Deutschsprachige Lyrik Seit 1945 by Hermann Korte (2016)
Deutschsprachige Lyrik Seit 1945 by Hermann Korte (2016)
METZLER
Hermann Korte
Deutschsprachige Lyrik
seit 1945
2., völlig neu bearbeitete Auflage
2004
Verlag J.B. Metzler Stuttgart · Weimar
Der Autor
Hermann Korte, geb. 1949; Professor für Didaktik der deutschen Sprache und
Literatur am Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Uni-
versität Siegen
ISBN 978-3-476-01890-8
ISBN 978-3-476-05035-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-05035-9
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Dieser Band bietet eine Einführung in die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik
seit 1945 und stellt bibliographisches Material zu einem komplexen Thema zur
Verfügung. Die in der Sammlung Metzler unter dem Titel Geschichte der deutschen
Lyrik seit 1945 erschienene erste Auflage (SM 250) wurde vollständig überarbeitet,
aktualisiert und um Kapitel zu den achtziger und neunziger Jahren ergänzt. Die
Bibliographie wurde neu gestaltet und wesentlich erweitert.
Sehr geholfen haben mir bei den Vorarbeiten und Korrekturen Sabine Buch-
holz und Axel Diller, denen ich dafür herzlich danke. Mein Dank gilt ebenfalls Lisa
Kampmann für die Durchsicht der Satzkorrekturen und Ute Deventer für die kom-
petente Einrichtung des Manuskripts. Das Namenregister erstellten dankenswerter
Weise Anne Jelinek und Valentin Boor. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich
Ute Hechtfischer, der Lektorin des Metzler Verlages, die unermüdlich Anregungen
gab und auch in der Schlussphase des Projekts viel Zeit und Geduld aufbrachte.
Einleitung .......................................................... 1
Literaturgeschichte schreiben........................................... 1
Zitierweise und bibliographische Hinweise ............................... 4
Wer heute eine Einführung in die deutschsprachige Lyrik seit 1945 schreibt und
einen Abriss ihrer Geschichte geben will, der bis in die Gegenwart reicht, hat sich
in einem doppelten Sinn der Problemlage aktueller Literaturgeschichtsschreibung
zu vergewissern. Zum einen ist Literaturgeschichte heute nicht mehr, was sie bei-
spielsweise für KarlOtto Conrady 1966 noch war: die »Kunde von dem, was ge-
wesen ist, und- wenn sie die Gegenwart einbezieht- von dem, was ist« (Conrady
1966, 43). Zum anderen ist, gerade von der Gegenwart her gesehen, nicht einmal
klar, ob Autorinnen und Autoren, die vor einigen Jahren und Jahrzehnten Gedichte
veröffentlichten, unter einen so weiten, unscharfen Begriff wie >Geschichte< gefasst
werden können.
Literaturgeschichte schreiben
Es erscheint daher nützlich, zumindest in groben Zügen einige elementare Voraus-
setzungen der eigenen Arbeitsweise zu erläutern:
Das, »was ist«, liegt uns nicht etwa als unumstößliches Faktum vor, sondern
erhält Bedeutung erst im interpretierenden Geschäft des Literarhistorikers, der
seine im eigenen Zeithorizont verankerten Sichtweisen, Wertungen und Selbst-
verständnisse in seine Praxis einbringt. Uwe Japp hat in seinem Buch Beziehungs-
sinn eine der Prämissen literarhistorischer Praxis anschaulich zusammengefasst:
»Keine Geschichte kann einfach nachgeschrieben werden [... ].Jede Geschichte
wird im vollen Sinne des Wortes geschrieben. Sie wird konstruiert, indem sie die
historischen Gegenstände, zwischen denen sie Beziehungen behauptet, auswählt«
(Japp 1980, 41).
Mit Fragen der Auswahl hat der Literarhistoriker nicht allein bei der Sichtung
von Fakten, Ereignissen und Prozessen zu tun, sondern auch in einem noch viel
elementareren Sinn. So erscheinen in jedem Jahr Dutzende von Gedichtbänden,
von denen die wenigsten in Feuilleton und Literaturkritik beachtet werden. Zwar
übernimmt der Historiker keineswegs unbesehen die Selektionspraxis der Kriti-
ker, doch kann er sich der Notwendigkeit auszuwählen nicht entziehen. Ein Buch
über die deutschsprachige Lyrik von 1945 bis heute ist etwas diametral anderes als
eine kommentierende Aneinanderreihung aller seit dem Kriegsende erschienenen
Gedichtbände. Vielmehr konzentriert sich der Historiker auf bestimmte Grup-
pen, Richtungen, Stile und Autorentypen. Er wählt sich Gattungen und Genres
aus, interessiert sich für einzelne Phasen der Geschichte und entfaltet seine The-
sen und Positionen schließlich an ausgewählten Beispielen, einzelnen Texten und
Textstellen.
2 Einleitung
Zitierte Literatur
Baßler, Moritz: Einleitung: New Historicism- Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: M.B. (Hg.):
New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt a.M. 1995, S. 7-28.
Conrady, Kar! Otto: Einführung indieneuere deutsche Literaturwissenschaft. Reinbek 1966.
Conrady, Kar! Otto: Konzepte und Darstellungsformen der Literaturgeschichtsschreibung. In: Helmut
Brackert/Eberhard Lämmert (Hg.): Funkkolleg Literatur. Frankfurt a.M. 1978. Bd. 2, S. 193-218.
Conrady, Kar! Otto: Illusionen der Literaturgeschichte. In: Thomas Cramer (Hg.): Literatur und Sprache
im historischen Prozeß. Tübingen 1985. Bd. 1: Literatur, S. 18-29.
Danneberg, Lutz/Vollhardt, Friedrich (Hg.): Vom Umgang mit Literatur und Literaturgeschichte.
Positionen und Perspektiven nach der »Theoriedebatte<<. Stuttgart 1992.
Fulda, Daniel!Tschopp, Silvia Serena (Hg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem
Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin/New York 2002.
Japp, Uwe: Beziehungssinn. Ein Konzept der Literaturgeschichte. Frankfurt a.M. 1980.
Korte, Hermann: Energie der Brüche. Ein diachroner Blick auf die Lyrik des 20. Jahrhunderts. In:
Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Lyrik des 20. Jahrhunderts. Sonderband. Text+ Kritik. München
1999, s. 63-106.
Vosskamp, Wilhelm/Lämmert, Eberhard (Hg.): Historische und aktuelle Konzepte der Literaturge-
schichtsschreibung. Zwei Königskinder? Zum Verhältnis von Literatur und Literaturwissenschaft.
Tübingen 1987.
1. Lyrik zwischen 1945 und 1949:
Kontinuitäten
Für die deutsche Dichtung sind die Jahre 1933 und 1945 entscheidende Kerben. 1933
bezeichnet einen radikalen, fast tödlichen Schnitt durch die organischen Stränge, die vom
Anfang des Jahrhunderts in die Zukunft wachsen wollten. Daß die Lyrik am empfindlichsten
getroffen war, bewies ihre Verkümmerung. Zwölf Jahre lang gab es nur Epigonen. Auch die
Lyrik der Idylle und die Lyrik des Exils schrumpfte. Wir betrachten heute voller Wehmut,
wie die letzten Verse der Emigranten, die einmal die Eskapaden des Expressionismus ge-
liefert hatten, in schwächlichen Reimereien endeten. Es ist erwiesen: Diktaturen ersticken
das Gedicht.[ ... ] 1945 war das Jahr, in dem die Fessel weggenommen wurde. Alles, was
heute an Lyrik vorliegt, verdankt seine Möglichkeit jener Befreiung.
Das Empfinden, im Jahr 1945 an einem »Nullpunkt« gestanden zu haben, der die
Chance zur »Befreiung« bot, prägte das Selbstverständnis einer großen Zahl von
Nachkriegslyrikern. Für die einen waren die »Kerben« mit schmerzhaften Erinne-
rungen an Exil und Verfolgung verbunden. Anderen allerdings bot die Formel vom
»tödlichen Schnitt« auch eine bequeme Möglichkeit, einen Schlussstrich hinter die
eigene Vergangenheit zu ziehen und das Jahr 1945 als Neuanfang zu begreifen.
Benders »Kerben«-Metapher zielt auf zwei Trenndaten, auf 1933 und auf 1945.
In diesem Verständnis war der Faschismus eine barbarische »Fessel« der Lyrik, sogar
ein Ausdruck ihrer »Verkümmerung«. Die Frage nach der möglichen Beteiligung
von Lyrikerinnen und Lyrikern an der kulturellen Praxis des >Dritten Reiches< er-
übrigt sich offenbar: »Diktaturen ersticken das Gedicht.«
Die Brisanz in Benders Rückblick liegt im Datum 1945, dessen Fixierung als
Zäsur sich nach dem Krieg fast mühelos durchsetzte. Das Wort vom Neubeginn
und Neuanfang sollte die Trennlinie zur nationalsozialistischen Diktatur markie-
ren, als sei der 8. Mai 1945, die bedingungslose Kapitulation des faschistischen
Deutschlands, per se eine fundamentale Epochenscheide. Auch wer nicht den Eu-
phemismus der Floskel vom >Neubeginn< teilte, fand doch im Datum eine recht
bequeme Periodenstütze, so dass nicht zuletzt auch innerhalb der Literarhistorie
in Ost wie in West das Jahr 1945 zur Epochenzäsur avancierte.
Es schien, als habe mit dem Kriegsende die Zeitgeschichte selber eine Zäsur von
universeller Gültigkeit und evidenter Bedeutung gezogen. Sie anzuzweifeln, hieße
6 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
einen Konsens aufzukündigen, der weit über die kollektive Erinnerung an ein Ka-
lenderdatum hinausging. Im nebulösen Vokabular der ersten Nachkriegsjahrzehnte
war von Faschismus kaum die Rede; die Epoche zwischen 1933 und 1945 wurde
zur so genannten >jüngsten Vergangenheit< erklärt.
Zu den zahlreichen Tabuformeln der frühen Nachkriegsjahre gehörte auch das
Schlagwort von der »Stunde Null« und vom »Nullpunkt«. Daher konnte ein Essay
wie HansEgon Holtbusens »Die Oberwindung des Nullpunkts« (Holthusen 1951,
137-168) große Resonanz erzielen: Die Lyrik begann 1945 wieder, die Zeitspanne
zwischen 1933 und 1945 stand nicht weiter zur Diskussion. Nicht zufällig findet
sich daher auch bei Bender die These von der »Verkümmerung«, die offenbar so
einleuchtend war, dass er sie in zwei kurzen Sätzen zusammenfassen konnte: »Zwölf
Jahre lang gab es nur Epigonen. Auch die Lyrik der Idylle und die Lyrik des Exils
schrumpfte« (Bender 1962, 9).
So unhaltbar die These aus heutiger Sicht ist - Bender selber hat sie in seiner
Anthologie Deutsche Lyrik zwischen 1930 und 1960 (1983) komplett widerlegt: Es
gab 1962 kaum jemanden, der ihm widersprochen hätte. Bei Bender und Holtbusen
wurden Widersprüche und Krisen harmonisiert, die schon vor 1933 bereits sichtbar
waren. Wer seit der Jahrhundertwende »organische Stränge« ausmachen möchte,
die »in die Zukunft wachsen wollten« (Bender, ebd.), verkannte nämlich nicht nur
die spannungsreichen Brüche, die die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts be-
stimmten und etwa seit 1925 die Auseinandersetzungen um Expressionismus und
Dadaismus zur Geschichte werden ließen, sondern auch die Krisensituation um
1930, in der Schlussphase der Weimarer Republik, die auch die Literatur erfasste
und vor 1933 bereits im deutlichen Abrücken von avantgardistischen Positionen
und im vordringenden Traditionalismus gerade auch die Lyrik tangierte. Dass nach
1933 solche Tendenzen eben nicht verkümmerten, also keineswegs alle »organischen
Stränge« durchschnitten wurden, kam erst gar nicht in den Sinn.
1945, so hat es den Anschein, ist nicht zuletzt deshalb ein brisantes Datum, weil
es das Jahr 1933 als analoge Epochenzäsur mitthematisiert. Die Auffassung, der
Faschismus habe eine blühende Kultur zerstört und eine tabula rasa sonderglei-
chen geschaffen, verkennt die Bedeutung des nach 1933 zunächst noch geduldeten
Traditionalismus. Die Phase zwischen 1933 und 1945 war nämlich, noch einmal
mit Bender formuliert, in dem Maße keine bloße »Verkümmerung«, die alle zu
»Epigonen« machte, wie eine verblüffend große Zahl jener Autoren, die dann nach
1945 die Nachkriegsliteratur auf Jahrzehnte bestimmen, keineswegs verstummte,
sondern (weiter) schrieb, Verleger fand, veröffentlichte, teils auch in den Registern
der Reichsschrifttumskammer als Berufsautor geführt wurde, teils sich an der Pe-
ripherie des Kulturbetriebs befand.
schiednehmen von der eigenen avantgardistischen Jugend darstellt und nicht etwa
der Rückkehr in die Radikalität expressionistischer Vergangenheit das Wort redet.
Die unter anderem von ihm selber und Georg Lukacs mitgeprägte Expressionismus-
Debatte der Moskauer Exilzeitschrift Das Wartim Jahr 1937liest sich jedenfalls in
den zahlreichen Polemiken gegen die Moderne (für den der literarische Expressio-
nismus nur das Beispiel abgibt) wie ein Begleitkommentar zur traditionalistischen
Wende deutscher Literatur seit dem Ende der Weimarer Republik.
Das Jahr 1945, die trügerische »Stunde Null«, hat eine Geschichte, sogar eine,
die auch über das Jahr hinaus erstaunlich lebendig ist und auf vielerlei Weise Kon-
tinuitäten bewirkt. Es kann festgehalten werden, dass die Namen der Lyriker 1945
nicht ausgewechselt wurden. Die personelle Kontinuität äußert sich im Westen
und Osten analog, mit dem wichtigen Unterschied freilich, dass auf dem Gebiet
der späteren DDR die Exillyriker lange Zeit über den Trend bestimmen- von Be-
cher über Erich Weinert bis Louis Fürnberg -, während sie im Westen unbeachtet
blieben (zum späten Becher etwa gibt es über Jahrzehnte keine differenzierte ger-
manistische Untersuchung). Dabei ist die personelle Kontinuität keineswegs die
bestimmende; bedeutender ist die auch nach 1945 mächtige Orientierung an jenen
Tendenzen, die seit 1930 die Lyrik so entscheidend geformt haben.
Von einem Neuanfang, gar nach einer Phase des konsequenten »Kahlschlags«,
kann im gesamten deutschen Sprachraum nicht die Rede sein, so dass das Jahr
1945 innerhalb eines literarhistorischen Periodisierungsentwurfs im Kern nichts
anderes ist als ein Orientierungsrahmen, wenn es gilt, die Geschichte der Lyrik
seit 1930 nachzuzeichnen. Über diese heuristische Funktion hinaus gibt es keine
Berechtigung, das Jahr 1945 als eine >Trenn<-Grenze zu verstehen.
Berücksichtigt werden sollte diese Relativierung der Zäsurmarke 1945 vor al-
lem auch bei der Rekonstruktion des Frühwerks unterschiedlicher Autoren. Ein
Blick in die Werkausgabe Huchels zeigt, wie viele Gedichte vor 1945 entstanden,
zumindest in diversen Fassungen, und in welchem Ausmaß diese Texte bereits vor
Kriegsende der literarischen Öffentlichkeit zugänglich waren, sofern sie vor 1933
in der Literarischen Welt, in der Kolonne nach 1933 und im Inneren Reich sowie in
Anthologien und Almanachen erschienen. Auch Günter Eichs Produktion umfasst
seit seiner ersten Gedichtpublikation in Willi Fehses und Klaus Manns Anthologie
jüngster Lyrik (1927) neben Gedichten auch eine stattliche Reihe von Hörspielen,
Kalendergeschichten, Erzählungen, so dass eine >Inventur< des Frühwerkes die Er-
kenntnis nahelegt, dass 1945 ein versierter, indes noch wenig bekannter Berufs-
schriftsteller seine Arbeit fortsetzt.
Von einem »absoluten Indifferenzpunkt« (Holthusen) musste die Lyrik 1945
nicht ausgehen, denn sie hatte keinen »NuHpunkt« zu überwinden. Es wurde, um-
gekehrt argumentiert, sogar die Gelegenheit verpasst, aus dem gewiss subjektiv
ehrlichen Wunsch nach Neubeginn eine Chance zur Reflexion der eigenen lite-
rarischen Vergangenheit abzuleiten. Die Traditionslinien, die seit dem Ende der
Weimarer Republik auszumachen waren, hatten 1945 noch eine derartige Kraft,
dass sie in Ost und West auch unter veränderten politischen Konstellationen und
neuen kulturellen Bedingungen weiterhin wirksam zu sein vermochten. Dass die
10 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
Liste der Autoren, die zwischen 1945 und 1949 Gedichtbände veröffentlichten, fast
keinen neuen Namen präsentiert, ist auf dem Hintergrund der kurzen Zeitspan-
ne nicht verwunderlich. Entscheidender aber ist, dass sie keine neue Tendenz und
schon gar keine neue Epoche deutscher Lyrik ankündigt.
I
Wir sind doch alle schauerlich Verjagte.
Ob hier, ob dort, erhellt das Rätsel nicht.
Was gestern noch zur Nacht aus Blüten tagte,
hängt schief im Strom, der Ungeheures spricht.
Ein Indiz für die Kontinuität literarischer Produktion ist die Praxis vieler Lyriker,
von 1945 an das, was während des Kriegs oder bereits davor geschrieben wurde,
zu veröffentlichen. Auf diese Weise geriet zum einen so manches früher Verbotene
und Unerwünschte ans Licht, zum anderen war die Chance gegeben, im wieder-
aufgebauten Zeitschriften- und Verlagswesen schnell Fuß zu fassen.
Ein signifikantes Beispiel dafür ist die Entstehungs- und Druckgeschichte der
Statische[n] Gedichte Gottfried Benns (1948), jener Gedichtsammlung, die, an
ihrer Wirkung gemessen, zu den wichtigsten der frühen Nachkriegsjahre gehör-
te. Benn (1886-1956) hat nach einem anfangliehen enthusiastischen Bekenntnis
zum >Dritten Reich< 1938 von der Reichsschrifttumskammer offizielles Schreib-
verbot erhalten. Es hinderte ihn freilich nicht, weiterhin Gedichte zu schreiben.
Die Entstehung der Statische{n] Gedichte jedenfalls reicht bis in die späten 1930er
und frühen 40er Jahre. Die Gedichte erschienen 1948- nach Schwierigkeiten mit
alliierten Behörden, die Benns publizistisches Engagement für den Faschismus
nicht vergessen hatten - im Zürcher Arche-Verlag. Als dann schon ein Jahr später
der Band als Lizenzausgabe auch im Westen greifbar war, hat Benn nicht nur, in
Rihas Worten, »den Wiedereintritt [... ]in die deutsche Literatur« (Riha 1971, 162)
erreicht, sondern auch die Basis für eine Jahrzehnte lange dominierende Stellung
innerhalb der Nachkriegslyrik geschaffen.
das Bild einer wirren Vielfalt von Themen, Motiven und Autoren ab. Lyrische Liturgie
findet sich neben frecher Kabarettpoesie, das amateurhaft hingeschriebene Alltagsgedicht
des jungen Heimkehrers neben dem strengen Sonett des bejahrten Berufsschriftstellers,
der lakonische Kurzzeiler neben den zahlreichen Gedichtzyklen und lyrischen Epen, das
zivilisationsmüde Naturgedicht neben dem warnenden Zeitgedicht, Prosalyrik neben klas-
sischer Reimdichtung.
I
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
L_
Verbreiteter freilich als dieses schon Konsequenzen zum Programm erhebende
Gedicht sind Versuche einer Bilanzierung aus Blickwinkeln einzelner, vereinzelter
Individuen, aus persönlich gehaltenen Erfahrungen. Die persönliche Optik wird zur
Voraussetzung für den Wahrheitsanspruch des Textes. Dabei gilt die Momentauf-
nahme, so karg und lakonisch sie gehalten scheint, einem signifikanten Augenblick,
den das Gedicht beschwört: einer Erinnerung, in der sich alles Leid des Krieges
vereinigt; einer flüchtigen Reflexion, die das Individuum am Tiefpunkt seiner phy-
sischen und psychischen Existenz zeigt. Ein Beispiel für diese Art »Trümmerlyrik«
ist Hans Benders Gedicht »Heimkehr« (Bingell961, 68):
I
Im Rock des Feindes,
in zu großen Schuhen,
im Herbst,
auf blattgefleckten Wegen
gehst du heim.
Die Hähne krähen
deine Freude in den Wind,
und zögernd hält
der Knöchel
vor der stummen,
neuen Tür.
L_
Das lyrische Ich fixiert die Ankunft des Heimkehrers mit wenigen Strichen, ohne
Kommentierung, ohne Verallgemeinerung, aber mit ausgeprägtem Sinn für jene
Details, aus denen die Situation selbst plastisch erscheint: unheroische Rückkunft,
verhaltene »Freude«, zögernde Skepsis und latente Müdigkeit. Der sachliche, nüch-
terne Ton deutet die Abkehr vom Pathos des Faschismus an und erprobt eine Ge-
dichtsprache, die sich als eine erneuerte, von Klischees und Ideologemen gereinigte
Sprache versteht.
Die »Trümmerlyrik« will, dem Selbstverständnis ihrer Autoren zufolge, nach
jenem viel zitierten Motto verfahren, das Wolfdietrich Schnurre den Nachkriegs-
dichtern ins Stammbuch geschrieben hat: »Zerschlagt eure Lieder I verbrennt eure
Verse I sagt nackt I was ihr müßt« (zit. n. Fischer 1986, 437). Eine solche Poetik
hat freilich keinen Anspruch auf Gültigkeit. Ihr entgeht, dass noch das empfohlene
>Zerschlagen< der Lieder und das >Verbrennen< der Verse im Medium des Gedichts
sich vollziehen und die Losung »sagt nackt, I was ihr müßt« zumindest ihre versi-
fizierte Einkleidung nicht aufgegeben hat.
14 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
Vorsichtiger als Schnurre macht Marie Luise Kaschnitz auf die Möglichkeit auf-
merksam, dass die Lyrik vor 1945 doch unkritisch sprachlichen Stereotypen gefolgt
sein könnte: »Wußten wir in sorglosen Zeiten, I Unbestimmt von Schmerz und Lust
erregt, I Um den bittern Kern von Wirklichkeiten, I Welchen jedes Wort zuinnerst
hegt?« (Kaschnitz 1985, 103). Die Frage, selber getragen vom Pathos, bewahrt ei-
nen poetischen Rest an Ästhetisierung, der den »bittern Kern von Wirklichkeiten«
zwar beschwören, aber noch nicht offenlegen kann. Eine auf situative Momente
des Alltags bauende »Trümmerlyrik«, die einer reinigenden Spracherneuerung
verpflichtet sein möchte, vermeidet eher einen pathetischen, deklamatorischen
Sprachgestus und suggeriert zumindest eine Art authentischer Erlebnis-Miniatur,
wie sie Walter Höllerer in seinem Gedicht »Der lag besonders mühelos am Rand«
(HöHerer 1982, 23) entwickelt:
I
Der lag besonders mühelos am Rand
Des Weges. Seine Wimpern hingen
Schwer und zufrieden in die Augenschatten.
Man hätte meinen können, daß er schliefe.
Text selber als Synekdoche für das Ganze des Krieges erscheinen lassen soll. Damit
freilich hat ein solches Gedicht keineswegs mit der Tradition an sich gebrochen,
sondern sich (wie mit der Synekdoche) eines ihrer längst bekannten Verfahrens
bedient. Illusionen indes über die Radikalität solchen Lapidarstils waren durch-
aus verbreitet, wenn etwa - ein repräsentatives Beispiel für die gesamte Tendenz
- Wolfgang Weyrauch formuliert: »Schönheit ohne Wahrheit ist böse. Wahrheit
ohne Schönheit ist besser« (zit. n. Schnell1986, 94).
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
[... ]
L_
Müller-Hanpfts Annahme, das Gedicht zeige >>eine kindliche Perspektive«, hier
müsse sich jemand >>in der Wirklichkeit wie ein Kleinkind neu orientieren« und
16 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
daher einen »Vorgang in lapidarer Sprache« (36) fassen, verkennt die Struktur des
Gedichts ebenso wie Dietschreits These, Eichs »Bestandsaufnahme« sei so »radi-
kal und erschreckend wie die vom Krieg zerstörten Städte« und präsentiere »die
Gegenstände in ihrer Nacktheit, reduziert auf die lebensspendende Funktion« und
nur noch im »Rückgriff auf die schöpferische Phantasie«, welche aber einen ersten
»Versuch des >Sich-Regens<« (Dietschreit 1983, 88) signalisiere. Die ironische Per-
spektive des Textes wird zum >Kahlschlag<-Pathos verzogen. Dabei bewahrt Eich
in seiner Replik aufs »Inventur«-Machen gerade mehr als ein paar lebenswichtige
Utensilien: »Die Bleistiftmine I lieb ich am meisten: I Tags schreibt sie mir Verse,
I die nachts ich erdacht.« Nicht bloß ein »Brotbeutel« und »ein Paar wollene So-
cken« haben, wie es scheint, den Krieg überstanden, sondern zumindest auch das
literarische Klischee vom nächtlichen Verseschmied, der den »kostbaren Nagel«
ebenso »vor begehrlichen I Augen« zu bergen weiß wie seinen Bleistift, und der
- eine ironische Kontrafaktur par excellence - inmitten des übrigen Krams die-
sen besonders liebt, weil er ihm seine Dichter-Rolle weiter ermöglicht. Die Frage,
ob die »Inventur« noch im Gefangenenlager entstand- der deiktische Gestus des
Gedichts legt dies in seiner rhetorischen Plastizität nahe -, ist keineswegs geklärt
(Kaiser 2003, 269).
Vor allem Eichs Spiel mit karikierenden Elementen, mit heroischen Bilderresten
und Traditionalismen aller Art, schützt seine Gedichte vor einem falschen, trüge-
rischen Pathos des Neuanfangs. Die historische Situation wird in dem Maße deut-
lich, wie deren Genese und deren noch unverarbeitete, erst allmählich aufgedeckte
Widersprüche ins Bild geraten. Nicht der unprätentiöse Sprachduktus an sich und
die im Sujet der Gedichte vermittelte Alltäglichkeit bestimmen Eichs Kontrafaktu-
ren, sondern die Präzision, mit der der geschichtliche Moment des Jahres 1945 aus
vereinzelten, isolierten Erfahrungen aufscheint. Im bewusstgemachten Umgang mit
ihnen entfaltet sich Eichs kritische Perspektive.
Kontrafakturen
Kritische Kontrafakturen- bewusste Brüche mit lyrischen Traditionen und For-
men- begannen, wie in Peter Huchels Auftaktstrophe des Gedichts »Der Rückzug«
(Huchel1984, 100), mit elementarer poetischer Erinnerungsarbeit:
I
Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten.
Die Wiesen grünen wieder Jahr um Jahr.
Die Qualen bleiben, die wir einst erlitten,
ins Antlitz, in das Wesen eingeschnitten.
In unsren Träumen lebt noch oft, was war.
L_
Das, »was war«, bleibt umschrieben. In anderen Gedichten folgen Autoren in ihren
Periphrasen dessen, »was war«, gern christlicher Symbolik und antiker Mythologie
oder konstruieren gar, indem sie Religion und Mythos vermischen, ein allumfassen-
des Reich des Bösen. Das Bild des Faschismus verschwimmt in einer unbestimmten
Mystifikation, in hilfloser Rede.
Nicht jeder Blick auf die Tradition bedeutet sogleich eine Restauration fragwür-
diger Ideologeme des >Dritten Reiches<. Der lyrische Traditionalismus erzeugt vor
allem dann eine prekäre Sprachlosigkeit, wenn er peinlich unbefangen daherredet
und unaufhörlich jenen Zug zum >Höheren< reproduziert, der- wie schon Herm-
lin 1947 richtig beobachtet hat- sich scheut, »die Dinge in ihrer grauenhaften und
merkwürdigen Einfachheit darzustellen« (Hahn 1980, 22). Gerade »die Unmög-
lichkeit«, so Hermlin (20),
20 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
offen zu sprechen, hat zwölf Jahre hindurch die Dichtung der Stillen im Lande auf das
Gebiet des Außermenschlichen gedrängt. Aus der grotesken und blutigen Furchtbarkeit
des Faschismus wucherte eine Welt blinder, vegetativer Kräfte, eine dämonisierte Natur
erhob sich hier gleichnishaft, in der Larven, Lurche, Sporen, Pollen und Staubfäden ihre
blinde, beharrliche Existenz führten.
I
Erschrockne Ammer flog vorbei,
Als sähe sie Morgan Je Fay -
Die Welt brach wie ihr Lied entzwei,
Sie sang nicht aus.
Von blauem Dufte eine Wand -
Bin ich vorm Wald Bronzeliand?
Bin nicht Gawain, Merlin zu sprechen,
Doch kann die blaue Wand ich brechen
Ins grüne Haus.
Paradigmen des Traditionalismus. Zwischen Konvention und Irritation 21
...
[ ]
Das Lieschgras streichelt meine Hände,
Die Ammer singt ihr Lied zu Ende,
Die Welt bleibt heil.
L_
Noch im Jahr 1942 beantwortete Lehmann die Frage, ob der Mythos seine sinn-
stiftende Kraft verloren habe, mit dem tröstlichen Blick auf die »heile Welt«. Deren
Restauration erfolgte gegen jede politische Heillosigkeit, unter krasser Ignoranz
des historischen Augenblicks. Ihm versagte sich Lehmann in doppelter Weise: Er
vermied die mythische überhöhung des Faschismus, aber er sparte auch alle An-
spielungen auf dessen Gewaltherrschaft aus. Irdische Schöpfungskräfte und mythi-
scher Zauber erschufen eine eigene kleine, »heile Welt« der Poesie, deren Hermetik
zwar Vogelstimmen und Pflanzenformen als unvergängliche, sichtbar-unsichtbare
Signatur irdischen Seins zu lesen, die Zeichen der historischen Zeit aber nicht zu
deuten verstand.
Oda Schaefers Gedicht »Dem Manne, der im Krieg war« (Schaefer 1985, 90) zeigt
die begrenzten Möglichkeiten einer traditionalistischen Lyrik, die den Weltkrieg in
eine Bildungsreminiszenz aus antiken und nordischen Mythologien bannen will:
»Ultima Thule. II Erbitte die Seele zurück I Von den Katalaunischen Feldern, I Wo die
ewige Schlacht tobt«, so beschwört die Autorin ratlos Mythos und Geschichte, nach-
dem ihre Klage über die Zerstörung der Natur sich geradezu als groteske Verkehrung
der Mitleidsperspektive ad absurdum geführt hat: »Stiefel zertraten I Die Blumen
alle, die schönen, I Das Blau unter dem Nagel, I Das Rosa unter dem Absatz starb.«
»Utopie aus dem Blumentopf«, »Wiedergeburt des Mythos aus dem Geiste der
Kleingärtnerei« (Rühmkorf 1978, 17}? Was das Naturgedicht unmittelbar nach dem
Krieg zum dominierenden Genre der Nachkriegslyrik machte, war zumindest nicht
weit von der skurrilen »Utopie aus dem Blumentopf« entfernt, die Peter Rühmkorf
1962 als ))lyrisches Weltbild der Nachkriegsdeutschen« ( 11) karikiert. Die Beschrän-
kung der Perspektive wird nämlich zur bornierten Welthaltung, wenn der Rückzug
aufs ))ewige Dasein« (so der Titel eines Gedichtbandes von Hermann Kasack) die
Traditionslinie deutscher Innerlichkeit ungebrochen über 1945 hinaus fortsetzt:
))Mensch dem Menschen hingegeben«, orakelt Manfred Hausmann in seinem Ge-
dichtband mit dem bezeichnenden Titel Füreinander (1949), ))stumm, getreu und
tief in eins, I unveränderlichen Seins, I seliger ist nichts im Leben« ( 188). In seinem
Gedicht ))Herbstgefühl« (Britting 1957, 131) hatte Georg Britting bereits 1944 einer
Flucht ins Private das Wort geredet:
I
Bescheide dich! Begnüg dich zuzusehn!
Ein Krug mit Wein ist vor dich hingestellt.
Daneben liegt ein Buch. Was willst du mehr?
Schönheit, Geist und Leben am Ende nur zu inhaltsleerem Raunen fähig ist: »Und
es obliegt nur I den höheren Mächten, I ob sie uns treiben I in das Vergessen I oder
uns führen I ans Ufer der Flüsse I und in der Täler I fruchtbaren Grund« (26).
Die semantische Verdrängung ist nicht allein Hagelstanges Geschäft. Die Ver-
se von Holthusen, Hausmann, Fritz Diettrich und Werner Bergengruen leisten
allesamt ihren Beitrag dazu, aus dem Faschismus eine numinose Macht in einem
imaginären Unterreich zu machen und seine Opfer unter die vage Vokabel >Leid<
zu subsumieren, zu der sich dann um so leichter das Reimwort >Ewigkeit< gesellen
kann. Als Denkfigur durchzieht Gedichte von Hagelstange, Schröder, Bergengruen
und Friedrich Georg Jünger die Dialektik von Wandel und Dauer. Sie garantiert, so
illusionär und fatal dies unmittelbar nach dem Krieg auch sein mag, eine scheinbar
unverfängliche Standortbestimmung jenseits der Zeitgeschichte.
Hagelstange ruft in seinem Gedichtband mit dem Klischee-Titel Strom der Zeit
(1948) den Lesern tröstlich zu: »Bildet die Vergänglichkeit I wilde Wirbel auch
und Kreise, I überm Wechsel seiner Weise I Schwebt das Lied der Ewigkeit« (5).
Diettrich bekennt in einem seiner Gesänge der Einkehr, dass er »in inniger Fühlung
I Mit ewigen Mächten« sei und sein Dichterwort den »ratsamen Spruch« dieser
Mächte vorwegnehme: »Nicht irdischer Rächer Bedarfs! I Nur der einrenkenden
Kraft I Des Gottes im Gang durch die Zeiten!« (Diettrich 1962, 284f.). Nicht jede
solche »Einkehr« endet beim fiktiven Standort des lyrischen Ichs über den Wolken
und Wettern der Geschichte.
Ein Beispiel dafür ist Reinhold Schneiders Nachkriegslyrik Zwar setzt auch er
die Tradition seiner Sonettdichtung bruchlos nach 1945 fort: im Bewusstsein ehrist-
lieh-konservativer Haltung, aber er flüchtet sich nicht a priori in eine Dialektik von
Ewigkeit und Augenblick, in eine dürre Kasuistik ideologischer Geschichtslosigkeit.
Schneiders Verse offenbaren die Widersprüche zwischen epigonaler Form und sub-
jektivem Wahrheitswillen in einem Ausmaß, dass seine Sonettsammlungen Die letz-
ten Tage (1945), Apokalypse (1946) und Stern der Zeit (1948) sich wie Versuche lesen,
ein aktuelles, unverfälschtes Zeitpanorama aus alten Kulissenteilen zu verfertigen.
Im Kampf mit Engeln und Dämonen über Himmel, Wetter und Abgründe
hinweg aber tritt das Unvermögen um so deutlicher hervor, mit anderem als mit
Abgenutztem zu hantieren und am Ende, vage genug, der »ewigen Lichter Trös-
tung« (Schröder 1952, 173) zu versprechen: »Die Not will Größe; die der Geist
vereint, I Zerbrechen nicht, wenn nur sein glühend Werben I Der starren Seele
letzte Kälte taut« (180).
Schneiders Epigonenturn ist symptomatisch für eine im Traditionalismus ver-
harrende Lyrik nach dem Krieg. Dabei beschränkt sich deren prekäre Situation nicht
allein, wie zuweilen angenommen, auf den Westen Deutschlands, in dem unter den
Bedingungen des Kalten Krieges und der sich abzeichnenden Restauration freilich
angebotene Muster kollektiver Verdrängungen besonders dankbar aufgenommen
wurden. Auch Österreich kannte keine >Stunde Null<, keinen Neuanfang. Stattdessen
entstand - mit aufkommendem Ressentiment gegen die alliierten Besatzer - eine
Tendenz zur förmlichen Abschottung gegen Versuche, das Jahr 1938 und die eigene
faschistische Vergangenheit zu thematisieren.
Paradigmen des Traditionalismus. Zwischen Konvention und Irritation 25
Deutsch-Jüdische Autoren
Dass für Rose Ausländer, Paul Celan ( 1920-1970) und andere, die in Czernowitz
lebten, zwischen 1941 und 1944, also während der faschistischen Okkupation, das
deutsche Idiom als Dichtersprache ein Medium des Oberlebens war, war nach dem
Krieg keineswegs ein kontinuitäts- und identitätsstiftender Impuls.
Rose Ausländer (1907-1988) beispielsweise gehörte zu den jüdischen überle-
benden in Czernowitz und der Bukowina, die 1945 sowjetisches Territorium wur-
de. Wie viele andere übersiedelte sie 1946 nach Rumänien, verließ aber bereits im
Herbst desselben Jahres Bukarest und wanderte in die USA aus. Dort schrieb sie
Gedichte in englischer Sprache. Es war die amerikanische Schriftstellerio Marianne
Moore, »die Rose Ausländer dazu bewegte, wieder in deutscher Sprache zu dichten
und sich auch um Veröffentlichungen ihrer Gedichte zu bemühen« (Braun 1991,
24). 1957 kehrte die Lyrikerin nach Europa zurück und begann wieder in Deutsch
zu schreiben. Noch viele Jahre freilich sollte es dauern, bis sie einem größeren Ly-
rik-Publikum bekannt wurde.
Erst aus existentieller Spannung heraus sind die Hin- und Abwendungen zur
deutschen Sprache und zum deutschen Publikum angemessen zu verstehen. Und
auch für Rose Ausländers Lyrik ist ihre emphatische Preisung der Muttersprache
stets auf das Trauma des überlebten deutschen Terrors rückzubeziehen, wie im
späten, 1972 entstandenen Gedicht »Mutter Sprache«: »Ich habe mich I in mich
verwandelt I von Augenblick zu Augenblick I I in Stücke zersplittert I auf dem
Wortweg I Mutter Sprache I setzt mich zusammen I I Menschmosaik« (Ausländer
1984, 104).
sollte, glichen sich hüben und drüben. Rainer Maria Rilke etwa hatte für Hans
Egon Holthusen, aber auch für Stephan Hermlin (und nicht nur für diese beiden
Autoren) einen Ehrenplatz im poetischen Göttertempel; und Hölderlin wird von
Becher (1891-1958) ebenso enthusiastisch gelesen wie zum Beispiel von Hagel-
stange. Bechers Dichtung schließlich ist selbst ein signifikanter Ausdruck für jene
Schwierigkeiten, die sich mit dem subjektiven Wunsch nach Neuanfang ergeben
können, und insofern paradigmatisch für Ost und West.
Widersprüchlich wirkt Bechers Lyrik nach 1945. Solange sie Auftragsarbeit ist,
steht sie in der bis in Zeiten der frühen Hochkulturen zurückreichenden Traditi-
on des Herrscherlobs, der so genannten Panegyrik, der man anmerkt, dass sie mit
handwerklichem Poesie-Verschnitt auszukommen sucht. Becher produziert diese
Texte mit simplen Strophen- und Reimformen, abgenutztem lyrischen Schmuck
und Zitaten, die ihre Adressaten- unter dem Vorwand einer erneuerten Volkslied-
Tradition - eher über kleinbürgerliches Bildungsgut und klassizistische Verse ge-
winnen will, als dass sie der Aufgabe gerecht werden, die Kraft eines historischen
Augenblicks avantgardistisch zu gestalten, also Moderne und Revolution zu verbin-
den.
Das Jahr 1945 ist eben kein analoges Datum zur Revolution von 1917 und der
Traditionalismus längst ein Dogma des Sozialistischen Realismus. Ohne Oberzeu-
gungskraft sind vor allem Bechers Porträtgedichte, zum Beispiel seine Verse auf
Stalin: »In Stalins Blick zu lesen, I Suchen wir sein Gesicht, I Als wäre er ein We-
sen, I Das täglich zu uns spricht« (Becher 1966, 6, 71). Bechers Sprache repetiert
in diesen Texten einen trivialen Heiligenkult und hohles Pathos.
Aber neben diesem Typus von Gedichten gibt es noch einen zweiten, andersar-
tigen. In ihm erweist sich der Panegyriker Becher als Dichter der Heimkehr und der
Trauer, ja des rastlosen Selbstzweifels: »Es wuchs in ihm ein solches Unbehagen«,
so heißt es in Bechers geradezu programmatischem Gedicht »Der Dichter« (ebd.,
5, 518): »Das trieb ihn fort, und immer weiter fort. I Ihm war, als hätte er nichts
mehr zu sagen.« In der literarischen Figur des Melancholikers, der gefährdeten Exis-
tenz spiegelt sich eine Angst vor dem Scheitern, die das Pathos der Bilder und ein
epigonaler Ton nicht zu überdecken vermag: »0 welch ein Ausgelaugtsein! Welche
Leere! I Ein düsteres Schweigen hielt ihm zu den Mund. I Es zog ihn nieder einer
Schwermut Schwere, I Daß er, versunken, sank von Grund zu Grund.«
Auch Bechers >Deutschland<-Gedichte- Sonette, Lieder und Epigramme-ge-
hören fast alle zu diesem kritischen Typus seiner Nachkriegslyrik, sind also keine
systemkonformen Anpassungsverse. Seine Gedichte restituieren zwar eine Form
und eine Sprache, die ins 19. Jahrhundert führt, aber der Traditionalismus wirkt
hier eher wie ein Schutz vor allzu vordergründigem Geschichtsoptirnismus. Zweifel
und Fragen sind es, die in konventionellen Mustern vorgetragen werden: gegen den
Gestus selbstzufriedener überlegenheit. »Im Zeitenwandel bleibt bestehn nur sie:
I Die Elegie, die unsagbare Trauer... «, formuliert Becher in einem »Melancholie«
(558) überschriebenen Gedicht; und ein anderes, »Müde« (562), bringt die Motive
der Dunkelheit, Trauer und zerbrochenen Hoffnung so deutlich zum Ausdruck,
Paradigmen des Traditionalismus. Zwischen Konvention und Irritation 27
dass im Gedichtband Volk im Dunkel wandelnd (1948) das Pathos der Auferste-
hungsbilder zu verblassen beginnt:
I
Müde bin ich alles dessen,
All der Pein, jahraus, jahrein,
Und ich will nichts als vergessen
Und will selbst vergessen sein.
I
Sie spürten mich auf. Der Wind war ihr Hund.
Sie schritten die Schattenchausseen.
Ich lag zwischen Weiden auf moorigem Grund
im Nebel verschilfter Seen.
Die Nacht nach Rohr und Kalmus roch,
des Zwielichts bittere Laugen
erglänzten fahl im Wasserloch.
Da sah ich mit brennenden Augen:
In dem erst aus dem Nachlass veröffentlichten Gedicht »Rostow am Don« hat
Johannes Bobrowski ( 1917-1965) das Zeitmotiv mit einem überraschend optimis-
tischen Ausblick verknüpft, indem er im Bild der »alten Ströme« ein Geschichte wie
Gegenwart überwindendes Zeitmaß beschwört und daraus eine utopische Dynamik
ableitet, welche einen glücklichen Augenblick lang »der Ruinen Starre« aufzulösen
vermag (Bobrowski 1988, 3, 114):
I
Wie hatte die Vergeblichkeit der Jahre
uns kalt und leer gemacht und wie ein Grab!
Da stiegen wir aus der Ruinen Starre
dem weiten Hange nach zum Don hinab.
I
Hebt es schon an, dies
Raunen: wie war es doch?
Schlägt uns in Bann, dies
Tastende: wißt Ihr noch?
Ach, schon beschwören wir
Zeiten des Grauens
30 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
Zitierte Werkausgaben
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Akademie der Künste zu Berlin. Berlin/Weimar 1966ff. [Gedichte: Bd. 1-6].
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Bobrowski, Johannes. Gesammelte Werke in sechs Bänden. Bd. 5: Erläuterungen der Gedichte
und der Gedichte aus dem Nachlass von Eberhard Haufe. Stuttgart 1998.
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Claudius, Hermann: Gesammelte Werke in zwei Bänden. Bd. 2. Hg. von Ch. Jenssen. Harnburg
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Diettrich, Fritz: Werke. Bd. 1. Dichtungen. Göttingen 1962.
Eich, Günter: Gesammelte Werke. Hg von Susanne Müller-Hanpft u.a. Frankfurt a.M. 1973 [Bd.
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Fried, Erich: Fall ins Wort. Ausgewählte Gedichte 1944 bis 1983. Hg. von Bernd Jentzsch. Berlin
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Hausmann, Manfred: Gesammelte Schriften in Einzelausgaben. Bd. 1. Die Gedichte. Frankfurt
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Höllerer, Walter: Gedichte. 1942-1982. Frankfurt a.M. 1982.
Huchel, Peter: Gesammelte Werke in zwei Bänden. Hg. von Axel Vieregg. Bd. I. Die Gedichte.
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Kaschnitz, Marie Luise: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Hg. von Christian Büttrich u.
Norbert Miller. Bd. 5. Gedichte. Frankfurt a.M. 1985.
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Langgässer, Elisabeth: Gedichte. Harnburg 1959 [Gesammelte Werke in Einzelbänden].
Zitierte Sekundärliteratur 31
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32 Lyrik zwischen 1945 und 1949: Kontinuitäten
Wie kein anderes Genre hat das Naturgedicht die Lyrik der 50er Jahre beherrscht.
Nach fast zwei Jahrzehnten erfährt es nun allen späten Ruhm öffentlicher Aner-
kennung, und zwar in einer Weise, die nach 1945 einzigartig bleiben sollte. Den
Autoren, die gerade im Verborgenen wirkten und sich in den Schonraum Natur
zurückziehen wollten, kam zeitweilig eine beherrschende Stellung im Kanon zu. Für
die 50er Jahre heißt das dann: keine Anthologie ohne einen dominierenden Anteil
von Naturgedichten, keine literarische Zeitschrift ohne Mitarbeit von Naturlyrikern,
keine Literaturpreise, die nicht in beinahe kontinuierlichem Abstand an Verfasser
von Naturgedichten verliehen wurden, bis hin zu deren dritter Garnitur.
Diese öffentliche Wirkung blieb nicht ohne Widerspruch. Einer der ersten in
der Reihe der Kritiker war Theodor W. Adorno, der in seinem Essay Kulturkritik
und Gesellschaft 1951- ebenso prägnant wie vorausweisend-sein Verdikt ausge-
sprochen hat: »nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das
frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Ge-
dichte zu schreiben« (Adorno 1977, 30). Häufig als eine Art negativer Poetik, als
Bann gegen alle künftige Poesie missverstanden, zielte Adornos (später revidiertes)
Urteil auf den unauflösbaren Antagonismus zwischen faschistischer Inhumanität
und ästhetischem Arrangement, zwischen barbarischer Unterwerfung und seiner
ästhetischen Kritik: »Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis«, so lautet
sein lakonisches Resümee, »droht zum Geschwätz zu entarten.« Adorno sprach
kein allgemeines Lyrik->Verbot< aus, sondern er bezog die Kultur der Gegenwart als
Ganze in jenen Prozess »absoluter Verdinglichung« (ebd.) ein, in welchem Kritik
allenthalben »zum Geschwätz« werden könne.
Die hochfeierliche, pontifikale Linie der Lyriker, die mit ihrer Verquickung von
Natur und Mythos für Ausgleich und Versöhnung einstehen, bestätigt Adornos Ver-
dacht gegen »selbstgenügsame Kontemplation« (30). Das Naturgedicht, das immer
noch »in einer Blüte reinem Glänzen I [... ] unerschöpfliches Glück von tausend
Existenzen« (Hagelstange 1953, 37) verborgen wusste und den kanonischen Rah-
men an Landschafts-, Blumen- und Baumstücken durchdeklinierte wurde zum
traditionsbelasteten Epigonenwerk mit einer auffälligen Neigung zum Zitat, zur
artifiziellen Variation bereits längst geschriebener Verse.
Die Universalchiffre »Natur« steht im Kontext einer Erlebnis- und Bekennt-
nislyrik, die sich an Stimmungen entzündet und dafür Landschaftspanoramen in
Beschlag nimmt. »Wie kühl ist dieser zarte Himmel, ach, I und wie gelassen geht
der Gott in blasse I stille Gefilde«, so heißt es in einem Gedicht von Martha Saal-
feld: »Daß er ihn erfasse, I folgt ihm der Dichter, noch von Liebe schwach« (Bender
1983, 188). Der Blick geht aufs Bleibende und Dauernde; er versagt sich der Zivili-
sation um den Preis einer Verdrängung, die an sie erst recht erinnert.
Wie ideologisch die Flucht und Verklärung der Wirklichkeit sein können, vermit-
telt ein Gedicht Hagelstanges, »Atom« (1953, 46). Keine zehn Jahre nach Hiroshirna
geschrieben, treibt es den Anachronismus einer spröden, weitabgewandten Poesie auf
die Spitze: »Du kannst dich nicht entziehen, I du zauderndes Atom. I Kein Tropfen
kann entfliehen I dem aufgebrochnen Strom. I I [... ] I I Indes du, Freund der Weisen, I
in stiller Kammer lebst, /fühlst du es und erbebst: I Der Weltgeist läßt dich kreisen.«
Eine Weiheatmosphäre, eine Aura feierlichen Sprechens umgeben solche Verse;
sie erinnern zugleich in ihrem latenten Infantilismus an Immanuel Geibels Epigo-
nenton des ausgehenden 19. Jahrhunderts, indem sie dem Leser mit Sprüchen und
Sentenzen wie einem unmündigen Schüler zureden. Muster lyrischer Formen, auf
Klopstock, Goethe und Hölderlin verweisend, sollen den eigenen Versen Nachdruck
verleihen, indem die geborgte Autorität davor zurückschrecken lassen soll, die Tri-
vialität des Ausgesprochenen zu erkennen: »Was kommt, geht. Was geht, kommt I
In der Wiederkehr Gang. I In der Himmlischen Bahn I Wird die Welt Tanz, wird
Gesang« (Jünger 1952, SO).
Universalchiffre »Natur«. Das Naturgedicht der fünfziger Jahre 35
I
Wisse, wenn in Schmerzensstunden
dir das Blut vom Herzen spritzt:
Niemand kann die Welt verwunden,
nur die Schale wird geritzt.
Ein charakteristisches Merkmal der Lyrik Bergengruens ist die strikte Moderne-
Abwehr. Diese Welt ist ohne industrielle Signatur, ohne Technik und Fabrik. Sie
wird noch immer vom Lauf der Gezeiten, von den vier Elementen, den hoch oben
kreisenden Planetenbahnen und vom überreichen Mikrokosmos unter Haselstrauch,
Hecke und Mondschein bestimmt. Es gibt in Bergengruens Heiler Welt keinen ein-
zigen Gedichttitel, der auf eine zivilisierte, urbane Welt verweist. Ein solches Bild
der Gegenwart hatte beim Publikum hohe Konjunktur, nicht zuletzt als Trost und
Zuspruch, und wurde keineswegs als durchsichtiges Verklärungsmanöver durch-
schaut. Der in den zwei ersten Nachkriegsjahrzehnten überaus erfolgreiche Bergen-
gruen-Kanon, heute längst verstaubt, war der Ausdruck von Lesererwartungen, die
wegen des Dreiklangs aus Beruhigung, Beschwichtigung und Hoffnung als Haupt-
funktionen eines zeitgenössischen Gedichts weit verbreitet waren. Lyrik wurde
zur Lebenshilfe, und das hieß ganz praktisch, dass sie nicht nur leicht eingängig
36 Diefünfziger Jahre
und emotional ansprechend sein sollte, sondern auch durchsetzt mit sentenziösen
Wendungen und schlichten, zu Herz gehenden Bildern, also wie geschaffen zum
Auswendiglernen und Memorieren.
Vor diesem Hintergrund mag auch erklärbar sein, dass Die heile Welt bis 1962
bereits sechs Auflagen hatte. Ihr poetologisches Konzept hatte Bergengruen im
Schlussgedicht als »Frage und Antwort« (Bergengruen 1950, 252) auf fast provo-
kative Weise unmissverständlich formuliert:
I
>>Der die Welt erfuhr,
faltig und ergraut,
narb an Narbenspur
auf gefurchter Haut,
so bekennt er emphatisch, sei »als schönste Anwendung der Sprache« zugleich »das
beste Desinfektionsmittel gegen ihre Verunreinigung durch die Abwässer unserer
Zivilisation« (Lehmann 1962, 407). In einer Replik auf Brecht konstatiert er, dass
»ein Gespräch über Bäume nicht das Wissen um böse Zustände und Taten aus-
schließt«, sondern helfe, »den verloren gegangenen Menschen wieder zu holen«
(zit. n. Lutz 1986, 406). Klingt in der fatalen Metapher vom »Desinfektionsmittel«
eine Aggression gegen jede Form politischen Denkens durch, so erinnert das zwei-
te Zitat an den Anspruch der Naturlyrik, sinnstiftend zu sein, also in der Welt der
Molche, Hänflinge und Goldammern verschüttete Spuren des Seins aufzufinden.
Für die 50er Jahre kann diese Fixierung zugleich als eine Erlösung von der Zeit-
geschichte gelesen werden.
Nicht von ungefähr war Lebmann mit seinem wie eine Losung klingenden Ge-
dichtband überlebender Tag auf dem Gipfel seiner Popularität. Hatte er 1950 in
seine Sammlung Noch nicht genug wenigstens ein paar Texte aufgenommen - wie
das Gedicht »Nach der zweiten Sintflut« (Lehmann 1982, 196) -,die eine zeitge-
schichtliche Verstörung bezeugen, so steht der »überlebende Tag« wieder ganz im
Zeichen der »Göttersuche« (211) und jenes Naturmythos, der schon vor dem Krieg
den Auszug aus der Geschichte propagiert und an deren Stelle der metaphysische
»Ruhm des Daseins« (218) getreten ist: »Spiegel, den kein Aufruhr zweit. I Dichter
braucht sich nicht zu sorgen, I über ihm, im Wort geborgen, I Unverwelklich seine
Zeit« (217). Von dieser Zeit bleibt am Ende kaum mehr übrig als eine von Men-
schen entvölkerte Landschaft, ein wenig Zittergras, ein paar Turmschwalben und
eine Handvoll alter Götter: Requisiten eines längst ausgespielten Naturtheaters.
Oda Schaefer hat in der autobiographischen Retrospektive ihres Schaffens unter
dem Stichwort Die leuchtenden Feste über der Trauer (1977) nicht treffender formu-
lieren können, was die meisten Naturlyriker der 1950er Jahre anstrebten. »Trost in
der Natur«, so wird die Stimmungslage derer umschrieben, die sich nach 1945 in ein
Refugium intakter Ordnungen zurücksehnten: »Eigentlich braucht man<<, so erin-
nert sich Schaefer, »nicht viel mehr zu tun, um weise zu werden, als in ein fließendes
Wasser zu schauen. Das Rauschen, das leise Murmeln hat den Ton des Unvergäng-
lichen, und es steht, wie es die Antike lehrt, alles im stetig Fließenden zu lesen.«
Das Naturerlebnis wird zur Quelle einer poetischen Inspiration, von der die Au-
torin noch in der Erinnerung schwärmerisch berichtet: »Das uralte, elefantengraue
Karwendel vor mir fängt an rosig zu glühen wie ein junges Mädchen. Und jetzt
ergießen sich die wundervollen Lasuren über die Berge. [... ] Und im verblassenden
Himmel erscheint, noch unsicher zuckend, der erste glänzende Stern: der Abend-
stern« (27f.). Kaum anderes liest man in Oda Schaefers Gedichtband Grasmelodie
von 1959, der immer aufs neue vom »Lerchenlied« (16) bis zum »Bergnebel« (19),
vom »Junimond« (55) bis »Allerseelen« (28), von der »Äolsharfe« (24) bis zum
»Irrlicht« (38) jene Begegnungen mit Natur und Landschaft lyrisch werden lässt,
so dass im einzelnen Detail, in den flüchtigen Erscheinungen die ganze Faszination
des Refugiums Natur jenseits menschlicher Geschichte aufgeht.
Schaefer hat, anders als Lehmann, nicht so sehr auf die kühle Registratur des
Mikrokosmos Wert gelegt, sondern in ihren Versen die Emphase bewahrt, die im
38 Diefünfziger Jahre
Naturerlebnis verborgen ist und in der naturmagischen Schule häufig hinter ei-
nem entindividualisierten Wahrnehmungsmodus zurücktritt. Die Universalchiffre
»Natur«, so zeigt sich, ist vielfältig einsetzbar. Sie kann, wie in Christine Lavants
Gedichtsammlung Die Bettlerschale (1956), mit einer christlichen Weltdeutung
konform gehen und zur Quelle gefühlvoller Selbstoffenbarung werden.
Die Chiffre kann sich aber auch, wie bei einem anderen Österreichischen Dich-
ter, bei Ernst Schönwiese, zur mystischen Feier der magna mater >Natur< weiten,
indem der Dichter mythologische Symbole - wie Quelle, Wasser, Nacht, Kreis -
miteinander verbindet und auf Philosopheme des Zen-Buddhismus projiziert, um
hinter den realen Erscheinungen der Natur eine mystische Einheit des Kosmos
zu suchen. Schönwiese, dessen Zeitschrift Das Silberboot nach 1945 wesentlichen
Anteil an einer Fortsetzung des lyrischen Traditionalismus in Osterreich hatte, ist
mit seiner Naturlyrik in der Tat nicht weit von einer Restauration des religiösen
Gedichts entfernt.
Ernst Schönwieses Neigung zum fernöstlichen Spiritismus und Mystizismus,
seine Versuche, das japanische Haiku-Gedicht, ein Spruchgedicht, in die deutsche
Lyrik zu übernehmen, sind bis zu einem gewissen Grade sogar symptomatisch für
die 50er Jahre. Auch Lehmann, Eich und andere Naturlyriker - mit veränderten
Vorzeichen sogar Bertolt Brecht - sind für östliche Exotik und Esoterik durchaus
empfanglieh gewesen, bot doch jene bizarre Welt trügerischer Schlichtheit und
Harmonie alle Möglichkeiten einer individuellen Adaption eines Motivs der Fer-
ne und Fremde.
Wenn die Naturlyrik, wie Karl Krolow in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen
noch 1961 unterstellt, »nichts als Anschauung der Welt« (Krolow 1963, 50) zu sein
beabsichtigt, so fallt aus heutiger Perspektive doch auf, wie wenig von der »Welt«
in den Blick genommen wurde und was alles hinter einem Chlorophyll-Vorhang
verschwand. Anfechtbar war freilich die Fiktion vom Lyriker »als immer mehr ver-
stummendem Beobachter« und seine »Vollkommenheit der Diskretion« (51) schon
zu einem früheren Zeitpunkt. Die ständig wiederholten Monologe über das Dasein
evozieren eine kritische Prüfung bei allen, denen der Rückzugswille zunehmend
verdächtig wird. Zwar wird keine revolutionäre Umwälzung der Naturlyrik eingelei-
tet, aber es kündigt sich das Ende einer (um 1930 begonnenen) Literaturepoche an.
Die schon vor 1950 bei Huchel und Eich beobachtete Tendenz zur pessimistischen
Perspektive setzt sich weiter fort, wenn auch das Werk anderer Lyriker, also die Ge-
dichte von Lehmann, Schaefer, Hagelstange, von der Vring und ihnen verwandten
Autoren, nach wie vor vom variierten Muster, vom Selbstzitat zehrt.
Die Universalchiffre »Natur« ist in den 50er Jahren kein Monopol der »Leb-
mann-Schule« geblieben. In gegensätzlichen Konzeptionen kann sie zur selben Zeit
durchaus auch als Chiffre für jenen Raum verwendet werden, der in Lehmanns
Dichtungen sorgfältig ausgespart wurde: für die menschliche Gesellschaft und
den historischen Horizont. Die Entzifferung der Naturzeichen weist unter solchen
Prämissen nicht in die abseitigen Moore und Sümpfe, sondern ins Zentrum eines
Zeitbildes, das vom Bewusstsein einer heillosen Gegenwart geprägt ist. Der gleiche
Vogelflug, der eben noch in ein ungeschichtliches Land führte, wird nun zur Chif-
Universalchiffre »Natur«. Das Naturgedicht der fünfziger Jahre 39
fre für Entfremdung und Orientierungslosigkeit. Die Natur als verstummte, nicht
mehr lesbare Hieroglyphe: in einer solchen Konstellation kann der Naturraum mit
seiner eingetrübten Landschaft, seiner Düsternis zum Bild denaturierter Wirklich-
keit werden, zu einer historischen und gesellschaftlichen Erfahrung par excellence,
die sich einem verbreiteten Fortschrittsoptimismus radikal entzieht. Naturgedichte
dieser Art konterkarieren die politische Restauration, indem sie deren verdrängten
Boden, den zum Tabu gewordenen Faschismus, sichtbar zu machen wissen. Sie
werden, im wörtlichen Sinne, zur Spurensuche.
I
~ebelzerbrachen
traumloser Hand
die letzte
Blume des Sommers.
Kalt wie die Lippe des Teichs
das steinerne Zifferblatt
an der Mauer, das keine
Stunde mehr zeigt.
L_
Universalchiffre »Natur«. Das Naturgedicht der fünfziger Jahre 41
Arendts Lyrik hat bisher weder im Westen noch im Osten eine breitere Leserschaft
erreicht. In manchen Abhandlungen zur Geschichte der Naturlyrik nach dem Krieg
sucht man seinen Namen vergebens. Auch eine von Wissenschaftlern der DDR ver-
fasste Literaturgeschichte (Geerdts 1972) hat Erich Arendt nicht aufgenommen. Als
Dichter einer »hochstilisierten Sprache, die leicht ins Kostbar-Dekorative« abglei-
te und daher »oft der reine Ästhetizismus« sei (Knörrich 1978, 337), missversteht
Knörrich den Autor.
Arendts Flug-Oden zeigen den Paradigmenwechsel im Genre des Naturgedichts
an, die Öffnung des Naturraums zum gesellschaftlichen Panorama. Todesgewiss-
heit und Katastrophen sind dem kargen Boden und den fossilsten geologischen
Schichten eingeschrieben, die Arendt in seinen poetischen Bildern immer wieder
aufgreift. Das Leitmotiv des Fluges greift den lkarus-Mythos auf, der gegen ei-
nen mechanistischen Geschichtsoptimismus zu lesen ist. So erinnert die »Ode VI«
(Arendt 1968, 301) an jene »Angst«, jenen »Schrecken«, die im »Chimärengesicht«
der »Erde« gestaltet sind- als Memento einer Geschichte, die bisher eine der per-
manenten Niederlagen und des Leidens war:
I
Nachtgewaltig, unseren Blick
versteinend, hob
ihr Chimärengesicht die Erde.
0 Goyas große verschlingende
Angst!
Und über den bitteren Schlaf,
achtloser Städte Staub
blutige Fittiche strichen, die
das Leichenfeld Hastings gestreift.
Wahllos türmen
die Schrecken wieder,
verstümmelten Leibes,
am Horiwnt.
Und in der Tages-Mitte,
hohl, über Warschau stand
das eiserne Auge.
Da farbten
auf dem Marktplatz sich
die Gebete alt und grau.
Und in der spinnenhaften Dämmerung
um Turm um Dach und Stein
starb auf des Menschen Stirn
das Licht.
Doch aus den Sterbetrümmern,
geschlossen und unvergeßlich, sieh
die Ghettohand:
kämpfende Finger
42 Die fünfziger Jahre
I
Und immer Gespinste, die uns einspinnen,
Aufhebung der Gegenwart,
ungültige Liebe,
der Beweis, daß wir zufällig sind,
geringes Laub an Pappelbäumen
und einberechnet von der Stadtverwaltung,
Universalchiffre »Natur«. Das Naturgedicht der fünfziger Jahre 43
Die Verschränkung von Großstadt- und Naturraum ist symptomatisch für die De-
struktion von Naturmagie. Eichs Landschaften haben ihre idyllischen Konturen
endgültig verloren. Der >dunkle< Raum erscheint der verdüsterten Perspektive eines
lyrischen Ichs adäquat, das indes, wie im Gedicht »Fränkisch-tibetischer Kirsch-
garten« (94), noch nicht vollends mit eigenen Rückzugswünschen gebrochen hat.
Die veränderte Position aber ist unübersehbar. Das bekannteste Beispiel dafür ist
Eichs Gedicht »Tage mit Hähern« (79f.), eine Replik auf »Die Häherfeder« (43),
ein Gedicht des Jahrs 1948. Hieß es in diesem noch: »Ich bin I wo der Eichelhä-
her I zwischen den Zweigen streicht, I einem Geheimnis näher, I das nicht ins Be-
wußtsein reicht«, so nimmt das spätere Gedicht diesen Optimismus zurück: »Der
Häher wirft mir I die blaue Feder nicht zu«, »Ungesehen liegt in der Finsternis I
die Feder vor meinem Schuh.«
Mit dem Gedichtband Botschaften des Regens hat Eich, wie Krispyn hervorhebt,
»den Punkt erreicht, an dem die Entwicklungslinie seiner Lyrik in der absoluten
Fragwürdigkeit der Weltordnung zerbricht« (zit. n. Müller-Hanpft 1970, 87). Inner-
halb des Werkes ist dieser Moment, so krisenhaft er wirkt, zugleich der Durchbruch
zu einer Retlexionsperspektive, wie sie die Naturlyrik der SOer Jahre nur selten ent-
faltet hat. Das Gedicht »Der große Lübbe-See« (Eich 1973, 82) ist ein Beispiel dafür:
I
Kraniche, Vogelflüge,
deren ich mich entsinne,
das Gerüst des trigonometrischen Punkts.
Hier fiel es mich an,
vor der dunklen Wand des hügeligen Gegenufers,
der Beginn der Einsamkeit,
ein Lidschlag, ein Auge,
das man ein zweites Mal nicht ertrüge,
das Taubenauge mit sanftem Vorwurf,
als das Messer die Halsader durchschnitt,
der Beginn der Einsamkeit,
hier ohne Boote und Brücken,
das Schilf der Verzweiflung,
der trigonometrische Punkt,
Abmessung ins Nichts,
während die Vogelzüge sich entfalten,
Septembertag ohne Wind,
güldene Heiterkeit, die davonfliegt,
auf Kranichflügeln, spurlos.
L_
Gemessen an der wie einen Schock erlittenen Einsicht, dass der »trigonometrische
Punkt« keine verlässlichen Koordinaten zur Orientierung mehr bietet: als »Ahmes-
44 Die fünfziger Jahre
sung ins Nichts«, ist das innovative Potenzial der Naturlyriker Karl Krolow und
Heinz Piontek in den 50er Jahren eher begrenzt. Pionteks (1925-2003) Gedicht-
sammlungen variieren in ihrem Spiel mit Traditionen bekannte Muster und erpro-
ben einen balladesken Ton; Titel wie »Herbst -vom Bodensee aus« (Piontek 1952,
42), »Unter den Weiden« (47) und »Breughelscher Oktober« (51) deuten darauf
hin, dass der Autor in seiner poetischen Praxis noch nicht, wie es seine Theorie
fordert, »auf alle Verschlüsselungen verzichtet« und »sich von allen esoterischen
Bürden befreit« (Bender 1961, 113) hat. Gedichtsammlungen wie Die Furt (1952)
und Die Rauchfahne (1953) greifen Reste naturmagischer Konventionen auf, ohne
sich zu einem metaphysischen Programm zu verbinden. Die einzelne Impression
steht im Vordergrund, oft bereits karg und ohne Bildschmuck, dafür aber drama-
tisch inszeniert.
Mit Krolow verbindet Piontek das Bewusstsein, nicht mehr der »Lehmann-
Schule« anzugehören, sondern deren Erbe anzutreten. Krolow (1915-1999), einer
der produktiven, wenn nicht (an der Zahl seiner Veröffentlichungen gemessen)
der produktive Lyriker der Nachkriegsjahrzehnte, lässt sich nicht auf das Genre
des Naturgedichts festlegen, obwohl er an ihm entscheidenden Anteil hat. Freilich
bleibt vieles, was bei Eich noch Ausdruck einer Verstörung, einer Identitätskrise
ist, bei Karl Krolow im Sprachspiel stecken, in variablen Rollen eines lyrischen
Ichs, das die Hymne auf die »dunkle, heitere Erde« (Krolow 1965,1, 63) ebenso
gekonnt anzustimmen weiß wie einen trüben existentialistischen Monolog: »Im
hellen Schnaps, im Spiegel, I Der unaufhörlich sinkt, I Gebrannt im Geistertiegel,
I Dein leichtes Antlitz winkt. I I Ich sinke durch die Mitte I Des Schweigens jäh ihm
nach. I Ich höre deine Schritte; I Und aus der Nacht wird Tag« (101).
Krolows Verse sind der Beleg dafür, dass das Naturgedicht nicht gegen das
vermeintlich >politische< Gedicht auszuspielen ist; und sie haben gerade dort ih-
re Funktion, wo sie einer saturierten Restauration einen Gestus des Unbehagens,
der Unzufriedenheit entgegensetzen. Die Gedichte nehmen ihre Chiffren aus
dem Metaphernsteinbruch der Naturlyrik, um mit ihnen eine politische Land-
schaft zu konturieren. Dass deren denaturierte Atmosphäre - unter den Vorzei-
chen des Kalten Krieges und der Restauration alter Machteliten - eine der Ver-
dächtigungen und Bedrohungen werden kann, daran lassen seine Gedichte keinen
Zweifel:
I
Falte die Decke.
Lösche die Lampe.
Schon nähern sich Schritte
Deiner Tür. Wirst du dich
Ausweisen können?
Falte die Decke.
Lösche die Lampe.
Deine Stunde wird
In jedem Fall schlagen! (135)
L_
Universalchiffre »Natur«. Das Naturgedicht der fünfziger Jahre 45
Krolows und Pionteks Verse, aber auch die ersten Gedichtbände von Wolfgang
Bächler und Walter Höllerer sind Beispiele für die eigentümliche Ambivalenz li-
terarischer Revolution.
In der Frühe
Sind die Tannen kupfern.
So sah ich sie
Vor einem halben Jahrhundert
Vor zwei Weltkriegen
Mit jungen Augen.
L_
Die Elegie fixiert, ohne einen Rest von Melancholie zu unterdrücken, frühe Erfah-
rungen der Jugend und erinnert in der Chiffre der >kupfernen< Tannen an Aufbruch
und Morgenröte; aber sie setzt zugleich eine Zäsur im Bewusstsein zeitlichen Ab-
46 Die fünfziger Jahre
stands, den keine Reminiszenz, kein sentimentaler utopischer Ton aufheben darf:
nach »einem halben Jahrhundert«, also nach »zwei Weltkriegen«.
Die Wirkung der Buckower Elegien erfolgt verspätet, erst in den 60er Jahren,
bestätigt dafür aber um so mehr ihr vorausweisendes Potenzial: Die Naturlyrik der
folgenden zwei Jahrzehnte ist ohne das Bewusstsein nicht denkbar, dass die Uni-
versalchiffre »Natur« zugleich einen Herrschaftsraum konturieren und das Natur-
gedicht gerade in seiner Taktik lakonischen Andeutens und Aussparens zum Ort
kritischer Erkenntnis und intellektueller (Selbst-)Reflexion werden kann. Damit
war freilich, spätestens um die Mitte der SOer Jahre, ein Prozess der Auflösung eines
Genres eingeleitet, das wie kein anderes nach dem Krieg einer obskuren Kontinui-
tät und Tradition die Treue gehalten hat.
Lange Zeit war die moderne Lyrik landläufigem Urteil nach »fremd, insular, esote-
risch« (Maier 1959, 7), kaum zu verstehen und am Ende so schwierig, dass es eines
gewaltigen Aufwandes bedürfe, ihre komplizierten Verse zu entschlüsseln. Solche
Ratlosigkeit, ja Abwehr haben vor allem diejenigen unter den Gedichtschreibern
der Nachkriegszeit provoziert, deren Texte wie Rätsel gelesen worden sind: als sei
die Rezeption von Lyrik ein Spiel des Autors mit dem Leser, bei dem künstlich
verfremdete und verformte Textelemente wieder in eine rechte Ordnung gebracht
werden müssten. Moderne Lyrik, so verstanden, war dann »freilich nicht mehr für
besinnliche Stunden da« (ebd.), sondern eine Herausforderung zum Basteln und
Experimentieren.
Dem Gemeinplatz vom modernen Gedicht als einem verschlüsselten Rätsellag
die Vorstellung zugrunde, das Gedicht lasse sich in Umgangssprache rückübersetzen,
wenn seine Leser jene Verrätselungen - Lakonismen, Wortspiele, ungewöhnliche
Metaphern-Reihen, Allusionen - auflösten und auf diese Weise einen verständlichen
Text herstellten. Das Unternehmen freilich geriet über hilflose Paraphrasen kaum
hinaus und führte schließlich zur falschen Prämisse zurück, zur These vom obsku-
ren, orakelhaften Gedicht, dessen Sinn verdunkelt und dessen Worte unverständlich
seien. Und wer ein solches Ergebnis nicht derart krass auszusprechen wünschte,
der setzte an die Stelle von »Dunkelheit« und »Rätselhaftigkeit« kurzerhand andere
Gemeinplätze und ließ das Gedicht zum >Spiegel zerbrochener Transzendenz< und
>nihilistischer Obdachlosigkeit< werden.
sie Erlebnisse und Stimmungen evozieren konnte, entzog sich der Erfahrungswelt
ihrer Leser, indem sie zur Reflexion auf jene Sprache zwang, deren instrumentel-
le Deformation in Alltag und Öffentlichkeit längst herrschende Praxis geworden
war. So empfanden Literaturkritik und Leser gleichermaßen das als hermetisch,
was sich nicht gleich umgangssprachlich >enträtseln< ließ, statt die Alltagssprache
selbst als das aufgegebene Rätsel des so genannten hermetischen Gedichts zu be-
greifen. Dessen Inkommunikativität ist nämlich kein Mangel, sondern ein Ziel,
das umso gewichtiger erscheint, als es im Gedicht rigoros verwirklicht wird. Seine
Rückübersetzung in irgendwelche >Aussagen< und >Botschaften< wäre nur um den
Preis eines Missverständnisses möglich, das das Gedicht, nicht aber die in ihm in-
kriminierte und verweigerte Kommunikativität alltäglichen Sprechens zum Objekt
fehlgeleiteter >Enträtselung< machte.
Die unter dem Etikett des Hermetischen versammelten Dichterinnen und Dich-
ter lösten in den 1950er Jahren schon deshalb heftige Irritationen aus, weil ihre
Texte sich den gängigen Funktionszusammenhängen entzogen. Statt Trost und
Zuspruch zu erfahren, musste das Lesepublikum nun mit Verstörung und Beunru-
higung rechnen. So durchziehen Iogeborg Bachmanns (1926-1973) Gedichtband
Anrufung des großen Bären aus dem Jahr 1956 (Bachmann 1983) Leitmotive der
Angst und Bedrohung, die noch dadurch gesteigert werden, dass sie schemenhaft
und unbestimmt erscheinen. Mandalari hat zu Recht Bachmanns Gedichtband als
einen »Dialog mit der Macht« (Mandalari 2000, 164) bezeichnet. Der Bär sei ein
»fürchterliches Tier mit Pfoten und Krallen, ein verhängnisvolles Tier«, und der
»literarische Bezug jener Jahre« sei »der Leviathan« (169). Die Verse zielen auf die
provozierende Einsicht, dass Katastrophen noch bevorstehen und nicht zur fernen,
verdrängten Vor- und Frühgeschichte der mit Konsum, Wirtschaftswunder und
Wiederaufbau beschäftigten ersten Nachkriegsdekade gehören. Das Titelgedicht
»Anrufung des großen Bären« (Bachmann 1983, 22) malt den >Absturz< »aus dem
Paradiese« ebenso beklemmend wie ungewiss aus:
I
[... ]
Das Attribut des Hermetischen verweist auf zwei zusammenhängende Prozesse: Pro-
duktionsästhetisch bezeichnet es einen Widerstand gegen poetische Konventionen
und sprachliche Klischees, rezeptionsästhetisch wird der lyrische Hermetismus als
endgültige Durchbrechung epigonaler Erlebnis- und Bekenntnislyrik betrachtet. Je
mehr der Text selbst einen Widerstand gegen mühelose Vereinnahmung aufbaut,
desto entschiedener formiert sich gegen ihn eine Distanz auf Seiten der in ihren
Erwartungen enttäuschten Leser, denen am Ende alles das >hermetisch< erschien,
was sich rascher Lektüre entzog.
Noch als Schlagwort verstanden, geht in den Begriff der hermetischen Lyrik
eine Abneigung gegen eine auf Reflexion, nicht auf Sentiment gerichtete Literatur
der Moderne ein. Zumindest in den 50er Jahren sind Lyriker, die von der Litera-
turkritik rasch der hermetischen Dichtung zugeordnet wurden, kaum mehr als mit
höflicher Distanz - wie Paul Celan, öfter aber mit Ablehnung rezipiert oder gar
negiert worden, wie Rose Ausländer, Ernst Meister und Johannes Poethen.
Noch 1975 heißt es in Büttners Einführung in die Nachkriegslyrik, einem Bei-
spiel von vielen (67):
Das Experimentieren und Kombinieren bringt üppige, bizarre und phantastische Gebilde
hervor oder schmale, magere Figuren, sprachliche Splitter und Späne.[ ... ] Liest man viele
solcher experimentellen und hochartifiziellen Gedichte, so erfreut man sich wieder an
der natürlichen, unkomplizierten Lyrik, etwa an Gedichten von Peter Gan, Georg von der
Vring, Georg Britting oder Walter Helmut Fritz.
Moderne Lyrik nötigt die Sprache zu der paradoxen Aufgabe, einen Sinn gleichzeitig auszu-
sagen wie zu verbergen. Dunkelheit ist zum vorherrschenden Prinzip geworden. Sie ist es,
die das Gedicht übermäßig absondert von der üblichen Mitteilungsfunktion der Sprache,
Poesie als Widerstand. Hermetische Tendenzen 49
um es in einer Schwebe zu halten, in der es sich eher entziehen als annähern kann. [... ]
Dunkle Lyrik spricht von Vorgängen, Wesen oder Dingen, über deren Ursache, Ort, Zeit
der Leser nicht informiert ist und nicht informiert wird. Aussagen werden nicht gerundet,
sondern abgebrochen.
Der Begriff des Hermetismus, der poesia ermetica, wurde um 1930 in Italien für die
Dichtung Ungarettis verwendet und »bald zur Umschreibung der modernen Dich-
tung schlechthin« (Durzak 1976, 152). Ungaretti freilich hatte bereits Anregungen
des französischen Symbolismus und der französischen Avantgarde (u.a. Apollinaire;
Saint-John Perse) aufgegriffen. Auch für ihn wurde- wie etwa analog für George
(1868-1933)- Stephane Mallarme (1842-1898) zum Ausgangspunkt eines Expe-
rimentierens, an dessen Ende die verdichtete, konzentrierte Gedicht-Komposition
steht: jene dunklen »lyrischen Tonformeln« (Friedrich 1967, 180), die einen Mo-
ment lang den Monolog des Schweigens unterbrechen. Wenn sich nach 1945 >>noch
einmal ein Aufblühen der hermetischen Dichtweise« (Durzak 1976, 153) vollzieht,
so ist diese Phase in der Geschichte der Lyrik längst vorbereitet und eine vorerst
letzte Spielart des hermetischen Gedichts. Vor diesem Hintergrund erscheint der
Hermetismus keineswegs als ein epochales Phänomen, sondern als Prämisse jener
literarischen Moderne überhaupt, deren >Dunkelheit<, deren semantische Polyva-
lenz Garant ihrer Selbstbehauptung ist: um den Preis latenter Unverständlichkeit
als wirksamste Form ihres Schutzes.
Hermetische Lyrik ist weder ein fest definiertes Genre noch eine bestimmte
Schule der Moderne, sondern eine vage Zusammenfassung jener durchaus diffe-
rierenden Versuche, die poetische Sprache gegen lyrisches Epigonenturn und tri-
viale Inspirationsästhetik resistent zu machen und sich in der Konzentration auf
artistische Techniken zugleich der Vereinnahmung durch Ideologie und Weltbild-
Surrogate zu entziehen.
Nach 1945 setzt das hermetische Gedicht nicht einfach Traditionen fort, son-
dern beginnt Erfahrungen faschistischer Herrschaftsformen mitzureflektieren, wie
es im Kontext anderer, zur gleichen Zeit entstandener Lyrik höchst ungewöhnlich
ist. Gerade die hermetische Tendenz erhält ihre aktuelle Begründung aus dem
Konnex von Sprache und Herrschaft, sprachlich sich manifestierender Gewalt und
politischer Barbarei. Das Experimentieren im hermetischen Gedicht erfährt so ei-
ne Brisanz, die über eine bloß restituierte Avantgarde-Nachfolge hinausführt. Das
Sprachdenken kulminiert daher nicht im sich selbst genügenden Wortspiel, son-
dern im poetischen Widerstand des hermetischen Gedichts gegen ein alltägliches
privates und öffentliches Sprechen, das mit seinen Phrasen und Schlagwörtern die
Wirklichkeit fest im Griff zu haben glaubt, ohne deren Zurichtung und Verformung
im sprachlichen Klischee wahrzunehmen.
Hermetische Lyrik ist Einspruch gegen den instrumentellen Gebrauch der Spra-
che, daher keineswegs eine Variante ästhetizistischer, ins eigene Experiment versun-
kener Dichtung. Sie konkretisiert ihren Einspruch nicht in Motiv- und Themenkrei-
sen, sondern im artistischen Arbeitsprozess an der Sprache selbst. Deren Substanz
soll, emphatisch formuliert, offengelegt werden, wozu Verfahren der Entrealisierung,
Entpersönlichung und Entgegenständlichung dienen. Die referentielle Bedeutung
50 Die fünfziger Jahre
des poetischen Wortes wird stark reduziert, bis zur Negation von Wirklichkeitssub-
straten, während die artifizielle Machart ihren bloß funktionalen Wert verliert und
sich verselbständigt. Das Repertoire hermetischer Lyrik reicht von der irritierenden
Klangfigur bis zur syntaktischen Auflösung von Versen, von sprachlichen Lako-
nismen bis zur absoluten, ihren Bildinhalt transzendierenden Metapher, wenn sie
ihren Widerstand gegen Epigonenturn und Sprachmissbrauch ästhetisch formiert.
Dass sie dabei nicht nur auf ein monotones Pathos der Sprachzertrümmerung an-
gewiesen ist, sondern alle möglichen Formen der Destruktion und Konstruktion
gleichsam spielerisch und experimentell sich zueignen kann, darin zeigt sich nicht
zuletzt die Spannweite hermetischer Lyrik in den SOer Jahren.
Ernst Meister
Es gehört zu den krassesten Missverständnissen der Lyrikrezeption nach 1945,
dass hermetische Dichtung unverständlich sei. Dabei gilt das Unverständliche als
ein glatter Verstoß gegen jene bereits zur Norm erhobene Kommunikativität, die
der Fetisch einer Informationsgesellschaft geworden ist. Ihm soll sich die Sprache
derart funktional unterordnen, dass die Realität mit möglichst simplen headlines
in den Griff zu nehmen sei. Störungsfreie Kommunikation aber ist gerade das,
was hermetische Lyrik konterkariert. Wie sie ihre Gegenperspektive entfaltet, lässt
sich am Beispiel des Gedichts »Ein Stück Zeitungspapiers« (1964, 127) von Ernst
Meister {1911-1979) näher erläutern:
I
Liegt herum, gilb,
wurde gebraucht, bei Zittergras
räkelt es sich.
Zerknüllt
Nachrichten, Tode,
derWind
beschnuppert sie.
Auch
Fliegen
sind
interessiert.
Das Gedicht nimmt ein schon funktionslos gewordenes »Stück Zeitungspapier« zum
Anlass, dessen Wort-Müll zu betrachten. In kargen Versen wird das, was sich da
noch ein letztes Mal in Szene setzt (»bei Zittergras I räkelt es sich«) zum Bild einer
gleichsam gegenläufigen Lektüre der Zeitung, deren Anspruch, Information zu sein
(»Nachrichten, Tode«), benannt wird: allmählich zerfallender Unrat. Dabei zwingt
der Text nicht- wie sein Gegenstand- zur mühelosen Alleignung einer Informati-
on, sondern sperrt sich gegen sie, indem deren Bedeutung aufgedeckt wird.
Poesie als Widerstand. Hermetische Tendenzen 51
Nicht zufällig entzündet sich Meisters Reflexion am Medium der Presse. Amt-
zen hat mit Blick auf die Zeitungssprache ein dichotomisches Bezugssystem in der
Meistersehen Lyrik beschrieben (Arntzen 1985, 106):
Was das Unproblematische des gängigsten öffentlichen Sprechens zu sein scheint, zeigt sich
als Gerede, wenn denn das Sprechen der Gedichte ein gelingendes Sprechen sein sollte. Die
Kürze der Gedichte, die geringe Anzahl von Wörtern behauptet ja, es ließe sich, was zu sagen
sei, mit dieser Zahl an Wörtern sagen. Ex negativo wird dies abermals demonstriert durch
den großen Anteil, den weißes, unbedrucktes Papier an dem Ganzen des Bandes hat.
Der Unterschied zum öffentlichen »Gerede« äußert sich darüber hinaus etwa auch
in der semantischen Funktionalität des einzelnen Wortes im Gedicht. Dem Medium
tritt ein Gedicht gegenüber, in dem der »kommunikativ-umgangssprachliche Gestus
des Sprechens [... ] aufgehoben, ja zerstört« {107) wird und der Text eine erhöhte
Aufmerksamkeit verlangt - jenseits störungsfreier Kommunikation. Demnach ist
die Sprachlichkeit hermetischer Lyrik kein Rückzug in einen esoterischen Bezirk
reiner Kunst. Meisters Gedichte sind daher »nicht Exempel für schwierige Lyrik
und ihre kritische Bewältigung«, sondern »die Infragestellung üblichen kritischen
Sprechens [... ],um dessen Veränderung zu produzieren« {109).
Meisters erster Gedichtband Ausstellung stammt aus dem Jahr 1932. 1953 er-
scheint die Sammlung Unterm schwarzen Schafspelz, 1954 Dem Spiegelkabinett ge-
genüber, 1955 Der Südwind sagte zu mir, 1957 Fermate sowie »... und Ararat«, 1958
Pythiusa und Zahlen und Figuren und 1960 Lichtes Labyrinth. Aber Meister bleibt,
trotz dieser umfangreichen Produktion, ein weithin unbekannter Dichter. Dass er
sich »Stilmittel einer ausgesprochen intellektuellen Lyrik« bediene, hat Knörrich
behauptet (Knörrich 1978, 253). Aber Meisters Verse sind nur oberflächlichem An-
schein nach >Gedankenlyrik<, in Verse transformierte Philosophie, auch wenn sich
in ihr solche Spuren - von Platon bis Heidegger - finden lassen. Die Verse pro-
klamieren keine Wahrheiten, sondern reflektieren sie, indem sie deren begriffliche
Komplexe erproben und nach deren sprachlicher Valenz suchen. In einem Gedicht
mit dem Titel »Gedächtnis« (Meister 1964, 111) hat Meister die mühevolle Proze-
dur dieses Suchens paradigmatisch beschrieben:
I
Verdacht gedacht,
Gram-
Bücher Grams gegrämt
und wiederholt
so Fragen wie Geduld.
Die »Last I nie größeren Gewichts« kann als metaphorisches Zeichen für jene her-
meneutische Arbeit gelesen werden, die Meister in das lyrische Sprechen selbst ge-
legt hat, wenn es »Gedächtnis« sein will.
Zur Basis einer solchen Lyrik gehören lntellektualität, Reflexion und Bewusst-
heit. An sie ist das hermetische Gedicht- darin ist es Teil der Moderne schlechthin
- schon deshalb gebunden, weil sein Ziel eines prägnanten lyrischen Sprechens
und seine Technik der Aussparung überflüssiger Redundanzen ohne sie gar nicht
möglich wäre. Gerade am Beispiel Meister'scher Lyrik ließe sich dieses Ziel bis ins
Detail verfolgen. Die Texte werden lakonischer, >dichter<; wer sie verstehen will,
muss sich den einzelnen Gedichten zuwenden, in immer erneuter Annäherung,
ohne dass ihm eine vorformulierte Symbolsprache oder ein Werk übergreifendes
Motivgeflecht oder ein einheitlicher Stilzug die Arbeit abnähme.
Nelly Sachs
Hermetische Lyrik ist zu einem großen Teil poetische Erinnerungsarbeit. Damit
zeichnet sich ein Begründungszusammenhang ab, der das auf Sprachlichkeit ge-
richtete Dichterwort als etwas Exzeptionelles begreift. Freilich geht es nicht um
die Erneuerung einer auratischen Dichterfigur, um zelebrierte Esoterik, sondern
um die Prozedur des Dichtens selbst. Sie kann, wie bei Nelly Sachs (1891-1970),
im existentiellen Sinne ein überleben bedeuten. Poesie meint hier die immer er-
neute Spurensicherung innerhalb einer Todeslandschaft, deren Topographie Po-
litik und Öffentlichkeit von 1945 an systematisch zu verdrängen versuchten: bis
hin zur bloß musealen Rezeption einer jüdischen Lyrikern wie Nelly Sachs, über
deren vermeintliche Geschichtlichkeit schon zu Lebzeiten gerade auch aus Anlass
öffentlicher Ehrungen orakelt wurde.
Nelly Sachs hat nicht erst in den 50er Jahren zu schreiben begonnen. Ihre ers-
ten Gedichtbände, In den Wohnungen des Todes und Sternverdunkelung, erschienen
schon 1947 bzw. 1949. Ihr Gedichtband Und niemand weiß weiter kam 1957 heraus;
ihm folgte 1959 Flucht und Verwandlung. Ihre Lyrik fand in dem Maße eine Reso-
nanz, wie deren elegische und pathetische Klageformen als unpolitische Dokumente
jüdischer Trauer um Verfolgung und Massenmord missverstanden wurden. Nelly
Sachs' Gedichte wurden in der Gewissheit geschrieben, dass eine poetische Sprache
noch das Entsetzen formulieren konnte: als »Grabschriften in die Luft geschrieben«
(Sachs 1961, 33). Ein Gedicht erinnerte an den »Golem Tod« (84), an die »Meute
der Hunde« (85), und sprach doch von neuemAnfang (85):
Derart ins Positive gewendet, verliert die hermetische Kraft allmählich ihre Wir-
kung. Je stärker das, woran das Gedicht erinnert, zu einem» Urzeitspiel von Hen-
ker und Opfer, I Verfolger und Verfolgten«, zur enthistorisierten Beschwörung des
»blutschwitzenden Mars« (77) wird, desto mehr verflüchtigt sich die zeitgeschichtli-
che Signatur. Der Rekurs auf die Sprache der Bibel, der Kabbala, der jüdischen Mys-
tik allein - so zeigt sich im Werke von Sachs - bringt noch nicht jenen hermetischen
Widerstand hervor, der Ideologien durchkreuzt. Er leistet vielmehr einer Mythisie-
rung der Geschichte Vorschub, wie der Vergleich Hitlers mit »Saul« ( 106) beweist,
der gerade in den SOer Jahren gängigen Verdrängungsstrategien ins Kalkül passte.
Zumindest die frühen Gedichte von Nelly Sachs exemplifizieren ihren Sinn-
zusammenhang noch im Bewusstsein eines Sprechen-Könnens, das emphatisch
an die Macht des zuletzt doch unversehrten Dichterwortes glaubte. Das Pathos
einer solchen Poetik ließ das Formrepertoire der ersten Nachkriegsbände in die
Nähe des lyrischen Traditionalismus rücken, der in der Sprache Hölderlins, Ril-
kes und Trakls noch eine verbindliche poetische Norm sah. Ähnliches lässt sich
für die frühen Gedichte Rose Ausländers beobachten. Noch ist die Sprache, wie es
in einem Gedicht heißt, Jehovas »Ebenbild, in Klang gehaun« (Ausländer 1984, 3,
303), eine, wie Baumann betont, der »Ethik des Schreibens« (Baumann 1981, 52)
verpflichtete Dichtung. Erst gegen Ende des Jahrzehnts verstärkte sich ein skepti-
scher Pessimismus, und zwar im Anblick jener »novembernen Menschen«, welche
die Vergangenheit und vor allem ihre eigene Geschichte längst vergessen hatten.
Rose Ausländer entfernte sich aber noch nicht in dem Maße von konventionellen
lyrischen Formen, wie dies für Sachs gleichzeitig beobachtet werden kann.
Hermetische Tendenzen in der Lyrik von Nelly Sachs verstärken sich am Ende
der SOer Jahre, und zwar immer dort, wo ihre Beschwörung numinoser Mächte zur
Metapher, nicht aber zur Sinnperspektive der Gedichte wird. In archaischen Bildern
werden Versteinerung, Erstarrung und Grauen sichtbar gemacht, verbunden mit
Motiven der Sehnsucht. Der Gedichtbandtitel Flucht und Verwandlung ( 1959) hält
den Widerspruch zwischen Barbarei und utopischem Bilderrest offen:
I
EINEN AKKORD spielen Ebbe und Flut,
Jäger und Gejagtes.
Mit vielen Händen
wird Greifen und Befestigung versucht,
Blut ist der Faden.
Finger weisen Aufstellungen,
Körperteile werden eingesetzt in sterbende Zeichnungen.
54 Die fünfziger Jahre
Strategie,
Geruch des Leidens -
Glieder auf dem Wege zum Staub
und die Gischt der Sehnsucht
über den Wassern (Sachs 1961, 161).
L_
Die Gezeiten-Metapher setzt keine historische Sinnmarkierung als naturalisierten
Geschichtsmythos, der mit seiner Botschaft vom ewigen »Akkord« aus »Jäger und
Gejagtem« vertrösten soll, sondern reflektiert deren barbarische Essenz: »Blut ist
der Faden«. Sachs' Gedichte- vor allem in »Flucht und Verwandlung«- werden
nicht nur lakonischer, sondern auch verschlossener. Statt Pathos und Emphase
plastischer Bildlichkeit treten Verfahren der Unterbrechung, Konzentration und
Verknappung hervor, bis hin zu epigrammatischer Reduktion, die den frühen Ge-
dichten völlig fehlte:
Du
in der Kerbe des Jahrhunderts gewiegt
wo Zeit mit gesträubten Flügeln
fassungslos ertrinkt
in der überschwemmung
deines maßlosen Untergangs. (266)
L_
Das Gedicht hat mit einem bloßen »Warngedicht«, das ein gut gemeintes »Zeugnis
von einer elementaren Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit« (Höck 1969, 107)
ablegen will, nichts mehr zu tun. Obsolet ist eine solche Zeugenschaft am Ende der
SOer Jahre schon deshalb, weil sie die Tendenz eines restaurativen Kulturbetriebs
anzeigt, gerade jüdischen Dichterinnen und Dichtern eine Chronistenfunktion zu-
zuschreiben, so als beträfen ihre Verse längst historisch gewordene Wahrheiten.
Celans »Todesfuge«, wohl 1944 bereits entstanden (Martin 1984, 81), gehört
zur frühen Dichtung, also zu einem Werkkontext, der eng mit den literarischen
Anfängen im rumänischen Czernowitz zusammenfällt. Celans Geburtsort, eine
Stadt in der Bukowina mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil, mit deutscher
und hebräischer Schule, ist zugleich die erste Station literarischen Interesses, das
Celan etwa mit Immanuel Weißglas, Alfred Margul-Sperber und Rose Scherzer-
Ausländer teilte. Nach Stiehler zeigen deren in Czernowitz entstandene Gedichte
Parallelen mit der »Todesfuge« auf (Stiehler 1972) und verweist auf das Gedicht
»Er« von Weißglas: »Wir heben Gräber in die Luft und siedeln I Mit Weib und Kind
an dem gebotnen Ort. I Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln, I Man schafft
ein Grab und fährt im Tanzen fort.« Auch auf »Gretchens Haar« und den »Tod« als
einen »deutschen Meister« gibt es bei Weißglas einen Hinweis: »ER spielt im Haus
mit Schlangen, dräut und dichtet, I In Deutschland dämmert es wie Gretchens
Haar. I Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet: I Da weit der Tod ein deut-
scher Meister war« (Weißglas 1994, 107). Die Metapher »schwarze Milch«- jene
»schwarze Milch der Frühe« bei Celan- kommt in einem Gedicht Rose Ausländers
vor: »Nur aus der Trauer Mutterinnigkeit I strömt mir das Vollmaß des Erlebens
ein. I Sie speist mich eine lange, trübe Zeit I mit schwarzer Milch und schwerem
Wermutwein.« (Ausländer 1984, 1, 66).
So wichtig solche literarischen Bezüge für die Entstehungsgeschichte der frü-
hen Lyrik Celans auch sind: in seinen Texten, wie in der »Todesfuge«, werden jene
literarischen Quellen und Anregungen zusammen mit allen anderen Einflüssen
in eine Poesie transformiert, die sich des konventionellen lyrischen Tones, der bei
Weißglas und Ausländer noch klar vorherrscht, ebenso entledigt wie der Einord-
nung moderner Dichtung unter Theologie und Religion. Die »Todesfuge« wird
1948 in Celans Sammlung Der Sand aus den Urnen veröffentlicht; freilich zieht
der Autor den gesamten Band nach seinem Erscheinen sofort zurück und lässt
ihn einstampfen. Das Schicksal der ersten Sammlung hat Uwe Martin näher be-
schrieben (Martin 1984).
Die Popularität der »Todesfuge« hat mehrere Gründe. Gerade jene »unkennt-
liche Linie, welche Klage von Anklage trennt« (Neumann 1968, 57), hat es so an-
ziehend gemacht. Die hermetische Tendenz schien deshalb in dem Moment rela-
tivierbar, in dem sie zu einem Formproblem, dem einer Fugenkomposition, ge-
macht wurde. Celan habe, so die These, sein Gedicht analog zu musikalischen
Aufbauprinzipien einer Fuge konzipiert und entsprechende Wiederholungs- und
Gegensatztechniken verwendet. Wo das Gedicht aber seines ästhetischen Gehaltes
wegen geschätzt werde, da verfalle es zum »Wiedergutmachungsgedicht« (Vos-
winckel 1974, lOOf.). Es gehört zu den Paradoxien der Wirkungsgeschichte mo-
derner Lyrik, dass gerade dieses Gedicht Celans zum Schulexempel hermetischer
Dichtung werden konnte, das doch in der Tat, von seiner Rezeption her beur-
teilt, längst aller Hermetik beraubt war. Schon Heselhaus hatte sich an den »Stim-
men« enthusiasmiert, »die vom Grauen der Konzentrationslager geblieben sind«
(Heselhaus 1961, 432). Müller nennt den Text »ein einziges lyrisches Paradoxon«
(Müller 1970,127). Und Büttner spricht die Intention jener »Todesfugen«-Lektü-
56 Die fünfziger Jahre
re, welche die Hermetik des Textes überwältigt, unmissverständlich aus (Büttner
1975, 98):
Hinzu kommt das überraschende, daß dieses Gedicht trotz des entsetzlichen Geschehens
nicht mit einer hetzerischen Verdammung der Deutschen endet. Am Ende stehen Margarete
und Sulamith gleichwertig nebeneinander, nur unterschieden durch Haarfarbe und Namen.
Eine menschliche Verständigung, eine Versöhnung erscheint trotz Auschwitz in Zukunft
möglich.
Die Verdinglichung, der die >Todesfuge< im Kulturbetrieb anheimgefallen ist, läßt sich einst-
weilen nicht rückgängig machen. Jede neue Interpretation würde dasselbe Schicksal erleiden
wie das Gedicht selbst: sie würde seine Rolle als Kulturgut bestätigen und fande Anklang
bei jenen, die die >Todesfuge< zum Konsumartikel gemacht und damit getötet haben.
Drei Gedichtbände Celans erscheinen in den 50er Jahren: Mohn und Gedächtnis
(1952), Von Schwelle zu Schwelle (1955) und Sprachgitter (1959). Von Sammlung
zu Sammlung verstärkt sich die Neigung zur aufs Wesentliche verknappten Vers-
sprache mit ihren fragmentarischen Lakonismen. Von Anfang an kennzeichnet
Celans Gedichtbände ein zyklisches Aufbauprinzip, an George und Rilke erin-
nernd. Motive und Metaphern-Komplexe kehren wieder: Auge, Lid, Licht, Stern,
Stein, Brunnen, Eis und Tod. Aber ihre Bedeutung liegt nicht fest. In jedem Ge-
dicht sind sie aufs Neue nach ihrer Semantik zu befragen, die im Sprechen selbst,
im einzelnen Gedicht aufgehoben ist. Celan erprobt nicht, wie Stephane Mallar-
me, die Sprache, um sich ihrer schöpferisch-befreienden Potenz zu vergewissern.
Vielmehr schreibt er im Bewusstsein der >Grenze< der Sprache, bis hin zum Motiv
des Stammeins und Stotterns, das noch einzig verhüllte Wahrheit birgt, aber auch
bis zur pessimistischen Einsicht ins Scheitern des Gedichts: >>Welches der Worte
du sprichst- I du dankst I dem Verderben<< (Celan 1983, 1, 129), >>Wahr spricht,
wer Schatten spricht<< (135).
Die Selbstthematisierung der Poesie, des dichterischen Sprechens wird zu einem
zentralen Thema Celan'scher Lyrik überhaupt und kommt in einer Vielzahl seiner
>poetologischen Gedichte< zum Ausdruck; sie nehmen von Sammlung zu Samm-
lung zu. Das Gedicht >>Argumentum e silentio<< (138) macht deutlich, dass von der
>>Nacht<< nur noch etwas sagen kann, der das >>erschwiegene Wort<< sucht:
I
Ihr, der Nacht,
das sternüberflogne, das meerübergossne,
ihr das erschwiegne,
dem das Blut nicht gerann, als der Giftzahn
die Silben durchstieß.
Poesie als Widerstand. Hermetische Tendenzen 57
Gelmann hat darauf verwiesen, dass hier der »Prostituierung« des Sprechens, jener
für »Schinderohren« bestimmten Sprache, die »Notwendigkeit des Läuterungspro-
zesses« (Gelmann 1980, 314) gegenübergestellt werde. Die Dichtung nur nähert sich
ihm an, und auch nur unter der Voraussetzung, dass sie Gedächtnis jener »Nacht«
ist. In der Koinzidenz von Leiden und Dichtung wird eine poetologische Konzep-
tion sichtbar, deren im Bild des Meridians verschlüsselte Programmatik Celan erst
1960 in seiner Darmstädter Rede formuliert, deren Grundzüge sich aber bereits in
den »Sprachgittern« offenbaren.
Der letzte Zyklus dieses Bandes, »Engführung« (Celan 1983, 1, 197}, ist dafür
ein Paradigma. »Engführung« greift ein Element der Fugenkomposition wieder auf
und meint zunächst die äußerste semantische Verdichtung der Wortzeichen auf
engstem Raum, ein Verfahren, das im Gedicht zugleich erprobt und zum Thema
wird. Auch in diesem Text werden die Worte der Dichtung, das >>Partik.elgestöber«,
von der Sphäre des bloßen Geredes und Meinens strikt geschieden:
I
Orkane.
Orkane, von je,
Partikelgestöber, das andre
du
weißts ja, wir
lasens im Buche, war
Meinung. (200)
L_
auf eine ansprechbare Wirklichkeit« (Celan 1983, 3, 186). Nicht auf Information
und Mitteilung ist dieses Dialogische gerichtet, sondern auf jene Bedeutung der
Sprache als Widerstand, die Celans Lyrik eigen ist.
lngeborg Bachmann
Adorno hat zu Celan die Frage gestellt, wieweit die Gedichte »tatsächlich herme-
tisch« (Adorno 1970, 475) seien. Er relativiert ihr hermetisches Element, indem er
ihren Einspruchcharakter gegen eine instrumentalisierte Sprache hervorhebt. Kunst
sei »integer einzig, wo sie bei der Kommunikation nicht mitspielt« (476). Ihre Ab-
grenzung gegen diese Sprache macht in letzter Instanz den Grad des Hermetischen
im Gedicht aus. Solchen Widerstand gegen eine gefügig gemachte Sprache kennen
auch Ingeborg Bachmanns ( 1926-1973) Gedichtbände Die gestundete Zeitvon 1953
und die Anrufung des Großen Bären von 1956.
Bachmanns Sprachskepsis - diese verbindet die Autorin mit anderen Konzep-
tionen der hermetischen Dichtung - hat zunächst eine philosophische Wurzel
und ist an Wittgenstein geschult. Ihre existentialistische Motivierung verweist auf
Heidegger, über den die Autorin 1949 in Wien promovierte. Ihre Gedichte sind
Beispiele dafür, dass die Lyrik der 50er Jahre intensiv am philosophischen Diskurs
partizipiert hat. Schon der Titel Die gestundete Zeit nimmt einen philosophischen
Gedanken auf, der ästhetisch gewendet und zum Ausgangspunkt für eine Erkun-
dung menschlicher Existenz jenseits tradierter Sinnsysteme wird. Bachmanns Verse
unterlaufen damit jenes restaurative, auf Expansion und Sicherheit gerichtete Fort-
schritts- und Wohlstandsdenken der SOer Jahre, indem sie deren andere Seite: das
Unbehagen entfremdeten Lebens formulieren. Chiffre solchen Unbehagens ist ein
lyrisches Untergangs- und Endzeitbewusstsein, das nur noch schwach mit utopi-
schen Elementen durchsetzt ist und der Dichtung eine pessimistische Aura verleiht.
Nicht vom Aufstieg der Systeme ist die Rede, sondern vom »Fall aus der Zeit«
(Bachmann 1978, 31), nicht vom herrschenden Freiheitspathos in Ost und West,
sondern davon, »daß wir des Kontinentes Gefangene bleiben I und seinen Krän-
kungen wieder verfallen« (57). Zu einem Panoramagedicht jenes existentialistischen
Unbehagens, das sich als oppositionelle Stimme im Kulturbetrieb der Restauration
versteht, weitet Bachmann ihren Gedichtzyklus »Von einem Land, einem Fluß und
den Seen« (84) in der Anrufung des Großen Bären aus. Zugleich aber zeigen sich
auch die Grenzen einer Poesie, die ihre Untergangsbilder auf gekonnte, ästhetische
Weise entwirft und -jenseits aller Sprachskepsis -von »Gesetz« und »Ordnung«
träumt, welche »in der schönen Sprache, I im reinen Sein« (92) verborgen lägen.
Die Eingangsstrophe des Titelgedichts »Die gestundete Zeit« ist ein Beispiel
für jene bei Literaturkritik und Leserschaft gleichermaßen beliebte Ästhetik des
Unbehagens:
I
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
Poesie als Widerstand. Hermetische Tendenzen 59
Johannes Poethen
Dass der Begriff der hermetischen Lyrik ein weit zu fassender sein muss, zeigt sich
nicht zuletzt im Bachmannsehen Werk und seiner Spanne zwischen strikter Ab-
geschlossenheit und evozierten, auf Kommunikation gerichteten Vermahnungen.
Zumindest in seinen ersten Gedichten hat auch Johannes Poetben (* 1928), der den
Bekanntheitsgrad Bachmanns nicht im Ansatz erreichte, am moralischen Pathos
des Warnens und Mahnens einen Anteil. Dem lyrischen Traditionalismus noch
verpflichtet, trägt sein erster Gedichtband, Lorbeer über gestirntem Haupt aus dem
Jahr 1952, die emphatische Gattungsbezeichnung Sechs Gesänge. 1956 erscheint
die Sammlung Risse des Himmels, 1958 Stille im trockenen Dorn. Celans Einflüsse
sind unverkennbar. Poetben arbeitet mit zyklischen Aufbauformen; Gedichttitel
60 Die fünfziger Jahre
wie »Stein«, »Stern«, »Muschel«, »Gras«, »Dornbusch« (Poethen o. J., 94f.) lesen
sich, als ob sie Zitate wären, und Gleiches gilt für eine Reihe von Motiven, die stets
wiederkehren: Auge, Lid, Blindheit, Traum, Stille, Krug, Brunnen.
Für Poethen ist das Gedicht ein »floß«, eine »fügung aus treibholz«, ein »tag-
werk I das der sturm aufhebt« (72). Schweigen und Verstummen werden zur dro-
henden Gefahr einer gewaltsamen, sprachlosen, in Entfremdung verharrenden
Welt, der auch das lyrische Ich allenfalls nur eine gebrochene, schwache Stimme
verleihen kann: »Ins stumme schlug ich die höhle I ins lärmgestein.ll Mein nachbar
ist gläsern« (68). Poethen erprobt die Metaphern-Sprache hermetischer Dichtung
und nimmt auch gewagte Bildkonstruktionen in Kauf: »Mein augevom zimmer
bewahrt I hüllt sich ein weil es friert I tief in denmanteldes Iids« (35).
Seine Gedichte fügen sich nicht zu einem trügerischen Sinnganzen, ihre Her-
metik ist vielmehr ein Abbild deformierter Sinnkonzepte. Auch die in den 50er
Jahren grassierende Reise-Lyrik mit südlich-mediterranem Flair wird bei Poethen
zum gebrochenen Zitat, wenn der »Südwind«, jener »hieroglyphenwind aus ge-
fiedertem blau«, melancholisch »zum dauerndenflugbilddes sturzes« (43) sich
paart.
Im Gegensatz zu Celan und eine Reihe anderer Lyriker folgt Poethen nicht der
Tendenz zur pointierten Verknappung der Versstruktur; im Gegenteil weiten sich
seine Texte zeitweilig zu umfangreichen Prosagedichten aus. Damit entzieht sich
der Dichter freilich angestrebter sprachlicher Reflexion und neigt zu einer gewissen
monotonen Wiederholung schon adaptierter Formeln und Muster.
Poethens Gedichte kennzeichnet ein lyrisches Ich in der Rolle eines Fragenden,
Meditierenden, dem jede überhebliche Pose abgeht. Zur Poetik des Hermetismus
nach 1945 gehört daher als eine seiner adäquaten Satzfiguren die Frage, und zwar
nicht die rhetorische, sondern eine von Staunen, Spontaneität, Skepsis und Ent-
setzen bestimmte. Sie hat noch im poetischen Selbstgespräch einen dialogischen
Zug, zumindest denjenigen, der zum Mit-Zweifel anstiften könnte.
Essigmund. Es ist schon viel, I Wenn wir die Dinge in Gewahrsam nehmen, I Ein-
sperren in Kästen aus Glas wie Pfauenaugen.« Und sie betrachten am Feiertag.«
Im Zyklus »Sizilianischer Herbst« heißt es lapidar: »[ ... ] Was ist das Ganze? I
Brot, Blut und Stein. Ein Stückehen Abendland« (262). Erst jenseits des »Ganzen«
kann die dichterische Sprache ihren Ausgangspunkt nehmen. Kaschnitz' Verse
zeigen, dass hermetische Tendenzen, die Abgeschlossenheit gegen Ideologie und
Gerede, nicht unbedingt Unverständlichkeit implizieren müssen. Die Gedichte ent-
falten ihr Potenzial, auch wenn die »Neuen Gedichte« schon knapper, karger und
unterbrochener wirken als ihre früheren, in einem Panoramabogen, teils in breit
angelegten Zyklen, teils in vielstrophigen Gedichten. Ihren Charakter des Suchens
und Zweifelns verlieren sie trotzdem nicht.
Hermetische Tendenzen bei Kaschnitz fallen mit dem Widerstand gegen ge-
borgte Ganzheitskonzepte und Fortschrittsteleologien zusammen. Das Gedicht
»Hiroshima« (258) ist ein Paradigma für eine solche Poesie des Einspruchs: »Der
den Tod aufHiroshima warf I Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken«, so beginnt
das Gedicht, ein Klischee aus Sühne und Buße zitierend, um es dann - mit einem
Blick auf ein rundum zufriedenes, saturiertes Bürgergesicht - desto gründlicher
und unnachsichtiger zu destruieren: »Nichts von alledem ist wahr.«- Es gibt keine
treffendere Umschreibung dessen, was hermetische Lyrik in den 50er Jahren be-
deutet, als jener Gestus des Einspruchs, der sich noch im Sprechen- »Nichts von
alledem ist wahr« - jeder Positivität entsagt.
Der Lyriker - meine ich - sollte sich von Zeit zu Zeit als ein Mann fühlen, der Singvögel
unter seinen Hut hält und sie dann im rechten Augenblick in einen eingebildeten Äther ent-
weichen läßt, als ein heiterer Zauberer, dem eine ganze Welt der Imagination zur Verfügung
steht, wenn er nur will.
Da kehrt, zwar nicht sehr ernst genommen, Merlin wieder, die Figur des Magiers,
der die Lyrik seit Jahrzehnten verzückt hatte. In solchen Verweisen zeigt sich zugleich
die Grenze poetologischer Experimente, die etwa Krolow mit seiner Propaganda für
Inszenierungen des lyrischen Ichs. Zur Poetologie des Nachkriegsgedichts 63
ein >offenes Gedicht< intendierte. Zumindest »das Herrlichste der Spiele« hat nach
Karl Schwedhelm »das Schreiben von Gedichten« zu sein: »Spiel allerdings in jenem
ernstesten Sinne, daß hellste Leichtigkeit, letztes Wagnis nur am Abgrund möglich
sind. Dort aber«, so glaubte der Verfasser einiger schmaler Lyrikbände, werde »das
schöpferische Spiel vom Zeitvertreib zum Zeitgewinn, weil es alle Zeit aufhebt im
Glück endlich gefundener Gestalt« (84). Jargon durchherrscht eine Vielzahl von
Poetologien in den 50er Jahren, bis hin zu Platitüden wie »Poesie ist das Dasein
selber« oder Phrasen von der »nahtlosen Identität von Kunstwerk und Ich« (83).
Immer wieder wird die Gestalt eines produktiven lyrischen Subjekts entworfen,
das exzeptionelle, ja megalomanische Züge trägt.
Bender hat seiner Anthologie ein Vorwort vorangestellt, das die Richtung an-
gibt, auf die einige seiner Autoren zugeschrieben haben. Er nennt Gottfried Benns
Marburger Vortrag »Probleme der Lyrik« aus dem Jahr 1951 »für die junge lyrische
Generation eine Ars poetica« (8): eine berechtigte Wertschätzung, wenn man die
Präzision und Stringenz der Bennschen Position an den Deklarationen der Jun-
gen misst. Hatten diese den Kontakt zur europäischen Moderne nach 1945 sich im
Schnellverfahren angeeignet und mit deren Nomenklatur bis in die 50er Jahre hinein
unsicher experimentiert, so ist Benn selber deren historischer Exponent gewesen,
der Theorie und Praxis moderner Lyrik seit dem frühen 20. Jahrhundert in ihren
einzelnen Phasen und Paradigmenwechseln aus eigener Anschauung kennt.
I
Entwicklungsfremdheit
Ist die Tiefe des Weisen,
Kinder und Kindeskinder
Beunruhigen ihn nicht,
dringen nicht in ihn ein.
Richtungen vertreten,
Handeln,
Zu- und Abreisen
ist das Zeichen einer Welt,
die nicht klar sieht.
Vor meinem Fenster
- sagt der Weise -
liegt ein Tal,
darin sammeln sich die Schatten,
zwei Pappeln säumen einen Weg,
du weißt - wohin.
L_
Benns Entwurf läuft keineswegs auf einen triumphierenden Rückzug hinaus, son-
dern schließt den Preis dafür ein: Einsamkeit bis in den Tod (»die Schatten, I zwei
Pappeln säumen einen Weg«). Vor diesem Hintergrund kann Benn die Bedeutung
des lyrischen Ichs formulieren (Benn 19S9, S12):
Inszenierungen des lyrischen Ichs. Zur Poetologie des Nachkriegsgedichts 65
Das lyrische Ich ist ein durchbrochenes, ein Gitter-Ich, fluchterfahren, trauergeweiht. Immer
wartet es auf seine Stunde, in der es sich für Augenblicke erwärmt, wartet auf seine südlichen
Komplexe mit ihrem >Wallungswert< nämlich Rauschwert, in dem die Zusammenhangs-
durchstoßung, das heißt die Wirklichkeitszertrümmerung, vollzogen werden kann, die
Freiheit schafft für das Gedicht - durch Worte.
Benn rekurriert in seiner magischen Beschwörung der >>Stunde« des Worts auf
frühere Positionen und knüpft an eigene Theorien zum Thema >Ich-Verfall< und
>modernes Ich< an. Was er verteidigt, ist die Autonomie eines lyrischen Ichs, das auf
sich selbst zurückgeworfen bleibt, jenseits von Geschichte und Gesellschaft stehen
will und letztlich nur im Moment artistischer >Mache< existiert. Strikt monolo-
gisch hat solche Lyrik zu sein: >>das absolute Gedicht, das Gedicht ohne Glauben,
das Gedicht ohne Hoffnung, das Gedicht an niemanden gerichtet, das Gedicht aus
Worten, die Sie faszinierend montieren<< (524).
Die Bedeutung der Theorie vom >>absoluten Gedicht<<, Kernstück des Marbur-
ger Vortrags, liegt zunächst darin, dass Benn die moderne Lyrik auf Form, Stil und
Ausdruck festlegen will. Der Artistik ordnet er eine Suggestion des Wortes zu; und
indem er dessen >>Rauschwert« hochhält, verhilft er einem artistischen Mystizismus
zum Durchbruch. >>Nichts- aber darüber Glasur<< (Burger/Grimm 1961, 28), so
hat Grimm die Konstellation einer modernen Poesie genannt, die in ihrer kühlen
Form-Kombinatorik dem Realitätsverfall noch wahrhaft magische Töne abzutrot-
zen versteht. Gerade die Verbindung von lntellektualität, behaupteter Autonomie
des Ichs und faszinierender Wortmagie macht Benns Programm in der Tat zu einer
ars poetica westdeutscher Lyrik in den 50er Jahren (Gnüg 1983, 218):
Es ist der Wille nach einem objektiven Wert jenseits einer Trümmerwirklichkeit, einer
demoralisierten Gesellschaft, der Wille nach einem letzten Sinn, der auch nicht mehr in
diesem als zufällig, verführbar, fragmentarisch erlebten Subjekt liegen konnte, der die
Lyriker eine neue >Objektivität< im absoluten Gedicht suchen ließ.
Benns Apologie des lyrischen Ichs wirkte wie eine Art Befreiung vom Zwang gesell-
schaftlicher Legitimation; denn er sparte das empirische Ich, dessen Erfahrungswelt,
dessen Einbezogenheit in den prognostizierten Realitätsverfall, sorgfältig aus, indem
er das lyrische Ich um so mehr mit allen Vollmachten seines >Artistenevangeliums<
ausstattete. >>Benns Bekenntnis zur Form<<, hebt Wellershoff hervor, >>kann nur
existentiell verstanden werden. Die autonomen, abgeschlossenen, in sich ruhenden
Gebilde sind das Gestalt gewordene Ohne-mich<< (Wellershoff 1958, 235).
Von wenigen seiner rasch zahlreicher werdenden Anhänger wurde in den 50er
Jahren erkannt, dass Benns Theorie des >>absoluten Gedichts<< keine adäquate ly-
rische Praxis folgte. Sein Ich ist ein schwaches Subjekt noch dort, wo es sich als
Stratege der Form souverän auszuweisen versucht. Es weiß um das Bewusstsein
seiner Vorläufigkeit, hat eine Neigung zur Resignation und vermag Erkenntnis nur
noch als unausgefüllte Leerstelle zu akzeptieren. Benns Ich-Figur ist eine Figur des
Rückzugs in eine synthetische Formwelt, also letztlich eine Verabschiedung lyri-
scher Subjektivität.
66 Diefünfziger Jahre
In Benns späten Texten fehlt nicht zufällig jene artistische Souveränität des ly-
rischen Ichs, die dem »absoluten Gedicht« inhärent sein müsste. Viel stärker tritt
dagegen ein gebrochenes, ja leidendes Ich hervor, das sich einer banalen, zweck-
orientierten Gesellschaft verweigern möchte und in melancholischer Verharrung
der Kälte profitsüchtiger Aufstiegsmentalität innewird.
der Realität« (1956) schon im Titel auf das Interesse an einer Wirklichkeit, die bei
Benn kaum mehr als das Material zu ihrer eigenen >Zertrümmerung< liefern sollte:
»Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte
sie als trigonometrische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche
den Kurs markieren« (Eich 1973, 4, 441). Die topographische Metapher bewahrt
ein artistisches Element, indem sie Lyrik als einen auf Wirklichkeit gerichteten
Konstruktionsversuch begreift.
Im selben Jahr variiert Höllerer im Vorwort zu seiner Anthologie »Transit«
eine ähnliche Metapher, wenn er davon spricht, dass Verse »dem Bewußtsein ein
neues Grad-Netz im noch nicht definierten Bereich von Wirklichkeit« {Höllerer
1956, XII) schaffen könnten. Hier zumindest deutet sich ein »Drang nach Synthe-
se« an, den Rolleston für die Poetiken der 50er Jahre als charakteristisch ansieht:
den Versuch einer Synthesis aus Benn und Brecht, aus artistischem Monolog und
wirklichkeitsbewusster Distanz, aus Hermetik und Didaxe (Rolleston 1981). Frei-
lich gibt es im strikten Sinne mit Enzensberger nur einen einzigen Autor der 50er
Jahre, der sich einer solchen Kombinatorik konsequent bedient hat.
Autor und Leser« (Franz 1969, 793) herstelle, so verklärt er den dürftigen Agitati-
onskern derartiger Lieder zur neu begründeten Tradition.
Franz sieht auch die Bedeutung, die die Frage nach der Rolle des lyrischen Sub-
jekts für die Nachkriegspoetik hat. So unterscheidet er zunächst zwei Richtungen
der DDR-Lyrik, die »pontifikale Linie« und die »profane Linie«; erstere arbeite
ungestisch und sei auf »erschwerte Verständlichkeit« gerichtet, während die zweite
eine (im Brecht'schen Sinne) »gestische Sprechweise« favorisiere und, mit Brecht,
»das Komplizierte einfach sagen« (Mon 1960) möchte. Die Inszenierung des ly-
rischen Ichs hat ihre Grenze, wie es scheint, in jenem >Individualismus<, der sich
einem kollektiven Wir verweigert.
Die Wiedersprüche einer solchen Doktrin, die einer Positivität der Weitsicht,
einem vagen Wir-Gefühl verpflichtet ist, hat Georg Maurer- Lehrer am Leipziger
Institut für Literatur, dem Literaturinstitut ]ohannes R. Becher, Förderer junger Au-
toren in der DDR- aufgezeigt und damit indirekt die kritische Funktion lyrischer
Texte verteidigt (zit. n. Jäger 1977, 76):
>>Durch die dauernden Behauptungen, daß das Leben wunderschön ist, wird das Leben
noch nicht wunderschön. Mag sein, daß die Lyriker und Lyrikerinnen, während sie so etwas
schreiben, dieser Autosuggestion verfallen. Eine suggestive Macht solcher Verse auf die Leser
hat es kaum gegeben. [... ] Offenbar sind ihr nur noch die Zeitungsredakteure verfallen<<
Maurers Empfehlung, sich der Tradition der Moderne, vor allem des Expressio-
nismus, zu erinnern, aber auch das Werk Celans und die Gedichte Ingeborg Bach-
manns zu studieren, macht das Dilemma einer Poetik des DDR-Gedichts deutlich:
Ihre ideologische Untermauerung ist indiskutabel geworden, aber ihre kritische
Situierung innerhalb der Gesellschaft steht aus und müsste bei einer schonungslo-
sen Kritik des längst gescheiterten Agitations- und Produktionsgedichts beginnen.
Ansätze zu einer kritischen Replik gibt es in theoretischen Schriften nur spora-
disch, dafür umso mehr in Gedichten selbst, die vor einem solchen Horizont zu
poetologischen Gedichten werden. Ein Beispiel dafür ist Heinz Kahlaus Gedicht
»Vorwurf<< (Kahlau 1956, 15), das eine Antwort auf ein heroisches Arbeiterporträt
der Stalinzeit sein könnte:
I
Erzähle mir nichts
von der Kraft deiner Hände.
Steine brichst du,
Bäume brichst du,
Brot brichst du.
Brichst du dein Joch?
Ich glaube nicht
an die Kraft deiner Hände.
Inszenierungen des lyrischen Ichs. Zur Poetologie des Nachkriegsgedichts 69
I
Ihr, mit den Fahnen in den Händen,
euer Marsch - herausgeschnitten aus dem schnarchenden Körper des
Klotzes Welt - hat euch erst einen
Schritt in das morgige Land getragen.
Die Rolle als »Multiplikator und Propagandist der Parteimeinung« (Kasper 1995,
35) hat Kunert allerdings nur kurze Zeit gespielt. Seine weitere Entwicklung als Ly-
riker lässt sich jeweils am immer größer werdenden Abstand zu den eigenen AnHin-
gen bemessen, bis hin zum Parteiausschluss und zum Verlassen der DDR. Mit dem
1965, erst einige Jahre nach Fertigstellung des Manuskripts (ebd., 45) erschienenen
Gedichtband Der ungebetene Gastvollzog Kunert die Wende zur systemkritischen,
spätere Konflikte vorprogrammierenden DDR-Lyrik. Dieser »Paradigmawechsel«
(ebd., 51) hat noch ein wichtiges Indiz: Schon 1963 war ein Großteil der Gedichte
unter dem Titel Erinnerung an einen Planeten zuerst im Westen veröffentlicht wor-
den: Ausdruck einer Spannung, die ein neues Verständnis der eigenen literarischen
Autorschaft dokumentiert - den bis zu einem gewissen Grade unabhängigen, ge-
rade darum in Ost wie in West gehörten Dichter.
Hypothek für die Textsorte des Epigramms erweisen, das in den 50er Jahren von
Brecht und anderen mit dem Anspruch, kritische >Gebrauchslyrik< zu sein, in die
Poetik der Nachkriegszeit eingeführt wurde.
Die widersprüchliche Struktur des lyrischen Ichs in Brechts späten Gedichten
ist ein Indiz dafür, dass die Alternative Benn - Brecht in den 50er Jahren nicht die
Quintessenz der Gattungsgeschichte war, zumal die Opposition auf den falschen
Gegensatz von >politischem< und >Unpolitischem< Gedicht hinausläuft. Mit klarem
Blick für die Fatalität einer solchen Gegenüberstellung hat Adorno 1957 seine Rede
über Lyrik und Gesellschaft (Adorno 1958) gehalten. Sie löst die falscheAlternative
von engagierter oder aber reiner Poesie auf, indem sie den Nachweis führt, dass
alle Poesie gesellschaftlich und dass gerade dem lyrischen Gebilde sein je histori-
scher Ort inhärent sei, das am entschiedensten sich gegen eine gesellschaftliche
Instrumentalisierung - als Botschaft, Appell, Agitation - wehrt.
Gerade als »ein der Gesellschaft Entgegengesetztes« sei Lyrik, so Adorno, »in
sich selbst gesellschaftlich. Sie impliziert den Protest gegen einen gesellschaftlichen
Zustand, den jeder Einzelne als sich feindlich, fremd, kalt, bedrückend erfahrt,
und negativ prägt der Zustand dem Gebilde sich ein: je schwerer er lastet, desto
unnachgiebiger widersteht ihm das Gebilde, indem es keinem Heteronomen sich
beugt und sich gänzlich nach dem je eigenen Gesetz konstituiert« (77f.). Damit
aber ist evident, dass das lyrische Ich sich nicht als eine souverän anklagende oder
urteilende Instanz, nicht in der Rolle eines poetischen Zeitkommentators zu etab-
lieren habe (85):
Die höchsten lyrischen Gebilde sind darum die, in denen das Subjekt, ohne Rest vom blo-
ßen Stoff, in der Sprache tönt, bis die Sprache selber laut wird. Die Selbstvergessenheit des
Subjekts, das der Sprache als einem Objektiven sich anheimgibt, und die Unmittelbarkeit
und Unwillkürlichkeit seines Ausdrucks sind dasselbe: so vermittelt die Sprache Lyrik und
Gesellschaft im Innersten. Darum zeigt Lyrik dort sich am tiefsten verbürgt, wo sie nicht
der Gesellschaft nach dem Munde redet, wo sie nichts mitteilt, sondern wo das Subjekt,
dem der Ausdruck glückt, zum Einstand mit der Sprache selber kommt, dem, wohin diese
von sich aus möchte.
Nicht auf eine Synthese von Brecht und Benn, von »absolutem Gedicht« und >ges-
tischer Lyrik< ist Adornos ästhetische Prämisse gerichtet, sondern - im Kontext
von 1957 betrachtet- auf die Überwindung jener Konzeptionen: als eine in ihren
Erkenntnissen noch nicht eingeholte Theorie. Sie legt, indem sie an historischen
Exempeln von Mörike bis George ihre Thesen demonstriert und sich jedes Kom-
mentars zum aktuellen Stand der poetologischen Debatten versagt, die Schwä-
chen jener Poetiken offen, in denen das lyrische Subjekt nicht den »Einstand mit
der Sprache« sucht, sondern sich Philosophien, Weltbildern, Politiken verschreibt
oder bloß mit modischen Rollen - von Benns Artisten bis Krolows Zauberer, von
Brechts Intellektuellen bis Eichs Landvermesser- kokettiert. Nicht die Inszenierung
des lyrischen Ichs, sondern die »Selbstvergessenheit des Subjekts« hatte Adorno
herausgestellt und darauf verwiesen, dass erst die »Sprache Lyrik und Gesellschaft
im Innersten« vermittle. Ein Bewusstsein von der radikalen Konsequenz solcher
72 Diefünfziger Jahre
Einsicht hatten wenige Dichter. - Dass ihre Stimme, wie die Celans, sich in den
SOer Jahren angesichts tönender Selbstinszenierungen kein Gehör verschaffte, war
fast ein beredtes Schweigen, das die Skepsis gegenüber allen Inthronisierungen des
lyrischen Subjekts vorwegnahm.
Das Bild der Lyrik zwischen 1950 und 1960 bliebe unvollständig, wenn es nicht
um jene Richtung ergänzt würde, die später unter der vagen Bezeichnung >Konkre-
te Poesie< ihren Platz in der Nachkriegsliteratur behauptet hat. Ihren Höhepunkt
sollte sie zwar erst von der Mitte der 60er bis zur Mitte der 70er Jahre finden, aber
ihre Initiationsphase beginnt um 1953/54, obwohl selbständige Publikationen und
Dokumentationen bei manchen Autoren zu einem späteren Zeitpunkt erfolgten.
Die Unschärfe des Begriffs >Konkrete Poesie> deutet darauf hin, dass er kei-
neswegs einen Gruppennamen darstellt, unter dem sich ohne Mühe das gesamte
Spektrum- von Eugen Gomringer bis Gerhard Rühm, von H.C. Artmann bis Claus
Bremer- subsumieren lässt. Der Begriff hat sich freilich in dem Maße durchgesetzt,
wie sich, aus der Retrospektive betrachtet, eine gewisse Kongruenz der Positionen
unter den einzelnen Protagonisten abzeichnete.
Konkrete Poesie wurde zum Synonym für alle literarischen Versuche, die mit
Attributen wie visuell, akustisch, elementar, material, experimentell, ja sogar ab-
strakt in Verbindung gebracht werden und in denen Verfahren der Kombination,
Reduktion, Konstruktion, des Spiels, der Collage und Montage als Prinzipien der
Textherstellung signifikant werden. Nicht irgendwelche Inhalte, sondern die Mate-
rialität der Sprache selbst steht im Mittelpunkt des Interesses; sie allein ist Objekt
und Ziel der Experimente.
Sprache soll gegenständlich, konkret werden, indem ihre Funktion als blo-
ßes Instrument der Kommunikation außer Kraft gesetzt wird. Die Richtung des
Experiments ist stets die Sprache, deren fragwürdige Verfügbarkeit als >Medium<
von Informationen und Nachrichten im jeweiligen literarischen Versuch evident
werden soll. Eine destruktive Komponente ist der Konkreten Poesie eigen, wenn
sie gerade phonetische, syntaktische, semantische und pragmatische Konventionen
des alltäglichen Sprechens und Daherredens durchbrechen und in ihrer Struktur
erfahrbar machen will. Freilich ist eine solche Destruktion zugleich auch ein Spiel
mit Sprachgewohnheiten und linguistischen Regeln, bis hin zum kalkulierten ma-
thematisch-logischen, seriellen Experiment.
Avantgarde in Österreich
Eine besondere Rolle spielte in Österreich, aber auch in anderen europäischen
Ländern der Nachkriegszeit, die literarische Rezeption des Surrealismus. Seine
Anfänge der Konkreten Poesie. Rückkehr zum Experiment 73
Anziehungskraft lag nicht zuletzt darin, dass er zum einen ein breites Spektrum
vieldeutiger, von Traum, Halluzination und Obsession erfüllter Bilder bot und so
eine Aura des Hermetischen, schwer Zugänglichen schuf, zum anderen aber eine
kreative Lust am Experimentieren und Ausprobieren verbreitete. H.C. Artmanns
(1921-2000) Gedichte gehören zu den ersten wirkungsvollen Paradigmen eines
produktiven surrealistischen Rekurses und reizten ihrerseits wieder zu neuen lite-
rarischen Versuchen.
In einem seiner frühesten Gedichte, »mein Herz« (Artmann 1970, S. 11), löst
Artmann mit seinen anaphorisch konstruierten Langzeilen eine Metaphernflut aus,
die unterschiedlichste Bildelemente durchmischt und so die verrätselte, ineinander
verschlungene, wie zufällig entstandene Bildlichkeit als Assoziationskette an den
Leser weitergibt: »mein herz ist das lächelnde kleid eines nie erratenen gedankens
I mein herz ist die stumme frage eines bogens aus elfenbein I mein herz ist der
frische schnee auf der spurjunger vögel I mein herz ist die abendstille geste einer
atmenden hand I [... ].«In anderen Gedichten arbeitet der Autor mit vielstrophigen,
um sprachlich-thematische Grundmotive locker angeordneten Verskompositionen,
die, wie Artmanns »kleine percussionslehre« (19-26), sich im dauernden Wechsel
von Kurz- und Langzeilen, syntaktisch schwierigen und mühelos eingängigen Sät-
zen über mehrere Seiten erstrecken können.
Von Beginn an waren Artmanns Experimente Arbeit an der Sprache. Dabei
reichte der Bogen von exakt beobachteter Alltagsrede bis zu sprachhistorischem
Material, wie in den »epigrammata in teutschen alexandrinern« (33f.). Artmanns
bedeutsamster Schritt aber war der Weg zum Mundart- und Dialektgedicht, des-
sen provinziellen, auf Heimatkunst festgelegten Charakter er mühelos durchbrach.
1958 kamen seine Dialektgedichte unter dem Titel med ana schwoazzn dintn im
renommierten Literaturverlag Otto Müller (Salzburg) heraus; sie repräsentierten
im Rückgriff auf Mundart und Dialekt eine neue Phase experimenteller Dichtung
und fanden schon früh ihre Nachahmer.
Artmann lässt sich bereits in seinen frühen Texten nicht auf Sprachspiel, Ulk
und Wortwitz festlegen. Ihm standen ein breites Repertoire an Quellen und An-
regungen zur Verfügung. Er arbeitete mit kultur- und literaturgeschichtlichem
Textmaterial ebenso virtuos wie mit journalistischen Fundstücken, Vulgarismen
und Soziolekten. In seinem erst 1966 veröffentlichten, aber bereits 1954 begon-
nenen verbarium findet sich eine politische >verb-arie<, die mit ihrer lakonischen
Kommentiertechnik- eine in der »Weltpresse« erschienene Nachricht wird in Verse
gesetzt und entsprechend verfremdet- den kunstlosen Stil politischer Epigramme
der 60er Jahre vorwegnahm (Artmann 1966, 19):
I
auf dem kleinen friedhof in
der nähe des befehlstaodes
von general de castries
setzten gestern die französisch-
vietnamesischen truppen
ihre gefallenen bei, die
74 Diefünfziger Jahre
in fallschirmseide gehüllt
worden waren, weil es in der
festung keine särge mehr gibt.
L_
Neben Artmann war, später eher vergessen, ein anderer österreichischer Dich-
ter schon um 1950 ein Protagonist des Experimentellen: Andreas Okopenko
(* 1930). Sein erster Gedichtband Grüner November (1966) erschien im selben Jahr
wie Artmanns Dialektlyrik Aber schon lange vor 1958 hatte Okopenko begonnen,
Gedichte voller Bildprovokationen zu schreiben und dabei Sprache, Themen und
konventionelle lyrische Mittel zu verfremden. Anders als die Konkrete Poesie mit
ihren ins Formale ausgreifenden Experimenten arbeitete Okopenko mit Irritati-
onseffekten, in denen traditionelle Genres wie das Jahres- und Tageskreisgedicht
und die Natur- und Landschaftslyrik aus veränderter, neuer Perspektive erscheinen.
Ein schlichter Ton und einfache Reimkonvention können dabei, wie in Okopenkos
»Sommerliche[m] Lied« (Okopenko 1980, 94), den Blick auf eine von Erlebnis-
fragmenten, Gefühlen und Erinnerungsfetzen bestimmte, protokollartig notierte
Wirklichkeitskonstruktion lenken:
I
>>Die da zu leben verstanden ... <<
Aus einem Bad dringt Musik.
Seltsamer Tag. Die mich kannten,
ließ ich mehr Jahre zurück.
Artmanns und Okopenkos frühe Gedichte verdeutlichen, dass längst nicht alle
Ansätze experimenteller Lyrik der Konkreten Poesie zuzurechnen sind; in einen
analogen Kontext gehört auch eine Vielzahl von frühen Gedichten Konrad Bayers,
die teils auch surreale Motive verarbeiten (Bayer 1985, 31):
Anfänge der Konkreten Poesie. Rückkehr zum Experiment 75
Der Begriff einer konkreten Poesie wurde gebildet in Analogie zur bildenden Kunst, vor
allem zur Malerei. Dort löste er sich ab aus den historischen Vorstellungen Mondrians, der
Stijl-Gruppe und Kandinskys. Ausdrücklich verwendet wurde der Zusatz >konkret< wohl
zuerst Von Max Bill für eine Ausstellung in der Basler Kunsthalle, die vom 8. März bis 10.
April1944 dauerte. [... ] Der Begriff einer konkreten Poesie ist meines Wissens zuerst von
Eugen Gernringer 1953 verwendet worden, im Erscheinungsjahr seiner Konstellationen und
der ersten Nummer der Zeitschrift Spirale. Etwa gleichzeitig sprachen mehrere brasilianische
Lyriker von >poesia concreta<.
• Das Piktogramm, das Figurengedicht, hat eine lange Geschichte und erfährt
bereits im Barock eine erste Blütezeit.
• Die Vertreter der Konkreten Poesie haben in ihren Theorien und Manifesten
ihren historischen Anregern breiten Raum gewidmet. Garnringer etwa leitet
seinen Essay »vom verszur konstellation« (Gomringer 1972, 153) mit einem
Motto aus einem Gedicht Stephane Mallarmes ein.
• Aus der französischen Literatur spielen - neben späteren surrealistischen Ver-
suchen zur ecriture automatique- auch Apollinaires Galligrammes (1918) eine
76 Diefünfziger Jahre
Rolle für die Konkrete Poesie, weil sie mit symbolischer Bildersprache brechen
und erste Experimente mit Typogrammen enthalten.
• Futuristische Einflüsse, etwa Marinettis Postulat der Syntax-Zerstörung, haben
ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.
• Arno Holz' Phantasus-Dichtung, die in ihrer Achsenkomposition mit herkömm-
lichen Vers- und Strophenformen bricht, ist ein Beispiel aus der Traditionslinie
des späten 19. Jahrhunderts.
• Noch bedeutsamer waren Expressionismus und vor allem der Dadaismus als
Anregungspotenzial, Vorbild und Impuls.
Dass die Konkrete Poesie, auf welche Weise auch immer, avantgardistische Form-
elemente aufgegriffen, verändert und variiert hat, lässt sich ohne größeren Aufwand
nachweisen; aber der Abstand zur historischen Avantgarde ist nicht zu übersehen.
Diese war zu einer Zeit entstanden, als in der Revolutionierung der Kunst zugleich
deren Status innerhalb der Gesellschaft kritisiert und die Gesellschaft selbst in ih-
rer fragwürdigen Bürgerlichkeit ad absurdum geführt werden sollte. Die Konkrete
Poesie aber findet nach dem Zweiten Weltkrieg andere Bedingungen vor.
Den historischen Unterschied macht nichts deutlicher als jener veränderte Aus-
gangspunkt nach 1945, den Franz Mon treffend am zentralen Gegenstand Konkre-
ter Poesie, an der Sprache, umrissen hat: »Es ist eine geschlagene Sprache, bedenkt
man, woran sie beteiligt war und ist. Aber welche Wahl haben wir. [... ] Sprache,
diese angefochtene, zermürbte Sprache als >Material< nehmen, wobei auch ihre
Erinnerung und die Spuren ihres Geschickes mitzählen, um vielleicht im skepti-
schen Umgang mit ihr der Möglichkeiten inne zu werden, die noch immer und
vielleicht gerade auf Grund ihrer erschreckenden Geschichte bestehen« (zit. n.
Kosler 1978, 7).
Neben Rühm hat auch Friedrich Achleitner einen eigenständigen Beitrag zur Kon-
kreten Poesie geleistet. Seine 1956 und 1957 entstandenen konstellationen experi-
mentieren mit Elementarformen, Texten aus stark reduziertem Wortmaterial und
Ansätzen zum visuellen Gedicht. Es finden sich Wiederholungsreihen, die in ihrer
kargen Rhythmisierung wie Zufallskonstellationen erscheinen, doch zugleich, wie
im Gedicht >>rot<<, die Vielzahl an Varianten einer Farbe aufrufen, ohne sie sprach-
lich zu realisieren: >>rot I anstatt I rot I anstatt I rot I anstatt I rot I anstatt I rot I
anstatt I rot<< (Achleitner 1970, 48). Anders als Artmann stellen Achleitners Dia-
lektgedichte eine Verbindung zwischen Dialektdichtung und Konkreter Poesie her,
auch hier orientiert an elementarsten Strukturen, in denen aus wenigen phoneti-
schen Klangdifferenzen ein serieller Text entsteht: >>wos I na I ge II ge I na I wos II
na I wos I ge II ge I wos I na II wos I ge I na II na I ge I wos<< (80).
Aber nicht die Publikation, sondern die Manifestation und der öffentliche Auf-
tritt stehen im Vordergrund, wie überhaupt die Entstehung der Konkreten Poesie
in den 50er Jahren primär keine Frage der Veröffentlichungen von Büchern und
Textbänden war. So kurzlebig die Zeit der Wiener Gruppe auch gewesen sein mag
(sie zerfiel schon 1964), sie hat doch mit ihren zahlreichen Aktivitäten, vor allem
aber mit der Wiederbelebung des literarischen Kabaretts eine Vorkriegstradition
erneuern und innerhalb des Österreichischen Literaturspektrums ein Gegengewicht
zum vorherrschenden Provinzialismus schaffen können. Für sie charakteristisch
sind ihre Gemeinschaftsarbeiten: Montagen, kleinere Bühnenstücke, Dialektge-
dichte, Kabarettnummern, Chansons, Formen, in denen eine Aktionskunst voller
Provokation und Spontaneität sich entfaltet und eine Befreiung vom metaphysi-
schen Tiefsinn und hehrem Ernst angestrengter provinzieller Dichtung der 50er
78 Die fünfziger Jahre
Jahre anzeigt: Spott und Ironie gehören zu solcher Literatur, deren Stärke darin
besteht, dass sie den Ton klassizistisch-strenger Verse noch im banalen Ulk imitiert
und der Lächerlichkeit preisgibt, wie etwa Konrad Bayer in seinem Gedicht »alte
wunde« (Rühm 1967, 46):
alte wunde
ganz geschwollen
wohin hätt sie wachsen sollen?
nirgendwo war für sie platz
birgt den nibelungenschatz
L
Indem die Mitglieder der Wiener Gruppe, einzeln oder als Gemeinschaft, mit ihren
teils ironisch-sarkastischen und teils sprachanalytisch-experimentellen Versuchen
den Traditionalismus in Kunst und Literatur konterkarieren und mit Hohn und
Spott als Epoche verabschieden, nehmen sie in ihren Ausdrucksformen und ihren
Intentionen Tendenzen der 60er Jahre vorweg. Die Bedeutung der Wiener Grup-
pe liegt also, aus der Retrospektive betrachtet, weniger im einzelnen Beitrag zur
Konkreten Poesie, sondern in ihrer Funktion als innovatives Zentrum kritischer,
experimenteller Literatur in Österreich. Die Anregungen der Wiener Gruppe- vom
Arrangement öffentlicher Auftritte bis zur Verbindung von Improvisation, Lesung
und aktionistischer Manifestation in der Öffentlichkeit- werden erst Jahre später
wieder aufgenommen, zu einem Zeitpunkt, an dem ein Teil von ihren Protagonisten
bereits die eigenen Versuche in wohlgesetzten gesammelten Werken als historisch
gewordene Zeugnisse eigener literarischer Vergangenheit feilzubieten beginnt.
Der Befreiungsakt der Wiener Gruppe galt dem versteinerten Kulturbetrieb
Österreichs. Freilich scheiterte sie letztlich doch an ihm; denn er bewies sich als
besonders unflexibel und, wie Rühm in einem Rückblick betont, als ein »arroganter
Provinzialismus« (Rühm 1967, 33). Ein Teil der Gruppe verließ Wien und ging ins
Ausland. Indes zeichnete sich insgesamt, über ihren ersten regionalen Schwerpunkt
hinaus, ein größeres Interesse an literarischen und künstlerischen Experimenten
ab, das auf die Konkrete Poesie belebend wirkte.
Eugen Gomringer hat schon 1953 in Bern seine ersten konstellationen veröffent-
licht. 1954 folgten Claus Bremerspoesie (1954) Helmut Heißenbüttels Kombina-
tionen (1954). 1956 erschienen Heißenbüttels Topographien. Bereits 1953 meldete
sich mit Hans Arp ein Dichter zu Wort, der noch zu den Akteuren des Dada gehört
hat und in den folgenden Jahren kontinuierlich eine Reihe von Gedichtbänden
herausbringt: Texte, in denen das Experiment zu reinem Spiel mit Wortkaskaden
und Metaphernassoziationen, ja zu gebetsförmiger Ekstase und zur »Glossola-
lie« (Höck 1969, 127) wird. 1958 hat H.C. Artmann seinen ersten großen Erfolg
mit der Mundartdichtung med ana schwoazzn dintn; 1959 schließlich erschienen
Franz Mons artikulationen. Am Ende des Jahrzehnts hat die Konkrete Poesie die
Phase erreicht, in der sie sich innerhalb einer weithin misstrauischen, ja feindli-
chen Literaturkritik zumindest einer stärkeren Aufmerksamkeit als in ihren An-
Anfänge der Konkreten Poesie. Rückkehr zum Experiment 79
fangsjahren sicher sein darf. Eine Zeit hoher öffentlicher Anerkennung bahnte
sich an.
Die Rückkehr zum Experiment war zugleich eine Hinwendung zu einer Litera-
tur des Erprobensund des Versuchs. Ihre Bezeichnung als Artikulation, Konstel-
lation, Textbuch signalisierte eine Abgrenzung zu den zeitgenössischen Dichtern,
die an der antiquierten Aura lyrischer Wortmagie festhielten. Das Experiment hat
daher in den SOer Jahren eine durchaus rationalistische, ja positivistische Seite; es
machte sich sogar Tabellen und Zahlenkombinatorik zunutze.
Ästhetische Sensibilität evozierten solche Experimente vor allem da, wo sie jen-
seits bloßer Spielerei und Zufälligkeit eine kreative, sprachkritische Reflexion be-
wirken wollten. In den Theorien der Konkreten Poesie hat eine solche Begründung
stets einen breiten Platz eingenommen, bis hin - etwa in Heißenbüttels Schriften
- zur Nähe linguistischer Sprachtheorie und Poetik. Für Franz Mon hat Kosler den
historischen Kontext poetologischer Maximen der Konkreten Poesie erläutert und
dabei die Bedeutung von Karl Kraus herausgestellt. Mons Werk sei »sprachreflekto-
rische Dichtung« und »Literatur nach Karl Kraus« (Kosler 1978, 6), mit dem Mon
eine »radikale Infragestellung der Umgangssprache« und der Versuch verbinden,
»Sprache aufs Neue erfahrbar zu machen« (7).
In der Tat wählte die Konkrete Poesie oft Alltagssprache, Floskeln und Rede-
wendungen, kurz: den Wortschutt der Massenmedien und der öffentlichen Kom-
munikation zum Ausgangspunkt ihrer Experimente. Der Erfolg von Artmanns
Dialektdichtung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er bis in die phoneti-
sche Präsentation hinein Redewendungen und sprachliche Eigenarten des Dialekts
und der Wiener Mundart aufgreift und im Gedicht- gleichsam in Verse gebrochen
- auf verfremdende Weise darbietet. Der Unterschied zu Kraus liegt darin, dass die
Konkrete Poesie dessen Sprachbegriff in seinen sprachphilosophischen Prämissen
und Konsequenzen nicht annähernd erreicht. Das gilt auch für entsprechende Ana-
logien zum Werk Ludwig Wittgensteins und Fritz Mauthners. Auch wenn die Pro-
tagonisten der Konkreten Poesie sich eines solchen sprachtheoretischen Horizonts
bewusst waren, zeigen ihre eigenen Theorien, vor allem aber ihre literarische Praxis
die Begrenztheit des eigenen sprachkritischen Engagements deutlich an.
Zugriff der Presse alles tagtäglich >gemacht< wird. Vollends in Gegensatz zu Karl
Kraus gerät die Konkrete Poesie in jenen Varianten, die sich dem Design angenähert
haben und mühelos von der Reklame imitiert werden können, also selbst Objekte
sprachkritischer Analysen sein müssten.
Erfahrungen mit Industrie-Design und Reklame hat auch Eugen Gomringer
gemacht. Freilich waren seine Konstellationen (Gomringer 1972) 1953 noch ganz
von dem Anspruch erfüllt, mit offenen, vieldeutigen Texten ein Bewusstsein für den
Spielraum der Sprache zu schaffen. In seinem Programm »vom verszur konstella-
tion« kehrt dieser kreative, auflnnovation gerichtete Anspruch wieder (156):
das neue gedieht ist [... ] als ganzes und in den teilen einfach und überschaubar. es wird
zum seh- und gebrauchsgegenstand: denkgegenstand- denkspieL es beschäftigt durch seine
kürze und knappheit. es ist memorierbar und als bild einprägsam, es dient dem heutigen
menschen durch seinen objektiven spielcharakter, und der dichter dient ihm durch seine
besondere begabung zu dieser spieltätigkeit. er ist derkennerder spiel- und sprachregeln,
der erfinder neuer formeln. durch die Vorbildlichkeit seiner spielregeln kann das neue
gedieht die alltagssprache beeinflussen.
Ein solcher Impetus freilich ist ein Beispiel für überzogene Erwartungen an die
Konkrete Poesie. Ihre Manifeste waren - und hier liegt eine ihrer entscheidenden
Schwächen - stets anspruchsvoller und durchdachter als ihre literarische Praxis.
Es bestand sogar die Neigung, theoretische Konzepte als Erklärungsmuster in die
Veröffentlichungen aufzunehmen.
Mons artikulationen enthalten eine Reihe solcher theoretischer Zusatztexte,
und zwar zu Themen wie »text und Iektüre« (Mon 1957, 14f.), »gruppe und reihe«
(20f.) und »ausdruck und äußerung« (43f.). Mons Programm weist wie das von
Gomringer ein hohes Ziel auf (31f.):
sprechen, das sich zur poesie umkehrt, ist ein versuch, des selbstverständlichsten, das unter
den komplizierten und aufreibenden arbeiten der sprache vergessen wurde, habhaft zu
werden, poesie geht darin nicht auf, aber sie fahndet danach, sie braucht die primitive
materiale erfahrung. sie kann dem elementaren gar nicht ausweichen, denn früher als das
sprechen übten die Iippen, zungen, zähne die tätigkeiten des einverleibens, des zerstörens,
des liebens, der Iust.
Unversehens kehrt mit dieser Idee einer »primitiven materialen erfahrung« eine
Vorstellung von Poesie zurück, die über das Experimentieren hinausgeht und eine
fast mythische Dimension berührt. Konkrete Poesie als Sprachakrobatik und als
sensibilisierendes Kreativitätstraining zu verstehen, hieße diese Dimension völlig
zu verkennen. Manifeste der Konkreten Poesie können bis hin zu romantischen
Ursprachen-Theoremen zurückreichen.
Gibt ihre Nähe zur Spielerei, zum Nonsens die eine Richtung an, in die sich
Konkrete Poesie entwickeln kann, so ist ihre Neigung zur mystizistischen Sprach-
schau die Gegentendenz dazu. Untersucht man die Worte und semantischen Felder,
die in der Konkreten Poesie mit Vorliebe zum Objekt experimenteller Erprobungen
wurden, so fällt auf, dass nicht nur die Alltagssprache, die alltägliche Kommunika-
Anfänge der Konkreten Poesie. Rückkehr zum Experiment 81
I
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
L_
Nicht diskursiv wird das Thema »schweigen« entfaltet, sondern als visuelle Kon-
stellation. Sie erscheint zunächst wie ein bloßer beiläufiger Einfall, der im Spiel
aus Wortreihen, Wiederholungen und unausgefülltem Zwischenraum entsteht, da-
mit aber die Semantik des Wortes selbst konkret werden lässt (Korte 2000, 69ff.).
Die spielerische Komponente ist freilich nicht mehr als ein oberflächlicher Rekon-
struktionsversuch, der nur die Machart des Textes berührt. Goruringer hat 1964,
ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung, in einem Kommentar zu seinem Ge-
dicht gleichsam dessen meditative Seite beschrieben: »der dichter ist einer, der ein
schweigen bricht, um ein neues schweigen zu beschwören, er ist kein redner. wenn
er reden muß, redet er darum herum, seine sache sind die worte. ein wort sagen,
ein schweigen brechen- der dichter beginnt« (zit. n. Wagenknecht 1970, 15). Die
Autorisation gibt dem Text eine Aura zurück, der er sich in seiner Durchsichtigkeit,
seiner kargen Struktur strikt entzogen hat. Wiederum ist es die theoretische Expli-
kation, die unter deutlichem Legitimationszwang zu stehen scheint: so als bedürften
eine derartige Textkonstellation und ihr Produzent dichterischer Beschwörungen
und der Prozess ihrer Herstellung einer zugkräftigen Mythenbildung.
Helmut Heißenbüttel
Der Weg zum Experiment war in Westdeutschland vielschichtiger, als es das Bei-
spiel Goruringers und der Konkreten Poesie zunächst vermuten lässt. So hat Hel-
mut Heißenbüttel (1921-2000) seine frühen Gedichtbände Kombinationen (1954)
und Topographien (1956) bereits mit Titeln versehen, die unter dem heute recht
angestaubt klingenden Etikett >experimentelle Texte< wie ein zukunftsweisendes
Programm erscheinen. Jedoch haben seine frühen Gedichte noch nichts mit aus-
getüftelten Experimenten zu tun. Statt dessen bietet Heißenbüttel Reflexionen an,
in denen er Bewusstseinslagen der frühen Nachkriegsjahre thematisiert. Auffällig
sind vor allem in den Kombinationen solche Metaphern und Vergleiche, die Mo-
delle von Wirklichkeit verschlüsseln: »Die Traurigkeit des Vergaugenen ist wie eine
I Landschaft. I Die Flucht nach vorn stockt. I Ihr totes Lächeln breitet bleich die
Maskenscheiben mir entgegen.« (Heißenbüttel2000, 19).
82 Die fünfziger Jahre
Der Autor wusste um die Bedeutung der europäischen Moderne, die seinen ei-
genen Schreibversuchen eine Orientierungsperspektive gab. So drängte sich Surre-
ales, surrealistische Bild- und Sprachtechniken, in die »Kombinationen«, aber auch
schon früh ein Interesse an konstruktiven, rational beschreibbaren Ordnungen der
Syntax. Das Material zum Kombinieren boten alltägliche Beobachtungen, Einfalle,
Redewendungen und Ideologismen. Und manchmal zeigten sich bereits Spuren
Heißenbüttelscher Tautologie-Techniken, also jene Verfahren der Wiederholung
und Variation, die später zum Basiselement seiner Schreibtechnik wurden: »Das
Muster der Wege ist ein Muster gegangener Wege« (ebd., 31).
Der Bruch mit traditionalistischen Poesie-Traditionen war bei Heißenbüttel von
Anfang an unumkehrbar. Er zeigt sich im Ausloten einer erneuerten, nicht selten
prosaisch-nüchternen Verssprache. Der Aufbruchswille ist manchen Versen zum
Programm geworden: »Unausfüllbarer Hunger nach Unausdenkbarem. I Kombi-
nationen von Abfahrtszeiten I ohne Ankunft« (ebd., 18). Eine neue Arbeitsstufe
erreichte der Autor in seinen Topographien: Die Metapher spielt nur noch eine
untergeordnete Rolle, der Duktus ist noch karger, zurückgenommener geworden.
Der Titel umschreibt präzise einen Ortsbestimmungsversuch innerhalb der mo-
dernen Poesie. Orientierungsfiguren moderner Kunst werden dabei in den Texten
selbst aufgerufen, sie sind zuweilen sogar das Thema. So ist von Picasso und Mir6
die Rede; im »Pamphlete«-Zyklus kommen Hans Arp und Gertrude Stein, Ludwig
Wittgenstein und Henri Michaux hinzu (ebd., 73ff.).
Wie wichtig bei Heißenbüttel sprachreflexive Gedichtkomponenten sind, führt
sein Gedicht »Einfache grammatische Meditationen« vor, deren Struktur Satz- und
Sprachfiguren präformieren, die in den 1960er Jahren in den Prosa-Textbüchern
wiederkehren: »der Schatten den ich werfe ist der Schatten I den ich werfe I die
Lage in die ich gekommen bin ist die Lage I in die ich gekommen bin I die Lage
in die ich gekommen bin ist ja und nein I Situation meine Situation meine spe-
zielle Situation I Gruppen von Gruppen bewegen sich über leere I Flächen [... ]«
(ebd., 97).
Es charakterisiert Heißenbüttels frühe Lyrik, dass sie mit überraschenden Meta-
phernfeldern und Anspielungshorizonten das ästhetische Prinzip des Unerwarteten
zu realisieren versucht. Seine Gedichte wollen verblüffen und verwirren, um so ihr
Aufmerksamkeitspotenzial zu erhöhen. Das Moment der Oberraschung kalkuliert
die Interpretationserwartung als produktives Element mit ein und will sie zugleich
auf kreative Weise enttäuschen. Bluff und Verblüffung, erschwerte Verständlichkeit
und produktive Neugierde sind derart eingeplant, dass sie gerade eine vor allem
in den SOer Jahren gepflegte >Kunst der Interpretation und ihren schwülen, pathe-
tischen Jargon ironisch zum Schweigen bringen. So zwang die Konkrete Poesie zu
einer geschärften Wahrnehmung und förderte eine Reflexion auf die Möglichkei-
ten der Sprache und Literatur. Vor diesem Horizont ist Gomringer zuzustimmen,
die Konkrete Poesie habe mit »dem wort« auch »die Schönheit des materials und
die abenteuerlichkeit des Zeichens« entdeckt. Dass sie damit auch »das letztmög-
liche absolute gedieht« (Gomringer 1972, 157) geschaffen habe, gehört allerdings
zu jenen trügerischen Fiktionen, die sich spätestens in der Mitte der 70er Jahre als
Zitierte Literatur 83
Selbstüberschätzung erweisen sollten. Bis dahin freilich hatte die Konkrete Poesie
ihre große Zukunft noch vor sich.
Zitierte Werkausgaben
H.C. Artmann: The Best oft H.C. Artmann. Hg. von Klaus Reichert. Frankfurt a.M. 1970.
Achleitner, Friedrich: prosa, konstellationen, montagen, dialektgedichte, studien. Reinbek 1970.
Bayer, Konrad: Sämtliche Werke. Hg. von Gerhard Rühm. Bd. 1. Stuttgart 1985.
Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 10. Frankfurt a.M. 1967 [Gedichte: Bd. 8-10].
Gomringer, Eugen: worte sind schatten. Die konstellationen 1951-1958. Hg. von Helmut HeißenbütteL
Reinbek 1969.
Heißenbüttel, Helmut: Kombinationen I Topographien. München 2000.
Ausländer, Rose: Gesammelte Werke in 7 Bänden. Bd. 1. Hg. von Helmut Braun. Frankfurt a.M. 1984.
Bachmann, Ingeborg: Werke. Bd. 1. Hg. von Christine Kosehel u.a. München/Zürich 1978.
Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. 1. Hg. von Bela Allemann u. Stefan Reichert.
Frankfurt a.M. 1983.
Kaschnitz, Marie Luise: Gesammelte Werke in 7 Bänden. Hg. von Christian Büttrich u. Norbert Miller.
Band 5. Gedichte. Frankfurt a.M. 1985.
Meister, Ernst: Gedichte 1932-1964. Neuwied/Berlin 1964.
Poethen, Johannes: Gesammelte Gedichte 1946-1971. Hg. von Jürgen P. Wallmann. Bildesheim 1985.
Sachs, Nelly: Fahrt ins Staublose. Die Gedichte der Nelly Sachs. Frankfurt a.M. 1961.
Arendt, Erich: Aus fünf Jahrzehnten. Mit einem Nachwort von H. Czechowski. Rostock 1968.
Bobrowski, Johannes: Gesammelte Werke in 6 Bänden. Bd. 1: Die Gedichte. Hg. von Eberhard Haufe.
Stuttgart 1998.
Brecht, Bertolt: Buckower Elegien. In: B.B.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter
Ausgabe. Hg. von Werner Hecht u.a. Bd. 12: Gedichte 2: Sammlungen 1938-1956. Bearbeitet von
Jan Knopf. Frankfurt a.M. 1988.
Eich, Günter: Gesammelte Werke. Hg. von Susanne Müller-Hanpft u.a. Frankfurt a.M. 1973 [Bd. 1:
Die Gedichte].
Krolow, Kar!: Gesammelte Gedichte. Bd. 1. (1944-1964.) Frankfurt a.M. 1965. [Bd. 1: 1965; Bd. 2:
1975; Bd. 3: 1985].
Lehmann, Wilhelm: Gesammelte Werke. Bd. 1. Sämtliche Gedichte. Hg. von Hans Dieter Schäfer.
Stuttgart 1982.
Schaefer, Oda: Die leuchtenden Feste über der Trauer. Erinnerungen aus der Nachkriegszeit. München
1977.
Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Hg. von Grete Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt
a.M. 1970.
Alter, Reinhard: Gottfried Benn zwischen Weimarer Republik und BRD. In: >>Die Mühen der Ebenen<<.
Kontinuität und Wandel in der deutschen Literatur und Gesellschaft. 1945-1949. Hg. von Bernd
Hüppauf. Heidelberg 1981, S. 331-359.
Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München
1978ff.
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3. Diesechziger Jahre: Umbrüche
Das Jahr 1960 markiert keine literarische Epochengrenze. Zwar gibt es deutliche
Anzeichen dafür, dass eine seit 1930 andauernde Literaturperiode in einen Um-
bruch gerät; aber von einer signifikanten Zäsur kann 1960 noch keine Rede sein.
Vielmehr vollzieht sich die literarische Evolution zunächst jenseits aller spekta-
kulären Einschnitte. Nicht die Lyrik, sondern der Roman ist das erste Paradigma
einer epochalen Veränderung, indem er seine Rolle als literarische >Leitgattung<
1959 noch einmal vollauf bestätigt: mit dem gleichzeitigen Erscheinen von Uwe
Johnsons Mutmaßungen über Jakob, Günter Grass' Blechtrommel und Heinrich
Bölls Billard um halbzehn.
Der Mann am Fenster (1964) und Gesang im Schnee (1967) dokumentieren über
weite Strecken sentimentale Rückschau und schlichte Ratlosigkeit, wenn sie im ge-
wohnten Ton dem Jahreskreis der Natur ihre Geheimnisse abzuringen versuchen.
Dass die traditionelle Naturlyrik zunehmend suspekt werden muss, wenn sie
ihre Verfahren und Formeln selbstzufrieden reproduziert, davon gibt Karl Krolow
einen ersten Eindruck. Ironisch-distanziert notiert er: »Undankbares Handwerk, I
zu beschreiben, wie es I grün wird«, »grün bis an die Augen I der Metaphoriker«
(Langgässer 1959, 2, 9). Die Naturgedichte werden zu Gedankenfragmenten, kur-
zen Momentaufnahmen irritierenden Unbehagens, bis hin zu lakonisch verknapp-
ten zweizeiligen Strophen. Eine Metaphorik der Sprache und des Textes gewinnt
an Bedeutung, die stets das Sprechen über die Natur im Gedicht mitreflektieren
lässt. Die Gedichte heißen nun etwa »Cartesianischer Mai« (13), »Postkarte vom
Herbst« (27), »Buchstabenkunde« (44); und sie sind zuweilen schon eine »vorsich-
tige Landvermessung I der Wörter« (44) und nicht mehr versifizierte Wetterkunden
und Jahreszeitenimpressionen.
wird vieldeutig und antwortlos« (zit. n. Mayer 1973, 34). Damit markiert San-
ders die Zäsurstelle, die für die Naturlyrik der 60er Jahre insgesamt Bedeutung
hat: ihre skeptisch-pessimistische Öffnung zur gesellschaftlichen Realität und ihr
endgültiger Abschied von eigenen eskapistischen Traditionen. Auch Huchels Lyrik
ist, zusammengefasst, eine stark >eingeschwärzte< Dichtung, die von Angst, Kälte
und Stagnation beherrscht wird. Vom »eisigen Schatten der Erde« spricht bereits
das Eingangsgedicht des Bandes, »Das Zeichen« (Huchel1984, 113), dessen letzte
Strophen sich jeder Harmonisierung entziehen:
Wer schrieb
Die warnende Schrift,
Kaum zu entziffern?
Ich fand sie am Pfahl,
Dicht: hinter dem See.
War es das Zeichen?
Erstarrt
Im Schweigen des Schnees,
Schlief blind
Das Kreuzotterndickicht.
L_
Huchels Begriff des »Schweigens« verweist bereits auf die Poesie des Verstummens,
die für eine Reihe von Dichtern in den 60er Jahren - von Celan bis Bachmann
- signifikant wurde. Nur im Zusammenhang mit dem Todesmotiv ist noch ein
Vers denkbar wie »Das Wort I ist die Fähre« ( 116). öfter ist vom »Schweigen« die
Rede, von »tauben Ohren der Geschlechter« (153), >Unauffindbarem< »Versinken«
der »Stimmen« (117), von der erstickten, »rauben Klage« (123), oder aber vom
»Getöse der Öde« (130), der »singenden Öde am Fluß« (134).
Dass das Thema des Verstummens, der gebrochenen Klage und zum Schwei-
gen gebrachten Zeugenschaft nicht nur als ein allgemeiner Entfremdungstopos
-die Situation des mit sich selbst, der Gesellschaft und der Natur entzweiten, ori-
entierungslosen Menschen- zitiert wird, daranlässt das Gedicht »Winterpsalm«
(154) keinen Zweifel, indem es im Motiv des Schweigens auch das »Verscharrte«
aufnimmt, also die tabuisierte, unverarbeitete, verdrängte Geschichte faschistischer
Barbarei. Wie in kaum einem anderen Gedicht Huchels ist der Naturraum in »Win-
terpsalm« zum Reflexionsort historischer Erfahrungen geworden:
I
Da ich ging bei träger Kälte des Himmels
Und ging hinab die Straße zum Fluß,
Sah ich die Mulde im Schnee,
Wo nachts der Wind
Mit flacher Schulter gelegen.
Seine gebrechliche Stimme,
In den erstarrten Ästen oben,
Hermetik und Naturlyrik in den sechziger Jahren. Vor dem Verstummen? 91
I
Vergeblich die böse Hoffnung,
daß die Schreie der Gemarterten
die Zukunft leicht machen:
Gib acht, wessen Stimme vor Rührung bebt,
wem es das Herz bewegt,
wenn der Warenwechsel verkürzt wird
auf achtundzwanzig Minuten.
Seid gegrüßt, Friedhöfe!
L_
Nicht einverstanden
mit den Zäsuren
der Schienen und der Beleuchtung,
der Täuschung,
die sich ins Freie fortsetzt,
in Stellwerk
und Sternenhimmel.
Trochäen, Reime
vor ungereimten Zimmern.
Einmal betroffen
von der Harmonie im Gang der Gestirne,
überhörst du den Seufzer derer,
die Hungers sterben.
Hermetik und Naturlyrik in den sechziger Jahren. Vor dem Verstummen? 93
Dass eine Art zu schreiben, dass eine literarische Gattung historisch obsolet wer-
den kann, dafür liefert Eichs Lyrik frappante Beispiele. Auch Eichs Naturgenre
mag »Agonie und Verstummen« provozieren und Elemente von »totalem Pessimis-
mus« (Müller-Hanpft 1972, 139) enthalten; seine Gedichte bewahren aber noch
im Selbstzerstörerischen Akt, im konsequenten Zurücknehmen seiner poetischen
Konzeptionen einen produktiven Anstoß.
I
Soll ich
eine Metapher ausstaffieren
mit einer Mandelblüte?
die Syntax kreuzigen
auf einen Lichteffekt?
Wer wird sich den Schädel zerbrechen
über so überflüssige Dinge -
L_
Noch ganz in der modernen Tradition der poetisch zur Sprache gebrachten Zweifel
an Poesie greift Bachmann zwei Verfahren heraus, um sie zu destruieren: moder-
ne Bildlichkeit, modernes Experiment und »Kunstautonomie« (Kaulen 1991). Im
Schlussteil des Gedichts spitzt die Autorin ihre Vorbehalte noch weiter zu, indem
sie ihre eigenen Anstrengungen ironisiert und im Pathos einer Verweigerungsgeste
auflöst. Das »Nichts mehr gefällt mir« des Anfangs erreicht im Vernichtungswunsch
seinen Endpunkt: »Mein Teil, es soll verloren gehen.«
Mußich
Mit dem verhagelten Kopf,
mit dem Schreibkrampf in dieser Hand,
94 Diesechziger Jahre
wie ihr?
Es hieße den Text vorschnell auf eine autobiographische Deutung festzulegen, wollte
man das Gedicht nur im Konnex einer die Autorin existentiell erfassten Sinn- und
Schreibkrise lesen. Bachmanns Kritik war, mit Höller formuliert, »ihre Absage an
die ästhetizistische Vermarktung« von Lyrik und »von der Weigerung getragen, die
Unverbindlichkeit der Kunst in der Gesellschaft zu akzeptieren« (HöHer 2000, 255).
Nicht zufällig werden in »Keine Delikatessen« die Selbstzweifel in Konsummeta-
phern, an »ästhetische[r] Delikatesse« (Hildebrand 2003, 319) vorgeführt: »Soll ich
I [... ]Augen und Ohr verköstigen I mit Worthappen erster Güte? I erforschen die
Libido eines Vokals, I ermitteln die Liebhaberwerte unserer Konsonanten?«
Bachmanns Zurückweisung ästhetizistischer Auffassungen vom Gedicht einer-
seits und geschmäcklerisch-kulinarischer Lyrikrezeption andererseits ist auch in
ihren Frankfurter Vorlesungen belegt, und zwar mit einer dezidiert poetologischen
Akzentuierung des Erkenntnisanspruchs (Bachmann 1978, 215):
Die Gedichte, so verschiedenartig, sind nicht genießbar, aber erkenntnishaltig, als müssten
sie in einer Zeit äußerster Sprachnot aus äußerster Kontaktlosigkeit etwas leisten, um die
Not abzutragen. Aus dieser Leistung beziehen sie eine neue Würde, eine Würde, die sie
nicht einmal anzustreben wagen. Außer sich geraten mit dem Feuerhelm verwunden sie
die Nacht.
Vor dem Hintergrund eines aus »äußerster Sprachnot« sprechenden Gedichts ist
nach der Bedeutung des Leitbegriffs >Verstummen< zu fragen. Es geht nicht um
einen Rückzug, sondern eine bewusste, sich der Grenze des Gedichts und seiner
Möglichkeiten ständig vergewissernde poetische Konzentration. über den eige-
nen Schriftstellertypus sagt sie: »Wir, befaßt mit der Sprache, haben erfahren, was
Sprachlosigkeit und Stummheit sind- unsere, wenn man so will, reinsten Zustände!
-,und sind aus dem Niemandsland wiedergekehrt mit der Sprache, die wir fort-
setzen werden, solange unser Leben Fortsetzung ist« (ebd., 60).
Bildebrand (2003, 311) ist zuzustimmen:
Die Sprachlosigkeit dessen, dem das Gerede der Welt die Sprache verschlägt, wird so zum
eigentlichen Gravitationszentrum der Dichtung, sie markiert den Ort der intellektuellen
Umkehr und generiert das lyrische Wort. Vor diesem Hintergrund sind jene >Stürze ins
Schweigen<, die für Bachmann die Lyrik des 20. Jahrhunderts kennzeichnen und in deren
Geschichte sie sich [... ] selbst einordnet, heilsame Krisen, auf deren schöpferisches Potential
die Kunst nicht verzichten kann.
Hermetik und Naturlyrik in den sechziger Jahren. Vor dem Verstummen? 95
Den Topos vom »furchtbaren Verstummen« (Celan 1983,3, 195) verwendete auch
Paul Celan, und zwar im Zusammenhang mit dem 1960 weit verbreiteten Vorwurf
der »Dunkelheit« und seiner Interpretation des Büchnerschen »Gegenwarts« (189),
jenes Ausrufs »Es lebe der König!«, den Lucile am Ende von Dantons Tod erhebt.
Das »Verstummen« ist bei Celan kein Moment bloßen Scheiterns, sondern der
Augenblick einer »Atemwende«, die Dichtung »bedeuten« könne. Das Gedicht,
so Celan weiter, zeige zwar »eine starke Neigung zum Verstummen«, aber auch in
dem Sinne, dass es sich »am Rande seiner selbst« behaupte: »es ruft und holt sich,
um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Im-
mer-noch zurück« (197).
Johannes Poethen (* 1928) entwirft in seinem Zyklus »Brief aus Atlantis« die
Fiktion eines Schreibens aus einem versunkenen Land, eine Metapher für die Poesie
überhaupt: »Meine Unternehmungen scheitern im nebel I beschlagen alle spiegel
undfensterverschlagen die augen« (Meister 1979, 208), heißt es im »Brief«. »Wir
möchten endlich die schwärze besprechen I aber wir finden noch immer den Spruch
nicht« (216). Poethen nimmt die Frage »Weshalb aber schreiben daraus I weshalb den
Untergang aufheben?« letztlich- wie Ausländer- positiv auf: »Es ist die hergewölbte
frage I es ist die gegengewölbte antwort I [ ... ] II es ist die moira« (208). Poethens
Lyrik will diese gegen alle Skepsis und Selbstzweifel, die ihm wie jedem Hermetiker
kommen und im Werk immer wieder thematisiert werden, mit Pathos behaupten.
In den Gedichtbänden von Johannes Poetben gibt es für die 60er Jahre ein-
drucksvolle Beispiele dafür, dass hermetische Lyrik keinen Rückzug in eine ästhe-
tizistische Enklave der Poesie bedeutet. So steht Poethens Zyklus Im Namen der
Trauer, 1967 geschrieben und 1969 mit Holzschnitten H.A.P. Grieshabers veröffent-
licht, ganz unter dem Eindruck des faschistischen Militärputsches in Griechenland.
Freilich sind seine Gedichte keine Protestlyrik, die mit gut gemeinten Losungen
scheinbar ahnungslose Leser aufschrecken will. Vielmehr rekonstruiert Poethen im
mythologisch bestimmten Bild von Gewalt und Folter jene Dimension menschli-
chen Leidens, die im täglichen Medienbericht fehlt. Poethens Perspektive steht »im
Namen der Trauer«, nicht im Zeichen von Aktualität und Sensation. Das Geschehen
bleibt nicht länger ein in Daten gefasstes Ereignis, eine Chronologie jenes »drei-
fach gekrönten planspiels« (220) zur Unterwerfung eines Landes, sondern es wird
im mythologisch verfremdeten Zugriff der Aktualität enthoben. Die Hermetik der
Bilder schottet sich gegen ihre verharmlosende Lesart ab; es ist gerade ihre herme-
tische Ikonographie, welche die Bilder vom Jargon der Berichterstattung fernhält.
Das »Gebet zu finden I das die verstümmelten Silben zusammenfügt I in ihre
dunkle Harmonie« (Rühmkorf 1976, 339), von dieser Hoffnung kündet auch Nelly
Sachs' (1891-1970) Gedicht »Auf dem Markt«. Zwar kennt auch ihre späte Lyrik
das Motiv des Schweigens, aber es bedeutet auch hier eine äußerste, jedoch nicht
die letzte Möglichkeit des Eingedenkens:
Sterben
bezieht seinen Standpunkt aus Schweigen
und das blicklose Auge
der aussichtslosen Staubverlassenheit
tritt über die Schwelle des Sehens
während das Drama der Zeit
eingesegnet wird
dicht hinter seinem eisigen Schweißtuch. (334)
L_
»Warte I bis die Buchstaben heimgekehrt sind I aus der lodernden Wüste« (335),
heißt es in einem anderen Gedicht, das ebenfalls eine Perspektive jenseits von
Schweigen und Verstummen entwirft.
Hermetik und Naturlyrik in den sechziger Jahren. Vor dem Verstummen? 97
I
[ ... ]
Zuwider ist mir Sagen,
darum schweig ich,
rede mit niemand,
auch nicht mit mir,
laß scheinen
den Mond
auf eine alte Figur
(die weiß,
wann ich geh
von hier).
l_
Von einer »absurden Position am Rand des Verstummens« (Theobaldy/Zürcher
1976, 12) oder gar, mit Blick auf Meister, von »Pseudotiefsinn« (23) zu sprechen,
hieße das poetische Motiv des Schweigens zu verkennen. Die Zurücknahme über-
kommener lyrischer Sprachrepertoires ist das Resultat einer Wachheit, eines Miss-
trauens, nicht aber ein Absinken ins wirklichkeitsferne Mysterium sprachloser
Leere. Nicht um ein »Wiedergängertum der Schattenhaftigkeit« (Krolow 1963,
149) geht es also, sondern um eine artikulatorische Klarheit, die auf eine im Alltag
oft verdunkelte, verstellte Wirklichkeit gerichtet ist. Auf Adorno anspielend, heißt
es in einem Brief Meisters an Wilhelm Lehmann: »Auschwitz zum Beispiel muß
Sprache nicht unbedingt lähmen, im Gegenteil - Sprache, die nicht umhin kann,
Wirklichkeit anzuheben (was nicht heißt, sie zu poetisieren), anderenfalls bleibt
Wirklichkeit Geröll unter Geröll« (Meister 1987, 16).
Im Bild von der »Sprache, die nicht umhin kann, Wirklichkeit anzuheben«, hat
Meister zugleich ein Ziel hermetischer Dichtung umschrieben, ein Ziel indes, das
nicht auf eine apriorische Wirklichkeitsnähe >>Unartifizieller Formulierung« (Theo-
baldy/Zürcher 1976, 26) rechnet, wie sie eine antihermetische Lyrik nach 1965
zum Programm erhebt. Es charakterisiert die Lyrik der 60er Jahre, dass sie - als
Paradigma einer Literatur der Widersprüche und der Umbrüche - ein Spektrum
gegensätzlicher Genres und Positionen hervorgebracht hat. In ihm bleibt aber das
hermetische Gedicht, gerade indem es sich an der Grenze zum Unsagbaren, zum
Schweigen bewegt, ein agiles und produktives, ja avantgardistisches Element. Da-
von zeugt nicht nur die weithin ungebrochene Schaffenskraft Ernst Meisters in den
98 Die sechziger Jahre
Gedichtbänden Die Formel und die Stätte von 1960, Flut und Stein von 1961 und
Zeichen um Zeichen von 1968.
Ich finde etwas - wie die Sprache - Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas
Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei- heiterer-
weise - sogar Tropen Durchkreuzendes -: ich finde ... einen Meridian.
Celan hat in seiner »Meridian«-Metapher sich einer normativen Poetik des herme-
tischen Gedichts schon dadurch entzogen, dass seine Gedanken einen Moment des
Suchens und Findens umkreisen, wie Pöggeler zu Recht annimmt, »jene Linie, die
die modernen Dichter verbindet, die ihren Ort aus diesem oder jenem Grunde ver-
lassen mußten, in die Fremde (oder in den Turm in Tübingen) gestoßen wurden«
(Pöggeler 1986, 160). Celan bietet keine Lösung an, sondern stellt den Interpreten
eine Aufgabe, und zwar - im wörtlichen und im übertragenen Sinne - die einer
»Toposforschung«, aber einer »im Lichte der Utopie«: mit dem Gedicht den »Ort«
zu finden, »WO alle Tropen und Metaphern ad absurdum geführt werden wollen«
(Celan 1983, 3, 199). Gelegentlich ist diese Stelle der »Meridian«-Rede als eine pa-
radoxe Umschreibung für ein sich selbst zerstörendes Gedicht gelesen worden, also
für eine zum Programm erhobene, absurde Selbstaufhebung der Dichtung, die bis
zur Sprachlosigkeit, ja bis zum Scheitern führen müsse.
I
Nichts erwürfelt. Wieviel
Stumme?
Siebzehn.
Tiefimschnee,
Iefimnee,
1-i-e.
Es hieße freilich Celans Spätwerk auf eine einzige Tendenz zu reduzieren, wenn
man die Verse für die notwendige Konsequenz radikaler Verweigerung nähme. Viel-
mehr geht es, wie Vietta hervorhebt, um einen »Durchgang durch die Dialektik der
Vernichtung« (zit. n. Weissenberger 1981, 131), letztlich also um eine sprachrefle-
xive Erkundung aller poetischen Möglichkeiten im Bewusstsein ihrer Grenze. Das
schließt Resignation ebenso wenig aus wie Experimentierfreude.
Aus »fundamentaler Sprachskepsis« (Schmitz-Ernans 1993, 188) kann bei Celan
sogar eine Nähe zum (Sprach- )Spiel und eine Verwandtschaft mit der Konkreten
Poesie gefolgert werden, ohne die Diskrepanzen zwischen Selbstverständnissen
und Schreibweisen zu leugnen. Schmitz-Ernans hat Analogien an Motiven wie Lal-
len und Stottern und Nonsens-Konstellationen aufgewiesen (ebd., 181-233). Das
Experiment kann sogar die eigenen Verfahren der Reduktion und konzentrieren-
den Verknappung einbeziehen, wenn gerade die letzten postum veröffentlichten
Gedichte mit ihrer Technik fragmentarisierter Zitat- und Wortfolgen den bedeu-
tungsschweren Lakonismus hermetischer Lyrik in pointierte, flüchtige Polysemien
aufzulösen versuchen.
FADENSONNEN
über der grauschwarzen Odnis.
Einbaum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen. (26)
L_
Aber noch auf dem schmalen Grat zwischen Scheitern und Gelingen hat Celans
»Gestus des Rückgängigmachens« (Wellershoff 1958, 211) und »Schlußmachens«
(220) seine Sprache, ja seine ihm gemäße geschichtliche Wahrheit.
Ihr kommt insofern eine wichtige Bedeutung zu, als sie in den 60er Jahren den
auch unter Lyrikern immer wieder thematisierten Gegensatz zwischen poesiepure
und litterature engagee gänzlich auflöst. Schon in seiner »Meridian«-Rede hatte Celan
auf die Poesie als »Gegenwort« und das ihr gemäße historische (Anspielungs- )Da-
tum verwiesen, darauf, »daß jedem Gedicht« -in Anlehnung an den Erzähleingang
in Büchners »Lenz«- »sein >20. Jänner< eingeschrieben« (Celan 1983,3, 196) sei. Der
>20. Jänner< freilich bleibt bei Celan keine vage Metapher für die Geschichtlichkeit
von Literatur, sondern sie wird in dem Maße konkret, wie sich das poetische »Gegen-
wort« an seinen je geschichtlichen Momenten entzündet. Janz hat hervorgehoben,
dass der 20. Januar nicht nur ein Datum aus Büchners Lenz zitiert, sondern auch den
Tag der Wannseekonferenz, den 20. Januar 1942, an dem in Berlin die Massendepor-
tation und Vernichtung der Juden beschlossen wurde (vgl. Janz 1976, 205). Gellhaus
interpretiert den für Celan wichtigen »Vorgang der Datierung« (Gellhaus 1996, 191):
Das Datum des Gedichts bei Celan gewinnt seine Bestimmung aus seinem Gegenwartspunkt
zwischen einem Woher und einem Worauf-zu, es ist jedoch kein Punkt auf der Skala eines
historischen Lineals, sondern eine Verdichtung von Zeitbezügen, als deren Zentrum sich
ein dem Erscheinenden zugewandtes Ich erweist - dessen Aufmerksamkeit.
Das Gedicht »In eins« aus Celans Niemandsrose (Celan 1983, 1, 270) belegt diese
geschichtliche Zeugenschaft, und zwar nicht nur deshalb, weil es etwa den Wiener
Arbeiteraufstand vom Februar 1934, den »Dreizehnten Feber«, und die republika-
nische Losung »No pasaran« des Spanischen Bürgerkrieges, das» Eislicht des Kreu-
zers >Aurora«< der Russischen Revolution und die alttestamentliche Parole »Schib-
boleth« verbindet, also >in eins< setzt, sondern- umgekehrt- wegen der jenseits
von Reminiszenzen liegenden, nur im lyrischen Sprechen flüchtig aufscheinenden
utopischen Dimension, die im Schlussvers sich zum (verkürzten) Zitat des Hessi-
schen Landboten verdichtet: »Friede den Hütten!«
102 Die sechziger Jahre
Das Celan'sche Spätwerk kennt eine Reihe von Daten und Anlässen, zumeist
freilich solche Ereignisse, in denen einer Geschichte gedacht wird, die nicht Realität
wurde, die Geschichte der vergessenen, verdrängten Niederlagen und erloschenen
Utopien. Ihnen gilt, als »Majestät des Absurden« (3, 190), Celans »Gegenwort«, bis
hin zum Gedicht »Du liegst« aus der Sammlung Schneepart, das auf die Ermor-
dung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechtsam 15. Januar 1919 und den 20. Juli
1944 anspielt (2, 334):
I
DU LIEGST im großen Gelausche,
umbuscht, umflockt.
Johannes Bobrowski
Den >eingeschwärzten< Hymnen Arendts stehen die Gedichte eines anderen DDR-
Lyrikers gegenüber, mit denen sie in vielem sich berühren: die Gedichte und Oden
Johannes Bobrowskis (1917-1965). Zu einem Teil bereits in den 40er und 50er Jah-
ren entstanden, beginnt deren Rezeption erst spät, nur ein paar Jahre vor Bobrowskis
frühem Tod (2. 9. 1965). In rascher Folge erschienen von 1961 an die Sarmatische
Zeit, Schattenland Ströme und Wetterzeichen. 1970 folgen postum der Nachlassband
Im Windgesträuch und 1977 die Xenien Literarisches Klima. Die verspätete Wir-
kung seiner Verse ist selbst ein Element literarischer Evolution, und zwar in dem
Sinne, dass seine Gedichte, im Kontext von Eich und Huchel gelesen, ein weiteres
Paradigma für die produktive überwindung natur-lyrischer Rückzüge früherer
Jahrzehnte sind.
Celans Wort vom »20. Jänner«, der allen Gedichten >eingeschrieben< sei, kehrt
bei Bobrowski in deutlicher Analogie wieder. Seinen Versen, bis in die Titelgebung
hinein, ist das Jahr 1941, sind die Jahre des Krieges mitgegeben, vor allem das Ent-
setzen über die faschistische Barbarei in Osteuropa. Die Gedichte entwerfen die
Topographie einer Erinnerungslandschaft ohne falschen Schmelz, indem sie in ih-
ren dunklen, weichen und melancholischen Farben nie ein Moment irreversibler
historischer Zerstörung und brutaler Unterwerfung verleugnen. Der Naturraum
selber- »Uferweide, bittrer Geruch, I ein Grün wie aus Nebeln« (Bobrowski 1987,
1, 9) -,jene Tieflandebene mit ihren Strömen und Niederungen, zeigt Spuren einer
verstörten Idylle unmittelbar vor ihrer Vernichtung.
Am Rand der Geschichte, in Sarmatiens Winkeln findet Bobrowski die Men-
schen, die zunächst wie ihrer Zeit enthobene Gestalten einfachen Lebens erschei-
nen, dann aber um so mehr als die Opfer der >großen< Geschichte sich erweisen.
Der Autor nimmt keine Welt in Besitz, sondern registriert deren Konturen im Be-
wusstsein ihres Verlustes: ihre hilflose Menschlichkeit, aber auch ihr latentes Be-
drohtsein, ihre Todeszeichen und Untergangsembleme. Das Gedicht »Der Urnensee
1941« (Bobrowski 1998, 1, 53) ist dafür ein Paradigma:
I
Wildnis. Gegen den Wind.
Erstarrt. In den Sand
eingesunken der Fluß.
Verkohltes Gezweig:
das Dorf vor der Lichtung. Damals
sahn wir den See -
Das Datum 1941 gibt dem Text nicht nur seinen historischen Ort als erklärenden
Zusatz, sondern ist dessen integraler Bestandteil. Der Moment, bevor, wie es das
Bild aufnimmt, der »Wolf I auf die Lichtung« tritt, ist in den Chiffren der Land-
schaft präzise fixiert, bis hin zum »Vogelsturm«, zur »Finsternis«, zum unheilvollen
»Krähenschrei«. Ein naturlyrischer Impetus, der nach der Bedeutung von Zeichen
und Bildern fragt, ist vielen Gedichten Bobrowskis inhärent: »Lehr mich reden,
Gras, I lehr mich tot sein und hören« (80).
Vor allem das Motiv der Ströme und Flüsse gibt Bobrowski einen Reflexions-
raum, dessen Topographie einer Erinnerungslandschaft gleicht. Das Land der Strö-
me ist immer schon ein historisch bestimmtes: ein Land der potentiellen Opfer. Das
Gedicht »Die Memel« deutet ein solches »Bild aus Schweigen« an: »Strom, I alleine
immer I kann ich dich lieben I nur./ Bild aus Schweigen./ Tafeln dem Künft'gen:
mein Schrei. I Der nie dich erhielt. I Nun im Dunkel/ halt ich dich fest« (68). Auch
im Gedicht »Schattenland« (Bobrowski 1998, 1, 160) entfaltet Johannes Bobrowski
ein Flussmotiv aus der Perspektive der »Finsternis«:
I
Kalt. Auf der Spitze des Grashalms
die Leere weiß
bis an den Himmel. Der Baum
aber alt, dort ist
ein Ufer, Nebel mit dünnen
Gelenken gehn auf dem Fluß.
In den 60er Jahren erfolgt der bisher tiefste Einschnitt innerhalb der Geschichte
der Lyrik seit Kriegsende. Er fällt mit einer Legitimationskrise ausgerechnet der-
jenigen Gattung zusammen, die eine Dekade früher geradezu als Königsweg der
Dichtung gegolten hat. Noch 1960 gab Celans Darmstädter Rede ein Zeugnis da-
von, wie emphatisch die Poetologie des Gedichts entworfen werden konnte. Zehn
Jahre später dagegen sind, wie es Heinrich Vormweg in seiner Einleitung zu den
Gesammelten Gedichten von Günter Grass formuliert, »Dichter[ ... ] in Verruf gera-
ten. Gedichte erregen Mißtrauen. Es besteht Verdacht, daß Dichter und Gedichte
den Nebel miterzeugen, der das Reale der Wahrnehmung entzieht.« Und er fügt
lapidar hinzu: »Der Verdacht ist begründet« (Grass 1971, 5).
bezeichnet wird. Die Metapher vom »Nebel« fixiert einen veränderten ästhetischen
Wert, der ein erstes Indiz für den Paradigmenwechsel in der Lyrik liefert. Das Ge-
dicht wird zum »Nebel«, wenn es Realitäten verhüllt, verstellt, unscharf werden
lässt. Im Maßstab eines »Realen« ist damit aber zugleich ein lyrisches Formreper-
toire suspekt geworden, das semantische Vieldeutigkeit hervorruft.
Die Klarheit eines verständlichen, ja auf Kommunizierbarkeit hin angelegten
Gedichts erscheint als Ideal eines Paradigmenwechsels, der, unausgesprochen oder
expressis verbis, die Konzeption hermetischer Lyrik in ihr Gegenteil zu verkehren
sucht. Der Dichter wird zum »Gedichteschreiber« (Grass 1971, 5), so wie das Dich-
ten zum unartifizell gemeinten >Schreiben< und die Gedichte zu >Texten< werden.
Der erweiterten Taschenbuchausgabe von Benders Anthologie Mein Gedicht ist
mein Messer (1961) war immerhin noch PeterGans »Epistel über das Entstehen
von Gedichten« vorangestellt worden. In Renate Matthaeis Sammlung Grenzver-
schiebung. Neue Tendenzen in der deutschen Literatur der 60er Jahre (1970) heißen
die Essays der Autoren kurz und bündig »Statements«. Celans »Meridian« ist einem
flott geschriebenen, publizistische Formen kopierenden Stil gewichen, der Kom-
mentar, Leitartikel, Glosse zu sein vorgibt und bewusst jede Assoziation auf eine
neue ars poetica vermeidet: (ebd., 234)
Ich schreibe Nachrichten, die als Gedichte erscheinen, weil die Zeilen nicht vollgeschrie-
ben sind, also links und rechts Luft bleibt<<, heißt es bei Reinhard Lenau, der hinzufügt:
>>Allerdings handelt es sich meist um Nachrichten, deretwegen es sich nicht lohnt, eine
Geschichte oder einen Aufsatz zu schreiben.
Für Erich Frieds >Agitpropgedicht< dagegen ist entscheidend, >>daß ein verständlicher
Text in einen Zusammenhang gebracht wird, in dem er zum Denken, Formulieren
und Handeln anregen kann« (148). Dieter Wellershoff sieht das >>Schreiben« als
»eine Probierbewegung ohne vorwegnehmbare Resultate« (311), während Gün-
ter Herburger in deutlicher Analogie sein >>Statement« mit der Formel >>Präzision
+ Sinnlichkeit = Phantasie« versieht und ihr eine wichtige Bedeutung zuerkennt
(205):
Das Ordnen der Wirklichkeit mit ihren Sachverhalten, Möglichkeiten, Tücken, Plattheiten,
Protuberanzen und klebrigen Wiederholungen kann eine solche Entdeckergier hervorru-
fen, daß der Schreibtisch zu einem Vorposten wird, von dem aus alles erreichbar zu sein
scheint.
Die Hinwendung zur Realität, in welcher spezifischen Form auch immer, legiti-
miert das Gedicht und gibt die Richtung an, in die sich der Paradigmenwechsel
vollzieht. Seine Rechtfertigungsformel heißt >Wirklichkeit< und meint die mnpoe-
tische< Erfahrungs- und Tatsachenwelt, der, mit Herburgers Worten, lyrische >>Ent-
deckergier« nun zu gelten hat. Diese setzt freilich nicht erst 1970 ein, sondern gut
ein Jahrzehnt früher und wird zum Kennzeichen eines Anspruchs, den vor allem
eine neue Schriftstellergeneration zu realisieren versucht.
1 08 Die sechziger Jahre
tung. In der literarischen Praxis jedoch handelt es sich um einen Prozess, der zum
Teil sogar im Werk der Lyriker selbst zu beobachten ist. Marie Luise Kaschnitz'
( 1901-1970) Gedichtband Dein Schweigen - meine Stimme von 1962 ist dafür ein
Beispiel; auch die 1965 folgende Sammlung Ein Wort weiter indiziert den Para-
digmenwechsel als Element der Werkgeschichte. Gerade die zyklischen Gedichte
können für jenes >lange< Gedicht zeugen, dem Höllerer das Wort geredet hatte, und
zwar nicht nur wegen ihrer Wirklichkeitssubstrate, sondern vor allem wegen ihrer
komplexen Panorama-Struktur, in der sich eine gesamte Epoche konstituiert.
Das Gedicht »Ich lebte« (Kaschnitz 1985, 342) entwirrt ein solches Zeitbild,
das gerade als Selbstreflexion die Offenheit besitzt, von der nicht nur Höllerer ein
verändertes Verständnis der Wirklichkeit erwartete. Kaschnitz zeichnet, wie im Zy-
klus »Chronik« (332), das Bild eines zivilisatorischen »Ödlands«, indem sie dessen
Sprachmaterial aufgreift: »Ein Mercedes, ein Bentley, ein Isetta fuhren an I Und
summten wie Libellen. Der Hirte schrie: I Fort mit euch Schafen, fort mit euch
Lämmern. I Ist das Kind gestorben? Das Kind stirbt nie« (335).
Gerade die Kombination aus tradiertem poetischen Stoff (das Gedicht trägt den
Titel »Dezembernacht«) und >unpoetischen< Sprachelementen bewirkt die verän-
derte, der aktuellen Realität geltenden »Neugier«, die Kaschnitz im letzten Gedicht
ihres Bandes »Dein Schweigen meine Stimme« zum Thema macht (372):
I
Meine Neugier, die auswanderte, ist zurückgekehrt.
Mit blanken Augen spaziert sie wieder
Auf der Seite des Lebens.
Salve, sagt sie, freundliches Schiefgesicht,
Zweijährige Stimme, unschuldig wie ein Veilchen,
Grünohren, Wangen wie Fischhaut, Tausendschön
Alles begrüßt sie, das Häßliche und das Schöne.
L_
Anders als eine Reihe von Gedichten des späten Günter Eich, die sich ins flüch-
tige, zuweilen gar kalauerhafte Räsonnement verlieren, ist Kaschnitz' Sammlung
Ein Wort weiter keine bloße Reflexion resignierenden Scheiterns, auch wenn sich
die Perspektive verdüstert hat. »Zwischen meiner Sprache und Eurer«, heißt es im
Gedicht »Mein Land und Ihr«, »Zwischen meiner Sprache und Eurer I Die diesel-
be ist, gibt es keine Verständigung« (Kaschnitz 1985, 404). Dennoch ist der Wan-
del in ihren Gedichten der 60er Jahre ein Exempel dafür, dass die Geschichte der
Nachkriegslyrik keine strikt voneinander abzugrenzenden Richtungen und Schulen
kennt, die einander ablösen, sondern dass ein Paradigmenwechsel der Themen und
Genres generationenübergreifend sein kann, so dass in der Werkchronologie der
Kaschnitz die Evolution der Lyrik in nuce zu studieren ist, über einzelne Phasen
und Dekaden hinweg bis in die frühen 70er Jahre.
Paradigmenwechsel der Lyrik. Die »Entdeckung der Wirklichkeit« 111
Peter Rühmkort
Dagegen ist Peter Rühmkorfs (* 1929) Lyrik von Beginn an geradezu ein Mar-
kenzeichen des Paradigmenwechsels, den der Autor nicht zuletzt in seinen Essays
programmatisch zu begründen versucht hat. Rühmkorfs Invektive zielt direkt auf
die traditionellen lyrischen Muster der SOer Jahre, die er mit einem ironisch-par-
odistischen Verfahren konterkarieren will. Die Brechung wird zur Prämisse einer
neuen lyrischen Ausdruckskraft.
So sind Rühmkorfs Parodien auf Klopstock, Hölderlin und EichendorffVersu-
che, aus ideologischem Material, sozusagen aus Bildungsschutt eine Collage bun-
desrepublikanischer Wirklichkeit zu gestalten. Nicht auf die literarischen Vorbil-
der ist ein solcher Angriff gerichtet, sondern auf deren philiströse Rezeption. Der
Klopstacksehe Vers etwa wird in seiner poetischen Struktur noch zitiert, aber in
einer Sprache des Wirtschafts- und Politik-Jargons, der Straße, der Medien und
Regierungserklärungen, so dass in der alten Hülle, in Ode, Sonett und Lied, gerade
die Historizität lyrischer Formen das Interesse auf die Wirklichkeit selbst lenkt. In
der >alten< Sprache bildet sich die Kontur einer von Profit und Markt bestimm-
ten Ordnung umso irritierender heraus: »Sing', neurotische Seele, die aufbereitete
Unschuld«, so parodiert Rühmkorf den Anfang des Klopstacksehen Versepos Der
Messias, »sing' dein Glück aus der Büchse, singe Bilanz! I Fast wie Größe kommt's
und es trieft mein Auge von Ruhm, I der ich das Schandfeld betrete, feig und fin-
tenreich. II Aufgeblasen unter Geblendeten, bläh, I sich ein Heil zusammenstüm-
pern, es preist I mich der Flor meiner Feinde I oh, niedere Eintracht! - I sagt, wer
flötet mir heut die feinste Lüge ins Ohr?« (Rühmkorf 1976, 69).
Schon Rühmkorfs Kunststücke (1962) waren an Liedformen orientiert, die eine
antihermetische Tendenz haben und einen veränderten poetologischen Standpunkt
beanspruchen. Gedichte wie das »Lied der Naturlyriker« und das »Lied der Benn-
Epigonen« zeigen die Abgrenzung, die für Rühmkorf konstitutiv werden wird. In
der Travestie spricht sich ein Anachronismus lyrischer Traditionen selber aus:
I
Zwischen Ohr und Zehen
ganz mit Glanz versehen,
du : im Mondensud-
Will dich reflektieren,
eh wir uns verlieren
zwischen Flut und Flut.
Tirilyrileier,
juninachts im Feuer,
auf- ge - riss - nen Munds!
Schließ das Äug, das närrsche,
spüren schon die Ärsche
Fliehkraft unter uns. (9)
112 Die sechziger Jahre
Zwei Tendenzen enthalten Rühmkorfs Parodien: Sie illustrieren stets aufs Neue,
dass eine Phase feierlich-deklamatorischer Poesie vorbei ist, indem sie im kon-
terkarierten Vers die Banalität und Trivialität solchen Sprechens offenlegen. Die
Parodien sind aber auch Kunstformen, die sich literarischer Verfahren bedienen.
Die vielzitierte >Rückkehr< zur Wirklichkeit ist literarischer Art und gewinnt erst
ihren Anspruch als Literatur.
Zeitlyrik
Am Genre des Zeitgedichts lässt sich der behauptete Anspruch eines veränderten,
auf die Wirklichkeit gerichteten Gedichttypus exemplarisch diskutieren. So ist etwa
Christoph Meckels (* 1935) Gedicht »Der Pfau« (1979, 15), das die Nachkriegssi-
tuation treffend charakterisiert, noch einer poetischen Bildersprache verpflichtet,
freilich so, dass diese eine politische Metaphorik sein will:
I
Ich sah aus Deutschlands Asche keinen Phönix steigen.
Räumend mit dem Fuß in der Asche
stieß ich auf kohlende Flossen auf Hörner und Häute -
doch ich sah einen Pfau, der Asche wirbelnd
mit einem Flügel aus Holz und einem aus Eisen
riesig wachsend die Flocken der Feuerstelle
peitschte und sein Gefieder stählte.
L_
Meckels Deutschlandbild registriert Widersprüche eines Staates, der seine jüngste Ge-
schichte in eitler >Pfauen<-Pose verdrängt hat. Das lyrische Subjekt stellt sich als ein re-
flektierendes, kritisches Ich dar, das in seiner Katastrophenvision über eine bloße Be-
standsaufnahme hinausgeht, freilich recht vage und unbestimmt: »[... ] und sah I Els-
ternschwärme in seine Goldfedern stürzen I Läuse finster aus seinem Gefieder wach-
sen I große Ameisen seine Augen zerfressen.« Meckels Bildersprache zitiert expressi-
onistische Elemente, die seinen Zeitgedichten eine dramatische Komponente geben.
Die Vorliebe für Balladen und Liedformen teilt Meckel mit einer Reihe anderer
Dichter der 60er Jahre, etwa mit Volker von Törne (1934-1980). Dabei arbeitet er
mit ironisch-satirischen und karikierenden Formen, die zuweilen an den franzö-
sischen Dichter Fran~ois Villon erinnern. Törnes Zeitgedichte sind vor allem dort
richtungsweisend, wo sie sich zum Epigramm entwickeln, also den balladesken,
bilderreichen Sprachstillakonisch auf treffende Pointen konzentrieren. Ein Bei-
spielliefert das Gedicht »Anstoß« (54), das Rudi Dutschke- und zwar nicht dem
Sprecher einer außerparlamentarischen Opposition, sondern dem Objekt von Me-
dienkampagnen, dem Attentats Opfer- gewidmet ist:
Mit sowas
machen wir
kurzen Prozeß:
Paradigmenwechsel der Lyrik. Die »Entdeckung der Wirklichkeit« 113
Rübe ab!
Flötentöne
Heil Hitler
Zackzack!
L_
Törnes Verse rekonstruieren in ihrem Protokoll eine Mischung aus Gewaltphan-
tasien und Aggression, die ihren historischen Ort nicht verleugnet. Neben dem
Epigramm steht zuweilen auch die Groteske, die dem Zeitgedicht einen bitter-sa-
tirischen oder aber einen komischen, heiteren Unterton gibt.
Epigramm, Ballade, Lied, Groteske, Parodie: Der Paradigmenwechsel in der
Lyrik der 60er Jahre zeigt sich nicht nur im Themenwechsel und in einem verän-
derten Sprachgestus, sondern auch in der Erprobung von Genres und Formen, die
nach dem Krieg kaum eine Rolle gespielt haben. Der Wechsel, wie immer er für
den einzelnen Autor konkret motiviert sein mag, zielt auf jene von Peter Hamm
geprägte Formel von der »Wiederentdeckung der Wirklichkeit« (Bender 1977,
46), die er seiner Anthologie Aussichten 1964 programmatisch mitgegeben hat.
Jedenfalls ihrem Selbstverständnis nach interpretiert eine jüngere Generation von
Autoren den Paradigmawechsel als eine »Rückkehr zur Realität« (63) oder, um ei-
ne Wendung Krolows aufzugreifen, als »neue Wahrnehmungsfähigkeit« (Krolow
1966, 71). Schon die Titel der Gedichte signalisieren ihr Interesse am Detail, am
Wirklichkeitsausschnitt, der in seinen Einzelheiten, nicht in seiner möglichen sym-
bolischen Bedeutung von Belang ist.
Günter Grass
So nennt etwa Günter Grass (* 1927) Gedichte seines Bandes Gleisdreieck (1960)
schlicht »Freitag« (Grass 1971, 82), »Mein Radiergummi« (88), »Klappstühle« (92),
»Im Ei« (101), »Zugluft« (136), »Ausverkauf« (138), »Köche und Löffel« (147). Die
Entdeckung der Wirklichkeit als Detailrealismus hat Grass in den 60er Jahren zur
Poetik-Doktrin erhoben. Er notiert über das Schreiben von Gedichten: »In meinen
Gedichten versuche ich durch überscharfen Realismus faßbare Gegenstände von al-
ler Ideologie zu befreien, sie auseinanderzunehmen, wieder zusammenzusetzen und
in Situationen zu bringen, in denen es schwerfallt, das Gesicht zu bewahren« (zit. n.
Riha 1971, 125). Konkret heißt das zum Beispiel für das Gedicht »Die Vogelscheu-
chen« (103), dass der Autor seine Gegenstände bis zum grotesken Ulk verfremdet,
freilich mit dem Ziel, in ihnen eine engstirnige Wirklichkeit zu karikieren:
I
Ich weiß nicht, ob mein Gartenzaun
mich einsperren, mich aussperren will.
Ich weiß nicht, was das Unkraut will,
weiß nicht, was jene Blattlaus will bedeuten,
weiß nicht, ob alte Jacken, alte Hosen,
wenn sie mit Löffeln in den Dosen
rostig und blechern windwärts läuten,
114 Die sechziger Jahre
I
Noch waffenstarrend, mit getarnten Zähnen,
Beton einstampfend, Rommelspargel,
schon unterwegs ins Land Pantoffel,
wo jeden Sonntag Salzkartoffel
und freitags Fisch, auch Spiegeleier:
wir nähern uns dem Biedermeier!
Der kritische Impetus solcher Verse findet dort seine Begrenzung, wo er vom Sta-
lingradmythos bis zur feisten Saturiertheit in einer kabarettistischen Nummern-
revue zur Lage der Nation spricht, aber im spöttischen Bonmot stecken bleibt.
Paradigmenwechsel der Lyrik. Die »Entdeckung der Wirklichkeit<< 115
»Harmlosigkeit« (Paulsen 1971, 132) haftet vielen dieser Gedichte an, so dass Grass'
Polemik gegen das »Protestgedicht« im Zyklus »Zorn Ärger Wut« (Grass 1971,
216ff.) mühelos von der Sache her auf seine eigenen Verse zurück bezogen werden
könnte:
I
Ist das Gedicht eine Waffe?
Manche, überarmiert, können kaum laufen.
Sie müssen das Unbehagen an Zuständen
als Vehikel benutzen:
sie kommen ans Ziel, sie kommen ans Ziel:
zuerst ins Feuilleton und dann in die Anthologie:
Die Napalm-Metapher und ihre Abwandlungen
im Protestgedicht der sechziger Jahre.
L__
I
Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne:
sie sind genauer. Roll die Seekarten auf,
eh es zu spät ist. Sei wachsam, sing nicht.
Der Tag kommt, wo sie wieder Listen ans Tor
schlagen und malen den Neinsagern auf die Brust
Zinken. Lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das Viertel wechseln, den Paß, das Gesicht.
Versteh dich auf den kleinen Verrat,
die tägliche schmutzige Rettung. Nützlich
sind die Enzykliken zum Feueranzünden,
die Manifeste: Butter einzuwickeln und Salz
für die Wehrlosen. Wut und Geduld sind nötig,
in die Lungen der Macht zu blasen
den feinen tödlichen Staub, gemahlen
von denen, die viel gelernt haben,
die genau sind, von dir.
L_
Das Gedicht entwirft in seiner pathetischen Vision aus »Wut und Geduld« ei-
nen Belagerungszustand der Republik und trifft in diesem Bild die Atmosphäre
Adenauer'scher Restaurationszeit. Ein solcher Text ist nicht bloß ein Dokument
für das existentielle Unbehagen, das auf die Situation des Intellektuellen in der
Nachkriegsära verweist, sondern auch ein Paradigma dafür, dass die in den Versen
fixierte Exilperspektive Verdrängtes der jüngsten Geschichte wieder hervorzuholen
versteht: »Der Tag kommt, wo sie wieder Listen ans Tor I schlagen [... ]«.
Die (schon im Titel des Gedichtbandes ironisch verkündete) Verteidigung der
Wölfe (1957) spielt auf den Faschismus an und seine latente Gegenwart im Wohl-
stands- und Fortschrittsbewusstsein einer Zeit, zu deren kritischen Antagonisten
nicht zuletzt Enzensbergers lyrisches Ich zählen will. Wie in fast allen Gedichten
bleibt indes unklar, wer denn genau das >>sie<< der >>Ode<<, wer denn die >>Wölfe<<
sihd und in welchem Maße der Text über eine dunkle Metaphorik der Macht
hinausreicht. Enzensbergers Chiffren brutaler Ursurpation lösen sich noch am
ehesten als literarische Anspielungen auf, gleichsam als archetypische Zitate, die
vom >>Tag<< sprechen, von >>Listen<<, >>Paß<< und >>dem kleinen Verrat<<, aber eben im
Paradigmenwechsel der Lyrik. Die »Entdeckung der Wirklichkeit<< 117
dramatisierten Arrangement einer poetischen Sprache, die auf die Wirkung ihrer
Bilder rechnet.
Auch in den Gedichtbänden der 60er Jahre, etwa in Enzensbergers Landessprache
(1960) und in der Blindenschrift ( 1964), lässt sich ein analoges Verfahren studieren.
Hinderer deutet den Hang zur deklamatorischen Pose und zur inhaltlichen Un-
schärfe gar als Ausdruck dafür, dass es dem Autor »weniger auf einen lokalisierten
Wirklichkeitszusammenhang im Deutschland« von 1960 ankomme, als »vielmehr
auf Akte einer >diktatorischen Phantasie<, welche die Objekte nur als Vorwände
für Metaphern, syntaktische und rhythmische Kombinationen zu nutzen scheint«
(Paulsen 1971, 115).
Enzensbergers Ästhetik der Provokation hat ihre Schwachstelle nicht in einem
>Überschuss< an Poesie, vor allem nicht in der Virtuosität, mit der er über poeti-
sche Verfahren und rhetorische Techniken verfügt, sondern in seiner ausgeprägten
Vorliebe für die Inszenierung des lyrischen Ichs, die noch aus der Tradition der
50er Jahre stammt und ein ganzes Repertoire an Rollen und Kostümen durch-
mustert, vom zornigen jungen Mann bis zum rebellischen Heros, vom resignie-
renden Außenseiter bis zum philologisch versierten, mit Bildungsreminiszenzen
wohlausgestatteten Intellektuellen, der in den Metropolen der Welt Zuhause ist:
eine erste Adresse für Kritik. »Was habe ich hier verloren, I in diesem Land« (89),
so hebt Enzensbergers »Landessprache« an, um es dann in einer Ekloge negativer
Attribute zu >feiern<.
Die Bestandsaufnahme des Landes, »WO es aufwärts geht, aber nicht vorwärts«
(Enzensberger 1983, 89), gerät bei Enzensberger bisweilen zu einer ästhetischen
Collage kalter Zivilisationsprozesse, in denen, wie es den Anschein hat, das lyrische
Subjekt seine Kritikerrolle erst recht entfalten kann, ausgestattet mit souveränem
Weitblick und erhaben über jene von ihm so gescholtenen »Scheintoten [... ] vor
den Kartellämtern« mit »Schecks« und »Aktentaschen« (97). Enzensbergers Gedicht
>>Das Ende der Eulen<< (109) wirkt wie eine Einübung in eine Rhetorik des >>Ernst-
falls<<, nicht aber als historisch prägnante Analyse eines längst obsolet gewordenen
Fortschrittsbewusstseins:
I
Wir sind schon vergessen.
Sorgt euch nicht um die Waisen,
aus dem Sinn schlagt euch
die mündetsichern Gefühle,
den Ruhm, die rostfreien Psalmen.
Ich spreche nicht mehr von euch,
Planern der spurlosen Tat,
und von mir nicht, und keinem.
Ich spreche von dem was nicht spricht,
von den sprachlosen Zeugen,
von Ottern und Robben,
von den alten Eulen der Erde.
118 Die sechziger Jahre
Für alle Sparten seiner Gesellschaftskritik lässt sich ein solches Szenario aus
Provokation, Endzeittopoi, Zitaten und Anspielungen aufweisen. In der Blinden-
schriftreicht das Spektrum von der Medienschelte-wie im Gedicht »Abendnach-
richten« (169)- über die Momentaufnahme von Konsum und »Freizeit« (187) bis
zur sozialen Kritik im »Middle Class Blues« (188), ja bis zur Katastrophenvision
in Gedichten wie »Doomsday« (198) und »Countdown« (201). Wo sich Enzens-
berger freilich aller Inszenierung des lyrischen Subjekts enthält, gelingen ihm über
Deklamation und Pathos hinausweisende Perspektiven eines betroffen machenden
Geschichtspessimismus.
Das Gedicht »Abgelegenes Haus« (170), Eich gewidmet, ist dafür ein Beispiel,
oder auch das Gedicht »Blindenschrift« (200). Ohne rhetorische Effekte kommt
auch seine Antwort auf Brechts Exilgedicht »An die Nachgeborenen« aus, wenn
es im Gedicht »Weiterung« lakonisch heißt: »Wer soll da noch auftauchen aus der
Flut, I wenn wir darin untergehen? II Noch ein paar Fortschritte, I und wir wer-
den weitersehen. II [... ]1 weiter nichts II keine Nachgeborenen I keine Nachsicht
II nichts weiter« (204).
Darin, dass Enzensberger »an jeglicher politischen Realität verzweifelt und den-
noch leidenschaftlich zum politischen Handeln drängt und aufruft«, hat Grimm
»das Paradox dieses Schriftstellers« (Grimm 1972, 142) sehen wollen. Solange es nur
rhetorisch blieb, hat Enzensberger das »Paradox« freilich eher zum Markenzeichen
seiner Poesie gemacht. Aber in der »Blindenschrift« ist in der Tat »der provokativ-
zornige Impetus[ ... ] fast gänzlich gewichen« (Dietschreit/Heinze-Dietschreit 1986,
30), und es zeichnet sich eine Tendenz zu einer geschichtspessimistischen Perspek-
tive ab, die- wie bei Arendt, Celan und Eich- im >eingeschwärzten< historischen
Vexierbild den technisch-instrumentellen, machtorientierten Fortschrittsglauben
des Jahrzehnts konterkariert.
Gerade der elegische Ton des mit »schattenwerk« (Enzensberger 1983, 223)
überschriebenen letzten Abschnitts der Blindenschrift macht deutlich, dass Enzens-
bergers Verse jenseits aller gewaltigen, lauten Deklamation ihre Poesie erst recht
zu entfalten verstehen (242):
I
Schatten sind meine Nächte
Nachtschatten
Schatten sind meine Werke
Günter Herburger
Wer das Selbstverständnis eines gesellschaftskritischen Lyrikers der 60er Jahre un-
tersucht, der muss dessen historische Position berücksichtigen. Die Gedichte dieses
Autoren-Typus lesen sich wie eine verspätete Reaktion auf die politische Abstinenz
des lyrischen Traditionalismus und erkunden förmlich die Palette möglicher The-
men und Stoffe. Hatte Enzensberger, Benn und Brecht gleichermaßen folgend, es
noch sorgfältig vermieden, zu allen aktuellen Fragen der Nation ein paar Zeilen zu
liefern, so ändert sich dies bei anderen Autoren der neuen Generation im Verlauf
des Jahrzehnts radikal. Die Anthologie Denkzettel (Voigtländer/Witt 1977) doku-
mentiert exemplarisch, in welcher Weise das Gedicht zum versifizierten Kommentar
politischer und sozialer Zustände geworden ist, zum lyrischen Potpourri, das die
Lage der Republik schlaglichtartig beleuchtet. Keineswegs nur explizit politische
Themen werden bevorzugt, der Bogen reicht vom Protestgedicht bis zu epigram-
matischen Notizen aus dem Alltagsleben.
Am Beispiel Günter Herburgers (* 1932) haben Zürcher und Theobaldy dieses
>neue< Gedicht begründet: »Es hat [... ] kein exquisites Thema, vielmehr vertraut
der Lyriker darauf, dass sein Gegenstand sehr vielen bekannt ist. Was das Gedicht
sagt, kann von jedermann überprüft werden, der keine Lyrik schreibt« (Theobal-
dy/Zürcher 1976, 30). Das intendierte »egalitäre Verhältnis sowohl zum Leser als
auch zu dem, über den es redet« (31), erinnert an Krolows Forderung nach einer
»Demokratisierung« des Gedichts (Krolow 1966a, 277), die- etwa bei Herburger
- den Verzicht auf eine prononciert lyrische Sprache, vor allem auf Metaphern,
Vergleiche und Symbole ebenso einschließt wie das Vertrauen auf eine Umgangs-
sprache, deren Zitat das Gedicht aus der Aura feierlich-wirklichkeitsferner Kunst
befreien möchte. Ein Paradigma aus Günter Herburgers 1966 erschienenem Ge-
dichtband Ventile lautet (20):
I
Der Wirsing der Blumenkohl
Rettiche Suppenwürfel Mehl
Büchsenmilch und alle anderen
tausend Pfennige
in den Regalen
wo ich stehe und mich bücke
und durchs Fenster
knapp die Straße übersehe
wenn sie Rollschuh laufen
mit einer Wunde am Knie
den Geruch voll Eifer
für den ich mich
anstrengen möchte
an dieser Kurve
gerade noch sichtbar für mich
wo sich der Rock hebt
ein Lätzchen ein Steg
das macht mich froh
120 Die sechziger Jahre
manns Versen eine authentische Dimension, die sie modischer Alltagslyrik enthebt.
Brinkmann hatte 1967, als er mit Was fraglich ist wofür bekannt wurde und sich
1968 mit seiner Sammlung Die Piloten einen Namen machte, schon erste Gedichte
veröffentlicht. Seine Lyrik unternimmt den Versuch, einen >Kult der Oberfläche< zu
realisieren, teilweise in gewisser Analogie zur Pop-Art und zur Pop-Kultur (Schä-
fer 1998). Brinkmann hat seine Verse nicht zur gefälligen Alltagskultur werden
lassen, auch wenn seine Rezeption zeitgenössischer amerikanischer Lyriker mit
einer entschiedenen Hinwendung zur Massenkilltur, zur Photographie, Film und
Kino einherging. Brinkmanns Interesse galt einer neorealistischen Situierung des
Gedichts, das seinen Platz in einer von Pop, Trivialmythen, Konsum und Indus-
triekultur bestimmten Welt finden sollte.
Eine besondere Rolle nimmt bei dieser Interpretation von Wirklichkeit die The-
matisierung von Sexualität ein. Brinkmanns Provokationen zielen, indem sie die
Perspektive der Massenkultur und deren sprachliche Muster gegen tradierte For-
men der Liebespoesie ausspielen, auf die obskure Tabuzone der Gesellschaft, die
über Sexualität öffentlich schweigt, sie zugleich aber von der Illustrierten bis zum
Pornofilm vermarktet. Es werden die Konturen einer beschädigten, menschenver-
achtenden Industriekultur sichtbar, deren semantisches Gefüge im Kern nur noch
von fiktionalen Mustern massenhaft verbreiteter Medienfabrikate zusammenge-
halten wird. Vor einem solchen Horizont freilich hat Brinkmanns Gedicht »Pho-
tographie« (Brinkmann 1980, 52) zuletzt fast schon wieder, als Alltagsgenre neu
entdeckter Wirklichkeit, einen >allegorischen< Charakter:
Mitten
auf der Straße
die Frau
indem
blauen
Mantel.
L_
einen Moment die literarische Praxis beinahe verdrängten und in der Tat niemand
>einfach anzufangen< wagte.
unmittelbare Reaktion auf aktuelle Ereignisse, Missstände und Skandale und inte-
graler, aktuell wirksamer Teil der politischen Bewegung. 1967 entwirft Rühmkorf
in seinem Essay »Das Gedicht als Lügendetektor« (Rühmkorf 1978) emphatisch
das Konzept einer »Parteinahme« der Lyrik (65). Er rechtfertigt das Protestgedicht
gegen ein »Verlangen, einer kritischen Minorität die Lust am Widerstand zu ver-
derben« (72), namentlich gegen Günter Grass' Einwände gegen die Vietnam-Lyrik
jener Tage. Eine poetische »Enthüllungsstrategie«, wie sie Erich Fried eigen war,
wurde für einen Augenblick zum intendierten Ziel politischer Dichtung erhoben,
einer Dichtung, die, mit Rühmkorfs Worten, »Wahrheit vor Augen führt als eine
frisch erkannte, neu aus dem Staub gezogene« (77).
Zumindest als »Lügendetektor« hatte die Poesie eine Aufgabe, eine Funktion, so
dass die vehement diskutierte Legitimationskrise der Literatur, vor allem der Lyrik,
wenigstens für Rühmkorf positiv gelöst schien: mit einer kritisch-aufklärerischen,
»Wahrheit« beanspruchenden Pathos-Formel. Sein Plädoyer für das Gedicht war
eine Rechtfertigung der Lyrik als politischer Poesie, als Zeitgedicht. Er zieht damit
die Konsequenz aus Erkenntnissen, die schon 1963 im Essay »Einige Aussichten für
Lyrik« (Rühmkorf 1978) angelegt waren und nun aufgrundder Zeitkonstellation
um 1968 eine besondere Bedeutung erlangten. Rühmkorf schrieb (57):
daß es dem Vers sehr gut anstehen würde, wenn er dort Laut gibt, wo stummes Einvernehmen
waltet zwischen Führungskräften und Angeführten; wenn er dort Zweifel säte und Skrupel
entfachte, wo das Verhängnis sich als demokratisch gewählt täglich rechtfertigen kann;
wenn er dort unangemeldet mit der Wahrheit hervorkäme, wo das Geschäft der Wahrheit
schon von niemandem sonst mehr besorgt wird,[ ... ] wenn er dort mächtig aufklärte, wo
Irrationalismus und Hermetismus an der allgemeinen Verfinsterung weben.
Mit dieser der Lyrik zugewiesenen Aufklärungsfunktion hat Rühmkorf dem Pa-
radigmenwechsel im Gedicht der 60er Jahre eine gesellschaftskritische, politische
Wendung gegeben, die zuweilen wie ein Synonym für den Wechsel überhaupt er-
scheint und dabei, ebenso einseitig wie unbegründet, den »Hermetismus« als blo-
ßes Amalgam »der allgemeinen Verfinsterung« denunziert. Der Aufklärungstopos
war nicht allein für Rühmkorfein Legitimationsbegriff ersten Ranges, sondern für
eine Vielzahl von Protestlyrikern. In diesem Begriff waren zwei Momente idealer
Selbstinterpretation aufgehoben: der Status des Lyrikers als eines aufklärenden,
Wahrheit verbreitenden Individuums und der stets mitgedachte Wirkungsmodus,
also die durch Lyrik aufzuklärende, das politische Wort, das kritische gute Buch
dankbar aufnehmende Lesergemeinde.
Die Protestgedichte von Peter Schutt, Uwe Wandrey, Bannes Stütz- die Antho-
logie Denkzettel (Voigtländer/Witt 1977) hat die bekanntesten Texte der Autoren
zusammengestellt- sind aus der Position auktorial verbürgten lyrischen Sprechens
geschrieben, bis hin zum Gestus eines Predigertons, der in seiner Rhetorik des
Aufrüttelns einen autoritären Zug nicht verleugnen kann, da das Gedicht auf der
Fiktion gründet, es agiere ein wissendes lyrisches Subjekt vor noch unmündigen,
aufzuklärenden Massen. So heißt es in Schutts Gedicht »Bedenkt: der Klassenfeind
schläft nie« (447):
124 Die sechziger Jahre
I
In schwachen Stunden den Kopf hängen lassen:
das könnte den Kopfjägern so passen!
Beßres kann ihnen doch nicht passieren,
als daß wir selber den Kopf verlieren!
Kampfreime hat Wandrey 1968 seine Texte genannt und sie mit dem Untertitel
»Handliche, mit scharfen Kanten ausgestaltete Kampfausgabe für die Phase des
revolutionären Widerstands« herausgebracht, versehen mit einem Hinweis für ih-
ren operativen Einsatz: »Für Transparente, Wände, Bretterzäune, Mauern, Plakate,
Flugblätter, Wandzeitungen, Schultafeln und als Sprechchöre«. Unter dem Titel
Songs erschienen 1970 weitere seiner Texte.
Wandreys Hinweis auf die operativen Einsatzfelder seiner Verse zeigt an, dass
dem Protestlyriker ein Begriff politischen Handeins vorschwebt, der sein Gedicht
unmittelbar zur Aktion werden lassen möchte. Die Präsentation von Lyrik in
schmalen, schmucken Bändchen wird für einen Moment obsolet. An deren Stelle
experimentieren Autoren mit den Möglichkeiten operativer Literaturproduktion.
Beispiele dafür sind neue Formen der Dichterlesungen- etwa der Vortrag von Ly-
rik auf Massenkundgebungen, Festivals, Demonstrationen -, aber auch die Inte-
gration von Poesie in Beat- und Rock-Konzerte. Es gehört zum charakteristischen
Lebensstil eines jugendlichen Publikums in den 60er Jahren, dass es sich auf solche
Experimente eingelassen und- wenn auch nur für kurze Zeit- Experimentformen
wie Beat-Poesie, Pop-Lyrik, >underground<-Literatur und Happening akzeptiert
hat. So konnte Peter 0. Chotjewitz 1969 enthusiastisch formulieren (zit. n. Hinton/
Bullivant 1975, 22):
Unsere Klassiker heißen Julie Discoll und Jimmy Hendricks. Sie sind es. Sie entfalten eine nie
geahnte Unkultur. Man hat sie in die Welt gesetzt, aber hier tun sie mehr, als nur ihr Geld
zu bringen. Kein Sterben mehr für die Kultur, für den Schah von Persien, für Luftmarschall
Ky. Keine Kämpfe mehr für die Kultur, kein Hungern, kein Leiden mehr für die Kultur.
Die alternative Pop-Kultur stellt sich als eine Art unentfremdeter Entfaltungsraum
dar und wird bisweilen zu einem utopischen Ort stilisiert. Diese Illusion war ein
Kennzeichen jener operativen Literaturtheorien, die einem ungebrochenen Glauben
Lyrik und Lyrik-Debatten um 1968. Das »Gedicht im Handgemenge« 125
an die Macht und Wirkung des öffentlichen Wortes folgten. Am schnellen Schei-
tern der so genannten Agitprop-Bewegung um 1968 wurde klar, dass mit einer un-
dialektischen Pädagogisierung des Verses zur oberlehrerhaften Sentenz nicht einmal
kurzfristig kollektive Erfahrungen zu formulieren und die politischen Phänomene
auch nur im Ansatz zu begreifen waren.
Der Protestsong
Das heißt nicht, dass alles, was in jenen Jahren produziert wurde, den Tag überdau-
ert hat. Vielmehr gehören das zeitgebundene Experiment ebenso wie die lyrische
>Kleinkunst< zur Charakteristik des Jahrzehnts. Ein Beispiel dafür ist der Protestsong
der 60er Jahre. Er verweist auf eine Balladentradition, die nach 1945 mit Namen
wie Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp, aber auch mit Stephan Hermlin
und Wolf Biermann verbunden ist. Gewisse Formen des Bänkelsangs haben auch
Christa Reinig und Helga M. Novak aufgegriffen. Reinigs »Ballade vom blutigen
Bomme«, 1960 im Gedichtband Die Steine von Finisterre (1981, 43) veröffentlicht,
zeigt bereits einen Hang zum Parodistisch-Satirischen und nimmt Tendenzen der
späteren 60er Jahre vorweg. Engagement und Bänkelsang gehen eine Verbindung
ein, in der sich neue Darbietungsmöglichkeiten kritischer Dichtung andeuten.
Ein Paradigma dieser Liedermacher-Tradition ist das Werk Franz Josef De-
genhardts (* 1931), das bis in die SOer Jahre zurückreicht und seismographisch
die einzelnen Etappen des Protestsongs und modernen Bänkellieds fixiert. Es ge-
lingt dem Autor in Liedern wie »Weintrinker« (Degenhardt 1981, 12), »Deutscher
Sonntag« (18), »Horsti Schmandhoff« (30), »In den guten alten Zeiten« (33) und
»Wenn der Senator erzählt« (40) ein satirisch-groteskes Bild vom kleinbürgerlich-
verspießerten Nachkriegsdeutschland zu zeichnen; ein Paradigma dafür ist das
Gedicht »Feierabend« (38):
I
Vorstadt - Feierabend,
dick von Fliederduft.
Abendglocken schwingen vogelfrei.
Mauersegler schrein,
zersicheln diese Luft.
Küster kichern in der Sakristei.
Süßer Wind weht lind
und lau vom Ehrenfriedhothain.
Rasenmäher metzeln
Nachbarscherze kurz und klein.
Lustig flackert's Licht
im Schlachthaus auf. Die Kälber schrein.
Kinder lachen frank
und frei Jehovas Zeugen aus.
Komm
wir gehn nach Haus.
Die Poesie und Musikalität solcher Verse nimmt die Dialektik von trivialer Klein-
bürgerlichkeit und aggressiver Gewaltphantasie auf, die auch bei Eich und En-
zensberger zur Charakteristik einer Epoche gedient haben, welche die faschistische
Vergangenheit als Bedrohungspotenzial mit sich schleppt. Vor allem Degenhardts
melancholische Lieder registrieren diese trübe, unbehagliche Atmosphäre sehr ge-
nau, und sie treffen besonders die Gefühlslage derer, die sich im Bild der »Schmud-
delkinder« (15), der »Kumpanen, Sangesbrüder« (42) als eine erste Opposition
gegen die Protagonisten der Restaurationsära zusammenfinden (103):
I
Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen,
der Hammel ist gar überm Lauch.
Paprika soll uns im Halse brennen,
der reife Kartoffelschnaps auch.
Lachen wollen wir wieder wie damals,
bis morgen der Nachtvogel schreit,
wieder gute Geschichten erzählen
von damals und von dieser Zeit.
L_
I
Ich gelobe,
nicht nachzugeben. Mein Vorbild
sind die Skelette von Ensor. Ihr Streit
um den toten Hering.
L_
In seinen Blättern eines Hof-Poeten aus dem Jahr 1967 verbindet Fuchs, der auch die
Gattung des Chansons und Bänkellieds wiederzubeleben versucht, den kritischen
Gestus epigrammatischen Sprechens mit Rollenlyrik und Mundartdichtung. Das
Epigramm ermöglicht, über das bloß Groteske und Komische hinaus, zuweilen eine
in ihrer Einfachheit bestechende Prägnanz der Beobachtung, die das Zeitgedicht
zum Medium der Reflexion macht, ja zu einem Erfahrungsmoment in nuce, wie
ihn sein Gedicht »Rat des Sozialamtes« (26) bietet:
I
WennSie
keine Arbeit finden,
dann sollten Sie
schlafen
und überwintern. Sie
haben dadurch
die seltene Möglichkeit,
einigen Tieren näherzukommen.
L_
In den 60er Jahren gibt es freilich auch eine andere Tendenz der Epigrammdichtung,
und zwar den Hang zur Protokollnotiz dessen, was ohnehin bekannt war, und die
Neigung zur Pointenbildung aus Wortspielen und oberflächlichen Einfällen. Kurt
Marti (* 1921), ein Schweizer Zeitlyriker, der das Genre seit seinen Republikani-
schen Gedichten (1959) erprobt hat, entgeht der Gefahr zum harmlosen Verbal-
radikalismus dadurch, dass er seinen Wortwitz und seine Pointen in den Funkti-
onszusammenhang einer kritischen Perspektive stellt. Freilich sind die Texte nicht
immer ohne moralische, ja religiöse Emphase: »mit dem kopf I in denhändendes
windes I steine schlagen I zu tal I I wer sind wir I wenn abends die berge brennen
I und morgen I das land im feuer verloht« (Marti 1982, 17).
Dabei ist die politische Dimension zuweilen an ein Pathos geknüpft, das das
lyrische Subjekt solcher Zeitgedichte zum integren Sprecher kritischer »Leichen-
reden« werden lässt: »das könnte manchen herren so passen I wenn sie in ewig-
keit I herren bleiben im teuren privatgrab I und ihre knechte I knechte in billigen
reihengräbern« (55). Der didaktische Ton, der ohnehin dem Genre stets eigen ist,
entfaltet sich bei Marti öfter derart stark, dass die offene, pointierte Struktur des
Gedichts zur trockenen Kurzepistel zu werden droht.
Lyrik und Lyrik-Debatten um 1968. Das »Gedicht im Handgemenge« 129
Erich Fried
Einer solchen Gefahr ist Erich Fried (1921-1989), der weitaus produktivste Epi-
grammatiker nach 1945, zumindest in den 60er Jahren noch selten erlegen. Frieds
»Gedicht im Handgemenge« (BenderiKrüger 1977, 169) ist kein bloßes Alltags-
gedicht, das einen Augenblick fixieren will, sondern auf etwas Exemplarisches ge-
richtet: einen Gedanken, eine These, eine Erkenntnis. Fried kalkuliert die Wir-
kung seiner Verse ein, indem er seine Schlusspointen und Wortspiele auf Konklu-
sionen hin anlegt, die ein Leser nachvollziehen soll. Die dialektische Denkfigur
seiner Epigramme meidet Polyvalenzen und schätzt einen offenen parteilichen
Standpunkt.
Damit ist zugleich eine mögliche Wirkungsästhetik des epigrammatischen
Zeitgedichts intendiert: Das lyrische Subjekt arrangiert eine zugespitzte Erkenntnis,
eine Gegenmeinung zu herrschenden Vorurteilen und geht von einer Entschlüs-
selbarkeit, ja einem Mitteilungscharakter der Texte aus. Das Zeitgedicht, vor allem
das Epigramm, versucht sich in den 60er Jahren als >Gedankenlyrik<, nicht bloß
als >Warngedicht<. Aber gerade die auf Erkenntnis gerichtete Dimension des Textes
entbehrt bei Fried zuweilen nicht einer pathetischen Verstärkung, einer Tendenz
zum aphoristischen Sinnspruch, der nur dem Anschein nach lakonisch-karge Pointe
sein will. In der Tat ist die rhetorische Machart nur entsprechend zurückgenom-
men, aber mit um so deutlicheren Absichten.
Zum Kalkül Friedscher Wirkungsästhetik gehört nicht nur das angebotene Re-
flexionspotenzial der Gedichte, sondern auch die Selbstdarstellung als Aufldärer,
als Vermittler, ja Vereinfacher, nicht aber als Sucher von Wahrheit. Damit aber gerät
er zumindest mit einem Teil seiner Gedichte in die Nähe zu den Medienstrategien,
denen er - im Namen der missbrauchten Wahrheit - den Kampf ansagen wollte.
Fried thematisiert seit seinen Warngedichten 1964 in immer erneutem Anlauf
die Macht der Bürokratien und die Allgewalt von Anpassungs- und Manipulations-
instanzen sowie das faschistische Potential verdrängter, tabuisierter Zeitgeschich-
te. Wortspiel, Ironie, Einfall, Alliteration, Pointe: Frieds Gedichte entnehmen ihre
Struktur häufig aus einfachen, aber wirkungsvollen Redeformen: »Verbrannt der
Phönix im Nest I Krieg seiner Asche I Drei Tage dann kriecht der Krieg I als Wurm
wieder heraus« (38).
Das lyrische Subjekt verfügt über eine gestische Sprache. Es demonstriert, ex-
emplifiziert, verurteilt und lobt. Nur selten ringt es mit der Wahrheit, die es zur
Mitteilung, ja (der Autorintention nach) zur >Botschaft< machen möchte. Ihre Wir-
kung nehmen die Texte aber gerade aus ihrem auf Selbsterfahrung hin angeleg-
ten Potenzial, nicht aus ihren vorfabrizierten Parolen und auch nicht allein aus
ihrer Moralität, ihrem Pathos, das zwischen gut und böse beinahe souverän zu
unterscheiden weiß. In seinem Gedichtband und VIETNAM und (1966) hat Fried
allerdings ein lyrisches Subjekt entworfen, das sich als ein mitbetroffenes zeigt
und gerade, indem es sich des Kommentars bewusst zu enthalten versucht, einen
Zeitmoment kritisch zu reflektieren versteht, wie im Gedicht »17.-22. Mai 1966«
(23):
130 Die sechziger Jahre
I
AusDaNang
wurde fünf Tage hindurch
täglich berichtet:
Gelegentlich einzelne Schüsse
Am sechsten Tag wurde berichtet:
In den Kämpfen der letzten fünf tage
in DaNang
bisher etwa tausend Opfer
L_
Fried benötigt hier keine Attributierungen, keine Epitheta, um eine Welt von Fol-
terknechten und Mördern, von Tötungsmaschinen und mitkämpfenden Rotations-
pressen zu zeichnen. Wo seine Verse dies versuchen - häufig nur mit unscharfen
Personalpronomen arbeitend und mit Chiffren, in denen Leser den politischen
Gegner ausmachen können -, werden sie zu Kommentaren, die eine Erkenntnis
präsentieren: zum Nachvollzug, nicht zur produktiven, selbstreflexiven Erfahrung.
Auch die Gedichtbände Anfechtungen (1967), Zeitfragen (1968) und Die Beine der
größeren Lügen (1969) sind nicht frei von bereits entworfenen Lösungen eines sou-
verän entscheidenden lyrischen Ichs.
Die zeithistorische Wirkung der Friedschen Lyrik aber ist in ihre Analyse ein-
zubeziehen. Gerade die Vietnam-Gedichte des Autors haben ihre Bedeutung in
einer spezifischen Zeitsituation voll entfaltet, und zwar als Inschriften moralischer
Empörung, die zu historischen Dokumenten geworden sind, weil sie den Weg frei
machten für eine Reflexion auf Krieg, Barbarei und Faschismus, die nach dem
Krieg ihresgleichen sucht und mitgeholfen hat, den politischen Protest überhaupt
zu ermöglichen. Für einen Moment wenigstens wird Frieds Zeitgedicht zum Ele-
ment einer aufklärenden Geschichtskorrektur jenseits von Parteiprogrammen und
-interessen: zur Kritik, die in der Dichtung ihre Sprache findet.
Mit Wolf Biermann, Volker Braun, Heinz Czechowski, Adolf Endler, Uwe Greß-
mann, Manfred Jendryschik, Sarah Kirsch, Wulf Kirsten, Reiner Kunze und Karl
Mickel macht sie sich rasch einen Namen auch außerhalb der DDR. Dass sie als eine
neue Generation betrachtet wird, hängt mit den offiziösen, eng gezogenen Grenzen
zusammen, die die Nachkriegslyriker in den SOer Jahren geschaffen haben, nicht
zuletzt mit ihrer Festlegung auf einen gesellschaftlich umrissenen Auftrag und des-
sen poetologische Fixierung im Normensystem des sozialistischen Realismus.
von Gedichten - und derjenige ihrer Produzenten - nach 1945 derart groß gewe-
sen. Und auch wenn »die Vortragsabende«, die nach dem Hermlin-Debakel die FDJ
organisierte, »schon etwa 1964/65 ohne viel Aufhebens« ausklangen (ebd., 89), so
schrieben sie Lyrikgeschichte.
Übrig aus diesen bewegten Zeiten blieben langfristige Erfolgsprojekte wie die
Anthologie Poesiealbum, die bis 1990 immerhin 275 Hefte aus der Feder von Au-
toren aus allen Generationen der DDR-Lyrik umfasste, und, ebenso häufig gelesen,
die periodische Lyriksammlung »Auswahl«, die 1963 unter dem Titel »Auftakt« zu
erscheinen begann (LabroisseNisser 1994).
Schon 1964 signalisiert die- unter harmlosem Titel veröffentlichte- Anthologie
Sonnenpferde und Astronauten (Wolf 1964), welche Bedeutung die neue Formation,
vor allem die erst spöttisch, dann eher respektvoll so genannte >Sächsische Dich-
terschule< bereits erreicht hat. Sie etabliert sich weder als ein Kollektiv gemeinsam
arbeitender Lyriker noch als eine auf Statuten fixierte und auf Programme festge-
legte Gruppierung, sondern als ein lockerer Zusammenschluss von Individuen, von
befreundeten Autoren. Und es sind gerade diese individualistischen Züge, die der
neuen Generation ihr charakteristisches Gepräge geben: im Recht auf einen persön-
lichen Standpunkt, im Postulat eines eigenständigen literarischen Interesses. Kunzes
Gedichtbandtitel Sensible Wege (1969) gibt diesen Anspruch gültig wieder.
Günter Kunert
Die Richtung einer sich nicht im trügerischen politischen Kollektiv verlierenden
Lyrik, die aus der dialektischen Spannung von Individuum und Gesellschaft ihre
Motivation erfährt, hatte als einer der ersten Günter Kunert (* 1929) beschritten,
und zwar schon vom 1950 erschienenen Band Wegschilder und Mauerinschriften an,
dessen Gedicht »Über einige Davongekommene« (7) sich bereits zu einem frühen
Zeitpunkt einem Fortschrittsoptimismus verweigert und sich in der Retrospektive
wie eine Vorwegnahme des Epigramms der 60er Jahre liest:
I
Als der Mensch
Unter den Trümmern
Seines
Bombardierten Hauses
Hervorgezogen wurde,
Schüttelte er sich
Und sagte:
Nie wieder.
Jedenfalls nicht gleich.
L_
Kunerts Gedichtband Tagwerkevon 1961 konstituiert ein lyrisches Subjekt, dessen
Individualität, wie Czechowski zu Recht hervorgehoben hat, »keinem Kollektiv
zugestellt werden kann« (zit. n. Krüger 1979, 43). Damit aber erreicht Kunert ei-
Neue Formationen in der DDR-Lyrik. Die zweite Generation 133
ne Autonomie des Gedichts, die - Brecht folgend - eine kritische Perspektive erst
ermöglicht. Er misstraut nicht der Utopie an sich, sondern den für sie ersatzweise
geschaffenen Allgemeinplätzen und Formeln. Damit aber provoziert er Irritationen
und macht sich, an den Direktiven der Kulturpolitik gemessen, eines Subjektivismus
verdächtig. Kunerts »melancholisches Kalkül« (Laschen 1971, 88) ist Ausdruck einer
Skepsis gegenüber allzu optimistischen und glatten Zukunftsparolen. So vermag
er Widersprüche und Brüche in einem ideologischen Gefüge zu entdecken und im
Gedicht zu formulieren: als Reflexionen eines suchenden, prüfenden lyrischen Ichs.
Die Epigramme des Zyklus »Geschichte« in der Verkündigung des Wetters (Kunert
1966, 25ff.) illustrieren die Position des Kunertschen Ichs, vor allem den Anspruch
auf ein eigenständiges Urteil (27):
I
Geschichte sage ich und weiter noch: Wenig bleibt.
Glücklich wer am Ende mit leeren Händen dasteht
Denn aufrecht und unverstümmelt dasein ist alles.
Mehr ist nicht zu gewinnen.
L_
I
IN DEN HERZKAMMERN DER ECHOS
Sitzen Beamte. Jeder
Hilferuf hallt
Gestempelt zurück.
L_
I
AUF UNZEITGEMÄSS VERFERTIGTEM PAPIER
Schreibe ich
Eine kleine fossile Wahrheit
In der Schrift
Welche vor den täglichen Weltuntergängen
Verständlich war.
L_
134 Die sechziger Jahre
I
In den Dünen sitzen. Nichts sehen
Als Sonne. Nichts fühlen als
Wärme. Nichts hören
Als Brandung. Zwischen zwei
Herzschlägen glauben: Nun
Ist Frieden.
L_
Volker Braun
Einem neuen Gedichttypus gab auch Volker Braun(* 1939) mit seinem Band Pro-
vokation für mich {1965) geradezu programmatische Impulse, nicht zuletzt wegen
des signifikanten Titels, der auf Subjektivität pochte. Bereits die Eingangsverse des
Gedichts »Kommt uns nicht mit Fertigem« {7) notieren Elemente einer veränderten
Poetologie: »Kommt uns nicht mit Fertigem. Wir brauchen Halbfabrikate. I Weg mit
dem Rehbraten-her mit dem Wald und dem Messer. I Hier herrscht das Experiment
und keine steife Routine. I Hier schreit eure Wünsche aus: Empfang beim Leben.«
Braun sucht nicht die ideologische Schablone der Wirklichkeit, sondern gou-
tiert deren sinnliche Dimension und erschließt damit einen neuen sprachlichen
Horizont, der Formen der Umgangs- und Jugendsprache aufnimmt. Anders als
Kunert rechnet Brauns lyrisches Subjekt mit einer solidarischen Leserschaft, mit
einer Kommunikativität, die zumindest prospektiv kollektive Wünsche und Be-
dürfnisse zu vereinen glaubt. Brauns »Jazz«-Gedicht (12) zeigt das Utopische eines
solchen Entwurfs:
I
[... ] bewegliche Einheit-
Jeder spielt sein Bestes aus zum gemeinsamen Thema.
Das ist die Musik der Zukunft: jeder ist sein
Schöpfer
Du hast das Recht, du zu sein, und ich bin ich:
Und mit keinem verbünden wir uns, der nicht er selber
ist
Unverwechselbar er im Lieben, im Haß.
L_
Jugendlicher Enthusiasmus bestimmt die Perspektive. Das Ich nimmt sich das Recht
auf einen eigenen Standpunkt heraus. Freilich schließt Braun an eine Tradition
jugendlich-oppositioneller Provokationen an, die in der Sowjetunion bereits her-
ausgebildet waren und im Lauf der 60er Jahre in der DDR rezipiert worden sind.
Es galt die Autoren auf die »Züge des sozialistischen Menschenbilds« festzule-
gen und so jede Möglichkeit einer gleich als destruktiv schroff zurückgewiesenen
Kritik auszuschließen: »Im lyrischen Ich, das- bei aller notwendigen Subjektivität
und eigentümlichen Individualität- niemals privat ist, sind Züge des sozialistischen
Menschenbilds besonders eindringlich gestaltbar. Um den sozialistischen Charakter
dieses Menschenbilds geht es« (Kasper 1995, 60f.). Die Debatte zeigte, wie sehr in
einem geschlossenen semantischen System, dessen Sensorien für leiseste Zwischen-
töne und brisante Anspielungen empfänglich waren, sogar die Konstitution eines
lyrischen Subjekts einen durch Ideologie legitimierten Staatsapparat beschäftigen
konnte: Die Wirkung von Lyrik war unter solchen Bedingungen sogar an staatlichen
Reaktionen und öffentlichen Kritiken ablesbar und brachte Autorinnen und Auto-
ren in eine zwar exzeptionelle, aber im buchstäblichen Sinne angreifbare Position.
Das »Forum« war insofern kein zufälliger Platz, als der politisch-literarische Dis-
kurs vor jungem Publikum stattfand und somit alle Muster der Einschüchterung,
des Dogmatismus und der Grenzziehungen zugleich an die junge Generation der
DDR gerichtet war.
Wolf Biermann
Der Liedermacher und Poet Biermann (* 1936) geht in den 60er Jahren weit über
Brauns eher unbestimmte Protestattitüden hinaus; denn er weiß um die politischen
Konstellationen der DDR, die die »Gefühle der Enge, der Verhärtung, der allmäh-
lichen Vergreisung« (Hermand 1973, 77) hervorgebracht haben. Dass sie nicht auf
einen Generationskonflikt zu reduzieren sind, ist Prämisse Biermannscher Lyrik.
Nur im Westen erscheinen 1965 Die Drahtharfe und 1968 der ebenfalls Gedichte,
Balladen und Lieder umfassende Band Mit Marx- und Engelszungen.
Biermanns Engagement ist innerhalb der neuen Formation in der DDR-Lyrik
ohne Nachfolge geblieben; das absolute Publikationsverbot war daher umso leich-
ter gegen ihn durchzusetzen. Dabei ist gerade für Biermann Brechts Vorbild-Figur
besonders relevant geblieben. Die >Buckower Balladen< der Drahtharfe verweisen
auf diesen intendierten Bezug. Biermann kennzeichnet das Bild einer preußischen,
kleinbürgerlichen, muffigen Republik, in der die weiterhin hoch geschätzte sozia-
listische Utopie pervertiert und eine historische Chance vertan worden ist. Seine
Verse sind nicht frei von Resignation und Bitterkeit, und sie zeigen ein verwund-
bares Ich, dem die Jahre der Isolation anzumerken sind:
I
Ich Ich Ich
bin voll Haß
bin voll Härte
der Kopf zerschnitten
das Hirn zerritten
Ich will keinen sehn!
Bleibt nicht stehn!
Glotzt nicht! Das Kollektiv liegt schief
Neue Formationen in der DDR-Lyrik. Die zweite Generation 137
Rainer Kunze
Der Subjektivismusvorwurf war nicht nur im Kontext politischer Kritik ein Re-
pressionsgrund, sondern bereits, wie der Fall Reiner Kunzes (* 1933) belegt, im
Zusammenhang mit einem bloßen Insistieren auf eine zunächst noch recht unpo-
litische, private Autonomie. »Ausgesperrt aus büchern I ausgesperrt aus zeitungen I
ausgesperrt aus sälen« (Kunze 1969, 19), so umreißt Kunze karg und pointiert das
138 Diesechziger Jahre
I
Stadt, frisch, reglos
stehst du in der Tiefe
Zugefroren
der himmel über uns
überwintern, das
maul am grund
L_
Karl Mickel
Kunze und Biermann waren in der 1966 herausgegebenen Anthologie In diesem
besseren Land (Endler/Mickel1966) nicht mehr vertreten. So entzündete sich die
Diskussion über diese für die DDR-Lyrik so bedeutsame Sammlung an anderen
Autoren, und zwar zunächst vor allem an Karl Mickels (* 1935) Gedicht »Der See«,
das- stellvertretend für die neue Lyrik der 60er Jahre- zum Programmgedicht der
jungen Lyrikergeneration stilisiert wurde. Die erste Strophe lautet (Mickel1966, 14):
I
See, schartige Schüssel, gefüllt mit Fischleibern
Du Anti-Himmel unterm Kiel, abgesplitterte Hirnschal
Von Herrn Herr Hydrocephalos, vor unsern Zeitläuften
Eingedrückt ins Erdreich, Denkmal des Aufpralls
Nach rasendem Absturz: du stößt mich im Gegensinn
Aufwärts, ab, wenn ich atemlos nieder zum Grund tauch
Wo alte Schuhe zuhaus sind zwischen Weißbäuchen.
L_
Dass im Naturtableau keine Impression einer Landschaft angelegt war, sondern
eine Interpretation gesellschaftlicher Erfahrungen, war allen Kritikern schnell klar,
die sich in der FDJ-Zeitschrift Forum zu Wort meldeten. Mickels Gedicht versucht
erst gar nicht, den »Anti-Himmel« zu verschönen, sondern verzichtet auf eine
Neue Formationen in der DDR-Lyrik. Die zweite Generation 139
poetische Glättung des Themas. Der individuelle Akzent dominiert; und er bricht
konsequent, und zwar auch im Hinblick auf die Verstehensschwierigkeit des Textes,
mit dem im Bitterfelder Weg so prononciert umrissenen Ziel der sprachlichen und
gedanklichen Einheit von Arbeiterklasse und Schriftsteller.
Dem Ökonomen Mickel hält Hans Koch in seiner Polemik dann auch rasch
eine »soziale und historische Unstimmigkeit« vor, die er darauf zurückführt, »daß
die Welt-Anschauung dieses Gedichts außerhalb des eigenen Subjekts nichts« ken-
ne und entdecke (zit. n. Schmitt 1983, 281}. Der Subjektivismus-Vorwurf indiziert
eine politisch verdächtige Entfernung vom vorgegebenen Schema, so dass die Kritik
umso schärfer ausfallen und die Diskussion um den Text umso brisanter werden
musste. Es ist gerade die Abwendung vom Geschichtsbild des wie selbstverständ-
lich reklamierten Fortschritts, die Mickels Gedicht bestimmt und sich in seiner
Naturauffassung spiegelt.
Nicht jeder Lyriker der jungen, viel beachteten Generation fand in der DDR
günstige Bedingungen für den Aufbau einer Schriftstellerexistenz. So kehrte Mickel,
der zunächst von 1961 bis 1965 freier Schriftsteller war, zunächst in einen wissen-
schaftlichen Beruf zurück, bevor er am Berliner Ensemble Mitarbeiter der Intendanz
wurde. 1978 begann er als Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst
Busch« in Berlin zu arbeiten. Mickels Texte sind voller Anspielungen und Zitate.
Der Bogen reicht von der Antike bis zu Versen zeitgenössischer Dichter.
Es ist Mickel neben Volker Braun und wenigen anderen gelungen, ein Publikum
und nicht zuletzt auch das DDR-Feuilleton für >schwierige< Gegenwartslyrik und
schließlich auch für literarhistorische Traditionen der Poesie zu gewinnen, nicht
zuletzt für Hölderlin. Mickel bevorzugt lange Verszeilen und Langgedichte; er ar-
beitet mit strengen metrischen Mustern, aber kann diese innerhalb eines einzelnen
Gedichts durchaus wieder wechseln und durchmischen. Beim Publikum wird die
Bereitschaft vorausgesetzt, sich komplexe syntaktische Strukturen ebenso selbstän-
dig zu erarbeiten wie das Netzwerk der Bildlichkeit, das durch ein verschlungenes
Ineinander des Metaphernmaterials geprägt ist. Das Zentrum seiner Gedichte bildet
jedoch das lyrische Ich, der Mittelpunkt eines prozessual entfalteten Gedankens,
der erst vom Ende, vom Resultat her rekonstruiert werden kann.
Aber Mickel schreibt nicht einfach die Tradition von Gedankenlyrik fort. Die
Sprache seiner Gedichte hat der Rezipient zu studieren, wenn er Mickels Ideen-
reichtum erfassen will. Nichts schmiegt sich der Alltagssprache an. Hinzu kommt
- eine weitere Verslehenshürde- eine Tendenz zur lakonischen Verknappung und
Verdichtung, zuweilen auch eine Neigung zu Sprachwitz und -komik, zu Ironie
und Polemik.
Im Gedicht »Die Elbe« (Drews 1995, 164), seinem wohl bekanntesten Gedicht,
kann Mickels Technik des abrupten Bild- und Perspektivenwechsels beobachtet
werden. Die erste Strophe, abgeschlossen mit einem Blick auf die Landschaft (»Im
dürren Weinberg von den schwarzen Ästen I Träuft der Regen wie ein Schwarm
von Kirschblüten«), wird gleich am Beginn der zweiten durch einen Selbstkom-
mentar des lyrischen Ichs unterbrochen: »So sah ich das. Jedoch das exponier-
te I Material reicht weiter.« Was folgt, ist die Transformation des Flussbildes auf
140 Die sechziger Jahre
I
So sah ich das. Jedoch das exponierte
Material reicht weiter. Männer, Frauen
Vernetzt gekoppelt, schlagen Wellen, Fluß
Neben dem Fluß, der Verkehrsstrom
Reißt, der Interruptus auf der Straße
Und die Menge, wenn zwei Autos sich
Vernichteten, kreist um die Leere
Wie der Strom ums Aug des Strudels wirbelt.
Umgekehrt.[ ... )
L_
Es ist evident, »daß der Text als Verarbeitungsstufe vorhandener poetischer >Bilder<
gelesen werden soll« (Heukenkamp 1985, 22). Zugleich aber inszeniert sich ein
souveränes Ich, das am Schluss sogar kryptisch auf Pindar und Hölderlin abzielt
(»Vgl. auch den Kommentar zu Pindar I Von Hölderlin [... ]«)und zum Dreh- und
Angelpunkt eines komplexen Sprach- und Bildspiels wird.
In solchen wortgewaltigen Kaskaden löst sich der Bildungs- und Traditionska-
non auf, der zunächst wie eine feste Basis Mickel'schen Schreibens erschien und sich
nach etwas intensiverer Lektüre auch nur als »exponierte[s] I Material<< erweist. Aus
ihm formte Mickel ein vom Motiv und von der Tradition her zwar an Hölderlins
Stromgedichte erinnerndes »Eibe<<-Poem, zugleich aber einen poetischen Kommen-
tar zum Geschichts-, Gesellschafts- und Geschlechterdiskurs der 60er Jahre: Der
Subjektivismus der Einfalle und Assoziationen löst eine provozierende Irritation
aus, zumal bei denen, die im Gedicht einen mechanistischen Fortschrittsglauben
ebenso wenig wiederfanden wie die Spur kommunistischer Geschichts- und Ge-
sellschaftsteleologie mit der Eibe als politischem Trennstrom zwischen Ost und
West, Reaktion und Realsozialismus.
Dass sich diese Lyrik ideologischen Vorgaben zu entziehen wusste, machte sie
für die DDR-Gesellschaft so bedeutend und prädestinierte sie zum öffentlichen
Diskussionsobjekt. Sie scheuchte zumindest zeitweise jenen »Sozialistischen Bie-
dermeier<< (Domin 1970, 18) auf, den Kurt Bausch so treffend beschrieben hat:
»Zwischen Wand- und Widersprüchen I Machen sie es sich bequem. I Links ein
Sofa, rechts ein Sofa I In der Mitte ein Emblem.<<
Erst vor diesem Horizont wird die auf Subjektivität setzende Haltung der Ly-
riker in ihrem zeitgenössischen Kontext als provozierende Geste überhaupt erst
verständlich. Ihnen ging es nicht um eine bloße Individualperspektive, die das
Recht auf subjektive Erfahrungen und Empfindungen einfordert, sondern um ei-
ne literarische Authentizität, bei der das lyrische Subjekt gerade als ein einzelnes,
individuelles die Wahrheit noch zu verbürgen wusste.
Neue Formationen in der DDR-lyrik. Die zweite Generation 141
Sarah Kirsch
In welchem Maße die zweite Lyrikergeneration an einer Erneuerung naturlyri-
scher Traditionen interessiert war, zeigt sich nicht zuletzt auch in den frühen Ge-
dichten von Sarah Kirsch(* 1935). Ihre Gedichte (1967), später unter dem Titel
Landaufenthalt herausgebracht, bezeugen das Recht eines lyrischen Subjekts auf
eine individuelle Erfahrung, in deren Wahrnehmungsmodi sich eine ästhetische
Sensibilisierung vorbereitet, eine von Schablonen befreite Naturanschauung. Im
Gegensatz zu Mickel und Braun ist das persönliche Element bei Kirsch von An-
fang an stärker ausgeprägt; es sucht nicht die sofortige Konfrontation mit einem
Kollektiv, sondern zunächst überhaupt die subjektive Dimension einer Erfahrung.
Das Gedicht »Schwarze Bohnen« (Kirsch 1967, 54) etwa, so sehr es einen Alltags-
moment zu fixieren scheint, deutet im unprätentiösen Gestus der Addition von
Tätigkeiten an, mit welcher Vehemenz der Anspruch auf die individuelle Seite von
Erfahrungen und Eindrücken eingefordert wurde - bis in die geheime Trivialität
des Privaten hinein:
I
Nachmittags nehme ich ein Buch in die Hand
nachmittags lege ich ein Buch aus der Hand
nachmittags fällt mir ein es gibt Krieg
nachmittags vergesse ich jedweden Krieg
nachmittags mahle ich Kaffee
nachmittags setze ich den zermahlenen Kaffee
rückwärts zusammen schöne
schwarze Bohnen
nachmittags zieh ich mich aus mich an
erst schminke dann wasche ich mich
singe bin stumm
L_
Dass ein solcher Text 1969 als dekadente Poesie gescholten und mit republikfeind-
lichen Tendenzen in Verbindung gebracht worden ist, zeigt einmal mehr, welche
Wirkung die zweite Generation von Lyrikerinnen und Lyrikern in der DDR hatte:
142 Diesechziger Jahre
beinahe bis an die Grenze unangemessener Aufmerksamkeit für eine Poesie, die
gar zuweilen, wie im Gedicht »Schwarze Bohnen«, mit ein paar harmlosen, in Verse
gebrachten Realien eine den Realismus im Namen rührende Literaturdoktrin aus
der Fassung bringen konnte.
In einem literarischen Klima des Umbruchs und Experimentierens, wie es für die
60er Jahre charakteristisch war, hat die Konkrete Poesie von Anfang an ihren Platz
gefunden: mit dem Anspruch, künstlerische Avantgarde zu sein, freilich auch, eher
defensiv, mit dem behaupteten Recht auf eine Freiheit des Spiels, das die Gefahr
des Misslingens nicht ausschließt. Waren die Produzenten Konkreter Poesie in den
50er Jahren, wie etwa die Wiener Gruppe, noch als unbürgerlich-subversive Au-
ßenseiter und Irrläufer verschrien, denen sich in Österreich kein Verlag öffnete, so
änderte sich im folgenden Jahrzehnt nicht zuletzt auch die Einstellung des Litera-
turmarktes und des Publikums, das allmählich das literarische und künstlerische
Experiment zu akzeptieren begann. In welchem Maße das Interesse gestiegen war,
lässt sich anband der steigenden Zahl an Publikationen Konkreter Poesie ablesen.
Dass zugleich das Selbstbewusstsein ihrer Protagonisten gewachsen war, zeigt sich
in einer Vielzahl von Manifesten und Deklarationen, in denen enthusiastisch eine
programmatische Neuorientierung der Kunst und Literatur entworfen wurde, zum
Teil weit über die Grenzen eigener Möglichkeiten hinaus.
ringers Reihe >konkrete Poesie - poesia concreta< seine tabeilen und variationen
und Heißenbüttel sein Textbuch 2 heraus. 1962 folgen weitere Konstellationen von
Gomringer und Heinz Gappmayrs Zeichen. Mit Ernst Jandls Langen Gedichten
stößt 1964 ein Autor zur Konkreten Poesie, der sie im weiteren Verlauf maßgeblich
zu prägen versteht. Gegen Ende der 60er Jahre dokumentieren einige Sammlun-
gen und Anthologien, dass die Konkrete Poesie nicht nur die Literatur des Jahr-
zehnts mitgestaltet, sondern ihren Höhepunkt allmählich überschritten hat. Die
Erfahrung moderner Avantgardebewegungen, dass Variationen begrenzt sind und
Wiederholungen stets Anzeichen von Stagnation enthalten, spiegelt sich bereits in
diesen zusammenfassenden Kompendien wider. 1967 gibt Rühm seine Sammlung
Die Wiener Gruppe heraus, 1969 legt Gomringer unter dem Titel warte sind schatten
seine bisherigen Konstellationen und seine theoretischen Schriften vor, Heißenbüt-
tel schließt im selben Jahr seine Textbücher ab, und H.C. Artmann veröffentlicht
seine gesammelten Gedichte unter dem Titel ein lilienweißer briefaus lincolnshire,
1970 folgen Rühms Gesammelte Gedichte und visuelle Texte.
Die Verleihung des Büchner-Preises an Heißenbüttel im Jahr 1969 ist ein In-
diz öffentlichen Ruhms zu einem Zeitpunkt, an dem die Konkrete Poesie an ihre
Grenze gekommen war. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Nummern 25 und
30 der Zeitschrift Text+ Kritik {1970/71) wie erste literarhistorische Würdigungen
einer Dichtung, die schließlich 1972 mit Gomringers Anthologie Konkrete Poesie
(vorgelegt in Reclams Universal-Bibliothek) für einen breiten Leserkreis zugäng-
lich geworden war.
Ernst Jandl
Im Kontext ihrer Protagonisten hat Ernst Jandl (* 1925) einen hohen Anteil an der
Popularisierung der Konkreten Poesie. Vor allem das spielerisch-ironische, heitere
Element seiner Texte macht ihn im Vergleich zu anderen, eher spröder und strenger
wirkenden Verfassern von Konstellationen und visuellen Texten zu einem Autor,
dessen Irritationen einen dialogischen Zug haben: sie versprechen Verständlichkeit
zumindest im kreativen Nachvollzug poetischer Konstruktionen, wie im berühmt
gewordenenGedicht »lichtung« (Jandl1985, 249), das einen linguistischen Grund-
satz über lautliche Distinktionen persifliert:
I
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
L_
Jandls Erfolg liegt nicht zuletzt auch darin, dass er auf Kalkül und Mathematik, auf
die reine serielle Permutation wenig Wert legt und eher mit unvorhergesehenen,
die Regelmäßigkeit störenden Variationen semantischer, phonologischer und visu-
144 Die sechziger Jahre
eller Art eine pointenhafte Zuspitzung seiner Texte erzielt und so den häufig in der
Konkreten Poesie vorherrschenden Zwang zu Logik und Rationalität konterkariert.
Jandls Spiel mit dem Unerwartbaren, mit Brüchen, Zufällen und dekonstruierten
Sprachstrukturen fand in den folgenden Jahrzehnten viele Nachahmer, so dass seine
Wirkung auf die deutschsprachige Lyrik weitaus intensiver war als beispielsweise
die Gomringers oder Rühms.
Hinzu kommt seine Ausweitung der Themen und Gegenstände, der Anlässe
und Spielmöglichkeiten Konkreter Poesie. Jandl verliert sich nicht, wie etwa Gom-
ringer im Verlauf der 60er Jahre, in einen Mechanismus von Konstellationen, der
im Kern auf wenige, immer wiederkehrende Grundtypen der Konkretion, auf ein
paar elementare Wörter und deren symmetrische Anordnungen auf einem spärlich
bedruckten Blatt Papier, zurückzuführen ist, sondern erweitert, bis hin zu Ironie
und Selbstironie, ihr kreativ unausschöpfbares Potenzial. Damit aber gehört er zu
den wenigen Protagonisten Konkreter Poesie, die über das Jahrzehnt hinaus noch
mit produktiven Neuversuchen aufwarten können.
I
jeglichen lichtes bin ich bar,
dunkelheit ist um meine augen
... der griff des Vogelfangers
... zwei eilein der seemöve ...
jeglichen lichtes ......... .
....... verwirrte wege ...... .
einsam, ohne stern, ohne mond,
in der dunklen schrecklichen
schlinge ......... regen .. .
einsam in dieser nacht ohne mond,
einsam in dieser nacht ohne stern,
einsam ............ mit dem öl
deiner Iampe deiner Wahrheit im ...
........... das gute licht deiner
Wahrheit, 0 JESU, auf allen wegen
des Ieibes, auf den wegen der seele,
tröstlich ......... stunde des sterbens.
Möglichkeiten und Grenzen Konkreter Poesie. Manifestation und Kalkül 145
Dass die Konkrete Poesie schließlich die Tradition nicht einfach negiert, sondern
stets auch zu ihrem Thema macht, zeigt beispielhaft eine Parodie Gerhard Rühms
mit dem Titel »sonett« (Rühm 1970, 174):
I
erste strophe erste zeile
erste strophe zweite zeile
erste strophe dritte zeile
erste strophevierte zeile
Das Gedicht folgt einem Verfahren, das die Gattung als puren Rahmen einer bedeu-
tungslosen Ordnung zitiert, damit aber zugleich den irreversiblen Moment eines
geschichtlich obsolet gewordenen Genres verdeutlicht. Experimente mit Gedicht-
formen, gerade auch mit dem Sonett, lassen sich nicht nur bei Rühm nachweisen,
wie sich am Beispiel des Gedichts »Sonett« (Jandl1985, 443) von Jandl zeigt, das
im sinnentleerten Schema von Wiederholungen, Normierungen und >Reimzwän-
gen< die strenge Kompositionsform der Gattung ironisiert:
I
das a das e das i das o das u
das u das a das e das i das o
das u das a das e das i das o
das a das e das i das o das u
Insgesamt lässt sich am Ende der 60er Jahre ein breites Spektrum der Möglich-
keiten Konkreter Poesie ausmachen: Artikulationen, Konstellationen, Variationen,
Zitatcollagen, Lautgedichte gehören zu ihrem festen Repertoire. Visuelle Texte und
Lautgedichte, Dialektdichtung und Piktogramme, serielle Manifestationen und
literarische minimalartsowie deren experimentelle Mischungen haben der kon-
kreten Dichtung für mehr als ein Jahrzehnt eine innovative Kraft zur ständigen
Metamorphose verliehen.
War noch die Wiener Gruppe um Rühm, Achleitner und Bayer in einer kabaret-
tistischen Subkultur verwurzelt, zeigt Eugen Gomringers Werk(* 1925), wie etwa
das Stundenbuch (1965), sogar eine auffallende Nähe zur spirituellen Meditation.
Mit Max: Bense (Kopfermann 1974, 2ff.), aber auch mit Heißenbüttel hatte die
Konkrete Poesie Programmatiker, die an ästhetischen und literaturtheoretischen
Diskursen zu partizipieren und in ihren Beiträgen oft weit über den Reflexions-
horizont von Lyrikern aller Sparten und Richtungen hinausgreifen. Ohnehin ist
das theoretische Fundament Konkreter Poesie zuweilen derart stabil, dass deren
literarische Praxis den eigenen Ansprüchen und Positionen kaum zu folgen wusste.
Einfall, Intuition und Experiment waren stets nur die eine Seite konkreter Dichtung,
die andere bestimmte ein Hang zur wissenschaftlich-kybernetischen, ja maschinell-
mathematischen Modeliierung des kreativen Moments. Rationalität, wie sie etwa
in Benses Theoremen ausdrücklich gefordert und als gegenideologisches, kultur-
kritisches Element begründet wird, bleibt noch an der Grenze zur asemantischen
Spielerei, zur Tautologie ein produktionsästhetisches Movens aller Konkreten Poesie.
Helmut Heißenbüttel
Kritische Rationalität jedenfalls charakterisiert Helmut Heißenbüttels ( 1921-2000)
sechs Textbücher, die zwischen 1960 und 1967 erschienen sind (1980). Ihre Zu-
ordnung zur Gattung der Lyrik normativ zu entscheiden hieße die Bedeutung der
Textbücher wie die Konkrete Poesie überhaupt misszuverstehen. Zur Basis seines
großangelegten Experiments wird Heißenbüttels >Antigrammatik< gerade deswe-
gen, weil sie sich rubrizierbaren Einordnungen entzieht und mit vorgegebenen
Systemen zu brechen versucht. In seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen erläutert
er sein Konzept näher (Heißenbüttel1970, 145f.):
Ich erkenne [... ] (oder glaube zu erkennen), daß das alte Grundmodell der Sprache von
Subjekt-Objekt-Prädikat nicht mehr standhält. Wir benutzen es noch. Aber es ist bereits
starr. Es erscheint abgenutzt, bröckelt ab, verwittert. Das System der Sprache selbst beginnt
im Sinne der Konservatoren >klassisch< zu werden. Wo Konservatoren am Werk sind, muß
eine Leiche zu erwarten sein.
I
ungerade
unberechenbar
ungelenk
nicht zu beurteilen
fraglich
authentisch
Tatsachen
Erfahrungen
Meinungen
Ansichten
Niedrigwasser
Geröll
148 Diesechziger Jahre
Eisenbahngeräusche
Doppelfenster
Entfernungen Richtungen
Richtungen Berichtigungen
L_
Hartung hat darauf hingewiesen, dass das »Gefühl von Verfremdung, das bei der
Reihung von Sprachmaterial und Sprachbedeutung entsteht, [... ] unbestimmt und
offen« (Hartung 1975, 62) sei. Die Richtung der >Antigrammatik< bleibt vage und
wirkt beliebig, wenn sie, wie im letzten, sechsten Textbuch, in der Makrofläche ei-
ner Zitat-Collage zu >Deutschland 1944< das Prinzip von Material-Destruktion und
-Neufügung auf ein Thema hin zentriert.
Als »Einübung auf die Vieldimensionalität der Sprache« (Vietta 1970, 178) hat
Vietta Heißenbüttels Konstruktionstechnik bezeichnet. Die Präsentation seiner
Montagen hat freilich keinen semantischen Ort, kein Subjekt, da sie selbst zufällig
ist, so dassamEnde die »Bedeutungsfluktuation« (179) die Sprache selbst ver-
flüchtigt und damit das Experiment unter einen permanenten Wiederholungs-
zwang stellt.
Zitierte Werkausgaben
Arendt, Erich: Aus fünf Jahrzehnten. Mit einem Nachwort von Heinz Czechowski. Rostock 1968.
Artmann, H.C.: The Best of H. C. Artmann. Hg. von K. Reichert. 2. Auf!. Frankfurt a.M. 1978.
Ausländer, Rose: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Hg. von H. Braun. Frankfurt a.M. 1984ff.
Bachmann, Ingeborg: Werke. Bd. 4. Hg. von Christine Kosehel u.a. München/Zürich 1978.
Biermann, Wolf: Nachlaß 1. Noten, Schriften, Beispiele. Köln 1977.
Bobrowski, Johannes: Die Gedichte. 2 Bände. Hg. von E. Haufe. Berlin/Stuttgart 1987.
Bobrowski, Johannes: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Hg. von Eberhard Haufe. Stuttgart 1998f.
Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. B. Allemann u. St. Reichert. Frankfurt a.M.
1983.
Eich, Günter: Gesammelte Werke. Bd. 1. Hg. von S. Müller-Hanpft u.a. Frankfurt a.M. 1973.
Enzensberger, Hans Magnus: Die Gedichte. Frankfurt a.M. 1983.
150 Die sechziger Jahre
Grass, Günter: Gesammelte Gedichte. Mit einem Vorwort von H. Vormweg. Darmstadt/Neuwied
1971.
Huchel, Peter: Gesammelte Werke in zwei Bänden. Hg. von Axel Vieregg, Bd. I. Die Gedichte. Frankfurt
a.M. 1984.
Jandl, Ernst: Gesammelte Werke. Bd. 1. Gedichte 1. Hg. von K. Siblewski. Neuwied 1985.
Kaschnitz, Marie Luise: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Bd. 5. Gedichte. Hg. von Christian Büttrich
u. Norbert Miller. Frankfurt a.M. 1985.
Langgässer, Elisabeth: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Gedichte. Harnburg 1959.
Marti, Kurt: Schon wieder heute. Ausgewählte Gedichte 1959-1980. Darmstadt/Neuwied 1982.
Meckel, Christoph: Ausgewählte Gedichte 1955-1978, Königstein, Ts. 1979.
Meister, Ernst: Ausgewählte Gedichte 1932-1979. Erw. Neuausgabe. Nachwort von Bela Allemann.
Darmstadt/Neuwied 1979.
Meister, Ernst: Gedichte 1932-1964. Neuwied/Berlin 1964.
Poethen, Johannes: Gesammelte Gedichte 1946-1971.
Reinig, Christa: Sämtliche Gedichte 1959-1976. Stierstadt 1981.
Rühm, Gerhard: Gesammelte Gedichte und visuelle Texte. Reinbek 1970.
Rühmkorf, Peter: Gesammelte Gedichte. Reinbek 1976.
Rühmkorf, Peter: Strömungslehre I. Poesie. Reinbek 1978
Zitierte Sekundärliteratur
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Bezzel, Chris: dichtungund revolution. In: Text+ Kritik 25 (1970), S. 35ff.
Dietschreit, Frank/Heinze-Dietschreit, Barbara: Hans Magnus Enzensberger. Stuttgart 1986.
Dischner, Gisela: Konkrete Kunst und Gesellschaft. In: Text+ Kritik 25 (1970), S. 37-41.
Domdey, Horst: Verlust des Geschichtsoptimismus. Bilder historischer und geologischer Zeit in Erich
Arendts Lyrik. In: Text+ Kritik 82/83 (1984), S. 71-89.
Domin, Hilde: Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945-1970. Neuwied/Berlin 1970.
Durzak, Manfred {Hg.): Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen. 3., erw. Aufl.
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152 Die sechziger Jahre
4.1 »AIItagslyrik«.
Anspruch und Wirklichkeit eines Genres
Wer das von Enzensberger herausgegebene Kursbuch als eine Art Positionsbestim-
mung liest, dessen Koordinaten zumindest in den 60er und frühen 70er Jahren
verlässlich den aktuellen Trend bundesrepublikanischer Kultur fixieren, der kann
im 1970 erschienenen Kursbuch 20 den Auftakt zu einer neuen literarischen De-
kade beobachten, die eine Phase selbstzerstörerischer Manifeste und Programme
endgültig hinter sich gelassen hat.
I
Sag:
Grasnarbe.
Sag es langsam.
Du sprichst
ein vollkommenes
Gedicht.
L_
Vor diesem Hintergrund bedarf die Rede von den Veränderungen in der Lyrik der
70er Jahre einer Erläuterung. Es gibt zwar Trends, Richtungen werkgeschichtliche
Zäsuren, aber es gibt keinen verallgemeinerbaren Konsens, sondern ein im Verlauf
der Dekade zunehmend disparates Nebeneinander, einen poetologischen und äs-
thetischen Pluralismus, der eine Vorstellung von Geschichte als kontinuierlichem
Wandel auflöst.
Kunst als Veränderndes ... ? überhaupt >Veränderung<, das ist die Frage, die zu den ersten,
zweifelvollen, furchtbaren Fragen gehört. Was meinen wir mit Veränderung und warum
wollen wir Veränderung durch die Kunst?! Denn etwas wollen wir doch damit! Die Kunst
ist schon so viele Male umgezogen, vom Gotteshaus in das Haus der Ideale, vom house
beautiful auf das bateau ivre, und dann in die Gossen, in die nackte Wirklichkeit, wie man
sagte, und dann wieder in das Haus Traum und in die Tempel mit hängenden Gärten,
und wieder fort in die pseudomystische Stickluft von Blut und Boden, und weiter in das
Haus der Humanität und in das Haus Politik. Als hätte sie nirgends Ruhe, als wäre kein
Obdach ihr für immer zugedacht. Sie empfangt und anerkennt eine Weile die Kommandos
und beginnt eines Tages, auf neue zu hören. Das ist ihr eigentümliches Fortschreiten, ihr
Weiterziehen.
wollen - draußen routieren Sie in einer funktionellen Nützlichkeitswelt, die ihre eigenen
Ideen über Ihre Existenz hat.
Vor diesem Horizont sind die im Folgenden skizzierten Veränderungen nur die eine
Seite eines stärker ausgeleuchteten Prozesses, dessen andere, nur im Hintergrund
aufscheinende Seite von Beharrung, Werkkonstanz und Kontinuität geprägt ist.
Eine auf- und abwertende Perspektive ist mit der Deskription von »Fortschreiten«
und »Weiterziehen« nicht verbunden.
Hinwendung auf Alltägliches bei jenen Lyrikern, deren Erfahrungen in der politischen Lyrik
nicht mehr oder nur bis zum Begriff abgemagert vorkamen. Wenn man sich nachmittags
zu einer Demonstration gegen die Ermordung von Black-Panther-Führern in den USA traf
und abends im Kino sich bei reaktionären Western amüsierte, wo der Held über Leichen
ging, so waren solche Erfahrungen mit den Mitteln des abstrakt aufklärerischen Gedichts
156 Die siebziger Jahre
nicht mehr darzustellen. Der persönliche Bezug zu alltäglichem Geschehen, das weder
mystifiziert noch ausgespart werden wollte, ist von jenen Schreibern hergestellt worden, die
auch das Politische nicht mehr nur den Politologen, Berufsrednern und Kommentatoren
überließen. Was sind gesellschaftliche Veränderungen wert, die den Alltag der Beteiligten,
der Verfechter und der Gegner nicht verändern?
Jugend-, Film- und Rock-Kultur verbunden ist und »ein neues Bedürfnis nach
Poesie« (150) dokumentiert, freilich eines, das im »Typus des langen, autobiogra-
phischen Gedichts« (155) das eigene Ich auszusprechen wünscht.
Noch ablehnender ist Otto Knörrichs Urteil zur »Alltagslyrik« der 70er Jahre.
Er hebt, von Brinkmann ausgehend, den »Protest gegen das Defizit an echter, nicht
scheinhafter, noch nicht kommerzialisierter Bedürfnisbefriedigung [... ] als eines
der zentralen Motive der meuen Lyrik«< hervor. Aber er verweist zugleich darauf,
dass »der neue lyrische Subjektivismus« sich »immer wieder den Vorwurf gefallen
lassen« müsse, »er propagiere nur den Rückzug aus der Politik und Gesellschaft in
eine private Innerlichkeit, in der Ich-Erfahrung allzuleicht zum bloßen Selbstge-
nuß« (Knörrich 1978, 81) degeneriere.
Dietschreit dagegen wertet den »Rückzug ins Private als Ausdruck eines neuen
Verständnisses von Literatur und Individuum im politischen Prozeß« (Dietschreit
1983, 285). Ein solcher »Rückzug« sei »nicht frei von regressiven Zügen«, aber er
entfalte gerade in seiner »Konzentration auf Alltagsprobleme« eine» identitätsstif-
tend und ich-stabilisierend« (291) wirkende Dimension.
Auch Hinderer relativiert den häufig gegenüber der »Alltagslyrik« erhobenen
Vorwurf eines »neuen Rückzugs aus dem Engagement fürs öffentliche« und be-
hauptet: »Die Versessenheit aufs kleine und nahe Detail und die bekannte Umwelt
zeigt nach wie vor ein Interesse für die Vermittlung gesellschaftlicher Realität samt
ihrer Widersprüche.« Schließlich stelle- »trotz aller Einschränkungen«- »die neue
Schreibweise eine Befreiung« dar, »die nicht zuletzt dem Gedicht wieder Leser zu-
geführt« habe (Hinderer 1994, 111).
Dagegen fällt Hartungs Kritik schärfer aus, wenn er jene »Lyrik der neuen Sub-
jektivität« eine »eindimensionale Poesie« (Hartung 1985, 48) nennt, ihre »lässige
Attitüde« als »Mischung aus Schlamperei und Prätention« geißelt, »die durch Chuz-
pe einschüchtern möchte« (SO) und eine »neue Formlosigkeit« (62) beklagt, in der
»eine kunstlose, aufVerbrauch gerichtete Lyrik in unserer Wohlstands- und Weg-
werfgesellschaft aufs trostloseste ihrer gegenwärtigen Ideologie« (65) entspreche.
gekehrt mit der sinnlichsten, für manche obszön klingenden Stimme verbunden
-als Sprechgestus in einem durchkomponierten Text:>> [... )laß dich I ficken, von
vorne oder von hinten I das ist mir völlig gleich I der Tag I ist I schon I ein I Fick- I
tag!« (169)
Gedichte wie »Meditation über Pornos« (162) lösen die Konventionalität lie-
beslyrischer Muster ebenso mühelos wie wortstark auf. Die Bedeutung solcher
Gedichte, die wegen ihrer Tabubruch-Impulse keineswegs »Anti-Kunst« (Dencker
1971, 92) sind, liegt weniger darin, dass in ihnen ein Autor mit gesellschaftlichen
Tabus spielt, sondern in der markanten Rolle des Medialen, die alle Intimität zu-
rückgedrängt hat. So ist am Ende Brinkmanns »Meditation« eine Recherche über
die Medialität und Textualität des Sexuellen, eine Beobachtung über die sinnlich-
konkrete Prozedur stimulierender, imaginativer Bilder, deren Perspektiven und
Schnitte eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die dem Gedicht unterlegte Stimme
der Erregung und des Begehrens.
Noch in den 70er Jahren erschien der selbstverständliche Umgang mit popu-
lärer Alltagskultur aus dem Jugend-Milieu wie eine Provokation eben derjenigen
Gattung, die mit dem literarischen Gegendiskurs zur oberflächlich-banalen Gegen-
wart identifiziert wurde. Im Titelgedicht »Westwärts« (Brinkmann 1975, 44) finden
sich Verse wie »Kleenex aus dem Schlitz I I in der Wand, zum Abwischen der Liebe,
wessen?« direkt neben der im Text zitierten, für Momente zur Lyrik gewordenen
Motel-Adresse am »Highway Austin I Texas 78705«. Die Verse allerdings zielen nicht
auf eine bloße Irritation der Gedichtleser, sondern verdanken sich einer bei kaum
einem anderen Autor derart konsequent zu beobachtenden Technik der Archivie-
rung des Alltags. Brinkmanns wacher Blick entfaltet sich aus der Wahrnehmung
von Details; Einzelheiten dominieren, keine Theorien und Weltbilder.
Die Lust des Archivierens treibt Brinkmanns Gedichte an, und zwar nicht im
Sinne einer musealen Aneignung, sondern als ein direkt nutzbares, nützliches Ar-
chiv, das Erinnerungen aufruft und überhaupt ein sinnliches Potenzial bereit stellt.
So ist Schäfer zuzustimmen: »Solche populärkulturellen Effekte werden von Brink-
mann nicht etwa[ ... ) als Auswirkungen einer bewußtseinszerstörenden Manipu-
lation stigmatisiert, sondern als Stimulans der subjektiven Imagination geradezu
euphorisch begrüßt« (Schäfer 1998, 173).
Recht »kaum vorstellen« (ebd., 181) kann, war Brinkmann einer der entschiedensten
Lyriker der jüngeren Generation, der sich vom theorielastigen intellektuellen Milieu
der 68er Bewegung konsequent entfernte - und dort zugleich hochpopulär war.
Brinkmanns Momentaufnahmen sind keine simplen Abbildungen im Sinne ei-
ner lyrischen Fotokunst, sondern Gedichte, in denen quasi das Subjekt der Kamera-
führung stets mit präsent ist: als Demonteur glatter, oberflächlicher Alltagswieder-
gabe. Im Gedichtband Gras, der 1970 erschienen ist, wird diese Rolle des lyrischen
Ichs zuweilen besonders evident, wenn der Autor, wie in >»Optik<«, ein Foto selbst
zum Thema macht. Dabei wird die Demontage eines zunächst erregenden, aufrei-
zenden Bildes zum Protokoll einer Frustration, wenn der Betrachter am Ende »die
Geschichte einer Leidenschaft, I die nicht die unsere ist« (Brinkmann 1970, 27),
andeutet und den Text entsprechend drastisch abschließt: »es ist die >Scheiße<, I die
nachher erzählt werden I kann I I mit dem einen I Wort I I Scheiße«.
Urbes These, Brinkmann unternehme den »Versuch, in Lyrik an die photo-
graphischen Medien anzuknüpfen« (Urbe 1985, 51), darf nicht über Brinkmanns
zunehmend kritische Resistenz gegen Mythen und Trivialitäten einer Medienkul-
tur hinwegtäuschen. So findet sich im »Gedicht >Für Frank O'Hara«< (Brinkmann
1970, 16)- einer Hommage an den amerikanischen Lyriker, den Brinkmann Ende
der 60er Jahre übersetzt hatte - nichts mehr vom früheren Glanz optimistischen
Oberflächenkults, sondern Anzeichen mühevoller Selbstreflexion, die im Arran-
gement fragmentarischer Verse, Prosanotizen und collagierten Erzählsequenzen
aufscheint.
Brinkmann experimentiert vielfach in seinen Texten mit irritierenden Kompo-
sitionsformen und gibt sich keineswegs damit zufrieden, in so genannten >langen<
Gedichten Alltagseindrücke in epischer Breite zu schildern. Das Experiment wird
zum Kennzeichen einer Lyrik, die sich einer hermetischen Tradition strikt entzo-
gen hat, ohne indes einer Trivialpoetik authentischen, >kunstlosen< Schreibens und
schlichter, einfacher Formen zu folgen. Brinkmann löst feste Strophen- und Zeilen-
fügungen auf und tendiert zu einer Technik permanenter Unterbrechungen und
Störungen. Auch in dieser Hinsicht negiert er ein Kohärenzprinzip fotografischer
Momentaufnahmen und experimentiert mit Montage- und Collage-Elementen,
mit Fragmentformen, Überblendungen und Abbrüchen. Die offene Struktur sei-
ner Texte verstärkt so den Versuchscharakter der Gedichte, ihre Vorläufigkeit, die
zugleich ein Zeichen prozessualer Beweglichkeit und Agilität ist.
be für Zeilen- und Strophensprünge bleibt und wird als Verfahren noch stärker
vervollkommnet.
Dass Brinkmann seine Lyrik zunehmend auf ihre poetologischen Prämissen hin
reflektiert, daranlässt »Ein Gedicht« (15) keinen Zweifel. Der Autor fügt eine Liste
von Negationen zusammen, in welcher der eigene Anspruch auf kontrafaktorische
Opposition programmatisch formuliert wird:
I
Hier steht ein Gedicht ohne einen Helden.
In diesem Gedicht gibts keine Bäume. Kein Zimmer
zum Hineingehen und Schlafen ist hier in dem
Gedicht. Keine Farbe kannst du in diesem
Zerfalls«, als ein Bild, das immer wieder »Bruchstücke einer unheilvollen Schre-
ckenslandschaft« präsentiert (Breuer 1988, 166). Brinkmanns früherer Optimismus,
seine verhaltene Zuversicht auf eine spezifische Vitalität großstädtisch-moderner
Subkulturen sind bis zu dem Punkt zurückgenommen, wo alle Provokation nur
noch stärker eine Angstatmosphäre und ein Untergangsbewusstsein beschwört.
Das lyrische Ich selbst kann seinen Blickpunkt der Negation, ja des Hasses
nur um den Preis eigener Beschädigungen und Neurosen behaupten und wird so
mehr zum Opfer als zum reflektierenden Zeugen tiefer Orientierungskrisen. In
einer solchen Phase verdüsterter Perspektiven ist es folgerichtig, dass Brinkmann
nach historischen Voraussetzungen seiner Gegenwart fragt und dabei, wie in den
Gedichten »Notizen zu einer Landschaft bei Vechta [... ]« (109) und »Lied von
den kalten Bauern auf dem kalten Land[ ... ]« (112) bis in die Kriegs- und frühe
Nachkriegszeit zurückblickt in eine Welt voller kleinbürgerlicher Verklemmungen,
Schuldkomplexe und Versagungen: »Allein mit der Angst I I meiner fremden Mutter,
allein mit der Abwesenheit meines I fremden Vaters, allein mit dem Bahndamm
in der Nähe, allein mit den I Zäunen, naß und feucht beschlagen, allein Luft um
mich herum[ ... ]«.
Westwärts 1&2 ist ein unsentimentales Gedichtbuch, freilich eines, das nun nicht
mehr eine farbenfrohe Pop-Fassade oder die »sichtbare und erfahrbare Oberfläche
der Warenwelt« als »natürliche Umwelt des Menschen« (Späth 1981, 47) zu begrei-
fen sucht. Den Abschied von solchen Illusionen hat der Autor in Gedichten wie »Im
Voyageurs Apt. 311 East 31st Street, Austin« (Brinkmann 1975, 76) ausgedrückt,
in denen früheren Träumen vitaler, jugendlicher Lebenserfüllung die Erfahrung
frustrierter, resignierter Verkümmerung entgegengehalten wird:
I
Roll rüber, Beethoven! Die Jungen
sind richtig gewesen. Sie haben Kilo
Meterweit gesehen, so lange die Batterien
Nur noch in wenigen Gedichten stellt Brinkmann einer solchen Einsicht in ein
mediokres Schicksal, das für ihn zugleich auch das der 68er Generation bedeutete
(gegen deren Utopismen er resistent war und deren nachträgliche Mythisierung
er karikiert hat), eine schwache Hoffnung auf ein erfüllteresLeben entgegen. Ein
Beispiel dafür ist sein Gedicht »Einen jener klassischen« (25):
Brinkmanns Text- Urbe zählt ihn zu den »berühmtesten Gedichten« (Urbe 1985,
133) des Autors- hält einen »Moment« fest, der zwar, vom Arrangement des lyri-
schen Subjekts her, ein alltäglicher ist, aber zugleich darüber hinausweist: als eine
plötzliche, augenblickshafte »Überraschung«, eine »Pause«, als ein die »dunstige
Abgestorbenheit« übersteigernder, enervierender Reiz. Der Schreibprozess, sonst an
Frustration und Aggression geknüpft, nimmt einen »Moment« lang ein utopisches
Signal auf, ohne es freilich zu interpretieren oder es gar mit Inhalten zu verbinden.
Die Vieldeutigkeit des sinnlichen »Moments« ist ein »Aufatmen«, dessen Positivität
im Augenblick des Aufschreibens noch nachwirkt. Brinkmann fixiert den Augen-
blick, den flüchtigen »Moment« einer Erfahrung, aber er enthält sich aller weiteren
Auslegung, wie es seinem poetischen Reproduktionsmodell entspricht.
In keinem anderen Gedicht von Westwärts 1&2 ist der Schreibprozess derart
ungebrochen emphatisch reflektiert worden; und es bleibt letztlich eine Paradoxie
der Wirkungsgeschichte, dass gerade dieser Text- aus seinem eigentlichen Zusam-
menhang, dem Panorama von Tod und Erstarrung, herausgelöst - zum poetolo-
gischen Ideal einer mühelos verständlichen, den Alltag anscheinend so trefflich
umfassenden Lyrik werden konnte.
Die komplizierte, über einen Abbildrealismus hinausführende Kompositions-
struktur von Westwärts 1&2, Brinkmanns Experiment mit dem »Typus der Flächen-
164 Die Siebziger Jahre
I
Nach einem Sommerregen
dampft der Asphalt
es riecht süßlich nach Topfblumen
Dreckmuster
auf den nackten Beinen der Kinder
Karin im Bett
unzufrieden mit sich, ihrer Arbeit, mir
Ich soll mich bei Erich Fromm
über meine psychische Homosexualität informieren
Wir schreien uns jetzt öfter an
Line kreischt und hält sich die Ohren zu
Ich habe mir heute blaue Sportschuhe gekauft
die vorzüglich sitzen
Die Regierung verkündet Steuererhöhungen
[ ... ]
»AIItagslyrik«. Anspruch und Wirklichkeit eines Genres 165
Das lyrische Ich, mit dem Addieren von Gedankenfetzen und Assoziationen be-
schäftigt, erschöpft sich im Räsonnement unbegriffenen Alltags, das ein gleichför-
miges Monologisieren darstellt und willkürlich beendet wird.
Analoge Beispiele ließen sich in Mengen finden, die ohne Schwierigkeiten nach
Wochentagen, Daten, Berufsfeldern, sozialen Rollen oder wie in Christa Reinigs
Diarium Müßiggang ist aller Liebe Anfang (1979)- schlicht nach den 365 Tagen
im Jahr zu ordnen wären. »Mittags aßen wir weißes Fleisch I von dem mir nur
die Gewürze schmeckten« (Hage 1980, 131), beginnt eine Bestandsaufnahme von
Ludwig Fels mit dem Titel »Heute«. »Ich stand an der Bushaltestelle I und warte-
te«, so hebt WolfWondratscheks Gedicht »Endstation« (113) an.
Auch F.C. Delius beginnt sein Gedicht »Einsamkeit eines alternden Stones-Fans«
(Delius 1975, 14) mit obligater Situationsangabe: »Er latscht in den Diskshop und
gleich I auf die Platte los, die er will, die neuen Stones. I Um ihn rum, Kopfhörer um
die Ohren, I die 10 oder 15 Jahre jüngeren Typen, I die längst was andres hören.«
Plattenläden, Haltestellen, Büros, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer, Urlaubs-
strände, Hörsäle, Landstraßen : Im »Alltagsgedicht« der 70er Jahre bilden sie das
Ambiente für schlaglichtartige Momentaufnahmen, die Alltäglichkeit suggerieren
sollen, wie sie jeder kennt. Der Identifikationsspielraum für die Leserschaft ist
Teil einer poetologischen Strategie, nach der dasjenige Gedicht am gelungensten
ist, das in seiner Normalität bekannte Wirklichkeitsmuster am adäquatesten um-
zusetzen versteht.
Ein latenter Hang zum Klischee und zum Stereotyp ist solchen Gedichten von
Anfang an eigen. Willkürlich gebrochene Zeilenfügungen, in denen der Vers seine
semantische Einheit - elementare Basis der Gattung Lyrik - verliert, machen aus
dem »Alltagsgedicht« ein Protokoll ausgedachter, eingebildeter Erfahrungen, eine
triviale Fiktion scheinhafter Lebenswirklichkeit. Gabriele Wobmanns Gedichtband
Grund zur Aufregung(l978) ist ein Beispiel dafür, wie am Ende des Jahrzehnts ein
noch bei Brinkmann sprachkritisch inspirierter Aufschreibprozess zu einem mo-
dischen Verfahren wird, das längst Vorfabriziertes noch einmal umwälzt.
Schon die Titel zeigen imitierte Sujets an: »Schöner Augenblick« (11), »Später
Nachmittag« (25), »Flug 690 PAA« (39), »Der kleine wahre Moment« (50). Gleich-
sam bei »Kaffee und Kuchen« (77) entwirft das lyrische Subjekt, in alle Nebensäch-
lichkeiten und Tücken seines Alltags verstrickt, lang aufgeschichtete Mitteilungen
in Form von Schablonen und kalkulierten Leerstellen. Das, was neue Subjektivität
zu sein beansprucht, wird zur bloßen Hohlform klischierter Wahrnehmungs- und
Erfahrungsmuster:
I
Ich breche auf, das dauert schon zu lang
Nur weiter und nur weg mit mir
Das schnelle Fahrzeug paßt mir sehr
Die Gegend sieht vertont genug aus
Was ich jetzt fühle hab ich schon beschrieben.
So unfreundlich so aufgeregt
So höflich war ich allzu oft
166 Die siebziger Jahre
Alltagssprache im Gedicht
Theobaldys Sammlungen Blaue Flecken (1974) und Zweiter Klasse (Theobaldy 1976)
etwa variieren eine ganze Palette von Möglichkeiten, vorherrschende Bewusstlosig-
keit in die Hohlform einzelner sozialer Rollenklischees zu setzen. Der Autor trifft
den Duktus eines sensiblen, inzwischen privatisierenden Alt-68ers, wie im Gedicht
»Irgend etwas« (Hans u.a. 1979, 323): »Und gern bin ich mit dir am Tisch I schaue
dich an und lausche auf I den Wein, wie er langsam in den Abgrund I hinter uns-
ren Augen rieselt[ ... ]«. Er beherrscht aber auch Slapstick-Imitationen, halbstarkes
Cliquen-Gerede, nüchternen Angestellten-Jargon und, wie im Gedicht »Was hier
los ist« (324), einen schnoddrigen Umgangston:
I
Die hier bedient, nennen sie Friede!.
Wenn du öfter herkommst, wirst du
von ihnen hören, daß sie immer lacht.
Zuhause ihr Mann sitzt im Rollstuhl.
I
Ein Zug ist eingefahren; wenn er steht, hört man ihn
knistern und stöhnen. Das Material erschöpft
und müde.
Vor nicht langer Zeit lag hier Schnee.
Schlafende Parkuhren.
Schlafende Oberleitung.
Diesige Helligkeit schwebt ein, ohne jede Härte wie
- ich muß mich zusammennehmen - die weiche Hand mit der
Äthermaske.
Welch ein Morgen und welch ein Auge darin.
Wie verlassen und müde ich bin.
Wie krank und verwohnt ein Schnellzug vorbeiweht.
I
Hier entstehen Folgen starker Wörter
die leblos sind, das verruchte Gesindel
spürt nichts, sie schließen die Kartelle
keine Ahnung was sie in die Erde setzen
Ahnung nicht, nur Wissen
Was sie in die Erde setzen in Luft und Wasser
für immer
kein Gefühl für »immer«. Den Tod
sonderbehandeln sie wie einen Schädling
der gute Tod vergiftet wie die liebe Not.
L_
Bei Born werden die Details, die Dinge für einen Moment wieder zu Stimmungs-
trägern von Melancholie und Einsamkeit. Die Ikonographie des Alltags holt die
Lyrik ein, die zunächst, wie Brinkmanns Beispiel zeigte, gerade einer traditionellen
Poetisierung der gewöhnlichen, alltäglichen Realien sich verweigerte.
Die Geschichte der Lyrik seit 1945 schließt die Historie der Kontroversen ein, die
von Anfang an um das Nachkriegsgedicht, seine Modernität, sein Wirklichkeits-
verständnis, seine Legitimation geführt worden sind. Dabei war der poetologische
Ertrag solcher oft mit Leidenschaft und Verbissenheit ausgetragenen Debatten eher
kümmerlich. Schon der Streit um das lange und kurze Gedicht etwa hat ebenso-
wenig zu neuen poetologischen Prämissen geführt wie die noch heftigere Lyrik-
Diskussion in der DDR der 60er Jahre.
und literarische Plausibilität wurden historisch wirksam. So hat sich in der DDR
eine Lyrikergeneration durchsetzen können, die ihren Anspruch auf Autonomie
und Individualität in der Öffentlichkeit zu behaupten verstand, und zwar bis in die
80er Jahre hinein. Analog hat der Streit um die Kürze und Länge von Gedichten ein
Bewusstsein für den Traditionsbruch verstärkt, der sich seit Mitte der 60er Jahre
immer mehr zeigte und gerade im Gedicht einen Paradigmenwechsel provozierte.
Die Kontroversen sind, zusammengefasst, Indikatoren literarischer Diskontinuität
und epochaler Positionsbestimmungen.
In den 70er Jahren kommt dem Streit um eine vermeintlich >neue Subjektivität<
im zeitgenössischen Gedicht eine solche Seismographische Funktion zu. Es wird Au-
toren und Kritikern klar, wie sich im Lauf weniger Jahre der mit dem Mythos von
1968 verbundene politisch-programmatische Optimismus bereits überlebt und die
einstigen Protagonisten der Revolte vor die Notwendigkeit gestellt hat, ohne Flucht
in trügerische Kollektive einen eigenen, individuellen Standort in einer keineswegs
revolutionär, sondern technokratisch sich verändernden Gesellschaft zu finden.
Den Abstand von 1968 auszuloten und zu beurteilen, ist ein wesentliches Mo-
ment der Debatten um eine >neue Subjektivität<. Hinzu kommt die Reflexion auf
einen literarischen Anspruch, auf die Frage, was eine Konzeption zum Scheitern
brachte, die Literatur als politische Manifestation verstanden wissen wollte. Damit
aber war zugleich die Frage nach einem veränderten Selbstverständnis vor allem
der Lyriker aufgeworfen, die erst am Ende der 60er Jahre zu schreiben anfingen
und nun- unter dem seit 1975 rasch grassierenden Etikett >neue Subjektivität<
zusammengefasst - Kassensturz machten.
Rührnkorf hat 1975 als einer der ersten und aufmerksamsten Beobachter ly-
rischer Trends in seinem Essay Kein Apolloprogramm für Lyrik (1978) von einer
»Gegengattung« gesprochen, »die man >neue Subjektivität«< nenne, »egal, wieviel
betroffenen Subjekten sich dabei die sensiblen Haarspitzen sträuben mögen.« (88)
Er versucht eine vorläufige Definition dieser »Gegengattung« zum epigrammati-
schen Lehrgedicht der 60er Jahre, die er durch Autoren wie Born, Theobaldy, Krü-
ger und Delius repräsentiert sieht (89):
Was diese Poeten, ungeachtet ihrer individuellen Spielfarben, verwandt erscheinen läßt,
ist meist recht unzimperlich selbstbewußte Herauskehrung eines Ich von ziemlich glei-
cher Herkunft (klein- bis mittelbürgerlicher), ähnlichem sozialen Status (literarisches
Wanderarbeitertum) und vergleichbarem politischen Werdegang (ApO und die Folgen bis
zur statistisch signifikanten Italien-Euphorie). Die Charakteristik ergibt sich zwanglos aus
den Gedichten selbst. Fast bei allen in Frage stehenden Autoren datiert die Geburtsstunde
des neuen Ich-Gefühls mit Zerfall der Studentenbewegung. [... ] Im krassen Gegensatz zu
Agitprop und Agitplatt wird über die Verfassung eines Wesens Auskunft gegeben, das man
beim großen Solidaritätswirbel schon fast aus den Augen verloren hatte und das sich nun
aus dem Schutt seiner zerschmetterten Hoffnungen ganz neu berappein muß.
ein. Weiteren Stoff erhält die Kontroverse um >neue Subjektivität< mit Theobaldys
Anthologie, dessen Titel »Und ich bewege mich doch ... « (1968) mit Galileischer
Unbeugsamkeit eine epochale Wende zu indizieren versucht.
In den Akzenten des Jahrgangs 1977 eröffnet Jörg Drews mit seinem Essay
Selbsterfahrung und Neue Subjektivität in der Lyrik ( 1977) die Diskussion über sol-
che Trendänderungen. Drews konstatiert gescheiterte Hoffnungen nach 1968, vor
allem ein Ende politischer Aufbruchsstimmung und eine zunehmende Resistenz
gegen einen verbreiteten politischen Jargon. »Die Wendung zum eigenen Subjekt«,
so Drews, erfolge aber »nicht aus freien Stücken, sondern mangels eines Besseren,
und diese unfreiwillige Rückkehr in die Vereinzelung« erkläre »auch einen Großteil
der Melancholie, die aus der Lyrik der >Neuen Innerlichkeit< oder >Neuen Subjek-
tivität< abzulesen« (90) sei.
Diese Kritik will Drews um eine literarische ergänzt wissen. Die Lyrik der >Neu-
en Subjektivität< arbeite »schon wieder mit poetischen Standard-Posen«, garten-
denziell mit einer »neuen zarten Ding-Mystik« und befördere »einen sanften Nar-
zißmus, ein sanftes Selbstmitleid« (92). Den Anspruch auf »neue Einfachheit«
konterkariert Drews als Trend zu einer »neuen Naivität«, zum »Parlando-Ton«
(94), ja zur »Beliebigkeit, Schlampigkeit«, zu einem »geringen Grad sprachlicher
Verdichtung« (94).
Theobaldys (1977) Antwort richtet sich gegen Drews' Pauschalisierungen und
rechtfertigt die subjektive Dimension neuer Gedichte als Versuch, die Spannung
zwischen Ich und Gesellschaft erfahrbar zu machen. Drews kann in seiner Replik
einer solchen Legitimation von Subjektivität mit dem Hinweis darauf begegnen,
dass der gesellschaftliche Horizont etwa im Alltagsgedicht »nicht scharf, nicht di-
alektisch genug realisiert« sei und »daß diese sozial vermittelten Subjekte einander
zum Teil so verflixt ähnlich« seien, »daß ihre Gedichte untereinander schon fast
austauschbar« (Drews 1977, 379) würden.
Darin stimmt Drews mit Ludwig Fischer überein, der gerade die literarische
Schwäche jener zur meuen Subjektivität< hochgelebten Lyriker herausstellt, also
den Gegensatz zwischen ambitioniertem Anspruch und zum Teil kümmerlicher
Realisierung. Der Alltag werde in einer oberflächlichen, additiven Ablichtung nicht
durchdrungen, sondern schlicht als »Unmittelbarkeit« (Fischer 1977, 375) voraus-
gesetzt: Ohne erkennbare Anstrengung, die Realität zu erfassen, reproduziere die
Alltagslyrik vielfach nur »den Schein der Realität« (376).
Der Begriff der Subjektivität- Zimmermann macht bereits in der Akzente-De-
batte von 1977 darauf aufmerksam (Zimmermann 1977)- bleibt in der Kontroverse
um >neue Subjektivität< zunächst sehr vage. Nicht bedacht etwa wird die Dimension
des Subjektiven als eines konstituierenden Elements aller Lyrik, in der das lyrische
Ich stets Reflexionsraum von Erfahrungen, Erkenntnissen und Empfindungen ist.
Kaum in den Blick gerät ferner die vorschnelle Identifikation subjektiver Perspek-
tiven mit Privatheit und sentimentalem Regress, also die Denunziation des Subjek-
tiven als bloß resignativer, nach innen gerichteter Selbstthematisierung.
Die Beliebigkeit schlagwortartiger Synonyme wird zum Indiz einer semanti-
schen Unschärfe, die bald alle produktiven Ansätze der Kontroverse zunichte macht:
Erfahrungen nach 1968. Kontroversen um >neue Subjektivität< 171
I
Wolkenwetter abends: Wie das langsam dunkel
wird. In dem Fluß der letzten Sonne fliegt
ein Flugzeug heim. Auf den Wegen gehen Müde
in Gedanken. Drüben fährt ein Traktor laut
durchs Feld. Vögel fliegen um die Brücken. {19)
L_
In Gedichten von Alfred Kolleritsch wird sentimentaler Schmelz mit einer simplen
Poetik des Schreibens begründet: »Wenn man schreibt, I gehen die Türen nicht
zu« (Kolleritsch 1978, 39). Der Anspruch, »alles anders zu sehen«, wird zur pathe-
tischen Überschätzung eigener Möglichkeiten: »es ist die Hoffnung, I alles anders
zu sehen: I die Welt wie eine gemeinsame Arbeit, I in der die Gefühle verteilt sind,
I auch die Beobachtung, I daß es weitergeht.« (99)
Noch naiver hat Rainer Malkowski in seinem Gedichtband »Was für ein Mor-
gen« (Malkowski 1975) das Ideal poetischer Unmittelbarkeit und Sensibilität for-
muliert, wenn er in seinem Gedicht »Mitten in einen Vers« (35) schon den Ansatz
einer Reflexion mit einer anrührenden, trivialen Pointe durchkreuzt:
172 Die Siebziger Jahre
I
Mitten in einen Vers
über die Vergeblichkeit menschlicher Beziehungen
klingelt das Telefon.
Sollen wir kommen? fragen die Freunde.
Ja, rufe ich erleichtert, ja!
Und der Vers bleibt auf dem Schreibtisch liegen,
wo er eine Weile verstaubt.
L_
In anderen Gedichten wird gerade jenen schon angestaubten Versen eine exzepti-
onelle Bedeutung zuerkannt, so etwa im Gedicht »An die Dichter« (Hinck 1982,
67) von Karin Kiwus, einem epigonalen Aufguss von Romantizismen:
I
Die Welt ist eingeschlafen
in der Stunde eurer Geburt
allein mit den Tagträumen
erweckt ihr sie wieder
roh und süß und wild
auf ein Abenteuer
eine Partie Wirklichkeit lang
unbesiegbar im Spiel
L_
Die Figur des die Welt wieder erweckenden Dichters gerät zur Bildungsreminis-
zenz ohnegleichen. Der Versuch von Walter Hinck, dieses Gedicht gar in den »Bann
einer Ästhetik des Vor-Scheins und der Hoffnung« (Hinck 1982, 416) zu stellen,
missversteht den geborgten Exotismus einer Weltfreudigkeit (»roh und süß wild I
auf ein Abenteuer«) als »Akt der Welteroberung« (415), der doch zunächst nichts
weiter als Angelesenes aus zweiter Hand präsentiert.
Der Text, ein paar Jahre nach Celans Tod geschrieben, zeigt die ganze Misere
eines bodenlosgewordenen Geredes vom >neuen< Gedicht, das mit naiven Unmit-
telbarkeitsidealen und abgestandenen Traditionalismen nicht einmal im Ansatz das
Reflexionsniveau hermetischer Poesie und deren Bewusstsein von der Geschieht-
lichkeit und Sprachlichkeit moderner Lyrik tangiert.
kann: perspektiviert durch ein lyrisches Ich, das geradezu paradigmatisch Höllerers
Forderung nach einem >Langgedicht< einlöst.
Beckers Gedichte sind keine Statements oder Zeitkommentare, sondern sie ent-
werfen ihren Gegenstand jeweils aus einem konkreten Realitätsbezug. Das kann die
Assoziation eines Musikstücks sein, ein Erlebnis auf der Straße, ein Blick aus dem
Fenster. Das lyrische Subjekt verknüpft Beobachtung, Gedanken und Reflexion zu
einer Einheit, und zwar so, dass deren komplexes Bild in der Struktur des Verses,
in den vielen zerrissen wirkenden, abgehackten, unruhigen Zeilen präsent bleibt.
Nichts deutet auf eine Divergenz des Privaten zum Offentliehen hin. Die Einheit
der Erfahrungen strukturiert die ersten Texte Beckers.
Im Gedichtband Das Ende der Landschaftsmalerei ( 1974) setzt Becker diese Ten-
denz fort, öfter mit einer geradezu unbegrenzten Collage verschiedenster Details,
welche die Wirklichkeit in ihren Facettierungen festhalten will. Das lyrische Subjekt
konstituiert einen Reflexionsraum aus unterschiedlichsten Schichten der Realität.
Und doch haben die Gedichte zuweilen etwas Zurückgenommenes: Sie beginnen in
Einzelbeobachtungen zu zerfallen; die organisierende Ganzheit ist dann nur noch
vorgetäuscht, erzwungen. Eine Konzentration auf das Ich und dessen begrenzte
Perspektive deutet sich an, die mit einer Vorliebe für epigrammatische Formen
einhergeht, wie im Gedicht »Gegend mit Stadtautobahn<< (Becker 1981, 107):
I
damals, die Amsel in der Machabäerstraße
morgens um fünf, und die lebendigen Ruinen der Altstadt,
ein Regen, grau wie der Mai jetzt
L_
In Beckers Gedichtband Erzähl mir nichts vom Krieg (1977) werden Sprachexpe-
rimente seltener, die Texte im Ton vorübergehend etwas konventioneller. Mit der
verstärkten Innenperspektive des Ichs verbreitet sich eine Atmosphäre der Trau-
er, des Melancholischen, die zuweilen gar in sentimentale Wehleidigkeit übergeht.
Beckers Gedichte, die vorher eher ein Reflexionspotenzial aktivierten, setzen nun
mehr auf Alltäglichkeit und ihre Phänomenologie der Oberflächenwahrnehmung,
des Rundblicks auf Hochhäuser, gereizte Großstadtmenschen, Autofahrer, Spazier-
gänger, Reisende und ein wenig Stimmungslandschaft.
Auch sein Gedichtband In der verbleibenden Zeit (1979) setzt diese Tendenz
fort, aber sie wird nun stärker poetisiert, metaphorisiert, bis hin zu hermetischen
Elementen. Der elegische Ton bestimmt zuletzt ganz den Vers, bis hin zum lako-
nischen Schweigen (Becker 1981, 226):
I
Sprechend in der grauen Luft,
ein ratloser Mann, der noch nicht weiß,
fliegt er oder fällt er.
Viele Gedichte von Autoren, die unter das Etikett >neue Subjektivität< subsumiert
werden, haben den Charakter von Selbstverständigungstexten, von mehr oder min-
der flüchtig entworfenen Stichwortsammlungen, aus denen jede Situation nach
1968 -vom resignativen Rückzug ins Private bis zum emotionalen Aufschwung in
aufregende Leib- und Körperlichkeitsphantasien - kaleidoskopartig rekonstruiert
werden kann. Nur in wenigen Paradigmen verdichtet sich diese poetische Situati-
onsanalyse zu einem kritischen Rückblick, der über bloße Stimmungselegie hinaus
den historischen Zusammenhang der 70er Jahre erfasst.
I
[... ]Ich habe
Den ganzen Abend in den Klassikern geblättert und fand
Keine Erklärung. Früher wußten sie alles. Was
Hat sie so hilflos gemacht gegenüber
Den täglichen Fragen. Noch vor kurzem boten sie
Kurzweil selbst an heißen Sommertagen. Es ist
Wirst du einfach sagen dein eigener Kopf. Oder etwas
Das noch beschrieben werden müßte von H.
Dem Schatten.
L_
Haufs nimmt keine Zuflucht zum Zitat, sondern registriert ein Misstrauen gegen-
über jenen »Klassikern« (des Marxismus), deren Kanonisierung lange genug betrie-
ben worden war. Das Gedicht stellt nicht nur den Moment vor, an dem »von sich
selbst zu reden« wäre, sondern fixiert dessen historische Signatur: als Augenblick
einer verunsicherten, skeptischen Rückschau, die die Distanz zu 1968 bemisst. Das
»Gedicht« ist nicht mehr ein Selbstverständigungstext für die Gruppe, die solche
Erfahrungen teilt; aber es ist zugleich ein Versuch, in dem eine subjektive Dimen-
sion sich dadurch legitimiert, dass sie kollektive Megalomanien einer Generation
andeutet.
Erfahrungen nach 1968. Kontroversen um >neue Subjektivität< 175
Gedichte wie das von Haufs arbeiten mit bekannten Losungen und Mustern,
Mythen und Emblemen, indem deren einstige revolutionär interpretierte Inszenie-
rung nun auf ihren wirklichen Kern hin befragt wird. So lässt sich am zunehmend
pejorativ verwendeten Motiv des Südens, das mehrere Autoren in ihren Gedich-
ten übernehmen, der Abstand zu den Tagträumen und Illusionismen präzise be-
stimmen, die einst reichhaltigen Stoff für Aufbruch und Revolten geboten haben:
»Immer wieder treibt es uns I Hinunter in den Süden«, heißt es in einem Gedicht
von Haufs: »Jemand sagt I Du mußt Verona sehn. Als stünden dort I Prinzen und
erklärten dir dein Leben« (55).
Der einstige utopische Schein, der das Motiv umgab, wird ironisiert und bricht
im Kontrast zur übermächtigen Frustration des Tages zusammen: »Abgenabelt sa-
gen dir I Därme und Herz wo du bist und weiß vor Elend I Liegst du in trockenen
Betten« (55).
I
Wir waren ruhig,
hockten in den alten Autos,
drehten am Radio und suchten die Straße
nach Süden.
Einige starben,
ohne für ihre Sache gestorben zu sein.
Die Situation experimenteller Dichtung in den 70er Jahren lässt sich nicht auf Rat-
losigkeit und Konzeptionslosigkeit festlegen, auch wenn Harald Hartungs Argu-
mente gegen den raschen Gewöhnungsmechanismus experimenteller Irritationen
zutreffen (Hartung 1975). Zugleich begann die Kanonisierungsgeschichte einiger
Protagonisten der experimentellen Dichtung der 60er Jahre.
Im Kontext der Avantgarde-Geschichte überrascht es nicht, dass gerade dieje-
nigen Versuche, die die Grenzen des aktuellen Kunst- und Literaturbegriffs auslo-
ten und so die Mechanismen des Kunst- und Literaturbetriebs offen legen wollen,
nur von kurzer Dauer waren. Diese Tendenz war seit Beginn des 20. Jahrhunderts
zu beobachten. Aber gerade dort, wo, wie im Feld der Konkreten Poesie, Experi-
mentreihen abgeschlossen waren, entwickelten sich neue Perspektiven, die über die
bekannten Versuche hinausführten.
Zur experimentellen Poesie. Jenseits des Trends 177
JochenGerz
Zu den Protagonisten dieser zunächst im Windschatten von Gomringer, Rühm
und Bremer arbeitenden Künstler gehörte JochenGerz (* 1940). Als Grenzgänger
zwischen bildender Kunst und literarischer Textproduktion gewann er seit den 70er
Jahren eine neue, bald auch international anerkannte Position, die den Traditions-
rahmen Konkreter Poesie aufsprengte. Gerz' Installationen, fotographische Arbeiten,
seine Texttafeln und Performances stellen das Werk eines bildenden Künstlers dar,
der sich selbst allerdings, wie er 1972 bekannte, zunächst als Schriftsteller verstand
(Martinez 1999, 2):
Falls es nützlich ist, sich einzuordnen, würde ich mich als Schriftsteller bezeichnen. Erst
lineare Texte, dann begann ich, die Buchstaben und die Wörter zu stören, von ihrem ange-
stammten Platz zu drängen, eben weil sie mich störten. Ich machte das, was man visuelle
Poesie nennt, Später merkte ich, daß nicht allein Buchstaben mich störten, beengten, son-
dern das Papier, auf dem die Buchstaben standen; das Papier und das Buch als Medium,
dessen tautologische Struktur immer wieder dazu einlud, das gleiche zu tun.
Beispiele für Gerz' Variante der visuellen Poesie, die freilich nur den Auftakt bil-
dete für die Arbeit mit künstlerischen Medien wie Photographie und Video, waren
Werke wie Foto/ Texte 1975-1978 (1978). Gerz, der 1967 nach Frankreich übersie-
delte, gehört bis heute zu den forciert gesellschaftskritischen Künstlern. Daher gilt
sein Interesse weniger der Sprache in ihrer systemischen und grammatologischen
Struktur als vielmehr dem autoritären Gestus sozialer Kommunikation und dem
auf Herrschaft und Macht begründeten Repräsentationsanspruch eines deformier-
ten, entfremdeten Sprachgebrauchs.
Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass Gerz sich in EX.IT/ Das
Dachau-Projekt (1978) mit politisch-gesellschaftlichen Tabu- und Verdrängungsfor-
men intensiver auseinandersetzte und in den 80er und 90er Jahren mit künstleri-
schen Projekten zum Thema >Erinnerung und Vergessen< sowie einer Reihe von
Denkmal- und Mahnmal-Projekten öffentliche Resonanz erzielte (Gerz 1997).
Reinhard Priessnitz
Einer der unbekannteren Protagonisten der experimentellen Dichtung war und ist
Reinhard Priessnitz ( 1945-1985), der doch mit seinen zwischen 1964 und 1978 ent-
standenen Arbeiten eine Reihe avantgardistischer Schriftsteller Österreichs beein-
flusst hat. Als er seine vierundvierzig gedichte ( 1978) veröffentlichte, schien die hohe
Zeit experimenteller Poesie bereits abgelaufen zu sein (Hartung 1975). Priessnitz
blieb bis heute eine Art Geheimtip für Eingeweihte, ein Kanon-Vorbild lediglich
für diejenigen, die seine experimentelle Virtuosität erkannten und seiner Spur als
Anreiz eigener Schreibversuche folgten.
Seit 1964 hatte Priessnitz an seinen Gedichten gearbeitet. Die Zäsur zur inzwi-
schen historisch gewordenen, um ihren Platz in der Literaturgeschichte bemühten
Konkreten Poesie ist bei Priessnitz allenthalben zu beobachten. Offenheit und Dog-
178 Die siebziger Jahre
menferne kennzeichnen seinen Schreibansatz. Bereits der Titel der Sammlung signa-
lisiert Zurücknahme: Nicht von Texten, Konstellationen oder Typogrammen ist die
Rede, sondern von Gedichten. Priessnitz setzt Wort-, Satz- und Textsemantik nicht
außer Kraft, in manchen Gedichten spielt er sogar mit traditionellen Formen wie
dem Sonett, mit Terzinen- und Stanzenstrophen, mit Lied- und Balladentönen.
Block hebt zu Recht hervor, Priessnitz' vierundvierzig gedichte grenzten sich
»vom traditionellen Kontext Konkreter Poesie u. a. dadurch ab, daß sie wieder
deutlich die >Großform< des (grammatischen) Satzes als Gestaltungselement ein-
bringen. Verbunden ist damit das Interesse, im Rahmen einer Poetik des Verste-
hens das Problem der Bedeutungserzeugung im immer noch elementaren Bereich
zwischen Wort und Satzverband zu erkunden« (Block 1999, 181).
Das Eingangsgedicht »premiere« (1978, 7) hat in seiner ironisierenden Leich-
tigkeit für Priessnitz' Gedichtbuch einen Signalcharakter.
I
& schwarze & weisse
rosen zu knatschen zu
schwarzen & weissen rosen
zu mantschen & leise
quatschen von weissen
und schwarzen rosen sie
quetschen & tätscheln
um alle aufzuputschen
zu schwarzen & weissen
rosen sie abzuwatschen
um sie zu weissen um
sie zu schwärzen sich
darum zu reissen & leise
[... ]
L_
Das Thema, eine Premierenimpression, entfaltet sich aus dem Spiel mit den (Gar-
deroben-) Farben Schwarz und Weiß, der Kopula»&« und Infinitiven von Hand-
lungsverben, während sich die zwei- und dreihebigen Kurzverse zu einer einzi-
gen unauflöslichen Satzfigur verbinden, die noch beliebig fortzusetzen wäre. Eine
elementare Wiederholungs- und Kontraststruktur bestimmt das Gedicht, dessen
Sprachrhythmus Alliterationen, Binnen- und Stabreime unterstützen. Statt serieller
Geschlossenheit bietet Priessnitz' »premiere« eher zufällige Kompositionsmuster,
die wie kleine bewegliche Einheiten miteinander verbunden werden. Der ironische
Duktus macht vor den eigenen Versuchen nicht halt.
Die Sammlung spielt selbstkritisch und selbstironisch mit der Präsentations-
form von Gedichten. So ist zwar der »white horse song« (9) noch lesbar, aber ein-
zelne sprachliche Wendungen werden mit einem eingeklammerten Fragezeichen
versehen, als ob sie noch austauschbar wären oder dem Autor nun doch nicht mehr
gefallen, der dann konsequent das gesamte Gedicht mit einem diagonalen Strich
ausstreicht und zurücknimmt.
Zur experimentellen Poesie. Jenseits des Trends 179
I
wenn dieser jambus auch ein nimbus ist,
den ich um diese rede rhythmisch legte,
180 Die siebziger Jahre
War für einen Großteil der Protagonisten aus dem Umfeld der Konkreten Poesie
ihre fast dogmatische Festlegung auf eine bestimmte Spielart von Theorie cha-
rakteristisch, so gab es für Priessnitz keine fuderbare Schreibpoetik Priessnitz'
Schreibweisen leugnen die Traditionen nicht, die sie weiterführen, ohne sich auf
sie als Vorbilder zu kaprizieren.
Diese sind unterschwellig im Duktus, im Tonfall, in pointierten Wendungen
aufzuspüren: Kurt Schwitters, Hans Arp, H.C. Artmann, Ernst Jandl. Die Rolle des
1985 früh verstorbenen Autors und die Bedeutung seiner vierundvierzig gedichte
im Kontext experimenteller Literatur liegt darin, dass eine entdogmatisierte, nicht
auf Sprach- und Texttheorien festgelegte Poetik das Experimentieren als Praxis
dichterischen Sprechens, als poiesis in einem elementaren, konzeptionellen Sinne
wiederentdeckt.
Damit markiert Priessnitz nicht den Schlusspunkt einer längst historisch ge-
wordenen Tradition, sondern den Auftakt und die Wende zur experimentellen
Dichtung der 80er und 90er Jahre, die sich jenseits wissenschaftlichen Theorie-
Designs alle Freiheiten einer von Versuch und Irrtum bestimmten Poetik des Aus-
probierens erlaubt und die eigene Praxis aus dem breiten Fundus experimenteller
Möglichkeiten erschließt - jenseits literaturtheoretischer, sprachphilosophischer
und soziologischer Legitimationsdiskurse.
Ferdinand Schmatz hat die Rolle der »Spracharbeit« bei Priessnitz pointiert
umschrieben und dabei eine Position vorweggenommen, an die seit den 90er Jah-
ren eine sprachbewusste und sprachproduktive Lyrik wieder anschließen sollte
(Schmatz 1992, 167): einer
Spracharbeit, durch die sich das Denken zu quälen hat, bis es als Sprache tönt und schreibt,
daß es weder das andere, noch das eine ist, obwohl man es so sehen kann.[ ... ] Ein Vers ist
eine Idee, der Rest des Gedichts ist Arbeit. [... ] In seiner Freiheit steuert sich das Gedicht
in den Kreislauf der ständigen Wiederholung des Neuen.
181
Es gibt- über einzelne Stile, Moden und Trends hinweg- bei den meisten Lyri-
kerinnen und Lyrikern der 70er Jahre eine ausgesprochen misstrauische, kritische
Haltung gegenüber einem Utopiepotenzial, das eine Dekade früher alle Erwartung
auf Neubeginn und Aufbruch in sich trug.
Die Fakten holen die Fiktionen ein. Die Fakten haben uns überholt. Die Erde ist aufgeteilt.
Landnahmen für utopische Gemeinwesen sind nicht mehr möglich. Kein unentdeckter
Kontinent wartet auf uns. Die Utopie ist zerplatzt wie eine Panoramascheibe. Sie ist impe-
rialistisch geworden, hat sich in raubende und mordende Armeen verwandelt. Die Natur
trifft der Schlag - sie elektrifiziert. In den Scherben der zerplatzten Utopie erkennen wir
unsere eigene Zersplitterung. Im Schweiße unserer Angesichter sammeln wir sie auf und
wickeln sie ein in die eigene Haut.
I
Was ist geblieben?
Nichts mehr und alles. Nämlich,
Was war, das ist und wird sein,
Auch gegen sich selbst.
Zuviel aber ist umsonst,
Und was mir schien,
Scheint nicht länger.
L_
Fried bleibt indes nicht auf der Stufe der Resignation stehen; die zweite Strophe
formuliert noch einmal alte Gesten der »Empörung«: »Es kann doch keinem I
Auferlegt werden, alles I Mitanzusehen, daß er es ewig ertrage I Ohne Empörung,
selbst um der Liebe willen.« Es sind »Mut« und »Mitleid«, die weiterhin beschwo-
ren werden: traditionelle Trostformeln Friedscher Aufklärungsrhetorik. Aber selbst
diese bilden nicht den Schluss des Gedichts, das kaum mehr als den »Gesang« zu
retten weiß: »Doch wo I Gesang fehlt, dort erblindet I Der arme Gefangene. I Das
letzte aber ist Leben.«
I
In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Die eigene Sprache, wie sie uns
entgegenschlägt, verstehn wir nicht
noch verstehen, was wir sagen
die unsre Sprache sprechen
In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge
[... ]
Tendenzen der 70er Jahre. Utopien im Widerspruch 183
Biermanns Verse, 1972 im Gedichtband Für meine Genossen erschienen, treffen ei-
ne gegen Ende des Jahrzehnts allenthalben verbreitete Stimmungslage. Folgerichtig
greift Bender in seiner Anthologie zur Gegenwartslyrik, In diesem Lande leben wir
( 1978), das charakteristische Zitat auf und hebt den elegischen Ton besonders her-
vor, der dem Abgesang auf Revolte und Utopie eigen ist. Dabei gerät das Thema der
Gedichte zuweilen fast in die Nähe trivialer Identifikationsstrategien, in denen die
eigene Ratlosigkeit sich den Namen eines zum Mythos gewordenen Vorbildes borgt.
So heißt es in Novaks Gedicht »Dunkle Seite Hölderlins« (Novak 1983, 108):
I
ach Hölderlin
Vaterland haben wirkeins
nur die bleichen hinter Orden
und gerogenen Läufen sich verbergenden Landesväter
immernoch
die Nacht auf deiner Seite war nicht die letzte
L_
Novaks Gedicht ist in der Tat »Identifikationssuche«, und zwar eine, die »ihren
Widerhall in der Turmexistenz des umnachteten Dichters« (Breuer 1988, 386)
findet. Aber diese Suche bleibt im Identifikationsschema stecken und kann nicht
die Widersprüche und Bruchstellen bestimmen, die zur bloß erinnerten, zitierten
»Turmexistenz« führten. Hatte Celan noch, etwa in seinem Gedicht »Tübingen,
Jänner« (Celan 1983, 1, 226), die Grenzsituation eigenen Schreibens im Hölder-
lin-Thema konkret werden lassen, verflüchtigt sich in den 70er Jahren die im Por-
trätgedicht angelegte Selbstverständigung beinahe durchgängig zu einer Mystifi-
kation des Suchens und Scheiterns, die im Mythos Hölderlin verklärt, aber nicht
durchdrungen wird.
Dabei ist die Wendung zu Hölderlin ein Indiz dafür, dass ein neues Selbst-
verständnis sich durchzusetzen beginnt und im literarisch beschworenen Imago
des großen Vorbilds endgültig von der Fiktion des gewerkschaftlich organisierten
Schriftsteller-> Kollegen< Abschied genommen wird. Die Turmmetapher konkreti-
siert die eigene Schreibsituation: den Stillstand früherer Aufbruchsphantasien, die
Isolation von der Gesellschaft, ja den Regress in die literarische Psychopathographie.
So kann der wahnsinnige, in den Turm gesperrte Hölderlin zur Leidensfigur
schlechthin werden, in dessen Zügen sich grenzenlose Enttäuschung spiegelt, wie
184 Die siebziger Jahre
sie etwa Herburgers 1979 veröffentlichtes Gedicht »Hölderlin« (1979, 63) um-
schreibt:
I
[... ]
Irrtum, beschwör ich ihn
und spucke in sein Gesicht,
fragend ob er es bemerke?
Er wischt sich ab und sagt,
uns geschehe wohl.
L__
Auch eine eher kämpferische Lesart des Tübinger Dichters -wie in Volker Brauns
Gedichtband Gegen die symmetrische Welt (1974), der Hölderlin-Reminiszenzen
schon im Titel zitiert - überwindet den von Melancholie und Ratlosigkeit getra-
genen Stilisierungsprozess nur bis zu dem Punkt, wo einer vagen politischen Ge-
meinschaftsutopie das Wort geredet wird. Im Gedicht »An Friedrich Hölderlin«
(Braun 1979a, 54) heißt es: »Bis doch zu eingeborenem Brauch I Wird, was uns
guttut, und I Brust an Brust weitet sich so, daß sie aufsprengt diese I eiserne I Scheu
voreinander!« Auch wenn Brauns Verse nicht »als rückwärts blickende Huldigung«
zu verstehen sind, so ist doch gerade der »Rahmen seines eigenen Kampfes für eine
bessere Welt« (LermeniLoewen 1987, 397) eine bloß schwache, blasse Konturierung
utopischer Dimensionen, die über visionäre Formeln kaum hinauskommen.
I
Wo wollen wir eigentlich hin.
Ist das überhaupt der Berg, den wir beehren
Oder eine ägyptische Pyramide.
Warum sind wir so müde.
Müssen wir nicht längst umkehren
Und von unsern Posten herabfahren.
Und uns aus den Sicherungen schnüren
Denn dieser Weg wird nicht zum Ziel führen.
Tappen ins Ungewisse, aus dem wir aufgestiegen waren.
Die Reibung unser einziger Halt.
Tagelang arbeiten, um einen Zoll zurückzugehn
Verschwinden, um zu bestehn.
[... ]
L_
Brauns Gedichtband Training des aufrechten Gangs zitiert zwar im Titel noch mit
einer Anspielung auf Ernst Bloch ein Utopiemoment schlechthin, jedoch wird
dieses in dem Maße zurückgenommen, wie allgewaltige Konturen starrer, kalter
Machtinstanzen im sozialistischen Staate sichtbar werden. Dessen historisches Erbe,
zur monumentalen Pose geronnen, ist für Braun ein Material, an dem eine Kon-
trafaktur zum ideologischen Schema erprobt werden kann.
So bleibt im Gedicht »Richtplatz bei Mühlhausen« (140) keine Spur musealen
Dekors übrig. Der Blick auf den Schlachtort von 1525, dessen Protagonisten na-
menlos sind, wird zum Blick auf eine Bauernkriegslandschaft der Niederlage und
des Untergangs, die eben »kein Zeichen« mehr freigibt, das noch nach vorn, gar
auf den sozialistischen Erben, wiese:
I
Der Acker, abhängend
Vor den Hügeln, randlos
Beladen mit gelbem Korn. Im Regen
Der blank zieht aus dem Gewölk
Die Schlacht, mit Riesengräten, fuder-
Dröhnend ins Dorf.
Kein Zeichen sonst. Die Zerrissenen
Unsichtbar lange, spät
In einem goldenen Feld.
186 Die siebziger Jahre
Es ist für Brauns Gedichte der späten 70er Jahre charakteristisch, dass sie- wie im
Schlusstableau vom »goldenen Feld«- keineswegs alle utopischen Spuren restlos
tilgen, sondern aus der Spannung zwischen resignativer Enttäuschung und vagem
Hoffnungsschimmer zu verstehen sind. In jedem Fall aber haben sie einen deut-
lich reflektorischen Akzent. Sie appellieren nicht mehr, indem sie wie in den 60er
Jahren ein >Wir<-Gefühl, eine jugendliche Aufbruchsstimmung evozieren, sondern
sind voller Selbstzweifel und bohrenden Fragen.
Die Krise des Utopischen bei Braun ist kein rein innerliterarisches Phänomen.
Sie entwickelt sich vor dem Hintergrund des VIII. Parteitages der SED (1971) und
steht im Zeichen gesellschafts- und kulturpolitischer Verhärtungen um die Mitte
der 70er Jahre, deren spektakulärer Ausdruck die Zwangsausbürgerung Biermanns
(November 1976) war: Beginn eines Exodus, der gerade auch die Lyrik der DDR
empfindlich getroffen hat, nachdem kurz danach Thomas Brasch, Sarah Kirsch,
Reiner Kunze, Bernd Jentzsch und später auch Günter Kunert, Frank-Wolf Matt-
hies und Kurt Bartsch die DDR verließen.
Es wäre falsch, nach diesem Westexodus die Lyrik der DDR für provinziell und
unbedeutend zu erklären. Aber die politisch-kulturellen Repressionen haben auf ei-
ne Literatur zurückgewirkt, die in permanenter Auseinandersetzung mit staatlichen
Ansprüchen und Ideologien ihre Rolle in der einst so verheißungsvoll ausgerufenen
>Literaturgesellschaft< der DDR zu behaupten versteht. Tendenzen zur Sprachs-
kepsis, ja zur »fortschreitenden Hermetisierung« (Hartmann 1985, 122) am Ende
der 70er Jahre sind Symptome einer kritischen Distanz zu Parteilichkeitsfloskeln,
die Jahre vorher noch das Auftragsgedicht propagandistisch einforderten. Gerade
solche zurückgenommenen Positionen erlauben - ganz im Zeichen individueller
Selbstklärungen und Selbstzweifel - einen Abstand zu Ideologie und Doktrin, der
zuweilen alle Züge einer poetisch verschlüsselten Kontrafaktur trägt.
Details bis zum entgrenzenden Bild mit unterschiedlichen Formen des Natur-
gedichts.
Kirsch beherrscht in ihrem Repertoire die konventionelle Liedstrophe eben-
so wie das Prosagedicht. Gemeinsamkeiten stiftet allenfalls das lyrische Subjekt
selbst, das einmal heiter-übermütig, ein andermal eher melancholisch Reflexionen
skizziert. Bei aller evidenten Skepsis gegenüber politischer Zukunftsrhetorik hat
Kirsch sich ein Element des Utopischen bewahrt, und zwar nicht als Vorschein ei-
ner neuen Welt, sondern als erinnertes, trotz aller Beschränkungen der Existenz zu
rettendes Glück. Bis an die Idylle reicht die Anspielung auf Utopie, wie im Gedicht
»Im Sommer« (Kirsch 1976, 51):
I
[... ]
Noch fliegt die Graugans, spaziert der Storch
Durch unvergiftete Wiesen. Ach, die Wolken
Wie Berge fliegen sie über die Wälder.
Der idyllische Zug kann sogar, wie in einem anderen Gedicht, die momenthafte
Einheit des Ichs mit einer friedlichen Welt noch weiter verdichten: »Mit rotem
Handtuch raus in die Sonne. I Warme Wolkenschatten auf Steinen I Akazienblät-
ter. II Ich seh durch den Kamm in das Licht- I Alles vertraut« (56).
I
ertrinkende stille,
Strudel inmitten,
fische bäuchlings und phenol.
es schwimmen die insein
durch der flußvögel schlaf.
grelle schreie im ohr
seit herzlosen wintern.
bei klirrendem frost
ein tod-
scheffelweise die toten
auf den treibenden schollen.
auf die Schwimmhäute fiel schnee.
aus dem wasser steigt
des flusses schlechter atem.
phönixleer der himmel.
rauch ist gestiegen,
ruß ist gefallen,
weich wie die flocken des schnees.
Im Todesmotiv wird, vorbereitet in der Anspielung auf »phenol« und »des flusses
schlechten atem«, die Rücknahme des utopischen Scheins direkt ausgesprochen:
»phönixleer der himmel«. Nicht in jedem Gedicht entwirft Kirsten eine derart
perspektivlose Naturkulisse; aber es gibt auch in den anderen Texten kein Zurück
mehr zur Verbindlichkeit kollektiver Standpunkte.
l<arl Mickel
Noch stärker ist deren Irritation im Werk von Karl Mickel (* 1935) zu beobachten,
der im Gedicht ))Die Elbe« (Mickell975, 36) ebenfalls das Thema das Flusses zum
Katastrophentopos erweitert, und zwar in einer assoziativen Anspielung auf den
))Verkehrsstrom« inmitten der Flusslandschaft:
I
[... ]
Neben dem Fluß, der Verkehrsstrom
Reißt, der Interruptus auf der Straße
Tendenzen der 70er Jahre. Utopien im Widerspruch 189
Als »Verfremdung der lyrischen Rede« (Heukenkamp 1983, 87) wertet Heukenkamp
das Gedicht. Der Text, dessen letzte Verse »Vgl. auch den Kommentar zu Pindar
I Von Hölderlin, Belebendes (Kentauren)« zunächst apokryphe Schlusssetzungen
bleiben, die zum nochmaligen Durcharbeiten aller Anspielungen und Sinnebenen
der Großmetapher >Elbe< zwingen, zerlegt eine teleologische Ausdeutung von Ge-
schichte in ihre Bestandteile, bis hin zum Prinzip der Sprachstörung an eben der
Stelle, die dem Untergang der Elbmetropole Dresden im Februar 1945 gilt:
I
[... ]
Sanft wie die Berge neben dem Fluß
(Czechowski) kriechen Bestien in die, aus dem
Zoo, bei Kindern, nach dem Angriff
Achselhöhlen. [... ]
L_
»Mickel reagiert«, so heben Letben und Berendse in ihrer Interpretation des Ge-
dichts hervor, »auf die rhetorische Tradition des Flusses als Denkbild der Geschichts-
philosophie, indem er sie erstmal solange übermalt, bis sie unkenntlich geworden
ist« (Lethen/Berendse 1987, 132).
Der Verweis auf Hölderlin ersetzt nicht mehr die eigene Reflexion durch ein
identifikatorisches Einverständnis, sondern bietet eine offen gehaltene Montage an,
die korrespondierende Sinnebenen bereithält. Sie zu lesen, gar zusammenzufügen
ist Sache der Interpreten, deren Ergebnisse das Gedicht mit seinen an die Konkre-
te Poesie erinnernden Verfahren nicht a priori verbürgt. So wird Mickels Gedicht
zum Exempel einer Lyrik, die nach Heukenkamp »in ziemlich schroffer Abweisung
der überlieferten Lesegewohnheiten« für »Erschwernisse« gesorgt hat, nicht zuletzt
dadurch, dass sie »die Unmittelbarkeit der Kommunikation zwischen Autor und
Leser oder Text und Leser« (Heukenkamp 1983, 83) unterbricht.
Heinz Czechowski
Die Tendenz zur behaupteten Autonomie, die schon in den 60er Jahren angestrebt
wurde, verstärkt sich bis hin zum Anspruch auf einen sprach- und ideologiekriti-
schen Status. 1972 bereits macht Czechowski (* 1935) in einem Essay klar, dass sich
190 Die siebziger Jahre
der 70er Jahre durchherrscht. Sie grenzt zuweilen gar an Sprachskepsis: »Aber im-
mer drängt sich I das falsche Wort vor und /das Innerste der Welt I bleibt dunkel I
weiterhin» (56).
Dennoch gewinnt der Dichter eine ästhetische Perspektive, die am Ende das
Gedicht legitimiert- trotz aller Zweifel am Modus lyrischen Sprechens (175}:
I
Das Gedicht bloß gewahrt
was hinter den Horizonten verschwindet
etwas wie wahres Lieben und Leben
die zwei Flügel des Lebens
bewegt von letzter Angst
in einer vollkommenen
Endgültigkeit.
L
So emphatisch Kunert ein Utopiemoment entwirft, so vieldeutig und unbestimmt
bleibt es. Ein pejorativer Zug verstärkt sich gerade im Versuch, ideologische Muster
zu zerbrechen. »Ein neues Mittelalter bloß I auf Rädern und auf langen Schienen-
strängen I und dann: Ein Halt«, definiert Kunert jenes vielbeschworene wissenschaft-
lieh-technische Zeitalter und wendet dessen Kollektivsymbol, die Eisenbahnfahrt,
ins Negative: »Du bist nur in der Heimat I deiner eigenen Müdigkeit und fährst I
zu keinem andren Ende hin I als diesem« (51}.
Noch deutlicher nimmt das Gedicht »Klassiker II (Marx)« (55) eine selbstzu-
friedene, um sich selbst kreisende Geschichtsphilosophie ins Visier, deren kommu-
nistisches Fernziellängst im historischen Prozess verkommen ist:
I wir stolpern
von deinem Wort geleitet
von einer in die andre Finsternis
rasiert und angestellt
und rettungslos.
L_
Berücksichtigt man die Funktion des Porträtgedichts in der Lyrik der DDR, also die
im historisch-biographischen Material angelegte Positionsbestimmung der Gegen-
wart, dann hat Kunerts >Marx<-Gedicht- jenseits aller Fragen nach Größe, Ruhm
und Aktualität der »Klassiker«- ohne Wenn und Aber den Abgrund zwischen
Theorie und Praxis offengelegt: als unüberbrückbaren Antagonismus zwischen
Befreiungstraum und entfremdeter Realität, dem nicht nur »die Quader I für neue
Kerker« entstammen, sondern auch die gegenutopische Lesart aus »dem Steinbruch
der Geschichte«, die »andre Finsternis« einer ehemals verheißenen neuen Zeit.
Gerhard Wolfs Hinweis, die »Umkehrung bisher als Ideologie akzeptierter Wer-
te«, bei Kunert »einer kopernikanischen Wende vergleichbar« (zit. n. Krüger 1979,
IOlf.}, hat schon für die 60er Jahre Gültigkeit und erinnert noch einmal an werk-
192 Die siebziger Jahre
I
Hautlos ins Unfaßbar
zurück. ..
Futurhin
Aberglück
verheißend ihr
Tendenzen der 70er Jahre. Utopien im Widerspruch 193
weitausschreitender Engel.
Rückwärts gewandten Blicks
ersah
Trümmer allein.
[... ]
L_
Die Idee historischer Progression bricht in sich zusammen, wenn sie ihres trüge-
rischen »Aberglücks« entledigt wird. Die Metapher »Mordlust Geschichte« kom-
mentiert auf radikale Weise marxistische Fortschrittsteleologie und deutet- übri-
gens auch im Unterschied zu Benjamin- an, dass für die Poesie nicht Sinnstiftung,
sondern das Gedächtnis an die »Trümmer allein« ausschlaggebend ist.
Hier und nur hier liegt die politische Funktion der Dichtung. Entschiedene
Zeitgenossenschaft, keine geschichtslose Metaphysik bestimmt Arendts Hermetis-
mus, der sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verdüstert und in seiner Bedeutung weit
über die DDR hinausführt. So wie der ideologisch konträre, faktisch aber in Ost
und West gleichermaßen fetischisierte Glaube an den technischen Fortschritt und
die >Machbarkeit< der Welt ein Konvergenzprinzip der 70er Jahre ist, so präzise und
klar fällt Arendts Kontrafaktur aus, an ihren kargen Versen scheitert alle Indienst-
uahme der Geschichte, welche Seite sie auch immer - im Namen von Fortschritt
und Humanität beansprucht (Arendt 1978, 86):
I
Vom Aufblitzen
der Waffe Agamemnons
bis zum Kugelfang Schrei
der Mauer
kein fühlbarer
Rest.
L_
Arendt liest den Mythos des Trojanischen Krieges zu Ende, indem er ihn gegen eine
zum Mythos verklärte Gesetzmäßigkeit progressiver Geschichtsverläufe wendet. Sein
Lakonismus ist symptomatisch für eine kräftig gebliebene Tradition hermetischer
Lyrik. Dabei ist Arendt, wie etwa Huchels postum erschienener Gedichtband Die
neunte Stunde (Huchel 1979) belegt, nicht der einzige Autor einer älteren Dich-
tergeneration, der in den 70er Jahren sich an der Destruktion jener Ideologeme
beteiligt, die in Ost und West politische Administrationen beherrschen.
I
Mein ist alles, sagte der Staub,
das Grab der Sonne hinter der Wüste,
die Riffe voller Wassergetöse,
der endlose Mittag, der immer noch warnt
den Seeräubersohn aus Ithaka,
das Steuerruder, schartig vom Salz,
die Karten und Schiffskataloge
des alten Homer.
L_
Die erneute Adaption des Mythos, in den 70er Jahren allenthalben beobachtbar,
nimmt alle Aufbruchsphantasien zurück, deren Entstehung und Verbreitung eine
Dekade früher auch die Literatur mächtig vorangetrieben hatte. Buchel freilich
beteiligte sich nicht daran; eher bestätigt nun die neue Rezeption des Mythos, was
seit langem zum Bestand Buchelscher Gedichte gehörte: dass angesichts einer vom
Untergang bedrohten Welt kein Anlass zu Hoffnungsprognosen gegeben ist. Mo-
tive der Vergeblichkeit, des Endes und Todes (wie im Titel »Die neunte Stunde«)
mehren sich in Huchels letztem Gedichtband.
Mit dem immer wieder aufgenommenen Motiv der misslungenen Entzifferung
von Schriftzeichen und Chiffren- »Die Namen verdämmern, I keiner entziffert den
Text« (234); »Wegzeichen wohin? Schriftzeichen, I nicht zu entziffern« (258)- wird
vollends deutlich, dass es Buchel nicht um eine geschichtsenthobene Fortsetzung
naturlyrischer Traditionen zu tun ist, sondern dass er im Zeichen der »neunten
Stunde« zugleich den Untergang markiert (253):
I
Was bleibt, ist nicht mehr
als der schwarze Draht in der Luft,
der zwei Stimmen vereinigt.
I
Manches stimmt nicht mehr wie
der gleichmäßige Wind
im stinkenden Sommer.
Das ist jetzt anders. Du muß dich
vornüber halten. Das riecht nun
nach anderem Abfall, nassem Getreide
und verbranntem Grasboden.
Das Realitätsprinzip setzt sich durch -
[... ]
L_
Vor dem Horizont ökologischer Krisen verlieren Krolows Gedichte ihr heiter-spie-
lerisches Element; sie reagieren, wenn auch zuweilen unbestimmt und verunsichert,
auf veränderte politische und kulturelle Stimmungen in der Bundesrepublik
Zustandsbeschreibungen eigenen Unbehagens sind in den späten 70er Jahren
recht verbreitet. Die rasch grassierende Metapher von der »Eiszeit« wird, wie bei
Volker von Törne, zum Ansatzpunkt resignativen, ja ratlosen Räsonierens: »Ja I Es
ist finster I Geworden I Leitartikel I Nageln sie I Wie Bretter I Vor den Kopf I Wie
einen Knebel I Stoßen sie dir I Neue Gesetze I In den Hals« (Törne 1981, 153).
Durchschaut freilich wird die »Eiszeit«-Situation kaum; ein Zitat aus Hölderlins
Gedicht »Hälfte des Lebens«, zur obligaten Phrase >linker< Melancholie verformt, er-
setzt am Ende die eigene, über eine bloße Identifikationsübung hinausgehende Kritik:
Ja
Es ist kälter
geworden
Im Winde
Klirren
Die Fahnen
L_
Meckels Gedicht »Was dieses Land betrifft« (Meckel1979, 81) notiert einen ähn-
lichen Befund: »Dies ist kein Ort I für mehr als ein Dasein in Kälte, ausgeschieden I
einsilbig und überstimmt.« Und Michael Krügers »Gedicht über einen Spaziergang
am Stausee und über Gedichte« (Bender 1983, 44), dessen Eingangsvers »Am Abend
wurde es unheimlich kalt« bereits das Thema eröffnet, schildert die Situation, in der
die Kälte-Metapher ausgesprochen wird:»[ ... ] Rasch bilde ich eine I Neue Theorie
über das Alte Leiden, aber die Kälte I nimmt zu, auch die Müdigkeit.«
I
Also was die siebziger Jahre betrifft,
kann ich mich kurz fassen.
Die Auskunft war immer besetzt.
Die wunderbare Brotvermehrung
198 Die siebziger Jahre
zu sagen bleibt, vor allem aber, unter welchen Prämissen und Mühen, wenn auf
alle trügerischen Hoffnungschiffren verzichtet wird, darauf verweist etwa Meisters
Gedicht »Die Gestalt« (Meister 1979, 120) in der letzten Strophe:
I
Gerettet sind wir
durch nichts,
und nichts
bleibt für uns.
L_
Stand am Anfang des Jahrzehnts noch die allgemeine Hoffnung auf Humanität und
Erneuerung, so ist an seinem Ende wenig mehr übrig als eine durch und durch
negative Utopie. »Es macht die Todesrechnung I den Zwang, I das Rechte zu fin-
den« (118), heißt es in Meisters Gedicht »Du Erde voller Schädel«. Die Differenz
zum Beginn des Jahrzehnts könnte nicht adäquater als im Lakonismus dieser Verse
umgriffen werden.
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5. Die achtziger Jahre:
Diffusion und neue Wege
Innerhalb der Geschichte der Lyrik markiert der Beginn der 80er Jahre weder ein
signifikantes Zäsurdatum noch eine Nahtstelle literarischer Trendwenden. Und
dennoch zeigen sich, verglichen mit den frühen 70er Jahren, einige bedeutsame
Veränderungen. So gewinnt eine neue Generation in der Lyrik der DDR immer
mehr Raum, im Begriff, sich neben den Älteren, neben Braun, Mickel, Endler,
Czechowski, zu behaupten. Hartungs These, die »Generation Volker Brauns« sei
»bislang nicht abgelöst worden« (Hartung 1983, 26), mussangesichtseiner recht
umfangreichen Liste jüngerer, freilich noch wenig bekannter Autoren zumindest
relativiert werden. Viele von ihnen haben Elke Erb und Sascha Anderson, ein nach
der Wende als Spitzel der DDR-Staatssicherheit entlarvter, bis Ende der 80er Jahre
freilich äußerst agiler Protagonist der Ostberliner alternativen Künstler- und Lite-
raturszene, 1985 in der Anthologie Berührung ist nur eine Randerscheinung (Erb/
Anderson 1985) im Westen vorgestellt, darunter auch solche, die bereits- wie Lutz
Rathenow und Uwe Kolbe- Gedichtbände veröffentlichten. Zusammen mit schon
früher bekannten Autoren wie Richard Pietraß, Peter Gosse, Manfred Jendryschik,
Andreas Reimann, Wolfgang Hilbig und Elke Erb bilden sie jene uneinheitliche,
offene Gruppe, die ihre Produktivität, bei aller Unterschiedlichkeit in Theorie und
Praxis, aus einem kritischen Verhältnis zur Wirklichkeit ableitet.
I
Wenn es tagt
kommt mit erstickten Schritten
durch die leeren Straßen Traurigkeit
und ich steh am Fenster und ich warte
daß sie kommt und bin für sie bereit
L_
Zwar lockern Gedichte in anderer Diktion die gezierten Muster auf- »Endlich
besoffen und ehrlich I und immer noch'n Sonett I Reiß mir den Himmel auf I leg
mir die Welt ins Bett« (52)-, aber die Vorliebe für den Boudoir-Ton ist doch stär-
ker, wie im Gedicht »Vorbei« (53):
I
Die Zeit der süßen Weine ist vorbei
das Paradies verkorkt. Wer aus mir trinkt
dem rinnt das Blut zu Blei
die Zeit der süßen Weine ist vorbei.
L_
Verglichen etwa mit Sarah Kirschs oder Rose Ausländers später Liebeslyrik, vermag
ein solches Ghasel in der - wie von Bormann angibt- Manier August von Platens
und Friedrich Rückerts (Bormann 1984, 11) kaum mehr als ein harmloses Herz-
Schmerz-Schema zu variieren, dessen Epigonalität evident ist. Im Gedicht »Sehn-
sucht« (Hahn 1983, 72)- »Nachts kreist die Sehnsucht um mein römisches Haus I
Nach der >neuen Subjektivität<. Die Wiederkehr traditioneller Formen 205
sie weiß nicht wohin seitdem ich dich nicht mehr liebe« -kehrt die ganze Staffage
nachromantischer Liebeslyrik mit allem sentimentalen Schmelz und Dekor wieder:
als römische Schwüle, nächtliche »Pinien«, »Schatten«, ja als »Vogel Sehnsucht« und
»verheißendes Land«. Auch die Wiederentdeckung der »Tränen« (Hahn 1981, 20),
als lyrisches Requisit ein Ausweis frisch renovierten 19. Jahrhunderts, geht nicht
ohne entsprechenden sentimentalen Zierrat ab:
I
Ohne Tränen vorbei
gehst du in
Samt und Seide
fühlst wie ich
weine ich weine
aber dein Rock
wird nicht naß
L_
Eine Erneuerung der Erlebnisdichtung kann eine solche Rückwendung nicht be-
wirken. Das Subjekt des Gedichts erfährt sich gerade nicht, wie etwa im Sturm
und Drang, als ein unverfälscht-individuelles, das in seiner subjektorientierten
Gedichtsprache das eigene Ich entdeckt. Es wird bei Hahn und anderen Dichtern
der 80er Jahre ersetzt durch ein Klischee, das ohne individuelle Konturen bleibt
und in der bloß zitierten >Herzenssprache< erst recht nichts weiter als die eigene
Erlebnisdefizienz offenbart.
Empfindsame Herzenssprache?
Weitere Paradigmen für den zu unverhoffter Aktualität gekommenen Herztopos
lassen sich in der Lyrik der 80er Jahre ohne Mühe finden. So heißt es in Michael
Krügers Gedicht »Herzklopfen« (Krüger 1985, 94):
I
Es sind die einfachen Dinge,
die uns nicht schlafen lassen:
ein Herzklopfen,
eine Handergreifung,
ein verwundertes Umsichschauen.
Nicht die krausen Gedankenspiele,
nicht die wunderlichen Grübeleien,
nicht der tolle Maskenscherz der Wahrheit.
[... ]
L_
dafür jedoch den Blick auf »die einfachen Dinge« schärft. In Krügers Gedichtband
Die Dronte (1985) ist schon in der »Vorrede« von »Herzverdrahtungsplänen« und
»flimmernden Zeichen« (7) die Rede, später, in anderen Gedichten, von »Herzzeit«
(26), vom »Herzen des Sees« (34), von »Herz und Wunde I der Malerei« (77), ja
vom Herzen, das sich »bewaffnete« und »blasig« kochte »unter der trockenen Haut«
(77f.). Der Topos wird gleichsam zum Erkennungszeichen einerneuen Empfind-
samkeit, die sich im traditionellen Vokabular mitteilt und endlich wieder darauf
vertraut, dass wenigstens in der Lyrik Schmerz wieder Schmerz und Herz wieder
Herz genannt werden darf.
Die Konventionalität der >Herzenssprache< zeigt das Dilemma formbewusster
Lyrik der 80er Jahre. Sie ersetzt die trügerische Unmittelbarkeit des Alltagsgenres
und des Parlando-Stils durch einen traditionalen Gestus, hinter dem freilich die
Dimension des Subjektiven wiederum zurücktritt, diesmal nicht vor lauter pro-
saischer Banalität, sondern angesichts einer fast steifleinen und geziert wirkenden
Lyrik, die melancholische Denkfiguren zum Jargon einer glatten, künstlichen Ge-
fühlskultur absinken lässt. In diesem Sinne ist die Wiederkehr der Form nur eine
Variante lyrischer Subjektivitätskrisen, nicht aber ihre überwindung; denn sie wech-
selt im Anspruch auf Sensibilität und Individualität nur den Code aus. Schmerz,
Enttäuschung, Liebesleid und der melancholische Schatten auf den Dingen werden
im Begriffssystem einer literarischen Innerlichkeit fixiert, das die eigene Authen-
tizität stilvoll hinter gepflegten Metapherntraditionen und moderaten, preziösen
Sprachschablonen verdeckt.
Sogar die lyrische Sentenz und die majestätische Wir-Form werden rekultiviert.
»Wir müssen«, so lautet eine Merkstrophe bei Ludwig Fels, >>auswandern I aus Kopf
und Herz I in die Fieberstürme der Gefühle reisen I bevor wir versteinen« (Fels
1984, 91). Oder: »Hinter uns liegt die Zukunft I und alle, aber auch alle I starren
nach vorn« (106). Das Pathos des Spruchhaften kennen auch Krolows späte So-
nette, so als ob am Ende das Gedichteschreiben doch kein »sachlicher Vorgang«
(Bender 1961, 71) mehr bleibt und erneut eine Metaphysik des Worts beschworen
werden darf: »Die Wörter sind nicht schamlos, I wenn du sie I im Munde führst.
Und wer sie ruhig spricht I wie du, der überhört sie nicht I in ihrer Freiheit und
ihrer Melodie« (Krolow 1985, 236).
Selbst Wolf Wondratschek, ehemals Protagonist unprätentiöser Protestattitü-
den, beginnt in seinem Sonettzyklus »Die Einsamkeit der Männer« die Sentenz zu
schätzen: »Wer lange einsam war«, so nimmt er eines der aktuellen Themen der
80er Jahre auf, >>den ängstigt diese Nacht I im Widerschein der roten Wände, I der
fallt, als sei er nirgends festgemacht, I und fühlt im Fallen seine Hände« (Wondra-
tschek 1983, 26). Solche Rilke-Reminiszenzen sind verbreitet und erweisen sich als
Konsequenz eines veränderten poetologischen Selbstverständnisses, das nach einer
Phase des Umbruchs und Experimentierens in den 60er Jahren und fortschreitender
Desillusionierung in den 70er Jahren einen weiteren Paradigmenwechsel vorzube-
reiten versucht. Die Wiederkehr der Form ist ein Anzeichen dafür.
Das »Unbehagen am Massenausstoß von Parlandopoesie, am Plattersatz einer
in Zeilen gehackten Prosa, an der sich darin artikulierenden stimmungshaft-pri-
Nach der >neuen Subjektivität<. Die Wiederkehr traditioneller Formen 207
vaten Subjektivität« (Hartung 1985, 86) nennt Hartung mit Recht als Basis eines
erneuerten Formwillens, den er mit dem Hinweis verteidigt: »Warum muß eine
Rückkehr zum Reim Rückkehr zu Klang und Magie« (88) sein? Freilich ist der an
recht unbekannt gebliebenen Autoren wie Greve, Leisegang und Burger demons-
trierte Rekurs auf lyrische Formen der Tradition erst dann »Rückgewinnung der
Komplexität« (89) dichterischen Sprechens, wenn sie nicht jene »in Zeilen gehack-
te Prosa« durch bloß zitierte, den Gedichten oktroyierte Traditionalismen ersetzt.
Nicht das Fehlen oder Vorhandensein von Reim, Metrum und Rhythmus an sich
kann - triviale Feststellung genug - Gegenstand ästhetischer Kritik sein, sondern
deren Bedeutung im Gedicht.
Wenn jedoch eine Gefühlssprache beschworen wird, deren Muster - wie der
Herztopos und das Repertoire der Innerlichkeit - zum Klischee abgesunken sind,
wenn - bei Lyrikern mit so unterschiedlicher Werkgeschichte wie Wondratschek
und Krolow - das Sonett in der Tat wieder Feierlichkeit und Pathos beschwört,
das es zur poetischen Hohlform werden lässt, dann ist ein solcher Prozess letztlich
nichts anderes als ein ratloses Rückschreiten in den Bann verstaubter Traditionen:
Das Paradigma wechselt, die Neigung zum sterilen Klischee ist geblieben.
Ursula Krechels Gedichtband Vom Feuer lernen (1985) ist ein Beispiel für eine
Lyrik, die von konventionellen poetischen Hohlformen nicht frei ist. Vor allem im
Versuch, sich einer traditionellen Metaphorik zu bedienen, zeigt sich die neue Ten-
denz. Die »Welt gebiert« wieder »Ackerfurchen I und wilde Kaninchen in Hecken«
(Krechel 1985, 9); vom »Weltenbrand« (34) ist die Rede, vom »dornigen Schlaf«
(35), vom »Mandelmond hinter dem Vesuv« (38), gar von der »Reliquie der Zu-
kunft« (64). Krechel thematisiert freilich, wie im Gedicht »Was jeder weiß« (23),
das Dilemma eigenen Schreibens, das die Tradition zitiert- von der »blauen Welt«
bis zur »Wüstenei«- und zugleich in ratloser Distanz verharrt:
I
wer schreibt, schreibt: wie es einmal war.
Die Milch vereist, die blaue Welt vergreist
was rund und bunt war - eine Wüstenei. Schon
leiden wirs. Die Klassiker sind abgereist.
L_
I
Das Licht in ihren Augen kommt von einem Andern,
der sie mit seinen Augen lange angeschaut.
Es ist geborgtes Licht, das sich getraut
unruhig mit den Blicken hin und her zu wandern.
Die Künstlichkeit der Form bleibt das Problem derjenigen Lyriker, die ihre ver-
meintliche Wiederkehr ohne Interpretation ihrer Geschichte betreiben; denn die
Geschichtlichkeit der Form lässt sich nicht im voluntaristischen Akt einer irgend-
wie beschlossenen Erneuerung oder gar eines Modetrends vergessen machen. Die
Form wendet sich zuletzt gegen eine bloß herbeigeredete, erzwungene Reminiszenz
und verfällt zur leeren Hülse.
Die Wiederkehr der Form schließt eine Rückwendung zu Metaphysik und
Existentialismus nicht aus: eine Parallele zu den 50er Jahren, die sich nicht zuletzt
auch in einer verstärkten Rilkeverehrung äußert. Gedichte einer stattlichen Reihe
von Autoren sind Paradigmen für jene »Rätsel«-Neigung, in denen sich, wie Kurz
am Exempel Rainer Malkowskis erläutert, ein »meditativ-mystischer Zug« (Kurz
1986, 124) spiegelt.
Nach der >neuen Subjektivität<. Die Wiederkehr traditioneller Formen 209
Erst recht gilt dies für die Lyrik von Alfred Kolleritsch, dessen Gedichte die
Vorliebe für Sentenzen kultivieren, bis hin zur Einsinnigkeit von Poesiealben: »ein
Tag und alle Tage I sind derselbe Weg, I das Wechselhafte I darin erhält sich selbst«
(BuchwaldiKrechel 1985, 105). Die Meditation entzündet sich an allem, was das
Auge erblickt und dann mit Sorgfalt und Sachverstand zu Blankversen geformt wird
- Gedankenlyrik über »Dinge und Gestein«, über >Dauer im Wechsel<:
I
Die Bilderschrift vom Auge in die Hand
bewegt das weiße NICHTS, es öffnet Raum
und das Erscheinen, Dinge und Gestein,
die Grenze, und das Ganze: Landschaft,
Schönes, Wechselhaftes, das sich austauscht,
nichts bleibt, es sind die Weltgerinnsel, Dank,
so wenig und doch alles, hervorgeholt
das Fehlende, Geschenk, das eins sein läßt.
L_
Die Form wird zum Signum eines Traditionswillens, der doch nur Hohlformen pro-
duziert und fast den Versuch ermuntert, jeden Vers, jedes Bild als ein schon einmal
dagewesenes nachzuschlagen. Kolleritsch ist nicht auf solche Formen festzulegen.
Es gibt indes keinen Lyriker, der in den 80er Jahren erklärtermaßen mit aller Kon-
sequenz zum traditionellen Formkünstler geworden wäre. Auch Krolow, Kunert,
Hahn, Krechel adaptieren am Ende nur Traditionalismen, aber sie verschreiben sich
ihnen nicht. Die Wiederkehr der Form hat daher etwas Vorläufiges; sie indiziert
Abkehr vom unprätentiösen Sprechen, von der versteckten, schlichten Prosa der
>neuen Subjektivität< jedoch ohne einer poetologischen Programmatik zu folgen.
Sie ist eher Ausdruck für den partialen Charakter der neuesten Lyrik, ja am Ende
gar für ein weiteres Dilemma der Moderne selbst: ein Beispiel für die um sich selbst,
ihre Verfahren und ihre Vergangenheit kreisende Kunst des 20. Jahrhunderts.
I
Was man denn, frug ich die Großmutter, wenn man studiere, studiere,
War mir doch längstens klar: Pfarrer, das ist mein Beruft
Schwarz im Talar auf den Klängen der Orgel durch Kirchen zu schweben,
Unter dem Ärmel die Schrift, Scheiben-Apostel im Chor,
Stufe um Stufe das gotische Schnitzwerk der Kanzel zu stürmen,
Atem zu holen fürs Wort: dies war ein lohnendes Ziel.
Heute bin ich ein Pfarrhaus-Verweser und brauche nur Wörter,
Neble das Südzimmer ein, wo einst die Predigt gedieh.
Bücher in Massen statt eines in Flammen geschriebenen Textes,
Order, Skripte und Wust; Duden, die Schreibkonkordanz.
[... ]
Rauchringe blasend studier ich, was wohl ein Studierter studierte:
Zweimal im selben Fluß schwimmt man nicht gegen den Strom.
L_
I
Dem eigenen fremden Leib
entschlüpft
ledig der Last
und aus der Ferne
einen verdorrten Leichnam
einen Kokon
seh ich an meinerstatt
»Ultima ratio« war der Weg in die Bundesrepublik Deutschland, und die Ankunft
dort war keine Ankunft im Freiheitsparadies oder Freizeitpark. Viele Gedichte ste-
hen im Zeichen des Rückblicks und kreisen um »Angst, Versteinerung, (Gefühls-)
Kälte, Zerstörung (Sklerose) als Ergebnisse totalitärer Herrschaft« (Kasper 1995,
110), aber auch um konkrete Erlebnisse der Bespitzelung, wie das Gedicht mit dem
prägnanten Titel »Belagerungszustand« (Kunert 1980, 50), das über ein Jahrzehnt,
bevor im Westen die Arbeit der DDR-Staatssicherheit ausgeleuchtet wurde, deren
Praxis beschrieb:
I
[... ]Sonntag
und vorm Haus drei Autos
Stunde um Stunde
im Fond Marx Engels Lenin Stalin
ad usum Delphini
Kunerts Poetik der Versteinerung und Erstarrung hat auf der Ebene der Bildkom-
positionen eine gewisse Nähe zu Erich Arendt, hat aber im deutlichen Unterschied
zu diesem eine moralisierende Tendenz. Darin klingt grenzenlose, von Melancholie
und Bitternis gleichermaßen geprägte Desillusionierung nach. Manches apokalyp-
tische Motiv hat hier seinen tieferen lebensgeschichtlichen Grund. Dazu passt auch
ein beharrliches Insistieren auf der Macht der Poesie noch oder gerade im Mo-
ment ihrer Ohnmacht. Zwar schließt Kunerts Gedicht »Eine Poetik« (Kunert 1980,
61) mit den Versen »Ohne Bewegung ohne Bedeutung I ohne Bestand«. Aber die
apodiktische Negation hat keine absolute Gültigkeit: »Das wahre Gedicht I löscht
sich selber aus I am Schluß I wie eine Kerze so plötzlich I aber was sie beleuchtet
hat I brennt I das abrupte Dunkel I der Netzhaut ein.« Als eine Art negativ einge-
branntes Erinnerungszeichen bewahrt das Gedicht zumindest seine ihm gemäße,
einzigartige Kraft.
In den 80er Jahren war eine solche Poetik im Westen hochpopulär. Zugespitzt
formuliert: Utopien aller Art waren zwar erloschen, aber die Macht der Utopie
war auf die poetische Rede als Warngedicht und Kassandraruf übergegangen. In
seinem Kommentar »Zum allerneuesten Bewusstsein« nannte Kunert den Poeten
den »letzten Sachwalter einer veralteten Ethik« (Kunert 1980a, 13).
Aus solchem Verständnis heraus sind auch Kunerts Bedingedichte entstanden,
die er unter dem Titel Berlin beizeiten (1987) veröffentlichte. Augenblicksimpres-
sionen und Stadtreminiszenzen ergeben zusammen mit einigen Reisegedichten
eine teils distanzierte, teils sentimentale Berlinretrospektive eines Autors, der seine
Prägung durch die Stadt nicht verleugnen kann. Poetische Erinnerung erscheint
wie die Kehrseite poetischer Kassandra-Warnungen. Den Texten eingeschrieben
sind bedrohliche Bilder, die wie ein Alpdruck die Großstadtatmosphäre verdun-
keln. So hebt die »Swinemünder Straße« (Kunert 1989, 17} mit einem plastischen
Erinnerungsmotiv an (»Alte Straße bedeckt mit altem Pflaster«}, am Schluss aber
transformiert der Autor die Straßenkulisse unversehens in eine Schreckensvision:
»[ ... ] Denn die alte Straße endet I als Fluch I weil sie in einem Traum anhebt I aus
dem die Vernunft kein Erwachen I wagt.«
Im Gedicht »Spaziergang« ist anfangs die Rede von »berieselten Vorgärten« und
»wachsbleichen Automobilen«, dann aber verkehrt sich das Bild in bedrohlichen
Mythos: »Zutraulich aber blickt währenddem I aus jedem Fenster I das Haupt einer
Gorgone« (ebd., 26). Die Mythisierung des Schreckens, den Kunert als Konstan-
te der Menschheitsgeschichte versteht und dessen >trojanische< Spur er bis in die
Gegenwart zieht, steht im Gedicht »Totenbeschwörung« (ebd., 42), einem Schlüs-
selgedicht des gesamten Gedichtbands, im Mittelpunkt. In der Topographie und
Architektur der Stadt sind die tiefsten Schichten einer heillosen, auf Untergang
gerichteten Historie präsent, auf die der Dichter in diesmal völlig unverstellter, an
die trojanische Unheilsprophetin Kassandra erinnernde Pose verweist:
Poesie und Poetik der Betroffenheit. Ahnung, Mahnung, Warnung 213
I
0 Staub I
unfaßliche Masse der schon Troja erlag I
Hotels Kaufhäuser Bahnhöfe Parkplätze und
Pissoirs I Vergraute schöne Helena I Ohne Aussicht
auf Wiederbelebung I auf Rückkehr Schliemanns
oder daß einer wie er trostvoll
unser unerbauliches Trümmerstückwerk I
das zunehmend Vergängliche vor
den staunenden Augen von Nachwelt
auferstehen ließe im fahlen Glanz
sinnloser Gerechtigkeit
L_
Schon im Gedicht »Mein Troja«, einem Schlüsseltext des Lyrikbands Stilleben (Ku-
nert 1983, 33) hatte der Dichter an Kassandras vergeblicher Warnung vor der Apo-
kalypse der großen Stadt erinnert: »Die Tragödie schlief noch I in den Steinen der
Stadt: I [... )1 Einmal noch leuchteten sie auf I in einem altertümlichen Glanz I um
brandig nachzuglühen I wie Kassandra gewusst.« Elke Kasper ist zuzustimmen, dass
Kunert »Berlin als Todeslandschaft« (Kasper 1995, 155) entwirft, und zwar nicht
mit der Intention eines Appells, sondern »als pars pro toto der deutschen Geschich-
te, in dem sich exemplarisch die historische Landschaft zur Trümmerlandschaft
verdüsterte« (ebd., 159). Die Poetik solcher Gedichte hat Kunert im Gedichtband
Fremd daheim (1990) reflektiert und mit Recht die immanente Schwäche seiner
Verse als Ausdruck ihrer fragmentierten, assoziativen >Zittrigkeit< gedeutet. Unter
dem Titel »Bekenntnis« (Kunert 1990, 89) hält es in der Dichotomie von inten-
dierter »Bildsäule aus Sprache« und realisiertem Produkt (»grauer Schotter«) das
Brüchige der Poetik-Konzeption eines Autors fest, der den weiten Weg vom mar-
xistischen Optimisten zur monologischen, mit sich selber sprechenden Kassandra
der Apokalypse zurückgelegt hat:
I
Schön? Ich kann
keine schönen Gedichte schreiben.
Tote
unschön vertrieben aus ihrem Leben
legen ein Gewicht
auf meine Hand. Die Worte
werden zittrig statt trefflich.
Eine Bildsäule aus Sprache
sollte es sein und wird
grauer Schotter
niederprasselnd
in einem andauernden
Sturz.
L_
214 Die achtziger Jahre
Kunerts Verse verdichten eine poetologische Grunderfahrung, indem sie auf ei-
nem Axiom der Moderne beharren: die Einsicht, dass das moderne Gedicht keine
»Bildsäule aus Sprache« mehr produzieren kann, weder als göttliche Flammen-
schrift noch als die Zeiten überdauerndes Monument. In seinen 1985 erschienenen
Frankfurter Poetik-Vorlesungen indes sucht man eine solche Quintessenz vergeb-
lich. Was dort unter dem zugkräftigen Titel Vor der Sintflut. Das Gedicht als Arche
Noah zusammengetragen wurde, lässt zumindest der Tendenz nach eine Aussicht
auf Rettung vermuten und nennt das Gedicht »eine Botschaft über unsere innere
und äußere Befindlichkeit, eine kompetente Selbstdiagnose, ohne die Konsequenz
einer Therapie« (Kunert 1985, 26f.). Die »Arche Noah«-Metapher aber war in den
80er Jahren jene verbreitete, zugkräftige Poesie-Metapher, die den Betroffenheits-
und Befindlichkeitston der Lyrik legitimierte.
die lyrische Subjektivität selbst, deren Krise freilich schon vor der Debatte über die
Postmoderne signifikant war und sich nun im schnellen Altern der Moden und
Trends weiter fortsetzt.
Neue Empfindsamkeit?
Was bei Kunert freilich noch einen diskursiven Begründungszusammenhang erfuhr,
das wird bei anderen Autoren leicht zur frei flottierenden Phraseologie. So gibt
Ludwig Fels seinem Gedichtband Der Anfang der Vergangenheit (1984) ein Vorwort
bei, das zum Manifest hilfloser Schwärmerei gerät. »Diese Gedichte«, so versichert
der Autor einer staunenden, gläubigen Gemeinde, »habe ich geschrieben für die
einfache Schönheit, für die sanfteren Träume, für die geduldigere Hoffnung und
216 Die achtziger Jahre
nicht zuletzt für die Rache, die man an der Sehnsucht nimmt, wenn es die Brust
vor Schmerz aufreißt über das Wissen, gefangen zu sein im Terrarium der Realität
und getrennt von den Geräuschen der Erde und für immer vom nächsten Plane-
ten« (10). Das Gedicht als zelebriertes kosmisches Hochamt und >blaue Stunde<:
Fels kompiliert ein Programm pathetischer Empfindsamkeit aus einem in der Tat
antimodernistischen Gestus, der Intellektualität vergessen möchte und sie doch,
bis ins verquere Zitat hinein, mit sich schleppen muss.
Von einer lebens- und werkgeschichtlich konträren Position aus hat sich auch
Hans-Jürgen Heise schon 1979 zum Begriff des Empfindens bekannt und auf je-
ne Kategorie gesetzt, die in der Ästhetik der Moderne einst zum Ausgangspunkt
permanenter schöpferischer Destruktion geworden war. Er schreibe, so offenbart
Heise, Lyrik als »Sinnenmensch«: »ich habe das Bedürfnis«, bekennt er, »meinem
Empfinden Ausdruck zu geben« (Heise 1979, 138). Das Gedicht, das einer solchen
Schreibsituation entspringt, hat nicht mehr die Bewusstheit eines Textes aus der
Feder der >klassischen< Moderne. Die Distanz zum eigenen Schreiben wird bis zur
Linie vager Selbsttäuschungen eingezogen; und am Ende bleibt wenig mehr übrig
als eine an Dilettantismus erinnernde, vormoderne Poetik.
Im nicht mehr auf seine Tauglichkeit hin geprüften Begriff der Empfindung kon-
vergieren so unterschiedliche Lyrik-Konzeptionen wie die von Fels und Heise, einem
der früheren Gegner >neuer Subjektivität<. Lyrische Empfindungen auszudrücken,
möglichst nachvollziehbar und ursprünglich, heißt zugleich die auf Konstruktion,
Artistik, ja >Kälte< zielenden Verfahren der Moderne zu unterlaufen. Schwärmerei
für ein beiläufiges Naturerlebnis, moralische Empfindungen, Melancholie, Hypo-
chondrie, Selbstmitleid und Leidenschaft bilden in ihrer diffusen Einheit den Hin-
tergrund, auf dem sich ein verändertes Dichterbild abzeichnet.
Nicht in jedem Falle ist damit schon eine anachronistische lyrische Empfin-
delei verbunden. So gibt es - um ein Beispiel zu nennen - in Guntram Vespers
Gedichtbänden Die Illusion des Unglücks (1980) und Frohburg (1985) zwar, wie
Kurz näher erläutert hat, eine Tendenz zu »monologisierenden Stilisierungen«
(Kurz 1986, 126) und rhetorisch veräußerlichter melancholischer Pose, aber auch
eine Aktivierung jenes lyrischen Reflexionspotenzials, das im Selbstdialog mit der
eigenen Vergangenheit zumindest soviel erkannt hat, dass Poesie die »Illusion des
Unglücks« ästhetisch begreift und nicht das »Unglück« selbst sprechen lässt. Der
Blick nach innen wird vor allem im Gedichtband Frohburg zur Rückschau: auf
einen literarischen Ort früher Kindheit und Jugend, deren Erinnerungschiffren
Vesper fixiert, ohne sentimental zu werden. Dass eine solche Reflexion auf die
»Spur« der Vergangenheiten auch deren latente und offene Barbarei ans Licht
bringt, daran besteht bei Vesper kein Zweifel: »Wie sie den jüdischen Drogisten I
unten am Markt I aufs Kreuz gelegt hatten I beim Verkauf des schönen I stattlichen
Hauses« (Vesper 1985, 20), heißt es im Gedicht »Die Spur«; und im Gedicht »Das
Knarren der Tore Anfang November« (21) greift Vesper das Thema noch einmal
auf:
Poesie und Poetik der Betroffenheit. Ahnung, Mahnung, Warnung 217
I
Aus den Ulmen
hinter dem Judenhaus
klettert die Nacht
wir wissen
und haben gewußt.
L_
Kleinstadt und dörfliche Kulissen als Ort einer von Gewalt und Niedertracht be-
herrschten Gesellschaft, aber auch als >Kinderbild< sächsischer Heimat: Vespers Texte
sind ihrem Sujet nach vielen Gedichten nachempfunden, die nach 1945 »Spuren«
verfolgen, ob im vergessenen Detail einer Stadtgeschichte, ob in Natur und Land-
schaft. Im Nachwort seines Gedichtbandes vergleicht der Autor seine »Erlebnisse«
mit »Chiffren«, die es zu entziffern gelte als» Doppelbild des Gestern und Heute«
{73). Der Hinweis auf Peter Huchel überrascht nicht. Vespers Interpretation des
Rückgriffs gerade auf diesen Dichter wird zu einem Bekenntnis, das in nuce eine
Poetik der 80er Jahre sein könnte - ein Paradigma für die Rehabilitation traditi-
onalistischer Orientierung: »Gleichweit von jedem modischen Gestus wie von je-
dem Spruchband entfernt«, so Vespers Laudatio, »wirken Peter Huchels Gedichte
wie Muster, wie Vorbilder einer Poesie, die das Hochartifizielle und das Einfache
verbindet und so Texte hervorbringt, die von größter sprachlicher, gedanklicher
Eigenart und Besonderheit sind und die gleichzeitig allgemeine Dokumente un-
seres Jahrhunderts und unser aller Geschichte darstellen« {86). Die Vergangenheit
als lyrisches Thema und der Rückgriff auf ihre literarische Tradition als poetisches
»Muster« und »Vorbild«: Nichts könnte den Abstand zu den 60er und 70er Jahren
deutlicher machen als solche Tendenz. Die Paradoxie der Situation besteht darin,
dass Vesper auf den frühen Huchel zurückgeht, während dieser selber in seinem
letzten Lebensjahrzehnt keineswegs mehr den älteren »Mustern« nachgeschrieben
hat.
Je unsicherer, unentschiedener die eigene Perspektive ist, umso mehr verstärkt
sich die Bereitschaft, einen Perspektivpunkt anzuvisieren, der neuen Halt bieten
kann. Tradition und festes Formrepertoire gehören dazu, aber auch die permanen-
te Reproduktion des eigenen, einmal eingeschlagenen Weges, die Orientierung am
eigenen Werk. Poethens Gedichtband acherde du alte {1981) offenbart Aporien
einer solchen, sich selbst verpflichteten Dichtung, die doch am Ende nur bereits
Gesagtes ad infinitum variiert und über ein allgemein verbreitetes Lamento, die
Klage über jene trübe Eiszeit der Gegenwart in immer wieder neu umgewendeten
mythischen Bildern nicht hinauskommt.
218 Die achtziger Jahre
Lamentostil
Den Parlandostil der 70er Jahre hat überhaupt ein Lamentostil beerbt, der zuweilen
schon etwas Predigerhaftes an sich hat. Apokalyptische Motive werden zum Dekor
solcher Texte und ersetzen jede konsistente Argumentation durch besonders dra-
matische, im übrigen den Lesern längst bekannte Untergangsszenarien aus Bibel
und Mythos. Heinz Pionteks Gedichtzyklus Vorkriegszeit (1980) ist ein Beispiel
dafür. Von Jesaja bis Jakob Böhme werden biblische und mystische Motive in die
Leerstellen der Gedichte eingerückt: dort, wo sich die Katastrophenvision und das
Menetekel an der Realität erweisen und diese in ihrer historischen Signatur erfassen
müssten. Das lyrische Subjekt reklamiert die Kassandra-Pose bis zur hypostasierten
Identifikation mit einer fiktiven Propheten-Rolle (30f.):
I
Er sah mit zugehaltenen Augen,
härte mit Wachs in den Ohren
die STIMME.
heit I und deine Einsicht«, schwärmt das Gedicht, »sind so gewesen daß du vielen
ein Freund bleiben konntest I die einander nicht Freunde geblieben waren« (Fried
1985, 464). Dutschke wird zum Märtyrer im Kampf gegen »Tyrannen und Reichs-
verweser und Verräter und Bürokraten«, ein Heiliger aus »Einsicht und Güte«, ja
-leitmotivisch immer wieder hervorgehoben- aus »Liebe«: »Diese Sehnsucht hat
in dir gelebt I und hat dich lebendig erhalten I und die Augen dir offen gehalten
auch für Verstreute I die sich immer noch sehnen nach ihr« (465). Der Warn er und
Mahner Fried hat sich schließlich auf die Sentenz verlegt, die er im Propheten- und
Predigerton vorträgt. Gedichtstitel wie »Die Letzten werden die Ersten sein« (489)
sind Entlehnungen biblischer Gestik ohne jede Ironie.
Das Gedicht sei immerhin ein verbliebener »Rest Menschlichkeit«, schrieb Lud-
wig Fels in seinem Essay »über Gedichte und Dichter Fortsetzung 1001« (Fels 1988,
8): »Der Dichter heute«, so Fels, werde »unter dem Schmutz einer unwirtlichen
Zivilisation begraben«. Er habe aber seine »Stimme« zu erheben »gegen die neuen
Barbaren, gegen ihre Maschinen, gegen ihre Musikkonserven«. Und er habe schließ-
lich sich im Wissen, »daß man Menschen foltert, daß die Heimat stirbt und daß die
Tiere von der Erde verschwinden«, zu fragen: »wie paßt das ins Gedicht?« (ebd.).
Das Räsoniergedicht
Ein solches Dichterbild erinnert nach Fels an jene Zeiten, als die Lyriker noch »ein-
same Geißler und fidele Narren, himmlische Eiferer und gepuderte Helden« (ebd.,
9) waren. Der »Arche Noah«-Gestus solcher Poesie-Manifeste kehrt in den 80er
Jahren auf vielfaltige Weise wieder, ja er bildet ein eigenes Genre heraus, eine Art
Räsoniergedicht, das sich durch Waldsterben, Meeresverschmutzung, Atommüll,
Raketenaufrüstungen und männlichen Chauvinismus hindurcharbeitet zum ver-
sifizierten Zeitkommentar. Botschaften, die längst aus der Zeitung und vom But-
ton am Revers bekannt sind, sollen zur Mahnung aller >herübergebracht< werden.
Das Genre hat im Restaurationsklima des zweiten Kabinetts Kohl gute Konjunktur
und füllt eine Vielzahl von Gedichtbänden auf. Je prinzipieller, allgemeiner und
verbindlicher das Statement ausfallt, um so mehr Zustimmung kann vom sympa-
thetischen Leser erwartet werden (Fried 1989, 124):
I
Und wer sich noch immer nicht krank fühlt
an dieser Zeit
in der wir leben müssen
der ist krank
L_
Das Räsoniergedicht zielte auf Zustimmung und Konsens. Und es suggerierte eine
moralische Kompetenz, deren entrüstender Duktus niemanden verstörte und alle
Erwartungen erfüllte. Wie sentimental und pathetisch in einem Jahrzehnt, das den
Begriff >Waldsterben< in Deutschland populär machte, beispielsweise Baumgedichte
waren, lässt sich an Peter Hamms Erinnerungsverse >>Für einen Baum« demonst-
220 Die achtziger Jahre
rieren - einem Text, der in seiner Diktion auf breite Zustimmung rechnen konnte
und keines erläuternden Kommentars mehr bedurfte: »Damals war meine Liebe
I ein Baum. I Kleine bittere Früchte, I mehr die Idee von etwas I als zum Genuß
bestimmt. I I Das Gefühl des Lebensrechts I in seinem zittrigen Schatten. I I Seine
Windgespräche I erhellten mich I in der bleiernen Zeit. I I Und kam nicht weiter I
als alle. I I Die arglosen Äxte! I I Ich breite mich I unter ihren I Blitz« (Hamm 1983,
72). Die Anspielung auf die »bleiern[e] Zeit« griff einen Filmtitel Margarete von
Trottas über die RAP-Gruppe auf, der zur viel zitierten Formel für die von Schrift-
stellern und Intellektuellen als immer bedrückender empfundenen späten 70er
Jahre wurde. Hamms Verse zitieren den Naturraum, für den die »Windgespräche«
und der Baum stehen, als Gegensatz zum gesellschaftlichen Raum - und damit ein
längst obsoletes Poesieklischee.
Der Klageton mit seiner latenten Weinerlichkeit ersetzte die Kraft der Reflexion
und die Schärfe der Analyse. Larmoyanz und Klischee bilden eine Einheit, wie in
Ralf Rothmanns Versen zur prekären Lage der von Katastrophenmeldungen über-
häuften Fernsehzuschauer: »immer nur ausgeliefert sein I den vergifteten Wettern
I den Küssen mit Farbstoff I der verlogenen Milch« (Rothmann 1987, 9). Die Wir-
kung von Allgemeinplätzen sollte sich in solchen Texten noch steigern, in denen
das lyrische Ich als Platzhalter aller anderen sprach und sich des pluralis majestatis,
der »Wir«-Formel«, bediente. So wollte Treichels »Gespräch unter Bäumen« (Trei-
chel 1986, 17) betroffen machen angesichts vage angedeuteter Naturkatastrophen:
»Daß es die Bäume I die Schwalben noch gibt I könnte ein Trost sein I auch wenn
sie das Blühen I das Fliegen verlernen I und daß wir noch immer I im reglosen
Schatten I Worte mit Worten berühren I als fehlte uns nichts.« Ein unaufdringlich
stiller Predigerton vermittelte in schlichten, überschaubaren Versen melancholi-
sche Nachdenklichkeit. War in den 70er Jahren zumindest als zerbrochenes Ideal
von Zukunftsentwürfen die Rede, so minimalisiert sich das >große Ganze< nun auf
Allerwehsgewohnheiten und andere Allgemeinheiten, die Haufs im Titel seines
Gedichtbandes Allerweltsfieber ( 1990) eingefangen hat.
denturn und Opfermut I Was noch I Ich weiß nicht mehr I Inzwischen ist schon
wieder so I viel geschehen« (Taschau 1990, 16).
Das Alltagsgedicht der 70er Jahre hatte die tägliche Erfahrung als einen hoch-
poetischen Stoff vermittelt und in den besten Paradigmen dieses Genres die Poesie
des Alltags zu entdecken versucht. Das Räsonier-Gedicht dagegen kennt enervie-
rende Erlebnisse nicht mehr, sondern zeigt sich sensibel für alle Problemlagen der
Welt und versteht sich als moralische Instanz. Mahn-, Warn- und Trostgedichte
haben entsprechende Konjunktur.
Viele dieser Texte rekurrieren auf Themen der Massenmedien und recyclen
mediale Erfahrungen. Und doch sind die Medien keineswegs ein selbstverständli-
cher Teil der Lebenswelt, sondern - im Sinne einer Medienkonkurrenz - eine miss-
trauisch beobachtete Institution: »Wir sind Zuschauer, I die verstehen I und nicht
verstehen, I was sie verstehen. I Wir sind Zuschauer, I wache, heitere Zuschauer. I
Wir haben Eintrittskarten. I Wir haben Angst« (Wagner 1991, 69). Das Leitmotiv
»Wir haben Angst« war in den 80er Jahren eine den Jargon der Betroffenheit cha-
rakterisierende Losung. Es machte aus dem Lyriker, etwa aus Peter Härtling, einen
echten Katastrophenspezialisten: »Die Zürückgelassenen I rotten sich zusammen I
und reiben die Erde heiß, I Wälder wachsen aus I ihren Schlüsselbeinen. I Die Ho-
rizonte fransen aus. II Ist die Erde, fragst I du mich, eine Kugel? I Nein, antworte
ich, nein I und verwandle mich I in meine Schwester. I Wir werden zusehen, wie I
die Kugel sich auflöst I und unser Gedächtnis ausreicht I für ihr Ende.« (Härtling
1987, 10). »Schwarze Zeilen« hat Härtling ein anderes Gedicht genannt und die
Technik der Katastrophen-Poesie auf den Punkt gebracht (ebd., 62):
I
Wie komme ich
davon?
Warum hat die Sonne,
die du aufziehst,
einen Ascherand?
Wie kann ich sterben
ohne dein
Zutun?
Mit welchem Vorschlag
Bringst du mich
Um?
L_
129). Die Antwort zeigt ein weithin ungebrochenes Vertrauen in die eigentümli-
che Macht des Gedichts: »Darf eine Welt I die vielleicht an ihrer I Zerrissenheit
untergeht I einem Gedicht I Vorschriften machen?« (ebd.). Noch dort, wo sie sich
mit der Welt, ihrer »Zerrissenheit« und ihrem drohenden Untergang, einlässt, soll
das Gedicht seinen autonomen Status behalten.
Das Gedicht zeigt Perspektiven. Wohin indes Orientierungslosigkeit führen
kann, zeigt Walter Helmut Fritz im Gedicht »Auch das« (Elm 1992, 80):
I
Rastlosigkeit ist gut.
Verlieren ist gut.
Versäumen ist gut.
Verkehrte Wege wählen ist gut.
Nicht weiter wissen ist gut.
Auch das ist ein volles Leben.
L_
Die Perspektive ist moralisierend; sie zielt auf Einspruch durch einen Leser, den
Verse wie »Sich leer fühlen ist gut« noch zu provozieren vermögen. Ein solcher Re-
zipient ist Mitspieler, fast ein alter ego des Poeten, im besten Sinne aber jemand,
der noch mitzufühlen und mitzudenken versteht und daher die Fähigkeit besitzt,
die Pointen eines Epigramms zu dechiffrieren. Endzeitstimmung kam in den 80er
Jahren auch als eine Art Posthistoire-Ankündigung daher.
Auf schlichte, prägnante Weise fing Krolows Gedicht »In den achtziger Jah-
ren« (E1m 1992, 87f.) diese Stimmung ein: »In den achtziger Jahren I ist es so
wie immer. I Man bügelt D-Mark-Scheine, I zerdrücktes Eis auf der Haut, II weil
Sommer ist wie sonst. [... ] Man hat seinen Denkapparat, I der kriecht die Stra-
ßen entlang I bei ähnlicher Anatomie, I wenn die Robinien blühn I I oder ganz
andere Bäume. I Man fällt auf sein Gesicht I vor Müdigkeit im Wachen. I Man
zittert durch die Gegend II und ist seit Jahren tot.[ ... ]« Zum Posthistoire-Syndrom
gehören jene >subjektschwachen< »Man«-Sätze, die Krolows Text strukturieren.
Die entdramatisierte Welt des Einerlei, karikiert in Formeln wie »so wie immer«
und »wie sonst«, hat ihre geschichtliche Signatur ebenso verloren wie ihre zeithis-
torische Identität. Das Einerlei der Einleitungsverse kommt ohne jede semanti-
sche Differenz aus und bildet die Ideologie eines Zeitalters jenseits der Geschich-
te zwar nicht ab, aber spielt mit ihr und führt sie in ihrer sprachlichen Banalität
vor.
Es ist frappierend, wie diese Art Epigrammatik immer wieder mit der Wir-
kung einfacher Botschaften rechnet, in deren tröstlicher Gewissheit sich Dichter
und Publikum wie in einer Symbiose zusammenschließen. Späte Gedichte Erich
Frieds gehören in diesen Kontext. Ein Beispiel dafür ist das Gedicht »Lebenslauf«,
das über seine autobiographische Dimension hinaus eine breite Identitätsfläche
bietet: »[ ... ] Als Mensch bin ich aufgewachsen I und habe Unrecht erlitten I und
manchmal Unrecht getan I und manchmal Gutes I I Als Mensch empöre ich mich I
gegen Unrecht und freue mich I über jeden Schimmer von Hoffnung I Als Mensch
Experiment Reflexion. Sprachräume der Lyrik 223
bin ich wach und müde I und arbeite und habe Sorgen I und Hunger nach Verste-
hen I und nach Verstandenwerden I [ ... ]« (Fried 1987, 31).
Unverstellt und ohne die für ihn in früheren Jahren so charakteristischen Poin-
ten, Wortspiele und scharfzüngigen Polemiken formuliert Fried die Summe eines
fast fünfzigjährigen Dichterlebens im Lichte humanistisch und sozialkritisch ver-
standener Aufklärung. Er erneuert als einer der letzten Lyriker des 20. Jahrhunderts,
dessen Stimme öffentliches politisches Gewicht hatte, die Poetik der Einmischung
durch Poesie, die Poetik des lyrischen Engagements. An seinen zeitweilig großen
Einfluss der letzten Jahrzehnte konnte er jedoch nicht mehr anknüpfen. Die Ver-
leihung des Büchner-Preises 1987 änderte daran nichts und war eher eine längst
überfallige, nun aber fast anachronistische Geste, begleitet von peinlichen politi-
schen Attacken konservativer Politiker und Feuilletonisten gegen den von schwerer
Krankheit bereits gezeichneten Autor.
Fried verkörperte ein emphatisches Dichtersubjekt, das seine Autonomie kon-
fliktreich einfordert. Ein solches Dichterbild war in den 80er Jahren weit verbreitet.
So nannte Christoph Meckel in seinen Poetik-Vorlesungen mit dem bezeichnenden
Titel »Von den Luftgeschäften der Poesie« den Dichter einen »Partisan der Hand-
schriftlichkeit« (Meckel1989, 12): jemanden, der sich auf uralte Weise den media-
len Welten und ihren Aufschreibsystemen nicht nur verweigert, sondern gleichsam
subversiv das Recht des alten Traditionsmediums und seiner Schreibpraxis Geltung
verschaffen will. Eine ähnliche Position findet sich auch bei Ludwig Fels (1988, 8f.):
Daß man Licht, Zeit und Papier hat und einen Rest Mut, um über all das unzählige Male
Gesagte neu nachzudenken und das meiste davon, wenn man noch stolz ist, ungeschrieben
zu lassen, ins Vergessen zu schicken, das, glaube ich, ist, was den Lyriker auszeichnet und
ihn, der nicht mit Empörung geizt, sondern düstere Paradiese anlegt in den Menschen,
den Städten, ehrt.
I
hier liegt
ein gelegtes gedieht, darüber
brütet ein dichter vielleicht
vielleicht noch lange
L_
Ein anderes Gedicht mit dem simplen Titel »dieses Gedicht« (22) nimmt das The-
ma wieder auf und variiert ein weiteres Mal die skeptische Ironie der vielfach sar-
kastischen, bitteren Jandl-idyllen: »es ist noch nicht gut I und du mußt daran noch
arbeiten I aber es stürzt nicht die weit ein I wenn du es dabei beläßt I es stürzt nicht
einmal das haus ein.« Das Gedicht wirkt wie eine Antwort auf die zur gleichen Zeit
in Mode kommendenArche-Noah-Poetik en (s. S. 215). Schon das Eingangsgedicht
der idyllen - »die ersten zwölf zeilen« (7) - lässt in spielerischer Form die Pers-
pektive dessen deutlich werden, der im Bekenntnis zum »schreiben I von zeilen,
welche zählbar bleiben« den poetologischen Ort des Dichters ironisiert und dessen
artifizielle Arbeit als lyrische Fingerübung vorführt. Unversehens wird die histo-
rische Abnutzung moderner Lyrik zum Thema: in einer Phase, die sich gerade in
der Restauration des Formenrepertoires gefällt und auf die Autorität brav gereim-
ter Strophen setzt. Jandls Paarreimkommentar dekonstruiert den pontifikalen Ton
zeitgenössischer Poetiken in einem poetologischen Gedicht eigener Art:
I
die zeile, die vor mir steht still
und eine zweite zeile will
ich habe diese ihr erfunden
und schon zwei weitre dran gebunden
ein ende ist noch nicht in sieht
ich mag sie bisher alle nicht
weil jede schamlos nur enthüllt
mein denken als von nichts erfüllt
nichts andrem nämlich als dem schreiben
von zeilen, welche zählbar bleiben
für den, der an zwei mehr noch glaubt
als ihm der finger zahl erlaubt.
L_
Solche epigrammatische Lakonik ist ganz und gar reflektiert und unsentimen-
tal. Sie hält in ihrer pessimistischen Sprödigkeit und Kargheit Möglichkeiten einer
Poesie ohne Botschaft, Auftrag und Erwartung fest. Das Spektrum der Spracha-
krobatik und des Wortwitzes ist weit gefasst. Jandl weiß mit der Aura konventio-
neller Genres ebenso zu spielen, wie er die Präzision knappster, lakonischer Verse
zu beherrscht versteht und so die eigene Tradition fortsetzt: Experiment, Irritation
und Destruktion. Der Gedichtband idyllen verdichtet in seiner Verweigerung von
Sinn und Bedeutung eine eigene Gedichtpoetik, die in ihrer Radikalität ihresglei-
chen sucht. Noch die scheinbar konventionellste Rückkehr zu Strophenform und
Reim erweist sich als eine ironische Konstellation aus längst verbrauchter Poesie.
Die Reduktionstendenz wird in seinen Drei- und Zweizeilern besonders evident,
und zwar als eine Form der Verknappung und Pointierung - »vielmals allein I es
sei keinem getraut I zieht ab mir die haut« (183) -,aber auch der illusionslosen
Zuspitzung: »herausgeritten aus muttern, hineingetrabt I in dieses unmenschliche
geschlecht« (182).
I
Drei nervöse Wahrnehmungen
Die erste
Die zweite
Die dritte
Manche Gedichte, wie Stefan Dörings »schulterschlag« (Arnold 1990, 174), wir-
ken wie eine aus längst versteinerten Sprachresten zusammengestellte Imperativ-
Sammlung, die ein despektierliches Gegenüber mit Gegensprüchen kontert; die
aufeinander treffenden Stimmen bilden konträre Positionen ab, ohne auch nur im
Ansatz einen Dialog zu initiieren:
I
>>begrenzt die grenzen«, >>aber sicher<<
>>durchschaut die verhältnisse«, >>aber unbedingt«
>>verändert die umstände«, >>aber klar«
Die DDR war ein semantisch geschlossenes System, das entsprechend störanfällig
war: Sobald ein Satz, eine Metapher, eine lyrische Wendung die sprachlich-ideo-
logische Ordnung zu stören begannen, potenzierte sich die Aufmerksamkeit auf
eine ebensolche Stelle. Daher ist es erklärbar, dass Gedichte, die aus heutiger Per-
spektive kaum mehr als ein Spiel mit Anspielungen und Aufmerksamkeitssignalen
sind, eine Art Gegensprache darstellen konnten. So heißt es bei Rainer Schedlinski
(Arnold 1990, 165):
I
[... ] wir lesen
die zeitungen selbstredend, sie sprechen
in der tat, was ich dir schreibe
Die Bloßstellung öffentlicher Sprache ging einher mit der prinzipiellen Kritik an
Wahrnehmungsrastern. Ironisierung und Collagentechnik hängen in solchen Tex-
ten eng zusammen. Man experimentierte mit fragmentarisierten Sprachfetzen und
Losungen, destruierte, verformte und verhöhnte sie. Das lyrische Subjekt litt weder
an den Verhärtungen eines an sich erstrebenswerten Sozialismus noch stellte es sich
als kritische Instanz eines politischen Diskurses dar. Es führte vielmehr den ritua-
lisierten, von festen Regeln umstellten politischen Diskurs der DDR-Öffentlichkeit
selbst vor, indem es seine Sprache, seine Worthülsen, seine Herrschaftslogik, seine
alltägliche Einschüchterungspraxis ins Bewusstsein rief. Michael Thulin (d.i. Klaus
Michael) hat die Literatur des Prenzlauer Bergs in der Formel »Sprachkritik und
Gegenkultur« (Arnold 1990, 236) zusammengefasst:
Grundlage dieser Kritik ist ein Sprachverständnis, das sich weigert, Sprache als einen in-
strumentalen Mechanismus aufzufassen. Als einen Mechanismus, der den Schreibenden
einem hermetischen Diskurs einbindet und ihn der Freiheit seiner Sinne beraubt. Sprache
erscheint vielmehr als ein System freibeweglicher Einheiten, in dem der Blick von der Sache
auf das Zeichen wechselt - um den Gegenstand zu bedenken, ohne seiner diskursiven
Befangenheit zu verfallen. Sprache, und das ist das gemeinsame Kennzeichen vieler Texte,
verfährt nicht mehr mimetisch, sondern imaginativ, sie ist, wie Kleidung und Frisur oder
der jeweilige Musikstil, ein ganz bestimmter Ausdruck des Lebensgefühls.
230 Die achtziger Jahre
I
aus sieche, schimpf & scham erhebe ich meine klage
aus meiner wunden wildem fleisch, aus wildem blut
aus zank, glut & brunst stieben lange melodiebögen
schriller töne arrhythmie die trostlose elevation
stockenden pulses; trauer, die stirbt zu vergehen
wie das lachen vergangen ist, die ohnmächtigen nächte
& die liebe allen mitleids anfang ist selbstmitleid
in's reine zu kommen haucht der sinn des wahn aus
Papenfuß-Goreks Gedichte sind für den Vortrag gemacht, und zwar weniger für
Dichterlesungen als für Bühneninszenierungen und Musikauftritte. Vor diesem Hin-
tergrund spielt auch für die Beurteilung seiner Texte die performative Poetik eine
wichtige Rolle, also der Partiturcharakter der Gedichte, die erst im Vollzug ihrer
Aufführung, ihres Vortrags durch den Autor ihre eigentliche Kraft entfalten. Der
ekstatische Ton mancher Gedichte und ihr ironisch gebrochenes Pathos gehören
zum Selbstdarstellungsstil einer gleichsam anarchischen, unabhängigen, autono-
men Ich-Figur, die nach dem Ende der DDR keineswegs auf Westanpassung setzt,
sondern schon vor der Wende mit hellsichtiger Unbekümmertheit die vom dama-
ligen Bundeskanzler Helmut Kohl inaugurierten >blühenden Landschaften< als Fata
Morgana durchschaute und verspottete (Koziol/Schedlinski 1990, 112):
I
am saum der weit harren unserer selige landstriehe
volllockender haine, üppiger pracht, entrückung dichtbei
arbeitslosen genusses & einhelligen minnetrinkens
Experiment Reflexion. Sprachräume der Lyrik 231
r--
Ich bleib im Lande und nähre mich im Osten.
Mit meinen Sprüchen, die mich den Kragen kosten
In anderer Zeit: noch bin ich auf dem Posten.
In Wohnungen, geliehn vom Magistrat
Und eß mich satt, wie ihr, an der Silage.
Und werde nicht froh in meiner Chefetage
Die Bleibe, die ich suche, ist kein Staat.
Mit zehn Geboten und mit Eisendraht:
Säh ich Brüder und keine Lemuren.
Wie komm ich durch den Winter der Strukturen,
Partei mein Fürst: sie hat uns alles gegeben
Und alles ist noch nicht das Leben.
Das Lehen, das ich brauch, wird nicht vergeben.
L_
Im Vergleich zur frühen Lyrik fehlt seit den 80er Jahren jeder utopische Bodensatz.
Der Staat hat mehr als seine Legitimationsgrundlage verloren; er wird von jenen
»Lemuren« regiert, die mit ihren »zehn Geboten und mit Eisendraht«, der Mau-
er, ein Schattenreich befehligen. In der Tat hätten ihm früher seine »Sprüch[e]«
wirklich »den Kragen kosten« können. Aber noch bis zuletzt - so stellt sich nach
dem Ende der DDR qua Akteneinsicht heraus- hatten ihn die »Lemuren« unter
Experiment Reflexion. Sprachräume der Lyrik 233
Kuratel gestellt, indem sie ihn von ihren Spitzeln, den Informellen Mitarbeitern
der Staatssicherheit, systematisch ausspionieren ließen. Mit der Rolle eines Staats-
schriftstellers und der Aussicht auf ein »Lehen« hatte die Situation Brauns in der
DDR nie etwas zu tun.
Gedicht »Strahlende Beleuchtung« (201) verknüpft den Blick auf die »Katastrophe«
mit anspielungsreicher Theatermetaphorik: »[... ] Die Akteure spielen Leben und
Sterben I Ab und zu eine Katastrophe I Sie sind begabt und einfühlsam I Ihre Rol-
len auf den Leib geschrieben I Die Ganoven beherrschen die Szene.«
Mit deutlich moralisierendem Duktus dagegen erscheint die Untergangsvision
des Gedichts »Erdrauch« (202), das mit seiner »Wir«-Form ein für das Jahrzehnt
symptomatisches Warngedicht darstellt und dem verbreiteten Kassandraton der
Dekade entspricht:»[ ... ] Es ist alles bekannt und vertraut I So wird es immer sein
glauben wir I Und noch die furchtbaren Bilder I In den Fernsehgeräten bestärken
uns I Wenigstens hier wird es so bleiben wir stapeln I Die Zeitungen die uns ruhig
schlafen lassen I Sorgfältig auf bis sie abgeholt werden I Wir sind ganz lebendig
hüpfen und springen I In den möblierten Wohnungen des Todes.«
Der 1989 erschienene Gedichtband Schneewärme verzichtet auf solche Pathos-
varianten. Dafür verstärkt sich die Tendenz zu eingeschwärzten, dunklen Bildern
sowie zu lakonischen Kommentaren, in denen mitunter eine kategorische Distanz
zur Gesellschaft gesucht wird und die Autorin frühere Katastrophenmotive iro-
nisiert: »Das Gewese der Menschen I Ist mir zuwider. II Das Meer schlägt an die
I Standhaften Deiche. I Wenn ich einen I Wunsch sagen darf I So hätte ich gern I
Noch einen Schafstall« (258). Nur selten noch finden sich derart unverstellte, exis-
tentielle Erfahrungen vermittelnde Verse wie im Kirschs »Wintermusik« (267):
I
An der Küste leuchtet ein Stein
Darauf steht: Keiner kehrt wieder.
Der Stein verkürzt mir das Leben.
(ebd., 14) überschriebenes Gedicht verdichtet sich auf der Grenze zwischen Natur-
und Stadtlyrik zu einem der kürzesten Wahrnehmungsprotokolle aus Odenthai im
Bergischen Land:
I
Zäune, so gehen
die Leute weiter, so
dehnt sich der Stadtrand
ins Abendgrau
L__
Becker variiert diesen Gedichttypus auf vielerlei Weise. Teils kombiniert er seine
visuelle Momentaufnahme mit einem Dialogfragment, wie in» Winterbild l«: »Im
Januar noch Äpfel im Baum; I bevor sie, sagst du, verfaulen im Keller, I leuchtet's in
der kahlen Luft« (ebd., 16). Teils weitet sich die kurze Alltagsnotiz auch zu einem
Erinnerungsbild: »Die Luft heute morgen gehört ihr Rasenmäher I euch So freund-
lich summte auch das Wochenende I nach Kriegsende Der Küster öffnete wieder
den Turm I als die ersten Hummeln über den Dörfern standen« (ebd., 35).
Fragen der Wahrnehmung beschäftigen Becker noch in einem anderen, grund-
sätzlicheren Sinne, und zwar als mediales Phänomen. Medien nämlich gehören
offenbar zur Materialbasis der Gedichtproduktion, aber sie sind zugleich auch
Gegenstand und Thema einer großen Reihe von Gedichten. Mit »Sommerfilm«
und »Seefenster« sind zwei Abschnitte des Gedichtbands überschrieben. Manche
Gedichttitel verweisen auf mediale Kontexte: »Amerikanisches Bild«, »Radierung«,
»Projektor«, »Ansichtskarten«, »Erzähltes, Zeitungspapier«, »Netzkarte«,» Raumstil-
le mit Telefonen«, »Spotlights«. Becker restituiert keine Beschreibungspoesie und
ist auch nicht der Schnappschuss-Poetik der 60er Jahre verpflichtet. Seine Medien-
reflexionen entzünden sich eher an Gedächtnisarchiven, an gesammeltem Foto-
und Filmmaterial. Lyrik arbeitet diese Fundstücke des Vergaugenen noch einmal
nach. »Jetzt kommt, du kennst das, das Bild I mit den schwarzen Gummistiefeln«,
so hebt das Gedicht »Projektor« (ebd., 21) an, um den Moment der Betrachtung
samt Projektor-Knistern gegen die Banalität des Filmstreifens auszuspielen: »ein
hilfloses Gefuchtel, mehr I bricht nicht an, du weißt das, was immer I die knis-
ternde Luft verspricht.« Beckers Interesse gilt nicht den Medien selbst, sondern
den Situationen, in denen sie auf vielerlei Weise im Alltag genutzt werden. Beckers
Medienrecherchen, die Einbeziehung von Foto und Film als Materialfundus der
Gedichtproduktion, haben dazu beigetragen, einer poetischen Arbeitstechnik zum
Durchbruch zu verhelfen, die in den 90er Jahren jüngere Autorinnen und Autoren
wie Thomas Kling, Barbara Köhler, Marcel Beyer und Norbert Hummelt weiter
vertiefen und ausdifferenzieren werden.
237
und quer über das Blatt verlaufenden Schriftlinien entstehende Landschaft kaum
erkennen. Wer die Blätter aber in ihrer Visualität betrachtet, der entfernt sich von
der Lektüre. Prozessualität dominiert, ja erscheint sogar als das zentrale Werk-
thema. Der Kontrast zur Konkreten Poesie könnte in Claus' Sprachblättern nicht
größer sein. Seine Arbeiten versprechen keine schnellen Pointen und wollten in ih-
rer Handschriftlichkeit gerade keine typographischen Vorbilder für Werbung und
augewandte Gestaltungskunst sein. Ihr Kontext sind, was das Prinzip der geduldi-
gen, langwierigen und wiederholten Rezeption betrifft, eher Celans späte Texte als
Goruringers Konstellationen und Bremers Piktogramme.
Während Künstler wie Claus, Rehfeldt und Sagert (sie gehören dem Alter nach
zur Generation von Kunert, Biermann und Sarah Kirsch) Jahrzehnte lang Außen-
seiter und Einzelgänger waren, änderte sich die Situation für die jüngere Genera-
tion der in den 80er Jahren mit Text- und Bild-Kompositionen experimentieren-
den Autoren grundlegend: Die subkultureHe Nische wurde zu einem attraktiven
Freiraum für eine künstlerisch-literarische Praxis, auch wenn nach wie vor Mut,
Konsequenz und die Entscheidung für ein Künstlerturn jenseits der offiziellen Kul-
turpolitik jedem einzelnen abverlangt wurde.
Westen längst keine Provokation mehr auslöste und allmählich in die Museen und
Literaturarchive kam, das hatte im Osten noch einmal ein Jahrzehnt lang sich ent-
falten können: Experimentelle Dichtung und zu einem großen Teil Konkrete Poesie
als eine reflexive, mit Andeutungen und Chiffrierungen arbeitende poetische Praxis.
Jörg Kowalski und Deisler haben in ihrer Anthologie wortBILD die Vielfalt und
Experimentierfreude dieser Texte dokumentiert (Kowalski 1990) und sie mit den
Arbeiten älterer Künstler kombiniert, so dass eine breite wortBJLD-Landschaft der
DDR der 80er Jahre entstand. Uwe Warnkes »Dialektik« (26) ist ein Beispiel für
die mit schlichtesten Produktionsmitteln und einfachsten seriellen Formen ope-
rierende Gebrauchskunst der experimentellen Szene:
DIALEKTIK
international
internationa
internation
internatio
internati
internat
interna
intern
Standen Texte wie diese noch unübersehbar in der Tradition der Konkreten Poesie,
so lässt sich doch eine immer stärkere Rolle des Visuellen, der Bild-Text-Kompo-
sitionen und der typographischen Gestaltungsversuche mit skripturalen und an-
deren Zeichen beobachten. Collagen und Assemblagen, aber auch handschriftliche
und handschriftlich hektographierte Arbeiten wurden produziert, so dass sich die
Grenze zwischen Künstlerbuch und Gedichtband auflöst.
seit Jahrzehnten keine Gültigkeit mehr hatte: Das Etikett >Konkrete Poesie< hat
Mon- wie so vielen anderen, beispielsweise Jandl- eher geschadet und mit dazu
beigetragen, ihn in eine Nische des Experimenellen abzuschieben. Das heißt nicht,
dass der Autor nun einen anderen zentralen Gegenstand literarischen Schreibens
gefunden hätte als die Sprachreflexion. Diese bleibt auch weiterhin, wie für viele
Protagonisten experimenteller Literatur, Mons Lebensthema. Emphatisch spricht
das Gedicht »an einem der tage meines todes« vom Telos des eigenen Schreibzwangs:
»die strategie der buchstaben,/ die das letzte wort haben./I die taktik des letzten
wortes,/ zu seinen buchstaben zu kommen« (Mon 1997, 175).
Mons Schreibpraxis nimmt häufig beim Wort ihren Ausgangspunkt. Ein Wort,
wörtlich genommen oder in einer Redensart aufgespürt, setzt einen Schreibprozess
in Gang, den eine eigentümliche Offenheit charakterisiert. Viele solcher Versuche
hat der Autor unter dem sein Programm andeutenden Titel »fallen stellen. texte
aus mehr als elf jahren« (90-164) veröffentlicht. Mons Wort->Fallen< entstehen
meistens aus knappen, prägnanten, ganz und gar kunstlosen Sprachelementen, wie
sie im Alltag allenthalben vorkommen. Eine Reihe von Texten setzt das Spiel mit
seriellen Reibungen fort. Ein Beispiel ist die erste Strophe der »logischen lügen«:
»ich lüge/ du logst/ wer lügt/ wir logen/ ihr logt/ viele logen« (99).
Mon spielt Konstellationen durch, zielt also keineswegs auf eine vorfabrizierte
Pointe, so dass seine Texte - Poesie, Prosa, Stücke und Hörspiele gleichermaßen
- etwas Versuchsartiges behalten. Das Wort, bei Mon das elementarste Ferment der
Sprache und daher derenparspro toto, wird nicht mehr in theoriegebundener Form
thematisiert, sondern in bildlieber Plastizität; aus dem argumentierenden Essay-
Stil wird eine zugleich aphoristische wie poetisch-imaginative Umschreibung, ein
sprachkritisches und sprachskeptisches »worttaktik«-Brevier (103):
wenn es dir gelingt, einem das wort, ehe er es hervorgebracht hat, im munde herumzu-
drehen, wirst du überrascht sein von der menge der wörter, die du nicht kennst, obwohl
sie dir bekannt vorkommen. staut sich eins hinter den zähnen, fahrst du mit zwei fingern
zwischen die zahnreihen und ziehst es hervor, ehe es im schiund verschwindet.
Solche Ding- und Körpermetaphorik des Wortes konkretisiert die Kluft zwischen
dem naiven Sprachrealismus des Alltags, dem unreflektierten Sprachgebrauch, auf
der einen und der allem Sprechen vorgelagerten Sprachlichkeit der Welt und ihrer
Erscheinungen auf der anderen Seite. Sie konfrontiert den Leser mit seiner eigenen
»worttaktik«, die zu seiner Lebenspraxis gehört. Trotz der häufigen »du«-Formeln
verengen sich die lakonischen Aphorismen nicht zu didaktischen Merksätzen, weil
sie mit ihren lebendigen und kühnen Bildwendungen zu eigenen Reflexionen und
Ausdeutungen einladen. Mons »worttaktik«-Sequenzen haben die Form von Denk-
bildern, welche die Sprache - ihr System, ihren Gebrauch, ihre semantischen und
pragmatischen Korrelationen - in verfremdenden Bildkonstruktionen vorstellt, und
zwar ohne deutenden Schlüssel, so dass allein dem Leser die Aufgabe der Deutung
und Dechiffrierung zukommt (114):
242 Die achtziger Jahre
jedem wort, das du einmal benutzt hast, solltest du einen namen geben, an dem du es wie-
dererkennst, so daß du es, wenn es abermals auftaucht, je nach dem erfolg, den es einstmals
gebracht hat, streicheln oder prügeln, küssen oder kauen, stoßen oder stützen könntest.
wenn du viel mit wörternzutun hast, solltest du dir eine Iiste ihrer namen anlegen, damit
du kontrollieren kannst, welches wort seinen namen verdient.
Visuelle Poesie, wie sie Mon und viele andere Künstler/ Schriftsteller produzieren,
war stets dem Vorwurf ausgesetzt, sie sei unverbindliches Spiel und Kunsthandwerk.
In solcher Kritik spiegelt sich häufig ein tief in Traditionen verhaftetes Misstrau-
en der wortdominierten Auslegerkultur gegen Bild, Bildlichkeit und Medialität.
Hinzu kommt die wissenschaftliche Konvention, dass für Texte die Philologie, für
das Bild die Kunstwissenschaft zuständig sei. Visuelle Poesie steht auf der Grenze
und blieb bisher trotz ritualisierter Bekenntnisse der Forschung zu interdiszipli-
närer Arbeit ein wenig untersuchtes Nischenfeld. Nun ist die Zuordnung visueller
Poesie zur literarischen Gattung der Lyrik keineswegs zwingend, sondern eher eine
provisorische Notlösung; denn bereits das Basiselement der Visualität erschöpft
sich keineswegs in Zeilenumbrüchen und gestalterischer Analogie zwischen einem
visuellen Artefakt und einem Gedicht. Und auch die Nähe zum Künstlerbuch als
einem ausgewiesenen Genre aktueller Kunst lässt den Begriff >Gedichtband< schon
im Ansatz als problematisch erscheinen. Daher hat Klaus Peter Dencker ( 1997) aus
plausiblen Gründen auf die Spannweite des Begriffs visuelle Poesie aufmerksam
gemacht und deren intermedialen Kontext akzentuiert. Die visuelle Poesie gehe
»einen erheblichen schritt weiter über die enge gattungsgrenze der literatur hinaus
in den intermedialen hereich zwischen literatur und bildender kunst, als dies die
konkrete poesie tat« (Gomringer 1996, 150).
präsentiert, beginnend mit »Da., Sah., Bu., Mau.« (ebd., 19), Abbreviaturen für
Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen. So entstand unter dem
Titelepitaph (Bäcker 1989) eine Texttafel, die mit ihren optischen Effekten die
Routine einer Mordmaschinerie dokumentiert: mit nichts als seriell verbundenen
Abkürzungszeichen, also ohne Kommentar, ohne Zusatz, ohne erklärenden und
wertenden Paratext. Solche Poesie kommt sogar ohne ein einziges vollständiges
Wort aus und stellt die elementarste Form einer Spurensuche dar. Die minimalen
Abbreviaturen aber reichen aus, um beim Betrachter je eigene Assoziationen und
Bilder auszulösen.
Zur Praxis visueller Poesie gehört schließlich auch die Kombination unter-
schiedlicher Verfahren. Ergebnisse solchen Experimentierens legte der im Umfeld
des Berliner Prenzlauer Bergs arbeitende Johannes Jansen unter dem Titel fundzeug:
chamäleon. text-bild-kombinationen (Jansen 1991) vor: eine Mixtur aus Piktogram-
men, Handschriftvariationen, Textresten, Bildskizzen, Illustrationen, Collagen und
Karikaturen. Es entstanden bizarre visuelle Effekte, die ein asymmetrisch angeleg-
ter Bildaufbau noch verstärkte. Die Rückkehr zu einfachen, elementaren künstle-
rischen Produktionsmitteln zeigt die visuelle Poesie als künstlerisches Praxisfeld,
das sich den revolutionären Technologiesprüngen der Medienentwicklung entzieht
und, zugespitzt in der Renaissance der Handschrift als eines künstlerischen Ele-
mentarmediums, den Blick auf die Anfänge zurücklenkt. Mit aller Emphase treten
Kunst und Literatur damit noch einmal als Formationen des Gegendiskurses zum
trendsetzenden Diskurs der technologischen Medienrevolution auf und aktualisie-
ren am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal eine alte, tradierte Opposition, das
Gegeneinander von literarisch-künstlerischer Moderne und ökonomisch-techni-
scher Modernisierung. Ein Jahrzehnt weiter wird diese Dichotomie bereits durch
Theorien der Medienvernetzung und Intermedialtät einerseits und neue künstle-
rische Praxen wie Digitale Poesie, Multi- und Hypermedia andererseits ins histo-
rische Archiv der Künste verwiesen werden.
Zitierte Werkausgaben
Fried, Erich: Fall ins Wort. Ausgewählte Gedichte 1944-1983. Hg. von Bernd Jentzsch. Frankfurt a.M.
1985.
Fried, Erich: Gründe. Gesammelte Gedichte. Hg. von Klaus Wagenbach. Berlin 1989.
Heise, Hans-Jürgen: Ausgewählte Gedichte 1950-1978. Hg. von Kar! Otto Conrady. Königstein, Ts.
1979.
Krolow, Kar!: Gesammelte Gedichte. Bd. 3. Frankfurt a.M. 1985.
Mon, Franz: Poetische Texte 1971-1982. Berlin 1997 (=Gesammelte Texte 4).
Zitierte Sekundärliteratur
Berendse, Gerrit-Jan: Grenzfall-Studien. Essays zum Topos Prenzlauer Berg in der DDR-Literatur.
Berlin 1999.
Böthig, Peter: Grammatik einer Landschaft. Literatur aus der DDR in den 80er Jahren. Berlin 1997.
Block, Franziska: MailArt in der DDR der 1980er Jahre- Bestandsaufnahme und kultureller Kontext.
Siegen 2004 (unveröff. Staatsexamensarbeit).
Bormann, Alexander von: Die Rückwendung zur Formtradition in der Lyrik der 80er Jahre. In: Duitse
Kroniek 34, H. 3 (1984), S. 2-12.
Dencker, Klaus Peter: Von der Konkreten zur Visuellen Poesie - mit einem Blick in die elektronische
Zukunft. In: Visuelle Poesie. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1997, S. 169-184.
Grosinski, Klaus: Prenzlauer Berg. Eine Chronik. Berlin 1997.
Hartung, Harald: Deutsche Lyrik seit 1965. Tendenzen, Beispiele, Porträts. München 1985.
Hartung, Harald: In: Schmitt, Hans-Türgen (Hg.): Die Literatur der DDR. München/Wien 1983.
Kasper, Elke: Zwischen Utopie und Apokalypse. Das lyrische Werk Günter Kunerts von 1950 bis 1987.
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Kunert, Günter: Vor der Sintflut. Das Gedicht als Arche Noah. München/Wien 1985.
Kunert, Günter: Zum allerneuesten Bewußtsein. In: Literaturmagazin 13 (1980a), S. 13-26.
Kurz, Paul Konrad: Widerstand und Wohlstand. Zur Literatur der frühen 80er Jahre. Frankfurt a.M.
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Labroisse, Gerd: Verwortete Verflechtungen. Zu Heinz Czechowskis neuen Texten. In: Labroisse, Gerd/
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Literatur an der Vrije Universiteit Amsterdam. Amsterdam 1994, S. 29-86.
Leeder, Karen: Breaking Bounderies. A New Generation of Poets in the GDR. Frankfurt a.M. 1996.
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Petersen, Türgen H.: Moderne, Postmoderne und Epigonenturn im neuen Gedicht der Gegenwart. In:
Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik 14 (1988), S. 1-25.
6. Die neunziger Jahre: Neue Produktivität
Die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989leitete eine politische Ent-
wicklung ein, die 1990 zur Vereinigung beider deutscher Staaten führte und zur
folgenreichsten politischen Zäsur seit 1945 (vgl. Wehdeking 1995). Die politische
Bedeutung dieser Zäsur steht außer Zweifel. Das Ende des Ost-West-Konflikts, die
Auflösung des Warschauer Paktes und die deutsche Vereinigung lassen die These
vom Ende der Nachkriegszeit plausibel erscheinen. Erstes Indiz für einen lyrischen
Stimmungswechsel war das rasche Ende der von Katastrophen- und Kassandra-Tö-
nen eben noch vorherrschenden Betroffenheitspoesie; wer seit 1990 Apokalypsen
wahrnahm, hatte dabei nicht die Weltlage, sondern eher die individuelle psychische
und physische Konstitution im Auge oder kommentierte den Krieg der Körper und
den Geschlechter-Kampf.
Der politischen Zäsur korrespondiert zumindest in einem bestimmten Bereich
auch ein signifikanter kultureller Einschnitt: Der Literaturbetrieb der DDR hörte
auf zu existieren. Die DDR-Literatur, seit der Ausbürgerung Biermanns 1976 und
dem sich anschließenden Exodus vieler Schriftstellerinnen und Schriftsteller ohne-
hin in eine Krisenlage geraten, verlor nun endgültig ihre politisch-gesellschaftliche
und kulturelle Funktion als »Leitmedium« und »Ersatzöffentlichkeit« (Emmerich
1997, 436). Die Frage, ob damit das Jahr 1990 nicht zugleich auch ein literarisches
und im engeren Sinne auch lyrikgeschichtliches Zäsurdatum ist, liegt angesichts
des Endes der DDR und der daraus ableitbaren Konsequenzen für Schriftsteller,
Publikum und Literaturinstitutionen zwischen Elbe und Oder sehr nahe. Trotz-
dem kann von einem abrupten Ende der DDR-Literatur keineswegs die Rede sein,
zumal der Begriff selbst seit den 1980er Jahren bereits immer fragwürdiger und
diffuser wurde.
befragt, also untersucht, ob der Untergang der DDR, das Ende der Nachkriegszeit
und die siegreiche Erweiterung der Bundesrepublik Deutschland bis an die Oder
- politisch zweifellos entscheidende Daten deutscher Zeitgeschichte - irgendeine
Spur im Themenspektrum zeitgenössischer Lyriker hinterlassen hat, der wird er-
staunt konstatieren müssen, dass, von bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen,
kaum Stimmen vernehmbar wurden.
Das hängt zum einen damit zusammen, dass es in allen deutschsprachigen
Ländern seit Ende der 70er Jahre keine bemerkenswerte politische Lyrik-Bewegung
mehr gab. Zum anderen schien auch niemand auf eine solche politische Poesie zu
warten; denn in den Feuilletons und literarischen Unterhaltungsshows der 90er
Jahre wurde zwar leidenschaftlich nach einem großen, aktuellen deutschen Zeit-
roman (dem so genannten Wenderoman) Ausschau gehalten, nicht jedoch nach
epochemachender politischer Dichtung.
Periodisierungsfragen sind keine Glaubensfragen mehr, hinter denen sich kol-
lektive Identitäten verbergen. Nicht im Sinne einer literarischen Epochenwende,
wohl aber als ein Jahr des kulturellen Einschnitts, hat das Datum 1990 Aussicht
darauf, im pragmatischen Sinne (und sei es als Gedächtnishilfe) einen Einschnitt zu
markieren. Das Jahr 1990 setzt dem Literatur- und Kulturbetrieb der DDR ein Ende,
wobei wohl nur das Endes des Endes gemeint sein kann; denn der Anfang vom Ende
liegt viel früher und reicht bis zur Biermann-Ausbürgerung 1976 zurück, so dass es
problematisch erscheint, von einem abrupten Ende der DDR-Literatur zu sprechen.
Auch ein Begriff wie DDR-Lyrik sollte nach 1976 nicht unreflektiert als beque-
mes Etikett genutzt werden (vgl. Emmerich 1997). Schon in den 80er Jahren erfasst
der Begriff nicht einfach nur die in der DDR geschriebene Lyrik. Einzubeziehen
etwa sind die Gedichtbände,
• die von Lyrikerinnen und Lyrikern stammen, die aus der DDR ausreisten,
• die gar nicht in der DDR veröffentlicht wurden, sondern nur im Westen er-
schienen,
• die in Ost wie West publiziert wurden,
• die in der Szene des Prenzlauer Bergs (vgl. Leeder 1996; Böthig 1997; Berend-
se 1999) entstanden sind, also die nicht im offiziellen Kulturbetrieb der DDR
verlegten, teils nur provisorisch vervielfaltigten Texte der jüngsten Generation
(Korte 2004, 65ff.).
Für diese Autorinnen und Autoren war die DDR ohnehin kein System mehr, das
eine diskussionswerte Legitimationsbasis hatte. Und auch diejenigen Autoren, die,
wie Volker Braun, in früheren Jahrzehnten die Identitäts- und Legitimationsfrage in
den Mittelpunkt ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der DDR stellten, waren
1990 keineswegs vom Ende der DDR überrascht worden. Es gab daher nur wenige
Lyriker, für die, wie für Stefan Hermlin, die Auflösung des Staates schon deshalb
ein schmerzhaftes Ereignis war, weil Privilegien wegfielen und entsprechende Pres-
tige- und Statusverluste verkraftet werden mussten.
Wie tief der Graben zwischen den früheren DDR-Lyrikern selbst war, zeigt
Günter Kunerts »Traum von Stephan Hermlin« (Kunert 1999, 21), das nach des-
Veränderte Konstellationen? Lyrik nach dem Ende der DDR 247
I
In einem blauen Anzug stand
er nächtens vor mir. Zwar tot,
doch wie im Leben elegant.
Ein Geist, den anzurühren sich verbot.
Das Gedicht stellt mit seiner Gespensterszene zwar verdeckt, aber unmissverständ-
lich deutlich auch die Frage nach der Dekanonisierung der DDR-Literatur und der
DDR-Lyrik, also nach dem möglichen Status- und Aufmerksamkeitsverlust für einst
viel beachtete Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Von einer anderen, sehr persönlichen Perspektive findet sich im Übrigen bei
Durs Grünbein eine an Kunert erinnernde Hermlin-Rezeption (Grünbein 2001,
64):
Physiognomisch blieb er mir immer unheimlich, als Schriftsteller ein beinah vollkommenes
Rätsel. Sein Typus entsprach allzusehr dem des Herrenreiters, des heimlichen Aristokraten,
wie ihn Ernst Jünger für die andere Deutschlandhälfte verkörperte, um so paradoxer, daß
dieser hier in den Reihen der Fünften Kolonne Moskaus kämpfte.
Ob von Hermlin, vor allem aber von der (durch ihn ganz und gar nicht repräsen-
tierten) DDR-Lyrik nur Schatten und Gespenster bleiben, ist freilich noch gar nicht
entschieden. Das Forschungsinteresse beispielsweise an der DDR-Lyrik ist seit 1990
nicht rückläufig, sondern eher gestiegen. Und auch wenn ein Autor wie Hermlin
- Kunerts Gedicht belegt dies auf eindrucksvolle Weise - aus dem Kanon fällt, so
lässt sich daraus für die DDR-Lyrik insgesamt nichts Trendsetzendes ableiten.
gegenüber eine deutliche Distanz eingenommen und verstärkten diese nach 1990
in der Ablehnung kapitalistischer Strukturen und Mentalitäten. Brauns und Mül-
lers Gedichte interpretierten das Zäsurdatum 1990 als Kontinuität einer deutschen
Geschichte, die ihre Utopien und Chancen seit je verspielte. Brauns(* 1939) klei-
nes Gedicht »Abschied von Kochberg« (1999, 20) aus dem schmalen Gedichtband
Tumulus ist dafür ein Beispiel:
I
Die Bauern tanzen
Um den Galgen
An dem die Partei hängt, das Gesinde
Lustig Plakate im Frühling in Prag
ER IST GEKOMMEN. WIR AUCH. DEUTSCHE BANK
Das liebe Zimmer der Utopien
Endäßt den Gast in den Unsinn
ES GILT ALLE VERHÄLTNISSE stehenzulassen
IN DENEN DER MENSCH EIN GEKNECHTETES
Ich stand mit der Karre in Zeutsch
Ein Fuß auf der Bremse ein Fuß auf dem Gas
Die Äste krachten herunter und die Blätter
Wehten UND ELENDES WESEN IST
L_
Brauns Gedicht spielt auf ein Ereignis an, das in den Anmerkungen erläutert ist: »Im
September 1990. Der Galgen mit der aufgehängten SED stand auf dem Tanzboden
des Gasthofs Zum Goldenen Löwen« (43). Braun rekurriert auf das Geschehen, in-
dem er es interpretiert und wie eine Allegorie auf das Ende sozialistischer Utopien
liest. »Das liebe Zimmer der Utopien« steht nicht mehr zur Verfügung; die Ankunft
im Westen ist die Ankunft im »Unsinn«. Aber nicht um eine derart simple Befind-
lichkeit geht es Braun. Er zitiert fragmentarisch Reste aus einer Frühschrift von
Karl Marx, die mit aller Emphase und Prägnanz das Ziel der Geschichte markierte,
also Utopie umriss: »ES GILT ALLE VERHÄLTNISSE« umzuwerfen, »IN DENEN DER
MENSCH EIN GEKNECHTETES«, unterdrücktes »UND ELENDES WESEN IST«.
Das Antonym »stehenzulassen« bezeichnet den Endpunkt einer Antiutopie und
damit die Richtung der Geschichte gegen deren utopischen Vorschein bei Marx.
Die Situation dessen, der ein Fahrzeug an einen Baum fährt, bremsend und Gas
gebend zugleich, steht bei Braun für das Scheitern eines widersprüchlichen, nach
vorn und nach rückwärts zugleich gerichteten Systems. Einbezogen wird auch die
historische Möglichkeit des Prager Frühlings, jenes von Truppen des Warschauer
Paktes zunichte gemachten Versuchs einer Demokratisierung des sozialistischen Sys-
tems 1967/68. Statt des politischen Frühlings von einst mit seiner utopischen Fort-
Schrittskomponente ist nun der eigentliche Gewinner der Geschichte auch im Osten
erschienen, das kapitalistische System und sein Signet: »DEUTSCHE BANK«.
Die Technik der fragmentierten Zitat-Montage erinnert ebenso an Brauns frü-
here Schreibweisen wie die Einbindung des lyrischen Ichs in den Reflexionsraum
des Gedichts, das zwar nicht den (Irr-)Weg der Geschichte aufzuhalten vermochte,
Veränderte Konstellationen? Lyrik nach dem Ende der DDR 249
aber ihn zu deuten imstande ist, also fahig ist, mit einem Schlussvers wie »UND
ELENDES WESEN IST« den Status quo nach 1990 auf eine bündige Formel zu brin-
gen.
Brauns Verständnis von Geschichte ist freilich kein Ergebnis der Wende, sondern
wurde bereits in den 80er Jahren herausgebildet. »Braun hat«, so Uwe Wittstock
in einem Resümee des Wendejahres 1989, »die Gewißheit verloren, mit der er den
Gang der Geschichte betrachtete. [... ]Aber dennoch ist Braun nach wie vor nicht
bereit und fahig, sich mit dem Gegebenen abzufinden« (Wittstock 1989, 197).
Eine derart verquere Dialektik von Illusionslosigkeit und opponierender Be-
harrung schreibt Wirtstock dem Autor als einem zerrissenen Subjekt zu, nicht den
politischen Systemen selbst. Braun jedoch hat gerade aus der Spannung zwischen
Utopieverlust und Selbstreflexion die morsche Widersprüchlichkeit des »Gegebe-
nen« in seinen Gedichten der 80er und 90er Jahre festgehalten und so die schon
im Training des aufrechten Gangs ( 1979) beobachtbare Tendenz der Negation noch
weiter radikalisiert. Darin liegt- über alle inhaltliche Positionsbestimmung hinaus
- seine genuin literarische Bedeutung: Die aufgebrochene, fragmentarische, mo-
nologische Form seiner Gedichte ist ein permanenter poetischer Suchprozess zur
Bestimmung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft.
So steht auch Brauns Gedichtband Tumulus (1999) in der Tradition einer die
Gegenwart interpretierenden, durchschauenden Zeitlyrik. Dabei gibt der Tumulus
den Ort des lyrischen Subjekts an; er steht auf dem Feldherrnhügel, wie einst Cäsar,
um die Bewegungen und Gegenbewegungen von Freund und Feind zu studieren.
Das Gedicht »Der Totenhügel« (16) ist ein Schlüsselgedicht für die Position und
den Anspruch kritischer Zeitgedichte Volker Brauns:
I
Cäsar sah fern vom Tumulus
Der Seeschlacht zu Barbarenschiffe Angstschweiß
Eines Großen der Geschichte macht
[... ]
So entstehen Weltreiche I Ich sah sie fallen
Auf seinen Knochen stehnd dem Führerbunker
Gratewohlstraße im anderen Deutschland
[... ]
Taumelzaudernd DER TANZ AUF DER MAUER
Die Mauerspechte mit den kleinen Hämmern
Die Volksarmee sah zu das Heer der Arbeitslosen
Eine Minute in Meiner Zeit
L_
Es ist die Position des souveränen Ichs, die Braun ansteuert, der Blickwinkel des-
sen, der Geschichte wie Gegenwart mit emphatischer Stimme in wenigen Versen
auszuformulieren versteht. Der Status des Subjekts als einer unabhängigen, zu
historischem Bewusstsein und politischem Urteil exzeptionell befahigten Instanz
zitiert noch einmal eine Jahrzehnte lange Tradition, die weit herausgehobene Rolle
250 Die neunziger Jahre
des DDR-Lyrikers, der sicher sein konnte, dass seine Texte in Ost und West glei-
chermaßen aufmerksam studiert wurden.
Nur wenige hatten eine solche Stellung wie Braun. Einer davon aber war Rei-
ner Müller (1929-1995), der in seinen letzten Lebensjahren nicht nur als Dra-
matiker, sondern auch als Gedichtschreiber eine ungemein hohe Produktivität
entwickelte. Manche seiner Texte- »Herakles 13 (nach Euripides)« (Müller 1998,
237ff.), »Senecas Tod« (250) und »Mommsens Block« (257) -können ihre Ähn-
lichkeit mit den entdramatisierten Müllersehen Theaterszenen und -fragmenten
nicht verleugnen, vor allem nicht wegen ihres monologischen, pathetischen, fast
monumentalen Bühnencharakters. Diesen langen Panoramatexten stehen allerdings
stark verdichtete, lakonische Epigramme gegenüber. Auch sie entstammen einem
fragmentarischen, stark skizzenhaften, andeutenden Schreibmodus, bei dem jedes
Wort rhetorisch prägnant gesetzt wurde. Wie Braun ist auch für Müller die An-
nihilation des Utopischen ein immer wieder variiertes Thema. In seinem Gedicht
»Schwarzfilm« (275) von 1993 heißt es:
Das Sichtbare
Kann fotografiert werden
0 PARADIES
DER BLINDHEIT
Was noch gehört wird
Ist Konserve
VERSTOPF DEINE OHREN SOHN
Die Gefühle
Sind von gestern Gedacht wird
Nichts Neues Die Welt
Entzieht sich der Beschreibung
Alles Menschliche
Wird fremd
L_
Noch im Befund der sich entziehenden »Beschreibung« der »Welt« ist Müllers
»Schwarzfilm« kein bloßes Dokument der Negation. Sehen, Hören, Fühlen, Denken
und Hoffen sind in einer Welt zwar nicht mehr möglich, der »Alles Menschliche«
nur noch »fremd« wird. Das Gedicht aber hält eben diese verschlüsselte Wahrheit
fest. Müllers späte Epigramme sind Versuche, aufknappem Raum Bildkonstellati-
onen aus dem Alltag oder aus der Geschichte zu entwerfen, in denen die Signatur
einer tristen, utopielosen Gegenwart für Momente aufscheint. Aus einer beiläufigen
Beobachtung kann sich, wie in »Leere Zeit« (288), ein Blick auf die eigene prekä-
re Lage entwickeln: »Meinen Schatten von gestern I Hat die Sonne verbrannt I In
einem müden April I I Staub auf den Büchern I I In der Nacht I Gehen die Uhren
schneller I I Kein Wind vom Meer I I Warten auf nichts.«
Umgekehrt werden im historischen Sujet Gegenwartsnotizen aufgeschrieben,
wie im römischen Paradigma »Feldherrngefühle« (289): »SCIPIO während seine
Soldaten Salz streuten I Auf die Trümmer und Leichenberge von Karthago I Zi-
Veränderte Konstellationen? Lyrik nach dem Ende der DDR 251
tierte Homer EINST WIRD KOMMEN DER TAG und weinte I Polybios hat es gesehn
der Geschichtsschreiber I Wann haben wir einen Sieger weinen sehn.« Das Thema
des Untergangs von Systemen und Zivilisationen steht im Mittelpunkt des Textes,
der in der Opposition von Rom und Karthago die Dichotomie von Ost und West
in ein historisches Gewand steckt und mit fast moralischem Hintersinn den wei-
nenden Sieger Scipio mit den Siegern von 1990 vergleicht: »Wann haben wir einen
Sieger weinen sehn«?
Zu den Motiven des späten Müller (Ebrecht 2001, 116-152) gehören Schlüs-
selthemen wie Schreibekel und Schreibhemmung, Krankheit und Melancholie:
Ennui-Syndrome, die eine Verweigerungshaltung gegenüber dem siegreichen Wes-
ten ausdrücken. In einem der letzten Gedichte Müllers vor seinem Tod Ende De-
zember 1995 werden Apokalypse und Hoffnung (»Ich werde wiederkommen«)
miteinander verknüpft, freilich so, dass das Bild nicht auf Utopie, sondern aufs
Finale zuläuft (321):
I
Die Welt ist beschrieben kein Platz mehr für Literatur
Wen reißt ein gelungener Endreim vom Barhocker
Das letzte Abenteuer ist der Tod
Ich werde wiederkommen außer mir
Ein Tag im Oktober im Regensturz
L_
wie tief die Verletzungen auf dem Grund der Erinnerungen waren, die genau dann zur
Aktualisierung kamen, als sich das kleine, hinfällige Land an seine Entsorgung gemacht
hat und wie Wasser in einem Spülbecken im Abfluß verschwand. Alle waren sie plötzlich
weg, die man hätte fragen können [... ].Aber sie waren nicht etwa weg, sondern sie waren
hinter Hunderten von anderen Meinungen verschwunden, und die Transparente hingen
verwaist an den zerfallenen Wänden der Häuser, wie von keiner Menschenhand gemacht.
Diese Flucht war es, die in der Sprache stattfand, die ich als unerträglich empfand. Dieser
eilige Sprung auf ein anderes Pferd, das schon gesattelt auf der anderen Weltseite stand. Jeder
war mit seiner Geschichte von nun an allein, und auch ich wollte mit meiner Geschichte
von nun an allein sein.
Veränderte Konstellationen? Lyrik nach dem Ende der DDR 253
Distanzformeln, wie sie für Drawert kennzeichnend sind, finden sich bei einer Reihe
von Autoren, die schon vor dem Ende der DDR in den Westen kamen. Uwe Kolbes
Lyrik, sonst eher zurückhaltend und reflektierend, kennt harte Attacken gegen na-
tionale Identitäten: »Das deutsche Idiom ist Klinge im Hals, I symmetrische Kotze,
röchelnder Schlund. [... ] Salto bestiale im Turnvaterland. I Ich bins satt, Landsmann
zu sein« (Kolbe 1994, 14). Das Leiden an einer nicht-akzeptierten nationalen Iden-
tität wird zum Gedichtthema und kehrt bei Kolbe in vielen Wendungen wieder:
»Wo bin ich angelangt?« (48), »Die Sprache hätt ich gern fortgegeben« (28), »Al-
lein sein und deutsch sein, I in Rom, ein Krieg in dir selbst« (26) und »So, ortlos,
angekommen, I Kein Fluchtreflex I im Spiegel der Bucht.« (97)
I
>>Sind im Westen alle Dächer
ganz aus Gold?<<- »Nein, das nun nicht.
Aber wenn du brav bist, kannst du
Tag für Tag Bananen essen.<<
>>Wieviel Stück?<<- >>Ach, über tausend.<<
Nimmt dieses Gedicht die Illusionen des Ostens aufs Korn, so zielt das Gedicht
»Das Immobilistenballett« (54) auf die handfeste Inbesitznahme der neuen Wirk-
lichkeiten durch »Bauland«-Spekulanten aus dem Westen:
254 Die neunziger Jahre
I
[... ] Ist ja wirklich hier
eine richtige Wildnis. Doch schwierig als Bauland.
Wie soll sich das rechnen? Rechnet sich das,
kauft man sich gleich was, und wieder drei Schritte vor,
wo man noch wirklich, und Bromheergerank
umklammert die Hosen, zu leben versteht,
in der Toscana, der Kirschbaum muß weg,
zwecks Tiefgarage - aufwehn die Schlipse,
das Grölen der Vögel malt Bögen in ihre
pragmatischen Hirne, und seihdritt drei Schritt
stolpern die Herren, SOS tippt einer
in den Taschenrechner, o Wunder, in Richtung
Toscana. Totale Kirschblütenverschüttung.
L_
I
oh tag der du ablaeufst
wie schnullies femsehfilm
oh wohlstand deine schnulze
geigt in geilen toenen wenn
ich unser flusensieb anbete
schwimmende kuechen auslekken
springende klo & wasserbekken
mir lieb wie luksus sind
wer sich in genuss begibt
kommt genossen darin um
wer sich nicht darein begibt
kommt parteilos drum herum
oder aber zwanglos ohne um
L_
Prenzlauer Bergs nicht mit der deutschen Vereinigung. »Die zornigen Jungen«
(Wittstock 1989, 227), zu denen auffallend viele Lyrikerinnen und Lyriker gehör-
ten, gerieten sogar noch einmal an prominentester Stelle in die Nachrichten und
Feuilletons, als Wolf Biermann öffentlichkeitswirksam in seiner Dankesrede bei der
Entgegennahme des Büchner-Preises Sascha Andersons jahrelange, systematische
und in fatalem Sinne hocheffiziente Spitzeltätigkeit für die Staatssicherheit ent-
larvte.
Damit kam für einen kurzen Moment in der Tat eine der schillerndsten, um-
triebigsten und undurchsichtigsten Figuren der Szene in den Blick. Andersons
Enttarnung nahm die Literaturkritik im Westen zum Anlass, das frühere Bild von
den »zornigen Jungen« umzukehren und die literarische Qualität der gesamten
Literatur- und Kunstproduktion als recht belanglos abzutun.
Seither gilt vielen die oppositionelle junge Szene am Prenzlauer Berg als eine
Art Kulturclub im Schattenreich der informellen und hauptamtlichen Mitarbeiter
des Staatssicherheitsministeriums. Andersons Rolle war zweifellos die einer Infilt-
rationsfigur, welche die Aufgabe hatte, im Mitspielen und Mitagieren die Szene zu
stimulieren und nach vorn zu treiben, damit Positionen deutlich, Aktionen jus-
tiziabel und Protagonisten der Prenzlauer Berg Connection als staatsgefährdende
Subjekte kontrolliert und schließlich überführt werden konnten. Zugleich hat es
Anderson verstanden, die Betriebsamkeit und den Aktionismus nicht über einen
gewissen Punkt hinaus zu steuern: Szene blieb Szene, also ohne politisches Profil
und ohne systemgefährdende Binnenwirkung. Als Subkultur integrierte sie zudem
ein systemkritisches junges Potenzial, das umso leichter als kulturelle Opposition
geduldet wurde, als es sich in fein kontrollierten, ständig beobachteten Grenzen
bewegte. Aber war damit der literarische undergroundbereits neutralisiert und ad
absurdum geführt, weil sich Anderson und andere der Szene bedienten und als
Doppel-Protagonisten ihr Unwesen trieben? Und sind die Gedichte Andersons
schon deshalb keine mehr, weil sie sich einer Spitzelexistenz verdanken? Es gibt
Verse, die -von heute aus gelesen - wie über sich selbst angelegte Dossiers wirken
(Anderson 1982, 49):
I
ich bin kein artist von land zu land
ich bin kein artist von land zu land
ich bau mir meine mauer selber durch den Ieib
die eine hälfte fault sofort die andre mit der zeit
ich bin kein artist ich mach kein spagat
ich häng mit meinem weissen hals im heissen draht
L_
Nach seiner Enttarnung spielte Anderson in der Lyrik der 90er Jahre keine Rolle
mehr.
256 Die neunziger Jahre
Aus der Perspektive der 90er Jahre erwiesen sich jene Basiskategorien aber als
Konstruktionsmuster, deren Tauglichkeit zur Disposition stand. Was einst unter
dem Begriff der Wirklichkeit subsumiert wurde, das galt nun als ein Verständnis
von Realität, in das Denkschemata, Ordnungsprinzipien, Erwartungen und unhin-
terfragte Ansichten eingeflossen waren. Die neue Lyrik war daher von vornherein
eine ungleich stärker reflektierende Dichtung, indem sie die Wahrnehmung und
die Konstruktionsprinzipien von Wahrnehmung thematisierte, vor allem auch vor
dem Hintergrund medialer Erfahrungen und der immer dominanter werdenden
Rolle der Medien innerhalb der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Sozialisati-
ons- und Lebensgeschichte des einzelnen Menschen.
Der Generationenbegriff darf freilich nicht als Erklärungsansatz für den Para-
digmenwechsel gelten. Dafür sind die einzelnen Stimmen viel zu unterschiedlich
konzipiert. Von einem Generations-, Epochen- und Zeitstil kann daher keines-
wegs die Rede sein. Die Bedeutung sprachproduktiver Konzeptionen innerhalb der
jüngeren Generation war - darin liegt die eigentliche Stärke dieser Autoren - an
je individuelle, teils sogar gegensätzliche Auffassungen von Lyrik, Sprache, Poesie
und Literatur geknüpft. Ein Lyriker wie Durs Grünbein etwa stand und steht der
experimentierenden, die Sprache fragmentierenden, verfremdenden Lyrik skep-
tisch, ja ablehnend gegenüber, während ein Autor wie Franz Josef Czernin aus der
Perspektive einer in den 90er Jahren höchst agilen Österreichischen Literaturavant-
garde allen Rekursen auf Konvention eine Absage erteilt, selbstverständlich ohne
Rücksicht auf das Alter der Gedichtproduzenten. Aber erst die Spannweite zwischen
Grünbein auf der einen und Czernin auf der anderen Seite zeigt den Umfang und
die Dynamik des Paradigmenwechsels.
Thomas Kling
Einer derjenigen, der nicht allein mit seiner lyrischen Produktion, sondern auch
mit Auftritten, spektakulären Präsentationsformen und wichtigen poetologischen
Essays der Richtungsänderung zum Durchbruch half, ist Thomas Kling(* 1957).
In den 80er Jahren war er bereits im Rheinland einem an Lyrik und neuen For-
men der Lyrik-Lesung interessierten Publikum bekannt. Er hatte in Wien, wo ihn
ein Auftritt in den Margaretensälen bekannt machte, Friederike Mayröcker und
Ernst Jandl getroffen. Kling war von Anfang an ein Antipode zur vorherrschenden
Betroffenheitslyrik, indem er dem Räsonnierton eine vitale, selbstbewusste Poesie
entgegensetzte. Kling brach - eine Parallele zu Ernst Jandls Auftrittsdramaturgie
drängt sich auf - mit traditionellen Dichterlesungen in Volkshochschulräumen
und Hinterzimmern von Buchhandlungen. Als Beuys-Schüler war er mit Perfor-
mance-Kunst vertraut und begann seine Auftritte zu inszenieren. Dabei ging es
nicht um eine von den Texten entfernte Selbstdarstellungsform. Klings Lyrik- am
Ende der 80er Jahre lag hier ihr wesentliches Innovationspotenzial - basierte auf
einer auditiven Poetik, zumindest in dem Sinne, dass die Diktion seiner Gedichte
als gesprochene, vorgetragene Texte einen unverwechselbaren Kling-sound erhiel-
ten. In seinen Gedichtbüchern verstand es der Autor auf raffinierteste Weise, seiner
258 Die neunziger Jahre
I
nebeleisern blix: der jeepmann
garagn- und schußherrder da zu-
rrte, jagdgrün; in meim lljährign
rükkn ein hochneblichter tannan-
anstieg. vor mir dies: HIRSCH GARAGE!
GARAGNWANT ALS HIRSCHWANDT! schon ap-
gesägtn geweihs der unbeschienene hu-
bertuskopf, des hirschkopfs augnfleisch
kopfunter, ausgependelt. da allgäuer
zerrnebel beidseitig raus, und aufgebro-
chn ausgeweidet ausgeräumter Ieib BO-
RSTIGE RAUMTEILUNG bei weggeräumtm
Innereieneimer stark! riechende -wände (g-
ruchsklaffung): der da so hinge-
hängter hingeklaffter hirsch
L_
Klings Wortspuren sparen alles Überflüssige aus. Der Autor entfernt Vokale, Sil-
ben, Endsuffixe, Konjunktionen; er verändert Schreib- und Trennregeln, nutzt In-
terpunktionen dazu, Hervorhebungen zu markieren, und verdichtet seinen Text
durch Verschleifungen, Konsonantenhäufungen, Skizzenstil und prägnante Kon-
zentration.
Gedichte wie Klings »blikk durch geöffnetes garagntor« sind Indikatoren für
eine gegenüber dem Trend der 80er Jahre radikal gewandelte Lyrik. Nicht allein die
orthografisch-phonetische Präsentationsform indiziert einen Formwandel; sie ist
eher ein der Mündlichkeit von Gedichten verpflichtetes Prinzip, an das auch die
Leser erinnert werden, die gleichsam mit dem Text auch einen Partiturvorschlag
zum Vortag erhalten. Wichtiger noch ist Klings Praxis - auch sie steht im Zeichen
des Paradigmenwechsels -, seine Texte mit Zitaten, Anspielungen, historischen,
kunst-und kulturgeschichtlichen Verweisen zu versehen, ohne dabei im Sinne ei-
nes Distinktionsgewinns mit Bildungsballast aufzuwarten.
In seinem Gedichtband nacht. sieht. gerät (1993) nimmt der Autor noch eine
weitere Tendenz vorweg, die bis zum Ende der 90er Jahre ein Kennzeichen sprach-
produktiver Lyrik sein wird: die Praxis zyklischer, komplexer Kompositionen und
die Auflösung der klar fixierten Gedichtgrenze. Dass sich damit die Lesewiderstän-
de noch einmal potenzieren, erscheint evident. Lyrikbände werden zu durchkom-
ponierten Gedichtbüchern. Deutlich wird dies vor allem in den mit »bildpool«
(19ff.) und »sachsnkriege oder was« (27ff.) überschriebenen Zyklen. Die einzelnen
Gedichte stehen in einem textübergreifenden Dialog, nehmen Anspielungen und
260 Die neunziger Jahre
Einfalle wieder auf, variieren Gegenstände und Themen, indem sie diese aus unter-
schiedlichen Perspektiven durchdringen, und erweitern das Gedichtbuch zu einem
ausgeklügelten, aber vieldeutigen, von Assoziationen getragenen Poesie-Netzwerk.
So ließen sich Klings »sachsnkriege« bis ins Detail mit feinen Schnitt-Techniken auf
einzelne historische Schichten durchprüfen. Der Bogen reicht vom 18. Jahrhun-
dert über den »UFA-kantinen- I geruch« bis zu den allenthalben noch sichtbaren
Spuren der DDR-Vergangenheit: »1942. stechschrizz licht. UFA-kantinen- I geruch
und geht nicht raus. [... ] I postdam im juni. postdamer einkaufszone, I deutliches
sprachspree BEI RÄUMUNG GIBT I ES TOTE, potsdamer schäferhundschnauze I
potsdamer schäferhundzunge, fertiges I voll fertiges fensterglas-tattoo. NVA- I tarn-
netze über der gutenbergstraße. I kehrtmarsch, voll schimmliger grenadier-1 choräle
der schinkelhimmel, geflüsterter I Iaubengang. einzel. bild. schaltung. I friedrichs
zurückgespulte blaue augn. [... ]« (29).
Klings Gedichte sind weder erfundene poetische Bilderwelten noch Kommentare
zur Gegenwart, die sich der Sprache als eines Mittels für Nachrichten und Botschaf-
ten bedienen. Der sprachliche Prozess selbst steht im Mittelpunkt kompositorischer
Arbeit, und er ist ein aktiver, veränderbarer Prozess, bei dem am Anfang noch nicht
klar ist, worauf er abzielt. Vor diesem Hintergrund setzt auch der Gedichtband
morsch (1996) mit seiner Fließtext-Technik einen weiteren Akzent.
Klings Sprachmaterial ist keineswegs künstlich. Der Kling-sound ist kein von
der Alltagssprache abgehobener, hermetischer Ton, sondern entsteht in der Kom-
bination und überblendung alltäglicher Redefragmente mit niederrheinischem
Dialekt, Slang, Umgangssprache und elaboriertestem Code, beispielsweise der Bil-
dungssprache. Das lyrische Subjekt führt den operativen Prozess solcher Mischun-
gen unmittelbar vor; es kommt auf den Prozess selbst, nicht auf ein bereits ferti-
ges, dem Leser präsentiertes Ergebnis an. Die Basis der Gedichte sind Wahrneh-
mungskomplexe elementarer Art: Hörwahrnehmungen, visuelle Beobachtungen,
orchestrierte Stimmenreste aus allen möglichen Wirklichkeitsfeldern, urbane Töne,
Spurenreste von Dichtungen.
Daher wäre es falsch, nach traditionellen lyrischen Themen zu fragen. Kling
schreibt keine Liebes-, Natur-, Kriegs-, Freundschafts-, Erlebnis-, Reise- und All-
tagslyrik. Dort, wo die Sprache selbst der eigentliche Gegenstand poetischer Praxis
ist, dort haben Stimme und Schrift elementare Bedeutung. In einer Reflexion auf
historisches Material erkennt Kling eine Verweis-Spur auf elementare Schreib-
techniken, die mit seinen Fließtext-Partituren verblüffend übereinstimmen. Der
archaische Bezug konstituiert eine moderne Poetik-Konstellation. Der »rom-se-
quenz« (Kling 1996, 93ff.), dem letzten Zyklus von morsch, stellt er ein zum Ge-
dicht verformtes Zitat Theodor Mommsens voran: »die älteste etruskische schrift
kennt I noch die zeilenicht und windet sich I wie die schlange sich ringelt« (95).
Eine solche Mäandertechnik aus der Frühzeit der Aufschreibsysteme liest sich vor
dem Hintergrund der Gedichte Klings und anderer sprachproduktiver Lyriker der
90er Jahre wie eine Allegorie höchst aktueller poiesis.
Zwar kennen die Gedichte die Zeilen, aber die assoziative Suchbewegung des
Schreibens kennt eben keine transparente Zeilenordnung, keine Ordnungsmuster
Im Zeichen der Sprachproduktivität Generationenwechsel als Paradigmenwechsel 261
I
die stadt ist der mundraum.
die zunge, textus. die namen,
blicknamenzerfalL geschmo-
lzene, bewegte, schwarz-
glühnde suppe. steinbrei,
der dickt. stein, abgedunkelt
von der hand: stadtzahl an
zahl, die aus den blickn,
flüchtig, aus flüchtigem,
fluchtvollem mund sich
entfernt.
L_
Das Itinerar stellt keine geschlossene Poetik dar, sondern ist im Gegenteil ge-
prägt durch seine offene (Weg-)Struktur; es liefert entscheidende Stichwörter, keine
gelehrten Kommentare. Kling registriert seit »Mitte der 80er Jahre[ ... ] ein erhöhtes
Interesse in der sprachkritisch-avancierten deutschen Lyrik an oralen Traditionen«
(17), hebt damit aber die Rolle der Mündlichkeit für den Schreib- wie für den Re-
zeptionsprozess von Gedichten hervor. Daraus folgert er freilich nicht, dass sich
Lyrik in Inszenierung und »Sprachinstallation« auflöst: »Das Gedicht als Iiterales
Ereignis ist die Sprachinstallation vorder Sprachinstallation.« (20) Programmatisch
und wegweisend ist Klings Bekenntnis zu einer von Komplexität und Verstehens-
hindernissen geprägten Lyrik, die damit im Kontext der Moderne ihre eigene Rolle
bewahrt, also nicht in den umherkreisenden Diskursen ohne Rest aufgeht (55):
Durs Grünbein
Ein anderer, der für den Paradigmenwechsel der Lyrik im letzten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts zu nennen ist, hat die Rolle der Lyrik immer wieder in seinen Essays
untersucht: Durs Grünbein (* 1962). Seine unter dem Titel Galilei vermißt Dan-
tes Hölle und bleibt an den Maßen hängen (1996) erschienenen Essays geben einen
Einblick in grundlegende poetologische Maximen des Autors. Wie Kling grenzt sich
Grünbein von der Annahme ab, ein Gedicht sei ein aus sachthematischen Motiva-
tionen entstandener, vom Gegenstand her geplanter Text (29):
Am Anfang weiß nichts in uns, was das Gedicht bereithält. Erst wenn das lyrische Thema
zum Vorschein kommt, läßt die Balance sich ermessen, mit der es sich aufrecht hält zwi-
schen Alpha und Omega[ ... ]. Auftauchend aus dem Gemurmel, stellt es die Verbindung
her zu jenem ortlosen, unendlich ausgedehnten Gedächtnis, einer Sphäre jenseits von
Biographie und Geographie.
Jenseits der allgemeinen Diskurslage also situiert Grünbein das Gedicht und grenzt
es kategorisch gegen »den Terror der Allgegenwart« (ebd.) ab. Als Autor hat sich
Im Zeichen der Sprachproduktivität Generationenwechsel als Paradigmenwechsel 263
Gedicht führt das Denken in einer Folge physiologischer Kurzschlüsse vor. Immer unterwegs
auf seiner Reise durch die Zeiten (des eigenen Körpers wie jener der Gattung, Geschichte)
findet es im Gedicht einen Ort zum Innehalten, einen Aufenthalt unter den flatternden
Reden, den erbärmlichen Ansichten, einen Schauplatz der Zeichen und Bilder, auf denen
das Lebe hinausläuft.
I
Leute mit besseren Nerven als jedes Tier, flüchtiger, unbewusster
Waren sie's endlich gewohnt, den Tag zu zerlegen. Die Pizza
Aus Stunden aßen sie häppchenweise, meist kühl, und nebenbei
Im Zeichen der Sprachproduktivität Generationenwechsel als Paradigmenwechsel 265
Ein solcher Text, bis ins Detail durchgearbeitet, hat selbstverständlich eine rheto-
rische Struktur, die mitunter auch pathetische Redevarianten einschließt. Diese
verstärken sich in jenen dem römischen Satiriker Juvenal nachempfundenen zi-
vilisationskritischen Texten noch, die Grünbeins Gedichtband Nach den Satiren
(1999) enthält. Der Gedichtband zeigt eindringlich, wie stark der Autor sich in die
Geschichte des großen Kanons europäischer Dichtungen von ihren Anfangen bis
zur klassischen Moderne vergraben hat, ohne ein bloßer Epigone zu sein. Grün-
beins eigene zivilisationskritische Perspektive, wie sie in seinem Gedicht »Falten
und Fallen« schon zum Ausdruck kam, wird von den epochenkritischen Invektiven
römischer Dichter geradezu angefeuert, die analoge Befunde vermeldeten: Wohl-
stand bei gleichzeitiger Armut, Körperkultur in Zeiten des Aussatzes, Langeweile
in historischen Umbruchszeiten, soziale Distinktion in Massengesellschaften und
opportunistisches Verhalten im Intellektuellenmilieu den Gewalten gegenüber, die
gerade noch der eigene Vers und die eigene Schrift ein wenig kritisierten.
Es charakterisiert die Sprecherfigur der meisten Gedichte in Nach den Satiren,
dass sie sich nicht außerhalb des eigenen Befundes stellt, sondern den Platz mit
im Geschehen sucht und so die eigene Widersprüchlichkeit nicht verleugnen kann.
Nicht alle Gedichte dieses Bandes halten den Anspruch souveräner Sprachpro-
duktivität durch; manche stellen Haltungen aus, statt sie mit dem unbestechlich
skeptischen Blick früherer literarischer Praxis zu untersuchen.
Der Zyklus der »Historien« (9-90) bildet einen der wesentlichen Kerne des
Gedichtbandes. Grünbein nahm in diesen historischen Rahmen sowohl deutsche
Zeitgeschichte, die dreigeteilten »Novembertage« (64-67), als auch seinen Epitaph
aufReiner Müller, den »Brief an den toten Dichter« (61-63) auf und stellte damit
die zivilisationskritische Analogie zwischen der römisch-kaiserlichen Geschichte
und der aktuellen Gegenwart her. Im Epistelstil des »Briefs an den toten Dichter«
mag eine antike Literaturform durchscheinen. Und doch geht das Gedicht nicht
in der Sprödigkeit dieser Form auf, sondern weitet sich zur fast intimen Eloge auf
Reiner Müller, die ihre Voraussetzungen in der Nähe wie in der Distanz zu dieser
Zentralgestalt der älteren Dichtergeneration der DDR hat:
266 Dieneunziger Jahre
I
[... ] Und Deine Echos, ich höre sie noch,
Dein Flüstern manchmal, ein Lachen, hinten im Hals,
Wo die Krankheit heraufkroch und das war das Zeichen.
Eine Verzweiflung, die nicht aus dem Bürgertum kam.
Der Rest ist Lyrik, wie? Aber wenn alles zuwächst,
Der Traum undurchdringlich wird in der Menge,
Ist es der Vers, der ins Freie zeigt. Der geblendete Stieglitz
Singt schöner, heißt es, zu keinem Flug mehr verführt.
Was Du nur ahnen konntest, jetzt weißt Du es, tot
Neben den andern, die länger liegen und ohne Stimme
Für diese letzte Dunkelheit endlich,
Wo jeder Brief Dich verfehlt.
L_
Bert Papenfuß(-Gorek)
Unter den sprachproduktiven Lyrikerinnen und Lyrikern der 90er Jahre nehmen
auch solche aus der vormaligen DDR einen wichtigen Platz ein. Zu nennen ist El-
ke Erb, deren Gedichtband Unschuld, du Licht meiner Augen (1994) viele Facetten
einer Wort- und Bildfügungen orientierten sprachbewussten Poesie entfaltet. Jan
Factors Körpertexte (1994) gehören in diesen Kontext, Johannes Jansens prost neu-
land (1990) und Text Weg Bild Spiel (1993).
Ein prägnantes Beispiel ist auch Bert Papenfuß-Gorek (* 1956), dessen sprach-
experimentelle Praxis sich vor und nach der Wende an Beobachtungen und Eindrü-
cken aus der Lebenswelt des Berliner Prenzlauer Bergs entzündete, und zwar nicht
nur am urbanen Alltag einer von Bauruinen und Spekulationsobjekten gezeichneten
Stadtlandschaft, sondern gerade auch an verbreiteten Denkmustern, Erwartungen,
Emotionen und Phantasien der ehemaligen subkultureilen Szene.
Seinen Gedichten ist in doppeltem Sinne Widerständigkeit eingeschrieben. Auf
der einen Seite vermitteln sie in ihren von Ironismen und Anspielungen durchzo-
genen Versen eine wache, unsentimentale Abwehrhaltung gegen alle Formen von
Konventionalismus und Anpassung; auf der anderen Seite bieten sie dem Leser kei-
ne fertigen Stimmungsbilder an, sondern fordern seine Geduld vor allem dadurch
heraus, dass er sich durch verfremdete, orthografisch eigensinnige, im Druckbild
zuweilen fast kaum durchschaubare Ordnungssysteme durchkämpfen muss.
Die Formel »schriftbruch« (Papenfuß-Gorek 1990, 69) im Gedichtband So]a
liest sich wie eine poetologische Chiffre der dem Autor eigenen Irritationstechnik.
Der Autor präsentiert seine Gedichte in einer Vielzahl optischer Präsentationsfor-
men. Manche Gedichte erinnern an Oden und Elegien früherer Zeiten, manche
kombinieren, wie das Gedicht »enge« ( 13), rechts- und linksbündige Versreihungen,
manche nutzen Blocksatz-Schemata und wirken dann wie Prosagedichte; wieder
andere- ein Beispiel ist »ztillett« (93) -gehören in den Kontext visueller Poesie
und bestehen nur noch aus Kommata, Doppelpunkt, Gedankenstrich sowie einem
umgekehrten Ausrufezeichen, und ein Gedicht ist spiegelverkehrt abgedruckt, be-
Im Zeichen der Sprachproduktivität Generationenwechsel als Paradigmenwechsel 267
I
kein befestigtes hoxland
DER SINNLIXEN WAHRNEHMUNG
sie ferendert six selbst
ztendig darein begriffen
unterztuetse ix diese
Fertiefung Der Wahrnehmung
gleixtseitig das wissen
um eine ziere fuelle fon
erzeinungen
Die ix Nixt Wahrnehmen Kann
IST EMPFINDEN UNERFUELLBAR
L
In den 90er Jahren sind Verfremdungen wie diese symptomatisch für die sprachex-
perimentelle Richtung, fast sogar ein symbolischer Ausdruck des Paradigmenwech-
sels. Eine Nähe zu Thomas Kling ist unabweisbar, obwohl die Motive der irritie-
renden Schreibungen und auch deren poetologische Konzeptionen unterschiedlich
sind. Papenfuß-Goreks SoJa beispielsweise nutzt seine »schriftbruch«-Technik auch
für politische Repliken und Verspottungen. Der Bogen ist weit gespannt und be-
ginnt bei simplen Sprachspielen, die freilich in ihrer politischen Prägnanz genau
jenes opportunistische Wendeverhalten aufs Korn nehmen, das nach 1990 manche
politische Aufstiegskarriere begleitete: »manch Wettergegner I wird wetterwender«
(11). Ein wenig später wird dann dieser Aufstieg zum Spruchthema: »manx Wet-
terwender I wird wettermaxer« (71).
Auch einige der nach 1990 obsolet gewordenen Axiome und Ideologeme des
dialektischen Materialismus kehren in Papenfuß-Goreks Sprachspielen wieder, etwa
die Ansicht, dass der Kommunismus notwendigerweise »kommen muss«: »laufen
worte I wenn ihr dorthin wollt I wort - I flugs um bestimmten I forkommnissen
zuforzukommen I for ortbeim wort I dass kommunismus I kommen muss« (9).
In seinem von Jörg Immendorf illustrierten Poem Mors ex nihilo (1994) hat
Bert Papenfuß (im Namen fehlte von nun an der Zusatz »-Gorek«) seine Sprach-
experimente in eine andere Richtung hin erweitert. Er schrieb eine fast 500 Verse
umfassende Dichtung, der er wiederum ein paar Sentenzen hinzufügt. Vergangen-
heits- und Gegenwartsperspektiven vermischen sich zu einer Bestandsaufnahme
deutscher Widersprüche am Ende des 20. Jahrhunderts. Der satirische Blick zielt
nun auch auf die Position von Dichtern als Mitspielern »in der I kapitalistischen
produktion« (Papenfuß 1994, unpag. [V. 181-187]):
268 Dieneunziger Jahre
I
durchgeknallte dichter, teilweise rekrutiert
aus der freiwilligen Zusatzrentenreserve
auf jeden fall aber bestens bewährt in der
kapitalistischen produktion, kollidierten
routiniert mit hiebschartigen hardlinern
die sich stramm vorgenommen hatten, berüchtigt
zu werden & den ein' oder andern anzuwendenden
gedichtband zu offenbaren, um auf ihre situation
aufmerksam zu machen & ein achtwort zu sprechen
L
Was Papenfuß von manchem anderen Dichter der DDR unterscheidet, ist seine prin-
zipielle Distanz zur staatlichen Macht insgesamt, zur staatlichen Herrschaftsform.
So heißt es in einer Anspielung auf das Ende der DDR und den Westanschluss:
I
wenn ein staat ins gras beißt, singen die dichter
wenn er zu langsam stirbt, zündeln sie die lichter:
ein einziger blick in die struktur jeder gesetzgebung
entdeckt uns die erstarrungjeglicher kodizes:
eine verletzung des öffentlichen treu und glaubens,
beleidigung des ganzen menschenbilds, beleidigung
der einzelnen glieder desselben, meyneid, betrug
und diebstahl, sind unzertrennlich in ihr vereint
L_
Die in Prolog (»prolog auf dem schirm«), Hauptstück (»der eigentliche mors«)
und Epilog (»nachspiel im stall«) gegliederte Totendichtung, eine der vitalsten ih-
rer Art, sucht immer wieder die grotesken Züge der Zeitgeschichte, den Übertrei-
bungsduktus und die gänzlich absurden Züge. So endet der Hauptteil, eine ganze
Lebensgeschichte aus alternativem Milieu sarkastisch kommentierend, mit einem
absurden Dialog in Berliner Dialekt:
I
-warum machst'n dit allet? früh aus'n knick,
stullen schmieren, drogen rein, mündlicher
ausdruck, scheiße bauen, keine kompromisse,
bräute nerven, projekte anleiern, heiraten,
platten kaufen, scheiden lassen, tätlicher
ausdruck, illegalität & den ganzen scheiß
- dit jibt ma uffschluß, vastehste
L_
1998 folgt eine weitere Retrospektive auf die DDR, Papenfuß nennt sie SBZ. Land
und Leute. Das Eingangsgedicht »SBZ« besteht aus mehreren Dutzend vierzeili-
gen Strophen, einer Mixtur aus Oden- und Liedformen. In seiner Komplexität
Im Zeichen der Sprachproduktivität Generationenwechsel als Paradigmenwechsel 269
steht es paradigmatisch für die sprachmächtige Lyrik der 90er Jahre, die zyklische
Kompositionen, breit ausgestaltete Panoramagedichte und vielschichtige, schwer
verständliche Formensprachen goutiert. Gedichte solcher Art notieren keine spon-
tanen Befindlichkeiten mehr, sondern repräsentieren wie seit langem nicht mehr
den autonomen Anspruch einer Gattung, mit den Möglichkeiten der Poesie und
der poetischen Sprache epochale Prozesse, Zeitsituationen, Zäsuren und nicht zu-
letzt auch Lebensgeschichten am Ende des 20. Jahrhunderts darstellen zu können.
Dabei geht es nicht um die Illustrierung politischer und kultureller Diskurse, son-
dern um den literarischen Diskurs als Konterdiskurs, also als einzigartige, nur der
Poesie vorbehaltene Möglichkeit zur Reflexion und Selbstreflexion.
In der SBZ-Dichtung zeigt sich diese autonome Kraft nicht zuletzt in jenen
»furiose[n] sprachzustände[n]«, die Papenfuß als »Schleier meiner erinnerung«
(Papenfuß 1998, 9) bezeichnet. Da ist die Rede vom »kontemplationslager SBZ«
(ebd.), von »hausbackener zonophobie« (10), von der »übliche[n] kulturschlacht«
(14) und den erschöpften »reserven des wortsortiments« (ebd.), auch denen des
Prenzlauer Szene-Milieus, deren Grenzen Papenfuß nun deutlicher als sonst ak-
zentuiert: »wir bewegen uns in quatschwörtern I spicken irgendwelchen unfug
damit I & machen was zum einpfeifen draus« (10). Nach dem Aus für das »kon-
templationslager DDR« gelten nun veränderte Bedingungen: »raus aus den ver-
liesen I vergnüglichen sprittisierens I vollschmierens & wortspielens I die unsere
bleibe waren« (11). Die Ankunft im Westen aber war keine Ankunft in der Idylle;
lakonisch heißt es dazu: »abwinde ökonomischer talfahrten I wurden uns frisch
übergebraten« (16).
Lyrische Formen:
Fragmentierungstechniken und großflächige Gedicht-Poeme
Die sprachproduktive Dichtung der 90er Jahre hat eine große Neigung zum Zyk-
lischen, zum Gedichtbuch, zum großflächig angelegten Panoramagedicht und
schließlich auch zum Monumental-Poem. Bei einem Autor wie Jürgen Becker
(* 1932) gab es bereits in früheren Jahrzehnten Experimente mit komplexen Kom-
positionsformen. In den 90er Jahren hat Becker an diese Tradition angeknüpft,
beispielsweise im Foxtrott im Erfurter Stadion (1993) und im Journal der Wieder-
holungen (1999), in dem aus kurzen, teils sogar Ein- und Zweizeilern, rhizomartig
größere Komplexe entstehen.
Ein Beispiel ist ein mit »Einzelheiten. Wiepersdorfer Journal« (Becker 1999,
59-65) überschriebener Text. Er ist strikt fragmentarisch gehalten, liest sich wie
eine Aufzeichnung von Notizen, die erst noch zu einer größeren Arbeit sich fü-
gen wollen, enthalten, hintereinander gesetzt, semantisch und thematisch so weit
entfernte Zeilen wie »Kahlschläge und die Arbeit des Vergessens« und »im Nebel
tauchen Pferdekoppeln auf, Flugzeug-Hangars« (59). Beckers brüchige Formen
sind allerdings nicht mit einem formalistischen Fragment-Puzzle zu vergleichen,
sondern bilden einen zunächst kaum sichtbaren, aber in sich konsistenten Prozess:
Sie sind nicht nur dem Thema, sondern auch der provisorisch erscheinenden, im-
270 Die neunziger Jahre
I
auferstanden und ruiniert
gewandter in losen gewändern
neuer vergangenheit zugewandt
heult in zukunft ruinen
zeitwinds wehn von ursprung
durch dies loch jetzt
zuhälter und aufreisser
meister im flötenspiel
dem rechten augenblick
zu pfeifen den tatentanz
L_
Satz gestellten Satzzeichen arbeitet und alle Texte (auch den Schlusstext) mit einem
Komma, nicht mit einem Punkt abschließt.
Solche Verschleifungen, Abbrüche und Schnitte nutzt auf kleineren Flächen auch
Dieter M. Gräf. Seine »Partitur H « (Gräf 1994, 34) präsentiert mittig gesetzte Verse,
die in drei nummerierten Blöcken geordnet sind; es stoßen Zitat-Ausschnitte an-
einander; kurze, unvollständige Verse ohne semantische Bezüge wie »-unter, her- I
-kommen und -holen« stehen im freien Raum, ohne dass zunächst ein Zusammen-
hang erkennbar ist. Gräfs »Rauschstudie« ist ein »Appendix« (83-87) genannter
Anhang beigefügt, aus dem hervorgeht, dass die »Partitur H« unterschiedlichste
Texte, darunter einen so genannten »Rilke-Zitatrest« (83), zusammenmischt.
Die Tendenz zur fragmentarischen Komposition einerseits und zum Ausbau
von Zyklen und zyklenähnlichen Gedichteinheiten zu großflächigen Poemen sind
in Ansätzen sogar bei denjenigen zu erkennen, die, wie Kathrin Schmidt, zunächst
solche Formen nicht praktizieren. Im Unterschied zum Gedichtband Flussbild mit
Engel (1995) arbeitet die Autorin in Go-In der Belladonnen (2000) nicht nur mit
Zyklen-Formen, sondern, wie im Gedicht »farne fotografieren« (57-59), auch
mit Schraffuren, die skizzenhaft und andeutend bleiben: »man vergaß mich. nach
schlamm, nach liebesrezepten. I der niederen ordnung. I farne. fotografieren zum
beispiel« (57).
Wesentlich radikaler - und zwar seit Jahrzehnten - verfährt Friederike May-
röcker (* 1924) mit endlos ineinander geschobenen Versen, Stimmen, Skizzen,
spontanen Einfällen und Anspielungen, die ihren Gedichten zuweilen etwas Rät-
selhaftes, mitunter auch Zufälliges geben. Wie weit selbst in einem eng umgrenz-
ten Zusammenhang diese mäandernde Aufschreibtechnik reicht, zeigen zwei Ernst
Jandl gewidmete Gedichte des Buches Das besessene Alter (1992). Da hebt das Ge-
dicht »der garten, funkelnd wie seine Gewässer« (20) auf anschauliche Weise mit
einer alltäglichen Beobachtung an: »mit zwei leeren Plastiksäcken über I den Hof,
mir entgegen, mit zwei leeren windgeblähten/ Plastiksäcken mir entgegen, über
den Hof«, bis sich der memorierte Zusammenhang auflöst - bis zur Auflösung
der Sätze am Schluss: »[... ] während ich, I Irrwisch, die Augen beschattend, daß/
schwimmenden Spiegels Spur I darin I du nicht sehen sollst.«
Das zweite Gedicht, »Flugschrift« (21), beginnt gleich mit dem Rätselspiel, das
erst nach mehrmaligem Lesen die Konsistenz einer Blumengartenszene preisgibt:
»diese um ihre Köpfe verstürmten I Öhrlinge Stiefmütterchen gelb- I ohrig (zerlegt)
isabellen- I farben vom brausenden I April, und legten sich vornüber /beetwärts,
kniewärts I auf Knien in feuchte I Erde, Beet- I erde halbviolett, auch weiß, wie I
der Nordwind wütet[ ... ]«. In ihrem Gedichtband Notizen auf einem Kamel (1996)
setzt die Autorin ihre Schreibpraxis fort, die nicht zuletzt auf diejenigen Autoren
eine Faszination ausgeübt hat, die den Paradigmenwechsel in der Lyrik der 90er
Jahre vollzogen.
Ein Beispiel für ein monumentales Gedichtpoem ist zugleich Oswald Eggers
(* 1963) ambitionierter Versuch, an Traditionen der klassischen Moderne anzu-
knüpfen, ohne sie zu imitieren. Sein dreihundertseitiges Poem Herde der Rede (1999)
mag für die Zuordnung zur Gattung des Gedichts gewiss problematisch sein, weil
272 Die neunziger Jahre
I
Mostmoose Bißweilen graubirn Birken-bar und Heim-
gart, daß die wie Quassien bittsüß (von einer Rede
zur andern hängelnd) sind Nielgen, labekühl die
Schotmotten der Staubdolden-Bitumen und Bitter-
Erde-die Flähmen der Windhalmen Labsalben und
Küstestriemen Dehnen, und diese Scheren. Webräder
der Trichterspinnen Baldachine, die häufige Netz-
zärte über dem Halmschaft, die Gilde der Glieder-
blütler und Lichtwinde Farngarn zu sommern.
L_
Eggers Poemstil ist nicht auf diese manieristisch wirkende Konzentrat-Form der
Wörter zu reduzieren. Manche Strophen heben in parataktischen Sätzen an, etwa
mit Notizen zu Jahreszeiten und zum Wetter, zur Schreibsituation und zu alltägli-
chen Dingen: »Es kommen lichtlose und graue Tage. Sturm peitscht/ in krempeln-
den Kiefern, alle Kronen schwanken, ein/ aufgewühltes, Wipfel-grünes Meer der
Luft, strömende/ bewege-Trift« (282).
>»Zirkumstanzen«< (12) hat Egger seine Stanzen genannt und eine Form um-
schrieben, die in der Tat ihre Gegenstände immer wieder umkreist und mit Wor-
ten umrundet, bevor sich ihre Substanz in der Verszeile sedimentiert und manches
verloren scheint, was einen vollständigen Satz oder eine syntaktisch korrekte Satz-
wendung normalerweise kennzeichnet. Die grammatische Verknappungstechnik
unterstreicht den Eindruck der Wortblöcke und Wortmassive. Leitmotivisch kehrt
die Rede von »Wort-auf-Wort« (35) bzw. »Wort-für-Wort« (46) wieder, die Mäan-
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 273
dertechnik des Poems andeutend, also einen Redefluss, der ständig in Bewegung
bleibt, sich verzweigen kann, sich zu Wortungetümen staut, dann und wann zu
versiegen droht und alles andere als ein Ziel hat. Wort reiht sich an Wort, um dabei
auf fast zufällige, spielerische Weise auf engstem Wortraum eine Reihe von Bild-
und Bedeutungskomplexen zu aktivieren. »Die Rede drehte sich und wiege Wort-
für-Wort« (184). Das Bild der sich drehenden Rede ist Eggers Umschreibung von
poiesis: »DIE REDE DREHT SICH (>zwirn der erinnerung<)/ ihren Enden zu, es wird
Zeit, Ordnung in die Ringe/ ums Jahr zu bringen« (12).
Egger hat sein mäanderartiges Poem einem Ich zugeordnet, das sich zuweilen
den Namen »Poemander« (100, 159 u.ö.) gibt. Diese Poetenfigur, deren Sprach-
lust und Sprachgewalt Manierismen nicht scheut und an barocke Vorbilder wie
Moscherosch und Kuhlmann erinnert, bleibt in allen Zyklen eine sprachbewusste,
die eigene Rede reflektierende Instanz. Dem experimentellen Gestus entspricht da-
her ein Sprachbegriff, der sich einem modernen sprachphilosophischen Grund-
satz verpflichtet weiß: »Bloß so kann ich die Welt erklären: unerklärlich« (SO). Die
Grenzen des Sprechens werden in manchen Versen nüchtern umschrieben, etwa
wenn ein Vers wie »Ein Tag der Fülle wars, Nacht der Flut, die Sekunde/ sinnen-
froh« kontrastiert wird mit dem Verweis auf den »matten Schatten der/ gestell-
ten Stanzen« und den Versuch, »in Sprache flüchten« (57) zu wollen. In Eggers
>Sprachfluchten< kehrt in nuce jener Anspruch experimenteller Moderne wieder,
der die eigenen Versuche als eine selbstreflexive, potenzierte Form der Arbeit an
der Sprache begreift, als Möglichkeit, »in der Sprache der Sprache sprechen« (94)
zu können. Dem Ziel versucht Egger in seiner Imagination der Rede als Kreation
von Wort- und Sprachlandschaften aus dem versunkenen, wieder erinnerten, in
Bewegung gebrachten Material der Sprache nahe zu kommen (247):
I
Die schlafende Sprache durchdringt die gehörige und
wir erinnern ihren Wiesengrund und, unvordenklich,
durchwringen ihre Weisen. Bald hier, bald da berührt
ein laufender Toll-Hund mit hechelnder Zunge die
gefrorenen Wörter [... ]
L__
Unter dem Titel »Poesie im Auseinanderdriften« hatte die Geschichte der deutschen
Literatur von 1945 bis zur Gegenwart bereits die Lyrik der 80er Jahre erfasst (Barner
1994, 843). Ausdifferenziert wurden
<~~~ die »rumäniendeutsche Lyrik« (843ff.) -vor allem Dieter Schlesak, Werner
Söllner und Richard Wagner -,
274 Dieneunziger Jahre
daß die hegemoniale literarische Öffentlichkeit in unserer Gegenwart zerfällt. [... ].An ihre
Stelle treten milieuspezifische Offentlichkeiten. Ein Werk oder Autor wird in diesem Milieu
nur noch von anderen - und zwar zunächst benachbarten- Milieus wahrgenommen, wenn
es als repräsentativ für den jeweiligen Lebensstil gilt. Die Literaturkritik spricht dann von
Kultwerken und Kult-Autoren.
Dieser Befund entspreche der aktuellen »Tendenz zur Differenzierung und Auto-
nomisierung traditioneller Klassen und Schichten der modernen Industriegesell-
schaft zu >Milieus<« (11f.).
Lebensstile und kulturelle Alltagspraxen spielen daher eine deutlich stärkere
Rolle als in den Jahrzehnten zuvor, und zwar gerade auch im Hinblick auf lite-
rarische Vorlieben, Rezeptions- und Konsumgewohnheiten. Bogdalleitet daraus
die Konsequenz ab, dass ein Autor vor allem über den »Weg der erfolgreichen
sektoralen Repräsentanz« (14) seine Position und seinen Rang markiere. Zugleich
hebt er hervor, dass »die Literatur innerhalb der einzelnen Milieus insgesamt ge-
genüber den konkurrierenden Medien und anderen Sinnangeboten [... ] deutlich
an Prestige verloren« (ebd.) habe. Ob freilich die unabweisbare Marginalisierung
des literarischen Diskurses für alle Gattungen gleichermaßen gilt und ob nicht
gerade die Lyrik jenseits der großen Trends ihren eigentlichen Platz hat, darüber
liegen kaum verlässliche Forschungsergebnisse vor. Es geht bei dieser Betrach-
tungsweise nicht um Kanonhierarchien und ästhetische Urteilsbildung. Inner-
halb eines jeden Sektors lassen sich erfolgreiche und weniger erfolgreiche, ästhe-
tisch ansprechende und weniger ansprechende Konzeptionen ausmachen. Das gilt
auch für die Lyrikerinnen und Lyriker der älteren Generation, die für ihre Leserge-
meinden schreiben und sich auf vertrautem Formterrain mit neuen Themen ein-
bringen.
Nun ist unbestreitbar, dass schon in den 80er Jahren sich eine Tendenz zur Di-
versifizierung der Lyrik in Sparten und Szenen andeutete. Diese Entwicklung nahm
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 275
in den 90er Jahren noch weiter zu. Zwar hatte es schon seit dem 19. Jahrhundert
unterschiedlichste Literaturen gegeben, die unter dem Aspekt der Gleichzeitigkeit
des Ungleichartigen das literarische System bestimmten. Aber es ließ sich doch in
der Retrospektive stets jene »hegemoniale literarische Öffentlichkeit« ausmachen,
von der Bogdal spricht, also eine Art Höhenkammliteratur, die nicht sektoral, son-
dern vertikal-hierarchisch gegliedert ist und sich mit unterschiedlichen Halbwert-
zeiten in den literarischen Kanon einschreibt.
Auch die Literaturkritik hat ihre Aufgabe verändert. Sie ist nicht primär an
einer ästhetischen Debatte um Rang und Position interessiert, sondern hat im Zu-
ge der Karnevalisierung der Lebenswelten und der populären fun- Kultur sich als
Unterhaltungsinstanz und entertainment etabliert: mit dem Ergebnis, dass Lyrik-
publikationen gleich welchen Milieus immer weniger rezensiert wurden. Allerdings
gibt es signifikante Ausnahmen.
So lässt sich für die 90er Jahre durchaus noch ein Höhenkamm-Bogen kon-
struieren. Durs Grünbein etwa, der Georg-Büchner-Preisträger von 1995, konnte
für seine Gedichtbücher die höchste Aufmerksamkeit des Feuilletons verbuchen.
Als Unterscheidungsmerkmal hat ein anderer sprachproduktiver Lyriker aus dem
intellektuellen Literaturmilieu, Thomas Kling, die kategoriale Opposition gegen
eingängige Unterhaltung und leserorientierte Lyrik hervorgehoben: »Was darf das
Gedicht dieser Jahre keinesfalls sein? Ich meine laut: Rezeptions- und Unterhal-
tungsindustrie. Wenn sie sich dann noch mit der Literatur verpappt, verglühen
beide gemeinsam« (Kling 1997, 51).
Auch Autoren wie Hans Magnus Enzensberger, der sich gleich mit drei Gedicht-
bänden - Zukunftsmusik ( 1991 ), Kiosk ( 1995) und Leichter als Luft ( 1999) - als Ly-
riker zurückmeldete, standen Kling und Grünbein nicht nach. Exemplarisch ließen
sich noch der in den Neunzigern hochproduktive Karl Krolow, aber auch Sarah
Kirsch und Günter Kunert nennen. Und doch bleibt dieser Befund oberflächlich;
denn er erfasst nicht, in welchem Maße bereits eine Schwelle tiefer die Aufmerk-
samkeit mit nachlassender Tendenz breiter und diffuser gestreut ist.
Lyrikszenen
Die Spannweite der Milieus, in denen gleichzeitig, aber fast ohne jede Berührung,
Lyrik produziert wurde, kann ermessen, wer die seit den 90er Jahren trendsetzende,
beim jungen Publikum sehr beliebte Siam Poetry mit der so genannten Verschenk-
lyrik vergleicht, die im selben Zeitraum ein konstantes Marktsegment eroberte,
beispielsweise mit Titeln wie Lichter der Hoffnung (Kruppa 1996), Du bringst mir
Glück (Kruppa 2000) und Kopfsprünge Herzsprünge (Pfennig 1997). Poetry Siams,
öffentliche Veranstaltungen undperformancesmit Lyrik-Darbietungen und Lyri-
ker-Auftritten, nahmen Anregungen aus den westeuropäischen Ländern auf und
haben inzwischen ihre eigene Poetik entwickelt: »Wer auf Siams auftritt, rechnet
nicht unbedingt mit einem andächtig lauschenden Auditorium. [... ) Mit den Siams
hat die Literatur endlich zurück in die Clubs und Bars, zurück ins Nachtleben ge-
funden« (Neumeister/ Hartges 1996, 13).
276 Die neunziger Jahre
Für diese Lyrik, aber auch für die unter dem Etikett »social beat« verbreitete
Mixtur von Poesie und Musik (Hübsch 1995) hat der gediegene Gedichtband auf
holzfreiem Papier mit seriösem Layout keine Anziehungskraft mehr. Das Publikum
erwartet eine dem eigenen Lebensstil entsprechende Dichtung, die multi- und in-
termedial in Musik-Kontexte und theatralische Inszenierungen eingebunden ist.
Die Texte variieren und zitieren Stile, Metaphern, Rhythmen und Ich-Figuren.
So erhebt sich unter dem Pseudonym »Hel« eine Punk-Stimme gegen bürgerliche
Anpassung und trifft mit jedem Vers eine zur Schau gestellte Aggression der Worte:
»Wir sind die offenen wunden der stadt«, so beginnt das Gedicht: »Wir sind die
krätze I Alles wovon ihr verschont seid fault uns im fleisch I derschorfder häu-
ser die Schmierinfektion der plätze I und aller werfenden kätzinnen wehgeschrei
I [ ... ] Wir kommen auf: Die kakerlaken die milben I wir das eitergeschwür an der
waschbetonwand« (Hübsch 1995, 23). Die breit ausholenden Zeilen konstituieren
sich aus Wiederholungsmustern, die voller Hyperbeln sind und mit ihrer Destruk-
tionsrhetorik Gruppenidentität über antibürgerliche Schreckbilder schaffen. Dem
stehen Wiederholungsstrukturen gegenüber, wie im Langgedichtzyklus »Bilder ohne
Landschaft« von Kersten Flenter (Hübsch 1995, 47-58), die nicht mit der »Wir«-,
sondern der »Ich«-Formel Identitätsangebote suchen.
In diesen Versen erscheint nicht die Allmacht der Aggression, sondern eher der
ohnmächtige melancholische Zweifel; beide Elemente bilden die Grundlage für
den milieugerechten Parlandostil des deutschen social beat: »Aber wenn ich meine
Tage kriege I Bin ich besessen von dieser Möglichkeit ICH I Und ich kann nicht
schlafen I Ich kann nicht schlafen I Und Liebe hat versagt Ehe hat versagt I Frau
und Frau Frau und Mann I Mann und Mann hat versagt I Mensch und Gummi
Mensch und Leder hat versagt I Ich bin auf der Suche« (47).
Selbstverständlich ist der relative Verzicht auf prägnant durchgearbeitete Vers-
kompositionen nicht das allgemeine Kennzeichen einer von Vortrag und Inszenie-
rung bestimmten Lyrik, wie Klings und Papenfuß-Goreks Gedichte beweisen. Beide
haben auf ihre Weise allerdings stimulierend auf den Poetry Slam- Trend eingewirkt,
weil sie die Modi der mündlichen Darbietung nicht als Sekundärphänomen der
Lyrik-Rezeption begreifen, sondern als eigenständige poetische Arbeit am Text.
Vor allem bei Papenfuß-Gorek sind jene am Beispiel des social beat skizzierten
Momente der Verstärkung von Wir-Gefühlen und Gruppenidentitäten des Szene-
Milieus in allen Publikationen der 90er Jahre vorhanden, also noch zu einer Zeit,
als die Prenzlauer Berg Connection längst (Literatur-)Geschichte geworden war. In
diesen Zusammenhang gehören beispielsweise die satirischen Vers-Sentenzen des
Autors, die häufige Verwendung der »Wir«-Formel und nicht zuletzt markante Pa-
penfuß-Sprüche wie im Gedicht »Urbs Orbs« (Falkner 1992, o. S.):
I
sinnmachung ist unterdrückung
wohl ist mir nur in sinnlosigkeit
oder wenigstens einer durchgreifenden sinnkrise
L_
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 277
Einen solchen Autor hat das Druckhaus Galrev nicht zufallig mit Szene-Attributen
und Lebenswelt-Metaphern im Klappentext des Gedichtbands SBZbeschrieben als
»schweifende Existenz, poetischer Kamikazee-Flieger, lebende Bombe« und »unsi-
cherer Kantonist« (Papenfuß 1998).
Lesergemeinden
Konträr zum kulturellen Milieu der von Papenfuß vielfältig repräsentierten Dich-
tung steht eine Reihe von Konzepten, in denen Gedichte aus der Lebensnähe zu
einem bürgerlichen Milieu zu verstehen sind, das seinen Autorinnen und Autoren
oft über Jahrzehnte die Treue hält. Gedichte dieser Art sind Anregungen, die eigene
Lebenswelt vor dem Hintergrund der im Gedicht entfalteten Perspektiven zu re-
flektieren. Die Themen- und Problemspanne der Gedichtbücher zielt teils auf Iden-
tifikation, teils auf lebensweltliche Bewältigungsstrategien. Nicht Lebensstile oder
gar lifestyleund fun stehen auf dem Programm, sondern eine Begegnung mit dem
Gedicht als einem Angebotsraum, der durch Analogien zur eigenen Konstruktion
von Wirklichkeit und Identität geprägt ist. Nicht Szenen, sondern Lesergemeinden
bilden das Fundame~t dieses an Lyrik interessierten Milieus.
In einer dieser Gemeinden hat seit Jahrzehnten Hilde Domin (* 1912) eine
große Resonanz, und zwar aufgrund ihrer Bücher, aber auch ihrer Arbeiten zum
Gedicht und nicht zuletzt aufgrund ihrer Dichterlesungen, in denen der für dieses
Milieu so wichtige Dialog zwischen Leser, Gedicht und Autor konkret wird. In diesen
Kontext fügt sich Domins Gedichtband Der Baum blüht trotzdem (1999) bruchlos
ein. Lesergemeinden zeichnen sich dadurch aus, dass sie, soziologisch gesprochen,
konstante Sektoren sind, die, zwar zahlenmäßig gering, aber um so stärker ihrem
Autor oder ihrer Autorin die Treue halten. Welche Rolle Lyrik für diese Gruppen im
Alltag und in der Lebenswelt spielt, ist bisher kaum untersucht worden. So müsste
geklärt werden, welche Lektüreweisen neben einer literarisch-ästhetischen Lektü-
re noch dominant sind: in welchem Maße Gedichte besonders verehrter Autoren
in alltäglichen Lebenssituationen appliziert werden, welcher Dialog sich zwischen
Leser und Gedicht entfaltet und welche Akzeptanz die in Gedichten vermittelten
Reflexionen und Positionen im lebensweltlichen Kontext haben.
Innerhalb der 90er Jahre erschien eine Reihe von Gedichtbüchern, die auf jenen
Sektor hin ausgerichtet sind, die also in ihrer Thematik, Form und Sprache Ange-
bote zu einem solchen Leserdialog enthalten. Diese Lyrikbände zielen gerade nicht,
wie diejenigen aus der Feder jüngerer Autoren, auf Autonomie, Sprachproduktivität
und widerständige Lesebarrieren, sondern umgekehrt auf Öffnung und Lektüreein-
ladung. Zu nennen ist ein Autor wie Peter Härtling(* 1933) mit Gedichtbänden
wie Das Land, das ich erdachte (1993) und Horizonttheater (1997).
Härtlings Lyrik trifft Stimmungen und Augenblicksmomente, er erzeugt ein
breites Identifikationsfeld, das durch eine fast mühelose Verskomposition ohne
komplexe Syntax und dunkle Metaphern vorbereitet wurde: als Einladungen mit-
zuträumen, wie im Gedicht mit dem bezeichnenden Titel »Glück« (Härtling 1997,
44):
278 Die neunziger Jahre
I
Nichts mehr,
was dich treibt,
nichts mehr,
was dich hält.
Auf den Hügeln hinaus
Und so lange
Nach Innen singen,
bis die Stimme
dich aufhebt
und mitnimmt.
L_
Verse wie diese haben in ihrer Positivität etwas von Kalendersprüchen früherer
Zeiten und lesen sich wie Tageslosungen oder konstruktive Aufmunterungen. Bei
Härtling stehen sie in einer weit zurückreichenden Werktradition und sind Teil
seines Erfolgs. Die ungebrochene Kontinuität seiner Gedichtproduktion deutet
eine dialogische Orientierung an Lesergemeinden an, die möglicherweise sogar an
regionale Schwerpunkte geknüpft sind. Nachweise dafür stehen freilich aus.
Zu den Autoren mit Jahrzehnte langer Schreibgeschichte und interessiertem
Leserkreis gehört auch Walter Helmut Fritz (* 1929), dessen Gedichte in einem
konkreten Sinne auf die Gegenwart hin angelegt sind: mit umfassenden Themen-
repertoires, die ihr spezifisches Lesepublikum ansprechen. Dabei fällt die Konstanz
der Formensprache auf. Wer Lesegemeinden herausbildet, schafft sich, zugespitzt
formuliert, einen an eine spezifische Stimme gewöhnten Kreis, der sich bereits lange
eingehört hat, Irritationen nur in Maßen, aber keine ästhetischen Provokationen
und Experimente erwartet. Noch dort, wo Fritz, wie im Gedichtband Das offene
Fenster ( 1997), Prosagedichte anbietet, bereitet das Genre schon deshalb keine Ver-
ständnisschwierigkeiten, weil es mit kleinen, sprachlich eingängigen Erinnerungs-
notizen aufwartet. Der aufbereitete Erinnerungsteppich, bis zur Vorkriegszeit zu-
rückreichend, lebt aus den thematischen Details, die eigene Erinnerungen aktivieren
können und so ein breites Repertoire an Lebensweltbezügen ausbreiten.
ten Irrtum hingewiesen, »daß Einwanderung und Exil als vorübergehende und
unwesentliche Erscheinung [... ] zu betrachten seien« (Chiellino 2000, V). Es geht
weder um eine exotische Randliteratur noch um ein schon quantitativ zu vernach-
lässigendes Phänomen. Seit 1960 sind Dutzende von Gedichtbänden in deutscher
Sprache erschienen, die aus der Feder von Autorinnen und Autoren stammen, für
die Deutsch nicht die Muttersprache ist. Literarhistorisch stehen sie in der Tradi-
tion, die auf Louis Charles de Chamisso (eben jenen Adelbert von Chamisso) zu-
rückreicht. Im Übrigen: Sprachentscheidungen trafen auch Paul Celan und Rose
Ausländer. So vielgestaltig und heterogen die interkulturelle Literatur auch ist- im
Hinblick auf Reichweiten, Lesermilieus, Zielgruppen und Verlage: sie repräsentiert
eine im deutschsprachigen Raum bisher nicht gekannte literarische Größe. Carmi-
ne Chiellino hat im Handbuch Interkulturelle Literatur in Deutschland (2000) eine
ausführliche Bibliographie vorgelegt, die auch eine Reihe von Lyrikerinnen und
Lyrikern mit deren Werken erfasst. Sie in einer Übersicht vorzustellen, vor allem
aber sie im Kontext der deutschsprachigen Literatur zu diskutieren, erscheint als
ein dringendes Desiderat germanistischer Lyrik-Forschung zur Gegenwart.
In welchem Maße der deutsche Lyrik-Kontext für einen Autor der interkultu-
rellen Literatur konstitutiv sein kann, zeigt Gino Chiellinos Gedichtband Sich die
Fremde nehmen (1992). Chiellinos epigrammatischer Stil bedient sich eines Gen-
res, das Autorinnen und Autoren im Umfeld einer an lebensweltlichen Themen
und Bezügen interessierten Lyrik als weithin bekannte Schreibform vertraut ist.
Situationen, Erlebnisse, Reflexionen lassen sich in diesem Genre gut vermitteln,
weil der skizzenhafte, pointierte, lakonische Stil seine Wirksamkeit der lyrischen
Kurzform verdankt. Chiellinos Themen sind deutsche Verhältnisse, mit fremden
Augen gesehen. Das lyrische Subjekt, mitunter autobiographisch bestimmbar, sieht
sich »im Jahre 20« (8) der »Fremde«: »in den 20 Jahren meiner Fremde I verlief sich
der vertraute Boden I und mit ihm die Zeit aus dem Hinterhalt« (13). Das deut-
sche Idiom wird zwiespältig gesehen: >>ich schreib kein Deutsch I meine Sprache
gehorcht euch nicht II sie denkt mich nach vorne« (21). Chiellinos Gedichtbuch ist
durchzogen von solchen Reflexionen, aber auch von kleinen Episoden, politischen
und persönlichen Katastrophen sowie Alltagsszenen, die wie Genrebild-Miniaturen
erscheinen und in denen sich eine interkulturelle Lebenswelt ausspricht.
Wie weit von Chiellinos dem Alltag verpflichtete Epigramm-Poetik eine andere
Schreibpraxis entfernt sein kann, die mit dem Stichwort der Interkulturalität in
Verbindung gebracht werden kann, zeigt das lyrische Werk des in Siebenbürgen
geborenen, 1969 in die Bundesrepublik übergesiedelten Dichters Dieter Schlesak.
Mit dem Buch Tunneleffekt (2000) hat er seinen bislang umfangreichsten Gedicht-
band veröffentlicht. Ein paar Jahre zuvor erschienen bei Galrev unter dem Titel
Landsehn (1997) Gedichte, in denen Schlesak Prozesse des Wahrnehmens und Er-
innerns nachspürt.
In Tunneleffektentfaltet der Autor ein breit angelegtes Panorama von Zeit- und
Augenblicksreflexionen. Das Programm des gesamten Bandes steht unter dem Si-
gnum der Präzision, das der Verlag mit seinen Umschlagfotos aus der Welt der
Nanographie, der feinsten mikroskopischen Registratur, plastisch werden ließ. Der
280 Die neunziger Jahre
Blick nach innen, so die Konnotation der Buchgestaltung, reicht über Impressionen
und Gefühligkeiten weit hinaus bis ins verwirrende Labyrinth der Tunneleffekte.
Schlesaks Gedichtbandtitel spielt nicht auf Angst- und Fluchtmotive an, sondern
auf einen physikalischen Begriff. »Tunneling« meint die Steuerung von Informa-
tionen mit über-Lichtgeschwindigkeiten.
Nun hat - seit Grünbein - die Korrelation von Poesie und Naturwissenschaft
in der Gegenwartslyrik hohe Konjunktur. Schlesak nahm diese Spur auf. Die Titel
einzelner Gedichtzyklen heben den Zusammenhang hervor: »Die Wand der Augen«
(11ff.), »Licht Tunnel« (77ff.), »Licht, die schnelle Grenze« (109ff.) und »Parallele
Universen« (139ff.). Vom »Blitz der Gedanken« und vom »innern Hirngewitter« ist
gleich im Eingangsgedicht »Tiefen. Harmlos« die Rede: »Gedichte auf ein Reißbrett
I geworfen I geträumte Welt I schieß zu« (Schlesak 2000, 12). Auf die Frage »Mein
Freund, was liest du hier noch mein Gedicht« folgt eine verblüffende Antwort: »ich
schreibe jedes Wort mit einer Wunder Lampe I der Bildschirm strahlt mir jeden
Reim schon ins Gesicht I die Augen sehen grob die Worte, doch blind die Zellen.«
(21) Dort, wo »Schrift« und »Cyberlicht« korrelieren, zeigt sich die Topographie
eines gefährlichen, gefährdeten Ortes- »global und tödlich« (ebd.).
Schlesaks Gedichte bieten weder Lösungen noch Fluchtperspektiven. Sie um-
kreisen ihre Gegenstände immer wieder, verzichten auf Pointen und Schlusseffekte,
so dass die Gedichte manchmal unfertig wirken und bei entsprechender Offenheit
einen Dialog untereinander beginnen. Leitmotive wie das Auge, das Lid, die Schrift
und der Tod kehren immer wieder in immer neuen Facetten: eine Hommage an
Celan, dessen produktive Rezeption in Schlesaks Lyrik an vielen Stellen aufscheint:
als Bezugspunkt einer Lyrik, die ihr interkulturelles Fundament mit dem größten
deutschen Nachkriegslyriker teilt. Celan hat Schlesak unter dem Titel eines der
Schlüsselgedichte des Tunneleffekts gewidmet: »Aus ihm lesen Augen I Wimpern
im Wasser unter der Haut I die Zeile lang wie das Samentelegramm in I uns und
entzogen die Vor-Schrift I gelesen vom Baum der wie ein Schatten entstand. I I
Wortlos gehaucht I mein Haus« (121).
Schlesaks Tunneleffekterschließt sich nicht auf Anhieb: Hier gibt es nichts zum
cross-reading und zum Durchblättern, sondern eine Poesie, die zum Wiederlesen
verführen und zur eigenen Reflexion einladen will. Seinen Anspruch und seine
Schreibmotivationen hat der Autor unter dem Titel »Fragmente zu einer posthu-
men Poetik« erläutert (175-211). Schon der Umfang deutet an, dass der Begriff
des Fragments hier nicht einen Statement-Stil zu rechtfertigen versucht, sondern
ein Schlüssel zur eigenen Poetik bieten soll, als Summe einer Schreiberfahrung:
»Wahr bleiben nur solche Sekundenbilder, mit Sprache zusammengesetzt wie Fotos
im Labor, vergrößert, verkleinert, Momentaufnahmen, Ausschnitte, Vorder- und
Hintergrunde herauspräpariert und vertauscht in Großaufnahmen, wo das ganze
Gedicht dann wie eine strukturelle Metapher wirkt! Auch eine Umkehr der Bilder
oder Schnitte von innen kann es geben, die zum Sinn führen. Und dann werden
sie auch noch mit dem Formgefühl des lyrischen Ich retouchiert, als wären sie nur
Schablonen« (199f.). Der mit dem Begriff der >Interkulturalität< verbundene Topos
der Fremde und der Fremdheit löst sich bei Schlesak nach über dreißigjährigem
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 281
Leben im Westen auf: Um so deutlicher wird die in der Lyrik bewahrte, gattungs-
konstituierende Fremdheit des wachen, sprachbewussten Blicks.
~
Die letzte Krankheit. Man wird ganz allein sein
mit Apparaten. Und Dein- und Mein-Sein
ohne Unterschied in der Agonie.
Man wird so schmutzig oder so rein sein
und ohne Schuld und ohne Verzeihn sein
nach der letzten, tödlichen Therapie.
L_
Repräsentativ für den Ton der 90er Jahre sind allerdings eher Gedichte, die klei-
ne Geschichten aus fiktiven oder realen Biographien gestalten oder zumindest in
fragmentarischer Form auf Lebensgeschichten und Lebenswelten rekurrieren. Die
Poetik eines solchen Gedichts hat Rainer Malkowski unter dem Titel »Kurzer Text«
(1994, 18) in der Vision eines auf wenige Zeilen verdichteten Epigramms veran-
schaulicht, das vom »zerschlissenen Traum« bis hin zur »Art, I die Menschen zu
sehen« alles enthält: »Was plötzlich auf dem Papier stand, I schrieb mir ein der alte
Dichter, I war nicht viellänger I als mein kleiner Finger. I Aber ich hatte mich bei-
nahe I ganz darin untergebracht: I meinen zerschlissenen Traum, I meine Unruhe,
282 Die neunziger Jahre
I meine Art, I die Menschen zu sehen. I Von der Bestürzung I über die Einfachheit
meiner Natur I machen Sie sich keinen Begriff.« Die Pointe am Schluss umspielt
einen Moment der ironischen Distanz, die für Gedichte der an Alltagsthemen und
Lebensgeschichten interessierten Zielgruppe eher ungewöhnlich ist.
Eher schon- RolfHaufs' Gedichte sind seit den 70er Jahren dafür ein anschau-
liches Beispiel - ist ein melancholischer, ganz und gar unironischer Duktus dort
verbreitet, wo Lesergemeinden über Identifikationen gebildet werden. Auch in
den 90er Jahren nutzt Haufs daher kontinuierlich »Wir«-Formeln als einladenden
Impuls: »Uns zwingt der Tag I Zu atmen. Wir hoffen I Daß niemand die braunen
Flecken zählt I Auf unseren gewöhnlichen Händen.« (Haufs 1994, 23) Manche Si-
tuationen müssen nur angedeutet werden, um ein Imaginationsfeld zu öffnen: »Wie
verrückt hetzen wir durch die Supermärkte I Hier Pastamista dort die Betäubung I
Du legst den Finger auf, danach I Junikäfer leuchtende Schwärme« (40).
Ein Gedicht wie »Brockes-Passion in Fuhlsbüttel« (56) rekonstruiert beinahe
den gesellschaftlichen Handlungsrahmen, die kulturellen Interessen und sogar die
sozialen Distinktionsregeln des angesprochenen Bildungslesermilieus: »Was gibt es
zu berichten außer I Daß wir nicht erreichbar waren I Für die alltäglichen Dinge
I Abriß und Zauber. Allein der Haufe rief I Mit gräßlichem Geschrei: Nein, die-
sen I Nicht, den Barrabas gib frei! I Angetroffen haben wir niemand I Fürs erste
zumindest Nur I Die Musik war zu laut« (56). Melancholie- und Vanitas-Motive
sind anspielungsreich ins Gedicht eingesponnen und leicht zu entziffern: »Nicht
die Zeit vergeht. Wir vergehen I Wo stand das noch. Bei den Propheten I War es
mein Konfirmationsspruch? I Abschied bei laufendem Motor I Das hatten wir nie«
(Haufs 1996, 33).
Die Variationsmöglichkeiten in der auf Alltags- und Lebenswelt eingestimmten
Lyrik waren in den 90er Jahren verblüffend hoch: das ihr entsprechende Lesermi-
lieu war entsprechend breit gestreut und machte wohl die größte Gruppe auf dem
schmalen, vom Feuilleton wenig beachteten Markt aus. In diesen Kontext gehören
Autorinnen wie Sarah Kirsch, aber auch Elisabeth Borchers, Ulla Hahn, Ursula
Krechel, Helga M. Novak, Doris Runge und Bannelies Taschau in diesen Kon-
text, weiterhin Hans Georg Bulla, Michael Buselmeier, Heinz Czechowski, Günter
Herburger, Michael Krüger, Türgen Theobaldy und Hans-Ulrich Treichel. Siebe-
vorzugen oder nutzen zumindest gelegentlich epigrammatische, kürzere Formen
und stehen sprachexperimentellen Versuchen ebenso skeptisch gegenüber wie den
komplexeren, hermetisch wirkenden, leserwiderständigen Schreibpraktiken ande-
rer zeitgenössischer Autoren. Ein gewisser Indikator des Erfolgs und der Resonanz
sind feste Verlagsbindungen, die freilich nicht für alle der genannten Namen gelten.
Unübersehbar ist die Vorliebe für die bewegliche, in den 90er Jahren fast durchweg
wieder ungereimte Lyrik mit unregelmäßigen Metren, also für jene Form des zeit-
genössischen Gedichts, die seit den 60er Jahren zur beherrschenden, inzwischen
zur wohl konventionellsten Form geworden ist.
Auf das Kurzgedicht ist das Publikum längst eingeschworen. Eine der Meiste-
rinnen des in seiner Form äußerst flexiblen Epigrammstils ist Elisabeth Borchers.
So enthält ihr Gedichtband Von der Grammatik des heutigen Tages einen Vierzeiler,
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 283
der den Konnex von »Leben«, »Innenland« und Poesie-Erfindung zu einer kleinen
Sentenz verdichtet (Borchers 1992, 34):
I
ICH FÜHRE LEBEN
Das Material, aus dem solche Erfindungen stammen, hat Borebers im die Tradition
andeutenden Gedicht »Rückschritte« (44) umschrieben: »Die Konturen geben nach.
I Wir halten Einkehr I in den kleineren Wörtern I in den älteren Bildern I die bereit
sind uns aufzunehmen I damit wir von Jahr zu Jahr verblassen.« Der Gedichtbandti-
tel Von der Grammatik des heutigen Tages liest sich wie ein Programm-Label für jene
an der lyrischen Ethnographie heutiger Lebenswelten interessierten Leserschaft.
Den Anspruch, die »Grammatik« des Alltags poetisch zu erfassen, garantiert ein
weites, grundsätzlich nicht begrenztes Themenfeld, das vom banalen Erlebnis auf
der Straße bis hin zu hochfliegenden Imaginationen reicht und stets so präsentiert
wird, dass es die Leserschaft berührt, Rekurse auf die eigene Lebensgeschichte er-
öffnet und Erwartungen an eine verdichtete Gegenwartsreflexion erfüllt.
In ihrer Frankfurter Poetik-Vorlesung Lichtwelten. Abgedunkelte Räume hat Eli-
sabeth Borebers im pathetisch mit» Lichtwelten oder Wozu Gedichte?« überschrie-
benen Kapitel den Anspruch einer lyrischen Grammatik des heutigen Tages auf den
Punkt gebracht: »Gedichte ersetzen Romane, Tagebücher, Gedankenbücher. Sie
verfügen über eine Sprache, die das Gegengewicht darstellt zu unserer verödeten
Alltagssprache, die außerstande ist, uns mit unseren Freunden und unserer Trübsal
aufzufangen« (Borchers 2003, 64). Solche Zeilen, die unter den in diesem Abschnitt
genannten Autorinnen und Autoren auf weite Zustimmung rechnen könnten, hät-
ten auch fünfzig Jahre früher geschrieben werden können, und sie belegen in ihrer
vergleichsweise schlichten Formulierung eine hartnäckige Poetik-Doktrin, die dem
»Romane, Tagebücher, Gedankenbücher« ersetzenden Gedicht Einmaligkeiten und
Bedeutsamkeiten zuschreibt, und zwar auf so emphatische Weise, dass der Beweis
auf der Strecke bleibt.
Aber darauf kommt es offenbar gar nicht an. Wichtiger erscheint die Koppe-
lung von Literatur und Leben; denn das Gedicht, mit der Lebenswelt seiner Leser
verbunden, hat beinahe die höhere Weihe eines religiösen Textes, soll also nicht
weniger sein als ein echtes »Existenzminimum«, das die Autorin nicht zufällig mit
»Lichtwelten« in Verbindung bringt und zuletzt sogar in einem Personifizierungs-
topos verlebendigt (ebd.):
Wenn wir also etwas über die Unbestechlichkeit, den Triumph der Sprache erfahren wollen,
lesen wir ein Gedicht. Das Gedicht ist uns selbst auf der Spur, es zeigt uns Wege, die wir
284 Die neunziger Jahre
verlassen haben, die wir vergessen haben, die wir finden oder wiederfinden müssen, wenn
wir auf dem Weg zu uns selbst sind. Darum sind Gedichte unverzichtbar, darum gehören
sie zu unserem Existenzminimum.
(Post-)avantgardistische Milieus
Als versifizierte Summe ihres Lobes zitiert Borebers drei Zeilen Konrad Rapprichs
(Borchers 2003, 64):
I
Das Gedicht
ist der Jubel
der Sprache
L_
So viel Deklamation und Lobpreis hat indes andere Lyriker eher skeptisch wer-
den, ja fast verstummen lassen. Die Rückseite des letzten, postum erschienenen
Gedichtbandes peter und die kuhvon Ernst Jandl ziert ein Dreizeiler, der wie eine
vorweggenommene Antwort auf Borebers erscheint ( 1996, 91):
die rache
der sprache
ist das gedieht
L_
Eine solche Gedichtpoetik lässt sich nicht auf poetische Jubelarien ein, sondern
setzt in diametralem Gegensatz auf Subversivität und Destruktion. Der kleine,
vorläufige Vergleich macht deutlich, wie sehr Poetik-Konzeptionen auseinanderfal-
len, wie weit sie sich voneinander entfernen können. Die Geschichte der Lyrik seit
1945 setzt sich aber aus einem Kaleidoskop divergenter Stimmen und Positionen
zusammen, so dass der Begriff der Geschichte dabei selbst bis zu einem gewissen
Grade fragwürdig erscheint. Mancher Standpunkt, wie Borchers' sinnstiftende Idee
vom Gedicht als »Spur« auf dem »Weg zu uns selbst«, erscheint zeitenthoben und
bürgt für die Gegenwärtigkeit einer noch immer behaupteten Ansicht, ist aber wohl
nur akzeptiert in gerade jenem Milieu, das sich auf einer solchen »Spur« sieht und
Lyrik als Anregungspotenzial für den Alltag versteht.
Dass Borebers vehement widersprochen und gerade auch der Ton solcher pon-
tifikalen Selbstfeiern- im Lob des Gedichts lobt sich der Dichter -jahrzehntelang
heftig attackiert wurde, belegt einmal mehr die Kontingenz einer literarischen
Gattungsgeschichte unter dem Signum divergenter Schreibhaltungen und Rezep-
tionsmilieus. Jandls Dreizeiler stellt eine Verbindung zu einem gänzlich anderen
Milieu her. Dabei ist der Autor, der eine breite Lesergemeinde hatte und einer der
populärsten Nachkriegslyriker war, eine Art Bindeglied zwischen unterschiedlichen
Rezeptionsgruppen. Seine Gedichte waren, nachdem sie das Ghetto des Negativka-
Szenen, Milieus, Gemeinden. Das Spektrum lyrischer Stimmen und Themen 285
nons verlassen hatten und erstaunlich schnell in den Kernkanon der Gegenwarts-
literatur avancierten, Jahrzehnte lang einem breiten Publikum bekannt.
Von Ernst Jandl führten- darin liegt die Bedeutung eines solchen Kernkanon-
autors - Brücken und Verzweigungen zu unterschiedlichsten literarischen Sektoren.
Jandls Texte haben maßgeblich dazu beigetragen, die Konkrete Poesie über die Ge-
fahrenstellen hochspezialisierter Spartenliteratur zu navigieren, auch wenn er im
Gegenzug das Image des Konkreten lange nach dem Ende dieser werkgeschichtli-
chen Phase behielt, faktisch bis zu seinem Tod im Jahr 2000.
Von Jandllässt sich aber umgekehrt auch eine Linie zur experimentellen Lite-
ratur ziehen, deren junge, unbekannte Protagonisten er ermuntert und unterstützt
hat. In den letzten zwei Jahrzehnten zweifelte niemand mehr daran, dass Jandl ein
Autor der Höhenkammliteratur war und daher auch einen Platz im traditionellen
Literaturmilieu fand- ein am Ende mit Staatspreisen und den höchsten Litera-
turpreisen geehrter Dichter. In einem der zahlreichen Literaturmilieus aber wurde
Jandl zeitweilig ein Kultautor, dort nämlich, wo Vorlieben für Komik, Parodie, Satire
und Witz die Lyrikrezeption bestimmen. So ist es kein Zufall, dass Jandl in der von
Gernhardt und Zehrer herausgegebenen Anthologie der 555 komischen Gedichte
einer der drei am meisten vertretenen Autoren ist (Gernhardt/Zehrer 2004): ein
Ergebnis, dass vor dem Hintergrund spektakulärer Jandlscher Lesungen und Auf-
tritte nicht sonderlich überrascht.
Jandls späte Gedichte und seine poetologischen Schriften freilich belegen eine
deutliche Nähe zur experimentellen, an avantgardistische Traditionen anknüp-
fenden Literatur. Sprachreflexion und Sprachkritik sind die Konstanten seines
Werkes und seiner Schriften. Literatursoziologisch formuliert, hat seit den Zeiten
der Wiener Gruppe das avantgardistisch-experimentelle Literaturmilieu in Öster-
reich ohnehin einen starken Stützpunkt. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist
die kulturelle Resonanz dieses Milieus besonders kräftig - verglichen mit der im
deutschsprachigen Raum ansonsten kaum wahrgenommenen aktuellen Literatur-
avantgarde. Für die Gegenwartslyrik sind Autoren wie Franz Josef Czernin, Peter
Waterhouse, Ferdinand Schmatz und Paul Wühr (Czernin 1999) zu nennen, die
auf je eigene, eigensinnige Weise die literarische Praxis Artmanns und Bayers, aber
auch den Avantgardismus Friederike Mayröckers, Heimrad Bäckers und Elfriede
Gerstls weiterführen.
Bekannter freilich als Bäcker und Gerstl wurde der aus Rumänien stammende
DichterOskar Pastior (* 1927), der mit Gedichtbüchern wie Vokalisen & Gimpel-
stifte (1992), Das Hören des Genitivs (1997) und Villanella & Panturn (2000) For-
mensprachen der Dichtung vom Palindrom bis hin zum italienischen Canzone
durchmustert und ein umfangreiches Werk geschaffen hat. Es steht schon deshalb
im avantgardistischen Kontext, weil es auf komplexen Sprachtheorien, vor allem
aber auf Sprachwahrnehmungen und Sprach-Experimenten aufgebaut ist. Pastior
hat sich in seinem Buch Jetzt kann man schreiben was man will (2003) grundlegend
mit jenen Formen auseinander gesetzt, die für ihn Spracharbeit in Permanenz dar-
stellen; vom »taschengedicht« (11), so zeigt Pastior in seinen überlegungen zum
Stichwort »Gedichtgedichte« (7-87) auf, über das »druckfehlergedicht« (37) bis
286 Die neunziger Jahre
zum »getöngedicht« (63) und weiter reicht die Palette der durchgespielten, ironisch
gebrochenen und doch theoretisch scharfsinnig erschlossenen - hypothetischen
- Gedichte. Ein solches Changieren zwischen Sprachwitz und Ironie einerseits, aus-
geklügeltster und ambitioniertester Poesie anderseits gibt Pastior seinen autonomen
Platz innerhalb sprachbewusster und sprachexperimentierender Avantgardismen.
Für die Literaturkritik ist Pastior kein Unbekannter. Obwohl viele andere Tex-
te avantgardistischer Lyriker im Feuilleton oder gar in den Bücherpräsentations-
shows des Fernsehens kaum wahrgenommen werden, so ist dieser Umstand für
die im Windschatten der Unterhaltungsrituale nach wie vor produktiven experi-
mentellen Gruppen kein demotivierender Faktor. Selbstreferenz und Selbstbezug
gehören ohnehin zu den charakteristischen Elementen dieser Dichtung, deren
Untersuchungsgegenstand die Sprache, das Sprechen sowie die Bedingungen der
Möglichkeiten von Sprache und Kommunikation sind. Literarische Zirkel und
informelle Gruppen bestimmen das Bild, das sich schon wegen der Abwesenheit
bekannter Verlage auf einem engen literarischen Distributionssektor bewegt - mit
hochproduktiver Aktivität.
Hochambitionierte Lyrik und komplexeste Poeme entstanden in den 90er
Jahren. Einer ihrer konsequentesten Produzenten ist der Österreicher Ferdinand
Schmatz mit seinem über 150 Seiten starken Poem Das grosse babel,n (1999). Die
wahrhaft babylonische Architektur des Werkes will Stück für Stück, Vers für Vers,
Sprachblock für Sprachblock erarbeitet sein. Aber gerade eine solche Zumutung
ist fast ein Ausweis für alle diejenigen, die in Österreich und anderswo sich als ei-
ne kleine Minderheit des Literaturpublikums für jenes avantgardistische Milieu
interessieren. Hinzu kommt, dass die Avantgarde-Formel bei näherem Hinsehen
lediglich als Schubladenetikett taugt und kaum mehr als eine erste, pragmatische
Zuordnung unterschiedlichster Stimmen und Schreibweisen sein kann. Schmatz'
Babel, n- Buch führt über Verse, Strophen, Dialogstücke, Anspielungen und zuletzt
auch über verfremdete biblische Motive zu einem babylonischen Leseturm. Die
monolithischen Blöcke bilden ein Sprach- und Textmassiv, dessen Erschließung die
eigene Lesetechnik als Grenzerfahrung erscheinen lässt. Hier liegt möglicherweise
der tiefere Grund dafür, dass die Literaturkritik in ihrem Tagesgeschäft keinen ir-
gendwie bequemen Lesepfad den babylonischen Turm hinauf findet.
Avantgardistische Literatur mag heute als Literatur für Literaten gelten und
allenfalls anschlussfähig an künstlerische und gewisse intellektuelle Milieus sein.
Ihre eigene Bedeutung liegt darin, dass sie im Medium der Dichtung die Dichtung
selbst thematisiert, und zwar gerade von den Grenzen ihrer Möglichkeiten her, die
zu erkunden und zu erweitern stets ein Teil avantgardistischer literarischer Praxis
war. Im Kontext einer Poesie, die sich immer mehr in unterschiedliche Milieus
aufspaltet, bildet dieser experimentelle Impuls nach wie vor eine zwar kaum wahr-
genommene, faktisch aber sehr produktive, oft in sich selbst eingekapselte Sparte
der Gegenwartslyrik So ist Das grosse babel,n ein literarisches Archiv, das, bildungs-
bürgerlich gewendet, in seinen poetischen Tiefenschichten Auskunft über einen
kultur-, sprach-, literatur-, philosophie- und religionsgeschichtlich signifikanten
Diskurskomplex geben kann. Damit ist die Rolle der Poesie wieder einmal als eine
Offene Prozesse. Schluss-Ausblick 287
Art Konterdiskurs definiert, der noch immer seinen autonomen Platz beansprucht:
jenseits der verwirrenden, vernetzten Diskursfülle der Mediengesellschaft.
Obwohl Trends und Tendenzen kaum absehbar oder gar prognostizierbar sind, hat
die omnipotente Präsenz der Massenmedien, vor allem aber der digitalen Informa-
tionstechnologie Rückwirkungen auf die aktuelle Lyrik: als Thema, Erfahrungshin-
tergrund, lebensweltlicher Zusammenhang, inzwischen aber auch als Medium für
Feuilleton- und Rezensionsangebote im Computernetz, Werbefläche und zuneh-
mend auch als mitspielendes Element in digitalen Lyrikprojekten und schließlich
auch als Kommunikationsforum der Produzenten.
Die neue Generation [... ] besitzt eine Verknüpfungsdichte und einen Beobachtungsumfang,
der erst durch die Hypertrophierung von Kommunikation in allerletzter Zeit überhaupt
möglich wurde und die es so bisher nie gegeben hat. Bisher waren literarische Szenen
Ausstrahlungsphänomene, die erst noch stark von der Dualität zwischen Großstadt und
Provinz geprägt waren [... ].Das hatte den Vorteil, daß die Nischen für Ausreifungszeiten
zahlreicher waren, während heute das überfischen der Jugendgewässer und das vollkom-
men enthemmte Absammeln erster Früchte in allen Sparten binnen kurz oder lang dazu
führen wird, den Bestand durchschnittlich entwickelter Kunst abzuschließen und durch
konstante, mittellagige Beunruhigungs- oder Belustigungspegel zu ersetzen. Wir sind dann
wieder dort, wo alles einmal angefangen hat, bei Magie und Spiel.
Wer freilich die Anthologie Lyrik von jetzt durchblättert, kann sich des Eindrucks
nicht erwehren, dass bis auf die in blauer Schrift gesetzten Titel sich kaum etwas
an jenem Darbietungsgenre geändert hat, das seit dem 18. Jahrhundert Gruppen-
trends und Innovationen verbreitet: an der Anthologie als einem Medium mit Ka-
nonisierungsanspruch. Zwar mag sich das selbstkritisch so genannte» überfischen
der Jugendgewässer« auf die nicht immer konstante ästhetische Qualität der Tex-
te beziehen; aber es gibt einen Kern von Autoren, die bereits in den 90er Jahren
bekannt wurden und damit Aufmerksamkeitspotenziale garantieren (u.a. Marcel
Beyer, Kersten Flenter, Steffen Jacobs, Albert Ostermaier, Dirk von Petersdorff).
Der Generationenbegriffhat eine heuristische Funktion, indem er gewisse Alters-
gruppen im Sinne eines äußeren Ordnungsschemas definiert.
Vor diesem Horizont mag die Erwartung an erkennbare Veränderungen gering
sein. Und doch gibt es Anhaltspunkte für eine Veränderung von Konstellationen
288 Die neunziger Jahre
I
Stell dir vor: Dein Ohr ist nicht da!
Das schmale Klopfen der Welt, das du hörst,
Regen versinkt im Schweigen der Barometer.
Die Jahre vergehn. Das heißt: man ist
mit etwas befaßt. Zeit, Rhythmus, Takt.
Man sieht in die Sterne. Wenn du hineinspuckst
kannst du ihn fühlen: den kühlen Wintermorgen.
Die Scheiben der Schuhgeschäfte vorm Öffnen.
Nackt liegt das Licht über der Einkaufszone.
Du spürst Gras. Es ist zu hören das
schmale Klopfen der Welt. Regen auf Glas.
Vor deiner Haustür
L_
Die kleine, konventionell eingeleitete, eingängige Reflexion zählt leicht nachvoll-
ziehbare Eindrücke auf und bietet ein Wirklichkeitspanorama an, das mit analo-
gen Erfahrungen der Leser rechnet und zum Nachvollzug einlädt. Eine Metapher
wie »Nackt liegt das Licht über der Einkaufszone« bedarf keiner besonderen Mü-
he; Indefinitpronomen wie »Man« und direkte Leseransprachen (»Stell dir vor«,
»Du spürst Gras«) bieten einen Identifikationsraum an für ein paar Takte »Me-
tronom«-Gedanken.
Von verschachtelten, ineinander verschobenen, komplexen, lesewiderständi-
gen Strukturen sind Gedichte wie diese weit entfernt. Der Titel einer Reihe neuer
Offene Prozesse. Schluss-Ausblick 289
I
Einmal im Nachspann als ein
Foul wiederholt wurde, sah ich
erst dann zwischen den Spielern
Rosts Gedicht erzählt eine kleine Geschichte; ihr Sujet hat einen medialen Bezugs-
punkt und entzündet sich in paradoxer Anspielung auf Märchenanfänge an der
Formel »Einmal im Nachspann«. Das Ich des Gedichts ist kein Beobachter oder
gar Kommentator eines fremden Mediums mehr, sondern notiert, von der Medien-
erfahrung als einer primären Lebenswelterfahrung geprägt, auf prägnante Weise
Wahrnehmungsmomente, die in der Formstruktur des Gedichts sichtbar gemacht
werden. Der Beobachter registriert zwar auch das Spielfeldgeschehen, aber sein
eigentlicher Gegenstand sind die Aktion der Kamera und die Sequenz der Bilder.
In der zerhackten Vers- und Strophenform, bis hin zur Gestaltung von Einzeilen-
strophen, erscheinen sprachliche und formale Konturen eines Wahrnehmungspro-
tokolls, in dem jedes Element seinen exakt konstruierten Platz hat.
Diese Aufschreibprozedur erinnert an Rolf Dieter Brinkmanns poetische
Schnappschuss-Technik. Aber während Brinkmann die Analogie zu Kamerablick
und Fototechnik im Medium des Gedichtes vorführte, ist Rosts Gedicht im media-
len Kontext selbst situiert. Sein Text zeichnet »Kontraste« nach, die auf ein Fernseh-
erlebnis rekurrieren, auf die Opposition zwischen Erwartbarem (dem TV-Bericht
über ein Fußballspiel) und Unerwartbarem (der »in Panik« davon fliegenden Elster
auf dem Spielfeld). So ließe sich Rosts TV-snap-shotals im Detail sprachlich nach-
konstruierte Momentaufnahme eines Fernseh-Schnappschusses verstehen.
Deutlich wird- und diese Beobachtung gilt für Autoren der Fernseh-, Film-
und Computergeneration insgesamt - die Selbstverständlichkeit, mit der mediale
Alltagssujets zum Gedichtthema werden und sogar die poetischen Verfahren, die
Aufschreibtechniken beeinflussen können. Dieser Erfahrungshorizont ist genera-
tionenübergreifend und reicht von Türgen Becker bis Hendrik Rost. Es entsteht
ein Alltagsgedicht neuen Typs, das nicht einfach in naivem Sprachrealismus un-
prätentiöse Wirklichkeitsfelder thematisiert, sondern die eigene Wahrnehmung
und die des Mediums beobachtet und somit auch die mediale Konstruktion von
Wirklichkeit erfasst.
Offener Schluss
Nun sind Medien-Themen seit den 90er Jahren kein neues Feld der Lyrik. Barbara
Köhler beispielsweise hat es in Blue Box ( 1995) mit Akribie und Prägnanz bearbei-
tet, bis hin zur Erprobung von Schnitt- und Bildtechniken, wie sie audio-visuelle
Medien seit langem praktizieren. In Gedichten wie »In the Movies« (lOf.) hat die
Autorin, ausgehend von Jean-Luc Godards Ausspruch »Film ist vierundzwanzig-
mal Wahrheit pro Sekunde«, die andrängende Bewegung von Bildern bis hin zur
deren Macht und Gewalt durchgespielt.
Jüngere Autoren wie Marcel Beyer, die in der »Lyrik von jetzt« den schon arri-
vierten background bilden, setzen keineswegs auf aktuelle Alltagslyrik, sondern, wie
der Gedichtband Erdkunde (Beyer 2002) in allen Varianten demonstriert, komple-
xe, zyklische Formen, die im Vergleich zu dem einige Jahre zuvor veröffentlichten
Gedichtband Falsches Futter (Beyer 1997) deutlich mehr Geduld des Lesens ein-
fordern: gegen Lyrik als life style und fun- Kultur. Gleich das erste, das Buch den
Offene Prozesse. Schluss-Ausblick 291
Titel gegebene Gedicht »Erdkunde« nimmt die Technik der Spurensuche wieder
auf und verifiziert Klings Satz: »Gedicht ist Gedächtniskunst« (Kling 1997, 20).
Erdkunde (Beyer 2002, 7-13) ist jene mühsame Spurensuche, die der deutschspra-
chigen Dichtung seit 1945 auferlegt ist und die noch keineswegs ins Geschichts-
archiv gehört:
I
Mir träumte von Knochen,
ich war im Gelände,
mein Gesicht, meine Füße,
ich schaute auf meine Hände,
[... ]
L_
Ich könnte Ihnen sagen, wie ich Gedanken, Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse,
Motivisches, Vorgefundenes und übernommenes einsetze, wie manchmal durch ein zu-
fällig aufgefangenes Wort, durch eine festgehaltene Aufschrift, durch eine >Verhörung<,
oder >Verlesung< irgend eines Zusammenhanges sich etwas weiterbewegt in meinem
Bewusstsein, daß solche unscheinbaren punktuellen Verschiebungen und Verfremdungen
eine Kettenreaktion von Konstellationen auslösen, die ich sich sonst nicht nach stunden-
langem Nachdenken oder Experimentieren gewonnen hätte. Ich könnte Ihnen also von
den minutiösen Imponderabilien eines schreibenden Menschen erzählen, aber - ich frage
mich ernsthaft: wird es Ihnen etwas von dem vermitteln können, was seine Auslösung
bewirkt hat?
292 Die neunziger Jahre
Zitierte Werkausgaben
Corino, Eva: Keine Zeit für Tragödien. Berlin 2001.
Czernin, Franz Josef: elemente. Sonette. München/Wien 2002.
Göritz, Matthias: Loops. Graz 2001.
Grass, Günter: Novemberland. 13 Sonette. In: G.G.: Werkausgabe. Bd. 1: Gedichte und Kurzprosa.
Göttingen 1997, S. 283-297.
Mayröcker, Friederike: Gesammelte Prosa II. 1978-1986. Hg. von Klaus Karstberger. Frankfurt a.M.
2001.
Müller, Heiner: Werke 1: Die Gedichte. Hg. von Frank Hörnigk. Frankfurt a.M. 1998.
Rost, Hendrik: Aerobic und Gegenliebe. Düsseldorf 200 l.
Waterhouse, Peter: Prosperos Land. Salzburg/Wien 2001.
Zitierte Sekundärliteratur
Barner, Wilfried (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München
1994.
Berendse, Gerrit-Jan: Grenzfall-Studien. Essays zum Topos Prenzlauer Berg in der DDR-Literatur.
Berlin 1999.
Böthig, Peter: Grammatik einer Landschaft. Literatur aus der DDR in den 80er Jahren. Berlin 1997.
Bogdal, Klaus-Michael: Klimawechsel. Eine kleine Meteorologie der Gegenwartsliteratur. In: Andreas
Erb (Hg.): Baustelle Gegenwartsliteratur. Dieneunziger Jahre. Opladen!Wiesbaden 1998, S. 9-31.
Offene Prozesse. Schluss-Ausblick 293
1945
Bergengruen, Werner: Dies irae. Zürich.
Fried, Erich: Österreich. London/Zürich.
Hagelstange, Rudolf. Venezianisches Credo. Verona.
Herrnlin, Stephan u.a.: Wir verstummen nicht. Zürich.
Rychner, Max: Glut und Asche. Zürich.
Schneider, Reinhold: Die letzten Tage. Zürich.
1946
Becher, Johannes Robert: Heimkehr. Berlin.
Borchert, Wolfgang: Laterne, Nacht und Sterne. Hamburg.
Haushofer, Andreas: Moabiter Sonette. Berlin.
Hausmann, Manfred: Füreinander. Berlin.
Jünger, Friedrich Georg: Die Silberdistelklause. Frankfurt a.M.
Jünger, Friedrich Georg: Der Westwind. Frankfurt a.M.
Lehmann, Wilhelm: Entzückter Staub. Heidelberg.
Priester, Eva: Aus Krieg und Nachkrieg. Wien.
Schaefer, Oda: Irdisches Geleit. München.
Schneider, Reinhold: Apokalypse. Baden-Baden.
Schneider, Reinhold: Die neuen Türme. Wiesbaden.
Schröder, Rudolf Alexander: Auf dem Heimweg. Kassel.
Weyrauch, Wolfgang: Von des Glücks Barmherzigkeit. Berlin.
1947
Britting, Georg: Die Begegnung. München.
Britting, Georg: Lob des Weines. Hamburg.
Guttenbrunner, Michael: Schwarze Ruten. Klagenfurt.
Hagelstange, Rudolf. Es spannt sich der Bogen. Leipzig [zuerst 1943].
Herrnlin, Stephan: 22 Balladen. Berlin.
Holthusen, Hans Egon: Klage um den Bruder. Hamburg.
Jünger, Friedrich Georg: Die Perlenschnur. Frankfurt a.M.
Kaschnitz, Marie Luise: Totentanz und Gedichte zur Zeit. Hamburg.
Langgässer, Elisabeth: Der Laubmann und die Rose. Hamburg.
Sachs, Nelly: In den Wohnungen des Todes. Berlin.
Schaumann, Ruth: Klage und Trost. Heidelberg.
Schönwiese, Ernst: Ausfahrt und Wiederkehr. Wien.
Schröder, Rudolf Alexander: Alten Mannes Sommer. Berlin.
Vring, Georg von der: Verse für Minette. München.
296 Bibliographie
1948
Becher, Johannes Robert: Volk im Dunkel wandelnd. Berlin.
Benn, Gottfried: Statische Gedichte. Zürich.
Diettrich, Fritz: Sonette. Kassel.
Eich, Günter: Abgelegene Gehöfte. Frankfurt a.M.
Hagelstange, Rudolf: Strom der Zeit. Wiesbaden.
Huchel, Peter: Gedichte. Berlin.
Kästner, Erich: Kurz und bündig. Olten.
Krolow, Kar!: Heimsuchung. Berlin.
Kuba [d.i. K. Barthel]: Gedicht vom Menschen. Berlin.
Lehmann, Wilhelm: Der grüne Gott. Heidelberg [1942].
Maurer, Georg: Gesänge der Zeit. Leipzig.
Schneider, Reinhold: Stern der Zeit. Krefeld.
Usinger, Fritz: Resperische Hymnen. Stuttgart.
Weyrauch, Wolfgang: Lerche und Sperber. München.
1949
Diettrich, Fritz: Gesänge der Einkehr. Kassel.
Eich, Günter: Untergrundbahn. Hamburg.
Gan, Peter: Die Holunderflöte. Zürich/Freiburg.
Holthusen, Hans Egon: Hier in der Zeit. München.
Kasack, Hermann: Das ewige Dasein. Berlin/Frankfurt a.M.
Krolow, Kar!: Auf Erden. Hamburg.
Lavant, Christine: Die unvollendete Liebe. Berlin/Frankfurt a.M.
Sachs, Nelly: Sternverdunkelung. Berlin.
Schröder, Rudolf Alexander: Die geistlichen Gedichte. Berlin/Frankfurt a.M.
Schröder, Rudolf Alexander: Neue Gedichte. Olten.
Weinert, Ernst: Gedichte. Berlin/Leipzig.
Weinert, Ernst: Lieder um Stalin. Potsdam.
1950
Bächler, Wolfgang: Die Zisterne. Esslingen.
Bergengruen, Werner: Die heile Welt. Zürich.
Hermlin, Stephan: Mansfelder Oratorium. Eisleben.
Kaschnitz, Marie Lusie: Zukunftsmusik. Hamburg.
Kunert, Günter: Wegschilder und Mauerinschriften. Berlin.
Lehmann, Wilhelm: Noch nicht genug. Tübingen.
Reber, Kuno: Gesicht im Mittag. Basel.
Weyrauch, Wolfgang: An die Wand geschrieben. Hamburg.
1951
Becher, Johannes Robert: Glück der Ferne -leuchtend nah. Berlin.
Bender, Hans: Fremde soll vorüber sein. Augsburg.
Benn, Gottfried: Fragmente. Wiesbaden.
Brecht, Bertolt: Hundert Gedichte. Berlin.
Britting, Georg: Unter hohen Bäumen. München.
Busta, Christine: Der Regenbaum. Wien.
Gwerder, Alexander Xaver: Blauer Eisenhut. Zürich.
Schröder, Rudolf Alexander: Achtzig Gedichte. Frankfurt a.M.
Schröder, Rudolf Alexander: Hundert geistliche Gedichte. Frankfurt a.M.
Primärliteratur 297
1952
Arendt, Erich: Bergwindballade. Berlin.
Becher, Johannes Robert: Deutsche Sonette. Berlin.
Celan, Paul: Mohn und Gedächtnis. Stuttgart.
Höllerer, Walter: Der andere Gast. München.
Holthusen, Hans Egon: Labyrinthische Jahre. München.
Jünger, Friedrich Georg: Iris im Wind. Frankfurt a.M.
Piontek, Heinz: Die Furt. Esslingen.
Poethen, Johannes: Lorbeer über gestirntem Haupt. Sechs Gesänge. Düsseldorf/Köln.
Usinger, Fritz: Gesang gegen den Tod. Frankfurt a.M.
Vring, Gerd von der: Abendfalter. München.
1953
Bachmann, Ingeborg: Die gestundete Zeit. Frankfurt a.M.
Burkart, Erika: Der dunkle Vogel. St. Gallen.
Fühmann, Pranz: Die Fahrt nach Stalingrad. Berlin.
Gomringer, Bugen: Konstellationen. Bern.
Hagelstange, Rudolf: Zwischen Stern und Staub. Wiesbaden.
Maurer, Georg: 42 Sonette. Berlin.
Meister, Ernst: Unterm schwarzen Schafspelz. Frankfurt a.M.
Piontek, Heinz: Die Rauchfahne. Esslingen.
1954
Brecht, Bertolt: Buckower Elegien. Berlin/Frankfurt a.M.
Bremer, Claus: poesie. Karlsruhe.
Cibulka, Hanns: Märzlicht. Halle/Leipzig.
Guttenbrunner, Michael: Opferholz.
Heißenbüttel, Helmut: Kombinationen. Esslingen.
Kahlau, Heinz: Hoffnung lebt in den Zweigen des Caiba. Berlin.
Krolow, Kar!: Wind und Zeit. Stuttgart.
Lehmann, Wilhelm: überlebender Tag. Düsseldorf/Köln.
Meister, Ernst: Dem Spiegelkabinett gegenüber. Frankfurt a.M.
Schneider, Reinhold: Die Sonette von Leben und Zeit, dem Glauben und der Geschichte. Köln/Olten.
Vring, Gerd von der: Kleiner Faden Blau. Hamburg.
1955
Arp, Hans: Auf einem Bein. Wiesbaden.
Bächler, Wolfgang: Lichtwechsel. Esslingen.
Burkart, Erika: Sterngefahrten. St. Gallen.
Celan, Paul: Von Schwelle zu Schwelle. Stuttgart.
Eich, Günter: Botschaften des Regens. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Unter diesem Himmel. Berlin.
Meister, Ernst: Der Südwind sagte zu mir. Frankfurt a.M.
1956
Arendt, Erich: Tohi. Leipzig.
Bachmann, Ingeborg: Anrufung des Großen Bären. München.
Binge!, Horst: Kleiner Napoleon. Stierstadt.
Grass, Günter: Vorzüge der Windhühner. Berlin/Neuwied.
Heißenbüttel, Helmut: Topographien. Esslingen.
Jandl, Ernst: Andere Augen. Wien.
Kahlau, Heinz: Probe. Berlin.
298 Bibliographie
1957
Arendt, Erich: Gesang der sieben Inseln. Berlin.
Arp, Hans: Worte mit und ohne Anker. Wiesbaden.
Enzensberger, Hans Magnus: Verteidigung der Wölfe. Frankfurt a.M.
Fritz, Walter Helmut: Achtsam sein. Biel.
Fuchs, Günter Bruno: Nach der Haussuchung. Stierstadt.
Fühmann, Pranz: Aber die Schöpfung soll dauern. Berlin.
Kaschnitz, Marie Luise: Neue Gedichte. Hamburg.
Meister, Ernst: Fermate. Stierstadt.
Meister, Ernst: ... und Ararat. Wiesbaden.
Piontek, Heinz: Wassermarken. Esslingen.
Raeber, Kuno: Die verwandelten Schiffe. Berlin/Darmstadt.
Sachs, Nelly: Und niemand weiß weiter. Hamburg!München.
1958
Artmann, H.C.: med ana schwoazzn dintn. Salzburg.
Becher, Johannes Robert: Schritt der Jahrhundertmitte. Berlin.
Burkart, Erika: Geist der Fluren. St. Gallen.
Busta, Christine: Die Scheune der Vögel. Salzburg.
Fried, Erich: Gedichte. Hamburg.
Fritz, Walter Helmut: Bild + Zeichen. Hamburg.
Hädecke, Wolfgang: Uns stehn die Fragen auf. Halle.
Härtling, Peter: Unter den Brunnen. Esslingen.
Jokostra, Peter: An der besonnten Mauer. Berlin.
Lange, Horst: Aus dumpfen Fluten kam Gesang. Stuttgart.
Meckel, Christoph: Hotel für Schlafwandler. Stierstadt.
Meister, Ernst: Pythiusa. Stierstadt.
Meister, Ernst: Zahlen und Figuren. Wiesbaden.
Okopenko, Andreas: Grüner November. Wien.
Poethen, Johannes: Stille im trockenen Dorn. Esslingen.
Saalfeld, Martha: Herbstmond. Wien u.a.
1959
Arendt, Erich: Flug-Oden. Leipzig/Wiesbaden.
Bingel, Horst: Auf der Ankerwinde zu Gast. Stierstadt.
Celan, Paul: Sprachgitter. Frankfurt a.M.
Cibulka, Hanns: Zwei Silben. Halle/Leipzig.
Domin, Hilde: Nur eine Rose als Stütze. Frankfurt a.M.
Dürr [d.i. Dürrson], Werner: Blätter im Wmd. Stuttgart.
Guttenbrunner, Michael: Ungereimte Gedichte. Hamburg.
Krolow, Karl: Fremde Körper. Berlin/Frankfurt a.M.
Lavant, Christine: Spindel im Mond. Salzburg.
Marti, Kurt: Republikanische Gedichte. St. Gallen.
Primärliteratur 299
1960
Achleitner, Friedrich: schwer schwarz. Frauenfeld.
Britting, Georg: Will der Winter kommen? München.
Burkart, Erika: Die gerettete Erde. St. Gallen.
Dürr [d.i. Dürrson], Werner: Kreuzgänge. Tuttlingen.
Endler, Adolf: Erwacht ohne Furcht. Halle.
Enzensberger, Hans Magnus: Landessprache. Frankfurt a.M.
Gomringer, Eugen: 33 Konstellationen. St. Gallen.
Grass, Günter: Gleisdreieck. Darmstadt/Berlin.
Heißenbüttel, Helmut: Textbuch I. Freiburg [bis 1967: Textbuch li-VI; VI: Neuwied/Berlin].
Kunert, Günter: Tagwerke. Halle.
Meister, Ernst: Die Formel und die Stätte. Wiesbaden.
Meister, Ernst: Lichtes Labyrinth. Gießen.
Raeber, Kuno: Gedichte. Hamburg.
Reinig, Christa: Die Steine von Finisterre. Stierstadt.
1961
Bobrowski, Johannes: Sarmatische Zeit. Stuttgart.
Borchers, Elisabeth: Gedichte. Neuwied.
Bremer, Claus: tabellen und variationen. Frauenfeld.
Heise, Hans-Jürgen: Vorboten einerneuen Steppe. Wiesbaden.
Hoffmann, Dieter: Eros im Steinlaub. Neuwied/Berlin.
Kunert, Günter: Tagwerke. Halle.
Meister, Ernst: Flut und Stein. Neuwied/Berlin.
Poethen, Johannes: Ankunft und Echo. Frankfurt a.M.
Sachs, Nelly: Fahrt ins Staublose. Frankfurt a.M.
Vring, Gerd von der: Der Schwan. München.
1962
Bächler, Wolfgang: TürklingeL Esslingen.
Bobrowski, Johannes: Schattenland Ströme. Stuttgart.
Brinkmann, Rolf Dieter: Ihr nennt es Sprache. Leverkusen.
Czechowski, Heinz: Nachmittag eine Liebespaares. Halle.
Enzensberger, Hans Magnus: Gedichte. Frankfurt a.M.
Fritz, Walter Helmut: Veränderte Jahre. Stuttgart.
Fuchs, Günter Bruno: Trinkermeditationen. Neuwied/Berlin.
Fühmann, Franz: Die Richtung der Märchen. Berlin.
Gappmayr, Heinz: Zeichen. Innsbruck.
Härtling, Peter: Spiegelgeist, Spiegelgeist. Stuttgart.
Haufs, Rolf: Straße nach Kohlhasenbrück. Neuwied/Berlin.
Kaschnitz, Marie Luise: Dein Schweigen - meine Stimme. Hamburg.
Krolow, Kar!: Unsichtbare Hände. Frankfurt a.M.
Lavant, Christine: Der Pfauenschrei. Salzburg.
Lehmann, Wilhelm: Abschiedslust. Gütersloh.
Meckel, Christoph: Wildnisse. Frankfurt a.M.
300 Bibliographie
1963
Bächler, Wolfgang: Türen aus Rauch. Frankfurt a.M.
Celan, Paul: Die Niemandsrose. Frankfurt a.M.
Fried, Erich.: Reich der Steine. Hamburg.
Friesel, Uwe: Linien in die Zeit. Hannover.
Huchel, Peter.: Chausseen, Chausseen. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Erinnerung an einen Planeten. München.
Mickel, Kar!: Lobverse & Beschimpfungen. Halle.
Novak, Helga Maria: Ballade von der reisenden Anna. Neuwied/Berlin.
Raeber, Kuno: Flussufer. Hamburg.
Reinig, Christa: Gedichte. Frankfurt a.M.
Weyrauch, Wolfgang: Die Spur. Olten/Freiburg.
1964
Bremer, Claus: Ideogramme. Frauenfeld.
Burkart, Erika: Ich lebe. Zürich.
Domin, Hilde: Hier. Frankfurt a.M.
Eich, Günter: Zu den Akten. Frankfurt a.M.
Enzensberger, Hans Magnus: Blindenschrift. Frankfurt a.M.
Fried, Erich: Warngedichte. München.
Jandl, Ernst: Lange Gedichte. Stuttgart.
Kahlau, Heinz: Der Fluß der Dinge. Berlin/Weimar.
Maurer, Georg: Stromkreis. Leipzig.
Maurer, Georg: Gestalten der Liebe. Halle.
Mon, Franz: sehgänge. Berlin.
Reinfrank, Arno: Auf unserem Stern. Frankfurt a.M.
Schönwiese, Ernst: Geheimnisvolles Ballspiel. Wiesbaden.
Vring, Gerd von der: Der Mann am Fenster. München/Wien.
Wolken, Kar! Alfred: Wortwechsel. Stuttgart.
1965
Arp, Hans: Logbuch des Traumkapitäns. Zürich.
Ausländer, Rose: Blinder Sommer. Wien.
Biermann, Wolf: Die Drahtharfe. Berlin.
Binge!, Horst: Wir suchen Hitler. München u.a.
Braun, Volker: Provokation für mich. Halle.
Brinkmann, Rolf Dieter: Ohne Neger. Gedichte 1965. Hommerich.
Busta, Christa: Unterwegs zu älteren Feuern. Salzburg.
Delius, F.C.: Kerbholz. Berlin.
Dürrson, Werner: Schattengeschlecht. Köln.
Fringeli, Dieter: Zwischen den Orten. Breitenbach.
Fuchs, Günter Bruno: Pennergesang. München.
Gomringer, Eugen: Das Stundenbuch. München.
Guttenbrunner, Michael: Die lange Zeit. Hamburg.
Kaschnitz, Marie Luise: Ein Wort weiter. Hamburg.
Kirsch, Sarah: Gespräch mit dem Saurier. Berlin.
Primärliteratur 301
1966
Arendt, Erich: Unter den Hufen des Winds. Reinbek.
Artmann, H. C.: verbarium. Olten/Freiburg.
Bienek, Horst: was war was ist. München.
Braun, Volker: Vorläufiges. Frankfurt a.M.
Dürrson, Werner: Schneeharfe. Fünfzehn Gedichte. Frankfurt a.M.
Eich, Günter: Anlässe und Steingärten. Frankfurt a.M.
Fried, Erich: und VIETNAM und. Berlin.
Fritz, Walter Helmut: Die Zuverlässigkeit der Unruhe. Hamburg.
Greßmann, Uwe: Der Vogel Frühling. Halle.
Herburger, Günter: Ventile. Köln/Berlin.
Hermlin, Stephan: Die Städte. München/Esslingen.
Jandl, Ernst: Laut und Luise. Olten.
Krolow, Kar!: Landschaften für mich. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Verkündigung des Wetters. München.
Mayröcker, Friederike: Tod durch Musen. Reinbek.
Mickel, Kar!: Vita nova mea. Berlin/Weimar.
Piontek, Heinz: Klartext. Hamburg.
Poethen, Johannes: Wohnstatt zwischen den Atemzügen. Hamburg.
Reinfrank, Arno: Die Davidsschleuder. Berlin/Weimar.
1967
Arendt, Erich: Ägäis. Leipzig.
Artmann, H.C.: ein lilienweisser briefaus lincolnshire. Frankfurt a.M.
Ausländer, Rose: 36 Gerechte. Hamburg.
Bobrowski, Johannes: Wetterzeichen. Berlin.
Borchers, Elisabeth: Der Tisch an dem wir sitzen. Neuwied/Berlin.
Born, Nicolas: Marktlage. Köln/Berlin.
Brinkmann, Rolf Dieter: Was fraglich ist wofür. Köln/Berlin.
Celan, Paul: Atemwende. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: Wasserfahrt Halle.
Degenhardt, Pranz Josef: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Hamburg.
Fried, Erich: Anfechtungen. Berlin.
Fritz, Walter Helmut: Die Zuverlässigkeit der Unruhe. Hamburg.
Fuchs, Günter Bruno: Blätter eines Hof-Poeten & andere Gedichte. München.
Grass, Günter: Ausgefragt. Neuwied/Berlin.
Haufs, Rolf: Vorstadtbeichte. Neuwied/Berlin.
HöHerer, Walter: Außerhalb der Saison. Berlin.
302 Bibliographie
1968
Aste!, Arnfrid: Notstand. Wuppertal.
Bartsch, Kurt: Zugluft. Berlin/Weimar.
Biermann, Wolf: Mit Marx- und Engelszungen. Berlin.
Brinkmann, Rolf Dieter: Die Piloten. Köln.
Celan, Paul: Fadensonnen. Frankfurt a.M.
Eggimann, Ernst: Henusode. Zürich.
Fried, Erich: Zeitfragen. München.
Gosse, Peter: Antiherbstzeitloses. Halle.
Heise, Hans-Jürgen: Ein bewohntes Haus. Frankfurt a.M.
Jandl, Ernst: Sprechblasen. Neuwied/Berlin.
Krolow, Kar!: Alltägliche Gedichte. Frankfurt a.M.
Meister, Ernst: Zeichen um Zeichen. Wiesbaden.
Schönwiese, Ernst: Odysseus und der Alchimist. Wiesbaden.
Törne, Volker von: Wolfspelz. Berlin.
Wandrey, Uwe: Kampfreime. Hamburg.
Wolken, Kar! Alfred: Klare Verhältnisse. München.
1969
Artmann, H.C.: ein lilienweißer briefaus Lincolnshire. Frankfurt a.M.
Brinkmann, Rolf Dieter: Standphotos. Duisburg.
Delius, F.C.: Wenn wir, bei Rot. Berlin.
Fried, Erich: Die Beine der größeren Lügen. Berlin.
Fringeli, Uwe: Das Nahe suchen. Grenchen.
Gomringer, Eugen: warte sind schatten. Reinbek.
Hoff, Kay: Netzwerk. Hamburg.
Höllerer, Walter: Systeme. Neue Gedichte. Berlin.
Karsunke, Yaak: reden & ausreden. Berlin.
Kunze, Rainer: Sensible Wege. Reinbek.
Marti, Kurt: leichenreden. Neuwied/Berlin.
Pastior, Oskar: Vom Sichersten ins Tausendste. Frankfurt a.M.
Poethen, Johannes: Im Namen der Trauer. Hamburg.
Reinig, Christa: Schwalbe von Olevano. Stierstadt.
Schäuffelen, Konrad Balder: raus mit der Sprache. Frankfurt a.M.
Wacker, Nelly: Meinen Altersgenossen. Alma-Ata.
1970
Aste!, Arnfrid: Kläranlage. München.
Bobrowski, Johannes: Im Windgesträuch. Berlin/Stuttgart.
Born, Nicolas: Wo mir der Kopf steht. Köln/Berlin.
Primärliteratur 303
1971
Bartsch, Kurt: Die Lachmaschine. Berlin.
Becker, Jürgen: Schnee. Berlin.
Celan, Paul: Schneepart Frankfurt a.M.
Fringeli, Dieter: Das Wort reden. Olten/Freiburg.
Heise, Hans-Jürgen: Uhrenvergleich. Hamburg.
Piontek, Heinz: Tot oder lebendig. Hamburg.
Sachs, Nelly: Suche nach Lebenden. Frankfurt a.M.
Sachs, Nelly: Teile dich Nacht. Frankfurt a.M.
Zeller, Eva: Sage und Schreibe. Stuttgart.
1972
Ausländer, Rose: Inventar. Duisburg.
Biermann, Wolf: Für meine Genossen. Berlin.
Born, Nicolas: Das Auge des Entdeckers. Reinbek.
Fried, Erich: Die Freiheit, den Mund aufzumachen. Berlin.
Fritz, Walter Helmut: Aus der Nähe. Hamburg.
Gerlach, Harald: Sprung ins Hafenmeer. Berlin/Weimar.
Greßmann, Uwe: Das Sonnenauto. Halle.
Huchel, Peter: Gezählte Tage. Frankfurt a.M.
Kaschnitz, Marie Luise: Kein Zauberspruch. Frankfurt a.M.
Krolow, Kar!: Zeitvergehen. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Offener Ausgang. Berlin/Weimar.
Kunze, Rainer: Zimmerlautstärke. Frankfurt a.M.
Meister, Ernst: Sage vom Ganzen den Satz. Darmstadt/Neuwied.
Turnier, Franz: Sätze von der Donau. München.
1973
Arendt, Erich: Feuerhalm. Leipzig.
Cibulka, Hanns: Lichtschwalben. Halle/Leipzig.
Fels, Ludwig: Anläufe. Darmstadt/Neuwied.
Heise, Hans-Jürgen: Besitzungen in Untersee. Hamburg!Düsseldorf.
Heißenbüttel, Helmut: Gelegenheitsgedichte. Darmstadt!Neuwied.
Herburger, Günter: Operette. Darmstadt/Neuwied.
304 Bibliographie
Kaleko, Mascha: Hat alles seine zwei Schattenseiten. Sinn- und Unsinngedichte. Düsseldorf.
Kirsch, Sarah: Zaubersprüche. Berlin.
Marti, Kurt: undereinisch. Darmstadt/Neuwied.
Maurer, Georg: Erfahrene Welt. Halle.
Mayröcker, Friederike: Blaue Erleuchtungen. Erste Gedichte. Düsseldorf.
Pastior, Oskar: Gedichtgedichte. München.
Schutting, Julian (Jutta]: In der Sprache der Inseln. Salzburg.
Skwara, Erich Wolfgang: lotverschlossen. Karlsruhe.
Strittmatter, Eva: Ich mach ein Lied aus Stille. Berlin/Weimar.
Wagner, Richard: Klartext. Bukarest.
1974
Becker, Jürgen: Das Ende der Landschaftsmalerei. Frankfurt a.M.
Braun, Volker: Gegen die symmetrische Welt. Halle.
Endler, Adolf: Das Sandkorn. Halle.
Fried, Erich: Gegengift. Berlin.
Hodjak, Pranz: Spielräume. Gedichte & Einfälle. Bukarest.
Kaschnitz, Marie Luise: Gesang vom Menschenleben. Düsseldorf.
Kirsch, Sarah: Es war dieser merkwürdige Sommer. Berlin.
Kirsten, Wulf: Ziegelbrennersprache. Darmstadt.
Kunert, Günter: Im weiteren Fortgang. München.
Meckel, Christoph: Wen es angeht. Düsseldorf.
Petri, Walther: Das Geschmeide des Harlekin. Berlin/Weimar.
Theobaldy, Jürgen: Blaue Flecken. Reinbek.
Wondratschek, Wolf: Chuck's Zimmer. Frankfurt a.M.
1975
Ausländer, Rose: Andere Zeichen. Düsseldorf.
Brasch, Thomas: Poesiealbum 89. Berlin.
Brinkmann, Rolf Dieter: Westwärts 1 & 2. Reinbek.
Czechowski, Heinz: Schafe und Sterne. Halle.
Delius, F. C.: Ein Bankier auf der Flucht. Berlin.
Dürrson, Werner: Mitgegangen mitgehangen. Gedichte 1970-1975. Darmstadt.
Endler, Adolf: Nackt mit Brille. Berlin.
Enzensberger, Hans Magnus: Mausoleum. Frankfurt a.M.
Erb, Elke: Gutachten. Berlin/Weimar.
Fels, Ludwig: Ernüchterung. Erlangen/Berlin.
Fringeli, Dieter: Durchaus. Neue Gedichte. Düsseldorf.
Heise, Hans-Jürgen: Vom Landurlaub zurück. Düsseldorf.
Koschel, Christine: Zeit von der Schaukel zu springen. München.
Kunert, Günter: Das kleine Aber. Berlin/Weimar.
Malkowski, Rainer: Was für ein Morgen. Frankfurt a.M.
Marti, Kurt: meergedichte, alpengedichte. Berlin.
Mickel, Kar!: Eisenzeit. Halle.
Novak, Helga Maria: Balladen vom kurzen Prozeß. Berlin.
Reimann, Andreas: Die Weisheit des Fleisches. Halle.
Ritter, Roman: Einen Fremden im Postamt umarmen. München.
Schramm, Godehard: Meine Lust ist größer als mein Schmen. München/Zürich.
Söllner, Werner: Wetterberichte. Klausenberg.
Zahl, Peter-Paul: Schutzimpfung. Berlin.
Primärliteratur 305
1976
Arendt, Erich: Memento und Bild. Leipzig.
Berkes, Ulrich: Ikarus über der Stadt. Berlin/Weimar.
Bienek, Horst: Gleiwitzer Kindheit. München.
Celan, Paul: Zeitgehöft Frankfurt a.M.
Dittberner, Hugo: Der Biß ins Gras. Köln.
Fritz, Walter Helmut: Schwierige überfahrt. Hamburg.
Haufs, Rolf: Die Geschwindigkeit eines einzigen Tages. Reinbek.
Jokostra, Peter: Feuerzonen. München.
Kirsch, Sarah: Rückenwind. Berlin/Weimar [zit. n. München 1977].
Kirsten, Wulf: der landgänger. Düsseldorf/Krefeld.
Kiwus, Karin: Von beiden Seiten der Gegenwart. Frankfurt a.M.
Krüger, Michael: Reginapoly. München.
Kunert, Günter: Das kleine Aber. Berlin/Weimar.
Meister, Ernst: Im Zeitspalt Darmstadt/Neuwied.
Pastior, Oskar: Fleischeslust. Lichtenberg.
Rennert, Jürgen: Märkische Depesche. Berlin.
Schutting, Jutta: Lichtungen. Salzburg.
Schutting, Julian (Jutta]: Lichtungen. Salzburg.
Taschau, Hannelies: Luft zum Atmen. Karlsruhe.
Theobaldy, Jürgen: Zweiter Klasse. Berlin.
Wondratschek, Wolf: Das leise Lachen am Ohr eines andern. München.
Wühr, Paul: Grüß Gott ihr Mütter ihr Väter ihr Töchter ihr Söhne. München.
1977
Ausländer, Rose: Doppelspiel. Köln.
Becker, Jürgen: Erzähl mir nichts vom Krieg. Frankfurt a.M.
Burkart, Erika: Das Licht im Kahlschlag. Zürich/München.
Fels, Ludwig: Alles geht weiter. Darmstadt/Neuwied.
Fried, Erich: Die bunten Getüme. Hamburg.
Grüning, Uwe: Fahrtmorgen im Dezember. Berlin.
Härtling, Peter: Anreden. Darmstadt/Neuwied.
Herburger, Günter: Ziele. Reinbek.
Kaleko, Mascha: In meinen träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlass.
München.
Kirsten, Wulf: der bleibaum. Berlin/Weimar.
Krechel, Ursula: Nach Mainz! Darmstadt/Neuwied.
Krolow, Kar!: Der Einfachheit halber. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Unterwegs nach Utopia. München.
Malkowski, Rainer: Einladung ins Freie. Frankfurt a.M.
Meckel, Christoph: Liebesgedichte. Berlin.
Schenck, Johannes: Zittern. Fünfundvierzig Gedichte. Berlin.
Wagner, Richard: Die Invasion der Uhren. Bukarest.
Zahl, Peter-Paul: Alle Türen offen. Berlin.
1978
Aichinger, Ilse: Verschenkter Rat. Frankfurt a.M.
Arendt, Erich: Zeitsaum. Leipzig.
Biermann, Wolf: Preußischer Ikarus. Köln.
Buselmeier, Michael: Nichts soll sich ändern. Heidelberg.
Erb, Elke: Der Faden der Geduld. Berlin.
Fried, Erich: 100 Gedichte ohne Vaterland. Berlin.
306 Bibliographie
1979
Aparicio, Guillermo: Meine Wehen vergehen. Stuttgart.
Ausländer, Rose: Ein Stück weiter. Berlin.
Bartsch, Kurt: Kaderakte. Reinbek.
Becker, Jürgen: In der verbleibenden Zeit. Frankfurt a.M.
Braun, Volker: Training des aufrechten Gangs. Frankfurt a.M.
Haufs, Rolf: Größer werdende Entfernung. Gedichte 1962-1979. Reinbek.
Herburger, Günter: Orchidee. Darmstadt/Neuwied.
Hilbig, Wolfgang: abwesenheit. Frankfurt a.M.
Huchel, Peter: Die neunte Stunde. Frankfurt a.M.
Kirsch, Sarah: Drachensteigen. Ebenhausen.
Kiwus, Karin: Angenommen später. Frankfurt a.M.
Lobe, Jochen: Augenaudienz. Reinbek.
Matthies, Frank-Wolf: Morgen. Reinbek.
Meckel, Christoph: Säure. Düsseldorf.
Meister, Ernst: Wandloser Raum. Darmstadt/Neuwied.
Morshäuser, Bodo: Alle Tage. Berlin.
Reimann, Andreas: Das ganze halbe Leben. Halle.
Reinig, Christa: Müßiggang ist aller Liebe Anfang. Düsseldorf.
Rosei, Peter: Regentagstheorie. Salzburg!Wien.
Rührnkorf, Peter: Haltbar bis Ende 1999. Reinbek
Taschau, Hannelies: Doppelleben. Zürich/Köln.
Wühr, Paul: Rede. München/Wien.
1980
Ausländer, Rose: Im Atombaus wohnen. Frankfurt a.M.
Brasch, Thomas: Der schöne 27. September. Frankfurt a.M.
Brinkmann, RolfDieter: Standphotos, Gedichte 1962-1970. Reinbek.
Burger, Hermann: Kirchberger Idyllen. Frankfurt a.M.
Cibulka, Hanns: Der Rebstock. Halle/Leipzig.
Dittberner, Hugo: Ruhe hinter den Gardinen. Reinbek.
Enzensberger, Hans Magnus: Die Furie des Verschwindens. Frankfurt a.M.
Guttenbrunner, Michael: Gesang der Schiffe. Düsseldorf.
Jandl, Ernst: Der gelbe Hund. Darmstadt/Neuwied.
Jendryschik, Manfred: Die Ebene. Halle [u. Frankfurt a.M.].
Kolbe, Uwe: Hineingeboren. Gedichte 1975-1979. Berlin!Weimar [1982 Frankfurt a.M.].
Primärliteratur 307
1981
Arendt, Erich: entgrenzen. Leipzig [u. Darmstadt].
Bernhard, Thomas: Ave Vergil. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: Was mich betrifft. Halle/Leipzig.
Delius, F. C.: Die unsichtbaren Blitze. Berlin.
Falkner, Gerhard: So beginnen die Körper die Tage. Darmstadt/Neuwied.
Hahn, Ulla: Herz über Kopf. Stuttgart.
Ingold, Felix: Unzeit. Stuttgart.
Kolbe, Uwe: Abschied und andere Liebesgedichte. Berlin/Weirnar.
Krolow, Karl: Herbstsonett mit Hegel. Frankfurt a.M.
Kunze, Rainer: Auf eigene Hoffnung. Frankfurt a.M.
Lenz, Hermann: Zeitlebens. München.
Leutenegger, Gertrud: Wie in Salomons Garten. Düsseldorf.
Mangold, Wendelin: Erstling der Muse. Alma-Ata.
Mattheis, Frank-Wolf: Für Patricia im Winter. Reinbek.
Poethen, Johannes: ach erde du alte. Stuttgart.
Schlesak, Dieter: Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem Traume. Reinbek.
Törne, Volker von: Im Lande Vogelfrei. Berlin.
1982
Anderson, Sascha: Jeder Satellit hat einen Killersatelliten. Berlin.
Ausländer, Rose: Mein Venedig versinkt nicht. Frankfurt a.M.
Bächler, Wolfgang: Nachtleben. Frankfurt a.M.
Becker, Jürgen: Fenster und Stimmen. Frankfurt a.M.
Buselmeier, Michael: Radfahrt gegen Ende des Winters. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: Ich, beispielsweise. Leipzig.
Erb, Elke: Trost. Stuttgart.
Fried, Erich: Das Nahe suchen. Berlin.
Gosse, Peter: Ausfahrt aus Byzanz. Halle/Leipzig.
Gutzschhahn, Uwe-Michael: In der Hitze des Mittags. München.
Herburger, Günter: Makadam. Darmstadt/Neuwied.
Karsunke, Yaak: auf die gefahr hin. Berlin.
Kirsch, Sarah: Erdreich. Stuttgart.
Kolbe, Uwe: Hineingeboren. Gedichte 1975-1979. Frankfurt a.M.
Kolleritsch, Alfred: Im Vorfeld der Augen. Salzburg.
Krüger, Michael: Aus der Ebene. München/Wien.
Mayröcker, Friederike: Gute Nacht, guten Morgen. Frankfurt a.M.
Pietraß, Richard: Freiheitsmuseum. Berlin!Weirnar.
Rathenow, Lutz: Zangengeburt. München/Zürich.
Vesper, Guntram: Die Inseln im Landwehr. Pfaffenweiler.
308 Bibliographie
1983
Czechowski, Heinz: An Freund und Feind. München.
Dewran, Hasan: Entlang des Euphrat. Berlin.
Erb, Elke: Vexierbild. Berlin.
Fried, Erich: Es ist was es ist. Berlin.
Fritz, Walter Helmut: Werkzeuge der Freiheit. Hamburg.
Garnier, Ilse: Fensterbilder. 24 Serigraphien. Paris.
Grosz, Christiane: Blatt vor dem Mund. Berlin!Weimar.
Hahn, Ulla: Spielende. Stuttgart.
Hamm, Peter: Der Balken. Frankfurt a.M.
Hilbig, Wolfgang: Stimme Stimme. Leipzig.
Hilbig, Wolfgang: abwesenheit. Frankfurt a.M.
Kolbe, Uwe: Abschiede und andere Liebesgedichte. Frankfurt a.M.
Kolleritsch, Alfred: Absturz ins Glück. Salzburg.
Krechel, Ursula: Rohschnitt. Darmstadt/Neuwied.
Kunert, Günter: Stilleben. München.
Mensching, Steffen: Erinnerung an eine Milchglasscheibe. Halle.
Mickel, Kar!: Odysseus in Ithaka. Leipzig.
Novak, Helga Maria: Grünheide Grünheide. Darmstadt/Neuwied.
Pastior, Oskar: 33 Gedichte. München.
Senocak, Zafer: Elektrisches Blau. München.
Strittmatter, Eva: Heliotop. Berlin!Weimar.
Theobaldy, Jürgen: Die Sommertour. Reinbek.
Wondratschek, Wolf: Die Einsamkeit der Männer. Zürich.
1984
Burkart, Erika: Sternbild des Kindes. Zürich/München.
Chiellino, Gino: Mein fremder Alltag. Kiel.
Dahl, Edwin Wolfram: Zum Atmen bleibt noch Zeit. München.
Falkner, Gerhard: der atem unter der erde. Darmstadt/Neuwied.
Fels, Ludwig: Der Anfang der Vergangenheit. München.
Fried, Erich: Beunruhigungen. Berlin.
Gerlach, Harald: Nachrichten aus Grimmelshausen. Berlin!Weimar.
Haufs, Rolf: Juniabschied. Reinbek.
Hüge, Bernd-Dieter: Kaderakte eines Zugvogels. Berlin.
Karasholi, Adel: Daheim in der Fremde. Halle.
Kirsch, Sarah: Katzenleben. Stuttgart.
Krolow, Kar!: Schönen Dank und vorüber. Frankfurt a.M.
Lorenc, Kito: Wortland. Leipzig.
Martens, Klaus: Heimliche Zeiten. Stuttgart.
Meckel, Christoph: Souterrain. München.
Mensching, Steffen: Erinnerung an eine Milchglasscheibe. Halle/Leipzig.
Özakin, Aysel: Du bist willkommen. Hamburg.
Rothmann, Ralf: Kratzer. Berlin.
Struzyk, Brigitte: Leben auf der Kippe. Berlin/Weimar.
Taschau, Hannelies: Gefährdung der Leidenschaft. Darmstadt/Neuwied.
Theobaldy, Jürgen: Midlands, Drinks. Heidelberg.
Waterhouse, Peter: Menz. Graz.
1985
Bartsch, Kurt: Weihnacht ist und Wotan reitet. Berlin.
Böhme, Thomas: Die schamlose Vergendung des Dunkels. Berlin/Weimar.
Primärliteratur 309
1986
Artmann, H. C.: gerlichte von der wollust des dichtens in worte gefasst. Salzburg!Wien.
Becker, Jürgen: Odenthais Küste. Frankfurt a.M.
Czernin, Pranz Josef: Gelegenheitsgedichte. Berlin.
Dittberner, Hugo: Der Tisch unter den Wolken. Göttingen.
Fried, Erich: Wächst das Rettende auch? Gedichte für den Frieden. Köln.
Handke, Peter: Gedicht an die Dauer. Frankfurt a.M.
Haufs, Rolf: Felderland. München/Wien.
Hilbig, Wolfgang: die versprengung. Frankfurt a.M.
Hodjak, Pranz: Augenlicht. Bukarest.
lngold, Felix Philipp: Mit anderen Worten. Prosagedichte. München/Wien.
Kirsten, Wulf: die erde bei Meißen. Leipzig.
Kolbe, Uwe: Bornholm li. Berlin/Weimar.
Kolleritsch, Alfred: Augenlust. Salzburg.
Kunze, Reiner: eines jeden einziges leben. Frankfurt a.M.
Kurt, Kemal: Scheingedichte. Berlin.
Malkowski, Rainer: Was auch immer geschieht. Frankfurt a.M.
Mangold, Wendelin: Mir träumte im Süden von Schnee. Alma-Ata.
Mayröcker, Friederike: Winterglück. Frankfurt a.M.
Pastior, Oskar: Lesungen mit Tinnitus. München, Wien.
Rührnkorf, Peter: Außer der Liebe nichts. Liebesgedichte. Reinbek.
Schindel, Robert: Ohneland. Gedichte vom Holz der Paradieserbäume. 1979-1984. Frankfurt a.M.
Schmatz, Ferdinand: die wolke und die uhr. gedieht. Linz/Wien.
Treichel, Hans-Ulrich: Liebe Not. Frankfurt a.M.
Waterhouse, Peter: passim. Reinbek.
Zschorsch, Gerald: Klappmesser. Frankfurt a.M.
1987
Braun, Volker: Langsam knirschender Morgen. Frankfurt a.M.
Chiellino, Gino: Sehnsucht nach Sprache. Kiel.
Cirak, Zebra: Flugfänger. Karlsruhe.
Claus, Carlfriedrich: Sprachblätter. Spenge.
Czernin, Pranz Josef: Gelegenheitsgedichte. Berlin.
Czernin, Pranz Josef: Die Reise. In achtzig Gedichten um die ganze Welt. Salzburg.
Czechowski, Heinz: Ich und die Folgen. Reinbek.
Erb, Elke: Kastanienallee. Texte und Kommentare. Berlin/Weimar.
310 Bibliographie
1988
Bäcker, Heimrad: referendum. Wien.
Burkart, Erika: Schweigeminute. Zürich/München.
Erb, Elke: Kastanienallee. Salzburg/Wien.
Fels, Ludwig: Blaue Alleen, versprengte Tartaren. München/Zürich.
Fritz, Walter Helmut: Unaufhaltbar. Warmbronn.
Grünbein, Durs: grauzone morgens. Frankfurt a.M.
Harig, Ludwig: Hundert Gedichte. Alexandrinische Sonette, Terzinen, Couplets u.a. Verse in strenger
Form. München/Wien.
Kirsch, Rainer: Kunst in Mark Brandenburg. Rostock.
Kolleritsch, Alfred: Gedichte. Frankfurt a.M.
Leupold, Dagmar: Wie Treibholz. Pfaffenweiler.
Papenfuß-Gorek, Bert: dreizehntanz. Berlin!Weimar.
Poethen, Johannes: Wer hält mir die Himmelsleiter. Gedichte 1981-1987. Karlsruhe.
Politycki, Matthias: Im Schaffen der Schrift hier. München.
Riha, Kar!: hin & retour. Wien.
Rosenlöcher, Thomas: Schneebier. Salzburg/Wien.
Schedlinski, Rainer: die rationen des ja und des nein. Berlin/Weimar.
Schindel, Robert: Im Herzen die Krätze. Frankfurt a.M.
Söllner, Werner: Kopfland. Passagen. Frankfurt a.M.
1989
Bäcker, Heimrad: epitaph. Linz.
Camastro, Gogio: io tu. konkrete poesie. Gladbeck.
Czechowski, Heinz: An Freund und Feind. München/Wien.
Delius, F. C.: Japanische Rolltreppen. Tanka-Gedichte. Reinbek.
Döring, Stefan: heutmorgengestern. Berlin/Weimar.
Faktor, Jan: Georgs Versuche an einem Gedicht und andere positive Texte aus dem Dichtergarten des
Grauens. Berlin.
Falkner, Gerhard: wermut. Frankfurt a.M.
Fried, Erich: Gründe. Gesammelte Gedichte. Berlin.
Fries, Rudolf Fritz: Herbsttage in Niederbarnim. Berlin!Weimar.
Gerlach, Harald: Wüstungen. Berlin!Weimar.
Primärliteratur 311
1990
Becker, Jürgen: Das englische Fenster. Frankfurt a.M.
Braun, Volker: Der Stoff zum Leben 1-3. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: Auf eine im Feuer versunkene Stadt. Halle.
Döring, Stefan: Zehn. Berlin.
Gernhardt, Robert: Reim und Zeit. Stuttgart.
Gosse, Peter: Standwaage. Berlin.
Haufs, Rolf: Allerweltsfieber. München/Wien.
Hensel, Kerstin: Schlaraffenzucht. Frankfurt a.M.
Jansen, Johannes: prost neuland. Berlin.
Kolbe, Uwe: VaterlandkanaL Ein Fahrtenbuch. Frankfurt a.M.
Kunert, Günter: Fremd daheim. München/Wien.
Papenfuß-Gorek, Bert: SoJa. Berlin.
Papenfuß-Gorek, Bert: vorwärts im zorn usw. Berlin/Weimar.
Pastior, Oskar: Kopfnuß Januskopf. Gedichte in Palindromen. München.
Schutting, Julian: Flugblätter. Salzburg/Wien.
Taschau, Hannelies: weg mit dem meer. Frankfurt a.M.
Theobaldy, Jürgen: In den Aufwind. Berlin.
Treichel, Hans-Ulrich: Seit Tagen kein Wunder. Frankfurt a.M.
Wühr, Paul: Grüß Gott. Rede. München/Wien.
1991
Atabay, Cyrus: Gedichte. Frankfurt a.M.
Aigner, Christoph Wilhelm: Drei Sätze. Salzburg.
Beyer, Marcel: Walkmännin. Gedichte 1988-1989. Frankfurt a.M.
Camastro, Giogio: rhythmische figuren. Korschenbroich.
Daniel, Peter: Hommage an gott. Experimentell-konkrete Text-Zeichen. Wien.
Donhauser, Michael: Dich noch und. Liebes- und Lobgedichte. Salzburg.
Enzensberger, Hans Magnus: Zukunftsmusik. Frankfurt a.M.
Greve, Ludwig: Sie lacht und andere Gedichte. Frankfurt a.M.
Grünbein, Durs: Schädelbasislektion. Frankfurt a.M.
Hensel, Kerstin: Gewitterfront. Leipzig.
Kling, Thomas: brennstabm. Frankfurt a.M.
Köhler, Barbara: Deutsches Roulette. Gedichte 1984-1989. Frankfurt a.M.
Runge, Doris: wintergrün. Stuttgart.
Senocak, Zafer: Das senkrechte Meer. Berlin.
Wagner, Richard: Schwarze Kreide. Frankfurt a.M.
312 Bibliographie
1992
Borchers, Elisabeth: Von der Grammatik des heutigen Tages. Frankfurt a.M.
Buselmeier, Michael: Erdunter. Heidelberg.
Chiellino, Gino: Sich die Fremde nehmen. Kiel.
Czernin, Pranz Tosef: gedichte. Graz/Wien.
Hummelt, Norbert: pick-ups. Siegen.
Ingold, Felix Philipp: Reimt's auf Leben. Ein Hundert Gelegenheitsgedichte. Berlin.
Tandl, Ernst: Stanzen. Hamburg!Zürich.
Tansen, Tohannes: Reißwolf. Aufzeichnungen. Frankfurt a.M.
Kahlau, Heinz: Kaspers Waage. Berlin.
Kirsch, Sarah: Erlkönigs Tochter. Stuttgart.
Krolow, Kar!: Ich hörte mich sagen. Frankfurt a.M.
Kunert, Gunter: Stilleben. München.
Mayröcker, Friederike: Das besessene Alter. Neue Gedichte. Frankfurt a.M.
Pastior, Oskar: Vokalisen & Gimpfelstifte. München/Wien.
Petersdorff, Dirk von: Wie es weitergeht. Frankfurt a.M.
Schindel, Robert: Ein Feuerehen im Hintennach. Frankfurt a.M.
Schmatz, Ferdinand: Speise. Gedichte. Graz/Wien.
Söllner, Werner: Der Schlaf des Trommlers. Zürich.
Theobaldy, Türgen: Der Nachtbildsammler. Köln.
Warnke, Uwe: FERSE. serielle texte. Siegen.
Waterhouse, Peter: Blumen. Wien.
Zieger, Ulrich: Große beruhigte Körper. Berlin.
1993
Becker, Türgen: Foxtrott im Erfurter Stadion. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: Nachtspur. Zürich.
Duden, Anne: Steinschlag. Köln.
Fritz, Walter Helmut: Teil der Dunkelheit. Warmbronn.
Gosse, Peter: 15 Gedichte. Leipzig.
Grass, Günter: Novemberland. 13 Sonette. Göttingen.
Härtling, Peter: Das Land, das ich erdachte. Gedichte 1990-1993. Stuttgart.
Herburger, Günter: Sturm und Stille. Hamburg.
Hodjak, Pranz: Landverlust. Frankfurt a.M.
Hummelt, Norbert: knackige codes. Berlin.
Tansen, Tohannes: Text Weg Bild Spiel. Berlin.
Kirsten, Wulf: Stimmenschotter. Gedichte 1987-1992. Zürich.
Kling, Thomas: Nacht. Sicht. Gerät. Frankfurt a.M.
Rathenow, Lutz: Oder was schwimmt da im Auge. Weilerswist.
Roth, Friederike: Wiese und Macht. Ein Gedicht. Frankfurt a.M.
Rühmkorf, Peter: Laß leuchten! Reinbek.
Schrott, Raoul: sub rosa. Innsbruck.
Taufiq, Suleman: Spiegel des Anblicks. Berlin.
1994
Anderson, Sascha: rosa indica vulgaris. Berlin.
Czechowski, Heinz: über die dunkle Fläche. Halle.
Czernin, Pranz Tosef: Terzinen. Wien.
Dittberner, Hugo: Das letzte fliegende Weiß. Köln.
Erb, Elke: Unschuld, du Licht meiner Augen. Göttingen.
Faktor, Tan: Körpertexte. Hamburg!Zürich.
Gernhardt, Robert: Weiche Ziele. Gedichte 1984-1994. Zürich.
Primärliteratur 313
1995
Bulla, Hans Georg: Doppel. Bergen.
Egger, Oswald: Die Erde der Rede. Münster.
Enzensberger, Hans-Magnus: Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt a.M.
Franzobel: Thesaurus. Ein Gleiches. 24 konzeptuelle Gedichte. Siegen.
Hahn, Ulla: Epikurs Garten. Stuttgart.
Karasholi, Adel: Also sprach Abdulla. München.
Kirsch, Sarah: Ich Crusoe. 60 Gedichte. Stuttgart.
Köhler, Barbara: Blue Box. Frankfurt a.M.
Kolleritsch, Alfred: In den Tälern der Welt. Salzburg.
Krechel, Ursula: Landläufiges Wunder. Frankfurt a.M.
Krolow, Kar!: Die zweite Zeit. Frankfurt a.M.
Meckel, Christoph: Gesang vom unterbrochenen Satz. München/Wien.
Ostermaier, Albert: Herz Vers Sagen. Frankfurt a.M.
Petersdorff, Dirk von: Zeitlösung. Frankfurt a.M.
Runge, Doris: grund genug. Stuttgart.
Schmidt, Kathrin: Flußbild mit Engel. Frankfurt a.M.
Schrott, Raoul: hotels. Innsbruck.
Seiler, Lutz: berührt, geführt. Berlin.
1996
Alabied, Ryad: Garten der Begierden. Köln.
Becker, Jürgen: Korrespondenzen mit Landschaft. Frankfurt a.M.
Böhme, Thomas: heimkehr der schwimmer. Berlin.
Braun, Volker: Lustgarten Preußen. Ausgewählte Gedichte. Frankfurt a.M.
Czernin, Franz Josef: natur-gedichte. München/Wien.
Drawert, Kurt: Wo es war. Frankfurt a.M.
Falkner, Gerhard: X-te Person Einzahl. Frankfurt a.M.
Gosse, Peter: Gleisskörper. Halle.
Haufs, Rolf: Augustfeuer. München/Wien.
Jacobs, Steffen: Der Alltag des Abenteuers. Frankfurt a.M.
Jandl, Ernst: peter und die kuh. München.
Kirsch, Sarah: Bodenlos. Stuttgart.
Kling, Thomas: morsch. Frankfurt a.M.
Krüger, Michael: Nachts, unter Bäumen. Salzburg!Wien.
Kruppa, Hans: Lichter der Hoffnung. München.
Mayröcker, Friederike: Notizen auf einem Kamel. Gedichte 1991-1996. Frankfurt a.M.
Rosenlöcher, Thomas: Die Dresdner Kunstausübung. Frankfurt a.M.
314 Bibliographie
1997
Alabied, Ryad: Über das freie Denken. Köln.
Beyer, Marcel: Falsches Futter. Frankfurt a.M.
Bulla, Hans Georg: Flügel über Landschaft. Neustadt.
Dittberner, Hugo: Wasser Elegien. Hannover.
Fritz, Walter Helmut: Das offene Fenster. Prosagedichte. Hamburg.
Gernhardt, Robert: Lichte Gedichte. Zürich.
Gräf, Dieter M.: Treibender Kopf. Frankfurt a.M.
Härtling, Peter: Horizonttheater. Neue Gedichte. Köln.
Heise, Hans-Jürgen: Zwischenhoch. Halle.
Hummelt, Norbert: singtrieb. Basel.
Jacobs, Steffen: Geschulte Monade. Frankfurt a.M.
Krolow, Kar!: Auf Erden. Frankfurt a.M.
Novak, Helga Maria: Silvatica. Frankfurt a.M.
Ostermaier, Albert: Heartcore. Frankfurt a.M.
Pastior, Oskar: Das Hören des Genitivs. München.
Pfennig, Jörg: Kopfsprünge Herzsprünge. München.
Schlesak, Dieter: Landsehn. Berlin.
1998
Aigner, Christoph Wilhelm: Die Berührung. Stuttgart.
Borchers, Elisabeth: Was ist die Antwort. Frankfurt a.M.
Czechowski, Heinz: An Freund und Feind. München.
Gerlach, Harald: Nirgends und zu keiner Stunde. Berlin.
Hensel, Kerstin: Volksfest by Bürgerbräu. Berlingedichte. Berlin.
Herburger, Günter: Im Gebirge. München.
Kirsch, Rainer: Kunst in Mark Brandenburg. München.
Kolbe, Uwe: Vineta. Frankfurt a.M.
Müller, Heiner: Die Gedichte. Hg. von Frank Hörnigk. Frankfurt a.M.
Papenfuß, Bert: SBZ. Land und Leute. Berlin.
Rosenlöcher, Thomas: Ich sitze in Sachsen und seh in den Schnee. 77 Gedichte. Frankfurt a.M.
Singh, Rajvinder: Ufer der Zeit. Berlin.
Taschau, Hannelies: Klarträumer. Lüneburg.
1999
Becker, Jürgen: Journal der Wiederholungen. Frankfurt a.M.
Braun, Volker: Tumulus. Frankfurt a.M.
Domin, Hilde: Der Baum blüht trotzdem. Frankfurt a.M.
Donhauser, Michael: Sarganserland. Basel.
Drawert, Kurt: Steinzeit. Frankfurt a.M.
Duden, Anne: Hingegend. Lüneburg.
Egger, Oswald: Herde der Rede. Frankfurt a.M.
Enzensberger, Hans Magnus: Leichter als Luft. Moralische Gedichte. Frankfurt a.M.
Grünbein, Durs: Nach den Satiren. Frankfurt a.M.
Kahlau, Heinz: Zweisam. Liebesgedichte. Berlin.
Kirsten, Wulf: Wettersturz. Gedichte 1993-1998. Zürich.
Kling, Thomas: FernhandeL Köln.
Primärliteratur 315
2000
Ahrens, Henning: Stoppelbrand. Stuttgart/München.
Böhme, Thomas: Die Colatrinker. Gedichte 1980-1999. Troisdorf.
Braun, Volker: Das Wirklichgewollte. Frankfurt a.M.
Erb, Elke: Sachverstand. Göttingen.
Falkner, Gerhard: Endogene Gedichte. Grundbuch. Köln.
Grünzweig, Dorothea: Vom Eisgebreit. Göttingen.
Kruppa, Hans: Du bringst mir Glück. München.
Meckel, Christoph: Zähne. München.
Nitzberg, Alexander: >>Na also<< sprach Zarathustra. Düsseldorf.
Pastior, Oskar: Villanella & Pantum. München.
Rothmann, Ralf: Gebet in Ruinen. Frankfurt a.M.
Schacht, Ulrich: Lanzen im Eis. Stuttgart.
Schlesak, Dieter: Tunneleffekt. Berlin.
Schmidt, Kathrin: Go-In der Belladonnen. Köln.
Seiler, Lutz: pech und blende. Frankfurt a.M.
Urweider, Raphael: Lichter in Menlo Park. Köln.
Wühr, Paul: Tanzschrift Karlsruhe.
Wühr, Paul: Venus im Pudel. München/Wien.
Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Die andere Sprache. Text+ Kritik. Sonderband. München 1990.
Bender, Hans (Hg.): Mein Gedicht ist mein Messer. Heidelberg. 1955 [2., erw. Auf!. München 1961].
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Bender, Hans (Hg.): Deutsche Gedichte 1930-1960. Stuttgart 1983.
Bender, Hans (Hg.): Was sind das für Zeiten. Deutschsprachige Gedichte der achtziger Jahre. München!
Wien 1988.
Bender, Hans/Krüger, Michael (Hg.): Was alles hat Platz in einem Gedicht? München 1977.
Berger, Uwe/Deicke, Günter (Hg.): Lyriker der DDR. Berlin/Weirnar 1970.
Besten, Ad den (Hg.): Deutsche Lyrik auf der anderen Seite. Gedichte aus Ost- und Mitteldeutschland.
München 1960.
Binge!, Horst (Hg.): Deutsche Lyrik. Gedichte seit 1945. Stuttgart 1962.
Binge!, Horst (Hg.): Zeitgedichte. Deutsche politische Lyrik seit 1945. München 1963.
Braun, Michael/Thill, Hans (Hg.): Punktzeit. Deutschsprachige Lyrik der achtziger Jahre. Heidelberg
1987.
Braun, Michael/Thill, Hans (Hg.). Das verlorene Alphabet. Deutschsprachige Lyrik der neunziger Jahre.
Heidelberg 1999.
Brunner, Frank u.a. (Hg.): Wir Kinder von Marx und Coca Cola. Gedichte der Nachgeborenen.
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Buchwald, Christoph u.a. (Hg.): Luchterhand Jahrbuch für Lyrik. Darmstadt/Neuwied 1984ff.
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Diettrich, Fritz 24 Gomringer, Eugen 72, 75,77-82, 142ff., 146,
Dittberner, Hugo 156 177,238
Doesburg, Theo van 75 Göritz, Mattias 288
Döhl, Reinhard 76 Gosse, Peter 202
Domdey, Horst 103 Gräf, Dieter M. 159,271
Domin, Hilde 155, 277 Grass, Günter 87f., 106, 108, 113ff., 123, 127,
Döring, Stefan 227f., 270 142,251,256,292
Drawert, Kurt 251ff., 256 Greßmann, Uwe 131, 141
Drews, Jörg 170 Greve, Ludwig 207
Dutschke, Rudi 112,219 Grieshaber, H.A.P. 96
Grimm, Reinhold 65, 118
Egger, Oswald 271ff. Grünbein, Durs 227, 231f., 247, 252, 256f., 262-
Ehrismann, Albert 10 265,275,280,288
Eich, Günter 7, 9, 15f., 19f., 33, 38, 42ff., 66, 71, Günther, Thomas 227
89, 91ff., 95, 104, 108, 110, 118, 127, 182 Gwerder, Xaver Alexander 10
Eichendorff, Joseph von 111
Eliot, Thomas Stearns 66 Hage, Volker 164
Emmerich, Wolfgang 100 Hagelstange, Rudolf 7, 23, 24, 26, 34, 38,62
Endler, Adolf 131, 135, 188, 190, 202, 227 Hahn, Ulla 204f., 209, 274, 282
Enzensberger, Hans Magnus 63, 66f., 88, 95, Hamm, Peter 113, 219f.
108, 115-119, 122, 125, 127, 153, 197f., 256, Handke, Peter 155
274f. Härtling, Peter 221, 226, 277f.
Erb,Elke 202,227,266 Hartung, Harald 120, 148f., 157, 176,202,207
Ertl, Wolfgang 184 Haufs, Rolf 108, 156, 174f., 182, 220, 282
Haushofer, Albrecht 11f.
Faktor, Jan 227, 266 Hausmann, Manfred 21,24
Falkner, Gerhard 287f., 292 Hausmann, Raoul 146
Fehse, Willi 9 Heidegger, Martin 51, 58
Fels, Ludwig 165f., 206, 208, 215f., 219, 223 Heise, Hans-Jürgen 108,216
Fischer, Ludwig 170 Heißenbüttel, Helmut 75, 78f., Slf., 142f., 146ff.
Flenter, Kersten 276, 287, 289 Herburger, Günter 107f., 119f., 156, 164, 184,
Franz, Michael 67ff., 134 195,282
Fried, Erich 18, 25, 107f., 123, 127, 129f., 181f., Herrnlin, Stephan 18f., 26, 126, 131f., 246f.
218f., 221ff. Heselhaus, Clemens 55
Friedrich, Hugo 48 Heukenkarnp, Ursula 188f.
Fritz, Walter Helmut 48, 222, 278 Hilbig, Wolfgang 202
Fuchs, Günter Bruno 108, 127f. Hildebrand, Olaf 94
Fürnberg, Louis 9 Hinck, Walter 172
Hinderer, Walter 117, 157
Gans, Peter 8, 107 Hodjak, Franz 278
Gappmayr, Heinz 143 Hölderlin, Friedrich 26, 34, 53, 106, 111, 139f.,
Garnier, Pierre 237 181-184, 189, 195
Geibel, Immanuel 34 Höllerer, Walter 14, 45, 66f., 92, 108ff., 142, 173
Gellhaus, Axel 101 Holthusen, Hans Egon 6f., 24, 26, 62
George, Stefan 49, 56, 71 Holz, Arno 76
Gernhardt, Robert 225f. Hölzer, Max 62
Gerstl, Elfriede 285 Huber, Joseph W. 239
Gerz, Jochen 148, 177 Huchel, Peter 7, 9, 16, 20, 27f., 28, 33, 38f., 89ff.,
Giacometti, Alberto 142 95, 104f., 106, 133, 137, 153, 187, 193ff., 217
Gnüg, Hiltrud 171 Hurnmelt, Norbert 236
340 Personenregister
Immendorf, Jörg 267 Kunert, Günter 69, 70, 108, 130, 132ff., 135,
186, 190ff., 194, 197, 203, 208-215, 226, 238
Jacobs, Steffen 287 247,275
Jandl, Ernst 143ff., 148f., 180, 223ff., 237, 241, Kunze, Reiner 108, 13lf., 137f., 186
256f., 271, 284f. Küntzel, H. 192
Jansen, Johannes 242f., 266 Kurscheid, Raimund 122
Janz, Marlies 101, 102
Japp, Uwe 1 Labroisse, Gerd 283
Jendryschik, Manfred 131,202 Lange, Horst 7
Jensch, Birger 239 Langgässer, Elisabeth 7f., 20, 22, 33
Jentzsch, Bernd 186 Lavant, Christine 38
Jesaja 218 Lehmann, Wilhelm 7f., 20-23, 33, 36ff., 44f.,
Johnson, Uwe 87 88, 97,234
Joyce, James 40 Leisegang, Dieter 207
Jung, Jochen 167 Lenau, Reinhard 107
Jünger, Ernst 24 7 Lethen, Herbert 189
Jünger, Friedrich Georg 7, 24, 33 Lettau, Reinhard 108
Juvenal 265 Liebknecht, Kar! 102
Loerke, Oskar 8, 234
Kahlau, Heinz 68, 69 Lorca, Federico Garcia 40
Kalow, Gert 18 Lukacs, Georg 9
Karsunke, Yaak 108, 156 Luxemburg, Rosa 102
Kasack, Hermann 7, 33
Kaschnitz, Marie Luise 7, 14, 17, 28f., 60f., Malkowski, Rain er 171, 208, 281
109f., 153, 214 Mallarme, Stephane 49, 56, 75, 261
Kasper, Elke 213 Mandalari, Maria Teresa 47
Kästner, Erich 18 Mann, Klaus 9
Kirsch, Rainer 135 Mao Tse-Tung 158
Kirsch, Sarah 108, 131, 135, 138, 141, 186f., 204, Margul-Sperber, Alfred 55
234f., 256, 275, 282 Marinetti, Filippo Tommaso 76
Kirsten, Wulf 131, 187f. Marti, Kurt 108, 128
Kiwus, Karin 156, 166, 172 Martin, Uwe 55
Kling, Thomas 236, 256-262, 264, 267, 274ff., Marx, Kar! 191, 248
288,291 Matthei, Renate 107
Klopstock, Friedrich Gottlieb 34, 111 Matthias, Ernst 258
Knörrich, Otto 41, 51, 157 Matthies, Frank-Wolf 186
Koch, Hans 135, 139 Maurer, Georg 68, 131, 141, 153
Köhler, Barbara 236, 256, 290 Mauthner, Fritz 79
Kohl, Helmut 219,250 Mayer, Hans 54
Kolbe, Uwe 188, 202, 227, 252f., 256 Mayröcker, Friederike 25, 256f., 271, 274, 285,
Kolleritsch, Alfred 171, 209 291
Kosler, Hans Christian 79 Meckel, Christoph 108, 112, 196,223
Kowalski, Jörg 239f. Meister, Ernst 48, SOff., 88, 97, 103, 153,
Koziol, Andreas 227 198f.
Kraus, Kar! 79, 80 Michaux, Henri 66, 82, 147
Krechel, Ursula 156, 207, 209, 274, 282 Michel, Kar! Markus 125
Krispyn, Egbert 43 Mickel, Kar! 108, 131, 135, 138-141, 188f., 192,
Kroll, Friedhelm 33 202
Krolow, Kar! 7, 22, 38, 42, 44f., 62, 71, 89, Mommsen, Theodor 260
108f., 113, 119, 195, 206-209, 222, 275, Mon, Pranz 76, 78ff., 142, 148, 240ff.
281 Mörike, Eduard 71
Krüger, Michael 169, 196, 205f., 282 Monroe, Marylin 158
Kuhligk, Björn 288 Moscherosch, Johann Michael 261,273
Personenregister 341