Zbook 3411729112 A69c7
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Abitur
Ausführliche Lösungen
Geeignet für Grund- und Leistungskurs
Prüfungstraining
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ISBN 978-3-411-72911-1
Prüfungstraining
Deutsch
Abitur
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ISBN 978-3-411-72911-1
Inhaltsverzeichnis
Trainingsklausuren
121–134 Klausur 1 – 121
Klausur 2 – 122
Klausur 3 – 125
Klausur 4 – 126
Klausur 5 – 128
Klausur 6 – 129
Klausur 7 – 132
Lösungen
135–170 Lösungen Wissen und Üben – 135
Lösungen Trainingsklausuren – 160
Anhang
Literaturgeschichte im Überblick – 172
Übersicht der behandelten Texte – 180
Register – 182
Prüfungstraining online
Viel Erfolg!
Wissen und Üben Die Erörterung
8
Die Erörterung
Die Erörterung ist eine schriftliche Form der Argumentation und ver-
langt eine begründete Stellungnahme zu einem Sachverhalt. Dabei
geht es um eine gründliche und überzeugende Auseinandersetzung
mit einem Thema, indem Argumente (Begründungen) vorgebracht und
mit einem Beispiel veranschaulicht werden. Argumente und Gegen-
argumente werden gegeneinander abgewogen, um Stellung zu bezie-
hen oder etwas zu beurteilen. Es kommt darauf an, die eigene Position
zu verdeutlichen, indem Begründungen durch Beispiele belegt werden.
8.1
Regeln zum Erstellen einer Erörterung
Es gibt verschiedene Formen der Erörterung. Man unterscheidet die
textgebundene bzw. literarische Erörterung und die freie Erörterung.
Das methodische Vorgehen ist bei allen Formen gleich.
3. Schritt: Stoffsammlung
■ Sammeln von Fakten, Argumenten und Gegenargumenten, Zitaten und
Beispielen mittels relevanter Fragen
■ Es empfiehlt sich, diese in fortlaufender Nummerierung untereinander zu
schreiben und nach sachlicher Entsprechung zusammenzufassen.
4. Schritt: Gliederung
■ Ausarbeitung mit Einleitung, Hauptteil und Schluss
109
Wissen und Üben Kapitel 8
Aufgabe 1
Welche Bedeutung hat das Buch in der Multimediagesellschaft?
Erstellen Sie eine Stoffsammlung.
Einleitung
■ Hinführung zum Thema, z. B. durch Verweis auf die Bedeutung und
Aktualität der Themenstellung
■ Motivieren des Lesers
■ evtl. das Spektrum möglicher Positionen andeuten
Hauptteil
■ Vorstellen von These und Argumenten
■ deduktives Argumentieren: vom Allgemeinen zum Besonderen
■ induktives Argumentieren: vom Besonderen zum Allgemeinen
Schluss
■ Möglich sind eine Zusammenfassung, der Rückgriff auf den Einleitungs-
gedanken, das Eröffnen weiterer Perspektiven oder persönliche Aussagen.
Aufgabe 2
Formulieren Sie auf der Grundlage Ihrer Ergebnisse aus Aufgabe 1 eine
Einleitung zu der Frage „Welche Bedeutung hat das Buch in der Multi-
mediagesellschaft?“.
Bei einer Erörterung ist im Hauptteil auf die Anordnung der Argumente
zu achten. Die Reihenfolge der Argumente kann darüber entscheiden,
welchen Eindruck Ihre Argumentation beim Leser hinterlässt.
Tipp
110
Wissen und Üben Die Erörterung
Steht das wichtigste Argument am Anfang, ist der Leser davon oftmals
so überzeugt, dass er die folgenden Argumente höher einschätzt als ihr
tatsächlicher Wert. Wenn Sie mit dem schwachen Argument beginnen,
wird der Leser kritisch und kritisiert unter Umständen auch das gute
Argument.
Tipp
■ Vermeiden Sie eine zu abstrakte Einleitung, die den Leser weder motiviert
noch zum Thema hinführt.
■ Vermeiden Sie Gedankensprünge, Widersprüche, Abschweifungen.
■ Achten Sie auf den Aufbau der Argumente.
■ Vermeiden Sie wenig stichhaltige Begründungen, die möglichen Ein-
wänden nicht standhalten können, sowie Gemeinplätze.
■ Verwenden Sie konkretisierende Beispiele.
■ Achten Sie auf eine angemessene sprachliche Darstellung.
8.2
Die textgebundene und die literarische Erörterung
Eine Erörterung kann sich auf einen Text beziehen, in dem ein Problem
behandelt oder eine strittige Frage diskutiert wird. Als Textgrundlage
dienen fiktionale oder nicht fiktionale Texte.
Typische Aufgabenstellungen
■ Untersuchen Sie den Text im Hinblick auf … und erörtern Sie die Pro-
blematik …
■ Setzen Sie sich kritisch mit der Position des Autors auseinander.
■ Erläutern Sie die im Text vorkommenden Begriffe … aus der Sicht des
Verfassers und erörtern Sie anschließend …
■ Erörtern Sie die Aussagen … und nehmen Sie Stellung zu den aufge-
zeigten Problemen.
111
Wissen und Üben Kapitel 8
Haben Sie die Absicht des Verfassers und seine Argumentation heraus-
gearbeitet und Ihre eigene Position gefunden, gliedern Sie Ihre Erörte-
rung folgendermaßen:
Einleitung
■ Benennen von Autor, Titel und Thema
■ Benennen des im Text behandelten Problems
Hauptteil
■ Wiedergabe der zentralen Thesen / Forderungen des Verfassers
■ Erläuterung der Argumentation bzw. des Gedankengangs im Text
■ kritische Auseinandersetzung mit der Argumentation des Verfassers
Schluss
■ Abwägen und eigene Stellungnahme zum Text und zur darin behandelten
Problematik
■ evtl. Ausblick, Appell, weiterführende Gedanken
112
Wissen und Üben Die Erörterung
Aufgabe 3
Zeitungsartikel „Wunschziel USA“
Erörtern Sie die Vor- und Nachteile einer Reise ins Ausland, die in dem
Zeitungsartikel erwähnt werden. Erstellen Sie zuvor eine Gliederung,
die den Aufbau Ihrer Erörterung verdeutlicht.
1 Was der „gehobenen“ Jugend früherer Zeiten die Bil- dungsurlaub“ finanziell nicht leisten können, helfen
dungsreise nach Italien war, ist den jungen Deutschen einige Sprachreiseunternehmen mit Stipendien oder
von heute das Highschool-Jahr in den USA. Die Nach- zumindest günstigen Darlehen. Branchenführer Easy 35
frage steigt so stark, dass es schon schwierig wird, in Ferienschule, Heidelberg, hat dafür die gemeinnützige
5 Amerika genügend geeignete Gastfamilien und Schul- „Easy Foundation“ gegründet, die in den USA als Stif-
freiplätze zu finden. Als Alternative sind auch Austra- tung anerkannt ist.
lien, Neuseeland, Südafrika und Frankreich bei den Eine bundeseinheitliche Regelung für die Anrechnung
Sprachreisespezialisten gut gebucht. der Zeit an einer amerikanischen Highschool besteht 40
30 000 junge Deutsche planen nach Schätzungen des nicht. Wer nach seiner Rückkehr mit dem US-Zeugnis in
10 Spezialveranstalters Dr. Falk Sprachen & Reisen (DFSR), der Hand eine Klasse überspringen will, sollte das un-
Mannheim, in diesem Jahr einen einjährigen Schulbe- bedingt vorab mit der Schulleitung klären. Das gilt für
such in den USA. Dabei ist weder Abenteuerlust noch alle langfristigen Schulaufenthalte im Ausland.
Frust als Auslöser maßgebend. „Unsere Schülerinnen Selbstverständlich ist eine solche Umstellung auf 45
und Schüler erkennen in einem Austauschjahr die ein- fremde Menschen, Gebräuche und Lebensformen keine
15 malige Möglichkeit einer zusätzlichen Ausbildung“, ganz einfache Übung für Jugendliche. „Für manchen
weiß DFSR-Geschäftsführerin Annika Schuster. Schüler endet dieses von der Idee der Völkerverständi-
98 % der Jugendlichen lassen sich diese intensive gung her gute Programm mit einem Fiasko“, warnt
Einführung in den „American way of life“ nicht entge- Christian Scholz vom Stuttgarter Verbraucherschutz in 50
hen. Der komplette Workshop, Flug, Familienaufenthalt, Bildungsfragen ABI (Aktion Bildungsinformation).
20 Schulbesuch sowie umfassende Kranken- und Unfall- „Betroffen sind insbesondere Schüler, die hier man-
versicherung sind im Preis von 11 860 Euro für zehn gelhaft vorbereitet und nicht genügend auf ihre Eig-
Monate enthalten. nung für dieses Programm überprüft wurden“, erklärt
Wie die meisten deutschen Sprachreiseunternehmen der ABI-Vorstand. 55
bietet auch DFSR Schulaufenthalte wahlweise für fünf Das ABI rät eindringlich, das „Kleingedruckte“ zu be-
25 oder zehn Monate, und zwar in den USA, Kanada, Frank- achten, insbesondere „meist in schwierigem Englisch
reich, Australien, Neuseeland und Japan. Das gilt auch abgefasste Einverständnis- und Verzichtserklärungen,
für Prolingua Sprachreisen. Der Kölner Veranstalter die den Veranstalter zum Abbruch des Programms be-
verzeichnet einen regelrechten Boom für diese USA- rechtigen“, nicht zu unterschreiben. Oft bedeute die 60
Programme (Halbjahresaufenthalte / fünf Monate ab vorzeitige Rückkehr nämlich nicht nur „Schmach für den
30 6765 Euro; Ganzjahresaufenthalte / zehn Monate ab Schüler“, so Scholz, „sondern auch einen finanziellen
9340 Euro, ohne Flug). Verlust für die Eltern“: Ein Rückerstattungsanspruch
Bei begabten Schülern, die sich einen solchen „Bil- kann oftmals nur gerichtlich durchgesetzt werden.
113
Trainingsklausuren Klausur 3
Klausur 3
Heinrich Böll: „Mein teures Bein“ (1950)
1. Bestimmen Sie die Textsorte und geben Sie den inhaltlichen Aufbau
10 Punkte des Textes wieder.
2. Untersuchen Sie das Gesprächsverhalten der beiden Figuren und den
12 Punkte Einsatz der sprachlichen und erzähltechnischen Mittel.
3. Deuten Sie die Geschichte und beurteilen Sie ihren Aussagewert für
10 Punkte die heutige Zeit.
32 Punkte
1 Sie haben mir jetzt eine Chance gegeben. Sie haben mir Entschuldigen Sie, aber Sie sind verrückt.“
eine Karte geschrieben, ich soll zum Amt kommen, und „Mein Herr“, sagte ich, lehnte mich nun gleichfalls zu-
ich bin zum Amt gegangen. Auf dem Amt waren sie sehr rück und schöpfte eine Menge Atem, „ich denke, daß Sie
nett. Sie nahmen meine Karteikarte und sagten: „Hm.“ mein Bein stark unterschätzen. Mein Bein ist viel teurer, 45
5 Ich sagte auch: „Hm.“ es ist ein sehr teures Bein. Ich bin nämlich gar nicht nur
„Welches Bein?“ fragte der Beamte. von Herzen, sondern leider auch im Kopf vollkommen
„Rechts.“ gesund. Passen Sie mal auf.“
„Ganz?“ „Meine Zeit ist sehr kurz.“
„Ganz.“ „Passen Sie auf!“ sagte ich. „Mein Bein hat nämlich 50
10 „Hm“, machte er wieder. Dann durchsuchte er ver- einer Menge von Leuten das Leben gerettet, die heute
schiedene Zettel. Ich durfte mich setzen. eine nette Rente beziehen.
Endlich fand der Mann einen Zettel, der ihm der rich- Die Sache war damals so: Ich lag ganz allein irgendwo
tige zu sein schien. Er sagte: „Ich denke, hier ist etwas für vorne und sollte aufpassen, wann sie kämen, damit die
Sie. Eine nette Sache. Sie können dabei sitzen. Schuhput- anderen zur richtigen Zeit stiftengehen konnten. Die 55
15 zer in einer Bedürfnisanstalt auf dem Platz der Republik. Stäbe hinten waren am Packen und wollten nicht zu früh,
Wie wäre das?“ aber auch nicht zu spät stiftengehen. Erst waren wir
„Ich kann nicht Schuhe putzen; ich bin immer schon zwei, aber den haben sie totgeschossen, der kostet nichts
aufgefallen wegen schlechten Schuheputzens.“ mehr. Er war zwar verheiratet, aber seine Frau ist gesund
„Das können Sie lernen“, sagte er. „Man kann alles ler- und kann arbeiten. Sie brauchen keine Angst zu haben. 60
20 nen. Ein Deutscher kann alles. Sie können, wenn Sie wol- Der war also furchtbar billig. Er war erst vier Wochen
len, einen kostenlosen Kursus mitmachen.“ Soldat und hat nichts gekostet als eine Postkarte und ein
„Hm“, machte ich. bißchen Kommißbrot. Das war einmal ein braver Soldat,
„Also gut?“ der hat sich wenigstens richtig totschießen lassen. Nun
„Nein“, sagte ich, „ich will nicht. Ich will eine höhere lag ich aber da allein und hatte Angst, und es war kalt, 65
25 Rente haben.“ und ich wollte auch stiftengehen, ja, ich wollte gerade
„Sie sind verrückt“, erwiderte er sehr freundlich und stiftengehen, da …“
milde. „Meine Zeit ist sehr kurz“, sagte der Mann und fing an,
„Ich bin nicht verrückt, kein Mensch kann mir mein nach seinem Bleistift zu suchen.
Bein ersetzen, ich darf nicht einmal mehr Zigaretten ver- „Nein, hören Sie zu“, sagte ich, „jetzt wird es erst inter- 70
30 kaufen, sie machen jetzt schon Schwierigkeiten.“ essant. Gerade als ich stiftengehen wollte, kam die Sache
Der Mann lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und mit dem Bein. Und weil ich ja doch liegen bleiben mußte,
schöpfte eine Menge Atem. „Mein lieber Freund“, legte dachte ich, jetzt kannst du’s auch durchgeben, und ich
er los, „Ihr Bein ist ein verflucht teures Bein. Ich sehe, dass hab’s durchgegeben, und sie hauten alle ab, schön der
Sie neunundzwanzig Jahre sind, von Herzen gesund, Reihe nach, erst die Division, dann das Regiment, dann 75
35 überhaupt vollkommen gesund, bis auf das Bein. Sie wer- das Bataillon, und so weiter, immer hübsch der Reihe
den siebzig Jahre alt. Rechnen Sie sich bitte aus, monat- nach. Eine dumme Geschichte, sie vergaßen nämlich,
lich siebzig Mark, zwölfmal im Jahr, also einundvierzig mich mitzunehmen, verstehen Sie! Sie hatten’s so eilig.
mal zwölf mal siebzig, rechnen Sie das bitte aus ohne die Wirklich eine dumme Geschichte, denn hätte ich das Bein
Zinsen, und denken Sie doch nicht, daß Ihr Bein das ein- nicht verloren, wären sie alle tot, der General, der Oberst, 80
40 zige Bein ist. Sie sind auch nicht der einzige, der wahr- der Major, immer schön der Reihe nach, und Sie brauchten
scheinlich lange leben wird. Und dann Rente erhöhen! ihnen keine Rente zu zahlen. Nun rechnen Sie mal aus,
125
Trainingsklausuren Klausur 4
was mein Bein kostet. Der General ist zweiundfünfzig, „Sie sind doch verrückt“, sagte der Mann.
der Oberst achtundvierzig und der Major fünfzig, alle „Nein“, erwiderte ich, „ich bin nicht verrückt. Leider bin
kerngesund, von Herzen und im Kopf, und sie werden bei ich von Herzen ebenso gesund wie im Kopf, und es ist
85 ihrer militärischen Lebensweise mindestens achtzig, wie schade, daß ich nicht auch zwei Minuten, bevor mir das
Hindenburg. Bitte rechnen Sie jetzt aus. Einhundertsech- mit dem Bein kam, totgeschossen wurde. Wir hätten viel 95
zig mal zwölf mal dreißig, sagen wir ruhig durchschnitt- Geld gespart.“
lich dreißig, nicht wahr? Mein Bein ist ein wahnsinnig „Nehmen Sie die Stelle an?“ fragte der Mann.
teures Bein geworden, eines der teuersten Beine, die ich „Nein“, sagte ich und ging.
90 mir denken kann, verstehen Sie?“
Klausur 4
Kasimir Edschmid: „Über den dichterischen Expressionismus“ (1957;
Auszug)
1. Geben Sie eine gegliederte Inhaltsangabe des Textes und erläutern
8 Punkte Sie die Textart genauer.
2. Analysieren Sie Edschmids Aussagen zum Expressionismus und bele-
14 Punkte gen Sie seine Aussagen mit Ihnen bekannten Werken dieser Epoche.
3. Welche sprachlichen und stilistischen Besonderheiten fallen auf?
8 Punkte Beurteilen Sie die Besonderheiten hinsichtlich Textart und Wirkung.
30 Punkte
1 Der Expressionismus hat vielerlei Ahnen, gemäß dem Sie sahen nicht.
Großen und Totalen, das seiner Idee zugrunde liegt in Sie schauten.
aller Welt, in aller Zeit. Sie photographierten nicht.
Was die Menschen heute an ihm sehen, ist fast nur das Sie hatten Gesichte.
5 Gesicht, das, was erregt, das, was epatiert. Man sieht Statt der Rakete schufen sie die dauernde Erregung. 35
nicht das Blut. Programme, leicht zu postulieren, nie aus- Statt dem Moment die Wirkung in die Zeit. Sie wiesen
zufüllen mit Kraft, verwirren das Hirn, als ob je eine Kunst nicht die glänzende Parade eines Zirkus. Sie wollten das
anders aufgefahren sei als aus der Notwendigkeit der Erlebnis, das anhält.
Zeugung. Mode, Geschäft, Sucht, Erfolg umkreisen das Vor allem gab es gegen das Atomische, Verstückte der
10 erst Verhöhnte. Impressionisten nun ein großes, umspannendes Weltge- 40
Als Propagatoren stehen die da, die in dumpfem Drang fühl.
des schaffenden Triebes zuerst Neues schufen. Als ich vor In ihm stand die Erde, das Dasein als eine große Vision.
drei Jahren, wenig bekümmert um künstlerische Dinge, Es gab Gefühle darin und Menschen. Sie sollten erfaßt
mein erstes Buch schrieb, las ich erstaunt, hier seien erst- werden im Kern und im Ursprünglichen.
15 mals expressionistische Novellen. Wort und Sinn waren Die große Musik eines Dichters sind seine Menschen. 45
mir damals neu und taub. Aber nur die Unproduktiven Sie werden ihm nur groß, wenn ihre Umgebung groß ist.
eilen mit Theorie der Sache voraus. Eintreten für sein Nicht das heroische Format, das führte nur zum Dekora-
Ding ist eine Kühnheit und eine Sache voll Anstand. Sich tiven, nein, groß in dem Sinne, daß ihr Dasein, ihr Erleben
für das Einzige erklären, Frage des bornierten Hirns. Eitel teil hat an dem großen Dasein des Himmels und des Bo-
20 ist dies ganze äußere Kämpfen um den Stil, um die Seele dens, daß ihr Herz, verschwistert allem Geschehen, 50
des Bürgers. Am Ende entscheidet lediglich die gerechte schlägt im gleichen Rhythmus wie die Welt.
und gut gerichtete Kraft. Dafür bedurfte es einer tatsächlich neuen Gestaltung
Es kamen die Künstler der neuen Bewegung. Sie gaben der künstlerischen Welt. Ein neues Weltbild mußte ge-
nicht mehr die leichte Erregung. Sie gaben nicht mehr schaffen werden, das nicht mehr teil hatte an jenem nur
25 die nackte Tatsache. Ihnen war der Moment, die Sekunde erfahrungsgemäß zu Erfassenden der Naturalisten, nicht 55
der impressionistischen Schöpfung nur ein taubes Korn mehr teil hatte an jenem zerstückelten Raum, den die
in der mahlenden Zeit. Sie waren nicht mehr unterwor- Impression gab, das vielmehr einfach sein mußte, eigent-
fen den Ideen, Nöten und persönlichen Tragödien bürger- lich, und darum schön.
lichen und kapitalistischen Denkens. Die Erde ist eine riesige Landschaft, die Gott uns gab.
30 Ihnen entfaltete das Gefühl sich maßlos. Es muß nach ihr so gesehen werden, daß sie unverbildet 60
126
Trainingsklausuren Klausur 4
zu uns kommt. Niemand zweifelt, daß das Echte nicht Schön- oder Häßlichseins. Es steigt darüber hinaus. Es 95
sein kann, was uns als äußere Realität erscheint. wird so lange gesucht in seinem eigentlichsten Wesen,
Die Realität muß von uns geschaffen werden. Der Sinn bis seine tiefere Form sich ergibt, bis das Haus aufsteht,
des Gegenstands muß erwühlt sein. Begnügt darf sich das befreit ist von dem dumpfen Zwang der falschen
65 nicht werden mit der geglaubten, gewähnten, notierten Wirklichkeit, das bis zum letzten Winkel gesondert ist
Tatsache, es muß das Bild der Welt rein und unverfälscht und gesiebt auf den Ausdruck, der auch auf Kosten seiner 100
gespiegelt werden. Das aber ist nur in uns selbst. Ähnlichkeit den letzten Charakter herausbringt, bis es
So wird der ganze Raum des expressionistischen Künst- schwebt oder einstürzt, sich reckt oder gefriert, bis
lers Vision. Er sieht nicht, er schaut. Er schildert nicht, er endlich alles erfüllt ist, das an Möglichkeiten in ihm
70 erlebt. Er gibt nicht wieder, er gestaltet. Er nimmt nicht, schläft.
er sucht. Nun gibt es nicht mehr die Kette der Tatsachen: Eine Hure ist nicht mehr ein Gegenstand, behängt und 105
Fabriken, Häuser, Krankheit, Huren, Geschrei und Hunger. bemalt mit den Dekorationen ihres Handwerks. Sie wird
Nun gibt es ihre Vision. ohne Parfüme, ohne Farben, ohne Tasche, ohne wiegende
Die Tatsachen haben Bedeutung nur so weit, als, durch Schenkel erscheinen. Aber ihr eigentliches Wesen muß
75 sie hindurchgreifend, die Hand des Künstlers nach dem aus ihr herauskommen, daß in der Einfachheit der Form
faßt, was hinter ihnen steht. doch alles gesprengt wird von den Lastern, der Liebe, der 110
Er sieht das Menschliche in den Huren, das Göttliche Gemeinheit und der Tragödie, die ihr Herz und ihr Hand-
in den Fabriken. Er wirkt die einzelne Erscheinung in das werk ausmachen. Denn die Wirklichkeit ihres mensch-
Große ein, das die Welt ausmacht. lichen Daseins ist ohne Belang. Ihr Hut, ihr Gang, ihre
80 Er gibt das tiefere Bild des Gegenstands, die Landschaft Lippe sind Surrogate. Ihr eigentliches Wesen ist damit
seiner Kunst ist die große paradiesische, die Gott ur- nicht erschöpft. Die Welt ist da. Es wäre sinnlos, sie zu 115
sprünglich schuf, die herrlicher ist, bunter und unend- wiederholen.
licher als jene, die unsere Blicke nur in empirischer Blind- Sie ist im letzten Zucken, im eigentlichsten Kern auf-
heit wahrzunehmen vermögen, die zu schildern kein Reiz zusuchen und neu zu schaffen, das ist die größte Auf-
85 wäre, in der das Tiefe, Eigentliche und im Geiste Wunder- gabe der Kunst.
bare zu suchen, aber sekündlich voll von neuen Reizen Jeder Mensch ist nicht mehr Individuum, gebunden an 120
und Offenbarungen wird. Pflicht, Moral, Gesellschaft, Familie.
Alles bekommt Beziehung zur Ewigkeit. Er wird in dieser Kunst nichts als das Erhebendste und
Der Kranke ist nicht nur der Krüppel, der leidet. Er wird Kläglichste: er wird Mensch.
90 die Krankheit selbst, das Leid der ganzen Kreatur scheint Hier liegt das Neue und Unerhörte gegen die Epochen
aus seinem Leib und bringt das Mitleid herab von dem vorher. 125
Schöpfer.
Ein Haus ist nicht mehr Gegenstand, nicht mehr nur epatiert: verblüfft, erstaunt
Stein, nur Anblick, nur ein Viereck mit Attributen des
127
Lösungen Klausur 4
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Lösungen Klausur 4
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