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Liebe in Zeiten Des Hasses Chronik Eines Gefuhls 1929-1939

In 'Liebe in Zeiten des Hasses' von Florian Illies wird die Liebesgeschichte zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sowie das Leben von Künstlern wie Mascha Kaléko und Gottfried Benn in den Jahren 1929 bis 1939 beleuchtet. Das Buch thematisiert die Herausforderungen und Emotionen der Protagonisten in einer Zeit, in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schwindet und die Gegenwart von Verzweiflung geprägt ist. Illies verwebt historische Ereignisse mit persönlichen Schicksalen und zeigt, wie Liebe und Kunst inmitten von Hass und politischer Unruhe gedeihen können.

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Liebe in Zeiten Des Hasses Chronik Eines Gefuhls 1929-1939

In 'Liebe in Zeiten des Hasses' von Florian Illies wird die Liebesgeschichte zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sowie das Leben von Künstlern wie Mascha Kaléko und Gottfried Benn in den Jahren 1929 bis 1939 beleuchtet. Das Buch thematisiert die Herausforderungen und Emotionen der Protagonisten in einer Zeit, in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schwindet und die Gegenwart von Verzweiflung geprägt ist. Illies verwebt historische Ereignisse mit persönlichen Schicksalen und zeigt, wie Liebe und Kunst inmitten von Hass und politischer Unruhe gedeihen können.

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Florian Illies

Liebe in Zeiten des Hasses


Chronik eines Gefühls 1929–1939

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Inhalt

Davor
Davor, Fortsetzung
1933
Danach
Bibliographie
Allgemeine Literatur zum Zeitraum 1929–1939
Literaturauswahl zu den Hauptfiguren des Buches
Dank
Personenregister

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Davor

Als der junge Jean-Paul Sartre im Frühling 1929 in der École Normale in
Paris erstmals Simone de Beauvoir in die Augen blickt, da verliert er das
einzige Mal in seinem Leben den Verstand. Nachdem er es ein paar
Wochen später, Anfang Juni, endlich geschafft hat, sich mit ihr allein zu
verabreden, erscheint sie einfach nicht. Sartre sitzt in einer Teestube in
der Rue de Médicis und wartet vergeblich. Es ist wonnig warm in Paris
an diesem Tag, weiße Wolken balgen sich oben am tiefblauen Himmel, er
hat extra keine Krawatte umgebunden, denn er will mit ihr nach dem Tee
in den nahen Jardin du Luxembourg gehen und kleine Boote fahren
lassen, er hat gelesen, dass man das so macht. Als er seinen Tee schon
halb ausgetrunken, fünfzehnmal auf die Uhr geguckt und seine Pfeife
langwierig gestopft und angezündet hat, kommt eine junge blonde Frau
auf ihn zugestürmt. Sie sei die Schwester von Simone, sagt sie, Hélène de
Beauvoir, ihre Schwester könne heute leider nicht kommen, sie bedaure.
Da fragt Sartre: Aber wie haben Sie mich so schnell gefunden, inmitten
all dieser Menschen hier? »Simone«, erklärt sie, »hat mir gesagt, Sie
seien klein, trügen Brille und seien sehr hässlich.« So beginnt also eine
der seltsamsten Liebesgeschichten des zwanzigsten Jahrhunderts.

Am späten Nachmittag, wenn die Sonne in Berlin doch noch einmal


hervorlugt unter der Wolkendecke und ihre Strahlen flach hineinschießt
in die Auguststraße, dann blinzelt Mascha Kaléko und bleibt kurz stehen,
genießt die Wärme auf ihrer Haut.
Um Punkt sechzehn Uhr hat sie immer Feierabend, sie rennt die
Treppe runter vom Büro des »Arbeiterfürsorgeamtes der Jüdischen
Organisationen«, wo sie seit fünf Jahren arbeitet, und stößt die Tür auf.
Mascha Kaléko, geborene Engel, steht einfach nur da. Lässt sich
erwärmen, lässt die Gedanken kreisen, hört von fern das Quietschen der
Trambahnen, die Fuhrwerke der Bierkutscher auf den Straßen, die
Schreie der rennenden Kinder in den Hinterhöfen hier in dem jüdischen
Viertel rund um den Alexanderplatz und die der Zeitungsjungen, die
lauthals die Abendausgaben anpreisen. Doch dann schließt sie auch ihre
Ohren und genießt nur die weiche Wärme des Lichts. Die Sonne versinkt
hinter den hohen Gebäuden rund um die Friedrichstraße, ein paar letzte
Strahlen fangen sich auf der goldenen Kuppel der Synagoge in der
Oranienburgerstraße, schließlich kommt die Dämmerung. Die 22-jährige
Mascha Kaléko zieht es aber noch nicht nach Hause, sondern in die Cafés
des Westens, ins Romanische Café zumeist, dort sitzt sie und debattiert,
mit ihrer hellen Stimme, die so wunderbar berlinern kann. Kurt
Tucholsky, Joseph Roth, Ruth Landshoff, sie alle rücken ihre Stühle
näher heran, wenn Mascha Kaléko kommt, sie lieben ihren braunen
Wuschelkopf, ihr wissendes Lachen, ihren menschenfreundlichen Witz,
der ihre braunen Augen leuchten lässt. Oft kommt später auch ihr Mann
dazu ins Romanische Café, der stille Saul, Gelehrter durch und durch,
Nickelbrille, schütteres Haar, ein spindeldürrer promovierter Journalist
der Jüdischen Rundschau, Dozent für Hebräisch – und schwer verliebt.
Er sieht die Blicke der anderen Männer auf seine ungestüme junge Frau,
er sieht auch, wie seine wilde Mascha diese Blicke genießt, und dann
wird der stille Saul von Minute zu Minute noch ein bisschen stiller, und
er bestellt sich einen Tee, während die anderen mit der ersten Flasche
Wein beginnen. Irgendwann entschuldigt er sich höflich, setzt seinen Hut
auf, nimmt seine Aktentasche, empfiehlt sich und geht nach Hause. Als
Mascha irgendwann spätabends ankommt in ihrer gemeinsamen
Wohnung am Hohenzollernkorso in Tempelhof, schläft er schon. Sie
schaut ihn an, seine feierlichen Züge, die sich im Rhythmus des Atmens
sanft heben und senken. Sie geht an den Küchentisch, nimmt sich Papier
und Bleistift – und dann schreibt Mascha Kaléko ihm ein kleines
Liebesgedicht, das zu den berührendsten gehört, die je geschrieben
wurden: »Die anderen sind das weite Meer. Du aber bist der Hafen. So
glaube mir: kannst ruhig schlafen, ich steure immer wieder her.« Sie
schreibt noch dazu: »Für einen«, legt es ihm auf den Frühstücksteller und
kuschelt sich zu ihm ins Bett. Sie wird morgen früh wieder um sechs Uhr
lossegeln, um rechtzeitig im Büro zu sein am anderen Ende der großen
Stadt. Als Saul sie hinter sich spürt, im sicheren Heimathafen, da wacht
er kurz auf, seine Hand greift nach hinten und er streichelt Mascha,
erleichtert.

Niemand hofft 1929 noch auf die Zukunft. Und niemand will an die
Vergangenheit erinnert werden. Darum sind alle so hemmungslos der
Gegenwart verfallen.

»Wer würde schon riskieren, einen Mann aus Liebe zu heiraten? Ich
nicht.« Sagt Marlene Dietrich voller Überzeugung in jenem Frühjahr
1929 – und zwar auf der Bühne der Komödie am Kurfürstendamm in
George Bernard Shaws Stück Eltern und Kinder. Sie zieht dazu
genüsslich an ihrer Zigarette, lässt die Augenlider etwas hängen und
zeigt, was das ist: träge Eleganz.
Danach fährt sie nach Hause zu dem Mann, den sie nicht aus Liebe
geheiratet hat, zu Rudolf Sieber. Mit ihm führt sie täglich das Stück
Eltern und Kinder zu Hause auf. Sie nennt ihn »Papi«, er sie »Mutti«.
Ihre Tochter Maria ist fünf. Das Kindermädchen Tamara schläft
inzwischen im Ehebett neben Rudolf Sieber – und das erleichtert
Marlene Dietrich sehr. Endlich kein schlechtes Gewissen mehr, wenn sie
Nacht für Nacht um die Häuser zieht, durch die Bars und durch
unbekanntes weibliches und männliches Gelände. Nach ihren Auftritten
auf der Bühne oder nach den Dreharbeiten bei der UFA in Babelsberg
kommt sie oft erst spätabends nach Hause, macht eine kurze
Hafenrundfahrt, richtet im Entrée die Blumen in der Vase, küsst der
schlafenden Maria die Stirn, zieht sich um, trinkt ein Glas Wasser, legt
noch einen frischen Hauch Parfüm auf – und dann verlässt sie das Haus
auf hohen Schuhen mit dem ersten warmen Wind der Nacht.

Klaus Mann treibt haltlos durch die zwanziger Jahre. Er ist, obwohl erst
23 Jahre alt, also ganz am Anfang, oft schon ganz am Ende. Er will
geliebt werden. Doch sein Vater, der emotional hüftsteife Thomas Mann,
der ihm nicht verzeihen kann, dass er seine Homosexualität so munter
auslebt, während er selbst sie zeitlebens so kunstvoll unterdrücken muss,
lässt seinen Sohn am ausgestreckten Arm verhungern. Einmal, 1920, da
schrieb er noch, er sei »verliebt« in Klaus. Doch das lässt er diesen fortan
nicht mehr merken, verordnet ihm stattdessen ein Leben im Schatten. In
Unordnung und frühes Leid hat Thomas Mann seinen Sohn porträtiert,
als »Söhnchen und Windbeutel«. Furchtbar. Manchmal ist das Leben eine
reine Entziehungskur. Klaus schreibt danach einen Brief an den Vater,
klagt über seine »Verwundung« angesichts des Spotts, aber ihm fehlt der
Mut, den Brief abzusenden. Sein Vatermord geschieht nur literarisch: In
seiner Kindernovelle schildert er unverkennbar das Leben der Familie
Mann in Bad Tölz – all seine Geschwister kommen vor – nur der Vater,
der ist in seinem Buch leider bereits frühzeitig verschieden. Aber
literarischer Mord ist natürlich auch keine Lösung für vorenthaltene
Liebe. In seiner Autobiographie schreibt Klaus über Thomas Mann: »Mir
war natürlich am Beifall keines Menschen wie an seinem gelegen.« Doch
Thomas Mann klatscht nicht, er räuspert sich nur.

Pablo Picasso malt seine junge Geliebte Marie-Thérèse Walter einmal


liegend, einmal stehend und einmal sitzend. Und danach das Ganze noch
mal von vorn. Er hat ihr extra in der Rue de Liège 11 eine kleine
Wohnung gemietet, wo er sie heimlich malen und heimlich lieben kann.
Er küsst sie und eilt dann heim zu Frau und Kind. Noch merkt niemand
etwas. Erst seine Bilder werden ihn später verraten. Der Pinsel ist der
einzig verbliebene Zauberstab einer entzauberten Zeit.

Die zwanziger Jahre waren ein schreckliches Jahrzehnt für ihn. Alles war
zu laut in Berlin, zu schnell, zu vergnügungssüchtig für diesen Liebhaber
des Halbschattens. Er ist in die lieblosen Räume seiner Praxis in der
Belle-Alliance-Straße 12 gezogen, erster Stock rechts, sein »Altersheim«,
wie er es nennt. Da ist Gottfried Benn gerade einmal 43 Jahre alt. Hier
kümmert er sich von acht bis achtzehn Uhr um Haut- und
Geschlechtskrankheiten, aber kaum eine Patientin verirrt sich noch zu
ihm, »selten unterbricht die Klingel«, so schreibt er einer Geliebten,
»meine sehr erwünschte Dämmerung«.
Abends trinkt er ein Bier und isst ein Kasseler im Reichskanzler um
die Ecke und versucht manchmal, ein Gedicht zu schreiben. Aber so
richtig gelingt es ihm nicht mehr, die Strophen haben zwar immer acht
Zeilen, aber die Worte bleiben unerlöst, und kein Verlag will sie mehr
drucken. Er stellt sich nachts ans Schlafzimmerfenster, löscht das Licht
und hofft auf die Rückkehr der Inspiration. Er lauscht den schnulzigen
Melodien aus dem Musikcafé, das hinten im Hof Stühle hat, er hört Paare
von unten zu laut und zu grundlos lachen, weil sie unbedingt wollen, dass
dieser Abend nicht so trist endet wie der letzte. Benn versucht, Kaffee bis
zum Koffeinrausch zu trinken, schläft zwei, drei Tage nicht, nimmt
Kokain, alles nur, um wieder die Urkräfte der Poesie in sich zu wecken.
Doch sie bleiben versteckt. Seine Frau ist gestorben, seine Tochter hat er
zu einer kinderlosen Liebschaft nach Dänemark verfrachtet, seine riesige
Wohnung in der Passauer Straße musste er aufgeben, sein Bruder wurde
wegen Beteiligung an einem Fememord zum Tode verurteilt. Das waren
seine »Goldenen« Zwanziger. Affären hatte er immer wieder, meist mit
Schauspielerinnen oder Sängerinnen, gerne Witwen, aber seine
stocksteife Haltung, seine Veilchensträuße, seine militärische
Vornehmheit und seine fistelige Stimme waren nicht gerade das, was die
modernen Frauen im Romanischen Café oder in den Bars in Schöneberg
oder am Kurfürstendamm in Ohnmacht fallen ließ. Er machte
Verbeugungen beim Hineingehen und beim Hinausgehen, er konnte nicht
anders. Es waren immer eher Stürzende, Suchende, die sich von dem
Dichter im Arztkittel und seiner unerschütterlichen Melancholie ein klein
wenig Trost erhofften – in Form von körperlichen und chemischen
Betäubungsmitteln – und eigentlich also nur Verständnis suchten für die
schilfumstandenen Tümpel der eigenen Verlorenheit. Ja, er hat vor dem
Krieg für Furore gesorgt mit seinen expressionistischen Gedichten aus
der Pathologie und aus der »Krebsbaracke«, aber das ist fünfzehn Jahre
her. Jetzt redet jeder auf der Straße so beiläufig über den Tod und den
Sex wie er 1913. Im Jahre 1929 also ist Dr. med. Gottfried Benn nur noch
ein Mann mit Vergangenheit und hängenden Augenlidern, ein
»Vorgänger«.
Als am 1. Februar in seiner Praxis das Telefon klingelt, ist Lili Breda
am Apparat, seine aktuelle Geliebte, eine arbeitslose Schauspielerin, eine
Stürzende auch sie, 41 Jahre alt, sterbensmüde von all ihren unerfüllten
Hoffnungen an Benn und an das Leben. Sie sagt ihm, dass sie sich jetzt
umbringen werde, dann schluchzt sie, leise erst, dann immer lauter, von
ganz tief. Sie legt auf. Benn rennt aus der Praxis, jagt mit einem Taxi zu
ihrer Wohnung, doch als er ankommt, liegt Lili Breda schon
zerschmettert auf der Straße. Sie ist aus dem Schlafzimmerfenster im
fünften Stock gesprungen. Die Feuerwehr legt gerade gnädig eine Decke
über ihren toten Leib, den Benn noch kurz zuvor liebkost hat. Benn setzt
eine Anzeige in der BZ auf. Organisiert die Beerdigung. Keiner der
zwanzig Trauergäste sagt etwas, als sie in Stahnsdorf bei Potsdam in die
kalte Erde gesenkt wird. Es ist erst halb vier, aber es dämmert schon.
Benn richtet ein tröstendes Wort an Elinor Büller, Lilis beste Freundin.
Dann setzt er seinen dunklen Hut auf, schlägt den Mantelkragen hoch
und geht mit bleischweren Schritten durch den leichten Schnee. Er ist
viel zu früh am Bahnhof, erst in einer Stunde geht der nächste Zug.
Abends, allein in der leeren Praxis in Berlin, in der es nach Formaldehyd
riecht und nach Aussichtslosigkeit, merkt Benn, dass er vergessen hat,
wie man weint. »Natürlich«, so schreibt er an seine Vertraute Sophia
Wasmuth, »natürlich starb sie an oder durch mich, wie man sagt.« Das
Schluchzen am Telefon war das Letzte, was er von ihr hörte.

Am nächsten Morgen aber, nach traumloser Nacht, greift Benn zum


Hörer und ruft Elinor Büller an, Lilis Freundin, der er gestern am Grab
kurz die Hand gedrückt hat. Sie telefonieren lange. Sie redet, er hört zu.
Dann treffen sie sich, zwei Wochen später, sie gehen in die China-
Ausstellung, sie trinken einen Wein im Café Josty. Und dann gehen sie
zu Benn und werden ein Paar. Er könne, sagt er später, »ohne das«
einfach nicht leben. »Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der
Mensch«, wie er einmal lakonisch gedichtet hat.
Bald überlegen sie zu heiraten, Elinor Büller zum vierten, Benn zum
zweiten Mal. Sie lässt sich Visitenkarten drucken, »Elinor Benn,
geborene Büller«. Sie wird sie nie benutzen dürfen. Aber immerhin bleibt
sie für neun lange Jahre: Elinor Büller, Geliebte Benns. »Kindchen, lass
uns nicht heiraten«, so beruhigt er sie immer wieder, die Ehe sei doch nur
»eine Institution zur Lähmung des Geschlechtstriebs«. Und das könne ja
nun nicht ihr Ziel sein, oder?

»In nicht wenigen Gebilden der Viktorianischen Zeit, keineswegs bloß


englischen«, so schreibt Theodor Adorno, »wird die Gewalt des Sexus
und des ihm verwandten sensuellen Moments fühlbar erst durchs
Verschweigen.« Es gäbe Stellen »von so überwältigender Zärtlichkeit,
wie wohl nur der sie auszudrücken vermag, dem sie versagt blieb«.
Theodor Adorno, diesem genussfreudigen Sohn eines Frankfurter
Weinhändlers mit überwältigendem Zärtlichkeitsbedürfnis, blieb in jener
Zeit wenig versagt. Er lebte in den zwanziger Jahren als Student in
Frankfurt, Wien und Berlin sehr reichhaltig, sowohl in Bezug auf seine
Studienfächer, Promotion und Habilitation wie in Bezug auf seine
Frauen. Dazwischen komponierte er und schrieb Musikkritiken. Der
promovierten Chemikerin und Unternehmertochter Margarete Karplus
aus Berlin ist er besonders verfallen. Die beiden Väter hatten die
Verbindung hergestellt, denn Adornos Vater lieferte aus seinem
Weinbetrieb jene überflüssigen Tannine, die seinen Wein zu schwer
machten, nach Berlin, um die Handschuhe, die Margarete Karplus’ Vater
produzierte, geschmeidiger werden zu lassen. Ist das nicht eine schöne
Symbolik? Ein Leben lang wird Margarete Karplus, die später zu Gretel
Adorno geworden ist, die schweren Tannine in den Gedanken ihres
Gatten ein wenig geschmeidiger machen, indem sie sie hinterfragt,
verbessert und mit der Schreibmaschine ins Reine bringt.
1929 aber ist das alles längst nicht so klar, obwohl sie sich im Jahr
zuvor mit Adorno verlobt hat. Die hochgewachsene, schöne Frau aus
einer jüdisch assimilierten Familie hat einen sehr eigenen Kopf. Sie ist
eng mit Bertolt Brecht befreundet, mit László Moholy-Nagy, mit
Siegfried Kracauer, mit Kurt Weill und Lotte Lenya. Und sie ist in ihrem
Herzen zwischen drei Genies hin und her gerissen. Da ist auf der einen
Seite Adorno, ihr Verlobter, die feste Fernbeziehung in Frankfurt am
Main, aber in Berlin sind da noch Ernst Bloch und Walter Benjamin. Mit
Bloch hat sie auch eine körperliche, mit Benjamin eine geistige
Beziehung, und wie so oft ist es eher die zweite, die in den Briefen fast
nach Liebe klingt.

Am 27. März 1929 stellt Cole Porter erstmals die große Frage: »What is
this thing called love?«

Dietrich Bonhoeffer liebt erst einmal nur Gott – und sich selbst. Als der
junge, rastlose Theologiestudent aus gutem Grunewalder Hause seine
erste Auslandsstelle in der evangelischen Gemeinde in Barcelona
antreten soll, schreibt er vorher an den dortigen Pastor Fritz Olbricht,
einen knorrigen Bayern, um zu fragen, wie er sich am besten vorbereiten
könne. Und Bonhoeffer meint damit: seine Garderobe. Er habe gehört,
dass das Wetter in Barcelona zwar heiß, aber wechselhaft sei. Deshalb
frage er sich, welchen Anzugtyp Olbricht empfehle und welche Stoffart.
Brauche er auch eine spezielle Sportkleidung für die Clubs? Und welche
Anzüge und Krawatten trage man bei den abendlichen Dinners? Pastor
Olbricht braucht vier Wochen, bis seine Wut über den eitlen jungen
Theologen im fernen Berlin verraucht ist. Dann antwortet er Dietrich
Bonhoeffer, er könne zu seinen Kleidungsproblemen leider nichts
beitragen, aber es wäre auf jeden Fall hilfreich, wenn er als Pfarrer einen
Talar in den Koffer packen würde.

*
Was für ein Frühjahr für Bertolt Brecht. Am Ostersamstag hat das Stück
Pioniere in Ingolstadt seiner früheren Geliebten Marieluise Fleißer
Premiere im Theater am Schiffbauerdamm. Ins Programm schreibt er:
»Man kann an dem Stück gewisse atavistische und prähistorische
Gefühlswelten studieren.« Zum Beispiel die prähistorischen
Gefühlswelten des Bertolt Brecht. Im Stück nämlich erfährt das
Dienstmädchen Berta, dass ihr Geliebter Korl nicht nur andere Frauen
neben ihr hat, sondern darüber hinaus verheiratet ist und sogar Vater.
Genau diesen Schock hat Marieluise Fleißer einst durch Brecht erfahren.
Und so lässt sie ihre Berta klagen: »Wir haben was ausgelassen, was
wichtig ist. Die Liebe haben wir ausgelassen.« Brecht jedoch schreitet
kurz nach der Premiere zur nächsten Tat, da er außer der Liebe in seinem
Leben eigentlich auch sonst nichts auslassen möchte. Er heiratet am
10. April 1929 Helene Weigel, mit der er bereits einen kleinen Sohn hat.
Sie sei, so sagt er, »gutartig, schroff, mutig und unbeliebt«. Man könnte
also sagen: in allem das genaue Gegenteil des Gatten. Denn was macht
der unmittelbar nach dem Jawort auf dem Standesamt in Charlottenburg?
Er fährt zum Bahnhof, um dort die Geliebte abzuholen. Dumm nur, dass
Bertolt Brecht noch immer den Strauß von der Trauung in der Hand hat,
müde Osterglocken. Als er Carola Neher am Gleis am Bahnhof Zoo
gesteht, dass er vor einer halben Stunde Helene Weigel geheiratet habe,
was »unvermeidlich«, aber eigentlich »unbedeutend« sei, da knallt sie
ihm den welken Strauß vor die Füße und rauscht wütend ab. Sie war den
ganzen weiten Weg aus Davos, wo sie ihren moribunden Mann, den
Dichter Klabund, gepflegt hat, bis nach Berlin gefahren, nur um zu
erfahren, dass Brecht wieder geheiratet hat und schon wieder nicht sie.
Und noch größer der Schock bei Elisabeth Hauptmann, Brechts engster
Mitarbeiterin und engster Geliebten jenes Frühjahrs 1929: Als sie die
Nachricht von der überraschenden Hochzeit hört, versucht sie, sich in
ihrer Wohnung das Leben zu nehmen. Aber keine Sorge. Kaum ist sie
wieder bei Gesundheit und Verstand, beginnt sie sechs Tage später ein
neues Theaterstück zu schreiben und nennt es, ohne Witz: Happy End.
Ob Brecht bitte die Songs dafür schreiben könne, fragt sie ihn, er
bekomme auch ein Drittel der Honorare. Doch dafür braucht er Hilfe von
Kurt Weill, er doktert lieber gleich am Stück selbst mit herum, zusammen
mit Elisabeth Hauptmann im Arbeitsurlaub in Oberbayern. Als im Juli die
Proben für Happy End beginnen, zeigt Brecht, was er persönlich unter
einem glücklichen Ende versteht: Im Stück der einen Geliebten
übernimmt die andere Geliebte, Carola Neher, die Hauptrolle, da sie ja
ohnehin gerade in Berlin ist, und seine Ehefrau die Nebenrolle mit der
bezeichnenden Charakterisierung »Die Graue Frau«. Die männliche
Hauptrolle spielt Theo Lingen, der neue Partner von Brechts Ex-Frau
Marianne Zoff und Stiefvater seiner Tochter Hanne (ja, es ist nicht immer
einfach, hier den Überblick zu behalten). Brechts sadistische Lust, all
seine Frauen gleichzeitig leiden zu sehen, ist bühnenreif. Was er über die
Frage der Eifersucht denke, fragt ihn die Zeitschrift Uhu ausgerechnet in
diesen Tagen. Darauf Brecht breitbeinig: »Spießer sind heute die letzten
Träger dieser einst tragischen Eigenschaft.« Schreibt es – und blickt
selbstzufrieden auf den Gipsabguss des eigenen Gesichtes, den er auf
seinem Schreibtisch postiert hat. Wer so um sich selbst kreist, dem droht
eigentlich ein Schleudertrauma. Doch bei Brecht bedroht es nur all die
anderen, die ihn beim beständigen Kreiseln zu stören wagen.

*
Die gemeinsamen Nächte mit Asja Lācis, der radikalen Kommunistin aus
dem fernen Lettland, die er in Capri kennengelernt hat, enden für Walter
Benjamin sehr unbefriedigend. Er will ihr, mit halb geöffneten Augen,
noch halb im Schlummer, in der Morgendämmerung von seinen Träumen
erzählen. Doch Asja Lācis »hörte sie ungern und unterbrach ihn, aber er
erzählte sie doch«. Sie bittet ihn stattdessen, sich doch endlich scheiden
zu lassen von Dora, seiner Frau. Das sei ihr einziger Traum. Dann gibt es
Frühstück, die Stimmung ist wie eine müde Scheibe Roggenbrot.

Am 14. März besteigt Christopher Isherwood, dieser 24-jährige, frisch


abgebrochene Mediziner und angebrochene Schriftsteller, den
Nachmittagszug in London Richtung Dover, draußen Regen, Donner,
fliehende Wolken, er hat sich die Krawatte aus Cambridge umgebunden,
sein Burberry-Mantel ist nass geworden, er hängt ihn zum Trocknen an
den Haken. In Dover, im dunklen Nebel, nimmt er den Dampfer nach
Ostende, in der Dritte-Klasse-Bar lauter laute Soldaten, die nach
Wiesbaden abkommandiert worden sind. Zwei immerhin erkennen seine
Krawatte und prosten ihm zu. In Ostende nimmt er den Zug nach Köln,
dort trägt ein Beamter auf dem Gleis feierlich ein Holzschild und kündet
bereits den Zug nach Berlin an wie eine Offenbarung, er steigt ein und
dämmert vor sich hin, lässt die wintermüde Landschaft an sich
vorbeiflitzen, denkt an nichts und ahnt doch, dass gerade seine Zukunft
beginnt. Er reist mit leichtem Gepäck und schwerer Sehnsucht. Er denkt
an Berlin, denn Berlin, so weiß er, »das bedeutet: Jungs«.
Isherwood wohnt gleich neben Magnus Hirschfelds Institut für
Sexualwissenschaft. Fast täglich ist er dort, nachmittags um fünf trinkt er
Tee mit Karl Giese, dem Lebensgefährten des Institutsgründers
Hirschfeld, dem berühmten und berüchtigten »Einstein of Sex«. Wenn
Giese von Hirschfeld spricht, diesem um Jahrzehnte älteren imposanten
Gelehrten mit Rauschebart, dann nennt er ihn ehrfurchtsvoll »Papa«.
Isherwood nennt Giese respektvoll einen »derben Bauernjungen mit dem
Herzen eines Mädchens«.
Papa Hirschfeld hat in seinem Essay Mein Verhältnis zur schönen
Literatur im Jahr 1928 erkannt, dass eigentlich die Poesie seine »erste
Geliebte« gewesen ist, bevor er sich ganz der Sexualwissenschaft
verschrieb. So sind es nicht ohne Grund Schiller und Goethe, auf die er
sich in seinen Schriften über die Homosexualität immer wieder als
Kronzeugen beruft. Und ein Nachbar wie der Literat Christopher
Isherwood ist für Hirschfeld ein besonderes Glück. Oft führt Isherwood
Freunde aus England durch das Museum des Instituts, das ein »Must see«
für alle Freunde der Gleichgeschlechtlichkeit ist, weil Hirschfeld
jahrzehntelang die schönsten Artefakte, Lustbeschleuniger und
Absonderlichkeiten der sexuellen Zwischenzonen zusammengetragen
hat. 1929 schreibt Hirschfeld gerade an seinem neuen Buch Liebesmittel.
Eine Darstellung der geschlechtlichen Reizmittel, es wird vierhundert
Seiten stark und enthält einhundert ausführliche Tafeln als
Anschauungsunterricht. Im Eldorado, Berlins berühmtestem Tempel der
Homosexualität, geht ein bewunderndes Raunen durch die Reihen, wenn
der altersweise Hirschfeld nach getaner wissenschaftlicher Arbeit
persönlich die Bar betritt, um sich nach der Theorie der Praxis
zuzuwenden. Hier wird er nicht »Papa« genannt, sondern »Tante
Magnesia«, wie wir von Christopher Isherwood wissen.
*

Selbst Albert Einstein, der Erfinder der Relativitätstheorie, weiß, dass in


der Liebe Zeit und Raum doch eine sehr relevante Rolle spielen und nicht
einfach so überwunden werden können. »Schreiben ist dumm«,
telegraphiert er an seine Frau am sommerlichen See in Caputh, »am
Sonntag küss ich dich mündlich.« Der Sonntag also ist: Kuss mal Zeit
zum Quadrat.

Billy Wilder schreibt im Frühsommer 1929 sein Drehbuch für Menschen


am Sonntag, einen der letzten Stummfilme und vor allem einen echten
Berlinfilm – also arm, aber sexy –, geschrieben im Romanischen Café bei
sehr vielen geschnorrten Tassen Kaffee und untergehender Sonne. Das
Agfa-Filmmaterial ist Ausschussware aus den UFA-Studios, die
Dreharbeiten, die am 12. Juli 1929 beginnen, müssen immer wieder
unterbrochen werden, weil das Geld aus ist. Vier der fünf Hauptdarsteller
haben noch nie vor einer Kamera gestanden, der Drehbuchautor ist ein
Tänzer, Reporter und Schlawiner, die Assistenten flüchten, die
Schauspieler sollen improvisieren. Gedreht wird erst am Bahnhof Zoo im
ohrenbetäubenden Lärm der ankommenden Züge und dann draußen am
Wannsee auf einer kleinen Lichtung, es gibt Würstchen mit
Kartoffelsalat, Flirts unter hohen Kiefern, Sonne, die plötzlich auf leichte
Sommerkleider fällt und von der Kamera sekundenlang verfolgt wird.
Und es gibt Männer, die an Zigaretten ziehen, wenn sie ihren Text
vergessen haben. Das können die beiden Hauptdarsteller sehr gut, denn
auch im Leben vergessen sie oft den Text, und Wilder und sein
Kompagnon Curt Siodmak hatten ihnen ja gesagt, sie sollten einfach sich
selbst spielen. Und so sind der Taxifahrer und der Weinvertreter, das
Mannequin und die Schallplattenverkäuferin ganz sie selbst, ein Film so
flüchtig und unlogisch wie das Leben, zumindest das Leben in Berlin.
Das schnell ausgelebte Begehren der Menschen am Sonntag im
Schatten der hohen Baumwipfel erzeugt im Licht der Nachttischlampe
bei den Menschen am Sonntagabend aber doch etwas Schmerz und
ziemlich viel Melancholie. Von Liebe allerdings ist die ganze Zeit nicht
die Rede, und das liegt nicht daran, dass es ein Stummfilm ist.

Wie zwei der Hauptdarsteller aus Menschen am Sonntag lümmeln sich in


diesen Tagen auch Kurt Tucholsky und Lisa Matthias auf einer
behaglichen Wiese an einem großen schwedischen See. Da sie in keinem
Stummfilm sind, dürfen sie unaufhörlich miteinander quasseln. Und das
tun Kurt Tucholsky und Lisa Matthias von der ersten Sekunde an, seit sie
sich auf einem Kostümfest kennengelernt haben: Tucholsky, der soeben
aus Paris ohne seine Ehefrau nach Berlin zurückgekehrt ist, um als
Nachfolger des verstorbenen Siegfried Jacobsohn die Weltbühne zu
leiten, hat der erfahrungshungrigen Lisa gleich in den ersten weinseligen
Stunden ausgiebig von seinen Eheproblemen erzählt, so »wie das von
reifen Männern im Morgengrauen gerne geübt wird«, wie die offenbar
branchenerfahrene Matthias später zu Protokoll gibt.
Lisa Matthias also, zweifach verheiratet, zweifache Mutter, ist mit
ihrem Bubikopf, ihrem Cabrio, ihrem ausschweifenden Liebesleben und
ihren launigen Texten über Hemingway und das Autofahren das perfekte
role model der Berlinerin jener Zeit, nicht nur von Tucholsky, sondern
auch von Peter Suhrkamp und Lion Feuchtwanger umworben.
Zunächst sehen die beiden sich nicht allzu häufig, meist nur für kurze
Rendezvous in Tucholskys Berliner Pied-à-terre, aber »Lottchen«, wie er
Lisa nennt, taucht ab sofort ständig auf in seinen Feuilletons als
dauerquatschende Berliner Pflanze. Doch als Lisa Matthias in Tucholskys
Zeitungstexten präsenter ist als in seinem Leben, wird sie langsam etwas
schmallippig – wenn er sie sieht, dann nur, um rasch mit ihr ins Bett zu
gehen. Sie klagt ihrer Freundin: »Es wird ein bisschen viel geliebt ohne
wirkliche Liebe. Wir haben dazu beide keinen rechten Mumm.« Aber
egal: »Interessant ist diese Liaison auf alle Fälle.« Für ihren Geist ist
gesorgt. Und bei den Gefühlen darf man nicht allzu viel verlangen:
»Liebe ist nicht ohne Bitter, sagt Daddy. Stimmt.«
Er ist ihr »Daddy«, und sie? »Ich war Tucholskys Lottchen«, so nennt
sie auch gleich ihre gesamten Memoiren. Wodurch man weiß, dass ihr
Sofa »Sündenwiese« heißt und Tucholsky so stark schnarcht, dass sie
immer gegen zwei Uhr genervt ins Gästezimmer umzieht. Doch Lisa
Matthias ist das alles zu wenig – sie will ihren Dichter ganz für sich
allein haben, ohne Redaktionskollegen, ohne all die anderen
Kaffeehausgäste, ohne dieses summende, schwirrende, nervende Berlin.
Sie will mit ihm verreisen. Da weiß sie noch nicht, was Urlaubmachen
mit Kurt Tucholsky für eine Frau bedeutet – nämlich Liebe als
Materialbeschaffung für das nächste Buch. Als er einst mit seiner
Geliebten Else Weil nach Rheinsberg in den Liebesurlaub gefahren ist, da
wurde wenig später Rheinsberg daraus, das hinreißende »Bilderbuch für
Verliebte«, als er mit Mary Gerold, seiner derzeitigen Frau, durch die
Pyrenäen reiste, da war das der Kern von, genau: Das Pyrenäenbuch.
Und als er nun im April 1929 mit Lisa Matthias nach »Gripsholm« in
Schweden fährt, da denkt er natürlich auch bereits die
Anführungszeichen mit. Sie düsen gen Norden in Lisa Matthias’
schickem Cabrio, einem Chevrolet mit dem Kennzeichen IA 47–407.
Und als dann ein Jahr später Tucholsky ihr schwedisches
Liebesabenteuer samt einiger skurrilen Ausschmückungen zu dem Buch
Schloß Gripsholm umgeschnitzt hat, widmet er es im Vorwort tatsächlich
»IA 47–407«. Das sagt zwar seiner Ehefrau Mary im fernen Paris nichts,
aber die Gäste der Terrassen der Cafés auf dem Kurfürstendamm und in
Schöneberg wissen Bescheid, denn dort parkt Lisa Matthias ihr riesiges
Gefährt zu allen Tages- und Nachtzeiten unbekümmert auf dem
Bürgersteig. Und Lisa Matthias erfüllt es mit leisem Stolz, nun so leicht
dechiffrierbar die Partnerin des großen Tucholsky zu sein. Aber langsam.
Erst einmal müssen sie ja losfahren nach Schweden! Dort liegen sie dann
also nebeneinander auf einer recht grünen Wiese im schwedischen
Läggesta, am Mälarsee, gegenüber dem mächtigen Schloss von
Gripsholm am anderen Seeufer und blinzeln in die Kamera. Ihre Blicke
sagen: Mal schauen, wo das hinführt. Aber es ist ein hübsches Foto, die
Sonne scheint. Und sie finden auch sehr bald eine kleine Sommervilla
aus schönstem roten Holz und versuchen sich als Liebespaar, auch wenn
Lisa immer wieder zu Protokoll gibt, dass sie »erotisch nicht sonderlich
interessiert ist«. Aber er sei eben so lustig, dieser Tucholsky, und so lässt
sie sich doch immer wieder verführen. Und am nächsten Morgen, wenn
draußen die Vögel zwitschern, die Sonne die Katzen wach gekitzelt hat
und die Staubflocken durch die Räume schweben, wenn es in der Küche
nach Kaffee riecht und nach guter Laune, dann halten sie sich mitunter
sogar für glücklich. Dann gehen sie raus, zum See, baden, spritzen sich
gegenseitig voll, lachen. Sie essen rote Grütze. Lisa steht in der Küche
und macht dazu Vanillesoße für ihren »Daddy«. Sie sei für ihn »Mutter,
Wiege, Kamerad«, sagt Tucholsky dann – und meint das romantisch.
Wenn sie sich geliebt haben am Nachmittag und Lisa noch einmal zum
Baden an den See geht, der jetzt schon diese nachmittägliche, herrliche
Kühle hat, dann setzt Tucholsky sich an den improvisierten Schreibtisch
und schreibt an seine Frau Mary nach Paris: »Sonst geht es so lala – ich
lebe hier wie ein Eremit.« Na ja.

Manchmal muss Picasso noch Olga malen, seine Frau. Er hat sie in den
Jahren zuvor fast ständig gemalt, ihren grazilen Ballerinakörper, doch
nun ist Marie-Thérèse Walter zu seinem wichtigsten Modell geworden.
»Wie schrecklich, dass eine Frau meinen Bildern genau ansehen kann,
wenn sie ausgetauscht wurde«, sagt Picasso. Und Olga macht dieses
Gefühl, ausgetauscht worden zu sein, fast wahnsinnig. Sie schreit, sie
tobt, sie wütet, bevor sie wieder für Wochen in Depressionen versinkt
und sich selbst einliefert in Kliniken an fernen stillen Seen. Ihre Wut aber
zündet in Picasso die kreativen Kräfte, die angetrieben werden von
Schuld und Trotz.
So willigt Picasso am 5. Mai 1929 doch noch einmal ein, Olga zu
malen. Und ist das Porträtsitzen früher ein Spiel zwischen beiden
gewesen, ein Fingerhakeln, eine erotische Machtprobe, so ist es jetzt zu
einem kalten Krieg geworden. Keiner sagt ein Wort. Picasso starrt sie an
und malt. Sie fühlt sich nicht bewundert, sondern entblößt in ihrer
Nacktheit, sie friert in ihrem Sessel. In ihr gären der Selbsthass und der
Hass auf den Mann, den sie so geliebt hat und der sie nun betrügt.
Stoisch malt Picasso weiter. Irgendwann bricht er ab und setzt seine
Signatur unter das Bild, dessen Öl noch feucht ist. Als Olga sich einen
Kimono umgelegt hat und hinter ihren Mann tritt, um das Bild
anzuschauen, sacken ihr vor Schock die Beine weg. Das Bild zeigt keine
Frau, sondern ein Monster, mit schreckverzerrtem Gesicht und
verbogenen Gliedmaßen. Sie sagt kein Wort, zieht sich an und geht.
Picasso stellt sich ans Fenster und raucht und denkt an Marie-Thérèse,
die später noch zu Besuch kommen will. Wenn Picasso im Jahre 1929
Olga malt, sind das keine Porträtsitzungen mehr, sondern
Teufelsaustreibungen. Picasso will sie sich von der Seele malen. Was das
für sie bedeutet, ist ihm egal. Er nennt das Bild Großer Akt im roten
Sessel. Es ist ein erster Schlussakt eines langen Dramas.

Erich Mühsam vergisst oft, dass er verheiratet ist. Nicht, dass er seine
Zenzl nicht liebt, nein, das nicht. Er liebt sie schon. Also: vor allem ihren
Charakter.
Aber es gibt eben so viel anderes zu tun: Mühsam, der große, ewig
rastlose Sozialrevolutionär mit mächtigem Bart, der kommunistische
Warner und Propagandist der »Lebenswildheit« und eines humaneren
Deutschland, ist auch nach fünf Jahren Festungshaft für seine Arbeit in
der Münchner Räterepublik fast jeden Abend unterwegs, um junge
Arbeiter für den Anarchismus zu gewinnen und für den Freiheitskampf.
Er ist auch sehr oft im Theater, trinkt für sein Leben gern in den
Bohemekneipen in Berlin und München, er spielt Schach, flirtet, schreibt
für die KPD-Zeitung Die rote Fahne, reist durchs Land, hetzt von
Vortrag zu Vortrag. Wenn er sich gerade wieder besonders begeistert hat
für junge Revolutionärinnen und Revolutionäre, bringt er schon mal fünf,
sechs von ihnen mit nach Hause nach Berlin-Britz in Bruno Tauts
revolutionäre Hufeisensiedlung und erklärt der Zenzl, dass sie jetzt erst
einmal alle bei ihnen einziehen. Anarchismus dürfe doch nicht an der
Türschwelle enden, sagt er ihr. Und sie geht mürrisch an den Herd und
kocht für sieben oder acht statt für zwei. Sie weiß, dass er in der Regel
schon mit mindestens einer der jungen Revolutionärinnen im Bett war.
Wenn sie darüber weint, dann schaut er sie ratlos an: Er habe ihr doch
immer gesagt, dass er nur eine »freiheitliche Ehe« führen könne. Keiner
dürfe dem anderen Vorhaltungen machen. Ob sie sich daran erinnere,
dass sie dem zugestimmt habe? Ja, das habe sie, sagt Zenzl dann, aber sie
stimme dem eben jetzt nicht mehr zu. Dann wird sie wütend, weint,
schreit, und Erich Mühsam flieht, für ein paar Tage und manchmal auch
für ein paar Wochen. Es ist kein Spaß, mit einem Anarchisten verheiratet
zu sein. Am 1. Mai 1929, dem Tag der Arbeit, ist er unterwegs auf der
Straße, ohne Zenzl, die ihn gewarnt hat. Er zieht mit den Kommunisten
in Treptow durch die Häuserblocks, hält flammende Reden, es gibt erste
kleine Scharmützel mit der Polizei, am nächsten Tag geht es weiter nach
Neukölln, wo die Arbeiter Barrikaden errichtet haben und sich
Straßenschlachten liefern mit der Polizei. Es ist ein Gemetzel am
Schluss, der Berliner »Blutmai«, danach wird die Kampforganisation der
KPD, der Rote Frontkämpferbund, verboten (Bertolt Brecht übrigens
beobachtet die Straßenschlacht vom Fenster seines Freundes Fritz
Sternberg, und wird dadurch wohl zu einem noch fanatischeren
Kommunisten). Am 6. Mai aber, alle sind noch in Aufruhr über 33 Tote
und 250 Verletzte, geht Erich Mühsam, dieser ewige Romantiker, zur
»Anarchistischen Jugend« in der Weinmeisterstraße direkt am
Alexanderplatz und hält einen Vortrag. Thema: »Über die Freiheit in der
Liebe«. Ob er danach heim zu seiner Zenzl geht oder andernorts mühsam
die freie Liebe pflegt, ist nicht überliefert.

*
Der einzige Brief, den Vladimir Nabokov, der später so große und damals
noch unbekannte Schriftsteller, seiner Frau im Jahre 1929 schreibt, hat
nur zwei Worte und ein Ausrufezeichen: »Thais gefangen!«. Vielleicht
legt er ihn ihr aufs Bett, als sie noch schläft, in dem sonnendurchfluteten
Zimmer in Le Boulou in den Pyrenäen, wo sie in einem kleinen Hotel
ihren ersten richtigen Urlaub verbringen. Das, was er da gefangen hat, ist
ein Schmetterling, ein seltenes spanisches Exemplar der Gattung der
Ritterfalter, und Véra lächelt, als sie den Zettel sieht, denn sie weiß, dass
ihr Mann nichts so liebt wie frühmorgens, wenn die Schuhe noch nass
werden vom Tau der Nacht, durch die Wiesen zu streifen, um im weißen
Netz Schmetterlinge zu fangen.
Véra selbst hatte Vladimir Nabokov ein paar Jahre zuvor mit Worten
eingefangen, die er ihr über die russische Emigrantenzeitung Rul durch
ein Gedicht zukommen ließ, das er »Die Begegnung. Im Banne dieser
seltsamen Nähe« nannte. Darin die Verse, die nur sie zu deuten verstand:
»Mein Herz muss noch wandern / Doch wenn du mein Schicksal bist …«
Sehr kurz darauf war die Wanderung seines abenteuerlichen Herzens
abgeschlossen, und er erkannte, dass Véra sein Schicksal war. Vladimir
Nabokov also schrieb: »Eines muss ich dir sagen: Vielleicht habe ich es
dir schon einmal gesagt, aber für alle Fälle sage ich es ein weiteres Mal,
Kätzchen, es ist sehr wichtig – bitte pass auf: Es gibt viele wichtige
Dinge im Leben, wie z.B. Tennis, die Sonne, Literatur – aber diese Sache
ist mit alldem gar nicht zu vergleichen, sie ist so viel wichtiger, tiefer,
breiter, erhabener. Diese Sache – übrigens bedarf es gar keiner so langen
Vorrede; ich sage dir ganz einfach, worum es geht. Also: Ich liebe dich.«
Da wusste Véra, dieser wunderschön und nobel funkelnde
Schmetterling, dass sie nicht mehr weiterflattern musste. Sie heirateten
und schlugen sich durch im seltsamen Berlin der zwanziger Jahre. Die
meisten Russen, die vor der Oktoberrevolution nach Deutschland
geflüchtet waren, sind längst weitergezogen nach Paris. Aber Véra
übersetzt und arbeitet in einer Anwaltskanzlei und Vladimir gibt
Tennisunterricht, spielt als Komparse in UFA-Filmen mit, unterrichtet
aufgeweckte Jungen aus dem Grunewald in Schach und ältere Damen in
Russisch. Vor allem aber schreibt er natürlich. Und dass sie jetzt im
Frühling des Jahres 1929 diesen herrlichen Urlaub im Süden machen
können, das verdanken sie dem Ullstein Verlag, der doch tatsächlich sein
neues Buch Bube, Dame, König vorabdruckt und später als Roman
veröffentlicht und ihm die für ihn ungeheure Summe von 7500 Mark
dafür zahlt. Nabokov hat sein Glück mit Véra in dieses Buch
hineingeschmuggelt. Er lässt sie beide hineintanzen als ein Paar, das alle
Blicke auf sich zieht: »Franz war dieses Paar schon lange aufgefallen.
Manchmal trug der Mann ein Schmetterlingsnetz bei sich. Das Mädchen
hatte einen zart geschminkten Mund und zärtliche graublaue Augen, und
ihr Verlobter oder Gatte, schlank, elegant kahl werdend, voller
Verachtung für alles auf der Welt außer ihr, blickte sie stolz an, und Franz
beneidete dieses glückliche Paar.«
Véra und Vladimir Nabokov sind ein sehr ungewöhnliches Paar, denn
sie sind glücklich miteinander und sie werden es bleiben.

Am 8. Juli 1929 trifft Jean-Paul Sartre die umschwärmte Simone de


Beauvoir dann wirklich das erste Mal außerhalb der Mauern der
Sorbonne. Diesmal gemeinsam mit seinem Studienkollegen René Maheu
in seinem kleinen Zimmer im Studentenwohnheim. Nur 76 Studenten aus
ganz Frankreich sind zur »Agrégation« der École Normale zugelassen
worden, wer sie besteht, darf als Lehrer ein Leben lang Philosophie an
einer französischen Schule unterrichten. Nach der schriftlichen lernen
nun alle für die mündliche Prüfung, die als mörderisch schwierig gilt.
Der Druck ist enorm, die Kandidaten müssen sich quer durch die
europäische Philosophiegeschichte lesen. Als Simone de Beauvoir
Sartres Zimmer betritt, ist sie verstört von dem Dreck, Chaos und den
Gerüchen, aber sie versucht, sich nicht ablenken zu lassen, und trägt, als
alle sich gesetzt haben, vierzig Minuten lang ihre Interpretation zur
Metaphysik von Leibniz vor. Sartre und Maheu haben wenig
hinzuzufügen, sie haben sich das Treffen etwas entspannter vorgestellt,
vor allem Maheu, der sich sehr zu Simone hingezogen fühlt, ist
enttäuscht von dem förmlichen Besuch. Nur einmal ist sie kurz irritiert
bei ihrem Vortrag, als sie bemerkt, dass der Schirm der Nachttischlampe
aus roten Dessous genäht ist. Sie weiß nicht, dass Sartre ihn von Simone
Jollivet geschenkt bekommen hat, seiner Geliebten aus Toulouse, einer
literarisch ambitionierten Edelprostituierten, und das ist wohl auch besser
so. Als Simone gegangen ist, überlegen sich die beiden Männer einen
Spitznamen für sie. Sartre will sie gerne »Walküre« nennen, weil sie ihm
wie eine jungfräuliche nordische Kriegsgöttin vorgekommen ist. Nein,
sagt Maheu, sie sei wie ein Biber, der an den Bäumen der Erkenntnis
nage und daraus neue Gebäude baue, darum: le Castor. Darauf einigen sie
sich. Beim nächsten Treffen empfängt Simone de Beauvoir den Titel
»Castor«. Und diesem Namen bleibt sie ein Leben lang treu. Als am
17. Juli die Ergebnisse der schriftlichen Prüfung bekannt gegeben
werden, haben Sartre und de Beauvoir bestanden und sind zur
mündlichen Prüfung zugelassen, René Maheu, der sie zusammengeführt
hat, ist durchgefallen. Er reist sofort aus Paris ab. Jean-Paul Sartre aber
lädt Simone de Beauvoir an diesem Abend zum ersten Mal zum Essen
ein, bestellt guten Wein und spricht: »Von jetzt an werde ich mich um Sie
kümmern, Castor.« Aber am nächsten Morgen müssen sie erst einmal
weiter Philosophie lernen – und sie bleiben daraufhin gleich die nächsten
vierzehn Tage zusammen. Sie beide, mit Kant, mit Rousseau, mit
Leibniz, mit Platon. Dazwischen mal einen Kaffee und abends ein Glas
Wein, danach ein Western im Kino. Am nächsten Tag beginnt sie um acht
Uhr wieder mit dem Lernen. Von Zärtlichkeiten noch keine Spur. Aber
immerhin: Ihre Gedanken halten sich bereits eng umschlungen. Am
30. Juli werden die Ergebnisse der mündlichen Prüfung bekannt gegeben.
Den ersten Platz belegt Jean-Paul Sartre, den zweiten Simone de
Beauvoir. Die glückliche Zweitplatzierte reist am Tag darauf mit ihrer
Familie zur Tante aufs Land, für einen langen Sommer in den Feldern
und den Hügeln des Limousin. Sie streift durch die Wiesen, denkt nach
über Sartre, aber vor allem auch über dessen anziehenden Freund Maheu,
und schreibt in ihr Tagebuch: »Ich brauche Sartre und liebe Maheu. Ich
liebe Sartre für das, was er gibt, und Maheu für das, was er ist.« Doch
dann lädt sie nicht Maheu, sondern Sartre ein, sie spontan auf dem Land
zu besuchen, in Saint-Germain-les-Belles. Er steigt sofort in den Zug,
zieht in ein kleines Hotel in der Nähe, und sie treffen sich jeden Tag,
legen sich auf eine kleine Lichtung in einem nahen Kastanienwäldchen,
trinken Cidre, essen Käse und Baguette und philosophieren. Es ist warm,
es ist August, der Wind weht leicht von den Bergen her. Sie küssen sich
zärtlich. Und sie träumen sich, wenn es dämmert, eine gemeinsame
Zukunft herbei. Es sind die schönsten Tage ihres Lebens.

*
Als die Nackttänzerin Josephine Baker und der italienische Graf
Giuseppe Pepito Abatino in Paris heiraten wollen, geben sie einfach eine
Pressekonferenz im Hotel Ritz. Die ganze Welt schreibt darüber und sieht
die Fotos des glücklichen, kichernden Paares, und fortan gelten sie als
Mann und Frau. Es ist die Geschichte vom Aschenputtel, geboren in den
Slums von St. Louis, das das Herz eines smarten europäischen Grafen
erobert. Und das sollte reichen. Denn zum Standesamt will der
Bräutigam lieber nicht gehen, dann wäre aufgeflogen, dass er kein
italienischer Graf aus jahrhundertealter Linie ist und auch kein
ruhmreicher Leutnant der Kavallerie, sondern ein sizilianischer
Steinmetz.
Josephine Baker aber ist tatsächlich Josephine Baker, ein 21-jähriges
ausgelassenes afroamerikanisches Mädchen, das zwar keine
Schulbildung hat, keine falsche Scham und kein Zeitgefühl, aber ein
untrügliches Gespür für Rhythmus und ein unnachahmliches Talent für
Tanz. Erst der Steinmetz Pepito jedoch formt ihren Körper zur
vollkommenen modernen Skulptur. Und bereits in den zwanziger Jahren
heißt das: Er macht ihn zu einer Marke. Er zelebriert ihr Können,
kultiviert ihre Marotten und filetiert ihre Gegner. Aus Josephine Baker
wird »Josephine Baker« – sie kann sehr schnell nicht nur ihren Namen
tanzen, sondern auch ihre Anführungszeichen, denn die wippen davor
und dahinter so schön auf und ab wie ihr Markenzeichen, das
Bananenröckchen.
Als noch Georges Simenon ihr Manager und Liebhaber gewesen ist,
der große, ach was, der größte Krimi-Autor aller Zeiten, da ordnete er nur
Josephines Papiere, sorgte dafür, dass alle paar Wochen die Rechnungen
für die Seidenwäsche bezahlt wurden und dass sie wenigstens zweimal
die Woche pünktlich in ihrer Revue ankam. Aber Pepito reicht das nicht,
er will nicht Ordnung schaffen, sondern Vermögen. Und Josephine Baker
lässt ihn gewähren. Dass das erste Mal ein weißer Mann mit ihr nicht nur
ins Bett will, sondern sie sogar heiratet (also das zumindest behauptet),
gibt ihr jenen emotionalen Halt, der ihr zuvor immer gefehlt hat. Und
Pepito schenkt ihr nicht nur Stabilität, sondern entwirft auch einen
Karriereplan. Auf den Werbeplakaten, die zu Josephines Revue im Folies
Bergère einladen, steht jetzt: »Mit Joséphine Baker, Gräfin Pepito
Abatino«. Er verleiht ihr also nicht nur einen Titel, sondern auch noch
einen Accent aigu.
Pepito hat dafür gesorgt, dass die Frauen für ihre Töchter kleine
Josephine-Baker-Barbie-Puppen kaufen können und für sich selbst die
Hautpflegeprodukte, die er »Bakerfix« genannt hat, Sonnenöl nämlich,
eine Körperlotion und die berühmte Pomade, mit der sich die
Namensgeberin und ihr Manager so gerne die Haare zurückgelen. Und
die Männer? Die dürfen auch nach dem Besuch in der Revue noch von
der Schönheit und Ungezwungenheit der schwarzen Tänzerin träumen.
»Un vent de folie«, eine Brise Leichtsinn, nennt Pepito Josephine Bakers
Show. Er weiß, wie man es macht, es ist genau die Brise, nach der sich
ganz Paris sehnt in den späten zwanziger Jahren. Doch Pepito merkt, dass
der Effekt langsam nachlässt. Als Erstes lässt er Josephine Baker deshalb
mit Anfang zwanzig allen Ernstes ihre Autobiographie veröffentlichen,
arglos, naiv, exzentrisch, es geht um Kosmetik und es geht um ihre Tiere,
es geht um ihren rosa Morgenmantel und es geht um Paris. Dann planen
sie, sich mitten in der Stadt ein Haus von Adolf Loos bauen zu lassen –
dem großen Wiener Modernisten. Es wäre eine Sensation geworden, ein
Symbolbau, draußen mit Streifen von schwarzem und weißem Marmor
und innen eine einzige Bühne für Josephine Baker, den ersten
afroamerikanischen Superstar Europas, im Zentrum des Hauses ein Pool,
Josephine als schwimmende Venus. Leider kommt es nicht dazu, denn
Josephines Stern in Paris beginnt zu sinken. Und so organisiert Pepito für
sie eine großangelegte Europatournee. Sie wird zu einer merkwürdigen
Reise zwischen Triumph und Rassismus.
Bevor Josephine Baker losfährt, muss sie sich von ihren Tieren
verabschieden. Schweren Herzens lässt sie ihre Sittiche, ihre Kaninchen,
ihre Katzen, ihr Ferkel zurück in Paris. Nur ihre beiden Pekinesen Fifi
und Baby Girl dürfen mit in den Zug. Dazu kommen fünfzehn
Schrankkoffer, gefüllt mit 196 Paar Schuhen, 137 Kostümen und Pelzen.
Man versteht, warum Pepitos Mutter an ihre Freundin schreibt, dass ihr
Josephine ruhig mal ein paar mehr Kleider und Schuhe überlassen könne.
Was die Ausfuhrliste außerdem vermerkt, sind 64 Kilogramm
Gesichtspuder. Auf die Vermarktung dieses Puders hat ihr geschickter
Manager Pepito in weiser Voraussicht verzichtet – denn hätte alle Welt
gewusst, dass sich Josephine Baker vor ihren Bühnenauftritten im
Gesicht pudert, um weißer zu erscheinen, wäre sie wohl bei allen
Schwarzen unten durch gewesen. Bei den Weißen des östlicheren
Europas ist es jedoch so, dass die 64 Kilogramm Puder nicht ausreichen.
Während sie in Wien und in Budapest in den Nächten auf der Bühne
gefeiert wird als die große Tanzsensation aus Paris, wird tagsüber
schweres Geschütz gegen sie aufgefahren. Überall formieren sich die
konservativen und kirchlichen Kreise. Als sie in Wien mit dem Zug
einfährt und am Gleis von einer begeisterten Menge empfangen wird,
läuten gleichzeitig – zur Anprangerung von so viel Fleischeslust und
getanzter Sünde – die Glocken der Paulanerkirche, um vor dem
»schwarzen Teufel« zu warnen. Die Priester sonntagmorgens im
Gottesdienst weisen so eindringlich und bilderreich auf die Gefahren der
verwerflichen Tänze hin, die Baker am Abend aufführen wird, dass sich
viele Besucher direkt nach dem Vaterunser eine Karte besorgen.
Josephine Baker wird für Wochen im Johann-Strauß-Theater vor
ausverkauftem Haus auftreten.
Und so geht es dann weiter durch Europa mit den fünfzehn
Schrankkoffern, den beiden Hunden und dem einen Ehemann. Nach
Budapest, nach Prag, nach Zagreb, nach Amsterdam. Sogar in Basel darf
sie auftreten, nur in München nicht, der Freistaat ist schon 1929 kein Ort
für die Freikörperkultur gewesen. Am heftigsten jedoch werden die
Proteste in Berlin – in jenem Berlin, wo sie noch 1926 die größten
Triumphe erlebt hat, verführt von Ruth Landshoff, verehrt von Harry
Graf Kessler, der ein Ballett für sie geschrieben hat … Eigentlich war sie
gekommen, um mindestens ein halbes Jahr zu bleiben, vielleicht sogar,
um hier einen Ableger ihres französischen Clubs Chez Joséphine zu
gründen, so gut hat sie die Stadt in Erinnerung, das Flirren, die Rasanz,
die Toleranz. Aber die Brise Leichtsinn ist verflogen. Als sie mit einer
blonden deutschen Tänzerin auftritt, empört sich ein Kritiker am nächsten
Tag: »Wie können sie es wagen, unsere wunderschöne blonde Lea Seidl
mit einer Negerin auftreten zu lassen?« Der Völkische Beobachter nennt
sie einen »Halbaffen«. Und die Zeitungen, die nicht rassistisch schreiben,
schreiben antisemitisch. Denn die Organisatoren der Tanzrevue sind
Juden, und die Kombination aus schwarzer nackter Tänzerin und
jüdischen Veranstaltern – das ist zu viel für die nationalsozialistische
Presse. Als ein Störtrupp der SA bei einer Aufführung Stinkbomben
wirft, packt Josephine Baker mitten im Programm ihre Siebensachen und
verschwindet. Die Show muss abgesetzt werden, Josephine Baker und
Pepito kehren im Frühsommer 1929 Hals über Kopf nach Paris zurück.

*
Als Anaïs Nin und ihr Mann Hugo Guiler in den zwanziger Jahren nach
Paris in die Rue Schoelcher 11 ziehen, direkt neben den Friedhof von
Montparnasse, da ist weder zu ahnen, dass dies ein zentrales Ereignis für
die Geschichte der Stadt der Liebe sein könnte, noch dass dreißig Jahre
später ausgerechnet Simone de Beauvoir in genau diese Wohnung
einziehen sollte. Anaïs Nin jedenfalls notiert in ihr Tagebuch, ernüchtert
von der jungen Ehe und von Paris: »Ich wünschte, ich wäre nie
gekommen. Man muss Paris romantisch sehen können, sonst ist es ein
totaler Reinfall.« Ihr Mann, der Bankier Hugo, schenkt ihr immer neue
Ausgaben des Kamasutra, die er an den Buchläden der Quays kauft, doch
Anaïs schreibt in ihr Tagebuch: »Ich liebe die Reinheit.« Ansonsten liebt
sie nur ihre Tagebücher, ja, sie sind ihr eigentliches Lebenselixier. Sie
versieht sie jeweils mit einem kleinen Schloss und trägt den Schlüssel an
einer Goldkette um den Hals. Sie nimmt den Schlüssel nur kurz ab, wenn
sie Bauchtanz lernt, aber die Lehrerin hält sie für zu unbegabt. Sie muss
sich was Neues überlegen. Anaïs Nin verlässt oft tagelang ihr Bett nicht,
schreibt Tagebuch über ihren Dämmerzustand, weiß nicht so recht, wie
man liebt und verschlingt deshalb D.H. Lawrence’ Roman Liebende
Frauen. Sie ist hingerissen von der Art, wie sich Lawrence ins Chaos
stürzt, so schreibt sie in ihr Tagebuch, »da die Vertiefung ins Chaos ein
Kennzeichen unserer Epoche ist«. Sie wurde bald auch ein Kennzeichen
ihres Lebens.

Gleichzeitig liegt Henry Miller in New York auf seinem Bett in der
kleinen Wohnung in der Clinton Avenue in Brooklyn und liest ebenso
D.H. Lawrence’ Liebende Frauen. Er fühlt sich von diesem Teil der
Menschheit aber gerade in hohem Maße ungeliebt. Henry Miller kann
nicht verwinden, dass seine Frau June ihre Geliebte Mara Andrews
einfach in die eheliche Wohnung eingeladen hat – und er, der Ehemann,
seine Kissen zusammenpacken und aufs Sofa ziehen musste. Nacht für
Nacht ziehen die beiden Frauen trinkend durch die Bars, eines Abends
hängt Miller in seiner Verzweiflung die Heiratsurkunde an den
Flurspiegel, damit sie das Erste ist, was die beiden sehen, wenn sie
torkelnd und kichernd die Treppe hinaufgefallen sind. Aber sie laufen
daran vorbei und gehen ins Ehebett.

Ruth Landshoff küsst nur mit offenen Augen. Sie weiß gerne, wem sie da
gerade an den Lippen hängt. Wie ein aufgeregter Vogel fliegt sie in
diesen späten zwanziger Jahren in Berlin umher, immer zwitschernd,
herumhüpfend zwischen Josephine Baker und Mopsa Sternheim und
Klaus Mann und Karl Vollmoeller, zwischen Cafés und Salons und
Varietés, zwischen high and low und zwischen den Geschlechtern, man
erschrickt fast, wenn sie einmal ruhig dasitzt oder gar schweigt. Sobald
sie lächelt, fließt das Gold. Wenn sie nicht lächelt, wirkt es, als weine sie.
Heute holt sie Charlie Chaplin vom Flughafen ab. Sie soll ihm Berlin
zeigen. Aber sie wird ihm vor allem sich selbst zeigen.

Die fünfzigjährige Alma Mahler heiratet am 6. Juli 1929 endlich den elf
Jahre jüngeren Schriftsteller Franz Werfel, ihr »Mannkind«, und wird zu
Alma Mahler-Werfel. Sie haben da bereits zehn Jahre in wilder Ehe
zusammengelebt, und Werfel ist sehr dankbar, sich schon unmittelbar
nach der Heirat wieder in Almas Haus in Breitenstein am Semmering
zurückziehen zu dürfen. Sie heiraten also an dem Punkt, an dem sie
eigentlich kurz vor der Trennung stehen. Alma will, dass Werfel
»Weltliteratur« produziert – und er ist froh, so oft wie möglich seine
Ruhe zu haben. Denn Alma will eigentlich immer nur über Sex tratschen,
also wer mit wem gerade ein Verhältnis hat. Wenn sie so in Wallung
kommt und dazu noch ein Glas ihres Lieblingslikörs Benediktiner nach
dem anderen gierig herunterkippt, sehnsüchtig nach der »starken
Empfindung«, packt der geschwächte Franz seine Koffer und seinen Hut
und zieht rasch hinauf in die Ruhe der Berge. Der jüdische Werfel hat
inzwischen regelrecht Angst vor den antisemitischen Wutattacken seiner
Frau. So ist er sehr froh, dass sie meist auf Reisen ist. Kaum ist sie nach
der Hochzeit nach Venedig abgerauscht, tritt Werfel heimlich wieder dem
Judentum bei – für die Hochzeit hat Alma vier Wochen zuvor seinen
Austritt verlangt (und seine jüdischen Eltern wollte sie auf der
Hochzeitsfeier auch partout nicht sehen). Sie schreibt benebelt in ihr
Tagebuch: »Ich trinke, um glücklich sein zu können.« Und er schreibt ein
Buch nach dem anderen, um nicht unglücklich zu werden.

Er war schon vollkommen erschöpft, als er 1874 auf die Welt kam.
»Ganz vergessener Völker Müdigkeiten / kann ich nicht abtun von
meinen Lidern«, so dichtete Hugo von Hofmannsthal als
achtzehnjähriges Wunderkind. Da wurde Wien aber überhaupt erst wach,
und der Weltgeist weckte die wilden kreativen Energien bei Egon Schiele
und Georg Trakl, bei Ludwig Wittgenstein und Sigmund Freud, bei
Arthur Schnitzler und Karl Kraus und all den anderen. Hugo von
Hofmannsthal stand da nur daneben, hilflos den Modernisierungsschüben
um sich ausgeliefert, er ist mit 25 Jahren bereits eine Legende gewesen
und jetzt, mit 55, ein gutgekleidetes Fossil, ein Aristokrat des Geistes, ein
unerträglicher Snob und ein gelegentlicher Libretto-Lieferant für Richard
Strauss. Und zwischendurch etwas Prosa, so fein gezwirbelt wie die
Enden seines Schnurrbartes. Er hatte verkündet, dass die »konservative
Revolution« die große Vision der zwanziger Jahre sein müsse. Und dazu
gehört für ihn eine permanente Verteidigung der Ehe. Ja, all seine
Lustspiele und Libretti sind in Wahrheit dröhnende Verherrlichungen der
Ehe, alles, so schreibt er an seinen Freund Carl Burckhardt, was er
darüber denke, sei in seinen Stücken versteckt. So gut versteckt offenbar,
dass seine eigene Frau Gerty sehr lange danach suchen muss. Denn der
große Theoretiker der Ehe ist als Praktiker nicht sonderlich aktiv. Seine
Haupttugend als Ehemann scheint Verständnis zu sein. So findet er es
völlig richtig, dass sich seine Frau nicht für die Themen interessiert, die
er mit seinen Freunden bespricht. Und dass sie aus dem Zimmer geht,
wenn er etwas vorlesen möchte: »Eine Ehe«, so sagt er, »besteht nicht
darin, dass man alles teilt.«
In seinen Büchern drückt er es etwas komplizierter aus. Die Ehe, so
schreibt er in Ad me ipsum, löse die »zwei Antinomien des Daseins, die
der vergehenden Zeit und Dauer – und die der Einsamkeit und der
Gemeinschaft«. Leben ohne Bindung führe deshalb zu einem Leben ohne
Bestimmung, wer nicht heirate, vegetiere vor sich hin in einer Art
»Präexistenz«. Es ist relativ naheliegend, dass sich Hugo von
Hofmannsthal mit diesen Theorien in den Goldenen Zwanzigern in
Berlin und Paris eher nicht durchsetzen kann. In Rodaun aber, dem
vornehmen Vorort Wiens, in den er sich zurückgezogen hat, und in
Salzburg, bei den Festspielen, da nehmen die Ehepaare seine gesungenen
Thesen mit einem dankbaren Lächeln auf und halten sich ein paar
Sekunden fest an der Hand.
Und wie oft hält wohl Hugo von Hofmannsthal selbst seine Gerty an
der Hand? Das ist sehr schwer zu sagen. In seiner gesamten Prosa und
seinen Briefen kommen zwei Personen eigentlich überhaupt nicht vor:
Gerty und er selbst, ja sogar seinen Freunden gilt er als der größte Ich-
Verschweiger, sowohl was sein Innenleben als auch was seine jüdische
Herkunft betrifft. Und das soll auch so bleiben, schon in den zwanziger
Jahren warnt er alle panisch davor, über ihn eine Biographie schreiben zu
wollen, das sei »läppisch«, er werde Weisungen hinterlassen, um »dieses
verwässernde Geschwätz zu unterdrücken«.
Seine innersten, gefährdetsten Zonen verschließt er also fest, das
Körperliche, das Erotische hat seine übersensible Seele unter einen Bann
gestellt. Ehe ist für ihn eine Sache des Kopfes – einfach, so kann man
sagen, ein vollkommen überzeugendes Konzept. Ob er selbst merkt, dass
es bei diesem wie bei so vielen guten Konzepten ein Umsetzungsproblem
gibt? Drei Kinder bekommt seine Frau Gerty von ihm, 1902 Christiane,
1903 Franz und 1906 Raimund, aber Hugo von Hofmannsthal richtet es
so ein, dass er zu den jeweiligen Geburtsterminen gerade auf
ausgedehnten Vortragsreisen im Ausland unterwegs ist. Und er hat es
auch nicht eilig zurückzukommen. Ja, er ist lebenslang ein Virtuose in
der Kunst, sich zu entziehen. Freunden, Pflichten, Kindern, der Arbeit.
Und den Frauen? Wir wissen es nicht. Stefan George hat er als junger
Mann zwar abgewiesen, aber er pflegt enge Freundschaften mit vielen
Homosexuellen, mit Leopold von Andrian, mit Rudolf Alexander
Schröder, mit Harry Graf Kessler. Und dieser Graf Kessler notiert in
seiner Hellsicht früh: Wenn Hofmannsthal mit Frauen rede, habe das
»etwas von einem Diplomaten, von einem Achtzigjährigen«. Da ist
Hofmannsthal gerade dreißig.
Als er Gerty Schlesinger, seine künftige Frau, kennengelernt hat,
schreibt er ihrem Bruder, warum er sie zur Gattin erwählt: »Dem Leben
steht sie mit Vertrauen und ganz ohne Sehnsucht gegenüber.« Das scheint
ihn zu entspannen. Gerty habe »einen glücklichen Mangel an Schwere«.
Oder anders und sehr viel unschöner gesagt: Sie habe eine wunderbare
Art, »alles, was ihr geistig nicht gemäß ist, einfach damit abzuwehren,
dass sie eine gewisse Beschränktheit ihres Verstandes mit freundlichem
Gleichmut als ein Gegebenes ansieht«. Damit sei sie völlig zufrieden, so
dass es keinen Sinn habe, »sie durch Bücher oder Gespräche über irgend
etwas aufzuklären«. So also stellt sich Hugo von Hofmannsthal eine
ideale Ehefrau vor.
Ja, wenn Hofmannsthal davon spricht, dass er »das Leben nicht ohne
Ehe denken kann«, dann hat das in seiner Lautstärke und Bestimmtheit
immer auch einen Hauch von Abwehrzauber. Ehe in seinem Fall also
eher als ein Modell formvollendeter Einsamkeit. Ein lebenslanger
Versuch, die eigenen homophilen Neigungen wortreich zu untergraben.
Als habe der Verfasser des Librettos für den Rosenkavalier in der
Öffentlichkeit ein besonders leuchtendes Bild der Gattung »Ehemann«
erschaffen wollen, um sich so vor sich selbst zu schützen. Es scheint fast,
als habe er seine wahren Neigungen durch permanente Verschönerung
der Fassade und die lyrischen Panzer der Kunst auch vor sich selbst
perfekt versteckt. Es gibt keinen Gustav von Aschenbach in seinem
Werk, der jungen Männern am Lido sehnsuchtsvoll nachblickt, keinen
adretten Kellner, der durch die Tagebücher stolziert wie bei Thomas
Mann. Es ist mit der Ehe bei Hugo von Hofmannsthal ein wenig so wie
mit dem Heldenmut: Während des Ersten Weltkrieges rühmt er allüberall
den kühnen Siegeswillen und die männliche Opferbereitschaft der
Soldaten, er selbst aber setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um von
der lebensgefährlichen Front schnellstmöglich in die warme Schreibstube
versetzt zu werden.
Seiner schlimmsten Schlacht jedoch kann er nicht entfliehen. Im
Sommer 1929 wird aus dem Waffenstillstand zwischen ihm und seinem
Sohn Franz ein zermürbender Stellungskrieg. Der vom Leben
gezeichnete Sohn zieht mit 26 Jahren zurück zu den Eltern ins Haus nach
Rodaun. Franz kämpft darum, aus dem Schatten des mächtigen Vaters
treten zu dürfen, dichtet, verliebt sich unglücklich, wettert gegen den
Übervater, der seine Schwester bevorzugt. Aber immer wieder stockt ihm
die Stimme, schweigt er in seiner Wut, als könne er nicht wirklich sagen,
was seine Seele martert. Dann plötzlich, eines Nachts, am 13. Juli ein
Schuss im Zimmer des Sohnes. Hugo von Hofmannsthal und seine Frau
Gerty schrecken in ihren jeweiligen Schlafzimmern auf. Franz hat sich
erschossen. Hugo von Hofmannsthal sitzt nur noch apathisch im Sessel.
Als er sich am 15. Juli daraus erheben will, um zur Beerdigung seines
Sohnes aufzubrechen, stirbt er an einem Schlaganfall. Nein: an
gebrochenem Herzen. »Wer den Sohn hat, der hat das Leben, wer den
Sohn nicht hat, der hat das Leben nicht.« (1. Johannes, 5,12) Hugo von
Hofmannsthal wird zwei Tage später auf dem Kalksburger Friedhof
neben dem frischen Grab Franz von Hofmannsthals beigesetzt. Da er sich
dem Orden der Franziskaner eng verbunden fühlte, wird er seinem letzten
Willen gemäß im Gewand eines Franziskaners beerdigt. So endet das
Leben dieses großen Theoretikers der Ehe als keuscher Mönch.

*
Es gibt einen Sohn, der diesen verzweifelten Sohn versteht: Klaus Mann.
Er schreibt einen Nachruf auf Hugo von Hofmannsthal, der eigentlich
mehr ein Nachruf auf Franz von Hofmannsthal ist. Voller Verständnis
dafür, dass man aus dem Leben scheiden muss, wenn man nicht genug
geliebt wird. Wenn man erdrückt wird vom Ruhm des Vaters: »Er starb
als einer von uns, als unser Bruder. Wo er scheiterte, hätten auch wir
scheitern können, sicher waren wir kaum stärker als er. Da wir
weiterleben, werden wir für seinen Tod mitverantwortlich; also auch für
den des Vaters, der folgte.« Was für ungeheuerliche Worte sendet da der
eine Sohn dem anderen – inklusive seiner Selbstentblößung, dass er
längst weiß, wie sehr er mit seiner offensiven Homosexualität seinen
Vater Thomas Mann tagtäglich in die Bredouille bringt. Es gibt kaum
Fotos von Thomas und Klaus Mann zusammen – und auf den paar, die es
gibt, ist Klaus, der sonst die dandyhaften Posen liebt, eine einzige
Verkrampfung, unsicher lächelnd. Und bald schon in diesem Jahr 1929
wird es für Klaus Mann noch bedrückender – sein Vater bekommt den
Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Es ist in den Tagen nach der
Verkündigung, dass Klaus Mann damit beginnt, neben Kokain auch
Morphium zu nehmen, um sich zu betäuben. Er fährt nicht zur
Verleihung des Nobelpreises nach Stockholm. Sein Vater hat ihn nicht
eingeladen.

Es gibt einen unglaublichen Kult um das Kühle, das Coole, man will den
anderen, wenn ihm die Tränen kommen, immerzu glauben machen, das
Herz sei nur ein Muskel. Und Romantik eine Stilrichtung des
neunzehnten Jahrhunderts. »Wir waren alle recht normale Kinder des
Kalten Friedens, wir waren alle kaltschnäuzig kalt, die meisten wussten,
dass es irgendwie bald wieder schief gehen würde«, so sagt es Lisa
Matthias, Kurt Tucholskys leidgeprüftes »Lottchen«. Die Traumata des
Krieges, die Schrecken des Eises und der Finsternis, sorgen dafür, dass
sich vor allem die Männer panzern gegen Gefühlsaufwallungen jeglicher
Art. Walter Gropius in seinen steifen Anzügen und mit seinem starren
Blick im Bauhaus in Weimar und Dessau, Max Beckmann
im Selbstbildnis im Smoking, das Autorenporträt mit Pelzkragen von
Ernst Jünger in den Stahlgewittern. Ein kalter Snobismus, sich selbst und
allen anderen gegenüber, von den Künstlern der Neuen Sachlichkeit auf
die Spitze getrieben. Gegen das vergangene expressionistische Ideal der
»Authentizität« stellt man nun das Gebot der Künstlichkeit, die Maler
schauen auf ihre Modelle wie ein Arzt: Machen Sie sich bitte frei, aber
gewähren Sie mir keine Einblicke.
Der Nietzsche-Leser Otto Dix porträtiert sich als Nordpolfahrer, und
George Grosz rühmt sich seines »Packeis-Charakters«. Bertolt Brecht
erteilt in steifer Lederjacke Versteinerungsansagen in seinem Lesebuch
für Städtebewohner: »Lobet die Kälte!«, Ernst Jünger fordert eine
»Literatur unter null«. Und wie geht das am besten? Curt Moreck rät in
seinem Führer durch das lasterhafte Berlin zu den neuen Bars am
Kurfürstendamm: »Inmitten der blitzenden Sauberkeit aus Glas und
Nickel kann man sich in fabelhaft gemischten amerikanischen Eisdrinks
das Innere auskühlen.«

Ist das Abkühlen eine Männerangelegenheit? Natürlich nicht. Tamara de


Lempicka übt es ein Leben lang, malt und malt, experimentiert mit den
Materialien und der Wirkung, bis sie ihren Stil gefunden hat. Kalte Haut,
glatt wie Emaille, an die Überwältigungssprache der Werbeplakate
erinnernd, die Körper überschlank und verdreht wie bei den italienischen
Manieristen. Später, als man sieht, wie haargenau sie zu der edlen
Eleganz der französischen Möbel jener Jahre passen, wird man es Art
déco nennen, was Tamara de Lempicka da malt, noch später, als Andy
Warhol sie zu verehren beginnt, merkt man, dass Pop Art déco noch
präziser wäre. Aber erst einmal, also 1929, ist es pure Gegenwart. Und
jeder, der von ihr porträtiert wird, hat das Gefühl, eine Ikone zu werden.
Tamara de Lempicka, aus Polen nach Paris gekommen, trägt ihren Kopf
stolz wie eine Trophäe und ihren Körper so geschmeidig wie ein Negligé,
sie ist der weibliche Dandy, der die neue Zeit verkörpert, und dafür sind
die Porträtierten bereit, ein horrendes Honorar zu zahlen, auch weil das
Malen oft nicht der einzige Akt der Zusammenarbeit bleibt. »Zu meiner
Inspiration brauche ich Liebhaber«, sagt Tamara de Lempicka. Und
Männer inspirieren sie genauso wie Frauen.
Nur der italienische Dichter und Erotomane Gabriele D’Annunzio
beißt sich an ihr die Zähne aus. Er hat Tamara de Lempicka auf seinen
Landsitz bestellt, um sich malen zu lassen. Doch zuvor will er mit ihr ins
Bett. Gleich am ersten Abend kommt der 63-Jährige zu ihr ins Zimmer
und zieht sich aus (mit weiteren Details möchte ich Sie verschonen). Sie
bittet ihn, sich wieder anzuziehen. Er hat nicht verstanden, dass für sie
erst die Arbeit kommt und dann das Vergnügen. Und sie hat nicht
verstanden, dass er sich nur von jemandem porträtieren lassen kann,
dessen vorbehaltlose Bewunderung ihm sicher ist. Als er aus dem
Zimmer geworfen wird, vergnügt er sich wenig später vor der Tür mit
dem Hausmädchen, das sich für solche Zwecke bereitzuhalten hat. Am
nächsten Tag reist Tamara de Lempicka ab. Und malt sich lieber selbst:
Tamara im grünen Bugatti ist eine Auftragsarbeit für die Berliner
Zeitschrift Die Dame, im Original so klein wie das Magazincover, 35 mal
27 Zentimeter, und doch ein großes Bild der Epoche. Die Dame hält mit
hellbraunem Handschuh das schwarze Lenkrad. Der Fuß steht spürbar
auf dem Gaspedal. Rote Lippen, Lidstrich, ein Blick so neu wie
unaufhaltsam, denn »der Blick nach vorn verrät uns nichts« (William
Boyd).
Tamara de Lempicka selbst besitzt damals nur einen Renault, aber sie
weiß, dass es um Inszenierung geht, darum malt sie auf der Straße vor
dem Café de Flore einen besonders schönen Bugatti und setzt sich dann
im Atelier auf der Leinwand dort hinein. Als sie das Gemälde das erste
Mal auf dem Cover der Dame sehen, da glauben Ruth Landshoff,
Annemarie Schwarzenbach, Erika Mann, Maud Thyssen und Clärenore
Stinnes, sie blicken in ihr Spiegelbild. Der Sitz neben Tamara de
Lempicka auf diesem Bild ist übrigens leer. Die neue Frau braucht keine
Beifahrer mehr.
Sie weiß selbst, wo es langgeht. Und wie man bremst. Als der
steinreiche Baron Raoul Kuffner im Jahre 1929 in ihr Atelier kommt,
seines Zeichens der Besitzer des größten zusammenhängenden
Grundbesitzes der gesamten einstigen K.-u.-k.-Monarchie und Liebhaber
der andalusischen Tänzerin Nana de Herrera, willigt sie ein, seine Pariser
Mätresse zu malen. Tamara de Lempicka ist entsetzt, wie hässlich diese
gekleidet ist, deshalb bittet sie sie, sich auszuziehen. Dann ist sie entsetzt,
wie gering ihre erotische Ausstrahlung ist. Und zum ersten Mal malt
Tamara de Lempicka ihr Gegenüber genauso, wie es ihr erscheint, kein
bisschen größer, überhöhter oder geglätteter. Mit fast teuflischer Lust
malt sie für unerhört viel Geld dem Milliardär ein Bild, auf dem seine
Geliebte hässlich aussieht, verklemmt und viel älter als sie ist. Als der
Baron in ihr Atelier kommt und sieht, wie wenig anziehend seine
Mätresse darauf ist und wie viel anziehender deren Porträtistin, beginnt
er eine Affäre mit Tamara de Lempicka. Die nutzt also die Auftragsarbeit
als Auftragsmord. Sie weiß fortan, dass man mit Bildern alles erreichen –
und alles zerstören kann. Auch die Liebe.

Im Jahre 1929 wird die Ehe von Gustaf Gründgens und Erika Mann
geschieden. Nach Sichtung der Akten- und Gefühlslage scheint das eine
vernünftigere Entscheidung zu sein als die Heirat ein paar Jahre zuvor.
Und die kam so: Die offenkundig lesbische Tochter von Thomas
Mann, die Autorin und Schauspielerin Erika Mann, hat den
homosexuellen Schauspieler Gustaf Gründgens im Zuge der Proben für
das Vierpersonenstück Anja und Esther in Hamburg kennengelernt. Die
beiden anderen Darsteller sind Klaus Mann und Pamela Wedekind.
Anfänglich weiß Gründgens offenbar genauso wenig wie Erika Mann, ob
sie sich nicht doch lieber jeweils für Pamela entscheiden sollen, aber
dann kommen sie doch zusammen, und wenig später verloben sich dann,
aus Frust, aus Langeweile oder aus Übermut, auch Klaus und Pamela.
Eigentlich lebt Gründgens zu jener Zeit recht glücklich mit dem Maler
Jan Kurzke zusammen: »Jan ist nun mal mein alter Ego«, schreibt
Gründgens kurz vor der Hochzeit an die besorgten Eltern, »mit ihm muss
ich in Harmonie leben, um schaffen zu können.« Aber dann begrüßt er
Klaus Mann mit diesen fulminanten Zeilen auf der Hamburger Bühne:
»Die jüngere Generation hat in Klaus Mann ihren Dichter gefunden …
Mit unerbittlicher Liebe zeigt er seine Generation in all ihrer wissenden
Unwissenheit, ihrer gehemmten Hemmungslosigkeit, ihrer reinen
Verworfenheit. Man muss sie lieben, diese Menschen, die so viel Liebe in
sich haben und mit wissender Schmerzlichkeit ihre Irrwege. Lieben muss
man vor allem den Dichter dieser Menschen.« Aber warum auch immer:
Gründgens hält sich nicht an sein eigenes Gebot und liebt statt des
Dichters dessen Schwester. Die Hochzeit im Hause Thomas Mann
entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie – denn der Trauzeuge ist Klaus
Pringsheim, der Bruder von Katia Mann, und der flirtet beim
Hochzeitsessen relativ hemmungslos mit dem Bräutigam. Die Braut
wiederum, also Erika, schlägt für die Flitterwochen jenes Zimmer im
Kurgartenhotel in Friedrichshafen vor, in welchem sie selbst noch vier
Wochen zuvor mit Pamela Wedekind gewesen ist, und sie schreibt von
dort auch sofort einen sehnsuchtsvollen Brief an die »geliebte Pamela,
die ich über die Maßen liebe«. So kommen dann zur Rettung des Paares,
das mit sich nichts Rechtes anzufangen weiß, bald Klaus Mann und
Pamela Wedekind ins Hotel. Außerdem bitten sie noch einen gut
aussehenden Leichtathleten dazu, der vor dem Hotel seine einsamen
Runden zieht, Hermann Kleinhuber mit Namen. Noch 1930 wird
Gründgens dann mit dieser vorbeijoggenden Zufallsbekanntschaft allein
die Ferien am Lago Maggiore verbringen (Pamela wird dann schon mit
Carl Sternheim zusammen sein und Klaus und Erika nur noch mit sich).
Katia Manns Mutter Hedwig Pringsheim fasst die Lage in ihrer
stoischen Weisheit präzise zusammen: »Es ist eine komische moderne
Ehe, dass sich schon geradezu der Heilige Geist bemühen müsste, um mir
Urgroßmutterfreuden zu verschaffen.« Nach dem Wiedersehen des
Quartetts in Friedrichshafen ziehen Erika Mann und Gründgens in
Hamburg in eine Wohnung in der Oberstraße 125 – und damit sie die
beiden anderen nicht vergessen, nennen sie ihre Katzen wie im
Theaterstück »Anja« und »Esther«.
Passenderweise zieht dann auch bald Klaus Mann dazu, um in der
neuen Wohnung des Paares das Stück Revue zu Vieren zu schreiben. Der
Trauzeuge Klaus Pringsheim darf dafür die Bühnenmusik komponieren
und die Freundin Mopsa Sternheim macht die Ausstattung. Und die
Hauptrollen übernehmen allen Ernstes wieder: Gründgens, Erika Mann,
Klaus Mann, Pamela Wedekind. »Wiederholungszwang« hätte Sigmund
Freud das genannt. Das Stück wird der absolute Reinfall. Gründgens lässt
sich schon bald nach der Premiere von einem anderen Schauspieler
ersetzen, die geplante Tournee durch Deutschland wird ein Desaster, und
das Ende der gemeinsamen Bühnenkarriere ist eigentlich auch das Ende
des Theaterstücks Ehe, das Erika Mann und Gründgens aufführen
wollten.
Gründgens wechselt als Schauspieler nach Berlin, wohnt erst in der
Atelierwohnung seines Hamburger Freundes Jan Kurzke, um dann in die
Arme von Francesco von Mendelssohn zu fallen – dem wahrscheinlich
schrillsten Paradiesvogel des in den späten zwanziger Jahren an schrillen
Paradiesvögeln nicht armen Menschenzoos Berlin. Mendelssohn,
Nachfahre des großen Philosophen und Sohn des reichen Bankiers, ist ein
Cellist von Gnaden und ein Exzentriker vor dem Herrn. Die Sitze seines
Cabrios sind mit Hermelin bezogen, und auf den Bällen der feinen
Gesellschaft lässt er gerne den Pelzmantel fallen, um der begeisterten
Menge seinen nackten Körper darunter zu präsentieren. Mit ihm zieht
Gründgens Abend für Abend durch Schönebergs Bars, süchtig nach dem
nächsten Kick. Davor steht er auf der Bühne, umjubelt. Immer öfter
spielt er die Rollen der seelenlosen Intriganten mit eleganter
Verworfenheit. Das kann er besonders gut.
Nachdem er sich im Theater frisch gemacht hat, tauchen Gründgens
und Francesco von Mendelssohn ein in die homosexuelle Berliner
Subkultur – und Gründgens lebt erstmals seinen Narzissmus und seine
Lust in vollen Zügen aus. Es gibt, wie auch Christopher Isherwood
rühmt, um 1929 in Berlin für jede Geschmacksrichtung den richtigen Ort:
Die zentrale Adresse bleibt das Eldorado mit seinen muskulösen
Schamgürteltänzern, wo sich auch die heterosexuelle Berliner Boheme
gerne trifft zu einem ersten oder letzten Cocktail, ebenso gibt es den
Schnurrbarttempel für die Familienväter und die permanenten
Matrosenbälle im Florida, im Mikado schließlich tanzen
Travestiekünstler zu Tangomusik. Seit Friedrich dem Großen ist eben das
moralische Prinzip Preußens: Jeder soll nach seiner Façon selig werden.
Gründgens und Mendelssohn gehen am liebsten in die schon damals
legendäre Jockey-Bar in der Lutherstraße und in die Silhouette in der
Geisbergstraße, ein enges, qualmiges Tanzlokal, wo an der Bar die
Jünglinge in Frauenkleidern sitzen, in deren flachen Dekolletés falsche
Perlenketten baumeln.
Je größer Gründgens’ Erfolge auf der Bühne werden, um so
exzentrischer lebt er: Beim Modehaus Hermann Hoffmann kauft er ein
Reitsakko, einen Burberry-Mantel und einen Smoking, beim Wiener
Schneider Knize einen Frack, einen Seidenanzug und einen Morgenrock
und beim Autohaus Dello & Co (was für ein schöner Name für ein
Autohaus) einen unverdellten brandneuen Opel, ein Cabrio, in
kreischendem Rot lackiert und mit Extra-Polsterung aus rotem Leder. Da
er das Bestellte zwar abholt, aber meist nicht bezahlt, klagen die
Verkäufer regelmäßig, und so landen all die Rechnungen vor Gericht und
damit zu unserer Freude auch in den Geschichtsbüchern.
1929 also wird die Ehe von Erika Mann und dem Fahrer des einzigen
roten Opels in Berlin, Gustaf Gründgens, aus recht guten Gründen
geschieden. Und weil das Leben selbst ohnehin die besten Pointen
schreibt, bekommt Gustaf Gründgens in diesem Frühjahr seinen ersten
Filmvertrag bei der UFA, er spielt die Hauptrolle in dem Sängerfilm Ich
glaub nie mehr an eine Frau. Als kurz nach der Filmpremiere endlich die
Scheidungsunterlagen vom Amtsgericht eintreffen, öffnen Gustaf
Gründgens und sein Freund Francesco von Mendelssohn eine Flasche
Champagner und machen sich fein für den Abend in den Travestiebars in
Schöneberg.

Der Mutterschoß ist eigentlich eine Einbahnstraße. Aber Erich Kästner


fährt gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung zeitlebens zurück. Die
Frauen in seinem Bett wechseln zwar häufig, doch seine Mutter Ida
Kästner in Dresden, genannt »liebes Muttchen«, ist immer die Erste, die
davon erfährt. Und als Zweites seine Leser. Gerne reist er mit Ida auch in
den Urlaub, an den Lago Maggiore oder an die Ostsee, um sich von
Berlin zu erholen, dann und wann. Aber eigentlich genießt er es sehr, dort
ein Bohemien zu sein. Er sitzt im Café Josty in Schöneberg, kaut auf
seinen Bleistiften herum und trinkt eine Melange nach der anderen. Eines
Tages radelt eine junge Frau vorbei mit sehr auffallendem Hut. Am
nächsten Tag, wieder Café Josty, wieder bei der dritten Melange: Die
Frau mit Hut auf ihrem Rad. Da greift er zum Bleistift und legt los. Noch
bevor er sie kennengelernt hat, macht er sie in seinem Notizbuch schon
zu einer literarischen Figur, zu »Pony Hütchen«, jener legendären
Cousine seines legendären Helden in Emil und die Detektive (aber Erich
Kästner, der gute Sohn, vergisst auch in diesem Buch die Frau Mama
nicht und verewigt sie in der Figur der sich aufopfernden Frau
Tischbein).
Irgendwann spricht Kästner die Radfahrerin an, als sie am Café Josty
vorbeigeradelt kommt, sie heißt Margot Schönlank und ist, wenn er ihr
zuzwinkert, auf dem Weg zur Werbefachschule. Kurz darauf meldet er
der Mutter in einem seiner »Muttchenbriefe« nach Dresden bereits
Vollzug: »Die neue kleine Freundin ist ein furchtbar lieber Kerl. Bloß
schon wieder zu sehr verliebt. Hat ja alles keinen Sinn auf die Dauer.«
Denn auf Dauer ist natürlich Mutti die Beste. Aber, so klagt Kästner ihr
sein Leid, er komme sich ohnehin bei den modernen Berliner Frauen ein
wenig überflüssig vor: Sie seien vor lauter Büroarbeit und
Selbstbefriedigung und Selbständigkeit so unabhängig geworden, »dass
sie Männer einfach nicht mehr brauchen können«.

Die Frauen brauchen die Männer nicht mehr. Das ist die für die Männer
verstörende Botschaft der späten zwanziger Jahre. Sie brauchen sie nicht
mehr, um ihr Leben zu finanzieren – denn das machen sie inzwischen
selbst, zumindest in Berlin und den anderen Großstädten, sie arbeiten in
den Büros. »Zwischen neun und fünf heißen sie Fräulein. Nach
Feierabend gibt es auch einen Vornamen«, wie Mascha Kaléko schreibt.
Sie brauchen die Männer auch nicht mehr, um von A nach B zu kommen,
denn sie fahren ihre Autos selbst und posieren auf den Kühlerhauben und
genießen den Fahrtwind besonders, wenn nur ein kleines Hündchen
neben ihnen sitzt. Und die Frauen brauchen die Männer nicht mehr für
Sex, denn Erfüllung finden sie auch bei ihren Freundinnen (oder sich
selbst). Aber wenn sie sich doch mit einem Mann einlassen, dann weiß
der, dass ihn die Frau genauso erwählt hat wie er sie – und dass sie es
genauso schnell beenden kann wie er. »Mit ihm schlafen, ja, aber keine
Intimitäten«, wie Kurt Tucholsky, der Kenner dieser Frauen, es
zusammenfasst. Seinen Geliebten gibt er meist männliche Kosenamen,
bei Erich Maria Remarque dasselbe, auch Erich Kästner macht es so, die
Männer versuchen also, das Spiel um die Verwirrung der Geschlechter
mitzuspielen, aber sie haben natürlich keine Chance. Die weiblichen
Dandys sitzen in den Bars am Berliner Kurfürstendamm, bei
Schwannecke und bei Schlichter, sie rauchen, sie gehen tanzen, sie tragen
sehr gerne Herrenanzug und Krawatte wie Marlene Dietrich und: sie
schreiben. Artikel und kleine Feuilletons, federleicht und bissig, für den
Uhu, für die Dame, für den Querschnitt und all die anderen großen
Zeitungen der Weimarer Republik. Vor allem aber schreiben die Frauen
der neuen Generation auch Bücher, die ungreifbar flirren, es geht nicht
mehr um Moral oder um Utopien, sondern um Erfahrungshunger – der
Mann ist für die weiblichen Heldinnen der weiblichen Autorinnen meist
nicht mehr als eine Sättigungsbeilage. Charlotte Wolff erzählt, wie sie
mit Dora Benjamin, Walter Benjamins erster Frau, in die Verona Diele in
Schöneberg ging: »Es war üblich, dass die Männer die lesbischen Frauen
zu ihrem Tummelplatz begleiteten. Doch kaum waren sie im Innern des
Clubs, wurden sie zu Schattenfiguren, zu Mauerblümchen, die an kleinen
Tischen sitzend das Geschehen verfolgen.« Ja, von kleinen Tischen aus
das Geschehen verfolgen – das war die neue ungewohnte Nebenrolle für
den modernen Mann. Dasselbe in der Literatur. Eine neue Generation
von Autorinnen schafft eine neue Generation von Heldinnen: Egal ob in
Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen, Mascha Kalékos Lyrisches
Stenogrammheft, Vicki Baums Menschen im Hotel, Ruth Landshoffs Die
Vielen und der Eine oder Gabriele Tergits Käsebier erobert den
Kurfürstendamm. Das Gleiche geschieht in den Fotoateliers rund um den
Kurfürstendamm, eine neue Bildsprache etabliert sich: Frauen, dem
Zugriff des männlichen Begehrens entzogen, wie man sie auf den
Schwarz-Weiß-Fotografien von Marianne Breslauer findet, auf denen von
Annemarie Schwarzenbach, Frieda Riess und Lotte Jacobi. Und auf den
Gemälden einer Lotte Laserstein, die den Körper ihrer Freundin Traute
Rose aus immer neuen Winkeln und mit immer neuem, unbefangenen
Blick erforscht und erwandert. Frauen, beschrieben und gesehen von
Frauen. Eine ästhetische Revolution, getragen von Kühnheit und
Weiblichkeit. Alles Überflüssige wird zur Marscherleichterung
abgeworfen, so wie sich Ruth Landshoff des nicht notwendigen
Buchstabens »h« entledigt und sich als Buchautorin zur Rut verschlankt.
Zu Symbolfiguren dieses neuen Denkens werden Marlene Dietrich und
Margo Lion, die das Rettende der Frauenliebe besingen in der Revue Es
liegt was in der Luft. Darin kaufen die beiden Frauen gemeinsam
Dessous und singen: »Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin.«
Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin, dann brauchen sie die
Männer nicht mehr.

Das geht ja gut los: Als die junge Lee Miller in New York über die Straße
geht, wird sie fast von einem Lastwagen überfahren, doch ein adretter
Mann reißt sie im letzten Moment auf den Bürgersteig. Der Mann heißt
Condé Montrose Nast, er ist der Herausgeber der VOGUE und der
mächtigste Mann der Modewelt. Ein paar Wochen später ist Lee Miller
seine Geliebte. Ein paar Monate später ist sie auf dem Cover der
VOGUE zu sehen, fotografiert vom großen Edward Steichen. Aber sie
möchte nicht den ganzen Tag fotografiert werden. Das hat schon ihr Vater
getan, seit sie auf der Welt war, meist nackt, und er hat damit nicht
aufgehört, als sie ein Mädchen wurde, und auch nicht, als sie zur Frau
geworden war. Jetzt, in diesem warmen New Yorker Sommer des Jahres
1929, will Lee Miller nicht länger nur Objekt sein, sie will Subjekt
werden, also: Fotografin. Edward Steichen gibt ihr ein
Empfehlungsschreiben für den Starfotografen Man Ray in Paris. Zwei
Tage später besteigt sie das Schiff.
Als sie in Paris ankommt, mit dem Zug aus Le Havre, da lässt sie sich
sofort nach Montparnasse fahren und klingelt an der Tür von Man Rays
Atelier in der Rue Campagne-Première 31. Doch die Concierge sagt ihr,
da könne sie lange klingeln, Man Ray sei für den Sommer verreist.
Deprimiert nimmt Lee Miller ihre Koffer und läuft über den Boulevard
Raspail, die Sonne drückt, sie geht in ein kleines Café gegenüber. Unten
ist es ihr zu laut und voll, sie steigt die kleinen Stufen nach oben, bestellt
sich einen Kaffee und blickt ernüchtert auf das sommerliche Treiben auf
der Straße. Da kommt plötzlich Man Ray die Treppe herauf und setzt sich
an einen anderen Tisch. Lee Miller traut ihren Augen kaum. Auch er hat
seine Koffer dabei, offenbar nimmt er einen letzten Café vor der Fahrt in
den Sommerurlaub. Da tritt Lee Miller an seinen Tisch. »Ich bin Ihre
neue Schülerin«, sagt sie zu ihm. Er blickt irritiert unter seinen mächtigen
Augenbrauen hinauf zu der kühnen, großen Schönheit, die da vor ihm
steht. Er starrt auf ihre Lippen, die wie mit einem feinen Pinsel in Hellrot
gemalt zu sein scheinen. Als er sich wieder berappelt hat, sagt er: »Nein,
das ist nicht möglich, ich habe keine Schüler. Außerdem bin ich im
Begriff, in den Sommerurlaub nach Biarritz zu fahren.« Darauf Lee
Miller, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ja, ich weiß. Und ich fahre mit
Ihnen.«
Als sie am Gare du Nord in den Zug steigen, ist sie seine Schülerin,
als sie im Abteil sitzen, wird sie sein Modell, als sie in Biarritz
ankommen, seine Geliebte.

Nur einer der großen deutschen Expressionisten hat den Krieg überlebt.
Franz Marc und August Macke sind gefallen, Ernst Ludwig Kirchner
aber überlebte, wenn auch für den Rest seines Lebens gezeichnet, fernab
der Moritzburger Seen und fernab des Potsdamer Platzes, wo er seine
berühmten Frauenfiguren gemalt hatte. Kirchner verkriecht sich in den
Schweizer Alpen, gemeinsam mit Erna Schilling, seiner Berliner
Gefährtin aus der expressionistischen Höhlenwohnung in Wilmersdorf.
Nach all den Granateinschüssen in den Schützengräben kann er keinen
Lärm mehr ertragen, höchstens Kuhglocken, den Bergwind, der unruhig
ums Haus streicht, und das ferne Rufen der Adler, die um die Gipfel
kreisen. Hier, etwas unterhalb der Staffelalm, oberhalb von Davos, hat er
ein karges Bauernhaus bezogen, schwere Balken umhüllen die dunklen
Räume, hier malt er ganz anders als früher, elegischer in der Form und
merkwürdiger in den Farben, Frauen und Ziegen in verbotenem Rosa, in
jähem Grün, in schrillem Lila. Das Tagewerk der Bauern um ihn herum
beruhigt ihn, das Mähen, das Hämmern, das Muhen der Kühe. Manchmal
fährt er mit dem Bus runter nach Davos, setzt sich ins Café wie einst in
Berlin, aber es ist nicht mehr wie früher, er trinkt seinen Kaffee, schaut
einmal in die Zeitung und fährt schnell wieder zurück auf seine Alm. Er
ist ein Überlebender. Er ist aus der Zeit gefallen. Das Werkverzeichnis
seiner Druckgraphik entsteht, große Ausstellungen zeigen seine
expressionistischen Bilder. Für seine neuen Werke interessiert sich
niemand, nur Erna, seine treue Gefährtin. Manchmal, wenn sie unterwegs
sind, trägt er sie als »Frau Kirchner« ein, da lächelt sie still. Sie ist viel
krank, leidet, die Ärzte versuchen vergeblich, ihr zu helfen, sie geht auf
Kur und kommt zurück, kein bisschen gesünder.
Ernst Ludwig Kirchner muss in jeder Phase seines Lebens malen, was
er um sich hat. Und so malt er jetzt eben die Berge, die Bauern, überall
Tannen, manchmal malt er auch Erna und sich, eng umschlungen, wie
Yin und Yang. Seine Weltflucht hat ihn in die Resignation getrieben.
Oder umgekehrt. Er hat ein eher traditionelles Bild von Mann und Frau:
»Das Weib«, so sagt er, werde »seelisch von jedem Mann geformt, der es
sexuell besaß, jeder hinterlässt seinen Schatten auf ihr.« Von Licht ist
nicht die Rede.
Erna, im Wesentlichen also geformt durch den langen Schatten, den
Kirchner auf sie wirft, nennt er seine »treue Kameradin«. Er findet ihre
Form des Zusammenlebens erfasst in dem Buch Kameradschaftsehe des
Amerikaners Ben B. Lindsey, das 1929 in Deutschland erscheint: ein
Plädoyer für die Ehe ohne Kinder, für ein einvernehmliches
Zusammensein ohne zu viele Ansprüche, aber mit Verantwortung
füreinander. Das ist so ziemlich das, was auch Ernst Ludwig Kirchner
noch möglich erscheint, hier oben auf der Alm, innerlich zerschossen
vom Krieg, die Seele gemartert von zu vielen Jahren im
Morphiumrausch. Zwei Sätze in dem Buch von Lindsey hat er fett
unterstrichen: »In Wirklichkeit ist die Phantasie in Verbindung mit dem
Geschlechtstrieb einer der großen Hebel gewesen, die das
Menschengeschlecht über die Tiere hinausgehoben haben. Solch
schöpferische Künste wie Musik, Malerei, Poesie, Tanz, Liebe und sogar
Religion sind aus dieser Vereinigung von Geschlechtstrieb und Phantasie
entstanden.« Als er das Buch ausgelesen hat, schenkt Kirchner es weiter
an ein junges Ehepaar aus Davos.
*

Der Kölner Fotograf August Sander, der mit Akribie und kaltem Blick die
späten zwanziger Jahre schwarz auf weiß zu dem stilisiert hat, was in
unserem Bildgedächtnis abgespeichert ist, möchte im Herbst 1929 den
Dadaisten Raoul Hausmann in seinen realen Liebesumständen
fotografieren. Also: Mit Frau und mit Geliebter. Und so zieht Hausmann
sein Hemd aus und seine Schuhe, er zeigt stolz seinen braun gebrannten
Oberkörper und legt den rechten Arm um seine glattgebügelte Gattin
Hedwig im knielangen Rock. Sie schaut in die Kamera, als sei sie froh,
der ehelichen Pflichten ledig zu sein. Den linken Arm legt ihr Gatte
Hausmann genüsslich um Vera Broido, seine Geliebte, ihr Rock ist die
entscheidenden zehn Zentimeter kürzer. Ihr Blick die entscheidenden
zehn Prozent entspannter. August Sander drückt auf den Auslöser. Er
nennt seine Fotografie Die Künstlerehe. Die Trios scheinen in jenen
Jahren eine längere Halbwertszeit zu haben als die klassischen Duette.
Dieses hier überlebt immerhin bis 1934.

Franz Hessel, der als Lektor und Übersetzer für den Rowohlt Verlag in
Berlin arbeitet, Casanova und Balzac übersetzt hat und gemeinsam mit
Walter Benjamin Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, dieser Franz
Hessel hat eine Frau gefunden, die genauso transitorisch ist wie seine
Gedanken: Doris von Schönthan, ein flackerndes Zentralgestirn der
Berliner Boheme, in den Bars und Cafés des Westens nur »Jorinde«
genannt, aber eigentlich, man glaubt es nicht, eine geborene Frau
Ehemann. Wahrscheinlich kann sie allein deshalb nie heiraten. Auch das
entspannt Franz, denn er ist bereits Helen Hessels Ehemann. »Jorinde«
ist Journalistin, sie führt in der Dame die neueste Hutmode vor, sie
fotografiert, sie flattert durchs Leben. Hessel fliegt ihr hinterher, seinen
ersten Text über sie nennt er »Leichtes Berliner Frühlingsfieber«. Schon
der nächste Text heißt: »Doris im Regen«. Hessel schreibt über Doris in
ihrem Zimmer, Doris am Seeufer, Doris auf der Straße. Es sind vielleicht
seine größten Texte. Durch die angebetete Gestalt wird Berlin plötzlich
erfahrbar, Doris wird zu einer magischen Rückenfigur, die seit Caspar
David Friedrich die deutschen romantischen Phantasien beflügelt, er sieht
meist nur ihren Rücken, so schreibt er, so schnell spaziert sie, und unser
Flaneur Franz Hessel nimmt Tempo auf. Solchermaßen angetrieben
entsteht sein wichtigstes Buch: Spazieren in Berlin.

Am 2. August annonciert Le Journal de Dinard, dass das Ehepaar


Picasso wieder Quartier in der Bretagne genommen hat. Erst im Hôtel le
Gallic und dann in der hochherrschaftlichen Villa Bel-Event. Dass
Picasso wieder seine Geliebte Marie-Thérèse Walter mitgebracht hat, die
in der kleinen Pension Albion wohnt, wird nicht gemeldet.
Picasso wechselt nachmittags immer vom Strandkorb, in dem Olga
und sein Sohn Paolo sitzen, zum Handtuch von Marie-Thérèse. Olga
verbirgt sich unter einem Schirm, um ihre vornehme Blässe zu
kultivieren. Marie-Thérèse brät den ganzen Tag in der Sonne, sie weiß,
dass Picasso ihre gebräunte Haut liebt und ihr blondes Haar, das mit dem
Salz und Licht immer goldener wird. Picasso und Marie-Thérèse
genießen ihre Heimlichtuerei und ihr Versteckspiel. Sie will nie Madame
Picasso werden. Sie will seine Muse bleiben.
*

Im August 1929 macht Erich Kästner Urlaub mit seiner Mutter an der
Ostsee. Danach bittet er seine Freundin Margot, also Pony Hütchen aus
Emil und die Detektive, ihm eine neue Wohnung zu suchen – seinem
»lieben Muttchen« schreibt er: »Pony wird ein bisschen zu rennen haben,
aber die tut es ja gerne, der kleine Matz.« Sie findet eine hübsche
Dreizimmerwohnung in der Berliner Roscherstraße 16, vierter Stock,
Gartenhaus mit Blick auf eine Kastanie, in der die dicken Früchte ihre
grellgrünen Stacheln in den Himmel recken. Die Mutter kommt zum
Einzug am 1. Oktober von Dresden nach Berlin gefahren und bringt dem
Sohnemann Kissen und Löffel mit. Pony besorgt ihm danach noch Dinge
aus ihrer elterlichen Wohnung, dazu Mülleimer und Servierbrett. Kästner
an seine Mutter: »Sie kam sich nützlich vor und freute sich.« Sie macht
ihm auch immer wieder das Abendbrot und bewirtet seine ersten Gäste.
Manchmal darf sie sogar bei Kästner übernachten. Einmal erzählt sie ihm
morgens, noch schlaftrunken, ihren Traum. Sie findet ihn schon ein paar
Tage später in der Weltbühne wieder in dem Gedicht »Ein gutes Mädchen
träumt«. Kästner verwertet die Frauen. Er liebt sie nicht. Er dichtet: »Sie
lief wie durch eine Ewigkeit. Sie weinte. Und er lachte.« Der in puncto
Verwertung und Gefühl durchaus ähnlich gelagerte Kurt Tucholsky wird
»Ein gutes Mädchen träumt« zu seinen Lieblingsgedichten zählen. Aber
er erkennt auch genau, was dahintersteckt: »Sehr bezeichnend für
Kästner, dass mit keiner Silbe etwas für jenes träumende Mädchen gesagt
wird. Ich glaube: Kästner hat Angst vor dem Gefühl. Er ist nicht
gefühllos, er hat Angst vor dem Gefühl, weil er es so oft in der Form der
schmierigsten Sentimentalität gesehen hat.«
*

Wir müssen jetzt einmal kurz Luft holen. Denn nun reisen wir ans
Mittelmeer, nach Spanien, und dort wird es gleich sehr unübersichtlich
und, logisch, sehr heiß. Es bläst zwar der Tramuntana in schmetternden
Stößen vom Gebirge her, aber er bringt keine Abkühlung, sondern nur ein
noch größeres Durcheinander in den Köpfen und Herzen. Und zwar in
denen von Paul Éluard, seiner Frau Gala, von René Magritte, seiner Frau
Georgette, von Luis Buñuel und natürlich von Salvador Dalí.
Éluard hätte nun wirklich gewarnt sein müssen, dass es seiner Ehe
nicht förderlich sei, wenn er gemeinsam mit seiner Frau aufstrebende
Surrealisten im Ausland besucht. Denn nachdem sie Anfang der
zwanziger Jahre Max Ernst in Köln kennengelernt hatten, malte Ernst
Gala schon wenig später mit entblößten Brüsten, und eine offene
Dreiecksbeziehung begann, die zunächst die eher kleinmütige Ehefrau
von Max Ernst zermürbte und dann auch den eher großmütigen Éluard.
Der floh nach Asien, doch dahin reisten ihm Max Ernst und Gala
gemeinsam nach, inzwischen erschöpft vom mehrjährigen Liebesrausch,
und holten ihn zurück in heimatliche Gefilde und in die Ehe. Im Kreis
der Surrealisten in Paris ist Gala eine dauernde Provokation – André
Breton spricht von Gala nur als der Frau, »auf deren Brüsten der Hagel
eines gewissen Traumes von Verdammung schmilzt«. Immer wieder
preist Éluard gegenüber den surrealistischen Künstlern die erotischen
Vorzüge seiner Frau und macht sie zu einem exzentrischen Kultobjekt,
doch nachdem er ein Jahr in Arosa war, um ein Lungenleiden zu
kurieren, genießen sowohl er wie sie so viele Affären, dass sich das
Ganze etwas abgeschliffen hat. Aber Gala gegenüber bleibt er dennoch
der Troubadour: »Es gibt kein Leben, es gibt nur Liebe. Ohne Liebe ist
alles für immer verloren, verloren, verloren.«
Es gibt übrigens eine gemeinsame Tochter Cécile, aber die ist von
Gala früh bei den Großeltern deponiert worden, für sie sei
Kindererziehung nichts, erklärt sie dem verblüfften Gatten und der
akzeptiert es. Nun also, im Sommer 1929, nach Paul Éluards Gesundung,
wollen sie es noch einmal versuchen, Éluard kauft sogar eine neue
Wohnung für sie beide in Paris und richtet sie ein mit teuren Möbeln und
Teppichen. Dann reisen sie einen Tag lang mit zahllosen Koffern und
guten Mutes ins gottverlassene Cadaqués, wo der Sage nach der kauzige
Salvador Dalí sein malerisches Unwesen treibt. Er hat mit Luis Buñuel
Ein andalusischer Hund gedreht und das Selbstporträt Der Große
Masturbator gezeigt, nun wollen ihn alle kennenlernen und der Galerist
Goemans will mit ihm über eine große Ausstellung reden, im Herbst, in
Paris. Doch noch ist Sommer. Die Sonne brennt vom Himmel, der Wind
treibt die Wellen krachend an die Ufer, meterhoch fliegt die Gischt.
Irritiert schauen die Fischer im Ort auf die mondäne Reisegruppe aus
Paris und flicken weiter ihre Netze. Sie hören nichts und sehen nichts,
wunderbare Unwissenheit, wie dunkler Seetang im tiefen Meer.
Schon beim ersten gemeinsamen Essen am Abend bricht Dalí immer
wieder in hysterische Lachanfälle aus, unkontrolliert, laut, schrill, er steht
stolpernd auf, geht vor die Tür und kommt nach ein paar Minuten wieder,
als sei nichts gewesen. Er hat sich die Achseln rasiert und eine Geranie
ins Haar gesteckt. Die Surrealisten aus Paris und Dalís eventueller
künftiger Galerist, eigentlich durchaus den Absonderlichkeiten der
Spezies Mensch zugetan, konzentrieren sich lieber ganz auf das Zerlegen
der köstlichen Hummer und schauen einander verstohlen an. Ob der
junge Maler da am Kopfende eventuell nicht ganz dicht ist?
Allein Gala ist anderer Meinung. Auf der Stelle verfällt sie diesem
sonderbaren Mann mit dem braun gebrannten Oberkörper und dem
schwarzen Flaum über den Lippen. Sie erkennt ihn in seinem Wesen auf
den ersten Blick. Sie erkennt seine Obsessionen, sie spürt seine Angst vor
der Sexualität, die ihn wie ein Monstrum beherrscht. Und nimmt ihn
einfach an die Hand. Es gibt ein Foto von diesen Tagen, leicht unscharf,
Dalí und Gala liegen nebeneinander am steinigen Strand, ihre Hände auf
seiner Brust eng ineinander verschränkt, beide haben die Augen
geschlossen, ihr Gesicht trägt ein Lächeln voller Seligkeit. Der Mann, der
sie fotografiert, ist Paul Éluard, Galas Ehemann. Als er dieses Lächeln
sieht, drückt er erst ab und packt dann seine Koffer.
Auch Luis Buñuel spürt diese neue Energie. Bis gestern hat er mit
Dalí noch seinen neuen Film L’age d’or gedreht, doch plötzlich ist der
Maler nicht mehr erreichbar, sitzt still neben Gala und hält ergriffen ihre
Hand. Da dreht Buñuel irgendwann durch, wirft sich auf Gala, würgt sie,
bis Dalí ihn anfleht abzulassen. Am nächsten Tag verlässt auch Luis
Buñuel Cadaqués.
Es bleiben nur: Gala und Dalí. »Gala wurde das Salz meines Lebens,
das Härtebad meiner Persönlichkeit, mein Leuchtfeuer, meine
Doppelgängerin – ICH«, frohlockt Dalí. Nur einmal werden sie
miteinander schlafen, denn eigentlich hat er panische Angst vor dem
weiblichen Geschlecht, als Gala ihn kennenlernt, ist er mit 25 Jahren
noch Jungfrau. Nur dem Gesäß kann er sich gefahrlos zuwenden, hier ist
er der Betrachter und muss keinen Anblick fürchten, der das Monstrum
der Sexualität in ihm geweckt hätte. Gala versteht das alles und streicht
ihm verständnisvoll über seine schwarzen Haare. Seit er seinen Wahn in
ihren Händen weiß, muss er nicht mehr hysterisch und grundlos lachen.
Sie ziehen, nachdem die anderen samt Galas Mann nach Paris
zurückgefahren sind, schnell in eine winzige Hütte direkt am Wasser, in
der nächsten Bucht, fernab von allem, nur ein paar Fischer sind in der
Nähe, mit den hübschesten fährt sie manchmal raus aufs Meer, wenn ihre
sexuellen Bedürfnisse zu groß werden. Dalí ist immer sehr erleichtert,
wenn sie mit einem Fischer in See sticht, er will, dass es ihr gut geht, und
er setzt sich an seine Staffelei, um seine Phantasie zu betreten und um
ihren Hintern zu malen. Hoch steht die Sonne, die Zeit zerfließt. Wenn
Gala zurückkommt, gibt es fangfrischen Hummer. Und Dalí sagt: »Die
Schönheit wird essbar sein oder es wird keine Schönheit sein.« Guten
Appetit.

Das Bauhaus will einen neuen Menschen mit idealisiertem Körper und
Geist erschaffen. Nur an einem Punkt bleibt man sehr traditionell: Die
»Meister«, die tatsächlich so heißen, das sind Männer, also Wassily
Kandinsky, Marcel Breuer, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer und
Josef Albers. Und über ihnen thront als Patriarch Walter Gropius. Die
Frauen sind nur als Studentinnen vorgesehen – allein Gunta Stölzl macht
eine Ausnahme. Sieben Jahre, nachdem sie in Weimar als Schülerin
begonnen hat, darf sie sich in Dessau »Meisterin« nennen, in der
Webwerkstatt, aber im Grunde ist das keine echte Veränderung, denn die
männlichen Meister haben das Gefühl, dass das Weben zu den
klassischen weiblichen Haushaltstätigkeiten gehört.
Gunta Stölzl ist von der ersten Sekunde dabei, erst im Banne des
Farbenzauberers Johannes Itten, dann in dem Paul Klees, schließlich
Meisterschülerin Oskar Schlemmers. Auf dessen berühmtestem Gemälde,
der Bauhaustreppe, heute im New Yorker MoMA, läuft sie als abstrakte
Figur mit ihren Schülerinnen die Stufen hinauf. Doch dieser Weg ist
steinig. Alles, was sie von den großen Malern gelernt hat, fließt ein in
ihre Webarbeiten, abstrakte Kunstwerke von einer so weichen wie
fließenden Poesie. Aber auch das wäre für Gunta Stölzl ein Gedanke
gewesen, der noch zu sehr in Klischees über weibliche Ästhetik verhaftet
ist. Nein, was ihr gelingt, ist viel kühner: Unter ihrer Leitung wird die
Textilabteilung des Bauhauses in Dessau zu einem Entwicklungslabor für
professionelles Industriedesign, sie webt mit Cellophan und sie
entwickelt den Eisengarnstoff der Stahlrohrmöbel in ihrer Weberei. Sie
sieht ihre Werkstatt als einen Thinktank: »weben ist aufbauen.
Konstruieren von geordneten gebilden aus ungeordneten fäden.« Und
Gunta Stölzl findet, dass dies auch für die Liebe gilt. Sie konstruiert ein
geordnetes Gebilde aus ihren ungeordneten Lebensfäden und heiratet
1929 den Architekturstudenten Arieh Sharon aus Palästina – kurz vor der
Geburt der gemeinsamen Tochter Yael am 8. Oktober. Sie hat ihren
Bruder Erwin noch gefragt, ob er juristische Bedenken habe gegen die
palästinensische Staatsangehörigkeit, die sie sich durch die Heirat
erwerbe, aber er sagte, das sei doch kein Problem.
Doch plötzlich lernt Gunta Stölzl – als neue Mutter und neue
Palästinenserin – die Grenzen des fortschrittlichen Bauhauses kennen. Es
ist ein Ort der freien Liebe. Aber für Kinder ist eigentlich kein Platz. Als
sie mit wunderbarem Trotz versucht, ihre Führungsrolle in der Weberei
mit ihrer Mutterschaft in Einklang zu bringen, und ihr Baby im Bauhaus
stillt, wird irritiert getuschelt, von den Männern wie den Frauen. Muss
das sein? Das fordert sie zunächst nur heraus, weiter ihren Weg zu gehen.
Auch ihr Mann Arieh Sharon, ein Zionist der ersten Stunde, der von
seinem Kibbuz aufs Bauhaus geschickt worden ist, bestärkt sie in ihrem
Wunsch, auch die Rolle der berufstätigen Mutter am Bauhaus neu zu
prägen. Für Sharon jedoch werden die Zeiten selbst zusehends
ungemütlicher. Er hat die Bauleitung der großen Gewerkschaftsschule in
Bernau übernommen und erlebt dort, wie in Dessau, immer wieder
irritierte Nachfragen zu seiner Staatsangehörigkeit.

Alle glücklichen Paare ähneln einander. Aber alle unglücklichen sind auf
ganz eigene Weise unglücklich.

Im Jahre 1929 geht es mit den zwanziger Jahren unweigerlich zu Ende –


und mit der Ehe der Fitzgeralds auch. Als sie 1921 mit dem Schiff
Aquitania aus Amerika nach Europa gekommen waren, verkörperten die
beiden Fitzgeralds noch das neue Flair Amerikas, das flirrende Jazz-Age,
die Gier nach Leben, nicht nach Sinn, die Welteroberung in
Sommeranzug und Cocktailkleid, die hinreißend wilde
Südstaatenschönheit Zelda genauso wie ihr Mann, der blonde, höfliche
Untergangsprophet Scott, der Liebesgeschichten voll zeitloser Wehmut
und stilistischer Eleganz entwirft, die man so noch nie gelesen hatte. Erst
Die Schönen und die Verdammten und dann Der große Gatsby, das waren
Grimms Märchen der zwanziger Jahre, in ihrer Wahrheit so
melancholisch wie brutal. Es war einmal in Amerika. Die Fitzgeralds
waren schnell ein flackernder Fixstern geworden im angelsächsischen
Firmament von Paris rund um die Planeten Gertrude Stein und James
Joyce, um Sylvia Beach und ihre Buchhandlung Shakespeare &
Company, um Cole Porter und Josephine Baker, um John Dos Passos und
um Hemingway natürlich. Eine scheinbar ewige Midnight in Paris, mit
abnehmendem Mond allerdings. Denn von Jahr zu Jahr wird es
komplizierter mit den Fitzgeralds, Zelda kichert immer öfter minutenlang
vor sich hin und Scott wird ausfällig, wenn er zu viel getrunken hat, und
eigentlich hat er immer zu viel getrunken.
Im Frühjahr 1929, als sie aus Amerika nach Paris zurückgekehrt sind,
um noch einmal die Hoffnung und den Glamour der frühen Tage zu
suchen, da verlieren sie sich. Wie zwei Trapezkünstler, weit oben, immer
ganz weit oben, angespannt, der eine am anderen hängend, der eine vom
anderen gehalten, aber in der Tiefe: der Abgrund. In ihrem ersten
Liebesbrief hat Zelda einst an Scott geschrieben, sie werde nie ohne ihn
leben können, werde ihn immer lieben – auch wenn er irgendwann damit
anfangen werde, sie zu hassen. In diesem Frühjahr, das sich so wärmend
über Paris legt wie eine dunkelblaue Wolldecke, ist es das erste Mal so
weit. Zelda nimmt Ballettunterricht, Scott Untergangsunterricht. Sie tanzt
den ganzen Tag. Er trinkt die ganze Nacht. Als ihn der New Yorker um
einen kurzen autobiographischen Text bittet, da schickt er die Liste aller
alkoholischen Getränke der letzten Jahre. Er trinkt, um seine
Verkommenheit zu spüren, um so unwürdig zu sein, wie er sich fühlt,
wenn er nüchtern ist. Frühmorgens, wenn ihn die Taxifahrer
zurückbringen von seinen Kneipentouren durch die heruntergekommenen
Bars auf der Rive Gauche und er das Treppenhaus hochstolpert, da steht
Zelda gerade auf, um sich zu dehnen und zu strecken für ihren
Ballettunterricht. Sie hat endlich einen Platz bei der berühmten Madame
Egorova bekommen, die noch im Ballets Russes mit Nijinsky getanzt hat
und nun die beste Ballettschule von Paris führt in der Mansarde de
Olympia am Boulevard des Capucines. Zelda verehrt die russische
Madame, bringt ihr täglich weiße Gardenien, jede Woche ein neues
Parfüm, und wenn sie sie am Knöchel berührt, um ihre Beinstellung zu
korrigieren, dann bekommt sie Gänsehaut am ganzen Körper. Sie hält es
für Liebe, aber es ist wohl bloß Besessenheit. Sie will nur noch Madame
Egorova gefallen, trainiert weiter, sobald sie zu Hause ist, trinkt
ausschließlich Wasser, bindet sich nachts die Füße an den Bettpfosten
fest und schläft mit nach außen gebogenen Zehen, damit sie elastischer
werden. Doch ihre Zehen sind schon 29 Jahre alt, sie lassen sich nicht
mehr biegen wie junges Weidenholz. Selbst wenn sie mit Scott zu streiten
versucht in den kurzen Momenten, in denen er nüchtern ist und sie beide
zu Hause, biegt sie die Füße nach außen und lächelt wie eine Ballerina.
Die beiden zerfleischen sich, quälen sich nach allen Regeln der Kunst.
Eine Ehe als Insolvenzverschleppung. Zelda schreibt jetzt auch
Kurzgeschichten wie Scott, doch die Zeitschrift College Humor setzt als
Autorennamen »Von F. Scott und Zelda Fitzgerald« darunter, damit es
sich besser verkauft. Sie rastet aus. Auch er, durch Zelda herausgefordert,
schreibt plötzlich wieder für ein paar hundert Dollar neue Storys, das
einzige Thema in ihren wie seinen Geschichten: die Sprachlosigkeit in
der Ehe. Am liebsten bricht Scott in diesem Sommer mit Hemingway
aus, mit dem sich so herrlich saufen lässt und beim tiefen Blick ins Glas
übers Leben sinnieren. An einem Abend im Juni 1929 erzählt Scott im
Michaud’s mit erstickender Stimme, dass Zelda ihm gesagt habe, sein
Penis sei zu klein, kleiner als der von allen anderen Männern.
Hemingway bittet ihn sofort, mit auf die Toiletten zu kommen – er will
das genauer in Augenschein nehmen. Und das Urteil des
Sachverständigen Ernest Hemingway ergibt: alles normal. Doch dann
merkt Hemingway, dass Fitzgerald gar nicht glücklich ist über dieses
Vermessungsergebnis: »Er hatte sich aber an dieser Ausrede für seine
Niederlage festgeklammert und wollte sich nicht trösten lassen.«
Hemingway bietet dem Untröstlichen an, mit ihm am nächsten Morgen in
den Louvre zu gehen, damit er sich mit dem Unterbau der antiken
Skulpturen vergleichen könne, doch Fitzgerald lehnt ab, suhlt sich in
seiner vermeintlichen Kleinheit. Zelda hat es gesagt und damit ist es für
ihn wahr. Ein neuer Grund, sich groß zu trinken.
Die Ballettschule macht Sommerferien, alle machen Sommerferien,
die Fitzgeralds merken, dass sie offenbar auch Sommerferien machen
müssen, um sich nicht zu zerfleischen in ihrer Wohnung in der Rue
Palatin. Sie fahren an die Riviera, zwei Ertrinkende am Meer, mieten von
Scotts Kurzgeschichtenhonoraren die Villa Fleur de Bois, sie wollen
»schwimmen und braun und jung werden«, wie Scott schreibt. Vor allem
wollen sie sich ablenken lassen von sich selbst. Dabei helfen auch
diesmal Sara und Gerald Murphy, das sagenhaft reiche amerikanische
Salonlöwenpärchen mit seiner Villa America in Antibes, in der man so
gut die Welt um sich herum vergessen kann wie nirgendwo sonst. Die
Cocktailpartys unter den schweren Blättern der Palmen und auf sattem,
kurzgeschorenem Gras, all die schönen braun gebrannten und weiß
gekleideten Menschen aus New York und Paris, der kühle Champagner,
der leise Jazz, unten das glitzernde Mittelmeer und die untergehende
Sonne wärmend im Rücken – aber diesmal hilft es nicht mehr. Das Leben
ist kein Sundowner. Zelda lächelt ganze Abende sinnlos vor sich hin, als
tanze sie an der Ballettstange in Paris und nicht am Zaun hoch über der
Brandung. »Neuerdings«, so schreibt Scott an Hemingway von der
Riviera, »neige ich dazu, gegen elf Uhr zu kollabieren, wobei mir Tränen
aus den Augen strömen oder mir der Gin bis zu den Lidern hochsteigt
und überläuft.«
»Nur einmal in diesem Sommer kamst du in mein Bett«, wird sie
später sagen. »Ich kann mich in diesem Sommer nicht an dich erinnern«,
wird er später antworten.
Am Tag, als der Sommer endet, es ist sehr spät im September, fahren
sie zurück nach Paris, zurück in ihr Unglück, um ein paar Wunden
reicher. Als Scott den Wagen über die Corniche lenkt, hoch über dem
rauschenden Meer, die gleißende Sonne von rechts, da greift Zelda aus
heiterem Himmel plötzlich ins Steuer, lacht wahnsinnig auf und dreht es
mit aller Gewalt Richtung Abgrund, sie will, dass sie mit dem Wagen
herabstürzen in die tröstende Gischt. Doch Scott kann das Lenkrad noch
ein letztes Mal in die andere Richtung reißen. Nur ein paar Steine am
Straßenrand poltern laut krachend hinunter ins Meer.

Ruth Landshoff rast durch die zwanziger Jahre wie in einem Rausch, mit
wechselnden Bekanntschaften, wechselnden Automobilen, wechselnden
Schoßhunden – aber mit gleichbleibendem Charme. Als Nichte des
großen Verlegers Samuel Fischer übt sie Krocket mit Thomas Mann, als
Schülerin spielt sie mit in Murnaus Nosferatu und als Erwachsene dann
also mit Charlie Chaplin und Arturo Toscanini, mit Oskar Kokoschka und
Greta Garbo, mit Josephine Baker und Mopsa Sternheim. Tja, und mit
Marlene Dietrich hat sie vor kurzem neue Bademoden vorgeführt,
weshalb sie an diesem schönen Sommertag des Jahres 1929 im Palazzo
Vendramine zu Venedig, mit dem kalten Martini in der Hand und dem
Canal Grande vor den Augen, zu Karl Vollmoeller, ihrem schillernden
Lebensabschnittsgefährten, sagt: »Nimm die Dietrich, sie hat Beine, an
denen möchte man immerzu mit den Fingern entlangfahren.«
Vollmoeller sitzt seit Tagen mit Carl Zuckmayer und Ruth in seinem
Palazzo und grübelt über dem Drehbuch und der Besetzungsliste für den
Blauen Engel. Es hat Jahre gedauert, bis er Heinrich Mann dazu gebracht
hat, die Filmrechte an seinem Roman Professor Unrat zu verkaufen. Und
nun braucht es eine Hauptdarstellerin, nein: die Hauptdarstellerin, den
Blauen Engel, die Lola Lola. »Die Dietrich?«, fragt Vollmoeller
entgeistert. Wie könnte er Josef von Sternberg, den Regisseur, und Emil
Jannings, den Hauptdarsteller, davon überzeugen, dass eine unbekannte
Varietétänzerin die Hauptrolle in diesem sündhaft teuren UFA-Film
spielen sollte? »Das kriegen wir schon hin«, sagt Ruth Landshoff und
lacht. Und sie kriegten es natürlich hin.

Als Konrad Adenauer im September 1929 nach vier Wochen


Sommerurlaub mit der Familie am Thunersee beim Blick auf die
Abschlussrechnung ganz kurz zuckt, da spürt seine Frau Gussie, dass
etwas nicht stimmt. Später im Zugabteil, als die Kinder nach elf
mühseligen Runden Mensch ärgere Dich nicht endlich schlafen, erzählt
Adenauer ihr von seinen Sorgen. Ein wenig zumindest. Konrad
Adenauer, der Kölner Oberbürgermeister, war von Hause aus ein sehr
vermögender Mann. Doch die Betonung liegt auf »war«. Er hat sich im
letzten Jahr anstecken lassen von dem Aktienfieber in Amerika, hat alle
seine grundsoliden deutschen Aktien verkauft, Maschinen- und Kranbau,
Elberfelder Farben, Rheinische Gaswerke, und sein gesamtes Geld
stattdessen in undurchschaubare amerikanische Firmen mit klangvollen
Namen und rosigen Zukunftsaussichten gesteckt, in die Bemberg-Shares
und die American Shares. Und weil es so verlockend war, kaufte er
weiter, diesmal auf Kredit. Doch beide Firmen waren plötzlich bankrott.
Und Konrad Adenauer steht deshalb bei der Deutschen Bank im Sommer
1929 mit der unglaublichen Summe von einer Million Mark in der
Kreide. Er hat Sorge, dass das nun ausgerechnet bei dem Schweizer
Hotelier auffliegen wird. Das sagt er seiner Frau Gussie so genau nicht.
Er spricht nur von kurzfristigen Geldproblemen. Sie glaubt ihm kein
Wort.

Am 14. Oktober 1929 verbringen Jean-Paul Sartre und Simone de


Beauvoir das erste Mal eine Nacht miteinander – in ihrer neuen Pariser
Wohnung in der Avenue Denfert-Rochereau 91, fünfter Stock rechts. Die
Tapete hat ein unerhörtes Orange. Vor allem das werden sie nie
vergessen.

Als das Ehepaar Fitzgerald im September in Paris ankommt, stürzen statt


ihrer die Börsen ab. Sie bröckeln erst, versuchen sich vergeblich
festzuklammern, um dann am 25. Oktober 1929, dem Schwarzen Freitag,
ins Bodenlose zu sinken.

Sie raucht Kette, das stört ihn ein wenig, es sind bis zu drei Päckchen am
Tag. Aber ansonsten ist nichts auszusetzen an Nina Freifrau von
Lerchenfeld. »Ich möchte«, sagt Claus Schenk Graf von Stauffenberg im
Oktober 1929 auf einem fränkischen Adelsball und blickt der
neunzehnjährigen Freifrau tief in die Augen, »ich möchte, dass Sie die
Mutter meiner Kinder werden.« Sie atmet kurz durch. Sie ahnt, dass das
wohl die innigste Liebeserklärung ist, zu der er je in der Lage sein wird.

Und so endet eine der irritierendsten Liebesgeschichten des zwanzigsten


Jahrhunderts: »Vergiss mich nicht, und vergiss nicht, wie sehr und tief
ich weiß, dass unsere Liebe der Segen meines Lebens geworden ist. Dies
Wissen ist nicht zu erschüttern, auch nicht heute« – heute, das ist der
vierzigste Geburtstag von Martin Heidegger am 26. September des Jahres
1929. An genau diesem Tag heiratet seine jüdische Geliebte Hannah
Arendt, von der diese Zeilen stammen, ihren Studienkollegen Günther
Stern. Sie hofft, sich durch die Heirat und die Wahl des Hochzeitsdatums
von den Gedanken an Heidegger losreißen zu können. Natürlich gelingt
ihr das nicht.

Es war eine behütete, unbeschwerte Kindheit auf dem Rücken der Pferde
und in den Zimmerfluchten der adligen Trutzburgen, inmitten der
saftigen Wiesen jenes grünen, verwunschenen Teils von Niedersachsen,
der sich bei Hildesheim hinein in die dunklen Wälder zieht. In den
Dorfteichen gibt es Krebse, in den Garagen Automobile, auf den
Terrassen Erdbeerbowle, und auf den Feldern steht das Korn. Der jungen,
wilden Baroness Lisa von Dobeneck, geboren im Januar 1912, liegen alle
zu Füßen, schon mit fünfzehn Jahren sah man sie auf dem Titel der
Eleganten Welt, mit siebzehn dann, im Sommer 1929, spielt sie mit dem
jungen Gottfried von Cramm Tennis auf dessen Plätzen – und spielt sich
mit ihrer Vorhand in sein Herz. Als er ihr, zwischen zwei Tennisturnieren,
brieflich seine Liebe schwört, da antwortet sie im Oktober 1929: »Über
deine Liebe freue ich mich, und es scheint mir beinah so, als ob ich sie
erwiderte.«

Als der Sängerin und Kabarettistin Trude Hesterberg klarwird, dass nicht
sie die Hauptrolle im Blauen Engel, der Verfilmung von Professor Unrat,
dem Roman ihres kurzfristigen Lebensgefährten Heinrich Mann
bekommen wird, sondern die verdammte Marlene Dietrich, da verlässt
sie ihn.

Es gibt manchmal diesen Moment, in dem ein Leben kippt. All die
Jahrzehnte danach läuft man weiter auf dieser schiefen Ebene, versucht
hochzuklettern und rutscht doch wieder ab. Alfred Döblins Leben kippte,
als sein Vater Max die Familie verließ und ihn mit vier Geschwistern und
der Mutter in tiefster Armut alleinließ. Vater und Geliebte flohen von
Bremerhaven aus nach Amerika. Alfred Döblin war zehn Jahre alt, noch
am Tag vor seinem Verschwinden ließ sich der Senior von ihm die
Schnürsenkel zubinden, weil er nicht so weit runterkam mit seinem
mächtigen Bauch. Und sein ganzes Leben wird Döblin versuchen, nicht
in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.
Immer wieder will er seine Frau Erna verlassen, die ihn mit ihrer
Eifersucht tyrannisiert, tagelang anschweigt, doch am Ende bleibt er doch
oder kehrt zurück, weil gerade eines der vier Kinder zehn Jahre alt
geworden ist – und er ihm ersparen will, was er selbst erlebt hat mit zehn
(die Söhne werden dann später einmal sagen, das Schlimmste für sie sei
gewesen, dass sich ihr Vater nie von ihrer Mutter getrennt habe). Der
Nervenarzt Dr. med. Alfred Döblin, der 1913, vor dem Kriege schon, mit
Ernst Ludwig Kirchner verkehrte, mit dem Sturm-Kreis um Herwarth
Walden und dem ganzen expressionistischen Berlin, hat sich nun in den
zwanziger Jahren im Osten niedergelassen, in der Frankfurter Allee 340.
Dort, im dunklen Parterre, hat er seine Praxis für Kassenpatienten,
Sprechzeiten nachmittags von vier bis sechs Uhr, und dort lebt er auch
mit seiner Familie, dort steht die alte Schreibmaschine, mit der seine Frau
Erna abends fein säuberlich abtippt, was ihr Gemahl tagsüber mit seiner
für alle anderen unleserlichen Handschrift für seinen Roman Berlin
Alexanderplatz aufgeschrieben hat. Fast jeden Tag spaziert er von der
Wohnung zu dem Platz, der ihn magisch anzieht, und vertieft sich in die
Straßen und Schicksale um ihn herum, will, wie er sagt, »die Peripherie
dieses mächtigen Wesens abtasten«. Und fast jeden Tag liest er dann in
der Konditorei Unter den Linden der zwanzig Jahre jüngeren Fotografin
Yolla Niclas vor, was er abgetastet hat. Charlotte Niclas heißt sie
eigentlich, jüdisch wie er, aber er hat sie sogleich umgetauft, als sie sich
auf einem Ball kennenlernten und er in der ersten Sekunde wusste, dass
er auf sie gewartet hat. Sie nahm den Namen so ergeben an, wie sie alles
annimmt, was von Döblin kommt. Schon am ersten Abend ist ihr, als
hätte ein Engel ihre Hand genommen. Sie fliegt mit ihm durch die
zwanziger Jahre, versteckt auf seinem Rücken. Wenn er ihr vorliest aus
Berlin Alexanderplatz, kommen ihr jedes Mal die Tränen. Dann steigt sie
wieder in die Trambahn 78 und fährt eine Stunde zurück in die
Schlüterstraße in Charlottenburg, wo sie noch bei ihren Eltern wohnt.
Bald wird sie sogar regelmäßiger Gast bei den Döblins zu Hause, sie
wird den Söhnen als »Tante Yolla« vorgestellt, aber von der Hausherrin
Erna argwöhnisch beäugt. Und sie fängt an, den Schriftsteller, der immer
berühmter wird, zu fotografieren, allein, schelmisch hinter seinen dicken
Brillengläsern hervorlugend oder im Spiel mit seinen Söhnen. Die
Berliner Zeitschriften drucken das begierig, und so prägt die Geliebte mit
ihren Fotografien in der Frankfurter Zeitung, im Querschnitt, in der
Dame, im Magazin und im Uhu Döblins Bild in der Öffentlichkeit.
Er ist Yolla Niclas natürlich genau in dem Alter begegnet, in welchem
einst sein Vater seine Geliebte kennengelernt hatte. Und immer wieder
versucht er, mit ihr den Ausbruch aus der Ehehölle zu wagen. Er rasiert
sich erst einmal seinen Spitzbart ab, wie sich das für eine normale
Midlife-Crisis gehört, er zieht sogar vorübergehend in eine Pension in
Zehlendorf. Doch seine Frau schreibt ihm dorthin, dass sie sich umbringt,
wenn er nicht zurückkommt. Wenn er Yolla Niclas trifft, die all das
Sanfte, Elegische, Romantische hat, was er so liebt, nimmt er als Erstes
seine Brille ab. Seine Frau, die all das Harte, Praktische, das
Pragmatische hat, was er so hasst, sagte einmal bei einer
Tischgesellschaft, sie habe ihren Mann noch nie ohne Brille gesehen, was
die Anwesenden dann doch etwas verwunderte. Yolla ist für Alfred
Döblin vom ersten Moment an das spirituelle Naturwesen, der Körper
und die Seele, nach der er sich gesehnt hat. Aber er schafft es dennoch
nicht, für sie alles stehen und liegen zu lassen. Nein, er bittet sie, ihn zu
zwingen, sich zwischen seiner Frau und ihr zu entscheiden. Er selbst
könne das leider nicht tun. Doch das überfordert die junge Yolla, sie will
den Angebeteten nicht erpressen, sie liebt ihn dafür zu sehr. »Wir gehen
den Weg, den uns der Himmel bestimmt hat, geliebte Seele.« Und er? Er
geht den Weg, den Erna ihm bestimmt hat. Er zieht aus dem
Pensionszimmer wieder aus, kauft seiner Ehefrau Blumen, um seine
Reue zu unterstreichen, und zieht wieder zu Hause ein. Eine Woche muss
er auf die Couch, dann darf er zurück ins Ehebett. Und dann tippt Erna
abends, wenn die Söhne schlafen, wieder all jene Seiten über Franz
Biberkopf, den Helden aus Berlin Alexanderplatz, ins Reine, die ihr
Mann morgens seiner Geliebten vorgelesen hat und die von den
Zerrissenheiten zwischen Bleiben und Gehen handeln, vom Verlassen
und vom Opfern und von der Ermattung, die einen befällt angesichts zu
viel ertrunkener Hoffnung.
Alfred Döblin nennt die Geliebte in den Briefen nun immer öfter
»Schwesterlein«, sie revanchiert sich mit »Brüderlein«, sie fliehen aus
der Realität in die erlaubte Trutzburg des Geschwisterlichen. Und Erna?
Erna fängt an, manisch Kakteen zu sammeln. Am Ende stehen alle
Fensterbretter voll damit, und wenn ihn Yolla während seiner
Sprechstunden besucht, kommt Erna ins Zimmer, um die Kakteen zu
gießen.
1929 erscheint Berlin Alexanderplatz. Alfred Döblin wird
weltberühmt. Und bleibt todunglücklich. Er schreibt wenig später ein
neues Stück und nennt es: Die Ehe. Er kennt sich darin erwiesenermaßen
so gut aus wie auf dem Alexanderplatz. Zur Premiere nach Leipzig fährt
er im Schnellzug gemeinsam mit seiner Ehefrau Erna und seiner
Geliebten Yolla. Als seine Frau kurz auf die Toilette muss, sagt er Yolla,
wie enttäuscht er sei, dass sie ihn nie aus seiner Ehe befreit habe.

Hundertmal, tausendmal ist Alfred Döblin in den zwanziger Jahren von


der Frankfurter Allee zum Alexanderplatz gelaufen. Doch an diesem
Frühjahrstag läuft nun in umgekehrter Richtung Wolfgang Koeppen vom
Alexanderplatz zur Frankfurter Allee. Er ist fasziniert von Döblins
Roman, kann nicht glauben, dass der Autor wirklich als Arzt arbeitet, und
glaubt es erst, als er vor dem Schild steht: »Dr. med. Alfred Döblin,
Sprechzeiten 4–6 Uhr.« Er wollte ihm sagen, dass er ihn bewundere.
Aber als Bewunderer hat er keinen Mut. Darum überlegt er, als Patient zu
ihm zu gehen. Doch auch als Patient hat er keinen Mut. Lange steht er
vor dem Haus, bis die letzten Patienten gegangen sind. Dann geht auch er
langsamen Schrittes zurück zum Alexanderplatz, bewundernd, zaudernd.
Schließlich zieht es ihn zurück in den Westen, nach Charlottenburg, sie
sehen sich nie, Koeppen und Döblin, schade, im Grunde. Indes passt es
zu diesem Mann, dessen Leben und Schaffen fast eine einzige
Ankündigung bleiben sollten.

In der Düsseldorfer Straße 43 in Berlin spielt sich im Herbst 1929 ein


Liebesdrama besonderen Ausmaßes ab. Thea Sternheim hat hier zwei
Wohnungen gemietet. In der einen wohnt sie mit ihrer so schönen wie
unbezähmbaren Tochter, der Windsbraut Mopsa – die hoffnungslos
abhängig ist von dem Schmerzmittel Eukodal, das sie nach einem
Motorradunfall auf der Avus bekommen hat, und von Kokain, das sie
durch Klaus Mann und durch ihre Geliebte Annemarie Schwarzenbach
kennengelernt hat. Dazwischen gab es auch Männer, erst im Sommer
hatte sie eine mühsame Abtreibung hinter sich gebracht, vermutlich war
René Crevel der Vater, der homosexuelle Dichter, in den Klaus Mann so
hoffnungslos verliebt war und der in Mopsa eine Seelenverwandte
entdeckte. Dass Mopsa davor zweimal mit Gottfried Benn im Bett
gewesen ist – das verzeiht Thea Sternheim im Grunde weder der Tochter
noch Benn, denn eigentlich fühlt sie sich ihm so eng verbunden wie
niemandem sonst, seit er im Windschatten des Ersten Weltkrieges das
Sternheim’sche Haus in Brüssel mit seinen Verbeugungen und Versen
aufleuchten ließ. Nun aber versucht die Mutter die Tochter zu retten,
indem sie sie bei sich aufnimmt und sich dafür ununterbrochen von ihr
beschimpfen lässt. In der zweiten Wohnung, direkt nebenan, versucht sie
ihren Ex-Mann zu retten. Sie hat ihn aus der Nervenklinik in Kreuzlingen
nach Berlin geholt, er leidet an Syphilis im Tertiärstadium mit
Gehirnparalyse, er randaliert, er phantasiert, er ist von Sinnen.
Ungeachtet dessen zieht plötzlich seine Verlobte Pamela Wedekind, die
ehemalige Freundin von Erika Mann und ehemalige Verlobte von Klaus
Mann, zu Carl Sternheim in die Wohnung, in der er mit seinem
Krankenpfleger Oskar wohnt. Thea Sternheim, nunmehr permanent
beschimpft von ihrer Tochter, ihrem Mann und dessen Braut, deren
Wohnungen sie bezahlt, lässt sich von Carls Pfleger Opiate spritzen, um
den Wahnsinn auszuhalten. Vollkommen den Verstand verliert Carl
Sternheim, als ihm ein Friseur versehentlich den Schnurrbart abrasiert.
Als die Dichterin Annette Kolb Thea Sternheim zum Trost besuchen
will, klingelt sie erst an der falschen der beiden Wohnungen, auf deren
Klingelschild »Sternheim« steht – und Pamela Wedekind öffnet ihr
verschreckt. Von hinten brüllt der bartlose Carl Sternheim
Verwünschungen aus seiner Matratzengruft. Annette Kolb entschuldigt
sich rasch und geht zu ihrer Freundin gegenüber. Verstört setzen sie sich
an den Kaffeetisch. Annette Kolb kann das alles nicht glauben, darauf
Thea Sternheim: »Tja, meine Liebe, das ist die neue Sachlichkeit.«
Als die beiden Damen am frühen Abend das Haus verlassen, um einen
Spaziergang zu machen, fern von allen Töchtern und Bräuten und Ex-
Männern, da treffen sie im Treppenhaus auf: Dr. med. Gottfried Benn. Er
verbeugt sich, lüftet den Hut und sagt »Meine Verehrung«. Carl
Sternheim hat ihn telefonisch gerufen, weil er vom Facharzt für
Geschlechtskrankheiten Hilfe aus seinem Wahn erhofft. Sie grüßen kurz
und höflich zurück, es ist dunkel und kalt im Treppenhaus, und Thea
bittet ihn, nicht an der falschen Tür zu klingeln, um nicht bei ihrer
Tochter Mopsa den alten Liebeswahn neu anzustacheln. Er lächelt sie
kurz und mit tiefem Verständnis an. Doch Mopsa ist gerade neu
entzündet – und man weiß nicht, ob dieser Brandbeschleuniger die
bessere Lösung ist. Sie hat kurz zuvor Rudolph von Ripper
kennengelernt, einen merkwürdigen österreichischen Dichter mit
verstörendem Gebiss und verschobenen Gesichtszügen, von allen nur
»Jack the Ripper« genannt. Er hat nach Klaus Mann nun in kurzer Zeit
auch Mopsa zur Morphinistin gemacht. Und weil sie so schön zusammen
Drogen nehmen, beschließen sie, auch zu heiraten.
Thea Sternheim ist konsterniert, als ihre Tochter die bevorstehende
Hochzeit verkündet. Dann quittiert noch Oskar den Dienst, der
bärenstarke Pfleger. Er könne nicht mehr, gesteht er ihr, ihn habe die
Schwermut ihres Gatten zu sehr »bekrochen«, wie er sagt. Sie schluckt
kurz und lässt ihn seiner Wege gehen. Als Pamela einmal nicht da ist,
versucht Thea nun, ihren Ex-Mann zu missionieren, sie faltet ihm die
Hände, spricht von der Liebe Jesu. Daraufhin bekommt der einen
Tobsuchtsanfall, springt vom Balkon und bricht sich eine Rippe. Diesmal
ist es Thea Sternheim, die nach dem Arzt ruft.
Am nächsten Tag bringt sie alle Aktien und Hypothekenbriefe von
Mopsa einem Anwalt zur treuhänderischen Verwaltung, damit sie nicht in
Drogen umgesetzt werden können. Als Thea Sternheim vom Anwalt nach
Hause kommt, durch einen wilden Herbststurm hindurch, der die
rostbraunen Blätter von den großen Eichen herunterreißen will, da
klingelt ihr Nachbar und Ex-Mann. Er werde, erklärt der wahnsinnig
gewordene Carl Sternheim feierlich, Pamela Wedekind heiraten. Als er
gegangen ist, braucht Thea Sternheim nicht nur Beruhigungsmittel,
sondern auch einen Schnaps. Das Berliner Acht-Uhr-Abendblatt
kommentiert die Nachricht sachkundig so: »Nun wird Mopsa Sternheim
also zu ihrer Freundin Pamela ›Mama‹ sagen.« Das ist das recht
humorvolle Fazit eines menschlichen Dramas von heiligem Ernst.

Lisa Matthias weiß, dass es für Tucholsky neben der Ehefrau Mary in
Paris, von der er sich gar nicht mehr scheiden lassen will, auch ein paar
weitere Damen gibt in Berlin, Witwen oft oder alte Schulfreundinnen.
Nachdem Tucholsky nach der Rückkehr von Schloß Gripsholm im
Oktober des Jahres 1929 bei ihr eingezogen ist, versucht sie einfach, sich
so breitzumachen in seinem Leben, dass für andere in seinem Bett kein
Platz mehr bleibt. Tucholsky sagt ihr ständig, er habe »wichtige
Besprechungen«. Dummerweise lässt er eines Tages sein Notizbuch offen
liegen, und so weiß Lisa Matthias, dass die »wichtige Besprechung« am
6. November Musch hieß, am 7. November Hedi, am 8. November Grete,
am 10. November Emmy, am 11. November wieder Musch und am
12. November Charlottchen.
Als sie ihn und seine beachtliche Betrugsfrequenz entlarvt hat, bittet
er auf Knien um Verzeihung und schenkt ihr einhundert rote Rosen. Lisa
Matthias schreibt einer Freundin über Tucholsky, »den armen Irren,
dessen Sexualität anfängt, Erotomanie zu werden«. Sie merkt, dass es
keinen Sinn hat, sich eine Ehe mit diesem Mann zu erträumen. Seiner
Frau schreibt Tucholsky daraufhin, Matthias ist schlafen gegangen,
einfühlsam nach Paris und legt einen üppigen Scheck bei. Und dann setzt
er sich an die Schreibmaschine und dichtet sein »Ideal und Wirklichkeit«,
das am 19. November, also direkt nach den polyamoren Tagen und
tränenreicher Versöhnung, in der Weltbühne erscheint:
In stiller Nacht und monogamen Betten
denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.

Nachdem die Tour durch Europa für Josephine Baker zu einem


Spießrutenlauf geworden ist, will es Pepito, ihr Manager und Mann, in
Südamerika versuchen. Doch auch hier machen die katholischen Kräfte
mobil und wettern gegen die Verrohung der Sitten. Die rassistischen
Anfeindungen lassen in Josephine Baker all die Demütigungen ihrer
Kindheit aufsteigen, aber sie geht weiter Abend für Abend auf die Bühne,
tanzt für eine bessere Welt, tanzt, um die Welt um sich herum zu
vergessen. Mit Pepito gelingt ihr das immer weniger. Je mehr er als
Manager heißläuft, desto mehr kühlt sich ihr Liebesverhältnis ab. Aber
sie hat in Rio de Janeiro den französischen Architekten Le Corbusier
kennengelernt, der sie in seinen Bann schlägt mit seinem rationalen
Missionsdrang. Ihn verführt sie mit ihrer tänzerischen Leichtigkeit, mit
der sie sich die Räume genauso kraftvoll eröffnet wie er es als Architekt
tun möchte. Sie beschließen denselben Dampfer, die Lutetia, zurück nach
Europa zu nehmen. Tagsüber machen sie lange Runden übers Deck,
Pepito mag nicht mitkommen, ihm ist meist übel. Als das Schiff am
9. Dezember 1929 auf seiner Reise über den Atlantik den Äquator
überquert, da wird diese Grenzüberschreitung abends im Ballsaal
gefeiert, Josephine Baker hat sich dafür als Le Corbusier verkleidet und
Le Corbusier als Josephine Baker. Als sie unter dem klaren
Sternenhimmel auf die nördliche Erdhalbkugel gleiten, ist es ihnen
beiden ganz kurz, als stürzten sie hinab, ohne Halt. Die Bordkapelle
macht gerade Pause, es ist ganz still an ihrem Tisch. Sie schauen sich
kurz an, dann beginnt der Trompeter erneut, ein Charleston, sie gehen
tanzen, etwas unsicher in ihren vertauschten Rollen, doch Lachen hilft.
Pepito, ihr Mann, verabschiedet sich auf die Kabine, ihm sei nicht wohl.
Josephine Baker und Le Corbusier tanzen einfach weiter und weiter, bis
sich vor ihren Augen alles dreht. Nachher duschen sie gemeinsam, und
lustvoll wäscht Josephine Baker dem großen Architekten die schwarze
Farbe von seiner weißen Haut. Alles hat wieder seine Ordnung. Dann
zeichnet er sie nackt. Sie posiert auf dem Bett in seiner Kabine. Nur
etwas mehr anhimmeln könnte sie mich, denkt sich Le Corbusier. Dann
nimmt sie ihre Gitarre und singt für ihn, mit ihrer wundervoll kindlichen
Stimme: »I am a little blackbird looking for a white bird …«

Einen Vers schreibt Gottfried Benn in diesen zwanziger Jahren, der ihn
und das Jahrzehnt überdauern wird: »Leben ist Brückenschlagen über
Ströme, die vergehn.« Vielleicht hat er diese Worte am 17. Dezember
1929 das erste Mal auf einen Bierdeckel geschrieben. An diesem Tag
nämlich heiratet Mopsa Sternheim den verwirrten Morphinisten Rudolph
von Ripper. Anwesend auf dem Standesamt sind die Eltern, also der in
seiner Syphilis um sich schlagende Carl Sternheim sowie Thea
Sternheim – und Gottfried Benn. Benn, in den Mopsa eigentlich immer
noch bis zum Wahnsinn verliebt ist und der ihr drei Jahre zuvor –
nachdem er sie verlassen hatte – nach ihrem Selbstmordversuch mit
Veronal den Magen ausgepumpt hat, dieser Benn ist nun tatsächlich ihr
Trauzeuge. Als Mopsa auf dem Standesamt, von Drogen vollkommen
benebelt, »Ja« sagt zu Rudolph von Ripper, zuckt er kurz. Thea
Sternheim, ihrer Mutter, stehen die Tränen in den Augen. Schon zehn
Tage später wird Mopsa, vollkommen derangiert, in eine Entzugsklinik
eingeliefert. Was die Menschen der zwanziger Jahre dringend gebraucht
hätten, war Liebe (oder wenigstens Therapeuten). Was sie bekamen,
waren Aufputschmittel.

Es gibt Ehen, so sagt Thomas Mann, deren Entstehung sich auch die
belletristisch geübteste Phantasie nicht vorstellen kann.

Ernst Jünger sitzt in seiner Wohnung in der Stralauer Allee 36 im rauen


Berliner Osten, wo fast jeden Abend mit den nationalrevolutionären
Freunden räsoniert wird und Jünger im kalten Winter auch schon mal das
Mobiliar zerhackt und verheizt. Er schreibt sein irrlichterndes, fast
surrealistisches Buch Das abenteuerliche Herz und erzählt darin von
einem Traum, in dem ihm der Gemüsehändler zu violetten Endivien gut
abgehangenes Menschenfleisch empfiehlt. Sein eigenes Herz hält Jünger
kühl, knapp über null Grad. Seine Frau Gretha kann ein Lied davon
singen. Er wird ihr lebenslang die Untreue halten. Und erhofft sich dann,
wenn er abends von seinen Affären erzählt, von ihr Verständnis dafür,
dass er als schöpferischer Mann einfach nicht anders könne, als sich von
Zeit zu Zeit aushäusig zu berauschen. Wenn Gretha ihm nicht genug
Wohlwollen entgegenbringt, dann zieht sich Jünger mit Carl Schmitt
zurück, dem schillernden Berliner Professor für öffentliches Recht, der
inzwischen in zweiter Ehe mit Duška verheiratet ist, einer serbischen
»Dulderin«, mit der er eine strenge Trennung zwischen Eheleben und
Erotik praktiziert. Duška muss ihn trösten, wenn er von seinen sexuellen
Eskapaden mit Studentinnen oder Prostituierten melancholisch
zurückkehrt. Und im Gegensatz zu Gretha Jünger macht sie es auch.
Schmitt sucht wie der gleichfalls vom Krieg geprägte Ernst Jünger auch
auf dem Schlachtfeld der Liebe den permanenten »Ausnahmezustand«, in
panischer Angst vor der Windstille des trauten Heims. Ja, Schmitt setzt
Sex als körperliches Aufputschmittel ein und sucht vor öffentlichen
Auftritten oder wichtigen Aufsätzen gezielt danach, er braucht, wie er
seiner Frau sagt, »das Kraftgefühl nach der sexuellen Orgie«. Und sie
möge bitte Verständnis dafür haben, dass er das nicht im Ehebett finden
könne mit all den Medikamenten am Nachttisch, den Pantoffeln vor dem
Bett und den Sorgen des Alltags. Die Ehefrau hat für Carl Schmitt vor
allem die Aufgabe, ihn vor und nach seinen außerehelichen Ausflügen zu
stabilisieren. Ihre Tränen vergießt sie nicht bei ihm, sondern bei Gretha
Jünger, mit der sie oft beisammensitzt an dunklen Berliner Abenden,
wenn die Gatten wieder unterwegs sind auf der Pirsch nach ihren
herzlosen Abenteuern.

Während der Dreharbeiten für den Blauen Engel in den UFA-Studios in


Babelsberg komponiert Friedrich Hollaender für Marlene Dietrich den
Song Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Mit der Zeile »Ich
kann halt Liebe nur und sonst gar nichts« hat er die zutreffendste
Stellenbeschreibung für die »Lola Lola« des Films geliefert. Komponiert
hat Hollaender es in F-Dur, aber wegen Dietrichs tiefer Stimme spielt er
es im Film in D-Dur. Für Marlene Dietrich sind die Männer zeitlebens
bereit, ihre Ideale und Tonlagen der Wirklichkeit anzupassen.

Die Verlobung zwischen Lisa und Gottfried von Cramm wird am


Heiligabend 1929 auf Schloss Burgdorf in Anwesenheit beider Familien
verkündet. Lisa ist siebzehn und hat die Augen und die Haare eines
jungen Raubtiers, Gottfried ist zwanzig und hat bereits die elegante
Ausstrahlung eines zeitlosen Gentlemans. Sein Aufstieg zu einem der
besten Tennisspieler aller Zeiten steht unmittelbar bevor. Die frühe
Verlobung der beiden löst weniger bei ihren Familien einen Schock aus
als bei denen, die selbst auf die Herzen der beiden spekuliert haben.
Ziemlich verliebt in Lisa ist Bernhard zur Lippe-Biesterfeld, der dann
später stattdessen die niederländische Kronprinzessin Juliana heiraten
wird. Erst einmal ist er konsterniert, aber er scheint Fassung zu
bewahren: »Von Bernilo hatte ich einen sehr vernünftigen Brief, in dem
er schreibt, dass er sich bestimmt nichts antun würde und wir Freunde
bleiben wollten usw.« So berichtet Lisa ihrem Verlobten von der
Reaktion des Nebenbuhlers. Um Gottfried trauert wohl vor allem ein
Mann, nämlich Jürgen Ernst von Wedel, dessen Bruder Lisas Schwester
geheiratet hat und der zum engsten Kreis des jungen Paares gehört. Lisa
berichtet Gottfried, der wieder auf einem Tennisturnier in Venedig ist: »J
E W ist nicht mehr böse auf dich. Er hat mir auch in einem schwachen
Moment eingestanden, dass er dich noch sehr, sehr gerne mag. Über dein
Bild vom Lido hat er beinah einen Schlaganfall bekommen. Er ist heute
Abend extra noch mal hier reingekommen, um es zu besehen.« So
betrachten also die Braut und der engste Freund ihres Bräutigams in
Schloss Burgdorf noch einmal gemeinsam andächtig das Foto des
blendend aussehenden Gottfried von Cramm, gebräunt, die dunklen
Haare zurückgekämmt, der Körper in hellem Leinen.

Das war so nicht vorgesehen. Walter Gropius, der ehemalige Direktor des
Bauhauses in Dessau, bestimmt eigentlich immer selbst das Geschehen –
und die Liebschaften. Nach seiner Ehe mit Alma Mahler, die er Oskar
Kokoschka ausgespannt hatte, ging es ihm mit seiner zweiten Frau Ise
ziemlich gut, sie half ihm, das Bauhaus zu organisieren und sein Leben.
Als sie in Köln Konrad Adenauer fast davon überzeugt hatte, das
Bauhaus ins Rheinland zu holen, da schrieb ihr Gropius mit geschwellter
Brust: »Meine süße Frau Bauhaus, du bist ein Tausendsassa und kannst
dich vor Stolz blähen. Wir sind alle hier voll tiefem Respekt vor deinen
Leistungen. Ich bin tief gerührt von dir, du mein guter Stern, und ich
liebe dich immer mehr.«
Doch dann, ein paar Jahre und ein paar Bauhausquerelen später,
begibt sich der gute Stern plötzlich auf eine andere Umlaufbahn. Dabei
haben sie es so gut in der neu gebauten Direktorenvilla in Dessau – es
gibt einen Toaster, ein Bügeleisen, einen Haartrockner, einen Staubsauger
und einen elektrischen Gänserupfer, das Programm der Moderne also.
Doch Walter Gropius hat genug. Er verlässt das Bauhaus. Man kann
das Midlife-Crisis nennen. Oder Selbstverwirklichung. Er will einfach
wieder Architekt sein. Und so beziehen Ise und Walter Gropius eine
große Wohnung in der Potsdamer Straße 121a in Berlin. Ise Gropius wird
porträtiert unter der Überschrift »Künstlerehen unserer Architekten« in
der Zeitschrift Sie und er, Ise sei, so heißt es, »der Typus der neuen
sportlichen Frau mit selbstbewusster Jugendlichkeit«. Graf Kessler nennt
sie eine »sehr hübsche junge Frau«. Im Juni 1930 fährt sie mit Gropius
nach Ascona in den Urlaub, im Schatten des Monte Verità. Sie mieten die
Casa Hauser, gemeinsam mit den alten Bauhaus-Gefährten Marcel
Breuer und Herbert Bayer, sie sitzen stundenlang auf der Terrasse in der
Sonne, sie spielen Boccia, Gropius im steifen Anzug und Bayer mit braun
gebranntem Oberkörper und weißer Leinenhose.
Als Gropius frühzeitig nach Berlin zurückmuss, beginnt im Juli die
Affäre von Frau Bauhaus und dem Bauhausmeister Herbert Bayer. Man
kann auch das Midlife-Crisis nennen. Oder Selbstverwirklichung. Ise
Gropius will einfach wieder Frau sein. Gropius schreibt ihr aus Berlin an
den Lago Maggiore, weil er spürt, dass seine Frau auf Distanz geht:
»Liebe mich, auch wenn ich jetzt so grau gefärbt und abgerissen bin«. Da
haben wir September. Sie antwortet nicht. Er schreibt, er wolle sich
künftig wieder viel mehr um sie kümmern, er habe sie vernachlässigt.
Doch Ise Gropius antwortet nicht. Er ruft an und schreibt erneut: »Was ist
los mit dir? Du benahmst dich so kalt und steif am Telefon? Warum ist
deine Stimmung so umnebelt?« Da haben wir schon Oktober. Ise genießt
den Liebesrausch in Ascona, verlängert den Mietvertrag für das Haus
immer wieder. Sie ahnt, auch ihr Geliebter wird bald von den Wolken des
Alltags eingeholt werden, manchmal wandern sie schon über seine Stirn,
schließlich ist auch er verheiratet. Ehrlicherweise, so sagt er ihr einmal,
falle es ihm schwer, dass er ausgerechnet die Frau seines Mentors und
väterlichen Freundes lieben müsse.
*

Als Leni Riefenstahl im Berlin der zwanziger Jahre als Tänzerin auftrat,
da schrieb Fred Hildebrandt im Berliner Tageblatt, dass ihr leider die
zentrale Fähigkeit einer Tänzerin fehle: »Gefühle auszudrücken.« Sie sei
nur eine »Attrappe, in deren Armen kein Blut fließt«. Nein, da fließt nur
Adrenalin. Und leider ziemlich viel Morphium, immer wieder bricht sie
zusammen und muss in Entzugskliniken. Sie sei, so sagt ihr Geliebter
und Verlobter, der Regisseur Harry R. Sokal, süchtig nach
»Erfolgsberauschtheit«. Und offenbar auch nach der Kraft der Fiktion –
bis heute ist unklar, welche Geschichten ihrer Memoiren wahr sind und
welche erfunden. Auf jeden Fall gab es viele Männer.
Ihre große Liebe hat sie verloren: Hans Schneeberger, er war ein
idealer Partner, er liebte die Kameratechnik, er liebte die Berge und er
liebte das Skilaufen. Doch als er sie wegen einer anderen verlässt, dreht
sie durch. Sie stößt in ihrem Zimmer einen minutenlangen Schrei aus, sie
läuft weinend durch ihre Wohnung und setzt sich mit dem Brieföffner
überall Stiche in ihren Körper. Sie muss ihre Liebe regelrecht abtöten.
Dann beginnt sie ein neues Leben. Es zieht sie vom Tanz in die
Traumfabrik des Films. Sokal macht sie mit Luis Trenker bekannt, der
wiederum mit dem Regisseur Arnold Fanck. Als Sokal merkt, dass
Riefenstahl, um an die lukrative Filmrolle in Der heilige Berg zu
kommen, sowohl ein Verhältnis mit Trenker als auch mit Fanck hat, löst
er die Verlobung. Später werden vor allem die Kameramänner ihre
Geliebten, Hans Ertl etwa, der S.O.S. Eisberg mit ihr dreht, und Walter
Riml, der schon Das blaue Licht als Kameramann begleitet hat. Doch
Riml warnt Ertl: »Lass dich von diesem Vamp nicht einwickeln, sonst
geht’s dir so wie mir. Ich möchte dich vor dieser Frau warnen, für die wir
nur Konfekt bedeuten, von dem man nascht, solange es Spaß macht.«
Sokal, der Regisseur, ehemalige Geliebte und in der Hindenburgstraße 97
in Wilmersdorf ihr neuer Nachbar, hat es einmal so ausgedrückt: »Ihre
Partner waren stets die Besten in ihrem Fach, ihre Nymphomanie hatte
elitäre Züge.« Einen dieser Männer verehrt Leni Riefenstahl rein
platonisch. Sie hat in ihrer Wohnung einen kleinen Altar für Adolf Hitler
errichtet, mit zahllosen Fotografien in Goldrahmen. Und als sie ihn das
erste Mal trifft, an einem versteckten Ort an der Nordsee, da bemüht sie
ein orgiastisches Bild aus der Natur: »Mir war, als ob sich die
Erdoberfläche vor mir ausbreitete, wie eine Halbkugel, die sich plötzlich
in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl
herausgeschleudert wurde, so gewaltig, dass er den Himmel berührte und
die Erde erschütterte.«

Einsam geht er seiner Wege, läuft leicht gebückt über den Kies im
kleinen Park vom Haus Doorn. Vor den Buchsbaumhecken hat seine Frau
letztes Jahr eine Marmorbüste errichten lassen, sie hatte es nett gemeint,
schon klar. Aber er kann den Anblick kaum ertragen. Denn die Büste
zeigt ihn selbst – in Amt und Würden, stolz, die Schnurrbartspitzen
hochgezwirbelt, behängt mit Orden. Die Büste ist eine tägliche
Demütigung für ihn. Denn jetzt trägt Kaiser Wilhelm II. zivil, im hellen
Sommeranzug macht er seinen Nachmittagsspaziergang, von Ferne hört
er eine Sirene, ein Fuhrwerk, ein paar Autos, dann Stille. Ein Monarch im
Ruhestand. Gut, dass wenigstens der Kies etwas knirscht, denkt er, als er
weiter seine Bahnen zieht durch den Park in seinem niederländischen
Exil. Und so wie jeden Nachmittag fragt er sich auch heute, ob es richtig
war, sich damals, im trüben November 1918, einfach so aus dem Staub
zu machen. Er wurde ja gar nicht gestürzt. Und so fehlt bis heute nicht
nur seinen politischen Gegnern das Erlebnis eines aktiven Umsturzes,
einer Revolution. Sondern auch ihm selbst. Es fühlt sich immer an, als sei
er nur auf Reisen. Als warte in Berlin noch der Thron auf ihn. So hackt er
nun unermüdlich Holz mit seinem gesunden rechten Arm, den linken
verstaut er wie immer in einer Jackentasche. Das Holzhacken hilft ihm,
sich ein wenig männlich zu fühlen, er genießt es, wenn die Scheite, vom
Beil getroffen, auseinanderbersten. Zack. Und zack. Und zack.
Irgendwann ist dann endlich Zeit für den Tee.
Er hat sich einen Bart stehen lassen, gleich am ersten Tag, als er nach
Holland kam, Stoppeln erst, doch schon Weihnachten 1918 war es ein
ausgewachsener weißer Spitzbart. Den trägt er nun trotzig vor sich her,
die legendären Schnurrbartspitzen schlohweiß, auch sie hängen müde
herab an diesem niederländischen Spätsommertag. Er sieht nicht, wie im
ersten Stock im Haus Doorn, im Damenzimmer mit all den Möbeln aus
dem Berliner Stadtschloss, der umgenähte Vorhang aus dem Schloss
Bellevue leicht zur Seite geschoben wird und Hermine, seine zweite
Frau, zu ihm herüberblickt auf seinem einsamen Spaziergang. Sie,
gebürtig aus dem Hause Reuß, ältere Linie, träumt inmitten des Hausrats
aus den aufgegebenen preußischen Schlössern noch immer von seiner
triumphalen Rückkehr zu den Linientreuen nach Berlin. Sie hatte schon
ein großes Foto von ihm auf ihrem Klavier stehen, als sie noch
verheiratet war mit dem Prinzen von Schoenaich-Carolath. Und nach
dessen Tod wurden es immer mehr, die ganze Wohnung stellte sie damit
voll in glühender Verehrung. Dann, als auch die Kaiserin Auguste
Viktoria in Doorn gestorben war, schrieb sie ihrem Idol einen so
herzzerreißenden Beileidsbrief, dass er irgendwie nicht anders konnte, als
sich mit ihr, der dreißig Jahre Jüngeren, zu verloben. Hermine sorgte vom
ersten Tag an dafür, dass die Hausangestellten ihren Gatten wieder mit
»Ihre Majestät« anredeten – genau wie sie. Sie reist immer wieder nach
Deutschland, um Bündnisse zu schmieden, damit sie vielleicht doch noch
irgendwie Kaiserin werden kann, sie fragt Göring und sie fragt Papen und
sie fragt Hitler. Wilhelm lässt sie gewähren, genießt die Huldigung
durchaus, auch wenn sie ihn manchmal doch erschöpft, wenn sie zum
Beispiel mal wieder eine Gruppenreise aus Berlin organisiert und ihm
hundert fremde Touristen im Park bewundernd »Majestät« zurufen.
Wilhelm weiß, dass er nicht mehr Kaiser ist, er hackt stundenlang Holz,
geht spazieren, raucht Zigaretten, ein Lockdown in Unendlichkeit. Laut
des Abkommens mit der holländischen Regierung darf sich Wilhelm II.
nur in einem Radius von fünfzehn Kilometern rund um sein Haus Doorn
bewegen. Man versucht also die Monarchie ähnlich zu bekämpfen wie
später einmal die Corona-Pandemie.

Annemarie Schwarzenbach verliebt sich Hals über Kopf in Erika Mann.


Aber Erika Mann will sie nur in den Arm nehmen. Sie bezaubert das
zarte Gemüt der androgynen Schweizer Seidenfabrikantentochter, doch
sieht sie die Abgründe hinter den dunklen Augen, das elementare
Verlorensein, sie kennt es von ihrem Bruder Klaus – und wie bei ihm legt
sie ihre muskulösen Arme um sie, ermutigt sie, schützt sie ein wenig vor
der Unbill der Welt. Und wenn Annemarie in Erika schon nicht die
Geliebte findet, die sie sich ersehnt hat (denn deren Herz gehört Therese
Giehse), dann immerhin eine Mutter. »Dein Kind A.«, so unterschreibt
Annemarie ihre schwärmerischen Briefe an die gleichaltrige Erika, oder
»Dein Brüderlein«. Äußerlich wirken sie wirklich wie Geschwister,
ebenmäßiges Gesicht, knabenhafte Figur, Bubikopf, in der Kleidung mit
den sexuellen Identitäten spielend, die eine schreibend, die andere
fotografierend und beflügelt von der Unabhängigkeit, die ihnen ihr
eigenes Auto verleiht. Sie lieben es, hintereinander und nebeneinander
mit rasendem Tempo durch Schwabing zu fahren oder über den
Kurfürstendamm und dann auszusteigen, draußen in einer Bar einen
Absinth zu bestellen, sich dann die ledernen Cabrio-Handschuhe
abzustreifen und im Augenwinkel die Blicke von den hinteren Tischen zu
spüren.

Ganz Europa wird von der Weltwirtschaftskrise erschüttert. Ganz


Europa? Nein! Auf das Konto von Erich Maria Remarque wandern Tag
für Tag Tausende neuer Reichsmark. Sein Antikriegsroman Im Westen
nichts Neues wird zu dem großen Bucherfolg der späten Weimarer
Republik, schon im Juni 1930 sind eine Million Exemplare verkauft.
Remarque hat ein Jahrzehnt gebraucht, um seine Leiden am Ersten
Weltkrieg in Worte zu fassen – und genau damit, also dem langen
Schweigen, dem Suchen nach der Darstellbarkeit, den nicht verheilenden
seelischen und körperlichen Wunden, einer ganzen Generation aus dem
Herzen gesprochen. Er hat keine schöne Kindheit gehabt im schönen
Osnabrück: zwölf Umzüge, der ältere Bruder stirbt, die Mutter verliert er
quälend langsam an den Krebs, zu Hause gibt es nur Angst und Trauer,
nie duftet die elterliche Küche nach Kaffee und guter Laune. Und dann
kommt pünktlich zum achtzehnten Geburtstag, im Juni 1916, der
Einberufungsbefehl. Zwei Jahre Krieg, Verletzungen, Todesangst,
Verzweiflung. Er braucht zehn Jahre, um das zu verdauen, wird
Redakteur bei der Firmenzeitschrift des Reifenherstellers Continental,
dann Journalist bei Sport im Bild in Berlin. Und erst hier, in dieser
vorwärtsstürmenden, rasenden Stadt, zwischen den Sechstagerennen, den
Tennisturnieren, den Boxkämpfen, den Autorennen auf der Avus, erst im
Windschatten dieses Hochgeschwindigkeitszuges, der Leben heißt, kann
Remarque endlich schreiben über die lähmenden Schwerkräfte des
Krieges: »Wir sind überflüssig für uns selbst.« Damit beschreibt er, was
eine ganze Generation nicht zu fühlen imstande ist. Dass er, geboren als
Erich Remark, sich mit zweitem Namen »Maria« nennt, ist der präziseste
Hinweis auf seine Verehrung für den 1926 verstorbenen Rainer Maria
Rilke, dem Helden all jener, die das Schweigen angesichts der Schwere
der eigenen Erfahrung für die einzig angemessene Kommunikationsform
mit dem Rest der Welt halten.

Und gibt es auch bei den Malern einen Kriegsgewinnler? Nein. Der
vergeistigte Franz Marc ist ausgerechnet auf dem Rücken eines jener
Pferde erschossen worden, die er in seiner Malerei in eine höhere
Geistigkeit emporgehoben hat. Und auch August Macke, dieser
fröhlichste der deutschen Expressionisten, ist auf den unendlichen
Schlachtfeldern Flanderns einen grausamen Tod gestorben. Ernst Ludwig
Kirchner hat zwar überlebt, ist aber schwer traumatisiert in die Berge
gezogen, abhängig vom Morphium und jeden Tag voller Schrecken, dass
wieder eine Bombe neben ihm niedergeht. Allein Otto Dix schafft es,
sich die Grauen des Krieges in Bildern von der Seele zu malen, die an die
Qualität seiner Vorkriegskunst heranreichen. Mit den gleichen weit
aufgerissenen Augen, mit denen er die zerfetzten Leiber sah, schaut er
nun auf die Schlachtfelder des Sexus in Berlin, auf die Huren und die
Bonzen, die leeren Posen und die toten Körper, die noch weiterzutanzen
versuchen und auf deren Zügen sich doch schon das Lächeln der
Totenmasken zeigt wie auf seinem Triptychon Die Großstadt. Die
Unterschiede zwischen schön und hässlich sind auch in der Malerei nur
noch eine theoretische Frage. Als Professor an der Akademie in Dresden
lehrt er stattdessen die Praxis – den schonungslosen Blick auf das
Tatsächliche, eine permanente Vermischung von Gewalt, Tod und Eros.
Das ist seine neue Unsachlichkeit. »Man muss«, sagt er, »den Menschen
in diesem entfesselten Zustand des Krieges gesehen haben, um etwas
über den Menschen zu wissen.« Jeder Krieg, so sagt Dix, würde im
Grunde nur wegen einer Vulva geführt. Und genauso kalt schaut er auf
die Körper, als der Krieg vorüber ist, ein Kopfjäger mehr als ein
Porträtist. Nicht nur auf die Tänzerin Anita Berber in ihrem roten Kleid
richtet er seine großen, stierenden Augen, die Königin des Berliner
Nachtlebens, die er als todessüchtige Ikone der zwanziger Jahre gemalt
und dann 1928 gemeinsam mit seiner Ehefrau Martha tatsächlich zu
Grabe getragen hat. Sondern auch auf all die anderen Menschen, die er
porträtiert, als müsse er einen Steckbrief anfertigen. Und so unerbittlich
schaut er eben, besonders verstörend, auch auf seine eigenen Kinder – er
hat Ursus und Nelly als Neugeborene gemalt, wie noch nie Kinder
gemalt worden sind, voller Falten und Schrumpeln, zerknautscht vom
Geburtsvorgang, die Augen geweitet vor Schreck darüber, in die Welt
geworfen zu sein.

*
Während der Dreharbeiten für Der blaue Engel kann sich Josef von
Sternberg noch nicht entscheiden. Er dreht tagsüber mit Marlene Dietrich
und verfällt ihrer leichten Schwere, ihrer ordinären Noblesse, ihrem
sinnlichen Phlegma. Dann zeigt er der eiskalten und geheimnisvollen
Leni Riefenstahl die Filmaufnahmen, aber sie verzeiht ihm nicht, dass er
nicht sie, sondern die Dietrich zur »Lola Lola« gemacht hat. Dietrich
wiederum kann Riefenstahl nicht ausstehen, faucht wie eine Katze, wenn
sie in den UFA-Studios in Babelsberg am Set erscheint. Sternberg
verliebt sich von Drehtag zu Drehtag mehr in seine Hauptdarstellerin.
Ihre Verführungskünste gelten längst nicht mehr dem pompösen Emil
Jannings, der den Professor Unrat spielt. Sondern dem Regisseur hinter
der Kamera. Und Dietrich spürt die »göttliche und dämonische Macht«
dieses strengen Mannes, der so qualitätsversessen und phantasiebegabt
ist, dass sie beginnt, unter seinem Schutz jene Frau zu werden, die sie
sein will. Ja, sie wird später sagen, dass er sie mit seiner Kamera
überhaupt erst erschaffen habe, »es ist eine Mischung aus technischen
und psychologischen Kenntnissen und aus reiner Liebe«.
Sternberg besucht Dietrich in ihrer Berliner Wohnung in der
Kaiserallee. Dort kocht sie für den berühmten Regisseur Tee, unter den
Augen der neugierigen Tochter Maria und denen des Ehemannes. Sie
wissen nicht, dass Leni Riefenstahl von ihrer Dachterrasse aus in die
Fenster der hinteren Räume von Marlene Dietrichs Wohnung schauen
kann. Und wir wissen nicht, ob es stimmt, dass im Januar 1930, wie
Riefenstahl schreibt, es »noch nicht sicher war, ob Marlene oder ich
Sternberg nach Hollywood folgen würden«.

*
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Erika Mann verliebt sich in Therese Giehse. Und diese Liebe hat eine
besonders schöne Grundlage: das gemeinsame Lachen. Sie lernen sich
bei Karl Valentin und Liesl Karlstadt im Kabarett in München kennen,
sitzen glucksend nebeneinander und berauschen sich aneinander und am
gemeinsamen Humor. Doch anders als die Ehe mit Gründgens ist diese
Beziehung kein Witz. Nein, es ist nach Pamela Wedekind Erikas zweite
große Liebe – diesmal indes treffen sich die zwei Frauen nicht als
Selbsthilfegruppe, also nicht als leidende Töchter übergroßer Väter,
sondern als zwei junge, kantige Solitäre, die sich gegenseitig
bewundern – für ihr Anderssein. Auf der einen Seite Therese, in sich
gekehrt, ernst, die Worte aus der Stille herausmeißelnd, nur auf der
Bühne des Theaters aus sich herausgehend und noch immer bei Mutter
und Schwester wohnend. Und auf der anderen Seite Erika Mann: fidel,
beweglich, halb Europa mit ihrem Automobil bereisend, immer
putzmunter und schlagfertig, egal ob am heimischen Hofe Thomas
Manns I. oder in den Künstlerlokalen in Berlin, München, Paris und New
York. Aber genau dieses Ungleichgewicht der Kräfte erweist sich als sehr
stabilisierend, auch weil sie sich gemeinsam lustig machen können über
die Sperenzchen der jeweils anderen.

Nachdem Margarete Karplus in Berlin erfolgreich in Chemie promoviert


hat, geht sie 1930 für eine letzte Ausbildungsphase zur IG Farben nach
Frankfurt, bevor sie im Jahr darauf den hälftigen Anteil an der
Lederwarenfabrik Karplus & Herzberger ihres Vaters übernimmt. In
Frankfurt lebt sie mit ihrem Verlobten Theodor Wiesengrund Adorno
zusammen. Sie merken, dass es zwischen ihnen eventuell doch die große
Liebe ist. Sie reduziert Walter Benjamin auf eine sehr enge und innige
Brieffreundschaft, mit gelegentlichen Schecks zur Unterstützung. Das
kommt im Grunde auch Benjamin entgegen: Er liebt die Rolle des
mittelalterlichen Minnesängers, der sich am liebsten in einer Sehnsucht
ergeht, die fast in Nostalgie umschlägt. Und Adorno lässt einstweilen die
ständigen Amouren bleiben. Die Liebe ist manchmal wie ein guter Tee,
man muss sie etwas ziehen lassen.

Josef von Sternberg verlässt für Marlene Dietrich seine Frau Riza. Ende
Januar 1930 ist Der blaue Engel abgedreht. Mitte Februar fährt Sternberg
allein mit dem Schiff zurück nach Hollywood. In seiner Kabine an Bord
der Bremen findet Sternberg einen Proviantkorb von Marlene Dietrich.
Zwei Tage nach Sternbergs Abreise melden die Berliner Zeitungen, dass
Marlene Dietrich ihm wohl bald nach Hollywood folgen wird.

Es waren keine goldenen Zeiten für die große Liebe. Es waren die Zeiten
für eine »Sachliche Romanze«, wie Erich Kästner sein Gedicht der
Epoche nannte, erst teilen sie das Bett miteinander, »dann kam ihnen die
Liebe abhanden, wie anderen ein Stock oder Hut«. Im Laufe des Winters
ist ihm die Liebe zu Margot Schönlank alias Pony Hütchen
abhandengekommen. Sie weint bitterlich, und er tröstet sie. So sei er
eben, da könne man nichts machen. Er zieht weiter zu einer neuen
Geliebten, »Moritz« nennt er sie in den Briefen, bis heute weiß man
nicht, wer sie war. Er reist mit ihr an den geliebten Lago Maggiore, aber,
gesteht er seiner Mutter: »Moritz wollte erst nicht mitfahren, weil sie
mich liebt und ich sie nicht liebe.« Dann kommt sie aber doch mit, und er
schreibt ans »liebe Muttchen« am 10. März 1930: »Man sollte sich eben
doch alles abhacken, was mit Mann zu tun hat. Sonst hört dieses
Schlamassel ja doch nicht auf.« Die Selbstkastration als Utopie im Brief
an die Mutter – was für ein Fest für jeden Freudianer. Aber natürlich lässt
Kästner das mit dem Abhacken bleiben. Und stürzt weiter die Frauen ins
Unglück, während er selbst immer kälter wird (und um ihn herum fröstelt
es erst recht). Er schreibt sein Gedicht »Ein Mann gibt Auskunft« und
bekennt verstörend ehrlich:
Ich riet dir manchmal, dich von mir zu trennen,
und danke dir, dass du bis heute bliebst.
Du kanntest mich und lerntest mich nicht kennen.
Ich hatte Angst vor dir, weil du mich liebst.

So viel also zur Lage der Liebe um 1930.

Die amerikanische Botschaft in Paris lädt am 7. März 1930 zum


nachmittäglichen Empfang, es gibt freundliche, sehr leise Musik, die
Sonne steht tief und schaut aufmunternd durch die Fenster, die Gläser
klirren, es ist ungemein zivilisiert. Der große Fotograf Jacques-Henri
Lartigue jedoch langweilt sich, er hat hier ein paar Worte in gebrochenem
Englisch mit einer blondierten Amerikanerin gewechselt, dort ewig an
der Bar auf seinen nächsten Drink gewartet, als ihn auf dem Weg zur
Garderobe, es dämmert schon, plötzlich der Blitz trifft. Er kommt aus
zwei verhangenen braunen Augen voll endloser Sehnsucht. »Bonsoir,
madame«, stammelt er. Sie will offenbar gerade auf die Tanzfläche, also
ändert Lartigue sofort seine Richtung und bittet sie erst um ihren Namen
und dann um einen Tanz. Renée Perle sei ihr Name, so sagt sie, sie
stamme aus altem rumänischem Adelsgeschlecht. Für Lartigue klingt das
alles wie ein Gedicht. Als er dann beim langsamen Tanz ihren Mund fast
an seinem spürt, seine Hand ganz sanft hinten in ihren Rückenausschnitt
legt und sie sich nicht wehrt, da ist er ihr verfallen. Sie verlassen nach
dem Tanz den Empfang und verbringen die nächsten zwei Jahre fast
ununterbrochen zusammen.
Es gibt viele ungekrönte Königinnen der Jahre um 1930,
Filmschauspielerinnen meist, aber wenn es eine Frau gibt, deren Aura
uns bis heute aus jeder der Fotografien von Lartigue mit sinnlicher
Schläfrigkeit anspringt, dann ist es Renée Perle. Renée in Biarritz, in
Juan-les-Pins, Cap d’Antibes, Saint-Tropez. Weiße, weite Hosen,
olivfarbene Haut, leichte helle Tops, eine goldene Kette oder ein dezenter
Armreif, pure Eleganz voll stiller Noblesse und brodelnder Leidenschaft.
Dazu immer dieser nun wirklich unglaubliche Mund, dieses kurze, leicht
ondulierte Haar und natürlich: diese dunklen Augen voll abgrundtiefer
osteuropäischer Melancholie. Nur wenn sie auf den Fotografien doch
einmal den Mund öffnet, die kleinen Zähne sichtbar werden, dann wird
sie mit einem Mal von der Ikone zum Menschen. Aber Lartigue will sie
als Ikone. Er bittet sie deshalb, höchstens andeutungsweise zu lächeln, er
will ihre geschlossenen, geschminkten Lippen fotografieren. Ihren
weiblichen Körper in den hellen Sommerkleidern ablichten vor dem
Meer, den Palmen, den Verheißungen des Paradieses. Sie gehen ab
diesem 7. März 1930 eine Symbiose ein für zwei Jahre, sie verbringen
jeden Tag miteinander und es vergeht kein einziger, an dem Lartigue sie
nicht fotografiert. Sie sind besessen voneinander. Nie sehen die frühen
dreißiger Jahre sinnlicher und nobler aus als auf diesen Schwarz-Weiß-
Fotografien. Es sind die Bilder einer Vergötterung.
Wenig später beginnt Renée Perle, sich selbst anzubeten. Sie mietet
sich in Paris ein Atelier – und malt sich selbst. Jeden Tag. Es sind
Gemälde von fürchterlichem Kitsch. Immer dieselben geschlossenen
Lippen, die auf ihrem hellen Gesicht liegen wie zwei schmale Kähne auf
einem mondbeschienenen See. Dann kommt Lartigue dazu und
fotografiert Renée Perle, die Porträts von Renée Perle malt, in ihrem
Atelier. Erst kreiste nur er, inzwischen kreist auch sie nur noch um sich
selbst. Das kann natürlich nicht gut gehen.

Heinrich Mann ist klar, dass seine Affäre mit Trude Hesterberg eher
etwas Verzweifeltes hat. Er will sich wohl irgendwie befreien aus der
zermürbenden Ehe mit seiner Frau Mimi. Die kämpft in den späten
zwanziger Jahren für diese Ehe – und auf Kuren in Marienbad und
Franzensbad gegen ihr Körpergewicht. Harry Graf Kessler sieht das mit
den Augen der Kunst viel wohlwollender: Mimi Mann sei »recht
appetitlich, ein etwas üppiger Renoir«. Aber die Affäre mit Trude
Hesterberg gibt der Ehe von Mimi und Heinrich Mann den Rest, sie wird
im Frühling 1930 gerichtlich geschieden. Wie so häufig ist da der
offizielle Scheidungsgrund, also Trude Hesterberg, ebenfalls bereits
überwunden. Heinrich Mann zieht nach Berlin, Mimi Mann bleibt mit
der Tochter Leonie in München und schreibt ihrem Ex-Mann, nachdem
die Rauchwolken des Scheidungskriegs verzogen sind: »Für mich bist du
der Einzige, um den es sich zu leiden lohnt.« Doch da tröstet sich der 59-
jährige Heinrich Mann bereits in Nizza mit Nelly Kröger, einer 32-
jährigen Animierdame aus der Bar Bajadere in der Berliner Kleiststraße,
mit der er im Frühjahr 1930 kurzerhand nach Südfrankreich gefahren ist
(er fährt seit 1913 eigentlich immer mit seinen jeweiligen Frauen im
Frühjahr nach Nizza, immer ins Hôtel de Nice, dasselbe Zimmer, ein
Wiederholungszwang).
Heinrich Mann hat seit jeher einen fast sentimentalen Hang zum
horizontalen Gewerbe, stets argwöhnisch kommentiert vom
sittenstrengen Bruder Thomas. Er hatte Nelly Kröger im
Trennungswirrwarr des Winters an einem Abend, als er besonders traurig
war und die Enden seines dunkelblonden Spitzbartes besonders müde
nach unten hingen, in der Bajadere kennengelernt. Und als sich die
beiden anderen Damen aus seinem Leben verabschiedet hatten, da hat er
ebendieses Verhältnis, wie er es nannte, »intensiviert«. In seinem Fall
heißt das: Er kauft ihr Dessous, er zeichnet sie nackt, das liebt er schon
immer. Aber irgendetwas ist diesmal anders. Nelly Kröger ist die erste
Lebedame, mit der er wirklich leben will.
Mit Nelly Kröger also sieht er sich am 23. März 1930 in einem Kino
an der Promenade des Anglais den Blauen Engel an. Eine Woche vor der
offiziellen Premiere, der UFA-Produzent Erich Pommer war extra zum
berühmten Autor gefahren, um ihm eine Spezialvorführung unter Palmen
zu kredenzen. Heinrich Mann genießt den Aufwand, der seinetwegen
betrieben wird. Heinrich Mann genießt auch die Brillanz des Films, denn
auch er hat jetzt seine anrüchige »Lola Lola« gefunden – aber eben eine,
die ihn nicht in den Wahnsinn treibt, sondern ihm die Hand hält und ihn
bewundert. Es tut ihm so gut.

Am Abend des 31. März 1930 feiert Der blaue Engel im Gloria-
Filmpalast in Berlin Premiere. Er zeigt den Triumph der Dekadenz über
die letzten Reste der männlichen Würde. Marlene Dietrich zerstört als
laszive Lola den redlichen Mann. Das Publikum tobt vor Begeisterung.
Es ist also auch ein Triumph der Dietrich über die letzten Reste des
Stummfilms. Die Zukunft beginnt und sie hat sie als Erste besungen.
Noch in derselben Nacht besteigt Marlene Dietrich kaum zweihundert
Meter weiter im Bahnhof Zoo den Nachtzug zur Küste. Sie wird sich in
Bremerhaven nach Amerika einschiffen, sie will nach Hollywood. Nur
ihr ausrangierter Geliebter Willi Forst bringt sie zur Bahn. Ihr redlicher
Mann ist beruflich in München. Und er hat ihre Tochter und deren
Kindermädchen mitgenommen. Zum Abschied ruft sie ihn noch einmal
an, aus dem Bahnhofsrestaurant, sie versteht ihn kaum, so laut quietschen
die einfahrenden Züge. Sie haucht noch »Adieu«, dann eilt sie zu ihrem
Zug. Willi Forst trägt ihre Koffer, sie trägt das Lächeln einer Frau, die
gewonnen hat. Am Bahnsteig erwartet sie ihre Berliner Haushälterin, die
mit auf die lange Reise geht. Als Marlene Dietrich zaghaft aus dem
Zugfenster winkt, hält sie noch die Rosen in der Hand, die sie gerade auf
der Bühne des Gloria-Palastes überreicht bekommen hat. Auf die
Passagierliste in Bremerhaven wird sie sich am nächsten Morgen so
eintragen: »Marie (Marlene) Siebert-Dietrich, verheiratet, Schauspielerin
aus Berlin«. Wenn sie in ihrer Kabine die Augen schließt und die Wellen
gegen den Bug schlagen, dann hört sie in ihrem Innern die tosende
Begeisterung der Menschen, die den Blauen Engel feiern. Im Traum
fliegt sie los – zu Josef von Sternberg.

Als Victor Klemperer den Blauen Engel im Kino sieht, ist er hingerissen.
»Dass der Inhalt ein melodramatischer Kitsch ist – claro. Aber Wirkung
hat er. Marlene Dietrich fast noch besser als Jannings. Diese
selbstverständliche Tönung, nicht gemein, nicht schlecht, nicht
sentimental – unbewusst menschlich und verkommen: ›Es is lange her,
dass man sich um mich jeprüjelt hat‹ – dieser eine Satz, ganz
unpathetisch und doch ein bisschen dankbar. Darüber könnte ich Seiten
schreiben.« Klemperer scheint zu ahnen, dass Dietrich mit diesem Satz
im Film etwas ausspricht, was für ihr gesamtes weiteres Leben gelten
wird: dass sich die Männer um sie prügeln. Für Klemperer selbst
hingegen ist der Gang ins Kino mit seiner Frau Eva seltene Ausflucht und
einziger Schutzraum. Von außen bedrohen sie die ersten antisemitischen
Agitationen, von innen Evas Depressionen. »Die Tage schleppen sich
hin, bisweilen ganz traurig, immer gedrückt. Ich habe Angst.« Nicht nur
dokumentiert Klemperer in seinen Tagebüchern auf einzigartige Weise
sein Leben als jüdischer Protestant, der als Romanist an der Dresdner
Universität deshalb immer stärker unter Druck gerät. Er erzählt darin
auch, Tag für Tag, Woche für Woche, von seiner großen Liebe zu Eva,
seiner Frau, und den Dämonen, die sie beschleichen. Und von seiner
Hilflosigkeit: »Das Schlimmste sind die kleinen Spaziergänge. Völlig
verdüstert, jedes Gespräch stockt oder nimmt eine Wendung ins
Trostlose. Ich komme nicht mehr an Eva heran. Und alles Tröstenwollen
wird von ihr nur mit Bitterkeit aufgenommen und logisch zerpflückt.«

Der 23-jährige Jean-Paul Sartre verlangt von der 21-jährigen Simone de


Beauvoir nach ihren ersten gemeinsamen Nächten eine vollkommen neue
Form der Ehe. Die Grundlage müsse die Freiheit sein – für beide Seiten,
ob sie damit einverstanden sei? Sonst müsse er leider gehen, bei aller
Liebe. Simone schluckt etwas, ganz so schnell kann sie sich von ihren
Mädchenträumen nicht verabschieden, vor zwei Monaten in den Wiesen
von Limoges, da hat es nicht ganz so modern geklungen, aber gut. Sie
liebt diesen Mann, und ihn gibt es offenbar nur zu diesen Bedingungen.
Er sei nun mal, so sagt er ihr ruhig, ein Genie. Und um dies voll zur
Entfaltung zu bringen, brauche er die Möglichkeit, eine freie Sexualität
zu leben. Zur Stimulierung seiner Kreativität. Er wolle mit 23 Jahren
nicht für den Rest seines Lebens auf Affären verzichten. Während Sartre
seine Freiheit verteidigt, weiß de Beauvoir so kurz nach ihrer ersten
echten Liebesnacht noch gar nicht, wie ihre Freiheit aussehen könnte.
Aber Sartre sagt: »Ich schenke Ihnen lebenslange Freiheit, Simone, das
ist das schönste Geschenk, das ich Ihnen machen kann.« Offenbar
befindet die solchermaßen Geehrte, dass man einem geschenkten Gaul
nicht ins Maul schauen sollte. Und so akzeptiert sie daraufhin auch
Sartres weitere Bedingungen: völlige Transparenz, offener Austausch
über alles, Gefühle, Affären, Sehnsüchte. Keine Kinder, denn die lenken
nur ab und kosten Aufmerksamkeit und Zeit. Aber ansonsten müsse sich
Simone keine Sorgen machen. Natürlich werde er immer nur sie lieben,
ihre Liebe sei »erstrangig«. Sie sei die Basis ihres Paktes. Aber ob sie
bitte akzeptieren würde, dass er sich nicht entschuldigen wolle, wenn er
eine Affäre habe, eine »kontingente« Liebschaft? Ja? Simone de
Beauvoir nickt kurz. Dann eilt Jean-Paul Sartre los, er muss den Zug
erreichen, er leistet seinen zweijährigen Militärdienst in der Wetterstation
der Kaserne in Saint-Cyr-sur-Mer. Er ist noch ganz verwirrt, dass de
Beauvoir seine Bedingungen akzeptiert hat, und er versinkt darüber, wie
er später gesteht, »in eine gewisse Melancholie«.

*
Walter Benjamin treibt die Scheidung von seiner Frau Dora voran, um
seine Freundin Asja Lācis zu heiraten. Nie hat er, so gesteht er seinem
Freund Gershom Scholem, die verwandelnde Kraft der Liebe so gespürt
wie bei ihr, »so dass ich vieles in mir erstmals entdeckte«. Als die Ehe
mit Dora am 27. März 1930 nach einem quälenden Rosenkrieg
tatsächlich offiziell geschieden wird, muss Benjamin leider realisieren,
dass Asja Lācis bereits nach Moskau zurückgekehrt ist. Sie hat es wohl
nicht ganz so ernst gemeint. Und trennt sich von dem Mann, der nach der
Scheidung gar kein Vermögen mehr hat, weil alles, was seine Frau
eingebracht hatte, auch an sie zurückgeht. So muss also Walter Benjamin
erneut einen neuen Mann in sich entdecken: den Verlassenen.

Im Frühjahr 1930 bricht Zelda Fitzgerald vollends zusammen. Nachdem


F. Scott Fitzgerald sie am Morgen des 23. April in die Pariser
Nervenklinik mit dem traurigen Namen Malmaison gebracht und den
Doktoren dort ein schreiendes, um sich schlagendes Nervenbündel
übergeben hat, das sagt, es könne nicht in die Klinik, weil es sonst die
Ballettstunden verpasse, fährt er mit dem Wagen zurück, verstört und
erleichtert. Als er wieder in der Wohnung in der Rue Pergoles 10
ankommt, liest er weiter im zweiten Band von Oswald Spenglers
Untergang des Abendlandes. Er schreibt an Hemingway: »Nichts ist
annähernd so gut wie dieses Buch.« Dann sucht er die Küche ab nach
einer Flasche Gin. Sein Gesicht verändert sich mit jedem Drink, die Haut
spannt, ab dem zweiten Glas gleicht es einer Totenmaske. Nach der
zweiten Flasche einer Mumie.
*

Noch einmal fährt Lisa Matthias mit Kurt Tucholsky nach Schweden.
Doch diesmal ist aller Zauber verflogen, der sie vor einem Jahr in den
Norden trieb. Sie ist ernüchtert von seinen ständigen Affären, erschöpft
von seiner nicht enden wollenden Ehe mit Mary in Paris. Doch sie hat
versprochen, ihm noch einmal ein Haus einzurichten. Sie finden eines zur
Miete in Hindås, es ist blau, es ist schön, und neun Kiefern stehen traut
um es herum und scheinen es zu behüten. Sie kaufen Möbel in Göteborg,
sie richtet es ihm ein wenig ein, aber sie denkt nicht daran, es ihm so
heimelig zu machen, wie sie es könnte. Die Atmosphäre zwischen beiden
ist so kühl wie der schwedische März. Nur sehr gelegentliche
Aufheiterungen. Da legt ihr Kurt Tucholsky ein neues Gedicht von Erich
Kästner auf den neuen Tisch aus Göteborg, es heißt »Familiäre Stanzen«,
es ist ganz frisch:
Wenn sich Leute, die sich lieben, hassen,
tun sie das auf unerhörte Art.
Noch in allem, was sie unterlassen,
bleibt ihr Hass aufs sorglichste gewahrt.

Und sie mustern sich wie bei Duellen.


Beide kennen die Anatomie
ihrer Herzen und die schwachen Stellen.

Aber plötzlich ist ihr Hass verschwunden.


Krank und müde blicken sie sich an.

Und sie spielen wieder Frau und Mann.
Denn die Liebe wird nach solchen Stunden
endlich wieder angenehm empfunden.

Lisa Matthias aber lässt sich nicht noch einmal erweichen, die Liebe nach
solchen Stunden als angenehm zu empfinden. Sie fährt zurück – in den
Süden, in ihr geliebtes Lugano, und schreibt an ihre Freundin Käthe:
»Mit Tucho sieht die Sache dünn aus. Ich halte nicht durch.
Seemannsweib geht mit mir nicht.« Als sie gefahren ist, beginnt
Tucholsky, Schwedisch zu lernen mit Gertrude Meyer, der Tochter einer
Schwedin aus dem nächsten Dorf. Schon im Mai fährt er mit ihr und
nicht mit Lisa Matthias nach England in den Urlaub.

Sehr kompliziert ist für Ludwig Wittgenstein eigentlich nur die Liebe.
Alles andere versteht er. Aber Marguerite Respinger, eine junge,
lebensfrohe Studentin der Wiener Kunstakademie und Freundin seiner
Schwester Margarethe, bringt ihn um den Verstand. Er ist verliebt, will
sie küssen, aber hat panische Angst davor, sich durch seine aufkommende
Erregung innerlich zu verschmutzen. Er modelliert eine Büste von ihr
und schenkt sie seinen Eltern. Fast täglich schreibt er ihr. Nachdem er
zum Geburtstag Taschentücher von ihr bekommen hat, schreibt
Wittgenstein am 26. April 1930 in sein Tagebuch in Cambridge: »Von
allen Menschen, die jetzt leben, würde mich ihr Verlust am schwersten
treffen, das will ich nicht frivol sagen, denn ich liebe sie oder hoffe, dass
ich sie liebe.« Leider ist Wittgenstein besessen davon, ein Ideal der
Reinheit zu erhalten. Die Ehe, die er sich vorstellt, solle ohne Sexualität
sein, erklärt er ihr, auf jeden Fall ohne Kinder, denn sie sei ein Heiligtum.
Marguerite schaut ihn ratlos an. Und auch er selbst hadert mit seinem
großen Ideal. So notiert er am 2. Mai: »Wäre ich anständiger, so wäre
auch meine Liebe zu ihr anständiger.« Am 9. Mai schreibt er auf, dass er
ganz offenbar verliebt sei, wenngleich die Lage leider »hoffnungslos
sei«. Er ist hin und her gerissen zwischen der Sehnsucht nach ihren
Küssen und der Angst vor der ihn bedrohenden geschlechtlichen
Sinnlichkeit, die dann jedes Mal in ihm aufsteigt, ohne dass er es
verhindern kann. Er überlegt, wie man eine Ehe leben könnte, die das
Gebot der Keuschheit befolgt. Aber das bleibt ein logisches Problem, das
selbst Wittgenstein nicht lösen kann.

Die Liebe wird, wie jede Utopie, immer größer, je länger man auf sie
wartet.

Ninon Dolbin, geborene Ausländer, genannt »die Ausländerin«, wartet


weiter auf die Einreisegenehmigung ins Herz Hermann Hesses. Es gibt
da zwei Probleme. Erstens versteht sie sich weiter sehr gut mit ihrem Ex-
Mann, dem Bühnenbildner und Zeichner Alfred Dolbin, von dem sie
streng genommen noch gar nicht geschieden ist und mit dem sie ziemlich
gerne ihre Zeit verbringt in Berlin und in Südfrankreich (auch um sich
von Hesses Launen und Lamentos zu erholen). Und zweitens will
Hermann Hesse sie nicht so richtig an sich ranlassen. Ninon, die
sehnsüchtige Jüdin aus Czernowitz, aus dem letzten Zipfel des
Habsburgerreiches, verehrt ihn seit über zwanzig Jahren und schreibt ihm
seit 1914, da war sie gerade vierzehn Jahre alt, also im besten Hesse-
Lesealter. Sie betet ihn an, er ist für sie wahlweise Zeus oder der Heilige
Franziskus, auf jeden Fall ihr Herr und Gebieter. Nach der ersten
Liebesnacht erklärt sie feierlich: »Ich kann dich nicht beim Namen
nennen, wie die Juden das Wort Jehova nicht sagen dürfen.« Und nach
der zweiten: »Als dein Kopf in meinem Schoß lag, war mir, als hielte ich
den Gekreuzigten.« Darunter macht sie es nicht.
Hesse ist diese Vergötterung ein bisschen viel. Auch wenn er es mag,
dass sie ihn in seinem Leiden so bergend in den Arm nimmt. Seine Liebe
zu Ninon ist genauso verwirrend wie die Sätze seines Buches Narziß und
Goldmund – da gibt es meist diese ein bisschen zu feierliche und zu
betuliche Prosa –, doch dann, wenn Narziß von der Liebe redet, gelingen
Hesse Sätze über Empfindungen, die so pur sind in ihrer Uneindeutigkeit,
dass sie einem plötzlich direkt ins Herz gehen. Aus so einer ehrlichen
Unklarheit heraus lässt Hermann Hesse dann offenbar auch Ninon am
Ende einziehen in sein Steinhaus in Montagnola im Tessin – aber nur
unten in die dunkle Parterrewohnung in der Casa Camuzzi, an deren
Wänden der Schimmel sprießt. Er wohnt oben im sonnendurchfluteten
rechten Flügel mit dem weiten, weiten Blick über den Luganer See und
auf die Berge, in der ständigen Hoffnung auf den kalten Rausch
losbrechender Kreativität. Gerade hat er den Steppenwolf veröffentlicht,
dieses unbarmherzige und seelenaufwühlende Bekenntnisbuch. Es hat
ihn selbst und seinen Körper so aufgewühlt, dass er ständig krank ist,
wehleidig, erstmals sein Alter spürt und sich ganz in sein Montagnola
zurückgezogen hat – und der armen Ninon aus dem klammen
Untergeschoss nur gelegentlich Zugang gewährt. Wenn er etwas von ihr
will (und er will ziemlich viel), dann platziert er auf dem kleinen Tisch
zwischen beiden Stockwerken einen »Hausbrief«. Meist sind es schnöde
Anweisungen, Wünsche um Abstand, Essensbestellungen. Wenn sie
seiner Meinung nach zu übergriffig gewesen ist, dann erfährt sie
brieflich, dass sie nur den Status eines »Gastes« habe und nicht mehr.
Man kommuniziert also in diesem Haushalt wie in einem
Trappistenkloster. Ja, dieser scheinbar so friedliebende, sanftmütige
Autor mit Strohhut und sonnengegerbter Haut ist tatsächlich ein
ziemlicher Neurotiker, wenn er sich bedrängt fühlt (und das fühlt er sich
eigentlich immer). Selten, wenn er gute Laune hat (und die hat er
eigentlich nie), dann malt er auf die Hausbriefe sogar ein Vögelchen
drauf oder aquarelliert einen Baum in seinem warmen Kinderbuchstil.
Noch seltener indes lädt Hesse die schöne, sanfte Ninon in sein
Schlafgemach ein. Denn er hat panische Angst, noch einmal ein Kind zu
zeugen. Er weiß, wie sehr Ninon sich danach sehnt. Darum hat er sich,
bevor sie bei ihm eingezogen ist, in Berlin sterilisieren lassen, ihr aber
nichts davon erzählt. Auch nicht von seiner zweiten Vorsichtsmaßnahme:
Er bittet seinen besten Freund, den Psychoanalytiker Josef Lang, ein
Horoskop von Ninon zu erstellen.

Am 11. Mai 1930 darf Zelda Fitzgerald die Nervenklinik Malmaison


verlassen, weil sie den Ärzten glaubhaft machen kann, dass ihre
Ballettlehrerin sie so sehr vermisst und nicht ohne sie leben kann. Sie
fährt tatsächlich direkt zu ihr, redet aber so wirres Zeug und umarmt sie
vor allen anderen Tänzerinnen, dass Madame Egorova sie umgehend
nach Hause schickt. Völlig aufgelöst versucht sie das erste Mal sich
umzubringen. Scott Fitzgerald sucht panisch nach einer Lösung für seine
Frau, die vollkommen von Sinnen ist. Er findet sie in der französischen
Schweiz, in der Klinik Les Rives de Prangins in Nyon bei Genf, einer
Nobelklinik, deren Buchsbäume so geschnitten sind wie die im Park von
Versailles. Als Zelda ihr Zimmer bezieht, stellt sie auf den Nachttisch
kein Foto ihres Gatten oder ihrer Tochter, sondern eines ihrer
Tanzlehrerin. Der behandelnde Arzt Oscar Forel diagnostiziert sehr
schnell: Schizophrenie.
Das werde dauern, sagt Doktor Forel zu Fitzgerald, ob er in der Zeit
nicht vielleicht gleich eine Entziehungskur machen wolle, um vom
Alkohol loszukommen? Ich weiß nicht, wovon Sie reden, sagt da F. Scott
Fitzgerald entrüstet, geht auf sein Hotelzimmer und trinkt einen
doppelten Whiskey.
Fitzgerald darf seine Frau am Anfang nur alle vierzehn Tage sehen,
deshalb zieht er durch die Luxushotels von Glion, Vevey, Caux,
Lausanne und Genf. Sie schreibt ihm vom Krankenbett: »Unsere
Divergenzen sind, das wirst du einsehen, zu groß. Es hat nicht den
geringsten Zweck mit uns. Du kannst also unverzüglich tun, was man
eben tut, um die Scheidung einzureichen.« Da ist es noch Frühling. Dann
wird es Sommer, und die Schwalben fliegen tief, und es wird Herbst, und
die Platanen werfen ihre gelben Blätter ab, und es wird Winter, und der
Wind kommt von den Bergen her. Scott Fitzgerald reicht keine
Scheidung ein, sondern schickt seiner Gattin aus dem Hotel alle zwei
Tage einen Rosenstrauß. Hier, in diesem unheilvollen Zustand, in
bräsigen Hotels mit Teppichböden, die die Schritte und die Tränen
verschlucken, hier, mit sehr teurem und schlechtem Gin, finanziell am
Ende wegen der Kosten für die Zimmer und für die Klinik, körperlich am
Ende wegen der ungeheuren Mengen an Alkohol, die er ab dreizehn Uhr
zu sich nimmt, hier also, versunken in Angst, gefangen an den Gestaden
des Genfer Sees, schreibt Scott Fitzgerald im Sommer und Herbst 1930
einige seiner größten Erzählungen: Wie Du mir, Stürmische Überfahrt
und Wiedersehen mit Babylon. Genau hier findet er diesen einmaligen
Ton seiner dreißiger Jahre, so schmerzhaft wie süß. Zelda bekommt in
der Klinik alles, was damals an Medikamenten denkbar war – also
Morphium, Belladonna, Barbiturate, gegen ihr Ekzem wird sie
eingewickelt, sie lässt alles geschehen und lächelt wie von einem anderen
Stern. Wenn sie sich doch einmal wehrt und durchdreht, dann wird sie
tagelang mit Spritzen ruhiggestellt.
Zelda schreibt ihrem Mann: »Ich habe große Angst, dass du entsetzt
sein wirst, wenn du kommst und merkst, dass nichts mehr übrig
geblieben ist außer Unordnung und Leere.« Da weiß sie noch nicht, dass
Fitzgerald diese Unordnung und diese Leere bald in Weltliteratur
verwandeln wird.

Und wie reagiert Paul Éluard, der gehörnte Ehemann Galas, auf ihre
Obsession mit Salvador Dalí? Durchaus ungewöhnlich. Er lässt seine
Gattin und ihren Gefährten sogar in der Wohnung in Montmartre leben,
die er eigentlich für sich und Gala eingerichtet und gekauft hat. Und
manchmal geht Gala auch noch mit Paul Éluard ins Bett, um nicht ganz
an der verqueren Sexualität Dalís zu verhungern. Éluard schreibt ihr nach
Cadaqués in ihr kleines Steinhaus am Wasser: »Liebe mich, wenn du
Lust darauf hast, nutze deine Freiheit aus.« Und als er nach und nach
merkt, dass er seine Angebetete tatsächlich an Dalí verloren hat, da
schreibt er ihr, dass er sich nachts, wenn er einsam sei, mit großer Lust
ihre Aktfotos anschaue. Er müsse ja nun wohl, so sagt er, das »Leben
eines Besiegten« führen.

*
Am 17. April heiratet Pamela Wedekind also Carl Sternheim. Der ist
guter Dinge, denn sein Schnurrbart ist wieder komplett nachgewachsen
und erstrahlt noch in dunkelbrauner Pracht, der Blick ist ein wenig irr,
aber er kann im richtigen Moment »ja« sagen. Die Trauung muss
unbedingt im Standesamt in Berlin-Moabit stattfinden, das war Pamelas
Wunsch, schließlich hatten genau hier im Jahre 1906 ihr geliebter Vater
Frank und ihre Mutter geheiratet. Nach der Trauung trifft man sich im
Restaurant des Hotels Eden – also dort, wo Billy Wilder als Eintänzer
aktiv war, auf der Dachterrasse Marlene Dietrich Golf spielt und an der
Bar Josephine Baker vor ihren Auftritten Kartoffelsalat isst. Es ist eine
kleine Runde, die sich zu dieser seltsamen Hochzeitsfeier eines geistig
verwirrten Dramatikers (was für ein passender Beruf!) und seiner jungen
Frau versammelt hat. Gottfried Benn hat unterdessen sein Amt als
behandelnder Arzt von Carl niedergelegt, weder er noch Pamela
Wedekind seien »noch ganz zurechnungsfähig. Man kann nichts anderes
tun, als die beiden ihrem Schicksal zu überlassen.« So in etwa denkt auch
Klaus Mann, Pamelas früherer Verlobter. Er kommt nicht zur Heirat –
und schickt stattdessen via Literarische Welt seine »Nicht gehaltene Rede
beim Hochzeitsessen einer Freundin«. Noch immer hat er nicht
verwunden, dass sie ihn verschmäht hat. Seine ungehaltene Rede ist ein
ganz besonderer Versuch, die Lage der Liebe um 1930 in Worte zu
fassen: »Dieses Heiraten ist ja wie eine Epidemie unter uns. Die Ehe ist
unser pathetischer Versuch, eine Einsamkeit zu überwinden, von der wir
wissen, dass sie endgültig ist. All diese Ehen haben weder mit dem Geld
noch mit dem Sexus zu tun. Ich muss aussprechen, dass es Liebesehen
sind. Liebe ist der Versuch des Menschen, seine unüberwindliche
Einsamkeit zu überwinden. Der Versuch, auf den du dich einlässt, ist
ernst und schön – einen besseren Glückwunsch finde ich nicht. Ich mag
dir nicht prophezeien, dass er gut ausgehen wird. Ich könnte auf deiner
nächsten Hochzeit keine anderen Worte finden als heute – sogar dann
nicht, wenn es unsere Hochzeit sein sollte.« Klaus Mann und Pamela
Wedekind werden nicht nur nie heiraten, nein, sie werden sich auch
niemals wiedersehen nach diesem Gruß.
Tilly Wedekind, die Brautmutter, hat während ihres Leidens an den
Heiratsplänen ihrer Tochter mit Gottfried Benn zu telefonieren begonnen,
weil sie wusste, dass er ihren künftigen Schwiegersohn ärztlich behandelt
hat. Und schon beim ersten Mal hat sie, als sie seine Stimme hört, das
Gefühl, sie würde »gestreichelt und hypnotisiert«. Wenige Tage nach der
Hochzeit soll das in die Tat umgesetzt werden. Wedekind und Benn,
beide geboren im warmen Frühling des Jahres 1886, treffen sich also das
erste Mal allein. Tilly Wedekind zieht ein schwarzes Nachmittagskleid
mit Mantel an – dass das Modell »Lustige Witwe« heißt, amüsiert sie
sehr. Um Punkt acht Uhr hört sie das Klingeln und das Rascheln des
Blumenpapiers, das Benn umständlich zusammenknüllt. Dann steht er in
der Tür, den Nelkenstrauß in der Hand. Die medizinische Betreuung des
Schwiegersohnes hat er niedergelegt. Nun will er sich um das körperliche
Befinden der Brautmutter kümmern.
Sie öffnet die Tür und sieht: »Ein fast weicher Mund und traurige
Augen. Er hat einen seltsamen Blick, so weit weg, so tief, so traurig.« Sie
lässt ihn ein, und die beiden setzen sich. Benn erzählt von Lili Breda,
seiner Freundin, die sich umgebracht hat – was für ein geschmackvolles
Entrée für den ersten Abend mit der Frau, die einen begehrt.
Abwehrzauber. Doch Tilly Wedekind kannte Lili Breda tatsächlich, und
zwar en detail – sie war es, die bei der Münchner Uraufführung des
Stückes Franziska ihres Gatten Frank Wedekind einst nackt aus einem
Brunnen gestiegen war. So also schließt sich nun der Kreis. Da ruft
Pamela an und fragt ihre Mutter, ob sie heute Abend bei ihr übernachten
dürfe, Carl sei etwas außer sich. »Gerne, mein Kind«, sagt Tilly, und
Gottfried Benn packt schnell seine Sachen und geht.
Aber Benn lädt Tilly Wedekind dann am 24. April 1930 ins Theater
und anschließend zu sich nach Hause ein, in die Praxiswohnung in der
Belle-Alliance-Straße. Und statt sich auszuziehen, zieht er sich an: Sie
habe, so sagt Benn, doch sicher nichts dagegen, wenn er den Arztkittel
überziehe, das sei er so gewöhnt und er fühle sich darin wohler. Darauf
Tilly Wedekind: »Ich dachte mir, so, nun wird er mich schlachten.« Er
hat seine pathologischen Erfahrungen ja genüsslich besungen in seinen
Gedichten der Morgue, und sie hat es mit wohligem Schauer gelesen,
damals, vor dem großen Krieg. Aber diesmal hat er Appetit auf
lebendiges Fleisch. Dr. med. Gottfried Benn fragt, in die Sicherheit des
Arztkittels gehüllt und während er einen Teller mit belegten Brötchen
und zwei Gläser Sekt hineinträgt, ob ihre Haare im Nacken rasiert seien –
dann fährt er sanft mit seiner Hand darüber.
Damit ist das Personal beisammen für Benns seltsamstes
Theaterstück. Der Regisseur Benn inszeniert eine robuste Ménage-à-
trois – denn parallel zu Tilly Wedekind pflegt er weiterhin eine
ausgiebige Beziehung zu Elinor Büller, der engsten Freundin seiner
ehemaligen Geliebten Lili Breda. Es beginnt ein neunjähriges
Doppelleben, ohne dass die beiden Frauen je voneinander erfahren. Sie
sind seine »himmlische« (Elinor) und seine »irdische Liebe« (Tilly), zwei
ehemalige Schauspielerinnen, fast gleich alt, immer korrekt gekleidet, die
Seele stets entflammbar durch neue zarte Verse von seiner Hand. Und
falls ihn einmal doch beide Frauen gleichzeitig besuchen wollen, dann
kann er immer der einen der beiden sagen, dass er als Dichter einfach
manchmal dringend seine Einsamkeit brauche, sonst versiege seine
schöpferische Kraft. Das würde sie doch sicherlich verstehen.

»Die Sexualität«, so schreibt der alte Freud in diesen Tagen, »gehört zu


den gefährlichsten Betätigungen des Individuums.«

Henry Miller ist inzwischen in Paris angekommen aus New York, ohne
seine Frau June, die dort geblieben ist, er ist völlig verarmt, er versucht
tagsüber ein paar Francs zu verdienen, aber nachts muss er sich einen
Schlafplatz erschnorren und morgens einen Kaffee. Er hat beschlossen,
hier, genau an diesem Ort, ein berühmter Schriftsteller zu werden, er
hackt und hackt immer neue Buchstaben in seine Maschine, aber es wird
einfach kein Text daraus, der ihn befriedigt. Noch sitzt der Schmerz zu
tief, als dass sein Buch über den Schriftsteller, dessen Frau ihn mit einer
anderen Frau betrügt, wirklich Literatur werden könnte, noch ist es nur
Traumabewältigung. Er merkt, dass ihn alles erdrückt, die Stadt, die
Hitze, seine eigenen Erwartungen: »Montparnasse«, so schreibt er, »ist
ein trauriger Ort. Trotz der Geilheit und der Trunkenheit sind diese
Menschen in Wahrheit unglücklich.« Er treibt umher, bringt jeden Franc,
den er ergattern kann, direkt zu den Huren, hängt im Café du Dôme
herum, in der Rotonde, immer auf einen amerikanischen Bekannten
wartend, der ihm die Drinks bezahlen kann. Er nimmt jede Frau, jede
Flasche, jedes Bett, das er bekommt. Henry Miller ist vierzig Jahre alt
und eigentlich am Ende. Irgendwann hat er auch seinen Roman fertig, am
24. August 1931. Als seine Frau June, die aus New York angereist ist, das
Manuskript liest, ist sie entsetzt: »Du siehst die Dinge nur auf deine enge
männliche Art, du machst aus allem eine Frage des Sex. Und darum geht
es überhaupt nicht, es geht um etwas Seltenes und Schönes.«
Auch der Autor selbst erscheint June unschön nach seinen Monaten
der Verwahrlosung. Abgemagert, fast kahl, ohne jedes Feuer. Sie hätte
ihn gerne, so sagt sie, »spritziger, jünger, romantischer«.
Am 25. August 1931 beginnt Henry Miller daraufhin ein neues
spritziges, junges, romantisches Buch. Er spannt das erste Blatt Papier
ein, zieht an seiner Zigarette und tippt: »Wendekreis des Krebses. Von
Henry Miller«. Was das nun wieder sein soll, so fragt ihn June. Darauf
Henry Miller: »Das Buch über Paris: in der ersten Person, unzensiert,
formlos – zum Teufel mit allem!«

Unten der weiche Sand, oben die hohen Kronen der Kiefern, in der Nase
der reife Geruch der Blaubeeren und im Ohr die Wellen, die an den
Strand schlagen, wieder und wieder, wieder und wieder. Der warme Wind
kommt von Westen. Später einmal werden alle in dieser so großen wie
merkwürdigen Familie Mann sagen, dass sie glücklich waren in diesem
Sommer des Jahres 1930 ganz oben am nordöstlichsten Zipfel des
deutschen Reiches, in Nidden, an der Kurischen Nehrung, wo sich der
Schriftsteller mit dem Geld des frischen Nobelpreises ein Haus in den
hellen Sand gebaut hat. Es thront auf einer hohen Düne zwischen dem
preußischblauen Wasser des Haffs und dem klirrenden Grün der Ostsee,
darüber spannen sich ungeheure Himmel mit Wolkengebirgen, das Licht
tobt sich hier aus, an dieser fließenden Passage zwischen Festland und
Brandung, zwischen Zivilisation und Natur.
Abends geht die ganze Familie hinauf auf den höchsten Punkt der
Düne, um der Sonne beim Untergehen zuzuschauen. »Da kann man ja
eigentlich nur Hosianna rufen«, bemerkt dann Katia Mann, auch sie hat,
als ordentliches Mitglied der Familie Mann, gelernt, ihre Gefühle hinter
Ironie zu verstecken.
Und auch »Urlaub« wird in Anführungszeichen gesetzt. Thomas
Mann hat seiner Frau früh erklärt, dass er sich auf »beschäftigungslose
Erholung nicht verstehe«. Und das hat sie akzeptiert. Im Freien kann er
nicht arbeiten, sagt er, er brauche ein Dach über dem Kopf, »damit der
Gedanke nicht träumerisch evaporiert«. Ja, so redet Thomas Mann
wirklich. Selbst bei dreißig Grad im Schatten. Er sagt also zur Wahl
Niddens: Dort sollen künftig die »Sommerferien unserer
Schulpflichtigen« verbracht werden, als »Gegengewicht gleichsam zu
unserer süddeutschen Ansässigkeit«. Süddeutsche Ansässigkeit! Noch
nicht einmal der stürmische Wind kann Thomas Mann also die
Nominalkonstruktionen aus dem Kopf blasen.
Die Manns sind im vorigen Jahr zum ersten Mal hier oben im Urlaub
gewesen und haben dieses Grundstück gefunden auf der Anhöhe mit
Blick auf das Haff und unter den hohen Kiefern des Nordens. Ein Jahr
Bauzeit, dann stand es empfangsbereit da, jenes »Sommerhaus Thomas
Mann«, wie es auf den Plänen heißt. Nidden war natürlich nicht praktisch
bei süddeutscher Ansässigkeit, eintausend Kilometer und zwei
Tagesreisen entfernt, erst ewig mit dem Nachtzug nach Berlin, in der
nächsten Nacht dann weiter nach Königsberg, dann Umsteigen in die
Eisenbahn, schließlich mit dem Dampfer nach Nidden übers Haff. Ein
irrsinniger Trip mit all den Kindern und all den Koffern. Am 16. Juli
kommen sie an, sie sind direkt nach Ferienbeginn der beiden Jüngsten,
der elfjährigen Elisabeth und dem zwölfjährigen Michael, zum Bahnhof
gegangen. Das ganze Dorf steht am Anleger des Dampfers, um die
prominenten neuen Bewohner zu begrüßen. Thomas Mann im hellen
beigen Mantel über dem Dreiteiler findet das etwas anstrengend, Katia,
seine Frau, hingegen durchaus angemessen. Das Ehebett der Manns ist
außerhalb der Zeugungen der sechs Kinder eine verkehrsberuhigte Zone,
deshalb freut sie sich über aushäusige Aufmerksamkeiten umso mehr.
Und seien es winkende Niddener Fischersfrauen. Aber auch Katia Mann
zeigt kaum eine Regung, als sie an Land gehen. Alle waren sich in der
Familie Mann, ohne es je auszusprechen, darüber einig, dass der kleinste
Gefühlsausdruck stets der beste sei.

Als Erich Maria Remarque einst die blendend schöne Ilse Jutta Zambona
heiratete, musste er erst einmal nachrechnen. Ergebnis: Sie ist ein Viertel
deutsch, ein Viertel italienisch, ein Viertel exzentrisch und ein Viertel
melancholisch. Sie hat sich für ihn von einem Tabakfabrikanten scheiden
lassen, und nun beziehen die beiden eine gemeinsame Wohnung auf dem
Hohenzollerndamm in Berlin. Von Liebe spricht er nicht, als er seiner
Schwester von seiner Heirat berichtet. Sondern: »Ich will einen
Menschen glücklich zu machen versuchen – einen andern, da ich es
selbst nicht werden kann.« Wir Heutigen, psychologisch geschult,
würden spätestens hier wissen, dass das Ganze nichts werden kann. Das
Paar will keine Kinder, nur Hunde. Sie kaufen sich Billy, einen Irish
Setter. Der taugt allerdings weder als Wachhund noch um die Schäfchen
zusammenzuhalten, denn bald schon ziehen Erich Maria Remarque und
Jutta Zambona getrennt durch die Cafés und Nachtclubs der Stadt auf der
Suche nach neuen Eroberungen. Er mit Hut und elegantem Spazierstock,
sie in Kostüm und hochhackigen Schuhen, der Kleidung einer Sphinx.
Jutta beginnt eine Affäre mit dem Drehbuchautor Franz Schulz, der
gerade an Die Drei von der Tankstelle schreibt. Diese Ménage-à-trois ist
allerdings wesentlich erfolgreicher als die zwischen Jutta Zambona,
Remarque und Franz Schulz. Durchs geöffnete Schlafzimmerfenster
überfällt Remarque Jutta und Franz einmal nachts in dessen Wohnung
und verprügelt den Nebenbuhler so fürchterlich, dass der eine Woche mit
blauem Auge und ausgekugelter Schulter zur UFA fahren muss – Billy
Wilder hat es uns detailgenau überliefert.
Aber Remarque selbst beginnt daraufhin, gedemütigt durch Juttas
Amouren und nach dem unbeschreiblichen Erfolg von Im Westen nichts
Neues eher öffentlichkeitsscheu geworden, eine Affäre mit seiner Agentin
und Managerin Brigitte Neuner. Die regelt den Zugang der Öffentlichkeit
zu ihrem Mandanten – und ihren eigenen zu seinem Schlafgemach. Sie
ist selbst in den letzten Zügen einer Ehe, und dank dieses Gleichgewichts
der Kräfte funktioniert das zwischen den beiden als gelegentliche
Liebschaft hervorragend, also kreislaufbelebend, magenschonend und
diskret. Am 4. Januar 1930 dann wird die Ehe zwischen Erich Maria
Remarque und Jutta Zambona im gegenseitigen Einverständnis wieder
geschieden. Aber eigentlich geht es danach recht fröhlich weiter. Nach
der offiziellen Scheidung fahren die beiden erst mal zusammen nach
Davos zum Skifahren. Remarque reist anschließend allein weiter durch
Europa, auf der Flucht vor dem Ruhm und vor sich selbst. Immer weiter
an seinem Manuskript schreibend, das ja passenderweise den Titel Der
Weg zurück tragen soll. Bald meldet er aus dem Seebad Heringsdorf an
seine Agentin Brigitte, dass achtzig Seiten des neuen Buches fertig seien
und: »Du fehlst mir – komisch, was? Ziemlich sehr sogar.« So unvertraut
ist er mit seinen Gefühlen, so misstraut er der Sehnsucht, dass er sie nur
formulieren kann, wenn er von der Komik erzählt, die sie in ihm
hervorruft. Brigitte Neuner findet das schon bald weniger komisch. Denn
sie wird abgelöst als erste Kurtisane am Hofe Erich Maria Remarques. Er
hat nach der Rückkehr von seiner Reise im Salon von Betty Stern eine
neue Herzensdame kennengelernt, Ruth Albu. Und die nunmehr
geschiedene Gattin Jutta will von Remarque auch immer noch nicht
lassen. Sie hofft: Es gibt immer einen Weg zurück. Ja, seit sie von Erich
Maria Remarque geschieden ist, beginnt Jutta Zambona eigentlich erst so
richtig, ihn zu lieben.

Kaum in Hollywood angekommen, dreht Marlene Dietrich gleich ihren


ersten Film für die Paramount. Josef von Sternberg, der sie in Berlin zum
Blauen Engel gemacht hat, ist längst bis über beide Ohren in sie verliebt.
Er schreibt ihr das Drehbuch von Marokko auf den Leib und wacht
zugleich eifersüchtig über ihr Triebleben. Sie sind glücklich miteinander,
aber Marlene Dietrich vermisst Berlin und ihre Tochter. Sie reist zurück
nach Europa. Frischt ihre alte Liebschaft mit Willi Forst auf. Geht mit
ihrem Gatten und dem Kindermädchen und Maria in den Zoo. Spaziert
mit Krawatte und Anzug abends in die Lesbenbars. Und ins Romanische
Café. Nostalgietourismus also. Sie badet ein bisschen in Boheme,
Buletten und Berliner Dialekt. Sie lernt Franz Hessel kennen, der sie für
eine große Zeitung porträtieren will, sie singt Lieder ein, und als sie
wieder genug Berlin in sich aufgesogen hat, wächst die Sehnsucht nach
Hollywood und nach Josef von Sternberg – und sie steigt wieder in den
Zug und aufs Schiff und fährt zurück nach Amerika. The show must go
on.

Das schöne Grünheide in der Mark Brandenburg war, schon lange bevor
sich hier Tesla niederließ, ein bevorzugter Ort der abgasfreien
Fortbewegung. Gerhart Hauptmann hat hier seinen Bahnwärter Thiel
angesiedelt. Ernst Rowohlt ist mit dem Rad um den See gefahren, wenn
es ihm mit seinen Autoren wieder zu bunt wurde. Und der große
Komponist Kurt Weill und die große Sängerin und Schauspielerin Lotte
Lenya haben sich hier auf einem kleinen Ruderboot kennengelernt.
Lenya ist nach reichlich verworrener Jugend in Wien vor den
Alkoholattacken und Missbräuchen ihres Vaters über Zürich nach Berlin
geflohen und hat Unterschlupf beim Dramatiker Georg Kaiser und seiner
Familie gefunden. Der bittet sie nun eines schönen Tages, den
Komponisten Kurt Weill vom Bahnhof abzuholen – und weil die Sonne
so knallig scheint und sie darauf hofft, dass er zurückrudern würde,
nimmt sie das Boot, um über den Peetzsee zur winzigen Station
Fangschleuse zu fahren. Sie erkennt ihn sofort – er sieht wie ein
Professor aus, Nickelbrille, leicht zerzaustes, dünnes Haar, Bauchansatz,
sehr freundlich und etwas orientierungslos. Die patente Lotte Lenya
packt ihn ins Ruderboot – und merkt schnell, dass sie selbst rudern muss,
falls sie vor Einbruch der Dämmerung am anderen Ende sein wollen.
Denn Kurt Weill hört einfach nicht auf zu reden, von seinen
Kompositionen, der Schönheit der Natur, dem Reiz der Stille. Lotte
Lenya schaut ihn die ganze Zeit an – und als sie am anderen Ufer
ankommen, ist es um beide geschehen. Es ist eigentlich schon am
Bahnsteig klar gewesen, bei diesem allerersten Blick, der die eine
Hundertstelsekunde zu lange in der Luft hängt – und die Augen verbindet
wie ein kurzer, glühender Strahl. Dass man sich in sie verlieben muss, ist
kein Wunder – dieses herrliche Gebiss mit der vorwitzigen Zahnlücke,
diese pure Sinnlichkeit und vor allem: diese unerhörte Stimme, eine
Oktave unter der Kehlkopfentzündung, die den Komponisten Kurt Weill
sofort dahinschmelzen lässt. »Wenn ich mich nach dir sehne«, so schreibt
er ihr schon bald, »so denke ich am meisten an den Klang deiner Stimme,
den ich wie eine Naturkraft liebe.« Er fängt sofort an, Lieder für Lotte
Lenya zu komponieren und wenig später ziehen sie in Berlin zusammen,
heiraten, triumphieren dann gemeinsam in der Dreigroschenoper.
Spätestens mit deren Verfilmung im Jahre 1930 wird auch Lotte Lenya
ein umjubelter Star – bei der Uraufführung im Theater hat man noch
ihren Namen auf dem Ankündigungsplakat vergessen, sehr zum Ärger
des Gatten. Doch schon bald wird die Dreigroschenoper unauflöslich
verbunden mit ihr, Lotte Lenya, der »Seeräuber-Jenny«. Abends auf der
Bühne singt sie ihre verruchten Lieder, danach kuschelt sie sich eng an
ihren Komponisten in der neuen gemeinsamen Wohnung in der
Bayernallee und schnurrt wie ein Kätzchen, das endlich seinen Platz am
Ofen gefunden hat. Aber bald zieht sie auch schon wieder los, lässt sich
durch die Nächte treiben, früh merkt Weill, dass er sie laufen lassen
muss, damit sie wieder zu ihm zurückkommen kann.

Benn geht schweren Schrittes durch die Straßen. Obwohl für ihn die
größten Katastrophen erst bevorstehen, läuft er schon jetzt, als trage er
sie auf seinen Schultern, »trauerüberladen, untergangssicher«, so nennt er
es selbst. Benn sagt von Rilke, den er den »unerreichbaren deutschen
Meister« nennt, er habe den Vers geschrieben, den seine Generation nie
vergessen wird: »Wer spricht von Siegen – Überstehn ist alles.«

Anfang Oktober 1930 treffen sich Ludwig Wittgenstein und Marguerite


Respinger in der Schweiz. Sie sprechen über eine Heirat und küssen
sich – aber dann weicht sie ihm aus und blickt finster zur Seite. Später
wiederum weint sie und sagt ihm, wie er in seinem Tagebuch notiert, dass
»sie überhaupt ihr Verhältnis zu mir nicht begreife«. Sie rudern in der
Nähe von Basel über den Rhein, lassen sich zu einer schilfumrandeten
Insel treiben und dort im Boot reden sie weiter. Eigentlich eine Idylle.
Aber nach ein, zwei längeren Küssen schreckt Wittgenstein auf. Ihm
bricht der Schweiß aus, wenn seine Hormone in Gang kommen. Sie
rudern nach Basel zurück und er hält ihre Hand, sie ist verstockt und will
ihm nicht noch einmal in die Augen sehen. Ludwig Wittgenstein, einer
der klügsten Männer der Welt, versteht die selbige nicht mehr.

Charlotte Wolff schwamm früh in der Liebe. Der kleine Fluss vor den
Mauern des Städtchens Riesenburg mit dem poetischen Namen war kalt,
die Badeanzüge unbequem, doch wann immer die Sonne schien in den
kurzen Sommern hier am Rande des großen Reiches, stieg sie hinein mit
ihren Freundinnen. Wenn in ihrer Kindzeit am Anfang des Jahrhunderts
der Kaiser vorbeikam, um in der Nähe beim Grafen Finck von
Finckenstein zu jagen, dann fuhr die ganze Familie im Landauer hinüber
durch die ewigen Wälder, sog ihren modrigen Geruch am nebligen
Morgen ein, eingehüllt in warme Decken, um dann einen kurzen,
kostbaren Blick zu werfen auf Wilhelm II. in vollem Ornat. Er hob die
Hand und nahm die Neugier und die Rufe seiner Untertanen durch das
Gitter am Jagdschloss huldvoll entgegen. Sein Schnurrbart war damals
noch schwarz. In Danzig dann, mit dreizehn, verliebte Charlotte sich in
Ida, eine geheimnisvolle sechzehnjährige russische Jüdin, sie fuhr mit
deren Familie nach Zoppot, nachts, als die Eltern schliefen, liebten sie
sich das erste Mal, die Füße noch voller Sand, durchs geöffnete Fenster
hörten sie das Rauschen des Meers. Beide hatten noch nie von
Homosexualität gehört, sie hatten keine Vorbilder, sie fingen einfach an.
Und die Eltern sagten nichts, lächelten morgens beim Kaffee, vielleicht
aus Weisheit, vielleicht aus Naivität. Dann zeigte ihr Ida eines Tages ein
Foto ihrer besten Freundin aus Odessa, Lisa, die jetzt in Berlin lebe, und
Charlotte verliebte sich in das Foto, weil sie glaubte, Lisa sei die
leibhaftige Verkörperung von Dostojewskis Nastassia Filippowna. Jeden
Nachmittag, nach den Hausaufgaben, träumte sie sich aus ihrem
Danziger Mädchenzimmer hinein in das Herz der unbekannten Lisa in
Berlin. Irgendwann besuchte sie sie tatsächlich, mitten im tobenden
Ersten Weltkrieg, eine elend lange Zugfahrt, unter dem Vorwand eines
Arztbesuches. In einer Pension in Charlottenburg verliebten sie sich
ineinander, die Gedanken hatten eine Wirklichkeit erschaffen. Ein paar
Jahre später dann, Charlotte war längst Studentin in Berlin, nach ihren
Jahren bei Heidegger in Freiburg, besuchte wiederum die geheimnisvolle
Lisa, längst in der Weite Russlands unglücklich verheiratet, Charlotte in
Charlottenburg. Die Rollen haben sich gewandelt, die Liebe aber, die ist
geblieben. Charlotte hält Lisas Hand. Ein wenig Glück. Viele Tränen.
Dostojewski.
Doch: Es gibt ein Leben nach Dostojewski. Und eines nach Lisa.
Nach ihrem Medizinstudium wird Charlotte Wolff Ärztin bei der
Allgemeinen Krankenkasse und kümmert sich um Frauen in den armen
Vierteln des Berliner Nordens, also Schwangerschaftsbetreuung, Fragen
der Verhütung, bald schon: vor allem seelische Betreuung. Sie lebt mit
Katherine zusammen, einer großen, schönen blonden Physiotherapeutin,
in einer behaglichen bürgerlichen Wohnung in einem Neubau am
Südwestkorso in Wilmersdorf. Nachmittags, nach Dienstschluss, schreibt
Charlotte Wolff dort Gedichte voll subversiver Tiefe, die noch oft von
ihrer Sehnsucht nach der mythischen Lisa handeln, Katherine steht im
Nebenzimmer an der Staffelei und malt, wonach sich ihre Seele sehnt.
Und abends, abends gehen sie dann gemeinsam aus. »Mich erregte
Berlins erotisches Klima«, so schreibt Charlotte Wolff, »es gab mir das
Gefühl, mit jeder Faser meines Körpers zu leben.« Doch gerade die
Sexualisierung des gesamten Lebens im Berlin um 1930 findet Charlotte
Wolff eher verstörend. Sie liebt die Lesbenbars und sie liebt die Frauen,
aber sie will der Körperlichkeit den »angemessenen Stellenwert
innerhalb der Skala sinnlicher Gefühle« zurückgeben. Wenn man an die
Gedichte von Bertolt Brecht oder Georg Trakl oder Alfred Lichtenstein
denke, dann sehe man, »dass Sex an sich für Vorstellungskraft und
Emotionen ein Todesurteil darstellt, während Erotik sie immer wieder
neu entstehen lässt«. Ja, so sagt sie, es gehe darum, das Gehirn zu
überschwemmen mit erotischen Bildern, das würde die Liebe anregen,
das Verlangen und die Sehnsucht, die auch die wahren Substanzen der
Poesie sind.

*
Noch ein Wort zu Charlotte Wolff, dieser jungen Ärztin und alten und
weisen Seele. Sie hat etwas sehr Zartes und Wahres gesagt über die
Liebe – und darüber, was mit Menschen geschieht, denen sie versagt
bleibt. »Die Enttäuschung«, so schreibt sie, »bewirkt eine Verletzbarkeit,
die sich auswirkt wie die Nacht auf bestimmte Pflanzen: Sie schließen
ihre Blüten.«

Dietrich Bonhoeffer liebt Augustinus mehr als irgendeinen Menschen


seiner Gegenwart. Der hat im vierten Jahrhundert in seinen
Bekenntnissen geschrieben: »Unruhig ist unser Herz in uns, bis es Ruhe
findet in Dir.« Bonhoeffer macht genau daraus eine Theorie der
Gegenwart. »Unruhig, damit ist das Wort gefallen, auf das es ankommt«,
ruft Bonhoeffer seiner Gemeinde in Barcelona zu. »Unruhe, das ist das
Kennzeichen, das den Menschen vom Tiere unterscheidet. Unruhe – das
ist die Kraft, die Geschichte und Kultur schafft, Unruhe ist die Wurzel
allen Geistes.« Und zwar die Unruhe, die aus der Suche kommt, »in
Richtung auf das Ewige«. Doch ein wenig, das spürt man, ist es auch die
Unruhe in Richtung auf das Ledige. Bonhoeffer ist da 23 Jahre alt. Außer
Gott hat er noch niemanden wirklich geliebt. Aber Hermann Thumm, der
junge Lehrer an der Deutschen Schule in Barcelona, gefällt ihm schon
sehr. Sie gehen zum Stierkampf und, wann immer es möglich ist,
zusammen in die Oper, ziehen dann weiter in die Bars und sind erst
gegen halb vier im Bett, wie er mit gewissem Bekenntnisdrang seinen
Eltern aus dem heißen Barcelona in den schattigen Grunewald meldet.
Doch nach Bonhoeffers Rückkehr nach Deutschland, wo er sich in
Windeseile habilitiert und mit 24 Jahren zum Professor der Theologie
wird, hat sich Hermann Thumm auffallend schnell verlobt. Im April 1930
kehrt Bonhoeffer zu dessen Hochzeit nach Barcelona zurück, in welcher
Stimmung, das ist unbekannt. Aber er ist gleich wieder betäubt vom Duft
des Flieders in der Stadt, den frischen Erdbeeren an jeder Straßenecke,
und er genießt es, seinen neuen Sommeranzug anzuziehen, den er sich in
Berlin hat schneidern lassen. Als Hermann Thumm zu einer anderen »ja«
sagt und die Hochzeitsfeier dann vorüber ist, flieht Bonhoeffer für eine
Woche allein an die katalanische Küste nach Tossa de Mar. Er müsse
sich, schreibt er seinen Eltern, von den »Ereignissen der Hochzeit«
erholen. Mit Wehmut reist er erster Klasse an die Küste, badet, isst
Austern, trinkt Wein, geht spazieren, auch wenn über ihm die Wolken
toben, er wird immer brauner und immer unruhiger, in welche Richtung
soll es gehen? Er weiß es noch nicht. Dietrich Bonhoeffer oder: der
Mönch am Meer.

Die Berliner Jahre um 1930, so wird der legendäre Tennisspieler


Gottfried von Cramm später sagen, sind die schönsten seines Lebens.
Ende 1930 bezieht Cramm mit seiner jungen Braut Lisa die erste
gemeinsame Wohnung in der Dernburgstraße 35 im Berliner Westen.
Tagsüber trainiert Gottfried eisern auf den Tennisplätzen von Rot-Weiß,
dann geht er mit Lisa baden in den Seen des Westens und danach
versinken sie in den Bars von Schöneberg und Charlottenburg, lassen
sich treiben durch die Nacht – aber stets mit größter Eleganz. Beide
beginnen früh außereheliche Verhältnisse, Lisa mit Gustav Jaenecke, dem
Doppel-Partner ihres Gatten, und Gottfried unter anderem mit Manasse
Herbst – in Berlin kann der Tennisbaron seine Bisexualität sehr viel freier
ausleben als auf dem niedersächsischen Stammsitz. Mit Manasse Herbst
ist Cramm in den einschlägigen Lokalen unterwegs, in der Silhouette in
der Geisbergstraße vor allem, wo es auch Christopher Isherwood und
Magnus Hirschfeld hinzieht. Neben Manasse trifft sich Cramm auch mit
seinem Jugendfreund Jürgen Ernst von Wedel, jenem Mann, der einst die
Braut besucht hat, um mit ihr gemeinsam von den Fotos mit dem
athletischen Körper Cramms zu schwärmen. Lisa von Cramm sieht dem
Treiben ihres Gatten indes mit Liebe und Nachsicht zu, nimmt sich
dieselben Freiheiten, nicht nur mit Männern, auch mit Frauen, Ruth von
Morgen und Marianne Breslauer gehören zu ihrem Kreis. Aber wer
Briefe des Paares liest aus jenen Jahren, der kann nicht anders, als die
Ehe der Cramms als glücklich zu bezeichnen. Noch interessieren sich die
Nationalsozialisten nicht für den Lebenswandel und das Liebesleben des
eleganten deutschen Tennisbarons.

Simone de Beauvoir leidet an der ständigen Abwesenheit von Jean-Paul


Sartre mehr als er. Ihm geht es gut, wenn er sich geliebt fühlt, dann erfüllt
er tagsüber seinen monotonen Dienst in der Militärkaserne und freut sich
darauf, danach seine Pfeife anzuzünden und über große philosophische
Fragen nachzudenken. Abends trifft er sich oft mit Simone de Beauvoir,
sie fahren beide zwischen Paris und Saint-Cyr-sur-Mer und später der
Kaserne in Tours hin und her, aber es ist meist zeitlich knapp, sie sind
ständig auf Bahnsteigen in jener Zeit, wo sie sich begrüßen oder
verabschieden. Ein ewiges Transitorium. Sie essen oft zusammen, aber
sie schlafen kaum miteinander, weil sie nicht mit in die Kaserne kann,
aber zu feige ist, tagsüber mit ihm ein Hotelzimmer zu mieten. Und zu
ihrer eigenen Überraschung merkt Simone de Beauvoir, dass sie genau
darunter besonders leidet: »Ich war gezwungen, eine Wahrheit
einzugestehen, die ich seit meiner Jungmädchenzeit zu verschleiern
gesucht hatte: meine Begierden waren stärker als mein Wille.« Und
eigentlich hat sie ja in ihrem Pakt Sartre geschworen, ihm alles zu sagen,
was sie bedrückt. Doch sie verschweigt ihm die ungestillte Lust. Ihr wird
langsam klar, dass es gefährlich wird, dass sie an nichts anderes mehr
denkt als an ihn, dass er für sie die Welt bedeutet, dass sie nur lesen will,
was er liest, das hassen, was er hasst, und das lieben, was er liebt. Sie
spürt, dass sie darüber den Menschen zu verlieren beginnt, der ihr am
wichtigsten sein sollte: sich selbst.

Alma Mahler-Werfel schreibt am 28. November 1930 nach siebzehn


Monaten Ehe über ihren Gatten Franz: »Soll er seinen Dreck allein
machen. Warum habe ich geheiratet? Wahnsinn.« Dann geht sie runter in
die Küche in Wien und holt sich eine zweite Flasche Kräuterlikör, die
erste ist längst leer. Sie blickt auf das schöne Bildnis von ihr, das Oskar
Kokoschka einst gemalt hat, 1913, als er so wunderbar besessen von ihr
war. Sie liebt es, wenn die Männer verrückt nach ihr sind, das ist ihre
Droge. Kokoschka hat ihr doch tatsächlich eine Karte geschrieben vor
kurzem. Ob sie ihn nicht wieder einmal treffen sollte?
Wie einst Kokoschka, so treibt sie nun Werfel an zur Produktion von
»Meisterwerken«. Werfel müsse ihr auf ewig dankbar sein, schreibt sie in
ihren Tagebüchern, die von Alkoholphantasien und Antisemitismus
überzuquellen beginnen: »Und wieder bin ich ihm Ansporn zu seiner
Arbeit – durch mein freches, gesundes Ariertum. Eine dunkle Jüdin hätte
schon längst ein Abstraktum aus ihm gemacht. Er hat diese Gefahr in
sich.« Es bleibt die Frage, ob es für Werfels Seele hilfreich war, dass sie
solch ein Konkretum aus ihm machte.

Im Dezember 1930 besucht Lisa Matthias ein letztes Mal Kurt Tucholsky
in seinem schwedischen Haus in Hindås. Er hat die Zeit in Schweden
genutzt, um den rauschhaften ersten Sommer mit seinem »Lottchen« zu
Literatur zu machen. Am Anfang hat Tucholsky einen scherzhaften
Briefwechsel mit seinem Verleger Ernst Rowohlt eingebaut – der
Verleger regt bei Tucholsky wieder eine »kleine sommerliche
Liebesgeschichte« an wie Rheinsberg, doch der Autor antwortet ihm: »In
der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch?«
Als Lisa Matthias das liest auf dem roten Sofa in dem blauen Haus in
Hindås, in jenem Schweden, wo sie ein Jahr zuvor noch geglaubt hat,
ihre große Liebe gefunden zu haben, da muss sie schwer schlucken.
Matthias ist ohnehin in keiner guten Stimmung. Sie hat gerade ihre
Verliebtheit in Peter Suhrkamp in Berlin begraben, der eine andere
geheiratet hat. Und sie hat überall in Tucholskys Haus Haarnadeln von
Gertrude Meyer, seiner Sprachlehrerin gefunden. Es fällt ihr also schwer,
sich auf diesen Roman über sich selbst zu konzentrieren. Doch was sie zu
lesen bekommt, entsetzt sie: »Das also war das Buch unserer Liebe – eine
Eiseskälte wehte mir entgegen. Hier war kein Quäntchen wirkliches
Gefühl, keine Spur von Zärtlichkeit, keine Liebe. Es war mir, als ob ich
in einen Abgrund stürzte.« Sie reist zwei Tage später ab. Auch ihre Liebe
hat also die Literarisierung nicht überlebt. »In der heutigen Zeit Liebe?
Wer liebt denn heute noch?« – immer und immer wieder gehen ihr diese
Worte Tucholskys aus dem Buch durch den Kopf auf der unendlich
langen Autofahrt von Hindås heim nach Berlin, vorbei an Birken, an
unendlichen Feldern, vorbei an Seen, an roten kleinen Häusern, vorbei
am Meer, an Tannen, Lisa Matthias fährt und fährt, setzt dann über mit
dem Schiff nach Travemünde, fährt weiter und weiter, durch die sanften
Hügel Mecklenburgs zurück nach Berlin, leise weinend.

»Ein pervertierter Spießer«, notiert der hellwache Harry Graf Kessler in


sein Tagebuch, als er das erste Mal Arnolt Bronnen trifft. Der ist in den
späten zwanziger Jahren der meistgespielte Bühnenautor der Weimarer
Republik, ein Mann voll unterdrückter Wut und mit krächzender Stimme,
ein enger Freund von Bertolt Brecht und von Ernst Jünger, Dramaturg bei
der Funk-Stunde, ein Dickschädel mit schütterem blonden Haar und ein
großer Unsympath. Er lässt sich im Seidenpyjama und mit Dogge auf
dem Parkplatz des Tennisclubs Blau-Weiß im Berliner Westen für die
Dame fotografieren, danach stellt ihm am 1. Oktober auf der Clubterrasse
Joseph Goebbels die 21-jährige Olga Schkarina-Prowe-Förster vor. Eine
dem permanenten Rausch verfallene Russin, die Sex offenbar so
dringend braucht wie Aufruhr oder Agitation. Ein Dreiecksverhältnis
beginnt, der hinkende Fanatiker Goebbels, der schwerfällige Koloss
Bronnen und die junge, manisch depressive Femme fatale sehen sich fast
täglich zu dritt. Bronnen über Olga: »Über die Liebe konnte sie nur
lachen. Es gab wohl gewisse körperliche Annehmlichkeiten, welche sie
dazu reizten, das erotische Spiel möglichst oft und möglichst
oberflächlich auszuprobieren. War für sie nicht riskant, da sie unfruchtbar
war.«
Bronnen und Olga verloben sich. Sie habe vor ihm erst mit
28 Männern geschlafen, sagt sie ihm, er könne ihr vertrauen. Zur Feier
ihrer eigenen Verlobung in Bronnens Wohnung, zu der auch Gretha und
Ernst Jünger gekommen sind, erscheint die Braut selbst erst gegen
Mitternacht, mit Joseph Goebbels an der Hand, sie habe »dem Doktor«,
wie sie den promovierten Goebbels nennt, erst noch die Hosen bügeln
müssen. Sie sagt es ohne jede Verlegenheit und mit viel guter Laune. Am
17. Oktober 1930 sprengen Olga und Arnolt dann gemeinsam mit Ernst
und Friedrich Georg Jünger sowie dreißig SA-Leuten eine Rede von
Thomas Mann in Berlin, in der er vor dem aufkommenden
Nationalsozialismus warnt. Und am 1. Dezember lassen sie bei der
Premiere des Antikriegsfilms Im Westen nichts Neues von Erich Maria
Remarque im Nollendorftheater quietschende weiße Mäuse frei. Als die
Polizei sie wieder aus der Untersuchungshaft entlassen hat, geht Olga
nicht mit ihrem Verlobten nach Hause, sondern mit Goebbels. Sie sagt
ihm, dass es eine »Liebestat für ihn« gewesen sei. Am 17. Dezember
wollen Olga und Arnolt Bronnen heiraten, der muss Goebbels nur vorab
versprechen, dass die Heirat nichts an Olgas Arbeit für die NSDAP
ändern wird, dann ist er einverstanden.
Die Hochzeitsfeier findet im Clubrestaurant von Blau-Weiß statt, wo
die beiden einander zehn Wochen zuvor von Goebbels vorgestellt
wurden. Zur Feier kommt dieser erst nach Mitternacht und schenkt Olga
einen riesigen Strauß roter Rosen. Als sich das Brautpaar zur
Hochzeitsnacht zurückziehen will, klingelt das Telefon. Goebbels bestellt
mit klarer Stimme Olga sofort zu sich. Und Bronnen? Als Ehemann
aussortiert, schlüpft er als verlorener Sohn in die Rolle des gestorbenen
Vaters: »Ich widmete mich meiner armen alten Mutter, froh sie für mich
allein zu haben.« Erst in der nächsten Nacht kommt Olga irgendwann
zurück.
Bronnen hat sich derweil um seine Mutter gekümmert, weil er ihr in
einem existenziellen Sinne dankbar sein muss. Zwei Tage vor der
Hochzeit bezeugt sie vor Gericht, nicht ihr jüdischer Ehemann sei der
Vater von Arnolt, sondern der Pastor, der sie getraut hätte. Sie schreibt an
ihren Sohn: »Du hast allen Grund, dich als Christ zu fühlen, mein Sohn.«
Bronnens berühmtestes Theaterstück heißt stimmigerweise Vatermord.
Weder Goebbels noch Bronnen wissen übrigens, dass Olga Förster
unter dem Decknamen Agent 229 seit 1929 für den russischen
Geheimdienst NKWD arbeitet. Es gibt keine Wahrheit. Es gibt nur
Versionen.

»Nackt will ich die Dinge sehen, klar«, sagt Otto Dix. Und sehr häufig
sieht er tagsüber in seinem Dresdner Atelier sein Modell Käthe König
nackt und beginnt eine Affäre mit ihr. Zu Hause in der wohlsituierten
Wohnung in der Bayreuther Straße 32 in der Dresdner Südvorstadt bei
seiner herben Ehefrau Martha gibt es Feinkost. In ihrem Elternhaus
wurde Chopin gespielt. Doch Dix, der Proletariersohn mit den Händen
eines Metzgers, liebt das Derbe genauso sehr. Er lässt sich von Martha
nicht zum Gentleman umbauen, auch als ordentlicher Professor nicht.
Und so beginnt er früh zwischen den beiden Sphären zu pendeln,
zwischen dem heimischen, sexuell wohltemperierten Familienglück und
der heißen Leidenschaft mit Käthe und ihrem breiten Sächsisch im
Atelier. Fortsetzung folgt.
*

Als Simone de Beauvoir realisiert, dass Jean-Paul Sartre wieder Kontakt


mit Simone Jollivet aufgenommen hat, jener Kurtisane, die ihm einst in
Paris die Nachttischlampe aus roten Dessous geschenkt hatte, wird sie
von heftiger Eifersucht gepackt. Doch Jean-Paul Sartre schreibt ihr
lapidar zurück, sie hätten doch vereinbart, dass zwischen ihnen beiden
jede Form von Eifersucht verboten sei. Er ist davon überzeugt, dass man
mit Willenskraft alle Emotionen kontrollieren kann, niemand müsse sich
»ein Stündchen Traurigkeit leisten«, das sei nur eine Frage der Trägheit
des Kopfes.

Nach so manchem Stündchen Traurigkeit nimmt Walter Benjamin am


7. April 1931 abends um neun Uhr eine Kapsel Haschisch zu sich. Er
bittet seinen Cousin, den Mediziner Egon Wissing, seine Halluzinationen
zu dokumentieren. Daher wissen wir, was in ihm vorgeht, nachdem er die
Droge genommen hat: »Ein Bild, das ohne kontrollierbaren
Zusammenhang auftaucht: Fischnetze. Netze über die ganze Erde vor den
Weltuntergang gespannt.« Als er wieder nüchtern ist, ein paar Wochen
später, bilanziert er, den drohenden Weltuntergang vor Augen, sein Leben
als Mann an der Seite von Jula Cohn, seiner Frau Dora und Asja Lācis:
»Im Ganzen aber bestimmen die drei großen Liebeserlebnisse meines
Lebens dieses nicht nur nach der Seite des Ablaufs, seiner Periodisierung,
sondern auch nach der Seite des Erlebenden. Ich habe drei verschiedene
Frauen im Leben kennengelernt und drei verschiedene Männer in mir.
Meine Lebensgeschichte schreiben, hieße Aufbau und Verfall dieser drei
Männer darstellen.« Charlotte Wolff, seine Freundin, hat es einmal
anders formuliert, durchaus liebevoll, aber auch sehr klar: »Walter
erinnerte mich auch an Rainer Maria Rilke, für den die Sehnsucht nach
der Geliebten erstrebenswerter war als ihre Anwesenheit.«

Elisabeth von Hennings trennt sich im Jahre 1931 endgültig von Bogislav
von Schleicher, lässt sich am 4. Mai 1931 von ihm scheiden, um am
28. Juli 1931 seinen Vetter zu heiraten: Kurt von Schleicher. Diese
Scheidung soll später eine fatale Folge haben. Lange traut Paul von
Hindenburg den Ratschlägen Schleichers, der ihn täglich davor warnt,
der NSDAP die Tür zur Macht zu öffnen. Doch dann brechen die Nazis
in eine Anwaltskanzlei in Charlottenburg ein, entwenden alle Dokumente
über die Scheidung von Schleichers Frau und spielen die pikanten Details
Hindenburg zu. Der ist von der Heiligkeit der Ehe überzeugt – und die
Zweifel an der Redlichkeit Elisabeth von Schleichers lassen auch ihren
neuen Mann in einem ungünstigeren Licht erscheinen.

Im Frühjahr 1931 wartet Curzio Malaparte in Paris auf das Erscheinen


seines Buches Technik des Staatsstreichs. Eigentlich ist er ein halber
Deutscher und heißt Curt Erich Suckert, doch nachdem ihm das deutsche
Giftgas im Ersten Weltkrieg die Lungen fast zerfressen hat, schlägt er
sich auf die Seite seines italienischen Sehnsuchtslandes, in dem er 1898
geboren wurde, und ändert seinen Namen. Malaparte ist trotz der
Urkatastrophe des Krieges ein Futurist geblieben, aber eben einer, der –
im Gegensatz zu Napoleon, dem »Bonaparte« – immer an die
schlechtere Möglichkeit glaubt: also ein »Malaparte«. So hielt er sich
nicht lange auf seiner Position als Chefredakteur der Turiner
Tageszeitung La Stampa, zu der ihm Giovanni Agnelli verholfen hatte. Er
schrieb nächtelang an seiner Technik des Staatstreichs, doch das
Manuskript trug er lieber nach Paris, er fürchtete die Wut Mussolinis und
seiner Schergen.
Und so sitzt er also mit 31 Jahren arbeitslos und nahezu staatenlos in
den Straßencafés im Quartier Latin, er sieht Josephine Baker tanzen, er
sieht James Joyce schweigen und Picasso Hof halten und er sieht all die
Deutschen kommen, die Schriftsteller, die Journalisten, die Flaneure, die
Paris so sehr lieben, weil sie sich selbst viel lieber mögen, sobald sie in
Paris das erste Glas Wein getrunken haben und an der Seine
entlanggestromert sind im weichen Licht der tröstlichen Laternen.
Malaparte studiert sie alle mit unbarmherziger Genauigkeit. Er ist ein
großer Frauenheld, und zwar einer, der sehr viel Geduld hat. Er lauert
stundenlang wie ein Löwe im Schatten vor der Fassade des Café du
Dôme, linke Seite, letzter Tisch ganz außen, direkt am Stamm der dicken
Platane. Da kultiviert er seinen Status als undurchschaubarer italienischer
Aristokrat, bestellt nur schwarzen Kaffee und Absinth und zieht mit
seinen bohrenden Augen die Menschen auf der Terrasse aus und trinkt
mit seinen Ohren ihre Gespräche. Hier, in Paris, in den frühen dreißiger
Jahren, als die Stadt für einen kurzen Moment in der Weltgeschichte
durchatmet und die Deutschen so magisch anzieht wie die Amerikaner,
hier sitzt dieser elegante Deutschitaliener, um auf Caféterrassen und in
Bibliotheken und bei der Zeitungslektüre den Faschismus zu verstehen.
Und um über die Ästhetik des Staatsstreiches zu schreiben, als sei das
eine Frage der Form. Im Frühjahr 1931 erscheint sein Buch, nur auf
Französisch – und er prophezeit darin, dass Hitler eben nicht in Form
eines Staatstreiches, sondern durch einen parlamentarischen Kompromiss
an die Macht kommen würde, ein »Diktator aus Versehen«, wie er es
nennt. Die Deutschen, mit denen er die These auf den warmen
Caféterrassen von Paris diskutiert, halten ihn für verrückt. Sie verstehen
nicht, dass es ein Buch über die Verteidigung der Freiheit ist. Und dass
Malaparte durchschaut hat, dass es sich bei dem Verhältnis von Hitler zu
den Deutschen um ein Problem der Geschlechterverwirrung handelt:
»Hitler hat in Wirklichkeit einen sehr weiblichen Charakter: seine
Intelligenz, seine Ambitionen, selbst sein Wille haben nichts Männliches
an sich. Wie alle Diktatoren liebt Hitler nur die, die er verachten kann.
Hitler ist der Diktator, die Frau, die Deutschland verdient.« Als sie das
lesen in Paris, die Deutschen wie die Franzosen, schütteln sie nur die
Köpfe. Sie alle haben das Gefühl, dass Deutschland eine andere Frau
verdient hat, als es sich dieser sonderbare Italiener in seinen Albträumen
ausmalt.

Zur Eröffnung der Herrenbar Pan-Palais am Schiffbauerdamm (»Fünfzig


Tischtelefone und Tanzorchester und streng solide Preise«) erscheint
Gustaf Gründgens mit seinem neuen Freund Carl Forcht, dem
ehemaligen Geliebten von Klaus Mann. Gründgens kommt im Smoking
an diesem Abend, Forcht im Abendkleid. Beide leben inzwischen
zusammen in Gründgens’ Wohnung in der Bredtschneiderstraße 12,
gemeinsam mit Gründgens’ Schäferhund und dem Diener Willi, der ihn
geduldig Rollen abfragt, wenn Forcht in der Dusche ist oder bis in die
Puppen schläft.
*

Nach der Eröffnung des Pan-Palais bricht Magnus Hirschfeld, Leiter des
Berliner Instituts für Sexualwissenschaft, auf zu seiner Vortragsreise um
die Welt, er will die Menschen aufklären über Homosexualität und
»sexuelle Zwischenstufen«, wie er es nennt. Er spricht und forscht in
Russland, in Amerika und in Asien. In Shanghai lernt er im Jahre 1931
den 23-jährigen Medizinstudenten Li Shiu Tong kennen – und verliebt
sich in den blendend aussehenden Chinesen mit ausgezeichneten
Manieren. Li Shiu Tong wird ab diesem Moment keinen Tag mehr von
Hirschfelds Seite weichen. Hirschfeld selbst, schon seit den zwanziger
Jahren ein Hassobjekt der Nationalsozialisten, wird von dieser
Vortragsreise nie mehr nach Deutschland zurückkehren.

Erich Maria Remarque liebt 1931 vor allem Ruth Albu, eine
Schauspielerin, bildschön, belesen, neunzehn Jahre jung und gerade noch
die Ehefrau von Arthur Schnitzlers Sohn. Doch sie läuft mit fliegenden
Fahnen zu Remarque über, er »war die Liebe meines Lebens«, wird sie
später sagen, »ich glaubte, nie wieder jemand anderen lieben zu können.«
Für Remarque hat diese Liebe sehr weitreichende Folgen – sie führt ihn
zur Kunst. Und sie führt ihn nach Ascona. Also zu seinen beiden
nächsten großen Leidenschaften. Ruth Albu macht ihn mit dem
Kunsthändler Walter Feilchenfeldt bekannt, über den er in kürzester Zeit
eine bedeutende Sammlung französischer Kunst kauft: Gemälde von
Degas, Cézanne, Toulouse-Lautrec und Renoir, Kunstwerke von den
größten Künstlern des Erbfeindes, finanziert ausgerechnet mit den
Erlösen des Romans, der die verheerenden Folgen des Krieges gegen die
Franzosen beschreibt. Für Ruth Albu ist es zunächst nicht leicht gewesen,
an Remarque heranzukommen, denn der gigantische Erfolg des Buches
hat ihn zu einem scheuen Eremiten gemacht. Er ist nach der Scheidung
von Jutta Zambona 1930 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und
hat eine Suite im Hotel Majestic bezogen, hüllt sich aber, wie Albu
schreibt, »in seine Einsamkeit wie in seine eleganten Kaschmirpullover«.
Und leider hat er immer mehr getrunken, auch wenn er in seine
Heimatstadt Osnabrück zum Schreiben fuhr, nur seinen Hund Billy an
der Seite. Doch Ruth Albu gelingt es, Remarque aus seiner Depression
und seinem Snobismus zu befreien. Durch ihre Unbekümmertheit. Und
durch eine Reise ins Tessin im späten, warmen, leuchtenden August des
Jahres 1931. Durch das Verbot von Im Westen nichts Neues und die
Randale der SA in den Filmtheatern aufgeschreckt, sucht Remarque nach
einer Möglichkeit, sich auf elegante Weise aus Deutschland
zurückzuziehen. In Porto Ronco, nur wenige Kilometer entfernt von
Ascona am Lago Maggiore im Tessin, also im südlichsten Zipfel der
Schweiz, finden Remarque und Albu auf Anhieb die Traumvilla Casa
Monte Tabor. Sie sind mit dem Lancia an einem strahlenden Sommertag
von der großen Autostraße, die nach Italien führt, hinunter zum See
gefahren. Und dann haben sie zunächst den Monte Verità gesehen, diesen
legendären Hügel des freien Tanzes und des freien Denkens, und dann
dieses eine Haus, dessen Fenster verriegelt waren, verwunschen, direkt
am See. Sie fragen an der Piazza, fragen den Barbier und dann wissen
sie, wer es verkauft. Sie fahren hin – und am selben Abend schon geben
sich Remarque und der Schweizer Makler die Hand. Himmlische Regie.
Die Villa hat zuvor dem Maler Arnold Böcklin gehört – ihn hat der Blick
von hier, hinunter zu den zwei Inseln, den Isole di Brissago, zu seinem
legendären Gemälde Die Toteninsel inspiriert. Und genau hier also will
Erich Maria Remarque für 80000 Franken brutto ab sofort das Leben
genießen. Er bittet seine beiden Frauen, seine geschiedene Ex-Frau Jutta
Zambona und seine neue Geliebte Ruth Albu, das leere Haus schnell
bezugsfähig zu machen, und sie kaufen Wäsche und Möbel, während
Remarque nach Berlin fährt und zur Bank geht. Im Herbst 1931 kann
man noch relativ problemlos sein gesamtes Vermögen von einem
deutschen auf ein Schweizer Bankkonto transferieren – ihm hilft dabei
die Dritte im Bunde, seine Managerin und ehemalige Geliebte Brigitte
Neuner. Erfreulich zu sehen, dass offenbar alle Frauen auf diesen Mann
ziemlich lange gut zu sprechen waren.

Picasso kultiviert sein Doppelleben nunmehr auf höchstem Niveau. Weil


er so viele Bilder verkauft hat und all sein Geld in Scheinen in einem
hinteren Raum seiner Wohnung hortet, muss ihn der Börsencrash nicht
weiter kümmern. Nein, er profitiert sogar davon, denn er kann ein
herrlich weitläufiges Chateau in Boisgeloup in der Normandie kaufen, als
der Besitzer pleitegeht, zwei Stockwerke, unendliche Zimmerfluchten,
grüne Fensterläden. Dazu ein prächtiger Park, in dem er seine neue Lust
auf Skulpturen ausleben kann. Und vor allem muss er nicht mehr, wie in
all den Sommern zuvor, mühsam die reiche Ernte nach Paris
transportieren, all die Leinwände, Farben, Zeichenblöcke. Nein, in
diesem Schloss bleibt einfach alles da – und der Schlossherr fährt nur
manchmal nach Paris zu Frau und Kind. Unter der Woche macht er seine
Geliebte Marie-Thérèse Walter zum Burgfräulein. Nur wenn alle zwei
Wochen Olga und Paolo zu Papa aufs Schloss kommen und man ein
Familienwochenende mit Gästen und Bowle und Lagerfeuer plant, fährt
seine Muse für ein paar Tage zu ihrer Mutter und ihren Schwestern nach
Paris. Gute Regie ist besser als Treue. All die Plastiken und Skulpturen,
die in Boisgeloup entstehen, sind im Grunde Figuren von Marie-Thérèse.
Ihren schlanken, statuenhaften Körper, ihr römisches Profil verwandelt
Picasso in eine Unzahl von abstrakten und konkreten Körpern, die er
über den ganzen Park verteilt. Ja, ihr Schatten, den er einmal am Strand
von Dinard sah, hat ihn überhaupt erst zu all diesen Skulpturen inspiriert.
Picasso kann in diesen Jahren nicht ohne diesen Schatten leben. Auch
nicht, als er mit Olga und Sohn 1930 und 1931 an die Riviera zum
Sommerurlaub fährt, nach Juan-les-Pins. Da wohnt Marie-Thérèse
wieder in einer Pension ein paar Straßen weiter und sonnt sich, bis ihr
Herr und Meister sie ruft. Sie kann sehr gut warten. Sie weiß, dass ihre
Zeit noch kommen wird. Gerade an diesem Morgen hat Picasso ihr
geschrieben: »Ich sehe dich vor mir, meine schöne Landschaft, und
werde nicht müde, dich zu betrachten, wie du auf dem Rücken
ausgestreckt im Sand liegst, mein Liebling, ich liebe dich.«

Im Jahre 1931 schreibt Erich Kästner an seinem neuen Roman. Er soll


den Titel Der Gang vor die Hunde tragen, ein Sittenbild Berlins also,
aber der Verlag macht ihm Schwierigkeiten wegen des Titels und wegen
manch geschildertem Sittenverfall. So erscheint er schließlich unter dem
Namen Fabian. Mit dem Untertitel Geschichte eines Moralisten. Das ist
in Wahrheit Kästners eigene Geschichte: Alles ist dabei – der Held, der
die erste Liebe nicht verwunden hat und manisch an seiner Mutter hängt,
den Vater vergisst und ziellos durch die Betten und das atemlose,
anonyme, voranratternde Berlin, das moderne »Sodom und Gomorrha«
streift. Eine von tiefer Verzweiflung und letztem Witz durchtränkte
Bestandsaufnahme der Gefühle. Die Presse jubelt, es erscheinen Hymnen
von den großen Rezensenten, von Hermann Kesten, Alfred Kantorowicz,
von Hans Fallada und Hermann Hesse. (Es gibt übrigens kaum einen so
präzisen Literaturkritiker in jenen Jahren wie Hesse, und, auch das noch
in Klammer, man kann nur staunen über die Qualität dieser Kritiken –
und darüber wie sich hier die Weimarer Republik anhand des Fabian so
schmerzhaft ihrer eigenen Endlichkeit bewusst wird. Dies geschieht in
stilistisch brillanten Artikeln ebenjener jüdischen Autoren, die ein paar
Monate später für immer aus Deutschland vertrieben werden.) Aber
Kästner kann den Erfolg seines Bestsellers nicht genießen. Denn er hat
sich bei seinem ausschweifenden Liebesleben den Tripper zugezogen.
Deshalb muss sein Sexualleben von Juli bis Dezember 1931 pausieren.
Jede Woche geht er zu Ernst Cohn, seinem Arzt für
Geschlechtskrankheiten. Der verwendet Silberpräparate und
Sulfonamide, dann wird sogar mit elektrischem Strom experimentiert.
Alles kein Spaß. »Ich könnte gleich die Kommode zerhacken«, schreibt
er seiner Mutter. Sie ist die einzige Frau, der er von seiner Krankheit
erzählt. Und er geht in seinen Briefen sehr ins anatomische Detail.
Anderen gegenüber schweigt er. Es hätte nicht so recht zu den
Wutausbrüchen seiner Figur, dem »Moralisten« Fabian gepasst, die so
wortreich gegen den Sittenverfall in der Hauptstadt wettert, wenn
bekannt geworden wäre, dass der Autor einen Tripper hat.

Im Jahre 1931 erscheint die Fortsetzung von Im Westen nichts Neues von
Erich Maria Remarque. Er erzählt von den Bitternissen der Heimkehr
nach dem Krieg – alles schien unzerstört in der deutschen Heimat, und
doch war alles anders geworden. Remarque behauptet, dass nur die
Frauen die psychische Gesundheit der Männer hätten wiederherstellen
können – das aber nicht wollten. Weil sie spürten, dass die Geschichte
noch andere Aufgaben für sie bereithielt. Und weil sie es satthatten, sich
aufzuopfern oder die Männer als »Helden« zu verehren, obwohl sie die
für Narzissten hielten oder für Schlappschwänze. Und weil sie merkten,
dass sie auch alleine ganz gut zurechtkämen. In Der Weg zurück
beschreibt Remarque also, dass es nach einem Ereignis wie diesem Krieg
keinen Weg zurück mehr gibt.
Aus dieser Verstörung versuchten sich viele in die Heirat zu flüchten,
der Ehering als Rettungsring. Margaret Goldsmith schreibt 1931 in ihrem
Buch Patience geht vorüber über die vom Krieg innerlich zerstörten
Männer, ausgehungert und übersättigt, die in den zwanziger Jahren in
Berlin schon nach dem ersten Tanz, oben auf der Tanzfläche, während die
Musik noch spielte, die Frauen fragten, ob sie sie heiraten wollen,
obwohl sie sich gerade erst nach ihrem Namen erkundigt hatten. Die
Verlorenheit erzeugte eine ungeheure Dringlichkeit, auch die Ahnung,
dass der eine Krieg zwar vorbei ist, der nächste aber sofort kommen
kann, gab allen das Gefühl, dass keine Zeit zu verlieren sei. Erich Maria
Remarque beschreibt es in Der Weg zurück: »Und heiraten wollte er, weil
er sich nach dem Kriege nicht wieder zurechtfand, weil er Angst vor sich
selbst und seinen Erinnerungen bekam und einen Halt suchte.«

Ja, Erich Maria Remarque hätte wahrscheinlich schon damals perfekt zu


Marlene Dietrich gepasst, aber die ist noch in Hollywood. Und hat mit
ihren eigenen Verstrickungen zu kämpfen. Im Mai 1931 ist sie wieder in
Amerika angekommen, diesmal mit Tochter Maria, es schert sie nicht,
dass dies ihre Rolle als Femme fatale, als die sie die dortigen Filmstudios
inszenieren wollen, etwas trübt. Bei dem Filmvertrag mit den Paramount
Studios muss sie sogar unterschreiben, öffentlich nie als Mutter
aufzutreten.
Vielleicht hofft Marlene Dietrich, dass ihre Rivalin Riza von
Sternberg, die noch immer um die Liebe ihres Gatten kämpft, etwas Ruhe
gibt, wenn die verruchte »Lola Lola« plötzlich mit Tochter durch die
Studios spaziert. Josef von Sternberg empfängt seine Angebetete mit
einer Überraschung: Er hat für sie ein perfektes Haus gefunden, in der
besten Straße in Beverly Hills, North Roxbury Drive 882, mit Luxus
innen und hohen Mauern draußen, die sie vor fremden Blicken schützen.
Dort leben ab Mai 1931 Marlene Dietrich, ihre Haushälterin und die
sechsjährige Maria. Und meist ist auch Josef von Sternberg dabei. Ihre
beiden Rolls-Royce, seiner mitternachtsblau, ihrer grau, stehen nachts
traut nebeneinander vor der Villa in der Auffahrt. Marlene Dietrich
schenkt Sternberg in diesem Mai ein Foto von sich aus dem Blauen
Engel. Hintendrauf schreibt sie mit grüner Tinte: »Meinem Schöpfer von
seinem Geschöpf.« Er revanchiert sich mit einem Foto von sich,
Kamelhaarmantel, Gamaschen, Spazierstock, gezwirbelter Schnurrbart,
stechender Blick: »Für Marlene, was bin ich schon ohne dich?«
Der Mai und Juni des Jahres 1931 sind für beide die Wochen des
puren Glücks. Tagsüber drehen sie zusammen, abends kochen sie
zusammen, der Schöpfer, sein Geschöpf und dessen Tochter.
Deren Vater Rudi ist nach dem Wegzug der Mutter mit seiner
Geliebten Tamara nach Paris gezogen, Sternberg hat ihm dort eine Stelle
bei der europäischen Paramount organisiert. Rudi will sogar ihre geliebte
Familienwohnung aufgeben in der Kaiserallee 54 (der heutigen
Bundesallee), doch das missfällt Marlene Dietrich, sie mag es überhaupt
nicht, wenn andere Schlüsse aus ihrem Lebenswandel ziehen – und nicht
sie selbst. Und mehr noch: Sie braucht Rudi ganz dringend in
Hollywood. Als Propagandamittel. Denn Riza von Sternberg duldet es
nicht, dass ihr Mann ein eheähnliches Verhältnis mit Dietrich hat, und
prozessiert gegen ihn – und gegen die Dietrich wegen Verleumdung. Die
Paramount Studios sind alarmiert, sie können keine schlechte Presse
gebrauchen, sie brauchen einen makellosen Star und einen Regisseur, der
sich auf seine Arbeit konzentriert.
Panisch schickt Marlene Dietrich Telegramme nach Paris an ihren
Gatten: »DA DEINE ANWESENHEIT HIER MIR SEHR HELFEN
WÜRDE IN SACHEN PUBLICITY VERBUNDEN MIT
PROZESS DER FRAU STERNBERG. KÜSSE MUTTI.« Rudi
Sieber hat keine rechte Lust, in Amerika heile Familie zu spielen. Aber
nach drei weiteren Telegrammen steigt er doch in Cherbourg aufs Schiff,
fährt vier Tage über den Atlantik und von New York die schier
unendlichen 2500 Meilen per Zug nach Hollywood.
Ermüdet von der Reise fällt Rudi Sieber am 19. Juli 1931 völlig
verstört in das neue Leben seiner Frau: Eine prächtige Villa in Beverly
Hills, ein strahlend blauer Himmel, Palmen, ein Chauffeur, der ihm die
Tür eines Rolls-Royce aufhält, dazu seine Gattin, die ihn umgarnt wie
einen Gockel, und seine Tochter, die nicht genug von ihm kriegen kann.
Sobald er am nächsten Tag wiederhergestellt ist, macht sich die Familie
ausgehfein: Marlene Dietrich trägt ihren typischen Anzug mit Krawatte,
daneben im hellen Anzug ihr Mann, an ihren Händen die glückliche
Tochter. Daneben, in gesittetem Abstand, Josef von Sternberg. So tritt die
Familie vor die Tür und vor die Presse. Es entstehen Aberdutzende
Aufnahmen für das verlogene Herz der amerikanischen Öffentlichkeit.
Rudi Sieber sagt immer wieder diesen Satz in die Mikrophone der
Reporter: »Marlene und ich sind beide gute und aufrichtige Freunde von
Mr. von Sternberg und unterstützen ihn gegen diesen Angriff seiner
ehemaligen Frau.«
Damit hat Rudi Sieber seine Schuldigkeit getan. Im August reist er
wieder zurück nach Europa.
Josef von Sternberg kommt wegen der erwünschten Wirkung der
Bilder einer heilen Familie der Dietrich beim Scheidungsprozess mit
seiner Frau glimpflich davon. Die Klage gegen die Dietrich zieht seine
Frau zurück. Das nennt man gelungene PR.
Und Rudi Sieber? Der ist in Paris und antwortet meist nicht mehr,
auch nicht, wenn sie ihm neue Telegramme schickt mit »MILLIONEN
KÜSSEN«. Anschließend schickt sie ihm neue Einkaufslisten nach
Paris. Bilderbücher für die Tochter. Und neue Dessous für sich: »DU
KENNST DOCH DIE WÄSCHE, DIE ICH IMMER KAUFTE,
SCHÖN, ABER PRAKTISCH. TAUSEND KÜSSE MUTTI.« Der
Ehemann ist also nicht nur für schöne PR-Fotos gut, sondern auch als
altgedienter Kenner der genauen Körbchengröße. Und Rudi Sieber tut
wie geheißen und packt in Paris Päckchen für Mutti in Hollywood. Er
schreibt dazu: »Denkt an euren armen Papa, der so allein ist. Milliarden
Küsse Papitsch.« Wenn aus Millionen Küssen in acht Wochen Milliarden
Küsse werden, dann nennt man das wohl Inflation. Denn ihm geht immer
mehr das Geld aus im alten Europa. Er schreibt: »PLEASE MUTTI
SEND MONEY I NEED IT.«

*
Auch Kurt Wolff, der vor dem Ersten Weltkrieg der Verleger Kafkas und
Trakls gewesen ist und der nun, 1931, noch immer davon zehrt, schätzt
es, sich nicht festlegen zu müssen. Er ist mit den Jahren beruflich
weniger ehrgeizig geworden, sein Verlag existiert fast nur noch auf dem
Papier, sein aufwendiges Münchner Gesellschaftsleben finanziert er vor
allem aus dem Erbe seiner Frau. Ein Bonvivant also, wie er im Buche
steht. Aber eben auch einer, der etwas aus der Form geraten ist, die
Anzüge klemmen, die Weste geht nicht mehr zu, er stürzt sich, seit die
Autoren ihn nicht mehr suchen, in zu viel Betriebsamkeit und Alkohol.
Doch als die temperamentvolle und aufmüpfige Helene Mosel, 1906 im
Sternzeichen des Löwen in Skopje geboren, im Jahre 1929 als
Praktikantin in seinen Verlag kommt, da bringt ihn das erheblich
durcheinander. Sie liebt Bücher fast mehr als ihn – das provoziert ihn
(aber genau das wird sie später zu einer genauso großen Verlegerin
machen wie ihn). Helene, die in kärglichen Verhältnissen mit Mutter und
Schwestern in einem kleinen Dachgeschoss in München zusammenlebt,
hat etwas Stolzes, Edles, etwas, was sich nicht einfangen lässt, schon gar
nicht mit Einladungen zum Champagner. Aber Kurt Wolff versucht es.
Seit 1930 gibt es zwischen Helene und ihm ein ständiges Hin und Her
zwischen Ja und Nein, zwischen Paris und München, wo Wolff langsam
seine Verlagsgeschäfte auflöst – und seine Ehe. Seine Frau Elisabeth hat
sich in ihren Gynäkologen verliebt, und nun bereitet man die
einvernehmliche Scheidung vor. Die zwanzig Jahre jüngere Helene
Mosel ist also privat zu einem günstigen Zeitpunkt in Kurt Wolffs Leben
getreten, als Sekretärin und unermüdliche Übersetzerin zunächst, aber
später dann auch als Mädchen für alles beim Verlag Pantheon in Paris,
dem paneuropäischen Verlagsprojekt Wolffs. Wirtschaftlich freilich sind
sie sich an heiklem Punkt begegnet, denn es geht mit dem Kurt Wolff
Verlag dramatisch bergab, er hetzt durch die Tage nach dem Börsencrash,
um irgendwelche Finanzierungen neuer Buchprojekte werbend. Er
schreibt an Helene in Paris: »Ich weiß, du hast Geduld, verlier sie nicht.«
Er wolle, so versprach er noch im April 1930, weniger trinken und
weniger essen. Denn dann könne er sie vielleicht endlich »besser, stärker,
richtiger lieben«. Wie oft hat man das schon gehört (und gesagt). Wie
wenig glaubt man diesen Worten. Doch dann geschieht das Unglaubliche:
Kurt Wolff reduziert sich wirklich von 83 Kilogramm, die er wog, als sie
sich kennengelernt haben, wieder auf jene 68 Kilogramm, die er ab
diesem Zeitpunkt bis zum Ende seines Lebens behalten sollte. Er trinkt
weniger, er schreibt ihr immer zärtlichere Briefe. Das imponiert Helene,
sie beginnt, sich seiner Liebe sicherer zu fühlen, sie sieht, dass er zu einer
wirklichen Veränderung bereit ist. Sie schreibt beseelt an ihren Bruder
Georg: »Man muss nicht das Geliebte besitzen wollen, man muss es
richtig lieben, um einander wissen, unzerstörbar aus der Kraft des
Gefühls verbunden sein.«
Doch als sie im April 1931 tatsächlich beschließt, die Unzerstörbarkeit
des Gefühls zu testen und für zwei Monate zu Kurt an die Riviera zu
ziehen, da erlebt sie eine bittere Enttäuschung. Kurt ist zwar schlank
geworden und viel öfter nüchtern, aber leider ist er auch in ein anderes
altes Muster gefallen: Er hat sich neben Helene noch eine zweite Geliebte
zugelegt für den Sommer und die Empfänge zwischen Le Lavandou und
Juan-les-Pins: die sehr große und sehr elegante und sehr blonde Manon
Neven DuMont. Kurt bietet Helene an, doch für eine Weile mit Manon
und ihm in einer Ménage-à-trois zusammenzuleben, sie wagt es nicht zu
widersprechen, er findet schnell eine schöne Villa in St. Tropez am
Strand für sie zu dritt. Und ja: Die Grillen zirpen, das Meer rauscht, die
Feigen werden langsam lila – Südfrankreich wie aus dem Bilderbuch,
und doch ist es für sie die Hölle auf Erden. Helene weint viel, merkt, dass
sie zwar für die Arbeit und auch für die Liebe, nicht aber für die Sitten
der Boheme geschaffen ist, und beginnt ein trotziges Theaterstück zu
schreiben. Helene Mosel nennt ihr Stück Trio, die Hauptfiguren sind ein
44-jähriger ER, eine 34-jährige SIE und ein 24-jähriges ES, eine
»Garçonne«. Es ist also Realität und kein Theater. Helene Mosel hält
beides nicht aus. Eines Tages, als Manon und Kurt unterwegs sind,
schreibt sie ihm einen Zettel: »Geliebter, deine Welt ist nicht meine
Welt« – und zieht aus. Verlässt Luxus und Bequemlichkeit und die
schiefen Töne eines Trios, dessen Instrumente nicht zueinanderfinden.
Der wilde Mistral zerrt an den flatternden Vorhängen und an ihren
Nerven. Sie sucht sich eine eigene Hütte, ihr »cabanon« – bescheiden,
karg, herrlich, ein paar hundert Meter entfernt, am Rande eines
Weinberges, wo die Trauben Meerblick haben.
In dieser Hütte mit rotem, verwittertem Ziegeldach, kalkweißen
Mauern voll Kletterrosen und grünen Fensterläden beginnt im Sommer
1931 ihr neues Leben, ihr erstes Einpersonenstück. Als sie einzieht, ist
der Wind verstummt, wolkenloser Himmel, 24 Grad, reifende Zitronen
an einem großen Baum vor dem Fenster, von der Ferne das leise Läuten
der Kirche von St. Tropez, die Bergketten sind greifbar nah. Sie schreibt
schnell ihr Theaterstück Trio zu Ende – und dann, durch die Niederschrift
bereits halb therapiert, schickt sie ihrem Bruder Georg den
wunderschönen Satz: »Ich liebe Kurt so, dass ich weggehen konnte.« Als
Nächstes notiert sie sich eine Einkaufsliste für den Markt von St. Tropez.
Helene hat den ganzen Winter gearbeitet, jede Nacht und jeden Sonntag
übersetzt, sie hat Franc um Franc gespart für diesen Augenblick, für diese
Einkaufsliste: Sie braucht dringend einen Liegestuhl mit Streifenmuster,
sie braucht einen grünen Holztisch für den Garten und einen
Spirituskocher, sie braucht Fayencen, sie braucht Vorhänge und sie
braucht einfach alles, was man so benötigt, wenn man ein wenig normal
leben will an einem der schönsten Flecken dieser Erde. Diese
Einkaufsliste ist ihre Unabhängigkeitserklärung. Und abends bringen ihr
die Vermieter, dieses alte, verhutzelte Weinbauernpaar, eine kleine Katze
als Hausgenossin, ein warmes graues Knäuel, sie würde sie am liebsten
direkt in ihre Bluse stecken, so hingerissen ist sie.
Ihrem Bruder schreibt sie ganz gelassen, er müsse sich keine Sorgen
machen, sie wisse, dass Kurt bald zu ihr zurückkehre, die Beziehung
zwischen ihm und der eleganten Manon werde an »gegenseitiger
Erschöpfung« zugrunde gehen, denn: »Manon gehört zu den Frauen, die
man heiratet, und Kurt zu den Männern, die man nicht heiratet, das hält
Manon auf die Dauer nicht aus.« Ob sie sich wirklich so sicher ist? Auf
jeden Fall wächst sie hinein in ihre Unabhängigkeit mit jedem Morgen,
an dem sie voller Glück die Fensterläden öffnet in ihrem kleinen Haus
und das Licht hineinströmt wie gestautes Wasser. Dann beginnt sie zu
schreiben – und sie nennt ihr Buch Hintergrund für Liebe. Es wird einer
der bezauberndsten Romane, der je über Südfrankreich geschrieben
wurde. Und darüber, wie man sich einem Patriarchen entzieht. Und ihn
wieder anlockt durch die eigene Unabhängigkeit.
Als sie sich auf dem Fischerball in St. Tropez wiedersehen, packt Kurt
am nächsten Morgen seine Sachen, in dem Haus, das er für Manon und
sich und Helene gemietet hat – und zieht ein in Helenes kleines Cabanon.
Sie findet es zunächst fast ein bisschen anstrengend, wieder mit einem
Mann das Bett teilen zu müssen. Mit einer Katze war es einfacher. Aber
dann spürt sie: Sie selbst ist groß genug geworden, um teilen zu können,
sie ist die Hälfte eines Paares geworden, genau die Hälfte. Deshalb
passen Kurt Wolff und Helene Mosel im August des Jahres 1931 endlich
zusammen.
Kurt Wolff selbst taucht vollkommen ein in dieses karge Leben, es
wirkt im Nachhinein, als hätten sie hier unbewusst für ihre spätere
leidvolle Emigration geprobt.
Abends, wenn Kurt und Helene allein auf ihrer Terrasse sitzen, die
Beine auf den grünen Tisch legen und still werden mit der langsam
verdämmernden Natur, da erklärt Helene ihm: Dies alles, also das ferne,
glitzernde Meer, die Feigenbäume mit ihrem biblischen Duft, die Berge
mit ihren kühlen Häuptern, die Zitronenbäume mit ihren blendenden
Früchten, das Gras, das sich im sanften Abendwind biegt, dies alles, so
erklärt sie Kurt, sei eigentlich nur der »Hintergrund«. Aber für was?,
fragt Kurt. »Für Liebe«, antwortet Helene.

Am 19. September 1931 verlassen Zelda und F. Scott Fitzgerald das alte
Europa. Sie besteigen in Southampton die Aquitania mit Kurs auf New
York. Es ist genau dasselbe Schiff, mit dem sie 1921 das erste Mal nach
Europa gekommen sind.
Auf ein Foto von Zelda aus diesen Septembertagen voller Hoffnung
schreibt Fitzgerald stolz: »recovered«, also: genesen. Beide hatten
Hoffnung, große sogar. Die Therapie in der Klinik in Nyon scheint zu
wirken, Zelda hat ihr schizophrenes Lächeln verloren, aber ihren
Lebensmut wiedergefunden und ihren eigenen Stil: »Ich liebe dich so
sehr und du hast mich angerufen, ich bin zwei Stunden auf diesen
Telefonleitungen balanciert, nachdem ich deine Liebe wie einen
Sonnenschirm in die Hand genommen hatte, um mich im Gleichgewicht
zu halten.« So balanciert sie langsam zurück ins Leben. Er schreibt in
sein Tagebuch: »Ein Jahr Warten. Von der Dunkelheit zur Hoffnung.«
Sie fahren, kaum in New York angekommen, gleich weiter in Zeldas
Heimatstadt, nach Montgomery. Sie mieten sich ein Haus und kaufen
sich zwei Tiere, eine Perserkatze, die sie »Chopin« nennen, und einen
Dackel. Ihn taufen sie allen Ernstes auf den Namen »Trouble«.

Im September 1931 ist Ludwig Wittgenstein auf eine einsame Hütte bei
Skjolden in Norwegen geflohen, um herauszufinden, ob er Marguerite
Respinger wirklich liebt. Er lädt sie ein – und sie kommt durch halb
Europa zu ihm gefahren, und er lässt sie in einem Bauernhof in der Nähe
unterbringen. Sie will mit Wittgenstein sprechen, doch der ist nicht
auffindbar. Sie findet nur in ihrem Zimmer beim Bauern eine Bibel, die
Wittgenstein dort für sie hingelegt hat. Im Hohelied der Liebe, bei
1. Korinther 13, hat er einen Brief für sie hineingesteckt: »Die Liebe ist
langmütig, die Liebe ist gütig. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles,
hält allem stand.« Doch das ist für Marguerite zu viel Anspruch an eine
Beziehung, die noch gar nicht begonnen hat. Und das mit einem Partner,
der sich vor ihr versteckt. Sie legt die Bibel zur Seite und wandert und
schwimmt im Fjord. In den langen hellen Nächten liegt sie wach auf dem
Bett. Wartet, dass Wittgenstein von seiner Hütte zu ihr hinaufgestiegen
käme. Aber er kommt nicht. Er hält sich bereits für »ein Schwein«, wie er
in sein Tagebuch schreibt, weil er über ihren nackten Körper nur
nachdenkt. Daraufhin reist sie unverrichteter Dinge ab. Auch eine Liebe
kann verdorren.
*

Im Tessin ringt Ninon Dolbin derweil weiter um das Eheversprechen von


Hermann Hesse. Sie wittert ihre Chance, denn Hesses Zürcher Mäzen
H.C. Bodmer lässt ihm tatsächlich ein prachtvolles neues Haus am
Luganer See errichten, inmitten wuchernder südlicher Pflanzen auf einem
riesigen Grundstück voll Sonne und mit endlosem Blick Richtung Italien.
Dieses neue Haus will sie nicht bloß als seine »Sekretärin« betreten (die
sie de facto ist), sondern als seine Frau. Sie will ihn retten aus seiner
Midlife-Crisis, aber sie merkt nicht, dass er sich gar nicht heraushelfen
lassen will, weil aus dem Schmerz seine Schöpferkraft erwächst.
Ninon schreibt ihm in einem der »Hausbriefe« in der Casa Camuzzi,
dass sie ihn nunmehr dringend um die Eheschließung bitte, aber:
»Zwischen uns soll sie nichts bedeuten und nichts verändern. Es handelt
sich um unsere Stellung gegenüber der Öffentlichkeit.« Hesse liest das,
muss daraufhin seiner Lebenspartnerin jedoch erst einmal klarmachen,
was es heißt, mit ihm, Hermann Hesse, zusammen sein zu wollen: »Ich
brauche da in mir innen einen Raum, wo ich völlig allein bin, wo
niemand und nichts hineindarf. Deine Fragen bedrohen diesen Raum. Du
hast in letzter Zeit mehrmals das Tempo zerstört, in dem meine Seele
lebt.«
Warum Hesse am Ende diese Zerstörerin seines Tempos und seines
Friedens dennoch heiratet? Wir wissen es nicht. Und doch ist es eine Ehe
voll geplanter Trennlinien: Ninon und Hesse besprechen mit dem
Architekten, dass das neue Haus zwei Wohnbereiche haben muss – einen
für Hesse, einen für Ninon. Es gibt zwei Eingänge, nur eine einzige Tür,
oben zwischen den Badezimmern, verbindet die beiden Haushälften.
Hesse bekommt eine Art Mönchszelle, mit Schlafraum und
Arbeitszimmer und warmer Dusche. Diese Aussicht auf die Etablierung
seiner Unabhängigkeit mag Hesse mürbe gemacht haben, vielleicht auch,
dass ihn alle bedrängten zu heiraten, nicht nur Ninon, sondern auch
Bodmer, sein Hausbauer und freundlicher Mäzen, Katia Mann und nicht
zuletzt sein Astrologe. Im Juni 1931 darf Ninon endlich ihren Mann Fred
Dolbin um die Scheidung bitten, der erleichtert zustimmt (er wird im Jahr
darauf selbst heiraten, seine langjährige Geliebte Ellen Herz).
Als die Scheidung vollzogen ist, bestellt Hermann Hesse das Aufgebot
für den 14. November 1931 in Castagnola. Eine Hochzeit Mitte
November also, bei zwei Grad plus, fiesem Wind aus Nordwest und
leichtem Sprühregen. Da hängt der Himmel schon naturgemäß nicht
voller Geigen. Am Tag vor der Hochzeit schreibt Hesse dementsprechend
an seinen Freund Heinrich Wiegand: »Morgen Nachmittag gehe ich aufs
Standesamt, um mir den Ring durch die Nase ziehen zu lassen. Es war
Ninons Wunsch seit langem, und da sie jetzt das Haus so sehr hat bauen
lassen etc. etc., kurz, es geschieht nun also.« Dann gehe »Ninon auf
Hochzeitsreise«. Es geschieht also – wegen Ninons Unentbehrlichkeit
und wegen »etc.«. Wer hätte Hesse, diesem Erfinder des
traumverhangenen Siddhartha, diesem sonnengebräunten Steppenwolf,
solch eine deprimierende Begründung für eine Heirat zugetraut? Am
Abend vor ihrer Hochzeit darf Ninon für Hesse jedenfalls diesen Brief
zur Post tragen. Es heißt, sie habe dabei geweint. Über die Trauung
wissen wir nichts. Wir wissen nur, dass Hermann Hesse direkt danach,
am 15. November, alleine zur Kur nach Baden fährt. Und dass Ninon
Hesse, geborene Ausländer, geschiedene Dolbin, am 16. November
tatsächlich alleine zu ihrer »Hochzeitsreise« aufbricht. Es geht per
Schlafwagen nach Rom, zu den Göttern der Antike. Was für ein
Trauerspiel.
*

Gunta Stölzl führt am Bauhaus in Dessau nicht nur die Werkstatt für
Weberei, sondern in den Pausen auch einen Kinderwagen durch den
kleinen Park davor. Ihr Mann Arieh Sharon ist weiterhin auf der
Baustelle der neuen Gewerkschaftsschule in Bernau, und sie berichtet
ihrem Bruder Erwin im Frühjahr 1930 von ersten
Stimmungseintrübungen: »Sharon ist immer noch in Bernau, wir führen
immer noch die weekend-ehe, das ist vielleicht für die Arbeit nicht
schlecht, aber sonst so lala.« Das Klima in der Werkstatt wird
unterdessen ungemütlicher, es wird eine Intrige gegen Gunta Stölzl
gesponnen, sie soll aus ihrem Amt geekelt werden. Der neue
Bauhausdirektor Mies van der Rohe steht unter Druck der
rechtsgerichteten Dessauer Stadtregierung. Eine Studentin aus der
Weberei, mit der Gunta Stölzl im Streit ist, beschwert sich bei der Stadt
Dessau und greift sie »auf sexuellem Gebiet« an. Ob es sich um eine
lesbische oder eine außereheliche Affäre handeln soll oder ob es um ihre
Ehe mit einem Palästinenser geht, bleibt unklar, aber Stölzl kündigt
voller Wut und verlässt das Bauhaus. Allein ihre Tochter lenkt sie ab von
ihren Ängsten und ihrem Zorn. Ihr Mann jedoch bricht nach Palästina
auf, sein Pass ist abgelaufen, er hat kein neues Visum und er fährt los, um
es dort erneuern zu lassen. Gunta Stölzl, die bayrische Katholikin, ist
durch ihre Heirat mit Sharon auch keine deutsche Staatsangehörige mehr.
Sie ahnt, dass das ein Problem werden könnte, der Dessauer Stadtrat wird
zunehmend von der NSDAP dominiert, das Bauhaus ist ihnen ein Dorn
im Auge. Im Sommer 1931 versucht Stölzl in Dessau ihre deutsche
Staatsangehörigkeit zurückzugewinnen, aber es gelingt ihr nicht. Schon
im November 1931 emigriert Gunta Stölzl mit ihrer zweijährigen Tochter
in die Schweiz. Ihr Mann Arieh schreibt ihr in einem langen Brief, dass
er auf der Reise nach Palästina jemanden kennengelernt habe. Er wisse
noch nicht, wann er zurückkehren werde.

Lee Miller wird an der Hand von Man Ray in Paris zur Verkörperung der
»Garçonne«. Ihre kurzen blonden Haare trägt sie unter einem Barett,
dazu schlichte, eng anliegende Kleidung über einem muskulösen Körper,
sie ist die moderne Frau, die nicht zufällig ihren berühmten Geliebten um
zwei Köpfe überragt. Am Anfang ist sie wirklich seine gelehrige
Schülerin, doch sehr bald beginnt sie selbst zu fotografieren und sich zu
emanzipieren. Aus der Muse und dem Modell wird eine Künstlerin, die
die Tricks des Meisters kennt, die weiß, wie er diese einmaligen
Heiligenscheine in seine Fotografien schummelt und wie er mit dem
Licht arbeitet, als sei es ein Pinsel. Ja, man kann bei manchen
Fotografien der Jahre um 1930 nicht mehr sagen, wer da genau den
Auslöser der Kamera betätigt hat, der Meister oder die Schülerin – und
ob die nicht längst selbst zu einer Meisterin geworden ist. Aber eigentlich
will Man Ray nur sie fotografieren, ihren Hals, ihren unendlichen Hals,
ihre Augen, diese träge Eleganz ihrer Augenlider, ihre Brüste, klein, aber
wie aus Marmor geformt, und dann immer und immer wieder: ihre
Lippen. Diese Lippen machen ihn wahnsinnig. Schon wenn sie
ungeschminkt sind. Aber wenn sie sie noch ein wenig roter malt, dann ist
es nicht nur um ihn geschehen, sondern um alle, die ihr begegnen. Man
Ray macht Lee Miller zur Ikone, so wie es ihm zuvor mit Kiki vom
Montparnasse gelungen ist. Diesmal findet er auch den passenden Titel
für sie: La femme surrealiste, wie er eine Fotografie von 1930 nennt, also
»Die surrealistische Frau«.
Nachdem Man Ray und Lee Miller tagsüber gearbeitet haben, ziehen
sie Abend für Abend durch die Straßen, sie gehen auf einen Drink in die
Jockey-Bar, grüßen freundlich in Richtung James Joyce und Hemingway,
ziehen weiter zu Jean Cocteaus Jazz-Club in der Nähe der Rue du
Faubourg St. Honoré oder ins legendäre Bricktop’s, den amerikanischen
Nachtclub, wo sie beide zwischen zwei, drei Gläsern Rémy Martin
zusammen zu Cole-Porter-Liedern tanzen. Wenn Man Ray Lee Miller im
Arm hat und mit ihr, leicht betrunken, tanzt, dann kann er manchmal sein
Glück kaum fassen. Sie hat ihm geholfen, Kiki völlig zu vergessen, seine
erste große Muse.
Miller emanzipiert sich aber langsam von ihm. Es beginnt damit, dass
ihr Vater Theodore sie in Paris besucht und Man Ray kopfschüttelnd mit
ansehen muss, dass der Vater die Tochter tagelang nackt fotografieren
darf, in den wildesten Posen. Nach dessen Rückreise nach Amerika
fotografiert Miller dann Charlie Chaplin in ihrem Pariser Studio. Und
beginnt eine Affäre mit ihm. Selten sei eine Frau so lustig gewesen wie
sie, so hat Chaplin später gesagt, und das darf man ja wirklich als
Kompliment auffassen. Chaplin nimmt sie im Dezember 1931 mit nach
St. Moritz, wo sie die berühmte Nimet Eloui Bey fotografiert. Diese
Dame wiederum genießt einen unwiderstehlichen Ruhm, da für sie
Rainer Maria Rilke im Jahre 1926 im Garten von Duino jene Rose
gepflückt hat, deren Dornen ihn so verletzten, dass er an der
Blutvergiftung starb. In St. Moritz also posiert sie vor Lee Millers
Kamera – und ahnt nicht, dass durch die Linse ihre größte Rivalin schaut.
Denn ihr Gatte, der berühmte ägyptische Geschäftsmann Aziz Eloui Bey,
hat sich Hals über Kopf in Lee Miller verliebt. Und Lee Miller mit ihrem
Vaterkomplex hat ein weites Herz für ältere Männer mit guten Manieren
und dreiteiligen Anzügen.
*

Im Jahre 1931 wird nicht nur Erich Maria Remarques Antikriegsfilm Im


Westen nichts Neues verboten, sondern auch Alfred Döblins
Antiliebesstück Die Ehe. Dazu passt, dass auch Döblins Ehefrau seiner
Geliebten Yolla verbietet, jemals in ihrem Leben die neue Wohnung der
Döblins am Berliner Kaiserdamm zu besuchen. Alfred Döblin erleidet
daraufhin einen Nervenzusammenbruch und fährt zur Kur.

Im Dezember bringt Richard Osborn zu einem Mittagessen bei Anaïs Nin


einen Freund mit nach Louveciennes vor die Tore von Paris, er heißt
Henry Miller. Osborn hat Nin zuvor ein paar Kapitel aus dem Manuskript
von dessen Roman Wendekreis des Krebses geschickt, sie weiß also, wen
ihr Anwalt da im Gepäck hat. Als beide gegangen sind, schreibt sie in ihr
Tagebuch eine erste Vertraulichkeitserklärung: »Er ist ein Mann, der sich
am Leben berauscht. Er ist wie ich.« Es ist der 42. Band ihres Tagebuch-
Werkes, das ab diesem Tag ganz diesem 41-jährigen Henry Miller
gewidmet sein wird. Am 29. Dezember 1931 fährt er erneut nach
Louveciennes hinaus zum Abendessen, doch diesmal hat er June dabei,
seine Frau. Anaïs Nin steht oben am Fenster ihres Hauses, und als sie die
junge Amerikanerin den Vorgarten betreten sieht, bleibt ihr die Spucke
weg. Sie ist schockverliebt, kann es aber natürlich nicht zeigen, das
übernimmt ihr Chow-Chow Ruby, der sich während des gesamten
Abendessens balzend an Junes Beinen reibt.

Am 6. Januar 1932 trifft Anaïs Nin erstmals June Miller alleine. Sie ist
wie von Sinnen, da sie durch Henry von Junes lesbischen Affären weiß.
Sie trifft June erneut am 11., am 12., am 14. und am 18. Januar, sie
kaufen Kleider in Paris, sie gehen in Cafés, sie küssen sich ein wenig,
wenn niemand schaut. Anaïs bittet June, ihr zu erzählen, wie Frauen
miteinander schlafen. Da June fast genauso pleite ist wie Henry, ist sie
dankbar, dass ihre Verehrerin Anaïs anfängt, ihr Unterwäsche zu kaufen.
Am 19. Januar verlässt June mit Koffern voll neuer Dessous Hals über
Kopf Paris. Hugo Guiler, Anaïs’ Mann, der schon glaubte, seine Frau an
eine andere Frau verloren zu haben, ist kurzzeitig erleichtert – doch
schon am 20. Januar bricht die Welt vollständig für ihn zusammen, denn
Anaïs lädt Henry ein, über Nacht bei ihnen zu bleiben. Darauf schreibt
Hugo abends in sein Tagebuch, das er überhaupt nur führt, weil Anaïs ihn
dazu zwingt: »Dieses Leben scheint mir die Hölle zu sein.« Für seine
Ehefrau hingegen geht der Himmel auf. Nach Junes Abreise konzentriert
sie sich im Laufe des Frühjahrs ganz auf Henry – und er sich auf sie.

In Dresden wird Victor Klemperer, der konvertierte Jude, gemeinsam mit


seiner Frau zunehmend aus dem Leben der Universität und dem der
Gesellschaft ausgegrenzt. Er notiert am 5. April 1932: »Nur noch Angst
um Eva und mich. Ich kann nicht mehr fühlen.« Er lebe, so sagt er, »mit
ihr in Gefangenschaft«. Sie haben nur noch eine Hoffnung: Sie brauchen
ein Haus. Auf ihren Spaziergängen finden sie ein Grundstück, an einem
Hang über Dresden. Am Kirschberg 19. Als sie dort vorbeikommen,
blühen tatsächlich die Kirschen. Hier könnte vielleicht alles besser
werden.

*
Was für ein Frühlingstraum – oben die Kette der schneebedeckten Berge,
unten der See mit seinem tiefen Blau, an den Promenaden die Palmen,
deren Blätter im Wind das ewige Lied vom Süden singen. Im April 1932
ist Erich Maria Remarque endgültig in Porto Ronco eingezogen. Das
Frühjahr beginnt früher hier und der Herbst endet später, alles ist eine
Spur weicher als im fernen, nördlichen Berlin, auch die Luft. Und in den
engen Straßen und auf der Piazza benehmen sich alle eine Spur eleganter.
Erich Maria Remarque, dem Dandy unter den großen Schriftstellern der
Weimarer Republik, gefällt es auch deshalb besonders gut hier, er liebt
diese Grandezza, mit der man in Ascona an der Bar steht und die Wolken
über den See fliegen. Hier will er bleiben. Hier fühlt er sich das erste Mal
ein klein wenig behütet. Vom Schreibtisch aus blickt er hinunter auf den
See, dessen Wasser in Sekundenschnelle von einem tiefen Türkis in ein
jähes Blau wechseln kann, er sieht die Palmen, die üppigen
Rhododendren, deren Wurzeln sich in den langen Regenwochen im
Herbst voll Wasser saugen, um diese Kraft im nächsten Frühling in einem
rosaroten Blütenmeer zu verschwenden. Zwei Spaziergänge macht
Remarque jeden Tag, morgens, für den ersten Espresso einen zum Café
Verbano, nachdem er sich beim Barbier hat rasieren lassen, den zweiten
abends, für den letzten Drink in der Bar des Hotels Schiff. Er läuft dann
nach Hause durch die Wärme, die sich zwischen den Bergen staut.

Die phänomenalen Erfolge der Dreigroschenoper und von Aufstieg und


Fall der Stadt Mahagonny haben Kurt Weill reich gemacht, obwohl er
noch viel reicher sein könnte, doch Bertolt Brecht, der glühende
Antikapitalist und kühle Verhandler, hat sich den Löwenanteil gesichert.
Der kleine Teil des Tantiemenregens der Dreigroschenoper reicht
immerhin für ein schönes Haus in Kleinmachnow vor den Toren Berlins.
Verheiratet ist er ja mit Lotte Lenya, dem schillernden Star seiner Lieder,
mit ihrer heiseren Stimme und ihrer Frivolität, die nie ins Vulgäre kippt.
Aber Weill weiß, dass seine Ehefrau nicht einzufangen ist, zwar kann er
sich immer ihrer Bewunderung sicher sein, aber nie ihrer Treue.
Nichts ist so schwer wie das: die Liebe der eigenen Frau zu gewinnen.
Aber eigentlich ist es im Moment, wenn er ehrlich ist, viel weniger
anstrengend und auch erfüllender, Zeit mit Erika Neher zu verbringen,
der Frau des Bühnenbildners Caspar Neher, der sich endlich öffentlich als
Homosexueller geoutet und seine Frau dadurch freigelassen hat. Die
genießt das jetzt in vollen Zügen und auf Kurt Weills Kanapee. Lotte
Lenya zieht deshalb erst gar nicht mit um nach Kleinmachnow, sie hat
Besseres zu tun. Am wichtigsten ist Weill, dass Harras sich dort
wohlfühlt, sein geliebter Schäferhund.
Im April 1932 fährt Lotte Lenya mit ihrem Gatten beruflich nach
Wien – sie proben für die dortige Premiere des Mahagonny-Stückes. Als
sie dabei das erste Mal den jungen Tenor Otto von Pasetti singen hört, ist
es um sie geschehen. Sie vergisst völlig, dass unten vor dem
Orchestergraben ihr Mann sitzt. Auf der Bühne trifft sie der Schlag der
Liebe. Otto ist ein hochgewachsener Schönling, eitel, selbstgewiss und
mondän. »Bis auf sein gutes Aussehen«, so bilanziert Hans Heinsheimer,
der Wiener Regisseur des Stückes, »gibt es nur wenig Bemerkenswertes
über ihn zu erzählen.« Doch Lotte Lenya sucht sehr eifrig danach – schon
nach wenigen Tagen sind die beiden ein Paar, verbringen jede freie
Minute zusammen, Kurt Weill reist leicht bedröppelt zurück nach Berlin.
Und Pasetti trennt sich für die Seeräuber-Jenny, die da aus Berlin zu ihm
hinübergesegelt kam, sofort von Frau und Kind. Schnell haben Lotte
Lenya und Otto von Pasetti neben dem Sex auch ein zweites
gemeinsames Hobby gefunden: das Glücksspiel. Nach sechs umjubelten
Aufführungen der Mahagonny-Oper reist sie mit Pasetti an die Riviera,
um in den dortigen Spielcasinos ihr Glück, so sagt man ja zu Recht, zu
versuchen. In die Listen der Hotels von Monte Carlo trägt sich Lotte
Lenya, verheiratete Weill, als Karoline Pasetti ein.

Der erfolgreichste deutsche Ratgeber des Jahres 1932 erscheint im Mosse


Verlag und heißt Muss man sich denn gleich scheiden lassen?. Lotte
Lenya liest ihn mit viel Vergnügen an der Riviera – und empfiehlt das
Buch ihrem Gatten in Kleinmachnow zur Lektüre.

Das Zusammenleben zwischen Josef von Sternberg und Marlene Dietrich


in Hollywood wird zunehmend schwierig, beide lernen sich langsam
kennen, er findet sie zu kapriziös, sie ihn zu fordernd. Er muss sich in
seine Phantasie zurückziehen, um sie tagsüber vor der Kamera wieder
groß werden zu lassen, da er sie zu oft abends beim Zähneputzen gesehen
hat. Er muss sich anstrengen, um sie zu dem zu machen, was der Titel
ihres letzten Stummfilms verkündet hat: Die Frau, nach der man sich
sehnt.

Auch das Jahr 1932 verbringen Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre
vor allem getrennt. Er hat eine Lehrerstelle in Le Havre bekommen, sie
in Marseille, sie sind also achthundert Kilometer voneinander entfernt,
Frankreich ist groß. Simone de Beauvoir verlebt sehr unglückliche
Monate, sie versucht, sich den Frust mit ständigen Wanderungen durch
die Berge an der Küste zu vertreiben. Sie weiß, dass sie mit Sartre einen
Pakt geschlossen hat, der auf Aufrichtigkeit, nicht auf Leidenschaft
beruht. Aber sie hat schwer daran zu knabbern. Selbst Sartre fängt an zu
bemerken, dass nicht nur Simone ihn braucht, sondern auch er sie. Wenn
er mittwochs Schulschluss hat, dann rennt er in die Garderobe, um
Mantel und Tasche zu holen und den frühen Zug nach Marseille zu
erwischen, Donnerstag war immer frei. Und wenn dann die Sonne
scheint über dem Mittelmeer und sie einen Abend lang in einer
Hafenkneipe sitzen und Wein trinken und Austern essen und
philosophieren, dann haben beide das Gefühl, dass es vielleicht doch
etwas werden könnte mit ihrem besonderen Pakt. Nur wenn Sartre
anfangen will, von seinen aktuellen Affären zu erzählen, dann muss
Simone de Beauvoir Haltung bewahren, vor allem auch, weil sie da
bislang nichts Nennenswertes vorzuweisen hat.

Im neuen Heim des Ehepaares Lion und Marta Feuchtwanger in der


Mahlerstraße im Berliner Westen tragen sich im Jahre 1932
ausschließlich Paare in problematischen ehelichen Umständen ins
Gästebuch ein – als da wären: Franz und Helen Hessel, Bertolt Brecht
und Helene Weigel, Walter und Ise Gropius, Alfred und Erna Döblin. Sie
alle fühlen sich bei den Feuchtwangers gut aufgehoben, denn diese
pflegen sehr leidenschaftlich das, was man eine »offene Ehe« nennt. Von
Liebe ist bei den beiden eigentlich nie die Rede, von Trennung aber auch
nicht. Sie haben zwei Schlafzimmer, und die nutzen sie auch.
*

Unsere Probleme reisen mit uns, auch wenn wir zurückkehren in die alte
Heimat. In Montgomery, in der Nähe ihres Elternhauses, bricht bei Zelda
Fitzgerald die Schizophrenie wieder auf, Scott, ihr Mann, ist inzwischen
in Hollywood, wo er versucht, als Drehbuchschreiber Geld zu verdienen.
Sie kommt erneut in eine Klinik, lächelt erneut ihr sinnloses Lächeln,
schreit, tobt, versucht sich umzubringen – und schreibt dann ein Buch,
um sich selbst zu beruhigen: Schenk mir den Walzer, so sein fast
rührender Titel für die Schilderungen ihrer Leidenszeit in Paris und der
Schweizer Klinik. Doch ihr Mann F. Scott Fitzgerald verliert die
Fassung, als er das Buch liest. Er kann nicht glauben, dass Zelda es wagt,
diese Erinnerungen zu literarisieren. Das sei allein seine Aufgabe, so
schreibt er ihr, er sei »der professionelle Romancier«. Sie habe Unrecht
getan, denn: »Du hast die Krümel aufgesammelt, die ich vom
Mittagstisch habe fallen lassen und sie in Bücher gesteckt …« Aber:
»Alles, was wir gemacht haben, gehört mir.« Es sind brutale Briefe,
Tobsuchtsanfälle, Scott Fitzgerald verteidigt sein Revier und verletzt
seine Frau dabei tödlich. Bestimmte Themen müssten für ihr Schreiben
absolut tabu sein, nämlich: die Krankheit, die Sanatorien, die Côte
d’Azur, die Schweiz, die Psychiatrie. Denn, so F. Scott Fitzgerald: »All
dieses Material gehört mir. Nichts davon ist dein Material.« Unfassbar.
Einer Kranken wird die Deutungshoheit über die eigene Krankheit
entzogen. Und noch unfassbarer: Aus dieser entzogenen Deutungshoheit
über die Krankheit, aus diesem »Material«, also den Sanatorien, der Côte
d’Azur, der Schweiz und der Psychiatrie, wird F. Scott Fitzgerald mit
Zärtlich ist die Nacht einen Jahrhundertroman zaubern.
*

Es geht aber auch anders: »Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich


zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.« Das erlebt Theodor Adorno.
In der innigen Liebe von Gretel Karplus, dieser so schönen wie stolzen
Frau. Da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch.

Anaïs Nin mietet für Henry Miller und seinen Freund Alfred Perlès im
Sommer 1932 eine Wohnung im Arbeiterviertel von Clichy. Sie kauft ihm
Teller, Besteck, Möbel und Schallplatten von Johann Sebastian Bach,
weil er den so liebt. Für Miller beginnt eine Zeit »wie im Paradies«. Fast
täglich kommt seine Eva zu ihm, reicht ihm den Apfel, und sie genießen
die Sünde. Stille Tage in Clichy wird Miller das Buch über seine Zeit vor
der Vertreibung aus dem Paradies später nennen.

Was ist der unwahrscheinlichste Ort, an dem man sich Walter Benjamin
vorstellen kann, diesen städtischen Intellektuellen, diesen jüdischen
Geistmenschen, Autor des Buches Ursprung des deutschen Trauerspiels
und der avantgardistischen Großstadttexte der Einbahnstraße, dessen
dunkle Augen hinter zentimeterdicken Brillengläser hervorblitzen? Und
was ist zudem der Ort, an den man sich eher nicht begeben sollte, wenn
man von seiner Drogensucht loskommen will und gerne vor dem
kleinsten Sonnenstrahl in das schützende Kühl des Arbeitszimmers
flüchtet? Richtig: Ibiza. Genau dorthin aber reist Walter Benjamin im
April 1932. Es wird einerseits natürlich eine Fortsetzung seines
deutschen Trauerspiels – und seiner Einbahnstraße. Aber andererseits ist
das Leben, wie wir wissen, nicht unbedingt logisch. Und so beginnt
Walter Benjamin, verarmt, verzweifelt und verloren, viele tausend
Kilometer entfernt von seinem geliebten Berlin, genau dort, also inmitten
der seinerzeit noch völlig vergessenen, primitiven, vor sich hin
dämmernden Mittelmeerinsel, mit der Arbeit am Manuskript seines
großen Buches Berliner Kindheit um 1900. Als ihm sein Berliner Freund
Felix Noeggerath von seinem Haus auf der Insel erzählt, packt Benjamin
seine Sachen, bittet Freunde um Reisegeld und fährt einfach los, wenig
im Gepäck außer seinem Manuskript für die Berliner Chronik und
einigen Krimis von Georges Simenon, die er auf Deck liest, nachdem er
am 7. April in Hamburg den Frachter Catania Richtung Valencia
bestiegen hat. Als er zwölf Tage später, am 19. April 1932, einem
Dienstag voll hellster Sonne, im Hafen von Ibiza-Stadt an Land geht, hat
er keine Ahnung, wohin er geflohen ist – er weiß nur, wovor. Vor den
inneren Dämonen nämlich, die ihn zum Selbstmord verführen wollen,
seinen unsicheren Berufsaussichten, seinem verpatzten Liebesleben, dem
Antisemitismus, der wie die ersten Windböen kurz vor dem Sturm durch
die Berliner Straßen zieht. Mit Hilfe der Noeggeraths findet er ein
schlichtes Haus, Ses Casetes, in San Antonio, aus seinem Arbeitszimmer
hat er einen herrlichen Blick auf das blau leuchtende Meer. Benjamin ist
hingerissen von der archaischen Architektur, dem gemächlichen Gang
des bäuerlichen Lebens, das seit Jahrhunderten unverändert scheint, er
bewundert die Insel und ihre Bewohner für »ihre Gelassenheit und
Schönheit«. Plötzlich steht Benjamin, der in Berlin und Paris wegen
seiner Depressionen nie aus dem Bett gekommen ist, jeden Tag um
sieben Uhr auf – und geht die paar Schritte hinunter zum Strand, um zu
baden, dann lehnt er sich mit einem Buch in den Händen an eine Pinie
am Strand. Wenn es am späten Vormittag zu warm wird, geht er ins Haus,
liest und schreibt dort, wie er Margarete Karplus berichtet, seiner
Herzensfreundin, die sich leider gerade entscheidet, seinen Freund
Adorno zu heiraten. Es gibt auf Ibiza zwar kein elektrisches Licht und
keine Zeitungen, aber dafür plötzlich Zeit und Freiheit, und Benjamin
versteht es zunächst, das zu genießen. Ganz erheblich trägt dazu eine
junge Deutschrussin bei, Olga Parem, die in San Antonio eingetroffen ist
und die er im Jahr zuvor bei seinem Freund Franz Hessel kennengelernt
hat. Sie berichtet etwas, das man mit Benjamin nicht verbindet – was
aber doch zeigt, was Liebe anrichten kann: Er lacht. Und er lacht die
ganze Zeit, wenn sie zusammen sind. »Sein Lachen«, so erzählt Olga
Parem, »war zauberhaft; wenn er lachte, ging eine ganze Welt auf.« Auch
Benjamin muss von dem eigenen Lachen, diesem unverhofften Glück am
Strand von Ibiza, so überwältigt gewesen sein, dass er sich heftig
verliebt. Sie küssen sich, sie überreden einen Fischer, dass er sie mit
seinem Boot mit hinausnimmt auf hohe See, allabendlich besteigen sie
daraufhin den kleinen Segler und fahren an der Küste entlang, in den
endlosen Sonnenuntergang hinein. Walter Benjamin glaubt, seine Rettung
gefunden zu haben. Doch je mehr Olga bewusst wird, dass sie hier einen
Stürzenden in Armen hält, umso mehr entzieht sie sich, und Benjamin
vergeht bald das Lachen. In einem wahnwitzigen Versuch fragt er Olga
Parem nach vier Wochen, ob sie ihn auf Ibiza heiraten wolle, doch sie
lehnt ab. Erst halb, dann ganz.
Und je höher die Sonne steigt über der kleinen vergessenen Insel im
Mittelmeer, umso dunkler wird es in Benjamins Seele. Immer panischer
blickt er nach dem abgelehnten Heiratsantrag auf den herannahenden
15. Juli – seinen vierzigsten Geburtstag. Er hat große Angst, Bilanz zu
ziehen – und so wenig auf der Habenseite verbuchen zu können. Er
versucht noch einmal, Olga auf dem Segler von seiner ewigen Liebe zu
überzeugen. Vergeblich. Benjamin stürzt in die Verzweiflung und
schreibt an seinen Freund Gershom Scholem, er wolle seinen vierzigsten
Geburtstag in Nizza feiern, und zwar mit einem »skurrilen Burschen«.
Offenbar meint er damit den Gevatter Tod. Doch zu seinem Geburtstag
will sie noch einmal kommen. Deshalb raucht er am 13., 14. und 15. Juli
mit Jean Setz, den er flüchtig kennt, solche Mengen an Haschisch, dass er
den Jubeltag im völlig vernebelten Zustand erlebt – und damit also auch
überlebt. Am 17. Juli dann besteigt er um Mitternacht die Fähre nach
Mallorca und fährt von dort nach Nizza. Die Nacht ist heiß, kein Hauch
weht vom Meer heran, der Himmel wolkenverhangen, unbeweglich,
aussichtslos. Walter Benjamin verlässt Ibiza in der Absicht, sein Leben zu
beenden. In Nizza, im Hôtel du Petit Parc, macht er dann tatsächlich sein
Testament. Er sitzt in seinem ärmlichen Pensionszimmer, die Hitze steht
im Raum, er kann nicht schlafen, die Nacht leckt an den dreckigen
Wänden. Wenn es dunkel wird, nimmt die Klugheit zu, das weiß er. Aber
die Unklugheit auch. So bleibt sich alles gleich. Nur dunkler wird es.
Benjamin setzt sich wieder an den Tisch und feilt an seinem Testament.
Er vermacht Elisabeth Hauptmann, der Mitarbeiterin und Geliebten
Brechts, einen silbernen Dolch. Sonst hat er wenig zu vererben. Nur den
Angelus Novus, das Aquarell von Paul Klee, das er später zum »Engel der
Geschichte« umdeuten wird, den vermacht er seinem Freund Gershom
Scholem. Dann schreibt er Abschiedsbriefe, darunter an seine erste große
Liebe, Jula Cohn: »Du weißt, dass ich dich einmal sehr geliebt habe. Und
selbst im Begriffe zu sterben verfügt das Leben nicht über größere
Gaben, als die Augenblicke des Leidens um dich ihm verliehen haben.«
Wir wissen nicht, wie es Walter Benjamin gelingt, nach dem Testament,
nach den Abschiedsbriefen, nach diesen Augenblicken des Leidens in
seinem trüben, heruntergekommenen Hotelzimmer am drückend
schwülen und wolkenverhangenen 27. Juli 1932 in Nizza wieder neuen
Lebensmut zu fassen. Aber er fasst ihn. Der Angelus Novus, sein
Schutzengel, kann ihn noch einmal retten vor sich selbst.

Und was macht Hermann Hesse in diesen stürmischen, heißen Monaten


des Sommers 1932? Er zieht seine Leinenhose an, sein leichtes Hemd,
sieht aus wie einer der schwerelosen Bewohner des Monte Verità einen
See weiter, und er jätet Unkraut, stundenlang. Ja, so schreibt er im Juli
1932, »dieses Unkrautjäten füllt meine Tage aus, dabei ist es vollkommen
rein von materiellen Antrieben und Spekulationen, denn die ganze
Gartenarbeit bringt im Ganzen kaum drei, vier Körbchen Gemüse. Dafür
hat die Arbeit etwas Religiöses, man kniet am Boden und vollzieht das
Rupfen, wie man einen Kult zelebriert, nur des Kultes wegen, der sich
ewig erneuert, denn wenn drei, vier Beete sauber sind, ist das erste schon
wieder grün.« So gibt sich Hesse, dieser Weltflüchtling, einfach dem
Kreislauf der Jahreszeiten hin.

Im Sommer 1932 veröffentlicht Kurt Tucholsky in der Weltbühne das


folgende Gedicht: »Lebst du mit ihr gemeinsam – dann fühlst du dich
recht einsam. Bist du aber alleine – dann frieren dir die Beine.« Da ist er
gerade wieder im Tessin, jenem so überaus behaglichen Ort am
tiefblauen Lago Maggiore im Schatten der Alpen, den er durch sein
»Lottchen« Lisa Matthias lieben gelernt hat. Die Dame aber ist, anders
als der Landstrich, inzwischen Geschichte – in der Schweiz kümmert sich
Hedwig Müller, eine Ärztin aus Zürich, hingebungsvoll um sein
körperliches und seelisches Wohlbefinden, so sehr, dass er fast überlegt,
ganz in die Schweiz überzusiedeln, weil er spürt, dass für ihn, den
publizistisch renitenten jüdischen Autor, die Luft in Berlin immer dünner
wird, seit die Nazi-Presse gegen ihn zu hetzen begonnen hat. Ihr
Vorname »Hedwig« ist ihm ein wenig zu sperrig, drum nennt er sie
»Nuuna«. Er muss den Damen, die er erwählt, immer Spitznamen geben,
erst dann werden sie zu seinen eigenen Schöpfungen.

Für den Liebesfilm Stürme der Leidenschaft, der Anfang 1932 in die
deutschen Kinos kommt, schreibt Friedrich Hollaender das Lied: »Ich
weiß nicht, zu wem ich gehöre«. Die Menschen pfeifen es, wenn sie nach
dem Film auf die Straße treten. Es ist die Hymne einer inneren
Unentschiedenheit, dem immer größer werdenden äußeren Zwang zur
Entschiedenheit zum Trotz. Hollaender selbst hat sich 1932 endlich
entschieden: Er wählt Hedi Schoop, Sängerin und Tänzerin in seinem
Berliner Tingel-Tangel-Theater zur Frau. Die zwei letzten Revuen, die
Hollaender und Schoop im Tingel-Tangel auf die Bühne bringen, tragen
die bezeichnenden Titel Höchste Eisenbahn und, kurz vor der
Schließung, Es war einmal.

Charlie Chaplin beantwortet die Frage, zu wem er gehöre, im Juli des


Jahres 1932 überraschend mit: Paulette Goddard. Nach einigen Ehen,
einigen Kindern und zahllosen Affären in Hollywood und dem Rest der
Welt lernt er die 22-jährige Schauspielerin auf der Yacht eines Freundes
kennen. Sie lacht über seine Witze, das kennt er. Aber sie interessiert sich
auch für sein Herz, das kennt er noch nicht. Ihn stören nur ihre Haare, er
hasst das modische Platinblond, das zur Sehnsuchtsfarbe Hollywoods
geworden ist. Als Paulette wieder eine Brünette ist, küsst er sie sogar
öffentlich, am 19. September am Flughafen in Los Angeles, bevor er
nach New York aufbricht. Das Foto ist am Tag darauf in allen Zeitungen
der Welt. Irgendwann später wird Paulette Goddard dann Erich Maria
Remarque heiraten. Aber so weit sind wir noch nicht.

Und Erich Maria Remarque ebenfalls nicht. Er erfährt in diesem Sommer


1932 erst einmal, dass seine großen inneren Zerwürfnisse, seine
Schwebezustände leider mit in die Schweiz emigriert sind. Ja, auch an
einem der schönsten Orte Europas, in der warmen Bucht von Ascona, im
sonnendurchfluteten Delta des Flusses Maggia, mit Tausenden von
Franken auf seinem Konto und mit sehr vielen van Goghs und Renoirs
und Monets an den Wänden, gelingt es ihm, nicht glücklich zu sein. Auch
im Süden nichts Neues. Er kommt natürlich auch nicht wirklich von
seiner Frau Jutta los – und sie vor allem nicht von ihm. Und er kommt
seiner neuen Geliebten Ruth nicht wirklich nah. Sie kämpft einen ganzen
Winter und einen ganzen Frühling lang um seine Liebe, ist wütend, dass
er sich nicht lösen kann von seiner geschiedenen Gattin. Sie schreibt ihm:
»Du hast nicht das Recht, zwei Menschen zu besitzen. Ich habe nicht mal
einen halben.«
Er schreibt ihr darauf einen zerknirschten Brief aus seinem Haus in
Porto Ronco, das ja ebenjene Ruth für ihn gefunden hat. Er weiß ja, dass
er nicht das mitzuteilen hat, was sich die Adressatin, die sich vor zwei
Jahren für ihn scheiden ließ, erhofft. Er gesteht: »Ich habe das Gefühl,
auf einer Eisscholle zu treiben, die langsam schmilzt. Ich kann sagen: Ja,
vielleicht kann ich nicht lieben, aber wer wünschte mehr als ich, es zu
können. Ja, ich kann nicht so lieben, wie du es willst und brauchst.« Wie
traurig das doch ist. Im August 1932 zerbricht die junge Liebe zwischen
Erich Maria Remarque und Ruth Albu. Er beginnt, noch mehr zu trinken.
Sie beginnt ein neues Leben – und schreibt ihm zum Abschied: »Du
möchtest lieben, aber nie wirst du die Liebe kennen.«

Eine sehr ungewöhnliche Liebeskonstellation finden wir in diesem


Sommer an der Riviera – hier gehen Abend für Abend Lotte Lenya und
ihr neuer Geliebter, der blonde Tenor Otto von Pasetti, in die Casinos.
Und jeden Morgen hat Otto, wie er ihr sagt, eine neue »todsichere«
Methode für den Roulettetisch gefunden. Leider verliert er mit jeder
neuen Methode. Doch jeden Tag aufs Neue glaubt Lotte Lenya ihm. Ist
das nicht rührend? Und woher kommt das Geld, das sie da Abend für
Abend verjubeln? Es kommt aus Kleinmachnow bei Berlin, von Lottes
Ehemann Kurt Weill.

Noch einmal fährt die Familie Mann im Sommer 1932 nach Nidden auf
die Kurische Nehrung, um das neue Ferienhaus zu genießen. Aus seinem
Arbeitszimmer blickt Thomas Mann weit hinaus übers Haff, der Wind
kräuselt die Wellen, die Haubentaucher unten am Ufer spielen ihr ewiges
Auf und Ab. Aber könnte – so denkt er beim Blick auf die
Haubentaucher – auch einmal etwas untergehen, ohne an anderer Stelle
wieder aufzutauchen? Er schreibt an einem Essay über die aktuelle
politische Situation. Selbst hier oben, im nordöstlichsten Zipfel des
Reiches, hat sich das Klima radikal verschoben. Bei der Reichstagswahl
in Königsberg hat der Mob der SA die politischen Gegner gejagt und
ermordet. Thomas Mann schreibt an seiner Anklageschrift »Was wir
verlangen müssen«. Ihm wird das zunehmend klarer, seit er kurz nach
seiner Ankunft an der See in seinem Briefkasten in Nidden ein seltsames
Paket entdeckt hat. Es war ein verbranntes Exemplar seines Buches
Buddenbrooks, ihm anonym übersandt als »Strafe« dafür, dass er
öffentlich vor dem heraufziehenden Nazi-Regime gewarnt hat.
Auch Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta sind in diesem August
nach Ostpreußen gekommen, hier zu den kühnen, unendlichen Dünen der
Nehrung. Einmal sehen sich die beiden Paare am Strand, doch Katia
Mann habe bewusst weggeguckt, wie Lion Feuchtwanger abends
beleidigt in seinem Tagebuch notiert. Sie sind unerwünscht am Hofe der
Manns (ein Jahr später, an einem anderen Meer, wird sich die Begegnung
nicht mehr vermeiden lassen). Die Feuchtwangers reisen daraufhin am
nächsten Tag zurück nach Berlin, der faule Gatte lobt seine Frau, die die
ganze Strecke ohne Pause bravourös zurückgebrettert ist. Er konnte
neben ihr dösen. So etwas imponiert ihm.
Anfang September müssen auch die Manns zurück nach München, für
die beiden Jüngsten beginnt die Schule. Am letzten Abend, als sie alle die
Sonne bestaunen, die wie eine schäumende goldene Kopfschmerztablette
sprudelnd im Meer versinkt, haben sie schon wieder einen Schal an. Am
nächsten Morgen besteigen sie die Fähre nach Crantz, sie blicken sich
noch einmal um, sehen ihr blaues Haus oben auf der Düne, winken dem
Personal am Steg zu, den Dorfbewohnern, die ihren berühmtesten Gast
und seine Familie verabschieden, diesmal hebt sogar Thomas Mann kurz
die Hand zum Gruß, verunsichert fast, als ob er ahnt, dass er sein eigenes
Haus in Nidden an der Kurischen Nehrung nie wiedersehen wird in
seinem Leben.

Nur ein Mensch kann Josef Stalin in die Flucht schlagen: Nadja, seine
Frau. Wenn sie zornig wird, auf seine Affären, auf seine Allüren oder
weil sie nicht fassen kann, dass er Millionen Menschen in der Ukraine
verhungern lässt, dann schließt er sich im Badezimmer in ihrem
Sommerhaus in Sotschi ein. Setzt sich auf den Rand der Badewanne und
lässt sie draußen Zeter und Mordio schreien: »Du quälst deine Frau,
deinen Sohn und das ganze russische Volk.« Da dreht er lieber noch
einmal den Schlüssel um. Einer der größten Massenmörder der
Menschheit verbarrikadiert sich in seinem Badezimmer, aus Angst vor
seiner wütenden Frau.
Als sie drei Jahre alt war, da hat er sie aus dem Schwarzen Meer
gerettet, in das sie gefallen war. Als sie dann sechzehn wurde, verliebte
sie sich in ihren Retter, der gerade abgemagert aus der sibirischen
Verbannung zurückgekehrt war. Aber als ehemaliger Chorknabe konnte
er ihr Arien aus dem Rigoletto vorsingen, das faszinierte sie. Manchmal
schrieb er ihr auch später: »Liebe Tatka, ich vermisse dich so schrecklich.
Tatotschka, ich bin so einsam, bleib nicht so lange fort.« Aber das legt
sich. 1920 wird ihr Sohn Wassili geboren, 1926 ihre Tochter Swetlana,
zehn weitere Schwangerschaften muss sie auf Stalins Wunsch abtreiben.
Ihre Krankenakte wird so in den Goldenen Zwanzigern immer dicker,
ständige Unterleibsschmerzen, fürchterliche Migräne, schwere
Depressionen, Angstzustände. Die Ärzte versuchen, sie mit
Koffeintabletten zu beruhigen, sie bewirken das Gegenteil. Man darf
ihren Zustand im Jahre 1932 also per historischer Ferndiagnose als
manisch-depressiv bezeichnen. Ein inneres Schwarzes Meer.
Es hilft dabei sicher wenig, dass Stalin von Geburt an genauso
impulsiv und dünnhäutig und stolz ist wie seine Frau. Doch zwischen
allen Wutausbrüchen und Dramen geloben sie einander immer wieder
ewige Liebe. Ein unmögliches Paar also, beide egozentrisch, von
herablassender Kühle und voll innerer Glut. Einander vielleicht zu
ähnlich, um dauerhaft miteinander Glück erleben zu können. Aber wo
Stalin grausam werden kann und wird, da verliert sich Nadja im Dunkel
der Depression.

Was für ihn die Hölle sei, fragt ihn Simone de Beauvoir kurz vor dem
Einschlafen, die Zähne sind schon geputzt. Da richtet sich Sartre noch
einmal im Bett auf und sagt: »Die Hölle – das sind andere Leute, bevor
man seinen ersten Kaffee getrunken hat.« Als sie leicht säuerlich schaut,
ergänzt er: »Ich habe von anderen Leuten gesprochen, nicht von dir,
Simone. Bonne nuit.«

*
Nicht einmal Céline, das kälteste Herz und der größte Antisemit der
französischen Literatur, kann den ganzen Tag über hassen.
Zwischendurch liebt er kurz, oder er tut zumindest so. Louis-Ferdinand
Destouches, wie er mit vollem, eigentlich viel zu melodiösem Namen
heißt, ist der Sohn eines prügelnden, irrlichternden Finanzbuchhalters
und einer emotionslosen, verstörten, von Reinlichkeit besessenen
Kurzwarenhändlerin, ist also das Ergebnis des Dramas einer gnadenlosen
Kindheit in prekärsten Verhältnissen. »Du hast ja gar kein Herz«, sagt
seine Mutter zu ihm, als er es traumatisiert verschlossen hat. Da weiß
Céline: »Der wahre Hass kommt von ganz tief unten, er kommt aus der
Jugend, der wehrlos beim Schuften verlorenen, aber der ist dann so, dass
man daran krepiert.« Das Sanfte und Weiche in ihm sind also schon
gestorben, bevor zwei verirrte Kugeln des Ersten Weltkrieges in seiner
Seele und seinem Kopf neue Wunden hinterlassen haben, aus denen ein
Leben lang Blut und Eiter quillt. Und in seinem Ohr ein Tinnitus, auch er
lebenslang, seit eine Granate direkt neben ihm im Schützengraben
explodiert ist. Seine Augen, die schon als Kind zu viel gesehen haben,
ließen ihn Arzt werden und dann, in den vermeintlich Goldenen
Zwanzigern, jene Reise ans Ende der Nacht erkennen, die ihn berühmt
machen sollte. Eine einzige Apokalypse, voll Seuchen, fauligen Wunden
der Sprache der Gosse, ein Debütroman voll hämmernder Wut und einer
schwindelerregenden Prosa, deren Sätze manchmal in sich
zusammenbrechen, als seien sie in einen Kugelhagel geraten.
Heldentum wird hier als blanke Gewalt geschildert und Feigheit als
letztes Rückzugsgebiet des Humanen. Als Céline, der als Armenarzt in
Clichy arbeitet, seinen großen Antikriegsroman im Frühjahr und Sommer
1932 gerade abschließt, versucht er, sich vom Schmutz und dem
Abschaum des Buches durch das Pflegen von Affären notdürftig zu
reinigen. Widmen wollte er sein Buch eigentlich der amerikanischen
Tänzerin Elizabeth Craig, mit der der hagere Kauz seit einiger Zeit liiert
ist, doch als er die Druckfahnen korrigiert, überlegt er, ob er es nicht
doch lieber den gerade neu hinzugekommenen Damen widmen soll. Ein
Scheusal auf der Pirsch, einer, der mit jeder Frau, die er »nett« findet,
auch schlafen will.
Angst ist das Thema seines Romans, blanke, panische, herzrasende
Angst. In seinen Liebesbriefen, die er parallel schreibt, spielt er den
Unerschrockenen, versucht es zumindest. Die Tonlage darin ist immer
die gleiche: Ektase über den jeweiligen »Popo«, dazu wüste
Beschimpfungen des Jüdischen und des Kommunistischen,
herrschsüchtige Befehle, schmeichlerische Komplimente, dazwischen
Hygienehinweise. Sie sollten, so rät er den Geliebten, sich unbedingt
jeden Mann krallen, den sie kriegen können, und ihn ausnehmen,
»sinnlich und finanziell«. Und am Schluss der Briefe dann jedes Mal ein
»Ich liebe dich sehr«. Was bei ihm in etwa so viel bedeutet wie: »MfG«.
Wenn er seiner jungen deutschen Freundin Erika nach Breslau schreibt,
mit der er im Frühjahr 1932 einige Wochen in seiner Wohnung in der Rue
Lepic 92 zusammengewohnt hat, manchmal noch abschließend ergänzt
um »Heil Hitler« oder »Heil Göring«. Er findet das witzig.
Etwas unübersichtlich wird es im September 1932. Elizabeth Craig ist
noch unterwegs, das große Buch, das ihn so gequält hat, ist fertig, und
jetzt ist ihm langweilig, so lädt er Erika Irrgang, die leidenschaftliche
Geliebte des Frühjahrs, wieder nach Paris ein, schickt ihr sogar
250 Francs per Postanweisung, damit sie sich die Reise zu ihm leisten
kann. Er könne einfach nicht mehr leben ohne ihren Popo, so schreibt er
ihr, »wir werden versuchen, uns also ein kleines bisschen zu amüsieren in
Paris«. Sie will gerade aufbrechen, da erhält sie ein Telegramm, sie
könne doch nicht kommen, er müsse dringend nach Genf. Doch da muss
er gar nicht hin, er muss nur dringend ins Bett – aber mit einer anderen.
Fünf Tage, bevor Erika nach Paris kommen soll, hat er am späten
Nachmittag des 4. September 1932 im Café de la Paix die 27-jährige
Wiener Gymnastiklehrerin Cillie Pam kennengelernt. Er nimmt sie vom
Café mit zu einem Spaziergang, sie reden in einem Mischmasch aus
Französisch, Deutsch und Englisch. Am nächsten Abend gehen sie ins La
Coupole am Montparnasse. Ab diesem Moment verbringen sie zwei
Wochen lang die Abende und Nächte miteinander, gehen spazieren,
gehen ins Kino, gehen ins Moulin Rouge, gehen ins Bett. Sie gesteht ihm,
dass sie verheiratet ist und Jüdin und dass sie einen Sohn hat. Céline
frohlockt, denn so ist seine Freiheit nicht in Gefahr, und er kocht ihr
Nudeln. 1932 endet Célines Antisemitismus immerhin noch an der
Schlafzimmertür. Dann muss Cillie zurück nach Wien. Sie weint, als sie
sich am Bahnhof verabschieden. Er nicht.
Sie schreibt ihm sofort aus dem Zug einen ersten flammenden Brief.
Und er schreibt ihr zurück: »Sie besitzen einen so superben wie
unvergesslichen Popo.« Cillie Palm wird später sagen, dass Céline beim
Essen im Restaurant wie beim Sex mit ihr immer alles sehr lange studiert
habe, das Entrecôte so genau wie ihre Schenkel. Aber am eigentlichen
Akt des Essens wie dem der Liebe habe er kaum Freude gehabt.

Lee Miller wird immer bekannter – als Fotografin. Ihre Zeit als Modell
ist vorüber und auch die als Muse von Man Ray. Sie hat sich von Charlie
Chaplin verführen lassen – und hat danach Aziz Eloui Bey verführt, den
ägyptischen Millionär. Und im Sommer 1932 auch noch Julien Levy,
ihren smarten New Yorker Galeristen, der sie mit seinen Ausstellungen
groß zu machen beginnt in ihrer alten Heimat. Und so verlässt Lee Miller
am 11. Oktober 1932 Paris, sie steigt in der Station St. Lazare in den Zug
nach Cherbourg. Vor allem aber verlässt Lee Miller am 11. Oktober Man
Ray, den großen Fotografen, ihren Lehrmeister – und nun ihren
Konkurrenten. Sie sei die Liebe seines Lebens, schreibt er ihr: »Ich
werde immer auf dich warten.« Er macht ein Selbstporträt von sich – mit
dem Strick um den Hals und der Pistole am Kopf. Da besteigt Lee gerade
das Schiff in Cherbourg und reist nach New York. Das nächste Foto, auf
dem sie zu sehen ist, macht ihr Vater mit Selbstauslöser: »Familie Miller
am Thanksgiving Day«. So endet ein verwirrendes Jahr mit vielen
berühmten Liebhabern für die inzwischen selbst ziemlich berühmte Lee
Miller – beim Truthahnessen daheim, Seit’ an Seit’ mit ihrem geliebten
Herrn Papa.

Und Man Ray, der Verlassene? Der beginnt mit der Arbeit an seinem
berühmtesten Gemälde, Die Liebenden. Er will riesige Lippen malen, die
durch den Himmel schweben. Und um Lee Miller zu vergessen, erinnert
er sich an die roten Lippen ihrer Vorgängerin: Kiki vom Montparnasse.
Einst hatte die ihm, ohne dass er es merkte, auf einer Party der
Surrealisten die frisch geschminkten Lippen auf den Kragen seines
weißen Hemdes gedrückt. Als er sich dann spätabends das Hemd auszog,
entdeckte er den Abdruck. Und fotografierte ihn. Diese Fotos zieht er nun
aus den Schubladen, als Lee Miller ihn verlassen hat. »Eine dieser
Vergrößerungen eines Lippenpaares verfolgte mich wie ein im
Gedächtnis gebliebener Traum«, sagt er. Er bringt direkt über seinem
Bett eine riesige Leinwand an – zweieinhalb Meter breit. Und jeden
Morgen, bevor er von dort ins Atelier geht, malt er im Pyjama auf dem
Bett stehend, in dem er noch bis vor kurzem mit Lee Miller gelegen hat,
an den Lippen von Kiki vom Montparnasse. Eine Art Teufelsaustreibung.
Doch das Bild will einfach nicht gelingen.

Das Romanische Café in Berlin vibriert jeden Nachmittag und jeden


Abend, hier ist der Weltgeist zu Hause in jenen leuchtenden Jahren vor
der Verdunkelung, hier wird jeden Abend die Welt zerstört, gerettet und
neu zusammengesetzt, hier kann man Kurt Tucholsky sehen und Joseph
Roth, Erich Kästner und Max Beckmann, Gottfried Benn und Alfred
Döblin, Ruth Landshoff und Claire Waldoff, Vicki Baum und Marlene
Dietrich, Lotte Laserstein und Marianne Breslauer, Gustaf Gründgens
und Brigitte Helm. Und die Frauen und Männer an den anderen
46 Tischen, die kennt man auch. Als sich am Himmel immer dunkler die
faschistischen Wolken zusammenziehen und die Straßen anders zu
dämmern scheinen, schaut Mascha Kaléko eines Abends im
Romanischen Café versonnen vor sich hin. Ihre Hände spielen mit ihrem
kleinen roten Hut, ihre hutlosen Haare sind so verwuschelt wie ihre
Sinne. Sie weiß gar nicht, wohin mit sich und all den Versen, die ihr
durch den Kopf gehen. Es ist schon spät, ihr Mann, Saul, ist wie so oft
früher gegangen, also sitzt sie einfach nur da, spitzt die Augen und die
Ohren, lässt den Lärm, die Gesprächsfetzen, den Sommer durch sich
fließen und wartet darauf, dass sich ein paar Worte in den Reusen ihres
Inneren verfangen, unruhig zappeln und dann zu Versen werden. Sie liebt
den Rausch, obwohl sie weiß, dass er nur mit der nachfolgenden
Ernüchterung zu haben ist, wie in ihrem Gedicht »Der nächste Morgen«:
»Ich zog mich an. Du prüftest meine Beine. / Es roch nach längst
getrunkenem Kaffee. / Ich ging zur Tür. Mein Dienst begann um neune.«
Ja, noch immer arbeitet sie im Jüdischen Wohlfahrtsamt, noch immer ist
Mascha Kaléko verheiratet, doch sie beginnt sich offensichtlich nachts
mitunter anderweitig umzusehen – und gerade dieses Pendeln zwischen
den Enttäuschungen des Ausbruchs und den Sehnsüchten im trauten
Heim macht ihre literarische Stimme so populär. Inzwischen drucken fast
alle Zeitungen ihre hinreißenden Gedichte, die »Großstadtliebe« heißen
oder »Sonntagmorgen«, und die auf so leichten Füßen von den kleinen
Traurigkeiten des Alltags erzählen, dass eine ganze Stadt süchtig danach
zu werden beginnt. Ob vielleicht, so denkt sie gerade, während sie an
ihrem Glas Rotwein nippt, Sehnsucht und Enttäuschung einander so
genau entsprechen wie nichts sonst auf dieser Welt? Da tritt plötzlich
Franz Hessel an ihren Tisch. Der große, berühmte »Flaneur«. Er ist klein,
hat eine Glatze und sieht aus wie ein Buddha. In seinen braunen Augen,
dem heiteren Gesicht und seinen vollen Lippen verbindet sich
fernöstliche Meditation mit dem Genießertum eines französischen
Gourmets. Und er ist der Mann mit dem absoluten Gehör für den
wohlkomponierten Vers. Er sei, so stellt er sich vor, Lektor beim Rowohlt
Verlag. Seit Monaten schneide er ihre Gedichte aus, in der Vossischen
Zeitung, im Querschnitt, im Uhu. »Könnten Sie, verehrte Frau Kaléko,
sich vorstellen«, so beginnt Hessel auf seine herrlich altmodische und
umständliche Art, »könnten Sie sich«, und er verbeugt sich dabei,
»vorstellen, ein Buch Ihrer Gedichte in unserem Verlag
herauszubringen?« »Bitte setzen Sie sich«, sagt die verdatterte Kaléko,
um ihr Glück zu fassen. Und als Hessel sie dann mit seinen warmen,
gütigen Augen anblickt, da sagt sie nur: »Ich kann mir nichts Schöneres
vorstellen.« Sie bestellen noch einen Pernod und dann fangen sie sofort
an, nach einem Titel zu suchen. Als sie spätnachts nach Hause kommt, da
hat sie die Gewissheit, dass bald ihr erster Gedichtband erscheinen und
dass er Das lyrische Stenogrammheft. Verse vom Alltag heißen wird. Sie
weiß gar nicht, wohin mit ihrem Glück. Sie tänzelt durch die Straßen
nach Hause, beschwipst von ihrer Zukunft, hebt auf dem Trottoir eine
kleine graue Feder auf, die eine Drossel verloren hat, und steckt sie sich
an den roten Hut.

Im Herbst des Jahres 1932 gerät die Ehe von Bertolt Brecht und Helene
Weigel in ihre schlimmste Krise. Brecht hat mal wieder mit dem Feuer
gespielt: Für die Premiere seines neuen Stückes Die Mutter hat er die
Rolle der Mutter Helene Weigel übertragen, das Dienstmädchen aber
spielt Margarete Steffin, eine 24-jährige Kommunistin aus der
brandenburgischen Provinz, die ganz aus dem Holz geschnitzt ist, das
Brecht liebt – ein Arbeiterkind, das für den Klassenkampf lebt, fleißig,
unbeugsam, ergeben, ergriffen vom Ethos der Bescheidenheit, zwei
Zöpfe, aber nur eine Mission. Und das rund um die Uhr, obwohl sie an
einer Tuberkulose leidet und alles, also die Proben, die Auftritte, die
gemeinsamen Treffen, um ihre Krankenhausaufenthalte und Kuren
herumgestrickt werden muss. Damit sie in ihrer ersten Theaterrolle
trotzdem brilliert, verordnet ihr der praktizierende Sadist Brecht
Sprechunterricht bei seiner Frau, bei Helene Weigel. So haben sich die
Damen also schon einmal auf sprechende Weise kennengelernt. Doch der
Krieg zwischen ihnen wird dann das ganze Jahr 1932 über eher
schweigend ausgetragen. Und dann ist da ja noch, nicht zu vergessen,
Elisabeth Hauptmann, Brechts engste Mitarbeiterin, Sekretärin,
Inspiratorin. Sie hat jedes Mal verzichtet, wenn der Meister ihr sagte,
dass er für seine Familie da sein müsse, doch nun muss sie mit ansehen,
dass die jüngere Rivalin an ihr vorbei und in Brechts Bett zieht. Aber
Brecht hat keine Zeit, sich um diese Baustelle seines komplexen
Frauensystems zu kümmern – und sie fügt sich, wie immer. Brecht muss
nämlich gerade Helene Weigel und die Kinder zweimal zu Umzügen
zwingen, weil er die fortwährend hustende Steffin in seinen Wohnungen
unterbringen will – und Weigel ihre Familie zu schützen versucht vor der
Infektion. Helene Weigel weiß auch, dass Steffin für die Herzgegend
ihres Gatten eine absolute Risikobegegnung darstellt. Ja, seit er diese
während ihres Kuraufenthaltes in Russland, wohin es die flammende
Kommunistin gezogen hat, im Mai das erste Mal verführt hat, ist es um
seine Beherrschung geschehen. Der Flieder hat so schön geblüht, das
raubt ihm immer den Verstand und der sehnsüchtige Blick der jungen
Margarete ebenso. Er nimmt fortan Steffin überallhin mit, auch nach
Utting am Ammersee, wo er im späten Sommer das erste Mal in seinem
Leben ein Haus mit Garten kauft und versucht, das komplizierte
Beziehungsgeflecht aus Familie und kranker Geliebter dauerhaft zu
etablieren. Doch das misslingt, Helene Weigel und die Kinder reisen
frühzeitig ab – zuerst leben Brecht und Steffin erstmals ungestört ihren
Liebesrausch aus in der schönen kleinen Hütte, draußen der weiche See,
am Haus die Birnen, die langsam reifen, darüber die Wolken, ungeheuer
weit oben. Dieses Liebesverhältnis, im Mai in Russland, im August in
Oberbayern, scheint das körperlichste zu sein, das Brecht je hat. Er
dichtet, voll Testosteron und etwas erschöpft: »Das noch mal zu tun, was
wir schon oft getan, das ist es, was uns so zusammentreibt.« Und an
Hanns Eisler schreibt er einen kleinen Gruß, lädt ihn ein zu kommen:
»Wollen Sie nicht einen Blick in Gretes blaue Augen tun?« Doch Hanns
Eisler kommt nicht. Und dann wird Margarete Steffin schwanger. Brecht
will sie wegen ihrer Krankheit und ihrer privaten Situation zu einer
Abtreibung zwingen, außerdem habe sie doch viel zu wenig Geld, um für
das Kind zu sorgen. Das ist natürlich alles gelogen, er hat schlicht und
ergreifend Angst, dass sich Helene Weigel scheiden lässt. Und dass er
seine »soldatische Gefährtin« verlieren würde, die sich nur ihm widmet,
seiner Lust und seinen politischen Kämpfen, ein Kind würde alles viel
komplizierter machen. Brecht redet stundenlang auf Steffin ein, sie weint,
er ist unerbittlich.
Steffin ist traumatisiert, denn schon 1928 und 1930 hat sie
abgetrieben, das erste Mal sogar Zwillinge, weil sie das Gefühl hatte,
dass es die falschen Väter waren. Doch diesmal ist sie sicher. Brecht
indes überzeugt sie, dass es für die Liebe zwischen ihnen besser sei,
wenn sie das gemeinsame Kind abtreibe. Und Margarete Steffin folgt
dieser männlichen Logik, unter Tränen, wie man ihren Gedichtzeilen aus
diesen Tagen entnehmen kann: »Auch die größte Liebe weiß uns / Bei
der Sorge um Brot keinen Rat. / Wer keine Stellung hat, muss sorgen /
Dass er keine Kinder hat.«
Brecht sorgt auf seine Weise. Er schreibt ellenlange Briefe an Helene
Weigel, dass sie nicht alles so kompliziert machen solle, dass er sie
immer lieben werde und so weiter. Außerdem habe er gerade beruflich
sehr viel zu tun und »fürchte Privatkonflikte«. Seine Frau also versorgt er
mit den klassischen männlichen Konfliktvermeidungsstrategien. Und
seine Geliebte nach der Abtreibung zur Belohnung mit einem
Operationstermin bei dem berühmten Professor Sauerbruch an der
Charité für ihre von der Tuberkulose zerfressenen Lungen. So geht sie
kinderlos und mit ein wenig neuem Atem hinein in die Jahre der
Dunkelheit. Und Brecht bleibt seinem Motto treu: »Bei Sturm
abtauchen.«

Charlotte Wolff verkörpert für die Nazis die Dreifaltigkeit allen Übels:
Nicht nur als jüdische, sondern auch als sozialistische und dazu lesbische
Ärztin muss sie ihren Posten bei der Schwangerschaftsverhütung für die
Allgemeinen Krankenkassen in Berlin räumen. Der Chef teilt ihr mit
großem Bedauern mit, dass ihre Besetzung angesichts der politischen
Lage nicht mehr vertretbar sei. Sie versucht sich daraufhin in Neukölln in
einem elektrophysikalischen Institut durchzuschlagen. Doch bald schon
steht sie schockiert am Fenster und sieht, wie im Herbst 1932 Horden
von jungen Männern mit Nazi-Uniform vor ihrem Institut die Straße
entlangziehen und Spruchbänder mit sich führen, meterlang, auf denen
unmissverständlich steht: »Tod den Juden«. Sicher fühlt sich Charlotte,
die von sich weiß, dass sie ein »unübersehbar jüdisches Aussehen« hat,
von da an nur noch in geschlossenen Räumen und an der Seite ihrer
Partnerin Katherine, die groß und blond und deutsch ist. Aber sie gehen
nie Hand in Hand, so weit ist die Toleranz der Berliner vielleicht in den
späten zwanziger Jahren gewesen, aber nun, 1932, wäre das eine
unkalkulierbare Provokation. Gemeinsam besuchen sie einen Kurs in
Handlesekunst, sie lernen, während sich draußen vor der Tür ihre Heimat
immer mehr verwandelt, dass jeder Mensch in seinen Händen eine
Landschaft mit sich trägt, deren Linien sich nie wandeln. Ob Charlotte in
der Hand von Katherine schon lesen kann, dass die Zeichen auf Abschied
stehen? Katherines Vater drängt sie, die jüdische Geliebte dringend zu
verlassen, um sich selbst zu schützen. Und sie tut es. Charlotte Wolff
taumelt daraufhin wie betäubt durch die letzten Wochen des Jahres 1932.

Robert Musil notiert in sein Tagebuch: »Ich bin der Mann ohne
Eigenschaften, man merkt es mir bloß nicht an. Ich habe alle guten
konventionellen Gefühle, weiß mich natürlich auch zu benehmen, aber
die innere Identifikation fehlt.« Seine Frau Martha versucht es mit
positiver Psychologie, sobald er mit griesgrämigem Gesicht am
Essenstisch sitzt, ruft sie »Mundwinkel hoch«. Aber die Lachmuskeln
sind die einzigen Muskeln, die Robert Musil nie trainiert hat, wenngleich
er ein prachtvoller Ironiker ist. Und doch, trotz aller Unlust am Leben,
trotz allen Schreibhemmungen und Verzweiflungen und ungelebten
Gefühlen, im Herbst 1930 schickt er die ersten sechshundert Seiten des
ersten Teiles seines Manns ohne Eigenschaften an den Rowohlt Verlag
nach Berlin. Als er von der Post zurückkommt, sieht Martha eine Art
Lächeln auf seinem Gesicht.
Ein Jahr später ziehen die Musils von Wien nach Berlin, der weise
Musil ahnt, dass er die Unruhe des Jahres 1913, die er in seinem Mann
ohne Eigenschaften schildert, im Berlin des Jahres 1932 wiederfinden
könnte. Gemeinsam mit Martha lebt er in der Pension Stern am
Kurfürstendamm. Was man so leben nennt: Sie haben kein Geld. Sie
versucht etwas zu kochen, und er sitzt am Schreibtisch und raucht,
inzwischen nikotinfreie Zigaretten. Martha ist wie in Wien häuslich,
warm und still. Und er ist wie in Wien depressiv, kalt und zornig. Sie
macht ihn befangen und hemmt ihn. Und sie schützt zugleich seine
sensiblen Nerven vor den Zumutungen der Welt. Er liebt sie. Im
Dämmerlicht der Berliner Pension, wenn Martha bereits schläft, schenkt
Musil seinem Helden Ulrich eine neue Form der Liebe, seine Schwester
Agathe tritt auf. Manchmal, so gesteht Musil in diesen Tagen dem
Psychologen René Spitz, habe seine Liebe zu Martha geschwisterliche
Züge. Im Dezember des Jahres 1932 erscheint der zweite Band, oder
genauer: der erste Teil des zweiten Bandes des Mann ohne
Eigenschaften. In der Ankündigung des Verlages heißt es über Ulrich,
den Helden des Romans: »Die Frage nach dem rechten Weg schickt ihn
ins tausendjährige Reich der Liebe – und hier schafft der Dichter in den
Erlebnissen der Geschwister Ulrich und Agathe den Mythos der
verbotenen Liebe, das Urbild aller Mystik, neu.« Und wie er das schafft!
Ulrich erklärt seiner Schwester, die Weltgeschichte sei »mindestens zur
Hälfte eine Liebesgeschichte«. Darauf sie: Und unsere Geschichte, mein
lieber Bruder, ist ȟberhaupt die letzte Liebesgeschichte, die es geben
kann. Wir werden wohl eine Art letzte Mohikaner der Liebe sein.«

Der November des Jahres 1932 in Berlin. Schneeregen, Wind, Kälte, die
politischen Nachrichten werden immer verhängnisvoller, die SA-
Truppen marschieren durch die Straßen, die jüdischen Intellektuellen
sprechen offen von Emigration: »Abstoßende Verworrenheit der
Situation. Hitler immer noch große Schnauze«, so notiert Klaus Mann am
7. November in seinem muffigen, dunklen Zimmer in der Pension
Fasaneneck in Charlottenburg. Er ist in fataler Stimmung, er treibt durch
die Bars und Bordelle, ernährt sich von kalten Würstchen aus dem Glas,
trifft alte, vergangene Liebschaften und ist auf manischer Suche nach
frischem Koks. Als er eines Nachts zum Sechstagerennen geht, sieht er
dort seinen alten großen Schwarm Gustaf Gründgens, doch er schaut
weg, bevor der ihn erkennen kann. Aber das hilft nichts, nachts träumt er
»zärtlich« von ihm, dem wahren Mephisto. Tags darauf kommen seine
Schwester Erika und Annemarie Schwarzenbach, die ihr so hoffnungslos
und aussichtslos verfallen ist, gemeinsam gehen sie ins Kempinski, um
Austern zu essen und Boheme zu spielen gegen den Albdruck der
Zukunft, der sich wie eine tiefschwarze Gewitterfront langsam über
Berlin aufbaut. Zuvor sind sie, im Sommer, in Venedig gewesen, im
vornehmen Hotel des Bains, sie mussten gemeinsam den Schock über
den Selbstmord ihres geliebten Freundes Ricki Hallgarten verkraften, sie
rauchten, sie tranken, sie badeten, aber Klaus und Annemarie bekamen
ihre Traurigkeit nicht in den Griff, genauso wenig wie hier, in dieser
sinkenden Stadt. Klaus Mann hat dort am 11. Juli 1932 über Ricki
Hallgarten einen ergreifenden Text geschrieben, Titel: »Radikalismus des
Herzens«. Es ist eigentlich ein Selbstporträt: »Er aber meinte, dass schon
das Leben selbst ein Fluch sei, den er keinesfalls mehr aushalten könnte.
Gleichzeitig aber liebte er noch das Leben. Er versuchte mit allen seinen
Kräften zu erzwingen, dass diese Liebe siegte statt dieser Dunkelheit.«
Ausgerechnet im dunklen November versuchen ihrerseits Klaus Mann
und Annemarie Schwarzenbach in Berlin, dass das Leben und die Liebe
siegen. Das ist nicht so einfach. Und so lernt Annemarie Schwarzenbach,
dieser untröstliche Engel, dank der Geschwister Mann nach dem Kokain
nun in diesen schneidend kalten Berliner Tagen auch das Morphium
kennen, »Großes Nehmen bei E.«, bemerkt Klaus immer wieder nach
Besuchen bei Erika. Es schweißt die drei noch enger zusammen, Erika,
die Starke, stets in der Mitte, Klaus und Annemarie, die beiden
Fallenden, zu ihren Seiten, so nehmen sie scheinbar leicht gemeinsam am
Abend die Drogen, doch das Leben am Morgen danach, das nehmen sie
sehr unterschiedlich schwer.

Alma Mahler-Werfel fasst die allgemeine Lage bei den Nachkommen


großer deutscher Dichter so zusammen: »Die Kinder von Thomas Mann
homosexuell, lesbisch, die Tochter Wedekinds ein verdorbenes Luder, die
Kinder Wassermanns Verschwender und Huren.«

Wir schreiben den 8. November 1932 in Moskau. Draußen leichter


Schneefall. Im Kreml bereiten sich Nadja und Josef Stalin
unterschiedlich auf das abendliche Dinner zur Feier des fünfzehnten
Jahrestages der russischen Revolution vor. Stalin unterzeichnet
gemeinsam mit Molotow Exekutionslisten für Aufständische, Verräter
und Verdächtige, die am nächsten Tag liquidiert werden sollen. Und
Nadja nimmt ein Bad. Sie schminkt sich sogar, was sie sonst nie tut, sie
zieht das schwarze Kleid an, das ihre Schwester Anna ihr aus Berlin
mitgebracht hat, mit roten Rosen bestickt. Sie dreht sich vor dem Spiegel.
Ihre Schwester applaudiert und steckt ihr eine rote Teerose ins dunkle
Haar.
Stalin kommt nach getaner Arbeit mit seinem innersten Kreis zum
Essen zusammen, er hat eine abgewetzte Uniformjacke an, die grauen
Haare stehen ihm zu Berge, mürrisch setzt er sich an die gedeckte Tafel.
Es gibt georgisches Essen zu seinen Ehren, Lamm, gesalzenen Fisch, ein
bisschen Salat. Als er seine Frau am Tisch sieht, nimmt er keine Notiz
von ihr. Sie beginnt mit ihrem Nebenmann zu flirten. Und laut darüber zu
sprechen, wie sehr ihr die ukrainischen Bauern zu Herzen gehen, die an
Hunger sterben.
Stalin sitzt ihr gegenüber und trinkt einen Wodka nach dem anderen.
Dann fängt auch er an zu flirten, mit Galia Jegorowa, die es sichtlich
genießt. Und die sich auch nicht wehrt, als Stalin anfängt, ihr kleine
Kugeln, die er aus Brotteig geformt hat, in den Ausschnitt zu schnippen.
Nadja beobachtet all das entsetzt von der anderen Seite des Tisches. Sie
wird wütend. Sie redet immer lauter über Stalins brutales Vorgehen gegen
die Bauern. Er will sie unterbrechen, hebt sein Glas und ruft: »Auf die
Vernichtung aller Staatsfeinde! Nastrovje!« Alle anderen am Tisch heben
sofort ihr Glas – nur Nadja nicht. Er ruft ihr zu: »Hej, sauf mit uns!« Da
entgegnet sie: »Ich heiße nicht Hej.« Eisige Stille. Alle erstarren. Nadja
steht auf, lässt alles stehen und liegen, stürmt aus dem Saal. Molotows
Frau läuft ihr nach, will sie beruhigen, drinnen lästern derweil die
Männer laut über die Launen hysterischer Weiber.
Irgendwann sehr spät in dieser Nacht kehrt Josef Stalin zurück in die
heimische Wohnung. Ob er die Stunden davor mit seiner Tischdame
verbracht hat oder draußen in einer Datsche, wo die Runde weiterfeierte,
man weiß es nicht genau. Man weiß nur, dass er so betrunken ist, dass er
irgendwann in sein Feldbett fällt, in dem er auch als Herrscher über ein
riesiges Reich zu schlafen liebt, fernab vom Schlafzimmer seiner Gattin.
Als er am nächsten Tag um elf Uhr aus schweren Träumen erwacht, sagt
ihm das Hausmädchen, dass sich seine Frau in dieser Nacht erschossen
hat.
Er wankt. Rennt in ihr Zimmer am anderen Ende des Flurs. Da liegt
sie tot auf ihrem Bett, trägt noch immer das schwarze Kleid mit den roten
Rosen. Aus ihrem Mund läuft Blut. Neben ihr die kleine Mauser-Pistole,
die ihr Bruder ihr aus Berlin mitgebracht hat. Auf dem Fußboden die
welke Teerose, die sich aus dem Haar gerissen hat.
»Ich konnte dich nicht retten«, soll er an ihrem Sarg geschluchzt
haben. Schuldig fühlt er sich nicht. Sondern verraten. »Sie hat mich
verlassen wie einen Feind«, sagt er. Und: »Die Kinder haben sie in ein
paar Tagen vergessen, aber ich bin für mein Leben gezeichnet.« Die
Demütigung, als die Josef Stalin den Selbstmord seiner Gattin empfindet,
zerstört in ihm den letzten Rest Vertrauen in die Menschheit. Ab dem
9. November 1932 wittert er nur noch Verschwörer, die es zu vernichten
gilt.

Alma Mahler-Werfel begleitet ihren Mann Franz Werfel auf seiner


Lesereise durch Deutschland. Sie hasst ihn immer mehr für sein
Judentum, seine Feingliedrigkeit und seine Langsamkeit. Als sie am
10. Dezember 1932 in Breslau eintreffen, begegnet sie einem Mann, der
mehr nach ihrem Geschmack ist: Adolf Hitler. Er hält am selben Abend
eine Großkundgebung. Alma bittet also ihren Mann, seine Lesung allein
zu absolvieren. Sie setzt sich in den Speisesaal des Hotels, leert eine
Flasche Champagner und geht dann zu Hitler: »Ich habe stundenlang
gewartet, um sein Gesicht zu sehen. Und richtig, es war ein Gesicht!
Kein Duce! Sondern ein Jüngling.« Alma schwärmt von der Rede, auch
noch spät am Abend im Salon des Hotels, als ihr Mann endlich von
seiner Lesung kommt. Sie treffen auf Hitler, der im selben Hotel wohnt.
Alma bekommt leuchtende Augen und fragt Franz Werfel: »Und, wie
findest du ihn?« Darauf Werfel: »Nicht so sympathisch.«
*

Heinrich Mann führt endlich ein entspanntes Leben, er ist im Dezember


1932 mit seiner Geliebten Nelly Kröger in der Fasanenstraße 61 in Berlin
zusammengezogen. Der blaue Engel, die Verfilmung seines Professor
Unrat, brachte ihm neuen Ruhm und auch ein wenig neues Geld. Jetzt
schreibt er die Lebensgeschichte einer Bardame auf. Es ist kaum verhüllt
die Lebensgeschichte Nelly Krögers. Er will das Buch Ein ernstes Leben
nennen. Nelly bügelt ihm zwar die Anzüge und die Hemden, aber wenn
er diese Anzüge und Hemden trägt, will er sie lieber nicht an seiner Seite
haben, das wäre dann doch zu peinlich. Nelly Kröger geht dann oft zu
Rudi Carius in den Wedding, einem 25-jährigen Kommunisten. Heinrich
Mann weiß das und er ist anscheinend froh, wenn er sich nicht um alles
kümmern muss. Er ist jetzt sechzig Jahre alt und etwas müde.

Im Dezember 1932 heiratet Marguerite Respinger nicht Ludwig


Wittgenstein, sondern Talla Sjögren. Am 28. September 1930 hat
Wittgenstein in Konstanz noch gemeinsam mit ihr ein Paket mit zwei
Pullovern für ebenjenen Talla zur Post gebracht, da hat er einen ersten
Anflug Eifersucht gespürt, zu Recht, wie er nun erfährt. Eine Stunde vor
der Hochzeit besucht Ludwig Wittgenstein Marguerite zu Hause in Wien.
»Meine Verzweiflung erreichte ihren Höhepunkt«, so schreibt Marguerite
später, »als mich Ludwig aufsuchte und sagte: Du machst eine
Schiffsreise, und das Meer wird rau sein. Bleibe mir immer verbunden,
so wirst du nicht untergehen, beschwor er mich. Jahrelang war ich in
seinen Händen wie weiches Wachs gewesen, das er nach seinem Ideal
kneten wollte.« Nun war die Kerze erloschen.
*

Im Sommer 1932 hatten Ise Gropius und ihr Geliebter Herbert Bayer
ihrem Mann Walter von ihrer Affäre erzählt. Aber mit dem
ausdrücklichen Wunsch, diese fortzusetzen. Und Gropius, der alte
Bauhaus-Meister, liefert in der Moderation dieser Affäre sein emotionales
Meisterstück. Er zeigt allen gegenüber große Nachsicht und vollstes
Verständnis. Seiner Frau gegenüber. Seinem Nebenbuhler und engen
Freund gegenüber. Dessen Frau gegenüber, die ihrem Mann aus Wut das
dreijährige Kind entziehen will. Seiner untreuen Frau gegenüber wird er
nicht müde zu bedauern, in welch schwieriger Lage ihr Geliebter stecke,
dass er sowohl seine Frau als auch seinen Mentor betrüge. Im Dezember
1932 fährt Gropius mit Ise nach Arosa in den Schnee. Ihr gefällt es dort
so gut, dass sie ihren Mann fragt, ob sie noch vier Wochen mit Herbert
Bayer dranhängen könne. Gerne, sagt da Walter Gropius, aber vielleicht
nur vierzehn Tage? Das Eheleben ist eine Frage der richtigen
Kompromisse. Und wenn man, wie Walter Gropius, einmal mit Alma
Mahler verheiratet gewesen ist, ist man kampferprobt.

June Miller kommt Ende 1932 noch einmal nach Paris – um ihre Ehe zu
retten oder um sie endgültig zu zerstören, es ist nicht so genau zu sagen.
Sie zieht zu Henry nach Clichy, der vorher alle seine Tagebücher und
Manuskripte zu seiner Freundin Anaïs Nin gebracht hat, damit seine Frau
sie nicht lesen kann. Henry und June streiten sich rund um die Uhr, bis
morgens um sechs, einmal kommt Anaïs dazu, liegt auf dem Bett,
angezogen, und schaut zu, wie das Ehepaar sich immer weiter betrinkt
und beschimpft. Da zieht June Miller endgültig den Schlussstrich –
während er seinen Rausch ausschläft, schreibt sie auf ein Stück
Toilettenpapier: »Reiche bitte so bald wie möglich die Scheidung ein.«
Das klebt er in sein Notizbuch – neben die Quittung für die
Schiffspassage nach New York für 799 Francs, die er ihr bezahlt hat – mit
dem Geld seiner Geliebten Anaïs. Als June sein Notizbuch sieht und
seine Abschiedscollage, nimmt sie ihre Koffer, geht zur Tür und sagt
spöttisch: »Jetzt hast du endlich das letzte Kapitel für dein neues Buch.«

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1933

Als Margarete Steffin am 1. Januar 1933 in ihrem Krankenzimmer in der


Charité aus unruhigen Träumen erwacht, bekommt sie von der
Krankenschwester einen Filterkaffee und ein schnoddriges »Prosit
Neujahr«. Sie nimmt einen Stift und Papier und schreibt ein Sonett für
ihren Geliebten Bertolt Brecht: »Heute träumte ich, dass ich bei dir läge«.
Es war kein schöner Traum. Erst verführt er sie, und dann haut er ab.

Wir müssen einen zweiten Krankenbesuch machen an diesem


Neujahrstag: bei Ruth Landshoff. Sie liegt wütend und ungeduldig in
einem Sanatorium in der Schweiz.
Ruth Landshoff ist die Frau, die das Berlin der zwanziger Jahre
verkörpert wie keine zweite. 1904 als Ruth Levy in eine jüdische
Großbürgerfamilie geboren, war sie mit ihrem einzigartig flackernden
Blick in jenen Jahren alles zugleich: Erst stand sie Oskar Kokoschka
Modell, später dem Avantgarde-Fotografen Umbo, sie war Tänzerin,
Dauergast im Romanischen Café und in den Homosexuellenbars von
Schöneberg, sie war Rennfahrerin, Schauspielerin in Nosferatu,
Journalistin, und sie hat mit Die Vielen und der Eine einen federleichten
Roman geschrieben über genau die Geschwindigkeit, den Rausch und
flirrenden Geist der »Roaring Twenties«, deren wahre Heldin sie ist. Sie
hat mit Thomas Mann Krocket gespielt und mit Gerhart Hauptmann Skat,
sie hatte Affären mit Charlie Chaplin und mit Mopsa Sternheim, mit
Oskar Kokoschka und mit Annemarie Schwarzenbach, mit Erika Mann,
mit Josephine Baker und besonders lange mit Karl Vollmoeller, dem
geheimen Impresario Max Reinhardts und Josef von Sternbergs, dessen
Wohnung am Pariser Platz ein Epizentrum des kulturellen Berlins war,
wenn es allen in den Cafés und Bars zu langweilig geworden war. Die
drei exzentrischsten europäischen Adligen der späten zwanziger Jahre
sind ihre engsten Freundinnen: die Marchesa Luisa Casati in Venedig,
Maud Thyssen in Lugano und die Princesse de Polignac in Paris. Die
Fotografin Marianne Breslauer gehört ebenso zu ihrem Kreis wie das
strahlende Glamourpaar Lisa und Gottfried von Cramm – und der
Verleger Samuel Fischer ist ihr Onkel. Nach einer aufgelösten Verlobung
mit einem englischen Adligen lernt Ruth Landshoff im Hotel Adlon einen
vornehmen Bankier der Reichs-Kredit-Gesellschaft mit langem Namen
kennen: Hans Ludwig David Wilhelm Friedrich Heinrich Graf Yorck von
Wartenburg. Ruth nennt ihn vom zweiten Abend an »Sohni«, und schon
1930 heiraten die beiden – ihre Trauzeugen sind der Schweizer
Kunsthändler Christoph Bernoulli und Ruths alter Freund Francesco von
Mendelssohn, der zu diesem Zeitpunkt mit Gustaf Gründgens liiert ist.
Doch im Herbst 1932 erlebt das turbulente Leben der Ruth Landshoff
eine Vollbremsung (sie ist immer der perfekte Seismograph für den
Zustand der zwanziger Jahre gewesen). Sie hat Knochentuberkulose und
furchtbare Schmerzen an der Wirbelsäule. Ruth Landshoff kommt erst in
ein Krankenhaus bei St. Moritz und wird später in eine Spezialklinik
nach Leysin verlegt, südöstlich des Genfer Sees. Dort muss sie
wochenlang liegen, liegen, liegen. Einzige Ablenkung: Im Patientenchor
singen und im Speisesaal Suppe löffeln. Manchmal, wie gerade an
Weihnachten, kommen Päckchen mit Schokolade von ihrer Freundin
Annemarie Schwarzenbach. Dort also, im letzten Zipfel der Schweiz, mit
Schmerzen und wenig Hoffnung, liegt die nunmehrige Ruth Gräfin Yorck
von Wartenburg am 1. Januar des Jahres 1933 und wartet darauf, dass
endlich wieder die Zukunft beginnt.

Am Abend des 1. Januar feiert das Kabarett von Erika Mann, Die
Pfeffermühle genannt, in der Bonbonniere am Hofbräuhaus in München
Premiere. Das ganze Programm spottet über die Nationalsozialisten und
deren Kleinbürgerlichkeit. Zu Gast: die Eltern Thomas und Katia und der
Bruder Klaus. Auf der Bühne brillieren Erika und ihre Freundin Therese
Giehse. Aber Klaus Mann notiert: »Drei blöde Nazis in einer Ecke.« Die
schreiben alles mit.

Helene Weigel hat in diesem Januar weniger Angst vor dem Ende der
Weimarer Republik als vor dem Ende ihrer inzwischen etwa
tausendtägigen Ehe. Sie spürt, dass es ihrem Mann Bertolt Brecht ernst
ist mit Margarete Steffin. Der aber schreibt ihr und lügt wie gedruckt –
und antwortet auf die Frage, warum er seine Geliebte ausgerechnet in der
direkten Nähe ihrer Wohnung in der Hardenbergstraße einquartiert hat:
»Wie ich dir sagte und wie ich es auch meinte, war die Unterbringung der
Grete eine rein praktische Frage. Es handelte sich keinen Augenblick
darum, sie in der Nähe zu haben.« Doch das scheint Helene Weigel nicht
wirklich zu überzeugen. Darum legt Brecht einen Tag später nach,
offenbar tuschelt das gesamte Theatermilieu bereits über die anzüglichen
Sonette, die zwischen Steffin und Brecht hin und her gehen, und wohl
auch über ihre Schwangerschaft. Dazu Brecht: »Liebe Helli, du solltest
daraus keine große Sache machen. Ich habe einen großen Widerwillen
dagegen, mich von Klatsch und Rücksicht auf die Phantasie einiger
Spießer beeinflussen zu lassen, das weißt du.« Sie weiß nach vier Jahren
Ehe vor allem, dass ihr Gatte großen Widerwillen hat, sich von
irgendjemandem beeinflussen zu lassen außer von sich selbst.

Der erste Emigrant des Jahres 1933 ist George Grosz. In seinen
Zeichnungen, seinen Gemälden hat er die Weimarer Republik verewigt:
die dicken Bäuche, die Zylinder, die nackten Tänzerinnen, den Wahnsinn,
die Armut. Aber wer so genau hinschaut, weiß eben auch, wann etwas zu
Ende ist. Als er kurz vor Weihnachten letzten Jahres von einem kurzen
Lehrauftrag in New York als Dozent an der »Art Students League« nach
Deutschland zurückkehrt, sagt er seiner Frau Eva schon am
Schiffsanleger in Bremerhaven, fünf Minuten nach der Ankunft, er sei
nur gekommen, um sehr bald endgültig abzufahren. Die Kunsthochschule
habe ihm eine dauerhafte Stelle angeboten – 150 Dollar im Monat! Eva
Grosz hat in den letzten Monaten gespürt, dass die Luft für ihre Familie
dünner wird. Als sie im Zug sitzen und George ihr glühend von ihrer
Zukunft in New York erzählt, umarmt sie ihn und sagt: »Ja, lass uns
gehen.« Kaum in Berlin angekommen, beginnen sie ihre große Wohnung
in der Trautenaustraße und sein Atelier in der Nassauischen Straße
aufzulösen. Sie packen alles Wichtige in Container, die nach Übersee
verschifft werden sollen, alles andere verschenken sie, die Uhr tickt. »Es
war wie vor der Premiere eines großen Dramas oder wie vor dem Beginn
einer Schlacht«, sagt George Grosz: »Man räusperte sich überall und sah
immer nervös nach der Uhr, denn in den Zeitungen stand täglich, es sei
nun ganz kurz vor zwölf. Was dann kommen würde, nach zwölf, war
immer nur angedeutet, aber es war nichts Erhebendes, nichts
Freundliches für mich und meine Freunde.« Fieberhaft beenden Eva und
George Grosz ihr Berliner Leben. Am 11. Januar bringen sie ihre Kinder,
den dreijährigen Martin und den fünfjährigen Peter, zu Evas Tante, damit
sie im Sommer nachgeholt werden können. Und dann besteigen sie am
12. Januar in Bremerhaven den Norddeutschen Lloyd Dampfer Stuttgart
und fahren nach Amerika. Auf Nimmerwiedersehen. Das ahnen sie, als
die Motoren laufen und die Gischt sich hinter ihnen im Meer zu Gebirgen
türmt, als das flache norddeutsche Land zu einem Strich in der
Landschaft wird, bevor es verschwindet.

Victor Klemperer schreibt am 14. Januar in Dresden diese aussichtslosen


Zeilen in sein Tagebuch: »Die Qualen des neuen Jahres die gleichen wie
vorher: das Haus, Frost, Zeitverlust, Geldverlust, keine
Kreditmöglichkeit, Evas Verbohrtheit in den Hausbau und ihre
Verzweiflung immer noch wachsend. Wir werden wirklich an dieser
Sache zugrunde gehen. Ich sehe es kommen und fühle mich hilflos.« Was
ihn am traurigsten macht: Eva, seine geliebte Frau, die eine große
Sängerin ist, klappt nie, wirklich nie, das extra für viel Geld gekaufte
Harmonium auf, um dazu zu singen. Sie lässt es zu. Sie ist verstummt.

*
Nachdem Josef von Sternberg zu einer Europareise aufgebrochen ist und
Marlene Dietrich sich in Hollywood vernachlässigt fühlt, hat sie im
Winter eine Affäre mit der erfolgreichen Tänzerin und nicht so
erfolgreichen Drehbuchautorin Mercedes de Acosta angefangen. In
eingeweihten Kreisen in Hollywood ist diese vor allem als lesbische
Freundin von Greta Garbo bekannt. Und offenbar reizt genau dies die
Dietrich: der vermeintlich noch berühmteren Schauspielerin einmal
deutlich dazwischenzufunken. Mit ihren Herrenanzügen und ihrer
Herrenunterwäsche spielt sie ganz bewusst mit den sexuellen Identitäten
und Orientierungen – und Mercedes de Acosta ist dafür sehr
empfänglich, seit Greta Garbo zu einer langen Reise in ihre alte Heimat
Schweden aufgebrochen ist. Marlene Dietrich kocht für Mercedes (sie
macht immer gerne Bratkartoffeln für ihre neuen Affären, nur für ihre
Tochter Maria, für die kochte sie nie), und sie schickt ihr fast täglich
weiße Blumen ins Haus. Tulpen seien ihr zu phallisch, sagt Mercedes da,
und so steigt Marlene auf Rosen um. Dazu sendet sie ihr Morgenmäntel,
Dessous, Haarsalben, Seifen und Kuchen. Marlene Dietrich als Delivery
Hero. Am 16. Januar sind, wie Mercedes de Acosta ihr schreibt, schon
drei Monate vergangen »seit jener heiligen und leidenschaftlichen Nacht,
in der du dich mir hingegeben hast«.
Doch die heiligen Wochen enden mit der Rückkehr der Garbo aus
Schweden. Mercedes de Acosta fühlt sich wieder zu ihr hingezogen und
versucht sich der Dietrich gegenüber zu erklären: Die Garbo sei »ein
schwedisches Dienstmädchen mit einem Gesicht, das vom Glanz Gottes
berührt worden ist, das nur an Geld interessiert ist, an ihrer Gesundheit,
Sex, Essen und Schlafen«. Aber sie habe sich ein göttliches Bild von
dieser Frau gemacht und »ich liebe nur diese Person, die ich geschaffen
habe, und nicht die wirkliche Person«. Das kommt Marlene Dietrich
bekannt vor. Es klingt bedenklich nach einer Deutung der Gefühle Josef
von Sternbergs für sie. Der ist ebenfalls aus Europa zurück und verstärkt
sein Werben.
Als die Dietrich überdies erfährt, dass ihre Geliebte all jene Details
von den Dreharbeiten mit Sternberg rumerzählt, die sie ihr im Schutze
der Nacht anvertraut hat, reißt ihr der Geduldsfaden. Mit einer
humorlosen Karte beendet sie ihren lesbischen Kurzfilm in Hollywood.
Mercedes de Acosta jedoch, die Frau, die sowohl Greta Garbo als
auch Marlene Dietrich verführt hat, kann sich ab sofort vor Verehrerinnen
und Verehrern nicht mehr retten. (Nach dem Krieg wird es Truman
Capote sein, der besonders fasziniert ist von ihrem ausschweifendem
Sexualleben. Er denkt sich ein Spiel aus, das er »Internationaler Reigen«
nennt und bei dem so wenige Betten wie möglich gebraucht werden, um
bestimmte Menschen miteinander in Beziehung zu setzen. Mercedes de
Acosta wird darin »die Trumpfkarte, sie ist mit jedem kombinierbar, von
Papst Johannes XXIII. bis zu John F. Kennedy«.)

Am 21. Januar sitzt im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt bei der


Premiere von Faust II Albert Einstein zwei Plätze neben Bertolt Brecht.
Ein allerletztes Mal scheint das ganze kulturelle Berlin versammelt, um
Gustaf Gründgens in seiner größten Rolle zu sehen: als teuflischen
Einflüsterer Mephisto. Das Publikum tobt – vor Begeisterung und innerer
Verstörung über die so beklemmend aktuell wirkende Züchtung des
neuen Menschen, die Goethe beschreibt, den »Homunculus«. Und die
Zuschauer feiern den Mephisto, die Verkörperung des scheinheiligen
Bösen, den »Stellenvermittler der Hölle«. In Gründgens’ Mephisto zeige
sich, so schreibt Alfred Kerr in seiner Kritik im Berliner Tagblatt, die
»stärkste Seelenkraft und Geisteskraft«. Ja, »immer mehr kommt es bei
Gründgens auf den gefallenen Engel hinaus«. So kann man sich
täuschen. Gründgens’ Flug in den Theaterhimmel der dreißiger Jahre
sollte da überhaupt erst beginnen. Und Alfred Kerr, Deutschlands
originellster Kritiker, wird drei Wochen später Deutschland für immer
verlassen müssen, mit gebrochenen Flügeln.

Als Joseph Roth am 25. Januar mit dem Nachtzug Berlin Richtung Paris
verlässt, ist es ein Abschied für immer. Doch anders als all die, die bald
erstmals in Frankreich landen, kennt Roth das Leben zwischen den
Stühlen und Nationen, in billigen Pensionszimmern in Paris, weiß, wie es
ist, sich tagelang nur von Baguette und billigem Rotwein zu ernähren.
Wenn er ein bisschen Geld mit Artikeln oder Büchern verdient, dann
schickt er, was er nicht vertrinkt, entweder nach Wien, wo seine Frau
Friedl in die Nervenheilanstalt Am Steinhof eingewiesen worden ist, oder
nach Berlin, wo Andrea Manga Bell, seine Geliebte, mit ihren beiden
Kindern lebt. Sie ist zwar keine Jüdin, aber ihr Vater ist Kubaner, und
schwarz zu sein macht das Leben in Berlin für sie und ihre Kinder auch
schwer erträglich. Sie reist Roth erst nach Frankreich und dann in die
Schweiz nach, in Zürich treffen sie den durchreisenden Klaus Mann, wie
der in seinem Tagebuch vermerkt: »Joseph Roth (sehr besoffen,
monarchistisch und spinnig) mit der lieben Negerin.«

*
Erich Maria Remarques Antikriegsbuch Im Westen nichts Neues ist den
Nazis ein Dorn im Auge. Und dessen Autor ganz besonders. Genau einen
Tag vor Hitlers Machtergreifung, also am 29. Januar 1933, steigt
Remarque, der sich im Jahr zuvor ein Haus im Tessin gekauft hat, mit
gepackten Koffern in seinen Lancia und fährt ohne Halt von Berlin durch
bis zur Schweizer Grenze. Dort schneit es, er zeigt den Beamten seinen
Pass, sie schauen argwöhnisch (aber vielleicht kommt es ihm auch nur so
vor), dann lassen sie ihn passieren, der Schneefall wird heftiger, aber
Remarque spürt, wie eine große Last von seinen Schultern fällt. Am
ersten Schweizer Parkplatz fährt er rechts ran und steckt sich eine
Zigarette an. Der Rauch mischt sich zwischen die Schneeflocken. Er
weiß nicht genau, was jetzt kommen wird. Nur das weiß er: endlich
etwas Neues.

Als am 30. Januar 1933 der Untergang beginnt, spricht der junge
Privatdozent Dr. habil. Dietrich Bonhoeffer im Vorlesungssaal der
Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden über den Anfang, also
über die Erschaffung der Welt. Genau auf halber Strecke zwischen den
Schicksalsorten Reichskanzlei und Reichstag spricht er, man mag es
kaum glauben, über Schöpfung und Fall. Als er bei Kain angekommen
ist, der seinen Bruder erschlägt und der »erste Zerstörer«, wie Bonhoeffer
es nennt, werden wird, wird Adolf Hitler von Hindenburg gerade zum
neuen Reichskanzler ernannt.
Bonhoeffer spricht zwischen den Zeilen über den Anfang des
Tausendjährigen Reiches. Die »Prahlerei, wir seien Herren eines neuen
Anfangs, kann nur in der Lüge erreicht werden«, sagt er. Der Mensch
müsse die Demütigung ertragen, dass er eben nicht alles neu anfangen,
nicht neu schöpfen könne. Auch das sei eine Lehre aus dem Sündenfall
von Adam und Eva. Bonhoeffer appelliert an eine Nation an der Schwelle
zu ihrem Verhängnis, er wettert von seinem Lehrstuhl aus gegen den
Glauben, der Mensch könne einen neuen Menschen erschaffen. Als der
Gong ertönt und Bonhoeffer und seine Studenten vor die Tür treten, da
stoßen sie auf die Fackelumzüge der SA, die triumphierend aufs
Brandenburger Tor zu ziehen, um diesen Tag zu feiern. Den Tag, an dem
sie glauben, einen neuen Menschen erschaffen zu können. Mit blankem
Entsetzen und weit aufgerissenen Augen schaut Bonhoeffer auf die
uniformierten Massen mit ihren berauschten Gesichtern und ihren
Fackeln, die sich durch die Straße wälzen wie ein Lavastrom.

Der Sündenfall kommt kurz auf die Erde zurück. Und zwar zufällig. Oder
durch göttliche Vorsehung, je nach Geschmack. Im Pariser Atelier von
Tamara de Lempicka steht ihr gerade eine besonders schöne Frau Modell,
die nach einer Weile so erschöpft ist, dass sie fragt, ob sie sich einen
Apfel aus der Schüssel in der Küche nehmen dürfe. Das Modell läuft
splitternackt zu dem Apfel, nimmt ihn und will hineinbeißen, als Tamara
de Lempicka »Stopp!« ruft: »Nicht mehr bewegen. Sie sehen gerade
genau aus wie Eva. Jetzt brauchen wir nur einen Adam.« Der Künstlerin
fällt ein, dass an der Straßenkreuzung vor ihrem Atelier ein gut
aussehender französischer Polizist den Verkehr regelt. Sie läuft in ihrem
Malerkittel auf die Straße und überzeugt ihn mit dem Hinweis auf die
Schönheit der Eva, die er gleich umarmen dürfe. Er kommt mit,
entkleidet sich, legt den Revolver auf die abgelegte Uniform, umarmt
seine Eva und lässt sich zwei Stunden lang malen. Adam und Eva wird
Tamara de Lempickas schönstes Bild, kalt und warm zugleich. Und wir
wissen: Neben diesem Paar liegt ein geladener Revolver. Also ein ganz
moderner Sündenfall. Hinter den beiden Nackten, dem ersten Liebespaar
der Welt, recken sich die Wolkenkratzer der Gegenwart in den Himmel,
sie werfen, wie die Künstlerin sagt, »unselige Schatten auf diesen
göttlichen, paradiesischen Moment und drohen ihn zu verschlingen, ohne
ihn indes gänzlich zerstören zu können«.

Joseph Goebbels schreibt am späten Abend des 30. Januar in sein


Tagebuch: »Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen.«

Klaus Mann schreibt am späten Abend des 30. Januar in sein Tagebuch:
»Hitler Reichskanzler. Schreck. Es nie für möglich gehalten. Das Land
der unbegrenzten Möglichkeiten.«

Ende Januar ist der Schriftsteller und Journalist Wolfgang Koeppen in


München, er schreibt ein Stück für das Kabarett Die Pfeffermühle von
Erika Mann und Therese Giehse. Der Grund ist einfach: Seine
Angebetete, die 23-jährige Schauspielerin Sybille Schloß, ist Mitglied
des Ensembles geworden und hat ihn um einen kabarettistischen Liedtext
gebeten. Nach langem vergeblichen Schmachten wertet er das als
Zeichen ihres erotischen Interesses, schreibt sofort und nennt den Text
passenderweise »Komplexe«. Er ist ziemlich witzig. Das Thema: die
Psychoanalyse, Freud und der »sex appeal«. Als er am Vorabend der
Premiere erkennen muss, dass ihn Sybille Schloß weiterhin nicht erhört
und sich ihren Sex-Appeal für andere aufhebt, reist Koeppen
unverrichteter Dinge wieder zurück nach Berlin. Er schreibt ihr einen
Brief, den er nie abschickt: »Als ich von dir gegangen war und vor dem
Staatstheater auf die Straßenbahn zum Bahnhof wartete, war die
Gelegenheit versäumt. Ich stand ausgeleert, ausgewühlt, ausgelitten,
eigentlich fühllos in einem dumpfen Schmerz da und versteint.« Der
Brief, verfasst im Zug auf der Rückfahrt nach Berlin, endet so: »Ich
beginne morgen ein Buch zu schreiben.« Und dieses wird er, anders als
all die anderen angekündigten Bücher Koeppens der Nachkriegszeit,
tatsächlich schreiben. Nun gut, er fängt nicht »morgen« damit an, aber
doch immerhin ein Jahr später. Es wird ein verzweifeltes Buch über
Sybille Schloß und sich und die versäumte Gelegenheit, das, durchaus
präzise, Eine unglückliche Liebe heißen wird.

In New York ist der Maler George Grosz nach seiner Emigration mit
seiner Frau Eva im kleinen Hotel Cambridge untergekommen. Abends
fragen sie sich manchmal, ob das alles so richtig und nötig war, diese
überstürzte Abfahrt in ein unbekanntes Land. Das Gehalt als Dozent
reicht kaum fürs Hotel, sie vermissen ihre Söhne, Illustrationsaufträge für
die amerikanischen Zeitungen bleiben erst einmal aus. Doch als er Ende
Januar Briefe von seinen Berliner Nachbarn erhält, die berichten, wie
Polizei und SA in seiner leergeräumten Wohnung nach ihm gesucht und
sein Atelier verwüstet hätten, weiß er, wie richtig alles war: »Heimlich
dankte ich meinem Gott, dass er mich so fürsorglich beschützt und
geführt hatte.« Schon wenige Wochen später wird George Grosz offiziell
aus Deutschland ausgebürgert – auch in diesem Fall ist er der Erste, die
anderen 553 Personen des öffentlichen Lebens, die keine Deutschen mehr
sein sollen, werden ihm bald folgen.

Der jüdische Komponist Friedrich Hollaender, der mit seinen Liedern


Marlene Dietrich im Blauen Engel berühmt gemacht hat und nun das
Tingel-Tangel betreibt, kommt mit seiner Frau Hedi aus London am
Anhalter Bahnhof an, und es wirkt alles ganz harmlos. Er sagt zum
Taxifahrer wie immer: Cicerostraße 4, und der fährt los. Als er und seine
Frau zu Hause ankommen, lehnt die Schwiegermutter schon oben am
Fenster und winkt. Aber seltsam, sie schüttelt den Kopf und winkt
Hollaender und seine Frau fort, dann schließt sie das Fenster. Die
Hollaenders bleiben verdattert auf der Straße stehen, als die
Schwiegermutter schon nach unten kommt. Zu dritt gehen sie ins Café
am Eck. »Sie sind oben«, sagt sie. »Die Gestapo, sie durchwühlen alles,
zerreißen Bücher, zerschneiden Bilder. Erst Liebermann, jetzt auch die
Kollwitz. Die Postkarten von Else Lasker-Schüler mit dem Davidstern
auf deiner Backe.« »Und was machen wir jetzt?«, fragt Friedrich
Hollaender. »Haut ab! Sofort!«, sagt seine Schwiegermutter. Sie rufen ein
Taxi und fahren zum Bahnhof Friedrichstraße, das scheint ihnen
geschickter. Doch auf halber Strecke geht die Fahrt nicht weiter, eine
Horde junger SA-Kämpfer versperrt den Weg. Hollaender sackt das Herz
in die Hose. Seine Frau Hedi drückt ihn auf die Rückbank, legt ihren
weiten Wintermantel über ihn, so dass man ihn nicht sehen kann, und
kurbelt das Fenster hinunter. Sie schüttelt ihre blonden Locken und ruft:
»Heil, Jungs!« Da lassen sie sie passieren. Als sie ankommen, sehen sie,
dass acht Minuten später der Nachtzug nach Paris fährt. Sie lösen zwei
Karten, Schlafwagen, erster Klasse. Sie steigen ein. Der Kontrolleur
schaut sie genau an, erst die Gesichter, dann die Fahrkarten, dann die
Pässe. Er zeigt ihnen ihre Plätze, aber ihre Pässe, die behält er. Der Zug
fährt los. Sie wissen nicht, wie ihnen geschehen ist. Sie wissen nicht,
warum der Kontrolleur ihre Pässe behalten hat. Sie bestellen, um
Entspannung vorzutäuschen, eine Flasche Riesling von der Mosel und
zwei Gläser. Sie trinken. Legen sich im Mantel aufs Bett, um auf alles
gefasst zu sein. Panisch und verstört. Doch irgendwann schlafen sie ein
vom gleichförmigen Rattern in der dumpfen Dunkelheit. Die frühe Sonne
weckt sie, vorsichtig schieben sie den ganzen Vorhang zur Seite – und sie
lesen plötzlich französische Schilder, »Dames«, »Liège«, sie können ihr
Glück nicht fassen, sie sind über die Grenze. Und als sie auf Paris
zurollen, gibt ihnen der Kontrolleur die Pässe zurück, das sei eine reine
Freundlichkeit für die Gäste, sagt er. Damit sie nachts nicht geweckt
würden, wenn die Grenze passiert wird. »Ach so, natürlich«, sagt
Friedrich Hollaender da, er versucht, seine Erleichterung in der
Beiläufigkeit zu verstecken. Sie steigen am Gare du Nord benommen aus
dem Zug. Hören die französischen Stimmen, die anfahrenden Züge. Sie
haben es tatsächlich geschafft. Fahren dann ins Hotel Ansonia,
»Nachtasyl de Luxe mit seinen Kristallleuchtern und abgetretenen
Korridorläufern, ein Nest der Vertriebenen«. Im Treppenhaus treffen die
Hollaenders Billy Wilder mit Hella Hartung – er wohne, sagt er, im
dritten Stock. Er habe sich Geld in den Anzug nähen lassen und wolle
dies nun in den besten Restaurants in Paris ausgeben, sagt er Friedrich
Hollaender, »als sei er völlig überzeugt, dass neues Geld erst kommen
könne, wenn das alte weg ist«. Im fünften Stock im Ansonia trifft
Friedrich Hollaender auf den Schauspieler Peter Lorre mit seiner Frau
Cilly, schräg gegenüber wohnt der Komponist Franz Wachsmann mit
seiner Freundin Alice. Dort offenbar herrscht dicke Luft. »Allerdings«, so
schreibt Friedrich Hollaender, »hing ohnehin das Stimmungsbarometer
der ganzen Kolonie unausgesetzt in der merkwürdigen Schwebe
zwischen herübergerettetem Humor und neu erworbener Gereiztheit.«
Und wenn die Stimmung besonders durchhängt bei den Geflüchteten in
Paris, ihnen die letzten Reste des Humors zu vergehen scheinen in
Monotonie und Aussichtslosigkeit, dann, so berichtet Hollaender in der
ihm eigenen Art, könne man eine rothaarige Prostituierte am
Montparnasse in der Avenue de Wagram besuchen: »Sie hat einen
Spezialpreis für Emigranten. Man kann bei ihr liegen, die ganze Nacht,
und ihr von der Bayreuther Straße erzählen und vom kleinen
Grunewaldsee.«

Der bedeutendste Theaterkritiker der Weimarer Republik, Alfred Kerr,


weiß genau, wann für ihn der letzte Akt gekommen ist. Er kommt, als das
Telefon klingelt am klirrend kalten Nachmittag des 15. Februar. Seine
Tochter Judith Kerr erinnert sich später: »Im Februar 1933 kam die
Warnung, man wollte ihm den Pass wegnehmen. Ich weiß nicht, wer ihn
damals anrief. Irgendjemand von der Polizei. Er lag zur Zeit mit Grippe
im Bett, aber meine Mutter hat ihm schnell einen Koffer gepackt, und er
ist innerhalb von zwei Stunden über die Grenze in die Tschechoslowakei
gefahren, noch mit hohem Fieber.« Ein paar Tage später fährt er von Prag
nach Zürich weiter, dort trifft er seine Frau Julia und die Kinder Michael
und Judith, die jenes rosa Kaninchen im Lande Hitlers zurücklassen
musste, das später ihrem bewegenden Roman den Namen gab.
Gemeinsam emigrieren sie dann von der Schweiz nach Paris. Der Faust
II mit Gründgens ist das letzte Stück, das er in Deutschland gesehen und
besprochen hat.

Else Lasker-Schüler, diese traumverlorene Dichterin, diese Freundin von


Franz Marc, von Karl Kraus und Gottfried Benn, Schöpferin von
Liebesversen größter orientalischer Schönheit, voll vom
unerschütterlichen Glauben an die Versöhnung zwischen Judentum und
Christentum, wird im Februar 1933 in Berlin auf offener Straße von zwei
jungen SA-Kämpfern verfolgt und zusammengeschlagen. Sie beißt sich
auf die Zunge, eine tiefe Wunde, das Blut tropft ihr aus dem Mund. Sie
muss ins Krankenhaus, die Zunge wird genäht. Sie kann nicht mehr
sprechen.

Thomas Mann bricht mit seiner Frau Katia zu einer Vortragsreise nach
Amsterdam, Brüssel und Paris auf, wo er zum fünfzigsten Todestag von
Richard Wagner spricht. Er weiß noch nicht, dass es der Beginn ihres
Exils ist. Aber vielleicht ahnt er es, da er kurz zuvor im Völkischen
Beobachter dies über sich gelesen hat: »Thomas Mann ist ein
frankophiler, erfüllungsbegeisterter, marxistischer, dazu mit dem
Zentrum liebäugelnder, überdies pazifistischer und jüdisch versippter
Kopf.«

Als Heinrich Mann aus seinem Amt als Leiter der Sektion Literatur in der
Berliner Akademie gedrängt wird, ist ihm klar, dass er bald gehen muss,
doch als er bei einem Abendessen am 19. Februar von einem ehemaligen
preußischen Staatssekretär gewarnt wird, sein Name stehe auf den
Todeslisten der Nazis, da weiß er, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist.
Am darauffolgenden Tag bereitet er seine Flucht vor. Und entwirft mit
Nelly Kröger, seiner neuen Partnerin, einen genauen Plan. Am nächsten
Morgen ist es so weit. Er nimmt nur seinen Regenschirm als Spazierstock
in die Hand und geht ohne weiteres Gepäck zum Anhalter Bahnhof.
Seine Fahrkarte gilt nur bis Frankfurt. Doch er hat seine Freundin Nelly
zuvor gebeten, den wartenden Zug zu besteigen, um im Gepäckfach
seinen Koffer zu verstauen. Danach steigt sie schnell aus dem Zug und
wartet, bis Heinrich Mann am Gleis eintrifft. Sie läuft zu ihm und raunt
ihm ins Ohr, dass alles über seinem reservierten Platz verstaut sei. Dann
versagt ihr die Stimme und sie muss schluchzen. Heinrich Mann
streichelt ihr kurz über die Wange und dann, als der Schaffner gerufen
hat, besteigt er den Zug. Erleichtert setzt er sich unter sein Gepäck. In
Frankfurt bleibt er eine Nacht, alles soll nach einer Inlandsreise aussehen,
am nächsten Morgen fährt er über Baden weiter nach Kehl, wo er
aussteigt. Er nimmt seinen Koffer und seinen Regenschirm und geht am
22. Februar zu Fuß über die Grenze. »Übergang Pont du Rhin«, so der
Stempel in seinem Reisepass. Zu verzollen hat er nichts. Die
Grenzbeamten wissen nicht, wen sie da gerade ziehen lassen. Sie sagen
»Heil Hitler« und lassen ihn kopfschüttelnd ins Land des Erbfeindes
hinüberspazieren. Als er dann im französischen Zug sitzt, der ihn nach
Toulon bringen soll, trägt Heinrich Mann in seinen Kalender am Tag
seiner Emigration nur ein lapidares Wort ein: »abgereist«. Als der
Völkische Beobachter von seiner Flucht Wind bekommt, da kommentiert
er: »Spurlos verschwunden ist zum Beispiel der ehemalige
Stabstrompeter der Novemberakademie.« Im Tagebuch seines Freundes
Wilhelm Herzog, der ihn in Toulon vom Zug abholt, steht: »Toulon.
Heinrich Mann. Glücklich entronnen dem 3. Reich. Lacht, freut sich wie
ein Kind.« Nie wieder wird Heinrich Mann nach Deutschland
zurückkehren.

Für Nelly, seine Partnerin, wird diese Abreise entschieden komplizierter.


Kaum ist Mann weg, durchsucht die Polizei die gemeinsame Wohnung.
Nelly Kröger wird verhaftet und verhört. Sie weiß weder aus noch ein,
sie schafft es nicht, den gemeinsamen Haushalt aufzulösen, um Manns
Geld nach Frankreich zu transferieren – neben ihrer Alkoholsucht wird
sie in diesen Tagen voll Angst und Panik auch noch
medikamentenabhängig. Als sie sich erholt hat von einer schweren
Gehirnerschütterung, die entweder im Gefängnis oder durch einen Sturz
im Rausch entstanden ist (so genau erzählt sie es selbst Heinrich Mann
nicht), entschließt sich auch Nelly Kröger, aus Deutschland zu fliehen.
Doch sie will nicht alleine gehen, sie bricht mit Rudi Carius auf, ihrem
jugendlichen Liebhaber, dem kommunistischen Kämpfer aus dem
Berliner Wedding, der von der SA verfolgt wird. Sie verbergen sich für
ein paar Tage im Fischkutter der Familie, der im Hafen von Sassnitz auf
Rügen liegt, um auf den richtigen Wind zu warten.
Als sie wissen, dass der Wind aus Ost/Südost kommen wird, mieten
sie ein Segelboot für einen kleinen Törn. Sie tun so, als machten sie einen
Ausflug, packen einen Picknickkorb aufs Boot. Doch als sie die Grenze
der deutschen Hoheitsgewässer erreichen, segeln sie einfach weiter. Der
Wind bläst, und ihr kleines Boot trägt sie bis nach Trelleborg in
Schweden. Heinrich Mann lässt Geld nach Kopenhagen transferieren,
damit sie nach Frankreich weiterziehen können.

Der Weltbühnen-Herausgeber Carl von Ossietzky, gerade aus dem


Gefängnis entlassen, überlegt, sich von Maud, seiner schwer
alkoholabhängigen Frau, scheiden zu lassen. Er hat sich verliebt in Gusti
Hecht, die ausgerechnet die Autorin des aktuellen Bestsellers Muss man
sich gleich scheiden lassen? ist. Doch am Ende befolgt Ossietzky den
Rat seiner Freundin und bleibt bei seiner Frau. Am 27. Februar sitzt er in
der Wohnung seiner Freundin Gusti am Radio und hört dort vom
Reichstagsbrand. Gusti rät ihm zur sofortigen Flucht, doch er erklärt ihr,
dass er erst nach Hause zu seiner Frau müsse. Doch als er dort ankommt,
bedrängt auch Maud ihn, sofort zu flüchten, er sei wegen seiner
sozialistischen und pazifistischen Artikel hochgradig gefährdet. Er hat
kurz zuvor in seinen Artikeln Hitler eine »feige, verweichlichte
Pyjamaexistenz« genannt und Goebbels eine »hysterische Käsemilbe«.
Doch Carl von Ossietzky will erst einmal abwarten. Was ihm wohl durch
den Kopf geht? Er weiß nicht, wie er im Ausland seine Familie
finanzieren soll, denn auf ihm lasten hohe Schulden. Er weiß nicht, wie
er die Sanatoriumsaufenthalte für seine alkoholabhängige Frau bezahlen
soll, und ob er das moralische Recht dazu hat, sie in ihrer Krankheit
alleinzulassen. Was er weiß: dass er die Stadt nicht verlassen will, in der
Gusti lebt. Er glaubt zudem noch immer, dass die Sozialdemokraten und
die Kommunisten die Nationalsozialisten aufhalten werden. In Gedanken
versunken sitzt er in der Küche, da läutet es an der Tür: Zwei
Kriminalbeamte stehen davor. Er darf noch ein Butterbrot essen, dann
wird er abgeführt. Er ruft Maud zu: »Ich komme bald wieder.« Ossietzky
landet zunächst im Gefängnis in Spandau, wird von dort aber wenig
später in das neuerrichtete Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin
verbracht, wo er wochenlang schwer misshandelt und gequält wird.
Ossietzkys Frau schickt die gemeinsame Tochter in ein Internat nach
England und versinkt selbst im Alkohol. Ossietzkys Geliebte Gusti Hecht
gründet den »Freundeskreis Carl von Ossietzky«, der sich finanziell um
Maud und die Tochter kümmert und Kontakt mit dem Inhaftierten hält.

Hier, im KZ Sonnenburg, leidet auch Erich Mühsam, der Held der


Novemberrevolution und kommunistische Kämpfer. Vor kurzem hat er
hier noch befreundete politische Gefangene besucht, nun ist er selbst zu
einem geworden. Wie ein Märtyrer versucht Mühsam sein Leiden zu
ertragen, die Schläge, die Angst vor dem Tod, die Folter. Am 27. Februar
hatte er endlich das Geld beisammen gehabt für die Fahrkarten nach
Paris, für sich und seine Frau Zenzl. Doch in der Nacht, als über dem
Reichstag noch die Flammen hochschlugen in die Dunkelheit, haben ihn
die Nazis gefangen genommen. Am 10. April darf Zenzl ihn im KZ für
ein paar Minuten besuchen, sie trifft ihren geliebten Mann, »geschändet
und geprügelt«. Sie geht zum Oberstaatsanwalt und erlangt seine
Überweisung ins Zuchthaus Plötzensee. Dort bekommt Mühsam eine
Einzelzelle. Er zeichnet ein Bilderbuch für seine Frau. Kindlich, naiv und
doch expressionistisch, echte Anarchie. Eine letzte Beschwörung der
Kraft der Liebe.

Bertolt Brecht packt seine wichtigsten Manuskripte in der


Hardenbergstraße 1a in seinen Koffer. Als am 27. Februar der Reichstag
brennt, geht er mit Helene Weigel zu Peter Suhrkamp, der sie in seiner
Wohnung unterbringt. Am 28. Februar fahren sie beide mit dem Zug nach
Prag, von dort geht es weiter nach Wien, wo sie am Sonnabend, dem
4. März 1933, eintreffen. Sie wohnen bei Helene Weigels Schwester.
Von dort bricht er in die Schweiz auf, um die Lage zu erkunden. Es
zieht ihn nach Lugano, nicht nur des Klimas wegen, sondern auch, weil
sich dort im Lungensanatorium Agra seine Geliebte Margarete Steffin
von ihren Operationen erholt.

Am Abend des Rosenmontags des Jahres 1933, dem 27. Februar, feiern
die Münchner Kammerspiele ihren Faschingsball im Regina-Palast-
Hotel. Alle sind verkleidet und tragen Masken, es hat etwas
Unheimliches und Entlastendes, nicht zu wissen, mit wem man tanzt. Ein
lächelnder Clown bittet Erika Mann zum Tango, sie wirbeln über das
Parkett, als er ihr plötzlich ins Ohr haucht: »Der Reichstag brennt.« Sie
antwortet spontan: »Lass ihn brennen.« Doch dann, ein paar Sekunden
später, fragt sie den mysteriösen Clown: »Wieso brennt er?« Da schreien
plötzlich überall auf der Tanzfläche die Clowns, die Harlekine, die
venezianischen Damen und die Piraten: »Der Reichstag brennt!« Erika
Mann wird nie erfahren, wer der Clown war, der ihr am Rosenmontag
1933 als Erster die Wahrheit sagt.

Als Alfred Döblin hört, dass der Reichstag brennt, packt er einen kleinen
Koffer. Am frühen Morgen des 28. Februar fährt er mit dem Zug nach
Süddeutschland, immer weiter, bis es nicht mehr geht. Dann steigt er aus
und läuft los. Geht durch das letzte deutsche Dorf und schlendert dann
mit pochendem Herzen über eine Wiese hinüber in die Schweiz. Bald
kommt seine Frau Erna nach, später auch die Kinder. Sie alle emigrieren
weiter nach Paris.
Dorthin folgt ihm Yolla Niclas, seine jüdische Geliebte der zwanziger
Jahre, der Erna Döblin zuletzt in Berlin Hausverbot erteilt hat. Sie
arbeitet als Fotografin in Paris und erfährt von anderen Emigranten
Döblins Telefonnummer. Sie ruft ihn an, Alfred Döblin ist so beglückt
wie verstört. Er bittet Yolla, nicht noch einmal anzurufen, die Hölle, die
er danach von Erna würde ertragen müssen, könne er nicht aushalten. In
diesem Moment weiß Yolla Niclas, dass auch die Emigration nichts an
den Bedingungen ändert, unter denen eine Liebe wachsen kann – oder
verkümmern muss.

*
Kurt Wolff und Helene Mosel, noch berauscht von ihrem Sommer an der
Küste des Mittelmeeres, erleben einen turbulenten Winter in Berlin. Sie
wohnen zunächst bei der Schwester von Kurts Ex-Frau. Und er trifft sich
mit allen ehemaligen Berliner Bekannten und Geliebten und stürzt sich
nach den einsamen Monaten in Südfrankreich in ein aufwendiges
Gesellschaftsleben, hofft auf einen Posten als Rundfunkintendant. Helene
bleibt meist zu Hause und schreibt – sowohl der Rowohlt als auch der
Ullstein Verlag interessieren sich für ihr Buch Hintergrund für Liebe, das
sie im vergangenen Sommer am grünen Gartentisch in Saint-Tropez
verfasst hat. Aber die Wolken hängen immer tiefer über Berlin. Helene
schreibt an ihren Bruder Georg: »Was ich hier höre, sehe, fühle, ist
Massenrausch, Massenwahnsinn, Massenpsychose, eine Stimmung, die
an 1914 erinnert.« Das schreibt sie am 26. Februar. Gleich in der
nächsten Nacht, in der der Reichstag brennt, beginnen sie ihre Koffer zu
packen. Verabschieden sich am 1. März von all ihren Freunden. Und
besteigen abends den Nachtzug nach Paris, wo sie am 2. März
ankommen. Auch Kurt Wolff, der Verleger Kafkas und Trakls, ist nun zur
Emigration gezwungen. Und Helene, seine jüdische Gefährtin, umso
mehr.
Ende März heiraten sie in London. Helene Mosel wird zu Helen
Wolff.

Dass Konrad Adenauer im März seines Amtes als Kölner


Oberbürgermeister enthoben wird, ist das Ergebnis einer mehrjährigen
Rufmordkampagne. Die NSDAP zieht seit 1929 mit der Parole »Fort mit
Adenauer« in den Wahlkampf. Sie kreidet ihm an, dass er sich an den
Börsen verspekuliert hat, dass er gläubig ist, dass er in der Schweiz
Urlaub macht, dass er zu viel verdient, dass er zu freundlich mit den
Juden ist. Die NSDAP-Zeitung Westdeutscher Beobachter findet jede
Woche einen neuen Skandal, vor allem seit die Stadt Köln im Oktober
1932 offiziell zahlungsunfähig geworden ist. Es gibt im Frühjahr, bei
Tausenden von Arbeitslosen und einer maximal aufgeheizten Stimmung,
regelmäßig Straßenschlachten zwischen der SA und Rotfrontkämpfern.
Als Hitler zu einer Wahlkampfkundgebung nach Köln kommt, lässt
Adenauer die Hakenkreuzfahnen entfernen, die von der NSDAP an
städtischen Masten gehisst worden sind, doch es sind letzte
Abwehrkämpfe. Vor der Kommunalwahl in Köln ist kein Gegner der
Nazis mehr sicher, es gibt reihenweise Morde, in Adenauers Wohnung
klingelt unaufhörlich das Telefon, und anonyme Stimmen sagen seiner
Frau, ihm oder seinen Söhnen, dass sie bald alle verschwunden sein
werden. SA-Leute dringen in seine Dienstwohnung in der Max-Bruch-
Straße ein und baden dort genüsslich in Adenauers Badewanne. Wenn
seine Frau oder er auf der Straße alte Bekannte grüßen, grüßen diese
nicht zurück. Adenauer ist zum Verfemten in seiner eigenen Stadt
geworden. Er merkt, dass er schnell handeln muss. Am 12. März ist die
Kommunalwahl angesetzt – am Abend vorher bringt das Ehepaar
Adenauer seine Kinder ins Caritas-Krankenhaus Hohenlind, unter dem
Schutz der katholischen Kirche. Die Wahl geht an die NSDAP, Adenauer
wird aus seinem Amt vertrieben, er flüchtet erst nach Berlin in die
Wohnung, die er als Vorsitzender des Preußischen Staatsrates offiziell
nutzen kann, doch er wird auch von diesem Posten abgesetzt. Er erinnert
sich seines alten Schulfreundes Ildefons Herwegen, Abt des Klosters
Maria Laach. Der ist tatsächlich willens, ihm hinter den hohen
Klostermauern Schutz zu gewähren. Adenauer fährt sofort mit dem Zug
in die Eifel und versinkt dort in Angst und Schwermut, gerettet zwar,
aber verzweifelt: »Wenn nicht meine Familie und meine religiösen
Grundsätze wären«, so gesteht er 1933 einem Freund aus seiner
Klosterzelle in Maria Laach, »hätte ich lange meinem Leben ein Ende
gemacht, es ist so wirklich nicht lebenswert.«

Der Romanist Victor Klemperer, der minütlich auf die Entlassung aus
dem Universitätsdienst wartet, der auf den Straßen Dresdens von den
alten Bekannten gemieden wird, weil er Jude ist, hat nur noch eine letzte
Zuflucht: den Film, diesmal im Capitol-Kino, Menschen im Hotel nach
Vicki Baum – und mit Greta Garbo. »Ich bin so gern im Kino, es entrückt
mich«, schreibt er am 12. März. Aber seine Frau will sich so selten mit
ihm gemeinsam entrücken lassen: »Eva ist so schwer zum Besuch zu
bewegen. Und wenn es ihr dann nicht zusagt und sie elend dort sitzt,
habe ich doch keinen Genuss.«
Vicki Baum selbst hat Deutschland mit ihrem Mann, dem Dirigenten
Richard Lert, und ihren beiden Söhnen bereits 1932 verlassen. Sie sind in
Amerika zu Menschen im Hotel geworden. Aber als Victor Klemperer
den Film nach ihrem Buch sieht, da ist sie ganz in Hollywood
angekommen, lebt in einem weißen Haus in den Hügeln über Santa
Monica. Bald schon werden all ihre Bücher aus deutschen Bibliotheken
und Buchhandlungen verbannt, sie sei, so schreibt der »Kampfbund
Deutsche Kultur«, die »Jüdin Vicky Baum-Levy« und zudem eine
»Asphaltschriftstellerin, die im Ausland gegen das nationale Deutschland
hetzt«. Gleichzeitig erscheint eine Homestory in der Vanity Fair über
ihren neuen Wohnsitz im Amalfi Drive 1461 in den Hollywood Hills –
dort heißt es, dies sei »das deutsche Haus einer deutschen Familie«.

Am 13. März verlassen Erika und Klaus Mann am selben Tag, aber in
unterschiedlichen Richtungen, ihre Heimat. Erika Manns Kabarett Die
Pfeffermühle haben die Nationalsozialisten sofort nach der
Machtübernahme verboten, die Nazi-Presse wütet gegen sie. Sie ist noch
einmal ganz kurz nach München in die Villa ihrer Eltern in der
Poschingerstraße gefahren, um die wichtigsten Dokumente des Vaters zu
sichern – und so packt Erika als Erstes das angefangene Manuskript zu
Joseph und seine Brüder ein. Dann fährt sie mit ihrem Auto in Richtung
Arosa. Ihre Freundin Therese Giehse flieht mitten aus einer Probe aus
den Kammerspielen zunächst nach Österreich – und von dort weiter zu
Erika in Arosa. Als Erika ins Auto gestiegen ist, packt auch Klaus Mann
seine Koffer, verbringt noch eine zärtliche Stunde mit seinem
zeitweiligen Geliebten Herbert Franz im leeren Familienhaus in der
Poschingerstraße und besteigt abends den Nachtzug nach Paris. Als er am
14. März dort ankommt und im Hôtel Jacob für einen Monat ein Zimmer
im vierten Stock mietet, nimmt er sein Tagebuch aus dem Koffer, zieht
eine Linie unter alles Vorige und schreibt mit fester, trotziger Hand quer
über die Seite: »Beginn der Emigration«. Sein erster Gedanke und sein
erster Traum im Exil: Erika, seine Schwester. »Einsamkeitsgefühl doch
immer nur, wenn sie nicht da ist.« Das muss wohl Liebe sein.

*
Am 17. März lässt die nationalsozialistische Stadtregierung von Dessau
eine Durchsuchung im Meisterhaus von Bauhaus-Lehrer Paul Klee und
seiner Frau Lily durchführen. Zahlreiche Zeichnungen und Dokumente
werden beschlagnahmt. Das Atelier durchwühlt. Klee sei, so heißt es, in
Wahrheit vermutlich ein galizischer Jude. Er zieht daraufhin
unverzüglich mit seiner Frau nach Düsseldorf um, wo er eine Professur
für Malerei hat. Doch am 21. April wird auch diese Professur mit
sofortiger Wirkung gekündigt.

Am 17. März verlässt Walter Benjamin Berlin mit dem Nachtzug in


Richtung Paris. Er hat die letzten Wochen in Schockstarre verbracht, ging
kaum noch vor die Tür, öffnete nicht, wenn es unangemeldet klingelte.
Nun hat er seine Koffer gepackt und bricht auf in die gelobte Stadt. Aber
er hat längst seinem Freund Felix Noeggerath geschrieben und ihn
gefragt, ob er wieder bei ihnen unterkommen könne in Ibiza. Er müsse
dringend weg.

Am 23. März besucht Klaus Mann Käthe von Porada in ihrer Pariser
Wohnung. Sie gibt einen kleinen Empfang anlässlich des Besuches des
Malers Max Beckmann, der ihr Geliebter ist. Kaum ist dieser zurück in
Frankfurt bei seiner Frau Quappi, wird er vom Städel, wo er als Professor
Malerei lehrt, entlassen. Er beginnt, an seinem monumentalen Triptychon
Abfahrt zu arbeiten – in eine mythologische Welt verlagert, erzählt er hier
von den Schmerzen des Abschieds. Er selbst wird aber noch ein paar
Jahre ausharren, bevor er Deutschland endgültig verlässt.

Bertolt Brecht wohnt in Lugano im Hotel Bellerive, direkt am See,


Palmen vor der Tür. Fast täglich fährt er hinauf nach Agra ins Sanatorium
von Margarete Steffin. Wenn sie nicht husten muss und sie beide dort
oben nebeneinandersitzen auf der Liege vor ihrem Balkon, dann träumen
sie von ihrer Zukunft. Es ist ein malerischer Ort, man sieht über beide
Arme des Luganer Sees nach Süden, thront über der Welt und scheinbar
auch über ihren Problemen. Hier also liegt Margarete Steffin, während
Hitler Reichskanzler wird, hier liegt sie, während der Reichstag brennt,
hier liegt sie, während die jüdischen Intellektuellen aus Deutschland
emigrieren müssen. Und immer wieder liegt Brecht bei ihr, wenn sie
dann getrennt sind, schreiben sie sich Sonette, es sind die schönsten und
die anzüglichsten, die sie sich je schreiben werden. In seiner Erotomanie
lässt sich Brecht auch nicht durch die Emigration irritieren.
Gemeinsam besuchen sie Hermann und Ninon Hesse im benachbarten
Montagnola, Steffin adrett mit Kleid und Hut, Brecht wie immer in seiner
Arbeiterkluft, mit der Zigarre im Mundwinkel.
Als Helene Weigel Anfang April ebenfalls ins Tessin kommt, mit den
Kindern Barbara und Stefan, merkt sie schnell, dass Brecht seine
Beziehung nicht abgebrochen hat – erneut erwägt sie, sich scheiden zu
lassen, Emigration hin oder her. Vorerst entscheidet Helene Weigel sich,
das Angebot einer Freundin anzunehmen und mit den Kindern nach
Dänemark weiterzureisen. Wie sagte Bertolt Brecht doch so schön? »In
mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.«
*

Auch Katia und Thomas Mann sind mittlerweile in Lugano in der


sicheren Schweiz zwischengelandet, aber, wie ihre Tochter Erika
schreibt: »flüchtig, unglücklich, ratlos«. Und auch sie treffen dort
Hermann Hesse und seine Frau Ninon. Die Manns sehen Erich Maria
Remarque, der aus Porto Ronco herüberfährt. Nur Bertolt Brecht wollen
sie nicht sehen, er bittet um ein Gespräch, aber Thomas Mann mag
gerade nicht.

In die Riege der berühmten Männer von Alma Mahler-Werfel, also neben
Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Walter Gropius und Franz Werfel, darf
man auch einen fünften Herrn zählen, der sich durch zwei Eigenschaften
besonders auszeichnet: Erstens ist er Priester und zweitens ist er 1933
Österreichs größter Experte für Ehenichtigkeitsprozesse. Das muss einen
ungeheuren Reiz auf Alma Mahler-Werfel ausgeübt haben. Und als im
März Franz Werfel zum Schreiben nach Italien fährt, da macht die 54-
jährige Gattin ebenjenen 38-jährigen Johannes Hollnsteiner zu ihrem
Beichtvater. Alma Mahler-Werfel gewinnt Freude an der Sündenschaukel
des Katholizismus, aus dem beruhigenden Wechselspiel aus Sünde und
Vergebung, und offenbar scheint dieser junge Augustiner, Chorherr des
Stifts St. Florian, die ideale Person, um beides quasi gleichzeitig zu
erledigen.
Ja, Alma Mahler-Werfel, die täglich leidet an dem, was sie an ihrem
Gatten als jüdisch erkennt, verliebt sich sehr leidenschaftlich in ihren
geistlichen Intimus. Sie schreibt in ihr Tagebuch: »Die unbegreiflich
lange Nacht dieses Winters ist einem föhnigen Frühlingsahnen gewichen.
Es ist kaum zum Aushalten!« Sie bricht sogar einen Aufenthalt bei
Werfel, der in Italien an Die vierzig Tage des Musa Dagh arbeitet,
frühzeitig ab, um zurück nach Wien zu reisen. Am 5. März vermeldet sie
voller Stolz: »J.H. ist 38 Jahre alt und ist der FRAU bis jetzt nicht
begegnet. Mich sieht er anders, und ich segne mich dafür. Er sagte:
Niemals war ich einer Frau so nah. Du bist die Erste und wirst die Letzte
sein.«
Das bleibt nicht unbemerkt. Hollnsteiners Auto parkt fast täglich vor
dem Werfel’schen Haus auf der Hohen Warte, und wann immer Alma
kann, besucht sie die Messen, die Hollnsteiner liest. Dankbar vermerkt
Alma, dass ihr Beichtvater ganz im Hier und Jetzt lebe und viel
Verständnis habe für ihr »sündiges Vorleben«. Aber der Priester mit dem
Bubengesicht und der Nickelbrille scheint auch ansonsten eine eher freie
Auslegung der katholischen Sexualmoral zu favorisieren. Er erklärt
Alma, das Keuschheitsgebot gelte streng genommen nur, solange man
den Talar anhabe. Und sie glaubt ihm das gerne: »Nie hat er noch das
Wort Sünde ausgesprochen – und ich, muss ich päpstlicher sein als der
Papst? Beide sind wir gebunden. Er an die Kirche, ich an Werfel.« Ein
Gleichgewicht der Kräfte also. Sie schreibt ihm: »Ich liebe dich – ich
liebe dein Wirken in der Welt und auf mich. Ich sehne mich nach dir.«
Wieder einmal wird Alma Mahler-Werfel zu der Frau, die ihr Gegenüber
in ihr sehen will. Wie schon bei Mahler, bei Gropius, bei Kokoschka und
Werfel, so macht sie jetzt Johannes Hollnsteiner glauben, sie sei das,
wonach er sich immer gesehnt hat. Und weil es auf Erden so schön ist,
bittet Alma ihn, ihre Hand zu halten, wenn sie einst in den Himmel
aufsteige. Denkt sie wohl auch darüber nach, ob ihr Geliebter ihre eigene
Ehe für nichtig erklären könnte?
*

Die Sieben, so schreibt Lotte Lenya an Kurt Weill, sei ihre Glückszahl.
Sie lässt sich in diesem Glauben keineswegs dadurch beirren, dass sie
beim Roulette in Monte Carlo auch dann nichts gewinnt, wenn sie auf
ebenjene Sieben setzt. Nein, es sei ein gutes Omen, dass Weill ihr ein
Haus in der Wissmannstraße 7 gekauft hat. Und außerdem sei 1933 ja das
siebte Jahr ihrer Ehe. So frohgemut also schreibt sie ihm vom
Mittelmeer, wo sie gerade mit ihrem Geliebten Otto Pasetti nach
angeblich todsicheren Methoden das Geld von Kurt Weill in den Casinos
verspielt. Kurt Weill bekommt derweil in der Wissmannstraße 7 in
Kleinmachnow bei Berlin, wo er entsprechend alleine ohne die Gattin
wohnt, noch andere Post: »Juden wie Sie sind bei uns nicht erwünscht«,
steht da. Und vieles, was er aus Höflichkeit nicht wörtlich zitiert. Als die
Aufführung seines neuen Stückes Silbersee in Magdeburg von
prügelnden SA-Männern verhindert worden ist, zieht Weill
Konsequenzen. Er übernachtet in Berliner Hotels oder bei seinen
Freunden Caspar und Erika Neher. Seit Caspar sich als homosexuell
geoutet hat, kümmert sich dessen Gattin in allen Belangen um den
verlassenen Weill. Am 22. März fahren alle drei in Berlin mit dem Wagen
los – Richtung französische Grenze. Um sich nicht verdächtig zu
machen, muss Weill alles zurücklassen, selbst seinen geliebten
Schäferhund Harras. Das Haus übrigens wird im Laufe des Jahres
verkauft und der Erlös von Lotte Lenyas Geliebtem Pasetti komplett in
den Casinos von Monte Carlo und Nizza verspielt. Weill hatte ihm eine
Vollmacht ausgestellt, da er als Jude das Haus nicht selbst verkaufen
konnte.
*

Ende März gehen in Ibiza drei Personen an Land, die in Deutschland eine
gewisse Berühmtheit erlangt haben: der Dada-Künstler Raoul Hausmann,
seine Ehefrau Hedwig Mankiewitz und seine Muse und Geliebte Vera
Broido. August Sander hat das robuste Trio in der Fotografie Die
Künstlerehe verewigt. Das erregt in Berlin jedoch inzwischen zu großes
Aufsehen. Am 9. März sind sie geflohen. Nun wollen sie ihre
revolutionäre Lebensform auf Ibiza erproben. Sie finden in einem
herrlich abgeschiedenen Tal das alte Bauernhaus Can Palerm und richten
sich dort ein. Hedwig Mankiewitz kümmert sich um den Haushalt, ihr
Gatte und seine Muse kümmern sich um die Kunst.

Man Ray schert sich nicht um die Politik. Er interessiert sich nur für die
Liebe. Weiterhin malt er jeden Morgen an den riesigen Lippen über
seinem Bett. Im Herbst hat er eine zweieinhalb Meter breite Leinwand
aufgehängt, um Die Liebenden zu malen, zwei fliegende Lippen, dem
Kussmund seiner einstigen Geliebten Kiki nachempfunden. Doch in
diesem Frühjahr merkt Man Ray: Es klappt nicht. Sie hat zu
gleichmäßige Lippen. Er beginnt daran herumzudoktern. Danach sehen
die Lippen fürchterlich aus. Irgendwann reißt er die Leinwand wütend
vom Keilrahmen, da fällt sein Blick plötzlich auf ein Foto seiner letzten
Freundin Lee Miller, seiner größten Liebe, die ihn im Winter verlassen
hat. Er sieht ihre Lippen. Diese schmalen, zauberhaften Lippen. Und da
weiß er, dass sie es sind, die er eigentlich immer malen wollte. Er beginnt
ein neues Bild. Lee Millers Lippen, zwei Meter lang, aber ein wenig
schräg, so wie sie den Kopf gerne gehalten hat, so sollen sie über den
Himmel schweben. Morgen für Morgen malt er nun, bevor er ins Atelier
geht, an diesen neuen Lippen auf der riesigen Leinwand über seinem
Bett, in dem er sie zum ersten und zum letzten Mal geküsst hat.

Voll Schrecken erleben die jungen Sozialisten Willy Brandt und seine
Freundin Gertrude Meyer am 1. April in Lübeck den Boykott jüdischer
Geschäfte, das Anspucken von Juden auf offener Straße, die brachiale
Gewalt der neuen nationalsozialistischen Macht. Am nächsten Abend
umarmen sich der neunzehnjährige Willy Brandt und die zwanzigjährige
Gertrude Meyer noch einmal lange, dann bricht er nach Travemünde auf,
wo ihn ein Fischerboot im Schutz der Nacht mit in den Norden, nach
Rødbyhavn nehmen will. Von dort reist er über Kopenhagen weiter mit
dem Passagierschiff Dronning Maud nach Oslo in sein norwegisches
Exil. Er hat nicht viel dabei, einhundert Reichsmark von Großmutter,
einen Band des Kapital von Karl Marx und einen Treueschwur von
Gertrude. Schnell wird er in Oslo Teil der norwegischen Arbeiterpartei,
schreibt für ihre Zeitung über Deutschland und kann Ende Juni die neue
Sprache so gut, dass er keine Dolmetscherin mehr braucht. Am 9. Juli
kommt Gertrude Meyer aus Lübeck zu ihm in sein Exil. Sie ist im Mai
nach der Verbreitung antifaschistischer Flugblätter inhaftiert worden.
Sofort nach Ablauf der Gefängnisstrafe bricht auch sie als »Touristin« auf
in die Emigration. Willy Brandt und Gertrude Meyer leben ab Juli 1933
für einige Jahre zusammen in Oslo – aber als er 1972 dort den
Friedensnobelpreis erhält, lädt er sie nicht ein, was sie maßlos
enttäuschen wird.
*

An den Ostertagen muss die evangelische Nina von Lerchenfeld in


Bamberg erkennen, wo die Prioritäten ihres Verlobten, des
frischgebackenen Oberleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg
liegen: Am Ostersonntag führt er erst die katholischen Soldaten seines
Regiments zur Messe und zur Kommunion, während sie mit ihrer Familie
in einen evangelischen Gottesdienst geht. Und direkt danach steigt er in
Bamberg am Bahnhof in den Zug, in dem sein geliebter Bruder Berthold
mit Stefan George sitzt, dem verehrten Meister, mit dem die beiden
Brüder weiter nach München fahren. Zum Glück hat Nina von
Lerchenfeld neben ihrer Familie auch noch ihre Zigaretten. Sie raucht an
diesen Ostertagen drei Schachteln davon.

Lisa Matthias, Tucholskys ehemalige Gefährtin, schildert dieses Berliner


Frühjahr so: »Ich glaubte, dass ich einer Ohnmacht nahe war, wenn die
Türklingel oder nur das Telefon läutete. Ich habe in den letzten zwei
Wochen, vom 20. März bis zum 4. April, kaum noch essen können und
acht Pfund abgenommen.« Am 1. April dann der Boykott jüdischer
Geschäfte: »Als ich gegen sieben Uhr mit der Straßenbahn nach Hause
fuhr, war gerade Ladenschluss. Man sah viele SA-Leute. Jeder sieht
jeden scharf und misstrauisch an. Als ich an der Umsteigestelle
Kaiserdamm stehe, habe ich das Gefühl, dass jeder jeden erschlagen
möchte, und dass eine Art Blutrausch in der Luft liegt.« Am 5. April geht
Lisa Matthias in die Redaktionsräume von Ullstein, wo sie als
Journalistin arbeitet. Alle jüdischen Redakteure sind schon entlassen
worden oder sitzen verängstigt und blass an ihren Tischen. Bei der
Weltbühne, für die sie auch schreibt und deren Herausgeber Ossietzky
bereits inhaftiert ist, wird wieder eine Hausdurchsuchung gemacht. Aber
noch hat niemand ihre Beziehung zu Tucholsky, dem jüdischen
Staatsverräter, in den Polizeiakten notiert. So packt sie ihre Sachen – und
fährt am 5. April ins schwedische Exil. Über Trelleborg, so wie Willy
Brandt und Nelly Kröger, die Partnerin von Heinrich Mann. Sie landet in
jenem Schweden, in dem sie mit Tucholsky ihre glücklichsten Tage
verbracht hat, die in Schloß Gripsholm für alle Zeiten konserviert sind.
Doch ihr ehemaliger Geliebter hat sich anderen Damen zugewandt – und
vor allem ist er gerade in der Schweiz. So wird diese lange Fahrt nach
Schweden eine wehmütige, traurige; voller Angst.

Else Lasker-Schüler, die ihre Zunge immer noch mit Salbei pflegen
muss, nachdem sie von Nazi-Schergen in Berlin auf offener Straße
zusammengeschlagen worden ist, packt am Abend des 18. April ihre
Habseligkeiten und Kleider in Koffer und Schachteln, beschriftet sie und
bittet das Hotel Sachsenhof, sie bis auf weiteres unterzustellen. Sie weiß,
dass sie als Jüdin dieses Land so schnell wie möglich verlassen muss. In
ihrer Heimatstadt Wuppertal ist eine Lesung abgesagt worden, weil man
Angst um ihr Leben hatte. So steigt sie am Morgen des 19. April in den
Zug nach Zürich. Sie hat sich kreidebleich von ihren verbliebenen
Freunden zum Bahnhof eskortieren lassen und hält dann im Abteil für
viele lange Stunden panisch ihre Handtasche fest umklammert. Wagt
keinen Gang zur Toilette. In Zürich taumelt sie aus dem Zug, fast
besinnungslos. Sie kann sich nicht verzeihen, nicht noch einmal die
Gräber ihrer Vorfahren in Wuppertal besucht zu haben. Sie zieht durch
das abendliche, kalte Zürich, mit drei Taschen behängt, sie hat nichts zu
essen, sie bettelt, und sie schläft die ersten Nächte unter einem Baum am
See, von ihrem Mantel nur notdürftig bedeckt. Die größte Dichterin des
deutschen Expressionismus ist am Ende.

Nur die Bäume können Konrad Adenauer noch trösten. Er flüchtet aus
der Politik, die er täglich in den Zeitungen verfolgt, in die strengen
Abläufe des Klosterlebens in Maria Laach. Wann immer es geht, schlüpft
er durch die Pforte und geht hinaus in die Natur: Ȇber Nacht ist der
ganze Buchenwald grün, ich habe noch nie so schöne Vergissmeinnicht
gesehen wie hier in den Wäldern«, so schreibt er an seine vertraute
Freundin Dora Pferdmenges in Köln. Und: »Ich bin ganz bewegt und
erschüttert von der ungeheuren Kraft, welche die Natur in diesen sechs
Wochen entfaltet hat; sie schafft wirklich Ungeheures in dieser Zeit.«
Doch es ist leider nichts gegen das Ungeheure, was die Politik schafft in
diesen sechs Wochen, als im Jahre 1933 der Frühling in Deutschland
beginnt.

Es wird langsam leer in Berlin, wie Max Schmeling mit steigender Angst
vermerkt: »Vom Frühjahr 1933 an vermissten wir im Roxy, bei Änne
Maenz, im Romanischen Café jede Woche einen anderen aus unserer
Runde. Moldauer war der Erste gewesen, bald suchten wir vergeblich
Fritz Kortner, irgendwann fehlte auch Ernst Deutsch, und eines Tages
war Ernst Josef Aufricht gegangen. Dann war die Bergner weg, dann
Richard Tauber, schließlich Albert Bassermann. Man hörte, dass auch
Bertolt Brecht und Kurt Weill emigriert seien.«

In den frühen Morgenstunden des 11. April 1933 legt Walter Benjamin,
der über Paris nach Barcelona weitergereist ist, mit der Ciutad de Malaga
am Hafen von Ibiza-Stadt an. Es ist 6.15 Uhr in der Frühe. Ein
strahlender Frühlingstag beginnt. Benjamin erinnert sich an Ibiza im
vergangenen Jahr. Das kurze Glück mit Olga hier am Strand und im
Boot – die darauf folgenden Dunkelheiten kann er gerade verdrängen, die
Sonne scheint dafür zu stark. Er atmet auf, endlich eine Zeit ohne Angst
vor Verfolgung durch die Nazi-Schergen, die ihn in Berlin panisch und
schlaflos gemacht hat. Ibiza im April 1933 bedeutet für ihn: So weit wie
irgendwie möglich weg von Berlin. Aber eben noch im alten Europa,
seinem angestammten Terrain. Und er braucht einen Ort, an dem das
Leben so wenig kostet, dass er es mit dem wenigen, was ihm bleibt,
bezahlen kann. Außerdem will er seine Ruhe haben. So wird Ibiza, das
ein Jahr zuvor noch sein Flucht- und Urlaubsort gewesen ist, nun zum
ersten Ort seiner endgültigen Emigration. Diesmal ist alles beschwerlich.
Plötzlich sind überall Touristen aus Spanien und Deutschland, vor denen
Benjamin flüchtet. Es gibt keine richtige Unterbringung für ihn, er wohnt
in einem halb fertigen Neubau der Noeggeraths, an dem der Wind zerrt,
wie er an Gretel Karplus, Adornos Verlobte, in Berlin schreibt. Er fühlt
sich maximal unwohl. Morgens um sechs steht er auf und geht zu seinem
am Hang versteckten Liegestuhl, um in der milden Morgensonne zu
lesen. Um acht Uhr öffnet er seine Thermosflasche mit Kaffee und isst
ein Brot. Und arbeitet im Halbschatten weiter bis ein Uhr. Aber jeden
Nachmittag kommt ein heftiger, böiger Wind. Der bläst ein ums andere
Mal die beschrifteten Blätter in die Höhe und in den Pinienwald, und ein
vernünftiges Arbeiten ist unmöglich. So zieht er dann immer öfter ins
Dorf San Antonio: »Manchmal braucht man doch den Anblick eines
Glases Kaffee vor sich als Stellvertreter einer Zivilisation, von der man
sonst hinreichend distanziert ist«, schreibt er. Immerhin hat Walter
Benjamin mehr zu tun, als er gedacht hat. Er kann in den nächsten
Monaten oft Rezensionen für deutsche Zeitungen von Ibiza aus
schreiben – nicht mehr unter seinem Namen zwar, aber als »Detlef
Holz«, »Hans Fellner« und »Karl Gumlich«, was offenbar ausreichend
arisch klingt und gedruckt wird. Aber Benjamin hat große Angst um
seinen fünfzehnjährigen Sohn Stefan Rafael, der noch in Berlin lebt, der
nicht nur Jude, sondern inzwischen auch aktiver Kommunist ist. Dessen
Mutter Dora, Benjamins Ex-Frau, hat ihre Arbeitsstelle verloren, und
Benjamins Bruder Georg ist inhaftiert. Benjamin schreibt ein Gedicht:
»Das Herz klopft lauter und lauter und lauter, das Meer wird stiller und
stiller und stiller. Bis auf den Grund.«

Im Jahre 1933 erscheint eine von Melancholie und Schmerz erfüllte


Lyrische Novelle – die Autorin ist Annemarie Schwarzenbach, die
Schweizer Industriellentochter, die gegen den Willen ihrer Eltern in enger
Freundschaft mit Ruth Landshoff und Erika und Klaus Mann verbunden
ist. Sie wird später als Fotografin berühmt werden, doch hier schreibt sie
ein anrührendes kleines Buch, die Geschichte einer jungen Frau, die in
einem Gasthof in Brandenburg der verlorenen Liebe nachtrauert, durch
die Wiesen läuft, vergessen will und nicht vergessen kann. Es ist der
Versuch, Schwarzenbachs eigene unglückliche Liebe zu der Berlinerin
Ursula von Zedlitz zu verarbeiten. Doch es schmerzt sie wie am ersten
Tag. Da laden sie Klaus und Erika Mann und deren Freundin Therese
Giehse ein, sie in ihrem französischen Exil in Lavandou zu besuchen,
und Annemarie Schwarzenbach steigt in ihr mondänes Automobil und
fährt los. Sie erleben Anfang Mai ein paar heitere Tage dort in den
warmen Frühlingsstrahlen, sie liegen auf der Terrasse des Hotels Les
Roches Fleuries, sie tun nichts. Aus Sanary-sur-Mer kommt Sybille
Bedford herüber, Annemarie macht einige ihrer schönsten Fotografien
überhaupt: junge Menschen in der knallen Sonne, sich neckend,
entspannt, dem Unheil vorläufig entronnen. Alles in Schwarz-Weiß, aber
voll emotionaler Farbenpracht. Ihr selbst wird genau dieses Kunststück
nie gelingen. Immer wieder bricht sie mitten im Gespräch oder beim
Fotografieren in Tränen aus, grundlos scheinbar.

Am 6. Mai gegen siebzehn Uhr kommt der neue Militärbefehlshaber der


Balearen, General Franco, nach San Antonio auf Ibiza. Er marschiert mit
hochrangigen Militärs zum Leuchtturm von Coves Blanques, vorbei am
Haus der Noeggeraths, in dem sich Benjamin in seinem Zimmer
verbarrikadiert und nur kurz zwischen den Fensterläden hindurchschaut,
als Franco einen Meter vor ihm die Straße entlangläuft. Benjamin hat
gelesen, dass Franco vierzig Jahre alt ist, genauso alt wie er. Es schaudert
ihn kurz. Dann setzt sich Benjamin wieder in sein Zimmer und liest in
Célines Reise ans Ende der Nacht, das ihm Max Horkheimer aus Genf
geschickt hat. Franco, Céline, Walter Benjamin – am späten Nachmittag
des 6. Mai 1933 kreuzen sich hier für ein paar Minuten auf dem
38. Breitengrad die Lebenslinien von drei Männern, mit denen allein sich
alle Abgründe der dreißiger Jahre erzählen ließen. Es wäre ein
Reiseführer für das Ende der Nacht. Denn ebenjener General Franco wird
sieben Jahre später den Befehl erteilen, dass keine Flüchtlinge mehr die
französisch-spanische Grenze passieren dürfen. Und genau dies wird für
Walter Benjamin tödliche Folgen haben.

Marlene Dietrich sitzt in Hollywood und weiß nicht, was sie tun soll. Sie
will zurück nach Berlin, ihr geliebtes Berlin, sie sehnt sich nach dem
Lachen, das sie manchmal überfiel, wenn sie im Cabrio über den
Kurfürstendamm gefahren ist. Doch ihre Mutter Josephine, die dort noch
lebt, warnt sie und ebenso Josef von Sternberg, ihr Geliebter und ihr
Regisseur, der ausgerechnet in Berlin ist, als dort der Reichstag brennt.
Er schickt ihr ein Telegramm, dass sie auf keinen Fall in dieses Land
reisen soll, das in Auflösung begriffen sei. Doch Marlene Dietrich will
mit ihrer Tochter Maria unbedingt nach Europa. Dann eben nach Paris,
wo ihr Mann Rudi Sieber inzwischen lebt, mit seiner Freundin, Marias
ehemaligem Kindermädchen. Aber leider lebt in Paris auch die Ehefrau
von Maurice Chevalier, jenem französischen Schauspieler, mit dem die
Dietrich aus Langeweile gerade eine halbgare Affäre angefangen hat.
Vielleicht also doch lieber nach Berlin, in die vertraute Heimat? Rudi
Sieber wird am 8. Mai deutlich in seinem Telegramm: »SITUATION
BERLIN SCHRECKLICH – ALLE ABRATEN – SELBST EDI
DER NAZI FÜRCHTET ANPÖBELUNGEN – BARS
GRÖSSTENTEILS GESCHLOSSEN – THEATER KINO
UNMÖGLICH – STRASSEN LEER – ALLE JUDEN UNSERER
BRANCHE IN PARIS WIEN PRAG – ERWARTE DICH MIT
MUTTI CHERBOURG SPÄTER SCHWEIZ ODER TIROL.« Die
Antwort darauf ist sehr überraschend, es wirkt, als habe Marlene Dietrich
unversehens Sehnsucht nach ihrem Ehemann: »WILL NICHT TIROL
HASSE EINSAMKEIT WILL MIT DIR FRANZÖSISCHES BAD
KÜSSE SEHNSÜCHTIG MUTTIKATER.« Als sie dann wirklich
ankommt in Paris, spielt sie wieder die Rolle als Weltstar: Sie trägt einen
hellen Herrenanzug, darüber einen leichten dunklen Sommermantel, eine
Sonnenbrille und ihr undurchschaubares Lächeln, neben ihr am Bahnhof
und fortan an ihrer Seite: Rudi. Wissend, dass nun von ihm erneut, wie
vor einem Jahr in Hollywood, die Rolle des treuen Ehemanns gefragt ist,
lässt er sich bereitwillig fotografieren. Statt nach Tirol ziehen sie in eine
Suite im Hôtel Georges V, danach fahren sie tatsächlich an die Riviera.
Jeden Tag treffen nun aus Hollywood Telegramme von Josef von
Sternberg ein, manchmal drei am Tag: »GELIEBTE GÖTTIN ALLES
IST SO LEER« oder »ICH VERMISSE DICH MIT JEDEM
GEDANKEN« oder »DU UNVERGLEICHLICHES WEIB UND
SCHÖNSTE DER SCHÖPFUNG«. Ganz allmählich fängt die
Schwärmerei an, ihr auf die Nerven zu gehen.
Marlene Dietrich verbringt also den Sommer in Paris und an den
Badeorten des Mittelmeers, so wie viele andere Deutsche in diesem
Jahr – aber eben nicht als angsterfüllte Emigrantin, sondern als mondäne
und gelangweilte Touristin.

Am 9. Mai schreibt Klaus Mann einen verzweifelten Brief an den Autor,


den er fast am meisten liebt: an Gottfried Benn. Der hat mit seinem
Auftreten in der Akademie der Künste und seinen Stellungnahmen für
den neuen Staat für große Verstörung gesorgt. Klaus Mann schreibt aus
dem Exil in Lavandou an der französischen Mittelmeerküste, wo er
gerade mit seiner Schwester Erika und Annemarie Schwarzenbach
gestrandet ist: »Sie sollen wissen, dass Sie für mich – und einige andre –
zu den sehr wenigen gehören, die wir keinesfalls an die andere Seite
verlieren möchten. Aber freilich müssen Sie ja wissen, was Sie für unsere
Liebe eintauschen und welchen großen Ersatz man Ihnen drüben dafür
bietet, wenn ich kein schlechter Prophet bin, wird es Undank und Hohn
sein.« Klaus Mann ist ein sehr guter Prophet, denn genau so wird es
kommen. Aber Benn, heillos verrannt in eine fixe Vorstellung vom
»neuen Staat«, missversteht die Liebeserklärung als Attacke. Klaus Mann
hat sich eine Antwort erbeten in das Hôtel de La Tour in Sanary-sur-Mer,
der nächsten Station seines Exils. Als er dort ankommt, liest er in den
deutschen Zeitungen, dass seine Bücher am Tag zuvor in München auf
dem Königsplatz öffentlich verbrannt worden sind: »Die Barbarei bis ins
Infantile. Ehrt mich aber.« Er sitzt in seinem Zimmer im zweiten Stock
und wartet. Erika wohnt nebenan, sie spricht mit ihm ȟber das Traurige
und Unwürdige an der Emigration – was ich nicht so empfinde«. Kein
Wunder bei jemandem, der schon sein ganzes Leben lang innerlich auf
der Flucht ist. Jetzt aber sitzt er hier und ist durch Gottfried Benn in den
unwürdigen Zustand des Wartens auf den Briefträger verdammt. Und
dann schreibt Klaus Mann nach seinem großen Brief an Gottfried Benn
noch ein kleines, aber nicht weniger bedeutsames Manifest in sein
Tagebuch. Am 12. Mai notiert er nach der Lektüre der Zeitungen aus
Deutschland beim Blick auf das unwirklich frühsommerliche
Hafenbecken: »Unser Motto: Lernt hassen! Lernt ungerecht sein! Sie, die
Feinde der Freiheit, haben uns das Hassen gelehrt.«
Und eben auch das Warten. Benn antwortet nicht. So schaut Klaus
Mann den kleinen Schifferbooten zu, die im weichen Wind schaukeln,
schließt abends die Fensterläden vor seinem Zimmer und öffnet sie am
Morgen wieder, hört die Fischer rausfahren und heimkehren, hört die
Glocke vom Rathaus alle fünfzehn Minuten schlagen und die Möwen
kreischen. Aber Gottfried Benn schreibt ihm nicht. Nein, Gottfried Benn
schreit ihm seine Antwort regelrecht zu – und zwar über den Rundfunk,
am 23. Mai. Er nennt seine Widerrede »Antwort an die literarischen
Emigranten«. Darin höhnt er, ob Klaus Mann meine, die Geschichte sei
»an französischen Badeorten besonders tätig?« Und: »Verstehen Sie doch
endlich dort an Ihrem lateinischen Meer«, dass in Deutschland »die
Geschichte mutiert« und ein Volk »sich züchten« will. Ja, »ich erkläre
mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich
hier seinen Weg bahnt.« Als Benns Antwort in der Deutschen
Allgemeinen Zeitung erschienen ist, steckt er sie in einen Umschlag und
schickt sie Klaus Mann ins Hôtel de La Tour in Sanary. Der ist erst
sprachlos vor Entsetzen. Und gründet in diesen Wochen, so verstört wie
inspiriert durch Benns Antwort, seine Zeitschrift Die Sammlung, die mit
Verlagssitz Amsterdam zur bedeutenden Zeitschrift des deutschen Exils
werden sollte. Und ein paar Jahre später wird er im selben Hotel, im
selben Zimmer (Nummer sieben), dann seinen Roman Mephisto über
Gustaf Gründgens zu Ende schreiben.

Christopher Isherwood erlebt in dieser Zeit in Berlin all das, was später
durch die Verfilmung seiner Bücher in Cabaret mit Liza Minelli
weltberühmt werden wird. Er wohnt in der Pension von Fräulein Thurau
in der Nollendorfstraße, unterrichtet »Natalia Landauer« in Englisch und
trifft auf jene Jean Ross alias »Sally Bowles«, die ihm klarmacht, dass sie
»nur dann eine große Schauspielerin sein kann, wenn sie ein paar
Liebschaften hinter sich hat«. Er erlebt, wie Nazis und Kommunisten
sich auf den Straßen prügeln und wie die Angst Einzug hält in Berlin.
Wie sein geliebtes Cosy Corner, die kleine, mit Arbeiterjungs gefüllte
Schwulenbar in der Zossener Straße 7 mit Ausstrahlung bis nach London
und New York, zu einem immer ungemütlicheren Ort wird. Isherwood
verbringt Momente der Liebe mit seinem jugendlichen deutschen Freund
Heinz Neddermeyer, der für ihn ständig Schnitzel und Buletten brät. Und
er schreibt an Stephen Spender, seinen Freund, er müsse noch eine Weile
in Berlin bleiben: »Der Schlussteil meines Romans erfordert noch viele
Recherchen.« Doch im Frühjahr 1933 sind seine Feldstudien
abgeschlossen. Seine Berlin Stories enden mit einem Tagebucheintrag
aus dem Winter zwischen 1932 und 1933. »Es lag tiefe Angst in der
Berliner Luft«, so schreibt er. Seine jüdischen Freunde sind emigriert,
seine homosexuellen Freunde werden verhört und gejagt, ihre Bars
geschlossen. Als am 6. Mai das Institut von Magnus Hirschfeld
geplündert wird, mit dem Isherwood so eng verbunden ist, weiß er, dass
es an der Zeit ist zu gehen. Er sieht, wie die Schriften aus dem Institut für
Sexualwissenschaft mit anderen Büchern von Tucholsky, Carl von
Ossietzky und Erich Maria Remarque am 10. Mai verbrannt werden.
Daraufhin fängt er an, sich zu verabschieden, seine Habseligkeiten zu
verschenken und den Rest in zwei Koffer zu packen. Er nimmt wenig
mit, aber auf jeden Fall Heinz, seine große deutsche Liebe, für den er
einen Reisepass organisiert hat. Am 14. Mai ist es so weit: »Nun ist der
Tag gekommen, der zu schön ist, zu schlimm, um wahr zu sein, der Tag,
an dem ich Deutschland verlassen soll.« Heinz holt Christopher
Isherwood um sechs Uhr morgens ab. Der verabschiedet sich von seiner
Pensionswirtin, Fräulein Thurau. Schweigend geht es mit dem Taxi zum
Anhalter Bahnhof. Von dort fahren sie nach Prag. Im Reiseantrag seines
homosexuellen Freundes Heinz hat Isherwood als Beruf »Hausdiener«
eingetragen. So lassen sie die deutschen Grenzbeamten passieren. Die
beiden wissen noch nicht, dass für sie eine vierjährige Wanderschaft
durch ganz Europa und Afrika begonnen hat.

Erich Kästners Kinderbücher wurden auch von den Nationalsozialisten


geschätzt, doch seinen Fabian von 1932, den hassen sie: Das seien,
schreibt der Völkische Beobachter, nur »Sudelgeschichten« und
»Schilderungen untermenschlicher Orgien«. Im März wird er mit einer
Reihe anderer »kommunistischer und linksradikaler Mitglieder«, darunter
die jüdischen Autoren Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr und Egon Erwin
Kisch, aus dem »Schutzverband deutscher Autoren« ausgeschlossen. Und
am 10. Mai wird der Fabian zusammen mit seinen Gedichtbänden
öffentlich verbrannt – »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall«, »Für
Zucht und Sitte in Familie und Staat«, rufen die Nazis auf dem
Opernplatz, bevor sie Kästners Bücher in die Flammen werfen. Als
einziger der unzähligen Autoren, deren Bücher an diesem Tag ins Feuer
geworfen werden, steht Erich Kästner dabei. Er erlebt hautnah, wie der
Hass Menschen verwandelt. Eine Studentin erkennt ihn und ruft: »Da ist
ja der Kästner!« Er schreibt: »Ihre Überraschung, mich sozusagen bei
meinem eigenen Begräbnis unter den Leidtragenden zu entdecken, war
so groß, dass sie dabei auch noch mit der Hand auf mich zeigte. Das war
mir, muss ich bekennen, nicht angenehm.« Doch die Studenten um ihn
herum schauen alle gierig auf das Feuer, das die Bücher der Avantgarde
zerfrisst, und ignorieren den Ruf der jungen Frau.
Es ist nicht leicht zu verstehen, warum Kästner in diesem Moment
keine Angst um sein Leben hat. Er weiß, dass fast alle anderen Autoren,
deren Bücher da im Feuer lodern, schon emigriert sind. Aber er geht
einfach nach Hause, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich blieb, so sagte
er später, »um Augenzeuge zu sein«. Erich Kästner hat offensichtlich
Nehmerqualitäten. Er geht auch nach der öffentlichen
Bücherverbrennung weiter ins Romanische Café, verrät niemandem, dass
er SPD gewählt hat, und tut, als sei nichts gewesen, auch wenn er weiß,
dass seine beiden letzten Affären, »Moritz« und »Pony Hütchen« (also
Margot Schönlank), nach Paris emigriert sind. Kästner reist stattdessen
mit seiner neuen Freundin, der Schauspielerin Cara Gyl, an den Eibsee in
Bayern. Sie essen gut und viel, sie wandern gut und wenig, und sie
umgurren sich. Dazwischen schreibt Kästner auf einem kleinen
Tischchen vor dem Hotel am Fliegenden Klassenzimmer. Einmal kommt
seine Sekretärin Elfriede Mehring vorbei, braun gebrannt posiert er für
ihr Fotoalbum, frisch gebügeltes Hemd und scheinbar unangreifbar. Wie
schrieb doch Else Rüthel in ihrer brillanten Rezension des Fabian?
Kästner hat den »Jargon eines äußerst gehobenen Conférenciers«. Ja,
selbst die Katastrophe scheint er wegmoderieren zu wollen. Als der
Reichstag gebrannt hat, war er in Zürich, doch niemand dort konnte ihn
davon abhalten, in die Hauptstadt zurückzufahren, denn es sei »unsere
Pflicht und Schuldigkeit, auf unsere Weise dem Regime die Stirn zu
bieten.« Vielleicht ist es das, was er mit seinem dröhnenden Schweigen
während der Bücherverbrennung demonstrieren will. Kästner schreibt
also einfach ein neues Buch, das Fliegende Klassenzimmer, das schon im
Dezember in den Buchhandlungen liegt. Als es erschienen ist, ist jene
Cara Gyl, die noch im Vorwort vorkommt und ihm beim Schreiben die
Hand gehalten hat, bereits Geschichte, und Kästner hat sich der
zwanzigjährigen Schauspielerin Herta Kirchner zugewandt. Er berichtet
sofort der Mutter Ida nach Dresden: »Die späten Abendstunden vertreib
ich mir mit einer blonden zwanzigjährigen Schauspielerin, die mich seit
dem fünfzehnten Jahr liest und liebt.«
Als Kästner tags darauf in der Bankfiliale in der Nestorstraße Geld
abheben will, weil die ersten Tantiemen für das Fliegende Klassenzimmer
geflossen sind, erfährt er, dass sein Konto von der Gestapo
beschlagnahmt worden ist – wie das von 41 anderen Schriftstellern, die
alle emigriert sind. Er wird von der Gestapo verhaftet und verhört in
diesen Tagen. Als er entlassen wird, schreibt der Muttersohn der Frau
Mama sofort Beruhigendes, alles sei nur eine Lappalie gewesen. Man
blickt irritiert auf den Kästner des Jahres 1933 – es ist, als wolle er die
Gefahr nicht sehen, in der er schwebt. Als Grund gegen eine Emigration
führt er übrigens an, seine Mutter hätte keine Aufgabe mehr, wenn er ihr
nicht weiterhin seine Schmutzwäsche zum Reinigen und Bügeln nach
Dresden schicken würde. Es ist zu befürchten, dass das famose
Muttersöhnchen Kästner das ernsthaft für einen legitimen Grund hält, in
Deutschland zu bleiben.

Magnus Hirschfeld ist schon ins Exil gegangen, bevor die modernen
Zeiten der Nationalsozialisten begonnen haben. Der legendäre
Sexualforscher weiß, dass er die Verkörperung all dessen ist, was die
Nazis hassen: Er ist Jude, schwul und Sozialist, er hat das Berliner
Institut für Sexualwissenschaft aufgebaut, und sein Museum genießt
unter Homosexuellen weltweit einen legendären Ruf. Von seiner
Vortragsreise durch Amerika, Asien und Russland kehrt er zunächst nach
Ascona zurück, an die friedlichen Gestade des Lago Maggiore, doch
zieht es ihn von dort bald weiter nach Paris. An seiner Seite: seine neue
große Liebe, der 25-jährige Chinese Li Shiu Tong, der Hirschfeld dank
seines Vermögens auch finanziert, und sein langjähriger Berliner
Geliebter, Karl Giese. Die drei leben erst in der Schweiz und dann in
Frankreich eine innige, aber nicht unkomplizierte Ménage-à-trois. Im
Mai 1933 müssen sie in einem Pariser Kino in einer Wochenschau mit
ansehen, wie plündernde Nazi-Horden ihr Institut für Sexualwissenschaft
dem Erdboden gleichmachen und die gesamte Bibliothek, die Büste
Hirschfelds, 30000 Fotografien und die wichtigsten Dokumente bei der
großen Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz ins Feuer werfen. Was
für ein Albtraum – die Zerstörung der eigenen, jahrzehntelangen
Forschung im Kinosessel als ohnmächtiger Zuschauer miterleben zu
müssen. Giese und Li Shiu Tong müssen ihren 65-jährigen Freund
stützen, als sie das Kino verlassen und in die Pfützen einer verregneten
Pariser Nacht hinaustreten. Er ist jetzt endgültig ein gebrochener Mann.

Am 16. Mai emigriert der Komponist Arnold Schönberg mit seiner Frau
und der einjährigen Tochter Nuria aus Berlin nach Paris, nachdem sein
Schwager Rudolf Kolisch die Familie in einem Telegramm gewarnt hat;
bereits im März 1933 hat die Akademie der Künste in Berlin Schönberg
mitgeteilt, dass er in ihrem Kreis unerwünscht sei. Daraufhin schließt er
sich in Paris, mit dem Maler Marc Chagall als Zeugen, wieder dem
jüdischen Glauben an, den er 1898 aufgegeben hat. Er schreibt an Anton
Webern: »Ich war seit vierzehn Jahren vorbereitet auf das, was jetzt
gekommen ist. Ich habe mich in dieser langen Zeit gründlich darauf
vorbereiten können und mich, wenn auch schwer und mit vielen
Schwankungen, schließlich definitiv von dem gelöst, was mich an den
Okzident gebunden hat. Ich bin seit langem entschlossen, Jude zu sein.«
Mit seiner Familie fährt Schönberg im Oktober 1933 weiter an Bord
der Île de France von Le Havre nach New York.

Lion Feuchtwanger ist mit seiner Frau im südfranzösischen Exil, sie sind
in dem heiteren Badeort Bandol gelandet. Sofort beordert er auch seine
Berliner Sekretärin Lola Sernau nach Frankreich. Am 20. Mai beginnt er
mit der Arbeit an seinem Roman Familie Oppermann und vermeldet im
Tagebuch außerdem, dass er nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit
seiner Sekretärin geschlafen habe. Doch als er tags darauf einen steifen
Hals hat, wird seine Frau Marta argwöhnisch und sagt, das sei vermutlich
Syphilis. Darauf Feuchtwanger: »Sie hat immer die Tendenz, hinter allen
unangenehmen Vorkommnissen eine ›Schuld‹ zu wittern.« Und das wird
nicht besser in den nächsten Tagen – »Ärger mit Marta, man hat es
schwer mit ihr«, vermerkt er. Sie führt ein strenges Regiment. Erst wenn
Lion morgens zehn Runden um das neue Haus gejoggt ist, bekommt er
zum Frühstück Eier. Aber Disziplinarmaßnahmen helfen nicht gegen
Eifersucht. So berichtet Feuchtwanger in seinem Tagebuch: Das
Verhältnis zwischen Marta und Lola Sernau, seiner Geliebten und
Sekretärin, sei »unerquicklich«. Zudem: »Ärger über das Scheißauto, das
Marta gekauft hat.« Und so geht das nun den ganzen schönen Sommer
lang. Erst am 30. Juli wendet sich das Blatt: »Marta gevögelt. Lola
immerzu schlecht gelaunt.« Da kann man nur sagen: So genau haben wir
es gar nicht wissen wollen. Und auch Marta selbst nicht. Als sie später
das Tagebuch ihres Ehemannes, des Erotomanen Feuchtwanger, findet
und darin liest, ist sie geschockt: »Ich würde viel zärtlicher schreiben,
kann aber das Tagebuch immer noch nicht verwinden. Es hat mir viel
Kummer verursacht und es war die einzige Enttäuschung, die ich hatte,
denn ich habe mir über niemand sonst Illusionen gemacht.«

Ganz andere Sorgen haben Thomas und Katia Mann in Bandol, wo auch
sie sich nach ihren ruhelosen und ziellosen ersten Monaten des Exils
vorübergehend im Grand Hôtel niedergelassen haben. Es geht ihnen
nicht gut in der drückenden Hitze, aber sie sollen sich gemäß dem Rat
ihrer Kinder eigentlich irgendwo hier an der Mittelmeerküste ansiedeln.
Doch sie können abends nicht einschlafen, außer mit starken
Schlafmitteln. Sie leiden an der stechenden Sonne. An fiebriger
Erkältung. An den lästigen Mücken. Am böigen Mistral, der an den
Nerven zerrt. Sie leiden an den Menschenmengen, mit denen man
zusammen essen und zusammen im Aufzug stehen muss. Sie leiden ganz
grundsätzlich am Zustand des Exils. Thomas und Katia Mann sind
ungeeignet als Menschen im Hotel. Sie brauchen einen festen Grund. Sie
spüren hier zu sehr, welch unterschiedliche Temperamente sie haben.
Und natürlich leidet, wie immer, Thomas Mann deutlich mehr als seine
Frau. »Gefühl erschütterter Gesundheit«, notiert Thomas Mann. »Die
Nerven schwach, der Leib nicht in Ordnung.« Katia versucht ihn zu
beruhigen und schlägt die kühlere Normandie oder Bretagne als Exilort
vor. Aber dafür, so sagt er, »scheint es mir zu spät«. Am 6. Juni dann,
Manns 58. Geburtstag, »nahm die melancholische Depression ein wenig
überhand«, wie er abends im Tagebuch selbst diagnostiziert. Mit
zärtlicher Genauigkeit sieht er, wie auch Katias Züge immer ernster und
sorgenvoller werden. Klaus und Erika Mann kommen aus Sanary-sur-
Mer herüber, ergebnislos besprechen sie die »Frage des Hierbleibens
oder Weggehens«. Aus Toulon, vom nahen Militärhafen, dröhnen immer
wieder die Kanonenschläge übers Meer. Thomas Mann bilanziert: »Die
Rückkehr ist ausgeschlossen, unmöglich, absurd, unsinnig und voll
wüster Gefahren für Freiheit und Leben.« So entscheiden sich die Manns,
im Nachbardorf Sanary-sur-Mer die Villa La Tranquille zu mieten, bis sie
sich über die Zukunft im Klaren sind.

Die jüdische Ärztin Charlotte Wolff, Freundin Walter Benjamins und


Helen und Franz Hessels, wird aus ihrem Institut in Berlin-Neukölln
entlassen und auf offener Straße verhaftet. Der Gestapo-Offizier erklärt:
»Sie sind eine Frau in Männerkleidung und eine Spionin.« Der Leiter der
nächsten Polizeidienststelle lässt sie laufen, weil er in ihr die Ärztin
seiner Frau erkennt. Doch schon drei Tage später wird ihre Wohnung
durchsucht, sie wird der Spionage für Russland verdächtigt. Da weiß
Charlotte Wolff, dass es dringend Zeit ist zu gehen. Am 26. Mai besteigt
sie den Zug nach Paris über Aachen. Am Bahnsteig drückt ihre ehemalige
Partnerin Katherine ihr lange die Hände. Beide haben Tränen in den
Augen. Katherine hat sich von Charlotte getrennt, weil ihr Vater gesagt
hatte, die Freundschaft mit einer jüdischen Lesbe gefährde ihre gesamte
Familie. Charlotte steigt in den Zug und erlebt die längste und quälendste
Zugfahrt ihres Lebens. Immer wenn die Tür zum Abteil aufgeht, erwartet
sie den Gestapo-Beamten, der sie festnimmt. Doch sie kann die Grenze in
Aachen passieren. Wenige Stunden später kommt sie am Gare du Nord in
Paris an, in »einem Stadium zwischen verklingendem Entsetzen und
neuer Hoffnung, immer noch den Albtraum der Reise im Kopf«. Sie fällt
in ihrem billigen Hotel aufs Bett und schläft voller Erschöpfung bis zum
nächsten Morgen durch. Noch leicht benommen geht sie in ein kleines
Café auf dem Boulevard Saint-Michel und bestellt voll Glück ihr erstes
französisches Frühstück: »Café au lait et une tartine.« Dann lädt ihre
schon emigrierte Freundin Helen Hessel Charlotte Wolff ein, erst einmal
bei ihr und ihren Söhnen einzuziehen.

Am 28. Mai 1933 kommt es zwischen Zelda und F. Scott Fitzgerald zum
großen Showdown. Im Zimmer des Psychiaters Dr. Thomas Rennie in
Baltimore wird die Bilanz einer Ehe gezogen, die einst in Amerika so
aufregend begonnen hatte und die dann in Europa in Alkohol und Tränen
versank. Die beiden Duellanten haben neben dem Arzt seine Helferin
dazugebeten, die das gesamte Gespräch stenographiert, es werden am
Ende 114 engbeschriebene Seiten sein. F. Scott Fitzgerald wird von
Dr. Rennie in dem Versuch unterstützt, Zelda ihr Recht auf eigene Bücher
auszureden. Sie kann das alles nicht fassen, bleibt vorerst ruhig. Ja,
Zelda, die offiziell für verrückt erklärt worden ist, scheint die Einzige zu
sein, die bei Verstand ist. Fitzgerald ist wütend, dass seine Frau es gewagt
hat, über ihre Jahre in Europa und die Nervenkliniken zu schreiben,
damit hat sie eine Grenze überschritten: »Du bist eine drittklassige
Schriftstellerin. Ich bin der bestbezahlte Story-Schreiber der Welt.« Sie
reagiert mit Ironie: »Warum hast du es überhaupt nötig, dich mit einem
drittrangigen Talent anzulegen, warum zum Teufel bist du derartig
eifersüchtig?« Fitzgerald tobt weiter. Darauf Zelda: »Wenn das hier so
weitergeht, will ich wieder in die Nervenklinik, da ist es entspannter.«
Daraufhin wiederum ihr Gatte: Er halte das nicht mehr aus mit Zelda,
solange er mit ihr zusammenlebe, sei er quasi gezwungen, sich
permanent zu betrinken, da sie ihm die Schuld an ihrem Leiden gebe.
Stundenlang geht es hin und her. Im Mittelpunkt immer wieder
Fitzgeralds Macho-Haltung, wonach er allein berechtigt sei, über die
gemeinsame Vergangenheit und die Klinikaufenthalte Zeldas zu
schreiben. Leider ist aber das Buch, das F. Scott Fitzgerald im Sommer
1933 über ihre gemeinsame Vergangenheit schreibt, literarisch tatsächlich
um Längen besser als ihr Schenk mir den Walzer. In Zärtlich ist die
Nacht, das 1934 erscheint, beutet er ihre Geschichte schamlos und ohne
Rücksicht auf Verluste aus. Aber es ist Weltliteratur.

Der Sommer 1933 steht für die deutsche Hochkultur im Zeichen der
Todsünde. An zwei Orten wird eine zeitgenössische Form dafür gesucht,
in Dresden und in Paris. Und zwar jeweils von bereits aus ihren Ämtern
und Leben Vertriebenen: in Paris von Kurt Weill und Bertolt Brecht auf
der Bühne und in Dresden von Otto Dix auf seiner Leinwand. All das
übrigens mit unmittelbaren Auswirkungen auf die jeweiligen
Liebesverhältnisse. Aber der Reihe nach: Otto Dix wird unmittelbar nach
der Machtübernahme der Nazis aus seinem Amt als Professor der
Kunstakademie entlassen. Dix ist zwar weder Jude noch Kommunist,
aber seine Malerei wird als »Schmutz« gegeißelt und als
»jugendgefährdend«. Gerade dass er die Schrecken des Krieges so
schonungslos darstellt, das wird nun sein Verhängnis in einer Zeit, die ein
neues Heldentum ausrufen will. Schon im April wird Dix in Dresden in
einer städtischen Ausstellung als »Entartete Kunst« geführt, und die
Kritikerin Bettina Feistel-Rohmeder wütet: »Professor Dix bezeugt sich
selbst durch diese Schülerschau als ein Verderber deutscher Jugend, und
es wäre wohl Aufgabe deutscher Frauenverbände, immer wieder
öffentlich Widerspruch dagegen zu erheben. Ein Wälzen im Schlamm
und Schmutz – und kein Jugendamt greift ein!« Otto Dix lässt sich von
diesen Anfeindungen nicht aus der Ruhe bringen, er flüchtet malend in
die gute Vergangenheit der deutschen Kunst, hin zu Lucas Cranach,
Dürer, Hans Baldung Grien und Matthias Grünewald. Er sucht einen
Weg, jenes Regime bloßzustellen, das sich an der Malerei und an ihm
versündigt. Und so malt er dann auf einer 180 Zentimeter großen
Holztafel in altmeisterlicher Manier eine Allegorie auf Die sieben
Todsünden. Es gibt den Geiz, den Zorn, den Neid, den Hochmut, die
Trägheit, die Wollust und die Fresssucht, und alle werden durch entstellte
Menschen verkörpert. Für den Neid steht ein kleines zorniges Männchen
mit Hitlerbart. In der Mitte des Bildes tanzt der Tod, wenn man genau
hinsieht, merkt man, dass aus den Tanzbewegungen des Gerippes ein
Hakenkreuz gebildet wird. Widerstand in Öl auf Leinwand. Ein Bild als
Anklage also – und als Prophezeiung.
Die Wollust im Bild übrigens, die üppige Frau mit lockigem Haar,
trägt im Gesicht die Züge von Dix’ Dresdner Geliebten, Käthe König
(über mögliche weitere Übereinstimmungen zwischen Abbild und
Wirklichkeit hat die Kunstgeschichte keine Kenntnis). Dix weiß, dass er
– neben allen zeitpolitischen Anklagen gegen die großen Nazi-Sünder –
hier auf der Leinwand auch eine kleine private Todsünde begeht: den
dauernden Betrug an seiner treuen Ehefrau. Aber er hofft auf ihre
Vergebung.

In einer außergewöhnlichen Gleichzeitigkeit feiert in Paris im Théâtre


des Champs-Élysées am 7. Juni das Bühnenstück Die sieben Todsünden
Premiere – ein flackerndes Gemisch aus Ballett, Gesang und Schauspiel,
das Stück ist von Bertolt Brecht, die Musik von Kurt Weill, es singt Lotte
Lenya. Noch wichtiger: Der Finanzier des Ganzen ist der englische
Kunstmäzen Edward James, der will, dass seine deutsche Frau, die
Tänzerin Tilly Losch, endlich eine Hauptrolle bekommt. Sie spielt und
singt in dem Stück dann die eine Hälfte einer zweischneidigen Frau, die
andere übernimmt Lotte Lenya. Und wie es der Zufall will, verlieben sich
die beiden Hälften unter ihrem hübschen gemeinsamen Poncho
ineinander – und sind für die Proben und die nächsten Wochen ein Paar.
Tilly Losch muss das vor ihrem Mann geheim halten, Lotte Lenya vor
ihrem Geliebten Otto Pasetti (der nächtelang im Hôtel Splendide
vergeblich auf sie wartet). Kurt Weill, der es als Erster mitbekommt, ist
Kummer gewohnt, er selbst hat sich gerade ein wenig vergnügt mit
Marie-Laure de Noailles, seiner adligen Mäzenatin in Paris, aber Lotte
Lenya findet diese, wie sie es nennt, »achte Todsünde« nicht wirklich der
Rede wert. Sie versteht sich ohnehin die ganze Zeit prächtig mit Kurt
Weill, der ihr und Pasetti schon so lange das Lotterleben an der Côte
d’Azur finanziert. Dass sie dennoch die Scheidung vorantreibt, liegt vor
allem an ihrem Tenor Pasetti, der sich für Lenya nun auch ganz offiziell
von seiner Frau Erna hat scheiden lassen und ihr bei den Sundownern,
bevor die Casinos öffnen, immer Arien von der ewigen Liebe vorsingt.
»Ich aber liebe dich natürlich dennoch weiterhin«, schreibt sie zu der
eingereichten Scheidung erläuternd an ihren künftigen Ex-Mann Weill.
Als sie ihn in diesen Tagen fragt, ob es für ihn in Ordnung wäre, wenn sie
mit Pasetti ein Kind bekäme, gesteht ihr Weill mit Tränen in den Augen,
dass ihn das sehr verletzen würde. Darauf schaut Lotte Lenya ihn lange
an und sagt: Dann natürlich nicht, lieber Kurt. Während das
Scheidungsverfahren läuft, gelingt es ihr sogar, weitere Besitztümer
Weills aus Berlin nach Frankreich zu schleusen, vor allem seinen
geliebten Schäferhund Harras. Mit dem zieht er jetzt abends nach den
Proben für Die sieben Todsünden durch die weichen, duftenden Felder
rund um den kleinen Vorort Louveciennes, wo er ein Haus zur Miete
gefunden hat (herrliche Vorstellung: Anaïs Nin, berühmteste Bewohnerin
dieses winzigen Ortes, trifft mit Henry Miller beim Abendspaziergang
Kurt Weill und Lotte Lenya, die gerade den Hund ausführen). Genau jene
Felder übrigens, die der feinsinnige und stille Camille Pissarro fünfzig,
sechzig Jahre davor in die wahrscheinlich schönsten Landschaftsgemälde
des Impressionismus verwandelt hat.
Edward James schließlich, der das ganze Spektakel um Die sieben
Todsünden finanziert hat, um seine Frau groß rauszubringen, darf von der
hoffnungslos in Lotte Lenya verliebten Tilly Losch als Dank für sein
Engagement kurz nach der letzten Aufführung den offiziellen
Scheidungsantrag entgegennehmen. Das trifft ihn aber eher im Bereich
des Portemonnaies, denn er ist homosexuell und kann sich nichts
Schöneres vorstellen, als sich von Salvador Dalí Möbel bauen zu lassen –
und ihn dabei zu betrachten.
Aber damit sind wir noch immer nicht am Ende mit all den
Liebesopfern, die das Stück Die sieben Todsünden unter den Lebenden
gefordert hat: Auch Brecht kommt wieder ins Spiel – und damit erneut
Margarete Steffin, die inzwischen, nach ewigen Monaten des Liegens,
aus dem Lungensanatorium bei Lugano entlassen worden ist, um ihrem
vergötterten Freund Brecht bei den Proben hilfreich zur Seite zu stehen.
Als sie jedoch nach Wochen des Pariser Glücks von Brecht erfahren
muss, dass er dennoch keineswegs vorhabe, mit ihr eine gemeinsame
Wohnung zu beziehen, sondern weiterziehen werde nach Dänemark, zum
Sommerhaus von Karin Michaëlis in Thurø, wo Helene Weigel und seine
Kinder Unterschlupf gefunden haben, da bricht für sie eine Welt
zusammen. Nun überlegt (nach Helene Weigel im Frühjahr) auch
Margarete Steffin, sich für immer von ihm zu trennen. Sie schreibt »Stell
dir vor: es kommen alle Frauen« für Brecht, ein Sonett, in dem sie einen
Traum beschreibt, in dem sich alle Freundinnen Brechts gleichzeitig an
seinem Bett versammeln: »Die du einst zum Spaß erkoren / Treiben mit
dir bösen Spaß.« Sie kann noch nicht glauben, dass ihre Zeit an Brechts
Seite vorbei sein soll. Doch Brecht packt die Koffer und fährt zu seiner
Frau und den beiden Kindern nach Dänemark. Als er ankommt, hat
Helene Weigel ihm schon ein Arbeitszimmer eingerichtet, drei
Tischplatten, mit weitem Blick aufs Meer und großer Entfernung zu den
Kinderzimmern. Er will sie aus Dankbarkeit küssen, da erklärt sie ihm, er
dürfe nur einziehen, wenn er ab sofort und ein für alle Mal auf Affären
verzichte. Er schwört bei seiner Mutter. Und schreibt am selben Abend an
Margarete Steffin in Paris, er freue sich schon so sehr darauf, sie im
August in Paris wiederzusehen.

Seine »kaiserliche Hoheit«, also der ehemalige Wilhelm II., wie er vom
Personal noch ehrfürchtig genannt wird, ist im holländischen Exil wütend
auf seine zweite Frau Hermine, die weiter um die Nationalsozialisten
herumscharwenzelt. Eine große Probe für die späte Liebe des alten,
müden Monarchen: »Sie ist in einem Zustand, der ganz unerträglich ist!
Politisch meint sie es ja gut, es kann ihr nicht schnell genug gehen, dass
ich auf meinen Thron zurückkomme, aber auf ihrem Wege erreichen wir
es nicht. Sie läuft den Nazis nach und macht alle möglichen Dinge in
Berlin und von hier aus schriftlich, die eher schaden als nutzen. Ich
werde mich hüten, diesen Leuten nachzulaufen.« Stattdessen geht er
lieber in den Wald und hackt Holz. Weil im eigenen Bestand nach
zwölfjähriger Rodungsarbeit durch den abgedankten Kaiser kaum noch
Bäume stehen, ist er mit seiner Axt inzwischen auf die Wälder des
Nachbarn ausgewichen, eines Herrn Blijdenstein, der sehr dankbar ist,
kostenlos einen kompetenten, emsigen Forstgehilfen gefunden zu haben.

Als der amerikanische Jude Max Baer am 8. Juni 1933 in New York
gegen den deutschen Max Schmeling in den Boxring steigt, da näht er
sich vorher einen Davidstern an seine Hose. Er will damit gegen die
Machtergreifung der Nazis Flagge zeigen. Und er besiegt den eigentlich
überlegenen Schmeling durch technischen Knock-out in der zehnten
Runde. Schmeling hat keine Chance.
Im Grunde hat Schmeling großes Glück: Baer hatte kurz zuvor einen
Gegner mit einem Schlaghagel in der fünften Runde ebenfalls durch
technischen Knock-out besiegt. Und der war im Ring gestorben.
Als Max Schmeling am Morgen nach dem Kampf in seinem New
Yorker Hotel erwacht und sich aus geschwollenen Augen im Spiegel
betrachtet, überlegt er, für immer mit dem Boxen aufzuhören. Diese
Niederlage ist demütigend. Er beschließt, sofort in Berlin anzurufen. Er
sagt seiner Freundin, der Schauspielerin Anny Ondra, die in Alfred
Hitchcocks erstem Tonfilm mitgespielt hat, er habe sich entschieden, sie
dürfe nun beim Standesamt das Aufgebot bestellen. Sie sagt so etwas wie
»Wirklich, Max??«, dann wird die Verbindung unterbrochen. Die
eheliche Verbindung zwischen Max Schmeling und Anny Ondra aber
wird am 8. Juli tatsächlich geschlossen. Offenbar inspiriert von
Schmeling fährt Baer, der nicht nur für seine starke Rechte, sondern auch
für seinen Humor bekannt ist, nach dem Kampf direkt weiter nach
Hollywood und spielt dort sich selbst in dem Film The Boxer and the
Lady. Aber auch hier zieht Max Schmeling nach: Er spielt sich in dem
Boxerfilm Knockout ebenfalls selbst – und dreht den Film mit einer
attraktiven blonden Boxerbraut, die passenderweise seine eigene ist,
nämlich Anny Ondra.

Niemand weiß, wie sich Nelly Kröger, Heinrich Manns Freundin, und ihr
Freund Rudi Carius von Dänemark bis nach Südfrankreich
durchgeschlagen haben. Aber sie schaffen es. Bebend vor Glück
empfängt Heinrich Mann Nelly in seinem Hotelzimmer in Bandol.
Wieder sind sie vereint unter der tröstlichen Sonne des Südens. Zwar
nicht wie vor drei Jahren, als sie die erste Fassung des Blauen Engels
gesehen haben. Sondern weil hier die Jahre ihrer gemeinsamen
Emigration beginnen. Nelly greift nicht nur immer öfter zum Alkohol,
sondern auch zu Tabletten. Und dazwischen gerne auch zu Rudi Carius.
Heinrich Mann weiß schon in Berlin von ihm. Aber dass Nelly ihren
jugendlichen Liebhaber und vorwitzigen Kommunisten nun sogar ans
Mittelmeer mitgebracht hat, irritiert ihn doch. Es gibt eine Zeichnung aus
diesen Tagen vom 62-jährigen Heinrich Mann – er steht darauf,
angezogen und etwas verstört, im Türrahmen seines Hotelzimmers. Und
in seinem Bett liegt nackt seine Freundin Nelly Kröger mit dem 26-
jährigen Rudi Carius.

Während Bertolt Brecht bei Helene Weigel und den Kindern in


Dänemark ist, bleibt Margarete Steffin in Paris zurück. Sie schreibt ihm
sehnsüchtig und weise einen Brief: »Manchmal frage ich mich, wann
deine diversen Freunde einem anderen Mädchen erzählen werden, ›ja
und dann hatte er 1932/33 öfter ein Mädchen bei sich, die hieß Grete
Steffin, danach die …‹«.
Sie hat ja so recht. Aber Brecht schreibt ihr, er wisse gar nicht, was sie
wolle, seine Liebe für sie sei selbstverständlich unverbrüchlich. Dann
bringt er den Brief schnell zur Post, denn er bekommt Besuch. Seine
frühere Geliebte und engste Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann trifft in
Dänemark ein, im Gepäck hat sie unzählige Manuskripte Brechts, die sie,
zusammen mit einer geliebten Perlenkette von Helene Weigel, vor der
Hausdurchsuchung aus seiner Wohnung hat retten können. Brecht
beschwört sie, nicht noch einmal nach Berlin zurückzufahren, aber sie
lässt sich davon nicht abbringen (und wird festgenommen). Gut, dass da
eine neue Frau in sein Leben tritt: Ruth Berlau, eine dänische
Kommunistin, die berühmt geworden ist, weil sie mit dem Fahrrad bis
nach Moskau fuhr. Nun kommt sie zu Fuß zur Familie Brecht.

*
Im Juni also ziehen Thomas und Katia Mann mit ihren Kindern aus
Bandol in den kleinen Nachbarort Sanary-sur-Mer, wo ihre Kinder Klaus
und Erika schon im Mai gelandet sind und die Feuchtwangers ebenfalls.
Aber erst als das Nobelpreisträgerehepaar Mann dort, hoch über der
rauschenden Bucht, unter Pinien und Zypressen die Villa La Tranquille
bezieht, beginnen die drei vielleicht hellsten Monate der deutschen
Exilgeschichte. Ein paar hundert Meter weiter hat Aldous Huxley im Jahr
zuvor sein Buch über die Brave New World vollendet. Und dessen
jugendliche Freundin Sybille Bedford wiederum ist es, die für die Manns
diese Villa gefunden hat – und die ein funkelnder Fixstern dieser
Gesellschaft von Sanary bleibt, deren einzigartige Chronistin sie einmal
werden wird. Hier entsteht einen warmen Sommer lang die Illusion einer
wirklich Schönen neuen Welt.
Das Emigrantenleben in Sanary spielt sich im Freien ab, im
Wesentlichen an den Tischen der drei Cafés an der kleinen
Strandpromenade: dem Café du Lyon – der Bar der Einheimischen –,
dem La Marine und der Bar Chez Schwob. Dort treffen sich die großen
und die kleinen Exilanten aus Deutschland zum morgendlichen Café und
zum frühabendlichen Aperitif. Hier werden mit Gruseln Zeitungen aus
Deutschland gelesen, während die Frauen Fische am Hafen kaufen. Und
hier verabredet man sich für den Abend – in der traumhaften Villa der
Feuchtwangers direkt über den Klippen, zur Lesung bei Thomas Mann,
zum Sommerfest bei René Schickele, von dessen Haus auf der Höhe man
einen malerischen Blick auf die ganze Bucht und ihre Sonnenuntergänge
hat: »Der Hafen lächelte mit seinen hellen Booten, und auf das ›Heilige
Land‹ jenseits der Bucht sank der Abend und vertiefte das Felsengebirge
mit seinen Schatten«, so schreibt Schickele. Und sein Fazit: »Il faisait
bon vivre.« Der Duft der Mimosen liege im Frühsommer über Sanary
»wie ein Götterhauch«. Die deutschen Schriftsteller, Maler und
Philosophen sind über den ganzen Ort verstreut, mieten Häuser und
Wohnungen, nur Klaus und Erika Mann ziehen immer das Hôtel de La
Tour im Hafen vor – es bietet ihnen jene fünfzehn Minuten Fußweg
Sicherheitsabstand zu ihren Eltern in der Villa La Tranquille, die sie
dringend brauchen.
Die ist allerdings wirklich ein herrliches Haus, ganz am Ende des
langen Weges, der unten vom Hafen auf die Felsenspitze hinaufführt. Von
beiden Seiten bricht sich das Meer am Ufer, und Thomas Mann kann sich
aussuchen, auf welcher Seite er schwimmen gehen will. Und tatsächlich,
er macht es, jeden Tag, mit Katia und mit den Kindern Elisabeth und
Michael, vor dem Frühstück nehmen sie den Korb und steigen unten ins
warme Meer, trocknen sich wieder ab und steigen hinauf in ihren
Sommersitz. Und schon nach einer Woche beginnt der Hausherr, wieder
seinen Arbeitsrhythmus aufzunehmen – nach dem Baden setzt er sich an
seinen Schreibtisch und arbeitet weiter an seinem Roman Joseph und
seine Brüder. Am 13. Juli gibt es eine Lesung, der Abend ist lau und die
Zikaden entfalten ihren grotesken Lärm in den Kronen der Pinien, als
Thomas Mann zu lesen beginnt aus seinem neuen Manuskript. Seine
Stimme dringt kaum durch gegen den Sirenenton der Tiere. Auf der
Rückseite der Mann’schen Villa wird ein kleines Podest aufgebaut, dort
sitzt er auf einem Stuhl, hinter ihm seine Frau, und Erika, seine Tochter,
reicht ihm ehrfürchtig Blatt für Blatt. Im Garten lauscht ergriffen die
ganze deutsche Exilgemeinde samt Aldous Huxley und Frau. Und sein
Bruder Heinrich mit jener Nelly Kröger, die Thomas Mann in seinem
Tagebuch als »besonders ordinär« bezeichnet, aber es ist Familie, was
will man machen. Weil er sich für ihre gedankliche Schlichtheit schämt,
erklärt Heinrich seinem Bruder, das komme alles von dem Sturz auf den
Kopf kurz vor ihrer Flucht in Berlin. Vorher sei es ganz anders gewesen.
Der scheint es sogar zu glauben (oder er tut seinem Bruder den Gefallen).
Als sich Nelly Kröger zum fünften Mal von der Bowle nimmt und zu
torkeln beginnt, schlägt Heinrich Mann vor, doch langsam nach Hause zu
gehen.
Sieht man vom sich auf ewig verschriebenen Ehepaar Katia und
Thomas Mann ab, ist die Liebessituation in diesem schwülen Sommer in
Sanary vielschichtig – und sicher wissen wir noch längst nicht alles. Da
ist zuallererst Lion Feuchtwanger, der in seinem Schreiben wie in seinem
Sexualverkehr von einer ungeheuren Produktivität getrieben wird, wie
seine verstörenden Tagebücher belegen. Neben seiner Gattin Marta gibt
es seine Sekretärin Lola Sernau, die ihm aus Deutschland nachgereist ist
und mit der er ein intensives Verhältnis pflegt. Aber er unterhält auch
Affären mit Liesl Frank, der Gattin Bruno Franks, die gegenüber von
Thomas Mann wohnt, ebenso mit Sascha Marcuse, der Frau Ludwig
Marcuses. Später kommt noch Eva Herrmann dazu – und diverse junge
Damen aus Sanary und den umliegenden Dörfern.
Daneben gibt es den lesbischen Liebesreigen, in dem Sybille Bedford
eine Hauptrolle spielt, die mit ebenjener Eva Herrmann zusammenlebt,
dazu kommen Erika Mann, Annemarie Schwarzenbach und Aldous
Huxleys Ehefrau Maria. Auch Helen Hessel und die Berliner Ärztin
Charlotte Wolff kommen für den Sommer aus Paris hinüber nach Sanary.
Für die größten Skandale sorgt der amerikanische Reiseschriftsteller
William Seabrook, der in seiner riesigen Villa, direkt gegenüber den
Huxleys, seinen sadomasochistischen Neigungen nachgeht und dessen
Freundin dafür gefesselt von der Decke hängen muss (Golo Mann war
bei ihnen Logiergast und amüsiert). Und dann sind da noch die
Kurzzeitbesucher dieses Sommers: Heinrich Mann und Nelly Kröger,
Ernst Toller und Christiane Grautoff, Arnold Zweig mit Lily Offenstadt,
Bert Brecht und Margarete Steffin. Und so weiter und so weiter. Nur für
Klaus Mann ist niemand dabei. Darum fährt er am späten Abend immer
wieder, wie er seinem Tagebuch anvertraut, in die Hafenkneipen von
Toulon, auf der Suche nach einem schnittigen Matrosen. Schmerz eines
Sommers heißt seine Erzählung über diese Zeit in Sanary. Ja, alle spüren
diesen Schmerz. Diesen seltsamen Zustand, in einem Paradies gelandet
zu sein, in welches man vertrieben worden ist. Wenn die Gäste gegangen
und alle Kinder im Bett sind, dann setzt sich Thomas Mann in seinen
Korbstuhl auf der kleinen Terrasse und blickt in den Himmel. Die
Zikaden sind verstummt. Von unten hört man das letzte Brausen der
Gischt. Über ihm die Sterne. Thomas Mann kann einfach nicht begreifen,
was ihn, den Sohn Lübecks und den Ehrenbürger Münchens, an diesen
kleinen Ort am Mittelmeer getrieben hat. Die Worte Gottfried Benns an
seinen Sohn Klaus klingen ihm in den Ohren: »Meinen Sie, Geschichte
sei in französischen Badeorten besonders tätig?« Er schaut hinauf ins
Firmament und ist sich nicht so sicher. Am 25. August erfahren sie, dass
SA-Leute ihre Villa in der Poschingerstraße besetzt haben und alles
verwüstet ist. Sie wissen nun, dass sie definitiv eine neue Heimat
brauchen. Als Thomas und Katia Mann Sanary im September verlassen,
um sich dauerhaft in Zürich anzusiedeln, da endet bereits die schönste
Zeit dieses wärmsten, sonnigsten und kühnsten
Gemeinschaftsemigrationsprojektes der deutschen Literaturgeschichte.

Man kann es als Triumph sehen, wenn man den Nazis noch entkommen
ist. Oder als das Gegenteil: »Je mehr Emigranten ich kennenlerne, desto
besser begreife ich unsere Niederlage«, schreibt Golo Mann in sein
Tagebuch. Er fühlt sich in diesen Sommertagen sehr zu seinem Onkel
Heinrich hingezogen, denn der ertrage sein Schicksal »mit viel Würde«.
Dagegen stellt der Sohn die Haltung seines Vaters Thomas Mann – ihn
empfindet er »damenhaft in seinen Schmerzen, von aller Welt beleidigt«.

»Was für eine sonderbare Familie sind wir! Man wird später Bücher über
UNS – nicht nur über einzelne von uns – schreiben.« Was für weise
Worte von Klaus Mann – genauer gesagt: von Klaus Heinrich Thomas
Mann, denn sowohl der Name seines Vaters als auch der seines Onkels
blitzen ihm immer entgegen, wenn er in seinem Pass seine drei Vornamen
liest. Er trägt die Namen der beiden Heroen in seinem eigenen. Er ist ein
echter Mann. Es ist eigentlich ein Wunder, dass er diese drückende
Bedeutungslast überhaupt so lange aushält. Und dass er diese beiden, die
ihn so herausfordern in ihrem Ruhm und ihrer Schwerfälligkeit, dennoch
so leidenschaftlich lieben kann.

Am Abend des 16. Juni geht Viktor Arlosoroff mit seiner Frau Sima auf
der Strandpromenade in Tel Aviv spazieren. Es ist ein herrlicher
Frühsommertag gewesen. Vom Meer her weht immer noch ein leichter
pfirsichfarbener Wind, und von den Terrassen der Restaurants am Meer
dringen die Gespräche und das Klappern des Bestecks herüber durch die
Dämmerung. Plötzlich treten zwei Männer hinter einer wuchtigen Palme
hervor – einer leuchtet Arlosoroff mit einer Taschenlampe ins Gesicht,
der andere fragt harsch: »Sind Sie Dr. Arlosoroff?« Als er bejaht, eröffnet
einer der Männer aus einem Revolver das Feuer. Viktor Arlosoroff liegt
blutüberströmt auf dem Pflaster, wenig später stirbt er. Seine Frau Sima
schreit in wilder Verzweiflung, die beiden Männer flüchten unerkannt.
Arlosoroff ist zu jenem Zeitpunkt der inoffizielle Außenminister der
Jewish Agency, er vertritt die nach Palästina ausgewanderten Juden,
solange es den Staat Israel noch nicht gibt. Aber Arlosoroff hat auch eine
bedeutende Vergangenheit: Er ist viele Jahre lang der Geliebte von
Magda Quandt gewesen, die nun, als Ehefrau von Joseph Goebbels und
Vertraute Adolf Hitlers, so etwas wie die First Lady des Dritten Reiches
ist. Wir wissen nicht, ob es Joseph Goebbels war, der seinen Vorgänger
an diesem lauen Sommerabend in Tel Aviv ermorden lässt. Wir wissen
nur, dass es ihn wahnsinnig macht, dass seine Ehefrau einst diesen Juden
nicht nur geliebt hat, sondern sogar mit dem Gedanken gespielt hat, mit
ihm nach Palästina auszuwandern. Und wir wissen, dass Arlosoroff im
Auftrag von David Ben-Gurion im Mai 1933 in Berlin gewesen ist. Als er
in einem Schaufenster das rosenbekränzte Foto von Magda und Joseph
Goebbels sieht, versucht er, direkten Kontakt mit ihr aufzunehmen. Er
schreibt ihr einen Brief. Daraufhin erhält er in seinem Hotel eine
verschlüsselte Nachricht, in der Magda ihm mitteilen lässt, es sei für sie
zu gefährlich, mit ihm zu reden. Wenn ihm sein Leben lieb sei, solle er
sofort nach Palästina zurückkehren. Das tut er. Doch es scheint jemanden
zu geben, der es beruhigender findet, wenn es für die einstige jüdische
Leidenschaft von Magda Goebbels keine lebenden Zeugen mehr gibt.
Zwei Tage nach seiner Rückkehr wird Arlosoroff in Tel Aviv erschossen.

*
Josephine Baker, die Revuetänzerin mit dem großen Herzen und den
großen Augen, die sie so lange verdrehen kann, bis die Pupillen
verschwinden, ist 1933 die reichste Afroamerikanerin der Welt. Nach den
rassistischen Schmähungen auf ihrer Europatournee hat sie sich ganz auf
ihren Landsitz bei Paris zurückgezogen. Ihr Mann Pepito hat dafür
gesorgt, dass die riesige Villa Le Beau Chêne wie ein Tempel für seine
Frau wirkt. Im ersten und zweiten Stock hängen unzählige Fotografien
von Bakers Bühnenauftritten. Im Foyer stehen, warum auch immer,
zahllose Rüstungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Das Bett, in dem
Josephine Baker schläft und liebt, hat angeblich einmal Marie-Antoinette
gehört. Aber anders als ihre Vorgängerin wird sie darin zu ihrem großen
Kummer nicht schwanger. So bevölkert sie ihr Haus mit immer mehr
Getier: Es gibt Käfige für Papageien und für die drei Affen und kleine
Hundehäuschen für die inzwischen dreizehn Hunde aus aller Herren
Länder. Sie dürfen überall hin, nur nicht ins Badezimmer. Denn das ist
das Badezimmer einer Königin: komplett verspiegelt und mit einer
Badewanne aus Silber, die Wasserhähne sind tatsächlich golden, nur das
Wasser, das herausströmt, ist gewöhnlich. Wenn es warm ist, nimmt sie
ihr tägliches Bad draußen im Park, und zwar im riesigen Marmorpool, in
dem Seerosen dösen und Goldfische schwimmen. Josephine Baker hat
sich ihr kleines Paradies geschaffen. Sie weigert sich, Zeitungen zu lesen.
Sie will nicht aus ihren Träumen vertrieben werden.

Im Hause von Hermann und Ninon Hesse in Montagnola über dem


Luganer See ist wieder der Alltag eingezogen. Die Frühjahrsbesuche der
Exilanten sind vorüber, Thomas Mann, Brecht und all die anderen sind
für den Sommer nach Frankreich weitergezogen, weil sie sich nicht
dauerhaft in der Schweiz niederlassen können. Und so versinkt die Casa
Rossa wieder in ihrer Trägheit, die nur noch von den Putzroutinen
unterbrochen wird – und Hesse geht das zunehmend auf die Nerven. Es
ist ihm alles zu sauber und zu großbürgerlich. Ninon führt ein strenges
Regiment, täglich müssen alle Böden gewischt und gewienert werden,
gekocht wird nur strengste Diät mit exakt festgesetzten Essenszeiten.
Aber es sind auch die beiden einzigen Punkte, die Hesse in einem Brief
an Alfred Kubin lobend anführt, als er auf seine Frau zu sprechen kommt:
»Ich bin dieser Frau dafür dankbar, dass sie mich an der Grenze des
Alters noch einmal in Versuchung geführt und zu Fall gebracht hat, dass
sie mein Haus führt und mich mit leichten, bekömmlichen Sachen
füttert.« Nach tiefer Liebe klingt das nicht. Sie könnte seine Tochter sein,
benimmt sich aber so, als wäre sie seine Mutter. Als ihn Elisabeth Gerdts-
Rupp, eine Jugendliebe, in Montagnola besucht, ist sie entsetzt: »Das
Schlimmste ist vor allem, dass ich das, was mir seine Freunde
vorausgesagt hatten, bestätigt fand, nämlich, dass die Verbindung mit
Ninon sich je länger, je mehr als ein fürchterlicher Missgriff erweist.«
Das Problem: Nicht nur Hesse scheint unglücklich, Ninon geht es
genauso. Sie führt zwar ihr strenges Regiment, ist davon aber
überfordert. Hesse schreibt ihr: »Deine Zustände von Traurigkeit und
Unlust, deine oft fanatische Hingabe an die Sorge um die Stubenböden
und ums Essen sind mir oft ein Rätsel gewesen.« Ja, manchmal ist sich
Ninon auch selbst ein Rätsel. Als sie hört, dass ihr Ex-Mann wieder
geheiratet hat, fragt sie sich: War es richtig, Hesse in diese Ehe zu
drängen? War es richtig, für das Führen dieses Hauses ihre eigene
Dissertation aufzugeben und ihre Träume von Kindern? Hesse flüchtet
jeden Tag für Stunden in den Garten und jätet Unkraut, und er fährt zwei-
oder dreimal pro Jahr zur Kur nach Baden. Ninon fährt, wie schon bei der
Hochzeitsreise, allein nach Italien. Aber irgendwie halten diese beiden
weiter durch.

Die frisch Verheirateten, Kurt und Helen Wolff, wollen sich nach ihrer
Flucht aus Berlin eigentlich im Tessin niederlassen, in der Nähe von
Hermann Hesse. Aber sie fühlen sich dort nicht willkommen, abgestoßen
gar, und so ziehen sie wieder nach Südfrankreich, in jenes herrliche
kleine Cabanon, das Helene seit zwei Sommern gemietet hat. Dort also,
wo sie ihre Liebe in aller Freiheit entdeckt haben, finden sie sich nun, im
Sommer 1933, als Exilanten wieder. Einmal kommen Katia und Thomas
Mann aus Sanary zu Besuch – und der schildert das auf seine Weise:
»Tee bei Wolff und seinen Damen im Garten seiner primitiven
Häuslichkeit, dem Altenteil eines Bauern.« So kann man das sehen, aus
der Grand-Hotel-Perspektive. Aber für die Gastgeber bleibt das kleine
Häuschen der Ausnahmeort, kein Altenteil, sondern ein Jungbrunnen. Für
Helen Wolff wiederum ist es der Glücksort, als den sie ihn in ihrem
Roman Hintergrund für Liebe verewigt hat. Sie wird schwanger in diesen
Junitagen, und dieses Glück erfüllt sie und auch Kurt Wolff trotz all der
bedrängenden Gegenwart um sie herum mit zaghaft hoffnungsvollen
Gedanken an die Zukunft.

Die Liebesgeschichte von Anaïs Nin und Henry Miller ist längst
Legende, durch ihre Intimen Tagebücher und durch Millers Stille Tage in
Clichy. Doch leider wird ihre Amour fou im Sommer des Jahres 1933
unterbrochen, weil ein anderer Mann ins Leben von Anaïs Nin
zurückgekehrt ist: ihr Vater. Sie hat all ihren Therapeuten und all ihren
Liebhabern immer erzählt, wie sehr sie täglich darunter leide, dass ihr
Vater, der stolze Musiker Joaquín, einst ihre Mutter und sie verlassen
hatte. Und im Juni 1933 nun bietet sich die Chance, diese ewig klaffende
Wunde zu schließen. Sie, gerade dreißig Jahre alt geworden, fährt zu
ihrem 54-jährigen Vater nach Valescure, der dort ohne seine neue Ehefrau
den Sommerurlaub verbringen will. Zum Auftakt erzählt Joaquín Nin
seiner Tochter, wie wild und leidenschaftlich einst seine erste Frau, also
ihre Mutter, gewesen ist. Daraufhin schildert Anaïs ihrem Vater, wie sie
Männer zu verführen pflegt. Das imponiert ihm und er sagt ihr, er mache
es eigentlich genauso. Und dann fängt er auch gleich damit an. Er sagt zu
seiner Tochter: »Du bist die Synthese aller Frauen, die ich je geliebt
habe.« Daraufhin erlaubt sie ihm, ihren Fuß zu streicheln. Er erzählt ihr,
er habe geträumt, dass sie ihn geküsst habe »wie eine Geliebte«.
Nach einem weiteren Tag sagt er zu ihr: »Meine Gefühle für dich sind
nicht die eines Vaters.« Daraufhin Anaïs Nin: »Meine Gefühle für dich
sind nicht die einer Tochter.« Am 23. Juni 1933 haben sie das erste Mal
Sex miteinander. Dies sei nun für alle Zeiten der Tag ihrer Hochzeit, sagt
ihr Vater.
Anaïs Nin beginnt ein neues Tagebuch, sie nennt es Inzest. Darin
stehen all diese Zitate. Sehr viele sexuelle Details. Und dann, was ihr
größtes Glück ist: Dass es ihr gelungen ist, die Geschichte umzudrehen.
Endlich hat nicht mehr sie, sondern ihr Vater Angst davor, dass sie ihn
verlässt.
Sie kehrt nach zwei Wochen nach Paris zurück, voller Hormone und
mit vollen Tagebüchern, aber ohne Schuldgefühle. Ihr Mann Hugo freut
sich, dass sie so rosige Wangen hat, und schreibt: »Anaïs ist strahlend
zurückgekommen, denn sie hat ihren Vater wiedergefunden. Sie hat
schon immer von ihrem Vater geträumt.« Ihr Mann erstellt ein Horoskop
von Anaïs Nin und ihrem Vater, aber er kann es nicht richtig deuten, das
kann nur seine Frau. Sie erkennt: »Vaters Mond steht in meiner Sonne,
die stärkste Anziehung, die es gibt zwischen Mann und Frau. Als Hugo
mir das zeigte, schwand mein letzter Funke Schuldgefühl.«

Dora Benjamin, frisch geschieden von Walter Benjamin, kann mit ihrem
Sohn Stefan aus Berlin fliehen. Sie gründen in Sanremo eine kleine
Pension, die Villa Verde. Walter Benjamin verarmt währenddessen auf
Ibiza, das Geld ist ihm endgültig ausgegangen und die Honorare der
Rezensionen erreichen ihn nicht. Er sieht immer verlotterter aus, streift
durch San Antonio und liest, um sich abzulenken, einen Simenon-Krimi
nach dem anderen. Er zerstreitet sich mit den Noeggeraths und zieht um
in einen halbfertigen Neubau ohne Fenster und Licht. Unruhig wandert er
den ganzen Tag umher, legt sich nachts auf den Boden und schläft auf
einer einfachen Decke, wäscht sich im Meer. Im Dorf bekommt er den
Spitznamen »el miserable«, also »der Elende«. Benjamin entwirft seinen
Essay Erfahrung und Armut; Benjamin schreibt an seinen Freund
Gershom Scholem, dass er sehr ernsthaft überlege, nach Palästina
auszuwandern.

*
Pablo Picasso malt das ganze Jahr hindurch immer wieder sein
Lieblingsmodell, seine Muse Marie-Thérèse Walter. Seine Frau Olga
malt er nicht mehr. Als er mit ihr und dem gemeinsamen Sohn seine
Familie in Barcelona besucht, schreibt Picasso gleich am ersten Tag nach
Paris: »Meine angebetete Geliebte, ich komme zurück, bald werde ich
wieder in Paris sein, ich bin so glücklich, meine Liebe zu sehen, auf ewig
der Deine, P.«

Céline, in Frankreich gefeiert wegen seines Buches Reise ans Ende der
Nacht, schreibt seiner deutschen Freundin Erika am 27. Juni nach Berlin:
»Nachdem die Juden aus Deutschland gejagt worden sind, muss es dort
einige Stellen für die anderen Intellektuellen geben! Heil Hitler!
Profitieren Sie davon.« An seine jüdische Freundin, die
Gymnastiklehrerin Cillie Pam, mit der er im September zwei
leidenschaftliche Wochen erlebt hat, schreibt er wenig später: »Die Juden
sind etwas bedroht, aber nur sehr wenig, und ich glaube nicht, dass es
jemals ernst werden wird.« Es gäbe viel Wichtigeres: »Wie geht es
Ihnen? Machen Sie Kinder oder Revolution? Und was macht ihr alle mit
eurer Libido?«

Am 29. Juni haben Victor und Eva Klemperer Hochzeitstag. Er schreibt


in sein Tagebuch: »Unter den neunundzwanzig 29. Junis unserer
Gemeinsamkeit ist dieser im Grunde der trostloseste; aber wir haben uns
ziemlich erfolgreich bemüht, ihn mit Fassung zu durchleben.« Er notiert
sich, welche neuen Wörter er in sein »Lexikon« der Nazis aufnehmen
will, das ihn unter dem Namen LTI einmal berühmt machen wird:
»Schutzhaft« und »gleichschalten«. Seine einzige Hoffnung, neben dem
Kino: seine beiden Katzen, die ihm beruhigend um die Beine streichen,
wenn er seine verzweifelten Zeilen ins Tagebuch einträgt.

1933 ist für Meret Oppenheim das Jahr, in dem sie Kunstgeschichte
schreibt: Sie wird zur Muse von zwei großen Künstlern – doch zuerst
kaut sie einem anderen das Ohr ab. Nein, eigentlich zeichnet sie sein Ohr,
immer und immer wieder. Sie macht Skulpturen daraus. Und zwar, weil
sie sein Herz nicht erweichen kann. Also ist Meret Oppenheim auf einen
anderen Körperteil von Alberto Giacometti ausgewichen. Er erwidert ihre
brennende Liebe nicht und stellt sie stattdessen Man Ray vor, der sich
noch immer im Liebeskummer um Lee Miller suhlt, die nach New York
zurückgekehrt ist. Er überredet Meret Oppenheim, ihm an einer alten
Druckerpresse nackt Modell zu stehen. Für das Foto bemalt er ihren
Oberkörper mit schwarzer Farbe. Als er es innerhalb seines Zyklus
Érotique Voilée in der surrealistischen Zeitschrift Minotaure
veröffentlicht, ist Meret Oppenheim über Nacht berühmt. Wenig später
trifft sie den Surrealisten Max Ernst und verliebt sich auf der Stelle in
ihn. Sie ist zwanzig Jahre jung, er gerade 42 geworden, und er lebt mit
seiner zweiten Frau Marie-Berthe Aurenche zusammen, die argwöhnisch
über ihn wacht. Max Ernst aber entbrennt in wilder Liebe zu Meret
Oppenheim. Er schreibt: »Liebes Meretli, ich kann dir sagen, ganz
unsurrealistisch und unplatonisch, dass ich kaum lebe, seitdem du
plötzlich weg bist.« Am nächsten Tag dann: »Sag mir, dass du mich
liebst« und »du bist schön, sehr sehr schön in meinem Gedächtnis.« Es
wird, man ahnt es, ein ziemlich glücklicher Herbst für diese beiden
Liebenden in Paris, ganz unsurrealistisch.

Immer wieder fährt Gussie Adenauer mit dem Zug aus Köln nach
Andernach und dann mit dem Postbus weiter nach Maria Laach. Im Juli
bleibt der zehnjährige Sohn Paul ein paar Wochen bei Adenauer im
Kloster. Es hilft ihm, wenn ihn jemand ablenkt von seiner Verzweiflung.
In seinen Briefen nennt er Maria Laach den Ort seiner »Verbannung« und
einmal sogar: »mein Exil«.

Nach der Trauung in der Dorfkirche in Storkow feiern der


Boxweltmeister Max Schmeling und seine Frau Anny Ondra am 8. Juli
ihre Hochzeit im dortigen Hotel Esplanade. Alle Gäste sind gebeten
worden, Badekleidung mitzubringen, vor dem Abendessen geht es in den
Pool. Anschließend verbringt das junge Ehepaar seine Flitterwochen in
Heiligendamm.

So wie seinerzeit August Varnhagen keinen Zugang zu den seelischen


und geistigen Reichtümern seiner Frau Rahel Varnhagen von Ense hatte,
hat auch Günther Stern kein Sensorium für die Kontinente im Innern
seiner Frau Hannah Arendt, die gerade an ihrem Buch über Rahel
arbeitet. Als sie über deren Distanz zu ihrem Ehemann schreibt, braucht
sie wenig Einfühlungsvermögen, da reichen ihre eigenen Erfahrungen:
»Je mehr Varnhagen versteht, desto mehr ist Rahel gezwungen, ihm zu
verschweigen. Sie verheimlicht ihm nichts Bestimmtes, nur die
unheimliche Unbestimmtheit der Nächte, das verwirrende Zwielicht des
Tages.« Arendt kann sich ihrem Ehemann nie so offenbaren wie zehn
Jahre zuvor Martin Heidegger, ihrem Lehrer und Geliebten. Im schönsten
Freud’schen Sinne scheitert die Ehe aber schließlich an Zigarren. Eine
Kiste voll dunkler Havannas, ein Geschenk von Arendts Freund Kurt
Blumenfeld, erzürnt Günther Stern: Erstens, so regt er sich auf, seien
Zigarren nur etwas für Männer und zweitens stänken sie. Seelenruhig
steckt sich Hannah Arendt eine Havanna an, wedelt das Streichholz aus
und pustet den schweren Rauch hinauf in die höchsten Höhen ihrer
Berliner Altbauwohnung in der Opitzstraße. Obwohl sie es ist, die Hitlers
Aufstieg seit Jahren prophezeit hat und über eine Emigration nachdenkt,
und obwohl sie es ist, der in ihrer Ehe mit Günther Stern die Luft zum
Atmen fehlt, ist es am Ende er, der als Erster ausbricht und nach Paris
emigriert. Er gehört den linken Zirkeln um Bertolt Brecht an und hat
Sorge, dass den Nazis dessen Adressbuch als Grundlage für eine
politische Verhaftungswelle dienen könnte. Hannah Arendt flieht erst
später, sie unterstützt noch die Zionisten in Berlin bei der Dokumentation
des alltäglichen Antisemitismus, »denn wenn man als Jude angegriffen
wird, muss man sich als Jude verteidigen«. Doch als sie nach einer
achttägigen Verhaftung nur durch das Wohlwollen eines unerfahrenen
Polizisten wieder freikommt, will sie ihr Glück kein zweites Mal
herausfordern. Sie ist entsetzt, dass sich auch das intellektuelle Milieu in
Berlin gleichschalten lässt – und sogar ihre Freunde. Sie traut ihren
Ohren nicht, als sie hört, dass Martin Heidegger in seiner Freiburger
Rektoratsrede »die Größe, die Ehrenhaftigkeit dieses nationalen
Erwachens« gefeiert hat. Gemeinsam mit ihrer Mutter Martha fährt sie
nach Dresden, dann weiter ins Erzgebirge bis zur letzten Station, ganz
nah an der tschechoslowakischen Grenze. Sie weiß um eine deutsche
Sympathisantenfamilie, deren Haus genau auf der Grenze steht – dort
gehen sie morgens hinein. Und nachts, im Schutz der Dunkelheit, ohne
dass es die Grenzpatrouillen sehen können, laufen sie aus dem Haus
hinaus in die tschechoslowakische Freiheit. Hannah Arendt hat ihrer
Muttersprache, der deutschen Philosophie und Dichtung immer treu
bleiben wollen – aber sie weiß, dass sie dafür Deutschland verlassen
muss. Über Genf kommt sie nach Paris, immer im Einsatz für die
jüdische Sache, sie schreibt Reden, sie hilft Flüchtlingen nach Palästina
auszuwandern. Hannah Arendt trifft in Paris ihren Ehemann Günther
Stern wieder, sie leben sogar zusammen, doch sie wissen, dass ihre Ehe
am Ende ist, nicht einmal der Druck der Emigration schweißt sie mehr
zusammen. Doch Hannah heißt offiziell noch Hannah Stern. Und sie hat
für ihren Mann sein wichtigstes Gut aus Berlin herausgeschmuggelt: das
Manuskript seines tausendseitigen Romans Die molussische Katakombe,
das erst von der Gestapo in Sterns Verlag konfisziert, dann von Bertolt
Brecht versteckt worden war, und welches Hannah Arendt schließlich, in
eine schmutzige Decke in ihrem Koffer gewickelt, über Prag und Genf
bis nach Paris transportiert hat. Selten sieht Arendt ihren Mann so
dankbar wie in dem Moment, als sie den Koffer öffnet und ihm sein
Manuskript überreicht. Er freut sich darüber fast ein bisschen mehr als
über die Botin selbst. Die beginnt nun in Paris auf eigenen Beinen zu
stehen, nimmt Hebräischunterricht, da sie, wie sie sagt, »ihr Volk
kennenlernen will«, und bekommt eine Stelle in einem jüdischen
Hilfswerk, der Organisation »Agriculture et Artisanat«.
Vor allem aber schreibt sie. Langsam wird Hannah Stern wieder ganz
zu Hannah Arendt. Vor ihrer Emigration hatte sie alle Manuskripte,
Exzerpte und Notizbücher zu ihrer Rahel-Studie hastig in ihren Koffer
geworfen und das alles zwischen der Wäsche glücklich über die Grenze
gerettet. Wenn sie sich nun in Paris hineindenkt in das Leben der großen
jüdischen Salondame und noch größeren Briefeschreiberin, dann hat sie
immer auch ihr eigenes Schicksal vor Augen, das Scheitern der
Assimilation, die Rahel in den 1810er und 1820er Jahren noch wie eine
mögliche Utopie erschienen war. Doch in ihrer Lebensbeschreibung
dieser Frau voll Esprit und Herz gelingt es Arendt, die historische Figur
zu einer Zeitgenossin zu machen – auch weil sie sich so genau in deren
Liebesstimmungen hineinzuversetzen versteht. Bei Rahel geht es viel um
Schmerz und das Verlassenwerden, und man spürt, wie Hannah Arendt
dabei auch das Ende ihrer Beziehung mit Martin Heidegger verarbeitet
und im Beschreiben der Ödnisse der Ehe die ihrigen mit Günther Stern.
Great minds feel alike.

Käthe von Porada wird von ihrem Pariser Freundeskreis nach Berlin
geschickt, um dort herauszufinden, was in Gottfried Benn gefahren ist.
Warum er, dieser Mann des Geistes und der Zwischentöne, den neuen
brutalen Machthabern das Wort redet. Käthe von Porada soll Benn also
sagen, wie entsetzt die Deutschen im Ausland von ihm sind, wie
enttäuscht. Doch sie erfüllt ihren Auftrag nicht. Sie verliebt sich
dummerweise in den Mann, den sie verhören soll. Zum ersten Mal treffen
sie sich Anfang Juli in Benns Praxiswohnung, gleich nach seiner
Sprechstunde. Zunächst geht es darum, Benn mit Max Beckmann, Käthes
Freund und Geliebtem, zusammenzubringen. Der Dichter und der Maler,
die sich in ihrer Physiognomie ebenso ähneln wie in ihrem Hang zur
Antike und zum großen Ganzen, sind sich in Berlin zuvor noch nie
begegnet. Doch auch diesen Auftrag kann Käthe von Porada nicht
erfüllen. Benn und Beckmann schieben den Termin immer und immer
wieder auf, am Ende sagt Benn kurz vorher ab, er habe leider Schnupfen.
Käthe von Poradas Fazit: »Ich habe nie wieder versucht, Heroen einander
zuzuführen.«
Zwischen Gottfried Benn und Käthe von Porada selbst läuft es sehr
viel geschmeidiger. Sie ist adrett, fünf Jahre jünger als er, gebildet und
geschieden – und Benn ist, trotz seiner Arztpraxis und trotz der Affären
mit Tilly Wedekind und Elinor Büller, abends immer noch nicht
ausgelastet. Benn und Käthe gehen nach dem zweiten Treffen zusammen
ins Kino. Danach schreibt Benn ihr, er wisse gar nicht mehr, um was es
in dem Film gegangen sei: »Sonst weiß ich alles von dem reizenden
Geschöpf, das ich so verehre und von dem ich sicher bin, dass es die
zarteste und kultivierteste Lady ist am Tyrrhenischen Meer. Und der ich
mich zu Füßen lege als ihr treuer Bernhardiner G.B.« Die zarte und
kultivierte Lady bleibt zwei Wochen in Berlin, und sie beginnen eine
Affäre. Er bittet sie dringend, den Freunden, die sie aus Paris geschickt
haben, um zu sehen, ob Gottfried Benn noch ganz bei Trost sei, nichts zu
sagen: »Wollen Sie bitte ganz allgemein niemanden aufklären über mich?
Mir liegt so absolut nichts dran. Lassen Sie mich Ihre private Beziehung
sein.«
Benn widmet seiner privaten Beziehung das Gedicht »Durch jede
Stunde«: »Durch jedes Wort / blutet die Wunde / der Schöpfung fort« –
»Gedicht für Kati – 14.8.33«. Am selben Tag erreicht Benn in seinem
Briefkasten nun wiederum der Gruß einer anderen Frau – von Tilly
Wedekind, Witwe des Dramatikers und eine seiner beiden aktuellen
Geliebten. Sie schreibt: »Ich liebe dich, Benn! Mit Kopf und Herz, mit
Leib und Seele, mit meinem ganzen Sein – bin ich dein! Tilly«.
Und damit er es auch glaubt, steht sie am nächsten Tag, es ist
Samstag, mit ihrem Opel in der Belle-Alliance-Straße vor der Nummer
12, hupt – und Benn kommt herunter. Dann fahren sie raus an einen See,
an den Schwielowsee oder den Teupitzer See, baden, liegen in der Sonne,
essen ein Eis.
Und Käthe von Porada? Die hat das Problem, dass sie gleich nach
ihrer Rückkehr in Paris ausgerechnet auf Klaus Mann trifft, jenen
aufrechtesten Kämpfer und lautesten Ankläger gegen die Benn’schen
Verirrungen des Frühjahrs 1933, der sie zum Essen ausführt. Sie muss
sich den ganzen Abend auf die Zunge beißen, um sich nicht zu verraten.
Käthe kann sich inzwischen selbst kaum noch erklären, wieso sie, statt in
Berlin ihren Auftrag zu erfüllen, mit dem Angeklagten das Bett geteilt
hat.

In Paris muss sich Tamara de Lempicka der Avancen des steinreichen


Barons Raoul Kuffner erwehren. Sie hat ihn ja vor kurzem in einem
besonders teuflischen Unterfangen seiner Mätresse ausgespannt, indem
sie diese besonders hässlich und verzerrt gemalt hat. Seitdem ist der
Auftraggeber in sie verliebt, noch mehr, seit sie ihn selbst besonders
vorteilhaft, männlich und schneidig gemalt hat – gerade so, als seien
seine Haare nicht viel dünner und seine Züge nicht viel weichlicher.
Malerei ist auch ein Medium der Manipulation. Im Sommer 1933 nun
schreibt der Witwer an seine gelegentliche Geliebte Tamara de Lempicka,
er wolle sie gerne heiraten, da die Trauerzeit für seine Gattin, die im Jahr
zuvor gestorben ist, nun endet. Doch die antwortet ihm: »Bitte drängen
Sie mich nicht, ich habe im Moment keine Zeit zum Heiraten. Ich muss
malen.« Vielleicht, so ergänzt Tamara de Lempicka, wäre ja 1934 ein
Zeitfenster für eine Hochzeit bei ihr frei.

Walter Benjamin, verarmt und verängstigt, haust in seinem halbfertigen


Neubau auf Ibiza. Seine Tage bestehen aus Grübeln und Schreiben und
Grübeln. Vor der Sonne flieht er nur noch, sie scheint ihm plötzlich so
unbarmherzig wie sein ganzes Schicksal. Doch da sieht er eines Morgens,
dass zwei Häuser weiter eine unbekannte Holländerin eingezogen ist. Sie
hat einen Namen, der länger ist als ihre Haare: Anna Maria Blaupot ten
Cate. Sie ist dreißig, Malerin, noch im Mai hat sie in Berlin die
Bücherverbrennung erlebt, nun ist sie über Italien nach Ibiza gekommen.
Und sie ist hier, weil sie sich – ganz anders als Walter Benjamin – ein
befreites Bohemeleben unter praller Sonne erträumt hat. Es kommt, wie
es kommen muss: Wieder einmal verliebt sich Walter Benjamin Hals
über Kopf in die falsche Frau. Es gibt keinen einzigen Brief von ihm im
August 1933, keine einzige Rezension. Es gibt nur Anna Maria Blaupot
ten Cate. Sie gehen durch die Pinienwälder, sie sitzen unter
Feigenbäumen, sie baden im lauwarmen ewigblauen Meer, sie fahren mit
den Langustenfischern auf kleinen Booten hinaus in die Nacht, sie reden,
sie schweigen, sie lieben sich. Er sagt ihr: »Du bist, was ich in einer Frau
je habe lieben können.« Am 13. August schenkt Walter Benjamin seiner
Liebsten einen ganzen Text: Agesilaus Santander. Am Anfang stehen die
Worte: »Als ich geboren wurde«. Er endet mit der schicksalhaften
Begegnung mit Anna Maria, zu der ihn der Engel geführt habe, um ihn zu
belohnen für seine Geduld und sein langes Warten: »So fuhr ich, kaum
dass ich zum ersten Mal dich gesehen hatte, mit dir dahin zurück, woher
ich kam.« Der Troubadour Benjamin hat eine neue Geliebte gefunden.
Sie wird für ihn zu seinem »neuen Engel«. Er schreibt im September an
seinen Freund Gershom Scholem und bittet ihn um sein Gedicht auf Paul
Klees Angelus Novus, das in Benjamins Berliner Wohnung hängt, denn:
»Ich habe hier eine Frau kennengelernt, die sein weibliches Gegenstück
ist.« So wird Anna Maria Blaupot ten Cate im August 1933 auf Ibiza für
Benjamin zur Verkörperung des »Engels der Geschichte«. Er schreibt ein
Gedicht für seine Angebetete: »wie war dem ersten mann das erste weib /
so standest du vor mir und überall / trifft dich nun meiner bitte widerhall /
der tausend zungen hat. Sie lautet: bleib«.
Aber: Sie bleibt nicht. Vielleicht wird es ihr einfach zu viel. Wie es
sich für einen Engel gehört, entschwebt Anna Maria auf jeden Fall im
September erst der Insel und dann auch Benjamins Leben. Der wird nach
ihrer Abreise von schweren Fieberanfällen gepackt. Als er über
Barcelona nach Paris zurückkehrt, wird bei ihm Malaria diagnostiziert.

Im September fährt Bertolt Brecht von Dänemark nach Paris – und von
dort, gemeinsam mit Margarete Steffin, weiter nach Sanary-sur-Mer, um
Lion und Marta Feuchtwanger zu besuchen. Marta kommt ins
Krankenhaus, weil sie vergessen hat, die Handbremse anzuziehen und ihr
rollender Wagen sie an der steilen Klippe überrollt. Brecht aber erlebt
fünf Wochen lang einen Liebesrausch mit Margarete und schreibt dann,
wenn sie schläft, an Helene in Thurø: »Hier am Mittelmeer ist es
langweilig.«

Kurt Tucholsky verbringt das Jahr 1933 in der Schweiz. Er lebt mit der
Ärztin Hedwig Müller im Tessin und in Zürich in der Florhofgasse 1. Im
März ist in Deutschland die Weltbühne eingestellt worden, im Mai haben
seine Bücher gebrannt, im Juni hat man ihn ausgebürgert. Kurt Tucholsky
ist ein unglücklicher Mann, der verrückt wird über der Unmöglichkeit,
seine Gedanken zu publizieren. Und vor allem über das, was in seiner
Heimat geschieht. Er schreibt an Walter Hasenclever nach Südfrankreich:
»Dass unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche
ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher: werde ich erst mal das Maul
halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.«
Außerdem kann Tucholsky überhaupt nicht mehr pfeifen, selbst wenn
er es wollte – seine Nebenhöhlen sind so vereitert, dass er sich in Zürich
mehreren Operationen unterziehen muss. Besser geht es ihm danach
dennoch nicht. Er leidet wie ein Hund. Sein Freund Carl von Ossietzky
wird in einem KZ gefangen gehalten. Alle wesentlichen Weggefährten
sind nach Paris emigriert. Die Sängerinnen, für die er seine Lieder
geschrieben hat, dürfen nicht mehr singen und die Zeitungen, für die er
so gerne seine Texte geschrieben hat, dürfen ihn nicht mehr drucken. So
schreibt er Briefe. Jeden Tag. Dutzende. Noch immer voller Witz. Aber er
wird immer dunkler. Es ist, als zögen sich von Monat zu Monat die
Wolken in seinem Innern weiter zu. Auch, weil er sich von der Frau
scheiden lassen muss, die er wirklich liebt: Mary. Er weiß, er muss sie
schützen, sie darf nicht mit einem ausgebürgerten Pazifisten und
linksgerichteten jüdischen Publizisten verheiratet sein, das könnte auch
ihr Todesurteil bedeuten. Am 21. August wird die Ehe rechtskräftig
geschieden. Wie hatte er in Rheinsberg gedichtet: »Es gibt keine Schuld.
Es gibt nur den Ablauf der Zeit. Solche Straßen schneiden sich in der
Unendlichkeit. Jedes trägt den andern mit sich herum. Etwas bleibt
immer zurück«. Schon Lisa Matthias, seine Geliebte aus Schloß
Gripsholm, ahnte, dass er nie ganz von Mary würde lassen können: »Du
willst gar nicht Madame ihre Freiheit gönnen. Wenn du weg bist, selbst
wenn du bei mir bist, dann bist du unruhig über ›was sie wohl treibt‹.
Also liebst du sie noch – folgere ich.« Sie hat sehr richtig gefolgert. Nach
der Scheidung bricht Tucholsky aus der Schweiz wieder in Richtung
Schweden auf.

Am 18. September überkommt Klaus Mann in seinem Luxushotel in


Zürich ein ungewöhnliches Bedürfnis: »Lust, ein Liebesgedicht zu
schreiben. Sehr pathetisch. Verzweifelte Zärtlichkeit – inmitten der
Katastrophe.« Er setzt sich hin. Schlägt sein Notizbuch auf. Spitzt den
Bleistift. Aber es fällt ihm leider nichts ein.

Am 18. September wird offiziell die Scheidung zwischen Lotte Lenya


und Kurt Weill vollzogen. Kleines Problem: Ihre Affäre mit Otto Pasetti,
die eigentlich der Scheidungsgrund ist, neigt sich längst dem Ende zu.
Und Kurt Weill hat mit Erika Neher eigentlich nur angebandelt, weil er
nicht ewig auf Lotte Lenya warten wollte. Diese Scheidung ist also eine
Liebesscheidung. Lotte Lenya wird ein Leben lang bereuen, den Antrag
eingereicht zu haben.

Else Lasker-Schüler ist in Zürich im Augustinerhof-Hospiz


untergekommen, billiger geht es nicht, sie lebt von der Hand in den
Mund. Versucht, ihre Gedichte und Zeichnungen zu verkaufen, versucht,
Kontakte zur Politik zu knüpfen und zu den jüdischen Verbänden. Am
19. September trifft sie Erika und Klaus Mann, die mit ihr ins Kino
gehen, eine seltene Freude. Klaus Mann notiert in sein Tagebuch:
»Lasker-Schüler (gedankenflüchtig und verzweifelt) zeigt hübsche
Indianerbildchen, die sie verfertigt, um sich zu beruhigen.« Sie sitzt
tagelang in ihrem winzigen Zimmerchen im Augustinerhof, wenn es zu
kalt wird, zieht sie weiter an die große Heizung im ersten Stock und
dämmert dort stundenlang vor sich hin, manchmal, so sagt sie, »empfinde
ich die Genügsamkeit wie ein Nirwana«. Doch man kann kein Licht
entdecken, solange man die Dunkelheit analysiert.

Im September kehrt Marlene Dietrich nach Hollywood zurück. Es ist ihr


irgendwann doch zu langweilig geworden in Europa – oder zu
anstrengend: Mit der eigenen Mutter, der Tochter, dem Ehemann und
dessen Geliebter sowie der Ehefrau des eigenen Geliebten in derselben
Stadt, dazu die ganzen Emigranten aus Berlin, die zu ihr strömen, weil
sie von ihrer Großzügigkeit wissen und auf Spenden hoffen, all das unter
den Augen der Weltpresse – das geht selbst über Marlene Dietrichs
Kräfte. Zum Glück beginnen also im September die Dreharbeiten für
ihren nächsten Film in Hollywood. Sie soll Katharina die Große spielen –
Josef von Sternberg will seine Muse und Geliebte in die mächtigste Frau
verwandeln, die die Geschichte der Menschheit bislang gekannt hat. Und
dafür erscheint ihm allein seine Marlene Dietrich genau richtig. Seine
Marlene Dietrich? Ja, sein Verhältnis zu ihr hat sich inzwischen von
Bewunderung in Liebe und schließlich in Besessenheit verwandelt. Als
sie in Hollywood eintrifft, redet er sie nur noch mit »Geliebte Göttin« an,
schenkt ihr nicht nur eine neue, noch prachtvollere Villa, sondern auch
einen noch eleganteren Rolls-Royce. Und dazu ein Zigarettenetui, das
außen mit Brillanten und Diamanten und purem Gold besetzt ist. Und das
Marlene jedes Mal, wenn sie ihm eine Zigarette entnimmt, diese
eingravierten Worte entgegenhaucht: »MARLENE DIETRICH /
WEIB, MUTTER UND SCHAUSPIELERIN WIE NIE / JOSEF
VON STERNBERG«.
Ihr wird das endgültig zu viel. Eine Marlene Dietrich gehört niemand
anderem als ihr selbst. Zumal die Filme des von ihr besessenen
Regisseurs immer schlechtere Kritiken bekommen. Das registriert sie
sehr aufmerksam. Er hat sie geschaffen, das ist ihr klar. Aber nun will sie
ohne ihren Schöpfer leben. Sehr bald schon wird Marlene Dietrich ihren
letzten Film mit Josef von Sternberg drehen. Er trägt den bezeichnenden
Titel: The Devil is a Woman.

Am 26. September 1933 heiratet Claus Schenk Graf von Stauffenberg in


der Bamberger Sankt Jakobskirche. Er trägt die Uniform mit Stahlhelm.
Hochzeit, so hat er seiner Braut erklärt, sei Dienst. Sie hat es gar nicht
anders erwartet. Nach dem Essen im Bamberger Hof führt sie die
Hochzeitsreise nach Rom, schließlich gibt es dort eine Ausstellung zum
zehnjährigen Regierungsjubiläum von Mussolini. Außerdem wollen sie
dort Caravaggio sehen, Raffael, Michelangelo. »Stauff«, wie er in seinem
Regiment genannt wird, ist von einer seltenen Mischung aus Poesie und
Präzision. Er spielt Cello, liest griechische Dramen und ist weder für die
adligen Vergnügungen des Casinos, der Jagd noch des Tanzes zu haben.
Seine Frau liebt ihn genau dafür.
Sie steigen am Morgen nach der Hochzeit in den Zug gen Süden,
Claus’ Bruder Berthold fährt mit bis Bellinzona, dort steigt er aus, um
seine wichtigste Liebe zu sehen, Stefan George, den großen dichter der
kleinschreibung. Eigentlich hat auch Berthold, wie sein Bruder, heiraten
wollen, aber George will ihn für sich behalten – und hat sich wiederholt
gegen eine Ehe mit Maria Classen ausgesprochen, was Berthold treu
befolgt (zumindest solange George lebt). Claus und Nina von
Stauffenberg hingegen zeugen auf ihrer Hochzeitsreise in Mussolinis
Italien standesgemäß ihr erstes Kind.

Am 29. September wird Die Pfeffermühle von Erika Mann und Therese
Giehse ein zweites Mal gegründet. Und wieder nehmen Thomas und
Katia und Liesl und Bruno Frank bei der Premiere im Zuschauerraum
Platz – genau wie am 1. Januar. Nur sind diesmal alle in der Schweiz,
vertrieben aus dem Land, dessen menschenverachtende Politik die
Pfeffermühle mit ihrem kabarettistischen Programm bloßzustellen
versucht.
*

Während all die deutschen Intellektuellen Berlin fluchtartig verlassen


haben, um sich in Südfrankreich oder Paris anzusiedeln, kommen im
Herbst 1933 zwei Intellektuelle den umgekehrten Weg von Paris nach
Berlin: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Sartre ist als
Forschungsstipendiat des Institut Français zunächst allein nach
Deutschland gekommen, um bei Edmund Husserl zu studieren, dem
großen Phänomenologen. Doch das Wichtigste ist etwas anderes: »Ich
fand zur Unverantwortlichkeit meiner Jugend zurück.« Sartre entdeckt
demnach, als in ganz Berlin schon die Hakenkreuzfahnen wehen und all
die großen Autoren das Land verlassen haben, um in seine Pariser
Heimat zu fliehen, umgekehrt in Berlin die »Stadt der Liebe«. Er stürzt
sich erst in die deftigen Restaurants, denn er liebt dunkles Bier,
Schweinefleisch, Sauerkraut und Würste, wie er sie bei seiner
elsässischen Großmutter gegessen hat. Und danach zieht er mit den
anderen Franzosen durch die Berliner Nacht. Da er kein Deutsch kann,
muss er sich, wie er bedauert, eine »französische Freundin nehmen«.
Eigentlich ist er losgezogen, »um die Liebe der deutschen Frauen
kennenzulernen«. Doch bald schon erinnert er sich wehmütig an einen
radebrechenden ungarischen Verehrer Simone de Beauvoirs, den diese
abgewiesen hat. Daraufhin schlägt er im Wörterbuch nach und schreibt
ihr den Satz: »Wenn Sie wüssten, wie geistreich ich auf Ungarisch bin.«
Sartre also studiert in Berlin die deutsche Philosophie und das deutsche
Nachtleben – mit einer Französin an seiner Seite, Marie Ville, der
traumverlorenen, leicht entrückten Gattin eines Mitarbeiters des Institut
Français. Sartre erzählt Simone de Beauvoir davon, die aufs neue merkt,
wie schwer sie an ihrem seltsamen Wahrheitspakt zu tragen hat. Und an
der Abwesenheit von Sartre. Sie lässt sich krankschreiben und fährt nach
Berlin. Sartre hat nichts Besseres zu tun, als ihr gleich am ersten Abend
seine neue Berliner Geliebte vorzustellen. Aber sie müsse keine Angst
haben, das sei nur eine kleine Episode. Immerhin steckt er Simone sogar
einen Ehering an – aber nur zur Tarnung, damit sie für ihren Besuch als
seine Ehefrau eine kleine Wohnung in der Nähe des Institut Français
mieten kann.
Simone de Beauvoir jedoch wäre gerne nicht nur im Spiel Sartres
Frau. Sie leidet unter der ersten »kontingenten Liebe«, wie Sartre die
außerehelichen Liebschaften nennt, neben ihrer eigenen Liebe, die er
»notwendig« genannt hat. Simone de Beauvoir fährt zurück nach
Frankreich und beginnt mit der Arbeit an einem Roman über den
Konflikt zwischen Liebe und Unabhängigkeit. Und Sartre bleibt in Berlin
in seinem französischen Mikrokosmos in der vornehmen Wilmersdorfer
Villa und nimmt vom Zeitalter des Hasses, das begonnen hat, eigentlich
überhaupt nichts wahr.

Ganz anders Heinrich Mann. Er ist ein sehr sensibler Mann. Und darum
heißt das Buch, das er im ersten Sommer seines Exils in Frankreich
geschrieben hat und das nun im Herbst 1933 im Querido Verlag in
Amsterdam erscheint: Der Haß. Ihm reicht, was er in Berlin im Februar
in der Akademie erlebt und was er in den Gesichtern der Menschen und
in den Zeitungen gelesen hat, um zu wissen, was kommen wird.
Fünfzehn Jahre später wird Lion Feuchtwanger über dieses Buch, das
vom Erwachen des Hasses erzählt, sagen: »Heinrich Mann hat das
Deutschland des letzten Jahrzehnts früher und schärfer vorausgesehen als
wir alle. Er hat es dargestellt von seinen Anfängen her, lange bevor es
Wirklichkeit wurde.«

Eines der seltsamsten Paare dieser an seltsamen Paaren wirklich nicht


unterversorgten Zeit bleiben auch 1933 der 29-jährige Maler Salvador
Dalí und seine 39-jährige Geliebte, Muse, Managerin und Zuchtmeisterin
Gala. Sie verleben einen glücklichen Sommer in ihrer kleinen
Fischerhütte in Portlligat an der Costa Brava. Sie hat in den zwanziger
Jahren als Partnerin von Paul Éluard und Max Ernst mit ihrer offensiven
Sexualität die Surrealisten in Paris ziemlich verstört – Dalí hingegen,
dieser sexuell selbst so verstörte Mann, der dem Voyeurismus vor der
praktizierten Liebe den Vorzug gibt und mit seinen homosexuellen
Tendenzen hadert, dieser innerlich mehrfach verknotete Salvador Dalí
also scheint gerade in der Massivität von Galas Weiblichkeit eine
Möglichkeit der Befreiung zu sehen. Lässt sich logisch vielleicht nicht
ganz erklären, psychologisch auch nicht, hat aber offenbar bestens
funktioniert: Durch Galas Liebe kann Dalí in sich das entdecken, was
seine Kunst so einzigartig macht in ihrem Fieberwahn und in ihrer
Genialität. Sex im, sagen wir, klassischen Sinne haben die beiden
übrigens in ihrer Jahrzehnte dauernden Verbindung entweder einmal (so
Gala) oder keinmal (so Dalí). »Angst«, so erklärt Gala, »ist der Grundzug
von Dalís Wesen.« Als Gala ihm nach einer Unterleibsoperation im
vergangenen Oktober mitgeteilt hat, dass sie nun nie ein Kind mit ihm
haben könne, da nimmt er das mit großer Erleichterung zur Kenntnis. Er
will ihr einziger Zögling bleiben.
Gala ist in ihrer Willensstärke und in ihrer Dominanz das absolute
Gegenteil des kichernden, weichlichen, schnurrbärtigen Sonderlings, und
er genießt es förmlich, sich fortan und für den Rest seines Lebens ihrer
Regie zu unterwerfen. Im Jahr 1932 ist die Ehe zwischen Gala und dem
Surrealisten Paul Éluard auch offiziell geschieden worden – aber der,
obwohl längst mit der geheimnisvollen, großherzigen Schauspielerin
Maria Benz, die auf den neckischen Namen »Nusch« hört, liiert, hört
nicht auf, Gala zu verehren und ihr das weiterhin in flammenden Briefen
kundzutun: »Gala, nichts, was ich tue, geschieht losgelöst zu dir.«
Doch Gala ist bereits unauflöslich mit Salvador Dalí verbunden. Sie
weicht keinen Tag von seiner Seite. Und um zu demonstrieren, dass Gala
nun die Seine ist, malt Dalí sie auf ungewöhnliche Weise: Er legt ihr zwei
Fleischstücke vom örtlichen Metzger auf die Schultern und sie muss
stundenlang Porträt sitzen. Nach einigen Tagen dann präsentiert ihr Dalí
stolz das Bild mit dem Titel Bildnis Galas mit zwei Lammkoteletts im
Gleichgewicht auf der Schulter. Es wirkt, als wolle er zeigen, dass diese
moderne Eva nicht aus seiner Rippe gemacht ist, sondern aus der eines
Tieres. Erst mit dieser Frau an seiner Seite konnte dieser wahrlich
durchgeknallte Katalane seine wildesten Phantasien auf der Leinwand so
umsetzen, als seien sie eine harmlose Selbstverständlichkeit. Dank Gala
wird endlich sein Motto wahr, wonach alle Schönheit essbar sein muss.
Das zweite große Porträt Galas aus dem Jahr 1933 heißt deshalb Die
gezuckerte Sphinx. Wohl bekomms.

Victor Klemperer füllt Tag um Tag sein Lexikon über die Sprache des
Dritten Reiches. Aber er glaubt nicht mehr daran, dass er es je wird
veröffentlichen können. Am 9. Oktober, seinem Geburtstag, notiert er
Wünsche in sein Tagebuch: »Noch einmal Eva gesund sehen, im eigenen
Haus, am Harmonium. Nicht jeden Morgen und Abend zittern müssen
vor einem Weinkrampf – das Ende der Tyrannei und ihren blutigen
Untergang erleben. Keine Seitenschmerzen und keinen Todesgedanken.
Ich glaube nicht, dass sich mir auch nur einer dieser Wünsche erfüllen
wird.«

Otto Dix flieht mit seiner Frau und den Kindern vor den zunehmenden
Anfeindungen in Dresden nach Süddeutschland, ins kleine Schloss
Randegg inmitten des Hegau. Ein Schlupfwinkel im fernsten Zipfel des
großen Reiches. Wenn man aus den Fenstern des Schlosses blickt, sieht
man überall die Vulkankegel, die so schöne Namen tragen wie
Hohenkrähen, Hohentwiel, Hohenstoffeln und Hohenhewen. Das mag
einem Erniedrigten wie Otto Dix etwas geholfen haben. Als er ankommt,
malt er als Erstes den alten Judenfriedhof von Randegg, ein Bild als
Anklage und Mahnung. Hinter dem Friedhof, an den hohen,
schweigsamen Tannen, beginnt schon die Schweiz.
Randegg wird zum Zufluchtsort der Familie Dix. Es gehört dem
ersten Mann von Martha Dix, Hans Koch. Der hat nach der Scheidung
von Martha deren Schwester geheiratet, und so ziehen nun also Martha
und Otto Dix mit den Kindern Nelly, Ursus und Jan ins Schloss der
Schwester. Der holzgetäfelte Rittersaal des altehrwürdigen Schlosses
wird zum Abenteuerspielplatz der Dix’schen Kinder. Im Südturm von
Randegg wohnen sie, nebenan ist ein riesiger Raum, den Dix als Atelier
nutzt, drinnen die Staffelei, draußen die Weite der lieblichen
Hügellandschaft des Hegau. Otto Dix malt nun keinen Krieg mehr. Keine
Todsünden. Keine Menschen. Er malt verwunschene Täler und sanfte
Berge, im Herbst, im Winter und im Frühling. Otto Dix emigriert in die
Landschaft.

Nachdem Anaïs Nin in diesem Sommer eine Affäre mit ihrem eigenen
Vater erlebt hat, aktiviert sie in Paris wieder ihre bisherigen Liaisons:
Zum einen mit ihrem Mann, zweitens mit ihrem Analytiker und zu guter
Letzt mit Henry Miller. Mit dem Banker Hugo Guiler, ihrem Mann, ist es
im Moment etwas kompliziert, da der sich ganz der Astrologie
hingegeben und dabei herausgefunden hat, dass er als Wassermann viel
schlechter zu Anaïs mit dem Sternzeichen Fisch passt als der Steinbock
Henry Miller. Miller wiederum lebt weiterhin vom Geld, das Anaïs Nin
ihm gibt – und genießt den Sex. Ihr Analytiker René Allendy schließlich
bekommt auch beides von ihr, zahlt dafür aber, anders als Miller, mit
einem schlechten Gewissen.
Henry Miller versucht es auch mit Astrologie und kommt zu dem
Ergebnis, dass er 1933 vermutlich sterben wird. Daraufhin macht er ein
Testament und setzt Anaïs Nin als Alleinerbin ein – was in diesem Fall
bedeutet, dass er sie bittet, seine Schulden in Höhe von 3600 Dollar bei
diversen Gläubigern zu begleichen. Vor allem aber verarbeitet er die
verworrene Liebesgeschichte um Anaïs und seine Frau June zu seinem
Buch Wendekreis des Krebses. Seine Geliebte hat ihm freundlicherweise
in Clichy eine Wohnung gemietet, in der Rue Anatole France Nr. 4, hier
wohnt er mit seinem Freund Alfred Perlès. Und hier spielen auch die
Szenen zu seinem Sex und Paris beschwörenden Buch Stille Tage in
Clichy. Miller raucht den ganzen Tag Gauloises, hört Musik und spielt
Schriftsteller, die Flasche Wein neben der Schreibmaschine, er selbst im
Unterhemd. So sitzt er da und freut sich, wenn Anaïs vorbeikommt, um
den beiden Herren die Küche aufzuräumen. Er erzählt ihr nicht, wie oft
er an June denkt, seine Frau, die sich Ende des Jahres nach ewigen
Streitereien endgültig nach New York verabschiedet hat. Er nutzt die
aufflammenden Erinnerungen nur, um weiter am Wendekreis des Krebses
zu schreiben. Die große Politik, Hitler, die deutschen Emigranten in den
Straßen von Paris – all das bekümmert Henry Miller nicht.

Vladimir und Véra Nabokov harren noch immer in Berlin aus. Sie sind
aus Geldnot in die Wohnung von Véras Cousine Anna Feigin in der
Nestorstraße gezogen. Manchmal gibt Vladimir hier auf dem
benachbarten Platz noch Jungen aus der Umgebung Tennisunterricht. Vor
allem aber schreibt er in einem zweiwöchigen Rausch den Roman
Einladung zur Enthauptung nieder. Das zunehmend gewalttätige Milieu
in Berlin verstört ihn. Véra verliert ihre Arbeit, da die jüdische
Anwaltskanzlei enteignet wurde, in der sie das Geld für die Miete
verdiente. Als die Nabokovs später gefragt werden, warum sie als
russische Juden 1933 nicht direkt emigriert seien, antwortet der
Schriftsteller auf rührende Weise: »Wir waren immer träge. Auf eine
nette Art träge im Falle meiner Frau, schrecklich träge in meinem Fall.«
Aber Nabokov sieht, was um ihn herum geschieht: Er schreibt am Ufer
des Grunewaldsees die Erzählung Der neue Nachbar. Zwei Berliner
Arbeiter belästigen darin erst ihren neuen Nachbarn, den Herrn
Romantowski mit dem stark slawischen Akzent, dann quälen sie ihn,
schließlich ermorden sie ihn. Ganz ohne Grund. Der neue Nachbar
erzählt von der Angst Nabokovs, die ihn lähmt. »Auf Deutschland lag zu
jener Zeit, als ich mir jene beiden Schlägertypen und meinen armen
Romantowski ausdachte, Hitlers grotesker und böser Schatten.« In dieser
bedrückenden Stimmung geschieht in der Nestorstraße in Berlin etwas
Unwahrscheinliches: Véra verkündet Vladimir in diesem Herbst mit
einem fast unwirklichen Lächeln, dass sie schwanger ist. Ihr Sohn Dmitri
wird im Mai 1934 geboren werden.

Im Pariser Exil angekommen und von seiner Malaria leidlich geheilt,


trifft Walter Benjamin noch ein paarmal die große Liebe seines Sommers:
Anna Maria Blaupot ten Cate. Wir wissen nicht, was genau geschehen
ist. Wir wissen nur, dass sich die Liebe langsam in Luft auflöst. Bald
zieht Anna Maria nach Südfrankreich und heiratet dort schon 1934 den
Franzosen Louis Sellier. Und Benjamins Prophezeiung wird wahr. Im
August hat er geschrieben: »In deinem Arm würde das Schicksal für
immer aufhören, mir zu begegnen.« Doch als Anna Maria ihre Arme um
jemand anderen legt, da kehrt das Schicksal mit aller Macht zu Walter
Benjamin zurück.

Nun hat auch Marlene Dietrich begriffen, dass sich von Deutschland aus
die Gefahr über ganz Europa auszudehnen beginnt. Sie schreibt am
7. November einen Brief an ihren Gatten in Paris, der einen Blick hinter
die coole Fassade erlaubt. Sie bittet ihn um eine neue Pflegecreme für die
Nacht. Begründung: »Werde eben alt.« Und dann, in einer plötzlichen
Anwandlung von Familiensinn, Fürsorge und Angst: »Tue mir die Liebe
und kaufe morgen sofort große Koffer, in die du alles hineinschmeißen
kannst und abhauen. Du weißt, dass es immer an Koffern fehlt im letzten
Moment.« Und dann – ein plötzlicher Wechsel im Brief, sie fleht Rudis
Geliebte an, Marias früheres Kindermädchen: »Bitte, Tami, hilf mir, dass
er alles so vorbereitet hat, dass er in ein paar Stunden, wenn möglich,
Paris verlassen kann – Schiffe findet man ja immer.« Und damit die
Absurdität am Ende noch einen Triumph feiern darf, beschließt die
Dietrich den Brief an ihren Mann UND dessen Geliebte mit diesen
schönen Abschiedsworten: »Du bist doch der Beste und Treueste. Ich
liebe dich, Deine Mutti.«

1933 endet eine ganz besondere Liebe – die zwischen Nancy Cunard, der
exzentrischen Engländerin aus besten Kreisen, und dem
afroamerikanischen Jazz-Pianisten Henry Crowder. Wenn sie in Paris
durch die Straßen ziehen, sie mit klirrenden Elfenbein-Armreifen und
glitzernden Gewändern, er im tadellosen Dreiteiler, wie aus dem Ei
gepellt, dann raunen die Menschen, an denen sie vorbeigehen. Nancy
Cunard schreibt einen flammenden Essay: Black Man and White
Ladyship – eine Schande, wie ihre Mutter befindet, die sie dafür bei der
Polizei anzeigt. Es scheint, als wolle Nancy Cunard, diese energische und
herbe Frau, mit allen Standesgrenzen und rassistischen Vorurteilen ihres
Heimatlandes brechen. Sie betreibt in Paris The Hours Press für
avantgardistische Literatur und veröffentlicht als Erste James Joyce und
Ezra Pounds Cantos. Aber ihre Liebe zu Henry Crowder zerbricht – und
offenbar, genau wissen wir es nicht, an einer überraschenden
Sollbruchstelle. Cunard ist, wie Picasso, eine besessene Sammlerin
afrikanischer Stammeskunst, ihre ganze Wohnung in Paris ist mit
Skulpturen und Masken und Waffen aus Afrika vollgestellt. Sie arbeitet
an einem groß angelegten Buch über die schwarze Kultur, um deren
Gleichwertigkeit gegenüber der weißen zu belegen. Aber Cunard will
trotz all ihrer Intelligenz einfach nicht begreifen, dass Henry, ihr Gatte,
zwar schwarz ist, sich aber eben nicht so sehr mit seinen afrikanischen
Urvätern identifiziert wie mit seinen Eltern aus New Orleans, mit dem
neuen afroamerikanischen Amerika, mit Jazz. Ihn beschleicht das Gefühl,
Nancy Cunard liebe ihn gar nicht als Mensch, sondern als Symbol.
Daraufhin reist er zurück nach Amerika. 1934, als er sie bereits verlassen
hat, wird ihre unglaubliche Negro Anthology erscheinen. Ein Buch wie
ein Kontinent, voll Literatur, Musik, Kultur, Geschichte. Ein
tausendseitiges Buch der Liebe – und gegen den Hass. Nancy Cunard
widmet es Henry Crowder, ihrer größten Liebe.

Im Tessin, wo es selbst im Dezember noch warm werden kann, wenn der


Wind sich legt und die Sonne mittags durch die Wolken bricht, beginnen
die letzten Tage Stefan Georges. Er hat in den vergangenen drei
Jahrzehnten einen Kreis an ergebenen, meist homosexuellen Jüngern um
sich geschart, die seine Dichtung kultisch verehren und ihn mit seinem
wallenden weißen Haar zum vergeistigten Führer erklären. George ist der
Generationsgenosse Gerhart Hauptmanns, und die beiden wirken mit
ihren kantigen, schlohweiß umwehten Schädeln wie Brüder, hier der
irdische Naturalist, Nobelpreisträger seit 1912, dort der geistige
Beschwörer, an dem sich seit Jahrzehnten die jungen deutschen Autoren
reiben – oder wärmen. Walter Benjamin hat George im Juli in der
Frankfurter Zeitung unter Pseudonym zum Geburtstag gratuliert und ihn
zum Propheten geadelt. Er habe in seinem Gedicht »Einem jungen Führer
im ersten Weltkrieg« vorausbeschrieben, dass ein »Zweiter Weltkrieg«
folgen werde. Benjamin schreibt: »Stefan George schweigt seit Jahren.
Indessen haben wir ein neues Ohr für seine Stimme gewonnen.« Klaus
Mann sieht das etwas anders. In der Sammlung, seiner Zeitschrift aus der
Emigration, antwortet er Benjamin mit seinem Aufsatz »Das Schweigen
Stefan Georges«. Es ist eine Beschwörung der Hoffnung, dass George
Hitler und dem neuen Reich nicht auf den Leim gehen möge: »Wir
hoffen, dass sein Schweigen Abwehr bedeutet. Wenn er enden will, wie
er gelebt hat – mit dem untrüglichen Wissen um Reinheit, Lauterkeit und
echten Adel –, so verharre er gegen dies neue Deutschland in derselben
Geste, die ihm das alte abnötigte: das Haupt weggewendet.«
Stefan George liest diese Zeilen im November 1933 in Minusio.
Eigentlich soll er strenge Diät halten, Rohkost vor allem, keine
Zigaretten, kein Alkohol, so hat es der Arzt verordnet. Am Sonntag aber,
dem 26. November, setzt er sich über diese Verbote hinweg. Er hat zum
Frühstück mehrere Brötchen mit Sardinen und Schinken gegessen. Zum
Mittagessen gibt es dann Entenbrust mit Rübchen und Kartoffelbrei, zum
Nachtisch Milchreis, dazu süßen Weißwein. Das war offenbar zu viel des
Guten. »Unmittelbar nach dem letzten Bissen, beim Abräumen des
Geschirrs«, sackt er um 13.20 Uhr in seinem Stuhl zusammen, wie sein
treuer Jünger Frank Mehnert berichtet. Als sich sein Gesicht grünlich
färbt, merkt Mehnert, dass George in Ohnmacht gefallen ist, ein Arzt
kommt, gibt ihm Spritzen, am nächsten Tag kollabiert er erneut, wird
bewusstlos und in seinem Korbstuhl in die Klinik Sant’Agnese in
Muralto getragen. Mehnert schickt Telegramme an die engsten Freunde
in Deutschland: Die Lage ist ernst. Alle machen sich auf den Weg. Auch
Claus und Berthold, die Grafen von Stauffenberg. Sie sehen ihren
Meister in seinen letzten Atemzügen. Am Montag, dem 4. Dezember
1933, bleibt Stefan Georges Herz stehen.
Claus Graf von Stauffenberg, der präzise Oberleutnant, erstellt einen
genauen Plan, welcher der Jünger zu welcher Stunde die Totenwache in
der Friedhofskapelle von Minusio zu halten hat. Als Stefan George am
6. Dezember, morgens um 8.15 Uhr, in sein Grab hinabgesenkt und mit
ihm das »geheime Deutschland« begraben wird, kommt über den hohen
Bergen gegenüber die weiche Dezembersonne hervor. Der Lago
Maggiore unten im Tal ruht noch schwarz und schweiget. Am Tag darauf
kommt auf die Grabstätte in Minusio ein großer, von der deutschen
Botschaft in Bern geschickter Lorbeerkranz der neuen Reichsregierung
mit einem schwarz-weiß-roten Band und zwei Hakenkreuzen. Auch
Stefan George konnte sich seine Verehrer nicht aussuchen.

Ernst Jünger und seine Frau Gretha wollen weg aus Berlin. Nachdem ihr
Freund Erich Mühsam ins KZ gekommen ist, wurde ihre Wohnung von
der Gestapo durchsucht, um verdächtige Verbindungslinien zu dem in
Verruf geratenen Kommunisten zu finden. Ihre Nähe zu dem
sadomasochistischen Maler Rudolf Schlichter und dessen als »Hetäre«
arbeitender Ehefrau Speedy bringt sie ebenfalls ins Gerede. Deshalb
verbrennt Jünger seine Tagebücher der letzten fünfzehn Jahre, die
Gedichte, Briefe und politischen Aufzeichnungen; eine Aufnahme in die
neubesetzte Deutsche Akademie der Dichtung lehnt er ab, das sei nichts
für ihn. Die Jüngers wollen Berlin hinter sich lassen, zumal Gretha
wieder schwanger ist und sie ihren Kinderwagen nicht durch SA-
Aufmärsche und Straßenschlachten schieben möchte. Auch der werdende
Vater braucht dringend eine Luftveränderung: »Diese Boheme-Gesichter
ekeln mich an.« So ziehen die Jüngers also im Dezember 1933 nach
Goslar, an den Rande des Harzes, in der Hoffnung auf »ein ruhiges
Leben, jenseits des verwirrenden und betäubenden Rhythmus, der Berlin
erfüllt hat«. Sie hoffen, in eine innere Emigration entfliehen zu können.

Ruth Landshoff, immer auf dem Sprung, verliert auf der Fahrt nach Paris
in der Zugtoilette ihren Ehering. Sie weiß, dass dies kein Zufall ist. Sie
liebt längst den englischen Baron Bryan Guinness mehr als den Grafen
Yorck von Wartenburg, mit dem sie verheiratet ist. Der Baron hat ihr ein
Zwergtaubenpärchen geschenkt, das sie im Käfig überallhin mitnimmt.
Sie schickt ihm dafür aus Paris ihre Emigrantennovelle, doch es gelingt
ihm weder Harper’s Bazaar noch einen Literaturagenten dafür zu
gewinnen. Sie bleibt ungedruckt. Und doch hat Ruth Landshoff mit der
Verzweiflung des namenlosen Emigranten als erste Worte gefunden für
das schamhafte Schweigen jenseits der Heimat: »Er hasste es zu
sprechen, er hasste zu blicken, weil es ihn störte, sehnsüchtig zu leben.
Der Emigrant liebte sein Land sehr. Niemand hatte ihm verboten, sein
Land zu lieben. Aber es war ihm verboten, sein Land zu bewohnen. Qual
und Sehnsucht sind, was ich forttrug aus meinem Land.«

*
Am 12. Dezember verlässt Aby Warburgs größte Liebe vier Jahre nach
seinem Tod Deutschland. Auf dem Frachtschiff Hermia reisen sowohl die
legendäre und gigantische kulturwissenschaftliche Bibliothek des
jüdischen Kunsthistorikers als auch seine Fotosammlung und sein
Bilderatlas mit ihr von Hamburg nach London. Mit dieser Emigration
kommt einer der größten geistigen Schätze der zehner und zwanziger
Jahre seiner unmittelbar bevorstehenden Zerstörung zuvor. Wenig später
stirbt Warburgs Witwe Mary in Hamburg.

An seinem 54. Geburtstag, dem 18. Dezember, erhalten der Maler Paul
Klee und seine Frau Lily eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für
seine Heimatstadt Bern und damit die legale Möglichkeit, Deutschland
zu verlassen. Zwei Drittel ihrer Bücher und Möbel lassen sie in
Düsseldorf zurück. Beim Packen reißt sich Paul Klee eine Wunde in die
rechte Hand, die zu einer Blutvergiftung führt. Was für eine symbolische
letzte Krankheit auf deutschem Boden. Am 23. Dezember verlässt das
Ehepaar Klee samt Katze Bimbo Deutschland für immer. Lily Klee
schreibt an ihren Sohn Felix: »So fahre ich nun hinaus in die Welt und
zum 1. Mal heimatlos. Das war ein böses Jahr. Mit Grausen denk ich
daran zurück.«

Wegen seiner Nähe zu Magnus Hirschfelds Sexualwissenschaftlichem


Institut wird der Liedtexter Bruno Balz von der Gestapo wegen Verstößen
gegen den Homosexuellenparagraphen 175 verhaftet. Schon 1924 hat er
mit Bubi laß uns Freunde sein eine der ersten schwulen Platten überhaupt
mitproduziert. Er dichtet jetzt erst einmal Unverfängliches für die UFA-
Tonfilme, etwa Kleine Möwe, flieg nach Helgoland. Aber bald wird er
seinen wahren Schutzraum entdecken: eindeutig heterosexuelle Liedtexte
für Zarah Leander. Die zu gut sind, als dass die UFA und damit die Nazis
auf ihn verzichten könnten. Er ahnt: Dieses Besingen der Liebe könnte
keine Sünde sein, sondern seine Rettung.

Der abstrakte Maler Wassily Kandinsky und seine Frau Nina geben ihre
Wohnung in Berlin auf und emigrieren am 19. Dezember nach Paris.

Am Morgen des 24. Dezember steigt Gussie Adenauer mit ihren Kindern
in Köln in den Zug, um nach Maria Laach zu fahren. Es liegt Schnee,
gleich hinter der Pforte schließt sie Konrad Adenauer dankbar in die
Arme. Sie nehmen ein leichtes Mahl im Essensraum ein und singen
danach in seiner Zelle ein paar Weihnachtslieder. Die Kinder haben für
ihren Vater kleine Geschenke mitgebracht. Später gehen alle zusammen
zur Messe. Umringt von seiner Familie und umsorgt von gregorianischen
Chorälen, laufen Konrad Adenauer die Tränen über die Wangen.

Bertolt Brecht hat das zweite Mal ein Haus gekauft, nach jenem am
Ammersee nun eines an der dänischen Ostsee, Skovsbostrand Nr. 8 in
Svendborg, finanziert durch die Honorare für seinen Dreigroschenroman
und von Helene Weigels Vater. Neben Weigel ist auch die noch immer
stark lungen- und liebeskranke Margarete Steffin in Dänemark, die aus
Paris gekommen ist, und Brecht hat seine künftige Geliebte Ruth Berlau
gebeten, die gerade noch aktuelle Geliebte Steffin doch bitte bei sich in
Kopenhagen zwischenzuparken, damit Helene Weigel nicht wütend wird.
Die fünf Autostunden Abstand zu Svendborg beruhigen die Gattin
tatsächlich etwas. Nur Steffin heult sich bei Berlau aus und leidet wie ein
Hund, weil Brecht anfängt, sie auf Abstand zu halten. Sie ahnt da noch
nicht, dass der wahre Grund dafür neben ihr sitzt. Wie bitter ist das alles?
Nur Elisabeth Hauptmann zieht sich aus dem zerstörerischen Spiel
Brechts zurück – nachdem sie monatelang in Berlin alles dafür getan hat,
seine Manuskripte zu sichern und dafür sogar ins Gefängnis ging, wirft
Brecht ihr Faulheit und Ungeschicklichkeit vor. Daraufhin schreibt sie
ihm: Glücklich könne sie nur werden »bei gänzlicher Trennung von
Ihnen«. Und: »Vielleicht sehen wir uns dann später mal wieder.« Und
Brecht? Er steckt das bestens weg. Wie hat er in seinem siebten Sonett an
Margarete Steffin geschrieben? »Der Männer Wollust ist es – nicht zu
leiden.« Fröhliche Weihnachten.

An Silvester findet Thomas Mann im neuen Exilort Küsnacht bei Zürich


ein versöhnlicheres Fazit für dieses Jahr der Emigration: »Mein
Heimweh nach dem alten Zustande ist übrigens gering. Ich empfinde fast
mehr davon für Sanary, das mir im Rückblick als die glücklichste Etappe
dieser zehn Monate erscheint, und nach meiner kleinen Stein-Terrasse am
Abend, wenn ich darauf im Korbstuhl saß und die Sterne betrachtete.«
Doch nur seine Sterne stehen weiter gut.

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Danach

Oberleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht dem Stefan-


George-Jünger und Bildhauer Frank Mehnert im Januar 1934 auf dem
verlassenen Hopfenboden einer ehemaligen Bamberger Brauerei Modell
für sein Denkmal eines SA-Soldaten. Aber Stauffenberg lehnt es ab,
dafür eine SA-Uniform anzuziehen. Er schreibt: »Ich habe mich zwar mit
meiner Verewigung ausgerechnet als SA-Mann noch nicht ganz
abgefunden, tröste mich aber damit, dass es für die Nazis weit härter ist
als für mich.« Wenn Mehnert in die Bamberger Wohnung des frisch
getrauten Ehepaares Stauffenberg kommt, muss die Hausherrin Nina
verschwinden. Stauffenberg steht Mehnert in seinem Arbeitszimmer
weiter Modell, während seine Gattin im Esszimmer ausharren muss. Der
Meister, also Stefan George, habe verfügt, dass seine Jünger keinen
Kontakt zu den Familien ihrer Freunde hätten, erklärt er seiner Frau.
Nina akzeptiert das. Auch das ist Liebe. Das Wort »Familie« übrigens
kommt in der Dichtung Georges niemals vor. Nina von Stauffenberg ist,
als ihr Mann sie ins Esszimmer verbannt, gerade im fünften Monat
schwanger mit dem ersten gemeinsamen Kind.

Mit den Frauen ist es wie mit den Städten, denkt Ernest Hemingway, als
er wieder in Paris ist. Erst liebt man sie für genau das, was man ihnen
später vorhält. Im Januar 1934 erstellt er für das amerikanische
Herrenmagazin Esquire eine kurze Bestandsaufnahme der aktuellen Lage
in der französischen Hauptstadt. Und wie ist die Lage?
Niederschmetternd. »Was einen deprimiert, ist die vollkommene Ruhe,
mit der hier alle vom nächsten Krieg reden, als handelte es sich um eine
ausgemachte Sache, die man hinnehmen müsse.« Und dann, an seine
amerikanischen Landsleute gerichtet: »Schön, Europa hatte immer seine
Kriege, aber wir sollten uns aus dem, der kommt, heraushalten. Wenn
jemand Krieg will, weil er wissen will, wie es im Krieg zugeht, oder aus
Liebe zu irgendeinem Land, soll er allein gehen.« Und nachdem er das
gesagt hat, erzählt er von seiner Liebe zu Paris – und er erkennt, dass
lediglich er sich gewandelt hat, nicht die Stadt: »Paris ist sehr schön, jetzt
im Herbst. Es war schön, hier ziemlich jung zu sein, und eine gute
Schule, die man nicht schwänzen durfte. Wir alle haben Paris einmal
geliebt, und wer es anders sagt, lügt. Aber die Stadt ist wie eine Geliebte,
die nicht alt wird, und sie hat jetzt andre Liebhaber. Für den Anfang, als
wir sie noch nicht kannten, war sie ziemlich alt. Wir dachten, sie wäre
einfach älter als wir; das zog uns zu ihr hin. Aber als wir sie nicht mehr
liebten, hielten wir es ihr vor. Das war falsch. Paris ist immer gleich alt
und hat immer neue Liebhaber.« Und dann, ganz herbstlich und ehrlich:
»Was mich angeht, ich liebe jetzt etwas anderes.« Was das ist, verrät er
nicht.

Fast achtzehn Monate hat Man Ray an seinem malerischen Hauptwerk


gearbeitet. 1932 hatte er eine zweieinhalb Meter große Leinwand über
sein Bett gehängt, um darauf Lippen zu malen, die durch den Himmel
segeln. Ein halbes Jahr lang hatte er die Lippen von Kiki vom
Montparnasse gemalt, bevor er bemerkte, dass es nicht dieser Mund ist,
der ihm immer im Traum erscheint. Daraufhin hat er noch einmal von
vorne angefangen, diesmal malt er die Lippen von Lee Miller, seiner
Assistentin, seiner Geliebten, die ihn verlassen hat und die er nicht
vergessen kann. Nun ist sein Gemälde vollendet, es trägt den
Entstehungszeitraum »1932–1934« und es heißt À l’heure de
l’observatoire – Les Amoureux. Der erste Teil des Titels bezieht sich auf
jenes Observatorium, das er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sieht
und das er links unten im Bild platziert hat. Der Titel ist aber auch eine
versteckte Anspielung auf Lee Miller, die in einer anderen, der
amerikanischen Zeitrechnung lebt, denn »United States Observatory
Time«, das hört man, wenn man die Nummer der amerikanischen
Zeitansage wählt. Und Les Amoureux, die Liebenden, tja, natürlich ist das
ein zärtlicher Gruß an ihre gemeinsame Zeit, ihr kurzes Schweben über
den Wolken. Die Lippen, die durch den Himmel fliegen, wirken wie zwei
Körper, die sich aneinanderschmiegen in einer Art kosmischer Ektase.
Verrückt, dass bei all dieser Symbolik am Ende kein kitschiges Bild
daraus geworden ist. »Die Liebe«, sagt Man Ray später, »nimmt ein
universales Ausmaß an in diesem Werk, das zu einer Zeit gemalt wurde,
als die steigende Flut des Hasses sich anschickte, Europa zu
überschwemmen.«

Nur zwei Jahre eheliches Glück sind dem Ehepaar des ehemaligen
Generals und Reichskanzlers Kurt von Schleicher und seiner Elisabeth
beschieden. Am 30. Juni dringen mitten in der Nacht fünf Männer in das
Haus in Neu-Babelsberg ein und erschießen beide. Der General stirbt
sofort, seine Frau wenig später im Krankenhaus Nowawes. Beide
Leichen werden von der Gestapo beschlagnahmt, um Spekulationen und
Nachforschungen zu unterbinden, die »Beerdigung« auf dem
Parkfriedhof Lichterfelde findet also in Abwesenheit der Toten statt. Dass
die SS diesen Doppelmord ausgeführt hat, ist klar – bis heute bleibt
umstritten, ob Hermann Göring, Heinrich Himmler oder Adolf Hitler
selbst den Auftrag gegeben haben. Nach dem nächtlichen Mord erscheint
übrigens am 1. Juli nachmittags erneut ein Stoßtrupp von Männern mit
Pistolen im Schleicher’schen Haus, sie finden aber bloß Angehörige, die
um den ehemaligen Reichskanzler trauern. In seinem Tagebuch notiert
Joseph Goebbels: »In Berlin programmgemäß. Keine Panne als die, dass
Elisabeth Schleicher mitfiel. Schade, aber nicht zu ändern.« Eine
unschuldige Tote zu viel? »Schade.« Das ist die Sprache des Dritten
Reiches, die Victor Klemperer so schonungslos analysieren wird. Das
sind Goebbels’ Worte zu jener Mordserie, die als »Nacht der langen
Messer« in die Geschichte eingegangen ist – auch die Anführer des von
den Nazis so genannten Röhm-Putsches sind ermordet worden, also
praktisch die Führungsriege der SA. Ein Ereignis übrigens, das Curzio
Malaparte in seinem Buch Technik des Staatsstreichs 1932 genau so
vorhergesagt hat. Als Kaiser Wilhelm II. am nächsten Morgen in seinem
niederländischen Exil von der Ermordung Kurt von Schleichers hört,
stirbt in ihm jede Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Monarchie;
stattdessen macht sich Entsetzen breit über die Barbarei des neuen
Regimes.

*
Plötzlich, am heißen 14. Juli des Jahres 1934, segelt noch ein neues Paar
in dieses Buch hinein. Es ist schon früher Abend am Wannsee, die Sonne
versinkt langsam und die erste kühlere Brise weht aus Nord/Nordwest.
Die zwanzigjährige Libertas steht im Bikini und in weiten roten Hosen
am Bug des Segelschiffes Haizuru ihres Freundes Richard von Raffay,
als plötzlich ein Ruderboot aus dem Schilf auf sie zukommt. Bedächtig
und doch wie von einem Magneten angezogen lenkt es ein junger Mann
mit wehendem Haar durch die weißen Wasserrosen direkt auf sie zu. Er
sei Harro Schulze-Boysen, so sagt er zur Begrüßung, Adjutant im
Reichsluftfahrtministerium. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ihr alter
Freund Richard spürt genau, was da Magisches vor sich geht. Er springt
am Steg des Segelclubs Blau-Rot dezent von seinem eigenen Boot und
überlässt es den beiden Verliebten. »Die warme Julinacht brach an / es
war so voller Zärtlichkeiten«, schreibt Libertas über den schicksalhaften
Tag ihrer Begegnung. Doch als sie Harro sein Hemd auszieht und ihn
anschaut, schaudert es ihr, sie sieht überall Striemen und Narben, ihm
fehlt ein halbes Ohr, auf dem Oberschenkel eingebrannte Hakenkreuze.
Ein Jahr zuvor, so gesteht er ihr, war er in den Folterkellern der Gestapo,
sie haben ihm, dem glühenden Herausgeber der Zeitschrift Gegner, mit
Peitschen und Eisenschrauben klargemacht, wie der neue Staat mit jenen
umgeht, die sich für eine Gegnerschaft entscheiden. Vor seinen Augen
haben sie seinen jüdischen Kollegen und Freund Henry Erlanger brutal
ermordet. All das werde er rächen, sagt er mit ruhiger und fester Stimme.
Als sie seine Narben sieht und deren Geschichte hört, wacht Libertas auf
aus ihren naiven Jungmädchenträumen, bei ihr fängt das Denken an in
diesem Moment, wie Norman Ohler schreibt, und bei Harro die Heilung.
Es läuft ihr kalt den Rücken runter, als sie begreift, dass in genau jenen
Räumen in der Prinz-Albrecht-Straße 8 in Berlin, in denen sie als Kind
Verstecken spielte, als es noch das Kunstgewerbemuseum war, dessen
Modeabteilung ihr Vater leitete, der Mann, den sie hier in Armen hält,
von der Gestapo verhört wurde, nachdem sie ihn zuvor viele Tage und
Nächte gefoltert hatten.
In jenem Sommer 1934 beginnt also nicht nur eine große Liebe
zwischen Libertas, der Enkelin jenes Grafen von Eulenburg, der als Teil
der berüchtigten »Kamarilla« mit Kaiser Wilhelm II. homoerotisch
verbunden war, und Harro, dem Großneffen des berühmten Admirals von
Tirpitz. Sondern es bildet sich auch der Kern jener Widerstandsgruppe,
die die Gestapo später »Die rote Kapelle« taufen wird. Doch zunächst
stürzen sich Harro und Libertas ins Leben – und ziehen zusammen in die
Wohnung von Richard von Raffay, auf dessen Segelboot sie sich
kennengelernt haben. Libertas arbeitet als Pressereferentin für die
amerikanische Filmfirma Metro-Goldwyn-Mayer und schleppt Harro
abends nach seinem Dienst im Reichsluftfahrtministerium in die neuesten
Filme von Greta Garbo und John Wayne. Danach tanzen sie in der
Jockey-Bar – und wenn es zu heiß ist fürs Kino, dann dürfen sie mit
Richards Jolle wieder raus auf den Wannsee segeln und träumen. Bald
kauft sich das junge Paar einen Opel, sie taufen ihn auf den Namen
»Spengler«, nach dem Verfasser vom Untergang des Abendlandes.

Warum muss der Schriftsteller und Journalist Wolfgang Koeppen im


Sommer 1934 Deutschland so fluchtartig verlassen? Er ist weder Jude
noch Kommunist, er hat sich auch nie mit dem Regime angelegt. Die
Antwort ist ganz einfach: Er muss gehen, weil er die falsche Frau liebt.
Als er im März aus Italien nach Berlin zurückgekehrt ist, hat er sein altes
Leben aufgenommen und sich wieder in die Cafés am Kurfürstendamm
gesetzt, überall nach Anzeichen dafür suchend, dass sich die Welt nun
grundsätzlich geändert habe. Da trifft er eines schönen Apriltages auf der
Terrasse des Cafés im Hotel Bristol eine blutjunge Frau, die flatternde
Sommerkleider trägt und einen großen Hut. Sie hat zwei riesige Hunde.
Und über diese Hunde freundet sich Koeppen mit ihr an. Er erfährt: Sie
ist achtzehn Jahre jung und die Frau eines SS-Führers. Interessant, sagt
Koeppen da. Als Ende Juni dann der inszenierte Röhm-Putsch kommt
und die erste Mordwelle der Nazis durch Berlin rauscht, da fragt
Koeppen die junge Frau, mit der er eine Affäre angefangen hat: Ist dein
Mann schon erschossen? Darauf sie: Nein, er erschießt.
In dieser Nacht verliert die Frau des erschießenden SS-Führers ihr
Herz an den jungen Schriftsteller. Sie kommt spätabends zu ihm und geht
im Morgengrauen. Manchmal lässt sie ihre Hunde bei Koeppen, wie
einen Pfand, damit er weiß, dass sie am nächsten Abend wiederkommt,
um sie abzuholen. »Es entwickelte sich«, so sagt Koeppen, »zwischen
mir und dem schönen, doch gänzlich amoralischen Mädchen ein
Roman.« Doch ganz offensichtlich hat der Ehemann der untreuen jungen
Dame den Nebenbuhler und Romanautor Koeppen entdeckt. Und so
muss Koeppen eines Tages, ohne Koffer zu packen, Berlin Hals über
Kopf verlassen und sein Heil im Exil suchen. Er fährt dafür in die
Niederlande. Erst vier Jahre später kehrt er noch einmal nach
Deutschland zurück, als er weiß, dass die Frau des SS-Führers von
Charlottenburg inzwischen von der Bildfläche verschwunden ist.

*
1934 heiraten endlich Salvador Dalí und Gala. Und deren Ex-Mann Paul
Éluard feiert gleich darauf Hochzeit mit seiner Geliebten, der 28-jährigen
Schauspielerin Maria Benz, genannt Nusch. Lee Miller wiederum kehrt
aus Amerika zurück und heiratet den Ägypter Aziz Eloui Bey, in dessen
Auftrag sie zwei Jahre zuvor noch seine damalige Gattin porträtierte.
Kurzzeitig also halbwegs geordnete Verhältnisse an der surrealistischen
Front.

Ach, und Tamara de Lempicka, die exzentrische polnische Malerin in


Paris, heiratet auch. Im Jahr zuvor hat sie ihrem Verehrer, dem
steinreichen Baron Raoul Kuffner, noch erklärt, eine Hochzeit passe
gerade zeitlich schlecht. Aber nun ist sie vernünftig geworden (sie hat
zufällig einen seiner Bankauszüge gesehen). Es ist also eine Vernunftehe
und auch eine des guten Geschmacks. Sie verehrt ihn mit seinen
aristokratischen Manieren wie einen Vater. Sie findet ihn nur viel zu dick.
Sexuelle Erfüllung, darüber sind sich die Ehepartner wie Simone de
Beauvoir und Jean-Paul Sartre einig, solle jeder außerhalb des
heimischen Schlafzimmers suchen. »Ich liebte meinen Mann«, sagt
Tamara de Lempicka, »aber zur Inspiration brauchte ich auch andere
Männer um mich. Ich ging abends gerne aus, und dann sollte ein gut
aussehender Mann zur Stelle sein und mir sagen, wie schön oder was für
eine großartige Künstlerin ich sei und meine Hand streicheln. So etwas
brauche ich.«

*
Auch unsere schönste Fee, die ewig Verlorene und ewig Suchende
Annemarie Schwarzenbach, versucht zu heiraten: Sie verlobt sich mit
Claude Clarac, einem bis in die Zehenspitzen eleganten Franzosen, der
Botschafter in Teheran ist. Clarac schenkt der Autofanatikerin einen
neuen Sportwagen, und sie zieht 1935 zu ihm in seine Villa außerhalb
von Teheran, die so luxuriös ist, dass es selbst der Schweizer
Industriellentochter imponiert: Ein riesiger Park, ein Badeteich und
unzählige Bedienstete, die den ganzen Tag um Annemarie
Schwarzenbach herumschwirren und ihr jeden Wunsch von den Augen
ablesen. Na ja, jeden natürlich nicht. Denn immer, wenn sich die Sonne
senkt über Teheran und ein glühend roter Ball wird, dann wächst in ihr
die Sehnsucht nach den Drogen, nach dem Morphium, dem Veronal.
Aber sie findet auch hier Mittel und Wege, und so lebt sie bald ihr Leben
im Dämmerzustand weiter, diesmal im orientalischen Luxus. Ihren Mann
sieht sie kaum, was ihr sehr entgegenkommt. Als Homosexueller hat er
dringend eine Gattin gebraucht, um in dem muslimischen Land akzeptiert
zu werden. Annemarie Schwarzenbach verkriecht sich in diesen
verborgenen Winkel der Welt und legt die Ohren an: »Ich habe Angst vor
der Rückkehr«, schreibt sie, denn »ich glaube an nichts und niemanden,
und ich zweifle an meinem Leben. Deswegen fühle ich mich versucht
hierzubleiben, fern der Welt.« Die brutale Erika Mann, für die Annemarie
Schwarzenbach ein Leben lang, obwohl sie unerwidert bleiben,
romantische Gefühle hat, schreibt über sie an ihren Bruder Klaus: »Es ist
ein Sonderbares mit dem Kinde. Und leider wird wohl nie etwas dabei
herauskommen, weder menschlich noch produktiv. Auch ihre Skepsis
sich selber gegenüber hat etwas Schlappes.« Wie gut, dass Annemarie
Schwarzenbach diese Stilkritik ihrer Verzweiflung nie lesen musste. Es
reicht, dass wir Nachgeborenen sie kennen. Aber da wir nun auch ihre
Produktivität kennen, ihre Bücher und ihre Fotografien vor allem, wissen
wir, dass viel mehr dabei herausgekommen ist, als Erika Mann es sich
vorstellen konnte.

Am 28. April 1934 schreibt der französische Schriftsteller und Antisemit


Céline seiner jüdischen Geliebten Cillie Pam nach Wien: »Die
Menschheit wird nur durch die Liebe für die Schenkel gerettet werden.
Alles Übrige ist nur Hass und Langeweile.«

Und wie ist die Lage bei Erich Maria Remarque? Im Herzen nichts
Neues.
Er hat Angst vor den Frauen, wenn sie ihm zu nahe kommen – und
wenn sie weg sind, vermisst er sie. Und Jutta Zambona, von der er
endlich geschieden ist, sitzt seitdem in seinem herrlichen Haus in Porto
Ronco die ganze Zeit auf seinem Schoß. Draußen schlagen die sanften
Wellen an die Ufermauer, die Palmen recken sich im warmen Wind,
drinnen dämmert ein gut gebräuntes Exilantenpaar in größtem Wohlstand
und auf kleinster Flamme traurig vor sich hin.

Als der französische Luxusliner Île de France in Cherbourg ablegt, um


Kurs auf New York zu nehmen, sind viele Emigranten an Bord. Und zwei
Suchende. Schon am ersten Abend, der Mond scheint still und rund über
dem unendlichen Atlantik, begegnen sie sich auf Deck, weil sie beide
nicht schlafen können und den Blick in die dunkle Weite dem in die
Leere ihrer Kabine vorziehen. Es sind Marlene Dietrich und Ernest
Hemingway, und es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch scheint diese
Liebe immer platonisch zu bleiben. Unzählige Briefe gehen hin und her
in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Er nennt sie »Kraut« wegen
ihrer deutschen Herkunft, sie ihn »Papa«. Und dieser Papa Hemingway
erklärt das Problem so: Das zwischen ihnen sei einfach tragischerweise
eine »unsynchronisierte Leidenschaft«. Also, wenn er gerade mal heftig
verliebt ist in die Dietrich, »dann war die Kraut gerade tief in irgendeiner
romantischen Verwicklung, und wenn die Dietrich einmal an der
Oberfläche schwamm mit diesen wundervoll suchenden Augen, dann war
ich gerade untergetaucht«. Das ist fast rührend zu lesen bei diesen beiden
Liebenden, die ansonsten die späten zwanziger und die gesamten
dreißiger Jahre durchpflügen ohne jedwede Rücksicht, ob da gerade
irgendwo anders eine Leidenschaft nicht ausreichend synchronisiert ist.
Aber miteinander sind sie offenbar vorsichtig, vielleicht weil sie sich so
ähnlich sind.

Nach dem Selbstmord von Josef Stalins Frau Nadja wird sein Verhältnis
zu ihrem Bruder Pawel und dessen Frau Zhenia ebenso wie das zu ihrer
Schwester Anna und deren Mann Stanislas immer enger. Den
mächtigsten Mann der Sowjetunion, der niemandem vertrauen kann,
tröstet es manchmal, wenn er mit ihnen über seinen Schmerz sprechen
kann, der ihn seit dem Hinscheiden seiner geliebten Frau plagt; sie
kümmern sich in den weiten Fluren des Kreml auch rührend um die
beiden gemeinsamen Kinder.
Im Sommer 1934 dann putzt sich Zhenia, Stalins Schwippschwägerin,
immer mehr heraus, sie trägt die Kleider von Nadja und manchmal, wenn
Stalin mit der Familie zu Abend isst und das Licht von links kommt,
dann sieht sie, so scheint es ihm, ein klein wenig aus wie Nadja. Als
einzige Person in seinem Umfeld hat Zhenia keine Angst vor Stalin –
ihrem Mann hingegen wird Stalin nie verzeihen, dass er Nadja jenen
Revolver aus Berlin mitgebracht hat, mit dem sie sich erschoss. Und ihrer
Schwester verzeiht er nicht, dass sie Nadja so herausgeputzt hat an jenem
verhängnisvollen Abend. Auf jeden Fall beginnt Stalin ein Verhältnis mit
Zhenia, aus nostalgischen Gründen eher, und damit er nicht immer
alleine schlafen muss. Es geht eine Weile gut. Erst 1938 werden dann alle
von Stalins Schergen ermordet, also seine Geliebte Zhenia, ihr Mann
Pawel, Nadjas Schwester Anna und deren Ehemann Stanislas.

Im Frühjahr 1934 ist Henry Miller aus Clichy, wo er die Stillen Tage in
Clichy mit Anaïs Nin erlebt hat, weiter ins Zentrum von Paris, in die Villa
Seurat Nr. 18 im 14. Arrondissement, gezogen, eine herrliche
Atelierwohnung, die zuvor kurzzeitig Antonin Artaud bewohnt hat, der
auch kurzzeitig ein Liebhaber von Anaïs Nin gewesen ist. Am Tag seines
Einzuges bekommt Miller mit der Post das erste druckfrische Exemplar
seines neuen Buches Wendekreis des Krebses geschickt. Es ist der
Wendepunkt in Millers Leben: Er ist, sichtbar für alle, ein Schriftsteller.
Und er hat nach Jahren des Vagabundierens und Schmarotzens endlich
eine feste Wohnung. Zwar wird die wieder von Anaïs Nin bezahlt,
beziehungsweise von deren treuem Gatten Hugo, aber wir wollen es nicht
zu genau nehmen. Als dazu die Scheidungsunterlagen aus New York
eintreffen, und seine Frau June also endlich bereit ist, einen Schlussstrich
zu ziehen unter ihre turbulente Ehe voll Verletzungen und unerfülltem
Begehren, da schreibt Henry Miller in sein Tagebuch nur ein Wort:
»Hurra«.
Nun, da June ihn nicht mehr weiter bedrohen kann in seiner
Unabhängigkeit, ist er in der Lage, sich ihr literarisch zu nähern. Er
beginnt sein neues Buch Wendekreis des Steinbocks, und er erzählt die
Geschichte ihrer Ehe. Während er im Unterhemd an seiner
Schreibmaschine sitzt, vom Grammophon mit Bach und Jazz beschallt,
liegt Anaïs Nin auf seinem Sofa und vergöttert ihn. Doch als er seiner
Muse dann irgendwann später das Manuskript zu lesen gibt, ist sie
empört: Er reduziere Frauen auf Sexualobjekte, »du vereinfachst die
Welt«, sagt sie ihm, und seine Einstellung zur lesbischen Liebe sei
»einfach nur primitiv«. Henry Miller hört sich das ungerührt an und
ändert kein Wort. Er sagt ihr: »Ich will das Monster werden, das ich bin.«

Der schelmische Surrealist Max Ernst aus Brühl bei Köln ist ganz
offenbar der am meisten unterschätzte Herzensbrecher der frühen
dreißiger Jahre. Das Jahr 1934 beginnt für ihn mit einer
leidenschaftlichen, glühenden Liebe zu Meret Oppenheim, der jungen
Schweizer Künstlerin, die zuvor Alberto Giacometti und Man Ray die
Köpfe verdreht hat, und der sich nur Ernst gewachsen fühlt. Fast täglich
schreibt er ihr: »Meretli, Meretli, Meretli, ich liebe, küsse dich, dein
Max.« Oder, zwei Tage später: »Ich bin unrasiert, ich kratze, wenn du das
in Kauf nehmen willst, so küsse ich dich, überall.« Und als Nächstes:
»Meretli, ich muss ununterbrochen an dich denken. Solltest du mich
nicht vergessen haben, so sag’s mir. Ich bin immer wieder überrascht von
deiner Schönheit.« Meret Oppenheim fühlt sich das erste Mal in ihrem
Leben mit Haut und Haaren geliebt. Max Ernst schreibt ihr in
aufreizender Flapsigkeit: »Ich bin dir treu, im besten Sinne des Wortes:
Die Maus von Milo kann mich nicht reizen, geschweige denn die Venus
von Montmartre. Nur dich liebe und begehre ich. Sollte es Krieg geben,
so komm schleunigst vorher nach hier, damit wir in dasselbe
Konzentrationslager kommen, nicht nur zum Schachspielen.« So geht das
einen Winter und einen Frühling und einen Sommer lang.
Doch dann im späten Sommer, an einem drückend heißen Tag in
Paris, da sagt sie ihm im Café Rhumerie Martiniquaise, aus heiterstem
Himmel: »Ich will dich nicht mehr sehen.« Max Ernst ist völlig
erschüttert. Es ist für ihn, so schreibt er, wie das »Hereinbrechen einer
Naturkatastrophe« (er wird sie überleben).
Meret Oppenheim aber hat das sichere Gefühl, sich nicht länger in die
Liebe zu diesem Mann verstricken zu dürfen, wenn sie eine Künstlerin
werden will, die nicht in seinem Schatten steht. Sie opfert diese
Leidenschaft auf dem Altar ihrer Kreativität. Sie will nicht Muse sein,
sondern Künstlerin. Sie glaubt, an der Seite von Max Ernst keine werden
zu können. Vermutlich hat sie recht. Bald schon schafft sie die
pelzbesetzte Suppentasse, eines der wichtigsten Werke des Surrealismus
überhaupt. Und so wie diese Tasse auf widersinnige Weise das flüssige
Heiß mit dem Pelz zu schützen versucht, so hat sie ihr dampfendes Herz
in die Kälte des Abschieds gehüllt. Max Ernst dichtet: »Wer überzieht die
Suppenlöffel mit rostbraunem Pelzwerk? Das Meretlein. Wer ist uns über
den Kopf gewachsen? Das Meretlein.«
Sie weiß, dass Frauen nach der Vertreibung aus dem Paradies selbst
dafür sorgen müssen, den Männern über den Kopf zu wachsen, auch
wenn ihnen das schon die Bibel nicht zugetraut hat. Meret Oppenheim
schreibt: »Nur der Mann sündigt nach der patriarchalischen Auffassung.
Nämlich indem er vom Apfel isst. Die Sünde besteht also in der
Fähigkeit, seine Handlungen bewusst beurteilen zu können. Adam
gesteht diese Fähigkeit Eva nicht zu, obwohl sie zuerst vom Apfel aß.«
Der verstörte Max Ernst sucht nach dem Verlust dieser apfelessenden
Eva einen Ersatz, denn es erscheint ihm unmöglich, nach den Monaten
des verspielten Glücks mit dieser geistig so aufgeweckten jungen Frau zu
seiner Gattin und dem Kind ins traute Heim zurückzukehren. Da trifft es
sich bestens, dass er bei einer Arbeit für das Schauspielhaus in Zürich
Lotte Lenya kennenlernt. Die ist gerade nicht mehr verliebt in ihren
Tenor Otto Pasetti, dessen Glücksversprechen sowohl in den Casinos als
auch im Leben immer seltener aufzugehen scheinen. Und noch nicht zum
zweiten Mal in ihren ersten Ehemann Kurt Weill. In diesem
Schwebezustand begegnet ihr Max Ernst, und sie schenken sich Monate
des fröhlichen Verliebtseins, der erotischen Briefe, der Wochenendtrips
quer durch Südeuropa. »Einen Unsinn mit so viel Ernst«, wie sie es
glucksend nennt. Sie genießt in vollen Zügen, dass Max Ernst seine
schreiberischen Künste, die er schon an Gala erprobt hat, bevor sie Dalí
kennenlernte, und bis vor kurzem an Meret Oppenheim, nun in
phantasievollen Briefen an sie auslebt. Sie badet in seiner
Aufmerksamkeit, fühlt sich begehrt durch seine Worte und geliebt und
geneckt. Kurt Weill wird von Lenya brav davon unterrichtet, dass nun ein
neuer Galan am Firmament erschienen ist. Und was nun macht dieser
Kurt Weill, der das Lotterleben seiner Lotte an der Riviera mit ihrem
windigen Liebhaber seit Jahren finanziert? Er finanziert auch das Leben
ihres nächsten Geliebten und macht in Paris Himmel und Hölle heiß, auf
dass man Gemälde des Surrealisten Max Ernst kaufen möge. Ist das noch
Wahnsinn oder schon Liebe? Er schreibt an Lotte: »Nun lebe, Kleene.
Viele Bussi dein Knuti.«

Das Jahr 1934 ist das Jahr der offenen Worte von Ernest Hemingway an
F. Scott Fitzgerald. Als der ihm ein ums andere Mal geschrieben hat,
warum er nicht zum Schreiben komme und wie sehr er unter seiner Frau
Zelda und ihren schizophrenen Schüben leide, da schreibt ihm sein guter
alter Freund, der Haudegen Hemingway: »Von allen Leuten auf der Welt
warst du derjenige, der bei der Arbeit Disziplin gebraucht hätte, und
stattdessen heiratest du jemand, der auf deine Arbeit eifersüchtig ist, sich
mit dir messen will und dich kaputtmacht. So einfach ist das alles freilich
nicht; ich habe Zelda, als ich sie kennenlernte, für verrückt gehalten, und
du hast alles nur noch mehr kompliziert, weil du sie liebtest und –
natürlich bist du ein Säufer. Du bist ein noch größerer Säufer als Joyce.«
Diese Wahrheiten also muss F. Scott Fitzgerald über sich lesen, als
sein Roman Zärtlich ist die Nacht erscheint, in welchem er seiner Liebe
zu Zelda, ihren Jahren in der Psychiatrie und seiner Liebe zum Alkohol
ein literarisches Denkmal setzt.
Zelda Fitzgerald hingegen verbringt das komplette Jahr 1934 in der
Psychiatrie: Vom 2. Januar bis zum 12. Februar im Sheppard Pratt
Hospital bei Baltimore, vom 12. Februar bis 8. März in der Henry Phipps
Psychiatric Clinic an der Johns Hopkins Universität, vom 8. März bis
zum 19. Mai in der Psychiatric Clinic Craig House in Beacon und vom
19. Mai bis zum Jahresende wieder im Sheppard Pratt Hospital. Sie
unternimmt mehrere Selbstmordversuche.
In den Psychiatrien, zwischen ihren depressiven Schüben, schreibt sie
an einem Text, der »Zeigen Sie Mr. und Mrs. Fitzgerald bitte ihr
Zimmer« heißt. Er erscheint in der Juniausgabe des Magazins Esquire.
Der Text besteht aus einer Liste und Beschreibung aller Hotelzimmer, in
denen die Fitzgeralds seit ihrer Überfahrt nach Europa im Jahr 1921
gewohnt haben. Es ist ein Gruß an die gemeinsamen Wanderjahre und
eine Bilanz von erschreckender und faszinierender Genauigkeit. Nur in
einer Psychiatrie im amerikanischen Nirgendwo, stundenlang ans Bett
gefesselt, kann man sich so präzise an den Geruch der Bettwäsche in den
Hotels in Juan-les-Pins erinnern und daran, wodurch er sich von dem der
Kissen in Monte Carlo unterschieden hat. Sie weiß genauso gut wie ihr
Mann: Die dreißiger Jahre müssen den Preis für die zwanziger Jahre
zahlen, im Allgemeinen, aber auch besonders im Falle von Zelda und
F. Scott Fitzgerald.

An die gemeinsame Tochter Scottie, die ausschließlich bei ihrem


Kindermädchen aufwächst, schreibt der Vater diese zärtlichen Worte über
Zelda: »Die Geisteskranken sind immer einfach nur Besucher auf der
Erde, ewig Fremde, die zerbrochene Gesetzestafeln mit sich tragen, die
sie nicht lesen können.« Und dann gibt er ihr, so wahr wie verloren, die
folgenden Worte mit auf den Weg: »Du hattest in deinen Eltern zwei
recht schlechte Vorbilder. Tu einfach alles, was wir nicht getan haben,
dann wirst du es ganz gut haben.« (Und, zum Trost für uns alle: Sie wird
es erstaunlicherweise wirklich ganz gut haben, heiraten und vier Kinder
bekommen und erst 1986 sterben, begraben direkt neben ihren Eltern am
Friedhof in Rockville, Maryland.)
*

Die Landschaft sei im Grunde nur der Hintergrund für Liebe, so hat
Helen Wolff es 1932 in ihrem Roman formuliert. Und an dieses Gebot
halten sie und ihr Mann Kurt sich. Von Nizza aus, wo ihr Sohn geboren
wird, ziehen sie weiter in die Nähe von Florenz und betreiben dort in den
Bergen eine kleine Pension, versorgen sich selbst mit Eiern und Gemüse
und Feigen, kochen für die Gäste. Von dort müssen sie dann aufbrechen,
als in Italien unter Mussolini keine deutschsprachigen Juden mehr
erwünscht sind. Sie ziehen weiter nach Paris und träumen davon, nach
Amerika zu emigrieren. Irgendwann haben sie Pässe und Visa und es
gelingt ihnen die Flucht und sie werden in New York ab 1941 das
Verlegerpaar sein, das viele Jahrzehnte lang den amerikanischen Lesern
mit den Pantheon Books die beste Literatur des alten Europas vermittelt.
Uwe Johnson etwa wird Helen Wolff seine Jahrestage widmen und
Günter Grass ihren Tod betrauern. Aber dafür müssen auch sie und Kurt
Wolff sich erst einmal durch die bedrückenden und endlosen dreißiger
Jahre hindurchquälen.

Für Klaus Mann beginnen die unruhigen Jahre des Exils, dabei ist er
schon immer sehr viel Zeit gereist, um seinen inneren Dämonen zu
entfliehen. Er wird außer dem Haus der Eltern in der Poschingerstraße
nie in seinem Leben eine feste Wohnung haben. Legendär ist sein
Gedicht »Gruß an das zwölfhundertste Hotelzimmer«, aber bei der Zahl
war er schon 1931 angekommen, mit gerade einmal 24 Jahren. Jetzt, drei
Jahre später, ist sein Leben zu einer einzigen Flucht geworden, befeuert
von seiner Wut auf die Nazis, fast täglichen Drogenspritzen mit Veronal
und der gehetzten Jagd auf flüchtige Eroberungen in Hafenspelunken.
»Er saß eigentlich nie«, beobachtet Elias Canetti, »er rutschte hin und
her, sprang auf, lief davon, wandte sich bald diesem, bald jenem zu, sah
an ihm vorbei und sprach zu einem anderen, den er auch nicht sah, er
schien niemanden sehen zu wollen, so viel sah er.«
Meist ist Klaus Mann in Amsterdam, wo seine Exilzeitschrift Die
Sammlung erscheint, er reist regelmäßig für längere Zeit nach Paris und
besucht die Eltern in Zürich, ist aber auch mal in London, in Moskau (wo
sie alle hinreisen in diesen dreißiger Jahren, Heinrich Mann,
Feuchtwanger, Brecht, mit einer irrigen Erlösungssehnsucht, aber das
wäre ein eigenes Buch), er ist in Prag und in New York. Dazwischen
Erholung an den Stränden des Mittelmeeres, von wo man, wie ihm
Gottfried Benn vorgeworfen hat, die Lage im inneren Deutschland
angeblich sehr schlecht beurteilen kann. Aber Klaus Mann beweist ihm
das Gegenteil. Egal ob in Paris, in Amsterdam oder an der Riviera: Er
erkennt messerscharf, wo das Dritte Reich Verrat begeht am deutschen
Geist. Und wer die jeweiligen Mitverräter sind. Als er einen Vortrag in
Brünn hält, da kündigt ihn die Volkshochschule mit diesen schönen
Worten an: »Klaus Mann – Sohn des Nobelpreisträgers Thomas, Neffe
Heinrichs, aber im Schatten der Titanen selbst schon zur machtvollen
literarischen Persönlichkeit gereift, zum kampffrohen Zukunftsführer der
›auslandsdeutschen‹ Jugend emporgewachsen.«
Dieser kampffrohe Zukunftsführer muss erleben, dass in diesen Jahren
nicht nur große Autoren wie Robert Musil und Stefan Zweig, sondern
selbst sein Vater Thomas davon absehen, für seine Zeitschrift Die
Sammlung zu schreiben, denn sie alle wissen, dass dies gleichbedeutend
wäre mit dem kompletten Verbot ihrer Bücher in Deutschland. So kämpft
Klaus Mann einen immer verzweifelteren Kampf für Wahrheit und
Freiheit – und muss erkennen, dass viele, die er bewundert und einer, den
er sogar liebt, andere Prioritäten setzen. Aber er gewinnt eine neue, tiefe
Freundschaft hinzu: die zu Fritz Landshoff, dem hellen Kopf hinter dem
Exilverlag Querido (und Cousin von Ruth Landshoff), mit dem er in
Amsterdam jeden Abend verbringt, redend, trinkend, arbeitend.
In Amsterdam residieren die beiden Exilverlage Querido und Albert
de Lange, bei letzterem sind Hermann Kesten und Walter Landauer für
das deutsche Programm verantwortlich. »In gemeinsamen
Abendsitzungen machten wir das Verlagsprogramm für beide Verlage«,
schreibt Fritz Landshoff, »während tagsüber mit Mühe der Anschein der
Konkurrenz gewahrt wurde.« In beiden Verlagen erscheinen in den
dreißiger Jahren die Bücher der Emigranten, also etwa von Heinrich
Mann und Lion Feuchtwanger, von Anna Seghers, Joseph Roth, Ernst
Toller und Vicki Baum, von Alfred Döblin, von Erich Maria Remarque
und Irmgard Keun. Die deutsche Literatur war emigriert.

Es ist vor allem sein würdevoller Stolz, der die Aufseher im KZ


Oranienburg so provoziert. Und darum wird der jüdische Kommunist
zum bevorzugten Objekt der Misshandlungen durch die SA. Gerade ihn
wollen sie brechen.
Ein Jahr zuvor hat Erich Mühsam in der letzten Sitzung des
Schutzverbandes deutscher Schriftsteller als einer der wenigen geahnt,
was kommen würde: »Wir, die wir hier versammelt sind, werden uns alle
nicht wiedersehen. Wir sind eine Kompanie auf verlorenem Posten. Aber
wenn wir hundertmal in den Gefängnissen des Dritten Reiches verrecken
werden, so müssen wir heute noch die Wahrheit sagen, hinausrufen, dass
wir protestieren. Wir sind dem Untergang geweiht.«
Als die SS im Juni 1934 das KZ Oranienburg übernimmt, ist das sein
Todesurteil. Der neue Kommandant legt Mühsam nahe, sich innerhalb
von zwei Tagen umzubringen, sonst müsse man nachhelfen. Nach zwei
Tagen finden ihn die Mithäftlinge erhängt in der Latrine – es war
sichtlich kein Selbstmord, sondern Mord. Es ist der 9. Juli 1934. Im
Berliner Tagblatt wird sein Tod als Suizid gemeldet, also in jener
Zeitung, in der er ein Jahr zuvor noch Autor des Feuilletons gewesen ist.
Als seine Frau Zenzl informiert wird, bricht sie zusammen.

In Nizza, 121 Promenade des Anglais, hat sich im Sommer 1934 eine
ganz besondere Hausgemeinschaft der Exilliteratur für sechs Monate
zusammengefunden: Im dritten Stock des schmalen Hauses mit
Meerblick wohnen Heinrich Mann und Nelly Kröger, darunter Joseph
Roth und Andrea Manga Bell, und in der Beletage Hermann Kesten mit
seiner Ehefrau Toni. Und sobald sie alle zusammensitzen oder auf einem
der Balkone aufs tröstende Meer schauen, geht es nur um das eine, wie
sich Kesten erinnert: »Joseph Roth erzählt eine Liebesgeschichte aus
Podolien, Heinrich Mann eine Liebesgeschichte aus Palestrina und Frau
Nelly Kröger Geschichten aus ihrer Mädchenzeit am Kurfürstendamm –
berlinerisch ausgezogene, sozusagen splitternackte Geschichten, die
mehr nach rotem Wein schmeckten als nach Nachtigallenzungen. Sie
erzählte, wie sie zu zweien oder allein mit irgendeinem hergewehten
Jüngling tanzen gingen. Geschichten voll Kichern, Kosen, Küssen.« So
also versuchen die drei Paare in Nizza durch Gedanken an Liebende in
Podolien, Palestrina und Berlin-Charlottenburg ihr leidvolles Leben in
der Emigration zu vergessen. Aber es fällt allen drei Paaren von Monat
zu Monat schwerer. Ihre Beziehungen leiden unter der Angst, der
Existenznot und den ständigen Umzügen – und unter dem Alkohol, mit
dem sie dagegen antrinken.

Zu den am schwersten zu ertragenden Passagen in den Tagebüchern von


Anaïs Nin gehören jene über ihre Abtreibung im September 1934. Sie ist
schwanger, weiß aber nicht genau, von wem, denn im fraglichen
Zeitraum im Februar ist sie sowohl mit Henry Miller als auch mit ihrem
Mann Hugo und ihrem Psychiater Otto Rank intim gewesen. Sie will das
Kind auf keinen Fall bekommen, denn: ihre Berufung sei die Rolle der
»Geliebten, ich habe bereits zu viele Kinder«, wie sie schreibt. Sie will
weiter die Männer um sich betreuen, kein kindliches Wesen, dessen
Codes sie nicht beherrscht und das am Ende gar Macht über sie
übernehmen könnte.
Am 17. September findet sie einen aus Berlin geflüchteten jüdischen
Arzt, der die Abtreibung vornimmt, obwohl sie bereits im sechsten
Monat ist. In ihr Tagebuch schreibt sie, dass sie den Arzt, während er mit
medizinischem Gerät das Leben in ihr auszulöschen versucht, »zu einem
Gespräch über die Verfolgung der Juden in Berlin verführte«. Sie hat also
auch den seltenen Moment, in dem sie scheinbar auf die Hilfe eines
Mannes angewiesen ist, zu einer Machtdemonstration gemacht (und sie
schreibt wirklich »verführte«). Lange betrachtet sie das tote kleine
Mädchen, das sie gebiert. Dann schminkt sie sich und schlüpft in ein
Seidenjäckchen, um alle potenziellen Väter in der Klinik zu empfangen:
erst Henry Miller, dann Rank, dann Hugo. Miller erzählt ihr, dass die
Veröffentlichung von Wendekreis des Steinbocks kurz bevorstehe. Nin
sagt: »Das ist eine Geburt, die mich wesentlich mehr interessiert.« Als
sich Henry verabschiedet hat, trinkt sie mit ihrem Mann Hugo im
Krankenzimmer ein Glas Champagner.

Die Jahre nach seiner Rückkehr aus Berlin sind für Jean-Paul Sartre die
düstersten seines Lebens. Er ist in Berlin dick geworden, fühlt sich wie
ein kleiner Buddha und hasst es, aus der Weltstadt nun nach Le Havre in
die französische Provinz zu müssen, um Pubertierenden die großen
Fragen der abendländischen Philosophie nahezubringen. Und auch sonst
muss sein Selbstbewusstsein einige harte Schläge einstecken. Zunächst
einmal der Schock, als er feststellt, dass ihm die Haare ausgehen, dass er
kahl wird, dass also das Alter erstmals und unwiderruflich nach ihm
greift. Dann die Demütigung, dass Gallimard, der Verlag seiner Träume,
sein Buch Der Ekel für unzureichend befindet und ablehnt, nachdem er
vier Jahre lang daran gearbeitet hat. Und schließlich: seine Misserfolge
als Don Juan. Seine Berliner Geliebte Marie Ville ist mit ihrem Ehemann
nach Paris gereist und will fortan nichts mehr von ihm wissen. Noch
enttäuschender ist sein vergebliches Bemühen um die junge Russin Olga,
eine ehemalige Schülerin und nunmehrige Geliebte seiner ewigen Gattin
Simone de Beauvoir. Tag um Tag umschwärmt er sie, versucht, ihr zu
gefallen, doch es nützt nichts. So steckt also Jean-Paul Sartre anno 1935
in einer veritablen Männlichkeitskrise. Und Simone de Beauvoir kann
ihm da nicht weiterhelfen, denn ihrer Liebe ist er sich sicher, sein Ego
und sein Testosteronspiegel brauchen einen neuen Schub aus einer
anderen Richtung. Er probiert es mit einer Meskalin-Injektion, doch sie
führt nur zu Halluzinationen, monatelang erscheinen ihm plötzlich
Hummer vor Augen oder die Häuser schwanken wie im Fiebertraum. Die
Drogen, erkennt er, werden ihm das Leben nicht erleichtern. An einem
dieser trüben Tage besucht Simone ihren Gatten in Le Havre, sie sitzen
auf der Terrasse ihres Lieblingscafés Les Mouettes und schauen
griesgrämig auf das Meer und die Möwen und rühren in ihrem kalten
Café au Lait. Nein, sagt Sartre, heute bitte keinen Hummer. Dann klagt er
über die Monotonie ihres Lebens. Sie seien, so sagt er zu de Beauvoir,
Gefangene der bürgerlichen Welt, gezwungen zum Schulunterricht und
zur Verantwortung. Sie seien fast dreißig, aber schon am Ende. Das
nächste größere Ereignis sei der Eintritt in die Rente. Bei allem, was er
fühle, wisse er, noch bevor er es fühle, dass er es fühlen würde. Und dann
fühle er es leider nur noch halb, vollauf damit beschäftigt, es zu
definieren und zu denken. Er wirke zwar wie ein Gefühlsmensch, aber in
Wahrheit sei er eine Wüste.
So redet er und redet, die Möwen verziehen sich, das Meer wird
immer dunkler, und irgendwann hat Simone de Beauvoir Tränen in den
Augen und schweigt.

Nachdem Joseph Goebbels Magda Quandt geheiratet hat, ist seine


zeitweilige Geliebte Olga Bronnen ganz auf ihren Ehemann Arnolt
angewiesen, was diese Ehe sehr schnell zum Erliegen bringt. Einmal
marschiert sie in die Redaktion des Radiosenders Funk-Stunde, in der
Arnolt Bronnen, der ehemalige Dramatiker, nun arbeitet, und zückt einen
Revolver, um ihn zu erschießen. Doch in diesem Moment kommt zufällig
der sehr gut aussehende Rennfahrer Manfred von Brauchitsch aus dem
Aufnahmestudio, in dem er gerade ein Interview gegeben hat, und Olga
steckt ihren Revolver ein, beginnt mit von Brauchitsch zu flirten und
verlässt dann gemeinsam mit ihm den Radiosender, um draußen
zusammen einen Kaffee zu trinken.
Olga Bronnen ist psychisch gesehen also nach wie vor in einem
besorgniserregenden Zustand, physisch aber weiterhin sehr attraktiv –
und auch aktiv. Allerdings ausschließlich jenseits des Ehebettes. Bronnen
hat darum begonnen, ganz klassisch, sich der jüngeren Frau in seinem
direkten Arbeitsumfeld zuzuwenden: der 23-jährigen Sekretärin
Hildegard von Lossow. Eine große blonde, elegante Frau aus gutem
Hause und offenbar vollkommen bei Trost. Sie übernimmt in der
Bronnen’schen Wohnung in der Helmstedter Straße sehr rasch die Rolle
der Hausfrau von der abwesenden und daran ohnehin nicht interessierten
Ehefrau. Am 11. April, es ist der erste warme Frühlingstag in Berlin,
sitzen Arnolt Bronnen und Hildegard im Vorgarten eines Cafés ein paar
Häuser neben ihrer Wohnung, als sie Olga energischen Schrittes an sich
vorbeilaufen sehen. Sie grüßen einander. Dann geht Olga in die
Wohnung, dreht den Gashahn auf und stirbt.
Als Bronnen nach Hause kommt, versucht er noch, sie
wiederzubeleben, reißt die Fenster auf, ruft panisch den Arzt, doch seine
ihm in Untreue so inniglich verbundene Frau stirbt in seinen Armen. In
jener dunklen Verschwörerwohnung, in der sie vor fünf Jahren
gemeinsam mit Goebbels und ihrem Mann überlegt hat, wie sie den
Vortrag von Thomas Mann und die Filmpremiere von Erich Maria
Remarque am besten sprengen könnte.
Im Jahr darauf heiratet Bronnen Hildegard von Lossow, verlässt mit
ihr sein altes Leben und die Wohnung, in der Olga gestorben ist, sie
ziehen in einen neusachlichen Bungalow in Kladow. Am ersten Abend in
dem neuen Haus kommt Hildegard in Bronnens Arbeitszimmer – da sieht
sie, dass er über seinem Schreibtisch ein riesiges Foto von Olga mit
sinnlich geöffneten Lippen in einem Goldrahmen platziert hat. Sie
verspürt Eifersucht und Wut. Doch was tut diese ungewöhnliche Frau?
Sie sagt nichts, geht hinaus, nimmt ein Messer – und schneidet damit im
Garten eine üppig blühende Rose ab. Die trägt sie hinauf zu ihrem Mann
und stellt sie in einer Vase vor das Foto der Verblichenen und offenbar
immer noch Angebeteten. »Das war mein Opfer an die Götter«, sagt sie
später und räumt stoisch weiter Umzugskisten aus.
Bald werden dem Ehepaar Töchter geboren, obwohl Bronnen von
Dr. med. Gottfried Benn Unfruchtbarkeit bescheinigt worden ist. Es wird
vermutet, dass diese Diagnose nicht zuletzt zustande gekommen ist, weil
Benn Hildegard von Lossow selbst gerne geheiratet hätte. Doch auch für
ihn halten die Götter noch die still ergebene adlige Gefährtin bereit, nur
Geduld.

Magnus Hirschfeld, der Begründer der Sexualwissenschaft in


Deutschland, ist ein gebrochener Mann. Sein Institut in Berlin, die
jahrzehntelang aufgebaute Bibliothek und Sammlung: zerstört. Sein
Geliebter Karl Giese: aus Frankreich, wohin sie geflüchtet sind,
ausgewiesen. Seine Gesundheit: angegriffen. Hirschfeld macht sein
Testament und setzt seine beiden Getreuen und einander in heißblütiger
Eifersucht verbundenen Partner, Giese und Li Shiu Tong, zu gleichen
Teilen als Erben ein. Er zieht von Paris weiter nach Nizza, wo er 1934 ein
letztes Mal mit deutschen Exilanten unter einer als Weihnachtsbaum
getarnten kleinen Pinie »Stille Nacht, heilige Nacht« gesungen hat. Am
14. Mai 1935 feiert er seinen 67. Geburtstag. Um zehn Uhr liest er noch
die Geburtstagspost. Um zwölf Uhr ist er tot.

Dietrich Bonhoeffer übernimmt ein Predigerseminar der Bekennenden


Kirche im westpommerschen Finkenwalde. Der erste Versuch, ein
protestantisches Mönchtum zu etablieren. Einmal ist auch die elfjährige
Maria von Wedemeyer mit dabei, als Bonhoeffer eine seiner flammenden
Predigten hält, sie kommt an der Hand ihrer Großmutter Ruth von Kleist-
Retzow, die eine der leidenschaftlichsten Förderinnen dieses
Predigerseminares ist. Er weiß da noch nicht, dass er Maria zehn Jahre
später diese Worte schreiben wird: »Von guten Mächten wunderbar
geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.«
Denn 1935 fällt ihm jemand ganz anderes ins Auge: Er heißt Eberhard
Bethge, ein sanfter, schmaler Theologe und Pfarrerssohn. Der 29-jährige
Bonhoeffer und der 26-jährige Bethge sind nach wenigen Tagen
unzertrennlich. Verdattert schreibt Bonhoeffer in sein Tagebuch, dass er
eine solche Nähe wie zu Eberhard in seinem ganzen Leben noch zu
keinem Menschen und vor allem auch zu keiner Frau gefühlt habe.
Abends, nach dem Unterricht, begleitet Bonhoeffer seinen Schüler und
Geliebten am Klavier, während dieser mit hellem Tenor Händel singt. Als
der Kurs zu Ende ist, teilen sich die beiden wie selbstverständlich das
Zimmer in Bonhoeffers gutbürgerlichem Berliner Elternhaus, sehr bald
haben sie ein gemeinsames Bankkonto, und an Weihnachten
unterzeichnen sie die Grußkarten fortan mit »Dietrich und Eberhard«. Er
fühle sich, so schreibt Bonhoeffer, weniger zur Ehe hingezogen als
vielmehr zu »kompromisslosen Freundschaften«. Wir wissen nicht, wie
weit der Kompromiss zwischen den beiden protestantischen Mönchen in
diesem Fall gegangen ist.

Erika Mann, weiterhin liiert mit der Schauspielerin Therese Giehse,


schreibt an ihren Ex-Mann, den nunmehrigen Intendanten des
Schauspielhauses Gustaf Gründgens, und bittet ihn, ihr die
Originalunterlagen der Scheidung zuzusenden. Sie plant, den
homosexuellen britischen Dichter W.H. Auden zu heiraten, um die
britische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Ihr Bruder Klaus hat erst auf
Christopher Isherwood verwiesen, doch der meint, leicht verängstigt,
Auden passe irgendwie besser. Erst gibt es kleine Komplikationen, weil
der Bräutigam auf dem Standesamt in Ledbury leider weder weiß, wie alt
seine Braut genau ist, noch, ob sie mit Nachnamen eigentlich noch
Gründgens oder schon wieder Mann heißt. Aber der britische
Standesbeamte bleibt ruhig und regt an, W.H. Auden solle doch einmal
bei seiner künftigen Ehefrau nachfragen. Das geschieht – und so heiraten
sie am 15. Juli. Es gibt ein rührendes Hochzeitsfoto, beide tragen
Krawatte zum Tweedjackett und lächeln unsicher. Erika selig darüber,
wieder einen Pass zu haben, und diesmal sogar einen britischen. Und
W.H. Auden in dem stolzen Gefühl, einen persönlichen Beitrag gegen das
Nazi-Regime zu leisten. Er geht nach Eheschließung und dem Fototermin
direkt wieder in seine Downs School, in der er Englisch unterrichtet. Und
Erika Mann nimmt den Zug zurück nach London. Anders als manch
andere Ehepaare mögen die beiden Frischverheirateten einander nach der
Hochzeit noch. Ja, W.H. Auden wird später in Brooklyn in einer illustren
Wohngemeinschaft mit Erikas homosexuellem Bruder Golo Mann
wohnen, mit dem Komponisten Benjamin Britten, mit Paul Bowles und
der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers, die sich
unsterblich in Erikas Freundin Annemarie Schwarzenbach verlieben wird
(nein, die Liebesverhältnisse in den dreißiger Jahren werden einfach
nicht übersichtlicher). Für die anhaltende Wut seiner Frau auf die
Brutalitäten und Dummheiten des Nazi-Regimes hat Auden zudem einen
weisen Rat: »Hasse nicht zu viel.« Und für deren Partnerin Therese
Giehse findet er auch den passenden Bräutigam – seinen schwulen
Freund, den Schriftsteller John Hampson. So besitzt das Paar Erika Mann
und Therese Giehse also, dank der Doppelheirat mit der angelsächsischen
Hochliteratur, 1936 plötzlich englische Pässe. Dass sie beide dafür
Männer heiraten müssen, nehmen sie mit dem, was sie immer schon
verbunden hat: mit jenem Humor, der sich bei ihnen ab sofort sogar
offiziell britischer Humor nennen darf.

»Stell dir vor: es kommen alle Frauen / Die du einmal hattest, an dein
Bett«, so beginnt das Sonett, das Margarete Steffin voll Verzweiflung an
Bertolt Brecht geschrieben hat, ihren höchst polygamen Geliebten. Aber
der kann gut verdrängen und stellt es sich lieber nicht vor. Max
Beckmann hingegen tut es: Er sitzt 1935 in seinem Berliner Atelier, aus
seinem Amt als Professor für Malerei in Frankfurt vertrieben, als Jude in
einem dauernden Zustand der Angst. So zieht er sich malend zurück in
die Antike, schafft große mythologische Triptychen, in denen er die
Zumutungen der Gegenwart als antike Götterdramen erzählt und so zwar
von seinen Freunden, aber nicht von den Nazis verstanden wird. Doch in
ihm steigen nicht nur die alten mythologischen Bilder auf, sondern auch
die der eigenen Versuchung. Wenn er die Augen schließt, dann sind es
fünf Frauen, die ihm erscheinen, fünf Frauen, die sein Leben nachhaltig
bestimmen – und so setzt er sich also an die Staffelei und beginnt sein
größtes autobiographisches Bild. Er nennt es Fünf Frauen. Sie sind alle
im höchsten Maße unterschiedlich, in ihrem Aussehen ebenso wie in
ihrem Charakter und in ihrer Funktion für den Künstler. Selten hat ein
Maler sein komplexes Liebesleben so offenbart wie Max Beckmann. Es
ist das fehlende Puzzlestück zu den unzähligen Selbstbildnissen, die er
zeitlebens geschaffen hat. Links sieht man Lilly von Schnitzler,
Beckmanns potente und mutige Frankfurter Mäzenatin, die
großgewachsene Frau des Chefs der IG-Farben und mondäne
Gesellschaftsdame, die sogar Joseph Goebbels zum Tee eingeladen hat,
um ihn von der Qualität des angeblich entarteten Künstlers Beckmann zu
überzeugen. Neben sie platziert Beckmann die vornehme Käthe von
Porada, seine und Gottfried Benns Geliebte, auf der anderen Seite dann
Hildegard Melms, genannt »Naïla«, seine frühere leidenschaftliche
Liebhaberin, wichtigste Muse und das Modell unzähliger Werke. Auch
seine erste Frau, Minna Beckmann-Tube, eine edle Stille, die er nie
vergessen kann, hockt vorn im Bild. In der Mitte schließlich thront
selbstbewusst mit Fächer Quappi als sinnliche Verführerin, also die
aktuelle Ehefrau des Jahres 1935 – das ist der Gatte Beckmann ihr
schuldig.

Die Schauspielerin Brigitte Helm beendet ihre Karriere genauso, wie sie
begonnen hat: spektakulär. Sie erlebt als siebzehnjährige Jungfrau und
Pensionatsschülerin ihren frühen Triumph als Maria in Fritz Langs
Metropolis. Ihre Rolle als »Maschinenmensch« in golden schimmernder
Rüstung ist neben der in Dessous und Zylinder auf einem Fass sitzenden
Marlene Dietrich im Blauen Engel das zweite ikonische Bild des frühen
deutschen Films. Doch während die Dietrich ein Leben lang an ihrem
Status als Ikone arbeitet, wählt Brigitte Helm nach einem ebenso
fulminanten Karrierestart in der späten Weimarer Republik einen ganz
anderen, radikalen Weg. Sie ist der Vamp des deutschen Films, in ihr
vereinen sich, wie Fritz Lang sagt, »Jungfrau und Hetäre, Wildes und
Keusches«. Aber die UFA-Studios setzen ausschließlich auf die wilde
Hetäre in vibrierender Schönheit und mit goldenem Haar – in der
Tradition von Wedekinds Lulu. Und so wird sie fortan nur als die
»sündige, teuflische, glatte Schlange« gezeigt, wie die Fachzeitschrift
Der Film bilanziert. Doch der frühe Ruhm von Metropolis lastet auf ihr
wie ein Fluch, in ihren 28 Filmen versuchen sage und schreibe 24
verschiedene Regisseure für sie das zu werden, was Josef von Sternberg
für die Dietrich geworden ist.
Dann gibt sie selbst ein außergewöhnliches Interview, wehrt sich
gegen die Rollenzuschreibungen und sieht sich auf eine Frau mit »Sex-
Appeal« reduziert: »Mein Wunsch ist, dass sich 1935 daran erinnert, dass
ich vielleicht doch ein bisschen mehr kann als nur leichtsinnige,
verantwortungslose Dämchen darzustellen. Eine wirklich mütterliche
Frau spielen, das ist mein größter Wunsch.« Doch da hat Brigitte Helm
noch nicht begriffen, dass es in der Filmindustrie nicht darum geht, die
Wünsche der Hauptdarstellerinnen zu erfüllen, sondern die der
Zuschauer.
So muss sie das mit dem Glück eben selbst in die Hand nehmen. Ihr
letzter Film trägt bezeichnenderweise den Titel Ein idealer Gatte – und
die Ironie des Schicksals will es, dass passend zu den Dreharbeiten
endlich die Ehe mit ihrem offenbar nicht idealen ersten Gatten Rudolf
Weißbach geschieden wird, der die vergangenen Jahre dazu genutzt hat,
die Filmgagen seiner Frau an der Riviera und der Ostsee durchzubringen,
und zwar an der Seite von Damen, mit denen er nicht verheiratet war.
Im Frühling 1935 heiratet Brigitte Helm ein zweites Mal: den
Industriellen Dr. Hugo Eduard Kunheim, einen der begehrtesten
Junggesellen von Berlin. Sie beziehen eine gigantische Villa, Am Großen
Wannsee 2–4. Am 28. August verkündet Die Filmwoche ihren
überraschten Lesern: »Brigitte Helm wird in Der ideale Gatte vorläufig
das letzte Mal auf der Leinwand zu sehen sein. Sie erklärt, nur noch ihren
Pflichten als Ehe- und Hausfrau nachkommen zu wollen. Nous
verrons …« Doch was keiner glauben kann, geschieht: So abrupt wie ihre
Filmlaufbahn begonnen hat, so endet sie. Während ihrer ganzen Karriere
fühlt sie sich so eingeengt, als hätte sie das Stahlkorsett aus Metropolis
nie abgelegt. Nun befreit sie sich aus dem Rampenlicht in die
Konvention. Brigitte Helm hört von einem auf den anderen Tag auf, ein
Star zu sein. Die Journalisten können das einfach nicht glauben. Doch
dann erklärt sie: »Ich kehre dem Film ohne Bedauern den Rücken, trotz
der Freuden, die er mir geschenkt hat, weil ich an all das Glück denke,
das ich in meinem Privatleben finden werde.« Und das Unglaubliche ist:
Sie findet es wirklich. Ihr Mann liebt sie und sie ihn. Und sofort nach der
Hochzeit wird sie schwanger mit ihrem ersten Kind, 1936 wird Pieter
geboren, im Jahr darauf Viktoria, dann Matthias und schließlich
Christoph. Sie leben ein großbürgerliches Familienleben im
Windschatten des Dritten Reiches, ziehen sich dann in die Schweiz
zurück, weil ihr Mann jüdischer Abstammung ist. Pieter, ihr Sohn, wird
über seine Mutter, die für ihn immer nur Brigitte Kunheim gewesen ist,
später sagen: Brigitte Helm haben wir nicht gekannt.

Als F. Scott Fitzgerald seine Frau Zelda, die in schwere geistige


Umnachtung fällt, in der Klinik in Baltimore besucht, schreibt er danach
an einen Freund: »Es war wundervoll, für Stunden dazusitzen, ihren
Kopf an meiner Schulter, und mich ihr auch jetzt wieder, wie ich es
immer getan habe, näher zu fühlen als irgendeinem anderen Menschen.
Und ich hätte gar nichts dagegen, wenn in einigen Jahren Zelda und ich
uns unter einem Stein auf einem alten Friedhof hier aneinanderschmiegen
können. Es ist ein wahrhaft glücklicher Gedanke und keineswegs
melancholisch.« In einigen Jahren werden sie wirklich in einem
gemeinsamen Grab liegen. Auf dem katholischen St. Mary Friedhof in
Rockville, Maryland. Auf dem Grabstein stehen die wundervollen letzten
Worte aus Fitzgeralds Der große Gatsby: »So regen wir die Ruder,
stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem
Vergangenen zu.« Das ist also ein glücklicher Gedanke und keineswegs
melancholisch. Diese Rudernden sind wie Walter Benjamins Engel der
Geschichte – sie arbeiten sich voran und schauen doch gleichzeitig in die
andere Richtung: nämlich zurück.

Der ewig heimatlose Kurt Tucholsky, seiner Zeitschriften, seiner großen


Lieben und seiner Illusionen beraubt, kehrt aus der Schweiz in sein
schwedisches Exil zurück, aber er spürt, dass auch das kein Ankommen
für ihn bedeuten wird: »Immer suchen ist nicht schön. Man möchte auch
mal nach Hause«, schreibt er am 3. Juni in sein Tagebuch. Vielleicht
sehnt er sich da schon nach einer Heimat in einer anderen Welt.

Im Juli verbringt Joseph Goebbels zwei Wochen Urlaub allein in


Heiligendamm an der Ostsee. Er schwimmt. Geht in den Buchenwäldern
spazieren, von denen sich zwei Jahrzehnte zuvor Rainer Maria Rilke zu
Lobgesängen auf die hohen Bäume inspirieren ließ. Und telefoniert
täglich mit seinem Ministerium und seinen Vertrauten. Die schwangere
Magda kommt erst später nach. Damit es nicht zu einsam wird, lädt
Goebbels die Schauspielerin Luise Ullrich ein, die vier Tage bei ihm am
Meer bleibt. Sie scheint sich gut benommen zu haben: Im Herbst
bekommt sie ihre erste Hauptrolle bei der UFA, die Goebbels befehligt,
und zwar in Regine. Es ist ein Film über ein junges Mädchen, das einen
märchenhaften Aufstieg erlebt, weil sie mit dem richtigen Mann ins Bett
geht.

Man kommt kaum hinterher bei Bertolt Brecht. Seine Jahre des Exils
sind Jahre der Rastlosigkeit. Aber es gibt eine Konstante: Wo immer er
landet und ein Stück inszeniert, da wartet eine seiner ihm treu ergebenen
Frauen auf ihn. Egal ob in Dänemark, wo seine Ehefrau Helene Weigel
ihm zur Seite steht, obwohl er ihr seit einem Jahrzehnt untreu ist, oder in
Amerika, wo Elisabeth Hauptmann ihn mit offenen Armen empfängt,
obwohl er sie monatelang noch nicht einmal eines Briefes für würdig
befunden hat. Ja, wohin auch immer er reist, ob nach Paris, Moskau,
Kopenhagen oder Santa Monica, es ist eine seiner Frauen da und umhegt
ihn, betreut ihn und lässt ihn zu sich ins Bett. Diese Frauen machen es
ihm überall heimisch, dem Mann auf der ewigen Flucht. »In mir habt ihr
einen, auf den könnt ihr nicht bauen« – das hat er allen ins Poesiealbum
geschrieben. Aber jede Einzelne von ihnen, egal ob sie Margarete Steffin
heißt oder Elisabeth Hauptmann oder Helene Weigel oder Ruth Berlau,
glaubt, dass sie irgendwann doch diejenige sein wird, die ihn aus seinem
ruhelosen Schicksal erlöst. Und wenn er bei der einen ist, dann schreibt
er den anderen, wie sehr er sich langweilt und nach ihnen sehnt. Und die
fernen Geliebten glauben es oder wollen es glauben, in den Zeiten des
Exils ist das oft einerlei. Für Margarete Steffin sind die dreißiger Jahre
eine einzige Tortur: Vor ihren Augen hat Brecht ihre Liebe gegen die von
Ruth Berlau eingetauscht, nun wird sie in Dänemark nur noch selten zum
Meister vorgelassen und die Tuberkulose zerfrisst ihren Gehörgang, ihren
Darm, ihre Lunge. Sie bewegt sich nur zwischen Krankenhäusern und
Sanatorien hin und her, immer hoffend, dass Brecht ihr ein paar Zeilen
des Trostes schicken würde. Doch der hat keine Zeit dafür.

Im Sommer 1935 holt Frau Dr. Kluge aus Halberstadt das schicke weiße
Mercedes Zweisitzer-Cabrio persönlich in Stuttgart-Untertürkheim ab.
Ein Auto für die Ewigkeit. Ein wenig Geld ist noch übrig. Und so bringt
sie am Armaturenbrett ein Gedenktäfelchen an, fünf mal sieben
Zentimeter groß, mit einem Passfoto von ihr und den eingeriffelten
Worten: »Denk an mich, fahr vorsichtig.« Aber ihr Mann ist auch schon
vorher sehr vorsichtig gefahren. Ihr bereits damals wunderbar
unvorsichtiger dreijähriger Sohn Alexander wird später die erste Chronik
der Gefühle schreiben.

So sieht es aus am Hofe des einstigen Kaisers Wilhelm Zwo in Haus


Doorn im holländischen Exil: Um neun Uhr gibt es Frühstück, Brot,
Marmelade und Kaffee. Der Kaiser isst wenig und schnell. Danach eine
Andacht. Die Kaiserin Hermine dreht danach auf ihrem neu erworbenen
Hollandrad ihre Runden durch den weitläufigen Park. Der Kaiser, die
Hände auf dem Rücken, leicht vorgebeugt, geht zu Fuß in die
entgegengesetzte Richtung. Wenn sie sich begegnen, winken sie sich zu.
»Eheleute«, so weiß die Kaiserin, »müssen lernen, einander zu
gewissen Zeiten auch einmal allein zu lassen.« Aber danach will sie ihn
millionenfach umschmeicheln: »Ich möchte ihm ein wenig von der
Zuwendung schenken, die ihm von seinem missgeleiteten Volk
vorenthalten wird.«
Aber ihr Mann ist nicht sonderlich zuwendungsbedürftig, sondern
sehr gerne allein. Das ist ein echtes Problem. Nach ihrer täglichen
kleinen Fahrradtour ist es leider erst halb elf. Sie geht in den Salon und
überlegt, ob ihr irgendetwas einfällt, das sie tun könnte, sich um den
Haushalt kümmern vielleicht, ja gut, also die Zimmermädchen, den
Hofmarschall, die Köchin, die Zofen überwachen, aber das funktioniert
alles von alleine. Ihre drei treuen Dackel immerhin, die scheinen sie zu
brauchen, Senta vor allem, die Älteste, die noch die Monarchie kennt.
Nach dem Essen wird sie die Enten im Teich füttern, mehr hat ihre
Kaiserliche Hoheit heute nicht mehr vor. Ach ja, irgendwann ein leichtes
Abendessen mit dem Gatten, danach liest er ihr im Rauchersalon ein
wenig aus den ausländischen Zeitungen vor, bevor er sich empfiehlt und
müde hinaufsteigt in sein Schlafgemach.
Ihr Exil begründet sie in ihren Erinnerungen damit, dass ja schon der
große Leibniz gesagt habe, die Seele habe keine Fenster, und wir seien
»alle Nomaden«. Hmm. Eigentlich sprach Leibniz von Monaden. Aber
Hermine hat ein spezielles Verhältnis zu den Afrikanern, egal ob
Nomaden oder nicht: Meist trägt sie ihre Lieblingskette aus Elfenbein mit
einem kleinen Elefanten daran, das Hochzeitsgeschenk eines
afrikanischen Stammesfürsten aus der ehemaligen Kolonie Kongo, der
den Deutschen Kaiser weiterhin als seinen Herrn betrachtet und sie als
seine Herrin.

Es ist ein Jahr der Extreme für Pablo Picasso. Er wird für seine
Radierungen zum Minotaurus gefeiert, vor allem für die
Minotauromachie – seine anspruchsvollste Graphik überhaupt, ein
überzeitliches Werk über einen alten Gott und seine Freude an den jungen
Göttinnen, ein Bild über die Vergänglichkeit, die Versuchung und die
Unfähigkeit des Menschen, sich aus den Verstrickungen der antiken
Drohungen zu befreien. Es ist natürlich ein Selbstbildnis. Denn Picasso
sieht sich nicht nur mit den Memoiren seiner früheren Freundin Fernande
Olivier konfrontiert, die für Aufruhr sorgen, nein, zu allem Überfluss ist
auch Marie-Thérèse, seine geliebte Muse, schwanger von ihm. Als Olga
den runden Bauch bei einem Atelierbesuch sieht, kommt es zum Eklat,
sie zieht mit ihrem Sohn ins Hotel. Picasso ist zerrissen, es ist, wie er
sagt, »die schlimmste Zeit meines Lebens«. Er mietet dann ganz in der
Nähe seines Ateliers, in der Rue de la Boétie, eine Wohnung für Marie-
Thérèse und die Tochter Maya, die im September geboren wird. Es
scheinen alle Grundlagen für ein neues Leben geschaffen. Die
biologischen Fakten sind es, die seine Frau Olga endlich realisieren
lassen, dass ihre Ehe mit Picasso am Ende ist. Sie beginnt einen
Scheidungskrieg, und Picasso verriegelt sein Atelier und stellt das Malen
ein, um in ihrer unselig gewordenen »Zugewinngemeinschaft« nicht noch
mehr Wertgegenstände zu schaffen. Emotional ist er gar nicht mehr dazu
in der Lage; er wird bis zum neuen Jahr kein einziges Bild malen können.
Auch die neugeborene Maya kann ihn nur für Minuten aufwecken aus
seiner Midlife-Crisis, die durch das Kind der Geliebten und den Auszug
der Frau nun für ganz Paris offenliegt.

Dr. med. Gottfried Benn, der Arzt in der Belle-Alliance-Straße 12 in


Berlin, stellt Gottfried Benn, dem Dichter in der Belle-Alliance-Straße 12
in Berlin, im Frühjahr 1935 folgende Diagnose: »Ausgeschöpft, leer,
Milieuwechsel dringend geboten.« Er nimmt eine Stelle beim Militär in
Hannover an, genauer: Er wird Leiter der Abteilung IVb der
Wehrersatzinspektion. Zum Abschied verordnet er sich noch doppelten
Damenbesuch. An den beiden letzten Märztagen verabschiedet er sich
von seinen beiden Freundinnen Tilly Wedekind und Elinor Büller. Am
frühen Morgen des 1. April 1935 besteigt er den D-Zug nach Hannover,
um 12.51 Uhr kommt er an, geht fünfzehn Minuten durch den
strömenden Regen in sein Pensionszimmer bei einem Fräulein Sattler.
Doch das Zimmer ist zum Schlafen zu hell, der Kaffee ist schlecht, es
gibt kein Telefon. Nichts, also zieht er weiter in die Breite Straße 28 // II.
Man kann sich kaum ein trostloseres Leben vorstellen als jenes, das
Gottfried Benn in der geistlosen Militärverwaltung führt. Von acht bis
vierzehn Uhr Dienst nach Vorschrift, dann Absturz in die Leere des
langen Nachmittags. Und das alles auch noch in Hannover. Seine
verblendete, mit fürchterlichen Essays garnierte Begrüßung des Nazi-
Regimes im Frühjahr 1933 kann er sich inzwischen selbst kaum
verzeihen, aber die Nazis haben das völlig vergessen und beginnen, ihn
wegen seiner frühen expressionistischen Gedichte zu verfolgen. Auch
seiner beiden Geliebten wird Benn langsam müde, die ganze
Heimlichtuerei und das ganze Organisieren kosten viel Energie. Er fragt
beide, also »Tillerchen« alias Tilly Wedekind und »Morchen« alias Elinor
Büller, in seinen Briefen dasselbe: Wie sie wohl reagieren würde, wenn
sie an seinem Grabe sähe, dass eine zweite Geliebte um ihn weint. Am
nächsten Tag gehen die beiden Antworten bei ihm ein: Tilly, seine
»irdische Liebe«, antwortet ihm: »Ich glaube, der gemeinsame Schmerz
würde uns einen.« Und Elinor, die »himmlische Liebe«, schreibt: »Du
abscheulicher Lump.«
Oft sagt er beiden, dass er am Wochenende zu tun habe, setzt sich
sonntags nach dem kargen Frühstück allein in den Omnibus und fährt mit
anderen Gelangweilten in den Harz oder ans Steinhuder Meer, 6,50 Mark
kostet das, Kaffee inklusive. Es wirkt, als wolle sich Benn bewusst in
eine brutale Trostlosigkeit hineinmanövrieren. Er geht in die Kneipen, sie
heißen Knickmeyer, Kasten oder Kröpcke und sehen auch so aus. Alles ist
ausdruckslos in Hannover, das flache Land, das Deutsch ohne Färbung
und Dialekt, selbst das dünne und müde Bier. Immer mehr steigert sich
Benn hinein in diese Monotonie, wie in eine klösterliche Askese. Sein
Mantra heißt: »Schreibe wenig und weine im Traum.«
Zu seinem fünfzigsten Geburtstag will er einen Gedichtband
zusammenstellen, er sichtet das Material der letzten fünfzehn Jahre und
erschrickt über das Nachlassen der Qualität. Der neben Trakl und Heym
größte deutsche Dichter des Expressionismus vor dem Ersten Weltkrieg
meint zu erkennen, schmerzhaft und jäh, dass er in den ganzen Goldenen
Zwanzigern kein einziges Gedicht von Gehalt geschaffen hat. Er schreibt
in sein Notizbuch: »Unendliche Scham über meinen Abstieg.«
So sitzt er da, abends in der Stadthalle, einem großen Biergarten, in
dem er sein abendliches Pils trinkt, seit es wärmer geworden ist. Im
Bassin plätschert ein Springbrunnen, die Kellner bringen Getränke und
Schmalzbrote, die Kapelle spielt »Ich bin so scharf auf Erika wie
Kolumbus auf Amerika«. So geht das jeden Abend in diesem Mai und in
diesem Juni und in diesem Juli, der Oberstabsarzt dämmert nach
Dienstschluss dumpf vor sich hin.
Doch dann geschieht ein Wunder. Nach zwei Jahrzehnten
vergeblichen Ringens um die Rückkehr seiner poetischen Kraft, nach drei
ereignislosen Sommermonaten, fällt sie plötzlich aus dem fahlgrauen
Hannoveraner Himmel. Er spürt einen kalten Wind, der von Ferne
kommt, ein erster zaghafter Gruß aus dem Herbst. Und dann fängt er zu
dichten an: »Tag, der den Sommer endet«, so schreibt er auf die
Rückseite der Speisekarte der Stadthalle. Und dann: »Herz, dem das
Zeichen fiel. Die Flammen sind versendet, die Fluten und das Spiel.«
Er schreibt das Gedicht zu Ende, steckt es in einen Umschlag und
schickt es in die Hartwigstraße nach Bremen, an Friedrich Wilhelm
Oelze, seinen wichtigsten Briefpartner, seinen Verehrer, seinen, wie Benn
sagt, »Produktionsleiter« und sanften Motivator. Wenig später bittet er
Oelze auf einer Postkarte der Stadthalle, ihm für eine Weile nicht mehr
zu schreiben. Und einfach nur jeden Morgen an seinen Briefkasten zu
gehen. Denn Benn spürt, dass nach Jahrzehnten des Wartens in dieser
schwülen Monotonie des Hannoveraner Sommers endlich all das Poesie
zu werden vermag, was er so schwer in sich trägt, dass er manchmal
glaubt, ihm liege Blei auf dem Herzen.
Und so geht der feinsinnige Friedrich Wilhelm Oelze durch seinen
von Rhododendren gesäumten Kiesweg zum Eingangstor, um in den
ersten Septembertagen des Jahres 1935 jeden Morgen ein Stück
Weltliteratur aus dem Briefkasten zu ziehen. »Tag, der den Sommer
endet«, »Ach, das Erhabene«, »Astern« – sie alle gehen per Post nach
Bremen, auf den Rückseiten der Speisekarte. Vorne »Rollmops« und
»Eisbombe«, hinten Verse, die Benn zu einem der größten deutschen
Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts machen. Was muss in Oelzes Kopf
vorgegangen sein in diesen Momenten? Er sieht, was er da in Händen
hält, und zugleich weiß er, dass er für Jahre, ja vielleicht Jahrzehnte der
Einzige sein wird, der diese Zeilen zu Gesicht bekommt. »Bedarf keiner
besonderen Antwort«, schreibt Benn unter sein Gedicht. Das bedeutet in
Wahrheit auch, dass selbst Benn, der Schöpfer, weiß, dass das, was da
aus ihm herausströmt, größer ist als er selbst. Hier, in Hannover, fern von
Berlin und fern der Geliebten, in der Einsamkeit, die er so ersehnt wie
verflucht, hier schreibt Benn Liebesverse von größter, ja unwirklicher
Poesie: »Einsamer nie als im August« natürlich aber eben auch »Drei«,
jene Bewältigung seiner Ménage-à-trois mit Tilly Wedekind und Elinor
Büller: »Auf deine Lider senk ich Schlummer, / auf deine Lippen send
ich Kuss, / indessen ich die Nacht, den Kummer / den Traum alleine
tragen muss.«

Am 4. September gehen Kurt Weill und Lotte Lenya, seit zwei Jahren
geschieden, gemeinsam in Cherbourg an Bord der SS Majestic, um nach
Amerika zu fahren. Lenyas langjährige Liebschaft mit Otto Pasetti ist an
ein Ende gekommen, als sie gemerkt hat, dass selbst die Gelder aus dem
Verkauf des Berliner Hauses, die der naive Gatte Kurt ihm anvertraut hat,
in den Schlünden der Spielbanken von Monte Carlo und Nizza
verschwunden sind. Noch ein wenig ungläubig fasst Weill in der ersten
Nacht in der gemeinsamen Schiffskabine neben sich – aber da liegt
wirklich seine Lotte, frisch geschieden von ihm und offenbar wieder
frisch verliebt in ihn. Dass sie beide nach Amerika fahren, um Franz
Werfels Stück mit dem schönen Titel Der Weg der Verheißung
gemeinsam mit Max Reinhardt zur Aufführung zu bringen, nimmt er als
gutes Omen. Es ist ein gigantisches Stück über den Siegeszug des
jüdischen Volkes und dessen existenzielle Bedrohungen.
Nun liegen sie gemeinsam in einer Doppelkabine, Kurt Weill und
Lotte Lenya, und das erste Mal nach einem Jahrzehnt des Reisens, der
Enttäuschungen, der Emigration und der Hoffnung, nach der
Dreigroschenoper und nach den Sieben Todsünden, nach Otto Pasetti und
nach Max Ernst, haben die beiden Zeit. Und die empfinden sie nicht als
Last, sondern als Geschenk. In den sechs Tagen auf dem Atlantik arbeiten
sie ihre Vergangenheit auf, ihre Höhen und Tiefen. Beim gleichmäßigen
Brummen der Schiffsmotoren wird viel geweint. Aber dann, von Tag zu
Tag mehr, wird auch wieder gestreichelt. Und geküsst. Und geliebt. Die
Unzertrennbarkeit gespürt. Als sie am 10. September 1935 in New York
von Bord gehen, sind die geschiedenen Eheleute wieder ein Paar. »Um
von Liebe sprechen zu können, braucht es schon eine Weile«, wird Lotte
Lenya später einmal sagen.

*
Kurt Tucholsky hat sein Lebenselixier verloren: das Schreiben. Denn er
will und kann nur schreiben, wenn er weiß, dass es sofort gedruckt wird.
Doch all die Zeitungen, für die er geschrieben hat, gibt es nicht mehr.
Und die Herausgeber, die ihn gedruckt haben, sitzen im Gefängnis. Er
spricht von sich nur noch als »aufgehörtem Schriftsteller«. Selbst die
Frauen reizen ihn nicht mehr wirklich. Sein Leben verdüstert sich
zunehmend, er versinkt in Depressionen und Tatenlosigkeit, liest,
schreibt Briefe und geht in Schweden langsam vor die Hunde. Am Abend
des 21. Dezember 1935 nimmt sich Kurt Tucholsky mit einer Überdosis
Veronal das Leben. In seinem Portemonnaie findet sich kein Geld mehr,
nur der berührende Abschiedsbrief, den ihm seine Frau Mary einst zur
Trennung vor sieben Jahren geschrieben hat: »Kommt, wenn braucht und
ruft – ist der rote Faden. Seine Meli.« Auf dem Tisch im verwaisten Haus
in Hindås liegt auch ein Abschiedsbrief an Mary, seinen »roten Faden«
im Leben. Aber Gertrude Meyer, die ihn findet, liest auch den
schriftlichen Auftrag, dass der Brief Mary nur auszuhändigen sei, wenn
»sie nicht verheiratet oder ernsthaft gebunden« ist.
Dieser Brief ist seine größte Liebeserklärung. Er kann sie
bezeichnenderweise erst machen, als er die maximale Distanz erreicht
hat – ja, tragischerweise erst, als er entschieden hat, diese Erde freiwillig
zu verlassen. »Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach
Rechenpfennigen gebückt; hat nicht verstanden und hat Dummheiten
gemacht, hat zwar nicht verraten, aber betrogen, und hat nicht
verstanden.« Er dankt ihr für ihre »liebevolle Geduld, diesen Wahnwitz
damals mitzumachen, die Unruhe; die Geduld, neben einem Menschen zu
leben, der wie ewig gejagt war, der immerzu Furcht, nein, Angst gehabt
hat.« Und dann, zum Schluss, er muss immer »er« zu ihr sagen, damit
noch irgendeine Distanz bleibt: »Wenn Liebe das ist, was einen ganz und
gar umkehrt, was jede Faser verrückt macht, so kann man das hier und da
empfinden. Wenn aber zur echten Liebe dazukommen muss, dass sie
währt, dass sie immer wieder kommt, immer und immer wieder –: dann
hat man nur ein Mal in seinem Leben geliebt. Ihn.«

Im Januar 1936 wird das Testament von Kurt Tucholsky eröffnet. Ein
einziges Mal kommen alle Frauen seines Lebens zusammen – auf sieben
Seiten Papier. Hedwig Müller, seine Schweizer Geliebte, erhält seinen
Ring mit dem eingravierten »Et après«. Gertrude Meyer, die die
Grabstätte auf dem Friedhof in Mariefred im Schatten von Schloss
Gripsholm ausgesucht hat, wo er das erste Mal, allerdings mit Lisa
Matthias, den schwedischen Boden geliebt hat, darf sich ihre
Lieblingsbücher aus seiner Bibliothek im Haus in Hindås aussuchen. Als
Universalerbin aber hat er Mary Gerold eingesetzt, von der er sich hat
scheiden lassen, damit sie nicht unter den Repressalien des Nazi-Regimes
zu leiden hätte. Sie nennt sich nach diesem Testament dann auch wieder
Gerold-Tucholsky und wird sich bis 1987 um nichts anderes kümmern
als um den zweiten Teil ihres Doppelnamens. Tucholskys Mutter
bekommt zähneknirschend ihren Pflichtteil, aber ihr Sohn hat
hinzugefügt, er hoffe, sie würde aus Anstand darauf verzichten. Das
Verhältnis ist zerrüttet, darum muss er zeitlebens seine Geliebten »Mutti«
nennen und sie ihn »Daddy«. Lisa Matthias, Tucholskys »Lottchen«,
wird im Testament nicht erwähnt – sie hat ja schon die Widmung in
Schloß Gripsholm, das muss offenbar reichen.

*
Am 21. Dezember, als Tucholsky im schwedischen Exil nach einer
Überdosis Veronal aus dem Leben scheidet, nimmt im Haus der Eltern in
Küsnacht bei Zürich auch Klaus Mann Veronal, »aber irgendwie ungern,
nur, weil gerade etwas im Zimmer war. Ich will es eigentlich nicht
mehr«.

Und Else Weil, die »Claire« aus Rheinsberg. Bilderbuch für Verliebte und
Kurt Tucholskys erste Ehefrau? Sie arbeitet bis 1933 als Ärztin in Berlin.
Mit Hitlers Machtergreifung wird sie, wie alle anderen jüdischen Ärzte in
Berlin, abgesetzt oder, wie so etwas im Kernland der Bürokratie geregelt
wird: Man entzieht ihr die Kassenzulassung. Sie muss auch die feudale
Wohnung in der Wielandstraße 33 verlassen, sie verdingt sich als
Kindermädchen in Grunewald bei einer Familie, die den Namen
Hoffnung trägt. Doch die trügt. Sie muss über Holland nach Frankreich
fliehen, die schon gebuchte Kabine für die rettende Überfahrt im Schiff
von Marseille nach Amerika verfällt, weil ihr Visum nicht rechtzeitig
eintrifft. Wenig später wird sie im KZ Auschwitz ermordet.

Heinrich Blücher ist wie Hannah Arendt aus Berlin über Prag nach Paris
geflohen, doch erst dort lernen sie sich kennen, in den Emigrantenzirkeln
in Montparnasse im Frühjahr des Jahres 1936. Er ist überzeugter
Kommunist und trainierter spartakistischer Straßenkämpfer aus Berlin,
tarnt sich in der Emigration aber mit Dreiteiler, Hut und Spazierstock als
großbürgerlicher Tourist. Blücher und Arendt begegnen sich mit aller
Leidenschaft – und dies meint in ihrem Falle neben der körperlichen auch
die geistige Passion: Das junge Paar verbindet sich in Paris in einem
heißblütigen Austausch über Ideen, Bücher und das große Ganze. Viel zu
bescheiden wird Hannah Arendt später sagen: »Ich habe dank meines
Mannes politisch denken und historisch sehen gelernt.« Auf jeden Fall
aber, so darf man hinzufügen, hat sie dank ihm ihren Liebesbegriff
erweitert – über den bei Augustinus und den von Heidegger hinaus zu
dem wundervollen Paradox der Gleichzeitigkeit der »Liebe zur Welt«
und der Weltlosigkeit der Liebe.

Am 8. Mai 1936 stirbt Oswald Spengler vereinsamt in seiner Münchner


Wohnung. Der Autor vom Untergang des Abendlandes muss diesen nicht
mehr miterleben.

Am 22. Mai 1936 beginnen in Griechenland die Dreharbeiten für Leni


Riefenstahls Film Olympia. Ungeheure Fluten von Licht fallen auf die
Wege, strahlen zurück von den weißen Wänden, erhellen selbst die
Schatten. Im Hain von Olympia will Riefenstahl das Entzünden des
Olympischen Feuers filmen und die ersten Läufer auf ihrem langen Weg
durch Griechenland. Anatol Dobriansky, Sohn russischer Einwanderer
aus Odessa, sollte der erste Fackelläufer im Film sein. Riefenstahl
schreibt über den »jungen, dunkelhaarigen Griechen, vielleicht achtzehn
oder neunzehn«, in ihrer Autobiographie: »Wir verstanden uns sehr gut.«
Das bedeutet in ihrem Fall immer: Sie nimmt ihn sich zum Liebhaber,
damit sie während der Dreharbeiten in Griechenland nicht allein im Zelt
schlafen muss.
Aber der junge Grieche verliebt sich unsterblich. Als Riefenstahl ihn
bald abserviert, weil ihr bei den Dreharbeiten an der Kurischen Nehrung,
auf der hohen Düne, wo das verwaiste Sommerhaus von Thomas Mann
an vergangene schöne Sommer erinnert, ein anderer junger Bursche
zugelaufen ist, da versucht unser schöner Anatol sich zu erschießen.
Willy Zielke, Riefenstahls genialer Kameramann, kann das gerade noch
verhindern, allerdings nicht, dass er nach den Dreharbeiten als
verwahrloster Schnürsenkelverkäufer in Berlin in der Versenkung
verschwindet. Unsterblich ist nur das unglaubliche Foto, das ihn als
griechischen Speerwerfer zeigt, verwegen, der Zukunft zugewandt.
Aufgenommen hat es Willy Zielke. Aber Leni Riefenstahl wird es bald
für sich reklamieren.
Sie geht dafür generalstabsmäßig durchtrieben vor. Sie erzählt Willy
Zielkes Frau Friedel, dass ihr Mann bisexuell sei, wie ihr bei den
Dreharbeiten aufgefallen wäre. Dann hilft sie noch an anderer Stelle ein
wenig nach, und so wird Zielke bald wegen Schizophrenie in die
Psychiatrie Haar eingewiesen und für unzurechnungsfähig erklärt.
Riefenstahl fährt daraufhin zu seiner Gattin und nimmt alle Fotos und
Negative von Willy Zielke in ihren Besitz – und signiert sie fortan mit
eigenem Namen. Nach dieser künstlerischen Entmannung wird Zielke in
der Psychiatrie sogar zwangssterilisiert. (Ein paar Jahre später wird die
teuflische Riefenstahl den zerbrochenen Mann dann wieder aus der
Psychiatrie herausholen, damit er ihr hilft, den Film Tiefland zu drehen,
da alle anderen Kameramänner an der Front sind.)

*
Erich Maria Remarque eilt sein Ruf als Kunstkenner voraus. Er tröstet
sich seit Jahren über seine Depressionen und die vergebliche Suche nach
der großen Liebe hinweg, indem er französische Impressionisten kauft. In
seiner Villa am Lago Maggiore kommt mit jeder neuen
Tantiemenüberweisung für Im Westen nichts Neues auch ein neuer
Cézanne oder Monet dazu. Als er mit seiner Geliebten Margot von Opel
im Mai 1936 eine Reise nach Budapest unternimmt, darf er als einer der
ersten Menschen überhaupt eines der wichtigsten Kunstwerke des
neunzehnten Jahrhunderts sehen. Gemeinsam mit dem Schriftsteller
Sándor Márai besuchen Remarque und von Opel einen kleinen Empfang
beim Baron Ferenc von Hatvany. Als die Damen im Salon abgelenkt
sind, bittet der Baron den prominenten Gast in ein Hinterzimmer. Dort
schließt er einen mit mehreren Schlössern gesicherten Schrank auf und
entnimmt ihm ein Bild, stolz und verlegen zugleich zeigt er es Remarque.
Es ist Courbets Ursprung der Welt, dieser ungeheuerlichste
Modernitätssprung in der französischen Körpermalerei – der direkte
Blick auf die Scham der Frau. Kennerhaft notiert Remarque abends in
sein Tagebuch: »Ein etwas schweinischer, aber guter Courbet«.
Als sie zu den Damen zurückgehen, versucht Hatvany, Margot von
Opel hinter einem Vorhang zu küssen. Dann muss ihr Remarque
gestehen, dass er am Tag zuvor auf ihrer gemeinsamen Liebesreise doch
kurz mit einer hübschen Dänin fremdgegangen ist. Margot weint.
Remarque schämt sich. Der Ursprung der Welt bleibt für ihn auch der
Ursprung des Sehnens und des Leidens.

*
Mit ihrer zweiten Ehe und ihrem Wissen, finanziell ausgesorgt zu haben,
versiegen tragischerweise die kreativen Quellen in Tamara de Lempicka.
Sie hat zehn Jahre lang die Protagonisten einer ganzen Epoche in Paris
als Ikonen des Art déco gemalt – aber jetzt ist sie nicht mehr im Atelier,
sondern nur noch in Sanatorien, in der Schweiz meist, wo sie sich durch
Diäten und Kuren vergeblich von ihren Depressionen zu heilen versucht.
Die Dämonen ihrer verworrenen Kindheit und Jugend in Russland
werden übermächtig. Sie kann die glamouröse Fassade nicht mehr
aufrechterhalten. Sie malt in Paris zwei verhärmte und verängstigte
Emigranten und nennt das Bild Die Flüchtlinge irgendwo in Europa.
Doch diese Begegnung mit der Wirklichkeit zieht sie noch tiefer in ihre
Depressionen. Sie reist darauf verzweifelt in ein italienisches Kloster
nahe Parma und bittet um Einlass. Sie will ihr wildes bisexuelles Leben
hinter sich lassen und Nonne werden. Als sie die Schwester Oberin sieht,
ist sie so fasziniert von deren Gesicht, dass sie lieber doch Malerin
bleiben will, aber es wird das letzte Bild ihrer großen Epoche werden.
Die Tränen, die sie der ehrwürdigen Nonne auf die Wangen malt, sind
ihre eigenen. In Europa hat sie das Bildnis begonnen – aber sie vollendet
es in New York im Hotel Ritz. Es ist ihr gelungen, ihren Mann, den
Zuckerrübenbaron Kuffner, zum Verkauf seiner ungarischen Güter zu
drängen und dazu mit ihr nach Amerika zu emigrieren. Erst nach
Manhattan, dann nach Beverly Hills. So können sie zwar ihr Leben
retten. Aber ihr Glück werden sie nicht finden in den kahlen Hügeln der
Hollywood Hills.

*
Hannah Arendt und Walter Benjamin spielen im Pariser Exil stundenlang
gegeneinander Schach. Meist setzt die Dame von Arendt den König von
Benjamin schachmatt. Zu Hause bei Hannah Arendt aber herrschen
andere Verhältnisse. Freunde beschreiben ihr Zusammenleben mit
Heinrich Blücher als »Doppelmonarchie«. Zwei stolze, selbstbewusste
Denker, unabhängig voneinander – und doch in einem tiefen Grund
miteinander verbunden. Ja, diese beiden Philosophen erarbeiten sich eine
Form der Liebe im Paris der dreißiger Jahre, die so viel humaner wirkt
als der berühmte taktische »Pakt« zwischen Jean-Paul Sartre und Simone
de Beauvoir ein paar Arrondissements weiter. Arendt und Blücher
brauchen keine erotischen Freiheiten außerhalb ihrer Ehe, wie Sartre das
als Bedingung sieht, nein, sie bewegen sich in ihren Briefen und in ihren
Gesprächen auf eine wundersame Weise ganz langsam aufeinander zu,
wissend, dass Umwege die Ortskenntnis erhöhen. Beseelt von der
»unverschämten Hoffnung«, wie Arendt es in einem ihrer ersten Briefe
nennt, ihm »alles zumuten zu können«, also: »dich so behandeln, wie
man sich selbst behandelt«. Und darauf Blücher: »Liebste, ich kann
wieder atmen, tief in mich hinein und mich füllen mit deiner Liebe.«
Und, ganz zaghaft: »Nun, da du meine Frau bist, darf ich wohl so weich
sein, dir zu sagen, dass ich mich nach dir sehne?« Er unterschreibt nur
noch mit »Dein Mann«, aber er weiß, dass sie noch mit Günther Stern
verheiratet ist. Und am 24. August 1936 schickt sie ihm ihr
Liebesbekenntnis – und ihre Zweifel: »Dass ich dich liebe – das hast du
schon in Paris gewusst, wie ich es wusste. Wenn ich es nicht sagte, so
weil ich Angst hatte vor den Konsequenzen. Und was ich heute dazu
sagen kann, ist nur: Wir wollen es versuchen – um unserer Liebe willen.
Ob ich deine Frau sein kann, sein werde, weiß ich nicht. Meine Zweifel
sind nicht weggepustet. Auch nicht die Tatsache, dass ich verheiratet bin
(Entschuldige, Geliebtester, so viel brutale Direktheit – wenn du
kannst).« Und er kann das entschuldigen. Sie gesteht ihm bald, wie arg es
um ihre Ehe steht: »Ich habe nicht viel von der Hölle, die das Zuhause
war, gemerkt. Denn ich arbeitete wie ein Pferd. Meine passive Resilienz
hielt ich ebenso aufrecht wie der andere die Vorstellung, mit mir
verheiratet zu sein.«
Es sind berührende Briefe, die da zwischen Arendt und Blücher hin-
und hergehen am Anfang ihrer großen Liebe, meist, wenn sie unterwegs
ist in der Schweiz, die beiden trotzen all den äußeren Widerständen des
Exils, den schrecklichen Nachrichten aus der Heimat und der
Judenverfolgung, und sie finden gemeinsam eine Sprache für ihre
Gefühle, tastend erst, dann immer entschiedener. All das ist ohne Pathos,
aber mit viel tiefem Ernst – und immer wieder voll befreiendem Witz.
Bald schon weiß Hannah Arendt, dass sie sich für Heinrich Blücher aus
ihrer Ehe lösen will. Dass sie »seine Frau« werden muss. Denn sie ist es
längst geworden. Auch Blücher muss noch eine frühere Verbindung
formal lösen. Auf seinen französischen Scheidungsunterlagen lässt der
ständig der Spionage verdächtigte Heinrich Blücher als Beruf übrigens
»Drahtzieher« eintragen. Ein bisschen Spaß muss sein.

Als alle – und wohl auch er selbst – denken, dass sein Leben nun endlich
die entscheidende Wendung genommen hat, kommt plötzlich die nächste
Kurve – mit wiederum offenem Ausgang. Nachdem nämlich Pablo
Picasso offiziell der Partner von Marie-Thérèse Walter ist, seiner
Geliebten seit fünf Jahren, und sie ihre gemeinsame Tochter im
Kinderwagen durch Montparnasse schieben, tritt eine neue Person in sein
Leben: Dora Maar. Er sieht sie an einem Tisch in seinem Lieblingscafé
Les Deux Magots in Saint-Germain-des-Prés in Paris: »Sie trug schwarze
Handschuhe mit kleinen aufgenähten rosa Blumen. Sie zog die
Handschuhe aus und nahm ein langes, spitzes Messer, das sie in den
Tisch zwischen ihre ausgestreckten Finger rammte, um zu sehen, wie
nahe sie jedem Finger kommen könnte, ohne sich wirklich zu schneiden.
Von Zeit zu Zeit verfehlte sie ihn um den Bruchteil von wenigen
Zentimetern, und bevor sie das Spiel mit dem Messer beendet hatte, war
ihre Hand mit Blut bedeckt.« Picasso starrt sie mit aufgerissenen Augen
an. Dann geht er zu ihrem Tisch und bittet sie um ihre Handschuhe. Sie
wirft sie ihm zu. Er wird sie in einer Vitrine wie ein Heiligtum verehren.
Wenige Tage später wird Dora Maar Picassos Geliebte. Es gelingt
ihm, seine Frau Olga und den Sohn Paolo schon bald in sein Schloss
Boisgeloup in der Normandie auszuquartieren, um in Paris freie Bahn zu
haben – und er wird ihnen das Schloss im Rahmen der Scheidung ganz
überlassen.
Und Marie-Thérèse bezieht mit der kleinen Maya ein Haus vierzig
Kilometer außerhalb von Paris in Le Tremblay-sur-Mauldre. Er selbst
sucht sich ein neues Atelier, in dem ihn nichts mehr an seine
Vergangenheit, zerrissen zwischen zwei Frauen, erinnern soll. Er findet
helle Räume in der Rue des Grands-Augustins in Paris. Und Dora Maar,
die neue Frau seines Herzens, zieht in eine Wohnung direkt nebenan. Es
kommt zu unglaublichen Eifersuchtsszenen zwischen der blonden,
natürlichen Marie-Thérèse und der theatralischen, schneidenden
spanischen Schönheit Dora. Und Picasso, dieser starke Maler und so
schwache Mann? Er sagt: »Ich hatte kein Interesse daran, eine
Entscheidung zu treffen … Ich sagte ihnen, sie sollten es unter sich
ausmachen.« Und das taten sie. Dora Maar, die seelisch muskulöse
Kommunistin, geht als Siegerin aus diesem Kampf hervor. Als er später,
im Sommer 1937, sein spektakulärstes Gemälde malt, Guernica, benannt
nach der gerade von den Deutschen bombardierten spanischen Stadt, da
malt er in der Mitte des Bildes wieder eine mythische »Lichtträgerin« mit
der Fackel. In der Minotauromachie, zwei Jahre zuvor, hat sie noch die
Züge von Marie-Thérèse getragen. Nun aber, im Sommer 1937, hat sie
schwarze Haare und die markante Nase von Dora Maar. Picasso nimmt
seine Frauen mit durstigen Zügen in sich auf. Wer seinen Körper und sein
Sehnen bestimmt, der bestimmt auch seine Kunst und sein Sehen.

Mit Gustaf Gründgens verbindet Klaus Mann eine Hassliebe, seit sich die
beiden in den zwanziger Jahren nahegekommen sind, wie nahe, weiß
man nicht, aber wir wissen, wie sehr es Klaus geschmerzt hat, dass seine
Schwester Erika ausgerechnet Gründgens zum Ehemann erwählte. Schon
1932, in seinem Roman Treffpunkt im Unendlichen, hat sich Klaus Mann
an Gründgens abgearbeitet – und er tut es ein Leben lang. In seinem
Tagebuch befragt er sich selbst: »Warum denke ich so viel und mit so
bewegter Antipathie an ihn?« Immer wieder erscheint Gründgens ihm in
seinem Pariser und Amsterdamer Exil im Traum. Er sieht dessen
kometenhaften Aufstieg zum Intendanten des Berliner Staatstheaters.
Und macht dann einen Roman daraus. Er heißt so wie die größte
Theaterfigur, die Gründgens je gespielt haben wird: Mephisto.
Allein dadurch ist klar, um wen es sich bei »Hendrik Höfgen« handelt,
dessen Gefallsucht und Ranschmeißerei Klaus Mann im Roman auf
dreihundert Seiten schildert. Sein Buch, so gesteht er seiner Mutter,
verspreche, von »einer gewissen hassvollen Beschwingtheit« zu sein.
Einziges Problem: Wie die Zeit von Gründgens und seiner geliebten
Schwester Erika literarisieren, »weil sie nicht Erika werden soll, und
natürlich doch Erika ist«? Am Ende ist diese »Barbara«, mit der er Erika
tarnen will, das vielleicht zärtlichste Porträt seiner Schwester, das Klaus
je gezeichnet hat: »Sie war erfahren im Schmerz der anderen; seit früher
Jugend aber hatte sie sich versagt, eigene Schmerzen, eigene Ratlosigkeit
gar zu ernst zu nehmen oder mitzuteilen.« Und dann, in einer
faszinierenden Wendung ein Gruß an den Vater, um dessen Liebe er
immer so kämpft: Nur einen gebe es auf der Welt, der um die »Labilität
ihres inneren Zustandes« wisse – der Vater »kannte sein Kind, das er
liebte«.
Als Mephisto im Sommer 1936 zuerst im Pariser Tagblatt der
Emigranten und dann in Amsterdam als Buch erscheint, sind die
Reaktionen sehr gemischt. Der unbarmherzige Vater, Thomas Mann,
kennt nicht nur seinen Sohn, den er vermutlich auch auf irgendeine
verquere Weise liebt, sondern auch dessen literarische Schwachpunkte.
Mephisto sei immer dann schwierig, wenn es Fiktion zu werden
versuche, weil »ein so sehr an die Wirklichkeit gebundenes Werk am
gefährdetsten ist und gewissermaßen ratlos wird, wo es frei von ihr
abweichen und sie verleugnen möchte«. Er hat leider recht.
Aber immerhin sorgt die himmlische Regie dafür, dass Gründgens
ausgerechnet an dem Tag, an dem der Vorabdruck des Buches beginnt,
heiratet. Die Gerüchte über seine Homosexualität sind so laut geworden
in Berlin, dass er seine Position als Intendant des Staatstheaters am
Gendarmenmarkt nur halten kann, wenn er aus formalen Gründen eine
Ehe eingeht. Er tut dies mit Marianne Hoppe, einer 27-jährigen
Schauspielerin, die selbst gleichfalls sehr viel mehr am eigenen
Geschlecht interessiert ist. Die beiden beziehen 1936 ein kleines Landgut
in Zeesen, das geflüchteten Juden entwendet worden ist. Gründgens’
Mutter hat es für ihn besichtigt und für gut befunden. Nach der
standesamtlichen Trauung fährt das junge Paar in sein neues Haus,
Marianne geht baden, Gründgens macht einen Mittagsschlaf. Abends
kommen ein paar Gäste, doch Gründgens muss nach Berlin, auf die
Bühne. Als er danach zurückkommt nach Zeesen, sind die Gäste
gegangen und Marianne schläft. So kommt Gustaf Gründgens auch in
seiner zweiten Hochzeitsnacht ungeschoren davon. Der Berliner
Volksmund findet diese schönen Verse: »Hoppe Hoppe Gründgens, die
kriegen keine Kindgens; und wenn die Hoppe Kindgens kriegt, dann sind
sie nicht von Gründgens.«

Im Sommer 1936 kommt es in Ostende an der Nordsee zu einem kleinen


Dreipersonenstück mit bester Besetzung und schönsten Illusionen. Bei
böigem Wind treten auf: Zunächst einmal Joseph Roth und Stefan Zweig,
die beiden so unterschiedlichen Autoren und Freunde, der eine im Exil
vollkommen dem Alkohol verfallen, der andere permanent und ästhetisch
verfeinert an Die Welt von Gestern denkend, wie sein berühmtestes Buch
dann heißen wird. Und dazu tritt die 31-jährige Irmgard Keun, die durch
Das kunstseidene Mädchen im Berlin der zwanziger Jahre berühmt
geworden ist und Deutschland gerade für immer verlassen hat. Joseph
Roth und Irmgard Keun erkennen einander im anderen, im zarten
Verzweifeln, im stillen Hoffen. Sie geraten gemeinsam in einen späten
Rausch – des Schreibens und des Lebens und des Trinkens. Und der
dritte, Roths Seelenfreund Stefan Zweig, zieht sich, wie es seine Art ist,
diskret zurück, packt seine Koffer und wünscht dem jungen Glück nur
das Beste. Sein Rat: »Jetzt noch alles Gute mitnehmen.« Und so steigt
Joseph Roth in den Zug und fährt mit Irmgard Keun in einem weiten
Bogen um Deutschland bis nach Galizien, zu den Stätten seiner jüdischen
Vorfahren. »Ich muss es noch einmal sehen«, sagt der junge Greis zu
seiner weisen und trinkfesten Geliebten, die er immer mehr mit
hinabzieht in die zerstörerischen Abgründe des Alkohols. Zwei ewige
Jahre lang bleiben sie das sonderbarste und rührendste Paar der
deutschen Emigration.

Das langwierigste Dreipersonenstück der dreißiger Jahre erfährt in Paris


kurzzeitig eine Erweiterung. Mit Gonzalo Moré ergänzt ein bohemehafter
Peruaner mit kühnen Zügen die etwas in die Jahre gekommene Ménage-
à-trois von Anaïs Nin, Henry Miller und Hugo Guiler.
Am Samstag, dem 14. September 1936, will Henry Miller, dass Anaïs
wie stets an Samstagen bei ihm in der neuen Wohnung übernachtet. Wenn
sie Samstagnacht bei ihm ist, dann hat er das Gefühl, ihre Nummer eins
zu sein. Doch an diesem Samstag wird Gonzalo so eifersüchtig auf
Henry, dass er von Anaïs verlangt, zu ihm zu kommen, sonst würde er sie
verlassen. Und so gibt Anaïs Nin Henry Miller am Samstagnachmittag
starke Schlafmittel in den Tee, damit er schon am frühen Abend einnickt.
Sie schleicht sich dann auf leisen Sohlen aus dem Haus und verbringt
eine leidenschaftliche Nacht mit Moré. Um sechs Uhr eilt sie zurück und
kriecht wieder zu Henry unter die warme Bettdecke in der Villa Seurat;
er schnarcht selig und hat nichts mitbekommen. Als er aufwacht,
kümmert sie sich um ihn. Nach einem schönen Frühstück fährt sie zu
ihrem Gatten Hugo Guiler in die neue prachtvolle Wohnung und bringt
ihm einen Blumenstrauß mit. Abends notiert sie in ihr Tagebuch: »Keine
Schuld. Kein Mitleid, keine Schuldgefühle. Nur Liebe.«

Das Jahr 1936 ist wegweisend für Libertas und Harro Schulze-Boysen.
Sie heiraten und ziehen um in eine neue Wohnung in der Waitzstraße 2 in
Berlin-Charlottenburg, die rasch zum geheimen Treffpunkt ihrer elitären
Widerstandsgruppe aus Ärzten, Künstlern und Professoren wird. Und
damit Harro im Luftfahrtministerium endlich zum Leutnant ernannt wird
und an entscheidende Informationen kommt, sorgt seine Gattin für seine
Beförderung. Als Hermann Göring für ein Wochenende zur Damwildjagd
in ihrem heimischen Schloss Liebenberg einkehrt, fährt Libertas
kurzentschlossen ebenfalls dorthin. Göring will sich, befriedigt vom
Abschuss zweier kapitaler Hirsche, gerade auf sein Zimmer begeben, da
verwickelt ihn die charmante Tochter des Hauses in ein langes Gespräch.
Sie erzählt ihm, dass ihr Gatte wegen seiner journalistischen
Jugendsünden leider keine verantwortliche Position im Ministerium
erhalte, trotz tadelloser Haltung. Göring verspricht, sich darum kümmern
zu wollen. Er tut es. Und er ahnt nicht, dass er mit dem sich perfekt als
schneidigen Nazi tarnenden Harro Schulze-Boysen höchstpersönlich
einen Widerstandskämpfer zum Offizier befördert. Und auch die kühne
Libertas spielt ihre Rolle perfekt – sie gibt sogar ihr NSDAP-Parteibuch
zurück in diesem Jahr. »Als Frau«, so heuchelt sie gegenüber der Partei,
müsse sie sich ganz ihrem Mann und dem Hausstand widmen: »Die
Vorbedingungen für meinen politischen Einsatz sind mit meiner
Verheiratung entfallen.« Die Nazis können nicht anders, als diese
Konsequenz zu akzeptieren. Und dabei ist ihr Verhalten »als Frau« in
Wahrheit so, dass es sowohl ihre Mutter als auch ihre Schwiegermutter
erzürnt. Die 22-Jährige denkt überhaupt nicht daran, ihren Gatten brav zu
bekochen, nein, sie will Journalistin und Schriftstellerin sein und ein
selbstbestimmtes Leben an seiner Seite führen, als wären wir noch in den
Goldenen Zwanzigern. Als Libertas alleine mit ihrer Zieharmonika, ihrer
Leica und ihrem Notizblock mit einem rostigen Frachter von St. Pauli in
Richtung Schwarzes Meer aufbricht, muss Harro seiner Mutter einiges
erklären: »Es handelt sich einfach darum, dass ich gewollt habe, dass
Libs fortfuhr, gerade weil ich wünsche, dass meine Frau sich daran
gewöhnt, auch im Getrenntsein von mir als eigene Persönlichkeit zu
bestehen.« Doch das beruhigt die Frau Mama in Mülheim an der Ruhr
kein bisschen. Sie schreibt dem Sohn, so könne man doch keine Ehe
führen. Das sieht Harro ganz anders: »Was weißt du eigentlich von den
feinen, unendlich feinen Gesetzen, nach denen sich eine glückliche Ehe
aufbauen kann? Ich bin auch heute noch Manns genug, immer wieder das
Bedürfnis zu haben, die Frau mir zu erkämpfen und die Liebe gegen
Widerstände durchzusetzen. Und da ich kein sexueller Freibeuter bin und
meine eigene Frau nun mal unendlich lieb habe, werde ich das Abenteuer
und die Hindernisse nicht aus meiner Ehe herausverlegen, sondern in
meine Ehe hinein.« Was für große Worte. Auch, weil Harro weiß, dass
die Nazis ihm auf alle Zeiten ein Hindernis in seine Ehe hineingelegt
haben, das kaum zu überwinden ist: Durch die Folterungen im Sommer
1933 sind seine Nieren so zerstört, dass er, wie er seinem Bruder schreibt,
dem, was man ehelichen Pflichten nennt, nicht so nachkommen kann,
wie er es gerne würde. Aber Libertas schreibt ihm von ihrer Seereise ans
Schwarze Meer, umringt von Matrosen: »Was das Treubleiben betrifft,
Junglein, so hast du nichts mehr zu fürchten.« Was für große Worte also
auch von ihr.
*

Zwischen ihren Häusern liegt eine herrliche Bucht – und zwischen ihren
Herzen steht eine Frau: Im August 1936 buhlen in Sanary-sur-Mer Lion
Feuchtwanger, der deutsche Emigrant, und Aldous Huxley, der britische
Autor von Brave New World, um Eva Herrmann, die bildschöne Malerin,
die am Rande des Ortes mit Sybille Bedford zusammenlebt, ihrer
lesbischen Freundin. Eva Herrmann löst das Problem auf ihre Weise: Sie
schläft erst mit Feuchtwanger, dann mit Huxley und dann wieder mit
Sybille Bedford. Daraufhin notiert Feuchtwanger in sein Tagebuch:
»Ziemlich verstimmt wegen Eva.« Er will mit den anderen spielen – und
hasst es, wenn er das Gefühl hat, dass jemand mit ihm spielt. Doch
Feuchtwanger weiß, wie man verletzt: Und so geht er abends plötzlich
mit Sybille Bedford über die Hafenpromenade von Sanary. Doch sie
bleibt hartnäckig dem eigenen Geschlecht zugetan. So versucht es Lion
Feuchtwanger bei Sascha, der etwas gelangweilten Gattin des
Philosophen Ludwig Marcuse. Und siehe da: Als Eva davon erfährt,
kommt sie schnurstracks wieder zu ihm und in sein Bett. Diesmal wird
sie schwanger und muss nach Paris reisen, um das Kind abzutreiben.
Noch also sind es diese Erschütterungen der Seele und des Körpers,
Eifersucht, Sehnsucht und Liebeswahn, die das Leben in Sanary in
Schach halten. Noch scheint es, als sei der Nazi-Terror weit entfernt und
man ihm glücklich entronnen.

Mit ihrer einzigartigen Mischung aus Wärme und Witz hat Mascha
Kaléko so vielen Leserinnen und Lesern aus dem Herzen gesprochen. So
viele Varianten der Liebe und des Lebens beschwören ihre Gedichte,
Flüchtigkeit, Betrug und den trotzigen Glauben ans Glück: »Wie oft sind
unsrer Sehnsucht Außenstände / mit einem D-Zug schon davongeweht
…« Doch Mascha Kaléko hat aus einem Gefühl der Sicherheit heraus
über die Unsicherheit geschrieben: aus der Liebe mit Saul, ihrem Mann,
der ihr in blinder Treue ergeben ist. Ein paarmal hat sie ihn betrogen, das
schon, dennoch: »Die Andren … das ist Wellenspiel, / Du aber bist der
Hafen.« Als es anfängt zu kriseln, tun sie das, was Paare tun, um ihr
heruntergebranntes Feuer neu zu entfachen: Sie suchen sich eine andere
Wohnung. Kaum sind sie eingezogen in die herrliche Altbauwohnung in
der Bleibtreustraße in Charlottenburg, spürt Mascha Kaléko, dass sie
schwanger ist. Und sie weiß, dass der Vater dieses Kindes nicht Saul
Kaléko heißt, sondern Chemjo Vinaver. Ihr Mann hat ihr da, in gewisser
Vorahnung, schon geschrieben: »Sei untreu mir, soviel du willst / Doch –
lass es mich nicht wissen.« Aber mit jeder Woche, in der ihr Bauch
wächst, lässt sich das Geheimnis schwerer verbergen. Und auch ihre
Liebe zu Chemjo nicht, jenem oft geistesabwesenden jüdischen
Komponisten, der sie von der ersten Sekunde an in seinen Bann gezogen
hat. Sie haben im Romanischen Café zufällig an zwei benachbarten
Tischen gesessen, als er zu ihr trat und ihr einen Zettel zuschob:
»Mascha, ich muss ein Kind mit dir haben.«
Das nennt man dann wohl – vom betrogenen Ehemann wie vom
künftigen Vater – doppelte Vorsehung. Am 28. Dezember 1936 wird
Avitar Alexander geboren. Die Mutter traut sich nicht, ihrem Ehemann
die Wahrheit zu sagen, und so beginnt für sie ein Jahr des Leidens. Sie
liebt ihren Sohn – und erkennt doch in seinem Lächeln nur die Züge ihres
Geliebten. Ihr Mann aber bemerkt voll Stolz, wie sehr ihm sein Junge
ähnelt.
Mascha Kaléko fühlt sich vollkommen zerrissen. Irgendwann, 1937,
an einer Verkehrsampel, als links der Mann läuft, dessen Ring sie trägt
und rechts der, dem ihr Herz gehört, gesteht sie es. Im Kinderwagen
schreit Avitar Alexander.
Chemjo Vinaver zieht zu seiner Geliebten und dem gemeinsamen
Sohn in die Bleibtreustraße. Und Saul Kaléko in eine Pension. Er ist der
Autor des Buches Hebräisch für Jedermann für Fortgeschrittene. Im
Alleinsein jedoch ist er blutiger Anfänger. Am 22. Januar 1938 werden er
und seine Frau geschieden. Am 28. Januar heiratet Mascha Kaléko
Chemjo Vinaver. In unzähligen Gedichten hat sie beschrieben, dass
Vorsicht geboten ist, wenn Wünsche in Erfüllung gehen. Nun ist sie
selbst an der Reihe: Vier Tage nach der Hochzeit schreibt sie verstört in
ihr Tagebuch: »Er ist so aufbrausend, und wenn er schreit, denke ich:
Und das ist die ›große Liebe‹, um die uns alle Welt beneidet. Ich habe
einen ungeliebten Mann verlassen, um dem geliebten Mann zu folgen.
Und um mein und meines Kindes Frieden bei ihm zu finden.« Aber schon
ein paar Wochen später schreibt Mascha Kaléko voll Rührung: »Für mich
ist er der Liebste der Welt. Ich weiß, dass er mich sehr, sehr, sehr liebt,
ich glaube ihm auch, wenn er sagt, dass ich die Frau in seinem Leben bin,
die für ihn Heimat und Liebe zugleich sein kann.« Und so ist es. Schon
im Oktober emigrieren die beiden mit ihrem geliebten Sohn in die USA,
New York, 378/385 Central Park West, wird ihre neue Heimat. Und ihre
Liebe zueinander, die bleibt die alte. Und ihre Sehnsucht nach Berlin
auch. Sie dichtet: »Gewiss, ich bin sehr happy / Doch glücklich bin ich
nicht.«

*
New York ist nach Berlin und Paris die dritte Weltstadt, in der Kurt Weill
und Lotte Lenya innerhalb von nur fünf Jahren ihre Zelte aufschlagen.
Sie sind mit leichtem Gepäck in die endgültige Emigration gereist: ein
paar Koffer mit Kleidern, Noten, Notizbüchern, dem letzten Rest des
Geldes aus der Dreigroschenoper. That’s it. Nun müssen sie neu
anfangen, wie all die anderen, die hier stranden, erleichtert erst und dann
voll Zukunftsangst. Doch sie wollen sich nicht einlullen lassen von der
Nostalgie und der Sentimentalität der deutschen Emigranten im Hotel
Bedford. Sie wollen arbeiten, sie wollen nicht mit Tränen in den Augen
von der »guten alten Zeit« reden. Sie wollen Karriere machen in der
Neuen Welt. Sie pauken Englisch. Mit Erfolg in ihren jeweiligen
Spezialdisziplinen: Schon ein Jahr nach seiner Ankunft in Amerika läuft
Weills erste große Show am Broadway. Und Lotte Lenya hat ihren ersten
amerikanischen Liebhaber, den Dramatiker Paul Green. Es ist alles wie
immer. Und so können sich die beiden am 19. Januar 1937 auf dem
Standesamt in New York ein zweites Mal das Jawort geben. Der Prozess
der Aussöhnung ist abgeschlossen. Und Weill weiß, dass diese Ehe
immer ein paar Nebendarsteller haben wird. »Doppelt hält besser«, sagt
Lotte Lenya, als sie ihren Freunden von ihrer neuen Hochzeit erzählt.
Und Kurt Weill kommt, nachdem er für einige Monate nach Hollywood
gezogen ist, zu diesem Fazit: »Ich glaube, wir sind das einzige Ehepaar
ohne Probleme.« Herzlichen Glückwunsch. Beziehungsweise, wie Rilke
es formuliert hat: »Die Liebe, mein Gott, die Liebe.«

Konrad Adenauer verlässt seinen Schutzraum im Kloster Maria Laach,


wohin er 1933 geflüchtet ist. Er zieht mit seiner Frau Gussie und den
Kindern nach Rhöndorf, nachdem auch das Familienhaus in Köln von
den Nazis beschlagnahmt worden ist. In Rhöndorf baut Gussies Bruder
Ernst den Adenauers ein kleines Haus, sie leben von der halbierten
Pension aus seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister. Es sind stille,
trostlose Jahre. Konrad Adenauer fürchtet, dass seine besten Zeiten hinter
ihm liegen.

Das muss Liebe sein: Am 21. Februar 1937 sagt Leni Riefenstahl dem
amerikanischen Reporter Padraic King, was sie fühlt, wenn sie an Adolf
Hitler denkt: »Für mich ist Hitler der größte Mann, der je gelebt hat. Er
ist wirklich tadellos, so einfach und außerdem so erfüllt von männlicher
Kraft. Strahlen gehen von ihm aus. All die großen Männer Deutschlands,
Friedrich der Große, Nietzsche, Bismarck – hatten Fehler. Auch Hitlers
Mitläufer sind nicht makellos. Nur er ist rein.«
Leni Riefenstahl weiß, was sie zu tun hat. Denn Hitler persönlich hat
sie gerettet. Goebbels hatte öffentlich gemunkelt, dass Riefenstahl wohl
eine jüdische Großmutter habe. Da hat ihn Hitler zur Raison gerufen –
auch wenn die Sache mit der Großmutter in der Tat nicht so ganz
eindeutig ist. Aber Goebbels muss sich öffentlich entschuldigen, am
30. Juni zur Housewarmingparty bei Riefenstahl antanzen und seinen
Diener machen. In Berlin-Dahlem bezieht Hitlers Lieblingsregisseurin
ein neues Haus, erbaut auf dem arisierten Grundstück der emigrierten
Familie Wertheim. Es ist ein kleiner Kreis, der da auf dem frisch
gemähten Rasen Bowle trinkt: Hitler, Goebbels, Riefenstahls Bruder
Heinz mit Frau, ihre Mutter und die Hausherrin – und dann noch eine
Dame, genauso gekleidet wie sie, weiße Bluse, knielanger Rock, die sich
etwas scheu im Hintergrund hält und die Riefenstahl den Herren als Frau
Dr. Ebersberg vorstellt. Da Heinrich Hoffmann mitgekommen ist, Hitlers
Freund und Hoffotograf, gibt es zahlreiche Bilder von jenem lauen
Sommerabend, bei dem Riefenstahl aufs neue vom Tausendjährigen
Reich ins Herz geschlossen wird.
Jene Annetta Ebersberg taucht übrigens zwar an diesem Abend, aber
nicht in Riefenstahls neunhundert Seiten dicker Autobiographie auf. Seit
Mitte der dreißiger Jahre ist sie jedoch Riefenstahls engste Vertraute.
Hitler fragt nicht nach, auch Goebbels nicht, man hält die »Frau Doktor«
wohl für die Ärztin. Und nachdem man Riefenstahl gerade von dem
Ruch befreit hat, eine jüdische Großmutter zu haben, verschließen Hitler
und Goebbels scheinbar lieber beide Augen vor einer möglichen
Bisexualität der Hausherrin. Man muss ja nicht immer gleich das
Schlimmste befürchten. Leni Riefenstahl jedenfalls packt ihre Koffer,
nachdem die hohen Herren gegangen sind, und trinkt dann noch ein
Gläschen mit Annetta, ihrem Bruder und ihrer Mutter. Am nächsten
Morgen muss sie früh raus, ihr Film Triumph des Willens feiert in Paris
Premiere.

Und Hermann Hesse? Der kniet weiter in seinem üppigen Garten hoch
über dem Luganer See und jätet Unkraut. Es ist für ihn auch die
Möglichkeit, der Nähe seiner Frau Ninon zu entfliehen: »Ich teile meine
Tage zwischen Studio und Gartenarbeit, Letztere gilt der Meditation und
der geistigen Verdauung und wird darum meist einsam betrieben.«
Danach sehnt er sich in dieser Ehe inzwischen am meisten: Einsamkeit.
Und Ninon, seiner Frau, geht es ganz ähnlich. Zwei traurige Partner in
einem riesigen, durchorganisierten Haus, beide mit zu großer
Vergangenheit und zu kleinen Träumen. An ihrem Gartenzaun hängt das
Schild: »Keine Besucher bitte«. Von unten aus dem Tal dringt das Läuten
der Kirchturmglocken aus den kleinen Dörfern am See hinauf in den
Garten der Casa Rossa.

Gottfried Benn in seiner Einsamkeit in der Wehrverwaltung in Hannover


will es noch einmal versuchen mit dem Heiraten. Dafür muss er aber den
beiden Geliebten den Laufpass geben. Elinor Büller schickt er, als die
von ihm ein flammendes Liebesbekenntnis einfordert, ein lakonisches:
»Die Liebe ist eine Krise der Berührungsorgane.«
Und ergänzt dann: »Ich habe mir eine kleine Vertraute in den letzten
Wochen herangezogen, die ich mir halten will.« Dasselbe schreibt er an
Tilly Wedekind, seine zweite Geliebte. Wie üblich findet Benn für große
Ereignisse in seinem Leben nur kleine Worte: Es ist keineswegs eine
neue Liebe, sondern nur eine »kleine Vertraute«. Und damit auch sein
Brieffreund Oelze in Bremen nicht zu viel erwartet, ergänzt Benn
körperliche Details: »groß, schlank, überzüchtet, nicht hübsch,
vorstehende weiße Zähne«. Es wirkt wie so oft, als wolle er das kleine
Glück in seinem Leben beschützen, indem er es nach außen eher als
Unglück beschreibt. Er ist 51 Jahre alt, sie 31, so etwas schätzt er – und
ganz offenbar sieht er, angesichts zudringlicher werdender Anfeindungen
der Nazis, die seine frühen Schriften nun »entartet« nennen und ihm eine
jüdische Abstammung andichten, auch eine Ehe mit einer deutschen
Adligen als möglichen Schutzraum.
Es ist so faszinierend wie bestürzend zu sehen, wie die poetische
Kraft, die aus Benns Stadthallen-Gedichten in den Sommern von 1935
und 1936 spricht, schlagartig erschlafft, als er eine neue Frau
kennenlernt. Als er genau jene Einsamkeit aufgibt, die er als Basis jeder
Lyrik beschworen hat. Es handelt sich bei der jungen Dame um Herta
von Wedemeyer, eine aschblonde Adlige aus Hannover, die, wie er
betont, immerhin eine »perfekte Maschinenschreiberin« ist. Aber bevor
sie seine Frau wird, möchte Benn erst einmal wissen, wie es um ihre
Finanzen steht. Er entblödet sich nicht, an die Deutsche Adelsgesellschaft
zu schreiben, um mehr über die Vermögensverhältnisse ihrer Familie zu
erfahren.
Obwohl danach klar ist, dass da wenig zu holen ist, entscheidet sich
Benn, mit ihr nach Berlin zu ziehen und sie zu heiraten. Er findet eine
dunkle Erdgeschosswohnung in der Bozener Straße 20; er wird diese
Höhle sein Leben lang nicht mehr verlassen. Und kaum nähert sich die
Hochzeit, packt Gottfried Benn seine Waffen aus, um seinem alten
Freund und Verleger Erich Reiss die Auswirkungen der Ehe auf das
Sexualleben en detail zu skizzieren: »Für den Mann gibt es doch nur die
Illegalität, die Unzucht, den Orgasmus, alles, was nach Bindung aussieht,
ist doch gegen seine Natur. In der Ehe gibt es Wirtschaftsfragen,
Essensfragen, Geselliges, gemeinschaftliche Interessen – alles
Torpedierungen des Sexus.« Und weiter: »Die menschliche Bindung an
die Gattin lähmt das Gemeine, Niedrige, Kriminelle, das jedem echten
Koitus für den Mann zugrunde liegt, er wird impotent, aber diese
Impotenz in der Ehe ist eine Ovation für die Ehepartnerin als Mensch.«
Seine Ovation sieht in diesem Falle so aus: »Meine Frau ist zart,
verfeinert, sehr degeneriert, immer müde, was mir sehr angenehm ist.
Um acht Uhr ist sie zum Schlafen fertig.« Na dann: Gute Nacht.
*

Spätestens 1937 wissen Vladimir Nabokov und seine Frau Véra, dass es
an der Zeit ist, Berlin mit ihrem kleinen Sohn Dmitri zu verlassen: Die
Mörder von Vladimirs Vater kommen zurück in die Stadt, diesmal als
Leiter der für die Überwachung der russischen Emigranten zuständigen
»Vertrauensstelle«, die, um es noch vertrauenerweckender zu machen,
der Gestapo direkt unterstellt ist. So stehen sie nicht nur als Juden,
sondern auch als Russen unter peinigender Beobachtung. Véra drängt
ihren Mann, in Paris Möglichkeiten für eine baldige Emigration zu
suchen. Doch er wird etwas abgelenkt, weil er sich auf der Reise in Irina
Guadagnini verliebt. Ihr Beruf klingt, als hätte ihn sich der inzwischen
bedenklich kahl gewordene Romancier Vladimir Nabokov ausgedacht:
Sie ist Hundefriseurin. So groß ist Nabokovs Schuldgefühl gegenüber
seiner Frau, die voller Angst in Berlin ausharrt, in doppelter Angst nun,
vor der Gestapo und vor der russischen »Vertrauensstelle«, dass er schon
nach den ersten Liebesnächten mit der Hundefriseurin von einer
Schuppenflechte enormen Ausmaßes bedeckt ist. Er versucht, Véra
brieflich nach Paris zu locken, doch sie weigert sich, solange er noch
keine finanzielle Grundlage für die ganze Familie im Exil gefunden hat.
Ihre Briefe, die in den Jahren zuvor solch einen Zauber verbreiten, so
getränkt sind von Wärme, Witz und rührender Liebe, bekommen eine
verstörende Note, werden zu einem »atonalen Duett«, wie es Stacy Schiff
nennt. Vladimir tut, als sei nichts gewesen und schreibt: »Muschilein, ist
es Zeit, dass du dich bereit machst, zu mir zu kommen?« Doch Véra hat
von Vladimirs Affäre erfahren, und er ist zu feige, sie ihr zu gestehen.
Entsprechend sind die Briefe um den künftigen Emigrationsort geprägt
von Misstrauen, von Zweifeln, von Angst. Am 30. März schreibt er ihr:
»Meine Liebste, was ist los, ich habe seit vier Tagen keinen Brief
bekommen?« Er ahnt da natürlich bereits, was los ist. Hinzu kommt für
Véra die kaum zu bewältigende Aufgabe, in Berlin an Visa für sich und
den kleinen Dmitri zu kommen. Sie schlägt England als Exil vor, dann
Belgien. Lauter Übersprungshandlungen, weil durch Vladimirs Affäre
mit der Hundefriseurin für Véra ganz Frankreich vergiftet ist. Am
6. April schreibt er nach Berlin: »Was ist denn eigentlich los?
Wahrscheinlich wirst du mir im nächsten Brief schreiben, dass du
seelenruhig in Deutschland bleibst, in einem bayrischen Kurort.«
Schließlich konfrontiert Véra ihn mit der Wahrheit – nämlich, dass sie
gehört habe, er betrüge sie. Am 20. April, Hitlers 48. Geburtstag, lügt er
dann wie gedruckt: »Die gleichen Gerüchte sind auch zu mir
durchgedrungen: Denen, die sie verbreiten, werde ich die schmierigen
Visagen polieren. Letzten Endes sind mir die Abscheulichkeiten, die man
sich mit Genuss über mich erzählt, völlig gleichgültig und ich denke,
auch dir sollten sie gleichgültig sein.« Und am 27. April dann, nach
zahllosen weiteren Briefen, schreibt er Véra nach Berlin: »Ich habe nicht
die Kraft, diese Partie Fernschach fortzuführen. Ich gebe auf.«
Irgendwie schaffen es die Dame und der König, so vertrackt die
Positionen auch sein mögen, dann aber doch, sich am 22. Mai in Prag zu
treffen. Vladimir kommt aus Paris mit dem Zug, Véra und Dmitri vom
Anhalter Bahnhof in Berlin. Nachdem Vladimir die Affäre gestanden und
für beendet erklärt hat, willigt Véra ein, mit ihm nach Cannes an die
französische Mittelmeerküste zu ziehen. Aber es dauert noch lange, bis
das Gift dieses Misstrauens und die Schmerzen des Verrats
verschwunden sind. Irgendwann schreibt er ihr: »Ich liebe dich, ich bin
glücklich, alles ist in Ordnung.« Und so wird es bleiben. Ihre Ehe wird
52 Jahre halten, der Makel mit der Hundefriseurin ist aus ihnen
irgendwann herausgewachsen wie falsches Blond.
*

Wird doch noch alles gut? Das Jahr 1937 ist für Klaus Mann das hellste
in diesem Jahrzehnt der Dunkelheit. Ihm steht ein Buch über die Jahre im
Exil vor Augen: »Mein nächster Roman. Große Komposition aus
Emigranten-Schicksalen. Die Verfolgten oder so. Laufen nebeneinander
her, jedoch durch irgendeine Klammer miteinander verbunden. […] Pass-
Schwierigkeiten. Geldnot. Sexualnot. Der Hass. Die Hoffnung. Das
Heimweh. Kriegsangst (und Hoffnung).« Selten hat man Schicksale auf
so engem Raum beschrieben gesehen wie in dieser Ideenskizze. Sie wird
später zu Der Vulkan. Roman unter Emigranten. Aber Klaus Mann spürt,
was ihn immer wieder daran hindert, zu schreiben und zu hoffen – die
Drogen. Er ist so abhängig, dass er inzwischen täglich im Tagebuch
vermeldet: »genommen«. Seinen Eltern und Erika gelingt es schließlich,
ihn davon zu überzeugen, sich in eine Entziehungskur zu begeben.
Immerhin trägt das Sanatorium in Budapest, in dem Mann ab dem
27. Mai versucht, sich zu entgiften, den verheißungsvollen Namen Siesta.
Und als Arzt praktiziert dort jener Dr. Robert Klopstock, »in dessen
Armen Franz Kafka gestorben ist«, wie Klaus Mann in seinem Tagebuch
vermerkt. Ihm wiederum gelingt es, an dessen Hand noch einmal ins
Leben zurückzukehren. Er schreibt nach zwei Monaten qualvollen
Entzugs an seine besorgte Mutter in Zürich: »In absehbarer Zeit fange ich
bestimmt nicht wieder an – vielleicht sehr viel später einmal.« Dass
Klaus Mann sich in Budapest ins drogenfreie Leben zurückkämpfen will,
hat auch einen ganz bestimmten Grund: Und der heißt Thomas Quinn
Curtiss, von ihm zärtlich »Tomski« genannt, und besucht ihn täglich in
der Klinik.
Curtiss ist 22, Amerikaner mit sinnlichen Lippen, wehendem Haar
und enggeschnittenen Anzügen, und er hat bei Sergej Eisenstein in
Moskau studiert. In sein Tagebuch notiert Klaus Mann nach einem
Jahrzehnt zahlloser kurzer und langer Affären: »Ich bin ganz entschieden
für ihn. Ein größeres Maß an Erfüllung als diese Beziehung mir bringt,
dürfte mir ›von der hohen Instanz‹ nicht bestimmt sein.« Der Sommer
1937, als die schlimmsten Qualen des Entzugs vorüber sind und er in
Budapest das Glück der jungen Liebe mit Tomski genießt, ist vielleicht
der schönste im Leben von Klaus Mann. Plötzlich ist er der Ältere, zu
dem der Jüngere verehrend aufblickt, er zeigt ihm in kurzer Zeit alle
Stationen seines europäischen Lebens, er fährt mit ihm nach Zürich zu
den Eltern, er besucht mit Tomski seine Schwester Erika und Therese
Giehse, die gerade mit Annemarie Schwarzenbach in Graubünden Urlaub
machen, er zeigt ihm die Grachten von Amsterdam, wo er die Sammlung
redigiert, und er fährt mit ihm nach Sanary-sur-Mer, Ort der Hoffnung
und der Träume eines anderen, längst vergangenen Sommers. Klaus
Mann schreibt rückblickend auf diese Wochen drei für ihn ungeheure
Worte: »Ich war glücklich.«

Dem Schriftsteller Ernst Jünger gelingt es, sich erst im Harz und dann ab
1936 in Überlingen am Bodensee zu verstecken, vor den Nazis und vor
sich selbst. Er träumt sich in die Antike fort und in die Welt der Insekten.
Tag für Tag streift er durch die Wälder und sammelt Käfer, spießt sie
abends fein säuberlich auf, beschriftet sie, ergötzt sich an ihren Panzern
und an ihren lateinischen Namen. Und seine so besondere Frau Gretha
leidet an seiner Seite. Er verlangt allen Ernstes, dass sie ihn »Gebieter«
nennt – und sie tut es. Sie sucht zeitlebens nach ihrer Bestimmung, geht
nicht auf in der Rolle der Mutter für die beiden Jungen, die sie
gemeinsam mit Jünger hat. Sie beginnt zu schreiben, zu reisen,
argwöhnisch beäugt von ihrem Gebieter. Der wiederum hat schon in
Berlin zahlreiche Affären und hört auch in der inneren Emigration damit
nicht auf. Die Schuld dafür aber gibt Gretha nicht ihm, sondern den
Frauen, die ihn verführen. Dennoch behandelt er seine Gattin mit jener
Unterkühlung, die er seit seinem Debüt In Stahlgewittern zu seinem
emotionalen Ideal erhoben hat, und Gretha ächzt unter seiner
»neusachlichen« Behandlung, wie sie es, halb ironisch, halb leidend
nennt. Sie klagt gegenüber einem Vertrauten: »Ich ermüde, es ist ein
entsetzlicher und unhaltbarer Zustand für mich geworden, denn langsam
fühle ich mich in seinen Kreis der Bedrückung, der Depressionen und der
absoluten Verneinung des Lebens miteinbezogen, wie ein lichtfrohes
Insekt dem Spinnennetz nicht mehr zu entrinnen vermag.« Ja, Gretha
Jünger war dem Insektenforscher Ernst Jünger ins Netz gegangen, und er
betrachtet sie ab und an wie einen sonderbaren kleinen Käfer, der zufällig
mit ihm im selben Hause lebt. Er selbst beantwortet die Frage für sich
mit den Mitteln der Astrologie: »In unserem Lebenslaufe begegnen wir
stets der einen, die uns aus unseren vorgeschriebenen Bahnen wirft und
zur Begleitung zwingt, ob wir nun wollen oder nicht.« Und dann, in einer
kühnen Verteidigung seiner eigenen Affären und der eigenen
Unverantwortlichkeit dafür: »Daher liegt auch die Treue im Grunde
außer unserem Willen; in ihrem Wesen wirkt mehr an Schwerkraft als an
Tugend auf uns ein.«

Alma Mahler-Werfels kurzzeitiger Geliebter und dauerhafter Beichtvater,


der Theologe Johannes Hollnsteiner, der inzwischen hoffentlich seine
eigene Beichte abgelegt hat, darf seine Künste in einem sehr besonderen
Ehenichtigkeitsprozess in Wien beweisen. Und man muss sagen, dass er
es für eine wahrhaft besondere Liebe tut.
Da für Angehörige der katholischen Kirche nur nach der Annullierung
einer Ehe eine neue Ehe geschlossen werden kann, nicht jedoch nach
einer Scheidung, nimmt Hollnsteiner als Präsident am Wiener
Metropolitan- und Diözesangericht eine zentrale Rolle ein. Dort wird der
österreichische Bundeskanzler Schuschnigg vorstellig, der 1935 seine
Ehefrau bei einem Verkehrsunfall verloren hat und nun Vera Gräfin von
Czernin-Chudenitz heiraten will, die wiederum mit einem Grafen Fugger
von Babenhausen verheiratet ist und mit diesem immerhin vier Kinder
hat.
Das sieht also den Gesetzen der Logik zufolge nach zumindest
viermal vollzogener Ehe aus, doch Johannes Hollnsteiner legt sich ins
Zeug, um seinen Kanzler da rauszuboxen. Und tatsächlich, 1937 wird die
Ehe der Gräfin annulliert, es habe, so argumentiert Hollnsteiner, ein
seelisch zermürbender »Zwang zur Ehe« existiert, der dem Gesetz der
Freiheit der katholischen Kirche widerspreche. Es wird ein langer
Prozess. Als er ihn endlich ausgefochten hat, ist Schuschnigg schon
Gefangener der Nationalsozialisten und der »Anschluss« Österreichs
vollzogen. Aber der den Ämtern enthobene Kanzler darf am 1. Juni 1938
in Gestapo-Haft seine Vera heiraten. Nur kann er als Häftling bei seiner
eigenen Hochzeit nicht anwesend sein. Er wird von seinem Bruder Artur
vertreten. Nach der Hochzeit geht seine Frau Vera zu ihrem Mann ins
Gefängnis, sie bleibt auch an seiner Seite, als sie ins KZ Dachau und
dann ins KZ Sachsenhausen verlegt werden.

*
Was für eine Verkehrung der Verhältnisse: denn Erika Mann ist 1937 das
erste Mal in ihrem Leben richtig unglücklich. Sie erlebt in jenem Herbst
ihre vielleicht schwerste Zerreißprobe. Gemeinsam mit ihrer Partnerin
Therese Giehse versucht sie – nachdem beide einen britischen Ehemann
und damit einen britischen Pass bekommen haben –, ihr Kabarett Die
Pfeffermühle auch in Amerika heimisch zu machen. Aber es gelingt nicht,
hier gibt es keine Tradition für das politische Kabarett, und es fehlt ein
Bewusstsein dafür, dass die politische Situation einen Schmerz auslösen
kann, der das befreiende Lachen sucht. Gleichzeitig lebt sie sich mit
Therese Giehse auseinander, obwohl sie so viele Jahre des Exils
zusammen erlebt und durchlitten haben, verbunden durch ihren
gemeinsamen Humor. Doch hier, in der Neuen Welt, werden sie sich
fremd. Erika wandelt sicher über das internationale Parkett, aber Giehse,
die deutsche Schauspielerin, quält sich mit der fremden Sprache und den
fremden Bühnen. Sie streiten sich. Therese ist entsetzt, dass sich Erika im
oberflächlichen »American Way of Life« wohlfühlt und nicht mehr dafür
tut, dass die Pfeffermühle ein Publikum findet. Erika wirft Therese
wiederum vor, sich aus Sturheit nicht genug darum zu kümmern,
Englisch zu lernen.
In ihrer Wut und Verunsicherung ist Therese so lange auf Erika Manns
Flirts in Amerika eifersüchtig, bis diese sich tatsächlich ein bisschen
verliebt, fast aus Trotz, wie es scheint. Und zwar in einen Mann.
Nachdem sie zweimal verheiratet gewesen ist, einmal mit Gustaf
Gründgens und einmal mit W.H. Auden, aber alle wussten, dass es bei
diesen Verbindungen mit zwei Homosexuellen vermutlich nicht um
Erotik ging, entwickelt sie im Bedford Hotel in New York Gefühle für
den im Exil lebenden jüdischen Schriftsteller und Arzt Martin Gumpert.
Er ist »ein sehr ruhiger Mann mit runder Buddha-Miene, kleinem Mund
und dunklen, starken Augen. Im Blick verrät sich eine Leidenschaft, von
der die stoische Fassade sonst nichts merken ließ«, urteilt Klaus Mann.
Und offenbar richtet sich seine Leidenschaft ganz auf Erika Mann, die
zur selben Zeit auch von Klaus’ Amsterdamer Freund Fritz Landshoff
umschwärmt wird. Gumpert gelingt es, Erika zu verführen. Sie ist ihm
scheinbar in Dankbarkeit ergeben, weil er als Mediziner versucht, ihren
geliebten Bruder Klaus mit neuen Medikamenten von der Drogensucht
zu befreien. Auf jeden Fall schlafen sie miteinander – und Erika Mann
wird schwanger. Gumpert träumt von einer Ehe und einer gemeinsamen
Familie. Doch Erika Mann gerät in Panik, sie fühlt sich bedroht von dem
Überschwang der Gefühle und der Rolle als Ehefrau und Mutter. Sie
verteidigt ihre Unabhängigkeit, ihre »turbulente Einsamkeit« und ihre
Ungebundenheit – und lässt das Kind sofort abtreiben.
Ausgerechnet in diesen Wochen des Gefühlschaos kommt Erikas alte
Freundin Annemarie Schwarzenbach nach New York und versucht, in
dem Wirrwarr zu moderieren. Durch Zuhören, Nicken, Nachfragen und
gute Ratschläge bei allen beteiligten deutschen Emigranten im Bedford
Hotel. Erika Mann dreht durch und beklagt sich bei ihrer Mutter, dass
ausgerechnet »die zarte Irrenhausgestalt« hier die Wogen glätten wolle
mit ihren »Landerziehungsheimmanieren«. Wir sehen: Die Nerven liegen
blank. Wenig später packt Therese Giehse ihre Koffer und fährt mit dem
Schiff zurück nach Europa, und Annemarie Schwarzenbach schließt sich
ihr an. Sie haben dann viele Tage Zeit, an Deck und in ihrer Kabine in
immer neuen Anläufen ihre geliebte Erika zu enträtseln. Erika tröstet sich
indes etwas im riesigen Schatten ihrer Eltern. Genau dieser Schatten, der
ihren Bruder Klaus immer zu verschlucken scheint, ist es, der ihr
Geborgenheit bietet und Schutz. Sind wir Menschen nicht sonderbar, vor
allem in unserer Rolle als Kinder?
*

Was im September 1937 in Venedig geschieht, hat fast etwas Rührendes.


Zwei deutsche Weltstars, deren Stern sinkt, treffen sich morgens in der
ewig sinkenden Stadt und versinken abends bereits gemeinsam in den
Kissen. Sie hat ihn im Café Florian um Feuer gebeten, ihr ältester Trick,
der auch diesmal funktioniert: Sie nimmt die Zigarette in den Mund,
beugt sich zu ihm herab und legt ihre blassen, schlanken Finger um seine
sonnengebräunte Hand. Es wird ganz still. Man hört nur das Streichholz,
dann das brennende Papier und dann den tiefen Atemzug, mit dem die
Dietrich nicht nur das Nikotin in sich aufsaugt, sondern gleich ihr ganzes
Gegenüber.
Erich Maria Remarque, der so smarte wie innerlich verwüstete Autor
von Im Westen nichts Neues, der mit Schreibblockaden kämpft, und
Marlene Dietrich, die von ihrem Pendeln zwischen Berlin und
Hollywood und ihrem ausschweifenden Sexualleben erschöpfte
Schauspielerin, deren letzte Filme allesamt beim Publikum durchgefallen
sind, verstehen sich auf den ersten Blick und seit der ersten Zigarette.
»Wir durchschauen uns voll Entzücken«, so schreibt er ihr nach ein paar
Tagen, »und fallen ebenso prompt auf den anderen wieder herein.« Es ist
der Zauber des Einverständnisses, den sie spüren, die Erleichterung,
nichts erklären zu müssen, auch das kann Glück bedeuten für einen
Moment.
So bleibt es aber nicht lange: Immer öfter lässt die Dietrich ihren
Remarque spüren, dass er nicht die einzige Person ist, die sie in ihr Bett
lässt. Mit der Genauigkeit eines Masochisten notiert Remarque im
Tagebuch die kleinen Gemeinheiten, die großen Qualen in dieser nicht
ausbalancierten Beziehung. Ohnehin sehen sie sich nur kurz, meist in
Luxussuiten in Paris, auf halber Strecke zwischen Porto Ronco und
Hollywood sozusagen, dann hat Remarque die Aufgaben des Mädchens
für alles. Er darf sie, die er gerne kraulend seinen »Puma« nennt, erst
einmal ausgiebig mit Öl massieren, er darf, wenn nachts die Anrufe aus
Amerika eingehen, ihr Vorzimmer spielen, er darf ihr Obst aufs Zimmer
bringen und morgens ihren Morgenrock auf der Heizung vorwärmen und
das Wasser in die Badewanne einlassen. Er macht das alles still, aber er
merkt, dass etwas nicht stimmt. Dass er, der stolze Mann, hier zu einem
ergebenen Diener verkommt. Er trinkt und verzweifelt über seiner
gefallsüchtigen Hörigkeit. In seinem Tagebuch ermahnt er sich am
27. Oktober 1938: »Soldat! … Du kannst nicht der Schlackenschammes
eines Filmstars sein. Das ist was für Leute ohne Arbeit. Du hast zu
arbeiten.« Aber es geht noch ein Weilchen so weiter. Es schmeichelt ihm
doch zu sehr, dass er es ist, der in Paris oder Antibes mit ihr im Arm über
die Straßen läuft. In mancher Liebe, so sagte Rainer Maria Rilke, gehe es
darum, dass einer die Einsamkeit des anderen gut beschützt.

Im September 1937 gerät Ludwig Wittgenstein, der das Gebot der


Keuschheit predigt, wieder mit seinen Idealen in Konflikt. Und zwar
auch diesmal in der Einsamkeit Norwegens, wo sechs Jahre zuvor
Marguerite Respinger vergeblich versucht hat, ihn aus der Reserve und
seinen inneren Komplexen zu locken – oder ihn zu beschützen. Diesmal
ist es ein Mann, der ihn herausfordert in den langen hellen Nächten des
Nordens, wenn die Luft still ist und das Meer auch, und die Sterne gar
nicht wissen, ob sie leuchten dürfen, weil die Vögel schon wieder
anfangen, ihr Lied zu singen. Francis Skinner, der schüchterne,
bildhübsche Mathematikstudent aus Cambridge, verehrt den doppelt so
alten Philosophen, doch Wittgenstein ist verstört, dass es in ihm »sehr
sinnlich« wird, wenn er mit Francis allein ist. Verzweifelt hofft er, dass es
bei einem »menschlichen Verhältnis« bleibt – unmenschlich also, so
lernen wir, ist es für Wittgenstein, wenn Sexualität ins Spiel kommt. In
sein Tagebuch notiert er: »Zwei oder dreimal mit ihm gelegen. Immer
zuerst mit dem Gefühl, es sei nichts Schlechtes, dann mit Scham. Bin
auch ungerecht, auffahrend und auch falsch gegen ihn gewesen und
quälerisch.«
Ludwig Wittgenstein hat Angst vor seinen Hormonen und beschuldigt
darum den so hoffnungsvoll liebenden Francis Skinner. Als der aber
völlig verstört abgereist ist aus Norwegen, verkriecht sich Wittgenstein in
seine einsame Hütte; er fühlt, dass durch diese geweckte Sexualität in
ihm etwas verdorben sei »wie in einem faulen Apfel«. An diesen schönen
Clou bei der Schilderung von Evas und Adams Vertreibung aus dem
Paradies hat selbst der liebe Gott nicht gedacht. Der Apfel ist so voll
sündiger Säfte, dass er zu faulen beginnt!
Wittgenstein ist verwirrt und versucht standesgemäß, dem Problem
mit Logik beizukommen, denkt darüber nach, wie man die Liebe »rein«
halten kann vom Sündenfall, und der besteht für ihn wiederum in dem
Moment, in dem ihn die Lust übermannt. Er erinnert sich an die beiden
erotischen Verführer, die Frau und den Mann in der kargen Landschaft
der norwegischen Fjorde, aber er findet keinen Weg heraus aus den
Labyrinthen seines Ichs: »Gestern Abend noch hatte ich Gedanken über
die Notwendigkeit der Reinheit meines Wandels (Ich dachte an
Marguerite und an Francis).« Und so verhindern auch diesmal seine
moralhygienischen Vorstellungen eine Beziehung aus reiner Liebe. Die
norwegischen Sommer von 1931 und 1937 stehen für die beiden seltenen
Momente im Leben von Ludwig Wittgenstein, als sein Körper die Logik
des Geistes zu überwinden sucht – und sich dann endgültig geschlagen
geben muss.

Theodor Adorno ist vor den Nationalsozialisten nach England geflüchtet


und hat sich in den alten, schützenden Mauern des Merton Colleges in
Oxford verkrochen. Als sich 1937 die Situation auch für seine Verlobte
Gretel Karplus immer weiter zuspitzt, gelingt es ihr, nach England
auszureisen. Deutschland, so schreibt er an den bereits in die USA
emigrierten Max Horkheimer, sei zur »Hölle« geworden. Als Horkheimer
im September 1937 nach Europa reist, um die europäischen Zweigstellen
des Instituts für Sozialforschung zu besuchen, wird er in London
Trauzeuge bei der Hochzeit des Ehepaares Adorno-Karplus. Gretel
Adorno weiß nach ihrer zehnjährigen Beziehung mit Adorno, was diese
Heirat für sie bedeutet – sie, die im Berlin der späten zwanziger Jahre
Teil der Boheme gewesen ist, die ein Lederunternehmen geführt hat, wird
fortan zur Rolle als Hausfrau und treuen Gehilfin ihres Mannes
verdammt. Und auf Kinder hat sie auch zu verzichten, das hat ihr
Göttergatte früh klargemacht. So etwas lenke zu sehr vom Denken ab. Im
Februar des nächsten Jahres dann schiffen sie sich von Southampton nach
Amerika ein, um Europa endgültig hinter sich zu lassen, denn
Horkheimer hat für Adorno eine Stelle in Princeton aufgetan. Als sich die
frischgebackene Ehefrau dort darum kümmert, eine erste Wohnung in der
Emigration einzurichten, gibt Adorno Einblick in seine Minima Moralia:
Ȇbrigens ist Gretel ganz mit der Organisation befasst, eine Aufgabe, an
der teilzunehmen ich in der zynischsten Weise ablehne.«
Aber wir verdanken Gretel Karplus ganz unzynische Schilderungen
aus dem Leben in der New Yorker Emigration zwischen Horkheimer und
dem Ehepaar Kurt Weill und Lotte Lenya: »Zuerst eine kleine
Abendgesellschaft bei Max und dann zogen wir noch alle in einen netten
kleinen night-club, wo Lenya auftrat. Ja, es ist alles hier eigentlich noch
konzentrierter als in Berlin, man fühlt sich in die Jahre 25–32 versetzt.«
(Doch allein Lotte Lenya gelingt nicht nur der Sprung zurück, sondern
auch der nach vorn: Im Jahre 1963 wird sie im James-Bond-Film
Liebesgrüße aus Moskau die Rolle der Ex-KGB-Offizierin Rosa Klebb
spielen.)

Im Winter erschüttert keine Affäre, sondern eine Hochzeit das Nazi-


Regime in Berlin. Der verwitwete sechzigjährige Reichswehrminister
und Anthroposoph Werner von Blomberg verliebt sich unsterblich in die
35 Jahre jüngere Prostituierte Margarethe Gruhn. Für eine Heirat braucht
er den Segen des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, also von Adolf
Hitler. Er sagt ihm, sein Gretchen sei »ein einfaches Mädchen aus dem
Volke«. Da bietet Hitler an, er selbst und Göring könnten als Trauzeugen
fungieren. Und so kommt es – am 12. Januar 1938 werden die beiden im
Kriegsministerium Mann und Frau. Sofort kommen Gerüchte auf, dass
Hitler der Heirat seines Ministers mit einer Hure den Segen gegeben
habe, und die von der Gestapo beschlagnahmten Polizeiakten von
Margarethe Gruhn bestätigten den Verdacht. Sie hat nicht nur als
Prostituierte gearbeitet, sondern auch regelmäßig als Modell für
pornographische Fotografien.
Blomberg wird daraufhin gedrängt, seine Ehe sofort annullieren zu
lassen. Doch er entscheidet sich für seine Frau und gibt sein Amt auf. Die
Ehe wird als sehr glücklich geschildert.
Hitler aber nutzt das Desaster seiner Trauzeugenschaft für einen
brutalen Umbau des gesamten Ministeriums und Parteiapparates.

1938 ist das schwerste Jahr im Leben des Tennisbarons Gottfried von
Cramm. Er hat in der späten Weimarer Republik ein unbeschwertes
bisexuelles Leben in Berlin gelebt, im Rausch, aber voller Eleganz. Und
er ist in seinen weißen Tennishosen und engen Poloshirts in den frühen
dreißiger Jahren der weltweit gefeierte Repräsentant des ehrenvollen
guten Deutschland geworden, der selbst eine Niederlage beim Finale in
Wimbledon in Kauf nimmt, wenn er das Gefühl hat, der Schiedsrichter
habe sich zu seinen Gunsten geirrt.
»Jedes Jahr, in dem von Cramm den Centre Court von Wimbledon
betritt«, so 1937 der BBC-Journalist Alistair Cooke, »setzen sich einige
hundert junge Damen in ihren Sitzen etwas aufrechter hin und vergessen
ihre Begleitungen.« Seine eigene Begleitung jedoch vergisst Gottfried
von Cramm nie, trotz aller Affären. Seine Liebe gehört immer Lisa,
seiner androgynen Frau, Freundin der Fotografin Marianne Breslauer,
von Annemarie Schwarzenbach und von Ruth Landshoff, die wie ihr
Gatte die großen, grundsätzlichen Gefühle sehr viel wichtiger findet als
die eheliche Treue. 1938 lassen sie sich scheiden – bei aller Liebe.
Lisa ist in den Scheidungsurteilen der »allein schuldige Teil« – zum
einen wegen ihres frühen Verhältnisses mit einem französischen
Tennisspieler, zum anderen wegen ihrer aktuellen Liebschaft mit Gustav
Jaenecke, dem Doppelpartner ihres Gatten in Wimbledon, dessen
Doppelpartnerin im Bett sie geworden ist. Aber im Grunde wissen beide,
dass die Scheidung nur eine Formalie ist, denn sie haben sich immer
geliebt, auch wenn Lisa sehr darunter gelitten hat, dass ihr Mann Männer
noch mehr liebt als Frauen. Als sie die Scheidung einreicht, schreibt sie
ihm: »Ich will dir nicht sagen, dass ich traurig bin, und dir auch keinen
Liebesbrief schreiben. Nur danken will ich dir, für alles, was du für mich
getan hast. Besonders in letzter Zeit. Du warst wieder so wahnsinnig
anständig und rührend zu mir. Petit, du glaubst es mir ja sicher nicht, aber
ich werde dir das nie vergessen. Ich könnte mich ermorden für jede
Gemeinheit, die ich dir gegenüber begangen habe.« Doch im Jahr 1938
übernimmt es die Gestapo, Gottfried von Cramm zu quälen. Sie nimmt
ihn am 5. März wegen seiner Homosexualität in Gestapo-Haft und schert
sich nicht darum, dass sie damit den weltbekannten Tennisspieler und
Repräsentanten eines besseren Deutschland hinter Gitter setzt. Es geht
ums Prinzip. Er ist ein bisexueller, regimekritischer Judenfreund, da ist es
einerlei, dass es sich bei ihm auch um den zweitbesten Tennisspieler der
Welt handelt. Aber Gottfried von Cramm irritiert die Gestapo – er gesteht
zwar seine homosexuellen Beziehungen zu Herbert Manasse bis 1936,
aber er versichert den Beamten, er habe selbstverständlich regelmäßigen
Geschlechtsverkehr mit seiner noch immer geliebten, inzwischen
geschiedenen Ehefrau Lisa gehabt. Was er nicht erzählt: Seit 1937 hat er
eine Affäre mit einer ganz anderen, mit Barbara Hutton, der reichsten
Frau der Welt, die er in Ägypten auf einem Tennisturnier kennengelernt
hat. Sie ist nach der Scheidung von dem später tödlich verunglückten
Alexis Mdivani nun mit dem deutschen Adligen Kurt Graf Haugwitz-
Reventlow verheiratet, will aber schon am ersten Abend im Gezira
Sporting Club in Kairo zu Gottfried von Cramm überwechseln.
Zwei Wochen lang wird Gottfried von Cramm im März 1938 in der
Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin verhört. Seiner
Mutter Jutta von Cramm, die aus dem Stammsitz Bodenburg nach Berlin
gereist ist, um ihren Sohn zu unterstützen, gelingt es, ihn in seiner Zelle
zu besuchen. Sie findet ihn in völliger Verzweiflung. Er droht mit
Selbstmord und hat, wie sie schreibt, »nur eine Sorge, dass die Familie
ihm vergeben möchte«. Doch genau dies ist die einzige Sorge, die er
nicht haben muss. Seine Mutter hält zu ihm, seine Brüder, seine Ex-Frau
Lisa, sie alle besuchen ihn im Gefängnis und halten seine Hand. Und am
15. April kommt tatsächlich auch Barbara Hutton mit ihrem Ehemann
nach Berlin und quartiert sich im Adlon ein. Gleich am nächsten Tag
bekommt sie Besuch von der gerührten Mutter, die Hutton Rosen von
Gottfried überreicht. Einen Monat später wird von Cramm im Gericht in
Moabit wegen des Verstoßes gegen den Paragraphen 175 zu einem Jahr
Gefängnis verurteilt. In der Urteilsbegründung stellt der Richter fest, dass
von Cramm »ein charakterschwacher, haltloser Mensch« sei. Dies folgert
der Nazi-Richter aus dem Umstand, »dass er zunächst seiner Ehefrau
gegenüber nicht den Mut fand, ihr energisch gegenüberzutreten und ihren
ihm bekannten Liebhaber zurückzuweisen«. Es fehle ihm also ganz
offenbar an einer ausreichenden »männlichen Einstellung«. Barbara
Hutton sieht das offenbar ganz anders. Gottfried von Cramm schreibt an
seine Mutter: »Je mehr ich über Barbara nachdenke, umso gerührter bin
ich, etwas geschmeichelt auch. Man stelle es sich vor, sie ist verheiratet,
nimmt ihren Mann mit, um einem anderen in solcher Situation evtl.
helfen zu können! Es ist ein kleines Wunder.« Vielleicht wegen der
zahlreichen Petitionen aus dem In- und Ausland, vielleicht wegen »guter
Führung« – auf jeden Fall wird Gottfried von Cramm am 16. Oktober
frühzeitig aus der Haft entlassen.
Er versucht, sein früheres Leben wieder aufzunehmen, doch er wird
immer wieder von schweren Melancholieschüben und Schuldgefühlen
übermannt. Dann muss er erleben, dass er als wegen eines
Sittlichkeitsverbrechens Verurteilter plötzlich von den Tennisturnieren in
Wimbledon und dem US Open in New York ausgeschlossen wird.
Stattdessen soll er ein Jahr später gegen diese Alliierten, deren Turniere
und deren Boheme er so liebt, in den Krieg ziehen; der
Sittlichkeitsverbrecher und edle Mensch Gottfried von Cramm erhält
seinen Einberufungsbefehl für das Luftwaffenregiment General Göring.

Immer wieder wird der Liederdichter Bruno Balz von den


Nationalsozialisten verhaftet, weil er als Homosexueller gegen den
Paragraphen 175 verstoßen hat. Um sich zu rächen, fotografiert er sich in
einer lächerlichen Hitlerpose selbst und klebt das Foto auf Seite 175
eines Exemplares von Hitlers Mein Kampf. Er verliert seinen Humor
offenbar auch nicht, wenn ihm der Angstschweiß auf der Stirn steht. Auf
den Filmplakaten und Schellackplatten mit seinen Kompositionen taucht
sein Name nach seiner Inhaftierung nicht mehr auf. Aber die UFA
braucht ihn. Er muss am 21. September 1936 sogar heiraten, die Gestapo
findet dafür Selma Pett, eine dem Führer treu ergebene, schlichte Bäuerin
aus Pommern, die offiziell in die Wohnung von Balz in der Berliner
Fasanenstraße 60 zieht. Auch seine Eltern holt er in die weitläufige
Wohnung. Hier, zwischen seinem Geliebten, seiner Ehefrau und seiner
Mutter, ersinnt Balz 1938 für Heinz Rühmann Ich brech die Herzen der
stolzesten Frau’n und für Zarah Leander Kann denn Liebe Sünde sein?.
*

Am 4. Mai stirbt der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky in


einem Berliner Lungensanatorium an den Folgen der Folter in der
Gestapo-Haft und den ihm dort gespritzten Tuberkulose-Bakterien. Seine
Frau Maud von Ossietzky ist in seinen letzten Tagen bei ihm. Er ist zu
schwach, als dass sie ihm noch gestehen könnte, dass sie die
100000 Mark, die er aus Schweden für den Friedensnobelpreis erhalten
hat und auf die er seine Zukunft baut, einem Trickbetrüger anvertraut hat,
der mit dem Geld geflohen ist.

Der Anschluss Österreichs zerstört das labile Trio aus Alma Mahler-
Werfel, Franz Werfel und Johannes Hollnsteiner. Während Alma und
Werfel zunächst nach Italien, dann nach England, schließlich nach
Frankreich flüchten, wird Hollnsteiner von der Gestapo aus seinem
Augustiner Chorherrenstift St. Florian gezerrt und der Kooperation mit
der Regierung Schuschnigg verdächtigt. Wie der Kanzler selbst wird
auch sein theologischer Berater sofort von der Gestapo verhaftet. Nach
acht Wochen voller Verhöre und Misshandlungen wird er ohne
Gerichtsverfahren ins KZ Dachau überstellt, wo der Geistliche in
sengender Hitze in einer Kiesgrube arbeiten muss, bis er vor Erschöpfung
zusammenbricht (erst im Frühjahr 1939 wird er wieder freigelassen und
in sein Kloster St. Florian zurückkehren).

Alma und Franz Werfel, deren Ehe vor der Emigration in Auflösung
begriffen war und vor allem aus gegenseitigen Attacken bestand, sind in
der alarmierenden politischen Situation plötzlich zur Gemeinsamkeit
verpflichtet. Bevor sie losziehen ins Exil, schreibt Alma in ihr Tagebuch:
»Meine Ehe ist schon lange keine Ehe mehr. Ich lebe unglücklich neben
Werfel her.« Und der wiederum wird aufgrund der antisemitischen
Angriffe seiner Frau gegen ihn, den Juden, immer fassungsloser. Ihn
entsetzen ihre offenen Sympathiebekundungen für die Nazis. Dass nun
ihr geliebter Hollnsteiner von der Gestapo ins KZ gesteckt worden und
ihr jüdischer Ehemann auf freiem Fuß ist, verwirrt sie zusätzlich. Sie
bekommt einen, wie sie es nennt, »veritablen nervous breakdown«. Und
er einen leichten Herzinfarkt.
Zur Ruhe kommen die beiden erst, als sie in Sanary-sur-Mer landen,
jenem kleinen Hafenstädtchen im Niemandsland zwischen St. Tropez und
Marseille, das fünf Jahre zuvor schon so beruhigende Wirkung auf
Thomas Mann und die Seinen gehabt hat. Und das selbst Bertolt Brecht
dazu brachte, manchmal nachts kurz innezuhalten und hinauf zu den
Sternen zu schauen.
Alma und Franz Werfel finden einen alten Wachturm der Sarazenen,
der an der Klippe steht, direkt am schmalen Fußweg, der vom Ortskern
hinauf zur Villa von Thomas Mann führt. Im zweiten Stock des
Rundbaus stellt Werfel seinen Schreibtisch auf, vielleicht hat er nie in
seinem Leben einen schöneren Blick gehabt. Aus zwölf Fenstern sieht er
nun hinaus aufs weite Meer und die südliche Hügellandschaft, die hinter
dem kleinen Städtchen beginnt. Im ersten Stock sitzt Alma im Gegenzug
in einem fensterlosen Raum und notiert beim fahlen Licht der Stehlampe
in ihr Tagebuch: »Gott im Himmel. Man kann doch nicht so hoffnungslos
weiterleben. Ich bin am Ende.« Sie ist voller Zorn, dass sie wegen ihres
jüdischen Mannes ihr geliebtes Wien hat verlassen müssen und nun mit
59 Jahren plötzlich in einem gottverlassenen Städtchen am Mittelmeer
Baguette und seltsames Obst kaufen gehen soll, ganz ohne Zugehfrau
und ohne dass sie jemand auf den Straßen erkennen und einen Knicks
machen würde. Ihr ist zu heiß, es gibt zu viele Mücken und zu wenige
Empfänge. Und egal, ob sie unten auf der Strandpromenade ins Café
Schwob geht oder in die Bar Nautique – alle, die hier Deutsch sprechen,
sind entweder jüdisch oder kommunistisch. Ein Horror für sie. Alma
Mahler fühlt sich wie in einem falschen Film. Sie, eine Emigrantin? Und
zwar bloß, weil sie es nicht rechtzeitig geschafft hat, ihren Mann zu
verlassen. Während der oben in seiner Schreibkammer verängstigt durch
die Überwachungen der Nazi-Spitzel an seinen Manuskripten schreibt,
verhandelt Alma unten im Turm parallel mit dem Propagandaministerium
in Berlin über den Verkauf von Bruckner-Partituren aus Gustav Mahlers
Besitz.
Nein, die Ehe zwischen Franz Werfel und Alma Mahler ist so
zerrüttet, dass die Ausnahmesituation des Exils die losen Enden nicht
mehr zusammenschweißen kann. Selbst als die Feuchtwangers, also das
Königspaar von Sanary, zum Abendessen vorbeikommen, streiten die
Werfels wie die Kesselflicker, und Alma schreit Franz immer wieder an:
»Vergiss nicht, dass ich keine Jüdin bin!« Aber darum muss sie sich keine
Sorgen machen, das würde er nie vergessen.

Libertas und Harro Schulze-Boysen, die in Berlin beginnen, mit


Flugblättern und illegalen Plakataktionen den aktiven Widerstand gegen
das Nazi-Regime aufzunehmen, haben einen Feind im eigenen Bett. Es
ist Günther Weisenborn, ein alter Freund von Harro aus den Zeiten seiner
Zeitschrift Gegner, ein Vertrauter von Bertolt Brecht und früherer
Dramaturg an der Volksbühne, dessen Roman Barbaren im Mai 1933
verbrannt wurde. Weisenborn stößt zur Widerstandsgruppe in der
Waitzstraße 2 hinzu, die sich dort jeden zweiten Donnerstag trifft – und
er erobert sehr schnell den Geist und den Körper von Libertas. Erst
erhofft sie sich von ihm Hilfe bei ihren ersten schriftstellerischen
Versuchen, doch dann reisen sie am 17. und 18. Mai 1938 nach
Hiddensee, und dort tritt die gemeinsame Schreibarbeit rasch in den
Hintergrund: »Den ganzen Tag nackt in den Dünen gelegen, gelaufen,
gespielt, geliebt, glühend heiß, animalisch, geklettert, geschwommen,
Libs und ich, braun. Haben wunderschönes Schlafzimmer: Vollmond,
Nachtigall, Mai, Ostsee vor der Terrasse, Liebe!« So fasst, rasant und
leidenschaftlich, Günther Weisenborn den Arbeitsurlaub zusammen. Da
also hatte Harro Schulze-Boysen, der Gatte dieser so fröhlich
fremdgehenden Libertas, das bekommen, was er seiner Mutter gegenüber
ein Jahr zuvor noch als sein Ideal geschildert hat: »Ich werde das
Abenteuer und die Hindernisse nicht aus meiner Ehe herausverlegen,
sondern in meine Ehe hinein.« Ja, und Libertas findet das Ganze derart
normal, dass sie auf der Rückfahrt von Hiddensee ihrer Mutter Tora von
Eulenberg auf Schloss Liebenberg ihren Liebhaber Günther Weisenborn
sogar beim Tee vorstellt. Wir wissen nicht, wie verliebt sie war, wir
wissen nicht, ob sie die Affäre mit Günther Weisenborn als eine ihr vom
Schicksal zustehende Kompensation für die entgangenen körperlichen
Freuden mit ihrem von den Nazi-Folterungen dauerhaft geschädigten
Gatten sah. Sie hört auf jeden Fall keine Minute auf, sich um ihn zu
sorgen. Ja, auf einer Reise nach Zürich trifft sie sogar Thomas Mann und
erzählt ihm vertraulich von den versteckten Aktivitäten ihres Mannes und
seiner moralischen Größe. Wenn ihm etwas zustoße, dann müsse das
neutrale Ausland wissen, was er leiste. Als hätte Libertas es geahnt, wird
ausgerechnet in diesen Tagen des Jahres 1938 der Name Harro Schulze-
Boysen in jene A-Kartei des Reichssicherheitshauptamtes der Nazis
aufgenommen, die frühere Regimegegner verzeichnet, die bei einer
politischen Krise sofort ins KZ Sachsenhausen deportiert werden sollen.

Der letzte Teil des Dramas um den Maler Ernst Ludwig Kirchner beginnt
am 6. Mai 1938, als ihn zu seinem 58. Geburtstag hoch oben auf der
Staffelalp über Davos kein Geburtstagsbrief erreicht. Den ganzen
Morgen wartet er mit Erna, seiner ihm treu ergebenen Kameradin, die
seit Jahren auf eine Ehe mit ihm hofft, auf den Briefträger, aber der
kommt nicht.
Er hat ertragen müssen, dass er seit der Schandausstellung »Entartete
Kunst« in Deutschland als Inbegriff des Verkommenen gilt, dass in der
Kunsthalle Basel eine große Schau von ihm zu Ende geht, ohne dass ein
einziges Bild verkauft wird. Und dass 639 seiner Gemälde, Skulpturen
und Zeichnungen aus deutschen Museen entfernt worden sind und dass
ihn die Preußische Akademie der Künste in Berlin zum Austritt
aufgefordert hat.
Nun ist nach dem Anschluss Österreichs auch noch die deutsche
Wehrmacht ganz in seine Nähe gerückt, sie steht kaum 25 Kilometer von
Davos entfernt am Schlappiner Joch. Der nächste Krieg steht
augenscheinlich vor der Tür, und dabei leidet seine Seele noch täglich
unter dem letzten. »Hier hat sich«, so wird Erna Schilling später
schreiben, »seit Monaten eine Tragödie im Stillen abgespielt.«
In dieser desolaten Gesamtlage beginnt Ernst Ludwig Kirchner, Werke
von sich zu zerstören und nach Jahren der Enthaltsamkeit wieder
Morphium in großen Mengen zu sich zu nehmen. Er spritzt sich Eukodal;
leere Ampullen werden sich später zu Dutzenden vergraben in den
Wiesen rund um das Wildbodenhaus finden.
Warum er am 10. Mai zum Rathaus in Davos fährt, um das Aufgebot
für Erna Schilling und sich zu bestellen, wissen wir nicht, vielleicht um
ihr einen Rechtsanspruch auf sein Erbe zu sichern, vielleicht auch, um
ihr, die ihr Leben seinem Leiden verschrieben hat, einen Herzenswunsch
zu erfüllen. Wenn dem so ist, bleibt genauso rätselhaft, warum der
gebrochene Künstler am 12. Juni aufs neue mit dem Bus zum Rathaus in
Davos fährt, um dort den Antrag auf Heirat wieder zurückzunehmen.
Der 15. Juni ist ein ungewöhnlich kalter Tag, dicker Nebel hängt in
der Luft, es herrscht Schneetreiben. Ernst Ludwig Kirchner spritzt sich
Eukodal und versinkt in Verzweiflung. Erna Schilling verlässt gegen
9.30 Uhr das Wildbodenhaus, um mit dem Telefon der nächsten
Nachbarn, die ein paar hundert Meter weiter auf dem Weidboden
wohnen, den Arzt Dr. Bauer herbeizurufen. Da packt Kirchner alles in die
Taschen seines Mantels, was ihm wichtig ist: 8740 Franken in bar, seinen
Pass, seine dreißig Jahre alte Dresdner Urkunde mit der Ernennung zum
Diplom-Ingenieur, eine Morphiumspritze, drei volle Dosen Eukodal.
Dann rennt er raus in den dichten Nebel, will Erna hinterherlaufen, er
schreit und erschießt sich dann mit seiner alten Browning, zwei Schüsse
gehen direkt ins Herz. So kann der herbeitelefonierte Dr. Frédéric Bauer,
als er mit dem Taxi hinauf auf den Berg kommt, nur noch den Tod seines
berühmtesten und verzweifeltsten Patienten feststellen.
Drei Tage später wird er beerdigt. Der Winter und der Nebel sind
verflogen, es ist ein herrlicher Frühsommertag, die Bergblumen blühen,
und der Himmel ist blau. Von einer Waldwiese schauen zwei Rehe herab
auf den Trauerzug, der sich von der kleinen Frauenkirche hinauf zum
Friedhof quält. Erna Schilling erhält das Recht, sich Erna Kirchner zu
nennen. Sie bleibt im Haus auf dem Wildboden, bis der Krieg vorüber ist.
Dann stirbt auch sie.

Von den Nazi-Gräueltaten und den verlorenen Emigranten in Paris


scheinen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir nichts
mitzubekommen. Wie schon im Herbst 1933, als sie in Berlin im Café
Kranzler Käsekuchen gegessen haben und die marschierenden SA-
Truppen und Hakenkreuzfahnen in den Straßen nicht der Erwähnung
wert fanden, sind sie auch 1938 in ihre komplexen Liebeskonstruktionen
verstrickt. Beide haben inzwischen Anstellungen in Paris, und sie haben
zwei kleine Wohnungen direkt übereinander gefunden. Und während
Sartre nach den vergeblichen Bemühungen um Simones Schülerin Olga
Kosakiewicz nun täglich deren Schwester Wanda nachstellt (und nach
zwei Jahren des Balzens und Werbens auch endlich mit ihr schlafen darf),
beginnt Simone de Beauvoir erst eine Affäre mit ihrer Schülerin Bianca
Bienenfeld, die den schneidenden Geist und den präzisen Körper ihrer
Lehrerin später mit dem »Bug eines schnell die Wogen durchpflügenden
Schiffes« vergleicht. Außerdem fängt sie auf einer längeren Wanderreise
an, mit Jacques-Laurent Bost zu schlafen, dem Verlobten ihrer Schülerin,
und mit Sartres bisherigem Sehnsuchtsobjekt Olga. Sartre wiederum
wirbt daraufhin ebenfalls um die blutjunge Freundin seiner Gattin und
kann Bianca Bienenfeld nach monatelangen Briefen und Bemühungen in
ein billiges Hotelzimmer locken und verführen. Ausführlich erzählen sich
Sartre und Simone de Beauvoir in Briefen von den Details ihrer
Eroberungen, deren Tücken und Freuden. Es ist nicht immer ganz leicht,
dabei den Überblick zu behalten. Für uns Nachgeborene sowieso nicht,
aber wie mag es erst für die Akteure selbst gewesen sein? Um sich weiter
von Simone de Beauvoir zu emanzipieren und nicht immer nur ihren
Schülerinnen zu verfallen, versucht Sartre nach Wanda und Bianca sein
Glück nun auch bei einer jungen Schauspielerin, Colette Gilbert. Und
tatsächlich ist er erfolgreich. Kaum hat sie sich wieder angezogen und
das Zimmer verlassen, setzt er sich hin und liefert Simone, die gerade mit
Bost unterwegs ist, eine kurze Bilanz: »Das ist das erste Mal, dass ich mit
einer Dunkelhaarigen oder eher Schwarzen schlafe, sie ist komisch
behaart mit einem kleinen Pelz im Kreuz. Eine Zunge wie ein Mirliton,
das sich endlos entrollt und einem die Mandeln streichelt.« Ob Simone
de Beauvoir es so genau wissen will?
Sie bleibt lieber im Ungefähren, wenn sie von ihren Stunden mit Bost
erzählt. Dafür rügt Sartre sie, der findet, sie solle endlich von sich selbst
schreiben – in ihren Briefen, aber vor allem in ihrer Literatur. Ihr Leben
sei viel interessanter als das ihrer erfundenen Romangestalten. Darauf
Simone de Beauvoir: »Das würde ich nie wagen.« Und Sartre erwidert:
»Wagen Sie es!«
Sartre gesteht ihr außerdem, dass ihn diese ganzen Verführungen
letztlich ratlos zurücklassen, dass er nie genau wisse, was er tun solle,
wenn er die Frauen dann endlich herumbekommen hat. Aber dann stellt
sich doch nachhaltige Befriedigung ein: Nach jahrelangem Zögern
entscheidet sich das Verlagshaus Gallimard, seinen Roman Der Ekel doch
zu veröffentlichen. An diesem Tag schreibt er seinen glühendsten Brief
an Simone de Beauvoir: »Ich fühle mich in dieser Art Glück wohler als in
dem, was mir die Gunst eines Weibes verschafft. Ich denke voll Behagen
an mich.« Was für eine Abschiedsformel! Nicht an die Empfängerin, an
Simone de Beauvoir, denkt Sartre mit Behagen, sondern an sich selbst.
Wenn jeder an sich denkt, ist auch an alle gedacht, mag sie sich da
überlegt haben – und stürzt sich hinein in ihre Bücher, in denen sie
schließlich doch sich selbst zum Thema macht.

Als Margot von Opel die Liebe zu dem melancholischen Erich Maria
Remarque überwinden muss, da dieser hoffnungslos in Marlene Dietrich
vernarrt ist, verliebt sie sich zum Trotz in die noch melancholischere
Annemarie Schwarzenbach, die auch als Gattin des französischen
Botschafters in Teheran keine Ruhe gefunden hat. Den Sommer verbringt
Schwarzenbach allerdings in einer Entziehungskur in Samedan. Und
Margot von Opel mit Leni Riefenstahl am Strand von Sylt. Danach reisen
Schwarzenbach und von Opel nach Amerika, um ihr Glück zu suchen.
Nur so viel sei schon verraten: Sie finden es nicht.

Bertolt Brecht verbringt ein paar schöne Wochen mit seiner Freundin
Ruth Berlau in Schweden. Sie schreibt ein Buch in diesem Sommer 1938,
es wird Jedes Tier kann es heißen, es geht um die körperliche Liebe –
und um das, was die Menschen verlernt haben, als sie im Bett ihren Kopf
einschalteten. Mit viel Humor erzählt Berlau davon, warum Frauen im
Lauf der Jahrhunderte die animalische Lust verloren haben: weil die
Männer so oft versagen. Brecht notiert in sein Tagebuch, was Berlau
recherchiert hat: »Siebzig Prozent aller Frauen sollen frigid sein. Der
Orgasmus als Glücksfall.« Doch als Berlau darüber nachdenkt, ihr Buch
auch in Amerika anzubieten, wird Brecht skeptisch: Das sei kein Buch
für Männer, schreibt er ihr. »Jedes Tier kann es geht als Frauenbuch oder
gar nicht, glaub mir.« Und natürlich glaubt sie ihm, die treue Jüngerin.

Am 26. September 1938 wird der deutschen Dichterin Else Lasker-


Schüler die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Die geheime
Staatspolizei begründet dies in einem Brief an den Reichsführer SS wie
folgt: »Sie war die typische Vertreterin der in der Nachkriegszeit in
Erscheinung getretenen emanzipierten Frauen. Durch Vorträge und
Schriften versuchte sie, den seelischen und moralischen Wert der
deutschen Frau verächtlich zu machen. Nach der Machtergreifung
flüchtete sie nach Zürich und brachte dort ihre deutschfeindliche
Einstellung durch die Verbreitung von Gräuelmärchen zum Ausdruck.«
Damit erlischt auch ihre Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz. Sie
sammelt bei ihren Schweizer Freunden Geld für ihre Emigration nach
Palästina. Im nächsten Frühjahr flieht sie über Marseille nach Tel Aviv.

Im September 1938, erschüttert vom »Münchner Abkommen«, diesen


»Schandtagen, Schmerzenstagen«, entscheidet sich Klaus Mann für die
endgültige Emigration in die USA. Er bezieht ein Zimmer im Hotel
Bedford, in der vierzigsten Straße, zwischen der Lexington und der Park
Avenue. Er trifft dort viele alte Bekannte aus Berlin: Billy Wilder etwa,
Vicki Baum oder Rudolph von Ripper. »After all, this is your home«,
sagt der nette Mann an der Rezeption, als Klaus Mann nicht weiß, welche
Heimatadresse er als frisch Emigrierter eintragen soll. Bald schon hält er
in New York Vorträge und preist die Gesinnung seines neues Exillandes:
»Die Menschen in den Staaten haben mehr Verständnis, mehr Mitgefühl
und mehr Respekt für unser Leben – das Leben von Menschen, die
aufgrund ihrer Überzeugung oder ihrer Rasse Heimat und Existenz
verloren haben – als die Leute in Europa.« Seine Eltern Thomas und
Katia Mann siedeln im Herbst 1938 ebenfalls nach Amerika über. Auch
sie haben ihr Vertrauen in die Sicherheit Europas verloren und leben
zudem in dem Glauben, dass sie »Deutschland« immer verkörpern, egal
wo. »Wo ich bin, ist Deutschland«, hat Thomas Mann gesagt. Doch
Klaus, der Sohn, hadert mit diesem Selbstbild – und damit, dass die
Amerikaner es seinem Vater so ohne weiteres abnehmen: »Er siegt, wo er
hinkommt. Werde ich je aus seinem Schatten treten? Reichen meine
Kräfte so lang?« Klaus Mann beginnt, wieder exzessiv und regelmäßig
Drogen zu nehmen.

Victor Klemperer blickt zurück und liest alte Tagebücher. Er ist


überrascht, dass er schon 1937 vermutet hat, den »Gipfel der
Trostlosigkeit und des Unerträglichen« erreicht zu haben. Doch es wird
immer schlimmer. Seine Frau Eva steht vor lauter Depressionen kaum
noch auf, kommt oft erst nachmittags aus ihrem Zimmer. Er darf als Jude
keine Bibliothek mehr benutzen, er darf kein Auto mehr besitzen und er
darf nicht mehr ins Kino gehen. Sie haben kein Geld mehr. Verzweifelt
versucht er, nach Amerika oder Palästina zu emigrieren, vergeblich. Bald
wird er den Judenstern tragen müssen, wenn er auf die Dresdner Straße
geht. Doch er notiert nüchtern in sein Tagebuch: »Ich will nicht voreilig
behaupten, dass wir bereits im letzten Höllenkreis angelangt sind.«
*

1939 bekommt der französische Schriftsteller Céline einen Brief von


Cillie Pam aus Wien, seiner ehemaligen jüdischen Geliebten. Sie schreibt
ihm, dass ihr Mann im KZ Dachau ermordet worden sei. Daraufhin
antwortet Céline am 21. Februar: Das seien durchaus traurige
Nachrichten. Aber er werde umgekehrt gerade wegen seiner
antisemitischen Haltungen in Frankreich kaltgestellt und müsse sich bald
vor Gericht verantworten. »Sie sehen, auch die Juden verfolgen.« Cillie
lässt vor Entsetzen den Brief aus den Händen fallen. Wenig später liest
sie, dass das neue Werk Célines auf Deutsch erschienen ist, seine Schule
der Kadaver. Darin heißt es: »Ich fühle mich Hitler sehr nah, allen
Deutschen sehr nah. Ich sehe sie als Brüder an, sie haben jeden Grund,
Rassisten zu sein.« Den italienischen Antisemitismus lehne er übrigens
ab, der sei »blutleer und inadäquat, ich finde das gefährlich, zwischen
guten und schlechten Juden zu unterscheiden, das macht keinen Sinn«.
Die Juden sind, so fasst es Céline zusammen, an allem schuld: Sie
dominieren die Weltfinanzen wie Hollywood, die Presse und die
Vereinten Nationen, und sie wagen es auch noch, die »schönsten
Arierinnen zu bespringen«.

Ruth Landshoff, der Personifizierung der Goldenen Zwanziger in Berlin,


glückt nach sehr unerfreulichen, unergiebigen und leidvollen dreißiger
Jahren in Paris, Berlin und Venedig die Emigration in die USA. Im
Januar 1937 lässt sie sich scheiden von ihrem Mann, Friedrich Graf
Yorck von Wartenburg, den sie wegen fehlender Kinder auch nach der
Scheidung »Sohni« nennt. Und am 10. März 1937 schifft sie sich über
Cherbourg ein in Richtung Amerika. Sie zieht in New York zu ihrem
ebenfalls emigrierten Freund Francesco von Mendelssohn, dem einst
exzentrischsten Pfau der Berliner Boheme, der auch ihr Trauzeuge
gewesen ist und der Geliebte von Gustaf Gründgens. Francesco versinkt
dort allmählich immer tiefer in die Sucht und die Depressionen, und
Entzugskliniken werden sein amerikanisches Zuhause, allein sein Cello
von Stradivari nimmt er überallhin mit, aber seine Arme sind längst zu
schwach, um die größte Liebe seines Lebens noch halten zu können.
Bald zieht Ruth Landshoff von Francesco weiter nach Kalifornien, um
nicht mit ihm zu versinken, und versucht in Hollywood, über die Runden
zu kommen. Weil ihre Texte nicht veröffentlicht werden, bietet sie in
einem Prospekt Vorträge an über die Jahre ihres Ruhms. Man kann bei
ihr Speeches zu Charlie Chaplin buchen, zu den Goldenen Zwanzigern,
zum Blauen Engel oder zu Berlin um 1930. Am interessantesten scheint
dieser Vortrag gewesen zu sein: »Greta Garbo oder Emotion ohne
Konsequenzen«. Genau um diesen faszinierenden Umstand ging es also,
dass sich eine ganze Generation jene Kälte zur Maxime erhoben hat,
deren Lehrmeisterinnen Greta Garbo und Marlene Dietrich gewesen sind,
diese beiden großen Unbeweglichen. Doch da kaum jemand ihre Vorträge
buchen will, hat Ruth Landshoff ein Attentat vor. Sie schreibt mit einem
amerikanischen Freund das kurze Buch The Man Who Killed Hitler.
Darin erschlägt ein Wiener Therapeut Hitler mit einer Hindenburg-Büste.
Doch das bleibt leider ein Traum. (Als irgendwann, viel später, Hitler
wirklich tot ist, zieht Landshoff von Los Angeles wieder nach New York,
ist eng befreundet mit Truman Capote und Andy Warhol und stirbt dort
im Jahre 1966 – aus den Goldenen Zwanzigern in Berlin ins Herz der
New Yorker Pop-Art der sechziger Jahre, was für ein Leben.)
*

Manchmal kommen Rudi und Speedy Schlichter, das skurrile Paar aus
den späten Berliner Bohemejahren, einander weiterhin heftigst in
sadomasochistischer Liebe zugetan, bei ihren alten Freunden Ernst und
Gretha Jünger vorbei. Schon einmal hat Schlichter Jünger gemalt, damals
in den zwanziger Jahren, wie eine Ikone seiner selbst. Doch nun gibt es
ein neueres Porträt aus der Überlinger Zeit, ein Bruststück mit nacktem
Oberkörper, sehr heroisch, das sich in Schlichters Atelier befindet. Als
sich die politische Situation in Deutschland weiter verdüstert, und selbst
Gottfried von Cramm wegen homosexueller Handlungen für Monate ins
Gefängnis muss, bekommt es der heroische Ernst Jünger mit der blanken
Angst zu tun. Er schreibt an Schlichter, ihm sei bewusst geworden, dass
»in diesem Lande ein solches Porträt schlecht möglich ist«. Deshalb
bittet Jünger höflich um Zensurmaßnahmen: »Ich würde es daher sehr
begrüßen, wenn Sie mich mit einem Mäntelchen bekleiden würden.« Und
zwar, so seine Idee, mit genau jenem Mäntelchen, das dem in seinem
neuen Buch erwähnten entspricht, denn dann könne man das Bild auch
Auf den Marmorklippen nennen, so wie das Buch, an dem er gerade
arbeite. Selten kann man die nackte Angst Ernst Jüngers vor den
Restriktionen des Nazi-Regimes so genau spüren wie in dieser
verzweifelten Sehnsucht nach einem unanstößigen Mäntelchen.

Die Morphiumsucht von Leni Riefenstahl wird immer schlimmer. Julius


Streicher, der Herausgeber der nationalsozialistischen Hetzzeitschrift Der
Stürmer, der hoffnungslos in sie verliebt ist, schreibt ihr: »Du musst
sofort mit der Droge aufhören und eine Entgiftungskur machen. Ich weiß,
dass das schwer sein wird, meine liebe Leni, aber es ist die einzige
Lösung, weil ich möchte, dass du lebst und gesund wirst.«

Am 23. März fährt Erich Maria Remarque zu Marlene Dietrich nach


Amerika. Er muss ihr gestehen, dass er Jutta Zambona ein zweites Mal
geheiratet hat, damit dieser als verheirateter Frau keine Verfolgung droht.
Die Dietrich tobt, aber sie fühlt sich ohnehin gerade zur lesbischen
Millionärsgattin und Speedboat-Weltmeisterin Joe Carstairs hingezogen,
die zu Remarques größter Konkurrentin wird, aber auch Josef von
Sternberg tritt wieder hinter den Kulissen hervor; der ganze Dietrich-
Clan mit Ehemann Rudi Sieber und dessen Geliebter Tamara begleitet die
beiden zurück nach Europa. Remarque hasst es, willenlos umhergetrieben
zu werden. Er verachtet Rudi Sieber, der sich in seiner Lebensrolle als
Gehörnter eingerichtet hat. Und er hasst es, Marlene Dietrich im Grand
Hôtel du Cap-Eden-Roc in Antibes dabei zuzusehen, wie sie ihre
Verzweiflung wegzutrinken versucht. Sie muss erkennen, dass in
Hollywood niemand mehr einen Film mit ihr drehen will, ihre Zeit
scheint vorbei zu sein.
Das ganze Gefolge der Dietrich, das vier Suiten bewohnt und in
weißen Kleidern am Strand und im Restaurant tapfer in die Kamera
lächelt, spielt in den Sommern von 1938 und 1939 an der Côte d’Azur
eine bittere Komödie, die von einer Tragödie kaum noch zu
unterscheiden ist. Einmal erscheint ein überraschender Nebendarsteller –
auf den Fotografien sieht man neben Remarque und Dietrich den jungen
John F. Kennedy am Strand von Antibes im Cap-Eden-Roc, die Zähne so
weiß wie sein Bademantel, ein kleines Aufblitzen der Zukunft in einem
Szenario des Untergangs (ein paar Jahre später in Amerika wird er eine
kurze Affäre mit der Dietrich haben, und vermutlich hat sie in diesem
Sommer in Antibes eine mit seinem Vater, Joe Kennedy, den sie in ihren
Memoiren »süß« nennt). Manchmal kommen auch Wallis Simpson und
ihr Mann, der gerade abgedankte britische König Edward VIII., aus
ihrem benachbarten Chateau zum Strand und dinieren danach im Grand
Hôtel. Ein letzter Sommer des alten Europas.
Es ist gerade seine schmerzhafte Einsamkeit als
Lebensabschnittsgefährte der Dietrich, die Remarque in seinen
Tagebüchern zu Einträgen von größter Poesie inspiriert: »Wir haben alle
so wenig Wärme für uns selbst in unseren Herzen – wir Kinder verwirrter
Zeiten – so wenig Glauben an uns – viel zu viel Tapferkeit und viel zu
wenig Hoffnung. Dumme kleine Soldaten des Lebens, Kinder verwirrter
Zeiten mit einem Traum, manchmal nachts.«
Das Einzige, was ihn in diesen Tagen zwischen Himmel und Hölle
beruhigt, sind die Anrufe seines Galeristen Walter Feilchenfeldt. Jeder
neue Auftrag für ein Drehbuch oder Buch wird nur danach beurteilt, ob er
sich davon ein neues Cézanne-Aquarell kaufen kann. Erich Maria
Remarque hat verstanden, dass ein ungemeiner Vorteil der Kunst ist, dass
die Bilder, wenn man sie einmal zu Hause hat, nicht mehr weglaufen
können wie eine Dietrich. Und dass sie trösten können, auch das.

Am 27. März schreibt Klaus Mann, nachdem ihn seine große Liebe
Thomas Quinn Curtiss wegen seiner Drogensucht verlassen hat, in sein
Tagebuch: »Ich kann und will nicht sehr lange leben. Irgendwann werde
ich den Tod doch wieder auf dem holden, schaurigen Umweg über
Drogen suchen … Dies wird nicht Schwäche sein. Ich werde es wollen.«

Es gibt im Werk der großen Meister selten einen Moment, in welchem sie
das Fenster zu ihrer Seele wirklich öffnen, zu groß ist die Angst, dass ein
Windhauch von außen das innere Feuer löschen könnte. Bei Max
Beckmann, der sein Hemd immer bis oben zuknöpft und den Mantel bis
zum Kinn hochschlägt, sind diese Momente besonders rar. Aber einer
davon ist das Bildnis eines jungen Mädchens, entstanden 1939 – es ist
von einer merkwürdigen Unschuld, eine blonde Frau sitzt auf dem
kleinen Balkon ihres Hotelzimmers an der Riviera, unter ihr sieht man
die Wipfel der Palmen, sie hält die Hand versonnen am Kopf, die Beine
hat sie hochgezogen auf ihren Sonnenstuhl. Es ist ziemlich klar, dass sie
über die Liebe nachdenkt, eventuell sogar über das Leben.
Das heitere Bild entsteht in einer für Beckmann bedrückenden Zeit:
Nachdem er aus Deutschland ins holländische Exil geflüchtet ist, sitzt er
nun erneut fest, weil die Deutschen sein Exilland besetzt haben. Die
Reisen an die französische Riviera, die in den frühen dreißiger Jahren für
ihn zu einer wärmenden Bildquelle geworden sind, muss er abrupt
einstellen. Er malt ein Bild seiner Sehnsucht – denn nach Frankreich hat
er schon 1937 emigrieren wollen und nun, 1939, will er es wieder. Doch
erneut gelingt es ihm nicht. Umso stärker leuchten in den dunklen,
kalten, holländischen Wintertagen nun die südlichen Erinnerungen in
seiner Phantasie. Schon in den zwanziger Jahren in Frankfurt hat dieser
harte Hund und unverbesserliche Romantiker sich abends ins
Bahnhofsrestaurant unter eine Zimmerpalme gesetzt, um wehmütig die
Züge zu verabschieden, die nach Nizza und Marseille gefahren sind.
Es ist also eine ganz alte Sehnsucht, die Beckmann da 1939 zum Bild
werden lässt, das Mädchen am Sommerabend, die Palmenblätter, die
durch das Balkongitter blitzen. Und natürlich ist es auch eine ganz junge
Sehnsucht, denn die junge Frau ist ganz gewiss eine sehr konkrete Frau,
doch Beckmann wird nie verraten, wer sie ist. In den dreißiger Jahren
wacht Quappi, seine Frau, achtsam über ihn und ist der erotischen
Eskapaden ihres Gatten langsam müde. Was also malt Beckmann hier?
Warum hat das Mädchen einen Brief in der Hand? Träumt sich
Beckmann eine Frau herbei, die von ihm träumt? Wir wissen es nicht.

Der jüdische Schriftsteller Ernst Toller, eine der zentralen Figuren der
deutschen Emigration, der mit seiner jungen Frau Christiane Grautoff
nach Amerika geflohen ist, erhängt sich am 22. Mai in seinem New
Yorker Hotel. Sein Freund Joseph Roth bricht in Paris zusammen, als er
von Tollers Selbstmord hört, und stirbt zwei Tage später. Er ist erst
45 Jahre alt, doch hat er nach Jahren des Trinkens kaum noch Zähne im
Mund, seine Leber ist zerfressen und sein Gesicht aschfahl. »S ist Krieg,
s ist leider Krieg. Die Kameraden fallen«, notiert Klaus Mann in sein
Tagebuch, als er von diesen beiden Toten liest. Und Stefan Zweig, dessen
Frau Friderike in Paris das Sterben von Roth begleitet hat, schreibt an
Romain Rolland: »Wir werden nicht alt, wir Exilierten. Ich habe ihn wie
einen Bruder geliebt.«

*
Am 13. Juli 1939 verbringt Henry Miller seine letzte Nacht in
Frankreich, bevor er über Griechenland nach Amerika zurückkehrt. Er
schläft in einem kleinen Hotel in Aix-en-Provence, und Anaïs Nin erweist
ihm die Ehre und kommt ein letztes Mal zu ihm ins Bett. Es hat fast
etwas Rührendes: Keiner von den beiden, die sich ansonsten jahrelang an
Indiskretion zu übertreffen versuchten, hat über diese letzte Nacht ein
Wort verloren. Als sie sich am Morgen trennen und er weiterfährt zum
Schiffsableger nach Marseille, weiß Miller nicht, ob er lachen oder
weinen soll. Deshalb liest er Nostradamus und erstellt Horoskope für sich
und Hitler. Als er daraus schließt, dass Hitler ihn überleben wird, beendet
er seine Beschäftigung mit der Astrologie. Und überlebt den nur zwei
Jahre älteren Hitler um 35 Jahre.

Gala und Dalí haben sich ans Meer zurückgezogen im Sommer 1939, die
Zeitungen melden den Einmarsch der Deutschen in Polen, die Angst vor
dem Krieg ist mit Händen zu greifen. Dalís Nervenenden glühen. Er
tigert durchs Haus, nur das Malen beruhigt ihn. Er malt sich selbst an der
Staffelei, dahinter wie ein Geist Gala, rundherum die ewigen Weiten des
amerikanischen Westens, Goldgräber, verstörte Figuren, Felsen. Er nennt
es Impressions of America. Sie sind nicht am Mittelmeer diesmal,
sondern am Atlantik, in dem kleinen Badeort Arcachon, am äußersten
Rand des alten Europa. Sie wollen die Gewissheit haben, abends
Richtung Amerika schauen und träumen zu können. Das Mekka, nach
dem sie ihr Bett ausrichten, heißt New York.
Noch einmal treffen sie Marcel Duchamp in diesem Sommer und auch
Coco Chanel. Aber eigentlich will Dalí nur malen, wie besessen füllt er
Leinwand um Leinwand, Gala muss ihm währenddessen vorlesen,
Bücher über Alchemie und Metaphysik, manchmal krault sie ihm auch
die Füße, und er fängt an zu schnurren wie eine Katze. Nach dem
Abendessen genießt es Dalí, wenn Gala ihm zärtlich die Zähne putzt,
dann fühlt er sich rein. Vor dem Schlafengehen legt Gala die Tarotkarten,
Abend für Abend. Doch sie verzweifelt, wie sehr sie die Karten auch
mischt, immer liegen dieselben oben: der Henker, der gehörnte Teufel,
der Tod als Knochenmann. Es ist der August des Jahres 1939.

Nach ihrer Heirat mit Gottfried von Cramms Tennispartner Gustav


Jaenecke, die sie immer wieder hinausgezögert hat, schreibt Lisa
Jaenecke, geschiedene von Cramm, an ihren aus der Gestapo-Haft
entlassenen Ex-Mann, der dort wegen seiner Homosexualität gesessen
hat: »Petit, denkst du manchmal noch an unsere Ehe? Mir erscheint sie in
der Erinnerung ideal. Du bist für mich immer noch der einzige Mensch,
dem ich alles sagen kann. Wir waren leider blöde, verzogene Kinder, die
eben bestraft werden mussten.« Lange hält Gottfried von Cramm diesen
Brief in seinen Händen, sehr lange, liest ihn immer wieder. Und geht
dann versonnen hinaus zum Tennisplatz in Bodenburg, wo er zehn Jahre
zuvor dieses wunderbar verzogene Kind, seine Lisa, beim ersten
Matchball besiegt hat. Schräg fällt das abendliche Licht durch die hohen
Buchen. Mit seinem weißen Tennisschuh malt er knirschend Kreise in
den roten Ascheplatz – einer sieht ein klein wenig aus wie ein Herz.

*
Gottfried Benn verkriecht sich. Tagsüber in sein Aktenstudium als
Militärarzt im Bendlerblock, in den Zimmerfluchten des
Oberkommandos der Streitkräfte in Berlin. Danach in seine dunkle
Erdgeschosswohnung in der Bozener Straße und in seine Ehe mit der
jungen, müden Hertha von Wedemeyer, die um acht Uhr schlafen geht.
Er dichtet: »Wer sich begrenzt, vollendet seine Spur.« Benn öffnet eine
Flasche Pils und starrt stundenlang auf die Wäsche, die im Hinterhof der
Wohnung trocknet. Es ist der 13. August. Er nimmt seinen Füller und
schreibt an seinen Freund Oelze nach Bremen, im Zimmer steht die
Hitze: »Ein Bewusstsein, sommers, in einer Stadt, fünfzigjährig, ohne
Resultate, realisiert die Geranienkästen. Abfinden sich damit, mit diesem
Abschluss ganz in sich allein, mit diesem einsamen späten Traum. Das ist
das individuelle Bewusstsein. Nun wird es versinken. Das ist der Herbst,
aber er bricht uns nicht das Herz, uns brach das Bewusstsein – und das ist
mehr.«

Auch im glühend heißen Sommer des Jahres 1939 wohnt Marlene


Dietrich in Antibes, auch in diesem Jahr verbringt sie dort mit ihrem
Mann Rudolf, dessen Freundin Tamara, ihrer Tochter Maria, ihrer Mutter
Josephine, ihrem früheren Liebhaber Josef von Sternberg und ihrem
gegenwärtigen Liebhaber Erich Maria Remarque träge Wochen des
Sonnens, Trinkens und Leidens im Grand Hôtel du Cap-Eden-Roc.
Am 14. August verlässt Marlene Dietrich Antibes. Sie hat nach Jahren
wieder ein kleines Filmangebot bekommen und will mit dem Schiff
zurück nach Amerika. Am Bahnsteig sagt ihr Rudi noch, das nächste Mal
möge sie ihn bitte respektvoller behandeln. Die Dietrich winkt nur, und
im Fahrtwind flattert das weiße Tuch ihres Ärmels. Goodbye, Europa. In
Hollywood dreht sie im Herbst den Western Destry Rides Again ab, sie
spielt die Animierdame Frenchy in einem Saloon. Und die Lieder, die sie
dort singt, rauchig, melancholisch, zukunftslos und gegenwartsvergessen,
stammen zwar von Friedrich Hollaender, der als Exilant ebenfalls in
Hollywood Unterschlupf gefunden hat. Aber in der Weise, wie sie hier
spielt und singt, nämlich hemdsärmeliger und koketter als je zuvor, spürt
man, dass sie ihre Lektion gelernt hat und nun weiß, sich als
Sehnsuchtsfrau des Wilden Westens zu inszenieren. Wie zur Belohnung
für diesen Auftritt bekommt Marlene Dietrich die amerikanische
Staatsbürgerschaft verliehen.
Die dreißiger Jahre beendet Marlene Dietrich also ganz genau so, wie
sie sie mit dem Blauen Engel eingeläutet hat: als laszive Frau von Welt,
die die Männer um den Verstand bringt. Doch diesmal beginnt sie keine
Liaison mit dem Regisseur, sondern mit Jimmy Stewart, dem
Hauptdarsteller.
Erich Maria Remarque reist ihr nach, lässt Europa und seine Frau
Jutta, die ihn mit Schuldvorwürfen überhäuft, hinter sich, um der Dietrich
nahe zu sein. Als er in Hollywood ankommt und die Dietrich ihn am
ausgestreckten Arm verhungern lässt, weil sie gerade keinen Bedarf hat
an ihrem melancholischen Liebhaber aus der Alten Welt, schreit er sie
eines Abends an: »Liebe mich!« Da wird sie ganz still. Und fängt zu
singen an, den Song ihres Lebens, der ihr 1932 von Friedrich Hollaender
auf den Leib und die Seele geschrieben worden ist: »Ich weiß nicht, zu
wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein.« Er schmeißt
die Tür zu und geht.

*
Es passt, dass in diesem Sommer 1939 in Ungarn ein Buch geschrieben
wird, das Apropos Casanova heißt. Miklós Szentkuthy hat eine
einzigartige Mischung aus Liebestheorie und Biographie des großen
venezianischen Causeurs verfasst, in der er schwer beeindruckt bekennt,
dass wohl Casanova als Erster das wahre Wesen der Liebe erkannt habe.
Ihre Grundlage sei: »das Weiterziehen«. Nur so könne sie immer neu
entstehen. Ja, an Casanovas Streifzügen durch die verschiedenen Stände,
verschiedenen Städte, verschiedenen Betten demonstriert er, dass »das
verantwortungslose Jonglieren mit den Milieus das Wesen der Liebe ist«.
Und Casanova tauge genau deshalb als role model, weil er katholisch sei,
einem Protestanten wäre das nie geglückt. Nur der Katholik kenne den
Zauber der Beichte nach der Sünde. Und wir Nachgeborenen seien bei
Casanova Profiteure dieser Beichten, die sich bei ihm Bücher nennen. Ja,
seine Leistung liege darin, dass er das, »woran andere romantisch
zugrunde gehen, in die größte Freude verwandelt«.

Klaus Mann ist in der Neuen Welt gelandet. Doch auch in Santa Monica
und in Beverly Hills träumt er nur vom Alten Europa. Und er ist dabei
nicht allein. Gemeinsam mit Aldous Huxley und Ludwig Marcuse
erinnert er sich bei kühlen Cocktails an den heißen Sommer 1933 in
Sanary-sur-Mer. Am Pool von Vicki Baum, auf dem Sofa von Ruth
Landshoff oder nachmittags am Strand mit Christopher Isherwood und
abends in der Bar mit Billy Wilder und Fritz Lang redet er stundenlang
und glühend über die zwanziger Jahre in Berlin, die aus kalifornischer
Perspektive langsam sehr golden zu werden beginnnen. Wenn Klaus
Mann dann aber wieder allein ist in seinem Zimmer und das Neonlicht
leuchtet und die Drogen locken, dann packt ihn die Tristesse: »Wieder
dieses furchtbare Weinen, Tränen der Erschöpfung, der
Hoffnungslosigkeit. Ach, sie trösten nicht.« Klaus Mann leidet unter dem
Nazi-Regime und seinem Exil, und er leidet unter dem Ende der
Beziehung zu Thomas Quinn Curtiss, manchmal flackert auch bei diesem
noch die alte Liebe auf, doch in diesem August zieht er endgültig weiter,
um sich selbst zu retten. Klaus Mann tröstet sich mit naiven Lustknaben,
die ihn aber sehr schnell langweilen, und er hat eine Heidenangst, ein
ganzes langes Wochenende mit ihnen verbringen zu müssen. Er träumt
sich stattdessen wieder zurück in die gute alte Zeit, liest in der Bibliothek
von Rolf Nürnberg stundenlang in der Fackel, dem Querschnitt, der
Dame, der Weltbühne. Er entdeckt einen alten Artikel von sich selbst:
»Sexualpathologie und Nationalsozialismus« aus dem November 1932.
Seine eigene Prophetie tröstet ein wenig, auch dass sein Vater, der
»Zauberer«, ihm schreibt, dass er seinen neuen Roman, Der Vulkan, für
gelungen hält. Aber schon ganz bald verbrennt die sengende Sonne
Kaliforniens all seine guten Energien. Als er vom Selbstmord eines
verzweifelten Freundes im Exil hört, kommen Klaus Mann all die Toten
der letzten Jahre in den Sinn, Joseph Roth, Ernst Toller, Ödön von
Horváth, Ricki Hallgarten, und er fragt sich, ob Annemarie
Schwarzenbach wohl noch lebt. »Erinnerungen, unendlich«, schreibt er
am 21. August 1939. Und dann, bodenlos: »Das schaurige Ende, das es
mit ihnen allen nimmt. Ahnungen des eigenen Untergangs. Möge es
Ereignis werden, ehe ich alle hingehen sehe, die ich gekannt – und
geliebt habe.«

*
Durs Grünbein hat über den 23. August 1939 ein Gedicht geschrieben. Es
endet so:
Denk an den Tag, einen Sommertag,
als in den Städten Europas die Menschen
zum letzten Mal unüberwacht, scheinbar arglos
in ihren Cafés saßen, lachten und diskutierten
mit den hektischen Gesten, den scheuen Blicken
der Leute im Zeitraffer von Archivfilmaufnahmen,
im blauen Dunst ihrer Zigaretten überm Trottoir.
Denk an das Picknick der Surrealisten,
die Erwachsenenspiele an den Ufern der Côte d’Azur,
diesen ultimativen Sommer der Avantgarden,
das große, das retardierende Moment
bevor der letzte der Humanisten
an der spanischen Grenze
in einem trockenen Flußbett elend verreckte.

Der letzte der Humanisten, also Walter Benjamin, wird wenige Tage
später, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen, wie alle
anderen deutschen Emigranten aus Sanary-sur-Mer und Paris in ein
französisches Internierungslager verlegt. Erst in die riesige Pariser
Fußballarena Stade de Colombes, dann ins Château de Vernuche; alle, die
ihn dort sehen oder sprechen, sind verstört über seine unheimliche Ruhe.
Die Laken sind nachts kalt vor Angst. Aber Benjamin träumt sich zurück
und schreibt zauberhafte Briefe an Hélène Léger, eine Pariser
Prostituierte, die sein Herz erobert hat. Er schreibt ihr, wie intensiv er an
die gemeinsamen Stunden denke: »Wodurch könnte man solche
Erinnerungen ersetzen, die häufig das sind, was im Leben am meisten
zählt?« Wenig später schreibt der letzte Humanist seinen Aufsatz Über
den Begriff der Geschichte, den er Hannah Arendt und Heinrich Blücher
anvertrauen wird. Darin Benjamins Nachdenken über ein Bild von Paul
Klee, das ihm seit den zwanziger Jahren gehört: »Es gibt ein Bild von
Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der
aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er
starrt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der
Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns
erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer
auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.« Das ist die
ganze Tragik der Geschichte der dreißiger Jahre. Die Walter Benjamins.
Und aller jüdischen Emigranten.
Als Übersetzer von Marcel Prousts Suche nach der verlorenen Zeit hat
Benjamin gelernt, dass das moderne Denken naiverweise nur nach vorn
gerichtet ist, Erlösung jedoch eigentlich nur in der Vergangenheit zu
finden ist. Erinnerung ist wichtiger als aktuelle Wahrnehmung oder
Utopien, das ist Prousts großes Vermächtnis und seine tröstende
Verheißung. Und Benjamin setzt sie um mit seinen hinreißenden
Erinnerungen an eine Berliner Kindheit um 1900. Und mit seinem
Lobpreis des Engels der Geschichte, der ihm im Jahre 1939 ein letztes
Mal ein achtsamer Schutzengel zu sein versucht. Aber der Engel sieht,
wie Benjamin weiß, bereits die Zukunft als Katastrophe vor sich.

Immer, wenn er spürt, dass ein Weltkrieg naht, will Heinrich Mann
heiraten. Und immer wartet er zu lange. Denn dann gibt es Probleme mit
der Bürokratie, und so werden es seltsam unfeierliche Nottrauungen nach
Kriegsbeginn. Das war so mit Mimi, seiner ersten Frau, vor 25 Jahren.
Und das ist jetzt genauso mit Nelly Kröger. Sie hat sich im Exil immer
mehr den Drogen und dem Alkohol hingegeben – es war ihre Form, aus
der Realität zu fliehen, weg von den intellektuellen Gesprächen der
Exilanten, weg von der snobistischen Mann-Familie, die sie allesamt
verachteten. Als Thea Sternheim das Paar in Nizza besuchte, nannte sie
Nelly eine »gleichzeitig appetitlich und fett aussehende Thusnelda«.
Allein Heinrich Mann bringt das Kunststück fertig, bei Nelly, wie er ihr
in jedem seiner Briefe schreibt, nur an ihren »schönen Körper zu denken.
Bei dem Gedanken bleibe ich niemals ruhig«. Als Nelly im Sommer zum
wiederholten Mal aus der Entziehungsklinik Villa Constance
zurückkehrt, hofft der 68-jährige Schriftsteller nun also, diese körperliche
Unruhe zu institutionalisieren und seine Geliebte und Gefährtin zu
heiraten. Am 9. September, acht Tage nach Kriegsbeginn und kurz bevor
alle Deutschen in Frankreich in die Internierungslager gebracht werden,
vollzieht ein Standesbeamter in Nizza die offizielle Trauung. Nelly
Krögers französischer Nervenarzt, Dr. Barnathan, ist Trauzeuge. Da
Heinrich Mann seit seiner Ausbürgerung aus Deutschland einen
tschechischen Pass besitzt, wird nun auch seine norddeutsche Frau in
Nizza zur Tschechin. Heinrich schenkt ihr zur Hochzeit eine französische
Ausgabe seines Buches Der Haß mit der Widmung »als Zeugnis über
zehn gemeinsame Jahre, reich an Leiden und an Glück«. Am nächsten
Tag beginnt die neue Tschechin Nelly Mann warme Unterwäsche für die
in Frankreich stationierten tschechischen Soldaten zu stricken. Und am
übernächsten Tag beginnt sie, wieder maßlos französischen Wein zu
trinken.

Otto Dix, der Maler des Krieges und der Maler der Großstadt, hat sich in
den letzten Zipfel des Reiches verzogen. Erst nach Randegg, ins Schloss
der Familie seiner Schwägerin, und nun nach Hemmenhofen am
Bodensee; hier malt er Tag um Tag Landschaften in altmeisterlicher
Manier. Statt Huren und Soldaten tauchen darauf höchstens einmal Maria
und Josef auf. Otto Dix ist in die Landschaft emigriert und auch in die
Religion und die Geschichte. Aus dem Rückgriff auf die Tradition
erwachsen in ihm Bilder voll Prophetie – er malt Lot und seine Töchter,
und im Hintergrund sieht man Dresden, das auf der Leinwand schon so
brennt, wie es erst fünf Jahre später nach dem Bombenhagel brennen
wird.
Auch nach seiner Entlassung aus der Akademie fährt er regelmäßig
mit dem Zug den weiten Weg nach Dresden, um Käthe König zu sehen,
seine Geliebte. Seiner Frau Martha bleibt nichts anderes übrig, als diese
Fernbeziehung zu dulden, die gemeinsamen Kinder bekommen davon
nichts mit. Im Sommer 1939 jedoch lässt sich das Doppelleben nicht
mehr verheimlichen, denn Käthe König und Otto Dix sind Eltern
geworden.
Auch davon abgesehen scheint sein Leben aus den Fugen zu geraten.
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Münchner
Bürgerbräukeller kommt die Kriminalpolizei nach Hemmenhofen und
klopft an die Tür. Dix wird für zwei Wochen inhaftiert. Er wird der
Mitwisserschaft verdächtigt. Es ist dann ausgerechnet Käthe König, die
in Dresden in einem Amt kompromittierende Akten über Dix
verschwinden lässt, so dass die Gestapo ihn laufen lassen muss und er zu
Gattin Martha zurückkehren kann.

*
Simone de Beauvoir erklärt ihrem Geliebten Bost, der der Verlobte von
Sartres Sehnsuchtsobjekt Olga ist, ihr Liebesleben: »Ich habe nur ein
sinnliches Leben, nämlich mit Ihnen.« Herrlich, dieses Siezen in den
intimen Nachrichten … Aber der Brief geht weiter. Sie müsse, auch wenn
es sie verlegen mache, noch etwas klarstellen, schreibt de Beauvoir:
»Auch mit Sartre habe ich eine körperliche Beziehung, aber sie ist nicht
sehr bedeutend. Es ist im wesentlichen Zärtlichkeit, und – ich weiß nicht
recht, wie ich es sagen soll – ich fühle mich nicht involviert, weil er es
auch nicht ist.« Nach diesem Bekenntnis verbringen dann Sartre, de
Beauvoir und Bost ein paar entspannte Sommertage zusammen in
Marseille. Doch als sie allein sind, bittet Bost seine Geliebte, seine Briefe
an sie zu verbrennen. Er werde das mit ihren genauso tun. Er wolle seine
Verlobte Olga vielleicht doch heiraten. Simone de Beauvoir muss
weinen. Sie sucht Trost bei ihrem Gatten, doch Sartre möchte ihr nur en
detail erzählen, wie es ihm gelungen sei, Olgas Schwester Wanda zu
verführen. Dann müssen Bost und Sartre packen. Sie werden beide
eingezogen und müssen am 31. August ihren Militärdienst antreten. Als
Simone de Beauvoir Sartre zum Bahnhof bringt, zerreißt es ihr fast das
Herz. Sartre hingegen notiert in sein Notizbuch: »Jeder will, dass der
andere ihn liebt, ohne sich darüber klarzuwerden, dass lieben geliebt
werden wollen heißt – und dass er also, wenn er will, dass der andere ihn
lieben soll, nur will, dass der andere will, dass er ihn liebt: daher die
ständige Unsicherheit der Liebenden.« Und Simone de Beauvoir? Die
ständig unsicher Liebende zieht, da ihre beiden Männer in den Krieg
gezogen sind, mit den Schwestern Olga und Wanda zusammen ins Hôtel
du Danemark in der Rue Vavin, also mit der Geliebten ihres Mannes und
der Verlobten ihres Geliebten.
*

Am Abend des 31. August, als Jean-Paul Sartre eingezogen wird, steigt
Harro Schulze-Boysen am Wannsee auf sein Segelboot Haizuru, auf dem
er vor fünf Jahren seine Frau Libertas kennengelernt hat. Er hat seinen
alten Freund und Nebenbuhler Günther Weisenborn zu einem
vertraulichen Gespräch auf dem Wasser gebeten. Seit über einem Jahr hat
Weisenborn eine leidenschaftliche Affäre mit Libertas. Harro überzeugt
ihn in dieser Nacht und auf diesem Boot, auf dem ihre große Liebe
begann, dass diese Liaison nun ein Ende haben müsse. Leider werde am
nächsten Morgen etwas ganz anderes beginnen, sagt Harro da zu
Günther: der Krieg, und »es wird der größte Krieg der Weltgeschichte
werden«. Und Günther schreibt nachts in sein Tagebuch über Harro
Schulze-Boysen: »Schlank, schön und sauber schnitt sein Profil in den
Abendhimmel am Wannsee. Ein Deutscher, ein Mann wie eine Flamme,
ein Freund am Abend vor dem Krieg.« Weisenborn verspricht, nicht mehr
um Libertas zu kämpfen. Auch er hat gespürt, dass deren Liebe zu Harro,
Erotik hin oder her, doch viel größer ist als die zu ihm. (Am
22. Dezember 1942 werden Libertas und Harro Schulze-Boysen in
Plötzensee hingerichtet werden, weil ihre Widerstandsgruppe »Rote
Kapelle« enttarnt wurde, sie schreibt ihm ein paar Minuten vor ihrem
gemeinsamen Tod: »Wir brauchen uns nie mehr zu trennen, wie ist das
groß und schön.«)

Claus Graf von Stauffenberg, der 1934 für ein Denkmal als Idealbild
eines deutschen Soldaten posiert hat, überfällt in den ersten
Septembertagen 1939 mit seiner 9935 Mann starken »1. Leichten
Division« Polen. Vor dem Abmarsch in Wuppertal hat er sich bei seinem
Buchhändler noch ein paar philosophische Klassiker für unterwegs
gekauft. An der polnischen Front erreichen ihn zwei ängstliche Briefe
seiner Frau Nina. Er schreibt ihr nach Bamberg zurück, sie müsse sich
keine Sorgen machen, aber die Kämpfe seien tatsächlich »verlustreicher,
als diese Sache erfordern müsse«. Seine Offizierskollegen seien leider
sehr unerfahren und die Polen sehr tapfer. Das Land, das er mit seinen
Panzern überrollt, behagt ihm gar nicht, es sei, so schreibt er eiskalt, voll
»unendlicher Armut und Verschlamptheit«. Als er mit der deutschen
Wehrmacht das getan hat, was er wohl unter Aufräumen verstand, was in
wenigen Tagen unzählige Menschenleben kostete und Leid und
Verwüstung über das ganze Land brachte, kehrt er siegestrunken in seine
deutsche Kaserne zurück. Im September 1939 ist Claus Graf von
Stauffenberg noch ein seinem Führer ergebener deutscher Soldat und ein
intellektueller Snob. Es ärgere ihn nur, so schreibt er an seine Frau Nina,
dass ihm beim Polenfeldzug sein schöner, stabiler Gummimantel
abhandengekommen sei. Ach, und in manchem geplünderten Schloss, so
schreibt er weiter, hätte es sehr hübsche Empiremöbel gegeben.

Als Hitler die Wehrmacht Polen angreifen lässt, ruft er Leni Riefenstahl
an und fragt, ob sie nicht Lust hätte, ein paar schöne Filmaufnahmen von
der Front zu machen. Sie sagt sofort zu. Geht zu einem Schneider am
Kurfürstendamm, der ihr in Windeseile eine khakigrüne
Phantasieuniform näht, mit Abzeichen und Schulterklappen. Dann packt
sie ihren aktuellen Geliebten, den Tontechniker Hermann Storr, und zwei
weitere Filmtechniker ein und fährt an die Front, vom Stettiner Bahnhof
in Berlin aus in Richtung Nordost. Der »Sonderfilmtrupp Riefenstahl«
steht unter dem besonderen Schutz des Führers, den Soldaten an der
Front ist die filmende, exzentrische Frau ein Ärgernis. Als sie dann in
ihre Phantasieuniform auch noch eine Pistole links in den Gürtel steckt
und ein Messer in den Stiefelschaft, ist es für die Soldaten schwer,
Haltung zu bewahren. Mitten im Krieg betritt eine Freizeitamazone die
Front. Und das auch noch im Auftrag des Führers. Als sie jedoch in
Końskie erleben muss, wie 22 Juden erschossen werden, »verlässt unsere
Besucherin erschüttert das Feld«, wie General von Manstein vermeldet,
der Befehlshaber der Heeresgruppe Süd. Es gibt Fotografien, die Leni
Riefenstahl in Końskie nach der Bluttat zeigen, das Entsetzen steht in
ihren Zügen. Sie weiß nun, wohin der Sieg des Glaubens über die
Vernunft und der Triumph des Willens über die Moral führen. In den Tod.
Aber als sie zurück in Berlin ist, hat sie es bereits vergessen.

In Hollywood zerfleischen sich derweil Marlene Dietrich und Erich


Maria Remarque. Er gibt ihr eine Ohrfeige, sie beißt ihm in die Hand.
Dann geht er, bleich und verstört; auf dem kalten Marmor der Treppe in
Marlene Dietrichs Haus erinnern am nächsten Morgen nur noch ein paar
kleine Blutstropfen an seinen Besuch. Remarque schaut auf das Desaster
dieser Beziehung und notiert in sein Tagebuch einen Befehl zum
emotionalen Truppenabzug: »Vorgenommen, raus da!«

*
Auch Heinrich Blücher, Hannah Arendts Mann, wird, wie alle
männlichen deutschen Emigranten in Frankreich, im Pariser
Olympiastadion Colombes interniert, als der Krieg beginnt. Er stellt sich
tapfer seiner Lage, liest Kant und Descartes und schreibt an Hannah
Arendt eine eher philosophische Liebeserklärung: »Mein Liebling, ich
bin glücklich, wenn ich daran denke, dass du die Meine bist. Und ich
denke viel.« Aber dann überkommen auch ihn die Gefühle, und die
rechte Gehirnhälfte übernimmt die Regie: »Meine Schöne, mein
Glücksgeschenk ist, ein Gefühl zu haben, von dem man so stark fühlt,
dass es ein ganzes Leben lang hält und sich nicht ändern wird, es sei
denn, dass es noch zunimmt.« Und Heinrich Blücher wird recht behalten.
Seine Briefe an Hannah Arendt sind übrigens die einzigen Texte des
Philosophen, die uns erhalten sind.

Anfang September ist die Wirklichkeit auch in Sanary-sur-Mer


eingezogen, der kleinen deutschen Emigrantenstadt am Meer. Sowohl
seine Frau Marta als auch seine Hauptgeliebte Eva Herrmann reden
gemeinsam auf Lion Feuchtwanger ein, dass er als jüdischer Autor
dringend Europa verlassen müsse. Doch er wartet zu lange. Am
16. September notiert er: »Furchtbar schlecht geschlafen. Auf Polizei
gerufen. Zusammen mit den anderen Deutschen, die noch hier sind. Ich
muss morgen ins Konzentrationslager. Inschrift in dem Polizeilokal:
Bienvenue à tous.« Am 23. September wird Feuchtwanger in das
Internierungslager Les Milles verlegt, südlich von Aix-en-Provence.
Doch schon eine Woche später ist der berühmte Autor wieder frei. Marta
schaut ganz ungläubig, als er plötzlich wieder vor ihr steht in der Villa
Valmer und sie fragt, ob sie zusammen im Meer baden gehen wollen.
Noch einmal gehen sie die Stufen hinab, noch einmal steigen sie hinein
ins warme Wasser des Mittelmeeres, noch einmal lassen sie sich trösten
von der roten Sonne, die im Meer versinkt. Und doch, die großen grauen
Kriegsschiffe, die aus Toulon kommen, vom nahen Militärhafen, zeigen
ihnen, dass dieses Exil unter Palmen an sein Ende gekommen ist. Beide
werden ganz stumm, als die furchteinflößenden Schiffe am Horizont
immer größer werden. Sie trocknen sich in aller Stille ab, fast geschockt
und gehen hoch in ihre Villa. Sie spüren beide: Dies wird nicht mehr
lange ihre Heimat sein.

Ernst Jünger, dessen Buch Auf den Marmorklippen gerade abgeschlossen


ist, wird zum Hauptmann ernannt und in einer Kaserne in Celle
stationiert. Als er am 17. September zum kurzen Abschiedsbesuch zu
seiner Familie zurückkehrt, klagt er seiner Frau, er fühle sich durch die
Tränen der Frauen, die ihre Männer an der Kaserne in den Krieg
verabschiedeten, stark belastet. Das müsse doch nicht sein. Das habe ihn
schon beim Ersten Weltkrieg sehr gestört. Gretha Jünger stimmt ihm aus
vollem Herzen zu: »Die glühende Kraft der Zuneigung soll einen anderen
Ausdruck als den der Schwäche finden; da die Männer in den Krieg
ziehen, wie es seit Jahrhunderten üblich ist, dürfen wir nicht in
ohnmächtiger Trauer zurückbleiben und sie durch wehmütige Briefe oder
Klagen schwächen.«

*
Die achtzehnjährige Sophie Scholl liebt den 22-jährigen
Offiziersanwärter Fritz Hartnagel, den sie vor zwei Jahren auf einem
Tanzabend kennengelernt hat. Er trägt die kurzgeschorenen Haare des
Soldaten, sie einen wilden Bubikopf mit zwei widerspenstigen Strähnen,
die sie sich immer aus dem Gesicht pustet. Sie könnten unterschiedlicher
nicht sein, aber sie sind beide gläubig. Einmal fragt sie ihn: »Glaubst du
nicht, das Geschlecht könnte vom Geiste überwunden werden?« Aber sie
taugen beide nicht fürs Kloster. Im Sommer 1939 verbringen sie ihren
ersten gemeinsamen Urlaub in Norddeutschland – und schlafen
miteinander, obwohl Sophie damit hadert, denn ihre christliche
Sexualmoral erlaubt ihr das eigentlich erst in der Ehe. Sie hält Fritz auf
Distanz und dann lockt sie ihn wieder, es ist ein ewiges Hin und Her.
Doch schon bald kauft sie billige Ringe, und die beiden quartieren sich in
den Hotels im Norden als Ehepaar ein – sie ist zu lebenshungrig für die
Askese, die sie von sich verlangt. Sophie Scholl ist eine junge deutsche
Frau, zerrissen zwischen ihren Ansprüchen und ihren Sehnsüchten, sie
liebt den Wein und das Autofahren und ist doch voller Zorn. Sie ist
BDM-Führerin und hasst die Nazis. Fritz Hartnagel spricht viel von
Liebe und genauso viel vom Vaterland.
Sophie Scholl und Fritz Hartnagel machen also Urlaub in diesem
letzten Friedenssommer, sie fahren erst nach Heiligenhafen an der
Nordsee, dann durch die Moore rund um Worpswede und legen sich ins
Gras, es ist heiß im Vaterland und schön, und sie träumen ein wenig von
ihrer Zukunft. Doch dann wird Fritz einberufen. Sophie Scholl schreibt
ihm unmittelbar nach dem Kriegsbeginn: »Ich kann es nicht begreifen,
dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von
anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und finde es entsetzlich.«
Hartnagel antwortet ihr: »Du bringst mich in einen großen Konflikt,
wenn du mich nach dem Sinn des ganzen Blutvergießens fragst …«
Sophie Scholl wird sich für den aktiven Widerstand entscheiden, sie wird
Flugblätter verteilen, auf denen steht: »Zerreißt den Mantel der
Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt!« Und der, dessen Herz sie
geöffnet hat, also Fritz Hartnagel? Der wird dem NS-Regime als Offizier
treu dienen. Ihrer beider Haltung könnte also unterschiedlicher nicht sein.
Aber sie lieben sich. Er wird in Stalingrad schwer verwundet, sie geht in
den Widerstand und wird dafür 1943 zum Tode verurteilt. Danach stellt
sich auch Fritz Hartnagel als Offizier gegen das Regime, begibt sich
freiwillig in amerikanische Gefangenschaft. Nach dem Krieg wird er
Richter, kämpft gegen die Wiederbewaffnung und für die
Friedensbewegung. Und er heiratet Sophies Schwester Elisabeth. So
blieb er seiner großen Liebe Sophie Scholl auch nach ihrem Tode nah.

Bruno Balz wird auf Erlass von Joseph Goebbels für 24 Stunden aus dem
Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße 8 entlassen. Balz hat
wegen seiner Homosexualität eingesessen, ist tagelang gefoltert worden,
aber die UFA hat Goebbels signalisiert, dass der neue Film von Zarah
Leander nicht ohne Lieder von Balz zu Ende gedreht werden könne. Der
Film soll Die große Liebe heißen. Balz wird im Morgengrauen nach
Babelsberg gefahren. Unter den Augen der Gestapo komponiert er dort in
nur 24 Stunden zwei seiner größten Songs: Ich weiß, es wird einmal ein
Wunder geschehen und Davon geht die Welt nicht unter. Beides erweist
sich als unzutreffend.

OceanofPDF.com
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Rowley, Hazel: Tête-à-tête. Leben und Lieben von Simone de Beauvoir
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Beckmann, Max: Retrospektive. Haus der Kunst etc. München 1984.
Beckmann, Max: Weiblich – Männlich. Hamburger Kunsthalle.
Hamburg 2020.

Benjamin, Walter: Das Adressbuch des Exils. 1933–1940. »Wie


überall hin die Leute vestreut sind«. Leipzig 2006.
Jäger, Lorenz: Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten.
Berlin 2017.
Benjamin, Walter: Begegnungen. Herausgegeben von Erdmut Wizisla.
Leipzig 2015.
Benjamin, Walter und Adorno, Gretel: Briefwechsel 1930–1940.
Herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Berlin
2019.
Valero, Vicente: Der Erzähler. Walter Benjamin auf Ibiza 1932 und
1933. Berlin 2008.

Benn, Gottfried und Oelze, Friedrich Wilhelm: Briefwechsel 1932–


1956. 3 Bd. Göttingen 2016.
Benn, Gottfried: »Absinth schlürft man mit Strohhalm, Lyrik mit
Rotstift«. Ausgewählte Briefe 1904–1956. Göttingen 2017.
Benn, Gottfried: Den Traum alleine tragen. Neue Texte, Briefe,
Dokumente. Wiesbaden 1966.
Benn, Gottfried und Sternheim, Thea: Briefwechsel und
Aufzeichnungen. Herausgegeben von Thomas Ehrsam. Göttingen
2004.
Hof, Holger: Gottfried Benn. Der Mann ohne Gedächtnis. Eine
Biographie. Göttingen 2011.
Hof, Holger: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. Stuttgart 2007.
Dyck, Joachim: Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929–1949. Göttingen
2006.
Lethen, Helmut: Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit.
Berlin 2006.
Brecht, Bertolt und Weigel, Helene: »ich lerne: gläser + tassen
spülen«. Briefe 1923–1956. Berlin 2012.
Brecht, Bertolt: Reisen im Exil. 1933–1949. Frankfurt 1996.
Brecht, Bertolt: Briefe. Frankfurt 1981.
Hauptmann, Elisabeth: »Tagebuchaufzeichnungen zu Brecht«. In: Sinn
und Form, 2021/2, S. 155–164.
Hecht, Werner: Brecht Chronik. 1898–1956. Frankfurt 1997.
Häntzschel, Hiltrud: Brechts Frauen. Reinbek 2003.
Kebir, Sabine: »Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine.« Ruth
Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht. Algier 2006.
Parker, Stephen: Brecht. Eine Biographie. Berlin 2018.

Nordalm, Jens: Der schöne Deutsche. Das Leben des Gottfried von
Cramm. Hamburg 2021.

Döblin. 1878–1978. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs.


Marbach 1978.
Köhn, Eckhardt: Yolla Niclas und Alfred Döblin. Engelrod 2017.

Bona, Dominique: Gala. Mein Leben mit Éluard und Dalí. Frankfurt
1996.
Genzmer, Herbert: Dalí und Gala. Berlin 1998.
McGirk, Tim: Gala. Dalís skandalöse Muse. München 1989.

Rai, Edgar: Im Licht der Zeit. München 2019.


Spoto, Donald: Marlene Dietrich. Die große Biographie. München
1992.
Wieland, Karin: Dietrich & Riefenstahl. Die Geschichte zweier
Jahrhundertfrauen. München 2011.

Citati, Pietro: Schön und verdammt. Ein biographischer Essay über


Zelda und F. Scott Fitzgerald. Zürich 2009.
Karl, Michaela: Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals. Zelda
und F. Scott Fitzgerald. Eine Biographie. Salzburg 2011.
Fitzgerald, F. Scott und Fitzgerald, Zelda: Lover! Briefe. Ausgewählt
von Hanns Zischler. München 2005.
Turnbull, Andrew: F. Scott Fitzgerald. Das Genie der wilden
zwanziger Jahre. München 1986.
Fitzgerald, F. Scott: Zärtlich ist die Nacht. München 2011.
Fitzgerald, Zelda: Schenk mir den Walzer. München 1984.

Hemingway, Ernest: Paris, ein Fest fürs Leben. Reinbek 2011.


Hemingway, Ernest und Fitzgerald, F. Scott: Wir sind verdammt
lausige Akrobaten. Eine Freundschaft in Briefen. Herausgegeben
von Benjamin Lebert. Hamburg 2013.
Hemingway, Ernest: 49 Depeschen. Reportagen 1920–1956. Reinbek
1972.
Lynn, Kenneth S.: Hemingway. Eine Biographie. Reinbek 1989.

Isherwood, Christopher: Löwen und Schatten. Eine englische Jugend


in den zwanziger Jahren. Berlin 2010.
Isherwood, Christopher: Christopher und die Seinen. Berlin 1992.

Jünger, Ernst: Gärten und Straßen. Aus den Tagebüchern 1939 und
1940. Berlin 1942.
Villinger, Ingeborg: Gretha Jünger. Die unsichtbare Frau. Stuttgart
2020.
Kiesel, Hellmuth: Ernst Jünger. Die Biographie. München 2007.

Decker, Gunnar: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. Biographie.


München 2012.
Michels, Volker: Hermann Hesse. Leben und Werk im Bild. Frankfurt
1981.
Michels, Volker: »In den Niederungen des Aktuellen«. Hermann
Hesse. Die Briefe 1933–1939. Berlin 2018.
Reetz, Bärbel: Hesses Frauen. Berlin 2012.

Rosenkranz, Jutta: Mascha Kaléko. Biografie. München 2007.


Kaléko, Mascha: Das lyrische Stenogrammheft. Berlin 1933.

Hanuschek, Sven: »Keiner blickt dir hinter das Gesicht«. Das Leben
Erich Kästners. München 1999.
Kästner, Erich: Literarische Publizistik. 1923–1933. 2 Bd. Zürich
1989.
Kästner, Erich: Dieses Naja, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte
Briefe von 1909–1972. Herausgegeben von Sven Hanuschek.
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Kästner, Erich: Kästner für Erwachsene. Zürich 1966.
Kästner, Erich: Der Gang vor die Hunde (1931). Zürich 2013.

Kornfeld, Eberhard W.: Ernst Ludwig Kirchner. Dresden. Berlin.


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Kornfeld, Eberhard W.: »Zu Ernst Ludwig Kirchners Suizid am
15. Juni 1938«. In: Schriften zu Ernst Ludwig Kirchner. Bd. IV.
Bern 2021.

Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Berlin 1947.


Klemperer, Victor: Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929–1945.
Berlin 2020.
Nowojski, Walter und Klemperer, Hadwig (Hrsg.): »Ich will Zeugnis
ablegen bis zum letzten.« Tagebücher 1933–1945. 8 Bd. Berlin
1995.

Blubacher, Thomas: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck.


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Bürger, Jan: Im Schattenreich der wilden Zwanziger. Fotografien aus
dem Nachlaß von Ruth Landshoff-Yorck. Marbach 2017.
Landshoff, Ruth: Die Vielen und der Eine. Hamburg 2020.
Landshoff, Ruth: Das Mädchen mit wenig PS. Feuilletons aus den
zwanziger Jahren. Herausgegeben von Walter Fänders. Berlin 2015.
Landshoff, Ruth: Klatsch, Ruhm und kleine Feuer. Biographische
Impressionen. Frankfurt 1997.
Landshoff, Ruth: Roman einer Tänzerin. Herausgegeben und mit
einem Nachwort versehen von Walter Fähnders. Berlin 2002.

Vollmoeller, Karl: Aufsätze zu Leben und Werk. Berlin/Vilnius 2007.


Dillmann, Klaus Konrad: Karl Gustav Vollmoeller. Eine Zeitreise
durch ein bewegtes Leben. Freiberg 2000.
Claridge, Laura: Tamara de Lempicka. Ein Leben für Dekor und
Dekadenz. Frankfurt 2002.
De Lempicka-Foxhall, Baroness Kizette: Tamara de Lempicka.
Malerin aus Leidenschaft. Femme Fatale der 20er Jahre. München
1987.

Rosteck, Jens: Zwei auf einer Insel. Lotte Lenya und Kurt Weill.
Berlin 1999.
Spoto, Donald: Die Seeräuber-Jenny. Das bewegte Leben der Lotte
Lenya. München 1990.

Buchmayr, Friedrich: Der Priester in Almas Salon. Johannes


Hollnsteiners Weg von der Elite des Ständestaats zum NS-
Bibliothekar. Weitra 2003.
Hilmes, Oliver: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel.
München 2004.

Man Ray: Selbstportrait. Eine illustrierte Autobiographie. München


1983.
Man Ray. Unbekümmert, aber nicht gleichgültig. Ausstellung Martin
Gropius Bau. Berlin 2008.
L’Ecotais, Emmanuelle de: Man Ray. Das photographische Werk.
München 1998.
Schwarz, Arturo: Man Ray. München 1980.

Mann, Erika: Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem


Dritten Reich. Reinbek 2005.
Mann, Erika und Mann, Klaus: Das Buch von der Riviera. Reinbek
2019.
Strohmeyer, Armin: Dichterkinder. Liebe, Verrat und Drama – der
Kreis um Klaus und Erika Mann. München 2020.
Wendt, Gunna: Erika und Therese. Erika Mann und Therese Giehse –
eine Liebe zwischen Kunst und Krieg. München 2018.

Berger, Renate: Tanz auf dem Vulkan. Gustaf Gründgens und Klaus
Mann. Darmstadt 2016.
Mann, Klaus: Der Vulkan. Roman unter Emigranten. Reinbek 1999.
Mann, Klaus: Speed. Erzählungen aus dem Exil. Reinbek 1990.
Mann, Klaus: Mephisto. Mit einem Nachwort von Michael Töteberg.
Reinbek 2019.
Mann, Klaus: Briefe. Berlin und Weimar 1988.
Mann, Klaus: Briefe und Antworten. 1922–1947. Herausgegeben von
Martin Gregor-Dellin. Reinbek 1991.
Mann, Klaus: Tagebücher. 1931–1949. München 1987–1991.
Naumann, Uwe (Hrsg.): »Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß«. Klaus
Mann (1906–1949). Bilder und Dokumente. Reinbek 1999.
Naumann, Uwe (Hrsg.): Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum.
Reinbek 2005.
Schaenzler, Nicole: Klaus Mann. Eine Biographie. Frankfurt 1999.

Mann, Thomas: Die Tagebücher. 1933–1934, 1935–1936, 1937–


1939. Frankfurt ab 2010.
Marbacher Magazin, 89/2000: »›Alles ist wertlos.‹ Thomas Mann in
Nidden.« Marbach 2000.
Flügge, Manfred: Heinrich Mann. Eine Biographie. Reinbek 2006.
Jüngling, Kirsten: Nelly Mann. »Ich bin doch nicht nur schlecht.« Eine
Biographie. Berlin 2008.
Flügge, Manfred: Traumland und Zuflucht – Heinrich Mann in
Frankreich. Frankfurt 2013.
Jaspers, Willi: Die Jagd nach Liebe – Heinrich Mann und die Frauen.
Frankfurt 2007.

Dearborn, Mary: Henry Miller. Eine Biographie. München 1991.


Ferguson, Robert: Henry Miller. Ein Leben ohne Tabus. München
1991.
Miller, Henry: Stille Tage im Clichy. Reinbek 1998.

Burke, Carolyn: Lee Miller. On Both Sides of the Camera. London


2005.
Lee Miller. Ausstellungskatalog Albertina Wien. Wien 2015.
Penrose, Antony: Surrealist Lee Miller. London 2019.

Boyd, Brian: Vladimir Nabokov. Die russischen Jahre 1899–1940.


Reinbek 1999.
Nabokov, Vladimir: Briefe an Véra. Reinbek 2017.
Maar, Michael: Solar Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir
Nabokov. Berlin 2007.
Urban, Thomas: Vladimir Nabokov – Blaue Abende in Berlin. Berlin
1999.
Zimmer, Dieter E.: Nabokovs Berlin. Berlin 2001.

Bair, Deirdre: Anaïs Nin. Eine Biographie. München 1998.


Nin, Anaïs: Trunken vor Liebe. Intime Geständnisse. Bern 1993.
Nin, Anaïs: Die Tagebücher der Anaïs Nin. 3 Bd. München 1987.
Nin, Anaïs: Henry, June und ich. Intimes Tagebuch. München 1991.

Katz, Gabriele: Liebe Mich! Erich Maria Remarque und die Frauen.
Berlin 2018.
Sternburg, Wilhelm von: Erich Maria Remarque. »Als wäre alles das
letzte Mal«. Eine Biographie. Köln 1998.

Bronsen, David: Joseph Roth. Eine Biographie. Köln 1974.


Kreis, Gabriele: »Was man glaubt, gibt es«. Das Leben der Irmgard
Keun. Zürich 1991.
Roth, Joseph: Ich zeichne das Gesicht der Zeit. Essays. Reportagen.
Feuilletons. Göttingen 2010.
Sternburg, Wilhelm von: Joseph Roth. Eine Biographie. Köln 2009.
Weidermann, Volker: Ostende. 1936. Sommer der Freundschaft. Köln
2014.

Caws, Mary Ann: Picasso’s Weeping Woman: The Life and Art of Dora
Maar. New York 2010.
Richardson, John: A Life of Picasso. The Triumphant Years 1917–
1932. Volume III. New York 2007.
Pablo Picasso und Marie-Thérèse Walter. Zwischen Klassizismus und
Surrealismus. Graphikmuseum Picasso Münster. Bielefeld 2004.

Benz, Wolfgang: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition


gegen Hitler. München 2018.
Hans Coppi: Harro Schulze-Boysen – Wege in den Widerstand.
Koblenz 1995.

Kettelhake, Silke: »Erzähl allen, allen von mir!« Das schöne kurze
Leben der Libertas Schulze-Boysen. München 2008.
Ohler, Norman: Harro & Libertas. Eine Geschichte von Liebe und
Widerstand. Köln 2019.

Bemann, Helga: Kurt Tucholsky. Eine Biographie. Berlin 1984.


Hörner, Unda: Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die
Liebe. Berlin 2017.
Lenze, Nele (Hrsg.): Tucholsky in Berlin. Gesammelte Feuilletons
1912–1950. Berlin 2007.
Matthias, Lisa: Ich war Tucholskys Lottchen. Hamburg 1962.
Tucholsky, Kurt: Schloß Gripsholm. Berlin 1931.
Tucholsky, Kurt: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Herausgegeben
von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker.
22 Bd. Reinbek ab 1996.

Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen. Tagebücher. 1930–1932,


1936–1937. Innsbruck 1997.
Geier, Manfred: Die Liebe der Philosophen. Von Sokrates bis
Foucault. Hamburg 2020.

Wolff, Charlotte: Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit.


Autobiographie. Kranichstein 2003.
Wolff, Charlotte: Die Hand als Spiegel der Psyche. Bern 1993.
Weidle, Barbara: Kurt Wolff. Ein Literat und Gentleman. Bonn 2007.
Wolff, Helen: Hintergrund für Liebe. Mit einem Nachwort von Marion
Detjen. Bonn 2020.
Wolff, Kurt: Autoren – Bücher – Abenteuer. Betrachtungen und
Erinnerungen eines Verlegers. Berlin 2004.

OceanofPDF.com
Dank

Dieses Buch fußt auf der Vorarbeit von zahlreichen großartigen


Autorinnen und Autoren, die in ihren Büchern die Lebenswege der
Protagonisten durch die zwanziger und dreißiger Jahre nachgezeichnet
haben. Die Bibliographie nennt darum jene Werke, die mir beim
Schreiben große Dienste geleistet haben. Darüber hinaus möchte ich all
jenen danken, die mir persönlich in der Vorbereitung und beim Schreiben
dieses Buches entscheidende Impulse gaben:

Jan Bürger, Marion Detjen, Marcus Gaertner, Durs Grünbein, Nikola


Herweg, Holger Hof, Eberhard W. Kornfeld, Ursula März, Helmut
Lethen, Christoph Müller, Jens Nordalm, Maria Piwowarski, Adam
Soboczynski, Christoph Stölzl, Benjamin von Stuckrad-Barre und
Michael Töteberg.

Für die kritische und intensive Lektüre des Manuskripts danke ich
besonders vier Personen: Erhard Schütz, der schon 1913 als
professioneller Erstleser unterstützte, Michael Maar, Eva Menasse und
Uwe Naumann.

Für die große Unterstützung und zahlreiche inhaltliche Bereicherungen


danke ich der Verlegerin des S. Fischer Verlages Siv Bublitz und meiner
Lektorin Yelenah Frahm. Und meinem Agenten Matthias Landwehr.

OceanofPDF.com
Personenregister

Abatino, Giuseppe »Pepito«


Acosta, Mercedes de
Adenauer, Gussie
Adenauer, Konrad
Adenauer, Paul
Adorno, Gretel
Adorno, Theodor W.
Agnelli, Giovanni
Albers, Josef
Albu, Ruth
Allendy, René
Andrews, Mara
Andrian, Leopold von
Arendt, Hannah
Arlosoroff, Viktor
Arlosoroff, Sima
Auden, W.H.
Aurenche, Marie-Berthe

Babenhausen, Fugger von


Baer, Max
Baker, Josephine
Balz, Bruno
Bauer, Frédéric
Baum, Vicki
Bayer, Herbert
Beach, Sylvia
Beauvoir, Hélène de
Beauvoir, Simone de
Beckmann, Max
Beckmann, Quappi
Beckmann-Tube, Minna
Bedford, Sybille
Ben-Gurion, David
Benjamin, Dora
Benjamin, Stefan
Benjamin, Walter
Benn, Gottfried
Benz, Maria
Berber, Anita
Berlau, Ruth
Bernoulli, Christoph
Bethge, Eberhard
Bey, Aziz Eloui
Bey, Nimet Eloui
Bienenfeld, Bianca
Blaupot ten Cate, Anna Maria
Bloch, Ernst
Blomberg, Werner von
Blücher, Heinrich
Blumenfeld, Kurt
Böcklin, Arnold
Bodmer, H.C.
Bonhoeffer, Dietrich
Bost, Jacques-Laurent
Boyd, William
Brandt, Willy
Brauchitsch, Manfred von
Brecht, Bertolt
Breda, Lili
Breslauer, Marianne
Breton, André
Breuer, Marcel
Broido, Vera
Bronnen, Arnolt
Bronnen, Olga
Büller, Elinor
Buñuel, Luis
Burckhardt, Carl

Canetti, Elias
Capote, Truman
Carius, Rudi
Carstairs, Joe
Casati, Luisa
Céline, Louis-Ferdinand
Chagall, Marc
Chanel, Coco
Chaplin, Charlie
Clarac, Claude
Cohn, Ernst
Cohn, Jula
Cooke, Alistair
Courbet, Gustave
Craig, Elizabeth
Cramm, Gottfried von
Cramm, Jutta von
Cramm, Lisa von
Crevel, René
Crowder, Henry
Cunard, Nancy
Curtiss, Thomas Quinn
Czernin-Chudenitz, Vera Gräfin von
D’Annunzio, Gabriele
Dalí, Salvador
Destouches, Louis-Ferdinand siehe Louis-Ferdinand Céline
Dietrich, Josephine
Dietrich, Marlene
Dix, Martha
Dix, Nelly
Dix, Otto
Dix, Ursus
Dobeneck, Lisa von
Döblin, Alfred
Döblin, Erna
Dobriansky, Anatol
Dolbin, Alfred
Dolbin, Ninon siehe Ninon Hesse
Dos Passos, John
Duchamp, Marcel
DuMont, Manon Neven

Ebersberg, Annetta
Edward VIII., König
Egorova, Lobov
Einstein, Albert
Eisler, Hanns
Éluard Dalí, Gala
Éluard, Paul
Erlanger, Henry
Ernst, Max
Ertl, Hans
Eulenberg, Tora von
Fallada, Hans
Fanck, Arnold
Feigin, Anna
Feilchenfeldt, Walter
Feininger, Lyonel
Feistel-Rohmeder, Bettina
Feuchtwanger, Lion
Feuchtwanger, Marta
Fischer, Samuel
Fitzgerald, F. Scott
Fitzgerald, Scottie
Fitzgerald, Zelda
Fleißer, Marieluise
Forcht, Carl
Forel, Oscar
Forst, Willi
Franco, Francisco
Frank, Bruno
Frank, Liesl
Franz, Herbert
Freud, Sigmund

Garbo, Greta
George, Stefan
Gerdts-Rupp, Elisabeth
Gerold-Tucholsky, Mary
Giacometti, Alberto
Giehse, Therese
Giese, Karl
Gilbert, Colette
Goddard, Paulette
Goebbels, Joseph
Goebbels, Magda
Goldsmith, Margaret
Göring, Hermann
Grautoff, Christiane
Green, Paul
Gropius, Ise
Gropius, Walter
Grosz, Eva
Grosz, George
Gruhn, Margarethe
Grünbein, Durs
Gründgens, Gustaf
Guadagnini, Irina
Guiler, Hugo
Guinness, Bryan
Gumpert, Martin
Gyl, Cara

Hallgarten, Ricki
Hampson, John
Hartnagel, Fritz
Hartung, Hella
Hatvany, Ferenc von
Hauptmann, Elisabeth
Hauptmann, Gerhart
Hausmann, Raoul
Hecht, Gurti
Helm, Brigitte
Hemingway, Ernest
Heidegger, Martin
Heinsheimer, Hans
Hennings, Elisabeth von
Henschke, Alfred siehe Klabund
Herbst, Manasse
Hermine, Kaiserin
Herrera, Nana de
Herrmann, Eva
Herwegen, Ildefons
Herz, Ellen
Herzog, Wilhelm
Hesse, Hermann
Hesse, Ninon
Hessel, Franz
Hessel, Helen
Hesterberg, Trude
Hildebrandt, Fred
Himmler, Heinrich
Hindenburg, Paul von
Hiob, Hanne
Hirschfeld, Magnus
Hitler, Adolf
Hoffmann, Heinrich
Hofmannsthal, Franz von
Hofmannsthal, Gerty von
Hofmannsthal, Hugo von
Hollaender, Friedrich
Hollaender, Heidi
Hollnsteiner, Johannes
Hoppe, Marianne
Horkheimer, Max
Husserl, Edmund
Hutton, Barbara
Huxley, Aldous
Huxley, Maria

Irrgang, Erika
Isherwood, Christopher
Itten, Johannes

Jacobi, Lotte
Jacobsohn, Siegfried
Jaenecke, Gustav
Jaenecke, Lisa siehe Lisa von Cramm
James, Edward
Jannings, Emil
Jegorowa, Galia
Jollivet, Simone
Joyce, James
Juliana, Kronprinzessin der Niederlande
Jünger, Ernst
Jünger, Gretha

Kaiser, Georg
Kaléko, Mascha
Kaléko, Saul
Kandinsky, Nina
Kandinsky, Wassily
Kanová-Mann, Marie »Mimi«
Kantorowicz, Alfred
Karlstadt, Liesl
Karplus, Margarete siehe Gretel Adorno
Kästner, Erich
Kästner, Ida
Kennedy, Joe
Kennedy, John F.
Kerr, Alfred
Kerr, Judith
Kerr, Julia
Kessler, Harry Graf
Kesten, Hermann
Kesten, Toni
Keun, Irmgard
King, Padraic
Kirchner, Ernst Ludwig
Kirchner, Herta
Kisch, Egon Erwin
Klabund
Klee, Lily
Klee, Paul
Kleinhuber, Hermann
Kleist-Retzow, Ruth von
Klemperer, Eva
Klemperer, Victor
Klopstock, Robert
Kluge, Alexander
Kluge, Alice
Koch, Hans
Koeppen, Wolfgang
Kokoschka, Oskar
Kolb, Annette
Kolisch, Rudolf
König, Käthe
Kosakiewicz, Olga
Kosakiewicz, Wanda
Kracauer, Siegfried
Kraus, Karl
Kröger, Nelly
Kuffner, Raoul
Kunheim, Hugo Eduard
Kunheim, Pieter
Kurzke, Jan

Lang, Josef
Lācis, Asja
Landauer, Walter
Landshoff, Fritz
Landshoff, Ruth
Lang, Fritz
Lartigue, Jacques-Henri
Laserstein, Lotte
Lasker-Schüler, Else
Lawrence, D.H.
Le Corbusier
Lempicka, Tamara de
Lenya, Lotte
Lerchenfeld, Nina Freifrau von
Lert, Richard
Levy, Julien
Levy, Ruth siehe Ruth Landshoff
Li Shiu Tong
Lindsey, Ben B.
Lingen, Theo
Lion, Margo
Lippe-Biesterfeld, Bernhard zur
Loos, Adolf
Lorre, Cilly
Lorre, Peter
Losch, Tilly
Lossow, Hildegard von
Maar, Dora
Macke, August
Magritte, Georgette
Magritte, René
Maheu, René
Mahler-Werfel, Alma
Malaparte, Curzio
Man Ray
Manasse, Herbert
Manga Bell, Andrea
Mankiewitz, Hedwig
Mann, Erika
Mann, Golo
Mann, Heinrich
Mann, Katia
Mann, Klaus
Mann, Thomas
Mannstein, Erich von
Márai, Sándor
Marc, Franz
Marcuse, Ludwig
Marcuse, Sascha
Matthias, Lisa »Lottchen«
Matul, Tamara
Mehnert, Frank
Mehring, Elfriede
Melms, Hildegard
Mendelssohn, Francesco von
Meyer, Gertrude
Miller, Henry
Miller, June
Miller, Lee
Moholy-Nagy, László
Molotow, Wjatscheslaw
Montparnasse, Kiki vom
Moré, Gonzalo
Moreck, Curt
Morgen, Ruth von
Mosel, Helene
Mühsam, Erich
Mühsam, Zenzl
Müller, Hedwig »Nuuna«
Murphy, Gerald
Murphy, Sara
Musil, Martha
Musil, Robert
Nabokov, Véra
Nabokov, Vladimir
Neddermeyer, Heinz
Neher, Carola
Neher, Caspar
Neher, Erika
Neuner, Brigitte
Niclas, Charlotte siehe Yolla Niclas
Niclas, Yolla
Nin, Anaïs
Nin, Joaquín
Noailles, Marie-Laure de
Noeggerath, Felix

Oelze, Friedrich Wilhelm


Offenstadt, Lily
Ohler, Norman
Olbricht, Fritz
Olivier, Fernande
Ondra, Anny
Opel, Margot von
Oppenheim, Meret
Osborn, Richard
Ossietzky, Carl von
Ossietzky, Maud von

Pam, Cillie
Papen, Franz von
Parem, Olga
Perle, Reneé
Perlès, Alfred
Pasetti, Karoline von siehe Lotte Lenya
Pasetti, Otto von
Pett, Selma
Picasso, Olga
Picasso, Pablo
Picasso, Paolo
Pissarro, Camille
Pommer, Erich
Porada, Käthe von
Porter, Cole
Pringsheim, Hedwig
Pringsheim, Klaus
Proust, Marcel

Quandt, Magda siehe Magda Goebbels

Raffay, Richard von


Rank, Otto
Reiss, Erich
Remarque, Erich Maria
Rennie, Thomas
Respinger, Marguerite
Riefenstahl, Leni
Riess, Frida
Rilke, Rainer Maria
Riml, Walter
Ripper, Rudolph von
Rohe, Mies van der
Rose, Traute
Ross, Jean
Roth, Friedl
Roth, Joseph
Rowolth, Ernst
Rüthel, Else
Sander, August
Sartre, Jean-Paul
Schemtschuschina, Polina
Schickele, René
Schiele, Egon
Schiff, Stacy
Schilling, Erna
Schkarina-Prowe-Förster, Olga
Schleicher, Bogislav von
Schleicher, Elisabeth von
Schleicher, Kurt von
Schlemmer, Oskar
Schlichter, Rudolf
Schlichter, Speedy
Schloß, Sybille
Schmeling, Max
Schmitt, Carl
Schneeberger, Hans
Schnitzler, Arthur
Schnitzler, Lilly von
Schoenaich-Carolath, Emil von
Scholem, Gershom
Scholl, Sophie
Schönberg, Arnold
Schönlank, Margot
Schönthan, Doris von
Schoop, Heidi
Schröder, Rudolf Alexander
Schulz, Franz
Schulze-Boysen, Harro
Schulze-Boysen, Libertas
Schuschnigg, Kurt
Schwarzenbach, Annemarie
Seabrook, William
Seidl, Lea
Sellier, Louis
Sernau, Lola
Setz, Jean
Sharon, Arieh
Shaw, George Bernhard
Sieber, Maria
Sieber, Rudolf
Simenon, Georges
Simpson, Wallis
Siodmak, Curt
Sjögren, Talla
Skinner, Francis
Sokal, Harry R.
Spengler, Oswald
Spitz, René
Stalin, Josef
Stalin, Nadja
Stauffenberg, Berthold Schenk Graf von
Stauffenberg, Claus Schenk Graf von
Stauffenberg, Nina Schenk Gräfin von
Steffin, Margarete
Steichen, Edward
Stein, Gertrude
Stern, Günther
Sternberg, Fritz
Sternberg, Josef von
Sternberg, Riza von
Sternheim, Carl
Sternheim, Mopsa
Sternheim, Thea
Stewart, Jimmy
Stinnes, Clärenore
Stölzl, Gunta
Storr, Hermann
Streicher, Julius
Suckert, Curt Erich siehe Curzio Malaparte
Suhrkamp, Peter
Szentkuthy, Miklós
Taut, Bruno
Tergit, Gabriele
Thumm, Hermann
Thyssen, Maud
Todorović, Duška
Toller, Ernst
Toscanini, Arturo
Trakl, Georg
Trenker, Luis
Tucholsky, Kurt

Ullrich, Luise
Umbehr, Otto Maximilian siehe Umbo
Umbo

Valentin, Karl
Varnhagen, August
Varnhagen von Ense, Rahel
Ville, Marie
Vinaver, Chamjo
Vollmoeller, Karl

Walden, Herwarth
Walter, Marie-Thérèse
Warburg, Aby
Warburg, Mary
Warhol, Andy
Wartenburg, Friedrich Graf Yorck von
Wartenburg, Hans Ludwig von
Wartenburg, Ruth Gräfin Yorck von siehe Ruth Landshoff
Wasmuth, Sophia
Wedekind, Pamela
Wedekind, Tilly
Wedel, Jürgen Ernst von
Wedemeyer, Herta von
Wedemeyer, Maria von
Weigel, Helene
Weil, Else
Weill, Kurt
Weißbach, Rudolf
Weisenborn, Günther
Werfel, Franz
Wilder, Billy
Wiegand, Heinrich
Wilhelm II., Kaiser
Wissing, Egon
Wittgenstein, Ludwig
Wolff, Charlotte
Wolff, Helen siehe Helene Mosel
Wolff, Elisabeth
Wolff, Kurt

Zambona, Ilse Jutta


Zedlitz, Ursula von
Zielke, Friedel
Zielke, Willy
Zoff, Marianne
Zuckmayer, Carl
Zweig, Arnold
Zweig, Friderike
Zweig, Stefan

OceanofPDF.com
Über Florian Illies

Mit Eleganz und Leichtigkeit verwandelt Florian Illies vergangene Epochen


in lebendige Gegenwart. Er zieht überraschende Querverbindungen
zwischen den Protagonisten und verknüpft Szenen und Momentaufnahmen
zu mitreißenden Panoramen. Sein Welterfolg »1913. Der Sommer des
Jahrhunderts«, mit dem Illies ein neues Genre begründete, führte
monatelang die SPIEGEL-Bestsellerliste an. Illies, geboren 1971, studierte
Kunstgeschichte in Bonn und Oxford. Er war Feuilletonchef der
»Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« und der »ZEIT«, Verleger des
Rowohlt Verlages, leitete das Auktionshaus Grisebach und gründete die
Kunstzeitschrift »Monopol«. Heute ist Florian Illies Mitherausgeber der
»ZEIT« und freier Schriftsteller. Er lebt in Berlin.

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de


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Über dieses Buch

Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin


Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris erleben,
F. Scott Fitzgerald und Frida Kahlo sich in Europa in leidenschaftliche
Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel und Thomas und
Katia Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nazis die Macht in
Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen die Juden
beginnt.
1933 enden die »Goldenen Zwanziger« mit einer Vollbremsung.
In einem virtuosen Epochengemälde führt Florian Illies uns zurück in ein
Jahrzehnt berstender politischer und kultureller Spannungen. Eine
mitreißend erzählte Reise in die Vergangenheit, die sich wie ein Kommentar
zu unserer verunsicherten Gegenwart liest: Liebe in den Zeiten des Hasses.
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Impressum

Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books

© 2021 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich


Coverabbildung: © mauritius images / United Archives

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag
freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491361-2

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