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Fremdsprachenerwerb - Wie früh und wie anders?

Workshop des Forum


Bildung am 14. September 2001 in Berlin
Bonn : BLK 2001, 84 S. - (Materialien des Forum Bildung; 13)

Quellenangabe/ Reference:
Fremdsprachenerwerb - Wie früh und wie anders? Workshop des Forum Bildung am 14. September
2001 in Berlin. Bonn : BLK 2001, 84 S. - (Materialien des Forum Bildung; 13) - URN:
urn:nbn:de:0111-opus-1733 - DOI: 10.25656/01:173

https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-opus-1733
https://doi.org/10.25656/01:173

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Kontakt / Contact:
peDOCS
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation
Informationszentrum (IZ) Bildung
E-Mail: [email protected]
Internet: www.pedocs.de
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Arbeitsstab Forum Bildung
in der Geschäftsstelle der
Bund-Länder-Kommission
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53113 Bonn
Tel. (0228) 5402 - 126
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Redaktion
Online-Redaktion Forum Bildung
Stephanstraße 7-9 · 50676 Köln
Tel. (0221) 2784-705
Fax (0221) 2784-708
[email protected]

Layout und Satz


Digitale Zeiten GmbH
Nikolaus Rulle
Umschlag: Helmut Langer Design

Fotos
Bert Mevissen

© Forum Bildung 2001

Die Verantwortung für den Inhalt der Textbeiträge liegt bei den Autoren. Fotomechanische Nachdrucke sowie die
Verarbeitung durch Film, Funk und Fernsehen bedürfen der Zustimmung des Herausgebers.

2
M at e r i a l i e n d e s Fo r u m B i l d u n g 1 3

Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?

Workshop des Forum Bildung


am 14.September 2001 in Berlin

3
Inhaltsverzeichnis

Begrüßung und Eröffnung


Elisabeth Bittner, Arbeitsstab Forum Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Impulsreferat:
„Frühes Sprachenlernen in Kindergarten und Grundschule“
Erfahrungen aus dem Ausland, aktuelle Situation in Deutschland und
Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung der Lehrenden
Heidemarie Sarter, Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz . . . . 10

Podiumsdiskussion:
Frühe Förderung: Kennenlernen von Fremdsprachen im Kindergarten und
Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. Anforderungen für die Fort-
und Weiterbildung der Lehrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Teilnehmer:
Norbert Huppertz, Pädagogische Hochschule Freiburg
Sabine Brendel, Unternehmen Kultur e.V., Dresden
Gerlinde Mehlhorn, BIP-Kreativitätszentrum, Leipzig
Marlene Wolter, Regierungsdirektorin, Niedersächsisches
Kultusministerium
Karin Leutert, Akademiereferentin, Baden Württemberg

Moderation: Peter Freese, Universität Paderborn


Zusammenfassung der Podiumsdiskussion: Christiane Knaup

4
Impulsreferat:
Vom Unterrichten einer Fremdsprache zum Lernziel Mehrsprachigkeit.
Entwicklung in der (Fremd)Sprachendidaktik. Thesen
Heidemarie Sarter, Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz . . . . 52

Podiumsdiskussion :
Fremdsprache als Kommunikationsmittel: Integration in den Fachunterricht
an allgemeinbildenden Schulen und Anforderungen für die Fort- und
Weiterbildung der Lehrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Teilnehmer:
Petra Maria Jung, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin
Iris Denkler, Elsa Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Nicola Hanecke, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Evelyn Junginger, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Brandenburg

Moderation: Peter Freese, Universität Paderborn


Zusammenfassung der Podiumsdiskussion: Christiane Knaup

Schlusswort
Angelika Hüfner, Senatsverwaltung für Schule, Jugend u. Sport, Berlin . . . 78

Liste der Teilnehmer/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Forum Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Bestellformular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

5
Elisabeth Bittner

Eröffnung des Workshops

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich zu der heutigen Veranstaltung, die ursprünglich im


Vorfeld des Zweiten Kongresses des Forum Bildung stattfinden sollte. Aus
aktuellem Anlass haben die beiden Vorsitzenden des Forum Bildung ent-
schieden, den für den 14. und 15. September vorgesehenen Zweiten Kongress
des Forum Bildung und die Projektemesse des Forum Bildung abzusagen.

Die Themenschwerpunkte „Lernen – ein Leben lang“ und Neue Lehr- und Lern-
kultur sollten im Mittelpunkt Zweiten Kongresses des Forum Bildung stehen,
und das Thema Fremdsprachenerwerb hat mit Blick auf beide Themenbereiche
eine zentrale Bedeutung.

• Bildung erhält immer mehr die Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft.


Wissen und Kompetenzen, um Wissen zu erschließen und gezielt zu nut-
zen, sind heute notwendige Voraussetzung, um gesellschaftlichen Wandel
mit zu gestalten.
• In den vorliegenden Vorläufigen Empfehlungen des Forum Bildung wird
die Bedeutung der Fremdsprachenkompetenz als eine zukunftsfähige
Schlüsselkompetenz hervorgehoben.
• Zugleich verdeutlichen die Aktivitäten im Rahmen des Europäischen
Jahres der Sprachen, dass Fremdsprachenkompetenz eine zentrale
Qualifikation auch für die künftige gesellschaftliche und kulturelle
Entwicklung in Europa ist.

Vor diesem Hintergrund hat das Forum Bildung die Frage „Fremdsprachener-
werb – Wie früh, wie anders?“ zum Thema dieses Workshops gemacht, um im
Dialog mit Organisationen und Einzelpersonen übergreifende Querschnitts-
fragen zu vertiefen.

6
Das Forum Bildung sieht vornehmlich folgende Handlungsfelder im Zusam-
menhang mit dem Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen:

1. die deutlich bessere Nutzung und Förderung der Fähigkeiten von Kindern
zum Fremdsprachenlernen in Kindertageseinrichtungen und Grundschule,
2. den frühzeitigen Fremdsprachenerwerb in einer dem Alter angepassten
Form,
3. die breite Umsetzung von Konzepten zum Umgang mit unterschiedlichen
Muttersprachen; dies schließt eine frühe Förderung des Deutschunter-
richts für Migrantenkinder ebenso ein, wie den sensiblen Umgang mit un-
terschiedlichen Herkunftssprachen,
4. die Nutzung von Fremdsprache als Kommunikationsmittel mit der Konse-
quenz einer Stärkung des bilingualen Unterricht im weiterführenden, all-
gemeinen Schulwesen.

In allen Themenschwerpunkten des Forum Bildung wird besonders die Be-


deutung einer frühen individuellen Förderung betont, die Lernmotivation und
Lernkompetenz vermittelt. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder ihre
Fähigkeiten, ihre Interessen und ihre personale und soziale Identität ent-
wickeln können.

Eine frühe fremdsprachliche Orientierung und geeignete Formen der Heran-


führung an eine neue Sprache können bei Kindern nicht nur das Bewusstsein
für andere Sprachen, sondern auch die Neugierde hierfür wecken. Das Forum
Bildung empfiehlt deshalb die Einführung eines altersgemäßen Fremd-
sprachenunterrichts in Kindergarten und Grundschule. Neue konzeptionelle
Ansätze für Spracherwerb sind gefragt und eine entsprechende Qualifizierung
des Personals ist hierfür erforderlich. Besondere Aufmerksamkeit ist an den
Schnittstellen gefragt, etwa bei den Übergängen zwischen Schulformen und
Schulstufen.

Das Forum Bildung hat sich daher bewusst auf die Fragestellung der frühen
Fremdsprachenförderung konzentriert. Dies in der Überzeugung, dass die
Grundlagen für lebenslanges Lernen verbessert werden, wenn eine frühe
Förderung von Lernmotivation und Lernkompetenz in Kindertagesstätten und
in der Grundschule gelingt. Bildungspotenziale zu wecken und zu fördern ist

7
Elisabeth Bittner

das Ziel, und die entsprechende Weiterqualifikation des Personals ist für das
Forum Bildung eine Schlüsselfrage.

Eine aktuelle Eurobarometer-Untersuchung besagt, dass 93% der befragten


Eltern es für wichtig halten, dass ihre Kinder andere europäische Sprachen
lernen. 71% erwägen die Notwendigkeit, dass jeder EU-Bürger zumindest eine
Fremdsprache sprechen sollte. 53% der Europäer sagen, sie beherrschen zu-
mindest eine weitere EU-Sprache über ihre Muttersprache hinaus.

Im OECD Bericht Bildung auf einen Blick wird positiv hervorgehoben, dass
Deutschland überdurchschnittlich viel Zeit in den Fremdsprachenunterricht
investiert: 16% der Unterrichtszeit gegenüber 11% im OECD-Durchschnitt.
Dieser eingeschlagene Weg muss jedoch nachhaltig gesichert werden.

In den Bundesländern haben bereits Veränderungen stattgefunden: im Be-


reich des frühen Fremdsprachenlernens und im Bereich der Integration von
Fremdsprachenunterricht in den Fachunterricht. Diese Entwicklungen stellen
besonders wertvolle Erfahrungen dar.

Lassen Sie mich einige beispielhaft benennen:

• In nahezu allen Bundesländern wird die erste Fremdsprache im Unterricht


der Grundschulen ab Klasse 1 oder Klassenstufe 3 unterrichtet. Entspre-
chend sind die Curricula der Sekundarstufe I darauf abgestellt worden.
• In der Weiterführung der ersten Fremdsprache ist der Unterricht in
verschiedene Sachfächer integriert worden, z.B. werden Biologie, Physik
oder Chemie als bilinguale Schulfächer angeboten.
• In der frühen Förderung liegen Erfahrungen zu Englisch als Zweitsprache,
aber auch zur Etablierung der Sprache der Nachbarn vor. Verschiede Kon-
zepte zum Umgang mit unterschiedlichen Herkunftssprachen in Kinder-
tagesstätten und Grundschulen sind entstanden. Es gibt Modellversuche
zu bilingualem Unterricht im Kindergarten.
• In zahlreichen Initiativen wurden durch das Erlernen der Partnersprache
die Voraussetzungen für einen grenzüberschreitenden Austausch und
interkulturelles Lernen geschaffen.

8
• Durch die Öffnung von Schule konnten Synergien für den Sprachenerwerb
entstehen. Es haben sich neue Lehr- und Lernformen auf der Grundlage
schulindividueller und unterrichtsorganisatorischer Konzepte entwickeln
können.
• Die Hinführung zu selbstorganisiertem Lernen ist auch durch den gezielten
Einsatz der neuen Medien weiterentwickelt worden.
• Es liegt ein gemeinsamer europäischer Referenzrahmen zur Förderung von
Transparenz im Sprachenunterricht auf allen Stufen vor.
• Methodisch-didaktische Konsequenzen aus den Veränderungen haben
Eingang in die Lehreraus- und -weiterbildung gefunden.

Der heutige Workshop hat zum Ziel, einige dieser Entwicklungen vorzustellen
und die Umsetzung von Konzepten und Erfahrungen zu diskutieren. Er soll da-
zu beitragen, den Dialog im Forum Bildung zu diesem Thema zu unterstützen.
Die Ergebnisse der Fachtagung werden bei der Formulierung der Gesamtemp-
fehlungen des Forum Bildung berücksichtigt, und sie werden für eine breitere
Öffentlichkeit dokumentiert.

Mit einem herzlichen Dank an alle Beteiligten eröffne ich hiermit den Work-
shop und gebe die Frage: Fremdsprachenerwerb „Wie früh – und wie anders“
an Sie weiter.

Elisabeth Bittner
Arbeitsstab Forum Bildung

9
Heidemarie Sarter

Frühes Sprachenlernen in
Kindergarten und Grundschule:
‚Je früher, desto anders!‘
Erfahrungen aus dem Ausland, aktuelle Situation
in Deutschland und Konsequenzen für die Aus- und
Weiterbildung der Lehrenden

1. (Frühes) Sprachenlernen im europäischen Kontext


Seit einer ganzen Reihe von Jahren bereits wird im Rahmen der europäischen
Einigung mehr Gewicht auf das Erlernen anderer Sprachen gelegt. So forder-
ten bereits vor 25 Jahren der Europarat und die Europäische Gemeinschaft (in
einer Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für Bil-
dungswesen vom 9. Februar 1976) ihre Mitgliedsstaaten auf, dem Fremd-
sprachenunterricht mehr Raum zu geben und es jedem Schüler, jeder Schüle-
rin zu ermöglichen, eine andere Sprache der Gemeinschaft zu erlernen. Knapp
20 Jahre später findet sich im Weißbuch der Europäischen Kommission Lehren
und Lernen – auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft bereits die Formulie-
rung: „Nach Durchlaufen der Erstausbildung muss... jeder zwei Fremdspra-
chen beherrschen“ (zit. n. Eurydice 2001a, 5). Der Erwerb anderer europäi-
scher Sprachen wurde und wird unterstützt durch breit angelegte Programme,
wie Sokrates, Lingua, Comenius. Die Bemühungen haben insgesamt dazu ge-
führt (vgl. ebda., 10), dass

1. in vielen Ländern mehr und früher Fremdsprachen in das (verbindliche)


Curriculum aufgenommen wurden,
2. für den Fremdsprachenunterricht mehr Zeit zur Verfügung gestellt wurde,
3. die Anzahl der von Schulen angebotenen Fremdsprachen erhöht wurde.

Vor kurzem nun veröffentlichte Eurydice, das EU-„Informationsnetz zum Bil-


dungswesen in Europa“ eine breit angelegte Studie über den Stand der Fremd-
sprachenvermittlung in 29 Ländern, d.h. den EU-, den EFTA/EWR- und den
Beitrittsstaaten (Eurydice 2001: Der Fremdsprachenunterricht an den Schulen
in Europa, Brüssel; auch online verfügbar unter www.eurydice.org). Einen

10
aktuellen Überblick auf europäischer Ebene verschafft die folgende Tabelle,
die die Veränderungen im Sprachlernangebot der einzelnen Länder aufführt.

Angebot im Rahmen des Kerncurriculums verbindlich vorgeschriebenen Fremdsprachen an Schulen


des Primarbereichs und des allgemeinbildenden Sekundarbereichs (Berichtsjahre 1974 und 1998).

11
Heidemarie Sarter

Im Vergleich der Jahre 1974 und 1998 zeigt sich, dass in fast allen Ländern der
EU die Position der Fremdsprachen erheblich gestärkt wurde – sei es, dass der
Unterrichtsbeginn vorverlegt wurde bzw. die Unterrichtsspanne verlängert
wurde, sei es, dass die Anzahl der zu lernenden Sprachen erhöht wurde. Ein
Blick beispielsweise auf die für Deutschland angegebenen Daten zeigt aber
auch die Schwierigkeit, die Realität in den Ländern mittels solch übergreifen-
der statistischer Angaben erhellen zu können. So ist Deutschland auch für das
Jahr 2000 immer noch mit einem obligatorischen Einsatz einer ersten anderen
Sprache mit Beginn der Sekundarstufe verzeichnet – obwohl bereits in einer
ganzen Reihe von Bundesländern eine Fremdsprache in der Grundschule
flächendeckend und verpflichtend eingeführt ist. Allerdings betrifft dies noch
nicht die gesamte Republik, so dass diese Entwicklung hier statistisch noch
nicht zu Buche schlägt.
Es liefen und laufen in vielen Ländern Pilotprojekte zur methodischen und di-
daktischen Erprobung frühen (Fremd)Sprachenlernens. Die Umsetzung erfol-
greicher Modelle in flächendeckende Angebote hängt ab von der jeweiligen
Struktur des Bildungs- und Schulwesens, ebenso wie die Frage der Autonomie
der einzelnen Schulen unterschiedlich geregelt ist.
In den Jahren 1996 bis 2000 arbeitete ich im Rahmen eines Sokrates-Projekts1
zur Spracharbeit in der Grundschule mit Kolleginnen und Kollegen aus
6 Ländern zusammen. Die Treffen fanden jeweils in einem anderen Land statt
und waren verbunden mit Schulbesuchen und Gesprächen mit Lehrkräften
und Schulleitung. Es zeigte sich, dass zentrale Begriffe der Didaktik anderer
Sprachen im Primarbereich, wie bspw. Kommunikativer Ansatz und Hand-
lungsorientierung, länderübergreifend sind, wenngleich auch der Besuch vor
Ort doch ebenfalls zeigte, dass diese Begriffe ihre konkrete Interpretation
jeweils vor der Folie der nationalen Tradition in Bildung und Fremdsprachen-
didaktik, der kulturellen Vorstellungen von Kind und Kindheit erfahren und
somit nicht deckungsgleich sind.
Vergleicht man die didaktischen Ansätze des frühen Fremdsprachenlernens in
den Ländern der Eurydice-Studie, die mit verbindlichem Primarfremdspra-
chenunterricht aufgeführt sind, so zeigt sich eine recht große Einheitlichkeit:
Im Vordergrund steht die (einfache) mündliche Kommunikation, zu der Kinder
durch den Primarunterricht2 befähigt werden sollen. Die allgemeinen Lern-
ziele werden – in unterschiedlicher Ausführlichkeit und mit unterschiedlichen
Formulierungen – häufig auf drei Ebenen angegeben (cf. Eurydice 2001, Annex
„National Summary Tables on Foreign Language Curricula“, 201-364):

12
1. allgemein pädagogische Zielsetzung: Bereicherung der Persönlichkeit der
Lernenden, Förderung und Ausweitung ihrer intellektuellen Kapazitäten
und Kompetenzen
2. kulturelle Zielsetzung: über den Gebrauch der anderen Sprache andere
kulturelle Muster und Herangehensweisen kennen und schätzen zu lernen
3. praktische Zielsetzung: Erwerb anderssprachlicher Kommunikationsfähig-
keiten.

2. Erwerb einer weiteren Sprache im Vorschul- und Grundschulalter


Wenngleich auch Mehrsprachigkeit seit einer Reihe von Jahren valorisiert
wird, so steht dem doch eine lange, Jahrhunderte lange Tradition entgegen. Es
ist noch nicht lange her, da war Zwei- und Mehrsprachigkeit im Kindesalter für
viele mit einem Makel behaftet: Man ging davon aus, dass zweisprachige Kin-
der in ihren schulischen Leistungen schlechter abschneiden würden als ein-
sprachige, dass die Tatsache der Zweisprachigkeit Verwirrung stifte, die Ent-
wicklung der Intelligenz behindere, dass zweisprachige Kinder eher zu
Stottern neigen als einsprachige, ja, es wurde sogar so weit gegangen, ihre
psychische Gesundheit gefährdet zu sehen (vgl. Porsché 1975; Zimmer 1996).
Erst zu Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zeigten sich erste
Gegenstimmen (Peal/Lambert 1962), die diesen Ansichten, deren Wurzeln wir
in der nationalstaatlichen Tradition Europas sehen, begründet entgegentra-
ten. Die Wende in der Sprachwissenschaft, die mit Noam Chomsky einsetzte,
brachte in der Folge Erkenntnisse, die aufzeigen, dass der Erwerb von mehr als
einer Sprache, sei es simultan von Geburt an, sei es konsekutiv im frühen
Kindesalter, nicht nur als unschädlich für die Entwicklung von Sprache und
Psyche anzusehen sind, sondern den normalen Spracherwerbsfähigkeiten
aller Menschen entspricht und problemlos vonstatten geht, wenn die ent-
sprechenden Ausgangsbedingungen gegeben sind.
Der Titel dieses Impulsreferats vermeidet einen Begriff, den man vielleicht im
vorliegenden Zusammenhang erwartet hätte: Es ist von „frühem Sprachen-
lernen“ die Rede, nicht von „frühem Fremdsprachenlernen“. Und dies ist gut
so, denn der Begriff „Fremdsprache“, entstanden in der Tradition der Heraus-
bildung und Festigung der europäischen Nationalstaaten, schafft Distanz, ver-
weist auf überwundene Stadien nicht nur der politischen Entwicklung, son-
dern auch der Möglichkeiten der direkten und indirekten Kommunikation mit
Sprechern dieser Sprachen. Hinzu kommt, dass der Begriff „Fremdsprache“ –
eng verbunden mit schulischer Ausbildung – auch immer noch bestimmte

13
Heidemarie Sarter

Vorstellungen über das Lehren und Lernen anderer Sprachen transportiert, die
gerade in Hinsicht auf die Altersgruppen, um die es im vorliegenden Zusam-
menhang geht, nicht angemessen sind.
Die Formulierung „frühes Sprachenlernen“ verweist aber auch darauf, dass
bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter der Spracherwerb in der Mutter-
sprache noch nicht abgeschlossen ist bzw. unter Umständen Deutsch als
Zweitsprache in dieser Zeit gerade erst erworben wird. Die Kinder verfügen
aber über mindestens eine ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend
ausgebildete Sprache, die sie in die Lage versetzt, Welt zu erkennen und zu
verstehen bzw. erkennen und verstehen zu lernen.
Die Entwicklung in der Spracherwerbstheorie bindet sich ein in die politische
Entwicklung der zunehmenden Einigung Europas und der Globalisierung der
Welt, die die Kenntnis anderer Sprachen braucht und entsprechend valorisiert.
Nicht nur der Erwerb der Muttersprache, sondern auch der einer zweiten
Sprache im Kindesalter geschieht – sind entsprechend positive Ausgangsbe-
dingungen gegeben – spontan. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kinder die
besseren Sprachenlerner seien. Sie lernen anders als Erwachsene und Jugend-
liche nach der Pubertät. Denn bis zu einem Alter von ca. acht bis 10 Jahren sind
die intellektuellen Kapazitäten zum Erwerb einer anderen Sprache vorrangig
intuitiv-imitativ. Danach werden Sprachen – in Abhängigkeit vom erreichten
kognitiven Entwicklungsstand und den bereits erworbenen Vorkenntnissen –
eher analytisch-explizit gelernt.
Die intuitiv-imitative Vorgehensweise, die dem Lernenden in der Regel selbst
unbewusst bleibt, folgt im Großen und Ganzen den Prinzipien des Erstsprach-
erwerbs: Aus dem Gehörten werden über den Prozess der stetig verifizieren-
den Hypothesenbildung Regeln abgeleitet, überprüft und den Erfordernissen
der Struktur der zu erwerbenden Sprache angepasst. Abstrakte explizite
Regeln sind für Kinder bis zu einem gewissen Entwicklungsstand noch nicht
zugänglich und je jünger die Kinder sind, desto mehr ähneln sich Erst- und
Zweitspracherwerb, ohne jedoch identisch zu sein. Je weiter die erstsprachli-
che Entwicklung fortgeschritten ist, desto mehr beeinflusst sie auch den Er-
werb der Zweitsprache (Interferenzen).
Dabei übersteigt das Sprachverständnis die eigenen Möglichkeiten zur
Sprachproduktion insbesondere in der Anfangszeit erheblich. Ausgehend von
einer muttersprachlich-(zweitsprachlich)-nonverbalen Erfassung der Situa-
tion werden, basierend auf dem bereits erworbenen Weltwissen, die unbe-
kannten Lautketten der anderen Sprache nach und nach untergliedert und

14
immer gezielter mit (semantischem und strukturellem) Sinn gefüllt. Die dann
einsetzende Sprachproduktion ist ein Prozess der kreativen Imitation auf der
Grundlage der entwickelten Erkenntnisse – die im Fluss sind und sich nach und
nach den Strukturen der Zielsprache annähern.
Das bedeutet, die Kinder müssen genügend „Informationsmaterial“ haben,
um ihre Sprachkompetenz aufbauen zu können. Die ideale Ausgangssituation
für den Erwerb einer anderen Sprache in diesem Alter ist dementsprechend
das „Sprachbad“, das Eintauchen in die Sprache in ihrer Verwendung. Im
sprachlichen und nichtsprachlichen Handeln und in der Anschaulichkeit er-
schließt sich die Sprache zunehmend, und zwar sowohl in ihren Strukturen als
auch in ihrem Lexikon.
Allerdings handelt es sich hierbei um einen Prozess, der zwar unbewusst,
nicht aber ungewollt abläuft. Voraussetzung zum Erwerb einer weiteren
Sprache insbesondere im Vorschulalter ist die positive Haltung des Kindes,
seine Offenheit gegenüber der anderen Sprache (bereits Dulay/Burt 1973
sprechen vom „sozio-affektiven Filter“, der den Zweitspracherwerb in hohem
Maße beeinflusst). Da es bereits über weitgehend ausgeprägte Sprachkennt-
nisse in seiner ersten Sprache verfügt, braucht es die zweite Sprache nicht; der
Erwerb kann verweigert werden. Dies zeigt sich häufig in Situationen, in denen
die andere Sprache mit negativen Assoziationen verbunden wird (cf. Bense
1981).
Eine weitere Bedingung, die erfahrungsgemäß erfüllt sein muss, damit Kinder
im Vorschulalter sich auf eine andere Sprache einlassen, ist die Authentizität
der Verwendung dieser Sprache. Erst mit zunehmendem Alter wird die Einsicht
in die Rolle des Lernens auch von Sprachen als „virtuelle Situation“ größer.
Authentizität bedeutet für Kinder im (frühen) Kindergartenalter vor allem die
Zuordnung von Sprachen zu Personen, d.h. dass sie die andere Sprache mit
der sie sprechenden Person nach dem Prinzip: Eine Person – eine Sprache ver-
binden. Dabei wird in der Regel die Sprache akzeptiert, mit der sie die andere
Person kennen gelernt haben.3 Die Konsequenz, die aus dieser Einsicht zu zie-
hen wäre, ist, auch im frühen Sprachenlernen im Kindergarten dies zu respek-
tieren und für die andere Sprache Muttersprachler/innen einzusetzen.
Je älter die Kinder werden, desto eher sind sie in der Lage, zwischen Sprache
und Person zu differenzieren. Wenngleich sie in etwa mit Schuleintritt diese
Entkopplung vornehmen können, so bedarf es doch auch in der Grundschule
der Authentizität. Diese erweist sich in dem Sinn, den das Sprachenlernen für
sie im Hier und Jetzt hat. Dabei sind Singen und Spielen in der anderen Sprache

15
Heidemarie Sarter

wichtige methodische Mittel, sie reichen jedoch nicht aus, um auf die Dauer
die Motivation der Schüler und Schülerinnen aufrecht zu erhalten. Und je älter
die Kinder werden, desto mehr erwarten sie auch eine persönliche Nachvoll-
ziehbarkeit des eigenen Lernprozesses, das Wissen darüber, dass sie etwas
gelernt haben und was sie gelernt haben.
Die Handlungsorientierung des Sprachenlernens sollte über Schule und Unter-
richt hinausweisen. Austausch und Partnerschaft sind auch bereits in der
Grundschule probate Mittel der Herstellung von Authentizität und damit der
Motivierung der Schüler. Nicht nur wegen des jungen Alters der Lerner bietet es
sich deshalb an, das frühe Sprachenlernen auf die Nachbarsprache(n) zu kon-
zentrieren. (Englisch lernen sie im Laufe ihrer Schulzeit sowieso noch.) Direkte
Begegnungen, Kurzreisen sind möglich, Besuche der Partnerklasse, Be-
gegnungen an einem dritten Ort... Allerdings wollen diese Begegnungen gut
vorbereitet sein und sollten nicht unbewusst-unreflektiert mit nicht erfüllbaren
Vorstellungen verbunden sein. Aber auch Brief- bzw. E-Mail-Partnerschaften
(vgl. Sarter 2000) bringen in der Regel große Motivationsschübe bei den
Klassen. Da gerade Partnerschaft kein ein für alle Zeit erworbenes Gut ist, son-
dern ständige Arbeit und Auseinandersetzung nicht zuletzt auch mit sich selbst
bedeutet, ist es unerlässlich, diesen Bereich (nicht nur) grundschulischer
Arbeit explizit in die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte aufzunehmen.

3. „Wer andere Sprachen nicht kennt, weiß nichts über die eigene.“
Bereits Goethe formulierte die Einsicht, dass die Kenntnis anderer Sprachen
zur Kenntnis der eigenen beträgt. Handlungsorientierung des anderssprachli-
chen Unterrichts, intuitiv-imitativer Spracherwerb von Seiten der Kinder, der
explizit-analytischen Grammatikunterricht für diese Altersgruppe kontrapro-
duktiv werden lässt, noch nicht voll ausgebildete Sprachkompetenz in der
Erst- bzw. Zweitsprache Deutsch und nicht zuletzt das Interesse, das Kinder in
der Regel metasprachlichen, ja sprachphilosophischen Überlegungen entge-
genbringen – sofern sie kindgerecht formuliert sind –, sprechen für eine trans-
linguale Spracharbeit, die für die Kinder aus dem Vergleich der deutschen mit
der anderen in den Unterricht eingebrachten Sprache gewinnbringende Er-
kenntnisse und Kenntnisse für beide Sprachen bringt. Die sich in der verglei-
chenden Diskussion einstellende Einsicht in die (Teil-)Willkürlichkeit der eige-
nen Sprache schafft Distanz und erleichtert in der Folge den Erwerb anderer
Sprachen.

16
4. Problemfelder
4.1 Die Quadratur des Kreises? I
Fassen wir die Ausgangsbedingungen für kindlichen Zweitspracherwerb zu-
sammen, so stellen wir fest, dass einerseits das Sprachbad die Voraussetzung
ist, damit Kinder im sprachlichen und nicht-sprachlichen Handeln nach und
nach die Wörter und Strukturen der anderen Sprache erfassen und sich aneig-
nen. Es werden keine grammatischen Regeln auswendig gelernt und dann an-
gewandt, sondern die Sprachstruktur wird aus dem Gehörten erschlossen.
Dies braucht viel sprachlichen Input; es bedeutet aber auch: Je länger die
anderssprachigen Situationen andauern bzw. je öfter und intensiver sie sich
den Kindern bieten, desto größer sind die Chancen des intuitiv-imitativen
Spracherwerbs.
Stellen wir dem die in den Schulen für das frühe Sprachenlernen zur Verfügung
stehende Zeit entgegen – maximal 2 Unterrichtsstunden die Woche, die zudem
vorrangig in der Mündlichkeit verbleiben, also einen hohen Wiederholungs-
aufwand notwendig machen –, so müssen wir feststellen, dass hier ganz offen-
sichtlich zwei kaum miteinander zu vereinbarende Gegebenheiten aufeinan-
der treffen.4
Nun wird es nicht möglich sein, ausreichend Zeit und Raum für das Erlernen
einer anderen Sprache im Rahmen der gegebenen Grundschule zur Verfügung
zu stellen. Von daher kann der intuitiv-imitative Spracherwerb der Kinder nur
erfolgreich sein, wenn das Faktum der nicht ausreichenden Zeit kompensiert
wird durch eine sprachstrukturelle Planung. Soll Kommunikationsfähigkeit –
wenn auch auf einfacher Ebene – hergestellt werden, so reichen Worte allein
nicht aus. Es muss auch die Fähigkeit aufgebaut werden, sie entsprechend den
Regeln der jeweiligen Sprache zu Sätzen zu fügen. Es gilt, produktive Regeln
aufzubauen.
Aus der Forschung wissen wir, dass nicht nur der Erstspracherwerb in seiner
Struktur in relativ festgelegter Folge vor sich geht, sondern auch der (unge-
steuerte) Zweitspracherwerb. Die Aufeinanderfolge der jeweiligen Erwerbs-
sequenzen ist nicht willkürlich. Dieses gilt es in der Unterrichtsplanung zu
berücksichtigen und durch entsprechend planende Vorgehensweisen den
Kindern den Erwerb dieser Strukturen zu erleichtern, ja nahe zu legen.

4.2 Die Quadratur des Kreises? II


In den Lernzielbestimmungen finden sich häufig Formulierungen wie: ange-
strebt wird die Herstellung ,elementarer‘ Kommunikationsfähigkeit, die Be-

17
Heidemarie Sarter

fähigung zur Bewältigung ,einfacher‘ anderssprachiger Kommunikationssitu-


ationen. Nun bedarf es aber auch in ,einfachen’ Kommunikationssituationen
wenn nicht der Gesamtheit der Strukturen der Sprache, so doch breiter und
wesentlicher Ausschnitte, und zwar sowohl von Anfang an als auch gleichzei-
tig und dies umso mehr, je handlungsorientierter der Unterricht ist.
Wenngleich auch aus unterschiedlichen Gründen sich Grammatikunterricht in
der Primarstufe verbietet, so kann doch auf die Vermittlung von Sprachstruk-
turen nicht verzichtet werden. Es heißt also, Grammatik – was ja nichts ande-
res ist als Sprachstruktur – umzuwandeln in kommunikationsrelevante
sprachliche Beispiele mit exemplarischen Charakter, deren Beispielhaftigkeit
sich in der wiederholenden Verwendung einprägt und die Lernenden zur Über-
tragung auf analoge sprachliche Situationen veranlasst. Dass dies in
grundschulpädagogisch angemessener Weise zu geschehen hat, sollte
selbstverständlich sein.

4.3 Die Quadratur des Kreises? III


Wenn auch die Vermittlung von fremdsprachlichem Wissen im Unterricht
immer linear ist, so ist eine Linearität in Sprache nicht gegeben. Aufgabe der
Lehrkraft, die über Kenntnisse im zweitsprachlichen Erwerbsprozess verfügen
muss, ist es, einerseits in angemessener Weise das Sprachbad zu liefern – d.h.
sowohl den inhaltlichen Interessen der Kinder gerecht werdend als auch
sprachlich ausgewählt strukturierend – und den Kindern damit die
Möglichkeit des Erfassens von Worten und Strukturen zu bieten. Andererseits
muss sie aber auch auf der Grundlage der sprachlichen Produktion der Kinder
deren jeweiligen individuellen Erwerbsstand erkennen, erfolgen und – wenn
und wo nötig – in methodisch angemessener Weise spezifisches sprachstruk-
turelles Übungsmaterial entwickeln. Hierbei ist in hohem Maße kompetente
Beobachtungsgabe gefordert. Denn die Kinder unterscheiden sich im Stand
ihrer Erwerbsstadien, manche Kinder brauchen länger, manche Erwerbs-
stadien werden von einigen Kindern so schnell überwunden, dass es scheint,
als hätten sie sie nicht durchlaufen. Hier möglichst allen Kinder in ihren
Interessen, ihrer Motivation und ihrem Lernprozess gerecht zu werden, setzt
hohe Kompetenz und Flexibilität voraus.
Fremd-/anderssprachige Handlungskompetenz wird am umfassendsten in
der Handlung selbst erworben. Von daher bietet es sich an, dass die Klassen-
lehrerin auch den anderssprachlichen Unterricht erteilt. Denn sie kann an-
derssprachliche Unterrichtssequenzen am besten im Gesamtunterricht plat-

18
zieren und die jeweilige Verbindung zu den anderen Lernzielen herstellen.5
Wenngleich der Unterricht also handlungsorientiert aufgebaut sein muss, so
muss doch die Orientierung der Lehrkraft nicht minder auf das Produkt gehen:
die entstehende Sprachkompetenz. Diese in ihrer Prozesshaftigkeit und
Variabilität zu erfassen und gezielt zu fördern, ist die grundlegende meta-
unterrichtliche Aufgabe der Lehrkraft.

5. Konsequenzen für Lehreraus- und Weiterbildung


Die erforderliche Kompetenz, um in der Primarstufe eine andere Sprache
unterrichten zu können, setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten
zusammen:

a) die fremdsprachliche Kompetenz, die kein ,Buchwissen’ darstellt, son-


dern es erlaubt, sprachlich sicher in der Alltags- und Unterrichtskommu-
nikation zu handeln. Dies schließt Aussprache, Intonation und Prosodie
ebenso ein wie semantisches und pragmalinguistisches Wissen und das
fachsprachliche Vokabular von Unterricht, Schule, Austausch und
Partnerschaft,
b) die sprachwissenschaftliche Kompetenz, die sich ihrerseits aus den Be-
reichen Allgemeine Sprachwissenschaft, fachwissenschaftliche Kennt-
nisse über die deutsche und die andere Sprache, über ihre Strukturen im
Vergleich, ihre jeweils situationsangemessene Verwendung, und nicht
zuletzt Kenntnisse in der Spracherwerbstheorie für Erst- und Zweitspra-
che zusammensetzt und eine Reflexion des eigenen fremdsprachlichen
Lernprozesses als einen möglichen Weg einschließt6,
c) die kulturwissenschaftliche Kompetenz, durch die die Lehrkraft sowohl in
der Lage ist, Informationen über die Kultur des Zielsprachenlandes den
Kindern angemessen zu vermitteln als auch den Prozess interkulturellen
Lernens und Kommunizierens zu meistern und schließlich natürlich
d) die grundschulpädagogische Kompetenz, die es erlaubt, methodisch und
methodologisch angemessen zu handeln und binnendifferenzierend die
unterschiedlichen Fähigkeiten aller Kinder zu fördern.

All diese Komponenten müssen zusammenfließen in der Fähigkeit, sie je adä-


quat in der unterrichtlichen Planung, Aktion und Reaktion zusammenzuführen.
Um dem frühen Sprachenlernen möglichst große Chancen einzuräumen, gilt
es – die Spannbreite dieser notwendigen, hier nur kurz angedeuteten Kompe-

19
Heidemarie Sarter

tenzen vor Augen –, einer guten Ausbildung der Lehrkraft oberste Priorität ein-
zuräumen. Und das muss auch heißen, von einer überkommenden Vorstel-
lungen Abschied zu nehmen, nämlich das Unterrichten einer anderen Sprache
im Primarbereich sei einfach, es genüge, die Sprache zu sprechen und metho-
disch über grundschulpädagogische Kompetenzen zu verfügen. Diese Vorstel-
lung wird, wie ich aufzuzeigen versucht habe, dem Sprachenlehren in der
Grundschule nicht gerecht. Denn bei keiner anderen Altersgruppe heißt es für
die Lehrkraft, sich quasi vollständig auf den indirekten, eigenständigen Zugriff
der Lerner auf die andere Sprache einzustellen und darauf aufbauend die Kin-
der motivierende und ständig remotivierende Unterrichtsmodelle zu ent-
wickeln und umzusetzen, die am Ende der Grundschulzeit bei den Schülern
und Schülerinnen eine definierbare, vergleichbare Sprachkompetenz – und
das heißt Sprachkönnen, nicht Sprachwissen – hervorgebracht haben, an der
in den weiterführenden Schulen angesetzt werden kann.

6. Nicht nur früher, sondern auch intensiver


Um dem frühen Sprachenlernen möglichst große Chancen einzuräumen, gilt
es aber auch, über eine Neuverteilung des schulischen Kompetenzerwerbs
nachzudenken, und zwar bezogen auf die gesamte (Pflicht-)Schulzeit. In den
letzten Jahren ist nicht nur die Fremdsprachenarbeit neu in das Curriculum der
Grundschule gekommen, auch Bereiche wie „Europäische Grundbildung“,
„Moderne Medien/Arbeit mit dem Computer“ beanspruchen ihr Recht und
ihre Zeit in der grundschulischen Ausbildung der Kinder. Die Unterrichtszeit
kann nicht unbegrenzt ausgedehnt werden. Zwar bietet die inzwischen vieler-
orts diskutierte Perspektive der Ganztagsschule neue Freiräume, die sich ins-
besondere für den frühen Spracherwerb anbieten. Sie wird aber nicht kosten-
neutral realisierbar sein.
Was spricht dagegen, in den Grundschuljahren einen wesentlichen Schwer-
punkt im Bereich des Sprachenlernens zu setzen und andere Bereiche in die
ersten Jahre der weiterführenden Schulen zu verlagern? Zwar stimmt der Satz
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ nicht für das Lernen an-
derer Sprachen; es stimmt aber, dass, was Hänschen nicht lernt, Hans u.U. mit
sehr viel größerem intellektuellen und zeitlichen Aufwand lernen muss. Die
guten vorhandenen Ansätze (kindgerechtes Lernen, d.h. eigenständiges Er-
fassen ermöglichen, Spracherwerb im und aus dem Handeln heraus) drohen
kontraproduktiv zu werden, wenn sie in zeitliche Fesseln gepresst werden, die
eben dieses lernerautonome Vorgehen nicht in ausreichendem Maße erlau-

20
ben. Sollen die Sprachlernfähigkeiten von Kindern im Primarschulalter opti-
mal genutzt werden, muss dem Sprachenlernen mehr Zeit eingeräumt werden.
Ob ein Kind eine andere Sprache mit 6 oder mit 12 lernt, macht einen Unter-
schied, ob es das Große Einmaleins mit 8 oder mit 10 lernt, scheint mir weni-
ger wichtig, vorausgesetzt, es lernt es und das darauf aufbauende Pensum bis
zum Ende seiner Schulzeit. Es scheint mir dringend angebracht, im Sinne einer
optimalen Nutzung der Vorteile des frühen Sprachenlernens über eine
Neuverteilung des Stoffs bzw. der Fächer über die gesamte Schulzeit hinweg
nachzudenken (entscheidend ist der Tag der Schulentlassung) und – warum
nicht? – beispielsweise auch in Erwägung zu ziehen, Bereiche der bisherigen
grundschulischen Ausbildung zugunsten einer intensiveren Spracharbeit
(Mutter-, Zweit- und Fremdsprache) auf später zu verlagern.

Bibliographie

Bense, Elisabeth (1981): „Der Einfluss von Zweisprachigkeit auf die Entwicklung der metasprach-
lichen Fähigkeiten von Kindern“, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 20, 114-138.
Dulay, Heidi/Burt, Marina (1973): „Should we teach children syntax?“, in:
Language Learning 23, 245-258.
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Peal, Elisabeth/Lambert, Wallace (1962): „The Relation of Bilingualism to Intelligence“, in:
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Porsché, D. (1975): „Urteile und Vorurteile über Zweisprachigkeit im Kindesalter“, in: Linguistik
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Sarter, Heidemarie (1997a): „Fremdsprachliches Handeln als Gegenstand, Prozess und
Produkt“, in: Wendt, Michael/Zydatiß, Wolfgang (Hg): Fremdsprachliches Handeln im
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Sarter, Heidemarie (1997b): Fremdsprachenarbeit in der Grundschule. Neue Wege, neue Ziele.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Sarter, Heidemarie (2000): „Computer und Internet in der fremdsprachlich-interkulturellen
Arbeit (nicht nur) in der Grundschule“, in: Französisch heute 4, 424-439.
Università degli Studi di Perugia (2000): Pour vivre en Babel et s’en sortir. Les L2 dans les écoles
de base: pour une éducation linguistique paritaire et la formation continue des enseignants,
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Zimmer, Dieter E. (1997): „Die Mythen des Bilinguismus. Über Mehrsprachigkeit“, in: ders.:
Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber, Reinbek: Rowohlt, 251-225.

21
Heidemarie Sarter

Amerkungen

1 Es handelte sich um das Sokrates-Projekt LA N. 25168-COMPUTER-1-96-99-IT: „Les L2 dans


les écoles de base: pour une éducation linguistique paritaire et la formation continue des ens-
eignants. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in Pour vivre en Babel et s’en sortir (2000).
2 Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Zeitspanne, die unter „Primarstufe“ gefasst wird,
nicht einheitlich gefasst ist. Die Anzahl der Schuljahre, die sie umfasst, variiert im Großen und
Ganzen zwischen vier und sechs.
3 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Sprachverhalten von Kindern im
Kindergartenalter, das sich im Rahmen der Vorbereitung eines Modellversuchs an der
Deutschen Schule zu Johannesburg zeigte. So weigerten sich von knapp 30 zwei- bzw.
mehrsprachigen Kindern im Alter von ca. 3.6 bis ca. 4.6 alle, mit Gesprächspartnern, die sie als
englischsprachig kennen gelernt hatten, anders als auf Englisch zu kommunizieren. Auf
Fragen in ihrer anderen Sprache antworteten sie alle auf Englisch. Zum Teil begründeten sie
ihre Sprachwahl damit, die andere Sprache nur mit der Mutter, der Großmutter oder sonst
einer ihnen nahestehenden Person zu sprechen. Lediglich ein Junge, dessen Mutter im Vorfeld
gesagt hatte, er verstünde zwar Deutsch, spreche es aber nicht, ließ sich auf eine deutsch-
sprachige Unterhaltung ein – es stellte sich heraus, dass er – entgegen der Überzeugung der
(deutschsprachigen) Mutter – Deutsch auch produktiv problemlos beherrschte. In diesem Fall
war aber die Ausgangssituation eine andere gewesen: das Vorgespräch mit der Mutter, bei
dem er anwesend war, hatte in Deutsch stattgefunden und er hatte dadurch die späteren
Gesprächspartner als deutschsprachig kennen gelernt.
4 Dass dies im europäischen Vergleich die Regel ist, macht die Angelegenheit nicht besser. Cf.
Abb. 2 (in: Eurydice 2001a, 14):

22
5 Der europäische Vergleich zeigt, dass in dieser Hinsicht keine Einheitlichkeit besteht. Das
Klassenlehrerprinzip wird aber in einer ganzen Reihe von Ländern eingesetzt, häufig mit einer
entsprechenden fachlichen Ausbildung. Cf. Abb. 3 (in: Eurydice 2000a, 18):
Typologie der Fremdsprachenlehrer im Primarbereich, Schuljahr 1998/99
Lehrer, der mit dem Unterricht Fachlehrer, der mit dem Unterricht mehrer Fächer
aller Fächer beauftragt ist darunter auch Fremdsprachen beauftragt ist

DK
B nl F (im Alter von 5 bis 8 Jahren)
L NL A S P (1.. Stufe des ensino básico) P (2. Stufe des ensino básico)
UK (NI, SC) b fr B de FIN

LI D F (i. A. v. 8–11) IS NO
IRL I UK (E/W) CY
CZ EE LV LT SI
EL E
BG HU PL RO
SK

Fachlehrer für den Fremsprachenunterricht

6 Dies ist wichtig nicht zuletzt in Hinsicht auf Gespräche mit Eltern, aber auch mit Kolleginnen
und Kollegen aus den weiterführenden Schulen. Es ist häufig festzustellen, dass bspw. gerade
Kinder mit Gymnasialempfehlung in der 4, Klasse, insbesondere im zweiten Schulhalbjahr,
den grundschulischen Fremdsprachenunterricht nicht mehr ernst nehmen. Beeinflusst durch
ältere Geschwister, Freunde, aber auch Eltern, werten sie die Fremdsprachenarbeit oft als
nicht ernsthaftes Fremdsprachenlernen. Dieses begänne erst mit Art des Fremdsprachen-
unterrichts in der weiterführenden Schule, d.h. mit explizitem Vokabel- und Grammatiklernen.

Prof. Dr. Heidemarie Sarter


Universität Koblenz-Landau
Romanisches Seminar
Rheinau 1 · 56075 Koblenz
Tel. (0261) 9119271 · Fax (0261) 9119278
[email protected]

23
Podiumsdiskussion

Frühe Förderung: Kennenlernen von Fremd-


sprachen im Kindergarten und Fremdsprachen-
unterricht in der Grundschule. Anforderungen für
die Fort- und Weiterbildung der Lehrenden

Podium:
Prof. Dr. Norbert Huppertz, Pädagogische Hochschule Freiburg
Sabine Brendel, Geschäftsführerin von Unternehmen Kultur e. V. Dresden
Prof. Gerlinde Mehlhorn, Mitbegründerin des BIP-Kreativitätszentrum
in Leipzig
Marlene Wolter, Regierungsdirektorin, Niedersächsisches
Kulturministerium
Karin Leutert, Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung,
Baden-Württemberg

Moderation: Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Freese, Universität Paderborn

24
Christiane Knaup

Zusammenfassung
Heidemarie Sarter nahm in ihrem Impulsreferat Bezug auf Erfahrungen aus
dem Ausland und auf die aktuelle Situation in Deutschland. In mehreren Bun-
desländern bestehe die Möglichkeit zu Beginn der Sekundarstufe mit dem
Fremdsprachenunterricht begonnen. Dies stelle einen viel zu späten Einstieg
dar. Heidemarie Sarter betonte die Bedeutung eines möglichst frühen Fremd-
sprachenlernens und führte aus, dass die Ausgangsbedingungen für den
Spracherwerb bei Kindern dabei eine wichtige Rolle spielen. Fremdsprachen-
unterricht müsse zudem dem jeweiligen individuellen Entwicklungsstand der
Kinder angepasst sein. Als Konsequenz wird eine hohe Kompetenz und Flexibi-
lität der Lehrenden gefordert.
Zu berücksichtigen sei, dass Sprachkönnen nicht mit Sprachwissen gleichge-
setzt werden kann. Neben der grundschulpädagogischen Kompetenz kommt
auch der sprach-wissenschaftlichen sowie der kulturwissenschaftlichen Kom-
petenz eine wichtige Rolle zu.

Peter Freese leitete die Podiumsdiskussion mit verschiedenen Überlegungen


ein. Er verwies u.a. auf die vielfältigen Zugänge zum Fremdsprachenunterricht
in der Bundesrepublik und auf den Vorschlag der Kultusministerkonferenz
1989, den Fremdsprachenerwerb ab dem 3. Schuljahr einzuführen

Ein INTERREG-Projekt zur Vorschulpädagogik in der deutsch-französischen


Region Baden-Württemberg / Elsass wurde von Norbert Huppertz vorgestellt.
Die Erziehung zu Europa- und zu Weltbürgern, Friedensfähigkeit, Gerechtig-
keit und der Naturschutz ist in diesem Projekt neben der Zweisprachigkeit ein
wichtiges Ziel Zur Erreichung einer bilingualen Bildung wurden verschiedene
Organisationsmodelle vorgestellt.

Sabine Brendel stellte den Modellversuch „Pat’s Bunnyhouse“ für den Fremd-
sprachenerwerb im Kindergarten vor. In diesem Kindergarten wird auf Zwei-
sprachigkeit vorbereitet, indem die Kinder auf spielerische Weise ab dem 3. Le-
bensjahr erste Englischkenntnisse erwerben. Die Betreuung erfolgt durch
Muttersprachler/innen und wissenschaftlich ausgebildetes Personal.

25
Christiane Knaup

Gerlinde Mehlhorn beschrieb den Ansatz der von ihr und ihrem Mann gegrün-
deten Mehlhorn-Schulen, die den Schwerpunkt auf die Kreativitätsförderung
legen. Die Fremdsprachenerziehung, zählt zu einer der insgesamt acht Krea-
tivitätsrichtungen. U.a. werden Arabisch, Englisch und Französisch für alle
Schüler/innen angeboten werden. Auch Gerlinde Mehlhorn betonte die Be-
deutung der Qualifikation der Lehrenden. Neben der allgemein pädagogische
Grundqualifikation und Auslandsaufenthalten werde verpflichtend eine ein-
jährige Weiterbildung vorausgesetzt. Gute Ergebnisse an weiterführenden
Schulen bestätigen den Erfolg diese Konzeptes.
Marlene Wolter schilderte die Situation des Fremdsprachenunterrichts im
Bundesland Niedersachsen. Sie berichtete, dass ab 2002 der Fremdsprachen-
erwerb ab der 3. Klasse für alle Grundschulen angeboten werde. Bisher gebe
es den Fremdsprachenunterricht an den so genannten „verlässlichen Grund-
schulen“, an denen eine Betreuung von 8 – 13 Uhr gewährleistet ist. Die Um-
setzung des Vorhabens schließt ein breites Fortbildungsprogramm ein, das
didaktisch-methodische Empfehlungen beinhaltet.
Für Baden-Württemberg berichtete Karin Leutert über die bildungspolitische
Initiative, ab dem Schuljahr 2003/04 die Fremdsprachen Englisch und Fran-
zösisch flächendeckend in allen Grundschulen einzuführen. Die Lehrerfort- und
Weiterbildung werde intensiviert. Über Multiplikatorenschulungen und metho-
disch-didaktisch aufbereitetes Material würden Lehrende weiter qualifiziert.
Die anschließende Diskussion griff die einzelnen Beiträge auf und ergänzte
verschiedene Punkte. Karin Leutert ging im Einzelnen darauf ein, dass in
Baden-Württemberg nicht nur Englisch, sondern auch Französisch in vielen
Grundschulen berücksichtigt und eingeführt würden.
In diesem Zusammenhang sei das Thema Migrantenkinder von besonderer
Bedeutung Eine mögliche Benachteiligung im Fremdsprachenerwerb gegenü-
ber Kindern deutscher Herkunft sei insofern zu relativieren, als durch den
Erwerb von Deutsch als erster Fremdsprache es den Kindern anderer Her-
kunftsländer gelinge Lernstrategien zu entwickeln, die sie bei weiteren
Fremdsprachen anwenden können.
Marlene Wolter thematisierte die Wahl der jeweiligen Fremdsprache. Ob nun
Englisch oder eine andere Sprache zuerst unterrichtet werde, hänge mit der
Nachfrage der Eltern zusammen. Da Englisch am meisten gefordert werde und
diese Sprache im Vergleich zu anderen etwas leichter zu erlernen ist, werde in
der Regel Englisch als erste Fremdsprache angeboten.

26
Norbert Huppertz wies darauf hin, dass in Grenzgebieten zuerst die jeweilige
Grenzsprache unterrichtet werden solle. Außerdem betonte er, dass beim
Erlernen einer Sprache, die dem Deutschen nicht ähnlich ist, die kindlichen
Gehirnstrukturen besonders aktiviert werden.
In diesem Kontext wurde berichtet, dass in Schottland gute Erfahrungen mit
dem Gälischen als erste Fremdsprache gemacht werden
Bei der Frage nach Qualität von Unterricht stellte Marlene Wolter das europä-
ische Portfolio vor, ein Instrument der Selbsteinschätzung von Lernleistungen.
Heidemarie Sarter machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam,
dass die Lehrenden diejenigen Schüler/innen, die Schwierigkeiten beim
Fremdsprachenerwerb zeigen, nicht benachteiligen sollten. Diese Schüler/in-
nen können oftmals in anderen Fächern, wie zum Beispiel in den naturwissen-
schaftlichen Fächern, gute Leistungen erbringen. Sie ergänzte, das Spracher-
werb nicht linear verlaufe, die Begeisterung bei den Schülern also nachlassen
könne und somit vermehrt Schwierigkeiten auftreten können.
Das Fremdsprachenlernen wurde mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes
verglichen. Auch hier kann die anfängliche Begeisterung mit steigendem
Schwierigkeitsgrad nachlassen. Fazit: Es liegt also in den Händen des Lehren-
den, die Begeisterung der Schüler/innen für das jeweilige Fach zu fördern.
In der Podiumsdiskussion bestand ein klarer Konsens darüber, dass ein frühes
Sprachenlernen im Kindergarten und in der Grundschule von zentraler Be-
deutung ist. Spracherwerb wurde als Schlüsselkompetenz auch für die kultu-
relle Entwicklung Deutschlands gesehen und für eine wichtige Voraussetzung
früher individuelle Förderung, da Kinder über Spracherwerb auch ihre persön-
liche Identität entwickeln können. Bisherige Methoden des Fremdsprachen-
lernens und des Fremdsprachenlehrens seien aber nicht einfach unverändert
auf jüngere Lerner übertragbar, insofern sei eine Reform der Lehreraus- und -
weiterbildung der Schlüssel für den Erfolg.
Die Eingangsfrage „Wie früh und wie anders„ Spracherwerb erfolgen solle, wur-
de übereinstimmend mit der Gleichung „Je früher, desto anders!“ beantwortet.

Christiane Knaup · Universität Paderborn


Warburger Straße 100 · 33098 Paderborn
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27
Podiumsdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Peter Freese

Meine Damen und Herren, unsere erste Podiumsdiskussion widmet sich dem
Thema „Fremdsprachenerwerb – wie früh und wie anders?“, und ich begrüße
als Gäste Frau Sabine Brendel vom Unternehmen Kultur e.V. in Dresden und
Herrn Professor Dr. Norbert Huppertz von der Pädagogischen Hochschule
Freiburg, die über ihre Erfahrungen mit dem Frühbeginn von Englisch bzw.
Französisch im Kindergarten berichten werden; Frau Professor Gerlinde
Mehlhorn vom BIP-Kreativitätszentrum in Leipzig, in deren privaten Schulen
von der ersten Klasse an mit Arabisch, Englisch und Französisch gleich drei
Fremdsprachen unterrichtet werden; sowie Frau Regierungsdirektorin
Marlene Wolter vom Niedersächsischen Kultusministerium und Frau Karin
Leutert von der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung in Donau-
eschingen, die uns aus der Sicht ihrer jeweiligen Bundesländer darüber infor-
mieren werden, wie es um den Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts an
den staatlichen Grundschulen bestellt ist.

28
Angesichts der Vielschichtigkeit unseres Themas werden wir die fünf ver-
schiedenen Eingangs-Statements schwerlich systematisch aufeinander
beziehen können, aber es wäre schön, wenn alle auf die Aspekte Bezug neh-
men könnten, die mir bei der Vorbereitung auf diese Runde als die zentralen
Problembereiche deutlich geworden sind. Diese Aspekte sind

1) die großen Unterschiede in Bezug auf die Konzepte, die – vereinfacht


gesprochen – von der spielerischen Annäherung an eine Begegnungs-
sprache bis zum systematischen Lernen mit Progression und Evaluation rei-
chen;
2) die weitgehende Unklarheit in Bezug auf die Übergänge zu den weiter-
führenden Schulen (etwa die Zusammenarbeit zwischen Grundschule und
Gymnasium betreffend oder die Frage, ob man, wenn man im ersten
Schuljahr mit Englisch anfängt, das dann bis zum 13. Schuljahr fortführt,
oder ob ein früherer Anfang auch ein früheres Ende ermöglicht, usw.);
3) die Frage nach der Ausbildung der Grundschullehrer(innen) für die neuen
Fächer (gibt es neue Studiengänge an den Hochschulen oder eine Nach-
qualifizierung praktizierender Grundschullehrer[innen], oder beides
nebeneinander?)
4) die Frage nach der Vorbereitung auf die Mehrsprachigkeit (welche Schritte
führen von der ersten zu weiteren Fremdsprachen, usw.).

Im Folgenden werden die vorbereiteten Texte der Podiumsteilnehmer


abgedruckt:

29
Norbert Huppertz

Heute gelernt, morgen gelehrt –


Französisch so früh!
Das Projekt am Oberrhein

Das glaubt niemand, dass Kinder frankophon gebildet werden und Französisch
lernen, ohne dass ihre Erzieherinnen selbst Französisch können. Dass und wie
das geht, stellen wir mit dem vorliegenden Modellprojekt unter Beweis. „Das
hätte ich nicht für möglich gehalten“, war der Kommentar einer Franzö-
sischlehrerin. „Warum habe ich so viel Jahre studiert, wenn das auch so geht.“

1. Rahmenbedingungen und Zielsetzung des Projekts


Zielsetzung des von der EU geförderten Projekts ist zum Einen die Einführung
der französischen Sprach- und Kulturbildung in deutschen Kindergärten – und
zum anderen die wissenschaftliche Überprüfung, unter welchen Umständen
und nach welchen Organisationsmodellen das geht und wie die Ergebnisse zu
bewerten sind: also ein Entwicklungs- und ein Forschungsziel. Das Projekt
wird unter meiner Leitung an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg
durchgeführt. Die umfangreichen und teils mühsamen Vorbereitungen waren
im Sommer 1999 abgeschlossen, das Projekt begann im Juli 1999 und endet im
Dezember 2001; eine Fortführung ist vorgesehen.
Etwa 1000 Kinder (damit an die 2000 Eltern), 80 Erzieherinnen, 40 Kinder-
gärten, 22 Kommunen – auf französischer Seite die Elternorganisation ABCM
mit mehreren Dutzend bilingualen Einrichtungen – sind etwa die Personen-
gruppen, die von dem Projekt betroffen sind und davon profitieren.

2. Der „Lebensbezogene Ansatz als unsere didaktische Position


Die vorschulpädagogische Arbeit kann didaktisch und methodisch sehr unter-
schiedlich durchgeführt werden. Darüber gibt es heute einen großen Streit (vgl.
Huppertz/Schinzler 1995, S. 336 ff.). Unserem Projekt liegt die von mir während
der vergangenen Jahre in Freiburg entwickelte Lebensbezogene Pädagogik zu
Grunde, d.h. – verkürzt wiedergegeben – Kinder werden für ihr individuelles
und soziales Leben als Weltbürger vorbereitet (vgl. Huppertz 1992, S. 75 ff.).

30
Weltbürger-Sein ist das Gegenteil von Rassismus, Chauvinismus und über-
triebenem Patriotismus. Um dieses pädagogische Ziel und die damit verbun-
denen Worte zu vermitteln, hat meine Pädagogik geeignete Methoden: das
freie Spiel, das inhaltlich entsprechend bestimmte Projekt und das von der
Erzieherin ausgewählte Aktivitätsangebot. (Vgl. Huppertz 1992, S. 170ff.)
Nicht nur Erziehung und Betreuung der Kinder, sondern auch sehr stark deren
Bildung und d.h. die gezielt ausgewählten Themen und Inhalte stehen in der
Lebensbezogenen Pädagogik im Vordergrund. „Wie“ wir mit Kindern umge-
hen und „was“ sie in der frühen Kindheit erfahren und erleben – das hinter-
lässt Spuren für ihr Leben; das prägt und bildet sie. Der Lebensbezogene An-
satz ist ein kindbezogener Bildungsansatz. Von großer Bedeutung ist dabei
die tragfähige, erfreuliche Beziehung der Erzieherin zum einzelnen Kind.
Deshalb ist der offene Gesamtkindergarten abzulehnen.

3. Begründungen für Französisch so früh


Die Begründungsargumente für Französisch so früh sind zahlreich und über-
zeugend – allerdings gibt es auch noch genügend Vorurteile, die sich dagegen
verstehen. Wissenschaftlich sind solche Positionen, wie z.B. „die Kinder sol-
len erst ,mal richtig Deutsch lernen“ o.ä., inzwischen nicht mehr haltbar. Argu-
mente können aus verschiedenen Bereichen herangezogen werden:

• Ökonomisch: Es ist nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich gese-


hen schlichtweg unrentabel, unsere Kinder erst mit 10 Jahren Fremdspra-
chen lernen zu lassen. Vergeudete Potenziale und vertane Chancen!
• Anthropologisch: Dass Fremdsprachenerwerb und -lernen viel früher geht
und auch gut für die Kinder ist – nicht nur ihnen nicht schadet –, ist inzwi-
schen nachgewiesen.
• Neurodidaktisch: Durch die Erfahrung, die das Kind in seiner frühen Zeit mit
der anderen und (wie beim Französischen, im Gegensatz zum Englischen)
vom Deutschen wirklich sehr verschiedenen Sprache bilden sich vorteilhafte
Hirnstrukturen aus, die das Erlernen aller weiteren Fremdsprachen erleich-
tern. Dieses ist nur in der frühen Kindheit möglich.
• Lernpsychologie: Kinder lernen nie mehr so leicht (allein schon durch
Imitation), wie zu dieser Zeit. Es handelt sich um eine sensible Phase, in der
das Kind u.a. primär motiviert ist.

31
Norbert Huppertz

• Grenznähe: Für alle Kinder an Grenzen gilt, dass sie möglichst früh die
Sprache des Nachbarn lernen sollten. Das ist auch der beste Schutz gegen
Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.

Diese reichhaltige Argumentation ließe sich fortsetzen.

4. Situation und Motive der Erzieherinnen


Wer soll das Französische im Kindergarten „lehren“? Vor dieser Frage steht
jeder, der es einführen möchte. Meine Antwort: Jeder soll das lehren, was er
kann – und alles davon hat dabei seinen Wert. Keine Erzieherin wurde in unse-
rem Projekt ausgeschlossen, ganz egal, ob sie Französisch konnte oder nicht.
Einzige Voraussetzung: Motiviert sein, frankophone didaktische Angebote im
Kindergarten zu machen und sich dafür zu befähigen. Deshalb richteten wir
zwei Qualifizierungsmaßnahmen ein: intensive Französischkurse (Lernziel:
französische Sprache beherrschen) und qualitätsvolle Didaktikfortbildungen
(Lernziel: frankophone Angebote im Kindergarten durchführen).

Meine Französischkenntisse sind:

gleich null: 36% gut: 11%

sehr gut: 11%

wenig: 35%
kann mich verständigen: 7%

Die Übersicht zeigt, wie gering der Anteil der Erzieherinnen mit Französisch-
kenntnissen zu Beginn unseres Projektes war.

Nach unseren – wenn auch vorläufigen und unabgeschlossenen – Evalua-


tionen haben die Erzieherinnen inzwischen sehr viel Französisch gelernt bzw.
dazu gelernt.

32
Wie unterschiedlich die Motive der Pädagoginnen waren, noch einmal die
Schulbank zu drücken, zeigen die folgenden persönlichen Aussagen:

• „Ich wurde motiviert durch die Möglichkeit, mich selbst weiterzubilden, da


mich Fremdsprachen persönlich interessieren. Motiviert hat mich auch die
Aussicht, dass durch dieses Projekt die Arbeit im Kindergarten zukunftsori-
entierter wird.“
• „Ich hatte 4 Jahre die Fremdsprache „Französisch“ in der Schule. Leider
geht die Sprache schnell „verloren“, wenn man nicht ständig die Sprache
anwenden kann. Daher freue ich mich, meine Kenntnisse wieder auffri-
schen zu können.“
• „Ich möchte die Sprache erlernen, weil ich in Zukunft Frankreich als
Reiseland näher kennen lernen möchte.
• „Da mir die französische Sprache sehr gut gefällt, würde ich mich sehr
freuen, mich mit unserem Nachbarn unterhalten zu können.“
• „Ab 2001 sollen die Kinder in der Grundschule ab der 1. Klasse Französisch
lernen. Den Einstieg in die Sprache möchte ich mit den Kindern vorberei-
ten. Deshalb finde ich es wichtig und nötig für mich, mir französische
Sprachkenntnisse anzueignen“
• „Durch unsere Grenznähe zu Frankreich finde ich es sehr wichtig, dass
unsere Kinder die Sprache lernen, um die Möglichkeit zu haben, durch die
offenen Grenzen und Grenznähe Freunde und das Leben über dem Rhein
mitzuerleben. Für die Kinder sollte Frankreich mit seiner Sprache nicht
mehr fremd sein und dies möchte ich als Selbstverständlichkeit den
Kindern spielerisch näher bringen im Alltag. Ich finde es wichtig auch für
uns, französisch zu lernen, da wir von unserem Nachbarland fast genauso
wenig wissen wie unsere Kinder.“
• „Ich finde, es ist für alle Kinder eine Chance, möglichst frühzeitig andere
Sprachen kennen zu lernen. Es gibt Kinder, die ein besonderes
Sprachempfinden haben, und diese sollen dann die Möglichkeit einer
frühen Förderung erhalten.“
• „Der Kindergarten als Bildungseinrichtung – an dieser Aufgabe möchte ich
konstruktiv arbeiten.“

Die Motivlagen sind also – wie könnte und sollte es auch anders sein? –
gemischt: Kindorientierte und selbstbezogene Gründe gehen ineinander über.
Dass die Erzieher für sich selber von ihrer frankophonen Fortbildung profitie-

33
Norbert Huppertz

ren, z.B. für ihre Reisen, beflügelt sie, sich für die Bildung der Kinder zu enga-
gieren. Dies gilt für die Sprachbildung wie auch für die Didaktikfortbildung.

5. Belege für „heute gelernt – morgen gelehrt“


Ein Beispiel aus der Fortbildung: „Accrochons un wagon ...“
Etwa 15 Erzieherinnen befinden sich mit ihrer Fortbildnerin in einem Raum. Sie
sitzen im Kreis. Die Fortbildnerin, eine engagierte und selbstbewusste Erzie-
herin mit langjähriger Erfahrung in frankophoner Bildung von Kindergarten-
und Grundschulkindern in Frankreich, verfolgt das Ziel, den Erzieherinnen
(heute!) ein Singspiel zu vermitteln, das sie am nächsten Tag („morgen!“) den
Kindern weitervermitteln können. Die Erzieherinnen werden in ca. 20 Minuten
dazu befähigt. Sie haben inzwischen alle bereits einige Zeit an den reinen
Sprachkursen teilgenommen. Wie geht das?

Die Fortbildnerin steht auf, geht im Raum herum und sagt: „Moi, je suis la loco-
motive. Vous êtes les wagons.“ Sie imitiert die Lokomotive, indem sie – sehr
klar und mit deutlicher Aussprache – singt und im Raum herumgeht: „Accro-
chons un wagon, et je suis la locomotive ... pour que le train soit plus long“. –
Der Pfeifton der Lokomotive wird von ihr – klar und deutlich – imitiert sowie
ebenfalls das Zischen der Dampflok.

Durch Mimik und Gestik ermuntert die Lehrerin eine Teilnehmerin nach der
anderen, sich einzeln „an die Lok anzuhängen“, indem jeweils das Lied „Accro-
chons ...“ gesungen wird – und die Wagen gemeinsam abgezählt werden. D.h.:
das Lied wird etwa 15mal gesungen und jeweils gemeinsam bis 2, 3, 4 usw.
bzw. bis 15 gezählt – je nach Anzahl der „accrochierten“ Wagen. – Das ist das
gemeinsame Lernen des kleinen Singspiels. Die Erzieherinnen sind bei allem
mit allergrößter Freude dabei. Das Lied enthält aber gesanglich eine Schwie-
rigkeit: Die Noten von pour (e) que (fis) le (g) train (g) soit (fis) plus (e) long (d)
liegen ziemlich nahe zusammen, und es fällt nicht jedem, vor allem wohl auch
den Kindern, für die es ja gedacht sein soll, leicht, diese Tonfolge einwandfrei
zu treffen. Dazu hat die Fortbildnerin eine besondere Methode: sie begibt sich
hinter die einzelne Teilnehmerin, ganz in die Nähe ihres Kopfes, und singt die
besonders schwierige Passage „in den Kopf“ der Teilnehmerin und lässt von
ihr die Passage „nachsingen“ – durchaus mehrmals, wenn es beim ersten Mal
nicht klappt – bei tüchtigem Loben für jeden kleinen Fortschritt. Ergebnis: Alle
Erzieherinnen beherrschen das Lied und die spielerischen Bewegungen zum

34
Schluss vollständig. Sie haben mit allen Sinnen, viel Freude und Bewegung
gelernt, und zwar in kürzester Zeit – und zwar alle; durch gemeinsames und
individuelles Handeln. Und: Sie sind in der Lage, das Erlernte „morgen“ an ihre
Kinder weiterzugeben, indem sie mit diesen in der gleichen Weise verfahren.
Es ist wie ein Rezept, das man sofort anwenden kann.
Unsere teilnehmenden Erzieherinnen sprechen mit Freude darüber, dass sie
das „heute“ Gelernte „morgen lehren“. Wir haben geprüft, dass sie das mit
gutem Erfolg tun.

6. Zur Evaluation der Ergebnisse


Die zwei Ziele des Projektes (Einführung des Französischen in den Kinder-
gärten und Erforschung der Verfahren verschiedener Modelle) müssen auf ihre
Realisierung hin geprüft werden (summative Evaluation), und es wurde – zwi-
schendurch – immer wieder evaluiert und sogleich verbessert (formative
Evaluation). Die summative Evaluation) führen wir in drei Bereichen durch, und
zwar bezogen auf die Kinder, die Erzieher und die Institution.

Die Kinder: Wir entwickeln ein Instrument, mit dem die Erzieherin den franko-
phonen Bildungsstand jedes einzelnen Kindes einschätzen wird, und zwar auf
einer Skala von „sehr gut“ bis „gar nicht“. Die Bildungsbereiche des Kindes
sind dabei bezogen auf das Können, die Wertschätzung (die Einstellung), das
Wissen sowie die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kinder – alles natürlich hier
im Hinblick auf „das Französische“. Uns interessiert dabei, ob die Kinder z.B.
französische Lieder, Reime und Spiele und die damit verbundenen Sätze und
Wörter beherrschen (Können); ob sie Freude an der Sprache haben, indem sie
z.B. gerne „am Französischen teilnehmen“ und danach fragen (Wertschät-
zung); ob sie kulturelle Kenntnisse haben und die Unterschiede kennen, z.B.
Weihnachten und Tannenbaum in Deutschland und in Frankreich (Wissen); ob
sie z.B. einfache Aufforderungen (viens) und Formeln (je m’appelles...) ver-
stehen und ob sie sogar freie Sätze formulieren können (Fähigkeiten); usw.

Die Erzieherinnen: Die Erzieherinnen erhalten ein Zertifikat über eine erfol-
greiche Teilnahme, wenn sie unter Beweis stellen, dass sie genügend Franzö-
sisch können, um frankophone Bildungsangebote im Kindergarten durchzu-
führen, und dass sie didaktisch dazu in der Lage sind. Sie können dieses mit
Hilfe von Videoaufnahmen aus ihrer Kindergartenarbeit und aus den Sprach-
kursen tun. Sie erhalten dann ein Hochschulzertifikat mit der Bestätigung

35
Norbert Huppertz

„... ist befähigt, frankophone Bildungsangebote im Kindergarten durchzu-


führen“. Ein solches Zertifikat wird in Zukunft zunehmend wertvoll sein bei
Bewerbungen.

Die Einrichtung: Auch die Einrichtungen werden evaluiert, und zwar daraufhin,
ob die Voraussetzungen für eine qualitätsvolle frankophone Bildung gegeben
sind, z.B. bezüglich der Unterstützung durch Träger, Leitung, Eltern,
Kolleginnen, Räume usw.

7. Fazit
Das Projekt „Bilinguale Bildung – Französisch im Kindergarten“ mit den Zielen
Einführung der frankophonen Bildung und der Erprobung der besten
Organisationsverfahren scheint nach unseren bisherigen Belegen erfolgreich
zu verlaufen. Nicht nur das Zweisprachenmodell „Une personne – une langue“
bringt, wie nicht anders zu erwarten, seine Früchte, sondern vor allem die
rasche und einfache Weise von „Heute gelernt – morgen gelehrt“ wird von uns
als Erfolg belegt. Wir vermitteln damit ca. 2000 Eltern, 1000 Kindern, 80
Erziehern, 40 Kindergärten wertvolle Elemente für eine weltbürgerliche (anti-
rassistische) Erziehung und Bildung, wobei auch die geringsten Ansätze ihren
größten Wert haben.

Literatur

Aleemi, J.: Zur sozialen und psychischen Situation von Bilingualen. Persönlichkeitsentwicklung
und Identitätsbildung. Frankfurt a. M. 1989
Andreas, R.: Fremdsprachen in der Grundschule: Ziele, Unterricht und Lernerfolge.
Donauwörth 1998
Apeltauer, E.: Grundlagen des Erst- und Zweitsprachenerwerbs. Kassel 1997
Bausch, K.-R. (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen 1989
Butzkamm, W.: Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des
Menschen. Tübingen; Basel 1999
Doyé, P.: Fremdsprachenlernen in der Grundschule. Wien 1998
Fthenakis, W. E.: Zweisprachigkeit im Kindergarten. Gemeinsame Förderung ausländischer und
deutscher Kinder. Donauwörth 1985
Fthenakis, W. E.; Sonner, A.; Thrul, R.; Walbiner, W.: Bilingual-bikulturelle Entwicklung des
Kindes. Ein Handbuch für Psychologen, Pädagogen und Linguisten. München 1985
Graf, P./Tellmann, H.: Vom frühen Fremdsprachenlernen zum Lernen in zwei Sprachen. Schulen
auf dem Weg nach Europa. Frankfurt a.M. 1997
Hagège, C.: L’enfant aux deux langues. Paris 1996
Hegele, I.: Kinder begegnen Fremdsprachen. Westermann 1994

36
Huppertz, N. (Hg.): Erleben und Bilden im Kindergarten. Der lebensbezogene Ansatz als Modell
für die Planung der Arbeit. Freiburg, 5. Aufl. 1999
Huppertz, N. (Hg.): Französisch so früh? – Bilinguale Bildung im Kindergarten. Modelle
und Methoden, didaktisches Material, Erfahrungen aus Deutschland und Frankreich.
Oberried 1999
Huppertz, N. (Hg.): Kindergärten für Kinder. Waldkindergarten, lebensbezogener Ansatz,
Montessori-Kindergarten, Offener Kindergarten. Oberried 1999
Huppertz, N. (Hg.): Konzepte des Kindergartens. Lebensbezogener Ansatz, Situationsansatz,
Sozialistische Pädagogik, Reggio-Pädagogik. Oberried 1998
Huppertz, N./Schinzler, E.: Grundfragen der Pädagogik. Eine Einführung für sozialpädagogische
Berufe. 10. Aufl., Köln 1995
Huppertz, N.: Französisch so früh? – Bilinguale Bildung im Kindergarten. Oberried 1999
Kielhöfer, B./Jonekeit, S.: Zweisprachige Kindererziehung. Tübingen 1995
Klein, W.: Zweitspracherwerb. Eine Einführung. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1992
Natorp, E. A.: Französisch als erste Fremdsprache im Elementarbereich. Untersuchungen zu
Sprachtransfer und Fremdsprachenlernerfolg. Donauwörth 1978
Pelz, M.: „Lerne die Sprache des Nachbarn.” Grenzüberschreitende Spracharbeit zwischen
Deutschland und Frankreich. Frankfurt a. M. 1998
Schmid-Schönbein, G.: Möglichkeiten und Grenzen des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs im
Vorschulalter. München 1978
Schwengler, B.: L’ Alsace Bilingue. Strasbourg 2000
Sprachdidaktisches Zentrum der Pädagogischen Hochschule Freiburg: Materialien für
Französisch im Grund- und Vorschulbereich. Kommentierte Bibliographie. Freiburg 1991
Wode, H.: Lernen in der Fremdsprache: Grundzüge von Immersion und bilingualem Unterricht.
München 1995

Prof. Dr. Norbert Huppertz


Pädagogische Hochschule Freiburg
Institut für Erziehungswissenschaft II
Abteilung Sozialpädagogik
Arbeitsbereich Bilinguale Bildung im Kindergarten
Kunzenweg 21 · 79117 Freiburg
Tel. (0761) 682-239
[email protected]

37
Sabine Brendel

„Sollten nicht erst mal


deutsch lernen?“

„Hello Paula, hello! – Hello Pat, hello!


How are you today? How are you today?
I’m fine. Thank you. I’m fine. Thank you.
Hello Paula, hello!“

Manchmal fragen Eltern ihre kleine Paula, was sie heute im Englischkurs
gelernt hätte. Aber damit kann die Dreijährige wenig anfangen. Hat sie etwas
gelernt? Gespielt hat sie, ein neues Lied gesungen, mit den anderen getanzt,
Obst genascht. Bei „Old MacDonald had a farm“ durfte sie die kuschlige Katze
im Arm halten.

Was so einfach aussieht, ist ein wissenschaftlich entwickeltes, jahrelang


erprobtes Konzept zum freudvollen, natürlichen Sprachenlernen mit allen
Sinnen: „Pat`s English®“.

Unser Verein „Unternehmen Kultur – Bildungsprojekt Kunst und Kommuni-


kation e.V.“ beschäftigt sich schon seit 9 Jahren intensiv mit dem Frühfremd-
spracherwerb für Kinder zwischen 3 und 9 Jahren. Das Projekt „Pat‘s English®“
wurde auf der Grundlage des ganzheitlichen und gehirngerechten Lernens von
Fachleuten des Vereins entwickelt und weiterentwickelt. Es führt Vorschul-
kinder über das Ansprechen aller Sinneskanäle altersgerecht, betont freudvoll
und ohne jeden Leistungsdruck an ihre erste fremde Sprache heran. Neben
den Vokabeln einer fremden Sprache vermittelt es ihnen auch einen frühen
Eindruck von einer anderen Kultur und Lebensart.

In anderen Ländern gibt es andere Feste und Bräuche. Der Weihnachtsmann


steigt durch den Kamin! Nach der Verblüffung kommt die Neugier. Was ist wie
hier? Was ist anders? Das Fremde frühzeitig kennen und schätzen zu lernen
beugt einer unbewussten Angst vor Fremdem vor, die in Aggressionen münden
könnte. Leicht und schnell lernen Kinder im Spiel ihre Muttersprache, die täg-
lichen Verrichtungen und den sozialen Umgang miteinander. Keines braucht

38
eine besondere Begabung dafür. Bevor wir zum ersten Mal den Deutschunter-
richt besuchten, konnten wir alle schon fließend deutsch sprechen, denn wir
lernen eine Sprache durch deren Verwendung im Alltag. Wir entwickeln ein
natürliches Sprachgefühl dafür.

Auf die gleiche Weise bekommen die Kinder im „Pat’s English®“ Kontakt mit
und ein Gefühl für die englische Sprache und Kultur. Von Anfang an sprechen
unsere Kursleiter ausschließlich Englisch in der Kursstunde. So erleben die
Kinder die vielfältigsten Situationen des Alltags in Begleitung der englischen
Sprache. Die große Palette an Spielen (Kreisspiele, Fingerspiele, Brettspiele,
Rollenspiele...), Liedern und der natürliche Dialog bieten dazu eine unendli-
che Variationsvielfalt. Wir beziehen alle sprachlichen Themenbereiche ein, die
die Kinder alltäglich umgeben – Zahlen, Farben, Tiere, Speisen, Tagesablauf,
Tätigkeiten, Empfindungen, Familie, Wetter und vieles andere mehr. So ver-
bindet sich schrittweise das Erlebte mit der englischen Sprache.

Das Gefühl für eine Sprache entwickelt sich allmählich. Manchmal ist es nötig,
die Eltern zur Geduld zu mahnen und Zielvorstellungen zu korrigieren. Über
das Vertrautmachen mit den Klängen der englischen Worte, über das Ver-
stehen der sinngemäßen Bedeutung der Worte entwickelt sich schrittweise
die Fähigkeit, selbst Englisch zu sprechen.

Vorschulkinder lernen anders – intuitiv, imitativ.

Viele interessante innere Lernprozesse vollziehen sich, bevor das erste eigene
Wort gesprochen wird. Diese so wichtigen inneren Prozesse bewirkt und för-
dert „Pat’s English®“ gerade in den ersten Kursmonaten. Sie sind die notwen-
dige Basis für späteres fließendes Sprechen.

Die Nachfrage nach den Frühfremdsprachkursen steigt. Zunehmend fragen


Eltern und damit Kindertagesstätten gezielt nach „Pat’s English®“. Es hat sich
herumgesprochen, daß die Qualitätsunterschiede bei den Angeboten groß sind.
Alle unsere Kursleiter haben sehr gute englischsprachige Fähigkeiten und
eine gezielte Grundausbildung in der Methodik des ganzheitlichen Lehrens
und Lernens. Sie haben Erfahrungen in der Arbeit mit Kindergruppen und Spaß
bei dem, was sie tun. Und dieser Spaß steckt an.

39
S a b i n e B re n d e l

Dass wir gerade Englisch vermitteln, ist Wunsch der Eltern, die für das Angebot
Kursgebühren entrichten. Versuche, auch Französisch und Spanisch anzubie-
ten, scheiterten schnell an mangelnder Nachfrage. Leider wird unser Projekt
staatlich nicht gefördert, so dass unserer Experimentierfreude mit unge-
wöhnlicheren Sprachen ein enger finanzieller Rahmen gesetzt ist.
Das Lernprinzip ließe sich jedoch auf jede andere Sprache der Welt anwenden.

Schwierig ist es oft noch mit den kommunalen Entscheidungsträgern. Uralte


Vorurteile tauchen auf: „Das überanstrengt die Kinder bloß.“, „Lasst sie doch
erst mal richtig deutsch lernen.“, „Das kriegen sie noch zeitig genug in der
Schule.“ Obwohl sich erst neulich die Bundesbildungsministerin Frau Bulmahn
ausdrücklich für einen möglichst zeitigen Beginn des Sprachenlernens ausge-
sprochen hat, sind die Behörden gerade im ländlichen Raum oft unsicher und
untersagen den Kindertagesstätten vorsichtshalber derartige Projekte nicht
selten strikt. Mitunter werden für die stundenweise Überlassung von Kita-Räu-
men Mieten verlangt, die jenseits der 50,-DM-Grenze pro Kursstunde liegen.

Um auch pädagogischen Laien wichtige Einblicke in das Prinzip des zeitigen


Fremdsprachenlernens zu geben und deren enorme Vorteile darzustellen,
erarbeitet unser Verein derzeit einen kurzen Informationsfilm. Zu unserer
großen Freude wird dieses Projekt im Rahmen des „Europäischen Jahres der
Sprachen“ gefördert.

Derzeit sind wir dabei, ein Kooperationssystem auszubauen, welches unsere


guten Erfahrungen von Dresden auch in anderen Regionen zur Nachnutzung
anbietet. Kooperationspartner haben wir schon im Raum Freiberg, Radeberg,
Chemnitz und Leipzig. Eine Ausdehnung auf den gesamten Raum Ostdeutsch-
land ist denkbar.
Sprachenlernen ist kinderleicht!

Sabine Brendel
Unternehmen Kultur · Bildungsprojekt Kunst und Kommunikation e.V.
Kyffhäuserstraße 17 · 01309 Dresden
Tel. · Fax (0351) 310 08 28 · www.unternehmen-kultur.de

40
Gerlinde Mehlhorn

Fremdsprachenunterricht an den
BIP-Kreativitätsschulen

Die BIP-Kreativitätsschulen wurden nach einer von Prof. Dr. Gerlinde und Prof.
Dr. Hans-Georg Mehlhorn entwickelten Konzeption begründet. Kreativitäts-
schulen nach dieser Konzeption arbeiten als Vorschulen (Leipzig, Chemnitz,
Heidenau b. Dresden), Grundschulen (an den gleichen Orten, weitere in
Vorbereitung in Gera – genehmigt seit Juli 2001 -, Wittenberg, Nauen, Bad
Langensalza, Fulda und weitere in unterschiedlicher Trägerschaft auf Basis
der gleichen Konzeption), Gymnasium (bisher seit 2001 nur Leipzig).
An den BIP-Kreativitätsschulen erfolgt der Unterricht an den Grundschulen
und am Gymnasium nach dem Lehrplan des Freistaates Sachsen, der Lehrplan
des Gymnasiums wurde spezifisch erweitert.
Zusätzlich erfolgt in den Grundschulen als Grundschulen mit Hort ein umfas-
sendes Angebot, das gezielt der Entwicklung der Kreativität der Schüler dient
und das in den Gymnasien (weitere in Vorbereitung) speziell weitergeführt wird.
Zum Programm gehören ab der Vorschule je Woche jeweils eine Stunde Instru-
mentalunterricht (wahlweise-obligatorisch in Klasse 1), eine Stunde Informa-
tik, eine Stunde Schach, und weiter je eine Stunde kreativer Umgang mit Spra-
che und Literatur, Tanz und Bewegung, Darstellendes Spiel, elementare
Musikerziehung/Rhythmik, Bildkünstlerisches Gestalten und in der Vorschule
eine Stunde Englisch, in der Grundschule ab Klasse 1 eine Stunde Englisch,
eine Stunde Französisch und zwei Stunden Arabisch.
Die Fremdspracheausbildung ist in das Gesamtprogramm integriert und dient
der umfassenden Entwicklung aller geistigen Fähigkeiten der Kinder, wobei es
uns generell darum geht, die kognitiven, sprachlichen, musisch-ästhetischen,
psychomotorischen und sozial-emotionalen Fähigkeiten harmonisch zu ent-
wickeln, vorhandene Begabungen zu fördern und Schwächen zu beseitigen.
Dem dient auch der Einsatz von zwei Lehrern pro Klasse mit 20 Schülern, wobei
10 Stunden Lehrplanunterricht (in der Regel täglich eine Mathematik- und eine
Deutschstunde) generell und alle Kreativitätsdisziplinen mit Ausnahme des
Fremdsprachenunterrichts geteilt unterrichtet werden (ab 18 Kinder pro Klasse).

41
Gerlinde Mehlhorn

Die fremdsprachliche Sensibilisierung der Kinder verfolgt nicht vorrangig das


Ziel, in kurzer Zeit ein hohes sprachliches Niveau zu erreichen, sondern durch
einen systematischen und methodisch anspruchsvollen Unterricht das Inter-
esse an fremden Sprachen zu entwickeln, Scheu vor dem Erlernen auch kom-
plizierter fremder Sprachen gar nicht erst aufkommen zu lassen und dabei fun-
dierte Grundlagen zu schaffen.
Die Methodik muss vielseitig sein und beginnt mit dem spielerischen Heran-
führen an die fremde Sprache, wobei die verstärkte künstlerische Betätigung
zugleich umfassend genutzt wird. Im englischen Unterricht dominiert in der
Vorschule und in der ersten Klasse der Grundschule das spielerische Heran-
gehen, in Französisch wird viel Wert auf das Singen französischer Lieder ge-
legt, um die Intonation zu unterstützen, in Arabisch dominieren zeichnerische
und darstellerische Aspekte.
Da Kreativität nach unseren Erkenntnissen sehr stark an die Entwicklung des
konkret-anschaulichen Denkens gebunden ist – etwas, das in der Didaktik, die
den Erkenntnisweg zu einseitig vom Konkret-anschaulichen zum Abstrakten
festlegt, dem Konkret-anschaulichen die niedere Stufe, dem Abstrakten die
höhere Stufe zuweist und die Interaktion dadurch vernachlässigt erheblich zu
kurz kommt –, wird insbesondere die arabische Sprache dazu genutzt, diesen
Prozess der Entwicklung des konkret-anschaulichen Denkens zu unterstützen.
Der Sprachgebrauch selbst ist stark an den Alltagskenntnissen und -erlebnis-
sen der Schüler orientiert. Konzeptionell wird auch Wert darauf gelegt, in die-
sem Zusammenhang den Alltag in den Ländern des jeweiligen Sprachraums zu
verstehen, andere Länder besser zu verstehen und die Toleranz der Kinder ge-
genüber allem Fremden zu entwickeln. Das wirkt sich im Alltag der Schulen
positiv aus, da die Kinder auch hier mit Kindern aus anderen Ländern zusam-
men lernen, obwohl der Anteil von andern aus anderen Ländern gegenwärtig
noch relativ gering ist. Allerdings nimmt deren Anzahl in den letzten Jahren
deutlich zu.
Die Art der Unterrichtsgestaltung führt nicht, wie oft befürchtet, zu einer Über-
forderung der Schüler. Allerdings wirkt sich das Zusammenwirken dieses
Programms mit dem lehrplangebundenen Unterricht (Kreativitätsschulen
werden sich immer an den jeweiligen Landeslehrplänen orientieren) insge-
samt fördernd aus. In Leipzig haben die Schüler der beiden bisherigen vierten
Klassen fast alle die Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten, in
Intelligenztests liegt der Durchschnitt der Klassen im obersten 5%-Percentil,
das heißt, im Durchschnitt wären sie nach IQ-Ergebnissen nach zwei Jahren

42
Unterricht an diesen Schulen (Vorschule und erstes Schuljahr oder erstes und
zweites Schuljahr) als hochbegabt zu bewerten. Sie haben ihr individuelles
Begabungspotenzial deutlich besser ausgeschöpft, als dies gegenwärtig in
staatlichen Schulen gelingt.

Prof. Dr. Gerlinde Mehlhorn


BIP-Kreativitätszentrum Leipzig
Hermann-Löns-Str. 12
04454 Holzhausen
Tel.: (034297) 42 100
Fax: (034297) 42 110
www.creativityschools.com
[email protected]

43
Marlene Wolter

Fremdsprachenlernen in der
Grundschule – zur Situation in
Niedersachsen

In Niedersachsen hat das Fremdsprachenlernen in der Grundschule bereits


Tradition. Schon in den Jahren von 1966 bis 1983 wurde an ausgewählten
Grundschulen in Niedersachsen in den Klassen 3 und 4 im Rahmen von
Schulversuchen Frühenglisch erteilt.

Seit Beginn der 90er Jahre ist die Zahl der Grundschulen, die das Erlernen einer
fremden Sprache in ihr Unterrichtsangebot einbezogen, ständig angestiegen.
Mit Einführung der Verlässlichen Grundschule im Schuljahr 1999/2000 ist
diese Entwicklung zu einem Abschluss gekommen. Denn für alle Kinder im
3. und 4. Schuljahrgang der Verlässlichen Grundschule ist das Erlernen einer
fremden Sprache Pflicht. Die Stundentafel ist dafür in den Schuljahrgängen
drei und vier um je zwei Wochenstunden aufgestockt worden. Obwohl den
Verlässlichen Grundschulen freigestellt ist, anstelle von Englisch auch eine
andere europäische Fremdsprache Französisch anzubieten, wurde in allen
Verlässlichen Grundschule Englisch gewählt. Das hat vielerlei Gründe:

• Im Rahmen der Ausbildung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen


konnte bisher lediglich die Lehrbefähigung für Englisch erworben werden.
• Das Konzept für das Fremdsprachenlernen ist integrativ, nach Möglichkeit
soll die Fremdsprache von der Klassenlehrerin bzw. dem Klassenlehrer
unterrichtet werden, damit eine sinnvolle Verteilung der 90 Minuten auf
die ganze Woche erfolgen kann und die Integration in den Gesamtunter-
richt gewährleistet ist.
• Die Eltern wünschen selbst an den Schulen, an denen es Erfahrungen mit
Französisch als 1. Fremdsprache in der Grundschule gibt, Englisch als
Pflichtunterricht ab Klasse 3.

44
• Die Weiterführung in Klasse 5 muss gewährleistet sein. Da die
Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 einer Orientierungsstufe in der Regel
aus verschiedenen Grundschulen kommen, ist ein differenziertes Angebot
nur in größeren Städten denkbar.

Niedersachsen befindet sich zur Zeit in einer Übergangsphase. Im laufenden


Schuljahr 2001/02 arbeiten bereits 1.100 der 1.865 niedersächsischen Grund-
schulen als Verlässliche Grundschulen. Für die Einführung der Verlässlichen
Grundschulen waren 5 Jahre geplant. Um allerdings möglichst bald vergleich-
bare Voraussetzungen für alle Schülerinnen und Schüler beim Übergang in
Klasse 5 zu ermöglichen, wird evtl. schon im nächsten Schuljahr das Fremd-
sprachenlernen in Klasse 3 und 4 in allen Grundschulen verpflichtend einge-
führt.

Grundlage für den Unterricht sind die vom Niedersächsischen Kultusminis-


terium 1995 herausgegebenen „Didaktisch-methodische Empfehlungen für
das Fremdsprachenlernen in der Grundschule“.

Darüber hinaus hat das Niedersächsische Kultusministerium im Dezember


2000 den Schulen Empfehlungen an die Hand gegeben: „Vom Fremdspra-
chenlernen in der Grundschule zum Fremdsprachenunterricht im Sekundar-
bereich I“. Diese Handreichungen für den Übergang wollen in der derzeitigen
Umbruchssituation ganz konkrete Hilfestellung geben.

Zur Vorbereitung eines Fremdsprachengesamtkonzepts hat Niedersachsen


1999 und in dieser Woche Fachtagungen mit bundesweiter Beteiligung in
Loccum durchgeführt. Die Dokumentation der 1. Fachtagung liegt vor und kann
im Referat 201 des Niedersächsischen Kultusministeriums angefordert werden.

Qualifikation der Lehrkräfte


Seit 1991 werden in Niedersachsen Kurse zum Fremdsprachenlernen in der
Grundschule angeboten. Bis zur Einführung des verbindlichen Englischunter-
richts in der Grundschule 1999 wurden z.B. 15 Kurse in Großbritannien für ins-
gesamt 300 Lehrkräfte, 57 zentrale Kurse in Niedersachsen für insgesamt 1.100
Lehrkräfte neben den regionalen Kursen in allen 17 Fortbidlungsregionen
durchgeführt. Durch eine zunehmende Qualifizierung von Multiplikatorinnen
und Multiplikatoren wurde so die flächendeckende Einführung des Fremd-

45
M a r l e n e Wo l t e r

sprachenlernens in den Grundschulen vorbereitet. Bei jeder Bezirksregierung


stehen Fachberaterinnen und Fachberater für das Fremdsprachenlernen in der
Grundschule bereit.
Seit Einführung der Verlässlichen Grundschule ist das Interesse an Fort- und
Weiterbildung der Grundschullehrkräfte im Fach Englisch sprunghaft ange-
stiegen. Seit 1999/2000 wird eine Weiterbildungsmaßnahme angeboten.
Diese Weiterbildungsmaßnahmen haben folgende inhaltlichen Schwer-
punkte:
• didaktisch und methodische Grundlagen des Fremdsprachenlernens in der
Grundschule
• psychologistische Grundlagen des Fremdsprachenerwerbs
• exemplarische Arbeit in den Themenkreisen der Empfehlungen
• Entwicklung, Erprobung und Reflexion von Unterrichtssequenzen
• inhaltliche und organisatorische Verknüpfung des Fremdsprachenlernens
mit Unterricht und Schulleben, Einbettung in das Schulprogramm
• Verknüpfung mit interkulturellem Lernen und landeskundlichen Aspekten
• Reaktivierung bzw. Weiterentwicklung der eigenen Sprachkenntnisse.

Die Erarbeitung erfolgt praxisnah, Hospitationen sind ein notwendiger Teil der
Kursarbeit, das Einbeziehen fremdsprachlicher Sequenzen ist durchgängiges
Prinzip. Die erfolgreiche Teilnahme an der Gesamtmaßnahme, die sich über
ein Schuljahr hinweg zieht, wird mit einem Zertifikat bescheinigt.
Die Handreichungen für die Kursleiterinnen und Kursleiter liegen inzwischen
in gedruckter Form vor.

Das Niedersächsische Landesinstitut für Fortbildung, Weiterbildung und


Medienpädagogik (NLI) hat eine Konzeptionsgruppe eingerichtet, die zentrale
und regionale Unterstützungsmaßnahmen koordiniert und vernetzt. Dieses
ist besonders in einem Flächenland wie Niedersachsen eine wichtige Aufgabe.

Marlene Wolter
Niedersächsisches Kulturministerium
Schiffgraben 12 · 30159 Hannover
Tel. (0511) 1207279 · Fax (0511)1207460
[email protected]

46
Karin Leutert

Frühes Sprachenlernen in
Baden-Württemberg

Da sind sich alle Fachleute einig: es sprechen viele Gründe für einen möglichst
frühen Sprachenlernbeginn. In den Grund- und Sonderschulen von Baden-
Württemberg wird deshalb im Schuljahr 2003/4 flächendeckend Englisch
oder Französisch eingeführt. Und das bereits ab der 1.Klasse ( FliG =
Fremdsprachen lernen in der Grundschule bzw. FliSo= Fremdsprachen lernen
in der Sonderschule).

Um die Lehrkräfte bestmöglich auf diese neue Aufgabe vorzubereiten, bietet


das Land verschiedene Fortbildungsmöglichkeiten an:

a) Methodisch-didaktische Bausteine: Den Grundschullehrer/innen werden


in jeweils vier Nachmittagsveranstaltungen für die Klassen 1+2 und 3+4
theoretische Grundlagen vermittelt. Zusätzlich bekommen sie Material an
die Hand, was sie z.T. sofort im Unterricht einsetzen können.
b) Sprachschulungen: Anhand eines (freiwilligen) Sprachtests können sich
die Lehrer/innen sprachlich selbst einordnen und sich dann entscheiden,
ob sie sich für einen Vorbereitungskurs und/oder einen Aufbaukurs anmel-
den möchten. Diese Sprachkurse beinhalten jeweils 12 Veranstaltungen.
c) Regionale Arbeitskreise: In diesen Gruppen können Erfahrungen und
bewährte Materialien ausgetauscht werden und somit unterstützen sich
die Lehrkräfte gegenseitig.
d) Akademiekurse: Zusätzlich bieten die Staatlichen Akademien für
Lehrerfortbildung Sprachkurse mit Muttersprachlern an bzw. Kurse, deren
Lehrgangssprache Englisch oder Französisch ist.
e) Sprachreisen: Über verschiedene Programme (z.B. Comenius) können sich
die Lehrkräfte für Sprachkurse im Ausland anmelden und werden dabei
finanziell vom Pädagogischen Auslandsdienst unterstützt.

47
Ka r i n Le u t e r t

Um die etwa 8000 Grundschullehrer/innen methodisch-didaktisch vorzube-


reiten, werden über 300 Multiplikator/en/innen fortgebildet. Diese nehmen
an sechs 2-tägigen Lehrgängen an den Staatlichen Akademien für Lehrer-
fortbildung teil. Außerdem besteht für die Multiplikator/en/innen die Mög-
lichkeit eine „Fortbildung für Fortbildner“ zu besuchen, in der erwachsenen-
didaktisch relevante Themen zur Sprache kommen.
Die Stundenplantafeln der Grund- und Sonderschulen wurden um zwei Stun-
den pro Jahrgangsstufe erweitert, die Lehrpläne für die weiterführenden
Schulen werden zur Zeit überarbeitet und angepasst.

Da sich Eltern und Kinder eine Rückmeldung über den jeweiligen Stand des
Fremdsprachenerwerbs wünschen, fließt diese in die Verbalbeurteilung der
Klassen 1 und 2 mit ein. Ab der 3. Klasse werden die Schüler/innen in den
Fächern Englisch bzw. Französisch benotet, wobei diese Noten sich nicht auf
schriftliche Arbeiten beziehen dürfen und auch nicht versetzungsrelevant
sind.

Karin Leutert
Akademiereferentin
Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung Donaueschingen
Villinger Str. 33 · 78166 Donaueschingen
Tel. (0771) 809224
[email protected]

48
49
50
51
Heidemarie Sarter

Vom Unterrichten einer Fremdsprache zum


Lernziel Mehrsprachigkeit.
Entwicklung in der (Fremd)Sprachendidaktik.
Thesen
A. Einsprachig > zweisprachig > mehrsprachig?

1. Die Mehrsprachigkeit des Menschen


Bereits vor 20 Jahren veröffentlichte der Sprachwissenschaftler Mario Wand-
ruszka ein viel beachtetes Buch mit dem Titel Die Mehrsprachigkeit des
Menschen (München, dtv, 1981). Dabei ging es ihm nicht in erster Linie um die
Menschen, die mehrere unterschiedliche Sprachen sprechen, sondern um die-
jenigen, die wir im Allgemeinen als „einsprachig“ bezeichnen. Sein Anliegen
war es aufzuzeigen, dass wir alle bereits in unserer Muttersprache über unter-
schiedliche Fähigkeiten verfügen bzw. unsere Fähigkeiten, mit dieser Sprache
umzugehen, so vielfältig sind, dass es angebracht ist, auch hier bereits von
„Mehrsprachigkeit“ zu sprechen. Denn wir richten uns in unserem sprachli-
chen Handeln nach sehr vielen und unterschiedlichen Parametern. Nicht nur,
dass viele über regionalsprachliche Varietäten, Dialekte, verfügen und in der
Lage sind, je nach Situation und Gesprächspartner die Regional- bzw. die
Standardvariante des Deutschen zu verwenden, unsere Sprachverwendung
richtet sich auch bei der Verwendung der Standardvariante nach Situation und
Gesprächspartner, unterscheidet im Allgemeinen zwischen einer mündlichen
Formulierung und der Darlegung desselben Inhalts in schriftlicher Form.

2. Sprache(n) Lernen in der kommunikativen Interaktion / Situation


Eine Vielfalt an Informationen unterschiedlichster Art beeinflussen bzw. deter-
minieren unser (Sprach)Verhalten. Wir „lesen“ die Situation, in der wir sprach-
lich handeln und setzen die gewonnenen Erkenntnisse in unterschiedliche
Formen und Ebenen der Sprache um, sind dabei in der Lage, uns Verände-
rungen schnell und angemessen anzupassen, wählen beispielsweise bei
beruflichen Auseinandersetzungen ein fachspezifisches Vokabular, auf das
wir verzichten, wenn wir es mit Laien zu tun haben, erzählen einem Kleinkind

52
eine Geschichte in anderer Weise als einem Jugendlichen, sprechen mit
Vorgesetzten und Respektspersonen im Allgemeinen anders als mit guten
Freunden, tun uns schwer mit Briefen ans Finanzamt etc. etc.
Wir haben im Laufe unseres muttersprachlichen Spracherwerbs, der Hand in
Hand nicht nur mit der kognitiven Entwicklung geht, sondern auch mit der
sozialen, psychischen und kulturellen Einfügung in die uns umgebende
Umwelt, gelernt, die nicht-sprachlichen Elemente der Situationen „lesen“ zu
lernen und uns sprachlich darauf einzustellen. Dabei beeinflusst die Vielfalt
der Situationen, in die wir kommen, unsere sprachliche Flexibilität.
Es liegt auf der Hand, dass schulischer (Fremdsprachen)Unterricht in dieser
Hinsicht zu wünschen übrig lässt, lassen muss. Denn die Bandbreite unter-
schiedlicher Situationen, die unterschiedliche sprachliche Aktionen und
Reaktionen erforderlich machen, ist äußerst eingeschränkt. Selbst, wenn in
einem kommunikationsorientierten Unterricht beispielsweise über Jugend-
sprache im Zielsprachenland gesprochen wird, so geschieht dies in der schrift-
sprachlich orientierten Standardvariante. Selbst handlungsorientierte Arbeit in
einer anderen Sprache, wie sie in der Grundschule praktiziert wird, unterliegt
diesen Einschränkungen, obwohl hier die Spannbreite noch am größten ist.

3. Muttersprachliche Kompetenz
Unsere sprachliche Kompetenz in unserer Muttersprache ist variabel. Wenn-
gleich wir auch alle über grammatikalische und lexikalische Kompetenz verfü-
gen, so variiert diese doch in Abhängigkeit von Erfahrungs- und Bildungs-
horizont, Persönlichkeit, auf- und ausgebauten Intelligenzarten, Situation und
Moment. Wir verfügen in der Regel weder rezeptiv noch produktiv über alle
Soziolekte (die Sprache Jugendlicher ist Älteren gelegentlich ebenso un-
verständlich wie Floristen eine Unterhaltung zwischen Computer-‚Freaks‘ oder
Steuerberatern und umgekehrt), verstehen oder sprechen Dialekte mehr oder
weniger, sind mehr oder weniger in der Lage, zwischen unterschiedlichen Stil-
ebenen zu unterscheiden. Manch einer unterscheidet nicht zwischen „als“ und
„wie“ bei Vergleich und Komparativ, verwechselt Akkusativ und Dativ, viele
sagen „Keese“ statt Käse, der eine isst „Wurscht“, der andere „Wurst“, manche
regionale Aussprachen differenzieren nicht dem Standard entsprechend nach
stimmhaften und stimmlosen Konsonanten, und „Beeren“ und „Bären“ unter-
scheidet kaum einer in der Aussprache. Und dennoch sind wir alle Mutter-
sprachler.

53
Heidemarie Sarter

Das Ziel einer „muttersprachengleichen“ bzw. „muttersprachenähnlichen


Kompetenz“, angewendet auf die zu erwerbende Kompetenz in einer anderen
Sprache, gerät mehr und mehr in die Diskussion, insbesondere für die
Sprachen, in denen mehrere Standards anerkannt nebeneinander existieren,
wie insbesondere im Englischen.

4. Spracherwerb ist keine Sache der Intelligenz


Bis zum Schuleintritt lernt jedes sich normal entwickelnde Kind die wesentli-
chen strukturellen und auch lexikalischen Gegebenheiten seiner Mutter-
sprache(n). Dieser Spracherwerb erfolgt in der fortschreitenden Auseinan-
dersetzung des Kindes mit sich und mit seiner sprachlichen und nicht-sprach-
lichen Umwelt; er ist auf das Engste verzahnt mit seiner kognitiven, sozialen
und psychischen Entwicklung und ist eine biologisch vorgegebene, soziale
Notwendigkeit, die sich unabhängig von unserem Willen realisiert.
Dabei folgt der Spracherwerb bestimmten, vorgegebenen Entwicklungs-
phasen (Lallphasen, Ein-Wort-Sätze, Zwei-Wort-Sätze, komplexe Sätze).
Seine Grundlage sind nach Noam Chomsky die Universelle Grammatik (UG),
auch Language Acquisition Device (LAD), Spracherwerbsmechanismus
genannt, und die sprachliche Umwelt. Die Fähigkeit, jede natürliche mensch-
liche Sprache zu lernen, beruht auf höchst abstrakten Prinzipien, die sich in
der Auseinandersetzung mit der gehörten Sprache bzw. den gehörten
Sprachen auf diese Sprache(n) hin konkretisieren. Je mehr und differenzierter
Kinder die Möglichkeit haben, Sprache(n) zu erfahren, desto mehr neuronale
Verbindung werden im frühkindlichen Alter aufgebaut. Aufgrund des später
einsetzenden Verlustes an Plastizität und wegen der zunehmenden Laterali-
sierung können bestimmte Fähigkeiten (bspw. die Aussprache sprachlicher
Laute, die nicht in der bzw. den Muttersprachen vorhanden sind) später nur
noch mit sehr viel größeren Anstrengungen, wenn überhaupt, erworben wer-
den. Spracherwerb ist somit ein Prozess der selektierenden Reduktion neuro-
physiologischer Möglichkeiten.

5. Motivation und Haltung bestimmen das Lernen/den Erwerb


weiterer Sprachen
Ist also der Erwerb der Muttersprache(n) ein Prozess, dem wir uns im Normalfall
nicht entziehen können, so gilt dies nicht für Sprachen, die wir später lernen.
Sobald (eine) Sprache als Verständnis- und Verständigungsmittel vorhanden
ist, haben wir für jede weitere Sprache die Wahl, sie zu lernen oder nicht.

54
Entscheidend sind hierfür Motivation und Haltung (cf. hierzu auch „Frühes
Sprachenlernen in Kindergarten und Grundschule...“ in diesem Band).

6. Der Erwerb/das Lernen weiterer Sprachen ist in seinen Möglichkeiten


abhängig
Lernen oder erwerben wir später weitere Sprachen, so ist dieser Prozess
abhängig vom Alter und vom (kognitiven) Entwicklungsstand. Je näher wir
noch dem Mutterspracherwerbsprozess sind, desto mehr folgt der Erwerb
einer weiteren Sprache den gleichen Prinzipien: aus dem – in Handlung und
Situation – Gehörten werden Struktur und Lexikon der anderen Sprache
erschlossen; dies geschieht in der Regel implizit, d.h. ohne dass es dem Lerner
bewusst würde. Je weiter der Muttersprach(en)erwerbsprozess vorange-
schritten ist, desto mehr beeinflussen die Strukturen der Muttersprache(n)
den Erwerb der neuen Sprache.
Mit Erreichen der formal-analytischen Phase in der beginnenden Pubertät
ändert sich auch unser Herangehen an andere Sprachen. In Abhängigkeit von
bereits erworbenen Kenntnissen und Methodiken nähern wir uns ihnen eher
analytisch, versuchen, explizit Regeln zu erkennen und anzuwenden. Dabei
bestimmt auch die Art von Lernertyp, zu der wir gehören, unseren Sprach-
erwerb, ebenso wie die unterschiedlich ausgeprägten Intelligenzarten, über
die wir verfügen.

7. Unterschiedliche Arten von Intelligenz können das Lernen / den Erwerb


weiterer Sprachen fördern
Intelligenz ist inzwischen zu einem sehr differenzierten Begriff geworden, der
nicht mehr nur als I.Q. zu fassen ist. Neben der analytisch-expliziten Intelligenz
sind emotionale und soziale Intelligenz getreten, wir sprechen von verbaler,
musischer, räumlicher... Intelligenz. Welche Arten von Intelligenz das
Sprachenlernen fördern, steht bislang noch nicht fest. Sprachbegabung um-
fasst unterschiedliche Intelligenzarten, kombiniert sie und nutzt sie zielgerich-
tet für das Erlernen einer anderen Sprache. Der Erfolg des Sprachenlernens ist
abhängig davon, ob die Erfordernisse der Lernsituation den jeweiligen Intelli-
genzarten des Lerners entgegenkommen bzw. ihnen entgegenstehen. Für
einen analytisch-explizit orientierten Lerner kann eine kommunikative
Situation eher lernbehindernd sein, während die Sprachlernfähigkeiten eines
eher auch imitativ-intuitiv Lernenden dadurch stark befördert werden und
umgekehrt.

55
Heidemarie Sarter

8. „Ab der 7. Sprache wird alles ganz einfach!“


Sehen wir nicht als normale, logische Reihenfolge „einsprachig, zweisprachig,
mehrsprachig“, sondern gehen davon aus, dass wir bereits in einer Sprache
über unterschiedlich sprachliche Mittel verfügen, so bedeutet mehrsprachig
zu sein (nun bezogen auf mehrere Sprachen), einerseits mehr als Kenntnisse
in mehr als einer Fremdsprache zu haben. Denn Sprachkenntnisse im engen
Sinn, bezogen auf Grammatik und Wortschatz, reichen nicht aus, um im
sprachlichen Handeln mit anderssprachigen Kommunikationspartnern erfolg-
reich zu sein. Hinzu kommen muss die Fähigkeit, in und aus der jeweiligen
Situation Gewinn für den Ausbau der eigenen Sprachkompetenz zu ziehen, auf
die muttersprachlichen Sprecher zu hören, Strukturen zu akzeptieren, auch
ohne sie ‚verstanden‘ zu haben oder erklären zu können, sie im Bemühen der
eigenen Kommunikation versuchsweise einzusetzen, zu überprüfen und gege-
benenfalls zu korrigieren.
Mehrsprachig zu sein, bedeutet aber andererseits auch weniger als die
Beherrschung mehrerer Sprachen. Denn die Beherrschung einer Sprache in all
ihren Facetten und Varietäten ist selbst für Muttersprachler, wie bereits unter
3. angesprochen, kaum möglich. Von daher sollte auch nicht als Verpflichtung
gesehen werden, eine andere Sprache umfassend und vollständig beherr-
schen zu müssen. Die jeweilige Zielsetzung ist individuell abhängig von den
Kommunikationssituationen und -zielen. Dass eine möglichst umfassende
(strukturelle) Sprachbeherrschung angestrebt werden sollte, versteht sich,
verbessert sie doch die Chancen einer erfolgreichen Kommunikation.
Mehrsprachig zu sein, bedeutet auch, nicht von einer Sprache in eine andere
zu übersetzen. Denn in jeder Sprache drücken sich Inhalte, insbesondere kul-
tureller Art, in anderer Weise aus. Im Mittelpunkt der Kommunikation steht der
Sinn, die Bedeutung; sie ist Zentrum des (Erkenntnis- und Übermittlungs-)
Interesses. Dabei kann unter Umständen der lexikalischen Korrektheit oder
einer guten Aussprache mehr Gewicht zukommen als der Kenntnis und
Umsetzung der grammatischen (Standard)Norm.

Abb.1 Herangehensweise der Fachdidaktik


m L2
,
. L1 L3
Ln
Grammatik L1 > Grammatik L2 + Lexikon L1 > Lexikon L2
Grammatik L1 > Grammatik L3 + Lexikon L1 > Lexikon L3
Grammatik L1 > Grammatik Ln + Lexikon L1 > Lexikon Ln

56
In der interkulturellen Kommunikation gilt es, die jeweiligen Gepflogenheiten
zu kennen und zu respektieren. So ist es z. B. im deutschen Kulturkreis völlig
angemessen, auf die Frage, ob man lieber Tee oder Kaffee möchte, zu antwor-
ten: „Das ist mir eigentlich egal.“ Im Französischen jedoch träfe eine simple
Übersetzung auf Akzeptanzprobleme, würde als unhöflich empfunden. Die
korrekte „Übersetzung“ wäre eine Übertragung: „Comme vous voulez“ – eine
Verlagerung der Entscheidungsverantwortung, die u. U. im Deutschen wie-
derum als unangemessen empfunden würde.

Abb. 2 Herangehensweise Mehrsprachiger


L1/L2/L3/Ln L1/L2/L3/Ln
. m
Situation/Bedeutung/Verstehen/sprachliche Formulierung

B. Paradigmenwechsel in der Fremdsprachendidaktik

1. Das Lernziel „Eine Fremdsprache lernen“


Zielsetzung des Fremdsprachenunterricht an Schulen war über lange Zeit hin-
weg, die Schülerinnen und Schüler eine Fremdsprache zu lehren. Selbst wenn
zwei oder drei Fremdsprachen im Laufe der Schulzeit gelernt wurden, wurde
für jede der Sprachen so verfahren, als sei sie die erste und einzige Fremd-
sprache, die die Schüler und Schülerinnen zu lernen hätten. Die unterrichte-
ten Sprachen existierten nebeneinander, bereits vorhandene Sprachlern-
erfahrungen wurden ebenso wenig in Rechnung gestellt wie Parallelitäten und
Verwandtschaft zwischen den jeweils zu unterrichtenden Sprachen und die
daraus zu ziehenden Vorteile.
Angestrebt wurde jeweils die umfassende Beherrschung dieser einen
(Fremd)Sprache, und zwar in ihrer schriftsprachlichen Form. Lese- und Kom-
munikationserfahrungen außerhalb des Unterrichts wurden häufig als poten-
zielle Störfaktoren angesehen. Die Fremdsprache war das Objekt des Lernens/
Unterrichtens. Das zugrunde gelegte Modell war Latein, eine tote Sprache. Der
Unterricht war lehrerzentriert und man meinte, die Schüler und Schülerinnen
folgten in ihrem Lernprozess den durch Lehrkraft und Schulbuch vorgegebe-
nen Lernwegen.

57
Heidemarie Sarter

Diese Positionen sind inzwischen überwunden, zumindest in der fachdidakti-


schen Diskussion – was nicht heißt, dass nicht in vielen Klassenzimmern die
tägliche Unterrichtsrealität dem Geschilderten noch entspricht.

2. Das Lernziel „Fremdsprachen lernen (lernen)“


Die geänderten Zielsetzungen streben über das Lernen einzelner Sprachen
das Fremdsprache(n) Lernen als übergeordnete Fähigkeit an, das Sprachen
Lernen Lernen, das auch über die Schule hinaus, d.h. parallel dazu und später,
seine Früchte trägt.
Das Sprachenlernen soll erleichtert werden durch Ausnutzen übergeordneter
Lern- und Erwerbsmechanismen. Das Herstellen von Sprachbewusstheit und
das Lenken der Aufmerksamkeit auf sprachliche Gegebenheiten (language
awareness), die Vermittlung unterschiedlicher Arbeits- und Lerntechniken, die
Förderung der Lernerautonomie sorgen für eine Lernerzentrierung des Unter-
richts, die Kommunikationsorientierung als Unterrichtsprinzip, als Lernziel für
Beherrschung der Fremdsprache begreift.
Die Differenzierung der je angestrebten Sprachbeherrschung nach den Be-
reichen „Sprachrezeptionsfähigkeiten“, „Sprachproduktionsfähigkeiten“,
beides sowohl für die mündliche als auch für die schriftliche Ebene, bedarf
noch intensiverer Diskussion – ebenso wie die Frage einer adäquaten und zeit-
gemäßen (soll heißen: die technischen Möglichkeiten ausnutzende) Überprü-
fung des jeweils bereits Beherrschten – soll den Lernfähigkeiten und Lern-
zielen der unterschiedlichen Schularten und -stufen tatsächlich Rechnung
getragen werden. Das gymnasiale Modell des explizit-analytischen Heran-
gehens, das überall mit mehr oder weniger vollständigem Anspruch vor-
herrscht, wäre je nach Vermittlungsort zu überprüfen und gegebenenfalls
durch Modelle zu ersetzen, die mehr Freiräume für initiativ-intuitive Spracher-
lernung vorsehen.
Handlungsorientierung, die die Grenzen des Klassenraums überschreitet und
die das Lernen der anderen Sprache als eine Voraussetzung für Kommuni-
kation und Information setzt, wird mehr und mehr dazu beitragen, das Erler-
nen anderer Sprachen über Schule und Notengebung hinaus interessant und
sinnvoll zu machen. Dazu gehört auch, die von Schülern und Schülerinnen
unter Umständen in den Unterricht hineingetragenen, vom gesetzten Stan-
dard abweichenden sprachlichen Formen, als Bereicherung zu begrüßen und
als Lehrkraft mit ihnen umgehen zu können.

58
Die Nutzung und der Ausbau bereits vorhandener anderssprachiger Kennt-
nisse für den und im Unterricht in anderen Fächern, Bilingualer Unterricht, darf
sich der Frage nach seiner Sinnhaftigkeit nicht entziehen. Der Einsatz einer
Fremdsprache als Mittel des Lernens und Unterrichtens eines anderen Fachs
darf nicht aus sich selbst oder aufgrund der größeren Einfachheit einer
Stundenplanerstellung begründet sein; die dort erworbenen Kenntnisse ins-
besondere lexikalischer Art müssen sich messen lassen an ihrer Verwend-
barkeit für alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur derjenigen, die das bilin-
gual unterrichtete Fach evtl. später im anderssprachigen Ausland studieren
werden. Oder überspitzt formuliert: Warum soll ein deutscher Schüler wissen,
was Reichsdeputationshauptschluss auf Französisch heißt?
Sinnvoller als das durchgängige Unterrichten eines Faches in einer anderen
Sprache scheint der durchgängige Einsatz anderer Sprachen wann und wo
immer es angebracht ist. Geschichtsunterricht beispielsweise müsste darauf
verzichten, zumindest englisch- und französischsprachige Quellen in der
Übersetzung zu behandeln. Motivation bei den Schülern und Schülerinnen
schaffen und ausnutzen durch die Behandlung authentischer Texte, eine zu
Recht häufig erhobene Forderung, darf sich in Zukunft nicht auf den Fremd-
sprachenunterricht oder den bilingualen Sachfachunterricht beschränken.
Die modernen Kommunikationsmittel bieten mehr als genug Möglichkeiten,
interessante, aktuelle anderssprachige Texte für alle Fächer zu finden.

3. Das Lernziel „Mehrsprachigkeit“


Im Unterschied zu den bereits behandelten Lernzielen zielt Mehrsprachigkeit
nicht auf eine andere Sprache oder das Erlernen einer oder mehrerer anderer
Sprachen. Im Mittelpunkt des Begriffs steht der Mensch, der Lerner, und seine
Fähigkeit zum Umgang mit mehr als einer Sprache, die auszubauen und zu
stärken ist. Damit wird ein Paradigmenwechsel vollzogen, und zwar ein
Paradigmenwechsel, der weit über Fremdsprachenunterricht und bilingualen
Unterricht hinaus geht und die gesamte Schule, alle Lehrkräfte, betrifft.
Jede Lehrkraft hat im Laufe ihrer eigenen Schulzeit mindestens zwei Fremd-
sprachen gelernt, viele während des Studiums, je nach Fach und Universität,
dies nachweisen bzw. ausbauen müssen. Für diejenigen, die keine Fremdspra-
che unterrichten, ist der Abschluss der Schule bzw. der ersten Ausbildungs-
phase ein Freibrief, all die erworbenen Kenntnisse in den anderen Sprachen zu
vergessen. (Gesellschaftliche Investitionen, die gewissermaßen ‚in den Sand
gesetzt sind‘.) Sollen Schüler zu Mehrsprachigkeit erzogen werden, so dürfen

59
Heidemarie Sarter

Lehrer sich dieser von den Schülern geforderten Zielsetzung für sich selbst
nicht entziehen, soll die Institution Schule in der Gesamtheit ihrer Bestre-
bungen, mehrsprachige Europäer auszubilden, nicht unglaubwürdig werden.
Das Lernziel „Mehrsprachigkeit“ unterscheidet sich noch in einem anderen
Aspekt wesentlich von den bisherigen, auf das Lernen von Fremdsprachen
gerichteten Lernzielen. Es bezieht die Muttersprache mit ein; diese ist nicht
nur als Ausgangssprache über lange Zeit die wichtigste Referenz des Ler-
nenden, sie geht auch insgesamt als eine Komponente unter anderen in die
Mehrsprachigkeit ein. Auch hier gilt es, wie zwischen den zu lernenden Spra-
chen, jeweils Bezüge, Parallelitäten, Verwandtschaften herauszuarbeiten und
für das Lernen anderer Sprachen einzusetzen. Dabei wird sich nicht selten her-
ausstellen, dass die andere Sprache, die als „Fremd“sprache per se im Ruf
stand, schwierig zu sein, über mehr oder weniger weite Strecken einfacher ist
als das Deutsche.
Die ‚Sprachigkeit‘ des Menschen ist, wie anfangs aufgezeigt, nicht nur gram-
matikalische, lexikalische und phonetisch-phonologische Kompetenz, son-
dern auch die Fähigkeit zu angemessenem sprachlichem Handeln in unter-
schiedlichen Situationen bzw. die Fähigkeit, dies im jeweiligen Hier und Jetzt
zu erwerben. Ein natürlicher Umgang mit Sprache schließt non-verbales
Handeln und unvollständige Sätze ebenso ein wie Fehlstarts, Versprecher und
viele andere Unzulänglichkeiten – die jedoch im unterrichtlichen Umgang mit
einer anderen Sprache im Allgemeinen nicht geduldet werden.
Mehrsprachigkeit kann nicht vollständig und umfassend sein. Wie wir gese-
hen haben, ist bereits in der Muttersprache dieser Anspruch nicht aufrechtzu-
erhalten. Um wie viel mehr ist er in Hinsicht auf andere Sprachen zu relativie-
ren. Die Beherrschung anderer Sprachen in Abhängigkeit von den Funktionen,
für die sie gebraucht werden, funktionale Mehrsprachigkeit, ist kein einge-
schränktes Lernziel im Vergleich zu früheren Zielsetzungen. Es setzt andere
Schwerpunkte und hat den Vorteil, sich dem natürlichen Umgang mit Sprache
anzunähern – vorausgesetzt, es gelingt der Fachdidaktik eine operationali-
sierbare Differenzierung.
Die fachwissenschaftliche Didaktik, deren Aufgabenbereich das Unterrichten
von und in anderen Sprachen als möglichst optimale Lernvoraussetzung für
die Schüler und Schülerinnen ist, steht im Spannungsfeld vieler unterschied-
licher Interessen und Erkenntnisse, die in Abb. 3 im Überblick aufgezeichnet
sind.

60
Abb. 3

Politik Eltern sich änderndes Umfeld


Bildungspolitik > Neue Technologien
> geänderte Inhalte
> Geänderte Berufs-
perspektiven

Fremdsprachige Mehrsprachigkeit

Psychologie Kommunikations- Kognitions-


wissenschaft wissenschaft

Spracherwerbs- Zweitsprach-/Mehrsprachigkeits- Allgemeine


forschung forschung Didaktik

Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die Förderung von Mehrsprachigkeit
nicht allein der Schule anzulasten ist. Das gesellschaftliche Umfeld insgesamt
muss mit Mehrsprachigkeit anders als bislang umgehen. So verhindern bei-
spielsweise Simultanübersetzungen in Fernsehen und Radio, dass der anders-
sprachige Text zur Kenntnis genommen wird. Hier wären Untertitel bzw. Kon-
sekutivübersetzungen hilfreicher, soll Mehrsprachigkeit umfassend gefördert
werden. Das Angebot an originalsprachiger Literatur (Fachliteratur ebenso wie
Belletristik) in Bibliotheken und Buchhandlungen müsste wesentlich größer
werden, ebenso wie die Ausstrahlung von Filmen in der Originalversion im
Fernsehen. Schule hat zwar die Aufgabe der Vermittlung von Kenntnissen,
Fähigkeiten und Fertigkeiten. Lernprozesse finden jedoch nicht nur in der
Schule statt.

61
Heidemarie Sarter

C. Paradigmenwechsel in der Lehreraus- und -weiterbildung

Ein wesentlicher Aspekt betrifft die Aus- und Weiterbildung aller Lehrer und
Lehrerinnen: Sie zu überzeugen, auch mit anderssprachigen Texten in ihrem
(Fach)Unterricht zu arbeiten, ist ein wichtiger Punkt in Hinsicht auf die
Herstellung eines natürlichen, selbstverständlichen Umgangs mit anderen
Sprachen – innerhalb und außerhalb der Schule. Studien- und Weiterbildungs-
anteile im Ausland sollten nicht nur für Sprachenlehrer selbstverständlich
werden.
Was die Ausbildung der Sprachenlehrkräfte angeht, brauchen wir Verzah-
nungen, die die Fachwissenschaft sowohl mit den Bezugswissenschaften, die
in Abb. 3 genannt sind, als auch mit der Fachwissenschaft ihres zweiten Fachs
verbindet. In der ersten, universitären Ausbildungsphase muss die Theorie in
Fachwissenschaft, Fachdidaktik und -methodologie, Bezugswissenschaften
im Vordergrund stehen, angereichert durch praktische Ausbildungsanteile,
die jedoch noch nicht auf den Erwerb praktischer Berufsqualifikationen abzie-
len können, sondern auf die Überprüfung der Theorie in der Praxis zielen, alles
insgesamt ausgerichtet auf die Notwendigkeiten, die eine zukünftige, profes-
sionelle Unterrichtspraxis erfordern. Das Verhältnis von Theorie und Praxis
bestimmt sich durch die Frage: Wie viel Praxis braucht die Theorie, um optimal
verstanden zu werden? (Abb. 4)
Die zweite Ausbildungsphase hingegen konzentriert sich auf die praktische
Ausbildung in den Unterrichtsfächern, den Erziehungswissenschaften und
strebt die Umsetzung der erworbenen Theorie in professionelles Handlungs-
wissen an. Die entscheidende Frage für diese Phase ist: Wie viel Theorie
braucht die Praxis? (Abb. 5)
Ebenso wenig, wie entsprechend ausgebildete Schulpraktiker für die univer-
sitäre Ausbildung Sorge zu tragen haben, ebenso wenig sind die Ausbildenden
während der zweiten Phase Wissenschaftler. Unter Respektierung des Prin-
zips „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ muss hier ebenso eine überinstitu-
tionelle wie eine interinstitutionelle Zusammenarbeit stattfinden. Dies setzt
nicht nur voraus, dass die zusammenarbeitenden Partner sich ihrer Rollen und
Aufgaben bewusst sind, sondern auch, dass sie in einem gemeinsamen Be-
mühen die übergreifenden Aspekte jeweils mit ihren Kompetenzen angehen
und gemeinsam Lösungswege finden. Um zu einer professionellen Aus-

62
Abb.4: Erste Ausbildungsphase

Praxis > Theorie > Praxis


Fachwissenschaften
Erziehungswissenschaften
Fachdidaktik und -methodologie

Leitfrage: Wie viel Praxis braucht die Theorie?

Abb.5: Zweite Ausbildungsphase

Theorie > Praxis > Theorie


Unterrichtsfächer
Pädagogik
Professionelles Handlungswissen

Leitfrage: Wie viel Theorie braucht die Praxis?

Abb.6: Fort- und Weiterbildung

Praxis der > Praxis & > Theorie der Praxis


Theorie Theorie Theorie für die Praxis
Fachwissenschaften
Erziehungswissenschaften
Fachdidaktik und -methodik
Professionelles Handlungswissen

Leitfrage: Wie viel Theorie braucht die Praxis?

63
Heidemarie Sarter

bildung zu kommen, kann nicht weiterhin so getan werden, als würden


Lehramtsstudierende, insbesondere für das Gymnasium, zu zukünftigen
Wissenschaftlern mit ein wenig Fachdidaktik ausgebildet.
Aber es braucht nicht nur Kooperation, Information und Absprache zwischen
der ersten und der zweiten Ausbildungsphase. Auch für die Fort- und Weiter-
bildung (Abb. 6) – die zweifelsohne in der Zukunft verpflichtend sein muss –
muss eine klare institutionelle Rollenverteilung gefunden werden. Fach-
wissenschaftliche und methodologisch-didaktische Weiterbildung kann nur
von der Universität geleistet werden. Dieser Aufgabe hat sie sich in entspre-
chend auswählender und didaktisierender Form zu stellen, will sie nicht eine
nicht zufriedenstellende Schulausbildung der nächsten Generation (wie sie
sich ja teilweise bereits in internationalen Studien abzeichnet) mitverantwor-
ten müssen.
Ein wichtiger Aspekt in der beruflichen und berufsmäßigen Fort- und Weiter-
bildung von Lehrkräften, dem bislang recht wenig Bedeutung beigemessen
wurde, ist die Problematik des Rollenwechsels. Lehrkräfte, deren Aufgabe das
Unterrichten, das Vermitteln von Kenntnissen und Inhalten ist, sehen sich in
der Weiterbildung plötzlich in der Rolle der Lernenden – eine Position, die nicht
alle ohne Probleme akzeptieren. Eine Reflexion des ständig notwendig wer-
denden Rollenwechsels schließt auch die angemessene Beachtung der von
den sich weiterbildenden Lehrkräften eingebrachten Kenntnisse und Erfah-
rungen ein.
Probates Mittel, um zu einem gewinnbringenden Miteinander aller zu kom-
men, ist die Stärkung und die Zusammenarbeit in der (Unterrichts)Forschung,
die es in überzeugendem Maße auszubauen gilt.

Prof. Dr. Heidemarie Sarter


Universität Koblenz-Landau
Romanisches Seminar
Rheinau 1 · 56075 Koblenz
Tel. (0261) 9119271 · Fax (0261) 9119278
[email protected]

64
Podiumsdiskussion

Fremdsprache als Kommunikationsmittel:


Integration in den Fachunterricht an allgemein-
bildenden Schulen und Anforderungen für die
Fort- und Weiterbildung der Lehrenden
Fremdsprache als Kommunikationsmittel: Integration in den Fachunter-
richt an allgemeinbildenden Schulen und Anforderungen für die Fort- und
Weiterbildung der Lehrenden

Podium:
Petra Jung, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin
Iris Denkler, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Nicola Hanecke, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Dr. Evelyn Junginger, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport für das
Land Brandenburg, Potsdam

Moderation: Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Freese, Universität Paderborn

65
Christiane Knaup

Christiane Knaup

Zusammenfassung

Das einführende Impulsreferat von Heidemarie Sarter befasste sich mit der
Integration der bilingualen Erziehung in den Fachunterricht an allgemeinbil-
denden Schulen und mit den Konsequenzen für die Lehrerausbildung und
Weiterbildung. In ihren Ausführungen forderte sie u.a. sprachvergleichende
Ausbildungselemente den Lehrenden und vermehrten Einsatz englischspra-
chiger Quellen im Unterricht. Bilinguale Erziehung erfordere einen natürlichen
Umgang mit der Sprache. Ziel solle sein, ein sprachlich-kulturelles Verhalten
bei den Kindern zu erreichen. Jedoch setze diese Unterrichtsmethode mehr-
sprachige Lehrkräfte voraus.
In der Diskussion um die Vermittlung von Mehrsprachigkeit betonte Heide-
marie Sarter, dass bei der zukünftigen Lehrerfortbildung nicht mehr nur das
Fachwissen im Mittelpunkt stehen dürfe. Stattdessen würden die Ler-
nerbiographien eine größere Bedeutung erhalten. Lehrende selbst sollen über
das eigene Lernen reflektieren.

Ein weiterer Aspekt sei, das Kennen lernen der Kulturen und dies setze ver-
bindlich einen Auslandsaufenthalt voraus.

Petra Jung beschrieb die Aktivitäten, die im Europäischen Jahr der Sprachen
2001 angeboten werden. Als Ziel wurde die Förderung der Mehrsprachigkeit
genannt. Das Bundesministerium habe dazu ein Handlungskonzept für das
Sprachenlernen entwickelt, um Wert und Nutzung des Fremdsprachenerwerbs
für die persönliche und berufliche und soziale Entwicklung zu unterstreichen.
Sie stellte drei Modelle vor, die dieses Handlungskonzept unterstützen: Das
erste Modell, das Nachbarschaftskonzept, betont den Spracherwerb um mit
den angrenzenden Ländern kommunizieren zu können, das zweite Modell hat
das Ziel, andere Kulturen näher zu bringen, und das dritte Modell bezieht sich
auf den integrierenden, fachbezogenen Fremdsprachenunterricht.

66
Von besonderer Wichtigkeit sei die Kontinuität im Lernprozess. Brüche beim
Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen müssten vermie-
den werden. Bei der Lehrerfortbildung müsse daher besonderer Wert auf
Kenntnisse über die Prozesse des Fremdsprachenerwerbs gelegt werden.
Petra Jung forderte auch eine stärkere fachsprachliche Forschung im Bereich
der Methodik und Didaktik.

Als Vertreterinnen der Gymnasien stellten die Lehrerin Iris Denkler und die
Schülerin Nicola Hanecke die zahlreichen Sprachprogramme an ihrer Schule
vor. Zunächst berichteten sie von einem aktuellen Projekt, dem „Sprachen-
tag“. In dieser Form des Fremdsprachenunterrichts werde die Sprache von
Schülern an Schüler vermittelt. Dabei handelt es sich entweder um Mutter-
sprachler/innen oder deutsche Schüler/innen, die einen längeren Auslands-
aufenthalt absolviert haben. Auf diese Weise werde der Zugang zu anderen
Sprachräumen intensiver und direkter vermittelt.

Besonderen Wert legt die Schule auf die Selbstevaluation der Lernenden. Iris
Denkler schilderte, wie Selbsteinschätzung von Leistungen anhand des
Europäischen Portfolios der Sprachen ermöglicht wird. Die Rubrik „Sprachen-
biographie“ und der kontinuierlich geführte Sprach-Pass seien u. a. geeignete
Instrumente, um den Lernenden einen Überblick über die eigene Sprachent-
wicklung zu geben.

Evelyn Junginger berichtete über die Situation der Lehrerfortbildung in


Brandenburg. Sie verwies auf die Schwierigkeit der Trennung in der Zuständig-
keit von Wissenschafts- und Schulverwaltung und auf das Problem, dass nur
ein geringer Prozentsatz von Fremdsprachenstudenten/innen ein Auslands-
studium absolviere. Für Lehrkräfte, die bereits im Beruf sind, sei die Weiterbil-
dung im Fremdsprachenbereich daher besonders wesentlich.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand der Bedarf an fachdidaktischer For-


schung und das Thema Leistungsbewertung. Das Europäische Portfolio als
Unterrichtsinstrument wurde als wichtiges Mittel bewertet, um mit den Leh-
renden in Diskussion zu treten. Da die Schüler/innen sich selbst evaluieren,
stellte sich die Frage, ob die Differenz zwischen der Bewertung des Lehrers

67
Christiane Knaup

und der eigenen Bewertung zu groß sei. Aus ihrer Erfahrung berichtete Iris
Denker, dass die Schüler/innen sich eher unterschätzten als dass sie sich zu
gut einstuften.

Insgesamt waren sich die Workshopteilnehmer darin einig, dass Sprach-


erwerb über Schule hinausweisen muss. Von besonderer Wichtigkeit sei es,
niemanden auszuschließen und Erfolge sichtbar zu machen. Nicht Sprache sei
das Ziel, sondern die Sprache als Kommunikationsmittel. Dazu bedarf es nach
Meinung der Anwesenden einer größeren Lernerzentrierung und Lernerauto-
nomie und einer verstärkten Handlungsorientierung im Unterricht.

Im Schlusswort unterstrich Angelika Hüfner die Aufbruchstimmung in Bezug


auf frühe Fremdsprachenförderung und bilingualen Unterricht. Sie wies noch
einmal auf die Bedeutung des Fremdsprachenunterrichts für das Verständnis
und das Miteinander mit anderen Kulturen hin. Sie gab jedoch zu bedenken,
dass man die Herkunftssprachen der Migrantenkinder nicht vernachlässigen
sollte und plädierte dafür, die Herkunftssprachen der Migrantenkinder in den
Lernprozess des Fremdsprachenerwerbs einzubauen. Lehrende und Lernende
müssten sich hierfür Zeit nehmen und Zeit geben. Die Formel learning by doing
gelte für Lehrkräfte und Schüler.

Christiane Knaup
Universität Paderborn
Warburger Straße 100
33098 Paderborn
Tel. (05251) 603048
Fax (05251) 603539
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Podiumsdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Peter Freese

Meine Damen und Herren, die zweite Podiumsdiskussion des heutigen Tages
ist dem Thema „Fremdsprache als Kommunikationsmittel“ gewidmet, und
nachdem es in unserer ersten Runde um den Frühbeginn ging, wollen wir uns
jetzt mit jenen Aspekten befassen, die über den traditionellen Fremdsprachen-
unterricht hinausgehen und sich auf die Verwendung einer Fremdsprache
nicht als Ziel, sondern als Mittel, also etwa als Kommunikationsmedium im
Sachfachunterricht beziehen. Frau Petra Maria Jung vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung wird vor dem Hintergrund der Überlegungen, die
durch das Europäische Jahr der Sprachen ausgelöst wurden, ein paar einlei-
tende Thesen zu unserem Thema vorstellen; Frau Iris Denkler vom Elsa
Brandstöm-Gymnasium Oberhausen wird dann aus der praktischen Arbeit an
ihrer in diesem Feld vorbildlichen Schule berichten; und Frau Dr. Evelyn
Junginger vom Referat für Lehrerausbildung im Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport des Landes Brandenburg wird sich abschließend mit der
Frage befassen, welche Konsequenzen sich aus den neuen Zielen und An-
sprüchen für die Ausbildung der Lehrer(innen) ergeben.

Im Folgenden werden die vorbereiteten Texte der Podiumsteilnehmer


abgedruckt:

69
Petra Maria Jung

„Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?“

Die enge europäische Zusammenarbeit in nahezu allen


Bereichen erfordert in den letzten Jahren mehr und mehr Sprachkenntnisse im
Beruf, aber auch im persönlichen Bereich. In allen EU-Ländern wird deshalb
zur Zeit darüber debattiert, die erste Begegnung mit einer Fremdsprache vor-
zuziehen und bereits im Kindergarten und in der Grundschule mit dem
Sprachenlernen zu beginnen. Sprachenlernen wird damit zu einem wichtigen
Faktor in der Bildungs- und Ausbildungspolitik in Europa und in Deutschland.
Das Europäische Jahr der Sprachen 2001 hat uns hierbei einen großen Motiva-
tionsschub in Richtung Sprachenlernen gegeben. Wir diskutieren derzeit in
Deutschland mit den Ländern, Sozialpartnern, Hochschulen und mit den
Verbänden der Erwachsenenbildung ein gemeinsames Handlungskonzept
zum Sprachenlernen. Damit möchten wir erreichen, dass alle Beteiligten
Reformen vorantreiben und dass das Sprachenlernen ein integrativer Be-
standteil in allen Bereichen von Bildung, Ausbildung und Weiterbildung wird.

3 Modelle:
1. Fremdsprachenunterricht (+ das Erlernen der Sprache des Nachbarn)
2. Begegnung mit Sprachen (Sensibilisierung für Sprache(n) als mensch-
liches Kommunikationsmittel und das Kennenlernen anderer Kulturen;
Einbindung in den gesamten Unterricht) und
3. Integrative Fremdsprachenarbeit (Einbezug von Fremdsprachen in anderer
Unterrichtsfächer, Verbindung von Sprache und inhaltlicher Arbeit in den
einzelnen Fächern)

Lernziele
Mündlichkeit und Schriftlichkeit in anderen Sprachen
Fremdsprachliche Kommunikationsfähigkeit
Interkulturelle Verständigung

70
Hintergrundthesen:

• Sprache wird effektiver erworben, wenn sie „zweckbestimmt“ gelernt wird


(„content based language learning“), Sprache wird als Unterrichtsmedi-
um im Sachfachunterricht aller Fächer/ einiger Fächer eingesetzt.

• Alle modernen Sprachen und alle Sachfächer sind im Prinzip für den bilin-
gualen Unterricht geeignet; die Frage ist allerdings, ob dieses Prinzip auch
für alle Lerngruppen zutrifft (Spaltung in gute und schlechte Schüler und
Schülerinnen, Spaltung in überwiegend deutschsprachige Kinder und Kin-
der mit anderen Herkunftssprachen; Sprachenlernen als Bildung für alle?).

• Es stellt sich für jede Schule die Frage nach dem Schulprofil und der
Sprachenfolge (Welche Schule fängt mit welcher Sprache an, gibt es eine
Sprache, die sich kontinuierlich durch alle Fächer durchzieht (d.h. dann
z.B. auch Französischunterricht in englischer Sprache).

• Wir brauchen den verstärkten Einsatz von Muttersprachlern im Sprach-


unterricht und im bilingualen Fachunterricht.

• Sprachpolitik ist immer mehr auch Integrationspolitik; es muss je nach


Schulprofil und Schülerschaft entschieden werden, inwiefern auch die
Herkunftssprachen der Migranten und Migrantinnen in ein neues Lern-
und Lehrkonzept eingebunden werden können.

• Die „Sprachenfolge“ und das „Sprachenprestige“ entscheiden sehr


wesentlich über die weitere Sprachlernmotivation (nach dem Hamburger
Gutachten „Zum Stand der nationalen und internationalen Forschung zum
Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher, Juli
2001 ergibt sich häufig ein Konkurrenzverhältnis zwischen sog. „Welt-
sprache(n)“ und Herkunftssprache; d.h. je mehr Englisch in der Grund-
schule, desto weniger wird bei Migrantenkindern noch die Herkunfts-
sprache gelernt; Umfrage ergab, dass Englisch und Herkunftssprache
wichtiger angesehen wird als die Landessprache).

• Es ist zu prüfen, ob zukünftig die Vorverlegung der ersten Fremdsprache in


der Grundschule die Konsequenz hat, dass die erste oder zweite Fremd-

71
Pe t ra M a r i a J u n g

sprache in der Sekundarstufe I und II verstärkt auch Arbeitssprache in an-


deren Fächern wird und die eigentliche fremdsprachliche Unterrichtung
mit geringerem Stundendeputat durchgeführt wird (Kontinuität des Spra-
chenlernens in Lernzusammenhängen muss von Anfang an gewährleistet
werden; keine Brüche). Das bedeutet auch neue didaktisch-methodische
Ansätze für das jeweilige Sachfach und entsprechende (fremdsprachliche
und fachdidaktische) Lehrerfortbildungen.

• Lehrerfortbildungen sind in folgenden Bereichen notwendig: Ausbau der


eigenen Sprachkompetenzen, Entwicklung einer (fachbezogenen) Fremd-
sprachendidaktik für die jeweilige Altersstufe, Kenntnisse zu Prozessen
des Spracherwerbs.

• Förderung langfristiger sprachwissenschaftlicher und didaktischer


Begleitforschung ist zwingende Notwendigkeit für eine Weiterentwick-
lung/Umsetzung des bilingualen Sachunterrichts.

• Nutzung von Möglichkeiten des Tandem-Verfahrens (Klassentandem) und


von Schulpartnerschaften (auch unter Einbeziehung der neuen Medien –
transnationale, virtuelle Klassen).

• Zu früher Englischunterricht kann auch bewirken, dass sehr frühzeitig


eine alleinige (und häufig ausschließliche) Konzentration auf die englische
Sprache erfolgt und andere Sprachen dadurch ausgegrenzt werden.

Petra Maria Jung


BMBF
Hannoversche Straße 28-30 · 10115 Berlin
Tel. (030) 285405349
Fax (030) 285405512
[email protected]

72
Iris Denkler

Integration des Sprachenunterrichts


in den Fachunterricht

Unstrittig ist die schulische Verwendung einer anderen Sprache als Deutsch
im sonstigen Fachunterricht die wirksamste Methode, Sprachkenntnisse nicht
nur zu vertiefen und zu erweitern, sondern diesen auch eine andere Qualität
zu geben (CALP – Cognitive academic language proficiency) als Werkzeug für
Beruf und Studium (überfachliche Kompetenzen / Lernprozesse der Lebens-
und Arbeitswelt).

1. Im Wesentlichen funktioniert dieses Modell an Schulen mit einem bilin-


gualen Bildungsgang, in Deutschland sind dies deutlich mehr als 400
Schulen (Gymnasien, Realschulen, Gesamtschulen).
2. Diese Modell ist beliebt, gut und teuer, weil es in aller Regel a) die Bildung
besonderer Klassen, b) die Bereitstellung zusätzlicher Mittel impliziert.
Das sind wesentliche Gründe, warum das Modell in einigen
Bundesländern stagniert.
3. Es gibt weitere Gründe, warum Schulen mit bilingualem Bildungsgang
nicht zur Serienreife kommen oder als Modell für die Regelschule taugen:
a) Aufgrund der Bevorzugung bestimmter Sachfächer wie Geschichte,
Erdkunde, Politik, die sich eher weniger für Language 2 (L2) als
Arbeitssprache eignen.
b) Damit wird die erste Fremdsprache – in der Regel Englisch bevorzugt.
c) Es führt zur Selektion leistungsfähiger und -williger Schülerinnen und
Schüler.
d) Der Fremdsprachenerwerb reicht i.a. nicht zur Bearbeitung anspruchs-
voller bis schwieriger Aufgaben (z.B. Statistik); hier bedürfte es eines
größeren Zeitkontingentes für den Spracherwerb, das von den
Sachfächern unter themenspezifischen Gesichtspunkten zur Verfügung
zu stellen wäre. Eine mögliche Lösung bietet sich über die horizontale
Kooperation mit mehreren Fächern an, in denen das Lernen, hier der
Spracherwerb zum Gegenstand gemacht wird und einem hohen Grad

73
Iris Denkler

der Individualisierung Raum gibt, damit auch Sprachlernzeiten gewon-


nen werden können, die bei einer vertikalen Strukturierung nicht vor-
handen wären (Stundentafel, Lehrerdeputate).
4. Das Modell der „flexiblen bilingualen Phasen“ oder Module ist eher für
eine breitere Bildungslandschaft geeignet, weil:
a) es nicht die Kooperation mit bestimmten Sachfächern präferiert,
sondern die Einbindung aller Fächer denkbar ist.
b) es deshalb auch mit der zweiten Fremdsprache funktioniert.
c) es hinsichtlich Thema, Anforderungsbreite und -höhe und Zeitaufwand
auf eine durchschnittliche Klasse zugeschnitten werden kann.
d) es die Organisation des Sprachenlernens als Language across the
curriculum begreift.
5. Als mittelfristige Perspektive zeichnet sich ab,
a) dass die erste Fremdsprache (durch zwei Jahre Grundschule verlängert)
in den Klassen 9 und 10 phasenweise als Arbeitssprache in anderen
Fächern genutzt werden sollte, vor allem in solchen Fächern und bei
solchen Themen, die einen Mehrwert für interkulturelles Lernen und die
Berufsvorbereitung versprechen,
b) dass sich fächerübergreifende/-verbindende Vorhaben und Kurse für
die Jahrgangsstufe 9/10 etablieren, die ganz in der ersten
Fremdsprache geführt werden (European Studies, Social Sciences and
Economics, IT and Media),
c) dass solche Module / Phasen auch – wo interkulturell ergiebig – für die
zweite Fremdsprache eingerichtet werden.
6. Schließlich eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Fremdsprache als
Arbeitssprache in anderen Fächern in der Sekundarstufe II (GOSt/
Berufskolleg). Hier kann der Regelunterricht bei Profilbildung ganz einge-
spart werden, wenn Grundkurse in der Fremdsprache geführt werden.

Iris Denkler
Elsa-Brändström-Gymnasium
Christian-Steger-Str. 11 · 46045 Oberhausen
Tel. (0208) 857890 · Fax (0208) 5402170
[email protected]

74
Evelyn Junginger

Fremdsprachenfrühbeginn
ab Jahrgangsstufe 3

Mit dem Unterricht in der ersten Fremdsprache Englisch ab Jahrgangsstufe 3


soll ab dem Schuljahr 2003/04 begonnen werden.

Aus der Einführung resultiert ein zusätzlicher Bedarf an qualifizierten


Lehrkräften, der sich auf schätzungsweise 600 Personen beläuft.

Da
a) eine entsprechende Anzahl von Fachlehrkräften insbesondere unter Be-
rücksichtigung der landesspezifischen Einstellungs- und Beschäftigungs-
bedingungen (befristet, Teilzeit, Osttarif ) und der hohen Einstellungs-
zahlen in den alten Bundesländern inkl. Berlins auch nicht annäherungs-
weise auf dem Lehrerarbeitsmarkt rekrutiert werden könnte und
b) eine entspannte Situation auf dem Lehrerarbeitsmarkt unterstellt – eine
entsprechend hohe Zahl von Neueinstellungen mit den beschäftigungspo-
litischen Rahmenbedingungen (>Beschäftigungssicherungsvereinba-
rungen) kaum in Übereinstimmung zu bringen wäre,

konzentriert sich das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg derzeit auf die Weiterbildung von Grundschullehrkräften.

Weiterbildung meint hierbei


• ein Erweiterungsstudium im Umfang von 25 SWS von 1,5-jähriger Dauer
auf universitärem Niveau; Eingangsvoraussetzung sind sprachpraktische
Kompetenzen auf dem Niveau des Cambridge First Certificate;
• sofern die sprachpraktischen Eingangsvoraussetzungen nicht nachgewie-
sen werden können, wird eine einjährige Intensivfortbildung im Umfang
von 320 Stunden zzgl. einem zweiwöchigem Auslandsaufenthalt in Groß-
britannien bzw. in Irland vorgeschaltet.

75
Eve l y n J u n g i n g e r

Gegenwärtig eingerichtet sind Studienkapazitäten im Umfang von etwa 300


Plätzen:
• der erste Studiengang mit 125 Teilnehmern beginnt im Oktober 2001;
• der zweite Studiengang mit 160 Teilnehmern beginnt im April 2002, nach-
dem die Lehrkräfte eine im Februar 2001 begonnene Intensivfortbildung
absolviert haben;
• ein dritter Studiengang für Lehrkräfte aus dem Nordwesten des Landes mit
bis zu 25 Teilnehmern beginnt im August 2002.

Die Studiengänge schließen mit einer Erweiterungsprüfung vor dem Landes-


prüfungsamt für ein so genanntes Kleines Fach der Grundschule ab und sind
damit nicht vergütungs- bzw. besoldungsrelevant. Allerdings sind Lehrkräfte,
die das Erweiterungsstudium erfolgreich abgeschlossen haben, grundsätzlich
vor Umsetzungen in Schulen mit anderen Bildungsgängen geschützt, was in
der gegenwärtigen beschäftigungspolitischen Situation ein besonderes
Attraktivitätsmerkmal für viele Grundschullehrkräfte darstellt.

Die Intensivfortbildungen und Erweiterungsstudiengänge werden dezentral


an sechs Standorten im Land organisiert; die Lerngruppengröße liegt bei 13
bis 15 Teilnehmern. Den Teilnehmern werden Anrechnungsstunden nach
Maßgabe des Beschäftigungsumfangs – in der Regel vier Stunden – gewährt;
sie haben einen Eigenbeitrag zu den Kosten des Auslandsaufenthalts in Höhe
von rd. DM 800 zu leisten und tragen ansonsten die Kosten für An- und Abreise
zum Ort der Fort- bzw. Weiterbildung und für ihre Studienmaterialien selbst.

Mit den bisher organisierten Maßnahmen werden zu Beginn bzw. im Laufe des
Schuljahres 2003/04 rund 300 qualifizierte Fachlehrkräfte zur Verfügung ste-
hen.

Gegenwärtig prüft das MBJS, ob und inwieweit weitere Qualifizierungs-


maßnahmen zu organisieren sind, um dem voraussichtlichen Lehrkräftebe-
darf entsprechen zu können. Entsprechende Bedarfs- und Wirtschaftlich-
keitsberechnungen gestalten sich etwas schwierig, weil noch nicht absehbar
ist, in welchem Umfang Fachlehrkräfte, die gegenwärtig noch in Sek.-Schulen
eingesetzt sind, aufgrund der schülerdemographischen Entwicklungen an den
Sek. I-Schulen ab 2004 unter anderem in die Grundschulen umzusetzen sein
werden.

76
Fortbildungsmaßnahmen werden gegenwärtig noch nicht durchgeführt, ins-
besondere weil
a) die curriculare Ausgestaltung des Englischunterrichts ab Jahrgangsstufe 3
noch nicht abgeschlossen ist, so dass noch kein hinreichendes Referenz-
system für die inhaltliche Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen bereit-
steht;
b) wegen der Einführung ab 2003/04 jetzt beginnende Maßnahmen Vorrats-
fortbildungen wären und die erworbenen Kenntnisse ohne Praxisbezug
wären;
c) nicht zuletzt bei begrenzten Ressourcen für die Fort- und Weiterbildung
eine Prioritätensetzung erforderlich war.

Unstreitig ist, dass im Zuge der Einführung des früh beginnenden Fremdspra-
chenunterrichts Fortbildungsmaßnahmen sowohl für die neu qualifizierten
Englischlehrkräfte als auch für die schon vorhandenen Fachlehrkräfte erfor-
derlich wird, weil der frühbeginnende Fremdsprachenunterricht Auswir-
kungen auf die Unterrichtsgestaltung auch in den nachfolgenden Klassen hat.

Dr. Evelyn Junginger


Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg
Postfach 9001611 · 14437 Potsdam
Tel. (0331) 8663691
[email protected]

77
Angelika Hüfner

Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?

Ich werde nicht den Versuch unternehmen, eine Zusammenfassung des heuti-
gen Tages vorzutragen. Dazu waren die Beiträge zu vielfältig, die Anregungen
zu komplex. Ich werde den Versuch unternehmen, die heute gewonnenen
Erkenntnisse bildungspolitisch zu wenden.

Frühes Fremdsprachenlernen geht wie eine Welle über unser Land. Manchmal
kann man den Eindruck gewinnen, dass im löblichen Wettstreit der Länder das
gut Gemeinte statt des Guten siegt. Gehen uns die Maßstäbe verloren? Klasse 5,
Klasse 3, Klasse 1, Vorschule, Kindergarten – kommt als nächstes der Kinder-
wagen?

Trifft die Gleichung „Je früher – je besser!“ das pädagogisch Gewollte? Oder:
Was muss es, wie heute mehrfach genannt, nicht doch „Je früher – je anders!“
heißen?

Es gibt viele gute Gründe für den Fremdsprachenerwerb an sich, für den frühen
Fremdsprachenerwerb und insbesondere auch für eine Vielfalt des Sprachen-
erwerbs:

• Über viele Sprachen zu verfügen ist ein kommunikativer Reichtum, der


Grenzen und Vorurteile überwinden hilft.

• Sprachen öffnen den Zugang zu fremden Kulturen und Völkern. Verständi-


gung in „anderen Zungen“ ist vielleicht der Ausweg aus der babylonischen
Gefangenschaft und damit eine echte Chance auseinander driftende
Partikulargesellschaften zu einem neuen Ganzen zusammenzuführen. Die
Begriffe Weltgesellschaft und Weltbürgertum wurden heute mehrfach ge-
nannt und machen Sinn in diesem Zusammenhang.

78
• Vielleicht bedeutet die Verständigung in anderen Sprachen aber auch nur
eine kleine Insel der Vertrautheit in der Angst machenden Vielfalt der Kul-
turen. Sprachen lernen heißt auch Ängste nehmen. Das sollten wir nicht
vergessen.

Die Schule und die Bildungspolitik der Länder stehen unter einem ungeheu-
ren Druck: Kein bildungspolitischer Aufsatz kommt ohne das Wort „Reform-
stau“ aus, keine Rede ohne den Hinweis auf die drohende Nachrangigkeit des
bundesdeutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich.

Dieser Druck hat einen Namen. Er heißt „Zukunftsfähigkeit“. Und er wird von
verängstigten Eltern ausgeübt aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit ihrer
Kinder, von verärgerten Unternehmen aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit des
Standortes Deutschland, von Bildungspolitikern aus Sorge um die Zukunfts-
fähigkeit ihres Ressorts. Und der Sprachenerwerb spielt in diesem Konzert
eine bedeutende Rolle.

So laufen wir denn alle mit in diesem Wettbewerb der Schnellsten und Frühes-
tens in der Hoffnung, auch die Besten zu sein. Wir in Berlin natürlich auch. Wir
haben nach der Erprobungsphase mit einer Begegnungssprache das Erlernen
der ersten Fremdsprache mit Beginn dieses Schuljahres auf die Klasse 3 aller
Grundschulen vorgezogen. Wir haben das frühe Fremdsprachenlernen ab der
ersten Klasse an einigen Standorten in der Erprobung. Wir bauen unser tradi-
tionelles bilinguales Angebot in Grund- und Oberschulen kontinuierlich aus,
haben hervorragende bilinguale Europaschulen von der Vorklasse bis zum
Doppelabitur und selbstverständlich den ein oder anderen bilingualen
Kindergarten.

Das ist toll! In jedem Gespräch mit der Kindergärtnerin, der Grundschul- oder
Fremdsprachenlehrerin wird die Begeisterung deutlich, die der spielerische
Lernansatz bei den Kleinen auslöst, der Kompetenzzuwachs bei den Großen
und die Selbstverständlichkeit, mit der sich unsere Kinder und Jugendlichen in
der fremden Sprache bewegen, sei es im Internet oder in der realen Erfahrung
des Schüleraustauschs mit Frankreich, Spanien, Lateinamerika oder den USA.

79
Angelika Hüfner

Und genau das haben wir gewollt: den polyglotten Deutschen, der sein
Spießerimage ablegt, sich fremde Welten erschließt und offen ist für die Ver-
ständigung mit jedermann.

Aber es bleiben noch genug Probleme.

Leider haben wir die hohe Qualität des frühen und des vielfältigen Fremd-
sprachenerwerbs erst mit dem zusammenwachsenden Europa entdeckt und
den neuen Nachbarn an unseren Grenzen – nicht mit der Vielfalt der mit uns
lebenden und mit unseren Kindern lernenden Migranten.

Wir haben immer noch Sprachen erster und zweiter Klasse; Sprachen, dessen
Erwerb einen Prestigegewinn für den Sprecher bedeuten und Sprachen, um
die man sich besser gar nicht kümmert, auch wenn sich hinter den fremden
Worten eine Kultur von vielen tausend Jahren verbirgt. Mit der Missachtung
der Sprache ist häufig eine Missachtung der Kultur verbunden. Wir müssen
auch die Herkunftssprachen der Migranten in zukunftsorientierte Sprachkon-
zepte für alle einbinden.

Wir haben Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, die wahrscheinlich mit


der bisherigen Form des Fremdsprachenerwerbs überfordert sind. Hier kann
Vielfalt den Verlust von Bildungschancen bedeuten, weil er in Unübersicht-
lichkeiten endet und kein Elternteil in der Lage ist, den gordischen Knoten des
Nichtverstehens zu durchschlagen.

Wir haben es auch mit Lehrern zu tun, deren Ausbildung dem polyglotten An-
spruch weltgewandter Schülerinnen und Schüler nicht mehr standhalten
kann. Hier fehlt es an notwendiger Professionalität, sowohl was den aktiven
Sprachgebrauch angeht als auch Fragen altersangemessener Methodik und
Didaktik.

80
Was bleibt zu tun?

Wir sollten nicht Abstand nehmen vom frühen Fremdsprachenerwerb. Das ist
heute durch die Vielfalt der Anregungen und dem Drängen nach Veränderungen
sehr deutlich geworden. Es wäre auch schade um all die Kinder und Jugend-
lichen, die sich ohne große Mühe neue Sprach-Welten erschließen können.

Wir müssen aber neue Formen der Aus- und Weiterbildung für Sprachenlehrer
entwickeln, die den Aspekt des Kommunikativen in das Zentrum eines moder-
nen Sprachenlernens stellen, nicht nur im Unterricht, sondern auch bei der lei-
digen Frage der Bewertung und Benotung.

Wenn es uns gelingt, das „Je früher desto anders“ in die Wirklichkeit der
Schulen zu übertragen und uns von der traditionellen Systematik des Spra-
chenlernens zu trennen zu Gunsten der Dialogfähigkeit in unterschiedlichen
Sprachsegmenten, müssten wir es eigentlich schaffen können, die Vielfalt des
Spracherwerbs zu einem tatsächlichen Gewinn für alle und nicht zu einer
zusätzlichen Qual im alltäglichen Lernbetrieb von Schule werden zu lassen.

Nicht vergessen sollten wir nach solch einem anregenden „Sprachentag“,


dass unser Thema heute ein zwar wichtiger aber ein kleiner Baustein der
umfassenden Schulreform ist, die uns alle beschäftigt. Das frühe (Fremd-)
Sprachenlernen ist Teil der Qualitätsentwicklung von Schule. Es muss einge-
passt werden in andere Reformüberlegungen wie z.B. die Verbesserung der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung oder die Verkürzung der
Schulzeit bis zum Abitur. Und es muss Teil eines neuen Bildungsanspruches
werden, der die Schule öffnet für Lernansprüche, die der Wirklichkeit eher ent-
sprechen als unsere alte Fachsystematik.

Dr. Angelika Hüfner


Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport
Beuthstraße 6-8 · 10117 Berlin
Tel. (030) 90265848
[email protected]

81
Liste der Teilnehmerinnen & Teilnehmer

Ursula Asheuer Elisabeth Hötzle


LISUM Berlin ISB München
Alte Jakobstraße 12 Arabellastr. 1
10969 Berlin 80925 München

Elisabeth Bittner Dr. Angelika Hüfner


Arbeitsstab Forum Bildung Senatsverwaltung für Schule,
53113 Bonn, Hermann-Ehlers Str.10 Jugend und Sport
Beuthstraße 6-8
Sabine Brendel 10117 Berlin
Unternehmen Kultur
Kyffhäuserstr. 17 Prof. Dr. Norbert Huppertz
A, 01309 Dresden Pädagogische Hochschule Freiburg
Kunzenweg 21
Marianne Demmer 79117 Freiburg
GEW-Hauptvorstand
Reifenberger Str. 21 Petra Maria Jung
60489 Frankfurt/M. Bundesministerium für Bildung
und Forschung
Iris Denkler 11055 Berlin
Elsa-Brändström-Gymnasium,
Christian-Steger-Str. 11, Dr. Evelyn Junginger
46045 Oberhausen Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg
Prof. Dr. Peter Freese Steinstr. 104-106
Fachbereich 3, Universität Paderborn 14480 Potsdam
33095 Paderborn
Christiane Knaup
Torsten Friesecke Universität Paderborn
Große Hamburger Straße 33, 33095 Paderborn
10115 Berlin
Karin Leutert
Ulrike Grassau Staatliche Akademie für
Senatsverwaltung für Schule, Lehrerfortbildung
Jugend und Sport Vikinger Str. 33
Beuthstraße 6-8 78166 Donaueschingen
10117 Berlin
Prof. Dr. Hans-Georg Mehlhorn
Nicola Haneke Leipziger Kreativitätszentrum –
Elsa-Brändström-Gymnasium Bildungs- und Forschungsinstitut
Christian-Steger-Str. 11 Sonnenweg 12
46045 Oberhausen 04288 Leipzig

82
Prof. Dr. Gerlinde Mehlhorn Dr. Joachim Utech
BIP-Kreativitätszentrum ADD-Schulaufsicht
Sonnenweg 12 Friedrich-Ebert-Straße 14
04288 Leipzig 67433 Neustadt/Weinstr.

Jeanne Nissen Gitta Winhuysen


Landesinstitut für Schule und Elsa-Brändström-Gymnasium
Ausbildung Mecklenburg-Vorpommern Christian-Steger-Str. 11
(L.I.S.A.) 46045 Oberhausen
Ellerried 5
9061 Schwerin Marlene Wolter
Möllner Str. 12 Niedersächsisches Kultusministerium
18109 Rostock Schiffgraben 12
30159 Hannover
Christoph Reiners
SKULTUR
Dahlienstraße 21
47495 Rheinberg

Prof. Dr. Heidemarie Sarter


Universität Koblenz-Landau
Rheinau 1
56075 Koblenz

Hannelore Schink
Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg,
Steinstr. 104-106
14480 Potsdam

Bettina Schultz
Thüringer Kultusministerium
Werner-Seelenbinder-Straße 1
99096 Erfurt

Elisabeth Timmer
Verein kath. deutscher Lehrerinnen
Leuchtenburgstr. 29
14165 Berlin,

83
Forum Bildung

Bund und Länder haben 1999 das Forum Bildung eingesetzt, um Qualität und
Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems sicherzustellen. Unter
dem gemeinsamen Vorsitz von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn
und Bayerns Wissenschaftsminister Hans Zehetmair arbeiten im Forum Bild-
ung Bildungs- und Wissenschaftsministerinnen und -minister des Bundes und
der Länder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner, Wissen-
schaft, Kirchen, Auszubildenden und Studierenden zusammen.

Ausgangspunkt für die Einrichtung des Forum Bildung ist die Erkenntnis, dass
Bildung die Schlüsselrolle in der Gesellschaft von morgen haben wird. Bildung
steht vor der doppelten Herausforderung, Wissen und Kompetenzen zu ver-
mitteln, die in Zukunft über Lebenschancen des Einzelnen und über gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt entscheiden, und gleichzeitig
soziale Ausgrenzung angesichts ständig steigender und neuer Qualifikati-
onsanforderungen zu verhindern und bestehende Ausgrenzung zurückzu-
drängen.

Im Mittelpunkt der Arbeit des Forum Bildung stehen fünf bildungsbereichs-


übergreifende Themenschwerpunkte, die Bund und Länder gemeinsam
berühren:

• Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen


• Förderung von Chancengleichheit
• Qualitätssicherung im internationalen Wettbewerb
• Lernen, ein Leben lang
• Neue Lern- und Lehrkultur.

Das Forum Bildung erarbeitet bis Ende 2001 Empfehlungen zu Bildungszielen,


-inhalten und -methoden. Gleichzeitig führt das Forum Bildung eine breite
öffentliche Debatte über Bildung, um die Anregungen und Ideen derjenigen
einzubeziehen, die an Bildung teilnehmen, an Bildung interessiert sind oder
Bildung gestalten (vgl. www.forum-bildung.de). Bildungsreform kann nur
erfolgreich sein, wenn die Bedeutung von Bildung öffentlich wahrgenommen
wird.

84
Bestellformular
An die Online-Redaktion Forum Bildung. Fax (0221) 2784 - 708
Lieferadresse (bitte in Blockbuchstaben ausfüllen):

Straße/Hausnummer (kein Postfach)

PLZ/Ort

Telefon/Fax

Bitte senden Sie mir kostenfrei:


Vergriffen: Materialien 1 „Aktuelle Bildungsdiskussion im Ausland“
___ Exemplar(e) Materialien 2 „Rede des Bundespräsidenten“
___ ( max. 4 ) Exemplar(e) Materialien 3 „Erster Kongress des Forum Bildung“
Vergriffen: Materialien 4 „Qualifizierte Berufsausbildung für alle“
Vergriffen: Materialien 5 „Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen“
Vergriffen: Materialien 6 „Förderung von Chancengleichheit“
Vergriffen: Materialien 7 „Finden und Fördern von Begabungen“
___ Exemplar(e) Materialien 8 „Qualitätssicherung im internationalen Wettbewerb“
___ Exemplar(e) Materialien 9 „Lernen – ein Leben lang“
___ Exemplar(e) Materialien 10 „Neue Lern- und Lehrkultur“
___ Exemplar(e) Materialien 11 „Bildung und Qualifizierung von
Migrantinnen und Migranten“
___ Exemplar(e) Materialien 12 „Medienkompetenz – Kompetenz für neue Medien“
___ Exemplar(e) Materialien 13 „Fremdsprachenerwerb – wie früh und wie anders ?“
___ Exemplar(e) Materialien 14 „Aus guten Beispielen lernen“
___ Exemplar(e) Ergebnisband I „Empfehlungen des Forum Bildung“
___ Exemplar(e) Ergebnisband II „Empfehlungen u. Einzelergebnisse
des Forum Bildung“
___ Exemplar(e) Ergebnisband III „Berichte der Expertengruppen des
Forum Bildung“

> Alle Materialien sind auch in der Internet-Bibliothek unter


www.forum-bildung.de abrufbar.

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