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Strube DieKapitelleVonQasrIbnWardan 1983

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Originalveröffentlichung in: Jahrbuch für Antike und Christentum 26, 1983, S.

59-106;
Online-Veröffentlichung auf Propylaeum-DOK (2024), DOI: https://doi.org/10.11588/propylaeumdok.00006006

DIE KAPITELLE VON QASR IBN WARDAN

Antiochia und Konstantinopel im 6. Jahrhundert*

Die Bauten von Qasr ibn Wardan1, gelegen in der Region nordöstlich von Hama,
wurden 1899 von M. Freiherrn v. Oppenheim2 wiederentdeckt. Die drei Gebäude - eine
Kuppelkirche, der sog. Palast und ein kasemenartiger Bau — sind aus denselben
Materialien und in derselben Mauertechnik errichtet und folglich durch die Inschrift auf
dem Hauptportal des sog. Palastes auf 564 nC. bzw. die Jahre unmittelbar davor und
danach datiert3.
Der Baukomplex entstand in justinianischer Zeit, und sein Mauerwerk mit Ziegel­
durchschuß forderte sofort den Vergleich mit der Mauertechnik der Hagia Sophia heraus.
Zudem hat v. Oppenheim im nicht weit entfernten Chalkis eine Inschrift gefunden, die
einen Architekten Isidoros nennt4, in dem mit großer Wahrscheinlichkeit Isidoros d. J.
von Milet zu sehen ist, der die zweite Kuppel der Hagia Sophia konstruierte und von
Justinian nach Zenobia gesandt wurde. Die Hypothese kam auf, daß für die Bauten Ziegel
aus Konstantinopel importiert wurden, Einzelformen der Architektur und Dekoration auf
die Hauptstadt zurückgehen und vielleicht sogar in Isidor d. J. der Bauleiter von Q. ibn

* Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur: J. Kramer, Skulpturen mit Adlerfiguren an Bauten des
W. Betch, The history, production and distribution of 5. Jh. nC. in Konstantinopel (Köln 1968)
the late antique Capital in Constantinople, Diss. Ann R. Krautheimer, Early Christian and Byzantine archi­
Arbor (1980) tecture3 = The Pelican History of Art (Harmonds-
B. Brenk, (Hrsg.), Spätantike und frühes Christentum worth 1979)
= Propyläen Kunstgeschichte Suppl. 1 (Frankfurt/ J. Lassus, Inventaire archeologique de la region au
Berlin/Wien 1977) nord est de Hama 1/2 = Documents d’Etudes orien­
H. C. Butler, Architecture and other arts = Publica- tales 4 (Beyrouth 1935)
tions of an American archaeological expedition to E. von Mercklin, Antike Figuralkapitelle (Berlin 1962)
Syria in 1899-1900 2 (New York 1903) J.-P. Sodini, La sculpture architecturale ä l’epoque
ders., Northern Syria — Syria. Publications of the paleochretienne en Illyricum: Rapports presentes
Princeton University archaeological expeditions to au Xe Congres International d’Archeologie Chre-
Syria in 1904-5 and 1909. Division II: Architecture. tienne = ‘EkX.r|ViKä Suppl. 26 (Thessalonique 1980)
Section B (Leyden 1920) 31/119
Corpus der Kapitelle der Kirche von San Marco zu G. und M. Soteriou, ‘H ßacnXiKf] roß ttyiou Ar|pr|tpiou
Venedig. Unter Mitarbeit von J. Kramer und U. 0ecrcraÄoviKr|<; 1/2 = BtßXioäf]Kr| rf[q äv 'ASqvan;
Peschlow hrsg. von F. W. Deichmann = Forschun­ ’ApxaioÄoytKffc ‘Eratpiai; 34 (Athen 1952)
gen zur Kunstgeschichte und Christlichen Archäolo­ Ch. Strube, Baudekoration in den Kirchen des nordsy­
gie 12 (Wiesbaden 1981) rischen Kalksteinmassivs: ArchAnz 1978, 575/601
F. W. Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätanti­ dies., Die Formgebung der Apsisdekoration in Qalb-
ken Abendlandes. 1: Geschichte und Monumente loze und Qalat Siman: JbAC 20 (1977) 181/91
(Wiesbaden 1969); 2, 1.2: Kommentar (ebd. 1974. 1 Butler, Northern Syria 26/45; J. Lassus, Sanctuaires
1976); [Tafelband:] Frühchristliche Bauten und chretiens de Syrie (Paris 1947) 146f; Krautheimer 261/
Mosaiken von Ravenna (Baden-Baden 1958) 3; Deichmann, Studien 94. 100/2; ders. Westliche Bau­
ders., Studien zur Architektur Konstantinopels im 5. technik im römischen und rhomäischen Osten: Röm-
und 6. Jh. nC. = Deutsche Beiträge zur Altertums­ Mitt 86 (1979) 488/527.
wissenschaft 4 (Baden-Baden 1956) 2 J. Strzygowski, Kleinasien ein Neuland der Kunstge­
L. Jalabert/R. Mouterde, Inscriptions grecques et lati- schichte (Leipzig 1903) 121/4.
nes de la Syrie 1/5 (Paris 1929/59) 3 W. K. Prentice, Greek and Latin inscriptions =
R. Kautzsch, Kapitellstudien. Beiträgen zu einer Ge­ Publications of an American archaeological expedition
schichte des spätantiken Kapitells im Osten vom to Syria 3 (New York 1908) nr. 908.
vierten bis ins siebente Jh. = Studien zur spätanti­ 4 H. C. Butler, Early churches in Syria (Princeton
ken Kunstgeschichte 9 (Berlin/Leipzig 1936) 1929) 256.
60 Christine Strube

Wardan zu sehen ist5. Da sie von H. C. Butler, dem großen Kenner syrischer Architektur,
vorgetragen wurde, konnte sich neben ihr die Ansicht Strzygowskis6 vom syrischen
Charakter der Bau- und Dekorationsformen nicht behaupten.
Nach Butler und Strzygowski waren es vor allem Tchalenko und Lassus, die zur Frage
Antiochia oder Konstantinopel Wichtiges beitrugen. Lassus7 stellte 1935 in seinem
Kommentar zu dem Ort Umm-El-Halahil in der Region nordöstlich von Hama fest: »La
brique cuite semble y avoir joue un röle important. . . Des fouilles . . . pourraient rendre
un grand Service ä l’explication de certains monuments comme Qasr ibn Wardan, qu’on
s’est trop presse de considerer comme tout a fait isoles«. Tchalenko8 dagegen machte auf
Kapitelle in der Moschee von Kafr Ruma und in Idlib aufmerksam, die aufs engste mit Q
ibn Wardan verbunden sind.
In jüngerer Zeit konnte Deichmann9 auf breiter Basis und mit einer Fülle von
Beobachtungen die Theorie des Ziegelimportes widerlegen. Seine Untersuchungen zur
Verwendung von gebrannten Ziegeln in syrischer Architektur und der zentralen Bedeu­
tung, die dem Heer bei der Herstellung und der Konstruktion der Bauten zukam, gehen
auch auf das Nebeneinander von Basalt, Kalkstein, Marmor, luftgetrocknetem und
gebranntem Ziegel in der Region nordöstlich von Hama ein10 — einen nicht nur für das
Verständnis der Bauten von Q ibn Wardan wichtigen Befund.
In der Kirche Q ibn Wardans11 sind die Kapitelle aus Kalkstein, die Türen aus Basalt
und die Säulen und ihre Basen aus einem besonderen Kalksteinkonglomerat, das nach
sorgfältiger Bearbeitung der Oberfläche an Marmor erinnert12. Der Kalkstein der Kapitel­
le, der auch für einige Fenster verwandt wurde, steht am Ortsrand von Q ibn Wardan in
der Nähe des heutigen Friedhofs an, während die Basaltvorkommen etwa 10 km entfernt
sind13. Die Kapitelle wurden am Ort gearbeitet, und sehr wahrscheinlich nicht von
derselben Werkstatt, die die Bearbeitung der Bauglieder aus Basalt übernahm.
Für die ganze Frage nach der »Herkunft« der Architektur von Qasr ibn Wardan ist es
von großer Bedeutung, daß die Kuppelkirche in dem 526 errichteten Zentralbau von
Fa’lul, einem Ort in der Nähe von Kerratin, einen Vorgänger hat. Das dortige Unterge­
schoß wurde aus Basalt, das Obergeschoß der Kirche in Kalkstein und die Kuppel aus
Ziegeln errichtet. Butler erwähnt, daß die Ziegel denen der Gewölbe und Kuppeln des
Baukomplexes von Q ibn Wardan entsprechen14. Die Säulen und Kapitelle des Inneren

5 Butler, Northern Syria 27. 43. nen Inkrustationsplatten. Es ist wahrscheinlich, daß in
6 Strzygowski, Kleinasien 131f. dieser Region Bauten aus luftgetrockneten Ziegeln wie
’ Lassus, Inventaire 1, 77. aus Basalt des öfteren im Inneren inkrustiert waren.
8 G. Tchalenko, Villages antiques de la Syrie du Nord 11 Butler, Northern Syria Abb. 26. 27 und Taf. I/III;
1 (Paris 1953) 99,. Deichmann, Bautechnik Taf. 161,2; 163,1.
9 Deichmann, Bautechnik 482/518. Für Deichmanns 12 Die Säulen der Kirchen des 6. Jh. in El Bara, auf die
Fragestellung von Bedeutung ist die Inschrift auf der ich später kommen werde, sind aus einem ähnlichen
Westtür der Festung von Ma'an, von der heute nichts Kalksteinkonglomerat wie die der Kirche von Q. ibn
mehr erhalten ist. Die Inschrift des Jahres 547/8 nennt Wardan. Zudem war mindestens die Apsis der Tran­
Kaiser Justinian, der »alle Orte durch seine großzügi­ septkirche innen mit Platten in champleve-Dekoration
gen Spenden rettet« und dem auch die Errichtung inkrustiert, die aus demselben Material sind.
dieser Festung verdankt wird. Es werden der Comes 18 Ich verdanke diese Angaben Kamel Schehade von
Johannes genannt, der das Bauen liebt ((ptXoKTf|cm]<^, der syrischen Antikenkommission, der seit einigen
und Theodor iti’pißÄOTtoc doT|Kpf|TOU, S. Jalabert/ Jahren den Baukomplex freilegt und restauriert.
Mouterde 4 nr. 1809 und Lassus, Inventaire 1, 140. 14 Butler, Northern Syria 95/100 Abb. 112. 113. Ebd.
10 Deichmann, Bautechnik 488f. Das Ruinengelände 97: »the bricks being of the same kind seen in the
von Anderin ist übersät mit Fragmenten von marmor­ vaults and domes of Q. ibn Wardan«.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 61

waren auch in Fa’lul aus einem Kalksteinkonglomerat, das Butler an beiden Orten für
Marmor hielt. Die Kirche von Fa’lul war den Erzengeln, wohl Michael und Gabriel,
geweiht, und ich werde im folgenden zeigen, daß auch die Kirche in Q. ibn Wardan sehr
wahrscheinlich eine Erzengelkirche war. Wenn wir bedenken, daß nicht weit von Q. ibn
Wardan entfernt schon 526 eine Kirche errichtet wurde, die zwar nicht das Mauerwerk
aus Basaltblöcken mit hohem Ziegeldurchschuß, aber die Vielfalt der Baumaterialien und
die in Ziegeln aufgebaute Kuppel kennt, dann läßt sich die Analyse Deichmanns noch
weiter differenzieren. In diesen Zusammenhang gehört auch die dritte Erzengelkirche der
Region, der Südbau der Doppelanlage von Anderin15, der in seiner Gesamtanlage in
lokaler Tradition steht, in der polygonalen Apsis jedoch den Einfluß der Hauptstadt
erkennen läßt.
Leider wurden in älterer Zeit keine Einzelphotos oder detaillierten Zeichnungen von
den Kapitellen in Q. ibn Wardan angefertigt. Butler16 hielt gegen 1900 ein Emporenkapi­
tell im Photo und in einer Maßskizze fest (Taf. 9a), und schon etwa dreißig Jahre später
war kein Kapitell mehr in situ. Die beiden Kapitelle des nördlichen Seitenschiffs waren so
stark mitgenommen, daß das östliche durch ein in Mörtel nachgeformtes Stück ersetzt
und das westliche als Fragment in Mörtel (Taf. 15b) eingefaßt wurde.
Wenn sich die Westempore in doppelter Säulenstellung zum Mittelschiff öffnete, dann
besaß die Kirche ursprünglich 10 Säulenkapitelle, mit den Säulen der doppelgeschossigen
Seitenhallen allein dagegen nur acht17. Als Kamel Schehade vom syrischen Antikendienst
vor einigen Jahren die Freilegung und Restaurierung der Bauten von Q. ibn Wardan
begann, war das von Butler gezeichnete Kapitell verschwunden18, ein stark fragmentiertes
war zusammen mit dem gut erhaltenen östlichen Kapitell des Südschiffs ins Museum von
Aleppo gebracht worden19, und an Ort und Stelle befanden sich nur ein Fragment des
westlichen Kapitells der Nordempore und ein leidlich gut erhaltenes Kapitell aus der
südlichen Kirchenhälfte. Bei den Freilegungsarbeiten im Inneren kamen im Westteil des
Mittelschiffs zwei Kapitelle ans Tageslicht, die der Fundlage nach zur Westempore gehört
haben könnten20 (Taf. 14b. d). Somit blieben, nehmen wir die Zeichnung Butlers hinzu,
insgesamt acht Kapitelle in mehr oder weniger schlechtem Zustand erhalten.
Als ich im Sommer 1979 die Bearbeitung der Kapitelle von Q. ibn Wardan
übernahm21, waren umfangreiche Kapitellaufhahmen in den Kirchen des nordsyrischen
Kalksteinmassivs vorausgegangen22. Trotz der Hinweise Tchalenkos auf die Kapitelle von

15 Ebd. 57f Abb. 51; ders., Early churches 253 20 Beide sind ihren Maßen nach Emporenkapitelle.
erwähnt in diesem Zusammenhang noch die Inschrift 21 Ich danke Herrn Dr. A. Bafanassi, dem Generaldi­
aus II Burdj aus dem Jahre 526, die den Erzengel rektor der syrischen Antikenkommission, für die
Michael nennt, und erinnert daran, daß Justinian in Arbeitsgenehmigung, und Herrn Dr. Zaqzouq, dem
Antiochia eine Michaelskirche erbauen ließ, wie Pro­ Direktor des Museums von Hama, für die Unterstüt­
cop. aedif. 2,10 berichtet. In Umm-idj-Djimal (Südsy­ zung an Ort und Stelle und die Genehmigung, die
rien) wurde ein Turm den Erzengeln Michael, Gabriel, Kapitelle von Madba'a zu veröffentlichen.
Raphael und Uriel gewidmet (Prentice [o. Anm. 3] nr. 22 Ich habe mich im Blick auf gleichzeitig laufende
245/8). Arbeiten zur Baudekoration Kleinasiens, Griechen­
16 Butler, Northern Syria Abb. 29. 30. lands und Ägyptens entschlossen, die Kapitelle von Q.
" Ebd. Taf. II/III. ibn Wardan vor Erscheinen meiner Arbeit über die
18 Vgl. die alten Photos Butler, Northern Syria Abb. syrische Kapitellplastik des 4./7. Jh. zu publizieren.
29 und J. Strzycowski, L’ancien art chretien de la Syrie Denn ich hoffe, daß das hier vorliegende Material es
(Paris 1936) Abb. 63 mit dem heutigen Zustand, ermöglicht, Syrisches von Außersyrischem zu trennen,
Krautheimer Abb. 205. 206. und in der Frage nach dem »Einfluß« syrischer Kapi­
19 Beide Stücke sah G. Tchalenko in den vierziger tellplastik auf die Dekorationsformen anderer Länder
Jahren noch an Ort und Stelle. etwas weiter führt. In meiner Arbeit über syrische
62 Christine Strube

K. Ruma war ich überrascht über die engen Beziehungen einzelner Kirchen des Belus zur
Kapitellplastik Q. ibn Wardans. Es zeigte sich, daß die neu freigelegten Kapitelle die
Aussagen der anderen ergänzen und über die Transeptkirche von El Bara und die
Kapitelle der Moschee Hallewiyye in Aleppo zum großen Zentrum Qalat Siman zurück­
führen. Darüber hinaus stehen die Kapitelle von Q. ibn Wardan in engstem Zusammen­
hang mit denen der Kirche von Madba‘a, einem Ort der Region nordöstlich von Hama23,
und zwei Kapitellen der Südkirche von Anderin. Ich werde also im folgenden den Befund
in Q. ibn Wardan zusammen mit dem der genannten Kirchen, dem der Transeptkirche
von El Bara24 und den in der Moschee von K. Ruma wiederverwandten Kirchenkapitellen
vorstellen25. Die Fragen, denen ich nachgehen werde, lassen sich am besten an einigen
ausgewählten Kapitellen veranschaulichen:
Das Kapitell mit kelchförmigem, oben kreisrund abschließendem Mittelteil und Tieren
in der oberen Kapitellzone, das die Kirchen von K. Ruma, Q. ibn Wardan, Madba‘a und
Anderin (Taf. 9d. 10a. 15c. 16b) verbindet, erscheint in den Kirchen Nordsyriens als
Neuschöpfung des 6. Jh. Grundzüge im Gesamtaufbau und Einzelformen des Akanthus
führen nach Aleppo und Apamea (Taf. 10b. c), doch wesentliche Elemente des Kapitellty­
pus lassen sich nicht aus syrischer Kapitellplastik des 5. Jh. ableiten. Wie entstand diese
Kapitellform und in welchem Maße ist sie von außersyrischen Kapitellen beeinflußt?
Die aus der Auflösung des Akanthus hervorgegangenen Motive und Motivkombinatio­
nen und ihre Übertragung auf das Säulenkapitell führen weit über die Formenwelt von Q.
Siman hinaus. Wieweit läßt sich die Entwicklung nach 490 und bis ca. 530 nC.
rekonstruieren?
Neben der Neuschöpfung des 6. Jh. werden für dieselbe Kirche korinthische Kapitelle
mit geradem und mit umgewehtem Akanthus (Taf. 14a/c) gearbeitet. Der traditionelle,
»klassische« Akanthus erscheint auf einem Kapitell neben den aus seiner Auflösung
hervorgegangenen Flächenmustem mit ausgeprägten Hell-Dunkelwerten oder ist, wie die
kontrastreichen Flächenmuster, Hauptform eines Kapitells. Wie stellt sich in dem
Nebeneinander von älteren und neu ausgebildeten Kapitelltypen oder der Kombination
von traditionellem Akanthus mit »zeitgemäßen« Flächenmustem das Gesamtbild der
Kapitellplastik einer Kirche dar?
Die genannten Kirchen der Apamene und der Region nordöstlich von Hama wurden,
wie sich zeigen läßt, in der Zeit von ca. 530 bis ca. 570 errichtet. In eben diesem Zeitraum
arbeiteten in der Antiochene Werkstätten, deren Dekorationsformen ein ganz anderes
Bild bieten. Das Gesamtbild in einer Kirche prägen äußerst voluminöse, in gesteigerter
Bewegung wiedergegebene Akanthusformen (Taf. 17b/e). Inwieweit kann mit dem Befund

Kapitelle werde ich jedes Stück in den Hauptmaßen, am Schluß dieses Inventaire. Ich war 1980 mit K.
einige Kapitelle in Detailaufhahmen und die aus der Scheflade, der die beiden erhaltenen Kapitelle in das
Auflösung der Akanthus hervorgehenden Muster in Museum von Hama bringen ließ, in Madba‘a, und wir
analytischen Zeichnungen vorstellen. Damit sei ent­ stellten fest, daß das ganze noch stehende Mauerwerk
schuldigt, daß ich hier nur wenig auf die Gesamtfor­ abgetragen wurde und nur durch Grabung der Grund­
men eingehe und keine Maße nenne. Ich bitte auch riß der Kirche zu klären wäre.
um Verständnis dafür, daß ich Vergleichsbeispiele nur 24 Zu den Kirchen von El Bara allgemein s. Strube,
in Auswahl gebe, denn es wird Aufgabe der Endpubli­ Baudekoration 592f. Die Kapitelle der Kirchen El
kation sein, jede Gesamt- und Einzelform in allen Baras werde ich in der oben genannten Arbeit
Verästelungen zu diskutieren. geschlossen vorstellen.
23 Die Kirche von Madba'a findet sich nicht in dem 25 In der Moschee wurden nur drei der Kirchenkapi­
Inventaire von Lassus; zur Lage des Ortes s. die Karte telle wiederverwandt, zwei davon stelle ich hier vor.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 63

in der Antiochene und Apamene die verlorene Baudekoration Antiochias in justiniani­


scher Zeit rekonstruiert werden?
Einige Dekorationsformen der Kapitelle, die ich vorstellen werde, sind auch außerhalb
Syriens im 6. Jh. bekannt. Die Frage ist, ob sie aus dem engeren byzantinischen Bereich
übernommen wurden, also auf Einfluß der Hauptstadt zurückgehen. Ich werde die
Kapitelle der Werkstatt von Q. ibn Wardan hauptstädtischen Kapitellen gegenüberstellen
und mich dabei auf das Nebeneinander verschiedener Akanthusformen und Reliefarten in
einer Kirche und damit verbundene Fragen der Chronologie konzentrieren. Im Mittel­
punkt wird die Analyse des feingezahnten Akanthus stehen.

1. Die Gesamtformen der Kapitelle

Unter den erhaltenen Kapitellen von Q. ibn Wardan ist der von Butler gezeichnete
Kapitelltypus (Taf. 9a) fünfmal vertreten. Seine Grundzüge lassen sich am besten mit dem
Kapitell, das sich heute im Vorhof des Museums von Aleppo befindet (Taf, 9b/d), und dem
entsprechenden Kapitell in der Moschee von K. Ruma beschreiben (Taf. 10a). Das Stück in
Aleppo saß ursprünglich auf der östlichen Säule des Südschiffs und ist das Hauptkapitell
der Kirche26. Das Medaillon der Stirnseite (Taf. 9b) nimmt ein Kreuzmonogramm ein27. Es
ist gut erhalten und nennt einen Georgios, den Architekten oder Stifter der Kirche allein
oder des ganzen Baukomplexes. Auf der Rückseite des Kapitells erscheint an der Stelle des
Medaillons ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen28 (Taf. 9c).
Die Gesamtform der Kapitelle wird von mehreren übereinanderliegenden und mehr
oder weniger entschieden voneinander abgesetzten Zonen bestimmt. Die mittlere Zone ist
immer kelchförmig und schließt kreisrund mit einem breiten Wulst ab. In Q. ibn Wardan
liegt zwischen der mittleren und der unteren Zone ein Kranz schmaler Blättchen, deren
Spitzen einen flachen, beide Hauptzonen klar begrenzenden Reif berühren. Von der Höhe
dieses Blattkranzes ist die Höhe der Mittelzone abhängig. Die obere Zone ist in K. Ruma
einfach gegliedert, bei einigen Kapitellen in Q. ibn Wardan dagegen abgestuft. Hier wie
dort steigt sie mit starker Neigung aus dem Kapitellgrund auf, und die Oberseite des
Wulstes bildet so eine kleine Plattform, auf der in der Kapitellmitte, direkt unter dem
Abakusknauf, kleine Körbchen und Medaillons aufsetzen, die die Tiefe zwischen hinterer
Blattfläche und Kreisrund füllen. In den Kapitellecken erscheinen Tiere - bei dem Kapitell

26 Seit der Markianoskirche von Q. el Banat wird das Rückseite auf die offizielle Funktion des vorne
der Apsis nahe, ösdiche Kapitell der Südseite durch Genannten hinweist. Zur Frage s. Kramer 36/8. Leider
reicheren Dekor hervorgehoben, und manchmal trägt ist bis jetzt aus den zahlreichen Inschriften der Region
es ein Inschriftenmedaillon mit dem Namen des kein Georgios bekannt, der mit dem hier genannten
Architekten. S. Butler, Northern Syria Abb. 222. in Verbindung gebracht werden könnte. - Die
27 Zwischen 550 und 650 datierbare oder datierte Inschrift der »Kaserne« in Anderin, die aufs engste mit
Monogramme dieser Form sind in der Region nord­ der Anlage in Q. ibn Wardan zusammengehört, nennt
östlich von Hama öfter anzutreffen. S. zB. Jalabert/ als Stifter den bekannten Thomas, dessen Name mit
Mouterde 4 nr. 1961. 1902; 2 nr. 1599; W. K. Prenti mehreren Bauten der Region verbunden ist (Jalabert/
ce, Greek and Latin inscriptions = Syria. Publications Mouterde 4 nr. 1682. 1685. 1726). Ist in Georgios der
of the Princeton University archaeological expeditions Architekt beider Anlagen zu sehen oder ein hoher
to Syria in 1904-5 and 1909. Division III. Section B: Beamter? Interessant ist die Inschrift aO. 5 nr. 2176,
Northern Syria (Leyden 1922) nr. 824. 827. 830. 833. die einen Johannes, Isidoros und Georgios zusammen
857. 861. - Für die Lesung des Medaillons danke ich nennt, doch ist sie spät - 618/9 nC. Einen Georgios
John Nesbitt. Magistros nennt die Inschrift ebd. nr. 2143.
28 Es ist nicht auszuschließen, daß der Adler auf der
64 Christine Strube

in Aleppo sind es Widder die mit dem Rücken die Diagonalblätter unterfangen und sich
mit den Vorderbeinen auf der Plattform abstützen.
Die allen Kapitellen gemeinsame kelchförmige Mittelzone und die Tierdarstellungen
in der oberen Zone eines mehrzonigen Kapitells erinnern an den Kapitelltypus vom
Vortor der Porta Aurea und seine Varianten unter den Kapitellen von San Marco in
Venedig29. Die Einfassung der Mittelzone durch einen Wulst und die Trennung der Zonen
durch einen einfachen oder doppelten Reifen dagegen finden sich bei sog. Zweizonenka­
pitellen30. Der Fußwulst ist allen genannten Kapitelltypen gemeinsam31. Es ist bezeich­
nend, daß die Elemente der Kapitelle von Q. ibn Wardan zu den wichtigsten Kapitelltypen
des späten 5. und 6. Jh. in Konstantinopel führen, ohne daß ein bestimmendes Vorbild
festgemacht werden kann. Ein Rückblick auf syrische Kapitelle des 5. und frühen 6. Jh.
verdeutlicht, daß der Grund dafür in der zentralen Stellung des normalen korinthischen
Kapitells zu suchen ist, von dessen Grundform sich die Kapitelle justinianischer Zeit nicht
gelöst haben.
Weder im Kalksteinmassiv noch in einer der großen nordsyrischen Städte wurde bis
jetzt ein komposites korinthisches Kapitell des 5. oder frühen 6. Jh. gefunden32. In den
führenden Werkstätten dominieren das normale und das windbewegte korinthische
Kapitell33. Der Aufbau des Kapitells in der Moschee Hallewiyye 34 (Taf. 10c) und in dem
Zentralbau von Apamea35 (Taf. 10b) mit seinem klaren Übereinander von drei Blattzonen
führt direkt zu den Kapitellen von Q. Siman zurück36. Die Veränderung ist faßbar in dem
verstärkten Kontrast von weit aus dem Grund vorkragendem Blattüberfall und in flachem
Relief vor ihm liegender Blattfläche. Im Gegenüber zu dem neugeschaffenen Kapitelltypus
zeigt sich, wie sehr dieser in seiner Gesamtform und in Einzelformen - man vergleiche die
Ausbildung des Medaillons - vom Vorangehenden geprägt ist.
Bevor ich die Varianten der neuen Kapitellform vorstelle und ihre Weiterbildung
diskutiere, sei an weiteren Beispielen veranschaulicht, wie sehr auch andere Neuschöpfun­
gen des 6. Jh. an die Hauptform syrischer Kapitellplastik des 5. Jh. gebunden sind.
In der Transeptkirche von El Bara37 (Taf. 11a) und den in die Moschee eingegangenen
Kapitellen der Kirche von K. Ruma (Taf. lOd) erscheint ein Kapitell mit umlaufenden

29 Brenk Abb. 104c; Corpus S. Marco 352. 355. 357. Kapitells nennt den Metropoliten Paulus von Apamea
Zum Typus allgemein E. Weigand, Neue Untersuchun­ und weist das Stück damit den Arbeiten an dem
gen über das Goldene Tor in Konstantinopel: AthMitt Zentralbau zu, die unter seiner Leitung nach den
39 (1914) 1/64; Kautzsch 121f. Dieser Kapitelltypus ist Erdbeben von 526 und 528 durchgefuhrt wurden.
nicht mit dem kompositen korinthischen Kapitell Nach Balty (aO. 36f) datieren diese Restaurationsar­
unter der Bezeichnung »theodosianisches Kapitell« beiten in die letzten Jahre des Episkopats von Bischof
zusammenzufassen, da einiges dafür spricht, daß er Paulus, d. h. vor 540. S. auch S. 71.
wesentlich später entstand. S. Anm. 111. 36 Vgl. Strube, Formgebung Taf. 6a.
50 S. die zahlreichen Beispiele bei E. Kitzinger, The S7 Tchalenko (s. o. Anm. 8) 2 Taf. XII,4. Vieles im
horse and lion tapestty at Dumbarton Oaks: DumbO- Aufriß der Kirche kann nur durch Grabung geklärt
Pap 3 (1946) Abb. 75/90. werden. Leider wurde sie im Laufe der letzten dreißig
31 ZB. Kautzsch nr. 385/413. 508. 523. Jahre fast vollständig leergeräumt. Sie liegt an einem
32 Zur Situation in Antiochia s. R. Stillwell: Antioch- der meistbenutzten mit Traktor zugänglichen Verbin­
on-the-Orontes 3 (Princeton 1941) 158. 169f. dungswege zwischen dem modernen und dem antiken
33 Strube, Baudekoration 196f. El Bara. In Häusern, die am Weg liegen, und durch
34 Zur Situation in der Moschee s. Anm. 25. Nachforschungen im heutigen Ort konnte ich eine
35 S. J. Ch. Balty, L’eveque Paul et le programme de la ganze Reihe von Dekorationsstücken ausfindig ma­
cathedrale d’Apamee: Melanges d’histoire ancienne et chen und mit ihnen meine Aufnahmen in der Kirche
d’archeologie offerts ä P. Collart (Lausanne 1976) selbst ergänzen.
31/46 und bes. ebd. 39 Abb. 7. Die Inschrift des
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 65

Arkaden38, dessen Entstehung sich rekonstruieren läßt. Das Motiv der Arkadenreihe mit
figürlichen Darstellungen in der Öffnung der Bögen entwickelte sich in Wechselwirkung
mit der Weiterbildung des Konsolgebälks und der Bekrönung von Profilfolgen durch eine
Reihe kleiner Nischen. Es ist also im Zusammenhang mit den Apsisarchivolten von
Qalbloze und Q. Siman zu sehen39. Gegen 520 erscheint es auf dem Sturz der Westtür des
Baptisteriums von Babisqa40 und wird von derselben Werkstatt 546 nC. in der Ostkirche
von Baqirha auf die Kapitelle des Apsisbogens übertragen41 (Taf. 11b). Diese Kapitelle sind
die engste Parallele zu denen der Apamene. Sie unterscheiden sich von ihnen nur
dadurch, daß die Bogenreihe nicht abgestützt wird, denn bei den Säulenkapitellen
unterfangen die Rundbögen das obere Mittelblatt und setzen auf den unteren Blattüber­
fällen wie auf Konsolen auf (Taf. lOd. 11a). In Baqirha überfingen die Rundbögen Büsten,
die in hohem Relief aus der in Hell-Dunkelwerte aufgelösten Omamentfläche hervortra­
ten. Sie füllten den Raum zwischen der Musterebene und der in der Stirnfläche der
Arkaden und den miteinander verwachsenen unteren Blattüberfällen faßbaren Vorder­
grundebene. Im Aufbau der Säulenkapitelle wird die Gesamtform von denselben Prinzi­
pien bestimmt. Wenn wir zurückblicken auf die Hauptform der Kapitelle in Q. ibn
Wardan, dann wird klar, daß Arkadenreihe wie Korb- und Medaillonmotive einer
Grundform beigegeben werden, die der Kontrast von weit vorkragendem Blattüberfall
und dem Grund anliegender Omamentfläche charakterisiert.
Es ist festzuhalten, daß die Grundform des korinthischen Kapitells weder durch die
vorgelegten Arkaden, noch durch den Einschub einer quadratischen Kämpferplatte unter
dem Abakus (Taf. 1 la) einschneidend verändert wird.
In der Transeptkirche und der Westkirche von Me‘ez42 tritt eine weitere Variante des
korinthischen Kapitells auf, die im 6. Jh. in ganz Syrien weit verbreitet war (Taf. 13a. 17 b):
Das Kapitell mit kreisrunder und vorbauchender oberer Zone, das mit Außenvoluten
allein (Taf. 17b) oder mit vegetabil umgestalteten Innen- und Außenvoluten (Taf. 13a)
gearbeitet wird43. Es entstand unter Einfluß kompositer Kapitelle und im Rückblick auf
korinthische des späten 3. und des 4. Jh., bei denen der obere Teil des Kalathos zum
Element der oberen Kapitellzone geworden war, weil die organische Struktur des
korinthischen Kapitells aufgegeben war44. Im 6. Jh. wird nicht versucht, die alte Struktur
des korinthischen Kapitells wiederzuerwecken; mit dem Rückgriff wird allein die Ausbil-

38 Ich werde dieses Kapitell in detaillierter Zeichnung chancel piers were designed with great freedom, in
publizieren; seine Maße sichern, daß es zum Unterge­ flowing forms with human heads protruding from the
schoß gehörte. Ein ihm sehr nahestehendes, aus der­ leaves«. Die Köpfe sind heute vollständig abgearbeitet
selben Werkstatt stammendes Stück befindet sich und nur noch im Umriß erkennbar.
unter den von mir aufgenommenen Kapitellen der 42 Die Kapitelle der Westkirche wurden 1968 von
Slg. Pharaon in Beirut. — Das Kapitell in K. Ruma trägt Tchalenko teilweise ffeigelegt und von mir 1971 pho­
ein Medaillon mit Zeileninschrift, für die ich noch tographiert. Leider wurden sie 1974/5 in den Antiken­
keine befriedigende Lesung fand. Die griechischen handel abtransportiert, und ich konnte nur noch die
Buchstaben MO/YCX/(0 nennen wahrscheinlich den tiefer liegenden Stücke sichern.
Steinmetzen, der das Stück gearbeitet hat, doch ist 43 Zahlreiche Kapitelle aus Basalt sind von dieser
unklar, wieweit sein Name abgekürzt wurde - viel­ Form, s. zB. Lassus 2 Taf. VI,2. Zu diesem Typus
leicht Mouolövtoq) X(picrr)ö> oder Mo(8ecnoi>) 0(iö)<; gehören auch die Kapitelle der Kirche von Deir Solaib,
X(purt)<i>. Zum Namen Mouotbvio«; s. Jalabert/Mouter J. Mattern / R. Mouterde / A. Beaulieu, Dair Solaib =
de 5 nr. 2384 (171 nC.). Mel. Univ. St. Joseph 22 (Beirut 1939) Taf. VIII,2.
39 Vgl. Tchalenko 2 Taf. CXLVI,23; Butler, Architec- 44 Strube, Baudekoration 579f und zB. das Kapitell bei
ture Abb. 231. E. Hebrard, Le palais de Diocletien ä Spalato (Paris
40 Ebd. Abb. S. 133. 1911) Abb. auf S. 30.
41 Butler, Northern Syria 201: »The foliate caps of the
66 Christine Strube

Abb. 1/7. Blattmuster nordsyrischer Kapitelle.

düng der oberen Zone variiert und mit neuen Dekorationselementen bereichert. Ob nun
der Kapitelloberteil im Kreisrund einen Kranz von Blattwedeln, einen Eierstab oder einen
Pfeifenfries trägt45, das Kapitell wird kein Kompositkapitell, sondern bleibt eine Variante
des normalen korinthischen Kapitells.
Wir stellen fest, daß syrische Werkstätten bei der Ausbildung des in Q. ibn Wardan
dominierenden Kapitelltypus wie bei anderen Neuschöpfungen des 6. Jh. von dem
normalen korinthischen Kapitell des späten 5. Jh. ausgingen und auf dies Elemente aus
der Flächenkunst oder aus anderen Kapitelltypen übertrugen.

2. Darstellungsformen des Akanthus und Motivkombinationen

Das Nebeneinander verschiedener Darstellungsformen des Akanthus ist, wie ich vor
einiger Zeit zu zeigen versuchte46, charakteristisch für die Baudekoration der Bauten von
Qalbloze und Qalat Siman. Das durchgehende Flächenmuster mit ausgepägten Hell-
Dunkelwerten findet sich in Q. Siman noch nicht auf den Säulenkapitellen, sondern allein
bei dem Kämpfergesims der Hauptapsis 47. Doch sein Grundmuster, die Negativform des
dunkelschattenden Dreiecks in heller Fläche (Abb. 1/4), war auch auf den Säulenkapitellen
in die Innenfläche des Blattes aufgenommen worden und leitete dort in der Gleichwer­
tung von Innenformen und Zwischenmustem die Auflösung der traditionellen Blattform
ein48.

45 In der Slg. Pharaon, deren Kapitelle fast alle aus 46 Strube, Formgebung 184/6.
dem Kalksteinmassiv stammen, blieb sowohl die Vari­ 47 Ebd. Taf. 7b.
ante mit Pfeifenfries wie die mit Eierstab erhalten. 48 Ebd. Taf. 6c.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 61

Abb. 8/14. Blattmuster nordsyrischer Kapitelle.

Es ist ein Grundgesetz der Baudekoration, daß die Ornamentik auf Gesimsfolgen,
Türen und Schranken den rundplastischen Formen in der Weiterbildung alter und
Entwicklung neuer Formen vorausgeht. In Syrien ist die gesteigerte, über Q. Siman
hinausführende Kombination von alten und neuen Formen gegen 500 nC. auf den
Säulenkapitellen in der Moschee Hallewiyye zu beobachten49, und auf der Fläche der
Pfeilerkapitelle werden von denselben Werkleuten experimentierend neue Motivkombi­
nationen und neue, aus der Auflösung des Akanthus hervorgegangene Muster vorgestellt
(Taf. 10c. 11c. d). Die Kapitelle sind in zweiter Verwendung in die Moschee eingegangen.
Sie gehörten ursprünglich nicht zu einem Bau mit Winkelpfeilem und sehr wahrscheinlich
zu einer Säulenbasilika, die bei einem der ersten Erdbeben des 6. Jh. (526 oder 528 nC.)
zerstört worden war50. Für unsere Fragestellung ist es wichtig, daß alle Kapitelle sicher vor
520 datieren, wie sich aus ihrer Gesamtform, ihren Einzelformen und datierten Kapitellen
des Belus ergibt.
In der Moschee Hallewiyye werden die durchgehenden Flächenmuster des
Apsiskämpfers auf die obere Zone des Kapitells übertragen, und das heißt, mit dem

49 Ebd. 189. zur Kirchenmitte ausgerichtet ist. Die unterschiedli­


50 Ich habe 1979 vom Gerüst aus alle Kapitelle aufge­ chen Maße der Kapitelle, die Tatsache, daß bei einigen
nommen und die Architektin Heike Fastje fertigte von die Deckplatte verkürzt wurde, und der Befund bei
einigen Stücken detaillierte Zeichnungen an. Für die den Pfeilerkapitellen zeigen, daß alle Stücke ursprüng­
großzügige Arbeitsgenehmigung danke ich dem Gene­ lich in anderer Position saßen. Dennoch ist mehr als
raldirektor der syrischen Antikenkommission, Herrn nur wahrscheinlich, daß sie alle zu einem Bau gehör­
Dr. A. Bahnassi, und für die Unterstützung an Ort und ten, denn Gesamt- wie Einzelformen verbinden sie so
Stelle dem Direktor des Museums von Aleppo, Herrn eng, daß im Rückblick auf Q. Siman an der Arbeit
W. Khayata. Die Aufnahmen ergaben, daß einige einer Werkstatt nicht zu zweifeln ist. Ich werde sie alle
Kapitelle ein Frontmedaillon besitzen, das heute nicht geschlossen publizieren.
68 Christine Strube

»klassischen« Akanthus in beiden Blattkränzen kombiniert (Taf. 1 Id), oder sie erscheinen
nur in einem Blatt des unteren oder oberen Blattkranzes (Abb. 4; Taf. 10c). Dies ist die
Entwicklungsstufe der Kapitelle von Herbert Hasan (507 nC.)51 und des Triumphbogens
am Beginn der Via Sacra von Q. Siman52. Der einzige neue Kapitelltypus dieser Zeit ist das
korinthische Kapitell mit gegeneinander bewegtem, in einem Blattkranz nach rechts, im
anderen nach links umgewehtem Akanthus53.
Die Pfeilerkapitelle fuhren die Hauptmotive der folgenden Jahrzehnte vor: Als
wichtigste Neuerung erscheinen in der Mittelzone (Taf. llc.d) große Doppelranken,
Blattwedeln ähnlich, von einem Mittelsteg abzweigend und nach oben und unten
einschwingend, in kreuzförmiger Anordnung um ein Mittelkreuz oder ein Blütenmotiv
(Taf. 1 Id) oder symmetrisch neben dem Mittelsteg eines Blattes, das sie im Blattüberfall
überdacht (Taf. 11c). Sie sind durchgehend fein gekerbt und spitz gezackt oder verbinden
flache, in der Mitte gespaltene Blättchen der einen Hälfte mit ungeteilten, gekerbten
Blättchen in der anderen. Der untere Blattkranz des einen Kapitells ordnet den Blättern,
von deren traditioneller Form nur der dünne, einen mächtigen Blattüberfall tragende
Mittelsteg geblieben ist, schmale und fein gekerbte, Granatäpfel tragende Blättchen zu
(Taf. lld). Auf dem anderen Kapitell übernehmen die unteren Blattstämme große
Halbblätter (Abb. 6), die an Kämpferkapitelle der Hagia Sophia und der Sergios-und-
Bakchoskirche erinnern (Taf. 11c)54.
Das hohe, zwei Blattzonen einnehmende Blatt des nordwestlichen Pfeilers (Taf. 11c),
dessen Mittelsteg in Dreiecksmuster aufgelöst (vgl. Abb. 2) ist, bringt eine Variante der
aufgekrümmten, Augen bildenden Innenzacken, die charakteristisch ist für diese Zeit.
Nicht der kleinste Zacken des unteren Blattlappens schwingt nach innen, sondern der
lange untere Zacken des über ihm liegenden Blatteils löst sich am Ansatz und rollt sich
nach oben ein. Es ist schwer zu sagen, ob bei der Ausbildung des Augenmotivs und des
spitzen Dreiecks zwischen den Blatteilen auf Älteres zurückgegriffen und umgebildet, oder
ob einfach ein Blattmotiv aus Tür und Gebälk auf das Kapitell übertragen wurde. Erwähnt
sei schon hier, daß Kapitelle des engeren byzantinischen Bereichs im fortgeschrittenen 5.
und im 6. Jh. eine vergleichbare Variante der aufgebogenen Innenzacken kennen55.
Ein Ausschnitt aus der Apsisarchivolte der gegen 520/30 erbauten Kirche von Deir
Seta56 gibt weitere Auskunft über neue Motivkombinationen (Taf. 12a). Ein Blatt mit
Negativdreiecken in der Blattfläche (Abb. 1. 2) wird in ganzer Höhe gespalten und mit
hohen Halbblättem zusammengesetzt. In die so entstandene Motivkette mit durchgehen-

51 Strube, Formgebung Taf. 8c. Kapitellen Apameas bei J. Ch. Balty / J. Napoleone-
52 Ebd. Taf. 8a.b. Die Kapitelle des Triumphbogens Lemaire, L’eglise ä atrium de la grande colonnade =
entsprechen in dem Typus der Flächenmuster wie der Fouilles d’Apamee de Syrie 1,1 (Bruxelles 1969) Taf.
Art, in der sie mit dem traditionellen Akanthus kombi­ XXX; XXXI, 2; XXXIV, 1 und dem Kapitell der Kirche
niert werden, genau dem Befund in der Hallewiyye. von Parenzo, Betch Abb. 88. Wenn das Motiv dage­
53 S. J.-P. Sodini und Mitarbeiter, Debes. Campagnes gen als Einzelmuster zu werten ist, dann führt es zu
I-III (1976-1978) = Inst. Fran«;. d’Archeologie du den Friesen der Schrankenplatten von S. Marco,
Proche Orient, Publication hors Serie (Paris 1980) Abb. W. F. Volbach / M. Hirmer, Frühchristliche Kunst
298. 299. (München 1958) Abb. 211, und dem Gebälk der
54 S. u. Anm. 152. Kuppelkirche von Meriamlik, E. Herzfeld / S. Guyer,
55 Vgl. zB. die Blattform eines Kapitells in Perge, Meriamlik und Korykos: MonAsMinAnt 2 (Manchester
W.-D. Heilmeyer, Korinthische Normalkapitelle (Hei­ 1930) Abb. 47.
delberg 1970) Taf. 39,4 mit dem Kapitell in Deir 56 Butler, Architecture 195; M. de Vogüe, La Syrie
Siman, Strube, Formgebung Taf. 8b und die Varianten centrale. Architecture civile et religieuse du Ier au
in kleinasiatischen Kapitellen aus den letzten Jahrzehn­ VII™'siede (Paris 1865/1877) Taf. 115. 116.
ten des 5. und dem 6. Jh., Kautzsch nr. 266a. 268 mit
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 69

der Spitzenberührung benachbarter Zacken werden lange, Zäsuren bildende Blattstengel


aufgenommen. Alle Motive bindet ein horizontales Zackenband, das zugleich zu der
Ranke im unteren Motivfeld überleitet (Abb. 13). Nur in der Seitenansicht wird dem
Betrachter bewußt, daß die Ranke Ornament eines Wulstprofils ist und die Flächenmuster
zu einem cyma recta gehören. Das Stück macht nicht nur klar, wie sehr die negativen
Dreiecksmuster die traditionelle Blattform und ihr vertrautes Bewegungsschema auflösen,
es sagt zugleich viel aus über die schwindende »Lesbarkeit« von Profilfolgen, deren
Ornamente im Wechsel von Hell und Dunkel den Grund negieren — ich komme darauf
zurück.
In der Kirche von D. Seta stellen die Omamentfriese auf den Seitengewänden der
östlichen Südtür (Taf. 12c) die zweite Komponente des Gesamtbildes dar. Alle Blattformen
sind fein gekerbt, die Bohrlochreihen der Marmorkapitelle werden imitiert, und nicht nur
dieses technische Detail, sondern auch die Auswahl der Motive führt nahe an Arbeiten des
engeren byzantinischen Bereichs heran57. Der Gesamteindruck ist harmonisch, beruhigt,
und der Gegensatz zu der Profilfolge der Apsisarchivolte denkbar groß.
Das Baptisterium der Markianos-Kirche von Babisqa wurde bekannt durch seine
Westtür, die Butler publizierte und nach der Inschrift auf der Westtür des Atriumhofes in
das Jahr 480 nC. datierte58. Der Bau ist jedoch nach der Aussage seiner West- und Südtür
erst gegen 520 nC. errichtet worden. Seine Werkleute stehen in der Tradition der Schule
des Markianos Kyris und arbeiten einige Zeit später die Kapitelle der großen Kirche von
Bafetin und danach die Kapitell-, Tür- und Gesimsformen der Ostkirche von Baqirha (546
nC.)59. Ich stelle hier den Türsturz der Südtür vor (Taf. 12d), dessen Dekoration sich,
kombiniert mit der der Westtür, 546 nC. auf der Südosttür der Kirche von Baqirha
wiederholt60. Die Kapitelle der Moschee Hallewiyye sind die Vorstufe für die Blattform
mit abgelösten seitlichen Blatteilen, das Blatt mit langen Halbblättem (vgl. Abb. 6) und die
Verbindung von Blattstamm und Blattwedel (Taf. 11c. d). Trotz des großen Abstandes
zwischen den Steinmetzen der Archivolte und der Tür in Deir Seta und dem Türsturz von
Babisqa können sie zusammen genannt werden, um die Situation in den Jahrzehnten
nach 500 nC. zu veranschaulichen: Alle in Aleppo auftretenden und dort größtenteils fein
gekerbten Blattmuster und Blattypen werden in der Folgezeit in flacher wie auch
gekerbter Ausführung weitergearbeitet und weiterentwickelt. In Deir Seta blieb nur ein
Säulenkapitell mit glatt ausgearbeiteten Blattwedeln erhalten, doch auf den Säulenkapitel­
len der gegen 530 errichteten Kirche von Bafetin61 werden sie mit den gekerbten, den
Formen der Tür von Babisqa nahen Blattmustem kombiniert.
Ich habe diese drei Beispiele ausgewählt, weil mit ihnen und den Pfeilerkapitellen der
Hallewiyye wie in einem Brennspiegel die Entwicklung nach Q. Siman und die Vorausset­
zungen der Baudekoration justinianischer Zeit erfaßt werden. Fassen wir zusammen:

Nach 490 nC. werden aus der Auflösung des Akanthus hervorgegangene Flächenmu­
ster, die die traditionelle Organisation einer Blattreihe einschneidend verändern, auf die
obere Zone der rundplastischen Kapitelle übertragen. Zugleich werden in der Fläche des
Pfeilerkapitells neue Motive ausgebildet, d. h. die Spaltung und Ablösung von Einzelfor-

57 S. u. Anm. 149/52. 60 Einen Ausschnitt dieser Tür s. in dem Bericht des


58 Butler, Northern Syria 168 und Abb. 1 77. 178. Inst. Fran«;. d’Archeologie du Proche Orient
59 Zur Kirche von Bafetin s. Strube, Baudekoration (I. F. A. P. O.) 1980, 17.
598f Abb. 33. Zur Werkstatt der Kapitelle s. u. Anm. 61 Ein Ausschnitt eines Kapitells bei Sodini und Mitar­
83. beitern (s. o. Anm. 53) Abb. 301.
70 Christine Strube

men intensiviert (Taf. 11c). Dabei ist entscheidend, daß die neuen Motive auf die
entblätterte, mit schmalem Mittelsteg und mächtigem Blattüberfall »stehengebliebene«
Blattmitte zurückgeführt werden (Abb. 6. 7. 10/11) - ein Vorgang, für den ich keine
Parallelen in außersyrischen Kapitellen kenne. Das Repertoire an Einzelmotiven wird
zusätzlich erweitert durch Elemente der Blattranke und vegetabile Formen wie Granatap­
felzweige, und das heißt, die Dekorationselemente der Flächenkunst und der rundplasti­
schen Formen sind in einem Maße austauschbar geworden, wie die Baudekoration des 5.
Jh. es nicht kannte (Taf. 11c. d).
Von großer Bedeutung ist, daß der »klassische« Akanthus in ein und derselben
Werkstatt neben den aus ihm entwickelten Flächenmustem fast unverändert weitergear­
beitet wird. Ihm standen in Q. Siman mit seinen einmal tief und breit, ein andermal
nadelspitz und flach gekerbten Blatteilen die flächigen Blattformen gegenüber. Am
Anfang des 6. Jh. ist das Bild reicher und differenzierter. Es ist nur noch eine Frage der
Zeit, wann die neuen Muster aus der Flächendekoration in die rundplastischen Kapitelle
übernommen werden.
Die Kirche von Deir Seta, einer der bedeutendsten Bauten des Belus, wurde gegen 520
errichtet. In ihr blieben nur zwei Säulen- und zwei Pfeilerkapitelle erhalten, deren Aussage
das von Duthoit aufgenommene Kapitell ergänzt62. Die Dreiecksmuster kombiniert mit
Halbblättem, wie sie auf der Apsisarchivolte erscheinen (Taf. 12a), sind noch nicht auf die
Kapitelle übergegangen - auf ihnen wiederholt sich die einfachere Form der Kapitelle von
Q. Siman (Abb. 1) -, aber nach oben und unten einschwingende Blattwedel in scharf
gezackter, flächiger Ausführung sind in die alte Blattform eingegangen (Abb. 11). Der so
entstandene Blattypus wiederholt sich in allen drei Zonen.
Ich komme zurück zu der Transeptkirche von El Bara, deren Kapitelle über die der
Kirche von Deir Seta hinausführen, und beginne wieder mit einem Pfeilerkapitell63, das
innerhalb des Gesamtprogramms eine Spätstufe darstellt (Taf. 12b). In allen drei
Kapitellzonen ist die verwirrende Kombination verschiedenster Motive so weit gediehen,
daß das Auge nur noch in den Blattüberfällen eine Orientierungshilfe hat. Hauptmotiv
sind die flächigen Blattwedel, die hier mit Halbblättem und Blattgabeln verschmolzen
sind (Abb. 10. 12). Ein Flechfband mit Blüten- und Blattmotiven hat die Stengel der oberen
Blattkelche ersetzt und übereinander gestaffelte Dreiecksmuster haben sich verselbstän­
digt. Wären nicht die Blattüberfalle der unteren Zone, so würde das Auge nicht
versuchen, die traditionelle Innengliederung eines dreizonigen korinthischen Kapitells
aufzufinden.
Zusammen mit diesem Kapitell wurden in den Häusern des heutigen Ortes El Bara
noch weitere Stücke der Transeptkirche verbaut. Ergänzen wir mit ihnen die Aussage der
Kapitelle, die ich ohne Grabung in der Kirche aufnehmen konnte, so ergibt sich ein klares
Bild (Taf. 13a/d. 14a.c)64: Auf windbewegten wie normalen korinthischen Kapitellen ist
jedes in den ersten Jahrzehnten des 6. Jh. entwickelte Motiv eine die Gesamterscheinung
bestimmende Hauptform geworden. Auch die gleichmäßig gereihten Dreiecksmuster des
Kämpfergesimses von Q. Siman sind jetzt nicht mehr auf eine Kapitellzone beschränkt
(Abb. 4.5; Taf. 13a). Die Blattwedel erscheinen in ausgereifter Form (Taf. 13b) und werden
62 DEVocüETaf. 116. Nachbarhauses sitzt eine Schrankenplatte mit einer
63 Es wurde von Tchalenko noch in der Kirche photo­ Flechtband-Omamentik, die die Vorlage für das Kapi­
graphiert und ist heute in einem der Häuser des tell war.
modernen El Bara verbaut. In der Außenwand eines 64 Ich bringe hier nur eine Auswahl der Kapitelle.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 71

mit Blattgabeln, die sich aus den nach oben und unten einschwingenden Blattwedeln
entwickelt haben, in einem Blatt kombiniert. Auf mehreren Kapitellen dominiert die
Kombination von Dreiecksmustem aus der Archivolte von Deir Seta, und auch der
Blattypus mit den großen Halbblättern (Abb. 6. 8; Taf. 13d) gehört zum Repertoire der
Werkstatt.
Zurückhaltend ist die Kombination verschiedener Motive auf einem Kapitell. Am
weitesten geht hierin das Kapitell mit umlaufenden Arkaden (Abb. 1/3. 9; Taf. 11a), das
zudem, wie wir sehen werden65, im unteren Blattkranz Einzelformen der Kapitelle
Konstantinopels imitiert. Wenn wir ein Kapitell der auf 546 nC. datierten Ostkirche von
Baqirha zum Vergleich heranziehen (Taf. 12e)66, dann wird deutlich, daß mit dem immer
größer werdenden Repertoire an Einzelmotiven der ständige Wechsel, die Variation von
einem Kapitell zum anderen angestrebt werden, und daß diese zur Steigerung der
Ausdruckswerte auf einem Kapitell fuhren.
Es ist jedoch festzuhalten, daß kein Kapitell der Transeptkirche die innere Organisa­
tion der drei Kapitellzonen einschneidend verändert. Die traditionelle Blattform behaup­
tet sich im Blattüberfall, und die neuen Motive fügen sich in ihrer Bewegung einem
Gliederungsschema, das sich immer noch aus den Kapitellen des 5. Jh. herleitet.
In der Kirche von El Bara treten charakteristische Neuschöpfungen unter den
Kapitelltypen auf, die Motive und Motivkombinationen fuhren entschieden über die
Kapitelle der Moschee Hallewiyye hinaus und zudem gibt es enge Beziehungen zur
Ostkirche von Baqirha (546 nC.). Es ergibt sich daraus eine Entstehungszeit der Kirche in
den Jahren kurz vor oder kurz nach 530 nC., und diesen zeitlichen Ansatz bestätigt die
Aussage der Kapitellplastik von Q. ibn Wardan und das Verhältnis zu dem Kapitell von
Apamea (Taf. 10b), das einige Jahre vor 540 nC. entstand.

3. Motivkombinationen und Darstellungsformen


des Akanthus in Qasr ibn Wardan

Ich wies schon einleitend daraufhin, daß die Kapitelle der Kirche von Q. ibn Wardan,
die K. Schehade freilegte, wahrscheinlich zur Westempore gehörten (Taf. 14b. d). Es
überrascht, daß es nicht Kapitelle mit kelchförmiger Mittelzone und kontrastreichen
Flächenornamenten, sondern korinthische Kapitelle mit »klassischem« Akanthus sind -
das eine mit geraden, das andere mit umgewehten Blättern. Dieser Befund führt zur
Transeptkirche zurück, die in beiden Geschossen Kapitelle mit »klassischem« Akanthus in
allen drei Zonen neben den oben beschriebenen Kapitellen (Taf. 14 a. c) verwandte. Die
Gegenüberstellung entsprechender Kapitelltypen läßt erkennen, daß um 564 nC. alle
Einzelformen ganz in die Fläche zurückgenommen, nachlässig ausgearbeitet und im
Bewegungsablauf wie erstarrt wiedergegeben sind (Taf. 14b. d)67. Es ist bezeichnend, daß
diese Eigenarten sich auch in dem Hauptkapitell der Kirche wiederfinden, dort aber
weniger bewußt werden: Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der
65 S. S. 97. lung der Kapitelle mit windbewegtem Akanthus in
66 Die Zeichnung Butlers, Northern Syria Abb. 204, den Kirchen des 5. und 6. Jh. von El Bara (Strube,
X. Y ist zwar ungenau, gibt aber mit zwei weiteren Baudekoration Abb. 24). Die weitaus stärker differen­
Kapitellen eine Vorstellung von der Variationsbreite zierte und lebendige Darstellung des Blattypus in der
im Gesamtbild der Kirche. Hauptkirche des 5.Jh. zeigt den Abstand von ca. 80
67 Vgl. Strube, Formgebung Taf. 6a und Brenk Jahren.
Abb. 247a. Sehr aufschlußreich ist die Gegenüberstel­
72 Christine Strube

Indifferenz gegenüber Akanthusformen im traditionellen Aufbau des korinthischen


Kapitells und der dominierenden Stellung des neuen Kapitelltypus, der die Einbindung
der Blattzonen in diesen Aufbau und die traditionelle Innengliederung weitgehend
aufhebt.
Es wäre schwer, die Transeptkirche nach ihren Kapitellformen genauer zu datieren,
wenn allein die normalen und windbewegten korinthischen Kapitelle mit traditionellem
Akanthus erhalten geblieben wären, denn sie stehen, trotz ihrer schematischen Blattglie­
derung und dem verstärkten Kontrast zwischen weit vorspringenden und dem Grund
anliegenden Formen, den Kapitellen von Q. Siman noch sehr nahe. Ihre Datierung würde
auch dadurch erschwert, daß nur tief und breit gekerbter Akanthus vorkommt und nicht,
wie in anderen städtischen Werkstätten, durch verschiedene Blattechniken auf unter­
schiedlichen Blattypen variiert wird68. Dagegen entfernen sich die Akanthusformen der
beiden Kapitelle von Q. ibn Wardan so entschieden von Vorangehendem, daß sie mit den
anderen Kapitellen zusammen die Situation in einer bestimmten Werkstatt nach der Mitte
des 6. Jh. charakterisieren.
Die Kapitelle mit kelchförmiger Mittelzone (Taf. 9a. d. 15a. b. e. 16b) verbinden alle
kontrastreiche Flächenmuster und flach gekerbten Akanthus im Übereinander der
einzelnen Kapitellzonen. Bei allen Kapitellen wechseln in der oberen Zone Korb- und
Medaillonformen von einer Seite zur anderen - ausgenommen das Hauptkapitell, dessen
Rückseite einen Adler trägt (Taf. 9b/d). Nur auf diesem, dem von Butler skizzierten
Emporenkapitell (Taf. 9a) und dem zweiten Kapitell im Museum von Aleppo (Taf. 15a)
blieben die Tiere in den Kapitellecken mehr oder weniger gut erhalten: Auf den beiden
erstgenannten Kapitellen waren es Widder, auf dem letzteren Vögel.
Ergänzen wir die Skizze Butlers (Taf. 9a) durch das alte Photo und die Aussage der
erhaltenen Kapitelle, dann lassen sich für das östliche Kapitell der Nordempore flach
gekerbter Akanthus in der unteren und oberen Zone und kreisförmig um ein dunkles
Innendreieck einschwingende Blattwedel als Flächenmuster der Weinranke rekonstru­
ieren69 (Abb. 13). Das Hauptkapitell (Taf 9b/d) kombiniert ebenfalls traditionellen Akan­
thus in der unteren und oberen mit einer kontrastreichen Weinranke in der mittleren
Zone. Die Blätter der Ranke orientieren sich jedoch an den Blattwedeln vom Typus des
Pfeilerkapitells der Transeptkirche (Taf. 13b), und im unteren Blattkranz, der in dem
Kapitell von Apamea seine engste Parallele hat (Taf. 10b), wird auf einen Blattypus
syrischer Kapitelle des 5. Jh. zurückgegriffen70. Das zweite Kapitell in Aleppo ist schlecht
erhalten (Taf. 15a): gekerbte Akanthusformen in der oberen, einfache Blätter mit
Dreiecksmustem in der Weinranke der mittleren Zone (Abb. 13).
Das westliche Kapitell des Nordschiffs (Taf. 15b) wiederholt in der unteren und oberen
Zone die aus Deir Seta bekannte Motivkombination von Dreiecksmustem (Abb. 1/3; Taf.
12a), während die Mittelzone ein Mäander-Rosettenfries schmückt. Das westliche Kapitell
der Nordempore — auf alten Photos noch in situ71 und an der Stirnseite weniger
beschädigt als heute - und ein Kapitell aus der Südhälfte, wohl der Südempore, der Kirche

68 Das Bild in der Hallewiyye, wo tief und kräftig 1900, die sich im Butlerarchiv der Princeton Universi-
gekerbte, steile Blattformen mit feiner, spitzer Ker­ ty befinden, überprüfen.
bung auf breit aufgefächerten Blättern wechselt, ist 70 Vgl. Balty/Napoleone-Lemaire Taf. XXXI, 2. Er fin­
mit dem Befund der Kapitelle in dem Ostarm der det sich zum ersten Male auf dem südwestlichen
kreuzförmigen Anlage von Q. Siman zu vergleichen. Pfeilerkapitell der Basilika von Qalbloze.
69 Ich konnte dies an den Photos aus der Zeit um 71 Krautheimer Abb. 205.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan Ti

leiten über zu den Kirchen von Madba'a und Anderin. Das erstere ist ein einfaches
korinthisches Kapitell (Taf. 14e) mit gleichmäßig gereihten Dreiecksmustem in allen drei
Zonen, dem Motiv der unteren Zone in K. Ruma (Abb. 4. 5; Taf. lOd). In der
Vorderansicht verbirgt sich die Grundform hinter einem großen Frontmedaillon, das sich
bis zur unteren Kapitellzone ausdehnt. Daß in diesem Medaillon eine Figur steht, die in
der Rechten ein Stabkreuz hält, läßt der schlechte Erhaltungszustand heute nur noch
erahnen. Erst das zweite Kapitell und ein entsprechendes Stück in Madba'a geben eine
Vorstellung von der ursprünglichen Form (Taf. 15e. 16a. b/d).
Das Kapitell mit kelchförmiger Mittelzone und großem Frontmedaillon (Taf. 15e. 16a)
entspricht in der Auswahl und Aufteilung der Flächenmuster weitgehend dem westlichen
Kapitell des Nordschiffs (Abb. 1. 3), im Mäanderfries fehlen jedoch die Blattrosetten (Taf.
15e). Das Medaillon faßte ein breites Strickband ein, das sich seitlich als wulstförmige
Einfassung der Mittelzone fortsetzt. Die Fläche des Medaillons (Taf. 16a) ist abgearbeitet
und stark verwittert. Sie überzieht ein Geflecht scharf gezackter Blattmuster mit tief
schattenden Dreiecken (Abb. 13), hinter dem der Grund, die Kemmasse des Kapitells,
nicht faßbar ist. Im Zentrum steht eine Figur, die trotz der Abarbeitung und Auswitterung
noch erkennen läßt, daß sie in der Rechten ein Stabkreuz hält und in der Linken einen
Globus oder Diskus trägt. Der in die untere Zone übergreifende Gegenstand zu ihren
Füßen und Objekte zu ihrer Linken und Rechten sind leider vollständig zerstört72.
Auf dem entsprechenden Kapitell in Madba‘a wurde die stehende Figur auch
abgearbeitet, doch vermittelt es einen weitaus besseren Eindruck von der Bildkomposition
als die Kapitelle in Q. ibn Wardan (Abb. 8; Taf. 16b/d). Die Weinranke breitet sich nicht
bis zum Rand des Medaillons aus, sondern läßt vor ihm Raum für eine Inschrift, die leider
nicht ganz erhalten blieb, da das Medaillon im oberen Teil beschädigt ist (Taf. 16b). Auf
der rechten Seite der Figur ist deutlich ALTOC, auf der linken [AA]MIANOC zu lesen. Es
ist also ein Heiliger und sehr wahrscheinlich der heilige Damianos dargestellt. Die
Armhaltung und eventuell einmal vorhandene Attribute sind nicht zu rekonstruieren.
Die Kirche von Madba‘a war also wohl Kosmas und Damian geweiht, den Hauptheili­
gen von Cyrrhus, und besaß wahrscheinlich wie eine der Kirchen Apameas Reliquien der
Heiligen73. Die Tatsache, daß in den Bildnismedaillons der Kapitelle auf die Bestimmung
der Kirche hingewiesen wurde, läßt vermuten, daß auch die Darstellungen in Q. ibn
Wardan so zu verstehen sind. Es blieben zwei Figuren mit Kreuzstab erhalten, und es steht
fest, daß zumindest auf dem Kapitell der Nordempore Kreuzstab und Globus oder Diskus
die Attribute waren. Es liegt nahe, in den Figuren beider Medaillons Erzengel74 zu sehen,
wobei allerdings offen bleiben muß, ob Michael und Gabriel allein dargestellt waren, da

72 Unter der Figur sind noch Reste eines Gefieders zu mas-Inschrift von Deir Nawa, die wohl ebenfalls zu
erkennen. Vielleicht war die Komposition ähnlich der einer Kirche der beiden Heiligen gehörte (ebd. nr.
des Kelchs aus Antiochia (Strzygowski, L’ancien art 1956).
[s. o. Anm. 18] Taf. V), und, wenn unsere Deutung auf 74 Vgl. dazu den oberen Fries des Diptychons aus
die Erzengel zutrifft, vielleicht ein Dämon dargestellt - Murano, W. F. Volbach, Elfenbeinarbeiten der Spät­
vgl. die Tür in Alahan Monastir und die Erzengel auf antike und des frühen Mittelalters3 (Mainz 1976) nr.
der dortigen Türlaibung bei P. Verzone, Alahan Mona­ 125 und Taf. 66. Zu den Erzengeln s. E. Lucchesi Palli,
stir (Torino 1956) Abb. 9. 10. Art. Erzengel: LexChristllkonogr 1 (1968) 674/81;
73 S. H. Delehaye, Les origines du culte des martyrs2 dies., Art. Gabriel: ebd. 2 (1970) 74f; dies., Art. Micha
(Bruxelles 1933) 221/3 und vor allem die Asyl-Inschrift el: ebd. 3 (1971) 255/66. Die syrischen Erzengel-
von Hama (Prentice [1908] nr. 350), die Inschrift der Inschriften: Jalabert/Mouterde 4 nr. 1570. 1693. 1694.
an der Stelle der Synagoge errichteten Kirche von 1707. S. auch o. Anm. 15.
Apamea (Jalabert/Mouterde 4 nr. 1338) und die Kos­
74 Christine Strube

vielleicht zwei Kapitelle der Kirche nicht erhalten blieben. Ich wies schon in der Einleitung
darauf hin, daß im Nachbarort Anderin und im nicht weit entfernten Fa’lul Erzengelkir­
chen erhalten blieben. Dies sind nicht die einzigen Zeugen für einen Erzengelkult, der in
dieser Region der Befestigungsanlagen und Wehrtürme von höchster Aussagekraft ist. Die
den Erzengeln gewidmete Kirche von Q. ibn Wardan wirft ein helles Licht auf die
Gesamtanlage des Ortes und fuhrt zugleich zu der schon 526 errichteten Kirche von Fa’lul
zurück.
Blicken wir zurück auf das Kapitell des Apsisbogens in der Ostkirche von Baqirha (546
nC.; Taf. 11b), dann wird bewußt, daß die Bildmedaillons der Kapitelle von Q. ibn
Wardan und Madba'a eine charakteristische Ausdrucksform justinianischer Zeit sind75: In
dem Medaillon von Madba‘a überschreitet der Heilige zwar nicht den Rahmen des Bildes,
doch er steht vor der Omamentfläche und trat ursprünglich aus ihr hervor. Das
Flächenomament verbirgt den Kapitellgrund hinter einer tiefen Schattenzone, und die
figürlichen Darstellungen erscheinen, wie in Baqirha, ohne Bindung an den Grund, frei
vor der Omamentebene.
Die Gesamtform und Ornamentik des Kapitells von Madba‘a (Taf. 16d) sind nicht
weniger aufschlußreich als die Ikonographie und Darstellungsform seines Frontmedail­
lons. Der heutige Zustand gibt einen falschen Eindruck, weil das weit nach vom
ausladende Wulstprofil der unteren Zone weggebrochen ist und so eine stärkere
Verjüngung der Gesamtform vortäuscht. Ursprünglich näherte sich das Kapitell in seinem
Umriß dem Quadrat, denn das Medaillon der Stirnseite wiederholt sich in entsprechender
Größe auf der Rückseite (Taf. 16c), und beide Medaillons übergreifen die obere Blattzone
und setzen auf dem Wulst der unteren Kapitellzone auf. Die quadratische Deckplatte, die
ausgedehnten Flächen der Medaillons und die weit vorgreifenden unteren Kapitellzonen
geben dem Kapitell einen blockhaften Charakter. In den Flächen der Medaillons bleiben
die Ebenen faßbar, von denen aus das Kapitell konzipiert und in die Tiefe gehend
ausgearbeitet wurde. Es erinnert in seinem Aufbau an Profilfolgen auf Türen, Archivolten
und Außenfassaden in der Zeit um 550 nC., die in tiefen Rücksprüngen und unvermittelt
aus glatter Fläche vorbauchenden Wulstprofilen eine vergleichbare Bindung an die
Vordergrundsebene erkennen lassen76.
Wenn wir das Kapitell von Madba‘a dem entsprechenden Kapitelltypus in der Kirche
von K. Ruma gegenüberstellen (Taf. 10a. 16b), dann ist die Weiterbildung unübersehbar.
Es hat sich nicht nur von den Kapitellen des Porta-Aurea-Typus, sondern auch von der
Grundform des korinthischen Kapitells syrischer Prägung entfernt. Die Widder in der
oberen Kapitellzone, die dortige Kombination von Dreiecksmustem, die Blattranke der
mittleren und der Mäander der unteren Zone (Abb. 1.4. 13) wiederholen fast unverändert
die Formen der Kapitelle von Q. ibn Wardan. Aber in einem entscheidenden, über diese
hinausführenden Schritt wurde die traditionelle Gliederung auch der unteren Kapitellzone
aufgegeben. Sie nahm einen Mäanderfries auf, der es ermöglichte, auch diese Zone
kreisrund abzuschließen und damit der Mittelzone anzugleichen. Es ist eine Kapitellform
75 Ich halte es für wahrscheinlich, daß die Reliefs in Kapitelle im Zusammenhang mit der Hauptstadt zu
Leningrad und in der Kariye Camii, Arbeiten aus dem sehen. Dies wäre auch wichtig im Blick auf die Büsten
letzten Jahrzehnt des 13. Jh. (H. Belting, Konstantine)- der Westtür der Evangelistenkirche von Alahan Mona
pol’skaja Kapitel’ v Leningrade: Viz. juznyeslavjane i stir. S. S. 104.
drevnjaja [Moskau 1973] 136/54), auf hauptstädtische 76 S. zB. die Südosttür der Kirche von Baqirha (546
Vorbilder des 6.Jh. zurückgehen. Wenn sich dies nC.) in I. F. A. P. O. 1980, 17.
bestätigen sollte, dann wären die Reliefs der syrischen
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 15

entstanden, die in keiner Zone die alte Organisation bestehen läßt, die alle Omamentzo-
nen voneinander löst und damit zum ersten Mal die Auflösung der traditionellen
Blattform mit der Auflösung der herkömmlichen Innengliederung auf eine Stufe bringt.

Ich fasse die Aussage der Kapitelle von Q. ibn Wardan zusammen und komme erst
jetzt zu den Kapitellen in der Südkirche von Anderin77 (Taf. 15c. d), die das Gesamtbild des
Kapitelltypus mit kelchförmiger Mittelzone um eine Variante bereichern.
In Q. ibn Wardan finden sich keine über die Transeptkirche hinausfuhrenden
Motivkombinationen. Aber die Verbindung gegensätzlicher Darstellungsformen auf
einem Kapitell wurde intensiviert und mit dem Mäanderfries noch einmal ein Element der
Flächendekoration auf die rundplastische Form übertragen. In der Minderheit sind nun
die Kapitelle mit nur einem Hauptmotiv. Der traditionelle Akanthus dominiert zwar noch
auf zwei Kapitellen, aber er ist in höherem Maße als zuvor ein Muster neben anderen,
beibehalten, um Kontrast und Farbigkeit in einem Kapitell zu steigern.
In der Zeit um 564 nC. oder wenig später übernimmt die obere Kapitellzone neben
Korb- und Medaillonmotiv auch andere Darstellungen (Taf. 15c. d), und die kelchförmige
Mittelzone ist mit zwei Reihen gegeneinander bewegter Blattwedel dekoriert (Taf. 15c).
Das heißt: Aus dem Kapitelltypus mit gegeneinander bewegten Blättern der Moschee
Hallewiyye hat sich, über Zwischenstufen mit reinen Flächenmustem in beiden Hauptzo­
nen, ein von alter Gliederung unabhängiges Flächenmuster entwickelt. Zudem verstärkt
sich die Tendenz zur Zergliederung in mehr als drei Zonen.
Spätstufe der Entwicklung innerhalb einer Werkstatt sind die Kapitelle von Madba‘a.
Der Kapitelltypus hat sich von der Bindung an die Hauptform syrischer Kapitellplastik des
5. Jh. befreit. Die Blattwedel der Pfeilerkapitelle aus derselben Kirche (Abb. 7; Taf. 17a)
gehen in der Intensivierung der Hell-Dunkelwerte, die durch die nadeldünne Bildung der
Blattstege und die allgemeine Eingrenzung heller Reliefflächen erreicht wird, bis an die
Grenze der Möglichkeiten, die der Kalkstein bietet, um ohne Hinterarbeitung eine
Musterebene durch Tiefendunkel vom Kapitellgrund zu lösen.

4. Das Gesamtbild

Die Kirchen von Q. ibn Wardan, K. Ruma, Madba‘a und Anderin schließen sich durch
die Gesamtform wie die Einzelformen ihrer Kapitelle so eng zusammen, daß eine
gemeinsame Werkstatt angenommen werden kann. Diese Werkstatt oder eine ihr
nahestehende, mit allen Einzelformen derselben Tradition verhaftete arbeitete die
Kapitelle der Transeptkirche von El Bara. Die Vermutung Deichmanns, daß die Kapitelle
von Q. ibn Wardan »das Werk von Steinmetzen aus einem der städtischen Zentren des
Kalksteingebietes, aus Apameia oder aus Hama (Epiphaneia)«78 sind, wird durch mehrere
Kapitelle aus Apamea und die Konzentration der hier vorgestellten Kapitellgruppen in der
Apamene und dem Gebiet nordöstlich von Hama bestätigt. Darüber hinaus wird die enge
Verwandtschaft der hier vorgestellten Dekorationsformen mit Kapitellen von Aleppo
(Beroea) und in der Ostkirche von Baqirha (546 nC.), einem Ort der Antiochene,
bewußt79.
” Sie liegen im Mittelschiff und gehörten vielleicht ” Vgl. die Kapitelle des Museums in Damaskus und
zur Inneneinrichtung. S. Butler, Northern Syria 58/62 die Kapitelle der Atriumkirche von Apamea bei Balty/
und besonders 61. Napoleone-Lemaire Taf. XXX. XXXI. LXXIX.l. 2.
78 Deichmann, Bautechnik (s. o. Anm. 1) 488.
76 Christine Strube

Ich bin bei der Beschreibung der einzelnen Kapitellgruppen schon kurz auf Fragen der
Datierung eingegangen, habe dabei allerdings das aus unterschiedlichen Kapitelltypen
und gegensätzlichen Akanthusformen wie Motivkombinationen sich ergebende Gesamt­
bild der Kapitelle in einer Kirche nicht berücksichtigt. Aus Madba‘a blieben nur zwei
Kapitelle erhalten (Taf. 16b. 17 a), die die Kirche sicher nach 564 nC., und das heißt wohl
gegen 570 datieren, jedoch offen lassen, ob es noch korinthische Kapitelle mit »klassi­
schem« Akanthus neben dem Typus mit kelchförmiger Mittelzone gab. Unsicher ist auch
der Befund in der Südkirche von Anderin (Taf. 15c. d): Der Türsturz mit der Jahreszahl
528 datiert mit Sicherheit nicht die Kapitelle und vielleicht auch nicht die Kirche80. Die
Gesamtform und Ornamentik der beiden Stücke sind vor Q. ibn Wardan nicht denkbar -
ich schlage die Datierung in das Jahrzehnt 560/70 nC. vor. In Kafr Ruma wurden nur drei
der Kirchenkapitelle in der Moschee wiederverwandt (Taf. 10a. d). Sie können nicht nach
564 entstanden sein, doch ist die genauere Einordnung zwischen der Transeptkirche und
der Kirche von Q. ibn Wardan schwer. Es fällt auf, daß die neuen Kapitelltypen sich
soweit angeglichen haben, daß die Dekorationselemente der oberen Zone (Korb und
Medaillon) austauschbar geworden sind. Diese Tatsache und die fehlende Abgrenzung
zwischen den beiden Hauptzonen bei dem Kapitell mit kelchförmiger Mittelzone könnten
ein Hinweis auf eine Entstehungszeit schon gegen 540/50 nC. sein.
Das Kapitell der Ostkirche von Baqirha (Taf. 12e) veranschaulicht, daß nicht die
gesteigerte Kombination gegensätzlicher Formen auf einem Kapitell (Abb. 4. 10. 11), aber
die Aufnahme von Elementen der Flächendekoration in das rundplastische Kapitell von
dem neuen Kapitelltypus abhängig war. Die Hauptform in Q. ibn Wardan gab nicht nur
die Möglichkeit, auf einem Kapitell die neu entwickelten Flächenmuster mit dem Muster
des klassischen Akanthus zu kombinieren, sie konnte darüber hinaus in der nicht an das
alte Gliederungsschema gebundenen Mittelzone Dekorationselemente aufhehmen, die
noch in El Bara auf das Pfeilerkapitell beschränkt waren (Taf. 12b). Mit der neuen
Kapitellform waren also die Voraussetzungen geschaffen, um in der Konzentration auf
einen Haupttypus und der Variation seiner Ornamente innerhalb einer Kirche ein
homogenes und zugleich kontrastreiches Gesamtbild zu schaffen.
Ich wies schon darauf hin, daß die normalen korinthischen Kapitelle mit traditionel­
lem Akanthus in der Transeptkirche nicht nur rein quantitativ, sondern auch ihrer
Ausbildung nach eine ganz andere Stellung im Gesamtbild einnehmen als rund dreißig
Jahre später in Q. ibn Wardan. Die engen Werkstattbeziehungen werfen die Frage auf, ob
in der Apamene nach 550 die in der Moschee Hallewiyye noch dominierende Hauptform
syrischer Kapitellplastik (Taf. 10c) durch die neuen Kapitellformen verdrängt worden ist81.
Wir sahen, daß die Auflösung der alten Gliederungsprinzipien des korinthischen Kapitells,
deren Spätstufe das Kapitell von Madba‘a darstellt (Taf. 16b/d), nicht ohne Einfluß auf die
Ausarbeitung der traditionellen Kapitellform in ein und derselben Werkstatt blieb. Es
wäre also denkbar, daß die beiden Kapitelle aus Q. ibn Wardan (Taf. 14b. d) genau die

80 Butler, Northern Syria 61 und ders., Early chur- einander bewegten Blattkränze, den Kirchen aus dem
ches (s. o. Anm. 4) 80m. letzten Viertel des 5. Jh. noch sehr nahe. Es ist offen,
81 Die Kapitelle der Hallewiyye kennen nur das nor ob alle Kapitelle des Ursprungsbaus wiederverwendet
male korinthische Kapitell und die beiden Formen des wurden, doch ist wahrscheinlich, daß der Befund
Kapitells mit windbewegtem Akanthus und stehen, zumindest einen repräsentativen Querschnitt gibt, das
trotz der Kombination von Flächenmustem mit tradi­ Gesamtbild der Kirche um 500 also dem heutigen
tionellem Akanthus und der Neuschöpfung der gegen­ entsprach.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 77

Stufe der Entwicklung dokumentieren, die dazu führte, daß die traditionelle Blattform
zwar noch als Muster eine Zeitlang beibehalten wurde, sich aber nicht mehr mit einem
bestimmten Kapitelltypus verband. Das heißt, es könnte kein Zufall sein, daß nur Kapitelle
mit kelchförmiger Mittelzone in Anderin und Madba‘a erhalten blieben. In der zweiten
Kirche El Baras, deren Kapitelle von derselben Werkstatt wie die der Transeptkirche, und
zwar gegen 550, gearbeitet wurden, sind Kapitelle mit Flächenmustem in der Überzahl.
Dieses Gesamtbild könnte die Zwischenstufe im Übergang zur spätjustinianischen Zeit
sein.
Wenn wir nun fragen, inwieweit sich mit den neuen Kapitelltypen und im Nebenein­
ander verschiedener Darstellungsformen das Gesamtbild in den Kirchen justinianischer
Zeit verändert hat, dann sind wir angewiesen auf den Befund der Kirchen von El Bara und
Q. ibn Wardan. Ich kann in diesem Zusammenhang den Befund der zweiten Kirche El
Baras nur skizzieren und gehe nicht auf die sieben Kirchen der Antiochene ein, deren
Kapitellplastik fast vollständig erhalten blieb und von Werkstätten gearbeitet wurde, die
sich durch ihren engen Kontakt zu den großen Städten und ihr großes Können direkt an
die Seite der apamenischen Werkstätten stellen. Die Beschränkung ist gerechtfertigt, weil
ein wichtiger Aspekt der antiochenischen Kapitelle, die Erneuerung des traditionellen
Akanthus, über die Kapitelle Q. ibn Wardans hinausfuhrt und bei der Gegenüberstellung
Antiochia-Konstantinopel vorläufig fast ganz ausgeklammert werden muß82.
Aus der Transeptkirche von El Bara wurde bis jetzt etwa ein Drittel des ehemaligen
Bestandes an Säulen- und Pfeilerkapitellen bekannt. In Q. ibn Wardan blieben von
ehemals wohl zehn Kapitellen acht mehr oder weniger vollständig erhalten. Der Befund in
El Bara ist so repräsentativ für das Gesamtbild, daß sich der Abstand zwischen beiden
Kirchen bestimmen läßt. In der Transeptkirche erschienen Variationen und Umbildungen
des korinthischen Kapitells (Taf. 11a. 13 a) neben den aus Q. Siman vertrauten Grundfor­
men des Kapitelltypus mit windbewegtem und normalem Akanthus (Taf. 14a. c) sowie ein
Kapitell, das dem Typus mit kelchförmiger Mittelzone nahekommt (Taf. 13c). Keine dieser
Neuschöpfungen nimmt jedoch eine so zentrale Stellung ein, daß wie in Q. ibn Wardan
ein fast homogenes Gesamtbild entsteht. In El Bara wurde durch den ständigen Wechsel
von windbewegtem und normalem Akanthus, die variierte Gesamtform korinthischer
Kapitelle, sowie den Wechsel zwischen »klassischen« Akanthusformen und kontrastrei­
chen Flächenmustem von einem Kapitell zum anderen ein ebenso bewegtes wie farbiges
Gesamtbild geschaffen. Charakteristisch für die Situation in der Werkstatt dieser Zeit ist,
daß in der Regel für jede Kapitellform einer der neuen, aus der Rückführung der neuen
Muster auf den Blattstamm hervorgegangenen Blattypen gewählt wird (Abb. 1.6. 10) und
die Kombination des Gegensätzlichen auf einem Kapitell zurückhaltend ist.
Der Kapitelltypus mit kelchförmiger Mittelzone steigert die Kombination des Verschie­
denen auf einem Kapitell nicht nur durch das Übereinander kontrastreicher Flächenmu­
ster und feingekerbter Blattformen, sondern auch durch die Aufnahme von Weinranke
und Mäanderfries in die mittlere Zone.
Im Blick zurück auf Q. Siman wird bewußt, wie sehr die Auflösung der alten Blattform
und der traditionellen Gliederungsprinzipien der Umbildung der Gesamtform des korin­
thischen Kapitells bedurfte. Erst etwa 70 Jahre nach der Fertigstellung des großen
Zentrums werden Kapitelle gearbeitet, die sich von der Hauptform des 5. Jh. entschieden

82 S. S. 94. 108.
78 Christine Strube

lösen. Dieses zähe Festhalten an der Grundform und Gliederung des korinthischen
Kapitells ist eine der Voraussetzungen für die Situation in der Antiochene in der Zeit von
ca. 530 bis mindestens 585, die ich mit einigen ausgewählten Beispielen verstellen
möchte.

In der Antiochene ist das Bild breiter aufgefächert als in der Apamene. Bei einigen
Kirchen, wie zB. der Ostkirche von Baqirha (546 nC.; Taf. 11b. 12e) und der großen Kirche
von Bafetin, deren Kapitelle von derselben Werkstatt gearbeitet wurden, ist ein Teil der
Kapitelle unmittelbar mit denen der Apamene zu vergleichen, andere jedoch sind
beeinflußt von den Akanthusformen, die ich einleitend an den Dekorationsformen der
Kirche von Me'ez kurz charakterisierte. Ich werde in größerem Zusammenhang zeigen,
daß die Werkstatt der Kirchen von Behyo Ost, Kefr Kila, Barisa und Herbet Tezin (585
nC.) wie die der Westkirche von Me‘ez mit der städtischen Formenwelt eng vertraut sind,
da ihre Werkleute in den Städten gearbeitet haben83. Wenn wir den Befund in den
Kirchen der Antiochene und Apamene zusammenfassen, dann ist mit ihm zumindest ein
Teil der in Antiochia selbst verlorengegangenen Baudekoration zu rekonstruieren. Die
Fragen, die dabei auftauchen, kann ein Ausschnitt aus dem Gesamtprogramm der Kirche
von Me‘ez84 und der Südkirche von Bankusa umreißen.
Die Werkstatt von Me‘ez ist vertraut mit den aus der Auflösung des Akanthus
hervorgegangenen Flächenmustem und verwendet Variationen des korinthischen Kapi­
tells (Taf. 17b/d) neben den traditionellen Kapitellformen. Das Gesamtbild prägen jedoch
die voluminösen, in hohem Relief und gesteigerter Bewegung wiedergegebenen Akan­
thusformen, die auf fast allen Kapitellen erscheinen (Taf. 17 b. d). Nur ein Kapitell
übernahm die flächig-kontrastreichen Blattmuster (Abb. 4. 5; Taf. 17c), und selbst dieses
ist mit denen der Apamene nicht direkt zu vergleichen, da das höhere Blattvolumen und
die Verkleinerung der Dreiecksmuster den Grund nicht so intensiv als tieferliegende
Schattenzone definieren. Den reinen Flächenmustem wird die Wiederbelebung des
»klassischen« Akanthus entgegengesetzt. Daß sie nicht unmittelbar zu Kapitellen des 2. Jh.
zurückführt, zeigen die rundplastischen Kapitelle deutlicher als die Flächendekoration
(Taf. 17e): Die Einzelform wird nicht plastisch erfaßt, es wird nur in vorderer Schicht
bearbeitet. Vorder- und Seitenansicht fallen auseinander, und die einzelnen Blätter wirken
wie Modeln. Sobald diese Akanthusformen jedoch auf dem Türsturz und in der
Archivolte erscheinen (Taf. 17e), strahlen sie eine Frische und Lebendigkeit aus, die
verständlich macht, daß noch die Spätstufe dieser Darstellungsform, die Blattranken der
Türen von H. Tezin (585 nC.), bei Butler »the best period of classic art«85 in Erinnerung
83 Am Anfang steht die Ostkirche von Behyo, die 85 Butler, Architecture 215 und ders., Northern Syria
gegen 530 datiert und deren Südtür ich vor einiger 204/6 Abb. 210. Dieselbe Werkstatt hat die Kapitelle
Zeit publiziert habe (Strube, Baudekoration Abb. 34). und Türen der Kirchen von Behyo, Kefr Kila und
Es fallt auf, daß die führenden Werkstätten der Anti­ Herbet Tezin dekoriert. Es war eines der wichtigsten
ochene im 6. Jh. fast alle zum ersten Male in der Zeit Ergebnisse meiner Arbeit, in H. Tezin eine Kapitellpla­
um 530 faßbar sind. In den Orten, in denen sie über stik vorzufinden, die den größten Gegensatz zu den
Jahrzehnte tätig sind, knüpfen sie an die Tradition der Akanthusformen der Türen darstellt: nur noch im
großen Kirchen des 5. Jh. an und führen zugleich weit Umriß skizzierte, glatte Blätter, und die obere Kapitell­
über sie hinaus mit Dekorationsformen, die aus dem zone nur noch auf der Vorderseite voll ausgearbeitet.
städtischen Bereich kommen. Es ist mehr als nur Ein großes Erlebnis ist die Westtür der Kirche von
wahrscheinlich, daß sie in den Städten tätig waren und K. Kila - s. die Nordtür bei de Vogüe Taf. 121 -, die ich
nach den Erdbeben der Jahre 526 und 528 in das 1978 unter dem Niveau des heutigen, in die Kirche
Bergmassiv zurückkehrten. eingebauten Hauses fand: ein gewaltiger Türsturz mit
84 Zum Erhaltungszustand s. o. Anm. 42. vier übereinanderliegenden Omamentfriesen, die
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 19

riefen. Die Kapitelle können durch eine Fülle von Beziehungen zu den anderen genannten
Kirchen mit entsprechenden Akanthusformen in die Zeit um 550 nC. datiert werden, und
diese Datierung stützen die Tür- und Gesimsformen der Kirche. Wie ist es zu erklären, daß
in Werkstätten der Apamene nach der Jahrhundertmitte der »klassische« Akanthus
zugunsten von Flächenmustem nach und nach aufgegeben wird, während er in Werkstät­
ten der Antiochene neue Bedeutung gewinnt?
Ich habe vor kurzem das von Duthoit aufgenommene Kapitell der Südkirche von
Bankusa, das die Akanthusform eines Kapitells in Me‘ez wiederholt, publiziert und einem
Kapitell der großen Kirche von Bafetin an die Seite gestellt86. Die Kirche von Bankusa
vermittelt zwischen der Kapitellplastik der Antiochene und Apamene - darin vergleichbar
dem Gesamtbild der Kapitellplastik in den Kirchen von Bafetin und Baqirha. Das
Besondere der Kapitelle in Bankusa ist, daß sie verschiedene Blattypen und -techniken
imitieren, die sich in Q. ibn Wardan nicht finden und ihre Parallelen in Marmorarbeiten
haben.
Eines der beiden Kapitelle, die ich hier vorstelle, gehört zum Typus mit kelchförmiger
Mittelzone (Taf. 18a), die in dieser Variante mit einem doppelten Reif gegen die obere und
einem einfachen gegen die untere Zone abschließt. Das Korbmotiv unter dem Abakus­
knauf, die Adler in den Kapitellecken, die Reihe spitzer Blättchen zwischen dem Blattkranz
in der unteren und der Weinranke in der Mittelzone stellen es an die Seite der Kapitelle
von Q. ibn Wardan (Taf. 9a/d. 15b. e. 16a), und dorthin führen auch die nachlässig und
steif wiedergegebenen Formen des unteren Blattkranzes (Taf. 14d). Dem stehen die
Weinblätter gegenüber, deren tief gebuchtete Blattfläche einerseits zu Kapitellen des 2./3.
Jh. und andererseits zu Dekorationsformen des 6. Jh. im engeren byzantinischen Bereich
führt87.
Das zweite Kapitell (Taf. 18b) kombiniert nach oben einschwingende Blattwedel mit
schmalen, flach gekerbten Blättchen. Die tief einbuchtenden, seltsam aufgeblasenen
Formen imitieren in Kalkstein die Darstellungsform einer Inkrustationsplatte, die in
Daphne ausgegraben wurde (Taf. 18c)88.
In Antiochia wurden wenige Dekorationsstücke führender Werkstätten aus Marmor
gefunden, und darunter ist kein Kapitell aus einer der Kirchen der Stadt89. Dennoch kann
nicht bezweifelt werden, daß in Marmor und in Kalkstein gearbeitet wurde, und folglich
nicht nur fertige Stücke importiert, sondern auch importierter Marmor von städtischen
Werkstätten bearbeitet wurde90. Die Platte aus Daphne ist ein Einzelfund, die Herkunft
des Marmors wurde nicht bestimmt, und also ist offen, ob sie in Konstantinopel oder
Antiochia dekoriert wurde (Taf. 18c). Die groß geschwungenen Blattwedel mit wellenför­
mig bewegter Oberfläche sind den Akanthusformen von Me'ez und Bankusa verwandt,

Akanthusformen groß angelegt und reich bewegt, acritani: RendicPontAcc 50 (1977/78) Abb. 3. 4.
wenn auch nicht detailliert durchgearbeitet. Die Halle, 88 Stillwell (s. o. Anm. 32) Taf. 42 und 169f.
die vor ihr liegt, ist mit langen Steinplatten gedeckt, 89 Schon die Maße der meisten Kapitelle sichern ihre
und die Tür wird von mächtigen, halb konstruktiven, Herkunft aus einfachen Profanbauten.
halb dekorativen Konsolen gerahmt. Es gibt kaum 90 Die Kapitelle mit durchgehender Spitzenberührung
eine Kirche in Nordsyrien, die eindrucksvoller die in beiden Blattkränzen und dem Blattypus mit aufge­
Architektur und Baudekoration der Antiochene in der bogenen Innenzacken gehen wohl auf eine der Haupt
zweiten Hälfte des 6. Jh. vor Augen fuhrt. formen Konstantinopels zurück, ohne sie jedoch
86 Strube, Baudekoration Abb. 32. genau zu kopieren, vgl. Stillwell Taf. 32,34; 34,33
87 S. vor allem das Zweizonenkapitell aus Konstantino­ (Kalkstein); 55,76; 34,71 (Marmor) mit Betch Abb.
pel, Brenk Abb. 105c, die Formen der Polyeuktoskir- 12/20 u. a.
ehe ebd. Abb. 106b und F. W. Deichmann, I pilastri
80 Christine Strube

ohne mit ihnen direkt verglichen werden zu können. Für den feingezahnten Akanthus, die
ineinander bewegten Blattformen und die kugeligen bzw. rosettenförmigen Motive
zwischen ihnen, wie vor allem die abstrakten Blattstämme der oberen Reihe, um die sich
die Stengel der Wedel winden91, gibt es keine Parallelen in den Kirchen des Kalksteinmas­
sivs. Das Kapitell von Bankusa (Taf. 18b) geht aber eindeutig auf derartige Blattformen
zurück. Imitierte der Steinmetz ein importiertes Stück, oder gab es in Antiochia eine
Marmorproduktion, die in mehr oder weniger engem Kontakt zum byzantinischen
Bereich Formen entwickelte, die nur vereinzelt von den in Kalkstein arbeitenden
Werkstätten des Belus aufgegriffen wurden? Wenn wir bedenken, daß die Imitation
hauptstädtischer Marmorkapitelle in Kalkstein das Bild lokaler Werkstätten in Lykien und
Kilikien prägt und sie darin, wie ich zeigen werde92*, sich grundlegend von den Werkstät­
ten des Belus entfernten, so wird die Bedeutung des Einzelstücks aus Daphne bewußt.
Die Einzelformen des feingezahnten Akanthus und die Form des Fleurons, dem die
oberen Blattstämme entsteigen (Taf. 18c), erinnern an die Inkrustationsplatten des
Rundbaus vom Myrelaion (Taf. 19b)9S, während die reich bewegte Oberfläche mit den in
den Grund hinein und aus ihm heraus wellenförmig bewegten Blättern in den Marmor­
platten des 6. Jh. von S. Marco in Venedig eine entfernte Parallele haben94. Was hier
vergleichbar ist, geht zurück auf Formen des feingezahnten Akanthus im 2. bis frühen 4.
Jh. In den Stücken, die sich in Konstantinopel befinden oder von dort nach Venedig
kamen, wurden von hauptstädtischen Werkstätten wohl des 6. Jh. Formen aus Kapitellen
des 2-/4. Jh. wieder aufgenommen95 und umgebildet, die nicht in der dortigen Kapitellpla­
stik des 5. Jh. vorkommen96.
Es läge nahe, das Stück aus Daphne mit der Hauptstadt zu verbinden, doch wurde bis
jetzt aus dem engeren byzantinischen Bereich keine direkt vergleichbare Form der
Blattwedel bekannt97, und der Reliefstil wirkt, trotz der entfernten Verwandtschaft,

91 Vgl. die um den Stamm geschlungenen Blattwedel telltypen mit ihren kompositen, unkanonischen Deko­
mit der sehr ähnlichen Darstellung auf den Pilastern rationsformen und Kompositionsschemata haben ge­
der Polyeuktoskirche bei Deichmann, Pilastri 79 rade wegen dieser verhältnismäßig ungebundenen
Abb. 4. Sie findet sich auch auf Marmorplatten, die Ornamentik auf die Baudekoration des 5./6. Jh. einge­
sich heute in S. Marco befinden und sicher aus der wirkt.
Hauptstadt stammen. 94 Volbach/Hirmer (s. o. Anm. 55) Taf. 211.
92 S. S. 103/5. 95 Vgl. zB. Kautzsch Taf. 26A mit den Platten des
95 R. Naumann, Der antike Rundbau beim Myrelaion Rundbaus und deren Akanthusformen mit den Pfeiler­
und der Palast Romanos I. Lekapenos: IstMitt 16 kapitellen bei W. Hopfner, Herakleia Pontike-Eregli =
(1966) 199/216 Taf. 43,1. Eine ganze Gruppe von DenkschrWien 89 (1966) Taf. 22a/d. Dazu das Kapitell
Inkrustationsplatten und ihnen nahestehenden Pila­ des Diokletianspalastes, G. Niemann, Der Palast Diokle­
ster- und Pfeilerkapitellen müßte zusammenhängend tians in Spalato (Wien 1910) 75 Abb. 94; A. M. Mansel,
untersucht werden, um die Formen des späten 2-/4. Side. 1947-1966 yillan kazilan ve ara$tirmalannin
Jh. von denen des 5./6. zu trennen (v. Mercklin nr. sonucjlari (Ankara 1978) Abb. 312; E. Weigand (s. o.
219. 554. 555. 559. 572 a/e; G. A. Soteriou Praktika Anm. 29) Taf. VI, 1. 3. 6; W. Koenigs W. Radt, Ein
1933, 55 Abb. 7 [Nea Anchialos]; E. KolliaS: ebd. 1974 kaiserzeitlicher Rundbau (Monopteros) in Pergamon:
Taf. 148a [Karpathos]; Soteriou, Demetrioskirche 2 IstMitt 29 (1979) Taf. 123,1. Leider sind wichtige Stük-
Taf. 45c und die in Anm. 95 und 155 genannten ke aus Side und Perge noch nicht publiziert.
Pilaster- und Pfeilerkapitelle). Ausgehend von Susan 96 Vgl. den feingezahnten Akanthus auf der Platte von
Walker, Corinthian capitals with ringed voids. The S. Marco und die Stücke des Rundbaus mit unserer
work of Athenian craftsmen in the second Century Taf. 18e auf der einen, und den Kapitellen der Stu­
A. D.: ArchAnz 1979, 103/29 und dem in Anm. 95 diosbasilika, der Lechaion-Basilika wie der Acheiropoi-
genannten Aufsatz von Hopfner wäre eine Chronolo­ etos auf der anderen Seite (Kramer Abb. 19/25).
gie zu erarbeiten, die es ermöglicht, bei späteren 97 Vgl. die Angaben zu Kapitellen der Demetrioskir­
Stücken die Wiederaufnahme zu bestimmter Zeit von che S. 93.
der Um- und Weiterbildung zu trennen. Diese Kapi­
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 81

fremdartig gegenüber den Stücken aus Konstantinopel9*98. Aber trotz dieser Unterschiede
wirft die Tatsache, daß hier wie dort Dekorationsstücke den deutlichen Rückgriff auf
ältere Formen des feingezahnten Akanthus erkennen lassen, die Frage auf, ob es in
Konstantinopel im 6. Jh. eine Erneuerung der Akanthusformen gab, die sich mit dem
Befund in der Antiochene vergleichen ließe.
Die Werkleute der Kapitelle von Bankusa variieren einen Kapitelltypus, der im
städtischen Bereich ausgebildet wurde, sie sind vertraut mit der Darstellungsform des
Akanthus in Me‘ez und imitieren Blattypen und -techniken, die in der Kapitellplastik des
Belus vereinzelt dastehen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß Antiochia das Zentrum war,
dessen Werkstätten durch Importstücke und durch Kontakt zum engeren byzantinischen
Bereich Anregungen bei der Ausbildung ihrer Dekorationsformen erhielten. Wurden dort
jedoch auch Kapitelle mit feingezahntem Akanthus gearbeitet und, wenn ja, warum findet
sich in den Werkstätten des Belus kein Kapitell, das versucht, den Charakter des
feingezahnten Akanthus in Kalkstein wiederzugeben? Ich werde nach einigen Beobachtun­
gen zur Kapitellplastik Antiochias und Konstantinopels im 5. und 6. Jh. auf diese Frage
zurückkommen.

5. Kapitelltypen des 5./6. Jh. in Syrien und Konstantinopel

In Konstantinopel ist die Hauptform der führenden Werkstätten bis zum letzten
Viertel des 5. Jh. das komposite korinthische Kapitell mit feingezahntem Akanthus99. Auf
ihm finden sich Vorstufen für Motive und Motivkombinationen der Kämpferkapitelle des
6. Jh. In keiner syrischen Kirche des 4./6. Jh. wurde bis jetzt ein Kapitell dieses Typus
gefunden. Hauptform ist dort das normale korinthische Kapitell, das seit spätestens 450
mit geradem wie umgewehtem Akanthus für dieselbe Kirche gearbeitet wird100. Die ersten
datierten Kapitelle mit windbewegtem Akanthus blieben in Ravenna erhalten101. Sie
gehören schon der Variante mit gegeneinander bewegten Blättern an, die in Syrien gegen
500 auftritt, und datieren in ebendiese Zeit, in das letzte Jahrzehnt des 5. oder die ersten
Jahrzehnte des 6. Jh. Die Grundform des Kapitelltypus102 bedarf dringend einer neuen
Untersuchung, die von den kleinasiatischen Vorstufen auf Gebälken und Kapitellen
ausgeht und klärt, ob Kapitelle mit dieser Blattform in Konstantinopel erst gegen Ende
des 5. Jh. wiederaufgenommen wurden oder das ganze Jahrhundert über zum Repertoire

9S Die Kelchformen der Platten des Rundbaus gehen Vorgehen ist nur damit zu rechtfertigen, daß in die­
auf Fleuron-Formen des 2./3. Jh. zurück. Doch ihre sem Aufsatz nur Formen der führenden Werkstätten
abstrakte Bildung, die Verflechtung der stilisierten Konstantinopels analysiert werden. Für die in jeder
Voluten mit dem Blattstamm und vor allem der Arbeit über Baudekoration grundlegende Problematik
ständige Wechsel im Blattypus wie in der Kombina­ lokaler und städtischer Werkstätten s. zum engeren
tion der einzelnen Elemente verweisen in das ausge­ byzantinischen Bereich, abgesehen von den Arbeiten
hende 5. oder frühe 6. Jh. Deichmanns, vor allem die Arbeiten von J.-P. Sodini,
99 Kautzsch 115/40, dort ältere Literatur; Kramer 36/ deren Ziele und Problemstellungen er vorstellt in:
54; Betch 204/6. 206f. Ich werde hier einige Thesen Remarques sur la sculpture architecturale d’Attique,
von Betch, die das Aufkommen bestimmter Kapitellty­ de Beotie et du Peloponnese ä l’epoque paleochretien-
pen zu bestimmter Zeit und seine Analyse der Akan­ ne: BullCorrHell 101 (1977) 423/50.
thusformen betreffen, nicht diskutieren. Ich werde es 100 Nicht richtig bei Betch 222. S. zu den Kapitellen
auf breiterer Basis in meiner Arbeit über die Kapitell­ des 5.Jh. im G. Zawiye Strube, Baudekoration 592/4.
plastik des 4./7. Jh. nachholen. Im folgenden wird nur 101 Deichmann, Ravenna 1, 65f Abb. 40/3.
selten der Charakter einer Werkstatt diskutiert. Dies 102 Kautzsch 140/52.
82 Christine Strube

der Werkstätten gehörten103. Die Unterschiede zwischen den syrischen und hauptstädti­
schen Kapitellen dieses Typus hat Kautzsch gesehen und die Eigenständigkeit der
Entwicklung in Syrien betont. Nicht richtig ist seine Darstellung der Situation in
Kleinasien104. Der windbewegte Akanthus Konstantinopels fuhrt unmittelbar zu kleinasi­
atischen Kapitellen des 2. und 3. Jh. zurück105, während die syrischen Formen Vorstufen
des eigenen Landes weiterbilden. Das Kapitell aus der Region von Antalya (Taf. 18d), das
ich hier vorstelle, ist ebenso wichtig für die Analyse der Kapitelle des engeren byzantini­
schen Bereichs wie das Kapitell des Tempels von Me‘ez, das ich vor einiger Zeit
publizierte106, für die Entwickung des Kapitelltypus in Syrien.
Die erhaltenen syrischen Kirchen kennen nicht das Übereinander von Kämpfer und
Kapitell und folglich auch nicht die Entwicklung zum Kämpferkapitell107. Syrische Werk­
stätten arbeiten im 6. Jh. reine Kämpferkapitelle und sog. Zweizonenkapitelle, die
eindeutig auf Kapitelle der Hauptstadt zurückgehen, ohne jedoch in der Regel deren
Omamentformen zu imitieren. Die bis jetzt bekannt gewordenen Beispiele entsprechen in
ihren Flächenmustern und dem »klassischen« Akanthus den oben vorgestellten Kapitellen
der Antiochene und Apamene108.
Da in Konstantinopel neben dem sog. theodosianischen Kapitell auch das normale
korinthische und ionische Kämpferkapitell zum Repertoire der führenden Werkstätten
gehörte, war schon um die Mitte des 5. Jh. der Befund breiter aufgefächert als in Syrien.
Er wurde noch vielfältiger, als in der zweiten Hälfte des 5. Jh. Varianten des korinthischen
Kapitells109, die zweigeteilten Kapitelle mit Tierprotomen110 und, wie ich annehme, am
Ende des 5. oder im ersten Jahrzehnt des 6. Jh. die mehrzonigen Kapitelle mit Tieren in
der oberen Zone vom Typus des Säulenkapitells der Porta Aurea ausgebildet wurden111.
Zudem wurde aus den beiden Hauptformen des windbewegten Akanthus die Variante in
Schmetterlingsform entwickelt112. Wohl in den zwanziger Jahren des 6. Jh. wurde mit den
Kämpferkapitellen eine Kapitellform geschaffen, deren Flächen die ununterbrochene, an
keine traditionelle Gliederung gebundene Musterkombination und die Übertragung jedes

103 Die Arbeit von Betch 222/6 bringt dazu wenig. Seit 110 Betch 210/2 mit älterer Literatur, zu der noch der
den grundlegenden Arbeiten vor allem von Weigand Aufsatz von F. W. Deichmann, Zur Entstehung der
und Deichmann ist in Kleinasien viel neues Material spätantiken Zweizonen-Tierkapitelle: Charisterion
hinzugekommen. Jede Arbeit über Baudekoration A. K. Orlandos 1 (Athen 1965) 136/44 nachzutragen
Konstantinopels sollte von Aufnahmen kleinasiati­ wäre.
scher Dekorationsformen des 2. bis frühen 4.Jh. 111 Dieser mehrzonige Kapitelltypus sollte nicht mit
ausgehen. den kompositen korinthischen Kapitellen unter der
104 Kautzsch 151. Bezeichnung »theodosianisches Kapitell« zusammenge­
105 S. auch das in jüngster Zeit publizierte Kapitell bei faßt werden (so Kautzsch 121f). Schon die Art der
Sodini Abb. 4 und die dortigen Literaturangaben (aO. Spitzenberührung bei fast allen bis jetzt bekannten
38). Beispielen und die Ausbildung der Akanthusformen
106 Ch. Strube, Tempel und Kirche in Me‘ez: IstMitt 29 verweisen auf eine spätere Zeit. Zur Datierung s.
(1979) Taf. 127,4. Sodini 48f. Ich halte es für verfehlt, diesen Typus als
107 Strube, Baudekoration 579/81. Zweizonenkapitell zu bezeichnen (so Kramer: Corpus
108 In der Slg. Pharaon, Beirut, befindet sich ein S. Marco 88f). Wahrscheinlich ist, daß die Kapitellform
Kämpferkapitell, das aus Idlib kommt, wo zwei weite­ erst nach Existenz der Zweizonenkapitelle entwickelt
re Kapitelle derselben Kirche erhalten blieben. Ein wurde, d. h. nachdem die beiden Blattkränze vonein­
Zweizonenkapitell in Apamea mit Korb als unterem ander gelöst und die kreisrund abschließenden Zonen
Kapitellteil und Adlern in den Kapitellecken zeigt als Plattform für Tierprotome in einer nicht mehr an
Dreiecksmuster in der Ranke der oberen Zone. Ein antike Figuralkapitelle gebundenen Form ausgebildet
wichtiges Kapitell der Slg. Fouad Alouf, Beirut, imitiert worden waren.
in Basalt ein Zweizonenkapitell mit feingezahntem 112 Zu den ältesten Beispielen mit dem Monogramm
Akanthus in der unteren Zone. Theoderichs d. Gr. s. Deichmann, Ravenna 1, 65
109 Zu diesen Varianten s. zuletzt Betch 217/21. Abb. 37 und ebd. Abb. 35. 36. Zuletzt Betch 224f.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 83

Dekorationselementes auf das Säulenkapitell ermöglichte113. Man muß sich vergegenwär­


tigen, daß die Werkstatt der Kapitelle von Q. ibn Wardan noch in den Jahren um 564 nC.
am Zonenaufbau des Kapitells festhielt und, wie es scheint, zu keiner Zeit einen
Kapitelltypus entwickelte, der so radikal von spätantiker Tradition wegführte und so
ideale Voraussetzungen für freie Musterkombinationen schuf. Wir sehen, daß in Konstan­
tinopel das Prinzip der Zweiteilung - das Übereinander von Kämpfer und Kapitell, die
dominierende Stellung des kompositen und die Ausbildung des Zweizonenkapitells - in
einem Kapitelltypus mündet, der keine Zonenaufteilung mehr kennt, während sich die
syrische Tradition in Konzentration auf eine mehrzonige Kapitellform darauf beschränkt,
die Bindung der Zonen aneinander und ihre innere Organisation aufzulösen.
In Konstantinopel waren mit dem Kämpfer und dem ionischen Kämpferkapitell zwei
Omamentträger gegeben, die sich für freie Musterkombinationen und die Auflösung
traditioneller Blattformen anboten114. Zudem war in den letzten Jahrzehnten des 5. Jh. mit
dem Zweizonenkapitell ein Kapitelltypus geschaffen worden, der Formen der Blattranke
und den traditionellen Kapitellen fremde Dekorationselemente an Stelle des unteren
Blattkranzes aufhehmen konnte. Es gibt jedoch keinen Kämpfer vorjustinianischer Zeit,
dessen Ornamentik sich mit der des Kämpfergesimses in Q. Siman vergleichen ließe, und
kein Säulenkapitell dieser Zeit weist durchgehende, aus der Auflösung des Akanthus
hervorgehende Flächenmuster auf (Abb. 4. 5). Die Frage ist, ob es in der Hauptstadt
überhaupt einen Prozeß der Auflösung des Akanthus gegeben hat, der sich mit dem
Verfahren syrischer Werkstätten vergleichen ließe.
In jüngster Zeit hat Deichmann den revolutionären Umbruch in der Baudekoration der
Hauptstadt mit den Dekorationsformen der Polyeuktoskirche verbunden: Die Ausdeh­
nung der ä-jour-Arbeit auf die ganze Fläche des Kapitells, neue Formen und Komposi­
tionsprinzipien und die Übernahme von Motiven aus der Flächenkunst - auch aus
Arbeiten in Stuck und Opus sectile - sind entscheidende Vorstufen für die Baudekoration
der justinianischen Kirchen115.
Wo aber sind die Vorstufen für die ä-jour-Flächen116 der Kapitelle in der Polyeuktos­
kirche und wie entstanden die Muster und Musterkombinationen, die das Gesamtbild in
113 Deichmann, Studien 49/51. of St. Polyeuktos and SS. Sergios and Bakchos in
114 Ebd. 46/9; Betch 239/41. Constantinople during the 520’s« ist irreführend, weil
115 Deichmann, Pilastri (s. o. Anm. 87) 85f weist darauf diese Technik bei den Blattkränzen spätrömischer
hin, daß die Dekorationsformen der Polyeuktoskirche Kapitelle wie auch Blattfriesen und -ranken häufig
»non hanno una tradizione nella decorazione del angewandt wurde. Da das seitliche Blattwerk so oft
capitello, corinzio o composito o ionico«, und disku­ hinterarbeitet war, blieben viele Stücke des 3. und
tiert die Herkunft der neuen Dekorationsprinzipien. frühen 4.Jh. so schlecht erhalten. Die ä-jour-Technik
Doch er läßt offen, ob die ionischen Kämpferkapitelle im Kapitellkragen der Kapitelle der Studiosbasilika
in S. Marco kurz vor oder erst nach 524/527 entstan­ und im dortigen Gebälk steht in kleinasiatischer Tradi­
den, d. h. inwieweit die ä-jour-Flächenmuster der Poly­ tion (s. Deichmann, Pilastri 86). Wenn wir fragen,
euktoskirche ihre Vorstufe im Vorangehenden haben warum es so lange gedauert hat, bis in der Hauptstadt
(ebd. 85). In einem Aufsatz, in dessen Mittelpunkt die nicht nur in Blattreihe oder Fries, sondern auf der
Füllhom/Maskenkapitelle in Damaskus und Konstanti­ Fläche des Kämpfers und Kämpferkapitells diese Tech­
nopel stehen, werde ich versuchen nachzuweisen, daß nik angewandt wurde, so wird bewußt, daß die Bil­
sie wie auch zB. die von N. Firatli, Deux chapiteaux dung von Motivfeldem und Musterkombinationen
rares ä decoration animale trouves ä Istanbul: sowie die Entwicklung des Kämpferkapitells in ihrer
CahArch 23 (1974) 41/6 Abb. 1/3 publizierten Stücke Verflechtung die primären Vorgänge sind, denen sich
vor 524 entstanden und also in ihrer Gesamtform wie die »Technik« zuordnet. D. h. die Hinterarbeitung ist
in ihren Dekorationsformen Vorstufen der Polyeuk- das optimale Mittel für die Lösung einer Musterebene
toskapitelle sind. S. auch S. 90f. vom Grund und starken Hell-Dunkelkontrast, doch
116 Die Behauptung von Betch 246 »The formulation wurde mit dem Tiefschnitt, wie er sich zB. auf dem
of the ä jour technique occurs initially on the capitals Kämpfer in Nea Anchialos findet (s. S. 88), dieselbe
84 Christine Strube

den justinianischen Kirchen bestimmen und sich nur zu einem Teil auf den bis jetzt in das
letzte Viertel des 5. und die ersten Jahrzehnte des 6. Jh. datierten Kapitellen finden? Die
Frage hängt eng zusammen mit dem Befund der normalen und kompositen korinthischen
Kapitelle im 6. Jh., die den Einfluß der ä-jour-Technik zeigen, aber an die traditionellen
Gliederungsprinzipien gebunden bleiben117.

6. Formen des Akanthus in Konstantinopel

In Syrien geht der Prozeß der Auflösung des Akanthus von den in spätrömischer Zeit
weit verbreiteten korinthischen Kapitellen mit tief schattenden, die Blattfläche teilenden
und einzelne Elemente spaltenden Negativrillen aus. Dagegen finden sich auf den
Kapitellen der Hauptstadt mit ihren so unterschiedlichen Akanthusformen in der Regel
die bis auf den Grund durchgezogenen Negativrillen nicht. Die Akanthusform auf den
Kapitellen der Vorhalle der theodosianischen Hagia Sophia118 verbindet bei aller Gegen­
sätzlichkeit die flache, fast schattenlose Ausbildung der Blattfläche. Hier wie bei den
anderen korinthischen Kapitellen der Hauptstadt119 schließen sich die Blätter beider
Kränze in durchgehender Spitzenberührung zusammen, und nicht der Blattypus mit
seinen tief und scharf oder flach und breit gekerbten Formen ist das Bestimmende,
sondern das Gliederungsschema einer zusammenhängenden Omamentfläche120. Es bleibt
gebunden an den traditionellen Aufbau des korinthischen Kapitells, doch ist mit ihm
schon früh das Prinzip der ununterbrochenen Musterebene gegeben. Diese in den
hauptstädtischen Werkstätten neben dem feingezahnten Akanthus das ganze 5. Jh.
hindurch gearbeiteten Akanthusformen werden schon in der zweiten Hälfte des Jahrhun­
derts umgebildet, nachdem sie über Jahrzehnte hin fast unverändert wiederholt wurden.
Wohin diese Weiterbildung führt, zeigt ihr Verhältnis zum feingezahnten Akanthus des
5-Jh.
Es wird allgemein angenommen, daß sich mit dem feingezahnten Akanthus die
Auflösung der traditionellen Blattform verbindet, daß »ganze, noch ungeteilte Blattlap­
pen« in kontinuierlicher Entwicklung gespalten und immer weiter unterteilt werden121. Es

Wirkung erstrebt und in den auf ihn folgenden Jahr­ Verhältnis zu den Formen des 2. bis frühen 4.Jh.
zehnten durch ä-jour-Technik dann intensiviert. besser als die Angaben von Kautzsch. In der Haupt­
117 ZB. Corpus S. Marco nr. 558. 565; E. Kitzinger, A stadt kennen die dreifach unterteilten Blattlappen des
survey of the Early Christian town of Stobi: DumbO- einfachen Blattes die Bohrlochreihen in der Achse des
Pap 3 (1946) Abb. 130; Deichmann, Ravenna Tafelband mittleren Blättchens und auch die Tendenz, mit ihnen
Abb. 304; Betch Abb. 91. 92. zu gliedern und zu akzentuieren, sie bleiben jedoch
118 A. M. Schneider, Die Grabung im Westhof der Muster der hellen Blattfläche und fuhren wie beim
Sophienkirche zu Istanbul (Berlin 1941) Taf. 12,2; 14,2; Doppelblatt nicht zur Spaltung, d. h. die vereinfachte
16,5; 25. Der große Abstand im Können der Steinmet­ Grundform der spätrömischen Kapitelle wird nicht
zen ist wichtig für die Situation in der Hauptstadt. weitergehend zergliedert, sondern die Bewegung der
119 Neben den zahlreichen Zistemen-Kapitellen s. vor einzelnen Blattelemente durch Spitzenberührung in­
allem die Kapitelle der großen Säulen: Betch Abb. nerhalb des Blattes und durch Dehnung und Längung
133. 134; Brenk Abb. 104b; C. Mango, Byzantinische einzelner Zacken verändert. Halbblätter auf Kämpfern
Architektur (Stuttgart 1975) Abb. 55. und Kämpferkapitellen (zB. Kitzinger, Survey Abb. 133
120 Deichmann, Studien 63/9. und das Doppelkapitell aus der Basilika C von Nea
121 So Kautzsch 126/40 und Kramer 44/8 von der Anchialos: P. E. Lazarides: Praktika 1970 Taf. 52a) ent­
Darstellung bei Kautzsch ausgehend und unklar in den stehen aus bestimmten Formen der Eckblätter, aus
Bemerkungen zu den römischen Kapitellen mit feinge­ der Rahmung von Mittelmotiven und aus der Schich­
zahntem Akanthus. Die kurze Analyse dieser Blatt­ tung einzelner Blätter.
form bei Weigand (s. o. Anm. 29) 39/41. 54 trifft das
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 85

wird dabei übersehen, daß diese Blattformen noch im 6. Jh. zu Kapitellen des 8. und
frühen 4. Jh. zurückführen und nicht die Teilung und Spaltung, sondern die Rahmung von
Einzelelementen und ihre Isolierung in dunklem Grund die Entwicklung des feingezahn­
ten Akanthus in Konstantinopel bestimmten. Dieser Vorgang ist grundlegend für die
Ornamentik der justinianischen Kämpferkapitelle und Voraussetzung zum Verständnis
der ä-jour-Musterkombinationen. Da ich ihn anders sehe als Kautzsch, sei hier ausführ­
licher darauf eingegangen.
Die Kapitelle der zweiten Hälfte des 2. und des 3. Jh. kennen einzelne Varianten des
feingezahnten Akanthus, die alle verschiedene Stufen des Arbeitsprozesses darstellen und
darum auf einem Kapitell nebeneinander auftreten können: Tiefschattende Negativrillen,
die das Blatt zergliedern, Blattabschnitte vom Mittelsteg lösen und sie aufteilen122 (Taf.
18d. e); nur flach und breit gekerbte oder gebuchtete Blattlappen ohne Negativrillen,
zurückhaltend in der Zergliederung des Blattes123; ein System von Bohrlochreihen, in dem
sich der Blattorganismus verliert, da sie die Umrisse der Einzelelemente so definieren, daß
diese senkrecht zur Blattmitte stehen und in vielfacher Unterteilung gleichsam neben ihr
erscheinen124; tief gebuchtete, sich überlagernde Blattlappen, deren Formen wie »wind­
geblasen« wiedergegeben werden125 (Taf. 18d).
Die so verschiedenen Formen verbindet die mehr oder weniger auf Hell-Dunkeleffek­
te gehende Umrißzeichnung. Ob die Blattelemente nur unregelmäßig ausgefranst oder
gleichmäßig gezackt sind — sie sind immer so umrissen, daß sie sich gegen die
Nachbarform klar abgrenzen (Taf. 18d. e). Den Bohrlochreihen kommt hier eine
Bedeutung in der Bestimmung der Außenform und des Zwischenmusters zu, die der
Grund dafür ist, daß sie selten in der Blattfläche erscheinen, und das heißt, daß in der
Regel nur flache Kerbung bei feingezahnten und tiefe Negativrillen bei ausgefransten oder
weit gezackten Blättchen auftreten. Die tiefen Einschnitte bei den feingezahnten Blattlap­
pen, die diese in mehrere Teilblättchen zergliedern, führen dazu, daß sich die Einzelele­
mente nur noch im Bewegungsschema zusammenfugen. In der Ranke oder im Fries geht
diese Auflösung der Einzelformen weiter als auf den Säulenkapitellen.
Die ersten erhaltenen Säulenkapitelle mit feingezahntem Akanthus in der vor 454
vollendeten Studiosbasilika gehen schon in dem Verzicht auf teilende und ablösende
Negativrillen und der Kombination von Bohrlochreihen im Blattumriß und in der
Blattfläche über die Formen des 3. und frühen 4. Jh. hinaus126. Die Bohrlochreihen im
Blattinneren werden zwar nicht auf die Blattmitte zugeführt, und einzelne Blatteile stehen
somit auch hier fast senkrecht neben ihr, aber sie werden nicht abgelöst, da die
Bohrlochreihen als Punktmuster in heller Fläche erscheinen. Das Blatt ist eine einheitliche
Omamentfläche mit ausgeprägten Hell-Dunkeleffekten und wirkt geschlossen im Gegen­
über zu Formen des 3. und frühen 4. Jh., weil die großen Bögen der Bohrlochreihen sich
nicht gegen den Mittelsteg des Blattes wenden127, sondern rahmend das Innenblatt vom
äußeren Blattkranz trennen.

122 ZB. Weigand Taf. V,3. 6 und 46 Abb. 8; Kautzsch 126 Kramer Abb. 8. 9. 15/9. Zur Datierung der Kirche s.
Taf. 26A. C. Mango, The date of the Studius Basilica at Istanbul:
123 Weigand Taf. V,5; Mansel (s. o. Anm. 95) Abb. 225. Byzantine and Modem Greek Studies 4 (1978) 122/
289. 342; Kautzsch nr. 371. 55.
124 Weigand Taf. V,6; Kramer Abb. 5. 127 Kramer Abb. 5.
125 Weigand 46 Abb. 8; Niemann (s. o. Anm. 95) 75
Abb. 94.
86 Christine Strube

Es wurden bis jetzt keine Ranken oder Friese mit feingezahntem Akanthus aus
Profilfolgen des 5. Jh. bekannt, doch ist anzunehmen, daß der Befund des theodosiani-
schen Propylons der Hagia Sophia und der Studiosbasilika nicht das gesamte Repertoire
der ersten Hälfte des 5. Jh. wiedergibt. Die Ranken im Gebälk der Studiosbasilika128
ergänzen die Aussage des feingezahnten Akanthus: Ihr spitz und lang gezahnter Akanthus
mit den tiefen, nicht bis auf den Grund durchgezogenen Rillen und den Punktmustem in
der Mitte der Blattlappen erinnert in Einzelformen an ältere Ranken mit feingezahntem
Akanthus: Die beiden Hälften der Ranken lösen sich voneinander in Gegenbewegung, da
die Zacken gegen die Mittelrille geführt werden.
Die Weiterbildung des feingezahnten Akanthus in der zweiten Hälfte des 5. Jh. ist an
den nach Griechenland exportierten Kapitellen zu beobachten. In der Acheiropoietos läßt
sich zwar feststellen, daß gegenüber der Studiosbasilika die Abstufung der Reliefschichten
bei den Doppelblättem weiter zurückgenommen wurde und bei einzelnen Kapitellen die
Umbildung des inneren Blattes zu einem kleinen Blattgeäst beginnt129130 *, doch die für die
Folgezeit wichtigsten Veränderungen zeigen die Kapitelle der Lechaion-Basilika und der
Basilika A in Nea Anchialos (Taf. 19c. d. 20a): Einige Kapitelle in Korinth, die nach den
bisherigen Berichten der ersten Bauphase der Kirche zuzurechnen sind180, wählten das
einfache Blatt für beide Blattkränze. Die Blattlappen sind, wie oft bei Kapitellen des 3. Jh.,
durch Einschnitte in Einzelblättchen unterteilt. Bei einem Kapitell (Taf. 19c) berühren sich
die Spitzen der inneren Blättchen übereinanderliegender dreigeteilter Blattlappen und
schließen so ein Innenblättchen ein und isolieren es in dunkler Grundfläche. Bei den
beiden anderen Kapitellen (Taf. 19d) sind die unteren Blattlappen zweigeteilt, der
Innenzacken des äußeren Blättchens schwingt zur Blattmitte ein und umschließt ebenfalls
ein Innenblatt. Diese Variante zeigen untere und obere Blatteile eines Kapitells in
Konstantinopel181. Wie das zweigeteilte Blatt der letztgenannten Kapitelle entstand,
verdeutlichen die Kapitelle in der Basilika A von Nea Anchialos. Ein Blick auf das Kapitell
von Antalya (Taf. 18d) macht klar, daß es für die Isolierung von Einzelformen zwar
Vorstufen im 3. Jh. gibt, in den älteren Kapitellen jedoch keine geschlossenen Motivfelder
durch Rahmung geschaffen wurden.
Die Kapitelle der Basilika A führen in ihrem Gesamtbefund entschieden über die der
Lechaion-Basilika hinaus - wie weit, das läßt sich erst sagen, wenn die Endpublikation des
Baus von Korinth vorliegt. Leider blieben nur wenige der kompositen korinthischen
Kapitelle aus dem Untergeschoß erhalten182. Zwei unter ihnen kombinieren einfache
Blätter mit Doppelblättem188. Die Rahmung von ein oder zwei Blättchen ist besser

128 D. T. Rice/M. Hirmer, Kunst aus Byzanz (München 131 Rice/Hirmer Taf. 32 oben.
1959) Taf. 15 oben. 132 G. A. Soteriou: Ephemeris 1929, 36 Abb. 40; 58
129 Kautzsch nr. 431. 432; Kramer Abb. 20/2. Die Abb. 59; 59 Abb. 60; Kautzsch 130.
Dekorationsformen der Acheiropoietos würden einer 133 Soteriou: Ephemeris 1929 Abb. 58. 59. In Abb. 58
Datierung in die Jahre 470/90 - Dazu s. Sodini , ist zu beobachten, daß die kleinen Blättchen des
Ambon (u. Anm. 167) 510 - nicht widersprechen, da Doppelblattes schon die Verstärkung des unteren Zak
sowohl die Blattgeäste wie der feingezahnte Aktanthus kens aus dem einfachen Blatt übernommen haben,
zwischen Studiosbasilika und Basilika A stehen. d. h. das Hervorheben eines Motivs durch Führung
130 P. E. Lazarides: Praktika 1960 Taf. 129a; D. I. Pal­ der Zacken im Inneren eines Blattes fuhrt zur Verän­
las: ebd. 1958 Taf. 101b (Lechaion-Basilika; unsere derung auch dieses Blattypus. Vgl. die Studioskapitelle
Taf. 19d); ders.: ebd. 1959 Taf. 114c (Lechaion- Kramer Abb. 19/25, die noch die gleichmäßig gezack­
Basilika), sowie das Kapitell im Lapidarium der ten Blättchen haben.
Georgskirche von Saloniki bei R. Fariou, I capitelli
paleobizantini di Salonicco: CorsiRavenna 11 (1964)
153 Abb. 3.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 81

gelungen als in dem vorangegangenen Kapitell (Taf. 19c), denn nur noch der Innenzacken
des mittleren Blättchens schwingt nach innen ein und der untere Zacken des oberen
Blatdappens greift weit aus, um die unteren Blättchen zu überdachen. Da seine
Innenzacken zur Blattmitte einschwingen, um sich über dem Innenblättchen zu schließen,
verselbständigt sich der lange untere Zacken und deutet schon die nächste Etappe, die
Spitzenberührung benachbarter Blatteile, an134. Es muß offen bleiben, ob sie schon auf
den Säulenkapitellen durchgeführt wurde, oder ob der Kämpfer des Tribelons135 hier als
Flächendekoration den Säulenkapitellen voranging.
Die Zweizonenkapitelle des Tribelons136 und die Kämpfer über ihnen (Taf. 20a) lassen
erkennnen, daß die Verbindung von feingezahntem und großgezacktem Akanthus auf
den Kapitellen der Seitenschiffe kein Zufall ist137: Die Kombination der verschiedenen, in
der Studiosbasilika noch übereinander erscheinenden Blattformen in einem Blatt und die
Umbildung der Hauptformen durch Verschmelzung der einzelnen Akanthusformen
miteinander ist ein Charakteristikum der Kapitelle im Kircheninnem wie im Atrium der
Basilika A. Feingezahnter Akanthus mit flach gekerbter oder ganz flacher Blattfläche, mit
und ohne Bohrlochreihen, wird nicht nur auf Kapitellen und Gebälken variiert, sondern in
einzelnen Fällen in einem Blatt kombiniert138. Darüber hinaus ist bei den Pfeilerkapitellen
des Atriums139, den Doppelkapitellen der Apsis140 und den ionischen Kämpferkapitellen
der Emporen141 die Tendenz zu beobachten, die breit gezackten und gekerbten Akanthus­
formen den spitz und lang gezackten sowie feiner unterteilten Blattformen anzugleichen,
um so den Kontrast von dunkler Grund- und heller Omamentfläche zu verstärken. Das
wichtigste Stück auf diesem Wege zur durchgehenden ä-jour-Omamentfläche ist der
Kämpfer (Taf. 20a) des Tribelons142. Auf ihm wurde ein durchgehendes Flächenmuster vor
im Tiefendunkel kaum faßbarem Grund geschaffen. Spitzenberührung aller benachbarten
Blätter, die aus den Kapitellen bekannten kleinen Motivfelder und die schon aus den
Formen des feingezahnten Akanthus bekannten schlingenförmig laufenden Bohrlochrei­
hen gehen hier eine enge Verbindung ein. Der Akanthus dieser Blattzweige ist nicht
feingezahnt und entspricht auch nicht genau den kleingezackten Formen der Ranken im
Gebälk der Studiosbasilika. In ihm gingen das feingezahnte und das kleingezackte Blatt
eine enge Verbindung ein, weil der Steinmetz die kleinen Motivfelder des kompositen
korinthischen Kapitells in die weit ausgreifenden, groß angelegten Blattformen des
Kämpfers eingebracht hat. Die einzelnen Blatteile übergreifen die Motivfelder, und mit

134 Zum Folgenden vgl. Kautzsch nr. 477; Kitzinger, engstem Zusammenhang mit der Hauptstadt zu
Tapestry (s. o. Anm. 30) Abb. 94; Herzfeld/Guyer (s. o. sehen. In der Basilika A arbeiteten, wenn ich dies
Anm. 55) Abb. 59; Sodini Abb. 13. Die Blattformen richtig sehe, lokale und städtische oder in der Haupt­
dieser Kapitelle sind erst nach der Basilika A gearbei­ stadt geschulte Steinmetzen nebeneinander, wie das
tet worden. Gesamtbild der ionischen Kämpferkapitelle zeigt (vgl.
135 Soteriou: Ephemeris 1929, 62 Abb. 65. Soteriou aO. Abb. 67/9 mit 72/3). Bei der Datierung
136 Ebd. Abb. 61. 62; Kautzsch 158. Der Kämpfer wird der Basilika A sollte auch bedacht werden, daß die
von Kautzsch nicht diskutiert, doch datiert auch er Basiliken B, C und D Kämpferkapitelle besitzen, also
früh — zwischen 480 und 500 (ebd. 77). Selbst wenn sichtlich später errichtet wurden.
der Kämpfer jedoch nicht über den Zweizonenkapitel­ 137 Soteriou aO. Abb. 59. 60.
len gesessen haben sollte, so kann doch nicht bezwei­ 138 Vgl. ebd. Abb. 61/2 und 76/7 mit 58/9; Abb. 66
felt werden, daß er zur selben Zeit entstand wie die mit Abb. 84/5; Abb. 73 mit Abb. 61/2.
anderen Kapitelle der Kirche. Sodini 50, der den Bau 139 Ebd. Abb. 57; Kautzsch 82.
viel später datiert (ebenfalls spät Betch 210. 220), hat 140 Soteriou aO. Abb. 72. 73.
den Übergangscharakter der Dekorationsformen nicht 141 Ebd. Abb. 67/70.
erkannt. Wenn die Kapitelle auch, wie Soteriou es sah, 142 Unsere Abbildung ist entnommen E. Kitzinger,
in lokalem Marmor gearbeitet sind, so sind sie doch in Byzantine art in the making (London 1977) Abb. 144.
88 Christine Strube

den so entstehenden Asymmetrien wird ein Bewegungsablauf geschaffen, der nicht mehr
zu spätantiken Ranken, Friesen oder Blattkränzen zurückfuhrt.
Die Komposition wie die Einzelformen dieses Kämpfers sind nicht nur Vorstufe für die
Musterkombinationen der Kapitelle in den justinianischen Hauptbauten143, sie lassen
zugleich verstehen, wie ihre Einzelmotive, ihre Bausteine entstanden sind: In immer
wieder variierter Form werden die Zacken einzelner Blatteile gegeneinandergefuhrt,
übergreifen oder schließen ein, lösen sich in Kreisbewegung aus dem Innern von Ranke
und Blatt und werden, wenn sie allein auftreten, von Rhombus, Flechtband etc. gerahmt.
Das Prinzip der Rahmung und der Verflechtung von Einzelformen ließ in Konstantinopel
neue, von antiker Tradition und ihren Bindungen unabhängige Dekorationsformen
entstehen.
In unserer Frage nach der Umbildung des Akanthus und der Auflösung der
traditionellen Gliederungsprinzipien auf Kapitellen fuhrt der Kämpfer aus Nea Anchialos
einen Schritt weiter: Durch die Spitzenberührung nicht nur innerhalb eines Blattes,
sondern nun auch benachbarter Blätter wird das Motivfeld erweitert, denn jetzt stehen
auch die Außenblättchen in dunkler Grundfläche und können neue Motivkombinationen
bilden. Der Kämpfer aus Nea Anchialos ist hier eine Übergangsstufe, die auf einigen
Säulenkapitellen Kleinasiens erhalten blieb144. Der Ambon derselben Kirche, der einige
Zeit nach der Baudekoration entstand145, zeigt die Spätstufe der Entwicklung: Sein
Blattypus steht den Tribelonkapitellen in der messerscharfen Bildung der Blattzacken und
der Ausdünnung der Fläche bei den seitlichen Blatteilen nahe. Bei durchgehender
Spitzenberührung entsteht ein geschlossenes Spitzenmuster, das jedoch in seiner Kompo­
sition direkt zu den Säulenkapitellen der Kirche zurückfuhrt146. Nicht die Führung der
Innen- und Außenzacken wurde verändert, sondern allein ihre Relieffläche zugunsten der
dunklen Grundmuster reduziert. Es handelt sich hier nicht um eine »verwilderte« Form
des feingezahnten Akanthus147, sondern um die letzte Etappe einer Entwicklung, die von
der Rahmung einzelner Motive ausgeht und die so entstehenden Motivfelder in einem
reich bewegten Flächenmuster miteinander verknüpft.
Der Gegensatz zwischen dem Prozeß der Rahmung und Isolierung von Einzelmotiven
sowie der Verknüpfung von Motivfeldem in durchgehendem Flächenmuster und dem
Prozeß der Auflösung und Spaltung in Syrien läßt sich am klarsten in den Dreiecksmu-
stem syrischer Kapitelle fassen (Abb. 1/5. 13. 14; Taf. 10a. d. 12a. 13a). Die dunkel
schattenden Dreiecke im Innern der Blattfläche wären in der Hauptstadt undenkbar, da
sie nicht allein helle Relief- gegen dunkle Grundfläche setzen, sondern mit der Gleichwer­
tung von Innenmuster und Zwischenmuster die Blattfläche in geometrisch-spitzwinklige
Einzelformen auflösen. In Konstantinopel wird das isolierte Element zuerst immer als
einheitliches kleines Ganzes gewertet, und die so entstehenden Motive erscheinen oft

143 H. Kähler, Die Hagia Sophia (Berlin 1967) Taf. 65. was mir zu spät erscheint. Ich werde in anderem
76. 77. Zusammenhang diese Stücke mit den in Anm. 169
144 S. O. Feld, Die Innenausstattung der Nikolauskir­ genannten von S. Marco diskutieren.
che in Myra: J. Borchardt (Hrsg.), Myra. Eine lykische 145 Soteriou: Ephemeris 1929, 87 Abb. 107. 114/26.
Metropole = Ist. Forsch. 30 (Berlin 1975) 360/9 und Ich datiere ihn gegen 530.
Taf. 114D; 115A. C. D; 117B. Die Kapitelle sind sicher 146 Vgl. Soteriou aO. Abb. 61. 62 mit Abb. 117. 118.
später als die der Basilika A, da hinter den Akanthus- Die überlängten Innenzacken der äußeren Blatteile
formen wohl die Asymmetrien dem Kämpfer von Nea schwingen immer noch zur Blattmitte ein und
Anchialos vergleichbarer Kapitelle stehen. Feld 363 umschließen das dortige Innenblättchen.
datiert Taf. 115A/D in das zweite Viertel des 6. Jh., 147 So Kautzsch 139.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 89

»naturalistisch« im Vergleich mit syrischen, weil die differenzierte Gestaltung der Blattflä­
che beibehalten und, wie wir sehen werden, im 6. Jh. sogar noch gesteigert wird.
Es bleibt zu fragen, wie sich die zeitliche Abfolge der griechischen Basiliken rekonstru­
ieren läßt. Da wenige Dekorationsstücke der Lechaion-Basilika148 erhalten blieben und
wohl erst ein Teil davon publiziert ist, kann zwar gesagt werden, daß das bis jetzt
Bekannte der Kirche von Nea Anchialos vorausgeht, doch muß noch offen bleiben, ob die
fortgeschrittenen Kapitelle des Innern schon gegen 470/80 oder erst gegen 490 gearbeitet
wurden. Die Dekorationsformen der späteren Kirche überschneiden sich zwar teilweise
mit denen der Lechaion-Basilika, gehen aber in der Kombination verschiedener Blattfor­
men, der Weiterbildung des feingezahnten Akanthus, der Aufnahme von Zweizonen-
Pilasterkapitellen, der Existenz von Varianten des korinthischen Kapitells und der
Weiterbildung des ionischen Kämpferkapitells über diese hinaus. Die Blattranken auf den
Seitenflächen der Emporenkapitelle mit ihrer Kombination verschiedener Blattypen im
Wechsel mit Rosetten, die Form der dortigen Doppelranken, die sich in feingezahntem
Akanthus auf den Doppelsäulen der Apsis wiederholt149, zeigen eine Austauschbarkeit
verschiedener Elemente der Flächenkunst, die sich mit den Pfeilerkapitellen der Moschee
Hallewiyye vergleichen läßt. Für die Datierung wichtig ist eines der Kapitelle mit
Schmetterlingsakanthus in Ravenna, das zwischen 494 und 519 entstand150. Es beweist,
daß in Werkstätten der Hauptstadt in dieser Zeit verschiedene Formen in einem Blatt
kombiniert wurden. Wenn wir bedenken, daß die Säulenkapitelle von Nea Anchialos nur
einen Schritt über die der Lechaion-Basilika hinausfuhren und der in der Weiterbildung
des feingezahnten Akanthus wie der Bildung von Flächenmustem zukunftsweisende
Kämpfer einen experimentellen Charakter hat, so ist die Datierung in das letzte Jahrzehnt
des 5., spätestens den Beginn des 6. Jh. gerechtfertigt.
Bevor ich zu den ersten Jahrzehnten des 6. Jh. übergehe und damit zu der Platte aus
Daphne, den Stücken des Rundbaus vom Myrelaion und den Platten aus S. Marco
zurückkomme, sei an dieser Stelle auf zwei Stücke der Hauptstadt eingegangen, die für die
Situation in der zweiten Hälfte des 5. und des frühen 6. Jh. besonders wichtig sind: den
Kämpfer aus dem Atrium der Studiosbasilika151 (Taf. 20b) und das Säulenkapitell vom
Vortor der Porta Aurea152.

Der Kämpfer der Studiosbasilika fuhrt in seiner Gesamtform entschieden über die
ionischen Kämpferkapitelle der Emporen hinaus (Taf. 20b). Er verbindet feingezahnten

148 Zu dem Bau zuletzt D. Pallas, Les monuments Weiterbildung des feingezahnten Akanthus der Stufe
paleochretiens de Grece decouverts de 1959 ä 1973 von Nea Anchialos voraus. Bei der Gegenüberstellung
(Cittä del Vaticano 1977) 165/70. Pallas 171 sagt zur von geradem und windbewegtem Akanthus ist zu
Datierung: »Le corps de l’eglise a ete fonde entre 450 beachten, daß letzterer seinem Charakter nach die
et 460 environ et acheve entre 490 et 500«. Es ist Bildung von Motivfeldem zwischen den Blättern
jedoch ungewiß, ob wir für die Arbeit der Kapitelle zurückhaltend aufnimmt, doch Kontraste der Blattflä­
einen so großen Zeitraum in Anspruch nehmen kön­ chen verstärkt.
nen. Der Abstand zwischen den Kapitellen der Seiten­ 151 Die Vorderansicht bei Betch Abb. 86. Ich danke
schiffe (Brenk Taf. 167a) und denen des Transeptes (s. Urs Peschlow für detaillierte Auskunft zum Stand der
Anm. 130) ist zwar unübersehbar, doch würde ich Untersuchungen in der Kirche und vor allem seine
vorläufig die ersteren 460/70 und die letzteren nicht Kapitellphotos, die die Grundlage für das hier Vorge­
nach 490 datieren. Hier ist die Endpublikation abzu­ tragene bildeten. Für das Photo des Kämpfers danke
warten. ich dem Direktor des Bode-Museums, Herrn A. Effen-
149 Soteriou aO. Abb. 67/9. 72. 73. berger.
150 Deichmann, Ravenna 2,2, 328 und Abb. 58, sowie 152 S. Anm. 105. 111.
ebd. 1 Abb. 36. Die Kapitelle dieser Gruppe setzen die
90 Christine Strube

mit groß gezacktem und breit gekerbtem Akanthus und verknüpft die Blattformen auf der
Stirnseite durch Spitzenberührung. Vergleichen wir das Flächenmuster und seine Einzel­
formen mit dem Apsisfensterkapitell und dem Tribelonkämpfer der Basilika A (Taf. 20a),
dann treten die Gemeinsamkeiten in der Kombination der verschiedenen Blattformen
hervor, und zugleich wird bewußt, daß in Nea Anchialos intensiver die Umbildung der
Einzelform und die Abdunkelung des Grundes durch Tiefschnitt auch auf den Seitenflä­
chen angestrebt wird. Besonders aufschlußreich ist die Form der seitlichen Blattgeäste auf
dem Studioskämpfer, die zu einer Gruppe ionischer Kämpferkapitelle in S. Marco153
überleitet, die dem Kämpfer so nahe stehen, daß ein Werkstattzusammenhang angenom­
men werden kann.
Die Kapitelle in S. Marco wiederholen das System der Spitzenberührung zwischen
breit gezackten und feingezahnten Formen der Stirnseite, die Form des Blattüberfalls und
die Grundform der Eckblätter, führen jedoch in der Ausbildung von Motivfeldem auf der
Stirnseite und ihrer Verbindung mit übergreifenden Blattgeästen auf den Seitenflächen
entschieden über den Kämpfer hinaus. Die Art der Musterkombination dieser Kapitelle
scheint mir vor dem Tribelonkämpfer in Nea Anchialos nicht denkbar. Die Frage ist,
inwieweit der zeitliche Abstand zwischen den ionischen Kämpferkapitellen mit dem ä jour
gearbeiteten ionischen Teil und dem Stück der vor 454 vollendeten Studiosbasilika
rekonstruiert werden kann.
Die zweigeteilten Seitenflächen des Kämpfers mit ihren ungeglätteten Mittelstreifen
(Taf. 20b) weisen darauf hin, daß das Stück nicht über den Säulenkapitellen der
Atriumshallen saß, sondern zu einem Fenster oder einem An- oder Vorbau gehörte. Es ist
noch nicht geklärt, wie die Säulen und Kämpfer der Portiken aussahen. Wenn wir jedoch
von den ionischen Kämpferkapitellen dieser Kirche sowie den entsprechenden Stücken
der Acheiropoietos und der Lechaion-Basilika154 ausgehen und bedenken, daß in keinem
der bis jetzt bekanntgewordenen Fälle die Kapitelle des Atriums aufwendiger sind als die
Emporenkapitelle des Innern, dann ist bis auf weitere Untersuchungen im Atrium der
Studiosbasilika der Kämpfer als Einzelstück zu diskutieren. Kann er sicher der ersten
Bauphase der Kirche zugewiesen werden, und das heißt, können wir annehmen, daß er in
seiner fortgeschrittenen Gesamtform, der Kombination verschiedener Blattformen und
ihrer Verknüpfung durch Spitzenberührung die Spätstufe der Dekorationsformen des
Baus und die Vorstufe für die Apsiskapitelle von Nea Anchialos darstellt?
15S Corpus S. Marco nr. 173. 178. 179. 186. 187. 196. silika, Acheiropoietos, Lechaion-Basilika) entwickelt,
197. 204 und bes. S. 56. Den Zusammenhang dieser sondern hat seine Voraussetzung in Formen wie
Kapitelle mit dem Studioskämpfer hat schon O. denen der Basilika A, da die Bildung von Motivfeldem
Wulff, Altchristliche und byzantinische Bildwerke vom feingezahnten Akanthus ausgeht. In Istanbul
(Berlin 1909) 54f gesehen. Zu verwandten Stücken in finden sich die engsten Parallelen für den Studios
Kaiseri und Sivas s. O. Feld, Bericht über eine Reise kämpfer in der Zisterne nr. 9 (s. Betch Abb. 12. 13. 15.
durch Kilikien: IstMitt 13/14 (1963/64) Taf. 43, 4. 5. 16). Diese Stücke und die reich geschmückten Kämpfer
Deichmann, Pilastri (s. o. Anm. 87) 85 hält es für in der Demetrioskirche von Saloniki (s. vor allem
möglich, daß diese Stücke kurz vor, zur selben Zeit Sodini Abb. 35) müssen in die Diskussion des Studios­
oder kurz nach den Kapitellen der Polyeuktoskirche kämpfers mit einbezogen werden. Die Kombination
entstanden. Die Musterkombinationen der Seitenflä­ verschiedener Blattypen und unterschiedlicher For­
chen zeigen, daß das Übergreifen von Motivfeldem men des feingezahnten Akanthus sowie die Ausbil­
und die fließende Bewegung in Spitzenberührung dung der Blattgeäste und Rankenmotive ist von der
zusammengefiihrter Blattformen (hier Taf. 20a) auf zweiten Hälfte des 5. bis in die ersten Jahrzehnte des
den breit gekerbten und gezackten Blattypus, eine der 6. Jh. zu verfolgen.
Hauptformen des 5. Jh., übergingen. Dieses Flächen­ 154 Kautzsch nr. 540a. b; Kramer Abb. 21. 22 (Acheiro­
muster wurde, wie der Befund im 5. Jh. zeigt, nicht poietos); Brenk Taf. 167b.
aus den Blattformen der Emporenkämpfer (Studiosba­
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 91

Die Kombination des feingezahnten Akanthus mit anderen Blattformen findet sich auf
Kapitellen des fortgeschrittenen 2. und des 3. Jh.155. Es ist also denkbar, daß in
Konstantinopel schon vor der Mitte des 5. Jh., im Rückgriff auf Älteres oder aus
ununterbrochener Tradition heraus, Stücke wie dieser Kämpfer gearbeitet wurden, und
daß von ihnen die Kombination des Verschiedenen in der Baudekoration des fortgeschrit­
tenen 5. Jh. ausging. Die Akanthusformen des Kämpfers entfernen sich in Einzelzügen von
den Säulenkapitellen: Bei den Doppelblättem wurde die Abkantung des äußeren gegen
das innere Blatt zurückgenommen und die Rahmung des Innenblattes durch kleinere
Unterteilung seiner nach außen gewandten Zacken stärker betont155 156. Es ist eine Umbil­
dung, die noch auf den ionischen Kämpferkapitellen von S. Marco wiederholt wird. Wenn
der Kämpfer vor 454 entstand, dann wäre mit ihm eine Gesamtform vorgegeben
gewesen, die bis zu den letzten Jahrzehnten des 5. Jh. nicht auf die ionischen Kämpferka­
pitelle übertragen wurde, ein Flächenmuster, das erst etwa 30 Jahre später in Nea
Anchialos weitergebildet wurde, und eine Form des Doppelblattes, die mindestens 50
Jahre lang fast unverändert blieb. Unsere bisherige Kenntnis der hauptstädtischen
Baudekoration des 5. Jh. macht diese Frühdatierung problematisch. Sollte sie durch Funde
im Atrium der Studiosbasilika bestätigt werden, so wären die hier vorgeschlagene
Datierung der Basilika A von Nea Anchialos und die Entwicklung des ionischen
Kämpferkapitells erneut zu diskutieren. Nach dem jetzigen Stand der Untersuchungen in
der Studiosbasilika schlage ich vor, den Kämpfer nicht vor 454, sondern eher gegen
470/80 zu datieren. Die Beziehungen zwischen ihm, dem Tribelonkämpfer der Basilika A
und den Kapitellen von S. Marco lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß letztere vor 520
und vielleicht schon gegen 500 gearbeitet wurden.
Eine Frühdatierung scheint mir aber auch bei den bis jetzt bekannt gewordenen
mehrzonigen Kapitellen mit Tieren in der oberen Kapitellzone nicht möglich. Auf allen
Kapitellen führen die Akanthusformen allgemein in die letzten Jahrzehnte des 5. Jh. oder
über die Säulenkapitelle der Basilika A hinaus157. Eine besondere Stellung in der
Weiterbildung des feingezahnten Akanthus nehmen die gerahmten Blätter ein, die auf
einigen Kapitellen dieses Typs auftreten158. Die Rahmung hat ihre Vorstufen in dem
Pfeifenfries mit feingezahntem Akanthus, wie er sich in Spalato findet, und in einer
bestimmten Form des Doppelblattes auf Kapitellen des frühen 3. Jh.159. Doch die

155 Vgl. Anm. 95 und s. besonders in der dort genann­ Führung der Negativrillen hier und der gestelzte Blatt­
ten Arbeit von Hopfner die Taf. 22 a/d. fuß dort sind Einzelformen, die in die ersten Jahrzehn
156 Der breit gezackte Akanthus verbindet das von te des 6. Jh., frühestens das ausgehende 5. Jh. verwei­
den aufgebogenen Innenzacken gebildete Augenmotiv sen. Das Kapitell des Berliner Museums (O. Wulff,
mit pfeilspitzenartigen Zungenblättchen. Diese erha­ Altchristliche und byzantinische Kunst 1 [Berlin 1914]
ben gearbeiteten Blättchen sind wohl von der Basis Abb. 259) verzichtet zwar auf die Spitzenberührung,
des unteren Blattkranzes (s. Kramer Abb. 19) in die doch ist dem Mittelmotiv zwischen den Blättern die
ganze Blattfläche übergegangen (vgl. den Ansatz dazu oben beschriebene Motivbildung vorausgegangen.
bei den Emporenkapitellen, Kautzsch nr. 540b) und 158 S. Kautzsch nr. 443. 447. 449; Deichmann, Ravenna
bilden in der ausgeprägten Form, wie sie der Kämpfer Tafelband Abb. 299.
zeigt, eines der Hauptmotive auf den Kapitellen der 159 S. Niemann (o. Anm. 95) 75 Abb. 95; V. Scrinari, I
Hagia Sophia (s. Betch Abb. 88. 93). capitelli romani di Aquileia (Aquileia 1952) nr. 80. Vgl.
157 Das Kapitell der Porta Aurea (Brenk Taf. 104d) die Formen der gerahmten Palmetten im Propylon
fuhrt in die Nähe der Pseudokapitelle auf den westli­ der theodosianischen Hagia Sophia (Schneider [s. o.
chen Vorlagepfeilem der Demetrioskirche (Soteriou, Anm. 118] Taf. 23,1) und den Rückgriff auf vergleich­
Demetrioskirche 2 Taf. 40b; hier Taf. 20d), und dassel­ bare spätrömische Formen in der Phiale der Basilika A
be gilt für das Kapitell des Mahdia-Schiffunds (Deich­ (Soteriou: Ephemeris 1929, 39 Abb. 42). Deichmann,
mann, Entstehung [s. o. Anm. 110] Taf. Hb). Die Ravenna 2,2, 105 schließt sich Kautzsch an und datiert
92 Christine Strube

Blattform auf Kapitellen und Gesimsen des 6. Jh. setzt die Umbildung des Doppelblattes,
wie sie an den Kapitellen der Acheiropoietos und der Basilika A von Nea Anchialos zu
beobachten ist, voraus. Wir hätten also zumindest für einen Teil der Kapitelle vom
Porta-Aurea-Typus einen Hinweis darauf, daß sie wohl erst in den ersten Jahrzehnten des
6. Jh. gearbeitet wurden160.

Wir kommen zurück zur Analyse des feingezahnten Akanthus und seiner Weiterbil­
dung nach den letzten Jahrzehnten des 5. Jh. Aufschlußreich für die Jahrzehnte nach der
Basilika A sind die Pseudokapitelle und Kämpfergesimse der westlichen Vorlagepfeiler
und des Tribelons in der Demetrioskirche von Saloniki (Taf. 20c)161. In den Blattffiesen der
Gesimse klingt die asymmetrische Komposition des Tribelon-Kämpfers von Nea Anchialos
noch nach (Taf. 20c). Die Platten in der Form von Zweizonenkapitellen führen nicht in
ihrer Gesamtform, doch in ihrer Dekoration über die entsprechenden Stücke der Basilika
A hinaus (Taf. 20c): Bei den Doppelblättem wird nicht ganz klar, ob sie eine Vorstufe für
die gerahmten Blätter sind oder die Verbindung von Rahmenblättem und äußerem
Blattkranz darstellen. Doch eindeutig ist der Befund bei den anderen Blattreihen, die,
ausgehend von den Doppelranken der ionischen Kämpfer- und der Doppelkapitelle in der
älteren Kirche162, eine seltsame Blattform schaffen (Taf. 20c): Oberhalb des gespreizten
Blattfußes setzen nach oben und unten einschlagende Blattwedel an, oder dreigeteilte
seitliche Blattlappen schließen sich in wirbelnder Kreisbewegung zusammen. Während die
gestelzten Blätter mit ihrem ovalen Umriß an Formen der Polyeuktoskirche erinnern163,
sind die Blätter mit den Doppelwedeln die einzige mir bis jetzt bekannte Kombination von

die Entstehung der Form zwischen 460 und 490, geht zB. Stuckvorbilder akanthisiert und mit verschiedenen
aber auf die Vorstufen nicht ein. Ich datiere die Formen der Kerbung und Zackenbildung wie all­
genannten Kapitelle und das entsprechende Stück in gemein der Oberflächenmodellierung die traditionel­
Konstantinopel (Sodini Abb. 10) frühestens in das len Omamentformen verändert wurden, dann kann
letzte Jahrzehnt des 5. und eher in die ersten Jahr­ trotz aller Unterschiede das Gesamtbild der Polyeuk­
zehnte des 6. Jh., da hier die Wiederaufnahme einer toskirche als Fortsetzung eines in Nea Anchialos für
Blattform des 3. und frühen 4. Jh. mit einer bestimm­ uns zum ersten Mal faßbaren Prozesses der Umbil­
ten Stufe in der Weiterbildung des feingezahnten dung gesehen werden. Die Kapitelle mit Pinienzapfen
Akanthus zusammentrifft. aus frühjustinianischer Zeit (Corpus S. Marco nr. 471/6
160 S. o. Anm. 29. 111. u. a.) stehen in dieser Tradition und lassen zugleich
161 Soteriou, Demetrioskirche 2 Taf. 40. 41. erkennen, daß die dort herrschende »Technik« der
162 Soteriou: Ephemeris 1929 Abb. 67/9. 72/4. Rippenbildung in der H. Sophia nur noch ein Teil­
163 S. R. M. Harrison / N. Firatli, Excavations at Sara- aspekt im Gesamtbild ist. Es ist aufschlußreich, die
<;hane in Istanbul. Second and third preliminary »Blattstämme« der Stuckreliefs des südlichen Zwickel­
reports: DumbOPap 20 (1966) 223/38 Abb. 4. 5. Die raumes in S. Vitale, die den Kapitellen der Polyeuktos
Dekorationsformen der Polyeuktoskirche werden kirche nahe stehen (vgl. Deichmann, Ravenna 1 Abb.
nicht nur davon geprägt, daß aus anderen Gattungen 223 mit Corpus S. Marco nr. 639), in ihrer Oberflä­
Ornamente übernommen und in Stein übersetzt wer­ chenbehandlung mit den Marmorarbeiten zu verglei­
den, es wurden darüber hinaus auch in einer über die chen. In die Analyse der neuen Kompositionsprinzi­
Basilika A hinausführenden Intensität Akanthusfor- pien bei der Dekoration der Polyeuktoskirche sollte
men durch Angleichung an bestimmte Blattypen auch das Areobindus-Diptychon von 506 mit einbezo­
umgebildet. So führen zB. die großen Blattzweige des gen werden, da es in der Verbindung von Halbblät-
Kapitells in Barcelona (R. M. Harrison, A Constantino- tem und Rhombus, also flacher Leiste und Ornament,
politan Capital in Barcelona: DumbOPap 27 [1973] an die Pilaster der Kirche erinnert und zudem der
297/302 Abb. 1/3) mit den der Blattfläche aufgelegten Wandel im Ornament der Diptychen zur justiniani­
Rippen nicht zu den Hauptformen des Akanthus im 5. schen Zeit hin auf einen Zusammenhang mit der
Jh. zurück und auch nicht direkt zu vergleichbaren Baudekoration verweist (vgl. R. Delbrueck, Die Consu-
Formen auf Kapitellen des 2. Jh. (s. zB. v. Mercklin lardiptychen und verwandte Denkmäler [Berlin/Leip-
Abb. 612. 613), sondern wurden der Oberflächenform zig 1929] Taf. 14. 15. 31. 34. 42).
der Weinblätter angepaßt. Wenn wir bedenken, daß
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 93

Blatt und Wedel, die sich mit den Kapitellen in Syrien vergleichen läßt164 und zudem die
Platte aus Daphne mit dem engeren byzantinischen Bereich verbinden könnte. Wir
kommen zurück zu den Platten von S. Marco, den Stücken aus dem Rundbau vom
Myrelaion (Taf. 19b) und damit auch der Frage nach dem eventuellen Nebeneinander von
zwei »Trends« in der hauptstädtischen Baudekoration des 6. Jh.
Wir erkennen nun, daß die Platten des Rundbaus (Taf. 19b) nicht nur in der
Kombination verschiedener Blattformen und in der Verknüpfung durch Spitzenberüh­
rung, sondern auch in der Verbindung verschiedener Formen des feingezahnten Akan­
thus in einem Blatt zu Dekorationsformen wie denen der Basilika A von Nea Anchialos
zurückführen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese Stücke des späten 5. oder frühen 6. Jh.
wie die Fragmente von Inkrustationsplatten, die Soteriou publiziert hat165, die intensive
Wiederaufnahme spätantiker Formen des feingezahnten Akanthus mit seiner Weiterbil­
dung im 5. Jh. verbinden. Es ist faszinierend zu sehen, wie hier mit der Verschmelzung
von Voluten und Blattüberfall und der abstrahierenden Andeutung eines Blattüberfalls
eine lockere Verbindung von Blattmitte und Blatteilen gegeben ist, die unmittelbar an die
Überdachung der Blätter auf den Pfeilerkapitellen in Aleppo (Taf. 11c. d) erinnert.
Wir befinden uns in einer Zeit, wo in führenden Werkstätten der Hauptstadt nicht nur
in der Flächenkunst, sondern auch auf rundplastischen Formen verschiedene, miteinander
kontrastierende Akanthusformen verbunden werden - als typisches Beispiel stelle ich hier
ein nach Tyros exportiertes Kapitell vor (Taf. 19a). Die Statuenbasis in Istanbul, die D. T.
Rice um 500 datierte166, die Platten des Rundbaus und das von mir schon erwähnte
windbewegte Kapitell in Ravenna bezeugen, daß die Kombination des Verschiedenen
selbst innerhalb eines Blattes, auf Vorder- und Nebenseite eines Kapitells oder im
Gegenüber eines Doppelkapitells zu den Ausdrucksformen hauptstädtischer Werkstätten
in den letzten Jahrzehnten des 5. und den ersten des 6. Jh. gehörten. Bei den Platten des
Rundbaus wechselt die Form des feingezahnten Akanthus innerhalb eines Blattes, was
nahelegt, den vergleichbaren Befund auf dem Ambon von Saloniki nicht mit Sodini167 für
eine lokale Variante zu halten, sondern mit der Hauptstadt zu verbinden. Die Art der
Verknüpfung durch Spitzenberührung auf den Platten des Rundbaus ist den Formen des
feingezahnten Akanthus auf dem Ambon vergleichbar. Wenn die hier vorgetragene

164 Es ist bemerkenswert, daß sich gerade bei diesen thusformen des Ambon von der Spätdatierung der
Blattwedeln das Blattmotiv mit Augenbildung findet, Basilika A von Nea Anchialos beeinflußt, wo er die
das als Einzelform in der Randbordüre der S. Marco- Kombination des Verschiedenen auf einem Kapitell
Platten auftritt, s. Anm. 55. Die Pseudokapitelle zeigen ebenfalls als »caractere provincial« interpretiert (aO.
aufs klarste, wie durch Steigerung von Spitzenberüh­ 509. 510). Zweifellos ging die Verbindung der Haupt­
rung innerhalb des Blattes Motive gebildet werden, formen des Akanthus in einzelnen Fällen in die justini­
die dann herausgelöst werden können (Soteriou, anische Zeit über, wie die in Anm. 184 genannten
Demetrioskirche 2 Taf. 40b). Doppelkapitelle zeigen, doch wurde sie auf den rund­
165 Ebd. 2 Taf. 45c. plastischen Kapitellen allmählich von den verschiede­
166 Rice/Hirmer (s. o. Anm. 128) Taf. 35. Das Kapitell nen, im Charakter einander angeglichenen Blattfor­
aus Tyros steht in der Nähe des Grabungshauses im men abgelöst (dazu S. 101. 102). Es ist nicht auszu­
Grabungsgelände von 1968. schließen, daß der Ambon erst gegen 550 gearbeitet
167 Zum Ambon von Saloniki mit Diskussion der wurde, eben weil wir nicht wissen, wann die lokale
älteren Literatur s. J.-P. Sodini, L’ambon de la rotonde Werkstatt - wenn wir es mit einer solchen zu tun
Saint-Georges. Remarques sur la typologie et le decor: haben - die Formen der Hauptstadt aufhahm. Aber
BullCorrHell 100 (1976) 493/510 und besonders Abb. die engsten Parallelen für die Ausbildung des feinge­
3. 4. 10. 11. Sodini aO. 506 weist zu Recht daraufhin, zahnten Akanthus bieten die Platten des Rundbaus,
daß wir nicht wissen, wie lange es brauchte, bis eine und für die verschiedenen Formen der Weinblätter
Form der Hauptstadt von lokalen Werkstätten aufge­ mit ihrem System der Spitzenberührung die Pinien­
nommen wurde, doch wird sein Urteil über die Akan­ zapfenkapitelle, s. Anm. 163.
94 Christine Strube

Analyse dieser Blattform zutrifft, dann ist der Ambon in allen seinen Akanthusformen
nicht vor dem letzten Jahrzehnt des 5. Jh. zu datieren.
Die abstrakte Bildung der Doppelranken, denen die Blattstämme auf der Platte in
Daphne (Taf. 18c) entsteigen, die Art der Bohrung, die Form der abgehängten Spitzen bei
den Blattwedeln wie der Verflechtung aller Elemente durch Spitzenberührung der feinen
Zacken lassen die Platten aus den beiden großen Zentren trotz aller Verschiedenheit
verwandt erscheinen. Die Gemeinsamkeiten machen bewußt, daß die »Fremdartigkeit«
der Platte aus Daphne auf dem Reliefcharakter beruht. Es wurde trotz der Verknüpfung
aller Elemente miteinander weder durch den Tiefschnitt, noch durch die Grundausschnit­
te eine intensive Beziehung zwischen Omamentebenen und Kapitellgrund geschaffen.
Dieser aus Werken der Hauptstadt bis jetzt nicht bekannte Charakter einer wellenförmig
bewegten Musterkombination verbindet sich mit Formen des feingezahnten Akanthus,
die denen der Palmetten vom Rundbau (Taf. 19b) so nahe stehen, daß wir die Herkunft
aus Konstantinopel erst dann in Frage stellen können, wenn eine Tradition des
feingezahnten Akanthus in der syrischen Metropole seit dem 5. oder mit zunehmendem
haupstädtischem Einfluß im 6. Jh. nachgewiesen ist.
Die Platten von S. Marco bringen die Kombination verschiedener Akanthusformen
auf einem Stück und zugleich einen deutlich faßbaren Rückgriff auf Dekorationsformen
des 3. und frühen 4. Jh.: Die aufgeblasenen Formen der Ranke, der dickliche, von weicher
Modellierung der Blattfläche geprägte feingezahnte Akanthus und die wellenförmige
Bewegung der unter den Schmetterlingsakanthus eintauchenden Blätter finden sich nicht
auf den Kapitellen, die bis jetzt dem 5. Jh. zugewiesen werden konnten.
Wir sahen, daß auf den Kapitellen der Basilika A von Nea Anchialos die Hauptformen
des Akanthus aus dem 5. Jh. nicht mehr klar voneinander geschieden werden, sondern
miteinander verschmelzen (Taf. 20a). Der so entstehende Kontrast zwischen weichen,
gewölbten und messerscharf gezeichneten, ganz flachen Blattformen ist jedoch nicht die
Vorstufe für die Darstellungsformen der Platten von S. Marco. Diese erinnern an die
massigen, undifferenzierten Blattformen, die in einigen kleinasiatischen Werkstätten am
Anfang des 4. Jh. gearbeitet wurden168. Eine größere Anzahl von normalen und
kompositen korinthischen Kapitellen, mit geraden und umgewehten Blättern, die sich
heute in S. Marco befindet169, wirft die Frage auf, wann diese Darstellungsform aufkam
und wie lange sie beibehalten wurde. Ich kann den komplexen Befund hier nicht
diskutieren, möchte aber mit ihm einige Beobachtungen zur Situation hauptstädtischer
Baudekoration in den ersten Jahrzehnten des 6. Jh. verbinden, die auch die Datierung der
Platten von S. Marco und des Rundbaus beim Myrelaion tangieren.
Wir sahen, daß auf Kämpfer (Taf. 20a) und ionischem Kämpferkapitell in Nea
Anchialos verschiedene Akanthusformen zu einem durchgehenden Flächenmuster mitein­
ander verbunden und teilweise auch umgebildet wurden. Zugleich wurden einfache und
mit Rosetten kombinierte Ranken in die Fläche der Kapitelle aufgenommen, in der
oberen Zone eines Zweizonenkapitells erschienen Ranke und Flechtband, und große

168 Vgl. die Rankenformen der Tempeltür von Spalato formen im 3. und frühen 4. Jh. läßt auch hier die
(Niemann Taf. XVII), die etwa gleichzeitigen Formen Frage nach Kontinuität, Weiterbildung oder Wieder­
auf dem Friesfragment vom Grabtempel in Side (Man aufnahme aufkommen.
sel [s. o. Anm. 95] 342) und die Bemerkungen zu den 169 ZB. Corpus S. Marco nr. 451. 452. 456/64. All/
Ranken des Galeriusbogens bei Strube, Formgebung A13. Ml.
19146. Das Nebeneinander verschiedener Darstellungs
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 95

Blattwedel - dem Fleuron einiger Pilaster- und Pfeilerkapitelle des 2./3. Jh. nahe170 -
dekorierten die Stirnseite der Apsiskapitelle. Es liegt nahe, die ionischen Kämpferkapitelle
von S. Marco171, die in der Verbindung verschiedener Blattformen und im Bewegungs­
schema der großen Blattzweige auf den Seitenflächen dem Tribelonkämpfer der Basili­
ka A noch nahestehen, nicht nach 530 und eher vor 520 zu datieren. Dasselbe läßt sich zu
dem ionischen Kämpferkapitell der Demetrioskirche sagen, das in der Verknüpfung von
Eckblättem und Blattwedeln das Apsiskapitell aus Nea Anchialos weiterbildet. Daß ich wie
Kautzsch auch das Pseudokapitell im Westteil der Demetrioskirche (Taf. 20c) in diese Zeit
datiere, habe ich schon angedeutet.
Die Nähe der Formen des feingezahnten Akanthus auf den Platten des Rundbaus zu
Pilaster- und Pfeilerkapitellen des 3.Jh., die breite Palette dieses Blattypus in der
Baudekoration der Basilika A wie die dortigen Doppelranken und Blattwedel lassen
vermuten, daß in den letzten Jahrzehnten des 5. und den ersten des 6. Jh. nicht nur in der
Gesamtform der Kapitelle, sondern auch in der Ornamentik intensiv auf ältere Formen
zurückgegriffen und umgebildet wurde. Es wäre also denkbar, daß in dieser Zeit auch die
massigen, um hohes Relief bemühten Akanthusformen aufkamen. Der tangartige Akan­
thus der einen Platte in S. Marco steht dem der Kapitelle in der Hagia Sophia nahe, findet
jedoch dort keine direkte Parallele. Führen die Dekorationsformen der Platten in S. Marco
in die Zeit um 530 oder gingen sie aus einer Erneuerung in justinianischer Zeit, einer
Reaktion auf die Baudekoration der Hagia Sophia hervor? Ich lasse die Frage hier offen
und komme in anderem Zusammenhang darauf zurück172.

Fassen wir die Ergebnisse der Gegenüberstellung syrischer und hauptstädtischer


Akanthusformen zusammen und fragen nach dem eventuellen Einfluß der Baudekoration
Konstantinopels auf die Kapitellplastik Syriens: In Konstantinopel wie in Syrien führt die
Entwicklung zur Ausbildung freier, von traditioneller Gliederung unabhängiger Muster­
kombinationen, die sich vor einer Schattenzone, die den tragenden Grund nicht faßbar
macht, zusammenschließen. Der Weg dorthin wird hier wie dort von der Tradition des
2./3.Jh. bestimmt, die in Syrien das normale korinthische Kapitell mit tief schattenden
Negativrillen in der Fläche der Blattkränze und in Konstantinopel das komposite
korinthische Kapitell mit feingezahntem Akanthus kleinasiatischer Prägung in den Mittel­
punkt stellte. Konstruktive Bedingungen führen in Konstantinopel zum Übereinander von
Kämpfer und Kapitell, während in Syrien allein das Kapitell zwischen Säule und
auflagemdem Arkadenstein vermittelt. Aus der hauptstädtischen Entwicklung geht das
Kämpferkapitell hervor, während in Syrien das normale korinthische Kapitell bis weit in
das 6.Jh. hinein seine zentrale Stellung behauptet. In Syrien leiten die Negativrillen die
Spaltung und Teilung der Blattelemente ein und in einem entscheidenden Schritt wird
durch die Übernahme der Negativdreiecke in die Innenfläche der Blätter die vollkomme­
ne Auflösung der Blattstruktur vorbereitet. Dadurch, daß die aus der Auflösung hervorge­
gangenen Motive auf den Blattstamm zurückgefuhrt werden, entstehen Blattformen, die
nur noch im Bewegungsschema an die alte Blattform erinnern. In Konstantinopel hat

170 Vgl. Kautzsch nr. 546 und 539 zB. mit Walker (s. o. and the medieval West. Selected studies (Bloomington,
Anm. 93) 115 Abb. 12. Ind. 1976) 49/64. Zur Frage der Erneuerung in der
171 Vgl. Anm. 153. Kapitellplastik im 6. Jh. allgemein Kautzsch 215. Zur
172 Zur Frage einer »Renaissance« in der Mosaikkunst »Überwindung der reinen flächigen Omamentalisie-
unter Justinian s. E. Kitzinger, The art of Byzantium rung« s. Deichmann, Studien 8 2263.
96 Christine Strube

dieser Vorgang keine Parallelen: Dort werden aus Blatt und Ranke Einzelelemente
abgelöst, indem sie in einer Schattenzone isoliert und so als Einzelformen definiert
werden. Es entstehen Motivfelder, die eine der Vorstufen für die unabhängige Muster­
kombination der Kämpferkapitelle sind. Daneben ist schon am Anfang des 5.Jh. das
Prinzip der geschlossenen Musterebene gegeben, das allerdings die traditionelle Organisa­
tion der Blattkränze bewahrt. Die korinthischen Kapitelle, die von diesem Prinzip geprägt
sind, bleiben über Jahrzehnte hin fast unverändert, weil sich die Auflösung von Blatt und
Blattkranz sowie die Ausbildung neuer Bewegungsmuster auf das Kompositkapitell, den
Kämpfer und das ionische Kämpferkapitell konzentrieren. Wohl schon im letzten Jahr­
zehnt des 5. Jh. gehen die kleinen Motivfelder in eine ununterbrochene Omamentfläche
ein, die zwar nicht in ä-jour-Technik gearbeitet ist, doch in dem bewußten Kontrast von
heller Musterebene und tief geschattetem Grund eine entscheidende Etappe auf dem Weg
zu den Kämpferkapitellen der Polyeuktoskirche ist. Die Verschmelzung gegensätzlicher
Blattypen und ihre Kombination mit neu entstandenen Mustern in fließender Bewegung
streben in Konstantinopel auf das den ganzen Kapitelkörper überspinnende Flächenoma-
ment zu - mit einer Konsequenz, die die Zonengliederung syrischer Kapitelle noch in
spätjustinianischer Zeit ausschloß. Seit der Basilika A von Nea Anchialos ist weder das
Übereinander von Omamentkranz in ä-jour-Technik und Einzelblättem mit kontrastrei­
chen Innenmustem in einem Kapitell (Studiosbasilika), noch der Kontrast von heller,
schattenloser Omamentebene und ausgeprägten Hell-Dunkelwerten im Übereinander
von Kämpfer und Kapitell (Acheiropoietos, Lechaion-Basilika) der Haupttrend. Der Weg
führt, über die Steigerung der Kontraste durch Kombination gegensätzlicher Formen, zur
freien Musterkombination in ä-jour-Technik. Er fordert geradezu die Ausbildung des
Kämpferkapitells, hält aber noch in der Sergios-und-Bakchos-Kirche am Nebeneinander
verschiedener Reliefarten auf den Kämpferkapitellen von Unter- und Obergeschoß fest.

Es wird nun klar, daß es in Konstantinopel keine direkten Parallelen für die Auflösung
der Innengliederung eines korinthischen Kapitells geben kann, weil die freie Motivkombi­
nation von Kämpfer und ionischem Kämpferkapitell auf das reine Kämpferkapitell
übergeht, und zudem mehrere Kapitelltypen eine Entwicklung tragen, die sich in Syrien
ausschließlich auf das korinthische Kapitell konzentriert. Man muß sich vergegenwärtigen,
daß zu etwa derselben Zeit der Kämpfer des Tribelons in Nea Anchialos und der
Kämpferblock des Apsisgesimses in Q. Siman gearbeitet wurden, um die so unterschiedli­
che Entwicklung zu erfassen.
Die Situation syrischer Baudekoration am Ende des 5.Jh. läßt schon vermuten, daß
direkter Einfluß schwer auszumachen sein wird, da Anregungen aus dem außersyrischen
Bereich auf eine Tradition treffen, die genaue Nachbildung nur im Ausnahmefall
erwarten läßt.
In Apamea blieb ein Kapitell erhalten173, das bis ins Detail Akanthusformen des
engeren byzantinischen Bereichs kopiert und darin wie ein Fremdkörper unter den
Kapitellen lokaler Tradition erscheint. Aus demselben Grund fallen die kleinen isolierten
Blättchen im unteren Blattkranz des Arkadenkapitells von El Bara (Taf. 11a) und auf
einem der Pfeilerkapitelle in Aleppo (Taf. 1 Id) so sehr ins Auge. In den Pfeilerkapitellen
der Moschee Hallewiyye lassen nicht nur diese Blättchen mit den Birnen und Granatäp­
feln, sondern auch die Verbindung von Blatt und Ranke vermuten, daß der Steinmetz
1,3 Es steht vor dem Grabungshaus und entspricht in der Zeitstufe dem Kapitell Kautzsch nr. 452.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 97

Formen des engeren byzantinischen Bereichs kannte. Denn ich halte es nicht fiir Zufall,
daß die großen Doppelwedel mit ihren ineinander verschlungenen Blattstengeln
(Taf. 1 Id), die Blätter mit Früchten und die Doppelranken mit Granatäpfeln (Taf. 11c. d)
zu den Pfeilerkapitellen der Demetrioskirche und zu Kapitellen in Nea Anchialos fuhren,
also in das letzte Jahrzehnt des 5. und die ersten Jahrzehnte des 6.Jh. Es wurde nicht
nachgebildet, sondern aufgenommen und umgebildet, und dieser Vorgang macht es
schwer, Syrisches von Außersyrischem klar zu trennen. Der akanthisierte Palmettenfries
der Südosttür von Deir Seta (Taf. 12c), die Blattrosette in ihrem Türsturz174, die sich in
dieser Form auch auf Kapitellen der Werkstatt von Q. ibn Wardan findet (Taf. 9d. 10a),
das Korbmotiv175 (Taf. 9a. 10a. 15a. e. 16a), die Ornamente auf dem Fußwulst der
Kapitelle176 und eine Reihe anderer Einzelformen sind Allgemeingut der Baudekoration
des 6. Jh. und könnten zumindest teilweise direkt Vorbildern der Hauptstadt entnommen
sein. Einige Hauptmotive aus Ranke und Blatt, die die Kapitelle des 6. Jh. prägen und sich
zum Teil schon in Aleppo finden, haben Vorstufen im 5. Jh. und könnten also auch aus
diesen abgeleitet sein. Schon im Innengesims der Apsis von Qalbloze treten gespaltene
Blättchen und Blattwedel als Einzelmotive auf und werden in den Konsolgesimsen von
Q. Siman weitergebildet177. Im Gegensatz zu ihnen sind jedoch die Blattwedel auf den
Kapitellen El Baras (Abb. 7. 10. 11) dem Prozeß der Musterbildung in der Hauptstadt so
nahe, daß eine direkte Übernahme mehr als wahrscheinlich ist178. - Die spitz zulaufenden
Blättchen in der unteren Zone des Arkadenkapitells von El Bara (Abb. 9; Taf. 11a)
erinnern an die mittleren Blättchen der dreigeteilten Blattlappen des feingezahnten
Akanthus. Doch fehlen in den hauptstädtischen Kapitellen die Innendreiecke179 und selbst
die spätesten Formen lassen noch die Ableitung aus den spätrömischen Kapitellen
erkennen (Taf. 18e. 19b). In El Bara wurde - trotz der Imitation von Formen des
feingezahnten Akanthus in diesem Blattkranz - wie bei allen anderen Kapitellen verfah­
ren: Das aus der Auflösung hervorgegangene Einzelmotiv wird auf den Blattstamm
zurückgeführt und erscheint zur selben Zeit in einer Motivkette, die vom Blattüberfall
überdacht wird (Abb. 9; Taf. 11a). - Die großen Halbblätter auf Kapitellen der Transept­
kirche und auf den Pfeilerkapitellen in Aleppo stehen den Formen einiger Kämpferkapi­
telle der Hagia Sophia nahe180. Während jedoch letztere im Typus noch an die
akanthisierten Palmetten des Diokletianspalastes in Spalato erinnern181, führt die Ausbil­
dung der syrischen Formen zu den Halbblättem auf der Apsisarchivolte von D. Seta
zurück.
So nahe verwandt manche Motive in Konstantinopel und Syrien sind, sie sind nicht
aus derselben Entwicklung hervorgegangen, und darum wird auch dort, wo die Aufnah­
1,4 Vgl. vor allem die Schrankenplatten in S. Vitale 177 Butler, Early churches (s. o. Anm. 4) Abb. 231a.
(Deichmann, Ravenna 1 Abb. 66. 78/80). Aufschluß­ b.
reich ist der Vergleich mit den stuckisierten Blattroset- 178 Kitzinger, Byzantine art (s. o. Anm. 142) Abb. 148.
ten des Simeonsklosters bei J. Lafontaine-Dosogne, S. auch Deichmann, Ravenna Tafelband Abb. 307 und
Itineraires archeologiques dans la region d’Antioche Kähler (o. Anm. 143) Taf. 65. 76.
(Bruxelles 1967) Taf. XXXVIII. Alle Dekorationsfor­ 179 Soteriou, Demetrioskirche 2 Taf. 45c.
men dieses Baus stehen nordmesopotamischen Kir 180 Kähler Taf. 72. 73. Näher noch das Kapitell des 14.
eben näher als denen der Antiochene. Jh. in der Fetiye Carnii Betch Abb. 169, das über das
175 Zum Korbmotiv s. Kautzsch 22If und das Doppel­ 11. Jh. zu Kapitellen des 6. Jh. zurückgeht. S. Kautzsch
kapitell in Antiochia bei F. W. Deichmann: Jblnst 56 200.
(1941) 83fund Abb. 1. 2. 181 Niemann 82 Abb. 104 und Taf. XVII. Zur Behand­
176 Es ist zu beachten, daß die normalen und kompo- lung der Blattflächen s. S. 102.
siten korinthischen Kapitelle in der Hauptstadt in der
Regel ohne Fußwulst gearbeitet wurden.
98 Christine Strube

me hauptstädtischer Formen mehr als wahrscheinlich ist, selten klar, ob direkt übernom­
men oder weitgehend umgebildet, und das heißt der eigenen Entwicklung angepaßt
wurde. Dem Bewegungsfluß der feingekerbten, nicht mehr an antike Mustertradition
gebundenen, aber immer noch »naturalistisch« wirkenden Ornamente justinianischer
Kämpferkapitelle stehen die »Zackenstellungen mit vager Blattreminiszenz« auf syrischen
Kapitellen gegenüber182.

7. Das Gesamtbild der Kapitellplastik

Wenn wir nach dem Gesamtbild der Kapitellplastik in den Kirchen des engeren
byzantinischen Bereichs fragen, so läßt sich einiges im Umriß zeichnen, aber im Übergang
vom 5. zum 6. Jh. und vor allem in den der Polyeuktoskirche vorangehenden Jahrzehnten
des 6. Jh. muß vieles offen bleiben. Denn die Datierung für unsere Fragestellung wichtiger
Kapitelltypen und Einzelformen ist umstritten und die Endpublikation wichtiger griechi­
scher Basiliken wie auch der Polyeuktoskirche steht noch aus. Dennoch möchte ich im
folgenden versuchen, im Gegenüber zu den syrischen Kirchen einige Fragen zu umrei­
ßen.
Obwohl noch nicht geklärt ist, ob Kapitelle mit windbewegtem Akanthus im Rückblick
auf Formen des 2 /3. Jh. erst gegen Ende des 5.Jh. wiederaufgenommen oder in mehr
oder weniger dichter Tradition vom 3. bis zum 5. Jh. gearbeitet wurden, läßt sich die
Erweiterung des Repertoires durch Schöpfung neuer und Variation vorangehender
Kapitelltypen, wie sie in Konstantinopel in den letzten Jahrzehnten des 5. und den ersten
des 6.Jh. geschah, mit dem Bild in Syrien vergleichen. In Syrien wie in Konstantinopel
konnten am Anfang des 6. Jh. verschiedene Kapitelltypen in einer Kirche zusammen
auftreten, oder wie im 5.Jh. ein Kapitelltypus in einem Geschoß als Hauptform
dominieren183. Angesichts dieser gemeinsamen Voraussetzungen ist zu fragen, ob das
verhältnismäßig homogene Bild in Q. ibn Wardan die Parallelerscheinung zu den großen
Bauten justinianischer Zeit in Konstantinopel ist, d. h. ob die Kapitellform, die hier wie
dort am Endpunkt der Entwicklung steht, dazu führte, daß die Kombination unterschied­
licher Kapitelltypen aufgegeben wurde184. Abgesehen davon, daß die Kapitellplastik nur
ein Element in der Ausstattung des Innenraumes ist und ein so aufwendiger Bau wie die
Hagia Sophia darum nicht ohne weiteres der Kirche von Q. ibn Wardan gegenübergestellt
werden kann - in der Hauptstadt ist die Beurteilung des Gesamtbildes abhängig von der
Interpretation des Kämpfers. Für die Verwendung aller Kapitelltypen außer dem Kämp­
ferkapitell konnte auch in einem konstruktiv weit entwickelten Bau nicht auf den Kämpfer
verzichtet werden. Die Frage ist also, ob unmittelbar nach Entstehen der neuen, die
Zweiteilung aufhebenden Kapitellform die erst wenige Jahrzehnte alten Neuschöpfungen
182 E. Kühnel, Omayyadische Kapitelle aus Cordova: 184 So Deichmann, Ravenna 2,2, 106. Für Konstantino­
AmtlBerBerlMus 49 (1928) 85. Es ist kein Zufall, daß pel lautet die Frage: Sind die Kapitelle von S. Vitale
sich diese Formulierung auf syrische Kapitelle des 6. und in der Kirche von Parenzo als Gesamtprogramm
Jh. übertragen läßt, da ein großer Teil der Ornament­ zu derselben Zeit - zwischen 538 und ca. 550 - in der
formen der von Kühnel vorgestellten Kapitelle zum 6. Hauptstadt nicht denkbar, ist also in dem Vorhanden­
Jh. in Syrien zurückfuhrt - darüber mehr in anderem sein des Kämpfers nach Aufkommen des Kämpferka­
Zusammenhang. pitells in S. Vitale ein »Mißverständnis« zu sehen (ebd.
183 ZB. besaß die Kirche von Deir Sambul nur Kapitel­ 106).
le mit windbewegtem Akanthus (Strube, Baudekora­
tion 59455).
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 99

aufgegeben wurden. Es ist noch nicht ganz auszuschließen, daß noch 530/40 auch in
Kirchen der Hauptstadt die Kämpferkapitelle mit vorangehenden Kapitelltypen kombi­
niert wurden und erst gegen 550 die Variationen des Kämpferkapitells das Gesamtbild der
Kapitellplastik in allen neu errichteten Kirchen prägten185.
Vergleichbar mit dem Befund syrischer Kirchen ist, daß ein Bau nur dann durch seine
Dekorationsformen einigermaßen gut datiert werden kann, wenn diese einen repräsenta­
tiven Querschnitt geben, also möglichst vollständig erschlossen und publiziert sind. Denn
auch im engeren byzantinischen Bereich treten retardierende neben weiterentwickelten
Formen auf und wird an Hauptformen über lange Zeit hin festgehalten186. Dafür einige
Beispiele: Aus der Theklakirche von Meriamlik wurden bis jetzt einige korinthische
Kapitelle mit verschiedenen Akanthusformen bekannt187, doch die für die Datierung
entscheidende Hauptform, der feingezahnte Akanthus, wird von Guyer nur im Text
erwähnt188. In der dortigen Kuppelkirche wurden zwei Kapitelle des Unter- und eins des
Obergeschosses freigelegt189. Die Form des feingezahnten Akanthus auf dem Kapitell mit
Tierprotomen ist weit fortgeschritten, und auch das Emporenkapitell ist kaum vor dem
letzten Jahrzehnt des 5.Jh. entstanden. Doch wir wissen nicht, ob es nicht noch weiter
entwickelte Formen in derselben Kirche gab. Sollten die Kapitelle der westlichen
Vorhalle190 mit dieser zum ersten Bauzustand gehören und somit in Kalkstein eine
Blattform des Kircheninneren imitieren, dann ist die Kirche nicht vor den ersten
Jahrzehnten des 6. Jh. zu datieren. Die Kapitelle mit feingezahntem Akanthus in der
Eechaion-Basilika (Taf. 19c. d) sind keine homogene Gruppe191. Wenn sie, wie die
vorläufigen Berichte vermuten lassen, alle zur ersten Bauphase gehören, dann wäre nach
der fortgeschrittenen Form zumindest ein Teil der Kapitelle entschieden nach 460 zu
datieren, und ich wies darauf hin, daß erst die Endpublikation Aufschluß geben kann
darüber, ob wir mit den Transeptkapitellen bis 480/90 hinaufgehen können.
Das Gesamtbild syrischer Kirchen wurde seit der Basilika von Qalbloze von miteinan­
der kontrastierenden Akanthusformen bestimmt. Ist das Nebeneinander verschiedener
Blattypen und Reliefarten in Konstantinopel mit dem Befund in Syrien zu vergleichen,

185 Hier ist die endgültige Publikation der Kirchen von einigen Kapitellen beibehalten wurde, diese also zur
Nea Anchialos und Amphipolis abzuwarten. Vielleicht Polyeuktoskirche zurückfuhren, dann ist zu fragen, ob
ergibt die Datierung der Kirchen B, C und D in Nea wir die Baudekoration der Hagia Sophia wirklich zum
Anchialos Genaueres, und vielleicht blieben dort mehr Maßstab für alle Werkstätten der Hauptstadt zwischen
als die bis jetzt publizierten Kapitelle erhalten (die 530 und 540 machen können. S. S. 102 und Taf. 20d
Literatur bei Betch 373; für die Basilika C von Nea (San Vitale).
Anchialos ist zu ergänzen P. E. Lazarides: Praktika 186 S. Deichmann, Ravenna 1, 65f; 2,2, 112. 241.
1969 Taf. 35a. 22a [Faltkapitelle]; ders.: ebd. 1970 Taf. 187 Herzfeld/Guybr (s. o. Anm. 55) Abb. 11/3. 24. 27.
52a [Doppelkapitell]). Sehr wichtig für die Frage nach 29. 30. Die Kalksteinkapitelle ebd. Abb. 28 könnten
dem Kämpfer in justinianischer Zeit, und das heißt zur Empore gehört haben.
zugleich für die Vielfalt und Variation in Gesamt- und 188 Ebd. 27: »Von einigen Kapitellen mit kleinzacki­
Einzelformen der Baudekoration in der Zeit von ca. gem Akanthosschnitt und tiefen Bohrlöchern sind zu
500 bis 550, ist die Datierung der Dekorationsformen dürftige Fragmente erhalten . . .«.
in der Basilica C von Nea Anchialos. Sie kennen das 189 Ebd. 57/60.
Nebeneinander von Flachrelief und ä-jour-Technik 190 Ebd. Abb. 56. Nach dem Photo war es nicht der
sowie die Kombination verschiedener Blattypen Kapitelltypus des Inneren, wie die Rekonstruktion
zumindest noch auf dem Doppelkapitell (s. Sodini Abb. angibt (ebd. Abb. 54). Zum Außenfries des Gebälks
16. 36; P. E. Lazarides: Praktika 1970 Taf. 52a [Nea vgl. die Platten von S. Marco (o. Anm. 94), die
Anchialos, Basilika C]). Wenn wir bedenken, daß in S. Konsolformen und die breite Fläche der Blattmitte auf
Vitale nicht nur die Kombination verschiedener Kapi­ den Kapitellen mit den in Anm. 216 genannten Kapi­
tellformen, sondern auch die Variation in Blattypus tellen von Alahan Monastir.
und Blattechnik auf einem Kapitell wenigstens bei 191 S. Anm. 148.
100 Christine Strube

und gibt es einen Anhaltspunkt dafür, daß mit ihnen bewußt Kontraste angestrebt und im
Laufe des 5. und 6. Jh. gesteigert wurden?
Die Studiosbasilika und die Weitarkadenbasilika von Qalbloze wurden zu etwa
derselben Zeit errichtet. Ich versuchte vor einiger Zeit zu zeigen, daß in Qalbloze die
Auflösung der alten Blattform mit den nicht gekerbten, glatt gelassenen Akanthusformen
beginnt, denen eine Fülle von Variationen des »klassischen« Akanthus gegenübersteht192.
Die so unterschiedlichen Blattypen mit der ständig wechselnden Art der Kerbung gingen
im Belus alle aus einer langen, nur Kalkstein bearbeitenden Werkstatt-Tradition hervor.
Der Kalkstein kann zwar nicht hinterarbeitet werden, steht aber weder der feinsten
Zacken- noch der Musterbildung durch Bohrlochreihen im Wege. Die syrische Tradition
des 4./5. Jh. kennt sehr fein gezackte Formen, doch nicht die besondere Arbeit mit dem
Bohrer, die die Marmorwerkstätten Kleinasiens an den Formen des feingezahnten
Akanthus entwickelt haben. Das heißt: Nicht die Beschränkung durch das Material,
sondern die von Marmor und Kalkstein geprägten Werkstatt-Traditionen schufen Voraus­
setzungen, die bei dem Vergleich der Dekorationsformen beider Basiliken berücksichtigt
werden müssen.
In der Studiosbasilika ist das Bild differenzierter und kontrastreicher als in der
Weitarkadenbasilika, und dies ist nicht nur in der Kapitellordnung der Emporenkirche
begründet. Das ä jour gearbeitete Ornament wurde auf den Kapitellen des Untergeschos­
ses mit dem feingezahnten Akanthus kombiniert, und die Emporenkapitelle stellten ihnen
breit gezackte und flach gekerbte, auf alle Kontraste verzichtende Blattformen gegen­
über193. Wenn wir bedenken, daß in dieser Zeit die Werkstätten der Hauptstadt zwar das
Flachrelief, aber nicht die glatt ausgearbeiteten Akanthusformen kannten, dann ist der
Befund in der Studiosbasilika, der Acheiropoietos und der Lechaion-Basilika durchaus mit
dem der großen Zentren des 5. Jh. in Syrien zu vergleichen. Ich habe im vorangehenden
versucht zu zeigen, daß der Prozeß der Auflösung des Akanthus in Syrien einen anderen
Charakter hat als die Ausbildung von Einzelmotiven und deren Verflechtung in einem
reich bewegten Flächenmuster, wie sie die Entwicklung in der Hauptstadt bestimmt.
Wenn wir nun zu der Basilika A von Nea Anchialos und den letzten Jahrzehnten des 5. Jh.
übergehen, so müssen wir im Auge behalten, daß in Syrien die aus der Auflösung des
Akanthus hervorgegangenen Flächenmuster allein mit den auch noch im 6. Jh. kaum
veränderten »klassischen« Blattformen kombiniert werden. In der Hauptstadt ist der
Befund wesentlich komplexer, weil in dieser Zeit die Kombination verschiedener Blatty­
pen auf einem Kapitell (Taf. 19a. b), ihr Gegenüber auf dem Doppelkapitell und die
Verschmelzung gegensätzlicher Blattformen miteinander in einer Kirche auftreten kön­
nen194. Während das Doppelkapitell und die Verbindung von feingezahntem Akanthus
mit anderen Blattformen im 3./4.Jh. ihre Vorstufen haben195, ist die Angleichung der
Blattypen aneinander eine Erscheinung, die das durchgehende Flächenmuster auf der
einen und die Trennung von Musterebene und Grund auf der anderen anstrebt
(Taf. 20a).
Die gesteigerte Austauschbarkeit von Dekorationselementen, die intensive Kombina­
tion von miteinander kontrastierenden Blattformen (Taf. 10c. 11c. d. 19a. b) und das

192 Strube, Formgebung 182/91. 194 S. S. 88f.


193 Kramer Abb. 9. 10. 15/9; Betch 93 Abb. 94; 195 S. S. 90.
Kautzsch nr. 540a. b. Zur Zuweisung der Kämpferkapi­
telle Deichmann, Studien 72.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 101

abwechslungsreiche Bild älterer neben neu entstandenen Kapitelltypen machen das


Gesamtbild syrischer und hauptstädtischer Baudekoration in den letzten Jahrzehnten des
5. und den ersten des 6.Jh. vergleichbar. Wenn wir dann jedoch den Weg von der
Basilika A über die Polyeuktoskirche zu den großen justinianischen Bauten verfolgen,
dann sehen wir, daß mit der Entwicklung zum Kämpferkapitell nicht nur die Vielfalt der
Kapitellformen, sondern auch das Nebeneinander verschiedener Reliefarten zurückge­
nommen oder eingeschränkt werden. Dagegen ist in Syrien noch in spätjustinianischer
Zeit das Gesamtbild in einer Kirche zwar beruhigt mit der einheitlichen Gesamtform der
Kapitelle, aber die Verbindung des Verschiedenen in einem Kapitell spielt weiterhin eine
große Rolle. Es ist zu fragen, welche Beziehungen es zwischen dem Gesamtbild der
hauptstädtischen Kirchen vor und nach 527 nC. gibt.
In der Hierarchie der Kapitelle der Basilika A von Nea Anchialos - am reichsten sind
die Zweizonen- und die ionischen Kämpferkapitelle des Tribelons und der Apsisfenster;
die kompositen Kapitelle des Untergeschosses und die ionischen Kämpferkapitelle des
Obergeschosses sind aufwendiger als die Kapitelle des Atriums - herrscht die Kombina­
tion verschiedener Akanthusformen auf einem Kapitell und das Nebeneinander verschie­
dener Reliefarten196. Das Miteinander der flachen, fast schattenlosen und der kontrastrei­
chen, im Tiefschnitt gearbeiteten oder von Hell-Dunkelkontrasten in heller Fläche
geprägten Ornamente ist die bestimmende Komponente in einem vielfältigen Gesamt­
bild.
In der Polyeuktoskirche sind die Ornamente der Säulenkapitelle, die erhalten blieben,
hinterarbeitet und schließen sich in heller Musterebene vor dem im Tiefdunkel kaum
faßbaren Grund zusammen197. Die Ornamente der Pfeilerkapitelle sind zwar auch
hinterarbeitet, doch spricht der Kapitellgrund teilweise in großen, kaum geschatteten
Grundausschnitten mit198. Wenn das ionische Kämpferkapitell in Konstantinopel199 zum
Obergeschoß der Kirche gehörte, dann bildeten auch die Ornamente der dortigen
ionischen Kämpferkapitelle keine helle Musterebene vor dunklem Grund, und wir
könnten annehmen, daß das Nebeneinander verschiedener Reliefarten in der Polyeuktos­
kirche nicht nur durch Pfeiler- und Säulenkapitelle im Untergeschoß, sondern auch in den
Kapitellen beider Geschosse gegeben war. Die Dekorationsformen der Polyeuktoskirche
charakterisiert nicht nur die Aufnahme »fremder Figuren und Ornamente«200 sowie neuer
Kompositionsprinzipien, sondern auch eine erneute Umbildung traditioneller Akanthus­
formen durch Angleichung gegensätzlicher Blattcharaktere. Es fällt auf, daß im Gegensatz
zu der Kirche von Nea Anchialos und vorangehenden Bauten201 die Zeichnung des
Blattumrisses und die Modellierung der Blattfläche im Mittelpunkt stehen, während auf
Punktmuster und tiefschattige Kerbung weitgehend verzichtet wird. Es entstehen noch
einmal neue Blattypen und Musterzusammenhänge, die Kontraste des Gesamtbildes
werden noch immer von verschiedenen Reliefarten bestimmt, doch das Bild der
Kapitelltypen hat sich vereinheitlicht.

196 S. S. 88f. of St. Polyeuktos: Actas del VIII Congr. Int. Arqueol.
197 R. M. Harrison / N. Firatli, Excavations at Sara- Crist. (Cittä del Vaticano/Barcelona 1972) 325f und
chane in Istanbul. Fifth preliminary report: DumbO- Deichmann, Pilastri.
Pap 22 (1968) 195/203 Abb. 4; R. M. Harrison, Con- 198 Corpus S. Marco nr. 639.
stantinopolitan Capital (s. o. Anm. 163) Abb. 1/3. Zu 199 Rice/Hirmer Taf. 33 unten.
der Ornamentik der Polyeuktoskirche insgesamt s. R. 200 Deichmann, Ravenna 2,2, 110.
M. Harrison, The sculptural decoration of the church 21)1 S. S. 84/6.
102 Christine Strube

In der Sergios-und-Bakchos-Kirche herrscht das Kämpferkapitell im Unter- und das


ionische Kämpferkapitell im Obergeschoß202. Die Ornamente der unteren Kapitelle
schließen sich auch hier in hellem, flachem Relief vor dem hinter der Schattenzone kaum
greifbaren Grund zusammen. Bei den Emporenkapitellen sind die Seiten- und Rückflä­
chen in Flachrelief dekoriert203. Die Vorderseite ist in der ä-jour-Technik den unteren
Kapitellen'angeglichen, wertet aber den Grund noch nicht als reine Schattenzone und gibt
die Ornamente großflächig wieder. In dem Nebeneinander beider Reliefarten wirkt noch
deutlich die Dekoration der Polyeuktoskirche nach, und dies kommt auch in der
Ornamentik zum Ausdruck. Ein Teil dieser Ornamente steht in der Tradition der Kirchen,
die der Polyeuktoskirche vorangingen, und ein anderer Teil ist Erbe dieses Baus (vgl.
Taf. 20d). Es fällt auf, daß die Ausbildung feiner Rippen und Grate an der Blattoberfläche
der Faltkapitelle, die zur Polyeuktoskirche zurückfuhrt, neben gekerbtem Akanthus
vorkommt, und zwar in Musterkombinationen, die aus der Weiterbildung des feingezahn­
ten Akanthus hervorgingen204. In der Hagia Sophia, die einen Höhepunkt in der
Vereinheitlichung, und das heißt der Konzentration auf einfachen Hell-Dunkelkontrast in
jedem Kapitell darstellt, wird zugleich mit den großen Blattgeästen, der Bewegung der
dunklen Rillen und der Kombination aller Techniken in der Behandlung der Blattfläche
auf einem Kapitell205 die Synthese aus dem Vorangehenden geschaffen. Im Gegensatz zu
spätrömischer Baudekoration treten nun bei derselben Grundform von Palmette, Blattge­
äst oder Ranke abwechselnd Kerbung, Rippenbildung, Ritzung oder Muldung der
Innenformen auf. Einige Kämpferkapitelle in S. Vitale, die auf einer Kapitellseite verschie­
dene Blattypen in wechselnder Blattechnik vereinen (Taf. 20d), sind die Parallelerschei­
nung zu einigen Kapitellen in der Hagia Sophia.
Ich bin hier noch einmal auf Einzelformen zurückgekommen, weil sie zumindest einen
Teilaspekt in der Entwicklung des Gesamtbildes beleuchten: In der Kirche von Nea
Anchialos wie in der Polyeuktoskirche steht im Mittelpunkt die Ausbildung von Musterzu­
sammenhängen. In vorangehender Zeit eigenständige Akanthusformen werden miteinan­
der verknüpft und einander angepaßt und zudem in vorher nicht bekanntem Maße die
Austauschbarkeit innerhalb der Baudekoration sowie die Aufnahme von Elementen
anderer Gattungen gesteigert. Es ist nicht zu bezweifeln, daß in den hauptstädtischen
Werkstätten die Wiedergabe der Motivkombinationen in ä-jour-Technik im Mittelpunkt
stand. Das bedeutet jedoch nicht, daß das Nebeneinander verschiedener Reliefarten sowie
die Vielfalt und Varianten des Ornaments in der Polyeuktoskirche an dem beruhigten Bild
der Dekorationsformen in der Hagia Sophia zu messen sind. Der Kontrast zwischen den
Kapitellen des Unter- und Obergeschosses in der Sergios-und-Bakchoskirche beruhte nicht
auf dem Unvermögen, alle Ornamente ä jour zu arbeiten, sondern steht in einer

202 Volbach/Hirmer Taf. 188. 189. darin nicht zum Ausdruck, daß die Polyeuktoskirche
203 Deichmann, Studien 74. trotz ihrer Exotik in dieser Tradition steht. Die ioni­
204 Vgl. dagegen die Pinienzapfen-Kapitelle in S. Mar­ schen Kämpferkapitelle der Sergioskirche sind mit
co, o. Anm. 163. ihren Füllhorn-, Vasen- und Halbblattmotiven der
205 S. die guten Aufnahmen bei Kähler (o. Anm. 143) Polyeuktoskirche verpflichtet, während sich die Moti­
Taf. 70/3. Deichmann, Ravenna 2,2, 110 stellt klar ve und Motivkombinationen der Faltkapitelle aus dem
heraus, daß in der Polyeuktoskirche durch die Aufnah­ Prozeß erklären, den ich an den Kapitellen der Basili­
me fremder Figuren und Ornamente neue Musterzu­ ka A von Nea Anchialos beschrieben habe. Vgl.
sammenhänge geschaffen wurden. Wenn er jedoch Volbach/Hirmer Taf. 188 mit C. Mango / I. Sevcenko,
dann feststellt, daß man in den justinianischen Haupt­ Remains of the church of St. Polyeuktos at Constanti-
bauten »im Omamentschatz der Bauplastik ganz in die nople: DumbOPap 15 (1961) 244/7 Abb. 7/11 und
Tradition der Hauptstadt zurückkehrte«, dann kommt Harrison/Firatu (1966; s. o. Anm. 163) Abb. 4/5.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 103

Tradition, die über die Basilika A von Nea Anchialos zur Studiosbasilika zurückfuhrt und
erst mit der intensiven Verschmelzung von Blattypen und -techniken im Prozeß der
Musterbildung allmählich aufgegeben wird.
Ich werde in der Publikation der antiochenischen Kirchen, deren Gesamtbild von der
Erneuerung des »klassischen« Akanthus geprägt wird, auf das Nebeneinander zweier
»Stilrichtungen« im 6. Jh. zurückkommen und dann fragen, ob es in der syrischen oder
hauptstädtischen Baudekoration Anhaltspunkte für eine »Renaissance«206 in justiniani­
scher Zeit gibt.

Exkurs zu Kilikien/Lykien

Abschließend sei überprüft, ob mit den Kapitellen der Kirchen im südlichen Klein­
asien, die durch Import fertiger Stücke in prokonnesischem Marmor oder ihre Imitation
in lokalem Kalkstein unter direktem Einfluß der Hauptstadt stehen, die Beobachtungen
zum Gesamtbild erweitert werden können. Ich konzentriere mich auf die Regionen, die
dem Patriarchat Antiochias unterstanden, und beziehe nur einige Kapitelle Lykiens mit
ein.
Die Dekorationsformen der lokalen Werkstätten in Lykien und Kilikien schließen sich
trotz regionaler Sonderentwicklungen, im Gegenüber zu Syrien (Abb. 1/4), eng zusammen
(Taf. 2 Oe. 21a/d), weil sie alle Formen des feingezahnten und kleingezackten Akanthus und
die Musterkombinationen der Kämpferkapitelle, die in Werkstätten der Hauptstadt
entwickelt wurden, in Kalkstein imitieren. Obwohl der Kalkstein nicht hinterarbeitet
werden kann, wurde in dem Kontrast von heller Relieffläche und Motiven in dunklem
Grund eine optische Wirkung erreicht, die sich direkt mit hauptstädtischen Kapitellen
vergleichen läßt.
Die wenigen bis jetzt bekannten Kapitelle der Theklakirche von Meriamlik lassen
vermuten, daß Akanthusformen in hellem, fast schattenlosem Relief im Ober- und fein-
oder kleingezackter Akanthus mit ausgeprägten Hell-Dunkelwerten im Untergeschoß das
Gesamtbild bestimmten. Die Kombination dieser Akanthusformen ließe sich gut mit dem
Befund in der Acheiropoietos- und der Lechaion-Basilika vergleichen. Schwierig wird es,
wenn wir die Kapitelle der Ostkirche von Alahan Monastir, die öfter in das letzte Viertel
des 5. Jh. datiert wird, den Dekorationsformen der Basilika A von Nea Anchialos
gegenüberstellen207. Die Frage ist, ob der Befund im engeren byzantinischen Bereich wie
in den syrischen Kirchen für eine Früh- oder Spätdatierung spricht208.
Die Evangelistenkirche wird von M. Gough209 der theodosianischen Zeit zugewiesen.
Er geht aus von den korinthischen Kapitellen des Inneren und weist zu Recht auf die
engen Beziehungen zwischen der Dekoration der Westtür dieser Kirche und den Türen
206 Kitzinger, Art of Byzantium (s. o. Anm. 172) 151/ Dies scheint mir etwas spät, da bei einem so späten
232. Ansatz die über die Ostkirche hinausführenden Kapi­
207 Die verschiedenen Datierungen diskutiert Kraut telle einer größeren Anzahl lykischer und kilikischer
heimer 25819- Die Dekorationsformen von Alahan Kirchen zu weit in das 6. Jh. vorrücken würden.
Monastir sind wegen ihrer Abhängigkeit von Formen 209 M. Gough, Alahan Monastir. Fourth preliminary
der Hauptstadt eingebunden in die Rekonstruktion report: AnatolStud 18 (1968) 45/7. In den verschiede­
der Situation hauptstädtischer Baudekoration in den nen Akanthusformen, die sich auf dem Schrein der
ersten Jahrzehnten des 6. Jh. großen Kolonnade finden (ebd. Taf. Xa), sieht Gough
208 G. Forsyth, Architectural notes on a trip through irrtümlich die Absicht des Steinmetzen, zwischen den
Cilicia: DumbOPap 11 (1957) 223/36 und O. Feld: »Stilen« beider Kirchen zu vermitteln (aO. 38).
Brenk 162 zu nr. 199 datieren in die Mitte des 6. Jh.
104 Christine Strube

der Ostkirche hin. Einen großen zeitlichen Abstand zwischen beiden Kirchen schließt er
aus und schlägt für die Ostkirche eine Entstehung unter Kaiser Zenon vor210.
Von Syrien kommend fallen zuerst die figürlichen Darstellungen auf den Seitengewän­
den und im Türsturz der Westtür der Evangelistenkirche auf211 (Taf. 21a). In der
Antiochene findet sich zu keiner Zeit eine solche Dichte figürlicher Darstellungen wie in
den Jahrzehnten zwischen ca. 530 und 570 (Taf. 11b. 15e. 16a. b). Wann die hinter ihnen
stehenden Vorbilder in der Baudekoration Antiochias ausgebildet wurden, wissen wir
nicht. Wenn wir die Dreiergruppe auf der Apsisarchivolte der Basilika von Qalbloze212 mit
dem Befund des 6. Jh. vergleichen, dann ist der große zeitliche Abstand vor allem in dem
Verhältnis der Figuren zum Grund und ihrer Beziehung zu den Omamentformen zu
fassen. Ich wies darauf hin, daß in den großen Medaillons der Kapitelle von Q. ibn
Wardan und Madba‘a und dem Kapitell in Baqirha (546 nC.) der grundlegende Wandel in
der Beziehung von Ornament und Figur zum Grund besonders klar zum Ausdruck
kommt. Zwischen der Figur und dem im Tiefendunkel kaum faßbaren Grund liegt die
ununterbrochene Musterebene, die die Figur ohne Bindung an ihn erscheinen läßt. Das
Verhältnis zu den Omamentfriesen und der starke Kontrast von weit aus dem Grund
vorkragenden und in die Fläche zurückgenommenen Formen würden die Westtür der
Evangelistenkirche, stände sie im nordsyrischen Kalksteinmassiv, nicht vor 520/30 datie­
ren. Nun könnte eingewandt werden, daß diese Darstellungsform in Antiochia vielleicht
schon in den ersten Jahrzehnten des 5. Jh. ausgebildet wurde, die Kirchen des Belus also
keinen festen Anhaltspunkt bieten. Es geht hier jedoch vor allem um die Abgrenzung des
5. gegen das 6. Jh., und dabei sprechen auch die Omamentfriese mit. Der feingezahnte
Akanthus der Türlaibungen führt über die Säulenkapitelle der Basilika A von Nea
Anchialos hinaus, und die Formen des Palmetten- und Palmetten-Lotusfrieses haben
einerseits in der Polyeuktoskirche und andererseits in justinianischen Kirchen enge
Parallelen213. Ist die Dekoration eine Vorstufe zu den großen Bauten oder ist sie von ihnen
abhängig?
Die Kapitelle mit feingezahntem oder kleingezacktem Akanthus im Untergeschoß der
Ostkirche214 stehen den Formen der Westkirche nahe, während die Kapitelle der Emporen
(Taf. 21b) sich von ihnen entfernen215. Bei letzteren ist die traditionelle Blattform
weitgehend aufgelöst, denn in beiden Blattkränzen werden Einzelformen und Motivfelder
durch ein fortlaufendes Band von Halbblättem, die übergreifen und zugleich einschließen,
zu einer Musterkombination zusammengefugt. Es bleibt offen, ob hinter den kelchförmig
sich ausbreitenden Halbblättem ein »Zwischenmuster«, vergleichbar dem unter der
Deckplatte des Kämpfers von Nea Anchialos, steht, und es ist ungewiß, ob dem
Steinmetzen bei der Ausbildung der gegen die Blattmitte gerichteten Blattzacken noch
bewußt war, daß es vergleichbare Formen auf Kapitellen des 3.Z4. Jh. gab. Die
Veränderung von Einzelmotiv und Motivfeld bei der Aufnahme in eine durchgehende
210 S. M. Gough, The emperor Zeno and some Cilician Grundform zeigt); Harrison/Firatli (1966, s. o. Anm.
churches: AnatolStud 22 (1972) 199/212 und C. Man 163) 223/38 Abb. 5; vgl. auch die Tür von Deir Seta,
go, Isaurian builders: Polychronion, Festschr. F. Döl- hier Taf. 12a, und die Konsole der Kuppelkirche von
ger (Heidelberg 1966) 364/6. Meriamlik, J. Keil /A. Wilhelm, Denkmäler aus dem
211 Verzone (s. o. Anm. 72) Abb. 4/11 und vor allem N. rauhen Kilikien = MonAsMinAnt 2 (Manchester 1931)
und J.-M. Thierry, Le monastere de Koca Kalesi en Abb. 49; zur Palmettenform E. Weigand, Das Theodo-
Isaurie: CahArch 9 (1957) 89/99. sioskloster: ByzZ 23 (1914/19) 208 und Taf. IV,2.
212 Tchalenko (s. o. Anm. 8) 2 Taf. CCII.3. 214 Verzone Abb. 94. 95. 97. 99/101; Forsyth Abb.
213 Kähler (s. o. Anm. 143) Taf. 64 (oberster Fries, der 24/6; vgl. Verzone Abb. 97 mit Kautzsch nr. 452.
in seinen Motiven zwar reicher ist, doch dieselbe 215 Verzone Abb. 90. 83. 82; Forsyth Abb. 30.
Die Kapitelle von Qasr ibn Wardan 105

Musterkombination fuhrt weit über die Kapitelle von Nea Anchialos hinaus. Daß sie in der
Ostkirche mit der Ablösung der seitlichen Blattabschnitte auf der einen und der
Ausdehnung der Blattmitte in heller, kaum differenzierter Relieffläche auf der anderen
Seite einherging, zeigen einige Kapitelle derselben Kirche216. In unserem Zusammenhang
kann der Vergleich der Pfeilerkapitelle von El Bara und Madba'a (Taf. 13b. 17 a) mit dem
Emporenkapitell der Ostkirche noch einmal den großen Unterschied zwischen syrischer
und kilikischer Kapitellplastik vor Augen fuhren: In syrischen Werkstätten werden die
Blattmuster mit nach innen gerichtetem Zackenrand fest mit dem ausgedünnten Blattzen­
trum verbunden (Abb. 7. 11. 12), in A. Monastir wird auf vielfältige Weise gerahmt und
eingefaßt, die Blattelemente wenden sich der Blattmitte zu oder führen von ihr weg, und
erst der Bewegungsfluß schafft den Musterzusammenhang.
Die Emporenkapitelle der Ostkirche kommen nahe heran an die Kapitelle der Kirche
von Djambazli (Taf. 21c)217 und der Kirche 4 von Kanlidivane (Taf. 20e)218, die mit der
Palmetten-Lotusreihe den unteren Blattkranz ersetzen (Taf. 21c) und im Wechsel von
Blattgeäst und »Normalblatt« ein Flächenmuster schaffen, das nur noch im abgehängten
Blattüberfall die alte Gliederung wachhält (Taf. 20e). Ziehen wir ein Kapitell mit
windbewegtem Akanthus aus der Region von Antalya hinzu, das eng mit den von
Harrison vorgestellten Kapitellen der Kirche von Muskar zusammenhängt 219 (Taf. 2Id):
Die Form des Blattes erinnert noch entfernt an die römischen Kapitelle, von denen die
Entwicklung ausging, und findet darum keine Parallele in Syrien. Doch zeigt der Vergleich
mit den Kapitellen aus Madba‘a und Baqirha (Taf. 11b. 16b) viel Gemeinsames: Der
rigorose horizontale Aufbau; die Tendenz, Zonen immer stärker zu untergliedern; der
blockhafte Umriß; der Gegensatz von weit ausladenden und ganz dem Grund verhafteten
Formen; der kreisrunde obere Abschluß der unteren Zone, deren Blätter in einer Art
Blattwulst enden220. Der Austausch der unteren Blattzone gegen einen Palmetten-
Lotusfries in dem Kapitell von Djambazli und die Verwandtschaft in der Gesamtform der
Kapitelle von Madba'a/Baqirha und Muskar/Antalya machen es wahrscheinlich, daß sie
zeitlich nicht weit auseinander liegen.
Trotz der engen Beziehungen zu den Dekorationsformen der Hauptstadt stehen die
Kirchen Kilikiens denen der Apamene und Antiochene nahe, weil auch in ihnen das
normale korinthische Kapitell eine große Rolle spielt. Die Variationen des Kapitelltypus in
der Ostkirche von Alahan Monastir lassen sich ebenso wenig direkt auf Vorbilder der
Hauptstadt zurückführen wie der Haupttypus der Kapitelle von Q. ibn Wardan. Die
unvermindert starke Position der einfachen und kompositen korinthischen Kapitelle in
lykischen und kilikischen Kirchen des fortgeschrittenen 6. Jh. ist wohl der Grund, daß uns
aus diesen Regionen zahlreiche Kapitelle erhalten blieben, die die Veränderung der
Blattform und der traditionellen Gliederung durch den Einfluß der Kämpferkapitelle vor

216 Verzone Abb. 97. 98. Abbildungsnachweis: Die Aufnahmen syrischer Kapi­
217 Keil/Wilhelm 43 Taf. 13. telle sind — mit Ausnahme der Vorlage zu Taf. 17b,
218 G. Bell: RevArch 7 (1906) 408/11; S. Eyice, Die die ich G. Tchalenko verdanke - von der Verfasserin,
Basiliken von Kanlidivane (= Kanyteleidis) = ZDMG ebenso die Aufnahme zu Taf. 21a. Die guten Aufnah­
Suppl. 4 (Wiesbaden 1980) 488/96. men der Kapitelle im Museum von Antalya, Taf. 18d
219 R. M. Harrison, A note on architectural sculpture und 21c, hat mir Klaus Nohlen zur Verfügung gestellt,
in central Lycia: AnatolStud 22 (1972) Abb. 18. 21. 22. die Vorlage zu Taf. 20e fertigte Jürgen Christern an,
23, hier Taf. 21d. und die des Kapitells in Kanlidivane Nina Brotze.
220 Vgl. ebd. Abb. 6. 7. Ihnen allen danke ich für die Publikationserlaubnis.
Die druckfertige Auszeichnung der Abb. 1/14 verdan­
ke ich Frau Dipl.-Ing. M. Wolff.
106 Christine Strube

Augen fuhren. Wenn die obigen Beobachtungen richtig sind, dann wären die beiden
Kirchen von Alahan Monastir nicht vor den ersten Jahrzehnten des 6. Jh. und eher gegen
530/40 fertiggestellt worden, und die Kapitelle von Djambazli, Kanlidivane, Muskar und
der Region von Antalya um die Mitte des 6. Jh., wenn nicht teilweise noch später
entstanden. Für das Gesamtbild der Kapitelle einer Kirche würde sich noch einmal
bestätigen, daß eine genauere Datierung nicht mit dem »klassischen« Akanthus, sondern
vor allem nach der fortgeschrittenen Form des feingezahnten Akanthus möglich ist.

Heidelberg Christine Strube


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 9

Dass. Rückseite. d. D a s s . S e i t e n a n s i c h t .
Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 10

A l e p p o , M o s c h e e Hallewiyye. Säulenkapitell. d. Kafr Ruma, Moschee. K a p i t e l l d e r K i r c h e d e s 6. J h .


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 11

A l e p p o , M o s c h e e H a l l e w i y y e . Pfeilerkapitell. d. Ebd. Pfeilerkapitell.


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 12

d. B a b i s q a , B a p t i s t e r i u m . Türsturz d e r Südtür. 6 Jh. e. B a q i r h a , O s t k i r c h e ( 5 4 6 nC.). S ä u l e n k a p i t e l l .


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983) Tafel 13

a. El Bara, Transeptkirche. Kapitell vom Untergeschoß.

b. Ebd. Pfeilerkapitell.

c. Ebd. Kapitell kleiner Ordnung. d. Ebd. Kapitell vom Untergeschoß. Fragment.


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 14

El Bara, Transeptkirche. Kapitell v o m Obergeschoß. d. Q a s r ibn W a r d a n , Kirche. Kapitell e. E b d . Kapitell v o n d e r N o r d e m p o r e .


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 15

d. E b d . Säulenkapitell. e. Q a s r ibn W a r d a n , Kirche. Kapitell v o n d e r S ü d e m p o r e .


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 16

Dass. Rückseite. d. D a s s . D i a g o n a l a n s i c h t .
Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 1 7

d. E b d . Säulenkapitell. e. Ebd. Türsturz der Südwesttür.


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 18

d. Antalya, Museum. Kapitell (3. Jh.). e. T y r o s , G r a b u n g s g e l ä n d e 1 9 6 8 . K a p i t e l l (3. Jh.).


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 19

Korinth/Lechaion, Kirche. Kapitell d e s Inneren. d. E b d . Kapitell d e s I n n e r e n (nach Pallas).


Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 20

Saloniki, D e m e t r i o s k i r c h e . Pseudokapitell d e r westlichen d. Ravenna, S. Vitale. T r i f o r i u m k a p i t e l l v o n d e r e. K a n l i d i v a n e , K i r c h e nr. 4. Pfeilerkapitell.


P f e i l e r v o r l a g e ( n a c h Soteriu). Westseite des Presbyteriums.
Jahrbuch für Antike und Christentum 26 (1983)
Tafel 21

D j a m b a z l i , G r o ß e K i r c h e . Kapitell. d. Antalya, Museum. Kapitell a u s d e r R e g i o n Antalya.

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