowicz/Schramm 2016;
Hoffmann/Dawidowicz im Druck).

Die wichtigsten Aspekte des LEELU-Projekts sind:

(1) ein Konzept für den extensiven Leseunterricht in Klasse 10, das am Beispiel Deutsch als
Fremdsprache illustriert wird und auf andere(n) Fremdsprachenunterricht und
Mehrsprachigkeitsmodelle übertragbar bzw. für andere Klassenstufen adaptierbar ist;

(2) eine Lektüreliste für extensives Lesen im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, die von


den teilnehmenden Lernenden und Lehrenden empfohlen werden;

(3) ein in drei Ländern erprobtes, innovatives Konzept für die LehrerInnenbildung, das
unabhängig vom Schulfach Deutsch als Fremdsprache die videobasierte Zusammenarbeit
zwischen angehenden und erfahrenen Lehrpersonen in digitalen Netzwerken befördert;

(4) ein digitales Netzwerk zur videobasierten kollegialen Kooperation von DaF-Lehrenden
und darüber hinaus, das Transferpotenzial für andere Schulfächer bietet;

(5) Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Begleitforschung als Anknüpfungspunkte


für weitergehende wissenschaftliche Arbeiten zu Leseunterricht und LehrerInnenbildung;

8
Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für
den Inhalt dieser Veröffentlichung tragen allein die Verfasserinnen; die Kommission haftet nicht für die
weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.
55
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(6) öffentliche Konferenzen in Budapest im April 2018 und Juni 2019, in Utrecht und Palermo
im Juni 2019 zur Vorstellung der LEELU-Projektergebnisse.

Im Mittelpunkt des Projekts steht das Erfahrungslernen von insgesamt 18 DaF-Lehrpersonen


an den drei beteiligten Standorten Budapest, Palermo und Utrecht, die in Tandems aus
Lehramtsstudierenden und erfahrenen Lehrpersonen gemeinsam ein extensives
Leseprogramm in Deutsch als Fremdsprache in Klasse 10 etablieren und daraus videografisch
dokumentierte Ausschnitte für die Reflexion im KollegInnenkreis auswählen. Diese eigens
erstellten und ausgewählten Videoausschnitte stellen sie auf lokaler Ebene sowie auch –
mittels der digitalen Plattform edubreak®CAMPUS – auf internationaler Ebene zur
professionell moderierten Diskussion in Kleingruppen vor.

2. Teamgestützte Innovation in Bezug auf Extensives Lesen im


DaF-Unterricht
Das LEELU-Konzept knüpft somit an die vorrangig englischdidaktisch ausgerichtete
empirische Erforschung von extensiven Leseprogrammen an (vgl. Forschungsüberblick von
Nakanishi 2015). Bisherige Studien, die vorrangig mit Hochschulstudierenden im Bereich
Englisch als Fremdsprache – und dies häufig in asiatischen Ländern – durchgeführt wurden,
verweisen auf gute Erfolge im Bereich des Fremdsprachenerwerbs und der Lesemotivation.
Dies gilt ebenso für die vergleichsweise niedrigere Zahl an Studien im europäischen Kontext
und insbesondere solchen mit Bezug auf die Sekundarstufe (Biebricher 2008; Kirchhoff
2009).
Im Unterschied zum weit verbreiteten intensiven Lesen kurzer Texte im
Fremdsprachenunterricht setzt dieser Ansatz (Bamford/Day 2002) auf ein schnelles Lesen
möglichst vieler Bücher, bei denen im Idealfall 98% Prozent der Wörter den jeweiligen
fremdsprachlichen LeserInnen bekannt sind (Hu/Nation 2000; van der Knaap im Druck).
Vorrangige Leseziele sind Informationsentnahme und Vergnügen; zu diesem Zweck
etablieren die Lehrpersonen im LEELU-Projekt eine regelmäßige Lesezeit von mindestens
zweimal 20 bis 30 Minuten pro Woche im DaF-Unterricht. Bewusst wird auf
Aufgabenstellungen zur Lektüre verzichtet und vorrangig auf individuelle Beratung bei der
Buchauswahl gesetzt. Neben der bereits angeführten Verbesserung der Sprachkompetenz im
Deutschen ist für die SchülerInnen vor allem eine grundlegend positive Haltung gegenüber
dem Lesen und ein selbstbewusster und selbstgesteuerter Umgang mit Büchern zu
erwarten.
Somit wird das LEELU-Projekt die in anderen Lernkontexten etablierten Befunde in ihrer
Relevanz für den europäischen DaF-Unterricht in der Sekundarstufe II überprüfen.
Gleichzeitig sollen dabei DaF-spezifische Lesematerialien erprobt sowie auch
Herausforderungen bei der Umsetzung eines solchen Konzepts an den drei Standorten
dokumentiert und bewältigt werden. Besonderes Anliegen des LEELU-Projekts ist es dabei,
teambasierte Unterstützungsprozesse bei der Einführung innovativer Verfahren an den
Schulen zu gestalten (vgl. Holtappels 2013), das Unterrichtskonzept zum extensiven Lesen im
DaF-Unterricht in der kollegialen Kooperation weiterzuentwickeln, ggf. Einblick in
56
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

kontextspezifische Adaptionsnotwendigkeiten zu gewinnen und nicht zuletzt die


Wirksamkeit der Intervention zu überprüfen (vgl. Abschnitt 4). Im Erfolgsfall wäre das
weiterentwickelte LEELU-Konzept in Anschlussprojekten in weiteren Kontexten des
Fremdsprachenunterrichts zu erproben.
Es ist geplant, dass die beteiligten Lehrpersonen ihre gemeinsamen Erfahrungen bei der
Umsetzung des extensiven Leseprogramms bei einer Konferenz des ungarischen
Deutschlehrerverbands in Budapest im April 2018 sowie auch bei lokalen
Informationsveranstaltungen an allen drei Standorten im Juni 2019 an weitere DaF-
KollegInnen weitergeben.

3. Kollegiale Kooperation in Tandems, lokalen und internationalen Social-Video-Learning-


basierten Diskussionen
Die Implementation des LEELU-Konzepts erfolgt nach einer gemeinsamen einwöchigen
Einführung an der Universität Wien in das extensive Leseprogramm an den jeweiligen
Standorten auf der Grundlage von gegenseitigen Unterrichtsbesuchen, videografiertem
Unterricht und kollegialem Austausch über das eigene Handeln in Präsenz sowie auch auf
der Social-Video-Learning-Lernplattform edubreak®CAMPUS (www.edubreak.de), die ein
kooperatives Annotieren eigener Unterrichtsvideos ermöglicht.
Die Reflexion über eigenes Unterrichtshandeln erfolgt somit auf drei
Kooperationsebenen: Zweimal im Monat tauschen sich eine angehende und eine erfahrene
Lehrperson über ihren gegenseitig beobachteten und videografierten Unterricht aus. Ihre
Erkenntnisse und offenen Fragen zur Umsetzung des extensiven Leseprogramms
thematisieren sie abwechselnd mit dem lokalen oder dem internationalen Gesamtteam bei
einer monatlichen Videokonferenz. Eigens gewählte Videoausschnitte aus dem
Leseunterricht stehen dabei im Zentrum der problemlösungsorientierten Gespräche.
Als innovative Aspekte der LEELU-Konzeption sollen die Zusammenarbeit von
angehenden und erfahrenen Lehrpersonen, die videobasierte Reflexion eigenen
Unterrichtshandelns und die kontextübergreifende Diskussion in ihrem Potenzial für eine
erfahrungsbasierte Lehrerbildung beleuchtet werden, die Praxis und Theorie tiefgreifend
miteinander verschränkt.

4. Empirische Begleitstudie
Die wissenschaftliche Begleitforschung ist als mixed-methods-Design konzipiert. Mit
quantitativen Verfahren wertet sie erstens longitudinale Daten zur sprachbezogenen
Kompetenz, zur literarischen Kompetenz, zu Lesestrategien und zur Lesemotivation der
Lernenden aus. Zu diesem Zweck werden zu drei Zeitpunkten C-Tests (Baur et al. 2005), die
Items zur intrinsischen Motivation des Reading Motivation Questionnaire (RMQ) von
Schiefele/Schaffner (2016) und ausgewählte Items des Metacognitive Awareness of Reading
Strategies Inventory (MARSI) von (Mokhtari/Reichard 2002) in den neun Interventions- sowie
auch entsprechenden neun Kontrollgruppen an den jeweiligen Schulen durchgeführt.

57
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

In einem qualitativen Ansatz werden zweitens die Durchführbarkeit und subjektiv


wahrgenommene Wirksamkeit (a) des Leseprogramms und (b) des
LehrerInnenbildungskonzepts auf der Grundlage von Fragebögen und Gruppendiskussionen
der an der Maßnahme beteiligten Lehrpersonen aus Italien, den Niederlanden und Ungarn
evaluiert. Als besonders vielversprechend sind dabei die Gruppendiskussionen auf der
Grundlage der seitens der Lehrpersonen im Vorfeld annotierten Videoausschnitten zu
bezeichnen, die fundierte Einblicke in Gelingensbedingungen kollegialer Ko-Konstruktionen
erwarten lassen.
Auf dieser empirischen Grundlage werden die Konzepte zum schulischen Leseprogramm
und zum integrativen Lehrerbildungsmodell praxisbasiert weiterentwickelt und in
entsprechenden Publikationen der Fachöffentlichkeit bekannt gemacht.

Literaturangaben
Abitzsch, Doris; van der Knaap, Ewout; Abbate, Roberta; Dawidowicz, Marta; Feld-Knapp, Ilona; Hoffmann,
Sabine; Perge, Gabriella & Schramm, Karen (2017). Freies Lesen im LEELU-Projekt – Vom
Forschungsstand zur Unterrichtshandreichung. Online: https://leelu.eu/ueber-leelu/publikationen/.

Bamford, Julian & Day, Richard R. (2002). Top ten principles for teaching extensive reading. Reading in a
Foreign Language, 14(2), S. 136-141.

Baur, Ruprecht S.; Chlosta, Christoph & Spettmann, Melanie (2005). Bericht der Arbeitsgruppe 4: Lehren,
Lernen, Beurteilen. In Dagmar Schäffer (Hrsg.), Deutsch als Fremdsprache in Europa: 3. Jahresbericht des
Comenius-Netzwerks “DAF-SÜDOST” 2004-2005. Online: http://www.daf-
netzwerk.org/infos/jahresberichte/DaF-annual-report-2004-2005.pdf

Biebricher, Christine (2008). Lesen in der Fremdsprache: eine Studie zu Effekten extensiven Lesens. Tübingen:
Narr.

Dawidowicz, Marta & Schramm, Karen (2016). „Am wichtigsten ist mir, wenn ich eure Videos anschaue, dass
ich selbst etwas für mich mitnehme“ – Videobasierte kollegiale Kooperation zu DaF-Unterricht. IDV-
Magazin, 89(1), S. 12-20.

Dawidowicz, Marta; Schramm, Karen; Abbate, Roberta; Abitzsch, Doris; Feld-Knapp, Ilona; Hoffmann, Sabine;
Perge, Gabriella & van der Knaap, Ewout (2017): Erfahrungsbasiertheit, kollegiale Kooperation und
videobasierte Reflexion als Prinzipien des LEELU-LehrerInnenbildungsprojekts. Online:
https://leelu.eu/ueber-leelu/publikationen/.

Hoffmann, Sabine & Dawidowicz, Marta (im Druck). Lehrerbildung – ein länder- und
generationenübergreifender Lernprozess. In Sylwia Adamczak, Sabine Jentges & Ruth Albert (Hrsg.),
Internationale Lehrkooperationen in der Germanistik, dem Bereich DaF und der Fremdsprachendidaktik.
Reihe „Perspektiven Deutsch als Fremdsprache“. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Holtappels, Heinz Günter (2013). Innovation in Schulen – Theorieansätze und Forschungsbefunde zur
Schulentwicklung. In Matthias Rürup & Inka Bormann (Hrsg.), Innovationen im Bildungswesen,
Educational Governance (S. 45-69). Wiesbaden: Springer Verlag.

Hu, Marcella & Nation, Paul (2000). Unknown vocabulary density and reading comprehension. Reading in a
Foreign Language, 13(1), S. 403-430.

Kirchhoff, Petra (2009). Extensives Lesen in der Unterstufe des Gymnasiums. Forum Sprache, 1, S. 105-120.

Mokhtari, Kouider & Reichard, Carla (2002). Metacognitive Awareness of Reading Strategy Inventory (MARSI).
Online:
http://www.nwfsc.edu/Academics/AcademicSupport/ReadingtoLearn/R2L_files/20122_PRINT_MARSI_2
002.pdf

58
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Nakanishi, Takayuki (2015). A meta-analysis of extensive reading research. TESOL Quarterly, 49(1), S. 6-37.

Schiefele, Ulrich & Schaffner, Ellen (2016). Factorial and construct validity of a new instrument for the
assessment of reading motivation. Reading Research Quarterly, 51(2), S. 221-237.

van der Knaap, Ewout (im Druck). Zur Bedeutung der Lexik für das literarische Lesen. Didaktische Erkenntnisse
einer Textdeckungsuntersuchung. Informationen Deutsch als Fremdsprache, 44.

59
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

ARC: Action Research Communities for


Language Teachers
Christine Lechner*, Renata Zanin°
Pädagogische Hochschule Tirol*, Freie Universität Bozen°

1. Begründung der Studie


Die Verbreitung von Aktionsforschung an den Schulen steht in Zusammenhang mit den
Bemühungen, Qualitätsmanagement und systematische Selbstevaluation an den Schulen zu
verankern (Messner 2017). Der kritische Punkt dabei ist die Zusammenarbeit von Universität
und Schule bei Förderung der Lehrpersonen als aktiv Handelnde und Beitragende zum
Projekt schulischer Innovation. In dieser Phase gibt es einen verstärkten Bedarf, Dialoge
unter Beteiligten zu initiieren und zu unterstützen: LehrerInnen – LehrerInnenbildnerInnen –
Universitäten, mit dem Ziel, die Handlungs-Autonomie der Lehrpersonen im Rahmen von
Aktionsforschungs-Projekten an Schulen zu bekräftigen und zu fördern. Aktionsforschung
wird als Schlüsselmethode gesehen, um Entscheidungen und Strategien auf Tatsachen
aufzubauen, um Unterrichtsqualität zu verbessern (Heyworth 2013).
Es gilt gegenseitige Unterstützungsmechanismen für professionelles Handeln in allen
Phasen einer pädagogischen Karriere zu stärken, internationale Strategien auf lokaler Ebene
zu rezipieren, Aktionsforschungstools zu entwickeln, um Dialog und Teamarbeit zwischen
AkteurInnen zu initiieren und unterstützen.
Die Unterstützung der reflektierenden Praxis ist in Europa weitaus umfassender zu
etablieren. Das Projekt zielt darauf ab, das Modellieren von Feedbackkulturen zu
unterstützen, Feedbackschleifen aufzuzeigen und setzt dabei auf eine internationale
Arbeitsgruppe.

2. Forschungsfragen
Forschungsfrage 1

Wie kann Aktionsforschung als Kerninstrument des Sprachunterrichts


Selbstvertrauen und Professionalisierung der Sprachlehrenden fördern und den
Sprachunterricht qualitativ verbessern?

Forschungsfrage 2
Welche Unterstützungsinstrumente sind für Sprachenlehrende in den
unterschiedlichsten sprachlichen Kontexten von Nutzen?

60
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

3. Die Studie
ARC ist ein laufendes dreijähriges Projekt des Europäischen Fremdsprachenzentrums; zurzeit
liegen Zwischenergebnisse vor.
Das Projektkernteam besteht aus LehrerInnenbildnerInnen von Universitäten und
Pädagogischen Hochschulen in Großbritannien, Island, Italien, Kanada und Österreich sowie
einem Pädagogischen Institut in Rumänien und wird inhaltlich durch einen Experten aus der
Schweiz unterstützt.
Im Laufe des ersten Projektjahres fanden zwei Workshops zur Aktionsforschung statt. Der
erste dreieinhalbtägige Workshop wurde für Deutschlehrende in Hermannstadt, Rumänien
abgehalten. Die Lehrpersonen hatten bei ihrer Anmeldung Interesse an der
Aktionsforschung bekundet, wobei klar war, dass die Teilnehmerinnen sich auch praktischen
Input für den Unterricht erhofften.
Der zweite Workshop fand am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz statt. Es
wurden Erfahrungen zur Aktionsforschung ausgetauscht und Aktionsforschungstools
vorgestellt. 31 Sprachlehrende aus ECML-Ländern nahmen am Workshop teil und
erarbeiteten 11 nationenübergreifende Aktionsforschungsprojekte zu unterschiedlichen
Themen des Sprachunterrichts und führten diese in der Folge an ihren Heimatinstitutionen
durch.
Die an Schulen durchgeführten Aktionsforschungsprojekte reichen vom kritischen Denken
im Sprachunterricht über den Einsatz von Neuen Medien zu CLIL, zum verstärkten Einsatz
der Zielsprache und zu Interkulturellen Kompetenzen. KollegInnen aus der
LehrerInnenausbildung beschäftigen sich mit der Entwicklung von lernerzentriertem
Unterricht, mit der Rolle von Lehrenden als Ko-Konstrukteuren von Wissen und mit dem
Einsatz des Europäischen Portfolios für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA). Ein weiteres
Projektteam beschäftigte sich mit dem Einsatz von Aktionsforschung in der
LehrerInnenfortbildung.
Dabei kamen klassische Aktionsforschungsinstrumente zur Anwendung, wobei
Fragebögen, Beobachtungen und Interviews am häufigsten durchgeführt wurden.

4. Ergebnisse
Erste Ergebnisse der durchgeführten Aktionsforschungsprojekte liegen vor.
Das Projektteam hat mit der Entwicklung von Instrumenten begonnen. Auf der Grundlage
der in den Workshops gewonnenen Erfahrungen wurden die ersten Templates entworfen.
Eine als „Vor-Spirale“ bzw. als „Schritte zur Aktionsforschung“ konzipierte Anleitung für
Aktionsforschung wird zurzeit erprobt.
Die im Rahmen der Projekte gewonnen Erfahrungen vermehrten das Interesse der
Lehrenden, durch Aktionsforschung mehr über den eigenen Unterricht zu erfahren und
Verbesserungsmöglichkeiten zu entdecken. Insbesondere die Motivation der Lehrenden
nahm zu.

61
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Weiters stellten die Lehrenden fest, dass


 SchülerInnen überrascht und erfreut waren, dass Lehrende sich für ihr Lernen
interessierten;
 im Rahmen der spezifischen Projekte (Vokabellernen, größere Bereitschaft zum
Sprechen in der schulischen Situation, das Entdecken von Erkenntnissen ...)
Lernende eindeutig Fortschritte machten;
 Schulsituationen in unterschiedlichen Ländern auf den ersten Blick kaum
vergleichbar erscheinen; bei näherer Analyse aber Gemeinsamkeiten entdeckt und
Erkenntnisse gewonnen werden, die für andere Kontexte interessant, wenn auch
nicht „übertragbar“ sind;
 in der Praxisbetreuung von angehenden Lehrenden ein ko-konstruktiver Prozess mit
starker Berücksichtigung der individuellen Bedürfnissen der Studierenden
maßgeblich zum Wissen der Studierenden beitragen kann;
 Lehrende, die das Rüstzeug für Aktionsforschung erwerben, an Kraft gewinnen
(empowerment).

Das Fazit der Lehrenden war daher: ein Aktionsforschungsprozess muss persönlich erlebt
werden. Die ersten Projektergebnisse zeigen auch, dass Lehrende an Schulen nicht gewohnt
sind, Erkenntnisse zu beschreiben und KollegInnen mitzuteilen. Ein erstes Template für einen
Workshop entstand durch die Erfahrung mit Deutschlehrenden in Rumänien und kann als ein
Aktionsforschungsseminar mit inhaltlich austauschbarem Inlay beschrieben werden. Das Ziel
war, Impulse für Aktionsforschung zu geben und Instrumente und
Durchführungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Der Inlay war „österreichische Kultur im
Deutschunterricht“.
Beim Workshop am ECML wurde ebenfalls ein Workshopdesign zu Aktionsforschung
erprobt. Für das Team war es wichtig, nicht nur „über Aktionsforschung“ zu berichten,
sondern auch Aktionsforschungsinstrumente einzusetzen und transparent zu machen. Die
größte Herausforderung war, Lehrende aus dreißig Ländern mit sehr heterogenen
Berufserfahrungen durch Impulse über Aktionsforschung zu konkreten Projektentwürfen zu
begleiten. Das Design, das in diesem Kontext entstand, besteht aus theoretischen Elementen
und Diskursimpulsen. Auf der Grundlage der Erfahrungen beginnt nun die nächste
Projektphase: anlehnend an die Spirale von Altrichter/Posch entwickelt das Team ein
Aktionsforschungsinstrument, das mit den KollegInnen erprobt wird.
Die adaptierte Aktionsforschungsspirale, eine „Vor-Spirale“ für Sprachlehrende im Team,
sieht als ersten Schritt eine gemeinsame Unterrichtsplanung vor. Die gemeinsame
Planungsphase unterstützt den kollegialen Austausch und ermöglicht, der Aktionsforschung
einen gemeinsam verantworteten Planungs- und Beobachtungszyklus voranzustellen, wobei
diese Vor-Spirale zu einer im Team reflektierten und adaptierten Aktionsforschung führen
soll. Im Unterschied zur klassischen Aktionsforschungsspirale wird in diesem Fall mit der
Planung einer gemeinsamen Unterrichtseinheit begonnen. Die Beobachtungen, die aus der

62
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Durchführung dieser Unterrichtseinheit resultieren, stellen für das Team die Ausgangsbasis
für die Planung und Durchführung der Aktionsforschung in der Klasse dar.

1. Schritt
Sprachlehrende planen ihre Unterrichtseinheit in Zusammenarbeit mit anderen
Sprachlehrenden an ihrer Schule, an Nachbarschulen und/oder an Partnerschulen im In-
und/oder Ausland. Im Rahmen der Unterrichtsplanung definiert und diskutiert das Team
gemeinsam mögliche kritische Momente der Unterrichtseinheit, die in einem zweiten Schritt
zum Ziel der Aktionsforschung werden können. Das Verfassen von Gedankenprotokollen soll
von Anfang an Fragen, unterschiedliche Ansätze und Reflexionen in die gemeinsame
Unterrichtsplanung miteinbeziehen und unterschiedliche Schwerpunkte für die spätere
Aktionsforschung beleuchten und dokumentieren. Diese Schwerpunkte sind in Form von
möglichen Forschungsfragen zu definieren.

2. Schritt
Die möglichen Aktionsforschungsinstrumente werden im Team in Hinblick auf die
Anwendbarkeit für die unterschiedlichen Schwerpunkte diskutiert und analysiert. Dabei ist
die Machbarkeit in der Klasse und an der eigenen Schule zu bedenken.

3. Schritt
Im Rahmen der Implementierung der geplanten Unterrichtseinheit beobachten die
Sprachlehrenden die einzelnen Unterrichtsphasen in ihrer Klasse und verbinden ihre
Beobachtungen mit den Schwerpunkten der möglichen Aktionsforschung. Wichtig ist, dass
bei der Durchführung der Unterrichtseinheit die Lehrpersonen bereit sind, auch weitere
Schwerpunkte aufzunehmen und zu protokollieren, die das Team in der Planungsphase nicht
berücksichtigt hatte. Schon definierte Schwerpunkte können jederzeit neu formuliert oder
angepasst werden.

4. Schritt
Die einzelnen Lehrpersonen beschreiben im Detail ihre Erfahrungen im Unterricht und
präsentieren ihre Beobachtungen dem Team. Neue Schwerpunkte für die Aktionsforschung
können sich daraus ergeben.

5. Schritt

Das Team reflektiert und analysiert gemeinsam die Beobachtungen und versucht folgende
Fragen zu beantworten:

• Was bedeuten die Beobachtungen für unseren Sprachunterricht?


• Welche Folgen haben sie für unseren Unterricht?

63
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Auf der Grundlage der Diskussion und Reflexion im Team beschließt die Gruppe den
gemeinsamen Schwerpunkt für die Aktionsforschung. Die Aktionsforschung in den einzelnen
Klassen beginnt.

5. Diskussion und Schluss


Die Diskussion um den Wert von Aktionsforschungsprojekten in den Schulen ist noch nicht
abgeschlossen. Ein kritischer Angelpunkt betrifft zweifellos die Zusammenarbeit von
wissenschaftlich motivierten ForscherInnen und Lehrpersonen, die für den Ausgang des ihre
eigene Praxis betreffenden Projekts verantwortlich sind. Es geht dabei nicht allein um die
Festsetzung von wissenschaftlichen Standards und von Prozeduren, sondern auch um die
kommunikativen Prozesse der Interaktion. Die Kommunikation auf Augenhöhe trotz des
Gefälles an professionellem Habitus und an sprachlicher Kompetenz unter den
TeilnehmerInnen – verschärft durch die Problematik der Mehrsprachigkeit – stellt die große
Herausforderung dar, der sich dieses Projekt stellen möchte. Der Schwerpunkt und zugleich
der innovative Ansatz liegt in Aktionsforschungsprojekten in Zusammenarbeit von Lehrende
aus unterschiedlichen europäischen Ländern. Es werden Einblicke und Ergebnisse erwartet,
die für ähnliche Situationen symmetrischer und asymmetrischer Kommunikation von Belang
sind.

Literaturangaben
Akbari, Ramin. (2006). Reflections on reflection: A critical appraisal of reflective practices in L2 teacher
education. Elsevier. Science Direct System, (35), S. 192-207.
Altrichter, Herbert & Posch, Peter. (2007). LehrerInnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Heilbrunn:
Klinkhardt
Henning-Loeb, Ingrid. (2016). Zooming in on the partnerships of a successful teaching team: examining
cooperation, action and recognition.” Educational Action Research, 24 (3), S. 387-403.
Heyworth, Frank. (2013). Applications of quality management in language education in: Language Teaching, 46,
S. 281-315 doi:10.1017/S0261444813000025

McNiff, Jean & Whitehead, Jack. (2008). Action Research for Teachers. A practical guide. London: MacMillan.
Messner, Elgrid. (2017). Forschende Lehrerinnen und Lehrer als Motor schulischer Reformprozesse – zur
Geschichte der Aktionsforschung in Österreich, in: Angelika Paseka, Martin Heinrich, Anna Kanape,
Roman Langer (Hrsg.) Schulentwicklung zwischen Steuerung und Autonomie. Beiträge aus Aktions-,
Schulentwicklungs- und Governance-Forschung. (S. 13-24) Münster-New York: Waxmann.
Rauch, Franz, Schuster, Angela, Stern, Thomas, Pribila, Maria & Townsend, Andrew (eds.) (2014) Promoting
Change through Action Research. Rotterdam: Sense Publishers.
Vaughan, Michelle & Burnaford, Gail (2016) “Action Research in graduate teacher education: a review of the
literature 2000-2015.” Educational Action Research, 24 (2), S. 281-299.

64
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Förderung berufsrelevanter Kompetenzen


durch Mentoring-Tandems. Ein
fachdidaktisches Pilot-Lehrprojekt
Michaela Rückl
Universität Salzburg

1. Ausgangslage
Die meisten Lehramtsstudierenden haben von Beginn ihres Studiums an ihr Berufsziel,
LehrerIn zu werden, im Kopf und im Herzen. Aufeinander bezogene Theorie-Praxisphasen, in
denen sie die erarbeiteten erwerbstheoretischen und pädagogisch-didaktischen Konzepte
praktisch umsetzen können, gehören daher zu den Highlights ihres Studiums. Zudem wissen
wir, dass komplexe Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen, wie sie Nationale
Qualifikationsrahmen für Hochschulstudien generell vorsehen (Kopf, Leipold & Seidl 2010;
Ryschka, Solga & Mattenklott 2011; Braun 2007) und wie sie für das Berufsfeld LehrerIn im
Besonderen notwendig sind, am besten, oft sogar ausschließlich, durch die
Relationalisierung von Theorie- und Praxisphasen gefördert werden können: Kompetenzen
für einen erfolgreichen Berufseinstieg implizieren gemäß des europäischen
Qualifikationsrahmens (EQR) eine „Übernahme von Verantwortung und Selbständigkeit“,
was eine praktische Umsetzung theoretischer Kenntnisse voraussetzt (Europäisches
Parlament und Rat der EU 2008).
Der Entwicklungsschritt in Richtung forschungsgeleitete Lehre in Fachwissenschaft,
Fachdidaktik und Pädagogik bei gleichzeitiger Stärkung der Unterrichtspraxis, der durch die
Richtlinien der „PädagogInnenbildung NEU“ eingeleitet wurde, wird wesentlich zur
Förderung berufsrelevanter Kompetenzen beitragen (Vorbereitungsgruppe
PädagogInnenbildung NEU 2011). Die curriculare Verzahnung von Theorie und Praxis bleibt
aufgrund von zeitlichen und organisatorischen Beschränkungen aber eine große
Herausforderung. Begleitpraktika zu einführenden fachdidaktischen Lehrveranstaltungen
werden daher meist nicht angeboten.

2. Eckpunkte des Pilot-Lehrprojekts


Das Lehrveranstaltungskonzept des einführenden Proseminars zur Fachdidaktik Italienisch,
das seit 2014 als Pilot-Lehrprojekt am Fachbereich Romanistik in Kooperation mit dem
Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg durchgeführt wird, setzt genau hier an:
Mentoring-Tandems werden als integrierte Praxisphasen angeboten. Studierende des
Unterrichtsfaches Lehramt Italienisch (MentorInnen) unterstützen dabei SchülerInnen
65
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(Mentees) beim gesteuerten Erwerb von Italienisch als Fremdsprache. Sie können sich so im
für Mentoring typischen Eins-zu-eins-Setting (Ziegler 2009, S. 5) von Beginn an mit aktuellen
Rollen von Lehrenden und Lernenden in Theorie und Praxis vertraut machen und
schrittweise die Perspektive von Lehrenden einnehmen. Mentees geben Feedback zur
Effizienz der Mentoring-Treffen, was Reflexionsprozesse in Bezug auf praktische
Anwendungskompetenzen anregt.
Das Lehrveranstaltungskonzept wurde auf Basis curricularer Vorgaben (PLUS 2013; PLUS
2016), ausgewählter Deskriptoren des Europäischen Portfolios für Sprachlehrende in
Ausbildung (Newby et al. 2007) und in Kooperation des Fachbereichs Romanistik (M. Rückl)
mit dem Fachbereich Psychologie (B. Mackinger) der Universität Salzburg entwickelt. Die
Einführung in pädagogisch-didaktische Grundlagen des Fremdsprachenerwerbs fokussiert
auf Prinzipien lernerInnenzentrierter und handlungsorientierter Fremdsprachenvermittlung
im Sinne des GERS (Europarat 2001, S. 21), wie sie in österreichischen Lehrplänen für den
Fremdsprachenunterricht gefordert werden (BMB 2017). Studierende lernen gängige
Unterrichtsmethoden und -techniken kennen, analysieren Lehrpläne und approbierte
Lehrwerke und entwickeln auf dieser theoretischen Basis individualisierte Lernmaterialien,
die sie in drei zweistündigen Mentoring-Treffen mit ihren Mentees erproben. Konkret geht
es um Analyse und Reflexion von LernerInnenbedürfnissen und Lernstilen, Erwartungen an
den Italienischunterricht und an das Italienischlehrwerk sowie um Lernstrategien und
Unterstützung des Wortschatzerwerbs.
Das Setting bietet Mentees individuelle Lernförderung und MentorInnen die Gelegenheit
für Erfahrungslernen, begleitet von Supervision, als Instrument, um Beziehungsarbeit zu
professionalisieren (DuBois et al. 2002; Miller 2007) und um den Wechsel zwischen der
Lernenden- und der Lehrenden-Rolle zu reflektieren. Lehramtsstudierende können …

▪ ihre Einstellungen zum Lehrberuf hinterfragen (‘Identität‘)


▪ SchülerInnenbedürfnisse und Motivationen für das Italienischlernen einschätzen
(‘Perspective Taking‘)
▪ Diagnoseinstrumente zu Lernstilen anwenden
▪ Lehrwerke analysieren, die Mentees verwenden
▪ Lernmaterialien zu Wortschatz und Grammatik entwickeln
▪ Interaktionstechniken anwenden (zu Deskriptoren vgl. Newby et al. 2007, S. 10 – 11,
S. 16 – 17, S. 28 – 29, S. 33 – 34, S. 43; zu Bezügen der angestrebten Lernergebnisse
zum EQR vgl. Rückl & Mackinger 2015, S. 6).

Ein Interaktionsmodell dient als theoretischer Rahmen für die Beziehungsarbeit in den
Mentoring-Tandems (Bierhoff & Jonas 2011). Leistungsnachweise werden entsprechend des
prüfungsimmanenten Charakters des Proseminars durch eine schriftliche Prüfung und ein
Leistungsportfolio mit den entwickelten Lernmaterialien und Logbüchern erbracht. Diese

66
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

dokumentieren in ca. 1.500 Wörtern die Arbeit in den Mentoring-Tandems in Bezug auf
Themen, Dauer und konkreten Ablauf, halten das Mentee-Feedback fest und erläutern die
daraus resultierenden Fragen und Ideen für das nächste Treffen.

3. Design der mehrperspektivischen Begleitstudie


Der Frage, wie Theorie und Praxis auf Lehrveranstaltungsebene passgenau aufeinander
abgestimmt werden können, um Schritt für Schritt komplexe berufsfeldbezogene Fach-,
Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz aufzubauen, sollte durch eine mehrperspektivische
Evaluierung des Lehrveranstaltungskonzepts nachgegangen werden.

Tabelle 1: Erhebungsinstrumente

Erhebungsinstrumente Ziel

quantitativ angelegte online- Effekt der Mentoring-Tandems in Bezug auf angestrebte


Befragung der MentorInnen Lernergebnisse erheben, mit Fokus auf Beziehungsqualität,
und Mentees Motivationsfähigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Unterstützung beim
Aufbau von Lernstrategien und Entwicklung von Lehr-
/Lernmaterialien (zu Konstrukten und Skalenentwicklung siehe
Rückl & Mackinger 2015, S. 10);

qualitative Auswertung der Hinweise auf (Probleme bei der) Verarbeitung und Umsetzung
Logbücher der Studierenden der eingeführten fachlichen und pädagogisch-didaktischen
Grundlagen elizitieren;

externe Evaluierung durch das Vergleich mit Referenzgruppen an der Universität Salzburg (PLUS)
Vizerektorat der PLUS herstellen;

Die Evaluierung erfolgt in zwei Etappen:


Tabelle 2: Etappe 1: Sommersemester 2014 und 2015 (abgeschlossen) n = 52 (Vollerhebung)

Stichprobe MentorInnen Mentees

Sommersemester 2014 16 (Rücklauf 100%) 16 (Rücklauf 87,5%)

Sommersemester 2015 10 (Rücklauf 100%) 10 (Rücklauf 50%)

abgeschlossen 26 26

Da die kleine Stichprobengröße und die fehlende Kontrollgruppe die Aussagekraft der
Evaluierungsergebnisse einschränken, wird die Untersuchung ausgeweitet. Parallelkurse
ohne Mentoring werden als Kontrollgruppen eingeführt.

67
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Tabelle 3: Etappe 2: Sommersemester 2016 und 2017 (laufend) n = 105 (Vollerhebung)

Stichprobe MentorInnen Mentees Kontrollgruppe

Sommersemester 2016 24 (Rücklauf 79,2%) 24 (Rücklauf 66,7%) 22 (Rücklauf 50%)

Sommersemester 2017 8 (laufend) 8 (laufend) 19 (laufend)

Laufend 32 32 41

4. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse


Die Ergebnisse der mehrperspektivischen Evaluierung, die begleitend zur Abhaltung im
Sommersemester 2014 und 2015 durchgeführt wurde, können das Potential des
Lehrveranstaltungskonzepts aufgrund der kleinen Stichprobengröße und der fehlenden
Kontrollgruppe statistisch nicht belegen. Wie die folgende Zusammenfassung der Ergebnisse
zeigt, weisen sie aber auf qualitative Verbesserungen der Fach-, Methoden-, Sozial- und
Selbstkompetenz hin, die auf die integrierten Mentoring-Tandems zurückführbar sind:

▪ Sowohl die MentorInnen als auch die Mentees schätzten die aufgebaute
Beziehungsqualität und das Vertrauen in die MentorInnen als sehr hoch ein, wobei
die Rückmeldungen der MentorInnen kritischer ausfielen. Alle Mittelwerte befanden
sich dennoch im Bereich zwischen 4 und 5 der eingesetzten fünfstufigen Likertskalen;
▪ ebenfalls sehr hoch bewerteten die MentorInnen ihr Kompetenzerleben in Bezug auf
Motivationsfähigkeit, Aufbau von Lernstrategien und Entwicklung von
Lernmaterialien;
▪ die Auswertung der offenen Fragen zeigte einen Mehrwert in Bezug auf Lernfreude,
Lernstrategien und Lernerfolg, wofür die Mentees vielfältige Beispiele anführten;
▪ trotz des hohen Workload übertrafen die externen Lehrveranstaltungsevaluierungen
in beiden Jahren die Referenzgruppen (u.a. in Bezug auf die Relevanz der
Lehrveranstaltungsinhalte (6,6 bzw. 6,8 auf einer 7-stufigen Skala), die Beteiligung
der Studierenden (6,3 bzw. 6,7) und ihre Motivierung in der Lehrveranstaltung (6,2
bzw. 6,9).

Die detailreich und sorgfältig geführten Logbücher ließen auf hohes Engagement der
Studierenden schließen und zeigten, wie sie erarbeitete wissenschaftliche Konzepte
einsetzten, mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sahen und an welchen Kriterien sie
ihr Kompetenzerleben fest machten. Sie deuteten darauf hin, dass komplexe Lernergebnisse,
wie sie der EQR für Fertigkeiten und Kompetenzen beschreibt, erreicht werden können. Die
detaillierten Evaluierungsergebnisse für 2014–2015 wurden in einem Werkstattbericht
68
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

publiziert (Rückl & Mackinger 2015, S. 11–17). Die laufende Erhebung, die auch
Kontrollgruppen umfasst (vgl. Tabelle 3), soll diese Ergebnisse validieren.

5. Ausblick
In der vorgestellten Lehrveranstaltung haben Studierende die Möglichkeit, im Eins-zu-eins-
Setting mit SchülerInnen als Rollenmodell zu fungieren sowie fremdsprachen-
erwerbstheoretische und psychologische Konzepte einzusetzen, um jugendliche LernerInnen
selbstständig und verantwortlich zu fördern. Sie erproben dabei Lehr-/Lernformen, die
typisch für Mentoring sind und bekommen dazu Feedback der Mentees. Mentees und
MentorInnen profitieren gleichermaßen (zur Win-win-Situation in Mentoring-Tandems vgl.
Ghosh & Reio 2013).
Entsprechend der Lerntriade nach Ziegler (2009) geht es um Modelllernen (u.a. durch
Vorleben von Sprach- und Lernkompetenz), Instruktionslernen (u.a. durch Entwicklung von
Grammatik- und Wortschatzaufgaben) und Anbieten von Erfahrungsgelegenheiten (u.a. um
individuelle Lernstrategien aufzubauen). Im Bereich der Selbst- und Sozialkompetenz stehen
Beziehungsqualität, Vertrauenswürdigkeit und Motivationsfähigkeit im Mittelpunkt.
Aufgrund der homogenen curricularen Vorgaben scheint das im Unterrichtsfach
Italienisch pilotierte Lehrkonzept auch auf fachdidaktische Lehrveranstaltungen anderer
Studienbereiche übertragbar zu sein. Im Rahmen der Marktplatz-Aktivitäten anlässlich des
ÖGSD Symposiums 2017 haben sich bereits konkrete Kooperationsmöglichkeiten mit
anderen österreichischen Bildungsinstitutionen ergeben. Es wird ein Transfer auf
einführende fachdidaktische Lehrveranstaltungen zu Englisch und Französisch angedacht,
was neue Perspektiven für eine interdisziplinäre und interinstitutionelle Begleitforschung
und Weiterentwicklung des bestehenden Konzepts eröffnet.

Literaturangaben

Bierhoff, H. W, & Jonas, E. (2011). Soziale Interaktion. In D. Frey & H. W. Bierhoff (Hrsg.), Bachelorstudium
Psychologie: Sozialpsychologie – Interaktion und Gruppe (S. 131 – 159). Göttingen: Hogrefe.
BMB (2017). Lehrpläne der allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in Österreich. Abgerufen am
6.6.2017 von https://www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_abs.html und
https://www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_bbs.html
Braun, E. (2007). Ergebnisorientierte Lehrveranstaltungsevaluation: Das Berliner Evaluationsinstrument für
studentische Kompetenzen. In A. Kluge & K. Schüler (Hrsg.), Qualitätssicherung und -entwicklung an
Hochschulen: Methoden und Ergebnisse (S. 73 – 82) Lengerich: Pabst Science Publisher.
DuBois, D. L., Holloway, B. E., Valentine, J. C., & Cooper, H. (2002). Effectiveness of mentoring programs for
youth: A meta-analytic review. American Journal of Community Psychology, 30(2), S. 157 – 197.
Europäisches Parlament und Rat der EU (2008). Empfehlung des europäischen Parlaments und des Rates zur
Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen. Abgerufen am 6.6.2017
von https://ec.europa.eu/ploteus/sites/eac-eqf/files/journal_de.pdf
Europarat (2001). Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen.
München: Langenscheidt.

69
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Ghosh, R. & Reio, T. G. (2013). Career benefits associated with mentoring for mentors: A meta-analysis. Journal
of Vocational Behavior, 83(1), S. 106 – 116.
Kopf, M., Leipold, J. & Seidl, T. (2010). Kompetenzen in Lehrveranstaltungen und Prüfungen Handreichung für
Lehrende. Mainzer Beiträge zur Hochschulentwicklung, Band 16. Mainz: ZQ.
Miller, A. (2007). Best practice for formal youth mentoring. In T. D. Allen & L. T. Eby (Hrsg.), The Blackwell
Handbook of Mentoring: A multiple perspectives approach (S. 307 – 324). Oxford: Blackwell.
Newby, D., Allan, R., Fenner, A., Jones, B., Komorowska, H. & Soghikyan, K. (2007). Europäisches Portfolio für
Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA). Graz: ECML.
PLUS (2013). Curriculum für das Bachelorstudium Lehramt an der Universität Salzburg (Version 2013).
Abgerufen am 6.6.2017 von https://www.uni-
salzburg.at/fileadmin/multimedia/Romanistik/documents/neues_Curriculum_Lehramt.pdf
PLUS (2016). Curriculum für das Bachelorstudium Lehramt an der Universität Salzburg (Version 2016).
Abgerufen am 6.6.2017 von https://www.uni-
salzburg.at/fileadmin/multimedia/Romanistik/documents/Curriculum_Lehramt_2016.pdf
Rückl, M. & Mackinger, B. (2015). Erwerb von berufsrelevanten Kompetenzen in Mentoring-Tandems: eine
Win-win-Situation für Lehramtsstudierende und Schüler/innen. Zeitschrift für Hochschulentwicklung,
11(1), S. 239 – 256.
Ryschka, J., Solga, M. & Mattenklott, A. (Hrsg.). (2011). Praxishandbuch Personalentwicklung: Instrumente,
Konzepte, Beispiele. Wiesbaden: Gabler.
Vorbereitungsgruppe PädagogInnenbildung NEU (2011). Empfehlungen der Vorbereitungsgruppe im Auftrag
vom BMUKK und BMWF. Abgerufen am 6.6.2017 von http://www.qsr.or.at/dokumente/1870-
20140529-093034-Empfehlungen_der_Vorbereitungsgruppe_062011.pdf
Ziegler, A. (2009). Mentoring: Konzeptuelle Grundlagen und Wirksamkeitsanalyse. In H. Stöger, A. Ziegler & D.
Schimker (Hrsg.), Mentoring: Theoretische Hintergründe, empirische Befunde und praktische
Anwendung (S. 7 – 29). Lengerich: Pabst Science Publisher.

70
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Wie reflective best practice in dialogue in


der Praxis gelingen kann.
Professionalisierung von Fremdsprachen-
lehrerInnen in Netzwerken
Manuela Wipperfürth
Universität Salzburg, Montessori-ORG Grödig

1. Das „Lernende Lehrernetzwerk“


Die längste Phase der LehrerInnenbildung ist die Berufspraxis als dritte Phase nach Studium
und praktischer Ausbildungsphase. Wie und was FremdsprachenlehrerInnen in dieser Phase
voneinander lernen können und welche Bedeutung dafür die Verbalisierung von
handlungsleitendem Lehrerwissen und die Berufssprache von LehrerInnen hat, beleuchtet
das Projekt „Lernendes Lehrernetzwerk“.
Während lange LehrerInnen eine eigene Berufssprache abgesprochen wurde und
skeptisch diskutiert wird, inwiefern handlungsleitendes Lehrerwissen verbalisiert werden
kann (vgl. Neuweg 2011), gehen die große Mehrheit der Lehrerbildungsmaßnahmen von der
Wirksamkeit eines kritisch-konstruktiven (natürlich sprachlichen) Austauschs über Unterricht
aus.
Im „Lernenden Lehrernetzwerk“ wird der fokussierte, entwicklungsorientierte Austausch
über Unterricht in einer Gruppe von PraktikerInnen in den Fokus gerückt. Das
Lehrernetzwerk wurde entlang zentraler Erkenntnisse aus folgenden Bereichen entwickelt
und analysiert: der Experten-Novizen-Forschung, zu kollegialer Hospitation und Kooperation,
situiertem Lernen, der Verwendung von Unterrichtsvideos, Lehrerwissen und dessen
Verbalisierbarkeit, professioneller Unterrichtswahrnehmung (professional vision) und
professioneller Entwicklung von (Fremsprachen-)LehrerInnen konzipiert (vgl. u.a. Goodwin
1994, Freeman 1993, Gräsel 2011, Gruber et al. 2008, Gruber & Stöger 2011, Horn & Little
2011, Neuweg 2011, Schüpbach 2007, Sherin & van Es 2009, ausführlich Wipperfürth 2015).

2. Studienaufbau und Forschungsfragen


Für das Lernende Lehrernetzwerk wurde ein Rahmen geschaffen, in dem es LehrerInnen
bestmöglich erlaubt wird, in einem vertrauensvollen, anregenden Setting ihre Reflexionen
von gutem Fremdsprachenunterricht zu verbalisieren und darüber in einen Austausch zu
kommen. Um situiertes Lernen zu ermöglichen und eine größtmögliche Verschränkung des
(neu) verbalisierten Lehrerwissens und der je eigenen Praxis zu ermöglichen, wurde ein
71
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Beobachtungsmanual erstellt und sind die Netzwerkgespräche über ein Jahr verteilt
organisiert.
Vier NovizenlehrerInnen (maximal 3 Jahre Berufserfahrung nach der praktischen
Ausbildungsphase) und vier erfahrene LehrerInnen (zwischen 12 und 29 Jahre
Berufserfahrung) aus verschiedenen bayerischen Gymnasien geben sich an Hand von
Videoaufzeichnungen über ein Jahr hinweg kritisch Feedback zu ihrem Englischunterricht
und kommen in einen fokussierten, durch ein Beobachtungsmanual geringfügig
strukturierten Austausch über ihre Reflexionen von gutem Fremdsprachenunterricht.
Die Datengrundlage für die qualitative Inhaltsanalyse bildeten die transkribierten
Netzwerkgespräche, zwei Fragebögen zu Erfahrungen und Einstellungen zur
Unterrichtsreflexion und -nachbesprechung sowie zwei ausführliche Interviews zur
Projektmitte und ein halbes Jahr nach Projekabschluss mit allen TeilnehmerInnen.

Für die Analyse leitend waren folgende Forschungsfragen:


- Welche Funktionen der Berufssprache von FremdsprachenlehrerInnen lassen sich aus
der Theorie argumentieren, welche Einstellungen haben die TeilnehmerInnen zur
fremdsprachendidaktischen Fachsprache und welche konkreten Funktionen erfüllt
sie?
- An welchen Herausforderungen des Fremdsprachenunterrichts können
Berufsgespräche anknüpfen? Welche Aspekte werden herausgegriffen und unter
welchen Gesichtspunkten diskutiert?
- Inwiefern verwenden die TeilnehmerInnen fremdsprachendidaktische Fachbegriffe?
- Welche Zusammenhänge lassen sich für das Verhältnis von Verbalisierung,
Unterrichtswahrnehmung und Unterrichtsreflexion aus den Gesprächen sowie den
Reflexionen der LehrerInnen ziehen?
- Welche Veränderungen nehmen die TeilnehmerInnen während und nach der
Netzwerkarbeit wahr?

Das Projekt als Maßnahme der Professionalisierung von FremdsprachenlehrerInnen sollte


zum einen evaluiert und in seinem subjektiv wahrgenommenen Nutzen für die
TeilnehmerInnen ausgewertet werden. Im Kern sollten dann aber vor allem die Fragen nach
der Verbalisierbarkeit des handlungsleitenden fremdsprachendidaktischen Wissens und dem
funktionierenden sprachliche Austausch im Sinne einer funktionalen Berufssprache
beantwortet werden.

72
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

3. Ausgewählte Ergebnisse
Neben einer sehr positiv ausfallenden Projektevaluation ermöglicht die Qualität der
verbalisierten fachdidaktischen Inhalte eine kritische Diskussion des Verhältnisses von
Ausbildungswissen und handlungsleitendem fachdidaktischem Lehrerwissen. Zunächst
konnte eine große Breite und Tiefe der verbalisierten fremdsprachendidaktischer Probleme
und Konzepte beobachtet werden. Die hier ausgewählten Ergebnisse beziehen sich erstens
auf das Verhältnis von Fach- und Berufssprache, zweitens auf die subjektiv
wahrgenommenen Effekte der Netzwerkarbeit und drittens auf die Funktionen von
Berufssprache.
Fremdsprachendidaktische Fachbegriffe werden auf der sprachlichen Oberfläche weniger
als erwartet verwendet. Die TeilnehmerInnen berichten auf die Frage nach ihrer Einstellung
zur fremdsprachendidaktischen Fachsprache hin von einem Einschüchterungseffekt der
wissenschaftlichen Fachdidaktik, der sich aus Erfahrungen der Aus- und Weiterbildung speist
(vgl. auch Newby 1995). Diese grundlegende Einstellung zur Fachdidaktik wäre ein sehr
lohnenswerter Gegenstand weiterer Forschung, hat er doch maßgeblichen Einfluss auf die
Bereitschaft, entsprechendes Wissen zu rezipieren und anzunehmen.
Die Analyse der Gespräche hinsichtlich der verbalisierten Konzepte und Wissensarten (vgl.
Shulman 1987) ergab jedoch, dass die hinter den Fachbegriffen stehenden Konzepte
problemlos verbalisiert, verstanden und in der Diskussion verwendet wurden. Es braucht
also eine eingehendere Analyse der unterschiedlichen sprachlichen Beschreibungsebenen
fremdsprachendidaktischer Konzepte von PraktikerInnen und denen der wissenschafltichen
Fachdidaktik. Terhart (1992) beschrieb dies als Übersetzungsfähigkeit von LehrerInnen (vgl.
auch Wildt 2003) und plädiert für eine Entspannung in der Diskussion um das Verhältnis von
PraktikerInnen- und theoretischem Wissen.
Die TeilnehmerInnen berichten über zahlreiche Wirkungen auf ihren Unterricht und
Berufsalltag. Zu beobachten sei eine gesteigerte Berufszufriedenheit sowohl auf der sozialen
Ebene mit KollegInnen wie der eigenen unterrichtlichen Ebene. Dabei kommt es sowohl zu
einer Steigerung der eigenen Ansprüche an den Unterricht, welche durch die zahlreichen
praxisnahen Impulse und Anregungen leichter umgesetzt werden können, als auch einer
größeren Gelassenheit gegenüber der eigenen Praxis. Beide Gruppen berichten, sich wieder
an zahlreiche Inhalte der Ausbildung zu erinnern und diese wieder vermehrt in der
Unterrichtsplanung und -führen zu bedenken bzw. anzuwenden.
Auf der Grundlage einer umfassenden theoretischen Diskussion der kognitiven wie
sozialen Funktionen von Berufssprache und Berufsgesprächen und den Ergebnissen der
Interviewanalysen entstand folgende Übersicht.

73
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Abbildung 1: Funktionen der Berufssprache von (Fremdsprachen-)LehrerInnen

Neben der (zunehmend möglichen) Verbalisierung handlungsleitenden Lehrerwissens und


der Fähigkeit zur Übersetzung unterrichtsrelevanten Wissens für Laien bzw. aus dem
wissenschaftlichen Diskurs (vgl. Terhart 1992) erfüllt eine Berufssprache darüber hinaus
wichtige Funktionen nach innen (Eingebundensein, Rückhalt, Sozialisation) sowie nach
außen (Abgrenzung, Prestige, Handlungsrechtfertigung und Transparenz).

4. Fazit und Ausblick: Reflective best practice in dialogue


Ein übergreifendes Ergebnis der Analyse ist die Weiterentwicklung der Konzepte professional
vision und best practice zu einer reflective best practice in dialogue, welches als
orientierendes Konzept für die sprachsensible Gestaltung von Lehrerbildungsmaßnahmen in
allen Phasen, insbesondere an Schnittstellen von Theorie und Praxis, dienen kann.
Als reflective best practice kann die Kompetenz von LehrerInnen bezeichnet werden, ihre
Fähigkeit zur Reflexion ihres Unterrichts in einem „doppelten Habitus“ (Helsper 2001)
anderen LehrerInnen durch die Verbalisierung ihres Erfahrungswissens innerhalb von
Unterrichtsbesprechungen, also in Zusammenhang mit der Demonstration ihrer praktischen
Unterrichtskompetenz (nach Hospitation oder an Hand von Videoanalysen), explizieren
können.
Wir wissen mittlerweile, wie komplex die Lernprozesse von LehrerInnen sind, was sich
zuletzt in den ausgedehnten Diskussionen um Lehrerkompetenzen zeigt (vgl. z.B. Lütge 2012,
Legutke & Schart 2016). Das Lernen an best practice-Beispielen der Unterrichtspraxis greift
zu kurz. Gegenüber Beobachtungen der Praxis und eigenen praktischen Erfahrungen wird

74
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

vielmehr eine kritische, reflexive Haltung verlangt. Um auf den Ursprung der Idee
zurückzugehen, bedarf es reflective practitioners (Schön 1983).
Über diese Reflexionsprozesse gegenüber der eigenen Praxis können PraktikerInnen in
einen produktiven Austausch kommen und durch die gemeinsame vertiefte Diskussion ihrer
Reflexionen sich wechselseitig als best practice-Beispiele für den reflective practitioner
dienen. In der Professionalisierungsforschung spricht man hier auch von persons in the
shadow (Gruber et al. 2008), die durch ihre erfolgreiche Bearbeitung ähnlicher
Praxisprobleme zu ExpertInnen für diese Probleme geworden sind und deshalb andere
PraktikerInnen sehr gut beraten können. Die Bedeutung und das Potential eines
fokussierten, strukturierten Austausches konnte in Wipperfürth (2015) gezeigt werden. Sehr
kurz dargestellt, ergibt sich daraus das Konzept der reflective best pratice in dialogue
(ausführlich Wipperfürth 2016).
Das Konzept wurde u.A. für die Gestaltung von Begleitportfolios für Studierendenpraktika
und kollegiale Hosptiationen verwendet sowie für Gesprächs- und Reflexionsleitfäden für
Studierende bei der Konzeption von Lernmaterialien. Die Ansätze des „Lernenden
Lehrernetzwerkes“ werden in Form kollegialer Hospitation und Einführung eines
Lehrerportfolios an einer AHS in Salzburg weitergeführt und sind Grundlage für
Lehrerfortbildungen.

Literaturangaben

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Goodwin, Charles (1994). Professional Vision. American Anthropologist, 96(3), S. 606-633.
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75
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76
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Sprachentwicklungsförderliches Handeln
im Lehramtsstudium – Begleitforschung
in einem Praxisprojekt
Andrea Ender1, Margareta Strasser2, Maria Zauner2
1 Fachbereich Germanistik, 2Sprachenzentrum, Universität Salzburg

Bedeutung sprachentwicklungsförderlichen Handelns


Die Verbindung zwischen schulischem Erfolg und ausreichenden bildungssprachlichen
Kompetenzen ist aufgrund des engen Zusammenspiels von sprachlichem und fachlichem
Lernen unbestritten. Besonders für mehrsprachige Schülerinnen und können die
Herausforderungen der Bildungssprache große Probleme bei der Bewältigung der
schulischen Anforderungen bereiten (vgl. Feilke 2012; Morek & Heller 2012). Das
Bewusstsein für die Bedeutung von sprachlicher Bildung als durchgängigem Prinzip in allen
Fächern ist daher in den letzten Jahren zunehmend gestiegen. Sprachliche Bildung betrifft
somit nicht nur den Sprachunterricht, sondern verlangt von Lehrkräften aller Fächer
spezifische Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, Kinder und Jugendliche in ihrer
Sprachentwicklung zu unterstützen und zu fördern (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2013; Benholz,
Frank & Gürsöy 2015; Michalak et al. 2015).

Verankerung im Lehramtscurriculum der Universität Salzburg


Im Zuge der Umstrukturierung der Lehramtsausbildung in Österreich wurde ein neues
Ausbildungsmodell für angehende Lehrkräfte aller Sekundarstufen und -schulen entwickelt.
Hierbei kommt der pädagogisch-praktischen Ausbildung ein hoher Stellenwert zu. Dabei gibt
es für Studierende auch die Möglichkeit, in sogenannten „Themenmodulen“ Schwerpunkte
zu setzen und sich zu spezialisieren. Diese Situation bietet die Möglichkeit, Aspekte einer
durchgängigen sprachlichen Bildung verstärkt auch in die Ausbildung einzubinden.

Themenmodul „Sprache im Unterricht“


Das Themenmodul „Sprache im Unterricht. Schreib- und Lesekompetenz vor dem
Hintergrund von Mehrsprachigkeit und Transkulturalität“ soll es Lehramtsstudierenden aller
Fächer ermöglichen, professionelle Handlungskompetenz im Bereich des sprachsensiblen
Unterrichts und im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität zu erwerben, wie
sie u. a. als sogenannte DaZ-Kompetenz umfassend von Köker et al. (2015) beschrieben wird.

77
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Das Themenmodul umfasst vier Lehrveranstaltungen und ist auf zwei Semester aufgeteilt
(Strasser, Weger & Ender 2017).

Erstes Modulsemester
Das erste Modulsemester dient der Vermittlung fachlicher Grundlagen und umfasst eine
bildungs- und eine fachwissenschaftliche Lehrveranstaltung: In der
bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltung (2 ECTS-Punkte) werden die
Rahmenbedingungen eines von sprachlicher wie kultureller Heterogenität geprägten
Bildungssystems thematisiert. Die kritische Auseinandersetzung mit Heterogenität und ihren
Auswirkungen auf Lehr- und Lernprozesse soll den Studierenden insbesondere Impulse zur
Reflexion über die eigenen Einstellungen und Haltungen geben (Grießhaber 2017, S. 92ff.).
Dies geschieht anhand der Diskussion verschiedener Kulturmodelle, der Auseinandersetzung
mit Theorien der Bildungs- und Chancengerechtigkeit sowie Grundlagen der
Migrationspädagogik (vgl. z. B. Fürstenau & Gomolla 2011; Mecheril 2010).
In der fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltung (4 ECTS-Punkte) erwerben die
Studierenden grundlegendes Wissen über Funktion von Sprache/n im Bildungssystem sowie
über die Spezifika von Bildungssprache. Sie setzen sich insbesondere auch mit den
Merkmalen und Herausforderungen der Sprache in ihrem Fach bzw. in ihren Fächern
auseinander und werden durch Zusammenarbeit und Austausch mit Studierenden
verschiedener Fächer für sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihren Fächern
sensibilisiert. Die Vermittlung von Methoden der Sprachdiagnostik und der Sprachförderung
bzw. der sprachlichen Bildung soll es den zukünftigen Lehrenden ermöglichen, die
(sprachlichen) Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler einzuschätzen und darauf
aufbauend Förderansätze zu entwickeln (z. B. Becker-Mrotzek et al. 2017; Brandenburger et
al. o.J.; Hopp et al. 2010).

Zweites Modulsemester
Im Mittelpunkt des zweiten Semesters steht ein Praktikum (3 ECTS-Punkte), das in Form
eines Tandemmodells der Lernbegleitung in enger Kooperation mit einer karitativen
Einrichtung der Stadt organisiert wird: Je ein Student/eine Studentin ist über ein Semester
hinweg Lernpate/-patin für einen Schüler/eine Schülerin mit Förderbedarf. In den
wöchentlichen Treffen helfen die Studierenden den Schülerinnen und Schülern bei den
Hausübungen, lernen mit ihnen für Schularbeiten und versuchen insbesondere ihre
sprachlichen Kompetenzen und ihre Fähigkeiten zur Selbstorganisation zu fördern sowie
Lernstrategien zu vermitteln. Diese Form des Praktikums ist auch als gesellschaftliches
Engagement der Universität im Sinne des „Service Learnings“ zu verstehen und soll den
Studierenden während des Studiums die unmittelbare Umsetzung von Kompetenzen in die
Praxis ermöglichen (Baltes, Hofer & Sliwka 2007, Backhaus-Maul & Roth 2013). Die
78
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lernbetreuung wird dabei bewusst über einen externen Partner organisiert, um so auf die
Expertise im Bereich der sozialen Arbeit zurückgreifen zu können.
Im Mittelpunkt der fachdidaktischen Begleitlehrveranstaltung (3 ECTS-Punkte) stehen die
Vermittlung entsprechender Methoden zur Sprachförderung, des sprachbewussten
Unterrichts, zum Umgang mit Heterogenität und zur Vermittlung von Lerntechniken und
-strategien (z. B. Beese et al. 2014, Carnevale & Wojnesitz 2014, Tajmel 2010).
Einen weiteren Schwerpunkt der Begleitlehrveranstaltung bildet die Entwicklung der
Reflexionskompetenz der Studierenden. Basierend auf den Reflexionsebenen von Bräuer
(2014) werden Reflexionsphasen vor Beginn des Praktikums (über die Mitarbeiterinnen der
karitativen Einrichtung), in der Lehrveranstaltung (über die Lehrenden, z. T. auch über die
Kolleginnen und Kollegen), begleitend zum Praktikum und nach Ende des Praktikums
angeleitet. Erfahrungen aus ähnlichen Projekten sind durchwegs positiv und lassen auf einen
positiven Transfer der erworbenen Kompetenzen in den zukünftigen Unterrichtsalltag hoffen
(z. B. Stephany 2010).

Begleitforschung in einem Praxisprojekt

Im Rahmen einer Interventionsstudie soll untersucht werden, welche Voraussetzungen


Studierende in die Ausbildung mitbringen und inwiefern sich ihr Wissen, ihre Fertigkeiten
und Einstellungen durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema einer
durchgängigen sprachlichen Bildung im Laufe des Themenmoduls verändern. Damit soll das
Ziel, Studierende bestmöglich auf die Herausforderungen des künftigen Schulalltags und die
Notwendigkeit für sprachförderliches Handeln vorzubereiten, weiterverfolgt werden. Im
Detail soll den folgenden Fragen nachgegangen werden:

 Welches linguistische Wissen und welche Fertigkeiten bringen Studierende


mit?
 Wie entwickeln sich die Kompetenzen der Studierenden im Hinblick auf
sprachsensiblen Unterricht durch die Absolvierung des Themenmoduls?
 Welche prägenden Erfahrungen machen Studierende durch erste
praxisbezogene Auseinandersetzung mit durchgängiger Sprachbildung und
wie beeinflusst dies die Wahrnehmung ihrer zukünftigen Tätigkeit als
Lehrpersonen?
 Wie können Studierende am besten auf die Herausforderungen des künftigen
Schulalltags und die Notwendigkeit für Sprachförderung vorbereitet werden?
 Wie können bestehende Kompetenzmodelle zu sprachförderlichem Handeln
im Fachunterricht etwa von Köker et al. (2015) auf der Basis der Beforschung
der Studierendenkompetenzen im Themenmodul weiterentwickelt werden?

Zur Beantwortung der Frage wird in einer Kooperation mit der Leuphana Universität
Lüneburg das DaZKom-Instrument („Professionelle Kompetenzen angehender LehrerInnen
79
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(Sek I) im Bereich Deutsch als Zweitsprache“) eingesetzt und durch explorativ-qualitative


Forschung begleitet. Dieses Testinstrument beruht auf einem Strukturmodell
fachunterrichtsrelevanter DaZ-Kompetenz, welches auf Basis einer systematischen
Dokumentenanalyse und einem Expertenrating entwickelt wurde (Köker et al. 2015). Das
bestehende Testinstrument wird durch einen Fragebogen zur Erfassung der Personendaten
und der Lerngelegenheiten im Bereich DaZ ergänzt und soll durch Items erweitert werden,
die sich auf das studentische Engagement im Service Learning beziehen (vgl. Backhaus-Maul
& Roth 2013).
Für die Evaluation sollen die Daten der Studierenden im Themenmodul zu Beginn und am
Ende des Studienjahres erfasst werden. Pro Studienjahr waren bisher ca. 20 Studierende
verschiedener Lehramtsfächer angemeldet: Bewegung und Sport, Biologie und
Umweltkunde, Deutsch, Englisch, Geographie und Wirtschaftskunde, Geschichte, Italienisch,
Katholische Religion, Mathematik, Musikerziehung, Psychologie und Philosophie, Russisch
und Spanisch. Zusätzlich zu den Studierenden im Themenmodul sollen zum Vergleich Daten
einer Kontrollgruppe von Studierenden erhoben werden. Durch den Vergleich der
Testzeitpunkte und der Studierendengruppen sollen Rückschlüsse über Veränderungen
gezogen werden, die durch die Lehr- und Lerngelegenheiten im Rahmen des Themenmoduls
bedingt sind.

Literaturangaben

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empirischer Beitrag zur Vermessung eines jungen Phänomens. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
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Becker-Mrotzek, Michael, Rosenberg, Peter, Schroeder, Christoph, & Witte, Annika (Hrsg.) (2017). Deutsch als
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Beese, Melanie, Benholz, Claudia, Chlosta, Christoph, Gürsoy, Erkan, Hinrichs, Beatrix, Niederhaus, Constanze,
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Brandenburger, Anja, Bainski, Christiane, Hochherz, Wolf, & Roth, Hans-Joachim (o. J.). European core
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Feilke, Helmut. (2012). Bildungssprachliche Kompetenzen – fördern und entwickeln. Praxis Deutsch, 233, S. 4–
13.

80
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

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Waxmann.
Hopp, Holger, Thoma, Dieter, & Tracy, Rosemary (2010). Sprachförderkompetenz pädagogischer Fachkräfte.
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Köker, Anne, Rosenbrock-Agyei, Sonja, Ohm, Udo, Carlson, Sonja A., Ehmke, Timo, Hammer, Svenja, … Schulze,
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Barbara Koch-Priewe, Anne Köker, Jürgen Seifried & Eveline Wuttke (Hrsg.), Kompetenzerwerb an
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Mecheril, Paul. (2010). Migrationspädagogik. Weinheim et al.: Beltz.
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Tajmel, Tanja. (2010). DaZ-Förderung im naturwissenschaftlichen Fachunterricht. In Bernt Ahrenholz (Hrsg.),
Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache (S. 167–184). Tübingen: Narr.

81
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Instruktivismus vs. Konstruktivismus:


Zwei didaktische Grundüberzeugungen von
Lehrkräften für Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache an privaten österreichischen
Erwachsenenbildungseinrichtungen
Waltraud Zirngast
Universität Wien

1. Begründung für die Studie


Im fremdsprachendidaktischen Diskurs hat sich seit den 1990er Jahren ein
Perspektivenwechsel vollzogen, der den Fokus des Forschungsinteresses von der objektiven
Relevanz der Unterrichtsmethoden hin zu subjektiven Faktoren im Lerngeschehen
verlagerte. Mittlerweile ist unbestritten: Wer ein tiefergehendes Verständnis von
Sprachlernprozessen gewinnen will, muss die subjektiven Bedeutungszuschreibungen in
diesen Prozessen berücksichtigen. In Bezug auf die Lehrenden hängt es insbesondere von
deren berufsbezogenen Wissens- und Überzeugungssystemen ab, was an unterrichtlichem
Lernen aktualisiert werden kann.
Die quantitative empirische Erforschung handlungsleitender Kognitionen von Lehrkräften
stellt für die Fremdsprachenvermittlung in der Erwachsenenbildung ein Desiderat dar. Hier
setzt die gegenständliche Studie an. Sie leuchtet das spezifische Aufgaben- und
Funktionsverständnis von Lehrkräften für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ)
aus, wobei auf die idealtypische Gegenüberstellung von instruktivistischen vs.
konstruktivistischen didaktischen Grundorientierungen in der klassischen, schulbezogenen
Lehrerforschung zurückgegriffen wird. Dabei stellt sich die Frage aber nicht allein nur nach
ihrem bloßen Vorkommen, es geht vor allem um die Verknüpfung eines in dieser Hinsicht
akzentuierten didaktischen Verständnisses mit anderen Dimensionen der beruflichen
Selbstwahrnehmung, um typische Überzeugungsmuster darstellen zu können.

2. Forschungsfragen
In der gegenständlichen Untersuchung werden folgende zentrale Forschungsfragen
behandelt:

82
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Forschungsfrage 1
Werden in der Gruppe der Lehrkräfte DaF/DaZ in der privaten
österreichischenErwachsenenbildung akzentuiert instruktivistische bzw.
konstruktivistische didaktische Grundüberzeugungen vertreten?
Forschungsfrage 2
Erklären sich instruktivistische und konstruktivistische didaktische Grundpositionen aus
dem persönlichen Ausbildungshintergrund der Lehrenden?
Forschungsfrage 3
Besteht ein bestimmter Zusammenhang der beiden didaktischen Akzentsetzungen mit
der Berufszufriedenheit, der Bindung an das Fach DaF/DaZ sowie mit persönlichen
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen?

3. Die Studie
Die Befunde der Studie ergeben sich aus der Auswertung eines eigenen Fragebogens, der im
Mai/Juni 2016 anonym im Internet abgerufen und bearbeitet werden konnte. Zielgruppe
waren Lehrkräfte, die an privaten Institutionen der Erwachsenenbildung in Österreich
DaF/DaZ-Kurse abhielten. Die didaktische Grundeinstellung der Lehrkräfte wurde anhand
zweier ausreichend reliabler Itemgruppen ermittelt und in der statistischen Auswertung
durch nichtparametrische Signifikanztests eine maximale Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %
festgelegt.
Die ad hoc aus der Gruppe der Lehrkräfte für DaF/DaZ gezogene Stichprobe (N = 304)
lässt sich anhand der Verteilung soziodemografischer Merkmale folgendermaßen
beschreiben.

Tabelle 1: Soziodemografie: Geschlecht, Alter und pädagogischer Ausbildungshintergrund

absolut in %
Geschlecht
weiblich 243 79,9
männlich 61 20,1
Altersgruppe
-29 52 17,1
30-49 186 61,2
50+ 66 21,7
Lehramtsausbildung 104 34,2
Zusatzausbildung DaF/DaZ 224 73,7

83
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

265 Befragte (87,2 %) verfügen über einen pädagogischen Ausbildungshintergrund. 41


Personen (13,5%) haben zwar ein Lehramtsstudium absolviert, aber keine fachspezifische
Zusatzausbildung DaF/DaZ. 161 Personen ohne Lehramt (53 %) haben eine fachspezifische
Zusatzausbildung für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. 63 Personen (20,7 %) weisen
beides auf.

Diagramm 1: Soziodemografie der Stichprobe: Universitäre Ausbildung

4. Ergebnisse
4.1 Befürwortung konstruktivistischer Konzeptionen

Instruktivistische und konstruktivistische didaktische Positionen stellen in der


Befragtengruppe Alternativen dar: Je instruktivistischer man eingestellt ist, desto weniger
konstruktivistisch ist man eingestellt, vice versa (Spearman-Rho: -0,25). Auf der einen Seite
wird Lernen im Wesentlichen als Aufnahme objektiv gegebener Wissenseinheiten
verstanden, auf der anderen Seite als aktive und selbstständige Wissenskonstruktion. Im
Allgemeinen neigen die Befragten zu einem gemäßigten Konstruktivismus. Wären es
Schulnoten, würden 82 % einem didaktischen Konstruktivismus die Note 1 oder 2 geben,
84
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

einem didaktischen Instruktivismus nur 57 Prozent. Nach Einzelitems betrachtet tritt man
sehr für Kleingruppenarbeit, eigenständige Aufgabenbearbeitung und individualisierte
Lernstrategien ein, steht jedoch dem Gedanken skeptisch gegenüber, dass die
KursteilnehmerInnen selbst entscheiden sollen, welche Lerninhalte für sie wichtig sind.
Dessenungeachtet misst man direkten sprachlichen Anleitungen einen hohen Stellenwert
bei.
Diagramm 2: Prozentuelle Zustimmung zu den einzelnen Items nach vergebenen
Schulnoten 1 oder 2

Konstruktivistische Items:

(K/1) „Die gemeinsame Bewältigung von sprachlichen Aufgaben in Kleingruppen ist in vielen
Situationen wirksamer als lehrerzentrierter Unterricht („Frontalunterricht“).“

(K/2) „Ihre KursteilnehmerInnen lernen am meisten, wenn sie im Kurs


eigenständig sprachliche Aufgaben zu lösen versuchen.“

(K/3) „Die Aufgaben im Lehrbuch zu erledigen steht für Sie nicht fest –
Hauptsache, Ihre KursteilnehmerInnen entwickeln persönliche
Lernstrategien.“

(K/4) „Die KursteilnehmerInnen sollen selbst entscheiden, welche Lerninhalte für


sie wichtig sind.“

Instruktivistische Items:
(I/1) „Sie geben Ihren LernerInnen prinzipiell sehr genaue Anleitungen, wie sie die deutsche
Sprache richtig verwenden sollen.“

(I/2) „Als KursleiterIn ist man im Sprachkurs wie der Dirigent / die Dirigentin eines
Orchesters.“

85
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(I/3) „Fehler in der Sprachproduktion werden von Ihnen im Kurs immer umgehend
korrigiert.“

(I/4) „Die Vermittlung der deutschen Grammatikregeln soll in den Kursen im


Vordergrund stehen.“

4.2 Didaktische Akzentsetzungen nach dem pädagogischen Ausbildungs-


hintergrund

Befragte mit Lehramtsausbildung tendieren signifikant häufiger zum didaktischen


Instruktivismus, Befragte mit einer fachspezifischen Ausbildung für Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache (universitäre Ausbildung DaF/DaZ oder einschlägige Lehrgänge mit Zertifikat
im Umfang von mindestens 100 Stunden) tendieren signifikant häufiger zu einem
didaktischen Konstruktivismus. Schließt man sich der Diktion in der schulbezogenen
Lehrerforschung an, so folgen die Befragten mit Lehramtsausbildung einer "traditionellen
Einstellung“ zur Unterrichtsgestaltung, während Personen mit fachspezifischer
Zusatzausbildung von diesem didaktischen Traditionalismus abrücken.

4.3 Didaktische Akzentsetzungen und ihr Zusammenhang mit der beruflichen


Zufriedenheit, der Verbundenheit mit dem Fach sowie mit
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Die didaktische Grundeinstellung hängt statistisch signifikant mit der subjektiven


Wahrnehmung makro- und mikrostruktureller Rahmenbedingungen des Unterrichts wie mit
persönlichen unterrichtlichen Wirksamkeitserwartungen zusammen. Betrachtet man dies
nach Einzelitems, so ergibt sich die folgende explorative Befundlage, gemäß der sich
Instruktivisten und Konstruktivisten erheblich voneinander unterscheiden. Die didaktischen
Instruktivisten unter den Befragten zeichnen sich durch hohe
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aus, sie schätzen ihre Fähigkeiten und Ressourcen, die
beruflichen Aufgabenstellungen zu bewältigen, als überaus effektiv und substanziell ein. Die
didaktischen Konstruktivisten zeigen sich besonders fachverbunden, sie nehmen häufig an
einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen teil, jedoch sind ihre Selbstwirksamkeits-
erwartungen stark eingeschränkt und ihre berufliche Zufriedenheit scheint erheblich
gedämpft.
Instruktivistische und konstruktivistische Grundeinstellungen gehen also einher mit einer
eher optimistischen bzw. einer eher pessimistischen Perzeption des beruflichen
Arbeitsfeldes. Zusätzlich bemerkenswert ist dabei der folgende Commitment-Aspekt: Je
stärker die Befragten zum Instruktivismus neigen, desto stärker fühlen sie sich von ihren
Vorgesetzen geschätzt, vice versa. Sie fühlen sich ebenso desto stärker von ihren
Vorgesetzen geschätzt, je weniger sie zum Konstruktivismus neigen, und umgekehrt.

86
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

5. Diskussion und Schluss


Die gegenständliche Stichprobe setzt sich aus Befragten mit sehr unterschiedlichen
Ausbildungsvoraussetzungen zusammen. Betrachtet man die mittlerweile etablierte
fachspezifische Zusatzausbildung DaF/DaZ näher, so zeigt sich, dass sie in Hinblick auf die
Didaktikvermittlung hoch wirksam ist und die Absolventen offenbar auf ein anspruchsvolles
Konstrukt verpflichtet, das hier als „konstruktivistische Grundeinstellung“ Untersuchungs-
gegenstand war. Wie gezeigt, wirkt ihre Umsetzung in der privaten Erwachsenenbildung
gleichzeitig stark belastend. Dazu sollte man sich vergegenwärtigen, dass der mikro- und
makrostrukturelle berufliche Kontext einen wesentlichen Ausschlag dafür geben kann, wie
Lehrkräfte die gestellte Aufgabe für sich interpretieren und ob bzw. inwieweit sie so
unterrichten können, wie es ihren didaktischen Grundhaltungen entspricht. Je rigider der
Handlungsrahmen, etwa aufgrund einengender betriebswirtschaftlicher Rationalitäts-
kriterien oder die Abläufe strikt dominierender Prüfungsregime, desto eher müssen
Lehrkräfte vermutlich auf instruktivistische Methoden abstellen, was sie dann als
vermeintlich effiziente und loyale Sprach- und Fertigkeitstrainer erscheinen lässt und
dadurch in gewisser Weise auch beruflich zufriedenstellt. Demgegenüber werden Lehrkräfte,
die sich weiterhin als LernbegleiterInnen in einem ganzheitlichen, komplexen Lerngeschehen
verstehen, aufgrund einer fühlbaren Preisgabe erforderlicher Handlungsspielräume für ein
konstruktivistisches Lehr-/Lerngeschehen wohl zunehmend zu beruflichem Pessimismus
neigen, sofern sie nicht ohnehin einen Berufswechsel vornehmen.
Wer einer solchen Entwicklung vorbeugen will, muss in der Lehrkräfteforschung einen
Blickwechsel vollziehen, weg vom vornehmlich auf individuelle Professionalisierung
fokussierten Diskurs hin zu Fragen nach äußeren Bedingungen, welche die
handlungswirksamen Kognitionen der Lehrenden in problematischer Hinsicht beeinflussen
und nach Maßgabe pädagogischer Qualitätskriterien der Gestaltbarkeit keinesfalls entzogen
werden dürfen. Ansonsten landet man letztendlich in einer fachdidaktischen Sackgasse.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

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Schneider Verlag Hohengehren.

Legutke, Michael K., & Schart, Michael. (2016). Fremdsprachliche Lehrerbildungsforschung. Bilanz und
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Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung (S. 9 – 46). Tübingen: Narr.

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Königs (Hrsg.). Handbuch Fremdsprachendidaktik (S. 346 – 350). Seelze-Velber: Friedrich Verlag.

88
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Marktplatz 3:
Digitale Medien, Testen und
Standardisierung

89
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Videoblogger/innen: Die neuen


Sprachlehrer/innen?
Die Videos der YouTube-Stars als
Ressource für den Sprachunterricht
Elke Höfler
Universität Graz

1. Ausgangssituation
Zwei grundsätzliche Beobachtungen stehen im Zentrum eines Habilitationsprojekts, das den
sperrig anmutenden Arbeitstitel „Die Videos der YouTube-Stars als Ressource für den
Sprachunterricht“ trägt:
1) YouTube zählt, neben Snapchat, Instagram und WhatsApp zurzeit zu den gefragtesten
Informations- und Unterhaltungskanälen (nicht nur) österreichischer Jugendlicher, wie
aktuelle Studien zeigen (vgl. Education Group 2017, Medienpädagogischer
Forschungsverbund Südwest 2016). Vor allem Videobloggerinnen und Videoblogger wie die
beiden Deutschen Bianca Heinicke (4,47 Mio.:
https://www.youtube.com/user/BibisBeautyPalace) und Le Floid (3,1 Mio.:
https://www.youtube.com/user/LeFloid), die beiden Franzosen Cyprien (10,86 Mio.:
https://www.youtube.com/user/MonsieurDream) und Norman Thavaud (9,12 Mio.:
https://www.youtube.com/user/NormanFaitDesVideos), der Brite Charlie McDonnell (2,35
Mio.: https://www.youtube.com/user/charlieissocoollike) oder der Schwede PewDiePie
(55,36 Mio.: https://www.youtube.com/user/PewDiePie) versorgen auf ihren
unterschiedlichen YouTube-Kanälen eine Community von mehreren Millionen
(hauptsächlich) Jugendlichen mit Informationen und Geschichten aus zentralen alltäglichen
Bereichen (vgl. Ault 2014). Sie sind vielfach wichtiger Teil der Lebenswelt heutiger
Schüler/innen und häufig auch wichtige Referenzquelle.
2) Moderner Sprachunterricht muss sich durch einen über den Fachunterricht
hinausgehenden hohen Grad an Inter- und Transdisziplinarität auszeichnen und
unterschiedlichen gesellschaftlichen Forderungen bzw. Erwartungen gerecht werden: So
fordert das österreichische Bundesministerium für Bildung (2017a) über seine Lehrpläne im
Schulunterricht die Entwicklung und Förderung sogenannter überfachlicher Kompetenzen,
wie sprachlicher Bildung und Medienkompetenzen, als interdisziplinäre Unterrichts-
prinzipien und Bildungsanliegen. Besonders die Entwicklung und Schärfung der sogenannten
digitalen Kompetenzen soll die Jugendlichen auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorbereiten

90
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

(vgl. Bundesministerium für Bildung 2017b). Gleichzeitig sollen im Unterricht Bezüge zum
lebensweltlichen Alltag der Schüler/innen hergestellt werden, wobei im Sprachunterricht
bevorzugt authentische Materialien in der Zielsprache zu wählen sind. Für den
Fremdsprachenunterricht der AHS-Oberstufe gilt zusätzlich, dass die produktiv-
kommunikative Kompetenz an erster Stelle zu stehen hat. Der Unterricht soll so gestaltet
sein, dass vielfältige Themenbereiche und Textsorten Berücksichtigung finden.

2. Zentrale Fragestellungen
Um diese Ziele erreichen zu können, können sogenannte Real-life Tasks, wie sie von Ollivier
(2012) beschrieben werden, herangezogen werden, deren Artefakte oder Endprodukte nicht
auf die Beurteilung durch die Lehrperson abzielen, sondern sich vielmehr an ein reales, meist
unbekanntes und heterogenes Publikum außerhalb des „geschützten Klassenzimmers“
richten.
Im Habilitationsprojekt sollen die beiden Grundbeobachtungen zusammengeführt
werden. Es unternimmt zunächst eine Analyse des Phänomens YouTube-Stars aus
Perspektive der Trias Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft und versucht aus einem
fach- und mediendidaktischen Blickwinkel Möglichkeiten aufzuzeigen, dieses Phänomen für
den Sprachunterricht der Sekundarstufe fruchtbar zu machen (vgl. Jost 2003; Knaller &
Müller 2006; Koch & Oesterreicher 1985; Rummler & Wolf 2012).

Folgende Fragen stehen im Zentrum der Betrachtung:


• Welche Klassifizierungs- und Typologisierungsmöglichkeiten zeigen die Videos der
YouTube-Stars aus kulturwissenschaftlicher und gattungstheoretischer Sicht? Wie
lassen sie sich in den Textsortenhorizont, die inhaltlichen Vorgaben des
schulischen Sprachunterrichts sowie des Rahmenlehrplans einbetten?
• Inwiefern lässt sich das lebensweltlich bekannte Phänomen YouTube-Star aus
sprachwissenschaftlicher Perspektive unter Berücksichtigung sprachlicher
Varietäten, sprachlicher Strategien sowie der konzeptionellen Mündlichkeit (vgl.
Wampfler 2017) in den Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe integrieren?
• In Anlehnung an den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen:
Wie können produktive und rezeptive sprachliche Kompetenzen durch den
Einsatz der Videos bekannter Videobloggerinnen und Videoblogger entwickelt,
gestärkt und gefestigt werden?
• Welche (interdisziplinären) überfachlichen Kompetenzen lassen sich durch die
Videos zusätzlich entwickeln und fördern? Welche digitalen Kompetenzen können
entwickelt werden?

Neben den Potentialen und Chancen des genannten Videoeinsatzes sollen dabei auch die
Herausforderungen und Risiken herausgearbeitet werden. Gerade im Kontext der kultur-
und sprachwissenschaftlichen, aber auch der literaturwissenschaftlichen Analyse sollen
91
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Strategien der Beeinflussung und Lenkung identifiziert werden, die diesen Videos, die Teil
der Informations- und Unterhaltungswelt der Jugendlichen sind, inhärent sind.

3. Die Herangehensweise
Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wird nicht nur der State of the Art in
Hinblick auf die Rolle von Videos zum Sprachenlernen sowie das Phänomen YouTube-Star im
Allgemeinen erhoben, sondern das Phänomen selbst aus sprach-, literatur- und
kulturwissenschaftlicher Perspektive umrissen und aus fach- und mediendidaktischer
Perspektive in den Kontext des Rahmenlehrplans gestellt. Zunächst werden YouTube-Videos
gesichtet und aus gattungstheoretischer sowie literatur- und kulturwissenschaftlicher
Perspektive kategorisiert, woraus sich eine Typologisierung ergeben soll. Als Referenzvideos
dienen primär die Videos von Videobloggerinnen und Videobloggern aus dem englisch-,
spanisch-, französisch-, italienisch- und deutschsprachigen Raum. Diese Typologisierung wird
mit den Anforderungen des Rahmenlehrplans und mit den für das Erreichen der
Bildungsstandards sowie der Reifeprüfung zentralen Textsorten abgeglichen.
Unter Bezugnahme auf verschiedene Lernmodelle, wie das Lernen am Modell, das Lernen
durch Reflexion und das Lernen durch Lehren (vgl. Augustin 2014; Gauntlett 2011; Rummler
& Wolf 2012), werden anschließend Potentiale für einen lebensweltlich orientierten,
kommunikativen und kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht aufgezeigt, wobei
der Fokus auf der/dem Lernenden als Prosument/in (vgl. Rummler & Wolf 2012) liegen soll.
Die Lerner/innen sollen zum einen die Videos kritisch rezipieren und reflektieren, was der
Forderung nach der Entwicklung überfachlicher und digitaler Kompetenzen entspricht. Zum
anderen sollen sie jedoch auch angehalten werden, aktiv Videos zu produzieren, was
ebenfalls überfachlicher und digitaler Kompetenzen bedarf. Ziel ist zunächst eine empirische
Erhebung zur Verwendung der Videos von YouTube-Stars im Sprachunterricht, die auch die
Bekanntheit einzelner YouTube-Stars unter den Lehrenden und den Lernenden feststellt. In
einem weiteren Schritt sollen Unterrichtsbausteine entwickelt und praktisch erprobt
werden, die die rezipierende und produzierende Verwendung der Videoblogs fokussieren.
Diese Unterrichtsbausteine sollen für die unterschiedlichen Kompetenzniveaus, von A1 bis
B2 realisiert werden und jeweils die fünf Teilkompetenzen laut Gemeinsamem Europäischen
Referenzrahmen für Sprachen (GERS), d.h. Hören, Monologisches und Dialogisches
Sprechen, Schreiben, Lesen, berücksichtigen.

92
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

4. Erwartete Ergebnisse
Die erwarteten Ergebnisse der Arbeit können folgendermaßen zusammengefasst werden:

 Sichten des State of the Art in Hinblick auf die Rolle von Videos zum
Sprachenlernen anhand einer allgemeinen Literaturrecherche
 Verortung des Phänomens YouTube-Stars im Speziellen aus kultur-, sprach- und
literaturwissenschaftlicher Perspektive und Einbettung in einen fach- und
mediendidaktischen Kontext (unter Berücksichtigung von GERS und
Rahmenlehrplan der Sekundarstufe)
 Identifizierung unterschiedlicher Videoformate und ihre Einbettung in einen
klassisch-traditionellen (literaturwissenschaftlichen) Gattungsrahmen und
Erstellung einer Typologie für die Videos der Videobloggerinnen und -blogger.
 Erstellung einer Empfehlungsliste für YouTube-Stars für die Sprachen Deutsch,
Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Schwedisch, die sich aus
unterschiedlichen Gründen für den Einsatz im Sprachunterricht eignen und die vor
allem auch die Internationalität des Phänomens YouTube-Stars zeigen soll
 Entwicklung einzelner Unterrichtsbausteine für die unterschiedlichen
Kompetenzniveaus von A1 bis B2, die sich auf rezeptiver und produktiver Ebene
(als sog. Real-Life-Tasks) mit den Videos der YouTube-Stars beschäftigen und
jeweils die fünf Teilkompetenzen laut Gemeinsamem Europäischen
Referenzrahmen für Sprachen (GERS), d.h. Hören, Monologisches und Dialogisches
Sprechen, Schreiben, Lesen, berücksichtigen.

Als verbindendes Element der einzelnen Abschnitte sollen die digitalen Kompetenzen
dienen, die einer besonderen Betrachtung unterzogen werden. Sie sollen neben den im
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen formulierten sprachlichen
Kompetenzen (rezeptiv und produktiv) als zu fokussierende Kompetenzbereiche dienen. Die
Lerner/innen sollen beispielsweise für einen bewussten Umgang mit Medien sensibilisiert
werden, die Relevanz und Korrektheit von Informationen beurteilen können, gleichzeitig
aber auch aktuelle Themen und Trends identifizieren, was eher in den Kontext der
überfachlichen (digitalen) Kompetenzen denn des Erlernens sprachlicher Kompetenzen fällt.
Als über das hier vorgestellte Projekt hinausreichende Forschungsdesiderate lassen sich
dabei bereits die Ausweitung der Analysen auf nationalsprachlicher bzw. dialektaler Ebene
im Sinne der Pflege einer Volkskultur sowie die Ausweitung des Beobachtungsfeldes über die
Sekundarstufe hinaus nennen, zwei Bereiche die das vorgestellte Projekt nicht leisten kann.
Darüber hinaus wäre eine Betrachtung des Themas aus kultursoziologischer Perspektive
spannend, die die konzeptionellen und gestalterischen Besonderheiten einzelner
YouTuber/innen beispielsweise in Hinblick auf Themen- oder Sprachwahl in einen
kulturgeschichtlichen oder -soziologischen Kontext stellen, was im Zuge des vorliegenden
Projekts allenfalls angeschnitten, jedoch nicht ins Detail erhoben werden kann.

93
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Augustin, Elisabeth (2014). Herstellen und Lernen. Der Wert des Selbstgemachten. In: Christina Schachtner
(Hrsg.), Kinder und Dinge. Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLabs (S. 103-128), Bielefeld:
transcript.
Ault, Susanne (2014). Survey: YouTube Stars More Popular Than Mainstream Celebs Among U.S. Teens. In
Variety, August 5, 2014. Online: http://variety.com/2014/digital/news/survey-youtube-stars-more-
popular-than-mainstream-celebs-among-u-s-teens-1201275245/ [7.6.2017]
Bundesministerium für Bildung (2017a). Unterricht und Schule. Online:
https://www.bmb.gv.at/schulen/unterricht/index.html [7.6.2017]
Bundesministerium für Bildung (2017b). Schule 4.0. – jetzt wird’s digital. Online:
https://www.bmb.gv.at/schulen/schule40/index.html [7.6.2017]
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18-Jährigen. Online:
https://www.schule.at/fileadmin/DAM/Innovation/Forschung/Dateien/JugendMedienStudie_ZusFass
ung_2017.pdf [7.6.2017}
Gauntlett, David (2011). Making is connecting. The Social Meaning of creativity, from DIY and knitting to
YouTube and Web 2.0, Cambridge: Polity Press.
Jost, Jörg (2003). Inszenierte Texte. Überlegungen zum Verhältnis von Medialität und Verstehen. In TRANS.
Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15/03. Online:
http://www.inst.at/trans/15Nr/06_2/jost15.htm [7.6.2017]
Knaller, Susanne, & Müller, Harro (2006). Einleitung. In dies (Hrsg.), Authentizität. Diskussion eines ästhetischen
Begriffs (S. 7-16), München: Fink.
Koch, Peter, & Oesterreicher, Wulf (1985). Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und
Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. Romanistisches Jahrbuch
36, S. 15-43.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2016). JIM 2016. Jugend, Information, (Multi-)
Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Online:
https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2016/JIM_Studie_2016.pdf [7.6.2017].
Ollivier, Christian (2012). Real-life Tasks im sozialen Web. In Jürgen Wagner & Verena Heckmann (Hrsg.), Web
2.0 im Fremdsprachenunterricht. Ein Praxisbuch für Lehrende in Schule und Hochschule (S. 206-213),
Glückstadt: Hülsbusch.
Rummler, Klaus, & Wolf, Karsten D. (2012). Lernen mit geteilten Videos: aktuelle Ergebnisse zur Nutzung,
Produktion und Publikation von Onlinevideos durch Jugendliche. In Wolfgang Sützl, Felix Stalder,
Ronald Maier & Theo Hug (Hrsg.), MEDIA, KNOWLEDGE AND EDUCATION: Cultures and Ethics of
Sharing. MEDIEN – WISSEN – BILDUNG: Kulturen und Ethiken des Teilens (S. 253-266), Innsbruck:
Innsbruck University Press.
Wampfler, Philippe (2017). Digitaler Deutschunterricht. Neue Medien produktiv einsetzen, Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht.

94
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Vermittlung von Sprachfertigkeiten und


digitalen Kompetenzen in der tertiären
Englischlehre: Extramural Englisch als
Ressource
Marlene Miglbauer
PH Burgenland

1. Einleitung
Aufgrund der Entwicklung im Bereich der Kommunikationstechnologie im letzten
Jahrzehnthaben Englischlernende heutzutage zunehmend Zugang zu Medien in englischer
Sprache und somit die Möglichkeit, außerhalb des Englischunterrichtes die Sprache
anzuwenden. In der Forschung gibt es je nach Fokussierung unterschiedliche Termini (für
einen Überblick siehe Benson 2011). Für die vorliegende Studie wurden die zwei Termini
Extramural English (Sundqvist 2009) und Online Informal Learning of English (Sockett 2014)
herangezogen, da der Fokus auf den Ort (außerhalb des Unterrichts) und auf Onlinenutzung
des Englischen liegt. Durch die Verwendung von internetfähigen Endgeräten erwerben
Englischlernende zusätzlich auch digitale Kompetenzen. Das Wissen darüber, in welchem
Ausmaß Studierende Englisch in ihrer Freizeit verwenden und welche digitalen Kompetenzen
sie dabei erwerben, ist essentiell, um gezielt auf die Stärken und Schwächen der
Englischlernenden einzugehen, ist jedoch aber oft nicht gegeben (Benson 2011). Daher
untersuchte diese Studie, wie sich tertiärer Englischunterricht die außeruniversitären
Englischaktivitäten der Studierenden nutzbar machen kann, um Sprachfertigkeiten
gemeinsam mit digitalen Kompetenzen zu vermitteln. Der Fokus liegt jedoch nicht auf der
didaktischen Einbettung digitaler Tools in die Englischlehre, sondern darauf, wie Studierende
(semi-)autonom ihr Extramural English ausbauen und dabei Sprachfertigkeiten und digitale
Kompetenzen perfektionieren können.
Informationen zu der Verwendung von Extramural English, insbesondere zur Verwendung
von sozialen Medien und Englisch sowie Erfahrung in der Verwendung von sozialen Medien
und digitalen Werkzeugen für das Erlernen der Sprache wurden mittels eines Fragebogens
mit 37 geschlossenen und 4 offenen Fragen eruiert. Die Studie bezieht sich auf 333
Fragebögen, die von Erstsemestrigen an einer Universität und einer Fachhochschule in
Ostösterreich zwischen 2012 und 2016 ausgefüllt wurden. Die Studierenden sind zwischen
18 und 25 Jahre alt, 64% sind Frauen und 36% sind Männer. Sie studieren Studien
(Betriebswirtschaftslehre, Produktmarketing, Sport, Germanistik, Theaterwissenschaften
oder Fremdsprachen), in denen Englisch entweder ein verpflichtender Teil des Curriculums
95
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

ist oder als Wahlfach gewählt werden kann. Die Ergebnisse wurden statistisch mit dem
Programm SPSS ausgewertet, von denen nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse dargestellt
werden, gefolgt von einer kurzen Diskussion des auf diesen Ergebnissen aufbauenden und
ausgearbeiteten Modells.

2. Extramural Englisch und OILE bei Studierenden


Die Auswertung der Fragebögen bringt drei Aspekte zutage: 1) die Wichtigkeit
internetfähiger Endgeräte für die Englischkommunikation; 2) die Dominanz rezeptiver
Sprachfertigkeiten in der Englischkommunikation; und 3) eine eingeschränkte Kompetenz in
Bezug auf digitaler Kompetenzen. Die Verwendung von Internet und Apps ist inzwischen
Normalität und auch Englisch spielt eine Rolle im Leben der Studierenden: fast 80% geben
an, dass Englisch ihnen sehr wichtig oder wichtig ist. 82% der Befragten verwenden Englisch
online. Bei 60% derjenigen, die mit Englisch in Verbindung kommen, findet bis zu ¼ ihrer
Kommunikation auf Englisch statt. Eine genauere Betrachtung der angewandten
Sprachfertigkeiten weist auf eine Fokussierung auf rezeptive Sprachfertigkeiten hin (siehe
Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).

Average of skills use (in %)


0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

listening
reading
writing
speaking

Abbildung 3: Durchschnittswert der erhobenen Tätigkeiten in Sprachfertigkeiten gruppiert

Am wenigsten häufig wird somit auf Englisch geschrieben und gesprochen. Dies deutet
ebenfalls auf ein eher passives Verhalten in der Fremdsprache, welches im Gegensatz zu den
Möglichkeiten der Partizipation im Web steht (Zourou 2012). Ein genauerer Blick auf die
Ergebnisse in Bezug auf Onlinekommunikation (Abbildung 2) zeigt, dass die Studierenden
primär Englisch online verwenden, um Informationen zu suchen und Nachrichten zu lesen.

96
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

I use English online at least once a week for (%)…


0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
searching for info
reading news
written chat communication
ordering products
oral chat communication
playing games on internet
writing on discussion fora
other

Abbildung 4: Englisch bei Onlinetätigkeiten

Zur Festlegung von für die Englischlehre relevanten digitalen Kompetenzen wurde das
digcomp 2.0 Modell (Vuorikari et al. 2016) herangezogen. Die Analyse zeigt, dass die von den
Studierenden angewandten Kompetenzen die Zusammenarbeit und Interaktion sowie das
Finden und Evaluieren von Inhalt betreffen, während die Erstellung und Wiederverwendung
von Inhalt nur in geringem Maße getätigt wird.9 Werden die Ergebnisse umgelegt auf die
Schnittstelle von Sprachfertigkeiten und digitalen Kompetenzen zeigt sich großes
Lernpotential bei der Erstellung, Wiederverwendung und Darstellung von Inhalt sowie beim
Sprechen. Dies ist insofern von Bedeutung, da, wie Cinque und Brown (2015) in ihrer Studie
herausgefunden haben:
All or even most students are [not] passionate about the use of new media in
educational and other settings, they are often unaware of many technological
developments, uninterested in their use, and/or highly judgemental (in a
negative sense) of those who do use them. (S. 5)
Das Aufzeigen von technischen Möglichkeiten und die Vermittlung der Sinnhaftigkeit zur
Verwendung von Onlineaktivitäten und –tools zum Englischlernen sollte somit von
Lehrenden nicht ignoriert, sondern aktiv in die Lehre implementiert werden.

3. Vermittlung digitaler Kompetenzen und Sprachfertigkeiten


mittels eines Modells
Basierend auf diesen Ergebnissen wurde ein Modell, das gleichsam Sprachfertigkeiten und
digitale Kompetenzen fördert, entwickelt. Dabei wurden die fünf Sprachfertigkeiten (Council
of Europe 2009) mit fünf für den Sprachgebrauch relevanten, digitalen Kompetenzen
zusammengeführt und daraus Vorschläge für die Einbindung von Sprachfertigkeiten gepaart
mit digitalen Kompetenzen in die tertiäre Englischlehre entwickelt.

9
Detaillierte Ergebnisse sind bei Miglbauer (2017) zu finden.
97
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Aufgrund der rapiden technischen Entwicklungen mitsamt dem Auftauchen und


Verschwinden von Apps und Tools beinhaltet das Modell weder Markennamen noch Tools,
sondern fokussiert auf die Endprodukte, mit denen gearbeitet wird oder die erstellt werden.
Eine detaillierte Besprechung der einzelnen Aspekte würde den Rahmen dieses Kurzartikels
sprengen, daher wird das Modell anhand des Beispiels Video (Videoclips) erklärt. Videoclips
eignen sich hervorragend zur Erstellung eigenen Inhalts, auch, weil das Aufnehmen mit
jedem Smartphone mittlerweile unkompliziert vor sich geht.

Abbildung 5: Verschränkung von sprachlichen und digitalen Fertigkeiten

Im (von den Studierenden eher vernachlässigten) Bereich Erstellung und Teilen von Inhalt
kann dialogbasiertes Sprechen bei der Aufnahme von (und Teilnahme bei) Diskussionen und
Kurzfilmen geübt werden. Zielorientierte, kommunikative Zusammenarbeit wird ebenso
gefördert bei z.Bsp. Interviews mit PassantInnen und in real-life Situationen. Beim
monologen Sprechen kann auf die verschiedenen Register eingegangen werden: informell
beim Reden über diverse eigene Themen (in Form von ‘You Tube – Stars’ Videoclips) und
formell, wenn in der Rolle als z.Bsp. ProfessorIn, CEO oder SportkommentatorIn etwas
erklärt bzw. dessen Rolle gespielt wird. Das Hören wird während der Interaktionen und des
Editieren der Videoclips (listening for detail) verstärkt geübt, während das Schreiben bei der
Erstellung des Drehbuches oder Untertitel sowie beim Verfassen von Kommentaren zu
veröffentlichten Videoclips im Vordergrund steht. Letzteres wiederrum fördert auch die
Lesekompetenz. In Bezug auf das Teilen der Inhalte, bietet sich das Zurverfügungstellen der
Videoclips auf Videoplattformen an bzw. um das Schreiben mehr zu fördern, auch
Onlinetexte (auf Blogs) und Infographiken. Mit Videoclips kann aber auch gearbeitet werden,
um die Kompetenzen Suchen und Evaluieren und Wiederverwenden zu erwerben. Um
geeignete Videoclips zu finden ist Hören essentiell, die Evaluierung kann mit Hilfe
monologen Sprechens z.Bsp. im eigenen Videoclip erfolgen. Dabei wird der gefundene
98
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Videoclip wiederverwendet, indem im eigenen Videoclip verbal darauf hingewiesen wird


oder visuell Teile davon verwendet werden, wobei wiederum Kenntnisse über Copyright
notwendig sind.

4. Fazit
Diese Studie zeigt, wie Extramural English als Ressource herangezogen werden kann, um
einerseits die Lebenswelten der Studierenden mit jener der Englisch-Lern-Welt im
Seminarraum zu verbinden und andererseits Informationen darüber zu erhalten, welche
Sprachfertigkeiten und digitalen Kompetenzen bei Studierenden aktiv gefördert werden
können bzw. sollten. Zusätzlich wird den Studierenden die Möglichkeit gegeben, die eigenen
Kompetenzen zu vertiefen und dabei Englisch anzuwenden und zu lernen. Das Modell dient
als Vorlage und kann für diverse tertiäre Englischlehrveranstaltungen (English for Academic
Purposes, English for Specific Purposes, Sprachbeherrschung aber auch fachwissenschaftliche
Kurse) erweitert und adaptiert werden. Wichtig dabei ist, dass die Aktivitäten zwar im
Unterricht angeleiert, aber außerhalb des Unterrichts durchgeführt werden. Dies führt
ebenfalls zur Förderung des autonomen Lernens und Tuns, welches ein Ziel von
Sprachlehrenden und Sprachlernenden sein soll.

Bibliographie

Benson, P. (2011). Language learning and teaching beyond the classroom: An introduction to the field. In P.
Benson & H. Reinders (Eds.), Beyond the language classroom (pp. 7–16). Basingstoke: Palgrave.

Cinque, T., & Brown, A. (2015). Educating generation next: screen media use, digital competencies and tertiary
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Council of Europe (Ed.). (2009). Common European Framework of Reference for Languages: learning, teaching,
assessment (10. printing). Cambridge: Cambridge Univ. Press [u.a.].

Miglbauer, M. (2017). Students‘ Extramural English as a Resource for Fostering Language Skills and Digital
Competencies in Tertiary Language Education (Masterthesis). Donau-Universität, Krems.

Sockett, G. (2014). The online informal learning of English. Springer.

Sundqvist, P. (2009). Extramural English matters: Out-of-school English and its impact on Swedish ninth graders’
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Vuorikari, R., Punie, Y., Carretero, S., Brande, L. V. den, European Commission, & Joint Research Centre. (2016).
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Zourou, K. (2012). On the attractiveness of social media for language learning: a look at the state of the art.
Alsic. Apprentissage Des Langues et Systèmes d’Information et de Communication, 15(1). Retrieved
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99
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

FAME –
Förderung von Autonomie und Motivation
durch den Einsatz von E-Tandems im
schulischen Fremdsprachenunterricht
Julia Renner, Yasmin El-Hariri, Marie-Luise Volgger, Ilona Elisabeth Fink,
Eva Vetter
Universität Wien

1. Einleitung
Nach wie vor lernen über zwei Drittel der EuropäerInnen Sprachen in einem formalen, also
institutionell geregelten Rahmen (European Commission 2012). Nicht-formale Lernformen,
wie z.B. das Lernen im Sprachentandem oder die Teilnahme an Sprachencafés, sind weitaus
weniger verbreitet, besitzen jedoch großes Potenzial. Sprachenlernen im Tandem ist ein auf
der Idee des autonomen Lernens beruhendes Konzept, welches entsprechend der
Erwartungen und Interessen der Lernenden gestaltet werden kann, und daher als
motivierender angesehen wird, als (extern) gesteuerte und kontrollierte Lernsituationen
(siehe z.B. Brammerts 2001, Little 1996, Little 2001). Das Projekt FAME setzte sich zum Ziel,
durch den Einsatz von E-Tandems im schulischen Fremdsprachenunterricht die Autonomie
und Motivation der Lernenden zu fördern. SchülerInnen je einer Französisch- und
Spanischklasse der VBS Hamerlingplatz (Wien/Österreich) bildeten dabei E-Tandem-
Partnerschaften mit Deutsch lernenden Jugendlichen des Lycée Saint François Xavier
(Vannes/Frankreich) bzw. der Universidad EAN (Bogotá/Kolumbien). Der Kontakt erfolgte
über unterschiedliche Kommunikationskanäle, wie z.B. Video-Chat, Text-Chat, Instant
Messenger Programme. Die E-Tandems wurden während der gesamten Projektlaufzeit
(Oktober 2014 - Oktober 2016) in den Fremdsprachenunterricht integriert und
wissenschaftlich begleitet.

2. Forschungsfragen
Im Projekt FAME stellten wir uns die Frage, wie E-Tandems in den schulischen
Fremdsprachenunterricht integriert werden können, um die Autonomie und Motivation der
SchülerInnen zu fördern. Dabei standen drei Aspekte im Zentrum des Interesses: 1.
Aufgabenentwicklung für E-Tandems, 2. die Perspektive der Lernenden hinsichtlich des
Lernprozesses im E-Tandem, 3. Sprachenbewusstheit. Darauf basierend wurden folgende
drei Forschungsfragen formuliert:
100
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Forschungsfrage 1

Wie können E-Tandem-Aufgaben gestaltet werden, um die Autonomie und


Motivation der teilnehmenden SchülerInnen zu fördern?

Forschungsfrage 2

Wie wird der Lernprozess im E-Tandem von den teilnehmenden SchülerInnen


wahrgenommen?

Forschungsfrage 3

Wie nehmen SchülerInnen ihre eigene/n Sprache/n bzw. die Sprache/n der
PartnerInnen wahr?

3. Die Studie
Methodisch war das Projekt FAME qualitativ angelegt. Hinsichtlich der Aufgabenentwicklung
wurden Workshops durchgeführt, im Rahmen derer die teilnehmenden SchülerInnen mit
Unterstützung des wissenschaftlichen Projektteams ihre eigenen Aufgaben erstellten und im
Anschluss im E-Tandem erprobten. Die E-Tandemgespräche wurden dabei fallweise von den
SchülerInnen dokumentiert und anschließend für gesprächsanalytische Untersuchungen zur
Verfügung gestellt.
Um der Perspektive der Lernenden hinsichtlich des Lernprozesses im E-Tandem im
Allgemeinen und hinsichtlich ihrer Sprachenbewusstheit im Besonderen auf den Grund zu
gehen, wurden vier Gruppendiskussionen geführt, die hinsichtlich oben genannter
Fragestellungen analysiert wurden. Die involvierten SchülerInnen waren dabei während der
gesamten Projektlaufzeit ForschungspartnerInnen.

4. Ergebnisse
Auf Grundlage einer Studie zum Thema Task-Entwicklung für E-Tandems (El-Hariri 2016) und
bestehender Literatur zum Thema Aufgabenentwicklung wurde zunächst ein
Kriterienkatalog für E-Tandem-Aufgaben entwickelt. Als für die Motivation besonders
ausschlaggebend wurde dabei das Kriterium der „individuellen Passung“ identifiziert. Dies
bedeutet, dass sich die Aufgaben thematisch an den persönlichen Interessen der
teilnehmenden SchülerInnen orientieren sollten. Um die Motivation der SchülerInnen zu
fördern und gleichzeitig der Lernendenautonomie Rechnung zu tragen, entwickelten die
SchülerInnen auf Basis des Kriterienkatalogs eigene E-Tandem-Aufgaben. Diese wurden im
Anschluss im E-Tandem erprobt. Einige der Videochat-Gespräche wurden von den
SchülerInnen aufgezeichnet und einer konversationsanalytischen Auswertung unterzogen.
Die Ergebnisse (Kronsteiner & Vetter 2016) zeigten, dass elementare Paarsequenzen, wie
101
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

z.B. Gruß – Gegengruß stets problemlos funktionierten, Metakommunikation, wie z.B. die
Einbettung von Aufgaben in das Gespräch oder die Aushandlung der Sprache/n hingegen
störungsanfällig war.
Die Gruppendiskussionen zum Thema „Sprachenlernen im E-Tandem“ ließen darauf
schließen, dass die teilnehmenden SchülerInnen dem direkten Kontakt im E-Tandem, wie er
z.B. über Videochat hergestellt wird, mit Vorbehalten gegenüberstehen. Die Problematik der
Stille wurde in Bezug auf die Medialität des Mündlichen an mehreren Stellen der
Gruppendiskussion thematisiert: »Ja (und ich muss sagen), schriftlich is eigentlich VIEL
leichter, weil auch wenn er dir etwas schreibt (und du) verstehst es nicht sofort, kannst du es
nachschauen und kannst ja auch/hast Zeit, zu überlegen, wie kannst dann/ schreibst du das
jetzt, wie formulierst du das jetzt richtig« (SM3 in GD_2; 111 – 11 4) (Kronsteiner & Vetter
2016). Hier wurde auch der Zeitfaktor thematisiert. Sprachenlernende benötigen mehr Zeit
zum Verstehen und Produzieren von Sprache, was die Schriftlichkeit eher gewährleistet als
die synchrone mündliche Kommunikation. Die SchülerInnen weiteten ab dem zweiten
Projektjahr die verwendeten Kommunikationskanäle eigeninitiativ aus und nutzten
Programme / Plattformen wie z.B. WhatsApp, Snapchat und Facebook. Gleichzeitig äußerten
sie explizit den Wunsch nach stärkerer Integration der E-Tandem-Aktivitäten in den
Unterricht.
Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen zum Thema „Sprachenbewusstheit &
Plurizentrik in E-Tandems“ zeigten, dass sich die beteiligten SchülerInnen zwar für nicht-
dominante Varietäten des Französischen und vor allem des Spanischen interessierten, und
die Spanisch-SchülerInnen nichts dagegen hatten, durch das E-Tandem mit kolumbianischem
Spanisch in Kontakt zu kommen (Fink 2016). Jedoch erwähnten SchülerInnen in den
Gruppendiskussionen mehrfach, dass sie lieber die dominante Varietät lernen würden –
zumindest, bis sie in dieser sattelfest sind. Sowohl kolumbianisches Spanisch als auch
österreichisches Deutsch werden zwar einerseits als »nicht falsch« bewertet, das in Spanien
gesprochene Spanisch und das deutschländische Deutsch scheint für viele SchülerInnen
jedoch der normgebende Standard zu sein. Verwendeten ihre E-TandempartnerInnen
deutschländische Varianten, wurden sie darauf hingewiesen, dass in Österreich andere
Varianten üblich sind; einige SchülerInnen besserten ihre TandempartnerInnen auch aus. Ein
sich daraus ableitendes Desiderat wäre laut Fink (2016) eine bewusste Behandlung der
verschiedenen Varietäten im Fremdsprachenunterricht, um die SchülerInnen für sprachliche
Unterschiede zu sensibilisieren, und sie auf die tatsächliche sprachliche Situation in den
jeweiligen Ländern vorzubereiten.

102
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

5. Fazit
Im Projekt FAME wurde das Ziel verfolgt, durch den Einsatz von E-Tandems die Autonomie
und Motivation der Lernenden zu fördern. Die Erfahrungen aus dem Projekt zeigten, dass
sich die zunächst widersprüchlich anmutenden Entwicklungsschritte der SchülerInnen –
selbständige Weiterentwicklung der Tandems auf der einen sowie stärkere institutionelle
Einbettung auf der anderen Seite – auf einem Kontinuum zwischen der Autonomie im E-
Tandem-Projekt und dem stärker formalisiertem Unterrichtsalltag bewegten. Mit der
gezielten Aufgabenentwicklung in Kooperation mit den SchlülerInnen konnten beide Aspekte
berücksichtigt werden. Einerseits wurden mit der Task-Entwicklung durch die SchülerInnen
selbst die Lernendenautonomie gefördert, andererseits wurde mit der Gestaltung von Task-
Outputs Anknüpfungspunkte für den Unterricht geschaffen.

Literaturangaben

Brammerts, Helmut. (2001). Autonomes Sprachenlernen im Tandem: Entwicklung eines Konzepts. In Helmut
Brammerts & Karin Kleppin (Hrsg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch(S. 9-
16). Tübingen: Stauffenburg Verlag.
El-Hariri, Yasmin. (2016). Learner perspectives on task design for oral-visual eTandem Language Learning.
Innovation in Language Learning and Teaching, 10(1), S. 49-72.
Kronsteiner, Janine / Vetter, Eva (2016). »is peindre `DRAWing?« - eine Konversationsanalyse aufgenommener
Tandemgespräche. In Julia Renner, Ilona Elisabeth Fink & Marie-Luise Volgger (Hrsg), E-Tandems im
schulischen Fremdsprachenunterricht (S. 79-104). Wien: Löcker Verlag.
European Commission (2012). Special Eurobarometer 368: Europeans and their languages.
http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/archives/ebs/ebs_386_en.pdf
Fink, Ilona Elisabeth (2016): Plurizentrik im E-Tandem. In Julia Renner, Ilona Elisabeth Fink & Marie-Luise
Volgger (Hrsg), E-Tandems im schulischen Fremdsprachenunterricht (S. 105-127). Wien: Löcker Verlag.
Little, David (1996): Learner Autonomy and learner counselling. In: David Little & Helmut Brammerts (Hrsg.), A
guide to language learning in tandem via the Internet. CLCS Occasional Paper No. 46 (S. 23-34.).
Dublin: Trinity College.
Little, David (2001): Sprachenlernen im Tandem und Lernerautonomie. In Helmut Brammerts & Karin Kleppin
(Hrsg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch (S. 17-23). Tübingen: Stauffenburg
Verlag.

103
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

L3-TaSk – L3-Lernen in Online-Tandems


Eva Vetter*, Javier Bru-Peral*, Yan Li*, Yasmin El-Hariri*, Rebecca
Hübler°, Susanne Lesk°, Martin Stegu°
Universität Wien*, Wirtschaftsuniversität Wien°

1. Ausgangslage
L3-TaSk (2013-2016) ist ein EU-gefördertes Drittmittelprojekt. Die sechs Partner (Universität Wien,
Universidad de Alicante, Universidad de Barcelona, Friedrich-Schiller-Universität Jena,
Wirtschaftsuniversität Wien, Universidad Nacional de Educación a Distancia) wurden von der
Universität Wien (Arbeitsbereich Sprachlehr- und -lernforschung) koordiniert. Das Projekt
knüpft an gegenwärtige sprachenpolitische Forderungen der Europäischen Union
(„Muttersprache + 2“; Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005, 2008) an und
zielt auf die Förderung von Drittsprachen durch Online-Tandems ab.
Während Englisch seine Position als erste unterrichtete Fremdsprache und darüber
hinausgehend als lingua franca und Bildungssprache gefestigt hat, sind die Europäer_innen
bezüglich der Drittsprachen weit von der Erreichung der EU-Ziele entfernt (European
Commission 2012b). Das Projekt L3-TaSk strebt folglich die Förderung dieser Drittsprachen
(L3) durch Online-Tandems an.
In Anlehnung an die Drittspracherwerbsforschung werden unter L3 alle Sprachen außer
Erstsprache/n und Englisch (in nicht-englischsprachigen Ländern) verstanden. In der
chronologischen Sichtweise auf individuelle Sprachenbiographien kann es sich also auch um
eine vierte, fünfte und weitere Sprache handeln. Im Fokus des Projekts L3-TaSk standen drei
Sprachen, die im europäischen Raum häufig als Drittsprachen gelernt werden: Deutsch,
Spanisch und Chinesisch (Eurydice Network 2012, European Commission 2012 a,b).

2. Forschungsfragen
Die übergeordneten Forschungsfragen orientieren sich an den EU-Zielen zu Sprachenvielfalt
und Lebenslangem Lernen.
Forschungsfrage 1
Inwiefern leisten Online-Tandems einen Beitrag zur Qualität, Attraktivität und
Zugänglichkeit zu den Möglichkeiten Lebenslangen Lernens in den Mitgliedsstaaten?
Forschungsfrage 2
Inwiefern fördern Online-Tandems Sprachenlernen und Sprachenvielfalt?

104
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

3. Die Studie
Im Rahmen des Projekts sind mehrere Studien entstanden (z. B. El Hariri 2016, Lesk & Stegu
2017, Vetter 2017). Sie gliedern sich in das Gesamtdesign (Planung – Implementierung –
Disseminierung) und bilden die verschiedenen Projektphasen ab. Eine gute Zusammenschau
der Ergebnisse findet sich im Sammelband „Handbook for online Tandem learning“ (Funk et
al. 2017).
Das erste Projektjahr war der pädagogischen Planung und Organisation der Online-Tandems
gewidmet. Zur didaktischen Konzeptualisierung und Aufgabenentwicklung wurden
Reziprozität, Autonomie und Mehrsprachigkeit als Grundprinzipien von Tandems
identifiziert. Unterschiedliche Tandemtypen wurden auf Basis des Formalitätsgrads
kategorisiert und mit jeweils spezifischen Lernaufgaben in Beziehung gesetzt. Empirische
Grundlage der Planung stellte die qualitative schriftliche und mündliche Befragung von
Tandemteilnehmer_innen dar.
Die Implementierung der Online-Tandems im zweiten (und dritten) Projektjahr zeigte, dass
der Formalitätsgrad gemessen an der mehr oder weniger manifesten Integration der
Tandems in den Sprachunterricht nur eine unzulängliche Typologie ergab. Zur
Unterscheidung zwischen formalen und weniger formalen bzw. non-formalen Tandems
mussten weitere Kriterien hinzugefügt werden, da die Möglichkeiten digitaler Medien in den
Tandems sehr unterschiedlich genutzt und vereinbart wurden. Visuelle, mündliche und
schriftliche Kommunikationsmodi wurden in den Tandems häufig kombiniert und so stellt
sich Multimodalität als weiteres Merkmal zur Beschreibung von Online-Tandemgesprächen
dar. Deutlich wurde ebenfalls, dass die unterrichtsunabhängigen Online-Tandems
problematisch sind, da die Prozessbegleitung schwer zu organisieren ist oder überhaupt
fehlt. Die Phase der Implementierung legte auch die Anzahl und Häufigkeit der Aufnahmen
fest, zu denen sich die Tandemteilnehmer_innen im Projekt verpflichteten. Auch die
Evaluierung der Tandempartnerschaften durch verschiedene Formen von Befragungen und
die Kontextanalyse zu den Sprachbedürfnissen von Unternehmen fielen in diese Phase.
Das dritte Projektjahr war der partiellen Transkription und Auswertung der
Tandemgespräche sowie der Befragungen gewidmet.

4. Ergebnisse
Im Laufe der drei Projektjahre wurden über 400 Tandempartnerschaften für die Sprachen
Spanisch und Deutsch und 100 Partnerschaften für Chinesisch und Spanisch oder Deutsch
initiiert und laufend wissenschaftlich begleitet. Die quantitative Perspektive auf das
Drittsprachenlernen wird durch qualitative Ergebnisse der Tandemevaluation gestärkt:
“Lo que me movió a participar es que se trata de una actividad que me permite practicar
el idioma con una persona nativa, por lo que puedo mejorar, escuchar la pronunciación,
hacerle preguntas a mi compañero sobre vocabulario, gramática y pronunciación. De esta
forma aprendo la lengua y la practico con un hablante nativo, lo que me demuestra que

105
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

mi conocimiento de la lengua es amplio, ya que observo que soy capaz de comunicarme


en esa lengua de forma que mi compañero es capaz de entenderme. Además, me sirve
para relacionarme con otras personas de otras partes del mundo y aprender nuevas
culturas.” (T006, Case 270)10

“想提高自己的口语水平,深入接近德国文化,学到比课外更多的东西” (T006, Case


326)11
Die Ergebnisse können im Rahmen dieses Beitrags nur ausschnittsweise angerissen werden.
In verschiedenen Teilstudien erweist sich die menschliche Komponente als entscheidender
Faktor für das Gelingen einer Tandempartnerschaft (Verhältnis der Partner_innen
zueinander, zeitliche Organisation, Investition von Zeit und Aufwand). Online-Tandems
stellen sich erwartungsgemäß eher als zusätzlicher denn als alleiniger Weg zu einer Sprache
dar. Den Erwartungen der Wirtschaft an die Sprachkenntnisse von Mitarbeiter_innen
(Vorrang mündlicher Kompetenzen in zumindest zwei Sprachen, Handlungsfähigkeit bei
Telefongesprächen und Sitzungen wie in informellen Kontexten) kommen Online-Tandems
deutlich entgegen (Lesk & Stegu 2017). Aus didaktischer Perspektive ist das vielfach
geäußerte Gebot der Einsprachigkeit in Tandems als kontraproduktiv zu interpretieren. Um
stereotype kulturelle Zuschreibungen zu vermeiden, empfiehlt sich das Verfolgen eines
dynamischen trans- und interkulturellen Ansatzes (Vetter 2017).

Literaturangaben

European Commission (2012a). First European Survey on Language Competences: Final Report.
[http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/repository/languages/policy/strategic-
framework/documents/language-survey-final-report_en.pdf]
European Commission (2012b). Special Eurobarometer 386. Europeans and their languages: Report.
[http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/archives/ebs/ebs_386_en.pdf]
Eurydice Network (2012). Key data on teaching languages at school in Europe.
Funk, Hermann, Gerlach, Manja & Spaniel-Weise, Dorothea (2017) (Hrsg.): Handbook for foreign language
learning in Online Tandems and educational settings. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag.
El-Hariri, Yasmin (2016): Learner perspectives on task design for oral-visual eTandem Language Learning.
Innovation in Language Learning and Teaching, 10(1), S. 49-72.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005). Mitteilungen der Kommission. Einen europäischen Raum
des lebenslangen Lernensschaffen. Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2008). Mitteilung der Kommission an das Europäische
Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der
Regionen. Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung. KOM(2008)
566. [http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0566:FIN:de:PDF]

10 Übersetzung: „Was mich motiviert hat teilzunehmen ist, dass es sich um eine Aktivität handelt, die es mir ermöglicht, eine Sprache mit
einer muttersprachlichen Person zu üben, weil ich mich verbessern, die Aussprache hören und meiner Partnerin Fragen über das
Vokabular, die Grammatik und die Aussprache stellen kann. Auf diese Weise lerne ich eine Sprache und verwende sie mit einer
Muttersprachlerin, was mir zeigt, dass ich über breite Sprachkenntnisse verfüge, da ich beobachte, dass ich dazu fähig bin, mich in dieser
Sprache zu verständigen und dass meine Partnerin mich verstehen kann. Außerdem ist es nützlich, Kontakte mit anderen Personen aus
anderen Teilen der Welt zu knüpfen und neue Kulturen kennenzulernen.“
11 Übersetzung: „Ich möchte die eigene mündliche Sprachkompetenz verbessern, intensiv der deutschen Kultur näherkommen, mehr

außerschulische Sachen lernen“


106
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lesk, Susanne & Stegu, Martin (2017). Identifying Language Needs at the Workplace: Aligning the Needs of
Language Learners with the Language Needs of Companies. In Funk et al. (Hrsg.), Handbook for foreign
language learning in Online Tandems and educational settings. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag,
81-97.
Vetter, Eva (2017). Who Speaks What Language to Whom and How? . In Funk et al. (Hrsg.), Handbook for
foreign language learning in Online Tandems and educational settings. Frankfurt am Main: Peter Lang
Verlag, 111-122.

107
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die Entwicklung illustrativer mündlicher


und schriftlicher Performanzen für die
SR(D)P Englisch
Kathrin Eberharter, Matthias Zehentner und Carol Spöttl
Universität Innsbruck

1. Ausgangspunkt
Die Validität jeder Prüfung stützt sich auf die Reliabilität der Bewertungsprozesse. Die
BewerterInnen nehmen daher bei Sprachprüfungen der produktiven Fertigkeiten (Schreiben,
Sprechen) eine zentrale Rolle ein. Es liegt in ihrer Hand, die Performanzen von LernerInnen
auf Basis von Kriterien zu evaluieren und anschließend in Testergebnisse zu transformieren
(McNamara, 1996). Allerdings ist der Bewertungsprozess hochgradig komplex (Lumley, 2002;
VanMoere, 2014), durch zahlreiche Faktoren anfällig für Störungen (Barkaoui, 2010; Winke &
Gass, 2012) und auch in zentralisierten Sprachtests mit hohem Aufwand verbunden (Lim,
2011).
Aus diesen Gründen erscheint es essentiell, sich auch dann um eine Standardisierung der
BewerterInnen zu bemühen, wenn die Korrektur, so wie derzeit bei der Österreichischen
Reifeprüfung, dezentralisiert abgewickelt wird. Illustrative Performanzen, auch Benchmarks
genannt, können hier einen adäquaten Beitrag zur Bewertung von produktiven Fertigkeiten
leisten. So konnte beispielweise Davis (2012) nachweisen, dass treffsichere BewerterInnen
häufiger auf illustrative Performanzen während eines Korrekturzyklus zurückgreifen als
weniger präzise BewerterInnen. Umgelegt auf den österreichischen Kontext bedeutet dies,
dass es wichtig wäre, Lehrpersonen in der nahen Zukunft mit mehr standardisierten
Performanzen zu unterstützen und die Verwendung von Benchmarks für eine adäquate
Standardisierung zu forcieren.
Im Folgenden werden nun mehrerer Projekte der Universität Innsbruck (gemeinsam mit
Bundesministerium, BIFIE, Pädagogischen Hochschule Tirol und CEBS) zusammenfassend
dargestellt, welche das Erstellen und Veröffentlichen von illustrativen schriftlichen und
mündlichen Performanzen (Benchmarks) in der Zielsprache Englisch an Allgemeinbildenden
und Berufsbildenden Höheren Schulen zum Ziel hatten.

2. TeilnehmerInnen
An den Benchmarking Workshops nahmen TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen
Bundesländern, Schultypen (AHS, BHS) und Regionen (urbaner Raum, ländlicher Raum) teil.

108
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die TeilnehmerInnen waren entweder unmittelbar in die Erstellung der B2


Bewertungsraster, die im Laufe der Reifeprüfungsreform entwickelt wurden, eingebunden,
oder haben mindestens ein mehrtägiges Trainingsseminar für den adäquaten Umgang mit
den GERS-basierten analytischen Bewertungsrastern absolviert. Die Performanzen aus den
BHS wurden sowohl für die Fertigkeit Schreiben als auch für die Fertigkeit Sprechen von
einer MultiplikatorInnengruppe (N=17), koordiniert durch das CEBS (Center für
berufsbezogene Sprachen), bewertet. Die Performanzen der Fertigkeit Sprechen aus den
AHS wurden von einer Gruppe ausgebildeter InteressensvertreterInnen (Lehrpersonen,
VertreterInnen der Pädagogischen Hochschulen und Universitätsangehörige) (N=11)
erarbeitet. Für die Performanzen der Fertigkeit Schreiben konnte auf einen Pool
ausgebildeter ZweitbewerterInnen des Fostering Inter-rater Reliability-Projekts (BMB und PH
Tirol) zurückgegriffen und eine Gruppe sehr erfahrener BewerterInnen (N=15) für diese
Workshops gewonnen werden.

3. Methodologie und Ergebnisse


3.1 Vorbereitung
Alle Benchmarking Treffen wurden auf ähnliche Weise vorbereitet. Zunächst wurde ein
umfassender Pool von Performanzen erstellt, aus dem die Performanzen für das Standard
Setting ausgewählt werden konnten. Dies erfolgte im Fall der Fertigkeit Schreiben des AHS-
Bereichs durch das Kopieren von unkorrigierten Reifeprüfungsperformanzen. Alle weiteren
Performanzen (AHS und BHS Sprechen, BHS Schreiben) wurden durch eigens durchgeführte
Feldtestungen sowie gefilmte Simulationen erhoben. Bei beiden Erhebungsmethoden
wurden Einverständniserklärungen der teilnehmenden SchülerInnen eingeholt. Aus allen zur
Verfügung stehenden Performanzen wurde für jeden Workshop eine Auswahl getroffen.
Anschließend wurden die ausgewählten Performanzen durch Editieren, Schneiden der
Videodaten, Formatieren, Benennen und Schwärzen von Textstellen (z.B. Namen,
Emailadressen beim Blog, etc.) für die Benchmarking Workshops aufbereitet.

3.2 Durchführung
Prinzipiell liefen alle Benchmarking Workshops nach einem ähnlichen Schema ab,
entsprechend den Empfehlungen des vom Europarat veröffentlichten Manual (Europarat,
2009) statt. Zu Beginn des Benchmarkings wurden die TeilnehmerInnen durch diverse
Zuordnungsaufgaben oder offene Aufgaben mit den Deskriptoren aus dem Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmen für Sprachen/GERS (Europarat, 2001) vertraut gemacht.
Dieser erste Schritt ist für jede Art von Arbeitssitzung, bei der Aufgabenstellungen oder
Performanzen mit den Niveaubeschreibungen des GERS in Zusammenhang gebracht werden
müssen, unumgänglich. Anschließend an die Diskussion dieser Warm-up Übung für die GERS
Deskriptoren folgten erste Bewertungsrunden, in denen die TeilnehmerInnen unabhängig
voneinander ihre Bewertung mittels dafür vorbereiteter Bewertungsbögen abgaben. Die

109
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

gesammelten und anonymisierten Ergebnisse wurden per Beamer für alle sichtbar
präsentiert und voneinander abweichende Bewertungen im Plenum diskutiert. Die
TeilnehmerInnen wurden dazu aufgefordert, Argumente oder Begründungen für gewisse
Bewertungen mit der Gruppe zu teilen, ohne dabei ihre Anonymität aufgeben zu müssen.
Nach einer längeren Diskussion von unterschiedlichen Blickpunkten auf eine Performanz
konnten die TeilnehmerInnen in einer zweiten Bewertungsrunde ihre Einstufung
überarbeiten. In einer finalen Zusammenschau wurden sämtliche Bewertungen noch einmal
gesichtet, von den TeilnehmerInnen mithilfe der eigenen Aufzeichnungen auf
Übereinstimmung geprüft und bestätigt.
Es wurde während der Durchführung des Benchmarking Workshops besonderes
Augenmerk darauf gelegt, dass alle TeilnehmerInnen ihre Begründungen und
Beobachtungen in die Diskussion einbringen konnten. Nur so kann bewerkstelligt werden,
dass eine Gruppe von BewerterInnen die Deskriptoren des GERS und der Bewertungsraster
ähnlich anwendet und ein Gruppenkonsens auf Basis von unabhängigen
ExpertInneneinschätzungen, in diesem Fall die TeilnehmerInnen der Workshops mit ihrer
oben erwähnten Erfahrung in der Bewertung und Beurteilung von Maturaperformanzen,
erreicht wird.

3.3 Nachbereitung
Die Nach- und Aufbereitung der Workshops erfolgte sowohl quantitativ als auch qualitativ.
In einem ersten Schritt wurden jene Performanzen ausgewählt, bei denen statistisch eine
eindeutige ExpertInneneinschätzung erkennbar war. Als statistische Kennwerte wurden
dabei eine geringe Spannweite zwischen den einzelnen Bewertungen, nahe
beieinanderliegende Lagewerte wie Durchschnitt, Modalwert und Median und eine geringe
Anzahl beziehungsweise das Fehlen von Ausreißern herangezogen.
In einem nächsten Schritt wurden die Kommentare der ExpertInnen, welche auf den
einzelnen Bewertungsbögen zu den Performanzen vermerkt wurden, gesammelt,
transkribiert und zu verbalen, ausformulierten Begründungstexten (justifications)
kondensiert. Dabei wurden die Begründungstexte auch mit Beispielen aus den jeweiligen
Performanzen zur besseren Illustration der einzelnen Bewertungsentscheidungen ergänzt.
Auf diese Weise sollen die Begründungstexte transparenter und besser nutzbar für die
Lehrpersonen gemacht werden.
Anschließend wurden die konglomerierten Begründungstexte und Benchmarks zur
abschließenden Qualitätsüberprüfung noch einmal an diverse InteressensvertreterInnen der
involvierten Organisationen (Bundesministerium, BIFIE, Pädagogischen Hochschule Tirol und
CEBS) geschickt. Nach einer letzten visuellen Aufbereitung sollen die Performanzen auf der
Webseite der Universität Innsbruck öffentlich zugänglich gemacht werden. Tabelle 1 zeigt
einen Überblick über den momentanen Stand der bisher produzierten und frei zugänglichen
Performanzen sowie deren Begründungen. Im Herbst 2017 werden schließlich alle
Benchmarks und Begründunen online zugänglich sein.
110
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Tabelle 1: Übersicht der illustrativen Performanzen


Anzahl Status
Sprechen 4 online
AHS
Schreiben 5 demnächst online
Sprechen 6 demnächst online
BHS
Schreiben 7 5 online

5. Schlussbetrachtung
In diesem kurzen Beitrag wurde der Entwicklungsprozess von illustrativen Performanzen im
Kontext der österreichischen Reifeprüfung nachgezeichnet. Mit der vollständigen
Veröffentlichung dieser Performanzen wird einerseits ein wichtiges Zeichen nach außen
gesetzt, um transparent zu machen, wie die Niveaustufe B2 des GERS im Kontext der Reife-
und Diplomprüfungen in Österreich ausgelegt wird. Andererseits und deutlich zentraler ist es
jedoch, dass diese Materialien auf unterschiedliche Weise von Österreichs Lehrpersonen
genutzt werden können. Anhand der Performanzen können Lehrpersonen bereits im
Rahmen ihrer Ausbildung oder im Rahmen von schulinternen Fortbildungen auf ihre
Prüfungstätigkeit vorbereitet werden. Besonders wertvoll wäre es, wenn Lehrpersonen diese
Materialien unmittelbar vor Prüfungen als Grundlage für Standardisierungsworkshops
einsetzen würden und auf diese Weise einen adäquaten Schritt in Richtung standardisierter
und reliabler Bewertung von SchülerInnenleistungen leisten könnten.

Literaturangaben
Barkaoui, K. (2010). Variability in ESL essay rating processes: The role of the rating scale and rater experience.
Language Assessment Quarterly, 7(1), S. 54 – 74.

Europarat (2001). Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen.
Straßburg.

Lim, G. (2011). The development and maintenance of rating qualitiy in performance writing assessment: A
longitudinal study of new and experienced raters. Language Testing, 28(4), S. 543 – 560.

Lumley, T. (2002). Assessment criteria in a large-scale writing test: what do they really mean to the raters?
Language Testing, 19(3), S. 246 – 276.

McNamara, T. (1996). Measuring second language performance. London: Longman

VanMoere, A. (2014). Raters and Ratings. In A. J. Kunnan (Hrsg.), The Companion to Language Assessment. John
Wiley & Sons, Inc.

Winke, P., & Gass, S. (2012). The influence of second language experience and accent familiarity on oral
proficiency rating: A qualitative investigation. TESOL quarterly, 47(4), S. 762 – 789.

111
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Kognitive Prozesse von


FremdsprachenlernerInnen während
Hörverstehensaufgaben:
Eine Eye-Tracking und Stimulated-Recall
Untersuchung
Franz Holzknecht*, Kathrin Eberharter*, Benjamin Kremmel*, Gareth
McCray°, Matthias Zehentner*, Eva Konrad*, Carol Spöttl*
Universität Innsbruck*, Keele University, UK°

1. Begründung für die Studie


Der Aptis Test, entwickelt vom British Council, ist ein Englischtest für „Organisationen und
Institutionen[,] […] um die Englischkenntnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
Bewerberinnen und Bewerbern, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden einzustufen“
(British Council 2017). Der Test überprüft Leseverstehen, Hörverstehen, Schreiben, Sprechen
sowie Grammatik und Wortschatz. Fokus der vorliegenden Studie (Holzknecht et al. 2017)
war die Überprüfung des Hörverstehens.
Die aktuelle Version des Aptis Hörverstehenstests besteht aus 25 multiple-choice Fragen,
die in vier Schwierigkeitsstufen (GERS A1 bis B2) darauf abzielen, unterschiedliche
Denkprozesse der TestkandidatInnen zu aktivieren. Die TestentwicklerInnen stützen sich
dabei auf das Modell von Field (2013), der den Hörprozess unter anderem in folgende
Bereiche unterteilt: lexikalisches Zuordnen, syntaktisches Gliedern, Bedeutungsgewinnung
auf Satzebene und Bedeutungsgewinnung auf Diskursebene (O’Sullivan & Dunlea 2015).
Neben diesen Denkprozessen müssen laut TestentwicklerInnen auch unterschiedliche
Informationsarten verstanden werden, um die gestellten Fragen beantworten zu können:
lexikalische Information, faktische Information sowie interpretative Information auf Satz-
und Diskursebene (O’Sullivan & Dunlea 2015). Tabelle 1 stellt die Schwierigkeitsstufen der
Fragen den jeweils intendierten Denkprozessen und Informationsarten gegenüber. Ziel der
Studie war es zu überprüfen, ob diese Denkprozesse bzw. Informationsarten auch tatsächlich
von den KandidatInnen herangezogen werden, um so Aussagen über die kognitive Validität
des Tests machen zu können.

112
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Tabelle 1: Intendierte Denkprozesse und Informationsarten bezogen auf GERS Niveaus im


Aptis Hörverstehenstest
Aptis GERS Niveau Denkprozesse (Field, 2013) Informationsarten
B2 Bedeutungsgewinnung auf interpretative Information auf Satz-
Diskursebene und Diskursebene
A2 / B1 Bedeutungsgewinnung auf Satz- faktische Information
und Diskursebene
A1 lexikalisches Zuordnen lexikalische Information

2. Forschungsfragen
Folgende Forschungsfragen wurden untersucht:

Forschungsfrage 1
Welche Denkprozesse laufen bei TestkandidatInnen ab, um Fragen des Aptis
Hörverstehenstests zu beantworten?

Forschungsfrage 2
Welche Informationsarten verwenden TestkandidatInnen, um Fragen des Aptis
Hörverstehenstests zu beantworten?

3. Die Studie
Um diese Forschungsfragen zu beantworten, wurden die Augenbewegungen von 30
deutschsprachigen TestkandidatInnen im Alter zwischen 20 und 61 Jahren mittels eines Tobii
TX300 Eye-Tracker aufgezeichnet, während diese die Testfragen beantworteten. Darüber
hinaus wurde 15 der 30 TeilnehmerInnen nach dem Beantworten der Fragen ein Video ihrer
Augenbewegungen vorgespielt, um sie dabei zu unterstützen, ihre Gedanken während des
Beantwortens der Fragen retrospektiv zu verbalisieren (stimulated-recall Protokolle)
(Brunfaut 2016; Brunfaut & McCray 2015; McCray & Brunfaut 2016).
Die stimulated-recall Protokolle wurden transkribiert und anhand der Denkprozesse und
Informationsarten kodiert. Die Verweildauer der KandidatInnen auf den einzelnen
Antwortoptionen wurde mittels einer linearen Regressionsanalyse (Gelman & Hill 2006)
unter Einbezug unterschiedlicher Variablen, wie z.B. der Schwierigkeit der Frage oder der
Position der richtigen Antwort, ausgewertet.

4. Ergebnisse
Die Ergebnisse der stimulated-recall Protokolle in Tabelle 2 und Tabelle 3 machen deutlich,
dass alle beabsichtigten Denkprozesse und Informationsarten von KandidatInnen verwendet

113
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

wurden. Während jedoch bei den Informationsarten statistisch signifikante Unterschiede


zwischen den einzelnen Schwierigkeitsstufen festgestellt werden konnten, war dies bei den
Denkprozessen nicht der Fall.

Tabelle 2: Denkprozesse bezogen auf GERS Niveau (korrekt beantwortete Fragen, in Prozent
der Fälle)
Lexikalisches Syntaktisches Bedeutungsgew. Bedeutungsgew.
Zuordnen Gliedern auf Satzebene auf Diskursebene
A1 83,9 42,9 23,2 6,3
A2 25,5 28,2 87,3 54,5
B1 26,3 23,7 93,4 48,7
B2 8,9 23,2 94,6 58,9

Tabelle 3: Informationsarten bezogen auf GERS Niveau (korrekt beantwortete Fragen, in


Prozent der Fälle)
Lexikalisch Faktisch Interpretativ auf Interpretativ auf
Satzebene Diskursebene
A1 77,7 33,0 0,0 0,0
A2 3,6 97,3 0,9 0,0
B1 0,0 88,2 15,8 3,9
B2 0,0 23,2 53,6 33,9

Die Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse der Augenbewegungen zeigen, dass die
KandidatInnen signifikant länger auf Antwortoptionen zu schwierigeren Fragen verweilten.
Signifikante Unterschiede ließen sich zwischen allen Schwierigkeitsstufen feststellen (GERS
A1-B2). Obwohl dieses Ergebnis keine Aufschlüsse über die spezifischen Denkprozesse der
KandidatInnen gibt, lässt sich daraus schließen, dass KandidatInnen bei schwierigeren Fragen
komplexere Denkprozesse einsetzen dürften, was tendenziell auch durch die Ergebnisse der
stimulate- recall Protokolle gestützt wird.
Die Analyse der Verweildauer zeigte außerdem, dass KandidatInnen signifikant länger auf
Antwortoptionen verweilten, die auf dem Bildschirm höher gereiht waren. Dabei waren die
Unterschiede in der Verweildauer zwischen allen Antwortpositionen statistisch signifikant
(d.h. KandidatInnen verweilten signifikant länger auf Antwortposition A als auf B, signifikant
länger auf B als auf C, und signifikant länger auf C als auf D). Diese Unterschiede zeigten sich
unabhängig vom Schwierigkeitsgrad der Fragen. In einer Folgestudie wird nun untersucht, ob
dieses Phänomen Auswirkungen auf die Schwierigkeit von multiple-choice Fragen hat
(Holzknecht et al., in Vorbereitung).

114
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

5. Diskussion und Schlussbetrachtung


Die Resultate der stimulate- recall Untersuchung machen deutlich, dass einerseits sowohl die
beabsichtigten Denkprozesse als auch die erwünschten Informationsarten von den
KandidatInnen zur Beantwortung der Fragen des Aptis Hörverstehenstests herangezogen
werden, andererseits jedoch die Unterschiede in den höhergeordneten Denkprozessen
zwischen den einzelnen Schwierigkeitsstufen stärker ausgeprägt sein könnten. Außerdem
zeigen die Daten, dass der Denkprozess „Bedeutungsgewinnung auf Diskursebene“ nur in
60% der korrekt beantworteten Fragen auf B2 Niveau beobachtet werden konnte. Aufgrund
dieser Ergebnisse wird vorgeschlagen, für Fragen auf höheren Niveaus andere Testformate
zu entwickeln, um die beabsichtigten Denkprozesse gezielter zu testen. Insgesamt lässt sich
jedoch feststellen, dass der Aptis Hörverstehenstest in weiten Teilen kognitive Validität
aufweist.
Die Ergebnisse der Analyse der Augenbewegungen lässt darauf schließen, dass Optionen,
die auf dem Bildschirm höher gereiht sind, für KandidatInnen zugänglicher sein könnten, da
diese sich stärker darauf konzentrieren. Dieser Effekt könnte allerdings recht einfach durch
eine andere Präsentation der Fragen auf dem Bildschirm abgeschwächt werden.

Danksagung

Die Studie wurde vom British Council finanziell gefördert.

Literaturangaben

British Council. (2017). Aptis. Abgerufen unter https://www.britishcouncil.at/pruefungen/aptis


Brunfaut, T. (2016). Looking into reading II: A follow up study on test-takers’ cognitive processing while
completing Aptis B1 reading tasks. ARAGs Research Reports Online. London: The British Council.
Brunfaut, T., & McCray, G. (2015). Looking into test-takers’ cognitive processes while completing reading tasks:
A mixed-method eye-tracking and stimulated recall study. ARAGs Research Reports Online. London:
The British Council.
Field, J. (2013). Cognitive validity. In L. Taylor & A. Geranpayeh (Eds.), Examining listening (S. 77–151).
Cambridge: Cambridge University Press.
Gelman, A., & Hill, J. (2006). Data analysis using regression and multilevel/hierarchical models. Cambridge:
Cambridge University Press.
Holzknecht, F., Eberharter, K., Kremmel, B., McCray, G., Zehentner, M., Konrad, E., & Spöttl, C. (2017). Looking
into listening: Using eye-tracking to establish the cognitive validity of the Aptis Listening Test. ARAGs
Research Reports Online. London: The British Council.
Holzknecht, F., McCray, G., Eberharter, K., Kremmel, B., Spiby, R., & Dunlea, J. (in Vorbereitung). The effect of
response order on candidate viewing behaviour and item difficulty in a multiple-choice listening test.
McCray, G., & Brunfaut, T. (2016). Investigating the construct measured by banked gap-fill items: Evidence from
eye-tracking. Language Testing. http://doi.org/10.1177/0265532216677105
O’Sullivan, B., & Dunlea, J. (2015). Aptis general technical manual. Retrieved from
https://www.britishcouncil.org/sites/default/files/aptis_general_technical_manual_v-1.0.pdf

115
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Entwicklung und Validierung eines


computer-adaptiven Wortschatztests
Benjamin Kremmel
Universität Innsbruck & Universität Nottingham

1. Problemaufriss
Das Testen von fremdsprachlichem Wortschatz beruht gemeinhin auf traditionellen
Konventionen, die bis dato selten kritisch hinterfragt wurden. Zahlreiche Wortschatztests für
rezeptives schriftliches Wortschatzwissen, die für verschiedene Testzwecke entwickelt und
vorgeschlagen wurden, wie der Vocabulary Levels Test (VLT) (Nation, 1990; Schmitt, Schmitt
& Clapham, 2001), der Vocabulary Size Test (Nation & Beglar, 2007) oder der Computer-
Adaptive Test of Size and Strength (CATSS) (Laufer & Goldstein, 2004) sind prominente
Beispiele hierfür. Die meisten dieser Instrumente werden als Tests für Wortschatzgröße
bezeichnet, jedoch weisen kaum Tests dieser Art extensive Validierungsevidenz auf. Im
Gegensatz zur gängigen Meinung, dass die Interpretation von Tests dieser Art unkompliziert
sei, zeigt sich jedoch bei näherer Betrachtung, dass die diesen Tests zugrundeliegenden
Annahmen problematisch sind. Wortschatztests basieren nach wie vor großteils auf
Häufigkeitslisten, die auf Wortfamilien als Zähleinheit zurückgreifen und oft aus überholten
Korpora extrahiert wurden. Sie recyceln zudem gebräuchliche Testformate, ohne diese
kritisch zu hinterfragen, und werden lediglich als Pen-and-Paper Tests konzipiert. Das hier
vorgestellte Projekt zielt darauf ab, einen neuen, diagnostischen, computer-adaptiven
Wortschatztest für EnglischlernerInnen zu entwickeln, dessen Designprinzipien auf
empirischen Grundlagen basieren sollen. Vier Schritte bzw. Studien des
Testentwicklungsprozesses werden im Folgenden dargelegt.

2. Testformate
Das Testformat eines Wortschatztests beeinflusst direkt das Testergebnis (Gyllstad, Vilkaité
and Schmitt, 2015; Kremmel & Schmitt, 2016; Stewart, 2014) und ist daher von zentraler
Bedeutung. Nichtsdestotrotz wurde diesem Aspekt bisher wenig Beachtung geschenkt und
nur wenig Forschung zum Einfluss des Testformats auf das Testergebnis und die
Ergebnisinterpretation publiziert (Henning, 1991; Paul, Stallman & O’Rourke, 1990). Die
Frage, wie angemessen ein Testformat jedoch das Wortschatzwissen von KandidatInnen
abbildet, ob es beispielsweise zeigt, dass LernerInnen bestimmte Wörter für spezifische
sprachliche Handlungen wie z.B. das Lesen verwenden können, erscheint äußerst wichtig.

116
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Kremmel und Schmitt (2016) haben dazu vier verbreitete Wortschatztestformate


untersucht und dabei zwei Recognition Formate (Mehrfachauswahl und Zuordnung wie in
VST und VLT) und zwei Form Recall Formate (mit und ohne Kontext) miteinander verglichen.
36 Items in den vier Formaten wurden in einem Latin-Square Design mit englischen
MuttersprachlerInnen und L2 LernerInnen durchgeführt und parallel dazu das
Wortschatzwissen zu eben diesen 36 Wörtern in Interviews bzw. einem schriftlichem
Meaning Recall Test verifiziert. So sollte untersucht werden, ob korrekte Testantworten
tatsächlich auf Wortschatzwissen oder vielmehr auf Rateverhalten oder ähnlichen
Teststrategien beruhen. Die Ergebnisse aus der Studie mit 99 L2 LernerInnen zeigte, dass sich
die Testformate in der Tat unterschiedlich verhalten. Die Recognition Formate überschätzen
das Wortschatzwissen der KandidatInnen konsistent, während die Form Recall Formate das
Wortschatzwissen tendenziell unterschätzen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse ist zu
argumentieren, dass Testergebnisse verstärkt hinsichtlich des verwendeten Testformats
interpretiert werden müssen. Obwohl alles andere als frei von Messfehlern, erscheint das
Format der Mehrfachauswahl geeignet, da es zumindest systematisch das Wortschatzwissen
überschätzt und diesem durch Items, die mit statistischen Verfahren entsprechend überprüft
wurden, potentiell entgegengewirkt werden kann.

3. Zähleinheit
Die zweite konventionalisierte Annahme existierender Wortschatztests ist die der
Wortfamilie als valide Zähleinheit (Schmitt, 2010). Wortschatztests, die Wortfamilien als
Zähleinheit verwenden, gehen davon aus, dass KandidatInnen, die das häufigste Mitglied
einer Wortfamilie kennen (z.B. in Form des Wortschatztestitems „nation“), auch alle anderen
Mitglieder dieser Wortfamilie kennen (z.B. „national“, „internationalism“, „nationalist“,
etc.). Daten aus der oben genannten Studie, in der 99 EnglischlernerInnen nicht nur über ihr
Wissen des Wortfamilienstamms befragt wurden, sondern mit einem rezeptiven
Derivationstest auch getestet wurde, ob sie die Verbindung zwischen dem Stammwort und
seinen derivativen Formen herstellen können, lassen diese Annahme jedoch problematisch
erscheinen. Kremmel und Schmitt (2016) konnten zeigen, dass die Wortfamilie als
Zähleinheit die Interpretierbarkeit von Testergebnissen stark einschränkt. LernerInnen
konnten nur in 73% der Fälle die Verbindung zwischen einem ihnen bekannten Wortstamm
und den Derivationen herstellen. In nicht einmal 3 von 4 Fällen wäre die Annahme hinter der
Zähleinheit der Wortfamilie valide. Als Alternative schlägt Kremmel (2016) daher vor,
Lemma-basierte Häufigkeitslisten für die Erstellung von Wortschatztests anzudenken.

4. Häufigkeitsstufen
Eine weitere Annahme, die von Kremmel (2016) hinterfragt wird, ist, dass das
Häufigkeitskontinuum in statische Schritte von 1000 in Niveaustufen oder “Levels” unterteilt
wird. Der derzeitige Stand der Forschung zeigt, dass ein one-size-fits-all Ansatz zur Aufteilung
von Häufigkeitsstufen nicht zwingend die interpretierbarste und diagnostisch wertvollste
117
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lösung darstellt. Korpusanalysen von vier verschiedenen Korpora zeigen, dass der
Häufigkeitsrang insbesondere von weniger frequenten Wörtern in erster Linie eine artifizielle
Funktion des verwendeten Korpus ist und dass hochfrequenter Wortschatz ob seiner
Wichtigkeit und Nützlichkeit für L2 LernerInnen eigentlich mehr Prominenz bei der
Stichprobenentnahme erfahren sollte als niederfrequenter Wortschatz. Es wird daher
argumentiert, dass das Häufigkeitskontinuum für diagnostische Wortschatztests nicht in
Tausenderschritten gruppiert werden sollte. Stattdessen wird gezeigt, dass kleinschrittigere
Unterteilungen für hochfrequenten Wortschatz und breiter gefasste Stufen für
niederfrequenten Wortschatz sowie eine entsprechende Gewichtung bei der
Stichprobenentnahme in Erwägung gezogen werden sollten.

5. Computer-adaptive Modi
Computer-adaptives Testen bietet zahlreiche Vorteile für das Testen von Wortschatzwissen
(Tseng, 2016; Douglas & Chapelle, 2006): Zugeschnittene Itemauswahl, kürzere Testlänge,
erleichterte Dissemination, unmittelbare Resultate und Feedbackmöglichkeiten sowie
daraus entstehende motivationale Vorteile. Bis dato wurden jedoch kaum computer-
adaptive Wortschatztests entwickelt und validiert. Auch im CATSS (Laufer & Goldstein,
2004), einem erwähnenswerten Ausnahmefall, ist die Computeradaptivität beschränkt auf
die vier Modalitäten bzw. Stärkegrade des Wissens bezogen auf die Verbindung zwischen L2
Form und Bedeutung. In seiner Progression durch die Häufigkeitsstufen bleibt auch der
CATSS ein statischer Test.
In der Entwicklung des hier präsentierten Tests war es wichtig, empirisch zu prüfen,
welche von zumindest zwei möglichen computer-adaptiven Modi robustere und
repräsentativere Ergebnisse generieren. Dazu wurde ein mehrschrittiger mehrstufiger
Algorithmus (Multi-stage multi-level design), in dem KandidatInnen zunächst eine
Bandbreite an Items von verschiedenen Häufigkeitsstufen beantworten und in weiteren
Schritten dann abhängig von ihrem Testerfolg im ersten Schritt mit Items aus immer engeren
Bandbreiten konfrontiert werden, mit einem Algorithmus verglichen, der KandidatInnen
beginnend mit Items aus der häufigsten und damit voraussichtlich einfachsten Stufe
fortschreitend mit niederfrequenteren und daher schwierigeren Items konfrontiert, bis der
Test schließlich aufgrund einer zu niedrigen Erfolgsquote terminiert wird. 72 LernerInnen
bearbeiteten dafür einen Test im mehrschrittigen mehrstufigen Algorithmus zweimal
hintereinander, 85 LernerInnen absolvierten den Test mit fortschreitendem Algorithmus
zweimal. Korrelationsanalysen der Ergebnisse in den einzelnen Häufigkeitsstufen zeigten,
dass der fortschreitende Algorithmus im Sinne der Retest-Reliabilität zu robusteren
Ergebnissen führt. Zudem bearbeiteten 34 LernerInnen beide Testversionen sowie
zusätzliche Items, um zu vergleichen, welches Design in den einzelnen Häufigkeitsstufen
einen größeren Itempool (k=25/Häufigkeitsstufe) besser abbildet. Auch hier gingen die

118
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Ergebnisse des fortschreitenden Algorithmus als repräsentativer hervor, weshalb dieses


Design für die finale Testerstellung ausgewählt wurde.

6. Konklusio
Basierend auf den Ergebnissen dieser vier teils veröffentlichten Studien wird nun ein
computer-adaptiver diagnostischer Test implementiert und weiter validiert. Dieser wird
Lemma-basierte Häufigkeitslisten aus aktuellen Korpora für die Itemerstellung und
Stichprobenentnahme verwenden, neue Ansätze bei der Einteilung in Häufigkeitsstufen
testen und Designentscheidungen wie die des Itemformats oder des adaptiven Algorithmus
theoretisch und empirisch rechtfertigen können.

Literatur
Gyllstad, H., Vilkaitė, L., & Schmitt, N. (2015). Assessing vocabulary size through multiple-choice formats: Issues
with guessing and sampling rates. ITL International Journal of Applied Linguistics, 166(2), S. 278–306.

Henning, G. (1991). A study of the effects of contextualization and familiarization on responses to the TOEFL
vocabulary items. TOEFL Research Reports, 35. Princeton, NJ: Educational Testing Service.

Kremmel, B. (2016). Word families and frequency bands in vocabulary tests: Challenging conventions. TESOL
Quarterly 50(4), 976-987. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/tesq.329/full

Kremmel, B., & Schmitt, N. (2016). Interpreting vocabulary test scores: What do various item formats tell us
about learners’ ability to employ words? Language Assessment Quarterly 13(4), 377-392.

Laufer, B., & Goldstein, Z. (2004). Testing Vocabulary Knowledge : Size, Strength, and Computer Adaptiveness.
Language Learning, 54(3), 399–436.

Nation, I. S. P. (1990). Teaching and Learning Vocabulary. Heinle and Heinle.

Nation, I. S. P., & Beglar, D. (2007). A vocabulary size test. The Language Teacher, 31(7), 9–13.

Paul, P. V., Stallman, A., & O’Rourke, J. P. (1990). Using three test formats to assess good and poor reader’s
word knowledge. Technical Report No. 509 of the Center for the Study of Reading. Champaign, IL:
Center for the Study of Reading, University of Illinois at Urbana-Champaign.

Schmitt, N. (2010). Researching vocabulary: A vocabulary research manual. Basingstoke, UK: Palgrave
Macmillan.

Schmitt, N., Schmitt, D., & Clapham, C. (2001). Developing and exploring the behaviour of two new versions of
the Vocabulary Levels Test. Language Testing, 18(1), 55–88. doi:10.1177/026553220101800103

Stewart, J. (2014). Do multiple-choice options inflate estimates of vocabulary size on the VST? Language
Assessment Quarterly, 11(3), S. 271–282. doi: 10.1080/15434303.2014.922977

119
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Marktplatz 4:
Frühes Sprachlernen, Sprach-
politik, Mehrsprachigkeit

120
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Lernerwörterbuch für Kinder: Englisch –


Österreichisch, Österreichisch – Englisch.
Zu Textsorte, Konzeption und Umsetzung
Katharina Zipser
Universität Innsbruck

1. Anmerkungen zur Textsorte ,Lernerwörterbuch‘


Dieser Beitrag präsentiert den Zwischenbericht eines Entwicklungsprojektes zur Publikation
eines neuen Englisch-Lernerwörterbuches (= ÖKLWB)12 für in Österreich aufwachsende 7-12
jährige Kinder. Noch 2017 soll das Lernerwörterbuch im Alphabet-Verlag erscheinen, dessen
Verlagsinhaber im Grimm-Verlag bereits über 80 Wörterbücher herausgegeben hat.
Bezüglich der Textsorte der geplanten Publikation gilt es anzumerken, dass eine klare,
theoretisch fundierte Definition des Begriffes ,Lernerwörterbuch’ in der Fachwelt fehlt (vgl.
für einen Überblick insbes. Runte 2015, 125-210). Die uneinheitliche und damit
problematische Definition der Textsorte bzw. Klassifikation zeigt sich mitunter in der
parallelen Verwendung der Termini ,Lerner-‘ und ,Lernwörterbuch‘ (vgl. etwa Runte 2015,
125-131; zu ,Lernwörterbuch‘ insbes. Zöfgen 1987, 15). Während das Advanced Learner’s
Dictionary of Current English sowie Collins Cobuild English Learner’s Dictionary den/die
LernerIn im Titel berücksichtigen, kommen die genannten Werke für das Deutsche ohne
diesen Verweis aus; sie sprechen von ,Wörter-‘ oder gar ,Großwörterbuch‘ und nehmen so
mitunter auf den Umfang Bezug.13 Bezeichnend für die Textsorte ,Lernerwörterbuch‘ ist
jedenfalls, dass Sprachlernende als BenutzerInnen im Mittelpunkt stehen (vgl. z.B.
„Bedürfnisse des fremdsprachlichen Benutzers“ Schafroth & Zöfgen 1998, 5).
Klassifikatorisch sehen Engelberg & Lemnitzer 2009 im Lernerwörterbuch einen Subtyp des
didaktischen/benutzerorientierten Wörterbuches und differenzieren zwischen einsprachigen
und zweisprachigen Lernerwörterbüchern (vgl. zur Textsorte auch Battenburg 1991,
Wiegand 1998, Runte 2015, sowie kritisch zu Terminologie und Textsortenklassifikation z.B.
Rothe 2001, 134). Am Markt überwiegt insbesondere in der Phase der ersten
Lernerwörterbücher – in der 2. Hälfte 20. Jh. – das einsprachige Lernerwörterbuch.
Entsprechend formulieren Kempcke & Pasch (1998, 235) zum Nutzen des
Lernerwörterbuches: „In der Regel verwendet der nichtmuttersprachliche Benutzer in erster
Linie ein zweisprachiges Wörterbuch. Da dieses ihm lediglich Übersetzungsäquivalente
12
Vgl. ÖKLWB (in Vorbereitung). In der Titelgebung folgt der Verlag marktwirtschaftlichen Interessen und
entscheidet für den Ausdruck ,Österreichisch‘, wissend dass in der Wissenschaft der Begriff ,österreichisches
Deutsch‘ (vgl. etwa Muhr & Sellner 2006; Ebner 2014, De Cillia & Fink & Ransmayr 2016) gebräuchlicher ist.
13
Im LGwDaF wird zudem die Zielgruppe am Cover genannt („Das einsprachige Wörterbuch, für alle die
Deutsch lernen“). Das Werk wird sodann im Vorwort als Lernerwörterbuch einstuft
121
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

anbietet, muss er, wenn er weitergehende Informationen für die aktive Verwendung eines
Wortes wünscht, ein einsprachiges (Lerner)wörterbuch zur Hilfe nehmen.“ Das
Lernerwörterbuch soll – so in der Literatur weitgehend Konsens – Lernende im
Fremdsprachenunterricht begleiten und/oder im Selbststudium selbsterklärend
unterstützen.14 Insofern werden an seine Konzeption hohe Anforderungen gestellt.
Nutzerfreundlichkeit ist das zentrale Stichwort (vgl. bspw. die Untersuchung zur
Nutzerfreundlichkeit des LDOCE, ALD, COBUILD von Antor 1994). Auch geht die Aufgabe
eines solchen didaktischen Werkes über die ausgangs- und zielsprachliche Präsentation von
Lemmata hinaus (vgl. u.a. Kempcke & Pasch 1998, 235-236, Antor 1994): Neben
zielsprachlichen Entsprechungen der Lemmata soll ein Lernerwörterbuch Lernenden ein
klares Bild von Bedeutung und adäquater zielsprachlicher Verwendung liefern. Dazu gehören
phonetische, morphologische und syntaktische Informationen gleichermaßen wie
semantische und pragmatische. Insofern soll es auch seine kontextuelle Verwendung
ausweisen.
Ein Lernerwörterbuch mit speziellem Fokus auf das österreichische Deutsch für die
Zielgruppe Kinder gibt es bis dato nicht.

2. Konzeption des ÖKLWB


In die Reihe der Lernerwörterbücher fügt sich auch das Lernerwörterbuch für Kinder:
Österreichisch-Englisch, Englisch-Österreichisch (= ÖKLWB). Das in Arbeit befindliche
didaktische Werk (AutorInnen in alphabetischer Reihenfolge: Manfred Kienpointner, Renáta
Kriston, Marlene Mussner, Claudia Posch, Katharina Zipser; Projektleitung: Katharina Zipser)
genießt insofern Alleinstellungscharakter, als es das erste Wörterbuch seiner Art sein wird,
welches das österreichische Deutsch fokussiert und speziell für Kinder konzipiert ist. Der
Zeitpunkt der Publikation erweist sich insofern als günstig, als demnächst ein neuer
Volksschullehrplan15 in Kraft tritt, der schriftsprachliches Arbeiten in der Fremdsprache nun
– anders als bisher – bereits im jungen Alter vorsieht.16 Das Heranführen an ein Wörterbuch
und dessen aktives Verwenden erfährt dadurch zusätzliche schulische Legitimation.

14
Allerdings wenden sich insbes. französische Lernerwörterbücher auch konkret an jugendliche
MuttersprachlerInnen, vgl. die Diskussion bei Rothe 2001, 29-32.
15
Vgl. für den derzeit gültigen Lehrplan https://www.bmb.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_vs.html.
16
Das Österreichische-Sprachen-Kompetenz-Zentrum (= ÖSZ) erklärt auf seiner Homepage: „Die GK2/GK4 [=
Grundkompetenzen 2 bzw. 4: beschreiben die fremdsprachlichen Handlungen, die mit Ende der 2. und 4.
Schulstufe erworben sein sollen; ergänzt Zipser] basieren auf dem Gemeinsamen europäischen
Referenzrahmen für Sprachen (GERS) und werden auch im neuen künftigen Fremdsprachen-Lehrplan für die
Grundschule verankert sein.“ Weiters:„Die GK2 dienen dem schrittweisen Aufbau der GK4. Die GK2-
Kompetenzen konzentrieren sich auf die Hör- und Sprechkompetenz, einen ersten behutsamen Umgang mit
Lauten, Buchstaben und dem Schriftbild sowie eine Auseinandersetzung mit Interkulturalität und Sprache im
sozialen Handeln“, sowie besonders zu den Fertigkeit Lesen/Verstehen bzw. Schreiben für GK2 und GK4
http://www.oesz.at/OESZNEU/UPLOAD/gk2gk4_infofolder_2016_web.pdf (Abrufdatum: 18.08.2017). Mein
Dank für den wertvollen Hinweis gilt Christiane Dalton-Puffer.
122
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Das ÖKLWB zielt darauf ab, einen Basiswortschatz17 zu vermitteln, den Umgang mit
diesem zu schulen und folgt einer vom Grimm-Verlag entwickelten und in dessen diversen
Kinderlernerwörterbüchern (= KLWBs)18 umgesetzten Vorlage. Diese Vorlage sieht in einem
Band ca. 3.200 Wörterbuchartikel je Sprachrichtung und ca. 5.000 Beispielsätze bzw.
Wendungen vor. In Anbetracht der jungen Zielgruppe (7-12 Jahre) präsentieren sich das
ÖKLWB altersgerecht bunt und ist mit thematischen Zeichnungen aufgelockert. Im Sinne
einer Einführung in die Wörterbuchnutzung bietet es für den Wortartikelteil ein seitliches
Register mit einer Vorab-Wiederholung des Alphabets durch Beispielwörter. Der
Wortartikelaufbau selbst ist vereinfacht: So werden zum erleichterten Auffinden alle
Lemmata in blauer, fetter Schrift präsentiert. Es folgen Ausspracheangaben in IPA-
Darstellung,19 besondere Angaben zu den Lemmata, außerdem zielgruppenadäquate
Beispielsätze und Wendungen. Im Layout abgehobene Kästchen mit länderspezifischen
Informationen lockern den Artikelteil auf. Dialogische Sprechsituationen und eine mit
Zeichnungen aufbereitete Kurzgrammatik komplettieren das ÖKLWB.
Konkret wird bei der Erarbeitung des ÖKLWB die verlagsseitig vorhandene Infrastruktur
(Grimm-Verlag) genutzt: Diverse Datenbanken liefern eine potenzielle Vorauswahl an
Wörterbucheinträgen samt Beispielsätzen.20 Thematische Vorschläge für landes- und
kulturkundliche Informationen sind gegeben. Eine erprobte erweiterbare Eingabemaske für
die konkrete mechanische Wörterbucharbeit ist vorhanden. Zudem können zukünftig die
vielfältigen von Grimm erprobten Vermarktungsmöglichkeiten genutzt werden.

3. Besondere Herausforderungen und kritische Fragestellungen


Neben der Gestaltung eines auf die Ausgangs- und Zielsprache sowie Zielgruppe
abgestimmten landes- und kulturkundlichen Informationsteils sowie der altersgerechten
Aufbereitung von Grammatikinformationen, stellen die Auswahl der Lemmata, und die
Formulierung der Beispielsätze innerhalb der Wortartikel Herausforderungen in der
Wörterbucharbeit dar.

17
Zur konkreten Auswahl der Lemmata vgl. Kap. 3; zu Definition und Erhebung von , Basis-‘, ,Grund-‘ und
,Aufbauwortschatz‘, zum Nutzen entsprechender Listen und didaktischer Werke vgl. u.a. die frühe Arbeit von
Kühn 1978, insbes. 23-69, Krohn 1992, Brügelmann 1994 oder Tschirner 2005 sowie allgemeiner zu
Wortschatzerwerb und -vermittlung Gairns & Redman 1998, Read 2000, Thornbury 2002, Laufer & Nation
2012, Siepmann 2006, Kölle 2011.
18
Vgl. bspw. KLWB-1 2010 und KLWB-2 2012.
19
Vgl. International Phonetic Association 1999. Den AutorInnen ist bewusst, dass v.a. junge Kinder
Internationale Phonetische Alphabet (= IPA) großteils nur bedingt rezipieren werden. Allerdings ist das IPA das
am weitesten entwickelte und in den meisten Wörterbüchern und didaktischen Werken berücksichtigte
phonetische Alphabet. Im ÖKLWB führen wir das IPA daher ein und bereiten so auf die Nutzung komplexerer
Wörterbücher vor. Auf einen potenziell positiven Effekt der Beschäftigung mit dem internationalen
phonetischen Alphabet im jungen Alter wurde bereits von Brown 1951 hingewiesen. Für eine rezente
Diskussion vgl. Appleby 2012.
20
Für das Deutsche sind ca. 100.000 Beispielsätze vorhanden. Datensätze u.a. aus dem KLWB-1 2010, einem
Lernerwörterbuch für 12 bis 18-Jährige (GRIMM-1 2010) und einem Handwörterbuch (GRIMM-2 2007) stehen
zur Verfügung.
123
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

 Eine begrenzte Wortauswahl unter spezieller Berücksichtigung des


österreichischen Deutsch und der Zielgruppe muss getroffen werden.
 Für die Zielgruppe ansprechende, einem Lernerfolg zuträgliche Beispielsätze
wollen formuliert werden. Dazu gilt es Überlegungen zur sprachlichen Gestaltung
und Komplexität von Beispielsätzen, zur Frage der zu transportierenden Inhalte,
zur Bildungsfrage im Allgemeinen, zu gendergerechter Formulierung, etc.
anzustellen.21
Im Folgenden wird auf die Auswahl der im ÖKLWB berücksichtigten Lemmata näher
eingegangen. Auf eine Diskussion zur Formulierung der Beispielsätze muss an dieser Stelle
aus Platzgründen verzichtet werden.

3.1. Zur konkreten Auswahl der Lemmata


Ca. 3200 Lemmata werden in den im Grimm-Verlag erschienenen KLWBs präsentiert. Diese
Zahl gilt für das ÖKLWB verlagsseitig als Richtwert.
Um eine Basis für die konkrete Arbeit am Wortartikelteil des ÖKLWB zu schaffen, werden
die Wörterbucheinträge des KLWB-1 (2010) in ein Bearbeitungsprogramm eingespielt. Das
AutorInnenteam des ÖKLWB gleicht die Einträge des KLWB-1 mit (im folgenden genannten)
frequenzbasierten Wortlisten sowie diversen auf die Zielgruppe abgestimmten
Wörterbüchern ab und verfolgt so das Ziel, unter besonderer Berücksichtigung folgender
Überlegungen eine fundierte zielgruppenadäquate Zusammenstellung von einem im Umfang
vordefinierten Wortschatz zu treffen:

 Wie zentral ist das Wort (gilt insbes. für ,Inhaltswörter‘) in der Lebenswelt der
Zielgruppe verankert? Ist die Kenntnis des Wortes zur Artikulation zentraler
kindlicher Bedürfnisse erforderlich?
 Welche Wörter gilt es aufgrund ihres zentralen begrifflichen Stellenwertes für die
österreichische Gesellschaft, Kultur, Geschichte und Brauchtum aufzunehmen?
Schließlich soll der präsentierte Wortschatz insbesondere in Österreich lebenden Kindern
das altersadäquate Beschreiben ihrer Umgebung, das Erzählen von Erlebtem, das
Ausdrücken von Gefühlen, Wünschen und Bedürfnisse in der Fremdsprache ermöglichen.

21
Definitorische Anmerkungen zum Konzept des Beispielsatzes im bilingualen Wörterbuch finden sich
vielerorts mehr oder weniger ausführlich. Bei Antor (1994, 79) etwa ist zu lesen „[Die Beispielsätze] zeigen das
nachgeschlagene Lemma im Kontext und exemplifizieren im Sinne der multi-level presentation auch die an
anderer Stelle der Einträge abstrakter notierten grammatikalischen Eigenschaften der jeweiligen lexikalischen
Einheiten.“ Zur Wertigkeit des Beispielsatzes erklärt Antor ebendort weiter: „Je besser das Beispiel im
Wörterbuch ist, desto typischer ist seine sprachliche Umgebung und desto deutlicher illustriert es die vorher
gegebenen Definitionen.“

124
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Als wesentliche Referenz für die Definition des Wortschatzes wird Oxford 3000 (2005)22 –
eine frequenzbasierte Liste der wichtigsten 3.000 Wörter der englischen Sprache –
herangezogen. Computergestützt werden die Wörterbucheinträge der importierten
Grundlage (KLWB-1) u.a. mit dieser Wortliste abgeglichen. Aufgrund der besonderen
Zielgruppe des ÖKLWB erfolgt außerdem ein Abgleich mit Langenscheidt
Grundschulwörterbuch Englisch (2013; Zielgruppe: Kinder von 6-10 Jahren, 1.245
Worteinträge). Daneben finden auch die Einträge des Oxford Junior Illustrated Dictionary
(2011; Zielgruppe: Kinder von 7-9 Jahren, 4.000 Worteinträge) sowie von Bärenstark!
Englisch Wörterbuch für Kinder (2013; Zielgruppe: Kinder von 6-10 Jahren, quantitative
Angabe der Worteinträge fehlt) Berücksichtigung. Konsultiert werden zudem neben dem
Goethe-Zertifikat B1 Wortliste (2016; 2.400 Worteinträge) und dem Grund- und
Aufbauwortschatz. Deutsch als Fremdsprache nach Themen – Lernwörterbuch (2008; 4.000
Worteinträge) das Langenscheidt Grundschulwörterbuch Deutsch (2013; Zielgruppe: Kinder
von 6-10 Jahren, 2.028 Worteinträge) sowie besonders die für die österreichische
Volksschulen approbierten Wörterbücher Kleines Österreichisches Wörterbuch. Teil 1:
Kleines Wörterverzeichnis (2013; 1. Schulstufe) und Teil 2: Großes Wörterverzeichnis (2013;
2.-4. Schulstufe).
Basierend auf einem entsprechenden Abgleich erfolgt in AutorInnenteamsitzungen zum
einen der Entscheid über die Aufnahme von – in der verlagsseitigen Vorlage (KLWB-1) nicht
berücksichtigten – Lemmata im ÖKLWB. Zum anderen werden im KLWB-1 gelistete Wörter
mitunter im Wortschatz des ÖKLWB schlussendlich nicht berücksichtigt. Die Fokussierung
auf das österreichische Deutsch sowie der von Österreich aus auf das Englische gerichtete
Blickwinkel wirken sich in sprachlicher wie konzeptioneller Sicht aus: Zielsprachliche
österreichisch-deutsche Äquivalente werden gegenüber gemeindeutschen Begriffen
bevorzugt,23 zudem finden soziale, institutionelle, kulturelle, kulinarische österreichische
Besonderheiten Berücksichtigung. Als Referenz für das österreichische Deutsch werden
insbesondere das Österreichische Wörterbuch (2016), das Variantenwörterbuch des
Deutschen (2016) und Wie sagt man in Österreich? (2009) konsultiert. Ziel- bzw.
ausgangssprachlich wird im Bedarfsfall der/den Variante(n) des österreichischen Deutsch der
Vorzug gegeben. Zudem gilt es für diverse Lemmata zu entscheiden, welche und wie viele
zielsprachlichen Äquivalente (max. drei Bedeutungen) angegeben werden sollen.

22
Für Informationen zu Oxford 3000 vgl. auch http://www.oxfordlearnersdictionaries.com/about/oxford3000
(Abrufdatum: 20.08.2017).
23
Zu den nationalen Varietäten des Deutschen vgl. u.a. Ammon 1995, Moser 1998, Scheuringer 2005; zum
Österreichischen Deutsch im Speziellen u.a. Fussy 2005; Muhr & Sellner 2006; Ebner 2014; zum
österreichischen Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache vgl. zuletzt etwa De Cillia & Fink & Ransmayr
2016; Ransmayr & Fink 2016.
125
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

4. Diskussion und Schluss


Der Beitrag stellt das Projekt ÖKLWB in einem Überblick vor. Er ordnet das ÖKLWB
typologisch als Lernerwörterbuch ein und erläutert dessen Konzeption. Sodann skizziert er
allgemeine sowie projektspezifische lexikographische Herausforderungen, da die Zielgruppe
(Kinder 7-12 Jahre) sowie der Fokus auf das österreichische Deutsch besondere
Berücksichtigung erfordern. Exemplarisch wird auf das Prozedere bei der Auswahl der
Wörterbucheinträge eingegangen.
Insgesamt wird deutlich, dass die Genese eines Lernerwörterbuches an unzählige,
mitunter komplexe Entscheidungen gebunden ist. Einmal mehr zeigt sich, dass es wert ist,
Wörterbucharbeit in einem breiten Publikum wissenschaftlich zu diskutieren.

Literaturangaben

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nationalen Varietäten. Berlin: de Gruyter.
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ihre Benutzer (FLuL 23) (S. 65 - 83) Tübingen: Gunter Narr.
Appleby, Rachel. (2012). IPA: The theory and beyond. Is knowing the IPA essential? Do you use phonemic script
in class? Why or why not? #ELTchat Summary. http://eltchat.org/wordpress/summary/ipa-the-theory-
and-beyond-is-knowing-the-ipa-essential-do-you-use-phonemic-script-in-class-why-or-why-not-
eltchat-summary-22022012/ (Abrufdatum:19.08.2017).
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Grundwortschatz? In Hans Brügelmann & Sigrun Richter (Hrsg.), Wie wir recht schreiben lernen. Zehn
Jahre Kinder auf dem Weg zur Schrift (S. 169 - 176). Lengwil: Libelle Verlag.
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und Bildungssprache. hpt Newsletter Dezember 2016, S. 1 - 3.
Ebner, Jakob. (2014). Deutsch in Österreich – österreichisches Deutsch. In Wie sagt man in Österreich?
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erweiterte Auflage. Tübingen: Stauffenburg Verlag. (Stauffenburg Einführungen).
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Cambridge: Cambridge University Press. (Cambridge Handbooks for Language Teachers).
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Fremdsprache. In Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.), Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des
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Untersuchungen anhand von Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Tübingen:
Niemeyer. (Lexicographica: Series Maior 86).
Zöfgen, Ekkehard (1987). Lernerwörterbücher auf dem Prüfstand oder: Was ist ein Lernwörterbuch. In:
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Wörterbücher und frequenzbasierte Wortlisten


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Dictionary of Current English. London: Oxford University Press.
Bärenstark! Englisch Wörterbuch für Kinder. (2013). 6-10 Jahre. Farbig illustriert. mit Englisch-Lernspielen auf
CD-ROM. Köln: Helmut Lingen Verlag.
COBUILD = Sinclair, John. (1987). Collins Cobuild English Learner’s Dictionary. London & Glasgow: Collins.

127
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

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pro/relaunch/prf/en/Goethe-Zertifikat_B1_Wortliste.pdf (Abrufdatum: 20.08.2017).
GRIMM-1 = Hessky, Regina & Bertalan, Iker. (2010). Német-magyar, magyar-német tanulószótár. (=
Lernerwörterbuch Englisch-Ungarisch, Ungarisch-Englisch). Szeged: Grimm.
GRIMM-2 = Hessky, Regina. (2007). Német-magyar kéziszótár. (=Ungarisch-Deutsches Handwörterbuch).
Szeged: Grimm.
Kleines Österreichisches Wörterbuch. (2013). Teil 1. Kleines Wörterverzeichnis. Wien: Österreichischer
Bundesverlag Schulbuch Gmbh & Co. KG
Kleines Österreichisches Wörterbuch. (2013). Teil 2. Großes Wörterverzeichnis. Wien: Österreichischer
Bundesverlag Schulbuch Gmbh & Co. KG
KLWB-1 = Hessky, Regina. (2010). Német-magyar, magyar-német gyerekszótár. (= KLWB: Deutsch-Ungarisch,
Ungarisch-Deutsch). Szeged: Grimm.
KLWB-2 = Hessky, Regina, Bertalan, Iker, Eszter, Mozsárné Magay et al. (2012). Angol-magyar, magyar-angol
gyerekszótár. (= KLWB: Englisch-Ungarisch, Ungarisch-Englisch). Szeged: Grimm.
Langenscheidt Grundschulwörterbuch Deutsch (2013). München: Langenscheidt GmbH & Co. KG.
Langenscheidt Grundschulwörterbuch Englisch (2013). München: Langenscheidt GmbH & Co. KG.
LDOCE = Mayor, Michael. (1978). Longman Dictionary of Contemporary English. Harlow: Pearson Longman.
LGwDaF = Götz, Dieter & Haensch, Günther & Wellmann, Hans (Hrsg.) (1993). Langenscheidt Großwörterbuch,
Deutsch als Fremdsprache. Berlin & München: Langenscheidt.
ÖKLWB = Zipser, Katharina, Posch, Claudia, Mussner Marlene, Kienpointner, Manfred & Kriston, Renáta. (in
Vorbereitung). Lernerwörterbuch für Kinder: Österreichisch-Englisch, Englisch-Österreichisch, Imst:
Alphabet Verlag.
Österreichisches Wörterbuch = Pabst, Christiane M. & Fussy, Herbert & Steiner, Ulrike. (2016). Österreichisches
Wörterbuch. 43., aktualisierte Auflage. Wien: Österreichischer Bundesverlag Schulbuch Gmbh & Co.
KG.
Oxford 3000 = The Oxford 3000™. The Oxford 3000™ from the Oxford Advanced Learner's Dictionary (2005).
http://www.oxfordlearnersdictionaries.com/wordlist/english/oxford3000/ (Abrufdatum: 20.08.2017).
Oxford Junior Illustrated Dictionary. (2011). 7-9 years. Oxford: Oxford University Press.
Variantenwörterbuch des Deutschen = Ammon, Ulrich & Bickel, Hans & Lenz, Alexandra N. et. al. (2016).
Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland,
Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und
Mennonitensiedlungen. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin/Boston: de Gruyter.
Wie sagt man in Österreich? = Ebner, Jakob. (2009). Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des
Österreichischen Deutsch. 4. Auflage. Mannheim: Duden.

128
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Sprachen und Varietäten an der


Universität – Das Projekt „VAMUS“
Philip Vergeiner*, Monika Dannerer*, Peter Mauser°
Universität Innsbruck*, Universität Salzburg°

1. Begründung für die Studie


Universitäten sind Orte der Mehrsprachigkeit: Nicht nur, dass dem Englischen als lingua
franca in Forschung, Lehre und Verwaltung eine immer zentralere Rolle zukommt (Janssens
et al. 2013), gerade Hochschulen sind von den „three Ms“ betroffen, die laut Franceschini &
Veronesi (2014) einen Wandel in der gesellschaftlichen Sprachenvielfalt bedingen: „Mobility,
migration and minorities“ (S. 58). (Bildungs-)Mobilität und (Binnen-)Migrationen führen
dabei nicht nur zum Sprach-, sondern auch zum Varietätenkontakt.
Mehrsprachigkeit meint im Rahmen des Projekts VAMUS (= „Verknüpfte Analyse von
Mehrsprachigkeiten am Beispiel der Universität Salzburg“) sowohl innere als auch äußere
Mehrsprachigkeit (Wandruzka 1979), deren übergreifende Analyse eines der methodischen
Hauptziele von VAMUS darstellt, u.a. in Anlehnung an den Repertoire-Begriff bei Gumperz
(1964) sowie das Konzept des „linguistic style“ von Auer (2007).
Inhaltliches Ziel ist die Beschreibung der universitären Mehrsprachigkeit – die Universität
Salzburg als Erhebungsort einer breit angelegten empirischen Untersuchung fungiert dabei
als Beispiel für eine Universität mittlerer Größe im süddeutschen Sprachraum. Geleitet wird
das von der Österreichischen Nationalbank geförderte Projekt von Monika Dannerer und
Peter Mauser (Projektnummer 18.527; Laufzeit: 4/2014 – 3/2018).

2. Forschungsfragen
Ziel von VAMUS ist u.a. die Beantwortung folgender Fragestellungen (Dannerer 2015;
Dannerer & Mauser 2016):

 Welche Rolle spielen in Forschung, Lehre und Verwaltung das Deutsche als
Erst-, Zweit- und Fremdsprache, das Englische als lingua franca, andere Erst-
, Zweit- und Fremdsprachen sowie die Varietäten des Deutschen?
 Welche Selbsteinschätzungen bestehen zu Gebrauch, Kompetenz und
Erwerb der jeweiligen Sprachen und Varietäten?
 Welche Einstellungen gibt es zu diesen Sprachen und Varietäten sowie zu
ihrem Gebrauch, ihrer „Mischung“ und ihrem Erwerb?

129
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

 Gibt es dabei Unterschiede zwischen den Fächern und Fakultäten sowie den
einzelnen Personengruppen an der Universität? Wie sind Einstellungen,
Einschätzungen und Kompetenzen auf die reale Sprachverwendung
bezogen?
 Inwiefern stehen Spracheinstellungen und -gebrauch mit der universitären
Sprachenpolitik sowie mit dem Selbstbild der Universität in Verbindung,
welche Probleme lassen sich hinsichtlich der universitären Mehrsprachigkeit
ausmachen undwelche Handlungsdesiderate formulieren?

3. Die Studie
Das umfangreiche Datenkorpus berücksichtigt systematisch Lehrende, Studierende und
Verwaltungsangestellte und wird u.a. nach den Fakultäten sowie dem sprachbiographischen
Hintergrund in Bezug auf das Deutsche (Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache)
ausgewertet. Es umfasst folgende quantitative und qualitative Datentypen:
 1.200 Online-Fragebögen (ca. 5% aller Studierenden, 10% aller Lehrenden und 20%
des administrativen Personals)
 120 leitfadengestützte Einzelinterviews mit allen ProbandInnengruppen
(Audioaufnahmen á 30-90 min)
 20 Video- und Audioaufnahmen natürlicher Interaktionen im Rahmen von
Lehrveranstaltungen und Verwaltungsgesprächen
 19 Leitfadeninterviews mit FunktionsträgerInnen der mittleren und höchsten
Verwaltungsebene, unter Berücksichtigung auch der Universitäten Wien, Innsbruck
und Bozen inklusive eines Supplementkorpus mit schriftlichem Datenmaterial zur
universitären Sprachenpolitik

Die Datenauswertung erfolgt quantitativ und qualitativ im Rahmen eines Mixed-Methods-


Ansatzes.

4. Ergebnisse
Exemplarisch seien hier ausgewählte Ergebnisse für die äußere Mehrsprachigkeit
präsentiert, v.a. mit Bezug auf Englisch als lingua franca (für die innere Mehrsprachigkeit vgl.
Vergeiner 2016; Schnötzinger 2016). Berücksichtigt werden Sprachgebrauch, Sprachenpolitik
und Spracheinstellungen.
Sowohl Interview- als auch Fragebogendaten zeigen ein plurilinguales (und -varietäres)
Repertoire bei allen ProbandInnengruppen (vgl. etwa Diagramm 1 aus dem Fragebogen der
Lehrenden; Dannerer 2015: 149).

130
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Publikationssprachen der Lehrenden (n = 169; Mehrfachantworten möglich)

Deutsch 80,5%
Englisch 80,5%
Französisch 6,5%
Italienisch 4,7%
Russisch 3,6%
Tschechisch 3,0%
Spanisch 2,4%
Portugiesisch 1,2%
Polnisch 1,2%
Bulgarisch 1,2%
Chinesisch 1,2%
Japanisch 1,2%
Ungarisch 0,6%
Griechisch 0,6%
Serbokroatisch 0,6%
Türkisch 0,6%
Syrisch-Aramäisch 0,6%
Koreanisch 0,6%

Als Publikationssprachen dominieren Deutsch und Englisch. Darüber hinaus werden aber 16
weitere Sprachen so gut beherrscht, dass in ihnen publiziert werden kann, wobei es sich
dabei vielfach handelt um „mitgebrachte“ Erstsprachen oder um die Zielsprachen bei den
Einzelphilologien.
Englisch nimmt auch in Lehr- und Verwaltungskontexten eine immer bedeutendere Rolle
ein. In vielen Interviews wird festgehalten, dass die Universität den Englischgebrauch und -
erwerb bewusst forciert; repräsentativ kann folgende Aussage des Lehrenden LED zitiert
werden, der meint24:
es wird verSUCHT, | äh natürlich im SINne der? | (---) sogenannten internationaliSIErung;
|°hh mehr- (1.0) | ANgebot? | äh::: in ENGlischer sprache zu machen.
Später stellt LED fest, dass eine solche Forcierung anderen Sprachen nicht zukommt:
sozusagen als GANzes, | (2.1) find ICH dass, | DASS es, | eigentlich nur in RICHtung; | °hhh
anglifiZIErung geht.
Dieser Eindruck von LED lässt sich durch die Analyse der sprachenpolitischen Dokumente
sowie die Ergebnisse der Interviews mit den universitären Entscheidungsträgern
untermauern. Maier (2016) stellt fest, dass die Förderung von Mehrsprachigkeit zur
Steigerung der Internationalität im Wesentlichen auf den Ausbau englischsprachiger Lehre
beschränkt bleibt, wohingegen die Förderung einer darüber hinausgehenden
Mehrsprachigkeit nur ihm Rahmen „weiterführende[r], extracurriculare[r]
Sprachkursangebote“ stattfindet (S. 169-170).

24
Interview LED (Lehrender, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, L1: Englisch); Ausschnitt:
00:48-01:27 (gesamt: 45: 82); Interview: Tina Kubek, Transkript: Philip Vergeiner
131
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Bewertet wird diese „Anglifizierung“ uneinheitlich: Vielfach wird die zunehmende Rolle des
Englischen neutral gesehen oder gutgeheißen, oftmals besteht der explizite Wunsch nach
weiterer Förderung (Weitzhofer 2016), so meint SIG, eine Studierende25:
dass es einfach WICHtig is,= | =dass mA: (.) sich; | ENGlisch;= | =die terminoloGIEN
kennt, | dass man die beGRIFfe kennt; | °hh und wenn man WILL?= | konn man ja_A |
=konn man des ganze stUdium auf DEUTSCH a durchziehen. | {...} | die FROge isch nur-
= | =wieviel BRINGT oam des? | WEIL; | °hh in der globaliSIERten welt?

Einzelne Gruppen – hier sind etwa Lehrende der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen
Fakultät zu nennen oder auch Incoming-Studierende, die das Deutsche gut beherrschen –
sehen diese Entwicklung kritisch, etwa der Lehrende LAH26:
also da_da_da bin Ich ehr_ehr_ehrlich gsogt da_da_daGEgen; | dass also ENGlisch
unterrIchtet wird. | [...] | oiso °hh nEd dass i_s ned MOCHN könnte,= | [...] | des äh_is
WIRklich a, | °hh ähm ein unNÖtiger knIEfoll vor::_äh- | vor der (.) angeblichen
WELTsprache.

Im Hinblick auf die Einbindung anderer (Schul-)Fremdsprachen gibt es demgegenüber nur


wenige Wünsche, mitgebrachte Migrationssprachen werden hingegen überwiegend
abgelehnt, wie hier von LUC27 (vgl. Dannerer i.Dr.):
(---) mh obgeshn DAvon dass wir, | (-) holt die (.) die MÖglichkeit dazu ned hoben | owa ICH,
| °hhh WÜSSTe nicht? | ähm:: (---) welches zIEl ma damit verFOLgen würden.

5. Diskussion und Schluss


Das Projekt VAMUS setzt sich zum Ziel, mit der Kompletterhebung einer Institution ein
möglichst holistisches Bild universitärer Mehrsprachigkeit zu zeichnen – sein Einfluss auf die
explizite Sprachenpolitik der Universität wird sich zeigen.

Literaturangaben

Auer, Peter. (2007). Introduction. In Peter Auer (Hrsg.), Style and Social Identities. Alternative Approaches to
Linguistic Heterogeneity (S. 1-21). Berlin u.a.: De Gruyter.
Dannerer, Monika. (2015). Gewünschte, gelebte und verdeckte Mehrsprachigkeit an der Universität. ÖDaF-
Mitteilungen, 2, S. 143-150.
Dannerer, Monika. (i. Dr.). Sprachliche Repertoires an der Universität. Sprachliche Vielfalt und Einstellungen zu
Mehrsprachigkeit an der Universität Salzburg. ÖDaF-Mitteilungen, 1.
Dannerer, Monika & Mauser, Peter. (2016). Österreichische Universitäten als mehrsprachige
Interaktionsräume? Universitäre Sprachenpolitik vor dem Hintergrund des Projektes „Verknüpfte
Analyse von Mehrsprachigkeiten am Beispiel der Universität Salzburg (VAMUS)“. In Joanna Jablkowska
et al. (Hrsg.), Literatur, Sprache und Institution (S. 170-183). Wien: Präsens.

25
Interview SIG (Studierende, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, L1 Deutsch); Ausschnitt:
17:39-17:54 (gesamt: 43:29); Interview: Elisabeth Schnöll, Transkript: Philip Vergeiner
26
Interview LAH (Lehrender, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, L1 Deutsch); Ausschnitt:
24:48-25:12 (gesamt: 40:39); Interview: Tina Kubek, Transkript: Philip Vergeiner
27
Interview LUC (Lehrender, Naturwissenschaftliche Fakultät, L1 Deutsch); Ausschnitt: 27:44–27:55 (gesamt:
32:26) Interview: Antonia Leitgeb, Transkript: Philip Vergeiner
132
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Franceschini, Rita & Veronesi, Daniela. (2014). Multilingual Universities: Policies and Practices. In Stedania
Baroncelli et al. (Hrsg.), Teaching and learning in the European Union. Traditional and innovative
methods (S. 55-72). Dordrecht: Springer.
Gumperz, John. (1964). Linguistic and Social Interaction in Two Communities. American Anthropologist, 66/6, S.
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Janssens, Rudi & Mamadouh, Virginie & Marácz, László. (2013). Multilingual higher education in European
regions. Acta Universitatis Sapientiae. European and regional studies, 3, S. 5-23.
Maier, Sebastian. (2016). Universitäre Sprachenpolitik. Die Universitäten Salzburg, Innsbruck, Wien und Bozen
im Umgang mit Formen der Mehrsprachigkeit. Masterarbeit, Univ. Salzburg.
Schnötzinger, Andrea. (2016). Innere Mehrsprachigkeit als Herausforderung. Das varietäre Spektrum des
Deutschen an der Universität Salzburg im Spiegel der Einstellungen von Lehrenden und Studierenden.
Dipl.Arb., Univ. Salzburg.
Selting, Margret et al. (2009). Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT 2). Gesprächsforschung -
Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 10, S. 353-402.
Vergeiner, Philip C. (2016). Kookkurrenz – Kovariation – Kontrast. Formen und Funktionen der Dialekt-
/Standardvariation in Gesprächen der Hochschulverwaltung. Masterarbeit, Univ. Innsbruck.
Wandruszka, Mario. (1979). Die Mehrsprachigkeit des Menschen. München: Piper.
Weitzhofer, Eva M. (2016). Die Sprache(n) in den Wissenschaften. Attitüden Studierender und Lehrender an der
Universität Salzburg zur deutschen und englischen Wissenschaftssprache und den
Erwerbsschwierigkeiten der deutschen Wissenschaftssprache. Dipl.Arb., Univ. Salzburg.

Appendix: Transkriptionskonventionen [nach GAT 2; Selting et al. 2009: 391-393]


[...] Auslassung
| Segmentgrenze (Intonationsphrase)
is_es Verschleifung
= Schneller Anschluss (latching)
: / :: / ::: Dehnung ( bis ca. 0.5 Sek. / ca. 0.5 - 0.8 Sek. / ca. 0.8 - 1.0 Sek. Dauer)
°h / °hh /°hhh Einatmen ( bis ca. 0.5 Sek. / ca. 0.5 - 0.8 Sek. / ca. 0.8 - 1.0 Sek. Dauer)
h° / hh° / hhh° Ausatmen ( bis ca. 0.5 Sek. / ca. 0.5 - 0.8 Sek. / ca. 0.8 - 1.0 Sek. Dauer)
(.) / (-) / (--) / (---) geschätzte Pause (bis ca. 0.2 Sek. / ca. 0.2 - 0.5 Sek. / ca. 0.5 - 0.8 Sek. /
ca. 0.8 - 1.0 Sek. Dauer)
(1.2) gemessene Pause
SPRAche Fokusakzent
spraAche Nebenakzent
?/,/-/;/. Tonhöhenbewegung (hoch steigend / mittel steigend / gleichbleibend /
mittel fallend / tief fallend)

133
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Schule als Sprachraum. Mehrsprachige


Realität an Schulen in Wien und Brünn
Edna Imamović-Topčić3, Miroslav Janík2, Tomáš Janík2, Karolína
Pešková2, Brigitte Sorger1, Eva Vetter3, Denis Weger3 sowie
Lehramtsstudierende der beteiligten Institutionen
1Pädagogische Hochschule Wien, 2Masaryk Universität Brünn, 3Universität Wien

1. Ausgangslage
Der Sprachraum Schule steht im Zentrum dieses, im Jahr 2017 von der AKTION Österreich-
Tschechische Republik geförderten, Kooperationsprojekts zwischen der Pädagogischen
Fakultät Brünn, dem Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien und dem
Didaktikzentrum für Text- und Informationskompetenz der Pädagogischen Hochschule Wien.
Die KooperationspartnerInnen gehen von der Beobachtung aus, dass Kinder ein
vielfältiges sprachliches Repertoire in die Schule mitbringen, das sich aus (Bruchstücken von)
mehreren Sprachen, Dialekten und Sprachstilen nährt (Blommaert 2010, Busch 2013). Mit
dem Eintritt in die Schule kommt es zu einer Verengung im Umgang mit den verschiedenen
Komponenten des sprachlichen Repertoires, denn nicht alle Komponenten finden in der
Schule Platz. Die gesellschaftliche und schulsprachenpolitische Ordnung verlangt nach
geteilten Sprachverwendungsformen. Das Streben nach der Herstellung einer solchen
Ordnung steht am Anfang des Prozesses der Engführung in Richtung Unterrichtssprache und
erste Fremdsprache. Die Frage der Vielfalt des vorhandenen sprachlichen Repertoires wird
an den Schulen unterschiedlich bearbeitet und lässt schulspezifische Modelle entstehen.
Diese Modelle werden in diesem Projekt auf drei Ebenen untersucht, und zwar auf jener der
Schule, des Unterrichts und der Individuen.

2. Forschungsfragen
Die schulspezifischen Modelle werden anhand von drei Forschungsfragen einer Analyse
unterzogen, wobei sich die Forschungsfragen jeweils den drei Ebenen (1) Schule, (2)
Unterricht und (3) Individuum zuordnen lassen:
1. Wie positionieren sich Schulen im jeweiligen schulsprachenpolitischen Kontext?
2. Wie werden die Komponenten des sprachlichen Repertoires der SchülerInnen (kurz:
Sprachen) in der Schule wahrgenommen und bearbeitet?
3. Wie erfahren SchülerInnen die sprachenbezogene Positionierung der Schule?

134
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

3. Die Studie
Durchgeführt wird die Studie an je drei Schulen in Wien und Brünn in der Sekundarstufe I.
Der Fokus auf die Sekundarstufe I wurde gewählt, um einerseits eine bessere
Vergleichbarkeit der Ergebnisse im Hinblick auf die jeweiligen Schulprofile zu ermöglichen,
und weil die Sekundarstufe I andererseits die Schnittstelle zu weiterführenden
Bildungsmöglichkeiten darstellt. Abgestimmt auf die Forschungsfragen, die sich jeweils auf
die drei Analyseebenen (1) der Schule, (2) des Unterrichts und (3) der Individuen beziehen,
wird methodisch wie folgt vorgegangen (siehe auch Tabelle 1):
Ebene der Schule
Die institutionelle Ebene ‚Schule‘ ist jene mit dem höchsten Abstraktionsgrad. Über die in
Österreich und Tschechien unterschiedlich gewichtete Aushandlung zwischen nationalen
Sprachunterrichtspolitiken und schulinternen Profilbildungen stellt die Ebene der Schule die
Verbindung zwischen der Makro-Ebene der beiden Staaten und der Mikro-Ebene der
Individuen her. Die Forschung widmet sich hier folglich einer inhaltlichen Analyse von policy-
Dokumenten in beiden Staaten (z.B. in Tschechien Schulbildungsprogramm/schulinternes
Curriculum oder in Österreich Lehrpläne, Bildungsstandards), sowie den Schulprofilen, die
über verschiedene Datenquellen direkt und indirekt erschlossen werden sollen. Durch
Linguistic Landscapes werden Daten generiert, die sich auf die Manifestation und
Wahrnehmung von Sprache/n im Raum der jeweiligen Schule beziehen. Des Weiteren erfolgt
eine Textanalyse von schulischen Dokumenten, die mit der Selbstdarstellung der Schule als
Instanz in Verbindung stehen, zum Beispiel Informationsmaterialien oder Hausordnung und
Texte auf der Homepage. Interviews mit der Direktion und mit SprachenkoordinatorInnen
(falls vorhanden) haben ebenso das Ziel, die Wahrnehmung von Sprachen in den jeweiligen
Schulen zu beschreiben.
Ebene des Unterrichts
Auf der Ebene des Unterrichts geht es um die Beschreibung der sprachenrelevanten
Praktiken in der Schule. Folgende Fragestellungen werden bearbeitet: Was passiert
tatsächlich im Unterricht? Welche Funktionen haben Sprachen in der Schule? Wie kann die
Mehrdimensionalität von Sprache in der Schule bestmöglich beschrieben werden? Welche
Sprachen ermöglichen welche Form von Teilhabe am schulischen Geschehen?
Der Fokus liegt auf Unterrichtsbeobachtungen, die auf sprachenrelevante Praktiken
abzielen und verschriftet werden. Zu einem großen Teil werden sie von Studierenden der
beteiligten Institutionen durchgeführt, wobei geplant ist, die Studierenden in
Lehrveranstaltungen auf die empirische Arbeit (Datensammlung und -analyse)
vorzubereiten.
Die Vergleichbarkeit der Daten wird auf mehrfache Weise gesichert: Erstens folgen die
Beobachtungen einem gemeinsam vereinbarten Beobachtungsraster. Des Weiteren werden
Unterrichtsbeobachtungen zumindest teilweise in tschechisch-österreichischen Teams
durchgeführt, und drittens sind gemeinsame Datensitzungen vorgesehen, die sowohl
innerhalb der österreichischen bzw. tschechischen Gruppe von Studierenden stattfinden als
135
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

auch übergreifend mit allen Studierenden gemeinsam. Der intensive Austausch in der Phase
der Datenerhebung, -speicherung und -interpretation stellt einen besonderen
wissenschaftlichen Mehrwert des Projekts dar. Obwohl der Fokus der Beobachtungen auf
dem Unterricht liegt, werden auch sprachliche Praktiken außerhalb des Unterrichts (in der
Pause, am Buffet etc.) aufgenommen, soweit sie der Beobachtung zugänglich sind. Dies
erlaubt einen holistischen Zugang auf den Sprachenraum Schule und ein differenziertes Bild.
Ebene der Individuen
Die dritte Ebene ist die der Individuen. Sie fragt danach, wie SchülerInnen den Sprachenraum
Schule mit ihren eigenen sprachenbezogenen Erfahrungen verbinden, d.h. wie sie ihre
Sprachen im Laufe der Schulzeit (Primarstufe und Sekundarstufe I) wahrnehmen. Ähnlich wie
auf der Ebene des Unterrichts werden auch hier Studierende darauf vorbereitet, empirische
Forschung durchführen zu können. In Leitfadeninterviews mit ausgewählten SchülerInnen
werden Schlüsselerfahrungen mit und durch Sprache/n erfasst. Die Interviews folgen einem
gemeinsam vereinbarten Leitfaden. Dementsprechend werden SchülerInnen dazu
eingeladen, kritische Ereignisse aus ihrer Schulzeit, die mit Sprache zusammenhängen, zu
erzählen. Das Datenmaterial erlaubt die Rekonstruktion der schulbezogenen
Sprachenbiographie und die Einzelfallanalyse (Kasuistik) im Kontext von Schule und
Unterricht. Die Daten werden verschriftet (Minimaltranskript) und inhaltsanalytisch
ausgewertet.

Tabelle 1: Forschungsdesign und -methoden


Ebene Spezifische Fragestellung Forschungsmethoden
Schule Welcher expliziten (und impliziten) Inhaltsanalyse der
Sprachenpolitik folgen die Schulen? sprachunterrichtspolitischen
Materialien & Interview mit
Schulleitung/SprachenkoordinatorIn
linguistic landscape/school-scaping
Unterricht Welche sprachenrelevanten Praktiken lassen Unterrichtsbeobachtungen
sich tatsächlich beobachten?
Individuen Wie nehmen SchülerInnen ihre Sprachen im Interviews mit
Laufe der Schulzeit wahr? ausgewählten SchülerInnen

Die Auswertung der Daten erfolgt mittels qualitativer Inhaltsanalyse und Grounded Theory
zur Kategorisierung der Beobachtungen.

4. Ergebnisse
Das Projekt hat im Jänner 2017 begonnen und die ersten Daten wurden im Mai 2017
erhoben. Aktuell läuft die Sichtung der Daten. Erste Analyseergebnisse werden im Juli 2017
erwartet. Aus diesen Gründen liegen noch keine Ergebnisse vor, eine Präsentation der
Resultate ist allerdings im Rahmen der Konferenz Language Education across Borders
geplant, die vom 8.-10. Dezember 2017 an der Universität Graz stattfindet.

136
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Blommaert, Jan. (2010). The sociolinguistics of globalization. Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press.
Busch, Brigitta. (2013). Mehrsprachigkeit. Stuttgart: UTB.
García, Ofelia. (2009). Bilingualism and Translanguaging. In Ofelia García (Hrsg.), Bilingual Education in the 21st
Century: A Global Perspective (S. 42 – 72). Oxford: Wiley-Blackwell.
Scarvaglieri, Claudio & Salem, Tanja Fadia. (2015). “Educational Landscaping”: Ein Beitrag zur Entwicklung von
Bewusstheit über Sprache und Kommunikation. Zeitschrift für Angewandte Linguistik Vol. 62(1), S. 61 –
97.
Sierens, Sven & Van Avermaet, Piet. (2013). Language Diversity in Education: Evolving from Multlingual Educa-
tion to Functional Multilingual Learning. In David Little & Constant Leung & Sven Van Avermaet (Hrsg.),
Managing Diversity in Education. Languages, Policies, Pedagogies (S. 204-222). Bristol [u.a.]:
Multilingual Matters.
Weber, Jean Jacques & Horner, Kristine. (2013). Introducing Multilingualism: A Social Approach. London [u.a.]:
Routledge.

137
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Österreichisches Deutsch als Unterrichts-


und Bildungssprache
Jutta Ransmayr
Österreichische Akademie der Wissenschaften

1. Entdeckungszusammenhang
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert wird die deutsche Sprache als plurizentrische
Sprache konzeptualisiert (Kloss 1978, Clyne 1995a, 2005, Ammon 1995, 2005, Ammon et al.
2004). Während im DaF-Bereich das plurizentrische Konzept mittlerweile relativ etabliert ist,
gab es bisher kaum Studien dazu, ob und inwiefern dieses Konzept im Deutsch-
Muttersprachenunterricht eine Rolle spielt. Ransmayrs (2006) Studie zum Prestige des
österreichischen Deutsch in der Auslandsgermanistik/ im Deutsch-als-Fremdsprache (DaF)-
Bereich zeigt zudem, dass die österreichische Varietät im Ausland häufig nicht als
gleichwertig mit dem deutschländischen Deutsch, sondern vielmehr als Nonstandard- und
dialektale Varietät wahrgenommen wird.
Gleichermaßen gibt es in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise auf ambivalente
Einstellungen der SprecherInnen des österreichischen Deutsch gegenüber ihrer Varietät des
Deutschen bzw. auf sprachliche Minderwertigkeitsgefühle der ÖsterreicherInnen (Clyne
1995b, Moser 1999, Muhr 1989), sowie Hinweise auf eine Exonormorientierung von
PädagogInnen bei der Korrektur von Schülertexten (Ammon 1995, Heinrich 2010, Legenstein
2008). Diese Ambivalenz der Spracheinstellungen könnte – angesichts der zentralen Rolle
der Schule und der Lehrpersonen bei der Vermittlung von Sprachnormen,
Spracheinstellungen und Varietätenwissen (Ammon 2005) – ihren Grund in einer
mangelhaften Thematisierung der Varietätenfrage in den Schulen und in den an der
Außennorm orientierten LehrerInnenurteilen haben. Außer einer kleinen Studie von Rastner
(1997) und zwei Diplomarbeiten (Legenstein 2008, Heinrich 2010) gab es jedoch bisher kaum
Befunde zur Rolle des österreichischen Deutsch in österreichischen Schulen.

2. Fragestellungen des Projekts „Österreichisches Deutsch als


Unterrichts- und Bildungssprache“
Das Forschungsprojekt „Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“
(FWF-Projekt Nr. P23913–G18, September 2012-April 2015, Universität Wien), theoretisch
eingebettet in die Theorie der plurizentrischen Sprachen, hat sich erstmals innovativ mit der
Frage auseinandergesetzt, wie verschiedene Varietäten des Deutschen sowie die
plurizentrische Variation des Deutschen in der österreichischen Schul- und

138
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Ausbildungslandschaft thematisiert werden. Ausgehend von der Forschungslage zum Thema


zu Beginn des Projekts und einer Vorstudie durch Interviews mit ExpertInnen der
Deutschdidaktik wurde in verschiedenen Projektmodulen u.a. folgenden Fragestellungen
nachgegangen: Welche Varietäten des Deutschen (vom Dialekt über Umgangssprache bis hin
zu Standardvarietäten) werden von SchülerInnen und LehrerInnen in welchen Kontexten in
Österreichs Schulen verwendet? Wie thematisieren Lehr- und Studienpläne und
Deutschlehrbücher die Variation im Deutschen? Wie gehen DeutschlehrerInnen und
SchülerInnen mit den verschiedenen Varietäten im Unterricht um und wie sind sie diesen
Varietäten gegenüber eingestellt? Wie konzeptualisieren LehrerInnen und SchülerInnen die
sprachliche Variation in Österreich? Gibt es – wie in der Literatur behauptet – Tendenzen
unter LehrerInnen, sich bei der Textkorrektur am deutschen Deutsch zu orientieren? Auch
mögliche Korrelationen zwischen Spracheinstellung bzw. Sprachverwendung und
sprachexternen Variablen wurden untersucht, z.B. die Frage, ob es alters-/
generationsspezifische oder regionale Unterschiede im Sprachgebrauch und in der
Spracheinstellung gibt.

3. Methoden - und Datentriangualtion


Als Forschungsmethoden wurden Quellenstudium, qualitative und quantitative Methoden
der Befragung (Fragebogen, Interviews, Gruppendiskussionen) und teilnehmende
Unterrichtsbeobachtung eingesetzt. Die Daten wurden mittels deskriptiv- und
inferenzstatistischer bzw. diskursanalytischer/ gesprächsanalytischer Methoden
ausgewertet. Zunächst wurden in der Dokumentenanalyse die Deutsch-Lehrpläne von
Volksschule, Sekundarstufe I und II, die Studienpläne für die LehrerInnenausbildung Deutsch
der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen und die jeweils drei zu Projektbeginn am
häufigsten verwendeten Deutschlehrbücher des letzten Lernjahres der Grundstufe,
Sekundarstufe I und II analysiert. In einer zweiten Phase wurden eine große
Fragebogenerhebung bei SchülerInnen (Sekundarstufe II, n=1253) und LehrerInnen
(Volksschule, Sekundarstufe I+II, n=164) in allen neun Bundesländern, 21 Interviews mit
LehrerInnen aller Schultypen, teilnehmende Beobachtungen in 7 Schulklassen und je eine
Gruppendiskussion mit LehrerInnen und SchülerInnen durchgeführt.

4. Ergebnisse
Aus den verschiedenen Projektmodulen soll hier eine Auswahl an Ergebnissen zur
Konzeptualisierung des Deutschen in Österreich vorgestellt werden: Die Frage „Was ist
Ihrer Meinung nach österreichisches Deutsch?“ versuchte zu fassen, wie LehrerInnen und
SchülerInnen die deutsche Sprache in Österreich konzeptualisieren bzw. der Fragestellung
nachzugehen, ob die DeutschlehrerInnen und SchülerInnen am ehesten Standard,
Umgangssprache oder Dialekt mit „österreichischem Deutsch“ verbinden. Die folgenden
139
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Antwortoptionen (Mehrfachnennungen möglich) waren vorgegeben: (1) „das, was man in


österreichischen TV-und Radionachrichten spricht“; (2) „das, was man in Österreich im Alltag
spricht (Umgangssprache)“; (3) „die verschiedenen Dialekte in Österreich“; (4) „sonstiges“.
Vor allem wurde deutlich, dass unter den LehrerInnen in erster Linie nicht die
standardnahe Mediensprache mit österreichischem Deutsch assoziiert wird (47,6%), sondern
vielmehr die Umgangssprache (69,5%), und mit einer etwas geringeren Häufigkeit als die
standardnahe Mediensprache wurden die verschiedenen Dialekte genannt (43,9%).
Die SchülerInnen verbinden österreichisches Deutsch ebenso mehrheitlich mit
Umgangssprache, aber in Gegensatz zu den LehrerInnen auch stark mit Dialekt: 72,5% der
SchülerInnen wählten „das, was man in Österreich im Alltag spricht (Umgangssprache),
70,2% „die verschiedenen Dialekte in Österreich”. Die standardnahe Varietät der TV-und
Radionachrichten wird nur von 20,5% der SchülerInnen gewählt. Knapp 78% der
SchülerInnen geben nur Umgangssprache oder Dialekt oder beides in Kombination an und
wählten die standardnahe Varietät gar nicht.

Diagramm 1: Was ist Ihrer Meinung nach Österreichisches Deutsch?

das, was man in österreichischen TV- und 47,6


Radionachrichten spricht 20,5

das, was man in Österreich im Alltag spricht 69,5


% LehrerInnen
(Umgangssprache) 72,5
% SchülerInnen

43,9
die verschiedenen Dialekte in Österreich
70,2

0 10 20 30 40 50 60 70 80

Beide Gruppendiskussionen, die nach Vorliegen der ersten Ergebnisse der


Fragebogenerhebung durchgeführt wurden, zeigen, dass es letztlich für die SprecherInnen
sehr schwierig ist, die Variation des Deutschen in Österreich und das Dialekt-Standard-
Kontinuum zu konzeptualisieren, wie folgende Äußerung in der Gruppendiskussion der
SchülerInnen illustriert: „Ja es is irgendwie schwer da eine Linie zu ziehen und zu sagen, das
is jetzt Hochdeutsch und das is Umgangssprache, weil es bewegt sich immer irgendwie
dazwischen, finde ich.“
Die große Mehrheit der LehrerInnen und SchülerInnen nimmt länderspezifische
Unterschiede im Deutschen offenbar sehr deutlich wahr: 89,6 % der LehrerInnen und 79,2%
der SchülerInnen sind der Meinung, „dass Deutsch eine Sprache mit Unterschieden in der
Standardsprache zwischen den einzelnen Ländern ist, und nur 10,4% der LehrerInnen und

140
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

20,8% der SchülerInnen sehen Deutsch als „einheitliche Sprache mit einer einzigen
standardsprachlichen Form, die in allen deutschsprachigen Ländern gilt“:

Diagramm 2: Wie sehen Sie Deutsch? Deutsch ist…

100 89,6
79,2
80
60
40 20,8 % SchülerInnen
20 10,4 % LehrerInnen
0
eine Sprache mit Unterschieden in der eine einheitliche Sprache mit einer
Standardsprache zwischen den einzelnen einzigen standardsprachlichen Form
Ländern

Dass es ein österreichisches Standarddeutsch gibt, meinen 80,2% der LehrerInnen und 59,4%
der SchülerInnen, der Rest hat jeweils mit „nein“ oder „weiß nicht“ geantwortet:

Diagramm 3: Glauben Sie, dass es ein Österreichisches Standarddeutsch (Hochdeutsch) gibt?

90
80,2
80
70
59,4
60
50
% SchülerInnen
40 % LehrerInnen
30 24
20 16,6
12,1
7,8
10
0
Ja Nein Weiß nicht

Auch stereotype Einstellungen wurden in den erhobenen Polaritätsprofilen deutlich, die


hier exemplarisch für die Spracheinstellungen der LehrerInnen gegenüber dem
österreichischen Deutsch, dem deutschen Deutsch und auch gegenüber dem Schweizer
Deutsch angeführt seien.
Diagramm 4 zeigt, dass das Deutsch Deutschlands unter den DeutschlehrerInnen
tendenziell als „korrekter“, „gebildeter“, „schneller“ und „direkter“ als österreichisches
Deutsch empfunden wird, also in den eher sachlichen Bereichen die positiveren Werte hat.
Es gilt aber gleichzeitig als eher mäßig sympathisch, etwas unmelodisch, hart und
ungemütlich. Besonders deutlich positivere Werte für das österreichische Deutsch gibt es
hingegen bei den Merkmalen „sympathisch“, „angenehm“, „vertraut“, „gemütlich“,

141
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

„melodisch“, „weich“, „schön“ und „natürlich”. Das Schweizer Standarddeutsch liegt häufig
zwischen dem österreichischen und deutschen Deutsch, hat allerdings bei keinem
Adjektivpaar die positivste Wahrnehmung und wird von den LehrerInnen offenbar als am
ungebildetsten, schlampigsten, eher langsam und am wenigsten vertraut eingeschätzt:

Diagramm 4: Wie wirkt in Österreich bzw. in Deutschland bzw. in der Schweiz


gesprochenes Standarddeutsch auf Sie?

5. Empfehlungen
Empfehlungen, die sich aus den Projektergebnissen ableiten lassen, sind zum einen, dass
eine explizite, bewusste Thematisierung der Varietäten und Normen des Deutschen im
Sprachunterricht, in Lehrplänen und Studienplänen, in der Lehrerausbildung und in
Unterrichtsmaterialien unerlässlich erscheint. Dabei sollte das Ziel ein reflexiver Umgang mit
sprachlichen Unterschieden und flexiblen, situativen Normen im Sprachunterricht und im
Sprachhandeln sein.
Weitere Informationen zu den Projektergebnissen finden sich in Präsentationen und
Publikationen, die auf der Projekthomepage zu finden sind (http://oesterreichisches-
deutsch.bildungssprache.univie.ac.at/) bzw. werden - vermutlich Ende 2017 - in einer
Buchpublikation vorliegen. Auf der Homepage finden sich auch zahlreiche Links zu Medien-
berichten über das Projekt.

142
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben
Ammon, Ulrich. (1995). Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der
nationalen Varietäten. Berlin u.a.: de Gruyter.
Ammon, Ulrich, Bickel, Hans, Ebner, Jakob, Esterhammer, Ruth, Gasser, Markus, Hofer, Lorenz, Kellermeier-
Rehbein, Birte, Löffler, Heinrich, Mangott, Doris, Moser, Hans, Schläpfer, Robert, Schlossmacher,
Michael, Schmidlin, Regula & Vallaster, Günter. (2004). Variantenwörterbuch des Deutschen. Berlin/
New York: de Gruyter.
Ammon, Ulrich. (2005). Standard und Variation. Norm, Autorität, Legitimation. In Ludwig Eichinger & Werner
Kallmeyer (Hrsg.), Standardvariation: Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? (S. 28-40).
Berlin, New York: de Gruyter.
Clyne, Michael G. (1995a). The German language in a changing Europe. Cambridge.
Clyne, Michael G. (1995b). Sprachplanung in einer plurizentrischen Sprache: Überlegungen zu einer
österreichischen Sprachpolitik aus internationaler Sicht. In Rudolf Muhr. Richard Schrodt & Peter
Wiesinger (Hrsg.), Österreichisches Deutsch. Linguistische, Sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer nationalen Variante des Deutschen (S. 7-17). Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
Heinrich, Ilona Elisabeth. (2010). Österreichisches Deutsch in Lehrbüchern der Sekundarstufe 1 für Deutsch als
Muttersprache, Dipl.Univ.Wien.
Kloss, Heinz. (1978). Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800. In Sprache der Gegenwart:
Schriften des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. 2., erweiterte Auflage. Band 37.
Pädagogischer Verlag Schwann: Düsseldorf.
Legenstein, Christian. (2008). Das Österreichische Deutsch im Deutschunterricht. Eine empirische Untersuchung.
Dipl.Arb. Graz.
Ransmayr, Jutta. (2006). Der Status des Österreichischen Deutsch an Auslandsuniversitäten. Eine empirische
Untersuchung. Frankfurt u.a., Peter Lang Verlag.
Rastner, Eva-Maria. (1997). Sprachvarietäten im Unterricht. Eine Umfrage unter Österreichs LehrerInnen zu
Standardsprache – Umgangssprache – Dialekt. In ide-Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für
den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule, 1997/3, S. 80-93.

Auswahl bisher erschienener Publikationen aus dem Projekt


Ransmayr, Jutta. (in Druck). Dialekt, Standard & Co. in Österreichs Schulen: Verwendung von und Umgang mit
Varietäten des Deutschen in Österreichs Klassenzimmern. Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt
zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache. In Reihe: Schriften zur deutschen
Sprache in Österreich. Frankfurt a.M. / Wien u.a.: Peter-Lang-Verlag.
Ransmayr, Jutta, & Fink, Ilona Elisabeth. (2016). Umgang mit Varietäten im Unterricht von Deutsch als
Muttersprache/Bildungssprache. In Michaela Rückl (2016) (Hrsg.), Sprachen und Kulturen: vermitteln
und vernetzen. Beiträge zu Mehrsprachigkeit und Inter-/Transkulturalität im Unterricht, in Lehrwerken
und in der Lehrerbildung. Münster: Waxmann (Salzburger Beiträge zur Lehrerbildung: Der Dialog der
Fachdidaktiken mit Fach- und Bildungswissenschaften, 2).
Fink, Ilona Elisabeth. (2016). Language loyalty to the Austrian variety of the German language. In Rudolf Muhr
Rudolf & Kelen Ernesta Fonyuy & Zeinab Ibrahim & Corey Miller (Hrsg.), Pluricentric Languages and
Non-Dominant Varieties Worldwide: Volume 1: Pluricentric Languages across Continents - Features and
Usage (S. 249-262). Frankfurt a.M. / Wien u.a.: Peter Lang Verlag.
de Cillia, Rudolf & Ransmayr, Jutta & Fink, Ilona Elisabeth. (2014). Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und
Bildungssprache. Forschungsprojekt der Universität Wien, Institut für Sprachwissenschaft. In BMBF
(Hrsg.), Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache (S. 42-45). Wien: BMBF.
Ransmayr, Jutta & Fink, Ilona Elisabeth. (2014). Das österreichische Deutsch als Unterrichts- und
Bildungssprache. Vorläufige Ergebnisse des FWF-Projekts. In ide. Informationen zur Deutschdidaktik.
Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule. 38. Jahrgang, Heft 3/2014, Innsbruck:
Studienverlag, S. 40-52.
143
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Fink, Ilona Elisabeth. (2014). »Wimmerl is eigentlich wirklich a Mundortwort, oba ›Pickel‹ is a net schöner.«
Ergebnisse einer Studie über das Korrekturverhalten von österreichischen Lehrenden. In ide.
Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule.
38. Jahrgang, Heft 3/2014, S. 69-78.
de Cillia, Rudolf & Ransmayr, Jutta. (2014). Das österreichische Deutsch und seine Rolle als Unterrichts- und
Bildungssprache. In Alexandra Lenz & Timo Ahlers & Manfred Glauninger (Hrsg.), Dimensionen des
Deutschen in Österreich – Variation und Varietäten im sozialen Kontext. Reihe „Schriften zur deutschen
Sprache in Österreich (S. 59-72.). Bd. 42“. Frankfurt a.M. / Wien u.a.: Peter Lang.

144
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Metasprachliche Kompetenzen
mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler
im Übergang von der Grundschule in die
Sekundarstufe
Muhammed Akbulut
Universität Graz

1. Begründung für die Studie


Die Bedeutung metasprachlicher Kompetenzen in schulischen Lehr-Lern-Prozessen ist in den
letzten Jahren zunehmend genauer in den Blick genommen worden (vgl. Gornik 2014;
Neuland et al. 2014). Dies gilt nicht nur für die einschlägigen Lernbereiche des
Deutschunterrichts (vgl. Bredel / Schmellentin 2015) und des Fremdsprachenunterrichts (vgl.
Burwitz-Melzer 2012), sondern auch für die Rolle des bewussten Sprachengebrauchs im
Fachunterricht (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2013). Gleichzeitig ist das Konstrukt
„Metasprachliche Kompetenzen“ – in der Sprachdidaktik auch bekannt unter den Begriffen
Sprachbewusstsein/Sprachbewusstheit, Sprachreflexion oder Sprachaufmerksamkeit – bis
heute diffus geblieben: Die Systematisierung der Begriffe und der zugrundeliegenden
Konzepte stellt nach wie vor ein Desiderat dar. Im Groben lassen sich jedoch zwei
unterschiedliche Betrachtungsweisen aus der Forschungsliteratur extrahieren: Dem engen
Begriff metasprachlicher Kompetenzen, der das explizite, willkürliche und systematische
Reflektieren sprachlicher Phänomene beschreibt, steht der weite Begriff metasprachlicher
Kompetenzen gegenüber, der auch die reflektierende Kontrolle der sprachlichen Rezeptions-
und Produktionsprozesse umfasst und sich beispielsweise beim situations- und
adressatenadäquaten Gebrauch von Sprache zeigt (vgl. Nickel 2006).
Auch ist bis dato wenig darüber bekannt, wie die Entwicklung metasprachlicher
Kompetenzen im Rahmen der allgemein kognitiven und sprachlichen Entwicklung
eingeordnet werden kann. Die Annahme von Zusammenhängen zwischen der
metasprachlichen und der primärsprachlichen Entwicklung einerseits und der allgemeinen
kognitiven Entwicklung andererseits werden in der Literatur zum Teil als konkurrierende
Ansätze verstanden. Sie müssen sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen, die theoretische
Herausforderung besteht vielmehr darin, die unterschiedliche Beteiligung der beiden
Faktoren an der Entwicklung metasprachlicher Kompetenzen in ein plausibles Verhältnis zu
bringen (Waller 1988, 306-315). Ebenso ist in diesem Kontext die Rolle der Mehrsprachigkeit
ungeklärt. Zwar wird vielfach vermutet, dass Mehrsprachigkeit die Entwicklung
metasprachlicher Kompetenzen fördert (Oomen-Welke 2009, 17ff. mit weiteren

145
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Belegstellen), die Zahl der empirischen Arbeiten ist im deutschsprachigen Raum jedoch sehr
gering.

2. Forschungsfragen
Forschungsfrage 1:
Sprachanalysen als Indikator für die Entwicklung metasprachlicher Kompetenzen
Interessante und konkrete Anknüpfungspunkte in Form von zu überprüfenden Hypothesen
liefert in diesem Zusammenhang das Landauer Projekt „Sprachkompetenzen und
Sprachbewusstheit“, in welchem anhand einer aussagekräftigen Stichprobe (N=400) gezeigt
werden konnte, dass durch eine systematische Elizitation deklarativer metasprachlicher
Äußerungen (Erhebungsinstrument: M-SPRA, Wildemann/Akbulut/Bien 2016) bei
GrundschülerInnen in Klasse 4 individuelle Unterschiede im Bereich der metasprachlichen
Entwicklung abgebildet werden können. Die unterschiedliche Qualität der metasprachlichen
Äußerungen im Sinne des Elaboriertheitsgrades wurde vierstufig skaliert (vgl. Akbulut et al.
2015). Sehr allgemeinen, in ihrem Wesen tautologischen Erklärungen als einfachste Form
der Auseinandersetzung mit sprachbezogenen Fragestellungen stehen differenzierte
Sprachanalysen als komplexeste Form gegenüber. Im Rahmen dieser Sprachanalysen werden
von Seiten der Kinder sprachbezogene Hypothesen ausformuliert und anhand des
vorhandenen Sprachmaterials überprüft, wobei auch der gegensätzliche, induktive Weg
nachgewiesen werden konnte. Diese komplexen Formen metasprachlicher Äußerungen
treten zum Ende der Grundschulzeit jedoch vergleichsweise selten in Erscheinung. Wenig
überraschend ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Gruppe der sogenannten
„Analysierenden Kinder“ signifikant höhere Ausgangswerte im Bereich der sprachlichen
Kompetenzen und Grundintelligenz aufweist (vgl. Wildemann et al. 2016). Aufgrund dieser
Beobachtungen drängte sich im Projekt die Frage auf, ob die „Analysierenden Kinder“ im
Bereich der kognitiven Dimension metasprachlicher Kompetenzen einen
Entwicklungsvorsprung gegenüber ihren AltersgenossInnen aufweisen, der sich auf die Art
und Weise ihrer Auseinandersetzung mit sprachbezogenen Fragestellungen auswirkt, sich
aber spätestens in Klasse 6 nicht mehr nachweisen lässt, wenn die andern Kindern diesen
Vorsprung aufgeholt haben. Ob sich die angenommene Entwicklung im kognitiven Bereich
mit Piagets (1976) Entwicklungsstadien erklären ließe oder ob ein anderer theoretischer
Bezugsrahmen gewählt werden müsste, kann im Moment noch nicht beantwortet werden.

Forschungsfrage 2:
Mehrsprachigkeit als förderlicher Einflussfaktor für Sprachbewusstheit?
Ein weiteres interessantes Ergebnis aus dem Projekt „Sprachkompetenzen und
Sprachbewusstheit“ ist, dass mehrsprachige Kinder bei statistischer Kontrolle der
Einflussvariablen Alter, Grundintelligenz und Sprachkompetenz eine signifikant höhere
Gesamtzahl deklarativer metasprachlicher Äußerungen produzieren als ihre

146
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

„monolingualen“ Altersgenossen und dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen


dem Niveau der Mehrsprachigkeit und der Sprachbewusstheit gibt (vgl.
Akbulut/Bien/Wildemann 2017).
Die Replizierung der Studie mit älteren ProbandInnen kann die Tragfähigkeit und
Aussagekraft der im Projekt „Sprachkompetenzen und Sprachbewusstheit“ erzielten
Ergebnisse näher beleuchten. Dabei ist stets zu hinterfragen, ob der Faktor der
mehrsprachigen Sozialisation an Gewicht verliert, wenn die im familiären Umfeld einsprachig
aufgewachsenen Kinder ab der Sekundarstufe systematischen Fremdsprachenunterricht im
Englischen oder Französischen erhalten. Abgesehen davon ist in Zusammenhang mit dem
besseren Abschneiden der Mehrsprachigen zu bedenken, dass die festgestellten Vorteile
durchaus auch mit der Erhebungsmethode selbst zusammenhängen können, insofern als im
Gegensatz zu vielen anderen Studien (vgl. Krafft 2014) die mehrsprachigen Ressourcen in der
Erhebung explizit berücksichtigt wurden. Eine systematische Auseinandersetzung mit den
Ergebnissen vergleichbarer Studien vor dem Hintergrund der gewählten
Erhebungsmethoden soll hier Aufklärung verschaffen.

Forschungsfrage 3:
Metasprachliche Kompetenzen im Türkischen
Über die ersten beiden quantitativ-empirischen Forschungsfragen hinaus sollen ausgewählte
Videosequenzen für vertiefende qualitative Analysen mit der objektiv-hermeneutischen
Methode (Reichertz 2004) herangezogen werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen
Gespräche, bei denen Testleitung und Versuchspersonen nicht nur das Deutsche als
Kommunikationssprache verwenden, sondern auch auf das Türkische bei Ihren
Sprachbetrachtungsaktivitäten zurückgreifen und kreatives Code-Switching betreiben. Zum
einen kann daraus erschlossen werden, wie Kinder und Jugendliche in ihrer
Herkunftssprache über Sprache reflektieren und zum anderen, wie sie darauf reagieren, in
einer unterrichtsähnlichen Situation außerhalb des Herkunftssprachenunterrichts mit dem
Türkischen konfrontiert zu werden. Es wird angenommen, dass das Reflektieren über
sprachliche Phänomene den Schülerinnen und Schüler in der Erstsprache Freude bereitet
und sich positiv auf die Wahrnehmung ihrer eigenen sprachlichen Ressourcen auswirkt.
Gleichzeitig ist zu erwarten, dass aufgrund des Fehlens bildungssprachlicher Register das
Reflektieren über Sprache eine große Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler
darstellt. Durch die Vergleichsmöglichkeit mit Reflexionen im Deutschen kann dabei die Rolle
des Konzeptwissens rekonstruiert werden. Bei der Diskussion der Ergebnisse soll im
Vordergrund stehen, wie und ob die sprachlichen Ressourcen der Schülerinnen im
schulischen Kontext wahrgenommen und gefördert werden. Dies betrifft nicht nur den
Deutschunterricht als solches; vielmehr wird von einem Konzept der durchgängigen
Sprachbildung (Gogolin/Lange 2011) ausgegangen, welches das Sprachenlernen in allen
Fächern umfasst. Besonderes Augenmerk soll hier auf die Rolle und den status quo des
Herkunftssprachenunterrichts im deutschsprachigen Raum gelegt werden.

147
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

3. Methodische Anlage des Projekts


Untersuchungsdesign

Das Untersuchungsdesign beinhaltet die Triangulation qualitativer und quantitativer


Erhebungs- und Auswertungsmethoden.

Untersuchte Variablen und Stichprobe

Zur Beantwortung der gestellten Forschungsfragen


werden folgende Variablen mit folgenden Instrumenten
erhoben:

- Kognitive Grundfähigkeiten (CFT-20R)


- Sprachkompetenz in Erst- und Zweitsprache (Tulpenbeet)
- Sozioökonomischer Hintergrund (Fragebogen)
- Grammatisches Begriffswissen (Grammatiktest)
- Unterrichtserfahrungen mit Sprachreflexion (Leitfadeninterview)
- Metasprachliche Kompetenzen (M-SPRA)

Beim CFT-20R und beim Tulpenbeet-Verfahren (Reich/Roth/Gantefort 2008) handelt es sich


um standardisierte Verfahren. Der sozioökonomische Hintergrund wurde mit einem selbst
konstruierten Fragebogen erfasst, der sich an Fragebögen aktuell laufender Projekte im
deutschsprachigen Raum (z.B. VERA, EVA-Sek, Bi-Spra) orientiert. Das grammatische
Begriffswissen wurde auch mit einem eigens entwickelten Test erfasst, wobei die gewählten
Items, die in den Bildungsstandards (KMK 2005) formulierten Kompetenzerwartungen im
Bereich „Sprache und Sprachgebrauch“ erfassen. Um Hinweise auf den Einfluss des
Unterrichts auf die metasprachlichen Kompetenzen generieren zu können, wurden die an
der Erhebung teilnehmenden Kinder im Anschluss nach möglichen Erfahrungen im Bereich
Sprachreflexion gefragt. Die abhängige Variable des Projektes, die metasprachlichen
Kompetenzen, wurden mit dem Verfahren M-SPRA (Wildemann et al. 2016) erfasst.

4. Diskussion und Schluss


Die vorgestellte Untersuchung behandelt unterschiedliche Desiderate der
Sprachbewusstheitsforschung und liefert darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse für
verschiedene Bereiche der Sprachdidaktik. Für die Grammatikdidaktik ist von besonderem
Interesse, wie sich sprachanalytische Fähigkeiten in unterrichtsnahen Situationen, die
keinem traditionellen Grammatikunterricht folgen, sondern sprachreflexiv angelegt sind, in
Abhängigkeit vom Alter, der sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten sowie der
Interaktionssituation zeigen und wie diese sprachanalytischen Fähigkeiten gefördert werden
können. Für die Mehrsprachigkeitsdidaktik, die seit langem den Sprachvergleich als
obligatorische regelmäßig wiederkehrende Unterrichtssequenz jeglichen Sprachunterrichts
propagiert, ist es wichtig, eine empirische Grundlage zu erhalten, die zeigt, wie der
Sprachvergleich unter Berücksichtigung der Herkunftssprachen und Schulfremdsprachen in
148
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

unterschiedlichen Schulstufen funktioniert, auf welchen Fähigkeiten und


Kontextbedingungen er sich individuell ausgestaltet und welche Auswirkung er auf die
Ausbildung sprachanalytischer Fähigkeiten entfalten kann.

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ÖGSD Tagungsberichte 2.1

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150
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Das Projekt EVAL-IC und die Entwicklung


eines Modells der (rezeptiven)
Interkomprehensionskompetenz
Christoph Hülsmann, Margareta Strasser
Universität Salzburg

1. Ausgangslage
Die Förderung der Mehrsprachigkeit stellt ein zentrales Anliegen der Sprachenpolitik der
Europäischen Union dar. Ziel der Interkomprehensionsdidaktik, eines der wichtigsten
Teilgebiete der Mehrsprachigkeitsdidaktik, ist die Entwicklung einer mehrsprachigen
interkulturellen Kompetenz, wie sie u.a. von Coste, Moore & Zarate (1997, 2009) und im
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GERS) (Council of Europe, 2001)
beschrieben wird – wiewohl die praktische Umsetzung eines sprachenübergreifenden
Lernens von (Fremd-)Sprachen oft an der Unterrichtsrealität und deren
Rahmenbedingungen scheitert. Ein weiterer Grund für die Nichtumsetzung liegt aber wohl
auch an der mangelnden Konkretisierung der Lernziele, im Besonderen am Fehlen von
Kompetenzbeschreibungen. Hier setzt das Erasmus+-Projekt Évaluation des compétences en
intercompréhension: réception et interactions plurilingues (EVAL-IC) an, das an frühere
Projekte zur Interkomprehension wie Babelweb, EuroCom, EuRom 5, European Awareness
and Intercomprehension, Galatea/Galanet/Galapro, Intercom, REDINTER und Miriadi
anschließt und das in diesem Beitrag vorgestellt werden soll.

2. Projektphasen und Zielsetzungen


Das auf drei Jahre angelegte Projekt, an dem Expertinnen und Experten von insgesamt 14
Universitäten beteiligt sind, unterteilt sich in mehrere Phasen bzw. Arbeitspakete. In einer
ersten Phase bzw. in den ersten beiden Arbeitspaketen wurde der aktuelle Forschungsstand
zur rezeptiven und interaktionalen Interkomprehensionskompetenz erhoben. Ausgehend
von den Ergebnissen dieser beiden Arbeitspakete werden in den folgenden zwei Phasen
Modelle und Deskriptoren für die rezeptive bzw. interaktionale
Interkomprehensionskompetenz erstellt. In einem weiteren Schritt sollen schließlich
Verfahren zur Evaluierung der jeweiligen Interkomprehensionskompetenz(en) konzipiert
werden. Ziel ist die Entwicklung eines universitären Zertifikats für Interkomprehensions-
kompetenz(en) als Ergänzung zu den existierenden einsprachig orientierten Zertifikaten.
EVAL-IC konzentriert sich zunächst auf die romanische Sprachengruppe, da die Forschung in

151
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

diesem Bereich am weitesten fortgeschritten ist. Die Ausweitunge auf andere


Sprachengruppen wird aber angestrebt.

3. Zur rezeptiven Interkomprehension


Unter der Koordination der Universität Salzburg wurde im Zuge des ersten Arbeitspaketes
zunächst ein State-of-the-art-Bericht zur rezeptiven Interkomprehensionskompetenz in Form
einer kommentierten Bibliographie erstellt. Der Begriff der ‚rezeptiven Interkomprehension‘
bezeichnet dabei nach Ollivier & Strasser (2013) die
Rezeption (Lese- und/oder Hörverstehen) in fremden Sprachen, wenn diese
hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) auf der Basis von interlinguistischem
Wissenstransfer stattfindet. Vorkenntnisse in diversen Sprachen werden genutzt, um
andere Sprachen zu verstehen. (S. 43f.)
Berücksichtigt wurden in dieser ersten Phase sowohl Beiträge zum Kompetenzbegriff im
Allgemeinen als auch Literatur zur plurilingualen Kompetenz, zur rezeptiven
Interkomprehensionskompetenz und zu verwandten Ansätzen, wie etwa der rezeptiven
Mehrsprachigkeit und der Semikommunikation (z. B. ten Thije & Zeevaert, 2007;
Braunmüller & Zeevaert, 2001). Darüber hinaus wurden bestehende Modelle einer
mehrsprachigen Kompetenz hinsichtlich ihrer Kategorien und Deskriptoren analysiert. Zu
Letzteren zählen der Cadre de référence pour les approches plurielles des langues et des
cultures (CARAP) (Candelier u. a., 2007, 2012), der Référentiel de compétences de
communication plurilingue en intercompréhension (REFIC) und das Projekt Modularising
multilingual and multicultural academic and professional communication competence for BA
and MA level (MAGICC).
Basierend auf diesen Grundlagen wird ein Modell entwickelt, das alle relevanten
Komponenten und Subkomponenten einer Interkomprehensionskompetenz berücksichtigt.
Ebenfalls in die Analyse aufgenommen wurden Definitionen, die von Ollivier und Strasser
(2016) anhand relevanter Literatur und im Rahmen einer Befragung von Spezialistinnen und
Spezialisten im Bereich der Interkomprehension erhoben wurden und die – wie Diagramm 1
zeigt – Verweise auf folgende Kompetenzbereiche beinhalten:

152
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Komponenten der IK-Kompetenz (gesamt) (Ollivier & Strasser 2016, S. 117)

4. Auf dem Weg zu einem Kompetenzmodell für die


Interkomprehension
Im vorläufig entwickelten Kompetenzmodell wird die Interkomprehensionskompetenz als
dynamische Kompetenz verstanden, die folgende Unterkategorien umfasst:

 linguistische Dimension;
 soziopragmatische Dimension;
 nonverbale und paraverbale Dimension;
 inter-/intrapersonelle Dimension;
 interkulturelle Dimension;
 metalinguistische/metadiskursive/metakognitive Dimension;
 strategische Dimension.

Die strategische Dimension ist dabei als transversale Kompetenz zu verstehen, die auf den
Wissensbereichen (Savoir), den Fertigkeiten (Savoir-faire) und den persönlichkeitsbezogenen
Kompetenzen (Savoir-être) der anderen Dimensionen aufbaut.
Die einzelnen Dimensionen lassen sich zum Teil noch weiter untergliedern, so zum
Beispiel die linguistische Dimension in Phonologie, Orthographie, Morphosyntax, Semantik
und Lexik. Für die einzelnen Dimensionen wurden beispielhaft Deskriptoren aus den
analysierten Referenzrahmen CARAP, REFIC und Miriadi angeführt.
153
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Eine Analyse der relevanten Literatur und der bisher in diversen Projekten entwickelten
Lernmaterialien zeigt, dass die Mehrheit der Spezialist/inn/en die linguistische Kompetenz
als wichtigste Basis für die rezeptive Interkomprehension betrachtet (Ollivier & Strasser,
2016), mit deutlichem Abstand gefolgt von der kognitiven Kompetenz, den
persönlichkeitsbezogenen Einstellungen und der interkulturellen Kompetenz (vgl. Diagramm
1). Wenngleich für den Erfolg der rezeptiven mündlichen wie schriftlichen
Interkomprehension ein gewisser Grad an linguistischer Nähe notwendig ist (Castagne, 2004;
Doyé, 2007), wird die Konzentration auf sprachliche Kompetenzen häufig kritisiert. Peter
Doyé (2004, S. 4ff.) hebt beispielsweise die Relevanz nichtsprachlicher Wissensbestände
hervor. Im CARAP werden insbesondere die Deskriptoren der „weichen“ Kompetenzen für
die pluralen Ansätze (zu denen unter anderem auch die Interkomprehension zählt)
ausführlich behandelt (Meißner, 2013). Michael Byram (2010) kritisiert, dass die
interkulturelle Komponente der Interkomprehension bisher nur sehr vage beschrieben
worden sei. Für den Aufbau der Sprachbewusstheit bzw. einer übergreifenden
mehrsprachigen Rezeptionskompetenz können wiederum Aktivitäten, in denen die
Interkomprehension auch in nicht verwandten Sprachen trainiert wird, besonders nachhaltig
wirken (Meißner, 2011, S. 276f.; Ollivier & Strasser, 2017).
Weiters hat sich gezeigt, dass sich die bisherige Forschung mit wenigen Ausnahmen
(Cortés Velásquez, 2015; Jamet, 2007; Murillo, 2007) vor allem auf die schriftliche rezeptive
Interkomprehension konzentriert hat. Im Bereich der mündlichen rezeptiven
Interkomprehension besteht daher noch deutlicher Nachholbedarf.

5. Ausblick
In der nächsten Projektphase der Entwicklung von Deskriptoren für die rezeptive schriftliche
und mündliche Interkomprehension besteht daher die Herausforderung, zum einen die
verschiedenen Kompetenzbereiche, zum anderen die sprachlichen Aktivitäten
(mündliche/schriftliche rezeptive Interkomprehension) ausgewogen darzustellen.
Auch für die interaktionale Interkomprehension soll ein entsprechendes
Kompetenzmodell mit Deskriptoren für sechs Niveaustufen erstellt werden. Das
Kompetenzmodell entspricht dabei in den Hauptkategorien dem Modell für die rezeptive
Interkomprehension. Interaktionale Interkomprehension wird verstanden als
eine Kommunikationsform, bei der sich mindestens zwei Kommunikationspartner/innen
unter Verwendung unterschiedlicher Produktionssprachen verständigen. Jede/r
spricht/schreibt in einer Sprache, die er/sie in ausreichendem Ausmaß beherrscht, und
versteht den/die Kommunikationspartner/in, der/die sich in einer anderen Sprache (oft
innerhalb einer Sprachgruppe) ausdrückt. (Ollivier & Strasser, 2013, S. 44).
Eine wichtige Grundlage für die interaktionale Interkomprehension stellt die sogenannte
„Interproduktion“ (Balboni, 2007) dar. Damit wird die mündliche bzw. schriftliche Produktion
(sehr häufig in nahen/verwandten Sprachen) verstanden, die bewusst so gestaltet wird, dass
das Verstehen für den Rezipienten/die Rezipientin erleichtert wird.
154
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Die in dieser Projektphase entwickelten Deskriptoren werden in der Folge getestet und
überarbeitet. Am Ende des Projekts steht die Entwicklung eines Evaluationsverfahrens für
die rezeptive bzw. interaktionale Interkomprehension.

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156
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Individuelle Erwerbsverläufe im
sinnerfassenden Lesen ein- und
mehrsprachiger Grundschulkinder
Nadja Kerschhofer-Puhalo*, Werner Mayer°
Universität Wien und Universität Innsbruck*, Universität Wien°

1. Begründung für die Studie


Das Thema Lesen erhielt durch internationale Leistungsvergleichsstudien wie PISA und
PIRSL/IGLU in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. In Reaktion auf die Ergebnisse
von PISA 2009 wurden in Österreich auf allen Ebenen des Bildungssystems Maßnahmen zur
Leseförderung initiiert, die v.a. auch eng mit Formen regelmäßiger Leistungsüberprüfungen
verbunden sind. Seit dem Schuljahr 2011/12 bzw. 2012/13 werden Standardüberprüfungen
zu den nationalen Bildungsstandards (BIST) in der 4. und 8. Schulstufe durchgeführt. In den
Standardüberprüfungen in Deutsch (Breit/Bruneforth/Schreiner 2016) erreichten 2015 56%
der Schüler*innen der 4. Schulstufe die Bildungsstandards und zeigten „ein sicheres
Leseverständnis auf der Wort- und Satzebene (Stufe 2) und verstehen altersadäquate lineare
und nichtlineare Texte unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher inhaltlicher,
struktureller und sprachlicher Komplexität“ (S. 35). 6% der Getesteten übertreffen die
Standards sogar (Stufe 3), während 25% diese nur teilweise (Stufe 1) und 13% nicht
erreichen (unter Stufe 1). 60% der Schüler*innen mit Deutsch als Erstsprache und 36% der
Schüler*innen mit „ausschließlich anderen“ Erstsprachen erreichten 2015 die
Bildungsstandards im Leseverständnis (Stufe 2). Nicht erreicht (unter Stufe 1) wurden die
Standards von 28% der Schüler*innen mit anderen Erstsprachen aber nur 10% derer mit
Deutsch als Erstsprache, jedoch stellen Kinder ohne Migrationshintergrund die Mehrheit in
der Gruppe der Leistungsschwachen (unter Stufe 1) dar (ibid. S. 41).
In der Darstellung der Ergebnisse von Leistungsstudien wird soziodemographischen
Merkmalen (Geschlecht, Migrationshintergrund, soziodemographische Faktoren)
vergleichsweise viel Beachtung geschenkt wird. Schülerische Leistungen scheinen statistisch
mehr oder weniger stark mit (durch Fragebögen erhobenen) demographischen und
sozioökonomischen Merkmalen der Getesteten bzw. ihrer Eltern zusammenzuhängen (ibid.
S. 34). Im Unterschied dazu richtet die hier beschriebene Studie „Individuelle
Erwerbsverläufe im sinnerfassenden Lesen ein- und mehrsprachiger SchülerInnen“ ihre
Aufmerksamkeit auf die Individualität und Prozessualität der Entwicklung von
Lesekompetenzen. Die Studie im Auftrag des österreichischen Bildungsministerium (BMB)
und der Arbeiterkammer Wien (Laufzeit 09/2013-12/2014) wählte einen methodologischen

157
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Ansatz, der dem Prozesscharakter von Lesevorgängen und Entwicklungsverläufen besser


entspricht als standardisierte Testverfahren. Ziel des Projekts war es, empirische Daten zu
erheben, die Aufschluss über individuelle Bearbeitungsstrategien, Schwierigkeiten,
Aneignungswege und Entwicklungsstadien und Lernprozesse im Lesen ein- und
mehrsprachiger Kinder geben können.

2. Forschungsfrage(n)
Drei zentrale Forschungsfragen leiteten die Arbeit in dieser Studie:

Forschungsfrage 1
Wie können individuelle Formen der Entwicklung von Lesekompetenzen ein- und
mehrsprachiger Schüler*innen der 2. Schulstufe empirisch erfasst und
beschrieben werden?

Forschungsfrage 2
Welche Prozesse der Entstehung sprachlicher Entwürfe, temporärer Hypothesen
und individueller Strategien in der Auseinandersetzung mit Text- und
Aufgabenformaten sind bei Kindern der 2. Schulstufe zu beobachten?

Forschungsfrage 3
Wie können Zusammenhänge zwischen sprachlichen und literalen Kompetenzen
mehrsprachiger Schüler*innen in der Unterrichtssprache Deutsch beschrieben
bzw. modelliert werden, die über eine produktorientierte Testung hinausgehen
und dem Prozesscharakter von Textverständnis und Sinnkonstruktion gerecht
werden?
Besonderes Interesse galt dem Zusammenhang unterschiedlich gut ausgeprägter
sprachlicher Fertigkeiten in der Unterrichtssprache Deutsch und der Entwicklung von
Lesekompetenzen. Vor dem Hintergrund, dass Erwerbsmodelle zum Schriftspracherwerb von
Einsprachigkeit ausgehen und dass der Erwerb von Lesekompetenzen mehrsprachiger Kinder
im Elementarbereich nur unzureichend beschrieben ist, deckt das Projekt eine wichtige
Forschungslücke ab.

3. Die Studie
An der Studie nahmen 42 Kinder der 2. Schulstufe aus vier Klassen an zwei Wiener
Volksschulen teil. Das Sample ist in Bezug auf Erst- bzw. Familiensprachen, Ressourcen und
sozioökonomischen Hintergrund der Familien sowie in Bezug auf die Organisationsformen
des Unterrichts in unseren Partnerklassen maximal heterogen. Die Alterspanne des Samples
beträgt 1;11. Ebenso variiert das Leistungsspektrum im Lesen zu Beginn des zweiten

158
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Schuljahres zwischen der fehlenden Fertigkeit zum zusammenlautenden Lesen bis zu


routinierten Lesefertigkeiten, die das Lesen von Harry Potter ermöglichen.
Zentrales methodisches Element war die Videographie. Schüler*innen wurden beim
Lesen von Texten und der Bearbeitung von Leseverständnisaufgaben beobachtet und
gefilmt. Nach dem Lesen und Bearbeiten der Texte führten die Explorator*innen mit den
Kindern Gespräche über subjektive Strategien, Eindrücke und Meinungen zum Text. Texte
und Aufgaben stammen v.a. aus Materialien für die zweite Schulstufe. In einer unserer
Partnerklassen hatten wir außerdem die Möglichkeit, freie Arbeitsphasen zu dokumentieren
und dabei Arbeits- und Lösungsstrategien von Kindern im Umgang mit Arbeitsaufträgen in
Deutsch, Mathematik und anderen Fächern zu beobachten.
Insgesamt entstand ein Korpus von 304 Video-Aufnahmen (ca. 36 h). Die Aufnahmen
wurden grobsegmentiert, kodiert, in ausgewählten Teilen transkribiert und dann in Auswahl
zur Bearbeitung gezielter Fragestellungen (z.B. Analyse eines bestimmten Aufgabenformats,
Aussagen zu Leseaktivitäten in der Freizeit, Lieblingsbücher, Erfahrungen mit dem Arbeiten
am Computer u.ä.) feintranskribiert und analysiert.
Im Sinne einer Grounded Theory (Charmaz 2006) bearbeiten wir Fragestellungen in einem
iterativen Verfahren. Aus einer ersten Analyse von Aufnahmen ergeben sich weiterführende
Fragestellungen, die in weiteren Feldaufnahmen bzw. in einer Detailanalyse weiter
entwickelt werden und auch zur Konzeption neuer Aufnahmesettings führen.
Nicht nur Formen der Leistungsmessung, sondern auch Übungsformate in der
Lesedidaktik sind stark produktorientiert. Zur Überprüfung von Leseverständnis in frühen
Schulstufen werden vorwiegend Formate verwendet, in denen die Lesenden zwischen
verschiedenen Antwortoptionen wählen und die „richtige“ Lösung ankreuzen oder mit Linien
verbinden sollen, während der individuellen Sinnkonstruktion in diesen Formaten nur wenig
Rechnung getragen wird. Anders als in standardisierten Lesetests erlaubt das vorliegende
Datenmaterial, Schwierigkeiten und Fehler in der Text- und Aufgabenbearbeitung
differenziert und individualisiert zu betrachten. Zudem erlauben die Daten, einen text- bzw.
aufgabenbezogenen Vergleich der individuellen Herangehensweise mehrerer Kinder an die
gleiche Aufgabe im Rahmen von Detailanalysen (vgl. z.B. Kerschhofer-Puhalo/Mayer 2014:
126-138).

4. Ergebnisse
Die gängige Vorstellung, dass sich mehrsprachige Kinder in allen Bereichen des
sinnerfassenden Lesens von einsprachigen unterscheiden, hat sich in dieser Studie nicht
bestätigen lassen. Zusammenhänge zwischen der Entwicklung von Lesefertigkeiten und den
sprachlichen Ressourcen eines Kindes sind wesentlich komplexer zu modellieren. Die Kinder
des Samples unterscheiden sich im Hinblick auf Leseflüssigkeit, Dekodiergenauigkeit,
prosodische Gestaltung des Gelesenen u.a. beträchtlich. Dekodiergenauigkeit und
Lesegeschwindigkeit alleine sind nicht ausschlaggebend für das Lösen einer Aufgabe. Auch

159
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Kinder mit hoher Leseflüssigkeit können Schwierigkeiten in der weiteren Bearbeitung eines
Textes haben. Wichtige Komponenten sind der Wortschatz bzw. die Kenntnis verwendeter
Schlüsselwörter sowie das Verständnis der Aufgabenstellung. Unsicherheiten in Wortschatz
und Aufgabenstellung kosten Zeit – ein Faktor, der v.a. in standardisierten Tests zu
Nachteilen führt (vgl. Kerschhofer-Puhalo/Mayer 2014).
Leseverstehen ist nicht nur bestimmt von basalen Lesefertigkeiten und der Entfaltung
sprachstruktureller und begrifflicher Vorstellungen, sondern auch von einem grundlegenden
Verständnis der Aufgabenstellung, von Situations- und Weltwissen, persönlichen Zugängen
zum Lesestoff und ganz wesentlich auch von Motivation und Selbstkonzepten der
Schüler/innen als "gute" oder "schlechtere" Leser/innen, die Kinder schon in diesen frühen
Erwerbsphasen zeigen.
Ursachen für Schwierigkeiten liegen aber auch in den eingesetzten Lesetexten und Lern-
und Übungsmaterialien selbst. Die Schwierigkeit eines Textes bzw. einer Aufgabe erklärt sich
durch sprachliche Strukturen (grammatisch, semantisch, pragmatisch), die Aufgabenstellung,
aber auch die Form der Gestaltung (Layout, Bildmaterial etc.). Die Kombination mit der
Analyse der Bearbeitungsprozesse durch die Kinder zeigt deutlich, dass Texte und
Aufgabenformate gängiger Lesefördermaterialien häufig bereits in sich Schwierigkeiten und
Mehrdeutigkeiten tragen. Beispielsweise führt ein oft verwendetes Format für
Leseverständnisaufgaben, in denen die Lage von Gegenständen („rechts/links von X liegt Y“)
in einem kurzen Text beschrieben ist und Leseverständnis über zeichnerische Darstellung
überprüft wird, bei Unsicherheiten mit der Links-Rechts-Orientierung, wie sie in unserem
Sample zu Beginn der 2. Schulstufe bei etwa einem Drittel der Kinder beobachtet wurden, zu
Schwierigkeiten, die nicht direkt auf schwache Lesekompetenzen zurückgeführt werden
können (vgl. dazu genauer Kerschhofer-Puhalo/Lalouschek/Mayer, in Druck).

5. Diskussion und Schluss


Aus dem vorliegenden Material sind Implikationen für die Praxis der Leseförderung und die
Gestaltung von Förderkonzepten abzuleiten. Wesentliche Elemente der Leseförderung für
alle Kinder unabhängig von ihren Erst- bzw. Familiensprachen sind
1. eine reflektierte Auswahl, Gestaltung und v.a. auch Erprobung eingesetzter Lern-,
Übungs und Fördermaterialien unter Berücksichtigung der Perspektiven der Kinder
2. eine auf den sprachlichen Entwicklungsstand abgestimmte Sprachförderung in
Synergie mit der Leseförderung zur Vorbeugung stagnierender Grammatik- und
Wortschatzentwicklung, v.a. für Kinder mit Zweitsprache Deutsch
3. die Unterstützung basaler Lesefertigkeiten von leseschwachen Kindern in Ergänzung
zu Viel-Lese-Programmen (z.B. Antolin), um die Differenz zwischen routinierten und
langsameren Leser*innen auszugleichen

160
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

4. ein auf den jeweiligen Entwicklungsstand abgestimmtes Leseangebot zur Vermeidung


von Motivationsverlust und der Verfestigung negativer Selbstbilder in Bezug auf
Lesefertigkeiten, sprachliche Kompetenzen, soziale Faktoren u.a.

Übungsmaterialien zur Leseförderung sind vor ihrem Einsatz kritisch auf Irreführendes und
„Selbstverständliches“ in Wortschatz und Aufgabenstellung zu überprüfen. Angebote zur
Leseförderung müssen Texte anbieten, die auf individuelle Lesefertigkeiten, unterschiedliche
sprachliche Fertigkeiten und Interessen von Kindern eingehen und auch ausreichend
Freiraum für individuelle Sinnkonstruktionsprozesse und deren Bearbeitung in Form von
Anschlusskommunikation geben.
Die in Verfahren zur Überprüfung von Leseverstehen wie auch im Unterricht vielerorts
verwendeten Aufgabenformate (z.B. Fragen zum Text) suggerieren, Texte wären entweder
"falsch" oder "richtig" zu verstehen. Die Anschlusskommunikation, d.h. das Reden über das
Gelesene, die auch individuelle Unterschiede in Interpretation und Bewertung eines Textes
erlaubt, kommt in der Praxis oft zu kurz. Interpretation und Verarbeitung des Gelesenen
bleibt meist dem Kind allein überlassen. Jedoch kommt der Anschlusskommunikation über
das Gelesene besondere Bedeutung zu, um mündliche und schriftliche Fertigkeiten
gemeinsam mit Textstrategien auf- und auszubauen und damit auch positive Selbstkonzepte
zu entwickeln. Positive Selbstkonzepte wiederum sind – wie auch die Ergebnisse der BIST-
Überprüfungen zeigen (Breit et al. 2016; S. 31), eng mit Freude und Motivation verbunden.

Literaturangaben

Breit, Simone, Bruneforth, Michael, Schreiner, Claudia. (Hrsg.). (2016). Standardüberprüfung 2015.
Deutsch/Lesen/Schreiben, 4. Schulstufe. Bundesergebnisbericht. Salzburg: BIFIE.
[https://www.bifie.at/system/files/dl/BiSt_UE_D4_2015_Bundesergebnisbericht.pdf]
Charmaz, Kathy. (2006). Constructing Grounded Theory. A Practical Guide Through Qualitative Analysis. London
et al: Sage.
Kerschhofer-Puhalo, Nadja, & Mayer, Werner. (2014). Individuelle Lesestrategien ein- und mehrsprachiger
SchülerInnen – ein videographischer Zugang. In Beate Lütke & Inger Petersen (Hrsg.). Deutsch als
Zweitsprache – erwerben, lernen und lehren (Reihe Beiträge aus dem 9. Workshop Kinder mit
Migrationshintergrund) (S. 115-141). Stuttgart: Fillibach bei Klett.
Kerschhofer-Puhalo, Nadja, Lalouschek, Johanna, & Mayer, Werner. (in Druck). Lesen und lösen –
Prozessorientierte videographische Analyse der Bearbeitung von Leseverständnisaufgaben durch
Grundschulkinder. In Christine Moritz & Michael Corsten (Hrsg.). Handbuch Qualitative Videoanalyse.
Method(olog)ische Herausforderungen - forschungspraktische Perspektiven. Wiesbaden: VS-Springer-
Verlag.

161
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

PALM
Eine Projektbeschreibung
Claudia Mewald, Sabine Wallner
Pädagogische Hochschule Niederösterreich

1. Grundlegung
PALM steht für Promoting Authentic Language Acquisition in Multilingual Contexts. In
diesem Erasmus+ geförderten Projekt entsteht eine interaktive Open Source Plattform,
welche Kindern und Jugendlichen den Erwerb mehrerer Sprachen ermöglichen möchte.
In Zeiten der Globalisierung und der zunehmenden Migration sind kulturelle und
sprachliche Vielfalt feststehende Merkmale jeder Gesellschaft. Die gezielte Unterstützung
der Mehrsprachigkeit und die Nutzung aller sprachlichen Ressourcen stellen nicht nur die
größte Herausforderung, sondern auch die wichtigsten Chancen im Bildungswesen des 21.
Jahrhunderts dar. Erfolgreicher und effizienter Spracherwerb ist insbesondere für Menschen,
deren sprachliche Ressourcen Barrieren in Ausbildung, Studium und beruflicher Entwicklung
schaffen, von besonderer Bedeutung. Die Reduzierung dieser Hindernisse durch die
Plattform PALM, welche möglichst vielen Menschen den Spracherwerb mit Hilfe von Open
Source Materialien ermöglichen soll, ist Motivation und Antrieb für deren Entwicklung.
Die grundlegenden Ideen für das Projekt PALM kommen aus der Forschung zur
Mehrsprachigkeit. Die praktischen Erfahrungen der Projektpartner in der Vermittlung von
Erstsprachen und weiteren Sprachen in mehrsprachigen Settings tragen zur Gestaltung des
Projekts maßgeblich bei. PALM verknüpft theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen
und es transferiert die Theorie in die Praxis. PALM stellt so die Praxis in den Mittelpunkt
neuer, zu entwickelnder Theorien.

2. Projektpartner und Ziele


In diesem Erasmus+ Projekt arbeiten Schulen eng mit Hochschulen und Universitäten
zusammen. Die interaktive Lernplattform PALM entsteht durch und für 6-14jährige Schüler
und Schülerinnen, die Autoren und gleichzeitig Konsumenten der Lernangebote sind.
Die Schüler und Schülerinnen in diesem Projekt sprechen Englisch, Französisch, Deutsch,
Griechisch, Ungarisch, Italienisch, Ladinisch und/oder Spanisch und besuchen Schulen in
Österreich, Zypern, Ungarn, Italien und im Vereinigten Königreich. Ihre Lehrkräfte
unterstützen sie bei der Textproduktion sowie bei der Bearbeitung von Texten in
sogenannten PALM Boards. Diese entsprechen semiprofessionellen Redaktionssitzungen, wo
Texte und Videos für die Veröffentlichung ausgewählt werden. Die Lehrkräfte sind auch die

162
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Verbindung zu den Universitäten und Hochschulen, wo Studierende Lernmaterialien zu den


Texten für die Plattform produzieren.
Vier Partnerschulen, neun assoziierte Schulen und sechs Universitäten und Hochschulen
sind intensiv damit beschäftigt, PALM in einer dreijährigen Zusammenarbeit zwischen 2015
und 2018 entstehen zu lassen.
Das Erasmus+ Projekt PALM zielt darauf ab, dass die Schüler und Schülerinnen
authentische Texte in ihren Familien- und Bildungssprachen in den Schulen oder in ihrer
Freizeit produzieren, damit diese für den Erwerb derselben Sprachen genutzt werden
können. Dabei wird davon ausgegangen, dass die authentischen Texte, Videos und Audios
für Lernende der gleichen Altersgruppe interessant zu lesen und anzuhören sind und dass sie
deshalb zum motivierten Spracherwerb anregen. Die Verbindung von Entwicklung und
Nutzung der Texte und Videos mit der Anwendung von modernen Medien und innovativen
Lernmethoden, welche sich neuer Erkenntnisse aus der Spielpädagogik bedienen, soll neben
der erhöhten Lernbereitschaft dazu führen, dass der Kompetenzaufbau in den Sprachen
sinnvoll und kommunikativ ist und dass die Mehrsprachigkeit möglichst effektiv entwickelt
wird.
Textproduktion für die Plattform schafft authentische Anlässe und Situationen für
schriftliche und mündliche Kommunikation innerhalb und außerhalb der Schulen. Durch das
Schreiben und Sprechen über naturwissenschaftliche oder künstlerische sowie fachliche
Experimente und Arbeiten, durch Präsentationen, Sportberichte, Filmkritiken oder durch das
Fokussieren auf Themen, die für die Lernenden von starkem persönlichem Interesse und von
Bedeutung sind, übertragen Schüler und Schülerinnen Erfahrungen und Fähigkeiten aus
informellen Situationen in den Kontext der Schule und umgekehrt. Durch die Integration des
digitalen Lernens und Lehrens will das Erasmus + Projekt PALM auf verschiedenen Ebenen
den strategischen Einsatz von Open Educational Resources und Blended Learning fördern,
indem die Plattform einen virtuellen Lernraum für die Anwender erzeugt.

3. Vorgehensweise
Lehrkräfte in den Partnerschulen und in den assoziierten Schulen initiieren die
Textproduktion für PALM während des regulären Unterrichts und üben dabei so wenig
Einfluss wie möglich auf die Originalität und Authentizität der Texte aus. Ziele und Inhalte
der Arbeiten entsprechen den Lehrplänen aller Schulen.
An den Schulen wählen PALM Boards, welche aus Schülern und Schülerinnen sowie
Lehrkräften bestehen, jene Texte aus, die zuerst an den Schulen veröffentlicht und
schließlich auf die Plattform PALM hochgeladen werden. Studierende der Hochschulen und
Universitäten produzieren Hör- und Leseaufgaben, Lernmaterialien und gamifizierte Online-
Aktivitäten, die mit den Texten sinnvolle Lernpakete ergeben. Die Plattform gibt
unmittelbares Feedback auf Hör- und Leseleistungen; zusätzlich fördern viele Aktivitäten die
Autonomie der Lernenden durch zielgerichtetes Selbst- und Peer Assessment.

163
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Abbildung 1: PALM Entwicklungszirkel

Lehrer finden für ihren Unterricht zu den authentischen Texten und Aktivitäten auch
Lehrmaterialien auf der Plattform. Alle Aufgaben und Materialien werden in den
Partnerschulen erprobt und durch die Partner sowie durch eine On-line Befragung der
Anwenderinnen und Anwender direkt über die Plattform einer Qualitätssicherung
unterzogen.

5. Ausblick
Die Plattform PALM (www.palm-edu.eu) wird ab Mai 2018 voll funktionsfähig aufgebaut
sein. Zu diesem Zeitpunkt werden mindestens 1500 Texte in den acht Projektsprachen zur
Verfügung stehen. Zu 750 Texten werden auch Hör- oder Leseaufgaben angeboten.
Außerdem werden die Wortschatzarbeit und Sprachproduktion mittels Mind Maps und
Graphic Organizers gefördert sowie spielerische Lernaktivitäten angeboten.

Abbildung 2: Förderhinweis und Haftungsausschluss


Das Projekt PALM wird mit Unterstützung der Europäischen
Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt des Projekts
trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere
Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

164
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Basset, S. (1999). What Exactly is the Everyday? Journal of the Study of British Cultures, 2/99, S. 185-194.

Breen, M. P. (1985). Authenticity in the language classroom. Applied Linguistics, 6(1), S. 60-70.

Cummins, J. (2003). BICS and CALP: Origins and rationale for the distinction. In C. B. Paulston, & G. R. Tucker,
Sociolinguistics: The essential readings (pp. 322-328). London: Blackwell.

COM. (2008). Multilingualism: an asset for Europe and a shared commitment. Retrieved from EUR-Lex:
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52008DC0566

Doyé, P. (2005). Intercomprehension. Guide for the development of language education policies in Europe: from
linguistic diversity to plurilingual education. Reference study. Retrieved from Council of Europe,
Language Policy Division: https://www.coe.int/t/dg4/linguistic/Source/Doye%20EN.pdf

Herdina, P. & Jessner, U. (2000). A dynamic model of multilingualism: Changing the psycholinguistic
prespective. Clevedon: Multilingual Matters.

Jessner, U. (2006). Linguistic awareness in multilinguals. English as a third language. Edinburgh: Edinburgh
University Press.

Larsen-Freeman, D. (1997). Chaos/Complexity Science on second language acquisition. Applied Linguistics,


18(2), S. 141-165.

Marton, F. (2015). Necessary conditions of learning. New York: Routledge.

Montola, M (2007). Tangible pleasures of pervasive role-playing. In Baba, Akira. Proceedings of DiGRA 2007
Situated Play conference. The University of Tokyo. pp. 178–185. Phillipson, R. (1992). Linguistic
Imperialism. Oxford: Oxford University Press. Available at: http://www.digra.org/wp-
content/uploads/digital-library/07312.38125.pdf

Nicholson, S. (2015). Peeking behind the locked door: A survey of escape room facilities. White Paper available
at http://scottnicholson.com/pubs/erfacwhite.pdf

Piri, R. (2002). Teaching and learning less widely-spoken languages in other countries. Strassbourg: Council of
Europe.

165
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

MeLA: Mehr-sprachliche Bildung-


Language-Awareness-Konzepte im
Unterricht aller Fächer
Lisa Niederdorfer, Muhammed Akbulut, Sabine Schmölzer-Eibinger
Universität Graz

1. Einleitung
Über die Notwendigkeit der Verzahnung sprachlichen und fachlichen Lernens herrscht im
aktuellen didaktischen Diskurs weitgehend Einigkeit. Die Möglichkeit, nicht nur die
Unterrichtssprache, sondern auch die vielfältigen sprachlichen Ressourcen in heterogenen
Klassen für das Lernen im Fachunterricht zu nutzen, wird jedoch im Vergleich dazu noch
wenig beachtet. Bisherige mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte zielen in der Regel auf die
Sprachfächer ab und spielen für den Fachunterricht keine oder nur eine untergeordnete
Rolle.
Davon ausgehend liegt der Fokus des Erasmus+ Projekts MeLA – Mehr-sprachliche Bildung
–Language-Awareness-Konzepte im Unterricht aller Fächer (Laufzeit 2015-2018) der
Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Universität Luxemburg und Universität Graz auf der
Entwicklung von Fortbildungsmodulen, Unterrichtskonzepten und Materialien für
verschiedene Fächer im Sinne des Language-Awareness-Ansatzes.
Im Grazer Teilprojekt LitA werden Language-Awareness-Konzepte mit dem Ziel der
Förderung von Literalität in sprachlich heterogenen Klassen durch das ProFo-Modell
konkretisiert (Niederdorfer/Akbulut/Schicker/Schmölzer-Eibinger 2017). Dieses basiert auf
dem Prozedurenorientierten Ansatz (z.B. Schmölzer-Eibinger et al. 2013) und erweitert
diesen um Methoden und Techniken des sprachendidaktischen Konzepts Focus on Form (Ellis
2016, Rotter 2015) sowie um mehrsprachigkeitsdidaktische Elemente.

2. Forschungsfragen
Im LitA-Projekt wird ein konkretes Modell für den sprachaufmerksamen Fachunterricht unter
Einbeziehung von Mehrsprachigkeit entwickelt, erprobt und empirisch untersucht.
Außerdem wird durch die Entwicklung einer Professionalisierungsmaßnahme die zukünftige
Umsetzung des Modells durch Lehrkräfte sichergestellt. Im Zuge des Projekts werden
folgende Forschungsfragen beantwortet:

166
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Forschungsfrage 1
Wie kann Language Awareness als breiter didaktischer Ansatz durch eine
Zusammenführung der Prozedurenorientierten Didaktik und Focus on Form
(ProFo) für den Fachunterricht in der Sekundarstufe mit sprachlich heterogenen
Klassen konkretisiert werden?
Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden die Umsetzungen der Didaktisierungen
des ProFo-Modells videographiert und die beteiligten Lehrkräfte anschließend mit einem
Feedbackbogen um ihre Einschätzung zur Erprobung gebeten. Diese Daten ermöglichen die
Optimierung der Didaktisierungen, bevor diese auf dem MeLA-Internetportal interessierten
Lehrkräften zur Verfügung gestellt werden.

Forschungsfrage 2
Wie kann eine Professionalisierungsmaßnahme gestaltet sein, die es
Lehrkräftefortbildnerinnen, Lehrkräftefortbildnern und Lehrkräften ermöglicht
das ProFo-Modell für den Fachunterricht in der Sekundarstufe mit sprachlich
heterogenen Klassen umsetzen?

Um den Erfolg der begleitenden Professionalisierungmaßnahme für die teilnehmenden


Lehrkräfte zu beurteilen, dienen einerseits die Aufnahmen der Erprobungen der
Didaktisierungen, da anhand dieser beurteilt werden kann, inwiefern die Lehrkräfte das
ProFo-Modell tatsächlich umgesetzt haben. Des Weiteren wurden die vier durchgeführten
Professionalisierungsworkshops videographiert und die Lehrkräfte vor und nach der
Teilnahme zu ihrem Verständnis des Zusammenhangs von Sprache und Fach und der im
ProFo-Modell relevanten Konzepte (Prozedurenorientierte Didaktik, Focus on Form,
Mehrsprachigkeit) interviewt. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse dienen der
Überarbeitung der Professionalisierungsmaßnahme, die anschließend auf dem MeLA-
Internetportal für Lehrkräftefortbildnerinnen und Lehrkräftefortbildner zugänglich gemacht
wird.

Forschungsfrage 3
Wie verändern sich die literale Handlungskompetenz und der fachliche
Lernzuwachs bei den Schülerinnen und Schülern durch das ProFo-Modell?

Diese Forschungsfrage wird anhand von Fallanalysen beantwortet. Zentral für die
Untersuchung der Veränderung der literalen Handlungskompetenz sind dabei die während
den Erprobungen entstandenen Texte ausgewählter Schülerinnen und Schüler im
Zeitverlauf. Diese werden auf Textprozeduren (Feilke 2012; 2014) hin untersucht, die als
Gebrauchsschemata an der sprachlichen Oberfläche durch sog. Prozedurausdrücke markiert
und durch vielfachen Gebrauch sozial etabliert, konventionalisiert und routinisiert sind (vgl.
Feilke 2014, 23). So können etwa für das Abwägen von Argumenten Formulierungen wie

167
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

einerseits-andererseits oder zum einen-zum anderen verwendet werden. Der fachliche


Lernzuwachs wird ebenfalls anhand der entstandenen Texte, jedoch zusätzlich auch durch
Einschätzungen der Lehrkräfte beurteilt.

3. Die Studie
Im Zuge des LitA-Projekts wurden in enger Zusammenarbeit mit vier Lehrkräften acht
Didaktisierungen nach dem ProFo-Modell entwickelt und im Schuljahr 2016/2017 mit
insgesamt 78 Schülerinnen und Schülern in den Fächern Biologie, Musik, Berufsorientierung,
Geschichte und Kaufmännisches Rechnen durchgeführt und videographiert. Parallel dazu
nahmen die Lehrkräfte an vier Professionalisierungsworkshops teil, in denen das für den
Einsatz notwendige Hintergrundwissen vermittelt und bisher gesammelte Erfahrungen
reflektiert wurden.
Die Erprobungen fanden in einer fünften und achten Klasse Gymnasium, einer vierten
Klasse einer Neuen Mittelschule und im letzten Ausbildungsjahr einer Berufsschule statt
(siehe Tabelle 1 für die Anzahl der Schülerinnen und Schüler pro Schultyp bzw. –stufe und
das durchschnittliche Alter zu Beginn des Schuljahres 2016/2017). Aus sprachlicher Sicht
waren die einbezogenen Klassen heterogen (siehe Diagramm 1). Lediglich 19 Schülerinnen
und Schüler nannten als Erstsprache Deutsch, sieben SchülerInnen gaben Deutsch und eine
weitere Sprache an. Die am häufigsten gesprochene Sprache neben Deutsch war
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Acht Sprachen waren nur durch eine Sprecherin bzw. einen
Sprecher vertreten, wie zum Beispiel Bulgarisch, Urdu oder Yoruba.

Tabelle 1: Schultyp und Alter der Schülerinnen und Schüler des LitA-Projekts
Anzahl Alter: M (SD)
5. Klasse Gymnasium 22 14,77 (0,87)
8. Klasse Gymnasium 19 17,26 (0,56)
4. Klasse Neue Mittelschule 23 13,96 (0,77)
3. Lehrjahr Berufsschule 14 20,29 (1,82)
Gesamt 78 16,13 (2,53)

168
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Diagramm 1: Erstsprache(n) der Schülerinnen und Schüler des LitA-Projekts

25

20
Häufigkeit

15

10

0
Bosnisch, Deutsch Arabisch Türkisch Deutsch & Albanisch Ungarisch Andere
Kroatisch, eine Sprachen
Serbisch weitere
Sprache

4. Erste Ergebnisse
Die Erprobungen haben gezeigt, dass eine Verknüpfung von Prozedurenorientierter Didaktik,
Focus on Form und Mehrsprachigkeit möglich ist, ohne dabei Einschränkungen in der
theoretischen Plausibilität oder der pädagogischen Praktikabilität in Kauf nehmen zu
müssen. Hervorzuheben ist dabei, dass sich die Umsetzung des ProFo-Modells bei allen
Lehrkräften in das vorgesehene Curriculum gut integrieren ließ. Sowohl die
Professionalisierungsmaßnahme, als auch das Modell scheinen daher seitens der Lehrkräfte
dazu geeignet zu sein, einen sprachaufmerksamen Fachunterricht in sprachlich heterogenen
Klassen umzusetzen. Jedoch können zum derzeitigen Standpunkt des Projekts noch keine
Aussagen über die Veränderung der literalen Handlungskompetenz und des fachlichen
Lernens bei den Schülerinnen und Schülern getroffen werden, da die Analysen noch
ausstehen.

5. Diskussion und Schluss


Mit dem ProFo-Modell wird im LitA-Projekt eine konkrete Möglichkeit aufgezeigt,
sprachaufmerksamen Fachunterricht in der Sekundarstufe unter Einbezug von
Mehrsprachigkeit umzusetzen. Auch wenn das bisherige Modell auf argumentative
Textprozeduren fokussiert, kann es prinzipiell für die Förderung anderer Texthandlungstypen
eingesetzt werden. Nächste mögliche Schritte wären daher eine Erweiterung durch weitere
Texthandlungstypen, wie z.B. das Erklären.

169
ÖGSD Tagungsberichte 2.1

Literaturangaben

Feilke, Helmuth (2012). Was sind Textroutinen? Zur Theorie und Methodik eines Forschungsfeldes. In Helmuth
Feilke & Katrin Lehnen (Hrsg), Schreib- und Textroutinen. Theorie, Erwerb und didaktisch-mediale
Modellierung (S. 1–34). Frankfurt/Main: Peter Lang.
Feilke, Helmuth (2014). Argumente für eine Didaktik der Textprozeduren. In Helmuth Feilke & Thomas
Bachmann (Hrsg.), Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren (S. 11–
34). Stuttgart: Fillibach bei Klett.
Niederdorfer, Lisa, Akbulut, Muhammed, Schicker, Stephan, & Schmölzer-Eibinger, Sabine (i. Dr.).
Prozedurenorientierte Didaktik und Focus on Form (ProFo): Ein integratives Modell zur Förderung
literaler Kompetenz in sprachlich heterogenen Klassen. Sonderausgabe der ÖDAF-Mitteilungen zur IDT
2017.
Rotter, Daniela, & Schmölzer-Eibinger, Sabine (2015). Schreiben als Medium des Lernens in der Zweitsprache.
Förderung literaler Kompetenz im Fachunterricht durch eine „Prozedurenorientierte Didaktik und
Focus on Form“. In Sabine Schmölzer-Eibinger & Eike Thürmann (Hrsg.), Schreiben als Medium des
Lernens. Kompetenzentwicklung durch Schreiben im Fachunterricht (S. 73–97). Münster/New York:
Waxmann (=Fachdidaktische Forschungen, Bd. 8).
Schmölzer-Eibinger, Sabine et al. (2013). Sprachförderung im Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen.
Stuttgart: Fillibach bei Klett.

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