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Alltagsdeutsch

Manuskript und Wortschatz

Die westfälische Küche und ihre Spezialitäten

Ein westfälisches Blindhuhn ohne Huhn, eine Pastete, die ursprünglich aus einem
Abfallprodukt entstand, und ein etwas sensibles Brot: Westfalen hat ein paar
Spezialitäten der Hausmannskost zu bieten.

Sie liegt im Westen Deutschlands, grenzt an Niedersachsen und ist Teil des
bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen: die Region
Westfalen. Lange Zeit war die Region geprägt durch den Steinkohlebergbau, die
Eisenverhüttung und die Landwirtschaft. Die klassische Regionalküche Westfalens ist
geprägt durch die Bedürfnisse der Menschen, die in diesen Bereichen arbeiteten. Sie
ist deftig, einfach in der Zubereitung, aber nahrhaft. Obwohl sich die Region
inzwischen gewandelt hat, sind die traditionellen Speisen geblieben und kommen
noch auf den einen oder anderen Tisch. Einer, der seit Jahrzehnten dafür sorgt, dass
diese Gerichte nicht in Vergessenheit geraten, ist Heinrich Wächter. Für den
leidenschaftlichen Koch sind die Speisen seiner Region „ein Gedicht, wenn sie gut und
raffiniert zubereitet werden“. Zu den Klassikern der regionalen westfälischen Küche
gehört für ihn auf jeden Fall ein Gericht: das „Westfälische Blindhuhn“. Den Grund
dafür liefert er auch:

„Die Kombination stimmt: Die Säure ist da drin, die Süße. Und das hebt auch den
Geschmack wieder an. Die Säure kommt durch die Birnen und durch die Äpfel. Man
muss es einfach mal probieren, weil, es schmeckt richtig herrlich. Man kann richtig mit
Heißhunger ’ne gute Portion davon verdrücken.“

Auch wenn das Gericht so heißt: Huhn ist nicht drin im deftigen Gemüseeintopf mit
zweierlei Bohnensorten, den Heinrich Wächter mit Heißhunger verdrückt, mit großem
Appetit isst. Wohl aber etwas geräucherter Speck, um dem Ganzen einen intensiveren
Geschmack zu geben. Als Speck wird das Fettgewebe vom Schweinebauch bezeichnet,
das – mal mehr, mal weniger – von Muskelgewebe durchzogen, durchwachsen, ist.
Dazu kommen noch Äpfel und Birnen. Die machen den Eintopf frischer und verleihen
ihm eine milde Süße. Wer das Gericht zubereiten möchte, sollte zuerst die weißen
Bohnen über Nacht einweichen und dann, so Heinrich Wächter:

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Manuskript und Wortschatz

„Dann setze ich das auf, gebe meinen gewachsenen Speck dazu, lass es ungefähr dann
circa so 45 Minuten lang köcheln. Dann gebe ich die weiteren Zutaten dazu, die ich
hier dann auch vorbereite, indem ich Kartoffeln vorher geschält habe, in Würfel
schneide, die Möhren, dann die Zwiebeln und dann werden [bei den] Bohnen natürlich
die Fäden gezogen, werden klein gebrochen, also die Brechbohnen. Und die weiteren
Zutaten gibt man dann anschließend dazu, schmeckt die Sache gut kräftig ab mit Salz
und etwas Pfeffer und gibt dann ganz zum Schluss noch ’n bisschen gehackte
Petersilie da drauf – und dann ist das Gericht fertig.“

Neben den weißen Bohnen gehören auch Brechbohnen in den Eintopf. Diese
länglichen, grünen Bohnen müssen vorher allerdings noch gewaschen und geputzt
werden. Die Enden werden abgeschnitten, die Fäden, die die beiden Hälften in der
Mitte zusammenhalten, werden herausgelöst, gezogen. Dann setzt Heinrich Wächter
den Eintopf auf, stellt den Topf mit den Zutaten und etwas Wasser oder Gemüsebrühe
auf den Herd. Bei niedriger Temperatur lässt er das Gericht langsam kochen, köcheln.
Vor dem Servieren wird abgeschmeckt, wird probiert, ob die Würzung stimmt. Wer
mag, kann dann noch kurz vor dem Servieren Petersilie hinzufügen, eine Pflanze mit
dunkelgrünen, glatten oder krausen Blättern, die zum Würzen verwendet wird.

Früher besaß Heinrich Wächter ein eigenes Restaurant. Mittlerweile kocht er nur als
Privatmann, unterrichtet aber unter anderem auch angehende Köche. Das
„Blindhuhn“ kennt so gut wie keiner seiner Schülerinnen und Schüler. Den Namen
„Pfefferpotthast“ aber haben viele zumindest schon einmal gehört. Mit Gewürzpfeffer
hat das urwestfälische Gericht allerdings nichts zu tun, auch wenn der mit in den Topf
kommt. Heinrich Wächter klärt auf:

„‚Pott‘ ist eben halt ‚aus dem Topf‘ und der ‚Hast‘, eben halt, was gekocht wurde. Und
der Pfeffer das kleingeschnittene Fleisch. [Es] ist ein Ragout“

„Pfefferpotthast“ ist eine Art Ragout, ein Gericht aus kleinen Fleischstücken in einer
Soße. „Hast“, so hieß früher die Feuerstelle, auf der der Topf mit dem
kleingeschnittenen Fleisch, also dem Pfeffer, langsam und lange gegart wurde. Hinzu
kommen noch Gewürzpfeffer, Zitrone und Lorbeerblätter und reichlich Zwiebeln:

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Manuskript und Wortschatz

„Wir nehmen ungefähr ein Teil Rindfleisch, ein Teil Zwiebeln. Durch die Zwiebeln
bekommen wir ’ne schöne sämige Bindung. Servieren wie ’n Gulasch, den man ja
kennt. Aber beim Gulasch hab ich noch Tomatenmark dazu, hab andere Gewürze und
durch den Schmorvorgang schmeckt natürlich dieses Produkt ganz anders wie ’n
Gulasch.“

Der Pfefferpotthast ist zwar, wie Gulasch, ein Fleischgericht in Soße. Der wesentliche
Unterschied der beiden Gerichte besteht allerdings darin, dass beim Gulasch das
Fleisch angebraten wird, beim Pfefferpotthast nicht. Es wird mitgekocht,
mitgeschmort. Auch findet sich kein Tomatenmark, konzentriertes, eingedicktes
Fruchtfleisch reifer Tomaten – und die Würzung ist eine andere.

Mit auf die traditionelle Speisekarte Westfalens gehört der „Panhas“, eine Art
Mischung aus Wurst und einfacher Pastete, die auch heute noch von vielen Metzgern
der Region hergestellt wird. Heinrich Wächter erklärt, wie es zu der Speise kam:

„Anfang der [19]50er-Jahre gab es da diese Schlachtfeste. Und da kommt unser


‚Panhas‘ ja eigentlich her. Da hat man diese sogenannte ‚Wurstbrühe‘ gehabt. Und die
war über und die war sehr geschmackvoll. Und dort hat man dann eventuell was vom
Blut noch gehabt, hat Blut zugegeben und hat anschließend abgebunden mit
Buchweizenmehl, und hat gewartet, bis es fest wurde. Und dann hat man das schön
aufgeschnitten und in der Pfanne gebraten. Panhas ist was ganz Leckeres. Und dazu
’ne Scheibe Pumpernickel essen und ’n bisschen Rübenkraut obendrüber. Geil!“

„Panhas“ ist ursprünglich so eine Art Abfallgericht aus der Zeit, als Schweine zuhause
geschlachtet wurden. Nach der Schlachtung wurden unter anderem verschiedene
frische Würste hergestellt, die nach und nach in einem großen Topf mit Wasser
gekocht wurden. Übrig blieb eine gehaltvolle Brühe. Sie war über. Statt sie
wegzuschütten, wurde sie – manchmal noch mit etwas Schweineblut versetzt –
eingekocht. Anschließend band man sie mit Mehl des Getreides Buchweizen ab.
Durch die Zugabe des feinen Mehls sorgte man dafür, dass die Brühe eine cremige
Konsistenz bekam. Wichtig war und ist bei der Zubereitung auch die Würzung mit Salz,
Pfeffer, Piment und manchmal Nelken. Wenn die Masse erstarrt, sollte der „Panhas“
bald gegessen werden. Denn lange haltbar ist er nicht. Anders als der Pumpernickel,
ein dunkles und würzig schmeckendes Brot ohne Rinde, oder das Rübenkraut, ein
Sirup der Zuckerrübe.

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Manuskript und Wortschatz

Ohne Pumpernickel würde übrigens auf dem westfälischen Speisezettel etwas


Wesentliches fehlen. Die Herstellung der malzig-würzigen Spezialität aus 100 Prozent
Roggen erfordert viel Fingerspitzengefühl. Der Pumpernickel ist mit einem
herkömmlichen Brot kaum zu vergleichen. Einer der wenigen verbliebenen
Traditionsbetriebe, die Pumpernickel herstellen, ist die Firma Prünte in Gelsenkirchen.
Aber Roggen ist nicht gleich Roggen, erklärt Thomas Gill, gelernter Bäcker und
Chemiker:

„Das Roggenkorn kann kleiner oder größer sein. Die Feuchtigkeit im Roggen kann
höher oder niedriger sein. Roggen ist – wie beim Wein – ein Naturprodukt, da gibt es
viele Unterschiede, und wir müssen natürlich da in der Produktion reagieren.“

Zwar läuft in seinem Betrieb alles computergesteuert, aber der Backvorgang, der sich
über 20 Stunden hinzieht, wird immer wieder verändert. Man muss in der Produktion
reagieren. In großen Dampfbehältern werden die schwarzen Laibe langsam bei um
die 100 Grad gegart. Nicht nur die Inhaltsstoffe, auch den Luftdruck gilt es zu
berücksichtigen. Die Kenntnisse des Chemikers helfen. Entscheidend aber ist die
Zunge:

„Wir verkosten jeden Tag unsere Produkte. Das ist bei uns ganz wichtig, und wir
können zum Beispiel Abweichungen in der Backtemperatur von einem Grad
schmecken.“

Thomas Gill beobachtet Schritt für Schritt den Prozess von Gärung und Backen, um
das perfekte Gleichgewicht zwischen herzhaftem Getreidegeschmack und würziger
Süße zu finden. So wie ein alkoholisches Getränk verkostet er abschließend das
Ergebnis, beurteilt es geschmacklich. Weil Pumpernickel diese spezielle Süße hat,
stellen manche Köche in Westfalen daraus auch Desserts und sogar Eis her – einer von
inzwischen sehr vielen Versuchen, dem Klischee entgegenzutreten, die westfälische
Küche sei derbe, einfallslos und nur Eintopf.

Autor/Autorin: Günther Birkenstock, Beatrice Warken

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Manuskript und Wortschatz

Glossar

Eisenverhüttung (f., nur Singular) – die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Eisen

deftig – kräftig; nahrhaft

raffiniert – hier: so, dass etwas ideenreich ist

Eintopf, Eintöpfe (m.) – ein Gericht, das aus mehreren Zutaten (z. B. Gemüse,
Kartoffeln, Fleisch) besteht, die zusammen in einem Topf gekocht werden

putzen – hier: von Lebensmitteln (z. B. Gemüse) Schmutz, Sand und Erde sowie nicht
essbare Teile entfernen

angehend – noch nicht ganz fertig; zukünftig

Lorbeerblatt, Lorbeerblätter (n.) – das kräftige Blatt eines Baumes, das meist
getrocknet als Gewürz verwendet wird

reichlich – viel

Pastete, -n (f.) – eine Teighülle mit einer feingewürzten Masse (z. B. aus Fleisch, Fisch
oder Gemüse), die im Ofen gebacken wird

gehaltvoll – hier: nahrhaft

Brühe, -n (f.) – hier: die Flüssigkeit, in der man Fleisch oder Gemüse gekocht hat und
die man für eine Suppe oder eine Soße weiterverwendet

(etwas mit etwas) versetzen – hier: (etwas zu etwas) dazutun

ein|kochen – hier: etwas so lange erhitzen, bis die Flüssigkeit weitgehend verdampft
ist

Piment, -e (m./n.) – ein Küchengewürz

Nelke, -n (f.) – hier: ein Küchengewürz

malzig – so, dass etwas nach einem Getreide schmeckt, das im Wasser gelegen und
anschließend getrocknet und geröstet worden ist

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Manuskript und Wortschatz

Roggen, - (m.) – eine Getreidepflanze

Fingerspitzengefühl erfordern – hier umgangssprachlich für: so sein, dass etwas mit


Vorsicht gemacht werden muss

Laib, -e (m.) – ein rundes und ganzes Stück Käse oder Brot

Gärung (f., nur Singular) – hier: der Vorgang, dass etwas alkoholisch oder säurehaltig
wird

Klischee, -s (n.) – das Vorurteil; so, wie viele Menschen über eine bestimmte Gruppe
von Menschen denken

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