Band 13
Band 13
Quellenangabe/ Reference:
Fremdsprachenerwerb - Wie früh und wie anders? Workshop des Forum Bildung am 14. September
2001 in Berlin. Bonn : BLK 2001, 84 S. - (Materialien des Forum Bildung; 13) - URN:
urn:nbn:de:0111-opus-1733 - DOI: 10.25656/01:173
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-opus-1733
https://doi.org/10.25656/01:173
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Fotos
Bert Mevissen
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2
M at e r i a l i e n d e s Fo r u m B i l d u n g 1 3
Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?
3
Inhaltsverzeichnis
Impulsreferat:
„Frühes Sprachenlernen in Kindergarten und Grundschule“
Erfahrungen aus dem Ausland, aktuelle Situation in Deutschland und
Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung der Lehrenden
Heidemarie Sarter, Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz . . . . 10
Podiumsdiskussion:
Frühe Förderung: Kennenlernen von Fremdsprachen im Kindergarten und
Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. Anforderungen für die Fort-
und Weiterbildung der Lehrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Teilnehmer:
Norbert Huppertz, Pädagogische Hochschule Freiburg
Sabine Brendel, Unternehmen Kultur e.V., Dresden
Gerlinde Mehlhorn, BIP-Kreativitätszentrum, Leipzig
Marlene Wolter, Regierungsdirektorin, Niedersächsisches
Kultusministerium
Karin Leutert, Akademiereferentin, Baden Württemberg
4
Impulsreferat:
Vom Unterrichten einer Fremdsprache zum Lernziel Mehrsprachigkeit.
Entwicklung in der (Fremd)Sprachendidaktik. Thesen
Heidemarie Sarter, Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz . . . . 52
Podiumsdiskussion :
Fremdsprache als Kommunikationsmittel: Integration in den Fachunterricht
an allgemeinbildenden Schulen und Anforderungen für die Fort- und
Weiterbildung der Lehrenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Teilnehmer:
Petra Maria Jung, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin
Iris Denkler, Elsa Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Nicola Hanecke, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Evelyn Junginger, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Brandenburg
Schlusswort
Angelika Hüfner, Senatsverwaltung für Schule, Jugend u. Sport, Berlin . . . 78
Forum Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Bestellformular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
5
Elisabeth Bittner
Die Themenschwerpunkte „Lernen – ein Leben lang“ und Neue Lehr- und Lern-
kultur sollten im Mittelpunkt Zweiten Kongresses des Forum Bildung stehen,
und das Thema Fremdsprachenerwerb hat mit Blick auf beide Themenbereiche
eine zentrale Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund hat das Forum Bildung die Frage „Fremdsprachener-
werb – Wie früh, wie anders?“ zum Thema dieses Workshops gemacht, um im
Dialog mit Organisationen und Einzelpersonen übergreifende Querschnitts-
fragen zu vertiefen.
6
Das Forum Bildung sieht vornehmlich folgende Handlungsfelder im Zusam-
menhang mit dem Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen:
1. die deutlich bessere Nutzung und Förderung der Fähigkeiten von Kindern
zum Fremdsprachenlernen in Kindertageseinrichtungen und Grundschule,
2. den frühzeitigen Fremdsprachenerwerb in einer dem Alter angepassten
Form,
3. die breite Umsetzung von Konzepten zum Umgang mit unterschiedlichen
Muttersprachen; dies schließt eine frühe Förderung des Deutschunter-
richts für Migrantenkinder ebenso ein, wie den sensiblen Umgang mit un-
terschiedlichen Herkunftssprachen,
4. die Nutzung von Fremdsprache als Kommunikationsmittel mit der Konse-
quenz einer Stärkung des bilingualen Unterricht im weiterführenden, all-
gemeinen Schulwesen.
Das Forum Bildung hat sich daher bewusst auf die Fragestellung der frühen
Fremdsprachenförderung konzentriert. Dies in der Überzeugung, dass die
Grundlagen für lebenslanges Lernen verbessert werden, wenn eine frühe
Förderung von Lernmotivation und Lernkompetenz in Kindertagesstätten und
in der Grundschule gelingt. Bildungspotenziale zu wecken und zu fördern ist
7
Elisabeth Bittner
das Ziel, und die entsprechende Weiterqualifikation des Personals ist für das
Forum Bildung eine Schlüsselfrage.
Im OECD Bericht Bildung auf einen Blick wird positiv hervorgehoben, dass
Deutschland überdurchschnittlich viel Zeit in den Fremdsprachenunterricht
investiert: 16% der Unterrichtszeit gegenüber 11% im OECD-Durchschnitt.
Dieser eingeschlagene Weg muss jedoch nachhaltig gesichert werden.
8
• Durch die Öffnung von Schule konnten Synergien für den Sprachenerwerb
entstehen. Es haben sich neue Lehr- und Lernformen auf der Grundlage
schulindividueller und unterrichtsorganisatorischer Konzepte entwickeln
können.
• Die Hinführung zu selbstorganisiertem Lernen ist auch durch den gezielten
Einsatz der neuen Medien weiterentwickelt worden.
• Es liegt ein gemeinsamer europäischer Referenzrahmen zur Förderung von
Transparenz im Sprachenunterricht auf allen Stufen vor.
• Methodisch-didaktische Konsequenzen aus den Veränderungen haben
Eingang in die Lehreraus- und -weiterbildung gefunden.
Der heutige Workshop hat zum Ziel, einige dieser Entwicklungen vorzustellen
und die Umsetzung von Konzepten und Erfahrungen zu diskutieren. Er soll da-
zu beitragen, den Dialog im Forum Bildung zu diesem Thema zu unterstützen.
Die Ergebnisse der Fachtagung werden bei der Formulierung der Gesamtemp-
fehlungen des Forum Bildung berücksichtigt, und sie werden für eine breitere
Öffentlichkeit dokumentiert.
Mit einem herzlichen Dank an alle Beteiligten eröffne ich hiermit den Work-
shop und gebe die Frage: Fremdsprachenerwerb „Wie früh – und wie anders“
an Sie weiter.
Elisabeth Bittner
Arbeitsstab Forum Bildung
9
Heidemarie Sarter
Frühes Sprachenlernen in
Kindergarten und Grundschule:
‚Je früher, desto anders!‘
Erfahrungen aus dem Ausland, aktuelle Situation
in Deutschland und Konsequenzen für die Aus- und
Weiterbildung der Lehrenden
10
aktuellen Überblick auf europäischer Ebene verschafft die folgende Tabelle,
die die Veränderungen im Sprachlernangebot der einzelnen Länder aufführt.
11
Heidemarie Sarter
Im Vergleich der Jahre 1974 und 1998 zeigt sich, dass in fast allen Ländern der
EU die Position der Fremdsprachen erheblich gestärkt wurde – sei es, dass der
Unterrichtsbeginn vorverlegt wurde bzw. die Unterrichtsspanne verlängert
wurde, sei es, dass die Anzahl der zu lernenden Sprachen erhöht wurde. Ein
Blick beispielsweise auf die für Deutschland angegebenen Daten zeigt aber
auch die Schwierigkeit, die Realität in den Ländern mittels solch übergreifen-
der statistischer Angaben erhellen zu können. So ist Deutschland auch für das
Jahr 2000 immer noch mit einem obligatorischen Einsatz einer ersten anderen
Sprache mit Beginn der Sekundarstufe verzeichnet – obwohl bereits in einer
ganzen Reihe von Bundesländern eine Fremdsprache in der Grundschule
flächendeckend und verpflichtend eingeführt ist. Allerdings betrifft dies noch
nicht die gesamte Republik, so dass diese Entwicklung hier statistisch noch
nicht zu Buche schlägt.
Es liefen und laufen in vielen Ländern Pilotprojekte zur methodischen und di-
daktischen Erprobung frühen (Fremd)Sprachenlernens. Die Umsetzung erfol-
greicher Modelle in flächendeckende Angebote hängt ab von der jeweiligen
Struktur des Bildungs- und Schulwesens, ebenso wie die Frage der Autonomie
der einzelnen Schulen unterschiedlich geregelt ist.
In den Jahren 1996 bis 2000 arbeitete ich im Rahmen eines Sokrates-Projekts1
zur Spracharbeit in der Grundschule mit Kolleginnen und Kollegen aus
6 Ländern zusammen. Die Treffen fanden jeweils in einem anderen Land statt
und waren verbunden mit Schulbesuchen und Gesprächen mit Lehrkräften
und Schulleitung. Es zeigte sich, dass zentrale Begriffe der Didaktik anderer
Sprachen im Primarbereich, wie bspw. Kommunikativer Ansatz und Hand-
lungsorientierung, länderübergreifend sind, wenngleich auch der Besuch vor
Ort doch ebenfalls zeigte, dass diese Begriffe ihre konkrete Interpretation
jeweils vor der Folie der nationalen Tradition in Bildung und Fremdsprachen-
didaktik, der kulturellen Vorstellungen von Kind und Kindheit erfahren und
somit nicht deckungsgleich sind.
Vergleicht man die didaktischen Ansätze des frühen Fremdsprachenlernens in
den Ländern der Eurydice-Studie, die mit verbindlichem Primarfremdspra-
chenunterricht aufgeführt sind, so zeigt sich eine recht große Einheitlichkeit:
Im Vordergrund steht die (einfache) mündliche Kommunikation, zu der Kinder
durch den Primarunterricht2 befähigt werden sollen. Die allgemeinen Lern-
ziele werden – in unterschiedlicher Ausführlichkeit und mit unterschiedlichen
Formulierungen – häufig auf drei Ebenen angegeben (cf. Eurydice 2001, Annex
„National Summary Tables on Foreign Language Curricula“, 201-364):
12
1. allgemein pädagogische Zielsetzung: Bereicherung der Persönlichkeit der
Lernenden, Förderung und Ausweitung ihrer intellektuellen Kapazitäten
und Kompetenzen
2. kulturelle Zielsetzung: über den Gebrauch der anderen Sprache andere
kulturelle Muster und Herangehensweisen kennen und schätzen zu lernen
3. praktische Zielsetzung: Erwerb anderssprachlicher Kommunikationsfähig-
keiten.
13
Heidemarie Sarter
Vorstellungen über das Lehren und Lernen anderer Sprachen transportiert, die
gerade in Hinsicht auf die Altersgruppen, um die es im vorliegenden Zusam-
menhang geht, nicht angemessen sind.
Die Formulierung „frühes Sprachenlernen“ verweist aber auch darauf, dass
bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter der Spracherwerb in der Mutter-
sprache noch nicht abgeschlossen ist bzw. unter Umständen Deutsch als
Zweitsprache in dieser Zeit gerade erst erworben wird. Die Kinder verfügen
aber über mindestens eine ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend
ausgebildete Sprache, die sie in die Lage versetzt, Welt zu erkennen und zu
verstehen bzw. erkennen und verstehen zu lernen.
Die Entwicklung in der Spracherwerbstheorie bindet sich ein in die politische
Entwicklung der zunehmenden Einigung Europas und der Globalisierung der
Welt, die die Kenntnis anderer Sprachen braucht und entsprechend valorisiert.
Nicht nur der Erwerb der Muttersprache, sondern auch der einer zweiten
Sprache im Kindesalter geschieht – sind entsprechend positive Ausgangsbe-
dingungen gegeben – spontan. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kinder die
besseren Sprachenlerner seien. Sie lernen anders als Erwachsene und Jugend-
liche nach der Pubertät. Denn bis zu einem Alter von ca. acht bis 10 Jahren sind
die intellektuellen Kapazitäten zum Erwerb einer anderen Sprache vorrangig
intuitiv-imitativ. Danach werden Sprachen – in Abhängigkeit vom erreichten
kognitiven Entwicklungsstand und den bereits erworbenen Vorkenntnissen –
eher analytisch-explizit gelernt.
Die intuitiv-imitative Vorgehensweise, die dem Lernenden in der Regel selbst
unbewusst bleibt, folgt im Großen und Ganzen den Prinzipien des Erstsprach-
erwerbs: Aus dem Gehörten werden über den Prozess der stetig verifizieren-
den Hypothesenbildung Regeln abgeleitet, überprüft und den Erfordernissen
der Struktur der zu erwerbenden Sprache angepasst. Abstrakte explizite
Regeln sind für Kinder bis zu einem gewissen Entwicklungsstand noch nicht
zugänglich und je jünger die Kinder sind, desto mehr ähneln sich Erst- und
Zweitspracherwerb, ohne jedoch identisch zu sein. Je weiter die erstsprachli-
che Entwicklung fortgeschritten ist, desto mehr beeinflusst sie auch den Er-
werb der Zweitsprache (Interferenzen).
Dabei übersteigt das Sprachverständnis die eigenen Möglichkeiten zur
Sprachproduktion insbesondere in der Anfangszeit erheblich. Ausgehend von
einer muttersprachlich-(zweitsprachlich)-nonverbalen Erfassung der Situa-
tion werden, basierend auf dem bereits erworbenen Weltwissen, die unbe-
kannten Lautketten der anderen Sprache nach und nach untergliedert und
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immer gezielter mit (semantischem und strukturellem) Sinn gefüllt. Die dann
einsetzende Sprachproduktion ist ein Prozess der kreativen Imitation auf der
Grundlage der entwickelten Erkenntnisse – die im Fluss sind und sich nach und
nach den Strukturen der Zielsprache annähern.
Das bedeutet, die Kinder müssen genügend „Informationsmaterial“ haben,
um ihre Sprachkompetenz aufbauen zu können. Die ideale Ausgangssituation
für den Erwerb einer anderen Sprache in diesem Alter ist dementsprechend
das „Sprachbad“, das Eintauchen in die Sprache in ihrer Verwendung. Im
sprachlichen und nichtsprachlichen Handeln und in der Anschaulichkeit er-
schließt sich die Sprache zunehmend, und zwar sowohl in ihren Strukturen als
auch in ihrem Lexikon.
Allerdings handelt es sich hierbei um einen Prozess, der zwar unbewusst,
nicht aber ungewollt abläuft. Voraussetzung zum Erwerb einer weiteren
Sprache insbesondere im Vorschulalter ist die positive Haltung des Kindes,
seine Offenheit gegenüber der anderen Sprache (bereits Dulay/Burt 1973
sprechen vom „sozio-affektiven Filter“, der den Zweitspracherwerb in hohem
Maße beeinflusst). Da es bereits über weitgehend ausgeprägte Sprachkennt-
nisse in seiner ersten Sprache verfügt, braucht es die zweite Sprache nicht; der
Erwerb kann verweigert werden. Dies zeigt sich häufig in Situationen, in denen
die andere Sprache mit negativen Assoziationen verbunden wird (cf. Bense
1981).
Eine weitere Bedingung, die erfahrungsgemäß erfüllt sein muss, damit Kinder
im Vorschulalter sich auf eine andere Sprache einlassen, ist die Authentizität
der Verwendung dieser Sprache. Erst mit zunehmendem Alter wird die Einsicht
in die Rolle des Lernens auch von Sprachen als „virtuelle Situation“ größer.
Authentizität bedeutet für Kinder im (frühen) Kindergartenalter vor allem die
Zuordnung von Sprachen zu Personen, d.h. dass sie die andere Sprache mit
der sie sprechenden Person nach dem Prinzip: Eine Person – eine Sprache ver-
binden. Dabei wird in der Regel die Sprache akzeptiert, mit der sie die andere
Person kennen gelernt haben.3 Die Konsequenz, die aus dieser Einsicht zu zie-
hen wäre, ist, auch im frühen Sprachenlernen im Kindergarten dies zu respek-
tieren und für die andere Sprache Muttersprachler/innen einzusetzen.
Je älter die Kinder werden, desto eher sind sie in der Lage, zwischen Sprache
und Person zu differenzieren. Wenngleich sie in etwa mit Schuleintritt diese
Entkopplung vornehmen können, so bedarf es doch auch in der Grundschule
der Authentizität. Diese erweist sich in dem Sinn, den das Sprachenlernen für
sie im Hier und Jetzt hat. Dabei sind Singen und Spielen in der anderen Sprache
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Heidemarie Sarter
wichtige methodische Mittel, sie reichen jedoch nicht aus, um auf die Dauer
die Motivation der Schüler und Schülerinnen aufrecht zu erhalten. Und je älter
die Kinder werden, desto mehr erwarten sie auch eine persönliche Nachvoll-
ziehbarkeit des eigenen Lernprozesses, das Wissen darüber, dass sie etwas
gelernt haben und was sie gelernt haben.
Die Handlungsorientierung des Sprachenlernens sollte über Schule und Unter-
richt hinausweisen. Austausch und Partnerschaft sind auch bereits in der
Grundschule probate Mittel der Herstellung von Authentizität und damit der
Motivierung der Schüler. Nicht nur wegen des jungen Alters der Lerner bietet es
sich deshalb an, das frühe Sprachenlernen auf die Nachbarsprache(n) zu kon-
zentrieren. (Englisch lernen sie im Laufe ihrer Schulzeit sowieso noch.) Direkte
Begegnungen, Kurzreisen sind möglich, Besuche der Partnerklasse, Be-
gegnungen an einem dritten Ort... Allerdings wollen diese Begegnungen gut
vorbereitet sein und sollten nicht unbewusst-unreflektiert mit nicht erfüllbaren
Vorstellungen verbunden sein. Aber auch Brief- bzw. E-Mail-Partnerschaften
(vgl. Sarter 2000) bringen in der Regel große Motivationsschübe bei den
Klassen. Da gerade Partnerschaft kein ein für alle Zeit erworbenes Gut ist, son-
dern ständige Arbeit und Auseinandersetzung nicht zuletzt auch mit sich selbst
bedeutet, ist es unerlässlich, diesen Bereich (nicht nur) grundschulischer
Arbeit explizit in die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte aufzunehmen.
3. „Wer andere Sprachen nicht kennt, weiß nichts über die eigene.“
Bereits Goethe formulierte die Einsicht, dass die Kenntnis anderer Sprachen
zur Kenntnis der eigenen beträgt. Handlungsorientierung des anderssprachli-
chen Unterrichts, intuitiv-imitativer Spracherwerb von Seiten der Kinder, der
explizit-analytischen Grammatikunterricht für diese Altersgruppe kontrapro-
duktiv werden lässt, noch nicht voll ausgebildete Sprachkompetenz in der
Erst- bzw. Zweitsprache Deutsch und nicht zuletzt das Interesse, das Kinder in
der Regel metasprachlichen, ja sprachphilosophischen Überlegungen entge-
genbringen – sofern sie kindgerecht formuliert sind –, sprechen für eine trans-
linguale Spracharbeit, die für die Kinder aus dem Vergleich der deutschen mit
der anderen in den Unterricht eingebrachten Sprache gewinnbringende Er-
kenntnisse und Kenntnisse für beide Sprachen bringt. Die sich in der verglei-
chenden Diskussion einstellende Einsicht in die (Teil-)Willkürlichkeit der eige-
nen Sprache schafft Distanz und erleichtert in der Folge den Erwerb anderer
Sprachen.
16
4. Problemfelder
4.1 Die Quadratur des Kreises? I
Fassen wir die Ausgangsbedingungen für kindlichen Zweitspracherwerb zu-
sammen, so stellen wir fest, dass einerseits das Sprachbad die Voraussetzung
ist, damit Kinder im sprachlichen und nicht-sprachlichen Handeln nach und
nach die Wörter und Strukturen der anderen Sprache erfassen und sich aneig-
nen. Es werden keine grammatischen Regeln auswendig gelernt und dann an-
gewandt, sondern die Sprachstruktur wird aus dem Gehörten erschlossen.
Dies braucht viel sprachlichen Input; es bedeutet aber auch: Je länger die
anderssprachigen Situationen andauern bzw. je öfter und intensiver sie sich
den Kindern bieten, desto größer sind die Chancen des intuitiv-imitativen
Spracherwerbs.
Stellen wir dem die in den Schulen für das frühe Sprachenlernen zur Verfügung
stehende Zeit entgegen – maximal 2 Unterrichtsstunden die Woche, die zudem
vorrangig in der Mündlichkeit verbleiben, also einen hohen Wiederholungs-
aufwand notwendig machen –, so müssen wir feststellen, dass hier ganz offen-
sichtlich zwei kaum miteinander zu vereinbarende Gegebenheiten aufeinan-
der treffen.4
Nun wird es nicht möglich sein, ausreichend Zeit und Raum für das Erlernen
einer anderen Sprache im Rahmen der gegebenen Grundschule zur Verfügung
zu stellen. Von daher kann der intuitiv-imitative Spracherwerb der Kinder nur
erfolgreich sein, wenn das Faktum der nicht ausreichenden Zeit kompensiert
wird durch eine sprachstrukturelle Planung. Soll Kommunikationsfähigkeit –
wenn auch auf einfacher Ebene – hergestellt werden, so reichen Worte allein
nicht aus. Es muss auch die Fähigkeit aufgebaut werden, sie entsprechend den
Regeln der jeweiligen Sprache zu Sätzen zu fügen. Es gilt, produktive Regeln
aufzubauen.
Aus der Forschung wissen wir, dass nicht nur der Erstspracherwerb in seiner
Struktur in relativ festgelegter Folge vor sich geht, sondern auch der (unge-
steuerte) Zweitspracherwerb. Die Aufeinanderfolge der jeweiligen Erwerbs-
sequenzen ist nicht willkürlich. Dieses gilt es in der Unterrichtsplanung zu
berücksichtigen und durch entsprechend planende Vorgehensweisen den
Kindern den Erwerb dieser Strukturen zu erleichtern, ja nahe zu legen.
17
Heidemarie Sarter
18
zieren und die jeweilige Verbindung zu den anderen Lernzielen herstellen.5
Wenngleich der Unterricht also handlungsorientiert aufgebaut sein muss, so
muss doch die Orientierung der Lehrkraft nicht minder auf das Produkt gehen:
die entstehende Sprachkompetenz. Diese in ihrer Prozesshaftigkeit und
Variabilität zu erfassen und gezielt zu fördern, ist die grundlegende meta-
unterrichtliche Aufgabe der Lehrkraft.
19
Heidemarie Sarter
tenzen vor Augen –, einer guten Ausbildung der Lehrkraft oberste Priorität ein-
zuräumen. Und das muss auch heißen, von einer überkommenden Vorstel-
lungen Abschied zu nehmen, nämlich das Unterrichten einer anderen Sprache
im Primarbereich sei einfach, es genüge, die Sprache zu sprechen und metho-
disch über grundschulpädagogische Kompetenzen zu verfügen. Diese Vorstel-
lung wird, wie ich aufzuzeigen versucht habe, dem Sprachenlehren in der
Grundschule nicht gerecht. Denn bei keiner anderen Altersgruppe heißt es für
die Lehrkraft, sich quasi vollständig auf den indirekten, eigenständigen Zugriff
der Lerner auf die andere Sprache einzustellen und darauf aufbauend die Kin-
der motivierende und ständig remotivierende Unterrichtsmodelle zu ent-
wickeln und umzusetzen, die am Ende der Grundschulzeit bei den Schülern
und Schülerinnen eine definierbare, vergleichbare Sprachkompetenz – und
das heißt Sprachkönnen, nicht Sprachwissen – hervorgebracht haben, an der
in den weiterführenden Schulen angesetzt werden kann.
20
ben. Sollen die Sprachlernfähigkeiten von Kindern im Primarschulalter opti-
mal genutzt werden, muss dem Sprachenlernen mehr Zeit eingeräumt werden.
Ob ein Kind eine andere Sprache mit 6 oder mit 12 lernt, macht einen Unter-
schied, ob es das Große Einmaleins mit 8 oder mit 10 lernt, scheint mir weni-
ger wichtig, vorausgesetzt, es lernt es und das darauf aufbauende Pensum bis
zum Ende seiner Schulzeit. Es scheint mir dringend angebracht, im Sinne einer
optimalen Nutzung der Vorteile des frühen Sprachenlernens über eine
Neuverteilung des Stoffs bzw. der Fächer über die gesamte Schulzeit hinweg
nachzudenken (entscheidend ist der Tag der Schulentlassung) und – warum
nicht? – beispielsweise auch in Erwägung zu ziehen, Bereiche der bisherigen
grundschulischen Ausbildung zugunsten einer intensiveren Spracharbeit
(Mutter-, Zweit- und Fremdsprache) auf später zu verlagern.
Bibliographie
Bense, Elisabeth (1981): „Der Einfluss von Zweisprachigkeit auf die Entwicklung der metasprach-
lichen Fähigkeiten von Kindern“, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 20, 114-138.
Dulay, Heidi/Burt, Marina (1973): „Should we teach children syntax?“, in:
Language Learning 23, 245-258.
Eurydice (2001a): Kurzfassung: Der Fremdsprachenunterricht an den Schulen in Europa, Brüssel
(online: www.eurydice.org)
Eurydice European Unit (2001b): Profile of Foreign Language Teaching in Schools in Europe.
Brüssel.
Peal, Elisabeth/Lambert, Wallace (1962): „The Relation of Bilingualism to Intelligence“, in:
Psychological Monographs 76, 1-23.
Porsché, D. (1975): „Urteile und Vorurteile über Zweisprachigkeit im Kindesalter“, in: Linguistik
und Didaktik 23, 179-189.
Sarter, Heidemarie (1997a): „Fremdsprachliches Handeln als Gegenstand, Prozess und
Produkt“, in: Wendt, Michael/Zydatiß, Wolfgang (Hg): Fremdsprachliches Handeln im
Spannungsfeld von Prozess und Inhalt.Bochum: Universitätsverlag Brockmeyer, 354-359.
Sarter, Heidemarie (1997b): Fremdsprachenarbeit in der Grundschule. Neue Wege, neue Ziele.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Sarter, Heidemarie (2000): „Computer und Internet in der fremdsprachlich-interkulturellen
Arbeit (nicht nur) in der Grundschule“, in: Französisch heute 4, 424-439.
Università degli Studi di Perugia (2000): Pour vivre en Babel et s’en sortir. Les L2 dans les écoles
de base: pour une éducation linguistique paritaire et la formation continue des enseignants,
Perugia.
Zimmer, Dieter E. (1997): „Die Mythen des Bilinguismus. Über Mehrsprachigkeit“, in: ders.:
Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber, Reinbek: Rowohlt, 251-225.
21
Heidemarie Sarter
Amerkungen
22
5 Der europäische Vergleich zeigt, dass in dieser Hinsicht keine Einheitlichkeit besteht. Das
Klassenlehrerprinzip wird aber in einer ganzen Reihe von Ländern eingesetzt, häufig mit einer
entsprechenden fachlichen Ausbildung. Cf. Abb. 3 (in: Eurydice 2000a, 18):
Typologie der Fremdsprachenlehrer im Primarbereich, Schuljahr 1998/99
Lehrer, der mit dem Unterricht Fachlehrer, der mit dem Unterricht mehrer Fächer
aller Fächer beauftragt ist darunter auch Fremdsprachen beauftragt ist
DK
B nl F (im Alter von 5 bis 8 Jahren)
L NL A S P (1.. Stufe des ensino básico) P (2. Stufe des ensino básico)
UK (NI, SC) b fr B de FIN
LI D F (i. A. v. 8–11) IS NO
IRL I UK (E/W) CY
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SK
6 Dies ist wichtig nicht zuletzt in Hinsicht auf Gespräche mit Eltern, aber auch mit Kolleginnen
und Kollegen aus den weiterführenden Schulen. Es ist häufig festzustellen, dass bspw. gerade
Kinder mit Gymnasialempfehlung in der 4, Klasse, insbesondere im zweiten Schulhalbjahr,
den grundschulischen Fremdsprachenunterricht nicht mehr ernst nehmen. Beeinflusst durch
ältere Geschwister, Freunde, aber auch Eltern, werten sie die Fremdsprachenarbeit oft als
nicht ernsthaftes Fremdsprachenlernen. Dieses begänne erst mit Art des Fremdsprachen-
unterrichts in der weiterführenden Schule, d.h. mit explizitem Vokabel- und Grammatiklernen.
23
Podiumsdiskussion
Podium:
Prof. Dr. Norbert Huppertz, Pädagogische Hochschule Freiburg
Sabine Brendel, Geschäftsführerin von Unternehmen Kultur e. V. Dresden
Prof. Gerlinde Mehlhorn, Mitbegründerin des BIP-Kreativitätszentrum
in Leipzig
Marlene Wolter, Regierungsdirektorin, Niedersächsisches
Kulturministerium
Karin Leutert, Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung,
Baden-Württemberg
24
Christiane Knaup
Zusammenfassung
Heidemarie Sarter nahm in ihrem Impulsreferat Bezug auf Erfahrungen aus
dem Ausland und auf die aktuelle Situation in Deutschland. In mehreren Bun-
desländern bestehe die Möglichkeit zu Beginn der Sekundarstufe mit dem
Fremdsprachenunterricht begonnen. Dies stelle einen viel zu späten Einstieg
dar. Heidemarie Sarter betonte die Bedeutung eines möglichst frühen Fremd-
sprachenlernens und führte aus, dass die Ausgangsbedingungen für den
Spracherwerb bei Kindern dabei eine wichtige Rolle spielen. Fremdsprachen-
unterricht müsse zudem dem jeweiligen individuellen Entwicklungsstand der
Kinder angepasst sein. Als Konsequenz wird eine hohe Kompetenz und Flexibi-
lität der Lehrenden gefordert.
Zu berücksichtigen sei, dass Sprachkönnen nicht mit Sprachwissen gleichge-
setzt werden kann. Neben der grundschulpädagogischen Kompetenz kommt
auch der sprach-wissenschaftlichen sowie der kulturwissenschaftlichen Kom-
petenz eine wichtige Rolle zu.
Sabine Brendel stellte den Modellversuch „Pat’s Bunnyhouse“ für den Fremd-
sprachenerwerb im Kindergarten vor. In diesem Kindergarten wird auf Zwei-
sprachigkeit vorbereitet, indem die Kinder auf spielerische Weise ab dem 3. Le-
bensjahr erste Englischkenntnisse erwerben. Die Betreuung erfolgt durch
Muttersprachler/innen und wissenschaftlich ausgebildetes Personal.
25
Christiane Knaup
Gerlinde Mehlhorn beschrieb den Ansatz der von ihr und ihrem Mann gegrün-
deten Mehlhorn-Schulen, die den Schwerpunkt auf die Kreativitätsförderung
legen. Die Fremdsprachenerziehung, zählt zu einer der insgesamt acht Krea-
tivitätsrichtungen. U.a. werden Arabisch, Englisch und Französisch für alle
Schüler/innen angeboten werden. Auch Gerlinde Mehlhorn betonte die Be-
deutung der Qualifikation der Lehrenden. Neben der allgemein pädagogische
Grundqualifikation und Auslandsaufenthalten werde verpflichtend eine ein-
jährige Weiterbildung vorausgesetzt. Gute Ergebnisse an weiterführenden
Schulen bestätigen den Erfolg diese Konzeptes.
Marlene Wolter schilderte die Situation des Fremdsprachenunterrichts im
Bundesland Niedersachsen. Sie berichtete, dass ab 2002 der Fremdsprachen-
erwerb ab der 3. Klasse für alle Grundschulen angeboten werde. Bisher gebe
es den Fremdsprachenunterricht an den so genannten „verlässlichen Grund-
schulen“, an denen eine Betreuung von 8 – 13 Uhr gewährleistet ist. Die Um-
setzung des Vorhabens schließt ein breites Fortbildungsprogramm ein, das
didaktisch-methodische Empfehlungen beinhaltet.
Für Baden-Württemberg berichtete Karin Leutert über die bildungspolitische
Initiative, ab dem Schuljahr 2003/04 die Fremdsprachen Englisch und Fran-
zösisch flächendeckend in allen Grundschulen einzuführen. Die Lehrerfort- und
Weiterbildung werde intensiviert. Über Multiplikatorenschulungen und metho-
disch-didaktisch aufbereitetes Material würden Lehrende weiter qualifiziert.
Die anschließende Diskussion griff die einzelnen Beiträge auf und ergänzte
verschiedene Punkte. Karin Leutert ging im Einzelnen darauf ein, dass in
Baden-Württemberg nicht nur Englisch, sondern auch Französisch in vielen
Grundschulen berücksichtigt und eingeführt würden.
In diesem Zusammenhang sei das Thema Migrantenkinder von besonderer
Bedeutung Eine mögliche Benachteiligung im Fremdsprachenerwerb gegenü-
ber Kindern deutscher Herkunft sei insofern zu relativieren, als durch den
Erwerb von Deutsch als erster Fremdsprache es den Kindern anderer Her-
kunftsländer gelinge Lernstrategien zu entwickeln, die sie bei weiteren
Fremdsprachen anwenden können.
Marlene Wolter thematisierte die Wahl der jeweiligen Fremdsprache. Ob nun
Englisch oder eine andere Sprache zuerst unterrichtet werde, hänge mit der
Nachfrage der Eltern zusammen. Da Englisch am meisten gefordert werde und
diese Sprache im Vergleich zu anderen etwas leichter zu erlernen ist, werde in
der Regel Englisch als erste Fremdsprache angeboten.
26
Norbert Huppertz wies darauf hin, dass in Grenzgebieten zuerst die jeweilige
Grenzsprache unterrichtet werden solle. Außerdem betonte er, dass beim
Erlernen einer Sprache, die dem Deutschen nicht ähnlich ist, die kindlichen
Gehirnstrukturen besonders aktiviert werden.
In diesem Kontext wurde berichtet, dass in Schottland gute Erfahrungen mit
dem Gälischen als erste Fremdsprache gemacht werden
Bei der Frage nach Qualität von Unterricht stellte Marlene Wolter das europä-
ische Portfolio vor, ein Instrument der Selbsteinschätzung von Lernleistungen.
Heidemarie Sarter machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam,
dass die Lehrenden diejenigen Schüler/innen, die Schwierigkeiten beim
Fremdsprachenerwerb zeigen, nicht benachteiligen sollten. Diese Schüler/in-
nen können oftmals in anderen Fächern, wie zum Beispiel in den naturwissen-
schaftlichen Fächern, gute Leistungen erbringen. Sie ergänzte, das Spracher-
werb nicht linear verlaufe, die Begeisterung bei den Schülern also nachlassen
könne und somit vermehrt Schwierigkeiten auftreten können.
Das Fremdsprachenlernen wurde mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes
verglichen. Auch hier kann die anfängliche Begeisterung mit steigendem
Schwierigkeitsgrad nachlassen. Fazit: Es liegt also in den Händen des Lehren-
den, die Begeisterung der Schüler/innen für das jeweilige Fach zu fördern.
In der Podiumsdiskussion bestand ein klarer Konsens darüber, dass ein frühes
Sprachenlernen im Kindergarten und in der Grundschule von zentraler Be-
deutung ist. Spracherwerb wurde als Schlüsselkompetenz auch für die kultu-
relle Entwicklung Deutschlands gesehen und für eine wichtige Voraussetzung
früher individuelle Förderung, da Kinder über Spracherwerb auch ihre persön-
liche Identität entwickeln können. Bisherige Methoden des Fremdsprachen-
lernens und des Fremdsprachenlehrens seien aber nicht einfach unverändert
auf jüngere Lerner übertragbar, insofern sei eine Reform der Lehreraus- und -
weiterbildung der Schlüssel für den Erfolg.
Die Eingangsfrage „Wie früh und wie anders„ Spracherwerb erfolgen solle, wur-
de übereinstimmend mit der Gleichung „Je früher, desto anders!“ beantwortet.
27
Podiumsdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Peter Freese
Meine Damen und Herren, unsere erste Podiumsdiskussion widmet sich dem
Thema „Fremdsprachenerwerb – wie früh und wie anders?“, und ich begrüße
als Gäste Frau Sabine Brendel vom Unternehmen Kultur e.V. in Dresden und
Herrn Professor Dr. Norbert Huppertz von der Pädagogischen Hochschule
Freiburg, die über ihre Erfahrungen mit dem Frühbeginn von Englisch bzw.
Französisch im Kindergarten berichten werden; Frau Professor Gerlinde
Mehlhorn vom BIP-Kreativitätszentrum in Leipzig, in deren privaten Schulen
von der ersten Klasse an mit Arabisch, Englisch und Französisch gleich drei
Fremdsprachen unterrichtet werden; sowie Frau Regierungsdirektorin
Marlene Wolter vom Niedersächsischen Kultusministerium und Frau Karin
Leutert von der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung in Donau-
eschingen, die uns aus der Sicht ihrer jeweiligen Bundesländer darüber infor-
mieren werden, wie es um den Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts an
den staatlichen Grundschulen bestellt ist.
28
Angesichts der Vielschichtigkeit unseres Themas werden wir die fünf ver-
schiedenen Eingangs-Statements schwerlich systematisch aufeinander
beziehen können, aber es wäre schön, wenn alle auf die Aspekte Bezug neh-
men könnten, die mir bei der Vorbereitung auf diese Runde als die zentralen
Problembereiche deutlich geworden sind. Diese Aspekte sind
29
Norbert Huppertz
Das glaubt niemand, dass Kinder frankophon gebildet werden und Französisch
lernen, ohne dass ihre Erzieherinnen selbst Französisch können. Dass und wie
das geht, stellen wir mit dem vorliegenden Modellprojekt unter Beweis. „Das
hätte ich nicht für möglich gehalten“, war der Kommentar einer Franzö-
sischlehrerin. „Warum habe ich so viel Jahre studiert, wenn das auch so geht.“
30
Weltbürger-Sein ist das Gegenteil von Rassismus, Chauvinismus und über-
triebenem Patriotismus. Um dieses pädagogische Ziel und die damit verbun-
denen Worte zu vermitteln, hat meine Pädagogik geeignete Methoden: das
freie Spiel, das inhaltlich entsprechend bestimmte Projekt und das von der
Erzieherin ausgewählte Aktivitätsangebot. (Vgl. Huppertz 1992, S. 170ff.)
Nicht nur Erziehung und Betreuung der Kinder, sondern auch sehr stark deren
Bildung und d.h. die gezielt ausgewählten Themen und Inhalte stehen in der
Lebensbezogenen Pädagogik im Vordergrund. „Wie“ wir mit Kindern umge-
hen und „was“ sie in der frühen Kindheit erfahren und erleben – das hinter-
lässt Spuren für ihr Leben; das prägt und bildet sie. Der Lebensbezogene An-
satz ist ein kindbezogener Bildungsansatz. Von großer Bedeutung ist dabei
die tragfähige, erfreuliche Beziehung der Erzieherin zum einzelnen Kind.
Deshalb ist der offene Gesamtkindergarten abzulehnen.
31
Norbert Huppertz
• Grenznähe: Für alle Kinder an Grenzen gilt, dass sie möglichst früh die
Sprache des Nachbarn lernen sollten. Das ist auch der beste Schutz gegen
Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.
wenig: 35%
kann mich verständigen: 7%
Die Übersicht zeigt, wie gering der Anteil der Erzieherinnen mit Französisch-
kenntnissen zu Beginn unseres Projektes war.
32
Wie unterschiedlich die Motive der Pädagoginnen waren, noch einmal die
Schulbank zu drücken, zeigen die folgenden persönlichen Aussagen:
Die Motivlagen sind also – wie könnte und sollte es auch anders sein? –
gemischt: Kindorientierte und selbstbezogene Gründe gehen ineinander über.
Dass die Erzieher für sich selber von ihrer frankophonen Fortbildung profitie-
33
Norbert Huppertz
ren, z.B. für ihre Reisen, beflügelt sie, sich für die Bildung der Kinder zu enga-
gieren. Dies gilt für die Sprachbildung wie auch für die Didaktikfortbildung.
Die Fortbildnerin steht auf, geht im Raum herum und sagt: „Moi, je suis la loco-
motive. Vous êtes les wagons.“ Sie imitiert die Lokomotive, indem sie – sehr
klar und mit deutlicher Aussprache – singt und im Raum herumgeht: „Accro-
chons un wagon, et je suis la locomotive ... pour que le train soit plus long“. –
Der Pfeifton der Lokomotive wird von ihr – klar und deutlich – imitiert sowie
ebenfalls das Zischen der Dampflok.
Durch Mimik und Gestik ermuntert die Lehrerin eine Teilnehmerin nach der
anderen, sich einzeln „an die Lok anzuhängen“, indem jeweils das Lied „Accro-
chons ...“ gesungen wird – und die Wagen gemeinsam abgezählt werden. D.h.:
das Lied wird etwa 15mal gesungen und jeweils gemeinsam bis 2, 3, 4 usw.
bzw. bis 15 gezählt – je nach Anzahl der „accrochierten“ Wagen. – Das ist das
gemeinsame Lernen des kleinen Singspiels. Die Erzieherinnen sind bei allem
mit allergrößter Freude dabei. Das Lied enthält aber gesanglich eine Schwie-
rigkeit: Die Noten von pour (e) que (fis) le (g) train (g) soit (fis) plus (e) long (d)
liegen ziemlich nahe zusammen, und es fällt nicht jedem, vor allem wohl auch
den Kindern, für die es ja gedacht sein soll, leicht, diese Tonfolge einwandfrei
zu treffen. Dazu hat die Fortbildnerin eine besondere Methode: sie begibt sich
hinter die einzelne Teilnehmerin, ganz in die Nähe ihres Kopfes, und singt die
besonders schwierige Passage „in den Kopf“ der Teilnehmerin und lässt von
ihr die Passage „nachsingen“ – durchaus mehrmals, wenn es beim ersten Mal
nicht klappt – bei tüchtigem Loben für jeden kleinen Fortschritt. Ergebnis: Alle
Erzieherinnen beherrschen das Lied und die spielerischen Bewegungen zum
34
Schluss vollständig. Sie haben mit allen Sinnen, viel Freude und Bewegung
gelernt, und zwar in kürzester Zeit – und zwar alle; durch gemeinsames und
individuelles Handeln. Und: Sie sind in der Lage, das Erlernte „morgen“ an ihre
Kinder weiterzugeben, indem sie mit diesen in der gleichen Weise verfahren.
Es ist wie ein Rezept, das man sofort anwenden kann.
Unsere teilnehmenden Erzieherinnen sprechen mit Freude darüber, dass sie
das „heute“ Gelernte „morgen lehren“. Wir haben geprüft, dass sie das mit
gutem Erfolg tun.
Die Kinder: Wir entwickeln ein Instrument, mit dem die Erzieherin den franko-
phonen Bildungsstand jedes einzelnen Kindes einschätzen wird, und zwar auf
einer Skala von „sehr gut“ bis „gar nicht“. Die Bildungsbereiche des Kindes
sind dabei bezogen auf das Können, die Wertschätzung (die Einstellung), das
Wissen sowie die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kinder – alles natürlich hier
im Hinblick auf „das Französische“. Uns interessiert dabei, ob die Kinder z.B.
französische Lieder, Reime und Spiele und die damit verbundenen Sätze und
Wörter beherrschen (Können); ob sie Freude an der Sprache haben, indem sie
z.B. gerne „am Französischen teilnehmen“ und danach fragen (Wertschät-
zung); ob sie kulturelle Kenntnisse haben und die Unterschiede kennen, z.B.
Weihnachten und Tannenbaum in Deutschland und in Frankreich (Wissen); ob
sie z.B. einfache Aufforderungen (viens) und Formeln (je m’appelles...) ver-
stehen und ob sie sogar freie Sätze formulieren können (Fähigkeiten); usw.
Die Erzieherinnen: Die Erzieherinnen erhalten ein Zertifikat über eine erfol-
greiche Teilnahme, wenn sie unter Beweis stellen, dass sie genügend Franzö-
sisch können, um frankophone Bildungsangebote im Kindergarten durchzu-
führen, und dass sie didaktisch dazu in der Lage sind. Sie können dieses mit
Hilfe von Videoaufnahmen aus ihrer Kindergartenarbeit und aus den Sprach-
kursen tun. Sie erhalten dann ein Hochschulzertifikat mit der Bestätigung
35
Norbert Huppertz
Die Einrichtung: Auch die Einrichtungen werden evaluiert, und zwar daraufhin,
ob die Voraussetzungen für eine qualitätsvolle frankophone Bildung gegeben
sind, z.B. bezüglich der Unterstützung durch Träger, Leitung, Eltern,
Kolleginnen, Räume usw.
7. Fazit
Das Projekt „Bilinguale Bildung – Französisch im Kindergarten“ mit den Zielen
Einführung der frankophonen Bildung und der Erprobung der besten
Organisationsverfahren scheint nach unseren bisherigen Belegen erfolgreich
zu verlaufen. Nicht nur das Zweisprachenmodell „Une personne – une langue“
bringt, wie nicht anders zu erwarten, seine Früchte, sondern vor allem die
rasche und einfache Weise von „Heute gelernt – morgen gelehrt“ wird von uns
als Erfolg belegt. Wir vermitteln damit ca. 2000 Eltern, 1000 Kindern, 80
Erziehern, 40 Kindergärten wertvolle Elemente für eine weltbürgerliche (anti-
rassistische) Erziehung und Bildung, wobei auch die geringsten Ansätze ihren
größten Wert haben.
Literatur
Aleemi, J.: Zur sozialen und psychischen Situation von Bilingualen. Persönlichkeitsentwicklung
und Identitätsbildung. Frankfurt a. M. 1989
Andreas, R.: Fremdsprachen in der Grundschule: Ziele, Unterricht und Lernerfolge.
Donauwörth 1998
Apeltauer, E.: Grundlagen des Erst- und Zweitsprachenerwerbs. Kassel 1997
Bausch, K.-R. (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen 1989
Butzkamm, W.: Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des
Menschen. Tübingen; Basel 1999
Doyé, P.: Fremdsprachenlernen in der Grundschule. Wien 1998
Fthenakis, W. E.: Zweisprachigkeit im Kindergarten. Gemeinsame Förderung ausländischer und
deutscher Kinder. Donauwörth 1985
Fthenakis, W. E.; Sonner, A.; Thrul, R.; Walbiner, W.: Bilingual-bikulturelle Entwicklung des
Kindes. Ein Handbuch für Psychologen, Pädagogen und Linguisten. München 1985
Graf, P./Tellmann, H.: Vom frühen Fremdsprachenlernen zum Lernen in zwei Sprachen. Schulen
auf dem Weg nach Europa. Frankfurt a.M. 1997
Hagège, C.: L’enfant aux deux langues. Paris 1996
Hegele, I.: Kinder begegnen Fremdsprachen. Westermann 1994
36
Huppertz, N. (Hg.): Erleben und Bilden im Kindergarten. Der lebensbezogene Ansatz als Modell
für die Planung der Arbeit. Freiburg, 5. Aufl. 1999
Huppertz, N. (Hg.): Französisch so früh? – Bilinguale Bildung im Kindergarten. Modelle
und Methoden, didaktisches Material, Erfahrungen aus Deutschland und Frankreich.
Oberried 1999
Huppertz, N. (Hg.): Kindergärten für Kinder. Waldkindergarten, lebensbezogener Ansatz,
Montessori-Kindergarten, Offener Kindergarten. Oberried 1999
Huppertz, N. (Hg.): Konzepte des Kindergartens. Lebensbezogener Ansatz, Situationsansatz,
Sozialistische Pädagogik, Reggio-Pädagogik. Oberried 1998
Huppertz, N./Schinzler, E.: Grundfragen der Pädagogik. Eine Einführung für sozialpädagogische
Berufe. 10. Aufl., Köln 1995
Huppertz, N.: Französisch so früh? – Bilinguale Bildung im Kindergarten. Oberried 1999
Kielhöfer, B./Jonekeit, S.: Zweisprachige Kindererziehung. Tübingen 1995
Klein, W.: Zweitspracherwerb. Eine Einführung. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1992
Natorp, E. A.: Französisch als erste Fremdsprache im Elementarbereich. Untersuchungen zu
Sprachtransfer und Fremdsprachenlernerfolg. Donauwörth 1978
Pelz, M.: „Lerne die Sprache des Nachbarn.” Grenzüberschreitende Spracharbeit zwischen
Deutschland und Frankreich. Frankfurt a. M. 1998
Schmid-Schönbein, G.: Möglichkeiten und Grenzen des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs im
Vorschulalter. München 1978
Schwengler, B.: L’ Alsace Bilingue. Strasbourg 2000
Sprachdidaktisches Zentrum der Pädagogischen Hochschule Freiburg: Materialien für
Französisch im Grund- und Vorschulbereich. Kommentierte Bibliographie. Freiburg 1991
Wode, H.: Lernen in der Fremdsprache: Grundzüge von Immersion und bilingualem Unterricht.
München 1995
37
Sabine Brendel
Manchmal fragen Eltern ihre kleine Paula, was sie heute im Englischkurs
gelernt hätte. Aber damit kann die Dreijährige wenig anfangen. Hat sie etwas
gelernt? Gespielt hat sie, ein neues Lied gesungen, mit den anderen getanzt,
Obst genascht. Bei „Old MacDonald had a farm“ durfte sie die kuschlige Katze
im Arm halten.
38
eine besondere Begabung dafür. Bevor wir zum ersten Mal den Deutschunter-
richt besuchten, konnten wir alle schon fließend deutsch sprechen, denn wir
lernen eine Sprache durch deren Verwendung im Alltag. Wir entwickeln ein
natürliches Sprachgefühl dafür.
Auf die gleiche Weise bekommen die Kinder im „Pat’s English®“ Kontakt mit
und ein Gefühl für die englische Sprache und Kultur. Von Anfang an sprechen
unsere Kursleiter ausschließlich Englisch in der Kursstunde. So erleben die
Kinder die vielfältigsten Situationen des Alltags in Begleitung der englischen
Sprache. Die große Palette an Spielen (Kreisspiele, Fingerspiele, Brettspiele,
Rollenspiele...), Liedern und der natürliche Dialog bieten dazu eine unendli-
che Variationsvielfalt. Wir beziehen alle sprachlichen Themenbereiche ein, die
die Kinder alltäglich umgeben – Zahlen, Farben, Tiere, Speisen, Tagesablauf,
Tätigkeiten, Empfindungen, Familie, Wetter und vieles andere mehr. So ver-
bindet sich schrittweise das Erlebte mit der englischen Sprache.
Das Gefühl für eine Sprache entwickelt sich allmählich. Manchmal ist es nötig,
die Eltern zur Geduld zu mahnen und Zielvorstellungen zu korrigieren. Über
das Vertrautmachen mit den Klängen der englischen Worte, über das Ver-
stehen der sinngemäßen Bedeutung der Worte entwickelt sich schrittweise
die Fähigkeit, selbst Englisch zu sprechen.
Viele interessante innere Lernprozesse vollziehen sich, bevor das erste eigene
Wort gesprochen wird. Diese so wichtigen inneren Prozesse bewirkt und för-
dert „Pat’s English®“ gerade in den ersten Kursmonaten. Sie sind die notwen-
dige Basis für späteres fließendes Sprechen.
39
S a b i n e B re n d e l
Dass wir gerade Englisch vermitteln, ist Wunsch der Eltern, die für das Angebot
Kursgebühren entrichten. Versuche, auch Französisch und Spanisch anzubie-
ten, scheiterten schnell an mangelnder Nachfrage. Leider wird unser Projekt
staatlich nicht gefördert, so dass unserer Experimentierfreude mit unge-
wöhnlicheren Sprachen ein enger finanzieller Rahmen gesetzt ist.
Das Lernprinzip ließe sich jedoch auf jede andere Sprache der Welt anwenden.
Sabine Brendel
Unternehmen Kultur · Bildungsprojekt Kunst und Kommunikation e.V.
Kyffhäuserstraße 17 · 01309 Dresden
Tel. · Fax (0351) 310 08 28 · www.unternehmen-kultur.de
40
Gerlinde Mehlhorn
Fremdsprachenunterricht an den
BIP-Kreativitätsschulen
Die BIP-Kreativitätsschulen wurden nach einer von Prof. Dr. Gerlinde und Prof.
Dr. Hans-Georg Mehlhorn entwickelten Konzeption begründet. Kreativitäts-
schulen nach dieser Konzeption arbeiten als Vorschulen (Leipzig, Chemnitz,
Heidenau b. Dresden), Grundschulen (an den gleichen Orten, weitere in
Vorbereitung in Gera – genehmigt seit Juli 2001 -, Wittenberg, Nauen, Bad
Langensalza, Fulda und weitere in unterschiedlicher Trägerschaft auf Basis
der gleichen Konzeption), Gymnasium (bisher seit 2001 nur Leipzig).
An den BIP-Kreativitätsschulen erfolgt der Unterricht an den Grundschulen
und am Gymnasium nach dem Lehrplan des Freistaates Sachsen, der Lehrplan
des Gymnasiums wurde spezifisch erweitert.
Zusätzlich erfolgt in den Grundschulen als Grundschulen mit Hort ein umfas-
sendes Angebot, das gezielt der Entwicklung der Kreativität der Schüler dient
und das in den Gymnasien (weitere in Vorbereitung) speziell weitergeführt wird.
Zum Programm gehören ab der Vorschule je Woche jeweils eine Stunde Instru-
mentalunterricht (wahlweise-obligatorisch in Klasse 1), eine Stunde Informa-
tik, eine Stunde Schach, und weiter je eine Stunde kreativer Umgang mit Spra-
che und Literatur, Tanz und Bewegung, Darstellendes Spiel, elementare
Musikerziehung/Rhythmik, Bildkünstlerisches Gestalten und in der Vorschule
eine Stunde Englisch, in der Grundschule ab Klasse 1 eine Stunde Englisch,
eine Stunde Französisch und zwei Stunden Arabisch.
Die Fremdspracheausbildung ist in das Gesamtprogramm integriert und dient
der umfassenden Entwicklung aller geistigen Fähigkeiten der Kinder, wobei es
uns generell darum geht, die kognitiven, sprachlichen, musisch-ästhetischen,
psychomotorischen und sozial-emotionalen Fähigkeiten harmonisch zu ent-
wickeln, vorhandene Begabungen zu fördern und Schwächen zu beseitigen.
Dem dient auch der Einsatz von zwei Lehrern pro Klasse mit 20 Schülern, wobei
10 Stunden Lehrplanunterricht (in der Regel täglich eine Mathematik- und eine
Deutschstunde) generell und alle Kreativitätsdisziplinen mit Ausnahme des
Fremdsprachenunterrichts geteilt unterrichtet werden (ab 18 Kinder pro Klasse).
41
Gerlinde Mehlhorn
42
Unterricht an diesen Schulen (Vorschule und erstes Schuljahr oder erstes und
zweites Schuljahr) als hochbegabt zu bewerten. Sie haben ihr individuelles
Begabungspotenzial deutlich besser ausgeschöpft, als dies gegenwärtig in
staatlichen Schulen gelingt.
43
Marlene Wolter
Fremdsprachenlernen in der
Grundschule – zur Situation in
Niedersachsen
Seit Beginn der 90er Jahre ist die Zahl der Grundschulen, die das Erlernen einer
fremden Sprache in ihr Unterrichtsangebot einbezogen, ständig angestiegen.
Mit Einführung der Verlässlichen Grundschule im Schuljahr 1999/2000 ist
diese Entwicklung zu einem Abschluss gekommen. Denn für alle Kinder im
3. und 4. Schuljahrgang der Verlässlichen Grundschule ist das Erlernen einer
fremden Sprache Pflicht. Die Stundentafel ist dafür in den Schuljahrgängen
drei und vier um je zwei Wochenstunden aufgestockt worden. Obwohl den
Verlässlichen Grundschulen freigestellt ist, anstelle von Englisch auch eine
andere europäische Fremdsprache Französisch anzubieten, wurde in allen
Verlässlichen Grundschule Englisch gewählt. Das hat vielerlei Gründe:
44
• Die Weiterführung in Klasse 5 muss gewährleistet sein. Da die
Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 einer Orientierungsstufe in der Regel
aus verschiedenen Grundschulen kommen, ist ein differenziertes Angebot
nur in größeren Städten denkbar.
45
M a r l e n e Wo l t e r
Die Erarbeitung erfolgt praxisnah, Hospitationen sind ein notwendiger Teil der
Kursarbeit, das Einbeziehen fremdsprachlicher Sequenzen ist durchgängiges
Prinzip. Die erfolgreiche Teilnahme an der Gesamtmaßnahme, die sich über
ein Schuljahr hinweg zieht, wird mit einem Zertifikat bescheinigt.
Die Handreichungen für die Kursleiterinnen und Kursleiter liegen inzwischen
in gedruckter Form vor.
Marlene Wolter
Niedersächsisches Kulturministerium
Schiffgraben 12 · 30159 Hannover
Tel. (0511) 1207279 · Fax (0511)1207460
[email protected]
46
Karin Leutert
Frühes Sprachenlernen in
Baden-Württemberg
Da sind sich alle Fachleute einig: es sprechen viele Gründe für einen möglichst
frühen Sprachenlernbeginn. In den Grund- und Sonderschulen von Baden-
Württemberg wird deshalb im Schuljahr 2003/4 flächendeckend Englisch
oder Französisch eingeführt. Und das bereits ab der 1.Klasse ( FliG =
Fremdsprachen lernen in der Grundschule bzw. FliSo= Fremdsprachen lernen
in der Sonderschule).
47
Ka r i n Le u t e r t
Da sich Eltern und Kinder eine Rückmeldung über den jeweiligen Stand des
Fremdsprachenerwerbs wünschen, fließt diese in die Verbalbeurteilung der
Klassen 1 und 2 mit ein. Ab der 3. Klasse werden die Schüler/innen in den
Fächern Englisch bzw. Französisch benotet, wobei diese Noten sich nicht auf
schriftliche Arbeiten beziehen dürfen und auch nicht versetzungsrelevant
sind.
Karin Leutert
Akademiereferentin
Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung Donaueschingen
Villinger Str. 33 · 78166 Donaueschingen
Tel. (0771) 809224
[email protected]
48
49
50
51
Heidemarie Sarter
52
eine Geschichte in anderer Weise als einem Jugendlichen, sprechen mit
Vorgesetzten und Respektspersonen im Allgemeinen anders als mit guten
Freunden, tun uns schwer mit Briefen ans Finanzamt etc. etc.
Wir haben im Laufe unseres muttersprachlichen Spracherwerbs, der Hand in
Hand nicht nur mit der kognitiven Entwicklung geht, sondern auch mit der
sozialen, psychischen und kulturellen Einfügung in die uns umgebende
Umwelt, gelernt, die nicht-sprachlichen Elemente der Situationen „lesen“ zu
lernen und uns sprachlich darauf einzustellen. Dabei beeinflusst die Vielfalt
der Situationen, in die wir kommen, unsere sprachliche Flexibilität.
Es liegt auf der Hand, dass schulischer (Fremdsprachen)Unterricht in dieser
Hinsicht zu wünschen übrig lässt, lassen muss. Denn die Bandbreite unter-
schiedlicher Situationen, die unterschiedliche sprachliche Aktionen und
Reaktionen erforderlich machen, ist äußerst eingeschränkt. Selbst, wenn in
einem kommunikationsorientierten Unterricht beispielsweise über Jugend-
sprache im Zielsprachenland gesprochen wird, so geschieht dies in der schrift-
sprachlich orientierten Standardvariante. Selbst handlungsorientierte Arbeit in
einer anderen Sprache, wie sie in der Grundschule praktiziert wird, unterliegt
diesen Einschränkungen, obwohl hier die Spannbreite noch am größten ist.
3. Muttersprachliche Kompetenz
Unsere sprachliche Kompetenz in unserer Muttersprache ist variabel. Wenn-
gleich wir auch alle über grammatikalische und lexikalische Kompetenz verfü-
gen, so variiert diese doch in Abhängigkeit von Erfahrungs- und Bildungs-
horizont, Persönlichkeit, auf- und ausgebauten Intelligenzarten, Situation und
Moment. Wir verfügen in der Regel weder rezeptiv noch produktiv über alle
Soziolekte (die Sprache Jugendlicher ist Älteren gelegentlich ebenso un-
verständlich wie Floristen eine Unterhaltung zwischen Computer-‚Freaks‘ oder
Steuerberatern und umgekehrt), verstehen oder sprechen Dialekte mehr oder
weniger, sind mehr oder weniger in der Lage, zwischen unterschiedlichen Stil-
ebenen zu unterscheiden. Manch einer unterscheidet nicht zwischen „als“ und
„wie“ bei Vergleich und Komparativ, verwechselt Akkusativ und Dativ, viele
sagen „Keese“ statt Käse, der eine isst „Wurscht“, der andere „Wurst“, manche
regionale Aussprachen differenzieren nicht dem Standard entsprechend nach
stimmhaften und stimmlosen Konsonanten, und „Beeren“ und „Bären“ unter-
scheidet kaum einer in der Aussprache. Und dennoch sind wir alle Mutter-
sprachler.
53
Heidemarie Sarter
54
Entscheidend sind hierfür Motivation und Haltung (cf. hierzu auch „Frühes
Sprachenlernen in Kindergarten und Grundschule...“ in diesem Band).
55
Heidemarie Sarter
56
In der interkulturellen Kommunikation gilt es, die jeweiligen Gepflogenheiten
zu kennen und zu respektieren. So ist es z. B. im deutschen Kulturkreis völlig
angemessen, auf die Frage, ob man lieber Tee oder Kaffee möchte, zu antwor-
ten: „Das ist mir eigentlich egal.“ Im Französischen jedoch träfe eine simple
Übersetzung auf Akzeptanzprobleme, würde als unhöflich empfunden. Die
korrekte „Übersetzung“ wäre eine Übertragung: „Comme vous voulez“ – eine
Verlagerung der Entscheidungsverantwortung, die u. U. im Deutschen wie-
derum als unangemessen empfunden würde.
57
Heidemarie Sarter
58
Die Nutzung und der Ausbau bereits vorhandener anderssprachiger Kennt-
nisse für den und im Unterricht in anderen Fächern, Bilingualer Unterricht, darf
sich der Frage nach seiner Sinnhaftigkeit nicht entziehen. Der Einsatz einer
Fremdsprache als Mittel des Lernens und Unterrichtens eines anderen Fachs
darf nicht aus sich selbst oder aufgrund der größeren Einfachheit einer
Stundenplanerstellung begründet sein; die dort erworbenen Kenntnisse ins-
besondere lexikalischer Art müssen sich messen lassen an ihrer Verwend-
barkeit für alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur derjenigen, die das bilin-
gual unterrichtete Fach evtl. später im anderssprachigen Ausland studieren
werden. Oder überspitzt formuliert: Warum soll ein deutscher Schüler wissen,
was Reichsdeputationshauptschluss auf Französisch heißt?
Sinnvoller als das durchgängige Unterrichten eines Faches in einer anderen
Sprache scheint der durchgängige Einsatz anderer Sprachen wann und wo
immer es angebracht ist. Geschichtsunterricht beispielsweise müsste darauf
verzichten, zumindest englisch- und französischsprachige Quellen in der
Übersetzung zu behandeln. Motivation bei den Schülern und Schülerinnen
schaffen und ausnutzen durch die Behandlung authentischer Texte, eine zu
Recht häufig erhobene Forderung, darf sich in Zukunft nicht auf den Fremd-
sprachenunterricht oder den bilingualen Sachfachunterricht beschränken.
Die modernen Kommunikationsmittel bieten mehr als genug Möglichkeiten,
interessante, aktuelle anderssprachige Texte für alle Fächer zu finden.
59
Heidemarie Sarter
Lehrer sich dieser von den Schülern geforderten Zielsetzung für sich selbst
nicht entziehen, soll die Institution Schule in der Gesamtheit ihrer Bestre-
bungen, mehrsprachige Europäer auszubilden, nicht unglaubwürdig werden.
Das Lernziel „Mehrsprachigkeit“ unterscheidet sich noch in einem anderen
Aspekt wesentlich von den bisherigen, auf das Lernen von Fremdsprachen
gerichteten Lernzielen. Es bezieht die Muttersprache mit ein; diese ist nicht
nur als Ausgangssprache über lange Zeit die wichtigste Referenz des Ler-
nenden, sie geht auch insgesamt als eine Komponente unter anderen in die
Mehrsprachigkeit ein. Auch hier gilt es, wie zwischen den zu lernenden Spra-
chen, jeweils Bezüge, Parallelitäten, Verwandtschaften herauszuarbeiten und
für das Lernen anderer Sprachen einzusetzen. Dabei wird sich nicht selten her-
ausstellen, dass die andere Sprache, die als „Fremd“sprache per se im Ruf
stand, schwierig zu sein, über mehr oder weniger weite Strecken einfacher ist
als das Deutsche.
Die ‚Sprachigkeit‘ des Menschen ist, wie anfangs aufgezeigt, nicht nur gram-
matikalische, lexikalische und phonetisch-phonologische Kompetenz, son-
dern auch die Fähigkeit zu angemessenem sprachlichem Handeln in unter-
schiedlichen Situationen bzw. die Fähigkeit, dies im jeweiligen Hier und Jetzt
zu erwerben. Ein natürlicher Umgang mit Sprache schließt non-verbales
Handeln und unvollständige Sätze ebenso ein wie Fehlstarts, Versprecher und
viele andere Unzulänglichkeiten – die jedoch im unterrichtlichen Umgang mit
einer anderen Sprache im Allgemeinen nicht geduldet werden.
Mehrsprachigkeit kann nicht vollständig und umfassend sein. Wie wir gese-
hen haben, ist bereits in der Muttersprache dieser Anspruch nicht aufrechtzu-
erhalten. Um wie viel mehr ist er in Hinsicht auf andere Sprachen zu relativie-
ren. Die Beherrschung anderer Sprachen in Abhängigkeit von den Funktionen,
für die sie gebraucht werden, funktionale Mehrsprachigkeit, ist kein einge-
schränktes Lernziel im Vergleich zu früheren Zielsetzungen. Es setzt andere
Schwerpunkte und hat den Vorteil, sich dem natürlichen Umgang mit Sprache
anzunähern – vorausgesetzt, es gelingt der Fachdidaktik eine operationali-
sierbare Differenzierung.
Die fachwissenschaftliche Didaktik, deren Aufgabenbereich das Unterrichten
von und in anderen Sprachen als möglichst optimale Lernvoraussetzung für
die Schüler und Schülerinnen ist, steht im Spannungsfeld vieler unterschied-
licher Interessen und Erkenntnisse, die in Abb. 3 im Überblick aufgezeichnet
sind.
60
Abb. 3
Fremdsprachige Mehrsprachigkeit
Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die Förderung von Mehrsprachigkeit
nicht allein der Schule anzulasten ist. Das gesellschaftliche Umfeld insgesamt
muss mit Mehrsprachigkeit anders als bislang umgehen. So verhindern bei-
spielsweise Simultanübersetzungen in Fernsehen und Radio, dass der anders-
sprachige Text zur Kenntnis genommen wird. Hier wären Untertitel bzw. Kon-
sekutivübersetzungen hilfreicher, soll Mehrsprachigkeit umfassend gefördert
werden. Das Angebot an originalsprachiger Literatur (Fachliteratur ebenso wie
Belletristik) in Bibliotheken und Buchhandlungen müsste wesentlich größer
werden, ebenso wie die Ausstrahlung von Filmen in der Originalversion im
Fernsehen. Schule hat zwar die Aufgabe der Vermittlung von Kenntnissen,
Fähigkeiten und Fertigkeiten. Lernprozesse finden jedoch nicht nur in der
Schule statt.
61
Heidemarie Sarter
Ein wesentlicher Aspekt betrifft die Aus- und Weiterbildung aller Lehrer und
Lehrerinnen: Sie zu überzeugen, auch mit anderssprachigen Texten in ihrem
(Fach)Unterricht zu arbeiten, ist ein wichtiger Punkt in Hinsicht auf die
Herstellung eines natürlichen, selbstverständlichen Umgangs mit anderen
Sprachen – innerhalb und außerhalb der Schule. Studien- und Weiterbildungs-
anteile im Ausland sollten nicht nur für Sprachenlehrer selbstverständlich
werden.
Was die Ausbildung der Sprachenlehrkräfte angeht, brauchen wir Verzah-
nungen, die die Fachwissenschaft sowohl mit den Bezugswissenschaften, die
in Abb. 3 genannt sind, als auch mit der Fachwissenschaft ihres zweiten Fachs
verbindet. In der ersten, universitären Ausbildungsphase muss die Theorie in
Fachwissenschaft, Fachdidaktik und -methodologie, Bezugswissenschaften
im Vordergrund stehen, angereichert durch praktische Ausbildungsanteile,
die jedoch noch nicht auf den Erwerb praktischer Berufsqualifikationen abzie-
len können, sondern auf die Überprüfung der Theorie in der Praxis zielen, alles
insgesamt ausgerichtet auf die Notwendigkeiten, die eine zukünftige, profes-
sionelle Unterrichtspraxis erfordern. Das Verhältnis von Theorie und Praxis
bestimmt sich durch die Frage: Wie viel Praxis braucht die Theorie, um optimal
verstanden zu werden? (Abb. 4)
Die zweite Ausbildungsphase hingegen konzentriert sich auf die praktische
Ausbildung in den Unterrichtsfächern, den Erziehungswissenschaften und
strebt die Umsetzung der erworbenen Theorie in professionelles Handlungs-
wissen an. Die entscheidende Frage für diese Phase ist: Wie viel Theorie
braucht die Praxis? (Abb. 5)
Ebenso wenig, wie entsprechend ausgebildete Schulpraktiker für die univer-
sitäre Ausbildung Sorge zu tragen haben, ebenso wenig sind die Ausbildenden
während der zweiten Phase Wissenschaftler. Unter Respektierung des Prin-
zips „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ muss hier ebenso eine überinstitu-
tionelle wie eine interinstitutionelle Zusammenarbeit stattfinden. Dies setzt
nicht nur voraus, dass die zusammenarbeitenden Partner sich ihrer Rollen und
Aufgaben bewusst sind, sondern auch, dass sie in einem gemeinsamen Be-
mühen die übergreifenden Aspekte jeweils mit ihren Kompetenzen angehen
und gemeinsam Lösungswege finden. Um zu einer professionellen Aus-
62
Abb.4: Erste Ausbildungsphase
63
Heidemarie Sarter
64
Podiumsdiskussion
Podium:
Petra Jung, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin
Iris Denkler, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Nicola Hanecke, Elsa-Brändström-Gymnasium, Oberhausen
Dr. Evelyn Junginger, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport für das
Land Brandenburg, Potsdam
65
Christiane Knaup
Christiane Knaup
Zusammenfassung
Das einführende Impulsreferat von Heidemarie Sarter befasste sich mit der
Integration der bilingualen Erziehung in den Fachunterricht an allgemeinbil-
denden Schulen und mit den Konsequenzen für die Lehrerausbildung und
Weiterbildung. In ihren Ausführungen forderte sie u.a. sprachvergleichende
Ausbildungselemente den Lehrenden und vermehrten Einsatz englischspra-
chiger Quellen im Unterricht. Bilinguale Erziehung erfordere einen natürlichen
Umgang mit der Sprache. Ziel solle sein, ein sprachlich-kulturelles Verhalten
bei den Kindern zu erreichen. Jedoch setze diese Unterrichtsmethode mehr-
sprachige Lehrkräfte voraus.
In der Diskussion um die Vermittlung von Mehrsprachigkeit betonte Heide-
marie Sarter, dass bei der zukünftigen Lehrerfortbildung nicht mehr nur das
Fachwissen im Mittelpunkt stehen dürfe. Stattdessen würden die Ler-
nerbiographien eine größere Bedeutung erhalten. Lehrende selbst sollen über
das eigene Lernen reflektieren.
Ein weiterer Aspekt sei, das Kennen lernen der Kulturen und dies setze ver-
bindlich einen Auslandsaufenthalt voraus.
Petra Jung beschrieb die Aktivitäten, die im Europäischen Jahr der Sprachen
2001 angeboten werden. Als Ziel wurde die Förderung der Mehrsprachigkeit
genannt. Das Bundesministerium habe dazu ein Handlungskonzept für das
Sprachenlernen entwickelt, um Wert und Nutzung des Fremdsprachenerwerbs
für die persönliche und berufliche und soziale Entwicklung zu unterstreichen.
Sie stellte drei Modelle vor, die dieses Handlungskonzept unterstützen: Das
erste Modell, das Nachbarschaftskonzept, betont den Spracherwerb um mit
den angrenzenden Ländern kommunizieren zu können, das zweite Modell hat
das Ziel, andere Kulturen näher zu bringen, und das dritte Modell bezieht sich
auf den integrierenden, fachbezogenen Fremdsprachenunterricht.
66
Von besonderer Wichtigkeit sei die Kontinuität im Lernprozess. Brüche beim
Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen müssten vermie-
den werden. Bei der Lehrerfortbildung müsse daher besonderer Wert auf
Kenntnisse über die Prozesse des Fremdsprachenerwerbs gelegt werden.
Petra Jung forderte auch eine stärkere fachsprachliche Forschung im Bereich
der Methodik und Didaktik.
Als Vertreterinnen der Gymnasien stellten die Lehrerin Iris Denkler und die
Schülerin Nicola Hanecke die zahlreichen Sprachprogramme an ihrer Schule
vor. Zunächst berichteten sie von einem aktuellen Projekt, dem „Sprachen-
tag“. In dieser Form des Fremdsprachenunterrichts werde die Sprache von
Schülern an Schüler vermittelt. Dabei handelt es sich entweder um Mutter-
sprachler/innen oder deutsche Schüler/innen, die einen längeren Auslands-
aufenthalt absolviert haben. Auf diese Weise werde der Zugang zu anderen
Sprachräumen intensiver und direkter vermittelt.
Besonderen Wert legt die Schule auf die Selbstevaluation der Lernenden. Iris
Denkler schilderte, wie Selbsteinschätzung von Leistungen anhand des
Europäischen Portfolios der Sprachen ermöglicht wird. Die Rubrik „Sprachen-
biographie“ und der kontinuierlich geführte Sprach-Pass seien u. a. geeignete
Instrumente, um den Lernenden einen Überblick über die eigene Sprachent-
wicklung zu geben.
67
Christiane Knaup
und der eigenen Bewertung zu groß sei. Aus ihrer Erfahrung berichtete Iris
Denker, dass die Schüler/innen sich eher unterschätzten als dass sie sich zu
gut einstuften.
Christiane Knaup
Universität Paderborn
Warburger Straße 100
33098 Paderborn
Tel. (05251) 603048
Fax (05251) 603539
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68
Podiumsdiskussion
Moderation: Prof. Dr. Peter Freese
Meine Damen und Herren, die zweite Podiumsdiskussion des heutigen Tages
ist dem Thema „Fremdsprache als Kommunikationsmittel“ gewidmet, und
nachdem es in unserer ersten Runde um den Frühbeginn ging, wollen wir uns
jetzt mit jenen Aspekten befassen, die über den traditionellen Fremdsprachen-
unterricht hinausgehen und sich auf die Verwendung einer Fremdsprache
nicht als Ziel, sondern als Mittel, also etwa als Kommunikationsmedium im
Sachfachunterricht beziehen. Frau Petra Maria Jung vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung wird vor dem Hintergrund der Überlegungen, die
durch das Europäische Jahr der Sprachen ausgelöst wurden, ein paar einlei-
tende Thesen zu unserem Thema vorstellen; Frau Iris Denkler vom Elsa
Brandstöm-Gymnasium Oberhausen wird dann aus der praktischen Arbeit an
ihrer in diesem Feld vorbildlichen Schule berichten; und Frau Dr. Evelyn
Junginger vom Referat für Lehrerausbildung im Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport des Landes Brandenburg wird sich abschließend mit der
Frage befassen, welche Konsequenzen sich aus den neuen Zielen und An-
sprüchen für die Ausbildung der Lehrer(innen) ergeben.
69
Petra Maria Jung
„Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?“
3 Modelle:
1. Fremdsprachenunterricht (+ das Erlernen der Sprache des Nachbarn)
2. Begegnung mit Sprachen (Sensibilisierung für Sprache(n) als mensch-
liches Kommunikationsmittel und das Kennenlernen anderer Kulturen;
Einbindung in den gesamten Unterricht) und
3. Integrative Fremdsprachenarbeit (Einbezug von Fremdsprachen in anderer
Unterrichtsfächer, Verbindung von Sprache und inhaltlicher Arbeit in den
einzelnen Fächern)
Lernziele
Mündlichkeit und Schriftlichkeit in anderen Sprachen
Fremdsprachliche Kommunikationsfähigkeit
Interkulturelle Verständigung
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Hintergrundthesen:
• Alle modernen Sprachen und alle Sachfächer sind im Prinzip für den bilin-
gualen Unterricht geeignet; die Frage ist allerdings, ob dieses Prinzip auch
für alle Lerngruppen zutrifft (Spaltung in gute und schlechte Schüler und
Schülerinnen, Spaltung in überwiegend deutschsprachige Kinder und Kin-
der mit anderen Herkunftssprachen; Sprachenlernen als Bildung für alle?).
• Es stellt sich für jede Schule die Frage nach dem Schulprofil und der
Sprachenfolge (Welche Schule fängt mit welcher Sprache an, gibt es eine
Sprache, die sich kontinuierlich durch alle Fächer durchzieht (d.h. dann
z.B. auch Französischunterricht in englischer Sprache).
71
Pe t ra M a r i a J u n g
72
Iris Denkler
Unstrittig ist die schulische Verwendung einer anderen Sprache als Deutsch
im sonstigen Fachunterricht die wirksamste Methode, Sprachkenntnisse nicht
nur zu vertiefen und zu erweitern, sondern diesen auch eine andere Qualität
zu geben (CALP – Cognitive academic language proficiency) als Werkzeug für
Beruf und Studium (überfachliche Kompetenzen / Lernprozesse der Lebens-
und Arbeitswelt).
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Iris Denkler
Iris Denkler
Elsa-Brändström-Gymnasium
Christian-Steger-Str. 11 · 46045 Oberhausen
Tel. (0208) 857890 · Fax (0208) 5402170
[email protected]
74
Evelyn Junginger
Fremdsprachenfrühbeginn
ab Jahrgangsstufe 3
Da
a) eine entsprechende Anzahl von Fachlehrkräften insbesondere unter Be-
rücksichtigung der landesspezifischen Einstellungs- und Beschäftigungs-
bedingungen (befristet, Teilzeit, Osttarif ) und der hohen Einstellungs-
zahlen in den alten Bundesländern inkl. Berlins auch nicht annäherungs-
weise auf dem Lehrerarbeitsmarkt rekrutiert werden könnte und
b) eine entspannte Situation auf dem Lehrerarbeitsmarkt unterstellt – eine
entsprechend hohe Zahl von Neueinstellungen mit den beschäftigungspo-
litischen Rahmenbedingungen (>Beschäftigungssicherungsvereinba-
rungen) kaum in Übereinstimmung zu bringen wäre,
konzentriert sich das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg derzeit auf die Weiterbildung von Grundschullehrkräften.
75
Eve l y n J u n g i n g e r
Mit den bisher organisierten Maßnahmen werden zu Beginn bzw. im Laufe des
Schuljahres 2003/04 rund 300 qualifizierte Fachlehrkräfte zur Verfügung ste-
hen.
76
Fortbildungsmaßnahmen werden gegenwärtig noch nicht durchgeführt, ins-
besondere weil
a) die curriculare Ausgestaltung des Englischunterrichts ab Jahrgangsstufe 3
noch nicht abgeschlossen ist, so dass noch kein hinreichendes Referenz-
system für die inhaltliche Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen bereit-
steht;
b) wegen der Einführung ab 2003/04 jetzt beginnende Maßnahmen Vorrats-
fortbildungen wären und die erworbenen Kenntnisse ohne Praxisbezug
wären;
c) nicht zuletzt bei begrenzten Ressourcen für die Fort- und Weiterbildung
eine Prioritätensetzung erforderlich war.
Unstreitig ist, dass im Zuge der Einführung des früh beginnenden Fremdspra-
chenunterrichts Fortbildungsmaßnahmen sowohl für die neu qualifizierten
Englischlehrkräfte als auch für die schon vorhandenen Fachlehrkräfte erfor-
derlich wird, weil der frühbeginnende Fremdsprachenunterricht Auswir-
kungen auf die Unterrichtsgestaltung auch in den nachfolgenden Klassen hat.
77
Angelika Hüfner
Fremdsprachenerwerb –
Wie früh und wie anders?
Ich werde nicht den Versuch unternehmen, eine Zusammenfassung des heuti-
gen Tages vorzutragen. Dazu waren die Beiträge zu vielfältig, die Anregungen
zu komplex. Ich werde den Versuch unternehmen, die heute gewonnenen
Erkenntnisse bildungspolitisch zu wenden.
Frühes Fremdsprachenlernen geht wie eine Welle über unser Land. Manchmal
kann man den Eindruck gewinnen, dass im löblichen Wettstreit der Länder das
gut Gemeinte statt des Guten siegt. Gehen uns die Maßstäbe verloren? Klasse 5,
Klasse 3, Klasse 1, Vorschule, Kindergarten – kommt als nächstes der Kinder-
wagen?
Trifft die Gleichung „Je früher – je besser!“ das pädagogisch Gewollte? Oder:
Was muss es, wie heute mehrfach genannt, nicht doch „Je früher – je anders!“
heißen?
Es gibt viele gute Gründe für den Fremdsprachenerwerb an sich, für den frühen
Fremdsprachenerwerb und insbesondere auch für eine Vielfalt des Sprachen-
erwerbs:
78
• Vielleicht bedeutet die Verständigung in anderen Sprachen aber auch nur
eine kleine Insel der Vertrautheit in der Angst machenden Vielfalt der Kul-
turen. Sprachen lernen heißt auch Ängste nehmen. Das sollten wir nicht
vergessen.
Die Schule und die Bildungspolitik der Länder stehen unter einem ungeheu-
ren Druck: Kein bildungspolitischer Aufsatz kommt ohne das Wort „Reform-
stau“ aus, keine Rede ohne den Hinweis auf die drohende Nachrangigkeit des
bundesdeutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich.
Dieser Druck hat einen Namen. Er heißt „Zukunftsfähigkeit“. Und er wird von
verängstigten Eltern ausgeübt aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit ihrer
Kinder, von verärgerten Unternehmen aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit des
Standortes Deutschland, von Bildungspolitikern aus Sorge um die Zukunfts-
fähigkeit ihres Ressorts. Und der Sprachenerwerb spielt in diesem Konzert
eine bedeutende Rolle.
So laufen wir denn alle mit in diesem Wettbewerb der Schnellsten und Frühes-
tens in der Hoffnung, auch die Besten zu sein. Wir in Berlin natürlich auch. Wir
haben nach der Erprobungsphase mit einer Begegnungssprache das Erlernen
der ersten Fremdsprache mit Beginn dieses Schuljahres auf die Klasse 3 aller
Grundschulen vorgezogen. Wir haben das frühe Fremdsprachenlernen ab der
ersten Klasse an einigen Standorten in der Erprobung. Wir bauen unser tradi-
tionelles bilinguales Angebot in Grund- und Oberschulen kontinuierlich aus,
haben hervorragende bilinguale Europaschulen von der Vorklasse bis zum
Doppelabitur und selbstverständlich den ein oder anderen bilingualen
Kindergarten.
Das ist toll! In jedem Gespräch mit der Kindergärtnerin, der Grundschul- oder
Fremdsprachenlehrerin wird die Begeisterung deutlich, die der spielerische
Lernansatz bei den Kleinen auslöst, der Kompetenzzuwachs bei den Großen
und die Selbstverständlichkeit, mit der sich unsere Kinder und Jugendlichen in
der fremden Sprache bewegen, sei es im Internet oder in der realen Erfahrung
des Schüleraustauschs mit Frankreich, Spanien, Lateinamerika oder den USA.
79
Angelika Hüfner
Und genau das haben wir gewollt: den polyglotten Deutschen, der sein
Spießerimage ablegt, sich fremde Welten erschließt und offen ist für die Ver-
ständigung mit jedermann.
Leider haben wir die hohe Qualität des frühen und des vielfältigen Fremd-
sprachenerwerbs erst mit dem zusammenwachsenden Europa entdeckt und
den neuen Nachbarn an unseren Grenzen – nicht mit der Vielfalt der mit uns
lebenden und mit unseren Kindern lernenden Migranten.
Wir haben immer noch Sprachen erster und zweiter Klasse; Sprachen, dessen
Erwerb einen Prestigegewinn für den Sprecher bedeuten und Sprachen, um
die man sich besser gar nicht kümmert, auch wenn sich hinter den fremden
Worten eine Kultur von vielen tausend Jahren verbirgt. Mit der Missachtung
der Sprache ist häufig eine Missachtung der Kultur verbunden. Wir müssen
auch die Herkunftssprachen der Migranten in zukunftsorientierte Sprachkon-
zepte für alle einbinden.
Wir haben es auch mit Lehrern zu tun, deren Ausbildung dem polyglotten An-
spruch weltgewandter Schülerinnen und Schüler nicht mehr standhalten
kann. Hier fehlt es an notwendiger Professionalität, sowohl was den aktiven
Sprachgebrauch angeht als auch Fragen altersangemessener Methodik und
Didaktik.
80
Was bleibt zu tun?
Wir sollten nicht Abstand nehmen vom frühen Fremdsprachenerwerb. Das ist
heute durch die Vielfalt der Anregungen und dem Drängen nach Veränderungen
sehr deutlich geworden. Es wäre auch schade um all die Kinder und Jugend-
lichen, die sich ohne große Mühe neue Sprach-Welten erschließen können.
Wir müssen aber neue Formen der Aus- und Weiterbildung für Sprachenlehrer
entwickeln, die den Aspekt des Kommunikativen in das Zentrum eines moder-
nen Sprachenlernens stellen, nicht nur im Unterricht, sondern auch bei der lei-
digen Frage der Bewertung und Benotung.
Wenn es uns gelingt, das „Je früher desto anders“ in die Wirklichkeit der
Schulen zu übertragen und uns von der traditionellen Systematik des Spra-
chenlernens zu trennen zu Gunsten der Dialogfähigkeit in unterschiedlichen
Sprachsegmenten, müssten wir es eigentlich schaffen können, die Vielfalt des
Spracherwerbs zu einem tatsächlichen Gewinn für alle und nicht zu einer
zusätzlichen Qual im alltäglichen Lernbetrieb von Schule werden zu lassen.
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Liste der Teilnehmerinnen & Teilnehmer
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Prof. Dr. Gerlinde Mehlhorn Dr. Joachim Utech
BIP-Kreativitätszentrum ADD-Schulaufsicht
Sonnenweg 12 Friedrich-Ebert-Straße 14
04288 Leipzig 67433 Neustadt/Weinstr.
Hannelore Schink
Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg,
Steinstr. 104-106
14480 Potsdam
Bettina Schultz
Thüringer Kultusministerium
Werner-Seelenbinder-Straße 1
99096 Erfurt
Elisabeth Timmer
Verein kath. deutscher Lehrerinnen
Leuchtenburgstr. 29
14165 Berlin,
83
Forum Bildung
Bund und Länder haben 1999 das Forum Bildung eingesetzt, um Qualität und
Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems sicherzustellen. Unter
dem gemeinsamen Vorsitz von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn
und Bayerns Wissenschaftsminister Hans Zehetmair arbeiten im Forum Bild-
ung Bildungs- und Wissenschaftsministerinnen und -minister des Bundes und
der Länder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner, Wissen-
schaft, Kirchen, Auszubildenden und Studierenden zusammen.
Ausgangspunkt für die Einrichtung des Forum Bildung ist die Erkenntnis, dass
Bildung die Schlüsselrolle in der Gesellschaft von morgen haben wird. Bildung
steht vor der doppelten Herausforderung, Wissen und Kompetenzen zu ver-
mitteln, die in Zukunft über Lebenschancen des Einzelnen und über gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt entscheiden, und gleichzeitig
soziale Ausgrenzung angesichts ständig steigender und neuer Qualifikati-
onsanforderungen zu verhindern und bestehende Ausgrenzung zurückzu-
drängen.
84
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