Rainer Schafer, Nicolas Bickmann, Lars Heckenroth (Ed.), Kategoriendeduktion in Der Klassischen Deutschen Philosophie, Duncker & Humblot (2020)
Rainer Schafer, Nicolas Bickmann, Lars Heckenroth (Ed.), Kategoriendeduktion in Der Klassischen Deutschen Philosophie, Duncker & Humblot (2020)
Band 100
Kategoriendeduktion in
der klassischen deutschen
Philosophie
Herausgegeben von
Kategoriendeduktion in
der klassischen deutschen
Philosophie
Philosophische Schriften
Band 100
Kategoriendeduktion in
der klassischen deutschen
Philosophie
Herausgegeben von
1
Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 471.
2
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 181.
3
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 404.
8 Rainer Schäfer
für uns Heutige.4 – Kant reagiert auf diese Rezeption mit einer Neubearbeitung des
gesamten Kapitels; bekanntlich ist die Deduktion eine der wenigen Passagen der
ersten Kritik, die Kant für die zweite Auflage von 1787 komplett neu geschrieben
hat. Zwar gibt Kant an, dass er inhaltlich nichts geändert und nur für eine klarere
Fasslichkeit methodische Vereinfachungen vorgenommen habe,5 doch tobt der
Streit in der Kantforschung auch heute noch, ob das tatsächlich stimmt. Denn einer-
seits ist sicherlich korrekt, dass Kant vieles einfach nur umstellt, Hauptgedanken
vereinfacht oder in Syllogismen in klarerer Form strukturiert, doch es stimmt eben
andererseits auch, dass es nach der A-Auflage von 1781 drei Stämme der Erkennt-
nis gibt – Anschauung, Einbildungskraft und Verstand – und nach der B-Auflage
von 1787 nur zwei, nämlich Anschauung und Verstand; die Einbildungskraft ist
nun zu einem unselbständigen Moment des Verstandes herabgesetzt. Das ist offen-
sichtlich eine inhaltliche Änderung.
Diese Änderung hat auch Auswirkungen auf Folgekapitel nach der transzen-
dentalen Deduktion, denn wenn die Einbildungskraft nun kein selbständiges Ver-
mögen zur Generierung von Erkenntnis mehr bildet, dann hätte Kant auch das
Schematismuskapitel ändern müssen,6 denn der Status der Schemata der Einbil-
dungskraft ist nun ein anderer. Er hat es jedoch unverändert gelassen. (Die Aus-
wirkung der Bestimmung des Verstandes im Rahmen der Kategoriendeduktion
auf Kants Naturbegriff untersucht Wilhelm Metz in diesem Band.) Ob es Kant
tatsächlich gelungen ist, mit der B-Version der Deduktion für größere Deutlichkeit
zu sorgen, kann auch bestritten werden, denn die inhaltliche Komplexität bleibt.
Schopenhauer und Heidegger bevorzugten bekanntlich die A-Version.
In formaler Hinsicht ist Kants Argumentation in der B-Version jedoch durchaus
vereinfacht. In der A-Version ist die Deduktion formal folgendermaßen aufgebaut:7
Nach einer kurzen Einleitung, die die Deduktion motiviert und erklärt, weshalb
es Erkenntnis ohne apriorische Begriffe nicht geben würde, sofern diese für ob-
jektive Realität konstitutiv sind und auf sinnliche Anschauungen bezogen werden
müssen (= 1. Abschnitt der Deduktion, A 95–98), stellt Kant die Elemente dar,
die in einer Erkenntnis vorhanden sind. Dies bildet die Lehre von den drei Arten
der Synthesis: a) Synthesis der Apprehension in der Anschauung, b) Synthesis der
Reproduktion in der Einbildungskraft und c) Synthesis der Rekognition im Be-
griff (= 2. Abschnitt der Deduktion, A 98–110). Hierbei geht Kant so vor, dass er
zunächst in unseren tatsächlichen empirischen Vollzügen jeweils eine empirische
Synthesis der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition feststellt, um
4
Vgl. den für die Forschung zu Kants Kategoreindeduktion wegweisenden Aufsatz: Hen-
rich, in: Prauss (1973), S. 90–104, bes. S. 90; vgl. auch: Henrich / Wagner, in: Tuschling (1984),
S. 34–96; vgl. auch: Henrich, in: Oberer / Seel (1988), S. 39–70. Vgl. generell zum Thema auch:
Baum (1996).
5
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage, B XXXVII f.
6
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 137–147, B 176–187.
7
Vgl. insgesamt zur A-Deduktion: Carl (1992).
Vorwort 9
8
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede, A XVI f.
9
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 143: „Das mannigfaltige in einer sinnlichen An-
schauung […] in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien.“
10
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 160 f.: „Wir haben Formen […] auch von allen
Gegenständen der Erfahrung.“
10 Rainer Schäfer
den Schritte der B-Deduktion applizieren. Der erste Beweisschritt der B-Deduktion
zeigt die Objektivität der Kategorien, also dass das Mannigfaltige der Anschauun-
gen unter Kategorien stehen muss, und entspricht damit der objektiven Seite der
Deduktion. Der zweite Beweisschritt zeigt, wie bei unserer konkreten, mensch-
lichen Anschauungsweise (räumlich, zeitlich, schematisch, wahrnehmend, emp-
findend) Anschauungen unter Begriffe geordnet werden – daher auch die Über-
schrift des § 24 „Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne
überhaupt“ [Hervorhebung R. S.], es geht also um ein Anwendungsproblem, dies
betrifft somit eher die subjektive Seite der Deduktion. In der A- und in der B-Ver-
sion der transzendentalen Deduktion Kants spielt also die Einheit der reinen Ap-
perzeption, des Selbstbewusstseins eine zentrale Rolle dafür, dass Anschauungen
einheitlich, d. h. durch Kategorien, zu Elementen von Erkenntnis werden können
und damit Gegenstände konstituieren. Was Kant jedoch nicht leistet, ist eine eigene
Argumentation dafür, wie genau sich die Einheit der Apperzeption zu den einzel-
nen Kategorien verhält (vgl. zu dem Versuch einer weiterführenden Rekonstruktion
dessen im Sinne Kants den Beitrag von Klaus Düsing in diesem Buch).
Fichte hat Kants Methode der Deduktion in der Grundlage der gesamten Wis-
senschaftslehre universalisiert. War die Deduktion bei Kant noch mit dem grund-
legenden aber speziellen Problem einer Rechtfertigung der Anwendung von reinen
Begriffen auf Anschauungen befasst, weil diese beiden Quellen der Erkenntnis he-
terogen sind, so hat Fichte seine gesamte Philosophie, als Wissenschaftslehre, in
ein deduktives System ausgebaut (vgl. hierzu den Beitrag von Nicolas Bickmann).
Ist bei Kant die „Deduktion“ – entlehnt aus dem juristischen Bereich als eine ar-
gumentative Beweiskette für einen Rechtsanspruch11 – zunächst in die erkenntnis-
theoretische Elementarlehre eingebettet und steht neben einem analytischen und
einem deskriptiven Theorieabschnitt, der zunächst erklärt, was Anschauungen und
Begriffe jeweils für sich sind, so entwickelt sich bei Fichte jeder einzelne Schritt
seines philosophischen Systems zu einer Deduktion. Doch Fichte transformiert
Kants Deduktionsgedanken auch inhaltlich. Hat bei Kant die Deduktion schon für
sich selbst bestehende Elemente der Erkenntnis – Anschauungen und Begriffe –
zusammenzuführen, um deren konstitutiven Bezug für Objektivität zu beweisen,
so ist in Fichtes Wissenschaftslehre ein Begriff oder genereller eine Bestimmung
genau nur dann deduziert, wenn gezeigt werden kann, dass sich Selbstbewusstsein
nicht ohne diese Bestimmung selbst setzen kann. Bei Kant ist die Deduktion also
auf Objekte und Objektivität ausgerichtet, bei Fichte dagegen auf Subjektivität
selbst und dann erst in zweiter Linie auf die aus dem Setzen von Selbstbewusst-
sein folgende Objektivität.
Bei Fichte ist diese Deduktion in der Grundlage bereits eine genetische Ablei-
tung, d. h., aus einfacheren Bestimmungen werden höherstufige, vermitteltere und
komplexere Bestimmungen hergeleitet: z. B. aus Realität Negation und aus dieser
11
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 116 f.
Vorwort 11
Limitation, aus dieser wiederum Kausalität und Substantialität und sodann die
Wechselwirkung. Diese genetische Deduktion lobt Hegel in seinen Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie überschwänglich: „Das ist der erste vernünf-
tige Versuch in der Welt, die Kategorien abzuleiten; dieser Fortgang von einer Be-
stimmtheit zu einer anderen ist Analyse vom Standpunkte des Bewusstseins aus,
nicht an und für sich.“12 Letzteres ist allerdings auch schon wieder der Keim einer
Kritik, denn Fichte bleibt damit aus der Sicht Hegels der Endlichkeit Kants ver-
haftet und rechnet die Kategorien dem Bewusstsein zu, hat sie also nicht als reine
Denkbestimmungen des Absoluten begriffen.
Wie bereits gesagt, integriert Schelling die Kategorien sowie deren Deduktion in
seine als „Epochen“ bezeichneten drei Entwicklungsstufen der theoretischen Intel-
ligenz. Die erste Epoche geht von der Empfindung zur produktiven Anschauung,
die zweite von der produktiven Anschauung zur Reflexion und die dritte von der
Reflexion zum absoluten Willensakt – woran sich dann die praktische Philosophie
anschließt. Das ist ein genetischer Bottom-up-Aufstieg von niedrigeren zu höheren
Handlungsformen der Intelligenz. Die Kategorien in der zweiten Epoche des theo-
retischen Selbstbewusstseins sind in Schellings Systematisierung anschauliche Zu-
sammenfassungen ursprünglich subjektiven Handelns, das einem Mannigfaltigen
eingebildet wird. – Hier gibt es Überschneidungen mit dem Verständnis Fichtes. –
Daher geht Schelling von einer produktiven Anschauung aus: Wir schauen nicht
passiv an, sondern bilden aktiv Strukturen ein, während wir anschauen.
Dies ist jedoch beim theoretischen Ich kein göttliches oder willkürliches Pro-
duzieren, sondern ein begrenztes, durch notwendige Strukturen bedingtes Produ-
zieren. Das anschauliche Produzieren von Objektivität durch die Kategorien ist
bedingt durch eine „ursprüngliche Duplizität“13 der Intelligenz, die für ihr Hinein-
bilden eines ihr gegebenen anschaulichen Äußeren bedarf. Im Unterschied zu Kant
und Fichte, gibt es nach Schelling eigentlich nur Kategorien der Relation – d. i.:
1. Substanz – Akzidenz, 2. Ursache – Wirkung und 3. Wechselwirkung. Aus diesen
Kategorien werden die anderen Kategorien der Qualität, Quantität und Modalität
abgeleitet. Wiederum innerhalb der Relationskategorien ist die Kategorie Wechsel-
wirkung grundlegend, aus ihr sind die beiden anderen Relationskategorien abgelei-
tet, weil es weder das Substanz-Akzidenz- noch das Ursache-Wirkungs-Verhältnis
ohne Wechselwirkung geben könnte.14 Daher bildet die Wechselwirkung für den
Schelling des Systems des transzendentalen Idealismus die Zentralkategorie, aus
der sich alle anderen ableiten lassen. – Es ist natürlich naheliegend, dass Schelling
zu diesem Gedanken durch Fichtes Bestimmung der Limitation bzw. Wechselwir-
kung in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre inspiriert wurde; ebenso
kann eine Inspirationsquelle aber auch die Diskussion mit dem Homburger und
Frankfurter Freundeskreis um Hegel, Hölderlin, Zwilling und Sinclair zwischen
12
Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 401.
13
Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 479.
14
Vgl. Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 477 ff.
12 Rainer Schäfer
1796–1800 gewesen sein, denn bei diesen vier Freunden bildet die Wechselwirkung
ebenfalls die zentrale Bestimmung und Schelling hat den Freundeskreis zweimal
besucht. – Nach Schelling erklärt also die Wechselwirkung, wie etwas überhaupt
ein Objekt für uns sein kann, und aus ihr sind alle anderen Kategorien systema-
tisch und vollständig herzuleiten.
In Hegels überschwängliches und anerkennendes Lob der Kategoriendeduktion
Kants mischt er von Anbeginn zugleich eine weiterführende Kritik (vgl. zu diesem
Zusammenhang die Studien von Elena Ficara, Markus Gabriel und Klaus Erich
Kaehler). Gerade weil Kant eine solch tiefe und richtige Einsicht in das Verhältnis
von Sinnlichkeit, Begriff, Urteil und Apperzeption hatte, ist es aus Hegels Sicht
besonders fahrlässig, dass er vor den letzten spekulativ-dialektischen Einsichten
dann doch wieder zurückschreckte und in einer bloß reflexiv-verständigen Inter-
pretation verharrte. Mit Kant geht Hegel über Kant hinaus.
Hegels aufnehmend-weiterführende (d. h. „aufhebende“) Haltung zu Kants
Kategoriendeduktion beginnt schon in Glauben und Wissen von 1802,15 setzt sich
in der Phänomenologie des Geistes fort (vgl. hierzu den Beitrag von Gaetano Ba-
sileo in diesem Buch) und findet ihren krönenden Abschluss in der Wissenschaft
der Logik (vgl. hierzu bes. die Beiträge von Markus Gabriel und Lars Heckenroth).
Und auch in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie hält sich dieses
ambivalente Verhältnis noch durch.16 In der Wissenschaft der Logik identifiziert
Hegel einerseits die höchste logische Bestimmung, den Begriff, mit Kants Apper-
zeption und hält ebenso daran fest, dass begriffliche Bestimmungen und Selbst-
bewusstsein dasselbe sind:
„Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft
finden, dass die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthe
tische Einheit der Apperzeption, als Einheit des ‚Ich denke‘ oder des Selbstbewusstseins er-
kannt wird. – Dieser Satz macht die sogenannte transzendentale Deduktion der Kategorie[n]
aus“.17
15
Vgl. Hegel: Glauben und Wissen, TWA 2, S. 307 ff.
16
Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 343–351.
17
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254.
Vorwort 13
18
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 216–227 u. S. 271–276.
19
Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 356.
14 Rainer Schäfer
Elena Ficara
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Klaus Düsing
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? . . . 29
Reinhard Hiltscher
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein in Kants Transzenden-
taler Deduktion der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Nicolas Bickmann
Kategoriendeduktion bei Fichte. Zu den ersten drei Grundsätzen der Grundlage
der gesamten Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Gaetano Basileo
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes von 1807
als Deduktion des Begriffs der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Markus Gabriel
Hegels Kategorienkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Lars Heckenroth
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Wilhelm Metz
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Was ist die transzendentale Deduktion
der Kategorien?
Von Elena Ficara
„Sie [die transzendentale Deduktion der Kategorien] hat aber von jeher für eines der schwer-
sten Stücke der Kantischen Philosophie gegolten, – wohl aus keinem anderen Grunde, als
weil sie fordert, daß über die bloße Vorstellung des Verhältnisses, in welchem Ich und der
Verstand oder die Begriffe zu einem Ding und seinen Eigenschaften […] stehen, zum Ge-
danken hinausgegangen werden soll.“1
„Dieses ist das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie, [das] aus der philosophischen
Logik vorauszusetzen [ist].“2
Mit den Debatten über transcendental arguments, die seit der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts bis heute geführt werden,3 ist die Frage nach der Natur tran-
szendentalen Argumentierens in der zeitgenössischen philosophischen Landschaft
durchaus präsent.4 Eine vollständige Durchdringung und genuine Fruchtbar
machung der ursprünglichen Kantischen Idee einer transzendentalen Deduktion
der Kategorien scheint jedoch in aktuellen Debatten noch auszustehen.5
1
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254.
2
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32.
3
Für einen Überblick über die Anfänge der Debatte über transcendental arguments vgl.
Ritter / Gabriel / Gründer, Bd. 10, 1424 ff. Zu den neueren Beiträgen zählen u. a. Grundmann,
in: Engelhard / Heidemann (2004), S. 44–75, Stapelford (2008), Stern (2017), Giladi (2016),
S. 212–231, und die Essays über den Nutzen transzendentaler Argumentationen in Moral
philosophie und Politik gesammelt in Stern / Brune / Werner (2017).
4
Über die Grenzen der Diskussion über transcendental arguments hinsichtlich einer ge-
nuinen Erhellung der Kantischen Idee vgl. zuletzt Stapleford (2008). Dass die Protagonisten
dieser Debatten die transzendentale Perspektive grundsätzlich missverstehen, wird hauptsäch-
lich in der Europäischen Kant-Interpretation allgemein bedauert. Vgl. zuletzt Ferrari (2013),
S. 254–256. Bubner (1975), S. 453, betont, dass die Diskussionen über transcendental argu-
ments unabhängig von der Betrachtung von Kants eigenem Verständnis des Transzendentalen
und der transzendentalen Deduktion geführt werden.
5
Die transzendentale Deduktion der Kategorien ist zwar Gegenstand klassischer und zeitge-
nössischer monographischer Werke (vgl. u. a. Erdmann (1973), De Vleeschauwer (1934–1937),
Chiodi (1961), Henrich (1976), Baum (1986) und zuletzt Allison (2015)) und sie war Mittelpunkt
der philosophischen Diskussion schon seit der Veröffentlichung der ersten Auflage der Kritik
der reinen Vernunft (über die Unzulänglichkeit der Kantischen Deduktion, die Kategorien aus
der ursprünglich synthetischen Leistung des Ich-denke abzuleiten vgl. u. a. Hegel 20, S. 345 ff.)
und bis ins 20. Jahrhundert (vgl. u. a. Apels kritische Weiterführung des transzendentalphilo-
sophischen Ansatzes in Apel (1973), Hogrebes Deutung der Kantischen Transzendentalphi-
losophie als transzendentale Semantik in Hogrebe (1974) – für die Deutung der Kategorien-
18 Elena Ficara
deduktion vgl. hier insbesondere S. 94 ff.). In zeitgenössischen Debatten spielt jedoch weder
die Rezeptionsgeschichte der Deduktion noch die Verbindung zwischen transzendentalphilo-
sophischem und sprachphilosophischem Ansatz in Werken wie Apel (1973), Hogrebe (1974),
Tugendhat (1970) eine Rolle. Dass die Transzendentalphilosophie in der kontinentalen und in
der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts zwei verschiede Geschichten gehabt hat,
wird von D’Agostini (1999), S. 212 ff. betont. Während der Transzendentalismus in der konti-
nentalen Philosophie zwar kritisiert wurde, aber als ernstzunehmender Bezugspunkt galt und
weitergeführt wurde (vgl. z. B. Heidegger (1927) und Apel (1973)), wird er in der analytischen
Philosophie skeptisch betrachtet (vgl. Maddy (2009), S. 47 ff. die zwischen zwei möglichen
Interpretationen von Kants Transzendentalismus unterscheidet, „the harsh reading“ versus
„the benign reading“, und betont, dass weder die erste noch die zweite heute als allgemeine
philosophische Position – was sie „Second Philosophy“ nennt – vertretbar ist).
6
Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 336 f.
7
Dass Kants Begriff des Transzendentalen als etwas Erhabenes, Sublimes und Fernes üb-
licherweise missverstanden wird, ist beispielhaft die These in Adorno (1995), S. 35. Über die
Transzendentalphilosophie als ein Niemandsland vgl. ebenfalls Adorno (1995), S. 35 ff.
8
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XXXVIII.
9
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254.
10
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, insb. B 116–139.
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? 19
Wissenschaft der Logik sowie Hegels eigene Idee der Deduktion als spezifisch
philosophisches Verfahren in den Grundlinien zur Philosophie des Rechts zu. Auf
dieser Basis betrachte ich abschließend die Fragen „Was ist die transzendentale
Deduktion der Kategorien?“ und „Wie lässt sich im Ausgang von der ursprüng-
lichen Idee einer transzendentalen Deduktion der Kategorien über die Natur des
transzendentalen Denkens neu denken?“.
Meiner Ansicht nach ist Hegels Weiterführung des Kantischen Programms einer
transzendentalen Deduktion der Kategorien richtungsweisend, indem sie eine Er-
hellung der Natur der Deduktion als das wissenschaftliche Verfahren der Philo-
sophie ermöglicht.11 Somit erlaubt sie eine sachliche Antwort auf die Fragen zu
geben: „Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? Inwiefern ist sie
für die Philosophie heute relevant?“.
Hegels Philosophie teilt die Kantische und Fichtesche Idee der Philosophie als
Transzendentalphilosophie und führt sie zugleich weiter. Philosophie als Transzen
dentalphilosophie ist im Kantischen und Fichteschen von Hegel geerbten Sinne
Wissen des Wissens (Wissenschaftslehre). Hegel macht zugleich die ontologischen
Implikationen der so verstandenen Transzendentalphilosophie explizit. Indem Phi-
losophie als Transzendentalphilosophie Wissen des Wissens ist, ist sie zugleich
Wissen der Realität, wissen dessen, was ist, wahres Wissen.
In der Kantischen und Hegelschen Idee der transzendentalen Deduktion der
Kategorien drückt sich genau diese selbstreflexive und zugleich wahrheits-ermög-
lichende Natur des philosophischen Nachdenkens aus. In diesem Licht kann die
transzendentale Deduktion der Kategorien als die eigentliche wissenschaftliche
Durchführung dieser Idee, als die Methode und Logik des philosophischen Den-
kens vor Augen geführt werden.12
Mit der Deduktion der Kategorien belebt Kant ein Verfahren, dessen Destruk-
tion das Ziel der Philosophie der Mitte des 18. Jahrhunderts durch Autoren wie
Newton in England, d’Alembert und Mapertuis in Frankreich, Crusius in Deutsch-
land gewesen war.
11
Zu Hegels Begriff der Dialektik als das eigentliche philosophische Beweisverfahren bzw.
philosophische Deduktion, als Ableitung der Kategorien aus der reflexiven und selbstreflexi-
ven Tätigkeit des Denkens vgl. Gadamer (1971), S. 4 f. und 25 f.
12
In seiner Rezeption der Kantischen Idee einer transzendentalen Deduktion der Katego-
rien führt Hegel die Transzendentalphilosophie auf die antike Konzeption der Dialektik als
Methode der Philosophie zurück. Für eine Diskussion der These, dass die Entdeckung der
Antinomie der reinen Vernunft grundsätzlich für die Entstehung des Kantischen transzenden-
talphilosophischen Projekts der Kritik der reinen Vernunft gewesen ist, vgl. Hinske, in: Ritter /
Gabriel / Gründer (1971 ff.), Bd. 10, S. 1376–1388.
20 Elena Ficara
In den Schriften von 1763 kritisierte Kant das für die Schulphilosophie seiner
Zeit typische Verfahren des Deduzierens, das darin bestand, das Besondere aus
gesetzten Begriffen syllogistisch abzuleiten.13
Das Ziel des traditionellen Verfahrens war es, ausgehend von der Definition
eines Begriffs das Wirkliche, das was ist, zu beweisen. Z. B. ausgehend von der
Definition Gottes als id quo maius cogitari nequit wird bewiesen, dass Gott exis-
tieren muss, da es ansonsten möglich wäre, sich ein Wesen vorzustellen, das neben
allen im Begriff Gottes gedachten Perfektionen auch die Existenz besitzen würde
und also höher als Gott wäre.
In der Kritik der reinen Vernunft wiederholt Kant die frühere Kritik nicht,
er nimmt sie aber auch nicht zurück. Er etabliert ausdrücklich die Methode der
Deduktion auf eine Art, die die Kritik in sich bewahrt. Die Kantische Konzeption
von Deduktion impliziert, dass die klassische Methode der Definitionen für die
Analyse reiner apriorischer Begriffe neu gedacht werden muss.
Kants Anknüpfung an die juristische Idee der Deduktion ist in diesem Sinne
grundsätzlich. Kant beruft sich im zweiten Hauptstück der Transzendentalen Ana-
lytik § 13 auf die rechtswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Fragen, die das
Recht betreffen (quid iuris) und Fragen, die die Tatsache angehen (quid facti). Der
Beweis, der den Rechtsanspruch dartun soll, wird Deduktion genannt. Kant erläu-
tert, dass es verschiedene Typen von Begriffen gibt: empirische Begriffe, deren
Bedeutung einfach angegeben werden kann, weil man sich dabei auf die Erfah-
rung berufen kann; Begriffe wie „Glück“ oder „Schicksal“, die Kant „usurpiert“
nennt, weil wir sie jederzeit benutzen, bei denen wir aber in Verlegenheit geraten,
da wir keine Bezugspunkte haben (weder in der Erfahrung noch in der Vernunft),
um ihre Bedeutung einwandfrei anzugeben. Wir haben dann auch Begriffe, die
von der Erfahrung völlig unabhängig sind, bei denen man aber wie Kant betont
„wissen muss, wie sie sich auf Objekte der Erfahrung beziehen können“14. Im Laufe
der Deduktion wird noch erwiesen, dass diese Begriffe Möglichkeitsbedingungen
der Erfahrung sind – dies ist das, was sie im Unterschied zu den empirischen und
den sog. usurpierten Begriffen auszeichnet.
Kant definiert die transzendentale Deduktion der Kategorien dementsprechend
als „Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände der Erfahrung
beziehen können“15. Er weist zunächst auf die Natur der Begriffe (und der reinen
Anschauung) als Formen und auf die Materie (die sinnlichen Eindrücke) als Ge-
legenheitsursache der Entstehung der Formen, d. h. der Begriffe, hin.
13
Vgl. hierzu Puder (1974), S. 39 f. Für Puder ist Kants transzendentale Deduktion die Ret-
tung des klassischen Deduktionsverfahrens, die dessen Kritik enthält.
14
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 117.
15
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 117.
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? 21
„Reine Anschauungen und reines Denken als Formen, die Materie zu ordnen, werden bei
Gelegenheit der Materie (d. h. bei der Gelegenheit der sinnlichen Eindrücke) zur Ausübung
gebracht und bringen Begriffe hervor.“ 16
Hier wird die Frage nach der Genese reiner Begriffe, noch nicht diejenige nach
ihrer Gültigkeit angesprochen. Mit anderen Worten: Kant weist darauf hin, dass
reine Begriffe der Möglichkeit ihrer Ausübung und faktischer Entstehung nach
von der Erfahrung abhängen. Ähnlich betont Kant in B 1, dass jede Erkenntnis
mit der Erfahrung anfängt, obwohl nicht jede Erkenntnis von der Erfahrung ab-
hängt. Außerdem werden reine Begriffe hier als Formen, noch nicht als Möglich-
keitsbedingungen definiert.
Im § 14 macht Kant darauf aufmerksam, dass, wenn wir das Verhältnis zwi-
schen Vorstellung und Gegenstand betrachten, sich zwei Möglichkeiten ergeben:
entweder macht der Gegenstand die Vorstellung oder die Vorstellung den Gegen-
stand möglich. Hier wird die Idee der Formen als Möglichkeitsbedingungen der
Gegenstände und der objektiven Erkenntnis eingeleitet.
Unsere objektive (wahre) Erkenntnis,17 argumentiert Kant, enthält neben der An-
schauung, durch die etwas gegeben wird auch einen Begriff (oder ein Denken) von
einem Gegenstand, der in der Anschauung gegeben wird. Also muss es Begriffe von
Gegenständen überhaupt als Möglichkeitsbedingungen aller Erfahrungserkenntnis
geben. Die Begriffe von Gegenständen überhaupt sind die Denkformen, die das
Denken von Gegenständen möglich machen.
Hier behauptet Kant, dass die Kategorien Formen der objektiven Erkenntnis sein
können, weil sie Möglichkeitsbedingungen dieser Erkenntnis sind, d. h. Normen
und Kriterien, ohne die es keine Wahrheit und keine Objektivität gäbe.
Daraus lässt sich auch das Prinzip der transzendentalen Deduktion der Katego-
rien ableiten, das Kant am Ende von § 14 formuliert, nämlich dass
„die Begriffe a priori als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung erkannt
werden müssen. Begriffe, die den objektiven Grund der Erfahrung abgeben, sind eben
darum notwendig.“18
Die Idee der Möglichkeitsbedingung wird hier mit derjenigen der Notwendigkeit
verknüpft. Der Sinn der Notwendigkeit reiner Begriffe wird erklärt: Sie sind das,
ohne dessen es keine Erfahrung geben könnte. Da es Erfahrung gibt, gibt es reine
Begriffe. Die durch den Begriff der Möglichkeitsbedingungen zum Ausdruck ge-
brachte Notwendigkeit ist eine ermäßigte Notwendigkeit.19 Charakteristisch für sie
16
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 118.
17
Für eine Interpretation der Kategoriendeduktion als Rechtfertigung des korrespondenz-
theoretischen Wahrheitsbegriffs vgl. Hiltscher (1993), S. 426–447.
18
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 127.
19
Vgl. hierzu Chiodi (1961), S. 263.
22 Elena Ficara
ist, dass sie, wie Martin Puder mit Recht betont: „nicht positiv vorgetragen wird,
sondern, dass die negative Präposition ‚ohne‘ verneint wird“20. Weitere Beispiele
dieser restringierten negativen Art der Notwendigkeit sind: „wenn diese Vorstellung
nicht Anschauung (innere) a priori wäre, [könnte] kein Begriff […] die Möglich-
keit einer Veränderung in einem und demselben Orte begreiflich machen“21; „Ohne
Bewusstsein, dass das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augen-
blick zuvor dachten, würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellungen ver-
geblich sein“22.
Wie die reinen Begriffe oder Kategorien nun objektive Erkenntnis ermöglichen,
wird von Kant über die Begriffe der Vereinigung des Mannigfaltigen der Anschau-
ung, der Synthesis als Leistung der Spontaneität des Denkens, der Einheit des Be-
wusstseins in der Synthesis des Mannigfaltigen als Bedingung dieser Synthesis
und mithin der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis entwickelt. In B 137 fasst Kant
diesen Ankunftspunkt der Deduktion zusammen:
„Objekt ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt
ist. Alle Vereinigung der Vorstellungen erfordert Einheit des Bewusstseins in der Synthesis
derselben. Folglich ist diese Einheit des Bewusstseins dasjenige, was die Beziehung der
Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit […] ausmacht und
worauf selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht“23.
20
Puder (1974), S. 43.
21
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 48.
22
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 103.
23
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 137.
24
Über Probleme und Perspektiven der Weiterbildung von Kants Theorie der Apperzeption
vgl. Düsing (2013), S. 30 ff., 52 ff., 72 ff.
25
Über die Aspekte in Kants Theorie des Verhältnisses von synthetischer und analytischer
Einheit der Apperzeption, die auf Hegels Begriff des Begriffs vorausweisen, vgl. Schäfer, in:
Ficara (2011), S. 267 ff.
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? 23
Für Hegel ist die Kantische Deduktion grundsätzlich, um das Wesen des Be-
griffs vor Augen zu führen:
„Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft
finden, daß die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthe-
tische Einheit der Apperzeption, als Einheit des ‚Ich denke‘ oder des Selbstbewußtseins
erkannt wird.“ Die Kantische Deduktion fordert „daß über die bloße Vorstellung des Ver-
hältnisses, in welchem Ich und der Verstand oder die Begriffe zu einem Ding und seinen
Eigenschaften […] stehen, zum Gedanken hinausgegangen werden soll.“27
26
Dass Hegels Philosophie und insbesondere Hegels Logik Erfüllung des transzenden-
talphilosophischen Vorhabens Kants und echte kritische Philosophie ist, wird von Steke-
ler-Weithofer (1992), S. 8 ff. betont. Zu Hegels Transzendentalismus vgl. Horstmann (2006),
S. 9–50, Pippin, in: Gardner / Grist (2015), S. 159–172 und Houlgate, in: Gardner / Grist (2015),
S. 173–194. Gadamer (1971), S. 49–70 fasst Hegels Vorhaben in der Wissenschaft der Logik
als Vereinigung der Kantischen und Fichteschen Transzendentalphilosophie mit der antiken
Idee der Ersten Philosophie als Seinslehre auf. Über die Entwicklung von Hegels Interpreta-
tion des Kantischen Ich-denke vgl. Düsing (2012), S. 178 ff.
27
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254.
24 Elena Ficara
des Denkens mit der Realität gäbe. Die Kategorien sind Formen des selbstbewuss-
ten Denkens (des Denkens, das sich selbst denkt) und werden in der Kategorien-
deduktion in ihrem Anspruch, Formen der Wahrheit zu sein, legitimiert.
Hegel schreibt dies bezüglich „Die Kantische Darstellung enthält […], dass der
Begriff als das Objektive der Erkenntnis […], somit als die Wahrheit [angegeben
wird].“28 Was er meint, ist, dass der Begriff die Form und Norm der Wahrheit ist.
Wir könnten sagen, der Begriff ist die Wahrheit als transzendentale Wahrheit, als
Möglichkeitsbedingung der Wahrheit / Objektivität der Erkenntnis. Kant selbst
führt den Ausdruck transzendentale Wahrheit ein: „In dem Ganzen aller möglichen
Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse, und in der allgemeinen Beziehung
auf dieselbe besteht die transzendentale Wahrheit, die vor aller empirischer vor-
hergeht und sie möglich macht“29. Der Hegelsche Begriff ist dementsprechend mit
anderen Worten eine allgemeine Struktur, die das Ganze bzw. das, was für alle
Fälle gilt und allen Fällen gemeinsam ist, ausdrückt. Z. B. steht der Begriff des
Guten für das, was in allen Fällen gut ist, der Begriff der Freiheit steht für das, was
allen Fällen von Freiheit gemeinsam ist. Wie wir sehen werden, ist der Begriff in
dieser formalen Bedeutung noch abstrakt. Durch die Selbstbeziehung, die durch
die Erfahrung angeregt wird, wird er konkretisiert und in die Lage versetzt, die
„empirische Wahrheit“ (die Wahrheit als Korrespondenz) zu ermöglichen.
Hegel weist hier auf den juristischen Sachverhalt oder Tatbestand als spezi-
fische juristische Situation hin, die vom allgemeinen Gesetz erfasst werden soll
und betont, dass die Juristen sich sehr wohl dessen bewusst sind, dass der Sach-
verhalt häufig die allgemeine Definition widerlegt. Z. B. wäre für das Römische
Recht keine Definition vom Menschen (im Sinne des Trägers von Rechten und
28
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 256.
29
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 185.
30
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31.
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? 25
Pflichten) möglich, denn der Sklave (obwohl Mensch) ließe sich darunter nicht
subsumieren. Oder wenn eine Definition vom Menschen als Träger von Rechten
und Pflichten vorgeschlagen wird, dann behandeln die Juristen diese mit Vorsicht,
denn sie wissen, dass das Auftauchen von Sachverhalten, in denen Menschen keine
Träger von Rechten und Pflichten sind (wie der Sklave im Römischen Recht), die
Unzulänglichkeit der Definition bzw. die Ungerechtigkeit des Römischen politi-
schen Systems aufdeckt.
Hegel kritisiert das in den Einzelwissenschaften übliche Verfahren der Deduk-
tion von Begriffen:
„die Deduktion aber der Definition wird […] vornehmlich daraus geführt, dass sie aus den
besonderen Fällen abstrahiert und dabei das Gefühl und die Vorstellung des Menschen
zum Grunde gelegt wird. Die Richtigkeit der Definition wird dann in die Übereinstim-
mung mit den vorhandenen Vorstellungen gesetzt. Bei dieser Methode wird das, was allein
wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an
und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form aber die Natur des Begriffs,
beiseite gestellt“31.
Was im üblichen deduktiven Verfahren beiseite gestellt wird, ist die Einsicht in
die Notwendigkeit der Begriffe, die „deduziert“ werden (in dem Kantischen Sinne
der Notwendigkeit reiner Begriffe als Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis –
vgl. § 14 der Kategoriendeduktion).
In der philosophischen Erkenntnis ist für Hegel dagegen „die Notwendigkeit
eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang als Resultat, geworden zu sein, [ist]
sein Beweis und Deduktion“32.
Dies bedeutet, dass der philosophische Beweis oder Deduktion der Begriffe in
dem Argumentationsgang besteht, der sich aus der Natur der Begriffe als Mög-
lichkeitsbedingungen ergibt. Kant selbst betont in den Prolegomena, dass die De-
duktion Einsicht in die Natur der Kategorien, d. h. in ihre Natur als Möglichkeits-
bedingungen objektiver Erkenntnis, ist.33
Hegel erläutert dann, dass
„Indem so sein Inhalt für sich notwendig ist so ist das zweite sich umzusehen was in den
Vorstellungen und in der Sprache demselben entspricht. Wie aber dieser Begriff für sich
in seiner Wahrheit und wie er in der Vorstellung ist, dies kann nicht nur verschieden von
einander, sondern muss es auch der Form […] nach sein. Wenn jedoch die Vorstellung nicht
auch ihrem Inhalte nach falsch ist, kann wohl der Begriff als in ihr enthalten und seinem
Wesen nach in ihr vorhanden aufgezeigt, d. h. die Vorstellung zur Form des Begriffs erho-
ben werden. Aber sie ist so wenig Maßstab und Kriterium des für sich selbst notwendigen
31
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31.
32
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31 f.
33
Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 324. Vgl. auch Puder
(1974), S. 41, und Baum (1986) über die Kantische Deduktion als eine besondere Form der
Definition.
26 Elena Ficara
und wahren Begriffs, dass sie vielmehr ihre Wahrheit aus ihm zu nehmen, sich aus ihm zu
berichtigen und erkennen hat“34.
Die philosophischen Begriffe sind daher notwendig, ihre Deduktion ist der Be-
weis ihrer Notwendigkeit und erfolgt zunächst dadurch, dass man die Erfahrung
berücksichtigt, eine Erfahrung, die von Hegel als das sprachlich artikulierte Feld
der Vorstellungen interpretiert wird, die man von diesen Begriffen hat. Vorstel-
lungen sind immer der Form nach falsch, behauptet Hegel, und d. h. dass sie im-
mer einseitig, d. h. endlich sind. Dennoch können sie inhaltlich richtig sein, d. h.
Treffliches (obzwar Partielles) über die Bedeutung des in Frage stehenden Begriffs
aussagen. Indem sie es tun, kann der Begriff an ihnen gezeigt werden, d. h. die
einseitige Vorstellung wird zur Form des Begriffs gebracht. Dabei ist der Begriff,
und nicht die Vorstellung, Maßstab der Wahrheit.
Daran sieht man den Unterschied zwischen der Deduktion als Verfahren der
Philosophie und dem gängigen Verfahren der Definition und Beweis der Richtig-
keit derselben. In dem nicht philosophischen Verfahren werden Begriffe dadurch
definiert, dass man die Vorstellungen berücksichtigt, die man von ihnen hat und
dass man aus diesen Vorstellungen allgemeine Merkmale des Begriffs abstrahiert.
Die Prüfung der Richtigkeit der Definition besteht darin, dass man schaut, ob sie
mit den Vorstellungen übereinstimmt. Im Gegenteil dazu setzt die philosophische
Deduktion voraus, dass der Begriff als selbstbezügliches Denken (und d. h. auch
als kritische Reflexion über die normale vorstellungsartige Bedeutung des in Frage
stehenden Begriffs) die Möglichkeitsbedingung der (Wahrheit der) Vorstellung ist.
Die Berücksichtigung der Vorstellungen impliziert, dass sie aus der Perspektive
des Begriffs kritisch hinterfragt, negiert werden müssen. So wird das einzelwis-
senschaftliche Verfahren der Definition und Deduktion der Definition in der Phi-
losophie zur transzendental-dialektischen Deduktion. Der Begriff wird hier zum
kritischen Nachdenken über die Vorstellungen, zu einer skeptischen Instanz, die
die Vorstellungen negiert und zugleich zur begründenden Instanz, die die Vorstel-
lungen in ihrer Wahrheit setzt.
Anhand dieser Rekonstruktion kommt zum Vorschein, dass die transzendentale
Kategoriendeduktion durch Hegel explizit als die Methode bzw. Logik der Philoso-
phie aufgefasst wird. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption wird
zum spekulativen Denken als der Grundstruktur und wesentlichen Natur des phi-
losophischen Nachdenkens. Hegel schreibt: „Dieses ist das wissenschaftliche Ver-
fahren der Philosophie, [das] aus der philosophischen Logik vorauszusetzen [ist]“35.
34
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32.
35
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32.
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? 27
III. Schlussbemerkungen
Mein Ziel war es, eine Leitlinie in der Kantischen und der Hegelschen Idee der
Deduktion hervorzuheben, die erlaubt, im Allgemeinen nach der Bedeutung der
transzendentalen Deduktion für uns heute zu fragen. Die Fragen „Was ist die tran-
szendentale Deduktion?“ „Wieso ist sie für uns nützlich und relevant?“ lassen sich
im Ausgang von dieser Rekonstruktion ansatzweise besprechen.
In den Debatten über transcendental arguments, die die philosophische Diskus-
sion über Kant in der analytischen Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts gekennzeichnet haben, ist das transzendentale Deduktionsverfahren pro-
grammatisch wiederaufgenommen worden. Transzendentale Argumente werden
in diesen Debatten als antiskeptische Argumente interpretiert und als Argumente,
in denen wir aufzeigen, dass wenn man Q zugibt man auch dazu gezwungen ist,
P als Bedingung von Q zuzugeben. Wenn der Skeptiker z. B. behauptet, dass es
keine Subjekt-unabhängige Gegenstände gibt aber zugleich annimmt, dass es mög-
lich ist, „über sich selbst bewusst zu sein“, dass Selbstbewusstsein also existiert,
dann benutzt man ein transzendentales Argument um dem Skeptiker zu zeigen,
dass Selbstbewusstsein ohne die Annahme der Existenz unabhängiger Gegen-
stände nicht möglich ist, und dass daher vom Subjekt unabhängige Gegenstände
existieren müssen.36
Die Betrachtung der ursprünglichen Idee der Kantischen und Hegelschen De-
duktion zeigt, dass die antiskeptische Funktion transzendentalen Denkens nur ein
Teil eines komplexen, in seinen multiplen Facetten noch zu erhellenden Unterfan-
gens ist. Weitere Aspekte müssen mitgedacht werden, um die Natur des transzen-
dentalen Denkens so vollständig wie möglich vor Augen zu führen.
Sowohl in der ursprünglich Kantischen als auch in der Hegelschen Erörterung
ist das Deduktionsverfahren eng mit der Aufgabe des Nachdenkens über beson-
dere Begriffe, die Kant „Möglichkeitsbedingungen der objektiven Erkenntnis“
oder „reine Begriffe“ und Hegel „der Gedanke“ bzw. „reines Denken“ oder „der
Begriff“ nennt, verknüpft. Es geht um Strukturen, die 1) in der selbst-reflexiven
Tätigkeit des Ich-denke verwurzelt sind und d. h. selbst-reflexive Natur haben und
2) objektive / wahre Erkenntnis ermöglichen. Die transzendentale Kategoriende-
duktion kommt dementsprechend als ein begriffsanalytisches Verfahren beson-
derer Art zum Vorschein.37 Da die Kategorien oder die Begriffe, die im deduk-
tiven Verfahren analysiert werden, Möglichkeitsbedingungen objektiver / wahrer
Erkenntnis sind, ist die Deduktion zugleich Normierung und Reglementierung
des Rahmens, in dem objektive / wahre Erkenntnis möglich ist. Das bedeutet,
dass die deskriptive Analyse von der normativen Aufgabe der Reglementierung
und Einschränkung des Kategoriengebrauchs unzertrennlich ist. Hierin liegt die
36
Vgl. hierzu Stern (2017).
37
Dass Deduktion im kantischen Sinne nicht primär Ableitung oder Beweis, sondern Ex-
position eines Begriffs (d. h. eine Form der Begriffsanalyse) ist, wird von Baum (1986) betont.
28 Elena Ficara
juristische Bedeutung der Deduktion bei Kant und Hegel. Dieser Aspekt drückt
sich in Kants Rückbindung der Kategorien auf das in der sinnlichen Anschauung
gegebene Mannigfaltige und in Hegels Betonung der den philosophischen Beweis
ausmachenden Dialektik zwischen Vorstellung und Begriff aus. Indem wir die Be-
dingungen objektiver Erkenntnis darlegen / analysieren, legen wir auch Kriterien
fest, denen gemäß Erkenntnis stattfindet. Indem die Möglichkeitsbedingungen auf
Erfahrung angewiesen sind, geht ihr Gebrauch nicht ins Leere.
Die Kategorien bilden nur insofern den Horizont, der objektive Erkenntnis er-
möglicht, als sie Leistungen des Ich-denke (d. h. des Begriffs, des spekulativen
Denkens oder der Reflexion der Reflexion) sind.38 Dementsprechend hat die Ka-
tegoriendeduktion eine doppelte skeptische Aufgabe, nämlich erstens diejenige,
das in der Erfahrung Gegebene durch die Kategorien als Funktionen des Ich-
denke kritisch zu ordnen und zweitens diejenige, den Gebrauch der Kategorien
auf das in den Formen der Sinnlichkeit gegebene Mannigfaltige zurückzubinden.
Die Unzertrennlichkeit von Skeptizismus und Fundationalismus, die sich bereits
in Kants Kategoriendeduktion ausdrückt, wird dann zu einem charakteristischen
Zug der Kategoriendeduktion im deutschen Idealismus und der Hegelschen Idee
der Dialektik als wissenschaftlichen Skeptizismus.39 Mit der Idee eines wissen-
schaftlichen Skeptizismus ist die Idee einer ermäßigten, „doppelt negativen“ Art
der Notwendigkeit der Möglichkeitsbedingungen verbunden sowie der Gang des
philosophischen Beweisverfahrens bestimmt.40
38
Über den Unterschied zwischen der Kantischen und der Idealistischen Konzeption der
Subjektivität vgl. Düsing (2012), S. 159 ff.
39
Dass die Debatten über transcendental arguments nicht die Tatsache berücksichtigen,
dass die transzendentale Deduktion der Kategorien und das kritische Vorhaben Kants ins-
gesamt mit dem Vorhaben eines wissenschaftlichen Skeptizismus übereinstimmt, wird von
Stapleford (2008) betont, vgl. S. 16 f., 25 f., 130. Vgl. hierzu auch Ferrari (2013), S. 255.
40
Vgl. Chiodi (1961), S. 77 ff. und Puder (1974), S. 43.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung
aus der Einheit des ‚Ich denke‘?
Von Klaus Düsing
Die zentrale, nur scheinbar einfache Frage, was Denken für den Kant der kri-
tischen Philosophie bedeutet, wird keineswegs einfach zu beantworten sein. Der
schwer aufzulösende „Knoten“ wird schon darin sichtbar, dass für Kant in Carte-
sianischer Profilierung Denken immer ‚Ich denke‘ heißt und dieses Ich oder Selbst
oder Selbstbewusstsein von ihm wesentlich einsichtsreicher und differenzierter
als durch seine neuzeitlichen Vorgänger, aber doch nicht endgültig und z. T. auch
nicht einheitlich bestimmt wird. So gilt es hervorzuheben, welche grundlegenden
Bedeutungen in diesem reinen Denken das reine Ich oder Selbstbewusstsein hat
und von welcher internen Struktur es ist; dies ist entscheidend für die Klärung der
Frage, wie es Prinzip der logischen Funktionen zu urteilen als dem Kernbestand
der traditionellen formalen Logik sein kann sowie auch Prinzip der von diesen
Urteilsformen geprägten Kategorien als der zentralen „Termini ontologici“. Denn
gerade mit einem System der Kategorien bringt Kant eine deutlich stringentere
Grundordnung der Ontologie zustande als die vorangehenden Ontologiekonzep-
tionen, wobei nach Kant dieses Ontologiesystem für das endliche Denken gerade
noch keine Erkenntnis erbringt, sondern nur ein reines Gedankengebäude dar-
stellt. Dies gründet also im reinen ‚Ich denke‘; aber Kant hat – außer in wenigen
späteren Andeutungen – keine genetische Entwicklung der Urteilsformen und
Kategorien aus der Einheit des ‚Ich denke‘ ausgeführt, wie alle nachfolgenden
Idealisten kritisieren.
Eine Art Ersatzlösung dafür könnte Kant in ganz anderem Kontext umrissen
haben, nämlich in der Auflösung der „Paralogismen“ der rationalen Psychologie in
der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“, die dem reinen ‚Ich denke‘
1
Auch das Thema dieses Beitrags haben wir mehrfach in Gesprächen erörtert. Es war für
sie in ihrer systematischen, zum Weiterdenken anregenden Kantinterpretation eingeschrieben
in den Gesamtkontext: Denken des Mannigfaltigen, Denken des Denkens, Denken des Einen,
das sie als Fundamentalidee im Kantischen „Ideal der reinen Vernunft“ erblickte; s. hierzu ihr
umfassendes Werk: Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im
Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants, Hamburg
1996.
30 Klaus Düsing
gelten. Hier skizziert er, dass vom ‚Ich denke‘ zwar keine Unsterblichkeit bewie-
sen werden kann, dass aber von ihm kategoriale Prädikate als reine Gedanken-
bestimmungen ausgesagt werden können; und diese stammen natürlich aus ihm
selbst. Aber auch hier werden die Kategorien nicht genetisch aus dem ‚Ich denke‘
entwickelt, und es gilt zu eruieren, warum nicht.
So sei nun in einem ersten Teil erörtert, welche grundlegenden Bestimmungen
Kant vom reinen ‚Ich denke‘ konzipiert und ob sie miteinander vereinbar sind,
ferner welche Selbstbewusstseinsstruktur er dabei zugrunde legt. Hierbei sei ge-
zeigt, wie Kant zunächst Grundweisen der Synthesis aus der reinen Apperzeption
aufsuchte, bevor er die Urteilsfunktionen in dieser begründete, ohne dass es zu
einer genetischen Entwicklung kam. In einem zweiten Teil sei der viel erörterte
Zirkel-Einwand gegenüber dem ‚Ich denke‘ am Anfang der „Paralogismen“ der
Seelenlehre sowie in deren Auflösung dann die prinzipielle Charakterisierung des
‚Ich denke‘ durch reine kategoriale Gedankenbestimmungen aufgewiesen mit der
Frage, wie das ‚Ich denke‘ darin entfaltet ist. In einem dritten Teil sei im Ausgang
von diesen Kant-Darlegungen die Gewinnung eines reinen Selbstbewusstseins-
modells erwähnt, aus dem sich dann analytisch-genetisch grundlegende ‚Termini
ontologici‘ z. T. in unterschiedlichen Ontologietypen entwickeln lassen.
Die erste – und anspruchsloseste – Bestimmung des ‚Ich denke‘ besteht darin,
dass es „möglich“ sein muss, dass es „alle unsere Vorstellungen“ „begleitet“2; nur
auf dieses „Begleiten“ soll es zunächst ankommen. Diese Bestimmung erinnert
an Lockes Erklärung, dass „das Bewusstsein das Denken stets begleitet“3; Denken
bedeutet für Locke in diesem Kontext: etwas bewusst wahrnehmen; und dieses
geschieht durch das Ich. Es „begleitet“ also unser bewusstes Vorstellen. Solches
„Begleiten“, auch dasjenige, das Kantisch vom apriorischen ‚Ich denke‘ ausgesagt
wird, hängt den Vorstellungen nur an und verändert sie inhaltlich nicht. So ist es
auch selbst inhaltsleer und kein Begriff. Kant deutet hiermit an, dass solches ‚Ich
denke‘ inhaltlich nicht produktiv ist, was offensichtlich Unsterblichkeitsbeweise
für das rein denkende Ich abweisen soll.
Aus solchem bloß begleiten-könnenden ‚Ich denke‘ aber lassen sich schwerlich
Urteilsformen oder gar Kategorien hervorbringen. So fügt Kant – wie beiläufig –
einmal hinzu, dass es „die Vorstellung Ich“ sei, die „sie alle begleitet und ver-
knüpft“4. Aber hierin liegt die entscheidende Bestimmung, die Kant besonders in
2
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131, vgl. B 132, B 404 u.ö.
3
Locke: Über den menschlichen Verstand, Bd. I, S. 420, vgl. auch 428 (ders. An Essay
Concerning Human Understanding, Bd. I, S. 280 f., vgl. S. 286).
4
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 364.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 31
der zweiten Auflage ausführt5, dass das denkende Ich nicht als gegebenes im Fluss
der Vorstellungen oder im Bewusstseinsstrom auftaucht und wieder verschwindet,
sondern von ihm selbst ausgeübte, also spontane Synthesis von Vorstellungen und
darin Vorgestelltem zustande bringt und damit nicht der passiv-rezeptiven Sinn-
lichkeit angehört, sondern aktive, spontane Tätigkeit ist, somit den Intellectus
auszeichnet.
Solche spontane intellektuelle Tätigkeit kann nicht impersonal oder anonym er-
folgen, sondern muss von einem aktiven Subjekt vollzogen werden, dem Ich, das
seiner gewiss ist. In Reflexionen der frühen siebziger Jahre nahm Kant hierfür,
was nur erwähnt sei, eine intellektuelle Anschauung an, eine unmittelbare intel-
lektuelle Selbstgewissheit des Ich von der eigenen Freiheit, was für Kant zugleich
als Aufweis der Unsterblichkeit dieses selbständig agierenden Ich galt.6 Er verließ
diesen Ansatz wieder, offenbar weil das Bewusstsein von Sittengesetz und Kausa-
lität aus Freiheit von uns nicht intellektuell angeschaut, sondern nur gesetzmäßig
gedacht werden kann. So kommt dann die spontane Synthesis spezifisch einem
‚Ich denke‘ zu. In den weiteren Reflexionen der siebziger Jahre, worauf hier eben-
falls nur hingewiesen sei, sucht Kant grundlegende Arten dieser spontanen intel-
lektuellen Synthesis aufzustellen, z. B. hinsichtlich der Synthesis, ihrem Gegenteil,
der Analysis (die er beide auch „Kategorien“ nennt) und der Thesis unter Hinzu-
fügung von Verstandesbestimmungen.7 Wohl nicht nach langer Reifung, sondern
eher kurzzeitig ergab sich für ihn, wie er in den „Prolegomena“ schildert, für die
spontane Synthesis des ‚Ich denke‘ eine neue Einsicht in ein „Prinzip“ als eine
„Verstandeshandlung […], die alle übrigen enthält“, nämlich als „Modifikationen
oder Momente“,8 und dies Prinzip war die logische Einheit in Urteilsfunktionen;
hier lag, wie Kant sagt, die „schon fertige“, wenn auch noch verbesserungsfähige
„Arbeit der Logiker“ vor ihm. Die Grundarten der Verstandessynthesis des ‚Ich
denke‘ sind also nach dieser neuen Auffassung Kants die logischen Funktionen zu
urteilen. Dies ergab sich für ihn kaum aus einer genaueren Betrachtung jener rein
logischen Formen; es ging für ihn vielmehr aus dem Versuch hervor, eine syste-
matische Ordnung der Verstandessynthesen aufzustellen.
5
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 129–138.
6
Vgl. hierzu grundlegend Heimsoeth (1956), S. 227–257. Erlaubt möge auch der Hinweis
auf die Darlegung des Verf. sein: Spontaneität und Freiheit in Kants praktischer Philosophie,
in Düsing (2013b), S. 211–235, bes. 223–228.
7
Vgl. Kant: Reflexion 4476, AA XVII, S. 565 f.; auch Reflexion 4276, AA XVII, S. 492¸Re-
flexion 4493, AA XVII, S. 571 f., Reflexion 4674, AA XVII, S. 646 f. u. a. Zu Kants Suche nach
Synthesisarten als Verstandeshandlungen in den frühen siebziger Jahren vgl. Carl (1989), bes.
S. 57 ff.; Brandt (1991), S. 108 ff. Vgl. ebenso Heidemann, in: Hüning / Michel / Thomas (2004),
S. 189–218, hier bes. 196 ff., 209 ff. Vgl. auch vom Verf.: Düsing, in: Doyé / Heinz / Rameil (2004),
S. 83–107, bes. 89 ff.
8
Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 323 f. (§ 39), s. diese
Stelle auch im Folgenden. Zur korrespondierenden Vervollständigung der Ontologie vgl. Kant:
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 325 f. – Welche Aufnahmen,
Modifikationen und Verbesserungen Kant in der Logik vornahm, dazu vgl. Wolff (1995),
S. 19–43, 46 ff., 58–174.
32 Klaus Düsing
Die logischen Urteilsfunktionen sind also nichts anderes als die systematisch
explizierbaren „Momente“ der reinen Verstandessynthesis oder des reinen ‚Ich
denke‘. Von diesem Grundgedanken kann sich die formale Logik nicht suspen-
dieren. Kant lässt in jener Bemerkung in den „Prolegomena“ über die „Momente“
der Verstandessynthesis als logische Urteilsfunktionen nicht erkennen, dass er eine
Ableitung oder Entwicklung dieser „Momente“ aus der Einheit es ‚Ich denke‘ als
eine grundlegende neue Aufgabe etwa zum Erweis ihres Systemcharakters ansah.
Solches idealistische Denken war ihm ebenso wie etwa beim Vermögenspluralis-
mus fremd.9
Allerdings finden sich nicht veröffentlichte Ansätze zum Zusammenhang der
Urteilsfunktionen und ihres Verhältnisses zu den logischen Grundsätzen beim
späteren Kant, wie hier hinzugefügt sei. So gründen bestimmte Urteilsfunktionen
in obersten logischen Grundsätzen, wie Kant besonders im Brief an Reinhold vom
19.5.1789 skizziert. Im Satz vom Widerspruch gründet das kategorische Urteil:
S ist P, dessen modale Gültigkeit bloß möglich, wie Kant sagt: bloß „problematisch“
ist. Im Satz vom logischen Grund ist das hypothetische Urteil mit seinem ‚Wenn-
dann-Gefüge‘ verankert, dessen Satz, genauer: dessen Nachsatz von der modalen
Gültigkeit der Wirklichkeit ist; der Nachsatz ist also assertorisch; und der Satz
vom ausgeschlossenen Dritten ist die Grundform des disjunktiven Urteils, dessen
logische Modalgültigkeit die Notwendigkeit oder Apodiktizität ist.10 In der „Kritik
der Urteilskraft“ betont Kant überdies den synthetischen Charakter der jeweiligen
Dreigliedrigkeit der Urteilsfunktionen und Kategorien. Doch bleiben dies interne
logische oder kategoriale Anordnungen, die weder das Hervorgehen der logischen
Grundsätze noch der Urteilsformen noch der Kategorien in der jeweiligen Tricho-
tomie aus der Einheit des ‚Ich denke‘ aufzeigen.
Kant geht es vor allem um die systematische Aufstellung von ‚Termini onto
logici“ oder Kategorien; die Urteilsfunktionen, die formal und inhaltslos bleiben,
stellen für ihn die spezifisch logischen Teilbedeutungen der Kategorien dar. Sie
sind die logischen, regelhaften Verstandeshandlungen, die aber nun nicht bloß
formal bleiben, sondern regelgeleitete Zusammenfassungen oder Synthesen eines
ihnen vorgegebenen, noch unbestimmten Anschauungsmannigfaltigen zustande
bringen und dieses dadurch zu spezifischen Einheiten bestimmen. Dass und
wie dies möglich und notwendig ist, diesem Problem gilt die „transzendentale
Deduktion“ der Kategorien. Die Kategorien gelten dort in einem ersten Schritt als
9
Solches idealgenetische Denken gehört zum deutschen Idealismus; alle Idealisten fordern
von Kant eine idealgenetische systematische Entwicklung der Urteilsfunktionen und der Kate-
gorien, ebenso wie sie eine Überwindung des statischen, wenn auch systematisch geordneten
Vermögenspluralismus bei Kant durch eine idealgenetische „Geschichte des Selbstbewusst-
seins“ für notwendig halten, die – je unterschiedlich – Fichte, Schelling und Hegel durchführen.
10
Vgl. Kant: Briefwechsel, S. 391; vgl. auch Kant: Fortschritte der Metaphysik, AA XX,
S. 278. Vgl. zum Folgenden Kant: Kritik der Urteilskraft, LVII Anm., auch Kant: Kritik der
reinen Vernunft, B 110 ff. – Vgl. speziell zu jenem Brief an Reinhold auch die Hinweise von
Reich (1948), S. 74 ff.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 33
Eine Fortführung des problemreichen Verhältnisses von ‚Ich denke‘ und Katego-
rien ergibt sich in der „Kritik der reinen Vernunft“ an einer systematischen Stelle,
die dafür nicht besonders prädestiniert zu sein scheint, nämlich in der Erörterung
der „Paralogismen“ der Seelenlehre hinsichtlich der Unsterblichkeit. Am Anfang
dieses Kapitels führt Kant den Versuch, die Unsterblichkeit des reinen ‚Ich denke‘
zu beweisen, allerdings so ein, dass ein solches Unternehmen von vornherein als
aussichtslos erscheint; doch hier müssen die zahlreichen Interpretationen, die da-
rin eine Unmöglichkeit der Bestimmung des reinen ‚Ich denke‘ sehen, kritisch
betrachtet werden, wenn Kants spätere Sätze über eine Bestimmung dieses ‚Ich
denke‘ einen Sinn behalten sollen.
11
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 128.
12
Diese Auffassung fügt sich nahtlos insbesondere in die Theorie der „Selbstaffektion“ der
zweiten Auflage ein, da die „Selbstaffektion“ die spontane Einwirkung des Verstandes auf das
passiv vorgegebene anschauliche Mannigfaltige ist, wovon die Einbildungskraft – nun nicht
mehr ein selbständiges Erkenntnisvermögen wie in der ersten Auflage – nur ein wesentlicher
Ausübungsteil beim Menschen ist (vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 155 f.).
13
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 105.
14
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 105 ff.
34 Klaus Düsing
Kant legt an diesem Anfang die oben erwähnte, inhaltlich ganz anspruchslose
Kennzeichnung des Ich als des ‚Ich denke‘ zugrunde, nämlich dass es inhaltsleer
und nicht einmal ein Begriff, sondern nur ein „Bewusstsein“ sei, das die Begriffe
bloß „begleitet“; ja sogar der Ich-Charakter wird hierin fraglich, wenn Kant vom
„Ich oder Er oder Es (das Ding)“15 spricht, „welches denkt“, womit er offenbar auf
Descartes’ Bestimmung des ‚ego cogito‘ als ‚res cogitans‘ anspielt. Dies „Subjekt
der Gedanken“ ist danach nur ein konturloses: x; und wenn man von ihm etwas aus-
sagen und es dadurch erfassen will, dann muss man den Inhalt des Auszusagenden
schon in dieses für sich inhaltslose x-Subjekt verlegen, „um welches wir uns daher
in einem beständigen Zirkel herumdrehen“, wenn wir darüber „urteilen“ wollen.16
Daraus folgerte Natorp17 – und viele folgten ihm hierin – das reine ‚Ich denke‘, d. h.
die reine Apperzeption sei selbst unfassbar, ja undenkbar – wohlgemerkt: das reine
‚Ich denke‘, der reine Verstand sind demnach selbst undenkbar, was eine seltsame
und sicherlich nicht Kants Ansicht ist. Das Zirkel-Argument verstand man in der
Aufnahme Natorps auch als Zirkel der Reflexion in der Selbstvorstellung des den-
kenden Ich, nämlich dass sich das Ich, wenn es sich denkend erfassen wolle, eben
dafür schon wieder voraussetzen müsse, was dann auch für das Sich-erfassen-Wol-
len des vorausgesetzten Ich gilt usf. ins Unendliche. Eigentlich ist dies ein Argu-
ment der unendlichen Iteration im fehlschlagenden Versuch der Selbstvorstellung.
Aber erstens trifft dies auf Kant nicht zu, der sehr wohl mehrfach von einem reinen
‚Ich denke mich‘ spricht;18 und zweitens trifft es auf eine inhaltlich reichere Be-
stimmung des denkenden Ich nicht zu, weil Ich-Subjekt und Ich-Objekt nicht von
symmetrisch gleichem Inhalt sind, sich also der sog. „Zirkel“ oder die unendliche
Iteration nicht einstellt. – Kant denkt aber bei dem von ihm vorgebrachten Zirkel-
einwand im allgemeinen Kontext der Unsterblichkeitsbeweise offenbar an einen
Zirkel, wie er sich, ausführlicher formuliert, in einem Beweis ergibt. Wenn das
Ich inhalts- und begrifflos ist, dann muss man, will man dessen intellektuelle, zeit-
lose Existenz nachweisen, in ihm schon voraussetzen, was sich in der Conclusio
des Beweises erst ergeben soll, nämlich eben diese intellektuelle, zeitlose Existenz.
Diese aber wird dadurch nicht bewiesen. So ist es ein Zirkel in einem Beweis, nicht
in der Definition oder Begriffsbestimmung von Selbstbewusstsein.
15
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 404. Ob Kant hiermit auch an ein Diktum wie das-
jenige von Lichtenberg denkt, der erklärt, man solle „es denkt“ sagen, „so wie man sagt, es
blitzt“, mag offen bleiben; vgl. Lichtenberg: Aphorismen, S. 7 ff.
16
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 404.
17
Vgl. Natorp (1912), S. 27–39, 202–213. Vgl. auch zu späteren Erörterungen des Zirkelvor-
wurfs (im allgemeinen) Henrich (1967), S. 10 ff.; Gloy (1985), S. 47 ff.; s. auch folgende Anm.
18
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 158, 420, 429 f. u.ö. Zur Zurückweisung des Zir-
kel- oder Iterationsarguments vgl. ausführlicher und detaillierter vom Verf.: Düsing (1997),
S. 97–120; dort finden sich auch systematische Differenzierungen des Zirkeleinwands und des
Iterationseinwands sowie die Rückführung weiterer, radikaler Einwände gegen die Möglich-
keit einer Konzeption von Ich, Selbst und Selbstbewusstsein auf den Iterationseinwand und
das je zugrunde gelegte Selbstbewusstseinsmodell, ferner eine Geschichte solcher Einwände
und ihrer Zurückweisungen bis in die Gegenwart.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 35
In der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ führt Kant die Wider-
legung der Beweise unsterblicher Existenz des ‚Ich denke‘ nicht mehr im Einzel-
nen vor. Denn das eigentliche inhaltliche Grundargument kehrt immer wieder,
nämlich dass der Mensch mit seinem endlichen Denken, das für Erkenntnisse auf
unser sinnlich-anschaulich Gegebenes, hier: auf das Mannigfaltige der Zeit und
dann auch des Raumes, angewiesen ist, eine unzeitliche, ja unsterbliche Existenz
des rein denkenden Ich nicht erkennen könne. In der Auflösung der „Paralogismen“
aber ergibt sich, dass dies rein denkende Ich gleichwohl widerspruchslos gedacht
werden und d. h. auch konsistent rein sich selbst denken könne (in logischem, nicht
in konkret empirischem Sinne), ohne Existenzerkenntnis zu beanspruchen.
Dies geschieht dadurch, dass das reine ‚Ich denke‘ durch signifikante Katego-
rien als reine Gedankenbestimmungen nach den vier Grundtiteln logisch bestimmt
wird und damit sich selbst bestimmt in dem von Kant mehrfach erwähnten Sinn,
nämlich dass „ich mich denke“ (s.o). In der ausführlichen Darlegung dieser gedank-
lichen Selbstbestimmung des reinen Ich, die also von Kant nicht zurückgewiesen
wird, beginnt er mit der zentralen Bestimmung, die auch in Unsterblichkeitsbewei-
sen grundlegend ist, aber nun bloße Gedankenbestimmung bleibt, mit der Substanz
aus der Titelgruppe der Relation.19 Das reine Ich, das da denkt, ist immer Subjekt
seiner Gedanken, niemals bloßes Akzidens20, und zwar, wie man aus der voraus-
gegangenen ausführlicheren Charakterisierung der reinen Apperzeption ergänzen
kann, als reines, spontanes und aktives, in der Vielzahl seiner Gedanken identisch
bleibendes Subjekt und ihnen Zugrundeliegendes. Die so ergänzte Bestimmung
des reinen ‚Ich denke‘ als Subjekt und Zugrundeliegendes seiner Gedanken ge-
schieht für Kant nur in einem analytischen Satz21, in dem lediglich ein zentraler
interner Sinn des ‚Ich denke‘ und des ‚Ich denke mich‘ hervorgehoben wird; es
ist kein synthetischer Satz über eine substantielle, selbständige, rein intellektuelle
Existenz des Ich, wie er für Unsterblichkeitsbeweise notwendig wäre.22
Die zweite reine Gedankenbestimmung, die dem reinen ‚Ich denke‘ in seiner
analytischen Selbstbestimmung zukommt, ist aus der Titelgruppe der Qualität
die Einfachheit.23 Denn die Apperzeption „ist etwas Reales“24, Sachhaltiges (von
„res“) gemäß der rein gedanklich verwendeten Qualitätskategorie der Realität; und
dies Reale ist sie spezifischer: als Einfaches. Damit ist nicht die metaphysische
Bestimmung der Existenz des denkenden Ich gemeint, die besonders für Leibniz
19
Kategorien haben hier als rein gedachte doch inhaltliche Bedeutung; sie fallen ohne Be-
stimmung unseres räumlich-zeitlichen Anschauungsmannigfaltigen nicht lediglich auf die
Urteilsfunktionen zurück, wie Kant gelegentlich nahelegt (vgl. Kant: Kritik der reinen Ver-
nunft, A 245). So bedeutet z. B. Freiheit: intelligible Kausalität und fällt nicht lediglich in die
hypothetische Urteilsfunktion zurück.
20
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407.
21
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407.
22
Vgl. dazu und zum Folgenden Heimsoeth (1966), bes. S. 166 ff.
23
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407 f.
24
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419.
36 Klaus Düsing
in der Lehre von der einfachen, unräumlich und damit unzerstörbar existierenden
Monade von großer Bedeutung ist, sondern bloß die analytische Gedankenbestim-
mung des ‚Ich denke‘, die Kant in der ersten Auflage folgendermaßen erläutert25:
Zwar kann ein vielfältiger Gedanke auf mehrere Subjekte verteilt werden; aber
das: ‚Ich denke‘ einen solchen Gedanken und dessen Einheit, kann nicht auf dessen
Teile verteilt und dadurch jeweils von sich getrennt werden; das Ich oder die reine
Apperzeption als Subjekt des Denkens eines solchen Gedankens muss als einfach,
somit als unzusammengesetzt und als nicht in sich geteilt aufgefasst werden.26
Die dritte reine Gedankenbestimmung des ‚Ich denke‘, die Kant auch schon
in der Erörterung der zweiten vorausnimmt, ist die „Singularität“ des Ich27 oder
die Einzelheit. Sie gehört zur Titelgruppe der Quantität. Die Einzelheit des ‚Ich
denke‘ besteht, näher betrachtet, darin, dass das reine Ich oder die Apperzeption
im Denken von vielen Gedanken eine und dieselbe bleibt.28 Die grundsätzliche
Bestimmung der Identität der Apperzeption, die Kant zuvor in der „Kritik“ dar-
legte29, wird hiermit analytisch-kategorial der Einzelheit zugeordnet, obwohl Kant
in jenen vorausgehenden Darlegungen die prinzipielle Bedeutung der synthetischen
Einheit der Apperzeption der speziellen Kategorie der (quantitativen) Einheit über-
geordnet hatte30; und auch die der „synthetischen“ folgende „analytische Einheit
der Apperzeption“31 als das reflexive Bewusstsein des Ich von sich als eines und
desselben in den vielen von ihm synthetisierten Vorstellungen,32 also der selbst
bewussten Identität des Ich in ihnen, ist der Singularität des denkenden Ich eigent-
lich übergeordnet. In dieser systematischen Doppeldeutigkeit liegt, von Kant nicht
erörtert, das grundlegende Problem des Kategorienursprungs.
25
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 354.
26
Kant folgert aus der ursprünglichen Einheit, Ungeteiltheit und damit Einfachheit des Ich
im ‚Ich denke‘, dass sie „nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse“, nämlich keinerlei
Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen, und dass es insofern inhaltslos sei, Kant: Kritik
der reinen Vernunft, A 355. Unerwähnt bleibt hierbei, dass das denkende Ich, wie gerade aus
den erörterten Prädikaten hervorgeht, eine gedankliche, logische Pluralität von Bestimmun-
gen enthält. Vgl. zur detaillierten Darlegung des vielfältig erörterten (wesentlich von Leibniz
ausgehenden) Gedankens der Simplizität der denkenden Seele und ihres Verhältnisses zur
Singularität im 18. Jahrhundert und noch beim Kant der siebziger Jahre Dyck (2014), S. 113 ff.,
121–129. Vgl. ebenso Engelhard (2005), bes. S. 254–275.
27
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407.
28
Solche Einzelheit betrifft das Subjekt des Denkens; dieses bleibt aber hinsichtlich des
konstituierten, rein logischen Gedachten „ein allgemeines Selbstbewusstsein“, Kant: Kritik
der reinen Vernunft, B 132.
29
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131–136.
30
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131.
31
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 133.
32
Die Lehre vom diskursiven Begriff, sofern er die analytische Allgemeinheit und Iden-
tität in sonst vielfältig Verschiedenem bedeutet, von dessen Besonderheiten dabei jeweils
abstrahiert wird, ist bei Kant eigentlich nicht neu, wohl aber deren subjektivitätstheoretische
Begründung in der analytischen Einheit der Apperzeption; vgl. auch vom Verf.: Düsing, in:
Doyé / Heinz / Rameil (2004), bes. S. 103 ff.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 37
Die vierte reine Gedankenbestimmung des Ich, die dem kategorialen Titel der
Modalität folgt, gilt der Existenz des denkenden Ich. Diese Bestimmung ist die
schwierigste, da sie die Kritik an Descartes’ „cogito, ergo sum“ enthält. Kant
weist den Cartesischen Anspruch auf Erkenntnis der substantiellen Existenz des
‚Ich denke‘ durch reines Denken als dogmatisch-metaphysisch zurück. Die Car-
tesische erste Gewissheit behalte nur Berechtigung, wenn sie als ‚Ich existiere
denkend‘ lediglich „unbestimmte“ Wahrnehmung oder „unbestimmte empirische
Anschauung“ ist33, d. h. ein psychisch-anschauliches, aber inhaltlich noch unbe-
stimmtes Erlebnis, da z. B. noch kein bestimmter Inhalt dafür angegeben wird.34
Es ist, wie Kant problemreich sagt, damit weder ein bestimmtes Erkenntnisobjekt
als Erscheinung noch gar ein Ding an sich; eine positive Bestimmung aber bleibt,
wohl wegen der Unbestimmtheit des Wahrnehmungsinhalts, aus. – Dieses ‚Ich
denke‘, das Kant in einer zweiten ebenfalls kategorial durchgeführten „Tafel“ be-
stimmt35, die mit der Modalität beginnt, muss als ‚Ich existiere denkend‘ und dieses
in charakterisiertem Sinne nach Kant als „empirisch“36 verstanden werden; dieser
zweite, kurze Durchgang durch die Bestimmungen des existierenden Ich ist also,
wie Kants Erläuterung zeigt, im Ausgang von diesem Modalitätssatz über das Ich
entgegen der Lehre Descartes’ empirisch fundiert.
Von dieser unbestimmt empirischen Bedeutung aber ist das ‚Ich existiere
d enkend‘ in dem hier erörterten ersten Durchgang der rein gedanklich-kategoria-
len Bestimmung nicht. Hier wird vielmehr dem ‚Ich denke‘ rein gedanklich und
logisch die Kategorie der Existenz zugesprochen;37 wie bei Descartes, aber nur
begrifflich wird damit das denkende Ich von allen möglichen Dingen außer ihm
unterschieden; ob es ohne sie existieren kann, wird damit nicht gesagt. In diesem
reinen ‚Ich existiere denkend‘ ist somit die gedanklich-kategoriale Bestimmung
der Existenz analytisch enthalten. Der analytische Charakter dieser Aussage wird
deutlicher, wenn man hinzufügt: Das reine ‚Ich denke‘ ist ein spontaner, aktiver,
rein intellektueller Vollzug; und dieser muss als stattfindend, d. h. als seiend ge-
dacht werden; er kann schwerlich als nicht stattfindend, d. h. als nichtseiend ge-
dacht werden, wenn das ‚Ich denke‘ gilt. Aber dem ‚Ich denke‘ wird damit nur rein
gedanklich-kategorial Existenz zugesprochen. Von dieser Bedeutung einer rein
gedanklichen, analytisch im ‚Ich denke‘ enthaltenen Existenzaussage sind wohl
33
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 422, Anm.
34
Zu weiteren Ausführungen über Kants Auseinandersetzung mit Descartes’ ego-cogito-
sum-Lehre mag der Hinweis auf die Darlegung des Verf. gestattet sein: Düsing (2013a),
S. 3–16.
35
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419 f.
36
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419 f.
37
Vgl. hierzu die differenziert argumentierende, lehrreiche, teils der hiesigen ähnliche, teils
im Ergebnis abweichende Studie von Heidemann (2013), S. 153–164. Vgl. auch Dyck (2014),
S. 183–190, bes. 189. Martin Heidegger interpretiert dieses Daßsein des reinen Ich als bloßes
Vorhandensein, vgl. Heidegger: Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA II,21, S. 328 ff.
38 Klaus Düsing
auch Kants sonstige verstreute Bemerkungen, „dass ich bin“38 oder „Ich bin“39 ge-
prägt. – Dieser Gedanke, dass dem reinen spontanen ‚Ich denke‘ widerspruchsfrei
kategoriale Existenz zugesprochen werden kann, ohne darüber eine Erkenntnis zu
gewinnen, ist die theoretische Mindestvoraussetzung für Kants Konzeption einer
durch praktische Vernunft postulierten Unsterblichkeit.
So zeigt sich in der kritischen Auflösung der „Paralogismen“ der Seelenlehre,
dass vom ‚Ich denke‘ zwar keine theoretisch-metaphysischen Erkenntnisse von
dessen zeitloser, ja unsterblicher Existenz gewonnen werden können, dass von
ihm aber rein kategoriale Bestimmungen gedacht werden können; diese sind ana-
lytisch im ‚Ich denke‘ enthalten, das daher reicher bestimmt ist als in der oben er-
wähnten reduktionistischen Auffassung, es sei bloß Begleitung oder Vehikel von
Vorstellungen, inhaltslos und nicht einmal ein Begriff. Damit will Kant offenbar
nur hervorheben, dass unser endliches Denken keine mannigfaltigen Inhalte pro-
duktiv oder kreativ hervorbringt. Aber es wird, wie auch Kants Erläuterungen zu
den kategorialen Bestimmungen zeigen, durchaus als spontane, synthetisierende,
intellektuelle Tätigkeit gefasst, die synthetisch gedachte Einheiten zustande bringt
und dabei selbst höchste synthetische Einheit ist als Prinzip logischer Regeln; und
damit ist verbunden, dass sie reflexiv in solchen spontanen Synthesen der Vorstel-
lungen ein Selbstbewusstsein der eigenen analytischen Identität zustande bringt.
Die mehrfachen Bestimmungen der rein gedanklich von diesem ‚Ich denke‘ aus-
gesagten Kategorien kommen ihm analytisch zu.
Doch werden diese Kategorien als reine Gedankenbestimmungen hierbei von
Kant nicht genetisch aus der Einheit des ‚Ich denke‘ entwickelt; sie liegen unab-
hängig davon bereits vor, um auf das ‚Ich denke‘ nur angewendet zu werden; ihre
statische Systematik geht für Kant, begründet in der statischen Tafel der logischen
Urteilsfunktionen, bereits voraus. Aber erstens bedürfte diese selbst mancher Re-
vision, bes. beim nicht-formalen einzelnen sowie unendlichen Urteil, und d. h.,
es bedürfte grundsätzlich einer eigenen, ihren Bestand allererst rechtfertigenden
genetischen Entwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘. Zweitens ergeben sich
nicht alle von Kant gelehrten ursprünglichen Verstandesbegriffe oder Kategorien
hinsichtlich ihres logischen Gehalts aus den entsprechenden Urteilsfunktionen,
was bei den Kategorien der Limitation (aus dem unendlichen Urteil) und der
Wechselwirkung (aus dem disjunktiven Urteil) unmittelbar einleuchten dürfte. Vor
allem aber gehen drittens den Kategorien, wie Kant selbst darlegt40, prinzipielle
inhaltliche Begriffe voraus wie Gegenstand überhaupt, auch: Etwas im Gegensatz
zu Nichts und andere, die für die Bestimmung der Einheit der Apperzeption un-
abdingbar sind wie synthetische Einheit, Identität, Verschiedenheit und weitere
mehr. – Das sich daraus ergebende Programm folgt z. T. idealistischen Forderun-
38
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 157.
39
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 138, B XL Anm.
40
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 ff.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 39
gen Fichtes und Hegels, kann aber auch als Präzisierung und zugleich Erweiterung
von Kants Bemühungen der siebziger Jahre verstanden werden, Grundweisen der
Synthesis als Entfaltungen der reinen Einheit der Apperzeption aufzuweisen, be-
vor er die These vertrat, diese Weisen der Synthesis lägen vollständig in der sta-
tisch-systematischen Tafel der Urteilsformen vor als den hinreichenden logischen
Bestimmungen der Kategorien.
Die folgende Skizze soll mit Modifikationen im Geist des kritischen trans
zendentalen Idealismus verbleiben. Zunächst muss, da man die Darstellung nicht
unmittelbar mit dem Prinzip anfangen kann, ein hinreichender Begriff vom reinen
‚Ich denke‘ – entsprechend Kants Begriff der synthetischen Einheit der Apperzep-
tion und ihres Vollzuges – gewonnen werden, und zwar nicht abstrakt, sondern
im Ausgang von konkreten lebensweltlichen Bestimmungen des menschlichen
Denkens, die in phänomenologischer Deskription sowie durch Idealisierung und
Konstitutionsanalyse zu reinen, wissensbegründenden Bestimmungen erhoben
werden, damit man auf diese Weise zu einer begründeten Konzeption des Prin-
zips des spontanen reinen ‚Ich denke‘ gelangt;41 und dieses ‚Ich denke‘ erstrebt im
Denken seiner selbst schließlich reines, intellektuelles Sich-selbst-Begreifen. Die-
sen prinzipiellen Ich-denke-Vollzug gilt es sodann, in seinen internen essentiellen
Bestimmungen genetisch-analytisch zu entwickeln.
Der spontane, aktive Vollzug des reinen ‚Ich denke‘ ist zuerst immanent inten-
tional und konstitutiv gerichtet auf einen bloßen Vereinigungspunkt als Gedach-
tes überhaupt noch ohne nähere Bestimmung; jenes Ich denkt – mit Kant – einen
41
Auf die grundsätzliche Nachfrage in der Diskussion (von Rainer Schäfer, Bonn), wie ein
solcher Aufstieg von lebensweltlichen Erfahrungen zum Prinzip des ‚Ich denke‘ denn gelin-
gen soll, kann die Kurzantwort lauten: in umgekehrter Abfolge wie Husserls Rückgang in der
Krisis der europäischen Wissenschaften (um 1936) von wissenschaftlicher Erkenntnis auf-
grund des Prinzips des ‚Ego cogito‘ zum „vergessenen Sinnesfundament“, der Lebenswelt.
An einem Beispiel sei es skizziert: Eine in sinnlich-lebensweltlicher Wahrnehmung gegebene
Grünfläche wird in erster kulturell-lebensweltlicher Profilierung als rechteckiger Acker um-
grenzt. Sodann wird – unter Absehen vom realen Acker – das geometrische Rechteck ideali-
sierend hervorgehoben und damit ein erster Apriori-Bereich abgesteckt. Die Aussagen über
Gesetzmäßigkeiten solchen Rechtecks beanspruchen bereits wissenschaftliche Einzelwahrheit,
die einzufügen ist in zweidimensionale euklidische Geometrie als Sonderfall sehr viel reich-
haltigerer, dann n-dimensionaler (Riemannscher) Geometrien; diese sind nur gedanklich zu
konstruieren und beruhen letztlich auf in höherer Allgemeinheit noch weiter zu idealisieren-
den, im Prinzip logischen Aktivitäten, die nur ein konstituierendes reines ‚Ich denke‘ hervor-
bringen kann. Eine solche Skizze muss natürlich in einer Erkenntnistheorie näher ausgeführt
und begründet werden.
40 Klaus Düsing
42
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346.
43
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 f.
44
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 103.
45
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 f.
46
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 68–95, 96–116.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? 41
47
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 626.
42 Klaus Düsing
Ich beabsichtige aufzuweisen,1 dass Kant für die Schlüssigkeit der Transzenden
talen Deduktion zwei Aspekte der „Apperzeption“ strapazieren muss: Einen sub-
jektbezogenen Aspekt einerseits und einen rein urteilstheoretisch-funktionalen
Aspekt der Selbstbezüglichkeit des reinen Denkens andererseits. Beide Aspekte
sind nicht zu eliminieren, wenn die „Deduktion“ argumentativ kohärent sein kön-
nen soll, aber der urteilstheoretisch-funktionale Aspekt vermag erst den subjekt-
bezogenen letztgültig zu fundieren. Andererseits ist die subjektbezogene Bedeu-
tung der Apperzeption Bedingung dafür, dass Kant die invariante Reflexivität der
Apperzeption überhaupt als ‚ichliches Selbstbewusstsein‘ charakterisieren durfte.
Wenden wir uns zunächst dem Text Kants zu. In § 16 der B-Deduktion schreibt
Kant: „Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung
auf das: Ich denke, in demselben [ks. R. H.] Subject, darin dieses Mannigfaltige
[ks. R. H.] angetroffen wird.“2 Die Wendung „in demselben Subject, darin dieses
Mannigfaltige angetroffen wird“ schließt es aus, hier von einem ‚bloß logischen‘
Ich auszugehen.3 Denn es ist von einem ‚Subjekt‘ die Rede, in welchem sinnliches,
dieses Subjekt individuierende Mannigfaltigkeit angetroffen wird. Andererseits
indiziert die Formulierung „auf das: Ich denke“ [ks. R. H.] die Allgemeinheit
des Geltungsgrundes.
1
Seit längerer Zeit schon versuche ich die Aufgabe einer funktionalen Rekonstruktion von
Kants Transzendentaler Deduktion möglichst gut zu bewältigen. Ich habe hierfür in Form von
Aufsätzen schon mehrere ‚Anläufe‘ unternommen. Im Literaturverzeichnis finden sich meine
seit 2011 erschienen diesbezüglichen Arbeiten gesondert aufgeführt. Es sei hier ausdrücklich
darauf verwiesen, dass die Ergebnisse dieser angeführten Arbeiten in den vorliegenden Text
eingearbeitet worden sind.
2
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 132.
3
Vgl. hierzu die erhellenden Ausführungen von Flach (2002), S. 115 f.
44 Reinhard Hiltscher
Das „Ich denke“ bringt eine sehr spezifische funktionale Struktur zum Ausdruck,
welche durch die zwei Wörter der Phrase artikuliert wird. (a) Das „Ich“ bezeich-
net hier durchaus ein konkretes Subjekt, aber ein solches konkretes Subjekt, das
die invarianten Funktionen des erkennenden Subjekts4 angemessen erfüllt. (b) Das
„denke“ dagegen verweist auf die reine, dem konkreten Bewusstsein enthobene,
gleichwohl singulare Funktion des Denkens selbst, welche das konkrete Subjekt
(nur) in Anspruch nimmt.
Nun drängt sich hier natürlich sofort die Frage auf, was denn nun unter der Funk-
tion des singularen erkennenden Subjekts genau zu verstehen sei. Sie ist bezogen
auf unseren ektypischen Verstand nichts anderes als die Gemeinschaft der inva-
rianten Prinzipien der Sinnlichkeit (= reine Anschauungsformen) und des Denkens
(= Funktionen des reinen Verstandes), sofern sie eine / alle jeweils erhobene Gel-
tungsprätention(en) gültig formen. Mein Rekonstruktionsterminus ‚des erkennen-
den Subjekts‘, den Kant selbst nicht verwendet, unterscheidet sich von dem eines
Transzendentalen Subjekts oder gar dem Begriff des „Gemüts“ ziemlich klar. Das
‚Transzendentale Subjekt‘ ist letztlich nur ‚statischer Prinzipieninbegriff‘, während
das ‚Gemüt‘ sich teilweise zurecht als schlichter Vermögenssack karikieren ließe:
Nur im wahrheitsdifferenten Erfahrungsurteil konstituiert sich ‚das erkennende
Subjekt‘, da nur ‚bei Gelegenheit‘ des Erfahrungsurteils die Prinzipien des reinen
Verstandes und die Anschauungsformen zusammen vollständig geltungsrelevant
im Sinne einer erkenntnisfundierenden Funktionseinheit geformt sind und dem-
entsprechend fungieren. Der ‚systematische Kitt‘, der die auseinander unableitba-
ren Prinzipien der Verstandesfunktionen und Anschauungsformen allererst zur
funktionalen Einheit ‚des erkennenden Subjekts‘ formt, kann überhaupt erst in der
Lehre vom gültigen Erfahrungsurteil sichtbar werden und hat in den Lehrstücken
von der Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand (§ 24 B-Deduktion) so-
wie in der Lehre vom transzendentalen Schematismus sein subjekttheoretisches
Fundament. Das exegetische Problem hierbei liegt allerdings darin, dass Kant zu
Beginn der B-Deduktion noch keinen genauen Gebrauch von der Bestimmtheit
der Prinzipien unserer Sinnlichkeit macht (machen muss). Zumindest der Beginn
der Deduktion setzt nur eine vom Verstand unabhängige Sinnlichkeit voraus, auf
deren Mannigfaltiges der ektypische Verstand (gegenständlichen Sinn überhaupt
stiftend) bezogen ist. Die Funktion ‚des erkennenden Subjektes‘ zu Beginn des
§ 16 stellt die invariante Kooperationsweise der Prinzipien des ektypischen Ver-
standes mit denen einer endlichen Sinnlichkeit überhaupt bei der funktionalen
Erzeugung von synthetischer Einheit sinnlicher Mannigfaltigkeit dar. Diese Zu-
gangsweise kann Kant wählen, weil seiner Doktrin nach einzig und allein das
Denken synthetische Einheit und damit Bewusstheit zu stiften vermag. Es ist eine
von Kant in wünschenswerter Deutlichkeit präsentierte ‚Bewusstseinsdoktrin‘,
dass nur das Denken (der begriffliche Verstand) die Bewusstheit aller Vorstellun-
4
Vgl. hierzu Hiltscher, in: Hüning / Klingner / Olk (2013), bes. S. 44–49 u. Hiltscher (2016),
S. 44–54, bes. 47 ff.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 45
5
„Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebene Vorstellungen gehören mir insgesammt
zu, heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie we-
nigstens darin vereinigen; und ob er gleich selbst noch nicht das Bewußtsein der Synthesis
der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus, d. i. nur dadurch,
daß ich das Mannigfaltige derselben in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselbe
insgesammt meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so vielfärbiges, verschiedenes
Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin. Synthetische Einheit des
Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der
Apperception selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht.“ (Kant: Kritik
der reinen Vernunft, B 134).
6
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 403 f.
46 Reinhard Hiltscher
zu unterscheiden, auf die es referiert (1). Dies allein reichte jedoch noch nicht aus.
Denn das konkrete Subjekt muss gerade, indem und weil es die Funktion ‚des
erkennenden Subjekts‘ erfüllt, sich auch von dieser invarianten Funktion ‚des er-
kennenden Subjekts‘ unterscheiden7 können (2). Unterscheidung (1) ist notwendig,
damit auch das konkrete Subjekt, insofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert,
sich als durchgängige Identität denken (!) kann – Unterscheidung (2) ist erforder-
lich, damit diese Identität überhaupt als Ichbewusstsein verstanden werden darf.
Im Klartext: Damit das konkrete Subjekt, das als ‚das erkennende Subjekt‘
fungiert, sich auch als konkretes Subjekt als identisch und invariant mittels des
‚Ich‘ denken (nicht erkennen!) kann, muss es sich gleichermaßen von jeder syn-
thetischen Einheit, auf die es bezogen ist sowie von der invarianten Funktion ‚des
erkennenden Subjekts‘, die es erfüllt, unterscheiden können.
Jede bewusste Vorstellung, sei sie anschaulicher oder begrifflicher Natur, muss
in Beziehung zum „Ich denke“ stehen. Eine selbstreflexive Anschauung der An-
schauung oder Wahrnehmung der Wahrnehmung schließt Kant bekanntlich kate
gorisch aus. Nur die in der Beziehung zum „Ich denke“ etablierte Referenz auf das
„Denkvermögen“ kann anschauliche Vorstellungen überhaupt letztlich bewusst
machen.8 Im „Ich denke“ unterscheidet sich das konkrete Subjekt nämlich bewusst
von den Vorstellungen, die es hat und die ‚nur‘ auf es bezogen sind.9 Bewusst
kann diese Unterscheidung jedoch nur dann erfolgen, sofern die Vorstellungen,
die vom ‚Bezugs-Ich‘ unterschieden werden, ebenfalls bewusst sind. Das Subjekt
kann sich seiner also nur dann im Gedanken „Ich denke“ selbstbewusst werden,
wenn es sich bewusst von Vorstellungen unterscheiden kann, die ebenso bewusst
sind.10 Darin liegt nun eine erste bewusstseinstheoretische Pointe Kants: Da näm-
lich die anschaulichen Vorstellungen als solche noch nicht bewusst sind, muss sie
das Subjekt, wenn es selbstbewusst sein können soll, allererst bewusst machen.11
7
Vgl. hierzu die hilfreichen Darlegungen von Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f.,
171–177, bes. 170, 172 f. u. 176. Königshausen arbeitet vorbildlich heraus, dass die ‚bewusst-
machende Meinheit‘ der Vorstellungen gleichermaßen der Bezogenheit der Vorstellungen auf
das „Ich“ wie des Differenzbewusstseins von „Ich“ und Vorstellungen bedürftig sei.
8
Hans Graubner schreibt für diese Zusammenhänge sehr hilfreich: „Wenn sich nun das
erkennende Subjekt als ganzes vorstellen, d. h. sich seiner selbst als erkennenden Subjekts
bewußt sein können soll, so muß sich auch das reine Anschauen vorstellen lassen, und dieses
Vorstellen muß, da es ein Anschauen nicht sein kann, ein denkendes Vorstellen, ein Bewußtsein
des reinen Anschauens sein … Um aber … als mein Anschauen bewußt zu werden, muß das
reine Anschauen vom ‚Ich denke‘ begleitet werden können, weil es nur so meine Vorstellung
ist.“ (Graubner (1972), S. 108).
9
Vgl. hierzu Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f., 172 f. u. 176.
10
Vgl. hierzu Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f., 172 f. u. 176.
11
Vgl. Hiltscher, in: Hüning / Klingner / Olk (2013), S. 45 u. Hiltscher (2016), S. 44–50,
exempl. 48.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 47
In Kants Terminologie heißt dies, dass das als solches unverbundene Mannigfal-
tige der Anschauung vom denkenden Subjekt einer synthetischen Einheit unter-
worfen wird.12
Die als invariant und ebenso als durchgängig gedachte Identität des „Ich denke“
kann als eine solche Invarianz und Durchgängigkeit nur bestehen, wenn sie grund-
sätzlich an jeder anschaulich präsentierten Vorstellung gedacht werden kann. So-
mit muss das Denken ‚schon immer‘ jede Anschauung bewusst gemacht haben
(können) – und diese anschaulichen Vorstellungen schon durchgängig einer syn-
thetischen Einheit unterworfen haben. Da diese synthetische Einheit aus der not-
wendigen Beziehung zum „Ich denke“ resultiert, wenn das „Ich denke“ und die
präsentierten Vorstellungen bewusst sein können, so entspringt dieser Synthesis-
leistung eine notwendige synthetische Einheit.
Zugleich bedeutet diese Unterwerfung anschaulicher Vorstellungen durch das
Denken unter die notwendige synthetische Einheit auch, dass diese anschaulichen
Vorstellungen hierdurch auf einen objektiven Gegenstand bezogen werden. Es ist
allerdings als prima facie verborgener Clou dieser Position Kants zu bemerken,
dass diese Konzeption keineswegs bedeutet, dass die gesamte Mannigfaltigkeit
einer gegebenen Anschauung der notwendigen (!) Einheit unterliegen muss, son-
dern eben nur ein Teil.
12
Vgl. Hiltscher (2016), S. 44–50, exempl. 48.
13
Vgl. Reich (1986), S. 30. Uns zumindest partiell der Interpretation Michael Wolffs an-
nähernd, können wir Kants Funktionsbegriff zunächst generell so bestimmen, dass er einen
in sich geschlossenen „zeitfreien“ Handlungs-Typus bezeichnet, der potentiell unendlich oft
instantiiert werden kann. Siehe Wolff (1955), S. 20–25, bes. 21 f.
48 Reinhard Hiltscher
Maschinen zu unterscheiden versteht. Denn die reine Funktion des Organs kann
potentiell unendlich oft instantiiert werden, das einzelne Organ oder die einzelne
Apparatur fristen dagegen ein zeitlich begrenztes Leben.
Die Nierenfunktion verhält sich erstens invariant in ihrem Bezug zu allen na-
türlichen Organen und Maschinen, die sie erfüllen. Zweitens bilden die Abläufe
in einem bestimmten Organ oder einer bestimmten Maschine durch das Erfüllen
der Funktion sozusagen eine individuelle funktionale Einheit. Nicht funktions
dependente ‚Eigenschaften‘ an der Dialysemaschine dagegen, etwa, dass sie blau
ist, dass sie eine bestimmte Aufschrift trägt etc. gehören drittens nicht zur Funk-
tion der Maschine.
Funktionsirrelvante Eigenschaften der Dialysemaschine (wie Farben oder Schrift-
art ihrer Aufschrift) können aber gleichwohl der einzelnen Maschine zugeschrie-
ben werden. Es ist zwar für die Funktion einer einzelnen Dialysemaschine völlig
ohne Belang, welche Farbe sie aufweist. Andererseits kann man trivialerweise z. B.
die Farbe ‚Blau‘ der einzelnen Dialysemaschine als Dialysemaschine nur dann als
Eigenschaft zuschreiben, wenn man davon ausgeht, dass de facto eine ‚funktions-
tüchtige‘ Maschine vorliege.
Da wir den kantischen Erkenntnisbegriff als funktionalen rekonstruieren, kann
uns die einzelne Maschine als Modell dienen: Jedes konkrete Subjekt fungiert als
das invariante und singulare ‚erkennende Subjekt‘, wenn es notwendige synthetisch-
gegenständliche Einheit gegebener Mannigfaltigkeit in einem geltungsrelevanten
und empirisch geltungsdifferenten Urteil leistet. Dies ist der reine und invariante
Funktionssinn der Erkenntnis. Jedes konkrete, jedoch funktionserfüllende Subjekt
ist ein ‚Analogon‘ zu den funktionsgemäßen Abläufen in einer bestimmten einzel-
nen Dialysemaschine.
Legt man die Ausführungen des § 19 der B-Deduktion zur „notwendigen Ein-
heit der Synthesis“ zugrunde, so ist klar, dass diese Notwendigkeit der Bezogen-
heit der Vorstellungsmannigfaltigkeit auf die notwendige Einheit der Apperzeption
entstammt. Diese jeweils durch das objektiv gültige (mithin geltungsdifferente)
Urteil zu leistende Beziehung unterwirft diese Mannigfaltigkeit zugleich einer
Beziehung auf den Gegenstand. Das geltungsrelevante Erfahrungsurteil besitzt
deshalb notwendigerweise Gegenstandsbezug, aber es ist keineswegs notwendiger-
weise wahr. Es ist vielmehr notwendigerweise geltungsdifferent, d. h. empirisch
wahr oder falsch.14
Wenn wir unser Modell vom Dialysegerät weiter strapazieren, müssen wir noch
dessen funktionsirrelevante blaue Aufschrift auf das Funktionsmodell der Erkennt-
nis übertragen können. Die Parallele wird schnell klar, wenn man sich verdeutlicht,
dass ‚das erkennende Subjekt‘, indem es ein gültiges gegenstandsbezogenes Urteil
erzeugt, gleichwohl ‚nebenher‘ eine derivative Anschauungseinheit und eine para-
14
Vgl. zum Begriff der Wahrheitsdifferenz vgl. Prauss (1971), bes. S. 81–101.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 49
15
Vgl. hierzu Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 134–152. In diesem Aufsatz habe
ich versucht nachzuweisen, dass Kant systematisch zwischen Einheit der Anschauung vom
Gegenstand und Einheit des Gegenstandes der Anschauung unterscheidet, ohne diese Termini
so zu benutzen. Der § 24 der B-Deduktion zeigt, wie die Einheit de Anschauung vom Gegen-
stand nur aus der Perspektive der Einheit des Gegenstandes der Anschauung möglich ist. Der
§ 26 entfaltet dann den vollständigen Sinn der Einheit des Gegenstandes der Anschauung.
16
Vgl. zu den folgenden Ausführungen Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 137–147;
Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2017), S. 181–188 und Hiltscher (2016), S. 32.
50 Reinhard Hiltscher
17
Vgl. Natterer (2003), z. B. S. 177. Vgl. auch Haag (2007), z. B. S. 257. „…das Bild ist ein
Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft [ks R. H.], das Schema
sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm
der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich wer-
den, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen,
verknüpft werden müssen und an sich demselben nicht völlig congruiren.“, Kant: Kritik der
reinen Vernunft, B 181.
18
„Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die
Gestalt eines vierfüßigen Thieres [ks. R. H.] allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine
einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild,
was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein.“, Kant: Kritik der reinen Vernunft,
B 180. Ähnlich wie in der Prädikabilienlehre Kants könnte man beim Schema empirischer Be-
griffe eine Mischung von Apriorität und Empirizität vermuten. Dies allerdings ist ein anderes
Thema.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 51
19
Vgl. Birrer (2017), z. B. S. 64 f.
20
Vgl. zu den folgenden Ausführungen Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 137–147;
Hiltscher Krijnen / Zeidler (2017), S. 181–188 und Hiltscher (2016), S. 32.
52 Reinhard Hiltscher
21
Peter könnte z. B. mit Blick auf das minimal bereits erstbestimme Haus urteilen: „Das
(besagte) Haus dort ist (überdies auch) lindgrün“. Durch dieses Urteil würde nun ein weiteres
inhaltliches Element der kontinuierlichen Wahrnehmungsfolge als Repräsentation des Gegen-
standes gedacht werden und damit als wahrheitsdifferente und geltungsrelevante Urteilsleis-
tung ‚dem erkennenden Subjekt‘ zugeordnet werden.
22
Vgl. hierzu durchgängig durch die gesamte Monographie Prauss (1971); Cramer (1985),
S. 216 f. u. Zocher (1959), S. 39. Alle genannten Arbeiten profilieren das ‚Hinzudenkenmüssen‘
des empirischen Gegenstandes selbst zu seiner Erscheinung.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 53
Subjekt als ‚das erkennende Subjekt‘. Alle anderen, mit keiner notwendigen Syn-
thesis verbundenen Elemente dieser Einheit der Anschauung vom Gegenstand stel-
len eine prinzipientheoretisch derivative Einheit nur des konkreten Subjekts dar.
Keinesfalls ist dies aber so zu verstehen, als ob zuerst die Einheit der Anschau-
ung vorläge und sich danach aus ihr erst durch das Urteil der Gegenstand der An-
schauung (bzw. die Einheit des Gegenstandes der Anschauung) erzeugte. Viel-
mehr liegt der Fall genau umgekehrt. Ausschließlich bezogen auf die Folge der
Bewusstseins- und Wahrnehmungszustände, die adäquat die invariante Funktion
‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, kann das konkrete Subjekt, das jeweils als ‚das
erkennende Subjekt‘ fungiert, sich als eine Identität gegenüber all seinen Vorstell-
lungen denken. Diese ‚abgeleitete Identität‘ des fungierenden konkreten Subjekts
erlaubt es diesem schließlich, sich all seine bewussten Wahrnehmungs-und Be-
wusstseinszustände zuzuschreiben – eben auch die nicht geltungsrelevanten. So-
fern diese ‚Selbstzuschreibung‘ sowie die vorstellbare (!) Identität des konkreten
Subjekts nur möglich sind, sofern dieses als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert und
diese Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ immer schon notwendigerweise die
kategoriale Bezogenheit auf objektive Gegenstände (mindestens auf den „Trans-
zendentalen Gegenstand“ der A-Deduktion) zur Voraussetzung hat, ist das Wahr-
nehmungsbewusstsein eine derivative Folge objektiven Gegenstandsbewusstsein
und objektiver Gegenstandsreferenz im Erfahrungsurteil.
23
Vgl. zu diesem Abschnitt besonders Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2017), S. 185 ff.
54 Reinhard Hiltscher
stand kann allein schon durch unmotiviertes Drehen des Kopfes entstehen – so wie
die weiße Rückfläche des Fotos problemlos nur nach Quadratform ‚kombiniert‘
werden kann. Nun könnte man eine Kombination auch nach Regeln empirischer
Assoziation vornehmen. Etwa könnte man die zerschnittenen Quadrate nun doch
auf die Vorderseite drehen und sie nach bloßen Farbähnlichkeiten und Farbabstu-
fungen (ohne auf den Zusammenhang der dargestellten Objekte zu achten) wieder
zusammensetzen. Erkennbar ergäbe sich hier wiederum keine gegenständliche
Ordnung. Fest steht allerdings, dass man einen Unterschied zwischen der assozia-
tiv-willkürlichen Zusammensetzung der zerschnittenen Teile (entspricht Einheit
der Anschauung vom Gegenstand) und der wirklichen Zusammensetzung der ab-
gebildeten Dinge des Fotos (entspricht Einheit des Gegenstandes der Anschauung)
nur treffen kann, sofern man diese abgebildeten Gegenstände des Fotos wirklich
kennt und diese auch jederzeit zur Unterscheidung zur Verfügung hat.
In einer nicht räumlichen (wie im Beispiel), sondern zeitlichen Assoziation
könnte dann das Kriterium der Verbindung die Beobachtung einer ständigen Be-
gleitung von bestimmten Vorstellungstypen sein. In den ‚Prolegomena‘ erwähnt
Kant bekanntlich die assoziative Verknüpfung der Vorstellungen von Stein, Sonne
und Wärme. Aber genau wie in unserem Beispiel können in einem Wahrneh-
mungsurteil nur deshalb geltungsirrelevante Aspekte der Einheit der Anschauung
vom Gegenstand in assoziativer Weise als subjektive Aspekte bewusst gemacht
werden, sofern schon immer bestimmte Aspekte der Einheit der Anschauung von
Gegenstand im Urteil als Repräsentationen des objektiven Gegenstandes gedacht
worden sind. Die assoziative Verknüpfung von Rottönen auf unserem Foto kön-
nen wir nur deshalb als gegenständlich unangemessen verstehen, wenn das Foto
nicht nur ausschließlich Farbtöne präsentiert, sondern Farbtöne an abgebildeten
Gegenständen.
Für das Beziehen der geltungsrelevanten Teile der einheitlichen Anschauung im
Urteil (im Sinne des Gegenstandes der Anschauung) auf objektive Gegenstände,
die hierdurch gegenstandsrepräsentierend gedacht werden, müssen deshalb schon
alle Kategorien fungieren, insbesondere auch die Relationskategorien. Formu-
lieren wir die Begründungsstruktur ein wenig ‚angelehnt‘ an die Deutung dieser
Zusammenhänge durch Gerold Prauss:24 Im „wahrheitsdifferenten Urteil“ muss
mittels des kategorialen Apparates zu einer Erscheinung schon immer ein objekti-
ver Gegenstand hinzugedacht worden sein (sei es auch nur durch ganz elementare
zeitlich-räumlich Separierung eines Gegenstandes als bestimmbaren Gegenstand),
soll das parasitäre Wahrnehmungsurteil die nicht geltungsrelevanten Aspekte der
Einheit der Anschauung vom Gegenstand bewusst machen können. Nur weil also
das konkrete Subjekt als ‚das erkennende Subjekt‘ im geltungsrelevanten Urteil
fungiert und hierdurch auch die Einheit des Gegenstandes der Anschauung er-
24
Zum Begriff der „Wahrheitsdifferenz“ siehe Prauss (1971), bes. S. 87, 98, 173, u. 235. Zum
„Hinzudenken“ der Gegenständlichkeit zu Erscheinungen vgl. durchgängig durch die gesamte
Monographie Prauss Prauss (1971); sowie Cramer (1985), S. 216 f. u. Zocher (1959), S. 39.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 55
zeugt, kann es überhaupt eine bewusste und einheitliche Anschauung vom Gegen-
stand besitzen, die z. T. aus bewussten Sinnelementen besteht, die noch nicht im
geltungsdifferenten Urteil dem Gegenstand der Anschauung zugeschrieben wor-
den sind. Die Einheit des Gegenstandes der Anschauung, die im Erfahrungsurteil
konstituiert wird, ermöglicht die gesamte Einheit der empirischen Anschauung
vom Gegenstand – und diese letztere wiederum die Einheit des empirischen Be-
wusstseins des konkreten Subjekts. Die Abkünftigkeit des Wahrnehmungsurteil
erweist sich als unhintergehbar.
Damit sind wir nun beim rein urteilslogischen Sinn der „Apperzeption“ ange-
langt. Denn das konkrete Subjekt fungiert ausschließlich im geltungsdifferenten
Erfahrungsurteil als ‚das erkennende Subjekt‘, da nur in diesem „Erfahrungs-
urteil“ die invarianten Funktionen von Denken und Sinnlichkeit, die nach Kant
nicht auseinander ableitbar sind, auch eine voll bestimmte, invariante und damit
objektiv gültige Begründungsgemeinschaft von Prinzipien bilden. Die Prinzipien
des objektiv gültigen Erfahrungsurteils sind damit erstens auch die abschließen-
den Prinzipien der Invarianz ‚des erkennenden Subjekts‘ und hierdurch zweitens
zugleich die Prinzipien der Identität des konkreten Subjekts, sofern dieses als ‚das
erkennende Subjekt‘ fungiert. Der ‚Clou‘ besteht somit darin, dass diese durch ap-
perzeptive Prinzipienmomente konstituierte objektive Einheit des Urteils sowohl
die funktionale Invarianz ‚des erkennenden Subjekts‘ als auch die Identität des kon-
kreten Subjekts, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, allererst letztfundiert.
Die Struktur jedes gültigen Verstandesgebrauchs wird von Kant als Leistung
des reinen Denkens verstanden, mannigfaltige Vorstellungen, synthetisch unter
die Einheit der Apperzeption zu „bringen“. In unserer Analysesprache formu-
liert: Die funktionale Grundform jeder gültigen synthetischen Verstandesope-
ration besteht in der ursprünglich apperzeptiv-funktional geformten Erzeugung
synthetischer-Einheit:
„Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht etwa durch
Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, son-
dern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist als das Vermö-
gen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit
der Apperception zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen
Erkenntniß ist. […] Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt in Ansehung des Man-
nigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesammt
meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen. Das ist aber so viel, als daß ich mir einer
nothwendigen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthe-
tische Einheit der Apperception heißt, unter der alle mir gegebene Vorstellungen stehen,
aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.“25
Die bezeichnete synthetische Einheit besitzt aber nur dann den Wert einer gel-
tungsdifferenten und geltungsrelevanten Sinnstruktur, wenn und insofern sie in
Form der objektiv-apperzeptiven Einheit von Vorstellungen im Erkenntnisurteil
geleistet wird. Vorstellungen im Erkenntnisurteil unter die objektiv-synthetische
Einheit der Apperzeption zu bringen, bedeutet nach Kant auch, diese hierdurch
25
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 134 ff.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 57
objektiv gültig auf Gegenstände zu beziehen. Deshalb gelingt Kant auch die Defi-
nition des Erkenntnisurteils wie folgt im § 19 der B-Deduktion:26
„so finde ich, daß ein Urtheil nichts andres sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur
objectiven Einheit der Apperception zu bringen. Darauf zielt das Verhältnißwörtchen ist
in denselben, um die objective Einheit gegebener Vorstellungen von der subjectiven zu un-
terscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apper-
ception und die nothwendige Einheit derselben, wenn gleich das Urtheil selbst empirisch,
mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese
Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung nothwendig zu einander, sondern
sie gehören vermöge der nothwendigen Einheit der Apperception in der Synthesis der An-
schauungen zu einander…“27
Sofern nun Kants Ausführungen in den § 16 und 17 der B-Deduktion die funk-
tionale Grundform jeder Verstandesoperation als identische Instantiierung der
„ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption“ darlegen, muss der Iden-
titätssinn, den die Apperzeption nach Kant besitzen soll, präziser dargelegt wer-
den. Identität – hier müssen wir Königshausen unbedingt zustimmen28 – ist ein
notwendiger Prinzipienaspekt an jeder synthetischen Einheit. Synthetische Ein-
heit besteht strukturell in einer Vorstellungsmannigfaltigkeit, die von dem Identi-
tätsaspekt einer begrifflichen Regel überformt ist. Die nach Kant hierin liegende
ausdrückliche Beziehung der Mannigfaltigkeit zur Identität des Denkens formt
das Mannigfaltige zu synthetischer Einheit. Identität und Einheit dürfen aber
nicht in einen Topf geworfen werden. Einheit, verstanden als synthetische Einheit,
besteht in einer Relation zwischen den Relaten „Mannigfaltigkeit“ einerseits und
26
„Die transscendentale Einheit der Apperception ist diejenige, durch welche alles in einer
Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Object vereinigt wird. Sie heißt
darum objectiv und muß von der subjectiven Einheit des Bewußtseins unterschieden werden,
die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung
zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. Ob ich mir des Mannigfaltigen als zu-
gleich oder nach einander empirisch bewußt sein könne, kommt auf Umstände oder empiri-
sche Bedingungen an; daher die empirische Einheit des Bewußtseins durch Association der
Vorstellungen selbst eine Erscheinung betrifft und ganz zufällig ist.“ (Kant, Kritik der reinen
Vernunft, B 139 f.)
27
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 141 f.
28
Vgl. Königshausen (1977), S. 99–115, z. B. 108 f.
58 Reinhard Hiltscher
29
Vgl. Königshausen (1977), S. 99–115, z. B. 108 f.
30
Natürlich ist diese derivative Invarianz auch bezüglich aller Begriffe gegeben, die unter
diesen jeweils subsumiert werden können sowie natürlich bei analytischen Urteilen, in welchen
alle Merkmale eines Begriffes durch ein Merkmal vertreten gedacht werden. Vgl. hierzu evtl.
auch Prien (2006), S. 137 ff.
31
Vgl. Königshausen (1977), S. 105–108. Königshausen arbeitet diese bezeichnete Struktur
mustergültig heraus.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 59
Der wichtigere Hinweis, den wir von Kant betreffs der „analytischen Einheit der
Apperzeption“ erhalten, ist allerdings der, dass die „analytische Einheit der Apper-
zeption“ die „synthetische Einheit der Apperzeption“ voraussetze. Königshausen
stellt überzeugend heraus, dass die sogenannte „analytische Einheit der Apper-
zeption“ das funktionale Invarianz- und Selbigkeitsmoment an der ursprünglich-
synthetischen Einheit der Apperzeption selbst darstelle.33 Die Vorstellung „Ich“
stellt also in diesen Zusammenhängen die analytische Einheit der Apperzeption
nicht nur als letzten Grund aller Regelkonstanz vor, sondern macht vor allem die
fundamentale, niemals aufhebbare Differenz zwischen der invarianten eigen
bestimmten funktionalen Struktur des Verstandesgebrauchs und deren jeweiligen
Instantiierung in konkreten Urteilen deutlich. Das bedeutet, dass die gesamte in-
variante Form des Verstandesgebrauchs, die von Kant als ursprünglich syntheti-
sche Einheit der Apperzeption verstanden wird, in einem einzelnen ihrer Momente,
nämlich dem der Identität (= analytische Einheit der Apperzeption), ‚asymmet-
risch‘ vorgestellt34 wird. Das „Ich denke“ artikuliert in diesen Zusammenhängen
die reflexive Selbstreferentialität des reinen Verstandes im Sinne der Apperzeption.
In dieser Selbstreferentialität erfasst der reine Verstand die (prinzipientheoretisch
betrachtet) invariante Grundform seiner Operationsfunktion als ursprünglich-syn-
thetische Einheit der Apperzeption und unterscheidet zudem diese eigenbestimmte
Grundform (qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) von jeder
ihrer Instantiierungen in einzelnen Urteilen.35 Nur weil der reine Verstand reflexiv
diese Unterscheidung zu treffen vermag, kann er sich kraft dieses reflexiven Ver-
mögens als reine Prinzipienfunktion und „durchgängige Einheit der Apperzeption“
auszuweisen. In der Sprache der A-Deduktion:
32
Wenn Kant das Identitätsmoment in der B-Deduktion als „analytische Einheit“ klassifi-
ziert, will er damit dieses Identitäts-und Invarianzmoment als potentiell selbigen Bezugspunkt
aller (deshalb der Begriff „Einheit“) auf es bezogenen Vorstellungen darlegen. Der Bestandteil
„Einheit“ innerhalb des Terminus der „analytischen Einheit der Apperzeption“ sollte nicht
verdecken, dass es hier wirklich primär um das ursprüngliche Identitätsmoment der Eigen-
bestimmtheit der Apperzeption geht.
33
Königshausen (1977), z. B. S. 107 f. u. Fn. 315.
34
Vgl. hierzu auch Prien (2006), S. 137 ff.
35
Vgl. Königshausen (1977), S. 170, 172 f. u. 176.
60 Reinhard Hiltscher
„Die Einheit der Apperception [= Invarianz und Selbstreferentialität des Denkens; R. H.]
in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand und eben dieselbe
Einheit beziehungsweise auf die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft der reine
Verstand. Also sind im Verstande reine Erkenntnisse a priori, welche die nothwendige Ein-
heit der reinen Synthesis der Einbildungskraft in Ansehung aller möglichen Erscheinungen
enthalten. Dieses sind aber die Kategorien, d. i. reine Verstandesbegriffe“36.
Das „Ich denke“ artikuliert also jetzt (!) die konstitutive Reflexivität (Apperzep-
tion) des reinen Verstandes, deren prinzipientheoretische Bedeutung darin liegt,
dass nur sie die Differenz zwischen Grundfunktion (= ursprünglich synthetische
Einheit der Apperzeption) und deren jeweilig konkreten Inanspruchnahmen denk-
bar macht – und so verhindert, dass diese Grundfunktion mit ihren jeweiligen
konkreten Inanspruchnahmen schlicht zusammenfällt. Nur wenn die Funktion
von ihren Inanspruchnahmen unterschieden ist und mithin auch so gedacht werden
kann, vermag sie eine invariante potentiell unendliche Funktionalität zu sein.37
5. Transzendentales Selbstbewusstsein
und funktionale Reflexivität
Das reine Denken selbst, qua funktionaler Eigenbestimmtheit des reinen Ver-
standes, besitzt deshalb notwendig Selbstreferentialität, in der es sich von allen
diesen bezeichneten Inanspruchnahmen seiner selbst unterscheiden kann. Nur
diese selbstbezügliche Unterscheidung verhindert es, dass sich das Denken selbst
in seiner funktionalen Eigenbestimmtheit in einzelne konkrete Gedanken zersplit-
tert und verliert und somit keine unendliche sowie invariante Funktionalität zu
sein vermag. Der reine Verstand im Sinne der Eigenbestimmtheit und Prinzipien-
bestimmtheit des reinen Denkens muss also ursprünglich selbstreflexiv sein, um
in dieser seiner Form invariant sein zu können. Der reine Verstand ist deshalb in
seinem ‚Wesenskern‘ reine und hiervon in Folge transzendentale Apperzeption.
Dieses „transzendentale Selbstbewusstsein“ besitzt jedoch als solches keine sub-
jekttheoretischen Konnotationen.
Die Ursprünglichkeit der Unterscheidung bedeutet genauerhin, dass diese bei
jeder Inanspruchnahme der Funktion in einzelnen Gedanken und Urteilen immer
schon getroffen sein muss.38 Das „Ich“ der „reinen Apperzeption“ indiziert diese
36
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 119 ks. R. H.
37
Wir können hier getrost erneut unser Modell von Organfunktionen benutzen. Die Organ-
funktion muss sich distinkt von jedem Organ, das sie ausübt unterschieden denken lassen.
Nur kraft dieser Unterscheidung kann man sich die Funktion als potentiell unendlich und als
zugleich invariant bezüglich aller ihrer Aktualisierungsmöglichkeiten in konkreten Organen
vorstellen.
38
Königshausen schreibt: „Ich muß die apriorische Möglichkeit besitzen, mich von mei-
ner ‚Function‘ unterscheiden zu können, das aber heißt, daß ich nicht erst meine ‚Function‘
bin bzw. diese mich definiert und ich mich bloß im Nachhinein von ihr zu unterscheiden ver-
mag. Diese apriorische Differenz zwischen mir und meiner ‚Function‘ ist konstitutiv für die
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 61
Identität derselben, unabhängig davon, ob ich mir diese Differenz noch bewußt mache oder
nicht.“ (Königshausen (1977), S. 172 f.) Diese von ihm in seinem herausragenden Kantbuch
glänzend herausgearbeitete Struktur strapaziert allerdings in seiner ‚Lesart‘ doch noch etwas
zu stark den bewusstseinstheoretischen Akzent. Das „Ich“, das sich als ‚selbstbewusste Be-
wusstheit‘ von seiner Funktion unterscheidet (unterscheiden kann), ist meiner Interpretation
nach das konkrete Subjekt nach der subjekttheoretischen / bewusstseinstheoretischen Seite
der „Apperzeption“, nicht aber die ‚subjektlose Apperzeption‘ des reinen selbstreferentiellen
Denkens. Wie herauszuarbeiten sein wird, besteht im Bezug auf die ‚subjektlose Apperzep-
tion des reinen Verstandes‘ (die wir hier verhandeln) die ursprüngliche (in der Reflexion des
Denkens einholbare) Differenz vielmehr zwischen dem reinen Funktionssinn qua ursprüng-
lich synthetischer Einheit der Apperzeption einerseits und deren Funktionsmodi (Katego-
rien) andererseits, welche diese zur objektiven Einheit der Apperzeption konstituieren. Dass
Kant den reinen Funktionssinn als für im „Ich“ vorstellbar erachtet, erschwert natürlich auf
der Ebene der reinen (subjektlosen) „Apperzeption“ das Verständnis der Argumente Kants.
Königshausen sieht dieses Problem zwar, wenn er z. B. (S. 170 u. 172 f.) empfiehlt „Apper-
zeption“ weniger mit „Selbstbewusstsein“, sondern viel eher mit „Selbstbezüglichkeit“ zu
übersetzen. Es entgeht ihm jedoch die letzte Grundstruktur von Kants Argumentation. Diese
Grundstruktur beinhaltet 3 Aspekte: 1. ‚Subjektapperzeption‘ und ‚Verstandesapperzeption‘
müssen systematisch unterschieden werden. 2. Beide Aspekte der „Apperzeption“ sind aber
für das Gelingen der transzendentalen Deduktion notwendig. 3. Die ‚Verstandesapperzeption‘
fundiert abschließend die ‚Subjektapperzeption‘. Dennoch ist zu konstatieren, dass die Mono-
graphie Königshausens das bisher einzige Erzeugnis der Kantforschung darstellt, das Kants
Reflexionstheorie angemessen und wirklich sachgerecht abhandelt.
62 Reinhard Hiltscher
der Apperzeption, sondern stellt damit zugleich die Invarianz der gesamten funk-
tionalen Struktur der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption vor.39
Diesem Modell entspricht in unserem Falle die Tatsache, dass die Funktion des
reinen Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzep-
tion an einer bestimmten Synthesis, die unter ihr steht, die Identität und Invarianz
dieser synthetischen Einheit sichert. Jede einzelne synthetische Operation stellt
einen Bezug zur Identität bzw. Invarianz der reinen Funktionsform des Verstan-
des – der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption – dar und unterstellt
sich damit zugleich den Bedingungen dieser reinen Form qua Synthesisprinzi-
pien. Dies ist zunächst durch die schon angesprochenen begrifflichen Regeln ge-
währleistet, welche die Identität der Apperzeption vertreten. Besonders spielt hier
natürlich betreffs des „logischen Verstandesgebrauchs“ der Prädikatsbegriff des
Urteils eine Rolle. Doch muss für das gültige Erfahrungsurteil, in welchem mit
Blick auf die objektive Bestimmung des Gegenstandes auch Begriffe und generell
Vorstellungen als notwendig verbunden gedacht werden müssen, die nicht schon
von sich aus in einem analytischen Verhältnis zueinander stehen, die konstitutive
Invarianz des synthetischen Sinnes jedes objektiven Urteils noch weiter durch und
in der „Apperzeption“ letztfundiert sein.
Diese Invarianz des objektiven gegenständlichen Sinnes artikuliert im Erfah-
rungsurteil die „objektive Einheit der Apperzeption“. Deren Grundmodi basieren
auf den invarianten Urteilsfunktionen des Denkens. Zu reinen Begriffen trans-
formiert, stellen sie qua Kategorien an jeder objektiven Synthesis, die sie prinzi-
piieren, die Invarianz der reinen Denkfunktion sicher, indem sie einen konstanten
synthetischen Sinn von objektiver Gegenständlichkeit prinzipiieren, den invariant
jeder konkrete Gegenstandssinn erfüllen muss – und unter dem er notwendig
steht.40
Doch auch die Urteilsfunktionen und Kategorien können als Modi der Invarianz
des reinen Denkens nicht vollständig mit der reinen invarianten Funktion iden
tifiziert werden. Zum einen setzen Urteilsfunktionen und Kategorien schon die
Invarianz der Grundform des reinen Denkens als ihr Grundprinzip voraus, sofern
sie ja dessen Modi darstellen sollen. Zum anderen gewinnen sie nur in je bestimm-
ten synthetischen Operationen Bedeutung. Sogar auch noch die Invarianz der ein-
zelnen Funktionsmodi muss sich letztlich in Unabhängigkeit von den je bestimmten
synthetischen Operationen vorstellen lassen, nämlich als Invarianz der Momente
der ursprünglichen-synthetischen-Einheit der Apperzeption selbst, sofern letztere
als objektive Einheit der Apperzeption fungiert. Die Modi müssen sich als Modi
39
Vgl. bes. Königshausen (1977), z. B. S. 107 f. u. Fn. 315. Vgl. hierzu aber auch Prien (2006),
S. 137 ff.
40
In der A-Deduktion wird dieser konstante Sinn als „Begriff “ vom „transzendentalen
Gegenstand“ bezeichnet. Die Betonung liegt hier also bei Kant nicht auf dem „Begriff vom
transzendentalen Gegenstand“, sondern vielmehr auf dem „Begriff vom transzendentalen
Gegenstand“!
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 63
der reinen Verstandesfunktion denken lassen, was voraussetzt, dass man reine
Verstandesfunktion einerseits von deren Modi anderseits noch im Denken unter-
scheiden kann. Es ist somit zwingend notwendig, dass die Grundfunktion der ur-
sprünglich-synthetischen Einheit ihrerseits noch rein in Unabhängigkeit von ihren
gegenstandskonstitutiven Modi, welche sie zur objektiven Einheit der Apperzeption
konstituieren, gedacht werden kann. Könnte sie dies nicht, würde sie vollständig
in ihren Teilfunktionen und reinen Begriffen aufgehen – und wäre ausschließlich
durch diese Modi ‚definiert‘. Dies hätte zur Folge, dass man dem Denken keine
ursprüngliche Reflexionsfähigkeit mehr attestieren könnte, da es vollständig an
seine gegenstandskonstitutiven Modi gebunden wäre und sich in diese gleichsam
‚verloren‘ hätte. Ein solches Denken besäße nicht die Verfasstheit, sich von der Welt
weg auf sich selbst zu richten und könnte sich nicht mehr als letzten invarianten
Grund alles Denkbaren erfassen. Die Invarianz der ursprünglich-synthetischen
Einheit der Apperzeption des reinen Verstandesgebrauchs selbst (i) sowie auch der
reine Operationssinn (ii) des Verstandesgebrauches (= Erzeugung synthetischer
Einheit) müssen deshalb im „Ich denke“ reflexiv sogar noch im Unterschied von
deren Modi gedacht werden können. Das reine Denken muss selbstreflexiv in der
Lage sein, wenn die reine Funktion des Verstandesgebrauchs (ursprünglich-synthe-
tische Einheit der Apperzeption) eine invariante und potentiell unendliche Prinzi-
pienfunktion sein können soll, diese reine Funktion als als sie selbst invariant und
selbig ‚anwesend‘ in allen ihren Modi (Urteilsfunktionen und Kategorien) denken
zu können – und damit ausschließen, dass die Funktion jeweils gänzlich in ihren
speziellen Modi aufgeht. Dieser reflexive Gedanke der Invarianz und Selbigkeit der
reinen Form des Verstandesgebrauches in all seinen konstitutiven Modi bedeutet,
dass das Denken diese reine und invariante Form des Verstandesgebrauches noch
einmal von den Modi ihrer selbst unterscheiden können muss.
Auch hier stoßen wir wiederum auf die Vorstellung der analytischen Einheit der
Apperzeption im Ichgedanken. Mittels der Vorstellung der „analytischen Einheit
der Apperzeption“ im „Ich“ erfasst das reine Denken in einer letzten ursprüng-
lichen apperzeptiven Unterscheidung die ursprünglich synthetische Einheit als
selbige Form jeder Verstandesoperation in den Modi ihrer selbst (= Urteilsfunk-
tionen und Kategorien) und vermag sich somit noch von diesen Modi seiner selbst
zu unterscheiden.41 Während das „Ich“ des „Ich denke“ im Rahmen des funktional
reflexiven Sinnes der Apperzeption die Invarianz der Grundform alles Verstandes-
gebrauches (= Invarianz der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption)
vorstellt, bringt in diesem Kontext das „denke“ den reinen invarianten Grundsinn
der Verstandesoperation qua „synthetisches Vereinigen“ zum Ausdruck.
41
Zum besseren Verständnis können wir auch auf ein „anschauliches Beispiel“ von Michael
Wolff zurückgreifen: „So enthält, um ein anschauliches Beispiel zu gebrauchen, das Fahrrad-
fahren, als numerische Handlungseinheit betrachtet, nicht als zeitlich lokalisierbare Hand-
lung genommen, mehrere vom Radfahren selbst unterschiedene Funktionen als Momente in
sich, nämlich wenigstens das Treten und das Lenken, das seinerseits die Unterfunktionen des
Gleichgewichthaltens und des Richtungsgebens als Momente enthält.“ (Wolff (1955), S. 22).
64 Reinhard Hiltscher
Hierin liegt eine Pointe von Kants Deduktion, die ihm gewöhnlich als systema-
tischer Fehler vorgehalten wird, ein solcher aber keineswegs ist, sondern vielmehr
einen genialen ‚Schachzug‘ darstellt. Üblicherweise beklagt man, Kant müsse auf
die Ergebnisse der sogenannten metaphysischen Deduktion zurückgreifen.42 Ge-
nau dies ist aber prinzipientheoretisch betrachtet, geradezu eine Stärke von Kants
Position. Denn nur dadurch, dass die transzendentale Deduktion die reine Funk-
tion des Denkens (ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) im Unter-
schied zu deren Modi entwickeln und denken kann, geht diese Funktion nicht in
ihren notwendigerweise gegenstandsgebundenen Modi (Kategorien) sofort auf und
vermag sich diesen Modi gegenüber abschließend noch im Sinne einer reflexiven
Differenz zu verhalten, die endgültig ihre Invarianz zu sichern vermag. Und gerade
deshalb ist die Reflexionsfähigkeit des reinen Denkens von einer Verfasstheit, die
es dem Denken prinzipiell ermöglicht, sich seine Prinzipien in der Reflexion zu
explizieren, indem es seine reine Ursprungsverfasstheit, d. h. seinen reinen Ope-
rationssinn (ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) noch einmal von
deren / dessen Prinzipien zu unterscheiden vermag. Das heißt natürlich nicht, dass
die reine Verstandesfunktion erst da wäre und dann noch einmal von ihren Prinzi-
pien unterschieden werden könnte. Die Funktion ist durchaus vollständig betreffs
ihrer gegenstandsrelevanten Instantiierbarkeit von ihren Prinzipien konstituiert.
Verwenden wir zur Erläuterung wieder das Organmodell. Die Funktion des Her-
zens ist sicherlich eine Spezifikation der allgemeinen Pumpfunktion, die auch z. B.
eine Wasserpumpe in einem PKW erfüllen könnte. Zu verstehen, welche „Prinzi-
pien“ die allgemeine Pumpfunktion zu einer Wasserpumpe oder aber alternativ zu
einer Herzpumpe machen, bedeutet, die Prinzipien der jeweils bestimmten Funk-
tion (Herz oder Auto) zu verstehen und hierdurch die allgemeine Pumpfunktion zu
spezifizieren. So gewiss man einerseits eine reine Pumpfunktion denken kann und
so gewiss andererseits diese Funktion durch ihre speziellen Prinzipien entweder
Herzpumpe oder der Wasserpumpe oder aber auch sonstige Pumpe notwendiger-
weise sein muss, so muss auch die reine Funktion des Denkens erfassbar sein, um
überhaupt die Prinzipien verstehen zu können, die sie allererst zur objektiv gülti-
gen, gegenstandsreferenten Struktur konstituieren, die uns Menschen auszeichnet.
In die Terminologie Kants gewendet: Die reine Vorstellung des Operationssinnes
der invarianten ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption unterschei-
det ‚die Apperzeption‘ von den Prinzipien (= Kategorien und Urteilsfunktionen),
die sie zur objektiven Einheit der Apperzeption im Urteil konstituieren. In dieser
Unterscheidung kann der Operationssinn der ursprünglich-synthetischen Einheit
der Apperzeption nur dann klar reflexiv im Unterschied zu seinen kategorialen
Modi gewusst werden, wenn diese Modi ebenfalls in der Reflexion erfassbar sind.
Objektiv gültig und mithin gegenstandsrelevant fungiert die ursprünglich-
synthetische Einheit der Apperzeption allerdings nur als objektive Einheit der
Apperzeption im Erfahrungsurteil und es gibt die ursprünglich synthetische Ein-
42
Siehe exemplarisch Henrich (1976), S. 54–107.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 65
heit der Apperzeption nicht sozusagen separat neben ihren Prinzipien, die sie zur
objektiven Einheit der Apperzeption machen. Gleichwohl muss sich der Sinn der
ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption als der invariant und ‚sel-
big‘ in allen ihren Funktionsprinzipien zu realisierende Sinn denken lassen, wenn
das Denken nicht mit seinen (ausschließlich) gegenstandskonstitutiven Prinzipien
völlig unauflösbar zusammenfallen soll, was seine durchgängige funktionale Kon-
stanz bedrohte. Diese Unterscheidbarkeit wird durch die Reflexionsfähigkeit des
Denkens konstituiert. Da diese Unterscheidung reflexiv bewusst getroffen wer-
den muss und die reine Funktion nur dann von ihren Teilprinzipien unterschie-
den werden kann, wenn diese Teilprinzipien bei Gelegenheit dieser Unterschei-
dung deutlich erfasst werden können, besitzt das Denken die Fähigkeit, sich seine
eigenen Prinzipien zu entfalten und diese zu erfassen. Immer wieder wurde Kant
gegenüber der Vorwurf erhoben, vom „reinen Selbstbewusstsein“ aus führe kein
direkter Weg zum Bewusstsein der Kategorien. Dieter Henrich rekonstruiert des-
halb die Kategorien als konstante Weisen der Übergänge des Selbstbewusstseins.43
Bezüglich der reinen funktionalen Ebene beruhen Vorwurf und Rekonstruktion
auf einem Missverständnis. Denn besagten funktionalen Sinn der „Apperzeption“
kennzeichnet Kant als „Vermögen“.44 Da die apperzeptive Reflexivität des Denkens
Reflexivität des Denkens und nicht des Subjektes ist, geht es nur um die Fähig-
keit, das „Vermögen“ zur Prinzipienexplikation des Denkens. Und dieses Vermö-
gen ist durch die funktionale Differenzstruktur des Denkens uneingeschränkt ge-
geben. Dies heißt aber andererseits nicht, dass das konkrete Subjekt, das als ‚das
erkennende Subjekt‘ fungiert und deshalb die Funktion des Denkens ausübt, über
die Fähigkeit zur zutreffenden Prinzipienexplikation hinaus auch wirklich die zu-
treffenden Prinzipien sofort exakt in einem transzendentalphilosophischen Sinn
kennen muss oder gar entfalten kann. Wenn man im „Ich“ also die Invarianz der
Ursprungsfunktion auch im Verhältnis der Unterscheidung zu ihren Modi denkt,
muss man sich – wie schon angedeutet – über den prinzipienlogischen Status dieser
Reflexivität klar sein. Da es hier um die reine ‚Verstandesapperzeption‘ des Den-
kens geht und nicht von einem Subjekt die Rede ist, charakterisiert der Terminus
der „Apperzeption“ diese im Sinnes eines „Vermögens“, soll heißen wesenhaft als
Fähigkeit des Denkens zur Prinzipienselbstexplikation. M. a. W.: Das Denken be-
sitzt die Fähigkeit zur gelungenen Prinzipienexplikation. Diese Fähigkeit sagt aber
nichts darüber aus, ob diese Fähigkeit faktisch gelungen ausgeübt wurde – oder
aber überhaupt vollzogen wird.
Wenn wir an den § 15 der B-Deduktion erinnern, können wir lernen, dass Kant
mit der „Synthesis überhaupt“ einen Synthesisbegriff entwickelt, der einerseits alle
Formen von Synthesis (Synthesis anschaulicher Mannigfaltigkeit sowie Synthesis
von Begriffen im Urteil) umgreift – und andererseits die Einheit dieser „Synthesis
43
Siehe Henrich (1976), S. 54–112, bes. 84–101 (exemp. 88).
44
Den Unterschied zwischen ‚Subjektapperzeption‘ und ‚apperzeptiver Selbstreferenz des
reinen Denkens‘ qua „Vermögen“ scheint auch für Allisons Deduktionsinterpretation von eini
ger Bedeutung zu sein. Siehe Allison (2015), S. 251.
66 Reinhard Hiltscher
überhaupt“ ausschließlich durch den Verstand und dessen reine Begriffe garan-
tiert sieht. Die „Synthesis überhaupt“ ist das Prinzipiat der invarianten Form des
geltungsrelevanten Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthetische Einheit
der Apperzeption, und demzufolge verdankt sich die Einheit der Synthesis über-
haupt der Prinzipiiertheit in der invarianten Funktion des reinen Denkens. Die ur-
sprüngliche Einheit der Apperzeption ist also die letzte reine Prinzipienfunktion
des Denkens und ihr Prinzipiat, die Synthesis überhaupt, ist nicht mit der Begriffs-
subsumtion des (nur) logischen Verstandesgebrauches der metaphysischen Deduk-
tion zu verwechseln. Vielmehr ist dieser logische Verstandesgebrauch schon ein
bestimmter Fall der „Synthesis überhaupt“.45
Die invariante Funktion der ursprünglich synthetischen Einheit der Apper
zeption ist ganz präzise als reine Funktion eines ektypischen Verstandes zu ver-
stehen, der sich auf eine ihm fremde Anschauungsmannigfaltigkeit beziehen muss.
Dieser Verstand kann durch notwendige synthetische Einheit im Urteil nur dann
gegenständliches und wahrheitsdifferentes Wissen erzielen, wenn seine Prinzipien
gleichermaßen synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung wie die
synthetische Einheit „von Begriffen“ im objektiven Erfahrungsurteil begründen.
Die reine Funktion des ektypischen Verstandes selbst beinhaltet den Bezug auf ihm
vorgegeben sinnliche Mannigfaltigkeit, deren synthetische Einheit er leisten soll.
Die bestimmte Struktur dieser sinnlichen Mannigfaltigkeit steht hier noch nicht
zu Debatte. Zwar erlaubt die Reflexivität den intern sich selbst unterscheidenden
Zugang des Denkens zu Kategorien, welche letzteren es allererst ermöglichen, dass
die Anschauung dem Denken Gegenstände als Gegenstände geben kann, aber das
reflexiv einholbare Wissen um gültige Kategorien ist noch kein Wissen um deren
objektive Realität.46 Diese objektive Realität sichert erst der Schematismus.47 Erst
durch den Schematismus wird die reine Funktion des ektypischen Verstandes zu
einer objektiv realen Funktion. Oder anders gesagt. Der reine Funktionssinn des
ektypischen Verstandes überhaupt (ursprünglich-synthetischen Einheit der Ap-
perzeption) kann erst durch die schematisierte Restriktion auf unsere Sinnlichkeit
zu einem bestimmten und gültigen spezifizierten Funktionssinn von ektypischem
Verstand überhaupt werden, nämlich zu dem menschlichen. Genau wie Pump
funktion durch spezifische Prinzipien Herzpumpe oder Wasserpumpe, oder aber
irgendein ein anderer Typus von Pumpe sein muss, ist der ektypische Verstand nur
durch spezifische Prinzipien der Sinnlichkeit, mit denen er konfungiert, mensch-
licher Verstand oder aber eben ein anderer ektypischer Verstand, dessen ihm bei-
geordnete Prinzipien der Sinnlichkeit wir nur nicht kennen. Dennoch kann ande-
rerseits die Invarianz des Funktionssinnes auch unseres Verstandes nur gesichert
45
Vgl. Hiltscher (1993), S. 427 ff.
46
Vgl. hierzu Cramer (1985), S. 255–259, 278–286, exemp. 283.
47
Konrad Cramer weist überzeugend nach, dass Kategorien die einzigen Begriffe in Kant
Begriffskosmos darstellen, bei denen man zwischen objektiver Gültigkeit einerseits und ob-
jektiver Realität andererseits unterscheiden muss. Letztere werde nicht in der „Deduktion“,
sondern im Schematismus dargetan. Cramer (1985), S. 255–259, 278–286, exemp. 283.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 67
werden, wenn man die reine Funktion des ektypischen Verstandes denken kann,
auch wenn diese immer schon eine je bestimmte Funktion sein muss.
Die reine funktionale Form des Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthe-
tische Einheit der Apperzeption ist in ihren schematisierten Modi (Kategorien)
Fundament der objektiv synthetischen Einheit des Erfahrungsurteils. Diese ob-
jektive synthetische Einheit ermöglicht es dem konkreten Subjekt, sofern es die
bezeichnete objektive Einheit im Urteil leistet, als ‚das erkennende Subjekt‘ zu
fungieren und sich als fungierendes Subjekt seine Identität im „Ich denke“ vorzu-
stellen. Die funktionale apperzeptive Reflexivität des reinen Verstandes begründet
also die ‚Subjektapperzeption‘‚des erkennenden Subjekts‘.
Mögen die reinen Funktionen unseres ektypischen Verstandes nicht strikt not-
wendig an die Prinzipien unserer Sinnlichkeit gekoppelt sein, operationsfähig ist
unser ektypischer Verstand nur in der Prinzipiengemeinschaft ‚des erkennenden
Subjekts‘ gemeinsam mit den Prinzipien der Sinnlichkeit. Die Pointe dieser Konzep-
tion liegt insbesondere darin, dass nur durch diese Gemeinschaft mit den Prinzipien
der Sinnlichkeit die Subjektivität vermittels der Prinzipien der Sinnlichkeit kon-
kretisiert und zugleich vereinzelt wird. Genauer gesagt, macht diese Prinzipienge
meinschaft überhaupt nur das möglich, was wir gemeinhin unter ‚Subjekt‘ verstehen.
Das konkrete Subjekt fungiert als ‚das erkennende Subjekt‘, indem es in seinen
einzelnen, Geltung beanspruchenden Urteilen gehabte Vorstellungen auf die in-
variante funktionale Form des reinen Verstandes qua ursprünglich synthetische
Einheit der Apperzeption bezieht. Nur hierdurch kann es diese Vorstellungen in
Folge zugleich auf sich in seiner Funktion als konkretes Subjekt, das die Funk-
tion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, beziehen – und sich als Bezugspunkt der
eigenen gehabten Vorstellungen denken.
Deshalb stellt in Kants Konzeption das „Ich“ gleichermaßen die Identität des
konkreten Subjekts, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, wie die funktionale
Invarianz des reinen ektypischen Verstandesgebrauches qua ursprünglich syntheti-
sche Einheit der Apperzeption vor, was zwangsweise zu Missverständnissen führen
musste. Denn der invariant denkbare Funktionssinn des isoliert gefassten ektypi-
schen Verstandes ist als solcher überhaupt kein „Ich“. Diese Invarianz überhaupt
kann nur vor der Voraussetzung einer Prinzipiengemeinschaft mit Prinzipien der
Anschauung als ein solches „Ich“ verstanden werden.
Fassen wir die komplizierten Begründungszusammenhänge im Sinne Kants
zusammen:
(i) Den sich im inneren Sinn zeitlich erstreckenden empirischen Bewusstseins-
akt eines konkreten Subjektes kann man nur als Einheit auffassen, wenn dieser
gesamte Bewusstseinsvorgang ein Identitätsmoment besitzt.
(ii) Dieses Identitätsmoment besteht in der Identität einer begrifflichen Regel,
gemäß welcher der gesamte Bewusstseinsvorgang konstant vollzogen wird.
68 Reinhard Hiltscher
(iii) Das Identitätsbewusstsein ist aber erst dann ein Ichbewusstsein, wenn ein
und dieselbe Identität grundsätzlich – bezogen auf alle zeitlichen Bewusstseins-
vorgänge im inneren Sinne eines konkreten Subjekts – als konstante Identität
vorgestellt werden kann. Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass diese durch-
gängige Identität von allen einzelnen zeitlichen Bewusstseinsvorgängen unter-
schieden werden können muss, denen sie jeweils nur die Einheit stiftet. Ohne
besagte Unterscheidbarkeit fiele das Identitätsbewusstsein mit einem einzelnen
Bewusstseinsvorgang zusammen.
(iv) Ein konkretes Subjekt als solches kann sich grundsätzlich nicht als durch-
gängige Identität erkennen, denn dies führte nach Kant zu unzulässigen ontologi
schen Annahmen.
(v) Als durchgängige Identität kann sich das konkrete Subjekt nur denken (nicht
erkennen!) im Sinne seiner Funktion als ‚das erkennende Subjekt‘, die es ausübt.
(vi) Sofern das konkrete Subjekt die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ er-
füllt, vereinigt es nach konstanten Regeln, die im funktionalen Prinzipieninbeg-
riff ‚des erkennenden Subjekts‘ begründet liegen, alles Mannigfaltige synthetisch.
Hierdurch vermag es sich erst durchgängig als Identität zu denken (!), jedoch nicht
(im ontologischen Sinne) zu erkennen.
(vii) Das konkrete Subjekt kann sich nunmehr von jedem konkreten Gegenstand,
auf den es bezogen ist, als selbiges Ich unterschieden denken, weil es, sofern es
als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, alle Mannigfaltigkeit nach denselben in-
varianten Funktionen ‚des erkennenden Subjekts‘ vereinigt hat und damit Gegen-
ständlichkeit konstituiert hat.
(viii) Um sich als invariantes durchgängiges „Ich“ denken (!) zu können und
nicht nur einfach als durchgängige Identität, muss das konkrete Subjekt, sofern
und nur sofern es die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, sich gleichwohl
auch von der Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ unterscheiden können.
(ix) Seine Funktion als ‚das erkennende Subjekt‘ erfüllt das konkrete Subjekt
im objektiv gültigen Erfahrungsurteil. Dessen Prinzipien sind deshalb die Fundie-
rungsgründe ‚des erkennenden Subjekts‘ – in Folge sind sie die Fundierungsgründe
für die Möglichkeit, dass sich das konkrete Subjekt als Identität denken (nicht er-
kennen) kann – und in letzter Folge sind sie auch die Prinzipien der Möglichkeit
eines einheitlich-einzelnen Bewusstseinsvorgangs.
(x) Die reine Funktion des geltungsdifferenten Erfahrungsurteils nennt Kant
die „objektive Einheit der Apperzeption“. Der reine Verstand stiftet nicht nur die
Möglichkeit der objektiven synthetischen Einheit, sondern er muss, um dazu in
der Lage zu sein, auch apperzeptiv, d. h. selbstreflexiv geformt sein. Das heißt zu-
nächst, dass er sich von all seinen Instantiierungen unterscheiden können muss.
Nur dann kann er eine begründungstüchtige invariante Funktion darstellen, die
nicht in ihren Prinzipiaten aufgeht.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein 69
(xi) Die Modi dieser funktionalen objektiven Einheit der Apperzeption sind die
aus den Urteilsfunktionen abgeleiteten reinen Begriffe (Kategorien).
(xii) Wenn das reine Denken die selbige Invarianz in allen seinen Modi dar-
stellen können soll, muss es sich noch einmal reflexiv selbst von diesen Modi
unterscheiden können. Nur dann verliert das Denken sich nicht in ausschließlicher
Gegenstandsbindung an die Welt. Wäre es strikt identisch mit dem Inbegriff sei-
ner kategorialen, gegenstandskonstitutiven Grundbegriffe, wäre es unfähig, sich
selbst zu thematisieren und könnte nicht die identische Invarianz darstellen, die
von allen Kategorien vorausgesetzt wird.
(xiii) Die Fähigkeit zur apperzeptiven Selbstbeziehung ist neben der Invarianz
des reinen Verstandes die zweite Grundverfasstheit des reinen Denkens selbst.
(xiv) Die Invarianz des reinen Denkens in all seinen Modi, die notwendigerweise
das Vermögen zur Reflexion voraussetzt, ist damit Grund selbst noch der Einheit
des schlichtesten empirischen Bewusstseinsvorganges.
Kategoriendeduktion bei Fichte
Das Thema der folgenden Ausführungen ist die Deduktion der Kategorien im
Zusammenhang der ersten drei Grundsätze der Grundlage der Gesamten Wissen-
schaftslehre von Johann Gottlieb Fichte.
Ziel soll es sein, die Deduktion der Kategorien der Realität, Negation und Li-
mitation zu analysieren, die im Zusammenhang der Entwicklung der ersten drei
Grundsätze der Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre erfolgt. Insofern
die Kategorien der Realität, Negation und Limitation im Kontext der ersten drei
Grundsätze der Wissenschaftslehre deduziert werden, haben sie in Bezug auf die
weiteren zu deduzierenden Kategorien eine fundamentale Bedeutung. Die drei
genannten Kategorien sind als Ausdrücke für jeweils allgemeine Formen der ur-
sprünglichen Handlungen des Ich zu verstehen, die Fichte in den ersten drei Grund-
sätzen darstellt. Aus ihnen können dann im weiteren Verlauf der Wissenschafts-
lehre die Kategorien der Wechselwirkung, der Kausalität und der Substantialität
abgeleitet werden. Diese Ableitung der Kategorien aus den ersten drei Grundsät-
zen stellt ein Verfahren dar, das auch als genetisch bezeichnet werden kann. Eine
Kategorie ist in diesem Sinne genau dann genetisch deduziert, wenn sie als eine
ursprüngliche Handlung des Ich bewiesen ist. Die Deduktion von Kategorien zielt
damit nicht primär darauf, zu zeigen, inwiefern Kategorien konstitutiv für die Be-
stimmung gegebener Objekte sind. Die Kernaufgabe der genetischen Deduktion
besteht viel zunächst darin, den Ursprung von Kategorien in einer tätigen Subjek-
tivität aufweisen. Wie aus Fichtes Erster Einleitung in die Wissenschaftslehre her-
vorgeht, kritisiert Fichte den kantischen Ansatz dafür, dass hier die Kategorien nur
so betrachtet werden können, wie sie schon unmittelbar auf Objekte angewendet
werden. Auf dieser „tiefsten“ Stufe der Untersuchung könne er aber nicht zeigen,
dass sie wirklich immanente Gesetze des Ich bzw. der Intelligenz selbst sind.1 Be-
trachtet man die Kategorien zunächst auf der Stufe ihrer Anwendung auf ein empi-
risch Gegebenes, hat man sie nach Fichte letztlich bloß durch Abstraktion von der
Erfahrung gewonnen und gerade dadurch nicht transzendentalphilosophisch dedu-
ziert. Bleibt aber eine solche Fundierung der Kategorien im Subjekt aus, lässt sich
nach Fichte auch keine überzeugende Argumentation gegen dogmatische Entwürfe
1
Fichte: Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 201/SW I, S. 442.
Kategoriendeduktion bei Fichte 71
entwickeln, nach denen die Kategorien bloß jene Eigenschaften bezeichnen, die den
Dingen wesentlich auch unabhängig von der denkenden Subjektivität zukommen.
In diesem Sinne versucht Fichte im Rahmen der Grundsatzlehre der Grundlage
der gesamten Wissenschaftslehre zunächst die Vorbedingungen zu erhellen, unter
denen die kantische Frage nach dem Bezug der Kategorien auf ein Gegebenes erst
zu beantworten ist. Ausführungen zur objektkonstitutiven Funktion der Kategorien
finden sich erst am Ende des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre, nämlich
in der „Deduktion der Vorstellung“.2 Hier zeigt er, wie das Ich die Kategorien als
subjektive Handlungsweisen auf ein Äußeres überträgt und damit erst Objekte
konstituiert. Das Vermögen, durch welches die Kategorien entstehen und zugleich
auf Objekte übertragen werden, begreift Fichte als Einbildungskraft.3
Da die Kategorien in diesem engen Begründungsverhältnis zu den drei Grund-
sätzen stehen, kann ihre Deduktion nur begriffen werden, wenn die Entwicklung
der drei Grundsätze selbst mitanalysiert wird. Bei dieser Analyse soll sich zei-
gen, dass Fichte aus den drei Grundsätzen nicht bloß sukzessiv neue Kategorien
aufstellen kann, sondern mit der Aufstellung der drei Grundsätze zugleich die
Methode für die philosophische Deduktion überhaupt fundiert. Mit Blick auf die
ersten beiden Grundsätze spricht Fichte von einer methodisch noch nicht fundier-
ten Deduktion durch „abstrahierende Reflexion“. Diese soll in einem ersten Ab-
schnitt (I) näher betrachtet werden. Die feste methodische Form der Deduktion
zeigt sich dabei erst mit Abschluss des dritten Grundsatzes. Diese vollzieht sich
in ausgereifter Form, wie Wolfgang Janke treffend formuliert, am „Leitfaden
der Dialektik“, nämlich in einer gedanklichen Bewegung, die eine Antithesis und
eine Synthesis miteinander verbindet.4 Die Deduktion der Limitationskategorie
ist Gegenstand des zweiten Abschnitts (II). Im dritten Abschnitt (III) erfolgt dann
die abschließende Reflexion auf die methodische Grundlegungsfunktion der ersten
drei Grundsätze und der in ihr deduzierten Kategorien für den weiteren Verlauf
der genetischen Deduktion in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre.
Im ersten Teil der Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre kann also zwi-
schen zwei Verfahren zur Entdeckung und zur Deduktion von Kategorien und
den ihnen korrespondierenden Grundsätzen unterschieden werden. Den methodi-
schen Zugang einer „abstrahierenden Reflexion“ wählt Fichte ursprünglich, um
die Tathandlung (also das absolute Sich-Setzen des Ich) als schlechthin unbeding-
2
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 369–383/SW I,
S. 227–246.
3
Vgl. Fichte: Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, GA I,3, S. 188/SW I,
S. 386 f.
4
Janke (1970), S. 121.
72 Nicolas Bickmann
ten Grund alles menschlichen Wissens aufzustellen.5 Die Tathandlung bzw. der
erste Grundsatz, welcher die Tathandlung ausdrückt, kann nicht bewiesen oder
abgeleitet, sondern bloß aufgefunden werden – die Tathandlung ist nämlich selbst
der Grund der Möglichkeit alles Beweisens und Ableitens. Sie kann damit keinen
weiteren Grund mehr voraussetzen, aus dem sie selbst herzuleiten ist. Mithilfe der
abstrahierenden Reflexion kann also nur dargelegt werden, dass die Tathandlung
„als Grundlage alles Bewusstseyns“ notwendig gedacht bzw. angenommen werden
müsse.6 Es fällt nun auf, dass Fichte die Kategorie der Realität am Ende des ersten
Paragraphen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, welcher methodisch
mit der abstrahierenden Reflexion operiert, eher unvermittelt einführt, d. h. ohne
eigens noch einmal zu erläutern, inwiefern ein Zusammenhang zwischen der er-
wiesenermaßen notwendig anzunehmenden Tathandlung und der Kategorie der
Realität besteht. Diesen Zusammenhang möchte ich nun im Folgenden erhellen.7
Die abstrahierende Reflexion ist für Fichte ein frei gewählter Ausgangspunkt
einer wissenschaftlichen Untersuchung überhaupt. In der Wissenschaftslehre im
Besonderen besagt Reflexion zunächst, dass die Handlungen des Ich, ihre Form
sowie ihre Produkte zum Bewusstsein erhoben werden.8 Es handelt sich dabei um
eine abstrahierende Reflexion, da die jeweilige Ichhandlung rein und für sich be-
trachtet wird, d. h. unabhängig von ihrem Zusammenhang mit diversen weiteren
Handlungen im konkreten Bewusstseinsvollzug. Insofern diese Reflexion in einem
freien Akt ihren Ausgangspunkt nimmt, entzieht sie sich zunächst einer metho
dischen Grundlegung. Die der reflektierenden Analyse zugrundeliegenden Ge-
setzmäßigkeiten des menschlichen Geistes können erst sukzessiv transzendental-
philosophisch aufgehellt werden – dies leistet Fichte in allgemeinen Zügen bereits
durch die Aufstellung der drei Grundsätze.9
Die Suche nach dem unbedingten und schlechthinnigen Grundsatz unseres
Wissens fängt an bei einem formalen Identitätsurteil A = A. Der erste Grundsatz
5
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 255/SW I, S. 91.
6
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 255/SW I, S. 92.
7
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99.
8
Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 142/SW I, S. 72.
9
Die abstrahierende Reflexion untersteht also bereits jenen Gesetzmäßigkeiten geistiger
Handlungen, die sie selbst zu ermitteln sucht. Hierin entdeckt Fichte einen notwendigen Zir-
kel. In diesem Zirkel sieht Fichte ferner den Grund, dass das System der Wissenschaftslehre
bloß den Anspruch auf eine wahrscheinliche Richtigkeit, nicht aber Infallibilität erheben kann.
Letztlich lässt sich nämlich nach Abschluss des Systems bloß feststellen, ob die vorausgesetz-
ten Gesetze der abstrahierenden Reflexion mit den aufgefundenen Gesetzen der Handlungen
des Geistes übereinstimmen. Diese Übereinstimmung stellt dabei allerdings ein bloß negati-
ves Kriterium der Richtigkeit des Systems dar. Stellt man diese Übereinstimmung fest, lässt
sich ferner nicht mehr abschließend beurteilen, ob die Übereinstimmung ausschließlich durch
richtiges Folgern oder vielleicht aber „von ungefähr durch zwei oder mehrere Uebereinstim-
mung bewirkende unrichtige Folgerungen hervorgebracht sei“, Fichte: Ueber den Begriff der
Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 144f / SW I, S. 75. In Ermangelung der Möglichkeit, das System
und seine mannigfaltigen Argumentationsketten in einer Gesamtschau als richtig zu beurtei-
len, ist das System der Wissenschaftslehre also kein absolutes Wissen.
Kategoriendeduktion bei Fichte 73
unseres Wissens nimmt dabei den Ausgang bei einem Urteil, das gemeinhin als un-
bedingt gewiss gilt. Der Satz A = A stellt zugleich in seiner allgemeinen Form für
Fichte den Grundsatz der formalen Logik dar. Fichte begreift das Fürwahrhalten
dieses Grundsatzes als empirische Tatsache des Bewusstseins, die keiner seiner
Leser leugnen dürfte, ohne performative Widersprüche zu begehen. Schließlich
macht auch derjenige, der die Wahrheit dieses logischen Grundsatzes bezweifelt,
Gebrauch von demselben, da auch der Zweifler zur Darlegung seiner Position Ge-
danken fassen müsste, die mit sich selbst identisch sind. Eine empirische Tatsache
des Bewusstseins muss dabei streng von einem Urteil über die empirische Wirk-
lichkeit unterschieden werden.10 Es handelt sich in Fichtes Terminologie um eine
empirische Tatsache, da der Satz in seiner Wahrheit dem Bewusstsein gegeben ist.
Der bloß logisch-formale Satz A = A sagt noch nicht aus, dass überhaupt ein A
gegeben ist. Vor diesem Hintergrund ist auch Fichtes Umformulierung des Satzes
A = A in das Konditional „wenn A, so A“ zu verstehen, da in diesem Konditional
noch stärker zum Ausdruck kommt, dass es für ein bloßes formallogisches Urteil
nicht relevant ist, dass ein A tatsächlich gesetzt ist. Eine empirische Bewusstseins-
tatsache ist also noch kein Urteil über ein empirisch Gegebenes, dessen Möglich-
keit zu Beginn der Grundlage der Wissenschaftslehre ohnehin noch nicht in den
Blick genommen wird.
In einem ersten Abstraktionsschritt von der Reflexion auf die empirische Be-
wusstseinstatsache des A = A reflektiert Fichte nun auf die Bedingungen der Mög-
lichkeit, ein A als identisch mit sich selbst in einem zweistelligen Identitätsurteil
zu denken. Die Ermöglichungsbedingung der Bewusstseinstatsache A = A erkennt
Fichte nun in einer weiteren, fundamentaleren Bewusstseinstatsache, nämlich in
der Identität des Ich. Diese kann wiederum in dem Satz „Ich bin Ich“ oder „Ich bin“
ausgedrückt werden kann. Denn ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem
A der Subjektstelle und dem A der Prädikatstelle im Urteil „A = A“ oder „Wenn
A, so A“ kann nur dann hergestellt werden, wenn das Urteilende, also das Ich,
selbst mit sich identisch ist. Wäre das urteilende Ich, welches das A der Subjekt-
stelle setzt, nicht identisch mit dem Ich, das das A der Prädikatstelle setzt, wäre
gar keine Beziehung zwischen beiden Relata möglich und es würde letztlich von
einem jeweils verschiedenen Ich ein jeweils verschiedenes A gesetzt werden. Dies
würde die Identität von A mit A aufheben. Die Identität des Ich bleibt für Fichte
eine Tatsache des Bewusstseins, da sie selbst – wie soeben gezeigt – aus einer Tat-
sache des Bewusstseins abgeleitet wurde. In diesem Sinne ist die Identität des Ich,
welche in dem Satz ausgedrückt werden kann: Ich bin Ich, die höchste Tatsache
des Bewusstseins. Das Gesetztsein des Ich in Identität mit sich selbst wird damit
zugleich zum Erklärungsgrund aller empirischen Tatsachen des Bewusstseins er-
hoben, zumal der Gehalt jeder empirischen Vorstellung unter der Bedingung steht,
mit sich selbst identisch zu sein – Er muss eine Identität haben, die er nur durch
und für ein mit sich Identisches Ich haben kann.
10
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 257/SW I, S. 93.
74 Nicolas Bickmann
Fichte liegt es also daran, in einem ersten Abstraktionsschritt von dem nicht
bestreitbaren Fürwahrhalten des Satzes A = A die oberste Tatsache des Bewusst-
seins aufzuweisen, welche in der Identität des urteilenden Ich mit sich selbst be-
steht. In einem zweiten Abstraktionsschritt geht Fichte nun weiter und er versucht,
die Bedingung der Möglichkeit dieser Identität selbst noch einmal zu denken.
Diese Identität, so Fichtes Erklärung, kann das Ich nur seiner eigenen Setzung
verdanken. Schließlich ist der Satz Ich=Ich die oberste Tatsache des empirischen
Bewusstseins und damit unbedingt für das Ich gegeben. Ein Unbedingtes für das
Ich kann nun, so Fichte, nur durch das Ich selbst gesetzt sein, da es ansonsten nicht
unbedingt für dasselbe, sondern bedingt durch ein anderes wäre. Das Selbstsetzen
des Ich beschreibt hierbei nun eine „reine Tätigkeit des Geistes“, in der das Ich
sowohl das Tätige als auch das Produkt der Tat bzw. der Handlung ist, weshalb
Fichte hierfür die berühmte Formel der „Thathandlung“ wählt.11 Der erste Grund-
satz, welcher die Tathandlung ausdrückt, lautet dementsprechend: „Das Ich setzt
ursprünglich schlechthin sein eignes Seyn.“12 Die Tathandlung selbst konnte nur
abstrahierend, analytisch-regressiv erschlossen werden, als Bedingung der Mög-
lichkeit der Identität des Ich selbst, ohne aber selbst zu einer Tatsache des Bewusst-
seins zu werden. Die Tathandlung selbst ist also nach diesen Ausführungen nicht
isoliert anschaubar.13 Das Ich der Tathandlung ist zugleich das „absolute Subjekt“
und damit „dasjenige, dessen Seyn (Wesen) bloss darin besteht, dass es sich selbst
als seyend setzt“.14
Mithilfe der Methode der abstrahierenden Reflexion ist Fichte also von der
obersten Bewusstseinstatsache zum obersten Grundsatz unseres Wissens gelangt,
welcher nicht abgeleitet oder bewiesen, sondern nur in seiner Denknotwendigkeit
herausgestellt werden sollte. Das im Grundsatz benannte Ich als absolutes Sub-
jekt ist dabei zugleich keine Tatsache im endlichen Bewusstsein wie es etwa die
Grundsätze der formalen Logik sind. Als ein bloß Denknotwendiges ist es vielmehr
ein transzendentalphilosophisch aufzufindender Gedanke über den ersten Grund
unseres Wissens und unseres Handelns.
Nachdem die Tathandlung des Ich als erster Grundsatz unseres Wissens auf-
gezeigt wurde, ist für Fichte der Weg zur Deduktion der Realitätskategorie nicht
mehr weit. Sie erfolgt, wie er bekundet, in zwei weiteren Abstraktionsschritten:
11
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 259/SW I, S. 96.
12
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 98.
13
In der Zweiten Einleitung in der Wissenschaftslehre erläutert Fichte das Verhältnis von
Tathandlung und dem faktischen, endlichen Bewusstsein folgendermaßen: „Das Ich wird
durch den beschriebenen Act bloss in die Möglichkeit des SelbstBewusstseyns, und mit ihm
alles übrigen Bewusstseyns versetzt; aber es entsteht noch kein wirkliches Bewusstseyn. Der
angegebene Act ist bloss ein Theil, und ein nur den Philosophen abzusondernder, nicht aber
etwas ursprünglich abgesonderter Theil der ganzen Handlung der Intelligenz, wodurch sie ihr
Bewusstseyn zu Stande bringt“, Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, GA I,4,
S. 214/SW I, S. 459.
14
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 259/SW I, S. 97.
Kategoriendeduktion bei Fichte 75
15
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261 f. / SW I, S. 98 f.
16
So hält Fichte an anderer Stelle fest: „(D)ie Wissenschaftslehre kann schlechterdings
nicht aus der Logik bewiesen werden, und man darf ihr keinen einzigen logischen Satz, auch
den des Widerspruchs nicht, als gültig vorausschicken; hingegen muss jeder logische Satz,
und die ganze Logik aus der Wissenschaftslehre bewiesen werden. (…) Also entlehnt die
Logik ihre Gültigkeit von der Wissenschaftslehre, nicht aber die Wissenschaftslehre die ih-
rige von der Logik“, Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 138/SW I,
S. 68.
17
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99.
76 Nicolas Bickmann
man dies, gelangt man zu der Unterscheidung zwischen einem mit sich iden-
tisch Gesetztem und der Handlung, etwas als mit sich identisch zu setzen. Diese
Unterscheidung bildet nun den von Fichte benannten zweiten Abstraktionsschritt.
Es ist nun dieses Setzen selbst, die „Handlungsart des menschlichen Geistes“, die
überhaupt zu seinem Gesetzten führt, die Fichte als Kategorie der Realität begreift.
In diesem Sinne wird die Kategorie der Realität durch die Abstraktion vom logi-
schen Grundsatz der Identität einsehbar gemacht, wenngleich auch hier gilt, dass
der Handlungsvollzug, der in der Kategorie der Realität auf den Begriff gebracht
wird, der Grund der Möglichkeit des Gesetzseins eines Identischen ist. Die Kate-
gorie der Realität wird von Fichte also in ihrem fundamentalen Sinne betrachtet
als eine Tätigkeitsweise des Ich, als ein Identischsetzen überhaupt.18 Das, was auf
diese Weise realisiert ist, hat Realität. So heißt es: „Alles, worauf der Satz A = A
anwendbar ist, hat, inwiefern derselbe darauf anwendbar ist, Realität.“19 Nun wird
auch einsehbar, warum die Kategorie der Realität im Gang der genetischen De-
duktion der Kategorien eine fundierende Rolle einnimmt: Es ist nämlich erst durch
dieses identifizierende Setzen möglich, dass sich ein Subjekt selbst konstituiert und
dass darüber hinaus ein anderes (ebenfalls mit sich identisches) zum Objekt des
Bewusstseins werden kann. Insofern dieses Identischsetzen, das als Handlungs-
weise des Ich allgemein auf den Begriff der Realität gebracht wird, ursprünglich
in der Tathandlung des Ich wurzelt, kann Fichte beanspruchen, die Kategorie der
Realität aus dem obersten Grundsatz des Wissens abgeleitet zu haben. In diesem
Sinne handelt es sich um eine genetische Deduktion der Realitätskategorie. Die
Frage, wie die Kategorie der Realität und die weiteren Kategorien regelhaft-spon-
tane Ordnungsfunktion für ein gegebenes Mannigfaltiges sein können, welcher
Kant in seiner transzendentalen Deduktion nachgeht, kann nach Fichte an dieser
Stelle noch nicht thematisiert werden. Für Fichte geht es darum, die Kategorien
in ihrer allgemeinsten Form, als Handlungsarten bzw. als Tätigkeitsweisen des
Ich aus der Selbstsetzung des Ich abzuleiten, ehe die speziellere Frage nach ihrer
Anwendbarkeit auf ein gegebenes Mannigfaltiges, wie Kant sie begründen wollte,
beantwortet werden kann.
Das Verfahren, eine Kategorie im Rahmen einer mehrschrittigen, abstrahieren-
den Reflexion ausgehend von einer Tatsache des Bewusstseins und einem obersten
18
Es fällt auf, dass Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre den Begriff
der Realität je nach Kontext verschieden verwendet. Im ersten Paragraphen verwendet er ihn
in seiner fundamentalsten Bedeutung, nämlich im Sinne einer „rein gedankliche(n) Sachhal-
tigkeit (…), die aus der widerspruchsfreien Identität von etwas mit sich selbst folgt“, Schäfer
(2006), S. 166. Im Rahmen der Synthesis E spricht Fichte hingegen davon, dass es Realität
nur vermittelst der Anschauung geben kann. Hier liegt also ein bereits spezifizierter Reali-
tätsbegriff vor, der vor dem Hintergrund seiner Theorie von der produktiven Einbildungskraft
relevant wird. Die produktive Einbildungskraft ist dabei die Bedingung der Möglichkeit der
Beziehung auf ein Anschaubares, vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre,
GA I,2, S. 368/SW I, S. 226 f.
19
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99.
Kategoriendeduktion bei Fichte 77
Grundsatz zu deduzieren, wendet Fichte auch bei der zweiten fundamentalen Kate-
gorie, der Kategorie der Negation an. Insofern die Struktur der Argumentations-
schritte also bereits aus dem ersten Abschnitt bekannt ist, können die einzelnen
Deduktionsschritte in knapperer Form nachvollzogen werden. Das Vorgehen der
Deduktion der Negationskategorie lässt sich knapp folgendermaßen darstellen:
Ähnlich wie der Satz A = A in freier Reflexion aufgefunden und aufgestellt sowie
sein Fürwahrhalten als Tatsache des Bewusstseins behauptet wurde, stellt Fichte
nun auch den Satz −A nicht = A auf. Auch die Erhellung des zweiten Grundsat-
zes bzw. die Deduktion der Negationskategorie geht also von einem Urteil aus,
das gemeinhin für wahr gehalten werden muss. Damit ist auch das Fürwahrhal-
ten dieses Satzes, also des Satzes des zu vermeidenden Widerspruchs, der besagt,
dass ein identisches Selbst nicht zugleich nicht es selbst sein kann, für Fichte eine
Tatsache des Bewusstseins. Als eine solche Tatsache des Bewusstseins leuchtet
er mit unmittelbarer Evidenz ein. Es gilt also auch für diesen Satz, der zugleich
einen weiteren Grundsatz der formalen Logik darstellt, die Bedingungen seiner
Möglichkeit aufzuzeigen. Was nun die Art und Weise bzw. die Form des Setzens
eines −A gegen ein gesetztes A angeht, fällt schnell auf, dass sie selbst nicht aus
dem Setzen selbst bzw. aus der Kategorie der Realität abgeleitet werden kann. Die
Tätigkeit des Entgegensetzens ist der Tätigkeit des Setzens vielmehr selbst ent-
gegengesetzt und es findet sich nach Fichte auch keine höhere Handlung, aus der
sie begründet werden kann.
„Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiss der Satz −A nicht = A unter
den Thatsachen des empirischen Bewusstseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor; und
dieses Entgegensetzen ist seiner blossen Form nach eine schlechthin mögliche, unter gar
keiner Bedingung stehende, und durch keinen höheren Grund begründete Handlung.“20
Insofern das Entgegensetzen seiner bloßen Form nach schlechthin möglich ist
und er aus keiner höheren Handlung des Ich begründet werden kann, spricht Fichte
auch von einer formalen Unbedingtheit dieses Satzes. Demgegenüber gilt es je-
doch ebenso festzuhalten, dass die Handlung des Entgegensetzens auf ein Setzen
überhaupt bezogen ist − um entgegenzusetzen muss zugleich gesetzt werden. Es
handelt sich damit zwar um eine formal unbedingte, dem Gehalte nach jedoch
bedingte Handlung, wenn das Gesetzte jeweils den Bezugspunkt des Entgegen-
setzens bestimmt.
Die materielle Bestimmtheit des Entgegensetzens durch ein Setzen überhaupt
und damit durch die Selbstsetzung des Ich ergibt sich für Fichte ferner dadurch,
dass jedes Entgegensetzens die Identität des Ich selbst voraussetzt. Es muss ein und
dasselbe Ich sein, das einerseits die Identität von A = A beurteilt und andererseits
das Entgegengesetztsein eines Nicht-A. Denn nur wenn es ein und dasselbe Ich ist,
das die Identität bzw. Nicht-Identität von A und Nicht-A feststellt, wird zugleich
sichergestellt, dass A und −A als Entgegengesetzte auf einander bezogen können.
20
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 265/SW I, S. 102.
78 Nicolas Bickmann
Wäre es nicht ein und dasselbe Ich, würde eine zweifache Setzung stattfinden,
wodurch A nicht ungleich −A wäre, sondern vielmehr A = −A.21
Die Überlegung, die Fichte nun zum Aufstellen eines zweiten Grundsatzes un
seres menschlichen Wissens und damit auch zur Entdeckung einer zweiten funda-
mentalen Kategorie, der Kategorie der Negation führt, ist die folgende: Nach der
Einsicht des ersten Paragraphen ist das Ich das Produkt des bloßen Setzens seiner
selbst. Das Ich ist schlechthin gesetzt und das Ich ist schlechthin nur Setzen. Das
Selbstsetzen des Ich ist die Bedingung für jedes Setzen im Ich, d. h. für die Realität
von einem Objekt des Bewusstseins überhaupt. Findet im Ich nun ein reines Ent-
gegensetzen statt, das aufgrund der Bewusstseinstatsache der Wahrheit des Satzes
vom Widerspruch angenommen werden muss, ist mit diesem Entgegensetzen zu-
gleich ein reines Produkt des Entgegensetzens zu denken. Dieses reine Produkt
der Entgegensetzung, bloß für sich betrachtet als das Entgegengesetzte überhaupt,
konzipiert Fichte nun als Nicht-Ich.22 Das Nicht-Ich ist daher der Gegensatz zum
bloß setzenden Ich. Der zweite Grundsatz menschlichen Wissens lautet daher:
Dem Ich ist „schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich.“23 – Das Nicht-Ich muss
angenommen werden, solange im Ich überhaupt Entgegensetzungen stattfinden.
Dabei ist zu bedenken, dass zumindest an dieser Stelle in der Entwicklung der
Wissenschaftslehre das Nicht-Ich nicht mit einer Welt von äußeren Objekten iden-
tifiziert werden kann. Vielmehr benennt der zweite Grundsatz die Bedingung der
Möglichkeit, dass es im Ich überhaupt zu einer Unterscheidung zwischen einem
vorstellenden Subjekt und einem vorgestellten Objekt kommen kann. Diese Unter-
scheidung ist im Rahmen einer transzendentalphilosophischen Grundsatzlehre in
den Blick zunehmen, da sie noch fundamentaler ist als etwa die Frage nach der
spezifischen apriorischen oder empirischen Bestimmtheit vorgestellter Objekte.
Die Vorstellung einer Außenwelt mitsamt gegebenen Objekten für das endliche
Bewusstsein wird weitere komplexe Ableitungsschritte im theoretischen und prak-
tischen Teil der Wissenschaftslehre erfordern und letztlich erst im praktischen Teil
fundiert werden können. Dort argumentiert Fichte, dass es nur dann äußere Ob-
jekte für ein Bewusstsein geben kann, wenn das Subjekt dieses Bewusstsein über
ein praktisches Vermögen des Strebens verfügt, welches aufgrund einer Hemmung
der eigenen strebenden Tätigkeit zur vorstellenden Setzung von äußeren Objekten
genötigt ist.24
Fichte wählt in der Aufstellung des zweiten Grundsatzes ferner die passive For-
mulierung, dass dem Ich schlechthin ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird. So lässt
21
„Das Entgegensetzen ist nur möglich unter Bedingung der Einheit des Bewusstseyns
des setzenden, und des entgegensetzenden. Hinge das Bewusstsein der ersten Handlung nicht
mit dem Bewusstseyn der zweiten zusammen: So wäre das zweite Setzen kein Gegensetzen,
sondern ein Setzen schlechthin. Erst durch Beziehung auf ein Setzen wird Gegensetzen“,
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 103.
22
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 104.
23
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 104.
24
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 388/SW I, S. 263.
Kategoriendeduktion bei Fichte 79
25
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 325–328/SW I,
S. 175–178.
26
Vgl. Hölderlin: Urteil und Sein, StA IV, S. 226–228. In der neueren Literatur findet sich
eine ähnlich lautende Kritik bei Peter Baumanns, der ebenfalls am Ich des ersten Paragraphen
beanstandet, dass die ursprüngliche Handlung des Entgegensetzens auch am Sichsetzen des
Ich hätte aufgewiesen werden können, vgl. Baumanns (1979), S. 74.
80 Nicolas Bickmann
Mit Blick auf die Kategorien der Realität und der Negation wurde nun folgendes
Verfahren erkennbar: Durch Reflexion auf eine Tatsache des Bewusstseins (A = A
oder −A nicht = A) und den durch Abstraktion erfolgten Aufweis der Bedingungen
der Möglichkeit dieser Tatsache gelangt Fichte sowohl zu den Grundsätzen des
menschlichen Wissens als auch zu den Kategorien, die die fundamentalen Hand-
lungsarten des Ich in Bezug auf sich und in Bezug auf das Nicht-Ich bezeichnen.
Diese Handlungsarten selbst erweisen sich ferner als Bedingung der Möglichkeit
aller logischen Grundsätze, insofern diese durch ursprüngliche Handlungen des
Ich bewiesen und bestimmt sind.
Nachdem nun also auf diesem Weg, also ausgehend von notwendigen Tatsachen
des Bewusstseins, zwei Grundsätze des menschlichen Wissens und zwei funda-
mentale Kategorien gewonnen werden konnten, stellt sich vor der Formulierung
des dritten Grundsatzes ein neues Problem. Erstmals – und dies wird weiteren
Verlauf der Wissenschaftslehre beibehalten – verfolgt Fichte mit der Ableitung
eines Grundsatzes bzw. mit der Deduktion einer Kategorie das Ziel, Widersprüche
zu beheben, welche die vorangegangenen Grundsätze mit sich bringen. Dass ein
dritter Grundsatz als Lösung eines durch die beiden vorangegangenen Grundsätze
entstandenen Widerspruchs formuliert werden soll, bedeutet für Fichte, dass die
Handlung des Ich, welche er ausdrückt, der Form nach durch die beiden voran-
gegangenen Grundsätze bedingt ist – gleiches gilt auch für Deduktion der Limi-
tationskategorie, welche die Deduktion der Realitäts- und der Negationskategorie
voraussetzt.
Der dritte Grundsatz ist also als Antwort auf die „Aufgabe“ zu verstehen, welche
durch die ersten beiden Grundsätze gestellt ist. Dass er dem Gehalt nach dagegen
unbedingt ist, dass also die Handlung des Ich, die er ausdrückt, unbedingt erfolgt,
zeigt Fichte durch die Formulierung an, dass die beiden ersten Grundsätze des
Setzens und des Entgegensetzens für sich genommen noch keine Lösung des ange-
zeigten Widerspruchs enthalten – er ist also dem Gehalt nach nicht aus den beiden
vorangegangenen Grundsätzen abzuleiten. Fichte erkennt eine Aufgabe in dem zu
lösenden Problem, dass die Setzung eines Nicht-Ich, welche der zweite Grund-
satz fordert, die Identität und die Einheit des Bewusstseins und damit „das einige
absolute Fundament unseres Wissens“ aufzuheben droht.27 Hierfür argumentiert
Fichte wie folgt: Das Nicht-Ich wird gesetzt als das dem Ich absolut Entgegen-
setzte, welches als solches das Ich aufhebt: „Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist
das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben“.28
Demnach gilt, dass wenn Negation überhaupt standfindet, d. h. wenn ein Nicht-Ich
gesetzt ist, das Ich vollständig vernichtet wird. Andererseits hat Fichte zuvor argu-
mentiert, dass das Ich gesetzt sein muss, wenn überhaupt ein Nicht-Ich gesetzt sein
27
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 269/SW I, S. 107.
28
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 268/SW I, S. 106.
Kategoriendeduktion bei Fichte 81
soll. Denn auch das Setzen eines Entgegengesetzten setzt ein einiges, identisches
Bewusstsein voraus, dem entgegengesetzt werden kann. Wäre nicht dem Ich bzw.
wäre nicht im Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt, dann wäre dieses Nicht-Ich gar
nicht entgegengesetzt, sondern bloß gesetzt. Die Analyse der beiden Grundsätze,
insofern sie als solche zusammen bestehen sollen, deckt also widersprüchliche
Folgerungen auf: Durch die Setzung eines Nicht-Ich ist das Ich aufgehoben und
auch nicht aufgehoben. Eine Konsequenz dieser Einsicht könnte nun sein, dass der
zweite Grundsatz, durch den überhaupt erst ein Widerspruch eingetreten ist, als
solcher aufgehoben werden müsse, um die Identität und Einheit des Ich zu wahren.
Dass der zweite Grundsatz schlichtweg aufgehoben wird, schließt Fichte jedoch
aus: Denn aus den genannten Gründen kann der zweite Grundsatz nur dann auf-
gehoben werden, wenn er wiederum vorausgesetzt ist – und hier zeigt sich seine
fundamentale Bedeutung. Er kann nur aufgehoben werden, wenn bereits gilt, dass
ein Gesetztes durch ein Entgegengesetztes aufgehoben wird. Er muss bereits vor-
ausgesetzt sein, wenn überhaupt ein Widerspruch zwischen der ersten Folgerung
(das Ich wird durch das Nicht-Ich aufgehoben) und der zweiten Folgerung (das Ich
wird durch das Nicht-Ich nicht aufgehoben) ausgemacht werden soll.
So gelangt Fichte zu einer paradoxen Diagnose: Der zweite Grundsatz hebt
sich auf, wenn aus ihm Entgegengesetztes folgt und er hebt sich nicht auf, indem
er vorausgesetzt wird, um diese Aufhebung zu begründen. Es ist diese Diagnose,
die nun auch die Identität und Einheit des Ich aufzuheben droht und damit auch
den ersten Grundsatz als einzig mögliche, unbedingte Gewissheit zunichtema-
chen könnte: Denn in beiden Fällen, unter der Bedingung der Aufhebung und der
Nicht-Aufhebung des zweiten Grundsatzes, scheint das Ich aufgehoben werden zu
müssen: Gilt der zweite Grundsatz uneingeschränkt und wird ein Nicht-Ich gesetzt,
so wird das Ich durch ein gesetztes Nicht-Ich aufgehoben und vernichtet. Er kann
nur negiert werden unter der Voraussetzung seiner Geltung. Auch im Fall seiner
Negation würde also das Ich aufgehoben werden müssen, mithin wäre das Ich in
beiden Fällen ein Aufgehobenes, also ein Nicht-Ich.
Der Ausgangspunkt, von dem aus nun ein dritter Grundsatz gesucht werden soll,
ist also keine zunächst in freier Reflexion aufgefundene Tatsache des Bewusstseins,
sondern ein analytisch gewonnener Widerspruch, der die Identität des Bewusst-
seins und damit das Fundament des Wissens selbst aufzuheben droht. Der dritte
Grundsatz ist der Ausdruck einer Handlung des Ich, vermittelst derer die Einheit
und Identität des Ich gewahrt werden kann, ohne dass die Gültigkeit des ersten
und des zweiten Grundsatzes selbst bestritten werden muss. Dass die Geltung des
zweiten Grundsatzes vernünftigerweise nicht bestritten werden kann, liegt daran,
dass er jederzeit vorausgesetzt ist, wenn überhaupt irgendetwas bestritten werden
soll. Die für Fichte nun einzig denkbare Möglichkeit, die Setzung eines Ich mit
der Setzung eines Nicht-Ich als gemeinsam geschehend zu denken, ohne dass sich
beide gegenseitig gänzlich aufheben, besteht darin, dass beide Setzungen im Ich
nicht absolut geschehen können. Denn dadurch würden sie, wie wir gesehen haben,
jeweils absolut aufgehoben oder vernichtet werden. Vielmehr muss die Setzung des
82 Nicolas Bickmann
Ich ebenso wie des Nicht-Ich in bloß eingeschränkter Weise geschehen – und zwar
im und für das Ich. Die Voraussetzung dafür, dass Ich und Nicht-Ich überhaupt
eingeschränkt werden können, ist nach Fichte das Setzen ihrer Einschränkbarkeit
und damit ihrer Teilbarkeit – die Teilbarkeit ist ein Attribut, welches dem ursprüng-
lich gesetzten Ich ebenso wenig zukommt wie dem ursprünglich entgegengesetzten
Nicht-Ich. In diesem Sinne ist das Setzen ihrer Teilbarkeit dem Gehalt unbedingt
und kann aus keiner weiteren Handlungen des Ich abgeleitet werden. In der Setzung
ihrer Teilbarkeit werden Ich und Nicht-Ich nun zugleich aufeinander bezogen, so-
dass Fichte davon ausgeht, dass sich Ich und Nicht-Ich gegenseitig einschränken.
Der dritte Grundsatz lautet demnach: Das Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teil-
bares Nicht-Ich entgegen.29 Oder auch: „Das Ich ist im Ich nicht gesetzt, insofern,
d. i. nach denjenigen Theilen der Realität, mit welchen das Nicht-Ich gesetzt ist.“30
Die Kategorie der Bestimmung bzw. der Limitation, die Fichte im Rahmen des
dritten Grundsatzes deduziert, kann nun erneut in einem zweifachen Abstrak-
tionsschritt von dem dritten, materialen Grundsatz unseres Wissens gewonnen
werden. Dabei gewinnt er zunächst in einem ersten Abstraktionsschritt ausgehend
vom transzendentalen Grundsatz der Teilbarkeit den formallogischen Satz des
Grundes, welcher die „Vereinigung entgegengesetzter durch den Begriff der Teil-
barkeit“ ausdrückt.
Dieser logische Grundsatz, der für den weiteren Gedankengang der Wissen-
schaftslehre eine herausragende methodische Stellung einnimmt, ist erneut be-
wiesen und bestimmt durch den transzendentalen Grundsatz. Nach Fichte enthält
der transzendentale, materiale Grundsatz „Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein
theilbares Nicht-Ich entgegen“ die allgemein logische Form der „Vereinigung ent-
gegengesetzter durch den Begriff der Theilbarkeit“. Der logische Grundsatz, so
Fichtes zentrale These, drückt die Vereinigung zweier Momente durch Beziehung
einerseits (und das heißt durch Gleichsetzung) und durch Unterscheidung (und das
heißt Entgegensetzung) andererseits aus.31 Er kann nach Fichte insofern aus dem
den transzendentalen materialen Grundsatz bewiesen werden, da seine Wahrheit
auf der Möglichkeit beruht, dass das Ich zum Einschränken bzw. Teilbarsetzen
entgegen- und gleichzusetzender Momente überhaupt in der Lage ist. Der logische
Grundsatz kann also nur dann wahr sein, wenn gilt: „Jedes Entgegengesetzte ist
seinem Entgegengesetzten in Einem Merkmale = X gleich; und: jedes Gleiche ist
seinem Gleichen in Einem Merkmale = X entgegengesetzt.“32 Das bedeutet also,
dass in jeder Beziehung zweier nicht-identischer Momente Gleichsetzung und
Unterscheidung miteinander vollzogen werden. – Ein doppelter Vollzug, der immer
geschieht, auch wenn in einem bestimmten Urteil die Gleichsetzung einerseits oder
die Unterscheidung der beiden Momente andererseits für sich genommen in den
29
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, 110.
30
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 271/SW I, S. 109.
31
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111.
32
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111.
Kategoriendeduktion bei Fichte 83
Blick genommen werden kann. Ein Merkmal X, das entweder die Gleichsetzung
oder die Unterscheidung zweier Momente ermöglicht, ist für Fichte nun entweder
Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund. Formal drückt Fichte den logischen
Grundsatz folgendermaßen aus: „A zum Theil = −A und umgekehrt“, also ‚−A
zum Theil = A‘.33
Dass sich der dritte logische Grundsatz des Gleichsetzens und des Beziehens
zweier nicht identischer Momente nun allgemein durch den dritten transzenden-
talen Grundsatz (und damit aber auch, so sei hier erinnert auch durch die beiden
vorangegangenen Grundsätze) bestimmen lässt, zeigt Fichte durch die folgende
Argumentation. Der logische Satz des Grundes ist nämlich eingeschränkt auf die
Sphäre, in der überhaupt entgegengesetzt oder bezogen wird. Diese Sphäre wird
selbst erst durch die entgegensetzenden und beziehenden bzw. durch die antithe-
tischen und synthetischen Handlungen des Ich gesetzt. Er gilt also nicht dort, wo
gar keine Entgegensetzung oder Gleichsetzung mit einem anderen stattfindet.
Ausgenommen von allen limitierenden, bestimmenden Urteilen ist nämlich das
absolute Ich, dem wie Fichte sagt, nichts Anderes gleich oder entgegengesetzt ist.
Das absolute Ich, wie Fichte erläutert, steht gar nicht „unter dem Satz des Grun-
des“, in ihm vollziehen sich weder antithetische noch synthetische Leistungen.34
In diesem Sinne lässt es für sich betrachtet gar keinen Raum für Differenz. Der
einzig adäquate Ausdruck des absoluten Ich ist ein thetisches Urteil, das Fichte
in Abgrenzung zu synthetischen oder antithetischen Urteilen konzipiert. Das ur-
sprünglich höchste thetische Urteil lautet demnach schlichtweg „Ich bin“, wobei
eine weitere Eingrenzung und Bestimmung des Urteilssubjekts nicht erfolgt. Die
„Stelle des Prädicats für die mögliche Bestimmung des Ich“ wird nach Fichte „ins
Unendliche leer gelassen“.35 Dies kann nun auf Hölderlins Interpretation, dass
im absoluten Ich bereits eine Teilung enthalten sei, entgegnet werden: Fichte kon-
zipiert das absolute Ich, wie wir bereits gesehen haben, als dasjenige, das nicht
durch ein anderes begründet wird, sondern selbst der Grund der Möglichkeit alles
Begründen und Urteilens ist.
Die Kategorie der Limitation expliziert Fichte nun erneut in einem Abstraktions-
schritt von dem logischen Grundsatz, indem er diejenige Handlung des Ich in den
Blick nimmt, die in jedem bestimmten logischen Urteil selbst vollzogen werden
muss. Die Kategorie der Limitation drückt dabei die allgemeine Handlung aus,
die sowohl dem Gleichsetzen bzw. dem Beziehen als auch dem Unterscheiden zu-
grunde liegt. Limitation bedeutet nämlich allgemein, eines auf ein anderes durch
Einschränkung zu beziehen. Betrachtet man sie als solche, ist es zunächst irrele-
vant, ob sie vollzogen wird, um in einem bestimmten Urteil den Gegensatz oder
die Gleichsetzung zweier Momente gleichzusetzen hervorzuheben. Entscheidend
33
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111.
34
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 273/SW I, S. 112.
35
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 277/SW I, S. 116.
84 Nicolas Bickmann
ist für Fichte bloß die Einsicht, dass in beiden Fällen eine Limitation, d. h. die Be-
stimmung des Einen durch das Andere vollzogen wird.
Mit der Aufstellung des dritten Grundsatzes bzw. mit der Deduktion der Limita-
tionskategorie aus demselben gelingt Fichte ferner abschließend die Deduktion der
Negation im Gefüge der ursprünglichen Handlungen des Ich. Schließlich musste
zunächst gezeigt werden, wie die Setzung des Ich mit der Entgegensetzung des
Nicht-Ich zusammen bestehen kann, um der Negation tatsächlich einen festen Platz
im Gefüge der Kategorien zu sichern. Nun am Ende des dritten Paragraphen hat
Fichte gezeigt, dass Negation im Ich immer schon angewiesen ist auf Limitation.
Die Entgegensetzung, die in der Negation zum Ausdruck kommt, geschieht damit
im Ich niemals isoliert, sondern stets im Verbund mit einer limitierenden und zu-
gleich synthetisierenden Handlung.
Mit Abschluss des dritten Paragraphen hat Fichte jedoch nicht nur drei Grund-
sätze über das Verhältnis von Ich und Nicht-Ich aufgestellt und drei fundamentale
Kategorien deduziert, er hat auch zugleich ein methodisches Verfahren aus den
grundlegenden Strukturen des Ich legitimiert, welches bereits zur Gewinnung des
dritten Grundsatzes und der Limitationskategorie zum Einsatz kam und auch die
folgenden Deduktionsschritte bestimmt. Er beansprucht zu zeigen, dass Gleich-
setzung und Entgegensetzung bzw. Synthesis und Antithesis überhaupt unter dem
dritten Grundsatz der Wissenschaftslehre stehen, also bloß dadurch möglich sind,
dass das Ich in sich ein Ich und ein Nicht-Ich teilbar setzt und aufeinander bezieht.
Es ist diese Ursynthesis, die immer schon mit einer Antithesis einhergeht, die der
Grund der Möglichkeit jeder bestimmten Gleich- oder Entgegensetzung ist. Gleich-
und Entgegensetzung findet nach Fichte in der philosophischen Reflexion jederzeit
statt. Dadurch, dass Entgegensetzen und Beziehen als fundamentale Handlungen
des Ich bewiesen werden, ist das Entgegensetzen und Beziehen also als Methode
der philosophischen Reflexion gerechtfertigt. In diesem Sinne spricht Fichte von
einem antithetisch-synthetischen Verfahren, das in der argumentativen Entwick-
lung der Wissenschaftslehre leitend ist. Die Methode der Wissenschaftslehre ist
zum einen antithetisch, insofern der Ausgang für die Aufdeckung weiterer Be-
stimmungen des Ich zunächst dadurch beginnt, das bereits Einsichten auf die in
ihnen implizit enthaltenen Widersprüche hin untersucht werden. Dies wurde, wie
wir gesehen haben, mit Blick auf den zweiten Grundsatz vollzogen, aus dem ja
zwei einander widersprechende Folgerungen gezogen werden konnten, welche die
Identität und Einheit des Ich aufzuheben drohten. Das Verfahren ist synthetisch,
in dem versucht wird, Bedingungen anzugeben, unter denen die aufgefundenen
Widersprüche behoben werden können – und zwar mit dem Ziel, die Identität und
Einheit des Bewusstseins zu wahren. Die einzige Bedingung, unter der die Ein-
heit und die Identität des Bewusstseins angesichts des ursprünglichen Entgegenge-
Kategoriendeduktion bei Fichte 85
setztseins des Nicht-Ich gewahrt werden kann, wurde schließlich darin gefunden,
dass das Ich und das Nicht-Ich als sich gegenseitig einschränkend, d. h. dass sie als
teilbar gesetzt werden müssen, in dieser Teilbarkeit aber ursprünglich aufeinander
bezogen sind. Für die im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre folgenden De-
duktionsschritte gibt Fichte daher folgende Methode an:
„Wir haben demnach in dem [durch die höchste Synthesis] verbundenen Ich und Nicht-Ich,
insofern dieselben verbunden sind, übriggebliebene entgegengesetzte Merkmale aufzusuchen,
und sie durch einen neuen Beziehungsgrund, der wieder in dem höchsten Beziehungsgründe
enthalten seyn muss, zu verbinden.“36
36
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 274/SW I, S. 115.
37
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 274/SW I, S. 115.
38
Vgl. Metz (1991), S. 249 ff. Fichte verwirft dementsprechend alle Sätze aus seinem System,
die einen Realismus begründen, welcher die Vorstellung entweder aus einem nichtichaften,
bestimmenden Ding (qualitativer Realismus) oder aus dem Faktum einer bloßen Bestimmung
unspezifischen Ursprungs (quantitativer Realismus) erklären, vgl. u. a. Fichte: Grundlage der
gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 327/SW I, S. 177 sowie GA I, 2, S. 334–336/SW I, S. 186.
39
Der theoretische Teil der Wissenschaftslehre, der mit § 4 beginnt, ist eine Analyse der
Widersprüche, die sich aus dem Satz „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“
ergeben und widmet sich dabei der Aufgabe, diese Widersprüche in abgeleiteten Synthesen zu
überwinden. Der praktische Teil der Wissenschaftslehre stellt sich dagegen die Aufgabe, den
86 Nicolas Bickmann
Denn auch dem praktischen Teil der Wissenschaftslehre liegt ein Widerspruch zu-
grunde, der gemäß der Idee eines absolut sich selbst setzenden Ich vermittelt wer-
den soll. Der hier zugrundeliegende Widerspruch besteht zwischen der Idee eines
unendlichen, bloß auf sich selbst tätigen Ich und einem Ich als endliche Intelligenz,
dessen Endlichkeit in Begrenzung durch ein Nicht-Ich begründet wird.40 Im Über-
gang in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre bleibt dabei die Idee des sich
selbst setzenden Ich als Postulat bzw. als Forderung nach einer vollständigen Be-
stimmung des Nicht-Ich durch das absolute Ich erhalten. Er drückt damit ein Sollen
aus, das zugleich zum fundierenden Prinzip einer sittlichen Praxis erhoben wird.
Satz „das Ich setzt sich, als bestimmend das Nicht-Ich“ zu erörtern. Dagegen verfährt er nicht
in strikter Analogie zum theoretischen Teil, sondern er wählt eine „kürzere, und darum nicht
weniger erschöpfende Art, ihn (= Ausgangssatz der praktischen Wissenschaftslehre; N. B.)
zu erörtern (…)“, indem er den Gegensatz zwischen absolutem Ich und endlicher Intelligenz
zum Ausgangspunkt nimmt, Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2,
S. 225/SW I, S. 247.
40
„Das absolute Ich soll demnach seyn Ursache des Nicht-Ich an und für sich, d. i. nur desje-
nigen im Nicht-Ich, was übrig bleibt, wenn man von allen erweisbaren Formen der Vorstellung
abstrahirt; desjenigen, welchem der Anstoss auf die ins unendliche hinausgehende Thätigkeit
des Ich zugeschrieben wird (…).“ (GA I,2, 389/SW I, S. 251).
Die Geschichte des Selbstbewusstseins
in der Phänomenologie des Geistes von 1807
als Deduktion des Begriffs der Wissenschaft?
Von Gaetano Basileo
1
Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 32.
2
Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 33.
88 Gaetano Basileo
Grundzüge der Kategorienentfaltung, wie sie erst in der Logik thematisch darge-
legt wird, bereits in der phänomenologischen Entwicklungsgeschichte des Selbst-
bewusstseins implizit angelegt sind.
Ein angemessenes Erfassen des vielfältigen besonderen Gehalts und der Abfolge
derjenigen Gestalten, die in der Phänomenologie dargestellt werden, gelingt nicht,
wenn man dieses Werk ausschließlich als notwendige Einleitung zur Wissenschaft
versteht. Zu diesem Zweck wäre vielmehr nötig, hervorzuheben, dass Hegel die
einleitende Funktion mit der Aufnahme des idealistischen Programms einer Ge-
schichte des Selbstbewusstseins interagieren lässt.
So wird in der Geschichte der Bildung des Bewusstseins zur Wissenschaft – wie
Hegel sein Unternehmen programmatisch definiert – die ganze Reihung der Er-
fahrungen dargestellt, wodurch das Bewusstsein, das seine Gestalten im Rahmen
einer skeptischen Prüfung seiner jeweiligen Wissensansprüche durchläuft, schließ-
lich zum wahren Wissen gelangt.
Wie K. Düsing gezeigt hat, bedeutet Geschichte hier ideale und systematische
Genese in der philosophischen Darstellung des Bewusstseins; und Bewusstsein ist
dabei „das allgemeine Subjekt des Fürwahrhaltens“, welches sich in den verschiede-
nen Stufen des endlichen Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, der Vernunft und
des Geistes durchhält und in diesen sich allmählich bildet, bis die vollendete Gestalt
erreicht wird, die Hegel im reinen Sich-wissen der absoluten Subjektivität sieht.3
Damit rezipiert Hegel den Ansatz einer idealistischen Geschichte des Selbst-
bewusstseins überhaupt, welchen er schon in einigen Arbeiten von Fichte und
Schelling vorfinden konnte.4 Gegenüber seinen Vorgängern nimmt Hegel aber
auch deutliche Abänderungen an dieser Konzeption vor, die letztendlich gerade in
der besonderen systematischen Funktion der Phänomenologie als Einleitung zur
Wissenschaft gründen.
Generell ist es möglich eine idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins
durch folgende Merkmale zu erkennen: Sie legt zum einen eine ideale und systema
3
Vgl. Düsing (2008), S. 185.
4
Fichte behauptet in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95, dass
„die Wissenschaftslehre […] eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes“ sein
soll, Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 365/SW I, S. 222. Und
Schelling erklärt im System des transzendentalen Idealismus, dass „die Philosophie […] eine
Geschichte des Selbstbewusstseins“ ist, „die verschiedene Epochen hat“, Schelling: System
des transzendentalen Idealismus, AA I,9,1–2 S. 91. Zur Konzeption der Geschichte des Selbst-
bewusstseins bei diesen Philosophen und auch für weitere Literatur vgl. (in Auswahl) Düsing
(2008), S. 178–181 und Stolzenberg (2009). Vgl. ebenso Di Tommaso (2008).
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 89
tische Entwicklung von Vermögen und Leistungen des menschlichen Geistes dar,
und zwar „geleitet von einer Konzeption der Subjektivität, die am Ende in erfüllter
Weise selbst thematisch wird“.5 Somit unterscheidet sie sich sowohl von einer em-
piristischen oder bloß klassifizierenden und rubrizierenden Aufklärungspsycho-
logie, welche z. B. Platner und Condillac darlegen, aber auch von der statischen
und apriorischen Anordnung der menschlichen Vorstellungsvermögen, die Kant
etwa in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft geleistet hatte. Hegel polemi-
siert in der Phänomenologie gegenüber diesen Theorien, die seiner Meinung nach
nur ein „Sack voller Vermögen“6 präsentieren, ohne aber diese systematisch und
teleologisch entwickeln zu können, und also auch ohne jede Garantie für Voll-
ständigkeit sind.
Zum anderen lässt sich eine idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins
dadurch charakterisieren, dass sie im Rahmen einer stufenartigen Entwicklung
zeigt, wie sich „das intentionale Korrelat oder der vorgestellte Gegenstand solcher
mentalen Tätigkeiten und Leistungen immer mehr mit Inhalten der Subjektivität
anreichert, bis schließlich ein vollständig entwickeltes Ich-Objekt erreicht wird,
in dem sich die tätige Subjektivität (das betrachtende Ich) unverhüllt als sie selbst
erkennt“.7
Obwohl die allgemeine Idee einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusst-
seins maßgebend für die Phänomenologie von 1807 ist, distanziert sich Hegel von
den Vorbildern, die er bei Fichte und Schelling vorfinden konnte. Der Grund da-
von liegt wie erwähnt darin, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins bei Hegel
zugleich Einleitung in das logische Wissen sein soll, und so eine systematische
Funktion ausübt, die sie weder bei Schelling noch bei Fichte hatte.
Ausgehend von diesem fundamentalen Unterschied ist es nun möglich drei wei-
tere Abänderungen hervorzuheben, die die in der Phänomenologie dargestellte
Geschichte des Selbstbewusstseins gegenüber den entsprechenden Unternehmen
von Fichte und Schelling kennzeichnen.
Erstens ist die Phänomenologie, weil sie zugleich Einleitung zum logischen
Wissen sein soll, nicht eine systematische und prozessuale (genetische) Darlegung
von Fähigkeiten und Leistungen des menschlichen Geistes, sondern der ihnen
entsprechenden „Weisen des Fürwahrhaltens“8, d. h. der Wissensansprüche des
jeweiligen Bewusstseins bezüglich dessen, was für es das Wesen der Gegenständ-
lichkeit darstellt.
So, obwohl auch die hegelsche Darstellung mit der scheinbar einfachsten und
unmittelbarsten Bestimmung anfängt, wird diese nicht – wie es bei Fichte und
Schelling geschieht – in der Empfindung gefunden, sondern in der durch sie kons-
5
Düsing (2010), S. 298.
6
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 169.
7
Düsing (2010), S. 298.
8
Vgl. Düsing (2008), S. 185–186.
90 Gaetano Basileo
9
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 56.
10
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 56 f.
11
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 57.
12
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61. Hegel erklärt hier, dass die Bedin-
gung – der Entstehungsprozess – des Gegenstandes, welcher sich dem natürlichen Bewusstsein
im Rahmen seiner Erfahrung immer erneut darbietet, nur „für uns“ ist und nicht für das natür-
liche Bewusstsein selbst. „[…] der Inhalt aber dessen, was uns entsteht, ist für es“, d. h. „für
es ist diß entstandene nur als Gegenstand, [aber] für uns zugleich als Bewegung und werden“.
13
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 60 f.
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 91
für das jeweilige wahrhaltende Bewusstsein, sondern nur für uns, die philosophie-
renden Zuschauer.
Wie Hegel programmatisch in der Einleitung zum Werk erklärt, entdeckt das
Bewusstsein als Subjekt des jeweiligen Fürwahrhaltens auf einer jeden Stufe sei-
ner Erfahrung, dass sich das Gegenteil dessen, was es für das Wahre hielt, als das
Wahre erweist:14 Die sinnliche Gewissheit hält z. B. ein sinnlich unmittelbar ge-
gebenes Einzelnes, ein Dieses für das Wahre; es erweist sich aber auf vielfältige
Weise, dass ihr Wahres vielmehr ein Allgemeines ist und Ähnliches gilt für jede
Gestalt des Bewusstseins. Eben wegen dieser negativ dialektischen Seite seiner
Erfahrung und der damit verbundenen Vernichtung seines Wahren muss das Be-
wusstsein wie erwähnt immer wieder in Zweifel und sogar in Verzweiflung stürzen.
Von dieser Betrachtung der Erfahrung unterscheidet Hegel aber, wie bekannt,
was darin für uns, für den spekulativen Philosophen, ist. Denn dieser ist nach Hegel
in der Lage, anzuerkennen, dass die Negation der jeweiligen Weise des Fürwahr-
haltens nicht eine abstrakte, ins leere Nichts führende, sondern eine bestimmte
Negation ist, die ein positives Resultat hat.15 Für den philosophierenden Zuschauer
geht so jeweils ein neuer Gegenstand und eine neue Art des Fürwahrhaltens aus
der Vernichtung des Vorhergehenden hervor: So ist z. B. in der Wahrnehmung und
in dem Wahrnehmungsding die sinnliche Gewissheit und ihr Korrelat, das Diese,
das eigentlich ein Allgemeines ist, aufgehoben und als aufgehobenes Moment zu-
gleich aufbewahrt. „Dieser Umstand ist es, welcher die ganze Folge der Gestalten
des Bewußtseyns in ihrer Nothwendigkeit leitet“.16 Da wir das „reine Entstehen“
und das Werden der Gestalten begreifen, ist deren Auftreten im Rahmen der Dar-
stellung für uns nicht ein bloßes Geschehen, sondern notwendiges Ergebnis der
vorhergehenden Erfahrungen. Die Geschichte der Bildung des Bewusstseins als
Einleitung zur Wissenschaft wird so für uns durch die bestimmte Negation, die
von einer Stufe zur anderen bis zum absoluten Wissen notwendigerweise führt,
selbst zur Wissenschaft.17
Die drei bis jetzt dargelegten Abänderungen gegenüber der allgemeinen Idee
einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins prägen wesentlich die Phä-
nomenologie und gründen, wie erwähnt, in der systematischen Funktion dieses
Werkes als Einleitung zur Wissenschaft. Es sei hier aber noch einmal betont, dass
in diesem Werk Grundstrukturen einer idealistischen Geschichte des Selbstbe-
wusstseins erhalten bleiben. Insbesondere charakterisiert sich die in der Phäno-
menologie dargestellte Reihe von Gestalten dadurch, dass darin immer komplexer
werdende Bestimmungen stufenartig und in systematischer Genese aufgestellt
werden: Auf der einen Seite ist das allgemeine Subjekt des Fürwahrhaltens, wel-
ches von Stufe zu Stufe immer reichhaltigere Bestimmungen gewinnt; ebenso wird
14
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 60 f.
15
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 57.
16
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61.
17
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61.
92 Gaetano Basileo
auf der anderen Seite dargelegt, wie das intentionale Korrelat des Bewusstseins
immer komplexere Bestimmungen gewinnt,18 bis es an sich selbst die Bewegung
der Reflexion und somit die Struktur der Subjektivität aufweist und manifestiert.
Erst auf diesem Niveau der Darstellung, wo Geist für den Geist anwesend ist,
kann sich die hochkomplexe tätige, fürwahrhaltende Subjektivität mit sich als ent-
wickeltem Ich-Objekt identifizieren.
Und da somit der Unterschied von Subjekt und Objekt, der allen vorherigen
Gestalten des Bewusstseins immanent ist, endlich aufgehoben wird, ist auch der
Standpunkt erreicht, auf dem es möglich wird, nicht mehr Gestalten des Bewusst-
seins, sondern „bestimmte Begriffe“ und die „organische, in sich selbst gegründete
Bewegung derselben“19 darzustellen.
18
Vgl. Düsing (2008), S. 188–189.
19
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432.
20
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 430.
21
Düsing (2010), S. 301.
22
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 405.
23
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 430.
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 93
das Vorstellen wird damit die Struktur eines von ihm unterschieden Gegenstandes
dargestellt, in dem es sich nicht vollständig zu erkennen vermag.24
Die Aufhebung dieses letzten Unterschieds zwischen dem Wissen und seinem
Gegenstand erfordert nach Hegel den Übergang von der Form der Vorstellung zu
der des Begriffs, wodurch auch das religiöse Fürwahrhalten in reines philosophi-
sches, standhaltendes Wissen transformiert wird.
Im absoluten Wissen, das damit entsteht, wird das, was „in der Religion I nhalt
[…] des Vorstellens eines andern war […] eignes Thun des Selbsts“25, des Geistes,
der sich in die Reihe seiner Gestalten bestimmt. Was jetzt gewusst wird, nämlich
die reine Selbstbeziehung des Geistes oder, wie Hegel sagt, „der sich in Geists
gestalt wissende Geist“,26 ist für dieses absolut wissende Bewusstsein sein eigenes
Wesen. Das absolute Wissen zeigt so, eine letzte Bewusstseinsgestalt und zugleich
ein reines Wissen seiner selbst zu sein, welches nicht mehr dem Zweifeln und dem
Vorantreiben der Erfahrung ausgesetzt ist. Denn für dieses Wissen besteht nicht
mehr ein Unterschied von Gewissheit und Wahrheit. „Die Wahrheit ist [jetzt] nicht
nur ansich vollkommen der Gewißheit gleich, sondern […] sie ist […] für den wis-
senden Geist in der Form des Wissens seiner selbst“.27
Bei der Darstellung dieser Gleichheit mit sich selbst und dieses Sich-Wissen des
Geistes rekurriert Hegel auf Fichtes Prinzip des Ich = Ich.28 Diese Selbstgleich-
heit darf aber nicht missverstanden und als eine einfache, unmittelbare Identität
aufgefasst werden, sondern muss vielmehr als absolute Identität begriffen werden,
welche nicht nur die Entzweiung und den Unterschied an sich enthält, sondern auch
deren Aufhebung. Denn nur dadurch, dass das Negative ihm immanent ist, kann
der Geist absolute Subjektivität sein, die ihre eigene Geistigkeit begreift und rein
spekulativ entwickelt.
Die Struktur dieser absoluten Sichselbstgleichheit des Geistes wird nun von
egel am Ende der Phänomenologie kurz skizziert: Sie ist die gesamte Bewegung
H
der Vergegenständlichung seiner selbst, der Selbsterkenntnis im Anderen – im
Gegenstand – und der Rückkehr zu sich selbst. Als eine solche Bewegung kann der
Geist auch als absoluter „Grund […] der gesamten Reihe der phänomenologischen
Gestalten und als ein Fundament, das diese Gestalten nicht transzendiert noch von
ihnen getrennt ist“29, angesehen werden.
Auf dem Standpunkt des absoluten Wissens ergibt sich so, dass die idealistische
Geschichte des Selbstbewusstseins für Hegel zugleich ein spekulativ-metaphy
24
Zu diesem Punkt siehe auch Labarrière (1968), S. 208.
25
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427.
26
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427.
27
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427.
28
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 425 und 428.
29
Lugarini (1973), S. 169.
94 Gaetano Basileo
sisches Fundament hat und als eine dem Geist selbst völlig interne Bewegung ver-
standen werden kann, wodurch er in einem Prozess retrospektiver Selbsterfahrung
zum adäquaten Wissen seiner selbst gelangt. Aus diesem Standpunkt können so die
Gestalten des Bewusstseins und seines jeweiligen Fürwahrhaltens metaphysisch
als Erscheinungen des Geistes gedeutet werden, „der sich selbst und zwar für sich
als Geist durchläufft“30 bis er in seiner Wahrheit auftritt.
Auch der Begriff der Erfahrung wird in der Vorrede entsprechend gedeutet: Er-
fahrung sei nämlich die Bewegung, worin „das Unmittelbare, das Unerfahrene,
d. h. das Abstrakte […] sich entfremdet“ – sich im Element des Bewusstseins über-
haupt setzt – und „dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht, und hiemit
itzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt, wie auch Eigenthum des
Bewußtseyns ist.“31
Ob dies allerdings mit dem Charakter der Einleitung, die doch erst metaphysi-
sche und spekulative Erkenntnisse ermöglichen sollte, kohärent zusammenpasst,
bleibt fraglich.
Es hat sich ergeben, dass sich die systematische Anordnung und der vielfältige,
konkrete Gehalt der Gestalten des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des
Geistes nur dann begreifen lassen, wenn diese Gestalten als verschiedene Mo-
mente und Bestandteile einer modifizierten Geschichte des Selbstbewusstseins
verstanden werden, welche zugleich Einleitung zum Standpunkt der Wissenschaft
sein soll.
Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass der notwendige Zusammenhang der
verschiedenen Gestalten, durch den allein die Geschichte der Bildung des Be-
wusstseins zu einer systematischen Wissenschaft wird, in der bestimmten Negation
gründet. Nur der Philosoph kann aber begreifen, dass der Erweis der Nichtigkeit
der jeweiligen Weise des Fürwahrhaltens nicht ins leere Nichts mündet, sondern
dass sich daraus ein positives Resultat ergibt. Und so kann nur er in der systemati-
schen Abfolge der Weisen des Fürwahrhaltens, die sich immer wieder als nichtig
30
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 428.
31
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 29. Aus dieser Perspektive ergibt sich,
anders gesagt, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins als systematische Darlegung sich
als unwahr erweisender Gestalten des Fürwahrhaltens zu begreifen ist, bis das wahre Wissen
erreicht wird, und zugleich als „die Verwandlung jenes Ansichs in das Fürsich, der Substanz
in das Subject, des Gegenstands des Bewußtseyns in Gegenstand des Selbstbewußtseyns, d. h.
in ebensosehr aufgehobnen Gegenstand, oder in den Begriff.“ (Hegel: Phänomenologie des
Geistes, GW 9, S. 429.)
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 95
32
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432. Mit dem Wort „Wissenschaft“ wird
hier offensichtlich die spekulative Ebene, das System der reinen Kategorien gemeint. Hegel
schreibt, dass „der daseyende Geist“ welcher sich in seinen Gestalten artikuliert, „nicht reicher
ist“, als dies, aber „auch nicht ärmer“.
33
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432.
34
Bezüglich dieser Debatte vgl. insbesondere Fulda (1975), S. 140 ff., wo der Autor ver-
sucht, Argumente für die Verwendung eines Logikaufrisses aus der Nürnberger Zeit Hegels
(1808–1809) aufzufinden; Pöggeler (1976), S. 359 ff.; Pöggeler versucht gegen Fulda zu zeigen,
dass der Verweis auf eine Logik-Skizze aus den Jahren 1805–1806 vorzuziehen ist.
96 Gaetano Basileo
Anspruch nimmt. Auch dieser Versuch bringt jedoch weitere spekulative Schwie-
rigkeiten mit sich, worauf aber hier nicht eingegangen werden kann.35
Es sei nur daran erinnert, dass nach einer der am meisten vertretenen interpre
tatorischen Thesen dieses Fundament für die Entwicklung der Bewusstseinsgestal-
ten von der Skizze der spekulativen Philosophie oder Logik am Ende der soge-
nannten Realphilosophie III von 1805/1806 dargestellt wird. So liegt das „absolute
Sein, das sich anders (Verhältnis) wird“, den ersten drei Gestalten, die Hegel im
Bewusstseinskapitel der Phänomenologie gruppiert, zugrunde. Die folgenden rein
logischen Momente „Leben und Erkennen“ bilden die Basis für die Entwicklung
der im Selbstbewusstseinskapitel dargelegten Erfahrungen,36 während das „Wis-
sende Wissen“ dem Vernunftkapitel zugrunde liegt. Das spekulativ-logische Mo-
ment des Geistes stellt das Fundament für das Geist-Kapitel in der Phänomenologie
dar; und das spekulativ-logische „Wissen des Geistes von sich“ ist die Grundlage
schon für das religiöse Bewusstsein, vor allem aber für den „sich in Geistgestalt
wissenden Geist“, nämlich für das absolute Wissen.
Somit wird aber nur das logische Fundament der Großgliederung der Phäno-
menologie erhellt; was der konkrete Gehalt und die Entwicklung der Kategorien
sei, bleibt dagegen nicht erklärt und für ihre endgültige Auffindung würde nur die
Analyse der genetischen Entwicklung der Weisen des Führwahrhaltens im Rahmen
der idealistischen Geschichte des Bewusstseins übrig bleiben.
Wie soeben erwähnt, konnte ein solcher Versuch bis jetzt nicht zu eindeutigen
Ergebnissen hinführen. Jedoch scheint es mir möglich, hervorzuheben, dass die
Phänomenologie mindestens programmatisch eine besondere Bedeutung hinsicht-
lich des Problems der Auffindung der Kategorien in Hegels Augen erlangt hat, und
dass es noch immer möglich ist, zu schildern, wie ihre Deduktion methodisch zu
entwerfen ist.
So wird bereits in der Phänomenologie klar, dass nach Hegel die Kategorien
weder in transzendentaler Reflexion aus der endlichen Subjektivität entwickelt
werden können, noch es für ihn berechtigt wäre, sie als einen „Fund“ aus den Ur-
teilformen aufzunehmen – ein Prozedere, welches Hegel in einer bekannten Stelle
aus der Einleitung zum Vernunftkapitel sogar als eine „Schmach der Wissen-
schaft“37 bezeichnet. Anders als mittels einer Analyse der Formen des Ist-sagens
und ihrer Abfolge, müssen die Kategorien nach Hegel vielmehr in den Gestalten
des Bewusstseins selbst und im Prozess ihres systematischen und dialektischen
Anreicherns bis zum Erreichen des absoluten Wissen aufgewiesen werden: So wird
die fortschreitende Aufhebung der Gestalten des Bewusstseins zwar über die skep-
tische Prüfung der jeweiligen Weise des Fürwahrhaltens durchgeführt, aber sie ist
35
Hegel: Jenaer Systementwürfe III, S. 286.
36
Die Grundzüge der logischen Struktur dieser Erfahrungen werden in Pöggeler (2006),
S. 133–136, geschildert.
37
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 135.
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 97
auf jede Stufe zugleich – und wenn auch nur für uns und für die bereits spekulativ
philosophierenden Zuschauer – eine Kritik und Aufhebung der diese Weise des
Fürwahrhaltens jeweils ermöglichenden Kategorien.38
Sei also das phänomenologische Ebene der verschiedenen Weise des Fürwahrhal
tens oder das logische Ebene der ihnen zugrundeliegenden Kategorien betrachtet:
was entscheidend ist, ist die prozedurale Veränderung und Aufhebung der gesetz-
ten Bestimmungen, denn nur durch ihre dialektische Entwicklung und Verknüp-
fung kann die systematische und teleologisch organisierte Reihung, die zum ab-
soluten Wissen führt, hervorgebracht und dargestellt werden.
Auf der Basis dieser methodischen Charakterisierung des Entwicklungsganges
der Bewusstseinsgestalten und der ihnen zugrundeliegenden Kategorien ist es nun
möglich, zwei weitere Merkmale hervorzuheben, die diesen Entwicklungsgang
implizit kennzeichnen.
Erstens sind für uns diese Gestalten des Bewusstseins sowie die Kategorien als
deren implizite Voraussetzungen nicht selbständig, gegenseitig unabhängig und
einander prinzipiell gleichwertig; denn sie haben sich vielmehr erwiesen als im
Zusammenhang eines systematischen und genetischen Prozesses konstitutiv in-
begriffen, welcher methodisch durch die Dialektik dargelegt wird: sie sind anders
gesagt nur als hierarchisch geordnete Momente des dialektischen Prozesses be-
greifbar, durch den das Selbstbewusstsein des Geistes erreicht wird.39
Eben aus diesem Grund ergibt es sich zweitens, dass Inhalt und Geltung dieser
Bewusstseinsgestalten und Kategorien nur in diesem Prozess konstituiert und be-
gründet sind. Auf dem Standpunkt des absoluten Wissens weißt Hegel darauf hin,
dass es in diesem Prozess nicht um das bloße Vorfinden der Weisen des Fürwahr-
haltens und der damit verbundenen reinen Kategorien geht.
Denn würden die Kategorien als unabhängig vom Prozess ihrer Genese und
als unmittelbar an sich selbst begründet angenommen werden, so wäre der Be-
griff einer absoluten Subjektivität unmöglich, insofern diese dann nämlich nicht
allein durch sich selbst zum Selbst-Wissen gelangen könnte, sondern nur durch ihr
vorgegebene Bestimmungen, was aber unmittelbar der Definition des Absoluten
widerstreitet.
Im Kapitel zum absoluten Wissen erklärt Hegel also, dass die in der Geschichte
des Selbstbewusstseins dargestellten „Momente“ „sich selbst weiter treiben“; ge-
nauer: da „das negative Verhalten zur Gegenständlichkeit ebensosehr positiv,
Setzen ist“, so habe das Selbstbewusstsein die Reihung der Momente, in denen
es sich selbst denkt, „aus sich [selbst] erzeugt“.40 Am Ende der Phänomenologie
38
Zum besonderen Status der Kategorien im Rahmen eines spekulativen Denkens siehe
Kaehler (2010), S. 507–515. Siehe auch den Beitrag desselben in diesem Band, S. 127–139.
39
Vgl. dazu Kaehler (2010), S. 513.
40
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 428 f.
98 Gaetano Basileo
wird so in kontrahierter und unentwickelter Weise auf das hingewiesen, was erst am
Schluss der Logik explizit entfaltet werden kann, nämlich auf das „aus der Katego-
rienentwicklung hervorgehende reine sich Denken und Sich-Wissen der absoluten
Subjektivität, das die Kategorienentwicklung selbsttätig und autonom dialektisch
hervorbringt“.41
IV. Schluss
In diesem Beitrag habe ich zunächst zu zeigen versucht, dass der konkrete Ge-
halt und die Abfolge der Bewusstseinsgestalten der Phänomenologie nur dann hin-
reichend verstanden werden können, wenn das Werk nicht nur als Einleitung zur
Wissenschaft, sondern zugleich als Veränderung und Fortführung des Programms
einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins begriffen wird. Daraufhin
ist gezeigt worden, dass Hegel den Bewusstseinsgestalten reine Kategorien ent-
sprechen lässt, welche auch an der genetischen Entwicklung des Selbstbewusst-
seins mindestens implizit beteiligt sind.
In diesem Verhältnis von Bewusstseinsgestalten und Kategorien kann man nun
eine konzeptuelle Schwierigkeit der Phänomenologie erkennen. Denn die Phäno-
menologie sollte Einleitung zur Wissenschaft sein: So behauptet Hegel zwar, dass
die vorläufigen Weisen des Wissens und ihre Subjektbestimmungen nur für uns
in der selbstbezüglichen Einsicht des Geistes aufgehoben sind und dass der ganze
Reichtum an aufgehobenen Wissensweisen und Kategorien sowie an bestimmten
Negationen, der in diesem Erkennen prinzipiell und implizit enthalten ist, erst in
der Wissenschaft der Logik thematisch und explizit entfaltet wird. Zugleich aber
legt er diese Kategorien, an die man eigentlich einleitend herangeführt werden soll,
den Bewusstseinsgestalten zugrunde und benutzt bei der Darstellung der Gestalten
bereits die bestimmte Negation, die aber selbst erst noch zu rechtfertigen ist: So
scheint die Phänomenologie des Geistes schon die Gesetze und die Methode der
Logik vorauszusetzen.
Dieses Beweisproblem, welches von einem Teil der Literatur hervorgehoben
wurde,42 ergibt sich offensichtlich daraus, dass für Hegel die Phänomenologie
nicht nur rechtfertigende Einleitung zur Wissenschat und modifizierte Geschichte
des Selbstbewusstseins sein soll, sondern zugleich selbst Wissenschaft und also
systematischer und notwendiger, letztlich spekulativ-logisch fundierter Argumen-
tations- und Entwicklungsgang.
Diese divergierenden Aufgaben sind schwer zusammen zu erfüllen: Hegel hat
das selbst anerkannt und in späteren Zeit die Phänomenologie des Geistes zwar
noch als wissenschaftliche Einleitung betrachtet, aber nicht mehr als die not-
41
Düsing (2010), S. 310.
42
Vgl. z. B. Ottman (1973), S. 185 f.; vgl. ebenso De Vos (1989), S. 261–269.
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes 99
wendige, mit Begründungsfunktion ausgestattete Einleitung. Sie ist nur noch ein
Voraus der Wissenschaft und die Logik gilt ihm als an sich selbst begründet und
gerechtfertigt.43
Trotz dieser nicht immer versöhnten Spannungen bleibt aber die Auseinander-
setzung mit der Phänomenologie des Geistes wichtig und fruchtbar für den Leser,
insbesondere in postmetaphysischen Zeiten. Nicht nur ist es eben aufgrund dieser
Spannungen möglich, bereits in der dialektischen Darstellung der Bewusstseins-
gestalten einige Grundzüge der erst in der Logik thematisch entfalteten Katego-
rienentwicklung zu erkennen; allgemeiner bleibt die Phänomenologie des Geistes
unausweichlich für diejenigen, die die Möglichkeit eines spekulativen Wissens
bedenken und bleibende philosophische Menschheitsfragen untersuchen wollen.
43
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 7 (Anm.) und 54 f.
Hegels Kategorienkritik
Von Markus Gabriel
I. Das Kategorienproblem
1
Vgl. insbesondere Frege (1983), S. 60–75.
Hegels Kategorienkritik 101
zigen logischen Begriff, den des Begriffs, gibt, unterhalb dessen sich dann lediglich
die vermutlich selber empirisch offene Menge der Begriffe findet, die unter den
Begriff des Begriffs fallen, ist aus vielen Gründen nicht befriedigend, die alle aus
der Empirismuskritik der letzten zweihundert Jahre bekannt sind. Insbesondere
fällt damit die klassische Idee einer Logik in sich zusammen, da es keinerlei logi-
schen Apparat geben kann, der die empirischen Begriffe strukturiert. Was übrig
bleibt, ist ein formaler Begriff des Begriffs, der keine inferenziell artikulierbaren
Eigenschaften hat, mittels derer man ihn in logische Begriffe spezifizieren könnte,
ehe man in einer Begriffshierarchie auf die empirischen Begriffe trifft.
Dies generiert das von Jan Westerhoff in Ontological Categories herausgearbei-
tete, in seinen Augen bis heute ungelöste „cut-off point problem“. Diesem zufolge
gelingt es Kategorientheorien lediglich „to identify ontological categories as ca-
tegories sufficiently high up in a particular ordering“, während sie nicht imstande
seien „[to] tell a story about how far down we are allowed to go before the catego-
ries become too special to qualify as ontological categories.“2
Zur Vermeidung arbiträrer Kategorienkataloge sind wir deswegen auf eine
deszendente Ordnung angewiesen, da wir ansonsten keinen kategorialen Unter-
schied zwischen dem Begriff der Bewegung, dem Begriff einer bewegten Amöbe
oder gar dem Begriff einer Amöbe etablieren können. „This would be just as pro-
blematic as it would be for logic if we had no story to tell about the fundamental
difference between logical and non-logical notions.“3 Wenn alle Begriffe bis auf
einen nicht-formalen Begriff des Begriffs auf derselben, nämlich empirischen
Stufe stünden, wäre nicht mehr verständlich, in welchem Sinn man eine klassi-
sche Logik entwickeln könnte, die berechtigten alteuropäischen Ansprüchen an
Intelligibilität genügt. Zu diesen Ansprüchen gehört insbesondere dasjenige, was
Hegel an einer berühmten Stelle der Wissenschaft der Logik ohne Umschweife als
„Idealismus“ bezeichnet.
„Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Phi-
losophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes
anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu
ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist. Die
Philosophie ist es sosehr als die Religion; denn die Religion anerkennt die Endlichkeit eben-
sowenig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letztes, Absolutes, oder als ein Nicht-Gesetztes,
Unerschaffenes, Ewiges. Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie
ist daher ohne Bedeutung. Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem
wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe, verdiente den Namen Philosophie nicht;
Prinzipien älterer oder neuerer Philosophien, das Wasser oder die Materie oder die Atome,
sind Gedanken, Allgemeine, Ideelle, nicht Dinge, wie sie sich unmittelbar vorfinden, d. i.
in sinnlicher Einzelheit, selbst jenes Thaletische Wasser nicht; denn obgleich auch das
empirische Wasser, ist es außerdem zugleich das Ansich oder Wesen aller anderen Dinge,
2
Westerhoff (2005), S. 4.
3
Westerhoff (2005), S. 37.
102 Markus Gabriel
und diese sind nicht selbständige, in sich gegründete, sondern aus einem Anderen, dem
Wasser, gesetzte, d. i. ideelle.“4
Kants Revolution auf dem Gebiet der Kategorientheorie besteht in der hier ein-
genommenen Perspektive darin, ein Kriterium zur Lösung des Aszendenz- und
des Deszendenzproblems eingeführt zu haben. Damit tritt die synthetische Frage-
stellung in Erscheinung. Diese besteht darin, dass angegeben wird, unter welchen
Bedingungen wir uns auf der Begriffsleiter überhaupt von oben nach unten bzw.
von unten nach oben bewegen können. In der vielzitierten Passage, in der Kant
sich gegen Aristoteles abgrenzt, attestiert er sich einen Erfolg auf diesem synthe-
tischen Gebiet:
„Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem
Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken,) erzeugt,
und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Glück unternommenen Aufsuchung reiner
Begriffe entstanden, von deren Vollzähligkeit man niemals gewiß sein kann, da sie nur
durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die letztere Art
niemals einsieht, warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstande
beiwohnen.“ 7
4
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 172. Zu Hegels Begriff des Idealismus vgl.
Gabriel (2016), S. 181–208.
5
Vgl. Gabriel (2016), S. 181–208, sowie Gabriel (2011).
6
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B VIII f.
7
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 80 f. / B 106 f.
8
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 134, Anm.
Hegels Kategorienkritik 103
Natürlich mangelt es nicht an Versuchen, an Kants Stelle auf der Basis seiner
spärlichen Äußerungen eine Antwort zu liefern, indem man etwa dafür argu-
mentiert, dass Kategorien als reine Verstandesbegriffe solche Begriffe sind, von
denen mindestens einige jedes mögliche Urteil informieren, das „Beziehung aufs
Objekt“9 haben kann. Kategorien wären dann diejenigen Begriffe, ohne die kein
einziges Urteil möglich ist, während es für keine Menge von nicht-kategorialen
Begriffen der Fall ist, dass einige von ihnen in einem Urteil zur Anwendung kom-
men müssen, soll es sich überhaupt um ein Urteil handeln. Doch selbst wenn eine
solche transzendentale Strategie aussichtsreich sein sollte, stellte sich ihr wiederum
die Frage, wie genau man im Einzelfall, d. h. etwa für den vorgeschlagenen Kate-
gorienapparat von zwölf Kategorien, zeigen kann, dass sich die allgemeine Strate-
gie auch einlösen und damit gegen vorgeschlagene Alternativen verteidigen lässt.
An dieser Stelle setzt Hegels Methode einer „Kritik der Kategorien und der Ver-
nunft“10 an. Hegel erläutert diese zum ersten Mal im Kontext der Anmerkungen
zum „Werden“ in der Seinslogik, wobei es wichtige Vorbemerkungen, insbesondere
in der „Vorrede zur zweiten Ausgabe“ gibt, die ich aus Platzgründen hier ausspare.
In diesen geht es um die Frage, wie aus der „natürlichen Logik“, d. h. dem „Ge-
brauch“ der „Denkbestimmungen“, „die uns in jedem Satze, den wir sprechen, zum
Munde herausgehen“11, Kategorien herausdestilliert werden können.
Wie dem auch sei, die wahrhafte Kategorienkritik soll Hegels Auskunft zufolge
darin bestehen, „das Erkennen“ über den „Unterschied“ des „Endlichen“ und „Got-
tes“ „zu verständigen und dasselbe abzuhalten, die Bestimmungen und Verhält-
nisse des Endlichen auf Gott anzuwenden.“12 Aber was soll das bitte bedeuten?
An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, erste Interpretationsvorschläge de
re zu machen. Mein Vorschlag lautet, unter „Gott“ hier den logischen Raum zu
verstehen, sofern wir uns dessen bewußt sind, dass wir als Denker von Gedanken
auf einen vorgängigen stabilen logischen Raum angewiesen sind. „Gott“ ist in die-
sem Sinn ein selbstbewußter logischer Raum, der sich in unserem Bewußtsein des
logischen Raums artikuliert.13
Ich rede von „Vorgängigkeit“, um Hegel beim Wort zu nehmen, dass die Logik
„die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der
Natur und eines endlichen Geistes ist.“14 Die Vorgängigkeit des logischen Raums
9
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 300.
10
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 92.
11
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 22.
12
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 92.
13
Vgl. dazu insgesamt die Rekonstruktion der Ausgangslage Hegels bei Koch (2014).
14
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 44.
104 Markus Gabriel
wird nicht dadurch zurückgenommen, dass er sich wesentlich über Gedanken ar-
tikuliert, die wir erfassen können. Dass wir als Denker prinzipiell nicht vom lo-
.
gischen Raum abgestoßen werden oder aus unerfindlichen Gründen a limine aus
ihm ausgeschlossen sind, bedeutet gerade nicht, wie die anti-realistische Tradition
dies aufgrund eines einseitigen Realismus-Verständnisses meint, dass wir den lo-
gischen Raum irgendwie, etwa durch Sprachgebrauch hervorbringen, sondern le-
diglich, dass Wahrheit nicht immer darin besteht, dass das Denken mit etwas in
Kontakt tritt, was nicht von der Art des Denkens ist. Vielmehr kann sich das Den-
ken mit dem Denken befassen, ohne dabei eine Wirklichkeit vorzufinden, die sich
in einem extramentalen Urgestein eingemeißelt findet. Gedanken sind kein „Vor-
kommen“ im Sinne eines Erzvorkommens, es handelt sich nicht um einen Fall von
„gisement“, wie Jocelyn Benoist dies nennt.15 Deswegen nimmt Hegel eine Struktur
für die Selbsterfassung des logischen Raums in Anspruch, welche die klassische
Vokabel „Gott“ zum Ausdruck bringen sollte, jedenfalls bei Platon, Aristoteles und
den Neuplatonikern, die hier für diesen Sprachgebrauch Pate stehen.16
„Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtsein und hat
die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Begriff als
solcher aber das an und für sich Seiende ist. Dieses objektive Denken ist denn der Inhalt
der reinen Wissenschaft.“17
Der logische Raum, Hegel selber spricht kurzerhand vom „Logos“,18 kommt
nicht dadurch zustande, dass wir uns ihm zuwenden. Wir sind nicht dadurch Den-
ker von Gedanken, dass wir uns als solche verstehen. Vielmehr sind wir Denker
von Gedanken, ehe wir uns die Frage stellen können, was dies bedeutet. Deswegen
sind die Denkbestimmungen, also dasjenige, was Denken als solches ausmacht, in
einer natürlichen Logik bereits realisiert, ehe wir uns ihrer Explikation zuwenden
können. Doch das bedeutet keineswegs, dass Kategorien linguistische Gebilde
sind. Sie sind keine Rudimente des Sprachgebrauchs, sondern Formen, ohne die es
keinen Sprachgebrauch geben könnte, der imstande ist, zur Erkenntnis zu führen.
Damit stehen wir nun auf dem Vorhof zu Hegels Kategorienkritik. Man gestatte
mir, mich für einen Augenblick noch einmal auf weiten Abstand zum Text zu be-
geben und eine allgemeine These über die Wissenschaft der Logik aufzustellen, die
15
Benoist (2017), S. 365.
16
Vgl. dazu die Rekonstruktion dieser Traditionslinie bei Halfwassen (2016).
17
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 43.
18
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 30: „am wenigsten ist es der Logos, was
außerhalb der logischen Wissenschaft gelassen werden soll. Es muß darum nicht ein Belieben
sein, ihn in die Wissenschaft hereinzuziehen oder ihn draußen zu lassen. Wenn die Denk
bestimmungen, welche nur äußerliche Formen sind, wahrhaft an ihnen selbst betrachtet werden,
kann nur ihre Endlichkeit und die Unwahrheit ihres Für-sich-sein-Sollens und, als ihre Wahr-
heit, der Begriff hervorgehen. Daher wird die logische Wissenschaft, indem sie die Denkbe-
stimmungen, die überhaupt unseren Geist instinktartig und bewußtlos durchziehen und, selbst
indem sie in die Sprache hereintreten, ungegenständlich, unbeachtet bleiben, abhandelt, auch
die Rekonstruktion derjenigen sein, welche durch die Reflexion herausgehoben und von ihr
als subjektive, an dem Stoff und Gehalt äußere Formen fixiert sind.“
Hegels Kategorienkritik 105
ich gleich anhand einer Bemerkung Hegels über Kategorien belegen werde. Meines
Erachtens handelt es sich bei allen Kategorien der Logik um Übergeneralisierun-
gen, die auf die Seinslogik beschränkt sind. Es gibt keine wesens- oder begriffs-
logischen Kategorien. Jede Kategorie entspricht einer objektstufigen Metaphysik
des logischen Raums. Unter einer „Metaphysik des logischen Raums“ verstehe ich
eine Behauptung darüber, was alles dasjenige, was sich überhaupt denken läßt, ge-
meinsam haben muß. Eine solche Metaphysik ist objektstufig, wenn sie den Grund
dafür, dass sich etwas denken läßt, in einem Gegenstandsbereich sucht, dessen Ar-
tikulation die Anwendung unrestringierter Quantoren in Anspruch nimmt. Dies hat
insbesondere die Konsequenz, dass eine objektstufige Metaphysik des logischen
Raums üblicherweise mit einer singulären Einrichtungsfunktion auskommt, die
erläutert, was es heißt, dass etwas zum singulare tantum ihres Universums gehört.
Das kann der Existenzquantor, das Elementschaftsprädikat der Mengenlehre oder
ein primitiver mereologischer Begriff wie derjenige der Fusionsoperation sein. Hei-
degger bezeichnet all dies als eine Metaphysik der Vorhandenheit, die das Seiende
zum Bestand erklärt, der als Denkbares vorliegt. Hegel behandelt die Varianten
einer solchen objektstufigen Präsenzmetaphysik in der Seinslogik mit dem An-
spruch auf Vollständigkeit, indem er in einem geordneten Vorgehen zeigt, wie ein
Fehler auf den nächsten aufbaut.
Die erste Station einer solchen objektstufigen Metaphysik des logischen Raums
ist das Sein, was Hegel naheliegenderweise mit Parmenides in Verbindung bringt.
„Das Sein“ ist die Annahme, dass alles, was sich überhaupt denken läßt, zum lo-
gischen Raum gehört. Der logische Raum wird in dieser Hinsicht nicht weiter in
Gedanken differenziert, sondern als maximaler Wahrheitsklumpen eingeführt,
was man durchaus mit Freges Begriff eines undifferenzierten Gesamtgegenstands
namens „das Wahre“ identifizieren kann. „Das Wahre“ ist so wie „das Sein“ der
Name für einen Zustand maximaler Informationsdichte im logischen Raum, so-
zusagen der logische Raum vor seinem Urknall.
Maximale Informationsdichte eignet sich aber nicht für Erkennbarkeit, da wir
nur dort etwas als etwas erkennen können, wo wir Unterschiede ziehen können,
dank derer wir überhaupt über explizite Begriffe verfügen, d. h. über Begriffe, die
wir als solche erfassen können. Wenn wir einfach nur von einem logischen Raum
mit maximaler Informationsdichte intellektuell bestrahlt würden, verschlüge es uns
buchstäblich die Sprache, wie man etwa bei Plotin und der nachfolgenden negativen
Theologie nachlesen kann, deren Eines Hegel als einen Fall von Sein identifiziert.19
Wenn der logische Raum nicht artikuliert wäre, könnten wir jedenfalls nicht
begreifen, wie wir dazu gelangt sind, uns einen Begriff vom logischen Raum zu
machen. Der logische Raum muß also selber als ausdifferenziert gedacht werden
können, wenn wir uns in die Position versetzen wollen, etwas über seine Kom
position zu behaupten. Diese Struktur eines unverzichtbaren Entgegenkommens
19
Vgl. Gabriel (2007), S. 70–83.
106 Markus Gabriel
des logischen Raums habe ich in einem Buch desselben Titels als „transzendentale
Ontologie“ bezeichnet.20 Anton Friedrich Koch spricht in einem ganz ähnlichen
Sinn von der Wissenschaft der Logik als einer Theorie der „Evolution des logi-
schen Raums.“21
Jede Kategorie scheitert daran, die notwendig selbstbezügliche Struktur des lo-
gischen Raums im Rahmen ihrer Übergeneralisierung nicht angemessen zu arti-
kulieren. Deswegen legt Hegel auch eine Kategorienkritik vor. Doch das Scheitern
einer Kategorie ist nicht nur Anlaß, sie zurückzuweisen. Vielmehr kommt in der
Logik ebenso wie in der Phänomenologie des Geistes die Methode der „bestimm-
ten Negation“ zum Einsatz. Bei dieser handelt es sich entgegen Brandoms inter-
essanter, aber abwegiger Deutung, keineswegs um eine semantische Eigenschaft.
Es geht bei Hegel nicht darum, einen semantischen Holismus zu entwickeln, der
etwa gegen Fodors und Lepores Einwände resistent ist.22
Vielmehr ist die bestimmte Negation Element von Hegels Metatheorie. Sie be-
steht in der Logik in der Anweisung, von einer minimalen Metaphysik des logi-
schen Raums nur dann zu einer weiter entwickelten überzugehen, wenn sich diese
als eine wiederum möglichst minimale Reparatur der entscheidenden logischen
Schwäche der vorhergehenden einführen läßt.
Erörtern wir dies wieder am einfachsten Beispiel für diese Struktur, dem Be-
ginn der Seinslogik. „Das Sein“ ist eine Metaphysik des logischen Raums, deren
ontologische Verpflichtung und deren Ideologie minimal ist.23 Ontologisch wird
nur ein Eigenname mit Referenz ausgestattet, d. h. „das Sein“. Diese Metaphysik
ist geradezu ideologiefrei, da sie keine einzige primitive Relation und weder ein-
fache noch komplexe Prädikate anerkennt. Denn sie braucht eingangs nicht einmal
Seiendes als Fall von Sein.
Doch dieser Minimalismus trägt auch schon den Keim seines eigenen Unter-
gangs in sich. Denn ohne ontologische Verpflichtung läßt sich die Theorie nicht
ideologiefrei halten. Geht man aber eine ontologische Verpflichtung ein, gelingt
dies nur, weil es Referenzbedingungen für den privilegierten Eigennamen „das
Sein“ gibt. Dies kann ideologiefrei, also ohne primitive Relation der Referenz oder
der Designation, nicht sichergestellt werden. Referiert aber gar nichts, insistiert der
Theoretiker also auf seiner erhabenen Ideologieferne, ist es wie im Haupttext der
Logik nicht mehr weit bis zur metatheoretischen Einsicht: „Das reine Sein und das
reine Nichts ist also dasselbe.“24 Soll der logische Raum Gegenstand irgendeines
Gedankens sein, bedarf es also einer Relation, etwa derjenigen des Fallens-unter-
einen-Begriff, wovon wir freilich in der Seinslogik noch meilenwert entfernt sind.
20
Vgl. Gabriel (2011).
21
Vgl. wiederum Koch (2014).
22
Brandom (2002), S. 178–209. Brandom antwortet dabei u. a. auf Fodor / Lepore (1992).
23
Vgl. zu dieser Distinktion Quine (1951), S. 11–15; sowie Quine (1983), S. 499–502.
24
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
Hegels Kategorienkritik 107
Diese erörtert minutiös das prinzipielle Scheitern jedes Versuchs, den Denker aus
dem logischen Raum rauszuhalten und diesen vor dem Auge eines unbeteiligten
Betrachters vorliegen zu lassen.
Der Denker kann sich aus den logischen Gedanken nicht heraushalten. Die
jenigen logischen Relationen, die wir uns als Denker von Gedanken in unserer
Einstellung zu einem Gegenstandsbereich attestieren, wie auch immer wir ihn
dann einrichten mögen, können aus dem Gegenstandsbereich der Logik nicht ent-
fernt werden. Damit liegt ein Erfolgskriterium vor. Es besteht darin, sich nicht
in eine Dialektik der bestimmten Negation zu verstricken, um zu einer weiteren
Kategorie geführt zu werden, die ihrerseits an einer unzulässigen Übergenerali-
sierung scheitert.
Was ich soeben in einer groben Skizze zur Schwäche der Seinslogik ausge
führt habe, erörtert Hegel expressis verbis anhand des Kategorienbegriffs in der
Anmerkung zur Einleitung in das Kapitel „Die Wesenheiten oder die Reflexions
bestimmungen“.
„Sein, Dasein usf. sind als logische Bestimmungen überhaupt Prädikate von allem. Die
Kategorie ist, ihrer Etymologie und der Definition des Aristoteles nach, dasjenige, was von
dem Seienden gesagt, behauptet wird. – Allein eine Bestimmtheit des Seins ist wesentlich
ein Übergehen ins Entgegengesetzte; die negative einer jeden Bestimmtheit ist so notwen-
dig als sie selbst“.25
Kategorien sind logische Bestimmungen von allem, wie Hegel sagt. Sie sind
dieser Ausführung zufolge auf den Bereich des Seins, d. h. auf eine Gegenstands
ontologie eingeschränkt, die annimmt, dass die Logik – unsere denkende Erfas-
sung der „Regeln und Gesetze des Denkens“26 – in einem gegebenen Gesamtbe-
reich verankert ist, der aus wohlbestimmten Individuen besteht.27 Die Annahme,
es gebe Kategorien, d. h. Denkbestimmungen, die von allem Seienden handeln,
scheitert daran, dass der Gegenstandsbereich der Kategorien damit unzulässig re-
stringiert ist, da sie nicht für die Selbsterfassung des Denkens gelten. Denn
„ihr Gegenstand [d. h. derjenige der Logik, M. G.], das Denken oder bestimmter das begrei-
fende Denken, wird wesentlich innerhalb ihrer abgehandelt; der Begriff desselben erzeugt
sich in ihrem Verlaufe und kann somit nicht vorausgeschickt werden.“28
25
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 36 f.
26
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 35.
27
Dies habe ich an anderer Stelle unter Rekurs auf Hegel und Kant als „naive Einzelding-
ontologie“ bezeichnet und zurückgewiesen. Vgl. Gabriel (2014).
28
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 35.
108 Markus Gabriel
29
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 252.
30
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 268 f.
31
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 500.
32
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 500.
Hegels Kategorienkritik 109
Soweit der Textbestand. Doch was bedeutet dies philosophisch? In meinen ab-
schließenden Überlegungen möchte ich versuchen, den nötigen Abstand zu gewin-
nen, um aus Hegels Überwindung des Kategorienproblems philosophisches Ka-
pital zu schlagen. Im Abschnitt, der „Vom Begriff im allgemeinen“ handelt, führt
Hegel den „Begriff des Begriffes“33 ein. Dieser ist eine Einheit von Allgemeinem
und Einzelnem, die darin besteht, dass sich das Einzelne als etwas auffassen läßt,
dass einem Begriff auf die geeignete Weise, d. h. als Besonderes zugeordnet ist.
Diese Konzeption dient dazu, die synthetische Dimension des Kategorienproblems
handhabbar zu machen. Die Hegelsche Idee lautet an dieser Stelle, dass wir den
logischen Raum nicht hierarchisch nach dem Modell einer arbor porphyriana ver-
stehen sollten. Es gibt kein summum genus, den Begriff des Begriffs, unter den
dann nach einem Prinzip der Spezifikation alle anderen, sowohl die logischen als
auch die empirischen, Begriffe fallen. Vielmehr ist „der Begriff“ der Name für
das gesamte Ordnungssystem.
Der Begriff ist genau genommen eine Dimension des logischen Raums, na-
mentlich diejenige Dimension, die es uns erlaubt, etwas als einen Fall von etwas
Anderem einzustufen. Der Begriff manifestiert sich in unserer Urteilspraxis in
der seit Strawson und Evans vieldiskutierten Form einer „Allgemeinheitsauflage
(generality constraint)“.34 Die Relation des Fallens-unter-einen-Begriff erlaubt
uns einen expliziten epistemischen Zugriff auf den logischen Raum, insofern wir
ihm eine Gesamtordnung attestieren können, die wohlgemerkt weitgehend kom-
patibel mit einer Einsicht in den Umstand ist, dass wir durch ihre Vermittlung den
besagten Zugriff haben können. Deswegen läßt sich Hegel im Absatz, welcher
der Einführung des Begriffs des Begriffs folgt, zu der jüngst seit Interpreten wie
Robert Pippin, John McDowell und Béatrice Longuenesse zu Gesamtdeutungen
ausgearbeiteten Bemerkung hinreißen, dass der Begriff „nichts anderes“ sei „als
Ich oder das reine Selbstbewußtsein.“35 Allerdings verwendet Hegel das Ich oder
reine Selbstbewußtsein hier als eine Analogie zur Erläuterung der begrifflichen
Struktur des logischen Raums. Das reine Selbstbewußtsein ist nämlich nicht mit
dem Begriff identisch, sondern vielmehr ein Hinweis, „daß an etwas Bekanntes,
d. i. der Vorstellung Geläufiges erinnert wird.“36
33
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 252.
34
Vgl. Strawson (1959), S. 99: „The idea of a predicate is correlative with that of a range
of distinguishable individuals of which the predicate can be significantly, though not neces-
sarily truly, affirmed.“ Vgl. dazu Gareth Evans’ Begriff der „Allgemeinheitsauflage (gene-
rality constraint)“, in Evans (1982), S. 100–105. Die Allgemeinheitsauflage formuliert Evans
folgendermaßen: „if a subject can be credited with the thought that a is F, then he must have
the conceptual resources for entertaining the thought that a is G, for every property of being
G of which he has a conception.“ (Evans (1982), S. 104).
35
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 253. Vgl. die einflußreichen Arbeiten Pippin
(1989); McDowell (2009), S. 69–89; Longuenesse (2007). Vgl. dagegen Gabriel (2018), i. Ersch.
36
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 253.
110 Markus Gabriel
Der logische Raum muß damit kompatibel sein, dass wir uns in ihm verorten.
Damit unterminiert Hegel das Prämissengefüge einer Philosophie, die im Rahmen
des Themas „Geist und Welt“ operiert, vollständig. Denn eine solche Philosophie,
die Hegel in der Differenzschrift als „Reflexionsphilosophie der Subjektivität“
bezeichnet hatte, ist stets auf eine objektstufige Metaphysik des logischen Raums
verpflichtet und kann deshalb bestenfalls in einem zweiten Akt versuchen, die
Subjektivität bzw. den Geist noch ins Universum einzuholen. Sie verbleibt des-
wegen in ihren jüngeren Varianten, etwa bei McDowell, im Dunstkreis des Natu-
ralismus, den sie zwar um die Versicherung eines grenzenlosen logischen Raums
der Gründe etwas liberaler auftreten läßt, ohne aber an dem zugrundeliegenden
Irrtum etwas zu ändern.37
Der zugrundeliegende Irrtum besteht aus einer Hegelschen Perspektive darin,
dass übersehen wird, dass sich nicht etwa der logische Raum irgendwie in die Na-
tur einzufügen habe – etwa in der Form eines Geistes oder wie in Chalmers’ und
Nagels spekulativer Physik in der Form proto-phänomenaler oder proto-intentio-
naler Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung –, sondern dass umgekehrt
sowohl Natur als auch Geist ihren Ort im logischen Raum finden. Der Name für
die Einheit von Geist und Natur ist letztlich die absolute Idee und damit diejenige
Realisierung einer Einsicht in den logischen Raum, die das Natürliche und das
Geistige als Begriffe zweiter Stufe erkennt, mittels derer wir nicht etwa vorhan-
dene Dinge charakterisieren, um das Universum in zwei Großkategorien à la res
cogitans und res extensa aufzuspalten, sondern die vielmehr die Funktion erfüllen,
uns etwas über die Partitur unserer Begriffe zu lehren. Natürliche Begriffe sind
solche, denen bestimmte Objektivitäts- und damit Referenzbedingungen zukom-
men, sobald sie in Theorien eingebettet sind, die freilich u. a. auch inferenzielle
Muster einführen müssen. Natürlich sind dabei insbesondere diejenigen Begriffe,
die sich extensionalistisch, also etwa nach dem Modell des semantischen Exter-
nalismus für natürliche Arten auffassen lassen. Worauf sie sich beziehen legt hier
maßgeblich die Bedeutung fest, die deswegen für die Begriffsverwender partiell
intransparent bleibt. Geistig hingegen sind Begriffe, die hyperintensional sind, d. h.
Begriffe, zwischen denen bestimmte explanatorische Strukturen bestehen, die sich
insbesondere philosophisch explizieren lassen, ohne dabei Rekurs auf ein „furni-
ture of reality“ zu nehmen. Ich deute dies hier nur grosso modo an. Dass „Inten-
sionalität“ und „Intentionalität“ zusammenhängen, ist weitgehend anerkannt und
worauf ich Hegel festlegen möchte, ist eine weitreichende metaphysische Einsicht
in diesen Zusammenhang, die viel tiefer als eine Analyse der Grammatik unseres
egologischen Vokabulars reicht.
Die logischen Begriffe sind solche Begriffe, die uns erlauben, einem gegebe-
nen Fall von Irrationalismus bezüglich unserer Natur als Denker von Gedanken
den Garaus zu machen. Ein Fall von Irrationalismus liegt vor, wenn eine Theorie-
konstruktion dunkle Flecken im logischen Raum annimmt. Der Gegner ist hier
37
Vgl. natürlich McDowell (1996).
Hegels Kategorienkritik 111
die „üble Nachrede“ gegenüber dem Begriff, „ihn, der das Höchste des Denkens
ist, verächtlich zu machen und dagegen für den höchsten sowohl szientifischen
als moralischen Gipfel das Unbegreifliche und das Nichtbegreifen anzusehen.“
(TWA, 5, 253), was neben einschlägigen Zeitgenossen Hegels nicht nur Heideg-
ger und Adorno avant la lettre trifft, sondern auch diejenigen Auswüchse einer
defizienten Begriffsauffassung, die heute unter Berufung auf angebliche wissen-
schaftliche Erkenntnisse insbesondere in der Philosophie des Geistes ihr Unwesen
treiben. Man denke an die vielen subtilen und nicht-subtilen Varianten eines „hard
problems“, die sich bis zum Mysterianismus hochgeschaukelt haben.38 Der Irr-
tum, der zu diesen Ausschweifungen führt, ist hierbei eine Konsequenz der Fehl
verortung des Geistigen und Logischen. Werden sie in der Natur gesucht, wird
man sie aufgrund der semantischen Struktur der hierbei zum Einsatz gerufenen
Begriffe prinzipiell nicht finden.
In der Wissenschaft der Logik wird das Projekt einer Kategoriendeduktion nicht
etwa dem Anspruch nach besser durchgeführt als bei Kant, sondern vielmehr
überwunden. Kategorien sind untergeordnete, defiziente Denkbestimmungen, die
es prinzipiell nicht erlauben, den logischen Raum insgesamt so aufzufassen, dass
man eine angemessene Einrichtungsfunktion gewinnt. Freilich reicht dazu auch
der Begriff des Begriffs keineswegs hin. Auch Schlüsse leisten dies noch nicht,
weshalb Hegel auch kein Inferentialist ist. Vielmehr müßte man ausführlich die
Frage beantworten, welche semantischen Ressourcen Hegels Ideenlehre zur Ver-
fügung stellt, da diese der eigentliche Austragungsort der Charakterisierung des
logischen Raums unter den Bedingungen seiner epistemologischen Zugänglich-
keit ist. Bis dahin ist von der Skizze von Hegels Begriffstheorie freilich noch ein
weiter logischer Weg. Wichtig ist es dabei aber meines Erachtens, den Gegenstand
nicht aus den Augen zu verlieren, um den es Hegel geht. Dieser Gegenstand ist der
maximale Gegenstandsbereich unseres Nachdenkens, der logische Raum. Was wir
aus Hegels Kategorienkritik mitnehmen können ist eine Variante der Erkenntnis,
dass der logische Raum nicht vollständig und angemessen in einer objektstufigen
Metaphysik behandelt werden kann, da diese nolens volens naturalistisch bleibt,
wie offenherzig auch immer man sich gegenüber Hegel im Versuch gebärden mag,
einen liberalen Naturalismus zu inszenieren, der einen irreduziblen logischen
Raum der Gründe einrichtet.
38
Vgl. in diesem Sinne die Rekonstruktion des Zusammenhangs von Selbsterkenntnis und
Objektivität bei Rödl (2018).
Methodische Dimensionen
des Anfangs von Hegels Logik
Von Lars Heckenroth
Vorbemerkungen
Schon in der Betrachtung des Anfangs der Hegelschen Logik zeigt sich, dass der
Entwicklung des logischen Inhalts, d. h. der Deduktion der Kategorien des reinen
Denkens, methodische Dimensionen eingelagert sind, die zum einen als methodi-
sche Bestimmungen notwendig in Gebrauch genommen sind, zum anderen aber
aufgrund der Komplexität ihrer Struktur in früheren Stadien der Entwicklung nicht
selbst als Bestimmungen des Inhalts thematisch werden können. Diese Diskrepanz
von methodischen und inhaltlichen Aspekten der Logik wird bereits im Anfang
der Geschichte des Logischen und insbesondere unter Hinzuziehung der ausführ-
lichen und dem eigentlichen Anfang vorausgehenden Kapitel deutlich.
Ohne Zweifel stehen die Bestrebung, die mit dem unbestimmten Unmittelba-
ren das Prinzip absoluter Differenz- und Negationslosigkeit zu denken sucht, und
mithin die methodischen Schwierigkeiten, die mit dieser Bestrebung verbunden
sind, in platonisch-neuplatonischer Tradition. Bereits in den theologisch geprägten
Frühschriften Hegels ist es vor allem die Frage, wie das Absolute unter Absprache
aller Bestimmtheit und Negation zu denken sei, die den Horizont bildet, in dem
das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung, von Einheit und Differenz
problemorientiert befragt wird.
Ziel der vorliegenden Ausführungen ist eine systematische Annäherung an die
Frage nach dem Spannungsverhältnis von Methode und Inhalt in Hegels Logik.
Damit stehen meine Ausführungen in einem größeren Forschungskontext und
müssen an dieser Stelle exemplarisch auf den Anfang der Logik und dessen me-
thodischen Dimensionen beschränkt werden. Auch liegt der Fokus der Darstellung
hier auf den reflexionslogischen Aspekten der Methode, wenn auch Ausblicke auf
die Reflexionsbestimmungen sowie auf die absolute Methode an einigen Stellen
nötig sein werden.
Meine Argumentation gliedert sich in drei Teile: Erstens soll der Einstieg in
Hegels Logik, der mit dem Denken des reinen Seins gemacht wird vor dem Hin-
tergrund seiner Methodik, d. h. als Negation der Negation, erörtert werden.
In einem zweiten Schritt sollen anhand dieser bereits in sich reflektierten me-
thodischen Struktur setzende, äußere und bestimmende Reflexion als methodische
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 113
Dimensionen des Fortgangs der anfänglichen Entwicklung zur Kategorie des Wer-
dens beleuchtet werden.
In einem dritten und letzten Schritt soll die konstitutive Bedeutung bedacht
werden, die dem Verhältnis von Methode und Inhalt im Allgemeinen für die Cha-
rakterisierung der Wissenschaft der Logik als spekulative Kategoriendeduktion
zukommt.
Das Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ leitet
die Notwendigkeit, dass der Anfang der logischen Wissenschaft mit dem reinen
Sein zu machen ist, im Zuge zweier Argumentationslinien her: Zum einen ist
der Einstieg in die Logik begründet durch das Ende der Phänomenologie des
Geistes, er ist „Resultat einer jenseits liegenden Wissenschaft“,1 zum anderen ist
er auch nur als der freie Entschluss, das Denken als solches betrachten zu wol-
len,2 möglich.
Das reine Sein ist dasjenige Prinzip, mit dem der Anfang der Logik, wenn er
wirklicher, d. h. selbst nicht mehr bedingter Anfang sein soll, gemacht werden
muss. Nur das Unbestimmte und Unmittelbare, so der Gedanke, ist dem Inhalt nach
nicht mehr Resultat von Anderem, aus dem es abgeleitet werden könnte. Der Ver-
such, das reine Sein gedanklich zu fixieren, unterscheidet sich notwendigerweise
zum einen in den Vollzug der Negationsleistung, in den Vollzug der Absprache
aller Prädikate, deren Beibehaltung die Reinheit und Unbestimmtheit des reinen
Seins zerstören würde, und zum anderen in den so anvisierten Inhalt des anfäng-
lichen Prinzips, die unbestimmte Unmittelbarkeit. Das reine Sein ist dem Inhalt
nach das Unmittelbare, methodisch aber ist es vermittelt. Für das Verhältnis der
Negationsleistung zum reinen Sein bedeutet dies, dass der Unterschied zwischen
Unmittelbarkeit und Vermittlung, der mit der Negation gesetzt ist, nicht als Bestim-
mung des reinen Seins als Inhalt veranschlagt werden darf. Der methodische Akt
der Negation ist aufgrund dieser Natur des Anfangs der Logik als eine implizite
Bestimmung des gesamten anfänglichen Denkvollzugs, als implizites Moment der
anfänglichen Entwicklung zu verstehen. Da die Negationsleistung der methodische
Weg ist, auf dem allein das notwendig nur negativ und privativ bestimmte reine
Sein begrifflich festzuhalten ist, muss sie als konstitutives Moment der anfäng-
lichen logischen Entwicklung aber durchaus berücksichtigt werden. Diese Unhin-
tergehbarkeit der Methode im Anfang der Logik und ihre simultane notwendige
Unterschiedenheit vom Inhalt, vom reinen Sein, unterscheidet die Gesamtstruktur
des anfänglichen reinen Denkvollzuges, der das reine Sein zu denken versucht,
unmittelbar in implizite und explizite Entwicklungsmomente. Explizit thematisch
1
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 57.
2
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
114 Lars Heckenroth
ist somit der Inhalt, auf den das Denken des Seins abzielt, implizit aber all jene
Bestimmungen des Denkaktes, die mit diesem als immanente Aspekte seines Voll-
zugs notwendig einhergehen, selbst allerdings nicht zugleich auch als Bestimmung
des Inhalts thematisch werden können.
Betrachtet man diese methodische Dimension des immanenten, innerlogischen
Anfangs in ihrem Verhältnis zum Einstieg in die Logik mit der Phänomenologie
des Geistes, so stellt sich rasch eine Wesensverwandtschaft der beiden Einstiege
in die logische Wissenschaft heraus. Im Rahmen eines sich selbst vollbringenden
Skeptizismus entwickelt die Phänomenologie die unterscheidbaren Strukturen
des seinsbezogenen Erkenntnisvollzugs des Geistes als hierarchisch organisierte
Momente einer einheitlichen Bewegung. Mit der Darstellung dieser Entwicklung
des erscheinenden Geistes, die ineinsfällt mit der Geschichte des sich wissenden
Selbstbezugs des Absoluten, ist – dem Anspruch des Werkes nach – zugleich auch
die Ontologie des Seinsganzen in der Entwicklungsgeschichte dieses Selbstbezu-
ges aufgehoben.
Die Negation der Negation als notwendiger methodischer Schritt, der dem Den-
ken das Prinzip der unbestimmten Unmittelbarkeit eröffnet, ist der Sache nach
nichts anderes als die Negation der Bewusstseinsgestalten des erscheinenden
Geistes; was am Ende der Phänomenologie als Resultat der Geschichte des Selbst
bewusstseins bleibt und was mit dem absoluten Wissen gedanklich fixiert wird, ist
nur die basale Struktur der Sichselbstgleichheit des reinen Wissens: die „Wahrheit
aller Weisen des Bewusstseins“.3 Sind im absoluten Wissen alle Bewusstseins
gestalten – und prinzipiell der Unterschied von Bewusstsein und Gegenstand – auf-
gehoben, so sind sie im Begriff des absoluten Wissen auch negiert: Wie die Voll-
endung der Geschichte der Selbstbewusstseins Thron des absoluten Geistes ist, so
ist dieser Thron wesentlich auch Schädelstätte.4 Aus der Negation aller Differenz
von Bewusstsein und Gegenstand resultiert (als positives Resultat) bloße Sichselbst-
gleichheit in der seinslogischen Bedeutung der unbestimmten Unmittelbarkeit.
Der methodische Schritt der Absprache aller Prädikate, der „Beiseitsetzung aller
Reflexionen“,5 der in eins fällt mit dem bloßen Aufnehmen dessen, was im Begriff
des reinen Wissens der Phänomenologie enthalten ist, vollzieht sich nicht als Ne-
gation einer Folge von Prädikaten; bei der unendlichen Möglichkeit prädikativer
Bestimmung würde dies ebenso die Form einer ins schlecht Unendliche laufenden
und unsystematischen Folge von bestimmten Negationen annehmen. Vielmehr
ist dementgegen die methodische Negationsleistung, als deren Resultat das reine
Sein als logischer Inhalt gedanklich festgehalten werden soll, die Negation aller
Bestimmtheit überhaupt, d. h. die Negation des Prinzips der Bestimmtheit. Das
reine Sein ist als das der Bestimmtheit kontradiktorisch entgegengesetzte Prinzip
der Unbestimmtheit zu denken. Da Bestimmtheit zugleich immer auch Negation
3
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 43.
4
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 591.
5
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 115
Natürlich unterscheidet sich das reine Sein des Anfangs der Logik von be-
stimmten abstrakten Allgemeinheiten, denn seine Unbestimmtheit und Unmittel-
barkeit verlangt, dass keine inhaltliche Bestimmtheit in seinem Begriff beibehal-
ten wird. Das Gemeinsame des Anfangs der Logik und des Erkennens endlicher
abstrakter Begriffe ist jedoch die Methode der Negation der Negation, die im Akt
des Abstrahierens in Gebrauch genommen ist. Dies begründet die Relevanz die-
ser begriffslogischen und eigentlich auf die epistemologische Natur bestimmter
6
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
7
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
8
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 275.
9
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275.
10
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275.
11
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275.
116 Lars Heckenroth
12
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 69.
13
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68 f.
14
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68 f.
15
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 123.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 117
Begriffs und die Struktur der Negation Formbestimmung des auf seinen verschie-
denen Entwicklungsstufen je materialiter spezifisch bestimmten logischen Inhalts.
Der freie Entschluss, das reine Sein zu denken und mit dem Prinzip der un-
bestimmten Unmittelbarkeit den Anfang der logischen Wissenschaft zu machen,
besteht in der Negation aller Prädikate, im methodischen Schritt der Negation der
Negation.
Die Negation der Negation ist in dieser ihrer methodischen Bedeutung – noch
nicht als bestimmte Negation, sondern als Negation aller Negation überhaupt – set-
zende Reflexion. Dies ist die erste methodische Dimension des Anfangs der Logik,
die hier erörtert werden soll.
Der Begriff der setzenden Reflexion als Bestimmung der Methode ist an dieser
Stelle durchaus in seinem wesens- bzw. reflexionslogischen Sinn zu gebrauchen.
Als „sich auf sich beziehende Negativität“16 ist die anfängliche, dem Begriff des
reinen Seins in seiner Bestimmung als absolute Unbestimmtheit und Negations-
losigkeit zugrundeliegende Negation der Negation unmittelbar „Negieren ihrer
selbst.“17 Im Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“
verweist Hegel auf die in sich reflektierte Struktur dieses methodischen Schrittes,
der der Fixierung des reinen Seins zugrunde liegt: „Die einfache Unmittelbarkeit
ist selbst ein Reflexionsausdruck und bezieht sich auf den Unterschied von dem
Vermittelten.“18 Und weiter: „Hier ist das Sein das Anfangende, als durch Ver-
mittlung, und zwar durch sie, welche zugleich Aufheben ihrer selbst ist, entstanden
dargestellt“.19 In Abgrenzung zur Reflexionslogik der „Lehre vom Wesen“ und
auch schon zu den folgenden Kategorien der Seinslogik ist hier, d. h. im Anfang
der Logik, diese sich selbst negierende reflexive Beziehung keine Bestimmung
des logischen Inhalts. Nicht das reine Sein negiert sich selbst, denn als das unbe-
stimmte Unmittelbare kann es die Negation und den Unterschied gegenüber dem
reinen Nichts nicht an sich selbst haben. Es ist vielmehr der übergeordnete Voll-
zug des Denkens des reinen Seins, der jene reflexive und sich selbst negierende
Struktur als methodische Bestimmung seiner selbst aufweist.
Auf mittelbare Art und Weise ist das reine Nichts jedoch ebenso Resultat der
anfänglichen Negation der Negation – in ihrer methodischen Bedeutung als set-
zende Reflexion – wie das reine Sein. Eine Interpretation des Verhältnisses von
16
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 25.
17
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 25.
18
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
19
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
118 Lars Heckenroth
Sein und Nichts zueinander, nach welcher das reine Sein und das reine Nichts je
unterschiedliche Aspekte des übergeordneten und in sich widersprüchlichen Ge-
dankens der unbestimmten Unmittelbarkeit fixieren würden – etwa das Sein die
Bestimmtheit und das Nichts die Unbestimmtheit –, ist von Dieter Henrich im
Rahmen seiner Ausführungen zu „Anfang und Methode der Logik“ in Hegel im
Kontext überzeugend widerlegt worden.20 Vielmehr liegt es in der Natur des An-
fangs der Logik und insbesondere in ihrer immanenten Widersprüchlichkeit, das
reine Sein als Unbestimmtheit zu bestimmen, dass die anfängliche Gedanken
bestimmung der unbestimmten Unmittelbarkeit sich verdoppelt, wie anhand der
im Folgenden skizzierten Entwicklungsschritte demonstriert werden kann:
1) Wir denken das reine Sein in dieser seiner Bestimmung, d. h. als unbestimmte
Unmittelbarkeit. 2) Von der Negationsleistung, die zu diesem Zweck alle Be-
stimmtheit, Vermittlung, Reflexion, Negation etc. negieren muss und damit selbst
eine reflexive Negationsleistung ist, bleibt der basale Denkvollzug neben dem so
anvisierten reinen Sein als Zugrundeliegendes: das „leere Anschauen und Den-
ken“.21 Der Vollzug der Negationsleistung ist dasjenige, was selbst nicht negiert
werden kann. 3) stellt sich sodann die Frage: Was wird mit diesem Denkvollzug,
der der Methode als ihr basaler Vollzugsaspekt zugrunde liegt, konkret gedacht?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Nichts, – unbestimmte Unmittelbarkeit.
Weniger von Bedeutung ist also, ob der Anfang mit dem reinen Sein oder mit
dem reinen Nichts gemacht wird, denn beide sind in demselben Sinn absolute Un-
bestimmtheit und Negationslosigkeit. Sowohl mit Sein als auch mit Nichts wird das
Ganze der unbestimmten Unmittelbarkeit gedacht.22 Vielmehr ist es von Bedeu-
tung, dass sich das unbestimmte Unmittelbare, sobald ich es zu denken versuche, in
ein binnendifferenziertes und reflexives methodisches Verhältnis und in eine me-
thodische Entgegensetzung von Identischen einteilt, wie soeben gezeigt worden ist.
Nun aber ist das Denken des reinen Nichts gegenüber dem Denken des reinen
Seins, aus dem es als Resultat geworden ist, eine äußere Reflexion. Das reine
Nichts ist die Unmittelbarkeit, von der aus die methodische Reflexion als sich auf
sich beziehende Negationsleistung erneut anheben muss: Wie das reine Sein, so ist
auch das reine Nichts unbestimmte Unmittelbarkeit, dessen notwendige gedank
liche Fixierung die Negation aller Negation – als zugrundeliegenden methodischen
Akt – voraussetzt.
In Hinblick auf das Ganze des anfänglichen Entwicklungsprozesses bestimmt
sich die Reflexion – in ihrer methodischen Bedeutung – als die Einheit von Setzen
und Voraussetzen. Das Denken des reinen Seins als die Negation der Negation ist
Voraussetzen, da der Denkvollzug zum reinen Nichts übergeht. In dieser Hinsicht
sind die beiden Bestimmungen, das reine Sein und das reine Nichts, einander als
20
Vgl. Henrich (1971), S. 77 f.
21
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
22
Vgl. Henrich (1971), S. 77.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 119
23
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
24
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
25
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
26
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83.
120 Lars Heckenroth
Beim Übergang der äußeren zur bestimmenden Reflexion ist aber vor allem die
Einsicht, dass das Voraussetzen Setzen ist, mit einigen methodischen Schwierigkei-
ten verbunden. So stellt sich die Frage, wie, wenn die beiden Reflexionen zunächst
einander äußere Reflexionen sind, die ursprüngliche setzende Reflexion überhaupt
als solche, d. h. als die ursprüngliche, erinnert wird bzw. wie sie als erster Teil
des ganzen Entwicklungsvollzugs festgehalten wird. Welches einheitsstiftende
Prinzip lässt die beiden Reflexionen ihre Äußerlichkeit gegenüber einander über-
winden? Auf diesen Problemzusammenhang verweist auch Manfred Frank in Der
unendliche Mangel an Sein, wenn er in Bezug auf Hegels Reflexionslogik be-
merkt, dass es kein Entkommen aus der äußeren Reflexion gäbe und der Fortgang
zur bestimmenden Reflexion unbegründet bliebe, wenn die Reflexion die Sphäre
der bloßen Relation nicht schon auf irgendeine Weise überschreiten sollte.27 Diese
Problematik ist verbunden mit dem Umstand, dass die Reflexionsbestimmungen
zum einen zeigen, wie die äußere zur bestimmenden Reflexion fortschreitet, und
zum anderen allererst die entwickelte Explikation der Struktur der bestimmenden
Reflexion darstellen. Ob sich diese Begebenheit als ein methodischer Zirkel – und,
wenn ja, als ein notwendiger Zirkel – herausstellt, dies ist im Rahmen weiterer
Arbeiten zu untersuchen.
Welche allgemeinen Schlüsse lassen sich in Hinblick auf das Verhältnis von Me-
thode und Inhalt in der Logik aus der Betrachtung ihres Anfangs ziehen? Welche
sind die Implikationen des allgemeinen Verhältnisses von logischer Methode und
logischem Inhalt für die weitere genetische Entwicklung der Kategorien?
Mit der Setzung des gesamten anfänglichen Denkvollzugs – der Einheit von
Methode und Inhalt – als bestimmende Reflexion ist die logische Entwicklung
zur Kategorie des Werdens fortgeschritten. Das Werden ist die höhere Einheit
von reinem Sein und reinem Nichts. Das Denken des reinen Seins sowie das Den-
ken des reinen Nichts, die zuvor – jedes als absoluter Akt – noch im Verhältnis
der äußeren Reflexion zueinander standen, sind nunmehr nur noch Momente des
übergeordneten Entwicklungsvollzugs. Dieser hat sie in sich aufgehoben und sich
als ihre Wahrheit bestimmt.
In Hinblick auf diesen übergeordneten Vollzug der Entwicklung stellt sich die
in sich reflektierte Negation der Negation, die dem Denken das Prinzip der un-
bestimmten Unmittelbarkeit eröffnet und mit der der Anfang gemacht wird, als
Allgemeinheit dar, die sich im Vollzug der Negationsleistung aufgrund ihrer im-
manent widersprüchlichen Struktur in das reflexive Verhältnis von reinem Sein
27
Vgl. Frank (1975), S. 60.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 121
und reinem Nichts besondert. Der Gehalt der Allgemeinheit, der hier die reflexive
Beziehung von Unmittelbarkeit und Vermittlung ist, bleibt in der Besonderheit,
d. h. im Verhältnis von Sein und Nichts zueinander, erhalten und positiv bestehen:
Das reine Sein und das reine Nichts stellen beide das vollständige Prinzip der un-
bestimmten Unmittelbarkeit dar und befinden sich zugleich in methodischer und
reflexiver Entgegensetzung zueinander.
Was in der Logik im Ausgang vom reinen Sein entwickelt wird, ist somit der
logische Inhalt als eine einheitliche, sich entfaltende Komplexität. Die Rede von
logischen bzw. kategorialen Gegenständen – von Kategorien im traditionellen Sinn
der generellen Metaphysik – macht nur dann Sinn, wenn einzelne, unterscheidbare
Entwicklungsstufen des logischen Inhalts gedanklich fixiert werden.
Dass es sich bei den Seinskategorien um allgemeinere Kategorien als die der
Wesenslogik handelt und die Wesenslogik wiederum allgemeinere Kategorien als
die Begriffslogik erörtert, dies ist eine in der Forschung grundlegend akzeptierte
Charakterisierung des Verhältnisses der Kategorien zueinander. Dass die Katego-
rienfolge sich fortschreitend konkretisiert, dies ist jedoch durchaus im begriffslogi-
schen Sinn, d. h. vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmungen, zu verstehen. In
gesamtlogischer Hinsicht ist die Methode eine Allgemeinheit, die sich schrittweise
in den logischen Inhalt als in ihre Besonderheit einteilt. Daraus folgt jedoch, dass
sich auch im Vorfeld der absoluten Idee eine jede Kategorie zu der ihr folgenden
wie Allgemeinheit zu Besonderheit verhält.
Dasjenige, was als logischer Inhalt zu beschreiben ist, d. h. die Kategorienfolge in
ihrer Gesamtheit, ist somit eine in sich organisierte Einheit, deren konkrete Organi-
sation, d. h. die Notwendigkeit ihrer Abfolge, nur im Rückbezug auf ein zugrunde-
liegendes einheitliches Formprinzip, im Rückbezug auf die Methode begreifbar ist.
Leben und Organismus sind vor diesem Hintergrund durchaus Prinzipien, deren
Behandlung im Rahmen des selbstreflexiven Denkens des Denkens gerechtfertigt
ist, denn sie stellen zusammen mit der absoluten Idee die kategoriale Manifestation
des allgemeinen Verhältnisses von Methode und Inhalt in der Logik dar.
Dasjenige, was in der Logik als Methode zu verstehen ist, gemäß welcher der
logische Inhalt entwickelt wird, erschöpft sich nicht in denjenigen Kategorien, die
in der Reflexionslogik – dort nicht nur als formale, sondern auch als materiale Be-
stimmungen des logischen Inhalts – aus allgemeineren Kategorien deduziert wor-
den sind. Vielmehr besteht die Methode in der Einheit von setzender, äußerer und
bestimmender Reflexion, den Reflexionsbestimmungen inklusive des Rückgangs
in den Grund und der Darstellung dieses gesamten fortschreitenden Entwicklungs-
vollzugs als konkrete Allgemeinheit, d. h. als Syllogismus der Form A-B-E.28 Die
Einheit von methodischer Formaktivität und sich im Fortgang transformierender
28
In der Interpretation der methodischen Struktur der dialektischen Methode als spekula-
tiver Schluss der Form A-B-E stütze ich mich in erster Linie auf die Forschungsarbeiten von
Düsing (u. a. Düsing (1986), S. 15–38.) sowie auf Schäfer (2001), insbesondere S. 219 ff.
122 Lars Heckenroth
materialer Bestimmung macht den Inhalt aus. Der logische Inhalt ist demnach we-
sentlich Prozess. Die prozessuale Einheit seiner methodisch-formalen und seiner
materialen Strukturaspekte ist auch dasjenige, was in Hinblick auf eine jede Ka-
tegoriengruppe derselben Entwicklungsebene gemäß den drei Momenten des Lo-
gisch-Reellen (Paragraphen 79–82 der Enzyklopädie) beschrieben werden kann.29
Es stellt sich dabei die Frage, mit welcher Art von Allgemeinheit in der absoluten
Methode – und somit z. B. auch mit dem Denken des reinen Seins zu Beginn der
Logik – der Anfang der fortschreitenden Entwicklung gemacht wird. Ist die Allge-
meinheit analytisch oder synthetisch? Sind Besonderheit und Einzelheit in der All-
gemeinheit enthalten? Sind die spezifische Differenz, die im Zuge der Dihairesis
zu den Bestimmungen der Allgemeinheit hinzutreten muss, um die Besonderheit
zu generieren, (erste Negation) sowie das Prinzip der Individuation, welches All-
gemeinheit und Besonderheit zu einer Einzelheit vereinigt, (zweite Negation oder
Negation der Negation) bereits in den Bestimmungen der Allgemeinheit angelegt?
Diese Frage nach der Natur des logischen Inhalts und nach seinem Verhältnis zur
Methode ist auch im Kontext der Auseinandersetzung Hegels mit Kant und mit
dessen kritisch-restringierter Charakterisierung des intuitiven Verstandes verortet.
In Hinblick auf das Verhältnis von Inhalt und Methode in der Logik zeigt es
sich erstens, dass der allgemeine Anfang der Entwicklung bereits in sich wider-
sprüchlich ist. So auch, wie zuvor dargelegt, das Gefüge von methodischen und
inhaltlichen Bestimmungen, aus welchen sich das Denken des reinen Seins als die
Negation aller Negation zusammensetzt: Das reine Sein, den notwendigen Anfang
der Logik, als unbestimmte Unmittelbarkeit zu bestimmen, damit jegliche Negation
zu negieren, ist bereits ein methodischer Akt, dessen immanente Widersprüchlich-
keit ein positives Resultat aufweist. So ist die binnendifferenzierte Struktur des in
sich widersprüchlichen Verhältnisses von reinem Sein und reinem Nichts in dem
Allgemeinen, dem Denken des reinen Seins, mit dem der Anfang gemacht wird,
bereits implizit enthalten. Dies ist das analytische Moment der absoluten Methode
im Allgemeinen und spezifisch in ihrer Bestimmung als methodische Dimension
des Anfangs der Logik. Der Gegenstand, dem die Besonderheit immanent ist
und aus dem sie analytisch herausgehoben werden kann, ist hier das Allgemeine
selbst. Das Allgemeine ist wesentlich sich auf sich beziehende Negativität. Im Ka-
pitel zur absoluten Idee bemerkt Hegel somit analog, es müsse „das Unmittelbare
des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte und mit dem Triebe begabt sein, sich
weiterzuführen.“30
Zweitens muss der Widerspruch des allgemeinen Anfangs jedoch aktiv freigelegt
und entwickelt werden. Dies geschieht dadurch, dass das noch abstrakt Allgemeine
gedanklich fixiert wird, also Denken des Allgemeinen ist, und als materialiter je
spezifisch bestimmter Inhalt durch den Vollzug seiner ihm immanenten metho-
29
Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8,
S. 168–177.
30
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 555.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 123
31
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 569.
124 Lars Heckenroth
32
Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8,
S. 391.
33
Vgl. Schelling: System des transzendentalen Idealismus, S. 299.
34
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 17.
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik 125
35
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 567.
126 Lars Heckenroth
gelangen logische Methode und logischer Inhalt, Denken und Sein, subjektive und
objektive Logik, Metaphysica specialis und Metaphysica generalis in Gestalt der
absoluten Idee zu ihrer Einheit: „Die Methode selbst erweitert sich durch dies Mo-
ment zu einem Systeme.“36
Letztlich löst das Ende der Logik diejenige systematische These ein, die Hegel
schon in der Einleitung dem eigentlich Vollzug der logischen Entwicklung voraus-
geschickt hatte: Der Inhalt der Logik ist „die Darstellung Gottes […], wie er in
seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes
ist.“37 Die ontotheologische Dimension der absoluten Idee besteht gerade darin,
dass sie als absolute Subjektivität diejenige denkende Selbstbezüglichkeit ist, die
sich im Seinsganzen selbst erkennt und sowohl das Seinsganze als auch sich selbst
als gleichursprüngliche Momente ihres prozessualen Selbstbezugs bestimmend
hervorbringt. Der Begriff des Seinsganzen bezieht sich in der Logik nicht auf eine
ontische Erfassung alles Seienden, sondern meint in prinzipientheoretischer Hin-
sicht die Einheit der ontologischen Grundbestimmungen. Mit der Ontologie der
Seins- und Wesenskategorien wird zunächst zwar das Andere des Denkens ent-
wickelt und der Gang des Denkens ist daher zunächst ein Gang durch fremde Ge-
filde. Die Odyssee der Methode in der Logik ist aber keine Irrfahrt. Vielmehr ist
im Denken des Denkens die Methode sich selbst Ariadnefaden im Vollzug eines
selbstbezüglichen und teleologisch organisierten Bildungsprozesses, im Rahmen
dessen sie sich in der Ontologie der Seins- und Wesensbestimmungen als in ihrem
Anderen selbst erkennt und konkretisiert.
36
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 567.
37
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 44.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘:
Kant und Hegel
Von Klaus Erich Kaehler
Gibt es bei oder für Hegel eine „transzendentale Deduktion der Kategorien“ oder
zumindest etwas dieser Entsprechendes? Meine These ist, dass sich für Hegel die
Aufgabe einer transzendentalen Deduktion im Sinne Kants gar nicht stellt, da die
systematischen Voraussetzungen, aufgrund derer für Kant diese Aufgabe unver-
meidlich und wesentlich ist, von Hegel zwar aufgenommen werden, doch darin
zugleich eine Umdeutung von prinzipieller Tragweite erfahren. Es geht also bei
unserer Frage nicht nur um dieses kantische Lehrstück, sondern zugleich um die
„Architektonik“ und deren philosophieimmanente Genesis – oder zumindest die
Suche nach einer solchen, die nämlich den grundbegrifflichen Wandel der großen
Positionen begreifbar machen könnte. Da auch Kants transzendentale Wende mehr
als ein origineller Einfall war, werde ich in der Darlegung seiner Position gelegent-
lich auch auf leibnizsche Grundbegriffe hinweisen, aus deren Wandel im kantischen
Kontext sich die inhaltlichen Voraussetzungen für die Aufgabenstellung der „tran-
szendentalen Deduktion“ ergeben. Angesichts der Fülle dessen, was dazu zu sagen
wäre – und natürlich auch schon längst gesagt ist –, nehme ich zum Leitfaden die
Grundfrage nach den verschiedenen Verhältnissen der Vernunft zu ihrem Anderen.
Kant sagt von der transzendentalen Deduktion der Kategorien, sie solle „zuerst
die Möglichkeit einer Metaphysik ausmachen“.1 Damit macht er das Gesamtziel
seiner Philosophie, zumindest ihres theoretischen Teils, abhängig von dieser „tran-
szendentale Deduktion“. Für die von Kant geradezu feierlich suspendierte Meta-
physik, so für die Kant historisch nächstliegende Position Leibnizens, stellte sich
die Ausgangssituation des Erkennens im endlichen Bewusstsein einer geschaffe-
nen Monade etwa so dar:
Die denkende Monade (mens, esprit) findet sich im Fluss ihrer Perzeptionen
permanent bezogen auf etwas, welches sie als einen Gegenstand von sich zu unter-
scheiden vermag, indem sie dieses Etwas von ihrem Perzipieren auch abgehoben
1
Kant: Prolegomena, IV, S. 260.
128 Klaus Erich Kaehler
und unter eine Bestimmung gefasst hat, ein „Merkmal“, wie die Schullogik sagte.
Ein solches Merkmal aber ist ein Begriff – das heißt für das endliche Subjekt: eine
Bestimmung seines Denkens, die auf mehreres zutrifft, das außer dieser Gemein-
samkeit noch in vielerlei Hinsicht untereinander verschieden ist. Wie aber kann
die denkende Monade die Gewissheit haben, dass ein bestimmter Begriff gerade
auf einen gegebenen Inhalt ihrer Perzeptionen zutrifft, dass dieser Inhalt also unter
jenen Begriff fällt? Ohne diese Gewissheit könnte kein Bewusstsein etwas als sei-
nen Gegenstand wissen – nämlich so, dass dieses Etwas weder bloß ein beliebig
Gedachtes, sondern etwas Wirkliches, dem Wissen selbständig Vorliegendes ist,
noch etwas so völlig Heterogenes, Anders- und Fremdartiges, dass das Subjekt
überhaupt nichts positiv von ihm wissen kann.
In der Tat kann keine der vorkantischen Positionen des Subjekts auf diese Frage
nach dem Grund der Gewissheit des endlichen Bewusstseins von seiner gegen-
ständlichen Erkenntnis eine solche Antwort geben, die das Bewusstsein nicht über
sich hinaus, außer sich selbst suchen müsste; denn alle Antworten, die Descartes,
Spinoza und Leibniz gegeben haben, sind Antworten einer objektiven Metaphysik,
in der das Subjekt selbst als ein Seiendes vorgestellt und in seiner realen Beziehung
auf anderes Seiende begründet wird. Zwar hatte Leibniz bereits die prinzipielle
Möglichkeit einer begrifflichen, also rationalen Bestimmung dessen, was prärefle-
xiv bloß perzipiert wird, dadurch mit der subjektiven Selbstgewissheit verknüpft,
dass er die gesamte Ordnung und Realität jeglichen Bewusstseins und seiner Gegen-
stände als ursprünglich aus einem Vernunftgrund hervorgehend annahm; und die-
ser Vernunftgrund war dann als solcher auch dem endlichen Subjekt im Allgemei-
nen, ex principiis, in seiner eigenen reflexiv zu entfaltenden „natürlichen“ Vernunft
zugänglich. Aber gerade jenes Hervorgehen aller Realität konnte das endliche Sub-
jekt dennoch niemals für und durch sich selbst rekonstruieren. Hinsichtlich der un-
endlichen verschiedenartigen Inhalte seiner Perzeptionen war das Subjekt deshalb
unaufhebbar an diese nicht-rationalen Repräsentationsformen verwiesen. Solange
aber jene übergreifende metaphysische Real-Begründung in Geltung war, war die
Frage, wie und warum den sich unaufhörlich verändernden Perzeptionen überhaupt
so etwas wie selbständige Objekte entsprechen können, immer schon, nämlich „im
Allgemeinen“, beantwortet. Diese Frage brauchte deshalb nicht eigens gestellt zu
werden; sie konnte gar nichts Beunruhigendes enthalten, galt doch jene Voraus-
setzung als Garantie für die prinzipielle Möglichkeit einer Übereinstimmung
der oft verworrenen, meist sogar nur dunklen Perzeptionen mit etwas, das ihnen
entsprach und das außer dem perzipierenden Subjekt mit eigener Realität existierte.
Die Einschränkung, dass diese Übereinstimmung dem endlichen Bewusst-
sein, das von je seinen individuellen Perzeptionen ausgehen musste, gar nicht en
détail einsichtig war, wurde somit erst dann zum Problem,2 als jene metaphysische
2
Im Rückblick auf Descartes: wieder zum Problem – doch hatte gerade Descartes ja nach
der Entdeckung des Problems der realitas actualis (formalis) der bloß vorgestellten (obiec
tivae) Sachgehalte den Weg über die transzendente Begründung festgelegt.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel 129
Real-Begründung im göttlichen Garanten in Frage gestellt oder gar außer Kraft ge-
setzt wurde – so geschehen, als Kant mahnte, vor aller inhaltlichen Metaphysik zu-
allererst „die in der Vernunft befindliche Quelle derselben“3 zu untersuchen. Diese
sich selbst untersuchende und wie Kant sagt: sich „ausmessende“ Vernunft4 ist im
Vollzug das Subjekt der kantischen Position. Der Weg der Selbstvollendung des
Subjekts als philosophischem Prinzip, der mit der Verselbständigung der ratio na-
turalis bei Descartes begann, musste auf jene ursprüngliche Frage des Entdeckers
des Subjekt-Prinzips zurückführen, nachdem der Rekurs auf einen supramundanen
Urheber als eine äußere, weil im Wissen selbst nicht einholbare Voraussetzung re-
flektiert war. – In einem viel zitierten Brief aus dem Jahre 1772 sah Kant sich vor
die Frage gestellt: „… auf welchem Grunde beruht die Beziehung desjenigen, was
man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand?“ (X, 130). Diese Frage ist nun –
nach der Verabschiedung der gesamten objektiven Metaphysik – „der Schlüssel zu
dem ganzen Geheimnisse der sich selbst noch verborgenen Metaphysik“ (X, 130).
Der gesuchte „Grund der Beziehung“ der Vorstellung auf den Gegenstand muss ein
Erkenntnisgrund sein, der es erlaubt, Metaphysik als Wissen, d. h. im Erkennen des
Subjekts dieses Wissens selber, zu begründen. Indem Kant die Bedingungen und
Formen der endlichen Erkenntnis von Leibniz aufnimmt und transformiert, über-
antwortet er – in gebrochener und begrenzter Form – dem Subjekt der Vorstellung
die grundlegende methodische Funktion, welche die real-metaphysisch gedachte
Ultima Ratio für das endliche Erkennen hatte. Kant weist nun das Subjekt selber
als jenen gesuchten Grund der Beziehung auf den Gegenstand aus, indem er ihn
aus dem internen Zusammenspiel der Vermögen und ihrer höchsten Vollzugsein-
heit, der „ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption“ erklärt.
Zunächst ist die Grundverfassung des Subjekts, die Kant nun voraussetzt, da-
raufhin zu bestimmen, dass es insgesamt und durchgängig auf Anderes seiner
selbst bezogen ist, zugleich aber in den Zuständen seines Bezogenseins – also je
unmittelbar in Anschauungen – das, worauf es sich bezogen findet, selbsttätig zu
bestimmen vermag. Nach beiden Seiten, dem Bezogensein wie der Bestimmung,
kann aber überhaupt etwas für das Subjekt nur da sein nach Maßgabe der allgemei-
nen Verfassung des Subjekts an ihm selbst. So vollzieht es schon sein Empfangen
von etwas, das ihm als gegeben erscheint, unter Formen, die für alles gelten, was
nur immer gegeben sein mag. Diese universalen Formen der Rezeptivität des Sub-
jekts können keine anderen sein als die vormals allgemeinsten Ordnungsformen,
unter denen alle Perzeptionen endlicher Monaden sich vollziehen: Die Form der
inneren Repräsentationen als subjektiver Zustände und die Form der äußeren Re-
präsentation von Anderem, was nicht in der Monade ist.5 Die erste Form ist die
Zeit, die zweite der Raum. So vollzieht sich alle Rezeptivität, deren das Subjekt
3
Kant: Prolegomena, IV, S. 377.
4
Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur 2. Auflage XXIII (III: 15).
5
„Sed perceptio nihil aliud est, quam illa ipsa repraesentatio variationis externae in in-
terna.“ (Leibniz: GP VII, S. 329 f.)
130 Klaus Erich Kaehler
fähig ist, in dieser Differenz, die durch die Reflexionsbegriffe des Inneren und
Äußeren als transzendentaler Formunterschied bestimmt werden kann. Diese
Formen sind somit, in ihrer Relativität auf das Subjekt, die Bedingungen, unter
denen überhaupt etwas dem Subjekt als gegeben erscheinen, weil „unbestimm-
ter Gegenstand“ der empirischen Anschauung sein kann. Dabei sind sie zwar als
Formen a priori gänzlich unabhängig von dem, was je gegeben sein mag, so dass
sie in der Reflexion als reine Formen bestimmt und thematisiert werden können,
unter Abstraktion von der Materie und der korrespondierenden Empfindung. Da
jedoch dieses Aposteriori – dasjenige, wovon die reinen Formen der Anschauung
in ihrer Bestimmtheit unabhängig und gegen dessen qualitative Mannigfaltigkeit
sie indifferent sind, – da also dieses ganze materiale Aposteriori die Bedingung
der Wirklichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände ist, so sind die reinen For-
men der Anschauung Bedingungen nur ihrer Möglichkeit.
Zur Wirklichkeit einer realen Erfahrung können diese Bedingungen nur dadurch
werden, dass etwas hinzukommt, das als solches nur dem Vermögen der Sinnlich-
keit zugänglich ist (Kants „Affektion“), durch Denken im Sinne Kants hingegen
weder antizipiert noch gar erzeugt werden kann. Darum betont Kant: „Die An-
schauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise“6 – sie bedarf
ihrer nicht, um Anschauung zu sein und als solche vollzogen zu werden; wohl aber
bedarf sie „der Funktionen des Denkens“, um Erkenntnis zu werden – und damit
sind wir bei dem basalen Argument der transzendentalen Deduktion: Das in einer
Anschauung und ihren Formen a priori Gegebene – Kants „Mannigfaltiges“ –
würde gar nicht als solches vorgestellt werden, d. h. da sein für das Subjekt, wenn
es nicht auch in der Zeit als Sukzession von Eindrücken unterschieden würde –
„denn als in einem Augenblicke enthalten kann jede Vorstellung niemals etwas
anderes als absolute Einheit sein“7. Unterschieden aber wird das Mannigfaltige
nur, indem es durchlaufen und zudem verknüpft wird, und so erst als Mannigfal-
tiges in einer Vorstellung erfasst wird. Diese Synthesis ist eine für alles Bewusst-
sein notwendige subjektive Leistung. Sie ist immer das Produkt einer Tätigkeit,
die nicht dem Gegebenen als solchem, sondern nur dem Subjekt entspringen kann.
Das Subjekt übt seine Tätigkeit, die Spontaneität des begrifflichen Denkens, am
Gegebenen aus, um es dadurch erst zu einem Gegenstand seines Bewusstseins
zu machen. Die ursprüngliche Unabhängigkeit des in Anschauungen Gegebenen
vom Denken und seine Unerschöpflichkeit durch Begriffe a priori bleiben darin
erhalten als Voraussetzungen für die Anerkennung des Unterschieds zwischen
Gegenstand und Vorstellen.
Daraus wird aber zugleich umgekehrt ersichtlich, warum die Begriffe a priori
ohne Bezug zum Mannigfaltigen der Anschauung keine objektive Realität bean-
spruchen können – warum also für sie eine „transzendentale Deduktion“ notwendig
6
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 123.
7
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 99.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel 131
ist. Ihre Erkenntnisleistung ist nun mit ihrer logischen Funktion gerade nicht mehr
eo ipso gesichert. Wenngleich die ersten Begriffe allein im reinen Verstand, und
damit in der reinen subjektiven Spontaneität, entspringen, so ist ihre Realität, ihr
Sachgehalt, nicht damit bereits gegeben wie im Denken der Ideen der leibnizschen
Vernunft, deren Ursprung allein die eine absolute Wirklichkeit der Ultima Ratio
war. Vielmehr können die im diskursiven Denken des endlichen Vernunft-Subjekts
erzeugten Kategorien nur dadurch Realität erhalten, dass sie nicht nur als bloß lo-
gische „Gedankenformen“8, sondern als jene synthetischen Einheitsformen für das
in der bloßen Anschauung zusammenhanglos Gegebene, ja für jeglichen Zusam-
menhang aller Sukzession im inneren Sinn, vollzogen werden. Der Nachweis, dass
und wie diese Bestimmung des Gegebenen zum Gegenstand in der synthetischen
Einheit des Begriffs möglich ist, bedeutet deshalb auch erst die transzendental-
methodische Rechtfertigung der reinen Verstandesbegriffe.
Erst die Synthesis des Mannigfaltigen in einer Anschauung bringt das darin
Gegebene (wie eigentlich auch die Anschauung selber) zum unterscheidenden
Bewusstsein: In der Verknüpfung des Mannigfaltigen vollzieht sich das tätige
Subjekt, und dieser Vollzug der Synthesis, als einer Selbsttätigkeit des Subjekts,
ist auch überhaupt erst dasjenige, wovon ein Korrelat als Anderes zum Selbstvoll-
zug abgehoben werden kann. Das derart Unterschiedene, vom subjektiven Voll-
zug Abgehobene aber muss als Eines gefasst werden; so nur ist es ein bestimmter
Gegenstand. Solche einigende Bestimmung, also synthetische Einheit, ist der Be-
griff. Der Vollzug der synthetischen Einheit eines Begriffs ist somit die Beziehung
der Vorstellung auf den Gegenstand, weil dieser nur in der so getätigten Bezie-
hung überhaupt sein kann. Die explizit gedachte synthetische Einheit des Man-
nigfaltigen gegebener Anschauungen ist die Bestimmung im Bewusstsein selbst,
durch die das, was äußerlich angeschaut wird, erst als bestimmter Gegenstand
vorgestellt wird. Vermöge dieser gedachten und denkbaren Bestimmung kann in
allen Anschauungen eben dieser Gegenstand wiedererkannt werden. Mit dieser
transzendental-logischen Funktion ist der Begriff als Bewusstsein bestimmter
synthetischer Einheit eine Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes in der
Erfahrung. Der bewusste Vollzug der Einheit übergreift jeweils den Vollzug der
Synthesis in der Apprehension und in der Einbildungskraft. Auch diese sind schon
nur dann bestimmte Vorstellungen, wenn sie Eines (Zusammengehöriges, aber in
der Komplexion Unterscheidbares) vorstellen. Aber erst der durchgängige Vollzug
der Einheitsbestimmung am Mannigfaltigen bringt das Zusammenfassende als
solches zum Bewusstsein. Der Begriff, isoliert von dieser seiner objektiven Reali-
tät, d. h. als bloß logische, nicht transzendental-logische Einheit, ist die unterge-
ordnete analytische Einheit.
Um den Grund der Beziehung des Bewusstsein resp. der Vorstellung auf den
Gegenstand aus dieser Struktur zu erklären, kommt es darauf an, wie der Vollzug
8
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 148.
132 Klaus Erich Kaehler
der synthetischen Einheit eines Begriffs selber möglich ist. Dieser Vollzug setzt vo-
raus: 1. ein gegebenes Mannigfaltiges, 2. eine Verbindungsleistung; 3. die Einheit
des Bewusstseins in allen Momenten dieser Verbindung und damit der Verbindung
als ganzer. Denken wir die Einheit eines Begriffs und damit des Bewusstseins sei-
ner Synthesis nicht nur als die Einheit dieses oder jenes Begriffs, sondern als eine
Einheit, die für alle Begriffe gleichermaßen gilt, somit auch für die synthetische
Einheit allen begrifflichen Denkens überhaupt, so haben wir den Gedanken der
Einheit des Bewusstseins in allem bestimmten Bewusstsein überhaupt gefasst –
den Gedanken der äußersten Bedingung der Möglichkeit jeglicher Beziehung von
Vorstellungen auf Gegenstände überhaupt. Diese gründende und einigende Einheit
ist die bereits erwähnte „transzendentale Einheit der Apperzeption“, die Kant deut-
licher auch „ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption“ nennt (§ 16).9
Das im Vollzug der synthetischen Einheit der Apperzeption sich konstituie-
rende Subjekt ist, als endliches, durch Sinnlichkeit bezogen auf unvordenklich Ge
gebenes, doch unbedingt selbsttätig als Vernunft-Subjekt. Diese komplementären
Bestimmungen ergeben erst zusammen diejenige Verfassung des Subjekts, durch
die seine Erkenntnis, d. h. seine bewusste Beziehung auf Anderes, den bestimm-
ten Gegenstand, a priori begründet werden kann. Die eine Seite, die der äußeren
Bedingtheit und Endlichkeit, besteht zwar nur in der Beziehung auf die andere,
die unbedingte, die darin eine Vorgabe aufnimmt, sich aneignet und aus eigener
Kraft bestimmt. Aber nur dank dieser Vorgabe gibt es für das erkennende Sub-
jekt überhaupt etwas, das es als seinen Gegenstand wissen kann und in dessen Er-
kenntnis es zugleich sich selbst konstituiert. Zwar wird das Gegebene nur vermöge
der innersubjektiv auf es ausgeübten Selbsttätigkeit des aufnehmenden Subjekts
überhaupt erst zum Gegenstand; Aufnehmen eines Gegebenen und Bestimmen
desselben zum Gegenstand haben ihren gemeinsamen Grund in der verbinden-
den und durchgängigen Einheit des Bewusstseins – diese ursprünglich-syntheti-
sche, unterscheidend-verbindende und einigende Einheit ist das Subjekt nach der
transzendentalen Wende. Aber gerade weil das, was im Vollzug der Spontaneität
überhaupt verknüpft und als Gegenstand unterschieden werden kann, nicht schon
im Subjekt selbst liegt oder ursprünglich, in seinem Gegebensein überhaupt, von
ihm erzeugt werden kann, kann die Einheit des sich vollbringenden Subjekts als
Grund nur eine synthetische Einheit sein, die nämlich fortwährend resultiert aus
den aufnehmenden, verbindenden und vereinigenden Leistungen, in denen das
Subjekt seine Gegenständlichkeiten konstituiert und genau nur darin zugleich
sich selbst verwirklicht. – Von diesem systematischen Resultat der transzenden-
talen Deduktion bei Kant schauen wir nun auf Hegels „Begründung, Kritik und
Aufhebung … .“
9
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131–136.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel 133
In den Formen des Idealismus vor Hegel hat alles gegenständliche Erkennen
zwar Bedingungen a priori, die der nichtempirischen Natur des erkennenden Sub-
jekts selber entspringen. Insoweit ist das Subjekt Grund der Möglichkeit alles Em-
pirischen, subjektiv und objektiv. Doch dieser Grund ist nicht absolut, denn er kann
nicht allein durch sich selbst zur Erkenntnis führen und Erkenntnis hervorbringen.
Das Hinzukommende muss als für das Denken und Begründen a priori unverfüg-
bar vorausgesetzt werden. Zwar kann es nur da sein, sofern es schon Moment des
Bewusstseins ist; aber darin ist es doch ein dem Denken heterogenes Element –
gerade dieses gilt als unverzichtbar dafür, dass Denken sich auf einen realen und
wirklichen Gegenstand bezieht und so erst zum wirklichen Erkennen wird. Auch
das transzendentale Wissen, das diesen Unterschied festhält, und d. h. begrifflich
fasst, erkennt zwar den Momentcharakter des Sinnlichen im Bewusstsein und für
es; das heißt, es erkennt die Unselbständigkeit des Sinnlichen in der Gegenstands-
konstitution. Aber mit dieser Erkenntnis zieht es gerade nur die Grenze zwischen
dem, was am wirklichen gegenständlichen Wissen in der Form des Bewusstseins
dem Denken zu verdanken ist und was der Sinnlichkeit bzw. dem Gegensetzen.
Daraus ergibt sich, welche Formen des Denkens in welcher Weise einen Beitrag
zur gegenständlichen Erkenntnis leisten.
dieser Realisierung in seinem Begriffe bleibt.“10 Von diesem Resultat her ist diese
Selbstaufhebung dann zugleich als die positive Selbstvermittlung des Absoluten,
das der Geist als Geist ist, zu begreifen. In dieser spekulativen Doppelbewegung
gewinnt das Subjekt seine Wahrheit und wird wirklich in dem emphatischen Sinne,
dass es die absolute Immanenz in aller Endlichkeit als seiner Erscheinung ist.
Die11 Wissenschaft des erscheinenden Wissens, dieses ewige Selbstwerden des
absoluten Subjekts, in dem es sich ebenso entäußert wie zugleich in dieser Ent-
äußerung zu sich kommend sie aufhebt und sich erinnert zum vollendeten Für
sichsein, um darin sein reines Sich-Wissen oder die absolute Wissenschaft zu ent-
falten – diese Phänomenologie des Geistes also enthält sowohl das gegenständliche
als auch das transzendentale Wissen, und zwar so, dass beides gerade in seiner
Verschränkung, als jeweils verschieden erfüllte und bestimmte Einheit des empi
rischen und des reinen Bewusstseins oder des Aposteriori und des Apriori, auf-
gewiesen wird. Die fortschreitende Aufhebung von Voraussetzungen der Gegen-
ständlichkeit, d. h. die kritische Enthüllung dieser Voraussetzungen als Setzungen
des Subjekts selber ist zwar über die Kritik der Inhalte des gegenständlichen Vor-
stellens geführt, sie mündet aber auf jeder Stufe in die Kritik der diese Inhalte
jeweils ermöglichenden Formen. So werden die Formen nicht in transzendentaler
Reflexion aus der von allem Aposteriori isolierten reinen Subjektivität entwickelt,
sondern an den Bewusstseinsweisen selber aufgewiesen, zugleich allerdings wie-
der als ihrerseits bedingt durch höhere, umfassendere Formen, bis zu derjenigen
Form, die alle anderen Formen und damit auch alle Inhalte überhaupt erst möglich
macht. Dies ist die Form des reinen Begriffs, der absolute Grund allen Wissens,
des gegenständlichen wie des transzendentalen. Dieser Grund ist also der Geist
als das Selbst, das sich in der Form des reinen Begriffs weiß. Dies ist somit auch
die Form der wahren Wirklichkeit, die alle Möglichkeiten trägt, zugleich aber sie
auch in ihrer Bestimmtheit als Momente realisiert, nämlich als die bestimmten
Bewusstseinsformationen, deren notwendiger Zusammenhang eben nichts ande-
res ist als die Erscheinung, das Fürsichwerden der substantiellen, alle Momente
tragenden und umfassenden Wirklichkeit des Geistes.
werden, worin sie erst ihre immanente Vermittlung und spekulative Gültigkeit er-
halten. Als transzendentale sollten sie zwar unbedingte Denk- und Anschauungs-
formen sein, jedoch Gültigkeit nur im Sinne von objektiver Gültigkeit haben, d. h.
nur in der Beziehung auf mögliche Erfahrung und ihre Gegenstände.
Mit der Rückführung der transzendentalen Formen in den absoluten Grund des
Subjekts kehrt sich das Verhältnis ihrer internen Unbedingtheit zur äußeren Be-
dingtheit, ihrem Bezogensein auf Anderes, um: Unbedingt sind sie gerade nur in
der Negativität des absoluten Begriffs als dessen eigene, selbst erzeugte Momente.
Durch diese Negativität, kraft ihrer Begriffsnatur, entfalten sie sich an ihnen selbst
zu jenem dialektischen Vermittlungszusammenhang, der die absolute Wissenschaft
ist. Darin aber sind die bestimmten Formen nicht auf solches Anderes bezogen,
das ihnen äußerlich und in seinem Gegebensein heterogen wäre. Ihre Wahrheit
liegt somit nicht in einer transzendentalen Bedeutung für die Möglichkeit dieses
Anderen, der materialen Erfahrung, sondern gerade umgekehrt in ihrer Aufhebung
und ihrem Aufgehobensein in der sich wissenden Totalität der Vernunft. Diese ist
die eigentliche, wahre Wirklichkeit – diejenige, von der Hegel sagt, sie sei „das
Reich, das er [der Geist] sich in seinem eigenen Elemente erbaut“12.
Hierin ist der Prinzipcharakter des methodischen Vernunft-Subjekts der kan-
tischen Position vollendet, auf das von Anfang an die Bedingungen der Möglich-
keit des Anderen zum Subjekt, also seiner Objektivität, gegründet waren. Diese
Gründung ist aber erst dadurch auch zureichende und vollständige Begründung,
dass sie ebenso als Zurückführung des Anderen in seinen Grund wie als die Her-
vorbringung dieses Anderen aus diesem Grund zum vollständigen begreifbaren
Inhalt der derart spekulativen Wissenschaft ausgeführt und dargestellt wird. Man
könnte schlagwortartig sagen: Die transzendentalen Bedingungen der Möglich-
keit der Erfahrung haben nicht bloß empirische, sondern eben darin immer schon
spekulative Realität.
12
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 29.
136 Klaus Erich Kaehler
unvordenkliche Vorgabe, durch die das transzendentale Wissen sich selbst begrenzt
und den Spielraum dessen, was durch bloß notwendige Bedingungen nicht schon
mitbestimmt ist, als das a priori unverfügbare Andere erst affirmiert. Die Kritik,
die die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins durchführt, ist schon hier ra-
dikaler als die sog. Erkenntniskritik, als welche zumindest Kants transzendentaler
Idealismus auch von spekulationsfeindlichen Positionen immerhin noch akzeptabel
scheint, d. h. aber eigentlich bloß: vereinnahmt wird. Die spekulative Kritik des
gegenständlichen Wissens führt dieses nämlich, wie ausgeführt, vollständig in den
Grund zurück, der selber nicht mehr Gegenstand im Sinne des Bewusstseins sein
kann: das sich als Substanz wissende und vollbringende Subjekt.
Damit geht diese Kritik in doppelter Weise über die transzendentale Erkennt-
niskritik hinaus: Zum einen, indem sie das gegenständliche Wissen gänzlich auf
die Wahrheitsbedingungen festlegt, die der transzendentalen Kritik als bloß not-
wendig galten; und sodann, indem es auch diese Bedingungen der Gegenständ-
lichkeit überhaupt, die von jeder Bewusstseinsgestalt zunächst als ihr jeweiliges
Ansich vorausgesetzt werden, wiederum insgesamt als unselbständige Momente
des absoluten Wissens, der reinen Wissenschaft, erweist. So vollbringt der gesamte
Gang der Phänomenologie des Geistes die Kritik des gegenständlichen und des
transzendentalen Wissens als deren Begründung, in der diese Wissensweisen zu-
gleich nur gelten als aufgehobene. Der Sinn solcher Geltung aber lässt sich, wie
diese gesamte Begründung, nur spekulativ begreifen: als der doppelseitige Pro-
zess der Darstellung des erscheinenden Wissens, die als Wissenschaft in einem
der Weg der Erfahrung des Bewusstseins, das zum wahren Wissen sich bildet, und
das Fürsichwerden der geistigen Substanz ist.
Die entsprechende umgekehrte Bewegung ist dann die, die nicht von der Zeit,
sondern von dem in seinem Begriff vollendeten Geist ausgeht. Diese Bewegung
wird im vorletzten Absatz der Phänomenologie des Geistes, im Zusammenhang
mit der spekulativen Notwendigkeit des erscheinenden Wissens als solchem, be-
stimmt als die Entäußerung des reinen Selbst, die der Geist außer sich anschaut;
und entsprechend ist der Raum diese Entäußerung, sofern der Geist in ihr sein
Sein anschaut. Gegenüber dem transzendentalen Standpunkt ist hiermit sogleich
klar, dass Raum und Zeit nicht als bloße Formen der Anschauung, unabhängig
von Selbstbewusstsein und Denken, bestimmt werden, sondern wieder eine onto-
logische Bedeutung erhalten – aber nun zugleich nur nach Maßgabe ihres Verhält-
nisses zur absoluten Wirklichkeit des Subjekts. So wie die Zeit im Resultat des
Fürsichwerdens und Erscheinens des Geistes, also im absoluten Wissen, „getilgt“
wird, wie es hieß, so werden überhaupt alle zum begreifenden Denken heteroge-
nen Qualitäten und Aspekte, alles durch Sinnlichkeit ohne Spontaneität Gebbare,
„getilgt“ – dieser ganze „empirische Stoff“14 trägt nicht als solcher zur Wahrheit
bei, nämlich nicht, „wie er außer und vor dem Begriffe erscheint, […] sondern
13
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 584.
14
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 258.
138 Klaus Erich Kaehler
5. Ausblick
Damit, so scheint es, ist das Subjekt zu seiner höchsten, unüberbietbaren Macht-
fülle gelangt, – aller Fremdheit ledig, alle Wirklichkeit in und durch sich selbst,
in der vollkommenen Durchsichtigkeit seines reinen Sich-Wissens, vollbringend.
Wenn jedoch die wahre Totalität nicht nur der Geist in seinem absoluten Sich-
Wissen, sondern ebenso in seinem ewigen Sich-Erscheinen, also Entzweien und
Aufheben dieser Entzweiung und ihrer Endlichkeit ist, dann ist auch sein Sich-Wis-
sen, d. h. seine spekulative Wirklichkeit nicht vollendet, wenn er jene Endlichkei-
ten nicht auch begreifend, aus und in der Bestimmtheit des Begriffs und somit aus
sich selbst, hervorzubringen vermag, um darin erst seine vollkommene Selbst-
erkenntnis zu gewinnen. Diese Aufgabe verlangt die Darstellung nicht nur der rein
immanenten Selbstentfaltung und Selbstvermittlung des absoluten Wissens in der
„Wissenschaft der Logik“, sondern darüber hinausgehend die produktive Wieder-
holung – Wiedererrichtung – der bestimmten Bewusstseinsformationen mit ihren
mannigfaltigen Inhalten, die im erscheinenden Wissen nur aus der geschichtlichen
Bildung des natürlichen Bewusstseins aufgenommen werden. Solche Rekonstruk-
tion aber ist nur durchzuführen als begriffliche Konstitution des Endlichen, sowohl
15
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 264.
16
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 23.
17
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 265.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel 139
der Natur als auch der Bereiche des endlichen Geistes, d. h. des Geistes überhaupt,
sofern und so wie er existiert als nicht-absoluter, sich selbst nicht vollkommen ad-
äquat wissend. Die Sphären des Endlichen und die entsprechenden Gestalten des
Bewusstseins würden hierin nicht nur als „natürliche“ aufgegriffen, um sie dann
ins erscheinende Wissen zu integrieren und in dessen Vollendung nach Maßgabe
ihres Wahrheitsgehalts aufzuheben, sondern sie wären allererst zu setzen, d. h. in
realphilosophischer Begrifflichkeit zu gewinnen und im Gesamtzusammenhang
des spekulativen Wissens zu bestimmen, um sie dann in der fortschreitenden Her-
vorbringung jeweils höherer Stufen wahrhaft aufzuheben.
In dieser Form der Selbstvollendung des Subjekts als sich wissende Produktion
aller wahrheitstauglichen Realität, hat Hegel sein späteres „System der philoso-
phischen Wissenschaften“ zur Darstellung gebracht. Aus dieser Darstellung gilt
es zu begreifen und zu bedenken, was es mit Anspruch und Wirklichkeit des ab-
soluten Subjekts in seiner Selbstvollendung auf sich hat; damit aber auch, ob und
wie nicht auch diese Vollendungsposition des neuzeitlichen Prinzips der Ersten
Philosophie über sich hinausweist, gerade weil sie als vollendete Position auf ihre
Grenze festgelegt ist, und so jeden Unterschied zu sich vom Ganzen ihrer Wahrheit
ausschließt – den Unterschied, der mit der Entäußerung, dem absoluten Anfang
der Realphilosophie, doch permanent miterzeugt wird. So ist es dieser prinzipielle
Ausschluss und die mit ihm unvermeidliche Ambivalenz des Endlichen,18 woraus
dem absoluten Subjekt nach seiner Entäußerung in absolutes Anderssein eine en-
dogene Krisis erwächst, die, als radikale Reflexion der Gesamtverfassung dieses
Subjekts durchgeführt, zu einer innerphilosophisch gerechtfertigten Neubestim-
mung des Subjektprinzips führt. Doch das ist eine andere Geschichte.
18
Dazu näher: Kaehler (2016).
Der Streit um das ‚Subjekt‘.
Luhmann versus Kant
Von Wilhelm Metz
Kants These, dass der Verstand der Natur das Gesetz vorschreibt,1 soll im Fol-
genden zum Ausgangspunkt dienen, um den Anspruch der Kategoriendeduktion
und die Weise, wie er eingelöst werden kann, zu verdeutlichen. Zweitens ist Kants
Konzeption des transzendentalen Subjekts zu beleuchten, die seiner theoretischen
und seiner praktischen Philosophie zugrundeliegt. Drittens wird mit einigen Hin-
weisen charakterisiert, wie Luhmann das transzendentale Subjekt ins ‚alteuro
päische Denken‘ verabschiedet.
4
Siehe den § 18 der Deduktion der Kategorien in der B-Ausgabe der Kritik der reinen Ver-
nunft (Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 139 f.).
5
Allein die schlichte Tatsache, dass Kant in den Axiomen der Anschauung (Kritik der rei-
nen Vernunft, A 162 f., B 202 f.) und den Antizipationen der Wahrnehmung (Kritik der reinen
Vernunft, A 166 f., B 207 f.) die konstitutive Bedeutung von Verstandeskategorien, nämlich
den Kategorien der Quantität und Qualität, in der Form von ‚Grundsätzen des reinen Ver-
standes‘ herausstellt, belegt, dass in seiner Erkenntniskonstruktion auch das Anschauen und
Wahrnehmen als ursprünglich rationalisiert gedacht werden müssen.
6
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 154 f., B 193 f. In meinem Buch Kategoriendeduktion
und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes (1991)
habe ich die Argumentationslinien dieses Kapitels nachgezeichnet unter dem Titel „Die volle
Bestimmtheit der ursprünglichen Synthesis“ (S. 104 f.).
7
Zur ‚einigen allbefassenden Erfahrung‘ siehe z. B. Kant: Kritik der reinen Vernunft,
A 582, B 610. Wie das von Kant gedachte Sittengesetz für alle endlichen (sogar nicht-mensch-
lichen) Vernunftwesen als kategorisch verbindlich gedacht wird – und es bei Kant nur eine
einzige Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft geben kann –, so wird auch die
Einheit des empirischen Erfahrungswissens in seiner Ganzheit transzendental begründet.
8
Die transzendentale Deduktion der Kategorien erhebt den Anspruch, die objektive Gül-
tigkeit der Kategorien für alle Gegenstände der Erfahrung darzulegen, und die Deduktion hat
142 Wilhelm Metz
„Alle Anschauungen sind extensive Größen“, so lautet das Axiom der Anschau-
ung, welches Kant im Beginn des Grundsatzkapitels herausstellt.9 Dieses Axiom
ist unmittelbar einsichtig, da wir uns nicht einmal in einer Phantasie-Welt sinn-
liche Anschauungen vorstellen könnten, die keine extensiven Größen wären. Ob-
wohl ein ganz anschaulicher Sachverhalt expliziert wird, ordnet Kant die Axiome
der Anschauung den Kategorien der Quantität zu, denn in jeder extensiven Größe
wird eine Vielheit als Einheit, d. i. als eine je bestimmte Allheit, angeschaut. Wenn
unter Deduktion der Kategorien verstanden wird, dass diese als Bedingungen der
Möglichkeit jeder möglichen Erfahrung nach- bzw. aufgewiesen werden, so ist die
Deduktion der bestimmten Kategorien, hier derjenigen der Quantität, dort voll-
endet, wo sie als Bausteine jeder konkreten Anschauung aufgezeigt werden, sodass
mit dem Wegfall dieser Strukturmomente die sinnliche Anschauung selbst unmög-
lich sein würde; genau dies will Kant mit den Axiomen der Anschauung erweisen.
Die Antizipationen der Wahrnehmung, die Kant als zweite abhandelt10, stellen
eine These auf, die ebenfalls unmittelbar evident ist und hinter die wir auch nicht
in unserer Phantasie zurückgehen können: dass nämlich ‚in allen Erscheinungen
das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, eine intensive Größe, d. i. einen
Grad besitzt‘. Die Kategorien der Qualität, Realität, Negation und Limitation, sind
die Denkformen dieser Antizipation der Wahrnehmung, da der jeweilige Grad der
Empfindung weder eine unendliche Realität noch eine Null-Realität (Negation),
sondern notwendig eine limitierte Realität aufweisen muss; dies gilt von jeder
denkbaren Welt, in der eine sinnliche Wahrnehmung vorkommt. Die ersten beiden
Grundsätze, die Kant als die mathematischen charakterisiert und einer ‚intuitiven
Gewißheit fähig‘ erachtet11, lassen erkennen, dass nach Kant unser Anschauen und
Wahrnehmen ursprünglich rationalisiert sind. Denn die Kategorien der Quantität
und Qualität lassen sich in prinzipielle ‚synthetische Urteil a priori‘ entfalten, d. i.
in ‚das‘ Axiom der Anschauung und ‚die‘ Antizipation der Wahrnehmung, die für
den gesamten Bereich sinnlicher Anschauung und Wahrnehmung a priori gelten;
dieses Beweisziel vollständig zu erbringen. Dennoch kann das Grundsatzkapitel als immanente
Konkretisierung der Kategoriendeduktion angesehen werden, weil erst hier die Konstitution
der zwölf bestimmten Kategorien herausgestellt wird. Kant charakterisiert das Beweisziel
der Deduktion der Kategorien und des Grundsatzkapitels denn auch so, dass die untrennbare
Verbindung beider Lehrstücke hervortritt. Über die transzendentale Deduktion schreibt Kant,
sie sei „die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe […] als Prinzipien der Möglichkeit der
Erfahrung“ (Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 168); ebenso sind nach seinen Worten die
„Grundsätze des reinen Verstandes […] nichts weiter als Prinzipien a priori der Möglichkeit
der Erfahrung“ (B 294), nur dass diese Prinzipien jetzt in der höchst möglichen Konkretion,
die sie innerhalb der Transzendental-Philosophie erhalten können, dargelegt werden. Vgl.
Metz (1991), S. 51.
9
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 162, B 202. Obwohl im Titel von den Axiomen der
Anschauung die Rede ist, wird doch nur das eine prinzipielle Axiom herausgestellt, so wie
Kant auch nur eine Antizipation der Wahrnehmung begründet.
10
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 166 f., B 207 f.
11
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 162, B 201.
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant 143
dank dieser Konstitution ist auch die „reine Mathematik in ihrer ganzen Präzision
[erst] auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar […].“12
Sind Kategorien, gleichsam als Bausteine, schon für das Anschauen und Wahr-
nehmen konstitutiv, so erst recht für die denkende Verknüpfung der Wahrnehmun-
gen zur Erfahrung. Die letztere wird durch die Relationskategorien „Substantia-
lität“, „Kausalität“ und „Wechselwirkung“ konstituiert; diese Kategorien werden
zu drei Synthesen, den Analogien der Erfahrung, entwickelt, dank derer wir nicht
nur Erscheinungen anschauen und wahrnehmen, sondern Objekte denkend erken-
nen. Wir können sinnliche Erscheinungen aber nur denken, sofern wir sie als die
Akzidenzien einer Substanz bestimmen. Diese Substanz, die eine Konstitution
des transzendentalen Subjekts ist, bedeutet, dass der Wechsel sinnlicher Erschei-
nungen gedacht werden kann, nämlich als die Veränderung einer Substanz, die
bei allem Wechsel ihrer Akzidenzien erhalten bleibt. Würden sinnliche Erschei-
nungen, bzw. unsere Wahrnehmungen von ihnen, bloß wechseln, ohne bleibenden
Untergrund, würde die wahrgenommene Welt in jedem Augenblick für uns neu
entstehen; die Einheit der alles befassenden Erfahrung wäre aufgehoben, die selber
nichts anderes als das objektive Gegenstück zur Einheit des Selbstbewusstseins
ist, welches all seine Vorstellungen als die seinen sich zurechnen können muss.
„Das Ich denke muss all meine Vorstellungen begleiten können“13, was jedoch un-
möglich wäre, würden die Vorstellungen absolut unverbunden von Augenblick zu
Augenblick neu entstehen.
Wenn das Bewusstsein der Wahrnehmung A mit dem Bewusstsein der Wahr-
nehmung B in keinem synthetischen Zusammenhang stünde, wäre die Einheit des
transzendentalen Selbstbewusstseins in allem Bewusstsein aufgehoben. Es muss
also in den wahrzunehmenden Erscheinungen etwas geben, das die durchgängige
Einheit des Selbstbewusstseins ermöglicht. Das aber ist die den wechselnden Ak-
zidenzien zugrundeliegende Substanz, die bei Kant, aus der Stellung des ‚Prinzips‘
verdrängt, als eine Konstitution und Projektion des transzendentalen Subjekts ge-
dacht wird.14
Die zweite Relationskategorie, nämlich die Kategorie der Kausalität, die zum
Kausalsatz „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung
der Ursache und Wirkung“15 entfaltet wird, geht über den Grundsatz der Substan-
tialität hinaus und fügt diesem entscheidend etwas hinzu. Gemäß der ersten Analo-
gie der Erfahrung (Substantialität) kann der wahrgenommene Wechsel der Erschei-
nungen als die Veränderung einer Substanz gedacht werden, die bei allem Wechsel
‚beharrt‘. Das Wechseln selbst aber, das einander Folgen der Erscheinungen in
der Zeit als das Gegenstück zum ‚Beharrenden‘, ist damit noch nicht rationalisiert
bzw. unter die Kategorie a priori gebracht. Das transzendentale Selbstbewusstsein
12
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 165, B 206.
13
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131.
14
Vgl. Metz (1991), S. 143; zum Begriff „Projektion“ vgl. S. 111 f.
15
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 189, B 232.
144 Wilhelm Metz
würde sich angesichts des Wechselns der Erscheinungen nur leidend verhalten,
da es angesichts desselben nichts zu denken gäbe. Wenn jedoch der Wechsel als
Wechsel durch ein Gesetz a priori bestimmt wird, nämlich das Kausalgesetz, so
ist das Wechseln der Erscheinungen bzw. der Veränderungsprozess der Substanz
erst ein Objekt des Verstandes; der Verstand bestimmt dann den Wechsel durch
sein Gesetz. Dieses Gesetz betrifft alle Veränderungen in der Erscheinungs-Welt.16
Die ursprüngliche Synthesis des transzendentalen Selbstbewusstseins besagt
dabei nur, dass jede Veränderung in der Welt eine Ursache haben muss; was die
bestimmte Ursache einer bestimmten Veränderung ist, lässt sich nur empirisch
ermitteln. Das gilt nach Kant für den gesamten Bereich der „Erscheinung“, von
Allem, was überhaupt „für uns“ ist. Nehmen wir als Beispiel einen Planeten, der
einen Stern umkreist und von ihm beleuchtet wird, und stellen uns vor, wir könn-
ten aus ungeheurer Entfernung eine plötzliche Sternfinsternis auf dem Planeten
beobachten; es wäre klar, dass es für diese Veränderung eine Ursache geben muss.
Vielleicht haben sich wolkenähnliche, lichtundurchlässige Entitäten auf dem Pla-
neten gebildet, vielleicht ist ein Mond zwischen den Stern und den Planeten getre-
ten, vielleicht haben Prozesse auf dem Stern zu seiner Selbstverfinsterung geführt;
was konkret die Ursache für die eingetretene Sternfinsternis ist, muss empirisch
ermittelt werden; dass wir nach einer Ursache fragen und suchen, liegt jedoch an
unserem apriorischen Wissen, dass es eine Ursache geben muss. Wäre nämlich
die Sternfinsternis, im absoluten Sinn, ‚nur so‘ eingetreten, ohne jegliche Ursache,
wäre sie für uns nicht einmal ein möglicher Gegenstand der Erfahrung, sondern
schlechthin nichts; sie fiele aus dem Rahmen der uns möglichen Erfahrung heraus.
Obwohl die Kategorie der Kausalität bereits eine Universalität impliziert – die
Welt im Zeitpunkt 1 enthält die Gesamtursache für die Welt im Zeitpunkt 2, wes-
halb der Zeitpunkt 2 auf 1 notwendig folgt17 –, so wäre es doch noch möglich, dass
die verschiedenen Kausalreihen, die alle gleichzeitig die Welt von 1 auf 2 über
gehen lassen, nur parallel zueinander verliefen, weshalb ihr Nebeneinander nur
passiv konstatiert werden könnte, ohne gedacht werden zu können. Diese irratio-
nale Parallelität, die die Erfahrungswelt in Parallelwelten und Parallelerfahrungen
auseinanderfallen ließe, wird durch diejenige Synthesis aufgehoben, die die Ka-
tegorie der Wechselwirkung zu einem prinzipiellen synthetischen Urteil a priori
entfaltet: „Alle Substanzen, so fern sie im Raume als zugleich wahrgenommen
werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung“.18 Dank dieser Konstitu-
tion bildet die Gesamtheit aller Gegenstände unserer Erfahrung ein rational ver-
knüpftes Ganzes, ein System der Welt.
Alle Prozesse der Erfahrungswelt sind dank der universellen Synthesis der
Wechselwirkung in ein einziges System vereinigt. Das apriorische Wissen besagt,
16
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 189, B 232.
17
Siehe zu dieser Thematik Metz (1994), S. 71–94, bes. S. 77 f.
18
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 211, B 256.
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant 145
dass dieses Welt-System besteht; wie es sich jedoch konkret und im Einzelnen dar-
stellt, ist empirisch zu ermitteln.19
Das Eine Grundgesetz, das die Einheit und Rationalität der ‚alles befassenden
Erfahrung‘ konstituiert, ist das Gesetz, das der Verstand der Natur vorschreibt. Der
Verstand könnte nicht empirisch informiert werden (Rezeptivität), wenn er nicht
die Grund- und Rahmenbestimmtheit der Erfahrung und in Eins damit aller Gegen-
stände der Erfahrung immer schon konstituiert und vorgebildet hätte (Spontaneität,
ursprüngliche Synthesis). Das Apriori stellt ein geschlossenes System dar, welches
der Offenheit des empirischen Wissens nicht widerspricht, sondern diese erst mög-
lich macht. Geschlossenheit und Offenheit des Wissens sind nur als vereinigte, in
wechselseitiger Durchdringung, möglich.
Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt, die die objektive Bedeutung
der Modalitätskategorien Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit darlegen,
haben das Besondere an sich, die „Bestimmung des Objekts nicht im mindesten
[zu] vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen“20 aus-
zudrücken; auf diese reflexiven Konstitutionen sei jetzt nicht eingegangen. Die
Synthesis der Wechselwirkung bestimmt das objektive System der Welt bereits
inhaltlich vollständig.
Sofern wir unter Deduktion der Kategorien den Nachweis verstehen, dass die
Kategorien keine bloßen Denkformen sind, sondern eine objektive Bedeutung
für die Erfahrungswelt besitzen, so hat das Grundsatzkapitel die Deduktion der
bestimmten Kategorien vollendet, da es sie als die Bausteine des Formalen der
uns möglichen Erfahrung systematisch aufgewiesen hat; die Kategorien können
bei Kant tendenziell-genetisch, d. h. hinsichtlich ihres Gesamtprodukts, deduziert
werden; auf diesem Weg allein lassen sich die objektive Bedeutung und Wahrheit
der Kategorien bei Kant dartun.21
19
Im o.g. Buch, Metz (1991), wird die Synthesis der Wechselwirkung folgendermaßen als
Gesamtsynthesis charakterisiert: „Welche Ausdehnung (Axiome der Anschauung) bzw. sach-
haltige Bestimmtheiten (Antizipationen der Wahrnehmung) diese oder jene Erscheinung in
concreto haben wird, welche Veränderungen der Substanzen eintreten und wie sie ihre be-
stimmten Akzidentien zum Wechseln bringen werden, – das Insgesamt dieser in der Natur
auftretenden Bestimmungen ist durch eine [alles übergreifende] Wechselwirkung universell
bestimmt. Dass dieses Eine Grundgesetz allem Erscheinen zum Grunde liegt, ist a priori er-
kennbar, weil von uns dem Gegebenen im Vorhinein transzendental vorgeschrieben. Das kon-
krete Wie dieses Zusammenhangs kann jedoch nur empirisch und somit niemals vollständig
ermittelt werden“ (S. 158). Es kann von einer Gesamtsynthesis gesprochen werden, die sich
in den bestimmten Synthesen in ein System von Synthesen immanent entfaltet. Daher konnte
auch die Transzendentale Deduktion der Kategorien noch von den bestimmten Kategorien
und ihren Synthesen absehen, wo sie die ursprüngliche Synthesis (das transzendentale „Ich
denke“) in ihrer objektiven Bedeutung und Wahrheit für alles Erfahrungswissen begründete.
20
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 219, B 266.
21
Bunte (2016) vertritt in seiner gelungenen Studie Erkenntnis und Funktion. Zur Vollstän-
digkeit der Urteilstafel und Einheit des kantischen Systems die These, Kant gelinge die voll-
ständige Genetisierung der Kategorien, sofern diese „als logische Funktionen der kognitiven
146 Wilhelm Metz
Selbstbestimmung“ erkannt werden (S. 14, Fn. 7). Zu fragen bleibt, ob das, was Bunte im Blick
auf die metaphysische Deduktion überzeugend ausführt, auch für die Kategorien gilt, sofern
sie die Konstitutionsformen des formalen Rahmens aller Erfahrung sind. Denn im Zuge die-
ser transzendentalen Deduktion, die Kant zu einer Theorie der Erfahrung immanent entfaltet,
werden die konstitutiven Synthesen hinsichtlich ihres Produkts einsichtig gemacht.
22
Vgl. Descartes: Regulae ad directionem ingenii, Reg. 8 [1628]. Oeuvr., hg. C. Adam / P. Tan-
nery, Paris 1897–1913, Nachdruck 1964–1976, S. 10, S. 395–398; Reg. 3, a. a. O., 368; vgl. Des-
cartes: Meditationes de prima philosophia, Med. 2 (1641), a. a. O., 7, 31.
23
Diesen Sachverhalt umschreibt Cassirer (1995), S. 38, folgendermaßen: „Die Legitima-
tion der Wahrheit durch Gott schließt keinerlei Modifikation in sich, sie verändert sie nicht,
sondern bestätigt sie vielmehr und drückt ihr das Siegel der Vollendung auf“.
24
Vgl. Boeder (1980), S. 384.
25
Kant hebt in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hervor: „Selbst der Heilige des
Evangelii muß zuvor mit unserem Ideal der sittlichen Vollkommenheit verglichen werden,
ehe man ihn dafür erkennt […]“. In: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen
Akademie der Wissenschaften, Erste Abteilung (Werke), Berlin 1913, Band IV, S. 408.
26
Siehe zu dieser Thematik die gründliche Studie von Pissis (2012).
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant 147
einen Vorschein der absolut autonomen Vernunft. Denn die Rationalisierung der
Erscheinungswelt, die bei Descartes sich dem Schöpfergott verdankt, wird in Kants
Philosophie vom transzendentalen Subjekt a priori erbracht, und zwar untrüglich,
wenn auch bezogen nur auf die Welt, insofern sie uns „erscheint“ und ein Gegen-
stand der Erfahrung ist, nicht bezogen darauf, was die Dinge an sich sein mögen.
Für die Erfahrungswelt aber gilt die Synthesis und objektive Einheit des Selbst-
bewusstseins, die dank der Synthesen, die im System der Grundsätze des reinen
Verstandes herausgestellt worden sind, die rationale Einheit der Erfahrungswelt
konstituiert, indem sie dieser die Grund- und Rahmenbestimmtheit vorschreibt
bzw. vorbildet, deren Bausteine die Kategorien sind. Jetzt gilt es dem von Kant
gedachten „Subjekt“ näher nachzufragen, welches in theoretischer Bedeutung der
Natur das Gesetz vorschreibt und welches in praktischer Bedeutung sich selbst das
Moralgesetz gibt und sich diesem kategorisch unterstellt, welches Gesetz in allen
Moralbegriffen wie Gerechtigkeit, Güte und Heiligkeit, sowie in allen religiösen
Morallehren, unbewusst immer schon vorausgesetzt ist.
Da gilt zum ersten, dass das von Kant gedachte transzendentale Subjekt als
schlechthin überindividuell und universell gedacht werden muss. Denn nicht ich als
individuelles Bewusstsein schreibe der Natur das Gesetz vor, sondern die transzen-
dentale Subjektivität als solche, die ursprüngliche Synthesis des transzendentalen
Selbstbewusstseins, die wir mit Hegel als das ‚tätige Allgemeine‘ charakterisieren
könnten.27 Etwas Analoges gilt im Bereich der praktischen Philosophie. Nicht in
mir als diesem Individuum, sondern in der praktischen Vernunft als solcher ist die
moralische Gesetzgebung begründet, welche Vernunft als so universell zu denken
ist, dass auch nicht-menschliche Vernunftwesen dem moralischen Gesetz kate-
gorisch unterstellt sein würden. Zugleich aber manifestiert sich dieses tätige All-
gemeine im individuellen Bewusstsein, es ist keine ihm transzendente Instanz.28
Wir können die ursprüngliche Synthesis des Selbstbewusstseins in Klarheit nach-
vollziehen, können den Aufbau des Systems der Erfahrung a priori erkennen,
mittels transzendentaler Reflexion.29 Es ist für mich a priori evident, dass die ge-
rade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste ist, weil dies allen Vernunftwesen
evident ist, deren apriorische Anschauungsformen Raum und Zeit sind. Dasselbe
27
So schreibt Hegel im § 20 seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften: „Das
Denken als die Tätigkeit ist somit das tätige Allgemeine, und zwar das sich betätigende, indem
die Tat, das Hervorgebrachte, eben das Allgemeine ist. Das Denken als Subjekt vorgestellt
ist Denkendes, und der einfache Ausdruck des existierenden Subjekts als Denkenden ist Ich“
(Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8, S. 71 f.).
28
Bunte (2016) verwendet die Formel „[…] die je eigene individuelle Synthesis gemäß der
überindividuellen Bewusstseinsform […]“ (S. 189, Fn. 331); allerdings ist die überindividuelle
Synthesis nicht nur als Form, sondern als Tätigkeit zu begreifen, nämlich als Gesetzgebung
in theoretischer und praktischer Bedeutung, die wir uns im Rahmen der Transzendentalphilo-
sophie zum Bewusstsein bringen.
29
Den Begriff „transzendentale Reflexion“ verwendet Kant selber nicht, der bekanntlich
die Bedingungen der Möglichkeit des Wissens der Transzendentalphilosophie niemals syste-
matisch dargelegt hat. Siehe zu diesem Thema Metz (1991), S. 174 f.
148 Wilhelm Metz
gilt im Bereich der praktischen Philosophie. Das Sittengesetz ist universell, es ist
für alle, auch nicht-menschliche Vernunftwesen ein kategorischer Imperativ,30
während es für Gott nicht als Imperativ zu denken ist, sondern als Prinzip seines
heiligen Willens.31 Aber ein anderes Moral-Prinzip, einen anderen Maßstab des
Guten, hat selbst Gott nicht. Dieses universelle Gesetz ist jedoch mit dem Spruch
des individuellen Gewissens identisch, der nach Kant bei jedem Menschen infal-
libel ist; lediglich das Verständnis des eigenen Gewissens vermag fehlzugehen.32
In summa: Das von Kant gedachte transzendentale Subjekt ist sowohl in theo-
retischer als auch in praktischer Hinsicht überindividuell und schlechthin univer-
sell, ebenso aber gilt, dass es vom individuellen Bewusstsein nicht getrennt und für
dieses transzendent wäre. Wir haben immer schon a priori der Natur das Gesetz
vorgeschrieben; und wir haben uns a priori das Sittengesetz immer schon selbst
gegeben; beide Gesetzgebungen müssen und können nicht kreiert, sondern brau-
chen „nur“ aufgeklärt zu werden, durch transzendentale Reflexion.
Zweitens gilt vom transzendentalen Subjekt in theoretischer und praktischer Be-
deutung, dass es an ihm selbst unerkennbar ist. Wir erkennen zwar die ursprüng-
liche Synthesis des Selbstbewusstseins hinsichtlich ihrer Konstitution, nicht aber
an ihr selbst. Deshalb kann, so die Lehre der Paralogismen, aus dem „Ich denke“
keine Seelenlehre entwickelt werden; weder ist ein Schluss auf die Immaterialität
oder gar Immortalität unserer Seele möglich, noch vermag ein seelenloser Mate-
rialismus diese dogmatisch auszuschließen.33 Der Einblick in das „Ich denke“, in
das konstituierende Subjekt vor seiner Konstitution ist für uns unmöglich. Daher
kann es bei Kant eben so wenig eine genetische Deduktion der Kategorien ge-
ben wie eine Einsicht darein, wie Freiheit möglich ist. Kurz: Das transzendentale
Subjekt wird von Kant als an ihm selbst unerkennbar festgehalten, obwohl es die
Position des Prinzips für seine theoretische wie praktische Philosophie innehat.
Die klassische Philosophie der Neuzeit steht für Luhmanns an der Schwelle zur
Moderne. Die alte Substanz-Metaphysik ist durch eine Subjekt-Philosophie er-
setzt; statt der Ableitung alles Seienden von einem ersten und höchsten Seienden
(Onto-Theologie) hat Kants Transzendentalphilosophie die gesamte Objektivität
auf das transzendentale Subjekt bezogen, dessen ursprüngliche Synthesis den
30
Kant hebt dies an der o.g. Textstelle (Anm. 17) der Grundlegung zur Metaphysik der Sit-
ten explizit hervor.
31
Siehe die Ausführungen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Anm. 17), S. 414.
32
Siehe Kants Ausführungen in seiner Metaphysik der Sitten, Einleitung zur Tugendlehre,
XII,a (Akademieausgabe, Bd. 6, S. 399 f.).
33
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 421.
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant 149
formalen Rahmen aller Erfahrung a priori entwirft und für das empirische Wis-
sen vorbildet, welches nur innerhalb dieses Rahmens möglich ist. In Kants Trans
zendentalphilosophie sowie in Hegels absolutem Idealismus sieht Luhmann den
letzten denkerischen Versuch Alteuropas, eine vollständige Ganzheit des Wissens
zur Präsenz zu bringen.34 Dieser Subjekt-Philosophie setzt er seine Systemtheorie
entgegen, die, bei aller Differenz, doch einige Berührungspunkte insbesondere mit
Kants Philosophie aufweist.35
In aller Kürze sei an einige grundlegende Thesen Luhmanns erinnert. Für die
Entstehung unserer Welt müssen zunächst drei Evolutionen angeführt werden, die
sich den drei Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie zuordnen ließen,
nämlich erstens die kosmologische Evolution des Universums, zweitens die geo
logische Evolution des Planeten „Erde“, drittens die biologische Evolution der
Lebewesen, die Luhmann auch als „Einmalerfindung des Lebens“ charakteri-
siert.36 Mit der Entstehung des Menschen kommt es zur Co-Evolution der psychi-
schen und sozialen Systeme; denn der Mensch kann, wie schon Aristoteles hervor-
hob, ohne Sozialität nicht leben. In der Moderne werden das System „Gesellschaft“
und ihre Subsysteme immer weiter ausdifferenziert. Psychische Systeme und so-
ziale Systeme beziehen sich auf „Sinn“, der von Luhmann als eine evolutionäre
Errungenschaft bezeichnet wird.37 Psychische und soziale Systeme können nicht
existieren und operieren, so sie nicht ausnahmslos und durchgehend „Sinn“ ver-
34
So schreibt Luhmann (1992), S. 27, Fn. 19: „Das hochgetriebene, nie wieder übertroffene
Bewußtsein der Theoriearchitektur, das man bei Kant wie bei Hegel findet, zeigt im übrigen
an, daß in der Umbruchszeit um 1800 jedenfalls nicht mehr naiv ontologisch argumentiert
werden konnte, man aber andererseits auch nicht bereit war, die Hoffnung auf eine Welt refe-
rierende Metaphysik aufzugeben“.
35
Scheier (2017) hat in dem Artikel Glanz und Elend der Subjektivität – von Hegel zu Luh-
mann die Abwandlungen der Subjekt-Konzeption herausgestellt, die diese von den klassischen
Philosophien der Neuzeit (Kant, Fichte, Schelling, Hegel) über die Philosophien des 19. und
20. Jahrhunderts bis hin zu Luhmann erfahren hat: „Die Subjektivität überhaupt erschien in
der Vollendungsphase des klassischen Denkens als transzendentale Subjektivität, sodann mo-
dern als horizontale, sich serialisierende, existenzielle, kontingente und schließlich als me-
diale Subjektivität. Das Subjekt der medialen Moderne ist der fürsichseiende Daten-Träger im
Kommunikationssystem. Damit haben wir einstweilen zu rechnen“ (S. 87). Die Nachfragen zu
diesem Befund lauten: Gibt es eine sich durchhaltende Bedeutung von ‚Subjektivität‘, die ihre
Metamorphosen übergreift? Zeigt die einstweilige Letztgestalt (‚fürsichseiender Daten-Träger
im Kommunikationsnetz‘), die jeglichen Unterschied von empirisch und transzendental ein-
gezogen hat, dass der ‚Stab‘ von der Philosophie an die (Fundamental-)Soziologie übergeben
worden ist? Oder ist der ersteren eine eigene Aufgabe gegenwärtig noch gestellt? Eine solche
Aufgabe der Philosophie möchte Scheier offenbar in seinem Buch Luhmanns Schatten. Zur
Funktion der Philosophie in der medialen Moderne (2016) zum Vorschein bringen, wobei er
hierfür Luhmanns Begriff der „Funktion“ selbst verwendet.
36
Luhmann (1995) gibt folgenden Ausblick, der vor allem die gegenwärtige Risikogesell-
schaft im Auge hat: „Die evolutionäre Einmalerfindung des Lebens hat sich zwar über mehrere
Milliarden Jahre hinweg als erstaunlich stabil erwiesen, und dies unter sehr verschiedenen
Umweltbedingungen. Ob dies auch für die evolutionäre Einmalerfindung sinnhafter Kommu-
nikation gelten wird, läßt sich nicht ausmachen“ (S. 553.).
37
Luhmann (1987), S. 64, 69, 92, vgl. auch S. 127.
150 Wilhelm Metz
arbeiten und konstituieren; er ist das Medium, in dem diese Systeme sich befinden
und aus dem sie niemals herausfallen. Selbst eine Philosophie des Absurden, wie
bei Camus, oder eine Erfahrung der Angst, die sich nach Heidegger angesichts des
Nichts einstellt, weil uns das Seiende im Ganzen gewissermaßen entgleitet und in
seinem Sinn entzieht38 – auch solche spezifisch modernen Erfahrungen können nur
im Medium „Sinn“ artikuliert werden. Sinn ist eine „differenzlose Kategorie“,39 die
nicht negiert werden kann, ohne in ihr zu operieren und sie damit vorauszusetzen.
Es gibt keine Synthese oder ein System, welches uns „den“ Sinn in seiner Ganz-
heit zur Präsenz bringen könnte. Was immer als sinnhaft intendiert wird – ein
Gegenstand, ein Thema, Worte der Sprache, die Luhmann als „Sinnsplitter“40
bezeichnet, solange sie nicht einen Text bilden bzw. in einem Kontext verständ-
lich sind –, befindet sich in einem offenen und endlosen Netz von Verweisungen
auf andere Möglichkeiten der Sinn-Konstitution, die jetzt (noch) nicht aktualisiert
werden. Wir können niemals die Position eines transzendentalen Subjekts ein-
nehmen, welches der Gesamtheit dessen, was „für es“ sinnhaft ist, das Grund
gesetz oder den Rahmen vorschriebe und vorbildete;41 vielmehr hängen wir inner-
halb des Sinn-Netzes, von dem wir nur winzige Teile überblicken, wenn wir z. B.
„lokale Sinnstücke“42 konstituieren.
Kants Lehre, dass das transzendentale Subjekt als praktische Vernunft eine
moralische Selbst-Gesetzgebung vollzieht, deren „Du sollst“ alle endlichen Ver-
nunftwesen kategorisch verpflichtet und die selbst für Gottes heiligen Willen sein
inneres Prinzip ist, obgleich nicht in Gestalt eines Imperativs –, diese Lehre kann
Luhmann ebenfalls nur als alteuropäische Überschwänglichkeit einstufen. Denn
die „Moral“ ist für Luhmann eine Kommunikationsweise, die in der Gesamt
gesellschaft zirkuliert und in Korrelation zu ihr historisch und soziokulturell vari-
iert, ohne dass deswegen Luhmann, wie Nietzsche, den „Sinn“ der Moral in Frage
stellen oder gar eine ‚Umwertung aller Werte‘ postulieren müsste.43
Luhmann handelt oft davon, dass die Systeme sich und ihre Umwelt beobach-
ten; und beobachten heißt für ihn „eine Unterscheidung benutzen“. Hier gibt es
einen fernen Vergleichspunkt mit Kant. Wie nämlich bei Kant all unserem Wissen
zwei Grenzen gezogen sind – wir können nämlich weder das Ding an sich noch
das Ich an sich jemals erkennen44 –, so spricht Luhmann von einem doppelten
„unmarked state“ und einem doppelten blinden Fleck, den wir nicht vermeiden
können.45 Der Beobachter kann sein eigenes Beobachten selber nicht beobachten,
38
Siehe die Angst-Analyse im § 45 von Sein und Zeit, Tübingen 1979, und den Artikel
Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘, in: Holzwege, Frankfurt a. M. 1950, S. 205–263.
39
Luhmann (1987), S. 96. Siehe auch Luhmann (2002), S. 16 f.
40
Luhmann (2002), S. 20.
41
Zum Scheitern der neuzeitlichen Subjekt-Metaphysik, siehe Luhmann (1987), S. 145.
42
Siehe Luhmann (1987), S. 138.
43
Siehe zur ganzen Thematik Luhmann (2008).
44
Siehe Metz (1991), S. 97 und 191.
45
Siehe z. B. Luhmann (2002), S. 21, 27, 29.
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant 151
er macht Unterscheidungen, aber sein Unterscheiden kann er nicht sehen und auf
sich selbst anwenden, es sei denn in einer Beobachtung zweiter Ordnung. Des
gleichen ist die Welt ein Horizont, der stets weiter hinausrückt, ein je umfäng-
licheres Netz aktualisierter und potentieller Sinn-Verweisungen gespannt wird.
Der Horizont selbst kann niemals erreicht, nicht einmal angenähert oder gar zur
Präsenz gebracht werden.46
Die vorgetragenen Überlegungen seien mit einer Frage abgeschlossen, die an
Fichtes Kritik des Dings an sich erinnert. Fichte hat Kants Unterscheidung von
Ding an sich und Erscheinung als widersprüchlich dargetan und so die oben an-
gesprochene Grenze des Wissens durchlässig gemacht. Denn indem bzw. sobald
wir das Ding an sich von der Erscheinung unterscheiden, ist das Ding an sich be-
reits für uns. Denn wir haben es gedacht, thematisiert, im Bewusstsein gesetzt,
weshalb es aufhört, abstrakt und absolut dem Für-uns-Sein zu widersprechen. Auf
einen analogen Sachverhalt könnten wir in Bezug auf Luhmann verweisen. Indem
wir von der Unbeobachtbarkeit des Beobachtens und von dem unmarked state
der Welt handeln, so hat die Wissenschaft beide thematisiert und in bestimmtem
Sinn erkannt, was Luhmann auch selber für eine Beobachtung zweiter Ordnung
einräumt. Auch das Sinn-Netz, von dem wir nur einen winzigen Teil überblicken,
wurde gerade von uns in seiner Ganzheit gedacht, von der wir ja den ‚winzigen
Teil‘ abgehoben haben. Gibt es, ausgehend von dieser erst nur formalen Über
legung, vielleicht doch auch eine inhaltliche Aussicht, die moderne Gesellschaft
und ihre Subsysteme in einer Intelligibilität zu begreifen, die nach Luhmann nur
das alteuropäische Denken für erreichbar hielt? Könnte es insbesondere sein, dass
sich die Vorzüge und der Fortschritt, den die moderne Gesellschaft gegenüber den
älteren Gesellschaftsformationen darstellt, sehr wohl behaupten, auf einen Begriff
bringen und begründen ließen?47 Zu fragen wäre, ob der Leitbegriff für eine Fort-
schrittsthese auch gegenwärtig derjenige der Freiheit sein muss, weil auch die Frei-
heit in einem bestimmten Sinn ein differenzloser Begriff ist; denn in jedem freien
Denk- und Erkenntnisvollzug, in jeder selbst gewählten und somit authentischen
Kommunikation wird eine gewährte Freiheit immer schon in Anspruch genommen
und damit bejaht. Wäre über die Grenzen des Wissens und Nicht-Wissens auch
gegenwärtig neu nachzudenken? Könnte sich am Ende herausstellen, dass sich
im Vergleich zu ‚Alteuropa‘ doch das Licht des Wissens nicht abgeschwächt hat?
46
Hier berührt sich Luhmanns Denken mit der Kritik an der ‚Metaphysik der Präsenz‘, wie
sie von Derrida (1974) vorgebracht worden ist.
47
Einer der bedeutendsten Vertreter der „Fortschritts“-These im 20. Jahrhundert dürfte
Hans Blumenberg sein; siehe seine Bücher Die Legitimität der Neuzeit (1966) und Schriften
zur Technik (2015). Was die klassische Philosophie der Neuzeit anlangt, so haben Kant, Fichte
und Hegel aus je eigener Perspektive in der Weltgeschichte den Fortschritt erblickt und genau
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Autorinnen und Autoren
Gaetano Basileo: Promotion an den Universitäten Köln und Rom „Tor Vergata“
(Kotutelle). Forschungsinteressen: Das Verhältnis zwischen Leben, Sein und
Subjektivität im Deutschen Idealismus. Letzte Veröffentlichung: Principio, metodo
e sistema nella filosofia classica tedesca, hrsg. mit G. Di Tommaso, Roma 2019.
Nicolas Bickmann studierte Geschichte und Philosophie an den Universitäten
Köln, Paris-Sorbonne IV und Bonn. 2018–2019 absolvierte er einen Forschungs-
aufenthalt an der University of Chicago. Gegenwärtig arbeitet er an der Univer
sität Bonn an einer Dissertation zum Verhältnis von theoretischen und praktischen
Vernunftvermögen bei Johann Gottlieb Fichte.
Prof. (em.) Dr. Klaus Düsing, geb. 1940, Promotion 1967, Habilitation 1975,
Professor an den Universitäten Bochum (1976–1980), Siegen (1980-1983), Köln
(1983–2005), danach dort tätig in Forschung und Lehre bis 2017, seither regel
mäßig in der Forschung. Forschungsgebiete: Klassische deutsche Philosophie,
klassische antike Philosophie, Phänomenologie des 20. Jahrhunderts, Erkenntnis-
theorie, Metaphysik, Ethik, Ästhetik.
Markus Gabriel, geb. 1980, seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnis-
theorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart, zugleich seit 2012 Direktor
des Internationalen Zentrums für Philosophie / NRW und seit 2017 Direktor des
Center for Science and Thought an der Universität Bonn. Ausgewählte Veröffent
lichungen: Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie, Berlin 2016; Fiktionen,
Berlin 2020.