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Einführung in Die Zahnerhaltung 8. Auflage

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8.

überarbeitete Auflage

E. Hellwig | E. Schäfer | J. Klimek | T. Attin

Einführung in die
Zahnerhaltung
Prüfungswissen Kariologie, Endodontologie und Parodontologie

Deutscher
scher Zahnärzteverlag
närzteverlag
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E. Hellwig | E. Schäfer | J. Klimek | T. Attin
Einführung in die Zahnerhaltung

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Wichtiger Hinweis
Wie in Lehrbüchern üblich, sind allgemeingültige Inhalte, Darstellungen oder Sachinhalte
nicht immer durch Originalzitate belegt oder belegbar. Das Literaturverzeichnis am Ende
des Buches versteht sich daher vor allem als Hinweis auf weiterführende Texte.

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E. Hellwig | E. Schäfer | J. Klimek | T. Attin

Einführung in die
Zahnerhaltung
Prüfungswissen Kariologie, Endodontologie und Parodontologie

8. überarbeitete Auflage

Mit 249 Abbildungen in 422 Einzeldarstellungen und 78 Tabellen

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Prof. Dr. med. dent. Elmar Hellwig Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Klinik für Zahnerhaltungskunde Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
und Parodontologie Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Universitätsklinikum Freiburg Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Waren-
79106 Freiburg
bezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere
Prof. Dr. med. dent. Edgar Schäfer Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
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Kieferheilkunde wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstraße 30
Wichtiger Hinweis:
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Die Medizin und das Gesundheitswesen unterliegen einem fortwährenden
Prof. Dr. med. dent. Joachim Klimek Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben immer nur dem Wissensstand
Fähnrichsweg 18 zum Zeitpunkt der Drucklegung entsprechen können. Die angegebenen
35039 Marburg Empfehlungen wurden von Verfassern und Verlag mit größtmöglicher
Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Trotz sorgfältiger Manuskripterstellung
Prof. Dr. med. dent. Thomas Attin und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ausgeschlossen werden.
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Präventivzahnmedizin (ZPZ)
zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten
Plattenstrasse 11
zu konsultieren.
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Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische und
1. Auflage 1995 Elsevier therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.
2. Auflage 1999 Elsevier Verfasser und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung
3. Auflage 2003 Elsevier und keine daraus folgende oder sonstige Haftung für Schäden, die auf
4. Auflage 2007 Elsevier irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informa-
5. Auflage 2009 Deutscher
tionen oder Teilen davon entstehen.
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6. Auflage 2013 Deutscher Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als
Zahnärzte Verlag den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schrift-
7. Auflage 2018 Deutscher lichen Genehmigung des Verlages.
Zahnärzte Verlag
Copyright © 2023 by Deutscher Zahnärzteverlag
Dieselstraße 2, 50859 Köln
ISBN (eBook):
978-3-7691-3785-9 Der Deutsche Zahnärzteverlag ist eine Marke der Deutscher Ärzteverlag GmbH.
aerzteverlag.de
Umschlagkonzeption: Deutscher Ärzteverlag
Bildquellennachweise: Produktmanagement: Gabriele Graf
Portraitfoto Prof. Hellwig: Content Management: Jürgen Bluhme-Rasmussen
Universitätsklinikum Freiburg, Manuskriptbearbeitung: Dr. Margit Ritzka
Christian Ruhmann
Britt Schilling
Plaumann, 47807 Krefeld
Portraifoto Prof. Dr. Edgar
Schäfer: Universitätsklinikum
Münster Portraitfoto Prof. Klimek:
privat Portraitfoto Prof. Attin:
543210
Salvatore Vinci

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V

Vorwort

Das Fach Zahnerhaltungskunde ist untergliedert in die Teilbereiche Restaurative und Präven-
tive Zahnerhaltung, Parodontologie, Kinderzahnheilkunde und Endodontie. Erneut wird die
Kinderzahnheilkunde in dem vorliegenden Lehrbuch nur begrenzt berücksichtigt, hier wird
auf einschlägige Lehrbücher dieses Spezialfachs verwiesen. Die Zahnerhaltung ist einem stän-
digen Wandel unterzogen. So sind seit der letzten Auflage speziell im Bereich Parodontologie
erhebliche Veränderungen festzustellen. Neben einer neuen Nomenklatur der Erkrankungen
und ihrer Diagnose wurde die Therapie der parodontologischen Erkrankungen mit der Defi-
nition veränderter Behandlungsstrecken neu gegliedert. Auch im restaurativen Bereich wur-
den neue Behandlungsempfehlungen kariöser Zahnerkrankungen definiert. In der nunmehr
achten Auflage wird daher neben dem üblichen Überblick über bewährte und aktuelle Diag-
nose- und Therapiemethoden in drei Bereichen des Fächerkanons Zahnerhaltungskunde die-
sen beiden Neuerungen spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. Eine Überarbeitung eines Buchs
gestaltet sich häufig schwierig, und selbst bei größter Sorgfalt können sich Fehler einschlei-
chen. Wir würden uns daher freuen, wenn uns die Leserinnen und Leser mit Korrekturvor-
schlägen zur Seite stehen würden, und sind auch für Anregungen offen. Wir bedanken uns
beim Deutschen Zahnärzte Verlag für die erneut hervorragende Zusammenarbeit, ohne die
diese Neuauflage nicht möglich gewesen wäre.

Freiburg, Zürich, Münster, 2022

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezoge-
nen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe
gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte
Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

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VII

Danksagung

Wir bedanken uns bei folgenden Personen für die wertvollen Tipps und die Mitarbeit an die-
sem Buch: ZÄ Kathrin Becker (Freiburg), PD Dr. Sebastian Bürklein (Münster), PD Dr. Andreas
Ender (Zürich), Prof. Dr. Marcella Esteves Oliveira (Bern), Dr. Stefanie Peikert (Freiburg), PD
Dr. Susanne Proksch (Freiburg), Prof. Dr. Petra Ratka-Krüger (Freiburg), PD Dr. Philipp Sahr-
mann (Bern), Prof. Dr. Patrick R. Schmidlin (Zürich), PD Dr. Valerie Steiger-Ronay (Zürich),
Dr. Thomas Thurnheer (Zürich), Prof. Dr. Dirk Ziebolz (Leipzig), Dr. Priska Fischer (Freiburg),
Prof. Dr. Johan Wölber (Freiburg)

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IX

Inhaltsverzeichnis

I Therapie der Karies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


1.1 Zahnschmelz – 3
1.1.1 Chemische Struktur – 3
1.1.2 Histologische Struktur – 5
1.2 Dentin – 8
1.2.1 Chemische Struktur – 8
1.2.2 Histologische Struktur – 9
1.3 Wurzelzement – 12
1.3.1 Chemische Struktur – 12
1.3.2 Histologische Struktur – 13
1.4 Morphologische Unterschiede zwischen Milch- und bleibenden Zähnen – 14

2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer


Zahnhartsubstanzdefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.1 Karies – 17
2.1.1 Ätiologie – 17
2.1.2 Histologie der Schmelzkaries – 33
2.1.3 Histologie der Dentinkaries – 38
2.1.4 Wurzelkaries (Zementkaries) – 40
2.1.5 Milchzahnkaries – 41
2.1.6 Spezielle Kariesformen – 41
2.1.7 Epidemiologie – 43
2.2 Erosion – 56
2.3 Mechanische Abnutzung der Zähne – 62
2.3.1 Keilförmiger Defekt – 62
2.3.2 Attrition – 63
2.3.3 Abrasion – 64
2.3.4 Dentinhypersensitivität – 67
2.4 Odontogene Resorptionen – 67
2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne – 70
2.5.1 Erworbene Hypoplasien der Zahnhartsubstanzen – 70
2.5.2 Genetisch bedingte Fehlbildungen der Zähne – 78

3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83


3.1 Basisuntersuchung – 83
3.1.1 Orientierendes zahnärztliches Gespräch – 84
3.1.2 Orientierende allgemeine und spezielle Anamnese – 84

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X Inhaltsverzeichnis

3.1.3 Präventionsanamnese – 88
3.1.4 Orientierende extraorale Untersuchung – 88
3.1.5 Orientierende Untersuchung der Mundhöhle und der angrenzenden
Regionen – 90
3.1.6 Orientierende Untersuchung der Zähne und der Kaufunktion – 90
3.1.7 Orientierende Aufklärung und Beratung – 91
3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen, zur
konservierend- und prothetisch-restaurativen Versorgung sowie zum Zustand
des Endodonts (Zahnstatus) – 92
3.2.1 Kariesdiagnose – 98
3.2.2 Bestimmung der Kariesaktivität und des Kariesrisikos – 109
3.3 Spezielle Untersuchungen – 111
3.4 Therapieplanung (Kariesmanagement) – 114

4 Kariesprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
4.1 Ernährungsberatung und -lenkung – 124
4.1.1 Grundlagen – 124
4.1.2 Bestimmung der Zahngefährdung durch Nahrungsmittel – 126
4.1.3 Durchführung der Ernährungsberatung und -lenkung – 128
4.1.4 Kalorische und nicht kalorische Süßungsmittel – 128
4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen – 131
4.2.1 Fluoridzufuhr, Fluoridaufnahme und Fluoridmetabolismus – 131
4.2.2 Fluoride als Kariostatika – 134
4.2.3 Reaktion von Fluoriden mit Zahnhartsubstanzen und Plaque – 140
4.2.4 Kariostatischer Wirkungsmechanismus von Fluoriden – 143
4.2.5 Wirksamkeit fluoridhaltiger Kariostatika – 150
4.2.6 Toxikologie der Fluoride – 152
4.3 Fissurenversiegelung – 154
4.3.1 Indikationen – 155
4.3.2 Materialien – 157
4.3.3 S3-Leitlinie Fissuren- und Grübchenversiegelung – 158
4.4 Mundhygiene, chemische Plaquekontrolle, Entfernung von Zahnverfärbungen,
Mundgeruch – 163
4.5 Zusätzliche kariespräventive Maßnahmen – 168
4.6 Konsequenzen für die Therapie – 175

5 Grundlagen der invasiven Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177


5.1 Allgemeine Präparationstechnik – 178
5.2 Präparationsinstrumentarium – 183
5.2.1 Rotierende Instrumente – 183
5.2.2 Handinstrumente – 185
5.2.3 Oszillierende und ultraschallgetriebene Instrumente – 185
5.2.4 Andere Präparationsverfahren – 186
5.3 Finieren und Kavitätentoilette – 187
5.4 Auswirkungen der Präparation auf die Pulpa-Dentin-Einheit – 187
5.5 Indirekte Überkappung – CP-(Caries profunda-)Behandlung – 188

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Inhaltsverzeichnis XI

5.6 Dentinwundversorgung – 193


5.6.1 Lacke und Liner – 195
5.6.2 Zemente – 195
5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes – 199
5.7.1 Relative Trockenlegung – 199
5.7.2 Absolute Trockenlegung (Kofferdam) – 200

6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207


6.1 Kompositrestaurationen – 207
6.1.1 Materialkunde der Komposite – 209
6.1.2 Neuere Kompositmaterialien – 223
6.1.3 Schmelzkonditionierung (Schmelz-Ätz-Technik) – 230
6.1.4 Dentinkonditionierung – Dentinhaftvermittler (Primer, Adhäsive) – 234
6.1.5 Biokompatibilität der Kompositmaterialien – 248
6.1.6 Frontzahnrestaurationen mit Komposit – 250
6.1.7 Seitenzahnrestaurationen mit Komposit – 263
6.1.8 Weitere Indikationsgebiete für die Anwendung von
Kompositmaterialien – 272
6.1.9 Bewertung der Kompositrestaurationen – 276
6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen – 277
6.2.1 Materialkunde – 277
6.2.2 Präparation und Kavitätenkonditionierung – 282
6.2.3 Haftmechanismus – 283
6.2.4 Pulpaverträglichkeit – 283
6.2.5 Indikationen für die Anwendung von Glasionomerzementen – 284
6.2.6 Präparation und Kavitätenkonditionierung bei Klasse-V-Kavitäten – 285
6.3 Restaurationen mit Amalgam – 287
6.3.1 Werkstoffkunde – 287
6.3.2 Indikation für Amalgamrestaurationen – 292
6.3.3 Klasse-II-Kavitäten – 292
6.3.4 Matrizentechnik – 296
6.3.5 Trituration und Kondensation des Amalgams – 296
6.3.6 Schnitztechnik und Politur – 299
6.3.7 Amalgamtoxizität – 300
6.4 Korrekturfüllung (Reparaturfüllung) – 306

7 Restaurationen mit Einlagefüllungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311


7.1 Vorbereitende Maßnahmen – 313
7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen – 314
7.2.1 Präparation – 314
7.2.2 Abformung und Modellherstellung – 319
7.2.3 Anprobe und Einzementieren – 323
7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen – 325
7.3.1 Indikationen und Kontraindikationen für zahnfarbene
Einlagefüllungen – 325
7.3.2 Präparationstechnik – 326
7.3.3 Komposit-Einlagefüllungen – 328

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XII Inhaltsverzeichnis

7.3.4 Keramik-Einlagefüllungen – 330


7.3.5 Provisorische Versorgung der Kavität – 332
7.3.6 Anprobe und Eingliederung – 333
7.3.7 Kritische Wertung – 338

II Endodontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

8 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden Gewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347


9.1 Topografie der Pulpa – 347
9.2 Grundsubstanz, Bindegewebe und Zellen der Pulpa – 348
9.3 Gewebezonen der Pulpa – 349
9.4 Funktionen der Pulpa – 350
9.5 Regressive Veränderungen der Pulpa – 352
9.6 Strukturen des apikalen Parodontiums – 354

10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355


10.1 Pulpitiden – 355
10.1.1 Ätiologie der Pulpitis – 355
10.1.2 Akute Pulpitiden – 359
10.1.3 Chronische Pulpitiden – 360
10.2 Pulpanekrose – 362
10.3 Parodontitis apicalis – 363
10.3.1 Ätiologie der Parodontitis apicalis – 364
10.3.2 Parodontitis apicalis acuta – 368
10.3.3 Parodontitis apicalis chronica – 369

11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik pulpaler und periapikaler Erkrankungen sowie


Behandlung der erkrankten Pulpa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
11.1 Endodontische Schmerzsymptomatik – 375
11.1.1 Dentinhypersensibilität – 376
11.1.2 Symptomatische Pulpitis – 377
11.1.3 Symptomatische apikale Parodontitis – 378
11.1.4 Differenzialdiagnose pulpaler und periapikaler Schmerzen – 379
11.2 Klinische Diagnostik – 380
11.2.1 Allgemeinmedizinische Anamnese – 380
11.2.2 Zahnmedizinische Anamnese – 380
11.2.3 Klinische Untersuchung – 381
11.3 Therapiemaßnahmen zur Vitalerhaltung der Pulpa – 389
11.3.1 Indirekte Pulpaüberkappung – 389
11.3.2 Direkte Pulpaüberkappung – 389
11.3.3 Vitalamputation – 392

12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393


12.1 Foramen apicale – 394
12.2 Wurzelkanalkonfiguration – 395
12.3 Altersbedingte Veränderungen des Wurzelkanals – 396

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Inhaltsverzeichnis XIII

12.4 Die einzelnen Zahntypen – 396


12.4.1 Der mittlere und seitliche obere Schneidezahn – 396
12.4.2 Der mittlere und seitliche untere Schneidezahn – 397
12.4.3 Der obere Eckzahn – 397
12.4.4 Der untere Eckzahn – 398
12.4.5 Der erste obere Prämolar – 399
12.4.6 Der zweite obere Prämolar – 400
12.4.7 Der erste und zweite untere Prämolar – 400
12.4.8 Der erste und zweite obere Molar – 401
12.4.9 Der erste und zweite untere Molar – 403

13 Die Wurzelkanalbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407


13.1 Behandlungsplanung – 407
13.1.1 Indikationen zur Wurzelkanalbehandlung – 407
13.1.2 Kontraindikationen zur Wurzelkanalbehandlung – 408
13.1.3 Indikationen zur Revision von Wurzelkanalbehandlungen – 408
13.2 Vorbereitende Maßnahmen – 408
13.2.1 Kariesexkavation und Aufbaufüllung – 408
13.2.2 Kofferdam – 409
13.3 Zugangskavität und Lokalisation der Wurzelkanaleingänge – 410
13.3.1 Prinzipien der Zugangskavität – 410
13.3.2 Lokalisation der Kanaleingänge – 413
13.3.3 Vorgehen bei den verschiedenen Zahntypen – 414
13.4 Sondierung des Wurzelkanalsystems und Bestimmung der Arbeitslänge – 415
13.4.1 Sondierung des Wurzelkanalsystems – 416
13.4.2 Endometrische Bestimmung der Arbeitslänge – 416
13.4.3 Röntgenologische Bestimmung der Arbeitslänge – 418
13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals – 421
13.5.1 Handinstrumente – 421
13.5.2 Geräte und Instrumente zur maschinellen Aufbereitung des
Wurzelkanals – 426
13.6 Allgemeine Richtlinien der Wurzelkanalaufbereitung – 430
13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung – 431
13.7.1 Manuelle Wurzelkanalaufbereitung – 431
13.7.2 Maschinelle Wurzelkanalaufbereitung – 439
13.8 Spülung des Wurzelkanals – 443
13.9 Medikamentöse Einlagen zur Desinfektion des Wurzelkanals – 447
13.10 Provisorischer Verschluss – 448
13.11 Voraussetzungen vor der definitiven Wurzelkanalfüllung – 449
13.12 Wurzelkanalfüllung – 450
13.12.1 Wurzelkanalfüllmaterialien – 450
13.12.2 Instrumente zur Wurzelkanalfüllung – 454
13.12.3 Wurzelkanalfülltechniken – 454
13.13 Endodontische Behandlung bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum – 461
13.13.1 Pulpa-vitale Zähne – 461
13.13.2 Pulpa-avitale Zähne – 462
13.14 Endodontische Schmerzbehandlung – 464

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XIV Inhaltsverzeichnis

14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467


14.1 Endodontische Behandlungen im Milchgebiss – 467
14.1.1 Indirekte und direkte Überkappung – 468
14.1.2 Pulpotomie – 469
14.1.3 Pulpektomie – 470
14.1.4 Grenzen der endodontischen Behandlung im Milchgebiss – 472
14.2 Bleichen verfärbter wurzelkanalgefüllter Zähne – 473
14.2.1 Bleichmittel – 474
14.2.2 Bleichtechniken – 474
14.3 Restauration wurzelkanalgefüllter Zähne – 476
14.3.1 Versorgung von Frontzähnen – 477
14.3.2 Versorgung von Seitenzähnen – 479
14.4 Verletzungen der Zähne – 481
14.4.1 Diagnostische Maßnahmen bei Verletzungen der Zähne – 482
14.4.2 Verletzungen des Zahnhartgewebes – 483
14.4.3 Luxationsverletzungen der Zähne – 486
14.4.4 Schienentherapie nach dentoalveolären Traumata – 490
14.4.5 Spätfolgen bei Verletzungen der Zähne – 491

III Parodontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

15 Anatomie des Parodonts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495


15.1 Gingiva – 495
15.1.1 Makroskopische Anatomie der Gingiva – 495
15.1.2 Mikroskopische Anatomie der Gingiva – 498
15.2 Desmodont – 503
15.3 Alveolarfortsatz – 505
15.4 Gingivaler Sulkus – 506
15.5 Abwehrmechanismen der Gingiva – 507

16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509


16.1 Primärer Ursachenkomplex – 511
16.1.1 Dentaler Biofilm (Plaque) – 511
16.1.2 Pathogenese der entzündlichen Parodontalerkrankungen – 519
16.1.3 Abwehrreaktion des Wirtsorganismus – 524
16.2 Sekundärer Ursachenkomplex – 532
16.3 Verhaltensbedingte und allgemeinmedizinische Risikofaktoren für
Parodontalerkrankungen – 534
16.4 Weitere allgemeinmedizinische Bedeutungen parodontaler Erkrankungen – 537

17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539


17.1 Plaque-Indizes – 539
17.1.1 Modifizierter Plaque-Index nach Quigley und Hein – 540
17.1.2 Modifizierter Navy-Plaque-Index nach Rustogi et al. – 540
17.1.3 Plaque-Index (PI) nach Silness und Löe – 541
17.1.4 Modifizierter Plaque-Index (PI) nach Mombelli – 541

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Inhaltsverzeichnis XV

17.1.5 Modifizierter Approximalraum-Plaque-Index (API)


nach Lange et al. – 542
17.1.6 Plaque-Formations-Rate-Index (PFRI) nach Axelsson – 542
17.1.7 Plaque-Control-Record-Index (PCR) nach O’Leary et al. (auch simplifizierter
Plaque-Index: PI-S) – 543
17.2 Gingiva-Indizes bzw. Entzündungs-Indizes – 544
17.2.1 Bleeding on Probing (Bluten nach Sondierung) – 544
17.2.2 Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Mühlemann und Son – 544
17.2.3 Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Lange – 545
17.2.4 Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Mombelli – 545
17.2.5 Papillen-Blutungs-Index (PBI) nach Saxer und Mühlemann – 545
17.2.6 Gingiva-Blutungs-Index (GBI) nach Ainamo & Bay (auch simplifizierter
Gingiva-Index: GI-S) – 546
17.2.7 Parodontaler Screening-Index (PSI) – 546
17.2.8 Zahnstein-Index – 549
17.3 Fallklassifikationen nach CDC/AAP – 549
17.4 Bestimmung der Sulkusflüssigkeits-Fließrate (SFFR; sulcus fluid flow rate) – 550
17.5 Epidemiologische Daten zum Auftreten parodontaler Entzündungen – 550
17.6 Epidemiologische Daten zum Auftreten periimplantärer Entzündungen – 554

18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . 555


18.1 Anamnese und Befund – 555
18.1.1 Anamnese – 555
18.1.2 Befund – 556
18.2 Diagnose parodontaler und periimplantärer Erkrankungen und Zustände – 566
18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände – 568
18.3.1 Parodontale Gesundheit, gingivale Erkrankungen und Zustände – 568
18.3.2 Gingivitis durch dentalen Biofilm induziert – 569
18.3.3 Nicht durch dentalen Biofilm induzierte gingivale Erkrankungen – 572
18.3.4 Nekrotisierende Parodontalerkrankungen – 577
18.3.5 Parodontitis – 579
18.3.6 Parodontitis als Manifestation systemischer Erkrankungen – 583
18.3.7 Endo-Paro-Läsionen – 588
18.3.8 Parodontale Abszesse – 589
18.3.9 Mukogingivale Deformitäten und Zustände – 591
18.4 Periimplantäre Erkrankungen – 594
18.5 Deutscher Parodontalstatus – 597

19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603


19.1 Antibiotische Abschirmung bei immunsupprimierten Patienten und Patienten
mit Endokarditisrisiko – 604
19.2 Behandlungsablauf der systematischen Behandlung von Parodontitis
Stadium I–III – 607
19.3 Erste und zweite Therapiestufe – 611
19.3.1 Patientenmotivation, -instruktion und Kontrolle der Mitarbeit – 613
19.3.2 Zahnputztechniken – 615
19.3.3 Hilfsmittel für die Mundhygiene – 617

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XVI Inhaltsverzeichnis

19.3.4 Zahnpasta – 620


19.3.5 Supra- und subgingivale professionelle Plaque- und
Zahnsteinentfernung – 623
19.3.6 Instrumente zur Zahnreinigung und Entfernung von Zahnstein durch den
Zahnarzt – 625
19.3.7 Beseitigung der die Plaqueablagerung fördernden Faktoren – 630
19.4 Dritte Therapiestufe – 630
19.4.1 Grundlagen der Parodontalchirurgie – 631
19.4.2 Parodontalchirurgische Eingriffe – 639
19.4.3 Methoden zur Behandlung von Zähnen mit Furkationsbeteiligung – 663
19.4.4 Behandlung parodontal-endodontaler (Paro-Endo-)Läsionen – 667
19.4.5 Transplantate und Implantate zur Behandlung von
Knochentaschen – 667
19.4.6 Parodontale Heilung – 669
19.4.7 Schienungstherapie – 670
19.5 Medikamente in der Parodontologie – 671
19.5.1 Lokal angewendete Medikamente – 672
19.5.2 Systemisch angewendete Medikamente – 675
19.6 Zusammenwirken verschiedener Teilgebiete in der Parodontaltherapie – 681
19.6.1 Parodontologie und Kieferorthopädie – 681
19.6.2 Parodontologie und Zahnerhaltung – 682
19.6.3 Parodontologie und Prothetik – 683
19.7 Behandlung verschiedener Krankheitsformen – 684
19.7.1 Gingivitis – 685
19.7.2 NG/NP – 685
19.7.3 HIV-assoziierte Parodontopathien – 685
19.7.4 Periimplantäre Erkrankungen – 686
19.8 Foetor ex ore – 688
19.9 Unterstützende Parodontitistherapie (UPT) – 689
19.10 Arbeitsgebiet der zahnmedizinischen Fachassistentin (ZMF), zahnmedizinischen
Prophylaxeassistentin (ZMP) oder der Dentalhygienikerin (DH) – 693

20 Literaturnachweis und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695


20.1 Therapie der Karies – 695
20.2 Endodontologie – 699
20.3 Parodontologie – 701

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707

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I Therapie der Karies

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Kapitel 1 3

1 Mikroskopische Anatomie der


Zahnhartsubstanzen 1
2
3
4
! Die Kenntnis der Anatomie der Zahnhartsubstanzen, des Endo-
donts und des Parodonts ist Voraussetzung für präventive und in-
vasive zahnerhaltende Maßnahmen. 5
So bestimmen z.B. im Rahmen einer invasiven Kariestherapie die Ana-
tomie und die Struktur der Zahnhartsubstanzen die Wahl der Präparati-
6
onsinstrumente, die Kavitätenform und -gestaltung und die Wahl des
Restaurationsmaterials. Im Folgenden werden nur die wichtigsten histo- 7
logischen Merkmale der Zahnhartsubstanzen zusammengefasst. Für
eine detaillierte Beschreibung der Anatomie und Histologie der Zähne 8
sei auf spezielle Lehrbücher der Anatomie hingewiesen.
9
1.1 Zahnschmelz
10
1.1.1 Chemische Struktur
11
Zahnschmelz wird von den Ameloblasten gebildet. Diese scheiden eine Präeruptive
Schmelzmatrix aus, die mineralisiert und ausreift. Die während der Mi- Schmelzreifung 12
neralisation stattfindende Kristallisation von Kalzium-Phosphat-Verbin-
dungen und das anschließende Wachstum der Kristalle werden als prä- 13
eruptive Schmelzreifung bezeichnet. Dabei verbleiben Mikroporositä-
ten zwischen den Kristallen und Ionendefekte in ihren Gitterstrukturen.
Nach dem Zahndurchbruch werden diese Porositäten und Fehlstel- Posteruptive
14
len durch die posteruptive Schmelzreifung weitestgehend ausgegli- Schmelzreifung
chen. Dabei kommt es zu einer Aufnahme von Mineralien (insbeson- 15
dere von Kalzium und Phosphat) aus dem umgebenden Milieu (Spei-
chel, Nahrungsmittel). Der Zahnschmelz unterliegt nach seiner Bildung 16
keinem zellulären Reparaturmechanismus.

Ausgereifter Zahnschmelz ist die härteste Substanz des menschli-


17
chen Körpers.
18
Seine mittlere Dichte schwankt je nach „Reifezustand“, chemischer Zu- Dichte
sammensetzung und Stelle der Analysenentnahme zwischen 2,8 und 3,0. 19
Seine Härte liegt im Durchschnitt zwischen 250 KHN (Knoop-hard- Härte
ness numbers) an der Schmelz-Dentin-Grenze und 390 KHN an der 20
Schmelzoberfläche.

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4 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

Bestandteile Der Hauptbestandteil des Zahnschmelzes ist anorganischer Na-


tur, wobei die Angaben über die Menge der anorganischen Verbindun-
gen je nach Analysemethode und analysierter Probe zwischen 93 und
98 Gew.-% schwanken. Die zweitgrößte Fraktion ist Wasser; hier
schwanken die Mengenangaben zwischen 1,5 und 4 Gew.-%. Die restli-
che Substanz setzt sich aus organischen Verbindungen wie Proteinen
und Lipiden zusammen.
Zusammen- Die Zusammensetzung des Schmelzes wird durch Ernährung, Alter
setzung und zahlreiche andere Faktoren beeinflusst. Die Hauptbestandteile sind
Kalzium, Phosphor, Karbonat, Magnesium und Natrium. Insgesamt
wurden bisher über 40 Spurenelemente im Zahnschmelz nachgewiesen.
Einige dieser Spurenelemente gelangen erst durch zahnärztliche Maß-
nahmen in die Mundhöhle, andere (z.B. Blei und Strontium) können als
Indikatoren für verstärkte Umweltbelastung angesehen werden.
Es gibt Unterschiede in der Schmelzzusammensetzung an verschie-
denen Stellen eines einzelnen Zahnes. Diese lassen sich durch Konzen-
trationsschwankungen einzelner Elemente erklären. So nimmt die Kon-
zentration von Fluorid, Eisen, Zinn, Chlor und Kalzium von der
Schmelzoberfläche zur Schmelz-Dentin-Grenze ab. Die Fluoridkonzen-
tration steigt allerdings direkt an der Schmelz-Dentin-Grenze wieder an.
Die Konzentration von Wasser, Karbonat, Magnesium und Natrium
nimmt hingegen von der Schmelz-Dentin-Grenze zur Schmelzoberflä-
che hin ab.
Es scheint eine Korrelation zwischen Magnesium- und Karbonatge-
halt des Schmelzes und erniedrigten Werten für die Schmelzdichte zu
geben. An Stellen mit erhöhter Magnesiumkonzentration in der Nähe
der Dentinhörner und direkt unter den zentralen Fissuren der Zähne ist
eine geringere Dichte festzustellen als z.B. an den stark mineralisierten
Zonen der bukkalen und lingualen Zahnflächen.
Kalzium und Phosphor liegen in einem Verhältnis von 1 : 1,2 als
Apatitverbindung (Ca10–xPO6–x) × X2 × H2O in Form kleiner Kristalle
vor. Es handelt sich dabei nicht um stöchiometrische Verbindungen der
Formel Ca10(PO4)6(OH)2. Durch ein Defizit von Kalzium-, Phosphat-
und Hydroxylionen sowie das Vorhandensein von Karbonat und Hy-
drogenphosphat ist Schmelz aus nicht stöchiometrischen Apatitkristal-
len aufgebaut. Durch interne Substitutionsreaktionen kann es zur Aus-
bildung von Fluorapatit oder fluoridiertem Hydroxylapatit kommen,
das eine stabilere Kristallgitterstruktur aufweist als Hydroxylapatit. Es
kann jedoch auch zum Einbau von Karbonat in das Schmelzmineral
kommen. Karboniertes Apatit ist gegenüber einem kariösen Angriff we-
niger resistent als Hydroxylapatit. Neben den genannten Verbindungen
lassen sich in geringem Maß eine Reihe nicht apatitisch gebundener
Kalzium-Phosphat-Verbindungen wie z.B. Oktakalziumphosphat fin-
den.
Wasser kommt im Zahnschmelz in zwei verschiedenen Formen vor.
Ein Teil ist kristallin als Hydrationsschale, der andere lose, hauptsäch-

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1.1 Zahnschmelz Kapitel 1 5

lich an organische Materie gebunden. Das lose gebundene Wasser kann


bei Erwärmung verdampfen. Schmelz kann jedoch auch bei Feuchtig- 1
keitszufuhr Wasser aufnehmen. Diese Eigenschaft macht man sich bei
der Erklärung bestimmter physikalischer Phänomene bei der Kariesent- 2
stehung bzw. -prävention zunutze. Zahnschmelz funktioniert wie ein
Molekularsieb bzw. Ionenaustauscher, da mit dem Flüssigkeitsstrom
auch Ionen in den und aus dem Zahnschmelz gelangen.
3
Die kleine Menge organischen Materials besteht im ausgereiften
Schmelz aus Proteinen (ca. 58%), Lipiden (ca. 40%) und Spuren von 4
Kohlenhydraten, Zitrat und Laktat. Der größte Teil des organischen Ma-
terials liegt im inneren Drittel des Schmelzmantels in Form von 5
Schmelzbüscheln.
6
1.1.2 Histologische Struktur
7
Die Apatitkristalle des Schmelzes sind im Querschnitt annähernd hexa- Apatitkristalle
gonal und stellen sich in der Seitenansicht als kleine Stäbchen dar (s. 8
Abb. 1.1).
Ein einheitliches Charakteristikum der Schmelzkristalle ist ihre – im Schmelzprismen 9
Vergleich zu anderen biologischen Hartgeweben – erhebliche Größe. Sie
sind durchschnittlich 160 nm lang, 40–70 nm breit und 26 nm dick. Die
Gestalt und Größe der Schmelzkristalle kann allerdings je nach Reife-
10
grad des Schmelzes oder Lokalisation im Schmelzmantel von dieser ein-
heitlichen Größe abweichen. Etwa 100 Schmelzkristalle liegen im Quer- 11
schnitt zusammengefügt und bilden die sog. Schmelzprismen bzw.

Abb. 1.1: Schematische Dar-


12
stellung eines Hydroxylapa- 40 nm
titkristalls. Der Kristall ist
annähernd sechseckig und
13
Kristall-
besitzt eine Hülle von ad- oberfläche
sorbierten Ionen, Proteinen,
Lipiden und Wasser (Hydra- 14
tionsschale, nach Nikiforuk Kristall-
1985). kern
15
16
160 nm
17
18
adsorbierte
Ionen
19
Hydrations-
schale
20

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6 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

Abb. 1.2: Ausrichtung der


Schmelzkristalle innerhalb
der Schmelzprismen. Im
Prismenzentrum verlaufen
die Kristalle parallel zur
Prismenlängsachse. Zur
Prismenperipherie hin fie-
dern sie immer mehr auf
und der Winkel zur Pris-
menlängsachse nähert
sich 90°.

Schmelzstäbe, die sich von der Schmelz-Dentin-Grenze bis fast zur


Schmelzoberfläche erstrecken. Der Verlauf der Prismen ist sowohl in ho-
rizontaler als auch in vertikaler Richtung wellenförmig. Die Kristalle im
Kern der Prismen sind dabei mit ihrer Längsachse parallel zur Längs-
achse des entsprechenden Prismas ausgerichtet. Je mehr sie zum Rand
der Prismen gelegen sind, umso mehr fiedern sie aus und bilden einen
mehr oder weniger großen Winkel zur Prismenlängsachse (s. Abb. 1.2).
Alle Kristalle besitzen eine Hydrationsschale (s. Abb. 1.1) und sind
von einer Schicht aus Proteinen und Lipiden umgeben. Die Prismen als
Organisationsstruktur der Kristalle liegen wiederum eingebettet in einer
zwischenprismatischen Substanz, die aber auch aus Schmelzkristallen
gebildet wird. Die Kristalle der interprismatischen Substanz liegen aller-
dings ungeordneter und bilden mit der Längsachse der Prismen einen
Winkel von annähernd 90 °.
Man unterscheidet Prismenverbände, die in einer Art Schlüssel-
lochstruktur geordnet sind, von solchen, die als Pferdehuftyp oder zy-
lindrischer Typ beschrieben werden (s. Abb. 1.3).
An der Oberfläche menschlicher Zahnkronen befindet sich häufig
eine 20–30 μm dicke Schicht prismenfreien Schmelzes. Die Kristallite
liegen hier dicht gepackt parallel zur Oberfläche.

Prismenfreier Schmelz wird bei allen Milchzähnen und in den Fis-


suren bzw. im Zervikalbereich der Zähne Erwachsener gefunden.

Räumliche Aufgrund der verschiedenen räumlichen Anordnung der Schmelzpris-


Anordnung men zueinander lässt sich im licht- und polarisationsmikroskopischen
Bild eine Reihe histologischer Charakteristika beschreiben.
Die Hunter-Schreger-Faserstreifung tritt als polarisationsoptisches
Phänomen in Zahnschliffen auf. Im Längsschnitt lassen sich in den in-
neren zwei Dritteln des Zahnschmelzes von koronal nach zervikal ab-

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1.1 Zahnschmelz Kapitel 1 7

1
2
3
4
5
a b 6
Abb. 1.3: Schematische Darstellung des histologischen Aufbaus menschlichen Zahnschmelzes. Die
Schmelzhaube des Zahnes besteht aus Prismen, die in gewundener Form von der Schmelz-Dentin-Grenze 7
bis zur Schmelzoberfläche verlaufen. Die Prismen erscheinen im Querschnitt in verschiedenen Formen. Die
3 häufigsten Konfigurationen sind (von oben nach unten): Schlüssellochtyp, Hufeisentyp, zylindrischer Typ
(nach Höhling 1966). 8
wechselnd dunkle und helle Streifen unterscheiden. Da die Schmelz- 9
prismen sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung ge-
schwungen verlaufen, werden sie im Schnitt an einigen Stellen quer, an
anderen längs zur Verlaufsrichtung getroffen. So entsteht im polarisa-
10
tionsmikroskopischen Bild die angesprochene Streifung.
Im Längsschnitt (s. Abb. 1.4) lassen sich an der Zahnoberfläche Ver- 11
tiefungen (Perikymatien) erkennen.
Ihre Anzahl nimmt von zervikal nach koronal ab. Es handelt sich 12
hier um Linien, die bei Zähnen Jugendlicher sehr gut auch makrosko-
13
Perikymatien
14
15
Dentin
16
Pulpa 17
a b
18
Abb. 1.4: Schematische Darstellung eines Längsschnitts durch eine Zahnkrone.
a) Im Zahnschmelz sind Wachstumslinien (Retzius-Streifen) zu erkennen, die im
zervikalen Bereich zur Schmelzoberfläche hin auslaufen. Im koronalen Bereich 19
stehen sie halbkreisförmig auf dem Dentinkern. b) In der Ausschnittsvergröße-
rung des mit dem Pfeil markierten Bereichs lässt sich erkennen, dass die Retzius-
Streifen auf der Schmelzoberfläche in Vertiefungen (Perikymatien) enden (nach 20
Mjör und Fejerskov 1979).

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8 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

pisch am getrockneten Zahn sichtbar werden. Bei älteren Menschen


sind sie aufgrund der Attrition nur noch selten zu diagnostizieren. Im
Bereich der Approximalkontakte zwischen den Zähnen treten im Be-
reich der Perikymatien Vertiefungen („micro pits“) auf, die einen
Schlupfwinkel für Mikroorganismen darstellen. Sie können daher Aus-
gangspunkt für die Entstehung von Karies sein.
Die Retzius-Streifen (s. Abb. 1.4) lassen sich im Durchlichtmikro-
skop erkennen. Sie sind der Ausdruck periodischer Ruhephasen der
Ameloblasten während der Schmelzbildung, vorstellbar wie die Jahres-
ringe eines Baumes. Sie sind meistens hypomineralisierte Bereiche.
Schmelzober- Die Schmelzoberfläche frisch durchgebrochener Zähne ist von einer
häutchen ca. 0,1–5 μm dicken Membran bedeckt, die gegen äußere Einflüsse wie
z.B. Säureeinwirkung sehr widerstandsfähig ist. Sie ist primär die Rest-
substanz des schmelzbildenden Epithels (Cuticula dentis, primäres
Schmelzoberhäutchen). Diese Membran wird in der Mundhöhle beim
Kauen schnell abradiert. Sie wird jedoch durch ein erworbenes
Schmelzoberhäutchen (acquired pellicle) ergänzt oder ersetzt.

1.2 Dentin

1.2.1 Chemische Struktur

! Der größte Teil des menschlichen Zahnes besteht aus Dentin.


Dentin umgibt die Pulpa. Das koronale Dentin ist von Schmelz,
das Wurzeldentin von Zahnzement bedeckt.

Auch wenn man heute von einer funktionellen Einheit der Pulpa und
des Dentins ausgeht, so wird aus Gründen der Übersichtlichkeit im Fol-
genden Dentin als Einzelkomponente beschrieben.

Dentin ist im Gegensatz zu Schmelz ein lebendes, weniger stark mi-


neralisiertes Gewebe.

Bestandteile Es besteht zu 70 Gew.-% aus anorganischem und zu 20 Gew.-% aus or-


ganischem Material. Der Rest ist Wasser.
Der größte Teil des organischen Anteils sind Kollagen und kolla-
genartige Verbindungen (91–92%).
Der anorganische Anteil besteht ebenso wie der des Zahnschmelzes
hauptsächlich aus Phosphat und Kalzium. Es gibt aber auch im Dentin
verschiedene Spurenelemente.
Das anorganische Material liegt ebenso wie im Zahnschmelz, Zahn-
zement und im Knochen in kristalliner Form als Apatit bzw. amorphes
Kalziumphosphat vor. Die Kristalle des Dentins sind allerdings erheb-
lich kleiner und dünner als im Zahnschmelz (Länge: 20 nm; Breite:
18–20 nm; Dicke: 3,5 nm). Sie liegen zudem nicht in Prismenform ge-

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1.2 Dentin Kapitel 1 9

ordnet, sondern sind je nach Art des Dentins mehr oder weniger dicht
gepackt. 1
Dentin ist hochelastisch und verformbar. Es ist weniger hart als 2
Schmelz und besitzt eine gelbliche Farbe. Da Dentin sehr „porös“
ist, weist es eine wesentlich höhere Permeabilität als Schmelz auf.
3
1.2.2 Histologische Struktur 4
Dentin wird von Odontoblasten gebildet. Odontoblasten sind hochdif- Dentinkanälchen 5
ferenzierte Zellen mesenchymalen Ursprungs, die ähnlich wie Nerven-
zellen nach ihrer Differenzierung nicht mehr ersetzt werden. Die Odon-
toblastenkörper befinden sich in der Zahnpulpa. Es ist bisher nicht
6
geklärt, ob ihre Zellfortsätze das gesamte Dentin bis zur Schmelz-Dentin-
Grenze durchziehen oder ob sie nur bis zu einem Drittel in dem Dentin- 7
Kanälchen zu finden sind. Die Odontoblastenfortsätze werden von
5–8 nm großen Filamenten durchzogen. Sie liegen in den Dentinkanäl- 8
chen und unterhalten das Dentin auch nach Abschluss der Zahnbildung
physiologisch. Die Odontoblastenfortsätze weisen 0,35–0,6 μm dicke 9
Seitenäste (Mikrovilli) auf, die tief in das intertubuläre Dentin hineinzie-
hen und mit benachbarten Mikrovilli in Verbindung stehen. Die Dentin-
kanälchen sind im koronalen Bereich eines Zahnes s-förmig gekrümmt,
10
im Wurzelbereich verlaufen sie geradlinig nach außen (s. Abb. 1.5).
11
inter-
tubuläres Manteldentin
12
Schmelz Dentin

Dentin
peri-
odonto- zirkum-
13
blastischer pulpales
Raum Dentin
Pulpa
peri- 14
tubuläres
Dentin
Zwischen-
Zement
Odonto- dentin 15
blasten- altes
fortsatz
Prädentin
junges
16
Odontoblast
a b 17
Abb. 1.5: Schematische Darstellung der Dentinstruktur und der Dentinkanälchen. a) Die gestrichelten Linien
geben den Verlauf der Dentinkanälchen wieder. Sie verlaufen im koronalen Bereich s-förmig von der Pulpa 18
bis zur Schmelz-Dentin-Grenze. b) Das Dentin lässt sich in verschiedene Zonen einteilen. Die Odontoblasten
liegen an der Pulpa-Dentin-Grenze. Es folgt nach peripher das nicht mineralisierte Prädentin, das Zwischen-
dentin mit der Mineralisationsfront, das zirkumpulpale Dentin und anschließend bis zur Schmelz-Dentin- 19
Grenze das Manteldentin, das viele Verzweigungen der Dentinkanälchen enthält. Die Dentinkanälchen ent-
halten den Odontoblastenfortsatz und den periodontoblastischen Raum, der mit Flüssigkeit gefüllt ist. Im
zirkumpulpalen Dentin und im Manteldentin sind die Kanalwände von dicht mineralisiertem, peritubulärem 20
Dentin ausgekleidet. Zwischen den Dentinkanälchen liegt das intertubuläre Dentin.

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10 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

Im Querschnitt ergeben sich für das pulpanahe Dentin und das pul-
paferne Dentin verschiedene Werte für Anzahl und Dichte der Dentin-
kanälchen. Der Durchmesser und das Volumen der Dentinkanälchen
hängen natürlich auch vom Alter des untersuchten Zahnes ab. Bei Zäh-
nen junger Menschen wird in der Literatur als durchschnittlicher Wert
für den Durchmesser der pulpanahen Dentinkanälchen 4–5 μm angege-
ben. Ungefähr 80% der Gesamtquerschnittsfläche des Dentins bestehen
pulpanah aus den Lumen der Dentinkanälchen. Peripher beträgt dieser
Wert nur etwa 4% (im entkalkten Präparat). Absolute Zahlen zum
Durchmesser, zur Dichte und Häufigkeit der Dentinkanälchen müssen
immer kritisch betrachtet werden, da sie individuell sehr unterschied-
lich sind und zudem sehr stark von den angewendeten Untersuchungs-
parametern abhängen. Die angegebenen Relationen sind für pulpana-
hes und -fernes Dentin jedoch prinzipiell richtig.
In den Kanälchen sind die Odontoblastenfortsätze häufig von Flüs-
sigkeit und organischen Strukturelementen umgeben (periodontoblasti-
scher Raum). Nervenfasern lassen sich nur in einzelnen Tubuli des Prä-
dentins nachweisen. Im peripheren Dentin befinden sich keine Nerven-
endigungen.
Dentinschichten An der Grenze zur Pulpa liegt das nicht vollständig ausgereifte, hy-
pomineralisierte Prädentin.
Es folgen nach außen eine Zone der Mineralisation (Zwischenden-
tin), das zirkumpulpale Dentin und das weniger stark mineralisierte
Manteldentin. Dieses bildet mit dem Zahnschmelz eine arkadenför-
mige Grenzlinie und ist sehr stark von Seitenästen der Dentinkanälchen
durchzogen.
Die Dentinkanälchen sind von peritubulärem Dentin umgeben.
Dieses kleidet die Kanalwände aus. Es ist homogen, dicht und am stärks-
ten von allen Dentinstrukturen mineralisiert. Es kann im Alter durch
Apposition zunehmen (sklerosiertes Dentin). Durch Einengung der
Dentinkanälchen ist jedoch auch die Möglichkeit für die Pulpa gegeben,
sich vor äußeren Reizen zu schützen. Intertubuläres Dentin trennt die
Dentinkanälchen voneinander. Es ist weniger dicht mineralisiert und
besteht zu über 50% aus kollagenem Flechtwerk.

Dentin wird während der gesamten Lebensdauer eines Zahnes ge-


bildet. Das Dentin, welches bis zum Abschluss des Wurzelwachs-
tums entsteht, wird Primärdentin genannt. Wird Dentin anschlie-
ßend regulär gebildet, so heißt es Sekundärdentin. Tertiärdentin
(Reizdentin, irreguläres Sekundärdentin, Reparationsdentin) wird
aufgrund eines Reizes (z.B. Attrition, Erosion, Karies, iatrogene
Schäden) lokal als Abwehrbarriere gebildet.

Strukturmerk- Weitere wichtige histologische Strukturmerkmale des Dentins sind:


male des Dentins  Die Ebner-Linien (Wachstumslinien, Konturlinien). Es handelt sich
um hypomineralisierte Bereiche, welche die Ruhephasen der Odon-

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1.2 Dentin Kapitel 1 11

toblasten während der Dentinentwicklung widerspiegeln. Sie ver-


laufen im zirkumpulpalen Dentin parallel zur Schmelz-Dentin- 1
Grenze bzw. Dentin-Pulpa-Grenze.
 Owen-Linien sind verbreiterte, stärker hypomineralisierte Wachs- 2
tumslinien. Sie spiegeln Allgemeinerkrankungen im Kindesalter wi-
der, die mit verminderter Mineralisationsleistung der Odontoblas-
ten korreliert sind.
3
 Bei Milchzähnen und im koronalen Bereich der ersten Molaren tritt
als spezielle Form der durch Hypomineralisation entstandenen 4
Wachstumslinien die Neonatallinie auf. Sie entspricht einer länge-
ren Ruhepause der Odontoblasten (ca. 15 Tage). Die peripher liegen- 5
den Konturlinien, meist im koronalen zirkumpulpalen Dentin, wei-
sen oft kugelförmige, stark hypomineralisierte Bereiche auf (Inter-
globulardentin). Die Dentinkanälchen besitzen in diesen Bereichen
6
kein peritubuläres Dentin. Es handelt sich wahrscheinlich um nicht
regulär mineralisierte Dentinbereiche. 7
 Im Manteldentin der Zahnwurzel befinden sich kleine, im Zahn-
schliff körnerartige Strukturen, die der Zahnoberfläche folgen und 8
nicht an den Wachstumslinien orientiert sind (Tomes-Körner-
schicht). Sie sind auch hypomineralisiert und ähneln dem Interglo- 9
bulardentin.

Während der Dentinentwicklung werden zudem zahlreiche nicht kolla-


10
gene Proteine und Wachstumsfaktoren in die Dentinmatrix eingebaut.
Es handelt sich dabei um eine Vielzahl von phosphorylierten und nicht 11
phosphorylierten Matrixproteinen, Proteoglykanen, Metalloprotein-
asen und Wachstumsfaktoren, wie z.B. Transforming Growth Factor 12
Beta 1 (TGF-β1), Fibrobast Growth Factor (FGF-2), Insulin-Like Growth
Factor (IGF-I, IGF-II), Platelet-Derived Growth Factor (PDGF) und Vas- 13
cular Endothelial Growth Factor (VEGF) sowie zahlreiche andere Pro-
teine. Charakteristische Moleküle für das Dentin sind dabei Dentine Sia-
loprotein (DSP) und Dentine Sialophosphoprotein (DSPP). Diese Mole-
14
küle spielen eine Rolle in der Dentinmineralisation und bei
Reparaturvorgängen in der Pulpa-Dentin-Einheit. So bewirken die vor- 15
handenen Wachstumsfaktoren z.B. nach Verletzung des Dentins eine
Aktivierung der Odontoblasten mit nachfolgender Tertiärdentinbil- 16
dung (Reaktionsdentin, Regenerationsdentin). Sind die primären
Odontoblasten allerdings durch den einwirkenden Reiz so stark beschä-
digt, dass sie untergehen, erfolgt möglicherweise eine Umwandlung an-
17
derer Zelltypen (Metaplasie) oder eine Differenzierung von noch vor-
handenen Vorläuferzellen bzw. Pulpastammzellen zu sekundären 18
Odontoblasten. Diese können dann knochenähnliches Fibro- bzw. Os-
teodentin (Reparaturdentin) bilden, das keine Dentinkanälchen auf- 19
weist. Allerdings können nach Eröffnung der Pulpa auch andere Vor-
gänge, z.B. Mineralisation von durch Pulpafibroblasten gebildetes Nar- 20
bengewebe, eine Dentinreparatur (Bridging) bewirken.

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12 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

1.3 Wurzelzement

1.3.1 Chemische Struktur

! Zement bedeckt die Wurzeloberfläche der Zähne und Teilbereiche


der apikalen Wurzelkanalwände.

Nur selten findet man Zementinseln und -zungen auch auf der
Schmelzoberfläche menschlicher Zähne (meistens im zervikalen Be-
reich). Auch in den Fissuren noch nicht durchgebrochener Zähne ist
dieser Zementtyp zu beobachten. Es handelt sich dabei um azellulär-
afibrilläres Zement. Die Schmelz-Zement-Grenze ist nicht immer ein-
heitlich konfiguriert. Während in 30% der Fälle Schmelz und Zement
direkt aneinanderstoßen, liegt in 10% der Zähne ein kurzer Bereich des
Dentins frei. Bei 60% der Zähne ist das Zement dem zervikalen Schmelz
überlappend aufgelagert (s. Abb. 1.6).
Struktur und Das Zement ähnelt in seiner Struktur und Härte (30–50 KHN) dem
Härte menschlichen Knochen, ist im Gegensatz zu ihm jedoch nicht vaskula-
risiert. Zement gehört zum Zahnhalteapparat, da an ihm die Parodon-
talfasern haften, die die Zähne in der Alveole beweglich befestigen.
Zusammenset- Zement ist in seiner Zusammensetzung und Dicke weniger konstant
zung und Dicke als Schmelz und Dentin. Es ist die am wenigsten mineralisierte Zahn-
hartsubstanz. Sein Mineralgehalt beträgt ungefähr 65 Gew.-%, die orga-
nische Komponente 23 Gew.-%, der Rest ist mit 12 Gew.-% Wasser. Der
anorganische Anteil besteht vornehmlich aus Kalzium und Phosphat in
Form von Apatitkristallen oder amorphen Kalziumphosphaten (vor-
nehmlich bei neu gebildetem Zement). Der organische Anteil besteht zu

Schmelz Schmelz

Dentin
Zement
Pulpa

azelluläres
Faserzement

dento-alveoläre
Fasern

zelluläres
Faserzement

a b

Abb. 1.6: a) Lokalisation und Verteilung des zellulären und des azellulären Faserzements auf der Wurzelober-
fläche im Zahnlängsschnitt. b) Das Zement kann nach koronal direkt an den Zahnschmelz angrenzen, einen
kleinen Dentinbereich unbedeckt lassen oder den Schmelz überlappen (nach Mjör und Fejerskov 1979).

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1.3 Wurzelzement Kapitel 1 13

über 90% aus Kollagen. Die genaue Zusammensetzung der restlichen or-
ganischen Substanz ist bisher nicht geklärt. 1
2
1.3.2 Histologische Struktur

Wie andere Stützgewebe des Körpers ist auch Zement aus Zellen
3
und interzellulärer Substanz zusammengesetzt.
4
Die Dentinoberfläche ist mit einer Schicht stark mineralisierten Ze- Zonen
ments bedeckt (bis 10 μm dick). Nach außen folgen lamellenförmig 5
stärker und weniger stark mineralisierte Zonen, die Ausdruck periodi-
scher Zementbildungsphasen und Ruhephasen sind.
Im koronalen Drittel der Zähne befindet sich azelluläres, fibrilläres Sharpey-Fasern
6
Zement (Faserzement, s. Abb. 1.6a). Es enthält keine Zellen, jedoch
zahlreiche kollagene Fibrillen, die homogen mineralisiert sind und na- 7
hezu senkrecht zur Dentinoberfläche verlaufen. Sie sind Ausdruck der
inserierenden parodontalen Fasern (Sharpey-Fasern). Die Fasern kön- 8
nen ihre Verlaufsrichtung zwischen den einzelnen Wachstumslinien
verändern. Diese Richtungsänderungen kommen durch posteruptive 9
Zahnbewegungen bei gleichzeitigem Zementanbau zustande. Senkrecht
zu den einstrahlenden parodontalen Fasern liegen die zementeigenen
Fasern, welche die Insertion unterstützen. Die Wachstumslamellen sind
10
wenig stark ausgeprägt, da die Zementbildung und -neubildung sehr
langsam stattfindet. Die Oberfläche azellulären Faserzements ist stärker 11
mineralisiert als die mittleren Zementschichten. Ihr liegt eine 3–8 μm
dicke unstrukturierte Zone, das Zementoid, auf, in dem sich Zemento- 12
blasten befinden können.
Auch im apikalen Bereich der Zahnwurzeln und im Bereich der Bi- Apikaler Bereich 13
und Trifurkationen mehrwurzeliger Zähne ist das Zement von senk-
recht zur Zahnoberfläche einstrahlenden Fasern und dickeren Faserbün-
deln durchzogen, die jedoch weniger mineralisiert sind. Senkrecht zu
14
den einstrahlenden Sharpey-Fasern finden sich wieder zahlreiche Fa-
sern und Faserbündel, die parallel zur Wurzeloberfläche liegen. In Ze- 15
mentlakunen liegen Zementozyten, deren Fortsätze sich in Zementka-
nälchen befinden und in alle Richtungen ausstrahlen. In diesem zellu- 16
lär-fibrillären Zement können schwach mineralisierte Zonen mit stark
mineralisierten Zonen abwechseln. Es gibt auch Schichten azellulär-fi-
brillären Zements. Peripher findet man wieder ein Zementoid mit Ze-
17
mentoblasten.
18
Zement wird zeitlebens gebildet und aufgelagert.
19
Es kann im Verlauf von 60 Jahren seine Dicke verdreifachen; dabei ge-
hen die Zementozyten der inneren Schichten zugrunde und es entste- 20
hen leere Zementlakunen.

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14 1 Mikroskopische Anatomie der Zahnhartsubstanzen

Zusätzliche Neben der regulären Zementbildung gibt es verschiedene Gründe


Zementbildung für die zusätzliche Zementbildung:
 Wird bei Zahnresorptionen im bleibenden Gebiss die Ursache für
die Resorption beseitigt, so kann es zu einer Art Reparatur durch zel-
luläres Zement kommen.
 Auch nach Wurzelfrakturen kann es nach entsprechender Behand-
lung zur „Ausheilung“ des Defekts durch Zementanlagerung zwi-
schen den Fragmenten kommen.
 Durch Verlust des Kontakts zwischen zwei antagonistischen Zähnen
kann es zum Zahnwachstum aus der Alveole kommen. Dabei wird
kompensatorisch Zement im apikalen Bereich aufgelagert.
 Durch eine Parodontitis wird der Zahnhalteapparat oft zerstört. Un-
ter günstigen Voraussetzungen bildet sich nach entsprechender Be-
handlung neues Zement und neuer Knochen.
 Unter speziellen Bedingungen kann die Zementbildung die physio-
logischen Grenzen überschreiten. Man spricht dann von einer Hy-
perzementose. Sie kann an einzelnen Zähnen und generalisiert vor-
kommen. Die lokalisierte Form kann u.a. infolge einer chronischen
Entzündung im periapikalen Bereich, während einer kieferorthopä-
dischen Behandlung und bei retinierten Zähnen auftreten. Die ge-
nerelle Hyperzementose wird im Zusammenhang mit systemischen
Erkrankungen beobachtet (Morbus Paget).
 Zementikel sind kleine mineralisierte Körper, die fest auf der Ze-
mentoberfläche aufgelagert oder frei im Desmodont anzutreffen
sind. Sie entstehen durch Mineralisation von degenerierten epithe-
lialen Resten oder thrombosierten Blutgefäßen.
 Im apikalen Bereich des Zements findet man manchmal eine
Schicht irregulär ausgebildeten, mineralisierten Zements (Zwi-
schenzement). Es liegt zwischen dem Dentin und dem regulär gebil-
deten Zement und ist Ausdruck einer Entwicklungsstörung.
 Schmelzperlen in den Furkationen der Molaren sind oft von Ze-
ment bedeckt.

1.4 Morphologische Unterschiede zwischen Milch- und


bleibenden Zähnen

Milchzähne und bleibende Zähne unterscheiden sich in erster Linie be-


züglich Größe und Form voneinander. So sind die Kronen der Schneide-
zähne kürzer, kleiner und meißelförmig. Alle Milchfrontzähne haben
einen dünnen, bläulich-weißen Schmelzmantel. Zervikal findet sich
eine starke Einziehung im Bereich der Krone.
Bei Milchmolaren konvergieren die Kronen vom Äquator zur Okklu-
salfläche sehr stark. Der Abstand des Zahnäquators zur Schmelzzement-
grenze beträgt etwa 2 mm. Milchmolaren weisen einen zervikalen
Schmelzwulst auf, der insbesondere bei ersten Milchmolaren bukkal be-

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1.4 Morphologische Unterschiede zwischen Milch- und bleibenden Zähnen Kapitel 1 15

sonders ausgeprägt ist. Zervikal dieses Schmelzwulstes findet sich eine


starke Einziehung. Im Vergleich zu den bleibenden Molaren sind die 1
Approximalkontakte flächiger und zudem weisen Milchmolaren eine
dünnere Schmelz- und Dentinschicht auf. 2
An der Oberfläche der Milchzähne findet man eine 30–100 μm dicke
aprismatische Schmelzschicht. Im aprismatischen Schmelz finden sich
jedoch regelmäßig auch prismatische Bereiche. Milchzähne sind etwas
3
weniger mineralisiert (86–88 Vol.-% Mineralgehalt). Sie besitzen zudem
ein Porenvolumen von 1–5%. Milchzähne zeigen eine geringere Abrasi- 4
onsresistenz und sind schlechter anätzbar als bleibende Zähne. Auch
das Dentin ist weniger klar strukturiert als bei bleibenden Zähnen. Das 5
bedeutet, dass Dentintubuli ungleichmäßiger verteilt sind und häufiger
zusätzliche Kanäle vorkommen.
6
7
8
9
10
11
12
13
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Kapitel 2 17

2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der


Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte 1
2
3
2.1 Karies 4
2.1.1 Ätiologie 5

! Die häufigste Erkrankung der Zahnhartsubstanzen ist die Karies.


Zahnkaries ist eine lokalisierte Erkrankung der Zahnhartgewebe,
6
die durch das Zusammenwirken potenziell pathogener Mikroor-
ganismen (mikrobieller Biofilm) und potenziell pathogener öko- 7
logischer Faktoren entsteht. Es handelt sich um eine nicht über-
tragbare Erkrankung, die durch Mineralverlust der Zahnhartsub- 8
stanzen und proteolytische Prozesse gekennzeichnet ist. Karies
äußert sich je nach Schweregrad in unterschiedlicher Symptoma- 9
tik (s. Abb. 2.1). Wie bei anderen Erkrankungen kann auch die ka-
riöse Erkrankung durch Phasen der Stagnation, Remission und
Progression gekennzeichnet sein.
10
Es gibt zahlreiche Theorien zur Ätiologie der Karies. Die von Miller 11
(1898) erstmals vorgestellte und später von anderen Wissenschaftlern
verifizierte und erweiterte chemoparasitäre Theorie ist heute die allge- 12
mein akzeptierte Theorie der Kariesentstehung. Dabei geht man von der
Vorstellung aus, dass kariogene Mikroorganismen der Mundhöhle 13
(Plaque) bei einem Überangebot an kariogenem Substrat (speziell nie-
dermolekulare Kohlenhydrate) organische Säuren produzieren. Wirken
14
Abb. 2.1: Karies kann sich in ver-
schiedenen Symptomen äußern. Mineralverlust
15
Sie reichen von submikroskopi-
totale
scher Veränderung im Kristallgit-
terbereich über mikroskopisch Zerstörung 16
nachweisbare Oberflächendestruk-
tionen bis hin zu klinisch diagnosti- Kavitation
zierbaren Veränderungen und offe- 17
nen Kavitäten.
klinisch
Schmelz-
karies
sichtbar 18
Licht-
mikroskopie klinisch
nicht sichtbar
19
Elektronen-
mikroskopie
Zeit 20

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18 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

genetische
Zahnarzt Variablen

Gesundheits- soziales
verhalten Umfeld

Wirt
Zahnmorphologie Substrat
Zahnstellung Nahrungsmittel-
chemische Zusammensetzung zusammensetzung
der Zahnhartsubstanzen Häufigkeit der
Speichelmenge Nahrungsaufnahme
Speichelqualität xxx Eliminationszeit
immunologische xxxx Karies
Faktoren xxxxx

Plaque Ein-
Bildung kommen
Plaquebildungsrate
Bakterienspezies

Erwartungshaltung

Gesundheits-
politik Nationalität

Abb. 2.2: Schematische Darstellung der wichtigsten ätiologischen Faktoren, die für die Entstehung einer
Karies verantwortlich sind. Erst das Zusammenwirken der 3 Hauptfaktoren führt zur Zerstörung der Zahn-
hartgewebe.

diese lange genug auf die Zahnhartsubstanzen (Wirt) ein, so entminera-


lisieren sie diese (s. Abb. 2.2).
Neben diesen drei Hauptfaktoren der Kariesentstehung gibt es zahl-
reiche sekundäre Faktoren (z.B. Speichelfluss und -zusammensetzung,
pH-Wert und Pufferkapazität des Speichels, Dauer und Häufigkeit der
Substratzufuhr, Immunabwehr, bisher nicht bekannte genetische Fakto-
ren, sozioökonomische und verhaltensbezogene Komponenten, Zahn-
fehlstellungen und -bildungen, Einstellung des behandelnden Zahnarz-
tes), welche die Entstehung und Progression einer kariösen Läsion be-
einflussen können.

Plaque
Plaque ist ein strukturierter, zäher, verfilzter Zahnbelag (Biofilm) aus
Speichelbestandteilen, bakteriellen Stoffwechselprodukten, Nahrungs-
resten und Bakterienzellen (s. auch Kap. 16.1).

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2.1 Karies Kapitel 2 19

Abb. 2.3: Schematische Dar-


stellung der besonders ka-
riesgefährdeten Bereiche 1
(Kariesprädilektionsstellen).
An den angegebenen Zahn-
flächen heften sich aus ana- 2
tomischen und morphologi-
schen Gründen vermehrt
Plaquebakterien an (habitu- 3
ell unsaubere Zonen).

4
Die supragingivale Plaque ist primär an den habituell unsauberen Supragingivale 5
Bereichen der Zähne (Kariesprädilektionsstellen, Abb. 2.3) lokalisiert. Plaque
Diese besonders kariesdisponierten Bereiche sind die Zahnfissuren und
-grübchen, Approximalflächen der Zähne, das zervikale Drittel der
6
sichtbaren Zahnkronen und freiliegende Wurzeloberflächen.
Die Entwicklung der Zahnplaque vollzieht sich in mehreren Schrit- Entwicklung der 7
ten: Zahnplaque
 Auf einer gründlich gereinigten Zahnoberfläche adsorbiert ein un- 8
strukturierter azellulärer Film (acquired pellicle, sekundäres Zahn-
oberhäutchen). Dieses Häutchen (0,1–1 μm) besteht in erster Linie 9
aus den Proteinen des Speichels (saure prolinreiche Proteine, Glyko-
proteine, Serumproteine, Enzyme, Immunglobuline), die aufgrund
ihrer Eigenladungen an die Kalzium- und Phosphatgruppen des
10
Apatits der Zahnhartsubstanzen elektrostatisch binden können. Die
Pellikel ist semipermeabel, d.h., sie steuert in einem gewissen Aus- 11
maß die Austauschvorgänge zwischen Mundhöhlenmilieu, Plaque
und Zahn. Sie befeuchtet zudem den Zahn und schützt ihn so beim 12
Essen vor Abrasion.
 An diese Membran heften sich innerhalb weniger Stunden als Früh-
13
besiedler selektiv zuerst grampositive Kokken (Streptococcus saliva-
rius, Streptococcus sanguinis, Streptococcus oralis, Streptococcus mitis)
und Aktinomyzeten an. Später folgen weitere Streptokokken und
14
Veillonellen, aber auch Prevotella, Eikenella spp., Capnocytophaga
spp., Haemophilus spp. und Propionibacterius spp. Stäbchen und Fila- 15
mente überwiegen in einer 7–14 Tage alten Plaque.
 Die Plaque wächst dann durch Teilungsvorgänge bzw. Akkumula- 16
tion weiterer Bakterien über spezifische Adhäsions- und Kohäsions-
phänomene, durch direkten Zellkontakt oder mit Hilfestellung
durch Plaquematrixkomponenten. Typische Spätbesiedler sind bei-
17
spielsweise Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Treponema denti-
cola, Porphyromonas gingivalis und Prevotella intermedia. Frühbesied- 18
ler koaggregieren mit verschiedenen anderen Frühbesiedlern, aber
nicht mit Spätbesiedlern. Spätbesiedler koaggregieren kaum unterei- 19
nander. Fusobacterium nucleatum besitzt die Eigenschaft, mit
Früh- und Spätbesiedlern zu koaggrigieren; daher kommt diesem 20
Mikroorganismus eine extrem wichtige Brückenfunktion zu. Es ist

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20 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Eubacterium
spp. A. actino-
mycetem-
S. flueggei comitans
P. gingi-
T. denticola valis

V. dispar

Capnocyto- A.
phaga isralii H. pylori
sputigena

P. denti- P. inter-
Actino- cola media
myces Fusobacterium
naes- nucleatum
luncii Strepto-
coccus subsp. nucleatum
C. gingi-
P. loe- valis
scheii
Fuso- H. para-
bacterium influ-
nucleatum enzae
subsp. S. gor-
nucleatum donii
Actino-
myces Capnocyto-
serovar phaga
S. gor- ochracea
V. aty- donii A. isralii
pica S.
oralis
S.
mitis

Pellikel

Zahn

Abb. 2.4: Typisches Adhäsionsverhalten oraler Mikroorganismen bei der Bildung eines supragingivalen
Biofilms (nach Kolenbrander et al. 1999)

die häufigste Bakterienspezies unter den oralen gramnegativen Spe-


zies. Die Abbildung 2.4 zeigt eine typische Momentaufnahme eines
supragingivalen Biofilms.
 Mit zunehmendem Alter gewinnt die Plaque eher anaeroben Cha-
rakter. Die Bakterienadhäsion und Plaquebildung kann durch ver-
schiedene Faktoren gehemmt oder gefördert werden. Diese Faktoren
können endogener oder exogener Genese sein (s. Abb. 2.5).

Bestandteile Ausgereifte Plaque besteht aus dicht gepackten Bakterien (60–70 Vol.-%),
die in ein amorphes Material, die Plaquematrix, eingebettet sind. Die
Matrix ermöglicht den Zusammenhalt der Bakterien und die Haftung
des Biofilms an Oberflächen. Sie besteht aus extrazellulären polymeren
Substanzen, wie z.B. geladenen (vorwiegend anionischen) oder auch
neutralen Proteinen, Polysacchariden, Nukleinsäuren und Lipiden. Der
Stoffwechsel der Bakterien innerhalb des Biofilms differiert sehr stark.

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2.1 Karies Kapitel 2 21

hemmend fördernd
antimikrobielle Substanzen adhäsions- und wachstumsfördernde
1
im Speichel (z.B. Immunglobuline, Substanzen im Speichel und in der Nahrung
Lactoferrin) oder in der Nahrung (z.B. Saccharose, Kalzium, Spurenelemente)
(z.B. Konservierungsmittel) bakteriell produzierte Substanzen 2
Mundhygiene (z.B. Lipoteichonsäure, Glykosyltransferase)
„Soft-Chemotherapie“ verminderter Speichelfluss
3
lokale ökologische Gegebenheiten 4
5
Oberflächen- Co-Aggregation, spezifische
Abscher- phänomene Co-Adhäsion,
Oberflächen- und 6
kräfte (Benetzung, Bildung unspezifische
(z.B. Kauen) intermikrobieller rauigkeiten
Hydrophobie) Adhäsion
Matrix
7
8
Bildung von oberflächenaktiven Substanzen, Schmelz-
die für andere Bakterien oberhäutchen
wachstums- oder adhäsionshemmend sind 9
Abb. 2.5: Die bakterielle Besiedelung von Zahnoberflächen ist neben einer passiven Retention in mikrosko-
pischen und makroskopischen Zahnvertiefungen und -unregelmäßigkeiten durch komplexe Adhäsions-
10
phänomene gekennzeichnet. Neben physikochemischen Adhäsionskräften (z.B. Van-der-Waals-Bindungs-
kräften) können sich Bakterien auch über spezifische Bindungsmoleküle (Adhäsine) an Rezeptoren der
Pellikel binden. Aber auch lokale ökologische Faktoren (z.B. Speichelbestandteile) und von Bakterien 11
exprimierte Substanzen (z.B. Teichonsäure, Glykosyltransferase) erlauben eine Anheftung.

12
Die Bakterien an der Biofilmoberfläche sind normal groß und sehr stoff-
wechselaktiv. Ihnen stehen ausreichend Nahrung und Sauerstoff zur 13
Verfügung. Sie zeigen ähnliche Eigenschaften wie planktonische Bakte-
rien. Die Bakterien der tieferen Biofilmschichten haben einen reduzier-
ten Stoffwechsel und ein reduziertes Nahrungsangebot. Sie befinden
14
sich häufig in einer ruhenden Phase, zeigen eine geringe Zellteilungs-
rate und ihre Größe ist geringer. 15
Die Plaque ist in diesem Zustand durch die Selbstreinigungskräfte
der Mundhöhle nicht mehr vom Zahn zu entfernen. Dabei variiert die 16
bakterielle Besiedelung an verschiedenen Stellen der Mundhöhle und
sogar an verschiedenen Flächen eines Zahnes. Auch die Zusammenset-
zung der Plaquematrix ist variabel. Sie hängt von Speichelzusammen-
17
setzung, Ernährung und Syntheseleistung der verschiedenen Plaque-
bakterien ab. 18
Plaque ist ein notwendiger Faktor für die Kariesentstehung. Ihre 19
Metaboliten sind für die Demineralisation der Zahnhartsubstanzen
verantwortlich. 20

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22 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Saccharose Glukose

Glykosyl- PEP- PEP-


transferase PTS PTS

Fruktose Saccharose-6-P

Fruktose Glukose-6-P

extrazelluläre
Polysaccharide Synthese intrazellulärer
Polysaccharide

PEP Glykolyse
PTS

organische Säuren
(z.B. Milchsäure)

Abb. 2.6: Saccharosestoffwechsel von Streptococcus mutans. Durch die Bildung von klebrigen extrazellulä-
ren Polysacchariden wird den Plaquebakterien eine zusätzliche Möglichkeit der Adhäsion an der Zahnober-
fläche ermöglicht. Die Bildung von organischen Säuren führt zur Demineralisation von Zahnhartsubstan-
zen (PEP-PTS = Phosphoenolpyruvat-Phosphotransferasesystem).

Streptococcus Im Tierversuch konnte nachgewiesen werden, dass Streptococcus mu-


mutans tans aufgrund seiner Stoffwechselleistungen eine herausragende Rolle
bei der Kariesentstehung spielt (s. Abb. 2.6).
Man unterscheidet unterschiedliche Spezies in der Mutans-Gruppe.
Bei Menschen spielen die Arten St. mutans, St. sobrinus, St. cricetus und
St. rattus für die Kariesentstehung eine Rolle. Die Fähigkeit, extrazellu-
läre Polysaccharide (Glukane) in Anwesenheit von Zucker (Saccharose)
mithilfe spezifischer Glukosyltransferasen zu synthetisieren, erlaubt
eine feste Anhaftung dieses Mikroorganismus an Zahnoberflächen und
die Etablierung einer adhäsiven und hochgradig kariogenen Plaque.
Durch anaerobe Glykolyse kann St. mutans organische Säuren bilden
(z.B. Laktat, Pyruvat), die bei längerer Einwirkzeit die Zahnhartsubstan-
zen demineralisieren. Die Bildung von intrazellulären Polysacchariden
als Speicherkohlenhydrate erlaubt dem Mikroorganismus, auch in Zei-
ten geringer Substratzufuhr seinen Stoffwechsel aufrechtzuerhalten.
Aber auch verschiedene andere orale Mikroorganismen sind in der Lage,
intrazelluläre Polysaccharide zu synthetisieren.
So geht man heute davon aus, dass bis zu 1000 unterschiedliche
Bakterienarten die Mundhöhle kolonisieren können. Mit neuen gen-

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2.1 Karies Kapitel 2 23

technischen Verfahren wurden in den letzten Jahren Mikroorganismen


entdeckt, die in der bisherigen Nomenklatur noch nicht eingeordnet 1
sind. Zusätzlich gibt es von zahlreichen Bakterienstämmen unterschied-
liche Klone. Man kann also davon ausgehen, dass neben den bekann- 2
ten, sogenannten Leitkeimen der Kariesentstehung eine Vielzahl ande-
rer Mikroorganismen sowohl an der Säurebildung als auch am Aufbau
des Biofilms beteiligt ist.
3
Mutans-Streptokokken und Streptococcus sanguis kommen in der
Mundhöhle nur auf festen Unterlagen, d.h. nach Zahndurchbruch vor. 4
Es müssen zudem spezielle ökologische Bedingungen vorhanden sein,
damit sich diese Keime etablieren. Einige Bakterien siedeln sich in spe- 5
ziellen, bestimmten Altersstufen in der Mundhöhle an. So spricht man
heute von einem Fenster der Infektiosität, welches bei Mutans-Strepto-
kokken zwischen 19 Monaten und 3 Lebensjahren liegt.
6
St. mutans ist aber nicht nur azidogen, sondern auch säuretolerant.
Er kann auch unter sauren mikroökologischen Bedingungen, bei denen 7
andere orale Mikroorganismen zugrunde gehen, in der Plaque existieren
(pH < 5,5) und Säuren bilden, da er es schafft, sich gegen die saure Um- 8
gebung abzuschotten und gegen den Konzentrationsgradienten Säure
aus dem Zellinneren aktiv auszuschleusen. 9
Die wichtigsten Thesen zur herausragenden Rolle von St. mutans bei Rolle von
der Kariesentstehung lassen sich (nach Krasse 1986) folgendermaßen St. mutans bei der
zusammenfassen: Kariesentstehung
10
 St. mutans induziert im Tierexperiment Karies.
 Es besteht eine Korrelation zwischen der Anwesenheit von St. mu- 11
tans im Speichel und in der Plaque und dem Auftreten von Karies.
 Die Besiedelung der Zahnoberfläche mit St. mutans geht zumeist der 12
Entwicklung einer Karies voraus und ist auf kariös demineralisierten
Zahnflächen höher als auf gesunden Zahnflächen. 13
 Bei Patienten mit hoher Kariesprävalenz sind mehr Zahnflächen mit
St. mutans besiedelt als bei Patienten mit niedriger Prävalenz.
 Gegen St. mutans gerichtete antimikrobielle Maßnahmen reduzieren
14
die Inzidenz der Karies drastisch.
15
Aus den genannten Gründen wird heute St. mutans als wesentlicher Ini-
tiator der Karies betrachtet. Jedoch muss festgehalten werden, dass St. 16
mutans nicht das einzige Karies verursachende Bakterium ist. Ebensowe-
nig muss das Vorhandensein von St. mutans in der Mundhöhle immer
mit Karies verbunden sein.
17
Nach heutigem Kenntnisstand gehört St. mutans nicht zur normalen
Bakterienflora der Mundhöhle. 18
Von den anderen in der Mundhöhle vorhandenen Mikroorganis-
men wird besonders den Laktobazillen und Actinomycesarten eine 19
wichtige Rolle bei der Pathogenese der Karies zugeschrieben.
Laktobazillen vermehren sich zwar relativ langsam, werden aber Laktobazillen 20
gerade im sauren Milieu metabolisch aktiv.

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24 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Die Zahl der Laktobazillen in der Mundhöhle korreliert in gewissem


Umfang mit der Aufnahme von Kohlenhydraten. Hohe Laktobazil-
lenzahlen können auch als Indikator für offene kariöse Läsionen
gelten.

Aktinomyzeten Aktinomyzeten sind relativ schwache Säurebildner. Einige Actinomy-


cesarten, wie Actinomyces viscosus, werden besonders mit der Entste-
hung der Wurzelkaries in Verbindung gebracht.
Zusammenfassend lässt sich feststellen:
 Karies ist keine monospezifische Infektion, da die Koch-Postulate für
eine infektiöse Erkrankung – Isolation aus dem Krankheitsherd, Kul-
tivierbarkeit, Reinfektion mit Auslösung der Krankheit – zwar für
Streptococcus mutans gelten, aber auch von einer Reihe anderen Mi-
kroorganismen erfüllt werden. Außerdem ist die reine Infektion mit
St. mutans ohne entsprechende Einwirkung von Kofaktoren (z.B.
Nahrungsaufnahme) nicht Karies auslösend.
 Die wichtigsten Eigenschaften kariogener Mikroorganismen sind
Säurebildung, Säuretoleranz und die Synthese extrazellulärer und
intrazellulärer Polysaccharide.
 Die kariogene Wirkung der Mikroorganismen ist an eine entspre-
chende Substratzufuhr (vergärbare Kohlenhydrate, speziell Saccha-
rose) gebunden.
 Die Vermehrung kariogener Mikroorganismen wird durch Wirtsfak-
toren (z.B. Speichel) und durch lokale Faktoren selektiv begünstigt
(opportunistische Plaquehypothese). Die Mikroorganismen können
sich dabei gegenseitig beeinflussen.

Die sogenannte residente Mikroflora unterliegt üblicherweise nur gerin-


gen Veränderungen (mikrobielle Homöostase). Ökologische Verände-
rungen, z.B. durch Ernährungsumstellungen, können allerdings dazu
führen, dass eine Prädisposition für orale Erkrankungen (z.B. Karies,
Gingivitis oder Parodontitis) entsteht (ökologische Entstehungshypo-
these der Karies, Abb. 2.7).
Bei der Kariesprogression in Zement und Dentin spielen proteolyti-
sche Enzyme (Proteasen, Peptidasen, Kollagenasen u.a.) verschiedener
Mikroorganismen eine wichtige Rolle. Es kommt durch sie nach der De-
mineralisation der anorganischen Substanz zu einem Abbau der organi-
schen Makromoleküle.
Zahnstein Durch Einlagerung anorganischer Substanzen (Mineralien) in die
Plaque entsteht Zahnstein. Die Mineralisierung des supragingivalen
mikrobiellen Biofilms erfolgt vornehmlich im Bereich der Ausfüh-
rungsgänge der großen Speicheldrüsen, d.h. an den lingualen Flächen
der Unterkieferfrontzähne und den bukkalen Flächen der ersten Mola-
ren. Es gibt starke und weniger starke Zahnsteinbildner.

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2.1 Karies Kapitel 2 25

Zahnoberfläche Biofilm Ökologische Bedingungen


1
De- und Remineralisation Nicht kariogener Biofilm Geringe Aufnahmefrequenz
im Gleichgewicht.
Gesunde Zahnoberfläche
(überwiegend Streptokok-
ken und Aktinomyceten)
niedermolekularer Kohlen-
hydrate und Stärke =
2
geringe Säureproduktion

Vermehrte Aufnahme von


3
niedermolekularen Kohlen-
hydraten und/oder Stärke. Verstärkte Säureproduktion 4
Möglicherweise verringerte
Speichelfließrate
5
Initiation und/oder Adaption des Biofilms
Progression von durch phänotypische 6
kariösen Läsionen Veränderungen der Mikro-
organismen, dadurch er-
höhte Azidogenität. 7
Genotypische Veränderung
der Mikroflora = Selektion
azidurischer Keime 8
Progression vorhandener Ausbildung eines säure- Bei weiterhin hochfre- 9
Kariesläsionen toleranten und azidogenen quenter Zufuhr nieder-
Biofilms mit S. mutans, molekularer Kohlenhydrate
Laktobazillen und Bifido- lang andauernder stärkerer 10
bakterien als Leitkeime pH-Wert-Abfall

Abb. 2.7: Ökologische Veränderungen als Ursache für die Ausbildung eines kariogenen Milieus und der da-
11
durch bedingten Demineralisationserscheinungen der Zahnhartsubstanzen
12
Die Mineralisation erfolgt über den Speichel, der eine kalziumüber-
sättigte Lösung ist. Die Gründe für die Präzipitation der anorganischen 13
Substanzen sind bisher nicht bekannt. Die Bildung von Kalziumphos-
phat-Kristalliten (Brushit = CaHPO4 × 2 H2O) beginnt meist in der
Plaquematrix durch Ausfällung (Kristallisationskeime). Später „verkal-
14
ken“ auch die Bakterienzellen selbst. In jungem Zahnstein findet man
auch Oktakalziumphosphat [Ca8(HPO4)2(PO4)4], das sich zum Teil 15
durch Umwandlung aus Brushit bildet. Auch Whitlockit [Ca3(PO4)2]
wurde analysiert. Sowohl Oktakalziumphosphat als auch Whitlockit 16
können sich, speziell in Anwesenheit von Fluorid, in Apatit umwan-
deln. Alter Zahnstein ist lamellenförmig strukturiert, d.h., er wird offen-
sichtlich periodisch gebildet und aufgelagert. Zahnstein ist oft von einer
17
Plaqueschicht bedeckt.
18
Substrat
19
! Qualität und Quantität der menschlichen Nahrung und die Häu-
figkeit der Nahrungsaufnahme sind entscheidende Faktoren bei
der Kariesentstehung.
20

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26 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Die Abkehr von der Aufnahme naturbelassener Nahrung und die gleich-
zeitige Entwicklung neuer Energieträger durch verfeinerte technologi-
sche Möglichkeiten der Nahrungszubereitung führten zu erheblichen
Veränderungen in der Nahrungsmittelzusammensetzung und -qualität
in den industrialisierten Ländern. Obwohl die Nahrung grundsätzlich
während der Zahnentwicklung systemisch die Mineralisation und
Struktur der Zahnhartgewebe beeinflussen kann, konnte bisher keine
eindeutige Korrelation zwischen Mangelernährung und Kariesbefall
nachgewiesen werden. Im Gegenteil, die Menschen der hoch industria-
lisierten Länder weisen i.d.R. eine höhere Kariesmorbidität auf als die
der weniger wohlhabenden Länder. Schlecht mineralisierte Zähne sind
keineswegs grundsätzlich mit einem höheren Kariesrisiko behaftet als
normal ausgebildete.

Nach Durchbruch der Zähne haben die zugeführten Nahrungsmit-


tel keine systemische, sondern nur noch lokale Bedeutung für die
Kariesentstehung.

Es bestehen allerdings geringe Einflüsse auf die Speichelzusammenset-


zung und die Speichelfließgeschwindigkeit, deren Wertigkeit aber letzt-
lich nicht geklärt ist.
Ein entscheidender Faktor bei der Kariesentstehung ist die häufige
Zufuhr vergärbarer Kohlenhydrate (Saccharose, Oligosaccharide, Glu-
kose, Fruktose, Laktose und Stärke), die durch die Mikroorganismen der
Plaque verstoffwechselt werden können. Die meisten Mikroorganismen
der supragingivalen Plaque gewinnen ihre Energie aus dem Abbau nie-
dermolekularer Kohlenhydrate. Hierbei entstehen organische Säuren
(z.B. Laktat, Propionat, Butyrat und Valerianat), die den pH-Wert in der
Plaque so weit absenken können, dass es zu einem Mineralverlust aus
der Zahnoberfläche kommt (Stephan-Kurve, Abb. 2.8). Der kritische
pH-Wert beträgt für Zahnschmelz 5,2–5,7, für Zahnzement und Wur-
zeldentin 6,2–6,7.
Saccharose Die Saccharose spielt hierbei aus verschiedenen Gründen eine be-
sonders wichtige Rolle. Saccharose kann leicht in Zahnplaque diffundie-
ren und ist hoch löslich. Bei ihrer Spaltung entstehen zwei Monozucker
(Fruktose und Glukose), die in den Bakterienzellen abgebaut werden
können. Zudem wird bei der Spaltung der alpha-glykosidischen Bin-
dung von Saccharose Energie frei, die wiederum zum Aufbau von Poly-
sacchariden verwendet wird. Dabei entstehen extrazelluläre wasserun-
lösliche Polysaccharide vom Glukantyp (10%) bzw. wasserunlösliche
Reservekohlenhydrate. Aber auch Einfachzucker können, wenn auch
langsamer und nur unter Energieeinsatz der Mikroorganismen, zum
Aufbau extrazellulärer Polysaccharide verwendet werden. Die klebrigen
Dextrane beeinträchtigen bei einer etablierten Plaque den Zutritt von
Speichel und damit die rasche Neutralisation der Säuren durch Speichel-
puffer. Speichel kann zudem nur sehr begrenzt bis zur Zahnoberfläche

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2.1 Karies Kapitel 2 27

Abb. 2.8: Typischer pH-Verlauf in der Plaque nach ei-


pH
ner 10%igen Glukosespülung bei Personen mit gerin-
ger und erhöhter Kariesaktivität. Der pH-Wert ist in
Glukose
geringe 1
metabolisch inaktiver Plaque relativ konstant. Er un- 7,0 Kariesaktivität
terscheidet sich jedoch zwischen kariesaktiven und
-inaktiven Personen. Nach der Glukosespülung sinkt
erhöhte
2
der Plaque-pH-Wert innerhalb weniger Minuten bis Kariesaktivität
zum „kritischen Wert“ oder darunter. Erst nach 6,0
30–60 Minuten erreicht er wieder den Ausgangs- 3
wert (Stephan-Kurve). Der Kurvenverlauf ist unter
anderem das Resultat der Zuckerdiffusionsge-
schwindigkeit, der Säureproduktion in der Plaque, 5,0 kritischer
pH-Bereich
4
der Neutralisation durch Speichel- und Plaquepuffer
und der Säurediffusionsgeschwindigkeit.
5
0
0 10 20 30 40 50 60
Minuten
6

durch die Plaque diffundieren. Einige Mikroorganismen sind in der 7


Lage, intrazelluläre Polysaccharide aufzubauen. Bei häufiger Saccharose-
zufuhr mit entsprechend häufiger Säurebildung wird in der Plaque ein 8
selektives Wachstum säuretoleranter Polysaccharidbildner gefördert,
d.h., der Kariesentstehung Vorschub geleistet. Wie bereits im Abschnitt 9
„Plaque“ erwähnt, bedeutet säuretolerant, dass die Mikroorganismen
auch bei niedrigem pH-Wert die Säureproduktion fortsetzen können.
Stärke ist weniger kariogen als Zucker bzw. Stärke und Zucker zu- Stärke
10
sammen. Stärke ist ein Polysaccharid der Glukose und liegt in Pflanzen
in einer unlöslichen Form vor. Rohe Stärke kann nur sehr langsam 11
durch die Amylase des Speichels gespalten werden. Ein Erhitzen der
Stärke durch Kochen oder Backen verursacht einen teilweisen Abbau zu 12
einer löslichen Form, in der die Stärke dann schneller durch Amylase zu
Monosacchariden gespalten werden kann. Während die Polysaccharid- 13
moleküle der rohen Stärke zu groß sind, um in die Plaque diffundieren
zu können, kann gespaltene Stärke von den Plaquebakterien verstoff-
wechselt werden. Die Aufnahme von roher Stärke führt deswegen nur
14
einen geringen pH-Wert-Abfall in der Plaque herbei; die von erhitzter,
löslicher Stärke dagegen führt zu einem pH-Wert-Abfall, der zumeist 15
nur geringfügig kleiner ist als der nach Zuckerzufuhr.
16
Die Rolle des Zuckers (Saccharose) als wichtiger kausaler Faktor bei
der Kariesentstehung ist in Studien vielfach dokumentiert worden.
17
Hierzu gehören:
 Studien über die Geschichte und geografische Unterschiede der Ka- 18
riesprävalenz in Zusammenhang mit dem Zuckerkonsum
 Beobachtungen an isolierten Bevölkerungsgruppen, für die sich die 19
Umweltbedingungen geändert haben
20

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28 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

 Beobachtungen an Patienten mit hereditärer Fruktoseintoleranz, die


Saccharose nicht vertragen und trotz normaler Zivilisationskost fast
kariesfrei leben
 Klinische und experimentelle Studien bei Tieren und Menschen

Beispielsweise war während der beiden Weltkriege bei stark einge-


schränktem Zuckerkonsum eine erhebliche Verringerung der Karies-
morbidität festzustellen. Auf der kleinen Atlantikinsel Tristan da Cunha
war so lange eine niedrige Kariesprävalenz vorhanden, bis Zucker als
Nahrungsbestandteil eingeführt wurde. Die Kariesprävalenz stieg an-
schließend in kurzer Zeit von 5% auf 30% DMF-S (Begriffsdefinition s.
Kap. 2.1.7). In Japan wurde festgestellt, dass die Kariesrate erheblich an-
stieg, als der durchschnittliche Zuckerkonsum 10 kg/Individuum pro
Jahr überstieg. Andererseits hat Japan immer noch einen deutlich gerin-
geren Zuckerkonsum als andere industrialisierte Länder und dabei eine
auffällig hohe Kariesprävalenz. Dies wird damit erklärt, dass nur in sehr
geringem Umfang Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Aufgrund der Überlagerungen durch kariesprophylaktische Maß-
nahmen, speziell der Verwendung fluoridhaltiger Kariostatika (z.B. in
Zahnpasten), fällt es heute insgesamt schwer, eine streng lineare Korre-
lation zwischen Zuckerkonsum und Kariesbefall nachzuweisen.

Es muss betont werden, dass offensichtlich nicht nur der Gesamt-


kohlenhydrat- oder Zuckergehalt der Nahrung, sondern die häufige
Zufuhr leicht metabolisierbarer Kohlenhydrate bei gleichzeitigem
Vorhandensein von Plaque zu einem erhöhten Kariesrisiko führt.

Einige Mikroorganismen der Plaque sind in der Lage, aus Nahrungs-


und Speichelbestandteilen unter Einwirkung der Urease Ammoniak
(NH3) und Schwefelwasserstoff (H2S) zu produzieren. Ammoniak wird
hauptsächlich aus Harnstoff des Speichels gebildet und kann die organi-
schen Säuren in der Plaque begrenzt neutralisieren. Schwefelwasserstoff
kann mit Schwermetallen – z.B. von Füllungswerkstoffen – unter Sulfid-
bildung reagieren. Weitere Zusammenhänge zwischen Ernährung und
Karies sind in Kapitel 4.1 dargestellt.

Wirt
Speichel Es gibt große individuelle Unterschiede bei der Kariesentstehung und
-progression. Zahnfehlstellungen, Mikrodefekte der Zahnoberfläche, be-
stimmte Zahnhartsubstanzanomalien, die mit einer verstärkten Plaque-
retention einhergehen, und andere lokale Faktoren begünstigen die
Entstehung kariöser Läsionen. Insbesondere Speichel spielt als Kofaktor
eine entscheidende Rolle bei der Kariesentstehung bzw. -prävention.
In seiner Gesamtheit stellt der Speichel ein wichtiges natürliches
Schutzsystem dar und übt zahlreiche Funktionen aus, die in der Tabelle
2.1 in Übersichtsform dargestellt sind. Überdies ist Speichel ein wichti-

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2.1 Karies Kapitel 2 29

ger Faktor für die Anfeuchtung und Durchmischung der Nahrung und
zudem unentbehrlich für die Geschmacksempfindung. Dabei werden 1
Nahrungskomponenten im Speichel gelöst und können so mit den Re-
zeptoren in den Geschmacksknospen interagieren. In diesem Zusam- 2
menhang wurde die karbonische Anhydrase IV als Mediator für diese
Funktion beschrieben.
Die drei großen, paarigen Speicheldrüsen sezernieren gemeinsam
3
mit den kleinen Speicheldrüsen täglich eine Gesamtmenge von ca. 0,7 l
(0,5–1,0 l) Speichel. Der Speichel kleidet die Mundhöhle mit einem 4
dünnen Film aus (0,1 μm). Der Speichelfluss unterliegt im Tagesablauf
einem zirkadianen Rhythmus und wird durch emotionale, psychische 5
und Umweltfaktoren beeinflusst. Durch Kautätigkeit und Reizung der
Geschmacksrezeptoren oder Sinnesnerven wird der Speichelfluss ange-
regt. Zu einer Verminderung (Oligosalie, Xerostomie) kann es durch
6
Einnahme zahlreicher verschiedener Medikamente (z.B. Psychophar-
maka, Appetitzügler, blutdrucksenkende Mittel, Antihistaminika, Di- 7
uretika, Zytostatika), systemische Erkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom,
Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen, Speicheldrüsenerkran- 8
kungen), Bestrahlungstherapie bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, psy-
chogene Störungen und vermindertes Kauvermögen kommen. 9
Der Primärspeichel in der Speicheldrüse entspricht in seiner Zusam-
mensetzung weitestgehend dem Blutplasma. Während der Sekretion
ändert sich allerdings die Ionenkonzentration.
10
Die Sekretionsraten, der pH-Wert und die Pufferkapazität in Ruhe
und nach Stimulation sind in der Tabelle 2.2 dargestellt. 11
In Abhängigkeit von der Speichelfließrate werden Kohlenhydrate
und Säuren aufgelöst und beseitigt (Clearance). 12
Der Gesamtspeichel besteht aus Wasser (99%) und anorganischen Zusammen-
oder organischen Substanzen, deren Konzentration individuell stark va- setzung 13
riiert. Die wichtigsten anorganischen Bestandteile sind Natrium, Ka-
lium, Kalzium, Phosphat, Chlorid, Magnesium, Hydrogenkarbonat und
Fluorid. Die großen Drüsen sezernieren Speichel mit unterschiedlichen
14
Elektrolytkonzentrationen. In der Mundhöhle sammeln sich neben
dem sezernierten Speichel auch Sulkusflüssigkeit, Nahrungsreste, zellu- 15
läre Bestandteile (Epithelzellen, Granulozyten) und Bakterien an.
16
Tab. 2.1: Funktion des Speichels und einzelner Speichelkomponenten
Funktion Beteiligte Speichelkomponenten
17
1. Spülfunktion Gesamtflüssigkeit
2. Pufferung von Säuren Bikarbonat, Phosphat, Proteine 18
3. (Re-)Mineralisation Fluorid, Phosphat, Kalzium, Statherin
4. Beschichtung Glykoproteine, Muzin 19
5. Antibakterielle Aktivität Antikörper, Lysozym, Laktoferrin, Laktoperoxidase
6. Andauung von Nahrung Amylase, Proteasen
20

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30 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Tab. 2.2: Sekretionsrate, pH-Wert und Pufferkapazität von Speichel verschie-


dener Personen im Alter zwischen 15 und 55 Jahren, normale und sehr nied-
rige Werte
Ruhespeichel Stimulierter Speichel
Sekretionsrate ml/min
Normal 0,25–0,35 1–3
Sehr niedrig < 0,1 < 0,7
pH
Normal 6,5–6,9 7,0–7,5
Sehr niedrig < 6,3 < 6,8
Pufferkapazität*
Normaler End-pH 4,25–4,75 5,75–6,5
Sehr niedriger End-pH < 3,5 <4
* Test nach Ericsson 1959
Quelle: Nikiforuk, G.: Understanding Dental Caries. Karger, Basel 1985.

Die Zusammensetzung hängt letztlich von der Sekretionsrate, dem


Stimulationsgrad, der Stimulationsart und -dauer, der vorherr-
schenden Drüse und diätetischen Einflüssen ab.

Puffersysteme Der Speichel besitzt zwei wichtige Puffersysteme, den Bikarbonatpuffer


und den Phosphatpuffer. Der Phosphatpuffer ist während der Säurebil-
dungsphasen der Plaque weniger wichtig. Der Bikarbonatpuffer hinge-
gen spielt eine wichtige Rolle während einer kariogenen Attacke. Bikar-
bonat entstammt hauptsächlich der Gl. parotis und der Gl. submandi-
bularis. Bei steigender Speichelsekretion ist der Bikarbonatgehalt im
Speichel erhöht und der Speichel-pH-Wert steigt an. Das wiederum hat
Auswirkungen auf den Plaque-pH-Wert, wenn das Speichelstimulans
(z.B. Nahrung) nicht gleichzeitig exzessive Zuckermengen enthält. Bi-
karbonat diffundiert nämlich durch die Plaque und neutralisiert organi-
sche Säuren. Damit wird der Zeitraum verlängert, in dem eine Remine-
ralisation bereits demineralisierter Zahnbereiche durch den Speichel
stattfinden kann.

Speichel ist eine kalzium- und phosphatübersättigte Lösung.

Er ist somit eine natürliche Remineralisationslösung, d.h., er kann Kal-


zium- und Phosphationen, die während der Demineralisationsphasen
aus der Zahnoberfläche verloren gehen, während der Remineralisations-
phasen (zwischen den Mahlzeiten) wieder einlagern (s.a. nicht invasive
Kariestherapie).
Speicheldrüsen können Ausscheidungsorgane für Schwermetalle
sein, wenn diese in großen Mengen in den menschlichen Körper gelan-
gen.

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2.1 Karies Kapitel 2 31

Die wichtigsten organischen Bestandteile des Speichels sind Pro- Organische


teine (Muzine, Glykoproteine, Enzyme, Immunglobuline), Kohlenhy- Bestandteile 1
drate (Mono- und Disaccharide, Glukosaminoglykane), Lipide (Choles-
terin und seine Ester, freie Fettsäuren), nicht proteinogene Stoffverbin- 2
dungen, Vitamine und zyklische Nukleotide. Daneben finden sich auch
organische Komponenten mit niedrigem Molekulargewicht wie Glu-
kose, Harnstoff, Aminosäuren, Ammoniak, Kreatinin, cAMP und Korti-
3
kosteroide. In der Tabelle 2.3 sind die wichtigsten antimikrobiell wirk-
samen Proteine des Speichels dargestellt. 4
So gibt es Enzyme wie z.B. Lysozym, welche Bakterienzellwände zer-
stören und Bakterien auflösen können. Laktoferrin ist ein Eisen binden- 5
des Enzym. Es besitzt einen wachstumshemmenden Einfluss auf Mikroor-
ganismen, die Eisen für ihr Wachstum benötigen (z.B. Candida albicans).
Das Lactoperoxidase-Thiocyanat-Wasserstoffperoxid-System be-
6
sitzt antibakterielle Eigenschaften. Die Lactoperoxidase stammt aus zel-
lulären Elementen der Mundhöhle (z.B. Granulozyten), das Thiocyanat 7
gelangt aus dem Blut über die Speicheldrüsen in die Mundhöhle und
das Wasserstoffperoxid wird von bestimmten Mikroorganismen gebil- 8
det (z.B. Streptococcus mitis). Aus Thiocyanat (SCN–) wird in Anwesen-
heit von Lactoperoxidase und Wasserstoffperoxid Hypothiocyanat 9
(OSCN–) und Wasser gebildet. Das gebildete Hypothiocyanat besitzt an-
tibakterielle Wirksamkeit.
Daneben gibt es in der Gruppe der Enzyme noch die α-Amylase, die
10
den Abbau von Stärke und Glykogen in der Mundhöhle einleitet. So
11
Tab. 2.3: Wichtigste antimikrobiell wirksame Proteine des Speichels (nach
Tenovuo 1998) 12
Protein Wichtigste Zielfunktion
Lysozym Grampositive Bakterien, Candida 13
Laktoferrin Grampositive und negative Bakterien
Peroxidase Antimikrobielle Wirkung, Aufspaltung von 14
H2O2
Agglutinine Agglutinierung/Aggregation von unter- 15
• Parotisspeichel-Glykoproteine schiedlichen Mikroorganismen
• Muzine
• β2-Mikroglobulin
16
• Fibronektin
α-Amylase
17
Histidinreiche Proteine (Histatine) Antibakterielle, antifungale Wirkung
18
Cystatine Antivirale Wirkung
Immunglobuline 19
• Sekretorisches IgA Inhibition der Adhäsion
• IgG Steigerung der Phagozytose
• IgM Steigerung der Phagozytose
20

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32 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

wird z.B. Stärke in Maltose, Maltotriose und Dextrine zerkleinert. Mal-


tose kann dann durch orale Mikroorganismen weiter metabolisiert wer-
den und auch Maltotriose kann zu Glukose hydrolisiert werden. Amy-
lase kann zudem mit den unterschiedlichen oralen Mikroorganismen
interagieren und dabei die Adhäsion von Bakterien modulieren. Da die
Speichel-α-Amylase im sauren Bereich des Gastrointestinaltraktes inak-
tiviert wird, ist ihre Wirkung ausschließlich auf die Mundhöhle be-
grenzt. Im Magen und Intestinaltrakt wird der Abbau von Stärke in ers-
ter Linie durch die Pankreasamylase eingeleitet.
Daneben gibt es zahlreiche unterschiedliche makromolekulare, ka-
tionische und anionische sowie phosphorhaltige Glykoproteine, wie
z.B. Muzin, Statherin oder saure prolinreiche Proteine sowie Agglute-
nine, histidinreiche Proteine, Cystatine, Defensine und Immunglobu-
line. Die prolinreichen Proteine (PRPs) sind eine organische Hauptkom-
ponente des Speichels. Sie scheinen durch Bindung von Kalzium dafür
Sorge zu tragen, dass sich keine Kalziumkristalle an der Zahnoberfläche
anlagern. Es wurden bisher mehr als 20 unterschiedliche prolinreiche
Proteine charakterisiert.
Die makromolekularen Glykoproteine sind für die Viskosität des
Speichels hauptverantwortlich. Sie enthalten zudem Blutgruppenanti-
gene. Die kationischen und phosphorhaltigen Proteine sind an der Bil-
dung des erworbenen Schmelzoberhäutchens beteiligt. Die anionischen
Glykoproteine besitzen eine Schutzwirkung gegen Viren. Statherin
wirkt der Ausfällung von Kalziumphosphaten aus dem Speichel entge-
gen. Agglutinine reagieren mit nicht angehefteten Bakterien und ver-
klumpen diese, sodass sie leicht mit dem Speichel verschluckt werden
können. Cystatine inhibieren spezielle bakterielle Proteasen und Protea-
sen, welche von lysierten Leukozyten stammen. Sie haben antivirale Ak-
tivität und behindern gleichzeitig die Kalziumphosphat-Präzipitation.
Speicheldrüsen produzieren und sezernieren Wachstumsfaktoren,
wie Epidermal Growth Factor (EGF) und Nerve Growth Factor (NGF).
Zudem gelangen über Diffusion aus den Geweben der Mundhöhle wei-
tere Wachstumsfaktoren und Zytokine wie Transforming Growth Factor
α und β (TGF-α, TGF-β), Insulin-Like Growth Factors 1 und 2 (IGF-I,
IGF-II), Fibroblast Growth Factor (FGF-II), Interleukin-1, Interleukin-6
und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) in den Speichel. Diese Hormone
und Zytokine spielen wahrscheinlich bei der Wundheilung eine Rolle.
Die Speicheldrüsen geben sterilen Speichel in die Mundhöhle ab.
Dieser Speichel wird jedoch sofort von den oralen Mikroorganismen
kontaminiert. Die Mikroflora des Speichels reflektiert in gewisser Weise
die Zusammensetzung der angehefteten Mikroflora der Mundhöhle.
1 ml Gesamtspeichel (Mundhöhlenflüssigkeit) beinhaltet 108–109 Mi-
kroorganismen. Täglich werden ca. 1–3 g Bakterien verschluckt. Spei-
chel übt jedoch nicht nur protektive Funktionen aus, Speichel kann
auch als Nahrungsmedium für Mikroorganismen dienen. Insbesondere
Speichelglykoproteine können von Mikroorganismen metabolisiert

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2.1 Karies Kapitel 2 33

werden. So können bestimmte Speichelstreptokokken Muzine verstoff-


wechseln. Speichel allein, ohne Zufuhr von fermentierbaren Kohlenhy- 1
draten, führt zu einer Selektion von nicht kariogenen Mikroorganismen
in der Mundhöhle. 2
Speichel wird heute auch bei unterschiedlichen Erkrankungen als
diagnostische Flüssigkeit verwendet. So können Digitalisvergiftungen,
unterschiedliche Hormone, DNA-Anteile, Alkohol-, Nikotin- und Dro-
3
genkonzentrationen sowie die Ausscheidung verschiedener Medika-
mente bestimmt werden. Zudem können unterschiedliche Parodontitis- 4
marker, z.B. Interleukin-1β, Interleukin-6, Tumornekrosefaktor-α, Pros-
taglandin-E2 und Biomarker des Knochen- und Kollagen-Metabolismus 5
wie Matrix-Metalloproteinase-8, Kollagenase-2 und Osteoprotegerin
(OPG) nachgewiesen werden.
6

2.1.2 Histologie der Schmelzkaries 7


Wie bereits erwähnt, kann Karies, je nach Ausmaß des Mineralverlustes, 8
unterschiedliche Symptome aufweisen. Sie nimmt ihren Ausgangs-
punkt an der Schmelz- bzw. Wurzeldentinoberfläche, wobei diese Ober- 9
flächen zunächst klinisch intakt bleiben können. Schreitet die Karies al-
lerdings weiter fort, so kann es durch Einbruch der Oberfläche zu einer
Kavitätenbildung kommen.
10
Entfernt man den bakteriellen Biofilm, der längere Zeit bestimmte
Schmelzareale bedeckt hat, so wird oft eine weißliche, opake Verände- 11
rung der Schmelzoberfläche beobachtet. Fährt man mit einer zahnärzt-
lichen Sonde über diese weißen Schmelzflecken (incipient lesion, 12
white spot, aktive initiale Kariesläsion), so kann der Schmelz eventu-
ell leicht aufgeraut sein, die Oberflächenkontinuität ist jedoch nicht un- 13
terbrochen.
Schon früh versuchte man die chemischen Vorgänge und histologi-
schen Veränderungen bei der Entstehung dieser initialen Läsionen zu er-
14
kennen und zu beschreiben. Dabei machte man von der Möglichkeit Ge-
brauch, Schmelzläsionen in vitro zu produzieren, welche dieselben Cha- 15
rakteristika aufweisen wie natürlich in der Mundhöhle entstandene
Kariesläsionen. In lichtmikroskopischen und polarisationsmikroskopi- 16
schen Untersuchungen an Dünnschliffen von Zahnschmelz, der eine ini-
tiale Läsion aufweist, werden meist vier verschiedene Zonen gefunden.
Diese Zonen sind jedoch nie gleichzeitig erkennbar, da ihr Erscheinen im
17
polarisationsmikroskopischen Bild vom Imbibitionsmedium bzw. von
den Doppelbrechungseigenschaften des Zahnschmelzes abhängt. 18
Wird ein Dünnschliff einer Läsion vor dem Mikroskopieren in Was-
ser eingelegt, so erkennt man an der Schmelzoberfläche eine pseudoin- 19
takte Schicht und darunter liegend einen Läsionskörper. Benutzt man
jedoch ein öliges Imbibitionsmedium (z.B. Chinolin), so lassen sich 20
eine transluzente Zone im Inneren des Schmelzes, zur Dentinseite hin

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34 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

200 mm

Schmelzprismen

transluzente Zone
dunkle Zone
Läsionszentrum
„intakte" Oberflächenschicht
Retzius-Streifen

Abb. 2.9: Schematische Darstellung einer initialen kariösen Schmelzläsion. Im polarisationsmikroskopi-


schen Bild von Schmelzdünnschliffen erkennt man eine „intakte“ Oberflächenschicht, ein Läsionszentrum,
eine dunkle Zone und eine transluzente Zone. Die Retzius-Streifen sind im Bereich des Läsionszentrums
akzentuiert.

gelegen, und darüber in Richtung Läsionskörper eine dunkle Zone er-


kennen (s. Abb. 2.9).
Zonen der Die transluzente Zone ist die Zone der fortschreitenden Deminera-
Schmelzkaries lisation. Sie ist durch die Entstehung bzw. Vergrößerung von Poren im
Zahnschmelz bedingt. Sie besitzt ein Porenvolumen von ca. 1%. Gesun-
der Zahnschmelz besitzt im Vergleich dazu ein Porenvolumen von
0,1%. Die Poren entstehen initial wahrscheinlich durch Herauslösen
von „leicht“ säurelöslichem Karbonat aus dem Apatitgitter.
Die dunkle Zone hat ein Porenvolumen von 2–4%. Die Poren sind
jedoch aufgrund von Remineralisationserscheinungen an den Apatit-
kristallen kleiner als die Poren der transluzenten Zone.
Der Läsionskörper ist die Zone des größten Mineralverlustes. Das
Porenvolumen beträgt zwischen 5 und 25%. In diese Poren können
Speichelbestandteile wie Wasser und Proteine eindringen. Die Retzius-
Streifen und die Querstreifung der Prismen werden innerhalb des Läsi-
onskörpers deutlicher sichtbar als im gesunden Schmelz.
Die Oberflächenschicht weist einen Mineralverlust von 1–10% auf,
obwohl sie im mikroskopischen Bild intakt erscheint. Sie besitzt ein Po-
renvolumen von weniger als 5%.

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2.1 Karies Kapitel 2 35

Mit der Entwicklung der Elektronenmikroskopie ließen sich in den Ultrastrukturelle


letzten Jahren ultrastrukturelle Charakteristika beschreiben, die mit Charakteristika 1
dem Licht- und Polarisationsmikroskop nicht zu erkennen waren. Es
zeigte sich, dass durch Demineralisationsvorgänge die interkristallinen 2
Räume im Vergleich zum gesunden Schmelz vergrößert sind. Das ist das
Ergebnis von Mineralverlusten an der Kristalloberfläche bzw. aus dem
Zentrum der Schmelzkristalle. Die Prismengrobstruktur bleibt jedoch
3
noch sehr lange erhalten.
Die Kristalle des Läsionskörpers (10–30 nm) und der transluzenten 4
Zone (25–30 nm) sind kleiner als die Kristalle des gesunden Zahn-
schmelzes. In der dunklen Zone und in der „intakten“ Oberflächen- 5
schicht sind häufiger größere Kristalle zu finden als im gesunden Zahn-
schmelz. Das liegt an Remineralisations- und Repräzipitationsvorgän-
gen in diesen Bereichen.
6
Man weiß heute, dass die ersten Demineralisationsvorgänge schon Submikroskopi-
stattfinden, bevor eine mikroskopisch sichtbare Läsion mit einer „intak- sche Veränderun- 7
ten“ Oberflächenschicht festzustellen ist. Diese submikroskopischen gen der Schmelz-
Veränderungen der Schmelzoberfläche resultieren aus Demineralisati- oberfläche 8
onserscheinungen im molekularen Bereich und sind „Anätzvorgän-
gen“ vergleichbar (frühe initiale Läsion). Sie führen, wenn die karioge- 9
nen Bedingungen an der Schmelzoberfläche anhalten, zu irregulären
Oberflächendestruktionen bzw. prismatischen Zerstörungsmustern mit
Vergrößerung der zwischenprismatischen Räume, die dann ideale Diffu-
10
sionswege für die bakteriell gebildeten organischen Säuren darstellen.
11
Die initiale Kariesläsion ist ein Produkt von De- und Remineralisa-
tionsphasen an der Zahnoberfläche, wobei die Demineralisation 12
überwiegt. Ihre Entstehung hängt von Art und Menge der Bakterien
in der Plaque, ihren Metaboliten und ihrer Säureproduktionsrate 13
ab.

Substratzufuhr über Nahrungsmittel und Speichel spielt ebenso eine


14
wichtige Rolle wie Konzentrationsgradienten und Transportgeschwin-
digkeiten verschiedener chemischer Verbindungen in der Plaque und 15
im Zahnschmelz.
Man kann die Vorgänge, die zur Entstehung der histologischen Cha- Entstehung einer 16
rakteristika einer initialen Schmelzläsion führen, vereinfacht wie folgt initialen Schmelz-
beschreiben (s. Abb. 2.10). läsion
 Ein Schutzfilm aus adsorbierten Proteinen (erworbenes Schmelz-
17
oberhäutchen) befindet sich auf dem Zahnschmelz.
 Fluoridanreicherungen reduzieren primär die Schmelzlöslichkeit. 18
 Es bildet sich eine Plaque (mikrobieller Biofilm) auf dem Schmelz-
oberhäutchen. 19
 Kariogene Mikroorganismen produzieren aus Nahrungskohlenhy-
draten organische Säuren (Milchsäure, Essigsäure, Propionsäure u.a., 20
Schritt 1: HL). Ein geringer Teil der Säuren dissoziiert (H+ L–) und

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36 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Pellikel

Hydroxylapatit
„intakte“
Oberflächenschicht

1 2
HL HL L– H
+
Zucker

H+ Ca
2+
+ HPO42 -+ H2O

CaHPO4 L–
3
CaHPO4

2+
Ca + HPO42-

Plaque

transluzente Zone

Abb. 2.10: Vereinfachte Darstellung der chemischen Vorgänge bei der Entstehung
einer initialen Schmelzkaries mit Ausbildung einer „intakten“ Oberflächenschicht.
Die einzelnen Reaktionsschritte 1–3 sind im Text erklärt.

führt zu interprismatischen Auflösungserscheinungen an der


Schmelzoberfläche (frühe initiale Läsion).
 Es entsteht außerdem ein Konzentrationsgradient, der dazu führt,
dass die schwachen organischen Säuren in den Zahnschmelz diffun-
dieren (Schritt 2). Dabei dienen hauptsächlich die interprismati-
schen Bereiche als Diffusionswege.

Speziell die wässrigen Hüllen um die Schmelzkristalle sind ideale Diffu-


sionskanäle. Die Säuren dissoziieren im Schmelzinneren langsam und
geben dabei kontinuierlich H+-Ionen ab. Die Wasserstoffionen greifen
die Schmelzkristalle an, und zwar speziell ihren verwundbaren Kristall-
bereich, in denen CO32– und Mg2+ gebunden sind. Es werden dabei
Ca2+-, OH-, PO43-, F-, CO32-, Na+- und Mg2+-Ionen aus dem Kristallgitter
frei und diffundieren in die wässrige Phase um die Kristalle. Diese Ionen
und ihre Verbindungen diffundieren dann entsprechend ihrem Kon-
zentrationsgradienten durch die erweiterten Schmelzporen zur
Schmelzoberfläche und von dort in die Plaque (Schritt 3).

Die Demineralisation hält so lange an, wie genügend Säuren produ-


ziert werden. Kalzium und Phosphat gehen also verloren.

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2.1 Karies Kapitel 2 37

Zur Schmelzoberfläche nimmt allerdings die Diffusionsgeschwindigkeit


ab, da der Diffusionsgradient zur Plaque bzw. zum Speichel gering ist. 1
Kalzium und Phosphat repräzipitieren und bilden entweder neue Kris-
talle (CaHPO4) oder lagern sich an der Oberfläche bereits geschädigter 2
Kristalle an. So entsteht eine pseudointakte Oberfläche, durch die Säu-
ren in die Tiefe diffundieren und zu weiteren Auflösungserscheinungen,
hauptsächlich im Läsionskörper, aber auch in der transluzenten Zone
3
führen. Die Oberfläche gibt zum einen Kalzium- und Phosphationen in
die Umgebung ab, sie wird aber ständig durch Repräzipitation erneuert. 4
Auch die größeren Kristalle der dunklen Zone sind das Ergebnis von Re-
kristallisationsvorgängen. 5
Möglicherweise spielen bei diesen Rekristallisationsvorgängen auch
Moleküle der Pellikel eine Rolle, die zu einer spontanen und selektiven
Präzipitation von Kalziumphospaten bzw. zum Kristallwachstum beitra-
6
gen. Als Inhibitoren kommen Makromoleküle, z.B. prolinreiche Pro-
teine und Statherin, in Betracht. 7
Die Schmelzkaries an Glattflächen besitzt die Form eines Kegels, Formen
dessen Spitze in Richtung Dentin gerichtet ist. Die Fissurenkaries be- 8
ginnt als Glattflächenkaries an beiden Wänden der Fissur (s. Abb. 2.11).
9
Fissuren- Schmelz approximale approximale 10
karies Schmelz- Dentinkaries
karies
11
12
13
14
15
16
a Tertiärdentin Pulpa Tertiärdentin Pulpa b

Abb. 2.11: a) Ausbreitungsform der Fissuren- und Approximalkaries. Die Fissuren-


17
karies beginnt wie eine Glattflächenkaries an den beiden Wänden der Fissur. Sie
nimmt jedoch nach Erreichen der Schmelz-Dentin-Grenze eine breitbasige, stark
unterminierende Form an. Die Dentinkanälchen stehen in diesem Bereich meis- 18
tens parallel zueinander. Die Pulpa antwortet auf den kariösen Reiz mit Bildung
von Tertiärdentin. b) Die approximale Schmelzkaries beginnt in der Regel etwas
unterhalb des Kontaktpunktes benachbarter Zähne. Sie hat die Form eines Kegels 19
mit der Basis zur Schmelzoberfläche. Erreicht die Karies das Dentin, breitet sie sich
unterminierend nach lateral aus. Zur Pulpa hin nimmt sie wieder kegelförmige
Gestalt an. Durch die s-Form der Dentinkanälchen findet die Tertiärdentinbildung 20
etwas versetzt statt.

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38 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Wird der Demineralisation nicht Einhalt geboten, kommt es auch


zu Demineralisationserscheinungen im Dentin. Bei Beseitigung der
kariogenen Noxen kann eine kariöse Schmelzläsion bei entspre-
chenden Prophylaxemaßnahmen zum Stillstand kommen (arre-
tierte Läsion) oder remineralisieren.

Der Begriff „initiale Karies“ wird sowohl für die meist mit Plaque be-
deckte aktive initiale Schmelzkaries als auch für die inaktive, arre-
tierte und ruhende Schmelzkaries verwendet.
Klinik Klinisch stellt sich eine aktive Karies des Schmelzes wie oben be-
schrieben als kreidige Verfärbung der Schmelzoberfläche dar, ohne dass
die Kontinuität der Oberfläche unterbrochen ist. Eine arretierte Läsion
besitzt eine glänzende, glatte, sehr harte und oft bräunlich verfärbte
Oberfläche. Die Verfärbungen entstehen während der Remineralisati-
onsphasen durch Einlagerung exogener Farbstoffe, z.B. aus Tabak, Tee
oder verschiedenen Nahrungsmitteln. Man kann vereinfacht formulie-
ren, dass eine arretierte, inaktive Kariesläsion eine „Narbe“ im Zahn-
hartgewebe ist, da selbst unter optimalen Bedingungen in den tieferen
Schichten der Läsion kein vollständiger Ersatz des verloren gegangenen
Minerals stattgefunden hat.

2.1.3 Histologie der Dentinkaries

Bei Erreichen der Schmelz-Dentin-Grenze verläuft die Karies dann im


Manteldentin nach lateral und unterminiert den Zahnschmelz. Im Den-
tin folgt sie den Dentinkanälchen. Es resultiert somit wieder eine kegel-
förmige Gestalt mit der Basis an der Schmelz-Dentin-Grenze (s. Abb.
2.11).
Die Fissurenkaries breitet sich stark unterminierend aus und erreicht
oft in ihrer gesamten Breite rasch die Pulpa. Schon die Schmelzkaries,
aber noch mehr die Dentinkaries resultiert in einer Reaktion der Pulpa-
Dentin-Einheit. Das histologische Bild der Dentinkaries ist u.a. das Er-
gebnis dieser Reaktion (s. Abb. 2.12).
Reaktion Schon vor einer Kavitätenbildung kann die Karies das Dentin errei-
chen, und durch die Schmelzläsion diffundieren bakterielle Toxine, En-
zyme usw. in das Dentin. Es bildet sich an der Pulpa-Dentin-Grenze Re-
aktionsdentin (Tertiärdentin).
Sklerosierung Nach außen folgt eine Schicht normalen Dentins, dann skleroti-
sches Dentin. Das sklerotische Dentin entsteht durch Obliteration der
Dentinkanälchen. Peritubuläre Dentinanlagerung, Zurückweichen und
teilweise Mineralisation der Odontoblastenfortsätze kennzeichnen die-
sen Schutzmechanismus.
Nach peripher folgt dann eine Zone, in der keine Odontoblasten-
fortsätze mehr vorhanden sind und die nicht mehr mit der Pulpa kom-

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2.1 Karies Kapitel 2 39

Zone der Zone der


Demineralisation Demineralisation 1
„dead tract“ Zone der „dead tract“
Penetration
Zone der
Sklerose
Zone der
Sklerose
Zone der Nekrose 2
3
4
5
6
Pulpa Pulpa Pulpa 7
8
Schmelz- Tertiärdentin Schmelz- Tertiärdentin
karies karies 9
normales normales
a Dentin b Dentin c

Abb. 2.12: Schematische Darstellung der verschiedenen Stadien der Dentinkaries: a) Schon vor der
10
Schmelzkavitation reagiert die Dentin-Pulpa-Einheit auf den kariösen Reiz mit histopathologischen Verän-
derungen. An der Pulpa-Dentin-Grenze entsteht Tertiärdentin. Nach peripher folgen eine Schicht norma-
len Dentins, die Zone der Sklerose, der „dead tracts“ und an der Schmelz-Dentin-Grenze die Zone der De-
11
mineralisation. b) Nach der Schmelzkavitation dringen Mikroorganismen in die Dentinkanälchen vor (Zone
der Penetration). Die kariöse Entmineralisierung in der Zone der Demineralisation wird stärker. Die Karies
breitet sich an der Schmelz-Dentin-Grenze unterminierend aus. c) Im fortgeschrittenen Stadium sind die
12
Dentinkanälchen massiv infiziert. In der Zone der Nekrose findet man zerfallenes und verflüssigtes Dentin
sowie Bakterien mit vornehmlich proteolytischer Aktivität. Die „dead tracts“ sind oft nicht mehr vorhan-
den. Es gibt dann auch keine Schicht normalen Dentins mehr über der Pulpa (nach Schröder 1991). 13
muniziert (dead tract). Diese Strukur besitzt eine höhere Permeabilität
als normales Dentin.
14
Zur Schmelz-Dentin-Grenze hin schließt sich die Zone der Demine- Demineralisation
ralisation an. Diese Zone erscheint im lichtmikroskopischen Bild un- 15
verändert. Derartige Dentinläsionen lassen sich meist im approximalen
Bereich der Zähne röntgenologisch diagnostizieren. Sie können bei Be- 16
seitigung der kariogenen Noxen zum Stillstand kommen und sogar par-
tiell remineralisieren. Werden die Ursachen nicht beseitigt, schreitet die
Karies weiter voran. Es kommt zur Kavitätenbildung, und Bakterien
17
dringen in die Tiefe und zerstören durch proteolytische Enzyme auch
die organischen Bestandteile des Schmelzes und des Dentins. Die Reak- 18
tion der Pulpa hängt von der Progressionsgeschwindigkeit und von der
bakteriellen Invasion im Dentin ab. 19
Eine fortgeschrittene Dentinkaries weist zu den oben genannten Penetration
noch zwei weitere histologische Zonen auf. Peripher zur Zone der Demi- 20
neralisation folgt die Zone der Penetration. Hier sind Bakterien (vor-

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40 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

nehmlich grampositive Mikroorganismen, z.B. Laktobazillen) in die


Dentinkanälchen eingedrungen. Ihre Anzahl nimmt nach außen zu.
Die Stoffwechselprodukte der Bakterien führen zu lokalen Auftreibun-
gen der Dentinkanälchen (Ampullen) und im Bereich der Wachstums-
linien (Spalten). Liegen mehrere Ampullen untereinander, spricht man
von einer Rosenkranzstruktur.
Nekrose Während die Dentinstruktur in diesem Bereich noch relativ intakt
erscheint, folgt nach peripher eine Zone der Nekrose, in der das Dentin
erweicht bzw. verflüssigt ist. Diese Zone besteht aus nekrotischem Den-
tin (fettige Degeneration), vitalen und toten Mikroorganismen sowie
deren Enzymen (speziell Esterasen und Peptidasen) und Stoffwechsel-
produkten.

2.1.4 Wurzelkaries (Zementkaries)

Im Verlauf entzündlicher Parodontalerkrankungen oder nach deren


Therapie liegen oft Wurzeloberflächen frei. Aber auch bei älteren Men-
schen kann durch atrophische Vorgänge Zahnzement freiliegen. Die
Wurzelkaries ist bei Patienten, die das 60. Lebensjahr überschritten ha-
ben, häufig festzustellen (40–90%).

Die Wurzelkaries beginnt meistens an den koronalen Abschnitten


freiliegender Wurzeloberflächen.

Entstehung Mikroorganismen und deren Stoffwechselprodukte dringen in das azel-


luläre Faserzement ein. Es werden Mineralien aus dem Zement heraus-
gelöst, während die Kollagenfasern noch bestehen bleiben. Primär ver-
bleibt eine dünne, hypermineralisierte „intakte“ Oberflächenschicht
(10–15 μm) im äußeren Zementbereich. Die dünne Zementschicht wird
allerdings bei anhaltend kariogenen Bedingungen rasch zerstört. Schon
während der parodontalen Vorgeschichte reagiert das Dentin auf die
einwirkenden Reize mit Sklerosierung. Trifft die Karies nun nach Durch-
dringen des Zements auf das sklerosierte Dentin, schreitet der kariöse
Prozess langsamer voran. Hinzu kommt, dass Wurzeldentin weniger Ka-
nälchen enthält als koronales Dentin. Die Läsionen bleiben daher pri-
mär relativ flach, breiten sich jedoch oft zirkulär um die Wurzel aus. Die
Dentinkaries im Wurzelbereich gleicht histologisch der koronalen Den-
tinkaries.
Aktive Wurzel- Man kann aktive von inaktiven Läsionen unterscheiden. Aktive
karies Wurzelkaries ist häufig durch eine klar definierte, erweichte Stelle auf
der Wurzeloberfläche mit hell- bis gelb-brauner Farbe charakterisiert.
Die Läsion ist meist mit einer sichtbaren Plaque bedeckt. Eine langsam
verlaufende Wurzeloberflächenkaries kann auch braun bis dunkelbraun
verfärbt sein und besitzt eine eher lederartige Konsistenz, wenn man sie
mit moderatem Druck sondiert.

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2.1 Karies Kapitel 2 41

Eine arretierte (inaktive) Wurzelkaries besitzt eine glatte, glän- Inaktive Wurzel-
zende Oberfläche, die sich beim Sondieren mit moderatem Druck hart karies 1
anfühlt. Meist sind inaktive Läsionen nicht von einer Plaque bedeckt.
Selbstverständlich gibt es zwischen diesen Formen unterschiedliche Ma- 2
nifestationen der Karies, die Übergangsformen zwischen aktiven und
inaktiven Läsionen darstellen. Bei der Unterscheidung zwischen aktiver
und inaktiver Läsion ist die Oberflächenhärte entscheidender als die
3
Farbbestimmung.
4
2.1.5 Milchzahnkaries 5
Milchzähne besitzen eine geringere Hartgewebemasse als permanente
Zähne. Die Karies erreicht also bei gleicher Ausbreitungsgeschwindig-
6
keit schneller die Pulpa.
7
Die Milchzahnkaries unterscheidet sich aber weder ätiologisch
noch histologisch von der Karies bleibender Zähne. 8
9
2.1.6 Spezielle Kariesformen

Unter Sekundärkaries versteht man neue kariöse Defekte im Randbe- Sekundärkaries


10
reich von zahnärztlichen Restaurationen. Sie besitzt alle histologischen
Charakteristika kariöser Läsionen. 11
Ursachen sind meistens Spalt- und Stufenbildungen zwischen Res-
taurationsmaterial und Zahnhartsubstanz. Ist ein Spalt zwischen Fül- 12
lungsmaterial und Zahnhartsubstanz vorhanden, dringen auch hier
Bakterien ein und es kommt sowohl im Zahnschmelz am Füllungsrand 13
als auch im Dentin zu kariösen Defekten (s. Abb. 2.13).
Unter Kariesrezidiv versteht man das „Wiederaufflammen“ oder Kariesrezidiv
die Progression einer Karies, die während der zahnärztlichen Behand-
14
lung (Exkavation) nicht ausreichend entfernt wurde. Es wird entweder
klinisch am Füllungsrand (dann nicht von einer Sekundärkaries zu un- 15
terscheiden) oder röntgenologisch unter einer Restauration diagnosti-
ziert (s. Abb. 2.13). 16
Klinisch erscheinen ruhende Kariesläsionen (arrested caries, Caries arrested caries
sicca) braun pigmentiert und oberflächlich hart. Sie können entstehen,
wenn kariöse Noxen beseitigt werden, regelmäßig kariespräventive
17
Maßnahmen erfolgen und somit die ökologischen Bedingungen in der
Mundhöhle als wenig kariogen zu bezeichnen sind. Die ursprüngliche 18
chemische und histologische Struktur von Zahnschmelz oder Dentin
wird jedoch nicht wiederhergestellt. 19
Durch radiologische Therapie von Tumoren im Kiefer-Gesichtsbe- Strahlenkaries
reich kann es zur partiellen oder vollständigen Zerstörung der Speichel- 20
drüsen kommen. Folgen sind ein verminderter Speichelfluss (Hyposali-

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42 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Plaque
Füllung Sekundärkaries

Kariesrezidiv Schmelz
Dentin

Pulpa

Plaque äußere Läsion

Kavitätenwand-
überstehender läsion
Füllungsrand
Dentinläsion

Schmelz

b Spalt

Abb. 2.13: Schematische Darstellung einer Sekundärkaries und eines Kariesrezi-


divs. Unter Kariesrezidiv versteht man das Fortschreiten oder Wiederaufflammen
einer bereits bestehenden Karies (z.B. unter Restaurationen). Die Sekundärkaries
ist eine neu entstandene Karies, die meistens am Füllungsrand klinisch oder rönt-
genologisch zu diagnostizieren ist. Häufigste Ursachen sind über- und unterkon-
turierte Restaurationen und Randspalten zwischen Restauration und Zahnhart-
substanz mit nachfolgender Plaquebildung (sekundäre Kariesprädilektionsstel-
len). Dabei entsteht eine äußere Läsion, die alle histologischen Merkmale einer
beginnenden Karies aufweist. Ist ein Randspalt vorhanden, entsteht eine Kavitä-
tenwandläsion. An der Schmelz-Dentin-Grenze entwickelt sich eine unterminie-
rende Dentinläsion.

vation) und eine Veränderung der Speichelzusammensetzung (Elektro-


lyte, Proteine u.a.). Sowohl die Schutzfunktion des Speichels als auch
die Remineralisationswirkung gehen verloren. Gleichzeitig kommt es zu
einer vermehrten Besiedelung der Mundhöhle mit kariogenen Mikroor-
ganismen. Es entstehen also extrem kariogene Bedingungen, unter de-
nen es zu einer sehr raschen Kariesentstehung und Kariesprogression
kommt.
Aber auch andere Erkrankungen und Faktoren wie Tumoren der
Speicheldrüsen, Autoimmunerkrankungen, spezielle Arzneimittel usw.
können zu Mundtrockenheit und erhöhter Kariesgefährdung führen.
Kleinkindkaries Bei Kleinkindern diagnostiziert der Kinderarzt sehr oft schon in den
beiden ersten Lebensjahren einen rapiden Zerfall der oberen Schneide-
zähne, eine rasch fortschreitende Kleinkindkaries („nursing bottle syn-
drom“, „early childhood caries“). Grund dafür ist der ständige, nicht
kontrollierte Gebrauch von Nuckelflaschen, die mit zuckerhaltigen Ge-
tränken (Tee, Fertiggetränke, Fruchtsäfte u.a.), aber auch Milch gefüllt
sind. Auch Sauger, die mit Honig, Zucker oder Sirup bestrichen werden,
um Kleinkinder zu beruhigen, führen zu rascher Zerstörung der Milch-

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2.1 Karies Kapitel 2 43

zähne. Bei fortschreitendem Alter sind auch andere Milchzähne betrof-


fen. Die unteren Milchschneidezähne sind relativ lange gesund, da sie 1
durch die Zungenbewegung und die unteren Speicheldrüsenausfüh-
rungsgänge eine weniger kariogene Umgebung als die oberen Schneide- 2
zähne besitzen. Bei Einhaltung üblicher nahrungsmittelfreier Intervalle
zwischen den Mahlzeiten führt Flaschennahrung nicht zu einer erhöh-
ten Kariesdisposition bei Kleinkindern.
3
Die Early-Childhood-Caries (ECC) wird üblicherweise in drei Early-Childhood-
Schweregrade unterteilt: Caries (ECC) 4
 Typ 1 (mild bis moderat):
Isolierte kariöse Läsionen an Molaren oder Inzisivi. 5
 Typ 2 (moderat bis schwer):
Oberkieferinzisivi weisen labial und lingual kariöse Läsionen auf.
Auch Milchmolaren können, je nach Alter des Kindes, involviert
6
sein. Die Unterkieferfrontzähne sind noch nicht kariös erkrankt.
 Typ 3 (schwere ECC): 7
Kariöse Läsionen an nahezu allen Zähnen inklusive der unteren
Frontzähne. Es handelt sich um eine rasch fortschreitende Karies, 8
die auch Zahnflächen betrifft, die üblicherweise nicht kariös erkran-
ken. 9
Neben dem nicht kontrollierten Gebrauch von Nuckelflaschen oder
Trinkbechern mit kleiner Öffnung sind natürlich auch schlechte Mund-
10
hygiene und überlanges und zu häufiges Stillen als Gründe für eine
Kleinkindkaries zu nennen. 11
12
2.1.7 Epidemiologie
13
Die Epidemiologie beschäftigt sich mit der Untersuchung der Häufig-
keit, der Verteilung und den Ursachen von Erkrankungen, den physio-
logischen Variablen und sozialen Krankheitsfolgen in menschlichen Be-
14
völkerungsgruppen sowie den Faktoren, die diese Verteilung beeinflus-
sen. Epidemiologische Studien werden also durchgeführt, um den 15
Gesundheitsstatus von Populationen zu beschreiben, die Ätiologie einer
Erkrankung zu klären oder um Voraussagen über die Wirkung oder das 16
Ergebnis von bestimmten Einflüssen oder Interventionen zu machen.

Definition epidemiologischer Grundbegriffe


17
Es gibt unterschiedliche Ansätze, epidemiologische Studien durchzu-
führen. 18
Mit deskriptiven epidemiologischen Studien werden z.B. das Auf- Deskriptive
treten, die Verteilung und die Determinanten einer Erkrankung beschrie- Epidemiologie 19
ben, um daraus eine entsprechende Krankheitshypothese abzuleiten.
Die analytische Epidemiologie erforscht aufgrund spezifischer Hy- Analytische 20
pothesen die ätiologischen Faktoren und den Einfluss verschiedener Epidemiologie

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44 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Faktoren auf spezielle Erkrankungen. Während in der deskriptiven Epi-


demiologie in erster Linie Querschnittsuntersuchungen Anwendung
finden, beschäftigt sich die analytische Epidemiologie meist mit Longi-
tudinalstudien.
Experimentelle Die experimentelle Epidemiologie befasst sich mit Studien, bei
Epidemiologie denen aufgrund statistischer Versuchsplanung die Effektivität von spe-
ziellen Maßnahmen oder Interventionen unter kontrollierten Bedin-
gungen auf Erkrankungen untersucht wird. Es kann sich dabei um Un-
tersuchungen handeln, bei denen eine Versuchsgruppe z.B. eine karies-
präventive Maßnahme erhält, während die andere Versuchsgruppe
(Kontrollgruppe) keine Behandlung erfährt. Die Kontrollgruppe kann
jedoch auch mit einem Placebo „behandelt“ werden.
Studien Im Rahmen der experimentellen Kariesepidemiologie werden häufig
Untersuchungen durchgeführt, bei denen zwei kariespräventive Maß-
nahmen miteinander verglichen werden. Dabei werden die Probanden
der verschiedenen Gruppen sorgfältig ausgewählt und randomisiert auf
die Untersuchungsgruppen verteilt. Die Probanden sollen dabei nicht
wissen, welche Behandlung (z.B. fluoridierte Zahnpasta) ihnen verab-
reicht wird. Unter diesen Bedingungen handelt es sich um eine Ein-
fach-Blind-Studie. Wenn weder Untersucher noch Patient wissen, wel-
che Behandlung in welcher Gruppe erfolgte, handelt es sich um eine
Doppel-Blind-Studie. Dabei werden die entsprechenden Substanzen
von einer Person verteilt, die nicht direkt an der Untersuchung beteiligt
ist (Studienleiter).
Bei experimentellen Studien zur Karieshemmung lässt sich häufig
ein sogenannter Hawthorne-Effekt nicht vermeiden. Dabei ändert sich
das Verhalten der Untersuchungsteilnehmer allein durch das Bewusst-
sein, an einer Studie teilzunehmen und in bestimmten Zeitabständen
untersucht zu werden.
Wird eine epidemiologische Studie von verschiedenen Untersuchern
durchgeführt, müssen diese vorher bezüglich ihrer diagnostischen Leis-
tungen kalibriert werden, um die Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu ge-
währleisten (Reliabilität). Bei repräsentativen epidemiologischen Un-
tersuchungen muss vorher geklärt werden, ob die Zusammensetzung
der untersuchten Gruppe repräsentativ für einen bestimmten Bevölke-
rungsteil ist.
Epidemiologische Studien zur Karieshäufigkeit sind aus unterschied-
lichen Gründen wichtig. Auf der Grundlage verlässlicher Daten zur Ka-
rieshäufigkeit und -verbreitung lassen sich gesundheitspolitische Ent-
scheidungen treffen. Anhand experimenteller epidemiologischer Stu-
dien lassen sich die Auswirkungen unterschiedlicher präventiver
Maßnahmen beurteilen. Es können zudem Kosten-Wirksamkeits- oder
Kosten-Nutzen-Analysen durchgeführt werden. Auf der Basis von epide-
miologischen Daten kann man auch beurteilen, ob die Art und Schwere
einer Erkrankung beim Einzelindividuum sich von dem üblichen
Krankheitsbild unterscheidet. Auch der Erfolg einer Behandlung lässt

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2.1 Karies Kapitel 2 45

sich häufig nur auf der Basis einer epidemiologischen Studie voraussa-
gen. 1
Zur Erhebung epidemiologischer Daten über die Ausbreitung und Erhebung epi-
Häufigkeit der Karies werden in erster Linie Querschnittsuntersuchun- demiologischer 2
gen durchgeführt. Diese sammeln retrospektiv oder aktuell Daten zu Daten
einem bestimmten Zeitpunkt. Demgegenüber erstrecken sich Longitu-
dialstudien über einen definierten Zeitraum, vergleichen also die Krank-
3
heitshäufigkeit zu Anfang mit der am Ende eines Untersuchungszeit-
raums. Bei diesen Untersuchungen werden häufig die Begriffe Kariesin- 4
zidenz (Kariesbefall = Anzahl neuer Kariesläsionen in einem definierten
Zeitraum) und Kariesprävalenz (Karieshäufigkeit in einer Population 5
zu einem definierten Zeitpunkt) verwendet. In epidemiologischen Stu-
dien werden meistens nur die klinisch sichtbaren Auswirkungen der Ka-
ries, selten auch die radiologisch zu erkennenden Symptome erfasst.
6
Zur Beurteilung der Krankheitsentwicklung in einer Population wer- Beurteilung der
den i.d.R. Stichproben untersucht. In diesem Zusammenhang muss Krankheits- 7
darauf hingewiesen werden, dass Zahnarztpatienten oder gar Klinikpa- entwicklung
tienten nicht den Anforderungen genügen, die an eine Stichprobe bei 8
epidemiologischen Untersuchungen gestellt werden. Sie sind nicht re-
präsentativ. 9
Zur Messung der Kariesinzidenz bzw. -prävalenz werden Indizes ver- Indizes
wendet. Dabei hat sich international der DMF-S- bzw. DMF-T-Index
durchgesetzt. Der DMF-S-Index beurteilt die Anzahl von Zahnflächen
10
(Surfaces) im bleibenden Gebiss, die zerstört (Decayed), aufgrund von
Karies extrahiert (Missing) oder gefüllt (Filled) wurden. Der DMF-T- 11
Index summiert in gleicher Weise die Anzahl der Zähne (Teeth). Im
Milchgebiss wird der dmf-s- bzw. dmf-t-Index verwendet. Statt m wird 12
oft der Buchstabe e (= indicated for extraction bzw. extracted) verwen-
det. Im Wechselgebiss wird der Index für bleibende Zähne verwendet. 13
Bei Seitenzähnen werden fünf Zahnflächen, bei Frontzähnen vier Flä-
chen berechnet. Im vollständigen bleibenden Gebiss werden die Weis-
heitszähne nicht mitgezählt. Der DMF-T-Wert kann also einen Maxi-
14
malwert von 28, der DMF-S-Wert von 128 annehmen. Da im Wechsel-
gebiss der M-Faktor schwer zu beurteilen ist (es können Zähne aus 15
kieferorthopädischen Gründen verloren gegangen sein), wird in epide-
miologischen Studien oft nur der DF-Index verwendet. Werden in Stu- 16
dien Röntgenbilder zur Beurteilung der Approximalkaries angefertigt,
kann der D-Faktor unter Berücksichtigung der Größe der Kariesläsion in
die Untergruppen D1 bis D4 aufgeteilt werden (s. Kap. 3.4).
17
Der DMF-S-Index ist ein kumulativer Index. So bedeutet z.B. ein
DMF-S von 20 entweder 20 offene kariöse Kavitäten, die versorgt wer- 18
den müssen, oder dass alle vorhandenen Zähne gesund sind, vier Mola-
ren aber vorzeitig extrahiert wurden bzw. nicht angelegt sind. Deshalb 19
werden die Einzelkomponenten des Index oft getrennt angegeben.
Auch der DMF-T-Index ist ein arithmetischer Index, der kumulativ die 20
kariöse Zerstörung des Gebisses aufsummiert. Dabei werden allerdings

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46 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

auch Zahnverluste aus anderen Gründen, z.B. durch Parodontalerkran-


kungen, mitgezählt.
Um die Gruppe von Patienten zu charakterisieren, welche die
höchste Anzahl kariöser Läsionen aufweisen, wurde der Significant Ca-
ries Index (SiC-Index) in die Epidemiologie eingeführt. Der Index ist
folgendermaßen definiert:

Als SiC-Index wird der mittlere DMF-T-Wert definiert, den ein Drit-
tel der Bevölkerungsgruppe aufweist, die den höchsten Kariesbefall
auf sich vereint.

Häufig wird in Untersuchungen der Begriff Sanierungsgrad verwendet.


Er wird oft in Prozent angegeben und errechnet sich dann nach der For-
mel (F / D + F) × 100.
Will man Aussagen über die Wirksamkeit kariesprophylaktischer
Maßnahmen machen, wird meist eine Testgruppe, bei der die kariespro-
phylaktischen Maßnahmen durchgeführt wurden, mit einer Kontroll-
gruppe verglichen. Dabei müssen die untersuchten Gruppen relativ
gleich zusammengesetzt und die Untersuchungsbedingungen standar-
disiert sein. Die DMF-S-Werte der einzelnen Versuchspersonen werden
am Ende der Untersuchung meistens addiert und durch die Anzahl der
Versuchspersonen dividiert, sodass Mittelwerte (z.B. mittlere Karies-
häufigkeiten bzw. mittlerer Karieszuwachs) verglichen werden.
Betrachtet man die Ergebnisse von solchen Studien bei Kindern, so
stellt man fest, dass die Anzahl kariöser, gefüllter oder fehlender Zähne
bzw. Zahnflächen bei den untersuchten Gruppen häufig nicht normal
verteilt ist. Das bedeutet, viele Kinder besitzen keine oder wenige ka-
riöse oder gefüllte Zahnflächen, während wenige Kinder eine große An-
zahl zerstörter Zähne aufweisen. Da der Mittelwert in einem solchen
Fall die Ergebnisse der Untersuchung verzerrt, wird üblicherweise statt
eines Mittelwertes der Medianwert als statistische Größe verwendet (s.
Abb. 2.14).

Der Medianwert ist derjenige Wert, der eine nach Rängen geordnete
Messreihe halbiert.

Karies ist keine Erkrankung der Neuzeit. Schon in prähistorischer Zeit


litten Menschen an Karies. So fand man bei Schädelfunden aus Grie-
chenland, die auf das Jahr 2300 v. Chr. datiert sind, noch keine kariöse
Zerstörung der Zähne. Im Jahre 1700 v. Chr. hingegen waren bereits
10% der Zähne kariös. Dieser Zustand hielt offensichtlich über einen
langen Zeitraum an. Erst um 300 n. Chr. begann ein Kariesanstieg, der
sich ab dem Mittelalter beschleunigte. Ähnliche Befunde wurden auch
in Europa, z.B. für Schlesien, beschrieben. Vor einigen Jahren konnte
man noch lesen, dass ca. 99% der Bevölkerung unter Karies leide. Dies
gilt heute nur noch mit Einschränkungen. In den westlichen Industrie-

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2.1 Karies Kapitel 2 47

Kinder mit
neuen Läsionen (%) 1
20 2
15 3

10
4
5
5

6
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 –
DF-S
7
Abb. 2.14: Ergebnisse einer Untersuchung zur Kariesinzidenz im Zeitraum von 2
Jahren bei 12- bis 14-jährigen Schulkindern (n = 117). Dargestellt ist der Anteil der
8
Kinder (in %), die im Untersuchungszeitraum 0, 1, 2 usw. neue kariöse Läsionen
entwickelten. Die Grafik verdeutlicht, dass ein großer Prozentsatz von Kindern
nur wenige neue Läsionen aufwies, während bei wenigen Kindern viele neue Lä- 9
sionen zu finden waren. Die Resultate entsprechen also nicht einer Normalvertei-
lung. Durchschnittlich (arithmetisches Mittel) ließen sich 5,02 neue Läsionen fest-
stellen. Bei einer derartigen Verteilung ist es üblich, den Medianwert (hier 4,26) 10
als statistische Größe anzugeben (nach Klimek et al. 1985).

nationen ist der Kariesbefall speziell bei Kindern und Jugendlichen 11


mehr oder weniger stark zurückgegangen. Diese Aussage soll nachfol-
gend anhand der epidemiologischen Untersuchung zum Kariesbefall in 12
Deutschland nachvollzogen werden. Der Kariesrückgang bezieht sich in
erster Linie auf Glattflächen- und Approximalkaries. Bei der Fissurenka- 13
ries ist nur ein begrenzter Rückgang zu verzeichnen.

Mundgesundheit in Deutschland
14
Epidemiologie der koronalen Karies: In Deutschland wurden in den
letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche epidemiologische Untersuchungen 15
zur Kariesprävalenz durchgeführt. Es handelt sich meistens um regio-
nale Studien in Kindergärten und Schulen bzw. bei Wehrpflichtigen 16
und anderen fest umrissenen Gruppen. Die letzte bevölkerungsreprä-
sentative Studie (Deutsche Mundgesundheitsstudie, DMS V) wurde
2013/2014 vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) durchgeführt.
17
Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e.V. (DAJ)
führt seit 1994 aufgrund von Rahmenempfehlungen der Spitzenver- 18
bände der Krankenkassen und der Bundeszahnärztekammer in Abstän-
den von drei bis fünf Jahren in verschiedenen Bundesländern Untersu- 19
chungen bei 6- bis 7-jährigen, 12-jährigen und 15-jährigen Schülern
durch. Die Daten der letzten epidemiologischen Begleituntersuchung 20
der DAJ zur Gruppenprophylaxe wurden 2009 publiziert. Verglichen

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48 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

werden können diese neueren Daten mit den früher bereits durchge-
führten Untersuchungen, die auf Patientenstichproben basieren. Auch
für ältere Patientengruppen liegen aus der Studie des IDZ aus dem Jahre
1997 repräsentative Daten vor.
Während für Vorschulkinder bisher keine repräsentativen Zahlen
vorliegen, so kann doch aus Einzelstudien abgeleitet werden, dass es
hier in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer Verbesserung der Mund-
gesundheit gekommen ist. In einzelnen Gegenden Deutschlands lässt
sich bei kleineren Kindern allerdings eine Stagnation des Kariesrück-
gangs bzw. ein erneutes Ansteigen der Kariesprävalenz feststellen.
6- bis 7-Jährige Wie die DAJ-Studie aus dem Jahre 2009 zeigen konnte, ist in den ver-
schiedenen Bundesländern bei den 6- bis 7-Jährigen ein mittlerer dmf-t-
Wert zwischen 1,3 und 2,56 festzustellen (vgl. Tab. 2.4).
Auch der Anteil der Schulanfänger mit kariesfreien Milchzähnen er-
höhte sich im Zeitraum von 1994/1995 bis 2009. Wiesen 1994/1995
zwischen 20 und 45,9% der Kinder in den verschiedenen Bundeslän-
dern naturgesunde Milchzähne auf, so lagen die entsprechenden Werte
2009 zwischen 42,7 und 62,3%. Der Anteil der nicht sanierten Milch-

Tab. 2.4: Kariesreduktion bei 6- bis 7-Jährigen und 12-Jährigen im Zeitraum


1994–2009 (nach Pieper 2010)
Bundesland/Landesteil Zeit seit Kariesreduktion in % bezogen auf
erster U. dmf-t DMF-T
(in 6–7-Jährige 12-Jährige
Jahren)
1994–2009 1994/95–2009
Schleswig-Holstein 16 42,0 72,9
Bremen 14 25,0 60
Hamburg 15 37,8 70
Niedersachsen 9 14,8 (2004–2009) 31,9 (2004–2009)
Nordrhein 14,75 39,7 73,9
Westfalen-Lippe 14 36,7 68,2
Hessen 15 37,5 75
Rheinland-Pfalz 15 36,4 74,6
Mecklenburg-Vorpommern 14 43,5 76,7
Berlin 14 22,6 72
Brandenburg 12 20,3 (2004–2009) 66,2
Sachsen-Anhalt 13,75 39,5 26,5 (2004–2009)
Thüringen 14 31,7 70,8
Saarland 5 35,0 (2004–2009) 68,1
Bayern 11,7 (2004–2009)
Sachsen 5 18,9 (2004–2009) 36,9 (2004–2009)

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2.1 Karies Kapitel 2 49

zähne betrug im Saarland 57,7%; der Prozentsatz lag in Sachsen bei


38,8%. Das bedeutet, dass nach wie vor ca. die Hälfte aller Milchzähne 1
in Deutschland (47,4%) nicht mit einer intakten Füllung versorgt war.
Die mittleren DMF-T-Werte für 6- bis 7-Jährige nahmen von 2,89 im 2
Jahre 1994/1995 auf 1,87 im Jahr 2009 ab.
Heute findet man in Deutschland bei mehr als 80% der untersuch- 12-Jährige
ten 12-Jährigen naturgesunde bleibende Zähne. Die repräsentative Stu-
3
die des Instituts der Deutschen Zahnärzte aus 2013/2014 (s. Abb. 2.15)
verdeutlicht, dass bei 12-Jährigen ein mittlerer DMF-T-Wert von 0,5 (in 4
den alten Bundesländern 0,4, in den neuen Bundesländern 0,6) vor-
liegt. Bei dieser Darstellung werden allerdings nur die kariösen Defekte 5
berücksichtigt, die klinisch erfassbar sind und bis in das Dentin reichen,
sowie gefüllte und extrahierte Zähne. In der Altersgruppe der 12-Jähri-
gen weisen 0,6 Zähne zusätzlich bereits demineralisierte Schmelzareale
6
(aktive und inaktive Initialläsionen) auf, die sich ohne präventive Maß-
nahmen möglicherweise zu manifesten Kariesläsionen weiterentwi- 7
ckeln können. Hierdurch wird deutlich, dass eine alleinige Diagnose
von kariösen Defekten, die bereits eine Kavitätenbildung zeigen, zu ei- 8
ner Unterschätzung der Gesamtkariesprävalenz führt.
9
Es ist im Rahmen einer individuellen zahnärztlichen Diagnose in
der Praxis unabdingbar, auch die Initialläsionen zu dokumentieren
und gegebenenfalls zu beobachten bzw. präventiv oder invasiv zu
10
therapieren.
11
Auch bei 12-Jährigen zeigt sich, dass nicht alle kariösen Zähne saniert
sind. So beträgt der Sanierungsgrad 74,6%. Es gibt bei den 12-Jährigen 12
eine sogenannte Polarisierung des Kariesbefalls. So weisen 6,1% der Un-
tersuchten 62,4% der Karieserfahrung ihrer Altersgruppe auf. Noch stär- 13
ker ist die Polarisation bezüglich des Kariesbehandlungsbedarfs. Ledig-

14
1,8
1,6
15
1,4
1,2
16
DMF-T

1,0
0,8
0,6
17
0,4
0,2
18
0
19
Abb. 2.15: Entwicklung des mittleren DMF-T-Wertes bei 12-Jährigen in Deutsch-
land. Die Daten wurden den repräsentativen Mundgesundheitsstudien DMS III, IV
und V des IDZ aus 1997, 2005 und 2014 entnommen (nach Jordan und Micheelis, 20
2016).

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50 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

lich 5,7% der Kinder haben sämtliche zu sanierende Zähne ihrer Alters-
gruppe. Der SiC-Wert (das Drittel der jeweiligen Bevölkerungsgruppe
mit dem höchsten Kariesbefall) beträgt 1,4 und unterschreitet damit das
von der WHO definierte Ziel von < 3. Die für das Jahr 2020 für 12-Jäh-
rige formulierten Ziele, einen DMF-T-Wert von 1,0 zu unterschreiten
und den Anteil der Kinder mit mehr als 2 DMF-T auf weniger als 15% zu
senken, wurden bereits im Jahr 2005 erreicht. Beim Vergleich mit frühe-
ren Jahren wird deutlich, dass selbst die 12-Jährigen, die eine hohe Ka-
riesaktivität aufweisen, vom Kariesrückgang profitieren.
35- bis 44-Jährige In der Tabelle 2.5 sind die DMF-T-Werte für die Altersgruppe der 35-
bis 44-Jährigen dargestellt. Es handelt sich dabei um Werte aus reprä-
sentativen Studien des IDZ aus den Jahren 2005 und 2013/2014. Es wird
ersichtlich, dass der bei den Kindern und Jugendlichen konstatierte Ka-
riesrückgang auch bei den Erwachsenen (allerdings in geringerem
Maße) festzustellen ist. So ist der durchschnittliche DMF-T-Wert für alle
Untersuchten zusammen 11,2. Die Anzahl kariesbedingt extrahierter
Zähne beträgt 2,1. Auch der DMF-S-Wert verringerte sich von 54,7 im
Jahre 1997 auf einen Wert von 31,8. Das entspricht einer Reduktion von
42%. 2,5% der 35- bis 44-Jährigen haben ein naturgesundes Gebiss
(DMF-T = 0). 50% der untersuchten Erwachsenen weisen 68,7% aller
DMF-Zähne auf. Es besteht somit eine geringe Polarisierung des Karies-
befalls. Das ändert sich jedoch, wenn man nur den Anteil sanierungs-
bedürftiger Zähne (DT-Komponente) herausgreift. Sämtliche sanie-
rungsbedürftigen kariösen Defekte sind bei 24,8% der Erwachsenen an-
zutreffen. Mit durchschnittlich 93,7% ist ein hoher Sanierungsgrad bei
den Erwachsenen festzustellen. Die durchschnittliche Anzahl der Zähne
mit Initial- oder Schmelzkaries beträgt 1,5 Zähne. Damit ergibt sich wie
bei Jugendlichen ein hoher Präventionsbedarf, damit diese Läsionen
nicht fortschreiten und keine weiteren Initialläsionen entstehen.
65- bis 77-Jährige Bei jüngeren Senioren (65- bis 77-jährig) lässt sich im Vergleich zu
früheren Untersuchungen mit einem DMF-T-Wert von 17,7 und einem
DMF-S-Wert von 72,6 eine Tendenz zu einer Verbesserung der Zahnge-
sundheit erkennen; es ist jedoch weiterhin ein unverändert hoher Ka-
riesbefall zu konstatieren. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass
die Anzahl extrahierter Zähne im Vergleich zum Jahr 1997 um ca. 36%
von 17,6 auf 11,1 stark zurückgegangen ist. Gegenläufig hierzu ist die

Tab. 2.5: DMF-T-Werte sowie Anteile naturgesunder Gebisse (%) bei 35- bis
44-Jährigen aus den Jahren 1989 (IDZ West), 1992 (IDZ Ost), 1997 (IDZ West
und Ost), 2005 (IDZ West und Ost) und 2015 (IDZ West und Ost) (nach Jordan
und Micheelis 2016)
Studie IDZ (W) IDZ (O) IDZ (W) IDZ (O) IDZ (W) IDZ (O) IDZ (W) IDZ (O)
Jahr 1989 1992 1997 1997 2005 2005 2014 2014
DMF-T 16,7 13,4 16,1 16,0 14,4 15,0 11,1 12,2
Naturgesunde 0,9 0,0 1,0 0,0 0,7 0,7 2,9 0,3
Gebisse

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2.1 Karies Kapitel 2 51

Anzahl gefüllter Zähne deutlich gestiegen. Die Senioren, die verschie-


dene Hilfsmittel zur Mund- und insbesondere Interdentalraumhygiene 1
verwenden, zeigen eine wesentlich niedrigere Karieserfahrung als dieje-
nigen Senioren, die keine adäquate Approximalraumhygiene betreiben. 2
Der Sanierungsgrad beträgt bei bezahnten Senioren 90,6%. Die durch-
schnittliche Anzahl der Zähne der Initial- oder Schmelzläsionen beträgt
bei Senioren 0,5. Auch dies unterstreicht die Notwendigkeit einer ad-
3
äquaten Kariesprävention.
In der DMS V sind zum ersten Mal auch Daten zur Kariesprävalenz 75- bis 100-Jährige 4
bei älteren Senioren (75- bis 100-Jährige) erhoben worden. 0,3% der un-
tersuchten Personen weisen ein Gebiss ohne jede Karieserfahrung auf. 5
Der durchschnittliche DMF-T Wert beträgt für diese Altersgruppe 21,6.
Insgesamt fehlen im Durchschnitt 17,8 Zähne aufgrund von Extraktio-
nen; nur 0,6 der vorhandenen Zähne waren unversorgt.
6
Zur eingehenden Beschäftigung mit den epidemiologischen Daten
zur Mundgesundheit in Deutschland sei an dieser Stelle auf die weiter- 7
führende Literatur verwiesen.
Epidemiologie der Wurzelkaries: Wurzelkaries nimmt ihren Aus- 8
gang an Zement- bzw. Dentinoberflächen freiliegender Zahnhälse. Liegt
eine Wurzeloberflächenkaries subgingival, so ist sie meistens mit einer 9
Gingivahypertrophie vergesellschaftet, d.h., sie hat dann ihren Ausgang
supragingival genommen und ist erst sekundär von Gingivagewebe
überdeckt worden.
10
Die Wurzelkariesprävalenz korreliert mit der Anzahl derartiger „Risi-
koflächen“. Bei älteren Menschen liegen aufgrund physiologischer Atro- 11
phievorgänge mehr Wurzeloberflächen frei als bei jüngeren Menschen.
Daher ist die Wurzelkaries hier wesentlich häufiger als im jüngeren Le- 12
bensalter. Wenn zukünftig aufgrund präventiver Interventionen mit zu-
nehmendem Alter vermehrt Zähne im Mund verbleiben, dann nimmt 13
die Anzahl der Zahnflächen zu, die an Wurzelkaries erkranken können.
Meistens wird die Wurzelkariesmorbidität (in Prozent) auf die An-
zahl der untersuchten Probanden bezogen angegeben. Man findet je-
14
doch auch in Anlehnung an den DMF-S-Wert für koronale Karies die
Angabe als durchschnittlichen oder prozentualen RDF-Wert (R = Root, 15
D = Decayed, F = Filled).
Der RDF-Wert (Anzahl der kariösen und gefüllten Wurzelflächen) in RDF-Wert 16
Prozent der untersuchten Zähne berücksichtigt nicht die Risikoflächen
(surfaces at risk) und ist daher ungenau, da die Wurzeloberflächen aller
vorhandenen Zähne mit eingehen. Ältere Patienten besitzen jedoch oft
17
weniger Zähne als junge Patienten, sodass hier hohe Prozentzahlen re-
sultieren, obwohl tatsächlich genauso viele Wurzeloberflächen erkrankt 18
sind wie bei jüngeren Patienten. Nach Katz (1990) sollten in epidemio-
logischen Studien zur Wurzelkariesprävalenz bzw. -inzidenz folgende 19
Gesichtspunkte beachtet werden:
 Unterscheidung in aktive und inaktive Wurzelkaries. 20
 Die koronale Karies ist unbedingt gesondert zu erfassen.

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52 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

 Koronale Restaurationen, die in den Wurzelbereich extendieren,


sind nur dann als gefüllte Wurzeloberfläche zu erfassen, wenn sie
die Schmelz-Zement-Grenze mindestens 3 mm überschreiten.
 Kronen, die im Wurzelbereich enden, werden nicht als gefüllte Wur-
zelflächen gezählt.
 Eine Füllung im Wurzelbereich ist mehrflächig, wenn sie mindes-
tens ein Drittel von zwei aneinandergrenzenden Flächen einnimmt.
 Sekundärkaries an Füllungs- und Kronenrändern wird gesondert er-
fasst. Sie wird nicht zur Wurzeloberflächenkaries gezählt.
 Die so gewonnenen Daten beziehen sich auf freiliegende Wurzel-
oberflächen, d.h. Risikoflächen.

Erhebungs- Probleme ergeben sich jedoch auch bei Berücksichtigung dieser Prämis-
problematik sen. So lässt sich bei reinen Prävalenzstudien nicht immer feststellen, ob
eine gefüllte Wurzelfläche vorher kariös war oder ob eine Erosion bzw.
Zahnbürstenabrasion der Grund für eine Restauration war. Hier liefern
ausschließlich Inzidenzstudien verlässliche Daten. Ein international
anerkannter Index, der die Anzahl vorhandener freier Wurzeloberflä-
chen (surfaces at risk) berücksichtigt, ist der Root-Caries-Index (RCI)
nach Katz (1982). Er errechnet sich nach folgender Formel

RD + RF
× 100,
RD + RF + RN

wobei RN als gesunde freiliegende Wurzeloberfläche (sichtbare Wurzel-


oberfläche apikal der Schmelz-Zement-Grenze), RD als kariöse freilie-
gende Wurzeloberfläche und RF als gefüllte freiliegende Wurzeloberflä-
che definiert ist.

Der RCI drückt also das Verhältnis von erkrankten und sanierten
Wurzeloberflächen zur Anzahl freiliegender Flächen als Prozent-
wert aus.

Ursachen Alle Untersuchungen zur Wurzelkariesprävalenz zeigen, dass ihre Ent-


stehung an die allgemein bekannten Faktoren der Kariesätiologie ge-
bunden ist. Speziell ein häufiger und hoher Konsum niedermolekularer
Kohlenhydrate korreliert mit einem erhöhten Wurzelkariesrisiko. Au-
ßerdem korrelieren eine hohe koronale Kariesprävalenz und gingivaler
Attachmentverlust sowie eine niedrige Zahnputzfrequenz und ein unre-
gelmäßiger Zahnarztbesuch mit einer erhöhten Wurzelkariesprävalenz.
Zusätzlich kann es bei älteren Menschen aus unterschiedlichen
Gründen zu einer Verminderung des Speichelflusses und damit verbun-
den zum Verlust der Schutzwirkung des Speichels kommen (z.B. Allge-
meinerkrankungen, Medikamente, hormonelle Veränderungen u.a.).
Auch Patienten, die im Kiefer-Gesichtsbereich eine Strahlentherapie
erhalten, leiden oft unter extremer Mundtrockenheit (Xerostomie).
Nach Radiatio wird häufig ein rapider Anstieg der Wurzelkaries beob-

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2.1 Karies Kapitel 2 53

achtet, da diese Patienten, zusätzlich zur fehlenden Schutzwirkung des


Speichels, aufgrund einer bestehenden Mukositis überwiegend weiche 1
und damit klebrige Nahrung aufnehmen.
Aber auch bei jüngeren Patienten lässt sich, wenn auch weniger 2
häufig, Wurzelkaries diagnostizieren. Der Grund für freiliegende Wur-
zeloberflächen sind hier meistens Parodontopathien mit entsprechen-
dem Attachmentverlust.
3
Zur Diagnostik der approximalen Wurzelkaries reicht oft die klini- 4
sche Untersuchung nicht aus. Die röntgenologische Diagnostik ist
jedoch problematisch und führt meist erst zum richtig positiven Er- 5
gebnis, wenn die Karies sich bereits im fortgeschrittenen Stadium
befindet.
6
Es gibt eine Reihe von Untersuchungen zur Prävalenz der Wurzelkaries. Studien-
Diese Untersuchungen wurden jedoch bei definierten kleinen Gruppen ergebnisse 7
durchgeführt, sodass die Ergebnisse sich nur bedingt auf die Gesamtbe-
völkerung eines Landes übertragen lassen. Mit der fünften deutschen 8
Mundgesundheitsstudie des IDZ liegen repräsentative Daten zum Wur-
zelkariesbefall bei Erwachsenen und Senioren vor (vgl. Tab. 2.6). 9
Der RCI-Wert der untersuchten 35- bis 44-Jährigen betrug 2005
8,8% und ist in der DMS-V für 2014 mit 10,0% angegeben. Die Präva-
lenz der Wurzelkaries hat sich von 1997 bis zum Jahr 2014 (DMS-V) von
10
22,1% auf 11,8% verringert. Bei den jüngeren Senioren (65- bis 74-jäh-
rig) betrug der RCI-Wert 2005 17,0%. Bis zum Jahre 2014 nahm er auf 11
13,6% ab. Die Wurzelkariesprävalenz nahm von 45% im Jahr 2005 auf
28% im Jahr 2014 ab. Bei Betrachtung der Wurzelkariesprävalenz muss 12
man berücksichtigen, dass in dieser Altersgruppe wesentlich mehr
Zähne als früher vorhanden sind. Damit steigt das Risiko, eine Wurzel- 13
karies zu entwickeln. Offensichtlich tragen allerdings abgestimmte Prä-
ventionskonzepte dazu bei, die Erkrankung der Risikozähne zu verhin-
dern.
14
26% der älteren Senioren (75- bis 100-Jährige) wiesen mindestens
eine kariöse oder gefüllte Wurzeloberfläche auf. Der RCI-Wert beträgt 15
16,4%.
16
Tab. 2.6: RCI-Werte bei Erwachsenen (a: 35–44 Jahre) und Senioren (b: 65–74
Jahre) (nach Micheelis und Schiffner 2016) 17
Gesamt Deutschland Geschlecht
Ost West Männlich Weiblich 18
a) n = 429 n = 47 n = 382 n = 221 n = 208
10% 11% 9,9% 10,5% 9,6% 19
b) n = 651 n = 123 n = 529 n = 336 n = 315
13,6% 11,3% 14,2% 14,8% 12,4%
20

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54 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Tab. 2.7: Klassifizierung des Kariesbefalls bei 12-Jährigen durch die WHO (1984)
DMF-T Beurteilung
< 1,2 Sehr niedrig
1,2–2,6 Niedrig
2,7–4,4 Moderat
4,5–6,5 Hoch
> 6,5 Sehr hoch

Mundgesundheit im internationalen Vergleich


Die WHO hat für 12-Jährige Kategorien des Kariesbefalls definiert (vgl.
Tab. 2.7). Bezieht man die zuletzt erhobenen Daten auf Deutschland
(IDZ-Studie, DAJ-Studie), so kann man den Schluss ziehen, dass in
Deutschland bei den 12-Jährigen ein sehr niedriger Kariesbefall vorliegt.
Europa Das wird auch beim direkten Vergleich mit anderen Ländern, für die
repräsentative Daten vorliegen, deutlich. Ein Vergleich der Kariespräva-
lenz verschiedener europäischer Länder (s. Abb. 2.16) muss jedoch be-
rücksichtigen, dass das Datenmaterial unter sehr unterschiedlichen Be-
dingungen gesammelt wurde.

Polen (2010) 3,2


Bulgarien (2008) 3,1
Tschechien (2006) 2,6
Ungarn (2008) 2,4
Türkei (2006) 1,9
Norwegen (2004) 1,7
Portugal (2005) 1,5
Österreich (2007) 1,4
Island (2005) 1,4
Zypern (2010) 1,3
Frankreich (2006) 1,2
Italien (2004) 1,1
Spanien (2010) 1,1
Schweden (2011) 0,8
Großbritannien (2009) 0,7
Finnland (2009) 0,7
Schottland (2013) 0,6
Dänemark (2014) 0,6
Deutschland (2014) 0,5
0 1 2 3 4
DMF-T
Abb. 2.16: Mittlere DMF-T-Werte bei 12-Jährigen in Europa (nach Jordan und Micheelis, 2016)

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2.1 Karies Kapitel 2 55

Die WHO und die FDI (Fédération Dentaire Internationale) haben


für das Jahr 2020 Mundgesundheitsziele definiert, die für Deutschland 1
durch die Bundeszahnärztekammer modifiziert wurden. Demzufolge
sollen im Jahre 2020 bei 6- bis 7-Jährigen 80% der Gebisse kariesfrei sein 2
und bei 12-Jährigen sollte der mittlere DMF-T-Wert < 1 liegen. Die Vor-
gaben für die 6- bis 7-Jährigen werden in Deutschland noch nicht er-
reicht.
3
Bei den 12-Jährigen hingegen ist mit einem durchschnittlichen
DMF-T-Wert von 0,5 in der DMS-V-Studie der Schwellenwert deutlich 4
unterschritten. Auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland
bezüglich der mittleren DMF-T-Werte für 12-Jährige (gemeinsam mit 5
Dänemark 0,6 DMF-T, Schottland 0,6 DMF-T, Vereinigtes Königreich
0,7 DMF-T und Finnland 0,7 DMF-T) sehr gut.
Ein wichtiges Ergebnis sollte nicht unerwähnt bleiben: Sowohl im
6
Milchgebiss als auch im bleibenden Gebiss ist in Ländern mit niedriger
Kariesprävalenz (d.h. DMF-T-Wert < 2) seit Beginn der 1990er-Jahre nur 7
noch eine unwesentliche Kariesreduktion zu verzeichnen. Die Polari-
sierung des Kariesbefalls und die nicht unerhebliche Zahl kariöser Ini- 8
tialläsionen verdeutlichen zudem, dass noch ein erheblicher präventi-
ver Interventionsbedarf vorhanden ist, um die Mundgesundheit zu ver- 9
bessern. Bei dem Kariesbefall im SiC-Index liegen die 12-Jährigen im
Vergleich zu anderen Ländern, bei denen der SiC-Index erhoben wurde,
an erster Stelle.
10
Bei Erwachsenen (35–44 Jahre) lassen sich die in zahlreichen Län-
dern erhobenen Daten (WHO-Datenbank) nur sehr schwer vergleichen, 11
da die Index-Werte nicht einheitlich erhoben wurden. Mit einem
DMF-T-Wert von 11,2 liegt Deutschland etwa im Mittelfeld. Nur Spa- 12
nien ist mit einem Wert von 6,8 deutlich besser.
Auch bei den jüngeren Senioren ist ein Vergleich aufgrund der un- 13
terschiedlichen Erhebungsmodi in einzelnen Ländern sehr schwierig.
Auch hier findet man den niedrigsten DMF-T-Wert für Spanien (14,7)
gefolgt von Belgien (17,3) und Deutschland (17,7). Für die Wurzelkaries
14
fehlen adäquate Vergleichsmöglichkeiten.
Für die älteren Senioren sind Vergleiche mit internationalen Kohor- 15
ten schwierig, da es nur wenige Daten gibt und diese häufig älter sind.
Die Kariesprävalenz ist in Entwicklungsländern unterschiedlich Entwicklungs- 16
hoch. Während sie in einigen Ländern sehr niedrig ist, steigt sie mit zu- länder
nehmender wirtschaftlicher Entwicklung (sogenannte Schwellenlän-
der) an. Dies wird auf eine Zunahme des Zuckerkonsums bei gleichzeitig
17
mangelhafter zahnärztlicher Versorgung und fehlenden Präventions-
maßnahmen, z.B. Fluoridierung, zurückgeführt. In den Industrienatio- 18
nen sinkt die Kariesrate zwar, hier gilt es aber besonders, die Patienten
mit erhöhtem Kariesrisiko zu erkennen und intensivprophylaktisch zu 19
betreuen.
Neben Prophylaxemaßnahmen gibt es natürlich auch andere Ein- 20
flüsse auf die Kariesmorbidität. So werden z.B. bevölkerungsspezifische

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56 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Anlagen berichtet; sie sind jedoch fraglich. Wahrscheinlich sind hier


eher die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren maßge-
bend.
Familiäre Kinder von Eltern mit geringem Kariesbefall weisen i.d.R. weniger
Faktoren Karies auf als der Durchschnitt ihrer Altersgruppe. Genetische Faktoren
wie Zahnmorphologie, Okklusion, Speichelzusammensetzung u.a. spie-
len sicherlich eine Rolle bei der Kariesentstehung. Sie werden jedoch
durch Umweltfaktoren wie Ernährung, Zahnpflege u.a. signifikant über-
lagert, sodass sie in epidemiologischen Studien kaum Berücksichtigung
finden.
Für alle Zähne gibt es gleichermaßen nach dem Zahndurchbruch
eine Periode der erhöhten Kariesanfälligkeit. Diese nimmt je nach Zahn
zwei bis vier Jahre nach Zahndurchbruch wieder ab. Dieses Phänomen
wird mit der posteruptiven Schmelzreifung und dem damit verbunde-
nen erhöhten Fluorideinbau in die Zahnoberfläche erklärt.
Auch die einzelnen Zähne zeigen unterschiedliche Kariesanfälligkei-
ten. Am stärksten gefährdet sind die ersten und zweiten Molaren (hier
speziell die Fissuren). Es folgen die oberen Prämolaren, der zweite untere
Prämolar, die oberen Schneidezähne, die oberen Eckzähne, der erste un-
tere Prämolar, die unteren Schneidezähne und der untere Eckzahn.
In den westlichen Industrienationen findet man bereits bei 1–5%
der Einjährigen kariöse Defekte der Milchzähne. Am Ende des zweiten
Lebensjahres hat sich die Anzahl der kleinen Patienten mit kariösen
Zähnen bereits verdoppelt. Mit fünf Jahren findet man dann bei 57%
der Kinder kariöse Läsionen. Ähnlich wie im permanenten Gebiss domi-
niert zuerst die Fissurenkaries. Mit zunehmendem Alter nehmen jedoch
auch im Milchgebiss die approximalen Kariesläsionen zu.

2.2 Erosion

! Erosionen entstehen durch häufige direkte Säureeinwirkung auf


saubere Zahnhartsubstanzen.

Entstehungs- Die Säuren lösen die Zahnoberfläche durch Demineralisation auf. Ist die
mechanismen Säureeinwirkung kurz und selten, kann die Zahnoberfläche durch die
Mineralien des Speichels weitgehend natürlich remineralisiert werden
und es entsteht kein bleibender Defekt. Bei längerer und/oder häufiger
Säureeinwirkung, vor allem durch starke Säuren, entstehen irreversible
Zahnhartsubstanzverluste. Durch saure Chelatbildner (z.B. Zitrat) kann
zusätzlich die natürliche Remineralisation durch den Speichel vermin-
dert sein. Erosionen entstehen im Gegensatz zu kariösen Läsionen nicht
durch die Stoffwechseltätigkeit oraler Mikroorganismen.
Die einzelnen chemischen Vorgänge, die zu einer Zahnerosion füh-
ren, sind komplex. Wenn eine Flüssigkeit mit der Zahnoberfläche in Be-
rührung kommt, muss sie zunächst das erworbene Schmelzoberhäut-

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2.2 Erosion Kapitel 2 57

chen durchdringen. Eine gerade entstandene, sogenannte junge Pellikel


kann kaum als Diffusionsbarriere gegenüber einer erosiven Flüssigkeit 1
dienen. Wenn jedoch die Pellikel gereift ist und eine bestimmte Dicke
erreicht hat, kann sie den Diffusionsprozess herabsetzen. Erst nach di- 2
rektem Kontakt mit Zahnschmelz kann die entsprechende Säure die
Kristalle auflösen. Das Herauslösen von Ionen aus der Zahnhartsubstanz
(hauptsächlich Kalzium und Phosphat) führt automatisch zu einer pH-
3
Wert-Anhebung an der Zahnoberfläche und der Säureangriff kann ge-
stoppt werden, wenn keine neueren Säuren oder chelatierende Substan- 4
zen nachgeliefert werden. Spülen mit einer sauren Lösung erhöht den
Auflösungsprozess, weil die saure Lösung an der Zahnoberfläche regel- 5
mäßig erneuert wird. Zudem wird der erosive Charakter eines sauren
Getränks noch durch die Menge an vorhandenem Speichel modifiziert.
Im Dentin wird die Diffusion der demineralisierenden Flüssigkeit in tie-
6
fere Schichten durch die organische Dentinmatrix behindert. Außer-
dem übt die organische Matrix einen Puffereffekt aus. Deshalb führt 7
eine chemische oder mechanische Degradation der Dentinmatrix zu ei-
ner vermehrten Demineralisation. Bei chronischem Erbrechen kann zu- 8
sätzlich Pepsin aus der Magenflüssigkeit das Kollagen des Dentins an-
greifen. 9
Der DMS V kann man entnehmen, dass 17,9% der 12-Jährigen min- Epidemiologie
destens einen bleibenden Zahn mit Zeichen einer Erosion aufweisen.
Allerdings waren diese erosiven Veränderungen geringgradig ausge-
10
prägt. Klassifiziert man diese Befunde anhand des BEWE-Index (s. Kap.
3), dann hatten 3,5% ein gering erhöhtes Risikostratum. 11
In der Gruppe der 35- bis 44-Jährigen weisen 44,8% der untersuch-
ten Personen mindestens einen Zahn mit einer Erosion auf. Allerdings 12
ist das Erosionsrisiko, bestimmt mit dem BEWE, nur bei 0,1% der Er-
wachsenen stark und bei 24,5% leicht erhöht. 13
Bei den jüngeren Senioren (65- bis 74-Jährige) wurde eine Erosions-
prävalenz von 52,1% gefunden, d.h., dass mehr als jeder zweite Unter-
suchte mindestens einen Zahn mit einer erosiven Veränderung auf-
14
weist. Unter Anwendung des BEWE gehören 1% der Untersuchten in
die Gruppe mit einem hohen Risiko, 9,4% in die Kategorie mittleres Ri- 15
siko und 29,1% in die Kategorie mildes Risiko. Männer sind deutlicher
häufiger betroffen als Frauen. 16
Bei den älteren Senioren (75- bis 100-Jährige) lässt sich nach Aus-
schluss der zahnlosen Patienten eine Prävalenz von 60% beobachten.
Erneut sind Männer deutlich häufiger als Frauen betroffen. Nur 2% sind
17
allerdings der Kategorie „hohes Risiko“ nach BEWE-Kriterien zuzuord-
nen. 18
Man unterscheidet Frühläsionen von Spätläsionen. Die Frühläsion Früh-/Spät-
ist klinisch schwer diagnostizierbar. Die typische Schmelzstruktur ist da- läsionen 19
bei verändert. So fehlen auch beim Jugendlichen in diesem Bereich die
Perikymatien. Der Zahnschmelz sieht glatt und matt glänzend aus. Bei 20
der Spätläsion ist bereits das Dentin freigelegt.

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58 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Progredienz Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Progredienz. Es gibt


ruhende, latente und aktive progrediente Formen. Bei aktiven, progre-
dienten Läsionen laufen die Schmelzränder gegen das freigelegte Den-
tin flach aus und die Oberfläche weist histologisch eine Honigwaben-
struktur auf, die an das Ätzmuster erinnert, welches bei der Schmelz-
Ätz-Technik entsteht (s. Kap. 6.1.3). Bei der ruhenden Läsion findet
man häufig wulstige Schmelzränder und die Honigwabenstruktur fehlt.
Kategorien Die erosiven Zahnhartsubstanzveränderungen werden nach Eccles
(1979) klinisch in drei Kategorien unterteilt:
 Klasse I: oberflächliche Läsionen, ausschließlich im Schmelz.
 Klasse II: lokalisierte Läsionen mit Dentinbeteiligung. Das freilie-
gende Dentin nimmt weniger als ein Drittel der Gesamterosions-
oberfläche ein.
 Klasse III: generalisierte Läsionen. Die Dentinbeteiligung beträgt
mehr als ein Drittel der Gesamtläsionsoberfläche.

Die Frühläsion entspricht demnach Stadium I, die Spätläsion den Sta-


dien II und III.
Der erosionsbedingte Zahnhartsubstanzverlust ist für die Patienten
primär nicht sichtbar. Erst im fortgeschrittenen Stadium mit Dentinfrei-
legung kann sich die Erosion durch exogen mit der Nahrung zugeführte
Farbstoffe verfärben und als ästhetisch störend empfunden werden. Zu
Schmerzsensationen kommt es meistens erst mit zunehmender Defekt-
tiefe im Dentin; dabei wechseln sich oft Schmerzintervalle (aktive
Phase) mit schmerzfreien Intervallen (ruhende Läsion) ab. Befinden
sich Erosionen im Kauflächenbereich der Zähne, wird der Zahnhartsub-
stanzverlust durch Attrition und Abrasion beschleunigt.
Ursachen Die Säureexposition kann verschiedene Ursachen haben (s. Abb.
2.17). Selten sind industriell bedingte Säuredämpfe. Exzessiver Konsum
säurehaltiger Fruchtsaftgetränke, Sportlergetränke, Limonaden (z.B.
Cola-Getränke) und anderer säurehaltiger Lebensmittel (z.B. Ascorbin-
säure, Essig, Fruchtbonbons) sind häufige Ursachen von Erosionen.
Werden Zitrusfrüchte mehr als zweimal täglich konsumiert, steigt das
Erosionsrisiko um das 30- bis 40-Fache.
Der pH-Wert, der Kalzium- und Phosphatgehalt und in geringerem
Ausmaß auch der Fluoridgehalt von Getränken oder Nahrungsmitteln
sind wichtige Faktoren, die das Ausmaß des erosiven Angriffs mitbestim-
men. So können saure Lösungen, die mit Kalzium und Phosphat übersät-
tigt sind, durchaus eine geringe oder keine erosive Wirkung aufweisen.
Diese Erkenntnis führte dazu, dass verschiedene Fruchtsäfte mit Kalzium
und Phosphat angereichert werden und somit weniger erosiv agieren.
Je höher die Pufferkapazität eines sauren Getränks oder eines Nah-
rungsmittels ist, desto länger dauert es, bis der Speichel oder die heraus-
gelösten Kalziumphosphationen die Säure neutralisiert haben. Insofern
ist es weniger der pH-Wert als die Pufferkapazität eines Nahrungsmit-
tels, der/die für seine Erosivität verantwortlich ist.

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2.2 Erosion Kapitel 2 59

Erziehung 1
Patienten
toren sei
Fak te A 2

llg
Ess-, Trinkgewohnheiten
säurehaltige

.
Ge
Nahrungsmittel 3
n

Zahnreinigung Reflux/Erbrechen

sun
alte

säurehaltige

dhe
Getränke
Verh

Medikamente Weichgewebe
Früchte
4

it
Jogurt
Speichel Essig Pellikel
Zeit
Zahn Zahn
5
Säuretyp (pK) Adhäsion
G ew

i ss e
pH Phosphat 6
o hn

ntn
n
he

Ke
Pufferung Fluorid
7
it e
n

Fa Kalzium e
kt o s e it 8
ren
Ern ähru ng s
Be s ch ä fti g un g
9
Abb. 2.17: Ursachenkomplex bei der Entstehung von Erosionen (nach Lussi 2005)
10
Speziell bei Menschen, die sich „gesund“ ernähren wollen und
gleichzeitig eine exzessive Mundhygiene bei falscher Putztechnik be- 11
treiben, werden Zahnhartsubstanzdefekte beobachtet, die primär auf
Erosionen zurückzuführen sind. Diese sind dann aber durch die Zahn- 12
putzabrasion überlagert und weisen mehr die Charakteristika eines keil-
förmigen Defekts auf (s. Abb. 2.18). 13
Aber auch häufiges Erbrechen des sauren Mageninhaltes, z.B. bei
Refluxerkrankungen, Essstörungen (Bulimie), Schwangerschaft und Al-
koholismus, führt zu erosiven Veränderungen der Zahnhartsubstanzen.
14
Viele Menschen (bis zu 30%) leiden unter Reflux, der häufig unerkannt
bleibt („silent reflux“). Patienten mit Reflux haben ein (geringes) Risiko, 15
an einem sogenannten Barrett-Ösophagus zu erkranken, einer Präkan-
zerose. Oft wird erst durch den Zahnarzt bei der Erhebung des Zahnsta- 16
tus eine Refluxerkrankung erkannt. Deshalb sollten insbesondere Pa-
tienten, bei denen Erosionen unklarer Genese diagnostiziert werden,
immer auch von einem Gastroenterologen untersucht werden. Der Ver-
17
dacht auf eine Refluxerkrankung ist bei morgendlichem Husten, Herz-
brennen, Aufstoßen und morgendlichem saurem Geschmack im Mund 18
gegeben. Die Adhärenz einer Säure bzw. eines Chelatbildners auf der
Zunge oder an den Schleimhäuten kann eine lang andauernde erosive 19
Wirkung auf die Glattflächen der Zähne zur Folge haben.
Es gibt biologische Faktoren, die den erosiven Prozess beeinflussen Bedeutung des 20
können. Hier sind der Speichel, die chemische Zusammensetzung der Speichels

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60 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

a b c

Abb. 2.18: Schematische Darstellung der unterschiedlichen Morphologie von erosiven Schmelzdefekten (a),
keilförmigen Defekten (b) und initialen kariösen Läsionen im Zahnhalsbereich (c) (nach Binus et al. 1987)

Zahnhartsubstanzen, die Zahnstruktur, die Anatomie des Zahnes und die


anatomischen Gegebenheiten der Mundhöhle ausschlaggebend. Unter
normalen physiologischen Bedingungen wird die Säure durch den Spei-
chel rasch (innerhalb von ca. 10 Minuten eliminiert). Dabei verbleibt
nach exogener Säurezufuhr der pH-Wert an der Zungenspitze nur zwei
Minuten im extrem sauren Bereich. Sind die Speichelfließrate, die Spei-
chelpufferkapazität und der Speichel-pH-Wert jedoch reduziert, so er-
höht sich das Erosionsrisiko. Die erosionsprotektiven Eigenschaften des
Speichels beinhalten die Verdünnung und die Clearance der erosiven
Noxen aus der Mundhöhle, die Neutralisation und die Pufferung der Säu-
ren, die Aufrechterhaltung einer mit Kalzium und Phosphat übersättig-
ten Umgebung an der Zahnoberfläche, die Bereitstellung von Kalzium,
Phosphat und möglicherweise auch Fluorid für die Remineralisation.
Aber auch die Ausbildung einer säureprotektiven Schutzschicht aus
Proteinen gehört zu den protektiven Funktionen des Speichels. Eine
Entfernung des Speicheloberhäutchens oder eine Reduzierung der Dicke
der Pellikel vermindert die protektiven Eigenschaften und erhöht damit
gleichzeitig die Möglichkeit eines erosiven Prozesses. So können Zähne-
putzen mit abrasiven Zahnpasten, die Anwendung professioneller
Zahnreinigungspasten und Bleichvorgänge die Pellikel entfernen und
damit den Zahn säureanfälliger machen.
Sind die Speichelfließrate, die Speichelpufferkapazität und der Spei-
chel-pH-Wert reduziert, so erhöht sich damit das Erosionsrisiko.

Dem Speichel kommt eine entscheidende Bedeutung bei der Entste-


hung erosiver Veränderungen zu. Sowohl qualitative als auch quan-
titative Speicheldefizite begünstigen das Entstehen einer Erosion.

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2.2 Erosion Kapitel 2 61

Das Auftreten von Erosionen ist unabhängig vom Alter und Geschlecht Lokalisationen
der Patienten. Die Läsionen können jedoch in Abhängigkeit von der Ur- 1
sache unterschiedlich lokalisiert sein. So sind Erosionen bei Patienten
mit häufigem Erbrechen primär an den Palatinalflächen der Oberkiefer- 2
frontzähne lokalisiert. Später findet man sie auch auf den Okklusalflä-
chen der Seitenzähne und bukkal im Unterkiefer, weil (insbesondere bei
Menschen, die auf der Seite schlafen) nachts die Magensäure im Vesti-
3
bulum verbleibt und erosiv auf die Zahnoberfläche einwirkt.
Nach dem exzessiven Genuss säurehaltiger Nahrungsmittel werden 4
generalisierte Erosionen diagnostiziert. Besonders betroffen sind häufig
die Bukkalflächen und im Oberkiefer die Labial- und Palatinalflächen. 5
Bei beruflicher Exposition kommt es meistens zu erosiven Verände-
rungen an den Labialflächen der Frontzähne. Erosionen beginnen bei
Patienten mit keiner oder geringgradiger Gingivaretraktion auf den
6
Glattflächen oberhalb des Zervikalbereichs der Zähne.
7
Die bei den meisten Patienten vorhandenen zervikalen Plaquean-
sammlungen scheinen die Demineralisation des Zahnschmelzes 8
durch exogene Säuren zu verhindern. Ein typisches Merkmal leich-
ter und mittelschwerer Erosionen ist daher das Vorhandensein ei- 9
ner mehr oder weniger intakten zervikalen Schmelzzone.

Okklusale und inzisale Erosionen weisen im Höcker und Inzisalbereich


10
dellenartige Vertiefungen im Dentin auf. Diese entstehen wahrschein-
lich in Verbindung mit Attrition und Abrasion. Im Gegensatz zu Schliff- 11
facetten zeigen Erosionen jedoch keine scharf begrenzten oder ausge-
zackten Begrenzungen. 12
Abrasion von erodierter Zahnhartsubstanz: Klinisch sichtbare
Erosionen sind vermutlich die Folge von drei aufeinanderfolgenden 13
Vorgängen:
1. Fehlen der schützenden Pellikel auf der Zahnoberfläche.
2. Mineralverluste an der Zahnoberfläche durch Einwirken einer sau-
14
ren Noxe.
3. Abtrag der erodierten oberflächlichen Zahnschicht durch biomecha- 15
nische und physikalische Einflüsse oder mechanische Reibung, z.B.
durch Lippen, Wangen, Zunge, Nahrung und Zahnbürste. Insbeson- 16
dere häufiges Zähneputzen führt zwar zu einer Verringerung kariö-
ser Läsionen, gleichzeitig kommt es aber zu einer Zunahme von Ero-
sio-Abrasionen.
17
Die Abrasion durch das Zähnebürsten wird durch den Anpressdruck der 18
Bürste, die Bürstbewegung und die verwendete Zahnpasta beeinflusst.
Dabei spielen die Härte und die chemische Zusammensetzung sowie das 19
strukturelle Gefüge der Zahnhartsubstanz eine Rolle. Die Abrasivität ei-
ner Zahnpasta wiederum hängt von der Form, Größe und Härte der in 20
der Zahnpasta vorhandenen Abrasivstoffe ab.

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62 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

2.3 Mechanische Abnutzung der Zähne

2.3.1 Keilförmiger Defekt

! Der keilförmige Defekt ist primär im Zahnschmelz lokalisiert, und


zwar meistens im labialen und bukkalen, zervikalen Bereich der
Schneidezähne, Eckzähne und Prämolaren, wobei die ersten Prä-
molaren sehr häufig betroffen sind.

Keilförmige Defekte ähneln bei oberflächlicher Betrachtung morpholo-


gisch den Erosionen.
Nach Schröder entsteht der keilförmige Defekt meist in unmittelba-
rer Nähe der Schmelz-Zement-Grenze.
Form Die Form des keilförmigen Defekts ist im Zahnlängsschnitt annä-
hernd dreieckig (s. Abb. 2.18) mit einer kurzen Fläche im koronalen Be-
reich.
Die Einkerbung reicht manchmal bis tief in das Dentin und besitzt
eine glatte, glänzende Oberfläche. Dabei ist der koronale Schmelz
manchmal leicht unterminiert. Im Dentin lassen sich mikroskopisch
häufig horizontale Rinnen und Schleifspuren erkennen. Die koronale
freiliegende Dentinfläche weist eher offene, die zervikale eher geschlos-
sene Dentintubuli auf.
Ätiologie Die Ätiologie der keilförmigen Defekte ist bisher nicht abschließend
geklärt. So wird ein mechanisch-abrasiver Vorgang als Ursache angege-
ben. Durch falsche Zahnputztechnik (horizontales Schrubben) und Ver-
wendung stark abrasiver Zahnpasta kommt es demnach zur Entstehung
des Defektes. Schon vorhandene Erosionen oder inaktive kariöse Läsio-
nen im Zahnhalsbereich begünstigen diesen Vorgang, da hier die Zahn-
hartsubstanzen bereits oberflächlich demineralisiert („erweicht“) sind.
Als weiterer kausaler Faktor kommt eine Fehlbelastung der betroffe-
nen Zähne in Betracht (stress- oder anders bedingtes häufiges Zähne-
knirschen, okklusale Störkontakte, Balancehindernisse u.a.), die zu ei-
ner Biegebelastung oder Zugbelastung im Bereich der Zahnhälse führt

Zahnhartsubstanzverlust
durch Abnutzung

Attrition Abrasion
(direkter Kontakt (Abnutzung
antagonistischer bzw. durch Fremdstoffe)
benachbarter Zahnflächen) • Demastikation
• physiologisch (Nahrungsmittel)
(Schlucken, Sprechen u.a.) • andere Stoffe
• pathologisch (Staub, Zahnpasta u.a.)
(Knirschen, Pressen)

Abb. 2.19: Verschiedene Formen der Zahnabnutzung (nach Hickel 1993)

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2.3 Mechanische Abnutzung der Zähne Kapitel 2 63

(Drehpunkt des Zahnes). Durch extreme mechanische Überbelastung


kommt es dann in diesem Bereich zu mikroskopisch oder makrosko- 1
pisch sichtbaren Schmelzaussprengungen. Es soll dabei auch zu Verän-
derungen in der Kristallstruktur des Schmelzes mit nachfolgend erhöh- 2
ter Löslichkeit kommen.
Die mechanische Abnutzung der Zähne geschieht durch Attrition
und Abrasion (s. Abb. 2.19).
3
4
2.3.2 Attrition
5
! Attrition ist definiert als Abrieb der Zahnhartsubstanzen durch di-
rekten Kontakt antagonistischer oder benachbarter Zahnflächen.
6
Die antagonistischen Zahnkontakte entstehen beim Kauen, Schlucken Ursachen
usw. (ca. 1500-mal/Tag). Attrition ist somit eine spezielle, physiologi- 7
sche Form der Abrasion mit meist geringem Zahnhartsubstanzverlust.
Mit zunehmendem Alter treten die Folgen der Attrition jedoch Folgen 8
deutlich zutage. Durch physiologische Zahnbeweglichkeit kommt es
auch im Approximalbereich zum Abrieb benachbarter Zahnflächen. 9
Dadurch werden die primär vorhandenen „punktförmigen“ Approxi-
malkontakte flächenförmiger. Durch gleichzeitige Mesialwanderung
(8–10 mm in 40 Lebensjahren) der Zähne kommt es zur Verstärkung des
10
Approximalkontaktes.
Eine Reihe von Faktoren führt jedoch zu wesentlich ausgeprägteren 11
pathologischen Abnutzungserscheinungen der Zahnhartsubstanzen. So
verleiten psychogene Ursachen wie Stress, Ärger u.a. Patienten zu häufi- 12
gen und lang anhaltenden Zahnkontakten (Parafunktionen), die oft mit
Knirschen und Pressen (Bruxismus) verbunden sind. 13
Aber auch falsch gestaltete Kauflächen zahnärztlicher Restauratio-
nen (z.B. Vorkontakte, Balancehindernisse) sind ausgeprägte Triggerfak-
toren für Abnutzungsvorgänge.
14
Außerdem sind neuromuskuläre Störungen im Kiefer-Gesichtsbe-
reich sowie Stellungsanomalien der Zähne ätiologische Faktoren für pa- 15
thologische Abnutzungserscheinungen an den Zähnen.
Klinisch erkennt man an den Zähnen anfangs im Zahnschmelz, spä- Klinik 16
ter auch im freigelegten Dentin glatte, plane Flächen (Schlifffacetten),
die teilweise winklig aufeinanderstehen und nach koronal scharfkantig
begrenzt sind. Bei Lateralbewegungen des Unterkiefers gleiten die Anta-
17
gonisten genau auf diesen Flächen aneinander vorbei. Sind die Abnut-
zungsvorgänge stark ausgeprägt, so gehen erhebliche koronale Anteile 18
der entsprechenden Zähne verloren, die durch sogenannte okklusale
Drifts (Herauswachsen der Zähne aus den Alveolen bis zum erneuten 19
Zahnkontakt) ausgeglichen werden.
20

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64 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

2.3.3 Abrasion

! Obwohl es sich bei den genannten Abnutzungsvorgängen durch-


aus auch um abrasive Vorgänge handelt, ist Abrasion als Zahn-
hartsubstanzverlust definiert, der durch Fremdkörperabrieb verur-
sacht wird.

Dieser Abrieb kann durch Nahrungsmittel erfolgen (Demastikation)


oder berufsbedingt sein (z.B. Staub bei Bergarbeitern).
Demastikation Der Abrieb durch Demastikation ist abhängig von der Abrasivität
der täglichen Nahrung. Bei Naturvölkern ist die Nahrung meistens abra-
siver als in Industrieländern mit moderner Zivilisationskost (Hambur-
ger, Fertiggerichte).
Habits Davon müssen sogenannte „Habits“ abgegrenzt werden. Es handelt
sich hierbei um gewohnheitsmäßiges Aufbeißen auf Gegenstände (z.B.
Fäden bei Schustern und Schneidern) oder das häufige Halten von Ge-
genständen (z.B. Pfeife, Kugelschreiber, Nägel) mit immer den gleichen
Zähnen. Derartige Abrasionen werden auch Usuren genannt.
Mundhygiene- Neben den genannten Abrasionsvorgängen gibt es Abrasion durch
maßnahmen Mundhygienemaßnahmen. Wie bereits oben erwähnt, sind dabei
Zahnpasten mit stark abrasiven Putzkörpern in Verbindung mit falscher
Putztechnik die Hauptursache. Aber auch die Verwendung anderer ab-
rasiver Substanzen für die Mundhygiene wie z.B. Meersalz und Holz-
kohle führen zu Abrasionen.

Attrition und Abrasion führen zusammen zu Zahnhartsubstanzver-


lusten.

So können im Lauf des Lebens die Perikymatien und der prismenfreie


Schmelz verloren gehen. Die Zahnkronen können kürzer werden und
Formveränderungen unterliegen.
Mit dem „Tooth Wear Index“ steht ein epidemiologisches Instru-
ment zur Verfügung, mit dem Zahnhartsubstanzverluste aufgrund von
Erosionen, Abrasionen oder Attritionen epidemiologisch klassifiziert
werden können. Der ursprüngliche Index wurde modifiziert und verfei-
nert und beinhaltet die in der Tabelle 2.8 aufgeführten Kriterien.
Zahnabnutzung ist zunächst einmal ein physiologischer Vorgang,
der durch die natürliche Funktion der Zähne bedingt ist. Dabei gehen
bei Molaren okklusal im Durchschnitt etwa 1,7 mm und bei Prämolaren
etwa 1 mm Schmelz über einen Lebenszeitraum von 60 Jahren verloren.
Oberkieferfrontzähne werden etwa 1 mm und Unterkieferfrontzähne
etwa 1,5 mm durch Verlust von Zahnhartsubstanz kürzer. Wann ein
Zahnhartsubstanzverlust pathologisch ist, lässt sich nur schwer definie-
ren, weil er durch unterschiedliche Ursachen und deren Kombinatio-
nen verursacht wird und von verschiedenen Symptomen bzw. klini-
schen Konsequenzen begleitet sein kann. Für eine Therapieentschei-

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2.3 Mechanische Abnutzung der Zähne Kapitel 2 65

Tab. 2.8: Modifizierter „Tooth Wear Index“ (TWI) (nach Donachin und
Walls 1996)
1
Zahnfläche
Kategorie Bukkal, lingual und Inzisal Zervikal (Wurzel- 2
okklusal (Zahnkrone) oberfläche)
0 Kein Verlust der typi- Kein Verlust der typi-
schen Charakteristika schen Charakteristika
Keine Veränderung
der Zahnkontur
3
der Schmelzoberflä- der Schmelzoberfläche
che 4
1 Verlust der typischen Verlust der typischen Minimaler Verlust
Charakteristika der Charakteristika der der Zahnkontur 5
Schmelzoberfläche Schmelzoberfläche
2 Verlust des Zahn- Verlust von Zahn- Defekt mit einer 6
schmelzes mit Den- schmelz, dabei Dentin- Tiefe < 1 mm
tinexposition von we- exposition 7
niger als 1/3 der Ober-
fläche
8
3 Verlust des Zahn- Verlust von Zahn- Defekt mit einer
schmelzes mit Den- schmelz und starker Tiefe von 1–2 mm
tinexposition von Dentinverlust ohne Ex- 9
mehr als 1/3 der Ober- position von Sekundär-
fläche dentin oder Pulpa 10
4 Kompletter Verlust Verlust von Zahn- Defekt 2–3 mm tief
des Schmelzes oder schmelz und starker oder Exposition 11
Freilegung von Se- Dentinverlust mit Expo- von Sekundärden-
kundärdentin sition von Sekundärden- tin
tin
12
5 Kompletter Verlust Verlust von Zahn- Defekt > 3 mm tief
von Zahnschmelz und schmelz und starker oder Pulpaexposi-
13
Pulpaexposition Dentinverlust mit Pul- tion
paexposition 14
dung sollte nicht nur der momentane Zustand, sondern auch die Pro- 15
gressionstendenz des nicht kariösen Zahnhartsubstanzverlustes maß-
geblich sein. Grundsätzlich muss man schwere Formen der Abnutzung 16
(TWI 3, 4, 5) von pathologischen Formen unterscheiden, bei denen die
Abnutzung atypisch für das Alter des Patienten ist, Schmerzen, funktio-
nelle Dysfunktionen oder Beeinträchtigungen der Ästhetik bestehen,
17
die bei Fortschreiten zu nicht wünschenswerten Komplikationen füh-
ren würden. 18
Die Entscheidung für ein invasives Vorgehen (Restaurationen)
hängt von den Beschwerden des Patienten und der klinischen Beurtei- 19
lung durch den Zahnarzt ab. Patientenbezogene Faktoren können sein:
Zahnschmerzen bzw. Zahnüberempfindlichkeit, Schwierigkeiten beim 20
Essen oder Beeinträchtigung der orofaszialen Ästhetik.

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66 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Bezogen auf das Alter des Patienten ist die Zahnabnutzung

Pathologisch Physiologisch

Ja Ja

Risikoermittlung, Keine Behandlung


Dokumentation des
Zahnhartsubstanzverlustes

Etablierung eines
Präventionsprogrammes
mit regelmäßiger Remoti-
vation und Monitoring

Nein
Der Patient oder/und der Behandlungsplan wird
Zahnarzt sehen Gründe gemeinsam mit dem
Ja Restaurative Therapie
für einen restaurativen Patienten besprochen und
Behandlungsbedarf festgelegt

Abb. 2.20: Klinische Entscheidungsfindung bei Zahnhartsubstanzverlust durch Abnutzung (modifiziert


nach Loomans et al., 2017: Severe Tooth Wear: European Consensus Statement of Management Guidelines)

Aus zahnärztlicher Sicht können das Ausmaß der Zahnabnutzung,


die betroffenen Zahnflächen (okklusal vs. zervikal), die Anzahl der be-
troffenen Zähne (lokalisiert vs. generalisiert), Progression der Zahnab-
nutzung, Alter des Patienten und Art der ätiologischen Faktoren eine
Rolle spielen. In Abbildung 2.20 wird verdeutlich, wie ein entsprechen-
der Entscheidungsprozess aussehen kann. Grundsätzlich sollten restau-
rative Maßnahmen erst dann erfolgen, wenn präventive Optionen
nicht Erfolg versprechend sind. Der Patient muss über die Vor- und
Nachteile der restaurativen Behandlung aufgeklärt werden. Die restau-
rativen Maßnahmen sollten additiven Charakter haben und nicht zu-
sätzliche Zahnhartsubstanzverluste bewirken. Minimalinvasive Techni-
ken z.B. mit direkten Kompositrestaurationen oder der Einsatz adhäsiv
befestigter, dünner Keramikschalen sind zu bevorzugen. In seltenen Fäl-
len kann auch die konventionelle Restauration mit Teilkronen oder
Kronen indiziert sein, wenn z.B. Kompositrestaurationen nicht zum ge-
wünschten Erfolg geführt haben oder beim älteren Patienten massive
Zahnhartsubstanzverluste vorhanden sind. Die Restaurationstechniken
sind in Kapitel 5 beschrieben.

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2.4 Odontogene Resorptionen Kapitel 2 67

2.3.4 Dentinhypersensitivität
1
Wird Dentin durch einen erosiven oder abrasiven Vorgang freigelegt, so
kann es zu Schmerzsensationen an dem entsprechenden Zahn kom- 2
men. Häufig entsteht nach fazial-zervikaler Freilegung von Dentin eine
Hypersensitivität. Man nimmt an, dass chemische oder physikalische
Noxen zur Eröffnung der Dentintubuli führen. Entsprechend der hydro-
3
dynamischen Theorie der Schmerzentstehung kommt es dann durch ei-
nen Stimulus zur Flüssigkeitsbewegung in den Dentintubuli, die zu ei- 4
ner Veränderung des Drucks an den Mechanorezeptoren der Aβ-Aδ-Fa-
sern führt. Der Patient verspürt dann einen hellen, scharfen Schmerz. 5

2.4 Odontogene Resorptionen


6
7
! Neben der physiologisch stattfindenden Resorption der Milch-
zahnwurzeln durch die bleibenden Zähne gibt es sowohl im
Milchgebiss als auch im bleibenden Gebiss andere, meistens pa- 8
thologische Formen der Resorption.
9
Dabei spielt es keine Rolle, ob die betroffenen Zähne vital oder devital
sind. Es können alle Zahnhartsubstanzen betroffen sein. Bei den patho-
logischen Resorptionsvorgängen unterscheidet man externe von inter-
10
nen Wurzelresorptionen (s. Abb. 2.21).
Sie entstehen durch dentoklastische (odontoklastische) und/oder 11
osteoklastische Aktivität.
Die externen Wurzelresorptionen gehen vom Desmodont aus. Externe Wurzel- 12
Dentoklasten (mehrkernige Riesenzellen) entkalken die Wurzeloberflä- resorption
che, lösen sie enzymatisch auf und phagozytieren losgelöste Partikel. Es 13
14
15
16
17
18
a b c 19
Abb. 2.21: Schematische Darstellung der verschiedenen Formen externer odontogener Resorptionen:
a) oberflächliche, flache externe Resorption mit deutlich erkennbarem Desmodontalspalt, b) tiefe externe 20
Substitutionsresorption mit Ankylose, c) entzündlich bedingte, schüsselförmige externe Resorption

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68 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

entstehen Resorptionslakunen, die jedoch transient sein können und


dann durch Einlagerung von Zahnzement repariert werden. Durch die-
sen Reparaturmechanismus kann es bei kleinen Lakunen zur Wieder-
herstellung der anatomischen Zahnform kommen. Derartige Vorgänge
kommen aufgrund des physiologischen Zementumbaus regelmäßig vor.
Oft wird jedoch nur die Funktion wiederhergestellt (Erneuerung des
desmodontalen Faserapparates); die Lakunen verbleiben röntgenolo-
gisch nicht sichtbar an der Wurzeloberfläche und können bei entzünd-
lichen Parodontalerkrankungen mit Mikroorganismen besiedelt sein,
die zu Rezidiven beitragen.
Pathologische Wurzelresorptionen lassen sich erst ab einer be-
stimmten Größe (2 mm3, 1 mm Tiefe) röntgenologisch diagnostizieren.
Ätiologisch kommen Traumata, Luxationen, Replantationen, periapi-
kale und parodontale Entzündungen, orthodontische Behandlung u.a.
in Betracht. Resorptionen werden klinisch selten bemerkt, da sie ohne
erkennbare Schmerzsymptomatik auftreten.
Formen der exter- Nach Andreasen (1988) gibt es vier Formen der externen Resorption:
nen Resorption  Oberflächliche, flache Resorption an der lateralen oder/und api-
kalen Wurzeloberfläche: Die laterale Form ist teilweise oder voll-
ständig reversibel. Sie betrifft impaktierte Zähne, Zähne mit akuten
Parodontalerkrankungen bei gleichzeitigem raschem Knochenab-
bau. Sie kommt auch nach Zahnluxation und Zahnreplantation vor.
Auslösend sind lokalisierte Traumatisierungen des Desmodonts bzw.
Aktivierung einzelner Dento- und Osteoklasten. Der Desmodontal-
spalt ist röntgenologisch durchgängig erkennbar. Die apikale Form
kann zusätzlich zu diesen Entstehungsfaktoren bei periapikalen Ent-
zündungsprozessen, orthodontischer Therapie und idiopathisch
(meist bei mehrwurzeligen Zähnen) vorkommen. Die idiopathische
Form der Resorption kann zur irreversiblen Verkürzung (1–4 mm)
einzelner Wurzeln führen (selten bei Milchzähnen).
 Tiefe Substitutionsresorption mit Ankylose: Bei retinierten, anky-
losierten Zähnen (speziell Milchmolaren), stark luxierten, replan-
tierten und transplantierten Zähnen kommt es zu dieser nicht rever-
siblen Resorptionsform. Durch starke Traumatisierung wird das Des-
modont devital. Osteoklasten resorbieren den benachbarten
Knochen, das Wurzelzement und das Dentin. Osteoblasten ersetzen
die resorbierte Zahnhartsubstanz durch Knochen. Es kommt zu ei-
ner Verbindung der Zahnhartsubstanz mit Knochen. Der entspre-
chende Zahn verliert seine physiologische Beweglichkeit.
 Entzündlich bedingte, schüsselförmige Resorption: Durch
schwere Luxation, Re- und Transplantation mit nachfolgenden ent-
zündlichen Reaktionen im periapikalen und pararadikulären Be-
reich und durch primäre periapikale Entzündungen kommt es zu
diesen teilweise rasch fortschreitenden Resorptionen. Es kommt da-
bei zu schalen- bzw. schüsselförmigen Resorptionserscheinungen im
Wurzeldentinbereich und evtl. im angrenzenden Knochen. Primär

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2.4 Odontogene Resorptionen Kapitel 2 69

entstehen durch lokale Traumatisierung des Desmodonts oberfläch-


liche, flache Resorptionen. Diese stehen über Dentinkanälchen mit 1
einer infizierten, nekrotisierten Pulpa oder einer undichten Wurzel-
füllung in Kontakt. Toxische Substanzen oder Bakterien treten dann 2
aus dem Wurzelkanal in das laterale parodontale Gewebe aus und
lösen dort eine Entzündung aus. Es kommt damit zur Aktivierung
der resorbierenden Prozesse. Oft sind die Resorptionslakunen und
3
die Knochendefekte von Granulationsgewebe ausgefüllt. Schon
nach wenigen Monaten kann die Zahnwurzel vollständig aufgelöst 4
sein.
 Externes Granulom (cervical inflammatory root resorption): Sel- 5
tener peripherer parapulpärer Resorptionsprozess unbekannter Ätio-
logie. Das externe Granulom geht wahrscheinlich von chronisch
entzündetem Gewebe in der parodontalen Tasche aus. Es handelt
6
sich um wucherndes, gefäßreiches Granulationsgewebe, das Dento-
klasten aktiviert und zu einer mottenfraßähnlichen Struktur im Lä- 7
sionsbereich führt. Das Granulationsgewebe dringt nach einiger Zeit
auch in die Pulpa ein. Wenn das externe Granulom die klinische 8
Krone unterminiert, schimmert es ähnlich wie das interne Granu-
lom rosa durch den Zahnschmelz. Differenzialdiagnostisch lässt es 9
sich jedoch durch die Anfertigung einer mesial- und distalexzentri-
schen Röntgenaufnahme vom internen Granulom abgrenzen, wel-
ches dabei seine Form und Lage nicht verändert.
10
Die interne (innere) Resorption wird auch internes Granulom (Pulpi- Interne Wurzel- 11
tis chronica granulomatosa clausa) genannt. Sie geht vom Pulpagewebe resorption
des nicht eröffneten Pulpenkavums bzw. Wurzelkanals aus (s. Kap. 12
10.1).
Die Milchzahnresorption ist genetisch determinert. Es ist jedoch Milchzahn- 13
bisher nicht geklärt, welche Vorgänge Wachstum und Durchbruch der resorption
Ersatzzähne einleiten und steuern. Die Milchzahnresorption findet pri-
mär in Bereichen statt, die den Zahnkronen des bleibenden Keims am
14
nächsten liegen (Eckzähne – Wurzelspitze, Inzisivi – orale Seite des api-
kalen Wurzeldrittels, Milchmolaren – interradikulärer Raum). Die Kno- 15
chenschicht zwischen Milchzahnwurzel und Zahnkeim wird abgebaut.
Durch dentoklastische Tätigkeit kommt es zur lakunären Resorption. 16
Aber auch lineare Resorption kommt gleichzeitig vor. Die Resorption
der Milchzähne verläuft nicht kontinuierlich, sondern schubweise. In
den Ruheperioden kommt es zu reparativen Vorgängen in Form von la-
17
mellenförmigen Zementauflagerungen. Die Milchzahnpulpa ist an den
resorptiven Vorgängen nicht beteiligt. 18
19
20

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70 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne

2.5.1 Erworbene Hypoplasien der Zahnhartsubstanzen

! Erworbene Hypoplasien entstehen präeruptiv während der Zahn-


hartsubstanzbildung. Da bei den bleibenden Zähnen mit dem
achten Lebensjahr die präeruptive Schmelzentwicklung abge-
schlossen ist, können Schmelzhypoplasien nur bis zu diesem Zeit-
punkt entstehen.

Schmelzhypoplasien
Ursachen Werden während der Schmelzentwicklung Ameloblasten beschädigt
oder in ihrer metabolischen Aktivität gestört, so resultieren i.d.R. irre-
versible Schmelzdefekte. Hierbei müssen allgemeine Störungen des Mi-
neralstoffwechsels (meistens Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel) von loka-
len Traumata (physikalisch, infektiös) unterschieden werden.
Allgemeine Störungen des Mineralstoffwechsels können durch
Magen-Darm-Infektionen mit nachfolgenden Resorptionsstörungen
(z.B. Salmonelleninfektion), allgemeine Infektionserkrankungen (z.B.
Röteln, Lues), Stoffwechselstörungen (z.B. Hypovitaminosen A, C, und
D), hormonelle Störungen (z.B. Hypoparathyreoidismus, mütterlicher
Diabetes) und andere schwerwiegende Allgemeinerkrankungen (z.B.
Erythroblastom mit Kernikterus, Nephrosen, Down-Syndrom, Gluten-
zöliakie) verursacht werden. Auch durch die Einwirkung von Pharmaka
(z.B. Tetrazyklin, Fluorid) können Schmelzhypoplasien entstehen. Un-
ter dem Begriff Schmelzhypoplasien werden zahlreiche verschiedene
Veränderungen der Zahnhartsubstanzen zusammengefasst.
Klinik Klinisch erkennt man weiße oder gelblich-braun verfärbte Flecken,
oft in Verbindung mit Opazitäts- und Formveränderungen der Zähne.
Fleckige Veränderungen sind meistens ein Kennzeichen für Störungen
während der Schmelzreifung.
Formdefekte Treten Formdefekte auf, so ist häufig eine Störung der Schmelzbil-
dung die Ursache. Langfristig einwirkende Noxen haben große, flächen-
förmige Defekte zur Folge, kurzfristige Einflüsse bewirken eher horizon-
tale Furchen, Bänder oder Rillen.
Schmelzflecken Schmelzflecken (Opazitätsveränderungen) wurden früher mit ei-
nem Index erfasst, der alle Hypoplasien unabhängig von der Entste-
hungsursache aufsummierte. Heute versucht man zwischen Schmelzfle-
cken, die durch Fluorideinwirkung entstanden sind, und Hypoplasien,
die andere Ursachen haben, zu unterscheiden. Tatsächlich lassen sich je-
doch idiopathische Schmelzhypoplasien, deren Ursache nicht geklärt ist,
klinisch nur schwer von fluoridinduzierten oder durch Allgemeinerkran-
kungen hervorgerufenen Schmelzopazitäten abgrenzen. Einziges klini-
sches Unterscheidungskriterium ist die Lokalisation. So findet man idio-
pathische Schmelzhypoplasien (unterschiedlich große, weiß-opake, flä-
chenförmige Schmelzveränderungen) oft nur auf Einzelzähne begrenzt.

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 71

Allgemeine Störungen des Mineralstoffwechsels haben symme- 1


trisch verteilte Schmelzhypoplasien zur Folge; dabei bestimmen die
Intensität, die Dauer und der Zeitpunkt der schädigenden Einwir- 2
kung Art und Form der Hypoplasien.

Im Folgenden werden die wichtigsten Ursachen für Schmelzhypopla-


3
sien beschrieben. Für detaillierte Ausführungen zu diesem Thema muss
auf Lehrbücher der oralen Pathologie verwiesen werden. 4
Kommt es während der zweiten Hälfte einer Schwangerschaft zur Hutchinson-
Infektion des Fetus mit Treponema pallidum (konnatale Syphilis), so Zähne 5
resultieren neben anderen Erkrankungen Strukturanomalien der blei-
benden Schneidezähne und der Sechsjahrmolaren. Die Mikroorganis-
men verursachen eine Entzündung im Bereich des Schmelzorgans und
6
es kommt zur Verformung der Ameloblastenreihe bei diesen Zähnen.
Da die Milchzahnkronen bereits partiell mineralisiert sind, hat die Er- 7
krankung keinen Einfluss auf sie. Die oberen bleibenden mittleren
Schneidezähne sind dann später tonnenförmig mit eingekerbter oder 8
halbmondförmiger Einbuchtung der Schneidekante (Hutchinson-
Zähne). Zusätzlich findet man an den Sechsjahrmolaren Hypoplasien. 9
Die Höcker sind so verändert, dass sie als knospen- oder maulbeerför-
mige Molaren bezeichnet werden. Bei den infizierten Kindern findet
man zudem eine Trübung der Hornhaut (Keratitis parenchymatosa)
10
und Innenohrschwerhörigkeit (Hutchinson-Trias).
Erkranken Mütter in den ersten Schwangerschaftswochen an Rö- Röteln 11
teln, kann es zu einem intrauterinen Infekt des Embryos kommen
(Embryopathia rubeolosa). Neben einer Anzahl unterschiedlicher Er- 12
krankungen (z.B. Katarakt, Mikrophthalmie, Innenohrschwerhörigkeit)
werden später beim Kind auch mehr oder minder ausgeprägte Schmelz- 13
hypoplasien, Hypodontien, Veränderungen der Zahnmorphologie und
verzögerter Milchzahndurchbruch beobachtet.
Aufgrund der Inkompatibilität zwischen mütterlichem und väterli- Rhesusfaktor
14
chem Rhesusfaktor entsteht am Ende einer Schwangerschaft oder wäh-
rend der Geburt beim Kind eine hämolytische Anämie (fetale Erythro- 15
blastose). Die dabei frei werdenden Blutfarbstoffe (Bilirubin, Biliverdin)
reichern sich in den Zähnen an und führen neben Strukturveränderun- 16
gen im Zahnschmelz auch zu Grün-, Grau- oder Gelbverfärbung der
Zähne des Milch- und des bleibenden Gebisses.
Die Anwendung von Tetrazyklinen während der Schwangerschaft Tetrazykline
17
und bei Kindern bis zum achten Lebensjahr führt bei Milchzähnen und
im permanenten Gebiss zu grauen und gelben Verfärbungen, bei hohen 18
Dosierungen auch zu hypoplastischen Veränderungen im Zahn-
schmelz. Die Verfärbung betrifft entweder einzelne Bereiche von Zäh- 19
nen, die sich während der Applikation gerade in der Entwicklung befan-
den, oder die gesamte Zahnkrone. Tetrazykline bilden mit Kalzium 20
komplexe Verbindungen und werden so während der Zahnhartsub-

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72 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

stanzbildung irreversibel in den Zahnschmelz oder das Dentin eingela-


gert.

Eine Tetrazyklinmedikation sollte während der Schwangerschaft


und bei Kindern bis zum achten Lebensjahr unterbleiben.

Fluorose Die systemische Applikation von chronisch toxischen Fluoridmengen


(z.B. Fluoridkonzentrationen > 0,05 mg/kg Körpergewicht pro Tag) oder
die einmalige kurzfristige Einwirkung hoher Fluoridkonzentrationen
(10 μmol/ml Fluorid im Blutplasma) an den Ameloblasten beeinträchti-
gen während der Zeit, in der sich die Zahnkronen entwickeln (bis zum
achten Lebensjahr), die Schmelzbildung und Schmelzreifung. Die Fol-
gen sind Schmelzveränderungen, die unter dem Begriff Fluorose zusam-
mengefasst werden.

Mit zunehmender Konzentration der chronisch erhöhten Fluorid-


zufuhr nehmen die Anzahl und der Schweregrad der gefundenen
Schmelzveränderungen zu (s. Abb. 2.22).

Dabei ist es unwichtig, wie es zu einer erhöhten Fluoriddosierung


kommt. Alle Formen der Fluoridapplikation (z.B. Trinkwasserfluoridie-
rung, Fluoridtabletten, fluoridhaltige Zahnpasten) können bei relativer
Überdosierung zu Fluorose führen (s. Abb. 2.23).
Speziell die unkontrollierte Kombination der verschiedenen Fluori-
dierungsmaßnahmen stellt in diesem Zusammenhang ein Problem dar
(zur Fluoriddosierung und -toxikologie s. Kap. 4.2.6). Die gesamte tägli-
che Fluoridaufnahme über einen längeren Zeitraum ist für die Entste-
hung von fluorotischen Schmelzveränderungen risikobestimmend. Es
handelt sich bei den Schmelzveränderungen histologisch um mehr oder
weniger stark ausgeprägte Porösitäten und Strukturdefekte unterhalb
der Schmelzoberfläche bei gleichzeitiger Akzentuierung der Retzius-
Streifen und der Perikymatien. Der Protein- und Fluoridgehalt ist im
fluorotisch veränderten Zahnschmelz gegenüber intaktem Zahn-
schmelz erhöht.

Abb. 2.22: Zusammenhang


Fluorose-Index Fci zwischen Trinkwasserfluo-
ridgehalt (log-Werte) und
schwer 4 Community index of dental
3 fluorosis (Fci) (nach Hodge
moderat
1950)
mild 2
sehr mild 1

0,1 1,0 10,0


ppm Fluorid

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 73

Abb. 2.23: Verteilung unter-


Zähne mit Fluorose
schiedlicher Schweregrade
der Dentalfluorose bei Kin- 1
dern, die in einer Gegend 10 TWF II
mit fluoridhaltigem Trink- schwer
wasser (1–1,5 ppm Fluorid) 9 2
leben, im Vergleich zu einer moderat
Kontrollgruppe. Die Kinder 8
der Gruppe TWF II erhielten mild/
fraglich
3
zusätzlich Fluoridtabletten, 7
da den behandelnden Zahn-
ärzten die Fluoridkonzen-
6 4
tration des Trinkwassers TWF I
nicht bekannt war.
5
5
4
Kontrolle
3 6
Kontrolle
2
7
1

0 8
Klinisch erkennt man weiße, opake Flecken und Streifen, die sich bei 9
stärkeren Porösitäten durch exogene Einlagerung von Farbstoffen (z.B.
durch Nahrungsmittel) braun verfärben können. Oberflächendefekte
und Verlust von Zahnschmelz („pitting“), wie sie bei schweren fluoroti-
10
schen Schmelzveränderungen zu diagnostizieren sind, entstehen erst
sekundär posteruptiv durch mechanische Belastung in der Mundhöhle. 11
Im Milchgebiss sind fluorotisch bedingte Schmelzhypoplasien sel-
tener zu finden als im bleibenden Gebiss. Die Schmelzveränderungen 12
sind in der Mundhöhle verschieden verteilt. Sie nehmen von anterior
nach posterior zu und sind im Unterkiefer bukkal häufiger zu finden als 13
lingual. Bei leichter chronischer Fluoridüberdosierung mit geringfügi-
gen fluorotischen Schmelzveränderungen ist die Verteilung etwas an-
ders. Hier sind die mittleren Schneidezähne und die ersten Molaren we-
14
niger betroffen als die Prämolaren und zweiten Molaren. Es scheint so,
als ob die Zähne, die zuerst mineralisiert werden, weniger fluorotische 15
Veränderungen aufweisen.
Klinisch sind fluorotische Schmelzveränderungen nicht mit isolier- 16
ten oder idiopathischen Hypoplasien zu verwechseln, da sie symme-
trisch auftreten und bestimmte Charakteristika aufweisen. Früher wur-
den alle Schmelzflecken unter dem Begriff „mottling“ subsumiert, so-
17
dass auf der Grundlage der so entwickelten Indizes der Anteil
fluorotischer Schmelzveränderungen falsch diagnostiziert wurde. 18
1938 wurde von Dean et al. ein Fluorose-Index entwickelt und Fluorose-Index
1942 leicht modifiziert. Er zählte noch alle Schmelzopazitäten mit. Die- 19
ser Index fängt in seiner Bewertung jedoch erst beim Auftreten kosme-
tisch störender Schmelzopazitäten an. Er umfasst nicht die initialen, 20
sehr leichten Fluoroseerscheinungen. Der Fluorose-Index nach Dean

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74 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Tab. 2.9: Der Fluorose-Index (besser Mottling-Index) nach Dean (community


index of dental fluorosis) eignet sich für epidemiologische Studien zur Fluo-
roseprävalenz. Er bewertet entweder ausgewählte Zähne (z.B. Frontzähne)
oder das gesamte Gebiss. Dabei werden allerdings nur die beiden am
schwersten befallenen Zähne in die Wertung einbezogen. Der Index berech-
net sich nach folgender Formel:
Fci = n x w
N
Dabei steht N für die Anzahl aller untersuchten Personen, n für die Anzahl
der Personen mit positivem Fluorosebefund und w für den ermittelten
Schweregrad.
Bewertung Beschreibung Schweregrad
Normal Keine Schmelzveränderungen 0
Fraglich Einzelne weiße Flecken 0,5
Sehr mild Kleine opake, weiße Schmelzareale, die weniger als 1,0
25% der Zahnfläche einnehmen
Mild Weiße Opazitäten, die bis zu 50% der Zahnoberflä- 2,0
che bedecken
Moderat Umschriebene braune Verfärbungen, die mehr als 3,0
50% der Zahnoberfläche einnehmen
Schwer Braune Verfärbung; der Zahn ist hypoplastisch ver- 4,0
ändert und erodiert bzw. abradiert

(eigentlich Mottling-Index) findet heute noch häufig Verwendung, da


er leicht zu handhaben ist und bei epidemiologischen Studien auf ad-
äquate Beleuchtung und extreme Trocknung der Zahnoberfläche ver-
zichtet. Aufgrund der Klassifikation von Dean entstand der community
index of dental fluorosis (Fci, Tab. 2.9).
Der 1978 von Thylstrup und Fejerskov eingeführte Index (TF-Index)
umfasst auch die ersten biologisch sichtbaren fluorotischen Erscheinun-
gen auf der Schmelzoberfläche und zählt dabei nur die symmetrisch
vorkommenden Schmelzveränderungen (s. Abb. 2.24). Hier ist ein ent-
sprechender Lichteinfall nach sorgfältiger Trocknung der Zahnoberflä-
che Voraussetzung.

Während in den USA und Kanada von einem Ansteigen leichter


fluorotischer Schmelzflecken berichtet wird, gibt es in Deutschland
keine Anzeichen einer steigenden Fluoroseprävalenz.

Durch Sauerstoffmangel (Asphyxie) z.B. während der Geburt (speziell


bei Frühgeburten) entstehen symmetrische Hypoplasien der Milch-
zähne und der bleibenden Molaren.
Neonatallinie Eine besondere Form dieses metabolischen Traumas ist die Neona-
tallinie, die bei allen Milchmolaren und den Sechsjahrmolaren auftre-
ten kann. Es handelt sich um eine klinisch nicht sichtbare, interne Hy-
poplasie (5–25 μm breite, treppenstufenartige Linie), die im histologi-
schen Schnitt gut darstellbar ist.

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 75

1
Normaler Schmelz mit glänzender,
Grad 0: transluzenter Oberfläche ohne Defekte.
2
Nach sorgfältiger Trocknung erkennt man auf der
Schmelzoberfläche im Verlauf der Perikymatien dünne, opake, 3
Grad 1: weiße Linien. An den Inzisalkanten bzw. Höckerspitzen kann
es zu einer leichten Ausprägung des Schneekappenphänomens
kommen. Diese Bereiche sind dann weißlich opak verändert. 4
Die opaken, weißen Linien treten deutlicher hervor und
verlaufen manchmal zu kleinen, wolkigen Veränderungen,
5
Grad 2:
die über die gesamte Schmelzoberfläche verstreut sein
können. Das Schneekappenphänomen tritt nun gehäuft auf.
6
Die weißen Linien verschmelzen zu größeren, wolkigen
Grad 3: Arealen, welche die gesamte Schmelzoberfläche bedecken.
Zwischen den opaken Bereichen lassen sich weiterhin weiße
7
Linien diagnostizieren.
8
Die gesamte Zahnoberfläche ist opak oder kreidig-weiß verändert.
Nur die Flächen, die in Abnutzungsbereichen (z.B. Attrition) liegen,
Grad 4: scheinen weniger betroffen zu sein. Tatsächlich ist hier der porös
veränderte Zahnschmelz rasch verloren gegangen.
9
10
Grad 5: Die gesamt Oberfläche ist opak. Man erkennt kleine, runde
Schmelzverluste (focal pits) mit einem Durchmesser von
weniger als 2 mm.
11

Die Schmelzverluste nehmen die Form kleiner Furchen an. 12


Grad 6: Die Breite dieser Bänder ist kleiner als 2 mm.
Die Höckerspitze bzw. Inzisalkante kann ebenfalls einen
Zahnhartsubstanzverlust von weniger als 2 mm aufweisen. 13
Die Schmelzoberfläche ist von irregulären Substanzverlusten
unterbrochen. Der Hartsubstanzverlust beträgt allerdings
14
Grad 7:
weniger als die Hälfte der Zahnoberfläche. Der restliche
Zahnschmelz ist opak verändert.
15

Grad 8: Wie Grad 7, allerdings nimmt der Schmelzverlust jetzt mehr 16


als die Hälfte der Zahnoberfläche ein.

17
Es kommt zum Verlust großer Teile des Zahnschmelzes.
Die anatomische Form des Zahnes wird dadurch
Grad 9:
verändert. Zervikal bleibt meistens ein halbmond- 18
förmiger Bereich opaken Schmelzes stehen.

19
Abb. 2.24: Einteilung der Zahnfluorose nach unterschiedlichen Schweregraden entsprechend dem
TF-Index (nach Thylstrup und Fejerskov 1978) 20

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76 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Hypokalzämie Ein weiteres metabolisches Trauma, das zu Schmelzhypoplasien füh-


ren kann, ist die Hypokalzämie. Auslöser für eine Hypokalzämie kön-
nen chronische Diarrhö im Säuglings- und Kleinkindalter, chronischer
Vitamin-D-Mangel der Mutter oder des Kindes, Rachitis u.a. sein. Es
können isolierte Schmelzflecken, bei schwerer Form jedoch auch sym-
metrisch verteilte Formdefekte resultieren.
Lokale Traumata Lokale Traumata während der Zahnentwicklung bzw. Mineralisa-
tion können an einem oder mehreren Zähnen Hypoplasien und Form-
veränderungen hervorrufen. Kommt es bei einem Unfall durch Intru-
sion, Kontusion, Luxation oder Avulsion der Milchzähne zu einem lo-
kalen mechanischen Trauma des Keims der Zuwachszähne (meistens
mittlere obere Schneidezähne), resultieren je nach Schweregrad des
Traumas und Entwicklungsstand des Zahnkeims unterschiedlich stark
ausgeprägte Schmelzveränderungen bzw. Zahnbildungsstörungen. Die
Schmelzhypoplasien reichen von weißen und gelb-braunen Verfärbun-
gen über Formdefekte (Einkerbungen im Schmelz) bis zu Abknickungen
der Krone gegenüber der Zahnwurzel (Dilazeration). Auch chirurgi-
sche Eingriffe während der Entwicklungsphase der Zähne können der-
artige Schäden hervorrufen. Durch mechanische Traumata werden am
Ort der Einwirkung die Ameloblasten zerstört, und der entsprechende
Zahn bleibt an dieser Stelle auf der erreichten Entwicklungsstufe stehen.
Kommt es beim Unfall zu Gewebeblutungen in unmittelbarer Um-
gebung des Zahnkeims, lagern sich Blutfarbstoffe in den unreifen Zahn-
schmelz ein und verfärben ihn gelb-braun.
Ein weiteres lokales Trauma kann die Einwirkung ionisierender
Strahlung (z.B. im Rahmen einer Tumorbehandlung) sein. Je nach
Strahlendosis und Entwicklungsstand der betroffenen Zahnkeime resul-
tieren wieder unterschiedliche Defekte (Hypoplasien, Mikrodontie,
vollständige Zerstörung des Zahnkeims).
Infektion Eine lokale Infektion einer Milchzahnpulpa (z.B. durch Karies)
kann zu einer Pulpanekrose mit anschließender Ausbildung eines chro-
nischen oder akuten periapikalen Entzündungsgeschehens führen.
Wird dabei die Knochenwand zwischen Milchzahn und Zahnkeim der
Zuwachszähne abgebaut, kann das entzündungsbegleitende Ödem
Druck auf das Schmelzorgan ausüben und damit den Zahnkeim schädi-
gen.
Die Entzündung kann sich jedoch auch auf den Zahnkeim ausbrei-
ten und so direkt schädigen. Es resultieren je nach Schweregrad der
Schädigung Schmelzhypoplasien, unvollständige oder deformierte Kro-
nen und Wurzeln. Diese Defekte treten häufig bei unteren Prämolaren
auf. Oberkiefer-Prämolaren und Schneidezähne sind seltener betroffen.
In der Literatur wird ein derartig geschädigter Zahn als Turner-Zahn be-
zeichnet. Er ist kleiner als die normalen Zähne, mit eingedellten Inzisal-
kanten bzw. verkleinerten Höckern, und weist flächenförmige Schmelz-
defekte auf, die oft von Zement bedeckt sind.

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 77

Eine besondere Form einer Mineralisationsstörung bei bleibenden Molaren-


Zähnen ist die sogenannte Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation Inzisiven-Hypo- 1
(MIH). Sie betrifft zum einen die Sechsjahresmolaren und häufig weni- mineralisation
ger ausgeprägt die Inzisiven. Dabei sind die Oberkiefer-Inzisiven eher 2
befallen als die Unterkiefer-Inzisiven. Die Mineralisationsstörung kann
auf einzelne Höcker beschränkt sein oder aber über die gesamt Glatt-
fläche oder das Fissurenrelief bis nach zervikal reichen. Die Mineralisa-
3
tionsstörungen reichen von weiß-gelblichen oder gelb-braunen, unre-
gelmäßigen Opazitäten bis zu schwersten Hypomineralisationen mit 4
abgesplitterten oder fehlenden Schmelz- und/oder Dentinarealen unter-
schiedlichen Ausmaßes. 5
Die Ätiologie dieser Mineralisationsstörung ist nicht genau geklärt.
So werden als mögliche Ursachen Dioxin oder polychloriertes Biphenyl
(PCB) in der Muttermilch und mehr als neun Monate langes Stillen,
6
Frühgeburt und Sauerstoffmangel bei der Geburt oder später, respirato-
rische Erkrankungen der frühen Kindheit (rezidivierende Bronchitiden, 7
Asthma bronchiale), Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Scharlach,
Mumps und Masern während der ersten drei Lebensjahre, Störungen im 8
Mineralhaushalt (Hypoparathyreoidismus, Malnutrition, Malabsorp-
tion, Zöliakie, Vitamin-D-Hypovitaminose) genannt. 9
Neben einer Intensiv-Kariesprophylaxe sollten die Defekte, wenn
möglich, mit adhäsiv befestigten Restaurationen versorgt werden. Bei
ausgeprägtem Substanzverlust kann eine konfektionierte Stahlkrone
10
oder später auch eine normale Überkronung stattfinden. Es kann zudem
bei extremer Ausprägung die symmetrische Extraktion der Sechsjahres- 11
molaren mit anschließender kieferorthopädischer Behandlung notwen-
dig sein. Die Prävalenz wird international in unterschiedlichen Studien 12
mit 2,8–40,2% angegeben. In der fünften Deutschen Mundgesundheits-
studie aus dem Jahr 2014 wird von einer MIH-Prävalenz von 28,7% bei 13
12-Jährigen berichtet. Dabei handelt es sich mehrheitlich (etwa 80% der
MIH-Kinder) um geringfügige Ausprägungsgrade, z.B. begrenzte Opazi-
täten. Allerdings weisen 5,4% der Kinder mindestens einen Zahn mit
14
Zahnhartsubstanzverlusten oder durch Zahnhartsubstanzverluste be-
dingte Restaurationen auf. 15
Dentinhypoplasien 16
Gemeinsam mit den Schmelzhypoplasien treten oft auch Dentinhypo-
plasien auf. Sie haben die gleichen Ursachen und äußern sich in einer
Akzentuierung der Owen-Linien, gehäuftem Auftreten von Interglobu-
17
lardentin und unregelmäßigem Verlauf der Dentinkanälchen. Sie tre-
ten klinisch nicht in Erscheinung, sondern sind erst im histologischen 18
Schnittbild zu erkennen.
19
20

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78 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Paraplasien

! Unter dem Begriff Paraplasien werden verschiedenartige zusätzli-


che Zahnauflagerungen oder -anlagerungen zusammengefasst.

Echte Schmelzperlen sind runde Gebilde, die allein aus Zahnschmelz


bestehen und der Zahnwurzel aufsitzen (meistens bei Molaren).
Zusammengesetzte Schmelzperlen bestehen aus einem Pulpaan-
teil, Dentin und einer Schmelzkappe. Sitzen echte Schmelzperlen im Be-
reich der Bi- und Trifurkationen der Zähne, so werden sie auch Schmelz-
tropfen genannt. Im Bereich der Furkationen findet man auch flache
Schmelzinseln, die manchmal die gesamte Furkation bedecken.
Schmelzsporne sind lanzettartige zervikale Verlängerungen des ko-
ronalen Schmelzes, die ebenfalls bis in die Furkationen reichen können.

Schmelzparaplasien können Plaqueretentionsstellen sein und so-


mit die Entstehung und Progression von Parodontopathien und
Wurzelkaries begünstigen.

Erhöht wird die Gefahr durch Auflagerung irregulärer, rauer Zementfor-


mationen.
Zementparaplasien können als Zementzungen und Zementinseln
im zervikalen Bereich dem Zahnschmelz aufliegen (azellulär-afibrilläres
Zement). Sie entstehen vor oder während des Zahndurchbruchs.

2.5.2 Genetisch bedingte Fehlbildungen der Zähne

! Zahnanomalien sind seltene Erkrankungen. Sie treten oft als ein


begleitendes Phänomen bei Syndromerkrankungen auf.

Anomalien der Zahnzahl und -form


Zahnüberzahl Zahnüberzahl (Hyperdontie) kommt im Milchgebiss und im permanen-
(Hyperdontie) ten Gebiss vor. Männliche Patienten sind häufiger betroffen als weibliche.
Im Milchgebiss treten die Zähne normal durch. Meistens tritt ein zu-
sätzlicher Milchzahn im Oberkiefer-Frontzahnbereich auf.
Im permanenten Gebiss sind die zusätzlichen Zähne oft kleiner als
die normalen Zähne und irregulär geformt. Sie kommen häufig im Be-
reich der mittleren Oberkiefer-Frontzähne und Oberkiefer-Molaren vor.
Der Mesiodens ist ein zapfenförmiger Zahn mit konischer Krone
und kurzer Wurzel. Er befindet sich meistens palatinal verlagert zwi-
schen den mittleren Oberkiefer-Frontzähnen. Er kann auch retiniert
und verlagert sein. Es handelt sich wahrscheinlich um einen zusätzli-
chen Zahnkeim. Ein autosomal-dominanter Erbgang wird diskutiert.
Als Zapfenzahn wird ein zusätzlicher Zahn bezeichnet, wenn er sich
zwischen mittlerem und seitlichem Oberkiefer-Schneidezahn befindet.

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 79

Distomolaren entstehen aus der verlängerten Zahnleiste distal der


dritten Molaren (vierter und fünfter Molar sind möglich). Es sind kleine, 1
molarenähnliche Zähne. Treten sie bukkal zwischen den normalen Mo-
laren auf, werden sie Paramolaren genannt. 2
Zusätzliche Eckzähne (hauptsächlich im Oberkiefer) bzw. Prämola-
ren (vornehmlich im Unterkiefer) sind häufig retiniert und nur röntge-
nologisch zu diagnostizieren.
3
Bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (LKG) und Dys-
ostosis cleidocranialis treten Hyperdontien häufiger auf als bei ande- 4
ren Patienten. In Einzelfällen können bei der Geburt eines Kindes oder
wenig später bereits untere zentrale Schneidezähne vorhanden sein (na- 5
tale, neonatale Zähne). Es sind dann aber oft keine zusätzlichen Zähne,
sondern zu früh durchgebrochene normale Milchzähne. Sie sind häufig
nicht regelrecht mineralisiert und stark gelockert (Gefahr der Exfolia-
6
tion, verbunden mit Aspiration).
Anlagebedingtes Fehlen von Zähnen ist definiert als Anodontie Anodontie 7
(vollständiges Fehlen aller Zähne), Oligodontie (partielle Anodontie) Oligodontie
und Hypodontie (Fehlen einzelner Zähne). Diese Anomalien sind häu- Hypodontie 8
fig assoziiert mit autosomal-dominant vererbter ektodermaler Dyspla-
sie, Down-Syndrom, LKG, otofazialer Dysostose u.a. 9
Extreme Ausprägungen der Zahngröße werden als Makrodontie
bzw. Mikrodontie (laterale Schneidezähne im Oberkiefer, dritte Mola-
ren) bezeichnet.
10
Rhizomegalie bezeichnet die Ausbildung extrem langer Wurzeln Rhizomegalie
(Oberkiefer-Eckzähne), Rhizomikrie die Ausbildung extrem kurzer Rhizomikrie 11
Wurzeln (zentrale Inzisivi im Oberkiefer, dritte Molaren, Prämolaren).
Als Taurodontismus wird eine seltene Anomalie der Zahnform be- Taurodontismus 12
zeichnet, bei der sich das Pulpenkavum von Molaren oder Prämolaren
sehr weit bis in den Wurzelbereich zieht. Die Wurzel stellt sich dabei als 13
massiver, breiter Körper ohne Verzweigungen dar. Die Zahnhartsub-
stanz ist histologisch normal aufgebaut.
Unter Gemination (Zahnkeimpaarung) versteht man stark verbrei- Gemination
14
terte Zähne (Zahnkrone erscheint oft doppelt so groß wie normal) mit
einer Furche oder Kerbe in der Zahnmitte. Es liegt nur eine Pulpakam- 15
mer vor, die sich jedoch nach koronal verzweigen kann. Es handelt sich
dabei um einen gescheiterten, inkompletten Teilungsversuch des Zahn- 16
keims. Ist der Teilungsversuch erfolgreich, so entsteht ein zusätzlicher
Zwillingszahn (Schizodontie).
Es kommt jedoch auch vor, dass zwei benachbarte Zahnkeime im
17
Wurzel- oder Kronenbereich partiell oder total verschmelzen (Fusion).
Auch Wurzeln einzelner Zähne können verschmelzen. 18
Davon schwer abzugrenzen sind Zahnverwachsungen im Zementbe-
reich eng benachbarter Zähne. 19
Eine spezielle Fehlbildung eines einzelnen Zahnes ist die Invagina-
tion, d.h. die Einstülpung der Zahnoberfläche während der Zahnent- 20
wicklung.

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80 2 Ätiologie, Histologie und Epidemiologie der Karies und anderer Zahnhartsubstanzdefekte

Genetisch bedingte Anomalien der Zahnhartsubstanzbildung


Die erblich bedingten Dysplasien werden folgendermaßen eingeteilt:
 Schmelzanomalien
 Dentinanomalien
 Anomalien, bei denen beide Zahnhartsubstanzen betroffen sind

Für die genaue Beschreibung der einzelnen Erkrankungen und ihrer


Auswirkungen auf das klinische Erscheinungsbild der Zähne muss auf
Lehrbücher der Pathologie oraler Gewebe verwiesen werden, da sie den
Rahmen dieser Einführung sprengen würde.
Bei diesen qualitativen oder/und strukturellen Anomalien sind im-
mer alle Zähne betroffen. Dabei werden die Zahnhartsubstanzen oder
die organische Matrix der Zahnhartsubstanzen irregulär gebildet. In
Verbindung mit verschiedenen Syndromen treten unterschiedliche Er-
scheinungsformen mit unterschiedlichem Erbgang auf.
Schmelz- Bei den Amelogenesis-imperfecta-Formen ist die Funktion und/
anomalien oder die Differenzierung des Schmelzbildungsorgans gestört. Pulpa und
Dentin sind normal ausgebildet. Die Morbidität beträgt 1 : 12 000–14 000.
Man unterscheidet hypoplastische Formen von Formen mit unrei-
fem Schmelz (Hypomaturation) und Formen mit mindermineralisier-
tem Schmelz (Hypomineralisation, Hypokalzifikation). Es gibt zudem
partielle Formen und aplastische Formen. Die einzelnen Krankheitsbil-
der jeder Formengruppe sind neben definierten klinischen und röntge-
nologischen Kriterien auch an den Nachweis des Erbganges geknüpft.
Hypoplastische Formen weisen eine geringere Schmelzdicke bei
normaler Härte auf. Bei Hypomaturation produzieren die Ameloblas-
ten Schmelzmatrix in normaler Größenordnung, die präeruptive
Schmelzreifung (z.B. Wasserrückresorption) ist jedoch gestört. Der
Schmelz ist normal dick, jedoch an der Oberfläche weicher als üblich.
Bei Hypomineralisation ist der gesamte Schmelz extrem weich, da
die Kristallbildung mangelhaft ist. Bei Schmelzaplasien ist der Zahn von
einer dünnen Schicht Zement bedeckt.
Oft kommt es erst posteruptiv durch mechanische Beanspruchung
zum Verlust von Schmelzanteilen. Bei Hypoplasie und Aplasie des
Schmelzes schimmert das Dentin gelblich-braun durch. Aplastische
Zähne weisen oft eine Obliteration der Dentinkanälchen als Reaktion
der Dentin-Pulpa-Einheit auf. Es resultiert dann trotz Fehlen der schüt-
zenden Schmelzschicht eine relative Unempfindlichkeit gegenüber exo-
genen Reizen.
Dentinanomalien Die erblich bedingten Veränderungen des Dentins werden in Denti-
nogenesis-imperfecta-Formen und Dentindysplasie unterteilt. Auch
hier gibt es verschiedene Varianten. Primär wird im Bereich des Mantel-
dentins normales Dentin gebildet. Später erfolgt eine atypische Dentin-
bildung mit einer geringeren Anzahl Dentinkanälchen und vermehrtem
Anteil organischer Substanz, manchmal mit totaler Obliteration der
Pulpa (diagnostisches Merkmal).

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2.5 Entwicklungsstörungen der Zähne Kapitel 2 81

Der Zahnschmelz ist zwar normal strukturiert, das Dentin schim- 1


mert jedoch blaugrau bzw. graubraun durch.
2
Der Zahnschmelz kann teilweise von der Unterlage absplittern.
Wurzellose Zähne (shell teeth) fallen klinisch meistens durch starke
Lockerung auf. Sie besitzen unauffällige, normal ausgebildete Kronen
3
und es sind keine Resorptionserscheinungen (Lakunen) zu diagnostizie-
ren. Auch hier ist das Pulpenkavum oft obliteriert. 4
Kronenlose Zähne (Capdepont-Zähne) entstehen durch starke und
rasche Abrasion von Zähnen, bei denen sowohl Schmelz als auch Den- 5
tin nicht regelrecht strukturiert sind. Es resultieren schmerzfreie, grau-
braune Dentinstümpfe.
6
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Kapitel 3 83

3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen


der Kariestherapie 1
2
3
4
! Grundlage jeder medizinischen Therapie ist die richtige Diagnose
der zu behandelnden Erkrankung.
5
Zur Sicherung der Diagnose und Abgrenzung gegenüber anderen Er-
krankungen mit teilweise ähnlicher Symptomatik (Differenzialdiag-
nose) gehört eine umfassende und systematische Untersuchung und Be-
6
funderhebung.
Die Untersuchung und Befunderhebung sollte das Auftreten einer 7
oralen Erkrankung (Prävalenz, Schweregrad), den Grund der Erkrankung
(ätiologische Faktoren) und Art und Güte bereits durchgeführter Inter- 8
ventionen berücksichtigen. Die verwendeten diagnostischen Methoden
und Kriterien sollten durch Validität (reflektiert die Diagnose den tat- 9
sächlichen Zustand?) und Reliabilität (ist die Diagnose reproduzierbar,
eventuell auch durch mehrere Behandler?) gekennzeichnet sein.
Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
10
(DGZMK) hat gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer und der Kas-
senzahnärztlichen Bundesvereinigung im Rahmen der Neubeschreibung 11
einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in die-
sem Zusammenhang einen Vorschlag für eine systematische Befunderhe- 12
bung vorgelegt, die diesen Forderungen Rechnung tragen soll. Dabei wird
eine Basisuntersuchung von einer weiterführenden, vertiefenden Un- 13
tersuchung unterschieden. Davon abzugrenzen ist die symptomorien-
tierte Untersuchung, die sich auf den zahnärztlichen Akut-Notfall be-
zieht und nur die diagnostischen Maßnahmen beinhaltet, die zielgerich-
14
tet für die Notfallbehandlung erforderlich sind. Auch bei Untersuchungen
im Rahmen der unterstützenden Nachsorge (individuelle risikoadaptierte 15
Langzeitbetreuung, Recall) werden häufig nur Einzelbestandteile der Ba-
sisuntersuchung oder der erweiterten Untersuchung erforderlich sein. 16

3.1 Basisuntersuchung
17
18
! Die Basisuntersuchung ist die Grundlage für weiterführende Un-
tersuchungen. Mit ihr soll festgestellt werden, ob und welche wei-
teren diagnostischen und gegebenenfalls zahnärztlich-therapeuti- 19
schen Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Sie berücksich-
tigt im Sinne eines Screenings möglichst viele Zahn-, Mund- und 20
Kieferkrankheiten.

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84 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.1: Maßnahmen der Basisuntersuchung


Merkmal Therapie und Verlauf
• Orientierendes zahnärztliches Gespräch (Erwartungen/Persönlichkeitsstruk-
tur des Patienten)
• Orientierende allgemeine und spezielle Anamnese, Präventionsanamnese
(Anlass des Zahnarztbesuches, Anamnese- und Gesundheitsfragebögen)
• Orientierende extraorale Untersuchung
• Orientierende Untersuchung der Mundhöhle und angrenzender Regionen
• Orientierende Befunde der Zähne und der Kaufunktion
– Befunde zum Zahnbestand
– Befunde zu den Zahnhartsubstanzen (kariesbedingte und nicht kariesbe-
dingte Veränderungen)
– Befunde zur konservierend- und prothetisch-restaurativen Situation
– Befunde zum Endodont
– Befunde zur parodontalen Situation
– Funktionsbefunde
– KFO-Befunde
• Orientierende Aufklärung und Beratung

Ausgehend von der Basisuntersuchung schließt sich bei unklaren oder


pathologischen Befunden sowie bei Feststellung einer Behandlungsnot-
wendigkeit eine weiterführende Untersuchung an. Diese ist auf das Ge-
biet begrenzt, in dem die jeweiligen Auffälligkeiten gefunden wurden.
Die Basisuntersuchung beinhaltet die in der Tabelle 3.1 aufgeführten
Maßnahmen.

3.1.1 Orientierendes zahnärztliches Gespräch

Während des Gesprächs soll sich der Zahnarzt einen Eindruck über die
Einstellung des Patienten zur zahnärztlichen Behandlung machen und
möglichst auch dessen psychischen Status einschätzen. Das Ergebnis ei-
nes ärztlichen Gesprächs ist vom Einfühlungsvermögen und vom Ge-
schick des Untersuchers ebenso abhängig wie von der Einstellung des
Patienten, dessen Intelligenz und Kooperationsbereitschaft (Compli-
ance). Durch das Gespräch soll ein Vertrauensverhältnis zwischen
Zahnarzt und Patient begründet werden, das eine nicht zu unterschät-
zende Grundlage für den Erfolg der zahnärztlichen Therapie darstellt.

3.1.2 Orientierende allgemeine und spezielle Anamnese

Allgemein- Die Allgemeinanamnese soll in einem kurzen Überblick den allgemei-


anamnese nen Gesundheitszustand des Patienten erfassen. Dabei wird der Patient
beobachtet. Die Motorik, Hautfärbung (z.B. zyanotisch), Atemtätigkeit

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3.1 Basisuntersuchung Kapitel 3 85

(z.B. rasselnde Atemgeräusche) usw. können bereits Hinweise auf beste-


hende Allgemeinerkrankungen geben (s. Lehrbücher der Inneren Medi- 1
zin). Mit der Allgemeinanamnese können Einflüsse von Allgemeiner-
krankungen auf die Zahngesundheit erkannt und spezielle Behand- 2
lungsrisiken im Bereich der Therapie ausgeschlossen werden.
Hier sind besonders das Anästhesierisiko (Herzerkrankungen,
Schilddrüsenerkrankungen u.a.), vermehrte Blutungsneigung, Endokar-
3
ditisrisiko, Erkrankungen, die zu einer begrenzten Behandlungsdauer
führen (z.B. Diabetes mellitus, Anorexia nervosa), Erkrankungen mit ei- 4
ner Verminderung der Speichelsekretion und Allergien zu nennen.
Um diese Risiken abzuklären, werden die Patienten anhand eines 5
standardisierten Fragebogens befragt. Die Patienten füllen diesen Bo-
gen selbst aus und bestätigen mit ihrer Unterschrift die Vollständigkeit
und die Richtigkeit der Angaben.
6

Es ist wichtig, dass sich jeder neue Behandler vom Gesundheitssta- 7


tus des Patienten selbst überzeugt. Sind Patienten über längere Zeit
nicht zur Behandlung in der Praxis gewesen, muss die Allgemein- 8
anamnese erneut erhoben werden, da neue Erkrankungen aufgetre-
ten sein können. 9
Eine spezielle Familienanamnese ist erforderlich, wenn der Verdacht Familien-
erblich bedingter Erkrankungen vorliegt (Zahnhartsubstanzanomalien, anamnese
10
Dysgnathien, Tumorerkrankungen, Gerinnungsstörungen).
Die schriftliche Selbstauskunft der Patienten wird durch eine münd- 11
liche Befragung und evtl. durch allgemeinärztliche Befunde (Hausarzt,
Internist, Allergologe u.a.) ergänzt. 12
An die Allgemeinanamnese schließt sich die spezielle Anamnese Spezielle
an. Sie beinhaltet eine Befragung des Patienten zu seinem speziellen Be- Anamnese 13
schwerdebild im Bereich des Kauorgans.
Dabei wird die Mehrzahl der Patienten Zahnschmerzen oder Zahn-
fleischbluten angeben. Frakturierte oder herausgefallene Restauratio-
14
nen, schlecht sitzende Prothesen, Zahnverfärbungen, ästhetische Pro-
bleme u.a. sind häufige Gründe für einen Zahnarztbesuch. Die Patien- 15
ten suchen die zahnärztliche Praxis jedoch auch zu Vorsorge- und
Kontrolluntersuchungen auf. 16
Sie sollten, wenn sie vorher von einem anderen Zahnarzt behandelt
wurden, nach evtl. schon vorhandenen Röntgenaufnahmen oder spe-
ziellen Untersuchungsunterlagen befragt werden.
17
Bei Schmerzpatienten wird die Schilderung des Patienten durch ge- Schmerz-
zielte Fragestellungen gelenkt, und auch hier werden die Antworten do- anamnese 18
kumentiert.
So sind Lokalisation, zeitlicher Verlauf, Intensität und Qualität des 19
Schmerzes sowie schmerzauslösende Faktoren wichtige Hinweise auf
die vorhandene Erkrankung. Man muss sich jedoch darüber im Klaren 20
sein, dass Patienten subjektive Eindrücke schildern, die auch bei glei-

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86 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

cher Erkrankung individuell sehr unterschiedlich sein können und da-


her nicht allein zur Absicherung einer Diagnose ausreichen. So können
Schmerzen übertragen (z.B. vom Oberkiefer auf den Unterkiefer) oder
projiziert werden (Schmerzempfindung wird in einem anderen Bereich
des Versorgungsgebietes eines Nervs verspürt als am Entstehungsort).
Bei ausstrahlenden Schmerzen lässt sich der Entstehungsort oft nicht lo-
kalisieren. Auch mit zunehmender Schmerzintensität nimmt die Loka-
lisierbarkeit ab. Zahnschmerzen können zudem desmodontalen oder
pulpalen Ursprungs sein. Auch hier ist oft subjektiv keine sichere Tren-
nung möglich.
Die Frage nach Beginn und Dauer von Zahnschmerzen lässt eine
grobe Unterteilung in akutes und chronisches Geschehen zu. Ein länger
bestehender Schmerz mit geringer Intensität weist auf chronische Er-
krankungen, ein starker kurzer Schmerz auf akute Erkrankungen hin.
Pochende Schmerzen weisen oft auf akutes purulentes Entzün-
dungsgeschehen hin, dabei lindert Kälte den Schmerz manchmal (zur
Schmerzqualität als diagnostischem Hilfsmittel, s. Teil II Endodontolo-
gie). Dauerschmerzen sind eher Anzeichen einer serösen Entzündung
der Pulpa, dumpfe Schmerzen und Aufbissempfindlichkeit deuten auf
eine desmodontale Problematik hin. Entlastungsschmerz tritt oft bei
Zahninfraktionen auf.

Beispiel für einen allgemeinen Anamnesebogen


(mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Dr. Staehle, Heidelberg)

Was ist Ihr Hauptanliegen, weshalb Sie uns aufsuchen?

Haben Sie momentan Zahnschmerzen? □ ja □ nein


Wurden Sie überwiesen? □ ja □ nein Wenn ja, von wem?

Welche Probleme/Erkrankungen stehen für Sie im Vordergrund?


□ Karies □ Probleme mit der vorhandenen Versorgung □ Zahnfleischprobleme □ Angst vor Behandlung
□ Verletzungen □ Kiefergelenksprobleme/gestörte Kaufunktion □ Aussehen der Zähne

Sonstiges:

Wie beschreiben Sie – unabhängig von Ihren Zähnen – Ihren allgemeinen Gesundheitszustand?
□ sehr gut □ gut □ zufrieden stellend □ weniger gut □ schlecht

Waren Sie vor kurzem oder stehen Sie zurzeit noch in ärztlicher Behandlung/Kontrolle?
□ ja □ nein □ unbekannt

Wenn ja: welche Fachrichtung(en)? (bei vielen Ärzten: bitte Auflistung auf gesondertem Blatt)

Name und Adresse des Hausarztes:

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3.1 Basisuntersuchung Kapitel 3 87

Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein? □ ja □ nein


Wenn ja: welche? (bei vielen Medikamenten: bitte Auflistung der Präparate auf gesondertem Blatt) 1
Bestehen Allergien (z.B. gegen Latex)?
Wenn ja: gegen welche Stoffe (Allergiepass?) 2
Traten jemals Komplikationen bei zahnärztlichen Behandlungen auf? □ ja □ nein
Wenn ja: welche?
3
Bestehen oder bestanden bei Ihnen die folgenden Krankheiten/Beschwerden?
□ ja
4
□ Herz-Kreislauf-Erkrankung
Wenn ja, welche?


Infektionskrankheiten (z.B. Hepatitis, AIDS)
Hämatologische Erkrankungen
5
□ Herzschrittmacher □ Lebererkrankung
□ Künstliche Herzklappe
□ Hoher Blutdruck (Hypertonie)


Organtransplantation
Immunsuppression
6
□ Niedriger Blutdruck □ Gelenkverschleiß (Arthrose)
□ Gehirnmangeldurchblutung/Schlaganfall □ Osteoporose 7
□ Blutgerinnungsstörung □ Rheuma/Rheumatoide Arthritis
□ Dialyse □ Schilddrüsenerkrankung
□ Sonstige Nierenerkrankungen □ Unfälle/Verletzungen 8
□ Asthma bronchiale □ Anfallsleiden/Epilepsie
□ Sonstige Atemwegs-/Lungenerkrankungen □ Psychische Erkrankung (z.B. Depression)
□ Magen-/Darmerkrankungen □ Sucht- oder Abhängigkeitserkrankung 9
□ Tumorerkrankung (Bestrahlung, Chemotherapie) □ Migräne
□ Glaukom (erhöhter Augendruck) □ Kloßgefühl im Hals
□ Sehstörungen □ Mund-/Zungenbrennen 10
□ Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) □ Mundtrockenheit

Wenn ja, welcher Typ? Würgereiz
11
Sind andere Ihnen wichtig erscheinende Erkrankungen/Beschwerden bekannt? □ ja □ nein
Wenn ja: welche?
12
Wann waren Sie das letzte Mal beim Zahnarzt?
Name/Ort des Zahnarztes 13
Was ist das letzte Mal gemacht worden?
14
Wann wurden Sie das letzte Mal im Zahn-/Kieferbereich geröntgt?
Name/Ort des Zahnarztes
15
Bei Frauen im gebärfähigen Alter: Besteht eine Schwangerschaft? □ ja □ nein

Wenn ja: seit wann? 16


Sonstige Bemerkungen
17
Unterschrift des Patienten Unterschrift des Zahnarztes Datum
18
Bei erneutem Ausfüllen des Bogens:
Hat sich Ihre Anschrift/Telefon-/Handy-Nummer geändert? Wenn ja, bitte eintragen
19
20

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88 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Kommt es durch externe Reize wie Kälte oder osmotische Verände-


rungen („Zuckerlösungen“) zu Zahnschmerzen, so können u.a. Rand-
spalten, Karies oder fehlende Unterfüllungen bei Metallrestaurationen
bzw. frei liegende Zahnhälse der Grund sein.
Die spezielle Anamnese schließt Fragen zum letzten Zahnarztbe-
such, zu bisherigen Behandlungsversuchen und den dabei angewende-
ten therapeutischen Verfahren ein.

3.1.3 Präventionsanamnese

Die spezielle Anamnese schließt auch eine Präventionsanamnese ein.


Dabei wird nach Zahnfleischbluten (beim Essen, Zähneputzen oder
spontan), Mundhygienegewohnheiten (Art der Zahnbürste, Zahnputz-
frequenz, Interdentalreinigung), Fluoridprophylaxe, Ernährungsge-
wohnheiten und Konsum von Genussmitteln (z.B. Rauchen und Alko-
holgenuss) gefragt.
Ein spezieller Ernährungsfragebogen kann erforderlich sein, wenn
sich nach der Befunderhebung als Verdachtsdiagnose ein erhöhtes Ka-
riesrisiko herausstellt.
Alle anamnestischen Angaben sind subjektiv. Sie werden durch
eine Kombination aus standardisierter Fragestellung und freier Ge-
sprächsführung erhoben.
Beim Zahnarzt kann die Reihenfolge von Allgemeinanamnese und
spezieller Anamnese auch umgekehrt sein. Bei einem neuen Patienten
ist es oft wichtig, sich erst die Gründe für den Zahnarztbesuch schildern
zu lassen und sich dann erst einen Überblick über den allgemeinen Ge-
sundheitszustand zu verschaffen.

Die anamnestischen Angaben werden durch objektivierbare Be-


funde ergänzt. Dabei muss der Untersucher zwischen biologischen
Variationen und pathologischen Abweichungen unterscheiden.

Diese Schwierigkeit kann z.T. dadurch bewältigt werden, dass die Be-
funde zweier Kieferhälften miteinander verglichen werden. Pathologi-
sche Befunde treten bis auf wenige Ausnahmefälle (z.B. fluorotische
Schmelzhypoplasien) einseitig auf. Werden bei einem Patienten keine
pathologischen Veränderungen festgestellt, so ist diese Tatsache auch
als Befund zu dokumentieren (o.B. = ohne Besonderheiten, kein patho-
logischer Befund).

3.1.4 Orientierende extraorale Untersuchung

Die orientierende extraorale Untersuchung beinhaltet Inspektion, Pal-


pation und eine orientierende Prüfung der Sensibilität und Motorik.

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3.1 Basisuntersuchung Kapitel 3 89

Beispiel für einen ergänzenden Gesundheitsfragebogen (Präventionsanamnese)


(mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Dr. Staehle, Heidelberg) 1
I. Mundhygiene
Wie oft reinigen Sie Ihre Zähne? □ weniger als 1 x täglich □ 1–2 x täglich □ mehr als 2 x täglich 2
Wie lange dauert der längste Putzvorgang? □ weniger als 1 Minute □ 1–2 Minuten □ über 2 Minuten
Spülen Sie nach dem Zähneputzen Ihren Mund mit Wasser? □ ja □ nein
Welche Zahnbürste verwenden Sie? □ Handzahnbürste □ Elektrische Zahnbürste 3
Welche Bürstbewegungen bevorzugen Sie? □ eher schrubbend □ eher kreisend □ sonstige
Wie oft tauschen Sie jährlich Ihre Zahnbürste aus? Wann haben Sie zuletzt Ihre Zahnbürste ausgetauscht?
4
Welche Zahnpaste verwenden Sie? Enthält sie Fluorid? □ ja □ nein □ nicht bekannt
□ ja, immer □ ja, gelegentlich □ nie oder sehr selten
Blutet es beim Zähneputzen?
Besteht – selbst oder von anderer Seite
5
bemerkter – Mundgeruch? □ ja, häufig □ ja, gelegentlich □ nie oder sehr selten
Verwenden Sie weitere Hilfsmittel zur Mundhygiene? □ ja, täglich □ ja, gelegentlich □ nie oder sehr selten
Wenn ja, welche? □ Zahnseide □ Interdentalraumbürste □ Sonstige
6
Ist die Handhabung problematisch? □ ja □ nein Wenn ja: □ mit Zahnseide □ mit Interdentalraumbürste
Bei Prothesenträgern: Spezialmittel zur Prothesenreinigung 7
II. Fluoridangebot
Verwenden Sie spezielle Fluorid-Präparate?
Verwenden Sie regelmäßig Mundspüllösungen/Mundwässer? □ ja
□ ja □

nein
nein


wenn ja: welche?
wenn ja: welche?
8
Trinken Sie häufig Schwarztee? □ ja □ nein
Trinken Sie häufig fluoridhaltige Mineralwässer?
Nehmen Sie mit fluoridiertem Kochsalz zubereitete Speisen zu sich?


ja
ja


nein
nein
□ nicht bekannt
□ nicht bekannt
9
Sonstige Bemerkungen zum Fluoridangebot

III. Ernährung
10
Wie häufig essen Sie über den Tag verteilt zuckerhaltige Produkte? □ 1 x oder seltener □ 2–5 x

Wie häufig trinken Sie über den Tag verteilt zuckerhaltige Getränke?
□ 6–10 x
□ 1 x oder seltener
□ über 10 x
□ 2–5 x
11
□ 6–10 x □ über 10 x
Essen oder trinken Sie sehr häufig über den Tag verteilt Obst oder Jogurt-Produkte? □ ja □ nein 12
Bevorzugen Sie überwiegend sog. Vollwert-Kost? □ ja □ nein
Sind Sie Vegetarier? □ ja □ nein
Bestehen überempfindliche Zahnhälse? □ ja □ nein 13
Kauen Sie Kaugummis? □ nie □ gelegentlich □ täglich 1–3 x □ täglich mehr als 3 x
Leiden Sie unter häufigem Erbrechen? □ ja □ nein
Besteht eine Ess-Störung (Bulimie, Anorexia nervosa)? □ ja □ nein 14
Sonstige Angaben zu besonderen Ernährungsgewohnheiten:

IV. Rauchen 15
Rauchen Sie zurzeit? □ ja □ nein Wenn ja: Wie viele Zigaretten/Zigarren rauchen Sie pro Tag?
Rauchten Sie früher? □ ja □ nein Wenn ja: von bis wie viele Zigaretten/Zigarren pro Tag?

V. Allgemeines
16
Familienstand:
Schul-/Berufsabschluss: □ Kein Schulabschluss □ Hauptschule □ Mittlere Reife 17
□ Abitur □ abgeschlossenes Studium
Erlernter Beruf Derzeit ausgeübter Beruf □ Derzeit nicht berufstätig

VI. Sonstige Bemerkungen


18
Unterschrift des Patienten Unterschrift des Zahnarztes Datum
19
Bei erneutem Ausfüllen des Bogens: Hat sich Ihre Anschrift/Telefon-/Handy-Nummer geändert?
Wenn ja, bitte eintragen 20

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90 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Dabei soll im Kopf-Hals-Bereich festgestellt werden, ob durch Be-


funde wie z.B. Schwellungen, Hautveränderungen, palpierbare Lymph-
knoten, schmerzhafte Nervenaustrittspunkte usw. die Notwendigkeit
einer weiterführenden Untersuchung gegeben ist.

3.1.5 Orientierende Untersuchung der Mundhöhle und der


angrenzenden Regionen

Inspektion und Bei der orientierenden Untersuchung der Mundhöhle gewinnt der Zahn-
Palpation arzt durch Inspektion und Palpation der Mundschleimhäute, des
Mundbodens und des Rachenraums Informationen über Verletzungen,
Schwellungen, Blutungen, Erhebungen, Entzündungszeichen, Farbver-
änderungen, Erosionen, Ulzerationen, Beläge, Oberflächenveränderun-
gen usw. Die intraorale Palpation umfasst auch die knöchernen Struktu-
ren sowie die Weichgewebe der Wange, Zunge (Zungengröße, -motorik,
-veränderungen) und des Mundbodens.

Ein besonderes Augenmerk sollte bei der intraoralen Untersuchung


auf die Speichelsekretionsrate gerichtet werden.

Speichelfluss- Eine Speichelflussverminderung ist vermutlich vorhanden, wenn


verminderung während der Untersuchung kein Speichelsee auf dem Mundboden zu
finden ist, die Spiegelrückseite oder die Finger des Untersuchers nicht
auf der Schleimhaut gleiten oder ein ungewöhnlich hoher Plaque- und
Kariesbefall vorliegt.
Foetor ex ore Foetor ex ore kann auf verschiedene Erkrankungen hinweisen wie
z.B. Infektionen des Mund-Rachen-Raums, Erkrankungen der Luft- und
Speiseröhre, Stoffwechselerkrankungen.

3.1.6 Orientierende Untersuchung der Zähne und der


Kaufunktion

Mit diesen Untersuchungen werden Befunde zum Zahnbestand (z.B.


überzählige und fehlende Zähne, Zahnlücken usw.) und Befunde zu den
Zahnhartsubstanzen (Vorhandensein kariesbedingter und nicht ka-
riesbedingter Läsionen bzw. von Zahnfrakturen, Veränderungen der
Zahnform, -farbe, -oberflächenstruktur) erhoben. Sie beinhalten zudem
Befunde zur konservierend-restaurativen und prothetisch-restaurativen
Versorgung (Fissurenversiegelungen, Füllungen, Kronen, Implantate,
Brücken, Prothesen). Dabei soll insbesondere festgehalten werden, ob
und welche Mängel vorliegen und ob diese eine zahnärztliche Maß-
nahme erfordern.
Daneben sind auch Befunde zum Zustand des Endodonts, z.B. in
Form einer Sensibilitätstestung bei Zähnen mit großen Restaurationen,

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3.1 Basisuntersuchung Kapitel 3 91

zu erheben. Die Befunde zur parodontalen Situation werden mit dem


Parodontalen Screening-Index (PSI) erhoben. Orientierende Funk- 1
tionsbefunde (z.B. Schmerzen im orofazialen Bereich, instabile Okklu-
sionsverhältnisse) und orientierende kieferorthopädische Befunde 2
(Größen- und Lageanomalien der Kiefer, Zahnfehlstellungen und Stö-
rungen im Zahnwechsel) gehören ebenso zur orientierenden Untersu-
chung.
3
4
3.1.7 Orientierende Aufklärung und Beratung
5
Im Anschluss an die Basisuntersuchung wird der Patient über das Ergeb-
nis aufgeklärt und, falls erforderlich, auf die Notwendigkeit einer erwei-
terten Untersuchung hingewiesen. Eine detaillierte Beratung über an-
6
stehende zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen kann aber in der Re-
gel erst nach erfolgter erweiterter Untersuchung stattfinden. 7
Die weiterführenden Untersuchungen erfolgen – wie oben bereits 8
beschrieben – nur dann, wenn sich in der Basisuntersuchung An-
haltspunkte dafür ergeben, dass in einem bestimmten Bereich pa- 9
thologische oder zweifelhafte Befunde resultieren.

Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, die erweiterten Untersu-


10
chungen für die einzelnen Fachgebiete (z.B. weiterführende Befunde zur
Funktion des Kausystems, zu Traumata, zur ästhetischen Situation, zur 11
kieferorthopädischen Situation, zur chirurgischen Situation usw.) dar-
zustellen. 12
Es werden deshalb im Folgenden nur die generellen Prinzipien der
weiterführenden Befunderhebung für den Bereich Zahnerhaltung dar- 13
gestellt. Dabei wird eng umschrieben auf die Untersuchungen der Zahn-
hartsubstanzen und des Zustands der restaurativen Versorgung einge-
gangen. Die Aufzeichnung der Befunde (Dokumentation) erfolgt indivi-
14
duell unterschiedlich. Es kann daher nicht Aufgabe dieses Buches sein,
allgemeingültige, standardisierte Formblätter für die Befunderhebung 15
in der Zahnerhaltung zu präsentieren. Deshalb sind nur die bei den Ver-
fassern gebräuchlichen Dokumentationshilfen beispielhaft aufgeführt. 16
Entsprechend der didaktischen Einteilung des Buches wird in Teil II und
III auf die speziellen Untersuchungsmethoden im Rahmen der Endo-
dontologie und Parodontologie eingegangen. Da die Patienten jedoch
17
den Zahnarzt meist nicht nur aufgrund eines isolierten kariologischen,
endodontischen bzw. parodontologischen Gesundheitsproblems aufsu- 18
chen, ergänzen sich die Einzelbefunde. Eine exakte Diagnose und aus-
reichende Therapieplanung ist dann nur unter Berücksichtigung des 19
Gesamtbefundes möglich.
20

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92 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der


Zahnhartsubstanzen, zur konservierend- und
prothetisch-restaurativen Versorgung sowie zum
Zustand des Endodonts (Zahnstatus)
Wird bei der Basisuntersuchung festgestellt, dass eine erweiterte Unter-
suchung der Zahnhartsubstanzen gegebenenfalls inklusive der restaura-
tiven Versorgung bzw. des Endodonts erforderlich ist, so wird diese wie
in der Tabelle 3.2 dargestellt vorgenommen.

Dabei sind Maßnahmen, welche in der Regel zu erbringen sind, von


Maßnahmen und Methoden zu unterscheiden, die fakultativ sind
oder befundbezogen zu erbringen sind.

Tab. 3.2: Bestandteile der erweiterten Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen, zur kon-
servierend- und prothetisch-restaurativen Versorgung sowie zum Zustand des Endodonts nach ei-
nem Konzept von DGZMK, KZBV und BZÄK im Rahmen der Neubeschreibung einer präventionsori-
entierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Zahnstatus) (nach Hellwig, Lauer und Staehle). Be-
fundbezogene Maßnahmen sind farbig unterlegt.
In der Regel zu Methoden Ergänzende Maßnah- Erläuterungen
erbringende men und Methoden
Maßnahmen (fakultativ)
1. Weiterfüh- Unstruktu- Aufzeichnung durch Detaillierte Erfassung des Anliegens des Patienten
rendes riertes oder Medien wie z.B. Ton- unter Berücksichtigung seiner psychosozialen Le-
ärztliches strukturier- band/Video für wei- benssituation; Einschätzung seiner Compliance, sei-
Gespräch tes Inter- terführende diagnos- nes Gesundheitsbewusstseins und seiner Erwar-
view tische Auswertungen tungshaltung
2. Weiterfüh- Unstruktu- Verwendung von Soziale Anamnese
rende allge- riertes oder fachspezifischen Anmerkung: z.B. Angaben über Ausbildung, Berufs-
meine und strukturier- Frage- und Testbö- tätigkeit, frühere oder geplante Wohnortwechsel,
spezielle tes Inter- gen, Aufzeichnung besondere berufliche Expositionen/Lebensbedin-
Anamnese view durch Medien wie z.B. gungen
Tonband/Video für Familienanamnese
weiterführende diag- Anmerkung: z.B. Angaben über familiäre Risikofak-
nostische Auswertun- toren für besondere Erkrankungen im Zahn-, Mund-
gen und Kieferbereich
• Bei Kindern: soziales Umfeld, familiäre Betreu-
ungssituation
Allgemeine Anamnese
Anmerkung: z.B. Angaben über allgemeinmedizini-
sche Erkrankungen und Besonderheiten (einschl.
Konzentrationsvermögen, manuelle Geschicklich-
keit, Sehfähigkeit)
• Bei Kindern: z.B. Angaben des Körpergewichts
Auf der Basis des weiterführenden ärztlichen Ge-
sprächs und der weiterführenden allgemeinen
Anamnese ist – ggf. unter Einbeziehung von Testbö-
gen – auch eine Erhebung des psychischen Befun-
des bzw. ein psychosomatisches Screening möglich

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 93

Tab. 3.2: Fortsetzung


In der Regel zu Methoden Ergänzende Maßnah- Erläuterungen 1
erbringende men und Methoden
Maßnahmen (fakultativ)
2
Spezielle Anamnese
Anmerkung: z.B. Angaben über Beschwerden des
Patienten, frühere zahnärztliche Behandlungen, Al- 3
ter der restaurativen Versorgung bzw. des Zahner-
satzes, Kau- und Sprachvermögen
Schmerzanamnese
4
Lokalisation, Schmerzintensität, Schmerzqualität,
Dauer, Häufigkeit, akuter vs. chronischer Schmerz, 5
Einfluss nehmende Faktoren, tageszeitliche Abhän-
gigkeit
• Bei Kindern: Angstanamnese (motorische Auffäl-
6
ligkeiten, mimische Zeichen, Sprachstörungen,
physiologische Indikatoren, verbale Äußerungen) 7
3. Weiterfüh- Unstruktu- Verwendung fachspe- Erfassung von individuellen Risikofaktoren für
rende Prä- riertes oder zifischer Frage- und orale Erkrankungen, z.B. Ernährungsanamnese, 8
ventions- strukturier- Testbögen, Aufzeich- Raucheranamnese, Mundhygienegewohnheiten
anamnese tes Inter- nung durch Medien
view wie z.B. Tonband/Vi- 9
deo für weiterfüh-
rende diagnostische
Auswertungen
10
4. Weiterführende extraorale Untersuchung
11
Weiterfüh- Visuelle Indiziert z.B. bei Fazialisparese, Trigeminusschädi-
rende Be- Diagnostik, gung
funde zu Sen- Palpation, 12
sibilität und Erfassung
Motorik im
Gesichts-/
der Reaktion
auf äußere
13
Kopf-/Halsbe- Reize, moto-
reich rische Funk- 14
tionsprü-
fung
15
Erfassung des Visuelle Visuelle Diagnostik Zur Feststellung von Neubildungen, Asymmetrien,
äußeren Er- Diagnostik unter Einsatz von Ver- Hautverfärbungen usw., extraoraler Teil des „Äs-
scheinungs- größerungshilfen thetikstatus“, z.B. Beurteilung von Weichteilprofil, 16
bildes (ein- (Lupe/Mikroskop), Entblößung der Zahnreihen/Gingiva beim Spre-
schl. extra-/
intraoraler
Fotografie (extraoral/
enoral) zur weiteren
chen und Lachen, Verlauf der Gingivagirlanden, Be-
urteilung der Lippenmorphologie (Lippenschlussli-
17
Übergangs- diagnostischen Aus- nie, Lachlinie)
bereich) wertung, • Bei Kindern: Weichteilschwellung, Verletzungen, 18
visuelle Diagnostik Effloreszenzen der Haut, Exanthem, weitere
nach diagnostischer
Formkorrektur von
Symptome von Allgemeinerkrankungen in der
Mundhöhle (Infektionserkrankungen, Blutkrank-
19
Zähnen oder Facial-/ heiten, Hauterkrankungen), Fistelbildungen
Dental-Imaging 20

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94 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.2: Fortsetzung


In der Regel zu er- Methoden Ergänzende Maßnahmen Erläuterungen
bringende Maß- und Methoden (fakultativ)
nahmen
5. Weiterführende Untersuchung der Mundhöhle und angrenzender Regionen
Beurteilung des Visuelle Di- Mikrobiologische/biochemi- Bestimmung der Speichelfließrate ist
Speichels und der agnostik, Be- sche Analysen, z.B. indiziert bei gering befeuchteten
Mundflüssigkeit stimmung Bestimmung der Pufferka- Schleimhäuten und bei der Versorgung
des Spei- pazität der zahnlosen Kiefer mit Totalprothesen
chelflusses
Untersuchung Visuelle Sondierung, Motorische Farbe, Durchblutung, Veränderungen
zahnloser Bereiche Diagnostik, Funktionsprüfung von Oberfläche und Konsistenz, Impres-
einschl. Mundbo- Palpation sionen, Ulzera, Fistelungen
den, Vestibulum, Bei Zunge zusätzlich:
Zunge, Wange, Größe, Mobilität, Beläge
Gaumen, Mukosa, Bei Alveolarknochen ggf.: Atrophiegrad
Alveolarknochen
Beurteilung der Erfassung Mikrobiologische/biochemi- Indiziert z.B. bei Patienten mit Foetor ex
Atemluft sensorischer sche Analysen, Chemische ore
Signale Testungen zur Zusammen-
setzung der Atemluft
6. Weiterführende Untersuchung der Zähne (erweiterter Zahnstatus)
Weiterführende Visuelle Z.B. Beurteilung von Lückenbildungen,
Befunde zum Diagnostik Kippungen, Drehungen, Elongationen,
Zahnbestand Farben, Formen, Strukturmerkmalen
(Verfärbungen, Transparenzen, Oberflä-
chentexturen, Rissbildungen) von Zäh-
nen, Pfeileranzahl und -verteilung, Kau-
ebene, Art und Ausmaß von Parafunk-
tionen/Habits
Beurteilung der Überprüfung der individuel- Wenn erforderlich zur Beurteilung der
Mundhygiene len Einsatzmöglichkeiten präventiven Initialbehandlung oder bei
und des Plaque- von Mundhygienehilfsmit- Patienten, die nicht an der präventiven
aufkommens teln (Anwendungstest) Initialbehandlung teilgenommen haben
Weiterführende Visuelle Visuelle Diagnostik unter Ein- Z.B. flächenbezogene Erfassung von Ka-
Befunde zur Situa- Diagnostik, satz von Vergrößerungshilfen ries, Erosionen, Attritionen, Abrasionen,
tion der Zahnhart- Sondierung (Lupe, Mikroskop), fiberopti- freiliegenden Zahnhälsen, keilförmigen
substanzen (ka- sche Transillumination (FOTI), Defekten, Opazitäten, Hypoplasien,
ries- und nicht ka- Laserfluoreszenzmessung, Anomalien der Zahnentwicklung
riesbedingte elektrische Widerstandsmes- flächenbezogene Beurteilung von Art
Veränderungen sung, taktile Beurteilung von und Qualität, Hygienisierbarkeit vorhan-
mit Angaben zu Approximalkontakten (z.B. dener Restaurationen einschließlich der
Art und Ausdeh- Testung mit Zahnseide oder Restaurationsränder (positive/negative
nung) sowie zur Matrizenband), visuelle Ap- Stufe, Spaltbildung)
konservierend- proximalraumdiagnostik Besonderheiten bei der Beurteilung pro-
restaurativen und nach Separation, Testung thetischer Versorgungen:
prothetisch-res- mittels chemischer Marker perioprothetische Gestaltung, horizon-
taurativen Versor- (z.B. Färbelösungen), Abfor- tale/vertikale Kieferrelation, Brücken-

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 95

Tab. 3.2: Fortsetzung


In der Regel zu er- Methoden Ergänzende Maßnahmen Erläuterungen 1
bringende Maß- und Methoden (fakultativ)
nahmen
2
gung (mit Anga- mung/Modellerstellung zur zwischenglieder, Verblendung, Halte-,
ben zu Art, Aus- weiteren diagnostischen Stütz- und Verbindungselemente, Sat-
dehnung und Auswertung (s. Modul Abfor- telausdehnung, Zahnaufstellung, Pro- 3
Qualität von Res- mung), diagnostische Form- thesenhalt, Kauebene, Prothesenhy-
taurationen) korrektur, Wax up/Set up;
Dental-Imaging, intraorale
giene 4
Fotografie zur weiteren diag-
nostischen Auswertung, Ma- 5
terialgewinnung zur werk-
stoffkundlichen Analyse von
Restaurationsmaterialien
6
Radiologische Diagnostik Allgemeine Anmerkungen zur radiologi-
(Orthopantomogramm, Ein- schen Diagnostik: 7
zelaufnahmen, Bissflügel) Sie ist z.B. indiziert, wenn die klinische
Diagnostik zu einem Verdacht auf pa- 8
thologische Befunde führte und vor um-
fangreichen restaurativen Maßnahmen.
Sie dient u.a. zur Feststellung und Gra- 9
duierung kariöser und nicht kariöser
Zahndefekte und zur qualitativen Beur-
teilung von Restaurationen bzw. prothe-
10
tischen Versorgungen
Speziell zu Bissflügelnahmen: 11
Sie sind z.B. indiziert bei klinisch nicht di-
agnostizierbarer Karies und bei Verdacht
auf Restaurationsdefekte, insbesondere 12
im nicht einsehbaren Approximalraum
und für die Beurteilung der Zahnhart- 13
substanzen unter einer Restauration
Weiterführende
endodontische
Visuelle Di-
agnostik zur
Erfassung sensorischer Sig-
nale, Testung mit fara-
Weiterführende endodontische Befunde
werden erhoben bei Verdacht auf endo-
14
Befunde Beurteilung dayschem Strom, thermi- dontologische Problematik
von Farbe, sche Sensibilitätstestung 15
Transparenz (Wärmetest), selektive Anäs-
und Translu- thesie, Testkavität/Probetre-
zenz, ther- panation, Aufbiss-/Entlas- Aufbiss- und Entlastungstest ist indiziert
16
mische Sen- tungstest bei Verdacht auf Zahninfraktur
sibilitätstes- 17
tung
(Kältetest),
Perkussion 18
(horizon-
tal/vertikal),
Palpation
19
Sondierung 20

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96 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.2: Fortsetzung


In der Regel zu er- Methoden Ergänzende Maßnah- Erläuterungen
bringende Maß- men und Methoden
nahmen (fakultativ)

Einsatz bildgeben- Einsatz bildgebender Verfahren ist in-


der Verfahren diziert z.B. bei Verdacht auf Resorption,
(Röntgeneinzel- apikale Parodontitis (einschließlich pe-
zahnaufnahmen, riradikulärer Läsionen), Paro-Endo-Pro-
ggf. besondere bleme, zur Beurteilung vorhandener
Projektionen) Wurzelfüllungen, Wurzelfrakturen; zur
Beurteilung von Zahn-, Wurzelanato-
mie einschl. umgebender Strukturen
Weiterführende s. Lehrbücher Pa- s. Lehrbücher Parodon- bei PSI > 2
parodontologi- rodontologie tologie
sche Befunde (s.
Lehrbücher Paro-
dontologie)
Weiterführende s. Lehrbücher s. Lehrbücher Funktions- Indiziert z.B. bei Parafunktionen, Vor-
Funktionsbefunde Funktionsdiag- diagnostik kontakten in habitueller oder zentri-
und Bewertung nostik scher Okklusion, Interferenzen in dy-
der Okklusion (s. namischer Okklusion, deutlicher Ände-
Lehrbücher Funk- rung der Vertikaldimension, vor/nach
tionsdiagnostik) umfangreichen Restaurationen oder
funktioneller Vorbehandlung
7. Synoptische Bestimmung von Indi- Bewertung der Behandlungsbedürftig-
Auswertung der zes, Vornahme von Gra- keit nach Standards (soweit vorhan-
Ergebnisse von duierungen, Score-Ein- den) unter Würdigung der Gesamtsi-
ärztlichem Ge- stufungen, Zuordnung tuation von Zahnhartsubstanzen, res-
spräch, Anamnese zu Klassifikationen, Er- taurativer Versorgung, Endodont und
und Befundung stellung von Risikoprofi- ggf. weiteren relevanten Merkmalen
len, Bewertung weiterer wie z.B. Parodont oder Funktion, Ge-
Aspekte außerhalb des genüberstellung der Wünsche, Bedürf-
ZMK-Bereichs (z.B. aller- nisse, Erwartungen und Voraussetzun-
gologischer, toxikologi- gen des Patienten mit den Ergebnissen
scher und/oder psycho- der vorgenommenen Diagnostik, Pla-
somatischer Art) nach nung und Beratung
Überweisung an den
Spezialisten/Facharzt

Die Tabelle 3.2 wurde der Neubeschreibung einer präventionsorien-


tierten Zahnheilkunde entnommen. Nachfolgend wird im Text eine
vereinfachte klinische Vorgehensweise bei der erweiterten Untersu-
chung beschrieben. Sie beschränkt sich weitestgehend auf den Punkt 6
der Tabelle; dabei wird auf einzelne Maßnahmen speziell eingegangen.
Grundsätzlich erfolgt die Dokumentation der Befunde auf einem
Formblatt oder EDV-gestützt (Zahnstatus). Ein vereinfachtes Formblatt
ist in der Abbildung 3.1 dargestellt.

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 97

Patient: geb. am: Datum der Befundaufnahme:


Sofortmaßnahmen: Mundbefund (insbes. Parodontalbefund):
1
Bemerkungen:

Erosion/Abrasion (1=ohne/2=mit Dentinbeteiligung)


Zahnlockerung (I – III)
2
Sondierungstiefen (bei Blutung rot unterstreichen)
Sensibilitätstest (+/ –)

18 17 16 15/ 55 14/ 54 13/ 53 12/ 52 11/ 51 21/ 61 22/ 62 23/ 63 24/ 64 25/ 65 26 27 28
Restaurationsart 3
R 8 7 6 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 6 7 8 L 4
Sonstiges (z.B. Finieren, Polieren):

48 47 46 45/ 85 44/ 84 43/ 83 42/ 82 41/ 81 31/ 71 32/ 72 33/ 73 34/ 74 35/ 75 36 37 38 5
6
Bissflügel-Röntgenaufnahme:
Speichel verändert 7
d 17 m d 16 m d 15 m d 14 m m 24 d m 25 d m 26 d m 27 d klinisch

d 47 m d 416 m d 45 m d 44 m m 34 d m 35 d m 36 d m 37 d subjektiv
ja nein 8
Kariesausdehnung: D1 – D4; Fläche wegen Überlappung nicht beurteilbar: X; Kariesrezidiv: R;
überstehender Füllungsrand: ÜF; Sekundärkaries: Sek; Randspalt: RS
Fissurenkaries: FK; Wurzelkaries: W
9
Abb. 3.1: Standardisierter zahnärztlicher Befundbogen im Rahmen der Kariestherapie. In den Zahnstatus
werden folgende Befunde (bzw. Verdachtsdiagnosen) eingetragen:
 Karies und Zahnhartsubstanzdefekte, die invasiv behandelt werden müssen: rote Markierung der ent- 10
sprechenden Zahnflächen
 Vorhandene Füllungen: blaue Markierung der entsprechenden Zahnflächen
 Erneuerungsbedürftige Füllungen (z.B. Sekundärkaries, Kariesrezidiv, Randspalt, Füllungsfraktur usw.):
rote Umrandung der blau markierten Flächen
11
 Initialkaries: grün (a = aktiv/ia = inaktiv)
 Krone: K, Brückenglied: B
 Erneuerungsbedürftige Krone: mit roter Markierung
12
 Zu extrahierender Zahn: X
 Fehlender Zahn: ≡
 Restaurationsart: C = Komposit, A = Amalgam, G = Gold, K = Keramik, P = Provisorium, Aufbaufüllung,
13
AV = andere Versorgung, Fiss = Fissurenversiegelung
 Zahn im Durchbruch: i.D.
 Implantat: I 14
Die Befunde der Bissflügel-Röntgenaufnahmen werden entsprechend in das dafür vorgesehene Schema
eingetragen. Alle Röntgenbefunde, die eine invasive Behandlung erfordern, werden anschließend in den
Zahnstatus übertragen (rote Markierung). Die Graduierung der Kariesausdehnung D1–D4 ist in Kapitel 15
3.2.1 „Kariesdiagnose“ und in Abbildung 3.3 erklärt. Rein präventiv zu behandelnde Karies kann gesondert
eingetragen werden. Weitere Zahnhartsubstanzdefekte (Erosionen, keilförmige Defekte usw.) sind eben-
falls gesondert aufzuzeichnen. In die Zeile Erosion/Abrasion können dann die Lokalisation (v = vestibulär, 16
o = okklusal, p = palatinal, l = lingual) und der Schweregrad eingetragen werden.

Zur Untersuchung müssen die Zähne sauber sein, d.h., störende Präventive
17
Plaque und Zahnstein werden vor der eingehenden Untersuchung ent- Initialbetreuung
fernt (präventive Initialbetreuung). Die Zähne werden mit Watterol- 18
len trockengelegt und mit einem Luftbläser getrocknet.
Die klinische Untersuchung der Zähne erfolgt systematisch mit Spie- Klinische 19
gel, Sonde, Parodontalsonde und Zahnseide. Man beginnt i.d.R. mit dem Untersuchung
letzten Zahn im ersten Quadranten (von 18 nach 11), untersucht dann 20
den zweiten Quadranten (von 21 nach 28), fährt mit dem dritten Qua-

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98 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

dranten fort (von 38 nach 31) und beendet die Untersuchung mit dem
vierten Quadranten (von 41 nach 48). Es ist dabei auf eine ausreichende
Ausleuchtung der Mundhöhle und eine adäquate Position des Behand-
lungsstuhls zu achten. Der Spiegel sollte vorher angewärmt werden, um
ein Anlaufen durch die Atemluft zu vermeiden. Während man allge-
mein im medizinischen Bereich streng zwischen Befund und Diagnose
trennt, wird bei der klinischen Aufnahme des Zahnstatus vom erfahre-
nen Zahnmediziner oft die Diagnose gleich im Befundblatt vermerkt. So
wird z.B. bei einer Karies nicht der Befund „dunkle, erweichte Zahnhart-
substanzveränderung mit eingebrochener Oberfläche“ notiert, sondern
die Diagnose „manifeste, behandlungsbedürftige Karies“ aufgezeichnet.

3.2.1 Kariesdiagnose

! Der kariöse Prozess weist Phasen der Progression, Stagnation oder


sogar Remission auf. Es ist daher heute die Aufgabe des Zahnarz-
tes, nicht nur kariöse Läsionen von gesunder Zahnhartsubstanz,
sondern auch aktive Kariesläsionen von inaktiven zu unterschei-
den.

Die Kariesdiagnose sollte idealerweise auch die Progression einer kariösen


Demineralisation und die Kariesaktivität bzw. das Kariesrisiko eines Pa-
tienten berücksichtigen. Anhand dieser diagnostischen Kriterien wird an-
schließend eine Behandlungsplanung für die jeweilige Zahnfläche erstellt,
wobei prinzipiell zwischen invasiven (restaurativen), mikroinvasiven und
nicht invasiven Vorgängen unterschieden wird. Ein entscheidendes Krite-
rium ist dabei, ob die Zahnoberfläche bereits eingebrochen und damit den
üblichen Mundhygienemaßnahmen nicht mehr zugänglich ist. Dann ist
i.d.R. eine invasive Therapie erforderlich, um die Reinigungsfähigkeit, die
Zahnform und ggf. die Kaufunktion wiederherzustellen.
Fissuren- und Für die Diagnose der Fissuren- und Grübchenkaries stehen folgende
Grübchenkaries Methoden zur Verfügung: Inspektion (mit bloßem Auge oder Vergröße-
rungshilfe), Sondierung (stumpfe Sonde), Röntgen (Bissflügelaufnahme),
Transillumination (Faseroptiktransillumination), Messung des elektri-
schen Widerstandes (Kariesmeter), Laserfluoreszenz-System (Diagnodent).

Prinzipiell wird bei der Kariesdiagnose heute keine spitze Sonde ver-
wendet, da bei üblicher Sondierung die Oberflächenschicht einer
bestehenden Initialkaries verletzt oder eingedrückt werden kann.

Das Haken einer Sonde in einer Fissur ist zudem kein Hinweis auf das
Vorhandensein einer Karies, sondern spiegelt in erster Linie die Fissu-
renmorphologie wider. Eine spitze Sonde findet nach wie vor Verwen-
dung zur Überprüfung der Dentinbeschaffenheit bei der Exkavation, bei
der Sondierung von Restaurationsrändern (Verdacht auf Sekundärka-

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 99

ries) und bei Sondierung im nicht einsehbaren Bereich (subgingival bei


Verdacht auf Wurzelkaries). 1
Während eine offene Kavität leicht mit dem Auge zu erkennen ist,
ist die Kariesdiagnose bei nicht eingebrochener Oberfläche schwierig. 2
Während dunkelbraun oder schwarz verfärbte Fissuren bei Kindern und
Jugendlichen nicht selten auf eine manifeste Dentinkaries hinweisen,
trifft dies für Erwachsene nicht zu. Breitflächig entkalkte Zonen am Fis-
3
sureneingang sind jedoch relativ oft mit einer Dentinkaries verbunden,
und Opazitäten am Fissurenfundus stellen ebenfalls einen guten Indika- 4
tor für Dentinkaries dar (s. Tab. 3.3).
Die Eignung eines entsprechenden Instrumentariums für die Diag- Vier-Felder-Tafel 5
nose wird üblicherweise anhand einer Vier-Felder-Tafel berechnet. Da-
bei werden die Sensitivität, Spezifität, der positive Vorhersagewert und
der negative Vorhersagewert berechnet.
6
Eine hohe Sensitivität bedeutet z.B., dass die Prognose behandlungs-
bedürftige Dentinkaries sich tatsächlich nach dem Aufziehen z.B. einer 7
Fissur auch verifizieren lässt. Eine hohe Spezifität liegt vor, wenn man
gesunde Flächen tatsächlich auch als gesund erkannt hat (vgl. Abb. 3.2). 8
Anhand dieser statistischen Berechnungen lassen sich die verschiedenen
Methoden zur Kariesdiagnostik für die Fissuren beurteilen (s. Tab. 3.3). 9
Wie man erkennen kann, lässt sich durch reine Inspektion (gleichgültig,
ob mit Sonde oder mit Vergrößerungshilfe) eine Karies selten richtig di-
agnostizieren. Eine Inspektion und die Zuhilfenahme von Bissflügelauf-
10
nahmen erhöhen die Diagnosesicherheit erheblich. Berücksichtigt man
dann eine entsprechende Verfärbung bzw. Entkalkung in der Fissur nach 11
sorgfältiger Plaqueentfernung mit einer stumpfen Sonde und sorgfältiger
Trockenlegung, so erhöht sich die Sensitivität weiter. Gleichzeitig wür- 12
den jedoch zahlreiche gesunde Fissuren als krank erkannt, und es würde
eine Überbehandlung erfolgen (Abnahme der Spezifität). 13
Der Youden-Index ist ein Maß zur Beurteilung der Güte eines diag- Youden-Index
nostischen Tests und berechnet sich aus der Sensitivität und Spezifität.
14
Tab. 3.3: Spezifität, Sensitivität und richtige Entscheidungen bei der Diag-
nose scheinbar intakter Okklusalflächen (nach Lussi et al.)
15
Spezifität Sensi- Richtige
tivität Diagnose
16
Inspektion 93% 12% 57%
Inspektion mit Vergrößerungshilfe 89% 20% 56% 17
Inspektion und Sonde 93% 14% 58%
Inspektion und Bitewing-Röntgenbilder 87% 49% 67% 18
Bitewing-Röntgenbilder 83% 45% 63%
Elektrischer Widerstand 77% 93% 83% 19
Deutliche Entkalkung der Fissuren 60% 71% 65%
Braune oder schwarze Verfärbung der Fissur 17% 68% 40%
20

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100 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Abb. 3.2: 4-Felder-Tafel zur


Die Krankheit Berechnung von Sensitivi-
liegt liegt tät, Spezifität sowie positi-
Der Test vor nicht vor ven und negativen Vorher-
positiver sagewerten
ist Vorher-
richtig falsch sage-
positiv positiv wert
positiv
A B =
A
A+B
negativer
falsch richtig Vorher-
negativ negativ sage-
negativ wert
C D =
D
C+D
Sensitivität Spezifität
A D
= =
A+C B+D

Er ist definiert als Sensitivität + Spezifität – er kann also Werte zwischen


–1 und +1 annehmen, wobei ein diagnostischer Test nur dann als ver-
nünftig angesehen werden kann, wenn ein Youden-Index zwischen 0
und +1 erreicht wird. Je näher der Youden-Index bei +1 liegt, desto bes-
ser ist der vorliegende diagnostische Test in der Lage, Kranke und Ge-
sunde voneinander zu trennen.
Laserfluoreszenz Mit dem Laserfluoreszenz-System (Diagnodent) steht ein weiteres
Instrument zur Kariesdiagnose zur Verfügung. Dabei wird ein gepulstes
Licht mit einer definierten Wellenlänge (655 nm) abgegeben, das etwa
1 mm in die Zahnoberfläche eindringt. Sobald veränderte Zahnhartsub-
stanzen von dem ausgesandten Licht angeregt werden, fluoreszieren sie
mit dem Licht einer anderen Wellenlänge. Karies fluoresziert stärker als
gesunder Schmelz und gesundes Dentin und wird dadurch deutlich er-
kennbar. Somit ist dieses Instrumentarium als zusätzliches Mittel bei
Verdacht auf Fissurenkaries einsetzbar. Es ist allerdings bisher nicht ge-
nau geklärt, welche Bestandteile der kariös veränderten Zahnhartsub-
stanz fluoreszieren. Man nimmt an, dass es sich um spezielle „Farbmo-
leküle“ (Chromophore) handelt.

Da auch Zahnstein und Plaque beim Einsatz von Diagnodent fluo-


reszieren können, müssen die Fissuren vor der Messung möglichst
sauber sein.

Den Fluoreszenzsignalen sind bestimmte Zahlenwerte zugeordnet. So


entsprechen Werte von 0 bis 20 gesundem Zahnschmelz. Bei Werten
von über 20 bis 30 muss man von einer Karies ausgehen, die je nach Ka-
riesaktivität des Patienten entweder noch mit intensiven Prophylaxe-
maßnahmen oder restaurativ behandelt werden sollte. Ab einem Wert
von 30 kann man davon ausgehen, dass eine restaurative Therapie er-
forderlich ist.

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 101

Diagnodent sollte eingesetzt werden, wenn bei der Untersuchung


ein Kariesverdacht vorliegt, der sich visuell nicht verifizieren lässt. Bei 1
einer augenscheinlich gesunden Fissur ist der Einsatz von Diagnodent
nicht erforderlich. 2
Bei In-vitro-Untersuchungen konnte mit Diagnodent eine Sensitivi-
tät von 76–78% und eine Spezifität von 87–100% erreicht werden. Ähn-
liches gilt für Geräte, die den elektrischen Widerstand bzw. die Impe-
3
danz messen (ECM = elektrisches Caries-Meter). Bei einer abwartenden
(nicht invasiven) Therapie der Fissurenkaries muss natürlich die Repro- 4
duzierbarkeit der unterschiedlichen diagnostischen Systeme gewährleis-
tet sein. Diese liegt bei den neuen Verfahren wesentlich höher als bei 5
rein visueller oder röntgenologischer Beurteilung.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zur Kariesdiagnose im
Okklusalbereich eine sorgfältige visuelle Prüfung der Fissuren nach
ICDAS
6
Entfernung der Plaque und Trockenlegung erfolgen sollte. Der klinische
Befund kann dann wie in der Tabelle 3.4. dargestellt erfolgen. Eine ähn- 7
liche Graduierung findet man auch beim sogenannten ICDAS (Interna-
tional Caries Detection and Assessment System), welches von einer 8
Gruppe internationaler Kariologen und Kliniker für die visuelle Karies-
diagnostik entwickelt wurde. Dieses System unterscheidet 6 unter- 9
schiedliche Grade, wobei die Grade 1–3 nahezu identisch mit den Ek-
strand-Kriterien sind. Grad 4 im ICDAS-System entspricht der gräuli-
chen Verfärbung im Ekstrand-System, Grad 5 des ICDAS ist bei Exstrand
10
als Grad 4 beschrieben und Grad 6 des ICDAS bedeutet eine ausge-
dehnte Karies mit exponiertem Dentin, die bis nahe an die Pulpa reicht. 11
Die Befunde nach ICDAS gelten auch für Zahnflächen im Approxi-
mal- und Glattflächenbereich. Sie beinhalten zudem eine Beurteilung 12
von vorhandenen Restaurationen und Wurzelkaries. Dabei bestehen die
Grade beim ICDAS aus zwei Ziffern, wobei die erste den Versorgungsgrad 13
des Zahnes wiedergibt (keine Versorgung, partielle Fissurenversiegelung,
vollständige Fissurenversiegelung, zahnfarbene Restaurationen, Amal-
gamfüllungen, Stahlkrone, Keramik-, Gold- oder Verblendkrone, Veneer,
14
frakturierte oder verlorene Restauration, provisorische Versorgung). Die
zweite Ziffer bezieht sich dann auf die oben beschriebene Ausprägung ka- 15
riöser Läsionen. Besondere Aspekte wie nicht vitale Zähne, Zähne mit
Bändern oder Brackets, überzählige Zähne, Milch- und bleibende Zähne 16
in demselben Bereich, Zähne mit vollständigen Restaurationen (Vollkro-
nen), Zähne mit Metallversorgung (Inlay, Teilkrone), multiple Läsionen
innerhalb einer Zahnfläche und kariös zerstörte Zähne werden gesondert
17
vermerkt. Für eine intensive Beschäftigung mit diesem Diagnosesystem
wird die Internetadresse http://icdas.org bzw. das E-learning-Trainings- 18
programm http://icdas.smile-on.com empfohlen, das auch verwendet
werden kann, um sich unabhängig vom Diagnosesystem mit den unter- 19
schiedlichen klinisch sichtbaren Kariessymptomen vertraut zu machen.
Während zahlreiche, insbesondere epidemiologisch orientierte 20
Zahnmediziner die Vorteile des ICDAS-Systems für eine systematische

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102 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.4: Graduierung bei der visuellen Kariesdiagnostik in der Fissur (nach
Ekstrand 2004)
Grad Klinischer Befund Histologischer Infektionsgrad
Befund der Schmelz-
Dentin-Grenze
0 Keine oder geringfügige Verän- Keine oder sehr Keine Infektion
derung der Schmelztransluzenz oberflächliche De-
nach intensiver Trocknung mineralisation
(> 5 s) mit dem Luftbläser
1 Opazität oder kaum sichtbare Schmelzdeminerali- Keine Infektion
Verfärbung, die nach Trocknung sation begrenzt auf
deutlich hervortritt die äußere Schmelz-
1a Weiße Verfärbung = Hinweis hälfte
auf aktive Läsion
1b Braune Verfärbung = Hinweis
auf arretierte Läsion
2 Opazität bzw. Verfärbung ohne Demineralisation, Leichte Infektion
Trocknung deutlich sichtbar die 50% des Schmel-
2a Weiße Verfärbung = Hinweis zes und bis zu 1/3 des
auf aktive Läsion Dentins betreffen
kann
2b Braune Verfärbung = Hinweis
auf arretierte Läsion
3 Lokalisierter Schmelzeinbruch Demineralisation, Moderate Infek-
im opak veränderten oder ver- die das mittlere tion
färbten Schmelz und/oder Dentindrittel einbe-
graue Verfärbung ausgehend zieht
vom darunter liegenden Dentin
4 Kavitätenbildung im opaken Demineralisation, Starke Infektion
oder verfärbten Schmelz, dabei die das innere Den-
Dentinfreilegung tindrittel einbezieht

Diagnose herausheben, gibt es auch Studien, die anderen Verfahren den


Vorzug geben.
Es empfiehlt sich, vorhandene Bissflügelaufnahmen auch sorgfäl-
tig auf Aufhellungen im Bereich der Fissur zu untersuchen. Ist eine Ka-
ries bereits bis ins äußere Dentin vorgedrungen, so ist dann ein abwar-
tendes Verhalten angezeigt, wenn die Oberfläche der Läsion nicht ein-
gebrochen ist und wenn die kariöse Läsion (s. S. 115) nicht progredient
ist. Bei unsicherem Befund können zusätzlich moderne Diagnosegeräte
eingesetzt werden.

Man sollte zudem berücksichtigen, dass ca. 15% der vorhandenen


Dentinläsionen im Bereich einer Fissur eine „intakte“ Oberfläche
besitzen (versteckte Karies).

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 103

Zur Diagnose der Approximalkaries dienen die klinische Untersu- Approximalkaries


chung, Bissflügelröntgenaufnahmen und die Fiberoptiktransillumi- 1
nation (FOTI). Eine ausgeprägte approximale Dentinkaries kann bei der
klinischen Untersuchung oft durch eine opake Verfärbung des Randleis- 2
tenbereichs erkannt werden. Eine offene Kavität mit Einbruch der Rand-
leiste ist selbstverständlich auch klinisch gut zu erkennen. Eine approxi-
male Schmelzkaries oder kleinere Dentinläsionen lassen sich klinisch
3
aber nur erkennen, wenn der Nachbarzahn fehlt oder die Zähne sepa-
riert worden sind. Man kann heute davon ausgehen, dass nur etwa jede 4
dritte Approximalkaries mit Dentinbeteiligung klinisch erkannt wird.
5
Lassen sich die Approximalkontakte der Zähne klinisch nicht beur-
teilen (geschlossene Zahnreihe), so ist die Anfertigung entsprechen-
der Röntgenaufnahmen zur Befunderhebung und Sicherung der Di-
6
agnose kaum zu umgehen.
7
In zahlreichen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass
eine alleinige klinische Diagnose auch mit zusätzlicher Durchleuchtung 8
der Approximalkontakte durch eine Faseroptik (FOTI) häufig nicht aus-
reicht. Empfohlen werden kann der Einsatz von FOTI besonders für Si- 9
tuationen, in denen die Anfertigung von Röntgenbildern nicht möglich
ist, oder als zusätzliches Hilfsmittel in der Praxis zur Diagnosesicherung.
Relativ neu ist die Kariesdiagnose mit Nah-Infrarot-Transillumination
10
(NIR). Es handelt sich dabei um die Weiterentwicklung der Digitalen
Imaging Fiber Optic Transillumination (DIFOTI). Dabei wird Licht der 11
Wellenlänge 780 nm durch einen speziellen Lichtleiter durch den Kno-
chen und über die Zahnwurzeln nach koronal gelenkt und dort von ei- 12
ner Kamera erfasst. Das so erhaltene Bild kann digital abgespeichert wer-
den. Eine approximale Karies wird als dunkler Fleck sichtbar. Mit dieser 13
Technik lassen sich kariöse Läsionen im Approximalraum (auch Läsio-
nen in der äußeren Schmelzhälfte) sehr gut erkennen; allerdings kann
man die Tiefe der Karies in Relation zur Pulpa nicht beurteilen, weil die
14
Pulpa mit diesem Verfahren nicht darstellbar ist. Vorteilhaft ist der Ver-
zicht auf Röntgenstrahlen, aber es liegen bisher nur wenige Studien zur 15
Validität und Reliabilität dieses Diagnoseverfahrens vor.
Zur Kariesdiagnostik werden i.d.R. Bissflügelaufnahmen (Parallel- Röntgen 16
technik) beider Kieferhälften angefertigt (vgl. Abb. 3.3). Dabei muss der
Zentralstrahl orthoradial durch den Interdentalraum der Zähne gehen,
um Überlagerungen zu vermeiden (s. Abb. 3.4). Oft werden daher von
17
jeder Seite zwei Bissflügelaufnahmen angefertigt, eine von den Molaren
(Zentralstrahl zwischen dem ersten und zweiten Molaren) und eine 18
zweite von den Prämolaren (Zentralstrahl zwischen den beiden Prämo-
laren). 19
Als Alternative zum konventionellen Zahnfilmröntgen stehen seit
einigen Jahren digitale Röntgenverfahren zur Verfügung. Bei diesen 20
Systemen wird entweder anstelle des Röntgenfilms ein Sensor verwen-

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104 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Überstehender D3 D2 D1 Füllung
Füllungsrand

b D4 Knochen D3 Pulpa

Abb. 3.3: Bissflügel-Röntgenaufnahmen werden im Rahmen der Kariestherapie angefertigt, um den Zahn-
zustand im nicht einsehbaren Approximalraum zu untersuchen. Dabei wird die Ausdehnung der Approxi-
malkaries wie folgt beurteilt:
 D0 = keine approximale Karies zu erkennen (es kann jedoch histologisch durchaus eine frühe initiale
Läsion vorliegen)
 D1 = Radioluzenz in der äußeren Schmelzhälfte (entspricht histologisch initialer kariöser Läsion)
 D2 = Radioluzenz bis zur inneren Schmelzhälfte (entspricht histologisch fortgeschrittener, initialer
Läsion, Schmelzoberfläche kann noch „intakt“ sein)
 D3 = Radioluzenz bis zur äußeren Dentinhälfte
 D4 = Radioluzenz bis zur inneren Dentinhälfte (entspricht histologisch einer Caries profunda)

Abb. 3.4: Bei falscher Rönt-


gentechnik kommt es zu
Verzerrungen und Überla-
gerungen der Zähne. Spe-
ziell im Approximalraum
sind die Zahnflächen dann
nicht mehr einwandfrei be-
urteilbar. Es empfiehlt sich
daher, in beiden Kieferhälf-
ten je 2 Bissflügelaufnah-
men anzufertigen (eine im
Molarenbereich und eine im
Prämolarenbereich).

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 105

det, der einen CCD-Chip enthält und durch ein Kabel mit einem Rech-
ner verbunden ist, oder eine Speicherfolie, deren Informationen nach 1
der Belichtung im Laserscanner abgetastet werden. Die Vorteile dieser
Systeme sind, dass die Strahlendosis gegenüber dem konventionellen 2
Röntgen bis zu 50% reduziert werden kann und die chemische Entwick-
lung entfällt. Ein Nachteil der Sensorsysteme ist die geringe Größe des
aktiven Feldes, das nur der eines Kinderzahnfilms entspricht. Im Rönt-
3
genbild lassen sich grundsätzlich Sekundärkaries, Randundichtigkeiten
und Überhänge an Füllungsrändern und Konkremente im Approximal- 4
raum sowie Kariesrezidive unter Restaurationen beurteilen.
5
Die Ausdehnung einer initialen Kariesläsion wird anhand der Biss-
flügelaufnahme grundsätzlich unterschätzt.
6
Die Befunde der Bissflügelaufnahmen werden entsprechend ausgewer- Auswertung
tet (s. Abb. 3.3) und die Befunde in den Zahnstatus (s. Abb. 3.2) einge- 7
tragen. Dabei wird die Ausdehnung der Approximalkaries üblicherweise
wie folgt beurteilt (s. Abb 3.5): 8
 D0 = keine approximale Karies zu erkennen (es kann jedoch histolo-
gisch durchaus eine frühe initiale Läsion vorliegen) 9
 D1 = Radioluszenz in der äußeren Schmelzhälfte (entspricht histolo-
gisch einer initialen kariösen Läsion)
 D2 = Radioluszenz in der inneren Schmelzhälfte (entspricht histolo-
10
gisch einer fortgeschrittenen initialen Läsion, Schmelzoberfläche ist
häufig noch intakt) 11
 D3 = Radoluszenz in der äußeren Dentinhälfte
 D4 = Radioluszenz in der inneren Dentinhälfte (entspricht histolo- 12
gisch einer Caries profunda)
13
Eine andere Einteilung beschreibt die Läsionen im Zahnschmelz mit
E1 und E2. Die Dentinkaries wird anschließend in D1 = Läsion im äuße-
ren Dentindrittel, D2 = Läsion im mittleren Dentindrittel und D3 = Lä-
14
sion im inneren Dentindrittel eingeteilt. Hintergrund dieser Einteilung
ist, dass man die Progredienz aktiver Läsionen im Zahnschmelz (E1, E2) 15
und im äußeren Dentindrittel (D1) mit einem speziellen mikroinvasi-
ven Verfahren (Kariesinfiltration) weitestgehend verhindern kann, 16
wenn die Zahnoberfläche nicht eingebrochen ist.
Die Befundung der Röntgenbilder wird manchmal durch strahlen-
geometrische und anatomische Faktoren erschwert (s. Abb. 3.4). Eine
17
falsche Einstellung des Zentralstrahls kann zu Überlagerungen und Ver-
zerrungen führen, die falsche Größe und Ausdehnung kariöser Läsionen 18
vortäuschen. Zahnhalsregionen werden als Aufhellungszonen im Rönt-
genbild sichtbar (Burn-out-Effekt), die dann als Kariesläsionen fehlin- 19
terpretiert werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass eine D1- und
D2-Läsion sowohl klinisch als auch radiologisch schwieriger zu diagnos- 20
tizieren ist als eine Läsion, die sich bereits im Dentin befindet.

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106 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

D1 D2 D3 D4

D1 D2 D3

Abb. 3.5: Während in der klassischen Einteilung des radiologischen Kariesdiagnostik für approximale
Läsionen die Grade D1–D4 (D = decayed) unterschieden werden, gibt es eine neuere Einteilung, bei der die
Schmelzkariesläsionen als E1 und E2 bezeichnet werden, während die Dentinkaries in drei Kategorien
D1–D3 (Dentinkaries) eingeteilt werden. Dabei meint D1 eine Karies im äußeren Dentindrittel, D2 eine
Karies im mittleren Dentindrittel und D3 eine Karies im inneren Dentindrittel. Diese Art der Kariesdoku-
mentation wurde für die Indiktionsstellung im Rahmen einer Infiltrationsbehandlung entwickelt.

Zur Abwägung der Therapiemöglichkeiten ist es wichtig zu wissen,


ob eine Kavitätenbildung vorliegt, da in diesem Fall meistens eine
Biofilmkontrolle nicht mehr möglich ist und deshalb die Indika-
tion zu einer invasiven Behandlung gegeben ist. Eine Läsion mit
makroskopisch intakter Schmelzoberfläche bietet bessere Chancen
für eine nicht invasive (abwartende) Therapie unter Einsatz unter-
schiedlicher Präventions- bzw. mikroinvasiver Maßnahmen. Eine
weitere Entscheidungshilfe ist die Progression einer Kariesläsion.

Dabei ergibt sich folgendes Bild: Bei dem radiologischen Befund D1


fand sich nie eine Kavitätenbildung, bei dem Befund D2 in 10–20% der
Fälle, bei D3 in 40–80% und bei D4 in allen Fällen. Kavitäten fanden
sich häufiger bei Molaren als bei Prämolaren. Diese Daten gelten jedoch
nur bei Patienten mit niedriger bzw. moderater Kariesaktivität. Bei Pa-
tienten mit hoher Kariesaktivität sind bereits mehr als 50% der D2-Lä-
sionen und 90–100% der D3-Läsionen eingebrochen. Die Reproduzier-
barkeit einer Röntgendiagnose im Approximalbereich liegt bei ca. 80%,
wenn die Karies das Dentin bereits erreicht hat (D3, D4). Legt man die
Einteilung der Dentinkaries in drei Bereiche zugrunde, dann weisen Lä-
sionen im äußeren Dentindrittel zu etwa 30% und Läsionen im mittle-
ren Drittel bereits zu mehr als 70% einen Oberflächeneinbruch auf.
Mittlerweile ist auch ein Diagnodent-System für die Kariesdiagnos-
tik im Approximalbereich verfügbar. Eine ausreichende klinische Vali-
dierung dieses Systems steht allerdings noch aus.

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 107

Tab. 3.5: Empfohlene Zeitintervalle für die Anfertigung von Bissflügelaufnahmen in Abhängigkeit
vom primär vorliegenden Röntgenbefund (modifiziert nach Kühnisch et al., 2019)
1
Ausprägung der Karies beim initialen Röntgenbefund
Alter des Dentition Keine Schmelz- Karies hat Schmelz- Karies im äußeren 2
Patienten Karies karies Dentingrenze Dentindrittel
(Jahre) überschritten
3–7 Milchgebiss ./. 2–3 1 1
3
7–9 Wechselgebiss ./. ./. 1–2 1
4
10–12 Wechselgebiss ./. ./. Keine Indikation, wenn Keine Indikation, wenn
aufgrund des Zahn- aufgrund des Zahn-
wechsels die Approxi- wechsels die Approxi-
5
malräume beurteilbar malräume beurteilbar
sind sind 6
13–16 Permanente Zähne 3–5 2 1–2 1
> 16 Permanente Zähne 5–10 3 1–2 1–2
7
Hat man sich unter Berücksichtigung der vorliegenden klinischen 8
und radiologischen Befunde für eine nicht-invasive Therapie der kariö-
sen Läsion im Approximalbereich entschieden, dann sollte im Rahmen 9
des Kariesmonitorings in bestimmten Abständen erneut eine Bissflügel-
aufnahme angefertigt werden. Die empfohlenen Zeitabstände können
Tabelle 3.5 entnommen werden.
10
An oralen und bukkalen Glattflächen lässt sich relativ einfach be- Orale und buk-
urteilen, ob eine beginnende Kariesläsion mit oder ohne Kavitätenbil- kale Glattflächen 11
dung vorliegt. Nach entsprechender Zahnreinigung kann man mit vi-
sueller Inspektion entweder weißlich opake Veränderungen (Zeichen 12
einer fortgeschrittenen initialen Karies mit hoher Aktivität) oder
bräunliche Verfärbungen (Zeichen für eine inaktive, arretierte Ka- 13
ries) diagnostizieren. Auch hier ist es für den Einsatz invasiver Maßnah-
men wieder von Bedeutung, ob die Schmelzoberfläche bereits Defekte
(Einbrüche) aufweist oder nicht. Mit hochsensiblen Methoden (quanti-
14
tative lichtinduzierte Fluoreszenz = QLF) lassen sich in diesen Bereichen
heute auch beginnende initiale Läsionen diagnostizieren. Es ist damit 15
möglich, über längere Zeit ein Monitoring dieser Bereiche vorzuneh-
men, um Remineralisation oder weitere Demineralisation (Kariesaktivi- 16
tät) zu erkennen. Diese Methoden sind jedoch noch nicht für die Praxis
ausgereift.
Die Diagnose der Wurzelkaries erfolgt überwiegend durch Inspek- Wurzelkaries
17
tion und Sondierung. An approximalen Flächen lokalisierte Wurzelka-
ries kann auch mit Bissflügelröntgenbildern dargestellt werden. Bei der 18
Inspektion werden die Lokalisation der Läsion, die Kontur der Oberflä-
che und die Farbe beurteilt, bei der Sondierung wird die Konsistenz der 19
Läsion bestimmt.
20

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108 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Während die Farbe einer solchen Läsion (gelb, hellbraun bzw. dun-
kelbraun) wenig darüber aussagt, ob die Karies aktiv oder inaktiv ist,
ist die Bewertung der Oberfläche nach den Kriterien hart, ledern
oder weich von großer Bedeutung.

Durch Abtasten der Oberfläche mit einer stumpfen Sonde kann die
Oberflächenhärte bestimmt werden. Läsionen mit harter Oberfläche
enthalten deutlich weniger Mikroorganismen als Läsionen mit lederner
oder weicher Oberfläche und zeigen histologisch oft einen hohen Grad
an Mineralisation, zuweilen sogar eine Hypermineralisation. Läsionen
mit weicher Oberfläche gelten als aktiv und progredient, Läsionen mit
harter Oberfläche als inaktiv und arretiert. Während weiche, aktive Lä-
sionen i.d.R. am Gingivalsaum lokalisiert sind, finden sich harte, inak-
tive Läsionen häufig in größerer Entfernung vom Gingivalsaum.
Der standardisierte Zahnstatus enthält i.d.R. folgende Angaben
(s. Abb. 3.1):
 fehlende und ersetzte Zähne
 behandlungsbedürftige kariöse Zahnflächen, unterschieden in rein
präventiv, mikroinvasiv und invasiv (restaurativ) zu therapierende
Läsionen
 zerstörte und zu extrahierende Zähne
 teilretinierte Zähne, im Durchbruch befindliche Zähne
 Kronen und Brücken
 Implantate
 Ergebnisse des Sensibilitätstests
 Lockerungsgrade
 Sondierungstiefen bzw. PSI
 gefüllte Zahnflächen mit Art und Zustand der Restauration

Sekundärkaries und -defekte bzw. überstehende Füllungsränder werden


gesondert eingezeichnet.
Weitere Zahnhartsubstanzdefekte und Befunde sind schriftlich als
zusätzliche Information gesondert festzuhalten.
Die Bissflügelaufnahmen können durch ein Orthopantomogramm
(OPG) ergänzt werden, auf dem retinierte und verlagerte Zähne, osteo-
lytische Prozesse im Kieferbereich, Zahnanlagen, Wurzelreste und ande-
res beurteilt werden können. Bei schmerzenden Zähnen, in der Endo-
dontologie und in der Parodontologie sind für einen Röntgenbefund
Einzelaufnahmen des Zahnes erforderlich.
Pulpa Die Diagnostik der Pulpa (Sensibilitätstest mit Kälte, s. Kap. Endo-
dontologie) ist schwierig. Man geht davon aus, dass vorhandene Kälte-
sensibilität mit der Vitalität der Pulpa korreliert, fehlende Sensibilität je-
doch nicht gleich fehlende Vitalität bedeutet. Hier sind dann zusätzli-
che Sensibilitätstests (Strom, Probetrepanation) erforderlich. Bei
schmerzenden Zähnen ist zusätzlich ein Perkussionstest erforderlich.

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3.2 Erweiterte Untersuchung zur Situation der Zahnhartsubstanzen Kapitel 3 109

Zu einem vollständigen Zahnstatus gehört auch die Erhebung eines


adäquaten Gingiva- und Plaqueindex. Sie geben einen groben Über- 1
blick über die Mundhygienegewohnheiten und die parodontalen Ver-
hältnisse. Dabei gilt heute die Erfassung des PSI-Index als obligat. 2

3.2.2 Bestimmung der Kariesaktivität und des Kariesrisikos


3
4
! Wie bereits oben erwähnt, befasst sich die moderne Kariesdiag-
nostik nicht ausschließlich mit dem Feststellen des Status quo,
sondern versucht, durch die Bestimmung der Kariesaktivität bzw. 5
des Kariesrisikos beim jeweiligen Patienten die Prognose nicht in-
vasiver (präventiver), mikroinvasiver und invasiver Maßnahmen
zu bestimmen.
6

Während der Begriff Kariesaktivität einen aktuellen Zustand be- Kariesaktivität 7


schreibt, ist der Begriff Kariesrisiko auf die Zukunft gerichtet und soll
beschreiben, ob zukünftig ein niedriges oder hohes Risiko für die Patien- 8
ten besteht, kariöse Läsionen zu entwickeln.
Für den Zahnarzt ist es einfacher, die aktuelle Kariesaktivität zu er- 9
kennen als das zukünftige Kariesrisiko vorauszusagen. Die Kariesaktivi-
tät gibt allerdings einen Hinweis auf ein mögliches Kariesrisiko. In die-
sem Zusammenhang hat die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend-
10
zahnpflege e.V. (DAJ) vorgeschlagen, bei Kindern und Jugendlichen die
zum Zeitpunkt der Untersuchung vorliegenden Kariesläsionen als gro- 11
ben Indikator für das zukünftige Kariesrisiko zu verwenden (s. Tab. 3.6).
Die Kariesaktivität eines Patienten kann starken Schwankungen unter- 12
liegen. In einem bestimmten Lebensabschnitt oder -zeitraum (z.B. im
Kindesalter) kann die Kariesaktivität sehr hoch sein, zu einem anderen 13
Zeitpunkt kann vielleicht aktuell keine Kariesaktivität vorliegen.

Die Kariesaktivität ergibt sich aus dem Zusammenspiel von schüt-


14
zenden und kariogenen Faktoren in der Mundhöhle.
15
Tab. 3.6: Kariesrisikoabschätzung anhand bereits vorhandener Kariesläsio- 16
nen (nach DAJ)
Alter Erhöhtes Kariesrisiko, wenn 17
bis 3 Jahre nicht kariesfrei: dmf(t) > 0
bis 4 Jahre dmf(t) > 2 18
bis 5 Jahre dmf(t) > 4
6–7 Jahre dmf/DMF(t/T) > 5 oder D(T) > 0 19
8–9 Jahre dmf/DMF(t/T) > 7 oder D(T) > 2
10–12 Jahre DMF(S) an Approximal-/Glattflächen > 0
20

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110 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.7: Faktoren, die auf erhöhtes Kariesrisiko hindeuten (nach Reich 2000)
Kinder/Jugendliche Erwachsene
• ≥ 2 kariöse Läsionen im vergangenen • ≥ 2 kariöse Läsionen in den letzten
Jahr drei Jahren
• Frühere Glattflächenkaries • Frühere Wurzelkaries oder
• Erhöhte Streptococcus-mutans- • Große Anzahl freiliegender Zahn-
Werte hälse
• Tiefe Grübchen und Fissuren • Erhöhte Streptococcus-mutans-
• Keine/kaum systemische und lokale Werte
Fluoridanwendung • Tiefe Grübchen und Fissuren
• Schlechte Mundhygiene • Schlechte Mundhygiene
• Häufiger Süßigkeitenverzehr • Häufiger Süßigkeitenverzehr
• Unregelmäßiger Zahnarztbesuch • Unzureichende lokale Fluoridanwen-
• Zu geringer Speichelfluss dung
• Zu lange Babyflaschen-Ernährung • Unregelmäßiger Zahnarztbesuch
oder Stillen (Kleinkinder) • Zu geringer Speichelfluss

Kariesrisiko Die Tabelle 3.7 gibt einen Überblick über die Risikofaktoren für Karies.
Sucht der Patient seinen Zahnarzt regelmäßig auf, so bereitet es häufig
keine Probleme, eine aktuell hohe Kariesaktivität zu erkennen. Hinweis
darauf sind zahlreiche aktive kariöse Läsionen, die eine Tendenz zur ra-
schen Progression zeigen. Die exakte Bestimmung des aktuellen Karies-
risikos ist jedoch häufig schwierig.
Neben der Erhebung eines Ernährungsfragebogens (Ernährungs-
anamnese z.B. in Form eines Dreitageprotokolls) kann die quantitative
Erfassung der Zahnplaque z.B. durch die 24-Stunden-Plaque-Bildungs-
rate (Plaque-Formation-Rate-Index) bestimmt werden. Da die Plaquebil-
dungsrate mehr oder weniger von allen Faktoren beeinflusst wird, die in
der Kariesätiologie eine Rolle spielen, hat dieser Test eine hohe Aussage-
kraft. Zusätzlich können qualitative mikrobielle Speicheltests zur gro-
ben Einschätzung des individuellen Kariesrisikos herangezogen werden.
Hier ist in erster Linie die Bestimmung der Streptococcus-mutans- und
Laktobazillenzahl im Speichel anhand spezieller Tests (z.B. Karies-Ri-
siko-Test = CRT) geeignet. Man geht bei dem Einsatz dieser Testmetho-
den davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der
Mutans-Streptokokken und der Laktobazillen im Speichel und dem Ka-
riesbefall gibt.
Die Einteilung erfolgt grob in vier Klassen (nach Kolonien bildenden
Einheiten = kbE/ml Speichel). Dazu wird meistens ein mit Speichel be-
netzter und bebrüteter Nährboden (37 °C) mit einem Standard vergli-
chen. Als Stellenwert für eine überdurchschnittliche Kariesgefährdung
wird ein Wert von über 250 000 kbE Mutans-Streptokokken pro ml Spei-
chel angegeben. Ein besonders hohes Kariesrisiko sollen Patienten mit
Werten über 1 000 000 kbE pro ml Speichel haben. Die Tests lassen sich
allerdings bei realistischer Einschätzung nur in einer Richtung interpre-
tieren: Patienten mit geringen Keimzahlen im Speichel haben eine ge-

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3.3 Spezielle Untersuchungen Kapitel 3 111

ringere Wahrscheinlichkeit, eine Karies zu entwickeln, als solche mit


hohen Keimzahlen. Hohe Laktobazillenwerte gelten als Zeichen für ei- 1
nen hohen und häufigen Kohlenhydratkonsum und damit wieder indi-
rekt als Indikator für ein hohes Kariesrisiko. 2
Als weitere Parameter zur Abschätzung des Kariesrisikos werden die
Bestimmung der Speichelfließrate (3–5 min paraffinstimulierter Spei-
chel) und die der Speichelpufferkapazität (anhand eines pH-Indika-
3
tors 5 min nach Speichelstimulation) angegeben. Der Normalwert für
die Speichelfließrate liegt bei 1 ml pro Minute. Zeigt das mit Säure im- 4
prägnierte Indikatorpapier einen pH-Wert von 6,0 an, so liegt eine hohe
Speichelpufferkapazität vor. 5
Erst die Berücksichtigung aller vier Parameter und der Plaquebil-
dungsrate, des momentanen Kariesbefalls und des Konsums karioge-
6
ner Zwischenmahlzeiten zusammen erlaubt eine grobe Einschätzung
des individuellen Kariesrisikos. Die alleinige Bestimmung der Bakte- 7
rienzahlen im Speichel dient in erster Linie der Motivation und Re-
motivation im Rahmen individualprophylaktischer Maßnahmen. 8
Zur relativen Einschätzung, wie hoch das Risiko eines Patienten ist, eine Bewertung 9
neue Kavität zu entwickeln, gibt es ein spezielles Computerprogramm
mit dem Namen Cariogram. Dieses Programm erlaubt die Eingabe der
oben beschriebenen klinischen Parameter, fasst diese auf der Grundlage
10
kariesepidemiologischer Daten für das jeweilige Land zusammen und
berechnet dann das entsprechende Kariesrisiko. Das Programm kann 11
kostenfrei aus dem Internet heruntergeladen und verwendet werden.
Andere Kariesrisiko-Screeningverfahren berücksichtigen die Säure- 12
bildungskapazität der gesamten Mikroflora. Insgesamt lässt sich feststel-
len, dass klinische Parameter wie z.B. die jeweils aktuelle Karieserfah- 13
rung geeignet sind, das Kariesrisiko zu beurteilen. Einzelne Testverfah-
ren können das nur sehr begrenzt.
14
3.3 Spezielle Untersuchungen 15
Bei Vorliegen erosiver Zahnhartsubstanzdefekte kann das BEWE (Basic- 16
Erosive-Wear-Examination)-Bewertungssystem eingesetzt werden (s.
Tab. 3.8). Hierbei wird das Gebiss in Sextanten eingeteilt und alle Zähne
des jeweiligen Sextanten werden auf erosive Veränderungen untersucht.
17
Dabei werden die Erosionen nach ihrem Schweregrad klassifiziert. An-
schließend wird der höchste Wert pro Sextant erfasst und dann zu ei- 18
nem Wert aufsummiert. Je nach Schweregrad der Erosionen wird dann
eine entsprechende Behandlungsstrategie empfohlen (s. Kap. 3.4). 19
Für die Dokumentation der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation MIH-TNI
wurden verschiedene Indizes entwickelt, die sich entweder auf die Farb- 20
und Opazitätsveränderungen im Zahnschmelz, das Ausmaß des Zahn-

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112 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.8: Einteilung der erosiven Defekte anhand ihres Schweregrades. Es wird
immer nur der höchste Wert pro Sextant dokumentiert und aufsummiert.
Grad Klinisches Erscheinungsbild
0 Kein erosiver Zahnhartsubstanzverlust
1 Beginnender Verlust der Oberflächenstruktur
2* Klar ersichtlicher Verlust von Zahnhartsubstanz; < 50% der Oberfläche
3* Ausgeprägter Verlust von Zahnhartsubstanz; > 50% der Oberfläche
* Bei Grad 2 und 3 ist oft Dentin exponiert.
BEWE-Erfassung
Höchster Grad Höchster Grad Höchster Grad
1. Sextant (17–14) 2. Sextant (13–23) 3. Sextant (24–27)

Höchster Grad Höchster Grad Höchster Grad


6. Sextant (44–47) 5. Sextant (33–43) 4. Sextant (37–34) Summe

hartsubstanzverlustes oder die Zahnüberempfindlichkeit bezogen. Mit


dem MIH Treatment Need Index (MIH TNI) wurde von einer Würzbur-
ger Arbeitsgruppe (Steffen et al, 2017) ein Instrument entwickelt, das die
unterschiedlichen Parameter zusammenfasst und es ermöglichst, die
MIH von anderen entwicklungsbedingten Schmelzdefekten sowohl im
Milch- als auch im bleibenden Gebiss abzugrenzen. Die Befundung er-
folgt visuell mit Spiegel, Sonde und Trocknen der Zahnoberflächen mit
Luft.
Auf eine MIH deuten dabei folgende Kriterien hin:
 Die betroffenen Zähne zeigen okklusal oder bukkal eine klar defi-
nierte Opazität.
 Die Defekte variieren in ihrer Ausprägung, Größe und Muster.
 Weiße, cremefarbene oder gelbbraune Farbabweichungen sind zu
beobachten.
 Die Defekte sind unterschiedlich groß (Defekte kleiner als 1 mm
werden nicht dokumentiert.
 Zähnen mit Hypersensitivität sind vorhanden.
 Zähnen haben atypische Restaurationen.
 Fehlende Zähne aufgrund von (vermuteter) MIH.
 Kombinationen der genannten Charakteristika sind vorhanden.

Ist eines dieser Kriterien vorhanden, erfolgt ein Grading nach folgen-
dem Schema. Dabei wird für epidemiologische Studien der jeweils
höchste Index-Wert pro Sextant und für eine individuelle Beurteilung
der Wert für jeden einzelnen betroffenen Zahn dokumentiert.
Index 0: Keine MIH
Index 1: MIH ohne Überempfindlichkeit, kein Defekt
Index 2: MIH ohne Überempfindlichkeit mit Defekt
a) kleiner 1/3 der betroffenen Fläche

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3.3 Spezielle Untersuchungen Kapitel 3 113

b) zwischen 1/3 und 2/3 der betroffenen Fläche


c) größer als 2/3 der betroffenen Fläche bzw. Defekt pulpanah oder Ex- 1
traktion oder atypische Restauration
Index 3: MIH mit Hypersensitivität, ohne Defekt 2
Index 4: MIH mit Hypersensitivität und Defekt
a) kleiner 1/3 der betroffenen Fläche
b) zwischen 1/3 und 2/3 der betroffenen Fläche
3
c) größer als 2/3 der betroffenen Fläche bzw. Defekt pulpanah oder Ex-
traktion oder atypische Restauration 4
Bei Verdacht auf parodontale Erkrankungen und bei aufwendigen Sa- Parodontalstatus 5
nierungen (speziell mit Einlagefüllungen, Kronen und Brücken) ist der
übliche Befund durch einen exakten Parodontalstatus zu ergänzen
(s. Kap. 18.5). Die Anfertigung von Situationsmodellen und eine Foto-
6
dokumentation können zur Diagnosesicherung und Therapieplanung
beitragen. 7
Die klinische Untersuchung wird bei Patienten mit Myoarthropa-
thien und bei Verdacht auf Funktionsstörungen sowie bei geplanten 8
umfangreichen zahnerhaltenden und prothetischen Maßnahmen durch
eine klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik abgerundet. 9
Bei der klinischen Funktionsdiagnostik wird neben dem extraora- Klinische Funk-
len und intraoralen Muskelbefund als einfachste Methode die statische tionsdiagnostik
und dynamische Okklusion der Zähne nach entsprechender Entspan-
10
nung der Kaumuskulatur (ggf. nach Schienenvorbehandlung) beurteilt.
Dabei dienen speziell eingefärbte Okklusionsfolien zur Orientierung. 11
Bei maximaler Interkuspidation (nach Auftasten aus der Ruhe-
Schwebe-Lage) soll ein gleichzeitiger und gleichmäßiger Kontakt zwi- 12
schen den Ober- und Unterkieferzähnen vorhanden sein. Vorkontakte
zeichnen sich bei Verwendung der Okklusionsfolie als stärkere und grö- 13
ßere Färbung ab. Protrusion, Laterotrusion und Mediotrusion werden
ebenso mithilfe der gefärbten Folien überprüft. Man geht im Idealfall
von einer Front-Eckzahn-Führung aus. Gruppenführung auf der Arbeits-
14
seite wird bei gleichmäßiger Belastung der Zähne toleriert. Balancehin-
dernisse sind durch Einschleifen oder entsprechend gestaltete Restaura- 15
tionen zu beseitigen.
Liegen Anzeichen für Störungen der statischen und dynamischen Instrumentelle 16
Okklusion vor, die nicht mehr nur klinisch zu beurteilen sind, wird eine Funktions-
instrumentelle Funktionsanalyse notwendig. Dazu werden Gips- diagnostik
modelle in einen teil- oder volljustierbaren Artikulator eingebracht.
17
Mindestanforderung ist dabei die Verwendung eines Schnellübertra-
gungsbogens (arbiträre Scharnierachsenbestimmung). Es empfiehlt sich 18
jedoch, die Scharnierachse individuell zu bestimmen und die Grenzbe-
wegungen individuell zu registrieren. Die Modelle werden dann in ei- 19
nen voll justierbaren Artikulator eingebracht, in dem die Funktions-
diagnostik erfolgt. Der klinische Befund wird durch Auskultation und 20
Palpation des Kiefergelenks, Mobilitätsmessungen des Unterkiefers usw.

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114 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Behandlungsplan
Prophylaxemaßnahmen erforderliche invasive Kontrollmaßnahmen
Behandlungsmaßnahmen

Maßnahme Datum Behandlungs- Zahn Fläche Therapie Mundhygiene:


reihenfolge

Datum:
PI/ PBI:
Datum:
PI/ PBI:
Datum:
PI/ PBI:
Datum:
PI/ PBI:
Datum:
PI/ PBI:

Mundhygiene (Mot + Inst), prof. Zahnreinigung (PZR)


(PZR) AgF, Comp, GIZ, WF, Aufbaufüllung,
Ernährungsberatung (EB),
(EB), Mundhygienekontrolle
Mundhygienekontrolle (MH-Ktrl) Inlay (Keramik, Gold)
CHX-Therapie (CHX),
(CHX),Fluoridierung
Fluoridierung(F)(F) Teilkrone (Keramik, Gold)
Füllung nacharbeiten (Fin),
(Fin), Fissurenversiegelung
Fissurenversiegelung(FV)
(FV)
Kariesmonitoring (KM)
(KM), Kariesinfiltration (KI)

Patient konservierend durchsaniert am:

Abb. 3.6: Beispiel eines standardisierten Bogens für die Behandlungsplanung im Rahmen der Kariestherapie

ergänzt (Einzelheiten zur Funktionsdiagnostik sind entsprechenden


Lehrbüchern zu entnehmen).
Nach der vollständigen zahnärztlichen Befunderhebung werden die
Diagnose und, wenn notwendig, die Differenzialdiagnose gestellt. Es
schließt sich eine Therapieplanung an (s. Abb. 3.6), die mit dem Patien-
ten durchgesprochen werden muss. Es sollte dabei auch auf mögliche an-
dere Therapiemöglichkeiten eingegangen werden (Differenzialtherapie).
Bei umfangreichen Sanierungsmaßnahmen schließt sich eine schrift-
liche Fixierung der geplanten Therapie und deren voraussichtlicher Kos-
ten (Heil- und Kostenplan) an. Der Patient erklärt sich schriftlich mit der
gewählten Therapieform und der Kostenübernahme einverstanden.

Es empfiehlt sich grundsätzlich, die Patienten über geplante zahn-


ärztliche Maßnahmen und die Folgen der Unterlassung der geplan-
ten Maßnahmen aufzuklären und das Einverständnis des Patienten
zu dokumentieren (Aufklärungspflicht).

3.4 Therapieplanung (Kariesmanagement)

! Die allgemeinen Grundsätze der Planung im Rahmen der Thera-


pie von Zahnhartsubstanzdefekten unterliegen sehr stark indivi-
duellen Entscheidungen des Zahnarztes. Diese wiederum sind ab-
hängig von seinen therapeutischen Möglichkeiten und Fähigkei-
ten.

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3.4 Therapieplanung (Kariesmanagement) Kapitel 3 115

Nicht selten werden von verschiedenen Zahnärzten beim selben Patien-


ten unterschiedliche Diagnosen gestellt. Konsequenterweise sind auch 1
die Therapieentscheidungen uneinheitlich. Gründe dafür sind:
 Unterschiedliche Untersuchungsbedingungen. 2
 Unterschiedlicher physischer und emotionaler Status des jeweiligen
Untersuchers, A-priori-Erwartungen des Untersuchers beeinflussen
das Ergebnis (Übertragungseffekt aus früheren Untersuchungen an
3
demselben oder anderen Patienten).
 Ausbildung und Weiterbildung sind unterschiedlich. 4
 Es besteht Unsicherheit über die Erfolgsaussichten einer Interven-
tion. 5
Entscheidungspfade (Tab. 3.9) sind oft intuitiv und informell, wobei al-
lerdings diese Probleme durch die klinische Expertise aufgrund langjäh-
6
riger Berufsausübung wettgemacht werden können. So können aus den
unterschiedlichen Diagnosen und die unterschiedlichen Therapieent- 7
scheidungen auch unterschiedliche Maßnahmen für den Patienten re-
sultieren, wobei diese völlig unterschiedlichen Therapiemaßnahmen 8
möglicherweise zu einem ähnlichen Langzeiterfolg (bei allerdings un-
terschiedlichen Kosten) führen können. Es kann jedoch auch sein, dass 9
bei gleicher Diagnose und gleicher Therapieentscheidung unterschied-
liche Erfolge resultieren.
Grundsätzlich sollte ein Mediziner sich nie dazu verleiten lassen,
10
Therapien anzuwenden, die er nicht gänzlich beherrscht. Natürlich ist
die Entscheidung für ein bestimmtes Verfahren im Rahmen der Karies- 11
therapie auch von Patientenparametern abhängig. Allgemeingesund-
heitszustand, parodontale und funktionelle Gebissverhältnisse und die 12
Tab. 3.9: Diagnose und Therapieplanung bei Kariesläsionen im Okklusalbereich (mod. nach Schwen-
dicke et al., 2021). Alle Maßnahmen werden durch individuell adaptierte Prophylaxemaßnahmen un- 13
terstützt.
Klinische bzw. radiologische Diagnostik Therapieoptionen 14
Gesunde Fissur mit geringer Kariesgefährdung Keine Intervention
Regelmäßiges Monitoring 15
Gesunde Fissur mit hoher Kariesgefährdung Fissurenversiegelung
Nicht kavitierte, aktive Kariesläsion ohne Dentinbeteiligung Regelmäßiges Monitoring 16
Nicht kavitierte, aktive Kariesläsion äußeres Dentindrittel Fissurenvesiegelung bei allgemein
mit Dentinbeteiligung geringem Kariesrisiko
Erweiterte Fissurenversiegelung bei
17
allgemein hohem Kariesrisiko
mittleres Dentindrittel Erweiterte Fissurenversiegelung oder
18
minimal-invasive Restauration
pulpanahes Dentindrittel Minimal-invasive Restauration
19
Regelmäßiges Monitoring
Alle Interventionen werden von individuell adaptierten Präventionsmaßnahmen unterstützt
20

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116 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Notwendigkeit weiterer prothetischer Maßnahmen sind nur einige Pa-


rameter, die in die Therapieplanung mit einbezogen werden müssen.
Für die Entscheidung, welche zahnerhaltenden Maßnahmen notwen-
dig und sinnvoll sind, gibt es einige grobe Regeln, die nachfolgend sche-
matisch aufgeführt sind.
Die Entscheidung, ob ein invasives, mikroinvasives oder nicht in-
vasives Vorgehen bei der Kariestherapie erforderlich ist, hängt von fol-
genden Faktoren ab:
 Kariesaktivität (-risiko)
 Kariesprogression
 Tiefe der Karies bzw. Einbruch der Zahnoberfläche mit der Folge,
dass der Zahn an dieser Stelle nicht mehr durch übliche Mundhygie-
nemaßnahmen gereinigt werden kann
 Patientenalter (je älter der Patient, desto geringer ist i.d.R. die Karies-
progression im koronalen Bereich)
 Patientencompliance

Ziele der präventiven und der mikroinvasiven Vorgehensweise sind der


Erhalt gesunder Zahnstrukturen, die Verhinderung der Erkrankung von
Zahnhartsubstanzen bzw. bei bereits vorhandenen Defekten deren Pro-
gression. Ziele der invasiven Therapie sind die Wiederherstellung der
Mundhygienefähigkeit, der Form und der Funktion der betroffenen
Zähne und gegebenfalls der Ästhetik. Eine wichtige Prämisse ist dabei,
möglichst die Vitalität der Pulpa zu gewährleisten. Für die Entschei-
dung, welche zahnerhaltenden Maßnahmen notwendig und sinnvoll
sind, gibt es einige Regeln, die nachfolgend aufgeführt sind.
Approximalkaries Bei der Approximalkaries (Tab. 3.10) kann bei Patienten mit guter
Compliance (optimale Mundhygiene, ausreichende Prophylaxe, regel-

Tab. 3.10: Diagnose und Therapieplanung bei Kariesläsionen im Approximalraum (modifiziert nach
Schwendicke et al., 2021)
Radiologische Diagnostik und Zustand der Approximal- Therapieoptionen
fläche
Gesunde Zahnoberfläche Keine Intervention
Inaktive Kariesläsion ohne Kavitation, Regelmäßiges Monitoring
ohne Dentinbeteiligung
Aktive Kariesläsion rein im Zahnschmelz Mikroinvasive Intervention oder
ohne Kavitation (E1, E2) Intensivprophylaxe
Regelmäßiges Monitoring
Aktive Kariesläsion im äußeren Dentindrittel Abhängig von der Kariesaktivität
ohne Kavitation Mikroinvasive Intervention und regelmäßiges
Monitoring oder minivalinvasive Intervention
Aktive Kariesläsion im äußeren Dentindrittel mit Kavita- Invasive Intervention
tion bzw. im mittleren und inneren Dentindrittel
Alle Interventionen werden von individuell adaptierten Präventionsmaßnahmen unterstützt

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3.4 Therapieplanung (Kariesmanagement) Kapitel 3 117

mäßiger Zahnarztbesuch) und geringer Kariesaktivität bei Vorliegen


von inaktiven Kariesläsionen ohne Kavitation und ohne Dentinbeteili- 1
gung ein Kariesmonitoring vorgenommen werden. Man versteht darun-
ter ein abwartendes Verhalten mit regelmäßiger Kontrolle und Bissflü- 2
gelaufnahmen im Abstand von ein bis zwei Jahren. Sollte sich dabei he-
rausstellen, dass die Karies nicht progredient ist, reichen Röntgenbilder
in größeren Abständen.
3
Bei aktiven approximalen Kariesläsionen ohne Kavitation, die sich
ausschließlich im Zahnschmelz oder im äußeren Dentindrittel befin- 4
den, sind mikroinvasive bzw. intensivprophylaktische Maßnahmen
indiziert. Auch hier sollten in definierten Zeitabständen Bissflügelauf- 5
nahmen im Rahmen eines Kariesmonitorings angefertigt werden.
Grundsätzlich sollte bei diesen Patienten auf eine ausgezeichnete Ap-
proximalraumhygiene geachtet werden.
6
Bei aktiven Kariesläsionen im äußeren Dentindrittel mit eingebro-
chener Oberfläche bzw. Kariesläsionen im mittleren und inneren Den- 7
tindrittel sind invasive Interventionen erforderlich. Dabei sollte mög-
lichst wenig gesunde Zahnhartsubstanz geopfert werden. Die entstande- 8
nen Defekte können i.d.R. mit plastischen Füllungsmaterialien (z.B.
Kompositrestaurationen) versorgt werden. 9
Bei hoher Kariesaktivität bzw. rapider Kariesprogression kann ne-
ben einem engen Recall mit entsprechenden intensivprophylaktischen
Maßnahmen eine invasive Behandlung der entsprechenden Läsionen
10
bereits bei einer aktiven Kariesläsion im äußeren Dentindrittel auch
ohne Einbruch der Zahnoberfläche indiziert sein. Grundsätzlich sollen 11
alle invasiven Maßnahmen von einer entsprechenden präventiven The-
rapie flankiert sein. 12
Bei schlechter Compliance und hoher Kariesaktivität sind aufwen-
dige Restaurationen (z.B. Einlagefüllungen) nicht indiziert. 13
Eine kariesgefährdete Fissur bzw. eine Fissur mit einer nicht kavitier- Fissurenkaries
ten, aktiven Kariesläsion ohne Dentinbeteiligung oder mit Dentinbetei-
ligung im äußeren Dentindrittel wird versiegelt. Bei allgemein erhöh-
14
tem Kariesrisiko kann allerdings bereits eine erweiterte Fissurenversiege-
lung indiziert sein. Wird bei einer Fissur eine nicht kavitierte, aktive 15
Kariesläsion mit Dentinbeteiligung im mittleren bzw. inneren Drittel
diagnostiziert, so wird je nach Ausmaß der Karies eine entsprechend 16
zierliche Restauration mit anschließender Fissurenversiegelung ange-
strebt.
Eine Kavitation im Bereich der Fissur, die nicht zu reinigen ist, wird
17
invasiv therapiert. Auch hier werden alle Maßnahmen von einer indivi-
duell adaptierten Kariesprophylaxe begleitet. 18
Eine Glattflächenkaries wird nur dann invasiv behandelt, wenn Glattflächen-
großflächige Einbrüche vorhanden sind. karies 19
Bei einer Wurzelkaries hängt die Therapie davon ab, wo sie lokali- Wurzelkaries
siert ist, ob es sich um eine Primär- oder Sekundärkaries handelt und in 20
welchem Zustand sie sich befindet. Bei einer weichen Oberfläche kann

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118 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

man nach entsprechender Politur mit prophylaktischen Maßnahmen


eine Inaktivierung erreichen. Dabei sollten grundsätzlich erst antibakte-
rielle Maßnahmen und anschließend Fluoridierungsmaßnahmen erfol-
gen. Es kann jedoch aus ästhetischen Gründen und aufgrund der Pro-
gredienz einer Karies erforderlich sein, diese invasiv zu behandeln und
den resultierenden Defekt anschließend mit einem adäquaten Restaura-
tionsmaterial (z.B. Komposit, Kompomer) zu verschließen.
Defekte Keilförmige Defekte werden, solange sie keine Beschwerden verur-
sachen, ästhetisch nicht stören und eine bestimmte Tiefe nicht über-
schritten haben, nicht invasiv behandelt (Umstellung der Putztechnik,
d.h. keine vertikale Bürsttechnik, Ausschalten von Fehlbelastungen). Bei
ausgeprägten Defekten kann eine restaurative Therapie erwogen werden.
Bei Erosionen (speziell im Glattflächenbereich) kommen je nach
BEWE-Klassifikation unterschiedliche Behandlungsoptionen in Be-
tracht (s. Tab. 3.11). Dabei werden die in der Tabelle 3.12 aufgeführten
Einzelmaßnahmen eingesetzt. Bei großflächigen Erosionen mit entspre-
chender Abnutzung auch im Kauflächenbereich sind oft nur noch inva-
sive Maßnahmen, häufig sogar prothetische Maßnahmen indiziert.
Zahnhartsubstanzverluste anderer Genese, z.B. Amelogenesis imper-
fecta, erfordern zumeist eine umfangreiche prothetische Versorgung,
um die verbleibende Zahnhartsubstanz vor weiterem „Zerfall“ zu schüt-
zen. Im Milchgebiss ist hier die Anfertigung von Stahlkronen indiziert.
Dieses Behandlungsraster dient der groben Orientierung. Es ist in
diesem Rahmen nicht möglich, für jeden denkbaren Fall eine Therapie
vorzuschlagen. In den folgenden Kapiteln wird auf die einzelnen Thera-
piemöglichkeiten genauer eingegangen.

Tab. 3.11: Empfehlung für das Management von Erosionspatienten auf der Basis des BEWE-Index
Schweregrad Summe aller Management
der Erosionen Sextanten
Nihil ≤2 • Aufklärung und Überwachung
• Wiederholung der BEWE alle 3 Jahre
Gering 3–8 • Mundhygieneinstruktion; Ernährungsabklärung und Beratung, Reflux?
Aufklärung und Überwachung; momentane Situation mit Modellen
und Fotos festhalten
• Wiederholung der BEWE alle 2 Jahre
Mittel 9–13 • Wie oben
• Zusätzlich Empfehlung von Fluoridierungsmaßnahmen; Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit der Zahnhartsubstanz
• Restaurative Maßnahmen in Betracht ziehen
• Wiederholung der BEWE alle 6 bis 12 Monate
Hoch ≥ 14 • Wie oben
• Zusätzlich spezielle Betreuung bei schnellem Fortschreiten der Erosio-
nen; restaurative Maßnahmen
• Wiederholung der BEWE alle 6 bis 12 Monate

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3.4 Therapieplanung (Kariesmanagement) Kapitel 3 119

Tab. 3.12: Therapie erosiver Zahnhartsubstanzveränderungen (mit freundli-


cher Genehmigung von Frau Prof. Dr. Ganss, Gießen)
1
Merkmal Therapie und Verlauf
Kausale Therapie Identifikation und Vermeidung der sauren Noxe durch: 2
• Reduktion saurer Mahlzeiten
• Kombination von sauren mit kalzium- und phosphatrei-
chen Lebensmitteln (z.B. Obst mit Jogurt, Fruchtsaft mit 3
hohem Kalziumgehalt)
• Verzehr von Getränken mit einem Strohhalm 4
Symptomatische Therapie
Hoch dosierte Applikation von Fluorid: 5
• 2 × wöchentlich Fluoridgel und/oder mehrmals täglich Fluoridspüllösung
Bei schweren Befunden mit generalisierter Dentinbeteiligung außerdem Ver-
6
meidung zusätzlicher mechanisch bedingter Zahnhartsubstanzverluste durch:
• Wenig abrasive Zahnpasta
7
• Geringen Putzdruck
• Putzen vor den Mahlzeiten; bei endogener Ätiologie nach dem Erbrechen nur
8
Spülen
9
Es gibt grundsätzlich also vier mögliche Therapievarianten der Ka-
ries. Bei kooperationsbereiten, präventionswilligen Patienten ohne
10
Kariesaktivität muss eventuell überhaupt nicht behandelt werden.
Bei Patienten mit geringer Kariesaktivität bzw. kleinen kariösen Lä- 11
sionen ohne Kontinuitätsunterbrechung der Schmelzoberfläche ist
eine rein präventive oder eine mikroinvasive Vorgehensweise indi- 12
ziert. Als vierte Option bleibt das invasive Vorgehen. Grundsätzlich
sollten alle invasiven therapeutischen Maßnahmen durch entspre- 13
chende präventive Vorgehensweise ergänzt werden.

Diagnose und Therapieverfahren sollten möglichst evidenzbasiert sein


14
(s. Tab. 3.13). Dies bedeutet, dass die Verfahren auf gut angelegten klini-
schen Studien mit entsprechender statistischer Bearbeitung basieren 15
sollten. Diese als externe Evidenz bezeichnete Grundlage muss aller-
dings mit der individuellen klinischen Expertise kombiniert werden, 16
und es müssen zudem die Wünsche und grundlegenden Charakteristika
des Patienten (Alter, finanzielle Grundlage etc.) miteinbezogen werden.
Als Rahmen für Therapieentscheidungen können die Empfehlungen der
17
Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, natio-
nale und internationale Leitlinien sowie Metaanalysen und systemati- 18
sche Reviews z.B. des Cochrane-Instituts (http://www.update-software.
com/publications/cochrane/) dienen. 19
20

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120 3 Befunderhebung und Diagnose im Rahmen der Kariestherapie

Tab. 3.13: Definition der Evidenzstärke von diagnostischen bzw. therapeuti-


schen Verfahren
Kriterium Evidenz-Typ
A Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter, kontrollierter
Studien
Evidenz aufgrund mindestens einer randomisierten, kontrollierten
Studie
B1 Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, kontrollierten
Studie ohne Randomisierung
Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, quasi-experi-
mentellen Studie
B2 Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller, deskripti-
ver Studien (z.B. Querschnittsstudien)
C Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen,
Konsensuskonferenzen und/oder klinischer Erfahrung anerkannter
Autoritäten, Fallstudien

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Kapitel 4 121

4 Kariesprophylaxe
1
2
3
4
! Der heutige Wissensstand zur Ätiologie und Pathogenese der Ka-
ries ist so gut, dass durch den Einsatz präventiver Maßnahmen ein
deutlicher Kariesrückgang erzielt werden kann. 5
Die Anzahl klinisch diagnostizierbarer Kariesläsionen ist in Deutsch-
land in den letzten 25 Jahren bei Kindern und Jugendlichen deutlich ge-
6
sunken. Bei einzelnen Personen ist jedoch nach wie vor eine hohe
Kariesprävalenz festzustellen (Kariesrisikogruppen). Auch bei Erwachse- 7
nen ist die Kariesprävalenz sehr hoch. Es gibt zudem in allen Altersgrup-
pen zahlreiche kariöse Initialläsionen. Das liegt u.a. daran, dass der Ka- 8
riesentstehung auch eine biosoziale Komponente zugrunde liegt.
Die Kariesentstehung unterliegt kulturellen, technologischen und 9
ökonomischen Einflüssen unserer Gesellschaft. Einer der Hauptgründe
für die weiterhin hohe Kariesmorbidität ist die mangelnde Bereitschaft
bei einzelnen Menschen, bestimmte krankheitsfördernde Gewohnhei-
10
ten zu ändern. Hinzu kommen jedoch zahlreiche gesellschaftlich be-
dingte Einflüsse. So erwartet der Patient vom Zahnarzt, dass er „aktiv“ 11
(restaurativ) tätig wird. Obwohl die zahnmedizinische Ausbildung ver-
mittelt, dass häufig präventive Maßnahmen ausreichend wären, wird der 12
Zahnarzt aufgrund dieser Zwänge restaurativ tätig. Wirtschaftliche Über-
legungen unterstützen diesen Trend. Lokalanästhesie, bequeme Behand- 13
lungsweise und der Einsatz sogenannter ästhetischer Restaurationsmate-
rialien lassen Kariesprävention als Zielvorstellung für den Patienten in
den Hintergrund treten. Das zentrale Problem im öffentlichen Gesund-
14
heitswesen und in der Praxis ist also die Entscheidung, ob und wie Prä-
vention besser in die zahnärztliche Behandlung integriert werden kann. 15
Karies ist eine multifaktoriell bedingte Erkrankung, was den Einsatz 16
variabler Präventionsmaßnahmen impliziert.

Die primären Präventionsmaßnahmen zielen darauf ab, Neuerkran- Primärprävention


17
kungen zu verhindern. Das wird im Allgemeinen durch gesundheitsför-
dernde und protektive Maßnahmen erreicht (z.B. Demineralisations- 18
hemmung durch Fluoridapplikation, Ernährungsumstellung, Fissuren-
versiegelung). 19
Im Rahmen der sekundären Prävention sollen Schäden früh diag- Sekundär-
nostiziert werden (z.B. initiale Kariesläsionen durch Bissflügelaufnahmen) prävention 20
und damit die Anzahl der Manifestationen neuer Erkrankungen reduziert

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122 4 Kariesprophylaxe

bzw. der Zahnhartsubstanzverlust begrenzt werden (z.B. Förderung der


Remineralisation vorhandener initialer Kariesläsionen, Kariesinfiltration).
Tertiärprävention Auf der tertiären Präventionsebene wird durch spezielle Behand-
lungsmaßnahmen (z.B. minimalinvasive Restaurationstechnik) scha-
densgerecht therapiert. Gleichzeitig wird dabei einer weiteren Schädi-
gung vorgebeugt (z.B. Vermeidung überhängender Füllungsränder
durch Verwendung von Matrizen).
Aus didaktischen Gründen wird sowohl in Lehrbüchern als auch im
studentischen Unterricht zwischen präventiven und restaurativen Maß-
nahmen unterschieden. Die Patienten sollen letztlich jedoch eine inte-
grierte Gesundheitsfürsorge erhalten. Dabei spielen u.a. Präventions-
verhalten und Präventionserwartung, familiäre und soziale Situationen,
momentane Kariesaktivität und Kariesrisiko, Ernährungsgewohnheiten,
Fluoridanwendung und Einstellung zu Fluoridierungsmaßnahmen,
Mundhygieneverhalten, Alter usw. eine Rolle.
Gruppenprophylaktische Maßnahmen (wie Speisesalzfluoridierung,
Zahnputzprogramme usw.) müssen durch Individualprophylaxe (Zahn-
arzt, Dentalhygienikerin) ergänzt werden.

Nicht für jeden Menschen kann die optimale Lösung die richtige
Lösung sein. Es müssen individuelle Ziele formuliert werden, die für
den einzelnen Patienten erreichbar sind.

Prophylaktische und restaurative Maßnahmen bilden also eine Einheit,


auch wenn sie in den folgenden Kapiteln einzeln dargestellt werden.
Pfeiler der Karies- Die vier tragenden Pfeiler der Kariesprävention sind:
prävention  Ernährungsumstellung
 Anwendung fluoridhaltiger Kariostatika
 Fissurenversiegelung
 Mundhygienemaßnahmen (vgl. Abb. 4.1)

Abb. 4.1: Für den größten


Kariesprophylaxe Teil der Bevölkerung sind
Fluoridierungsmaßnahmen
in Verbindung mit Mund-
Patient Zahnarzt hygienemaßnahmen und
Kariesaktivität

minimal- die Fissurenversiegelung als


Speichel- invasive Basisprophylaxe im Rah-
stimulation Maßnahmen men der Kariesprävention
ausreichend. Mit zuneh-
Ernährungs- Ernährungs- mender Kariesaktivität
umstellung beratung müssen weitere Maßnah-
verstärkte Plaque- men (Intensivprophylaxe)
Mundhygiene kontrolle ergriffen werden, um die
(professionelle ZR) Entstehung und Progression
antibakterielle antimikrobielle kariöser Läsionen zu verhin-
Spüllösungen Maßnahmen dern (ZR = Zahnreinigung).
Fluoridierung Fissurenversiegelung
Speisesalz, Zahnpasta, Fluoridierung
Tabletten, Spüllösung Fluoridlack, Fluoridgel

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4 Kariesprophylaxe Kapitel 4 123

Hinzu kommen eine Reihe zusätzlicher Präventivmaßnahmen, die je-


doch in ihrer Wirksamkeit zum Teil noch kritisch beurteilt werden müs- 1
sen. In einer Leitlinie der DGZMK und DGZ (AWMF-Registernummer:
083-021) aus dem Jahre 2016 mit dem Titel „Kariesprophylaxe bei blei- 2
benden Zähnen – grundlegende Empfehlungen“ wird Folgendes formu-
liert:
3
Mechanische Verfahren zur Reduzierung des Biofilms:
Als Basisprophylaxe sollen die Patienten mindestens zweimal täglich mit ei- 4
ner fluoridhaltigen Zahnpasta ihre Zähne so putzen, dass eine möglichst voll-
ständige Entfernung des Biofilms resultiert. Dabei können je nach Patient un- 5
terschiedliche Zahnbürsten zum Einsatz kommen. Lassen sich Speisereste und
Biofilm mit alleinigem Zähneputzen nicht ausreichend entfernen, sollen Hilfs-
mittel zur Approximalraumhygiene (Zahnseide, Interdentalbürsten) zusätz-
6
lich verwendet werden.
Chemische Biofilmbeeinflussung: 7
Bei durchbrechenden bleibenden Zähnen oder im freiliegenden Wurzelbereich
kann die professionelle Anwendung von CHX-Lacken mit mindestens 1% 8
CHX zur Kariesprävention empfohlen werden.
Prophylaxeprogramme: 9
Durch die Kombination verschiedener Prophylaxemaßnahmen kann Karies
deutlich reduziert werden. Insbesondere Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko
sollte die Teilnahme an strukturierten Prophylaxeprogrammen empfohlen
10
werden.
Fluoridierungsmaßnahmen: 11
Patienten sollen ihre Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta putzen. Da-
neben soll grundsätzlich fluoridhaltiges Speisesalz im Haushalt verwendet 12
werden. Zusätzlich kann (insbesondere bei kariesaktiven Patienten) die An-
wendung von Zahnpasten mit erhöhter Fluoridkonzentration bzw. fluoridhal- 13
tiger Lacke, Gele oder Spüllösungen indiziert sein.
Ernährung:
Die Gesamtmenge der täglichen Zuckeraufnahme und die Anzahl zuckerhal-
14
tiger Mahlzeiten (Hauptmahlzeiten und Zwischenmahlzeiten) einschließlich
zuckerhaltiger Getränke sollten möglichst gering gehalten werden. 15
Speisen und Getränke ohne freie Zucker sollten bevorzugt werden.
Speichelstimulation durch Kaugummikauen: 16
Regelmäßiges Kauen von zuckerfreiem Kaugummi kann zur Kariesprophylaxe
zusätzlich beitragen und kann deshalb insbesondere nach den Mahlzeiten
empfohlen werden.
17
Fissurenversiegelungen:
Im Rahmen eines Prophylaxekonzepts sollen kariesgefährdete Fissuren und 18
Grübchen versiegelt werden.1
19
1 S2k-Leitlinie (Kurzversion), Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundle- 20
gende Empfehlungen, AWMF-Registernummer: 083-021, Stand: Juni 2016, S. 3

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124 4 Kariesprophylaxe

4.1 Ernährungsberatung und -lenkung

4.1.1 Grundlagen

Grundsätzlich können bei der Betrachtung des Einflusses von Ernäh-


rungsverhalten auf die Zahnkaries systemische Effekte von lokalen Ef-
fekten unterschieden werden. Systemisch kann extreme Mangel- oder
Fehlernährung indirekt die Kariesgefährdung durch Störung der Mine-
ralisation, des Speichelflusses oder der Speichelzusammensetzung erhö-
hen. Insgesamt können diese möglichen Zusammenhänge jedoch nicht
durch sichere Daten belegt werden.

Nach dem Zahndurchbruch kann nach dem heutigen Kenntnis-


stand jeder systemische Einfluss der Ernährung auf die Entstehung
von Karies weitestgehend ausgeschlossen werden.

Kohlenhydrate Dennoch kann durch eine zweckmäßige zahngesunde Ernährung die


Kariesmorbidität erheblich reduziert werden. In zahlreichen tierexperi-
mentellen Studien konnte nämlich gezeigt werden, dass ohne bakteriell
abbaubare Kohlenhydrate und ohne Kontakt der Nahrung mit plaque-
bedeckten Zähnen keine Karies entsteht.
Es gibt zwar keine spezielle Diät, die Karies vollständig verhindert,
durch die Reduktion des Konsums zuckerhaltiger Nahrungs- und Genuss-
mittel kann ihre Entstehung jedoch wesentlich eingeschränkt werden.
Es liegt letztlich in der Entscheidung jedes erwachsenen Menschen,
ob er sich gesund ernähren will; der Zahnarzt steht jedoch in der Pflicht,
die Patienten zu beraten und ihnen Alternativen zum bisherigen Ernäh-
rungsverhalten aufzuzeigen. Ergänzend sollten Erziehungspersonen wie
Eltern, Kindergärtnerinnen, Lehrer usw. sowie Pflegepersonal (speziell
in der Altenfürsorge) instruiert und motiviert werden, auf eine zahnge-
sunde Ernährung bei den zu betreuenden Personen zu achten.
Aus zahlreichen Statistiken geht hervor, dass mit zunehmendem Zu-
ckerverbrauch die Kariesmorbidität in der Gesamtbevölkerung steigt.
Andererseits lässt sich aber heute in vielen Ländern ein Kariesrück-
gang bei nahezu gleichbleibendem Zuckerkonsum verzeichnen. Die
meisten Kenntnisse über die kariogene Bedeutung der Saccharose sind
aus Extremsituationen abgeleitet und die einfache Relation „viel Zucker
gleich viel Karies“ gilt heute nicht mehr automatisch und für alle Indi-
viduen, da Ernährungsfehler durch eine Vielzahl von Prophylaxemaß-
nahmen kompensiert werden können. Entscheidender für die Karies-
entstehung ist vielmehr die Zeitspanne pro Tag, in der sich leicht meta-
bolisierbare Kohlenhydrate in der Mundhöhle befinden. In klassischen
Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Häufigkeit der Zuckerzu-
fuhr eng mit der Kariesinzidenz korreliert (vgl. Abb. 4.2).
Die kleinste Menge Saccharose, die zu einer zahnmedizinisch rele-
vanten Säurebildung in der Plaque führt, beträgt ca. 15 mg. Mit 150–

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4.1 Ernährungsberatung und -lenkung Kapitel 4 125

Abb. 4.2: Karieszunahme bei


Anzahl neuer
einer Versuchsgruppe (48
Männer) der Vipeholm-
kariöser Flächen 1
Studie. Die Männer nahmen
im Jahr A die übliche zucker- 5
haltige Ernährung zu sich. Im B 2
Jahr B bekamen sie zusätzlich 4
24 Toffees pro Tag in Form
von Zwischenmahlzeiten 3 3
(nach Nikiforuk 1985). Zur Ka-
riesentstehung tragen alle 2
vergärbaren Kohlenhydrate 4
wie Saccharose, Glukose,
1 A
Fruktose, Maltose, Laktose,
weiterverarbeitete Stärke
u.a. bei, wenn auch die 0 5
Saccharose eine Sonderstel- normale süße Zwischen-
Ernährung mahlzeiten
lung einnimmt, da sie von ka-
riogenen Mikroorganismen
(24 Toffees) 6
bevorzugt abgebaut wird. Vipeholm-Studie

7
500 mg Saccharose kann eine maximale Säurebildung innerhalb der
Plaque erreicht werden. 8
Süße Zwischenmahlzeiten, die eine Kombination aus hohem Zu- 9
ckergehalt und häufiger Aufnahme darstellen, sind als besonders
kariesfördernd einzustufen.
10
Insgesamt betrachtet ist aber die relative Kariogenität eines Nahrungs-
mittels schwer zu bewerten. 11
Als produktbezogene Faktoren spielen der Typ und die Menge der Produktbezogene
Kohlenhydrate, die chemische Zusammensetzung (Fett-, Proteinanteil Faktoren 12
usw.), physikalische Eigenschaften (Klebrigkeit, Festigkeit) und mögli-
cherweise schützende Bestandteile eine Rolle. 13
Von den individuumbezogenen Faktoren sind neben der Häufig- Individuumbe-
keit auch die Reihenfolge der Aufnahme, die „oral clearance rate“ (Eli- zogene Faktoren
mination aus der Mundhöhle pro Zeiteinheit in Minuten) und die
14
Mundhygiene zu nennen. Die „oral clearance rate“ wiederum hängt
von Faktoren wie Speichelfluss, Zahnstellung u.a. ab. 15
Aufgrund dieser zahlreichen Faktoren liegen wenig verlässliche Da-
ten über die relative Kariogenität von Nahrungsmitteln vor. Die Kario- 16
genität von Nahrungsmitteln hängt in erster Linie von ihrem Gehalt
leicht vergärbarer niedermolekularer Kohlenhydrate ab.
Neben allen zuckerhaltigen Speisen und Getränken gelten aber auch
17
Produkte, die Zucker in Kombination mit weiterverarbeiteter Stärke
enthalten, als besonders kariogen. 18
Es lässt sich also festhalten, dass es wünschenswert ist, die Gesamt-
menge niedermolekularer Kohlenhydrate, speziell von Saccharose, in 19
der Nahrung zu reduzieren. Dabei sollte insbesondere die Frequenz der
Zwischenmahlzeiten, die niedermolekulare Kohlenhydrate enthalten, 20
gesenkt werden.

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126 4 Kariesprophylaxe

Bereits seit 1989 lautet die Empfehlung der WHO, die Zufuhr freier
Zucker auf 10% der Gesamtenergiezufuhr zu beschränken. 2015 wurden
von der WHO die Richtlinien zum Zuckerverzehr aktualisiert und sie
empfiehlt, die Zufuhr freier Zucker auf unter 5% der Gesamtenergiezu-
fuhr zu reduzieren (etwa 25 g bzw. 6 Teelöffel pro Tag). Als freier Zucker
gilt dabei Zucker, der Speisen und Getränken zugesetzt wird, sowie Zu-
cker, der natürlicherweise in Honig, Sirup, Fruchtsäften und Fruchtsaft-
konzentraten enthalten ist.
Zu den empfehlenswerten Zwischenmahlzeiten gehören z.B.
Milch und Milchprodukte, Quark, Obst und Gemüse, Säfte und Nüsse,
sofern ihnen kein Zucker zugesetzt wird. Es ist jedoch darauf hinzuwei-
sen, dass auch diese Nahrungsmittel bei zu häufiger Zufuhr zahnschäd-
lich sein können. Insbesondere der wiederholte Genuss saurer Frucht-
säfte kann zu Erosionen der Zahnhartsubstanzen führen.
Mit diesen Vorgaben wird dem modernen Verständnis der Karies-
entstehung Rechnung getragen. Es kommt selten, und wenn, dann zeit-
lich limitiert, zu Demineralisationsattacken auf die Zahnhartsubstan-
zen. Für die Remineralisation durch den Speichel stehen dadurch lange
Zeiträume zur Verfügung.

4.1.2 Bestimmung der Zahngefährdung durch Nahrungsmittel

Zucker In Deutschland beträgt der durchschnittliche Verbrauch von Zucker


(Saccharose) nach Angaben der Zuckerindustrie 30–37 kg/Jahr. Zusätz-
lich werden 4,9 kg Glukose, 1,0 kg Isoglukose und 1,4 kg Honig pro Per-
son verbraucht. Den meisten Menschen ist die Zuckerkonzentration,
die verschiedene Lebensmittel besitzen, kaum bekannt (vgl. Tab. 4.1).
Säure Man darf jedoch nicht vergessen, dass auch durch säurehaltige
Nahrungsmittel Zahnschäden entstehen können (Erosionen). Wäh-
rend beim Genuss kariogener Nahrungsmittel die häufige Bildung orga-
nischer Säuren durch die Plaquebakterien im Vordergrund steht, bewir-
ken säurehaltige Nahrungsmittel eine direkte Demineralisation der
Zahnoberfläche. Auch derartige Säureschäden gilt es durch entspre-
chende Beratung zu vermeiden (vgl. Tab. 4.2).
Dabei müssen die Häufigkeit des Genusses und die Verweildauer
saurer Nahrungsmittel reduziert werden, damit auch hier dem Speichel
genügend Zeit zum Abpuffern und zur Remineralisation zur Verfügung
steht. Es sollte beachtet werden, dass auch Fruchtsäfte, Vitaminpräpa-
rate, Buttermilch u.a., die prinzipiell als gesunde Nahrungsmittel be-
trachtet werden, bei exzessivem Genuss Erosionen erzeugen können.
Beurteilung der Um die Kariogenität von Nahrungsmitteln zu beurteilen, wurden
Kariogenität zahlreiche Testverfahren entwickelt. In-vitro-Studien oder Tierstudien
unter gut protokollierten Bedingungen sind als Screening-Test geeignet,
können aber Studien beim Menschen letztlich nicht ersetzen. Beim

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4.1 Ernährungsberatung und -lenkung Kapitel 4 127

Tab. 4.1: Zuckergehalt verschiedener kariogener Nahrungsmittel, die als Zwi-


schenmahlzeiten ungeeignet sind (nach Schraitle und Siebert 1987)
1
Lebensmittel Zuckergehalt in g/100 g
Süßwaren 2
• Bonbons 90
• Schokolade 60
• Eiscreme 20 3
• Butterkekse 20
Brotaufstriche 4
• Honig 75
• Marmelade 60 5
• Nuss-Nougat-Creme 50–60
Obstkonserven 16–44 6
Fruchtsäfte
• gesüßt 10–20 7
Frischobst
• Bananen 18 8
Trockenfrüchte 40–64
Cola-Getränke 8–11 9
Tomatenketchup 28–30
10
Tab. 4.2: Getränke mit niedrigem pH-Wert, deren häufiger Genuss zu Erosio-
nen der Zahnhartsubstanzen führen kann (nach Hickel 1993)
Getränk pH-Wert
11
Zitronensaft 2,0
Cola 2,5
12
Orangensaft 3,5
13
Apfelsaft 3,5
Buttermilch 4,4 14
Mineralwasser mit
• viel Kohlensäure 5,2 15
• wenig Kohlensäure 6,3

16
Menschen können Langzeit- oder gut kontrollierte Kurzzeitstudien
durchgeführt werden, sofern sie ethisch vertretbar sind.
Als besonders geeignet gelten heute die intraorale Plaque-pH-Wert-
17
Bestimmung oder die Bestimmung des Demineralisationsgrades von in
der Mundhöhle fixierten Schmelzproben. Mit der intraoralen Plaque-pH- 18
Wert-Messung wird die potenzielle Kariogenität bestimmt. Fällt der pH-
Wert in der Plaque nach Gabe eines Nahrungsmittels (beinhaltet auch Ge- 19
tränke) unter den kritischen pH-Wert, wird das Produkt als potenziell ka-
riogen eingestuft. Als zahnschonend wird ein Nahrungsmittel bezeichnet, 20
wenn der pH-Wert in der interdentalen Plaque bis zu 30 min nach dem

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128 4 Kariesprophylaxe

Verzehr nicht unter 5,7 fällt. Der Begriff relative Kariogenität versucht zu
beschreiben, wie stark oder schwach kariogen ein Nahrungsmittel ist.
Da bisher kein einzelnes verlässliches Testverfahren bekannt ist, ver-
sucht man die relative Kariogenität durch Kombination der genannten
Methoden zu bestimmen.

4.1.3 Durchführung der Ernährungsberatung und -lenkung

Ernährungs- Wie bei jeder ärztlichen Maßnahme benötigt man auch hier eine genaue
protokoll Anamnese. Diese besteht aus einem adäquaten, validen und vertrauens-
würdigen Ernährungsprotokoll. Dieses Protokoll sollte mindestens drei
Tage lang geführt werden. Es kann in standardisierter vorgefertigter
Form zum Ankreuzen mitgegeben werden oder wird vom Patienten
nach entsprechenden groben Vorgaben selbst angefertigt (s. Kap. 3).
Aufgrund dieses Ernährungsprotokolls analysiert der Zahnarzt die
Ernährungsgewohnheiten und die Nahrungsmittelzusammensetzung.
In einer speziell anberaumten Sitzung wird der Zusammenhang zwi-
schen den speziellen Zahnproblemen des Patienten und seinen Ernäh-
rungsgewohnheiten erklärt. Grafische Darstellungen des Zusammen-
hangs helfen bei der Aufklärung. Dem Patienten muss dabei erklärt wer-
den, welche kariogenen „Zuckerarten“ es gibt (Glukose, Fruktose,
Saccharose usw.). Der Patient wird dann aufgefordert, Vorschläge zu
machen, wie er die hohe Frequenz der Zuckeraufnahme reduzieren
kann. Der Zahnarzt macht seinerseits Vorschläge, wie die kariogenen
Zwischenmahlzeiten durch nicht kariogene ersetzt werden können. Das
kann durch Verzicht auf Süßigkeiten zu den Zwischenmahlzeiten oder
durch die Verwendung nicht kariogener Süßungsmittel geschehen.
Schwangerschaft Eine spezielle Ernährungsberatung sollte bei Schwangeren durch-
geführt werden. Der unüberwachte, ständige Genuss kariogener Ge-
tränke und Nahrungsmittel, speziell in Saugerflaschen aus Kunststoff,
führt bei Kleinkindern zu einer extrem raschen Zerstörung der durch-
brechenden Milchzähne mit der Folge des Zahnverlustes (nursing bot-
tle caries, early childhood caries = EEC). Selbst der ständige Genuss
von Milch aus Saugerfläschchen, speziell während der Nacht, kann zu
einer solchen Karies führen.
Bei Zahnerosionen wird auf die Rolle saurer Getränke (z.B. Soft-
drinks), von Zitrusfrüchten, sauren Nahrungsmitteln, Vitaminproduk-
ten, Medikamenten (z.B. ASS) usw. hingewiesen. Eine wenig abrasive
Zahnputztechnik wird ebenfalls eingeübt.

4.1.4 Kalorische und nicht kalorische Süßungsmittel

Zucker ist billig, leicht in reiner Form herzustellen und kalorienreich. Er


ist angenehm süß, findet Verwendung als Konservierungsmittel, Füll-

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4.1 Ernährungsberatung und -lenkung Kapitel 4 129

stoff, Verzierung usw. Allein aus diesen Gründen ist es schwierig, auf
Zucker zu verzichten bzw. einen Zuckerersatz- oder -austauschstoff zu 1
finden. Die Suche nach einem solchen Stoff ist nicht nur aus zahnmedi-
zinischer Sicht, sondern auch aus allgemeinmedizinischer Sicht wich- 2
tig. Immer mehr Menschen leiden nämlich an Diabetes und Überge-
wicht mit entsprechenden Folgeerkrankungen.
3
Ein zuckerfreies Süßungsmittel sollte nur langsam oder überhaupt
nicht von kariogenen Mikroorganismen abgebaut werden können, 4
ungefähr die Süßkraft des Zuckers besitzen und nicht teurer als Zu-
cker sein. 5
Man unterscheidet heute zwischen kalorischen und nicht kalorischen
Süßungsmitteln.
6
Unter die Rubrik kalorische Süßungsmittel lassen sich Mannit, Sor- Kalorische
bit, Xylit u.a. einordnen. Sie werden auch als Zuckeraustauschstoffe be- Süßungsmittel 7
zeichnet.
Xylit kommt in Beeren und Gemüsen vor, wird kommerziell jedoch 8
aus harten Hölzern wie Birke extrahiert. Da Xylit im Magen-Darm-Trakt
nur teilweise absorbiert wird, kann es bei Genuss von mehr als 50 g pro 9
Tag bei Erwachsenen (30 g bei Kindern) zu Diarrhö kommen. Xylit ist
ein nicht kariogenes Süßungsmittel (vgl. Abb. 4.3).
In neueren Untersuchungen wird Xylit sogar eine antikariogene
10
Wirksamkeit zugesprochen, deren genauer Mechanismus bisher aller-
dings nicht bekannt ist. So soll Xylit eine Plaque reduzierende Wirkung 11
besitzen und zudem die Streptococcus-mutans-Zahlen im Speichel und in
der Plaque reduzieren. Es soll zudem die Remineralisation von initialen 12
Kariesläsionen verbessern und zur Selektion einer Mutanspopulation
mit geschwächter Virulenz beitragen. 13
Abb. 4.3: Kariesreduktion
DMF-S
durch Verringerung der täg-
lichen Zuckeraufnahme. In 14
der Turku-Studie wurden 14 12,8
Personen, die den Süßstoff
Xylitol zum Süßen fast aller 12 15
Nahrungsmittel verwende-
ten, mit einer Kontroll- 10
gruppe verglichen, die „nor- 16
male“ zuckerhaltige Ernäh-
rung erhielt (nach Scheinin 8
und Makinen 1975).
6
17
4 18
2 1,1
19
0
Kontrolle Xylitol-Gruppe
Turku-Studie 20

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130 4 Kariesprophylaxe

Tab. 4.3: Relative Süßkraft von verschiedenen Zuckern und anderen Süßungs-
mitteln (die Süßkraft von Saccharose wurde mit dem Wert 1 zugrunde gelegt)
Laktose 0,16
Galaktose 0,32
Sorbitol 0,54
Mannitol 0,57
Glukose 0,74
Saccharose 1,00
Invertzucker (G + F) 1,30
Fruktose 1,73
Natriumzyklamat 30–80
Aspartam (L-aspartyl-L-phenylalaninmethylester) 150–200
Saccharin 200–700
Monellin 3000

Auch Sorbit ist Bestandteil vieler Pflanzen. Es wird durch Hydroge-


nation aus Glukose industriell gewonnen. Seine Süßkraft ist halb so
groß wie die von Glukose (s. Tab. 4.3). Es wird langsam und unvollstän-
dig im Intestinaltrakt absorbiert, sodass es bei häufigem Genuss, ähn-
lich wie bei Xylit, zu Durchfallerkrankungen kommt. Sorbit wird zwar
geringfügig von Streptococcus-mutans-Stämmen metabolisiert, es resul-
tiert jedoch ein geringer pH-Abfall, sodass sorbitgesüßte Süßigkeiten als
zahnschonend gelten.
Nicht kalorische Als nicht kalorische Süßungsmittel finden hauptsächlich Saccharin,
Süßungsmittel Cyclamat und Aspartam (Phenylalanin) Verwendung. Diese Stoffe be-
sitzen eine extrem hohe Süßkraft, sodass sie sich nicht als Füllstoff, z.B.
beim Backen, eignen. Sie senken den interdentalen Plaque-pH-Wert
nicht, sodass sie als nicht kariogen eingestuft werden können. Die nicht
kalorischen Süßungsmittel sind immer wieder wegen angeblicher Ge-
sundheitsgefährdung in die Diskussion geraten, sodass z.B. Cyclamat in
den USA nicht mehr verwendet werden darf.
Es gibt zudem zahlreiche andere pflanzliche Süßungsmittel, die je-
doch aufgrund ihrer extremen Süßkraft nur selten, z.B. bei der Herstel-
lung von Pharmazeutika, Verwendung finden.

Moderne Ernährungsberatung und -lenkung in der Zahnmedizin


berücksichtigt die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Kariesent-
stehung. Es kann daher nicht darum gehen, den Zuckerkonsum
vollständig zu unterbinden. Mäßiger Zuckergenuss während oder
nach den Hauptmahlzeiten mit nachfolgender Mundhygiene und
damit verbundener Speichelstimulation ist aus kariologischer Sicht
dann nicht bedenklich, wenn auf kariogene Zwischenmahlzeiten
verzichtet wird.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 131

4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen


1
! Fluoride nehmen eine zentrale Rolle in der Kariesprophylaxe ein.
Wenige Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge wur-
den so intensiv, über einen so langen Zeitraum und unter derartig
2
verschiedenen wissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht
wie die Anwendung der Fluoride bei der Kariesprävention.
3
Der Metabolismus, die Toxikologie und die Effektivität verschiedener 4
Fluoridverbindungen gelten heute als wissenschaftlich weitestgehend
erforscht. Die exakten Mechanismen der Karies reduzierenden Wirkung 5
der Fluoride konnten bisher allerdings trotz zahlreicher Experimente
nur in Teilbereichen geklärt werden.
6

4.2.1 Fluoridzufuhr, Fluoridaufnahme und Fluoridmetabolismus 7


Fluorid kommt im Trinkwasser, im Erdboden (80–100 ppm), in der Luft Vorkommen 8
(0,1–1,3 μg/m3) und in Nahrungsmitteln in unterschiedlich hoher Kon-
zentration vor (ppm = parts per million; 1000 ppm entsprechen 0,1% 9
bzw. 1000 mg/kg oder 1000 mg/l; Fluorid hat ein Molgewicht von
18,99 g).
So liegt der Trinkwasserfluoridgehalt in Deutschland zwischen
10
0,02 und 1,8 mg/l. Er erreicht allerdings nur in einigen Gebieten Werte
über 0,5 ppm. In der Trinkwasserverordnung ist eine Höchstgrenze von 11
1,5 ppm F– festgelegt. Einige Mineralwässer weisen erheblich höhere
Fluoridgehalte auf, die dann jedoch entsprechend kenntlich gemacht 12
werden müssen (ab 5 ppm mit Warnhinweis).
13
Der erwachsene Mensch nimmt mit der täglichen Nahrung durch-
schnittlich 0,5–0,8 mg Fluorid auf (vgl. Tab. 4.4).
14
In Gegenden mit hohem Teekonsum, hohem Anteil von Seefisch in der
täglichen Nahrung und fluoridiertem Trinkwasser kann die Fluoridzu- 15
fuhr höher sein.
Zu dem mit der Nahrung aufgenommenen Fluorid kommt die über 16
fluoridhaltige Kariostatika aufgenommene Menge hinzu. Sie ist je nach
angewandtem Mittel und der Menge des dabei verschluckten Fluorids
unterschiedlich hoch.
17
Man muss allerdings zwischen Fluoridaufnahme und -resorption, Aufnahme und
d.h. Bioverfügbarkeit, unterscheiden. Etwa 60–80% des Nahrungsfluorids Resorption 18
gelangen über den Verdauungstrakt in das Blut und sind damit biover-
fügbar. Wird anorganisches Fluorid im Rahmen der Kariesprophylaxe zu- 19
geführt, so werden 80–100% der verschluckten Fluoridmenge resorbiert.
Die Fluoridresorption ist behindert, wenn die Fluoride in schwer lös- 20
licher Form, z.B. als Kalziumfluorid, vorliegen. Der Fluoridgehalt des

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132 4 Kariesprophylaxe

Tab. 4.4: Fluoridaufnahme bei Erwachsenen über die tägliche Nahrung


(mg/Tag). Die Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) stam-
men von 1980. Aufgrund verbesserter Analysemethoden mussten die Werte
später nach unten korrigiert werden. Von den aufgeführten Fluoridmengen
sind allerdings nur etwa 60–80% bioverfügbar (nach Oehlschläger 1982).
DGE Oehlschläger
Fleisch, Fisch 0,222 0,058
Eier, Milch, Fett 0,102 0,035
Backwaren, Nährmittel 0,156 0,098
Gemüse, Kartoffeln 0,056 0,057
Obst 0,020 0,023
Zucker, Süßwaren 0,008 0,004
feste Nahrung gesamt 0,564 0,265
Getränke 0,238 0,175
insgesamt ohne Trinkwasser 0,802 0,440
Trinkwasser 0,130
gesamt 0,802 0,570

Blutplasmas (ionisches Fluorid) beträgt in der Regel 0,7–2,4 μM/l (1 μM


= 0,019 ppm).
Nach peroraler Fluoridaufnahme steigt die Plasmakonzentration
kurzfristig an. Abhängig vom metabolischen Zustand des Körpers, pH-
Wert des Urins und von der Höhe der Fluoridapplikation kommt es
nach einer bestimmten Zeit wieder zum Absinken auf normale Werte.
Unter Normbedingungen beträgt die Halbwertszeit – je nach Indivi-
duum und Höhe der applizierten Fluoriddosis – im Plasma 2–9 h.
Fluorid hat eine spezielle Affinität zum Knochen und zu Zahnhart-
geweben. Es wird im Knochen in Abhängigkeit von der Bioverfügbar-
keit und Häufigkeit der Aufnahme unterschiedlich hoch angereichert.
Das Skelett ist der entscheidende Faktor für die Homöostase von Fluorid
im Blut. Bei plötzlicher hoher Fluoridzufuhr ist das Skelett Auffang- und
Ausgleichsreservoir. Ein kleiner Teil des täglich aufgenommenen Fluo-
rids wird allerdings dauerhaft im Knochen retiniert. Der Fluoridgehalt
des Knochens nimmt daher im Lauf des Lebens zu und erreicht mit 50
bis 60 Jahren ein Plateau. Der Fluorideinbau im Knochen bewirkt eine
Vergrößerung der Apatitkristalle, mindert die Löslichkeit und stabili-
siert das Skelettsystem.
Fluoridbilanz Während der Wachstumsphase besteht meistens eine positive Fluo-
ridbilanz. Etwa 45% des zugeführten Fluorids werden retiniert. 1% wird
mit dem Schweiß, 1% mit dem Speichel, 49% werden über die Nieren
und 4% über die Fäzes ausgeschieden.
Beim Erwachsenen herrscht meistens eine ausgeglichene Fluorid-
bilanz, d.h., es werden etwa 30% des resorbierten Fluorids in den Kno-
chen eingelagert, der gleiche Anteil jedoch auch wieder durch osteo-

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 133

klastische Tätigkeit freigesetzt. Letztlich wird dann die gleiche Menge


Fluorid wieder ausgeschieden, die auch aufgenommen wurde (94% da- 1
von über die Nieren).
Bei Zufuhr hoher Fluoridkonzentrationen über einen längeren Zeit- 2
raum wird vermehrt Fluorid in den Knochen eingebaut; so erfolgt wie-
der die Einstellung der Homöostase im Blutplasma mit ausgeglichener
Fluoridbilanz.
3
Wird anschließend die Fluoriddosierung wieder herabgesetzt,
kommt es über einen bestimmten Zeitraum zu einer negativen Fluorid- 4
bilanz, d.h., es wird vermehrt Fluorid aus dem Knochen freigesetzt und
ausgeschieden, um schließlich wieder in einer ausgeglichenen Bilanz zu 5
enden. Im menschlichen Körper ist Fluorid in einer Größenordnung
von 10 g fest eingebaut.
Durch die hohe Affinität von Fluorid zu Zahnhartgeweben kommt
6
es während der primären Mineralisation und mehr noch während der
präeruptiven Reifungsmineralisation zur Fluorideinlagerung in die 7
Zahnhartgewebe (vgl. Abb. 4.4). Dabei wird Fluorid vornehmlich in das
8
Fluoridwirkung
9
10
lokal
Zahnpasten „systemisch“
Gele Tabletten
Trinkwasser
11
Lacke
Lösungen Kochsalz
12
Direkte direkte
Wirkung Verschlucken Verschlucken
Einwirkung
13
posteruptiv präeruptiv
14
15
16
17
Abb. 4.4: Möglichkeiten der Fluoridprophylaxe und ihre Wirkung auf Zahnhart-
substanzen. Bei sogenannten systemischen Fluoridierungsmaßnahmen wird die 18
gesamte applizierte Fluoridmenge verschluckt und Fluorid kann sich während der
präeruptiven Schmelzbildung und -reifung in die Zahnhartsubstanzen einlagern.
Gleichzeitig kommt es aber auch während der Aufnahme über den Speichel zur 19
lokalen Fluoridierung bereits durchgebrochener Zähne. Umgekehrt können lokale
Fluoridierungsmittel auch eine systemische Wirkung besitzen, wenn sie ver-
schluckt werden. Die Hauptwirkung aller Fluoridierungsmittel liegt jedoch in der 20
Beeinflussung von De- und Remineralisationsvorgängen an der Zahnoberfläche.

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134 4 Kariesprophylaxe

Fluorid (ppm) Fluorid (ppm)

300 4000

200 3000

2000
100
1000

0 0
Schmelz Dentin

Abb. 4.5: Fluoridprofil im Zahnschmelz und Dentin frisch durchgebrochener Zähne

Kristallgitter des Hydroxylapatits eingebaut. Bei frisch durchgebroche-


nen Zähnen findet man an der Schmelzoberfläche die höchste Fluorid-
konzentration. Sie nimmt zu den inneren Schmelzbereichen hin ab und
steigt zur Schmelz-Dentin-Grenze hin wieder an (vgl. Abb. 4.5).

Der präeruptive Fluorideinbau reicht jedoch nicht aus, um den


Zahn vor Karies zu schützen.

Nach Zahndurchbruch bewirken die in der Abbildung 4.4 genannten


Fluoridierungsmaßnahmen eine weitere Zunahme der Fluoridkonzen-
tration an der Oberfläche der Zahnhartgewebe.

4.2.2 Fluoride als Kariostatika

In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts stellten Black und McKay


fest, dass in Gebieten mit einem erhöhten Trinkwasserfluoridgehalt
(0,7–1 ppm Fluorid) bei überdurchschnittlich vielen Kindern und Ju-
gendlichen weiße Schmelzflecken diagnostiziert werden konnten.
Gleichzeitig wiesen diese Personen jedoch einen geringeren Kariesbefall
auf als Kinder aus anderen Gebieten mit geringerem Trinkwasserfluorid-
gehalt. Es entstand die Vermutung, dass ein Trinkwasserfluoridgehalt in
einer Größenordnung von 1 ppm eine kariesprophylaktische Wirksam-
keit besitzt.
Diese Theorie wurde von Dean 1938 in epidemiologischen Untersu-
chungen unterstützt. Er fand, dass es bei einem Trinkwasserfluoridge-
halt von 0,6 ppm zu einer Kariesreduktion von 50% (bei 1,2 ppm von
60%) im Vergleich zu Gebieten mit 0,2 ppm kam. Zahlreiche epidemio-
logische Untersuchungen in Gebieten mit natürlich und „künstlich“
fluoridiertem Trinkwasser kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Es konnte jedoch auch gezeigt werden, dass die Karies reduzierende
Wirkung bei den Glattflächen der Zähne am höchsten war, gefolgt von
den Approximalflächen. Die niedrigste Kariesreduktion (unter 40%)

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 135

ließ sich in den Fissuren und Grübchen feststellen. Jugendliche, die seit
Geburt in Gebieten mit einem optimalen Trinkwasserfluoridgehalt le- 1
ben, weisen weniger kariöse Zahndefekte auf als solche, die nur kurze
Zeit in solchen Gebieten leben. 2
Anfangs ging man davon aus, dass der präeruptive Fluorideinbau in
den Zahnschmelz der Grund für die kariesprophylaktische Wirkung von
Fluorid sei. Heute weiß man allerdings, dass die posteruptive, lokale
3
Wirkung von Fluorid eine größere Rolle spielt. Insofern ist der Begriff
Fluoridsupplementierung für die Gabe von Fluoridtabletten oder für die 4
Verwendung fluoridierten Speisesalzes irreführend, da es sich genau ge-
nommen auch um eine lokale Fluoridierungsmaßnahme handelt. Da 5
der Begriff jedoch nach wie vor in der Literatur zu finden ist, wird er
nachfolgend für diese Fluoridierungsmaßnahmen verwendet.
Heute leben etwa 400 Millionen Menschen in Gebieten mit fluori-
6
diertem Trinkwasser. In Deutschland hat sich die Trinkwasserfluoridie-
rung aus unterschiedlichen Gründen jedoch nicht etabliert. 7
Als alternative „systemische“ Fluoridierungsmaßnahmen stehen die Tabletten-
Tablettenfluoridierung und die Salzfluoridierung zur Verfügung. Bei fluoridierung 8
der Tablettenfluoridierung ist in Abhängigkeit vom Alter und von ande-
ren Fluoridierungsmaßnahmen die Dosierung unterschiedlich zu gestal- 9
ten. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, ob die Patienten in Gebie-
ten mit natürlich erhöhtem Trinkwasserfluoridgehalt leben, fluoridhal-
tiges Speisesalz verwenden oder fluoridhaltige Mineralwässer zu einer
10
erheblichen Fluoridaufnahme beitragen (vgl. Tab. 4.5).
Tabletten enthalten meistens Natriumfluorid (2,2 mg NaF = 1 mg F–). 11
Grundsätzlich sollte nur eine Form der Fluorid„supplementierung“ 12
gewählt werden, also Salz- oder Tablettenfluoridierung. Es ist si-
cherzustellen, dass die Gesamtzufuhr von Fluorid bestimmte to- 13
xisch relevante Grenzen nicht überschreitet (s. Kapitel 4.2.6).

Fluoridiertes Speisesalz ist seit 1991 in Deutschland erhältlich und Speisesalz-


14
wird seit 1992 auch in Deutschland produziert. Es enthält 320 mg Fluo- fluoridierung
rid pro kg Salz. In 3 g Salz sind also 0,96 mg Fluorid enthalten. Selbst bei 15
Tab. 4.5: Altersabhängige Dosierung von Fluoridtabletten (mg Fluorid/Tag; 16
s. Text) (Quelle: Stellungnahme der DGZMK 2000)
Alter Fluoridkonzentration im Trinkwasser (Mineralwasser), mg/l 17
< 0,3 0,3–0,7 > 0,7
0–6 Monate – – – 18
6–12 Monate 0,25 – –
ab 1 – unter 3 Jahre 0,25 – – 19
ab 3 – unter 6 Jahre 0,50 0,25 –
> 6 Jahre 1,00 0,50 –
20

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136 4 Kariesprophylaxe

exzessiver Salzaufnahme ist eine Überdosierung im Sinne einer akuten


Intoxikation ausgeschlossen.
Die pränatale Gabe von Fluoridsupplementen bietet nach heutigem
Wissensstand keinen vermehrten Kariesschutz für das Kind, wohl aber
für die Mutter.
Lokale Statt oder neben der „systemischen“ Fluoridgabe stehen heute zahlrei-
Fluoridierung che Methoden zur lokalen Fluoridierung der Zähne zur Verfügung. Ge-
bräuchliche Fluoridverbindungen für die lokale Fluoridierung sind Na-
triumfluorid, Natriummonofluorphosphat, Aminfluorid und Zinnfluorid.
Sie finden Anwendung in fluoridhaltigen Zahnpasten, Mundspüllösun-
gen, Fluoridgelen und Fluoridlacken. Die Fluoridkonzentrationen einiger
gebräuchlicher Fluoridierungsmittel sind der Tabelle 4.6 zu entnehmen.
Bei der Anwendung der Fluoride gilt es, einerseits die optimale ka-
riesprophylaktische Wirkung auszunutzen, anderseits das Risiko einer
fluorotischen Schmelzschädigung während der Zahnentwicklung so ge-
ring wie möglich zu halten. Leichte fluorotische Veränderungen des

Tab. 4.6: Fluoridkonzentrationen üblicher fluoridhaltiger Kariostatika (1 mg


NaF = 0,45 mg F–; 1 mg F–/l = 1 ppm [parts per million]; 1% F– = 10 000 ppm
Fluorid)
Fluoridkonzentration einiger Mittel zur Kariesprophylaxe
Kochsalzfluoridierung
(3,12 g Salz tgl. = 1 mg Fluorid) 320 ppm F– = 320 mg F–/kg
Zahnpasten
Erwachsenenzahnpasten 0,1–0,15% F– = 1000–1500 ppm
Kinderzahnpasten 0,05% F– = 500 ppm
Spezialzahnpasta 0,5% F– = 5000 ppm
Mundspüllösungen
Tägliche Anwendung 0,05% NaF = 0,0225% F–
Wöchentliche Anwendung 0,2–0,5% NaF = 0,09–0,225% F–
Zur Touchierung 2% NaF = 0,9% F–
Gelees
Elmex Gelee 20% Aminfluorid, 80% NaF 1,25% F– = 12 500 ppm
Pro Schmelz Fluoridgelee 1,25% F–
Elmex Fluid als Aminfluorid 1% F– = 10 000 ppm
Duraphat-Lack 5 Gew.% NaF = 2,3% F– = 23 000 ppm,
pH-Wert neutral
Fluor Protector 0,1% F– = 1000 ppm (Fluorsilan in Poly-
urethanlack), pH-Wert 3,5
Fluor Protector S 0,77% F– = 7700 ppm (1,5% Ammo-
niumfluorid
Trinkwasserfluoridierung 1 mg F–/l = 1 ppm F–
Tägliche Aufnahme mit der Nahrung ca. 0,5 mg F–
PTD (probably toxic dose) 5 mg F–/kg Körpergewicht bei Kindern
CTD (certainly toxic dose) 32–64 mg F–/kg Körpergewicht

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 137

Zahnschmelzes können allerdings auch schon bei relativ niedriger Fluo-


riddosierung festgestellt werden. Sie müssen als kosmetisches „Problem“ 1
in Kauf genommen werden, wenn man auf eine optimale Kariespräven-
tion mit Fluoriden nicht verzichten will. Es sollte aber darauf geachtet 2
werden, dass nicht über längere Zeit chronisch-toxische Dosen verab-
reicht bzw. durch Verschlucken nach lokaler Fluoridapplikation kurzzei-
tige Höchstkonzentrationen im Blutplasma erreicht werden. Der Zahn-
3
arzt muss hier entsprechende Dosierungsempfehlungen formulieren
(s. Abb. 4.6). Dabei wird eine Aufnahme von 0,05 mg Fluorid pro kg Kör- 4
pergewicht als optimale Konzentration angegeben. In diesem Bereich
wird bei gleichzeitig optimaler kariostatischer Wirksamkeit ein geringes 5
Fluoroserisiko beobachtet. Die European Food Safety Authority (EFSA)
gibt zudem als tolerierbaren Höchstwert 0,1 mg/kg Körpergewicht an.
Die Bundeszahnärztekammer hat gemeinsam mit der Kassenzahnärzt-
6
lichen Bundesvereinigung und der Zahnärztlichen Zentralstelle für Quali-
tätssicherung im Institut der Deutschen Zahnärzte eine Leitlinie zu Fluo- 7
ridierungsmaßnahmen publiziert. Diese basiert auf einem Review aller
verfügbaren klinischen Studien mit der Zielvariable Kariesreduktion im 8
Milchgebiss und im bleibenden Gebiss. Die Pädiater waren mit dieser evi-
denzbasierten Leitlinie allerdings nicht einverstanden. Zudem hat man 9
festgestellt, dass bei kariesaktiven Kindern eine Fluoridzahnpasta mit 500
ppm Fluorid nicht ausreichend kariespräventiv wirksam ist. Vor diesem
Hintergrund wurde 2021 gemeinsam mit dem Netzwerk „Gesund ins
10
Leben“ und dem „Bundeszentrum für Ernährung“ eine Kompromissfor-
mulierung zur Basisprophylaxe mit Fluorid publiziert (Abb. 4.6). 11
Empfehlungen zu Fluoridierungsmaßnahmen 12
(entnommen der S2k-Leitlinie „Fluoridierungsmaßnahmen zur Karies-
prophylaxe“, AWMF-Registernummer 083-001, Stand 23.01.2013, er- 13
gänzt durch die Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks
„Gesund ins Leben“ [2022])
14
Zahnpasten
1. Die Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta mit mindestens 15
1000 ppm Fluorid ist eine breitenwirksame und effektive kariespräventive
Maßnahme, deren Wirksamkeit ab dem Schulalter nachgewiesen ist. Da- 16
her wird empfohlen, das Zähneputzen mit einer Zahnpasta durchzufüh-
ren, die einen Fluoridgehalt von mindestens 1000 ppm Fluorid enthält.
2. Der kariespräventive Effekt steigt mit zunehmender Fluoridkonzentration
17
in der Zahnpasta. Da Kinder in Deutschland auch anderen Fluoridquellen
ausgesetzt sind und um das Fluoroserisiko zu begrenzen, wird bei Kindern 18
im Vorschulalter ab Durchbruch der ersten Milchzähne bis zum Durch-
bruch der ersten bleibenden Zähne die Verwendung einer Zahnpasta mit 19
1000 ppm Fluorid empfohlen.
3. Die Effektivität der Anwendung mit fluoridhaltiger Zahnpasta nimmt mit 20
einer Erhöhung der Zahnputzfrequenz von einmal auf zweimal täglich zu.

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138 4 Kariesprophylaxe

Fluoridierungsmaßnahmen (Basisprophylaxe)
Alter Geburt bis Ab Zahndurchbruch bis 12 Monate 12 bis unter 2–6 Jahre Ab 6 Jahre
1. Zahn 24 Monate
Fluoridtablette Fluoridfreie oder Fluoridhaltige Fluoridhaltige Fluoridhaltige Fluoridhaltige
mit Vitamin D Zahnpasta und Zahnpasta Zahnpasta Zahnpasta Zahnpasta für
1 × täglich Fluoridtablette 1000 ppm F– 1000 ppm F– 1000 ppm F– Erwachsene
mit Vitamin D (Reiskorngröße) (Reiskorngröße) (Erbsengröße) 2–3 × täglich
bis 2 × täglich 2 × täglich 2–3 × täglich
und Vitamin-D-
Tablette 1 × täglich
Eltern putzen die Zähne nach

Mögliche zusätzliche Fluoridierungsmaßnahmen, insbesondere bei erhöhtem Kariesrisiko


Häusliche Anwendung Fluoridgel wö-
chentlich
Spüllösung mit
Fluorid mehr-
mals wöchent-
lich
Anwendung durch Zahnarzt bzw. unter zahnärztlicher Kontrolle Fluoridlack oder alternativ Fluorid-
gel 2 × jährlich
> 2 × jährlich bei erhöhtem Risiko

Abb. 4.6: Empfehlungen zur Fluoridprophylaxe (Fluoridgehalt des Trinkwassers < 0,3 ppm) vorgestellt vom
Netzwerk „Gesund ins Leben“, 29.04.2021

Das Gleiche gilt für überwachtes Putzen gegenüber unüberwachtem Put-


zen. Unter Berücksichtigung des Fluoroserisikos wird empfohlen, ab Zahn-
durchbruch in den ersten 12 Monaten bis zu zweimal täglich die Zähne
mit einer geringen Menge (reiskorngroß) Zahnpasta (1000 ppm Fluorid)
zu putzen. Auch danach soll das Zähneputzen bis zum vollendeten zwei-
ten Lebensjahr mit einer reiskorngroßen Menge Zahnpasta (1000 ppm
Fluorid) zweimal pro Tag erfolgen. Bis zum vollendeten sechsten Lebens-
jahr sollen die Zähnen mit einer erbsengroßen Menge Zahnpasta (1000
ppm Fluorid) zwei- bis dreimal geputzt werden. Ab dem sechsten Geburts-
tag darf dann mit einer Zahnpasta für Erwachsene bzw. einer Juniorzahn-
pasta mit einem höheren Fluoridgehalt und der üblichen Zahnpastamenge
mindestens zweimal pro Tag geputzt werden.
4. Wird regelmäßig eine relevante Menge an fluoridiertem Speisesalz zuge-
führt (die Aufnahme von mind. 1 g fluoridiertem Haushaltsalz pro Tag
entspricht 0,32 mg Fluorid) und regelmäßig fluoridhaltige Zahnpasta ver-
wendet, soll die Gabe von Fluoridtabletten entfallen.2

Fluoridiertes Speisesalz
Eine kariesprophylaktische Wirksamkeit der Speisesalzfluoridierung ist
beschrieben.

2 S2k-Leitlinie (Kurzversion), Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe, Up-


date der Leitlinie AWMF Register-Nr. 083-001, Stand April 2013, S. 5f.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 139

In Ländern mit bereits bestehendem hohem Niveau in der Kariespräven-


tion ist der zusätzliche Effekt der Verwendung von fluoridhaltigem Speise- 1
salz quantitativ nicht nachweisbar.3
2
Fluoridtabletten
1. Fluoridtabletten sind kariespräventiv wirksam. Hier wurde 2021 vom
Netzwerk „Gesund ins Leben“ im Rahmen eines Kompromisses zwischen
3
Zahnmedizinern und Pädiatern formuliert, dass alternativ zur Verwen-
dung fluoridhaltiger Zahnpasta ab der Geburt eines Kindes bis zum voll- 4
endeten ersten Lebensjahr Fluoridtabletten (kombiniert mit Vitamin D)
gegeben werden; dann dürfen die Zähne allerdings nicht mit einer fluorid- 5
haltigen Zahnpasta geputzt werden.
2. Eine Fluoridtabletteneinnahme der schwangeren Frau hat keinen karies-
präventiven Effekt auf das Milchgebiss des Kindes.4
6

Fluoridlackapplikation 7
Bei Kindern und Jugendlichen, vor allem solchen mit erhöhtem Kariesrisiko,
soll zweimal jährlich eine Applikation eines fluoridhaltigen Lackes erfolgen. 8
Die lokale Fluoridlackapplikation kann unabhängig von bereits durchge-
führten, breitenwirksamen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt wer- 9
den. Bei Patienten mit stark erhöhtem Kariesrisiko soll die Frequenz der
Fluoridapplikation mehr als zweimal (in der Regel viermal) pro Jahr betra-
gen, weil dann eine verbesserte kariesreduzierende Wirkung zu erwarten ist.5
10
Fluoridgele 11
1. Fluoridgele sollen unabhängig von bereits bestehenden Basisfluoridierungs-
maßnahmen, wie zum Beispiel fluoridhaltige Zahnpasta, verwendet werden. 12
2. Da der kariespräventive Effekt von Fluoridgelen unabhängig von der Art
der Applikationsmethode ist (zahnärztliche Applikation vs. Applikation 13
durch den Patienten; Trayapplikation vs. Einbürsten), soll die Art der Ap-
plikation individuell gewählt werden.
Bei kariesaktiven Patienten soll eine mehrmalige Applikation fluoridhalti-
14
ger Gele erfolgen, da der kariespräventive Effekt mit der Applikationsfre-
quenz und der Applikationsintensität pro Jahr (Frequenz × Fluoridkonzen- 15
tration) korreliert.6
16
Fluoridhaltige Mundspüllösungen
Bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Kariesrisiko führt die tägliche
überwachte Anwendung von Mundspüllösungen (in einer Konzentration
17
von 0,05% NaF) bzw. die einmal wöchentliche überwachte Anwendung
einer Mundspüllösung (0,2% NaF) zu einer deutlichen Reduktion des Ka- 18
riesanstiegs. Da dieser Effekt unabhängig von der Anwendung anderer
19
3 ebenda
4
5
6
ebenda
ebenda, S. 6 20
ebenda

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140 4 Kariesprophylaxe

fluoridhaltiger Präparate wie z.B. Zahnpasten ist, wird bei Kindern und
Jugendlichen mit erhöhtem Kariesrisiko die Anwendung einer fluoridhalti-
gen Mundspüllösung empfohlen.
Aufgrund der vorliegenden Studienlage kann davon ausgegangen werden,
dass fluoridhaltige Spüllösungen bei Jugendlichen (insbesondere wenn eine
kieferorthopädische Behandlung mit festsitzenden Geräten durchgeführt
wird) zur Kariesprävention beiträgt.
Kinder unter 6 Jahren sollten keine fluoridhaltigen Mundspüllösungen ver-
wenden, um zu vermeiden, dass toxikologisch relevante Fluoridmengen
verschluckt werden.7
Die Pädiater waren mit dieser evidenzbasierten Leitlinie nicht einverstan-
den. Zudem hat man festgestellt, dass bei kariesaktiven Kindern eine Fluo-
ridzahnpasta mit 500 ppm Fluorid nicht ausreichend kariespräventiv
wirksam ist. Vor diesem Hintergrund wurde 2021 gemeinsam mit dem
Netzwerk „Gesund ins Leben“ und dem „Bundeszentrum für Ernährung"
eine Kompromissformulierung zur Basisprophylaxe mit Fluorid pu-
bliziert (Abb. 4.6).

Bei hohem Fluoridgehalt des Trinkwassers oder dem regelmäßigen Kon-


sum von Mineralwässern mit hohem Fluoridgehalt erfolgt keine zusätz-
liche Fluoridierung im Kindesalter.
Für die Wirksamkeit der unterschiedlichen Fluoridpräparate im Er-
wachsenenalter gibt es nur wenige Untersuchungen. Diese zeigen aber,
dass die regelmäßige, tägliche Verwendung einer fluoridhaltigen Zahn-
pasta kariesprophylaktisch wirksam ist und auch die lokale Applikation
fluoridhaltiger Präparate eine wichtige Säule der Kariesprävention dar-
stellt.
Stellt der Zahnarzt eine hohe Kariesaktivität bzw. ein hohes Karies-
risiko fest, so müssen zusätzliche Maßnahmen erfolgen, um die Karies-
gefährdung zu senken. Hierzu zählen insbesondere eine individuelle Er-
nährungsberatung sowie die Anwendung von keimreduzierenden La-
cken, Gelen oder Spüllösungen.

4.2.3 Reaktion von Fluoriden mit Zahnhartsubstanzen und


Plaque

Bei fast allen anorganischen und organischen Fluoridverbindungen ist


das Fluoridion das eigentliche kariesprophylaktische Agens. Bei der Be-
schreibung der Schmelz-Fluorid-Wechselwirkung nach lokaler Fluo-
ridapplikation müssen dennoch verschiedene Parameter, wie pH-Wert,
Fluoridkonzentration, Kontaktzeit mit der Zahnhartsubstanz, Art der
Trägersubstanz, Kationenwirkung und lokale Zusammensetzung der
Zahnhartsubstanz berücksichtigt werden.

7 ebenda

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 141

Die Reaktion von Fluorid mit Zahnschmelz ist sehr genau unter- Fluorid und
sucht, die Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf die anderen Zahnhart- Zahnschmelz 1
substanzen übertragen, da es sich fast ausschließlich um eine Reaktion
mit Hydroxylapatit handelt. 2
Bei der Interaktion von lokal appliziertem Fluorid mit Zahnschmelz
unterscheidet man vier grundsätzliche Reaktionsmechanismen:
 initiale Auflösung des Schmelzminerals an der Schmelzoberfläche
3
und Repräzipitation eines kalziumfluoridhaltigen Niederschlags
 initiale Auflösung des oberflächlichen Schmelzes und Repräzipita- 4
tion von fluoridiertem Hydroxylapatit bzw. Fluorapatit
 Diffusion in den Zahnschmelz und spezifische Adsorption von Fluo- 5
ridionen an freie Bindungsstellen (z.B. OH–, Ca2+ und HPO32–) der
Kristalloberflächen im Zahnschmelz
 Diffusion in den Zahnschmelz und unspezifische Bindung, z.B. in
6
der wässrigen Hülle um die Kristalle
7
Das unter dem ersten Punkt beschriebene kalziumfluoridhaltige Präzipi-
tat löst sich anschließend wieder auf und die frei werdenden Fluoridio- 8
nen erhöhen die Fluoridkonzentration im Speichel bzw. diffundieren in
den Zahnschmelz und adsorbieren an den Kristalloberflächen. 9
Die adsorbierten Fluoridionen umgeben die Schmelzkristalle wie ein
schützender Schirm und werden langfristig in das Kristallgitter integriert.
Sie sollen dann allerdings ihre Schutzfunktion verlieren (s. Abb. 4.7).
10
Nach Applikation von Natriummonofluorphosphat (kovalent ge-
bundenes Fluorid) verläuft die Reaktion mit Zahnschmelz anders als 11
bei den ionisch gebundenen Fluoriden:
 Monofluorphosphat diffundiert in den Zahnschmelz und wird ge- 12
gen Phosphat ausgetauscht.
 Hydrolyse des Monofluorphosphats durch Speichel- und Plaqueen-
13
zyme bzw. Säuren und anschließende Reaktion der freien Fluoridio-
nen mit dem Zahnschmelz, wie bei anderen ionischen Fluoriden.
14
Alle Fluoridierungsmittel führen primär zu einer Fluoridanreicherung
im Oberflächenschmelz, da die Diffusion von Fluorid in tiefere 15
Schmelzschichten Zeit benötigt. Monofluorphosphat diffundiert sehr
viel langsamer in den Schmelz als freies Fluorid, deshalb ist eine Fluorid- 16
anreicherung im Oberflächenschmelz nach lokaler Applikation geringer
als nach Applikation ionisch gebundener Fluoride.
Die Anreicherung von Fluorid an der Oberfläche gesunden Zahn-
17
schmelzes ist ohnehin nur von kurzer Dauer, da das Fluorid relativ
schnell wieder in den Speichel zurück diffundiert. 18
Im demineralisierten Schmelz einer beginnenden Kariesläsion wird 19
nach lokaler Applikation von Fluoridverbindungen erheblich mehr
Fluorid aufgenommen als im gesunden Schmelz. Dabei spielt die 20
Art der verwendeten Fluoridverbindung keine entscheidende Rolle.

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142 4 Kariesprophylaxe

Fluorid-
applikation Speichel Saccharose

F-
F-
Plaque

Fin- H+
H
Fin- +

F-
in
Fin-
Kristall Kristall
Fluorid-
hülle
a

Speichel Saccharose

Plaque

H+
H
H+

F (HAP) F (HAP)

Abb. 4.7: Bei häufiger Applikation niedrig dosierter Fluoridverbindungen oder


nach Auflösung eines Fluoriddepots (z.B. Kalziumfluorid) in der Mundhöhle dif-
fundieren Fluoridionen in die Zahnoberfläche. Sie verteilen sich in der Flüssigkeit
zwischen den Kristallen der Zahnhartsubstanzen (F–in) und umgeben die Kristalle
mit einer Schicht adsorbierter Ionen (entweder in der Hydrationshülle um die
Kristalle oder als CaF2). Dadurch verleihen sie dem Hydroxylapatit (HAP) fluorapa-
titähnliche Eigenschaften. Bei kariösen Angriffen werden die so geschützten Kris-
talle nicht aufgelöst (a). Bei einem Fluoriddefizit hingegen wird die Kristallober-
fläche während einer kariösen Attacke partiell oder vollständig aufgelöst (b), auch
wenn im Kristall Fluoridionen fest eingebaut sind.

Bei der Applikation ionisch gebundener Fluoride kommt es jedoch im


Gegensatz zu Monofluorphosphat genau wie im gesunden Schmelz zur
Ausbildung einer kalziumfluoridhaltigen Schicht an der Schmelzober-
fläche. Diese ist im demineralisierten Schmelz jedoch erheblich dicker
als im gesunden Schmelz. Aber genau wie im gesunden Schmelz geht
ein großer Teil des einmal an der Schmelzoberfläche gebundenen Fluo-
rids relativ schnell wieder verloren.
Um den kariostatischen Effekt von Fluoriden auszunutzen, ist es
also erforderlich, entweder erhebliche Mengen Kalziumfluorid zu eta-
blieren (die Kalziumfluoridschicht dient anschließend als eine Art De-
pot, aus dem Fluoridionen abgegeben werden) oder kleine Fluoridmen-
gen häufig zu applizieren (z.B. in Form von Zahnpasten).
Fluorid und Der Fluoridgehalt von Plaque ist in Gegenden mit erhöhtem Trink-
Plaque wasserfluoridgehalt (2 ppm F–) höher als in Gebieten mit niedrigem
Trinkwasserfluoridgehalt. In mehrere Tage alter Plaque ist nach regel-
mäßiger Fluoridapplikation ein erhöhter Fluoridgehalt festzustellen.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 143

Der Fluoridgehalt von Plaque kann wesentlich höher sein als der
Fluoridgehalt von Speichel. Der physiologische Normalwert ist abhän- 1
gig von der Speichelsekretionsrate, zugeführter Nahrung oder Geträn-
ken (0,5–2,5 μM = 0,01–0,05 ppm). Der mittlere Fluoridgehalt von 2
Plaque schwankt je nach Untersucher und angewandter Analyseme-
thode und wird mit 55–85 ppm (bezogen auf Trockengewicht) und 5–25
ppm (bezogen auf Nassgewicht) angegeben. Plaque kann also Fluorid
3
speichern.
Dabei muss zwischen ionisiertem, ionisierbarem (schwach gebunde- 4
nem) und fest gebundenem Fluorid unterschieden werden. Die fest ge-
bundene Fluoridfraktion ist an Zellen oder an andere organische Be- 5
standteile der Plaque gebunden. Der ionisierbare Anteil liegt überwie-
gend in Form von Kalzium-Phosphat-Fluorid-Komplexen vor. Ionisiert
liegt in einer ruhenden Plaque nur ein sehr kleiner Anteil (unter 1 ppm)
6
vor. Bei fallendem pH-Wert wird allerdings ein erheblicher Teil des ioni-
sierbaren Fluorids frei und kann in den Speichel oder in den Zahn- 7
schmelz diffundieren.
Plaque reichert jedoch nicht nur Fluorid aus der Nahrung an, son- 8
dern auch aus dem Zahnschmelz. Gerade unter kariogenen Bedingungen
kann eine stoffwechselaktive Plaque ein vorhandenes Fluoridreservoir 9
(Kalziumfluorid) auf der Schmelzoberfläche rasch auflösen (s. Abb. 4.8).
Fluorid reichert sich auch unter bestimmten Bedingungen in Bakte-
rienzellen der Plaque an. Versuche mit Streptococcus-mutans- und Strepto-
10
coccus-sanguis-Stämmen konnten nachweisen, dass die Fluoridaufnahme
in die Bakterienzellen von einem pH-Gradienten und nicht von einem 11
Energie fordernden Prozess abhängig ist. So gelangt Fluorid bei niedrigem
extrazellulärem pH-Wert als Fluorwasserstoff durch einfache Diffusion in 12
das basische Zellinnere. Wird das extrazelluläre Milieu wieder basisch,
kehrt sich die Diffusion um. Die Anreicherung erreicht relativ rasch (zwei 13
Minuten) ihr Maximum und steigt dann kaum noch. Es ist allerdings bis-
her nicht bekannt, wo sich das Fluorid im Zellinneren bindet.
14
4.2.4 Kariostatischer Wirkungsmechanismus von Fluoriden 15
Zahnhartsubstanzen 16
Der kariostatische Wirkungsmechanismus von Fluorid konnte bisher
nicht vollständig aufgeklärt werden. Es handelt sich um einen multifak-
toriellen Mechanismus, bei dem allerdings zahlreiche Details bekannt
17
sind. Da sich die meisten Studien zum Wirkungsmechanismus der Fluo-
ride mit Zahnschmelz beschäftigen, beziehen sich die folgenden Passa- 18
gen auf die Resultate dieser Untersuchungen. Die Wirkprinzipien sind
jedoch ebenso auf die anorganischen Bestandteile von Dentin und Ze- 19
ment anwendbar.
20

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144 4 Kariesprophylaxe

metabolisch
2F- aktive
Speichel Ca2+ F-
Speichel Plaque
(pH: 5)
CaF2
CaF2

Ca2+
Zahn- F (HAP)
schmelz Zahn-
schmelz

a Plaque-
entfernung
(pH-Anstieg) c
Speichel HPO42- Proteine
Speichel
HPO42- Proteine
CaF2
CaF2

F- F-
Zahn- F-
schmelz Zahn-
schmelz

b d

Abb. 4.8: Nach lokaler Applikation von Fluorid kommt es, abhängig von der Fluoridkonzentration und dem
pH-Wert der Fluoridlösung, zur Ausbildung eines mehr oder weniger starken CaF2-Präzipitats auf der
Zahnoberfläche (a). Dieses Präzipitat wird anschließend von Proteinen und Phosphat aus dem Speichel be-
deckt. Aus der Kalziumfluoridschicht diffundieren jedoch geringe Mengen Fluorid in den Zahnschmelz (b).
Wird diese Kalziumfluoridschicht von einer metabolisch aktiven Plaque bedeckt, kommt es unter der Ein-
wirkung der gebildeten organischen Säuren zum Verlust der schützenden Protein-Phosphat-Schicht und
zur vermehrten Auflösung von Kalziumfluorid. Die austretenden Fluoridionen werden mit dem Speichel
abtransportiert oder reichern sich in der Plaque bzw. im Schmelz (z.B. als fluoridiertes Hydroxylapatit) an
(c). Nach Plaqueentfernung bzw. pH-Wert-Anstieg aufgrund der Pufferung durch den Speichel wird die
verringerte CaF2-Schicht wieder mit Phosphat und Proteinen aus dem Speichel bedeckt (d).

Die antikariogene Wirkung der Fluoride bezüglich der Zahnhart-


substanzen beruht auf zwei grundsätzlich unterschiedlichen Prinzi-
pien: Verminderung der Säurelöslichkeit und Hemmung der Demi-
neralisation bzw. Förderung der Remineralisation.

Verbesserung der Verminderung der Säurelöslichkeit durch den festen Einbau von
Kristallinität Fluorid in das Kristallgitter der Zahnhartsubstanzen: Der anorgani-
sche Anteil der Zahnhartsubstanzen besteht zu einem großen Teil aus
nicht stöchiometrischem Apatit. Außerdem besitzen viele Kristalle De-
fekte und Fehlstellen. Beides bewirkt eine Erhöhung der Löslichkeit.
Durch den Einbau von Fluorid während der präeruptiven Schmelzbil-
dung und mehr noch während der präeruptiven Schmelzreifung wird
die Kristallgitterstruktur stabiler und die Löslichkeit des Apatits herabge-
setzt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Verbesse-
rung der Kristallinität, d.h., die Kristalle sind in ihrer Gitterstruktur
perfekter aufgebaut, und sie sind größer.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 145

Dabei besetzen die Fluoridionen jedoch nicht nur vakante Stellen


im Kristallgitter, sondern werden auch in einer Substitutionsreaktion 1
gegen Hydroxylionen ausgetauscht. Es war nahe liegend, den kariosta-
tischen Wirkungsmechanismus der Fluoride mit der präeruptiven Bil- 2
dung von Fluorapatit und der damit einhergehenden Säurelöslichkeits-
verminderung zu erklären. Es galt daher lange das Dogma, dass eine
hohe präeruptive Fluorideinlagerung die beste kariostatische Wirksam-
3
keit vermittelt. Später stellte sich jedoch heraus, dass nur etwa 10% der
Hydroxylionen des Apatits biologisch tatsächlich durch Fluoridionen 4
substituiert werden.
5
Die Bildung von Fluorapatit während der Zahnentwicklung trägt also
nur zu einem kleinen Teil zur Karieshemmung durch Fluoride bei.
6
Ein großer Teil des im Zahn vorhandenen Fluorids wird erst posterup-
tiv während der sekundären Schmelzreifung und später nach lokalen 7
Fluoridierungsmaßnahmen auf und in der Zahnoberfläche abgelagert.
Man versuchte nun, durch die lokale Applikation hoher Fluoridkonzen- 8
trationen eine Umwandlung von Hydroxylapatit in Fluorapatit zu errei-
chen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Höhe der Fluoridanreiche- 9
rung in den oberflächlichen Schichten der Zähne nicht mit der erreich-
ten Karieshemmung korreliert.
Man geht daher heute davon aus, dass der Hauptwirkungsmechanis- De- und
10
mus der Fluoride in einer Hemmung der Demineralisation bzw. einer Remineralisation
Förderung der Remineralisation zu suchen ist. Die Zahnoberfläche 11
unterliegt in der Mundhöhle ständigen Veränderungen. Sie wird sofort
nach Durchbruch in die Mundhöhle mehr oder weniger stark von Mi- 12
kroorganismen besiedelt. Deren metabolische Aktivität kann bei ent-
sprechender Substratzufuhr zu einem pH-Wert-Abfall und damit zu Pe- 13
rioden der Demineralisation führen. Diese können wiederum von Zeit-
räumen der Remineralisation gefolgt sein, wenn durch Abtransport der
Metaboliten und der Substrate durch den Speichel (Clearance) der pH-
14
Wert wieder ansteigt.
Man kann also vereinfacht formulieren, dass an der Zahnoberfläche 15
ein dynamisches Gleichgewicht herrscht, das in die eine oder die an-
dere Richtung verschoben werden kann (s. Abb. 4.9). 16
Ist Fluorid in der flüssigen Phase zwischen und um die Kristalle an
der Zahnoberfläche vorhanden, wird der Demineralisationsprozess mo-
difiziert. Während der Demineralisationsperioden schützen an die Kris-
17
talloberfläche adsorbierte Fluoridionen die Kristalle, indem sie ihnen Ei-
genschaften von Fluorapatit verleihen. Die Löslichkeit der Kristalle wird 18
dadurch herabgesetzt. Neuerdings geht man davon aus, dass die Kris-
talle teilweise von Kalziumfluorid bedeckt sind, das ihnen einen ähnli- 19
chen Schutz verleiht.
Steigt nach einer kariösen Attacke der pH-Wert wieder an, so fällt in 20
Anwesenheit von Fluoridionen zunächst wegen seiner geringeren Lös-

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146 4 Kariesprophylaxe

Bakterien
und Substrat

Säuren Fluoride

Demineralisation

gesunder kariöser
Zahnschmelz Zahnschmelz

Remineralisation

Kalzium
Säurepuffer Fluoride und Phosphor

Speichel

Abb. 4.9: An der Zahnoberfläche herrscht ein dynamisches Gleichgewicht zwi-


schen De- und Remineralisation. Bei Nahrungsaufnahme (Substrat) entstehen in
der Plaque organische Säuren, die das Gleichgewicht in Richtung Entmineralisie-
rung verschieben. Durch die Pufferkapazität und die Übersättigung des Speichels
mit Phosphat- und Kalziumverbindungen wird das Gleichgewicht wiederherge-
stellt. Fluoride greifen in dieses Gleichgewicht ein, indem sie die Demineralisation
hemmen und die Remineralisation bereits entmineralisierter Bereiche fördern.

lichkeit Fluorapatit in kristalliner Form aus. Erst später, wenn der pH-
Wert weiter angestiegen ist, fallen auch Hydroxylapatit und andere
Apatitformen aus.
Die Anwesenheit von Fluorid bedeutet also auch eine Verkürzung
der Demineralisationsperioden, da Mineralien wieder früher repräzipi-
tieren. Die Erhöhung des Fluorapatitanteils an der Zahnoberfläche er-
höht die Resistenz gegenüber nachfolgenden kariösen Attacken.
Bei lang andauernder oder/und heftiger Demineralisation und kur-
zer Remineralisationszeit resultiert insgesamt ein Mineralverlust und
damit eine klinisch sichtbare kariöse Initialläsion (white spot). Wird
nun durch Einsetzen einer optimalen Mundhygiene die Plaque beseitigt
und durch Ernährungsumstellung nur noch wenig kariogenes Substrat
zugeführt, so schreitet die kariöse Läsion nicht weiter voran. Der Mine-
ralverlust aus der Zahnoberfläche stagniert, und es können sich sogar
Mineralien aus dem Speichel, der mit Hydroxylapatit bzw. Fluorapatit
gesättigt ist, einlagern (Remineralisation). Frühe initiale Läsionen kön-
nen sich so zurückentwickeln (caries reversal) und sogar klinisch ver-
schwinden (s. Abb. 4.10).

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 147

Abb. 4.10: In einer Studie an


Start nach
Kindern stellte sich heraus,
dass von 184 bukkalen (8-Jährige) 7 Jahren gesamt 1
Zahnflächen 72 initiale ka-
riöse Läsionen (white spots) 74
aufwiesen. Bei einer Kon- gesund 93 111 2
trolluntersuchung, die 7 37
Jahre später durchgeführt
wurde, waren 37 dieser Lä- 3
sionen remineralisiert und 15
klinisch nicht mehr nachzu- Initialläsion 72 41
weisen, sodass die Anzahl
26 4
gesunder Bukkalflächen in
diesem Zeitraum anstieg
(nach Backer-Dirks 1966).
4 5
Kavität 9
19 32 6
19
7
Allerdings findet eine komplette Remineralisation mit vollständi- 8
gem Einbau verloren gegangener Mineralien außerordentlich selten
statt. 9
Histologisch lassen sich mehr oder weniger starke poröse und entminera- Histologie
lisierte Bereiche diagnostizieren. Tatsächlich handelt es sich um inaktive,
10
partiell remineralisierte Läsionen (arrested lesion), die sich später durch
Einlagerung exogener Farbstoffe (z.B. Lebensmittel, Tee, Teer usw.) braun 11
verfärben können (brown spot). Auch in den Remineralisationsprozess
greifen Fluoride ein. Bei der Remineralisation bilden sich neue Kristalle, 12
die in Anwesenheit von Fluorid größer und stabiler sind als die ursprüng-
lichen Kristalle. Außerdem begünstigt Fluorid das Wachstum partiell ent- 13
mineralisierter Kristalle. Dabei entsteht erneut Fluorapatit bzw. fluori-
diertes Hydroxylapatit. Läsionen mit remineralisierter Oberfläche besit-
zen daher eine erhöhte Resistenz gegenüber späteren kariösen Angriffen.
14
Die physiologische Speichelfluoridkonzentration (0,01–0,05 ppm)
reicht jedoch nicht aus, um eine Remineralisation zu fördern. Erst ab ei- 15
ner Konzentration von 0,1 ppm Fluorid in einer hydroxylapatitübersät-
tigten Lösung wird das Kristallwachstum gefördert. 16
Häufige Applikation niedrig dosierter Fluoridverbindungen (Zahn-
pasta, Fluoridtabletten, Spüllösungen) oder die Etablierung eines
17
Fluoridreservoirs, aus dem über längere Zeit Fluoridionen abgege-
ben werden (z.B. Kalziumfluorid), resultieren in einer ausreichen- 18
den Fluoridkonzentration im Speichel.
19
Ist die Konzentration des applizierten Fluorids sehr hoch (z.B. Gele, La- Konzentration
cke), kommt es primär zu einer Remineralisation in der Läsionsperi- 20
pherie, da sich das Fluorid vornehmlich als Kalziumfluorid auf der

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148 4 Kariesprophylaxe

Schmelzoberfläche ablagert und somit die Poren für die Diffusion der
Speichelmineralien verstopft. Es kann dann über lange Zeit zu einer Dif-
fusion von Fluorid auch in die Tiefe der Läsion mit nachfolgender Mi-
neraleinlagerung in diesen Bereichen kommen.
Nach Applikation niedriger konzentrierter Fluoridierungsmittel
kommt es in vitro primär zu einer Remineralisation im Läsionskörper.
In-vivo-Studien konnten allerdings auch unter diesen Bedingungen
(z.B. Trinkwasserfluoridierung) keine vollständige Remineralisation ini-
tialer kariöser Läsionen feststellen. Neuere Untersuchungen konnten
zudem zeigen, dass es unter extrem kariogenen Bedingungen nicht zu
einer Behinderung der Progression kariöser Läsionen kommt.
Plaquebeseitigung und Ernährungsumstellung sind also weiterhin
wichtige Säulen der Kariesprophylaxe. Fluoride entfalten ihre höchste
kariesprophylaktische Wirksamkeit nämlich bei geringer bis mittlerer
Kariesaktivität.

Speichel und Fluorid bilden zusammen einen wichtigen natürli-


chen Abwehrmechanismus gegen Karies, indem sie den Zahnhart-
substanzen eine Adaptationsfähigkeit gegenüber kariösen Angriffen
ermöglichen.

Wird diese Adaptationsfähigkeit jedoch durch ständige kariöse Angriffe


ohne die notwendigen Erholungsphasen überschritten, so erfolgt eine
Kavitätenbildung, die entsprechende Restaurationsmaßnahmen nach
sich zieht.

Plaque (bakterieller Biofilm)


Der Karies hemmende Effekt von Fluorid ist jedoch nicht nur auf Zahn-
hartsubstanzen beschränkt. Fluoride können modifizierend in die Ad-
härenz, das Wachstum und den Metabolismus von Plaquebakterien ein-
greifen.
Mit steigender Fluoridkonzentration wird dabei zuerst die metaboli-
sche Aktivität der Mikroorganismen beeinflusst, dann ihr Wachstum ge-
hemmt und zum Schluss werden die Mikroorganismen abgetötet. In der
Plaque der menschlichen Mundhöhle werden allerdings nie Fluoridkon-
zentrationen erreicht, die zum Zelltod der Mikroorganismen führen.
Wachstums- Das Wachstum verschiedener Plaquebakterien wird durch unter-
hemmung von schiedliche Fluoridkonzentrationen gehemmt. Dabei spielen der pH-
Mikroorganismen Wert der Umgebung und die Anwesenheit von Kationen eine ent-
scheidende Rolle. Während das Wachstum einiger Streptokokken-
Stämme bei pH 7 erst durch 100–200 μg/ml Fluorid in der Suspension
gehemmt wird, liegt die hemmende Wirkung im pH-Bereich 5,5–6,0 bei
15 μg/ml. Für Laktobazillen müssen bei neutralem pH-Wert 6000 μl/ml
Fluorid, bei pH 4,4 100 μl/ml Fluorid vorhanden sein, um das Wachs-
tum zu hemmen. Für eine bakterizide Wirkung ist die 30-fache Konzen-
tration nötig.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 149

Es gibt offensichtlich eine Korrelation zwischen Säuretoleranz der


Bakterien und ihrer Fluoridverträglichkeit (Fluoridresistenz). Je säureto- 1
leranter sie sind, umso schwieriger ist es, ihr Wachstum durch Fluoridie-
rungsmaßnahmen zu hemmen. Das gilt ebenso für Bakterien, die kei- 2
nen oder nur einen geringen Kohlenhydratmetabolismus besitzen (z.B.
einige Actinomyces-Stämme). Neben Fluorid besitzen Kationen eine
wachstumshemmende Wirkung. So sind Metallionen, wie Zinn, Kupfer
3
und Quecksilber, schon in geringen Konzentrationen für zahlreiche Mi-
kroorganismen stark toxisch. 4
Zahlreiche Mikroorganismen können sich, auch wenn sie anfangs Adaptation von
noch sensibel auf Fluorid reagieren, an hohe Fluoridkonzentrationen Mikroorganismen 5
adaptieren. Sie verlieren diese Fähigkeit wieder, wenn sie nicht mehr mit
Fluorid in Kontakt kommen. Diese Adaptation und die damit verbun-
dene Fluoridresistenz ermöglicht ihnen ein Überleben und Wachstum
6
unter den physiologischen Bedingungen der menschlichen Mundhöhle
auch bei wiederholter Fluoridapplikation. Dabei verändert sich jedoch 7
ihre metabolische Aktivität; ihre Kapazität, niedermolekulare Kohlenhy-
drate zu verstoffwechseln, nimmt ab. Der pH-Wert-Abfall in der Plaque 8
nach Zufuhr dieser Kohlenhydrate ist weniger stark und kürzer. Das wie-
derum hat zur Folge, dass säuretolerante Mikroorganismen wie Strepto- 9
coccus mutans und Laktobazillen ihren ökologischen Vorteil gegenüber
anderen, weniger kariesaktiven Mikroorganismen verlieren und sich
nicht so stark vermehren, wie sie es ohne Fluorideinwirkung könnten.
10
Fluorid hat demnach unter physiologischen Bedingungen einen ge-
ringen wachstumshemmenden Effekt auf Plaquebakterien. Über eine 11
Beeinflussung der Stoffwechselaktivität kann sich jedoch die mikro-
bielle Zusammensetzung der Plaque verändern. 12
Fluorid nimmt an verschiedenen Stellen Einfluss auf den Metabolis- Metabolismus-
mus von Plaquebakterien. Besonders betroffen ist der Kohlenhydratme- hemmung 13
tabolismus und hier speziell die Glykolyse. Hier wird das Enzym Eno-
lase in seiner Aktivität gehemmt. Unter der Einwirkung von Enolase
wird 2-Phosphoenolglycerat zu Phosphoenolpyruvat umgewandelt. Die
14
Enolase ist ein magnesiumabhängiges Enzym. Fluorid geht mit Magne-
sium eine Verbindung ein und hemmt so die enzymatische Aktivität. 15
Durch Fluorid wird zudem der Transport von Glukose in die Bak-
terienzelle gehemmt. Streptokokken können Glukose über zwei Trans- 16
portwege in die Zelle einschleusen. Über das Phosphoenolpyruvat-
Phosphotransferase-System (PEP-PTS) wird Glukose zu Glukose-6-
Phosphat phosphoryliert und in die Zelle eingeschleust. Das aktivierte
17
Phosphat entstammt dabei dem Phosphoenolpyruvat.
Bei niedrigem pH-Wert (< 6,0), in starken Wachstumsphasen und bei 18
extrem hohem Substratüberschuss gelangt Glukose durch einen proto-
nengetriebenen Transport in die Zelle, das PEP-PTS wird dann abgeschal- 19
tet. Dieser protonenabhängige Transport der unphosphorylierten Glu-
kose wird durch einen elektrochemischen Protonengradienten vermit- 20
telt. Membrangebundene, Protonen ausschleusende ATPase-Aktivität

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150 4 Kariesprophylaxe

und die Ausschleusung des Glykolyse-Endprodukts Laktat führen zu ei-


nem Protonenüberschuss im extrazellulären Raum und zu einem Proto-
nenunterschuss im intrazellulären Raum und damit zu dem Protonengra-
dienten, der die treibende Kraft für den Glukoseeinstrom in die Zelle ist.
Hemmung der Fluorid hemmt, wie bereits oben beschrieben, die Bildung von Phos-
Bakterien- phoenolpyruvat. Damit wird indirekt die Phosphorylierung der Glukose
adhärenz behindert und somit das PEP-PTS außer Kraft gesetzt. Bei niedrigem pH-
Wert geht Fluorid eine Bindung mit den Protonen im Extrazellularraum
ein und dringt dann als Fluorwasserstoff (HF) in die Zelle ein. Der Pro-
tonengradient wird geringer und der Glukosetransport dadurch vermin-
dert. Durch die Dissoziation von Fluorwasserstoff (HF) im Zellinneren
kommt es zu einer pH-Absenkung. Da die Enzyme der Glykolyse ihr pH-
Optimum im alkalischen Bereich haben, findet auch auf diesem Wege
eine Hemmung des Bakterienstoffwechsels statt.
Fluorid hemmt außerdem die Bildung von Lipoteichonsäure und
greift so hemmend in die Bakterienadhärenz ein.
Die intrazelluläre Polysaccharidsynthese wird durch Fluorid ge-
hemmt, indem das zum Aufbau notwendige Glukose-6-Phosphat nicht
oder nur vermindert gebildet wird (Hemmung des PEP-PTS). Der Abbau
der intrazellulären Speicherkohlenhydrate wird jedoch nicht beeinflusst.
Fluoride haben keinen nachweislich hemmenden Effekt auf die Syn-
these extrazellulärer Kohlenhydrate bzw. auf die dazu notwendigen
membrangebundenen Glukosyltransferasen.

4.2.5 Wirksamkeit fluoridhaltiger Kariostatika

Die kariesprophylaktische Wirksamkeit von Fluorid wurde in epidemio-


logischen Querschnittsuntersuchungen, randomisierten klinischen
Longitudinalversuchen und Feldstudien nachgewiesen. Sie ist für lokal
applizierte Fluoride nicht bei allen Zahnflächen gleich hoch. So werden
frei zugängliche Glattflächen durch Fluoridapplikation besser geschützt
als Glattflächen im Approximalraum. Bei Grübchen und Fissuren ist die
Karies hemmende Wirkung von Fluorid am geringsten ausgeprägt.
Der präeruptive kariostatische Effekt durch „systemische“ Fluoridga-
ben ist geringer einzuschätzen als der posteruptive Kariesschutz durch
lokale Fluoridierungsmaßnahmen.
Der kariespräventive Effekt hängt von der Art und der Häufigkeit
der Fluoridapplikation ab. So konnte in diesem Zusammenhang im
Konzentrationsbereich zwischen 1000 und 2800 ppm Fluorid bei Zahn-
pasten eine Dosis-Wirksamkeits-Relation gefunden werden, d.h., je hö-
her die Konzentration ist, umso höher ist die Kariesreduktion. Zahnpas-
ten mit Fluoridkonzentrationen über 1500 ppm sind in Deutschland je-
doch nicht für den freien Verkauf zugelassen. Je länger im Leben
Kariesprophylaxe mit Fluoriden betrieben wird, umso höher ist der Ka-
ries reduzierende Effekt, bezogen auf das Gesamtgebiss. Die einzelnen

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 151

Fluoridierungsmaßnahmen resultieren natürlich in unterschiedlichen


Karies hemmenden Effekten. 1
Man muss bei der Beurteilung der Effektivität der verschiedenen
Fluoridierungsmaßnahmen jedoch beachten, dass die untersuchten Pa- 2
tienten eine sehr unterschiedliche Kariesaktivität aufwiesen. Insofern
sind die nachfolgenden Kariesreduktionsraten nur relativ grobe An-
haltspunkte. Die Verwendung unterschiedlicher Fluoridpräparate
3
macht es zudem heute außerordentlich schwierig, die Effektivität einer
einzelnen Maßnahme zu bestimmen. 4
So wird durch Tablettenfluoridierung in kontrollierten Studien Tabletten
eine Kariesreduktion zwischen 28 und 61% angegeben. Die große Streu- 5
breite erklärt sich u.a. durch unterschiedliche Compliance selbst in die-
sen kontrollierten Studien.
Die meisten Untersuchungen zur Trinkwasserfluoridierung resul- Trinkwasser
6
tierten in einer Karieshemmung von 50–60%.
Ähnliche Reduktionsraten werden bei der Salzfluoridierung er- Salz 7
reicht. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass bereits
Kleinkinder, die nicht mehr gestillt werden bzw. keine Milchersatznah- 8
rung mehr bekommen, etwa 1,4 g Salz, bezogen auf 1000 kcal Nah-
rungsmittel, aufnehmen (US Health and Nutrition Survey). 9
Durch Fluoridspüllösungen (Natriumfluorid, Zinnfluorid, Amin- Fluoridspül-
fluorid) wird ein Karies hemmender Effekt zwischen 20 und 45% er- lösungen
reicht. Es gibt Hinweise darauf, dass ein zusätzlicher Karies hemmender
10
Effekt kaum noch festzustellen ist, wenn die untersuchten Patienten re-
gelmäßig ihre Zähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta pflegen und eine 11
niedrige Kariesaktivität aufweisen.
Die Karies reduzierende Wirkung durch fluoridhaltige Zahnpasten Fluoridhaltige 12
ist zwar unbestritten, es liegen jedoch stark abweichende Ergebnisse un- Zahnpasten
terschiedlicher Studien vor. Man muss davon ausgehen, dass bei un- 13
überwachtem Gebrauch fluoridhaltiger Zahnpasten die Karies hem-
mende Wirkung 20% kaum übersteigen dürfte. Untersuchungen zur
Wirksamkeit fluoridhaltiger Zahnpasten beziehen sich meistens auf
14
Zeiträume von zwei bis drei Jahren. Es ist daher durchaus möglich, dass
bei lebenslanger Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta eine deutlich 15
höhere Kariesreduktion resultiert. Die Anwendung von Zahnpasten
mit höherer Fluoridkonzentration (5000 ppm F–) ist bei der Präven- 16
tion der Wurzelkaries indiziert. Dabei wird insbesondere die Progression
bereits bestehender Läsionen behindert. Möglicherweise sind sie auch
bei Patienten mit allgemein erhöhtem Kariesrisiko zu empfehlen. In
17
Deutschland gibt es eine Zahnpasta, die verschreibungspflichtig ist. Sie
ist zugelassen für die Verwendung ab dem 16. Lebensjahr. 18
Auch die Verwendung hoch konzentrierter Fluoridlösungen und Fluoridlösungen
-gele zum Einbürsten führt je nach Art und Häufigkeit der Anwendung und -gele 19
zu einer sehr unterschiedlichen Karieshemmung. So wird in der Litera-
tur eine Karieshemmung zwischen 3 und 48% (Mittelwert 22%) be- 20
schrieben. Die professionelle Applikation dieser hoch konzentrierten

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152 4 Kariesprophylaxe

Fluoride resultiert jedoch in einer deutlich erhöhten Karies hemmenden


Wirkung. Durch zwei- bis viermalige Löffelapplikation kann eine Ka-
rieshemmung zwischen 20 und 40% erzielt werden.
Lacke Für die professionelle Applikation fluoridhaltiger Lacke werden Ka-
riesreduktionsraten zwischen 20 und 75% (für Duraphat: Mittelwert
38%), je nach Häufigkeit der Applikation, gemessen.

4.2.6 Toxikologie der Fluoride

! Fluorid ist in therapeutischer Dosis für den menschlichen Orga-


nismus unschädlich.

Wie bei jeder Substanz, die dem menschlichen Körper zugeführt wird,
kann Fluorid jedoch bei Überdosierung auch Vergiftungserscheinungen
hervorrufen. Dabei ist zwischen akuter Toxizität und latenter (chroni-
scher) Toxizität zu unterscheiden.
Wird Fluorid in großen Mengen zugeführt, so kommt es zu akuten
Vergiftungserscheinungen mit einer Reihe von Symptomen bis zum
tödlichen Ausgang. Wird während der Zahnentwicklung kontinuierlich
Fluorid in einer Dosis verabreicht, die über der empfohlenen Tages-
menge liegt, resultieren Veränderungen der Zahnhartsubstanzen (Zahn-
fluorose). Werden extrem hohe Dosen über Jahre verabreicht, kann es
zur Skelettfluorose (Verkrüppelungen, Verkalkungen von Bändern und
Gelenken, Wachstumshemmung) kommen.
Überdosierung Die akute letale Dosis für Fluorid ist von zahlreichen Variablen ab-
hängig, wie der Art des Fluorids und dessen Löslichkeit, der Resorptions-
geschwindigkeit im Magen-Darm-Trakt, dem Säure-Basen-Haushalt und
dem pH-Wert des applizierten Fluorids. Sie wird mit 32–64 mg Fluorid/
kg Körpergewicht für Erwachsene angegeben. Diese Dosis wird heute als
sichere toxische Dosis (Certainly Toxic Dose = CTD) angesehen. Man
sollte daraus jedoch nicht schließen, dass es nicht zu tödlichen Vergif-
tungserscheinungen kommt, wenn man knapp unter dieser Grenze
bleibt. Aufgrund einiger Vergiftungserscheinungen mit tödlichem Aus-
gang bei Kleinkindern kann man eine wahrscheinlich toxische Dosis
(Probably Toxic Dose = PTD) von 5 mg Fluorid/kg Körpergewicht für
Kinder annehmen. Ab dieser Dosis sollten Notfallmaßnahmen ergriffen
werden. Bei einem dreijährigen Kind von 15 kg Körpergewicht entsprä-
che diese Dosis 150 Tabletten à 0,5 mg. Man sollte daher nie mehr als
100 Fluoridtabletten in altersabhängiger Dosis verschreiben. Diese Do-
sis wird erreicht, wenn man 75 Liter Wasser mit einem Fluoridgehalt
von 1 ppm oder 234 g fluoridiertes Salz zu sich nähme.

Ein Zahnarzt sollte immer bei Verwendung lokaler Fluoridierungs-


mittel die Menge applizierten Fluorids und den Sicherheitsabstand
zur wahrscheinlich toxischen Dosis kennen.

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4.2 Kariesprophylaxe mit Fluoridverbindungen Kapitel 4 153

Alle fluoridhaltigen Kariesprophylaktika sind bei sachgerechter Anwen-


dung auch im Hinblick auf die PTD unproblematisch. 1
Kinder dürfen fluoridhaltige Produkte nicht unbeaufsichtigt an- 2
wenden.

So bedeutet der Verzehr einer Tube Zahnpasta (100 g) mit einer Fluorid-
3
konzentration von 1000 ppm die Aufnahme von 100 mg Fluorid. Das
hieße für ein 15 kg schweres Kind (drei Jahre) eine Überschreitung der 4
PTD um 33%.
5
Für hoch dosierte Fluoridpräparate gilt: Sie sollten nur vom Zahn-
arzt oder von ausgebildetem Hilfspersonal unter der Aufsicht eines
Zahnarztes appliziert werden.
6

Dabei müssen die Patienten unter Aufsicht bleiben. Es sollten keine 7


überschüssigen Mengen appliziert werden und die Patienten müssen
gut ausspucken, um wenig Fluorid zu verschlucken. 8
Die Charakteristika der akuten Vergiftung sind Übelkeit, Erbre- Vergiftungs-
chen und Schmerzen im Abdominalbereich schon wenige Minuten symptome 9
nach Einnahme eines überdosierten Fluoridpräparats. Allgemeine Ver-
giftungssymptome wie exzessiver Speichelfluss, Tränenfluss, Kopf-
schmerz, kalte feuchte Hände usw. können auftreten. Nachfolgend
10
kommt es zur generellen Schwächung, zu Spasmen und zur Tetanie.
Diese Symptome treten aufgrund des fallenden Kalzium- und des 11
steigenden Kaliumgehalts im Plasma auf (Indikation für Zelltod). Der
Puls rast und ist nicht mehr tastbar, Herzarrhythmien, Blutdruckabfall 12
und Depression des Atemzentrums mit respiratorischer Azidose sind die
Folgesymptome. Es kann dann innerhalb weniger Stunden zum Tod 13
kommen.
Zur Reduzierung der Fluoridresorption im Magen-Darm-Trakt wird als Maßnahmen bei
Sofortmaßnahme mit einem Emetikum Erbrechen eingeleitet. Dann Überdosierung
14
wird eine kalziumhaltige Lösung wie z.B. Kalziumchlorid oder Kalzium-
glukonat (wenn nicht vorhanden, Milch) verabreicht. Der Patient sollte 15
rasch in ein nahe gelegenes Krankenhaus eingeliefert werden. Ist der
Schluckreflex behindert oder krampft der Patient (Aspirationsgefahr), 16
sollte man Maßnahmen, die zum Erbrechen führen, nicht durchführen.
Um der Gefahr subletaler, aber gefährlicher Dosen zu entgehen, soll- Vorsichts-
ten bei der professionellen Applikation von hochprozentigen Gelen maßnahmen
17
(1,25% Fluorid) individuelle Löffel verwendet werden. Dabei kommen
etwa 2 ml Gel pro Tray in Betracht. Mit einem Speichelsauger wird lin- 18
gual und bukkal überflüssiges Fluoridgel abgesaugt und die Patienten
sitzen aufrecht im Stuhl. Anschließend wird der Patient aufgefordert, 19
mehrfach auszuspucken.
Bei täglicher Fluoridzufuhr von mehr als 1,5 mg/Tag bis zum Alter Nebenwirkungen 20
von acht Jahren kann es zu fluorotischen Schmelzflecken im bleiben-

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154 4 Kariesprophylaxe

Abb. 4.11: Durchschnittliche


durchschnittliche Menge
verschluckter Zahnpasta (g) Zahnpastamenge, die nach
einmaligem Zähneputzen in
unterschiedlichen Alters-
0,3 2–4 Jahre gruppen verschluckt wird.
Damit erhielten 2- bis 4-Jäh-
rige bei Verwendung einer
0,2 Erwachsenenzahnpasta mit
5–7 Jahre einer Fluoridkonzentration
0,1 11–13 Jahre von 1000 ppm eine Dosis
20–35 Jahre von 0,3 mg Fluorid (nach
Barnhart et al. 1974).
0
0 4 8 12 16 20 24 28
Alter (Jahre)

den Gebiss kommen. Diese Schmelzflecken bedeuten jedoch keine


Gefahr für die betreffenden Zähne, sie stellen ausschließlich eine kos-
metische Beeinträchtigung dar. Aber auch wiederholte oder einmalige
Spitzenwerte (Verschlucken von Zahnpasta) können fluorotische
Schmelzflecken zur Folge haben (s. Abb. 4.11).
Eine Fluoridzufuhr von 0,05 mg/kg Körpergewicht/Tag ist aus toxi-
kologischer Sicht völlig unproblematisch. Skelettfluorose als Folge
chronischer Fluoridintoxikation tritt in Gebieten mit einem Trinkwas-
serfluoridgehalt von über 8 mg/l auf. Ab 4 mg/l Trinkwasser lassen sich
jedoch die ersten Anzeichen einer Skelettveränderung diagnostizieren,
wenn Menschen jahrelang in diesem Gebiet leben.

4.3 Fissurenversiegelung

! Grübchen und Fissuren der Zähne sind kariesanfälliger als andere


Zahnbereiche.

Während okklusale Zahnflächen nur 12,5% aller Zahnflächen ausma-


chen, entstehen mehr als 50% aller kariösen Defekte bei Schulkindern
in diesem Bereich, d.h., schon zwei bis vier Jahre nach Zahndurchbruch
werden die Fissuren kariös.
Morphologie Ein Grund für die extreme Kariesanfälligkeit ist die Morphologie der
Grübchen und Fissuren. Im Querschnitt von Seitenzähnen lassen sich
unterschiedliche Fissurenformen und -tiefen erkennen (s. Abb. 4.12).
Oft reicht der Fissurenboden bis nahe an die Schmelz-Dentin-
Grenze, sodass eine beginnende Karies rasch in das Dentin vordringen
und sich unterminierend ausbreiten kann. Bei einigen Fissurentypen
kann die Zahnbürstenborste nicht bis zum Boden der Fissur gelangen,
sodass sich bakterielle Plaque, Speisereste und Zellbestandteile ansam-
meln können. Die Puffer- und Remineralisationswirkung des Speichels
nach kariösen Attacken ist dementsprechend reduziert. Die Entstehung
und Progression der Fissurenkaries kann zudem durch Fluoridierungs-

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4.3 Fissurenversiegelung Kapitel 4 155

Abb. 4.12: Unterschiedliche


Fissurenformen im Zahn-
querschnitt. Bei tiefen 1
spaltförmigen und ampul-
lenförmigen Fissuren ist die
Zahnreinigung extrem er- 2
schwert und damit die Ka-
riesanfälligkeit stark er-
höht. 3
4
5

maßnahmen nur sehr begrenzt beeinflusst werden, da Fluoride nach lo-


6
kaler Applikation nur schlecht durch die Fissurenplaque hindurch dif-
fundieren können. Selbst bei Bevölkerungsgruppen, die fluoridiertes 7
Trinkwasser erhalten, ist Fissurenkaries weiterhin ein zahnmedizini-
sches Problem. 8
Ziel der Fissurenversiegelung ist es, die Grübchen und Fissuren spe- 9
ziell der Seitenzähne dicht zu verschließen, sodass kariogene Mikro-
organismen und kariogenes Substrat keinen Zugang mehr finden
können. Zudem sollen noch vorhandene Mikroorganismen unter
10
dem Fissurenversiegler zugrunde gehen.
11
4.3.1 Indikationen 12
Die Basis für eine Fissurenversiegelung ist die visuelle Kariesdiagnostik 13
gegebenenfalls mit Röntgenaufnahmen und/oder die laseroptische Un-
tersuchung. Die Indikation zur Fissuren- und Grübchenversiegelung
wird vorzugsweise an den bleibenden Molaren gestellt.
14
Eine prophylaktische Fissurenversiegelung ist eine mikroinva- Prophylaktische
sive Maßnahme und wird bei kariesfreien Zähnen und gefährdeten, tief Fissuren- 15
zerklüfteten Fissuren und Grübchen bei gerade durchgebrochenen Sei- versiegelung
tenzähnen durchgeführt. Weiterhin kann eine Fissurenversiegelung bei 16
einem hohen allgemeinen Kariesrisiko, z.B. bei Patienten mit einem be-
reits vorangegangenen Kariesbefall, Patienten mit kieferorthopädischen
Apparaturen, bei Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Allge-
17
meinerkrankungen bzw. Behinderungen indiziert sein. Weiterhin kön-
nen Fissuren und Grübchen versiegelt werden, bei denen bereits eine 18
beginnende, auf den Zahnschmelz bzw. in seltenen Fällen auf das äu-
ßere Dentin begrenzte Karies ohne Kavitätenbildung zu finden ist. 19
Darüber hinaus kann, insbesondere bei einem bestehenden Kariesri-
siko, die zusätzliche Versiegelung von Milchmolaren, Prämolaren sowie 20
Grübchen an Front- und Eckzähnen angezeigt sein.

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156 4 Kariesprophylaxe

Man kann eine sogenannte prophylaktische Fissurenversiegelung,


eine Fissurenversiegelung mit vorherigem prophylaktischem Ausschlei-
fen der Fissur und eine erweiterte Fissurenversiegelung (s. Abb. 4.13) un-
terscheiden.
Wird bei der Untersuchung eine braune, schwarze oder kreidige
Verfärbung der Fissur mit einer fraglichen Karies diagnostiziert, kann
dieser Fissurenabschnitt mit einem dünn auslaufenden oder sehr klei-
nen kugelförmigen Diamanten erweitert werden. Ist anschließend keine
kariöse Erweichung des Fissurenbodens festzustellen, wird in üblicher
Art und Weise eine Fissurenversiegelung durchgeführt.
Erweiterte Fissu- Lässt sich jedoch nach dem Ausschleifen der Fissur eine Karies diag-
renversiegelung nostizieren und muss diese bis ins Dentin exkaviert werden, kann eine
erweiterte Fissurenversiegelung angezeigt sein. Grundvoraussetzung ist

Abb. 4.13: Die prophylakti-


sche Fissurenversiegelung
Fissuren- (a) wird nach Durchbruch
versiegler der bleibenden Seitenzähne
bei kariesgefährdeten Fissu-
ren durchgeführt. Bei ver-
färbten Fissuren mit der
Verdachtsdiagnose Karies
kann die Fissur prophylak-
tisch aufgeschliffen wer-
den. Wird anschließend
keine manifeste Karies di-
agnostiziert, erfolgt eine
a Fissurenversiegelung (b).
Wird jedoch in umschriebe-
nen Abschnitten des Fissu-
renreliefs eine manifeste
Fissuren- Karies diagnostiziert, so
versiegler kann eine erweiterte Fissu-
renversiegelung durchge-
führt werden (c). Im Bereich
der Exkavation wird eine
kleine Kompositfüllung ge-
legt. Anschließend wird das
Fissurensystem versiegelt.

Fissuren-
versiegler

Komposit
Adhäsiv-
system

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4.3 Fissurenversiegelung Kapitel 4 157

dabei, dass die Exkavation der Karies möglich wird, ohne dass eine
breite Kavität im Schmelz präpariert werden muss. 1
Die Patienten müssen bereit sein, sich in ein Recall-System aufneh-
men zu lassen (Compliance), damit eine halbjährliche Kontrolle der 2
versiegelten und der unversiegelten Zahnflächen erfolgen kann. Die Pa-
tienten sollten zudem lokale Fluoridierungsmaßnahmen durchführen
und eine gute Approximalraumhygiene betreiben, um kariöse Defekte
3
an anderen Stellen der Zähne zu vermeiden. Die Fissurenversiegelung ist
bei Patienten mit Allergie auf die Bestandteile des Fissurenversieglers 4
kontraindiziert.
5
Weite, gut zu säubernde Fissuren und Zähne, die länger als vier
Jahre kariesfrei sind, werden nicht versiegelt.
6
Da die Fissurenversiegelung im Kindesalter durchgeführt wird, müssen
die Eltern über die Notwendigkeit weiterer prophylaktischer Maßnah- 7
men und regelmäßiger zahnärztlicher Kontrollen der versiegelten
Zähne aufgeklärt werden. 8
9
4.3.2 Materialien

Als Versiegler finden heute allgemein Kunststoffmaterialien Verwen-


10
dung. Es handelt sich dabei um ungefüllte Grundsubstanzen entspre-
chender Komposite (BISGMA, Urethandimethacrylat usw.). Es werden 11
jedoch auch niedrig visköse Komposite mit geringem Fülleranteil ver-
wendet. Neben den lichthärtenden Versieglern gibt es autopolymerisie- 12
rende Materialien, die vor Applikation angerührt werden müssen.
Unabhängig von diesen Eigenschaften können Fissurenversiegler klar, 13
durchsichtig oder opak (Farbstoffpigmente) sein. Die opaken Versiegler
lassen sich in der Regel besser auf Randdichtigkeit und Defekte kontrollie-
ren. Neuere Komposite zur Fissurenversiegelung geben Fluorid ab.
14
Auch Glasionomerzemente wurden als Versiegler eingesetzt. Sie ge-
hen zwar eine chemische Haftung mit Schmelz ohne Anwendung der 15
Schmelz-Ätz-Technik ein, sind jedoch gerade bei engen Fissuren auf-
grund ihrer hohen Viskosität schlecht zu applizieren. Sie sind daher den 16
bewährten Kunststoffversieglern nicht überlegen.
Die Fissurenversiegler sind u.a. wegen ihrer geringen Abrasionsfes-
tigkeit nicht als Füllungsmaterial geeignet. Bei der Durchführung einer
17
erweiterten Fissurenversiegelung werden daher im Bereich der exkavier-
ten Karies Feinpartikelhybridkomposite als Füllungsmaterial verwen- 18
det. Die nichtkariösen Fissuren werden anschließend in üblicher Weise
mit kompatiblen Versieglern verschlossen. 19
Auch zur Fissurenversiegelung gibt es eine Leitlinie, deren Langfassung
auf der Homepage der AWMF (AWMF-Registernummer: 083-002, 2017) zu 20
finden ist. Diese Leitlinie führte zu den nachfolgenden Empfehlungen.

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158 4 Kariesprophylaxe

4.3.3 S3-Leitlinie Fissuren- und Grübchenversiegelung

Diagnostische Voruntersuchungen
(…) Vor der Fissuren- und Grübchenversiegelung soll eine sorgfältige diagnos-
tische Untersuchung dieser Areale erfolgen. Dabei soll als primäre Methode die
visuelle Untersuchung an den gereinigten und getrockneten Zahnflächen ein-
gesetzt werden.
(…)
(…) An nicht kavitierten kariösen Läsionen sollten ergänzende diagnosti-
sche Verfahren, z.B. die Röntgendiagnostik mit Bissflügelaufnahmen oder
lichtoptische Verfahren, indikationsgerecht genutzt werden, um versteckte
Dentinläsionen zu erkennen (Kontraindikation für Fissuren- und Grübchen-
versiegelung).
(…)
(…) Eine Kariesaktivitäts- und Kariesrisikoeinschätzung sollte durchge-
führt werden.
(…) Bei Kindern und Jugendlichen mit einem erhöhten Kariesrisiko und
bestehender Kariesaktivität sollte die Fissuren- und Grübchenversiegelung
prioritär eingesetzt werden.
(…)8
(…)
Die Indikationsstellung zur Fissuren- und Grübchenversiegelung erfolgt
auf Grundlage der Karies- und Kariesrisiko-Diagnostik. Bei karies(risiko)freien
Patienten kann aus heutiger Sicht auf die Fissuren- und Grübchenversiegelung
verzichtet werden, da die Wahrscheinlichkeit einer okklusalen Kariesentwick-
lung bei sichergestellter präventiver Betreuung als gering eingeschätzt wird.
Nichtsdestotrotz wird an Zähnen mit einem erhöhten zahnflächenspezifi-
schen Risiko die Fissuren- und Grübchenversiegelung auch bei Nicht-Kariesri-
siko-Patienten empfohlen.
Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einem erhöhten Karies-
risiko ist die Fissuren- und Grübchenversiegelung an gesunden und nicht kavi-
tierten kariösen Läsionen wesentlicher Bestandteil der kariespräventiven Be-
treuungsstrategie. Bei Erwachsenen und älteren Patienten kann die Indikation
zur Versiegelung restriktiver gestellt werden.
(…)
Die Indikation zur Fissuren- und Grübchenversiegelung an bleibenden
Molaren sollte in folgenden klinischen Situationen gestellt werden:
 Kariesfreie Fissuren und Grübchen bei Patienten mit einem erhöhtem Ka-
riesrisiko. Dazu zählen z.B. Patienten mit Karieserfahrung im Milchgebiss
sowie Patienten, die bereits einen kariösen bleibenden Molaren aufweisen.
 Kariesfreie Fissuren und Grübchen mit einem anatomisch kariesanfälligen
Fissurenrelief (nach subjektiver Einschätzung) unabhängig von der Karies-
risiko-Einschätzung.

8 S2k-Leitlinie (Kurzversion), Fissuren- und Grübchenversiegelung, Update der Leit-


linie AWMF Register-Nr. 083-002, Stand Januar 2017, S. 4

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4.3 Fissurenversiegelung Kapitel 4 159

 Fissuren und Grübchen mit nicht kavitierten kariösen Läsionen unabhän-


gig von der Kariesrisiko-Einschätzung. 1
 Fissuren und Grübchen mit einem anatomisch kariesanfälligen Fissuren-
relief an hypomineralisierten oder hypoplastischen Zähnen unabhängig 2
von der Kariesrisiko-Einschätzung.
 Fissuren und Grübchen bei Patienten mit Allgemeinerkrankungen bzw.
körperlichen und/oder geistigen Behinderungen, die eine effektive tägliche
3
Mundhygiene nur begrenzt umsetzen können.
 Partiell oder vollständig verloren gegangene Fissurenversiegelungen sollten 4
bei unverändertem Kariesrisiko repariert bzw. erneuert werden.
5
Die Indikation zur Fissuren- und Grübchenversiegelung an Milchmolaren oder
anderen bleibenden Zähnen kann bei einem erhöhten individuellen oder zahn-
flächenspezifischen Risiko in Erwägung gezogen werden.
6
(…)
7
Relative Kontraindikationen zur Fissuren- und Grübchenversiegelung
 Ist der betreffende Zahn noch nicht vollständig in die Mundhöhle durch- 8
gebrochen und sind die Okklusalflächen beziehungsweise die palatinalen/
bukkalen Grübchen nicht oder nur begrenzt einer adäquaten Trockenle- 9
gung beziehungsweise Instrumentierung zugänglich, wäre auf die Versie-
gelung vorerst zu verzichten. Bis zum vollständigen Zahndurchbruch ha-
ben lokale präventive Maßnahmen, wie eine adäquate Plaqueentfernung
10
und die Lokalapplikation von Fluorid(lack)en Vorrang.
 Bei Kariesrisiko-Patienten kann die temporäre Fissurenversiegelung mit einem 11
Glas-Ionomer-Zement (GIZ) (Prä-Fissurenversiegelung) in Erwägung gezogen
werden. Dies ist eine einfache, präventive, aber provisorische Interimslösung. 12
 Bei Zähnen mit einer nachgewiesenen Dentinkaries im Bereich der Fissu-
ren beziehungsweise Grübchen ist die Versiegelung aus heutiger Sicht kon- 13
traindiziert und die minimal invasive Füllungstherapie angezeigt. In selte-
nen Fällen kann eine auf das äußere Dentin begrenzte Kariesläsion ohne
Kavitation versiegelt werden, allerdings erfordert das anschließend eine
14
engmaschige radiologische Kontrolle.
 Milchzähne, deren Exfoliation unmittelbar bevorsteht bedürfen keiner 15
Versiegelung.
16
Eine absolute Kontraindikation zur Fissuren- und Grübchenversiegelung be-
steht bei einer nachgewiesenen Allergie gegenüber Versiegelungsmaterialien
oder einzelnen Materialbestandteilen.
17
(…)9
18
Materialauswahl zur Versiegelung
Im Rahmen einer Metaanalyse, welche die verfügbaren klinischen Studien mit 19
einer Mindestlaufzeit von zwei Jahren berücksichtigte, wurde gezeigt, dass das

9
20
ebenda, S. 5ff.

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160 4 Kariesprophylaxe

Überleben bzw. Retentionsverhalten von Fissuren- und Grübchenversiegelun-


gen in Abhängigkeit vom verwendeten Material Unterschiede aufweist. Auto-
und licht-polymerisierende Versiegelungsmaterialien wiesen dabei das güns-
tigste Retentionsverhalten auf. Insbesondere Materialgruppen beziehungs-
weise Vorgehensweisen, die auf eine Säurekonditionierung verzichteten, waren
mit zum Teil deutlich höheren Verlustraten verbunden.
(…) Es sollen Materialgruppen mit einer hohen Retentionsrate und damit
Überlebenswahrscheinlichkeit bevorzugt in der klinischen Praxis eingesetzt
werden. Dazu zählen niedrigvisköse methacrylatbasierte Versiegelungskunst-
stoffe, die in Verbindung mit der Säurekonditionierung angewendet werden.
Bei Zähnen im Durchbruch bzw. wenn keine adäquate Trockenlegung möglich
ist, kann alternativ der Einsatz von GIZ erwogen werden. (…)
(…) Lichtpolymerisate sollten als Einkomponenten-Materialien im Ver-
gleich zu Autopolymerisaten bevorzugt verwendet werden. Die Materialien
sind weniger techniksensitiv zu verarbeiten, da der Anmischvorgang entfällt
und die sofortige Lichtpolymerisation die Behandlungszeit verkürzt. (…)
(…)10

Klinisches Vorgehen bei der Fissurenversiegelung


Die Applikation einer Fissuren- und Grübchenversiegelung ist im Vergleich zur
Füllungstherapie ein weniger zeitintensives und einfacheres Procedere. Dennoch
sind auch hier alle klinischen Arbeitsschritte zur Qualitätssicherung sorgfältig
auszuführen und eine gute Kooperation bei den kindlichen beziehungsweises ju-
gendlichen Patienten ist sicherzustellen. Eine Vierhand-Technik ermöglicht da-
rüber hinaus die konsequente Einhaltung der nachstehend formulierten Quali-
tätsstandards sowie ein sicheres und effizientes Arbeiten (…).
Fissurenreinigung Fissurenreinigung
Im Rahmen von klinischen Studien wurden unterschiedliche Vorgehensweisen
bei der professionellen Zahnreinigung vor der Versiegelung nur in wenigen kli-
nischen Untersuchungen in Relation zur Retention untersucht. Die Mehrheit
aller klinischen Studien verweist auf eine vorab durchgeführte Zahnreinigung.
(…) Die Zahnreinigung ist ein unverzichtbarer Teilarbeitsschritt der Grüb-
chen- und Fissurenversiegelung und soll daher immer vor der Versiegelung er-
folgen. Dieser Arbeitsschritt ist zudem Grundlage für eine korrekte kariesdiag-
nostische Untersuchung an den Fissuren und Grübchen. (…)
Trockenlegung Trockenlegung
Der Einfluss der Trockenlegung auf die Retentionsrate von Fissuren- und
Grübchenversiegelungen wurde in einzelnen vergleichenden klinischen Unter-
suchungen verifiziert. Die dokumentierten Retentionsraten deuten auf eine
Gleichwertigkeit der absoluten im Vergleich zur relativen Trockenlegung hin.
(…) Eine sichere Trockenlegung soll bei der Fissuren- und Grübchenversie-
gelung die Einhaltung der relevanten Arbeitsschritte Konditionierung, Mate-
rialauftrag und Polymerisation gewährleisten. Kann kein vierhändiges Arbei-
ten mit relativer Trockenlegung im Praxisalltag umgesetzt werden, wird die

10 ebenda, S. 9

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4.3 Fissurenversiegelung Kapitel 4 161

Applikation der Fissuren- und Grübchenversiegelung unter Zuhilfenahme von


Kofferdam empfohlen. 1
(…)
Konditionierung der aprismatischen Schmelzschicht Konditionierung 2
Die äußere aprismatische Schmelzschicht, die unbehandelt einen adhäsiven
Verbund zu Versiegelungsmaterialien verhindert, kann mit verschiedenen Me-
thoden entfernt beziehungsweise modifiziert werden. Als Standardvorgehen
3
zur Herstellung eines adhäsiven Verbunds zwischen Zahnschmelz und Meth-
acrylat-basierten (Versiegelungs-)Kunststoffen gilt bis heute die Säurekondi- 4
tionierung. Damit wird die äußere aprismatische Schmelzschicht entfernt.
Dies führt zur Freilegung der darunter liegenden Schmelzprismen. Im Ergebnis 5
liegt ein mikroretentives Oberflächenrelief vor, das sich mit dem hydrophoben
Versiegelungskunststoff verzahnt. Dieses Vorgehen ist seit Jahrzehnten Ga-
rant für die Langlebigkeit von adhäsiv befestigten Restaurationen oder Fissu-
6
ren- und Grübchenversiegelungen. Typischerweise werden Methacrylat-ba-
sierte Versiegelungsmaterialien in Verbindung mit der Säurekonditionierung 7
eingesetzt.
Zur Schmelzkonditionierung findet mehrheitlich 35- bis 37-prozentige Or- 8
tho-Phosphorsäure in Gelform (früher als Flüssigkeit) Verwendung. Gele
zeichnen sich durch eine kontrollierbare und ortsständige Applikation aus und 9
zeigen keine wesentlichen Unterschiede im Ätzmuster im Vergleich zu flüssi-
gen Säuren. Nach gründlichem Absprayen der Säure und forcierter Trocknung
muss eine kreidig-weiße Schmelzoberfläche sichtbar sein. Dieses Merkmal gilt
10
als Kontrolle für einen erfolgreichen Ätzvorgang.
Die überwiegende Mehrzahl der klinischen Studien nutzte eine mindestens 11
30-sekündige Applikationszeit; lediglich wenige Arbeitsgruppen konditionier-
ten den Zahnschmelz in klinischen Studien vor der Versiegelung kürzer. 12
(…) Die Säurekonditionierung stellt das Vorgehen der Wahl zur Konditio-
nierung des Zahnschmelzes vor der Fissuren- und Grübchenversiegelung dar. 13
Daher soll dieser Arbeitsschritt zur Anwendung kommen. (…)
(…) Die Einwirkzeit der Säure soll am unbehandelten Zahnschmelz vor
der konventionellen Fissurenversiegelung mindestens 30 Sekunden betragen.
14
Ein opakes Ätzmuster gilt als adäquates Ergebnis des Ätzvorgangs. (…)
(…) Eine Verkürzung der Säurekonditionierung auf weniger als 30 Sekun- 15
den kam in einigen klinischen Studien zum Einsatz. Die Ergebnisse zeigen ein
heterogenes Retentionsverhalten mit zum Teil sehr niedrigen Raten intakter 16
Versiegelungen nach zwei Jahren Liegedauer. Es fehlen aussagekräftige und
langfristige klinische Studien zu der Fragestellung, auf welche Zeit die Säure-
konditionierung verkürzt werden kann, ohne dass mit Retentionseinbußen zu
17
rechnen ist. (…)
(…) Die Anwendung von selbstkonditionierenden Adhäsiven stellt eine 18
Möglichkeit dar, den klinischen Arbeitsprozess zu verkürzen. Allerdings errei-
chen die bislang dokumentierten Retentionsraten nicht die mit dem konventio- 19
nellen Vorgehen publizierten Überlebensraten. Daher kann die klinische An-
wendung selbst-konditionierender Adhäsive gegenwärtig nicht vorbehaltlos 20
empfohlen werden. (…)

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162 4 Kariesprophylaxe

(…) Die „Air Abrasion“ kann prinzipiell für die Vorbehandlung der
Schmelzoberfläche vor der Fissuren- und Grübchenversiegelung genutzt wer-
den. Dem steht jedoch ein zusätzlicher Geräteaufwand gegenüber (…).
(…) Für die Nutzung der Laserkonditionierung zur Vorbehandlung der
Schmelzoberfläche liegen nur unzureichende klinische Daten vor. Zudem ist
ein zusätzlicher Geräteaufwand notwendig. Daher kann die klinische Anwen-
dung der Laserkonditionierung gegenwärtig nicht vorbehaltlos empfohlen wer-
den. (…)
Applikation des Applikation des Versiegelungsmaterials
Versiegelungs- (…) Die Applikation des Versiegelungsmaterials soll grazil im Fissurenrelief
materials erfolgen. Materialüberschüsse, die zu okklusalen Vorkontakten und einem
partiellen oder vollständigen Retentionsverlust führen können, sollen vermie-
den werden (…).
Polymerisation Polymerisation, Kontrolle der Okklusion und Politur
Die Polymerisationszeit ist abhängig von der Lichtintensität und dem Versie-
gelungsmaterial und soll in der Regel 20 Sekunden betragen (Beachten: Alle
Versiegelungsanteile müssen vom Licht ausreichend erfasst werden.). Nach
der Aushärtung soll eine Okklusionskontrolle erfolgen; interferierende Über-
schüsse sollen korrigiert werden (…).
Okklusions- (…) Zur Entfernung der oberflächlichen Sauerstoffinhibitionsschicht soll
kontrolle eine Politur der Fissuren- und Grübchenversiegelung erfolgen. Zur Reminerali-
Politur sation geätzter, aber nicht versiegelter Schmelzareale wird die Lokalapplika-
tion eines Fluoridpräparats empfohlen (…).
Monitoring Monitoring
(…) Versiegelte und unversiegelte Fissuren und Grübchen sollen einer regelmä-
ßigen Kontrolle unterzogen werden. Die Verlaufskontrollen sollen sich an den
durch die Kariesrisikoeinstufung festgelegten Intervallen orientieren (…).
(…) Im Fall eines Retentionsverlusts soll die Nachversiegelung entspre-
chend den Indikationsempfehlungen geprüft werden (…).
(…)11

Wird nach prophylaktischem Aufschleifen einer Fissur keine Karies


diagnostiziert, eignen sich niedrig visköse Komposite als Versiegler.
Vorgehen er- Bei der erweiterten Fissurenversiegelung wird nach Exkavation der
weiterte Fissuren- Karies und Konditionierung ein Adhäsionssystem appliziert (das genaue
versiegelung Verfahren wird in Kap. 6 beschrieben). Im Bereich der exkavierten Ka-
ries wird ein Feinpartikelhybridkomposit eingebracht und mit einem
Lichtpolymerisationsgerät für mindestens 40 Sekunden ausgehärtet.
Anschließend erfolgt eine Fissurenversiegelung des gesamten Fissuren-
systems.
Die Übergänge zu einer Klasse-I-Restauration mit Komposit sind
fließend. Bei einem derartigen Vorgehen erspart man den Patienten ei-
nen erheblichen Zahnhartsubstanzverlust, der z.B. beim Legen einer
Amalgamfüllung unausweichlich wäre. Werden bei der Okklusionskor-

11 ebenda, S. 7ff.

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4.4 Mundhygiene, chemische Plaquekontrolle, Entfernung von Zahnverfärbungen, Mundgeruch Kapitel 4 163

rektur oder später Luftblasen im Versiegler freigelegt oder geht Versieg-


ler verloren, so kann dieser nach entsprechender Schmelzkonditionie- 1
rung ergänzt werden.
2
Nicht diagnostizierte beginnende Kariesläsionen in den Fissuren
werden durch die Versieglerapplikation inaktiviert. Die Substratzu-
fuhr für Mikroorganismen wird unterbunden, die Mikroorganis-
3
men gehen zugrunde. Bei der erweiterten Fissurenversiegelung
kann die Kavitätengröße und damit der Zahnhartsubstanzdefekt 4
sehr gering gestaltet werden und die restlichen Fissuren werden vor
Karies geschützt. 5
Bei gut kooperierenden Kindern lässt sich eine Fissurenversiegelung
auch bei Milchmolaren durchführen.
6

Die Fissurenversiegelung ist eine nondestruktive, mikroinvasive 7


und schmerzlose Maßnahme, die zur Verhinderung oder Reduktion
von Fissurenkaries beiträgt, wenn regelmäßige Nachkontrollen ein- 8
gehalten werden und verloren gegangener Versiegler vom Zahnarzt
ergänzt werden kann. 9
Die Effektivität der Versiegelungsmaßnahme hängt von der adäquaten Effektivität
Verarbeitungstechnik und der Recallfrequenz der Probanden ab. Findet
10
keine Erneuerung defekter Fissurenversiegler statt, so beträgt die Karies-
reduktion für okklusale Kavitäten nach einem Jahr ca. 80% und fällt in- 11
nerhalb der nächsten vier Jahre auf 58% ab. Wird der Fissurenversiegler
in regelmäßigen Abständen kontrolliert und werden verloren gegangene 12
Anteile erneuert, so beträgt die kariesprophylaktische Effektivität 100%.
13
4.4 Mundhygiene, chemische Plaquekontrolle,
Entfernung von Zahnverfärbungen, Mundgeruch 14
Die Beurteilung des Plaquebefalls, die Motivation und Instruktion zur 15
zweckmäßigen Mundhygiene und die Durchführung der entsprechen-
den Mundhygienemaßnahmen werden in Kapitel 19.3 im dritten Teil 16
dieses Buches ausführlich dargestellt. Durch eine optimale Mundhy-
giene wird der Entstehung eines kariogenen Biofilms vorgebeugt,
gleichzeitig wird durch die Applikation fluoridhaltiger Zahnpasten eine
17
lokale Fluoridierungsmaßnahme der Zahnhartsubstanzen vorgenom-
men. Richtige und regelmäßige Zahnpflege (besonders Approximal- 18
raumhygiene) ist gleichermaßen eine karies- und parodontalprophylak-
tische Maßnahme. 19
Mundhygienemaßnahmen dienen auch der Prävention und Entfer- 20
nung von extrinsischen Zahnverfärbungen.

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164 4 Kariesprophylaxe

Intrinsische Zahn- Man unterscheidet zwischen intrinsischen und extrinsischen Zahnver-


verfärbungen färbungen. Intrinsische Zahnverfärbungen entstehen während der
Zahnentwicklung, z.B. durch Stoffwechselerkrankungen, Trauma oder
andere systemische Ursachen, sowie nach Zahndurchbruch durch hä-
morrhagische Produkte der Pulpa (z.B. nach einer Vitalexstirpation der
Pulpa), Wurzelfüllmaterialien, Wurzelresorption und Alterung. Intrinsi-
sche Zahnverfärbungen können durch Bleichen der Zähne (siehe dazu
auch Kapitel 14.2) entfernt werden.
Extrinsische Extrinsische Zahnverfärbungen entstehen durch Chromogene, die
Zahnver- über Nahrungsmittel, Genussmittel, Medikamente, Spüllösungen usw. an
färbungen die Zahnoberfläche gelangen und sich in der Pellikel bzw. auf der Zahn-
oberfläche direkt ablagern. Farbe, Zusammensetzung, Bildungsmechanis-
mus und Klebrigkeit variieren je nach Grund der Verfärbung. Beispiele für
chromogenhaltige Nahrungs- und Genussmittel sind z.B. Kaffee, Tee,
Rotwein, Gewürze, Speisen (Curry), Beeren, Tabak, Metalle, chromogene
Bakterien und kationische Desinfektionsmoleküle (z.B. CHX). Extrinsi-
sche Zahnverfärbungen werden durch professionelle Zahnreinigungen
beseitigt. Um einer Neuentstehung vorzubeugen, werden häufig Zahn-
pasten mit einem RDA-Wert über 100 empfohlen. Diese Zahnpasten sol-
len 2- bis 3-mal wöchentlich die Mundhygiene mit einer normalen Zahn-
pasta ersetzen. Während eine Anwendung dieser sogenannten „White-
ning Zahnpasten“ auf gesundem Schmelz keine Probleme verursacht,
sollten Patienten mit freiliegenden Zahnhälsen und exponierten Wurzel-
oberflächen diese Zahnpasten nicht verwenden, da sie im Dentin zu ei-
nem vermehrten Zahnhartsubstanzverlust führen. Auch Patienten mit er-
höhtem Erosionsrisiko sollten derartige Zahnpasten nicht benutzen.
Whitening Der Begriff „Whitening Zahnpasta“ ist missverständlich, da bei Ver-
Zahnpasta wendung dieser Zahnpflegemittel nur die natürliche Zahnfarbe wieder-
hergestellt wird und die Zähne keineswegs heller werden. Es gibt jedoch
auch einige wenige Zahnpasten, die eine aufhellende Wirkung haben.
So sind einem Produkt z.B. Zitronensäure und Papain zugesetzt. Papain
ist ein Fleckenlösemittel, welches eine aufhellende Wirkung besitzt.
Für extrinsische Zahnverfärbungen gibt es eine Einteilung nach Nat-
hoo, die auf der unterschiedlichen Reaktion der verfärbenden Substan-
zen mit der Zahnoberfläche beruht. So ist bei Verfärbungen vom N1-Typ
die Farbe des Chromogens mit der Zahnverfärbung identisch. Das be-
deutet, dass das gefärbte Material direkt mit der Zahnoberfläche oder der
Pellikel reagiert. So sind z.B. Tannine aus Polyphenolen zusammenge-
setzt, deren konjugierte Doppelbindung für die charakteristische Farbe
verantwortlich ist. Bei Verfärbungen vom N2-Typ lagern sich Pigmente
und Moleküle in die Pellikel ein und erfahren anschließend eine Farbver-
änderung. Diese Farbveränderung beruht auf einer Akkumulation oder
chemischen Modifikation der Pellikelproteine durch Säuren oder Deter-
genzien. Auch Tee- und Kaffeeverfärbungen können sekundär in dieser
Weise verändert und dann durch Kalzium- oder Magnesiumbrücken sta-
bilisiert werden und sind deshalb häufig schlechter entfernbar.

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4.4 Mundhygiene, chemische Plaquekontrolle, Entfernung von Zahnverfärbungen, Mundgeruch Kapitel 4 165

Bei Verfärbungen vom N3-Typ binden primär farblose Substanzen


an die Zahnoberfläche und erfahren eine Transformation im Sinne ei- 1
ner chemischen Veränderung. Dabei reagieren häufig Aminosäuren mit
reduzierten Zuckern und über mehrere Zwischenstufen entstehen 2
braune pigmentartige Substanzen (Maillard-Reaktion, nicht enzymati-
sche Bräunungsreaktion). Diese Reaktion entspricht in etwa der Bräu-
nungsreaktion, die entsteht, wenn man einen Apfel durchschneidet.
3
Eine solche Reaktion entsteht auch bei der Verwendung von chlorhe-
xidinhaltigen Mundspüllösungen. 4
Eine spezielle Verfärbung, die man hauptsächlich im Milchgebiss Black stain
findet, wird durch farbstoffbildende Bakterien erzeugt. Sie wird als 5
„black stain“ bezeichnet, ist nicht schädlich, sondern allenfalls kosme-
tisch störend.
Intrinsische Zahnverfärbungen können nur durch Bleichen entfernt
6
werden. Für das Bleichen vitaler Zähne stehen verschiedene Produkt-
gruppen zur Verfügung. 7
Das „home bleaching“ ist die am häufigsten angewendete, externe Bleichen
Methode zur Aufhellung von Zähnen. Nach Abformung durch den Zahn- 8
arzt wird eine Kunststoffschiene angepasst und der Patient instruiert. Zu
Hause füllt der Patient ein Bleichmittel in die Schiene und trägt dieses 9
über einen definierten Zeitraum. Während des Tragens wird H2O2 freige-
setzt, welches in Sauerstoffradikale zerfällt. Diese Radikale sorgen letztlich
für die Aufhellung der Verfärbungen. Je nach Produkt liegt die Konzentra-
10
tion des Inhaltstoffes Carbamidperoxid zwischen 10 und 35%. Daraus re-
sultiert eine Freisetzung von Wasserstoffperoxid in einer Größenordnung 11
von 3–12%. Beim sogenannten „waiting room (in-office) bleaching“
wird ein Bleichgel über eine individuell für den Patienten hergestellte 12
Schiene appliziert. Der Patient sollte aber aufgrund der hohen Konzentra-
tion des entsprechenden Bleichgels in der Zahnarztpraxis verbleiben. Die 13
Konzentration des Carbamidperoxids liegt in der Regel bei 35%. Das Ver-
fahren kann mit dem „home bleaching“ kombiniert werden. Bei dem so-
genannten „chairside bleaching“ wird das Bleichmittel vom Zahnarzt di-
14
rekt auf die Zähne aufgetragen. Diese Methode kann durch Licht unter-
stützt werden. Sie ist die schnellste Methode und ideal für das Aufhellen 15
eines einzelnen Zahnes. Die Peroxidkonzentration beträgt 38%. Während
bei beiden obengenannten Methoden das Bleichgel vom Zahnarzt emp- 16
fohlen bzw. appliziert wird, gibt es sogenannte „over the counter“-Pro-
dukte, die von den Verbrauchern in Apotheken oder Drogeriemärkten
käuflich zu erwerben sind. Dabei unterscheidet man auch bei diesen Pro-
17
dukten Schienensysteme (z.B. ein Einmal-Kombi-Tray-System) mit einer
Peroxidkonzentration von 10% von dünnen flexiblen Kunststoffstrips, die 18
mit einem wasserstoffperoxidhaltigen Gel beschichtet sind. Diese Streifen
werden für einen definierten Zeitraum auf den Zahn aufgelegt. Dabei be- 19
trägt die H2O2-Konzentration 5,3%. Mit einem relativ neuen System wird
zu Hause zweimal täglich für 15 Minuten ein Gel auf die Zähne aufgetra- 20
gen. Die Wasserstoffperoxidkonzentration beträgt dabei 5,9%.

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166 4 Kariesprophylaxe

Aus zahnmedizinischer Sicht sollte grundsätzlich eine Diagnose und


Überwachung der unterschiedlichen Bleichverfahren stattfinden, um
z.B. ein Überbleichen zu vermeiden. Es muss zudem gewährleistet sein,
dass die Patienten die entsprechenden Präparate richtig anwenden und
nicht versuchen, externe Verfärbungen durch Bleichen zu entfernen.
Mundgeruch – Die Ausatemluft des Menschen enthält etwa 78% Stickstoff, 17%
Foetor ex ore, Sauerstoff, 4% Kohlendioxid und nur etwa 1% andere Gase. Diese kön-
Halitosis nen flüchtige Schwefelverbindungen, sogenannte volatile sulfur com-
pounds (VSC), Indol, Skatol, Kadaverin und Pudreszin enthalten, wel-
che unangenehm riechen und zu Mundgeruch führen können. Beim
Mundgeruch lässt sich zwischen dem Foetor ex ore und der Halitosis
unterscheiden. Dieser Unterschied wird nicht von allen Autoren getrof-
fen, sodass die beiden Begriffe oft synonym verwendet werden.
Beim Foetor ex ore liegt ein Ausatmungsgeruch vor, dessen Ursache
in der Mundhöhle und/oder den unmittelbar angrenzenden Gebieten
liegt. Er ist nur im Mundatem feststellbar und betrifft ca. 85–90% aller
Fälle mit schlechtem Atem. Der Mundgeruch wird dabei durch bakte-
rielle Zersetzung organischen Materials in der Mundhöhle ausgelöst.
Die Halitosis beschreibt einen Ausatmungsgeruch, dessen Ursache
auch in Organbereichen außerhalb der Mundhöhle liegt. Er ist im
Mund- und/oder Nasenatem feststellbar. Der Begriff Halitosis wird meis-
tens als Oberbegriff von Mundgeruch verwendet.
Etwa 25% der Menschen leiden ab und zu oder dauerhaft unter
Mundgeruch. Meistens nehmen die Betroffenen selbst nicht wahr, dass
sie aus dem Mund riechen.
Diese VSC entstehen durch Proteolyse und Hydrolyse schwefelhalti-
ger Polypeptide und Aminosäuren aus Mundflüssigkeit, Sulkusfluid,
Blut, desquamierten Zellen und toten Mikroorganismen meist unter Be-
teiligung gramnegativer, proteolytischer Bakterien, z.B. Porphyromonas
gingivalis, Prevotella intermedia, Fusobacterium nucleatum, Treponema den-
ticola, Prevotella melaninogenica sowie Veillonella alcalescens und Kleb-
siella pneumoniae. Dabei sind aber nicht nur bakterielle Zahnbeläge, son-
dern oftmals auch eine Belagsbildung auf dem Zungenrücken die Ursa-
che. Insofern ist der Zungenbelag ein wichtiger ätiologischer Faktor für
Halitosis.
Auch der bei parodontal erkrankten Patienten häufig anzutreffende
Mundgeruch wird meist durch die bereits oben erwähnten flüchtigen
Schwefelverbindungen hervorgerufen. Weitere Ursachen sind Karies,
lokale Infektionen sowie abnehmbarer Zahnersatz, der nicht ausrei-
chend gereinigt wird. Zudem können seltene orale Erkrankungen wie
Tumoren und spezielle Schleimhauterkrankungen zu Mundgeruch füh-
ren. Als Kofaktoren für die Entstehung von Mundgeruch werden eine
reduzierte Speichelfließrate, Stress, Rauchen, hoher Kaffeekonsum,
Mundatmung, einseitige Ernährung, Zungenpiercing, Fleischkonsum
sowie ein geringer Wasserkonsum verantwortlich gemacht. So ist die
Abatmung von Nahrungsmetaboliten (z.B. Knoblauch, Alkohol oder

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4.4 Mundhygiene, chemische Plaquekontrolle, Entfernung von Zahnverfärbungen, Mundgeruch Kapitel 4 167

Zwiebeln) eine nicht pathologische Ursache der systemisch bedingten


Halitosis. Als weitere Ursachen kommen Erkrankungen im HNO-Be- 1
reich (5–8% der Halitosis-Patienten) und dabei mit 60–70% die Tonsili-
tis und mit 20% die Sinusitis vor. Magen-Darm-Probleme spielen mit 2
weniger als 0,1% eine untergeordnete Rolle. Auch spezielle Medika-
mente können Gründe für einen Foetor ex ore sein. Die Stagnation von
Mundflüssigkeit in der Nacht, Rückstände von Nahrungsresten oder
3
eine schlechte Prothesenhygiene sind weitere mögliche nicht patholo-
gische Ursachen für das Auftreten eines Foetor ex ore. Diese letztge- 4
nannten Formen werden auch als temporärer Mundgeruch eingeord-
net. 5
Sehr selten wird die Halitosis durch systemische Erkrankungen (z.B.
Diabetes mellitus, Urämie, Nierenversagen, Lungenabszesse, Leberer-
krankungen, Trimethylurämie = Fischgeruchskrankheit) hervorgerufen.
6
Patienten mit einem schlecht eingestellten Diabetes mellitus haben z.B.
einen erhöhten Acetongehalt in der Ausatemluft. 7
Es gibt jedoch auch Menschen, die glauben, unter Mundgeruch zu
leiden, obwohl dies faktisch nicht der Fall ist. Dieser als Pseudohalitosis 8
und Halitophobie bezeichnete Zustand ist von der Halitosis abzugren-
zen. Bei diesen beiden Formen kann der Mundgeruch durch diagnosti- 9
sche Maßnahmen nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Bei der Pseudohalitosis leiden die Betroffenen unter Mundgeruch,
der aber nur von ihnen selbst wahrgenommen wird. Diese Patienten
10
können durch eine objektivierbare Diagnose in der Regel von dem
Nichtvorhandensein des Mundgeruchs überzeugt werden. 11
Im Gegensatz dazu lassen sich Patienten mit Halitophobie von ih-
rer übertriebenen Angst, andere Menschen mit ihrem Mundgeruch zu 12
belästigen, auch durch objektivierbare Diagnosemaßnahmen nicht von
ihrer Vorstellung abbringen. Die Halitophobie wird daher in den Be- 13
reich der psychischen Angststörungen eingeordnet.
Der Anteil an flüchtigen Schwefelverbindungen in der Atemluft
kann durch Messungen mit einem elektronischen Gerät (Halimeter) ob-
14
jektivierbar bestimmt werden. Als einfache Diagnostikmethode hat sich
das organoleptische Verfahren zur subjektiven Beurteilung des Mund- 15
geruchs bewährt. Es erlaubt eine subjektive Beurteilung, die in drei
Grade eingeteilt werden kann: 16
 Grad 1: Geruch erst bei 10 cm Abstand wahrnehmbar
 Grad 2: Geruch nur bei 30 cm Abstand wahrnehmbar
 Grad 3: Geruch bei einem Meter und mehr Abstand wahrnehmbar
17
Selbstverständlich müssen neben diesen Verfahren eine umfassende in- 18
traorale Diagnostik und eine gute Anamneseerhebung erfolgen. Dabei
spielen die Speichelfließrate, die Beachtung des Zungenbelags und die 19
Inspektion des Waldeyer-Rachenrings neben der Parodontaldiagnostik
eine wesentliche Rolle. Nach Beseitigung aller parodontal und kariolo- 20
gisch sowie restaurativ bedingten Gründe wird auf jeden Fall eine me-

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168 4 Kariesprophylaxe

Orale Ursache: ausschließlich ursachenbezogene Therapie

Mundtrockenheit Gingivitis, Parodontitis, Defekte Kronen-/ Zungenbelag


Je nach Ursache Ernäh- Mundhygiene Füllungsränder, Karies Mechan. Reinigung
rungsberatung, symp- Hygienephase durch Je nach Ursache Ernäh- und 0,2% CHX-
tomatische Therapie, DH, Instruktion, rungsberatung, symp- Spülung 2-mal täglich
Medikamente Motivation tomatische Therapie, für eine Woche zur
Medikamente Diagnosesicherung

Keine Besserung: Überweisung an HNO/Internisten Kontrolle nach 1 Woche

Erneute Kontrolle nach 1 Woche Besserung


Chlorhexidin absetzen
Nur noch mechanische
Unvollständige Besserung Vollständige Besserung Zungenreinigung
Chemische Unterstützung Mechanische Zungenreinigung
(derzeit: meridol HALITOSIS)

Langfristige Recalls: im 1. Jahr alle 3–4 Monate

Abb. 4.14: Halithosis-Therapiekonzept nach Filippi (2009)

chanische Reinigung der Zunge mit entsprechenden Hilfsmitteln (spe-


zieller Zungenreiniger) empfohlen. Zusätzlich wird zweimal täglich für
eine Woche mit 0,2% CHX oder einer Zinkchloridlösung gespült. Dabei
reagieren die flüchtigen Schwefelverbindungen mit Zink zu nicht flüch-
tigen Schwefel-Zink-Verbindungen. Anschließend findet eine erneute
Diagnose statt und dann kann bei einer Besserung der Symptomatik die
mechanische Zungenreinigung weitergeführt sowie eine dauerhafte
chemische Unterstützung z.B. mittels eines zinnchloridhaltigen Pro-
duktes empfohlen werden (s. Abb. 4.14.)

4.5 Zusätzliche kariespräventive Maßnahmen

Neben den klassischen Methoden der Kariesprävention wurde in den


letzten Jahren sowohl im Bereich der Beeinflussung des mikrobiellen
Biofilms als auch bei der Förderung der Remineralisation initialkariöser
Läsionen versucht, neue Wege zu beschreiten.
Betrachtet man Karies als eine Infektionserkrankung mit den Leit-
keimen Streptococcus mutans und Laktobazillen, so ergibt sich zwangs-
läufig der Gedanke an Immunisierung. Es gibt zahlreiche Versuche, eine
„Impfung“ gegen Streptococcus mutans zu entwickeln. Da Karies jedoch
nicht allein durch einen Keim der Mundhöhle verursacht wird, war Im-
munisierung als kariespräventive Maßnahme bisher erfolglos.
Es scheint jedoch möglich, in gewissem Umfang eine „Infektions-
prophylaxe“ zu betreiben. So sollten kariesaktive Mütter eine Übertra-

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4.5 Zusätzliche kariespräventive Maßnahmen Kapitel 4 169

gung ihrer kariogenen Keime über den Speichel, z.B. durch Ablecken der
Saugerflasche o.Ä., vermeiden. Derartige Vorschläge erscheinen jedoch 1
wenig realistisch, da durch den innigen Kontakt zwischen Kindern und
Müttern eine Übertragung dieser Keime fast unausweichlich ist. 2
Sinnvoller ist es, wenn man die kariesätiologisch relevanten Keime Primär-Primär-
schon bei der werdenden Mutter bekämpft. Dies geschieht nach einer prävention
Kariesrisikoevaluation – falls notwendig – durch intensivprophylakti-
3
sche Maßnahmen einschließlich einer eventuell notwendigen invasi-
ven Therapie von kariösen Defekten in der Mundhöhle. Diese Maßnah- 4
men werden insgesamt als Primär-Primärprävention bezeichnet.
Bei hohem Kariesrisiko mit einer erhöhten Anzahl kariogener Mi- Chlorhexidin- 5
kroorganismen, ist man bestrebt, die Keimzahlen in der Mundhöhle zu diglukonat-Lack
verringern. Neben den schon beschriebenen prophylaktischen Maß-
nahmen wird heute versucht, die Keimzahlen durch das Auftragen von
6
Chlorhexidindiglukonat-Lack in den Fissuren und Approximalräu-
men zu verringern. 7
Auch wenn bisher noch groß angelegte Studien zur Kariesreduktion
durch derartige Maßnahmen fehlen, scheinen erste Resultate vielver- 8
sprechend zu sein. Während des Zahndurchbruchs kann häufig keine
adäquate Trockenlegung und damit keine Fissurenversiegelung durch- 9
geführt werden. Bis zur vollständigen Zahneruption kann mit einer
vierteljährlichen Applikation von CHX-Lack einer Fissurenkaries vorge-
beugt werden. Auch zur Prävention und zur Vermeidung der Progres-
10
sion von Wurzelkaries ist die Anwendung von CHX-Lack indiziert.
Bei hoher Kariesaktivität kann neben den üblichen Prophylaxe- Chlorhexidin- 11
maßnahmen eine sogenannte Chlorhexidintherapie erfolgen. Dabei therapie
wird über einen Zeitraum von 14 Tagen ein 1%iges Chlorhexidingel in 12
einem Medikamententräger (Tiefziehschiene) für täglich fünf Minuten
appliziert. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme kann mit einem mikro- 13
biellen Speicheltest auf kariogene Mikroorganismen, z.B. Mutans-Strep-
tokokken, überprüft werden. Sollte die Keimzahl nach der Anwendung
des Gels erneut ansteigen, wird die Maßnahme wiederholt. In einer kli-
14
nischen Studie, die über drei Jahre durchgeführt wurde, konnte die Ka-
ries reduzierende Wirkung dieser Therapie nachgewiesen werden (s. 15
Tab. 4.7).
Wie bereits erwähnt, sind orale mikrobielle Biofilme aufgrund ihrer 16
Struktur häufig resistent gegen übliche antimikrobielle Maßnahmen. Es
wurde daher versucht, mit neuen Ansätzen die Kariogenität des Biofilms
zu verringern.
17
Ein Verfahren geht auf die in der Humanmedizin angewandte photo-
dynamische Therapie (PDT) zurück, mit der Tumorerkrankungen oder 18
andere Gewebsveränderungen behandelt werden. Dabei wird ein Farb-
stoff auf den Biofilm appliziert. Dieser Photosensibilisator lagert sich an 19
die Bakterienzellmembran an und wird anschließend mit einem Laser-
licht bestrahlt. Dabei werden aus vorhandenem Sauerstoff Sauerstoff- 20
radikale (Singulett-Sauerstoff) abgespalten. Diese führen zu einer oxida-

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170 4 Kariesprophylaxe

Tab. 4.7: Indikationen und Anwendungsformen von chlorhexidinhaltigen


Präparaten (CHX-Konzentration in %; nach Splieth 2002)
Indikation Anwendungsform Anwendung
Mundhygieneunfähige Spüllösung (0,1–0,2%) 14 Tage, zweimal täglich
Patienten, z.B. Behinderte oder Gelschiene Vierteljährlich
Initialläsionen Lack (1% oder 40%) Vierteljährlich
Molaren im Durchbruch Lack (1% oder 40%) Vierteljährlich
Kleinkinder Lack (1%) Viertel- bis halbjährlich
Intensivprophylaxe Gelschiene oder 14 Tage, einmal täglich
-einbürstung, Viertel- bis halbjährlich
Lack (1% oder 40%) oder 3-mal in 14 Tagen

tiven Zerstörung der Bakterienmembranen. Dabei werden üblicherweise


als Photosensibilisator Toloniumchlorid oder Methylenblau verwendet.
Als Laser wird ein Diodenlaser der Wellenlänge 625–660 nm eingesetzt.
Diese als photoaktivierte Desinfektion (PAD) erhältlichen Systeme
werden insbesondere in der Parodontologie eingesetzt. Dabei gelten sie
als ergänzende antimikrobielle Maßnahmen, wenn konventionelle me-
chanische Maßnahmen der Biofilmentfernung nicht ausreichen. Beim
supragingivalen Biofilm ist allerdings kaum einzusehen, warum ein der-
artiges Verfahren Einsatz finden soll, wenn man mit klassischen profes-
sionellen Zahnreinigungen den Biofilm weitestgehend beseitigen kann.
Zudem ist auch nicht geklärt, ob die Farbstoffe tatsächlich weit genug in
den Biofilm penetrieren, um ihn dann anschließend mit dem Laser
auch deaktivieren zu können.
Einsatz von Ozon Eine weitere Möglichkeit, die Bakterienzahl zu vermindern und das
Fortschreiten einer Karies aufzuhalten, ist der Einsatz von Ozon. Dabei
kann entweder ozonförmiges Gas oder ozoniertes Wasser verwendet
werden. Ozon oxidiert Bestandteile der Bakterienwand, sodass die Bakte-
rien zugrunde gehen. In der Zahnmedizin wird Ozon sowohl zur „Desin-
fektion“ von Fissuren vor Versiegelungen als auch zur Behandlung von
offenen kariösen Läsionen nach Kariesexkavation bzw. zur Beseitigung
von möglichen Restbakterien in Wurzelkanälen angewandt. In Gasform
benutzt man es in einer Konzentration von etwa 2000 ppm, wobei ein
spezielles Gerät angewendet wird, welches verhindert, dass Ozongas
während der Applikation (20–40 Sekunden) in den Mund bzw. in die
Umwelt abgegeben wird. Es gibt bisher nur sehr spärliche Ergebnisse aus
klinischen Untersuchungen, die zudem noch widersprüchlich sind.
Probiotika Ein relativ neuer Ansatz in der Kariesprophylaxe ist der Einsatz von
Probiotika. Die Anzahl probiotischer Produkte auf dem Markt steigt
kontinuierlich. Diese Produkte enthalten lebende Bakterien, denen po-
sitive gesundheitliche Effekte zugerechnet werden. Lange Zeit fokussier-
ten sich viele Studien auf den Einsatz und den Nutzen probiotischer
Bakterien im Verdauungstrakt. Aber auch die gesundheitliche Bedeu-
tung derartiger Mikroorganismen in der Mundhöhle rückt mehr und

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4.5 Zusätzliche kariespräventive Maßnahmen Kapitel 4 171

mehr ins Augenmerk des Interesses. Die meisten probiotischen Pro-


dukte beinhalten Laktobazillen bzw. Bifidobakterien. So werden z.B. die 1
Reduktion parodontalpathogener Keime sowie die Sekretion proinflam-
matorischer Zytokine als positive Effekte diskutiert. Probiotika werden 2
zudem bei der Behandlung der Halitosis eingesetzt. Spezielle probioti-
sche Mikroorgansimen werden auch zur Kariesprävention empfohlen
(z.B. Lactobazillus rhamnosus und Lactobacillus reuterii), um die karioge-
3
nen Mikroorganismen aus dem Biofilm zu verdrängen.
Es muss betont werden, dass bisher die meisten Ergebnisse auf In-vi- 4
tro- oder kurzen In-situ-Pilotstudien beruhen. Außerdem werden auf-
grund der Azidität und somit Kariogenität mancher probiotischer Bak- 5
terien warnende Stimmen in der Fachwelt laut, da nach einer Besied-
lung der Mundhöhle mit aziden probiotischen Bakterien ein Anstieg der
Kariesprävalenz nicht ausgeschlossen werden kann. Die Evidenz für
6
eine kariespräventive Wirkung probiotischer Produkte muss nach heu-
tigem Kenntnisstand als ambivalent bezeichnet werden. So gibt es klini- 7
sche Studien, die zeigen konnten, dass bei kontinuierlicher Gabe von
Probiotika von Geburt an eine kariesreduzierende Wirkung festzustellen 8
ist. Allerdings gibt es auch gegenteilige Studien. Möglicherweise können
sich probiotische Mikroorganismen nicht dauerhaft im Biofilm etablie- 9
ren, sodass ihre karieshemmende Wirkung nachlässt, wenn sie nicht
mehr kontinuierlich appliziert werden.
Es konnte gezeigt werden, dass die Produktion alkalischer Metaboli-
10
ten beim oralen Biofilm eine wichtige Rolle für die Kariesprävention
spielt, weil die Säuren in der Plaque gepuffert werden und daraus eine 11
wenig kariogene Flora resultiert. Es gibt orale Mikroorganismen, die
Peptide und Aminosäuren verstoffwechseln und dabei Harnstoff produ- 12
zieren. Damit könnte eine neue Strategie gefunden sein, welche die
Mundgesundheit fördert. Mit Arginin wurde eine derartige Substanz 13
identifiziert. Arginin ist in freier Form im Speichel (50 μmol) und ge-
bunden an Speichelproteine und -peptide vorhanden. Arginin wird
durch das Arginin-Deiminase-System (AD-System) bestimmter Mikroor-
14
ganismen verstoffwechselt und es entstehen Ornithin, Ammoniak und
CO2. Zu diesen Keimen gehören Streptococcus gordonii, Streptococcus para- 15
sanguinis und Streptococcus mitis. Auch bestimmte Laktobazillen und Ak-
tinomyzeten bzw. Spirochäten wurden als arginolytisch identifiziert. In 16
einer Untersuchung konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden,
dass die Arginin-Deiminase-Aktivität im Biofilm von kariesfreien Zahn-
oberflächen höher war als die aus einem Biofilm von kariösen Schmelz-
17
bzw. Dentinflächen.
Eine verbesserte Argininverfügbarkeit erhöht die Aktivität des En- 18
zyms im Speichel und im Biofilm. In klinischen Studien konnte gezeigt
werden, dass kariesfreie Individuen höhere Ammoniakkonzentrationen 19
und einen höheren pH-Wert, einen signifikant höheren freien Arginin-
level im Speichel und eine höhere Arginin-Deiminase-Aktivität in ihrer 20
Plaque und im Speichel besitzen.

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172 4 Kariesprophylaxe

Die bakterielle Produktion von alkalischen Substanzen ist sehr eng


korreliert mit einem niedrigeren Karieslevel. Diesen theoretischen An-
satz nutzt man, indem 1,5% Arginin in einer speziellen Zahnpastafor-
mulierung mit Dikalziumphosphat und zusätzlich zu Fluorid einge-
bracht wird. Die in diesen Produkten enthaltene Kalziumkomponente
könnte außerdem eine Möglichkeit sein, die Menge an freien Kalzium-
Ionen für den Remineralisierungsprozess nach einer kariösen Attacke an
der Zahnoberfläche zu erhöhen. In klinischen Studien zeigte sich, dass
bei Verwendung dieser Zahnpasta weniger Karies entsteht als nach Ver-
wendung einer reinen Fluoridzahnpasta. Auch Wurzelkaries konnte da-
mit in ihrer Progression gehemmt werden.
Ein Zusatz von Triclosan zu Zahnpasten führt zu einer geringfügig
verbesserten kariostatischen Wirksamkeit (5%) gegenüber reinen Fluo-
ridzahnpasten, allerdings nur bei Betrachtung des DFS-Wertes. Nimmt
man den DTF-Wert als Vergleichsgrundlage, ergibt sich keine signifi-
kante kariesreduzierende Wirkung.
Eine andere Zahnpasta, die zusätzlich zu Fluorid Hexametaphos-
phat enthält, scheint auch in Laborstudien und sogenannten In-situ-
Studien eine gute kariespräventive Wirksamkeit zu besitzen. Allerdings
gibt es nur eine klinische Studie, die sich mit der Karieshemmung bei
Wurzelkaries beschäftigt.
Weitere Ansatzpunkte zur Veränderung des bakteriellen Biofilms
sind die Anwendung von Pflanzenextrakten bzw. synthetischen anti-
mikrobiellen Peptiden, die Entwicklung von Anti-Quorum-Sensing-
Molekülen und die sogenannte Replacement-Therapie, bei der weni-
ger azidogene Streptokokken im Biofilm S. mutans verdrängen sollen. In
vielen Mundhygieneprodukten befinden sich unterschiedliche antibak-
teriell wirksame Substanzen (z.B. essenzielle Öle, quaternäre Ammoni-
umverbindungen usw.), die in klinischen Studien zu einer Verringerung
der oralen Biofilmbildung beitragen. Dabei wird häufig unterstellt, dass
sie sich auch zur Kariesprävention eignen. Eine Verminderung der Bak-
terienzahl in der Mundhöhle muss aber nicht unbedingt mit einer Ka-
riesreduktion korrelieren. Es handelt sich dabei allenfalls um einen Sur-
rogatparameter, d.h., man schließt aus der plaquereduzierenden Wir-
kung auf eine Kariesreduktion, ohne diese selbst in klinischen Studien
bewiesen zu haben. Deshalb sollte man bei der Beurteilung dieser Präpa-
rate immer nach klinischen Studien suchen, in denen tatsächlich die
kariesreduzierende Wirkung belegt ist.
Andere Verfahren beschäftigen sich mit der Remineralisation bereits
vorhandener initialer Kariesläsionen. So ist aus Tierexperimenten be-
kannt, dass Milch antikariogen wirkt. Dabei zeigen insbesondere Ca-
seine eine bakterienadhäsionshemmende Wirkung und zudem eine
Affinität zu Kalzium und Phosphat. Eine australische Arbeitsgruppe syn-
thetisierte daraufhin einen Casein-Phosphor-Peptid-(CPP-)Kolloidkom-
plex, der so klein ist, dass er durch vergrößerte Schmelzporen einer ini-
tialen kariösen Läsion diffundieren kann. Zudem kann CPP Kalzium-

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4.5 Zusätzliche kariespräventive Maßnahmen Kapitel 4 173

und Phosphat-Ionen in Lösung stabilisieren. Das hat zur Folge, dass un-
ter alkalischen Bedingungen Kalzium- und Phosphat-Ionen als amor- 1
phes Kalziumphosphat (ACP) in Anwesenheit von CPP in einer meta-
stabilen Lösung vorliegen. Vereinfacht dargestellt könnte also CPP als 2
Nanocarrier für Kalzium-Phosphat-Verbindungen dienen und diese
rasch und in großen Mengen in eine initiale Kariesläsion hineintrans-
portieren.
3
CPP-ACP-Nanokomplexe werden heute unter dem Markennamen
Recaldent in Kaugummis, Spüllösungen, Zahnpasten und speziellen 4
Prophylaxepasten (MI-Paste, Tooth Mousse) angeboten. Zahlreiche In-
situ-Studien und auch einige wenige klinische Studien konnten eine re- 5
mineralisationsfördernde Wirkung für Recaldent aufzeigen. Es gibt aber
auch neuere Untersuchungen, die sich insbesondere mit initialen kariö-
sen Läsionen nach Entfernung von Brackets beschäftigen und die kei-
6
nen Vorteil von CPP-ACP gegenüber der üblichen Mundhygiene mit ei-
ner fluoridhaltigen Zahnpasta bezüglich einer remineralisierenden Wir- 7
kung finden konnten. Neuerdings wird CPP-ACP in Kombination mit
Fluorid in Pastenform angeboten und eine synergistische Wirkung der 8
beiden Inhaltsstoffe propagiert. Insgesamt kann man aufgrund der Stu-
dienlage zwar von einer möglichen remineralisationsfördernden Wir- 9
kung ausgehen. Es ist jedoch nicht geklärt, ob CPP-ACP im Vergleich zu
Fluoridierungsmaßnahmen die Remineralisation signifikant verbessert
und ob diese Präparate unter hochkariogenen Bedingungen zu einer
10
Hemmung der Demineralisation von Zahnhartsubstanzen beitragen.
Eine Behandlung der Schmelzoberfläche mit CPP-ACP zur Vermeidung 11
von Erosionen führte nicht zum gewünschten Erfolg. Der Zusatz von
CPP-ACP zu sauren Getränken hingegen vermindert deren erosive Wir- 12
kung.
Neben diesem Remineralisationsansatz, zu dem es immerhin zahl- 13
reiche Studien mit allerdings unterschiedlichen Ergebnissen gibt, wurde
auch mit anderen kalziumphosphathaltigen Präparaten (z.B. Ca-Na-
Phosphosilikat = bioaktives Glas) versucht, die Remineralisation initial-
14
kariöser Läsionen zu verbessern. Letztlich fehlt aber auch bei diesen Prä-
paraten die Evidenz aus randomisierten, kontrollierten klinischen Stu- 15
dien.
Ähnliche Wege gehen sogenannte biomimetische Ansätze, mit de- 16
nen submikrometergroße Defekte an der Schmelzoberfläche mit Nano-
partikeln ausgekleidet werden sollen. Dazu werden z.B. karbonathaltige
Hydroxylapatitpartikel mit einer durchschnittlichen Größe von 20–
17
100 nm in Zahnpasten und Mundspüllösungen angeboten, die angeb-
lich derartige Nanodefekte reparieren können. Allerdings steht zur re- 18
mineralisierenden Wirkung auch für diese Präparate keine ausreichende
Anzahl randomisierter, prospektiver Langzeitstudien zur Verfügung. Es 19
sei deshalb an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass ein
unbedachter Einsatz nicht fluoridhaltiger Produkte für die Reminerali- 20
sation initialer Kariesläsionen nicht empfehlenswert ist.

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174 4 Kariesprophylaxe

Kariesinfiltration Eine Sonderstellung bei den präventiven Maßnahmen zur Demine-


ralisationshemmung und damit zur Verhinderung der Progression einer
bereits bestehenden initialen Karies nimmt die sogenannte Kariesinfil-
tration als mikroinvasive Maßnahme ein. Als Indikation werden aktive
approximale Kariesläsionen mit intakter Oberfläche, die entweder auf
den Schmelz begrenzt sind oder höchstens bis in das erste Drittel des
Dentins reichen, genannt. Vor einer Kariesinfiltration im approximalen
Bereich sind also in der Regel Bissflügel-Röntgenaufnahmen erforder-
lich. Das Verfahren kann auch bei initialkariösen Läsionen im Glattflä-
chenbereich (z.B. nach kieferorthopädischer Bebänderung) angewendet
werden, wenn die Schmelzoberfläche nicht eingebrochen ist. Kontrain-
dikationen für das Verfahren sind klinisch sichtbare Einbrüche der
Schmelzoberfläche und Karies, die über das erste Drittel des Dentins hi-
nausreicht. Ebenso scheint der Einsatz bei älteren, inaktiven initialka-
riösen Läsionen nicht sinnvoll zu sein, da hier die Oberfläche stark mi-
neralisiert ist. Ziel des Verfahrens ist es, die Poren, die während der Bil-
dung einer initialkariösen Läsion entstanden sind, zu verschließen und
damit die verbliebene Schmelzstruktur so zu stabilisieren, dass karies-
auslösende Säuren nicht mehr in den Zahn penetrieren können.
Der erste Schritt der Kariesinfiltration besteht in einer Reinigung der
entsprechenden Zahnoberfläche mit Polierpaste und Zahnseide. Dann
wird Kofferdam angelegt, um den Zahn vor Speichelkontakt und die Gin-
giva vor Säurekontakt zu schützen. Der Approximalbereich wird mit ei-
nem Keil leicht geöffnet und eine Applikationsfolie mit einem 15%igen
Salzsäuregel eingebracht. Mit diesem Gel wird die Zahnoberfläche zwei
Minuten angeätzt, danach gründlich abgespült und die Fläche anschlie-
ßend mit Luft bzw. Alkohol getrocknet. Es erfolgt dann das Einbringen ei-
nes Applikators, der den Infiltranten (hydrophile Monomere) enthält.
Die Infiltration des Kunststoffes erfolgt für drei Minuten, dann werden
die Überschüsse entfernt und der Infiltrant durch Lichtpolymerisation
gehärtet. Es erfolgt eine Wiederholung der Infiltration mit erneuter Über-
schussentfernung und Polymerisation. Das Verfahren wird mit einer End-
politur abgeschlossen. Da das Infiltrationsmaterial nicht röntgenopak ist,
sollten die behandelten Zahnflächen gut dokumentiert werden (Infiltra-
tionspass). Mehrere klinische Studien verdeutlichen, dass diese Maß-
nahme bei richtiger Indikationsstellung eine sehr gute Möglichkeit bietet,
die Progression initialer kariöser Läsionen zu unterbinden. Einschrän-
kend ist festzustellen, dass die Diagnose aktiver initialer Kariesläsionen
speziell im Approximalraum häufig nur eingeschränkt möglich ist und
aktive Kariesläsionen möglicherweise genauso gut mit intensivprophy-
laktischen Maßnahmen arretiert werden können. Eine weitere Indikation
für die Kariesinfiltration besteht, wenn nach einer kieferorthopädischen
Behandlung mit festsitzenden Apparaturen initiale Kariesläsionen an la-
bialen oder vestibulären Glattflächen entstanden sind.
In verschiedenen klinischen Studien konnte nachgewiesen werden,
dass durch das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi sowohl der Spei-

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4.6 Konsequenzen für die Therapie Kapitel 4 175

chelfluss als auch der Speichel-pH erhöht werden können. Ebenso wer-
den die Plaquebildung und Speichelkonzentrationen an Mutans-Strep- 1
tokokken und Laktobazillen dabei gesenkt. Studien bei Kindern zeigten,
dass es zu einer signifikant geringeren Kariesprogression in Gruppen mit 2
Kaugummikauen im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne Kaugummi-
kauen kam. Es gibt also objektiv gute bis sehr gute Nachweise, dass zu-
ckerfreie Kaugummis antikariogen wirken können. Zurückzuführen ist
3
das auf die Speichelstimulation, insbesondere nach den Mahlzeiten, so-
wie eventuell auf die fehlende Verstoffwechselung der in den Kaugum- 4
mis enthaltenen Polyole durch die Bakterien zu Säuren. Kaugummis
können deshalb als Bestandteil der Basismaßnahmen zur Kariesprophy- 5
laxe empfohlen werden. Es wird allgemein empfohlen, 3- bis 5-mal täg-
lich für 5 Minuten ein zuckerfreies Kaugummi zu kauen.
6

4.6 Konsequenzen für die Therapie 7


Die Kenntnis, dass unter dem Einsatz von Fluoriden in der Kariespro- 8
phylaxe bei niedrigem und mittlerem Kariesrisiko (Patienten mit weni-
gen offenen kariösen Läsionen, hoher Speichelpufferkapazität und 9
-fließrate, guter Compliance, Einschränkung kariogener Zwischenmahl-
zeiten und optimaler Interdentalraumhygiene) kariöse Initialläsionen
nicht weiter fortschreiten und z.T. remineralisieren bzw. arretieren kön-
10
nen, hat Konsequenzen bezüglich der Therapie.
Man wendet sich heute von dem Prinzip „Nur eine Füllung schützt 11
vor weiterer Karies“ ab zugunsten einer primär atraumatischen Behand-
lung bzw. minimalinvasiven Therapie mit entsprechender Kontrolle der 12
kariesgefährdeten Flächen.
Dabei gilt es natürlich auch, eine entsprechende präventive Über- 13
therapie zu vermeiden. Es ist daher erforderlich, auch in diesem Bereich
eine Ermittlung der notwendigen individuellen Prophylaxemaßnah-
men in der Zahnarztpraxis vorzunehmen (s. Abb. 4.15).
14
Keine restaurative Maßnahme ist im eigentlichen Sinne eine hei- 15
lende Maßnahme. Durch Karies, Erosion oder Zahnhartsubstanz-
abnutzung verloren gegangene Zahnhartsubstanz (und damit ver- 16
bunden auch immer gesunde Zahnhartsubstanz) wird nicht durch
körpereigenes Gewebe ersetzt. Zudem gibt es kein Restaurationsma-
terial, das zeitlebens die Zahnhartsubstanz randdicht vor weiteren
17
destruktiven Prozessen schützt.
18
Das Prinzip einer medizinisch eingebetteten Zahnheilkunde muss also
in erster Linie Schutz vor Destruktion sein, in zweiter Linie minimalin- 19
vasive Frühbehandlung und erst zum Schluss als Ultima Ratio kann die
Restauration stehen, die zudem wieder unter dem Gesichtspunkt der 20
Tertiärprophylaxe durchzuführen ist.

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176 4 Kariesprophylaxe

Befunderhebung
• Kariesbefall inkl. Initialkaries
• MH-Indizes
• Ernährungsanamnese
• Fluoridanamnese

relativ günstige ungünstige


Prognose Prognose

zusätzlich
• Speicheltests und
weitere Untersuchung
zur Bestimmung
der Kariesaktivität

relativ günstige ungünstige


Prognose Prognose

Basisprophylaxe Intensivprophylaxe
• häusliche Mundhygiene • MH-Instruktion
inkl. Fluoridierung • Fluoridierung
• Fissurenversiegelung • Ernährungsberatung
• 2 Kontrolltermine/Jahr • Fissurenversiegelung
zur Remotivation und • CHX-Therapie
Lokalfluoridierung • häufiger Recall

regelmäßige Neubeurteilung

Abb. 4.15: Bestimmung der Notwendigkeit von individuellen Prophylaxemaßnah-


men in der zahnärztlichen Praxis

Aus allen bekannten Untersuchungen wird deutlich, dass zudem


Frühläsionen mit den Maßnahmen der Primärprävention kontrolliert
werden können. Dabei kann der Zahnarzt aus der Untersuchung seiner
Patienten durchaus beurteilen, wie es um dessen Kariesaktivität steht,
um adäquate Behandlungsmaßnahmen einzuleiten. Ärztliche Hand-
lungsweise hängt in großem Maße davon ab, wie gut und wie lange
man seine Patienten schon kennt. Insofern lassen sich nur begrenzt all-
gemeingültige starre Behandlungsrichtlinien formulieren. Mechanisti-
sche Denkweisen verhindern zudem die Anpassung der medizinischen
Behandlung an sich verändernde Lebenssituationen der Patienten.

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Kapitel 5 177

5 Grundlagen der invasiven Therapie


1
2
3
4
! Kann durch nicht invasive Maßnahmen die kariöse Zerstörung ei-
nes Zahnes nicht verhindert werden oder wird bereits eine mani-
feste, behandlungsbedürftige Karies diagnostiziert, so muss nach 5
Entfernung der kariösen Zahnhartsubstanz in der Regel eine Res-
tauration angefertigt werden.
6
Der resultierende Defekt wird mit einem adäquaten Füllungsmaterial Invasive
restauriert. Auch andere Zahnhartsubstanzschäden können bei entspre- Kariestherapie 7
chender Indikationsstellung restaurativ angegangen werden. Die Res-
tauration wird i.d.R. nach Präparation einer Kavität in den Zahn einge- 8
gliedert. Sie soll die ursprüngliche Form des Zahnes wiederherstellen.
Zudem soll der defekte Zahnbereich wieder mit üblichen Mundhygiene- 9
hilfsmitteln gereinigt werden können (Wiederherstellung der Hygie-
nefähigkeit). Die Präparation der Kavität muss möglichst zahnhartsub-
stanzschonend erfolgen. Gleichzeitig soll jedoch die Restauration dau-
10
erhaft verankert werden können. Sie darf das marginale Parodont, die
Pulpa und den Gesamtorganismus nicht schädigen und zudem soll der 11
Entstehung einer neuen Karies vorgebeugt werden.
Eine weitere Indikation für die Anfertigung einer Restauration ist der 12
Austausch oder die Reparatur bereits bestehender Füllungen. Wenn
eine bereits bestehende Füllung von nicht akzeptabler Qualität ist (z.B. 13
erheblicher Farbunterschied zwischen Füllung und Zahnhartsubstanz
über das übliche Maß hinaus, Verlust der anatomischen Form mit Den-
tinfreilegung oder Funktionsverlust, Füllungsfraktur, Karies), die Wahr-
14
scheinlichkeit hoch ist, dass es zu einer weiteren klinischen Verschlech-
terung der Situation kommt (z.B. Gefahr der Entstehung einer neuen 15
Karies oder der Progression einer bereits bestehenden Sekundärkaries)
und eine Reparatur nicht mehr indiziert ist, muss die vorhandene Res- 16
tauration ausgetauscht werden. Dabei muss der Vorteil, der durch den
Austausch erzielt wird, die negativen Effekte oder mögliche Schäden
überwiegen. Zudem muss der Patient damit einverstanden sein.
17
Das Ziel der restaurativen Zahnheilkunde ist es, gesunden Schmelz
und Dentin zu erhalten und die Pulpa zu schützen. Gleichzeitig sollten 18
die Zahnform und die Zahnfunktion (Approximalkontakt und Okklu-
sion) wiederhergestellt werden. Als zusätzliche Forderung wird heute im 19
sichtbaren Bereich eine möglichst unsichtbare Restauration (ästhetische
Zielvorgaben) angestrebt. 20

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178 5 Grundlagen der invasiven Therapie

5.1 Allgemeine Präparationstechnik

Klassifikation Black teilte in Anlehnung an die Kariesprädilektionsstellen die Kavitä-


Prädilektions- ten in fünf Klassen ein:
stellen  Klasse I: Kavitäten im Bereich der Grübchen und Fissuren
 Klasse II: Kavitäten im Bereich approximaler Flächen im Seitenzahn-
bereich
 Klasse III: Kavitäten im Bereich der Approximalflächen von
Schneide- und Eckzähnen, wobei die inzisale Kante intakt bleibt
 Klasse IV: Kavitäten im Bereich der Approximalflächen von
Schneide- und Eckzähnen unter Einbeziehung der Schneidekante
 Klasse V: Kavitäten der bukkalen und lingualen Glattflächen, meis-
tens im gingivalen Drittel der Zahnkrone liegend (s. Abb. 5.1)

Primär- Es gibt im Prinzip drei Möglichkeiten der Verankerung von Restaurati-


präparation onsmaterialien im Zahn: Makroretentive, mikroretentive und che-
misch-adhäsive Restaurationstechnik. Selbstverständlich sind auch
Mischformen möglich. Bei der Kavitätenpräparation für rein makrore-
tentiv verankerte Restaurationen mit konventioneller Präparation sind

Klasse I Klasse II

Klasse III Klasse IV Klasse V

Abb. 5.1: Einteilung der Kavitäten in 5 Klassen (nach Black)

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5.1 Allgemeine Präparationstechnik Kapitel 5 179

die von Black postulierten Präparationsregeln in modifizierter Form ein-


zuhalten. 1
Bei der Primärpräparation sind Umrissform, Widerstandsform, Re- 2
tentionsform, Erleichterungsform und Extensionsform zu beach-
ten.
3
Die Umrissform (und Extensionsform) wird in erster Linie durch die
Ausdehnung der Karies und die Auswahl des Restaurationsmaterials vor- 4
gegeben.
Das Ziel Blacks, die Präparationsränder in die Zone der natürlichen 5
Selbstreinigung bzw. in kariesimmune Bereiche zu legen („extension for
prevention“), ist heute nur noch eingeschränkt gültig. Man ist heute be-
müht, die Kavitätenränder in Bereiche zu legen, die der Mundhygiene
6
zugänglich sind. Dabei muss besonders der Lage des approximal-zervi-
kalen Randes der Restauration Beachtung geschenkt werden. Es wird an- 7
gestrebt, die Präparationsgrenze in diesem Bereich supra- bzw. äquigin-
gival zu legen, um der Entstehung von Parodontopathien vorzubeugen. 8
Durch die Widerstandsform soll gewährleistet sein, dass weder die
Restauration noch die Zahnhartsubstanz unter der Kaubelastung fraktu- 9
rieren.
Durch die Retentionsform einer Kavität soll verhindert werden,
dass die Restauration durch Abzugskräfte verloren geht.
10
Die Erleichterungsform soll in erster Linie gewährleisten, dass die
Karies leicht entfernt und die Restauration problemlos in die Kavität 11
eingebracht werden kann.
Zur Primärpräparation gehört auch das Entfernen der Karies (Exka- 12
vieren).
Die Präparationsregeln von Black sind bei Anwendung mikroreten- 13
tiver und chemisch-adhäsiver Verfahren, aber auch für einzelne makro-
retentive Verfahren, abhängig vom Restaurationsmaterial und -typ, mo-
difiziert worden. Auf Details und Abweichungen von den ursprüngli-
14
chen Präparationsformen wird in den einzelnen Kapiteln zur
Füllungstherapie eingegangen. Ein Grundprinzip dieser häufig auch als 15
minimalinvasiv bezeichneten Präparationstechnik ist die weitestge-
hende Schonung gesunder Zahnhartsubstanz, d.h. ihre Defektorientie- 16
rung.

Werden minimalinvasive Präparationsverfahren mit der Adhäsiv-


17
technik kombiniert, so ergeben sich neue Kavitätenkonfiguratio-
nen, die sich nicht immer an der Einteilung von Black orientieren. 18
Es gibt aber bisher keine allgemeingültige neue Einteilung, die alle mög- 19
lichen Präparationsformen festen Kategorien zuordnet.
Die invasive Kariestherapie setzt eine genaue Kenntnis der Zahn- 20
hartgewebe, der Pulpa und deren Reaktionspotenzial voraus. So be-

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180 5 Grundlagen der invasiven Therapie

distale linguale
Kavitätenwand Kavitätenwand

Kavitätenboden Zahnoberfläche

linguale
Kavitätenrand Extensionsfläche

pulpale gingivale
(pulpoaxiale) (zervikal-approximale)
Kavitätenwand Stufe

Abb. 5.2: Anatomische Details einer klassischen Klasse-II-Kavität

stimmt gesunder Zahnschmelz im Randbereich der Kavität die Art der


Präparationsinstrumente, die Arbeitsweise dieser Instrumente, die Kavi-
tätenform und deren Randgestaltung. Die Lokalisation, Größe und
Form der Kavität wird zusätzlich von der Lage und Größe des kariösen
Defekts bestimmt.
Bei der Kavitätenpräparation entstehen – insbesondere bei Restaura-
tionen aus metallischen und keramischen Werkstoffen (indirekte Res-
taurationen) – definierte Flächen und Grenzbereiche, in denen diese
Flächen aneinanderstoßen. Im Einzelnen unterscheidet man bei einer
standardisierten mehrflächigen Seitenzahnkavität die in der Abbildung
5.2 aufgezeigten Flächen.
Hilfsmittel zur Im Rahmen der Primärpräparation wird, wie bereits erwähnt, die Ka-
Kariesentfernung ries entfernt. Dies kann mit langsam rotierenden Werkzeugen (Rosen-
bohrer) oder Handinstrumenten (Löffelexkavatoren) erfolgen. Dabei
werden im Rahmen der konventionellen Exkavation entkalkter opa-
ker Schmelz und pulpafern erweichtes Dentin vollständig entfernt.
Konventionelle Im Bereich der Kavitätenränder und an der Schmelz-Dentin-Grenze
Kariesexkavation ist besondere Aufmerksamkeit gefordert, weil hier häufig Karies überse-
hen wird. Üblicherweise wird klinisch bei der Kariesentfernung mit ei-
ner Sonde und leichtem Druck überprüft, ob das verbliebene Dentin
hart ist (s. Abb. 5.3). Mehrere Studien zeigen, dass in einem solchen Fall
mit der Härte des gesunden Dentins Bakterienfreiheit erreicht wird.

Verfärbtes, jedoch sondenhartes Dentin wird bei der konventio-


nellen Kariesexkavation belassen.

Kontrollierte, Allerdings wird bei einem solchen Vorgehen auch gesundes oder remine-
minimalinvasive ralisierbares Dentin entfernt und gerade bei Zähnen jugendlicher Patien-
Exkavation ten besteht bei tiefen Kariesläsionen die Gefahr einer Pulpaeröffnung.
Dentin kann remineralisieren, wenn die Tertiärstruktur des Kollagens in-
takt ist und Kristallisationskeime vorhanden sind. Daher reicht eine Ex-
kavation bis zum Übergang von denaturiertem zu intaktem Kollagen ei-
gentlich aus. Doch diese Grenze ist klinisch kaum zu erkennen. Daher
war man bemüht, Hilfsmittel zu entwickeln, mittels derer eine Überexka-

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5.1 Allgemeine Präparationstechnik Kapitel 5 181

Knoop-
Härte 1
äußeres inneres gesundes inneres Pulpa
kariöses Dentin kariöses Dentin Dentin
• infiziert
• nicht remine-
• nicht infiziert
• remine-
2
60 ralisierbar ralisierbar

verfärbtes trans-
3
50 parente
Dentin
Zone
40 Zone der 4
bakteriellen
Penetration
30 5
20
Schmelz- 1 mm 2 mm 3 mm
6
Dentin-
Grenze

Exkavation keine Exkavation


7
Abb. 5.3: Schematische Darstellung der Knoop-Härte im kariösen Dentin. Die Ka-
riesexkavation sollte die Zone der bakteriellen Penetration mit einschließen. Ver- 8
färbtes Dentin kann belassen werden. Klinisch ist es bisher nicht möglich, diese
Grenze genau zu definieren (nach Ogawa et al. 1983).
9
vation vermieden werden kann. Dazu gehören verschiedene Fluores-
zenzverfahren (z.B. Vistaproof, SIROInspect), mit denen kariöse Bereiche
10
zu einer stärkeren Fluoreszenz angeregt werden als gesunde Bereiche. Da-
bei werden Fluorophore durch eine energiereiche Lichtstrahlung defi- 11
nierter Wellenlänge (z.B. 405 nm) angeregt. Derartige Fluorophore sind
z.B. Porphyrine, die sich in bakteriell besiedelten Gebieten anreichern. 12
Sie nehmen die Lichtenergie auf und ein Teil der Energie wird dann mit
einer anderen Wellenlänge (andere Farbe) wieder abgestrahlt. Es ist also 13
möglich, mit einem derartigen Verfahren die Exkavaktion zu kontrollie-
ren. Bei einem aktiven fluoreszenzkontrollierten System wird die Exkava-
tion mit einem speziellen Winkelstück und Rosenbohrer gestoppt, wenn
14
der entsprechende fluoreszierende Bereich im Dentin entfernt wurde.
Daneben gibt es Rosenbohrer aus Polymeren (smart bur), die nicht 15
mehr schneiden, wenn sie auf Dentin einer bestimmten Härte (ca. 60%
des gesunden Dentins) treffen. Sie sollen insbesondere bei weicher, pul- 16
panaher Karies eingesetzt werden, wenn der entsprechende Zahn symp-
tomlos ist, um eine Pulpaeröffnung zu vermeiden.
Als weiteres Hilfsmittel zur Kariesentfernung gibt es eine eingefärbte
17
Lösung, welche die kariöse Zahnhartsubstanz anlöst (Carisolv), sodass
sie anschließend relativ leicht mit entsprechenden Handinstrumenten 18
entfernt werden kann. Diese Lösung besteht aus 0,5%igem Natriumhy-
pochlorit und drei Aminosäuren (Glutamin, Leucin, Lysin, Natrium- 19
chlorid, Erythrosin [E127], CMC, Wasser, Natriumhydroxid, pH = 11).
Andere Lösungen mit ähnlichem Anspruch enthalten Pepsin oder Pa- 20
pain.

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182 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Mit diesen minimalinvasiven Ansätzen lassen sich sicherlich Über-


exkavationen und zahlreiche überflüssige Pulpaeröffnungen vermeiden.
Es wird festes Dentin belassen, welches möglicherweise noch eine ge-
ringe Anzahl Bakterien enthält. Diese Mikroorganismen werden im Rah-
men der adhäsiven Versorgung von Zähnen eingeschlossen und dürften
deshalb nur noch eine geringe bis keine Rolle mehr für ein Fortschreiten
des kariösen Prozesses spielen. Klinisch lässt sich dieser Zustand z.B. mit
einem Handexkavator überpüfen, mit dem eine lederartige Konsistenz
des verbleibenden Dentins festzustellen ist. Die Kavitätenränder und die
peripheren Bereiche des Dentins werden konventionell exkaviert und
dann mit einer spitzen Sonde überprüft. Diese Exkavationsmethode ist
für flache und mitteltiefe Defekte (Karies radiologisch bis ins äußere
Drittel fortgeschritten) geeignet. Allerdings wird eine demineralisierte,
nicht entfernte Dentinzone im Röntgenbild als Aufhellung sichtbar sein
und möglicherweise als Kariesrezidiv interpretiert werden. Der Kavitä-
tenzugang muss weiterhin mit den üblichen rotierenden Instrumenten
hergestellt werden und pulpafernes Dentin lässt sich rascher mit den üb-
lichen Hartmetall- oder Keramikrosenbohrern entfernen.
Selektive Karie- Nach wie vor wird allerdings bei pulpanaher Exkavation mögli-
sentfernung cherweise auch bei dieser Vorgehensweise die Pulpa eröffnet. Es wird da-
her neuerdings empfohlen, bei asymptomatischen Zähnen nach positi-
ver Sensibilitätstestung eine dünne Schicht weichen Dentins zu belas-
sen, um die Pulpaeröffnung zu vermeiden. Dies gilt für Zähne, die mit
einer adhäsiven Restauration bzw. einer adhäsiv befestigten Aufbaufül-
lung versorgt werden, da man auch hier davon ausgeht, dass die verblie-
benen Mikroorganismen im Rahmen der Adhäsivtechnik eingeschlos-
sen oder stoffwechselinaktiv werden.
Es ist dabei nicht klar, ob bei Anwendung anderer Restaurationsver-
fahren so vorgegangen werden kann. Es ist auch nicht geklärt, ob noch
vorhandene Toxine, die in den Dentinkanälchen vorhanden sind, län-
gerfristig einen negativen Effekt auf das Überleben der Pulpa haben. Zu-
dem ist bis heute nicht bekannt, ob die Reparaturmechanismen der
Pulpa (Tertiärdentinbildung, Sklerose der Dentinkanälchen) bzw. die
Remineralisation des Dentins nach der Exkavation schnell genug ein-
greifen und ausreichend sind, um die Penetration möglicher bakterieller
Toxine und schädlicher Abbauprodukte der Dentinmatrix in die Pulpa
zu verhindern (s. Kap. 5.4). Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Matrix-
Metallo-Proteinasen (MMP) bei einer Dentinkaries Kollagen zerstören.
Verbleiben diese Moleküle nach der Exkavation, können sie möglicher-
weise die Hybridschicht auflösen, die durch die Anwendung von Adhä-
sivsystemen im Rahmen der Füllungstherapie mit Kompositen für die
mikromechanische Retention der Füllung verantwortlich ist.
Deshalb sollte diese Form der Exkavation nur in Ausnahmefällen zur
Anwendung kommen, bis genügend Evidenz aus klinischen Studien zur
Unbedenklichkeit vorliegen. Es ist zudem nicht klar, wie dick die ver-
bleibende Dentinschicht sein darf, damit keine negativen Folgen zu er-

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5.2 Präparationsinstrumentarium Kapitel 5 183

warten sind und ob Adhäsivsysteme genügend Haftung zu dieser


Schicht aufbauen können. Alternativ kann auch ein zweizeitiges Exka- 1
vationsverfahren gewählt werden (s. u. „Indirekte Überkappung“).
Bei Belassen großer weicher Dentinareale sind Restaurationen nicht 2
mehr ausreichend unterstützt, sodass pulpafern immer mindestens bis
in das feste Dentin exkaviert werden sollte. Dabei dürfte allerdings der
Unterschied im Zahnhartsubstanzverlust beim Exkavieren bis zum har-
3
ten Dentin unerheblich sein.
Grundsätzlich kommt es bei der Primärpräparation mit höchsttouri- Sekundär- 4
gen Instrumenten zu Gefügeerschütterungen und Aussprengungen im präparation
Schmelz des Kavitätenrandbereichs. Deshalb muss ein Nachbearbeiten 5
der Schmelzränder mit superfeinen Diamantfinierern bei mittleren bis
hohen Umdrehungszahlen bzw. Handinstrumenten oder oszillierenden
Instrumenten erfolgen. Diese Maßnahme erfolgt im Rahmen der Sekun-
6
därpräparation. Dabei werden die Kavitätenwände und -ränder geglät-
tet. Bei Kavitäten für Restaurationen, bei denen eine Unterfüllung ge- 7
legt wird, erfolgt die Sekundärpräparation erst im Anschluss an diese
Maßnahme. Die Sekundärpräparation für adhäsiv befestigte Restaura- 8
tionen ist in dem jeweiligen Kapitel beschrieben.
9
5.2 Präparationsinstrumentarium
10
! Für die Präparation und die Fertigstellung einer Kavität steht eine
Vielzahl unterschiedlicher Instrumente zur Verfügung. Man kann
diese grob in Handinstrumente, rotierende Instrumente und os-
11
zillierende Instrumente einteilen (s. Tab. 5.1). 12
13
5.2.1 Rotierende Instrumente

Rotierende Instrumente werden in Hand- und Winkelstücken bei unter-


14
schiedlichen Drehzahlen eingesetzt. Die einzelnen Arbeitsschritte bei
der Kavitätenpräparation und der Ausarbeitung und Politur der Restau- 15
rationen erfordern unterschiedliche Instrumente und unterschiedliche
Drehzahlen. Es gilt dabei die Maximaldrehzahl für bestimmte rotie- 16
rende Instrumente zu beachten (siehe Herstellerangaben). Außerdem ist
zu berücksichtigen, dass bei hohen Umdrehungszahlen und starkem
Druck erhebliche Wärme entstehen kann, die wiederum schädliche
17
Auswirkungen auf die vitale Pulpa haben kann. Deshalb ist hier beson-
ders auf eine gute Wasserkühlung und tupfende Arbeitsweise zu ach- 18
ten.
Man unterscheidet höchsttourige (120 000–400 000 Umdrehungen Drehzahlen 19
pro Minute), hochtourige (20 000–45 000 Umdrehungen pro Minute),
mitteltourige (4500–45 000 Umdrehungen pro Minute) und niedrigtou- 20
rige (500–4500 Umdrehungen pro Minute) Drehzahlbereiche.

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184 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Tab. 5.1: Instrumentarium für die Kavitätenpräparation (nach Heidemann


1998)
Antriebe Drehzahlen Rotierende Instrumente
Primärpräparation
Turbine bis 400 000 U/min Diamantschleifer
Schnelllauf-Winkelstücke Hartmetallfräsen
• rot oder orange markiert (mit
Wasserkühlung)
Kariesentfernung
Winkelstücke bis 4500 U/min Rosenbohrer
• grün markiert Fissurenbohrer
• (ohne Wasserkühlung) Kegel
Sekundärpräparation
Winkelstücke
• grün markiert (trocken) bis 10 000 U/min feinkörnige Diamanten
Hartmetallfinierer
• blau markiert (Wasserkühlung) bis 45 000 U/min Arkansassteinchen
Zusätzlich werden Handinstrumente (Schmelzmeißel, Gingivalrandschräger
u.a.), oszillierende und ultraschallgetriebene Instrumente verwendet.

Während Turbinen im Bereich der höchsttourigen Instrumente ar-


beiten, kann durch unterschiedlich übersetzte Winkelstücke mit Mikro-
motoren der Drehzahlbereich von 500–160 000 U/min abgedeckt wer-
den.

Während die Primärpräparation und das Finieren von Kavitäten-


wänden im hoch- und höchsttourigen Drehzahlbereich erfolgt,
werden die Exkavation, das Finieren und Anschrägen von Schmelz-
rändern sowie die Politur der Restaurationen im niedrig- und mit-
teltourigen Bereich vorgenommen.

Mikromotoren lassen sich über Fußschalter, elektronische Tastaturen


und Handschalter in ihrer Drehzahl regulieren.
Bohrer Man unterscheidet bei den rotierenden Instrumenten Bohrer,
Schleifer, Steine, Scheiben und schleifmittelbelegte Silikon- bzw. Gum-
mipolierer. Bohrer sind schneidende Werkzeuge (eigentlich Fräsen), die
aus Stahl oder Hartmetall (Wolframkarbid) gefertigt werden. Die
Schneiden können gerade, gewendelt oder kreuzverzahnt sein. Auch die
Anzahl der Schneiden kann verschieden sein. Zu dieser Gruppe zählen
u.a. Rosenbohrer, Hartmetallbohrer/-finierer und Fissurenbohrer. Es
gibt auch Rosenbohrer aus Zirkondioxid und Polymerkunststoff.
Schleif- Schleifinstrumente sind Stahlinstrumente, an denen Diamantsplit-
instrumente ter mit definierter oder nicht definierter Körnung gebunden sind. Aber
auch andere Schleifmittel (z.B. Aluminiumoxid, Siliziumkarbid usw.)
können auf Scheiben oder Gummipolierern befestigt sein und zum Po-

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5.2 Präparationsinstrumentarium Kapitel 5 185

lieren und Finieren verwendet werden. Die Größe und Anordnung der
Abrasivstoffe und Schneiden ist maßgebend für die Schneid- bzw. 1
Schleifleistung und den Glättungseffekt der einzelnen Instrumente.
Bohrer und Schleifer gibt es in unterschiedlichen Formen. Die ge- 2
bräuchlichsten sind Rosenbohrer, Zylinder, Kegel, umgekehrter Kegel,
kugelförmige, konische, birnenförmige, flammenförmige und torpedo-
förmige Bohrer und Schleifer. Grundsätzlich wird ab Drehzahlen von
3
4500 aufwärts immer mit Wasser präpariert und geschliffen.
4
Beim Einsatz des rotierenden Instrumentariums ist auf eine gute
Abstützung zu achten, um bei Ausweichbewegungen des Patienten 5
Verletzungen der Weichteile zu vermeiden und Präparationsfehlern
vorzubeugen.
6

5.2.2 Handinstrumente 7
Bei der Kavitätenherstellung finden heute nur noch wenige Handinstru- 8
mente Anwendung.
So werden Exkavatoren (löffelförmige, scharfe Instrumente) zur Ka- Kariesentfernung 9
riesentfernung (speziell im pulpanahen Bereich) verwendet.
Gingivalrandschräger und Schmelzmeißel sowie hauenförmige Finieren
Instrumente finden beim Finieren der Kavitätenränder und dort, wo ro-
10
tierende Instrumente Schäden an den Nachbarzähnen erzeugen könn-
ten, Anwendung. 11
Die Handinstrumente sind oft paarig ausgelegt (mesial, distal). Ihre
Handhabung wird bei den einzelnen Kavitätenklassen beschrieben. 12
Es dürfen nur scharfe Handinstrumente angewendet werden, d.h.,
sie müssen regelmäßig nachgeschliffen werden. Auch bei der Anwen- 13
dung der Handinstrumente ist eine sichere Abstützung derjenigen
Hand, welche die Instrumente führt, absolut notwendig.
14
5.2.3 Oszillierende und ultraschallgetriebene Instrumente 15
Nach zahnhartsubstanzschonender Präparation mehrflächiger Kavitä- 16
ten im Seitenzahnbereich verbleiben oft im Bereich der Extensionsflä-
chen und an der approximal zervikalen Stufe Schmelzbereiche, die sich
ohne Schädigung des Nachbarzahnes mit rotierenden Instrumenten
17
nicht beseitigen lassen.
Mit oszillierenden Instrumenten, z.B. diamantierten Feilen, die in Oszillierende 18
einem speziellen Winkelstück befestigt werden (PrepControl), lassen Instrumente
sich diese Schmelzpartien sauber und glatt entfernen. Da die Feilen nur 19
einseitig mit Diamantsplittern belegt sind, wird der Nachbarzahn nicht
beschädigt. Der Hub des Winkelstückkopfes beträgt dabei 0,4 mm, die 20
Feilen gibt es in unterschiedlichen Körnungen (25 mm, 40 mm). Die os-

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186 5 Grundlagen der invasiven Therapie

zillierenden Instrumente sind eine Alternative zu den üblichen Handin-


strumenten für die Kavitätenrandbearbeitung.
Sonoerosives Für die Primärpräparation im Rahmen minimalinvasiver Therapie
Verfahren und zum Abschrägen von Kavitätenrändern eignet sich auch ein soge-
nanntes sonoerosives Verfahren, bei dem speziell geformte, selektiv be-
legte Diamantansätze in einem speziellen luftgetriebenen Handstück in
Schwingungen versetzt werden.
Mit diesen Instrumenten kann eine Nachbarzahnverletzung weitest-
gehend vermieden werden. Diese Instrumente sind jedoch nicht univer-
sell einsetzbar, da im Vergleich zu herkömmlichen Schleifinstrumenten
ein geringerer Substanzabtrag erfolgt und zudem keine Füllungen ent-
fernt werden können.

5.2.4 Andere Präparationsverfahren

Laserpräparation Laserpräparation spielt bisher in der Zahnerhaltung nur eine unterge-


ordnete Rolle, da der Zahnhartsubstanzabtrag geringer ist als beim Ein-
satz rotierender Instrumente. Zudem lassen sich Füllungsmaterialien
mit der Lasertechnologie noch nicht aus einer Kavität entfernen.
Kinetische Kavi- Unter kinetischer Kavitätenpräparation versteht man die Bearbei-
tätenpräparation tung von Zahnhartsubstanzen mit Pulverstrahlgeräten, bei denen Alu-
miniumoxidpartikel (Al2O3) in einer Größe von 27–50 μm hoch be-
schleunigt werden. Die Kavitätenpräparation erfolgt wie beim Einsatz
des Lasers berührungslos. Ähnlich wie beim Laser lassen sich jedoch
auch mit dieser Technik nicht alle Kavitätenformen präparieren. Insbe-
sondere größere Kavitäten und die Entfernung von Füllungsmaterialien
stellen weiterhin Probleme dar.
Nachteile Sowohl beim Einsatz von Laser als auch bei der Anwendung von
Sandstrahlgeräten müssen Patient, Zahnarzt und Hilfspersonal ge-
schützt werden (z.B. Augenschutz). Bei beiden Präparationstechniken
müssen die erzielten Kavitäten i.d.R. mit rotierenden Instrumenten
nachgearbeitet werden.

Bei beiden Präparationsverfahren fehlt die taktile Kontrolle wäh-


rend der Präparation. Der Einsatz beider Verfahren ist daher auf die
Behandlung kleiner, primärer Kariesläsionen im Approximalbe-
reich der Frontzähne, der Fissuren und der Glattflächen (Klasse-I-,
-III- und -V-Kavitäten) begrenzt.

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5.4 Auswirkungen der Präparation auf die Pulpa-Dentin-Einheit Kapitel 5 187

5.3 Finieren und Kavitätentoilette


1
! Kavitäten müssen finiert werden, um einen günstigen Kavitäten-
rand zu erhalten. 2
Es handelt sich dabei um Idealvorstellungen, bei denen sowohl der Ka- Finieren
vitätenrandbereich als auch das Füllungsmaterial eine optimale Wider-
3
standskraft gegenüber Kaudruck aufweisen. Beim Finieren werden ge-
lockerte und von Dentin nicht mehr unterstützte Schmelzbereiche ent- 4
fernt. Zudem werden die Präparationsgrenzen genau definiert. Im
Frontzahnbereich gilt dieses Prinzip nur noch eingeschränkt, da hier die 5
einwirkenden Kräfte geringer sind als im Seitenzahnbereich.
Im Anschluss an die Präparation werden Blut-, Dentin- und
Schmelzreste mit Wasserspray entfernt. Mit Chlorhexidindiglukonat
Kavitäten-
reinigung
6
(0,2%), Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung und Wattepellets
wird eine zusätzliche Kavitätenreinigung vorgenommen. Andere desin- 7
fizierende Medikamente sind zur Kavitätentoilette nicht erforderlich.
Zudem ist ihre Pulpafreundlichkeit nicht gewährleistet. Anschließend 8
erfolgt eine kurze Trocknung der Kavität, die jedoch nicht zur Dehy-
drierung und damit Pulpaschädigung führen sollte. 9
Nach der Präparation der Zahnhartgewebe entsteht auf dem Dentin Schmierschicht
eine Schmierschicht (smear layer) aus Zelltrümmern, Bakterien, Zahn-
hartgewebetrümmern, Dentinliquor u.a. Diese Schmierschicht ist zwi-
10
schen 1 und 5 μm dick und nicht mit Wasserspray oder Wattepellets zu
entfernen. Die Erfahrung lehrt, dass sie bei zahlreichen Restaurations- 11
techniken auch nicht entfernt werden muss. Sie schützt vor Eindringen
von Füllungsmaterialbestandteilen, wie z.B. Monomeren bei Komposit- 12
füllungen oder Quecksilber bei Amalgamfüllungen. Andererseits kann
die Schmierschicht natürlich eine gute Adaptation bestimmter Restau- 13
rationsmaterialien verhindern.

Bei modernen Restaurationstechniken in der Zahnerhaltung (Adhä-


14
sivtechnik) wird die Schmierschicht teilweise oder vollständig mit
Komplexbildnern bzw. Säuren entfernt oder sie wird modifiziert, 15
um eine bessere Benetzung der Dentinoberfläche zu erreichen.
16
5.4 Auswirkungen der Präparation auf die Pulpa-
Dentin-Einheit
17
18
! Die Kavitätenpräparation hat Auswirkungen auf die Pulpa-Den-
tin-Einheit. Die Reizintensität hängt von der Dicke des verblei-
benden Dentins, der Art der rotierenden Werkzeuge und deren 19
Drehzahlbereich, der Effektivität der Spraykühlung und der Nach-
behandlung (wie Trocknung, Kavitätentoilette u.a.) ab. 20

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188 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Werden physiologische Reize überschritten, so kann es zu einem


Trauma kommen, das zu einer Odontoblastenaspiration und/oder Ver-
lagerung von Erythrozyten in die Dentinkanälchen führt.
Die Aspiration der Odontoblastenzellkerne ist Ausdruck einer
Flüssigkeitsverschiebung aus der Pulpa in Richtung Peripherie durch
z.B. ungenügende Kühlung oder Austrocknung des Dentins.
Ist der Reiz nur kurz und wenig traumatisch, heilt die Pulpa norma-
lerweise wieder aus. Bei wiederholtem Reiz und/oder extremen Reizen
kann sich aber eine Pulpitis oder Nekrose entwickeln, die zum Unter-
gang des gesamten Pulpengewebes führt.
Ist nach Exkavation der Karies nur noch eine geringe Dentinschicht
vorhanden, so kann eine indirekte Überkappung (CP-Behandlung)
durchgeführt werden.

5.5 Indirekte Überkappung – CP-(Caries profunda-)


Behandlung

! Nach einer Stellungnahme der DGZMK versteht man unter einer


CP-Behandlung die Versorgung einer bis in das pulpennahe Den-
tin reichenden Kavität zum Schutz des vitalen Zahnmarks nach
Entfernung einer tiefen Karies (auch indirekte Überkappung ge-
nannt). Das Ziel ist, die Pulpa vor exogenen Noxen zu schützen
und sie gesund zu erhalten oder die Voraussetzung für die Hei-
lung einer reversiblen Entzündung zu schaffen.

Das erweichte, infizierte Dentin wird in der Regel exkaviert (evtl. Kon-
trolle mit geeigneten Maßnahmen). In Pulpanähe kann in Ausnahme-
fällen auch ein kleiner Bereich erweichten Dentins zurückbelassen wer-
den (s.o.).
Das verbliebene Dentin kann verfärbt sein und ist mindestens son-
denfest. Die Überprüfung kann auch mit einem scharfen Exkavator vor-
sichtig vorgenommen werden.
Indirekte Bei der Exkavation einer Caries profunda werden Dentinbezirke frei-
Überkappung gelegt, die aufgrund der anatomischen Struktur des Dentins besonders
durchlässig sind. Da viele Restaurationsmaterialien irritierend auf die
Pulpa wirken können, wird empfohlen, diese Bezirke mit einem erhär-
tenden Kalziumhydroxid- oder Kalziumsilikatpräparat (im Engl. „sub-
base“) zur Schonung der Pulpa abzudecken, welches sowohl eine akute
Reaktion der Pulpa-Dentin-Einheit verhindern als auch einen reparati-
ven Prozess auslösen soll.
Als Kalziumsilikatzement kommen Mineral Trioxid Aggregat
(MTA) oder andere Zemente in Betracht. Mineral Trioxid Aggregat be-
steht als Derivat des Portlandzementes aus Trikalziumsilikat, Trikal-
ziumaluminat, Kaliumoxid und Siliziumoxid. Daneben sind andere mi-
neralische Oxide, wie z.B. Wismutoxid zur Erhöhung der Radioopazität,

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5.5 Indirekte Überkappung – CP-(Caries profunda-)Behandlung Kapitel 5 189

enthalten. Das Pulver wird mit destilliertem Wasser in einem Mi-


schungsverhältnis von 3 : 1 (1 g MTA : 0,35 g H2O) angemischt. Zu- 1
nächst entsteht ein kolloidartiges Gel, welches innerhalb von zwei bis
drei Stunden aushärtet und danach nicht mehr löslich ist. Auch bei 2
MTA wird Kalziumhydroxid während der Aushärtereaktion ins Dentin
freigesetzt, wobei allerdings die Pulpareaktion auf MTA rascher einsetzt
und gleichzeitig weniger entzündliche Reaktionen hervorrufen soll.
3
Während Kalziumhydroxidpräparate und MTA zur punktuellen Ab-
deckung der tiefsten Bereiche nach einer Exkavation empfohlen wer- 4
den, werden neuere Zemente auch zum Auffüllen des gesamten entfern-
ten Dentinbereichs propagiert (z.B. Biodentine). 5
Anschließend wird die Kavität definitiv mit ggf. einer Unterfüllung
und einer Restauration verschlossen. Im Rahmen der Adhäsivtechnik
bei der Restauration mit Kompositen wird meistens auf eine Unter-
6
füllung verzichtet (s. Abb. 5.4).
Als weiterer Grund für diese Form der indirekten Überkappung wird 7
angegeben, dass manchmal auch nach sorgfältigster Exkavation nicht
mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass nicht doch 8
noch infiziertes Dentin zurückgeblieben ist.
Das klinische Vorgehen in Stichworten: Vorgehen 9
 Exkavation des kariösen Dentins indirekte
 Aufbringen einer dünnen Schicht eines erhärtenden Kalziumhydro- Überkappung
xid- oder Kalziumsilikatpräparats auf die pulpanahen Bezirke
10
 Unterfüllung
 Deckfüllung 11
Es wird in regelmäßigen Abständen eine Nachkontrolle (Vitalitätsprobe, 12
Inspektion, Perkussion) durchgeführt. Die Prognose ist bei richtiger In-
dikationsstellung gut. 13
Bei Anzeichen einer Pulpanekrose wird eine Wurzelkanalbehand-
lung eingeleitet. Kann die Kavität nicht korrekt verschlossen werden
14
Abb. 5.4: Versorgung einer
Restauration
Kavität nach Exkavation
einer Caries profunda (Cp-
Behandlung, indirekte
15
Unterfüllung
Überkappung). Als Überkap-
pungsmaterial wird punk-
tuell an der tiefsten Stelle Kalzium-
16
der Kavität ein Kalziumhy- hydroxid-
Präparat
droxidmaterial (subbase)
aufgebracht. Eine Unterfül-
17
lung (base) deckt das freilie-
gende Dentin ab. Erst darü- Pulpa
ber liegt die Deckfüllung. 18
Bei Kompositrestaurationen
wird heute auf diese Art der
Dentinwundversorgung 19
i.d.R. verzichtet und statt-
dessen ein Adhäsivsytem
verwendet. Alternativ kann 20
auch statt Kalziumhydroxid ein hydraulischer Zement verwendet werden.

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190 5 Grundlagen der invasiven Therapie

und bestehen Zeichen einer irreversiblen Pulpitis, ist die beschriebene


Behandlungsmethode kontraindiziert.
Schrittweise In der Literatur wird in diesem Zusammenhang eine schrittweise
Entfernung Entfernung der Karies beschrieben. Dabei wird bei einem symptomlo-
der Karies sen (schmerzfreien) Zahn nach Teilexkavation im pulpanahen Bereich
ein möglichst umschriebenes Areal erweichten Dentins belassen und
mit einem Kalziumhydroxid- oder Kalziumsilikatpräparat überdeckt.
Die Kavität wird dann zwischenzeitlich für 2–3 Monate verschlossen,
um eine Reizdentinbildung abzuwarten. Das Präparat soll Folgendes be-
wirken:
 Abtötung verbliebener Mikroorganismen
 Neutralisation von Kariessäuren
 Härtung und Austrocknung des erweichten Dentins
 Anregung der von Reaktions- (Sklerosierung der Dentinkanälchen)
und Reparaturdentin (Tertiärdentin)

Nach diesem Zeitraum wird der Zahn auf Sensibilität geprüft, die Res-
tauration wieder entfernt und die Restkaries exkaviert. Anschließend
wird der Zahn mit einer endgültigen Restauration versorgt.
In neueren Studien konnte bestätigt werden, dass es bei Anwendung
dieser Methode sehr viel seltener zur Eröffnung der Pulpa kommt als bei
der einzeitigen Exkavation. Nahezu ausgeschlossen werden kann eine
ungewollte Pulpaeröffnung, wenn in der ersten Sitzung nur das stark er-
weichte Dentin entfernt und nach entsprechender Versorgung erst
nach 6–12 Monaten die endgültige Exkavation der Restkaries durchge-
führt wird.
Klinisches Vorge- Das klinische Vorgehen in Stichworten:
hen schrittweise 1. Sitzung:
Kariesentfernung  Klinische und röntgenologische Untersuchung mit Sensibilitätsprü-
fung des betroffenen Zahnes
 Kariesentfernung bei Belassung einer kleinen Menge kariösen Den-
tins in Pulpanähe
 Auftragen eines weich bleibenden Kalziumhydroxidpräparats auf
das belassene kariöse Dentin
 (Unterfüllung)
 Deckfüllung

2. Sitzung:
 Sensibilitätsprüfung
 Entfernen der Deckfüllung und Unterfüllung
 Entfernung des belassenen kariösen Dentins
 Abdeckung des pulpanahen Bezirks mit einem erhärtenden Kalzi-
umhydroxid- oder Kalziumsilikatpräparat in dünner Schicht
 (Unterfüllung bei Amalgamfüllungen und bei indirekten Restaura-
tionen)
 Füllung

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5.5 Indirekte Überkappung – CP-(Caries profunda-)Behandlung Kapitel 5 191

Man ist dabei auf eine hundertprozentige Mitarbeit des Patienten ange-
wiesen. Kommt der Patient nach der ersten Exkavation nicht wieder in 1
die Praxis, weil er keine Schmerzen verspürt, führt die belassene kariöse
Zahnhartsubstanz möglicherweise zu einem Kariesrezidiv und nachfol- 2
gend häufig zu einer Pulpitis.
Bei einer indirekten Überkappung wird Kalziumhydroxid oder Kalzi- Wirkung von
umsilikat eingesetzt, da man eine Alkalisierung des Dentins erreichen Kalziumhydroxid
3
will. Außerdem wirkt Kalziumhydroxid vorübergehend bakterizid.
Durch die Anwendung des Kalziumhydroxids wird die Reaktionslage 4
der Pulpa verbessert und ein möglicher Säureschub durch eine anschlie-
ßend aufgebrachte saure Unterfüllung aufgefangen. 5
Kalziumhydroxid ist bis zu einem gewissen Grad wasserlöslich, es
dissoziiert dabei und wirkt alkalisch. Aufgrund der Ionenabgabe besitzt
es einen antimikrobiellen Effekt, der jedoch bei Austrocknung verloren
6
geht. Gibt man zu einem ausgetrockneten Präparat wieder Wasser
hinzu, so wird die antimikrobielle Wirksamkeit erneut hergestellt. 7
Mit dem Kohlendioxid der Luft kann Kalziumhydroxid partiell Kal-
ziumkarbonat bilden und damit inaktiviert werden. Wird Kalziumhy- 8
droxid auf das Dentin aufgebracht, so diffundiert es durch die Dentin-
kanälchen und wirkt bei einer dünnen Dentinschicht auch auf das Pul- 9
pagewebe. Mit zunehmender Liegedauer kommt es jedoch zu einer
Diffusionshemmung durch Ausfällung schwer löslicher Kalziumsalze in
den Dentinkanälchen.
10
Sowohl bei Kalziumhydroxidpräparaten als auch bei kalziumsilikat-
haltigen Produkten werden bioaktive Moleküle aus dem Dentin he- 11
rausgelöst (z.B. TGF β1). Diese stimulieren den natürlichen Heilungs-
prozess des Zahnes entweder, indem sie Odontoblasten aktivieren, die 12
extrazelluläre Matrix für die Anreicherung von Kalzium und Phosphat
zu stimulieren (direkte Reaktion), oder indem sie nach Diffusion in das 13
Pulpagewebe entsprechende Vorläuferzellen zu einer Differenzierung in
Odontoblasten anregen, die dann atubuläres Fibrodentin oder sogar
reguläres tubuläres Dentin im Rahmen eines länger andauernden repa-
14
rativen Prozesses bilden. Außerdem führen die bei dieser Prozedur frei-
gesetzten Kalziumionen zu einer Expression von Osteopontin, Osteo- 15
calcin und Bone Morphogenetic Protein (BMP-II) durch osteoblasten-
ähnliche Zellen und Fibroblasten in der Pulpa. Zudem versucht man, 16
mit kalziumhaltigen Zementen die Mineralisation von freiliegendem,
aber noch mineralisierbarem Kollagen in der Kavität zu beschleunigen.
Ähnliche Prozesse können auch durch Säuren bzw. EDTA ausgelöst
17
werden. Dabei ist allerdings die Grenze zwischen stimulierenden und
schädigenden Prozessen auf die Pulpazellen von zahlreichen Faktoren 18
abhängig, wie z.B. dem Entzündungsgrad der Pulpa, der Dauer und
Stärke der Säurewirkung usw. 19
Kalziumhydroxid gibt es in unterschiedlichen Präparateformen (s. Präparateformen
Abb. 5.5). 20

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192 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Suspension Zement

Wasser Säure

Kombinationen
mit verschiedenen Kalziumhydroxid Öle Kitt
Zementen

Monomer Lack

„lichthärtende
Ca(OH)2-Präparate“ Liner

Abb. 5.5: Einteilung der verschiedenen Kalziumhydroxidmaterialien nach ihrer Zu-


sammensetzung (nur Hauptbestandteile) (nach Staehle 1990)

Wässrige Lösungen (Hypocal, Calxyl) werden aus Kalziumhydro-


xidpulver und Wasser bzw. Kochsalzlösung hergestellt. Das Pulver wird
zum Teil von Herstellern zusätzlich mit Kalziumchlorid, Kaliumchlorid,
Natriumchlorid und Natriumbikarbonat versetzt (Calxyl). Es können
zusätzlich Röntgenkontrastmittel (wie z.B. Titanoxid) beigemischt sein.
Die rein wässrigen Kalziumhydroxid-Lösungen sind zum Teil schlecht
applizierbar. Es wird ihnen deshalb bei industrieller Herstellung ein Ver-
dickungsmittel zugefügt. Fertige Kalziumhydroxid-Lösungen und Kalzi-
umhydroxidpulver müssen in gut verschließbaren Behältern aufbe-
wahrt werden, damit sich kein Kalziumkarbonat durch Einwirkung des
Luftkohlendioxids bildet.
Unter Linern (Hydroxyline, Tubulitec) versteht man Kavitätenla-
cke, die mit Kalziumhydroxid versetzt sind.
Kitte (z.B. Gangraena Merz) sind ölhaltige Substanzen, die mit Kal-
ziumhydroxid versetzt sind. Durch Verseifung entstehen bei der Reak-
tion Glyzerin und schwer lösliche Kalziumsalze der Fettsäure. Als Bei-
spiel für ein auf dem Markt befindliches Produkt ist die Verbindung von
Rinderklauenöl mit Kalziumhydroxid zu nennen.
Zemente (Dycal, Kerr-Life) sind Säuren, die mit Kalziumhydroxid
gemischt werden. Es handelt sich bei den gängigen Produkten um einen
Salizylatester, welcher mit Kalziumhydroxid eine Chelatbindung ein-
geht. Es entsteht dabei Kalziumsalizylatzement. Zusätzlich können in
diesen Produkten Füllstoffe, plastifizierende Substanzen (z.B. Ethylto-
luolsulfonamid) und Farbpigmente enthalten sein. Es handelt sich bei
diesen Zementen meistens um Paste/Paste-Produkte, die nach Zusam-
menrühren aushärten.
Kunststoffpräparate (sog. lichthärtende Kalziumhydroxidpräpa-
rate): Als Hauptbestandteil dieser Präparate ist die Matrixsubstanz Ure-
thandimethacrylat zu nennen. Man wollte mit diesen Präparaten die
chemische Beständigkeit der Kalziumsalizylatzemente verbessern. Dabei

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5.6 Dentinwundversorgung Kapitel 5 193

wurde jedoch die Ionenabgabe so weit herabgesetzt, dass diese Präparate


praktisch keine Kalziumhydroxid-Wirkung mehr aufweisen. 1
Zahlreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass die Kalzium- und
Hydroxylionenabgabe bei den verschiedenen Präparaten unterschied- 2
lich hoch ist. Bei weich bleibenden Pasten ist sie am größten. Bei den
Zementen ist sie schon erheblich geringer und bei den Linern, Kitten
und Kunststoffpräparaten lässt sich eine Kalzium- und Hydroxylionen-
3
abgabe kaum noch feststellen.
4
Auch wenn bei den Kalziumsalizylat-Präparaten von Zementen ge-
sprochen wird, eignen sich diese nicht als Einheitsunterfüllung. 5
Da sie nur eine geringe Druckfestigkeit aufweisen und sich auch unter
Füllungen auflösen, dürfen sie nur kleinflächig im Bereich der indirek-
6
ten Überkappung appliziert werden. Unter Kompositfüllungen ließen
sich zudem Farbveränderungen dieser Präparate feststellen, die zu äs- 7
thetischen Problemen führten. Bei der Anwendung lösungsmittelhalti-
ger Dentinadhäsive (z.B. Azeton) können Kalziumhydroxidpräparate 8
angelöst werden.
Es gibt außer den genannten Präparaten weitere Kombinationen Kombinationen 9
von Kalziumhydroxid mit anderen Materialien. Als Beispiel sei hier die
Mischung eines Kalziumsalizylatzements mit Zinkoxid-Eugenol-Zement
(Cp-Cap) genannt. Die Druckfestigkeit dieser Präparate liegt jedoch
10
nicht über denen des Kalziumsalizylatzements. Sie lassen sich also auch
nicht als Unterfüllungsmaterial verwenden. 11
Beim Einsatz von Kompositmaterialien in Verbindung mit Adhäsiv- 12
systemen (totale Adhäsivtechnik) wird auch bei tiefen Kavitäten
meistens auf einen Pulpaschutz mit einem Kalziumhydroxid-Mate- 13
rial verzichtet. Man geht heute davon aus, dass durch den bakte-
riendichten Verschluss der Dentinwunde die Pulpa ausreichend ge-
schützt ist.
14
15
5.6 Dentinwundversorgung
16
! Nach der Exkavation einer Karies und der Präparation einer Kavi-
tät resultiert eine mehr oder weniger große Dentinwunde, die mit
einem geeigneten Dentinwundverband abgedeckt werden muss.
17
Der Dentinwundverband soll die Pulpa schützen und gleichzeitig
den Ausstrom von Dentinliquor aus den Dentinkanälchen unter- 18
binden.
19
Mit zunehmender Tiefe der Kavität nimmt die Wundfläche zu.
Bei tiefen Kavitäten mit makroretentiv verankerten Restaurationen 20
wird die Wundfläche mit einer Unterfüllung abgedeckt. Mit dem Ein-

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194 5 Grundlagen der invasiven Therapie

satz von Kompositrestaurationsmaterialien, die adhäsiv in die Kavität


eingebracht werden und die auch als Aufbaumaterialien unter Teilkro-
nen und Kronen Verwendung finden, hat das Legen einer Unterfüllung
an Bedeutung verloren. Unterfüllungen werden allerdings nach wie vor
unter Metallrestaurationen wie z.B. Amalgamfüllungen oder Metallteil-
kronen gelegt, auch um vor der Weiterleitung von kalten und heißen
Temperaturen zu schützen.

Bei der minimalinvasiven Präparationstechnik, speziell in Verbin-


dung mit der Adhäsivtechnik, ist keine Unterfüllung erforderlich.

Anforderungen Die Unterfüllung muss folgende Anforderungen erfüllen:


 Sie soll die Pulpa vor chemischen, thermischen und bakteriellen Rei-
zen schützen.
 Sie soll alle zur Pulpa gerichteten Kavitätenwände abdecken.
 Sie muss biokompatibel sein.
 Sie soll im Seitenzahnbereich druckfest sein.
 Im Mundhöhlenmilieu soll sie eine geringe Löslichkeit besitzen.
 Bei Anwendung adhäsiv befestigter Materialien muss sie zudem säu-
refest sein und darf kein Eugenol enthalten.

Unterfüllungsmaterialien werden oft auch zum Ausblocken unter sich


gehender Stellen bzw. als Aufbaumaterial für Kronenpräparationen ver-
wendet. Bei großen Kompositrestaurationen lässt sich mit einer Unter-
füllung die verwendete Kompositmenge verringern. Die Unterfüllung
ermöglicht zudem eine restlose Entfernung einer zahnfarbenen Restau-
ration ohne die Gefahr einer iatrogenen Pulpaeröffnung.

Kalziumhydroxidpräparate eignen sich nicht als alleinige Unterfül-


lung, da sie durch den Dentinliquor desintegriert werden.

Es resultiert dann die Fraktur der Deckfüllung. Sie werden ausschließ-


lich im Sinne einer direkten und indirekten Überkappung in sehr be-
grenzten Bereichen aufgebracht und müssen von einem druckfesten
und/oder säurefesten Unterfüllungsmaterial überdeckt werden.

Es sollte nie Zahnhartsubstanz geopfert werden, um Platz für ein


Unterfüllungsmaterial zu schaffen.

Die bekannten Dentinwundverbände für den oben genannten Indikati-


onsbereich lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Lacke/Liner und Ze-
mente. Adhäsivsysteme, die in Verbindung mit Kompositmaterialien
als Dentinwundverband Anwendung finden, werden in Kapitel 6.1.4
beschrieben, da sie gleichzeitig die Aufgabe haben, als Haftvermittler
zwischen Restaurationsmaterial und Dentin zu dienen.

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5.6 Dentinwundversorgung Kapitel 5 195

5.6.1 Lacke und Liner


1
Unter Lacken versteht man in der restaurativen Zahnheilkunde Harze,
die in einem organischen Lösungsmittel gelöst sind. Nach Aufbringen 2
des Lacks verdunstet das Lösungsmittel und es verbleibt das Harz zurück.
Liner haben außerdem therapeutische Zusätze wie Kalziumhydroxid,
Zinkoxid u.a. Die Lösungsmittel der Lacke und Liner können nicht
3
nicht als pulpafreundlich eingestuft werden (z.B. Cavity-Liner, Copalite).
4
5.6.2 Zemente 5
Zemente sind Stoffgemische, die in Pulverform vorliegen und mit
Wasser oder wässrigen Lösungen angemischt werden (s. Tab. 5.2).
6

Es entsteht eine plastische Masse, die anschließend aushärtet. Einige Be- 7


standteile der Zemente verbleiben dabei ohne Reaktion in der ausgehär-
teten Masse. Die Zemente lassen sich einteilen in Zinkoxid-Phosphat- 8
zement, Zinkoxid-Eugenolzement, Ethoxibenzoesäurezement, Carbo-
xylatzement und Glasionomerzement (s. Tab. 5.3). 9
Tab. 5.2: Einteilung der Zemente nach ihren Hauptbestandteilen 10
Pulver Flüssigkeit
Phosphorsäure Polyacrylsäure 11
Zinkoxid Phosphatzement Carboxylatzement
Glas Silikatzement Glasionomerzement 12
Tab. 5.3: Physikalische Eigenschaften gebräuchlicher Zemente im Vergleich 13
zu Dentin und Amalgam (nach Eichner 2008)
Wärmeleit- Abbindezeit Druckfes- Löslichkeit Filmdicke
fähigkeit bei 37 °C tigkeit nach 24 h (μm)
14
(W/K × m) (min) (N/mm2) (Masse%)
Zinkphosphat- 1,3–3,1 6–9 80–140 0,05–0,2 10–60
15
zement
Zinkoxid- 1,7 – 14–40 0,02–0,1 25 16
Eugenolzement
EBA-Zement – 6–10 70–100 0,05 25–42 17
Carboxylat- 1,0 – 40–120 0,03–0,8 15–30
zement 18
Glasionomer- – 5 140–180 0,3–5 25
zement 19
Dentin 0,6–2,2 – 200–350 – –
Amalgam 21 150 300–500 – –
20

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196 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Zinkoxid-Phos- Zinkoxid-Phosphatzement findet als Unterfüllungs- und Befesti-


phatzement gungszement Anwendung. Er besitzt eine hohe Druckfestigkeit. Bei
richtiger Anwendung ist eine mäßige Pulpareaktion zu beobachten, die
jedoch reversibel ist.
Zinkoxid-Phosphatzemente reagieren nach dem Anmischen stark
sauer. Erst nach Stunden wird ein neutraler pH-Wert erreicht. Je dünner
angemischt wird, desto länger dauert die Neutralisation und damit die
Pulpareizung. In tiefen Kavitäten sollte daher grundsätzlich an der
tiefsten Stelle vor Anwendung des Zements ein Kalziumhydroxidpräpa-
rat im Sinne einer indirekten Überkappung (CP-Behandlung) einge-
bracht werden, um die Säureeinwirkung auf die Pulpa zu reduzieren.
Das Pulver des Zinkoxid-Phosphatzements besteht zu 80–90 Gew.-%
aus Zinkoxid und – je nach Produkt unterschiedlichen – zusätzlichen
Beimengungen. Meistens wird bis 10% Magnesiumoxid zugegeben, um
die Druckfestigkeit des Zements zu erhöhen. Als Füllstoffe werden u.a.
Siliziumoxid und andere Oxide zugesetzt. Zusätzlich enthält das Pulver
Pigmente zur Farbgebung.
Die Flüssigkeit besteht zu 52–56 Gew.-% aus Orthophosphorsäure
(H3PO4) und Zusätzen von Zink und Aluminium zur Pufferung. Der Rest
der Flüssigkeit ist Wasser.
Die Verarbeitung des Zements ist ein wichtiger Faktor für dessen
qualitative Eigenschaften. Es sollte immer, gleichgültig ob der Zement
sahnig zum Einsetzen von Kronen oder in dicker Konsistenz als Unter-
füllungsmaterial angerührt wird, eine pulverreiche Mischung gewählt
werden. Dazu wird der Zement auf einer leicht gekühlten Glasplatte an-
gerührt, um die Reaktionswärme abzuleiten. Das Pulver wird portions-
weise in die Säure eingemischt, bis die richtige Konsistenz erreicht ist
(Pulver immer in Säure einrühren und nicht umgekehrt). Wurden Pul-
ver und Flüssigkeit aus den entsprechenden Gefäßen entnommen, so
sind diese sofort wieder zu verschließen, um eine Wasseraufnahme
durch die Säure (Hygroskopie) zu verhindern. Durch die Wasserauf-
nahme würde sonst die Abbindegeschwindigkeit gesteigert und es kann
weniger Zementpulver in die Säure eingerührt werden. Bleibt das Pulver
offen stehen, so reichert es sich mit Kohlendioxid aus der Luft an. Beim
Anmischen entstehen dann Gase, die zu einem stark porösen Zement
führen.
Nach dem Anmischen ist für einige Zeit noch freie Phosphorsäure
im Zement vorhanden, die eine Wirkung auf die Pulpa besitzt. Über
mehrere Vorstufen entsteht beim Abbinden bei den magnesiumoxid-
und aluminiumoxidhaltigen Zementen nach 24 Stunden tertiäres
Phosphat. Das tertiäre Phosphat bestimmt die Eigenschaften des abge-
bundenen Zements wesentlich, da es nur gering wasserlöslich ist. Die
Abbindereaktion ist exotherm. Die Abbindezeit liegt normalerweise
zwischen 5 und 9 min. Durch schnelle Pulverzugabe wird die Abbinde-
zeit erheblich verkürzt. Die Filmdicke eines adäquat angerührten Zink-
oxid-Phosphatzements, der zwischen zwei Glasplatten ausgepresst

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5.6 Dentinwundversorgung Kapitel 5 197

wurde, beträgt zwischen 15 und 40 μm. Es wurden allerdings auch


kleinste Werte von 5 μm gemessen. 1
Da Zinkoxid-Phosphatzement in der Mundhöhle löslich ist, müs- 2
sen beim Zementieren von Gussobjekten möglichst kleine Zement-
spalten angestrebt werden.
3
Beim Abbinden schrumpft der Zinkoxid-Phosphatzement (0,03–0,06%
in sieben Tagen im feuchten Milieu; 2% im trockenen Milieu). Phos- 4
phatzement ist somit nicht als Füllungsmaterial bzw. Dauerprovisorium
geeignet, da es Kavitäten nicht bakteriendicht verschließen kann. 5
Die Wärmeleitfähigkeit entspricht etwa der des Dentins; somit ist
auch die Schutzwirkung des Zements vor thermischen Reizen nicht sehr
ausgeprägt. Aufgrund seiner hohen Druckfestigkeit eignet sich Zink-
6
oxid-Phosphatzement jedoch als Unterfüllungsmaterial im Seiten-
zahnbereich. 7
Das Pulver der Zinkoxid-Eugenolzemente enthält 70 Gew.-% Zink- Zinkoxid-
oxid und 29 Gew.-% Harze, denen unterschiedliche Zinkverbindungen Eugenolzemente 8
beigemischt sind.
Die Flüssigkeit ist bei diesen Zementen Eugenol (38 Gew.-%), ein Phe- 9
nolderivat. Zinkoxid-Eugenolzemente werden gewöhnlich in der Zahn-
arztpraxis frisch angerührt, es gibt jedoch auch vorgefertigte Zemente.
10
Zinkoxid-Eugenolzemente werden vornehmlich als provisorische
Verschlussmaterialien und zum provisorischen Einsetzen von Kro- 11
nen und Brücken verwendet.
12
Beim Abbinden entsteht Zinkeugenolat in Form nadelförmiger Kris-
talle. Beim Anmischen wird eine pulverreiche Mischung angestrebt. Es 13
entsteht keine exotherme Reaktion, d.h., es ist genügend Zeit vorhan-
den, das Material adäquat anzumischen. Im Mund wird das Material
aufgrund der Körperwärme schnell hart.
14
Zinkoxid-Eugenolzemente besitzen eine geringere Druckfestigkeit
als Zinkoxid-Phosphatzemente. Sie eignen sich daher nicht als Unterfül- 15
lungsmaterial. Eugenol kann bei Kontakt mit Kunststoffen als Weich-
macher wirken. Es hemmt zudem die Polymerisation von Kompositma- 16
terialien. Zinkoxid-Eugenolzemente sind daher als provisorische Versor-
gung vor der Anwendung von Kompositen, Dentinhaftvermittlern,
Kompositklebern usw. kontraindiziert.
17
Zinkoxid-Eugenolzemente sind primär dichte provisorische Ver-
schlussmaterialien. Die Dichtigkeit nimmt jedoch schon nach wenigen 18
Tagen signifikant ab. Eugenol ist zu 25–50% aus dem abgebundenen Ze-
ment verfügbar. Es besitzt einen bakteriziden Effekt und ist in geringen 19
Konzentrationen pulpasedierend. Dieser lokalanästhesierende Effekt
ist jedoch nur bei entsprechend dicker Dentinmasse bzw. sehr pulver- 20
reich angerührten Zementen zu erzielen.

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198 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Eugenol ist als Phenolderivat zytotoxisch und neurotoxisch. Es kann


zudem Kontaktallergien erzeugen, da Eugenol auch in Parodontalver-
bänden und Wurzelfüllpasten vorhanden ist.

Eugenolhaltige Zemente sollten im Rahmen der Kariestherapie nur


sehr begrenzt angewendet werden (z.B. Zahn teilexkaviert und aus
zeitlichen Gründen nicht endgültig zu versorgen).

Ethoxibenzoe- Um die Festigkeit der Zinkoxid-Eugenolzemente zu erhöhen, wurden


säurezemente dem Pulver Methylmethacrylat und Aluminiumoxid zugesetzt. Die Flüs-
sigkeit wurde mit Ethoxybenzoesäure (ethoxybenzoicacid) versetzt. Es
entstehen so Ethoxibenzoesäurezemente (EBA-Zemente) mit verrin-
gerter Löslichkeit und hoher Druckfestigkeit, die sich als provisorische
Verschlussmaterialien eignen.

Zinkoxid-Eugenolzemente sind nicht als Material für direkte Über-


kappungen indiziert, da eine Dentinbrückenbildung unterbleibt
und eine bestehende Pulpaentzündung insistiert.

Carboxylat- Die Pulverzusammensetzung der Carboxylatzemente entspricht im We-


zemente sentlichen denen der Zinkoxid-Phosphatzemente. Die Flüssigkeit be-
steht zu 40–50 Gew.-% aus Polyacrylsäure. Die Polyacrylsäure ist viskö-
ser als die Phosphorsäure (Molekulargewicht 15 000–150 000). Daher er-
geben sich Probleme beim Mischen des Zements.
Es sollte immer die Dosierungsvorschrift eingehend studiert werden,
um die richtige pulverreiche Mischung zu erzielen, da sonst starke
Schrumpfung und schlechte physikalische Eigenschaften resultieren. Es
gibt Produkte, bei denen die Säure gefriergetrocknet wurde und dem
Pulver im richtigen Mengenverhältnis beigefügt ist. Diese Produkte wer-
den mit Wasser angerührt.
Carboxylatzemente härten unter Kettenbildung aus; dabei entsteht
ein Metallionenkomplex mit Zink. Die Polyacrylsäure kann jedoch auch
an das Kalzium der Zahnhartsubstanz binden und chemisch haften.
Carboxylatzemente sind besser pulpaverträglich als Zinkoxid-Phos-
phatzemente, da die Säure aufgrund der Molekülgröße nur langsam in
Richtung Pulpa diffundiert. Außerdem ist die Menge freier Säure gerin-
ger. Die Schrumpfung des Zements ist jedoch um ein Mehrfaches hö-
her als bei Zinkoxid-Phosphatzementen, die Druckfestigkeit geringer.
Die Löslichkeit der Carboxylatzemente entspricht der Löslichkeit
von Phosphatzementen. Sie eignen sich jedoch aufgrund ihrer geringen
Festigkeit nicht für Bereiche, die großen Belastungen ausgesetzt sind.
Carboxylatzemente besitzen keine chemische Haftung an Gold
und Platin und sind wegen der starken Schrumpfung den Phosphatze-
menten beim Einsetzen von Goldrestaurationen nicht überlegen.
Glasionomer- Glasionomerzemente werden nicht nur als Unterfüllungsmateria-
zemente lien, sondern auch als Füllungsmaterialien verwendet (s.a. Kap. 6.2). Sie

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5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes Kapitel 5 199

eignen sich als Unterfüllungsmaterialien unter Amalgam-, Komposit-


und Keramikrestaurationen. 1
Unterfüllungsmaterialien werden nach dem Anmischen mit abgerun-
deten oder planen Stopfern in die Kavität eingebracht. Dabei muss die 2
Kavität trocken gehalten werden. Sie härten je nach Material verschieden
lang aus und können anschließend mit Finierern geglättet werden. Um
Unterfüllungsreste an den nicht zur Pulpa gerichteten Kavitätenwänden
3
zu entfernen, empfiehlt es sich daher, Kavitäten erst nach Einbringen der
Unterfüllungen definitiv zu finieren. Unterfüllungsmaterialien dürfen 4
nicht den dichten Verschluss einer Kavität behindern. Wurde beim Ein-
bringen der Kavitätenrand mit einem Unterfüllungsmaterial kontami- 5
niert, so muss dieses grundsätzlich vor Füllungstherapie entfernt werden.
Unterfüllungen erfüllen damit neben ihrer Funktion des Dentin-
und Pulpaschutzes auch die Aufgabe, die einzubringende Menge an Fül-
6
lungsmaterial zu reduzieren. Dies gilt auch für Einlagerestaurationen.
Hier werden sie aber zusätzlich zum Ausblocken unter sich gehender 7
Stellen und zum Aufbau verloren gegangener Zahnhartsubstanz verwen-
det. Bei Kompositrestaurationen werden Adhäsivsysteme (s. Kap. 6.1.4) 8
zur Dentinwundversorgung verwendet. Bei richtiger Anwendung ver-
schließen sich die Dentinkanälchen und können sowohl mit der Zahn- 9
hartsubstanz als auch mit Kompositmaterialien eine Bindung eingehen.

10
5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes
11
Bei zahlreichen invasiven Behandlungsmaßnahmen muss das Arbeits-
feld trocken gehalten werden. Kontamination mit der Mundflüssigkeit 12
oder Blut verändert die Eigenschaften der Füllungswerkstoffe und behin-
dert deren Insertion und Adaptation. Speichel enthält zudem unter- 13
schiedliche orale Mikroorganismen, die z.B. im Rahmen einer endodon-
tischen Behandlung den Wurzelkanal besiedeln und zu einer Infektion
des periapikalen Gewebes beitragen können. Es könnten zahlreiche an-
14
dere Gründe für die Notwendigkeit einer optimalen Trockenlegung auf-
geführt werden. Es soll hier jedoch darauf verzichtet werden, da diese bei 15
den einzelnen therapeutischen Maßnahmen im Detail erläutert werden.
16
5.7.1 Relative Trockenlegung
17
Bei guter Mitarbeit des Patienten lassen sich die Exkavation kariöser Be-
zirke und konventionelle Füllungstherapie bei relativer Trockenlegung 18
mit Watterollen gut durchführen. Dazu werden Watterollen je nach Be-
handlungssituation im Oberkiefer im Vestibulum und im Unterkiefer 19
im Vestibulum und im Sublingualraum eingelegt. Haben sich die Wat-
terollen mit Speichel vollgesogen oder werden sie mit Wasserspray voll- 20
ständig durchnässt, müssen sie während der Behandlung gewechselt

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200 5 Grundlagen der invasiven Therapie

werden. Trockene Watterollen kleben an den Mundschleimhäuten. Es


kann beim Entfernen dieser Watterollen zu breitflächigen Verletzungen
der Mundschleimhaut kommen; daher müssen sie vorher mit Wasser-
spray durchfeuchtet werden.

5.7.2 Absolute Trockenlegung (Kofferdam)

Bei der Mehrzahl der restaurativen Maßnahmen empfiehlt sich das Le-
gen von Kofferdam (absolute Trockenlegung).
Kofferdam wurde bereits 1894 von S.C. Barnum in die Zahnheil-
kunde eingeführt. Dennoch findet die Technik der absoluten Trocken-
legung mit Kofferdam in den deutschen Zahnarztpraxen bisher wenig
Gegenliebe. Sie bietet aber gerade dem restaurativ tätigen Zahnarzt her-
vorragende Arbeitsbedingungen, weil sie einerseits eine saubere Verar-
beitung von Füllungsmaterialien unter optimaler Sicht erlaubt, anderer-
seits den Patienten vor Aspiration und Verschlucken von Instrumenten
und Materialien schützt.
Dem angeblich erhöhten Zeitaufwand, der beim Anlegen von Kof-
ferdam im Vergleich zum Legen von Watterollen notwendig ist, kann
eine erhebliche Zeitersparnis gegenüberstehen. So fallen z.B. das zeitauf-
wendige Sichern endodontischer Kleininstrumente, der Zeitaufwand
beim Wechseln der Watterollen und unnötige Unterbrechungen wäh-
rend der Behandlung durch „gesprächige“ Patienten weg. Eine genaue
Kenntnis des Instrumentariums und der Applikationstechniken ermög-
licht es, die Kofferdam-Technik als Routineverfahren in die tägliche
zahnärztliche Praxis Eingang finden zu lassen.
Indikationen Folgende Gründe, die absolute Trockenlegung mit Kofferdam zu
wählen, lassen sich anführen:
 Spezifische Eigenschaften eines zu verarbeitenden Werkstoffs, die
am besten unter absoluter Trockenlegung zu realisieren sind. Dies
gilt z.B. für die adhäsive Restaurationstechnik mit Kompositmateria-
lien. So muss die konditionierte Schmelz- oder Dentinoberfläche vor
Blut- und Speichelkontamination geschützt werden. Nur dann ist
eine innige Verzahnung (Adhäsion) zwischen Komposit und Zahn-
hartsubstanz möglich.
 Gänzlich andere Überlegungen indizieren die Verwendung von Kof-
ferdam z.B. in der Endodontologie oder bei der Behandlung von Pa-
tienten mit infektiösen Erkrankungen. Bei der endodontischen Be-
handlung steht die Keimfreiheit bzw. Keimarmut des Operationsfel-
des bei der Wurzelkanalaufbereitung und -füllung im Vordergrund.
Gleichzeitig bietet der Kofferdam aber auch Schutz vor Verschlu-
cken und Aspiration der endodontischen Kleininstrumente.
 Bei der Behandlung infektiöser Patienten mit rotierenden Instru-
menten ist der Kofferdam der effektivste Schutz für den Behandler
vor speichelkontaminierten Aerosolen.

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5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes Kapitel 5 201

 Aber auch in der allgemeinen Füllungstherapie, z.B. beim Zementie-


ren von Gussfüllungen, kann die Anwendung von Kofferdam der 1
Garant für einen dauerhaften Erfolg der eingebrachten Restauration
sein. 2
Es gibt natürlich auch Behandlungssituationen, in denen kein Koffer- Kontra-
dam gelegt werden kann. Dazu zählen schwere obstruktive Atemwegser- indikationen
3
krankungen, Klaustrophobie, in manchen Fällen Epilepsie, geistige
und/oder körperliche Behinderungen. 4
Da moderne adhäsive Materialien heute nicht selten selbst hydro- 5
phile Bestandteile enthalten, kann man in Einzelsituationen auch
auf Kofferdam verzichten, wenn durch relative Trockenlegung ver-
hindert werden kann, dass Blut oder Speichel während der Behand-
6
lung in die Kavität fließt.
7
Das Grundinstrumentarium (s. Abb. 5.6) für die Kofferdam-Technik Grund-
besteht aus Kofferdam-Gummi, Kofferdam-Lochzange, Lochschablone, instrumentarium 8
Kofferdam-Klammern, Kofferdam-Klammerspannzange, Zahnseide,
Heidemann-Spatel, Schere und Kofferdam-Spannrahmen. 9
Kofferdam-Gummi wird in vorgefertigten Stücken oder als Rolle ge- Kofferdam-
liefert. Es ist in unterschiedlichen Farben (Beige, Braun, Grün, Blau, Gummi
Rosa) und in fünf Stärken (dünn: 0,15 mm, mittel: 0,20 mm, stark:
10
0,25 mm, extrastark: 0,30 mm und spezialstark: 0,37 mm) erhältlich.
Das für eine restaurative Behandlung vorbereitete Kofferdam-Stück 11
sollte eine Seitenlänge von mindestens 15 cm haben. Dunkles Koffer-
dam-Gummi bietet einen hohen Farbkontrast zu den Zähnen. Beigefar- 12
benes Kofferdam-Gummi hat nur geringen Farbkontrast zum Zahn und
lässt tiefer liegende Weichteile des Mundes noch durchscheinen. Es er- 13
leichtert damit die Entfernung des Gummis nach erfolgter Behandlung
ohne die Gefahr der Verletzung von Lippe oder Zunge. Dünnes und
mittelstarkes Kofferdam-Gummi lässt sich leichter applizieren, reißt je-
14
doch auch eher als starkes Gummi. Starkes Gummi legt sich besser an
die Zähne an und besitzt eine stärkere Retraktionswirkung auf die Gin- 15
giva als dünnes Gummi. Für die Routinebehandlung in der restaurati-
ven Zahnheilkunde eignet sich Kofferdam-Gummi der Stärke 0,25 mm. 16
Es gibt spezielles latexfreies Kofferdamgummi für Patienten mit Latexal-
lergie.
Kofferdam ist gegen bestimmte Lösungsmittel wie Azeton und Chlo-
17
roform nicht beständig. Gerade in der zahnmedizinischen Behandlung
verwendete Produkte können diese oder ähnliche Lösungsmittel bein- 18
halten.
Um vorzeitiges „Altern“ des Kofferdams zu vermeiden, sollte er vor 19
Lichteinwirkung geschützt und kühl gelagert werden.
Im Dentalhandel sind verschiedene Lochschablonen erhältlich, auf Lochschablonen 20
denen stilisiert die Zahnreihen des Ober- bzw. Unterkiefers aufgezeich-

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202 5 Grundlagen der invasiven Therapie

2 3
1
4
5

15 cm

4 cm

15 cm

Abb. 5.6: Instrumentarium für die Kofferdamapplikation: a) Auswahl unterschiedlicher Klammern, b) Kof-
ferdamlochzange, c) Klammerspannzange, d) Kofferdamgummi mit vorgestanzten Löchern für Restaura-
tionen der Oberkiefer-Frontzähne

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5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes Kapitel 5 203

net sind. Legt man das Kofferdam-Gummi auf diese Schablonen, so las-
sen sich die Zähne, für die Löcher in das Gummi gestanzt werden sollen, 1
auf dem Gummi markieren. Es gibt für diesen Zweck auch vorgefertigte
Stempel, mit denen die Zahnreihen des Oberkiefers und Unterkiefers 2
auf das Gummi gedruckt werden können.
Lässt die Zahnstellung des Patienten diese Vorgehensweise nicht zu, Spannrahmen
kann man das Gummi auf den Spannrahmen aufspannen und die
3
Zähne direkt am Patienten markieren.
Anschließend wird mit der Kofferdam-Lochzange für jeden zu iso- Kofferdam- 4
lierenden Zahn ein Loch entsprechender Größe gestanzt. Lochzange
Die Kofferdam-Lochzange besitzt eine Trommel mit 5–6 Lochgrö- 5
ßen (0,5–2,2 mm). Das größte Loch eignet sich im Allgemeinen für
große Molaren, Prämolaren, Canini und obere Inzisivi, das drittgrößte
Loch für die oberen, seitlichen und die unteren mittleren und seitlichen
6
Inzisivi.
Kofferdam-Klammern gibt es in vielen Variationen. Aus Praktikabi- Kofferdam- 7
litätsgründen sollte man sich auf ein begrenztes Sortiment beschränken. Klammern
So benötigt man für alle Zahngruppen meist nur 1–2 Klammervariatio- 8
nen. Zusätzlich sollten für endodontische Maßnahmen noch „tief grei-
fende“ Klammern verfügbar sein. Natürlich lassen sich die im Dental- 9
handel erhältlichen Klammern individuell auf den Behandlungsfall mo-
difizieren.
10
Vor der Kofferdam-Applikation müssen die approximalen Kontakt-
punkte der entsprechenden Zähne mit Zahnseide auf Durchgängig- 11
keit überprüft werden.
12
Anschließend wird die ausgewählte Kofferdam-Klammer auf ihren Sitz
am Zahn überprüft. Sie muss am Zahn unterhalb des anatomischen 13
Äquators einen Vierpunktkontakt aufweisen und darf weder wackeln
noch vom Zahn abgleiten.
Es empfiehlt sich, die Klammer bei der Anprobe mit Zahnseide zu Kofferdam-
14
sichern, um zu verhindern, dass der Patient die Klammer verschluckt, Applikation
falls sie versehentlich aus der Kofferdam-Klammerspannzange rutscht. 15
Die Klammer wird zur Anprobe mit der Kofferdam-Klammerspann-
zange in den dafür vorgesehenen Löchern gefasst und so weit aufge- 16
spannt, dass sie unter leichtem Kontakt zum Zahn nach zervikal gescho-
ben werden kann. Ein Überdehnen der Klammer ist zu vermeiden.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, Kofferdam zu applizieren. Man kann
17
nach Platzieren der Klammer das Kofferdam-Gummi über die Klammer
stülpen. Es ist jedoch auch möglich, erst das Kofferdam-Gummi und an- 18
schließend die Klammer zu platzieren. Die effektivste Methode ist je-
doch die dritte Möglichkeit. Man platziert außerhalb der Mundhöhle 19
das Gummi über den distalen Klammerbügel und appliziert dann die
Klammer mit dem Gummi gemeinsam. Anschließend wird das Gummi 20
mit geschlossener Pinzette oder einem Kugelstopfer über die mesialen

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204 5 Grundlagen der invasiven Therapie

Klammerfortsätze gebracht. Manchmal ist es auch möglich, statt einer


Kofferdam-Klammer spezielle Gummibänder (Wedjets) zur Fixierung
des Kofferdams zu verwenden. Die dehnbaren Gummibänder werden
dabei wie Zahnseide in den Approximalraum eingebracht und halten
dort aufgrund ihrer Spannung das Kofferdam-Gummi in Position.
Zahngruppen Bei restaurativen Maßnahmen empfiehlt es sich jedoch, ganze
Zahngruppen aus der Mundhöhle zu isolieren. Dabei werden die Klam-
mern, soweit möglich, nicht auf die zu behandelnden Zähne gesetzt, da-
mit sie bei der Behandlung des Zahnes (z.B. beim Legen einer Matrize)
nicht stören.
So wird man bei Behandlung der Oberkiefer-Frontzähne das Kof-
ferdam-Gummi vom rechten Prämolar bis zum linken Prämolar appli-
zieren. Dabei werden auf die Prämolaren die entsprechenden Klammern
appliziert und das Gummi an den Canini und Inzisivi durch eine Liga-
tur mit gewachster Zahnseide fixiert. Das Kofferdam-Gummi sollte da-
bei in den Sulkus eingestülpt werden, um einen sicheren Sitz und eine
optimale Abdichtung im Bereich des Zahnhalses zu gewährleisten.
Es gibt spezielle Techniken, die es auch bei Vorhandensein von Brü-
ckenkonstruktionen in der Mundhöhle erlauben, eine Abdichtung mit
Kofferdam-Gummi zu erzielen.
Entfernung Die Entfernung des Kofferdam-Gummis muss ebenso sorgfältig er-
folgen wie die Applikation. Es empfiehlt sich, nach Abnahme der Klam-
mern zunächst die Gummistege zwischen den Zähnen mit einer Schere
zu durchtrennen und erst dann das Gummi zu entfernen. Dabei wird
vermieden, dass Gummireste im Sulkus verbleiben, die anschließend
Ursache für eine akute lokale Entzündungsreaktion sein können.

Der auf Qualität bedachte Zahnarzt wird nach kurzer Eingewöh-


nungsphase auf die Anwendung von Kofferdam in der täglichen
restaurativen Praxis kaum noch verzichten wollen, garantiert die
Anwendung von Kofferdam doch ein effizientes Arbeiten bei Erhö-
hung des Behandlungskomforts für den Patienten.

Gleichzeitig kann eine Verbesserung der Qualität restaurativer Maßnah-


men gewährleistet werden. Oft lässt sich bei endodontisch zu behan-
delnden Zähnen keine Kofferdam-Klammer applizieren, weil der Zahn
bis zum Gingivalsaum zerstört ist. Dann muss dieser vor der Behand-
lung so aufgebaut werden, dass Kofferdam gelegt werden kann. Es kann
sogar in Ausnahmefällen eine Kronenverlängerung durch eine modifi-
zierte Lappenoperation erforderlich sein.
Ergibt sich nach Legen des Kofferdams eventuell ein minimales
Leck, weil die Löcher zu weit auseinander gestanzt wurden, so lässt sich
dieses mit Cavit (provisorisches Füllungsmaterial aus Zinksulfat, Zink-
oxid in Verbindung mit Calciumsulfat-Hemihydrat) abdichten. Dieses
provisorische Füllungsmaterial ist hygroskopisch. Bei größeren Undich-
tigkeiten muss jedoch die Kofferdam-Applikation wiederholt werden.

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5.7 Vorbereitung des Arbeitsfeldes Kapitel 5 205

Beim Umgang mit Kofferdam können auch unter Anwendung der


erforderlichen und nötigen Sorgfalt Komplikationen auftreten. Dazu 1
zählen Traumatisierung von Zahnhartsubstanzen und Weichgeweben,
Lösen und Beschädigen von Restaurationen wie Verblendkeramik, Frak- 2
turen von Kofferdamklammern, Zahnfrakturen.
Neuentwicklungen von Kofferdamsystemen sollen eine klammer-
freie Applikation ermöglichen.
3
Es gibt zudem sogenannte Gingivaprotektoren (flüssiger Koffer- Flüssiger
dam), die unter anderem bei Zahnaufhellungsmaßnahmen (Bleaching) Kofferdam 4
verwendet werden. Sie eignen sich auch zum Abdichten kleiner Undich-
tigkeiten am klassischen Kofferdam. Der Gingivaprotektor wird direkt 5
auf die Gingiva aufgebracht, erstarrt dort und bietet so einen gewissen
Schutz vor Chemikalien.
6
7
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Kapitel 6 207

6 Restaurationen mit plastischen


Füllungsmaterialien 1
2
3
Für die Restauration invasiv zu therapierender (kariös und nicht kariös) 4
Zahnhartsubstanzdefekte stehen heute zahlreiche Materialien zur Ver-
fügung. Sie lassen sich, wie in der Tabelle 6.1 (s. S. 208) aufgeführt, ein- 5
teilen. Die Indikation für das jeweilige Füllungsmaterial kann zahnbe-
zogen (z.B. Größe und Lage des kariösen Defektes, Primärversorgung,
Ersatzfüllung) oder patientenbezogen (z.B. gesundheitliche und toxiko-
6
logische Risiken, Bruxismus, Ästhetik, finanzielle Situation) gestellt wer-
den. Zudem spielen die persönlichen Präferenzen des Zahnarztes bei der 7
Auswahl des Restaurationmaterials eine Rolle. Die Materialeigenschaf-
ten müssen dabei immer Berücksichtigung finden. 8
9
6.1 Kompositrestaurationen

Komposite sind plastische zahnfarbene Restaurationsmaterialien,


10
die heute in einem breiten Indikationsspektrum Anwendung finden. Sie
werden auch als Fissurenversiegler, für die Anfertigung von Aufbaufül- 11
lungen, Inlays, Onlays, Kronen, provisorischen Restaurationen, als Ze-
mente im Bereich festsitzender prothetischer Versorgungen und zum 12
Befestigen von Brackets in der Kieferorthopädie sowie als Wurzelkanal-
sealer und in faserverstärkter Form auch als Wurzelkanalstifte verwen- 13
det.
Für restaurative Erstversorgungen stellen Komposite das Material der
Wahl dar. Kompositrestaurationen besitzen bei richtiger Verarbeitung
14
eine lange Lebensdauer. Im Frontzahnbereich werden sie schon sehr
lange als Standardrestaurationsmaterial eingesetzt (Kavitätenklassen III, 15
IV und V); im kaulasttragenden Seitenzahnbereich (Kavitätenklassen I
und II) sind sie entsprechend der Leitlinie „Komposite im Seitenzahnbe- 16
reich“ (AWMF-Registriernummer 083-028, 2016) in folgenden Situatio-
nen indiziert:
 Primärrestauration: Therapie kariöser Läsionen, Restauration von Zähnen
17
mit Frakturen sowie von abrasiv oder erosiv geschädigten Zähnen,
 Versorgung von Klasse-I- und Klasse-II-Kavitäten einschließlich Ersatz 18
von einem oder mehreren Höckern,
 Sekundärrestauration im Sinne eines Ersatzes defekter Restaurationen, 19
 Versorgung von wurzelkanalbehandelten Zähnen (ein- oder zweiflächige
Defekte), bei ausgeprägterem Substanzverlust (mod) ist eine Höckerüber- 20
kuppelung angezeigt (…)

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208 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

 Reparaturrestaurationen defekter direkter und indirekter Restaurationen,


 Aufbaufüllungen vitaler und wurzelkanalbehandelter Zähne.

Weitere Indikationen, für die bislang nur wenige Publikationen vorliegen:


 Anhebung tiefliegender Kavitätenränder für indirekte Restaurationen
(margin elevation technique) oder R2-Technik bei direkten Versorgungen
(…),
 Schließen von Lücken bis etwa Prämolarenbreite durch approximale
Zahnverbreiterungen sowie Formänderungen (…).

Die Indikation der direkten Kompositrestauration wurde ausgeweitet, so dass


sie heute weitgehend den Indikationsbereich von indirekt hergestellten Inlays
abdecken kann. Insbesondere bei initialen und unterminierenden Läsionen
weisen Komposite durch minimalinvasive Vorgehensweisen Vorteile auf und
sind in dieser Indikation anderen Materialien einschließlich Amalgam überle-
gen.
Über die Eignung bei neueren Indikationen (z.B. Anhebung des approxi-
malen Kastenbodens (margin elevation) oder Zahnverbreiterungen) existiert
nur begrenzte Evidenz. Bislang ist eine klinische Anwendungsbeobachtung zur
Zahnverbreiterung im Seitenzahnbereich über einen mittleren Zeitraum mit
vielversprechenden Ergebnissen publiziert (…), die eine erfolgversprechende
klinische Indikation in Aussicht stellt. Es sollte jedoch bislang bei solchen An-
wendungen eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung mit entsprechender Auf-
klärung des Patienten vorgenommen werden.
Über die klinische Anwendung bei Onlays/Teilkronen gibt es zu Komposi-
ten nur wenige Patienten-Studien. Langzeitstudien mit Vergleich von direkten
und indirekten Komposit-Restaurationen zeigten keine signifikanten Unter-
schiede (…). Untersuchungen zum direkten Vergleich von Komposit mit Sili-
katkeramik wiesen ebenfalls keine signifikanten Unterschiede auf. Allerdings
fehlen Vergleiche zu modernen, bruchfesteren Keramiken aus z.B. Lithium-
Disilikat.

Einschränkungen in der Anwendung


Bei folgenden Situationen ist die Indikation mit Einschränkungen zu sehen
und eine individuelle Risikoabschätzung notwendig:
 Zahnbezogene Variable: z.B. erschwerte Zugänglichkeit/eingeschränkte
Darstellung des Arbeitsfeldes, unsichere marginale Abdichtung, fehlende
Möglichkeit der Schaffung suffizienter Approximalkontakte.
 Funktionsbezogene Variable seitens des Patienten: z.B. starke Parafunk-
tionen (mit ausgeprägter Facettenbildung und fehlender okklusaler Abstüt-
zung am Zahnschmelz) (…). Andererseits werden in den letzten Jahren bei
Patienten mit stark abradierten Gebissen auch okklusale Aufbauten des
kompletten Seitenzahnbereiches erfolgreich durchgeführt (…).
 Verhaltensbezogene Variable seitens des Patienten: z.B. eingeschränkte
Mundhygiene approximal, hohes Kariesrisiko (…).

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 209

Kontraindikation
Kompositrestaurationen sind kontraindiziert: 1
 bei fehlender Möglichkeit adäquater Kontaminationskontrolle (Blut, Spei-
chel etc.) 2
 bei Patienten mit klinisch relevanten Unverträglichkeiten gegenüber In-
haltsstoffen von Kompositen bzw. Adhäsiven.1
3
6.1.1 Materialkunde der Komposite 4
In der Zahnmedizin werden unter Kompositen zahnfarbene, plasti- 5
sche Füllungswerkstoffe verstanden, die nach Einbringen in eine
Kavität chemisch oder durch Energiezufuhr aushärten.
6
Der Wunsch nach zahnfarbenen Füllungsmaterialien, speziell für den
Frontzahnbereich, führte anfangs zum Einsatz von Polymethylmeth- 7
acrylaten (PMMA), die bei Mundtemperatur polymerisierten. Diese wa-
ren jedoch nicht ausreichend abrasionsstabil, besaßen eine hohe Poly- 8
merisationsschrumpfung und waren aufgrund des hohen Restmono-
mergehaltes pulpaschädigend. Außerdem traten schon nach kurzer 9
Liegezeit Verfärbungen auf.
Auf der Suche nach einem Material mit besseren physikalischen und
chemischen Eigenschaften entwickelte Bowen (1962) das Additionspro-
10
dukt eines Epoxidharzes und der Methylmethacrylsäure als Matrix für
ein neuartiges Füllungsmaterial. Dieses aromatische Dimethacrylat 11
(Bisphenol-A-Diglycidylmethacrylat = Bis-GMA) wurde von Bowen mit
anorganischen Füllerpartikeln (Quarzmehl) versehen, die ihrerseits mit 12
einer Silanverbindung überzogen waren. Die Silanschicht sollte eine
chemische Bindung sowohl mit der organischen Matrix als auch mit 13
den anorganischen Füllern eingehen, um diese beiden Phasen mitei-
nander zu verbinden.
Moderne zahnärztliche Kompositmaterialien bestehen aus einer Hauptbestand-
14
Vielzahl unterschiedlicher Komponenten, welche die Eigenschaften des teile
Werkstoffs beeinflussen. Die drei Hauptbestandteile sind die organische 15
Matrix, die disperse Phase (Füller) und die Verbundphase (Silane, Kopo-
lymere). Die typischen Bestandteile eines Komposits sind in der Tabelle 16
6.2 dargestellt.

Organische Matrix
17
Die organische Matrix besteht im nicht ausgehärteten Zustand aus Mo-
nomeren, Initiatoren, Stabilisatoren, Farbstoffen, Pigmenten und ande- 18
ren Additiva.
19
1 nach „S1 Handlungsempfehlung (Langversion), Kompositrestaurationen im Sei-
tenzahnbereich“, AWMF-Registernummer: 083-028, Stand: Oktober 2016, s. S. 5f.
Anmerkung: Die Quellenangaben des Originaltextes sind hier nicht wiedergege- 20
ben. Diesbezüglich verweisen wir auf das Original der Leitlinie.

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210

Tab. 6.1: Klassifizierung plastischer Füllungsmaterialien


Material Härtung Komponenten Haftung Handling Physikalische
Eigenschaften
Zahnfarben Komposite Lichthärtung Ein-Komponen- Mikromechanisch Techniksensitiv Hohe thermische
• Hybridkomposite (selten chemische ten-Materialien Adhäsivsystem erfor- (Kofferdam) Expansion
• Makrofüllerkomposite Härtung oder Dual- (Ausnahme: che- derlich Schichttechnik Polymerisations-
• Mikrofüllerkomposite härtung) mische oder dual- Feuchtigkeitsemp- schrumpfung
• Nanofüllerkomposite härtende Mate- findlichkeit
• niedrig visköse („flowable“) rialien:
Komposite 2 Komponenten
• Poly(mer)glass zum Anmischen)

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• Ormocere
• Kompomere
• fließfähige Kompomere
• Silorane
• Bulk-Fill-Komposite
Glasionomerzemente (GIZ)
Konventionelle GIZ Chemische Härtung 2 Komponenten Chemisch (= adhäsiv) Initiale Feuchtigkeits- Thermische Expansion/
Hoch visköse GIZ Säure-Basen-Reaktion zum Anmischen und mikromechanisch Empfindlichkeit Kontraktion ähnlich
Zahnhartsubstanzen

Hybridionomere Lichthärtung und 2 Komponenten Chemisch (= adhäsiv) Verringerte Feuchtig- Hohe thermische Expan-
(= resinmodifizierte GIZ) chemische Härtung zum Anmischen und mikromechanisch keitsempfindlichkeit sion/Kontraktion Poly-
merisationsschrumpfung
Metallfarben Amalgam Chemisch 2 Komponenten Makromechanisch Wenig feuchtigkeits-
zum Anmischen empfindlich
Metallverstärkte GIZ Siehe GIZ Siehe GIZ Siehe GIZ Siehe GIZ Siehe GIZ
(Cermetzemente)
6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien
6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 211

Tab. 6.2: Typische Hauptbestandteile eines Komposit-Restaurationsmaterials


Bestandteile Abkürzung – Chemische Bezeichnung 1
Kunststoffmatrix Kurzbeschreibung
Monomer Bis-GMA Bisphenol-A-Diglycidyl-Methacrylat 2
sog. Bowen-Kunststoff

Komonomer
UDMA
TEGDMA
Urethandimethacrylat
Triethylen-Glycol-Dimethacrylat
3
EGDMA Ethylen-Glycol-Dimethacrylat
Initiator (Autopolymerisat) Peroxide Benzoylperoxid 4
Initiator (Photopolymerisat) Kampferchinon
Akzelerator z.B. Dihydroxyethyl-p-Toluidin 5
Stabilisator BHT Butyliertes Hydroxy-Toluol
Haftvermittler 6
Haftvermittler Silan z.B. Methacryloxypropyl-trimethoxysilan
Füllkörper 7
Makrofüller Quarz, Glas, Keramik Lithium-Aluminium-Silikat
Mikrofüller Feinstteiliges SiO2 z.B. pyrogenes SiO2
8
Bei den verwendeten Monomeren handelt es sich meistens um Monomere 9
mehrfunktionelle Methacrylate mit der vereinfachten Grundformel:
MA-R-MA (s. Abb. 6.1). Das mit R bezeichnete organische Zwischen-
glied können aliphatische Ketten, Urethanpräpolymere, aromatische
10
Ringe und Polyäther sein. MA steht für die Methacrylsäureester-Reste.
Diese Kompositmatrixmoleküle weisen eine relativ hohe Reaktivität 11
auch bei niedrigen Temperaturen, gute physikalische Eigenschaften,
eine relative Farbstabilität und geringe toxische Wirkungen auf. Sie sind 12
toxikologisch unbedenklicher als reine Methacrylate, geruchs- und ge-
schmacksneutral. 13
Das zentrale Molekül (R) ist für die mechanischen Eigenschaften,
die Wasseraufnahme, die Schrumpfung, den Polymerisationsgrad, die
Viskosität und zahlreiche andere Eigenschaften verantwortlich. Besit-
14
zen diese Molekülanteile viele Sauerstoffatome oder Hydroxylgruppen,
so ist die Wasseraufnahme der Kompositmatrix hoch. Sind die Mono- 15
mere langkettig, so wird beim Aushärten die Schrumpfung geringer sein
als bei kurzkettigen Molekülen. Da aber langkettige Monomermoleküle 16
zu einer erhöhten Viskosität führen, werden oft Verdünnermonomere
(z.B. TEGDMA oder EGDMA) für eine bessere Verarbeitbarkeit hinzuge-
geben. Diese führen jedoch, da sie kurzkettiger sind, wieder zur erhöh-
17
ten Schrumpfung des Materials.
Unter Initiatoren versteht man Matrixbestandteile, die durch Akti- Initiatoren 18
vierung (chemischer Aktivator, physikalischer Aktivator) in energierei-
che Moleküle (Radikale) zerfallen, die mit den Doppelbindungen der 19
Monomere reagieren. Diese bilden dann Polymerketten. Die Reaktions-
freudigkeit der Initiatoren ist für die vollständige Aushärtung (Polyme- 20
risationsgrad, Konversionsgrad der Doppelbindungen) entscheidend.

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212 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.1: Gebräuchliche Monomere in Kompositen

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 213

Je höher der Umsetzungsgrad der Monomermoleküle ist, umso bes- 1


ser sind die mechanischen und physikalischen Eigenschaften der
Kompositmatrix zu bewerten. 2
Gleichzeitig sind die Initiatoren für die Farbstabilität eines Komposit-
materials von Bedeutung. So können sie eine Eigenfarbe aufweisen, die
3
sich während der Polymerisationsreaktion verbraucht, oder Nebenpro-
dukte bilden, die das Kompositmaterial verfärben. 4
Stabilisatoren (Inhibitoren) sind zumeist sterische Phenole, z.B. Hy- Stabilisatoren
drochinomonomethyläther. Sie reagieren mit vorzeitig entstehenden 5
Radikalen in der Monomerpaste und verhindern so eine vorzeitige Poly-
merisation. Sie erhöhen damit die Lagerfähigkeit der Füllungsmateria-
lien.
6
Organische und anorganische Pigmente werden den Kompositen Pigmente
zugesetzt, um unterschiedlich gefärbte Materialien produzieren zu kön- 7
nen. Als Farbpigmente werden heute oft Eisenoxide verwendet.
In die Kategorie anderer Additiva sind Weichmacher, Lichtschutz- Additiva 8
mittel und optische Aufheller einzuordnen.
Für die Komposite auf dem Dentalmarkt kommt eine Vielzahl unter- 9
schiedlicher Kombinationen von Monomeren zum Einsatz. Es ist daher
schwierig, die exakten Eigenschaften der Monomermatrix für unter-
schiedliche Kompositgruppen vorherzusagen. Man kann jedoch fest-
10
stellen, dass die Volumenschrumpfung umso kleiner ist, je größer die
entsprechenden Matrixmoleküle sind. 11
Disperse Phase (Füller) 12
Die Kunststoffmatrix ist niedrig viskös und wird aufgrund ihrer guten
Fließfähigkeit als Fissurenversiegler (meist gefärbt) oder als Schmelz- 13
haftvermittler (ungefärbt) bei der Insertion von Kompositrestauratio-
nen verwendet (Bonding).
14
Um die physikalischen und mechanischen Eigenschaften der
Kunststoffmatrix zu verbessern, werden ihr anorganische Füller zu- 15
gesetzt.
16
Damit sollen die Druck- und Zugfestigkeit, das Elastizitätsmodul und
die Verschleißfestigkeit des Materials verbessert werden (s. Tab. 6.3).
Gleichzeitig sollen die Polymerisationsschrumpfung, der lineare
17
thermische Expansionskoeffizient und die Wasseraufnahme verringert
werden. Als anorganische Füllstoffe werden Quarz, Keramik und Silizi- 18
umdioxid verwendet. Die gängige Klassifikation der Kompositmateria-
lien basiert heute auf der Art und Größe der verwendeten Füllkörper (s. 19
Abb. 6.2).
Es gibt konventionelle Komposite, die Makrofüller enthalten. Die Makrofüller- 20
rein anorganischen Partikel sind splitterförmig und bestehen aus Quarz, komposite

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214 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Tab. 6.3: Physikalisch-chemische Eigenschaften verschiedener Füllungsmaterialien nach Hickel. Die


Haftwerte bei Komposit und Kompomer entstanden in Verbindung mit den jeweils zugehörigen Pri-
mern/Adhäsiven. Die Fluoridabgaben sind kumulative Werte nach 90 Tagen. Man beachte die ähnli-
chen Werte für Mikrofüllerkomposite und Kompomere.
Materialgruppe Zug- Biege- Druck- Vickers- E-Modul Schmelz- Dentin- Fluorid-
festigkeit festigkeit festigkeit härte (GPa) haftung haftung abgabe
(MPa) (MPa) (MPa) (kg/cm2) (MPa) (MPa) (μg/cm2)
Amalgam 45–65 110–150 350–520 (120) 25–60 0 0 0
Hybridkomposit 35–60 100–145 280–480 70–130 10–25 20–28 12–25 0–10
Mikrofüllerkomposit 35–45 40–90 350–500 50–60 3–7 18–25 12–25 0–10
Kompomer 35–40 90–125 200–260 50–60 5–8 14–22 12–22 30–60
Hybridionomere = 20–400 30–60 100–200 35–45 5–20 6–20 5–18 50–600
lichthärtende GIZ
Hoch visköse GIZ 12–15 30–35 140–220 60–90 12–20 3–12 2–8 150–600

Glas oder Keramik. Die Gläser können zudem schwermetallhaltig sein


(Barium-, Strontiumglas), um eine Röntgenopazität zu erzielen. Bei den
heutigen konventionellen Kompositmaterialien finden Füllkörper in ei-
nem Größenbereich zwischen 0,1 und 100 μm Verwendung.
Die durchschnittliche Füllkörpergröße liegt zwischen 5 und 10 μ,
der Füllstoffgehalt bei ca. 75 Gew.-%. Konventionelle Komposite ent-
halten also Makrofüller, deren Größe über der Wellenlänge des Lichts
liegt. Sie sind daher für das menschliche Auge erkennbar. Der Härteun-
terschied zwischen Füller und Matrix führt bei gleichzeitiger Hydrolyse
der Verbundphase zum Herausbrechen der Füllkörper aus der Matrix.
Die Oberfläche wird nach einer Politur rasch wieder rau. Konventionelle
Komposite lassen sich also nicht polieren; damit ist eine Plaqueanlage-
rung begünstigt. Gleichzeitig bedeutet der Verlust der oberflächlichen
Füllkörper, dass die weiche Kompositmatrix ungeschützt den Abrasions-
vorgängen in der Mundhöhle ausgesetzt ist. Konventionelle Komposite
besitzen demnach ein schlechtes Verschleißverhalten. Die Wasserauf-
nahme liegt bei 0,5%.
Bei modernen Materialien mit kleineren Makrofüllern ließ sich ein
höherer Füllungsgrad erreichen. Diese Materialien haben eine geringe
Schrumpfung, einen niedrigen thermischen Expansionskoeffizienten
und eine geringe Wasseraufnahme. Aber auch diese Materialien behal-
ten nach einer Politur ihren Hochglanz nicht. Röntgenkontrastmittel-
zusätze in den entsprechenden anorganischen Füllkörpern führen zu
einer erhöhten Löslichkeit und damit zu einer Abgabe von Schwerme-
tallionen in die Mundhöhle.
Mikrofüller- Mikrofüllerkomposite enthalten Füllstoffe, deren Partikelgröße un-
komposite ter 1 μm liegt. Die gängigen Mikrofüllerkomposite enthalten hochdis-
perse Kieselsäuren (Siliziumdioxid) mit einer Größenverteilung zwi-
schen 0,007 und 0,04 μm und einer mittleren Teilchengröße von
0,05 μm. Der Füllstoffgehalt von homogenen Mikrofüllerkompositen

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 215

konventionelle Mikrofüller Mikrofüller-


Makrofüller (pyrogenes SiO2) komplexe 1
2
Verbundphase
(Silane / Kopolymerisation) 3
4
organische Matrix 5
6

konventionelles Hybrid-
homogenes inhomogenes 7
Mikrofüller- Mikrofüller-
Komposit komposit komposit komposit
(KK) (HK) (HMK) (IMK) 8
9
10
11
12
13
14
15
a b c d 16
Abb. 6.2: Einteilung der Komposite nach Art der Füller: a) Konventionelle Komposite mit Makrofüllern aus
Quarz, Glas oder Keramik. Die mittlere Teilchengröße beträgt je nach Komposit 5–10 μm. b) Hybridkompo-
site mit Makrofüllern und Mikrofüllern aus SiO2. Die mittlere Teilchengröße beträgt je nach Komposit
17
mehr als 10 μm, zwischen 2 und 10 μm bzw. weniger als 2 μm. Bei modernen Feinpartikelhybridkomposi-
ten liegen die mittleren Füllergrößen unter 1 μm. c) Homogene Mikrofüllerkomposite mit Teilchengrößen
von 0,007–0,04 μm. d) Inhomogene Mikrofüllerkomposite mit splitterförmigen und kugelförmigen Vorpo- 18
lymerisaten (100–200 μm) bzw. Mikrofülleragglomeraten.

19
20

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216 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

beträgt 50%. Die Einzelpartikel sind kugelförmig und werden durch Hy-
drolyse von Siliziumtetrachlorid in einer Knallgasflamme gewonnen.
Die Mikrofüller haben eine große spezifische Oberfläche (50–400 m2/g)
und erhöhen bei Zugabe in eine organische Matrix die Viskosität sehr
rasch.
Inhomogene Um dennoch einen akzeptablen Füllergehalt zu erreichen, wurden
Mikrofüller- inhomogene Mikrofüllerkomposite von den Herstellern entwickelt.
komposite Dazu werden mikrogefüllte Kompositmaterialien zermahlen und man
erhält splitterförmige Vorpolymerisate. Ein anderer möglicher Weg ist
die Herstellung von Vorpolymerisaten in Kugelform, die man dann der
Kompositmatrix zusammen mit weiteren Mikrofüllern zusetzt. Damit
erhöht man den Füllstoffanteil, ohne dass die Konsistenz so zähflüssig
wird, dass ein solches Material nicht mehr zu verarbeiten wäre. Ein wei-
terer Weg ist die Sinterung der Siliziumdioxidteilchen und die anschlie-
ßende Zerkleinerung in gröbere Partikel. Werden derartige Mikrofüller-
agglomerate der Matrix zugesetzt, lässt sich ein Füllstoffgehalt von 70
bis 80% realisieren.
Die mikrogefüllten Kompositmaterialien sind polierbar und behal-
ten ihren Oberflächenglanz. Ihr Durchmesser ist kleiner als die Wellen-
länge des sichtbaren Lichts. Deshalb werden bei Füllerverlusten auf der
Oberfläche keine Rauigkeiten sichtbar. Sie sind verschleißfester als die
makrogefüllten Komposite, da die Partikel gleichmäßiger an der Ober-
fläche verteilt sind und abrasive Nahrung die weiche Matrix kaum an-
greifen kann.
Mikrofüllerkomposite sind jedoch nicht röntgenopak und zeigen
eine höhere Wasseraufnahme sowie schlechtere physikalische Eigen-
schaften als makrogefüllte Materialien. Sie besitzen nur 50 Gew.-% Füll-
körperanteil (Ausnahme agglomerierte Mikrofüller) und damit eine er-
höhte Polymerisationsschrumpfung, eine geringere Biegefestigkeit
und Vickershärte und ein geringeres Elastizitätsmodul als konventio-
nelle Komposite. Sie sind jedoch i.d.R. druckfester als diese. Ein Nachteil
ist weiterhin, dass es an den Grenzflächen der splitterförmigen Vorpoly-
merisate zur Matrix während Kaubelastung oder während der Polymeri-
sation zu Rissen kommt. Diese Risse führen zu einer sekundär verringer-
ten Verschleißfestigkeit dieser Materialien im Seitenzahnbereich.
Hybridkomposite Will man die positiven Eigenschaften beider Kompositsysteme mit-
einander verbinden, so muss man die Füllkörperpartikel in einem Mate-
rial kombinieren. Dabei entstehen sog. Hybridkomposite. Bei den Hy-
bridkompositen sind etwa 85–90 Gew.-% der Füllkörper Makrofüller
und 10–15 Gew.-% Mikrofüller. Der Füllkörpergehalt des gesamten Ma-
terials lässt sich so auf bis zu 85% steigern. Die Hybridkomposite lassen
sich röntgenopak gestalten und verfügen über hervorragende physikali-
sche Eigenschaften.
Durch Weiterentwicklung im Bereich der Füllkörpertechnologie
können heute Feinpartikelhybridkomposite mit Füllkörpern bis zu
5 μm Korngröße von Feinstpartikelhybridkompositen (Korngröße bis

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 217

zu 3 μm) und Submikrometerhybridkompositen (mittlere Korngröße


unter 1 μm) unterschieden werden. 1
Die Feinstpartikelhybridkomposite sind polierbar. Die Abriebfes-
tigkeit ist geringer als bei konventionellen Kompositen und mit der von 2
Mikrofüllermaterialien vergleichbar.
Durch Modifikation der Matrix wurden sogenannte stopfbare Kom-
posite entwickelt. Sie sollen sich ähnlich wie Amalgam stopfen und
3
schnitzen lassen, bieten aber im Vergleich zu den anderen Hybridkom-
positen keinen nennenswerten Vorteil. Aufgrund der hohen Viskosität 4
sind sie nicht für die Restauration kleiner Kavitäten geeignet.
Durch Verringerung des Füllstoffanteils oder Zusatz von verdünnen- Fließfähige 5
den Matrixbestandteilen (z.B. TEGDMA) entstehen fließfähige Kom- Komposite
posite. Sie sind insbesondere im Rahmen der minimalinvasiven Thera-
pie für die oft schwer zugänglichen approximal-zervikalen Bereiche und
6
für erweiterte Fissurenversiegelungen geeignet. Die mechanischen Fes-
tigkeitswerte von fließfähigen Kompositen sind schlechter als die der 7
Hybridkomposite und die Polymerisationsschrumpfung ist höher. Zu-
dem beträgt das Elastizitätsmodul nur 50% der Feinpartikelhybridkom- 8
posite und auch Transparenz, Vickershärte und Röntgenopazität sind
verringert. Sie sind daher für die routinemäßige Verwendung im Front- 9
oder Seitenzahnbereich, speziell in Bereichen, die Kaudruck ausgesetzt
sind, nicht geeignet.
Sie bieten jedoch die Möglichkeit, im Rahmen einer speziellen Füll-
10
technik (CBF = Composite-bonded-to-flowable) im Bereich der zervikal-
gingivalen Stufe einer Klasse-II-Kavität zunächst eine dünne Schicht 11
Komposit anfließen zu lassen. Damit wird die Adaptation der Füllung
verbessert. Bei dieser Technik ist es unerlässlich, dass die verwendeten 12
niedrig viskösen Komposite eine ausreichende Röntgenopazität besit-
zen, damit etwaige Überschüsse erkannt werden. Gleichzeitig wird da- 13
mit verhindert, dass ein entsprechend gefüllter Zahn im Röntgenbild
einen virtuellen zervikalen Spalt aufweist, der als Sekundärkaries inter-
pretiert wird. Manchen fließfähigen Kompositen sind zudem Benet-
14
zungsmittel beigefügt; damit verhindert man eine zu starke Reduktion
des Füllergehaltes. Es gibt zudem flowable Komposite, die adhäsive Mo- 15
nomere beinhalten. Sie basieren auf dem traditionellen Methacrylatsys-
tem, enthalten jedoch saure Monomere, wie sie üblicherweise in Adhä- 16
sivsystemen zu finden sind, z.B. Glycerophosphat-Dimethacrylat.

Für plastische Restaurationen der Klassen I, II, III, IV und V lassen


17
sich heute Feinpartikelhybridkomposite routinemäßig verwenden.
Die marginale Adaptation und die Volumenbeständigkeit, das äs- 18
thetische Erscheinungsbild, Röntgenopazität, Abriebfestigkeit und
die Verarbeitbarkeit sprechen eindeutig für die Verwendung dieser 19
Materialgruppe.
Für Aufbaufüllungen werden i.d.R. chemisch oder dual härtende 20
Komposite verwendet.

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218 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Verbundphase (Silane, Kopolymere)


Die Silanisierung von Füllstoffen ist ein entscheidender Faktor für den
Verbund zur organischen Matrix. Als Silanisierungsmittel wird i.d.R.
3-Methacryloyloxypropyltrimetoxisilan verwendet. Es kommt dabei zu
einer Hydrophobisierung des Füllstoffs und anschließend zu einer Poly-
merisation der Monomere mit dem Methacrylsäurerest des Silans.
Durch die Einbindung des Füllstoffs in die Matrix werden die me-
chanischen Werte (Biegefestigkeit, Druckfestigkeit, Vickershärte) deut-
lich erhöht. Der Verbund zwischen Füllkörper und Matrix ist jedoch
weiterhin eine Schwachstelle aller Kompositmaterialien. Durch saure
Hydrolyse kann der chemische Verbund gelöst werden, und es kommt
anschließend zu einem Verlust der Füllkörper und damit verbunden zu
einem höheren Verschleiß der Materialien.
Während der Polymerisation werden nicht alle Doppelbindungen
der Kompositmaterialien umgesetzt (Konversion). Es verbleiben bis zu
45% Restdoppelbindungen. Das deutet auf einen bestimmten Prozent-
satz von Restmonomeren hin. Gleichzeitig entstehen während der Po-
lymerisation neue Reaktionsprodukte, die im Ursprungsmaterial nicht
vorhanden waren. Zugleich verbleiben Initiatoren und Stabilisatoren,
z.T. unreagiert, in der Kunststoffmatrix enthalten. Diese Substanzen
können ein toxikologisches Potenzial besitzen. Besonders der Restmo-
nomergehalt, kann zu Pulpairritationen führen. Es gibt jedoch keine
Hinweise darauf, dass es bei Zähnen, die mit Kompositrestaurationen
versorgt wurden, bei richtiger Anwendung der entsprechenden Materia-
lien in Verbindung mit der Adhäsivtechnik zu einem über das normale
Maß hinausgehenden Vitalitätsverlust kommt. Über die allergisierende
und allgemein toxische Wirkung der Einzelkomponenten im ausgehär-
teten Material gibt es bisher nur wenige Untersuchungen. Das toxikolo-
gische Risiko lässt sich daher nicht abschätzen.
Polymerisations- Moderne Kompositmaterialien zeigen eine Polymerisations-
schrumpfung schrumpfung zwischen 1 und 3 Vol.-%. Dadurch entstehen während
der Polymerisation im Material Spannungen; gleichzeitig kommt es zur
Randspaltbildung, Randverfärbungen, Sekundärkaries, Fraktur dünner
Füllungsränder im Bereich des Kavitätenrandes und damit verbunden
postoperativer Empfindlichkeit. Die Spannungen können zu Rissen ent-
lang der Füllkörperoberfläche und damit zum Verlust der Füllkörper
führen. Das führt zu einem erhöhten Verschleiß des Füllungswerkstof-
fes. Diese besonderen Materialeigenschaften erfordern eine spezielle In-
sertionstechnik (Adhäsivtechnik) bei der Verarbeitung von Komposi-
ten.
Grundsätzlich lassen sich chemisch härtende und lichthärtende
Kompositmaterialien bei der Füllungstherapie einsetzen. Man ging bis-
her davon aus, dass die chemisch härtenden Materialien beim Aushär-
ten zum Mittelpunkt hin schrumpfen, während die Polymerisations-
schrumpfung bei den lichthärtenden Materialien zur Lichtquelle bzw.
zum angeätzten Schmelz gerichtet ist. Neuere Untersuchungen zeigen

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 219

Abb. 6.3: Für die Polymeri-


sation von Kompositmate-
rialien wird ein Initiator Initiator 1
durch chemische Aktivie-
rung bzw. Bestrahlungs-
energie in ein Radikal um- 2
gewandelt. Durch Einwir- chemischer Lichtenergie
kung des Radikals kommt Aktivator (h .n)
es zur Vernetzungsreaktion 3
der Monomermoleküle.

Radikal 4
5
Monomer Polymer
Vernetzung
6
jedoch, dass es offensichtlich nur minimal unterschiedliche Schrump-
fungsrichtungen bei chemisch oder lichthärtenden Kompositen gibt. 7
Die Schrumpfungsrichtung scheint vielmehr vom Kavitätendesign
und von der Art der Haftung an den Zahnhartsubstanzen abhängig zu 8
sein.
Unabhängig von der Art der Aushärtung wird die Polymerisation 9
durch Anregung eines Initiatormoleküls eingeleitet. Dieses kann durch
energiereiche Strahlung (Licht) oder durch einen chemischen Aktivator
in Radikale umgesetzt werden (s. Abb. 6.3). Die Radikale starten den
10
Vernetzungsvorgang der Monomergruppen.
Chemisch härtende Komposite enthalten als Initiator meistens Chemisch här- 11
Benzoylperoxid, das durch einen Akzelerator (tertiäres Amin) beim An- tende Komposite
mischen aktiviert wird; dabei werden Radikale freigesetzt. Um das Kom- 12
posit lagerfähig zu halten, werden spontan entstehende Radikale durch
Inhibitoren (z.B. 4-Methoxyphenol) abgefangen. 13
Bei chemisch härtenden Kompositen müssen zwei Pasten zusam-
mengerührt werden. Dabei kommt es zum Einmischen von Luftblasen
in das Material. Beim Aushärten werden diese als Poren sichtbar, die zu
14
einer Verfärbung des Komposits führen.
Die Abrasionsfestigkeit des Materials nimmt durch das Einmischen 15
dieser Porositäten ab. Außerdem ist der Polymerisationsgrad (Konversi-
onsgrad) geringer als bei lichthärtenden Materialien. Das führt zu ei- 16
nem erhöhten Restmonomergehalt mit verringerter Pulpaverträglich-
keit. Andererseits härtet bei chemischer Polymerisation das Material
ohne weitere Energiezufuhr in der gesamten Dicke aus. Die Durchhär-
17
tungszeit beträgt 4–5 min.
Es gibt zusammengesetzte Systeme, die sowohl licht- als auch che- 18
misch härtend sind (duale Systeme).
Bei lichthärtenden Kompositen kann man zwischen UV-Licht-här- Lichthärtende 19
tenden und Halogenlicht-härtenden unterscheiden. Da UV-Licht die Komposite
Netzhaut schädigt und eine nur geringe Tiefenpolymerisation erlaubt, 20
werden heute fast ausschließlich Halogenlicht-härtende Materialien

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220 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

verwendet. Als Photoinitiator findet dabei i.d.R. ein Diketon (z.B.


Kampferchinon) Verwendung. Das Diketon (Absorptionsmaximum bei
468 nm Wellenlänge) wird durch die Energie der Lichtquanten angeregt
und geht mit einem Reduktionsagens (aliphatisches Amin) eine Reak-
tion ein. Es entsteht ein angeregter Komplex, der in Radikale zerfällt
und die Reaktion startet.
Kampferchinon und tertiäre Amine sind der Monomermatrix in
einer Menge von 0,1–0,4 Massenprozent zugesetzt. Als weiterer Photo-
initiator ist manchen Kompositen das Acylphosphinoxyd Lucerin TPO
zugesetzt. Dieses absorbiert Licht bei einer Wellenlänge von 370–
380 nm und besitzt eine weniger gelbe Färbung als Kampferchinon. Auf
der Basis von Germanium-Verbindungen wurde der Photoinitiator Ivo-
cerin entwickelt (Absorptionsmaximum: 410 nm), der sich im Vergleich
zu Campherchinon-Amin-Photoinitiatorsystemen durch eine höhere
Photoreaktivität und eine erhöhte Absorption im sichtbaren Bereich des
Lichts auszeichnet. Da die Radikalbildung direkt durch einfache Mole-
külspaltung erfolgt, sind keine zusätzlichen Ko-Initiatoren oder Polyme-
risationsbeschleuniger erforderlich. Damit ist die Effizienz (Quanten-
ausbeute) besser und die Durchhärtungstiefe und der Doppelbindungs-
umsatz bei der Lichthärtung von Kompositen sollen verbessert werden.
Der Photoinitiator wird in Kombination mit Campherchinon/Amin in
sogenannten Bulk-Fill-Kompositen verwendet, die in 4-mm-Schichten
verarbeitet werden können.
Bei UV-Licht-Härtung wird Benzoinmethyläther als Photoinitiator
verwendet. Der Photoinitiator muss auf die Wellenlänge des verwende-
ten Lichts abgestimmt sein. Das Intensitätsmaximum sollte bei dieser
Wellenlänge liegen.
Einen neuen Weg der Aushärtungsreaktion findet man bei Silora-
nen. Es handelt sich hier um eine kationische Polymerisation (s. Kap.
6.1.2).
Bei lichthärtenden Materialien ist der Polymerisationsgrad (umge-
setzte Methacrylatgruppen) bei direkter Bestrahlung besser, die Aushär-
tung hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab.

Die Art der Lichtquelle (Intensität, Wellenlänge), der Abstand der


Lichtquelle, die Zusammensetzung des Komposits und dessen Farbe
haben Einfluss auf die Polymerisation.

Ein dunkles bzw. opaques Komposit lässt sich nicht so tief aushärten
wie ein helles oder transparentes. Mikrofüllerkomposite besitzen auf-
grund des Lichtstreuungseffekts der kleinen Füllkörper und der damit
verbundenen Absorption eine schlechtere Konversion als konventio-
nelle Komposite. Das gilt auch für die modernen Feinstpartikelhybrid-
komposite. Die Lichtintensität ist umgekehrt proportional zum Quadrat
der Entfernung Lichtaustrittsfenster – Füllungsoberfläche. Man sollte
daher mit der Polymerisationsleuchte möglichst nahe an das Restaurati-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 221

onsmaterial herangehen. Bestrahlungsstärke und Belichtungszeit haben


ebenfalls einen Einfluss auf die Durchhärtungstiefe. Die Konversions- 1
rate (Anzahl der in die Polymerisation eingehenden Doppelbindungen)
beträgt 35–77%. 2
Komposite zeigen nach der Lichthärtung in einem Zeitraum von
24 Stunden eine Nachhärtung.
Sauerstoff ist ein Polymerisationsinhibitor. Aber auch andere Be-
3
standteile aus Unterfüllungs- oder provisorischen Verschlussmaterialien
können als Inhibitoren wirken (z.B. Eugenolreste). Eine Polymerisa- 4
tionsinhibition an den Innenflächen der Restaurationen bedeutet einen
erhöhten Restmonomergehalt und damit eine Gefährdung des Pulpage- 5
webes.
Die zur Aushärtung von Kompositmaterialien angebotenen Poly-
merisationslampen emittieren i.d.R. Licht der Wellenlänge zwischen
Polymerisations-
lampen
6
400 und 500 nm. Insbesondere Halogenlampen decken dabei ein breites
Wellenlängenspektrum ab. Zahlreiche LED-Geräte (LED = light emit- 7
ting diode) haben ihr Intensitätsmaximum in einem eng definierten
Wellenlängenspektrum und können daher möglicherweise nicht alle 8
Kompositmaterialien oder Adhäsivsysteme ausreichend polymerisieren.
Sie weisen zudem eine erhebliche Lichtstreuung auf. Neuere Geräte be- 9
sitzen Lichtleiter oder Linsen, welche das Licht bündeln, und sind mit
LEDs bestückt, die auch Komposite mit anderen Photoinitiatoren als
Kampherchinon aushärten können. Halogenlampen sind robust und
10
härten alle Kompositmaterialien zuverlässig aus. Die Lebensdauer der
Glühbirnen ist allerdings begrenzt (etwa 6 Monate). Sie lassen sich aber 11
meistens einfach und kostengünstig auswecheln. LED-Lampen sind
kostengünstige, meistens kabellose, handliche Geräte und besitzen eine 12
lange Lebendauer (LEDs halten bis etwa 5 Jahre).
Die marktüblichen Lichtgeräte lassen sich in Direktgeräte und Ge- 13
räte mit glasfaserhaltigen, flexiblen Lichtleitern unterteilen.
Die Direktgeräte besitzen einen starren Lichtleiter und einen Pisto-
lengriff mit integrierter Lichtquelle. Sie sind robust und leicht zu hand-
14
haben. Bei LED-Lampen gibt es auch stabähnliche Gehäuse. Bei den fle-
xiblen Lichtleitern kann es zu Frakturen der Glasfasern kommen. Da- 15
mit nimmt die Lichtmenge im Austrittsfenster ab. Eine vollständige
Aushärtung der Komposite ist dann nicht mehr gewährleistet. Eine 16
nicht ausreichende Polymerisation von Kompositmaterialien führt zu
schlechten mechanischen Eigenschaften, Mikroleakage und einer mög-
lichen Abgabe von Monomerbestandteilen aus der Kompositmatrix. Es
17
wurde in den letzten Jahren versucht, mit energiereichen Lampen (z.B.
Plasmabogenlampen, veränderten Halogenleuchten, Argonlasern usw.) 18
die Polymerisationszeit massiv zu verkürzen. Dabei zeigte sich jedoch,
dass es dann sehr häufig während der Polymerisation der Kompositma- 19
terialien zu einem erheblichen Spannungsaufbau kam, der entweder
zum Versagen des Komposit-Zahnhartsubstanz-Verbundes oder aber zu 20
Rissen im Kompositmaterial selbst führte. Zudem ist die Hitzeentwick-

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222 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

lung dieser Lampen häufig so stark, dass entweder Schäden in der Pulpa
oder aber der Gingiva befürchtet werden müssen.
Man sollte immer Polymerisationslampen verwenden, bei denen die
Hersteller Gebrauchsanweisungen und Informationen zum Kunden-
dienst mitliefern. Man sollte sich zudem über die Lichtleistung (durch-
schnittliche Strahlungsintensität in mW/cm²), wobei diese am gesam-
ten Lichtaustrittsfenster gemessen werden muss, und über die Wellen-
länge des emittierten Lichts informieren. Weitere wichtige Parameter
sind der Durchmesser des Lichtstrahls und das Strahlenprofil (gleichmä-
ßige Verteilung der Lichtausbeute).
Polymerisationslampen sollten in festgelegten Zeiträumen kontrol-
liert werden. Dabei sollten insbesondere die Bestrahlungsstärke gemes-
sen und das Lichtaustrittsfenster auf Verunreinigungen untersucht wer-
den. Für die Überprüfung der Lichtintensität gibt es zahlreiche Prüfge-
räte auf dem Markt, die allerdings den tatsächlichen Wert nicht
anzeigen. Verwendet man jedoch in der Praxis immer das gleiche Mess-
gerät und den gleichen Lichtleiter, kann man einen Leistungsabfall des
täglich verwendeten Lichtgerätes sehr einfach erkennen. Für jedes licht-
härtende Material gibt es eine minimale Energiemenge (J/cm² = Licht-
leistung [W/cm²] × Lichthärtezeit [s]) bei einer bestimmten Wellen-
länge, mit der man zufriedenstellende Polymerisation erreicht. Das be-
deutet auch, dass man minimale Lichthärtezeiten einhalten muss. Für
die Aushärtung direkter Kompositfüllungen sollte die Lichtintensität
der entsprechenden Polymerisationslampe 400 mW/cm2 oder mehr be-
tragen. Bei der Aushärtung von Kompositzementen bei indirekten Fül-
lungen und Stiftbefestigungen sollte eine Lichtintensität von mindes-
tens 800 mW/cm2 verwendet werden. Komposite sollten für eine gute
Konversion ca. 16 000 mWs/cm² Belichtung erhalten. Daraus ergibt sich
z.B., dass selbst eine 1000-mW-Lampe während der Polymerisation ei-
ner Restauration mindestens 16 Sekunden im Einsatz sein sollte. Grund-
sätzlich sollten die Lichthärtezeiten und die Schichtangaben des Kom-
positherstellers beachtet werden.
Die Lichtleiter sollen eine möglichste gleichmäßige Verteilung der
Lichtleistung über das Lichtaustrittsfenster garantieren, damit beim Be-
lichten möglichst große Füllungsflächen abgedeckt werden. Ist das Aus-
trittsfenster kleiner als die Füllungsoberfläche, muss überlappend ausge-
härtet werden. Zudem muss jede Füllungsfläche unabhängig von den
anderen auspolymerisiert werden. Das Lichtaustrittsfenster muss so nah
wie möglich an das Komposit herangeführt werden, ohne es zu berüh-
ren. Selbstverständlich muss gewährleistet sein, dass der Lichtleiter
während der gesamten Polymerisationszeit korrekt ausgerichtet ist.
Auch Halogenlicht (Blaulicht) gefährdet die Augen. Neben Blend-
wirkung werden auch Verletzungen der Retina beobachtet. Man sollte
daher während der Lichtpolymerisation nie direkt in das Licht schauen
bzw. einen Lichtschutz auf dem Lichtleiter oder eine Schutzbrille mit
Filterwirkung verwenden.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 223

Mit lichthärtenden Kompositen ist eine Schichttechnik möglich.


Sie erlaubt eine optimale Farbgebung, eine bessere Gestaltung der Fül- 1
lungsmorphologie und eine gute marginale Adaptation.
2
6.1.2 Neuere Kompositmaterialien
3
! Die neueren Kompositmaterialien sind Modifikationen der ur-
sprünglichen Fein- und Feinstpartikelhybridkomposite. Zu ihnen
zählen die Kompomere, die Ormocere, Nanofüllerkomposite, Po-
4
lymergläser, Silorane und Bulk-Fill-Komposite. 5
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es sich dabei kaum um we-
sentliche Verbesserungen in den Materialeigenschaften handelt.
6

In Laborstudien werden häufig Unterschiede in physikalischen Eigen- 7


schaften unterschiedlicher Kompositmaterialien gefunden, die sich aber
kaum auf die Ergebnisse in klinischen Studien auswirken. So gibt es hin- 8
sichtlich der Langlebigkeit von Restaurationen, die mit modernen Kom-
positmaterialien hergestellt wurden, oft nur sehr geringe Unterschiede. 9
Wichtiger für den Behandlungserfolg scheinen andere Einflussfaktoren
wie z.B. die korrekte Anwendung von Adhäsivsystemen und der Photo-
polymerisation, die Fertigkeiten des Behandlers und patientenabhän-
10
gige Variablen (z.B. erhöhtes Kariesrisiko) zu sein.
Die neu entwickelten Materialien bedeuten somit keinen „Quanten- 11
sprung“ in der Füllungstherapie. Die Polymerisationsschrumpfung der
Kompositfüllungswerkstoffe erfordert nach wie vor eine Konditionie- 12
rung von Schmelz und Dentin, um eine adäquate Lebensdauer zu ga-
rantieren. 13
Nanofüllerkomposite
Unter diesem Begriff werden heute unterschiedliche Weiterentwicklun-
14
gen von Kompositen zusammengefasst. Es handelt sich dabei um Mate-
rialien mit Füllkörpern, die eine ähnliche mittlere Teilchengröße wie 15
Mikrofüller besitzen. Allerdings entspricht der Füllkörpergehalt häufig
dem von Hybridkompositen, sodass entsprechend gute mechanische Ei- 16
genschaften resultieren. Diese Komposite sind sehr gut zu polieren und
behalten den dabei erzielten Glanz langfristig. Durch physikalische und
chemische Veränderungen können freie, nicht agglomerierte Mikrofül-
17
ler in die Matrix eingebaut werden. Dies war bei den konventionellen
Mikrofüllerkompositen nicht möglich, da sie sofort agglomerierten. Na- 18
nofüllerkomposite weisen aufgrund des hohen Füllstoffgehalts bessere
physikalische Eigenschaften als reine Mikrofüllerkomposite auf. 19
20

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224 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Kompomere
Kompomere (Polyalkensäure modifizierte Komposite) sind lichthär-
tende Komposite, die durch Glasionomerzement-Komponenten modifi-
ziert wurden. Während Glasionomerzemente angerührt werden müssen
und anschließend aufgrund einer Säure-Basen-Reaktion aushärten, han-
delt es sich bei Kompomeren i.d.R. um Ein-Komponenten-Materia-
lien, die erst nach Lichtzufuhr polymerisieren. Die von den Herstellern
anfangs postulierte Glasionomerzement-Reaktion kann ausschließlich
an Grenzflächen erfolgen, die mit feuchten Medien (Wasser, Speichel,
Dentinflüssigkeit) in Berührung kommen. Es handelt sich dabei also um
eine Reaktion, die nur in sehr dünnen Schichten abläuft.
Neben Kompomer-Füllungsmaterialien gibt es auch Werkstoffe zur
Befestigung von Restaurationen und orthodontischen Apparaturen.
Diese sind selbst- bzw. dualhärtend. Es gibt zudem niedrig visköse, „flo-
wable“ Kompomere, zu denen bisher keine relevanten Studien bekannt
sind.
Matrixbestand- Die Matrix der auf dem Markt befindlichen Kompomere enthält zu-
teile sätzlich zu der bei Kompositen üblichen Mischung verschiedener Di-
methacrylate säuremodifizierte Monomere, die aufgrund ihrer Hydro-
xylgruppen hydrophil sind. Die Wasseraufnahme von Kompomeren ist
dadurch wesentlich höher als die der üblichen Komposite.
Im Unterschied zu konventionellen Glasionomerzementen besitzen
die Karbonsäuren der Kompomere jedoch vernetzbare Doppelbindun-
gen. Aufgrund dieser Zusammensetzung sollten die beiden möglichen
Reaktionen – radikalische Polymerisation wie bei Kompositen und che-
mische Säure-Base-Reaktionen wie bei Glasionomerzement – ermög-
licht werden. Da Kompomere jedoch in nicht abgebundener Form kein
Wasser enthalten, kann die Säure-Base-Reaktion erst dann induziert
werden, wenn das Material Wasser aufnimmt. Während der radikali-
schen Polymerisation muss das Material allerdings vor Wasserzutritt ge-
schützt werden.

Kompomere sind aufgrund der werkstoffkundlichen Eigenschaften


ähnlich zu verarbeiten wie Komposite.

Füllstoffanteil Kompomere besitzen wie Hybridkomposite einen hohen Füllstoffanteil


(bis 80 Gew.-%). Die Füllpartikel entstammen sowohl der Glasionomer-
zement als auch der Komposittechnologie. Es handelt sich um verschie-
dene Fluorosilikatgläser, die zum Teil silanisiert sind. Es können sich je-
doch auch disperse Siliziumdioxid-Partikel und andere Füllkörper, z.B.
Ytterbiumfluorid und Strontiumfluorid, im Kompomer befinden. Die
Füllkörper haben eine unterschiedliche Partikelgröße (0,1 μm bis zu
10 μm). Da die Füllstoffe zum Teil mit Schwermetallen versetzt sind,
weisen Kompomere eine Röntgenopazität auf. Aus der Komposittech-
nologie sind zudem Pigmente, Initiatoren und Stabilisatoren in der Ma-
trix zu finden.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 225

Kompomere werden, ähnlich wie Komposite, mit Adhäsivsystemen Verarbeitung


verarbeitet. Dabei empfehlen führende Hersteller Präparate mit selbst- 1
konditionierenden Primern.
Wie man der Tabelle 6.3 entnehmen kann, ähneln Biege-, Zug- und Mechanische 2
Druckfestigkeit von Kompomeren den entsprechenden Werten für Mi- Eigenschaften
krofüllerkomposite. Kompomere schrumpfen um ca. 2–3 Vol.-%. Eine
anschließende Wasseraufnahme führt zu einer gewissen Quellung der
3
Materialien. Sie weisen ein ähnliches Elastizitätsmodul auf wie die Mi-
krofüllerkomposite. Sie sind daher speziell für Restaurationen indiziert, 4
bei denen es auf eine erhöhte Biegebeanspruchung ankommt (Klasse-V-
Restaurationen). Kompomere sind nach dem bisherigen Stand der For- 5
schung im Vergleich zu Hybridkompositen weniger abrasionsstabil. In
einem sauren Umgebungsmilieu wird der Abrasionswiderstand zusätz-
lich geschwächt. Bedenkt man, dass es bei Milchzähnen im Verlauf der
6
Jahre zu erheblichen Abrasionen der Zahnhartsubstanz kommt, so kön-
nen Kompomere eventuell aufgrund dieser Tatsache speziell für Restau- 7
rationen im Milchgebiss gut geeignet sein. Bisher ist ungeklärt, ob
man, ähnlich wie bei Kompositmaterialien, vor Aufbringen der entspre- 8
chenden Schmelz- und Dentinhaftvermittler mit Säure konditionieren
sollte. Kompomere werden häufig mit selbstkonditionierenden Adhä- 9
sivsystemen verwendet.
Eine Weiterentwicklung der Kompomermaterialien macht es nach
Herstellerangaben auch möglich, diese im kaudruckbelasteten Seiten-
10
zahnbereich anzuwenden. Allerdings liegen hierzu bisher nur begrenzte
klinische Daten vor. 11
Kompomerfüllungen können Fluorid freisetzen. Diese Fluoridfrei- Fluorid-
setzung beruht in erster Linie auf dem Fluoridgehalt der beigefügten freisetzung 12
Füllkörper. Es ist bisher für die In-vivo-Situation nicht geklärt, in wel-
cher Höhe und wie lange Fluorid aus einer Kompomeroberfläche freige- 13
setzt wird. Es konnte bisher auch in klinischen Studien nicht nachgewie-
sen werden, ob die propagierte Fluoridfreisetzung tatsächlich zu einer,
im Vergleich zu anderen Füllungsmaterialien, verminderten Sekundär-
14
kariesrate führt. Da die Restaurationstechnik der von Kompositen na-
hezu identisch ist, wird auf eine spezielle Beschreibung verzichtet. 15
Ormocere 16
Ormocere sind organisch modifizierte Keramikmaterialien (organically
modified ceramic = Ormocere). Im Gegensatz zu herkömmlichem Kom-
posit besteht die Matrix bei diesem neuen Füllungsmaterial zum Teil
17
aus einem anorganischen, bereits „vorpolymerisierten“ Netzwerk, das
mit organischen Methacrylatgruppen „versetzt“ ist, die nach dem Poly- 18
merisationsstart vernetzen. Diese Reaktion wird wie bei anderen Kom-
positen mit Licht initiiert. 19
Der Ormocer-Matrix sind Füllstoffe und Additiva sowie zur besseren
Verarbeitung Moleküle aus der ursprünglichen Komposittechnologie 20
(Dimethacrylate) zugesetzt.

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226 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Die bisher erhältlichen Materialien sind nach Herstellerangaben in


allen Indikationsbereichen, die bisher durch Kompomere, Komposite
und Amalgam abgedeckt wurden, einzusetzen.
Aufgrund der speziellen Chemie lassen sich nach Aushärtung aus
dem Füllungsmaterial weniger Restmonomere eluieren. Dies würde be-
deuten, dass die toxikologischen Nebenwirkungen geringer wären. An-
dererseits müssen auch Füllungsmaterialien auf Ormocerbasis mit ei-
nem entsprechenden Adhäsivsystem verarbeitet werden, sodass das al-
lergologische und toxikologische Potenzial des Gesamtkomplexes
Matrix, weitere Bestandteile, Füller und Adhäsivsystem betrachtet wer-
den muss.
Füllstoff Als Füllstoff ist der Matrix neben Bariumglas ein modifiziertes Apa-
tit zugesetzt. Die auf dem Markt befindlichen Materialien setzen zudem
wie die Kompomere Fluorid frei.
Polymerisations- Nach Herstellerangaben sind Abrasion und Polymerisations-
schrumpfung schrumpfung geringer als bei den üblichen Kompositmaterialien. Eine
abschließende Beurteilung des Füllungswerkstoffs ist jedoch erst nach
Vorliegen von klinischen Langzeitergebnissen möglich. Man weiß je-
doch heute, dass die Schrumpfung im Bereich moderner Feinpartikelhy-
bridkomposite liegt.

Poly(mer)gläser
Ein weiteres Kompositmaterial basiert auf sogenannten Poly(mer)glä-
sern. Die Matrix dieses Materials besteht aus tetra- bis hexafunktionel-
len Molekülen, die eine höhere Vernetzungsdichte aufweisen als die
Matrix herkömmlicher bifunktioneller Monomere (z.B. Bis-GMA,
TEGMA). Der Hersteller bezeichnet diese Matrix als organische Glas-
matrix bzw. Matrix aus mehrfunktionellen vitroiden Polygläsern.
Dieser Matrix sind Fluorid freisetzende, volumenvergrößernde, po-
lyglobuläre Füllstoffe zugesetzt, die einen Volumenanteil von 92%
(65 Gew.-%) ausmachen. Es handelt sich um infiltrierbare Silikat-Gläser
mit einer durchschnittlichen Partikelgröße von 8–11 μm. Die Partikel
sollen infiltrierbar sein, d.h., sie sollen einen Teil der Polyglasmatrix
aufnehmen können. Als weitere Füllkörper sind herkömmliche Ba-Al-Si-
F-Gläser (mittlere Größe 0,7 μm), Al-Si-F-Gläser (mittlere Größe 1 μm)
und Sr-F-Gläser (mittlere Größe < 1 μm) enthalten.
Anwendung Vom Hersteller werden die gute Stopfbarkeit und die Standfestigkeit
des Materials bei der Modellation hervorgehoben.
Die infiltrierbaren Füllkörper nehmen allerdings Farbpigmente auf,
sodass der Volumenanteil nachfolgend wiederum deutlich reduziert
werden musste. Die porösen Füllkörper sind zudem anfällig gegen Er-
müdungsbelastungen, sodass es bei der klinischen Anwendung nicht
selten zu Randfrakturen kommt.
Das Material wird wie andere „stopfbare“, hoch gefüllte Komposite
verarbeitet.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 227

Silorane
Üblicherweise wird die Polymerisationsschrumpfung von Kompositma- 1
terialien durch Optimierung des Füllkörperanteils reduziert. Da der Füll-
körperanteil jedoch nicht beliebig erhöht werden kann, versucht man 2
heute mit neuen Monomermolekülen, die sich bei der Polymerisations-
reaktion nicht verkürzen, die Schrumpfung zu reduzieren. Es gibt in die-
ser Gruppe bisher ein kommerziell verfügbares Komposit, bei dem sich
3
das Matrixsystem grundlegend von den bisher üblichen Monomeren
unterscheidet. Diese Stoffgruppe wird als Siloran bezeichnet, wobei es 4
sich um die Kombination der chemischen Bestandteile Oxiran und Silo-
xan handelt. Oxirane sind im Prinzip Epoxide, d.h. sehr reaktionsfä- 5
hige, zyklische organische Verbindungen. Das Grundgerüst ist wie bei
den Ormoceren eine Polysiloxan-Skelettstruktur (s. Abb. 6.4). Die Ver-
netzung der Silorane erfolgt über eine Polymerisation der Oxirangrup-
6
pen. Dabei benötigt man keine Radikale, sondern Kationen für den Re-
aktionsstart. Durch die Anlagerung eines sauren Kations an den Oxiran- 7
ring wird dieser geöffnet (Expansion) und gleichzeitig bildet sich ein
neues Kation (ein sogenanntes Carbokation), sodass die Polymerisation 8
weiter fortschreiten kann (s. Abb. 6.5).
Aufgrund dieser Reaktion sind Silorane nicht mit den klassischen, Adhäsivsystem 9
radikalisch initiierten Kompositwerkstoffen kompatibel und man be-
nötigt für diese Komposite ein speziell entwickeltes Adhäsivsystem.
Silorane sind sehr hydrophob, wodurch die Wasseraufnahme stark ver-
10
ringert sein soll. Gleichzeitig verlangt diese Eigenschaft, dass das Silo-
ranadhäsivsystem eine hydrophile (Bindung zum Dentin) und eine hy- 11
12
13
14
15
16
Abb. 6.4: Chemische Grundstruktur der Siloran-Matrix

17
18
19
20
Abb. 6.5: Kationische Polymerisation (nach Weinmann et al. 2005)

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228 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

drophobe Komponente (Bindung zum Komposit) aufweist. Beide


Schichten werden jeweils getrennt mit Licht ausgehärtet.
Photoinitiator- Die kationische Polymerisation der Silorane erfordert auch ein
system neues Photoinitiatorsystem. Dieses besteht aus drei Komponenten: ei-
ner lichtabsorbierenden Komponente (z.B. Kampherchinon), einem
Elektronendonator (z.B. einem Amin) und einer dritten Komponente
(z.B. einem Iodoniumsalz, Abb. 6.6). Durch die Zufuhr von Lichtenergie
wird wie üblich Kampherchinon angeregt. Dieses angeregte Kampfer-
chinon reagiert mit einem Elektronendonor und übernimmt von die-
sem ein Elektron. Der positiv geladene Elektronendonator spaltet an-
schließend ein Proton ab, wodurch das Iodoniumsalz in ein Kation und
ein Anion zerlegt wird. Das Kation startet die kationische Polymerisa-
tion, die aber erst dann beginnt, wenn eine bestimmte Menge Kampher-
chinon mit dem Elektronendonator reagiert hat. Es ist damit auch ge-
lungen, die Verarbeitungszeit unter Raumlichtbedingungen erheblich
zu verlängern (bis zu 8 Minuten). Bei der Polymerisation entsteht keine
Sauerstoffinhibitionsschicht. Diese ist aber auch bei diesen Materialien
nicht erforderlich, da sich die unterschiedlichen Inkremente bei
Schichttechnik verbinden, weil immer Kationen für das Kettenwachs-
tum erhalten bleiben und auch an der jeweiligen Schichtoberfläche zur
Verfügung stehen. Da die kationische Polymerisation langsamer abläuft
als die radikalische Polymerisation, entstehen während der Aushärtung
weniger Polymerisationsspannungen.
Das bisher verfügbare Material auf Siloranbasis weist im Gegensatz
zu den üblichen Mikro- und Nanohybridkompositen eine geringe Rönt-
genopazität auf und ist bislang auch nicht für Frontzahnrestaurationen
geeignet, da die entsprechende Farbgebung fehlt. Die neue Chemie ver-
spricht jedoch Komposite mit einer geringeren Schrumpfung, einer ver-
minderten Wasseraufnahme sowie einer verbesserten Reparaturmög-
lichkeit und längeren Verarbeitungszeit. Das auf dem Markt erhältliche
Material enthält 76% Füllkörper, 23% Siloranmatrix, 1% Initiatoren,
Stabilisatoren und Pigmente.
Neben dieser gänzlich neuen Matrixtechnologie für Komposite
wurde auch versucht, mit einer Vergrößerung des Molekulargewichts
der entsprechenden Monomere das Schrumpfungsverhalten zu verän-

Abb. 6.6: Drei Komponenten für die lichtaktivierte kationische Polymerisation

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 229

dern. Dabei wurden modifizierte Urethandimethacrylatmoleküle bzw.


dimere saure Monomere verwendet. 1
Es wurden zudem Komposite entwickelt, die antibakterielle Agen-
tien enthalten. Die antibakterielle Effektivität dieser Materialien nach 2
Polymerisation ist jedoch stark eingeschränkt.

Bulk-Fill-Komposite
3
Aufgrund der hohen Techniksensitivität und des erhöhten Zeitaufwan-
des bei der Herstellung von Kompositrestaurationen sind zahlreiche 4
Hersteller bestrebt, die Füllungstechnik zu vereinfachen (Fast-Track-
Füllungstechnik). Dabei sollen vereinfachte Adhäsivsysteme (All-in- 5
one-Adhäsive) zusammen mit sogenannten schrumpfungsarmen Kom-
positmaterialien Verwendung finden. Diese als Bulk-Fill-Komposite be-
zeichneten Materialien können in Schichten von 4–5 mm ausgehärtet
6
werden. Damit kann auf die zeitintensive Schichttechnik in Inkremen-
ten von 2 mm verzichtet werden. 7
Bulk-Fill-Komposite können in zwei Untergruppen eingeteilt wer-
den: niedrig visköse, fließfähige (Bulk-Flow-Komposite) und hoch vis- 8
köse, modellierbare (Bulk-Fill-Komposite) Materialien, die sich dann
ähnlich wie Standard-Kompositmaterialien in die Kavität einbringen 9
und verarbeiten lassen. Die Flow-Materialien sind niedriger gefüllt (65–
75 Gew.-% bzw. 43–61 Vol.-% Füllkörperanteil) und eignen sich daher
nicht für die Anwendung in mechanisch stark belasteten Bereichen. Sie
10
werden häufig in sehr engen approximalen Kavitäten als Basismaterial
eingebracht, finden aber auch okklusal in tiefen Kavitäten, z.B. in Tre- 11
panationsöffnungen nach einer endodontischen Behandlung, Anwen-
dung, weil sie sehr gut in unter sich gehende Bereiche fließen. Sie wer- 12
den nach dem Aushärten mit einer Schicht konventionellen Hybrid-
komposits überschichtet. 13
Die pastösen Bulk-Fill-Materialien sind höher gefüllt (77–86 Gew.-%
bzw. 58–70 Vol.-% Füllkörperanteil). Damit sind sie abrasionsstabiler
und lassen sich grundsätzlich in der gesamten Kavität anwenden. Sie
14
sind modellierbar, sodass eine gute Kauflächengestaltung ermöglicht
wird. 15
Die Matrix von Bulk-Fill-Kompositen enthält häufig als Hauptbe-
standteil UDMA. Dieses Molekül ist flexibler und weniger viskös als 16
BisGMA.
Bei Bulk-Fill-Materialien ist der Schrumpfungstress häufig geringer
als bei vergleichbaren Hybridkompositen. Die Materialien müssen
17
transluszenter sein, damit ausreichend Licht in die Tiefe gelangt. Das er-
reicht man durch die Auswahl entsprechender Füllkörper bzw. durch 18
neue, optimierte, hochreaktive Initiatorsysteme. So sind in vielen Bulk-
Fill-Kompositen deutlich größere Füllkörper als in herkömmlichen 19
Kompositen enthalten. Da größere Füllkörper eine geringere Grenz-
schicht zwischen Füller und Matrix beanspruchen, welche für die Licht- 20
streuung verantwortlich ist, sind die Lichtverluste während der Polyme-

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230 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

risation in Bulk-Fill-Materialien verringert. Allerdings sehen die Kompo-


sitrestaurationen aufgrund der hohen Transluszenz häufig grau aus.
Einige Hersteller geben an, dass Belichtungszeiten von 10 Sekunden
für die Polymerisation ausreichen. Neuere Untersuchungen zeigen aller-
dings, dass 20–30 Sekunden Polymerisationszeit bei Verwendung einer
Hochleistungslampe (Lichtintensität 1200 mW/cm²) gewählt werden
sollen, insbesondere wenn hoch visköse Bulk-Fill-Materialien Anwen-
dung finden. Eine Ausnahme macht ein Bulk-Fill-Komposit (SonicFill2),
welches mit Schallaktivierung zum Fließen gebracht wird, um anschlie-
ßend wieder einen höher viskösen Zustand einzunehmen, in dem das
Material modellierbar ist. Bulk-Fill-Komposite unterscheiden sich nicht
wesentlich in ihrer chemischen Zusammensetzung von herkömmli-
chen Nano- und Mikrohybridkompositen. Zur klinischen Bewährung
liegen zudem bisher wenige Langzeiterfahrungen vor. Dabei wurden al-
lerdings ähnliche klinische Überlebensraten wie für die üblichen Kom-
positmaterialien gefunden.

6.1.3 Schmelzkonditionierung (Schmelz-Ätz-Technik)

! Kompositrestaurationsmaterialien gehen keine chemische Ver-


bindung mit Zahnhartsubstanzen ein.

Aufgrund der Polymerisationsschrumpfung kommt es beim Aushärten zu


einem Volumenverlust. Ein Randspalt zwischen Kompositfüllung und
Zahnhartsubstanz ist die Folge. Der unterschiedliche thermische Ausdeh-
nungskoeffizient und andere chemische und physikalische Eigenschaf-
ten der Komposite sind weitere Kofaktoren für die Entstehung von Rand-
spalten. In diese Spalten können Mikroorganismen der Mundhöhle mit
dem Speichel eindringen. Unter Belastung wird die Mundhöhlenflüssig-
keit regelrecht in den sich weiter öffnenden Randspalt „gepumpt“ (Per-
kolation). Es kommt zu marginalen Verfärbungen der Restauration
und zu Sekundärkaries. Diese mangelnde Randadaptation der Komposite
lässt sich durch makromechanische Retentionen nicht kompensieren.

Damit sich Kompositmaterialien dauerhaft mit dem Zahnschmelz


verbinden, wird er vor Einbringen des Füllungsmaterials konditio-
niert. Durch die Schmelzvorbehandlung werden eine bessere Be-
netzbarkeit, eine Oberflächenvergrößerung und ein Mikroreten-
tionsrelief erzielt.

Es kommt zu einem verbesserten Kontakt zwischen Komposit und


Zahnhartsubstanz.
Die Schmelz-Ätz-Technik geht auf Buonocore (1955) zurück, der ver-
suchte, mit dieser Technik einen niedrig viskösen Fissurenversiegler am
Zahnschmelz dauerhaft und randdicht zu verankern.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 231

Schmelzkonditionierung beinhaltet mehrere aufeinanderfolgende


Schritte: 1
 Der Zahnschmelz wird mit einer Prophylaxepaste gereinigt, um or- Reinigung
ganische und anorganische Auflagerungen zu entfernen. 2
 Die Kavität wird im Schmelzrandbereich angeschrägt. Damit soll er- Anschrägung
reicht werden, dass die Schmelzprismen senkrecht angeschnitten
werden. Die Ätzwirkung ist bei senkrecht angeschnittenen Schmelz-
3
prismen besser als bei lateral getroffenen. Gleichzeitig werden durch
die Schmelzanschrägung bei jugendlichen Zähnen eventuell vor- 4
handene aprismatische Schmelzbereiche entfernt. Aprismatischer
Schmelz ergibt kein retentives Ätzmuster. Im Zahnhalsbereich, bei 5
Milchzähnen und in Fissuren ist aus diesem Grund eine Schmelzät-
zung oft nur eingeschränkt möglich. Im Seitenzahnbereich wird bei
Anwendung der Adhäsivtechnik insbesondere bei größeren Kavitä-
6
ten im gesamten Füllungsrandbereich auf eine ausgeprägte Anschrä-
gung verzichtet. Die Gründe dafür sind in den entsprechenden Ka- 7
piteln genannt.
 Durch eine adäquate Trockenlegung muss die Zahnoberfläche vor Trockenlegung 8
Speichel und Blut geschützt werden. Mit der Verwendung von Kof-
ferdam lässt sich diese Anforderung sicher erfüllen. 9
 Der Zahn wird im angeschrägten Schmelzbereich mit 37%iger Phos- Ätzung
phorsäure für mindestens 30 Sekunden angeätzt.
 Anschließend muss die Säure ausreichend lang mit einem ölfreien Spülung
10
Wasserspray abgesprüht und der Zahn anschließend sorgfältig ge-
trocknet werden. Es resultiert klinisch eine weiße, opake Ätzzone. 11
Orthophosphorsäure zwischen 30 und 40 Gew.-% zeigt eine konstante 12
Ätzwirkung (s. Abb. 6.7).
Säurekonzentrationen unter 30% führen zur Ablagerung von Säure- 13
schwer löslichem Brushit (CaHPO4 × 2 H2O) auf dem Zahnschmelz. konzentration
Diese Verbindung lässt sich mit Wasserspray schlecht entfernen und be-
hindert den Verbund von Komposit mit Zahnschmelz.
14
Abb. 6.7: Die Adhäsions-
kraft von Komposit am an- Adhäsionskraft (kg/cm2)
15
geätzten Zahnschmelz 100
30%
nimmt mit zunehmender
Konzentration der Phos- 20%
16
80 40%
phorsäure zu. Gleichzeitig 60%
50%
geht mehr Kalzium in Lö-
sung. Ab einer Säurekon- 60
10%
17
zentration von 40% nimmt
die Adhäsionskraft wieder 40
ab, da Kalzium-Phosphat- 1% 18
Präzipitate auf der Schmelz- 20
oberfläche ausfällen (nach
Ohsawa 1972).
0
19
0 400 500 600 700 800 900 1000
gelöste Menge Kalzium (ppm) 20

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232 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Säurekonzentrationen über 40% führen zur raschen Präzipitation


von Kalziumphosphatverbindungen, die eine Konditionierung des
Schmelzes behindern. Aber auch beim Ätzen mit 30- bis 40%iger Ortho-
phosphorsäure kommt es zu Kalziumphosphatpräzipitaten auf dem
Schmelz, die anschließend sorgfältig weggesprüht werden müssen.
Auch Säurereste können den Verbund zwischen Adhäsiv und Zahn-
hartsubstanz stören. Sie müssen daher nach der Schmelzätzung sorgfäl-
tig entfernt werden.
Bei der Schmelzätzung entsteht ein mikroretentives Relief durch
die unterschiedliche Auflösung der Schmelzprismen bzw. der interpris-
matischen Substanz (unterschiedliche räumliche Orientierung).
Ätztypen  Werden die Schmelzprismen angelöst, so erhält man Ätztyp I.
 Wird die Peripherie (zwischenprismatische Substanz) durch die
Säure angeätzt, so erhält man Ätztyp II.
 Werden Schmelzprismen und zwischenprismatische Substanz in
ähnlicher Art und Weise angeätzt, so entsteht ein Mischtyp (Typ
III) mit geringerer Retentionswirkung für Komposit (s. Abb. 6.8).

Beim Ätzen geht eine Schmelzschicht von ca. 10 μm irreversibel verlo-


ren. Die histologischen Veränderungen (Gruften, Gruben, Spalten) rei-
chen bis in eine Tiefe von 30–50 μm. Wie bereits oben erwähnt, werden
durch Konditionierung eine Oberflächenvergrößerung, eine Erhöhung
der Reaktionsfähigkeit der Schmelzstrukturen und eine Verbesserung
der Benetzbarkeit (um bis zu 400%) erreicht. Wird ein derartig veränder-
ter Zahnschmelz mit einem niedrig viskösen Kompositmaterial bzw.
mit einem Schmelzhaftvermittler (Bonding) benetzt, so dringt dieser in
die schwammartigen Strukturen ein und haftet mikromechanisch am
Zahnschmelz aufgrund rheologischer und geometrischer Effekte (s.
Abb. 6.9). Es resultiert nach dem Aushärten eine typische Schichtung,
die bei einem Schnitt durch den Kavitätenrand im Mikroskop erkenn-
bar ist (s. Abb. 6.10).

zwischenprismatische Schmelzprismen
Substanz

a b c

Abb. 6.8: Nach Schmelzkonditionierung entsteht ein retentives Ätzmuster im Zahnschmelz. Durch die
räumliche Ausrichtung der Schmelzkristalle entstehen unterschiedliche Ätzmuster: a) Ätztyp I: vornehm-
lich Prismenzentren weggelöst, b) Ätztyp II: vornehmlich zwischenprismatische Substanz weggelöst,
c) Ätztyp III: Mischtyp.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 233

Abb. 6.9: Nach Benetzung


niedrig-
einer konditionierten
Schmelzoberfläche mit ei- visköses 1
Adhäsiv
nem niedrig viskösen (z.B.
Schmelzhaftvermittler
(Bonding) kommt es beim
Schmelz-
bonding)
2
Aushärten zu einer mikro-
mechanischen Haftung Schmelz
durch geometrische Effekte a 3
(a) bzw. zum Aufschrump-
fen des Adhäsivs auf die
Schmelzzotten (rheologi- niedrig-
visköses
4
scher Effekt) (b) (nach Lutz
et al. 1976). Adhäsiv
(z.B.
Schmelz- 5
bonding)
retentives
Ätzmuster
6
b 7
Abb. 6.10: Ein Schnitt durch a 8
den Randbereich einer 5 mm
Kompositrestauration lässt
typische Schichten erken-
nen: a) Die Zone der kom-
9
b
pakten Schicht (entspricht 10–30 mm
der Versieglerschicht auf
dem Zahnschmelz). b) Die
10
Zone der Zotten entsteht
c
durch Penetration des Ver-
sieglers in die weggelösten 0–20 mm 11
Schmelzanteile. Die ausge-
härteten Adhäsivausläufer
werden auch als „tags“ bezeichnet. Sie sind für die mikromechanische Haftung 12
des Adhäsivs am Zahnschmelz verantwortlich. c) Die Zone der Durchmischung
entsteht nach Anätzen von Kristallen der Prismen und zwischenprismatischen
Substanz. Anschließend vermischen sich Adhäsiv und Kristalle. Diese Schicht ver- 13
bleibt auch nach Verlust einer Kompositfüllung im Randbereich einer Kavität und
muss bei erneuter Füllungstherapie durch Wegschleifen entfernt werden (nach
Lutz et al. 1976). 14
Durch Konditionierung des Zahnschmelzes und Anwendung eines 15
geeigneten niedrig viskösen Adhäsivs kommt es zu einer randspalt-
freien Restauration aufgrund mikromechanischer Verankerung. 16
Chemische Adhäsion im Sinne einer ionischen oder kovalenten Bin-
dung ist zwischen Kompositmaterialien und Zahnhartsubstanzen bis-
17
her nicht nachgewiesen worden.
Fluorotischer, fluoridreicher und aprismatischer Zahnschmelz las- 18
sen sich nicht im gleichen Maße konditionieren, da aufgrund der verän-
derten Löslichkeitseigenschaften kein ideales Ätzmuster entsteht. 19
Angeätzter Schmelz, der im Rahmen der Füllungstherapie nicht mit
Kunststoff bedeckt wurde, kann sich leicht durch Eindringen exogener 20
Farbstoffe (Kaffee, Tee, Teer) verfärben. Durch die Politur der Komposit-

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234 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

füllungen wird angeätzter, nicht bedeckter Zahnschmelz im Randbe-


reich einer Kavität jedoch meistens entfernt. Außerdem werden verse-
hentlich angeätzte Bereiche durch Kalziumphosphatpräzipitate aus
dem Speichel mineralisiert und es lagern sich Proteine des Speichels im
Bereich dieser rauen Zahnoberflächen auf.

Fluoridierungsmaßnahmen nach erfolgter Kompositrestauration


unterstützen die Remineralisation versehentlich angeätzter Berei-
che.

Das hydrophobe Komposit geht mit feuchtem Dentin keine Verbin-


dung ein und es entsteht beim Auspolymerisieren ein Randspalt mit
den bekannten Folgen. Um dennoch zahnfarbene plastische Füllungs-
materialien in diesen Problembereichen anwenden zu können, muss
auch Dentin adäquat vorbehandelt werden.

6.1.4 Dentinkonditionierung – Dentinhaftvermittler (Primer,


Adhäsive)

! Die chemische und strukturelle Zusammensetzung des Dentins


(Dentinkanälchen mit Dentinliquor, organische Bestandteile,
Schmierschicht) lässt eine mikromechanische Haftung eines hy-
drophoben Kompositmaterials nicht zu. Aufgrund der physikali-
schen und chemischen Eigenschaften der Komposite kommt es
daher bei Anwendung des Materials zur Ausbildung eines Rand-
spalts mit den bekannten Folgeerscheinungen (z.B. Sekundärka-
ries).

Für Kompositrestaurationen, die im Dentin verankert werden sollen,


muss demnach ein Haftvermittlersystem verwendet werden, das es er-
laubt, ein hydrophobes Material an einem hydrophilen Substrat (Den-
tin) zu befestigen.
Chemische Zu- Daher wurden Dentinhaftvermittler entwickelt, die eine chemische
sammensetzung Bindung mit dem organischen bzw. anorganischen Anteil des Dentins
eingehen sollen. Ein solcher Dentinhaftvermittler lässt sich prinzipiell
mit der Formel M-R-X darstellen. Dabei verkörpert M eine Methacrylat-
gruppe, R einen Distanzhalter und X eine funktionelle Gruppe, die
mit dem Dentin reagieren soll. Es gibt dabei prinzipiell zwei unter-
schiedliche Möglichkeiten. So kann die funktionelle Gruppe als Phos-
phatester mit dem Kalzium des Hydroxylapatits im Dentin reagieren.
Eine zweite Möglichkeit besteht in der Reaktion einer funktionellen
Gruppe mit den Amino- bzw. Hydroxylgruppen der organischen Kom-
ponenten, z.B. dem Kollagen des Dentins. Zahlreiche Untersuchungen
konnten zeigen, dass eine derartige chemische Haftung mit dem Dentin
unwahrscheinlich ist.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 235

Deshalb kommt heute den Dentinhaftvermittlern der ersten Ge- Erste Generation
neration klinisch keine Bedeutung mehr zu. 1
Auch bei den Systemen der zweiten Generation, welche die Zweite
Schmierschicht modifizierten, war die Haftung gering (s. Abb. 6.11). Generation 2
Es wurden daher neue Adhäsivsysteme entwickelt, die eine mikro- Dritte Generation
mechanische Verankerung des hydrophoben Kompositmaterials mit
der feuchten Dentinoberfläche ermöglichen. Dazu muss das Dentin
3
durch Säureeinwirkung demineralisiert werden. Dabei wird das Kolla-
gen mehr oder weniger stark freigelegt. Es kommt zu einem irreversi- 4
blen Verlust von Dentin im Bereich von 10 μm. Das Kollagennetzwerk
wird zusätzlich in einer Tiefe bis ca. 30 μm freigelegt. Das freigelegte 5
Kollagen wird dann von einem Primer, welcher ein hydrophiles Mono-
mer enthält, durchdrungen und anschließend durch ein Dentinadhä-
siv stabilisiert (s. Abb. 6.12). Je nach Adhäsivsystem ist zusätzlich noch
6
die Applikation eines speziellen Schmelzbondings (Schmelzadhäsivs)
erforderlich. 7
Erhaltung der
Schmierschicht
Auflösung
der Schmierschicht
8
infiltrierter Dentinadhäsiv
Schmier-
pfropfen 9
Infiltration des
Schmelz- Dentinhaftvermittlers
haft-
vermittler A B C
in das Kollagen
des intertubulären
10
(Bonding) Dentins
Dentin-
adhäsiv
11
B
infiltrierte Deminerali-
Schmier- C sationstiefe
(ca. 30 mm)
12
schicht
Schmier-
propfen 13
„tag“
intertubuläres
Dentin
peritubuläres
14
Dentin I II
Dentin- 15
tubulus

Ausmaß der Demineralisation 16


Abb. 6.11: Schematische Darstellung des Komposit-Dentin-Verbundmechanismus nach Vorbehandlung
mit unterschiedlichen Dentinhaftvermittlern: a) Dentinhaftvermittler (hydrophile Monomere) infiltrieren 17
und verstärken die Schmierschicht (Entanglement). Diese Form der Dentinhaftung wurde verlassen, da die
Haftung zu gering war. b) Dentinhaftvermittler mit demineralisierenden Bestandteilen (z.B. Maleinsäure)
lösen die Schmierschicht auf und demineralisieren das Dentin minimal. Ein Teil der Schmierschicht reprä- 18
zipitiert. Es entstehen eine infiltrierte Schmierschicht, infiltrierte Schmierpfropfen und eine Verbindung
zum oberflächlich freigelegten Kollagen des intertubulären Dentins. c) Nach Konditionierung mit einem
Cleanser (EDTA, Säuren) kommt es zur vollständigen Auflösung der Schmierschicht. Die Dentintubuli sind 19
geöffnet und das intertubuläre Dentin wird demineralisiert (I). Dabei wird Kollagen freigelegt. Bei einigen
Mitteln wird auch das peritubuläre Dentin demineralisiert (II). Nach Einsickern des Dentinadhäsivs ent-
steht eine Hybridschicht aus hydrophilen Monomeren und Kollagen. Es entstehen zudem „tags“ in den 20
Dentintubuli (nach van Meerbeck et al. 1992).

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236 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.12: Schematische


freigelegtes Kollagen Darstellung der Dentinhaft-
des intertubulären Dentins
vermittlung nach Anwen-
dung dentinkonditionieren-
der Adhäsivsysteme: a)
Nach Auftragen einer Säure
(isoliert oder im Primer-Ad-
peri- häsiv-System enthalten)
tubuläres kommt es zur Demineralisa-
Dentin
tion des oberflächlichen
Dentins und Freilegung von
Dentin- Kollagen. Dieses Kollagen
liquor ist aufgerichtet, solange
Feuchtigkeit vorhanden ist.
Gleichzeitig wird das peritu-
a buläre Dentin der Tubu-
lieingänge „angeätzt“. b)
Anschließend wird ein Pri-
Primer mer mit einem hydrophilen
Monomer aufgebracht, der
in das Kollagen und das
„feuchte“ Dentin einsickert.
Der Primer bereitet das
Dentin für die Aufnahme ei-
nes Dentinadhäsivs vor,
welches anschließend appli-
ziert wird. c) Nach Lichthär-
tung wird dieses gesamte
b System stabilisiert. Es ent-
steht eine Hybridschicht
Dentin- aus Kollagen, Primer und
adhäsiv Adhäsiv.

Hybrid-
schicht

Ein modernes Adhäsivsystem besteht aus einem Konditionierer


(Säuren, Komplexbildner), einem Primer (hydrophiles Monomer in
einem Lösungsmittel) und einem Adhäsiv (verschiedene Mono-
mere).

Als Säuren werden dabei Zitronensäure (10%ig), Phosphorsäure (10- bis


40%ig), Salpetersäure (4%ig), Maleinsäure (2- bis 4%ig) verwendet. Zu-
sätzlich können auch Komplexbildner (EDTA, 5–16%) zur Konditionie-
rung verwendet werden.
In Primern findet man wasserlösliche Mono- und Dimethacrylate
wie z.B. Hydroxyethylmethacrylat (HEMA), Hydroxypropylmethacrylat
(HPMA), Biphenyldimethacrylat (BPDM), Polyethylenglycoldimeth-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 237

acrylat (PEGDMA) sowie phosphonierte Mono-, Di- und Polymethacry-


late wie z.B. Dipentaerytritolpentamethacryloyloxyphosphat (PENTA) 1
sowie Säuremonomere und Lösungsmittel wie Wasser, Aceton und Al-
kohol. 2
Das Dentinadhäsiv besteht aus amphiphilen Mono- und Dimeth-
acrylaten wie z.B. 4-Methacryloyloxyethyltrimellitatanhydrit (4-META),
N-Phenylglycinglycidylmethacrylat (NPGGMA) sowie Polymethylmeth-
3
acrylat (PMMA) und phosphonierte Mono-, Di- und Polymethacrylate.
Zusätzlich können Bisphenol-A-diglycidylmethacrylat (Bis-GMA), Tri- 4
ethylenglycoldimethacrylat (TEGDMA) bzw. Urethandimethacrylat
(UDMA) enthalten sein. Als Lösungsmittel können wieder Wasser, Ace- 5
ton oder Alkohol dienen. Auch Dentinadhäsive können wasserlösliche
Mono- und Dimethacrylate wie HEMA und PEGDMA enthalten.
Als Schmelzadhäsiv wird ein ungefülltes, niedrig visköses Dimeth-
6
acrylat verwendet.
Klinisch kann das Grundprinzip der Realisierung einer Dentinadhä- 7
sion auf verschiedene Art und Weise erreicht werden. Dabei wird nach-
folgend nur sehr allgemein auf die klinische Vorgehensweise eingegan- 8
gen, da eine Vielzahl von Systemen auf dem Markt ist.
9
Selektive Schmelzätzung und selektive Dentinkonditionierung (dritte
Generation)
Zunächst ging man noch davon aus, dass es nach Applikation von Phos- Wirkprinzip
10
phorsäure auf Dentin zur Pulpaschädigung kommt. Daher wurde der
Schmelz selektiv mit Phosphorsäure in üblicher Art und Weise kondi- 11
tioniert. Anschließend wurde das angeschliffene Dentin mit einem Pri-
mer vorbehandelt, der eine milde Säure (z.B. Maleinsäure, Glutarsäure, 12
Dicarbonsäuren oder anorganische Säuren) enthielt (selbstkonditio-
nierender Primer, Abb. 6.13a). Durch Aufbringen des Primers wurde 13
die Schmierschicht aufgelöst und das Dentin oberflächlich deminerali-
siert, wobei das Kollagen freigelegt wurde. Im Primer befinden sich
gleichzeitig hydrophile Monomere (z.B. HEMA), die in die Dentintubuli
14
und in das frei gelegte Kollagen eindringen. Damit das freigelegte Kolla-
gen nicht kollabiert, kann dem Primer Wasser als Lösungsmittel zuge- 15
fügt sein. Der Primer soll nach einer Einwirkzeit von ca. 30 Sekunden
verblasen werden, um das Lösungsmittel (Wasser, Aceton, Alkohol) zu 16
entfernen. Nach Trocknen des Primers fällt die Schmierschicht partiell
wieder aus.
Anschließend wird ein Dentinadhäsiv aufgetragen, das Methacry-
17
late enthält. Das Adhäsiv dient als Vermittler zwischen dem hydrophi-
len Dentin und dem hydrophoben Komposit (Amphiphilie). Das Adhä- 18
siv kann zusätzlich Fixierungsmittel wie z.B. Glutaraldehyd enthalten.
Es folgt bei einer derartigen Vorgehensweise das Aufbringen eines 19
Schmelzbonders. Das Dentinadhäsivsystem und der Schmelzbonder
werden nach dem Auftragen kurz ausgehärtet, um eine hohe initiale 20
Haftfestigkeit des Dentinhaftvermittlers zu garantieren.

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238 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Adhäsivsysteme mit selektiver Schmelzätzung


Schmelz Dentin Präparat
Konditionierung Konditionierung Primer Adhäsiv

dentinkonditionierender z.B. A.R.T. Bond


1 2 („self-etching“) Primer
3 (3 Flaschen)

dentinkonditionierender z.B. Syntac Classic


1 2 („self-etching“) Primer
3 (3 Flaschen)

4
Schmelzbonding

„self-etching/self-priming“ z.B. Scotchbond Universal


a
1 2 Universaladhäsiv (1 Flasche)

Adhäsivsysteme für die Etch-and-Rinse-Technik (Total-etch-Technik)


Schmelz Dentin Präparat
Konditionierung Konditionierung Primer Adhäsiv
z.B. Optibond FL
1 2 3

„self-priming“ Adhäsiv z.B. Prime and Bond NT


1 2× auftragen (1-Flaschen-System)

„self-priming“ Adhäsiv z.B. One Step


1 1× auftragen (1-Flaschen-System)

„self-etching/self-priming“ z.B. Xeno Select


b
1 Universaladhäsiv (1-Flaschen-System)

Adhäsivsystem ohne separate Ätzung (no-rinse System)


Schmelz Dentin Präparat
Konditionierung Konditionierung Primer Adhäsiv
„self-etching“ Primer z.B. Clearfil SE Bond
(zum Anmischen, 2 Flaschen)
1 2

„self-etching“ Primer z.B. AdheSE


(gebrauchsfertig, 1 Flasche)
1 2 Optibond XRT

„self-etching/self-priming“ Adhäsiv (zum Anmischen, 2 Flaschen) z.B. Adper Prompt L-Pop


= „All-in-one“ Adhäsive (1-Flaschen-System)

„self-etching/self-priming“ Adhäsiv (gebrauchsfertig, 1 Flasche) z.B. iBOND Self Etch


= „All-in-one“ Adhäsive (1-Flaschen-System)

oder „self-etching/self-priming“ z.B. Futurabond U


c Universaladhäsiv

Abb. 6.13: Anzahl der Applikationsschritte bei der Anwendung verschiedener Adhäsivsysteme. Die Präpa-
rate stellen eine selektive Auswahl der auf dem Markt befindlichen Adhäsivsysteme dar. Die Hersteller
bringen in relativ kurzer Zeit neue Produkte auf den Markt, die in einem Lehrbuch nur verzögert aufge-
nommen werden können.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 239

Anschließend erfolgt die Insertion des Kompositmaterials. Durch


die Infiltration der aufgebrachten Primer in das freigelegte Kollagen 1
kommt es zur Ausbildung einer sogenannten Hybridschicht zwischen
Komposit und Dentinfläche. Gleichzeitig dringen Primer und Teile des 2
Dentinadhäsivs in die Dentinkanälchen ein und bilden hier nach Aus-
härtung Zapfen („tags“). Man nimmt heute an, dass die Haftung der
Dentinadhäsive in erster Linie auf einer mikromechanischen Retention
3
im Bereich des intertubulären Dentins beruht und nicht auf der Ausbil-
dung von „tags“ in den Dentinkanälchen. 4
Diese klassischen Mehr-Flaschen-Systeme führten in vitro zu rela- Bewertung
tiv guten Haftwerten im Dentin und haben sich auch klinisch bewährt. 5
Die Anwendung derartiger Systeme ist jedoch sehr kompliziert, sodass
der Wunsch nach einfacherer Verfahrensweise zur Entwicklung neuer
Verfahren führte. Zusätzlich war relativ schnell klar, dass eine selektive
6
Schmelzätzung klinisch sehr schwierig zu erreichen ist, da die Phos-
phorsäure insbesondere bei der Restauration minimalinvasiver Defekte 7
häufig auch das Dentin benetzt.
8
Etch-and-Rinse-Technik (Total-Ätz-Technik)
Bei der totalen Ätz-Technik (s. Abb. 6.13b) werden Schmelz und Dentin Vierte Generation 9
simultan mit einer Säure geätzt (vierte Generation). Bei der Etch-and-
Rinse-Technik werden etwa 5–8 μm des intertubulären Dentins voll-
ständig demineralisiert. Die gängigen Systeme verwenden dazu 20- bis
10
37%ige Phosphorsäure. Bei einer sogenannten Überätzung des Dentins
kommt es jedoch nicht zu einem entsprechenden Haftverbund; daher 11
wird die Phosphorsäure erst auf den Zahnschmelz (Einwirkzeit 30 s) und
anschließend auf das Dentin aufgebracht. Hier wirkt die Säure ca. 12
15–20 s ein und wird dann insgesamt abgesprüht. Die Schmierschicht
wird bei diesem Vorgang vollständig entfernt. Es kommt genau wie bei 13
den selbstätzenden Primern zu einer Demineralisation des Dentins, wo-
bei wiederum Kollagen frei gelegt wird. Damit dieses Kollagengeflecht
nicht kollabiert, sollte das Dentin nicht übertrocknet werden. Bei eini-
14
gen Systemen, bei denen der nachfolgend aufgebrachte Primer Azeton
enthält, ist es sogar erforderlich, dass das Dentin regelrecht feucht bleibt 15
(wet bonding, moist bonding). Darunter ist jedoch nicht zu verstehen,
dass das konditionierte Dentin bzw. der konditionierte Schmelz mit 16
Blut oder Speichel in Berührung kommen dürfen.
Um sicherzustellen, dass der Schmelz ausreichend geätzt wurde, ist
man bestrebt, die Schmelzränder so lange zu trocknen, bis das oben ge-
17
nannte weißlich-opake Erscheinungsbild sichtbar wird. Dabei kollabiert
das Kollagengeflecht unweigerlich und es muss bei der Anwendung aze- 18
tonbasierter Adhäsivsysteme ein sogenanntes „re-wetting“ erfolgen.
Dabei wird mit einem angefeuchteten Applikationsbürstchen (Wasser, 19
Chlorhexidin) die Kavität wieder befeuchtet. Beim Aufbringen des aze-
tonhaltigen Primers wird anschließend das Wasser aus dem Kollagenge- 20
flecht verdrängt und verdunstet gemeinsam mit dem Lösungsmittel. Bei

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240 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

nicht ausreichender Penetration des Adhäsivsystems kommt es zur Aus-


bildung eines sogenannten „Nanoleakage“. Man versteht darunter
nicht infiltrierte Bereiche des Kollagengeflechts.
Bei der Anwendung wasser- und wasser-/alkoholbasierter Adhäsiv-
systeme besteht das Problem des Übertrocknens nicht. Hier verdunstet
allerdings das Wasser nach Aufbringen des Primers erst durch Verbla-
sen. Dabei kann die aufgebrachte Schicht sehr dünn werden und letzt-
lich aufgrund der Sauerstoffinhibition nicht mehr adäquat aushärten.
Einige Adhäsivsysteme der dritten Generation werden heute auch als
Etch-and-Rinse-Systeme angewandt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die genannten Präpa-


rate für die Etch-and-Rinse-Technik außerordentlich techniksensi-
bel sind und daher immer genau nach Herstellerangaben verarbei-
tet werden müssen.

Da bei der Total-etch-Technik sowohl Zahnschmelz als auch Dentin


gleichzeitig mit einem Haftvermittlersystem versiegelt werden, ist es ei-
gentlich in diesem Zusammenhang nicht richtig, von einem Dentinad-
häsiv zu sprechen. Hier ist der Begriff (kombiniertes Schmelz-Dentin-)
Adhäsivsystem sicherlich angebrachter.
Im Anschluss an die Schmelz- und Dentinkonditionierung wird bei
den Mehr-Komponenten-Adhäsiven wieder ein Primer (hydrophil) und
dann ein Schmelz-/Dentinadhäsiv (hydrophob) aufgebracht.
Fünfte Bei Primer-Adhäsiv-Gemischen (selbstprimende Adhäsive) han-
Generation delt es sich um sogenannte Ein-Komponenten-Materialien (fünfte Ge-
neration). Dabei wird das Primer-Adhäsiv-Gemisch zweimal appliziert.
Die erste Schicht wirkt dabei eher als Primer, der zweiten Schicht kann
man die Aufgabe des Adhäsivs zuschreiben.
Sechste Noch einen Schritt weiter gehen Systeme, bei denen sogenannte
Generation selbstkonditionierende, selbstprimende Adhäsive (s. Abb. 6.13c) Ver-
wendung finden (sechste Generation). Dabei müssen Schmelz und
Dentin vor der Anwendung der entsprechenden Adhäsivsysteme nicht
im Sinne einer Säureätzung konditioniert werden. Die selbstkonditio-
nierenden, selbstätzenden Adhäsivsysteme sind anwenderfreundlich
und weniger aggressiv in ihrem Demineralisationsverhalten im Dentin.
Durch Aufbringen eines sauren Primer-Adhäsiv-Gemisches kommt es zu
einer Konditionierung von Schmelz und Dentin (Non-Rinse-Technik).
Durch eine zweite Schicht dieses Gemisches werden dann eine Stabili-
sierung der erzielten Hybridschicht, eine Bindung an den Zahnschmelz
und eine Bindung an das Komposit ermöglicht. Diese Adhäsivsysteme
enthalten i.d.R. selbstätzende, adhäsive Monomere und zusätzlich quer-
vernetzende und monofunktionelle Monomere. Die erste Gruppe soll
die Schmelz- und Dentinoberfläche selbsttätig anätzen, in die Dentintu-
buli eindringen und die angeätzte Oberfläche optimal benetzen. Sie ist
daher sauer.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 241

Man unterscheidet dabei heute Präparate mit einem pH-Wert von


über 2,5 (ultramild) von milden, selbstätzenden Adhäsivsystemen (pH 1
ca. 2), mittelstarken (pH 1–2) und sehr sauren (pH < 1) Systemen. Mit
den stark sauren Präparaten wird das Dentin – ähnlich wie bei den Etch- 2
and-Rinse-Systemen – stark demineralisiert. Allerdings wird das gelöste
Kalzium nicht abgesprüht, sondern bleibt nach der Polymerisation ein-
gebettet im Adhäsiv vorhanden und führt zu einer Destabilisierung der
3
Hybridschicht. Deshalb wird heute empfohlen, eher milde Adhäsivsys-
teme zu verwenden. Um eine ausreichende Schmelzhaftung zu garan- 4
tieren, sollte eine selektive Schmelzätzung vor Auftragen des entspre-
chenden selbstkonditionierenden, selbstprimenden Adhäsivsystems 5
vorgenommen werden. Es wird zudem gefordert, dass diese Monomere
rasch mit dem freigelegten Kollagen des Dentins reagieren. Die Mono-
mere müssen über eine saure adhäsive Gruppe (HX-), einen Spacer (R-)
6
und eine polymerisierbare (COOH-) Gruppe, die mit dem Adhäsiv oder
Restaurationsmaterial eine chemische Verbindung eingeht, verfügen 7
(HX-R-COOH). Als saure Gruppen werden Phosphorsäure oder saure
Phosphatester verwendet. Den Phosphorsäureesterverbindungen wird 8
aber nachgesagt, dass sie nicht hydrolysestabil sind und der Verbund
zum Dentin möglicherweise nicht langfristig garantiert werden kann. 9
Die quervernetzenden Monomere (funktionelle Methacrylate) be-
stimmen die Eigenschaften des Adhäsivs (z.B. Viskosität, Benetzbarkeit,
Wasseraufnahme usw.). Hier wird meistens HEMA (Hydroxymethylacry-
10
lat) verwendet. Aber auch Bis-GMA, UDMA und TEGDMA finden Ver-
wendung. Die Methacrylate sind alle in sauren, wässrigen Lösungen 11
nicht hydrolysestabil und daher nur für 2-Flaschen-/2-Schritt-Systeme
geeignet. Bei 1-Flaschen-Systemen auf Wasserbasis werden deswegen 12
neue Monomere, z.B. bifunktionelle Acrylamide, eingesetzt. Auch die
üblicherweise in den lichthärtenden Adhäsiven vorhandenen Kampfer- 13
chinon-Amin-Systeme stellen ein Problem dar, da die Aminkomponente
mit den sauren Monomeren reagiert. Daher müssen entweder die Amin-
konzentration exakt an die Säurekonzentration angepasst, andere Photo-
14
initiatoren verwendet oder die Initiatorbestandteile mit speziellen Appli-
kationssystemen voneinander getrennt dargereicht werden. Bei selbstät- 15
zenden Adhäsivsystemen wird meistens Wasser als Lösungsmittel
verwendet, da sie ja auf hydrophilem Dentin aufgebracht werden. Zusätz- 16
lich wird häufig Ethanol beigemischt, da vor der Polymerisation das Was-
ser mit dem Luftbläser gut verblasen werden muss. Verbliebenes Wasser
würde nämlich die Polymerisation des Adhäsivsystems beeinträchtigen.
17
Es gibt Adhäsivsysteme, die Farbstoffe enthalten, welche das richtige
Mischungsverhältnis bei 2-Flaschen-Systemen anzeigen. Zugleich lässt 18
sich mit ihnen kontrollieren, ob die Zahnoberfläche gleichmäßig von
dem Adhäsivsystem bedeckt ist. Die Farbe verschwindet nach der Licht- 19
polymerisation.
Für diese modernen Adhäsivsysteme liegen zurzeit noch keine aus- 20
reichenden klinischen Langzeiterfahrungen vor. Auch die Schmelzhaf-

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242 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

tung ist bisher nicht ausreichend klinisch überprüft. Sie scheinen je-
doch in Verbindung mit Kompomerrestaurationen zu guten Ergebnis-
sen zu führen. Da Kompomere aufgrund ihrer Eigenschaften ein ande-
res Schrumpfungsverhalten besitzen als Hybridkomposite, sind wahr-
scheinlich nicht so hohe Haftwerte der Adhäsivsysteme erforderlich. Bei
neuen Adhäsiven der sechsten Generation wird nur noch eine Primer-
Adhäsivschicht aufgetragen.
Siebte Generation Eine Weiterentwicklung dieser All-in-one-selbstätzenden Adhäsiv-
systeme sind sogenannte Universaladhäsive (siebte Generation), wel-
che die unterschiedlichen Einsatzgebiete (direkte Restaurationen, Auf-
baufüllungen, adhäsive Befestigung von Einlagerestaurationen und
Wurzelstiften) sowie die unterschiedlichen Arten der Schmelz- und
Dentinkonditionierung (Etch-and-Rinse Verfahren, selbstätzende Total-
etch-Verfahren, selektive Schmelzätzung in Kombination mit isolierter
Dentinkonditionierung) abdecken sollen. Nach Haller und Merz (2017)
sollen dabei folgende Aspekte miteinbezogen werden:
 Haftvermittlung zu Schmelz und Dentin
 Kompatibilität mit allen Arten von Kompositen (lichthärtend,
selbsthärtend, dualhärtend)
 Eignung für direkte und indirekte Restaurationen
 Haftvermittlung zu koronalem und Wurzeldentin
 Haftvermittlung zu unterschiedlichen metallischen und nicht me-
tallischen Werkstoffen im Rahmen der adhäsiven Befestigung und
bei Reparaturverfahren
 Anwendung unterschiedlicher Konditionierungsverfahren

Wie bei den üblichen selbstätzenden Adhäsivsystemen werden auch bei


den Universaladhäsiven saure Monomere für die Konditionierung der
Zahnhartsubstanzen verwendet. Zusätzlich wird bei den meisten Univer-
saladhäsiven ein funktionelles Monomer mit dem Namen 10-Methacry-
loyl-oxidecyl-dihydrogenphosphat = 10-MDP) verwendet, welches wäh-
rend und nach der Konditionierung mit den Kalziumionen des nicht voll-
ständig aufgelösten Apatits wasserunlösliche Salze bildet (self assembled
monolayers), welche für die Dentinhaftvermittlung wichtig sind. Der Ein-
satz dieser Adhäsivsysteme macht die Konditionierung in Bereichen, die
schwer zugänglich sind, einfacher und sie bedeuten selbstverständlich im
Vergleich zur Etch-and-Rinse-Technik eine Zeitersparnis. Zudem ist die
Konditionierung des Dentins im Vergleich zur Phosphorsäureätzung we-
niger aggressiv und damit möglicherweise auch pulpaschonender.
Wurden nach Schmelzätzung die bisherigen All-in-one-Adhäsivsys-
teme verwendet, resultierte eine Verschlechterung der Haftung von
Kompositmaterialien am Schmelz und damit verbunden kam es zu
Randverfärbungen. Das ist bei den Universaladhäsiven nicht mehr der
Fall. Somit kann bei Einsatz dieser Adhäsivsysteme der Zahnschmelz im
Rahmen einer selektiven Schmelzätzung vorbehandelt werden, wobei
ein kurzfristiger Kontakt der Phosphorsäure mit dem Dentin nicht zu ei-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 243

ner Verschlechterung der Dentinhaftung führt. Somit ist der Indika-


tionsbereich der Universaladhäsive in Verbindung mit lichthärtenden 1
Kompositmaterialien klar beschrieben. In mehreren Studien konnte be-
reits gezeigt werden, dass diese Adhäsivsysteme den klassischen Etch- 2
and-Rinse-Systemen nicht unterlegen sind. Ohne Phosphorätzung des
Schmelzes ist die Haftung allerdings am Schmelz herabgesetzt.
Wie bereits bei den All-in-one-Adhäsivsystemen beschrieben, sind
3
die sauren Monomere auch in den Universaladhäsivsystemen nicht mit
dual- und selbsthärtenden Kompositmaterialien kompatibel. Das Initia- 4
torsystem wird so beeinflusst, dass die Polymerisation an der Grenzflä-
che zum entsprechenden Komposit unzureichend ist. Bei Aufbaurestau- 5
rationen kommt es bekanntermaßen nicht auf die Haftung am Schmelz
an, d.h., der Einsatz der Self-etching-Adhäsivsysteme bzw. Universalad-
häsive kann sehr vorteilhaft sein, weil ein guter Dentinhaftverbund ent-
6
steht. Allerdings sollte man dann lichthärtende Komposite als Aufbau-
material verwenden. Einige Hersteller begegnen dieser Problematik mit 7
speziellen Aktivatoren, die den Adhäsiven beigemischt werden müssen,
damit sie auch in Verbindung mit dual- und chemisch härtenden Kom- 8
positmaterialien verwendet werden können. Allerdings entstehen dabei
möglicherweise Verdünnungseffekte, welche die Dentinhaftung wieder 9
negativ beeinflussen. Wichtig ist beim Einsatz von Universaladhäsiven,
die Herstellerangaben genau durchzulesen, wenn man sie in Verbin-
dung mit Aufbaumaterialien bzw. beim Einzementieren von Wurzelstif-
10
ten verwenden will. Gleiche Probleme können bei der Befestigung von
Einlagerestaurationen entstehen, sodass hier nach wie vor der Einsatz 11
von Universaladhäsiven kritisch gesehen wird.
Universaladhäsive sind weniger fehleranfällig, d.h., sie verzeihen bei 12
Anwendung in der Etch-and-Rinse-Technik im Vergleich zu anderen
Adhäsivsystemen eher eine trockene oder zu feuchte Dentinoberfläche. 13
Schmelz sollte auch bei der Anwendung der Universaladhäsivsysteme
weiterhin mit Phosphosäure kondinioniert werden. Am Dentin erzielt
man mit den Universaladhäsiven auch ohne vorherige Phosphorsäure-
14
konditionierung gute Haftwerte.
15
Bei der Anwendung von Adhäsivsystemen sollte immer darauf ge-
achtet werden, dass dem Präparat genügend Zeit gelassen wird 16
(mindestens 10 s), um das Kollagen des Dentins und den angeätz-
ten Schmelz zu penetrieren. Zusätzlich sollte darauf geachtet wer-
den, dass das Haftvermittlersystem nicht zu dünn ausgeblasen wird,
17
da es sonst nicht zu einer ausreichenden Haftvermittlung zwischen
Dentin und Komposit kommt. 18
Im Prinzip findet durch die Anwendung von Adhäsivsystemen im Den- 19
tin eine Art Tissue Engineering statt. So wird aus einer feuchten, kristal-
linen, hydrophilen, säureanfälligen Oberfläche eine weichere, hydro- 20
phobe, trockenere Schicht, die säureresistent ist.

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244 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Stressabsorber Da die Adhäsive nach dem Einbringen 20–40 s lichtgehärtet werden,


entsteht an der Oberfläche eine sauerstoffinhibierte Zone. Ist der auf-
gebrachte Film zu dünn, besteht der auf dem Dentin liegende Film fast
ausschließlich aus nicht polymerisierten Adhäsivbestandteilen, die
keine Haftung ermöglichen. Neue Überlegungen gehen dahin, dass Ad-
häsivsysteme auch als eine Art Stressabsorber dienen können. Man ver-
sucht daher, durch Beimengung von Füllstoffen zum Haftvermittlersys-
tem eine gewisse Schichtdicke nach dem Aushärten zu erreichen.
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zur Qualität unterschiedlicher
Bondingsysteme. Während einige Studien zu dem Schluss kommen,
dass auch selbstkonditionierende Adhäsivsysteme Haftwerte erreichen,
die mit konventionellen Systemen vergleichbar sind, so zeigen doch an-
dererseits viele Untersuchungen, dass die herkömmlichen Drei-Kompo-
nenten-Systeme bezüglich Haftung und Randschluss den neuen Syste-
men überlegen sind. Wenn selbstkonditionierende Adhäsivsysteme
zum Einsatz gebracht werden, sollte 2-Flaschen-Systemen der Vorzug
gegeben werden, da zahlreiche Untersuchungen die Überlegenheit ge-
genüber 1-Flaschen-Systemen aufzeigen.
Dentinhaftung Für die Haftung der Kunststoffmonomere am Dentin ist die Stabili-
tät einer kompakten und homogenen Hybridschicht unabdingbar. Die
klinische Dauerhaftigkeit der Hybridschicht ist von physikalischen und
chemischen Einflussfaktoren abhängig. So können z.B. Kaukräfte, ther-
mische Expansion und Kontraktion sowie der Einfluss saurer chemi-
scher Substanzen die Stabilität der Verbundzone beeinflussen. Auch
bakterielle Stoffwechselprodukte können zum Abbau oder zur Hydro-
lyse von Kunststoffmonomeren beitragen. Dabei können die organische
Dentinmatrix, verbliebene Hydroxylapatitkristalle, Kunststoffmono-
mere und Lösungsmittel von den Abbauvorgängen betroffen sein.
Etch-and-Rinse- Während die Anwendung von Etch-and-Rinse-Systemen einerseits
Systeme in einem ausgezeichneten Haftungsverbund zum Schmelz resultiert,
kann gleichzeitig eine Auflösung der Kollagenfasern oder eine Hydro-
lyse von Kunststoffmonomeren innerhalb der Hybridschicht stattfin-
den. Auch bei hydrophilen, sauren Systemen (pH-Wert < 2), wie sie bei
selbstätzenden Adhäsiven Anwendung finden, kann es zu einer erhebli-
chen Wassersorption und dadurch bedingt zu einer Kunststoffhydrolyse
kommen. Man kann also feststellen, dass pH-Wert und Hydrophilie des
Adhäsivs, Wassersorption und der nachfolgende hydrolytische Abbau
miteinander korrelieren. Bei der Anwendung von Universaladhäsiven
(siebte Generation) auf kariös verändertem Dentin (ab Zone der Demi-
neralisation) kann es unabhängig von der jeweils angewandten Ätzstra-
tegie zu einer hydrolytischen Degradation der Hybridschicht kommen.
„water trees“ Im Prinzip fungieren die Hybridschichten, welche bei der Verwen-
dung von hydrophilen und ionischen Kunststoffmonomeren entste-
hen, wie semipermeable Membranen. So kommt es sogar noch nach Po-
lymerisation aufgrund ihrer Permeabilität zu sogenannten „water
trees“ (Wasserbäumchen). Es handelt sich dabei um Wasserkanäle an

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 245

der Oberfläche der Hybridschicht, die sich bis in die Adhäsivschicht hi-
nein erstrecken. Es können auch Wasserbläschen über der Adhäsiv- 1
schicht entstehen. Bei Etch-and-Rinse-Systemen muss ein Überätzen
des Dentins vermieden werden, damit nach dem Konditionierungsvor- 2
gang alle freigelegten Kollagenfasern vom Adhäsivsystem ummantelt
werden können. Ist dies nicht der Fall, so können diese ungeschützten
Kollagenfasern möglicherweise hydrolytisch oder enzymatisch abge-
3
baut werden und damit eine Schwächung der Hybridschicht resultieren.
Auch körpereigene Proteasen können innerhalb der Dentinmatrix 4
diesen Abbau beschleunigen. Dieses als intrinsische kollagenolytische
Aktivität bezeichnete Phänomen kann durch spezifische Proteaseinhi- 5
bitoren gehemmt werden. So kann bereits durch eine niedrige Chlorhe-
xidinkonzentration eine vollständige Hemmung dieser Enzyme erzielt
werden. Man geht heute davon aus, dass die Matrix-Metalloproteina-
6
sen (MMPs) während der Zahnentwicklung innerhalb der mineralisier-
ten Dentinmatrix eingeschlossen werden. Die Freisetzung und anschlie- 7
ßende Aktivierung dieser endogenen Enzyme im Verlauf der unter-
schiedlichen Verarbeitungsschritte von Dentinadhäsiven können für 8
den Abbau der Hybridschicht verantwortlich sein.
Um die Hybridschicht zu schützen, wurden mehrere klinische Vor- Schutz der 9
gehensweisen vorgeschlagen, welche die Monomerinfiltration verbes- Hybridschicht
sern sollen und das Ausmaß der Wassersorption sowie den Abbau des
Kollagens vermindern können. Zu diesen Maßnahmen gehören der Ein-
10
satz einer zusätzlichen Schicht hydrophoben Kunststoffes sowie das
Aufbringen mehrerer Schichten des jeweiligen Adhäsivsystems, ver- 11
stärktes Entfernen von Lösungsmitteln durch Verdunstung, verlängerte
Aushärtungszeiten und die Anwendung von MMP-Hemmern. Insbeson- 12
dere führen die Verlängerung der Polymerisationszeit von Adhäsivsyste-
men sowie die Vorbehandlung des Dentins mit Chlorhexidinlösung zu 13
einer Verbesserung der Langlebigkeit der Hybridschicht. Auch eine ver-
längerte Applikationszeit und ein energisches Einmassieren der Adhä-
sivsysteme bewirken eine bessere Imprägnierung des Dentins.
14
Bei der Anwendung von Komposit mit Adhäsivsystemen gilt es da- C-Faktor
rauf zu achten, dass keine kastenförmigen Kavitäten präpariert werden. 15
Hier kann es nämlich aufgrund von Polymerisationsspannungen zum
Abriss des Materials im Randbereich kommen. Bei flachen und keilför- 16
migen Kavitäten ist dieses Problem geringer, da das Restaurationsmate-
rial nur auf einer freien Fläche „klebt“ und von der Außenfläche beim
Polymerisieren nachfließen kann. Dieses Phänomen wird mit dem soge-
17
nannten C-Faktor (configuration factor) beschrieben. Er sagt aus, dass
die Höhe der Schrumpfungskräfte vom Verhältnis der gebundenen zu 18
den freien Kompositoberflächen abhängt. Je mehr gebundene Oberflä-
chen vorhanden sind, desto größer wird der C-Faktor (s. Abb. 6.14). 19
Grundsätzlich kann man bei Polymerisation von Kompositen fest- Polymerisations-
stellen, dass es zu einer sogenannten Stressentwicklung kommt. Diese spannungen 20
Stressentwicklung kann dazu führen, dass es zu Spaltbildungen zwi-

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246 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.14: Der C-Faktor ergibt sich aus dem Verhältnis von freier zu gebundener
Oberfläche. Während im linken Teil der Grafik 5 Flächen des Würfels frei schrump-
fen können, liegt in der rechten Grafik nur eine freie Oberfläche vor. Bei gleichem
Volumen kommt es im rechten Beispiel zu wesentlich höheren Kontraktionskräf-
ten, da die Fließvorgänge durch die große Kontaktfläche behindert sind (nach
Braga et al. 2005).

schen Restaurationsmaterial und Kavitätenwand kommt. Solche De-


fekte können zum einen die Folge von thermisch und mechanisch be-
dingter Ermüdung sein, sie können aber auch bereits während des res-
taurativen Verfahrens selbst entstehen.
Die Ausbildung dieser Defekte hängt nicht nur vom C-Faktor der Kavi-
tät ab, sondern auch vom sogenannten viskoelastischen Verhalten des
entsprechenden Komposits. Die während der Polymerisation von Kompo-
siten auftretende Volumenschrumpfung führt zu Spannungen im Kom-
positmaterial. Diese Spannungen werden zu Beginn der Polymerisation
durch Fließvorgänge (visköses Verhalten) ausgeglichen. Bei lichthärten-
den Kompositen wird allerdings schon relativ rasch ein sogenannter Gel-
punkt erreicht, bei dem ein Ausgleich der auftretenden Kontraktionsspan-
nungen durch Nachfließen noch nicht polymerisierter Monomere nicht
mehr möglich ist. Bei der weiteren Polymerisation kommt es zu sogenann-
ten Post-Gelkontraktionen, die zu Spannungen im Material und an den
Kavitätenwänden führen (s. Abb. 6.15). Das Komposit verhält sich nach
Überschreiten des Gelpunktes überwiegend elastisch. Um den Aufbau die-
ser Spannungen zu minimieren, wurden verschiedene Wege beschritten.
Zur Reduktion der Polymerisationsrate zur Verlängerung der Zeit bis zum
Erreichen des Gelpunktes wurden z.B. Softstartpolymerisationslampen
mit reduzierter Lichtintensität entwickelt. Eine zweite Möglichkeit der
Stressrelaxation wurde durch die Anwendung unterschiedlicher Inkre-
menttechniken gesehen. Ein dritter Weg wird dadurch beschritten, dass
man im Bereich der Kontaktfläche zu den Zahnhartsubstanzen eine
Schicht hochelastischen Materials (hochgefüllte Adhäsivsysteme oder flo-
wable Komposite) einbringt. Diese als elastische Kavitätenwand be-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 247

1
2
3
4
5
6
Abb. 6.15: Während der Polymerisation entsteht aufgrund des Kettenwachstums
und der Quervernetzung zwischen den Molekülketten ein dreidimensionales
7
Netzwerk. Damit nimmt die Viskosität zu. Ist der Gelpunkt erreicht, können Fließ-
vorgänge die Kontraktionsspannung nicht mehr ausgleichen. Es kommt zu Span-
nungen zwischen Füllungsmaterial und Zahnhartsubstanz bzw. innerhalb des 8
Füllungsmaterials (nach Braga et al. 2005).
9
zeichnete Technik soll die Spannung zwischen Komposit und Kavitäten-
wand reduzieren. Alle drei Maßnahmen beruhen in erster Linie auf theo-
retischen Überlegungen bzw. In-vitro-Studien, sodass bisher keine verläss-
10
liche Aussage zu deren klinischer Effizienz möglich ist.
Die Pulpaverträglichkeit der neuen Adhäsivsysteme wird als gut be- Pulpaverträg- 11
zeichnet. Das Aufbringen der Adhäsive nach Schmelz- und Dentinät- lichkeit
zung verringert die postoperative Sensibilität. Diese lang andauernde 12
Schmerzsensation entsteht nach versehentlichem Ätzen freigelegten
Dentins und anschließendem Ausstrom von Dentinliquor und damit 13
verbundenen Reizungen der Nervenendigungen. Durch das Aufbringen
des Haftvermittlers wird die Flüssigkeitsbewegung blockiert. Es werden
auch Erfolge bei der Behandlung überempfindlicher Zahnhälse mit Ad-
14
häsivsystemen beschrieben.
15
Adhäsivsysteme haben die Aufgabe, eine sichere Haftung der Kom-
positmaterialien an den Zahnhartsubstanzen zu garantieren, eine 16
stabile Randdichtigkeit zu gewährleisten und postoperative Hyper-
sensibilitäten zu vermeiden.
17
Neuentwicklungen im Bereich der Adhäsivsysteme berücksichtigen
nicht nur eine vereinfachte Anwendungstechnik (One-bottle-bon- 18
dings), sondern auch die Integration von Bestandteilen mit desinfizie-
render Wirkung. Dabei können den Haftvermittlersystemen unter- 19
schiedliche Substanzen beigefügt werden, die zumindest während des
Einwirkens antibakteriell wirksam sind. Es ist aber nicht geklärt, inwie- 20
weit diese Systeme auch nach dem Aushärten noch eine antibakterielle

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248 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Wirkung zeigen, die über die hinausgeht, welche dem Adhäsivsystem


selbst zugeschrieben wird.
Beim Einsetzen von zahnfarbenen Einlagefüllungen (Keramik-
und Kompositinlays, Keramikkronen, Keramikbrücken) wird natürlich
nach Aufbringen eines entsprechenden Adhäsivsystems mit großer
Schichtstärke keine separate Lichthärtung vorgenommen, da die ent-
sprechenden Restaurationen sonst aufgrund der entstehenden Filmdi-
cke nicht passen würden. Hier erfolgt die Aushärtung der Haftvermitt-
lersysteme zusammen mit dem entsprechenden Befestigungskomposit.
Mit der Entwicklung neuer selbstätzender Kompositzemente soll die
Technik beim Einsetzen von zahnfarbenen Einlagerestaurationen noch
einfacher werden. Zu diesen Produkten gibt es aber bisher keine aussa-
gekräftigen klinischen Erfahrungen.

6.1.5 Biokompatibilität der Kompositmaterialien

Die Verträglichkeit (Biokompatibilität) von Restaurationsmaterialien


bezieht sich auf lokale Schädigungsmöglichkeiten (Pulpa, Gingiva,
Mundschleimhaut) und auf systemische Nebenwirkungen.
Lokale Weder die verwendete Phosphorsäure noch die Restaurationsmate-
Auswirkungen rialien wirken bei flachen und mitteltiefen Kavitäten direkt pulpato-
xisch, wenn sie richtig angewendet werden. Durch das Ätzen des Den-
tins werden jedoch Dentinkanälchen so eröffnet, dass Mikroorganis-
men leicht in das pulpale Gewebe gelangen und dort eine Entzündung
hervorrufen können. Daher ist die korrekte Anwendung der Adhäsiv-
technik unabdingbar, um die Dentinkanälchen dicht zu versiegeln.
Zur Anwendung von Adhäsivsystemen und Kompositmaterialien in
tiefen Kavitäten mit geringer Restdentindicke liegen unterschiedliche
Untersuchungen vor. So wurden beim Menschen Entzündungsreaktio-
nen der Pulpa nach Aufbringen der entsprechenden Materialien gefun-
den. Es konnte auch eine Immunsupression durch Monomere nachge-
wiesen werden, wobei hierzu systematische Untersuchungen fehlen. Es
gilt daher nach wie vor, einen direkten Kontakt von Adhäsivsystemen
bzw. Kompositen mit der Pulpa zu vermeiden.
Komposite binden in einer exothermen Reaktion ab. Dies führt in-
nerhalb von wenigen Sekunden zu einer Temperaturerhöhung um bis
zu 12 °C. Bei Lichtpolymerisation erfolgt zusätzlich eine Erwärmung
durch die Polymerisationslampe, sodass je nach Lampentyp insgesamt
Temperaturerhöhungen zwischen 8 und 19 °C auftreten. Bei LED-Lam-
pen ist die Wärmeentwicklung allerdings geringer als bei Halogenlam-
pen. Diese Temperaturerhöhungen führen letztlich je nach Restdentin-
dicke auch zu einer Erhöhung der Temperatur in der Pulpa. Es ist daher
nicht auszuschließen, dass bei sehr energiereichen Halogenlampenty-
pen eine entsprechende Gewebeschädigung erfolgen kann.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 249

Adhäsivsysteme können, insbesondere wenn sie einen niedrigen


pH-Wert besitzen, die Gingiva kurzfristig schädigen (weißliche Verän- 1
derungen) und dabei eine Schmerzempfindung beim Patienten auslö-
sen. Diese Veränderungen sind jedoch reversibel. 2
Kompositbestandteile können zudem für eine vermehrte Bakterien-
adhäsion verantwortlich sein. Die erhöhte Bakterienadhärenz führt
auch zu einem erhöhten Entzündungsgrad der Gingiva, wenn keine ad-
3
äquate Mundhygiene betrieben wird.
Systemische Effekte können unterschiedlicher Art sein. So können Systemische 4
theoretisch mehrere der zahlreichen Inhaltsstoffe von Kompositmate- Auswirkungen
rialien und Adhäsivsystemen mutagene, kanzerogene, toxische oder al- 5
lergene Wirkung entfalten.
Da bei der Aushärtung von Kompositen keine 100%ige Konversions-
rate erzielt wird, werden Restmonomere und andere Substanzen an-
6
schließend in der Mundhöhle freigesetzt, die eine biologische Wirkung
entfalten können. Dabei besteht eine gute Korrelation zwischen der 7
Konversionsrate und der Eluation von Restmonomerbestandteilen
durch organische Extraktionsmittel, wie z.B. Methanol. So lassen sich 8
mit Methanol zwischen 5 und 11% Monomere, bezogen auf das Aus-
gangsgewicht, eluieren. Insbesondere BisGMA und TEGDMA wurden 9
dabei nachgewiesen. Aber auch Bestandteile der Füllkörper wie z.B. Ba-
rium oder Silizium können nachgewiesen werden. Die Art der freigesetz-
ten Monomere und Füllkörperbestandteile hängt selbstverständlich von
10
der Zusammensetzung der untersuchten Kompositmaterialien ab. Di-
rekt nach der Polymerisation kann aus der sauerstoffinhibierten Zone 11
einer Kompositoberfläche auch Formaldehyd freigesetzt werden.
Kompositbestandteile, welche aus nicht abgebundenen Materialien 12
bzw. der Polymerisation eluierbar sind, können eine zytotoxische Wirkung
aufweisen. Speziell TEGDMA und HEMA können die Synthese von Ent- 13
zündungsmediatoren wie Interleukin 1, 6 oder TNF-α steigern. Freigesetzte
Monomere aus Kompositmaterialien können verschluckt und verstoff-
wechselt werden. Dabei können Intermediate z.B. in der Leber entstehen,
14
die als kanzerogen und mutagen gelten (z.B. 2,3 Epoxy-Methacrylsäure). Es
konnte zudem an humanen Lymphozyten ein mutagenes bzw. kanzeroge- 15
nes Potenzial für TEGDMA, HEMA, Bis-GMA und UDMA nachgewiesen
werden. Diese und zahlreiche andere Ergebnisse aus Zellversuchen lassen 16
sich jedoch nicht direkt auf den Menschen übertragen. Dazu muss bekannt
sein, welche Menge eines Monomers freigesetzt und dann resorbiert wird.
Zudem müsste auch klar sein, ab welcher Grenze Schäden entstehen kön-
17
nen. So sind die beschriebenen toxischen Wirkungen auf zellulärer Ebene
erst bei wesentlich höheren Konzentrationen festgestellt worden, als sie 18
nach Freisetzung aus Kompositfüllungen in den Speichel zu messen sind.
Es wurde behauptet, dass aus BisGMA- bzw. BisDMA-haltigen Fissu- 19
renversieglern Bisphenol A freigesetzt würde, das eine östrogene Wir-
kung zeigt. Nach dem heutigen Kenntnisstand gibt es aber bei der Ver- 20
wendung von Fissurenversieglern und Kompositfüllungswerkstoffen,

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250 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

die BisGMA enthalten, keine klinisch relevanten systemischen östroge-


nen Wirkungen. Neuerdings wird allerdings diskutiert, ob Östrogenre-
zeptoren der Gingiva angesprochen werden, wobei allerdings nicht klar
ist, welche negativen Folgen das hätte.
Aktuelle Studien beschäftigen sich auch mit der Umwelttoxizität
von Nanopartikeln, die bei der Entfernung insuffizienter Kompositres-
taurationen entstehen. Es ist bisher nicht bekannt, ob und welche Pro-
bleme dabei auftreten können. Zur Mutagenität von Kompositbestand-
teilen gibt es einige wenige Studien, die jedoch häufig mit Konzentratio-
nen durchgeführt wurden, die weit über den Werten liegen, die beim
Patienten erwartet werden.
Es gibt zwar bisher nur wenige Beschreibungen allergischer Reak-
tionen auf Komposite, Adhäsivsysteme bzw. deren Inhaltsstoffe, man
geht jedoch davon aus, dass diese zukünftig aufgrund der vermehrten
Anwendung zunehmen könnten. Bei Verdacht auf eine Allergie muss
der Patient zur Durchführung eines Allergietests zum Allergologen über-
wiesen werden.
Da Allergien auf Dentalmaterialien nicht nur beim Patienten, son-
dern auch beim zahnärztlichen Personal auftreten können, sollte der di-
rekte Hautkontakt mit den Restaurationsmaterialien unterbleiben. In
diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Einzelkomponen-
ten (speziell hydrophile Monomere) Schutzhandschuhe durchdringen
können. Das Aufbringen von Überschüssen (insbesondere von Adhäsiv-
systemkomponenten) auf die Gingiva oder die Mundschleimhaut sollte
ebenfalls unterbleiben. Die Verwendung von Kofferdam kann auch in
diesem Zusammenhang empfohlen werden.
Weitere systemische Nebenwirkungen von Kompositen oder Adhä-
sivsystemen sind bisher nicht nachgewiesen.
Die bisherigen Daten zu Biokompatibilität von Kompositmaterialien
geben keinen Hinweis auf eine Indikationseinschränkung. Da Kompo-
site jedoch sehr komplex zusammengesetzte Materialien sind, sind bis-
her nicht alle Details bezüglich lokaler Toxizität und Gewebeverträg-
lichkeit geklärt.

6.1.6 Frontzahnrestaurationen mit Komposit

Klasse-III-Kavitäten
Primär- Die Primärpräparation für die Versorgung von Klasse-III-Kavitäten mit
präparation Komposit beschränkt sich darauf, die Karies darzustellen und zu entfer-
nen. Vor der Präparation werden die entsprechenden Zähne mit einer
Prophylaxepaste und einem Bürstchen gereinigt. Aus ästhetischen
Gründen wird der Zugang zur Kavität von palatinal bzw. lingual ge-
wählt. Mit einem kleinen kugelförmigen Diamantschleifer wird der ka-
riöse Defekt dargestellt (s. Abb. 6.16).

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 251

Abb. 6.16: Bei der Primärprä-


paration einer Klasse-III-Kavi-
tät für Kompositrestauratio- 1
nen wird ein kleiner Zugang
zum kariösen Defekt von oral
präpariert. Dabei wird ein 2
kleiner, kugelförmiger Dia-
mant oder ein oszillierendes
Instrument unter Schonung 3
des gesunden Schmelzes
schräg in Richtung des kariö-
sen Defekts geführt. 4
Es empfiehlt sich, keine höchsttourigen Präparationsinstrumente zu 5
verwenden, um das Schmelzgefüge nicht unnötig aufzulockern und die
Zugangskavität möglichst zierlich zu gestalten. Für die Präparation eig-
nen sich daher auch oszillierende (z.B. SonicSys) Instrumente. An-
6
schließend wird mit einem Rosenbohrer die Karies entfernt.
Besondere Beachtung gilt hierbei der inzisalen Ausdehnung an der 7
Schmelz-Dentin-Grenze. Hier zieht sich die Karies oft bis weit nach in-
zisal. Die rotierenden Instrumente werden so geführt, dass sie schräg in 8
Richtung Pulpa zeigen. Sind die Kavitäten im zervikalen Bereich ze-
ment- bzw. dentinbegrenzt, endet der Kavitätenrand entweder recht- 9
winklig zur Zahnachse auf der Zahnoberfläche oder es ergibt sich nach
der Kariesexkavation ein unter sich gehender Bereich im Sinne einer zu-
sätzlichen Makroretention. Eine makroretentive Verankerung wie z.B.
10
schwalbenschwanzförmige Präparation auf der Palatinalfläche ist obso-
let, da hier grundlos gesunde Zahnhartsubstanz geopfert werden muss. 11
Es wird eine möglichst kleine Kavitätenöffnung angestrebt; der gesunde
Zahnschmelz bleibt erhalten. 12
Nach Entfernung der Karies erfolgt die Farbbestimmung. Bei der
Farbbestimmung spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle. 13
Die Farbempfindung des Behandlers ist ebenso zu berücksichtigen
wie die Lichtverhältnisse und die Zahnbeschaffenheit.
14
Vorgefertigte Farbringe der Komposithersteller sind meistens wenig 15
hilfreich, da sie die tatsächlichen Farben selten widerspiegeln und nach
mehrmaligem Desinfizieren ihren Farbton verändern. Ist man sich 16
nicht sicher, kann man zum Farbvergleich eine kleine Portion des aus-
gewählten Kompositmaterials auf dem Zahn polymerisieren. Der Zahn
sollte bei der Farbbestimmung feucht sein, da ausgetrocknete Zähne
17
heller wirken.
Anschließend werden die zu behandelnden Zähne mit Kofferdam 18
oder mit Watterollen trockengelegt.
Bei sehr tiefen Kavitäten kann vor Legen der Restauration eine Den- 19
tinwundversorgung mit einem Kalziumhydroxid- oder Kalziumsilikat-
präparat erfolgen. Meistens wird heute jedoch ausschließlich ein Adhä- 20
sivsystem als Dentinwundverband verwendet.

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252 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Palatinalfläche Labialfläche

Schmelz-
anschrägung
a b c

Abb. 6.17: Verschiedene Präparationsformen einer Klasse-III-Kavität: a) Bei der klassischen Präparation er-
folgt der Zugang von oral. Die Karies wird exkaviert und eine 0,5 mm breite Schmelzanschrägung mit Dia-
mantfinierern angelegt. Der labiale Schmelz bleibt erhalten und wird z.B. mit einem schleifmittelbelegten
Stahlband (z.B. Stahl-Karbo-Streifen) angeschrägt. Dabei wird gleichzeitig der Kontaktpunkt zum Nachbar-
zahn minimal aufgehoben. Nach Konditionierung der Zahnhartsubstanz wird je nach Material ein entspre-
chendes Adhäsivsystem aufgetragen. Dieser Bereich ist nach erfolgter Füllungstherapie versiegelt und da-
mit vor Sekundärkaries geschützt. b) Bei Klasse-III-Kavitäten, die zervikal im Zahnzement bzw. Dentin en-
den, wird im schmelzbegrenzten Bereich genauso präpariert, im zervikalen Bereich erfolgt jedoch keine
Abschrägung. c) Bei labial liegenden kariösen Defekten bzw. alten Füllungen, die eine labiale Begrenzung
besitzen, wird der Zugang zur Kavität von labial gewählt und eine zirkuläre Abschrägung präpariert.

Sekundär- Vor Anwendung eines Adhäsivsystems schließt sich eine Sekundär-


präparation präparation mit Diamantfinierern an. Dabei wird der Schmelzrand in
einem Bereich von 0,5–1,0 mm angeschrägt. Es entsteht eine soge-
nannte Adhäsivpräparation (s. Abb. 6.17).
Ist der labiale Kavitätenrand noch im Approximalkontakt zum
Nachbarzahn, kann in diesem Bereich mit einem schleifmittelbelegten
Metallstreifen (Stahl-Karbo-Streifen) angeschrägt werden. Man vermei-
det so eine nach labial durchgängige Präparation mit rotierenden Werk-
zeugen und eine Verletzung des Nachbarzahnes.
Die adhäsive Präparation erfolgt an konkaven Flächen mit einer Ku-
gel oder Knospe. An den Labialflächen, falls die Kavität bis dorthin
reicht, wird mit einer Flamme oder einem Finierer präpariert.
Präparations- Die Adhäsivpräparation zeichnet sich durch folgende Charakteris-
kriterien tika aus:
 Minimale Kavitätengröße (d.h. geringe Füllungsoberfläche)
 Exkavation des erweichten Dentins
 Schonung des gesamten noch strukturierten Schmelzes
 Breite Haftflächen am Zahnschmelz

Die adhäsive Restauration führt in Verbindung mit der Adhäsiv-


technik zu dichteren Füllungsrändern als andere Präparationsarten
(s. Abb. 6.18).

Alleinige Die weitere Vorgehensweise richtet sich nach dem anschließend zur
Schmelzätzung Füllung verwendeten Kompositmaterial, speziell dem entsprechenden

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 253

% perfekter Rand

100
1
vor
Thermocycling
80 nach 2
Thermocycling
60
3
40
4
20

0 5
Zahnschmelz
6
7
8
Adhäsiv-
präparation
45°-Abschrägung
(Bevel) 90° Hohlkehle 9
Abb. 6.18: Die Adhäsivpräparation zeichnet sich durch eine kleine Kavitätenöffnung, unter sich gehende
Stellen im Dentin und breite Haftflächen am Zahnschmelz aus. Andere Präparationsformen wie eine 45°-
10
Abschrägung, eine Hohlkehlpräparation bzw. eine scharfkantig auslaufende Präparation (90°-Winkel mit
der Schmelzoberfläche) führen zu einer schlechteren Randadaptation, die nach thermischer Wechselbe-
handlung weiter abnimmt (nach Lutz 1984).
11
12
Adhäsivsystem (s. S. 237). Bei der alleinigen (selektiven) Schmelzät-
zung wird eine 30- bis 40%ige gefärbte Phosphorsäure auf den ange- 13
schrägten Zahnschmelz aufgebracht. Säure in Gelform verbleibt am Ap-
plikationsort und fließt nicht in die Kavität oder in andere Bereiche, die
nicht konditioniert werden sollen. Ein gefärbtes Gel erlaubt zudem eine
14
ausgezeichnete Kontrolle während der Applikation. Nach 30–60 s wird
die Säure abgesprüht und der Zahnschmelz getrocknet. Anschließend 15
werden ein Dentinprimer und ein Dentinadhäsiv aufgebracht.
Im Rahmen der Total-etch-Technik werden Schmelz und Dentin Total-etch- 16
gemeinsam mit einer Säure vorbehandelt, wobei die Säure erst auf den Technik
Schmelz und dann auf das Dentin aufgebracht wird, um ein „Überät-
zen“ des Dentins zu vermeiden. Der Kontakt der Säure zum Dentin be-
17
trägt dann ca. 15–20 s.
Es empfiehlt sich, bereits hier eine Kunststoffmatrize zwischen den 18
Zähnen mit einem Holz- oder Kunststoffkeil zu verkeilen, um die Nach-
barzähne vor Säurekontakt zu schützen. Außerdem werden die Zähne 19
durch das Verkeilen aufgrund ihrer physiologischen Eigenbeweglichkeit
auseinandergedrückt, sodass nach Fertigstellung der Restauration ein 20
guter Approximalkontakt resultiert. Man kann den Keil bereits vor dem

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254 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Exkavieren applizieren (pre-wedging) und ihn dann vor der Insertion


des Restaurationsmaterials noch einmal fest nachdrücken.
Entfernung alter Bei Entfernung alter Füllungen, bei gedrehten Zähnen und ent-
Füllungen sprechender Lage der Karies muss eine Klasse-III-Kavität manchmal
auch von labial eröffnet werden. Es gelten jedoch unabhängig von der
Lage der Kavität die gleichen Präparationsprinzipien.
Nach Konditionierung wird ein entsprechendes Adhäsivsystem mit
einer Kugel, einem Pinsel oder einem Schaumstoffschwämmchen auf
die angeätzte Oberfläche aufgetragen. Bei den meisten Adhäsivsyste-
men erfolgt dabei eine Aushärtung der Einzelkomponenten nach kurzer
Einwirkzeit (Penetration in das Mikrorelief des Schmelzes und die freige-
legte Kollagenstruktur des Dentins). Dann wird das ausgewählte Mate-
rial in die Kavität eingebracht und mit einem Instrument (z.B. Heide-
mann-Spatel) angedrückt.
Eine verkeilte Matrize separiert dabei die Zähne so, dass nach Ab-
schluss der Behandlung ein guter Approximalkontakt resultiert. Die An-
wendung einer Matrize hilft zudem, unnötige Überschüsse zu vermeiden,
wobei speziell Überschüsse im zervikalen Bereich später schwierig zu be-
seitigen sind. Es erfolgt zudem eine Konturierung der Füllungsoberfläche
(s. Abb. 6.19). Als Matrizenbänder eignen sich Polyamid-, Polyester- und
PVC-Folien. Bei kleinen Kavitäten erfolgt die Aushärtung in einem Ar-
beitsgang. Dazu wird die Matrize fest um den Zahn gelegt, sodass man
mit der Polymerisationslampe sehr nah an das Füllungsmaterial gelangt.
Bei tiefen Kavitäten werden ca. 1–2 mm starke Schichten aufgetragen
und ausgehärtet. Die sauerstoffinhibierte Zone (s. Kap. 6.1.1) auf der aus-
gehärteten Oberfläche jeder Schicht erlaubt eine Anpolymerisation der
nächsten Schicht, da sie nicht vollständig umgesetzte Monomerbestand-
teile enthält (5–100 μm). Die letzte Schicht wird wieder unter Anlegen der
Matrize ausgehärtet. Dabei entsteht keine sauerstoffinhibierte Schicht.
Klasse-III- Bei der Restauration von Klasse-III-Kavitäten finden i.d.R. Feinparti-
Kavitäten kelhybridkomposite (bzw. Nanofüllerkomposite) Anwendung. Sie sind

Keilchen

Restauration

Matrize

Abb. 6.19: Bei der Insertion von Komposit bei Klasse-III-Kavitäten wird eine Kunst-
stoffmatrize verwendet, die interdental verkeilt ist. Dabei werden zervikale Über-
schüsse vermieden und die Morphologie der Füllungsoberfläche dem Zahn ange-
passt.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 255

hochglanzpolierbar und daher für ästhetisch sensible Bereiche indiziert.


Es gibt Karpulensysteme, mit denen das entsprechende Komposit in die 1
Kavität eingebracht werden kann. Mit ihnen lässt sich das Material
exakt und sauber platzieren. 2
Bei großen Kavitäten empfiehlt es sich, ein opakes Material als Den-
tinersatz zu verwenden und darüber ein transluzentes Material zu
schichten. Im Zweifelsfall ist ein dunklerer Farbton einem helleren vor-
3
zuziehen, da dieser im Schatten des Approximalraums ästhetisch weni-
ger störend wirkt. Bei stark verfärbten Zähnen kann eine Schichtung 4
von zervikal nach inzisal notwendig sein, um eine ästhetisch anspre-
chende Wirkung zu erzielen. Es empfiehlt sich nicht, verschiedenfarbige 5
lichthärtende Kompositmaterialien zu mischen, um den richtigen Farb-
ton zu erzielen. Dabei werden nämlich, wie bei chemisch härtenden
Materialien, Porositäten durch Einrühren von Luftbläschen erzeugt.
6
Während der Verarbeitung muss lichthärtendes Material mit einem Verarbeitung
umgedrehten gefärbten Dappen-Glas oder einem speziellen Träger mit 7
Lichtschutzdeckel geschützt werden. Aus hygienischen Gründen sollten
Kompositmaterialien nicht direkt portionsweise aus den Tuben ent- 8
nommen und in die Mundhöhle des Patienten gebracht werden. Es soll-
ten nie Schichtdicken über 1–2 mm in die Kavität eingebracht werden. 9
Die Mindestbestrahlungszeit mit einer konventionellen Halogen-
lampe beträgt sowohl von palatinal als auch von labial jeweils 40 s. Da-
bei sollte die Lichtquelle möglichst ruhig gehalten werden. Bei großflä-
10
chigen Restaurationen muss mehrmals überlappend bestrahlt werden.
Mit modernen Hochleistungs- und mit LED-Lampen kann die Bestrah- 11
lungszeit eventuell verringert werden. Hier ist jedoch zurzeit noch Vor-
sicht geboten, da über mögliche Begleiterscheinungen wie z.B. Hitze- 12
entwicklung und Spannungsaufbau im Kompositmaterial noch keine
ausreichenden Untersuchungen vorliegen. Insbesondere ist darauf zu 13
achten, dass die Anregungswellenlänge, mit der die entsprechende
Lampe arbeitet, tatsächlich in dem Bereich liegt, in dem der Initiator
des Komposits bzw. Adhäsivsystems angeregt werden kann, sonst poly-
14
merisiert möglicherweise das Material nicht aus.
Die Vorteile lichthärtender Komposite sind: Vorteile lichthär- 15
 Der Anmischvorgang entfällt. tender Komposite
 Es besteht eine relativ lange Verarbeitungszeit. 16
 Sie sind für Schichttechnik geeignet.
 Es kommt bei richtiger Anwendung zu einer schnellen und guten
Durchhärtung.
17
Nachteilig ist, dass es zu einem unkontrollierten Polymerisationsbeginn Nachteile 18
durch Tageslicht oder OP-Leuchte kommen kann und dass die Durch-
härtungstiefe begrenzt ist. 19
Komposite werden mit leichtem Überschuss in die Kavität einge-
bracht, damit bei der Ausarbeitung und Politur keine Unterschüsse ent- 20
stehen.

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256 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Die Instrumente für die Ausarbeitung und Politur sind so aufeinan-


der abgestimmt, dass ihre Schleifleistung abnimmt, der Glättungs-
effekt gleichzeitig zunimmt und weder Kompositmaterial noch
Zahnhartsubstanzen beschädigt werden.

Es empfiehlt sich, die Ausarbeitung und Politur in zwei getrennten Sit-


zungen vorzunehmen, auch wenn dies bei lichthärtenden Hybridkom-
positen vom Hersteller nicht empfohlen wird. Da nach der Insertion
über mehrere Tage eine Wasseraufnahme erfolgt und damit nicht diag-
nostizierte hauchdünne Überschüsse aufquellen, werden sie erst in der
zweiten Sitzung erkannt. Diese Überschüsse können ein Grund für mar-
ginale Verfärbungen von Kompositrestaurationen sein, da sich hier exo-
gene Farbstoffe einlagern können.
Erste Sitzung In der ersten Sitzung erfolgen Überschussentfernung, Konturierung
und Finieren der Füllung. Für diese Arbeitsschritte eignen sich bei kon-
kaven Flächen kugel- oder knospenförmige Diamantfinierer mit 30 bzw.
15 μm Korngröße. Überschüsse können auch mit schneidenden Handin-
strumenten (Spezialinstrumente, scharfe Scaler, gebogene Skalpelle) ent-
fernt werden. An konvexen und Glattflächen werden vorzugsweise flexi-
ble Scheiben (grob, mittel, fein) eingesetzt. Rotierende Steinchen sind
nicht geeignet, da es zu einer Zertrümmerung der Schmelzränder kom-
men kann. Für das Finieren eignen sich auch spezielle Hartmetallinstru-
mente, die aber eine geringe Schneidleistung haben. Bei der Ausarbeitung
mit Diamantfinierern wird mitteltourig mit Wasserkühlung gearbeitet.
Zweite Sitzung Die Politur wird in einer zweiten Sitzung mit extrafeinen flexiblen
Scheiben oder Silikonpolierern (nicht für alle Kompositmaterialien ge-
eignet) oder Siliziumkarbid beschichteten Bürstchen durchgeführt.
Wird aus den Scheiben ein kleiner Keil ausgeschnitten, lässt sich auf-
grund des Stroboskopeffekts der Zahn hinter der Scheibe bei der Politur
erkennen. In der zweiten Sitzung erfolgt zudem eine erneute Kontrolle
des Federrandes (Anfärben mit Erythrosin). Für den approximalen Be-
reich gibt es schleifmittelbelegte Streifen (Zirkoniumsilikat, Alumini-
umoxid) in vier verschiedenen Körnungen. Sie sollten einen unbelegten
Mittelteil besitzen, den man in den Zahnzwischenraum einführen
kann, ohne den Approximalkontakt zu zerstören.
Die Erwärmung beim Ausarbeiten einer Kompositfüllung führt zur
Nachpolymerisation des Materials.
Politur Bei der Politur von konventionellen Kompositen und Hybridkom-
positen mit groben Füllkörpern sollten keine gewöhnlichen Polierpas-
ten für die Endpolitur verwendet werden, weil dabei Füllkörper aus der
Oberfläche herausgerissen werden und einer schnelleren Desintegration
der Füllung Vorschub geleistet wird. Nach der Politur werden die behan-
delten Zähne mit einem neutralen Fluoridierungsmittel fluoridiert, da-
mit versehentlich angeätzte Bereiche, die nicht von einem Komposit be-
deckt sind, schneller remineralisieren.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 257

Bei richtiger Verarbeitung von Kompositen und durch die Anwen- 1


dung der Adhäsivtechnik werden ästhetisch zufriedenstellende
Klasse-III-Restaurationen erzielt. Durch die Adhäsivpräparation 2
lässt sich ein allmählicher Übergang von der Füllung zum Zahn rea-
lisieren. Die Adhäsivtechnik führt zudem zu einer Verbesserung der
Randdichtigkeit von Kompositfüllungen und verhindert damit die
3
Entstehung von Sekundärkaries.
4
Klasse-IV-Kavitäten
Durch Traumata oder große kariöse Defekte kann es zum Verlust der 5
Schneidekante bzw. von Ecken der Schneide- und Eckzähne kommen.
Für die Restauration dieser großflächigen Kavitäten gelten die gleichen
Regeln wie für Klasse-III-Restaurationen.
6
Die Primärpräparation beseitigt scharfe Kanten und stark untermi- Präparation
nierte, frakturgefährdete Schmelzareale. Nach Exkavation der Karies er- 7
folgen die Farbbestimmung und das Legen von Kofferdam. Der Dentin-
wundverschluss erfolgt mit einem Adhäsivsystem. Falls das Dentin pul- 8
pennah freigelegt wurde, kann vorher punktuell ein härtendes
Kalziumhydroxid- oder Kalziumsilikatpräparat aufgebracht werden. Mit 9
Diamantfinierern wird anschließend eine breite Anschrägung (1–2 mm)
im Zahnschmelz präpariert (s. Abb. 6.20).
Für die oralen, konkaven Flächen werden knospenförmige Präpara-
10
tionsdiamanten, für die labialen und approximalen Flächen flammen-
förmige Diamanten verwendet. Dabei wird der Rand leicht wellenför- 11
mig angeschrägt, damit später der Übergang zwischen Restauration und
Zahnschmelz nicht mehr erkennbar ist. Da die Restauration mithilfe der 12
Adhäsivtechnik retentiv am Zahnschmelz verankert wird, erübrigt sich
i.d.R. das Anbringen einer Makroretention wie z.B. parapulpärer Stifte. 13
Endet die zervikale Begrenzung im Zahnzement bzw. im Dentin, gelten
die gleichen Regeln wie bei Klasse-III-Kavitäten. Bei sehr großen Defek-
ten kann eine Überkronung des Zahnes indiziert sein.
14
Nach Konditionierung und Aufbringen des Adhäsivsystems folgt die Insertion des
Insertion des Kompositmaterials. Da Klasse-IV-Restaurationen großen Be- Komposit- 15
lastungen ausgesetzt sind, sollen Hybridkomposite verwendet werden. materials
Bei der Insertion kann eine vorgefertigte Kunststoffhülse verwendet 16
werden (s. Abb. 6.20d). Diese gibt es in verschiedenen Größen und ver-
schiedenen Zahnformen. Sie wird mit einer Schere entsprechend zu-
rechtgeschnitten und inzisal perforiert, damit beim Einbringen das
17
überschüssige Komposit nach koronal abfließen kann. Die Kunststoff-
krone wird mit Komposit gefüllt, über den Zahn geschoben und ver- 18
keilt. Anschließend werden die überquellenden Kompositüberschüsse
mit einem Spatel entfernt. Lichthärtende Komposite lassen nur eine be- 19
grenzte Durchhärtung zu. Eine vorgefertigte Hülse kann daher bei Ver-
wendung von lichthärtenden Kompositen nur bei kleinen Defekten 20
bzw. nach vorherigem Aufbau des Füllungskerns verwendet werden. Bei

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258 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.20: Versorgung einer Frontzahnfraktur (Klasse-IV-Kavität): Nach einem


Frontzahntrauma werden die Bruchflächen (a) mit Diamantfinierern geglättet.
Dabei wird durch Anschrägen (1–2 mm) eine breite Haftfläche am Zahnschmelz
angelegt (b). Nach Aufbringen einer Unterfüllung bzw. eines Adhäsivsystems (c)
kann die Kompositrestauration mithilfe einer vorgefertigten, adaptierten Kunst-
stoffkrone (d) bzw. einer Kunststoffmatrize (e) erfolgen.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 259

großen Defekten sollten bei Verwendung der vorgefertigten Kronen im


Rahmen einer Notfallbehandlung chemisch härtende Materialien be- 1
vorzugt verwendet werden.
Alternativ lassen sich große Ecken- und Schneidekantenaufbauten Aufbauten 2
mit lichthärtenden Materialien frei modellieren. Dazu wird wie bei
Klasse-III-Kavitäten ein Kunststoffmatrizenband zwischen den Zähnen
verkeilt. Mit Feinstpartikelhybridkompositen und Nanofüllerkomposi-
3
ten wird zunächst ein opaker Kern aufgebaut, der von labial und inzisal
mit einem transluzenten Komposit überschichtet wird. Aus kosmeti- 4
schen Gründen ist manchmal eine Schichtung von zervikal nach inzisal
erforderlich. Die einzelnen Schichtdicken sollten 2 mm nicht überschrei- 5
ten. Jede Schicht wird mindestens 40 s von oral und labial bestrahlt. Aus-
arbeitung und Politur erfolgen wie bei Klasse-III-Restaurationen. Alterna-
tiv kann man z.B. beim Austausch einer insuffizienten Klasse-IV-Restau-
6
ration vorher eine Silikonabformung vornehmen und sich damit einen
palatinalen Silikonschlüssel anfertigen, indem man den labialen Teil die- 7
ser Abformung wegschneidet. Mit diesem Schlüssel werden dann zu-
nächst die palatinale Wand und die approximalen Flächen der Restaura- 8
tion z.B. mit einem Flow-Material aufgebaut. Anschließend erfolgt die
Schichtung des Dentinkerns, der dann von einer dünnen Schmelzmasse 9
nach labial und inszisal überschichtet wird. So lassen sich ästhetisch und
anatomisch sehr anspruchsvolle Restaurationen herstellen.
Ist nach einer unkomplizierten oder komplizierten Kronenfraktur Wiederbefes-
10
das entsprechende Zahnfragment noch vorhanden, so kann dies im tigung eines
Einzelfall wieder befestigt werden. Dabei bewirkt eine zirkuläre Zahnfragments 11
Schmelzanschrägung des Fragments und der Frakturfläche des trauma-
tisierten Zahnes eine größere Retentionsfläche für das Befestigungskom- 12
posit und eine deutliche Verbesserung der Haftfestigkeit, wobei die
Haftwerte einer Kompositrestauration bzw. die Frakturstabilität eines 13
gesunden Zahnes nicht erreicht werden. Werden allerdings Schmelzker-
ben bzw. Schmelzrinnen im Bereich des Frakturspalts präpariert bzw.
eine interne Dentinpräparation angelegt, so können nach Wiederbefes-
14
tigung mit einem Kompositmaterial Haftwerte erreicht werden, die de-
nen einer Kompositrestauration entsprechen. 15
Zur Präparationsform fehlen allerdings klinische Langzeitstudien,
sodass die Entscheidung für die entsprechende Präparation nur im Ein- 16
zelfall getroffen werden kann. Abschrägungen im Schmelzrandbereich
empfehlen sich insbesondere dann, wenn bereits Absprengungen an
den Frakturflächen vorliegen, die in die Präparation mit integriert wer-
17
den können. Nach Applikation eines Komposits wird dann der eigentli-
che Frakturspalt gut maskiert, sodass anschließend ein ästhetisch an- 18
sprechendes Resultat garantiert werden kann. Interne Retentionen in
Schmelz und Dentin bieten sich an, wenn die Frakturflächen eine opti- 19
male Passung aufweisen oder wenn aufgrund endodontischer Maßnah-
men zusätzliche Präparationen der Zahnhartsubstanzen notwendig 20
werden (s. Abb. 6.21).

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260 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

a b c d

Abb. 6.21: Unterschied-


liche Formen der Prä-
paration von Fraktur-
flächen bei Wiederbe-
festigung von
Zahnfragmenten nach
einem Trauma (nach
Wiegand et al. 2005):
a) keine Präparation,
b) zirkuläre Schmelzan-
schrägung, c) externe
V-förmige Schmelz-
kerbe, d) oberflächliche
Verbreiterung des Frak-
e f g turspalts mit anschlie-
ßender leichter Über-
konturierung des Be-
festigungskomposites, e) interne Dentinpräparation, f) interne V-förmige Schmelzkerben, g) Kombination
aus externer und interner V-förmiger Schmelzkerbe

Zum Befestigen der Fragmente werden die üblichen Adhäsivsysteme


und Kompositmaterialien verwendet. Wurde das frakturierte Fragment
länger als 24 Stunden trocken gelagert, so sollte es anschließend für
24 Stunden in Wasser gelagert werden, um die gleichen Haftwerte wie
bei nicht ausgetrockneten Fragmenten zu erzielen.
Ein Unterfüllungsmaterial ist bei Anwendung der Adhäsivtechnik
meistens nicht erforderlich.

Klasse-V-Kavitäten
Restaurationen im zervikalen Glattflächenbereich sind aus unterschied-
lichen Gründen indiziert. Erosive Veränderungen, keilförmige Defekte
und Karies sind Gründe für Zahnhartsubstanzverluste in diesem Be-
reich.
Nicht invasives Bei Erosionen und keilförmigen Defekten wird primär ein nicht in-
Vorgehen vasives Vorgehen angestrebt. Umstellung der Ernährung (wenig erosive
Nahrung), Veränderung der Putzgewohnheiten (z.B. Stillmann-Tech-
nik) und Ausschaltung von Überbelastungen während der Kaufunktion
(Einschleifen, Beseitigung von Hyperbalancen und Vorkontakten) ste-
hen hier im Vordergrund. Erst wenn die Schmerzsymptomatik oder äs-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 261

thetische Aspekte restaurative Maßnahmen erfordern, ist ein invasives


Vorgehen indiziert. 1
Im Wurzelzement bzw. -dentin kann auch beim Vorliegen einer
manifesten Karies durch Prophylaxemaßnahmen die Progression ver- 2
hindert werden.
Bei flachen kariösen Defekten wird ausschließlich die Karies entfernt
(mit Exkavator, Rosenbohrer oder Carisolv) und anschließend mit hoch
3
dosierten Fluoridlacken oder -gelen fluoridiert. Es erfolgt ein enges Recall
mit erneuter professioneller Fluoridapplikation in vierteljährlichen Inter- 4
vallen. Die tägliche Anwendung antibakterieller Spüllösungen ist indiziert.
Manifeste progrediente kariöse Defekte, speziell kariöse Läsionen im 5
Schmelzbereich, bei denen die Oberfläche eingebrochen ist, werden res-
taurativ behandelt.
Eine reine Zement- und Dentinkaries, die sich in den Approximal-
6
bereich erstreckt, lässt sich entweder durch Anfertigung einer Krone
oder durch spezielle Formen der Restaurationstechnik mit Kompositen 7
(R2-Technik) therapieren. Bei Klasse-V-Kavitäten, die ausschließlich im
Wurzelzementbereich liegen, werden auch Glasionomerzemente als 8
Restaurationsmaterial verwendet. In der Regel werden jedoch auch bei
Klasse-V-Kavitäten Kompositfüllungen angefertigt. 9
Bei der Präparation (s. Abb. 6.22) ist zu berücksichtigen, dass der Ab- Präparation
stand zur Pulpa im Zahnhalsbereich nur gering ist. Die Kavitätenpräpa-
ration folgt daher der Krümmung der Zahnoberfläche. Die primäre Ka-
10
vitätenpräparation beschränkt sich auf ein Minimum. Meistens ist nur
eine Kariesentfernung erforderlich. Die Umrissform folgt entsprechend 11
der Kariesausbreitung dem Verlauf der Gingiva, d.h., die Kavität ist an-
nähernd nierenförmig. Durch die Exkavation der Karies ergibt sich zer- 12
vikal meist automatisch ein leicht unter sich gehender Bereich, der für
eine zusätzliche makromechanische Verankerung sorgt. 13
Im schmelzbegrenzten Bereich erfolgen anschließend mit knos- Anschrägung
penförmigen oder kleinen spitzen Diamantfinierern eine Anschrägung
des gesamten Kavitätenrandes (koronal mindestens 0,5 mm; lateral ist
14
die Schmelzabschrägung nur dünn zu gestalten) und eine Konditionie-
rung der Zahnhartsubstanzen wie oben beschrieben. Bei Zahnhalsdefek- 15
ten, deren zervikaler Rand im Zahnzement bzw. -wurzeldentin liegt,
wird kein spezielles Kavitätendesign angestrebt. Während der Kavitä- 16
tenrandbereich bei Erosionen häufig nach zervikal abfallend ist, ergibt
sich nach einer Kariesexkavation häufig ein Unterschnitt im zervikalen
Bereich (s. Abb. 6.22).
17
Die Applikation von Kofferdam gestaltet sich bei Klasse-V-Kavitäten Trockenlegung
oft schwierig. Man muss Klammern verwenden, die eine Retraktion der 18
Gingiva erlauben (z.B. Ivory SA 212). Nicht selten muss vorher durch
eine chirurgische Maßnahme der zervikale Rand der Kavität erst freige- 19
legt werden.
Ist Kofferdam nicht anwendbar (Latexallergie, Asthma, Würgereiz), 20
kann alternativ eine spezielle Zahnhalsmatrize verwendet werden

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262 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

angeätzter
Bereich Erosion

Schmelz- Wurzel-
anschrägung karies

Wurzel-
a zement b c d

Abb. 6.22: Kavitätengestaltung bei unterschiedlichen


Klasse-V-Kavitäten: a) Bei einer rein schmelzbegrenz-
ten Kavität kann die Kompositrestauration nach zirku-
lärer Anschrägung mit der Adhäsivtechnik erfolgen.
b) Liegt der zervikale Kavitätenrand im Wurzelzement
bzw. -dentin, erfolgt nur koronal eine Schmelzanschrä-
gung. c) Eine Erosion wird nur bei ausgeprägter Form
oder aus ästhetischen Gründen invasiv behandelt. Da-
bei erfolgt keine zusätzliche Präparation, sondern nur
Kavitäten- die Anwendung eines entsprechenden Adhäsivsystems.
boden d) Bei einer Wurzelkaries ergeben sich häufig nach der
Exkavation zusätzlich makromechanische Retentionen.

(s. Abb. 6.23b). Diese Matrize wird in den Sulkus geschoben, und von
außen wird ein Schmelzhaftvermittler im Bereich des Gingivalsaums
aufgebracht und ausgehärtet. Es resultiert eine dichte und fest sitzende
Matrize, die einen glatten, stufenlosen Übergang der Füllung zur Wur-
zeloberfläche garantiert. Eine weitere Möglichkeit ergibt sich, wenn die
Präparationsgrenze äquigingival oder leicht subgingival liegt. Dann
kann durch Legen eines Retraktionsfadens die zervikale Grenze darge-
stellt und trocken gehalten werden.
Insertion des Zur Vermeidung des zervikalen Randspalts wird bei großen und tie-
Komposits fen Kavitäten das Komposit in mehreren Schichten eingebracht, wobei
jede Schicht ausreichend (mindestens 40 s lang) polymerisiert werden
muss. Für die Restauration von Klasse-V-Kavitäten eigenen sich auch
fließfähige (flowable) Komposite. Für die Konturierung der Restaura-
tion können lichtdurchlässige Matrizen, die mit einer Pinzette an einem
Haltedorn festgehalten werden, Verwendung finden (s. Abb. 6.23a).

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 263

1
2
3
Halte-
dorn
4
5
6
a b

Abb. 6.23: Bei der Insertion des Kompositmaterials können unterschiedliche Zervikalmatrizen angewendet
7
werden (a). Endet die Kavität zervikal am Gingivalrand und lässt sich kein Kofferdam applizieren, so wird
ein speziell geformtes Matrizenband in den Sulkus geschoben (b). Von außen wird Bonding mit einer Kugel
aufgebracht und ausgehärtet. Es resultiert eine dichte und fest sitzende Matrize, die einen glatten, stufen- 8
losen Übergang der Füllung zur Wurzeloberfläche garantiert.

9
Die Ausarbeitung der Restauration erfolgt mit flammenförmigen Ausarbeitung
oder spitzen, feinen und extrafeinen Diamantfinierern und flexiblen
Scheiben, wie bei Klasse-III- und -IV-Restaurationen. Auf eine hoch-
10
glanzpolierte Restauration ohne Überschüsse muss aus karies- und paro-
dontalprophylaktischen Gründen besonders geachtet werden. 11
Bei rein erosiven Veränderungen sind die Defekte im Zahnhalsbe-
reich schüsselförmig (s. Abb. 6.22). Hier erfolgt i.d.R. keine Präparation. 12
Nach Reinigung der Dentinoberfläche wird die Restauration mit der Adhä-
sivtechnik verankert. Die Haftfestigkeit von Adhäsionssystemen scheint 13
in diesem speziellen Fall aufgrund des geringen C-Faktors ausreichend.
Als Alternativen zu Kompositrestaurationen bieten sich die reine Alternativen
Glasionomerzementfüllung, die Goldstopffüllung und verschiedene
14
Einlagerestaurationen (Keramik, Komposit, Gold) an, die heute jedoch
i.d.R. keine Anwendung finden. 15
16
6.1.7 Seitenzahnrestaurationen mit Komposit
17
! Kompositmaterialien werden im Seitenzahnbereich für Klasse-I-
und -II-Kavitäten einschließlich für den Ersatz von einem oder
mehreren Höckern verwendet. Sie finden zudem Anwendung bei 18
Zähnen mit Frakturen sowie bei abrasiv oder erosiv geschädigten
Zähnen. Auch Korrekturrestaurationen (Reparaturrestaurationen) 19
defekter direkter und indirekter Restaurationen und Aufbaufül-
lungen vitaler und wurzelkanalbehandelter Zähne gehören zum 20
Indikationsspektrum von Kompositrestaurationen.

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264 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Die Anwendung bei Klasse-II-Kavitäten ist eingeschränkt, wenn der ap-


proximal-zervikale Kavitätenrand schlecht erreichbar und damit eine
adäquate Kontaminationskontrolle (Blut, Speichel etc.) über den gesam-
ten Behandlungszeitraum nicht gewährleistet ist und kein adäquater
Approximalkontakt mit einer direkten Kompositrestauration erzielt
werden kann. Bei Patienten mit klinisch relevanten Unverträglichkeiten
gegenüber Inhaltsstoffen von Kompositen bzw. Adhäsiven liegt eine
Kontraindikation für die Anwendung von Kompositrestaurationen vor.
Bei starken Parafunktionen (mit ausgeprägter Facettenbildung und feh-
lender okklusaler Abstützung am Zahnschmelz) sollte der Einsatz von
direkten Kompositrestaurationen gut abgewogen werden. Andererseits
werden in den letzten Jahren bei Patienten mit stark abradierten Gebis-
sen auch okklusale Aufbauten des kompletten Seitenzahnbereichs er-
folgreich durchgeführt. Verhaltensbezogene Variable seitens des Patien-
ten, z.B. eingeschränkte Mundhygiene approximal und hohes Kariesri-
siko, sind weitere einschränkende Faktoren für den Einsatz direkter
Kompositrestaurationen.

Klasse-I-Kavitäten
Primär- Die Primärpräparation für eine Klasse-I-Kavität erfolgt mit einem kugel-
präparation förmigen, birnenförmigen oder zylindrischen Diamanten. Die Kavitä-
tenform wird allein durch die Größe des kariösen Defekts bestimmt
(s. Abb. 6.24). Die Zugangskavität muss so groß sein, dass die Karies pro-
blemlos unter guter Sicht entfernt werden kann. Überhängende, nicht
von Dentin unterstützte Schmelzareale werden dann entfernt, wenn sie
frakturgefährdet sind. Nach Farbauswahl und absoluter Trockenlegung
erfolgt die Entfernung der Karies z.B. mit einem Rosenbohrer.

Zur Befestigung der Restauration an den Zahnhartsubstanzen wird


heute ein rein adhäsives Vorgehen angewandt.

Die Schmelzränder werden mit Handinstrumenten bzw. kleinen, spit-


zen Diamantschleifern minimal angeschrägt. Dabei werden Schmelzbe-
reiche, deren Gefüge durch die Präparation geschädigt wurde, entfernt.
Eine breite Anschrägung ist im okklusalen Bereich nicht indiziert, da bei
der anschließenden Restauration dünn auslaufende Kompositränder im
okklusalen Kontaktbereich resultieren und damit einem deutlichen Ver-
schleiß unterliegen.
Wie bereits oben erwähnt, erfolgt eine Präparation nur in den Fissu-
renabschnitten, die tatsächlich kariös sind. Das an die Kavität angren-
zende Fissurenrelief kann nach erfolgter Restauration mit einem Fissu-
renversiegler vor Karies geschützt werden. Die adhäsive Präparation ist
auch hier durch minimalen Zahnhartsubstanzverlust und kleine Fül-
lungsoberfläche gekennzeichnet.
Konditionierung Nach Einbringen der Konditionierung der Zahnhartsubstanzen wird
ein zum Füllungsmaterial gehörendes Adhäsivsystem aufgetragen und

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 265

1
Schmelz-
anschrägung
2
Adhäsiv-
system
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
a b

Abb. 6.24: Verschiedene Umrissformen von Klasse-I-Kavitäten für Kompositres-


13
taurationen. Bei kleinem Kavitätenzugang und konvergenten Kavitätenwänden
erfolgt eine zierliche Schmelzanschrägung der Kavitätenränder; dabei werden die
Schmelzprismen zwischen 45 und 90° angeschnitten (a). Bei größeren Kavitäten
14
und parallelen oder leicht divergierenden Wänden ist keine Anschrägung erfor-
derlich (b).
15
das Kompositmaterial mit einem planen Stopfer in Schichtstärken von 16
1–2 mm eingebracht und polymerisiert (s. Abb. 6.25).
Eine akzeptable Modellation kann mit speziellen Komposit-Model- Modellation
lierinstrumenten durchgeführt werden. Es ist dabei darauf zu achten,
17
dass speziell bei hoch viskösen Hybridkompositen keine Luftein-
schlüsse „eingearbeitet“ werden. Diese Porösitäten führen zu einer er- 18
höhten Desintegration und damit erhöhtem Verschleiß der Komposit-
oberfläche beim Kauen. Auf der Kompositoberfläche entsteht eine sau- 19
erstoffinhibierte Zone. Eine geringfügige Überkonturierung der
Füllung ist daher unumgänglich, um genügend Material zum Ausarbei- 20
ten und Polieren zur Verfügung zu haben.

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266 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Kugelstopfer

2. Schicht Planstopfer

1. Schicht

Instrumente
zur ana-
Adhäsiv tomischen
Gestaltung

Abb. 6.25: Instrumente zum Füllen und Konturieren von okklusalen Kompositrestaurationen. Das Kompo-
sit wird in Schichttechnik eingebracht und polymerisiert.

Ausarbeitung und Die Ausarbeitung und Politur erfolgen je nach Art der zu bearbeiten-
Politur den Flächen mit unterschiedlichen Instrumenten. Konvexe Flächen
(z.B. zugängliche Anteile der Approximalflächen) können mit schleif-
mittelbelegten Scheiben ausgearbeitet und poliert werden. Struktu-
rierte, anatomisch geformte Areale (z.B. Kauflächen) werden mit kegel-
förmigen Diamantfinierern ausgearbeitet und mit Hartmetallfinierern
geglättet. Die Politur kann mit diamantbeschickten Filzscheiben bzw.
Siliziumkarbid belegten Bürstchen erfolgen. Dabei wird die sauerstoffin-
hibierte Schicht entfernt. Einige Autoren empfehlen abschließend das
Auftragen eines Bondingmaterials, das in freigelegte Porösitäten und
Mikrorisse eindringt und damit zu einer Oberflächenverbesserung
führt. Da oft nicht das gesamte Fissurensystem in die Präparation mit
einbezogen wird, kann anschließend auf die Füllung und nach Anätzen
auf die Fissuren ein Fissurenversiegler aufgebracht werden.

Klasse-II-Kavitäten
Primär- Auch bei der Primärpräparation für Klasse-II-Kavitäten wird gesunde
präparation Zahnhartsubstanz so weit wie möglich geschont. Bei frei zugänglichen
approximalen Kavitäten (z.B. im Wechselgebiss) erfolgt die Restauration
wie bei Klasse-V-Kavitäten mit einem röntgensichtbaren Komposit.
Bei kleinen, rein approximalen Kavitäten und geschlossener Zahn-
reihe wird eine sogenannte Slot-Präparation durchgeführt (s. Abb.
6.26c). Die okklusale Struktur bleibt vollständig erhalten. Die Größe der
approximalen Kavität wird erneut ausschließlich durch die Kariesaus-
dehnung vorgegeben. Oft ist eine Separation des Nachbarzahnes durch
ein Keilchen indiziert, um ein versehentliches Anschleifen zu vermei-
den. Mit kleinen kugel- oder birnenförmigen Diamantschleifern wird
die approximale Karies von okklusal dargestellt. Dabei kann zunächst
eine approximale Schmelzlamelle stehen bleiben (s. Abb. 6.26d). Diese

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 267

Schmelz-
anschrägung
1
2
Schmelz-
anschrägung 3
4
a b
5
6
7

c 8
Abb. 6.26: Klasse-II-Kavitäten für Kompositrestaura-
tionen. Der approximal-zervikale Kavitätenrand birnenförmiger 9
sollte gut zugänglich sein (a und b). Bei einer rein ap- Diamantschleifer
proximalen Karies wird bei einer Primärversorgung
eine Slot-Präparation ohne Einbeziehung der Fissu- 10
ren durchgeführt (c). Bei der Präparation für eine
mehrflächige Kompositrestauration (Klasse-II-Kavi-
tät) wird zur Schonung des Nachbarzahnes zunächst 11
eine Schmelzlamelle stehengelassen (d). Nach Ent-
fernung dieser approximalen Lamelle wird die zervi-
kale Stufe mit einem stirnbelegten Diamantschleifer
finiert. Die Extensionsflächen und der Randbereich
12
der zervikalen Stufe werden mit oszillierenden In-
strumenten bearbeitet (e). 13
d
14
15
16
17
18
19
e 20

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268 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

kann dann mit einem Diamantfinierer, der nur an der Stirnfläche belegt
ist, oder oszillierenden Instrumenten entfernt werden (s. Abb. 6.26e).
Approximal- Lage und Morphologie der Approximalkontakte bestimmen die Aus-
kontakte dehnung der bukkalen und oralen Extensionen. Die Approximalkon-
takte sind beim Jugendlichen eher punktförmig, beim älteren Patienten
flächenförmig, da es durch die physiologische Zahnbeweglichkeit zum
Einschleifen der Kontaktflächen benachbarter Zähne kommt. Sie liegen
im Oberkiefer mehr bukkal und im Unterkiefer zentral der Verbin-
dungslinie der Hauptfissuren.
Sekundär- Nach Exkavation der Karies, Farbbestimmung, absoluter Trockenle-
präparation gung erfolgt die Sekundärpräparation. Der approximale Kontakt wird
dabei, falls erforderlich, aufgehoben. Liegt zugleich eine okklusale Fissu-
renkaries vor, so wird diese mit einbezogen (s. Abb. 6.26b). Ging man
früher davon aus, dass der Isthmus im Idealfall nur so breit sein sollte,
dass eine Schmelzabstützung der antagonistischen Kontakte gewährleis-
tet ist, so ist es heute aufgrund der besseren Abrasionsresistenz der Hy-
bridkomposite auch erlaubt, größere Restaurationen herzustellen. Die
okklusalen Kavitätenränder werden wie bei Klasse-I-Kavitäten gestal-
tet. Alle internen Kavitätenwinkel sind abgerundet.
Matrizen- Nach erfolgter Präparation muss i.d.R. eine Matrize adaptiert wer-
Adaptation den. Dabei können verschiedene Techniken angewendet werden.
Matrizen sind Formgebungshilfen und dienen der Wiederherstel-
lung der äußeren Zahnform. Sie schützen das marginale Parodont vor
überstopften Restaurationsmaterialien und damit vor Parodontopa-
thien. Aber auch bei Unterkonturierung von Füllungsmaterialien kann
es zu parodontalen Veränderungen kommen, da sich Plaque ansam-
melt. Außerdem kann eine Sekundärkaries in diesem Bereich entstehen.
Anforderungen Matrizen müssen folgenden Anforderungen genügen:
 Sie müssen dem Kondensationsdruck beim Füllen der Kavität stand-
halten.
 Sie dürfen beim Kondensieren nicht stören.
 Sie müssen nach Anlegen an den Zahn eine konische Form besitzen
(zervikal enger als okklusal).
 Sie müssen so adaptierbar sein, dass der Kontaktpunkt zum Nach-
barzahn wiederhergestellt werden kann. Die Dicke des Matrizenban-
des sollte 50 μm nicht überschreiten.

Systeme Alle diese Forderungen erfüllt das Tofflemire-Matrizen-System (s. Abb.


6.27a).
Als Alternative bieten sich Matrizensysteme ohne Halter, z.B. das Au-
tomatrixsystem, an, welches bei besonders ausladenden Zahnformen oder
dann, wenn ein Matrizenhalter stört, Anwendung findet (s. Abb. 6.27c).
Beim Anlegen einer Matrize kann es zu einer Verformung der Höcker kom-
men; deshalb darf das Matrizenband nicht zu stark angezogen werden.
Besonders geeignet sind Teilmatrizensysteme, bei denen bleitote,
formbare, sehr dünne Metallbänder in den Zahnzwischenraum einge-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 269

1
2
3
4

a b
5
6
7
8
9
c d 10
Abb. 6.27: Für die Insertion des Komposits bei einer Klasse-II-Kavität muss eine Matrize gelegt werden.
Dabei kommen Metallmatrizen in speziellen Matrizenhaltern (Tofflemire-System) (a), Metall- und Kunst- 11
stoffbänder ohne speziellen Halter (c) oder Teilmatrizensysteme, die mit einem Metallring adaptiert wer-
den (d), zur Anwendung. Die Matrizen müssen approximal-zervikal gut adaptiert werden (Keil), um ein
Überstopfen von Füllungsmaterial zu verhindern (b). 12
bracht und dort mit einem speziellen Haltesystem (Metallring) fixiert 13
werden. Bei Verwendung dieser Matrizen kann ein guter Approximal-
kontakt erzielt werden. Sie eignen sich speziell bei minimalinvasiven
Kavitätenformen (s. Abb. 6.27d).
14
Zudem werden auch Systeme angeboten, die vorkonturierte Kunst-
stoffmatrizenbänder verwenden, die in einen üblichen Matrizenhalter 15
(z.B. Tofflemire) eingespannt werden können. Da die Matrizenhalter je-
doch aus Metall sind, ziehen sie das Matrizenband aufgrund ihres Ge- 16
wichtes sehr leicht nach koronal vom Zahn ab. Bei einem anderen Ma-
trizensystem wird die Kunststoffmatrize durch eine Metallvorrichtung
am Zahn festgeklemmt. Auch hier ist eine optimale Adaptation nicht
17
gewährleistet. Man kann bei kleinen Kavitäten jeweils mesial und distal
gekürzte Matrizenbänder für Frontzähne zwischen den Zähnen verkei- 18
len. Damit lässt sich jedoch kein stufenloser Übergang der Restauration
zur Zahnoberfläche an den Extensionsflächen erzielen. Kunststoffmatri- 19
zen sind zudem relativ dick, sodass bei ihrer Verwendung die Erzielung
eines ausreichenden Approximalkontakts erschwert ist. 20

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270 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Adaptation Bei keinem Matrizensystem liegt das Matrizenband so dicht am


Zahn, dass ein Überstopfen des Füllungsmaterials sicher verhindert wer-
den kann. Die zervikale Adaptation der Matrize mit einem Interdental-
keil ist daher unumgänglich (s. Abb. 6.27b). Er separiert dabei die be-
nachbarten Zähne um Matrizenbandstärke, sodass nach Entfernen der
Matrize durch die Rückstellbewegung der Zähne ein satter Approximal-
kontakt resultiert. Interdentalkeile sind im Querschnitt der Anatomie
des Interdentalraums angepasst. Sie sind in verschiedenen Größen und
aus unterschiedlichem Material erhältlich.
Da Interdentalkeile mit Pinzetten schlecht zu fassen sind und damit
die Gefahr der Aspiration besteht, können entsprechend geformte Zan-
gen (z.B. How-Zange) zur Applikation und Entfernung der Interdental-
keile verwendet werden.
Unter bestimmten Bedingungen (zu großer oder zu kleiner Interden-
talraum, Einziehungen im Wurzelbereich) müssen die Keilchen mit
Compound-Masse oder einem lichthärtenden, gummiartigen Kunst-
stoff individualisiert werden.
Nach Verkeilen der Matrize wird mit der Sonde überprüft, ob sie im
Bereich der approximal-zervikalen Stufe dicht anliegt. Das Band über-
ragt dabei die Stufe nur geringfügig.
Zur anatomischen Gestaltung des Approximalkontaktes wird das
Matrizenband mit einem Kugelstopfer an den Nachbarzahn anrotiert.
Der Anatomie des Kontaktpunktareals muss dabei Rechnung getragen
werden. Der Kontaktpunkt liegt im oberen Drittel der Approximalbe-
reiche. Bei älteren Patienten findet man eine Approximalfläche, die me-
sial konkav und distal konvex ist.
Entfernung Das Matrizenband sollte nach dem Legen der Füllung vom Matri-
zenhalter gelöst und separat entfernt werden können, um eine Fraktur
der frisch gelegten Füllung zu vermeiden. Bei umfangreichen Kavitäten
müssen die Matrizenbänder individualisiert werden.
Bei der Verwendung von Metallmatrizen kann das Kompositmate-
rial beim Einbringen nur von okklusal polymerisiert werden. Nach Ab-
nehmen des Matrizenbandes muss daher die fertige Restauration noch
einmal von allen Seiten für 40 s nachpolymerisiert werden.
Häufig wird bei der Arbeit mit Kunststoffmatrizen die Verwendung
von seitlich reflektierenden Keilen empfohlen. Sie sollen das Licht in
den Zahnzwischenraum leiten und damit die Schrumpfung des Komposits
nach zervikal lenken. Neuere Untersuchungen bezweifeln diese Wirkung.
Einbringen des Das Einbringen des Komposits erfolgt grundsätzlich in Schichttech-
Komposits nik, um die Polymerisationsschrumpfung zu minimieren. Dabei kön-
nen unterschiedliche Techniken angewendet werden (s. Abb. 6.28). Bei
der zentripedalen Schichttechnik wird zunächst matrizennah eine
dünne Wand eingebracht und auspolymerisiert. Dann können weitere
Schichten horizontal oder mit obliquer Schichttechnik eingebracht
werden. Fließfähige Komposite werden in Kunststoffkompulen gelie-
fert. Sie können dann direkt in die Kavität „eingespritzt“ werden. Bei

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 271

1
4 4

3
2 3 2
2

1 1
3
4

a b
5
Abb. 6.28: Zur Verringerung der Poly-
merisationsschrumpfung und wegen 6
der begrenzten Durchhärtungstiefe
4
wird das Kompositmaterial in kleinen
Schichten in die Kavität eingebracht 7
und ausgehärtet. Die Schichtung kann
horizontal (a), schräg aufeinander zu- 3 1
laufend (oblique) (b) oder zentripetal 8
erfolgen (c).
2
9
10
c

11
sorgfältiger Insertion entstehen dabei keine Lufteinschlüsse, die bei der
Anwendung zäher Hybridkompositmaterialien in kleinen, unter sich 12
gehenden Kavitäten kaum zu vermeiden sind. Sie sind daher für die Res-
tauration kleiner Klasse-II-Restaurationen (Slot-Präparation) und als 13
erste, dünne (zervikale) Schicht bei größeren, unter sich gehenden Prä-
parationen geeignet.
Die Ausarbeitung und Politur erfolgen okklusal wie bei Klasse-I-Res- Ausarbeitung und
14
taurationen. Linguale, bukkale und zervikale Überschüsse lassen sich Politur
gut mit schneidenden Handinstrumenten (gebogenes Skalpell, Scaler, 15
Spezialinstrumente) entfernen. Anschließend lassen sich diese Bereiche
mit flammenförmigen Diamantfinierern und Polierscheiben so kontu- 16
rieren, dass kein Übergang zwischen Restauration und Zahnhartsubstanz
zu tasten ist. Besondere Aufmerksamkeit gilt Füllungsüberschüssen im
Approximalraum. Sie müssen vollständig entfernt werden, um Paro-
17
dontalerkrankungen vorzubeugen. Bei richtiger Farbgebung sind Ausar-
beitung und Politur im okklusalen Bereich sehr schwierig. Die Restaura- 18
tion lässt sich dann oft nicht von der Zahnhartsubstanz unterscheiden.
Eine sorgfältige Kontrolle der statischen und dynamischen Okklusion 19
sowie eine Fluoridierung mit einem neutralen Fluoridierungsmittel schlie-
ßen die Behandlung ab. Da es bei mehrflächigen Kompositrestaurationen 20
aufgrund der Materialeigenschaften im Verlauf der Jahre häufig zu soge-

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272 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.29: Restauration einer


Deckfüllung Klasse II-Kavität mit der Bulk-
mit Hybridkomposit Fill-Technik. Nach Applikation
des Adhäsivsystems wird
Fließfähiges i.d.R. zunächst ein fließfähi-
Bulk-Fill-Komposit ges Bulk-Fill-Komposit in ei-
ner Schichtstärke von 4–5 mm
eingebracht und polymeri-
siert. Anschließend wird eine
„Deckfüllung“ mit einem mo-
4–5 mm dellierbaren Standard- oder
höher viskösen Bulk-Fill-Kom-
posit aufgebracht. Bei flachen
und kleinen Kavitäten kann
auch ausschließlich ein höher
Adhäsivsystem visköses Bulk-Fill-Material
verwendet werden.

nannten Chipping-Frakturen im Bereich der Randleisten kommt, sollten


die Okklusalflächen so gestaltet werden, dass keine oder nur schwache an-
tagonistische Kontakte auf den Randleisten zu liegen kommen.
Bei Anwendung der Bulk-Fill-Technik (s. Abb. 6.29) bei kleinen Ka-
vitäten (Slot-Präparationen) wird nach Applikation des Adhäsivsystems
zunächst eine Schicht (4–5 mm) eines fließfähigen Bulk-Fill-Materials in
den approximalen Kavitätenanteil eingebracht und für 20–30 Sekunden
mit einer Hochleistungspolymerisationslampe ausgehärtet. Anschlie-
ßend muss diese Schicht allerdings mit einem abrasionsstabilen Kom-
posit überschichtet werden. Alternativ kann ein höher visköses Bulk-
Fill-Material auch in einer Schichtstärke von 4 mm direkt eingebracht
und ausgehärtet werden.

6.1.8 Weitere Indikationsgebiete für die Anwendung von


Kompositmaterialien

Ausgedehnte Frontzahnfüllungen, Verfärbungen und Strukturanoma-


lien des Zahnschmelzes können zu erheblichen ästhetischen Proble-
men führen, wenn diese Veränderungen speziell an oberen Frontzähnen
die gesamte Fazialfläche betreffen. Komposite in Verbindung mit der Ad-
häsivtechnik ermöglichen ästhetische Korrekturen von Schmelzdefekten
und Schmelzverfärbungen und die Schließung von Diastemata bzw. von
kleineren Lücken im Seitenzahnbereich. Mit ihnen können auch Zahn-
formkorrekturen durchgeführt werden. Dabei können direkte und indi-
rekte Verblendungen (Veneers) Anwendung finden (s. Abb. 6.30).
Direkte Je nach Indikation wird nach adäquater Schmelzpräparation oder
Verblendtechnik ohne Präparation bei der direkten Verblendtechnik nach Konditionie-
rung die gewünschte Korrektur mit Kompositmaterialien in einer Sit-
zung vorgenommen. In gleicher Art und Weise können so auch Lücken
im Frontzahn- und Seitenzahnbereich geschlossen werden. Im Seiten-
zahnbereich gibt es bisher Erfahrungen mit dieser Art des Lückenschlus-
ses für Lücken mit einer Größe eines halben Prämolars.

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 273

1
2
3
4
5
Dentin 6
Schmelz
Bonding 7
opakes transluzentes
Opaker Kernmaterial Verblendmaterial

a
Komposit
b
8
Abb. 6.30: a) Diastemaschluss mit direkter Verblendtechnik, b) approximale Aufsicht auf einen Zahn mit
einem Veneer
9
Bei der indirekten Verblendtechnik wird nach Abformung und Mo- Indirekte
dellerstellung eine zahnfarbene Verblendschale aus Komposit herge- Verblendtechnik
10
stellt. Die Befestigung der Schale im Mund des Patienten erfolgt mit ei-
nem sogenannten Kompositkleber unter absoluter Trockenheit. Bei ver- 11
färbten Zähnen kann vorher ein gefärbtes, niedrig visköses Komposit
(Opaker) auf die verfärbte Fläche aufgetragen und ausgehärtet werden. 12
Hier wird auf weiterführende Literatur verwiesen.
13
R2-Technik
Liegen kariöse Defekte sehr weit subgingival (z.B. bei Wurzelkaries im R2-Technik
Approximalbereich), kann man mit einer zweiphasigen Technik (R2-
14
Technik) derartige Kavitäten direkt mit Komposit restaurieren. Die sub-
gingival liegenden Kavitäten lassen sich i.d.R. nicht mit dem üblichen 15
Prozedere (Legen von Kofferdam, Matrizentechnik, Herstellung eines
suffizienten Approximalkontaktes, Beseitigung von Materialüberschüs- 16
sen) restaurieren.
Bei der R2-Technik wird zunächst (1. Phase) der Kavitätenboden
mit der sogenannten Snow-Plough-Methode (Schneepflug-Methode)
17
in den besser zugänglichen equi- bzw. supragingivalen Bereich angeho-
ben (s. Abb. 31a). Dazu muss die approximale Stufe mittels Elektrotom 18
oder durch Legen eines Retraktionsfadens dargestellt werden. Nach
Konditionierung des Wurzeldentins wird ein Adhäsivsystem (Etch-and- 19
Rinse- oder Non-Rinse-Technik) eingebracht und polymerisiert. An-
schließend wird eine geringe Menge Flow-Komposit appliziert, aber 20
noch nicht ausgehärtet. Ein Standard-Hybridkompositmaterial wird

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274 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.31: a) Erster


Schritt (Phase 1)
der Restauration
tief subgingival
liegender Klasse-
II-Kavitäten mit
der R2-Technik,
b) zweiter Schritt
Standard- (Phase 2)
Hybrid-
komposit

Flowable
a Komposit

Matrize

Keil

Standard-
Hybrid-
komposit

Flowable
Komposit
b

aufgebracht und mittels eines Planstopfers mit dem weichen Flowmate-


rial nach zervikal gedrückt. Der Randbereich kann sowohl an der appro-
ximalen Stufe als auch an den approximalen Extensionsflächen mit
einem Heidemann-Spatel „angestrichen“ werden. Nach der Polymerisa-
tion wird mit einem gebogenen Skalpell bzw. superfeinen Finierdia-
manten der Überschuss entfernt. Dann kann Kofferdam gelegt und das
Komposit, wenn notwendig, noch einmal angeschliffen bzw. mit Pul-
verstrahlgerät aufgeraut werden. Es folgt dann die übliche Verfahrens-
weise für die Herstellung einer Klasse-II-Kompositrestauration.
Alternativ kann auch hier zunächst die Snow-Plough-Technik für die
nächste Kompositschicht angewendet werden (Phase 2, Abb. 31 b). Dies
kann besonders dann notwendig sein, wenn nach Adaptation des Matri-
zenbandes ein dünner, nach zervikal gerichteter, keilförmiger Spalt ver-
bleibt, den man nicht mit den üblichen, hoch viskösen Materialien ein-
fach füllen kann. Dabei wird mit einem speziellen Approximalraumfor-
mer die Matrize an den Nachbarzahn angedrückt, bevor erneut
polymerisiert wird, um einen guten Approximalkontakt zu erzielen.
Mit dieser Technik ist es möglich, große, indirekte Restaurationen
(z.B. Teilkronen oder Kronen) zu vermeiden. Allerdings gibt es zur Lang-
lebigkeit dieser Restaurationen bisher keine umfangreichen klinischen
Studien. Es stellt sich zudem die Frage, ob man alternativ für die erste
und zweite Schicht statt der Snow-Plough-Technik auch ein fließfähiges
Bulk-Fill-Material verwenden kann, da subgingival ästhetische Gesichts-

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6.1 Kompositrestaurationen Kapitel 6 275

punkte eine untergeordnete Rolle spielen und zudem Bulk-Fill-Kompo-


site einen geringeren Schrumpfungsstress entwickeln als herkömmliche 1
Komposite. Damit könnte möglicherweise einer Randspaltbildung eher
vorgebeugt werden. 2
Margin lift/Margin-elevation-Technik/Marginal box elevation
Eine ähnliche Technik wird verwendet, wenn man einen tief subgingi- Margin-eleva-
3
val endenden Defekt mit einer adhäsiven Keramikeinlagerestauration tion-Technik
versorgen will. Neben den oben beschriebenen Problemen ist dann 4
auch die Abformung der subgingival liegenden Kavitätenwände und der
approximalen Stufe häufig nicht sicher möglich. Dies gilt insbesondere 5
für optische Abformungen im Rahmen eines CAD/CAM-Verfahrens.
Durch „Anheben“ der approximalen Stufe auf Gingivaniveau mit Kom-
posit in Verbindung mit der Adhäsivtechnik wird die Abformung erheb-
6
lich erleichtert. Man kann zudem bei der Insertion problemlos Koffer-
dam legen; beim Einsetzen der Keramikrestauration kommt anschlie- 7
ßend mehr Licht für die Polymerisation des Befestigungskomposits in
den approximalen Randbereichen an. Dieses Verfahren ist eine Alterna- 8
tive zur chirurgischen Kronenverlängerung.
Bei größeren Restaurationen mit Höckerersatz war man bis vor 9
kurzer Zeit noch sehr zurückhaltend und führte eher indirekte Restaura-
tionen durch. Aufgrund der verbesserten physikalischen Eigenschaften
der Kompositmaterialien und der verfeinerten Insertionstechniken las-
10
sen sich heute auch diese Defekte mit direkten Kompositrestaurationen
therapieren. Neuere klinische Daten lassen erkennen, dass auch diese 11
Restaurationen eine lange Lebensdauer haben können. Selbst bei wur-
zelkanalbehandelten Zähnen mit mehrflächigen Defekten werden 12
heute in Einzelfällen direkte Kompositrestaurationen durchgeführt, wo-
bei dann empfohlen wird, einen Komposit-Pin im Wurzelkanal adhäsiv 13
zu verankern und die natürlichen Höcker (insbesondere wenn nur noch
dünne Zahnwände vorhanden sind) zu kürzen und mit Komposit wie-
derherzustellen (s. Abb 6.32). Für dieses Verfahren gibt es allerdings nur
14
sehr wenige Daten aus klinischen Langzeitstudien.
Komposite werden auch bei der Wiederherstellung von Zahnstruk- 15
turen verwendet, die durch Abnützungserscheinungen (z.B. Erosionen,
Abrasionen) verloren gegangen sind. Insbesondere bei pathologischem 16
Abb. 6.32: Restauration en-
dodontisch behandelter
Höckerersatz
17
Zähne mit einer direkten
Kompositrestauration unter mit Komposit
Einbeziehung der Höcker 18
19
Kompositzapfen
im Wurzelkanal-
eingang 20

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276 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Verlust der Bisshöhe (okklusale vertikale Dimension) können restaura-


tive Maßnahmen indiziert sein. Diese können von einer reinen Abde-
ckung freiliegender Dentinareale mit Versiegelungsmaterial oder fließ-
fähigem Komposit bis zu Höckeraufbauten (Schneidekantenaufbauten)
mit Wiederherstellung der physiologischen vertikalen Dimension rei-
chen. Dabei kann die Erhöhung der vertikalen Dimension bei Patienten
ohne craniomandibuläre Dysfunktion direkt durchgeführt werden. Bei
Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion oder bei Erhöhung der
vertikalen Dyfunktion über 5 mm sollte eine Schienenvorbehandlung
erfolgen.
Werden die Zähne direkt mit Komposit wieder aufgebaut, erfolgt
i.d.R. keine Präparation. Vorhandene intakte Kompositrestaurationen
müssen dafür nicht entfernt werden. Sie können wie im Kapitel 6.5 be-
schrieben vorbehandelt und mit einbezogen werden. Zur Erleichterung
der Rekostruktionen können nach Abformung Gipsmodelle hergestellt
werden, auf denen zunächst ein Wax-up hergestellt wird. Über dieses
Wax-Up wird eine transparente Hilfsschiene angefertigt, die dann zur
Herstellung der Restaurationen dient. Alternativ können Silikonstempel
zur Formgebung hergestellt und verwendet werden.
Temporäre Schienungen nach Zahnfrakturen bzw. temporäre Lü-
ckenversorgungen nach Zahnextraktionen lassen sich ebenso mit der
Adhäsivtechnik und Kompositen durchführen wie der semipermanente
Aufbau einer therapeutischen Eckzahnführung und die Eingliederung
von Klebebrücken (sog. Maryland-Brücken).
Einsatz im Der Einsatz im Milchgebiss unterliegt den gleichen Indikationen
Milchgebiss wie im Erwachsenengebiss. Das verwendete Kompositmaterial muss
röntgenopak sein, eine ausreichende Zug- und Druckfestigkeit besitzen
und verschleißfest sein. Im Seitenzahnbereich werden daher aufgrund
ihrer physikalischen Eigenschaften Feinpartikelhybridkomposite ver-
wendet. Da während des Füllens weder Blut noch Speichel in die Kavität
eindringen darf, empfiehlt sich die Anwendung von Kofferdam.

6.1.9 Bewertung der Kompositrestaurationen

! Die Anwendung von Kompositen in Verbindung mit Adhäsiv-


technik führt bei richtiger Indikation zu randspaltfreien und äs-
thetisch anspruchsvollen Restaurationen.

Mit Entwicklung der adhäsiven Präparationstechnik sind die Black-Prä-


parationsregeln nur noch eingeschränkt gültig. Es wird nicht mehr an-
gestrebt, die Kavitätenränder in die Zonen der Selbstreinigung bzw. aus
kariesprophylaktischen Gründen in den gingivalen Sulkus zu legen.
Eine eigene Retentionsform wird überflüssig, da das Restaurationsmate-
rial mikromechanisch an den Zahnhartsubstanzen haftet. Einzig die
Übersichtsform und die Widerstandsform gelten weiterhin. Die kariöse

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6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen Kapitel 6 277

Läsion muss bei guter Sicht exkaviert werden können und weder Zahn
noch Füllung sollten unter Kaubelastung frakturieren bzw. übermäßig 1
abradieren.
Komposite stellen eine große, teilweise inhomogene Materialgruppe 2
dar. Auch wenn sie werkstoffkundlich erheblich verbessert wurden, wei-
sen sie immer noch einige Schwachstellen auf. Durch Hydrolyse der Si-
lanverbindungen kann es zum Füllerverlust und damit zu verstärktem
3
Substanzabtrag im okklusalen (Attrition) und approximalen Kontakt-
punktbereich kommen. Im okklusionstragenden Bereich ist der Mate- 4
rialverlust ca. dreimal größer als im okklusionsfreien Bereich (Abrasion
durch Nahrungsaufnahme). Der Abrieb von Kompositmaterialien insbe- 5
sondere im Abrasionsgebiss kann nach wie vor erheblich sein. Bezüglich
der physikalischen Eigenschaften stellt das E-Modul nach wie vor die
Schwachstelle der Komposite dar. Ein geringes E-Modul bedeutet eine
6
erhöhte Deformation der Materialien beim Kauen, die zu einer Rissbil-
dung und erhöhter Abrasion führen kann. Gerade im Bereich der Rand- 7
leisten kann es zu kleinen Füllungsfrakturen kommen (Chipping).
Die Polymerisationsschrumpfung führt zusätzlich zu inneren Polymerisations- 8
Spannungen und damit zur Ausbildung von Mikrorissen, die für eine schrumpfung
Desintegration des Materials mitverantwortlich sind. Da eine Konver- 9
sion aller vorhandenen Doppelbindungen bei der Aushärtung nicht er-
folgt, nimmt das Material in der Mundhöhle Wasser auf und quillt.
Eine Farbstabilität kann nicht sicher gewährleistet werden. Farbstabilität
10
Der Zeitaufwand bei der Restauration von Klasse-II-Kavitäten mit Zeitaufwand
Kompositen ist i.d.R. größer als bei Verwendung von Amalgam. 11
Mit modernen Feinpartikelhybridkompositen lassen sich heute je- Lebensdauer
doch bei richtiger Indikationsstellung und richtiger Verarbeitung Res- 12
taurationen herstellen, deren Lebensdauer an die von Amalgamfüllun-
gen oder indirekten Restaurationen heranreicht. Dabei spielen für den 13
klinischen Erfolg die korrekte Anwendung des jeweiligen Adhäsivsys-
tems, die richtige und ausreichende Polymerisation des Komposits, in-
dividuelle Patientenfaktoren und der Behandler eine größere Rolle als
14
die Auswahl des Materials. Kompositrestaurationen zeigen bei entspre-
chender Indikation geringe jährliche Versagensraten von ungefähr 2% 15
über einen Zeitraum von 10–20 Jahren (vgl. Tab. 6.4). Die Hauptgründe
für das Versagen von Kompositrestaurationen sind Sekundärkaries und 16
Füllungsfrakturen.

17
6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen
18
6.2.1 Materialkunde
19
! Glasionomerzement (Polyalkenoatzement) besteht aus den für
Dentalzemente typischen Komponenten Pulver und Flüssigkeit,
welche durch eine Säure-Basen-Reaktion aushärten.
20

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278 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Tab. 6.4: Überlebensraten von Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich (1990–2015). Klinische


Langzeitstudien mit mindestens 4 Jahren Beobachtungsdauer. AFR: jährliche Verlustrate (Annual
Failure Rate); modifiziert nach Federlin et al., Dtsch Zahnarztl Z (2017), 72, 75–81
Autor Jahr Beobachtungs- Kompositgruppe AFR (%)
dauer (Jahre)
Manhart et al. 2016 10 Bulk-Fill-Komposit
(noch unveröffentl.) Hybridkomposit 1,8
Pallesen und Van Dijken 2015 30 Hybridkomposit lichthärtend 1,4
[Dent Mater (2015), 31, 2 Hybridkomposite chemisch härtend 1,1/0,8
1232–1244]
Pallesen und Van Dijken 2015 27 2 Hybridkomposite lichthärtend 1,7/1,8
[J Dent (2015), 43, 1547– Hybridkomposit chemisch härtend 1,4
1558]
Van Dijken und Pallesen 2013 6 Hybridkomposit 1,7
[Dent Mater (2013), 29, Nanohybridkomposit 2,3
191–198]
Van Dijken und Pallesen 2011 7 Hybridkomposit ohne Lining-Technik 2,3
[Dent Mater (2011), 27, Hybridkomposit mit Lining-Technik 2,0
150–156]
Da Rosa Rodolpho et al. 2011 22 Hybridkomposit (70 Vol.-% Füller) 1,5
[Dent Mater (2011), 27, Hybridkomposit (50 Vol.-% Füller) 2,2
955–963]
Manhart et al. [J Adhes 2010 4 Bulk-Fill-Komposit 2,7
Dent (2010), 12, 237–243] Hybridkomposit 0,6
Van Dijken [J Dent 2010 12 Kompomer-Unterfüllung 0,2
(2010), 38, 469–474] Hybridkomposit (closed sandwich technique)
Hybridkomposit (nur Klasse-I-Restaurationen) 0,2
Opdam et al. [J Dent Res 2010 12 Hybridkomposite 1,68
(2010), 89, 1063–1067] Amalgam 2,41
Van Dijken et al. 2009 5 Hybridkomposit 2,9
[J Adhes Dent (2009), 11, Hybridkomposit mit Präpolymerisaten (low 2,1
143–148] shrinkage)
Lindberg et al. [J Dent 2007 9 Kompomer/Hybridkomposit (open sandwich 1,0
(2007), 35, 124–129] technique)
Hybridkomposit 1,37
Van Dijken et al. 2005 4 Hybridkomposit 1,9
[J Adhes Dent (2005), 7, Kalziumaluminatzement 19
343–349]
Pallesen and Quist 2003 11 Hybridkomposit 1,5
[Clin Oral Investig Komposit-Inlays 1,5
(2003), 7, 71–79]
Gaengler et al. [J Adhes 2001 10 Hybridkomposit 2,58
Dent (2001), 3, 185–194]

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6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen Kapitel 6 279

Konventionelle Glasionomerzemente
Bei den konventionellen Glasionomerzementen finden Polycarbon- Bestandteile 1
säuren (Polymere der Alkensäuren) wie z.B. die Polyacrylsäure und
heutzutage deren Kopolymere mit Itakon- oder Maleinsäure Verwen- 2
dung. Diese neueren Kombinationen setzen die Viskosität der Flüssig-
keitskomponente herab, verhindern ein vorzeitiges Gelieren (hierdurch
verlängerte Lagerungsmöglichkeit) und verbessern die Abbindege-
3
schwindigkeit.
Durch Gefriertrocknung ist es darüber hinaus möglich, diese An- 4
teile dem Pulver bereits zuzugeben, wodurch eine exakte Dosierung der
Flüssigkeits- und Pulveranteile erleichtert wird. 5
Der Flüssigkeitsanteil dieser sogenannten wasserhärtenden Glasio-
nomerzemente besteht aus destilliertem Wasser bzw. wässriger Wein-
säure.
6
Der Pulveranteil besteht aus Kalzium-Aluminium-Silikat-Glas mit
eingesprengten kalziumfluoridreichen kristallisierten Tröpfchen, die 7
beim Schmelzvorgang der Ausgangskomponenten als Flussmittel dien-
ten. Die Fluoride werden nach dem Legen der Füllung über einen länge- 8
ren Zeitraum an die Umgebung abgegeben und sollen so einen begrenz-
ten Kariesschutz im Füllungsrandbereich bieten. 9
Der Silikatanteil wurde inzwischen leicht modifiziert, um optimal
mit der Säurekomponente reagieren zu können. Durch Vorbehandlung
der gemahlenen Gläser mit mineralischer Säure entsteht an der Oberflä-
10
che eine ca. 100 nm dicke Kieselgelschicht. Diese Schicht muss nach
dem Anrühren des Zements von der Säure durchdrungen werden. Hier- 11
durch verlängert sich die Verarbeitungszeit und verringert sich die Er-
härtungszeit. Gleichzeitig wird die Wasserempfindlichkeit stark vermin- 12
dert.
Die Abbindereaktion der beiden Hauptkomponenten verläuft in drei Abbindereaktion 13
Schritten (s. Abb. 6.33): Durch die Säure werden aus dem Silikatglas Kal-
zium- und Aluminiumionen herausgelöst (I). Da die Kalziumionen
schneller gelöst werden, reagieren diese zuerst mit der Säure. Durch Ver-
14
netzung der Polyacrylsäure über Kalziumbrücken entsteht ein Kalzium-
polykarboxylatgel (II), welches extrem empfindlich gegenüber Feuch- 15
tigkeit und Austrocknung ist. Die Folge einer initialen Feuchtigkeitskon-
tamination sind verzögerte Abbindung, reduzierte Druckfestigkeit und 16
Härte, Verlust der Transluzenz, poröse und raue Oberflächen und be-
schleunigte Erosion der Füllung. Die Austrocknung hat zur Folge, dass
Glasionomerzemente matt-opak aussehen, dass sie krakelieren und eine
17
erhöhte Abbindekontraktion aufweisen. Deshalb muss durch Lacke,
Versiegler (Bonding) oder Matrizen ein Schutz erfolgen. 18
Erst im Lauf von Stunden kommt es anschließend zur zusätzlichen Stabilisierung
Einlagerung von Aluminiumionen in die Matrix, wodurch ein wasser- 19
unlösliches Kalzium-Aluminium-Karboxylat-Gel entsteht (III). Durch
Einlagerung von Wasser erfolgt über einen längeren Zeitraum eine wei- 20
tere Stabilisierung des Zementgefüges.

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280 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

I Glaspulver Anmischen
Polycarbonsäure

O H2O
Ca
Si C C
-
Al O O HO O
F H+

5 –10 Minuten
II Ionisierung Fluorokomplexe Kalziumpolycarboxylat

Al CaF +
O C C
Ca O - O O - O
Si F
Ca 2+ Ca 2+
Al O - O O - O
H 2O F O H+
H C C

III
24 Stunden
Aluminiumcarboxylat

Al F 2+
F C C C
Al F 2+
O F O - O O - O O - O
H2O Ca Si Al3+ Al3+
Si
Al
O - O O - O O - O
O H+
H C C C

Abb. 6.33: Aushärtungsreaktion von Glasionomerzement

Cermetzemente
Durch Sinterung ist es möglich, in die Glaspartikel Metall einzuschmel-
zen. Das dabei überwiegend verwendete Silber dient als Stressabsorber
und ermöglicht eine erhöhte Biege- und Abriebfestigkeit. Werden derar-
tig veränderte Gläser verwendet, spricht man von Cermetzementen (Ce-
ramik-Metall-Glasionomerzemente).

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6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen Kapitel 6 281

Hoch visköse Glasionomerzemente


Als Weiterentwicklung der konventionellen Glasionomerzemente sind 1
sogenannte hoch visköse (stopfbare) Glasionomerzemente entwickelt
worden. Alle drei Gruppen haben ihr Indikationsspektrum bei der Ver- 2
sorgung von Klasse-V-Kavitäten (speziell im Dentin), bei der Versorgung
von Klasse-II-Kavitäten in Milchzähnen bzw. zur Interimsversorgung
bei bleibenden Zähnen und bei der sogenannten ART-Technik (atrau-
3
matic restorative treatment). Diese Restaurationsart wird in Entwick-
lungsländern verwendet, da es hier häufig aufgrund fehlender Technik 4
nicht möglich ist, adäquate Kavitäten zu präparieren bzw. eine vollstän-
dige Exkavation der Karies vorzunehmen. Die Fluoridabgabe der Glas- 5
ionomerzemente soll dann Kariesrezidiven bzw. einer Sekundärkaries
vorbeugen.
6
Kunststoffmodifizierte Glasionomerzemente
Als vierte Gruppe sind lichthärtende Glasionomerzemente (kunststoff- Bestandteile 7
modifizierte Glasionomerzemente, resin-modified glass ionomers, Hy-
bridionomere) auf dem Markt, die in der Flüssigkeit neben Säure zusätz- 8
liche Bestandteile, wie z.B. hydrophile Monomere (Hydroxyäthylmeth-
acrylat = HEMA), Bis-GMA und Photoakzeleratoren, enthalten. Den 9
Polyacrylsäuremolekülen werden zusätzliche Methacrylatgruppen ange-
hängt.
Durch lichtgesteuerte Kopolymerisation des Methacrylats mit den
10
angehängten Gruppen der Polyacrylsäure kommt es zu kovalenten und
ionischen Bindungen und damit zur Erhärtung des Materials. Die Poly- 11
merisation der zugesetzten Monomere überlagert dabei die Polyacryl-
säure-Glas-Reaktion. 12
Seit es möglich geworden ist, die Carboxylgruppen der Polyacryl-
säure aus dem initialen Polymerisationsprozess herauszuhalten, ermög- 13
lichen auch einzelne lichthärtende Glasionomerzemente eine chemi-
sche Bindung an die Zahnhartsubstanz.
Auch diese Materialgruppe ist in erster Linie für Klasse-V-Kavitäten Indikation
14
und die Versorgung von Milchzahnkavitäten geeignet.
Der Vorteil gegenüber den anderen Glasionomerzementen ist ihre Vorteil 15
geringere Krakelierung. Sie müssen während des Aushärtens nicht mit
einer Schutzschicht (z.B. Bonding) versehen werden. 16
Nachteilig ist, dass sie in kleinen Schichten auspolymerisiert werden Nachteile
müssen und dass aufgrund der relativ großen Füllkörper eine Hoch-
glanzpolitur noch nicht möglich ist. Hybridionomere expandieren in
17
den ersten 24 h durch Wasseraufnahme (bis 5%). Die Polymerisations-
schrumpfung liegt in einem Bereich von 7%. Randundichtigkeiten bis 18
hin zum Haftungsverlust resultieren aus diesem Verhalten.
Klinische Langzeiterfahrungen zur Haltbarkeit lichthärtender Lebensdauer 19
Glasionomerzemente liegen bisher nicht vor. Für alle Glasionomerze-
mente sollten die nachfolgend aufgeführten Richtlinien für die Präpara- 20
tion befolgt werden.

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282 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

6.2.2 Präparation und Kavitätenkonditionierung

Neben der Feuchtigkeitsänderung werden die Materialeigenschaften der


Glasionomerzemente entscheidend durch das Mischungsverhältnis
Pulver/Flüssigkeit beeinflusst. Das Anrühren sollte innerhalb von 30 s
mit einem speziellen beschichteten Hartmetallspatel oder einem nicht-
metallischen Instrument erfolgen. Das Zement sollte nach dem Anmi-
schen eine hochglänzende Oberfläche aufweisen; nur so ist die ausrei-
chende Benetzung der Zahnhartsubstanz und damit genügend hohe
Haftung gewährleistet.
Dosierung Die Auswirkungen von Dosierungsfehlern sind gravierend. Ist der
Pulveranteil zu hoch, so resultieren eine verringerte Verarbeitungszeit,
erhöhte Viskosität, verringerte Benetzung der Kavitätenwände, gerin-
gere Haftung an den Zahnhartsubstanzen und eine erhöhte Opazität.
Bei zu niedrigem Pulveranteil sind Abbindekontraktion, Wasserlös-
lichkeit und Abrasion erhöht, während Oberflächenhärte und Erosions-
resistenz verringert sind. Um die Fehlerquoten zu verringern, helfen an
dieser Stelle vordosierte Kapselsysteme und die sog. wasserhärtenden
Zemente. Bei diesen muss vorher das Gefäß sorgfältig aufgeschüttelt
werden, damit später die pulverisierte Säure und die Gläser im richtigen
Mischungsverhältnis vorliegen. Nach dem Applizieren des Materials
kann das Zement durch Anlegen einer Matrize vor Austrocknung be-
wahrt werden.
Dehydratation Ist die Applikation einer Matrize nicht praktikabel, so gibt es drei un-
und Feuchtig- terschiedliche Möglichkeiten, das Material vor Dehydratation und
keitskontami- Feuchtigkeitskontamination zu schützen:
nation  Von den Herstellern wird oft ein mitgelieferter Lack empfohlen.
Diese Lacke haben den Nachteil, dass nach Verdunstung des Lö-
sungsmittels keine dichte, homogene Schicht auf der Oberfläche
verbleibt. Sie sind daher ungeeignet.
 Als preisgünstige Alternative wird Vaseline empfohlen, die jedoch
aufgrund von Körperwärme und Reibung schnell wieder verloren
geht.
 Am besten geeignet sind Bondingmaterialien, die, direkt nach der
Zementapplikation aufgetragen, nicht polymerisieren, den initialen
Feuchtigkeitszutritt verhindern und bei der Entfernung grober Über-
schüsse als Gleitmittel für das rotierende Werkzeug dienen. Nach
Abschluss der Konturierung wird erneut Bondingmaterial aufgetra-
gen und polymerisiert, um das Wassergleichgewicht innerhalb des
Glasionomerzements bis zum endgültigen Aushärten zu erhalten.

Politur Die Kombination von weichem Polycarboxylatgel und hartem Silikat-


glas macht die Politur von Glasionomerzementfüllungen unmöglich.
Die beste Oberfläche resultiert nach Anwendung einer Matrize. So wird
auch die erforderliche Ausarbeitung der Füllung auf ein Minimum redu-
ziert. Ist die Bearbeitung mit rotierenden Instrumenten notwendig,

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6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen Kapitel 6 283

dann sollte sie niedertourig, ohne Spraykühlung und unter Verwen-


dung von Bonding oder Vaseline als Dehydratationsschutz durchge- 1
führt werden. Nach dem endgültigen Aushärten (24 h) kann dann die
Ausarbeitung mit Wasser und Feinkorndiamantfinierern sowie mit alu- 2
miniumoxidbeschichteten Scheiben abnehmender Körnung erfolgen.

3
6.2.3 Haftmechanismus
4
! Glasionomerzemente können eine chemische Verbindung mit
Zahnhartsubstanzen eingehen. 5
Dabei spielen sowohl ionische als auch kovalente Bindungen zwischen
den Carboxylgruppen der Polyacrylsäure und anorganischen Schmelz-
6
bzw. Dentinbestandteilen eine Rolle. Eine Bindung an das Kollagen des
Dentins ist bisher nicht bewiesen. Beachtenswert ist, dass die Haftungs- 7
kräfte am Schmelz doppelt so hoch sind wie am Dentin. Die Verbin-
dung Kunststoff/Schmelz nach Adhäsionstechnik ist jedoch sechsmal 8
höher als zwischen Glasionomerzement und Zahnschmelz.
Für den einwandfreien chemischen Verbund zwischen Glasiono- 9
merzement und Zahnhartsubstanz muss eine saubere, glatte und gut be-
netzbare Oberfläche vorliegen. Außerdem ist eine ausreichend niedrige
Viskosität des Zements Grundvoraussetzung. Um eine entsprechende
10
Zahnoberfläche zu erzielen, sollte die Kavität mit Diamantfinierern oder
Poliermitteln, welche keine Schmierschicht erzeugen (Bimsmehl), vor 11
der Füllungstherapie bearbeitet werden. Eine kurze Konditionierung der
Kavität mit Polyacrylsäure für 10 s entfernt eine eventuell vorhandene 12
Schmierschicht und verbessert damit die Haftung.
13
6.2.4 Pulpaverträglichkeit
14
Wird Glasionomerzement direkt auf die Pulpa aufgebracht, so wir-
ken sowohl das Zement selbst als auch seine Einzelkomponenten 15
pulpatoxisch.
16
Diese Toxizität verringert sich jedoch erheblich, wenn zwischen Zement
und Pulpa eine Dentinbarriere liegt, wenn das Material abgebunden ist
und wenn ein wasserhärtendes Glasionomerzement verwendet wird.
17
Bei tiefen Kavitäten mit einer vermuteten Restdentinschicht von
weniger als 1 mm sollte ein punktueller Pulpaschutz mit einem Kalzi- 18
umhydroxidpräparat vorgenommen werden.
Klinisch beobachtete Hypersensibilität nach Anwendung von Glas- 19
ionomerzementen wird auf chemisch-toxische Einflüsse des Zements
und auf mangelnde antibakterielle Eigenschaften zurückgeführt. 20

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284 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

6.2.5 Indikationen für die Anwendung von


Glasionomerzementen

! Die materialspezifischen Eigenschaften der Glasionomerzemente


führen zwangsläufig zu einem eng definierten Indikationsspek-
trum. Hauptanwendungsgebiet ist die reine zement- bzw. dentin-
begrenzte Wurzeloberflächenkaries. Aber auch Klasse-V-Kavitä-
ten, deren zervikale Begrenzung im Wurzelzement bzw. -dentin
endet, werden als Indikation angegeben.

Im kariesaktiven Gebiss und in der Kinderzahnheilkunde werden die


Glasionomerzemente aufgrund ihrer Fluoridabgabe eingesetzt. Die Ent-
stehung und die Progredienz von Sekundärkaries kann auf diese Weise
reduziert werden.
Die Verwendung von Glasionomerzement bei Klasse-II-Kavitäten
von Milchmolaren wird größtenteils positiv beurteilt. Aufgrund der ge-
ringen Kanten- und Abrasionsfestigkeit sollten größere Kavitäten je-
doch weiterhin mit anderen Restaurationsmaterialien, z.B. Konfektions-
kronen, versorgt werden.
Da die positiven Materialeigenschaften in sehr hohem Maße von
der einwandfreien Verarbeitung abhängig sind, muss die ausschließli-
che Verwendung von Glasionomerzementen in der Füllungstherapie
bei Milchzähnen weiterhin infrage gestellt werden.

Wenn keine vollständige Trockenlegung der Kavität aufgrund ana-


tomischer Gegebenheiten oder mangelnder Patientencompliance
gewährleistet werden kann, ist das Ergebnis hinsichtlich Qualität
und Verweildauer in der Mundhöhle fraglich.

Untersuchungen zeigen, dass bei Klasse-II-Kavitäten im Milchgebiss be-


reits nach einem Jahr 10% der Füllungen erneuerungsbedürftig waren.
Dabei wurden die Restaurationen unter Beachtung der Verarbeitungs-
vorschriften gelegt. Bei Noncompliance dürfte die Zahl der erneue-
rungsbedürftigen Füllungen stark ansteigen.
Als weitere Indikationsgebiete für Glasionomerzemente werden ap-
proximale Mikrokavitäten, Reparaturen defekter Kronen und Füllungs-
ränder (provisorische Versorgung bis zur Erneuerung) und Aufbaufül-
lungen genannt.
Die Aufbaufüllungen sollten in einer gesonderten Sitzung vor end-
gültiger Präparation (z.B. für eine Teilkrone) erfolgen, da die Härte des
Materials im Lauf der Zeit deutlich zunimmt. Verwendet werden sollten
in erster Linie Glasionomerzemente, die eine Röntgenopazität besit-
zen. Große Stumpfaufbauten aus Glasionomerzement sind jedoch auf-
grund der geringen Biegefestigkeit des Materials abzulehnen.

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6.2 Restaurationen mit Glasionomerzementen Kapitel 6 285

Da Glasionomerzement auch als Befestigungs- und Unterfüllungs-


material angeboten wird, ergeben sich weitere Indikationen wie Befesti- 1
gung von Kronen, Brücken und kieferorthopädischen Bändern.
Die Befestigungszemente werden als Glasionomerzement Typ I be- 2
zeichnet und besitzen meist die Endung „-cem“.
Füllungszemente sind Typ-II-Zemente und durch die Endung „-fill“
gekennzeichnet.
3
Unterfüllungszemente gibt es in verschiedenen Konsistenzen. Sie
sind an der Endung „-bond“ (Typ III) zu erkennen. Dabei gibt es schnell 4
härtende Versionen, die sich schon nach 5 min Härtungszeit bearbeiten
lassen. Aufgrund mangelnder Transluzenz sind Glasionomerzementfül- 5
lungen für ästhetisch auffällige Restaurationen kontraindiziert. Bei
chronischen Mundatmern sollten sie aufgrund der Austrocknungsge-
fahr nicht verwendet werden. Für Klasse-II-Kavitäten im bleibenden Ge-
6
biss sind Restaurationen aus Glasionomerzement aufgrund mangelnder
Abrasionsstabilität nicht geeignet. 7
8
6.2.6 Präparation und Kavitätenkonditionierung bei Klasse-V-
Kavitäten 9
Bei der Verwendung von Glasionomerzementen bei zervikalen Läsio- Kavitäten-
nen muss auf eine ausreichende Feuchtigkeitskontrolle (Kofferdam) präparation
10
geachtet werden. Da Glasionomerzement eine geringe Kantenfestig-
keit besitzt, sollte die Kavität keine fein auslaufenden Ränder besitzen. 11
Es wird eine möglichst rechtwinklige Präparation mit einer mindestens
1 mm tiefen zirkulären Stufe angestrebt. Unter sich gehende Bereiche 12
werden lediglich für Aufbaufüllungen sowie Klasse-II-Füllungen an
Milchmolaren empfohlen. Makro- und Mikroretentionen sind nur in 13
den genannten Fällen notwendig.
Eine zusätzliche Unterfüllung ist im Allgemeinen nicht erforder- Unterfüllung
lich und würde nur die notwendige Bindungsfläche Dentin/Glasiono-
14
merzement verringern.
Lediglich bei sehr tiefen Kavitäten, wenn die Dentinschicht vermut- 15
lich < 1 mm beträgt, wird das punktuelle Aufbringen von Kalziumhy-
droxid-Präparaten angeraten. Verbleibt nach der Präparation eine 16
Schmierschicht auf dem Dentin, ist die Benetzbarkeit stark reduziert.
Mit 25%iger Polyacrylsäure kann das Dentin wie oben bereits beschrie-
ben konditioniert werden. Die Touchierung für 10 s bewirkt sowohl
17
eine Reinigung als auch eine erhöhte Benetzbarkeit der Oberfläche,
ohne die Dentinkanälchen zu eröffnen. 18
Keilförmige Defekte weisen bereits glatte Oberflächen auf, sodass Keilförmige
eine zusätzliche Präparation nicht erforderlich ist. Die dem Zahn auflie- Defekte 19
gende Schicht aus Speichelproteinen muss jedoch entfernt werden, da
sie Benetzbarkeit und Haftung herabsetzt. Hier kann mit rotierenden 20
Bürstchen und Bims eine besser benetzbare Oberfläche erzielt werden.

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286 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Aufgrund der geringen Biegefestigkeit von Glasionomerzementen sind


sie jedoch für die Restauration von keilförmigen Defekten nur bedingt
geeignet. Es wird heute empfohlen, bei keilförmigen Defekten eine
Stufe im zervikalen Randbereich von 0,5–1 mm niedrigtourig mit einem
umgekehrten Kegel zu präparieren.
Die oben erwähnte Problematik beim Anmischen von Glasionomer-
zementen entfällt bei der Verwendung vordosierter Kapselpräparate. Bei
richtiger Indikationsstellung und exaktem klinischen Vorgehen sind
Glasionomerzemente in zervikalen Bereichen, da sie ästhetisch unauf-
fällig sind, durchaus als Füllungsmaterial geeignet (s. Abb. 6.34). Sie
sind hier jedoch aufgrund der „einfacheren“ Anwendbarkeit in den letz-
ten Jahren in diesem Indikationsgebiet von Kompomeren verdrängt
worden.

Glasionomer-
zement

Kalzium-
a b hydroxid c

d e f

Abb. 6.34: Restauration einer Klasse-V-Kavität mit Glasionomerzement (a): Nach Exkavation und Reinigung
der Kavität wird der Kavitätenrand rechtwinklig präpariert (b). Auslaufende dünne Ränder werden vermie-
den. An der tiefsten Stelle wird ein Kalziumhydroxid-Präparat aufgetragen und anschließend der Glasiono-
merzement eingebracht (c). Nach Aushärten unter einer Zervikalmatrize (d), die auch der Konturierung
dient (5–10 min), wird ein Bonding aufgebracht und mit rotierenden Instrumenten werden trocken die
Überschüsse entfernt (e). Anschließend wird erneut ein Schmelzbonding aufgebracht und ausgehärtet (f).

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 287

6.3 Restaurationen mit Amalgam


1
6.3.1 Werkstoffkunde
2
! Silberamalgam wird seit über 100 Jahren als Füllungsmaterial ver-
wendet. Amalgam entsteht, wenn Feilungspulver (Alloy) und
Quecksilber vermischt werden.
3
Das Alloy besteht aus einer Silber-Zinn-Kupfer-Legierung mit Zusätzen Amalgamformen 4
von Zink und Quecksilber. Es kann auf verschiedenen Wegen herge-
stellt werden. Die Legierungsbestandteile werden abgewogen, einge- 5
schmolzen und in Formen gegossen. Nach Erkalten werden die Barren
zerspant. Es entstehen nadelförmige Teilchen unterschiedlicher Größe
(Splitteramalgam). Die Schmelze kann jedoch auch in einer Schutzgas-
6
atmosphäre verdüst werden. Beim plötzlichen Erkalten entstehen dabei
kugelförmige (Kugelamalgam) oder tropfenförmige Partikel (sphäroi- 7
dales Amalgam). Es gibt zudem Alloys, die sowohl splitterförmige als
auch kugelförmige Partikel verschiedener Zusammensetzung enthalten 8
(Mischamalgame, Blendamalgame).
Die Form und Größenverteilung der Späne wirkt sich auf das Schütt- 9
volumen der Alloys aus (Volumenbedarf von 100 g Feilung in cm3). Das
Schüttvolumen ist wiederum wichtig für das Mengenverhältnis von
Quecksilber und Alloy beim Anmischen. Das Verhältnis sollte bei der
10
Anwendung von Dosiergeräten zum Mischen immer entsprechend den
Herstellerangaben eingestellt werden. So besitzen Kugelamalgame ein 11
niedrigeres Schüttvolumen bei geringerer spezifischer Oberfläche als
Splitteramalgame. Sie benötigen daher weniger Quecksilber zum Amal- 12
gamieren.
Nach dem Zerspanen oder Verdüsen enthalten die Metallpartikel 13
innere Spannungen. Es kommt nach dem Anmischen mit Quecksilber
zu einer raschen Reaktion und damit kurzen Verarbeitungszeit. Durch
künstliche Alterung (Wärmebehandlung unter Schutzgas bzw. Beizung
14
mit verdünnten Säuren) können die Reaktionsgeschwindigkeit gesteu-
ert und die Lagerungsdauer verlängert werden. 15
Die Eigenschaften der Amalgame haben sich durch die Einführung Eigenschaften
sog. gamma-2-freier Legierungen oder Alloys mit erhöhtem Kupferge- 16
halt verbessert. Diese Amalgame zeigen eine erhöhte Korrosionsresis-
tenz und damit verbesserte klinische Eigenschaften. Die Einteilung er-
folgt nach der Morphologie und der Zusammensetzung des Alloys (s.
17
Tab. 6.5).
Die Zusammensetzung der Ausgangslegierung schwankt je nach Typ Zusammen- 18
in einem breiten Bereich. Wurden ursprünglich Amalgame mit einem setzung
Silbergehalt von mindestens 65%, einem Kupfergehalt von maximal 19
6%, einem Zinngehalt von maximal 29% und einem Zinkgehalt von
maximal 2% hergestellt (ADA-Spezifikation Nr. 1), so ist die Zusam- 20
mensetzung der modernen gamma-2-freien Legierungen mit einem

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288 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Tab. 6.5: Einteilung der marktüblichen Amalgame


Konventionell Gamma-2-frei
Splitteramalgam Geringer Kupferanteil Bis 25% erhöhter Kupferanteil
(lathe cut)
Mischamalgam Konventionelle Split- Konventionelle Splitter und ein
(blend) ter und ein geringer Drittel Silber-/Kupferkugeln
Silber-/Kupferanteil (72%/28%), Splitter und Kugeln
mit erhöhtem Kupferanteil
Kugelamalgam Geringer Kupferanteil Erhöhter Kupferanteil bis 25%
(sphärisch)
Kugelartiges Amalgam Erhöhter Kupferanteil bis 25%
(sphäroidal)

Kupfergehalt zwischen 12 und 30% und einem Silbergehalt zwischen 40


und 70% erheblich verändert worden.
Abbinde- Wird ein Feilungspulver mit Quecksilber vermischt, so entsteht eine
geschwindigkeit plastische Masse, die bei Zimmertemperatur erhärtet. Die Plastizität, die
zum Stopfen nötig ist, geht jedoch schon innerhalb von 10 bis 20 min
verloren. Die Abbindegeschwindigkeit des Amalgams hängt von der
Zusammensetzung der Legierung, der Partikelform, der Partikelgröße
und dem Ausmaß der natürlichen und künstlichen Alterung ab. Nach
10 h hat Amalgam eine Härte erreicht, die sich nur noch unwesentlich
ändert (90% der Endhärte). Mit steigendem Silbergehalt steigt die
Quecksilberaufnahmefähigkeit an. Mit niedrigerem Silbergehalt ist die
Erhärtungszeit verlängert.
Im Folgenden wird der Reaktionsmechanismus der verschiedenen Le-
gierungspulver mit Quecksilber beschrieben (s. Abb. 6.35). Dabei bleiben
Alloybestandteile, die nur in Spuren enthalten sind, unberücksichtigt, da
sie keinen Einfluss auf den prinzipiellen Reaktionsmechanismus besitzen.

Konventionelle Alloys
Bei den konventionellen Alloys (I) mit einem Kupfergehalt von weniger
als 6% bestehen die Metallpartikel aus zwei homogenen metallischen
Phasen, der Gamma-Phase (Ag3Sn) und der Epsilon-Phase (Cu3Sn). Auf-
grund des geringen Kupfergehalts der Alloypartikel kann die Epsilon-
Phase bei der Reaktion mit Quecksilber vernachlässigt werden.
Quecksilber- Bei Quecksilberzugabe werden Silber und Zinn aus den Partikeln
zugabe herausgelöst und es bilden sich die Gamma-1-Phase (Ag5Hg6) und die
Gamma-2-Phase (Sn8Hg). Das Mischungsverhältnis von Alloypulver
und Quecksilber beträgt i.d.R. 1 : 1. Da aber eigentlich etwa die doppelte
Menge Quecksilber notwendig wäre, um eine vollständige Umsetzung
der Phasen zu erzielen, bleiben in der abgebundenen Legierung unrea-
gierte Feilungspartikel (Gamma-Phase) in einer Gamma-1-Matrix einge-
schlossen. In dieser Matrix befindet sich jedoch auch die Gamma-2-
Phase, die korrosionsanfällig ist.

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 289

(Kugeln)
Verdüsen
Ag g1
1
Hg
Ag Sn Cu g 2
I Zerspanen
Sn g2

e
3
(Splitter)
g = Ag3 Sn
g1
g2
=
=
Ag5 Hg6
Sn8 Hg
4
e = Cu3 Sn
5
Ag Sn Cu
Zerspanen
(Splitter)
g1 6
Ag
Hg Ag
g 7
Ag Cu E
II Verdüsen
Sn h'
8
(Kugeln)
e g2
(temporär)
9
E = Ag/Cu-Eutektikum
h' = Cu6 Sn5(Bronze) 10
11
Ag Sn Cu Ag g1
Zerspanen Hg Sn 12
III
g2
(Splitter)
e 13
h'
(temporär)
14
(sphärisch)
Ag
15
g1
Hg Sn
Ag Sn Cu 16
IV Verdüsen
h'

e
17
(Kugeln)

18
Abb. 6.35: Reaktionsmechanismus unterschiedlicher „Amalgamfeilungen“ mit Quecksilber. Bei Typ I ent-
steht Gamma-2-haltiges, konventionelles Amalgam, bei Typ II Gamma-2-freies Blendamalgam, bei Typ III
Gamma-2-freies Splitteramalgam und bei Typ IV sphärisches bzw. sphäroidales Gamma-2-freies Amalgam. 19
20

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290 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Korrosion Bei der Korrosion bilden sich unlösliche Zinnoxide auf der Oberflä-
che der Füllung. Das während der Korrosionsvorgänge frei werdende
Quecksilber diffundiert zum Teil in die Tiefe des Füllungsmaterials und
bildet zusammen mit dem Silber aus den noch vorhandenen Ursprungs-
partikeln erneut eine Gamma-1-Phase. Dabei expandiert die Füllung,
die Füllungsränder wölben sich auf und frakturieren letztlich unter Kau-
druck (merkuroskopische Expansion). Aufgeworfene und frakturierte
Füllungsränder können eine Prädilektionsstelle für Sekundärkaries sein.

Gamma-2-freie Amalgame
Erhöhung des Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung Gamma-2-freier Amalgame
Kupfergehalts (II). Durch Erhöhung des Kupfergehalts auf 12% oder mehr gelingt es,
die Gamma-2-Phase zu unterdrücken oder sie innerhalb kurzer Zeit wie-
der aufzulösen. Bei den ersten Legierungen dieser Art wurde den Alloy-
partikeln aus konventioneller kupferarmer Silber-Zinn-Legierung ein
Drittel fein verdüste Kugeln zugemischt. Diese Kugeln bestehen aus ei-
nem Silber-Kupfer-Eutektikum (72% Silber und 28% Kupfer). Sie besit-
zen unterschiedliche Größen bis maximal 30 μm.
Erste Reaktion Bei Reaktion von Quecksilber mit den konventionellen Feilungspar-
tikeln entstehen wie oben beschrieben eine Gamma-1- und eine
Gamma-2-Phase. Es wird jedoch auch aus der oberflächlichen Schicht
der Silber-Kupfer-Kugeln Silber herausgelöst und eine Gamma-1-Phase
gebildet.
Zweite Reaktion In einer zweiten Reaktion kann das Kupfer aus den kugelförmigen
Partikeln mit dem Zinn aus der Gamma-2-Phase reagieren und die stabi-
lere η’-Phase (Cu6Sn5) bilden. Diese Festkörperreaktion dauert ca. vier
Wochen. Danach ist die Gamma-2-Phase vollständig aufgebraucht. Die
η’-Phase liegt im abgebundenen Amalgam um die kugelförmigen Silber-
Kupfer-Eutektika. Sie wird auch als Asgar-Mahler-Reaktionszone be-
zeichnet. Zwischen dieser Bronzezone und dem Silber-Kupfer-Eutekti-
kum liegen zudem Gamma-1-Inseln.
Erhöhung des Gamma-2-freie Amalgame lassen sich auch dann erzielen, wenn bei
Kupfergehalts, Einzelpartikeln des Alloys der Kupfergehalt auf Kosten des Silbergehalts
Verringerung des massiv erhöht wird (III). Dabei muss man zwischen Partikeln unter-
Silbergehalts scheiden, bei denen sich die Metallphasen relativ gut voneinander tren-
nen lassen, und solchen, bei denen herstellungsbedingt eine gleichmä-
ßige Durchmischung verschiedener Metallphasen vorliegt.
So entstehen bei der Herstellung splitterförmiger hochkupferhalti-
ger Alloys nach dem Vergießen der Einzelbestandteile und anschließen-
dem Zerspanen Partikel, die eine Gamma-Phase und Epsilon-Phase in
einem Mengenverhältnis von 1,5 : 1 enthalten (ternäre Legierung). Bei
der Reaktion dieser Alloypartikel mit Quecksilber kommt es zur Ausbil-
dung einer Gamma-1-Phase und temporär zu einer Gamma-2-Phase.
In einer Sekundärreaktion zwischen der Gamma-2-Phase und der
Epsilon-Phase der Einzelpartikel entsteht erneut eine η’-Phase an der
Oberfläche der Einzelpartikel, d.h., die Epsilon-Phase (Cu3Sn) nimmt

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 291

Zinn aus der Gamma-2-Phase (Sn8Hg) auf und bildet die η’-Phase
(Cu6Sn5). Nach zehn Tagen ist diese Festkörperreaktion abgeschlossen. 1
Lässt sich herstellungsbedingt (schnelles Abkühlen) keine deutliche
Trennung zwischen der Gamma- und Epsilon-Phase in den Einzelparti- 2
keln mehr feststellen, so erhält man eine Alloygruppe, bei der schon di-
rekt nach der Reaktion mit Quecksilber keine Gamma-2-Phase mehr
festzustellen ist (IV). Zu dieser Gruppe gehören in erster Linie kugelar-
3
tige (sphäroidale) und kugelförmige (sphärische) Alloys. Der Kupferge-
halt schwankt zwischen 13 und 25%. Bei der Reaktion mit Quecksilber 4
werden an der Partikeloberfläche aus der Gamma-Phase wieder Silber
und Zinn herausgelöst. Es bildet sich zwischen Silber und Quecksilber 5
die Gamma-1-Phase, zwischen Zinn und Quecksilber kommt es jedoch
nicht zu einer Reaktion. Das Zinn wird direkt von der Epsilon-Phase auf-
genommen, und es bildet sich erneut Bronze (η’-Phase).
6

Die Gamma-2-freien Amalgame sind weniger korrosionsanfällig, 7


polierbeständiger, sie weisen eine geringere oder keine merkurosko-
pische Expansion auf und sind damit randdichter. 8
Während der Erhärtung ändert sich das Volumen der meisten Amal- Volumen 9
game. Es gibt Amalgame, die ausschließlich kontrahieren, andere, die in
den ersten zwei bis drei Stunden kontrahieren, dann expandieren, und
solche, die schon zu Beginn der Aushärtung expandieren. Die kontra-
10
hierende Oberflächenspannung des Quecksilbers führt beim Eindringen
in Risse und Spalten der noch nicht vollständig abgebundenen Legie- 11
rung zur Anfangskontraktion.
Anschließend kommt es durch Kristallwachstum der Gamma-1- 12
Phase zur Expansion und durch „Ausheilung von Poren“ zur Kontrak-
tion. Silberreiche Amalgame neigen mehr zur Expansion als silberär- 13
mere. Die Expansion nimmt mit kleiner Korngröße, höherem Stopf-
druck, geringerem Quecksilbergehalt und verlängerter Anmischzeit ab.
Eine geringfügige Expansion von 20 μm pro cm ist erwünscht, um ei-
14
nen guten Randschluss zu gewährleisten, ohne dass ein zu großer Druck
auf die Kavitätenwände erfolgt. 15
Die physikalischen Eigenschaften der Gamma-2-freien Amalgame Physikalische
unterscheiden sich erheblich von denen Gamma-2-haltiger. Um ver- Eigenschaften 16
schiedene Amalgame miteinander vergleichen zu können, wurden von
der American Dental Association (ADA), der International Organisation
for Standardisation (ISO) und dem Deutschen Institut für Normung
17
(DIN) bestimmte Anforderungen definiert.
So darf der Flow-Wert nicht mehr als 3% betragen. Unter Flow ver- 18
steht man die Längenabnahme eines Amalgamprüfzylinders von 4 mm
Durchmesser und 8 mm Höhe bei einer Belastung von 10 MPa für 21 h 19
bei 37 °C.
Der Creep-Wert muss unter 3% liegen. Dazu wird ein sieben Tage al- 20
ter Prüfzylinder gleicher Größe für 4 h bei 37 °C mit 36 MPa belastet. Die

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292 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Längenabnahme muss nach 3 h unter 3% liegen. Es gibt eine Korrela-


tion der Zahl und Größe von Randeinbrüchen mit dem Creep-Wert.
Ein weiterer häufig benannter physikalischer Wert ist die Druckfes-
tigkeit. Erneut wird ein standardisierter Amalgamzylinder (s.o.) nach
24 h einer Druckbelastung ausgesetzt, bis der Körper bricht. Der Min-
destdruck muss dabei 300 MPa betragen.

6.3.2 Indikation für Amalgamrestaurationen

! Amalgam wird heute nur noch eingeschränkt als plastisches Fül-


lungsmaterial für den Seitenzahnbereich eingesetzt. Seine Indika-
tion ist auf große okklusionstragende Klasse-II-Füllungen be-
grenzt, wenn andere Restaurationsmaterialien nicht in Betracht
kommen. Klasse-I-Kavitäten lassen sich hartsubstanzsparend und
relativ einfach mit Kompositrestaurationen versorgen.

Indikationen Speziell Klasse-II-Kavitäten, die nicht allseits schmelzbegrenzt sind, wer-


den nach wie vor häufig mit Amalgam restauriert, wenn Einlagerestau-
rationen oder Kompositrestaurationen kontraindiziert sind oder vom
Patienten abgelehnt werden. Der Anteil von Amalgamfüllungen an der
Gesamtzahl der in einem Jahr in Deutschland angefertigten Restauratio-
nen beträgt etwa 15–20%.
Kontra- Obwohl es keine toxikologisch begründeten Fakten gibt, die ein ge-
indikationen sundheitliches Risiko durch Amalgam belegen (mit Ausnahme selten
vorkommender Allergien gegen Amalgam und seine Bestandteile),
sollte Amalgam bei Kindern und Schwangeren sowie bei Patienten mit
Nierenerkrankungen nicht angewendet werden. Ebenso ist Amalgam im
direkten Kontakt zu Metallrestaurationen (Inlays, Teilkronen, Kronen)
kontraindiziert, weil durch elektrogalvanische Korrosion eine erhöhte
Quecksilberfreisetzung zu erwarten ist.
Es wird auch diskutiert, ob Amalgam bei Frauen im gebärfähigen Al-
ter nicht mehr empfohlen werden kann, obwohl keine Anhaltspunkte
für eine Schädigung des Fetus durch Quecksilber vorliegen.

Durch eine materialspezifische Präparations- und Verarbeitungs-


technik lassen sich kaufunktionell anspruchsvolle und langlebige
Restaurationen herstellen.

6.3.3 Klasse-II-Kavitäten

Eine approximale Karies wird bei Seitenzähnen, die in einer geschlosse-


nen Zahnreihe stehen, von okklusal eröffnet. Die resultierende Kavität
ist also immer mehrflächig, wobei der okklusale Anteil in Abhängigkeit
von der Kariesausdehnung unterschiedlich groß gestaltet wird.

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 293

1
! Die Primärpräparation umfasst die Herstellung der Umrissform,
Retentionsform und Widerstandsform. Sie kann mit einem einzi-
gen Diamantschleifer hergestellt werden. 2
Dabei soll die von Black postulierte Extensionsform (extension for pre- Kavitätenformen
vention) nicht exakt befolgt werden. Im Okklusalbereich lassen sich
3
nicht alle Fissuren und Parafissuren in die Präparation einbeziehen. So
werden heute ausschließlich die kariösen Hauptfissuren und Grübchen 4
aufgezogen und nur die wichtigsten kariesgefährdeten Nebenfissuren
mit einbezogen (s. Abb. 6.37a, b, c). 5
Der okklusale Teil der Kavität hat eine Mindesttiefe von 2–2,5 mm
und ist leicht unter sich gehend. Dabei sind die Übergänge zwischen Ka-
vitätenwand und Kavitätenboden abgerundet, damit bei Belastung der
6
Restauration keine Spannungen in diesem Bereich entstehen, die zu Hö-
ckerfrakturen führen könnten (s. Abb. 6.36a). Bei einer zweiflächigen 7
Kavität darf im Bereich der Randleiste nicht unter sich gehend präpa-
riert werden, da die Randleiste sonst zu stark geschwächt wird. Alle Be- 8
reiche, die nicht von Dentin unterstützt sind, müssen entfernt werden,
da sie bei Kaubelastung frakturieren. Im Unterkiefer muss bei der Prä- 9
paration die Kronenflucht der Zähne berücksichtigt werden. Die Breite
der Kavität sollte so gewählt werden, dass Höckerfrakturen vorgebeugt
wird. Sie beträgt im Bereich der Dreieckswülste höchstens die Hälfte der
10
Höckerbreite. Eine Zahnhartsubstanz schonende Präparation umfährt
die Dreieckswülste und lässt die Randleiste intakt. Ein Aufziehen der 11
großen bukkalen oder palatinalen Fissuren der Molaren ist nur notwen-
dig, wenn sie kariös sind. Dabei bleiben wichtige Zahnstrukturen, wie 12
die Crista transversa der Oberkiefermolaren, intakt, wenn sie nicht ka-
riös unterminiert sind (s. Abb. 6.37c). 13

Kavitäts- 14
boden

2 mm pulpale
15
Schmelz
Wand

Extensions-
16
flächen
Dentin
Pulpa approximal-
17
zervikale
Stufe
richtig
18
a b

Abb. 6.36: Präparation einer Kavität für eine Amalgamfüllung: Mit einem birnenförmigen Diamantschlei- 19
fer wird eine intern abgerundete, leicht unter sich gehende Kavität (Retentionsform) präpariert (a). Damit
werden Kerbspannungen zwischen Kavitätenboden und Kavitätenwand vermieden, die zu Infrakturen
führen könnten. Bei der Präparation einer mehrflächigen Amalgamfüllung (Klasse-II-Kavität) weist der ap- 20
proximale Kasten eine eigenständige Retentionsform auf (b).

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294 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

a b

c d

Abb. 6.37: Die Kavitätengröße richtet sich nach der Kariesausdehnung. Es werden
bei guter Mundhygiene und guter Patientencompliance nicht alle Fissuren in die
Präparation mit einbezogen.

Zugang Der Zugang zur approximalen Karies erfolgt mit einem birnenförmi-
gen Diamantschleifer. Dabei muss der intakte Nachbarzahn vor einem Prä-
parationstrauma geschützt werden. Das kann durch Anlegen einer Ma-
trize um den Nachbarzahn, Einlegen eines Stahlstreifens oder geschickte
Präparationstechnik gewährleistet werden. Der Präparationsdiamant wird
von okklusal in die jeweilige Randleiste eingeführt und unter leichten La-
teralbewegungen versenkt. Dabei bleibt eine Schmelzlamelle zum Nach-
barzahn stehen, die anschließend mit einem Handinstrument (Exkavator,
Schmelzmeißel) herausgebrochen wird. Der Kontakt zum Nachbarzahn
wird vollständig aufgehoben, um den approximal-zervikalen Kavitäten-
rand nicht in den Bereich der Kariesprädilektionsstelle zu legen. Außerdem
lässt sich so später die Matrize besser einbringen und adaptieren.
Nach Aufheben des Approximalkontakts werden Konkremente, die
evtl. trotz parodontologischer Vorbehandlung noch vorhanden sind,
entfernt und vorhandene Füllungen an den Nachbarzähnen kontrol-
liert bzw. nachgearbeitet. Der approximale Kasten weist nach der Präpa-
ration eine eigenständige Retentionsform auf (s. Abb. 6.36b).
Supragingivaler Die Forderung, den Füllungsrand in den Sulkus („kariesimmune
Füllungsrand Zone“) zu verlegen, wird heute nicht mehr befolgt. Aus parodontalpro-
phylaktischen Gründen wird ein supragingivaler Füllungsrand ange-
strebt. Bei einer tief reichenden Karies muss evtl. vorher der approximal-
zervikale Kavitätenrand durch eine parodontalchirurgische Maßnahme
freigelegt werden.

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 295

Die Kavität wird anschließend nach bukkal und oral gerade so weit
extendiert, dass die Kavitätenränder auch hier mit Mundhygienemit- 1
teln erreicht werden können. Die Präparationsgrenzen liegen also nicht
– wie von Black gefordert – in den Zonen der Selbstreinigung (außer 2
beim kariesaktiven Patienten). Der Kontakt zum Nachbarzahn wird da-
her nur ca. 0,5 mm aufgehoben. Dies lässt sich ohne Verletzung des
Nachbarzahnes jedoch nur mit Handinstrumenten bzw. oszillierenden
3
Präparationswerkzeugen bewerkstelligen (s. Abb. 6.38).
Die approximal-zervikale Stufe ist senkrecht zur Kronenachse ausge- Approximal- 4
richtet, plan oder leicht von außen nach innen abfallend. Nach Karies- zervikale Stufe
exkavation werden alle Kavitätenbereiche finiert. Die Extensionsflächen 5
und der approximal-zervikale Kavitätenrand werden mit Handinstru-
menten oder oszillierenden Feilen leicht gebrochen. Die Extensionsflä-
chen laufen in einem Winkel von 90° auf die Zahnoberflächen zu. Eine
6
Anschrägung der Stufe ist bei Amalgam kontraindiziert, da das Material
sonst unter Kaudruck wie auf einer schiefen Ebene aus der Kavität in den 7
Sulkus „kriechen“ würde und letztlich Füllungsrandfrakturen resultie-
ren würden. Außerdem lässt sich das Material in diesen Bereichen nicht 8
9
10
11
12
13
a b
14
0,5 mm

15
90×
16
17
90×
18
c d
19
Abb. 6.38: Mit Gingivalrandschrägern bzw. Schmelzmeißeln werden die Ränder an der approximal-zervi-
kalen Stufe und an den Extensionsflächen gebrochen (a und b). Es resultiert eine Kavität, deren approxi-
male Extensionen in einem Winkel von 90° auf die Zahnoberfläche zulaufen und in Bereichen enden, die 20
der Mundhygiene zugänglich sind (0,5 mm Abstand zum Nachbarzahn, c und d).

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296 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

dicht adaptieren. Schmelzbereiche, die nicht genügend von Dentin un-


terstützt sind, müssen entfernt werden (Widerstandsform).
Kriterien Zusammenfassend lassen sich für die Präparation von Klasse-II-Kavi-
täten für Amalgamrestaurationen folgende Kriterien festlegen:
 Die Kavitätengröße wird durch die Kariesausbreitung vorgegeben.
 Die Präparationsgrenzen liegen in Bereichen, die der Mundhygiene
zugänglich sind.
 Alle Kavitätenbereiche sind selbstretentiv.
 Nach der Primärpräparation werden die Kavitätenwände finiert.
 In den Bereichen, wo rotierende Instrumente nicht angewendet
werden können (z.B. bei zierlichen Kavitäten), werden Handinstru-
mente eingesetzt.
 Alle Übergänge zwischen horizontalen und vertikalen Kavitätenflä-
chen sind abgerundet, um Kerbspannungen zu vermeiden.

Sekundär- Nach Kariesentfernung werden alle Kavitätenwände mit einem Dia-


präparation mantfinierer feinster Körnung (15 μm) hochtourig finiert (bis höchs-
tens 120 000 Umdrehungen pro Minute). Alternativ können gewendelte
Hartmetallfinierer verwendet werden. Die Finierer weisen die gleiche
Form auf wie die Diamantschleifer. Es werden abgerundete bzw. birnen-
förmige Präparationsinstrumente verwendet.
Unterfüllung Die Karies gibt die Kavitätengröße und Kavitätentiefe vor. Bei tiefen
Kavitäten wird vor der Sekundärpräparation (Finieren) eine Unterfül-
lung aus einem druckfesten Material (Phosphatzement) eingebracht
und anschließend finiert. Man erhält einen glatten Kavitätenboden mit
gleichmäßiger Kavitätentiefe. Die Unterfüllung dient zum Ausblocken
der Unregelmäßigkeiten im Kavitätenboden nach erfolgter Kariesentfer-
nung.

6.3.4 Matrizentechnik

! Bei mehrflächigen Amalgamfüllungen ist die Anwendung eines


adäquaten Matrizensystems obligat.

Bei der Insertion mehrflächiger Amalgamfüllungen hat sich das Toffel-


mire-Matrizen-System bewährt (s. Kap. 6.1.7).

6.3.5 Trituration und Kondensation des Amalgams

Die Trituration (Anmischen) des Amalgams kann in unterschiedlicher


Form durchgeführt werden.

Beim Anmischen ist die genaue Dosierung von Feilung und Queck-
silber wichtig.

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 297

Wird zu viel Quecksilber verwendet, so resultieren schlechtere mechani-


sche und chemische Eigenschaften der fertigen Füllung (Anstieg des 1
Creeps, erhöhte merkuroskopische Expansion, Randfrakturen). Wird zu
wenig Quecksilber verwendet, kommt es zu erhöhter Porösität, be- 2
schleunigter Korrosion und schlechterer Adaptation des Materials. Das
genaue Mischungsverhältnis ist den jeweiligen Herstellerangaben zu
entnehmen. Als grobe Richtlinie gilt, dass frisch angemischtes Amalgam
3
nicht bröckelig zerfallen darf, sondern mit einem Spatel durchgeschnit-
ten werden kann (Marzipankonsistenz). 4
Bei Dosier- und Mischgeräten (Amalgamatoren) werden Pulver und Dosier- und
Quecksilber in eine aufgeschraubte Mischkapsel in entsprechender Mischgeräte 5
Menge gegeben und trituriert. Dabei müssen die Triturationszeiten
nach Herstellerangaben genau befolgt werden. Wird zu kurz trituriert,
so werden die Alloypartikel nicht vollständig mit Quecksilber benetzt.
6
Bei zu langer Trituration wird das Amalgam so stark erhitzt, dass es be-
reits kristallisiert und eine bröckelige Konsistenz erhält. Eine reguläre 7
Kondensation in der Kavität ist dann nicht mehr möglich. Die kombi-
nierten Dosier- und Mischgeräte haben den Nachteil, dass die aufge- 8
schraubte Kapsel undicht wird (speziell die Dichtung) und dass beim
Einfüllen Quecksilber verschüttet werden kann. Außerdem müssen die 9
Kapseln regelmäßig gereinigt werden.
Das Alloy kann auch in Tablettenform und damit bereits vordosiert Tabletten
vorliegen. Diese Tabletten werden in einem „Dispenser“ (Dosiervorrich-
10
tung) mit der entsprechenden Menge Quecksilber in eine verschraubbare
Kapsel gegeben. In einem Amalgamvibrator (Schüttelautomat) erfolgt 11
dann die Trituration. Auch hier ist die Quecksilberhygiene beim Einfül-
len in das Dosiergerät und beim Dosieren nicht optimal. Die Kapseln 12
werden zudem nach mehrmaligem Gebrauch undicht.
Moderne Gamma-2-freie Amalgame werden i.d.R. heute vordosiert Kapseln 13
in Kapseln angeboten. Im Prinzip lassen sich dabei zwei Kapselsysteme
unterscheiden. Bei aktivierbaren Kapseln muss vor der Trituration eine
Trennhaut zwischen Alloy und Quecksilber durchstoßen werden. Bei
14
selbstaktivierenden Kapseln durchdringt ein Pistill während des An-
mischvorgangs diese dünne Trennwand zwischen den beiden Kam- 15
mern. Die Kapselsysteme garantieren eine relativ gleichmäßige Dosie-
rung von Alloy und Quecksilber. 16
Verschraubbare und verschweißte Systeme sind i.d.R. dichter als Verschraubbare
andere Kapseln. Während der Trituration tritt kaum noch Quecksilber- und verschweißte
dampf aus. In der Praxis entfällt die Manipulation mit reinem Queck- Systeme
17
silber.
Auch bei den Kapselsystemen müssen die Triturationszeiten ent- 18
sprechend Herstellerangaben genau eingehalten werden. Sie sind je
nach Anmischgerät unterschiedlich lang, da diese mit unterschiedli- 19
chen Schüttelfrequenzen und -bewegungen arbeiten.
Die Kondensation (Stopfen) des Amalgams erfolgt nach Trockenle- Kondensation 20
gung und Säuberung der Kavität. Auch hier bietet Kofferdam eine Ar-

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298 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Abb. 6.39: Amalgam wird mit einer Amalgam-


pistole aus einem Metallgefäß entnommen (a)
und portionsweise in die Kavität eingebracht.
Mit Handstopfern (b) wird das Amalgam ap-
proximal und mit maschinellen Stopfern (c) ok-
Amalgam klusal verdichtet.

Unterfüllung

beitserleichterung. Durch eine Kontamination mit Speichel werden die


werkstoffkundlichen Eigenschaften des Amalgams verschlechtert. Das
Amalgam wird nach Trituration in einem glattwandigen Metall- oder
Glasgefäß zum Patienten gebracht und dort mit einer Amalgampistole
aufgenommen (s. Abb. 6.39a).

Ein Kontakt mit dem Finger ist obsolet (Quecksilberkontamination


der Haut, Kontamination des Amalgams mit Schweiß u.Ä.).

Die Pistolen sollen leicht zu reinigen und zu sterilisieren sein. Das Amal-
gam wird portionsweise in die Kavität eingebracht und kondensiert. Die
Verarbeitungszeit beträgt je nach Produkt zwischen 3 und 10 min. Die
ersten Portionen werden sorgfältig im Approximalraum verdichtet, die
Okklusalfläche wird zuletzt gefüllt. Die Stopfer besitzen ein planes Ar-
beitsende und sind im Querschnitt rund, rhomboid- oder trapezförmig
(s. Abb. 6.39b).

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 299

Gerade im Bereich der Extensionsflächen (Kontakt Matrizenband –


Zahn) entsteht ein Winkel, in dem das Amalgam mit rautenförmigen 1
Instrumenten besser verdichtet werden kann. Durch die Kondensation
sollen eine gute Adaptation des Amalgams an die Kavitätenwand ohne 2
Poren, ein geringer Restquecksilbergehalt und eine hohe Endhärte der
Füllung erzielt werden.
Als Stopfdruck werden Werte zwischen 1 und 2 N/mm2 angegeben. Stopfdruck
3
Für Kugelamalgam wird ein niedrigerer Stopfdruck (niedrig visköser) an-
gegeben als für Blendamalgame. Die Kondensation kann manuell (mit 4
Handstopfer) oder maschinell erfolgen.
Unter standardisierten Bedingungen muss sich die Auswahl der 5
Kondensationsmethode nach dem jeweiligen Amalgam richten, d.h., es
kann nicht allgemein formuliert werden, dass eine Stopfmethode über-
legen ist. Der Vorteil maschineller Kondensation liegt jedoch in einer
6
gleichmäßigen Verdichtung des Amalgams auch in schwer zugängli-
chen Bereichen der Mundhöhle. 7
Die maschinelle Kondensation kann mit pneumatisch angetriebe-
nen Geräten (Speedomatic), Ultraschallgeräten oder Vibratoren (Win- 8
kelstückeinsätzen) durchgeführt werden.
Die Ultraschallkondensation wird wegen schlechter Verdichtung, Ultraschall- 9
Porenbildung durch Kavitationseffekt und hoher Quecksilberdampfab- kondensation
gabe nicht empfohlen.
Bei der pneumatischen Verdichtung wird mit gedämpften Impul- Pneumatische
10
sen (bis 1700/min) das Arbeitsende vertikal bewegt. Pneumatische Kon- Verdichtung
densation führt zu ähnlich guten Ergebnissen wie Handkondensation. 11
Ansätze für Winkelstücke gibt es in unterschiedlichen Formen (Bergen-
dahl, J. S. Vibrator, Intra-Kondensierkopf u.a.). Sie sollen bei Gamma-2- 12
freien Amalgamen niedertourig eingesetzt werden (s. Abb. 6.39c). Eine
zu starke Quecksilberverringerung während des Stopfens ist zu vermei- 13
den, um eine ausreichende Reaktion des Materials zu gewährleisten. Das
Amalgam wird überstopft, um einen Überschuss für die Gestaltung der
Kaufläche zur Verfügung zu haben.
14
15
6.3.6 Schnitztechnik und Politur
16
! Die Kauflächengestaltung nimmt bei der Amalgamfüllungstech-
nik eine zentrale Rolle ein.
17
Durch Beseitigung von Überschüssen und Wiederherstellung einer phy- Ziele
siologischen Kaufläche werden die antagonistische Kontaktpunktbe- 18
ziehung und die reguläre, dynamische Okklusion der restaurierten
Zähne wiederhergestellt. Dabei wird Kaufunktionsstörungen und Kie- 19
fergelenksproblemen prophylaktisch entgegengewirkt. Außerdem wird
ein glatter, stufenloser Übergang zwischen Füllungsmaterial und Zahn- 20
hartsubstanz gewährleistet. Vorkontakte und Hyperbalancen sind bei

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300 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

der Füllungstherapie zu vermeiden. Die Amalgamfüllungen dürfen je-


doch auch nicht so tief ausgeschnitzt werden, dass der entsprechende
Zahn in Infraokklusion steht und später durch Extrusion eine neue Ok-
klusionsbeziehung „sucht“. Auf die Wichtigkeit der approximalen Kon-
taktpunktbeziehung zum Nachbarzahn wurde bereits im vorherigen Ka-
pitel hingewiesen.
Eine genaue Kenntnis der Zahnanatomie und der Höcker-Fossa-
Beziehung bzw. Höcker-Randleisten-Beziehung ist Grundlage jeglicher
Füllungstherapie. Da die Zahnanatomie und Funktion des Kauorgans
wichtige Bestandteile des vorklinischen Unterrichts und ein eigenstän-
diger Bestandteil des prothetischen Teilgebiets sind, muss an dieser
Stelle auf Fachbücher aus diesem Bereich verwiesen werden.

Bei großen Amalgamfüllungen müssen die Randleistenkomplexe,


die Höckerabhänge und andere wichtige anatomische Strukturen
wie die Crista transversa bei Oberkiefermolaren durch Schnitzen
entsprechend herausgearbeitet werden.

Die wichtigsten Haupt- und Nebenfissuren werden gleichzeitig darge-


stellt. Durch ein systematisches Vorgehen lässt sich das Schnitzen ein-
fach und zeitsparend durchführen. Die Zeitspanne, in der Amalgam
schnitzbar ist, beträgt zwischen 15 und 20 min.
Noch während die Matrize liegt, werden mit einem groben Schnitz-
instrument (z.B. Frahminstrument) die tiefsten Stellen der Restauration
(mesiale, distale, zentrale Gruben) herausgearbeitet (s. Abb. 6.40a). An-
schließend wird mit einem scharfen Scaler die Randleiste gestaltet. An-
haltspunkt ist die Höhe des Randleistenkomplexes am Nachbarzahn.
Der Scaler fährt dabei schräg abfallend an der Matrize entlang (s. Abb.
6.40b).
Anschließend werden der Holzkeil, der Matrizenhalter und die Ma-
trize vorsichtig entfernt. Der Holzkeil und das Band lassen sich mit der
bereits erwähnten How-Zange sicher fassen. Füllungsüberschüsse im
Bereich der Extensionsflächen und am zervikalen Füllungsrand werden
mit einem scharfen, schmalen Sichelscaler entfernt (s. Abb. 6.40c). An-
schließend werden mit kleinen Frahminstrumenten und Cleoid- bzw.
Discoidinstrumenten die Grübchen und Fissuren sowie Parafissuren
angelegt (s. Abb. 6.40d).

6.3.7 Amalgamtoxizität

Ausgehärtetes Amalgam ist eine Legierung des Quecksilbers mit anderen


Metallen und besteht aus unterschiedlichen metallischen Phasen.

Amalgamfüllungen geben Metallionen in die Mundhöhle ab.

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 301

1
Scaler
Matrize 2
Keil

3
4
5

a b
6
7
Sichelscaler
8
9
10
Burnisher
11
Cleoid 12
c Discoid
d 13
Abb. 6.40: Die Okklusalfläche einer Amalgamfüllung wird mit Schnitzinstrumenten funktionell gestaltet
(Erklärung s. Text). 14
Dabei wird dem freiwerdenden Quecksilber die toxikologisch bedenk- 15
lichste Rolle zugeschrieben. Quecksilber kommt in verschiedenen Ag-
gregatzuständen vor und tritt in Form unterschiedlicher Verbindungen 16
auf.
Elementares Quecksilber ist bei Raumtemperatur flüssig, geht aber
bereits in Dampfform über (Hg0).
17
Quecksilber geht mit zahlreichen Metallen Verbindungen ein. Dabei Organische
kann es in einwertiger (Hg22+) und in zweiwertiger (Hg2+) ionischer Quecksilber- 18
Form vorliegen. In der Natur kommen außerdem organische Quecksil- verbindungen
berverbindungen (z.B. Methylquecksilber) vor. 19
Quecksilber findet sich überall in der Umwelt. Durch Vulkanismus,
Verwitterung, Bodenerosionen und durch industrielle Freisetzung wer- 20
den jährlich zwischen 5000 und 10 000 t Quecksilber freigesetzt (WHO).

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302 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Die industrielle Verwendung von Quecksilber ist rückläufig, sodass die


Umweltbelastung mit dem Schwermetall abnimmt. Der jährliche
Quecksilberverbrauch für Dentalamalgame beträgt 20 t.

Über die Nahrungskette gelangt Quecksilber meist in organischer


Form (Fisch, Fleisch) in den menschlichen Organismus. Aber auch
anorganisches Quecksilber wird aufgenommen. Die Angaben über
die tägliche Quecksilberaufnahme differieren je nach geografischer
Lage und Ernährungsgewohnheiten.

WHO-Richtlinien Während die WHO eine durchschnittliche Aufnahme von 4,3 μg pro
Tag anorganisches Quecksilber und 2,4 μg pro Tag Methylquecksilber
aus Fischverzehr angibt, werden die Werte für Deutschland mit 10–
20 μg Gesamtquecksilber pro Tag angegeben. Der Anteil organischen
Quecksilbers beträgt dabei 1,6–2,4 μg pro Tag.
Die wöchentliche Quecksilberaufnahme mit der Nahrung sollte laut
WHO-Richtlinien nicht mehr als 350 μg betragen. Der Anteil organi-
schen Quecksilbers sollte dabei 200 μg nicht übersteigen. Diese Zahlen
sind empirisch abgeleitet; dabei wird unterstellt, dass bei Zufuhr dieser
Quecksilbermenge keine Zeichen einer chronischen oder akuten Intoxi-
kation auftreten. Sie gelten jeweils für eine 70 kg schwere Person.
Quecksilber- Bei der Bearbeitung und beim „Tragen“ von Amalgamfüllungen er-
dampf folgt eine Belastung des Patienten mit Quecksilber in unterschiedlicher
Form. Metallisches, flüssiges Quecksilber, wie es bei der Trituration
verwendet wird, hat toxikologisch nur geringe Bedeutung. Dampfför-
miges, elementares Quecksilber hingegen tritt bei der Verarbeitung
und beim Herausbohren von Amalgam auf. Aber auch aus fertig abge-
bundenem Amalgam treten kleine Mengen Quecksilberdampf aus, die
eingeatmet werden können. Das inhalierte Quecksilber gelangt über die
Lungen ins Blut (ca. 80%). Es wird dort zu Hg2+ oxidiert. Es kann jedoch
auch in elementarer Form die Blut-Hirn-Schranke passieren, so in das
Gehirn geraten und dort erst oxidiert werden. Es gelangt dann nicht
mehr über die Blut-Hirn-Schranke in das Blut zurück.
Das resorbierte Hg0 wird in ionisierter Form (Hg2+) über die Nieren
und zum Teil über den Stuhl wieder ausgeschieden. Die durchschnittli-
che Halbwertszeit beträgt 60 Tage.

In den Nieren und in bestimmten Arealen des Gehirns erfolgt eine


Quecksilberakkumulation.

Magen-Darm- Quecksilberionen treten bei Korrosionsprozessen, beim Kauen (Abra-


Trakt sion) und beim Herausbohren von Amalgamfüllungen auf. Sie werden
mit dem Speichel verschluckt. Im Magen-Darm-Trakt werden zwi-
schen 7 und 10% der verschluckten Menge resorbiert. Quecksilberionen
sind nicht lipidlöslich, sie haben jedoch eine hohe Affinität zu Sulfhy-
dril-Gruppen. Anorganisches Quecksilber reichert sich daher intrazellu-

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 303

lär in Leber und Nieren an. Anorganisches Quecksilber wird nach Auf-
nahme nicht methyliert. 1
Methyliertes Quecksilber wird ausschließlich über die Nahrung
aufgenommen und zu 90% im Magen-Darm-Trakt resorbiert. Es ist lipo- 2
phil, wird an Erythrozyten gebunden und verteilt sich nahezu gleich-
mäßig über den gesamten Körper. Es wird zum Teil in den Organen zu
Hg2+-Ionen demethyliert.
3
Methylquecksilber ist wesentlich toxischer als anorganisches 4
Quecksilber.
5
Zielorgan ist auch hier wieder das Gehirn.
Quecksilberintoxikationen werden in akute und chronische Formen
unterschieden.
6
Akute Quecksilberintoxikationen sind selten. Die akute Quecksilber- Akute
vergiftung ist je nach Quecksilberverbindung von charakteristischen Quecksilber- 7
Symptomen begleitet. Bei akuter Vergiftung mit Quecksilberdampf ist intoxikationen
in erster Linie die Lunge betroffen. Quecksilbersalze schädigen vor- 8
nehmlich den Gastrointestinaltrakt und die Nieren, organische Queck-
silberverbindungen das Zentralnervensystem. Parästhesien, Bewe- 9
gungs-, Sprach- und Hörstörungen sind die Folge.
Durch Verzehr von extrem quecksilberhaltigem Tunfisch kam es in
Japan in den 1950er-Jahren zu einer Massenvergiftung (Minimata-
10
Erkrankung). Durch den Genuss von quecksilberhaltigem Saatgetreide
erkrankten in Pakistan und im Irak zahlreiche Menschen. 11
Bei chronischen Quecksilbervergiftungen ist eine eindeutige Zuord- Chronische
nung der Exposition zu Krankheitssymptomen schwierig. Insbesondere Quecksilber- 12
lässt sich nicht mehr nachvollziehen, welche Expositionsform im Ein- vergiftungen
zelnen zu den festgestellten Symptomen führte (Amalgamfüllungen, 13
Fischverzehr u.a.). Die chronische Quecksilbervergiftung ist durch ob-
jektivierbare Symptome gekennzeichnet:
 Tremor mercurialis: Intentionstremor der Finger, Augenlider, Lip-
14
pen
 Erethismus: Persönlichkeitsveränderungen, die durch Reizbarkeit, 15
Befangenheit, Stimmungslabilität, Gedächtnisschwund u.a. gekenn-
zeichnet sind 16
 Psellismus: verwaschene Sprache
 Nephritis und Proteinurie
17
Bei milderer Ausprägung spricht man von einem unspezifisch, asthe-
nisch-vegetativen Syndrom (Mikromerkurialismus). Die Symptome 18
können jedoch auch bei Personen ohne Quecksilberexposition auftre-
ten (Schwächegefühl, schnelle Ermüdbarkeit, Abgeschlagenheit, Appe- 19
titmangel, Nervosität, schlechte Merkfähigkeit, Kopfschmerzen, Arbeits-
unlust u.a.). Die weiter oben angegebenen Grenzwerte für die Quecksil- 20
beraufnahme (WHO) dienen daher der Prävention derartiger Schäden.

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304 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Berufliche Für beruflich exponierte Personen, nicht jedoch für die Langzeitex-
Exposition position der Bevölkerung mit Quecksilber wurden arbeitsmedizinisch
tolerierbare Grenzwerte definiert, bei deren Überschreitung mit einer
chronisch-toxischen Symptomatik gerechnet werden muss. So beträgt
die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK-Wert) 100 μg/m3, der
biologische Arbeitsstofftoleranzwert (BAT-Wert) 200 μg/l Urin bzw.
50 μg/l Blut. Es gibt neuerdings Hinweise darauf, dass bei empfindlichen
Personen erste Auswirkungen einer erhöhten Quecksilberexposition
ohne erkennbare Krankheitssymptomatik bereits bei niedrigeren Wer-
ten erkennbar sind, wenn diese Personen beruflich dauerhaft exponiert
sind. Eine exakte Dosis-Wirkungs-Beziehung lässt sich nicht angeben.
Allergien In einzelnen Fällen kann es durch Amalgamfüllungen zu allergi-
schen Reaktionen (Kontaktallergie) kommen. Dabei können generali-
sierte Reaktionen der Haut (z.B. Ekzem, Dermatitis), allgemeine Krank-
heitssymptome (z.B. Gastroenteritiden) bzw. Schleimhautreaktionen
(z.B. Gingivostomatitis) auftreten. Die Symptome treten kurz nach Le-
gen bzw. Entfernen einer Amalgamfüllung auf und klingen i.d.R. nach
zwei bis drei Wochen wieder ab.
Bei einer Allergie gegen anorganische Quecksilbersalze bzw. organi-
sches Quecksilber liegt nicht immer gleichzeitig eine Allergie gegen
Amalgam vor. Eine Allergie lässt sich durch Epikutantest beim Allergo-
logen nachweisen (0,1% HgCl2-Lösung, 5% Hg-Präzipitatsalbe, metalli-
sches Quecksilber aus abgebundenem Amalgam). Bei nachgewiesener
Amalgamallergisierung sollten keine neuen Amalgamfüllungen gelegt
werden.

Immer mehr Patienten führen Beeinträchtigungen des allgemeinen


Gesundheitszustandes auf die toxikologische Wirkung von Amal-
gam bzw. Quecksilber zurück. Zahlreiche Studien konnten nach-
weisen, dass es sich dabei meistens um psychosomatische Probleme
handelt, die natürlich unabhängig von ihrer tatsächlichen Ursache
ernst genommen werden müssen.

Entfernung Es ist bisher nicht geklärt, ob bei diesen Patienten eine Besserung des
von Amalgam- Allgemeingesundheitszustandes nach Entfernen der Amalgamfüllun-
füllungen gen von Dauer ist. In seltenen Fällen kann der Kontakt zu Amalgamfül-
lungen zu lokalen Schleimhautreaktionen (lichenoide Veränderungen)
führen.
Durch Korrosion und durch Verletzungen der Schleimhaut beim
Entfernen von Amalgamfüllungen kann es zur Einlagerung von Amal-
gampartikeln in die Mundschleimhaut kommen (Amalgamtätowie-
rung). Sie stellen eine ästhetische Beeinträchtigung dar.
Bei Kontakt von Amalgam zu anderen metallischen Werkstoffen,
aber auch beim Kontakt von frisch gelegtem Amalgam zu alten Amal-
gamfüllungen kann es zu „metallischem“ Geschmack und elektrischen
Empfindungen aufgrund kurzfristiger elektrochemischer Vorgänge

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6.3 Restaurationen mit Amalgam Kapitel 6 305

kommen (oral galvanism). Nach Passivierung der Füllungsoberfläche


klingen diese meistens ab. 1
Die Quecksilberkonzentration im Blut und Urin korreliert mit der 2
Zahl der Amalgamfüllungen und mit der Zahl der Füllungsflächen
(pro Füllungsfläche wird eine durchschnittliche Erhöhung des
Urinwertes um 0,07 μg/l diagnostiziert).
3
Nach Legen von Amalgamfüllungen steigt der Quecksilberspiegel um ei- 4
nige μg/l im Blut und Urin an. Nach einigen Wochen werden wieder
Ausgangswerte erreicht. Nach Entfernen aller Amalgamfüllungen 5
kommt es nach einigen Monaten zu einer Verringerung des Quecksil-
berspiegels im Blut und Urin um einige μg Quecksilber pro Liter.
Bei der Behandlung von akuten und chronischen Quecksilberintoxi- Therapie
6
kationen werden Komplexbildner (z.B. Dimaval = Natriumsalz der 2,3-
Dimercapto-1-Propansulfonsäure) verwendet. Sie binden mit SH-Grup- 7
pen an Schwermetalle, die dann mit dem Urin ausgeschieden werden.
Die Messung der Quecksilberkonzentration im Urin (24-h-Sammelurin) 8
erlaubt einen Rückschluss auf die Quecksilberbelastung der jeweiligen
Person. Der Rückschluss auf daraus resultierendes Krankheitsgeschehen 9
ist nur dann in begrenztem Maße gerechtfertigt, wenn es sich um ein
spezifisches Symptom einer Quecksilbervergiftung handelt.
Quecksilberkonzentrationen im Blut korrelieren mit der Quecksil- Quecksilber-
10
berluftkonzentration (bei beruflicher Exposition) und mit dem Queck- konzentrationen
silbergehalt im Urin. Normalwerte sind weniger als 5 μg Quecksilber/l im Blut 11
Blut und weniger als 5 μg Quecksilber/l Harn (ohne Differenzierung
nach Patienten mit oder ohne Amalgamfüllungen). Nach neuesten Un- 12
tersuchungen tragen Amalgamfüllungen zur Quecksilberbelastung des
Menschen bei. Berufliche Exposition oder vermehrte Quecksilberauf- 13
nahme mit der Nahrung oder durch andere Quellen können den Queck-
silberspiegel im Blut und Urin vollständig überlagern. Die Quecksilber-
werte im Blut und Urin bei Menschen, die angeblich gesundheitliche
14
Schäden durch Amalgamfüllungen beklagen, unterscheiden sich nicht
signifikant von denen einer Kontrollgruppe. Sie liegen zudem im Streu- 15
bereich der Normalbevölkerung.
16
Bei Autopsiepräparaten findet sich eine Korrelation des Quecksil-
bergehalts in den untersuchten Geweben (Gehirn, Niere, Leber) zur
Zahl der Amalgamfüllungen und zur Anzahl der Füllungsflächen.
17
Dabei sind die Quecksilberdepots der Niere in erster Linie durch Amal- Quecksilber- 18
gamfüllungen bedingt. Quecksilber scheint als relativ untoxischer Se- depots der Niere
lenkomplex in den Lysosomen gespeichert zu sein. Die Quecksilberkon- 19
zentration in den einzelnen Organen liegt jedoch im Normalbereich
und unterhalb der Konzentration von Patienten mit gesicherter Queck- 20
silbervergiftung. Die Depots können zum Teil durch oben genannten

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306 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Komplexbildner abgebaut werden, d.h., sie sind partiell reversibel ge-


bunden.

Auch wenn Amalgamfüllungen zu einem erheblichen Teil an der


Aufnahme anorganischen und elementaren Quecksilbers beteiligt
sind, gibt es bisher keinen Hinweis auf ein gesundheitliches Risiko,
wenn Amalgamfüllungen sorgfältig verarbeitet werden.

Während früher ein durch berufliche Exposition bei Zahnärzten und


Helferinnen bedingter erhöhter Quecksilbergehalt im Blut, Urin und in
verschiedenen Geweben festgestellt werden konnte, dürfte heute bei Be-
achtung aller Verarbeitungsrichtlinien eine erhöhte Aufnahme nicht
mehr zu finden sein.
Entsorgung Die Entsorgung von Amalgam ist durch Gesetze geregelt (Amalgam-
abscheider, Recycling der Amalgamreste u.a.), sodass auch ökologische
Risiken minimiert wurden.

6.4 Korrekturfüllung (Reparaturfüllung)

Korrekturfüllungen werden in der Literatur unterschieden in Füllungs-


reparaturen (Polituren oder okklusale Adjustierungen) und Reparatur-
füllungen, bei denen zusätzliche Präparationsmaßnahmen durchge-
führt werden. Als Reparaturmaterialien kommen insbesondere Hybrid-
komposite in Betracht. Diese können je nach Defekt als stopffähiges
oder fließfähiges Komposit verwendet werden. Sie sind indiziert, wenn
damit der Austausch der gesamten Restauration vermieden werden
kann. Außerdem können die Gefahr von Pulpaschäden und Schmerzen
vermindert werden. Reparaturfüllungen können häufig ohne Lokalan-
ästhesie und in kürzerer Zeit durchgeführt werden. Auch der Verschluss
von Trepanationsöffnungen und die Fraktur von Zahnhartsubstanzen
in der Nähe von bereits vorhandenen Restaurationen stellen Indikatio-
nen für Reparaturfüllungen dar.
Heute werden in der Zahnarztpraxis vermehrt vorhandene, insuffi-
ziente Restaurationen ausgetauscht als Primärversorgungen durchge-
führt. Dabei sind Sekundärkaries, Randimperfektionen, postoperative
Überempfindlichkeit und Frakturen bzw. Chipping die häufigsten Ursa-
chen für eine Neuanfertigung einer Restauration.
Vor Anfertigung einer Reparaturfüllung müssen der Gesamtzustand
der verbliebenen Restauration, die Möglichkeit der Exkavation einer vor-
handenen Sekundärkaries und der Wiedererstellung der anatomischen
Zahnform (z.B. Approximalkontakt) sowie der Wunsch des Patienten be-
rücksichtigt werden. Eine Reparaturfüllung ist einer Neuanfertigung vor-
zuziehen, wenn die verbliebene Restauration intakt und kariesfrei ist. Im
Einzelfall lässt sich die Indikation für eine Korrekturfüllung nur nach
Anfertigen eines Röntgenbildes zur Sicherung der Diagnose stellen.

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6.4 Korrekturfüllung (Reparaturfüllung) Kapitel 6 307

Während der Reparaturfüllung sollte unbedingt Kofferdam gelegt


werden, um eine Kontamination der Füllungsoberfläche mit Speichel 1
und Blut zu verhindern. Zudem werden die Mundschleimhäute und die
Atemwege vor Schädigungen durch das entsprechende Abstrahlmittel 2
geschützt. Grundsätzlich sollten während der Behandlung sowohl der
Patient als auch die Behandler Schutzbrillen tragen, um Verletzungen
der Augen zu vermeiden. Bei richtiger Indikation lässt sich durch Kor-
3
rekturfüllungen die Lebensdauer einer primären Restauration erheblich
verlängern. Eine Grundvoraussetzung für eine Reparaturfüllung ist die 4
Patientencompliance, d.h., der Patient sollte den Zahnarzt regelmäßig
zu Kontrolluntersuchungen aufsuchen, um ein Versagen der Restaura- 5
tion rechtzeitig zu erkennen. In der Abbildung 6.41 ist ein Fließschema
zur Durchführung von Korrekturfüllungen dargestellt.
6
7
Komposit Amalgam Guss-Einlagerestauration
8
Ohne Beteili- Mit Beteiligung
gung von ZHS von ZHS
9
Präparationsmaßnahmen
falls erforderlich
Präparationsmaßnahmen zur mechanischen Aufrauung 10

Abstrahlen mit Al2O3


Abstrahlen Abstrahlen 11
mit Al2O3 mit SiO2 (CoJet)

12
Schmelz- und
Dentinkonditio- Aufbringen
nierung, i.d.R.
Aufbringen
Metallprimer
Metallprimer/
Aufbringen
Metallprimer
Aufbringen
Silan
13
Phosphorsäure- Silan
ätzung
14
Schmelz- und Schmelz- und
Applikation
eines 3-Schritt-
Applikation
eines
Dentinkonditio- Dentinkonditio- 15
nierung, i.d.R. nierung, i.d.R. Applikation
oder Universal- hydrophoben Applikation
Phosphorsäure- Phosphorsäure- eines Self-
adhäsivs Bondings
ätzung
eines Self-Etch-
Adhäsiv-
ätzung Etching- 16
Adhäsiv-
systems oder
systems oder
Applikation
eines Universal-
adhäsivs
Applikation eines Universal- 17
eines 3-Schritt- eines 3-Schritt- adhäsivs
oder Universal- oder Universal-
adhäsivs adhäsivs 18
Auftrag einer dünnen Schicht eines Flowables und eines Standard-Komposits; Ausarbeitung und Politur a 19
20

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308 6 Restaurationen mit plastischen Füllungsmaterialien

Keramikreparatur Verblendungs- Verblendungs-


reparatur reparatur
(Zirkonoxidgerüst) (Metallgerüst)
Ohne Beteiligung
Mit Beteiligung von ZHS
von ZHS
Reinigung der Präparations-
Oberfläche, Ränder maßnahmen falls
Präparationsmaßnahmen falls erforderlich der Verblendung erforderlich
finieren

Abstrahlen mit Schmelz- und Abstrahlen mt SiO2


Keramik:
SiO2 (CoJet) oder Dentinkonditio- Verblendkeramik: (CoJet)
Abstrahlen mit
Konditionierung nierung, i.d.R. mit Abstrahlen mt SiO2
SiO2 (CoJet)
mit gepuffter HF Phosphorsäure (CoJet) oder
Applikation von Applikation eines
gepufferter HF Silans
Schmelz- und
Applikation eines Keramik: HF-Kon- Dentinkonditio-
Silans ditionierung nierung, i.d.R. mit Applikation eines Applikation eines
Phosphorsäure multifunktionellen Opaquers auf das
Silans (10-MDP) Metallgerüst

Applikation eines Keramik:


Applikation eines
hydrophoben Applikation eines Applikation eines Applikation eines
Silans
Bondings Silans hydrophoben hydrophoben
Bondings Bondings

Applikation eines Applikation eines


3-Schritt- oder 3-Schritt- oder
Universaladhäsivs Universaladhäsivs

Auftrag einer dünnen Schicht eines Flowables und eines


b Standard-Komposits; Ausarbeitung und Politur

Abb. 6.41a, b: Möglichkeiten der Korrekturfüllungen mit Kompositrestaurationsmaterialien (nach Lührs,


2015). Vorhandene kariöse Bereiche müssen dabei sicher exkaviert und Folgeschäden vom Zahn abgewen-
det werden können (ZHS = Zahnhartsubstanzen).

Reparatur einer Zur Reparatur einer Amalgamfüllung wird heute Komposit als Repa-
Amalgamfüllung raturmaterial verwendet. Es wird Kofferdam gelegt; falls Schmelzränder
freiliegen, werden diese leicht angeschrägt. Bei mehrflächigen Kavitäten
wird eine Matrize angebracht und die Amalgamrestauration mit Alumi-
niumoxidpulver (Partikelgröße 50 μm, mindestens 4 s, bei 60–70 psi
Druck) abgestrahlt. Ein Metallprimer wird aufgebracht und anschlie-
ßend die Kavität mit Phosphorsäure angeätzt. Dann wird ein entspre-
chendes Adhäsivsystem und zunächst ein flowable Komposit in einer
dünnen Schicht appliziert. Anschließend wird die Restauration mit ei-
nem Standard-Komposit komplettiert. Alternativ kann nach dem Ab-
strahlen auch ein Metallprimer mit einem Silan appliziert werden. Da-
nach wird allerdings nicht mehr abgesprüht, sondern ein Self-Etch-Ad-
häsivsystem oder ein 10-MDP-haltiges Universaladhäsiv verwendet.
Reparatur einer Bei der Reparatur einer Kompositrestauration im zentralen Anteil,
Kompositfüllung d.h., wenn die zu reparierende Stelle allseits von Komposit umgeben ist,
wird die Oberfläche des Restaurationsmaterials hochtourig mit einem

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6.4 Korrekturfüllung (Reparaturfüllung) Kapitel 6 309

Diamantschleifer angefrischt; dabei werden defekte Füllungsbereiche


entfernt. Anschließend wird die Kompositoberfläche mit einem Alumi- 1
niumoxidpulver abgestrahlt. Es folgen ein Absprühen der Füllungsober-
fläche mit Wasser, eine Trocknung der Oberfläche und das Auftragen 2
eines auf das Restaurationskomposit abgestimmten (hydrophoben) Ad-
häsivs. Grenzen Zahnhartsubstanzen an die Reparaturfüllung an, so
werden diese wie beim Einbringen einer Kompositrestauration ange-
3
schliffen; anschließend wird die präparierte Kompositfläche abge-
strahlt. Die Zahnhartsubstanzen werden mit Phosphorsäure konditio- 4
niert und ein entsprechendes Adhäsivsystem wird appliziert.
Bei Edelmetall- und Nichtedelmetallrestaurationen wird ein Unter- Reparatur von 5
schnitt in den zu reparierenden Defekt präpariert. Anschließend wird Einlagerestau-
durch sogenannte tribochemische Vorbehandlung die Oberfläche des
Metalls silikatisiert und damit eine retentive Oberfläche geschaffen.
rationen und
Kronen
6
Dies kann z.B. mit dem CoJet-System geschehen. Dabei werden silizi-
umbeschichtete Aluminiumoxidpartikel für 15 s mit einem Druck von 7
30–40 psi auf die Oberfläche gestrahlt. Diese verschmelzen mit kerami-
schen oder metallischen Oberflächen und erzeugen eine silikatisierte 8
Schicht. Nach Silanisierung wird ein Self-Etch-Adhäsivsystem oder ein
Universaladhäsiv aufgebracht, bevor die Kompositmaterialien appliziert 9
werden. Alternativ kann die Metalloberfläche mit Aluminiumoxid abge-
strahlt und ein Metallprimer aufgebracht werden. Dann werden die an-
grenzenden Zahnhartsubstanzen wie üblich geätzt. Es erfolgt die Ein-
10
bringung eines Adhäsivsystems und die Applikation des entsprechen-
den Reparaturkomposits. 11
Keramische Restaurationen können auch mit einem Diamantschlei-
fer vorpräpariert werden. Die Keramikoberfläche sollte optimalerweise 12
mit Flusssäure konditioniert werden. Das Einbringen einer üblichen
Flusssäure in die Mundhöhle wird jedoch aufgrund der damit verbunde- 13
nen Gefahren i.d.R. nicht empfohlen. Als Alternative kann eine gepuf-
ferte Flusssäure oder angesäuertes Phosphatfluoridgel (1,23% Fluorid)
für 10 min aufgetragen werden. Ein Aufrauen und eine Silikatisierung
14
der keramischen Oberfläche mit CoJet führen zu ähnlichen Ergebnis-
sen. Dann erfolgt das Aufbringen eines Silans und eines (hydrophoben) 15
Bondingmaterials bzw. eines 10-MDP-haltigen Universaladhäsivs. Liegt
auch Zahnhartsubstanz frei, erfolgt vor der Keramikbehandlung eine 16
Phosphorsäureätzung der Zahnhartsubstanzen. Das Vorgehen bei der
Reparatur von Verblendungen bei Brücken und Kronen kann dem
Schema entnommen werden.
17
18
19
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Kapitel 7 311

7 Restaurationen mit Einlagefüllungen


1
2
3
4
! Einlagerestaurationen sind solide Körper, die in einer Kavität mit
einem konventionellen Zement oder adhäsiv mit einem Kompo-
sitzement befestigt werden (Metall-, Keramik- und Kompositres- 5
taurationen).

Sie werden direkt (im Mund des Patienten) oder indirekt (z.B. im zahn-
6
technischen Labor) hergestellt. Es gibt zusätzlich für zahnfarbene Res-
taurationen semidirekte Verfahren (z.B. „chairside“ CAD-CAM-Verfah- 7
ren). Die Herstellung von Einlagerestaurationen ist aufwendig; sie sind
daher i.d.R. teurer als direkte plastische Füllungen. 8
Die Indikation für Einlagerestaurationen ist eng umrissen. Sie sind Indikationen
bei mittelgroßen und großen Klasse-II-Kavitäten indiziert, wenn die 9
Ausdehnung des approximalen Defekts zervikal die Schmelz-Zement-
Grenze überschreitet, die gingivale Stufe somit schlecht zugänglich und
eine sichere Matrizentechnik sowie eine adäquate Trockenlegung er-
10
schwert sind. Die Anfertigung von Restaurationen aus plastischen Fül-
lungsmaterialien ist dann häufig nicht mehr möglich. Zudem sind Ein- 11
lagefüllungen indiziert, wenn der Approximalkontakt mit plastischen
Materialien nicht mehr herzustellen ist und Allergien gegen plastische 12
Füllungsmaterialien und/oder deren Bestandteile vorliegen. Häufig las-
sen sich Kavitäten nach Entfernung von Teilkronen auch nicht mit Res- 13
taurationen aus plastischen Füllungsmaterialien restaurieren.
Grundvoraussetzungen für die Eingliederung von Einlagerestaura- Voraussetzungen
tionen sind eine optimale Mundhygiene des Patienten, geringe mo-
14
mentane Kariesaktivität und parodontal gesunde bzw. sanierte Verhält-
nisse. 15
Mit kauflächendeckenden Metall- bzw. Keramikrestaurationen las-
sen sich Okklusionskorrekturen durchführen. Sie sind daher oft im 16
Rahmen funktionstherapeutischer Maßnahmen indiziert.
Nach einer Wurzelkanalbehandlung werden bei großen mehrflä-
chigen Kavitäten im Seitenzahnbereich wegen der erhöhten Frakturan-
17
fälligkeit kauflächendeckende Restaurationen gefordert. Hier sind Teil-
kronen aus Metall oder Keramik indiziert. 18
Einlagerestaurationen sind formstabiler als Restaurationen aus plas-
tischen Füllungsmaterialien und besitzen bei richtiger Indikationsstel- 19
lung und sorgfältiger Anfertigung eine hohe Lebensdauer.
20

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312 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Für die Herstellung von Einlagerestaurationen muss allerdings in


vielen Fällen mehr Zahnhartsubstanz geopfert werden als für plasti-
sche Füllungsmaterialien. Bei der Versorgung primärer kariöser De-
fekte ist daher eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile
von Einlagerestaurationen vorzunehmen.

Lässt sich aufgrund der kariösen Zerstörung der Zahnhartsubstanz (z.B.


große Zahnhalsdefekte, Fehlen des bukkalen bzw. lingualen Kronenan-
teils) oder aus anatomischen Gründen keine ausreichende Verankerung
der Einlagerestauration an der Zahnhartsubstanz erzielen, ist die Anfer-
tigung einer Krone indiziert. Bei kleinen okklusalen und approximalen
Defekten muss bei der Anfertigung von Einlagerestaurationen zu viel
Zahnhartsubstanz entfernt werden. Hier sollte plastischen Füllungsma-
terialien der Vorzug gegeben werden.
Definitionen Unter dem Überbegriff Einlagerestaurationen sind Inlays, Onlays
und Overlays zusammengefasst (s. Abb. 7.1).
 Ein Inlay ist eine rein intrakoronal fixierte Einlagerestauration. Da-
bei wird die Kaufläche eines Zahnes nicht bedeckt.
 Ein Onlay bedeckt die gesamte Kaufläche eines Zahnes.
 Ein Overlay fasst mindestens einen Höcker, meist aber alle Höcker,
wobei beide Approximalflächen in die Präparation mit einbezogen
werden. Der Übergang zur Teilkrone ist fließend.
 Für die Präparation von Kavitäten für adhäsiv befestigte Keramikres-
taurationen sind variable Formen möglich, die sich nicht mehr in
diese Klassifizierungen einordnen lassen.

oral vestibulär

a b c d

Abb. 7.1: a) Rein intrakoronal fixierte Einlagerestaurationen (Inlays) erhalten ihre Retention durch eine ok-
klusale bzw. approximale Kastenverankerung. b) Ein Onlay bedeckt die gesamte Kaufläche, erhält jedoch
nur durch okklusale und approximale Kastenverankerung Retention. c) Bei Overlays werden meist nur die
okklusionstragenden Höcker gefasst, dabei hat sich die Stufe mit Abschrägung bewährt. Die nicht tragen-
den Höcker sind mit einem Außenschliff versehen, die retentive Verankerung erfolgt so zusätzlich durch
perikoronale Verankerung. Ein spezielles Augenmerk ist auf mögliche Allergien gegen Metalle, Zemente
und Kunststoffe zu richten. d) Bei Keramikrestaurationen sind die Begriffe Overlay und Onlay in der ur-
sprünglichen Form nicht mehr verwendbar, da hier der Übergang beider Präparationsformen fließend ist
und aufgrund der adhäsiven Befestigung auf eine makroskopische perikoronale Verankerung verzichtet
werden kann.

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7.1 Vorbereitende Maßnahmen Kapitel 7 313

7.1 Vorbereitende Maßnahmen


1
Vor der Anfertigung von Einlagerestaurationen, insbesondere bei der
Neugestaltung bzw. Wiederherstellung von Kauflächen, sind bestimmte 2
Vorbehandlungsmaßnahmen erforderlich.
Primär werden wie bei jedem anderen Patienten eine Anamnese
und ein Befund erhoben.
3
Neben der intraoralen zahnärztlichen Untersuchung wird häufig ein
Funktionsbefund (z.B. Krough-Poulson) aufgezeichnet. Bei auffälligen 4
Befunden können eine Schienenvorbehandlung und eine Einschleifthe-
rapie indiziert sein. 5
Es wird je nach Patient eine unilateral balancierte Okklusion (Grup-
penführung) oder eine organische Okklusion mit Front-Eckzahn-Füh-
rung angestrebt. Rekonturierung von Restaurationen, parodontale
6
Sanierung und evtl. kieferorthopädische Vorbehandlung sind weitere
vorbereitende Maßnahmen. Eine detaillierte Darstellung der Vorbe- 7
handlung würde jedoch den Rahmen dieser Einführung sprengen. Es
wird daher auf entsprechende Lehrbücher verwiesen. 8
Die Herstellung diagnostischer Gipsmodelle, die mit einem Ge-
sichtsbogen in einen halbindividuellen Artikulator montiert werden, ist 9
hilfreich. Mit ihnen können eine genaue Planung und evtl. eine diagnos-
tische Präparation erfolgen. Alternativ können heute im Rahmen eines
digitalen Workflows mit einer Kamera Scans des Oberkiefers und Unter-
10
kiefers angefertigt werden und die Überprüfung der okklusalen Verhält-
nisse mit einer entsprechenden Software digital simuliert werden. 11
Grundsätzlich erfolgt zuerst die Entfernung kariöser Zahnsubstanz
und, falls notwendig, die Anfertigung von Aufbaufüllungen (Glasiono- 12
merzement, Komposit). Oft lässt sich dann erst endgültig klären, ob ein
Inlay oder eine Teilkrone erforderlich ist, endodontische Vorbehand- 13
lungen notwendig sind oder eine Verlängerung der klinischen Krone
vorgenommen werden muss. Auch ästhetische Gesichtspunkte können
jetzt berücksichtigt werden, und besonders bei Oberkieferprämolaren
14
kann die Versorgung mit zahnfarbenen Restaurationsmaterialien (z.B.
Keramikinlays) erwogen werden. 15
Die Herstellung optimaler Mundhygieneverhältnisse vor Anferti- 16
gung von Einlagerestaurationen ist eine selbstverständliche Maß-
nahme.
17
Anhand der Anamnese, des zahnärztlichen Befundes, des Funktionsbe-
fundes und mithilfe der diagnostischen Modelle kann die endgültige 18
Planung erfolgen, die mit dem Patienten durchgesprochen wird.
Bei der Herstellung und Eingliederung von Einlagerestaurationen 19
und Teilkronen entstehen erhebliche Kosten. Eine detaillierte, schriftli-
che Kostenaufstellung sollte daher dem Patienten vor Beginn der Be- 20
handlung ausgehändigt werden. Es wird außerdem eine schriftliche

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314 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Einverständniserklärung des Patienten zu den geplanten Behand-


lungsmaßnahmen eingeholt. Der Zahnarzt fixiert dann den detaillier-
ten Behandlungsplan mit entsprechenden Terminvorgaben.
Bei der Präparation für Einlagerestaurationen und Teilkronen steht,
wie bei allen restaurativen Maßnahmen, die Erhaltung der gesunden
Zahnhartsubstanz im Vordergrund. Bei gegossenen metallischen Einla-
gerestaurationen muss zusätzlich durch entsprechende Präparation für
eine Retention gesorgt werden, die eine Lockerung bzw. ein Abgleiten
des Gussobjektes bei Kaubelastung verhindert. Bei adhäsiv befestigten
Keramik- bzw. Kompositinlays tritt dieser Gesichtspunkt eher in den
Hintergrund.
Auf einen guten Randschluss und genügende Stabilität ist bei allen
Einlagerestaurationen zu achten.
Zu den vorbereitenden Maßnahmen gehört bei der Herstellung von
Teilkronen auch die Abformung der vorbereiteten Zähne mit einem Si-
likon. Diese Abformung wird nach erfolgter Präparation für die Herstel-
lung von Kunststoffprovisorien verwendet. Die Herstellung dieser Pro-
visorien kann auch mithilfe einer Tiefziehschiene, die mithilfe des Pla-
nungsmodells primär hergestellt wurde, erfolgen. Alternativ kann bei
der Anwendung digitaler Abformverfahren durch die Überlagerung ei-
nes Scans des ursprünglichen Zahnes und des präparierten Zahnes am
Computer ein virtuelles Provisorium entworfen und anschließend ge-
druckt oder aus einem Kunststoffblock gefräst werden.

7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen

Einlagefüllungen aus Metall (insbesondere Inlays) finden heute nur


noch selten Anwendung.

7.2.1 Präparation

Klasse-II-Kavität Bei der Präparation für Klasse-II-Kavitäten werden die Präparationsre-


geln für plastische Füllungsmaterialien in modifizierter Form berück-
sichtigt.
Die Primärpräparation wird mit einem zylindrischen oder leicht
konischen Diamanten mit abgerundeten Kanten durchgeführt. Die Ka-
vitätentiefe beträgt mindestens 1,5 mm. Der Kavitätenboden ist plan.
Die Umrissform der Kavität umfasst die Hauptfissuren. Die Inlaybreite
darf bei einem dreiflächigen Inlay (MOD) okklusal nicht mehr als die
Hälfte des Höckerabstandes betragen, da sonst eine Keilwirkung resul-
tiert und damit kein ausreichender Schutz gegen eine Höckerfraktur vor-
handen ist (s. Abb. 7.2a). Die Kavitätenwände sind bei flachen Kavitäten
leicht divergierend (s. Abb. 7.2b); sie können bei tiefen Kavitäten jedoch
im oberen Drittel stärker divergieren (s. Abb. 7.2c). Durch diese Präpara-

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7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen Kapitel 7 315

Abb. 7.2: Kavitätenpräparation von


Klasse-II-Kavitäten für Metall-Einlage-
restaurationen: Die Breite der okklusa-
a 1
len Kavität darf maximal die Hälfte des
max.
transversalen Höckerabstandes betra-
gen. a) Die Kavitätentiefe beträgt min-
a/2 2
destens 1,5 mm. b) Bei flachen Kavitäten
divergieren die Kavitätenwände leicht
(ca. 10°). Wird eine Abschrägung ange- 3
legt, so ist sie kurz und beträgt ca. 20%
zur Einschubrichtung. c) Bei tieferen Ka-
vitäten wird das obere Drittel stärker di- 4
vergierend präpariert. Der Rand wird
nicht abgeschrägt.
5
a 6
7
8
9
10
b c

tion soll erreicht werden, dass die Metallfüllung einerseits leicht in die 11
Kavität eingebracht werden kann, andererseits jedoch genügend Reten-
tion gegen Abzugskräfte aufweist. Alle inneren Kanten der Kavität sind 12
leicht abgerundet. Es sind keine unter sich gehenden Stellen vorhanden.
Es wird häufig empfohlen, den okklusalen Randbereich der Kavität 13
abzuschrägen. Im Abrasionsgebiss ist diese Abschrägung breiter als bei
steiler verlaufenden Höckern im jugendlichen Gebiss. Die Abschrägung
wurde früher unter anderem angelegt, um mit entsprechenden Instru-
14
menten weiche Goldlegierungen anfinieren zu können. Nach heutigen
Erkenntnissen führt ein derartiger Finiervorgang jedoch klinisch nach 15
einer gewissen Tragedauer zu schlechteren Randbedingungen, da die
dünn auslaufenden Metallränder unter Kaubelastung abbrechen. Man 16
verzichtet daher heute i.d.R. auf den okklusalen Federrand.

Die Restaurationsränder sollen nicht im Bereich statischer Okklu-


17
sionskontakte liegen.
18
Der antagonistische Kontakt darf auf keinen Fall in Bereichen der Res-
tauration liegen, die einen dünn auslaufenden Rand aufweisen. Der 19
Rand wird sonst durch die mechanische Belastung beschädigt. Antago-
nistische Kontakte müssen entweder vollständig auf dem Zahnschmelz 20
oder auf der Metallfläche der Restauration liegen.

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316 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

a b c

Abb. 7.3: Randgestaltung des approximalen Kastens bei mehrflächigen Metall-Einlagerestaurationen:


a) Kasten mit Hohlschliffpräparation, b) Kasten mit zervikaler Abschrägung, c) Kasten mit Scheibenschliff

Der approximale kariöse Defekt gibt die Ausdehnung des approxi-


malen Kastens vor. Bei der Präparation werden die Kontakte zum Nach-
barzahn ausreichend aufgehoben. Die Extensionsflächen divergieren
leicht in okklusaler Richtung und laufen bei idealer Präparation in ei-
nem Winkel von 40° auf die äußere Zahnwölbung aus. Die zervikal-ap-
proximale Stufe bleibt, wenn möglich, supragingival.
Die Divergenz der Kavitätenwände hängt von der Tiefe der Kavität
ab. Um ausreichend Retention für die Einlagerestauration zu bieten, be-
trägt sie bei flachem approximalem Kasten ca. 10°. Bei langen Approxi-
malflächen ist sie größer, um eine ausreichende Einschubmöglichkeit
zu gewährleisten. Zur Randgestaltung des approximalen Kastens und
der Extensionsflächen gibt es unterschiedliche Ansichten (s. Abb. 7.3).
Es kann ein Kasten mit Hohlschliff angelegt werden, der sowohl
die approximal-zervikale Stufe als auch die Extensionsflächen einbe-
zieht. Weiterhin ist die Präparation eines Kastens mit nur approximal-
zervikaler Abschrägung möglich. Die Extensionsflächen werden dabei
im Randbereich nicht angeschrägt. Ihre auslaufenden Kanten werden
nur mit einem Handinstrument gebrochen.
Die früher häufig propagierte Scheibenschliffpräparation hat sich
nicht durchgesetzt, da bei dieser Präparationsform approximal zu weit
extendiert wird.

Aus kariesprophylaktischer Sicht sollte ein möglichst kleiner Spalt


zwischen Restauration und Zahnhartsubstanz angestrebt werden
(< 50 μm).

Dies lässt sich sowohl mit der Hohlschliffpräparation als auch mit der
Stufenpräparation mit entsprechender Abschrägung erreichen. Abschrä-
gungen und Hohlschliffpräparationen müssen so angelegt werden, dass
eine deutlich sichtbare Präparationsgrenze resultiert. Die Abschrägun-
gen liegen, wie auch bei den Kronen beschrieben, zwischen 30 und 45°.
So resultiert ein geringer Zementspalt und damit eine gute Passgenauig-
keit im Randbereich.

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7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen Kapitel 7 317

Abb. 7.4: Zweiflächige Einla-


gerestaurationen werden
durch Schwalbenschwanz- 1
präparation oder zusätzli-
che Zapfenbohrung veran-
kert. Schwalben-
2
schwanz-
präparation
3
Zapfen-
bohrung
4
5

Während bei dreiflächigen Inlays i.d.R. genügend Retention vor-


6
handen ist, muss ein zweiflächiges Inlay durch eine okklusale Schwal-
benschwanzpräparation oder durch zusätzliche Retentionselemente 7
(z.B. Zapfenverankerung) gegen einwirkende Abzugs- oder Kippkräfte
gesichert werden (vgl. Abb. 7.4). 8
Nach der Primärpräparation erfolgt ein Finieren der Kavitäten-
wände und des Kavitätenbodens mit formgleichen Diamantfinierern. 9
Durch das Legen einer Unterfüllung/Aufbaufüllung z.B. aus einem
Zement oder Komposit kann bei tiefen Kavitäten eine Reduktion des Ge-
samtvolumens der späteren Restauration erfolgen. Leicht unter sich ge-
10
hende Stellen können mit Unterfüllungsmaterial ausgeblockt werden.
Bei größeren kariösen Defekten, die eine Unterminierung und Schwä- Overlay-/Onlay- 11
chung der Zahnhartsubstanz erzeugt haben, bei Okklusionskorrekturen Präparation
im Rahmen funktionsverbessernder Maßnahmen und bei der Versor- 12
gung von wurzelkanalbehandelten Prämolaren und Molaren sind Inlays
kontraindiziert. Hier erfolgt eine Overlay- bzw. Onlaypräparation. 13
Die Erkenntnis, dass es nach Restauration mehrflächiger Kavitäten
mit gegossenen Metallrestaurationen häufig zu Dentininfrakturen bzw.
Höckerfrakturen kommt, ließ die Indikation für rein intrakoronal ver-
14
ankerte Restaurationen immer mehr in den Hintergrund treten. Viel-
fach wird heute bei der oralen Rehabilitation mit metallischen Einlage- 15
restaurationen gänzlich auf Inlays verzichtet. Es werden ausschließlich
Overlays und Teilkronen angefertigt. 16
Die Vorteile liegen dabei in der Vermeidung von Antagonistenkon-
takten im Füllungsrandbereich und der Verhinderung elastischer Defor-
mationen durch Kaukräfte.
17
Bei der Overlaypräparation wird die MOD-Kavität einer Inlaypräpa-
ration angelegt. Die zu überdeckenden okklusionstragenden Höcker 18
werden i.d.R. in Form einer Stufenpräparation mit Abschrägung, die zu
überdeckenden nicht tragenden Höcker mit einem einfachen Außen- 19
schliff gefasst (s. Abb. 7.5).
Die Präparationsgrenze liegt bei den tragenden Höckern meistens im 20
Bereich des Zahnäquators, umfasst aber auf jeden Fall vorhandene buk-

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318 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Abb. 7.5: Bei der Overlay-


Präparation wird bei den
okklusionstragenden Hö-
ckern eine Stufe mit Ab-
schrägung präpariert, die
Scherhöcker werden mit ei-
nem einfachen Außen-
palatinal bukkal schliff überkuppelt.

kale bzw. linguale Grübchen (Plaqueretentionsstellen), um einer Sekun-


därkaries vorzubeugen. Die Stufe ist ca. 1 mm breit und wird abgeschrägt.
Die Präparationsform hängt jedoch von den anatomischen Gege-
benheiten, der Tiefe des okklusalen Defekts und der Lage der Karies ab.
So können bei sehr weiten und tiefen okklusalen Kavitäten dünne, spitz
auslaufende Kavitätenwände resultieren. Dann werden auch die tragen-
den Höcker nur mit einem einfachen Außenschliff versehen.
Während für die Reduktion der tragenden Höcker sowie die Präpara-
tion der approximalen Kästen und des Isthmus zylindrische bzw. koni-
sche Diamantschleifer und -finierer verwendet werden, werden für die
Abschrägung des approximalen Kastens und der Stufe an den tragenden
Höckern meist schlanke, flammenförmige Diamantfinierer oder ent-
sprechend gestaltete oszillierende Instrumente verwendet (vgl. Abb. 7.6,
systematisches Vorgehen bei der Präparation eines Overlays bzw. einer
Teilkrone).
Beim Onlay wird die gesamte Kaufläche in die Präparation mit ein-
bezogen. Dies erfordert eine Reduktion der Okklusalfläche um mindes-
tens 1 mm. Ansonsten gelten die gleichen Präparationsregeln wie bei
Overlays. Es wird jedoch keine Stufe mit Abschrägung bzw. ein Außen-
schliff präpariert.
Stark zerstörte Zähne lassen primär keine klassische Kavitätenprä-
paration zu. Oft muss dann vor der Präparation durch einen Kernaufbau
aus plastischen Füllungsmaterialien (z.B. Glasionomerzement oder
Komposit) erst die Möglichkeit für eine Präparation geschaffen werden.

Alle Ränder der Metalleinlagerestauration müssen dann aber auf je-


den Fall im Bereich gesunder Zahnhartsubstanz liegen. Sie dürfen
nicht im Aufbaumaterial enden.

Nach endodontischer Behandlung kann eine Verankerung des Kernauf-


baus mit einem adhäsiv befestigten intrakanalären Stift (z.B. Glasfa-
serstift) oder die Anfertigung eines gegossenen Stiftaufbaus erforderlich
sein.

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7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen Kapitel 7 319

okklusale Abdachung
Reduktion des tragenden
Höckers
1
2
3
4
a b

Stufe am Isthmus Abdachung des


5
tragenden Höcker nicht tragenden
Höckers
6
Flanke

7
8
9
c d

Abb. 7.6: Die Teilkronenpräparation (Overlay) erfolgt mit wenigen Instrumenten:


a) Die Okklusalfläche wird mit abgerundeten, konischen Diamantschleifern um
10
1–1,5 mm gekürzt. b) Der tragende Höcker wird anschließend abgedacht, wobei
auf einen ausreichenden Substanzabtrag geachtet werden muss. c) Mit einem ko-
nischen, abgeflachten Diamantschleifer wird an der Außenfläche des tragenden
11
Höckers eine 1 mm breite Stufe präpariert. d) Mit dem gleichen Instrument wer-
den der Isthmus und die Approximalkästen angelegt. Anschließend werden die
approximalen Flanken und die Abschrägung approximal-zervikal und an der ok-
12
klusalen Stufe mit einem flammenförmigen Diamanten oder mit oszillierenden
Instrumenten präpariert. Der Außenschliff an den nicht tragenden Höckern kann
ebenfalls mit einer Flamme präpariert werden. Alle Kavitätendetails werden mit 13
den entsprechenden Diamantfinierern nachgearbeitet. Natürlich richtet sich die
Größe der Diamantschleifer nach der Zahngröße.
14
7.2.2 Abformung und Modellherstellung
15
Nach der Präparation wird das Operationsgebiet mit Watterollen und
approximal mit Wattepellets trocken gelegt. Liegt die Präparations- 16
grenze supragingival, sind keine weiteren Maßnahmen notwendig.
Bei äquigingivaler und gering subgingivaler Präparation müssen vor Fäden
der Abformung Baumwollfäden zur leichten Eröffnung des Sulkus gelegt
17
werden. Die Fäden werden mit einem Heidemann-Spatel vorsichtig in
den Sulkus appliziert. Dabei wird eine Traumatisierung soweit wie mög- 18
lich vermieden. Damit die Fäden vor der Abdrucknahme schnell entfernt
werden können, ragt ihr Ende aus dem Sulkus heraus. Der Baumwollfa- 19
den nimmt die Sulkusflüssigkeit auf und kann Blutungen verhindern,
wenn er vorher mit einem Hämostatikum (z.B. Aluminium-Kalium-Sul- 20
fat, Aluminiumchlorid) getränkt wurde. Bei tief reichender Karies wird

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320 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

elektrochirurgisch oder mittels parodontalchirurgischer Maßnahmen (s.


Teil III, Parodontologie) die Präparationsgrenze frei gelegt.
Abdrucklöffel Beim konventionellem Herstellungsverfahren folgt anschließend
die Auswahl des passenden Abdrucklöffels. Werden konfektionierte Löf-
fel (z.B. Rim-Lock-Löffel bei Korrekturabformung) verwendet, so sollten
diese individualisiert werden (distale Abdämmung mit thermoplasti-
schem Material). Bei der Verwendung gummielastischer Abformmate-
rialien bzw. einzeitigen Abdrucktechniken sollten individuelle Löffel
aus Kunststoff verwendet werden, um eine gleichmäßig dicke Abform-
massenschicht zu erhalten. Sie dürfen aber erst nach vollständiger Aus-
polymerisierung (24 h) verwendet werden, sonst führen sie zu einer De-
formierung der Abformung.

Die Abformung muss den präparierten Zahn, alle anderen Zähne und
die angrenzenden Weichgewebe exakt und blasenfrei wiedergeben.

Die Löffelinnenwände werden mit einem Adhäsiv bestrichen, damit


das Abformmaterial zum Löffel hin schrumpft. Das Adhäsiv muss gut
trocken sein, sonst haftet das Abformmaterial nicht an der Löffelwand.
Abformmaterial Das Abformmaterial sollte biokompatibel sein und eine geringe
Schrumpfung während der Aushärtung und anschließenden Lagerung
aufweisen. Neben der primären Dimensionsstabilität muss das Material
mit gängigen Abformdesinfektionsmitteln desinfizierbar sein, ohne
seine Dimension zu verändern.
 Hydrokolloide sind umständlich zu verarbeitende Abformmateria-
lien. Man benötigt spezielle Abformlöffel. Man benötigt auch spe-
zielle Geräte zum Erwärmen und zum Kühlen der Abformmasse. Die
Abformung muss nach Entfernen aus der Mundhöhle kurzfristig in
Kaliumsulfatlösung eingelegt und spätestens 15 min später ausge-
gossen werden.
 Additionsvernetzende Silikone eignen sich sehr gut für die ver-
schiedenen Abformtechniken im Rahmen der Gussfüllungstherapie.
 Polyäther stehen im Dimensionsverhalten den Silikonen nicht
nach. Sie sind verhältnismäßig schwer aus der Mundhöhle und vom
Modell zu entfernen, wenn Unterschnitte vorhanden sind.
 Polysulfide finden heute im Rahmen der Gussfüllungstechnik keine
Anwendung mehr. (Zu den werkstoffkundlichen Parametern von
Abdruckmaterialien sollten Lehrbücher der Werkstoffkunde zurate
gezogen werden.)

Als Abformtechnik werden heute entweder die Korrekturabformung


(zweizeitig) bzw. Ergänzungsabformung oder die Doppelmischabfor-
mung (einzeitig) bzw. der Einphasenabdruck angewendet.
Bei der Korrekturabformung wird nach Legen der Retraktionsfäden
eine Situationsabformung mit einem knetbaren, zähplastischen Silikon
(putty) genommen. Anschließend werden alle unter sich gehenden Stel-

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7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen Kapitel 7 321

len ausgeschnitten und nach Entfernen des Retraktionsfadens mit ei-


nem dünn fließenden Silikon bei der Korrekturabformung (Korrektur) 1
genommen.
Um zu verhindern, dass bei der Korrekturabformung das Putty-Mate- Korrektur- 2
rial verdrängt wird und anschließend „zurückfedert“, muss genügend abformung
ausgeschnitten und müssen Abflussrillen geschaffen werden. Eine Rück-
stellung bedingt ein enges Abdrucklumen und damit zu kleine Modell-
3
stümpfe. Das bedeutet schlecht passende Einlagerestaurationen. Ein zu
starker Druck während der Aushärtung ist daher zu vermeiden. Die Abfor- 4
mung wird nur kurz nach Einsetzen der Korrekturmasse fest angedrückt,
dann unter leichtem Druck bis zur endgültigen Erstarrung gehalten. 5
Die Doppelmischabformung ist ein einzeitiges Verfahren. Der prä- Doppelmisch-
parierte Zahn wird mit einem dünn fließenden Silikonmaterial um-
spritzt. Während das Material noch fließfähig ist, erfolgt eine Situati-
abformung
6
onsabformung mit einer zähflüssigen Abdruckmasse. Nach Abbinden
des Abformmaterials (siehe Herstellerangaben) wird der Abdrucklöffel 7
rasch in Richtung der Längsachse der Zähne entfernt (also nicht abge-
kippt). Anschließend erfolgen eine gründliche Reinigung mit Wasser 8
(Blut und Speichel sollten vollständig entfernt werden) und eine Desin-
fektion. Das Desinfektionsbad sollte ein großes Keimspektrum abde- 9
cken, besonders Tuberkulosebakterien und HI- bzw. Hepatitis-Viren.
Die Abformung wird im Labor mit einem Spezialhartgips blasenfrei
ausgegossen. Einfache Verarbeitung, gute Detailwiedergabe und gutes
10
Dimensionsverhalten (Abbindeexpansion < 0,1%) zeichnen diesen Gips
aus. Die Herstellung des Meistermodells soll hier nicht im Einzelnen 11
dargestellt werden. Hier muss auf die Lehrbücher der Prothetik und
Werkstoffkunde verwiesen werden. 12
Es ist empfehlenswert, ein zweites, ungesägtes Modell herzustellen,
auf dem die Approximalkontakte der fertigen Einlagerestauration kon- 13
trolliert werden können.
Nach der Abformung wird je nach Patientenfall eine individuelle Re-
gistrierung der Kaubewegung (Kiefergelenkaktion) mit anschließender
14
Übertragung in einen voll justierbaren Artikulator durchgeführt oder ein
arbiträrer Gesichtsbogen angelegt, mit dessen Hilfe das Oberkiefermo- 15
dell schädelbezüglich in einen teiljustierbaren Artikulator einartikuliert
wird. Dabei wird rosa Wachs oder thermoplastisches Material erwärmt 16
und auf eine Bissgabel gebracht. Der aufrecht sitzende Patient beißt vor-
sichtig in die weiche Masse, sodass die Höckerspitzen abgedrückt werden.
Anschließend wird der Gesichtsbogen angelegt. Der Patient hält wäh-
17
renddessen die Bissgabel, indem er auf Watterollen beißt. Das Oberkiefer-
modell muss exakt in die entstandenen Impressionen passen. 18
Die Zuordnung des Unterkiefermodells erfolgt mit einem Registrat
(Wachs, Gipsschlüssel, Kunststoffregistrat). Mithilfe von Protrusions- 19
und Laterotrusionsregistraten kann der Artikulator teiljustiert werden.
Bei Einzelzahnpräparationen bedeckt ein Wachsbiss den präparier- Bissnahme 20
ten Zahn. Es wird erweicht und der Patient beißt zu. Das Wachs härtet

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322 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

aus und kann anschließend mit einer Zinkoxid-Eugenol-Paste „unter-


füttert“ werden. Dabei wird die habituelle Interkuspitation in den Arti-
kulator übernommen. Es gibt heute auch spezielle Silikonmaterialien,
die man für die Bissregistrierung verwenden kann. Nach dem Einartiku-
lieren wird die Okklusion im Artikulator überprüft. Sie muss mit der im
Mund des Patienten übereinstimmen. Es ist daher sinnvoll, die intraora-
len Okklusionskontakte auf einem vorgefertigten Okklusionsschema zu
markieren.
Es ist heute möglich, den präparierten Zahn und die beiden Kiefer
mit einer speziellen Kamera zu scannen und diese Scans dann für den
weiteren Herstellungsvorgang an ein zahntechnisches Laboratorium zu
senden. Dort werden aus den Scans Modelle gedruckt, die für die weitere
Herstellung der Metallrestaurationen verwendet werden. Alternativ
können am Computer virtuelle Restaurationen entworfen werden.
Diese können dann als Kunststoff-Restaurationen gedruckt und an-
schließend in Metall überführt werden. Grundvoraussetzung für die An-
wendung digitaler Abformverfahren ist die exakte Erfassung aller Präpa-
rationsgrenzen. Das ist bei subgingival liegenden Präparationrändern
nicht immer möglich.
Nach der Abformung werden die präparierten Zähne mit einem
Kunststoffprovisorium auf Methacrylatbasis geschützt. Das Proviso-
rium kann u.a. mit einer primär über die unpräparierten Zähne gewon-
nenen Silikonabformung direkt hergestellt werden. Auch Tiefziehfo-
lien, die über das Studien-(Planungs-)Modell gezogen wurden, können
dazu dienen. Es kann jedoch auch indirekt nach Abformung im Labor
hergestellt werden. Dieses Verfahren wird selten praktiziert, da es auf-
wendig und teuer ist.

Die provisorische Versorgung sollte randdicht sein, den Zahn vor


Kippung und Extrusion schützen und die Kaufunktion bis zur Ein-
gliederung garantieren. Sie sollte zudem glatt poliert sein und darf
die Gingiva nicht reizen, muss haltbar sein und genügend Reten-
tion besitzen. In bestimmten Bereichen der Mundhöhle (z.B. Ober-
kieferprämolaren) sollte sie zudem ästhetisch unauffällig sein.

Das Material wird bei der konventionellen individuellen, direkten Her-


stellung angerührt und mit der oben angesprochenen Primärabformung
in den Mund eingesetzt. Wenn es gummiartig wird, muss es aus der
Mundhöhle herausgenommen werden und nach grober Trimmung mit
einer Schere zurück auf den präparierten Stumpf gesetzt werden, da es
schrumpft. Nach der endgültigen Aushärtung wird es mit einer Fräse ge-
trimmt, poliert, angepasst und mit einem provisorischen Zement einge-
setzt. Alternativ kann ein Provisorium im Rahmen des digitalen Work-
flows auch gedruckt oder aus einem Kuststoffblock gefräst werden.
Die Einlagerestauration wird im Labor nach kaufunktionellen Ge-
sichtspunkten aufgewachst und anschließend gegossen. Um bei der spä-

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7.2 Einlagefüllungen aus metallischen Werkstoffen Kapitel 7 323

teren Anprobe die Gussfüllungsränder nicht zu verletzen, werden Ab-


zugshilfen mit anmodelliert. Für die Anprobe sind die Kauflächen mat- 1
tiert, um die Okklusions- und Artikulationskontakte besser überprüfen
zu können. 2

7.2.3 Anprobe und Einzementieren


3
Die Gussrestauration wird im Labor ausgebettet und gesäubert. Die Po- Politur 4
litur erfolgt mit adäquaten Schleif- und Polierinstrumenten (z.B. Alumi-
niumoxidsteinchen, Sandpapierscheiben, Gummipolierern). Eine Poli- 5
tur der Metalloberfläche ist erforderlich, da sie nach dem Ausbetten
rau ist und damit Plaqueanlagerung und nachfolgend Sekundärkaries
begünstigen würde. Gussperlen an der Innenseite werden mit einem
6
kleinen Rosenbohrer bzw. kugelförmigen Diamanten entfernt. Das
Gussstück muss auf dem Arbeitsstumpf randdicht passen. Die Approxi- 7
malkontakte werden auf dem ungesägten Modell überprüft. Artikula-
tion und Okklusion werden im Artikulator eingeschliffen. 8
Vor der Anprobe am Patienten sollten die Kauflächen und Approxi- Anprobe
malflächen noch nicht hochglanzpoliert werden. Die statische und dy- 9
namische Okklusion sowie die Approximalkontakte lassen sich dann
beim Patienten besser kontrollieren. Alle anderen Bereiche, speziell die
Übergänge zum Zahn, sollten hochglanzpoliert sein.
10
Die Anprobe beim Patienten erfolgt, wenn möglich, ohne Anästhe- 11
sie. Nur so ist ein ausreichender Tastsinn beim Aufbeißen gewähr-
leistet. 12
Nach Entfernen des Provisoriums und Reinigung der Kavität wird das 13
Gussobjekt beim Patienten anprobiert. Zuerst werden störende Appro-
ximalkontakte entfernt. Beim Test mit Zahnseide bzw. einem Metall-
matrizenband (z.B. Tofflemire) muss ähnlicher Widerstand zu spüren
14
sein wie bei den natürlichen Approximalkontakten. Anschließend kann
mit einem dünn fließenden Silikon die Innenpassung kontrolliert wer- 15
den. Klemmstellen drücken sich durch und sind nach Abnehmen des
Gussobjektes als glänzende Metallstellen sichtbar, die entfernt werden 16
müssen. Ist die Innenfläche von einem gleichmäßig dünnen Silikonfilm
bedeckt, der an den Rändern „abgeschnitten“ erscheint, und lässt sich
klinisch kein Randspalt oder Metallüberhang mehr erkennen (visuell
17
und taktil mit der Sonde), so werden die statische und dynamische Ok-
klusion mit Okklusionsfolie überprüft. 18
Bei der Anprobe sollte der Patient, wenn möglich, sitzen, um ein Ver-
schlucken oder Aspirieren des Gussobjekts zu vermeiden und die Okklu- 19
sionskontrolle regelrecht durchführen zu können. Bei Oberkiefermola-
ren ist diese Forderung jedoch unrealistisch. Aus Sicherheitsgründen 20
sollte hier eine Mullgaze locker auf den Zungengrund appliziert werden.

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324 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Eingliederung Nach erfolgter Anprobe werden die Abzugsknöpfchen entfernt.


Nach Hochglanzpolitur erfolgt die Eingliederung des Gussobjektes. Bei
aufwendiger Sanierung mit Metallkronen empfiehlt sich ein Probetra-
gen über mehrere Wochen. Auf den mattierten Kauflächen sieht man
dann glatte Schliff-Facetten im Bereich okklusaler Indifferenzen. Diese
lassen sich vor dem Eingliedern beseitigen. Wurden Okklusionskorrek-
turen mit Metallkronen durchgeführt, empfiehlt sich eine Remontage
(siehe Lehrbücher der Gnathologie).
Befestigungs- Die Gussrestaurationen werden mit einem Zement in der Kavität be-
materialien festigt. Zinkoxid-Phosphat-Zement, Carboxylatzement und Glasiono-
merzement sind die bevorzugten Befestigungsmaterialien.
 Zinkoxid-Phosphat-Zement hat sich über Jahrzehnte zur Befesti-
gung von Einlagerestaurationen bewährt. Er ist druckfest, ermög-
licht einen geringen Zementierungsspalt (geringe Filmdicke), kann
jedoch aufgrund seines niedrigen pH-Wertes (3,5) Pulpairritatio-
nen mit anschließenden lang andauernden Kälteempfindlichkeiten
(Hyperämie, reversible Pulpitis) erzeugen. Durch eine Vorbehand-
lung der pulpanahen Wände (wenn z.B. keine Unterfüllung gelegt
wurde) mit einem Adhäsivsystem kann die pulpairritierende Wir-
kung reduziert werden.
 Carboxylatzement haftet schlecht an Edelmetalllegierungen, ist je-
doch pulpafreundlicher. Wegen der geringen Druckfestigkeit wird er
seltener verwendet.
 Glasionomerzemente weisen insgesamt gute Eigenschaften auf.
Aufgrund ihrer großen Endhärte sind sie jedoch nach dem Zemen-
tieren schwierig zu entfernen. Da sie Fluoridionen abgeben, können
sie eine kariostatische Wirksamkeit im Randbereich der eingesetzten
Restauration entfalten.

Da Zinkoxid-Phosphat-Zement als Standardmaterial zum Einzementieren


von Metalleinlagerestaurationen gilt, wird daher an dieser Stelle nur auf
das Einsetzen von Gussrestaurationen mit diesem Zement eingegangen.

Relative (Watterollen) oder absolute Trockenlegung (Kofferdam)


sind Grundvoraussetzung für das Zementieren von Einlagerestaura-
tionen.

Befestigung Die Kavität wird vor dem Einsetzen mit Chlorhexidindiglukonat gerei-
nigt, getrocknet und, wenn notwendig, mit einem Dentinhaftvermittler
vorbehandelt. Der Zinkoxid-Phosphat-Zement wird anschließend nach
Herstellerangaben bis zu einer sahnigen Konsistenz angerührt. Übli-
cherweise wird erst eine kleine Portion Zementpulver mit der Säure ver-
rührt und eine Minute gewartet, bis die Säure neutralisiert ist („sla-
cken“). Dann wird das Zement bis zur gewünschten Konsistenz ange-
rührt. Mit einem Pinsel werden die Innenseite der Gussrestauration und
die Kavität gleichmäßig dünn mit Zement beschickt. Das Gussobjekt

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 325

wird anschließend unter Druck langsam in die Kavität eingebracht. Der


Patient beißt zum Schluss mit kontinuierlich ansteigendem Druck auf 1
ein Holzstäbchen, das bis zum endgültigen Aushärten des Zements un-
ter Kaudruck belassen werden kann. 2
Nach Aushärten des Zements erfolgt die sorgfältige Entfernung aller
Zementreste mit Scalern und im Approximalbereich mit Zahnseide.
3
Vielfach werden heute auch Einlagerestaurationen aus Metall mit Kom- 4
positzementen adhäsiv befestigt. Dazu müssen die Innenflächen der
Restauration entweder mit Aluminiumoxidpulver abgestrahlt und dann 5
mit Alkohol gereinigt oder mit einem speziellen Primer (Alloy-Primer)
vorbehandelt werden.
Anschließend werden sie nach entsprechender Konditionierung der
6
Kavität mit einem autopolymerisierenden Kompositzement eingeglie-
dert. Häufig wird dabei ein Adhäsivsystem verwendet, dass die Polyme- 7
risation des Kompositzements erst in Gang setzt. Daher sollte man nach
dem Einbringen des entsprechenden Adhäsivs die Unterseite der Res- 8
tauration mit Kompositzement beschicken und nicht die Kavität mit
dem Material füllen, um zu verhindern, dass es während der Insertion 9
des Werkstückes aushärtet.
Nach einer letzten Okklusionskontrolle kann der Patient entlassen
werden.
10
Gegossene Einlagerestaurationen weisen bei richtiger Indikation Lebensdauer
und Anfertigung i.d.R. eine lange Lebensdauer auf. In Langzeitstudien 11
werden durchschnittliche Erfolgsquoten von 10 bis 15 Jahren beobach-
tet. Eine längere Lebensdauer ist im Einzelfall keine Seltenheit. 12
13
7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen
Einlagerestaurationen
14
7.3.1 Indikationen und Kontraindikationen für zahnfarbene
Einlagefüllungen 15
Aus toxikologischen, ökologischen und ästhetischen Bedenken lehnen 16
zahlreiche Patienten Amalgamfüllungen und gegossene Metall-Einlage-
restaurationen ab. Der Wunsch nach ästhetisch anspruchsvollen Sei-
tenzahnrestaurationen aus Komposit oder Keramik steht dabei im Vor-
17
dergrund.
Keramik- und Komposit-Einlagerestaurationen sind in erster Linie für Indikationen 18
die Restauration mittelgroßer und großer Klasse-II-Kavitäten geeignet.
Voraussetzung für den Einsatz zahnfarbener Einlagerestaurationen Voraussetzungen 19
ist die gute Zugänglichkeit der approximal-zervikalen Stufe. Damit
werden die notwendigen Bedingungen für die Abformung, die adhäsive 20
Befestigung (Feuchtigkeitskontrolle) und die Kavitätenreinigung vor der

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326 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

adhäsiven Befestigung garantiert. Der adhäsive Verbund zwischen dem


Kompositzement, der zum Eingliedern verwendet wird, und der Zahn-
hartsubstanz ist nur zu gewährleisten, wenn die Kavität während des
Eingliederns absolut trocken gehalten werden kann (Kofferdam).

Große Klasse-II-Kavitäten mit geringer Dicke der Kavitätenwände


(< 2 mm) sollten mit einer kauflächendeckenden Restauration ver-
sorgt werden.

Kontra- Kontraindikationen für zahnfarbene Seitenzahnfüllungen sind ungenü-


indikationen gende Restzahnhartsubstanz, stark verfärbte Restzahnhartsubstanz, zu
kurze Zähne und zu kleine Defekte, bei denen bevorzugt plastische Fül-
lungsmaterialien verwendet werden sollten. Komposit- und Keramikin-
lays sollten nicht bei Zähnen Verwendung finden, an denen eine Klam-
merprothese befestigt wird.
Grundlage für den Einsatz zahnfarbener Einlagerestaurationen ist
die Beherrschung der Adhäsivtechnik und der Kofferdamapplikation.
Die Grundregeln für die Kavitätenpräparation unterscheiden sich bei
Einlagerestaurationen aus Komposit und Keramik nur unwesentlich; sie
werden daher gemeinsam beschrieben.

7.3.2 Präparationstechnik

Aufbaufüllung Wie bei allen anderen Restaurationsmaterialien wird primär durch Prä-
paration mit diamantierten Schleifern die Karies dargestellt. Nach Exka-
vation der kariösen Zahnhartsubstanz wird zunächst die Zahnfarbe be-
stimmt und dann häufig eine adhäsiv verankerte Aufbaufüllung (Kom-
posit) gelegt. Dabei wird der gesamte Defekt unter Zuhilfenahme einer
Matrize vollständig mit einem Komposit-Material aufgefüllt. Damit
kann das Dentin bis zum Einsetzen der Restauration geschützt und die
Stärke der Keramik so gestaltet werden, dass die Lichtstärke für die Poly-
merisation des Kompositzements beim Eingliedern der Restauration
ausreicht. Muss keine Aufbaufüllung gelegt werden, so sollten unter
sich gehende Bereiche mit einem Flowable-Nano-Hybrid oder einem
niedrig viskösen Bulk-Fill-Komposit ausgeblockt werden.
Anschließend erfolgt nach Aushärten die eigentliche Präparation
mit konischen Diamantschleifern, die an der Stirnfläche abgerundet
sind. Dabei ist wichtig, dass die Präparationsgrenzen vor der Abformung
finiert werden. Manchmal ist es ausreichend, das Dentin mit einem Ad-
häsivsystem zu versiegeln und dann die Schmelzanteile der Kavität zu
finieren. Bei mehrflächigen Kavitäten muss der Approximalkontakt
sowohl im Bereich der Extensionsflächen als auch an der approximal-
zervikalen Stufe zum Nachbarzahn aufgehoben werden.
Kavitätenränder Die Ränder der Kavität sollten, da die Einlagerestaurationen adhäsiv
befestigt werden, gut zugänglich sein. Endet die Kavität approximal in-

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 327

Abb. 7.7: Die Kavität für


1,5 mm
Komposit- und Keramik-
Einlagefüllungen muss min- 1
destens 2 mm breit und
1,5 mm tief sein. Die Kavitä-
tenränder werden nicht ab- 2
geschrägt. Die Kavitäten-
wände divergieren leicht 1,5 mm
nach okklusal (6–10°). Die 3
Extensionsflächen laufen in
einem Winkel von 90° auf
die Außenfläche des Zahnes Komposit 4
zu.

trakrevikulär, kann man mit Komposit die approximal-zervikale Stufe


6
anheben (s. Kap. 6.1.8). Die okklusale Kavität sollte eine Tiefe und Breite
von mindestens 1,5– 2,0 mm aufweisen. Die Kavitätenwände divergie- 7
ren leicht nach okklusal (6°–10°). Die approximalen Kästen und alle in-
ternen Winkel sind leicht abgerundet. Die okklusalen Kavitätenränder 8
sollen nicht im Bereich der statischen Okklusion liegen. Daher ist es
sinnvoll, vor der Präparation die Okklusion mit entsprechenden Okklu- 9
sionsfolien zu kennzeichnen.
Die Kavitätenränder dürfen nicht abgeschrägt werden, da die Res-
taurationen sonst mit dünn auslaufenden Rändern hergestellt werden
10
müssten, die sehr bruchgefährdet wären. Die Kavitätenränder müssen
für Mundhygienemaßnahmen gut zugänglich sein. Genau wie bei ande- 11
ren Restaurationen werden nach erfolgter Präparation alle Kavitätende-
tails mit einem Diamantfinierer gleicher Konfiguration finiert. 12
Komposit- oder Keramikinlays benötigen in der Tiefe eine Mindest- 13
stärke von 1,5 mm, da sie sonst frakturieren. Für die Isthmusbreite
wird eine Mindestausdehnung von 2 mm empfohlen. Spitze Win-
kel im Bereich der Extensionsflächen sind bei der Präparation zu
14
vermeiden (s. Abb. 7.7).
15
Im Bereich des approximalen Kastens muss die gingivale Stufe eine Min- Approximaler
destdicke von 1 mm aufweisen. Mit keramischen Einlagerestaurationen Kasten 16
kann auch ein Höckerersatz vorgenommen werden (Teilkrone). So soll-
ten bei einer Präparation die verbliebenen Kavitätenwände eingekürzt
werden, wenn sie nur noch 2 mm stark sind. Nach der Präparation muss
17
auch im Bereich der abgetragenen Höcker einer Keramikschichtstärke
von mindestens 1,5 mm Rechnung getragen werden (vgl. Abb. 7.8b). 18
Grundsätzlich wird auch bei einer Teilkronenpräparation eine abgerun-
dete Präparationsform im Bereich der bukkalen oder lingualen Stufe 19
empfohlen (vgl. Abb. 7.8a). Dazu kann ein knospenförmiger Diamant-
schleifer verwendet werden. Die Präparation eines einfachen horizonta- 20
len Plateaus führt häufig zu ästhetischen Problemen, weil sich die Farbe

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328 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

1,5 mm

2 mm

a b

Abb. 7.8: Bei einer Keramikteilkrone werden die Übergänge zum Zahn abgerundet
(a) oder in Form einer Hohlkehle (b) präpariert. Dabei muss anschließend die Kera-
mikdicke gleichmäßig mindestens 1,5 mm betragen. Die verbliebenen bukkalen
oder lingualen Kavitätenwände sollten eine Mindestdicke von 2 mm aufweisen (b).

der Keramik abrupt von der Farbe der Restzahnhartsubstanz absetzt. Es


ist daher besser, eine abgerundete Außenkante oder eine ausgeprägte
Hohlkehle zu präparieren (vgl. Abb. 7.8).
Die Präparationsmöglichkeiten sind vielfältig, da mit Keramikeinla-
gerestaurationen auch Höcker- und Zahnteile ersetzt werden können
(s. Abb. 7.1). Es ist sogar möglich, abradierte Kau- und Führungsflächen
nahezu ohne Präparation durch Aufkleben neu zu gestalten (table tops
bzw. okklusale Veneers).
Für Veneers im Frontzahnbereich sollte eine Mindeststärke von 0,6–
1,0 mm angestrebt und eine Hohlkehle im zervikalen Bereich präpariert
werden. Mit neuen Keramiken (Siliziumdisilikat-Keramiken) ist es heute
möglich, zierliche Restaurationen anzufertigen, die auch im zervikalen
Bereich dünn auslaufen können, wenn sie anschließend rein im Schmelz
adhäsiv befestigt werden. Ihre Frakturanfälligkeit ist nach Herstelleran-
gaben nicht mehr so hoch. Zum klinischen Langzeitverhalten unter-
schiedlicher Keramiken sei hier auf die Leitlinie: Vollkeramische Kronen
und Brücken, AWMF-Registernummer: 083-012 (2021) verwiesen.
Eine besondere Form der Keramikrestauration ist die Endokrone, die
nach Wurzelkanalbehandlung im ehemaligen Pulpakavum mit veran-
kert wird.
Nach der Präparation erfolgt eine Farbbestimmung mit speziellen
Farbringen.

7.3.3 Komposit-Einlagefüllungen

Komposit-Einlagerestaurationen werden i.d.R. aus hoch gefüllten Fein-


partikelhybridkompositen hergestellt. Die Herstellung erfolgt entwe-
der direkt im Mund des Patienten oder nach vorheriger Abformung und
Modellherstellung indirekt im zahntechnischen Labor.

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 329

Bei der direkten Herstellung wird nach der Präparation die Kavität Direkte
mit einem speziellen Mittel isoliert. Anschließend wird mit einem licht- Herstellung 1
härtenden Komposit eine Füllung in Schichttechnik „modelliert“.
Bei mehrflächigen Kavitäten wird vorher eine Matrize gelegt und gut 2
verkeilt. Die statische und dynamische Okklusion kann direkt am Pa-
tienten eingeschliffen werden. Das fertige Inlay wird aus der Kavität
entfernt, poliert und anschließend mit Licht oder Hitze bzw. einer Kom-
3
bination aus beidem nachvergütet. Dabei wird eine zusätzliche Konver-
sion von Monomerbestandteilen in eine Polymerstruktur erreicht. Die 4
Anzahl freier Bindungsstellen nimmt dabei ab. Nachvergütete Einlage-
restaurationen aus Komposit weisen eine maximale Polymerisation, 5
keine Polymerisationsschrumpfung, verbesserte physikalische Eigen-
schaften (Elastizitätsmodul, Biegefestigkeit, Härte) und verringerte Was-
seraufnahme auf. Gleichzeitig werden bei der Nachvergütung Material-
6
spannungen abgebaut.
Bei größeren Restaurationen ist die indirekte Technik rationeller. Indirekte 7
Im Artikulator lassen sich die statische und dynamische Okklusion op- Herstellung
timal gestalten. Die Approximalkontakte werden auf einem ungesägten 8
Approximalkontaktmodell überprüft. Bei dem ersten auf dem Markt er-
hältlichen System (SR-Isosit) wurde das Inlay unter Druck- und Hitze- 9
einwirkung polymerisiert. Heute werden auch im zahntechnischen La-
bor meistens lichthärtende Feinpartikelhybridkomposite zur Herstel-
lung von Komposit-Einlagerestaurationen verwendet und anschließend
10
nachvergütet (z.B. lang andauernde Lichteinwirkung in einer Lichtbox).
Im Einzelfall entscheidet das Praxiskonzept über den Herstellungsweg. 11
Während bei der direkten Methode das Inlay in einer langen Sitzung
hergestellt wird, muss der Patient bei der indirekten Methode zwei Be- 12
handlungstermine wahrnehmen.
Eine Zwischenstellung nehmen Systeme ein, bei denen zwar eine 13
Abformung der Kavität erfolgt, die Herstellung jedoch „chair-side“ in
der Zahnarztpraxis an einem Modell aus Silikon mit großer Endhärte er-
folgt. Diese „semidirekte“ Technik hat sich jedoch nicht durchgesetzt.
14
Rein heiß polymerisierte Komposite zeigen eine Konversionsrate Werkstoffe
von 90%. Das bedeutet jedoch auch, dass nur wenige Doppelbindungen 15
verbleiben, an die anschließend das Befestigungskomposit anbinden
kann. Schon nach wenigen Monaten lassen sich bei diesen Systemen im 16
Bereich der Kompositfuge Defekte erkennen.
Rein lichtgehärtete Kompositinlays weisen eine geringere Konversi-
onsrate mit einem Restdoppelbindungsgehalt von 25 bis 40% auf. Hier
17
ist die Anbindung an das Befestigungskomposit besser.
Obwohl die Komposit-Einlagerestaurationen adhäsiv befestigt wer- 18
den, soll auch hier eine gute primäre Passgenauigkeit angestrebt wer-
den, da die Kompositfuge weniger abrasionsstabil ist als das Komposi- 19
tinlay bzw. der Zahnschmelz. Randimperfektionen, Randverfärbungen
und Plaqueanlagerungen können die Folge sein. Sowohl bei direkt als 20
auch bei indirekt hergestellten Kompositinlays zeigt sich eine große Va-

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330 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

riationsbreite in der Passgenauigkeit (Zementspaltbreite zwischen 20


und 120 μm).
Vergütete Feinpartikelhybridkomposit-Einlagerestaurationen wei-
sen bei richtiger Indikation primär eine gute Abrasionsstabilität auf. Es
zeigte sich jedoch, dass mit zunehmender Tragedauer ein rascherer Sub-
stanzverlust zu beobachten ist als bei Amalgamfüllungen. Gleichzeitig
kommt es aufgrund des hohen thermischen Expansionskoeffizienten
von Komposit im Vergleich zu Zahnschmelz in relativ kurzer Zeit zu
Qualitätsverschlechterungen im Randbereich (Kompositfuge).
Für mit CAD/CAM-Verfahren hergestellte Teilkronen und okklusalen
Veneers („table tops“ bzw. „okklusale Tableaus“) gibt es industriell gefer-
tigte Blöcke aus unterschiedlichen kunststoffhaltigen Materialien. Dazu
zählen sogenannte Hybridkeramiken oder Hochleistungskomposite, die
z.B. einen hohen Anteil von Zirkonoxid-Füllkörpern (ca. 73 Vol.-%) oder
Nanofüllstoffen aus SiO2 und Bariumglas (ca. 65 Vol.-%) aufweisen. Die
Abrasionswerte sollen ähnlich sein wie die von Zahnschmelz. Die Fabri-
kation der CAD/CAM-Hochleistungskomposit-Blöcke findet unter idea-
len Bedingungen bei sehr hohem Druck statt, sodass eine hohe Konver-
sionsrate und Verdichtung der Matrix resultieren. Auch die Schrump-
fung der Werkstücke spielt keine Rolle mehr. Unter diesen Bedingungen
kann vermutet werden, dass CAD/CAM-Komposite qualitativ den plasti-
schen Kompositen überlegen sind. Es muss aber festgehalten werden,
dass die Eigenschaften dieser neuen Materialklasse noch nicht durch kli-
nische Studien hinreichend abgesichert sind.

7.3.4 Keramik-Einlagefüllungen

Die Indikation für Keramik-Einlagerestaurationen entspricht im Prinzip


der für Komposit-Einlagerestaurationen.

Die gebräuchlichen Keramiken und Glaskeramiken sind bezüglich


ihrer Härte, des Elastizitätsmoduls und des thermischen Expansi-
onskoeffizienten dem Zahnschmelz ähnlicher als Komposite.

Die Plaqueanlagerung ist im Vergleich zur natürlichen Zahnoberfläche


verringert und die ästhetischen Belange können mit Keramik-Einlage-
restaurationen besser berücksichtigt werden als mit Komposit-Einlage-
restaurationen.
Bei den in der Zahnerhaltung üblicherweise verwendeten Kerami-
ken lassen sich Sinterkeramik, gegossene und gepresste Glaskeramik un-
terscheiden.
Sinterkeramiken Die üblichen Sinterkeramiken bestehen aus Quarz, Feldspat und
Kaolin. Durch das Mischungsverhältnis und die Sintertemperatur (660–
980 °C) wird die Art des Endprodukts bestimmt (s. Lehrbücher der Werk-
stoffkunde). Beim Sintern bildet sich eine Glasmatrix, in die verschie-

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 331

dene Kristalle eingebettet sind. Wird der Kristallanteil durch Beimi-


schung von z.B. Aluminiumoxid erhöht, entstehen mechanisch opti- 1
mierte Dentalkeramiken mit verringerter Tendenz zur Rissbildung.
Bei konventionellem Herstellungsverfahren wird nach Abformung der Herstellung 2
präparierten Kavität im Labor ein Meistermodell und ein Dupliermodell
aus feuerfesten Stümpfen hergestellt. Die feuerfesten Stümpfe müssen eine
hohe Kantenfestigkeit besitzen. Die thermische Expansion der Stumpf-
3
massen muss auf die entsprechende Keramikmasse abgestimmt sein, um
die Spannungsbildung in der Keramik beim Brennen zu verringern. 4
Das Modell mit den feuerfesten Stümpfen kann in einem Artikula-
tor fixiert werden, sodass funktionelle Gesichtspunkte beim Aufbren- 5
nen berücksichtigt werden können. Die Keramik wird schichtweise auf-
getragen und gebrannt, um die Sinterschrumpfung zu minimieren.
Nach Fertigstellung wird die Stumpfmasse abgestrahlt und die Einlage-
6
restauration auf dem Meistermodell angepasst.
Laborgefertigte, gesinterte Keramikrestaurationen weisen eine gute 7
primäre Passung (Kompositfuge: 45–70 μm) auf. Es lässt sich eine indivi-
duell adaptierte Kaufläche bei guter bis sehr guter Farbgebung erreichen. 8
Hydroxylapatit- und Glaskeramik werden im Gussverfahren (1350 °C) Hydroxylapatit-
hergestellt. Im Labor aufgewachste Inlays werden in einem Schleuderguss und Glaskeramik 9
dabei in Glas überführt. Der durchsichtige, amorphe Glaskörper wird an-
schließend durch eine Wärmebehandlung (über 1000 °C, 6 h) in einen
halbkristallinen Zustand überführt (keramisiert). Spezielle Verunreinigun-
10
gen in Glas (z.B. Magnesiumfluorid) wirken dabei als Kristallisationskeime.
Bei der Glaskeramik liegen schließlich 55 Vol.-% in kristalliner Form 11
vor. Durch die Kristallstruktur werden Mikrorisse beim Belasten aufge-
fangen und pflanzen sich nicht in das Innere des Inlays fort. Die Frak- 12
turanfälligkeit nimmt somit ab.
Gegossene Glaskeramik sieht weißlich opak aus, kann jedoch durch 13
Keramikmalfarben individuell umgestaltet werden.
Das Abrasionsverhalten entspricht dem von Zahnschmelz.
Beim IPS-Empress-Verfahren wird eine vom Hersteller vorgefertigte IPS-Empress-
14
leucitverstärkte Glaskeramik (IPS Empress Estethic) verwendet. Auch Verfahren
hier erfolgt nach Wachsmodellation eine Überführung in Keramik. Da- 15
bei werden die vorgefertigten Rohlinge bei 1050–1180 °C und einem
Druck von 5 bar in eine Hohlform gepresst. 16
Anschließend können Farbgebung und Glasur erfolgen. Auch diese
Inlays zeichnen sich durch ein schmelzähnliches Abrasionsverhalten
und gute werkstoffkundliche Parameter aus. Die primäre Passgenauigkeit
17
liegt im Bereich von gegossenen Metallrestaurationen. Die Weiterent-
wicklung des Verfahrens führte zu Lithium-Disilikat-Keramiken mit ei- 18
ner hohen Kristalldichte, mit denen auch dünne Veneers (Dicke
< 0,3 mm) und kleinere Inlays (Dicke: 1 mm) hergestellt werden können. 19
Neben diesen konventionellen, formgebenden Verfahren gibt es
Herstellungsverfahren, bei denen nach optischer Abformung (Herstel- 20
lung eines Scans) die Restauration aus einem bereits vorgefertigten Kera-

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332 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

mikrohling durch Abtrag hergestellt wird. Dabei kann die Herstellung


entweder direkt in der Zahnarztpraxis (chairside) oder nach Übermitt-
lung des Scans im zahntechnischen Labor erfolgen.
CEREC-Verfahren So wird beim CEREC-Verfahren (CAD-CAM-Verfahren) in semidi-
rekter Technik ein Inlay/eine Teilkrone hergestellt. Die präparierten Ka-
vitäten werden mit einer speziellen Videokamera optisch „abgeformt“.
Bei der aktuellen Entwicklungsstufe des CEREC-Verfahrens ist eine Auf-
nahme der Zahnoberflächen ohne Vorbehandlung möglich. Hierbei
werden auch die Farbinformationen von Zahn und Gingiva erfasst und
dargestellt. Bei vorhergehenden Systemen war vor der optischen Abfor-
mung eine Mattierung mit weißem Puder erforderlich.
Durch Aufnahme und Transformation der Profildaten nach dem Prin-
zip der aktiven Triangulation (Verzerrung eines auf den Zahn projizierten
Streifenmusters) entsteht ein dreidimensionales virtuelles Modell der Prä-
paration und der Nachbarzähne auf einem Computermonitor. Zudem
können der Gegenkiefer und die habituelle Schlussbissstellung des Patien-
ten mit aufgenommen werden. Die Software des CEREC-Verfahrens
schlägt dann Grenz- und Rahmenrichtlinien (Präparationsgrenze, Äqua-
tor, Randleiste, Fissur) vor. Diese Konstruktionselemente können anschlie-
ßend individuell verändert werden. Mit dem CEREC-Verfahren ist es zu-
dem möglich, eine virtuelle Kaufläche zu gestalten, die statische und dyna-
mische Okklusion mit berücksichtigt. Das entsprechende Inlay wird dann
automatisch von einem Computer berechnet und anschließend werden
die Konstruktionsdaten an eine mikroprozessorgesteuerte Schleifmaschine
weitergeleitet. Aus Vollkeramikblöcken (Feldspatkeramik, leuzitverstärkte
oder Lithium-Disilikat-Keramik) wird dann anschließend die am Monitor
konstruierte Restauration in einer Schleifeinheit herausgearbeitet.
Neue Materialentwicklungen erlauben auch die Herstellung von Ein-
lagefüllungen aus Kompositmaterialien. Die okklusale Feinjustierung er-
folgt erst nach dem Einsetzen durch den Zahnarzt mit Diamantschlei-
fern. Mit dem CEREC-Gerät lassen sich heute hochwertige keramische
Restaurationen erstellen, die über eine lange Lebensdauer verfügen.
Die Verwendung des CEREC-Systems ermöglicht die Herstellung
von Einlagefüllungen in einer Sitzung, sodass keine provisorische Ver-
sorgung der Kavität notwendig ist.
Es gibt weitere CAD/CAM-Systeme zur Herstellung von Keramikres-
taurationen, auf die aber hier nicht näher eingegangen werden soll.

7.3.5 Provisorische Versorgung der Kavität

Wie bei gegossenen Metallrestaurationen muss auch bei zahnfarbenen


Einlagerestaurationen eine mundbeständige, provisorische Versorgung
der Kavität erfolgen. Man kann vorher über den unpräparierten Zahn
eine Vorabformung mit Silikon herstellen (alternativ Tiefziehschiene
von einem Planungsmodell).

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 333

Aus selbsthärtendem Acrylharz (z.B. Protemp) kann dann ein provi-


sorisches Inlay hergestellt werden, indem die Abformung im Bereich des 1
präparierten Zahnes mit der angerührten, noch weichen Masse gefüllt
und in den Mund zurückgesetzt wird. Wenn das Material eine gummi- 2
elastische Konsistenz erreicht, wird es entfernt, mit einer Schere ge-
trimmt und anschließend in die Kavität zurückgesetzt.
Eine Nachhärtung im heißen Wasserbad verbessert die werkstoff-
3
kundlichen Eigenschaften. Anhand des Provisoriums kann auch ermit-
telt werden, ob eine genügende Kavitätentiefe und -breite präpariert 4
wurde. Das Provisorium wird mit einem eugenolfreien Zement oder ei-
nem selbsthärtenden Kalziumhydroxidpräparat in der Kavität befestigt. 5
Eugenolhaltige Zemente sollten nicht verwendet werden, da später
beim Einsetzen der zahnfarbenen Einlagerestauration die Polymeri-
6
sation des lichthärtenden Befestigungskomposits durch verbliebene
Eugenolreste behindert würde. 7
Es werden auch weich bleibende, lichthärtende Kunststoffe angeboten, 8
die direkt in die Kavität eingebracht und ausgehärtet werden. Ein Ze-
mentieren ist dabei nicht nötig. Diese Materialien eignen sich allerdings 9
nicht für die Herstellung von Langzeitprovisorien, da sie rasch bakteriell
besiedelt werden und nicht über eine längere Tragezeit dicht sind. Alter-
nativ kann wie bei Metall-Einlagerestaurationen ein Provisorium im
10
Rahmen des digitalen Workflows gedruckt oder aus einem Kunststoff-
block gefräst werden. 11
12
7.3.6 Anprobe und Eingliederung
13
Die Anprobe zahnfarbener Einlagerestaurationen erfolgt nach Entfernen
des Provisoriums und Reinigung der Kavität. Dabei müssen alle Zemen-
treste vollständig entfernt werden. Für diesen Arbeitsschritt wird z.B. die
14
Anwendung eines Pulverstrahlgerätes (z.B. Rondoflex) empfohlen.
Zunächst wird die Überprüfung der Passgenauigkeit eines Kompo- Kontrollen 15
sit- bzw. Keramikinlays vorgenommen. Dabei lässt sich eine bessere
Farbkontrolle durchführen, da die Zähne nicht ausgetrocknet sind und 16
ihre Ursprungsfarbe besitzen. Die Einlagerestauration muss ohne Druck
vorsichtig in die Kavität eingebracht werden. Zur besseren Handhabung
kann okklusal eine Abnehmhilfe aus lichthärtendem Kunststoff aufge-
17
bracht sein. Es gibt jedoch auch spezielle plane Instrumente, an denen
eine doppelseitige Klebefolie angebracht ist, an die das Inlay angeklebt 18
werden kann (Accu-Placer). Aber auch mit Klebewachs oder plastischen
provisorischen Kunststoffen können Keramikrestaurationen an einem 19
Kugel- oder Planstopfer befestigt werden.
Neben der Passgenauigkeit (Silikonprobe) werden die Approximal- 20
kontakte überprüft. Falls notwendig, kann an der Innenfläche und an

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334 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

den Approximalflächen mit einem feinkörnigen Finierdiamanten (z.B.


Composhape) entsprechend eingeschliffen werden. Beschliffene Appro-
ximalflächen müssen anschließend mit einem speziellen Keramikpolie-
rer oder mit flexiblen Schleifscheiben (z.B. Sof-Lex-Polierscheiben) po-
liert werden, um einer Plaqueanlagerung vorzubeugen.
Die Randdichtigkeit wird mit einer spitzen Sonde kontrolliert. Da-
bei muss die Kontur zwischen Inlay und Zahn übergangslos sein.
Eine Okklusionskontrolle darf zu diesem Zeitpunkt nicht durchge-
führt werden, da bei zu starken Okklusionskontakten oder Vorkontak-
ten die zahnfarbene Einlagerestauration frakturieren kann.
Anschließend wird Kofferdam gelegt und werden die zu versorgen-
den Zähne mit einer möglichst fluoridfreien Polierpaste gereinigt und
erneut gesäubert.

Absolute Trockenlegung mit Kofferdam ist beim adhäsivem Einset-


zen zahnfarbener Einlagerestaurationen empfehlenswert.

Auch wenn es kleine Unterschiede beim Einkleben der Komposit- und


Keramik-Einlagerestaurationen gibt, ist die Technik prinzipiell ähnlich
und wird hier vereinfacht gemeinsam dargestellt.
Sowohl Keramik- als auch Komposit-Einlagerestaurationen werden
an der Innenseite vorbehandelt, um eine bessere Verbundfestigkeit zum
Befestigungskomposit zu erzielen. Komposit-Einlagerestaurationen wer-
den dazu sandgestrahlt bzw. mit einem Diamantfinierer aufgeraut.
Ätzvorgang Keramik-Einlagerestaurationen werden mit einer speziellen Säure
angeätzt und anschließend silanisiert. Diese Arbeitsschritte dürfen erst
nach der Anprobe erfolgen. Sie sollten vom Zahnarzt selbst durchge-
führt werden und nicht vom Zahntechniker, um dem Patienten eine
weitere Sitzung zu ersparen. Als Ätzmittel wird i.d.R. Flusssäure (5%)
verwendet. Für die einzelnen Keramiken werden von den Herstellern
verschiedene Ätzzeiten angegeben. Für Leuzit-Glaskeramik (IPS Empress
Esthetic) wird 1 min Ätzzeit, für Lithium-Disilikat-Glaskeramik 20 Se-
kunden Ätzzeit empfohlen. Bei Sinterkeramiken wird eine Zeit von
2 min bei Ätzung mit Flusssäure angegeben.
Eine Benetzung der äußeren Keramikoberfläche beim Ätzen ist zu
vermeiden. Nach Absprühen des Ätzmittels (mindestens 1 min) wird
das Inlay gründlich getrocknet. Dabei kann die Benetzung mit 96%igem
Alkohol hilfreich sein. Eine Kontamination anderer Keramikflächen
(z.B. Waschbecken) mit Ätzgel ist zu vermeiden. Die Ätzung kann mit
einem thixotropen Gel gezielter erfolgen als mit einer Flüssigkeit, da es
nach Auftragen nicht verläuft. Der Ätzvorgang sollte immer getrennt
von anderen Maßnahmen am Patienten erfolgen, da das Ätzgel hochgif-
tig ist. Das Tragen einer Schutzbrille ist ratsam.
Durch den Ätzvorgang entsteht ein retentives Ätzmuster an der
Unterseite der Keramik-Einlagerestauration bei gleichzeitig erhöhter Be-
netzbarkeit. Die Unterfläche darf anschließend nicht kontaminiert wer-

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 335

den. Da zwischen Keramik und Kompositkleber keine chemische Ver-


bindung entsteht, wird das angeätzte Keramikinlay mit einem „Haftsi- 1
lan“ beschickt. Auch hier gibt es zahlreiche Präparate, wobei den Ein-
Komponenten-Materialien wegen der einfachen Handhabung der Vor- 2
zug gegeben wird.
Silan geht sowohl mit dem Keramikinlay (hydrophiler Anteil) als Silanisierung
auch mit dem Kompositkleber (hydrophober Anteil) eine Bindung ein.
3
Die Silanflüssigkeit wird mit einem Einmalpinsel auf die Unterfläche
des Inlays aufgetragen, verblasen und anschließend über einen Zeit- 4
raum von 3–5 min am besten in einem Wärmeschrank getrocknet.
5
Eine Kontamination der nunmehr hoch reaktiven Oberfläche, z.B.
mit Speichel, ist unbedingt zu vermeiden. Flüssigkeitskontamina-
tion führt zu hydrolytischer Spaltung des Verbundes zwischen Silan
6
und Keramik.
7
Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass durch die Silanisierung der
Verbund zwischen Befestigungskomposit und Keramik-Einlagerestaura- 8
tion deutlich verbessert wird.
Auch Komposit-Einlagerestaurationen können vor dem Einsetzen 9
noch einmal mit Alkohol entfettet werden. Von einigen Herstellern
wird auch die Ätzung der aufgerauten Unterfläche mit Phosphorsäure
zur Verbesserung der Benetzbarkeit empfohlen.
10
Nach der Vorbereitung der Einlagerestauration wird der Zahnschmelz Konditionierung
(und, falls nicht vor der Abformung schon mit einem Adhäsiv geschützt, von Schmelz und 11
auch das Dentin) mit Phosphorsäure angeätzt (s. Kap. 6.1.4). Dabei wer- Dentin
den die Nachbarzähne mit einer verkeilten Matrize und eventuell mit ei- 12
nem Teflonband geschützt. Wurden vor der Präparation schon ein Adhä-
sivsystem und ein Komposit in die Kavität eingebracht (z.B. zum Anhe- 13
ben der approximal-zervikalen Stufe), muss die Kavität vor dem Einsetzen
der Keramikrestauration ausgestrahlt werden. Anschließend wird ein Ad-
häsivsystem appliziert. Das Adhäsivsystem richtet sich nach dem zur ad-
14
häsiven Befestigung gewählten Komposit. Wird ein Adhäsivsystem ver-
wendet, das nach Aushärten zu einer erhöhten Schichtstärke führen 15
würde, so sollte vor dem Einbringen des Kompositklebers diese Schicht
nicht ausgehärtet werden, da sonst die Einlagefüllung nicht passt. 16
Anschließend erfolgt die eigentliche Befestigung der Einlagerestau- Befestigung
ration in der Kavität. Sie kann mit unterschiedlichen Befestigungskom-
positen (Kompositklebern) erfolgen. Es gibt niedrig visköse und mittel
17
bzw. hoch visköse Mikrofüller- bzw. Feinpartikelhybridkomposite.
Wichtig ist, dass eine vollständige Aushärtung des Befestigungskompo- 18
sits gewährleistet ist.
Für die adhäsive Befestigung von Keramikrestaurationen werden Befestigungs- 19
dualhärtende (chemisch und lichthärtend) und rein lichthärtende komposite
Komposite angeboten (s. Tab. 7.1). Bei Keramikinlays, deren Schicht- 20
stärke 2–3 mm nicht überschreitet, können photopolymerisierende

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336 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Tab. 7.1: Beispiele unterschiedlicher Kompositzemente zum Einsetzen für


Keramikinlays
Adhäsiv Zement Produktbeispiel
Etch-and-rinse-Adhäsiv dualhärtend Syntac classic/Variolink
Selbstätzendes/ chemisch härtend Multilink Primer A + B/
selbstkonditionierendes Multilink Automix
Adhäsiv selbstadhäsiv, dualhärtend Rely x Unicem

Komposite verwendet werden; bei dunkler Zahnfarbe bzw. größeren


Schichtdicken empfiehlt es sich nach wie vor, Kompositkleber zu ver-
wenden, die nach Fixierung des Inlays durch Lichtpolymerisation eine
lichtunabhängige chemische Umsetzung der Monomerbestandteile
auch in tieferen Kavitätenabschnitten garantieren.
Auch bei dualhärtenden Befestigungszementen ist allerdings eine
ausreichende Lichtzufuhr erforderlich, um eine genügende Polymerisa-
tion zu erreichen. Die rein chemische Abbindereaktion bei den dualhär-
tenden Zementen ist häufig mit einer geringeren Konversionsrate ver-
bunden als die reine Lichtpolymerisation. Die chemische Aushärtung
kann zudem nur dann erfolgen, wenn durch die Lichtpolymerisation
nicht bereits eine zu hohe Vernetzung des Materials erzielt wurde.
Es gibt heute selbstadhäsive duale Befestigungssysteme, bei denen
die Zahnhartsubstanzen nicht konditioniert werden müssen. Sie wer-
den nach Reinigung der Kavität entweder auf die Unterseite der vorbe-
reiteten Keramikrestauration oder in die Kavität eingebracht und dann
anschließend mit Lichtpolymerisation gehärtet. Zusätzlich kommt es zu
einer chemischen Polymerisationsreaktion. Die Schmelzhaftung dieser
Materialien ist allerdings schlechter als nach Konditionierung mit Phos-
phorsäure. Ein Anätzen des Zahnschmelzes mit Phosphorsäure verbes-
sert die Haftung dieser Zemente am Schmelz. Zudem werden Randver-
färbungen beschrieben, die wahrscheinlich auf den Anteil hydrophiler
Monomere im Material zurückzuführen sind.
Feinpartikelhybridkomposite besitzen bessere physikalische Eigen-
schaften und sind daher zum Befestigen von Keramikrestaurationen
sehr gut geeignet. Bei einer sehr guten primären Passung führen je-
doch niedrig visköse Kompositkleber zu besseren Ergebnissen, da die
Schichtdicke und damit die Kompositfuge gering gehalten werden
kann. Auf die Anwendung von Matrizen beim Einsetzen kann bei rich-
tiger und rascher Arbeitsweise verzichtet werden.
Befestigungskomposite gibt es in verschiedenen Farben. Bei guter
primärer Passung spielt jedoch die Farbauswahl der Kompositkleber
eine untergeordnete Rolle. Interessant sind Befestigungskomposite, bei
denen es nach dem Aushärten zu einem Farbumschlag kommt.
Das jeweilige Komposit wird auf der Unterseite der Einlagefüllung
bzw. in die Kavität eingebracht. Es gibt adhäsive Befestigungssysteme,
bei denen das Adhäsiv die Polymerisation des Kompositzements nach

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 337

dem Kontakt beim Einsetzen initiiert. Bei Anwendung dieser Systeme


sollte der Kompositzement immer auf die Unterseite der Restauration 1
und nicht in die Kavität appliziert werden, um ein vorzeitiges Aushärten
während der Einsetzphase zu vermeiden. Die Einlagerestauration wird 2
mit vorsichtigem Druck in Position gebracht und mit einem Kugelstop-
fer festgehalten. Während des Eingliederns sollte die OP-Leuchte nicht
auf die Restauration gerichtet sein, um eine vorzeitige Polymerisation
3
des Befestigungskomposits zu vermeiden.
Bei der Verwendung mittel visköser Kompositkleber werden Über- 4
schüsse mit Heidemann-Spatel, Scaler, Sonde, Zahnseide oder Schaum-
stoffpellet entfernt. Dabei ist darauf zu achten, dass kein Material aus 5
der Fuge gezogen wird.
Bei niedrig viskösen Kompositklebern ist die Überschussentfernung
im Approximalraum mit Zahnseide schwierig. Dabei wird das Material
6
oft verschmiert.
Um eine Sauerstoffinhibition während der Polymerisation zu ver- 7
meiden, wird die Kompositfuge mit einem Glyzeringel bedeckt und es
erfolgt anschließend die Lichthärtung von okklusal und von approxi- 8
mal für jeweils 40–60 s.
Hoch visköse (hoch gefüllte) Kompositkleber lassen sich mit einer 9
speziellen Technik ebenfalls zum Einsetzen von zahnfarbenen Einlage-
restaurationen verwenden. Dabei wird das Komposit nach Anmischen
mit einem Heidemann-Spatel appliziert, das Inlay eingebracht und mit
10
einem Ultraschallgerät mit kunststoffbeschichtetem Arbeitsende in die
endgültige Position gebracht. Das primär starre Komposit wird durch 11
die Ultraschallschwingung niedrig viskös und erlaubt damit eine Posi-
tionierung der Einlagerestauration. Bei dieser Technik lassen sich Über- 12
schüsse vor dem Aushärten sehr gut entfernen, sodass sich eine weitere
Ausarbeitung auf wenige Arbeitsschritte reduzieren lässt. 13
Die Ausarbeitung und die Beseitigung von okklusalen Interferenzen Ausarbeitung
erfolgen mit fein- und feinstkörnigen Diamantfinierern. Dabei ist auf
die Beseitigung überschüssiger Kompositfahnen besonderes Augenmerk
14
zu richten. Speziell im Approximalbereich können diese zu Gingivare-
aktionen Anlass geben. Die approximalen Randbereiche können mit 15
diamantbelegten Feilen (Proxoshape) feinster Körnung ausgearbeitet
werden. Mit den aus der Frontzahnfüllungstechnik bekannten Finier- 16
und Polierstreifen kann anschließend eine Politur in diesem Bereich er-
folgen. Für die Politur frei zugänglicher Kavitätenabschnitte stehen alu-
miniumoxidbeschichtete Scheiben (Sof-Lex) verschiedener Körnung
17
und Silikonpolierer zur Verfügung. Eine abschließende Politur kann mit
Hochglanzpolierpaste (Diamantpaste) erfolgen. 18
Nach Fertigstellung der Einlagerestaurationen werden die entspre-
chenden Zähne mit einem Fluoridlack oder -gel lokal fluoridiert. 19
Mithilfe der Adhäsivtechnik können in ähnlicher Art und Weise Ke-
ramik-Verblendschalen (Veneers) zur kosmetischen Korrektur im Front- 20
zahnbereich eingesetzt werden.

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338 7 Restaurationen mit Einlagefüllungen

Tab. 7.2: Jährliche Versagensrate (Medianwert in %) von unterschiedlichen


Restaurationen aus Longitudinal- und Querschnittsstudien (nach Hickel und
Manhart 2002)
Restaurationstyp Jährliche Versagensrate (%)
Alle Alle Longitu- Quer-
Studien Studien dinal- schnitts-
(Bereich) (Median- studien studien
werte) (Median- (Median-
werte) werte)
Amalgamrestaurationen 0–7,0 3,3 1,1 3,7
Direkte Kompositrestauration 0–9,0 2,2 2,1 3,3
Glasionomerzementrestauration 1,4–14,4 7,7 7,7 –
Komposit-Inlays und -Onlays 0–11,8 2,0 2,3 0,6
Keramik-Inlays und -Onlays 0–7,5 1,6 1,3 3,2
CAD/CAM-Inlays und -Onlays 0–4,4 1,1 1,1 –
Goldguss-Inlays und -Onlays 0–5,9 1,2 1,0 1,3

7.3.7 Kritische Wertung

Der Einsatz zahnfarbener Einlagerestaurationen ist auf Patienten


mit guter Mundhygiene, geringer Kariesanfälligkeit und guter Com-
pliance begrenzt.

Die Patienten müssen zudem bereit sein, den Mehraufwand und damit
die Mehrkosten einer solchen Behandlung zu tragen.
Aus klinischen Langzeituntersuchungen zu Keramikinlays lässt sich
jedoch ableiten, dass bei geeigneter Indikationsstellung die Prognose
gut ist und bei Beachtung der angegebenen Indikation und der notwen-
digen Sorgfalt bei der Insertion sogar die Lebensdauer anderer Restaura-
tionen übertreffen kann (s. Tab. 7.2).

Keramik- und Komposit-Einlagerestaurationen sind eine Alterna-


tive zu gegossenen Restaurationen.

Vorteile Zu den positiven Eigenschaften gehören:


 Schmelzähnliche Abrasion von Keramikrestaurationen
 Fehlen von Korrosion und Galvanismus
 Geringe Löslichkeit der Werkstoffe
 Ästhetische Kompatibilität
 Geringe thermische Leitfähigkeit

Fragliche Aspekte Demgegenüber sind zahlreiche Aspekte des Einsatzes von zahnfarbenen
Einlagerestaurationen nicht geklärt:
 Biokompatibilität der Einzelkomponenten des adhäsiven Systems

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7.3 Restaurationen mit zahnfarbenen Einlagerestaurationen Kapitel 7 339

 Vollständige Entfernung überschüssigen Kompositmaterials, spe-


ziell im Approximalraum 1
 Hydrolyseanfälligkeit der Silanverbindungen
2
Diese Problembereiche bedürfen weiterer wissenschaftlicher Klärung.
Eine eingeschränkte Indikation liegt vor: Eingeschränkte
 wenn keine adäquate Trockenlegung möglich ist Indikation
3
 wenn der zervikale Rand unzugänglich ist.
4
Ein Ausweg könnten hier konventionell zementierbare, hochfeste Ke-
ramiken sein. Diese finden jedoch bei der Herstellung von Keramikin- 5
lays und -teilkronen bisher noch selten Anwendung.
6
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II Endodontologie

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Kapitel 8 343

8 Einleitung
1
2
3
4
! Die Endodontologie beschäftigt sich mit Form und Funktion des
Endodonts einschließlich des periradikulären Gewebes sowie der
Ätiologie, Epidemiologie, Pathologie, Prävention, Diagnose und 5
Behandlung von Erkrankungen und Verletzungen des Endodonts
und des periradikulären Gewebes.
6
Da Zahnpulpa und umgebendes Dentin entwicklungsgeschichtlich eine
anatomisch-funktionelle Einheit bilden, wird der Begriff Endodont für 7
diese gesamte Einheit verwendet.
Vom klinisch-praktischen Standpunkt aus stehen neben Ätiologie 8
und Diagnose von Zahnschmerzen die Behandlung der erkrankten
Pulpa und der Erkrankungen endodontischen Ursprungs des periradiku- 9
lären Gewebes im Vordergrund. Da insbesondere die Wurzelkanalaufbe-
reitung und Wurzelkanalfüllung hohe Ansprüche an die manuelle Ge-
schicklichkeit stellen, soll hierauf besonders ausführlich eingegangen
10
werden.
Ziele jeder endodontischen Behandlung sind die Erhaltung des er- 11
krankten Zahnes und die dauerhafte Verhütung von schädlichen Aus-
wirkungen auf benachbarte Gewebe (Parodont, Kieferknochen), die von 12
einem erkrankten Zahn ausgehen können.
Zum endodontischen Behandlungsspektrum zählen auch die 13
postendodontischen Maßnahmen, die hier kurz beschrieben werden,
und die endochirurgischen Maßnahmen, die nicht Gegenstand dieses
Buches sind.
14
In der zahnärztlichen Praxis gewinnt nicht nur die Gesunderhal-
tung der Zähne, sondern auch der Erhalt erkrankter Zähne durch Wur- 15
zelkanalbehandlungen immer mehr an Bedeutung. Den KZBV-Jahrbü-
chern lässt sich entnehmen, dass in Deutschland die Anzahl von Wur- 16
zelkanalbehandlungen bzw. Wurzelkanalfüllungen im Zeitraum von
1970–2016 von 3,2 auf 6,0 Mio. zugenommen hat. Im gleichen Zeit-
raum ging die Anzahl der Extraktionen von 17,2 auf 12,7 Mio. zurück.
17
Die Prävalenz wurzelkanalbehandelter Zähne dürfte in Deutsch-
land momentan bei etwa 5–8% liegen. Eine aktuelle DVT-Auswertung 18
von 500 deutschen Patienten gibt eine relative Häufigkeit von Zähnen
mit Wurzelkanalfüllungen von 8,2% an. Mit höherem Alter steigt die 19
Prävalenz und in Studien aus der Schweiz und Schweden wurde für ent-
sprechende Altersgruppen eine Prävalenz von 10–20% wurzelkanalbe- 20
handelter Zähne berichtet. Bei Berücksichtigung des demografischen

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344 8 Einleitung

Wandels zu einer alternden Gesellschaft bei gleichzeitig längerem Er-


halt der eigenen Zähne ist dies ein Hinweis darauf, dass in Deutschland
zukünftig noch mit einem weiteren Zuwachs von Wurzelkanalbehand-
lungen zu rechnen ist.

Der endodontische Behandlungsbedarf wird in den kommenden


Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit kontinuierlich zunehmen.

Erfolgsraten für Wurzelkanalbehandlungen werden in der internatio-


nalen Literatur mit etwa 70–95% angegeben. Die Erfolgsraten liegen mit
85–95% am höchsten, wenn Wurzelkanalbehandlungen bei Zähnen
mit irreversibler Pulpitis (Vitalexstirpation) oder Pulpanekrose ohne as-
soziierte periapikale Läsion durchgeführt werden (s. Abb. 8.1). Ist ein
Zahn mit einer apikalen Parodontitis assoziiert, reduzieren sich die Er-
folgsraten um etwa 10–25%. Über die niedrigsten Erfolgsraten wird
nach Revisionen wurzelkanalbehandelter Zähne mit infiziertem Endo-
dont und assoziierter periapikaler Läsion berichtet (50–70%). Das Alter
der Patienten, der Zahntyp und die Zahl der Wurzelkanäle spielen per se
bei der Prognose keine Rolle. Zum Einfluss spezieller Behandlungstech-
niken oder Materialien auf die Erfolgsraten von Wurzelkanalbehand-
lungen liegt bislang nur geringe Evidenz vor. Es deutet sich jedoch an,
dass der Einsatz von flexiblen Nickel-Titan-Instrumenten zur Wurzelka-
nalaufbereitung im Vergleich zu Edelstahlinstrumenten mit einer ver-
besserten Prognose assoziiert ist. Auch die Dichtigkeit der Wurzelkanal-
füllung scheint ein Aspekt zu sein, der eine verbesserte Prognose ge-
währleistet. Ferner – und hierzu liegt bereits sehr hohe Evidenz vor – hat
die Qualität der koronalen Restaurationen einen signifikanten Einfluss
auf die Prognose von wurzelkanalbehandelten Zähnen.
Neben den aufgeführten Kriterien beeinflusst auch der Endpunkt
der Wurzelkanalbehandlung und -füllung die Prognose signifikant.
Zwei Metaanalysen berichten, dass Wurzelkanalfüllungen, die im Be-

Erfolgsraten

Vitalexstirpation

–5%

Pulpa-avitale Zähne ohne apikale Parodontitis


–10%
bis
–25%
Pulpa-avitale Zähne mit apikaler Parodontitis

Abb. 8.1: Erfolgsraten einer Wurzelkanalbehandlung in Abhängigkeit vom Aus-


gangsbefund

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8 Einleitung Kapitel 8 345

reich 0–1 mm respektive 0–2 mm vor dem röntgenologischen Apex en-


den, mit den höchsten Erfolgsraten verbunden sind. Endet die Wurzel- 1
kanalfüllung mehr als 2 mm vor dem röntgenologischen Apex oder ist
röntgenologisch eine Extrusion von Füllmaterial ins periapikale Gewebe 2
zu erkennen, so ist von einer signifikant reduzierten Erfolgsrate auszu-
gehen.
In Untersuchungen aus Deutschland wurde die technische Qualität
3
von Wurzelkanalfüllungen nahezu übereinstimmend zu 60% als unzu-
reichend bewertet. In Querschnittsstudien aus verschiedenen Ländern 4
in den Jahren von 1986–2003 variierte der Prozentsatz technisch zufrie-
denstellender Wurzelkanalfüllungen zwischen 14 und 58%. Dies ver- 5
deutlicht, wie wichtig es ist, die technisch korrekte Durchführung einer
Wurzelkanalbehandlung im Studium zu erlernen. Darüber hinaus müs-
sen aber sicherlich die erlernten Grundfähigkeiten im Lauf der Praxistä-
6
tigkeit erweitert und vertieft werden.
7
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Kapitel 9 347

9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden


Gewebes 1
2
3
9.1 Topografie der Pulpa 4
Der Weichgewebekern eines Zahnes wird als Zahnpulpa oder Zahn- 5
mark bezeichnet und besteht aus gut vaskularisiertem und innerviertem
Bindegewebe.
Der Raum, den das Pulpagewebe ausfüllt, wird Pulpakammer ge-
6
nannt. Topografisch kann man Kronenkavum und Wurzelkanäle und
entsprechend Kronenpulpa und Wurzelpulpa unterscheiden. Die Pul- 7
pakammer ist von Dentin umgeben, und ihre Ausdehnung entspricht
in verkleinerter Form dem jeweiligen Zahnumriss. 8
Die Kronenpulpa hat inzisale bzw. okklusale Ausweitungen, die als
Pulpahörner bezeichnet werden und in ihrer Form den Kauflächenhö- 9
ckern entsprechen. Die Dentinschicht, die das Kronenkavum bedeckt,
wird als Pulpadach bezeichnet.
Das Pulpagewebe kommuniziert durch das Foramen apicale, die Sei-
10
tenkanäle, akzessorische Kanäle im apikalen Delta und Furkations-
kanäle (Pulpaperiodontalkanäle) mit dem Parodontium (s. Abb. 9.1). 11
Aufgrund ihrer Lage kann die Pulpa vom praktisch-klinischen Stand-
punkt als Endorgan ohne kollaterale Zirkulation bezeichnet werden. 12
Pulpa und Dentin bilden zusammen eine strukturell-funktionelle
Einheit, die zumeist als Pulpa-Dentin-Einheit oder Pulpa-Dentin-Sys- 13
tem bezeichnet wird.

Abb. 9.1: Nomenklatur und


Pulpa
Pulpa--
14
Topografie des Endodonts
kammer--
kammer
dach
Pulpa-
15
horn
Pulpa-
kammer
16
Kronen- Pulpa-
pulpa kammer-
boden 17
Pulpa-
Furkations-
periodontal-
Wurzel-
kanal
kanal 18
pulpa Seiten-
kanal
apikales 19
Delta
Foramen
apicale 20

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348 9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden Gewebes

9.2 Grundsubstanz, Bindegewebe und Zellen der Pulpa

Grundsubstanz Die Grundsubstanz der Pulpa besteht zu etwa 75% aus Wasser und zu
25% aus organischen Bestandteilen. Sie hat eine gelartige Konsistenz
und dient als Matrix, in die Zellen, Fasern und Blutgefäße eingebettet
sind. Sie enthält neben anderen molekularen Komponenten in der
Hauptsache Glykosaminoglykane bzw. Proteoglykane, deren Aufgabe
unter anderem in der Wasserretention besteht. Die Pulpa steht physio-
logischerweise unter einem Druck von 20–30 mmHg.
Bindegewebe In der ganzen Pulpa verteilt finden sich Kollagenfasern, die ein
Netzwerk bilden. Elastische Fasern finden sich nur in den Wänden grö-
ßerer Blutgefäße.
Zellen Die charakteristischen Zellen der Pulpa sind die Odontoblasten, ne-
ben denen sich in verschieden großer Anzahl Fibroblasten, Ersatzzellen
und Abwehrzellen finden lassen.
Die dentinbildenden Odontoblasten bedecken als einlagige Zell-
schicht dicht gepackt das Prädentin. Während sich die Zellkörper im Be-
reich der Kronenpulpa säulenförmig mit basal liegendem Kern darstel-
len, ändert sich die Form im mittleren und apikalen Wurzelabschnitt zu
kubischer und flach-länglicher Form. Odontoblasten sind ausdifferen-
zierte, nicht mehr teilungsfähige Zellen.
Zum Prädentin hin scheinen die Zellwände verdickt und ohne Un-
terbrechung von Zelle zu Zelle zu sein. Diese mikroskopische Struktur
entspricht aber nicht einer echten Membran, sondern ist nur Ausdruck
der dichten Packung und Verschachtelung der Odontoblasten. Obwohl
die Zellen im histologischen Bild als übereinandergeschichtet erschei-
nen, besitzt doch jede Zelle einen Zytoplasmafortsatz (Odontoblasten-
fortsatz), der in die Dentinkanälchen hereinragt und sich bis zur Peri-
pherie des Dentinmantels erstreckt.
Die Fibroblasten sind der häufigste Zelltyp der Pulpa und für die
Produktion der Grundsubstanz und der Kollagenfasern verantwortlich.
Ihre Form ist flach und spindelartig, und sie sind nahezu gleichmäßig
über das gesamte Pulpagewebe verteilt.
Als Ersatzzellen werden undifferenzierte Mesenchymzellen be-
zeichnet. Diese Zellen werden für pluripotent gehalten. Nach entspre-
chender Stimulation sollen sich ihre Tochterzellen zu jedem in der
Pulpa vorkommenden Zelltyp, auch odontoblasten-ähnlichen Zellen,
entwickeln können. Besondere Beachtung finden in letzter Zeit die aus
der Gruppe der undifferenzierten Mesenchymzellen stammenden pul-
palen Stammzellen (dental pulp stem cells). Aus ihnen können sich
Zellen entwickeln, die auf Markerproteine reagieren, die auch in Endo-
thelzellen, Myozyten, Osteozyten, Chondrozyten, neuronalen Zellen
und epithelialen Stammzellen gefunden werden.
Neben den genannten, häufig vorkommenden Zelltypen finden
sich in der Pulpa stets Zellen wie Makrophagen, dendritische Zellen,
Granulozyten sowie T- und B-Lymphozyten, die dem Abwehrsystem zu-

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9.3 Gewebezonen der Pulpa Kapitel 9 349

zurechnen sind. Die Abwehrreaktion der Pulpa wird bei jedem Kontakt
mit fremden Antigenen aktiviert. Sie setzt sich wie die allgemeine im- 1
munologische Abwehrreaktion aus der zellulären und der humoralen
Abwehr zusammen. Zu der spezifischen zellulären Abwehr gehören 2
T- und B-Lymphozyten, während an der unspezifischen zellulären Ab-
wehr Makrophagen, dendritische Zellen sowie eosinophile und baso-
phile Granulozyten beteiligt sind. Die spezifische humorale Abwehr
3
umfasst die Produktion spezifischer Antikörper durch Plasmazellen, die
sich nach Antigenkontakt aus B-Lymphozyten differenzieren. Die un- 4
spezifische humorale Abwehr besteht aus dem kaskadenartigen Enzym-
komplex des Komplementsystems. 5

9.3 Gewebezonen der Pulpa


6
7
! Das Pulpagewebe ist nicht einheitlich strukturiert, sondern zeigt
besonders im Bereich der Kronenpulpa einen schichtartigen Auf-
bau (s. Abb. 9.2). 8
Ein Bindegewebestrang, in dem zentral Blutgefäße und Nervenfasern 9
verlaufen, wird von einer Zone umgeben, die reich an undifferenzierten
Zellen und Fibroblasten ist. Diese Zone wird als kernreiche oder bipolare
Zone bezeichnet. Hier finden sich auch starke Verzweigungen des zen-
10
tralen Nervenbündels, die als Raschkow-Plexus bezeichnet werden.
11
Abb. 9.2: Schematische Dar-
stellung der Gewebezonen 12
der Pulpa (nach Avery 1973) Dentin
13
Prädentin
14
Odonto-
blasten 15
16
Weil-
Zone
17

bipolare
18
Zone

Rasch- 19
kow-
Nerven-
plexus 20

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350 9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden Gewebes

Zur Pulpaperipherie hin schließt sich die kernarme oder Weil-Zone


an. Diese Zone ist zwar auffallend zellarm, enthält aber doch zytoplas-
matische Fortsätze der Fibroblasten der kernreichen Zone und auch
Endäste der Nervenfasern.
Zwischen der Weil-Zone und dem Prädentin befindet sich die
Odontoblastenschicht.

9.4 Funktionen der Pulpa

! Das Pulpagewebe führt die vier Basisfunktionen aller lockeren


Bindegewebe aus:
 Formative Funktion
 Nutritive Funktion
 Sensorische Funktion
 Defensive Funktion

Formative Die formativen Funktionen bestehen typischerweise aus der Bildung


Funktionen von Dentin durch die Odontoblasten. Odontoblasten synthetisieren ne-
ben Typ-I- und Typ-III-Kollagen auch nicht kollagene Bausteine der or-
ganischen Dentinmatrix wie Proteoglykane, Glykosaminoglykane, Gly-
koproteine, Phosphoproteine und Osteokalzin. Als physiologisch anzu-
sehen sind die Bildung von Primärdentin (Orthodentin) und die
alterungsbedingte Sekundärdentinbildung, die während des gesamten
Zahnlebens erfolgt. Durch die Sekundärdentinbildung kommt es zu ei-
ner zunehmenden Verkleinerung der Pulpakammer und damit auch des
Wurzelkanallumens.
Die Bildung von Tertiärdentin (Reizdentin) gehört zu den defensi-
ven Funktionen.
Nutritive Die nutritive Funktion wird durch das Gefäßsystem und seine Inner-
Funktion vation gewährleistet. Die Pulpa ist sehr gut vaskularisiert, der Blutfluss
ist ungefähr so groß wie im Gehirn und etwa 4-mal größer als in der Ske-
lettmuskulatur. In der Gesamtheit bildet die Pulpa ein funktionelles
Endstromgebiet.
Die größeren Gefäße entsprechen von ihrem Durchmesser Arterio-
len und Venolen. Eine kleine Anzahl von Arteriolen tritt durch das Fo-
ramen apicale und auch durch akzessorische Kanäle in die Pulpakam-
mer ein. Innerhalb der Pulpa bilden die großen Gefäße ein zentrales,
stammartiges Bündel und verlaufen in dieser Form bis in die Kronen-
pulpa.
An der Peripherie der Wurzel- und Kronenpulpa bilden Äste der Ar-
teriolen einen dichten Kapillarplexus, über den Odontoblasten und
andere Pulpazellen ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt
werden können. Die Kronenpulpa ist nochmals stärker vaskularisiert als
die Wurzelpulpa. Der Blutfluss im koronalen Bereich ist etwa doppelt so
groß wie im apikalen Pulpaabschnitt.

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9.4 Funktionen der Pulpa Kapitel 9 351

Ausgehend von diesem Kapillarplexus sammelt sich das abfließende


Blut in venösen Gefäßen zunehmender Größe. Die größten Venolen 1
verlaufen mittelständig und sind weitlumiger und in größerer Anzahl
vorhanden als Arteriolen. Für die Regulation des Blutflusses sorgen Fa- 2
sern des autonomen Nervensystems.
Unabhängig vom peripheren Kapillarplexus finden sich in der Wur-
zel- und Kronenpulpa zahlreiche arteriovenöse Anastomosen. Diese
3
direkten Verbindungen zwischen Arteriolen und Venolen spielen eine
wichtige Rolle bei der Regulation des pulpalen Blutflusses, weil so syste- 4
misch bedingte Blutdruckschwankungen, die die Pulpa schädigen könn-
ten, ausgeglichen werden können. 5
Neben dem Blutgefäßsystem besteht ein System aus dünnwandigen
Lymphgefäßen. Die prinzipielle Verlaufsform und die Anordnung der
Lymphgefäße ähneln denen der Blutgefäße; sie enden im Bereich der
6
Weil-Zone blind. Lymphgefäße sollen bei entzündlichen Vorgängen in
der Pulpa den Abtransport von Makromolekülen, Proteinen sowie zellu- 7
lären Abfallprodukten gewährleisten.
Die sensorische Funktion wird durch die afferenten Nerven der Sensorische 8
Pulpa, die Schmerzsensationen weiterleiten, gewährleistet. Es kommen Funktion
A-Beta-, A-Delta- und C-Fasern vor. Die A-Fasern, bei denen es sich 9
überwiegend um A-Delta-Fasern handelt, entstammen dem Nervus tri-
geminus, sind myelinisiert und umgeben von Schwann-Zellen. Die
C-Fasern sind nicht myelinisiert. Insgesamt ist der Anteil der nicht
10
myelinisierten deutlich höher als der der myelinisierten Nervenfasern.
Weiterhin finden sich unmyelinisierte Nervenfasern, die zum vegetativ- 11
autonomen Nervensystem gehören und an der Regulation des Blutflus-
ses beteiligt sind. 12
Die A-Delta-Fasern haben den größten Durchmesser und die
höchste Leitungsgeschwindigkeit (> 30 m/s). Die dünnen C-Fasern ha- 13
ben eine Leitungsgeschwindigkeit von < 2 m/s.
Die Nervenfasern treten gemeinsam mit den Blutgefäßen in Bündeln
durch das Foramen apicale in die Pulpakammer ein. Während es in der
14
Wurzelpulpa nur wenige Verzweigungen gibt, kommt es im Bereich der
Kronenpulpa zu ausgedehnten Verzweigungen. Beim Erreichen der peri- 15
pheren Randzone verlieren die Nervenfasern ihre Myelinscheide.
Unterhalb der zellreichen Zone bildet sich der Raschkow-Plexus, 16
der aus einer großen Anzahl hauptsächlich nicht myelinisierter Nerven-
axone besteht. Vom Raschkow-Plexus aus erreichen einige sensible Fa-
sern – ohne ihre Myelinscheide, aber noch innerhalb der Schwann-Zel-
17
len – die Odontoblastenschicht. In diesem Bereich verlieren die termi-
nalen Axone auch ihre Schwann-Zellen und gelangen benachbart zu 18
den Odontoblastenfortsätzen bis in das Prädentin.
Vereinzelte Faserenden gelangen bis in das mineralisierte Dentin, 19
möglicherweise sogar bis zur Schmelz-Dentin-Grenze. Die Anzahl der
Endäste ist im Bereich der Pulpahörner am größten und nimmt in der 20
Wurzelpulpa nach apikal kontinuierlich ab.

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352 9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden Gewebes

Für die Dentinempfindlichkeit sind die A-Fasern verantwortlich.


Sie werden wahrscheinlich durch Flüssigkeitsbewegung in den Dentin-
tubuli (hydrodynamische Theorie) aktiviert. C-Fasern können durch
thermische, mechanische oder chemische Reize aktiviert werden, und
ihre funktionellen Charakteristika weisen auf eine wichtige Rolle bei der
Entwicklung von Schmerzsymptomen bei der irreversiblen Pulpitis hin.
Die sensorischen Nervenfasern der Pulpa spielen auch eine wichtige
Rolle bei der Regulation des pulpalen Blutflusses. Sie werden bei Irrita-
tionen der Pulpa-Dentin-Einheit aktiviert und setzen vasoaktive Neuro-
peptide frei. Diese Neuropeptide induzieren eine Vasodilatation mit
nachfolgender Erhöhung des Gewebedrucks. Der erhöhte Gewebedruck
verhindert eine Diffusion von toxischen Substanzen aus den Dentinka-
nälchen in die Pulpa.
Defensive Die defensive Funktion besteht aus den zellulären und humoralen
Funktion Abwehrleistungen der Pulpa und letztlich auch der Pulpa-Dentin-Ein-
heit.

Als wichtigste Abwehrleistung wird die Bildung von Reizdentin


durch die Odontoblasten nach Einwirkung unphysiologischer
Reize wie karies- oder nicht kariesbedingten Zahnhartsubstanzver-
lusts betrachtet.

Reizdentin wird auch als Tertiärdentin, irreguläres Dentin, Osteoden-


tin, Reaktionsdentin oder reparatives Dentin bezeichnet. Die Dentintu-
buli sind irregulär, verschlungen oder können ganz fehlen. Die Minera-
lisation ist unregelmäßig. Die Bildung von Reizdentin erfolgt durch pri-
märe Odontoblasten und immer im Bereich der Reizeinwirkung.
Die Antwort der Pulpa-Dentin-Einheit auf eine infektiöse Pulpitis
wird in Kapitel 10.5.1 näher beschrieben.

9.5 Regressive Veränderungen der Pulpa

Regressive Veränderungen der Pulpa entstehen durch auf sie einwir-


kende externe Reize oder als Ausdruck physiologischer Alterungsvor-
gänge. Auch bei Zähnen, die niemals in Funktion standen (impaktierte
Zähne), finden sich regressive Veränderungen der Pulpa.
Mit zunehmendem Alter kommt es zu Veränderungen in der Pulpa.
Kontinuierliche Bildung von Sekundärdentin bewirkt eine Verkleine-
rung der Pulpakammer. Histologisch ist damit eine Abnahme der Zell-
zahl, des Wassergehalts sowie der Anzahl an Blutgefäßen und Nervenfa-
sern verbunden. Gleichzeitig ist eine Zunahme der kollagenen Faser-
bündel zu beobachten. Aufgrund dieser histologischen Veränderungen
nimmt die regenerative Leistungsfähigkeit der Pulpa mit zunehmen-
dem Alter ab. Bei Zähnen älterer Patienten kann die Odontoblasten-
schicht sehr stark reduziert sein.

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9.5 Regressive Veränderungen der Pulpa Kapitel 9 353

Weitere regressive Veränderungen des Pulpagewebes stellen arterio- Arterio-


sklerotische Veränderungen im Sinne einer Verkalkung kleiner Gefäße sklerotische 1
und Nervenendigungen dar. Bei Verkalkung der Nervenendigungen Veränderungen
kommt es zu einer Abnahme der Sensibilität. 2
Weiterführend können regressive Veränderungen in der gesamten Dentikel
Pulpa diffuse Verkalkungen bewirken. Diese diffus-streifigen Verkalkun-
gen treten entlang von Faserelementen, Gefäßen und Nervensträngen
3
auf und können als Mineralisationszentren für die Bildung von Denti-
keln dienen. 4
Dentikel (Pulpasteine) bilden sich häufiger in der Kronenpulpa als
in der Wurzelpulpa. Sie können entsprechend ihrer Lokalisation (frei, 5
adhärent, interstitiell) oder entsprechend ihrer histologischen Struktur
(echt, falsch) klassifiziert werden. Isoliert im Pulpagewebe auftretende
freie Dentikel können bei zunehmender Dentinbildung mit der inneren
6
Dentinwand verwachsen (adhärent) oder von Dentin eingebettet wer-
den (interstitiell). 7
Echte Dentikel sind selten und treten überwiegend im apikalen Be-
reich der Wurzelkanäle auf. Sie ähneln in ihrer Struktur dem Primärden- 8
tin und werden durch dislozierte Zellnester der Hertwig-Epithelscheide,
die odontogene Potenz besitzen, gebildet. 9
Falsche Dentikel kommen sehr häufig vor und treten vorwiegend
in der Kronenpulpa auf. Degeneriertes Pulpagewebe bildet hierbei die
Matrix für die Ablagerung konzentrischer Lagen verkalkten Gewebes.
10
Klinisch können Dentikel durch Verlegung oder Einengung der
Wurzelkanäle bei der Wurzelkanalbehandlung Probleme bereiten. Die 11
Dentikelbildung in der Kronenpulpa kann so weit voranschreiten, dass
fast das gesamte Lumen des Pulpakavums bis auf spaltförmige Reste aus- 12
gefüllt wird. Dentikel und andere diffuse Verkalkungen sind i.d.R.
asymptomatisch; durch Druck auf die Pulpanerven beim Wachstum 13
können aber gelegentlich neuralgiforme Beschwerden ausgelöst wer-
den.
Die ausgeprägteste Form intrapulpaler Kalzifikationen im Sinne ei- Obliteration
14
ner regressiven Veränderung stellt eine echte Obliteration des Wurzel-
kanalsystems dar. Bei Obliterationen sind sowohl die koronale Pulpa- 15
kammer als auch die Wurzelkanäle mit atubulärem Reizdentin ver-
schlossen. 16

! Radiologisch nachweisbare intrapulpale Kalzifikationen sind ein


Hinweis auf regressive Veränderungen und damit ein Indiz für
eine reduzierte Abwehr- und Regenerationsleistung der Pulpa.
17
18
19
20

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354 9 Strukturen der Pulpa und des umgebenden Gewebes

9.6 Strukturen des apikalen Parodontiums

! Das apikale Parodontium ist der Teil des Parodontiums, der die
Wurzelspitze umgibt. Es enthält drei verschiedene Gewebearten:
das Zement, das Desmodont und den Alveolarknochen. Das des-
modontale Gewebe bildet den etwa 0,1–0,2 mm breiten Parodon-
talspalt.

Neben den zement- und knochenbildenden Zementoblasten und Os-


teoblasten finden sich verschiedene andere Zelltypen wie Fibroblasten,
Mastzellen und Makrophagen. Die Fibroblasten bilden die Bindegewe-
befasern und die Grundsubstanz des Desmodonts. Im Bindegewebe fin-
den sich regelmäßig die aus den Resten der Hertwig-Epithelscheide
stammenden Malassez-Epithelreste.
Das apikale Parodontium ist gut vaskularisiert und besitzt eine große
Regenerationsfähigkeit. Im Gegensatz zur Pulpa verfügt das Parodon-
tium über einen gut entwickelten Kollateralkreislauf. Lymphgefäße
folgen den Blutgefäßen und münden in regionale Lymphknoten.
Im Desmodont finden sich sowohl myelinisierte als auch nicht mye-
linisierte Nervenfasern. Das sensorische System entstammt dem Trige-
minus. Die Nervenendigungen sind sowohl propriozeptiv als auch
schmerzempfindlich und reagieren schnell schon auf geringe Anstiege
des Gewebedrucks.
Bei einer Erkrankung der Pulpa reagiert das Desmodont relativ früh-
zeitig mit einer Entzündungsreaktion als Folge der in der Pulpa freige-
setzten denaturierten Proteine, Neuropeptide und bakteriellen Lipo-
polysaccharide.

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Kapitel 10 355

10 Erkrankungen der Pulpa und des


periapikalen Gewebes 1
2
3
4
! Die gesunde Pulpa reagiert auf Irritationen i.d.R. mit einer Ent-
zündung, der Pulpitis. Bei anhaltenden Reizen können sich ver-
schiedene Formen der Pulpitis ausbilden, die letztlich zu einer Ne- 5
krose der Pulpa und nachfolgend zu Erkrankungen des periapika-
len Gewebes führen können.
6

10.1 Pulpitiden 7
Entzündungen können grundsätzlich in akute und chronische Pulpiti- 8
den unterteilt werden. Klinisch ist bei den akuten Pulpitiden zudem die
Unterteilung in reversible und irreversible Pulpitiden von Bedeutung 9
(s. Tab. 10.1).

10
10.1.1 Ätiologie der Pulpitis
11
! Entzündungen der Pulpa können durch zahlreiche natürliche
oder iatrogene Ursachen ausgelöst werden. 12
Die möglichen Ursachen für eine Pulpitis sind in der Tabelle 10.2 darge- 13
stellt. Alle zeitlebens erlittenen kleinen Irritationen oder Schädigungen
der Pulpa-Dentin-Einheit können akkumulieren und letztlich zu einer
14
Tab. 10.1: Einteilung der Pulpitiden. Bei den akuten Pulpitiden wird zusätzlich
zwischen reversibler und irreversibler Pulpitis unterschieden.
15
Akute Pulpitis Chronische Pulpitis
Hyperämie – reversibel Pulpitis chronica clausa
16
Pulpitis acuta serosa partialis –
reversibel
Pulpitis chronica granulomatosa aperta =
Pulpapolyp
17
Pulpitis acuta serosa totalis – Pulpitis chronica granulomatosa clausa =
irreversibel internes Granulom
18
Pulpitis acuta purulenta partialis –
irreversibel
19
Pulpitis acuta purulenta totalis –
irreversibel
20

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356 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

Tab. 10.2: Übersicht zu den Ursachen der Pulpaerkrankungen


Infektiös-toxisch Traumatisch Iatrogen
Karies Kronenfrakturen Präparatorische Maßnahmen
Parodontopathien Wurzelfrakturen Reinigung,
Trocknung der Kavität
Nicht kariesbedingter Kontusion, Luxation, Andere restaurative
Zahnhartsubstanzverlust Infraktion Maßnahmen
Traumatische Kieferorthopädische
Okklusion Behandlung

irreversiblen Schädigung der Pulpa führen. Aus klinisch-praktischen


Gründen bietet sich folgende grobe Klassifizierung an:
 Infektiöse Pulpitis
 Traumatische Pulpitis
 Iatrogene Pulpitis

Infektiöse Pulpitis

Die häufigste Ursache einer Pulpitis ist die Dentinkaries.

Histologisch lässt sich manchmal schon bei einer fortgeschrittenen


Schmelzkaries eine erste Reaktion der Pulpa nachweisen. In der Regel
kommt es aber erst zur Reaktion der Pulpa-Dentin-Einheit, wenn die Ka-
ries das Dentin erreicht hat und durch die Dentinkanälchen ein Weg
zur Pulpa offen steht. So lange die Karies die Pulpa nicht erreicht hat, lö-
sen hauptsächlich bakterielle Stoffwechselprodukte einen Reiz aus. Erst
in sehr fortgeschrittenem Stadium, wenn der kariöse Prozess die Pulpa
erreicht hat, richtet sich die Reaktion direkt gegen eindringende Bakte-
rien. Eine bakterielle Besiedlung der Pulpakammer ist aber erst möglich,
wenn die Pulpa nekrotische Bezirke aufweist. Die ursächliche Rolle der
Bakterien und ihrer Produkte für die Auslösung einer Pulpitis konnte ex-
perimentell eindeutig nachgewiesen werden.
Bakterielle Bei den bakteriellen Produkten, die durch die Dentinkanälchen
Produkte zur Pulpa gelangen, handelt es sich um Enzyme, Endotoxine (Lipopoly-
saccharide), Peptide, somatische Antigene, Mitogene, Chemotaxine,
Immunkomplexe, organische Säuren und andere vergleichbare Substan-
zen.

Die Pulpa-Dentin-Einheit reagiert auf diesen Reiz


 im Dentin mit einer tubulären Sklerose,
 an der Pulpa-Dentin-Grenze mit der Bildung von Tertiärdentin,
 in der Pulpa mit einer Entzündung.

Sklerosierung Bei der ersten Reaktion, der Sklerosierung der Dentintubuli, kommt es
durch Zunahme des peritubulären Dentins zu einer Verengung der Ka-

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10.1 Pulpitiden Kapitel 10 357

nälchen. Durch intratubuläre Ausfällung von Kalziumphosphatkristal-


len (Apatit, Whitlockit, Oktakalziumphosphat) kann es zu einem voll- 1
ständigen Verschluss der Dentinkanälchen kommen.
Schon sehr früh wird bei einem entsprechenden Reiz Tertiärdentin Bildung von 2
gebildet. Wenn sich ein kariöser Prozess bis in das Tertiärdentin ausge- Tertiärdentin
breitet hat, ist aufgrund der irregulären Struktur des Tertiärdentins eine
Sklerosierung nicht mehr möglich.
3
In der Pulpa treten erste Veränderungen in der Odontoblasten- Entzündung
schicht und den peripheren Pulpazonen auf. Die Anzahl und Größe der 4
Odontoblasten scheint reduziert, die Palisadenanordnung ist gestört.
Im Odontoblastensaum können vakuolige Veränderungen oder Einblu- 5
tungen auftreten.
Seltener können auch Parodontalerkrankungen zur Entstehung ei-
ner Pulpitis beitragen oder allein verantwortlich sein.
6
Marginale Parodontopathien können aufgrund des parodontalen Parodonto-
Attachmentverlusts und besonders nach Verlust der Zementschicht zu pathien 7
einer geringgradigen bakteriellen Invasion der Pulpa führen.
Aufgrund der topografischen Verhältnisse sollen in seltenen Fällen 8
Entzündungen der Kieferhöhle auf die Seitenzähne des Oberkiefers
übergreifen können. Dieser Übertragungsweg ist aber sehr fragwürdig. 9
Nach einer Bakteriämie können über die Blutbahn Bakterien in die Anachorese
Pulpa gelangen. Dieser Infektionsweg wird als Anachorese bezeichnet.
Eine Anachorese kann vermutlich eine Infektion der Pulpa nicht verur-
10
sachen.
Die Exposition von Dentin zur Mundhöhle aufgrund von Attrition, 11
Abrasion und Erosion führt nur in seltenen Fällen zu ernsthaften Pulpi-
tiden. Die Sklerosierung des Dentins, die Bildung von Tertiärdentin so- 12
wie der in der Pulpa vorliegende hydrostatische Druck verhindern
i.d.R., dass Bakterien oder bakterielle Produkte von der Mundhöhle 13
durch die freiliegenden Dentinkanälchen zur Pulpa vordringen können.

Traumatische Pulpitis
14
Traumatische Verletzungen der Zähne können in Abhängigkeit vom Dentinfrakturen
Ausmaß zu Pulpitiden oder zur Nekrose der Pulpa führen. Während 15
Schmelzsprünge oder Schmelzrisse zu keiner nachweislichen Reaktion
führen, kann durch Dentinsprünge oder Infraktion dann eine Reak- 16
tion der Pulpa ausgelöst werden, wenn Bakterien in das Dentin eindrin-
gen. Eine besonders starke Gefährdung der Pulpa liegt vor, wenn durch
die Dentinfraktur ein direkter Zugang zur Pulpa besteht.
17
Bei einfachen Kronenfrakturen ohne Exposition der Pulpahöhle Kronenfraktur
kann in schweren Fällen durch die Eröffnung zahlreicher Dentinkanäl- 18
chen eine akute Pulpitis ausgelöst werden und posttraumatisch eine Ne-
krose der Pulpa entstehen. Bei komplizierten Kronenfrakturen mit Ex- 19
position des Pulpagewebes kann es bereits nach 24 Stunden zu einer lo-
kalen akuten Entzündung kommen (s. Kap. 14.4). 20

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358 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

Iatrogene Pulpitis

Zahnärztliche präparative oder restaurative Maßnahmen, die an


pulpa-vitalen Zähnen vorgenommen werden, können eine mehr
oder weniger starke Irritation der Pulpa verursachen.

Die bei zahnärztlichen Maßnahmen auftretenden Irritationen sind


grundsätzlich physikalischer oder chemischer Natur.
Zu den physikalischen Ursachen gehören:
 Präparatorische Maßnahmen
 Trocknung der Kavität
 Diagnostische Applikation von Kälte oder Wärme
 Mechanisches Einbringen von Füllungsmaterialien und Abformun-
gen

Zu den chemischen Ursachen zählt die Anwendung von Reinigungs-,


Desinfektions- und Trocknungsmitteln, Lacken, Linern, Unterfüllungs-
materialien, Füllungsmaterialien, Säuren und adhäsiven Mitteln.
Besonders häufig entstehen Schädigungen der Pulpa bei der Kronen-
und Kavitätenpräparation. Schädigend wirken können hierbei:
 Vibration
 Druck
 Temperaturerhöhung
 Austrocknung des Dentins

Präparation Bei der Präparation des Dentins werden oft großflächig Dentinkanäl-
chen eröffnet. Durch die Durchtrennung der Odontoblastenfortsätze
können Entzündungsmediatoren freigesetzt werden, die eine vaskuläre
Reaktion in der Pulpa auslösen.
Überhitzung und Ungenügende Wasserkühlung bei der Präparation führt zu Über-
Austrocknung hitzung und Austrocknung des Dentins. Bei trockener Kavitätenpräpa-
ration kann es in der Pulpa zu einer Temperaturerhöhung von 2–3 °C
kommen.
Als besonders problematisch wird die Austrocknung des Dentins
angesehen. Durch Flüssigkeitsentzug und Veränderung der Druckver-
hältnisse in den Dentinkanälchen können Odontoblastenkerne in die
Kanälchen gesaugt werden. Dieser Vorgang wird häufig als Odontoblas-
tenaspiration bezeichnet. Wenn keine ernsthafteren Schädigungen er-
folgen, ist die resultierende Entzündungsreaktion der Pulpa allerdings
weitgehend reversibel.
Zahnärztliche Zahlreiche gebräuchliche zahnärztliche Materialien können die
Materialien Pulpa irritieren, wobei Dauer und Intensität der Reizwirkung und die
Dicke und Beschaffenheit der Restdentinschicht den Grad der Schädi-
gung stark beeinflussen. Besonders bei dünner Restdentindicke sollte
z.B. auf die Anwendung von chemisch aktiven Reinigungs-, Desinfek-
tions- und Trocknungsmitteln verzichtet werden.

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10.1 Pulpitiden Kapitel 10 359

Vorsichtshalber sollte unter nicht ausreichend geprüften Materia- 1


lien immer ein bekanntermaßen nicht schädigend wirkendes Mittel
zum Pulpaschutz eingebracht werden. 2

10.1.2 Akute Pulpitiden


3
Auf hinreichend starke Irritationen reagiert die Pulpa mit einer Entzün- 4
dung. Prinzipiell verläuft eine Pulpitis nach den gleichen Gesetzmäßig-
keiten wie Entzündungen in anderen Bindegeweben des Körpers. Aller- 5
dings verursacht die besondere Topografie, die Ummantelung der Pulpa
mit Hartgewebe, charakteristische Verlaufsformen.
Das erste Stadium der akuten Pulpitiden stellt die Hyperämie dar. Entstehung und
6
Nach der Einwanderung von Lymphozyten und Plasmazellen in den Verlauf
subodontoblastischen Bereich kommt es zu einer Gefäßproliferation 7
und einer lokal erhöhten Vaskularität. Die Arterien sind prall gefüllt
und die Fließgeschwindigkeit des Blutes ist merklich erhöht. Dieses Sta- 8
dium der Pulpaerkrankung ist reversibel, d.h., eine Restitutio ad inte-
grum ist noch möglich. 9
Als Folge der Gefäßerweiterung kommt es aus den Blutgefäßen zum
Austritt von serösem, zellfreiem Exsudat. Das Pulpagewebe erscheint ge-
quollen, die Faserstruktur ist kaum noch zu erkennen. Man spricht zu
10
diesem Zeitpunkt von der Pulpitis acuta serosa. Diese beginnt zunächst
in der Kronenpulpa (Pulpitis acuta serosa partialis) und ist, sofern die 11
Wurzelpulpa noch nicht mit in den pathologischen Prozess involviert ist,
noch reversibel. Ist hingegen die gesamte Pulpa befallen (Pulpitis acuta 12
serosa totalis), handelt es sich um eine irreversible Erkrankung. Eine Vi-
talerhaltung der Pulpa ist nicht mehr möglich und eine Wurzelkanalbe- 13
handlung muss eingeleitet werden. Aufgrund der erhöhten Permeabilität
der Blutgefäße und der Plasmaextravasation steigt der Druck innerhalb
der Pulpa erheblich an, da eine räumliche Ausdehnung des Pulpagewebes
14
aufgrund der hartgewebigen Ummantelung nicht möglich ist.
Die Hyperämie und die Pulpitis acuta serosa werden als vaskuläre 15
Phase der Pulpitis bezeichnet. Die Wanderung der Leukozyten aus den
Gefäßen an den Reaktionsort wird durch chemokinetische und chemo- 16
taktische Faktoren reguliert.
Nachfolgend kommt es nach dem Austritt von serösem Exsudat zur
Diapedese von Leukozyten aus den Blutgefäßen in das Pulpagewebe.
17
Das Stadium der Pulpitis acuta purulenta ist erreicht. Diese Form der
Pulpitis ist nicht mehr reversibel. In Abhängigkeit von der Abwehrlage 18
des Pulpagewebs können mehrere lokal begrenzte Einschmelzungen im
Sinne von Mikroabzessen (Pulpitis acuta purulenta partialis) auftreten 19
oder aber eine Ausbreitung der Eiterung ohne Abgrenzung im Sinne ei-
ner phlegmonösen Einschmelzung der Pulpa (Pulpitis acuta purulenta 20
totalis). Es wandern vermehrt neutrophile Granulozyten in das Gewebe

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360 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

ein. Diese Zellen haben eine kurze Lebensdauer und setzen nach ihrem
Absterben toxische zelluläre Komponenten und proteolytische Enzyme
frei, die ihrerseits dann andere Zellen, Bindegewebefasern und Grund-
substanz der Pulpa zerstören können. Es bildet sich Eiter (Pus).

Alle Erkrankungen der Pulpa beginnen stets in der Kronenpulpa


und breiten sich von dort nach apikal in die Wurzelpulpa aus.
Insgesamt betrachtet ist also die Pulpitis ein dynamischer Prozess,
wobei häufig verschiedene Entzündungsstadien nebeneinander in
verschiedenen Bezirken der Pulpa auftreten können.

10.1.3 Chronische Pulpitiden

In Abhängigkeit von der Stärke des Reizes und der Immunsituation der
Pulpa, können akute Pulpitiden – bis auf die vollständige purulente Ein-
schmelzung – in chronische Formen übergehen und umgekehrt (s. Abb.
10.1).
Die häufigste Form der chronischen Pulpitiden (s. Tab. 10.1) stellt
die Pulpitis chronica clausa dar. Histologisch sind Rundzellinfiltrate
aus Lymphozyten, Plasmazellen und Mastzellen in der Pulpa zu beob-
achten. Dabei wird der primär geschädigte Bereich durch eine Membran
vom umgebenden Pulpagewebe abgekapselt. Klinische Symptome feh-

Abb. 10.1: Sche-


mikrobiologischer matische Darstel-
und/oder traumatisch lung der Entzün-
physikalisch- bedingte
chemisch- Gefäßruptur
dungsabfolge ei-
toxischer Reiz ner Pulpitis (nach
einem Vorschlag
der deutschen
Hochschullehrer
Hyperämie für Zahnerhal-
tungskunde, Raab
1993)

primär
Pulpitis acuta Chronifizierung nicht-infizierte
serosa Nekrose

Pulpitis acuta
purulenta

primär infizierte sekundär infizierte


Nekrose Nekrose

entzündliche Erkrankungen
des apikalen Parodonts

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10.1 Pulpitiden Kapitel 10 361

len zu diesem Zeitpunkt nahezu gänzlich. Eine Umwandlung in eine


akute Form der Pulpitis (akute Exazerbation), der klinisch asymptomati- 1
sche Verlauf zur Nekrose der Pulpa sowie mitunter auch eine Defekthei-
lung sind möglich. Auf zellulärer Ebene herrschen Lymphozyten und 2
später Makrophagen und Plasmazellen vor. Die Lymphozyten reprä-
sentieren die humorale und zellvermittelte Immunantwort. Antigene
Substanzen in der Pulpa können komplexiert und ihrerseits durch Ma-
3
krophagen phagozytiert werden. Lymphozyten und Makrophagen
können wiederum durch zytotoxische Aktivität oder durch die Bildung 4
von Zytokinen zu Gewebezerstörungen führen.
Eine Sonderform der chronischen Pulpitiden stellt die Pulpitis 5
chronica granulomatosa clausa, das interne Granulom, dar. Es han-
delt sich um eine selten auftretende Form (Morbidität: 0,1–1,6%) der
Pulpaerkrankung. Eine mögliche Ursache kann ein länger zurückliegen-
6
des dentales Trauma sein. Etwa 2% aller luxierten Zähne entwickeln im
Lauf der Zeit Anzeichen eines internen Granuloms. Ansonsten werden 7
interne Granulome mit einer lange bestehenden chronischen Pulpitis
in Verbindung gebracht. Voraussetzung ist wahrscheinlich die bakte- 8
rielle Infektion und Nekrose eines koronalen Anteils der Pulpa, wobei
dann bakterielle Produkte durch Dentinkanälchen vitales, i.d.R. weiter 9
apikal gelegenes Pulpagewebe erreichen. Infolge einer Umwandlung un-
differenzierter pulpaler Bindegewebszellen in mehrkernige Dentinoklas-
ten (= Osteoklasten) kommt es zu einer sich meist zentrifugal ausbrei-
10
tenden Resorption des umgebenden Dentins (s. Abb. 10.2). In Extrem-
fällen kann es zu einem Durchbruch nach außen und zur Fraktur des 11
betroffenen Zahnes kommen.
Das Granulationsgewebe ist gefäßreich und mit Lymphozyten, Ma- 12
krophagen, Plasmazellen und neutrophilen Granulozyten durchsetzt.

Abb. 10.2: Internes Granu- 13


lom bei einem oberen
Schneidezahn
14
15
16
17
18
19
20

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362 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

In den umgebenden Dentinwänden lassen sich Dentoklasten nachwei-


sen.
Klinik Klinisch lässt sich ein internes Granulom, wenn es im sichtbaren Be-
reich des Zahnes lokalisiert ist (also von der Kronenpulpa ausgeht),
durch seine rötliche, durchscheinende Farbe erkennen („pink spot“).
Die betroffenen Zähne reagieren auf eine Sensibilitätsprüfung zumeist
positiv. Röntgenologisch stellen sich interne Granulome i.d.R. deutlich
als rundliche Vergrößerung der Pulpahöhle dar (s. Abb. 10.2).
Eine weitere Form der chronischen Pulpitis stellt die Pulpitis chro-
nica granulomatosa aperta, der Pulpapolyp, dar. Voraussetzung für
die Entstehung eines Pulpapolypen ist, das es infolge des Fortschreitens
einer Karies oder seltener durch ein Trauma zu einer Exposition der
Pulpa, also zu einer Verbindung zwischen Mundhöhle und Pulpage-
webe, kommt. Das Pulpagewebe wuchert aus dem Kronenkavum in
Richtung Mundhöhle; es handelt sich also um eine proliferierende Ver-
laufsform. Das stark vaskularisierte Gewebe enthält zahlreiche Nerven-
fasern, ist aber i.d.R. auf Druck nicht schmerzempfindlich. Oberfläch-
lich liegt ein mehrschichtiges Epithel vor, ähnlich einem keratinisierten
oralen Epithel. Das Pulpagewebe befindet sich im Zustand der chroni-
schen diffusen Entzündung oder der Hyperämie. Pulpapolypen kom-
men zumeist an Milchzähnen vor.

10.2 Pulpanekrose

Grundsätzlich ist zwischen einer sterilen und einer infizierten Nekrose


zu unterscheiden.
Die sterile Nekrose resultiert zumeist als Folge eines dentalen Trau-
mas, wenn der Gefäß-Nervenstrang am Foramen apikale abreißt. Daraus
resultiert eine Ischämie mit nachfolgender Koagulationsnekrose des Ge-
webes. Bei der sterilen Nekrose finden sich keine Mikroorganismen im
Wurzelkanalsystem und somit verursacht sie keine apikale Parodontitis.
Über die Zeit kommt es zumeist zu einer mikrobiellen Besiedlung des
Endodonts über Dentinkanälchen, Cracks, Risse, Karies etc. Eine Ana-
chorese kann vermutlich eine Infektion des Endodonts nicht verursa-
chen.
Wenn es zum Tod der Pulpa gekommen ist, liegt zumeist eine infi-
zierte Nekrose vor. Das abgestorbene Pulpagewebe wird durch Mikroor-
ganismen zersetzt. Es kommt zu einer Kolliquationsnekrose mit Verflüs-
sigung des Gewebes durch Autolyse. Der typische Gangrängeruch der
infizierten Nekrose resultiert aus dieser Zersetzung (Indol, Skatol,
Schwefelwasserstoff). Da eine Blutversorgung der nekrotischen Pulpa
nicht mehr existiert, können Abwehrzellen den Ort der Infektion nicht
erreichen.

Die infizierte Nekrose stellt das Endstadium aller Pulpitiden dar.

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 363

Abb. 10.3: Im Bereich der


Mündungen der beiden Sei-
tenkanäle sind Läsionen im 1
Sinne einer apikalen Paro-
dontitis erkennbar. In etwa
5% der Fälle stellen sich 2
Läsionen endodontischen
Ursprungs nicht an der
Wurzelspitze, sondern als 3
laterale/pararadikuläre
Läsionen dar.
4
5
6
7
8
9
10.3 Parodontitis apicalis
10
! Die apikale Parodontitis ist eine Entzündung pulpalen Ursprungs
im periapikalen Desmodont und in den Knochenmarksräumen
mit Resorption des den Apex umgebenden Knochens. 11
Die Parodontitis apicalis ist eine Entzündung des apikalen Gewebes, die 12
zur Resorption des den Apex umgebenden Knochen und zur reaktiven
Bildung von Granulomen oder Zysten führen kann. Das Pulpagewebe 13
ist über das Foramen apicale und Seitenkanäle direkt mit dem apikalen
Parodont verbunden. Eine Parodontitis kann sich nicht nur im Bereich
des Apex, sondern auch an den Mündungen von Seitenkanälen (s. Abb.
14
10.3) und Furkationskanälen entwickeln.
Erkrankungen des periapikalen Gewebes mit endodontischer Ursa- 15
che lassen sich grundsätzlich in akute und chronische Formen einteilen
(s. Tab. 10.3). 16
Tab. 10.3: Übersicht über die Erkrankungen des periapikalen Gewebes endo-
dontischen Ursprungs 17
Akute Formen Chronische Formen
Parodontitis apicalis acuta Parodontitis apicalis chronica 18
Akuter apikaler Abszess Sklerosierende Ostitis
Chronisch-granulierende Form (Fistel) 19
Apikales Granulom
Radikuläre Zyste
20

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364 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

Apikale Parodontitiden müssen differenzialdiagnostisch abgegrenzt


werden von spezifischen Erkrankungen, die in keinem Zusammenhang
mit vorausgegangenen Erkrankungen der Pulpa stehen. Hierzu zählen
die periapikale Osteofibrose, das Zementoblastom, das sklerosierende Fi-
brom und als unspezifische Erkrankungen das zentrale Riesenzellgranu-
lom und Neoplasien.

10.3.1 Ätiologie der Parodontitis apicalis

Die möglichen Ursachen einer Parodontitis apicalis sind in der Abbil-


dung 10.4 dargestellt. Zumeist ist eine Pulpitis oder eine infizierte Pul-
panekrose die direkte Ursache einer Parodontitis apicalis.
Ist die Pulpa nekrotisch geworden, aber nicht oder noch nicht bak-
teriell infiziert, enthält die Pulpakammer abgestorbene Zellen und Ge-
webe, stagnierende Gewebeflüssigkeit und zelluläre Abbauprodukte.
Viele dieser Abbauprodukte sind zytotoxisch und können einen Reiz auf
das gesunde periapikale Gewebe auslösen. Solange allerdings keine Be-
siedelung der Pulpakammer mit Mikroorganismen stattgefunden hat,
bleibt der Reiz mild und der Zahn klinisch unauffällig.
Infektion des Voraussetzung für die Infektion des Wurzelkanals ist eine Verbin-
Wurzelkanals dung zur Mundhöhle. Diese Verbindung kann verschiedene Ursachen
haben, so z.B. undichte Restaurationen, exponierte Dentinareale und
Schmelz- oder Dentinrisse.
Eine apikale Parodontitis wird fast immer durch Mikroorganismen
im Wurzelkanal ausgelöst. Der nekrotische Inhalt des Wurzelkanals
und möglicherweise eindringender Speichel bilden das Substrat für die
Mikroorganismen, die der normalen Mundhöhlenflora entstammen.
Bei Patienten mit kompetenter körpereigener Immunabwehr liegt in
85–95% der Fälle die Infektion nur im Endodont vor. Das periapikale
Gewebe ist auch bei Vorliegen einer Parodontitis apicalis in den aller-
meisten Fällen nicht infiziert.

Die Parodontitis apicalis ist eine Reaktion auf eine Infektion im En-
dodont. Das periapikale Gewebe ist zumeist nicht infiziert.

Zumeist Spontanheilung Apikale Parodontitis

Kurzzeitige Irritationen Infizierter Wurzelkanal Ohne Infektion


• Präparationstrauma • Pulpitis • Traumatische Okklusion
• Austrocknung des Dentins • Infizierte Pulpanekrose • Parodontale Läsion
• Wurzelkanalaufbereitung • Fremdkörperreaktion
• Trauma
Abb. 10.4: Mögliche Ursachen einer Parodontitis apicalis

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 365

Wenn Mikroorganismen aus der Mundhöhle einen Zugang zum Endo-


dont gefunden haben, entwickelt sich im Laufe der Zeit eine besonders 1
pathogene Flora. Im Wurzelkanal können sich Biofilme an der Kanal-
wand ausbilden, die den einzelnen Mikroorganismen einen ausgezeich- 2
neten Schutz bieten und es ihnen ermöglichen, sich auf veränderte Le-
bensbedingungen einzustellen. So steigt z.B. die Toleranz gegenüber ex-
tremen pH-Werten sowie gegenüber Bakteriziden. Mikroorganismen im
3
Biofilm sind daher weit weniger empfindlich gegenüber desinfizieren-
den Maßnahmen (Wurzelkanalspülung, medikamentöse Wurzelkanal- 4
einlage) als planktonische, frei im Wurzelkanal vorliegende Keime. Der
histologische und mikrobiologische Zustand des Gewebes in Seitenka- 5
nälen entspricht dem Zustand im Hauptkanal.
Die in infizierten Wurzelkanälen vorkommenden Mikroorganismen
stellen im Vergleich zur Gesamtflora der Mundhöhle nur ein beschränk-
6
tes Spektrum dar. Die Tabelle 10.4 gibt einen Überblick über Bakterien-
stämme und Spezies, Pilze und Viren, die häufig aus infizierten Wurzel- 7
kanälen bei einer bestehenden Parodontitis apicalis isoliert wurden. Die
speziellen ökologischen Verhältnisse im Wurzelkanal führen zu einem 8
selektiven Wachstum bestimmter Bakterienspezies. Je länger ein Wur-
zelkanal infiziert ist, desto mehr dominieren die Anaerobier. Etwa 90% 9
aller in infizierten Wurzelkanälen gefundenen Bakterien sind obligat
anaerob. Bestimmte Bakterien entwickeln sich erst im Zusammenwir-
ken mit anderen.
10
Ein infizierter Wurzelkanal kann 103–108 Bakterienzellen und 10–
30 Spezies beherbergen. Zähne mit großen apikalen Läsionen weisen 11
häufiger mehr verschiedene Spezies auf und beherbergen auch eine grö-
ßere Anzahl an Mikroorganismen. Die Bakterien, die am häufigsten so- 12
wohl in akuten als auch in chronischen primären Infektionen des Wur-
zelkanals entdeckt werden, gehören zu verschiedenen Genera von gram- 13
negativen Bakterien (Fusobacterium, Dialister, Porphyromonas, Prevotella,
Tannerella, Treponema, Campylobacter und Veillonella) und grampositiven
Bakterien (Parvimonas, Filifactor, Pseudoramibacter, Olsenella, Actinomyces,
14
Peptostreptococcus, Streptococcus, Propionibacterium und Eubacterium).
Auch nach mehrmaliger Behandlung einer persistierenden apika- 15
len Parodontitis wird oft eine von der Primärinfektion abweichende
Flora mit geringerer Diversität gefunden. Am häufigsten wurden Entero- 16
coccus faecalis und Candida albicans mit einer Prävalenz von bis zu 90%
in zuvor schon wurzelkanalbehandelten Zähnen entdeckt.
Damit Mikroorganismen in wurzelkanalbehandelten Zähnen über-
17
leben können, müssen sie über bestimmte Eigenschaften verfügen.
Hierzu gehören hauptsächlich folgende Fähigkeiten: 18
 Besiedlung des Wurzelkanals und Bildung dichter Aggregate oder
Biofilme 19
 Penetration in die Dentintubuli bis in große Tiefe als Schutz vor en-
dodontischen Maßnahmen 20
 Resistenz gegen herkömmliche Desinfektionsmittel des Wurzelkanals

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366 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

Tab. 10.4: Bakterienstämme und ihre häufigsten Repräsentanten im Wurzelkanal sowie Pilze und
Viren bei endodontischen Infektionen (nach Siqueira 2011)
Gramnegative Bakterien Grampositive Bakterien
Anaerobier Fakultative Anaerobier Anaerobier Fakultative Anaerobier
Stäbchen
Dialister Capnocytophaga Actinomyces Actinomyces
D. invisus C. gingivalis A. israelii A. naeslundii
D. pneumosintes C. ochracea A. gerencseriae
unkultivierte Phylotypen A. meyeri
A. odontolyticus
Porphyromonas Eikenella Pseudoramibacter Corynebacterium
P. endodontalis E. corrodens P. alactolyticus C. matruchotii
P. gingivalis
Tannerella Aggregatibacter Filifactor Lactobacillus
T. forsythia A. aphrophilus F. alocis L. salivarius
A. actinomycetemcomi- L. acidophilus
tans L. paracasei
Prevotella Eubacterium
P. intermedia E. infirmum
P. nigrescens E. saphenum
P. tannerae E. nodatum
P. denticola E. brachy
P. multissacharivorax E. minutum
P. baroniae
unkultivierte Phylotypen
Fusobacterium Mogibacterium
F. nucleatum M. timidum
F. periodonticum M. pumilum
unkultivierte Phylotypen M. neglectum
M. vescum
Campylobacter Propionibacterium
C. rectus P. acnes
C. gracilis P. propionicum
C. curvus
C. showae
Synergistes Eggerthella
unkultivierte Phylotypen E. lenta
Pyramidobacter Olsenella
P. piscolens O. uli
O. profusa
unkultivierte Phylotypen
Jonquetella Bifidobacterium
J. anthropi B. dentium

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 367

Tab. 10.4: Fortsetzung


Gramnegative Bakterien Grampositive Bakterien 1
Anaerobier Fakultative Anaerobier Anaerobier Fakultative Anaerobier
Stäbchen 2
Catonella Solobacterium
C. morbi S. moorei 3
unkultivierte Phylotypen
Lactobacillus 4
L. catenaformis
Kokken 5
Veillonella Neisseria Parvimonas Streptococcus
V. parvula N. mucosa P. micra S. mitis 6
unkultivierte Phylotypen N. sicca S. sanguinis
S. gordonii
S. oralis 7
Megasphaera Peptostreptococcus Enterococcus
unkultivierte Phylotypen P. anaerobius E. faecalis 8
P. stomatis
unkultivierte Phylotypen
9
Anaeroglobus Finegoldia Granulicatella
A. geminatus F. magna G. adiacens
Peptoniphilus 10
P. asaccharolyticus
P. lacrimalis 11
Anaerococcus
A. prevotii
Streptococcus 12
S. anginosus
S. constellatus 13
S. intermedius
Gemella
G. morbillorum 14
Spirochäten
Treponema
15
T. denticola
T. socranskii 16
T. parvum
T. maltophilum
T. lecithinolyticum
17
T. medium
Pilze 18
Candida albicans
Viren
19
Epstein-Barr
20
humanes Zytomegalie-Virus

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368 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

10.3.2 Parodontitis apicalis acuta

Die Mischflora im Endodont produziert Exotoxine (sezerniert von le-


benden Mikroorganismen), Endotoxine (aus der Zellmembran toter
grampositiver Bakterien) sowie Enzyme (Kollagenase, Protease). Diese
Stoffe diffundieren aus dem Wurzelkanal in das periapikale Gewebe und
setzten dort eine Kaskade von pathologischen Prozessen in Gang. Die
Exotoxine verursachen eine Lyse der Zellmembran der Leukozyten, die
Endotoxine, insbesondere Lipopolysaccharide, führen durch Interaktio-
nen mit Makrophagen zur Freisetzung spezieller Mediatoren (TNFα, In-
terleukine) und die Enzyme bewirken einen Abbau von Plasmaprotei-
nen der humoralen Abwehr (Immunglobulin A, G und M, Komple-
mentfaktor C). Histologisch sind zu diesem Zeitpunkt eine Hyperämie
der Wurzelhaut, eine maximale Erweiterung der Blutgefäße, freie Ery-
throzyten im Gewebe sowie perivaskuläre Ödeme zu erkennen. Sehr
rasch kommt es zur Diapedese von Monozyten und neutrophilen Gra-
nulozyten. Die Monozyten und Makrophagen setzen sodann Leuko-
triene, Prostaglandine, TNFα und Interleukine frei. Einerseits sind diese
Mediatoren für die Schmerzhaftigkeit der akuten apikalen Parodontitis
verantwortlich, andererseits aktivieren sie die Osteoklasten und degra-
dieren die extrazelluläre Matrix. Es kommt zum Knochenabbau.
Klinik Klinisch bestehen zumeist starke Schmerzen. Typisch sind das Ge-
fühl der Zahnelongation und Schmerzen bei axialer Belastung. Die
Sensibilitätsprobe ist zumeist negativ, die Zahnbeweglichkeit kann er-
höht sein und oft ist bei Palpation eine Druckdolenz auf Höhe der Wur-
zelspitze zu bemerken. Da klinisch der histologische Zustand des peria-
pikalen Gewebes nicht zuverlässig diagnostiziert werden kann, sollte als
klinische Diagnose nicht akute apikale Parodontitis, sondern sympto-
matische apikale Parodontitis gestellt werden.
Röntgen Röntgenologisch sind akute Parodontitiden im Anfangsstadium
meist unauffällig, d.h., sie stellen sich im Röntgenbild nicht als perira-
dikuläre Aufhellung dar. Allenfalls ist radiologisch eine geringgradige
Erweiterung des Parodontalspaltes zu erkennen. Das Röntgenbild hinkt
der histologischen Entwicklung einer akuten apikalen Parodontitis etwa
3–4 Wochen hinterher.
Abszesse Gelangen Keime aus dem Wurzelkanalsystem ins periapikale Ge-
webe, werden sie physiologischerweise umgehend von dort vorliegen-
den Makrophagen und Granulozyten phagozytiert. Einige hochpatho-
gene Keime der Mischflora im Endodont gelingt es allerdings in einigen
Fällen, trotz der körpereigenen Immunabwehr ins periapikale Gewebe
vorzudringen (v.a. Bacteroides-Stämme und Peptostreptokokken). Wenn
Mikroorganismen jenseits des Apex gefunden werden, handelt es sich
klinisch i.d.R. um akute Verlaufsformen wie akute apikale Abszesse.
In Abszessen herrschen zu 90–100% anaerobe Bakterien vor. Typi-
scherweise handelt es sich um Kombinationen von anaeroben gramne-
gativen Stäbchen, grampositiven Kokken und fakultativ anaeroben

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 369

Streptokokken. Geht von einem Zahn ein apikaler Abszess aus, so ist das
periapikale Gewebe zumeist mit 2–8 verschiedenen Keimen besiedelt. 1
Histologisch handelt es sich beim apikalen Abszess um ein massives
zelluläres Infiltrat mit zahlreichen neutrophilen Granulozyten; zentral 2
liegt ein nekrotischer Herd mit Pusansammlung vor. In Abhängigkeit
von der Virulenz der verursachenden Keime und der Körperabwehr
kann sich aus einem apikalen Abszess in seltenen Fällen eine Osteo-
3
myelitis ausbilden.
Akute Abszesse können auch auf der Basis einer chronischen apika- 4
len Parodontitis entstehen, wenn sich die Virulenz der Bakterien oder die
Abwehrlage ändert (akute Exazerbation, auch als Flare-up oder früher 5
als Phönixabszess bezeichnet). Häufig werden iatrogene Ursachen (Über-
instrumentierung, Überfüllung) als Ursache angegeben. Nach neueren
Erkenntnissen scheinen Viren für die Entstehung einer akuten apikalen
6
Parodontitis und für eine akute Exazerbation einer chronischen apikalen
Parodontitis eine dominante Rolle zu spielen (z.B. Epstein-Barr-Virus). 7
Der periapikale Abszess ist eine schmerzhafte, hoch akut verlau- 8
fende Entzündung endodontischen Ursprungs im periapikalen Ge-
webe. 9

10.3.3 Parodontitis apicalis chronica


10
Die chronische apikale Parodontitis entwickelt sich i.d.R. aus der akuten 11
apikalen Parodontitis (s. Abb. 10.5) und ist als Ruhezustand unter vorü-
bergehender oder dauerhafter Inaktivität der im Endodont angesiedel- 12
ten Mikroorganismen zu verstehen. Diese sind zudem zumeist durch
eine dichte Ansammlung neutrophiler Leukozyten oder durch Epithel- 13
zellen am Foramen apicale von der periapikalen Region getrennt. Es
handelt sich somit um einen Gleichgewichtszustand zwischen der Kör-
perabwehr und den im Endodont lokalisierten Mikroorganismen. Im
14
periapikalen Gewebe liegen Lymphozyten, Plasmazellen, Monozyten
und Makrophagen vor. Eine akute Exazerbation der chronischen apika- 15
len Parodontitis ist jederzeit möglich.
16
17
18
19
a b c d

Abb. 10.5: Formen der apikalen Parodontitis: a) akute Parodontitis apicalis, b) chronische Parodontitis api- 20
calis, c) wahre Zyste, d) Taschenzyste (nach Nair 2008)

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370 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

a b

Abb 10.6: a) Asymptomatische apikale Parodontitis ausgehend vom Zahn 27; b) Zustand 9 Monate nach
Wurzelkanalbehandlung. Es scheint zu einer vollständigen knöchernen Regeneration des periapikalen Ge-
webes gekommen zu sein.

Diagnostik Klinisch ist die chronische Parodontitis meist unauffällig. Daher


sollte die klinische Diagnose asymptomatische apikale Parodontitis
lauten. Die Sensibilitätsprobe ist negativ; weitere klinische Befunde sind
zumeist nicht zu erheben. Röntgenologisch zeigt sich neben der Erwei-
terung des Desmodontalspalts eine variabel große Knochenläsion
(s. Abb. 10.6). Bei einer seit längerer Zeit bestehenden chronischen api-
kalen Parodontitis kommt es nicht nur zu einer Resorption des die Wur-
zelspitze umgebenden Knochens, sondern im geringen Umfang ist auch
mit einer Resorption der Wurzel respektive Wurzelspitze zu rechnen.
Differenzialdiagnostisch sind folgend radiologisch erkennbare Kno-
chenveränderungen nicht endodontischen Ursprungs in Erwägung zu
ziehen: Zysten (z.B. Keratozyste, mediane Zyste, globulomaxilläre Zyste,

a b

Abb. 10.7: a, b) Ossifizierende Fibrome assoziiert mit den Unterkieferfrontzähnen


32, 31 und 42. Diese Veränderung tritt vornehmlich in der Unterkieferfront, häufig
an mehreren Zähnen gleichzeitig auf. Initial ist eine Aufhellung zu beobachten;
erst nachfolgend mineralisiert die Läsion partiell.

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 371

Chronische apikale Parodontitis 1


2
Sklerosierende Ostitis Chronisch-granulierende Form Apikales Granulom

3
Radikuläre Zyste

Abb. 10.8: Klinische und histologische Zustandsformen der chronischen apikalen Parodontitis 4
Ductus-palatinus-Zyste), zentrales Riesenzellgranulom, Ameloblastom 5
und ossifizierende Fibrome (s. Abb. 10.7).
Bei anhaltendem chronischem Verlauf einer apikalen Parodontitis
können sich klinisch und histologisch verschiedene Zustandsformen
6
der chronischen apikalen Parodontitis ausbilden (s. Abb. 10.8).
Ursache der verschiedenen Zustandsformen einer chronischen api- 7
kalen Parodontitis ist stets eine Infektion im Wurzelkanalsystem. Inso-
fern ist immer eine orthograde Wurzelkanalbehandlung die Therapie 8
der ersten Wahl.
9
Sklerosierende Ostitis
Eine sklerosierende Ostitis, auch als periradikuläre Osteosklerose be-
zeichnet, ist eine produktive Form der chronischen apikalen Parodonti-
10
tis und stellt sich im Röntgenbild als lokalisierte Osteosklerose des
Knochens im periapikalen Bereich dar (s. Abb. 10.9). Radiologisch ist 11
eine unscharfe, unregelmäßig begrenzte Verschattung um die Wurzel-
spitze zu beobachten; der Parodontalspalt ist zwischen Verschattung 12
und Wurzel weiterhin erkennbar.
13
Abb. 10.9: Sklerosierende
Ostitis bei einem unteren
Prämolaren 14
15
16
17
18
19
20

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372 10 Erkrankungen der Pulpa und des periapikalen Gewebes

Chronisch granulierende apikale Parodontitis


Hierbei handelt es sich um eine Fistel endodontischen Ursprungs. Es
kommt zur Ausbildung von Granulationsgewebe, das sich progressiv,
langsam, unter Bildung einer Fistel einen Weg durch den Knochen
bahnt. Zumeist münden Fisteln intraoral, können aber gelegentlich ih-
ren Austritt auch extraoral haben. Zu Absicherung der Diagnose sollte
ein Fistelgang nach Einführen eines Guttaperchastiftes röntgenologisch
dargestellt werden.

Apikales Granulom
Bei anhaltendem chronischem Verlauf wird das ursprüngliche Gewebe
im apikalen Bereich durch Granulationsgewebe ersetzt; es bildet sich
ein apikales Granulom aus. Um das Foramen apicale kommt es zu
einer kugelförmigen Ansammlung von Granulationsgewebe, dem Gra-
nulom. Durch das Wachstum des Granuloms kommt es zur Knochen-
und – in geringem Umfang – Wurzelresorption.
Histologisch handelt es sich um leicht entzündetes Gewebe, teil-
weise Granulationsgewebe mit zahlreichen T-Lymphozyten, Plasmazel-
len und in bis zu 40% der Fälle mit neutrophilen Granulozyten. Die zen-
trale Einschmelzung enthält in 60% der Fälle abgekapselte Mikroabs-
zesse. Eine derbe bindegewebige Abkapselung umgibt den Prozess. Diese
Bindegewebskapsel wird von Blut- und Lymphgefäßen durchzogen, ent-
hält Nervenfasern und haftet über Sharpey-Fasern fest an der Wurzel-
oberfläche. Etwa 50% aller Granulome enthalten Malassez-Epithelreste.

Radikuläre Zyste
Etwa 10–20% der apikalen Granulome erfahren im Laufe der Zeit eine
Umwandlung zur radikulären Zyste. Es kommt zur Proliferation der zu-
vor ruhenden, in der Bindegewebskapsel des Granuloms liegenden Epi-
thelstränge. Die Epithelproliferation wird vermutlich durch bakterielle
Antigene angeregt. Dieses Epithel kleidet den zentralen Hohlraum als
mehrschichtige epitheliale Zystenwand aus. Der flüssige oder breiige
Zysteninhalt enthält nekrotische Zellen, neutrophile Granulozyten,
Makrophagen und Cholesterinkristalle. Die Zystenflüssigkeit weist des-
halb eine höhere Osmolarität als das Serum auf. Die Zyste nimmt daher
Flüssigkeit auf. Aufgrund des im Zystenlumen zunehmenden Druckes
und der Freisetzung von Prostaglandinen, welche osteoklastenstimulie-
rend wirken, resultiert eine Knochenresorption und damit ein Zysten-
wachstum. Etablierte Zysten können Größen von einigen Millimetern
bis zu 1,5 cm im Durchmesser haben.

Radiologisch ist eine Differenzierung zwischen apikalen Granulom


und radikulärer Zyste nicht möglich.

Radikuläre Zysten machen nur ca. 15% aller entzündlichen Verände-


rungen des periapikalen Gewebes aus.

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10.3 Parodontitis apicalis Kapitel 10 373

Abb. 10.10: Wahre


Zyste und Taschen-
zyste 1
2
3
4
Wahre Zyste Taschenzyste
5
Grundsätzlich sind zwei unterschiedliche Arten von radikulären
Zysten zu unterscheiden: die wahre Zyste und die Taschenzyste. Diese
Einteilung
6
Unterscheidung kann allerdings nur histologisch, nicht jedoch klinisch
getroffen werden. 7
Während die Taschenzyste zum Wurzelkanal hin offen ist, ist die
wahre Zysten durch ein mehrschichtiges Epithel zum Wurzelkanal hin 8
abgegrenzt (s. Abb. 10.10). Die periapikale Taschenzyste macht etwa 6%
und die wahre Zyste ca. 9% aller periradikulären Läsionen aus. 9
Die periradikuläre Taschenzyste heilt nach einer orthograden Wur-
zelkanalbehandlung aus. Nur die wahre Zyste erfordert neben einer or-
thograden Wurzelkanalbehandlung ein chirurgisches Vorgehen. Da ei-
10
nerseits radikuläre Zysten nicht sicher von einem apikalen Granulom
differenziert werden können und andererseits die wahren Zysten nur ei- 11
nen sehr geringen Anteil aller periradikulären Läsionen endodonti-
schen Ursprungs ausmachen, sollte auch bei Verdacht auf Vorliegen ei- 12
ner radikulären Zyste die Therapie der ersten Wahl immer die konven-
tionelle orthograde Wurzelkanalbehandlung sein. 13
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Kapitel 11 375

11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik pulpaler


und periapikaler Erkrankungen sowie 1
Behandlung der erkrankten Pulpa
2
3
4
! Eine korrekte Diagnose ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche
Therapie. Besonders bei unklaren Schmerzbildern sind ein syste-
matisches Vorgehen und die Kombination aller erhobenen Be- 5
funde erforderlich.
6
11.1 Endodontische Schmerzsymptomatik
7
! Schmerz ist ein subjektives Phänomen, das durch Reizung der
Nervenendigungen ausgelöst wird. 8
Ein Nervenimpuls wird durch physische, emotionelle und kulturelle 9
Faktoren modifiziert. Dies bedeutet, dass vergleichbare Reize von ver-
schiedenen Personen sehr unterschiedlich empfunden werden können.
Die Angaben der Patienten über Art und Intensität von Schmerzen kön-
10
nen also nur mit Einschränkungen bei der Diagnosestellung helfen.
Für die Schmerzvermittlung eines hellen, umschriebenen Schmer- Schmerz- 11
zes, wie er bei der Dentinhypersensibilität auftritt, werden die schnellen vermittlung
A-Delta-Fasern verantwortlich gemacht. Dumpfe Schmerzen wie bei ei- 12
ner irreversiblen Pulpitis werden mit den C-Fasern in Verbindung ge-
bracht. 13
Als Mechanismus für die Schmerzauslösung bei einer Pulpitis wer- Schmerz-
den hauptsächlich zwei Wege diskutiert: eine direkte Erregung freier auslösung
Nervenendigungen durch mikrobielle Endotoxine (Lipopolysaccharide)
14
oder eine durch die angeborene bzw. die erworbene Immunantwort
(bei chronischen Infektionen) vermittelte Reaktion. Hierbei werden 15
über Mediatoren (Kinine, Prostaglandine u.a.) eine Vasodilatation und
eine Plasmaextravasation ausgelöst, die dann zu einer Erhöhung des lo- 16
kalen Gewebedrucks, zum Abfall des pH-Werts und damit zur Erniedri-
gung der Schwelle der Nozizeptoren führen. Entzündungsmediatoren
können aber auch direkt eine Reizung freier Nervenendigungen verursa-
17
chen. Durch Entzündung und Gewebeschädigung werden die C-Fasern,
die eine hohe Reizschwelle haben, erregt. 18
Bei wiederholten Reizen und Ausschüttungen sogenannter Neuro-
peptide (z.B. Substanz P) kann es im Pulpagewebe zur Aussprossung von 19
neuen Nervenfasern im Bereich der Reizeinwirkung kommen. Dies
kann innerhalb eines Zeitraums von wenigen Tagen zu einer Verstär- 20
kung der Schmerzsensationen führen.

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376 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

Aus klinischer Sicht bietet sich bei pulpitischen Schmerzen eine


Unterteilung in reversible und irreversible Pulpitis an. Davon abzu-
grenzen ist die Dentinhypersensibilität.

11.1.1 Dentinhypersensibilität

Wenn der Zahnschmelz als Schutzmantel der Pulpa und des Dentins aus
physiologischen oder unphysiologischen Gründen verloren geht oder
Wurzeldentin zur Mundhöhle exponiert ist, können bereits geringe
Reize zu einer erheblichen Schmerzempfindung führen. Beispiele hier-
für sind frei liegende Zahnhälse, keilförmige Defekte, Erosionen, Karies
oder undichte Füllungen. In den meisten Fällen ist die Pulpa eines hy-
persensibel reagierenden Zahnes gesund und entzündungsfrei.
Schmerzaus- Zu den schmerzauslösenden Reizen zählen thermische, mechani-
lösende Reize sche, osmotische und elektrische Reize. Obwohl eine Beziehung zwi-
schen neuralen Strukturen und Odontoblasten demonstriert werden
konnte, ist der genaue Mechanismus der Schmerzübertragung vom
Dentin auf die neuralen Strukturen der Pulpa nicht ganz geklärt.
Schmerz- Theorien, die von einer direkten Nervenstimulation ausgehen oder
entstehung dem Odontoblastenfortsatz eine Rezeptorfunktion zuschreiben, konn-
ten bisher nicht erhärtet werden. Am besten lässt sich die Schmerzent-
stehung mit der hydrodynamischen Theorie erklären. Danach wird
der Schmerz durch mechanische Stimulation der Nerven im zirkumpul-
palen Dentin und in den peripheren Pulpabereichen ausgelöst. Der Reiz
wird durch Flüssigkeitsbewegung in den Dentinkanälchen verursacht.
Pulpa und Dentinkanälchen enthalten Gewebeflüssigkeit mit einem hy-
drostatischen Druck von etwa 30 mmHg und damit ein Druckgefälle
nach außen. Die Flüssigkeit in den Dentinkanälchen ist durch Kapillar-
kräfte fixiert. Durch physikalische, chemische oder osmotische Reize
kann eine Flüssigkeitsbewegung ausgelöst werden. Typische Ursachen
für die Auslösung von Flüssigkeitsbewegungen in die eine oder andere
Richtung sind das Trockenpusten der Kavität, Applikation von Kälte
oder Wärme oder die Einwirkung osmotisch aktiver Substanzen wie z.B.
Zucker. Charakteristisch für diesen reizabhängigen Zahnschmerz ist der
offensichtliche Zusammenhang zwischen auslösendem Reiz und
Schmerzempfindung. Charakteristisch für die Dentinhypersensibilität
ist, dass nach Applikation des Reizes der Schmerz sofort auftritt und
nach Entfernung sofort wieder verschwindet. Reizdauer und Schmerz-
dauer sind identisch.
Diagnostik Zur Absicherung der Diagnose sollten die Beschwerden des Patien-
ten provoziert werden. Kann durch gezielte Applikation von Luft (Luft-
püster) oder stark osmotischer Substanzen (z.B. wässrige Kalziumchlo-
rid-Lösung) das Beschwerdebild ausgelöst werden, bestätigt dies die Ver-
dachtsdiagnose einer Dentinhypersensibilität. Eine endodontische

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11.1 Endodontische Schmerzsymptomatik Kapitel 11 377

Therapie ist nicht erforderlich; die exponierten Dentinareale sollten ver-


siegelt werden. 1
2
11.1.2 Symptomatische Pulpitis
3
! Wenn pulpitische Beschwerden auftreten, können diese durch
eine akute Pulpitis oder die Exazerbation einer chronischen Pulpi-
tis verursacht worden sein. 4
Unter klinisch-therapeutischen Aspekten ist es vollkommen ausrei- 5
chend, zwischen reversibler (Vitalerhaltung der Pulpa möglich) und ir-
reversibler Pulpitis (Wurzelkanalbehandlung muss eingeleitet werden)
zu unterscheiden (s. Tab. 11.1).
6
Der Begriff reversible Pulpitis beschreibt eher klinische Erfahrungs-
werte als eine wirkliche Diagnose des Zustands der Pulpa. Am ehesten 7
möglich ist eine Ausheilung, wenn das Stadium der Hyperämie noch
nicht überschritten ist; aber auch in späteren Stadien ist eine Defekthei- 8
lung oder zumindest Schmerzfreiheit nicht ausgeschlossen (s. Kap.
10.2). 9
Zur Differenzierung zwischen einer reversiblen und einer irreversi- Pulpitis-
blen Pulpitis sollte zunächst eine strukturierte Schmerzanamnese erho- Diagnostik
ben werden. Folgende Fragen sollten dem Patienten gestellt werden:
10
 Was löst den Schmerz aus?
 Überdauert der Schmerz den auslösenden Reiz? 11
 Was lindert den Schmerz?
 Besteht Nachtschmerz? 12
 Treten die Schmerzen auch spontan, also ohne auslösenden Reiz,
auf? 13
 Wie lange bestehen die Schmerzen schon?

14
Tab. 11.1: Schmerzsymptomatik bei reversibler und irreversibler Pulpitis
15
Reversible Pulpitis Irreversible Pulpitis
Schmerzauslöser Thermische und osmo- Wärme 16
tische Reize
Schmerzdauer Entspricht Reizdauer Reizüberdauernd
17
Nachtschmerz Nein Ja
Schmerzlinderung durch Kälte Nein Ja 18
Spontanschmerz Nein Ja
Schmerzvorgeschichte Kurz Lang 19
Schmerz lokalisierbar Ja Nein
Schmerzart Ziehend, stechend Pulsierend, pochend
20

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378 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

Charakteristisch für eine reversible Pulpitis ist, dass bei einwirkenden


Reizen wie heiß, kalt, süß oder sauer die Schmerzempfindung die Reiz-
einwirkung nicht oder nur kurz überdauert (s. Tab. 11.1). Die Schmer-
zen können gut einem bestimmten Zahn zugeordnet werden und beste-
hen zumeist erst seit kurzer Zeit. Oft findet sich ein solches Schmerzbild
bei einer Dentinkaries und auch bei undichten Restaurationen. Eine Ab-
grenzung zur Dentinhypersensibilität ist schwierig, da sich die Schmerz-
bilder stark ähneln.
Bei der Schmerzsymptomatik der irreversiblen Pulpitis steht die
Wärme als auslösender Reiz im Vordergrund, wobei der Schmerz den
Reiz überdauert. Die Patienten geben einen Nachtschmerz an und be-
richten, dass Kälte den Schmerz lindert. Richtungweisend für die Diag-
nostik ist der Spontanschmerz. Die Schmerzen treten ohne einen auslö-
senden Reiz auf, was bei der reversiblen Pulpitis nahezu nie der Fall ist.
Die Schmerzvorgeschichte ist deutlich länger als bei der reversiblen Pul-
pitis. Ein weiterer charakteristischer Befund ist die massive Verstärkung
eines bestehenden Dauerschmerzes durch eine Sensibilitätsprobe mit-
tels Kälte.

Charakteristisch für eine irreversible Pulpitis sind: spontan auftre-


tende Schmerzen, Reiz überdauernde Schmerzen, Schmerzen auf
Wärme, Nachtschmerz sowie bereits seit längerer Zeit bestehende
Schmerzen.

Während bei der reversiblen Pulpitis nach Entfernung des auslösenden


Reizes, i.d.R. eine Dentinkaries oder eine undichte koronale Restaura-
tion, eine Vitalerhaltung der Pulpa angezeigt ist, erfordert eine irreversi-
ble Pulpitis immer die Einleitung einer Wurzelkanalbehandlung.

11.1.3 Symptomatische apikale Parodontitis

In der Anfangsphase einer symptomatischen Parodontitis apicalis


kann es schwierig sein, anhand der Symptome zwischen pulpalem oder
periapikalem Schmerz zu differenzieren.
Das typische Schmerzbild der symptomatischen Parodontitis apica-
lis ist dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Zahn berührungs-
empfindlich wird und vom Patienten beim Zubeißen als zu hoch emp-
funden wird. Dies wird verursacht, weil das entzündungsbedingte
Ödem den Zahn aus der Alveole drückt. Diagnostisch weisen Schmerzen
bei der vertikalen Perkussion des Zahnes, z.B. mit dem Griff eines zahn-
ärztlichen Instruments, auf eine Entzündung des apikalen Parodonts
hin. Der Zahn kann eine erhöhte Beweglichkeit zeigen und die Sensibi-
litätsprobe ist zumeist negativ.
Die apikale Entzündung kann primär akut sein oder es kann sich um
die Exazerbation eines chronischen Prozesses handeln. Wenn ein akuter

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11.1 Endodontische Schmerzsymptomatik Kapitel 11 379

apikaler Abszess entsteht, kommt es zumeist bis zum Durchbruch des


Abszesses nach außen zu sehr intensiven, anhaltenden Schmerzen. 1
2
11.1.4 Differenzialdiagnose pulpaler und periapikaler Schmerzen
3
! Schmerzen, die durch eine Pulpitis oder Parodontitis apicalis ver-
ursacht werden, müssen differenzialdiagnostisch von zahlreichen
anderen vergleichbaren, Schmerzen verursachenden Erkrankun- 4
gen abgegrenzt werden.
5
Besondere Probleme kann die Abgrenzung zu parodontalen Erkrankun- Parodontal-
gen wie einem Parodontalabszess machen. Die klinische Untersu-
chung, die eine Sensibilitätsprüfung und Sondierung des Parodontiums
abszess
6
beinhalten muss, und das Röntgenbild können Aufschluss über die Art
der Erkrankung geben. Liegt isoliert ein Parodontalabszess vor, ist die 7
Pulpa i.d.R. vital.
Es können aber auch Formen von kombinierten parodontalen und 8
periapikalen Läsionen auftreten.
Eine Restauration, die Vorkontakte aufweist, kann zur Überlastung Vorkontakte 9
und Schädigung der parodontalen Strukturen bzw. zur traumatischen
Okklusion führen. Infolge der Gewebeschädigung kann es zu einer ste-
rilen Entzündung und zu Schmerzen kommen, die bei Beseitigung der
10
Störung reversibel sind. Klinisch gekennzeichnet sind solche Fälle häu-
fig durch eine kürzlich angefertigte Restauration, Schlifffacetten auf der 11
Restauration und Perkussionsempfindlichkeit in Richtung der Überbe-
lastung. 12
Bei einer bestehenden Sinusitis maxillaris werden vom Patienten oft Sinusitis
Überempfindlichkeit auf kalte Reize und Perkussionsempfindlichkeit maxillaris 13
mehrerer benachbarter Zähne angegeben. Neben der Sensibilitätsprü-
fung sollte auf typische Sinusitissymptome – Schmerzen beim Vorn-
überbeugen des Kopfes, Schmerzen bei Druck auf die Suborbitalregion
14
oder die Fossa canina, Erkältungskrankheiten – geachtet werden.
Ausstrahlende Schmerzen von den Zähnen benachbarter Strukturen Benachbarte 15
können mit Zahnschmerzen verwechselt werden. Hierzu zählen vom Strukturen
Kiefergelenk ausgehende Schmerzen beim temporomandibulären 16
Schmerzdysfunktionssyndrom, neurologische Schmerzen bei einer Tri-
geminusneuralgie oder Neuritis und ausstrahlende Schmerzen aufgrund
von Otitis, Osteomyelitis, Zysten und Neoplasien, Erkrankungen der
17
Speicheldrüse, Migräne, Phantomschmerzen u.a.m.
Eine Abgrenzung muss auch zu Dentininfrakturen sowie Wurzel- 18
und Kronenfrakturen aufgrund eines Traumas vorgenommen werden.
19
20

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380 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

11.2 Klinische Diagnostik

! Zur Untersuchung des Patienten gehören vor der operativen Be-


handlung:
 allgemeinmedizinische und spezielle zahnmedizinische Anam-
nese
 Schmerzanamnese
 Extraorale und intraorale klinische Untersuchung
 Sensibilitätsprüfung, Perkussionstest
 Röntgendiagnostik
Zu Beginn der operativen Behandlung:
 Intraoperativer Befund

11.2.1 Allgemeinmedizinische Anamnese

Die allgemeinmedizinische Anamnese soll Klarheit verschaffen, ob der


Gesundheitszustand des Patienten durch die zahnärztliche Behandlung
oder aber der Behandlungsverlauf durch den Gesundheitszustand be-
einflusst werden kann. Der Patient soll in schriftlicher Form Auskunft
geben, ob Herz- und Kreislauferkrankungen, Stoffwechselerkrankungen,
Allergien oder Infektionserkrankungen – speziell Hepatitis und HIV-In-
fektion – vorliegen und ob zurzeit Medikamente (z.B. Blutverdünner,
Bisphosphonate) eingenommen werden (s. auch Kap. 3.1.2).
Zur Vermeidung einer infektiösen Endokarditis respektive einer
transitorischen Bakteriämie ist es beim Vorliegen bestimmter schwerer
Erkrankungen erforderlich, die Behandlung unter Antibiotikaschutz
vorzunehmen. Hierzu zählen insbesondere Patienten mit Herzklappen-
ersatz, Endokarditis in der Anamnese, chirurgisch korrigierte Herzfeh-
ler, Niereninsuffizienz Grad V (Dialyse-Patienten), Patienten mit i.v.
Gabe von Bisphosphonaten, Patienten mit Organtransplantationen
und Patienten nach Radiatio im Kopfbereich. In vielen Fällen ist selbst
bei schwereren Allgemeinerkrankungen die endodontische einer chirur-
gischen Therapie aufgrund der geringeren Belastung vorzuziehen.

11.2.2 Zahnmedizinische Anamnese

Wenn der Patient Beschwerden hat, sollen nicht nur die aktuellen Be-
schwerden, sondern auch die in der Vergangenheit aufgetretenen Be-
schwerden und Therapiemaßnahmen erfragt werden.
Schmerz- Die Schmerzanamnese beinhaltet folgende Fragen:
anamnese  Wann und unter welchen Einflüssen traten die Schmerzen erstmals
auf?
 Wodurch wird der Schmerz ausgelöst oder gelindert (Kälte, Wärme,
Druck) oder tritt er spontan auf?

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11.2 Klinische Diagnostik Kapitel 11 381

 Wie lange hält der Schmerz an?


 Wie ist die Schmerzqualität (hell, dumpf, pulsierend usw.)? 1
 Sind die Schmerzen lokalisierbar, diffus oder ausstrahlend?
2
Bei der Erhebung der Schmerzanamnese ist zu berücksichtigen, dass
die vorhergehende Einnahme von Analgetika, Barbituraten oder
Psychopharmaka das Schmerzempfinden deutlich verändern kann.
3
Fragen zur Schmerzqualität müssen immer kritisch bewertet werden, da 4
Schmerzen individuell oft sehr unterschiedlich empfunden und be-
schrieben werden. 5

11.2.3 Klinische Untersuchung


6

Die allgemeine klinische Untersuchung erfolgt extra- und intraoral. 7


Bei der extraoralen Untersuchung wird vor allem auf folgende Extraorale
Punkte geachtet: Untersuchung 8
 Asymmetrien
 Schwellungen in der Kopf- und Halsregion 9
 Lymphknoten
 Nebenhöhlen
 Kiefergelenk
10
Die intraorale Untersuchung umfasst: Intraorale 11
 Oralhygiene Untersuchung
 Schleimhäute 12
 Zähne, insbesondere Kariesdiagnostik (vgl. Kap. 3.2.1)
 Parodont
13
 Qualität und Quantität von Restaurationen
 Schwellungen
 Fisteln
14
 Zahnverfärbungen
 Zahninfrakturen und Zahnfrakturen 15
Zu den speziellen endodontischen Untersuchungen gehören Palpation, Endodontische 16
Perkussion, Prüfung der Zahnbeweglichkeit, Bestimmung der Taschen- Untersuchung
sondierungstiefen, Prüfung der Okklusionsverhältnisse, Sensibilitätstest
und Röntgenuntersuchung. In seltenen Fällen können die Transillumi-
17
nation, die Testkavität, der Aufbisstest und die selektive Lokalanästhesie
angewendet werden. 18
Von den genannten Tests sind die Perkussionsprobe und die Sensi-
bilitätstestung zumeist die wichtigsten Maßnahmen. 19
20

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382 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

Perkussionstest
Der Perkussionstest ist besonders wichtig zur Abgrenzung und Diagnose
einer Parodontitis apicalis. Die Perkussionsempfindlichkeit eines Zah-
nes wird mit der Fingerkuppe oder, wenn kein Resultat auftritt, mit dem
Griff eines zahnärztlichen Instruments durchgeführt. Ein Beklopfen der
Kauflächen wird als vertikale Perkussion, ein Beklopfen der Seitenflä-
chen als horizontale Perkussion bezeichnet. Zu Vergleichszwecken soll-
ten benachbarte Zähne ebenfalls mit untersucht werden.

Ein positives Ergebnis bei vertikaler Perkussion weist zumeist auf


eine apikale Parodontitis, bei horizontaler Perkussion auf parodon-
tale Ursachen hin.

Auch eine gelockerte Füllung, ein desmodontales Trauma oder vertikale


Zahnfrakturen und Zahninfrakturen können zu positiven Resultaten
führen.

Sensibilitätsprüfung
Die bekanntesten Verfahren zur Sensibilitätsprüfung der Pulpa sind die
Anwendungen von Kälte, Wärme und Strom. Die Verfahren basieren
darauf, dass eine gesunde Pulpa auf die einwirkenden Reize normal rea-
giert, während eine entzündete Pulpa überempfindlich und eine nekro-
tische Pulpa unempfindlich reagiert. Bei der thermischen Sensibilitäts-
prüfung kommt es aufgrund der schnellen Temperaturänderung zu ei-
ner Flüssigkeitsbewegung in den Dentinkanälchen und nachfolgender
Stimulation der A-Delta-Fasern.
Kältetest Für den Kältetest ist die Anwendung von Kohlensäureschnee
(–78,5 °C) oder Dichloridfluormethan (ca. –25 °C) üblich. Die Anwen-
dung von Kohlensäureschnee gilt als sicherste Methode.
Die Kälte soll möglichst an Stellen des Zahnes aufgebracht werden,
die der Pulpa nahe sind (s. Abb. 11.1). Bei korrekter, kurzzeitiger Appli-
kation ist nicht mit einer Schädigung der Pulpa oder der Zahnhartsub-
stanz zu rechnen. Nach Anwendung von Kohlensäureschnee für wenige

Abb. 11.1: Vorgehen bei der


Sensibilitätsprüfung mit
Kohlensäureschnee

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11.2 Klinische Diagnostik Kapitel 11 383

Sekunden kommt es zu einer Temperaturveränderung von nur ca. 2,5 °C


an der Pulpa-Dentin-Grenze. 1
Der Wärmetest wird i.d.R. mit heißer Stangen- oder Plattengutta- Wärmetest
percha durchgeführt. Der Test eignet sich mit Einschränkungen zur Di- 2
agnose einer eitrigen Pulpitis. Die Reizschwelle für Wärme ist aller-
dings sehr hoch, sodass dieses Testverfahren mit großen Ungenauigkei-
ten verbunden ist. Insgesamt werden die thermischen Testverfahren
3
durch Faktoren wie Dicke des Dentins und Sekundärdentins und die
Empfindlichkeit des Patienten beeinflusst. 4
Werden elektrische Impulse durch den Zahn geleitet, wird ein Elektrische
Schmerz verspürt. Zur elektrischen Testung sind monopolare oder bipo- Testung 5
lare Gerätearten verwendbar. Bei den für die Praxis besser geeigneten mo-
nopolaren Geräten wird der Stromkreis über den Zahnarzt geschlossen.
Die zu testenden Zähne werden trockengelegt und mit einem leiten-
6
den Medium, z.B. Zahnpasta, benetzt. Bei Berührung der Zahnoberflä-
che ist darauf zu achten, dass kein Kontakt der Elektrode zu Nachbar- 7
zähnen, Restaurationen, Gingiva oder Schleimhaut der Wange oder
Lippe vorhanden ist, da dies zu falschen Resultaten führen kann. 8
Die Spannung wird nun kontinuierlich aufgebaut, bis der Patient bei
positiver Antwort ein leichtes Kribbeln verspürt. Als negative Antwort 9
wird gewertet, wenn die Skala des Geräts ein Maximum erreicht hat,
ohne dass der Patient einen Reiz verspürt hat.
Trotz zahlreicher Faktoren, die zu falsch positiven oder falsch nega-
10
tiven Ergebnissen führen können, gelten elektrische Testverfahren als
sinnvolle Hilfsmittel, besonders zur Diagnose einer Pulpanekrose. 11
Zahnverfärbungen 12
Klinisch relevant sind rötliche, gräuliche sowie gelb-ockerfarbene Verfär-
bungen der klinischen Krone. Eine rundlich-ovale rötliche Verfärbung 13
(pink spot) der Krone kann auf ein von der Kronenpulpa ausgehendes
internes Granulom oder auf zervikale Resorptionsprozesse hindeuten.
Gräulich-schwarze Verfärbungen weisen auf einen pulpa-avitalen
14
Zahn hin. Verfärbungen, die gelblich-ockerfarben erscheinen, werden
zumeist durch eine Obliteration des Pulpakavums verursacht. 15
Grundsätzlich sollten bei erkennbaren Zahnverfärbungen immer eine
Sensibilitätsprobe und ein diagnostisches Röntgenbild angefertigt werden. 16
Taschensondierungstiefen
Die engmaschige, idealerweise in 1-mm-Schritten zirkumferent um den
17
Zahn herum durchgeführte Bestimmung der Taschensondierungstiefen
ist zur Diagnostik einer Wurzellängsfraktur unerlässlich. Während paro- 18
dontale Taschen zum Sulkus vergleichsweise weit offen sind, ist der Ein-
gang einer durch eine Wurzellängsfrakturen verursachten Tasche sehr 19
eng (s. Abb. 11.2). Punktförmig deutlich erhöhte Taschensondierungs-
tiefen, nicht selten bis zur Wurzelspitze reichend, sind ein deutlicher 20
Hinweis auf eine Wurzellängsfraktur.

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384 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

Abb. 11.2: Schemati-


Durch Wurzellängsfraktur Parodontale scher Vergleich ei-
verursachte Tasche Tasche ner parodontalen
Tasche versus durch
eine Wurzellängs-
fraktur verursachte
Tasche

Fistelgänge
Ein Fistelgang ist das klinische Zeichen einer seit längerer Zeit bestehen-
den asymptomatischen Parodontitis apicalis. Zur Absicherung der Diag-
nose und zur Lokalisation des schuldigen Zahnes sowie zur differenzial-
diagnostischen Abgrenzung gegenüber rein parodontal bedingten oder
durch Wurzelfrakturen verursachten Fistelgängen sollte der Fistelver-
lauf radiologisch dargestellt werden. Hierzu wird ein Guttaperchastift
der ISO-Größe 30 oder 35 in den Fistelgang eingeführt und ein Röntgen-
bild angefertigt (s. Abb. 11.3).

Abb. 11.3: Darstellung von


zwei Fistelgängen

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11.2 Klinische Diagnostik Kapitel 11 385

Abb. 11.4: Diagnostisches


Röntgenbild: unvollstän-
dige Wurzelkanalfüllung 1
bei einem unteren Molaren
2
3
4
5
Röntgendiagnostik
6
! Die Anfertigung von Röntgenbildern ist ein wichtiger Bestandteil
der endodontischen Diagnostik und ein qualitativ hochwertiges
Röntgenbild – möglichst ein intraoraler Zahnfilm – hat einen ho- 7
hen Informationswert (s. Abb. 11.4).
8
Die diagnostische Aussagekraft eines einzelnen Bildes ist dadurch limi-
tiert, dass ein dreidimensionales Objekt zweidimensional dargestellt 9
wird. So kann es in bestimmten Fällen empfehlenswert sein, Bilder aus
verschiedenen Projektionsrichtungen anzufertigen. Man unterschei-
det hierbei das orthograde, mesial oder distal exzentrische Bild (s. Abb.
10
11.5).
Bei allen Zähnen, bei denen in orthograder Projektion Wurzeln oder 11
Wurzelkanäle übereinander projiziert werden, ist zusätzlich ein exzen-
trisches Röntgenbild zur Freiprojektion der zweiten Wurzel oder des 12
zweiten Wurzelkanals erforderlich. Hierzu zählen: untere Frontzähne,
obere und untere Prämolaren sowie untere Molaren (s. Abb. 11.6). Bei 13
oberen Molaren mit einem zweiten Wurzelkanal in der mesio-bukkalen
Wurzel sollte zur Freiprojektion dieses zweiten Kanals eine leicht distal-
exzentrische Projektionsrichtung gewählt werden.
14
Das Röntgenbild kann folgende Informationen liefern:
 Ausdehnung kariöser Defekte und Füllungen in Relation zum Pulpa- 15
kavum
 Ausdehnung des Pulpakavums 16
 Ausmaß der Sekundär- und Tertiärdentinbildung
 Verkalkungen oder größere Dentikel im Pulparaum
 Annähernde Zahnlänge
17
 Anatomie der Wurzeln und Wurzelkanäle
 Wurzelkrümmung in möglichst allen Richtungen 18
 Wurzelresorptionen
 Periapikale Läsionen 19
 Zustand des Parodonts
 Perforationen 20
 Zahnfrakturen

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386 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

Abb. 11.5: a) Strahlengang bei orthoradialer, distal


und mesial exzentrischer Projektion, b) Darstellung
der Wurzeln und Wurzelkanäle der Prämolaren und
Molaren des Ober- und Unterkiefers bei orthoradia-
ler, distal und mesial exzentrischer Projektion (nach
Goerig und Neaverth 1987)

mesial
distal exzentrisch
exzentrisch
a orthoradial

Z
Z Z P
B P P B P BPB
P B
B

P P
B B

orthoradial mesial exzentrisch distal exzentrisch

B B B B
L L L

L B B L

orthoradial mesial exzentrisch distal exzentrisch

Z = Processus zygomatikus B = bukkal


b P = palatinal L = labial

Als unerlässlich gilt die Röntgenuntersuchung zur Diagnostik der Er-


krankungen der Pulpa und des periapikalen Parodontiums bei der Erst-
untersuchung:
 Diagnostisches Röntgenbild
 Bei Verdacht auf Via falsa, Instrumentenfraktur
 Nach Abschluss der Wurzelkanalbehandlung zur Kontrolle der Wur-
zelkanalfüllung
 Zur Bestimmung der Arbeitslänge, sofern diese nicht reproduzierbar
endometrisch bestimmt werden konnte, oder zur Überprüfung der
endometrisch ermittelten Arbeitslänge (s. Kap. 13)

Bei der Beurteilung von Röntgenbildern muss bedacht werden, dass die
Interpretation abhängig vom Betrachter und von den Umständen ist.
Die Interpretation variiert sowohl zwischen verschiedenen Betrachtern

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11.2 Klinische Diagnostik Kapitel 11 387

1
2
3
4
5

M
B
D M
B
D
6
L L

Röntgen- Röntgen- 7
film film
MB D ML D
mesial ML distal mesial MB distal
8
Abb. 11.6: Freiprojektion der mesialen Wurzelkanäle beim Unterkiefermolaren durch exzentrische Projek-
tion (MB = mesiobukkaler Kanal; ML = mesiolingualer Kanal; D = distaler Kanal)
9

wie auch bei einzelnen Betrachtern zwischen verschiedenen Zeitpunk-


10
ten.
Die Dentale Volumen-Tomografie (DVT) bietet im Vergleich zum Dentale 11
Röntgenbild den Vorteil, relevante Details überlagerungsfrei dargestellt Volumen-
zu können, wobei akkurate dreidimensionale Bilder der Zähne und der Tomografie 12
umgebenden Strukturen geliefert werden. Nachteilig ist zu bewerten,
dass die Strahlenbelastung des Patienten im Vergleich zum intraoralen 13
Zahnfilm oder zum Orthopantomogramm deutlich erhöht ist. Daher
sollte eine DVT grundsätzlich nur angefertigt werden, wenn die diag-
nostische Fragestellung nicht sicher mit einem anderen, weniger strah-
14
lenbelastenden bildgebenden Verfahren zu beantworten ist.
Fragestellungen in der Endodontie, bei denen die Anfertigung einer 15
kleinvolumigen und hochauflösenden DVT-Aufnahme empfehlenswert
sein kann sind: 16
 Sichere Darstellung des Wurzelkanalsystems, insbesondere bei Wur-
zelanomalien oder Zahnfehlbildungen (Radix enteromolaris, Dens-
in-dente)
17
 Diagnose dentoalveolärer Traumata, z.B. Wurzelfrakturen, Luxatio-
nen und Alveolarfortsatzfrakturen 18
 Lokalisation und Ausdehnung interner und/oder externer Resorp-
tionen, insbesondere auch bei Verdacht auf eine zervikale invasive 19
Resorption
 Präoperative Behandlungsplanung bei enger Lagebeziehung zu 20
wichtigen anatomischen Strukturen (z.B. Wurzelspitzenresektion an

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388 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

einem Unterkiefermolaren mit sehr enger räumlicher Beziehung


zwischen Wurzelspitze und Mandibularkanal)
 Detektion periradikulärer Läsionen, wenn zweidimensionale Rönt-
genaufnahmen bei Vorliegen klinischer Befunde und Symptome
keine entsprechenden röntgenologischen Befunde darstellen
 Bei Verdacht auf Vorliegen von Perforationen, insbesondere Stift-
perforationen

Intraoperativer Befund
Nach der Entfernung von insuffizienten Restaurationen und/oder der
Exkavation kariösen Dentins wird der Kavitätenboden sorgfältig inspi-
ziert. Ein geschlossener, harter, oft auch verfärbter Kavitätenboden
weist auf eine nicht infizierte Pulpa und eine reversible Pulpitis hin.
Reicht das kariöse, infizierte Dentin bis zur Pulpa, liegen i.d.R. eine In-
fektion der Pulpa und eine irreversible Pulpitis vor. Finden sich Risse
und Infrakturen des Dentins, können diese die Ursache einer Pulpitis
sein. Wenn ein Zugang zur Pulpa besteht und das Gewebe nekrotisch
oder eitrig ist, kann eine Wurzelkanalbehandlung i.d.R. nicht mehr um-
gangen werden.

Übersicht zur Differenzialdiagnose nach klinischen Gesichtspunkten


 Gesunde Pulpa und symptomlose Pulpa: Die Pulpa ist vital,
schmerzlos und reagiert normal auf die Sensibilitätsprüfung. Kli-
nisch ist es nicht möglich, zwischen einer gesunden Pulpa und einer
symptomlosen Pulpitis zu unterscheiden.
 Reversible – irreversible Pulpitis: Schmerzanamnese (s. Tab. 11.1).
Sensibilität: i.d.R. (+), Perkussion: i.d.R. (–), Röntgen: o.B.
 Pulpanekrose: Voraussetzung: Die Pulpanekrose kann asymptoma-
tisch oder symptomatisch sein, wobei i.d.R. die sterile Pulpanekrose
schmerzlos und die infizierte Pulpanekrose schmerzhaft verläuft.
Sensibilität: (–), Röntgen: o.B. oder schwach erweiterter Parodontal-
spalt.
 Symptomatische Parodontitis apicalis: Das typische klinische Zei-
chen ist die Perkussionsempfindlichkeit des Zahnes. Lässt sich bei
der röntgenologischen Untersuchung eine apikale Läsion darstellen,
handelt es sich um die akute Exazerbation einer chronischen Paro-
dontitis apicalis. Sensibilität: (–) oder (+), Schmerzen: stark (+), Per-
kussion: stark (+), Palpation: (+), Zahnbeweglichkeit oft erhöht,
Röntgen: o.B. oder schwach erweiterter Parodontalspalt.
 Asymptomatische Parodontitis apicalis: Die chronische apikale
Parodontitis zeigt i.d.R. keine oder nur geringe klinische Symptome.
Röntgenologisch lässt sich aber eine periapikale Läsion nachweisen.
Sensibilität: (–), Schmerzen: (–), Perkussion: (–), Palpation: (–), Rönt-
gen: apikale Aufhellung.
 Akuter apikaler Abszess: Diagnostische Sicherheit besteht dann,
wenn Pus durch den Wurzelkanal abfließt oder ein subperiostaler

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11.3 Therapiemaßnahmen zur Vitalerhaltung der Pulpa Kapitel 11 389

bzw. submuköser Abszess auftritt. Sensibilität: (–), Schmerzen: stark


(+), Perkussion: stark (+), Palpation: (+), Röntgen: apikale Aufhel- 1
lung.
 Fistelgang: Chronische Verlaufsform einer apikalen Parodontitis. 2
Der Fistelgang kann nach Einführung eines Guttaperchastifts oft
röntgenologisch dargestellt werden. Sensibilität: (–), Schmerzen: (–),
Perkussion: (–), Palpation: (–) , Röntgen: apikale Aufhellung, Fistel-
3
gang.
4
11.3 Therapiemaßnahmen zur Vitalerhaltung der Pulpa 5

! Die Erhaltung der vitalen Pulpa ist eines der wichtigsten Anliegen
der zahnärztlichen Therapie.
6

Folgende endodontische Maßnahmen dienen der Erhaltung oder der 7


teilweisen Erhaltung der Vitalität der Pulpa:
 Indirekte Pulpaüberkappung 8
 Direkte Pulpaüberkappung
 Vitalamputation 9

11.3.1 Indirekte Pulpaüberkappung


10
Voraussetzung für eine indirekte Pulpaüberkappung ist, dass die Pulpa 11
noch nicht exponiert, vital und asymptomatisch ist. Der Begriff „indi-
rekte Pulpaüberkappung“ wird verschiedenartig ausgelegt. 12

! Man versteht unter indirekter Pulpaüberkappung die Abdeckung 13


über einer dünnen Schicht pulpanah verbliebenen, kariesfreien
Dentins zum Schutz der Pulpa sowie zur Anregung der Reizden-
tinbildung (s. Kap. 5.5).
14
15
11.3.2 Direkte Pulpaüberkappung
16
! Unter der direkten Überkappung versteht man die Applikation ei-
nes Wundverbandes auf freigelegtes, vitales und noch heilungsfä-
higes Pulpagewebe mit dem Ziel der vollständigen Vitalerhaltung
17
der Pulpa.
18
Zu einer Exposition der Pulpa kann es bei zahnärztlichen Maßnah-
men wie der Kariesentfernung und der Kronenpräparation oder im Zu- 19
sammenhang mit einem Trauma kommen.
Die Indikation für eine direkte Überkappung besteht bei Zähnen, de- Indikation 20
ren Pulpa klinische Symptomfreiheit oder nur dezente Hinweise auf

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390 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

das Bestehen einer geringgradigen, reversiblen Entzündung zeigt. Ent-


zündungsfreiheit der Pulpa kann einerseits dann angenommen werden,
wenn die Pulpa im gesunden Dentin exponiert wurde. Andererseits
spricht nach Freilegung der Pulpa eine schnelle und zuverlässige Blut-
stillung für eine Entzündungsfreiheit. Typische Beispiele sind hierfür
die akzidentelle Eröffnung der Pulpa bei der Präparation oder bei einer
komplizierten Kronenfraktur.
Prognose Weniger Einfluss auf die Prognose als früher angenommen scheinen
die Größe der Perforationsstelle und das Alter der Patienten zu besitzen.
Die Forderung, die maximale Größe der Perforation solle einen Durch-
messer von 1 mm nicht überschreiten, ist nach neuerer Auffassung
nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auch ein fortgeschrittenes Alter der Pa-
tienten kann nicht als Kontraindikation gelten, obwohl dann die Hei-
lungsprozesse, bedingt durch eine allgemein reduzierte restitutive Po-
tenz des Gewebes, verzögert ablaufen können. Wesentlich relevanter
scheint hingegen das biologische Alter des Pulpagewebes, d.h. die Vor-
geschichte des Zahnes im Laufe seiner Funktionszeit, zu sein. Vorherge-
gangene Caries-profunda-Behandlungen, Traumata, ausgedehnte koro-
nale Restaurationen vermindern das Heilungsvermögen des Pulpagewe-
bes.

Wird die Pulpa durch ein Trauma freigelegt, sollte die Überkappung
möglichst rasch, maximal aber zwei Tage nach dem Trauma vorge-
nommen werden, da sonst mit einer Infektion des Pulpagewebes
gerechnet werden muss.

Wird die Pulpa im Rahmen der Exkavation kariösen Dentins expo-


niert, ist die Prognose sehr unsicher. Wenn das kariöse, infizierte Dentin
bis zur Pulpa reicht, muss angenommen werden, dass eine Entzündung
vorliegt. Wird um die Eröffnungsstelle kariöses Dentin belassen, ist mit
einer zusätzlichen Wundinfektion mit sehr ungünstiger Prognose zu
rechnen.
Überkappungs- Bewährte Überkappungsmaterialien sind wässrige Kalziumhydro-
materialien xidsuspensionen sowie hydraulische Kalzium-Silikatzemente. Zur letz-
teren Gruppe gehören die kommerziell erhältlichen Produkte Mineral
Trioxid Aggregate (MTA) sowie Biodentine.
Eine wässrige Kalziumhydroxidsuspension ist stark alkalisch (pH
> 12) und wirkt daher bakterizid, neutralisiert bakterielle Endotoxine,
unterstützt die Regeneration des Pulpagewebes und stimuliert die Mi-
tose der Pulpafibroblasten. Zudem bewirkt sie durch Freisetzung von
Wachstumsfaktoren aus dem Dentin eine Differenzierung von Pulpazel-
len in odontoblastenähnliche Zellen und somit eine Hartsubstanzbrü-
ckenbildung im Bereich der Pulpaexposition.
Nach Aufbringen von Kalziumhydroxid auf die Wundfläche kommt
es zu einer scharf begrenzten Gewebenekrose an der Berührungsfläche.
Im darunterliegenden Gewebe zeigt sich eine leichte Entzündungsreak-

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11.3 Therapiemaßnahmen zur Vitalerhaltung der Pulpa Kapitel 11 391

tion, und es kommt durch erhöhte Stoffwechselaktivität zu zahlreichen


Kapillarneubildungen. 1
Die nekrotische Zone induziert pulpawärts eine Differenzierung von
Fibroblasten und Mesenchymzellen zu Hartsubstanz bildenden Zellen 2
und die Bildung eines kollagenen Faserwerks. Dieses Faserwerk wird zu
Fibrodentin mineralisiert.
Schon nach sieben Tagen ist eine Hartsubstanzbarriere nachweisbar.
3
Nach ein bis zwei Monaten entsteht sekundär tubuläres Dentin, das sich
pulpawärts an das Fibrodentin anschließt. 4
Bei der Erhärtung der hydraulischen Kalzium-Silikatzemente wird
durch eine Reaktion von Di- und Trikalziumsilikat mit Wasser Kalzium- 5
hydroxid freigesetzt. Ferner wird bei der Aushärtung auch Silizium frei-
gesetzt, was zur Bioaktivität dieser Zemente beiträgt.
Klinisch relevante Vorteile der hydraulischen Kalzium-Silikatze-
6
mente gegenüber der wässrigen Kalziumhydroxidsuspension sind die
höhere mechanische Festigkeit, der geringere Löslichkeit sowie die Fä- 7
higkeit, auf ihrer Oberfläche Hydroxylapatitkristalle zu bilden. Diese
Hydroxylapatit-ähnliche Oberfläche kann von Pulpazellen direkt besie- 8
delt werden. Die hydraulischen Kalzium-Silikatzemente regen die Pulpa
zur Bildung von Hartgewebe an und sind daher für alle vital erhalten 9
Maßnahmen sehr gut geeignet.
Klinischen Studien zur direkten Überkappung zufolge erzielen hy-
draulische Kalzium-Silikatzemente im Vergleich zu Kalziumhydroxid-
10
Präparaten signifikant bessere oder gleich gute Erfolgsraten. MTA und
Biodentine gewährleisten gleich gute Ergebnisse. 11
Die besten Erfolgsaussichten bestehen, wenn das Überkappungs- 12
mittel direkt auf das Gewebe gelegt werden kann, ohne dass sich an
der Eröffnungsstelle ein Blutkoagulum gebildet hat. Sehr wichtig ist 13
auch der sofortige dauerhaft dichte Verschluss der Kavität.

Andere Kalziumhydroxid-Kombinationen wie insbesondere Kalziumsa-


14
licylatester-Zemente sind aufgrund der wesentlich geringeren Freiset-
zung von Hydroxylionen nicht als Überkappungsmaterial geeignet. Kal- 15
ziumsalicylatester-Zemente zeigen zudem eine kontinuierliche Desinte-
gration und sollten daher auch nicht zur Überschichtung der wässrigen 16
Kalziumhydroxidsuspension verwendet werden.
Die Erfolgsraten der direkten Überkappung sind bei richtiger Indika-
tionsstellung sehr hoch (70–95%).
17
Das klinische Vorgehen in Stichworten: Klinisches
 Absolute Trockenlegung des Zahnes mit Kofferdam Vorgehen 18
 Reinigung und Trocknung der Kavität
 Sorgfältige Blutstillung 19
 Drucklose Applikation einer wässrigen Kalziumhydroxidsuspension
oder eines hydraulischen Kalzium-Silikatzementes 20

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392 11 Schmerzsymptomatik, Diagnostik und Behandlung der erkrankten Pulpa

 Überschichtung im Sinne einer Unterfüllung mit einem Glasiono-


merzement (nur nach Applikation einer wässrigen Kalziumhydro-
xidsuspension, für Überkappungen mit hydraulischen Kalzium-Sili-
katzementen nicht erforderlich)
 Deckfüllung

11.3.3 Vitalamputation

! Unter der Vitalamputation oder Pulpotomie versteht man die teil-


weise Entfernung der vitalen Pulpa.

Eine Indikation für diese Maßnahme besteht bei einer nur partiellen
Pulpitis oder bei großflächig akzidentiell freigelegter Pulpa aufgrund
zahnärztlicher Maßnahmen oder einer komplizierten Kronenfraktur.
Bei permanenten Zähnen gilt die Vitalamputation nur dann als
Methode der Wahl, wenn das Wurzelwachstum des betroffenen Zahnes
nicht abgeschlossen ist. Durch die Vitalerhaltung der Wurzelpulpa sol-
len das Längen- und Dickenwachstum der Wurzel zum Abschluss kom-
men.
Die Kronenpulpa wird mit sterilen Instrumenten, vorzugsweise dia-
mantierten Schleifkörpern, im Bereich der Wurzelkanaleingänge ent-
fernt. Die Stillung der Blutung erfolgt mit physiologischer Kochsalzlö-
sung, und die weitere Versorgung der Amputationswunde wird im
Sinne der direkten Überkappung durchgeführt.
Die Prognose der Vitalamputation ist deutlich schlechter als die ei-
ner Wurzelkanalbehandlung im Sinne einer Vitalexstirpation. Deswe-
gen sollen in kurzen Zeitabständen (drei, sechs und zwölf Monate) kli-
nische und röntgenologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt
werden.
Das klinische Vorgehen in Stichworten:
 Absolute Trockenlegung des Zahnes mit Kofferdam
 Desinfektion des gesamten Arbeitsfeldes
 Entfernung der Kronenpulpa mit sterilen Instrumenten
 Stillung der Blutung mit physiologischer Kochsalzlösung
 Weiteres Vorgehen wie bei der direkten Überkappung (s.o.)

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Kapitel 12 393

12 Anatomische Grundlagen für die


Wurzelkanalbehandlung 1
2
3
4
! Die genaue Kenntnis der Anatomie der Zähne und speziell des
Wurzelkanalsystems ist Voraussetzung für die erfolgreiche Durch-
führung von Wurzelkanalbehandlungen. 5
Die Wurzeln weisen typischerweise verschiedene Krümmungen auf, die
Wurzelkanäle haben verschiedenartige Querschnitte und neben dem
6
Hauptkanal finden sich mehr oder wenig häufig Seitenkanäle.
Seitenkanäle, die senkrecht oder schräg zum Hauptkanal stehen, 7
werden oft als laterale oder sekundäre Kanäle bezeichnet (s. Abb.
12.1a). 8
Wenn sie den Hauptkanal im Bereich des Apex in schräger Richtung
verlassen, werden sie als akzessorische Kanäle bezeichnet (s. Abb. 9
12.1b).
Bei mehrwurzeligen Zähnen sind sekundäre Kanäle sehr häufig am
Pulpakammerboden im Bereich der Bifurkation oder Trifurkation anzu-
10
treffen. Sie werden auch als Furkationskanäle bezeichnet.
11
12
13
14
15
16
b 17
Abb. 12.1: a) Lateraler Kanal (Seitenka-
nal), b) akzessorischer Kanal 18
a
19
20

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394 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

12.1 Foramen apicale

! Das Foramen apicale bildet den natürlichen Zugang zur Pulpa-


höhle.

Vielfach gibt der Wurzelkanal im apikalen Teil zahlreiche akzessorische


Kanäle ab, sodass ein sog. apikales Delta (apikale Ramifikation) ent-
steht.
Physiologischer Die engste Stelle des Wurzelkanals am Apex wird als physiologi-
Apex scher Apex (Foramen physiologicum), apikale Konstriktion oder endo-
dontischer Apex bezeichnet. An dieser Stelle findet sich i.d.R. die Ze-
ment-Dentin-Grenze, das Desmodont beginnt und das Pulpagewebe
geht in das periapikale Mischgewebe über. Der Durchmesser des Wur-
zelkanals beträgt an dieser Stelle etwa 0,15–0,25 mm, wobei sich die
Konstriktion mit zunehmendem Alter verengt.
Tatsächlich existiert aber eine große anatomische Vielfalt im Bereich
des apikalen Wurzeldrittels und Konstriktionen können nicht nur
punktförmig, sondern auch streckenförmig, parallel oder sogar multipel
vorhanden sein (s. Abb. 12.2). Durch pathologische Prozesse wie eine
chronische Parodontitis apicalis kann die Konstriktion durch Resorptio-
nen an der Wurzelspitze auch ganz verloren gehen.
Anatomischer Die anatomische Wurzelspitze wird als anatomischer Apex be-
Apex zeichnet, und die Stelle des Zahnes, die sich im Röntgenbild als Wurzel-
spitze darstellt, wird als röntgenologischer (radiologischer) Apex be-
zeichnet.
Der Abstand vom Foramen physiologicum zum Foramen apicale
(Strecke AB) beträgt gewöhnlich 0,5–1,0 mm, der Abstand vom Fora-
men physiologicum zum röntgenologischen Apex (Strecke AC) beträgt
0,5–2,0 mm. Die Abstände vergrößern sich mit dem Alter, da die apikale
Zementapposition zunimmt (s. Abb. 12.3). Aufgrund der großen Varia-
bilität der anatomischen Strukturen ist es sehr schwierig, ein exaktes
Maß zur Lage der apikalen Konstriktion anzugeben.

46% 30% 19% 5%

Klassische Konische Multikonstriktion Parallele


Konstriktion Konstriktion Konstriktion

Abb. 12.2: Schematische Darstellung der Anatomie der apikalen Konstriktion


(nach Dummer et al. 1984)

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12.2 Wurzelkanalkonfiguration Kapitel 12 395

Abb. 12.3: Anatomie und


Topografie der Wurzelspitze Dentin 1
Zement
anatomischer
Apex 2
A Foramen
physiologicum
3
Foramen apicale
B
röntgeno-
C
logischer
Apex
4
AB = Distanz 5
For. physiologicum – For. apicale
AC = Distanz
For. physiologicum – röntgenologischer Apex 6
7
12.2 Wurzelkanalkonfiguration
8
Innerhalb einer Wurzel bestehen zahlreiche Kombinationsmöglichkei-
ten hinsichtlich der Lage und Form der Wurzelkanäle. Man kann die Ka- 9
nalkonfigurationen grob in vier Grundtypen einteilen (s. Abb. 12.4,
s. Tab. 12.1). Diese Klassifikation von Weine wird oft um einen Typ V
mit drei separaten Wurzelkanälen ergänzt. Von anderen Autoren wur-
10
den auch Klassifikationen mit 6, 8 oder sogar 10 Typen der
Kanalkonfiguration beschrieben. 11
12
13
Abb. 12.4: Die 4 verschiede-
nen Typen der Wurzelkanal-
konfiguration in einer Wur-
14
zel (nach Weine 1989)
15
16
17
18
19
Typen der
Wurzelkanalkonfiguration
20

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396 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

Tab. 12.1: Grundtypen der Kanalkonfiguration innerhalb einer Wurzel


Typ I 1 Kanal
Typ II 2 Kanäle, die sich vor dem Apex vereinigen
Typ III 2 Kanäle mit getrennten apikalen Foramina
Typ IV 1 Kanal, der sich im mittleren oder apikalen Wurzelabschnitt in 2 Kanäle
verzweigt

12.3 Altersbedingte Veränderungen des Wurzelkanals

Bei noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum findet sich ein wei-


tes Lumen des Wurzelkanals. Im frühen Entwicklungsstadium ist die
apikale Öffnung größer als das Wurzelkanallumen und verkleinert sich
mit Fortschreiten des Wachstums. Während des Alterungsprozesses
wird fortwährend Sekundärdentin angelagert und das Lumen der Pulpa-
höhle und der Wurzelkanäle nimmt kontinuierlich ab. In Extremfällen
kann es zu einer teilweisen oder vollständigen Obliteration des Wurzel-
kanals kommen, die eine Aufbereitung unmöglich macht.

12.4 Die einzelnen Zahntypen

12.4.1 Der mittlere und seitliche obere Schneidezahn

Beide Zähne haben nur eine Wurzel und einen zumeist rundlich ovalen
Wurzelkanal. Die Wurzel des mittleren Schneidezahnes verläuft fast im-
mer gerade, während der seitliche Schneidezahn in mehr als der Hälfte
der Fälle eine Wurzelkrümmung nach distal bzw. palatinal aufweist (s.
Abb. 12.5 und 12.6).

durchschnittliche
Zahnlänge: 23 mm
Anzahl der Wurzeln: 1
Anzahl der Wurzelkanäle: 1

vesti-
bulär

vesti- mesial distal


mesial distal oral
bulär

oral

Abb. 12.5: Der mittlere obere Schneidezahn: Schnitt in mesio-distaler und oral-vestibulärer Richtung und in
okklusaler Ansicht mit Darstellung der Zugangskavität

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12.4 Die einzelnen Zahntypen Kapitel 12 397

durchschnittliche
Zahnlänge: 22 mm 1
Anzahl der Wurzeln: 1
Anzahl der Wurzelkanäle: 1
2
3
vesti-
bulär 4

mesial distal vesti- oral


mesial distal 5
bulär
oral
6
Abb. 12.6: Der seitliche obere Schneidezahn
7
12.4.2 Der mittlere und seitliche untere Schneidezahn
8
Die unteren Schneidezähne haben eine Wurzel, die in mesio-distaler
Richtung stark abgeplattet ist (s. Abb. 12.7). Der Wurzelkanal hat einen 9
ovalen bis hantelförmigen Querschnitt. Besonders stark abgeplattete
Wurzeln können zwei Kanäle haben, die fast immer in einem gemeinsa-
men Foramen apicale münden (Konfigurationstyp II). Sofern diese
10
Zähne zwei Wurzelkanäle haben, liegen diese in vestibulär-oraler Rich-
tung. 11
12
12.4.3 Der obere Eckzahn
13
Der obere Eckzahn hat eine Wurzel und einen zumeist ovalen Wurzel-
kanal (s. Abb. 12.8). Im apikalen Bereich ist die Wurzel oft nach distal
14
durchschnittliche 15
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl
der Wurzeln: 1
vesti-
bulär oral Anzahl 16
der Wurzelkanäle: 1 häufig
2 selten
vesti- vesti-
17
mesial distal oral
bulär bulär
18
mesial distal
19
oral
20
Abb. 12.7: Der mittlere und seitliche untere Schneidezahn

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398 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

durchschnittliche
Zahnlänge: 26 mm
Anzahl der Wurzeln: 1
Anzahl der Wurzelkanäle: 1

vesti-
bulär

mesial distal

vesti-
mesial distal oral oral
bulär

Abb. 12.8: Der obere Eckzahn

oder palatinal gekrümmt. Es ist der längste Zahn im menschlichen Ge-


biss. Die mitunter extreme Länge des Zahnes (bis weit über 30 mm)
kann technische Schwierigkeiten bei der Aufbereitung mit sich bringen.

12.4.4 Der untere Eckzahn

Der untere Eckzahn hat i.d.R. eine Wurzel und einen Wurzelkanal (s.
Abb. 12.9). In etwa 7% der Fälle finden sich in einer Wurzel zwei Kanäle
(meist Konfigurationstyp II) oder zwei eigenständige Wurzeln. Die Mor-
phologie des Zahnes entspricht insgesamt dem oberen Eckzahn, er ist
aber insgesamt kleiner dimensioniert.

durchschnittliche
Zahnlänge: 24 mm
Anzahl
vesti- der Wurzeln: 1 häufig
oral
bulär 2 sehr selten
Anzahl
der Wurzelkanäle: 1 häufig
2 selten

vesti-
vesti- bulär
mesial distal oral
bulär

mesial distal

oral

Abb. 12.9: Der untere Eckzahn

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12.4 Die einzelnen Zahntypen Kapitel 12 399

durchschnittliche Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln:
durchschnittliche
2 häufig 1
1 weniger häufig
Zahnlänge: 213mm
sehr selten
Anzahl der Wurzeln: 2 häufig
Anzahl der Wurzelkanäle: 1 weniger
2 sehr häufig
1 selten
häufig 2
Anzahl der Wurzelkanäle: 2 sehr häufig
3 sehr selten
1 selten
vesti- 3
bulär

4
distal mesial
vesti-
distal mesial oral bulär 5
oral
6
Abb. 12.10: Der erste obere Prämolar
7
12.4.5 Der erste obere Prämolar
8
Der erste obere Prämolar kann eine (40%) oder zwei (60%) und in selte-
nen Fällen (etwa 4%) sogar drei Wurzeln haben (s. Abb. 12.10). Bei zwei- 9
wurzeligen Zähnen finden sich eine bukkale und eine palatinale Wur-
zel. Einwurzelige Zähne haben i.d.R. zwei Wurzelkanäle variabler Konfi-
guration. Die Wurzeln sind häufig gekrümmt. Die Wurzelspitzen
10
können bei mehrwurzeligen Zähnen sehr zierlich sein. Die bukkale
Wurzel hat oft eine stark konkave Form, was die Perforationsgefahr bei 11
der Wurzelkanalaufbereitung erhöht.
Bei dreiwurzeligen Prämolaren (s. Abb. 12.11) liegen 3 Wurzelkanäle 12
– mesio-bukkal, disto-bukkal und palatinal – vor. Der Zahn erscheint
wie ein kleiner oberer Molar (Molarisierung des Prämolaren). 13
Abb. 12.11: Oberer
erster Prämolar
14
mit drei Wurzeln
15
16
17
18
19
20

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400 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

durchschnittliche
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln: 1 sehr häufig
2 selten
Anzahl der Wurzelkanäle: 1 häufig
2 selten

vesti-
vesti- bulär
oral
bulär

distal mesial

distal mesial vesti- oral


oral
bulär

Abb. 12.12: Der zweite obere Prämolar

12.4.6 Der zweite obere Prämolar

Der zweite obere Prämolar hat zu etwa 90% eine Wurzel und zu 30% in
dieser Wurzel zwei Kanäle variabler Konfiguration (s. Abb. 12.12). Bei
den meisten zweiwurzeligen Zähnen trennen sich die Wurzeln erst im
unteren Drittel. Die Grundform der Wurzel ähnelt der des ersten Prämo-
laren. Dreiwurzelige zweite obere Prämolaren kommen in weniger als
1% der Fälle vor.

12.4.7 Der erste und zweite untere Prämolar

Beide untere Prämolaren haben fast immer nur eine Wurzel (s. Abb.
12.13). Der erste Prämolar weist zu 25% mehr als einen Wurzelkanal
auf, der zweite nur in seltenen Fällen. Wenn zwei Kanäle vorliegen, fin-
den sie sich bukkal und lingual. Nicht selten teilt sich der Hauptkanal
im mittleren oder apikalen Wurzeldrittel in zwei mitunter sogar drei
Wurzelkanäle auf (s. Abb. 12.14). Bei der Präparation der Zugangskavität
muss in besonderem Maß auf die Kronenflucht geachtet werden.

Verschwindet ein im Röntgenbild gut sichtbarer Wurzelkanal im


mittleren oder apikalen Wurzeldrittel, so ist dies immer ein Hinweis
auf eine Aufteilung des Kanals in zwei oder drei Kanäle. Niemals
sollte dies als apikale „Obliteration“ interpretiert werden.

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12.4 Die einzelnen Zahntypen Kapitel 12 401

durchschnittliche
Zahnlänge:
Anzahl der Wurzeln:
21,5 mm
1 sehr häufig
1
2 selten
Anzahl der Wurzelkanäle: 1 häufig
2 selten 2
3
vesti-
distal mesial oral
bulär
4
vesti- oral
bulär vesti-
bulär 5
mesial distal 6

oral
7
Abb. 12.13: Der erste und zweite untere Prämolar 8
9
10
11
12

a b
13
Abb. 12.14: a) Unterer erster Prämolar mit zwei Wurzelkanälen. Zu beachten ist, dass am Zahn 35 der Wur-
zelkanal bis zum mittleren Drittel gut röntgenologisch dargestellt ist, dann aber anscheinend verschwin- 14
det. Dies ist immer ein Zeichen für eine Aufteilung des Hauptkanals in zwei oder drei Kanäle. b) Tiefe Bifur-
kation am Zahn 44 mit Teilung des Hauptkanals in zwei Kanäle
15
12.4.8 Der erste und zweite obere Molar
16
Die ersten und zweiten oberen Molaren haben i.d.R. drei Wurzeln, die
mesio-bukkal, disto-bukkal und palatinal lokalisiert sind (s. Abb. 12.15
und 12.16). Beim zweiten Molaren finden sich zu 20% zweiwurzelige
17
Zähne. Die mesio-bukkale Wurzel hat eine abgeplattete Form, die bei-
den anderen Wurzeln eine rundlich-ovale Form. Die mesio-bukkale 18
Wurzel ist meist nach distal gekrümmt, die palatinale Wurzel kann
nach bukkal gekrümmt sein, und die distale Wurzel ist i.d.R. gerade. 19
Der erste obere Molar weist in 40–90% der Fälle einen zweiten Wur-
zelkanal in der mesio-bukkalen Wurzel auf (s. Abb. 12.17). Etwa gleich 20
häufig konfluieren die mesio-bukkalen Kanäle im apikalen Abschnitt

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402 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

durchschnittliche
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln: 3
Anzahl der Wurzelkanäle: 3 häufig
4 sehr häufig

vestibulär

vesti- oral distal mesial


bulär
distal mesial

oral
Schnitt Schnitt Eröffnungskavität
mesio-distal oral-vestibulär

Abb. 12.15: Der erste obere Molar

durchschnittliche
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln: 3 häufig
2 weniger häufig
Anzahl der Wurzelkanäle: 3 sehr häufig
4 weniger häufig

vestibulär

vesti- oral
bulär
distal mesial
distal mesial

oral
Schnitt Schnitt Eröffnungskavität
mesio-distal oral-vestibulär

Abb. 12.16: Der zweite obere Molar

(Konfigurationstyp II) oder stellen sich als durchgehend getrennte Ka-


näle mit separaten Foramina dar (Konfigurationstyp III). Der Eingang
des zweiten mesio-bukkalen Kanals (mb2) liegt leicht mesial der Verbin-
dungslinie des mesio-bukkalen (mb1) und palatinalen Kanaleingangs.
Oft ist die Dentinschicht zwischen den beiden mesio-bukkalen Wurzel-
kanälen so dünn, dass es bei der Aufbereitung zu einer Vereinigung der
beiden Kanäle mit dann hantelförmigem Querschnitt kommt.

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12.4 Die einzelnen Zahntypen Kapitel 12 403

Abb. 12.17: Oberer


erster Molar mit
zwei getrennten 1
Wurzelkanälen in
der mesio-bukka-
len Wurzel 2
3
4
5
6
Abb. 12.18: Oberer 7
Molar mit einer
Pfahlwurzel
8
9
10
11
12
Der zweite obere Molar weist deutlich seltener einen zweiten me-
sio-bukkalen Wurzelkanal auf als der erste obere Molar. Der Eingang des 13
disto-bukkalen Kanals liegt dichter an der Verbindungslinie des mesio-
bukkalen und des palatinalen Kanals, als dies beim ersten oberen Molar
der Fall ist.
14
Eine Sonderform der oberen Molaren stellt der Taurodont dar. In-
folge einer Verschmelzung der Wurzel weisen diese Zähne nur eine 15
Wurzel (sog. Pfahlwurzel) und einen zentralen großen Wurzelkanal auf
(s. Abb. 12.18). In der deutschen Bevölkerung liegt die Prävalenz der 16
Pfahlwurzel bei etwa 2%, in anderen ethnischen Gruppen mitunter al-
lerdings erheblich höher (bis zu 60–80%).
Bei der Wurzelkanalbehandlung des ersten oberen Molaren ist stets
17
mit zwei Wurzelkanälen in der mesio-bukkalen Wurzel zu rechnen.
18
12.4.9 Der erste und zweite untere Molar 19
Die unteren Molaren haben fast immer zwei Wurzeln, die mesial und 20
distal lokalisiert sind (s. Abb. 12.19 und 12.20). Während die mesiale

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404 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

durchschnittliche
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln: 2 sehr häufig
3 selten
Anzahl der Wurzelkanäle: 3 häufig
2 selten
4 selten

distal mesial

vestibulär
vesti-
oral
bulär

mesial distal

oral
Schnitt Schnitt Eröffnungskavität
mesio-distal oral-vestibulär
Abb. 12.19: Der erste untere Molar

durchschnittliche
Zahnlänge: 21 mm
Anzahl der Wurzeln: 2 sehr häufig
1 selten
3 sehr selten
Anzahl der Wurzelkanäle: 3 häufig
2 selten

distal mesial

vestibulär
vesti- oral
bulär

mesial distal

oral
Schnitt Schnitt Eröffnungskavität
mesio-distal oral-vestibulär

Abb. 12.20: Der zweite untere Molar

Wurzel meistens eine distale Krümmung aufweist, verläuft die distale


Wurzel fast immer gerade und ist nur in seltenen Fällen nach distal ge-
krümmt.
Beim ersten unteren Molaren enthält die mesiale Wurzel überwie-
gend (ca. 85%) zwei Wurzelkanäle, die sehr häufig dem Konfigurations-
typ III entsprechen. Die distale Wurzel hat zumeist nur einen Wurzelka-
nal, in etwa 15–20% der Fälle jedoch zwei. Die sind dann – wie in der

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12.4 Die einzelnen Zahntypen Kapitel 12 405

mesialen Wurzel – in vestibulär-oraler Richtung lokalisiert. In sehr selte-


nen Fällen (1–3%) können in der mesialen Wurzel drei Kanäle vorlie- 1
gen. Es handelt sich dann um den „mid-mesial Kanal“, der auf der Ver-
bindungslinie des mesio-bukkalen und mesio-lingualen Kanaleingangs 2
zu finden ist.
Beim zweiten unteren Molaren findet man häufiger als beim ersten
Molaren nur einen Wurzelkanal in der mesialen Wurzel. Der dritte me-
3
siale Wurzelkanal kommt hier so gut wie nicht vor und auch der zweite
Kanal in der distalen Wurzel ist deutlich seltener vorhanden (ca. 4% der 4
Fälle). Die Wurzelkanäle konfluieren mitunter im apikalen Kanaldrittel
(Wurzelkanalkonfiguration Typ II; s. Abb. 12.21). 5
Bei unteren Molaren können drei Sonderformen der Wurzelkanal-
anatomie vorkommen. Analog zum oberen Molaren können Pfahlwur-
zeln auftreten. Ferner kann, mit einer Prävalenz von etwa 1,3% in der
6
deutschen Bevölkerung, eine zusätzliche disto-linguale Wurzel vorlie-
gen, die sogenannte Radix entomolaris (s. Abb. 12.22). Diese zusätzli- 7
che Wurzel kann sowohl beim ersten als auch beim zweiten unteren
Molaren vorkommen. Eine weitere Sonderform stellen C-förmige Wur- 8
zelkanalsysteme dar (s. Abb. 12.23). Hierbei sind der distale und einer
der beiden mesialen Wurzelkanäle miteinander verschmolzen. 9
Abb. 12.21: Die
Wurzelkanäle des
10
zweiten unteren
Molaren konfluie-
ren apikal. 11
12
13
14
15
Abb. 12.22: Radix
entomolaris: Un-
terkiefermolar mit
einer zusätzlichen
16
disto-lingualen
Wurzel 17
18
19
20

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406 12 Anatomische Grundlagen für die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 12.23: C-för-


miges Wurzelka-
nalsystem beim
zweiten unteren
Molaren

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Kapitel 13 407

13 Die Wurzelkanalbehandlung
1
2
3
13.1 Behandlungsplanung 4
5
! Eine Wurzelkanalbehandlung umfasst die chemomechanische
Aufbereitung und Füllung des Wurzelkanalsystems nach sachge-
rechter Vorbereitung. Der prinzipielle Ablauf einer Wurzelkanal-
behandlung ist in der Tabelle 13.1 dargestellt.
6

Tab. 13.1: Prinzipieller Ablauf einer Wurzelkanalbehandlung


7
Klinischer und röntgenologischer Befund
↓ 8
Lokalanästhesie (falls erforderlich)

Kariesentfernung, Aufbaufüllung (falls erforderlich) 9

Trepanation und Zugangskavität
↓ 10
Anlegen von Kofferdam

Lokalisation der Wurzelkanaleingänge
11

Sondierung des Wurzelkanals

12
Bestimmung der Arbeitslänge

Präparation des Wurzelkanals, Spülung, Trocknung
13

Medikamentöse Einlage, provisorischer Verschluss (falls erforderlich) 14

Wurzelkanalfüllung
↓ 15
Röntgenkontrollaufnahme

Provisorischer oder definitiver koronaler Verschluss 16

13.1.1 Indikationen zur Wurzelkanalbehandlung


17
Eine Wurzelkanalbehandlung kann grundsätzlich bei allen Patienten aus- 18
geführt werden, die auch andere zahnärztliche Maßnahmen tolerieren.
Spezifische Indikationen sind: 19
 Eine irreversibel geschädigte oder nekrotische Pulpa mit oder ohne
klinische und/oder röntgenologische Hinweise auf eine Beteiligung 20
periradikulärer Gewebe

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408 13 Die Wurzelkanalbehandlung

 Die intentionelle Devitalisation, um beispielsweise einen Wurzel-


stift verankern zu können, ein zweifelhafter Pulpazustand vor res-
taurativen Maßnahmen, drohende Pulpaexposition während der
Präparation eines Zahnes (mit Fehlstellung) und eine geplante Wur-
zelresektion oder Hemisektion

13.1.2 Kontraindikationen zur Wurzelkanalbehandlung

 Zähne, die nicht funktionell wiederhergestellt oder restauriert wer-


den können
 Zähne mit ungenügendem parodontalem Halt
 Zähne mit schlechter Prognose, nicht kooperative Patienten oder
Patienten, bei denen eine zahnärztliche Behandlung ausgeschlossen
ist (z.B. ein Allgemeinzustand Grad IV/ASA)
 Zähne von Patienten mit einem mangelhaften Mundgesundheitszu-
stand, der innerhalb eines adäquaten Zeitraums nicht verbessert
werden kann

13.1.3 Indikationen zur Revision von Wurzelkanalbehandlungen

 Zähne mit röntgenologischen Befunden und/oder klinischen Symp-


tomen
 Zähne mit unzureichender Wurzelkanalfüllung, wenn die koronale
Restauration erneuert werden muss oder die Zahnkrone gebleicht
werden soll
 Zähne, bei denen die Wurzelkanalfüllung länger als 4 Wochen zur
Mundhöhle exponiert war (z.B. durch Verlust der Deckfüllung), da
eine mikrobielle Leakage entlang der Wurzelkanalfüllung anzuneh-
men ist.

13.2 Vorbereitende Maßnahmen

13.2.1 Kariesexkavation und Aufbaufüllung

Vor Beginn einer Wurzelkanalbehandlung müssen vorhandene ka-


riöse Läsionen grundsätzlich exkaviert werden. Jedes Belassen von
kariösem Material kann dazu führen, dass Bakterien in den Wurzel-
kanal verschleppt werden. Undichte koronale Restaurationen müs-
sen vor der Einleitung einer Wurzelkanalbehandlung entfernt und
durch eine Aufbaufüllung ersetzt werden.

Besonders häufig treten Probleme auf, wenn der approximale Kavitä-


tenrand nach Entfernung der Karies unterhalb des Gingivaniveaus

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13.2 Vorbereitende Maßnahmen Kapitel 13 409

Abb. 13.1: Aufbaufüllung


mit Abdeckung der Wurzel-
kanaleingänge als vorberei- 1
tende Maßnahme für die Aufbau
Wurzelkanalbehandlung -
bei tief zerstörten Zähnen 2
Gingiva-
niveau
leicht 3
entfern-
bares
Material
4
5
6
liegt. In solchen Fällen muss der Zahn vor Beginn der Behandlung mit
einer Aufbaufüllung versehen werden. Eine Aufbaufüllung soll eine 7
Abdichtung gegenüber Mikroorganismen aus der Mundhöhle während
der Behandlung, eine Reinfektion während der Liegedauer der medika- 8
mentösen Einlage, eine adäquate Zahnisolierung mittels Kofferdam, ei-
nen Schutz der Mundhöhle vor Spülflüssigkeiten sowie einen funktio- 9
nellen und/oder ästhetischen Interimsersatz gewährleisten.
Bei der Herstellung einer Aufbaufüllung muss beachtet werden, dass
schon freigelegte Wurzeleingänge nicht verlegt werden dürfen. Zu die-
10
sem Zweck werden die Kanaleingänge mit einem leicht wieder zu ent-
fernenden Material, z.B. einem provisorischen Füllungsmaterial, abge- 11
deckt (s. Abb. 13.1).
Weiterhin sollte beachtet werden, dass die Krone achsengerecht 12
wieder aufgebaut wird, da es sonst bei gekippten Zähnen zu einer Des-
orientierung über die Lage der Kanaleingänge kommen kann. 13

13.2.2 Kofferdam 14
Bei der Wurzelkanalbehandlung ist das Anlegen von Kofferdam ob- 15
ligatorisch. Die Anwendung von Kofferdam erhöht die Erfolgsrate
einer Wurzelkanalbehandlung. 16
In der Regel muss nur der zu behandelnde Zahn mit Kofferdam isoliert
werden. Der Zeitaufwand für diese Maßnahme ist sehr gering, die Effek-
17
tivität sehr hoch.
Kofferdam bietet folgende Vorteile: Vorteile 18
 Schutz des Patienten vor Verschlucken oder Aspiration der Wurzel-
kanalinstrumente 19
 Schutz des Behandlers vor infektiösen Erkrankungen (Hepatitis,
AIDS, COVID-19) des Patienten 20

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410 13 Die Wurzelkanalbehandlung

 Schutz des Weichgewebes (Gingiva, Zunge, Lippe, Wange, Mundbo-


den, Gaumen), besonders bei der Anwendung desinfizierender Lö-
sungen
 Aseptisches, absolut trockenes Arbeitsfeld
 Verbesserte Sicht auf das Arbeitsfeld
 Ungestörtes, stressfreies Arbeiten

13.3 Zugangskavität und Lokalisation der


Wurzelkanaleingänge

13.3.1 Prinzipien der Zugangskavität

Die Zugangskavität muss grundsätzlich folgende Anforderungen erfül-


len:

Die Zugangskavität muss so gewählt werden, dass das Pulpakam-


merdach vollständig entfernt werden kann.
 Die Neigung der Wände soll so gewählt werden, dass eine voll-
ständige Übersicht über den Pulpakammerboden besteht, die
Kanaleingänge lokalisiert werden können und für einen späte-
ren (provisorischen) Verschluss Retention geboten wird.
 Die Zugangskavität muss so gestaltet sein, dass Wurzelkanalin-
strumente spannungsfrei, also gerade in die Wurzelkanäle ein-
geführt werden können.

Das empfohlene Instrumentarium zur Anfertigung und Gestaltung der


Eröffnungskavität ist in der Abbildung 13.2 dargestellt.
Trepanation Die Eröffnung der Kavität wird mit kugelförmigen Diamanten oder
vergleichbaren Instrumenten bis tief in das Dentin vorgenommen (s.
Abb. 13.3a und 13.4a). Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss Kofferdam
angelegt werden.

Abb. 13.2: Instrumente zur


Eröffnung und Gestaltung
der Zugangskavität: kugel-
förmiger Diamant, überlan-
kugelförmiger Diamant ger Rosenbohrer und Batt-
bohrer mit unbelegter
Spitze

überlanger Rosenbohrer

Battbohrer

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13.3 Zugangskavität und Lokalisation der Wurzelkanaleingänge Kapitel 13 411

1
2
3
4
5
a b 6
Abb. 13.3: Präparation der Zugangskavität bei Frontzähnen: a) Eröffnung der Kavi-
tät bis tief in das Dentin mit einem kugelförmigen Diamanten, b) Eröffnung der
Pulpakammer und Abtragung des Pulpakammerdachs von innen nach außen mit
7
einem Rosenbohrer
8
9
10
11
12
a b c
13
Abb. 13.4: Präparation der Zugangskavität bei Seitenzähnen: a) Eröffnung der Ka-
vität bis tief in das Dentin mit einem kugelförmigen oder zylindrischen Diaman-
ten, b) Eröffnung der Pulpakammer und Abtragung des Pulpakammerdachs von 14
innen nach außen mit einem Rosenbohrer, c) Formgebung der Kavität unter Scho-
nung des Pulpakammerbodens mit einem Battbohrer
15
Das Pulpakammerdach wird dann mit einem Rosenbohrer eröff-
net. Bei besonders tiefen Kavitäten ist die Verwendung von überlangen 16
Rosenbohrern sinnvoll. Das Pulpakammerdach wird von innen nach
außen abgetragen, um einen vollständigen Abtrag zu gewährleisten und
insbesondere das Zurücklassen von Überhängen zu vermeiden (s. Abb.
17
13.3b und 13.4b).
Zur endgültigen Gestaltung der Zugangskavität sind Battbohrer Gestaltung 18
mit unbelegter, nicht schneidender Spitze empfehlenswert, weil so eine
Beschädigung des Pulpakammerbodens vermieden werden kann (s. 19
Abb. 13.4c).
20
Eine Beschädigung des Pulpakammerbodens soll vermieden werden.

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412 13 Die Wurzelkanalbehandlung

a b c

Abb. 13.5: Typische Fehler bei der Trepanation eines Zahnes: a) Nichtbeachtung der Zahnachse, b) Perfora-
tion des Pulpakammerbodens im Bereich der Furkation, c) falsche Einschätzung der Zahnachse bei über-
kronten Zähnen

Typische Fehler beim Anlegen der Zugangskavität entstehen, wenn die


Zahnachse nicht beachtet oder falsch eingeschätzt wird und wenn nicht
genügende Kenntnisse über die anatomischen Verhältnisse vorhanden
sind (s. Abb. 13.5).
Besonders beim mesio-bukkalen Kanal der oberen Molaren ist der
direkte Zugang zum Wurzelkanal oft durch Dentinüberhänge versperrt.
In diesen Fällen ist es sinnvoll, zur Erleichterung des Zugangs vor der
Sondierung des Kanals die entsprechenden Übergänge vorsichtig abzu-
tragen (s. Abb. 13.6).
Stabilität Die Entfernung des Pulpakammerdachs bedeutet für den betreffen-
den Zahn den Verlust einer wichtigen Querverstrebung und damit eine
verminderte Stabilität. Dem ist bei Prämolaren und Molaren mit gro-

Abb. 13.6: Erleichterung des


Zugangs zum mesio-bukka-
len Kanal oberer Molaren
durch Abtragung von Den-
tinüberhängen im Bereich
des Kanaleingangs

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13.3 Zugangskavität und Lokalisation der Wurzelkanaleingänge Kapitel 13 413

ßen MOD-Kavitäten Rechnung zu tragen, indem die verbliebenen An-


teile der Zahnkrone eingeschliffen bzw. gekürzt werden. 1
Nach Abschluss der Wurzelkanalbehandlung müssen solche Zähne
mit einem Overlay oder einer Krone versorgt werden (s. Kap. 14). 2
Praktisches Vorgehen: Praktisches
 Trepanation bis tief in das Dentin mit einem kugelförmigen Dia- Vorgehen
manten
3
 Anlegen des Kofferdams und Desinfektion des Arbeitsfeldes
 Trepanation des Pulpakammerdachs mit einem Rosenbohrer 4
 Entfernung des gesamten Pulpakammerdachs mit dem Rosenbohrer
von innen nach außen 5
 Gestaltung des Kavitätenumrisses mit einem Battbohrer oder ver-
gleichbarem Instrument unter Schonung des Pulpakammerbodens
 Entfernung der koronalen Pulpa vorrangig mit einem Rosenbohrer
6
oder Exkavator
 Stillung der Blutung (bei vitaler Pulpa), z.B. mit Natriumhypochlo- 7
rit, Reinigung und Trocknung der Kavität
8
13.3.2 Lokalisation der Kanaleingänge 9
Die Lokalisation der Kanaleingänge sollte immer unter guter Sicht erfol-
gen und die Pulpakammer muss sauber und trocken sein. Gewebereste
10
und Bohrstaub werden durch Spülen mit einer geeigneten Lösung ent-
fernt. Gelegentlich kann die Anfärbung des Pulpakammerbodens mit ei- 11
ner Farbstofflösung helfen, die Kanaleingänge sichtbar zu machen. Be-
sonders geeignet zum Austasten ist eine doppelendige, gerade Endo- 12
sonde mit zwei verschiedenen Abwinklungen oder ein Micro-Opener.
Der Pulpakammerboden bietet bei der Suche nach den Kanaleingän- 13
gen zahlreiche Orientierungshilfen. Auf der Höhe der Schmelz-Zement-
Grenze liegt die Pulpakammer immer zentral im Zahn. Die Wände der
Pulpakammer sind normalerweise konzentrisch zur äußeren Kronen-
14
kontur angeordnet. Der Pulpakammerboden stellt sich immer dunkler
dar als die Wände der Pulpakammer. Die Eingänge der Wurzelkanäle lie- 15
gen i.d.R. am Übergang von Pulpakammerboden zu den aufsteigenden
Wänden der Pulpakammer. 16
Können die Kanaleingänge aufgrund von Verkalkungen, Dentikeln
oder Dentinüberhängen nicht sicher lokalisiert werden, empfiehlt sich
die Abtragung von Dentin im Bereich der Kanaleingänge mit einem
17
kleinen Rosenbohrer mit überlangem Schaft oder einem Müller-Bohrer.
Um Perforationen zu vermeiden, sollte in besonders schwierigen Fällen 18
ein zusätzliches Röntgenbild angefertigt werden. Geringere Perforati-
onsgefahr besteht, wenn verlegte Kanaleingänge mit speziellen, mit Ul- 19
traschall angetriebenen diamantierten Ansätzen freigelegt werden. Sehr
hilfreich kann in solchen Fällen auch der Einsatz eines Operationsmi- 20
kroskops sein (s. Abb. 13.7).

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414 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.7: Darstellung des ersten und zweiten mesio-bukkalen Kanals eines obe-
ren Molaren mithilfe des Operationsmikroskops vor und nach der Entfernung von
Dentinspänen

Besondere Vorteile des Operationsmikroskops (OPM) sind die vari-


able 2- bis 25-fache Vergrößerung, die schattenfreie Ausleuchtung des
Arbeitsfeldes und die Möglichkeit einer ergonomisch vorteilhaften Be-
handlungsposition. Das OPM ermöglicht eine leichte Differenzierung
zwischen zahnfarbenen Restaurationsmaterialien, regulärem Wurzel-
dentin und irregulärem Dentin. Die plastisch wirkende Detaildarstel-
lung und die feinen farblichen Nuancen erlauben i.d.R. ein problemlo-
ses Auffinden der Wurzelkanaleingänge. So gelingt z.B. das Auffinden
eines zweiten mesio-bukkalen Kanals beim oberen ersten Molaren mit-
hilfe eines Operationsmikroskops deutlich häufiger. Weitere wichtige
Einsatzgebiete für das OPM sind Revisionen von Wurzelkanalbehand-
lungen sowie die Entfernung frakturierter Instrumente.

13.3.3 Vorgehen bei den verschiedenen Zahntypen

Trepanation der Die Trepanation der Schneide- und Eckzähne erfolgt immer von der
Schneide- und oralen Seite her, vom Tuberkulum ausgehend nach inzisal bei Erhal-
Eckzähne tung der Schneidekante. Es ist besonders darauf zu achten, dass das ge-
samte Pulpadach entfernt und die Kronenpulpa gründlich ausgeräumt
wird, da verbleibendes Gewebe zu kosmetisch unerwünschten Verfär-
bungen der Zahnkrone führen kann.
Trepanation der Die Trepanation der Seitenzähne erfolgt immer von okklusal. Bei den
Seitenzähne Prämolaren, die i.d.R. zwei Wurzelkanäle haben, wird die Zugangskavität
in vestibulär-oraler Richtung bis kurz vor die Höckerspitzen ausgedehnt.

Findet sich bei gewöhnlich einwurzeligen Zähnen ein Kanaleingang


nicht direkt unterhalb der zentralen Fissur, sondern nach vestibulär
oder oral versetzt, muss nach einem zweiten Kanal gesucht werden.

Erste untere Beim ersten unteren Prämolaren ist besonders darauf zu achten, dass der
Prämolaren zierliche linguale Höcker nicht zu sehr geschwächt wird.

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13.4 Sondierung des Wurzelkanalsystems und Bestimmung der Arbeitslänge Kapitel 13 415

Das Zentrum der Zugangskavität befindet sich bei oberen Molaren Obere Molaren
im mesialen Anteil der okklusalen Fläche. Die Kavität wird distal 1
durch die Crista transversa und mesial durch den Randwulst begrenzt.
Der Eingang zum mesio-bukkalen Kanal (ein oder zwei Kanäle) fin- Eingang zum 2
det sich i.d.R. sehr weit mesio-bukkal lokalisiert, der Eingang des palati- mesio-bukkalen
nalen Kanals findet sich etwas unterhalb des großen mesio-palatinalen Kanal
Höckers, der Eingang des distalen Kanals etwas versetzt nach bukkal vor
3
der Crista transversa. Bei falscher Präparation der Zugangskavität (zu
weit distal) kann es passieren, dass der distale Kanaleingang für den me- 4
sio-bukkalen Kanaleingang gehalten und dann die Zahnkrone distal
perforiert wird. 5
In schwierigen Fällen kann es sinnvoll sein, für einen besseren direk-
ten Einblick den mesio-bukkalen Höcker zu kürzen.
Die Kanaleingänge der unteren Molaren liegen im mesialen und Kanaleingänge
6
zentralen Teil der Krone. Um beide mesialen Kanäle darstellen zu kön- der unteren
nen, muss die Kavität mesial vor allem nach bukkal erweitert werden, Molaren 7
sodass die Form eines Dreiecks mit der Basis nach mesial und der Spitze
nach distal entsteht. 8
Der distale Anteil darf nicht spitz, sondern muss abgerundet sein, da
sonst ein manchmal vorkommender zweiter distaler Kanal übersehen 9
wird.
Auch bei den unteren Molaren kann es hilfreich sein, den mesio-
bukkalen Höcker zur Verbesserung der Sichtverhältnisse zu kürzen.
10
11
13.4 Sondierung des Wurzelkanalsystems und
Bestimmung der Arbeitslänge 12

! Vor Beginn der Trepanation, der Sondierung des Wurzelkanalsys- 13


tems und der Längenbestimmung sollte ein diagnostisches Rönt-
genbild vorliegen, das Informationen über die Form und Krüm-
mung der Wurzeln und die Länge des Zahnes liefert. Vor der Wur-
14
zelkanalaufbereitung ist es unbedingt erforderlich, für jeden
Wurzelkanal die Arbeitslänge möglichst genau zu bestimmen und 15
den Punkt festzulegen, bis zu dem der Wurzelkanal aufbereitet
und gefüllt werden soll. 16
Idealerweise sollen Wurzelkanalfüllungen an der apikalen Konstrik-
tion (Foramen physiologicum) oder sehr kurz davor enden. Die apikale
17
Konstriktion liegt i.d.R. 0,5–2,0 mm vom röntgenologischen Apex ent-
fernt. So wird bei Zähnen mit einer vitalen Pulpa vermieden, dass das 18
gesunde Gewebe jenseits der Konstriktion mechanisch oder chemisch
traumatisiert wird, und bei Zähnen mit infizierter Pulpa eine Verschlep- 19
pung von Keimen in das nicht infizierte periapikale Gebiet verhindert.
Bei einer unnötigen Erweiterung der Konstriktion entsteht zusätzlich 20
das Problem einer möglichen Überfüllung des Kanals.

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416 13 Die Wurzelkanalbehandlung

13.4.1 Sondierung des Wurzelkanalsystems

! Eine erste Sondierung des Kanalsystems verschafft Informationen


über Weite und Krümmung sowie über mögliche Hindernisse im
Wurzelkanal.

Ein erfahrener Behandler kann durch Austasten auch eine Teilung des
Kanals im Sinne des Konfigurationstyps IV feststellen.
Instrumente Die Größe des zur Sondierung ausgewählten Instruments (Reamer
oder K-Feile) hängt von der Anatomie des betreffenden Zahnes ab.
Grundsätzlich sollten zunächst ISO-genormte Edelstahl-Handinstru-
mente zur Sondierung verwendet werden. Bei Wurzelkanälen mit rela-
tiv weitem Lumen erfolgt die Sondierung mit einem Instrument der
Größe 15, bei engen oder gekrümmten Kanälen werden Instrumente
der Größe 08 oder 10 gewählt.
Bei sehr engen oder partiell kalzifizierten Wurzelkanälen sind zur Son-
dierung sogenannte Pilot-Instrumente empfehlenswert. Diese sind ther-
misch gehärtet und weisen daher eine höhere Biegefestigkeit an der Spitze
auf. Dadurch verbiegt die Instrumentenspitze bei kalzifizierten Kanalein-
gängen nicht so leicht wie bei herkömmlichen Edelstahlinstrumenten.
Zudem besitzen die Pilot-Instrumente eine modifizierte, mehr torpedoför-
mige Spitze, was ebenfalls das Eindringen in enge Kanäle erleichtert.
Die Sondierung soll im gekrümmten Wurzelkanal immer mit einem
vorgebogenen Instrument erfolgen. So können Unregelmäßigkeiten
und Einengungen umgangen werden und es wird vermieden, dass
schon bei der ersten Sondierung eine später nicht mehr zu überwin-
dende Stufe erzeugt wird.
Vorgehen Das Instrument wird ohne Druck mit vorsichtigen, alternierenden
Rotationsbewegungen (watch-winding-motion) von maximal 90° bis
in die Nähe des Apex eingeführt. Ein Herausschieben des Instruments
über den physiologischen Apex (Überinstrumentierung) ist unbedingt
zu vermeiden. Daher sollte die initiale Sondierung des Wurzelkanals un-
ter endometrischer Kontrolle erfolgen.

13.4.2 Endometrische Bestimmung der Arbeitslänge

! Die Längenmessung und Festlegung der Arbeitslänge kann rönt-


genologisch oder mithilfe der Endometrie erfolgen.
Bei der Endometrie wird der elektrische Widerstand zwischen ei-
nem in den Wurzelkanal eingeführten Instrument und einer Ge-
genelektrode bestimmt (s. Abb. 13.8).

Die Konstruktion dieser Geräte beruht auf der Erkenntnis, dass der elek-
trische Widerstand zwischen Mundschleimhaut und Desmodont unab-
hängig von Zahntyp und Alter des Patienten immer konstant ist. Wenn

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13.4 Sondierung des Wurzelkanalsystems und Bestimmung der Arbeitslänge Kapitel 13 417

Abb. 13.8: Schematische


Darstellung der Längenbe-
stimmung mithilfe der 1
Endometrie. Das Endome-
triegerät misst die Poten-
zialdifferenz zwischen Des- 2
modont und Mundschleim-
haut.
3
4
5
6
7
ein Instrument in den Wurzelkanal eingeführt wird und mit dem Des-
modont in Berührung kommt, stellt sich immer ein bestimmter Wider- 8
stand ein. Die handelsüblichen Geräte sind nun so geeicht, dass sie kurz
vor oder bei Erreichen dieses Widerstandes ein Signal geben. 9
Seit den 1960er-Jahren hat sich die elektrische Lagebestimmung der
apikalen Konstriktion zu einem Verfahren mit immer höherer Messge-
nauigkeit entwickelt. Bei den ersten Gleichstrom- und Wechselstrom-
10
Messgeräten führte Feuchtigkeit im Wurzelkanal, die sich nahezu nie
ganz beseitigen lässt, zu unzuverlässigen Ergebnissen. Ebenso war eine 11
zuverlässige Messung nicht möglich, wenn die desmodontalen Fasern
durch eine Parodontitis apicalis zerstört waren oder das Wurzelwachs- 12
tum noch nicht abgeschlossen war.
Bei Geräten der neuesten Generation wird der Impedanzquotient 13
ermittelt. Hierbei werden gleichzeitig die Wechselstromwiderstände bei
zwei unterschiedlichen Frequenzen gemessen. Durch dieses Messprin-
zip kann der elektrolytische Einfluss von Feuchtigkeit oder Flüssigkeiten
14
im Wurzelkanal vernachlässigt werden. Auch entzündliche Verände-
rungen des Desmodonts oder ein weites Foramen apicale stören die 15
Messung nicht mehr, da das Desmodont nicht mehr als Referenzgewebe
für die Widerstandsmessung dient. Eine weitere Verbesserung der Mess- 16
genauigkeit konnte durch die empirische Kalibrierung der Messskalen
der Endometriegeräte an extrahierten Zähnen erreicht werden.
Die Vorteile der endometrischen Längenbestimmung bestehen in
17
der Hauptsache in dem stark verringerten Zeitaufwand und der feh-
lenden Strahlenbelastung. Weiterhin können die Geräte hilfreich sein, 18
fragliche Perforationen während der Behandlung abzuklären.
Neuere Studien haben aber gezeigt, dass nicht die apikale Konstrik- 19
tion, sondern lediglich ein Punkt zwischen apikaler Konstriktion und Fo-
ramen apicale bestimmt wird. Dies ist durch das Messverfahren bedingt, 20
welches auf der Isolation des Messinstrumentes durch das Wurzeldentin

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418 13 Die Wurzelkanalbehandlung

basiert. Es wird letztlich der Punkt bestimmt, an dem sich der Kanaldurch-
messer erweitert und ein Stromfluss in alle Richtungen möglich wird.
Die Endometriegeräte der neuesten Generation weisen eine Messge-
nauigkeit von 90 bis nahezu 100% bei der Lokalisation des Apex auf. Ein
systematisches Review basierend auf 21 Studien belegt, dass die endome-
trische Bestimmung der Arbeitslänge der röntgenologischen überlegen
ist. Ebenso ist die Endometrie zur Vermeidung von Überinstrumentie-
rungen dem Röntgenbild überlegen. Weiterhin hat einer Metaanalyse
zufolge der Pulpastatus (vital versus nekrotisch) keinen signifikanten
Einfluss auf die endometrische Messgenauigkeit.

Eine zuverlässige endometrische Bestimmung der Arbeitslänge setzt


pro Kanal immer mehrmalige endometrische Messungen voraus. In
jedem Wurzelkanal sollte zumindest initial vor der Aufbereitung
und nach Abschluss der Präparation die Arbeitslänge endometrisch
überprüft werden.

13.4.3 Röntgenologische Bestimmung der Arbeitslänge

Instrumente Folgende Instrumente werden für die röntgenologische Längenbestim-


mung (Messaufnahme) benötigt (s. Abb. 13.9 und 13.10):
 Reamer oder K-Feile sowie Hedström-Feile (idealerweise mindestens
der ISO-Größe 15)
 Röntgensichtbare Stopper aus Metall oder Silikon
 Messlineal oder Messblock

Abb. 13.9: Röntgenologische


Bestimmung von Zahn-
länge und Arbeitslänge. Das
in den Wurzelkanal einge-
führte Instrument ist mit
einem Stopper versehen.

Arbeits-
länge
Zahn-
länge

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13.4 Sondierung des Wurzelkanalsystems und Bestimmung der Arbeitslänge Kapitel 13 419

Abb. 13.10: Messlehre zur


Längeneinstellung von
Wurzelkanalinstrumenten 30
1
25
2
20
15
3
10

4
5
6

Das für die Röntgenmessaufnahme verwendete Instrument ist so auszu- 7


wählen, dass einerseits ohne Kraftaufwand ein Punkt nahe des endo-
dontischen Apex erreicht werden kann, andererseits eine leichte 8
Klemmpassung vorhanden ist, damit das Instrument während des
Röntgens nicht verrutschen kann. 9
Um zu gewährleisten, dass auch die Spitze des Instruments auf dem
Röntgenbild deutlich sichtbar ist, müssen Instrumente mit mindestens
der ISO-Größe 15 eingesetzt werden. Wenn Instrumente mit kleinerem
10
Querschnitt verwendet werden, kann es zu Fehlinterpretationen kom-
men, da die Spitze dann nicht deutlich dargestellt wird. Als Ausweg bie- 11
tet sich hier in besonderen Fällen die Verwendung von Silberstiften an.
In Wurzelkanälen, die röntgenologisch unmittelbar nebeneinander 12
dargestellt werden (z.B. mesiale Wurzel der Unterkiefermolaren mit
dem mesio-bukkalen und mesio-lingualem Kanal) sollten zur Messauf- 13
nahme Instrumententypen verwendet werden, die röntgenologisch dif-
ferenziert werden können. In einem Kanal wird daher ein Reamer oder
eine K-Feile eingeführt und im anderen Kanal eine Hedström-Feile. Die
14
Messaufnahme muss in solchen Fällen in exzentrischer Projektion ange-
fertigt werden, damit die Kanäle auseinander projiziert werden (vgl. 15
Abb. 11.6). Röntgenmessaufnahmen in exzentrischer Projektion sind
zudem hilfreich bei der Beurteilung, ob in einer Wurzel noch ein weite- 16
rer Wurzelkanal vorliegt. Wird nämlich bei der exzentrischen Projek-
tion das Instrument nicht in der Mitte der Wurzel abgebildet, liegt mit
großer Wahrscheinlichkeit ein weiterer Kanal vor.
17
Der Stopper soll festen Halt auf dem Wurzelkanalinstrument haben
und muss in Kontakt zu einem sicher wieder auffindbaren koronalen Re- 18
ferenzpunkt stehen. Je nach Erfahrung wird die Länge des Instruments
mit einem Sicherheitsabstand von 1–3 mm zum endodontischen Apex 19
entsprechend dem vorliegenden diagnostischen Röntgenbild eingestellt.
Nach Anfertigung der Messaufnahme wird die Lage des Instruments 20
im Wurzelkanal beurteilt (s. Abb. 13.11a–c).

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420 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.11: a) Korrekte Messaufnahme zur röntge-


nologischen Längenbestimmung mit röntgensicht-
barem Stopper bei einem unteren Prämolaren,
b) korrekte Messaufnahme mit röntgensichtbaren
Stoppern bei einem unteren Molaren mit 4 Wurzel-
kanälen, c) misslungene Messaufnahme bei falscher
Einschätzung der Zahnachse

Beurteilung Findet sich die Spitze des Instruments 1 mm vor dem röntgenologi-
schen Apex, ist die Arbeitslänge gefunden. Bei einer Abweichung von
bis zu 3 mm kann die Länge korrigiert werden; bei Abweichungen von
mehr als 3 mm soll zur Sicherheit eine zweite Messaufnahme angefertigt
werden.
Da auch bei orthoradialer Projektion besonders bei gekrümmten
Wurzeln noch mit einem Projektionsfehler zu rechnen ist, wird vielfach
empfohlen, zur Sicherheit bei der endgültigen Festlegung der Arbeits-
länge noch einmal 0,5 mm abzuziehen.

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13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals Kapitel 13 421

13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals


1
! Die mechanische Reinigung und Formgebung des Wurzelkanals
erfolgt mit Handinstrumenten und/oder maschinengetriebenen
Instrumenten.
2

Wurzelkanalinstrumente werden aus verschiedenen Rohlegierungen Legierung


3
hergestellt. Üblich sind heute Chrom-Nickel-Edelstahl und verschie-
dene Nickel-Titan-Legierungen. Die Legierungen haben unterschiedli- 4
che physikalische Eigenschaften und unterscheiden sich besonders
deutlich hinsichtlich ihrer Flexibilität und Bruchfestigkeit. 5
Die Schneidekanten eines Wurzelkanalinstruments entstehen ent- Herstellung
weder durch Drehen (Verdrillung) entlang der Achse oder durch Fräsen
des Rohmaterials (s. Abb. 13.12). Gedrehte Instrumente mit dreiecki-
6
gem Querschnitt sind flexibler als Instrumente mit viereckigem Quer-
schnitt. Bei gefrästen Instrumenten bestimmt die Tiefe der Schneide- 7
kanten bzw. die Dicke des Kerns die Flexibilität und Bruchgefährdung.
Grundsätzlich sind gefräste Instrumente bruchgefährdeter als gedrehte 8
Instrumente.
Die Auswahl der Instrumente ist abhängig von der Aufbereitungs- Auswahl 9
technik sowie der Form und Krümmung des Wurzelkanals.

10
13.5.1 Handinstrumente
11
Normierung
Nahezu alle Handinstrumente sind in ihren Dimensionen und ihrer 12
geometrischen Form durch die Vorgaben der ISO-Norm 3630-1 ge-
normt. Es handelt sich also im Gegensatz zu den maschinell angetriebe- 13
nen Wurzelkanalinstrumenten um ISO-genormte Instrumente. Die
Größenangabe für ein Instrument bezieht sich auf den Durchmesser in
Hundertstel Millimeter des verlängerten Kegels an der Instrumenten-
14
spitze (D1-Wert).
Der Durchmesser nimmt bei jedem Instrument kontinuierlich von Durchmesser 15
der Spitze (D1) zum Ende des Arbeitsteils (D2) um 0,02 mm pro Millime-
16
17
18
19
a b

Abb. 13.12: Schematische Darstellung der Herstellungsprozesse von Wurzelkanalinstrumenten: a) Herstel- 20


lung durch Verdrillung, b) Herstellung durch Fräsung

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422 13 Die Wurzelkanalbehandlung

5–15 mm

Abb. 13.13: Maße für Wurzelkanalinstrumente entsprechend der ISO-Norm: D1:


Durchmesser des theoretisch bis zur Spitze verlängerten Kegels des Arbeitsteils.
Der Durchmesser bei D1 entspricht der ISO-Größe des Instruments in 1/100 mm.
D2: Durchmesser am Ende des 16 mm langen Arbeitsteils. D2 = D1 + 0,32 mm.

ter, also insgesamt um 0,32 mm, zu. Ein Instrument mit der Größe 15
hat also bei D1 einen Durchmesser von 0,15 mm und bei D2 von
0,47 mm (s. Abb. 13.13).
Konizität Die Konizität der Instrumente nach ISO-Norm beträgt immer 2%.
Nur sehr vereinzelt sind Handinstrumente mit abweichender Konizität
zu finden.
Länge des Ein Handinstrument besteht aus Griff, Schaft und Arbeitsteil. Die
Arbeitsteils Länge des Arbeitsteils beträgt immer 16 mm.
Schaft Der Schaft ist variabel zwischen 5 und 15 mm lang, woraus sich In-
strumentenlängen von 21, 25, 28 und 31 mm ergeben. Kurze Instru-
mente sind gut geeignet zur Behandlung von Molaren, besonders lange
Instrumente werden zur Behandlung von Eckzähnen gebraucht.
Die Griffe sind entsprechend der ISO-Größe farbig markiert und zu-
sätzlich mit der Größennummer versehen. Einige Hersteller markieren
den Kopf der Griffe mit einem Symbol in dreieckiger, quadratischer
oder runder Form, was die Instrumententypen Reamer, K-Feile und
Hedström-Feile kennzeichnet (s. Abb. 13.14).
Handgriffe Die Handgriffe sind von ISO-Größe 15–40 systematisch mit den Far-
ben Weiß, Gelb, Rot, Blau, Grün und Schwarz gekennzeichnet. Die Un-
tergrößen 6, 8 und 10 sind Rosa, Grau und Violett gekennzeichnet. Zwi-
schen den ISO-Größen 10 und 60 beträgt der Zuwachs des Instrumen-
tendurchmessers an der Spitze jeweils 0,05 mm, ab ISO-Größe 60 jeweils
0,10 mm. Von einigen Herstellern sind Reamer und Feilen auch in Zwi-
schengrößen (Gr. 12, 17, 22 usw.) erhältlich. Die Form der Handgriffe
unterscheidet sich geringfügig zwischen den verschiedenen Herstellern,
wobei ergonomische Gesichtspunkte eine Rolle spielen.

Standardinstrumente
Exstirpations- Exstirpationsnadeln sind mit kleinen Haken versehene Instrumente,
nadeln die dazu dienen sollen, die Pulpa in einem Arbeitsgang aus dem Wurzel-
kanal zu exstirpieren. Die Pulpa wird bei Verwendung dieses Instru-
ments abgerissen und nicht abgeschnitten, was als Nachteil betrachtet
werden kann.

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13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals Kapitel 13 423

Grundsätzlich kann auf die Verwendung dieses Instruments verzich-


tet werden, da es in vielen Fällen, wie z.B. bei gekrümmten Kanälen, 1
seine Aufgabe nicht erfüllen kann.
Reamer (Synonyme: Erweiterer, Räumer, Kerr-Bohrer) und K-Feilen Reamer und 2
(Synonyme: Kerr-Feile) werden aus Rohlingen mit dreieckigem oder K-Feilen
viereckigem Querschnitt durch Verwinden hergestellt (s. Abb. 13.14).
Hauptsächlich unterscheiden sich Reamer und K-Feilen durch die An-
3
zahl von Windungen pro Längeneinheit und dadurch auch durch den
Schneidekantenwinkel (auch Tangentenwinkel, Winkel der Schneide zu 4
seiner Längsachse). Die Reamer besitzen mit einer halben bis einer gan-
zen Verwindung pro Millimeter des Arbeitsteils weniger Windungen 5
pro Längeneinheit als die K-Feilen. Instrumente mit geringem Durch-
messer haben mehr Windungen als solche mit großem Durchmesser. Je
nach Stärke des Instruments weisen Reamer 8 bis 16 Schneiden, K-Fei-
6
len 24 bis 36 Schneiden auf. Kleine Instrumentengrößen werden aus
Gründen der Stabilität gerne aus Rohlingen mit quadratischem Quer- 7
schnitt, größere Instrumente aus Rohlingen mit dreieckigem Quer-
schnitt gefertigt. Der Schneidekantenwinkel beträgt für Reamer etwa 8
10–30° und für K-Feilen etwa 25–40°.
Hedström-Feilen werden aus runden Rohlingen durch Herausfräsen Hedström-Feilen 9
hergestellt. Die Anzahl der spiralförmig umlaufenden Schneiden beträgt
etwa 14 bis 31 und ist bei kleineren Instrumentengrößen höher als bei
größeren. Der Schneidekantenwinkel beträgt für Hedström-Feilen
10
etwa 60–65°.
11
12
Grundformen
der Handinstrumente
Reamer 13
14
K-Feile
15
16
Hedström-Feile
17
Sonderformen
Battspitze
18
seitliche
Führungsflächen
19
Abb. 13.14: Grundformen der Handinstrumente zur Aufbereitung des Wurzelka-
nals mit Darstellung des Schneidekantenwinkels und typische Merkmale neu ent-
wickelter Instrumente. Die Grundformen sind auf dem Kopf des Handgriffs mit 20
Symbolen gekennzeichnet.

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424 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.15: Querschnitt,


Spanraum und Kern bei
Reamer, K-Feile und Hed-
ström-Feile

Reamer Reamer
oder K-Feile oder K-Feile
mit mit
quadratischem dreieckigem
Querschnitt Querschnitt

Merkmale
Charakteristisch sind für jedes Instrument Querschnitt, Spanraum und
Kern (s. Abb. 13.15) sowie der Schneidekantenwinkel (s. Abb. 13.14).
Querschnitt Schneidleistung, Bruchsicherheit und Flexibilität eines Instru-
ments werden vom Querschnitt beeinflusst. Dreikantige Instrumente
schneiden i.d.R. besser und sind flexibler, vierkantige Instrumente sind
bruchsicherer.
Spanraum Die Größe des Spanraums entscheidet, wie viel Material aus dem
Wurzelkanal heraustransportiert werden kann. Einen großen Spanraum
weisen Instrumente mit einem dreieckigen Querschnitt und Hedström-
Feilen auf.
Kern Die Größe des Kerns beeinflusst neben der Qualität der verwendeten
Legierung die Flexibilität und Bruchsicherheit der Instrumente. Den
kleinsten Kern weisen Hedström-Feilen auf, wodurch bei den kleinen
Größen dieser Instrumente eine erhöhte Bruchgefahr gegeben ist.
Schneidekanten- Schneid- oder Schabwirkung werden vom Schneidekantenwinkel
winkel bestimmt. Instrumente, deren Schneidekantenwinkel unter 45° liegt, er-
fordern eine drehende Arbeitskomponente, um effizient Material abtra-
gen zu können, jene mit einem Schneidekantenwinkel oberhalb indes
eine linear feilende Arbeitsweise. Daher sind Reamer und K-Feilen In-
strumente, die drehend-schabend, und Hedström-Feilen Instrumente,
die feilend (ziehend-schabend) eingesetzt werden sollten.

Flexible Instrumente aus Edelstahl


Um unerwünschte Formabweichungen vom ursprünglichen Kanalver-
lauf bei der Aufbereitung zu vermindern, wurden Instrumente aus Edel-
stahl mit geringeren Biegemomenten und höherer Flexibilität ent-
wickelt. Dies gelang durch Veränderungen der Querschnitte und die
Verwendung von Spezialstählen, z.B. mehrfach im Hochvakuum ver-
schmolzenem Chrom-Nickel-Stahl. Die meisten Instrumente wie die
Flexicut-Feilen, Flexoreamer und K-Flexofeilen weisen dreieckige Quer-
schnitte auf. K-Flex-Feilen weisen einen rhombischen Querschnitt
auf. Beim Verdrillen entstehen so abwechselnd hohe und niedrige Win-
dungen.

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13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals Kapitel 13 425

Durch diese Querschnittsformen kann bei drehend-schabender Ar-


beitsweise eine höhere Abtragsleistung erreicht werden. Durch den 1
vergleichsweise geringen Kerndurchmesser ist allerdings die Bruchfes-
tigkeit vermindert. Obwohl es bei Anwendung dieser flexiblen Instru- 2
mente zu weniger Formabweichungen kommt, kann doch bei stärker
gekrümmten Wurzelkanälen trotzdem keine ideale Kanalform erreicht
werden.
3
Bei weitergehenden Entwicklungen wurde die Spitzengeometrie der
Instrumente verändert, da die scharfen Schneidekanten an der Spitzen- 4
schulter hauptsächlich für unerwünschte Formabweichungen bei der
Aufbereitung verantwortlich gemacht werden. Der Flexoreamer und die 5
K-Flexofile weisen nicht schneidende Spitzen auf, die analog zum Batt-
bohrer modifiziert worden sind. Die parabolisch oder kuppenartig ge-
formte Spitze sorgt für eine bessere zentrische Führung der Instrumente
6
im Wurzelkanal und hilft, Stufenbildungen zu vermeiden (s. Abb.
13.16). 7
Instrumente aus Titanlegierungen 8
Nickel-Titan-Legierungen (NiTi) bestehen aus etwa 55% Nickel und Nickel-Titan-
45% Titan. Der Elastizitätsmodul von NiTi beträgt nur ein Fünftel des Legierungen 9
entsprechenden Wertes für Chrom-Nickel-Stahl, das Biegemoment ist
geringer und die Torsionsfestigkeit größer.
Nickel-Titan-Instrumente besitzen ein pseudoelastisches Verhal-
10
ten. Es handelt sich dabei um eine rückstellbare Verformung durch Kris-
tallgitterumwandlungen. Eine Verformung von bis zu 10% linear kann 11
sich bei Entlastung vollständig zurückstellen. Bei Belastung eines Ni-
ckel-Titan-Instruments kommt es zunächst zu einer normalen elasti- 12
schen Deformation. Mit weiter ansteigender Belastung erfolgt nach der
Überschreitung einer kritischen Spannung eine Kristallgitterumwand- 13
lung der Legierung. Diese besteht aus unterschiedlichen Phasen: einer
Hochtemperaturmodifikation (Austenit-Phase) und einer Tieftempera-
turphase (Martensit-Phase). Die Kristallgitterumwandlung erfolgt
14
durch eine Umwandlung der Austenit-Phase in die Martensit-Phase. Bei
15
Abb. 13.16: Schematische Darstellung der
Funktionsweise der nicht schneidenden In-
strumentenspitze. Bei herkömmlicher
Spitze (links) gleitet das Instrument auf-
16
grund des Kontakts zwischen Spitze und
der Außenseite des gekrümmten Kanalab-
schnitts nicht weiter nach apikal und die
17
scharfe Instrumentenschulter trägt an der
Außenseite permanent Material ab (Pfeil).
Bei der nicht schneidenden Spitze (rechts)
18
hat die Spitze keinen Kontakt zur Kanal-
wand (Pfeil) und die stumpfe Schulter
dient als Führungsfläche (Doppelpfeil), um 19
das Instrument weiter nach apikal zu füh-
ren. Gleichzeitig kann die Schulter nicht
mehr Material abtragen. Herkömmliche Spitze Batt-Spitze 20

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426 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Entlastung tritt eine elastische Rückstellung auf. Es kommt somit zur


vollständigen Rückstellung des Instrumentes.
Diese metallurgischen Eigenschaften des Nickel-Titans haben eine
direkte Bedeutung für die maschinelle Wurzelkanalbehandlung und er-
möglichen erst die permanent rotierende oder reziproke Aufbereitung.
Demgegenüber zeigen Nickel-Titan-Instrumente im Vergleich zu Edel-
stahlinstrumenten auch klinisch relevante Nachteile:
 Geringere Oberflächenhärte.
 Geringere Schneidleistung.
 Keine oder nur geringfügige plastische Deformation. Dies bedeutet,
dass Nickel-Titan-Instrumente nicht vorgebogen werden können.

Die Instrumente werden durch Fräsung der Rohlinge hergestellt. Da


NiTi schwer zu bearbeiten ist, resultieren oft Instrumentenschneiden
von geringer Güte. Hergestellt werden K-Feilen, H-Feilen sowie S- und
U-Feilen sowohl für die manuelle als auch für die maschinelle Anwen-
dung. Im Vergleich zu Instrumenten aus Edelstahl ist die Schneidleis-
tung der NiTi-Instrumente geringer.

13.5.2 Geräte und Instrumente zur maschinellen Aufbereitung


des Wurzelkanals

Da die Aufbereitung und Formgebung des Wurzelkanals mit Handin-


strumenten mühsam und zeitaufwendig ist, wurden zahlreiche maschi-
nell angetriebene Geräte entwickelt, die zu einer Erleichterung und Zeit-
ersparnis führen sollen.
Eine Klassifikation der maschinellen Aufbereitungshilfen kann nach
der Art der generierten Arbeitsbewegung der Instrumente erfolgen.
Grundsätzlich können Geräte respektive Winkelstücke unterschieden
werden, die eine rotierende oder feilende Arbeitsweise der Instrumente
erzeugen, sowie Antriebssysteme, welche die Instrumente in Schwin-
gungen im Ultraschall- bzw. Schallbereich versetzen. Heute gebräuch-
lich sind ganz vorwiegend Systeme, die auf einer vollrotierenden res-
pektive reziproken Arbeitsweise basieren.

Geräte mit rotierender Arbeitsweise


Gates-Glidden und Peeso-Bohrer können bei langsamen Umdrehungs-
zahlen in herkömmlichen Winkelstücken eingesetzt werden, um den
koronalen, geraden Teil eines Wurzelkanals zu erweitern. Das ge-
bräuchlichste Instrument ist der Gates-Glidden-Bohrer, der aus einem
langen Schaft, einem kurzen, länglich ovalen Kopf und einer stumpfen,
selbstzentrierenden Spitze besteht. Die Instrumente sind in verschiede-
nen Größen (1–6) erhältlich. Diese und vergleichbare Instrumente wer-
den häufig auch nur zur Erweiterung der Kanaleingänge eingesetzt.

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13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals Kapitel 13 427

Maschinelle Nickel-Titan-Systeme
In letzter Zeit wurden viele verschiedene Instrumente und Systeme auf Konstruktions- 1
Nickel-Titan-Basis für die maschinelle Aufbereitung eingeführt. Wich- merkmale
tige Konstruktionsmerkmale sind: 2
 Variierende Konizitäten:
Während die Konizität der Instrumente nach ISO-Norm immer 2%
über 16 mm Länge beträgt, werden neu entwickelte NiTi-Instru-
3
mente mit Konizitäten von 2, 4 und 6% oder sogar 12 und 20% an-
geboten. Neuere Systeme verfügen über Instrumente mit variieren- 4
den Konizitäten innerhalb eines Instruments (s. Abb. 13.17). Die Fle-
xibilität der Instrumente mit großen Konizitäten ist aber 5
eingeschränkt. Deshalb sollen Instrumente ab einer Konizität von
6% in stark gekrümmten Kanälen nicht jenseits der Krümmung ein-
gesetzt werden, um Instrumentenfrakturen und Kanalverlagerungen
6
zu vermeiden. Optimale Flexibilität besteht bei einer Konizität von
2%. 7
 Nicht schneidende Instrumentenspitzen (Battspitze):
Die Ausformung der abgerundeten Spitze bewirkt, dass die Instru- 8
mente besser im Wurzelkanal zentriert bleiben. Hierdurch werden
Häufigkeit und Ausmaß einer Kanalbegradigung sowie das Risiko 9
von Perforationen reduziert (s. Abb. 13.16).
 Variierende Länge des Arbeitsteils:
Einige Systeme verfügen über separate Instrumente für die Aufberei-
10
tung des koronalen, mittleren und apikalen Kanalanteils. Zur Redu-
zierung der einwirkenden Kraft haben Instrumente mit sehr großen 11
Konizitäten zur Erweiterung des koronalen Kanalanteils ein stark
verkürztes Arbeitsteil. Zur Aufbereitung der tieferen Kanalteile 12
nimmt die Konizität der Instrumente ab und die Länge des Arbeits-
teils zu. 13
 Besondere Schneidengeometrie:
Nicht schneidende Instrumente haben breite seitliche Führungsflä-
chen (radial lands) und dazwischen u-förmige Gruben auf den Au-
14
ßenflächen (s. Abb. 13.18a). Die breiten seitlichen Führungsflächen
sollen eine besonders gute Zentrierung bewirken und eine Begradi- 15
gung des Wurzelkanals verhindern. Schneidende Instrumente ha-
ben keine seitlichen Führungsflächen und der Querschnitt ähnelt ei- 16
nem Dreikant mit konvexen Außenflächen oder ist einfach bzw.
mehrfach s-förmig. Sie verfügen auch über eine gute Zentrierung im
Wurzelkanal und bewirken keine nennenswerte Begradigung. Die
17
schneidenden Instrumente werden auch als aktiv, die nicht schnei-
denden als passiv bezeichnet (s. Abb. 13.18b). Bei Instrumenten mit 18
breiten seitlichen Führungsflächen besteht eine große Kontaktflä-
che zum Dentin der Wurzelkanalwand. Dadurch ist die Friktion er- 19
höht und die Frakturgefahr steigt. Zudem ist der Kerndurchmesser
dieser Instrumente kleiner als bei den Instrumenten mit aktiven 20
Schneidekanten, wodurch die Frakturgefahr zusätzlich erhöht ist.

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428 13 Die Wurzelkanalbehandlung

D3 041 047 053

D1 035 035 035

Konizität 2% 4% 6% progressiv

Abb. 13.17: Die Konizität der Instrumente nach ISO-Norm beträgt immer 2%. Neu
entwickelte Instrumente werden mit Konizitäten von 4% und 6% oder sogar 12%
und 20% sowie progressiver Konizität innerhalb jedes einzelnen Instruments an-
geboten.

 Einschraubender Effekt:
Besonders bei aktiven Instrumenten mit konstanter Konizität, Wen-
delung und Schneidekantenwinkel besteht die Gefahr eines Ein-
schraubens in die Kanäle. Dieser Effekt konnte bei neueren Instru-
menten durch alternierende Schneidekanten, Modifikationen der
Schneidekantenwinkel und der Wendelung sowie variable Konizitä-
ten vermindert werden.
 Exzentrischer Querschnitt:
Neuere maschinell eingesetzte Instrumente weisen einen exzentri-
schen Querschnitt auf (s. Abb. 13.19), d.h., der Rotationsmittel-
punkt des Instrumentes liegt nicht in der Mitte des Wurzelkanals.
Dadurch vollführt das Instrument bei der Rotation eine Art „schlän-
gelnde“ Arbeitsbewegung. Hierdurch wird der Spanraum erhöht, der
Einschraubeffekt reduziert und die Belastung des Instruments bei
der Aufbereitung reduziert.

Systeme Die zuerst eingeführten NiTi-Systeme zur maschinellen Aufbereitung


des Wurzelkanals arbeiteten alle ausschließlich nach dem Prinzip der
Vollrotation. In den letzten Jahren haben sich sowohl bezüglich der Ar-
beitsbewegung als auch der Anzahl der zur Aufbereitung benötigten In-
strumente gravierende Neuerungen ergeben (s. Kap. 13.8).

a b c

Abb. 13.18: Schneidekantengeometrie von Nickel-Titan-Instrumenten: a) u-förmi-


ger Querschnitt mit seitlichen Führungsflächen (radial lands), b) konvexer Drei-
kant-Querschnitt, c) s-förmiger Querschnitt

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13.5 Instrumente zur Aufbereitung des Wurzelkanals Kapitel 13 429

Abb. 13.19: Neuere maschi-


nell eingesetzte Instru-
mente weisen einen exzen- 1
trischen Querschnitt auf.
Dadurch liegt der Rotations-
mittelpunkt des Instrumen- 2
tes nicht in der Mitte des
Wurzelkanals.
3
4
5
6
Eine systematische Ordnung der verschiedenen Systeme ist annä-
hernd möglich, wenn die Art der Aufbereitungstechnik in den Vorder- 7
grund gestellt wird (vgl. Tab. 13.2).
8
Bei allen NiTi-Instrumenten zur maschinellen Aufbereitung muss
auf die systemspezifische Umdrehungszahl geachtet werden. Über- 9
höhte Umdrehungszahlen oder abrupte Wechsel der Drehzahl er-
höhen das Frakturrisiko der Instrumente. Ein nach apikal gerichte-
ter Druck auf die Instrumente muss unbedingt vermieden werden.
10
Für NiTi-Systeme übliche Motoren haben eine programmierbare indivi- 11
duelle Torquekontrolle für das jeweilige NiTi-System oder -Instrument.
Bei Erreichen des vorgegebenen Grenzwertes bleibt der Motor stehen 12
oder ändert die Drehrichtung.
Zudem werden für einige NiTi-Systeme Motoren angeboten, die re- 13
ziprok arbeiten. Das Instrument bewegt sich zunächst rotierend in
Schneidrichtung und wird anschließend durch Umkehr der Drehrich-
tung wieder freigegeben. Eine komplette Umdrehung setzt sich aus
14
Tab. 13.2: Übersicht über die verschiedenen maschinellen Aufbereitungstech-
niken mit exemplarischen Systemen
15
Crown-down-Technik Single-length-Technik Single-file-Technik
16
ProFile Mtwo WaveOne
Hero 642 VDW.Rotate WaveOne Gold 17
K3 Reciproc
ProTaper Reciproc blue 18
ProTaper Gold
RaCe/BioRaCe ProTaper Next F360 19
FlexMaster Hyflex CM F6 SkyTaper
TruNatomy
20

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430 13 Die Wurzelkanalbehandlung

mehreren reziproken Bewegungen zusammen. Der Drehwinkel in die


schneidende Richtung ist größer als der in die Gegenrichtung, wodurch
das Instrument kontinuierlich in den Kanal vordringt. Die Gefahr der
Instrumentenfraktur und des Einschraubens soll dadurch vermindert
werden.

13.6 Allgemeine Richtlinien der


Wurzelkanalaufbereitung

! Unter dem Begriff „Aufbereitung“ werden hier die Arbeitsgänge


Erweiterung, Reinigung und Formgebung des Wurzelkanals zu-
sammengefasst. Wird die instrumentelle, mechanische Aufberei-
tung mit gleichzeitiger Anwendung von Spüllösungen vorgenom-
men, spricht man von „chemomechanischer Aufbereitung“. In
jüngster Zeit werden diese Arbeitsvorgänge auch unter dem Be-
griff „Präparation des Wurzelkanalsystems“ zusammengefasst.

Ausgehend vom Zustand der Pulpa, kann man zwischen der Pulpekto-
mie der vitalen Pulpa (Vitalexstirpation) und der nicht vitalen Pulpa un-
terscheiden. Der Zustand der Pulpa hat aber prinzipiell keinen Einfluss
auf die Vorgehensweise bei der Aufbereitung.
Ziele Die Ziele der Wurzelkanalaufbereitung sind :
 Vollständige Entfernung von vitalem und nekrotischem Pulpage-
webe
 Mechanische Entfernung von Mikroorganismen aus dem Wurzelka-
nal und der Wurzelkanalwand (im Fall einer intrakanalären Infek-
tion)
 Erhöhung der desinfizierenden Wirkung von Spüllösungen durch
Vergrößerung des Wurzelkanallumens
 Formgebung des Wurzelkanals zur Ermöglichung der vollständigen
Obturation des Wurzelkanalsystems

Die Arbeitsgänge Erweiterung, Reinigung und Formgebung laufen über-


wiegend parallel zueinander ab. Die Reinigung des Wurzelkanals ist von
Bedeutung, da alles im Wurzelkanal verbliebene organische Material
das Wachstum von Mikroorganismen fördern könnte.
Die Aufbereitung des Wurzelkanals beginnt, wenn die Arbeitslänge
festgelegt und das Arbeitsfeld entsprechend vorbereitet worden ist.
Die endgültige Formgebung des Wurzelkanals hängt davon ab, nach
welcher Methode später das Wurzelkanalsystem gefüllt werden soll.
Anforderungen Folgende Anforderungen sollen bei der Formgebung aber immer
an die Form- erfüllt werden:
gebung  Der aufbereitete Wurzelkanal muss den ursprünglichen Wurzelkanal
vollständig einschließen, der originäre Kanalverlauf soll also erhal-
ten bleiben.

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 431

 Die apikale Konstriktion muss erhalten bleiben.


 Der aufbereitete Wurzelkanal muss apikal eine Verengung oder 1
Schwelle aufweisen, gegen die die Wurzelkanalfüllung kondensiert
werden kann (apikaler Stopp). 2
 Der Wurzelkanal soll von der Krone zum Apex insgesamt eine
gleichmäßige konische Form haben.
3
Bei der Bearbeitung der Wurzelkanalwände ist die spezielle anatomische Bearbeitung der
Form der Wurzeln zu beachten, um eine zu große Schwächung der Den- Wurzelkanal- 4
tinwand oder sogar eine seitliche Perforation der Wurzel zu vermeiden. wände
Bei stark gekrümmten Wurzeln wird im Verlauf der Aufbereitung 5
immer die Kanalaußenseite stärker bearbeitet als die Innenseite. Es re-
sultiert daher eine gewisse Begradigung des Kanals, was eine Verkürzung
der Arbeitslänge zur Folge haben kann. Die Arbeitslängenverkürzung
6
kann 0,5 mm oder sogar mehr betragen. Um eine Überinstrumentie-
rung zu vermeiden, muss die Arbeitslänge in diesen Fällen entsprechend 7
verkürzt werden.
Um eine gründliche Reinigung zu erreichen, erfolgt die Aufberei- 8
tung stets im feuchten Milieu. Dies erfordert die häufige Spülung mit ei-
ner geeigneten Spüllösung (s. Kap. 13.8). 9

13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung


10
Zur mechanischen Präparation des Wurzelkanals kann grundsätzlich zwi- 11
schen manueller und maschineller Aufbereitung unterschieden werden.
12
13.7.1 Manuelle Wurzelkanalaufbereitung 13
Nach Art des Vorgehens können die Methoden grob in zwei Gruppen
eingeteilt werden (s. Tab.13.3).
14
15
! Apikal-koronale Methoden: Hier wird nach Festlegung der Ar-
beitslänge der gesamte Wurzelkanal sukzessiv mit zunehmenden
Instrumentengrößen konisch in koronaler Richtung aufbereitet. 16
Jedes Instrument wird dabei auf die volle Arbeitslänge eingesetzt.
Koronal-apikale Methoden: Hier wird der koronale Anteil des
Wurzelkanals zuerst erweitert, bevor die endgültige Arbeitslänge
17
festgelegt wird. Erst anschließend wird die Arbeitslänge bestimmt
und der Kanal konisch in apikaler Richtung aufbereitet. 18
Zur Formgebung des apikalen Kanalabschnitts ist die Balanced-force- 19
Technik am besten geeignet. Eine klare Abgrenzung zwischen den vie-
len in der Literatur beschriebenen Techniken ist schwer möglich, da oft 20
Kombinationen verschiedener Techniken empfohlen werden.

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432 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Tab. 13.3: Manuelle Aufbereitungstechniken


Apikal-koronale Techniken Koronal-apikale Techniken
Standardisierte Technik Step-down-Technik
Circumferential-filing-Technik Crown-down-pressureless-Technik
Anticurvature-filing-Technik Double-flared-Technik
Step-back-Technik
Balanced-force-Technik

Jede mechanische Aufbereitung des Wurzelkanals muss stets im mit


Spülflüssigkeit, vornehmlich Natriumhypochlorit, gefüllten Kanal
erfolgen. Eine „trockene“ Aufbereitung ist strikt zu vermeiden.

Apikal-koronale Techniken
Standardisierte Bei der standardisierten Technik wird der Wurzelkanal auf volle Arbeits-
Technik länge mit Instrumenten aufsteigender Größe bearbeitet. Die Technik
wird mit Reamern oder K-Feilen durchgeführt, welche in drehend-scha-
bender Arbeitsweise eingesetzt werden. Mitunter wird die ergänzende
Anwendung von Hedström-Feilen empfohlen.
Ein dünner Reamer oder eine dünne K-Feile wird in den Kanal ein-
geführt, unter Beachtung der Arbeitslänge eine Viertel- bis eine halbe
Umdrehung rotiert, wieder aus dem Kanal entfernt und gereinigt. Die-
ser Arbeitsvorgang wird wiederholt, bis das Instrument widerstandslos
bis zur Arbeitslänge eingeführt werden kann. Mit Instrumenten aufstei-
gender Größe wird der Vorgang wiederholt, bis die gewünschte Kanal-
größe erreicht ist.
Häufig wird empfohlen, ergänzend Hedström-Feilen gleicher Größe
zu benutzen. Bei der Anwendung von Feilen ist sicherzustellen, dass es
nicht zur Ansammlung von Spänen im apikalen Drittel des Kanals und
damit zu einer Verbolzung des Weges kommt. Dies kann durch die sog.
Rekapitulation verhindert werden. Hierbei wird ein Reamer oder eine
K-Feile der ISO-Grüße 10 oder 15 in den Kanal eingeführt, um die Späne
nach oben zu transportieren.

Je enger und je gekrümmter ein Wurzelkanal ist, desto häufig sollte


im Verlauf der Wurzelkanalaufbereitung zur Vermeidung einer
Kanalverbolzung mit dünnen Instrumenten rekapituliert werden.
Dies gilt für alle Aufbereitungstechniken.

Die standardisierte Technik ist mit zahlreichen Nachteilen behaftet


und wird heute kaum noch empfohlen. So entspricht die abschließende
Konizität des Kanals weitgehend jener des letzten ISO-genormten In-
strumentes (also weitgehend der ISO-Konizität von nur 2%), was mit ei-
ner reduzierten Effizienz der Wurzelkanalspülung einhergeht und Pro-
bleme bei der Wurzelkanalfüllung bereiten kann. Ferner haben die In-

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 433

1
2
3
4
5
Trichter Isthmus apikale laterale Stufe
(Zip) (Elbow) Perforation Perforation
6
Abb. 13.20: Charakteristische Präparationsfehler bei der Aufbereitung gekrümmter Wurzelkanäle

strumente nahezu über Kanallänge Friktion im Kanal; daher resultieren 7


bei dieser Technik vergleichsweise häufig Präparationsfehler.
Charakteristische Präparationsfehler sind: Elbow-Zip-Bildung, api- Präparations- 8
kale und laterale Perforationen sowie Stufenbildung (s. Abb. 13.20). fehler
Während der Aufbereitung kann es durch den Ausschlag der Instrumen- 9
tenspitze bei Drehungen des Instrumentes zur Ausbildung des sog. „El-
bow-Zip“-Effekts kommen, der eine korrekte Wurzelkanalfüllung na-
hezu unmöglich macht (s. Abb. 13.21). Die Gefahr der Stufenbildung
10
sowie apikale Perforationen können durch die Verwendung von Instru-
menten mit nicht schneidender Spitze minimiert werden. Eine laterale 11
Perforation kann durch eine zu konische Aufbereitung im mittleren Ka-
nalabschnitt an der Innenseite, zumeist die distale Seite der mesialen 12
Wurzel unterer Molaren, entstehen.
Als erstes Instrument wird eine dünne Hedström-Feile in den Kanal Circumferential- 13
eingeführt, die ohne Widerstand bis zur Arbeitslänge gelangen muss. filing-Technik
Die Kanalwand wird so lange bearbeitet, bis die nächst größere Feile
wiederum ohne Widerstand bis zur Arbeitslänge eingeführt werden
14
Abb. 13.21: Deut-
liche aufberei-
15
tungsbedingte
Abweichung vom
originären Kanal-
16
verlauf in der
mesialen Wurzel
eines unteren
17
Molaren
18
19
20

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434 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.22: Zirkumferentes


Feilen: Mithilfe dieser Tech-
nik können auch bei unre-
gelmäßig geformten Kanä-
len alle Bereiche bearbeitet
werden.

kann. Durch zirkumferentes Feilen kann nun auch die gesamte Kanal-
wand von Wurzelkanälen mit unregelmäßigem Querschnitt bearbeitet
werden (s. Abb. 13.22).
Grundsätzlich sollte die Circumferential-filing-Technik nur in gera-
den, nicht gekrümmten Wurzelkanälen eingesetzt werden. Bis zu wel-
cher Instrumentengröße aufbereitet wird, hängt von den anatomischen
Verhältnissen und der geplanten Wurzelkanalfülltechnik ab.

Hedström-Feilen sind zur Aufbereitung gekrümmter Kanalab-


schnitte ungeeignet.

Die besonderen Vorteile dieser Methode sind die intensive Reinigung


des Wurzelkanals und die Möglichkeit, auch unregelmäßig geformte Ka-
näle aufzubereiten.
Als Nachteil ist anzusehen, dass bei linear feilender Arbeitsweise
Hedström-Feilen häufig Kanalinhalt und Dentinspäne nach apikal
transportieren und so zu einer Verbolzung des Kanals führen. Zudem
verursachen diese Feilen in gekrümmten Kanalabschnitten aufgrund ih-
rer scharfen Instrumentenspitze oft Stufen an der Kanalaußenseite. Da
Hedström-Feilen aufgrund ihrer Schneidengeometrie vergleichsweise
scharf sind, kann es zudem in gekrümmten Kanälen mitunter zu einer
lateralen Perforation (s. Abb. 13.20) kommen.
Anticurvature- Zur Vermeidung einer lateralen Perforation (sog. strip perforation)
filing-Technik wurde die Anticurvature-filing-Technik entwickelt. Bei leicht gekrümm-
ten Wurzelkanälen ist im mittleren Kanalabschnitt die Dentinschicht
an der Außenseite der Krümmung (Sicherheitsbereich) stets dicker als
an der Innenseite (Gefahrenzone). Daher sollen die Hedström-Feilen bei
der Anticurvature-filing-Technik entsprechend des Kanalverlaufs vorge-
bogen werden und bei der feilenden Aufbereitung soll das Instrument
bewusst stärker gegen den Sicherheitsbereich und nur sehr gering in
Richtung Gefahrenzone gedrückt werden (s. Abb. 13.23).
Step-back- Den oben genannten Anforderungen an die richtige Formgebung
Technik des Wurzelkanals können die zuvor genannten Techniken meist nicht
gerecht werden.

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 435

Abb. 13.23: Die größte Ge-


fahr einer lateralen Perfora-
tion besteht bei der Aufbe- 1
reitung der mesialen Wur-
zelkanäle unterer Molaren.
An der Innenseite (zur Fur- 2
kation) ist die Dentinschicht
dünner (Gefahrenzone) als
an der Außenseite des Ka- 3
nals.

4
5
Gefahren-
zone
Sicherheits-
bereich
6
7
8
Eine konische Kanalform des apikalen Wurzelkanaldrittels, welche
die Anfertigung einer exakten Wurzelkanalfüllung erleichtert, kann 9
mit der Step-back-Technik erreicht werden. Da die Step-back-Tech-
nik aber nur das apikale Wurzelkanaldrittel betrifft, gilt sie weniger
als eigenständige Aufbereitungstechnik, sondern ist Bestandteil ver-
10
schiedener apikal-koronaler und auch koronal-apikaler Methoden.
11
Als Instrumente der Wahl gelten Reamer oder K-Feilen, die in drehend-
schabender Arbeitsweise eingesetzt werden. Nach der Aufbereitung des 12
apikalen Kanalabschnitts um drei bis fünf Größen nach dem ersten
klemmenden Instrument werden die folgenden Instrumente nicht 13
mehr auf volle Arbeitslänge eingeführt, sondern die Länge wird sukzes-
siv verkürzt. Je nach Weite des Wurzelkanals erfolgen so drei bis fünf
Schritte mit zunehmend verkürzter Arbeitslänge. Während kleine
14
Schritte von je 0,5 mm bei geraden Kanälen angebracht sind, werden
bei gekrümmten Kanälen Schritte von je 1 mm bevorzugt (s. Abb. 15
13.24).
16
Abb. 13.24: Konische Wur-
zelkanalaufbereitung mit
der Step-back-Technik 17
18
19
20

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436 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Ein Vorteil der Step-back-Technik gegenüber der standardisierten


Technik ist auch darin zu sehen, dass die mit zunehmender Größe im-
mer weniger flexiblen Instrumente nicht im Bereich der größten Krüm-
mung zum Einsatz kommen. Somit kann auch der einseitige Abtrag von
Material an einer Kanalseite und damit die Ausbildung des Elbow-Zip-
Effekts weitgehend verhindert werden.
Balanced-force- Diese Technik wird heute als Standard zur Aufbereitung gekrümmter
Technik Kanalabschnitte angesehen.
Die relevanten Vorteile sind, dass diese Technik apikal eine weitlu-
migere Aufbereitung gekrümmter Kanäle erlaubt als andere manuelle
Aufbereitungstechniken. Zudem ist die Balanced-force-Technik anderen
Techniken hinsichtlich der Formgebung des Kanals und der Reinigungs-
wirkung überlegen.
Die Balanced-force-Technik erfordert die Anwendung von K-Feilen
mit einer nicht schneidenden Spitze.

Auch die Balanced-force-Technik ist vornehmlich für die Präpara-


tion des apikalen Wurzelkanaldrittels konzipiert. Daher sollte sie in
Kombination mit anderen apikal-koronalen oder koronal-apikalen
Methoden eingesetzt werden.

Die K-Feile wird mit leichtem apikalwärts gerichtetem Druck im Uhrzei-


gersinn um ca. 90–120° rotiert. Unter Beibehaltung des apikalwärts ge-
richteten Drucks wird das Instrument sodann im Gegenuhrzeigersinn
um ca. 180° rotiert und danach um einige Millimeter nach koronal ge-
zogen. Dieser Zyklus wird 2- bis 3-mal wiederholt. Dann wird die K-Feile
aus dem Kanal gezogen, von Dentinspänen und Abraum gereinigt und
der Wurzelkanal wird gründlich gespült. Zur Vermeidung von Kanalver-
bolzung ist auch hier ein regelmäßiges Rekapitulieren mit dünnen In-
strumenten empfehlenswert. Diese Zyklen der Rotation im und gegen
den Uhrzeigersinn werden solange wiederholt, bis die Arbeitslänge er-
reicht ist.

Koronal-apikale Techniken
Vorteile Zu den bekanntesten koronal-apikalen Methoden zählen die Step-
down-, Double-flare- und Crown-down-pressureless-Techniken. Die Be-
schreibung dieser Methoden erfolgt hier nur in stark verkürzter Form.
Step-down- Bei der Step-down-Technik (s. Abb. 13.25) wird nach Überprüfung
Technik der Durchgängigkeit des Kanals der koronale gerade Anteil des Wurzel-
kanals mit Hedström-Feilen der ISO-Größen 15, 20 und 25 bis zu einer
Tiefe von etwa 16–18 mm oder bis an den Anfang der Wurzelkanal-
krümmung zirkumferent feilend erweitert. Danach kann der erweiterte
Anteil des Wurzelkanals mit Gates-Glidden-Bohrern der Größen 1–2
geglättet werden. Erst jetzt wird die Arbeitslänge bestimmt und mit der
Step-back-Technik der apikale Anteil des Wurzelkanals aufbereitet.

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 437

1
2
3
4
5
6
I II III IV V

Abb. 13.25: Arbeitsschritte bei der Wurzelkanalaufbereitung entsprechend einer koronal-apikalen Methode 7
(Step-down-Technik): I. Erweiterung des Wurzelkanals mit Handinstrumenten um wenige Größen bis zum
Anfang der Krümmung, II. Konische Präparation des erweiterten Anteils mit Gates-Glidden-Bohrern,
III. Aufbereitung des apikalen Drittels, IV. Step-back-Präparation des apikalen Drittels, V. präparierter Wur-
zelkanal
8
9
Bei der Crown-down-pressureless-Technik erfolgt die komplette Crown-down-
Instrumentierung in koronal-apikaler Richtung mit K-Feilen. Zunächst pressureless-
wird bis zu einer Länge von etwa 16 mm ein Instrument der ISO-Größe Technik
10
35 eingeführt. Ist dies nicht möglich, muss die Durchgängigkeit mit
kleineren Instrumenten bis zu dieser Länge hergestellt werden. An- 11
schließend wird der Wurzelkanal mit abnehmenden Instrumentengrö-
ßen bis zu einer provisorisch festgelegten Arbeitslänge etwa 3 mm vor 12
dem röntgenologischen Apex aufbereitet. Hierzu erfolgen mit den Fei-
len ohne apikalen Druck jeweils maximal zwei Rotationsbewegungen. 13
Nach Erreichen der provisorischen Arbeitslänge wird die tatsächliche
Arbeitslänge bestimmt und, ausgehend von Instrumenten zunehmen-
der ISO-Größe (40, 45, 50), werden die Arbeitsvorgänge wiederholt.
14
Bei der Double-flared-Technik erfolgt die Aufbereitung des Wurzel- Double-flared-
kanals ebenfalls mit K-Feilen. Zuerst wird ein feines Instrument ohne Technik 15
feilende Bewegungen eingeführt und die Arbeitslänge bestimmt. Dann
wird eine Feile, die locker im Wurzelkanal liegen soll, bis zu einer Länge 16
von etwa 14 mm oder bis kurz vor der beginnenden Kanalkrümmung
eingeführt. Mit den Instrumenten werden nur feilende Bewegungen
ausgeführt. Folgend werden immer kleinere Instrumente jeweils 1 mm
17
tiefer eingebracht, bis die Arbeitslänge erreicht ist. Abschließend erfolgt
die endgültige Formgebung mit der Step-back-Technik. 18
Nicht geeignet ist diese Methode für weite Wurzelkanäle und Zähne 19
mit weit offenem Foramen apicale.
20

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438 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Kombinierte Wurzelkanalaufbereitungstechnik
Aus den kurz beschriebenen Aufbereitungstechniken wird nachfolgend
eine kombinierte Technik zur Aufbereitung gekrümmter Wurzelkanäle
ausführlicher beschrieben, da diese Technik die Vorteile der apikal-ko-
ronalen und der koronal-apikalen Techniken miteinander vereint.
Initialfeile Das erste Instrument, das bis zur vorher bestimmten Arbeitslänge
eingebracht wird und dort klemmt, wird als Initialfeile (initiale apikale
Feile) bezeichnet. Je nach Durchmesser des Wurzelkanals kann es sich
dabei z.B. um ein Instrument der ISO-Größe 15 oder bei sehr weiten Ka-
nälen um ein Instrument der ISO-Größe 35 handeln.
Koronale Zunächst erfolgt analog zur Step-down-Technik eine konische Er-
Erweiterung weiterung des koronalen geraden Kanalabschnitts bis kurz vor den Be-
ginn der Krümmung. Dazu werden Hedström-Feilen der ISO-Grüßen 15
bis 30 zirkumferent feilend eingesetzt.
Um besonders bei gekrümmten Kanälen eine Verbolzung mit Spä-
nen in Apexnähe zu vermeiden, sind eine häufige Rekapitulation mit
dünnen Reamern oder K-Feilen sowie eine regelmäßige Spülung des Ka-
nals erforderlich.
Apikale Nachdem der gerade Kanalabschnitt konisch erweitert wurde, kann
Präparation nun der apikale gekrümmte Kanalabschnitt mit einer flexiblen K-Feile
aus Edelstahl oder Nickel-Titan mit nicht schneidender Spitze gemäß
der Balanced-force-Technik präpariert werden.
Von der initialen apikalen Feile ausgehend, erfolgt die Erweiterung
des Kanals um drei bis fünf Größen. Um eine dichte Füllung des Wur-
zelkanals zu ermöglichen, soll der apikale Anteil des Wurzelkanals i.d.R.
zumindest bis zur ISO-Größe 30 oder 35 aufbereitet werden.
Das zuletzt auf volle Arbeitslänge eingebrachte Instrument wird als
apikale Masterfeile (gebräuchliche Abkürzungen: AMF, MAF oder MAI)
bezeichnet.

Konische Der gesamte Aufbereitungsvorgang wird im feuchten Milieu durch-


Aufbereitung geführt. Dies bedeutet regelmäßige Spülungen mit Natriumhypo-
chlorit zu Beginn und zwischen den Arbeitsgängen.

Spülung Nach dem letzten Aufbereitungsschritt wird der Wurzelkanal noch ein-
mal großvolumig (5 ml) mit Natriumhypochlorit gespült.
Trocknung Die Trocknung des Kanals erfolgt mit genormten und auf die Ar-
beitslänge eingestellten sterilen Papierspitzen. Die Papierspitzen werden
entsprechend der Längenmarkierung ohne Druck in den Kanal einge-
führt. Durch genaue visuelle Prüfung der Papierspitzen muss sicherge-
stellt werden, dass der Kanal völlig trocken ist.
Anschließend erfolgt entweder eine medikamentöse Einlage oder
die definitive Wurzelkanalfüllung.

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 439

13.7.2 Maschinelle Wurzelkanalaufbereitung


1
Zur maschinellen Wurzelkanalaufbereitung können drei verschiedene
Konzepte unterschieden werden (s. Tab. 13.2): das Crown-down- und 2
das Single-length-Konzept sowie die verschiedenen Einfeilen-Systeme.
Letztere können wiederum in Systeme, denen eine vollrotierende, und
solche, denen eine reziproke Arbeitsweise der Instrumente zugrunde
3
liegt, differenziert werden.
Unabhängig vom verwendeten Konzept gelten für die maschinelle Grundregeln 4
Aufbereitung einige Grundregeln, um den Wurzelkanal effizient und si-
cher, also mit einem möglichst geringen Risiko einer Instrumentenfrak- 5
tur, aufbereiten zu können:
 Vor der maschinellen Aufbereitung sollte ein Gleitpfad bis etwa zur
ISO-Größe 15 präpariert werden. Dies kann mit Handinstrumenten
6
(z.B. Pilot-Instrumente) oder mit speziellen maschinellen Instru-
menten (z.B. Pathfinder) geschehen. Dies reduziert den mechani- 7
schen Stress der maschinellen Nickel-Titan-Instrumente während
der nachfolgenden Aufbereitung. Eine manuelle Präparation bietet 8
den Vorteil der taktilen Kontrolle. Der Wurzelkanal kann mit Hand-
instrumenten „ausgetastet“ werden. 9
 Vor der maschinellen Aufbereitung muss überprüft werden, dass ein
gradliniger Zugang zum Wurzelkanal vorliegt. Dies kann ggf. mit-
tels Kanaleingangserweiterern erreicht werden. Diese sind deutlich
10
kürzer und stärker konisch als die zur vollständigen Kanalaufberei-
tung konzipierten Instrumente und erweitern damit nur den koro- 11
nalen Kanalabschnitt und den Kanaleingang (coronal flaring).
 Stets einen Motor oder ein Winkelstück mit Drehmomentbegren- 12
zung verwenden. Die für jede Instrumentengröße vom Hersteller vor-
gegebenen Einstellung bezüglich Umdrehungsgeschwindigkeit und 13
Drehmoment müssen eingehalten und dürfen nicht verändert werden.
 Nie Druck nach apikal auf das Instrument ausüben.
 Nie das Instrument im Kanal zum Stillstand kommen lassen.
14
 Hat das Instrument die Arbeitslänge erreicht, sollte dieses sofort aus
dem Kanal entfernt werden. Nicht abermals mit derselben Größe in 15
den Kanal gehen.
 Immer pickende Arbeitsweise mit geringer Amplitude, damit sich 16
das Instrument nicht aktiv in den Kanal einschrauben kann.
 Immer im mit Spülflüssigkeit (Natriumhypochlorit) gefüllten Kanal
arbeiten.
17
 Jedes Instrument sollte nach dem Einsatz sorgfältig auf Deformatio-
nen oder Frakturen überprüft werden. 18
Vorteile der maschinellen Aufbereitung mit Nickel-Titan-Instrumenten Vorteile 19
sind:
 Sehr gute Formgebung auch stark gekrümmter Wurzelkanäle oder 20
von Kanälen mit komplexer Anatomie (s-förmige Kanäle). Diese aus-

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440 13 Die Wurzelkanalbehandlung

gezeichnete Formgebung mit sehr geringer Inzidenz von Aufberei-


tungsfehlern scheint mit einer verbesserten Prognose einer Wurzel-
kanalbehandlung assoziiert zu sein.
 Weitlumigere apikale Erweiterung des Kanals, als dies mit Handin-
strumenten möglich wäre.
 Kanäle werden auf eine größere Konizität aufbereitet, was die Effi-
zienz der Spülung verbessert und die Wurzelkanalfüllung erleichtert.
 Schnellere und mühelosere Aufbereitung auch von sehr engen Ka-
nälen.
 Kurze Lernkurve.

Nachteile Diesen Vorteilen stehen indes auch einige Einschränkungen respektive


Nachteile gegenüber:
 Geringere taktile Kontrolle der Instrumente während der Aufbereitung.
 Instrumente können im Gegensatz zu Edelstahlhandinstrumenten
nicht vorgebogen werden.
 Unvorhersehbare Instrumentenfrakturen sind möglich.
 Instrumente sind teurerer als Handinstrumente aus Edelstahl und
ihre Anwendungshäufigkeit ist begrenzt.

Crown-down-Technik
Bei dieser Technik wird der Wurzelkanal mit Instrumenten mit unter-
schiedlichen Konizitäten von koronal nach apikal erweitert (s. Tab.13.2).
Für jedes System wird vom Hersteller eine Instrumentensequenz für ver-
schiedene Kanaltypen (weite Kanäle, gekrümmte Kanäle) vorgegeben,
die zwingend einzuhalten ist. Zunächst wird der koronale Kanalab-
schnitt mit dickeren Instrumenten mit stärkeren Konizitäten erweitert.
Danach werden Instrumente mit abnehmendem Durchmesser und Ko-
nizität eingesetzt, die jeweils immer etwas tiefer in den Kanal von koro-
nal nach apikal eindringen. Gewöhnlich wird die Arbeitslänge erst mit
dem dritten oder vierten Instrument erreicht. Erst danach erfolgt dann
eine Erweiterung des apikalen Kanalabschnitts mit Instrumenten mit ge-
ringster Konizität, die jetzt alle auf volle Arbeitslänge eingesetzt werden.
Vorteile der Crown-down-Technik sind:
 Durch die frühe Erweiterung des koronalen Anteils des Wurzelka-
nals kann eine Verschleppung von Mikroorganismen oder Debris in
apikaler Richtung weitgehend vermieden werden. Auch die Extru-
sion von Kanalinhalt in das periapikale Gewebe ist verringert.
 Die frühe koronale Erweiterung des Kanals ermöglicht eine bessere
Penetration von Spüllösungen. Dadurch wird eine Verbolzung des
Wurzelkanals weniger wahrscheinlich.
 Die frühe koronale Erweiterung verkürzt die gesamte Wurzelkanal-
länge. Hierdurch können Fehler bei der Abschätzung der Arbeits-
länge reduziert werden und es wird eine effektivere apikale Kontrolle
der Wurzelkanalinstrumente ermöglicht.
 Reduzierte mechanische Belastung der Instrumente.

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13.7 Methoden der Wurzelkanalaufbereitung Kapitel 13 441

Als Nachteile sind anzuführen:


 Komplizierte Instrumentensequenz und Einsatz vergleichsweise vie- 1
ler Instrumente
 Längere Lernkurve, lange Einarbeitungszeit 2
Single-length-Technik
Bei der Single-length-Technik wird der Wurzelkanal nach Präparation
3
eines Gleitpfades und koronaler Erweiterung mittels Kanaleingangser-
weiterer oder Gates-Glidden-Bohrer mit allen nachfolgenden Instru- 4
menten auf volle Arbeitslänge aufbereitet. Die Instrumentensequenz
entspricht jener der Handaufbereitung, d.h., der Kanal wird zunächst 5
mit dünnen Instrumenten (Größe 15) und nachfolgend mit kontinuier-
lich dicker werdenden Instrumenten präpariert. Die Instrumente in der
Sequenz unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Konizität. So kreiert quasi
6
jedes Instrument einen Gleitpfad für das nachfolge Instrument der Se-
quenz. 7
Vorteile der Single-length-Technik sind:
 Weniger Instrumente erforderlich als bei der Crown-down-Technik 8
 Schnellere und einfacherer Aufbereitung als mit der Crown-down-
Technik 9
 Einfach zu erlernen

Als Nachteile sind anzuführen:


10
 Späteres Eindringen der Spülflüssigkeit in den apikalen Kanalab-
schnitt als bei der Crown-down-Technik 11
 Erhöhtes Risiko, infizierten Kanalinhalt nach apikal zu transportie-
ren, als bei der Crown-down-Technik 12
Einfeilen-Systeme 13
Die derzeit auf dem Markt befindlichen Einfeilen-Systeme können un-
terteilt werden in jene, denen eine reziproke (WaveOne, WaveOne
Gold, Reciproc, Reciproc blue), und jene, denen eine vollrotierende Ar-
14
beitsweise (F360, F6 SkyTaper, TruNatomy) zugrunde liegt (s. Tab. 13.2).
Bei der reziproken Arbeitsweise schneiden die Instrumente aktiv bei Reziproke 15
einer Bewegung im Gegenuhrzeigersinn. Diese Arbeitsweise ist grundle- Arbeitsweise
gend neu, da alle anderen Wurzelkanalinstrumente aktiv im Uhrzeiger- 16
sinn Material abtragen. Während bei reziproker Arbeitsweise aktiv im
Gegenuhrzeigersinn gearbeitet wird, dient die Bewegung im Uhrzeiger-
sinn der Entlastung der Schneiden, d.h., das Instrument löst sich wieder
17
im Wurzelkanal. Eine vollständige Rotation dieser Instrumente setzt
sich somit aus Bewegungen um 150° (Reciproc) bzw. 170° (WaveOne) 18
im Gegenuhrzeigersinn und einer Bewegung um 30° bzw. 50° im Uhr-
zeigersinn zusammen (s. Abb. 13.26). Da die aktive Rotation im Gegen- 19
uhrzeigersinn größer ist als jene im Uhrzeigersinn, dringt das Instru-
ment bei jedem Zyklus etwas tiefer in den Kanal ein. Reciproc vollzieht 20
10 Zyklen pro Sekunde, was einer Rotationsgeschwindigkeit von

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442 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.26: Die reziproke


Schneiden Arbeitsweise setzt sich aus
einer aktiven Bewegung
gegen den Uhrzeiger und
Lösen
einer Rückrotation im Uhr-
zeigersinn zusammen.

Lösen

Schneiden

300 Umin–1 entspricht, während WaveOne mit einer Rotationsge-


schwindigkeit von 350 Umin–1 arbeitet.
Die reziproke Arbeitsweise reduziert durch die Gegenrotation im
Uhrzeigersinn das Verklemmen des Instruments im Wurzelkanal und so
die Gefahr einer Torsionsfraktur.
Reziprok arbeitende Instrumente tragen sehr effizient Dentin ab und
sind daher zur Aufbereitung enger und sklerosierter Kanäle gut geeignet.
Um ein aktives Einschneiden der Instrumente in den Kanal zu vermei-
den, sollten die Instrumente in einer pickenden Arbeitsweise mit einer
Amplitude von weniger als 3 mm im Kanal stets auf und ab bewegt wer-
den. Eine Auf- und Abbewegung wird als „peck“ bezeichnet. Nach drei
pecks sollte das Instrument aus dem Kanal entfernt und von Dentinspä-
nen und Kanalinhalt gereinigt werden. Gleichzeitig wird nach drei
pecks der Kanal gespült und ggf. mit dünnen Instrumenten im Sinne ei-
ner Rekapitulation auf Durchgängigkeit überprüft.
Vollrotation Andere Ein-Feilen-Systeme generieren eine Vollrotation der Instru-
mente im Uhrzeigersinn. Die Instrumente der Systeme (F360, F6 SkyTa-
per) weisen eine konstante, gleichbleibende Konizität entlang ihres Ar-
beitsteiles auf, während das rotierende Ein-Feilen-System TruNatomy,
wie auch die reziprok arbeitenden Instrumente, eine regressive, also von
der Spitze zum Schaft abnehmende Konizität besitzt.
Vorteile der Ein- Klinisch relevante Vorteile der Einfeilen-Systeme sind:
feilen-Systeme  Deutlich verkürzte Aufbereitungszeit. Im Vergleich zur Single-length-
Aufbereitung wird bis zu 60% der Aufbereitungszeit eingespart.
 Exzellente Formgebung auch stärker gekrümmter Wurzelkanäle.
 Weniger Instrumente sind zur vollständigen Aufbereitung erforder-
lich.
 Kurze Lernkurve.

Nachteile der Den Vorteilen steht auch ein relevanter Nachteil der Einfeilen-Systeme
Einfeilen-Systeme gegenüber, der bei der klinischen Anwendung Berücksichtigung finden
sollte:

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13.8 Spülung des Wurzelkanals Kapitel 13 443

 Durch die erhebliche Zeiteinsparung bei der Aufbereitung sind auch


die Einwirkzeit und die verwendete Menge der Spülflüssigkeiten re- 1
duziert. Daher sollten nach Aufbereitung mit Einfeilen-Systemen ab-
schließend Maßnahmen zur Steigerung der Effektivität der Spülflüs- 2
sigkeit (vornehmlich Natriumhypochlorit) getroffen werden. Die
abschließende Aktivierung des Natriumhypochlorits (s. Kap. 13.8)
sollte obligat sein.
3
4
13.8 Spülung des Wurzelkanals
5
! Um sicherzustellen, dass durch die Aufbereitung auch Gewebe-
reste, Detritus und Mikroorganismen, die in den Dentinkanäl-
chen, Seitenkanälen oder anderen unzugänglichen Bezirken zu-
6
rückgeblieben sind, beseitigt werden, muss eine unterstützende
Spülung mit geeigneten Lösungen erfolgen. 7
Zu diesem Zweck wird der Einsatz von verschiedenen Spüllösungen 8
empfohlen. Ziele der Wurzelkanalspülung sind:
 Reduktion der intrakanalären Mikroorganismen und der bakteriel- 9
len Toxine
 Auflösung und Entfernung von Resten des Pulpagewebes
 Schmiereffekt
10
 Abtransport von Dentinspänen
 Entfernung der Schmierschicht 11
Daraus lassen sich die an eine Wurzelkanalspüllösung zu stellenden An- 12
forderungen ableiten:
 Geringe Toxizität
13
 Breites antimikrobielles Spektrum
 Gewebeauflösende Wirkung
 Niedrige Oberflächenspannung
14
Kein Mittel kann alle Aufgaben gleichermaßen gut erfüllen, sodass zu- 15
meist indikationsbezogen eine Kombination von Spülmitteln empfoh-
len wird. Unter dem Aspekt der Desinfektion des Wurzelkanals sind 16
zwei Spüllösungen empfehlenswert.
Das einzige Mittel, das die oben genannten Anforderungen zumin- Natrium-
dest weitgehend erfüllt, ist das Natriumhypochlorit (NaOCl). Die ak- hypochlorit
17
tive Wirkung von Natriumhypochlorit beruht auf seinem Gehalt an un-
dissoziierten HOCl-Molekülen, die eine oxidierende und chlorierende 18
Wirkung haben.
Üblicherweise wird Natriumhypochlorit in wässrigen Lösungen von 19
1,0–5,25% angewendet. Die antibakterielle Wirkung ist in diesem Kon-
zentrationsbereich annähernd gleich stark, während bei niedriger kon- 20
zentrierten Natriumhypochlorit-Lösungen (unter 2%) postendodontische

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444 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Schmerzen geringer ausfallen als bei 5,25%igen Lösungen. Natriumhypo-


chlorit hat ein vergleichsweise breites antimikrobielles Spektrum und ist
gegen die meisten im Wurzelkanal vorkommenden Spezies gut wirksam.
Natriumhypochlorit ist die einzige Spüllösung mit guten gewebelö-
senden Eigenschaften. Sowohl vitales als auch nekrotisches Pulpagewebe
wird bei einem Überschuss von Natriumhypochlorit weitgehend abge-
baut, sofern die Konzentration von Natriumhypochlorit über 1% liegt.
Zudem ist Natriumhypochlorit die einzige Spüllösung, welche die
meisten Endotoxine neutralisieren kann.
Eine Wechselspülung zwischen Natriumhypochlorit und H2O2 ist
nicht empfehlenswert, da es hierbei zu einer starken Reduktion der an-
timikrobiellen und gewebeauflösenden Wirkung des NaOCl kommt.
Chlorhexidin Chlorhexidindiglukonat (CHX) sollte in einer Konzentration von
2% eingesetzt werden. CHX weist eine sehr gute antimikrobielle Wir-
kung gegen grampositive Kokken (E. faecalis) und Fungi (Candida albi-
cans) auf. Ferner ist es die einzige Spüllösung, die über die reine Anwen-
dungsdauer hinaus antimikrobiell wirkt. CHX haftet an oralen Struktu-
ren und aufgrund dieser Substantivität am Dentin zeigt CHX eine
prolongierte Wirkung von bis zu 12 Wochen. Einer aktuellen Metaana-
lyse zufolge weist CHX eine mit dem Natriumhypochlorit nahezu iden-
tische antimikrobielle Effizienz auf.
Da CHX Gewebe im Wurzelkanal nur unzureichend auflösen kann,
soll es nur ergänzend zum Natriumhypochlorit eingesetzt werden.
Natriumhypochlorit und CHX dürfen nicht in direkten Kontakt zu-
einander kommen, da ansonsten sofort 4-Chloranilin als orangefarbe-
nes Präzipitat ausfüllt. Diese Ausfällung muss durch eine Zwischenspü-
lung (Zitronensäure oder NaCl) vermieden werden, da 4-Chloranilin im
Verdacht steht, kanzerogen zu sein, und zudem toxisch auf das hämato-
poetische System und die Leber wirken kann.
Zur Entfernung der Schmierschicht stehen ebenfalls zwei Spüllösun-
gen zur Verfügung.
Chelat- Die dem Dentin aufliegende Schmierschicht kann alleine mit Na-
verbindungen triumhypochlorit nicht entfernt werden. Hier sind Chelatverbindun-
gen wie EDTA geeignet. Beachtet werden muss, dass EDTA idealerweise
30–60 Sekunden im Wurzelkanal belassen werden sollte, um die
Schmierschicht hinreichend entfernen zu können.
Zitronensäure Effizienter und schneller als EDTA entfernt Zitronensäure (15–20%)
die Schmierschicht. Eine 20%ige Zitronensäurelösung ist sogar weniger
gewebeirritierend als EDTA.
Aktivierung Aktivierungen der Spüllösungen, vornehmlich des Natriumhypo-
chlorits, steigern deren antimikrobielle und gewebeauflösende Wirkung
signifikant. Empfehlenswerte Aktivierungsverfahren sind Erwärmen der
Spüllösung sowie Schall- respektive Ultraschallaktivierung.
Eine Erwärmung des Natriumhypochlorits auf 45 °C geht mit einer
100-fachen Steigerung der antimikrobiellen und einer signifikanten
Steigerung der gewebeauflösenden Wirkung einher.

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13.8 Spülung des Wurzelkanals Kapitel 13 445

Mithilfe einer passiven ultraschallaktivierten Irrigation (PUI)


kann die Reinigungs- und Desinfektionswirkung von Spüllösungen 1
ganz erheblich verbessert werden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Wur-
zelkanal keimfrei zu bekommen, ist nach Ultraschallaktivierung des 2
NaOCl etwa 7-mal höher im Vergleich zur manuellen Irrigation. Zur
PUI werden feine, glatte Drähte verwendet, die im Wurzelkanal frei os-
zillieren können und die Energie auf das Spülmedium übertragen. Auf
3
diese Weise wird eine größere Menge an organischem und anorgani-
schem Material, Mikroorganismen und Dentindebris aus dem Wurzel- 4
kanal entfernt als bei einer herkömmlichen Spülung. Zudem ist die PUI
in der Lage, den an der Wurzelkanalwand anhaftenden Biofilm zu zer- 5
reißen und von der Kanalwand abzulösen.
Neue, bei 6000 Hz oszillierende Polyamid-Spitzen zur Schallaktivie-
rung zeigen hinsichtlich der Steigerung der Reinigungs- und Desinfek-
6
tionswirkung von Spüllösungen sowie hinsichtlich der Entfernung ei-
ner medikamentösen Einlage eine ähnlich gute Wirkung wie die PUI, 7
bei verbesserter Arbeitssicherheit.
Zur Wurzelkanalspülung sollten möglichst dünne Spülkanülen mit Vorgehen 8
einem Außendurchmesser von 0,3 mm (Gauge 30) verwendet werden.
Um mit Kanülen diesen Durchmessers einen Wurzelkanal bis zum End- 9
punkt spülen zu können, ist eine vorherige Aufbereitung bis zur ISO-
Größe 30 respektive bei Verwendung maschineller Instrumente bis zur
Größe 25, Konizität 4% zwingend erforderlich.
10
Die Effektivität der Spülungen hängt in der Hauptsache von der
Eindringtiefe der Spülkanüle in den Wurzelkanal, der eingebrachten 11
Menge und einer angemessenen Einwirkdauer ab. Die Spülkanüle sollte
idealerweise bis auf 4 mm vor Arbeitsläge in den Wurzelkanal einge- 12
führt werden. Um dies überprüfen zu können, kann die Spülkanüle mit
einem Stopper versehen werden. 13
Der Druck beim Spülvorgang muss gering dosiert werden, um die
Gefahr des Überpressens der Lösung über den Apex zu minimieren.
Das unbeabsichtigte Überpressen von NaOCl-Lösung in das periapi-
14
kale Gewebe löst bei Patienten ohne Anästhesie heftige, brennende
Schmerzen aus. Gelangen größere Volumina in das periapikale Gewebe, 15
kann es zu einer starken Blutung aus dem Wurzelkanal, Schwellung der
entsprechenden Gesichtsareale, Blutungen im Unterhautgewebe (Ek- 16
chymose) und in schweren Fällen zu begrenzten Gewebenekrosen kom-
men. Um die Symptomatik abzumildern, werden intensive Spülungen
mit physiologischer Kochsalzlösung und eine Anästhesie zur Linderung
17
der akuten Schmerzen empfohlen. In schweren Fällen kann in der Folge
eine chirurgische Therapie notwendig sein. 18
Eine Irritation der Mundschleimhaut oder ein Verschlucken der Lö-
sung kann ausgeschlossen werden, da die Behandlung unter Kofferdam 19
erfolgt.
Bei der Irrigation des Wurzelkanals können relativ selten Spülzwi- Spülzwischenfälle 20
schenfälle auftreten. Derartige Zwischenfälle sind die Ausbildung eines

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446 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Gasemphysems oder die Injektion von Natriumhypochlorit in die peri-


radikulären Gewebe oder in die Kieferhöhle.
Verbleibt nach der Wurzelkanalspülung unbeabsichtigt Natriumhy-
pochlorit im Wurzelkanal und wird die Zugangskavität dicht verschlos-
sen, so bildet sich im Kanal Sauerstoff. Dieser dringt – da ein anderer
Weg nicht zur Verfügung steht – durch das Foramen apicale in das peri-
radikuläre Gewebe; es bildet sich ein sogenanntes Gasemphysem aus.
Es kommt in relativ kurzer Zeit zu einer mäßig schmerzhaften Schwel-
lung; mitunter können zudem ein Gewebeknistern (Krepitus) sowie Pa-
rästhesien diagnostiziert werden. Der Wurzelkanal sollte erneut eröffnet
und mit physiologischer Kochsalzlösung gespült sowie die Zugangskavi-
tät wieder dicht verschlossen werden. Das Emphysem bildet sich i.d.R.
innerhalb von 2–5 Tagen komplikationslos zurück.
Deutlich gravierendere Auswirkungen hat die unbeabsichtigte Injek-
tion von NaOCl über den Wurzelkanal hinaus in das periradikuläre Ge-
webe oder in die Kieferhöhle zur Folge. Charakteristische Symptome ei-
ner transapikalen NaOCl-Injektion sind:
 Sofortige starke Schmerzen
 Sofortiges Auftreten einer ödematösen Schwellung
 Anhaltende starke Blutung aus dem Wurzelkanal
 Anästhesien oder Parästhesien
 Interstitielle Blutung mit Rötung der Gesichtshaut (Ekchymose)
 Bei Injektion in die Kieferhöhle: Chlorgeschmack und Kratzgefühl
im Rachenraum

Nach transapikaler Injektion von NaOCl sind folgende Maßnahmen


durchzuführen:
 Aufklärung des Patienten über den Zwischenfall.
 Sofortiges Auflegen einer kalten Kompresse von extraoral zur Reduk-
tion der Schwellung.
 Lokalanästhesie und/oder Analgetikagabe für 1–3 Tage zur Schmerz-
kontrolle.
 Am Tag nach dem Zwischenfall sollte mit regelmäßigen intraoralen
Spülungen mit warmen Wasser begonnen werden, um die Gewebe-
durchblutung zu steigern.

Eine zusätzliche Gabe von Antibiotika ist nicht obligatorisch und nur
bei Anzeichen oder Gefahr einer sekundären Infektion angezeigt. Ein
engmaschiges Recall bis zur vollständigen Rückbildung der Symptoma-
tik sollte durchgeführt werden.

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13.9 Medikamentöse Einlagen zur Desinfektion des Wurzelkanals Kapitel 13 447

13.9 Medikamentöse Einlagen zur Desinfektion des


Wurzelkanals 1
2
! Eine temporäre oder desinfizierende Einlage mit nachfolgendem
provisorischem Verschluss ist dann notwendig, wenn die Wurzelka-
nalbehandlung nicht in einer Sitzung abgeschlossen werden kann.
3
Dies kann aus organisatorischen oder zeitlichen Gründen erforderlich
sein, weil der Wurzelkanal durch aufsteigendes Exsudat nicht getrock- 4
net werden kann oder weil eine zusätzliche desinfizierende Wirkung er-
zielt werden soll. Einer Metaanalyse und mehreren systematischen Re- 5
views zufolge erhöht die Applikation einer medikamentösen Einlage
nicht die Erfolgsrate einer Wurzelkanalbehandlung.
Mit der beschriebenen mechanischen Aufbereitung des Wurzelka-
6
nals unter Anwendung von Natriumhypochlorit als Spülmittel kann
eine weitgehende Reduzierung der Keimzahlen erreicht werden. Nach 7
neueren Untersuchungen sind nach Spülung mit Natriumhypochlorit
ca. 50% der Wurzelkanäle vollständig bakterienfrei, nach zusätzlicher 8
Verwendung von Ultraschall sogar bis zu 70–80%.
Vielfach geht man davon aus, dass ein anschließend definitiv gefüll- 9
tes Wurzelkanalsystem den verbliebenen Mikroorganismen keine Gele-
genheit bietet, eine neue Flora aufzubauen, die in der Lage ist, einen be-
stehenden pathogenen Prozess weiterhin zu unterhalten oder auszulö-
10
sen.
Trotz dieser gesicherten Erkenntnisse werden zahlreiche Medika- 11
mente angeboten, die als desinfizierende Zwischeneinlage verwendet
werden sollen. 12
Zu den Chlorphenolen oder phenolhaltigen Präparaten gehören Chlorphenole
Chlorphenol-Kampfer-Menthol (ChKM), Chlorphenol-Kampfer-Thy- 13
mol und Jodoformpaste, die aus einer Mischung von Jodoform und
ChKM besteht.
Zu den Aldehyden oder verwandten Verbindungen zählen Formal- Aldehyde
14
dehyd, Formokresol und Trikresol-Formalin.
Neben diesen Präparaten wird auch manchmal die Anwendung von Kortikoid-Anti- 15
Kortikoid-Antibiotika-Präparaten empfohlen. biotika-Präparate
Der Nutzen all dieser Medikamente ist sehr zweifelhaft und die An- 16
wendung gilt heute eher als kontraindiziert. Gegenüber manchen dieser
Präparate kann eine Sensibilisierung und Überempfindlichkeitsreaktion
auftreten oder eine Antigenität durch Bindung an Körpereiweiß ausge-
17
löst werden. Als Ausnahme wird die Anwendung von Kortikoid-Anti-
biotika-Präparaten im Rahmen der endodontischen Schmerztherapie 18
bei akuter irreversibler Pulpitis gesehen. Als medikamentöse Einlage
sind die zuvor genannten Präparate nicht empfehlenswert. 19
Als Mittel der Wahl für eine Zwischeneinlage gilt Kalziumhydroxid. 20

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448 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Kalziumhydroxid- Bei den Kalziumhydroxidpräparaten, die temporär in den Wurzelkanal


präparate eingebracht werden, handelt es sich gewöhnlich um pastenartige, wäss-
rige Suspensionen. Sie zeigen im Vergleich zu anderen Zubereitungsar-
ten die stärkste alkalisierende und bakterizide Wirkung.
Fertigpräparate enthalten Zusätze zur Erzielung von Röntgensicht-
barkeit und zur Verbesserung der Verarbeitbarkeit. Wichtig ist bei die-
sen Präparaten, dass sie dicht verschlossen aufbewahrt werden, um die
Carbonatbildung zu vermeiden.
Kalziumhydroxid ist gut antimikrobiell wirksam, biokompatibel
und hinreichend erforscht. Einige im Wurzelkanal vorkommende Spe-
zies (Enterococcus faecalis, Candida albicans) sind allerdings gegenüber
Kalziumhydroxid weitestgehend resistent. Die antibakterielle Wirkung
von Kalziumhydroxid hängt von der Konzentration der verfügbaren
Hydroxylionen ab. Da dissoziierte Hydroxylionen durch Reaktion ver-
braucht werden, sollte ein genügender Überschuss zur Verfügung ste-
hen, um einen anhaltenden Effekt zu gewährleisten.
Die Mindesteinlagedauer sollte 7 Tage betragen. War der Wurzelka-
nal vor der Applikation von Kalziumhydroxid zu trocken, beträgt die ma-
ximale Liegedauer etwa 3 Monate, ansonsten ungefähr 3 Wochen. Nach
dieser Zeit ist so viel Kalziumhydroxid in Kalziumcarbonat umgewan-
delt, dass nicht mehr hinreichend Hydroxylionen freigesetzt werden.
Kalziumhydroxid hat im Wurzelkanal eine gewebeauflösende Wir-
kung, kann den Wurzelkanal trocknen und ist in der Lage, die meisten
bakteriellen Endotoxine zu neutralisieren.
Kalziumhydroxid-Paste wird mithilfe eines Lentulos oder mit Hand-
instrumenten ohne Überfüllung des Kanals in ausreichender Menge ein-
gebracht. Danach erfolgt ein dichter temporärer Verschluss der Kavität.

13.10 Provisorischer Verschluss

! Ein dichter provisorischer Verschluss der Zugangskavität ist not-


wendig, um sicherzustellen, dass es zu keiner Reinfektion des ge-
säuberten Wurzelkanals kommen oder eindringende Mundflüs-
sigkeit als Substrat für verbliebene Bakterien dienen kann.

Anforderungen Provisorische Füllungsmaterialien sollen folgende Anforderungen er-


füllen:
 Undurchlässigkeit für Bakterien und Mundflüssigkeit
 Leichte und drucklose Applizierbarkeit
 Hohe mechanische Festigkeit
 Leichte Entfernbarkeit

Grundsätzlich erfüllen als provisorische Verschlussmaterialien nur Glas-


ionomerzemente, Zinkoxid-Eugenol-Zemente und Cavit diese Anforde-
rungen weitestgehend. Unter der Prämisse, dass eine Schichtstärke der

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13.11 Voraussetzungen vor der definitiven Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 449

Verschlussmaterialien von 3–4 mm erreicht wird, gewährleisten diese


Materialien für den Zeitraum von etwa 2 Wochen einen speicheldichten 1
Verschluss. Phosphatzemente erlauben keinen speicheldichten Ver-
schluss und sind daher als provisorisches Verschlussmaterial ungeeignet. 2
Cavit besteht aus einer Mischung von Kalziumsulfat, Zinkoxid, Cavit
Zinksulfat, Glykolacetat, Polyvenylacetat und Triäthanolanin. Es ent-
hält kein Eugenol. Cavit ist leicht applizierbar und erhärtet rasch unter
3
Feuchtigkeitszutritt. Da Cavit eine sehr geringe Druckfestigkeit aufweist,
sollte es nur zum Verschluss von rein okklusalen Trepanationsöffnun- 4
gen verwendet werden.
IRM und Super-EBA sind Zinkoxid-Eugenol-Zemente mit Polymer- Zinkoxid-Euge- 5
verstärkung. nol-Zemente
Ausgedehntere Zugangskavitäten sollten mit einem Glasionomer-
zement verschlossen werden, da dieser eine chemische Haftung an
Glasionomer-
zemente
6
Zahnhartsubstanzen eingeht. Dies verbessert die Retention des proviso-
rischen Verschlusses. Bei mehrflächigen Zugangskavitäten ist eine kor- 7
rekte Gestaltung des Approximalraums erforderlich. Neben Glasiono-
merzementen kann in solchen Fällen auch ein Komposit bei Verwen- 8
dung einer Matrize als provisorischer Verschluss in die Kavität
eingebracht werden. 9
Um die Wurzelkanaleingänge nicht zu verlegen, können vor Ein-
bringen des Provisoriums die Kanaleingänge mit einem kleinen Polyure-
than-Schaumstoffpellet oder einem anderen geeigneten Material abge-
10
deckt werden. Auf Wattepellets sollte grundsätzlich verzichtet werden.
Sehr wichtig ist es, eine genaue Okklusionskontrolle durchzufüh- 11
ren. Ein zu hohes Provisorium kann insbesondere bei Zähnen mit einer
endodontischen Problematik Schmerzen auslösen oder vorhandene 12
Schmerzen verstärken.
13
13.11 Voraussetzungen vor der definitiven
Wurzelkanalfüllung 14
Folgende Voraussetzungen sollen erfüllt sein, bevor eine definitive Wur- 15
zelkanalfüllung durchgeführt wird:
16
 komplette chemomechanische Aufbereitung entsprechend den
genannten Kriterien
 trockener Wurzelkanal
17
Eine bestehende Fistel ist grundsätzlich keine Kontraindikation für eine 18
Wurzelkanalfüllung. In vielen Fällen kommt es innerhalb von 1–3 Wo-
chen zum Verschluss des Fistelganges und nachfolgend zu einer Aushei- 19
lung der ursächlichen periapikalen Läsion.
Um eine gute Adaptation des Füllungsmaterials zu erzielen, muss der 20
Wurzelkanal vor der Füllung vollständig trocken sein. Wenn eine Trock-

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450 13 Die Wurzelkanalbehandlung

nung mit Papierspitzen nicht möglich ist, da immer wieder Exsudat auf-
steigt, muss eine temporäre Einlage vorgenommen werden. Hier emp-
fiehlt sich wiederum das Einbringen eines Kalziumhydroxidpräparats.

13.12 Wurzelkanalfüllung

! Das Ziel einer Wurzelkanalfüllung ist es, das gesamte Kanalsystem


auf Dauer dicht zu verschließen, um das Eindringen von Mikroor-
ganismen oder Flüssigkeiten zu verhindern.
Hierzu müssen nicht nur der apikale und der koronale Bereich des
Kanals dicht verschlossen sein, sondern auch offen liegende Dentin-
tubuli müssen verschlossen werden. Eine Überfüllung des Kanals
über den physiologischen Apex hinaus sollte vermieden werden,
weil alle Wurzelkanalmaterialien im periapikalen Gewebe mehr
oder weniger ausgeprägte Fremdkörperreaktionen auslösen können.

13.12.1 Wurzelkanalfüllmaterialien

Ein ideales Füllmaterial für Wurzelkanäle soll die in der Tabelle 13.4 be-
schriebenen Anforderungen erfüllen.
Die Forderung, dass ein dichter, dreidimensionaler Verschluss des
Kanals möglich sein muss, beinhaltet die dauerhafte Erhärtung und
die Porenfreiheit des ausgehärteten Materials.

Kein Wurzelkanalfüllmaterial kann diese Anforderungen allein


komplett erfüllen, sodass eine Kombination aus einer erhärtenden
Wurzelkanalfüllpaste (Sealer) und einem Stift üblich ist. Reine Pas-
tenfüllungen sind zur definitiven Wurzelkanalfüllung ungeeignet.
Die meisten Pasten schrumpfen bei der Erhärtung, weisen Porosität
auf und werden aufgelöst oder resorbiert.

Weichbleibende Weichbleibende Pasten sind weder alleine noch in Kombination mit ei-
Pasten nem Füllstift zum dauerhaften definitiven Verschluss des Wurzelkanals
geeignet. Sie werden von vitalem Gewebe resorbiert, was nachfolgend
eine Reinfektion des Wurzelkanalsystems ermöglicht.
Erhärtende Wurzelkanalfüllpasten, die dem Zweck dienen, den Zwi-
schenraum zwischen einem Stift und der Wurzelkanalwand zu füllen,
werden üblicherweise als Wurzelkanalzemente oder Sealer bezeichnet.
Sealer Ein Sealer hat folgende Aufgaben:
 Ausgleich kleiner Unebenheiten entlang der Kanalwand
 Verschluss lateraler, akzessorischer Kanäle und offen liegender Den-
tintubuli
 Herstellung einer dichten Verbindung zwischen Stift und Kanal-
wand

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13.12 Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 451

Tab. 13.4: Anforderungen an Wurzelkanalfüllmaterialien


Biologische Anforderungen 1
• biokompatibel
• bakteriostatisch oder bakterizid
• nicht resorbierbar
2
Physikalische Anforderungen
• dimensionsstabil
3
• porenfrei
• unlöslich in Gewebeflüssigkeiten 4
• undurchlässig für Flüssigkeiten
• Haftung an der Zahnhartsubstanz 5
Praktische Anforderungen
• ausreichende Verarbeitungszeit 6
• leicht applizierbar
• leicht entfernbar
• radioopak
7
• keine Verfärbung der Zahnhartsubstanz
8
Eine medikamentöse Wirkung des Sealers ist von untergeordneter Be-
deutung. Die Präparate, die den gewünschten Anforderungen weitge- 9
hend gerecht werden, können folgendermaßen eingeteilt werden:
 Zinkoxid-Eugenol-Basis
 Epoxidharz-Basis
10
 Silikon-Basis
 Kalziumsalicylatzemente 11
 Glasionomerzemente
 Kalziumsilikat-Basis 12
Alle Sealer werden in cremig-pastiger Form in den Wurzelkanal einge- 13
bracht und erhärten dort nach einer gewissen Zeit. Die Verarbeitungs-
zeit ist variabel lang und die Erhärtungszeit reicht von weniger als einer
Stunde bis zu zwei Tagen. Eine lange Erhärtungszeit erleichtert eine
14
möglicherweise notwendige Korrektur der Wurzelkanalfüllung.
Während die Zusammensetzung der Sealer insgesamt sehr unter- 15
schiedlich ist, enthalten alle Metallsulfate oder vergleichbare Substan-
zen zur Erzielung eines Röntgenkontrasts. 16
Präparate auf Zinkoxid-Eugenol-Basis werden schon sehr lange an- Zinkoxid-Euge-
gewendet. Obwohl sie nach Aushärtung eine leicht poröse Substanz bil- nol-Präparate
den und sich zum Teil in Gewebeflüssigkeit lösen, zeigen sie bei klini-
17
schen Studien gute Resultate.
Zu den bekanntesten Präparaten auf Epoxidharz-Basis zählen AH Epoxidharze 18
26 bzw. das Folgeprodukt AH Plus. AH 26 setzt im sauren Milieu und
während der Aushärtung geringe Mengen an Formaldehyd frei. Bei AH 19
Plus wurde die Zusammensetzung modifiziert. Der Inhaltsstoff Hexame-
thylentetramin, der für eine kurzfristige Freisetzung von Formaldehyd 20
verantwortlich gemacht wurde, ist jetzt nicht mehr enthalten. Insge-

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452 13 Die Wurzelkanalbehandlung

samt werden Sealer auf Epoxidharz-Basis als besonders empfehlenswert


eingestuft.
Silikon-Basis Das Abdichtungsverhalten, die Fließfähigkeit und die Biokompatibi-
lität dieser Sealer werden als ausgesprochen gut bewertet. Ein Sealer
(GuttaFlow) enthält zudem feinstteiliges Guttaperchapulver (30–
45 μm), um den Guttaperchaanteil an der Wurzelkanalfüllung zu erhö-
hen.
Kalziumsalicylat- Bekannte Präparate auf der Basis von polymerem Methylsalicylat in
zemente einer Mischung mit Kalziumhydroxid sind Sealapex und Apexit. Diese
Sealer weisen eine gute Biokompatibilität auf. Nachteilig ist ihre Lös-
lichkeit in Gewebe- und in oralen Flüssigkeiten, was langfristig die
Dichtigkeit der Wurzelkanalfüllung nachteilig beeinflussen kann. Ape-
xit wird hingegen auch langfristig ein gutes Abdichtungsverhalten be-
scheinigt.
Glasionomer- Zudem stehen Sealer auf der Basis von Glasionomerzement (z.B.
zement Ketac-Endo) mit verlängerter Abbindezeit zur Verfügung. Die Haftung
dieses Materials an der Dentinoberfläche ist dann am größten, wenn die
Schmierschicht vorher entfernt worden ist. Berichte deuten auf ein kli-
nisch akzeptables Abdichtungsverhalten hin. Nachteilig ist die ver-
gleichsweise hohe Wasseraufnahme dieser Sealer zu bewerten.
Kalziumsilikat- Bei diesen Sealern ist zu unterscheiden zwischen solchen auf MTA-
Basis oder Biodentine-Basis und biokeramischen Sealern. Die Biokompatibili-
tät dieser Sealer ist sehr gut. Einige induzieren die Bildung von Apatit
und sind daher bioaktiv. Das apikale Abdichtungsverhalten dieser Sealer
wird überwiegend als akzeptabel bis gut bewertet. Diese Sealer generie-
ren bei der Aushärtung einen stark alkalischen pH-Wert, was eine ausge-
prägte antimikrobielle Wirkung zur Folge hat.
Beachtet werden muss, dass – mit einer Ausnahme – die Sealer der-
zeit nicht für thermoplastische Obturationstechniken geeignet sind, da
die dabei eingesetzte Wärme den wasserbasierten Kalziumsilikat-Sealern
zu viel Feuchtigkeit entzieht. Zudem sollte bei Anwendung als Ab-
schlussspülung des Wurzelkanals unmittelbar vor der Obturation Alko-
hol nicht verwendet werden, da dieser das Wurzelkanalwand-Dentin zu
sehr austrocknet. Zur vollständigen Aushärtung benötigen die Sealer
nämlich Wasser (Dentinfeuchtigkeit).
Adhäsive Weitere Wurzelkanalfüllmaterialien sollen mithilfe adhäsiver Tech-
Materialien nologien am Wurzeldentin haften und auf diese Weise eine bessere Ver-
sieglung des Wurzelkanalsystems erzielen. Am häufigsten untersucht
wurde das thermoplastische Material Resilon auf Polyesterbasis. Nach
entsprechender Vorbehandlung soll ein adhäsiver Verbund zwischen
dem Dentin der Wurzelkanalwand und dem Resilonstift entstehen. Es
wird allerdings bezweifelt, ob die adhäsive Versieglung des Wurzelka-
nals dauerhaft ist, da es zu einer enzymatischen Degradation des Mate-
rials kommen kann, das Schrumpfungsverhalten des Materials im Wur-
zelkanal ungünstig ist und die Haftungswerte insgesamt eher niedrig
sind. Eine klinische Studie wies eine 5,7-fach höhere Misserfolgsrate

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13.12 Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 453

nach Wurzelkanalfüllung mit Resilion im Vergleich zu Guttapercha-ba-


sierten Obturationen nach. 1
Stifte werden grundsätzlich in Verbindung mit einem Sealer in den 2
Wurzelkanal eingebracht und bilden den Kern der Wurzelkanalfül-
lung.
3
Das erprobteste Material für Stifte ist Guttapercha. Daneben werden Stifte
auch Metallstifte aus Silber, Titan oder vergleichbaren Metallen angebo- 4
ten.
Guttaperchastifte (Guttaperchapoints) bestehen aus Guttapercha 5
(ca. 20–45%) als Matrix, Zinkoxid als Füllstoff (33–62%) und enthalten
zusätzlich in kleinen Mengen Wachse oder Kunststoff zur Erhöhung der
Plastizität und Metallsulfate als Röntgenkontrastmittel. Guttapercha ist
6
der eingedickte Milchsaft tropischer Bäume und dem Kautschuk ver-
wandt. 7
Guttapercha ist biokompatibel, inert und bei Temperaturen von ca.
60 °C plastisch verformbar. 8
Bei niedrigeren Temperaturen ist es dimensionsstabil. Guttapercha
kann in zwei kristallinen Phasen (α und β) und in einer amorphen 9
Phase vorliegen. Die α-Phase ist fließfähig, klebrig und weich, die
β-Phase hingegen flexibler und komprimierbar. Die frisch gewonnene
Guttapercha befindet sich meistens in der α-Phase und wird in diesem
10
Stadium für thermoplastische Obturationstechniken verwendet. Kon-
ventionelle Guttaperchastifte für Kaltfülltechniken befinden sich in der 11
β-Phase, die durch Erwärmen auf 42–49 °C in die α-Phase überführt wer-
den kann. Bei anhaltender Erwärmung auf 53–59 °C oder noch höhere 12
Temperaturen wird Guttapercha in eine amorphe Phase übergeleitet.
Eine routinemäßige Abkühlung der Masse führt wieder überwiegend zur 13
Bildung von β-Guttapercha. Da eine Veränderung der Phasen mit einer
Volumenänderung verbunden ist, kann dies bei Füllungstechniken, bei
denen Guttapercha erwärmt wird, eine Rolle spielen.
14
Je höher die Erwärmung, desto stärker ist die Schrumpfung bei Ab- 15
kühlung.
16
Guttapercha kann durch organische Lösungsmittel wie Eukalyptusöl
oder Xylol angelöst werden.
Je nach spezieller Zusammensetzung unterscheiden sich Guttaper-
17
chaspitzen verschiedener Hersteller hinsichtlich für die Verarbeitung
wichtiger Parameter wie Dimensionstreue, Festigkeit, Elastizität und Fle- 18
xibilität.
Metallstifte sind gegenüber Guttaperchaspitzen auch in kleinen 19
Größen sehr fest und können gut in enge Kanäle eingeführt werden. Sie
können allerdings nicht dem zumeist unrunden Querschnitt des Wur- 20
zelkanals angepasst werden.

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454 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Silberstifte neigen zur Korrosion und sollten deshalb nicht mehr


verwendet werden.
Titanstifte sind biokompatibel und korrosionsresistent. Aufgrund
ihrer fehlenden Komprimierbarkeit dichten sie Wurzelkanäle zumeist
nicht gut ab und sollten daher auch nicht mehr verwendet werden.

13.12.2 Instrumente zur Wurzelkanalfüllung

Lentulo Der Lentulo (Synonyme: Wurzelfüller, Füllspirale) ist eine linksdre-


hende Spirale zur Verwendung im Winkelstück. Da mit einem Lentulo
stets ein erheblicher Überschuss an Sealer in den Wurzelkanal einge-
bracht wird, sollten sie zur Obturation nicht mehr verwendet werden.
Spreader Spreader (Spreizinstrumente) werden im Zusammenhang mit der la-
teralen Kompaktion (Kondensation) verwendet. Sie sind glattwandig mit
einer stumpfen Spitze und entsprechen von ihrer Konizität und Dicke
den Aufbereitungsinstrumenten. Sie sind entsprechend den ISO-Größen
normiert und farbcodiert. Spreader sind als Finger- oder Handinstru-
ment in verschiedenen ISO-Größen und verschiedenen Längen erhält-
lich. Grundsätzlich sollten vornehmlich Fingerspreader aus Nickel-Titan
bevorzugt werden, da diese bei der Kompaktion geringere Spannungen
im Wurzeldentin erzeigen als Hand- und Fingerspreader aus Edelstahl.
Plugger Plugger (Stopfinstrumente) dienen zur Verdichtung von Guttaper-
cha und werden bei verschiedenen Wurzelkanalfülltechniken angewen-
det. Sie sind glattwandig, zylindrisch oder leicht konisch und haben ein
planes Funktionsende. Plugger sind als Finger- oder Handinstrumente
in den ISO-Größen 30–140 erhältlich. Als besonders praktisch haben
sich doppelendige Handinstrumente erwiesen. Für spezielle Techniken
sind Plugger mit Längenmarkierungen erhältlich.

13.12.3 Wurzelkanalfülltechniken

Aus den schon genannten Gründen sollen Wurzelkanalfüllungen mit


festen Materialien, i.d.R. Guttapercha, in Verbindung mit einem Sealer
durchgeführt werden.

Jede Wurzelkanalfülltechnik erfordert die Verwendung einer gerin-


gen Menge an Sealer.

Methoden, die nicht allgemein anerkannt sind, z.B. die Pastenfüllung,


werden hier nicht beschrieben.

Zur erfolgreichen Durchführung einer Wurzelkanalfüllung muss


während aller Behandlungsschritte wie bei der Aufbereitung eine
sorgfältige Längenkontrolle erfolgen.

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13.12 Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 455

Abb. 13.27: Längenkontrolle


bei der Aufbereitung und
Füllung des Wurzelkanals. 1
Neben den Aufbereitungs-
instrumenten müssen auch
Papierspitzen und Gutta- apikale Masterfeile 2
perchaspitzen deutlich län-
genmarkiert sein.
3
Papierspitze
4
Guttaperchapoint
5

Hierzu wird die festgelegte Arbeitslänge auf Papierspitzen und Guttaper-


6
chastift übertragen (s. Abb. 13.27).
Auch bei der Verwendung eines Spreaders ist eine Längenkontrolle 7
sicherzustellen.
Die Fülltechniken mit Guttapercha kann man folgendermaßen 8
unterteilen:
 Kaltfülltechniken 9
– Zentralstift-Technik
– Laterale Kompaktion kalter Guttapercha
 Thermoplastische Techniken
10
– Vertikale Kompaktion erwärmter Guttapercha
– Thermoplastische trägerbasierte Techniken 11
– Thermoplastische Injektion
12
Für thermoplastische Obturationstechniken muss der Wurzelkanal
auf eine Konizität von idealerweise 6% aufbereitet werden. 13
Zentralstift-Technik (Single-cone-Technik)
Voraussetzung für die Anwendung der Zentralstift-Technik ist ein mit Voraussetzung
14
maschinell eingesetzten Nickel-Titan-Instrumenten gleichmäßig ko-
nisch aufbereiteter Wurzelkanal, der möglichst gut der Form des zuletzt 15
verwendeten Aufbereitungsinstruments entsprechen soll. Mittels ma-
nueller Aufbereitungstechniken instrumentierte Wurzelkanäle eignen 16
sich nicht für die Zentralstift-Technik.
Ziel ist es nun, einen genau passenden Guttaperchastift in Kombina- Ziel
tion mit einem Sealer so in den Kanal einzubringen, dass der gesamte
17
Kanal dicht gefüllt ist. Die Bereiche des Kanals, bei denen der Stift nicht
randständig ist, sollen vom Sealer aufgefüllt werden. 18
Entsprechend der Größe und Arbeitslänge des letzten maschinell Vorgehen
eingesetzten Nickel-Titan-Aufbereitungsinstruments wird ein hinsicht- 19
lich Durchmesser und Konizität passender Guttaperchastift ausge-
wählt. Der korrekte Sitz des Stiftes kann röntgenologisch überprüft wer- 20
den.

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456 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Der Stift wird nun gleichmäßig mit Sealer beschickt und mit leicht
pumpenden Bewegungen in den Kanal eingebracht. Überschüssiges
Guttapercha wird am Kanaleingang mit einem heißen Kugelstopfer
oder einem vergleichbaren Instrument abgeschmolzen, die Guttapercha
mit einem erwärmten Plugger leicht in die Kanaleingänge hereinge-
drückt und überschüssiger Sealer aus dem Kronenkavum entfernt.
Nachteil Der größte Nachteil dieser Technik besteht darin, dass bei allen Ka-
nälen, die nicht genau der Form der Guttaperchastifte entsprechen, der
Sealeranteil an der Füllung vergleichsweise groß ist. Dies kann insbeson-
dere im mittleren und koronalen Kanalabschnitt der Fall sein.
Ein weiterer Nachteil ist darin zu sehen, dass keine Kompaktion des
Füllungsmaterials stattfindet und so Unebenheiten in der Kanalwand
und Seitenkanäle nur ungenügend gefüllt werden.

Laterale Kompaktion
Indikation Die laterale Kompaktion kann unabhängig von der Aufbereitungstech-
nik in jedem konisch aufbereiteten Wurzelkanal zur Obturation einge-
setzt werden.
Ziel Das Ziel der lateralen Kompaktion ist es, den Wurzelkanal vollstän-
dig mit möglichst viel Guttapercha und möglichst wenig Sealer dicht zu
füllen.
Vorgehen Ein ISO-genormter Guttaperchastift wird entsprechend der Größe
der apikalen Masterfeile ausgewählt. Dieser Masterpoint soll auf Arbeits-
länge in den Kanal einzuführen sein und im apikalen Kanaldrittel eine
Klemmpassung aufweisen. Nach maschineller Wurzelkanalaufbereitung
mit Nickel-Titan-Instrumenten können auch Guttaperchastifte mit stär-
kerer Konizität, entsprechend des zuletzt benutzten maschinellen In-
struments, als Masterpoint ausgewählt werden.
Zur Kontrolle wird die erforderliche Länge des Stiftes gemessen und
markiert. Kann der Stift nicht bis zur gewünschten Länge eingebracht
werden, muss der Wurzelkanal nachpräpariert und gründlich gespült
werden. Zumeist verhindern im apikalen Kanalabschnitt verbliebene
Dentinspäne oder Debris den korrekten Sitz des Masterpoints.
Der letztlich korrekt passende Stift wird als Masterpoint bezeichnet.
Besonders bei gekrümmten Wurzeln oder komplexer Kanalanatomie
ist die Anfertigung einer Röntgenaufnahme mit eingeführten Master-
points (Masterpointaufnahme) empfehlenswert.
Die apikale Hälfte des Masterpoints wird dann gleichmäßig dünn
mit Sealer beschickt. Mit leicht pumpenden Bewegungen wird der Mas-
terpoint bis zur markierten Länge in den Wurzelkanal eingeführt.
Ein ISO-genormter Spreader, dessen Größe vom Lumen des Kanals
abhängig ist, wird nun neben den Masterpoint in den Kanal eingeführt.
Mit dem Spreader wird der Masterpoint kräftig gegen eine Kanalwand
gepresst und dabei verformt. Der ausgeübte Druck ist allerdings so zu
dosieren, dass eine Fraktur der Wurzel ausgeschlossen werden kann.
Eine dosierte Kraftanwendung gelingt besser mit einem Finger- als mit

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13.12 Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 457

Masterpoint Fingerspreader 2. Guttaperchastift 3. Guttaperchastift


(Guttapercha-
Finger-
1
hauptstift)
spreader
2
3
4
5
6
I II III IV 7
Abb. 13.28: Laterale Kompaktionstechnik: I. Einbringen des Masterpoints, II. Einführen eines Fingersprea-
ders, III. Einbringen einer zweiten, kleineren Guttaperchaspitze und erneute Einführung eines Fingersprea- 8
ders, IV. Einbringen einer weiteren, kleineren Guttaperchaspitze

9
einem Handspreader. Der Spreader wird nun aus dem Kanal gezogen,
und der entstandene Raum unverzüglich mit einem zur ISO-Größe des
Spreaders passenden Guttaperchastift gefüllt. Dieser sollte zuvor auch
10
sehr dünn mit Sealer bestrichen werden (s. Abb. 13.28).
11
Zur suffizienten Kompaktion der Guttapercha im apikalen Kanalab-
schnitt muss der Fingerspreader initial auf 1–2 mm vor Arbeitslänge 12
in den Kanal eingeführt werden.
13
Dieser Vorgang wird so oft wiederholt, bis sich ein kleiner Spreader nur
noch weniger als zur Hälfte in den Kanal einführen lässt. Mit einem hei-
ßen Kugelstopfer oder Exkavator wird überschüssige Guttapercha am
14
Kanaleingang abgeschmolzen und Sealerreste werden aus dem Pulpaka-
vum entfernt. Da es besonders im koronalen Bereich leicht zu einer Auf- 15
fächerung der Guttaperchastifte kommt, ist es zweckmäßig, die Wurzel-
kanalfüllung mit einem erwärmten Plugger zu verdichten. Hierzu wird 16
mit einem zum Kanalquerschnitt passenden Plugger in vertikaler Rich-
tung Druck ausgeübt und die Guttapercha in den Kanaleingang kom-
paktiert.
17
Nach dieser zusätzlichen vertikalen Kompaktion ist der Wurzelkanal
i.d.R. dicht verschlossen (s. Abb. 13.29). 18
Vertikale Kompaktion erwärmter Guttapercha 19
Bei der vertikalen Kompaktion nach SCHILDER wird zunächst eine ge-
ringe Menge Sealer mit einer Papierspitze dünn an der Kanalwand ver- 20
strichen und dann der Masterpoint in den Kanal eingeführt. Dieser wird

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458 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.29: a) Wurzelkanalfüllung bei einem obe-


ren Prämolaren (konische Aufbereitung, laterale
Kompaktionstechnik), b) Wurzelkanalfüllung bei
einem unteren Molaren mit weitem Kanallumen
(konische Aufbereitung, laterale Kompaktionstech-
nik), c) Wurzelkanalfüllung bei einem unteren drit-
ten Molaren mit stark gekrümmter mesialer Wur-
zel (konische Aufbereitung, laterale Kompaktions-
technik)

mit Wärmeträgern etwa in der Mitte des Wurzelkanals abgetrennt und


mit erwärmten Pluggern in einer Sequenz aus Erwärmen und Kompak-
tieren wird die Guttapercha bis in den Bereich 3–5 mm vor den Apex
nach apikal verdichtet (Down-pack) (s. Abb. 13.30). Anschließend wer-
den das mittlere und koronale Drittel (Backfill) sukzessiv abgefüllt.
Hierzu können kleine Stücke Guttapercha, die ebenfalls erwärmt und
kompaktiert werden, oder thermoplastische Injektionstechniken ver-
wendet werden.
Vorteile Mit dieser Technik kann im Idealfall das ganze Wurzelkanalsystem
einschließlich Seitenkanälen und apikaler Ramifikation gefüllt werden
(s. Abb. 13.31). Da die Wurzelkanalfüllung unter Druck erfolgt, werden
Guttapercha und der Sealer mehr oder weniger kontrolliert in die Sei-
tenkanäle hereingepresst.
Nachteile Dabei kommt es oft ungewollt oder gewollt zu einer Überpressung
von Füllmaterial in das laterale oder apikale Desmodont. Diese Über-
pressungen werden als Puffs bezeichnet. Als problematisch ist anzuse-
hen, dass i.d.R. zur Kontrolle des Kompaktionsvorganges mehrere Rönt-
genaufnahmen erforderlich sind. Ob diese Fülltechnik im Vergleich zur
kalten lateralen Kompaktion zu verbesserten Erfolgsraten führt, wird in
der Literatur kontrovers diskutiert. Für komplexe Kanalanatomie (z.B.
tiefe Aufzweigung von Wurzelkanälen) oder Wurzelkanäle mit sehr irre-
gulärem Querschnitt (z.B. c-förmige Kanäle; imternes Granulom) er-
scheint die vertikale Kompaktion indes eindeutig von Vorteil zu sein.

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13.12 Wurzelkanalfüllung Kapitel 13 459

1
2
3
4
5
6
7
8
Down-pack 9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Backfill

Abb. 13.30: Vertikale Kompaktion erwärmter Guttapercha: In der Down-pack-Phase wird Guttapercha mit 19
einem erwärmten Plugger sukzessive erwärmt und nach apikal kompaktiert. In der Backfill-Phase werden
der mittlere und koronale Kanalabschnitt ebenfalls sukzessive mit nach apikal verdichteter erwärmter
Guttapercha obturiert. 20

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460 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Abb. 13.31: Wurzelkanalfül-


lung nach der vertikalen
Kompaktion mit erwärmter
Guttapercha. Seitenkanäle
sind gefüllt und es ist apikal
ein geringgradiger Puff zu
erkennen.

Abb. 13.32: a) Thermafil-


Stift mit montiertem Gum-
50 mistopper, b) entsprechen-
des Prüfinstrument (Veri-
a fier)

V50
b

Thermoplastische trägerbasierte Techniken


Grundlage dieser Systeme ist ein mit α-Guttapercha ummantelter Trä-
ger, der entweder aus Kunststoff (z.B. Thermafil-System) oder aus quer-
vernetzter Guttapercha (z.B. GuttaCore und GuttaFusion) besteht (s.
Abb. 13.32).
Voraussetzung Wie bei allen Techniken mit erwärmter Guttapercha muss als Vo-
raussetzung der Wurzelkanal konisch aufbereitet sein und einen apika-
len Stopp aufweisen. Der Übergang vom mittleren zum apikalen Kanal-
drittel soll fließend sein, um den Vorschub der erwärmten Guttapercha
nicht zu behindern.
Vorgehen Die Obturationsstifte sind genormt und haben farbcodierte Hand-
griffe. Eine Längeneinstellung lässt sich mit einem montierten Gummi-
stopper durchführen. Der passende Stift wird mithilfe eines in den fertig
aufbereiteten Wurzelkanal eingebrachten Prüfinstruments (Verifier)
ausgewählt. In einem speziellen Ofen wird der Stift dann kurz erhitzt
und in einem Zug in den zuvor mit einer kleinen Menge Sealer be-
schickten Wurzelkanal eingebracht. Zuletzt wird der Stift mit einem ro-
tierenden Instrument am Kanaleingang abgetrennt.
Die Dichtigkeit von Wurzelkanalfüllungen mit trägerbasierten Sys-
temen soll etwa gleichwertig wie bei Anwendung der lateralen Kompak-
tion sein. Als Problem ist jedoch anzusehen, dass es häufiger zu Über-
pressungen von Füllmaterial über den Apex kommen kann.

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13.13 Endodontische Behandlung bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum Kapitel 13 461

Thermoplastische Injektion
Auch bei dieser Methode werden die plastischen Eigenschaften erwärm- 1
ter α-Guttapercha ausgenutzt. Beispiele hierfür sind das Obtura- und das
Ultrafil-System. 2
Bei beiden Systemen wird die Guttapercha außerhalb des Mundes er-
wärmt und in plastischem Zustand mit einer Injektionsspritze in den zu-
vor mit einer geringen Menge Sealer versehenen Wurzelkanal eingebracht.
3
Besonders schwierig ist es bei dieser Methode, den Wurzelkanal in
korrekter Länge abzufüllen. Die Anwendung erfordert die Anschaffung 4
spezieller Geräte und das Erlernen der Technik.
Zum Abschluss der Wurzelkanalfüllung wird sofort eine Röntgen- Röntgenkontroll- 5
kontrollaufnahme angefertigt und die Kavität provisorisch oder mit ei- aufnahme
ner definitiven Füllung verschlossen. Die Röntgenkontrollaufnahme
muss nicht nur hinsichtlich der Qualität der Wurzelkanalfüllung ausge-
6
wertet werden. Ebenso wichtig ist eine genau Bewertung, ob es zur
Überfüllung in anatomisch relevante Strukturen (Kieferhöhle, Mandi- 7
bularkanal, Foramen mentale) gekommen ist.
8
Eine radiologische Kontrolle der Wurzelkanalfüllung unmittelbar
nach Obturation ist obligat. 9

13.13 Endodontische Behandlung bei nicht


10
abgeschlossenem Wurzelwachstum
11
Bei Zähnen mit noch nicht vollständig abgeschlossenem Wurzelwachs-
tum kann es infolge von kariösen Läsionen oder nach Traumata zu ei- 12
ner irreversiblen Pulpitis oder gar zu einer Pulpanekrose mit oder ohne
Ausbildung einer Parodontitis apicalis kommen. Eine konventionelle 13
Wurzelkanalbehandlung ist bei solchen Zähnen sehr schwierig.
Da der Wurzelkanal apikal weit offen ist, fehlt eine apikale Konstrik-
tion. Daher ist während der Wurzelkanalbehandlung das Risiko des
14
Überpressens von Debris, Spülflüssigkeiten und Füllmaterial in das pe-
riapikale Gewebe deutlich erhöht. Da zudem die Wurzelkanalwände 15
häufig sehr dünn sind, ist die Frakturgefahr solcher Zähne vergleichs-
weise erhöht. 16

13.13.1 Pulpa-vitale Zähne


17
Ist die Pulpa durch ein Trauma freigelegt und entzündungsfrei, erfolgt 18
eine partielle Pulpotomie (partielle Vitalamputation). Ist die Kronen-
pulpa dagegen bereits entzündet, wird eine vollständige Pulpaamputa- 19
tion durchgeführt. Ziel ist es, nur die Wurzelpulpa vital zu erhalten.
Bleibt die Wurzelpulpa vital, kommt es zu einer normalen Weiter- 20
entwicklung der Wurzel. Insgesamt werden die Techniken, die auf den

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462 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Erhalt der Vitalität der Restpulpa und auf weiterführendes Wurzel-


wachstum abzielen, als Apexogenese bezeichnet.

13.13.2 Pulpa-avitale Zähne

Bei bleibenden Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum


kann eine Pulpanekrose mit oder ohne Parodontitis apicalis als Folge ei-
nes Traumas oder einer Karies auftreten. Grundsätzlich stehen zwei The-
rapieoptionen zum Management einer derartigen Situation zur Verfü-
gung: die Apexifikation (Apexverschlussstimulation) oder der apikale
Verschluss des Wurzelkanals mittels eines hydraulischen Kalziumsili-
katzements.
Apexifikation Nach Reinigung und Desinfektion des Wurzelkanals soll durch wie-
derholte medikamentöse Wurzelkanaleinlagen eine Induktion der Aus-
bildung einer apikalen Hartgewebsbarriere angeregt werden. Die besten
Resultate können erzielt werden, wenn die Hartgewebebildung durch
Kalziumhydroxid angeregt wird. Kalziumhydroxid induziert die Hart-
gewebebildung durch Freisetzung von Wachstumsfaktoren, welche
Stammzellen aus der apikalen Papille zur Umwandlung in Hartsubstanz
bildende Zellen anregen. Zudem wirkt Kalziumhydroxid durch den ho-
hen pH-Wert desinfizierend. In histologischen Nachuntersuchungen
konnte gezeigt werden, dass das neu gebildete Gewebe meist zementar-
tig ist und dass Einlagerungen von Bindegewebe vorhanden sind. Ver-
einzelt lässt sich auch irreguläres Dentin nachweisen.
Vorgehen Der betreffende Wurzelkanal wird zirkulär feilend bis 1–2 mm vor
dem Kanalende aufbereitet, mit niedrig konzentriertem Natriumhypo-
chlorit gespült und getrocknet. Bei der Aufbereitung ist darauf zu ach-
ten, dass die dünne apikale Dentinwand nicht unnötig geschwächt
wird. Eine Überinstrumentierung und ein Überpressen von Spüllösung

Abb. 13.33: Apexifikation


bei Zähnen mit nicht abge-
schlossenem Wurzelwachs-
tum und weit offenem
Apex. Die Kalziumhydroxid-
Einlagen werden so lange
Kalzium- durchgeführt, bis röntgeno-
hydroxid- logisch eine Einengung im
Paste Apexbereich nachweisbar
ist.

leicht
entfernbare
provisorische
Füllung

feste
provisorische
Füllung

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13.13 Endodontische Behandlung bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum Kapitel 13 463

müssen vermieden werden, um eine Beeinträchtigung des apikalen Ge-


webes auszuschließen. 1
Kalziumhydroxid wird dann in Form einer wässrigen Suspension
mit einem Lentulo in den Wurzelkanal eingebracht. Der Kanal muss da- 2
bei dicht gefüllt werden.
Der provisorische Verschluss des Zahnes erfolgt am besten mit ei-
nem haltbaren Material, z.B. einem Glasionomerzement (s. Abb. 13.33).
3
In der Regel verbleibt die Einlage für drei Monate im Wurzelkanal;
danach erfolgt eine röntgenologische Kontrolle. Bei einer breiten Kon- 4
taktfläche zum apikalen Gewebe kann es sinnvoll sein, einen ersten Ein-
lagewechsel schon nach drei bis vier Wochen durchzuführen. 5
Die Maßnahme ist erfolgreich verlaufen, wenn röntgenologisch und
beim Austasten des Kanals mit einem Instrument oder einer Papier-
spitze festgestellt werden kann, dass eine feste Barriere am Apexbereich
6
entstanden ist. Ist dies nicht der Fall, erfolgt wiederum eine Einlage für
drei Monate, bis das Ziel erreicht ist. 7
Abschließend wird eine definitive Wurzelkanalfüllung vorgenom-
men. 8
Die Behandlungsdauer ist bei Anwendung von hydraulischen Kalzi- Apikaler
umsilikatzementen (Biodentine oder MTA [Mineral Trioxide Aggregate]) Verschluss 9
im Vergleich zur Apexifikation mit Kalziumhydroxid erheblich verkürzt.
Nach der chemomechanischer Aufbereitung des Wurzelkanals wird
für etwa ein bis zwei Wochen eine medikamentöse Kalziumhydroxid-
10
Einlage appliziert. In einer zweiten Sitzung wird nach Spülen und
Trocknen des Wurzelkanals mit einem Plugger oder einer speziellen Ap- 11
plikationshilfe ein hydraulischer Kalziumsilikatzement in den apikalen
Wurzelkanalabschnitt eingebracht und dort kondensiert. Der apikale 12
Verschluss sollte eine Mindeststärke von 4 mm aufweisen.
13
Der klinische Erfolg dieser Behandlungsmethode wird als sehr gut
beurteilt.
14
Eine neue Therapieoption zur Behandlung von pulpa-avitalen Zähnen Revitalisierung
mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum stellt die regenerative Me- 15
thode der Revitalisierung dar. Im Gegensatz zu den zuvor genannten
Therapiemöglichkeiten bietet die Revitalisierung den Vorteil, dass es 16
zum Abschluss des Wurzelwachstums kommen kann.
Nach Aufbereitung und ausgiebiger Irrigation des Wurzelkanals wird
eine medikamentöse Einlage eingebracht. Das Präparat der ersten Wahl
17
hierzu ist Kalziumhydroxid oder, als Ausweichpräparat, eine Triple-An-
tibiotika-Paste (Ciprofloxacin, Metronidazol, Minocycline). In der 18
nachfolgenden Sitzung (1–4 Wochen später) wird durch eine bewusste
Überinstrumentierung des Wurzelkanals eine Einblutung in den Kanal 19
provoziert. Der Kanaleingang wird mit einem hydraulischen Kalziumsi-
likatzement abgedeckt und die Zugangskavität mittels Komposit ver- 20
schlossen.

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464 13 Die Wurzelkanalbehandlung

Da bei Zähnen mit noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum


noch Stammzellen in der apikalen Papille vorliegen, gelangen diese
durch die provozierte Einblutung in den Wurzelkanal. Ausgehend von
diesen Stammzellen kann es zur Bildung von neuem Pulpagewebe und
Dentin und somit zur Regeneration kommen.
Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass zur Revitali-
sierung bislang noch kein allgemein akzeptiertes Behandlungsprotokoll
vorliegt und zahlreiche Fragen derzeit noch nicht vollständig beantwor-
tet sind. Die Studienlage zum Vergleich von Apexifikation und Revitali-
sierung ist nicht eindeutig. Insofern sind zur genaueren Bewertung die-
ser Therapieoption noch weitergehende klinische Studien mit längeren
Beobachtungszeiträumen erforderlich.

13.14 Endodontische Schmerzbehandlung

Die endodontische Schmerzbehandlung spielt aufgrund der Bekämp-


fung akuter Schmerzen eine zentrale Rolle in der Zahnarztpraxis, ob-
wohl im Praxisalltag i.d.R. nur begrenzte Zeit zwischen festen Terminen
zur Verfügung steht.

Die Therapiemaßnahmen müssen sich nach der zur Verfügung ste-


henden Zeit richten, wobei allerdings das Wohlbefinden der Patien-
ten immer im Vordergrund stehen muss. Die Schmerzbehandlung
muss stets eine Kausaltherapie darstellen.

Bei pulpa-vitalen Zähnen sind überwiegend eine akute Karies oder die
Folgen einer Karies die Ursache für die notwendige Behandlung. Nur in
etwa 10% der Fälle sind Traumata, traumatische Okklusion oder zur
Mundhöhle exponiertes Dentin die Ursache.
In den meisten Fällen besteht also der erste Behandlungsabschnitt
immer in der Entfernung des kariösen Dentins und/oder der insuffizien-
ten Füllung. Bei einer symptomatischen Pulpitis ohne Freilegung des
Pulpakavums hängt die Weiterbehandlung davon ab, ob es sich um eine
reversible oder irreversible Form der Pulpitis handelt.
Liegt eine wahrscheinlich reversible Form der Pulpitis vor, wird der
Zahn mit einem dichten Provisorium versorgt, idealerweise mit einem
Glasionomerzement.
Wenn alle Symptome für eine irreversible Pulpitis sprechen oder
wenn nach der Exkavation das Pulpakavum so weit freigelegt ist, dass
eine direkte Überkappung nicht mehr möglich ist, sind je nach verfüg-
barer Zeit folgende Therapiemaßnahmen angezeigt:
Steht wenig Zeit zur Verfügung:
 Trepanation, Legen eines schmerzstillenden kortikoidhaltigen Me-
dikaments auf die exponierte Pulpa, dichter provisorischer Ver-
schluss

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13.14 Endodontische Schmerzbehandlung Kapitel 13 465

 Trepanation, Pulpotomie der Kronenpulpa, Legen eines schmerzstil-


lenden kortikoidhaltigen Medikaments in die Pulpakammer, dichter 1
provisorischer Verschluss
2
Zu vermeiden sind in diesem Fall die Instrumentierung der Wurzelka-
näle sowie die Verwendung chlorphenol- oder formaldehydhaltiger Prä-
parate.
3
Steht viel Zeit zur Verfügung:
 Pulpektomie (Vitalexstirpation), Bestimmung der Arbeitslänge, Auf- 4
bereitung der Wurzelkanäle, temporäre Wurzelkanalfüllung mit ei-
nem Kalziumhydroxidpräparat, dichter provisorischer Verschluss 5
Alle genannten Maßnahmen sollen bei angelegtem Kofferdam und
unter Lokalanästhesie erfolgen.
6

Führt die Lokalanästhesie nicht zu einer ausreichenden Schmerzdämp- 7


fung, kann zusätzlich Anästhetikum direkt in die Pulpakammer ge-
spritzt werden (intrapulpale Anästhesie). Besteht dann immer noch 8
keine Möglichkeit, die Pulpa zu amputieren oder zu exstirpieren, be-
gnügt man sich für kurze Zeit mit dem Legen eines schmerzstillenden 9
Medikaments.
Zur Schmerzstillung im Rahmen der Notfallbehandlung einer irre-
versiblen Pulpitis sind besonders Kortikoid-Präparate geeignet. Bei ad-
10
äquatem koronalem provisorischem Verschluss beträgt die maximale
Liegedauer dieser Präparate 4–6 Wochen. 11
Medikamentöse Devitalisierungsmaßnahmen (Mortalverfahren) zur
Mumifizierung des Pulpagewebes sind nicht mehr zeitgemäß. 12
Grundsätzlich soll immer ein dichter Verschluss der Kavität erfol- 13
gen, um eine Infektion des Wurzelkanals zu vermeiden.

Wenn die Symptome auf eine symptomatische apikale Parodontitis


14
oder einen apikalen Abszess hinweisen, muss das erste Ziel der Behand-
lung sein, den Gewebedruck zu vermindern. Hierfür sind nach Trepana- 15
tion, Darstellung der Wurzelkanaleingänge und Bestimmung der Ar-
beitslänge, die chemomechanische Aufbereitung der Wurzelkanäle mit 16
abschließender medikamentöser Einlage und speicheldichtem proviso-
rischem Verschluss erforderlich.
Liegt schon ein submuköser Abszess vor, ist zumeist neben der Er-
17
öffnung des Wurzelkanals eine Inzision des Mukoperiosts unter Lokal-
anästhesie indiziert. 18
Nach Eröffnung des Pulpakavums kommt es oft spontan zum Ab-
fluss von eitrigem Exsudat aus dem Wurzelkanal. In besonders schwe- 19
ren Fällen ist es sinnvoll, die Patienten dann so lange in der Praxis zu
halten, bis der spontane Ausfluss endet. Lässt der Ausfluss von Exsudat 20
nach 15–20 Minuten nicht nach, kann in seltenen Fällen der Zahn für

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466 13 Die Wurzelkanalbehandlung

maximal einen Tag offen gelassen werden. Der fehlende Verschluss zur
Mundhöhle birgt aber die Gefahr in sich, dass eine zusätzliche Infektion
durch eindringende Bakterien aus dem Speichel eintritt und sich so die
Situation verschlechtert oder zumindest die Behandlung verlängert.

Der Wurzelkanal muss auf jeden Fall aufbereitet und gründlich ge-
spült werden, um die Ursache der apikalen Parodontitis zu beseitigen.

Anschließend wird der Kanal mit einer temporären Einlage, i.d.R. einem
Kalziumhydroxidpräparat, versehen und die Zugangskavität proviso-
risch verschlossen.
Bei starker Aufbissempfindlichkeit kann der Zahn leicht aus der
Okklusion geschliffen werden. Da die Schmerzen oft nicht spontan
nachlassen, ist die Verordnung eines Analgetikums für zwei Tage ange-
zeigt. Zur Weiterbehandlung werden die Patienten nach wenigen Tagen
wieder einbestellt.

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Kapitel 14 467

14 Spezielle endodontische und


postendodontische Maßnahmen 1
2
3
14.1 Endodontische Behandlungen im Milchgebiss 4
Milchzähne weisen einige physiologische und morphologische Beson- 5
derheiten auf, die spezielle Maßnahmen bei der endodontischen Thera-
pie erfordern. In der Tabelle 14.1 werden die bei endodontischen Be-
handlungen im Milchgebiss gebräuchlichen Begriffe kurz erläutert.
6
Folgende Besonderheiten müssen im Milchgebiss beachtet werden: Besonderheiten
 Aufgrund der physiologischen Wurzelresorption ist die Reaktionsbe- 7
reitschaft des Pulpagewebes auf Reize altersabhängig vermindert
und die Bildung von Tertiärdentin nicht gewährleistet. 8
 Der Schmelz- und Dentinmantel ist dünner als bei den bleibenden
Zähnen. 9
 Das Pulpakavum ist größer und besitzt ausgeprägte Pulpahörner.
Milchmolaren weisen häufig Furkationskanälchen auf.
 Wurzeln und Wurzelkanäle sind oft irregulär geformt. Die Wurzeln
10
können sehr zierlich und die Wurzelkanäle altersabhängig sehr eng
sein. Es besteht eine enge räumliche Beziehung zu den Zahnkeimen 11
der bleibenden Zähne.
12
Die Diagnostik von Erkrankungen der Milchzahnpulpa kann aus ver- Diagnostik
schiedenen Gründen problematisch sein. Fragen zur Schmerzqualität 13
können von Kindern häufig nicht exakt beantwortet werden.
Der Perkussionstest kann aufgrund der physiologischen Zahnbe-
weglichkeit bei bevorstehender Exfoliation falsch beurteilt werden und
14
Sensibilitätsproben sind oft wenig aussagefähig, da die Antwort auf
Kälte und Wärme mit der physiologischen Wurzelresorption abnimmt. 15
Tab. 14.1: Bei endodontischen Behandlungen im Milchgebiss gebräuchliche
Begriffe
16
Pulpotomie (Synonym: Pulpaamputation):
• Chirurgische Entfernung des koronalen Anteils der Pulpa 17
• Vitalamputation: Pulpotomie der vitalen Pulpa
• Mortalamputation: Pulpotomie nach Devitalisation der Pulpa 18
Pulpektomie (Synonym: Pulpaexstirpation):
• Vollständige Entfernung der Pulpa 19
• Vitalexstirpation: vollständige Entfernung der vitalen Pulpa
• Mortalexstirpation: vollständige Entfernung der Pulpa nach vorausgegange-
ner chemischer Devitalisation
20

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468 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

Am aussagefähigsten ist ein diagnostisches Röntgenbild, das Infor-


mationen über das Ausmaß der kariösen Zerstörung, zu Form und
Lage der Wurzeln in Bezug auf die bleibenden Zähne, Stand der
physiologischen Wurzelresorption und mögliche innere und äu-
ßere Resorptionen liefert.

Weiterhin kann die korrekte technische Durchführung der geplanten


Maßnahmen aufgrund begrenzter Belastbarkeit der kleinen Patienten
problematisch sein.

14.1.1 Indirekte und direkte Überkappung

Die indirekte Überkappung ist indiziert, wenn nach der Exkavation pul-
panah intaktes, nicht kariös verändertes Dentin vorliegt. Der Arbeits-
ablauf entspricht weitgehend dem beschriebenen Vorgehen beim blei-
benden Zahn. Auch beim Milchzahn ist das einphasige Vorgehen dem
zweiphasigen, der schrittweisen Kariesentfernung, vorzuziehen.
Während in den vergangenen Jahrzehnten die vollständige Karies-
exkavation (harter, unverfärbter Kavitätenboden, Sondenklirren) un-
strittig war, wird jetzt häufig ein zurückhaltendes Vorgehen empfohlen,
um eine Exposition der Pulpa zu vermeiden. Bei Sicherstellung eines
dichten Kavitätenverschlusses kann kariös erweichtes Dentin in pulpa-
nahen Arealen belassen werden. Es wird empfohlen, den Endpunkt der
Exkavation unter Berücksichtigung der Läsionsaktivität zu definieren.
Bei aktiven Dentinläsionen (feuchtes, erweichtes, gering verfärbtes Den-
tin) wird eine ledrige Dentinkonsistenz als Endpunkt der Kariesexkava-
tion akzeptiert. Bei Vorliegen einer chronischen Karies (braun bis
schwarz verfärbtes Dentin) ist es ausreichend, die Karies bis zum harten,
dunkel verfärbten Kavitätenboden zu exkavieren. Der Kavitätenboden
sollte mit einem geeigneten alkalisierenden Material (wässrige Kalzium-
hydroxidsuspension oder hydraulischer Kalziumsilikat-Zement) abge-
deckt werden. Diese Abdeckung soll die mikrobiellen Säuren neutralisie-
ren, eine antibakterielle Wirkung aufweisen und die Tertiärdentinbil-
dung anregen. Wird auf die Abdeckung des Kavitätenbodens mit einem
alkalisierenden Material verzichtet, hat der bakteriendichte koronale
Verschluss oberste Bedeutung. Daher sollte die Kavität idealerweise mit
einer direkten adhäsiven Füllung verschlossen werden.

Die Kavitätenränder müssen unabhängig von der Wahl des definiti-


ven Füllungsmaterials im kariesfreien Schmelz bzw. Dentin liegen.

Bei einer minimalen, akzidentellen Freilegung der Pulpa im karies-


freien Dentin ist bei symptomloser Pulpa grundsätzlich eine direkte
Überkappung mit Kalziumhydroxid oder einem hydraulischen Kalzi-

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14.1 Endodontische Behandlungen im Milchgebiss Kapitel 14 469

umsilikat-Zement in der schon beschriebenen Art möglich. Obwohl die


Milchzahnpulpa grundsätzlich reaktionsfähig ist, muss berücksichtigt 1
werden, dass altersabhängig häufig keine Bildung von Fibrodentin er-
folgt. 2

14.1.2 Pulpotomie
3
4
! Liegt eine großflächige oder multiple Freilegung der Pulpa vor
oder reicht das kariöse Dentin bis zur Pulpa, ist im Milchgebiss die
Pulpotomie (Pulpaamputation) die Methode der Wahl. 5
Das Vorgehen bei der Pulpotomie der vitalen Pulpa wird in Kapitel
11.3.3 „Vitalamputation“ beschrieben. Das Ziel dieser Maßnahme ist,
Vorgehen
6
die Wurzelpulpa vital zu erhalten. Auch im Milchgebiss sollte diese
Maßnahme unbedingt unter Kofferdam durchgeführt werden. 7
Das Abdecken der Amputationswunde erfolgt i.d.R. mit einer wässri-
gen Kalziumhydroxidsuspension oder hydraulischem Kalziumsilikat- 8
Zement. Wird das Präparat in Suspensionsform aufgebracht, ist eine Ab-
deckung mit einem aushärtenden Glasionomerzement empfehlenswert. 9
Nach Einbringen der Unterfüllung wird eine Deckfüllung oder eine kon-
fektionierte Milchzahnkrone angefertigt (s. Abb. 14.1). Ein dichter Kavi-
tätenverschluss hat für den Behandlungserfolg höchste Priorität.
10
Mitunter wird zur Behandlung von Milchzähnen mit entzündeter Mortal-
Pulpa die Mortalamputation empfohlen. Darunter versteht man das amputation 11
Abtragen der Kronenpulpa nach Devitalisierung der Pulpa mit chemi-
schen Mitteln. Die Anwendung solcher formokresol-, formaldehyd- 12
oder glutaraldehydhaltiger Devitalisierungspräparate ist aufgrund der
nachgewiesenen Toxizität sowie aus Gründen des vorbeugenden Ge- 13
sundheitsschutzes heute nicht mehr indiziert. Zudem ist die Eindring-
tiefe der Wirkstoffe nicht kalkulierbar und es besteht die Gefahr, dass
benachbartes Gewebe tangiert wird und eine apikale oder interradiku-
14
läre Nekrose entsteht.
15
Abb. 14.1: Versorgung eines
Milchmolaren nach Pulpo-
tomie (Vitalamputation)
16
17
Kalzium-
hydroxid
18
19
20

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470 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

14.1.3 Pulpektomie

! Eine Pulpektomie ist dann angezeigt, wenn anamnestische, klini-


sche und röntgenologische Kriterien auf eine irreversible Pulpitis
oder seltener auf eine Pulpanekrose schließen lassen. Abgeraten
werden muss von einer Pulpektomie bei erhöhter Zahnlockerung
mit röntgenologisch sichtbaren periapikalen Veränderungen. Die
Wurzelkanalbehandlung ist an einwurzeligen Milchschneide-
und Milcheckzähnen aufgrund der reguläreren Wurzelkanalana-
tomie im Vergleich zu Milchmolaren prognostisch günstiger ein-
zuschätzen.

Längen- Bei der Wurzelkanalbehandlung erschwert die physiologische Wurzelre-


bestimmung sorption eine korrekte Längenbestimmung erheblich. Eine Überinstru-
mentierung muss aber unbedingt vermieden werden, da es sonst zu ei-
ner Schädigung des nachrückenden Zahnkeimes kommen kann. Aus
diesen Gründen ist es angezeigt, die Aufbereitungslänge in einem Si-
cherheitsbereich (1–2 mm vor röntgenologischem Apex) festzulegen.
Dies kann bedeuten, dass der Kanal nur zu etwa zwei Drittel aufbereitet
und gefüllt wird.

Zur Vermeidung einer Überinstrumentierung kommt im Milchge-


biss der endometrischen Bestimmung der Arbeitslänge größte Be-
deutung zu.

Aufbereitung Bei der manuellen Aufbereitung ist bei Milchmolaren besonders darauf
zu achten, dass die Instrumente stark vorgebogen werden, da die Ge-
fahr einer Perforation der Wurzel besonders interradikulär sehr groß ist.
Da die Wurzelkanalwandstärken bei Milchzähnen insbesondere im api-
kalen Wurzelbereich sehr gering sind, kommt der mechanischen Kanal-
reinigung eine nachgeordnete Bedeutung zu. Daher sollten maschinell
angetriebene Nickel-Titan-Instrumente mit stärkeren Konizitäten nicht
eingesetzt werden.

Da die Milchzahnwurzeln oft eine irreguläre Form aufweisen und


viele akzessorische Kanäle haben, soll gründlich mit Natriumhypo-
chlorit gespült werden.

Wurzelkanal- Die Wurzelkanalfüllung darf nur als reine Pastenfüllung mit einem re-
füllung sorbierbaren Material erfolgen (s. Abb 14.2). Dazu eignen sich Kalzi-
umhydroxid-Jodoform-Pasten (Jodallergien sind vorher auszuschlie-
ßen), wässrige Kalziumhydroxidsuspensionen oder Sealer auf Kalzium-
salicylatbasis. Bei Aplasie des nachfolgenden bleibenden Zahnes wird
hingegen die Wurzelkanalfüllung mit einem nicht resorbierbaren Sealer
in Kombination mit Guttapercha als Kernmaterial durchgeführt (s.
Abb.14.3).

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14.1 Endodontische Behandlungen im Milchgebiss Kapitel 14 471

Abb. 14.2: Wurzelkanal-


füllung an einem oberen
Milchfrontzahn. Die bereits 1
eingesetzte Resorption der
Milchzahnwurzel ist radio-
logisch zu erkennen. 2
3
4
5
6
7
Abb. 14.3: Wurzelkanal-
füllung an einem oberen
Milchmolar bei Aplasie des
8
bleibenden Zahnes
9
10
11
12
13
14
Nach röntgenologischer Kontrolle der Wurzelkanalfüllung wird die
abschließende Versorgung in Abhängigkeit vom Umfang des Zahnhart- 15
substanzdefekts mit einer direkten Füllung oder mit einer Konfektions-
krone vorgenommen. 16
Stark zerstörte oder wurzelkanalbehandelte, frakturanfällige Milch- Konfektions-
zähne können mit konfektionierten Kronen aus Chrom-Nickel-Stahl kronen
oder Polykarbonat restauriert werden. Kontraindikationen für die Ver-
17
wendung dieser konfektionierten Kronen stellen Materialunverträglich-
keiten wie z.B. eine Nickel- oder Chrom-Allergie dar. Zur Auswahl der 18
geeigneten Größe müssen die medio-distale Distanz zwischen den
Nachbarzähnen sowie die Höhe und Breite des zu restaurierenden Zah- 19
nes berücksichtigt werden.
Die Präparation des Zahnes umfasst lediglich eine okklusale Einkür- 20
zung um etwa 1,5 mm sowie eine Tangentialpräparation der approxi-

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472 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

malen Flächen. Eine Stufenpräparation und die Entfernung des zervika-


len Schmelzwulstes sind zu vermeiden. Letzterer ist wesentlich für die
Retention der Krone verantwortlich. Beim Einsetzen der Krone schnap-
pen die Kronenränder fühlbar in den Unterschnitt unterhalb des zervi-
kalen Schmelzwulstes.
Die konfektionierte Krone wird mit einem Glasionomerzement oder
einem Befestigungskomposit eingesetzt.
Mortal- Mortalexstirpationen sind aus den bereits zuvor unter dem Stich-
exstirpation punkt Mortalamputation ausgeführten Gründen nicht mehr indiziert.

14.1.4 Grenzen der endodontischen Behandlung im Milchgebiss

Die Indikation zur Extraktion des Milchzahnes sollte bei folgenden Be-
funden gestellt werden, um akute Exazerbationen oder die Ausbildung ei-
nes apikalen Abszesses zu vermeiden und den Zahnkeim des bleibenden
Zahnes vor Strukturanomalien (Turner-Zahn) zu schützen (s. Abb. 14.4):
 Pulpa-avitaler Zahn
 Mit einer Fistel assoziierter Zahn
 Mit einer Parodontitis apicalis assoziierter Zahn

Ferner sind Milchzähne bei folgenden Situationen zu extrahieren:


 Fehlende Kooperationsbereitschaft des Kindes
 Nicht mehr restaurierbarer Zahn
 Radiologisch erkennbare externe, interne oder interradikuläre Re-
sorption

Abb. 14.4: Turner-Zahn: Lokalisierte Infektionen im periapikalen Gewebe (Paro-


dontitis apicalis) oder mechanische Irritationen (Überinstrumentierung im Rah-
men einer Wurzelkanalbehandlung) können zur Schädigung des Zahnkeims des
bleibenden Zahnes führen. Es resultiert eine Auflagerung von Zement auf den
Schmelz, was als gelbliche Verfärbung imponiert (Zähne 11 und 21).

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14.2 Bleichen verfärbter wurzelkanalgefüllter Zähne Kapitel 14 473

 Indizierte endodontische Maßnahme an einem Zahn, dessen Wur-


zel aufgrund der physiologischen Wurzelresorption bereits zu mehr 1
als einem Drittel der Wurzellänge resorbiert ist
2
Auch wenn das Allgemeinbefinden des Kindes erheblich beeinträchtigt
ist, ist oft die Extraktion der betreffenden Zähne mit entsprechender
Nachversorgung der einzige Ausweg.
3
Kinder mit unterschiedlichen Allgemeinerkrankungen unterliegen
spezifischen Risiken, die bei der Indikation endodontischer Behand- 4
lungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind. Die Indikationsstellung ist
kritisch abzuwägen, wenn die Behandlung nur in Sedierung bezie- 5
hungsweise Allgemeinanästhesie durchgeführt werden kann. Die mög-
lichen Therapiemaßnahmen sollten zumindest für ein Jahr eine erneute
Behandlung in Allgemeinanästhesie ausschließen. Dies betrifft insbe-
6
sondere Kinder mit einem erhöhten Endokarditisrisiko, mit einem er-
höhten Infektionsrisiko in Phasen der Immunsuppression, mit Blutge- 7
rinnungsstörungen und mit Schwer- bzw. Schwerstbehinderungen, da
ein Misserfolg mit einem erhöhten Infektionsrisiko und allgemeinmedi- 8
zinischen Behandlungsaufwand einhergeht.
9
14.2 Bleichen verfärbter wurzelkanalgefüllter Zähne
10
! Als Folge eines Traumas oder endodontischer Therapiemaßnah-
men kann es zu internen Verfärbungen der Zähne kommen. 11
Die hier beschriebenen internen Bleichverfahren setzen voraus, dass der 12
betreffende Zahn eine Wurzelkanalfüllung hat. Diagnostisch abge-
grenzt werden müssen andere Ursachen der Zahnverfärbung wie extrin- 13
sische Faktoren, durch Tetrazyklin bedingte Verfärbungen oder Verfär-
bungen aufgrund von Zahnbildungs- und Mineralisationsstörungen.
Bei einem Trauma oder durch eine Vitalexstirpation kann Blut aus Ursachen von
14
der Pulpa in die Dentinkanälchen austreten. Blutabbauprodukte wie Verfärbungen
Hämosiderin, Hämin, Hämotoidin und Hämatoporphyrin können in 15
die Dentintubuli hineindiffundieren und Eisen als Farbstoff freisetzen.
Das Eisen kann eine Verbindung mit durch Bakterien freigesetzten 16
Schwefelwasserstoff eingehen. Die dann entstandenen Eisensulfide füh-
ren zu einer dunklen Verfärbung des Dentins. Auch Zerfallsstoffe von
Proteinen einer nekrotischen Pulpa können zu einer Verfärbung beitra-
17
gen, z.B. wenn bei unsachgemäßem Vorgehen bei der Wurzelkanalbe-
handlung Pulpareste im Pulpakavum verblieben sind. 18
Zahnverfärbungen in den verschiedensten Schattierungen können
aber auch durch die bei Wurzelkanalbehandlungen gebräuchlichen Me- 19
dikamente und Wurzelkanalfüllungsmaterialien verursacht werden.
Um Verfärbungen vorzubeugen, soll bei der Wurzelkanalbehand- 20
lung das Pulpakavum immer sorgfältig ausgeräumt werden. Bei der An-

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474 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

fertigung einer Wurzelkanalfüllung ist unbedingt darauf zu achten, dass


kein Füllungsmaterial in der Kronenpulpa verbleibt. Bei Schneidezäh-
nen mit freiliegendem Dentin im Zahnhalsbereich ist es sinnvoll, die
Wurzelkanalfüllung ca. 2 mm unterhalb des Kanaleinganges enden zu
lassen und den verbliebenen Raum mit einem fließfähigen Komposit
aufzufüllen.
Indikation Bei der Indikationsstellung zum Bleichen müssen die Qualität der
Wurzelkanalfüllung und der Zerstörungsgrad der klinischen Krone be-
rücksichtigt werden. Insuffiziente Wurzelkanalfüllungen müssen vor
dem Bleichen revidiert werden. Wenn bei Schneidezähnen beidseitig
sehr große approximale Füllungen vorhanden sind, kann der Zahn
durch zusätzliche Entfernung von Dentin so geschwächt werden, dass
die Gefahr einer Kronenfraktur besteht und nur noch eine Überkronung
des Zahnes möglich wäre. Grundsätzlich soll also eine Entfernung ge-
sunden, verfärbten Dentins vermieden werden. Schmelzsprünge und
Infrakturen sprechen ebenfalls gegen eine Bleichtherapie.
Prognose Überwiegend wird über gute Resultate unmittelbar nach der Bleich-
therapie berichtet. In der Folgezeit kann es aber auch zu einem Nach-
dunkeln der Zähne kommen. Als wesentliche Ursache hierfür vermutet
man undichte Restaurationen, die eine Diffusion von Farbstoffen und
Bakterien aus der Mundhöhle zulassen.

14.2.1 Bleichmittel

Als internes Bleichmittel werden Peroxidverbindungen verwendet, die


durch Abspaltung von aktivem Sauerstoff eine Oxidation der eingela-
gerten Farbmoleküle bewirken sollen. Gebräuchlich ist ein Natriumper-
borat/Wassergemisch als Bleichmittel.

Von der Anwendung von 30%igem Wasserstoffperoxid als alleini-


gem Bleichmittel ist abzuraten, da der niedrige pH-Wert dieser Lö-
sung mit möglichen Schädigungen des Zahnhartgewebes in Verbin-
dung gebracht wird.

Als besonders kritisch ist die Entstehung von externen zervikalen Re-
sorptionen anzusehen, die vermutlich durch über die Dentintubuli nach
außen diffundierendes Wasserstoffperoxid ausgelöst werden können.

14.2.2 Bleichtechniken

Man unterscheidet die thermokatalytische Technik und die Walking-


bleach-Technik.
Thermokataly- Bei der thermokatalytischen Technik wird das Bleichmittel im koro-
tische Technik nalen Pulpakavum erwärmt, um eine beschleunigte chemische Reak-

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14.2 Bleichen verfärbter wurzelkanalgefüllter Zähne Kapitel 14 475

Abb. 14.5: Das Bleichen wur-


zelkanalgefüllter Zähne mit
Natriumperborat entspre- 1
chend der Walking-bleach-
Technik
2
Wurzelkanal-
füllung
3
andersfarbenes
Komposit
4
Natrium-
perborat
5
provisorischer
Verschluss
6

tion auszulösen. So wird versucht, in einer Sitzung einen befriedigen- 7


den kosmetischen Effekt zu erzielen. Von der Methode wird aber beson-
ders wegen der Gefahr der Auslösung externer Resorptionen vermehrt 8
abgeraten.
9
Auf eine Wärmapplikation zur Steigerung bzw. Beschleunigung der
Bleichwirkung sollte grundsätzlich verzichtet werden.
10
Bei der Walking-bleach-Technik wird das Bleichmittel für einige Tage Walking-bleach-
im koronalen Pulpakavum belassen (s. Abb. 14.5). Technik 11
Das Vorgehen bei der Walking-bleach-Technik:
 Überprüfung der Wurzelkanalfüllung sowie Kontrolle bestehender 12
Restaurationen und der Zahnhartsubstanz
 Anlegen von Kofferdam
13
 Wiedereröffnung der Zugangskavität
 Entfernung von Füllungsresten und nekrotischen Pulpaanteilen aus
dem koronalen Pulpakavum
14
 Reduzierung der Wurzelkanalfüllung bis kurz unter den Kanalein-
gang 15
 Abdeckung der Wurzelkanalfüllung mit einer dichten Füllung, die
koronal in Höhe des epithelialen Attachments bzw. der Schmelz-Ze- 16
ment-Grenze endet
 Einbringen des Bleichmittels
 Dichter provisorischer Verschluss
17
 Entfernung des Bleichmittels nach drei bis vier Tagen
18
Abschließend wird die Kavität sorgfältig gereinigt und der Effekt kon-
trolliert. Bei kosmetisch unbefriedigendem Resultat kann der Vorgang 19
2- bis 3-mal wiederholt werden. Zur Neutralisation des Bleichmittels
sollte nach Abschluss der Bleichtherapie das Kronenkavum mit Na- 20
triumhypochlorit gespült und für 7 Tage eine Einlage mit Kalziumhy-

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476 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

droxid vorgenommen werden. Die definitive Versorgung der gesamten


Kavität erfolgt mit einer adhäsiven Restauration.
Carbamid- In jüngerer Zeit wird auch die erfolgreiche Anwendung von exter-
peroxidgel nen Bleichtechniken oder die Kombination von externem und inter-
nem Bleichen mit dem für die Vitalbleichung empfohlenem Carbamid-
peroxidgel beschrieben. Das Bleichgel wird entweder mithilfe einer
Schiene appliziert, wobei das Pulpakavum des zu bleichenden Zahnes
nicht eröffnet wird, oder die Schiene wird bei offenem Pulpakavum ein-
gesetzt, wodurch das Bleichgel in das Kavum gepresst werden soll.
Externes Bleichen alleine kann sinnvoll sein bei pulpa-avitalen Zäh-
nen mit obliteriertem Wurzelkanal oder zusätzlich zur Optimierung des
Ergebnisses. Bleichen bei Offenlassen der Zugangskavität birgt das Ri-
siko, dass Mikroorganismen in das Dentin gelangen können oder es so-
gar zu einer koronal-apikalen Passage von Mikroorganismen entlang der
Wurzelkanalfüllung kommt.

14.3 Restauration wurzelkanalgefüllter Zähne

! Nach Abschluss der Wurzelkanalbehandlung soll möglichst umge-


hend eine definitive postendodontische Versorgung durchgeführt
werden. Der dichte Verschluss der Kavität besitzt eine besonders
hohe Priorität für den Erfolg der Wurzelkanalbehandlung. Mehr-
monatige Wartezeiten, die mit Langzeitprovisorien überbrückt
werden, sollten die Ausnahme sein, weil dadurch das Risiko einer
Reinfektion und einer Fraktur erhöht wird. Der postendodon-
tische Verschluss der Kavität erfolgt i.d.R. mit der Adhäsivtechnik.

Für die Restauration wurzelkanalgefüllter Zähne wurde früher oft die


komplette Entfernung der klinischen Krone mit nachfolgender Versor-
gung mit einer stiftverankerten Krone favorisiert. Durch Wurzelstifte
sollte der strukturell geschwächte Zahn stabilisiert werden. Heute steht,
wenn immer möglich, der Erhalt der verbliebenen Zahnhartsubstanz im
Vordergrund.
Nach einer Wurzelkanalbehandlung sind besonders oft Seitenzähne
strukturell geschwächt, da durch die Zugangskavität das Pulpakammer-
dach entfernt wird und so eine wichtige Querverstrebung verloren geht.
Diese strukturelle Schwächung schließt eine Versorgung mit nicht ad-
häsiven Materialien und zwei- oder dreiflächigen Goldinlays aus. In
neueren Untersuchungen wurde gezeigt, dass sich die physikalischen
Werte von Dentin nach einer Wurzelkanalbehandlung kaum ändern
und dass eine wesentliche Austrocknung oder Versprödung des Dentins
mit nachfolgendem Stabilitätsverlust nicht auftritt.

Versorgungen mit konventionell zementierten Inlays oder mit


Amalgamfüllungen sind kontraindiziert.

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14.3 Restauration wurzelkanalgefüllter Zähne Kapitel 14 477

Die postendodontische Versorgung richtet sich generell nach dem Grad


der Zerstörung der Zahnkrone und kann allein mit adhäsiven Restaura- 1
tionstechniken oder mit adhäsiven Aufbautechniken und nachfolgen-
der Teilkrone oder Krone erfolgen. 2
Hauptaufgaben der postendodontischen Versorgung sind die Ver-
meidung eines koronalen Leakage und die Stabilisierung des struk-
3
turell geschwächten Zahnes.
4
14.3.1 Versorgung von Frontzähnen 5
Sind neben der Zugangskavität nur kleinere approximale Füllungen
bzw. Defekte vorhanden, wird die Kavität komplett mit einer adhäsiven
6
Kompositfüllung versorgt. Bei ausgedehnten, mehrflächigen approxi-
malen Kavitäten soll i.d.R. nach Anfertigung einer adhäsiven Aufbaufül- 7
lung die Versorgung mit einer Keramikkrone oder, in hierfür geeigneten
Fällen, mit Veneers erfolgen. 8
Genügt die verbliebene Zahnhartsubstanz nicht zur Verankerung ei-
nes Kompositaufbaus (vertikale Dentinwand < 2 mm), ist die Versor- 9
gung mit einem Stiftaufbau und einer Krone vorzuziehen.
In Abhängigkeit vom Ausmaß des Zahnhartsubstanzverlustes der
Zahnkrone wird folgendes Vorgehen bei Frontzähnen empfohlen:
10
 Geringer Substanzverlust (kleinere approximale Füllungen oder De-
fekte): Kompositfüllung 11
 Mittlerer Substanzverlust (ausgedehnte, mehrflächige approximale
Kavitäten): Kompositaufbau und nachfolgend Veneer oder Keramik- 12
krone
 Starker Substanzverlust (weitgehender Verlust der klinischen Zahn-
13
krone): Glasfaserstift, Kompositaufbau, Keramikkrone

Unabhängig vom Zahntyp sind Stiftaufbauten nur dann indiziert, wenn


14
die verbliebene Zahnhartsubstanz nicht hinreichend Retention für eine
koronale Versorgung gewährleistet. 15
Die mechanische Schwächung, die eine Zahnwurzel durch eine 16
Wurzelkanalpräparation erfährt, kann nicht durch eine Stiftinser-
tion kompensiert werden. Wurzelkanalstifte tragen nicht zur Stabi-
lisierung der Wurzel bei.
17
Versorgung mit einer Kompositfüllung 18
Die Behandlung erfolgt insgesamt nach den anerkannten Regeln der
Adhäsivtechnik. Nach gründlicher Reinigung der Kavität und der adhä- 19
siven Technik entsprechender Vorbehandlung des Dentins mit einem
Dentinadhäsiv kann die Wurzelkanalfüllung im Bereich des Kanalein- 20
gangs mit einem andersfarbigen Komposit abgedeckt werden, um ein

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478 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

Krone oder Keramikkrone


Teilkrone
Komposit-
adhäsiver aufbau
Komposit-
aufbau 2 mm
andersfarbenes
Komposit
adhäsiv
befestigter
Wurzelkanal- Glasfaserstift
füllung

Wurzelkanal-
füllung
a b

Abb. 14.6: Versorgung eines wurzelkanalgefüllten


Zahnes a) mit Kompositaufbau und Krone, b) zu-
Endokrone sätzlich mit einem adhäsiv befestigten Glasfaser-
stift, c) mit einer Endokrone

andersfarbenes
Komposit

Wurzelkanal-
füllung

Wiederauffinden des Kanaleingangs zu erleichtern. Häufig werden


hierzu fließfähige Komposite empfohlen. Die Versorgung der Kavität er-
folgt dann komplett mit Komposit nach üblicher Vorgehensweise für
eine definitive Restauration.

Versorgung mit einer Aufbaufüllung und Krone


Stehen wenig Retentionsflächen für einen adhäsiven Aufbau zur Verfü-
gung, kann der koronale Anteil der Wurzelkanalfüllung etwa 2 mm aus-
geschachtet werden. Der Aufbau erfolgt schichtweise in der erforderli-
chen Dimension nach den anerkannten Regeln der Adhäsivtechnik mit
einem geeigneten Material, i.d.R. einem Komposit (s. Abb. 14.6).
Ist die Versorgung mit einer Krone vorgesehen, empfiehlt es sich zur
besseren Abschätzung der verbliebenen Dentinwandstärke, zunächst
mit der zirkulären Präparation für die vorgesehene Restauration zu be-
ginnen. Das Ziel ist die Präparation eines mindestens 2 mm breiten
Dentinsaums apikal des Aufbaus, der später von der Krone umfasst wird.
Dieses als Fassreifen-Design (ferrule design) bezeichnete Gestaltungs-
prinzip besitzt einen stabilisierenden Effekt für die Zahnwurzel.

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14.3 Restauration wurzelkanalgefüllter Zähne Kapitel 14 479

Aufbau mit Wurzelkanalstift


Ist die klinische Krone so weitgehend zerstört, dass die verbliebene ver- Indikation 1
tikale Dentinwand weniger als 2 mm beträgt und auch eine adhäsive
Aufbaufüllung keinen Halt mehr findet, muss ein Wurzelkanalstift zur 2
Verankerung des plastischen Aufbaus eingebracht werden.
Üblich sind heute Stifte aus faserverstärkten Kunstharzen in Ver- Materialien
bindung mit Kompositaufbauten. Metallstifte in Kombination mit ge-
3
gossenen Aufbauten oder Keramikstifte werden nur noch selten ver-
wendet, da deren hohe Steifigkeit nicht mit dem relativ elastischen 4
Wurzeldentin harmonisiert und die Gefahr für Wurzelfrakturen erhöht
ist. Karbonfaserstifte haben aus ästhetischen Gründen an Bedeutung 5
verloren. Bei den faserverstärkten Stiften werden Glas- oder Quarzfasern
in eine Matrix aus Komposit oder Epoxidharz eingebettet. Die Hauptbe-
standteile dieser Glasfasern sind Siliziumoxid (ca. 50–60%) sowie Kal-
6
zium-, Bor-, Natrium- und Aluminiumoxide. Für die Kunstharzmatrix
werden Epoxidharze verwendet, die über freie Radikale einen chemi- 7
schen Verbund mit BIS-GMA-haltigen Adhäsivsystemen eingehen kön-
nen. 8
Die Form der Stifte ist zumeist durchgehend konisch oder hat wech- Vorgehen
selnde Konizitäten. Der Stift soll nicht im Kanal klemmen, sodass eine 9
gleichmäßige, umlaufende Klebefuge für das Befestigungskomposit vor-
handen ist. Eine Verankerung des Stiftes im Wurzelkanal bis zur halben
Wurzellänge ist i.d.R. ausreichend. Als apikale Versieglung soll von der
10
vorhandenen Wurzelkanalfüllung ein Anteil von mindestens 4–5 mm
erhalten bleiben. Zum Einsetzen der Stifte werden aufgrund der gerin- 11
gen effektiven Lichtintensität in den tiefen Bereichen des Wurzelkanals
dual oder chemisch härtende Befestigungskomposite verwendet. Einer 12
aktuellen Metaanalyse zufolge scheinen selbstadhäsive Befestigungs-
komposite anderen Systemen überlegen zu sein. 13
Adhäsiv befestigte Stifte ermöglichen es, die verbliebene Zahnhart-
substanz weitgehend zu schonen. Dünn auslaufende Dentinwände kön-
nen durch Kompositmaterial unter Einsatz der Adhäsivtechnik verstärkt
14
und unter sich gehende Bereiche als zusätzliche retentive Flächen ge-
nutzt werden. 15
Das Einbringen eines Stiftes für sich allein genommen führt nicht
zu einer Stabilisierung des Zahnes, sondern eher zu einer Schwächung. 16
Eine Stabilisierung wird erst erreicht, wenn die zur endgültigen Versor-
gung angefertigte Krone die verbliebene Zahnsubstanz sicher im Sinne
eines Ferrule-Designs umfasst.
17
18
14.3.2 Versorgung von Seitenzähnen
19
Bei Prämolaren oder Molaren, die MOD-Kavitäten haben, ist die Gefahr
einer Höckerfraktur nach einer Wurzelkanalbehandlung besonders 20
groß. Ein nahezu aussichtsloser Zustand, der zur Extraktion des Zahnes

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480 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

führt, tritt dann ein, wenn bei mehrwurzeligen Zähnen die Frakturlinie
zwischen den Wurzeln verläuft.
In Abhängigkeit vom Ausmaß des Zahnhartsubstanzverlustes der
Zahnkrone wird folgendes Vorgehen bei Seitenzähnen empfohlen:
 Geringer Substanzverlust (ein- oder zweiflächige Kavität): Komposit-
füllung
 Mittlerer Substanzverlust (dreiflächige Kavität): Kompositfüllung,
Kompositaufbau und nachfolgend Keramikinlay/Keramikteilkrone
oder Goldteilkrone/Goldoverlay mit Fassung aller Höcker
 Starker Substanzverlust (teilweise erhaltene Dentinwände): Kompo-
sitaufbau und nachfolgend Teilkrone oder Vollkrone aus Keramik
oder Gold, Keramikteilkrone ohne Kompositaufbau (sog. Endokrone)
 Starker Substanzverlust (weitgehender Verlust der klinischen Zahn-
krone): Glasfaserstift mit Kompositaufbau, Vollkrone

Versorgung mit einer plastischen Füllung


Zähne mit nur ein- oder zweiflächigen Füllungen und ausreichender
Dentinwandstärke können direkt mit einer Kompositfüllung versorgt
werden, die nach den Regeln der Adhäsivtechnik angefertigt wird. Das
Vorgehen ist entsprechend wie bei Frontzähnen. Eine Versorgung mit
Amalgam oder anderen zahnfarbenen plastischen Materialien ist kon-
traindiziert.

Versorgung mit einer Einlagefüllung


Je nach Zerstörungsgrad der klinischen Krone kann die Versorgung mit
einer Teilkrone (Gold oder Keramik) oder Vollkrone erfolgen. Durch
die Umfassung aller Höcker kann dann eine Fraktur ausgeschlossen wer-
den. In der Regel wird zuvor eine adhäsive Aufbaufüllung aus Kompo-
sit nach der beschriebenen Vorgehensweise angefertigt. In den meisten
Fällen ist es auch bei relativ stark zerstörten Prämolaren oder Molaren
möglich, einen Kompositaufbau sicher zu verankern. Als Grenzwert
wird hierbei eine verbliebene vertikale Dentinwand von mehr als
2 mm angegeben. Durch Ausschachten des Wurzelkanals bis zu einer
Tiefe von etwa 2 mm können die Kanaleingänge als zusätzliche Retenti-
onsfläche für die adhäsive Verankerung genutzt werden.
Wenn die Kavitätenform dafür geeignet ist, kann die Versorgung
auch mit einer Keramikteilkrone ohne vorausgehenden Kompositauf-
bau erfolgen. Zur Schonung der verbleibenden Zahnhartsubstanz stellt
die keramische Endokrone eine Alternative dar. Ohne Verwendung ei-
nes Wurzelkanalstiftes erfolgt zirkulär eine supra- bis äquigingivale Prä-
paration; das gesamte koronale Pulpakavum wird zusätzlich zur Reten-
tion der Endokrone genutzt (s. Abb. 14.6c).
Bei einer Einzelzahnrestauration kann bei einer entsprechenden
Ausgangssituation auch ein adhäsiv befestigtes Keramikinlay ohne Ab-
tragen und Umfassen der Höcker eingegliedert werden. Am ehesten
kann eine solche Versorgung bei Zähnen mit ein- oder zweiflächigen

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 481

Kavitäten in Erwägung gezogen werden. Es bleibt aber festzustellen,


dass zu dieser Art der Versorgung noch wenig Langzeiterfahrungen vor- 1
liegen. Eine Versorgung der Kavität mit einem Goldinlay ist kontraindi-
ziert. 2
Aufbau mit Wurzelkanalstift
Aufgrund der oft komplizierten Wurzelanatomie sollen Wurzelstifte bei
3
Seitenzähnen nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Das Risiko einer
Perforation der Wurzel oder einer Wurzelfraktur ist hoch. Nur wenn die 4
klinische Krone so weitgehend zerstört ist, dass die verbliebene vertikale
Dentinwand weniger als 2 mm beträgt und eine adhäsive Aufbaufüllung 5
nicht mehr genug Halt finden würde, muss ein Wurzelkanalstift zur
Verankerung des plastischen Aufbaus eingebracht werden. Die Aufberei-
tungslänge sollte bei Berücksichtigung der Wurzelkrümmung und des
6
Wurzelquerschnitts etwa der geplanten Höhe des Aufbaus entsprechen.
Wurzelkanalstifte sollen, wenn möglich, in die Wurzeln eingebracht 7
werden, die aufgrund ihrer anatomischen Form besonders gut geeignet
sind. Dies ist bei unteren Molaren meist die distale Wurzel und bei obe- 8
ren Molaren die palatinale oder disto-bukkale Wurzel. Beim Ausschach-
ten des Wurzelkanals muss besonders darauf geachtet werden, dass es zu 9
keiner seitlichen Perforation der Wurzel kommt.
Das Einbringen und Befestigen der Wurzelkanalstifte sowie die An-
fertigung der adhäsiven Aufbaufüllung entspricht dem bei den Front-
10
zähnen beschriebenen Vorgehen.
11
14.4 Verletzungen der Zähne 12
Verletzungen der bleibenden Zähne kommen vor allem im Kindes- und Frontzahntrauma 13
Jugendalter vor und haben nach Studien aus verschiedenen Ländern
eine Prävalenz von etwa 20–30%. Am häufigsten sind Schneidezähne
betroffen und die häufigsten Ursachen sind Unfälle beim Spielen, beim
14
Sport und im Straßenverkehr. In jüngerer Zeit soll die Prävalenz solcher
Verletzungen auch bei Erwachsenen zugenommen haben, weil mehr Ri- 15
sikosportarten ausgeübt werden. Der Begriff Frontzahntrauma wird zu-
sammenfassend für alle Arten von Verletzungen des Zahnhartgewebes 16
und der umgebenen Weichgewebe sowie des Knochens verwendet.
Eine gute Übersicht zur Behandlung von dentalen Traumata bietet die
Trauma-App „AcciDent“ der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie
17
und zahnärztliche Traumatologie (DGET) in Zusammenarbeit mit dem
Zahnunfallzentrum der Universität Basel (www.dget.de/fuer-zahnaerzte/ 18
traumaapp).
19
20

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482 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

14.4.1 Diagnostische Maßnahmen bei Verletzungen der Zähne

Nach Unfällen ist aus versicherungsrechtlichen und forensischen Grün-


den immer eine sehr genaue Dokumentation erforderlich. Die diagnos-
tischen Maßnahmen bei Verletzungen der Zähne beginnen mit der
Anamnese, wobei nach Unfällen neben einer Allgemeinanamnese (s.
Kap. 3.1.2) zuerst nach Wo, Wann und Wie gefragt werden muss.
Grundsätzlich muss im Rahmen der Anamnese ein Schädel-Hirn-
Trauma durch Fragen nach Amnesie, Bewusstlosigkeit, Blutungen aus
Nase oder Ohr sowie Übelkeit oder Erbrechen ausgeschlossen werden.
Der Ort, der Zeitpunkt und die näheren Umstände, die zu dem Unfall
geführt haben, lassen Rückschlüsse über eine mögliche Kontamination
der Wunde, die Zeitspanne zwischen Unfall und Behandlung sowie mög-
liche Begleitverletzungen zu. Wenn der geschilderte Unfallhergang nicht
zu den Verletzungen passt, muss geprüft werden, ob andere Ursachen
wie z.B. Kindesmisshandlung zugrunde liegen können. Bei offenen Ver-
letzungen sollte der Status der Tetanus-Immunisierung erfragt werden.
Klinische Die klinische Untersuchung umfasst eine extraorale und eine in-
Untersuchung traorale Inspektion. Bei der extraoralen Untersuchung wird zuerst der
Allgemeinzustand des Patienten beurteilt. Speziell muss untersucht wer-
den, ob Verletzungen der Haut oder Lippen vorhanden sind. Grundsätz-
lich muss erfragt und geprüft werden, ob Okklusionsstörungen vorlie-
gen. Ist die Okklusion gestört, kann dies ein Hinweis auf Zahnluxatio-
nen, Alveolarfortsatzfrakturen, Kieferfrakturen oder eine Luxation des
Kiefergelenks sein. Die intraorale Untersuchung kann systematisch ent-
sprechend der ZEPAG-Klassifikation (Ebeleseder und Glockner 1999)
durchgeführt werden (s. Tab. 14.2).
Je nach Art des Traumas wird die Inspektion ergänzt durch Palpa-
tion, Perkussion und Sensibilitätstestung. Eine erhöhte Zahnbeweglich-
keit kann ein Hinweis auf eine Störung der Blutversorgung des Zahnes
sein. Die Mobilität von Zahngruppen ist ein Hinweis auf eine Alveolar-
fortsatzfraktur. Eine erhöhte Perkussionsempfindlichkeit weist auf eine
Verletzung des Parodonts hin. Sensibilitätstests können bei der Erstun-
Tab. 14.2: ZEPAG-Klassifikation der Verletzungen der dento-alveolären Einheit
Gewebeeinheit Verletzungen
Z Zahnhartsubstanz Infrafraktur oder Fraktur von Schmelz und Dentin
E Endodont Erschütterung, Quetschung, Ruptur oder Eröffnung der
Pulpa
P Parodont Erschütterung, Quetschung, Ruptur der Parodontal-
fasern
A Alveolarknochen Quetschung, Aussprengung, Fraktur der Alveolarwand,
Blutung, Fremdkörper
G Gingiva Abriss, Ablederung, Rissquetschwunde, Blutung,
Fremdkörper

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 483

tersuchung wichtige Informationen zur neurovaskulären Versorgung ei-


nes Zahnes geben, sind aber häufig schwer durchzuführen und können 1
direkt nach einem Trauma auch zu Fehlinterpretationen führen.
Als Röntgenuntersuchung genügt zumeist die Anfertigung einer 2
Zahnfilmaufnahme, die Aufschluss über Wurzelfrakturen oder eine Dis-
lokation geben kann. Zusätzliche Informationen kann eine Oberkiefer-
aufbissaufnahme liefern. Bei Verdacht auf Mitbeteiligung der Kieferge-
3
lenke ist ein Orthopantomogramm (OPG) anzufertigen. Bei offen Wun-
den des Weichgewebes (z.B. Lippen) und Verlust von Zahnfragmenten 4
sollte eine radiologische Darstellung der Weichteile erfolgen, um auszu-
schließen, dass sich die Zahnfragmente im Weichgewebe befinden. 5

14.4.2 Verletzungen des Zahnhartgewebes


6

Verletzungen des Zahnhartgewebes können ausschließlich die Krone, Formen 7


die Krone und Wurzel oder alleine die Wurzel betreffen (s. Abb. 14.7).
Im Bereich der Zahnkrone kann als sehr leichte Verletzung eine 8
Schmelzfraktur, als leichte Verletzung eine unkomplizierte Kronenfrak-
tur oder als schwerere Verletzung eine komplizierte Kronenfraktur auf- 9
treten. Bei einer unkomplizierten Kronenfraktur sind Schmelz und Den-
tin, aber nicht die Pulpa betroffen. Bei einer komplizierten Kronenfrak-
tur sind Schmelz, Dentin und Pulpa betroffen.
10
Nach entsprechendem Muster unterscheidet man auch zwischen
unkomplizierten und komplizierten Kronen-Wurzel-Frakturen. Bei der 11
unkomplizierten Kronen-Wurzel-Fraktur führt die Frakturlinie bis in das
Wurzeldentin, die Pulpa ist aber nicht exponiert. Bei der komplizierten 12
Kronen-Wurzel-Fraktur ist zusätzlich die Pulpa exponiert.
Bei Wurzelfrakturen wird zwischen Frakturen im koronalen, mittle- 13
ren oder apikalen Wurzeldrittel unterschieden.
Schmelzfraktur: Bei den leichtesten Zahnverletzungen handelt es Therapie
sich um eine Infraktur (Schmelzriss) ohne Substanzverlust oder eine
14
Schmelzfraktur mit einem Substanzverlust, der sich ausschließlich auf
den Zahnschmelz beschränkt. Schmelzrisse sind i.d.R. symptomlos und 15
es ist keine Therapie notwendig. Nach Schmelzfrakturen können tem-
porär Überempfindlichkeiten auftreten. Bei kleinen Schmelzfrakturen 16
genügt als Therapie oft eine Glättung mit nachfolgender Fluoridappli-
kation. Größere Schmelzverluste werden mit Komposit restauriert. Als
Verlaufskontrolle werden jährliche Sensibilitätsproben empfohlen.
17
Unkomplizierte Kronenfraktur: Wenn Dentin betroffen ist, muss
grundsätzlich zum Schutz der Pulpa eine restaurative Versorgung vorge- 18
nommen werden. Ist dies nicht sofort möglich, sollte eine provisorische
Versorgung vorgenommen werden, die ein Eindringen von Bakterien in 19
die offenen Dentinkanälchen verhindert. Bleibt eine Dentinwunde län-
gere Zeit unversorgt, kann dies möglicherweise eine Infektion der Pulpa 20
begünstigen.

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484 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

a b c

d e f

Abb. 14.7: Verletzungen des Zahnhartgewebes: a) Schmelzfraktur: b) Unkompli-


zierte Kronenfraktur: Schmelz und Dentin sind betroffen. c) Komplizierte Kronen-
fraktur: Schmelz, Dentin und Pulpa sind betroffen. d) Unkomplizierte Kronen-
Wurzel-Fraktur: Schmelz, Dentin und Wurzeldentin sind betroffen. e) Kompli-
zierte Kronen-Wurzel-Fraktur: Schmelz, Dentin, Wurzeldentin und Pulpa sind
betroffen. f) Wurzelquerfraktur.

Ist das Zahnfragment noch vorhanden und unbeschädigt, kann es


nach Anschrägen von Zahn und Fragment adhäsiv wieder befestigt wer-
den. Bei tiefreichenden Dentinfrakturen mit einer Restdentindicke von
weniger als 1 mm sollte pulpanah die Applikation eines Kalziumhydro-
xidpräparates erfolgen. Die Restauration erfolgt entsprechend Kapitel
6.1.6 Klasse-IV-Kavitäten.
Komplizierte Kronenfraktur: Bei einer Exposition der Pulpa muss
zuerst abgeschätzt werden, ob eine Vitalerhaltung der Pulpa möglich
und erwünscht ist. Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Therapie liegen vor, wenn vor dem Unfall entzündliche Veränderungen
der Pulpa nicht vorlagen und durch den Unfall die Gefäßversorgung der
Pulpa nicht beeinträchtigt worden ist.
Prinzipiell kann eine direkte Überkappung oder eine partielle oder
vollständige Pulpotomie durchgeführt werden. Die entsprechende

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 485

Tab. 14.3: Therapiemaßnahmen bei komplizierter Kronenfraktur in Abhängig-


keit von der Dauer der Pulpaexposition zur Mundhöhle und vom Pulpastatus
1
Dauer der Pulpa- Pulpastatus Therapie
exposition
2
Unter 2 Stunden Kleinflächige Pulpawunde, Direkte Überkappung
keine Anzeichen einer Pulpitis
2–48 Stunden Reversible Pulpitis Partielle Pulpotomie
3
Über 48 Stunden Reversible Pulpitis Vollständige Pulpotomie
(Vitalamputation)
4
Irreversible Pulpitis oder Wurzelkanalbehandlung
Pulpanekrose
5

Therapiemaßnahme hängt von der Dauer der Pulpaexposition zur


6
Mundhöhle und vom Pulpastatus ab (vgl. Pulpitisdiagnostik Kap.
11.1.2; s. Tab. 14.3). 7
Eine partielle Pulpotomie wird empfohlen, wenn die Versorgung
erst mehr als 2 Stunden nach dem Unfall vorgenommen werden kann 8
und die Pulpa vermutlich infiziert ist oder die Pulpaexposition sehr
groß ist. Eine partielle Pulpotomie kann an jeder beliebigen Stelle der 9
Pulpa vorgenommen werden. Es wird empfohlen, die Kronenpulpa un-
ter absoluter Trockenlegung ca. 2 mm auszuräumen und dann im Sinne
einer direkten Überkappung abzudecken. Das praktische Vorgehen bei
10
der direkten Pulpaüberkappung und der Pulpotomie (Vitalamputation)
wird in den Kapiteln 11.3.2 und 11.3.3 beschrieben. 11
Bei Kronen-Wurzel-Frakturen hängt die Möglichkeit des Erhalts
des Zahnes in erster Linie vom Verlauf der Frakturlinie ab. Bei Längs- 12
frakturen ist der Erhalt des Zahnes nicht mehr möglich.
Unkomplizierte Kronen-Wurzel-Fraktur: Bei Kronen-Wurzel-Frak- 13
turen wird das Fragment oft durch das Saumepithel festgehalten. In der
Regel ist aber der betreffende Zahn aufgrund der Mobilität des Frag-
ments beim Kauen schmerzhaft. Bei fehlender Mobilität kommt es zu-
14
meist durch Plaqueanlagerung im Frakturspalt zu einer Entzündung der
Gingiva. Nach kompletter Entfernung des Fragments muss geprüft wer- 15
den, welche Art der Restauration möglich ist. Gelegentlich kann das
ganze Fragment wieder adhäsiv eingesetzt werden. Bei geringem Sub- 16
stanzverlust im Bereich der Wurzel kann der subgingivale Anteil auch
ohne Restauration bleiben. Eine Heilung durch Ausbildung eines neuen
Saumepithels soll möglich sein. Alternativ kann die subgingivale Bruch-
17
fläche durch Gingivektomie, Osteotomie oder durch chirurgische oder
orthodontische Extrusion des Restzahnes freigelegt werden. Danach 18
kann eine Versorgung wie bei der unkomplizierten Kronenfraktur erfol-
gen. 19
Komplizierte Kronen-Wurzel-Fraktur: Wenn die Umstände es zu-
lassen, erfolgt wie bei der komplizierten Kronenfraktur eine direkte 20
Überkappung oder partielle Pulpotomie. Häufig ist die verbleibende

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486 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

Zahnhartsubstanz aber nicht mehr ausreichend für eine Restauration


mit plastischen Füllungsmaterialien oder einer Krone. Dann bleibt nur
eine Vitalexstirpation der Pulpa mit nachfolgender Wurzelkanalbe-
handlung zur Ermöglichung einer Stiftverankerung.
Wurzelquerfrakturen: Zunächst sollte bei Wurzelquerfrakturen
überprüft werden, ob eine Kommunikation zwischen Frakturspalt und
Mundhöhle, z.B. über den Sulkus, vorliegt. Ist dies der Fall, sollte das ko-
ronale Fragment entfernt werden. Grundsätzlich gilt: Je weiter der Frak-
turspalt vom Sulkus entfernt liegt, desto besser ist die Prognose des Zah-
nes. Wurzelquerfrakturen werden zumeist durch eine horizontale Kraft-
einwirkung verursacht. Es liegt immer eine kombinierte Verletzung der
Pulpa, des Desmodonts, des Wurzeldentins und des Zements vor, die
eine Ausheilung kompliziert. Die Heilung hängt davon ab, ob die Pulpa
durch das Trauma nur gedehnt oder aber durchtrennt worden ist und
ob Mikroorganismen in den Frakturspalt eingedrungen sind.
Der Versuch einer Heilung ist sinnvoll bei Frakturen im apikalen
oder mittleren Wurzeldrittel, also ohne Kommunikation des Bruchspal-
tes zum Sulkus. Unabdingliche Voraussetzung für eine mögliche Aus-
heilung sind eine gute Adaptation der Frakturenden sowie eine mög-
lichst geringe Mobilität des koronalen Fragments. Empfohlen wird die
Versorgung mit einer Schiene für 1–3 Monate (z.B. Titan-Ringschiene).
Bei fortgesetzter Mobilität kann es zu Resorptionen und zu einer Abrun-
dung der Frakturenden kommen.

Bei initial vitaler Pulpa ist zunächst eine Wurzelkanalbehandlung


nicht indiziert.

Entsprechend den Voraussetzungen und unter speziellen Umständen


sind verschiedene Heilungsverläufe möglich (s. Abb. 14.8): Bei intakter
Pulpa und guter Adaptation der Frakturenden kommt es nach einigen
Wochen zur Ausbildung eines Dentinkallus zwischen den Fragmenten
und zur Zementapposition. Ist die Pulpa zerrissen, kann es zur Einlage-
rung von Bindegewebe oder Knochen und Bindegewebe zwischen den
Fragmenten kommen. Kommt es zur Einsprossung von entzündlichem
Bindegewebe, muss dies als Misserfolg betrachtet werden.
Kommt es im koronalen Fragment zur Nekrose der Pulpa, ist eine
Wurzelkanalbehandlung des Fragments bis zum Frakturspalt indiziert.

14.4.3 Luxationsverletzungen der Zähne

Luxationsverletzungen oder Dislokationstraumata der Zähne reichen


von einer leichten Prellung bis zur vollständigen Avulsion des Zahnes
(s. Tab. 14.4).
Formen Bei allen Dislokationstraumata kann die Pulpa mehr oder weniger
schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Prognose für die Ge-

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 487

1
2
3
4
5

a b c d
6
Abb. 14.8: Heilungsmöglichkeiten nach Wurzelquerfrakturen (nach Andreasen und Andreasen): a) Wund-
heilung mit Hartgewebsbildung, b) Wundheilung mit Ausbildung von Bindegewebe zwischen den Frag- 7
menten, c) Wundheilung mit Einlagerung von Bindegewebe und Knochen zwischen den Fragmenten,
d) Misserfolg durch Einsprossung von entzündlichem Granulationsgewebe
8
sunderhaltung der Pulpa ist i.d.R. gut, wenn es lediglich zur Konkus-
sion oder Subluxation (Lockerung) eines Zahnes gekommen ist. Die 9
für kurze Zeit vorhandene Perkussionsempfindlichkeit eines solchen
Zahnes ist i.d.R. parodontal bedingt und darf nicht als Zeichen für eine
Schädigung der Pulpa interpretiert werden. Die Therapie besteht, wenn
10
notwendig, aus der Beseitigung okklusaler Interferenzen und der Ver-
ordnung von weicher Kost für etwa 2 Wochen. Obwohl dies nicht zwin- 11
gend notwendig ist, kann eine Schienung des Zahnes für 1–2 Wochen
erfolgen. Das Risiko einer nachfolgenden Pulpanekrose oder einer Wur- 12
zelresorption ist gering.
Bei der Extrusion ist der Zahn in Achsrichtung teilweise aus der Al- 13
veole verlagert. Als Folge des Traumas ist es zu einer Dehnung oder gar
zum Abriss des Gefäß-Nervenbündels am Foramen apicale und zu einer
Quetschung oder einem Abriss des parodontalen Ligaments gekommen.
14
Als klinischer Befund ist zumeist eine Okklusionsstörung zu beobach-
ten. Die Sensibilitätsprobe des Zahnes ist i.d.R. negativ. Der extrudierte 15
Zahn muss digital wieder in sein Knochenfach reponiert und für etwa
16
Tab. 14.4: Unterschiedliche Luxationsverletzungen
Verletzungstyp Definition
17
Konkussion, Kontusion Prellung ohne Lockerung
Subluxation Lockerung ohne Stellungsänderung 18
Extrusion axial-inzisale Dislokation
Laterale Luxation horizontale Dislokation 19
Intrusion axial-apikale Dislokation
Avulsion vollständige Luxation
20

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488 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

2 Wochen flexibel geschient werden (s. Tab. 14.5). Bei Zähnen mit ab-
geschlossenem Wurzelwachstum kommt es nachfolgend nicht selten zu
einer Pulpanekrose. An Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzel-
wachstum sind nachfolgend hingegen häufiger Wurzelkanalobliteratio-
nen zu beobachten.
Bei der lateralen Dislokation ist der Zahn nicht gelockert, aber
nach oral oder vestibulär disloziert. Häufig ist zudem eine Fraktur der
vestibulären Alveolenwand zu beobachten. Das parodontale Ligament
ist einerseits partiell bis vollständig abgerissen sowie andererseits kom-
primiert. Häufig ist auch das Gefäß-Nervenbündel am Foramen apicale
abgerissen. Klinisch zeigen sich eine erhöhte Perkussionsempfindlich-
keit, ein metallischer Perkussionsschall sowie eine Blutung aus dem Sul-
kus. Mitunter besteht auch eine Okklusionsstörung. Der Sensibilitätstest
fällt zumeist negativ aus. Nach der exakten Reposition sollte der Zahn in
Abhängigkeit vom Ausmaß der Knochenverletzung für 2–4 Wochen fle-
xibel geschient werden (s. Tab. 14.5). Bei Zähnen mit abgeschlossenem
Wurzelwachstum und Dislokationen von mehr als 2 mm sollte, da eine
Pulpanekrose sehr wahrscheinlich ist, bereits während der Schienungs-
phase eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden.
Bei der Intrusion kommt es zu einer axialen Verlagerung des Zahnes
in das Alveolarfach hinein. Es resultiert häufig eine schwerwiegende
Verletzung des Parodonts mit Quetschung und Abriss des parodontalen
Ligaments und sogar teilweiser Denudierung der Wurzeloberfläche. Zu-
dem tritt eine Quetschung oder ein Abriss des Gefäß-Nervenbündels
auf. Da bei dem Trauma auch der Alveolarknochen gequetscht wurde,
kann dieser zumeist labial frakturiert sein. Klinisch sind eine Infraposi-
tion der Inzisalkante des betreffenden Zahnes gegenüber den Nachbar-
zähnen und ein metallischer Perkussionsschall zu diagnostizieren. Der
Zahn ist nicht beweglich und die Sensibilitätsprobe zumeist negativ.
Bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum (offener
Apex) und geringgradiger Intrusion von weniger als 3 mm kann inner-
halb von 3 Wochen mit einer spontanen Reeruption gerechnet werden.
Kommt es nicht zur Reeruption oder beträgt die Intrusion 3–6 mm,
sollte der Zahn vorsichtig chirurgisch oder langsam kieferorthopädische
reponiert werden. Bei einer Intrusion von mehr als 6 mm sollte sofort
eine chirurgische oder kieferorthopädische Reposition eingeleitet wer-
den. Reponierte Zähne sollten für 4 Wochen flexibel geschient werden
(s. Tab. 14.5). Durch den Abriss des Gefäß-Nervenbündels bei mittleren
und ausgeprägten Intrusionen ist, unabhängig vom Wurzelwachstum,
mit einer Obliteration oder Pulpanekrose zu rechnen.
Grundsätzlich gelingt bei den zuvor genannten Traumata eine Vital-
erhaltung der Pulpa am ehesten bei Zähnen mit noch nicht abgeschlos-
senem Wurzelwachstum. Unter günstigen Umständen ist aber auch bei
Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum eine Revaskularisierung
möglich. Die Prognose zur Vitalerhaltung der Pulpa ist bei Intrusionen
am ungünstigsten. Die Vitalitätsbeurteilung nach Traumata ist oft

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 489

schwierig, da die Pulpa vorübergehend oder sogar dauerhaft auf eine


Sensibilitätsprobe negativ reagieren kann, obwohl die Blutversorgung 1
intakt ist. Verlaufskontrollen sollten nach 3 Wochen sowie nach 3 und
6 Monaten durchgeführt werden. Sichere Zeichen für eine Pulpane- 2
krose, die eine Wurzelkanalbehandlung notwendig macht, sind eine
Verfärbung des Zahnes und eine röntgenologisch darstellbare apikale
Aufhellung respektive Zeichen einer Wurzelresorption.
3
Bei der Avulsion handelt es sich um eine vollständige Verlagerung Replantation
des Zahnes aus seiner Alveole. Oberste Prämisse der Therapie stellt die 4
Vitalerhaltung der an der Wurzeloberfläche anhaftenden desmodonta-
len Zellen dar. Eine Austrocknung der Wurzeloberfläche ist daher unbe- 5
dingt zu vermeiden und eine möglichst zeitnahe Replantation anzustre-
ben. Als Transport- oder Lagermedium eines avulsierten Zahnes sind
insbesondere Zellkulturmedien (Zahnrettungsbox) und kalte H-Milch
6
geeignet. Im Zellkulturmedium bleiben die desmodontalen Zellen über
24 Stunden, in H-Milch etwa 2 Stunden vital. Wurde der avulsierte 7
Zahn nach dem Trauma trocken gelagert, gibt die extraorale Verweil-
dauer Hinweise auf den zu erwartenden Zustand der desmodontalen 8
Zellen. Bei sehr kurzer, trockener extraoraler Verweildauer (< 15 Minu-
ten) sind die desmodontalen Zellen noch sehr wahrscheinlich vital, bei 9
einer Trockenlagerungszeit von 15–60 Minuten noch wahrscheinlich
und bei einer Trockenlagerungszeit von mehr als 60 Minuten nicht
mehr vital.
10
Vor der Replantation sollte die Wurzeloberfläche des avulsierten
Zahnes sorgfältig und schonend durch eine Spülung mit isotoner Koch- 11
salzlösung gereinigt und der Zahn in der Flüssigkeit der Zahnrettungs-
box kurzfristig gelagert (etwa 30 min) werden. Zur Resorptionsprophy- 12
laxe kann der Flüssigkeit der Zahnrettungsbox 1 mg Tetrazyklin plus 1
mg Dexamethason zugegeben werden. Die Wurzeloberfläche darf nicht 13
mechanisch bearbeitet oder verletzt werden. Nach der Replantation
wird der Zahn flexibel für 7–10 Tage geschient. Zusätzlich wird eine
orale Antibiotikagabe (Doxycyclin) für 7 Tage verordnet. Dies soll vor
14
einer möglichen späteren Resorption der Zahnwurzel schützen und die
Geweberegeneration fördern. Bei ungünstiger extraoraler Lagerung des 15
Zahnes (trockene Lagerung über 1 Stunde oder Lagerung für mehrere
Stunden in ungünstigen Medien wie Leitungswasser) sollte das nekroti- 16
sche Desmodont auf der Wurzeloberfläche vor der Replantation mecha-
nisch entfernt und der Zahn für 20 Minuten in einer Fluoridlösung ge-
lagert werden.
17
Nach der Replantation entscheiden zwei Kriterien über die Weiter-
behandlung: 18
 Ist das Wurzelwachstum des Zahnes bereits abgeschlossen oder liegt
noch ein offener Apex vor? 19
 Wie ist aufgrund der Lagerung des Zahnes vor Replantation die Vita-
lität der desmodontalen Zellen einzuschätzen? 20

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490 14 Spezielle endodontische und postendodontische Maßnahmen

Bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum, also geschlosse-


nem Apex, ist nach Replantation nicht mehr mit einer Revaskularisa-
tion und Reinnervation der Pulpa zu rechnen. Daher sollte in diesen
Fällen sowie bei Zähnen mit ungünstiger extraoraler Lagerung bereits
wenige Tage nach der Replantation eine Wurzelkanalbehandlung einge-
leitet werden. In diesen Fällen sollte nach der Aufbereitung der Wurzel-
kanal immer zunächst mit einer kortikoidhaltigen Paste (z.B. Ledermix)
und danach mit einer wässrigen Kalziumhydroxidsuspension im Sinne
einer medikamentösen Einlage versorgt werden.
Bei Zähnen mit noch offenem Apex (Durchmesser > 2 mm) kann
bei einer Trockenlagerungszeit von weniger als 60 Minuten eine Revas-
kularisation und Reinnervation der Pulpa erhofft werden. Diese Zähne
sollten primär nicht wurzelkanalbehandelt werden. Ein engmaschiger
Recall muss eingehalten werden, damit bei pathologischen Befunden
rechtzeitig eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden kann. Das
Vorgehen entspricht dann jenem der Apexifikation oder es kann ein
apikaler Verschluss mit MTA durchgeführt werden (s. Kap. 13.13).

14.4.4 Schienentherapie nach dentoalveolären Traumata

Wesentlicher Bestandteil der Erstversorgung bei Wurzelfrakturen und


Luxationsverletzungen ist das Schienen der betroffenen Zähne für eine
bestimmte Zeit. Schienen sollen einfach herzustellen sein, für eine ad-
äquate Fixation sorgen, nicht stören und eine indikationsbezogene Ri-
gidität (Starrheit) haben. Die Rigidität der Schienen wird in Abhängig-
keit von der Art und dem Schweregrad des Traumas ausgewählt und
kann von hoch (rigide Schiene) bis niedrig (flexible Schiene) rangieren.
Rigide Schienen sorgen für eine starre Fixation und Immobilisation und
sind bei Alveolarfortsatzfrakturen indiziert (s. Tab. 14.5). Bei Disloka-
tionsverletzungen der Zähne können sie jedoch Komplikationen wie

Tab. 14.5: Schienungsdauer und Art der Schienung in Abhängigkeit von der
Verletzungsart
Verletzungsart Schienungsdauer Art der Schienung
Wurzelquerfraktur 1–3 Monate Flexibel/rigide
Konkussion 1–2 Wochen Flexibel
Lockerung 1–2 Wochen Flexibel
Extrusion 2 Wochen Flexibel
Laterale Luxation 2–4 Wochen Flexibel
Intrusion 4 Wochen Flexibel
Avulsion 1–2 Wochen Flexibel
Alveolarfortsatzfraktur 4–6 Wochen Rigide

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14.4 Verletzungen der Zähne Kapitel 14 491

Ankylose und Resorption nach sich ziehen. Bei Luxationsverletzungen


sind deshalb flexible Schienen indiziert. 1
Als Schienensysteme werden zumeist Kompositschienen ohne oder
mit Verstärkungsmaterialien und Bracketschienen verwendet. Die allei- 2
nige Schienung mit Komposit ist nur als Notfallmaßnahme indiziert.
Nachteile sind Schienungsbrüche und mangelnde Hygienefähigkeit.
Zur Verstärkung können Glasfasermatten und Drähte oder die Titan-
3
ringklebeschiene und der Titanium Trauma Splint (TTS-Schiene) ge-
nutzt werden. Die Rigidität der Schiene kann durch die Wahl des Ver- 4
stärkungsmaterials und die Ausdehnung der Kompositklebepunkte ge-
steuert werden. Bei der Bracketschiene erfolgt die Fixierung der Drähte 5
über Knopf- oder Edgewisebrackets, die mit der Adhäsivtechnik am
Zahn befestigt werden. Je nach Auswahl des Drahtes können diese
Schienen rigide oder flexibel gestaltet werden.
6

Eine Schienung sollte auf jeder Seite zwei feste, nicht traumatisierte 7
Zähne mit einbeziehen.
8
14.4.5 Spätfolgen bei Verletzungen der Zähne 9
Besonders nach schweren Luxationsverletzungen wie einer lateralen Lu-
xation, Intrusion oder Avulsion sind Reparations- und Umbauvorgänge
10
im Bereich des Desmodonts notwendig. Hierbei kommt es oft zu exter-
nen, entzündlichen Resorptionen, die in Kapitel 2.4 beschrieben sind. 11
Im Bereich des Pulpakavums können als Spätfolgen eines Traumas
resorptive (internes Granulom) oder appositionelle Vorgänge (partielle 12
oder vollständige Obliteration) ablaufen. Interne Resorptionen (s. Abb.
10.2) werden als Konsequenz eines nicht ersetzbaren Verlustes von 13
Odontoblasten gedeutet. Wenn im Rahmen einer röntgenologischen
Kontrolluntersuchung eine interne Resorption erkannt wird, kann der
Prozess durch eine Wurzelkanalbehandlung i.d.R. gestoppt werden.
14
15
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18
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III Parodontologie

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Kapitel 15 495

15 Anatomie des Parodonts


1
2
3
4
! Das Parodont (par = um, herum; odontos = der Zahn) besteht aus
der Gingiva, dem Wurzelzement, dem Desmodont und dem Al-
veolarfortsatz. Seine Hauptaufgaben sind die Verankerung des 5
Zahnes im Knochen, die Dämpfung der Kaukräfte, die Abwehr äu-
ßerer Noxen und die Trennung zwischen Mundhöhlenmilieu und
Zahnwurzel (Sicherung der Kontinuität der Oberflächenausklei-
6
dung der Mundhöhle). Die Kenntnis des Baus und der Funktion
des gesunden Parodonts ist Voraussetzung für das Verständnis pa- 7
thologischer Veränderungen und deren Therapie (s. Abb. 15.1).
8
15.1 Gingiva 9
15.1.1 Makroskopische Anatomie der Gingiva
10
Die Mundschleimhaut wird in die mastikatorische, die spezielle
und die auskleidende Mukosa unterteilt. 11
Als spezielle Mukosa wird die Schleimhaut des Zungenrückens, als mas- 12
tikatorische Mukosa werden die Gaumenschleimhaut und die Gingiva
bezeichnet. Die auskleidende Mukosa beschreibt die nicht keratinisierte 13
Schleimhaut des Vestibulums, der Wangen und Lippen, des Mundbo-
dens und weichen Gaumens sowie der Zungenunterseite.
14
Alveolarknochen
Desmodont 15
Alveolarmukosa
Mukogingivallinie 16
befestigte Gingiva
gingivale Furche 17
freie Gingiva
18
19
a b
20
Abb. 15.1: Anatomische Strukturen des Parodonts: a) Darstellung in der Aufsicht, b) vertikaler Schnitt

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496 15 Anatomie des Parodonts

Der koronale Gingivasaum verläuft girlandenförmig ca. 0,5–2 mm


koronal der Schmelz-Zement-Grenze der Zähne. Im Unterkiefer und im
vestibulären Bereich des Oberkiefers geht die Gingiva an der mukogin-
givalen Grenzlinie (Linea girlandiformis) kontinuierlich in die ausklei-
dende Mukosa über. Die Gaumenschleimhaut und die Gingiva des
Oberkiefers hingegen sind nur verschiedene Formen der mastikatori-
schen Schleimhaut. Deshalb ist klinisch palatinal keine Linea girlandi-
formis zu erkennen.
Einteilung Die Gingiva lässt sich folgendermaßen unterteilen:
 Freie marginale Gingiva
 Befestigte Gingiva
 Interdentale Gingiva

Die Grenze zwischen der freien und der befestigten Gingiva liegt in
Höhe der Schmelz-Zement-Grenze und ist bei 30 bis 40% der Erwachse-
nen meist vestibulär als gingivale Furche sichtbar.
Freie und befestigte Gingiva besitzen eine feste Konsistenz und sind
blassrosa; bei dunkelhäutigen Personen ist die Gingiva physiologisch
bräunlich pigmentiert. Eine pathologische dunkle Gingivaverfärbung
findet man bei Metallintoxikationen (z.B. Pb, Bi) oder bei Tätowierung
der Gingiva durch Amalgam.
Freie Gingiva Die freie Gingiva läuft koronal meist flach aus. Sie besitzt eine glatte
Oberfläche und ist 0,8–2,5 mm breit. Die Oberfläche der befestigten
Gingiva erscheint bei ca. 40% der Erwachsenen gestippelt.
Befestigte Die befestigte Gingiva ist ca. 1–9 mm breit, wobei eine Zunahme der
Gingiva Breite im Alter beobachtet werden kann. Sie ist über Bindegewebefasern
fest mit dem Alveolarknochen und Wurzelzement verbunden. Deshalb
lässt sie sich im Gegensatz zu der sich apikal anschließenden dunkelro-
ten Alveolarmukosa nicht gegen ihre Unterlage verschieben.
Interdentale Die Gingiva, die den Raum zwischen zwei Zähnen füllt, wird als in-
Gingiva terdentale Gingiva bezeichnet. Sie besitzt einen oralen und vestibulären
Papillenzipfel, zwischen denen sich eine sattelförmige Einsenkung be-
findet, die als Col (= Sattel) bezeichnet wird (s. Abb. 15.2).

Der Col ist als Verschmelzung des unten beschriebenen Saumepi-


thels zweier Nachbarzähne zu verstehen.

Er besitzt daher im Gegensatz zur Gingiva kein keratinisiertes Epithel


und ist somit vulnerabler bei etwaigen Entzündungsprozessen. Die
Breite der interdentalen Gingiva ist durch die Form der Zähne vorgege-
ben. Sie ist daher zwischen den Frontzähnen schmaler als zwischen den
Seitenzähnen. Nach der Regel von Tarnow et al. füllt die interdentale
Papille bei parodontal gesunden Zähnen den Raum unterhalb des Kon-
taktpunktes benachbarter Zähne vollständig aus, wenn der Abstand des
Approximalkontaktes zum interdentalen Knochenseptum ≤ 5 mm be-

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15.1 Gingiva Kapitel 15 497

Abb. 15.2: Vertikaler Schnitt


durch die interdentale
Gingiva 1
2
Papillen-
zipfel 3
„Col“
4
5
trägt. Beträgt diese Distanz ≥ 7 mm, so findet sich meist kein vollständig
mit Papille ausgefüllter Interdentalraum.
Grundsätzlich lassen sich ein flach verlaufender und ein ausgeprägt
6
skallopierender (geschwungener) gingivaler bzw. parodontaler Phäno-
typ unterscheiden. Der neue Begriff des parodontalen Phänotyps um- 7
fasst den gingivalen Phänotyp, d.h. die Gingivadicke und die Breite der
keratinisierten Gingiva sowie den Knochenmorphotyp, d.h. die Dicke 8
der bukkalen Knochenlamelle. Beim flach verlaufenden Phänotyp lie-
gen eine dicke bukkale marginale Gingiva, eine kurze Papille, eine dicke 9
bukkale Knochenkortikalis und ein geringer Höhenunterschied von ca.
2 mm zwischen interdentalem und bukkalem Knochenniveau vor. Die
Frontzähne dieser Patienten sind meist kürzer und breiter gestaltet als
10
bei Patienten mit ausgeprägt skallopierendem Phänotyp, bei denen
lange und schmale Frontzähne vorliegen. Bei ausgeprägt skallopieren- 11
dem Gingivaverlauf sind die bukkale marginale Gingiva und der buk-
kale Knochen meist dünn. Die marginale Gingiva liegt oft apikal der 12
Schmelz-Zement-Grenze. Es zeigen sich hohe, schlanke Papillen. Der
Höhenunterschied zwischen interdentalem und bukkalem Knochenni- 13
veau beträgt mehr als 4 mm. Die Dicke der marginalen Gingiva kann
u.a. mit speziellen Parodontalsonden abgeschätzt werden, indem das
Maß des Durchscheinens der eingeführten Sonde durch die Gingiva zur
14
Abschätzung der Dicke der Gingiva herangezogen wird. Ein dünner gin-
givaler Phänotyp kann eine Dicke von unter 0,5 mm, ein dicker Typ 15
eine Dicke von über 1 mm aufweisen.
Die Blutversorgung der Gingiva erfolgt über die Arteria alveolaris su- Blutversorgung 16
perior posterior und die Arteria alveolaris inferior, die auch die Zähne
versorgen. Sie erreichen die Gingiva über das Desmodont (Arteria denta-
lis) und interdentale Knochensepten (Arteriae interalveolares und interra-
17
diculares). Eine weitere Blutversorgung erfolgt über periostale Äste der Ar-
teria lingualis, Arteria buccalis, Arteria mentalis und Arteria palatina, die 18
vom Vestibulum, Mundboden und Gaumen in die Gingiva einstrahlen.
Diese verschiedenen arteriellen Zuflüsse stellen die ausreichende Blutver- 19
sorgung der Gingiva während parodontalchirurgischer Eingriffe sicher.
Das Schmerz-, Druck- und Berührungsempfinden der Gingiva wird Innervation 20
über afferente Fasern des Nervus trigeminus vermittelt.

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498 15 Anatomie des Parodonts

15.1.2 Mikroskopische Anatomie der Gingiva

! Das Gingivaepithel wird unterteilt in das dem Zahn zugewandte


orale Sulkusepithel (OSE), das der Mundhöhle zugewandte orale
Epithel (OE) und das Saumepithel.

Orales Sulkusepithel und orales Epithel


Diese beiden Epithelien sind mehrschichtige, verhornte Epithelien (s.
Abb. 15.3). In diese Epitheldecke stülpt sich das darunterliegende Binde-
gewebe zapfenartig ein. Dadurch bilden sich an der dem Bindegewebe
zugewandten Seite Epithelleisten, welche die Stippelung der Oberflä-
che im Bereich der befestigten (attached) Gingiva hervorrufen. Eine Ba-
salmembran trennt das Bindegewebe vom Epithel.
Epithelschichten Das Epithel besteht aus vier Schichten:
 Stratum basale
 Stratum spinosum
 Stratum granulosum
 Stratum corneum

Zellumsatzrate Die Zellumsatzrate (turnover time) wird für die Gingiva mit zehn bis
zwölf Tagen angegeben. Neben Keratozyten finden sich innerhalb des
Epithels zu 10% atypische Zellen (clear cells), z.B. Melanozyten, Langer-
hans-Zellen und unspezifische Zellen.

Die keratinisierte Gingiva lässt sich im Gegensatz zur auskleidenden


Mukosa und zum Saumepithel nicht mit Schiller-Jodlösung anfärben.

Die Schiller-Jodlösung färbt das in oberen Zellschichten gespeicherte


Glykogen der Mukosa und des Saumepithels an. Die Alveolarmukosa
besitzt ein nicht keratinisiertes dreischichtiges Epithel (Stratum basale,
Stratum spinosum, Stratum superficiale).
Andere Möglichkeiten, die Breite der keratinisierten Gingiva zu be-
stimmen, sind der sogenannte Roll- oder Verschiebetest sowie der Ten-
Abb. 15.3: Topografie der
verschiedenen
Gingivaepithelien

orales
Sulkus-
epithel

orales
Epithel

Saum-
epithel

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15.1 Gingiva Kapitel 15 499

sionstest. Beim Roll- und Verschiebetest wird mit einer flach angelegten
Parodontalsonde die Alveolarmukosa nach koronal verschoben, sodass 1
sich diese an der Mukogingivalgrenze in Form einer kleinen Rolle dar-
stellt. Beim Tensionstest wird durch manuellen Zug an Lippen/Wangen 2
die Alveolarmukosa von der Unterlage bis zur dadurch erkennbaren
mukogingivalen Grenzlinie abgehoben.
3
Saumepithel
4
! Das Saumepithel dient der Anheftung der Gingiva an die Zahn-
oberfläche. 5
Es liegt kragenförmig um die Zähne herum und reicht von der Schmelz-
Zement-Grenze bis zum Boden des Gingivalsulkus. Dort geht es konti-
6
nuierlich in das orale Sulkusepithel über. Es ist mit dem lateral von ihm
liegenden Bindegewebe nicht verzapft. 7
Das Saumepithel entwickelt sich durch Umwandlung aus dem redu-
zierten Schmelzepithel (s. Abb. 15.4). 8
Diese Umwandlung beginnt nach Abschluss der Schmelzmatrixbil-
dung und ist ca. 12 bis 14 Monate nach Beginn des Zahndurchbruchs ab- 9
geschlossen. Das mitotisch inaktive reduzierte Schmelzepithel setzt sich
aus zwei Schichten zusammen: Der Zahnkrone zugewandt ist die Schicht
der resorbierenden reduzierten Ameloblasten, ihr aufgelagert sind Zellen
10
aus dem ehemaligen Stratum intermedium des Schmelzorgans.
11
reduziertes
Schmelzepithel
orales
12
Epithel

Schmelz
externe
Basal-
13
lamina

14
interne Zellen des
Basal- ehemaligen 15
lamina Stratum intermedium
reduzierte
Ameloblasten a 16
17
orales
Epithel
Saumepithel 18
19
b

Abb. 15.4: Entwicklung des Saumepithels aus dem reduzierten Schmelzepithel (nach Lindhe et al. 1997): 20
a) präeruptives Stadium, b) eruptives Stadium

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500 15 Anatomie des Parodonts

Die Ameloblasten produzieren eine Basallamina, die der Zahnkrone


aufliegt.
Interne  Diese interne Basallamina setzt sich aus einer dem Zahn zugewand-
Basallamina ten Lamina densa und einer Lamina lucida zusammen. Die Basalla-
mina stellt eine unlösliche Schicht aus kollagenen Proteinen, Pro-
teoglykanen, Fibronektin und Laminin dar. Die reduzierten Amelo-
blasten sind mit der internen Basallamina durch Hemidesmosomen
verknüpft. Diese Anheftung an den Zahn wird als primärer Epithel-
ansatz bezeichnet.
Externe  Zum umgebenden Bindegewebe hin ist das reduzierte Schmelzepi-
Basallamina thel durch eine externe Basallamina getrennt. Während des Zahn-
durchbruchs vereinigt sich das reduzierte Schmelzepithel koronal
mit dem oralen Sulkusepithel. Die Zellen des reduzierten Schmelz-
epithels werden in Zellen des Saumepithels umgewandelt und der
primäre Epithelansatz wird zum sekundären Epithelansatz.

Der Anheftung des Saumepithels an der Zahnoberfläche liegen he-


midesmosomale Verknüpfungen der Epithelzellen mit der internen
Basallamina zugrunde (s. Abb. 15.5).

Die interne Basallamina befindet sich zwischen den Epithelzellen und


der Zahnoberfläche. Sie liegt dabei dem Zahnschmelz direkt adhäsiv
auf. Sie kann aber auch dem Wurzelzement, afibrillären Zementzungen
auf dem Schmelz oder der Cuticula dentis aufgelagert sein. Die interne

desmosomale
Interzellular-
verbindung
interne
Basal- Basal-
orales Schmelz lamina membran
Sulkus-
epithel

orales
Epithel
Saum-
epithel
Schmelz-
Dentin-
Grenze

Binde-
gewebe

Lamina Saum- Anker-


lucida epithel- fibrillen
zelle
Lamina Hemi- Binde-
densa desmosom gewebe

Abb. 15.5: Anheftung des Saumepithels an die Zahnoberfläche. Die Saumepithelzellen sind über Hemides-
mosomen mit der internen Basallamina verknüpft, die dem Zahn adhäsiv aufliegt.

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15.1 Gingiva Kapitel 15 501

Basallamina vereinigt sich an der Schmelz-Zement-Grenze mit der ex-


ternen Basallamina. Die externe Basallamina stellt zusammen mit in das 1
Bindegewebe reichenden Ankerfasern die Basalmembran dar, die das
gingivale Bindegewebe vom Saumepithel trennt. 2
Beim Zahndurchbruch bleibt die Haftung an die Zahnoberfläche er-
halten, sodass zu keinem Zeitpunkt eine Wunde entsteht.
3
Die ehemaligen Zellen des Stratum intermedium werden wieder mito- 4
tisch aktiv; die ehemaligen reduzierten Ameloblasten werden nach wei-
terer Differenzierung am Sulkusboden exfoliiert. 5
Zwölf bis 24 Monate nach dem Zahndurchbruch ist die Umwand-
lung des reduzierten Schmelzepithels in das Saumepithel abgeschlos-
sen. Das Saumepithel besteht nun aus zwei Schichten:
6
 Dem ein bis drei Zellreihen breiten, mitotisch aktiven, apikalen Stra-
tum basale 7
 Dem 15 bis 18 Zellreihen breiten, koronalen Stratum suprabasale
Das Saumepithel ist schließlich koronal ca. 150 μm dick. 8
Während der Wanderung vom Stratum basale zum Sulkusboden flachen 9
die kubischen Zellen ab und orientieren sich parallel zur Zahnoberfläche.

Die Zellumsatzrate des Saumepithels beträgt nur ca. sechs Tage.


10
Dies spiegelt die hohe Reparaturfähigkeit des Epithelansatzes wider.
11
Die Oberfläche der Zellen des Saumepithels wird nur zu 3 bis 5% von Oberfläche
zellverbindenden Desmosomen besetzt. Die Dichte der Desmosomen ist 12
damit nur etwa halb so groß wie die anderer oraler Epithelien. Zwischen
den Zellen des Saumepithels befinden sich weite Interzellularräume. 13
Diese lockere Struktur des Saumepithels ermöglicht sowohl externen
Noxen als auch Abwehrzellen eine rasche Penetration.
Innerhalb des Saumepithels befinden sich vom Bindegewebe einge-
14
wanderte Leukozyten (neutrophile Granulozyten, Makrophagen) sowie
Lymphozyten. Sie stellen neben den teilweise phagozytosefähigen Zel- 15
len des Saumepithels die zelluläre Abwehr des Saumepithels dar.
16
Gingivales Bindegewebe und seine Faserbündel

17
! Das gingivale Bindegewebe setzt sich hauptsächlich aus Bindege-
webefasern, Fibroblasten, Proteoglykanen und Blutgefäßen zu-
sammen. Sein ausgeprägter Faserapparat verleiht der Gingiva ihre 18
feste Konsistenz (s. Abb. 15.6).
19
Die Bindegewebefasern gruppieren sich zu Faserbündeln, die mehrheit-
lich aus kollagenen Fasern bestehen. Oxytalanfasern werden seltener, 20
elastische Fasern meist perivaskulär gefunden. Das gingivale Bindege-

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502 15 Anatomie des Parodonts

intergingivale transseptale interpapilläre


Fasern Fasern Fasern

semizirkuläre transgingivale zirkuläre


a Fasern Fasern Fasern

dentogingivale Fasern (koronal)

alveologingivale Fasern

dentogingivale Fasern (horizontal)

dentogingivale Fasern (apikal)

dentoperiostale Fasern

desmodontaler Faserapparat

Alveolarknochen
b

Abb. 15.6: Schematische Darstellung des Verlaufs der gingivalen Faserbündel:


a) horizontaler Schnitt in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze, b) vertikaler Schnitt

webe wird schneller umgesetzt als das Bindegewebe der Dermis, sodass
eine schnelle Reparatur möglich ist.
Supraalveolärer Der supraalveoläre Faserapparat setzt den desmodontalen, infraal-
Faserapparat veolären Faserapparat der Zähne nach koronal fort. Die Faserbündel
werden entsprechend ihrer Verlaufsrichtung unterschieden:
 Dentogingivale Fasern ziehen vom supraalveolären Wurzelzement
fächerförmig in die Gingiva. Sie werden in koronal, horizontal und
apikal verlaufende Faserzüge unterschieden.
 Dentoperiostale Fasern verlaufen vom supraalveolären Wurzelze-
ment über den Alveolarknochenkamm zum bukkalen bzw. oralen
Periost des Alveolarknochens.
 Zirkuläre Fasern umfassen ringförmig den supraalveolären Bereich
der Zahnwurzel.
 Semizirkuläre Fasern verlaufen bukkal bzw. oral bogenförmig von
der einen zur anderen approximalen Wurzeloberfläche desselben
Zahnes.
 Transseptale Fasern verlaufen vom approximalen Wurzelzement ei-
nes Zahnes über das interdentale Knochenseptum zum Wurzelze-
ment des Nachbarzahnes. Sie sind für die Aufrechterhaltung des
Zahnbogens von großer Bedeutung und werden nach einer Exzision
rasch wieder aufgebaut.

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15.2 Desmodont Kapitel 15 503

 Transgingivale Fasern ziehen vom Wurzelzement eines Zahnes zur


Gingiva des Nachbarzahnes und schließen sich dort häufig den se- 1
mizirkulären Fasern an.
 Intergingivale Fasern verlaufen entlang der bukkalen bzw. oralen 2
marginalen Gingiva.
 Alveologingivale Fasern ziehen vom Alveolarkamm in die Gingiva.
 Interpapilläre Fasern durchqueren die interdentale Gingiva in ves-
3
tibulo-oraler Richtung.
4
Die Zellpopulation des Bindegewebes besteht zu 65% aus Fibroblasten, Zellpopulation
die u.a. für die Kollagensynthese verantwortlich sind. Daneben findet 5
sich eine Reihe von Abwehrzellen, wie z.B. polymorphkernige Granulo-
zyten, Monozyten und Lymphozyten. Zahlreiche Makrophagen befin-
den sich in einer zellreichen Zone des Bindegewebes, die direkt dem
6
Saumepithel angelagert ist. In dieser Zone liegt auch ein anastomosie-
rendes Gefäßsystem (gingivaler Plexus). Dieser Plexus wird bei entzünd- 7
lichen Reaktionen äußerst permeabel. Der an das Saumepithel angren-
zenden Zone wird daher eine wichtige Rolle bei der Abwehr externer 8
Noxen zugeschrieben.
Die epitheliale und bindegewebige Anheftung an der Zahnoberflä- 9
che durch das Saumepithel und das gingivale Bindegewebe wird in ihrer
Gesamtheit als sogenanntes suprakrestales befestigtes Gewebe bzw. At-
tachment (früher: Biologische Breite) bezeichnet. Die Höhe dieser An-
10
heftung beträgt ca. 2–3 mm.
11
15.2 Desmodont 12

! Das Desmodont oder parodontale Ligament ist ein gut vaskulari- 13


siertes, zell- und faserreiches Bindegewebe, das den Parodontal-
spalt zwischen Wurzeloberfläche und Alveolarknochen füllt.
14
Es endet koronal ca. 1–2 mm unterhalb der Schmelz-Zement-Grenze und
geht kontinuierlich in das Bindegewebe der befestigten Gingiva über. 15
Der desmodontale Zahnhalteapparat stellt eine syndesmotische, gelenk-
artige Verbindung zwischen Zahn und Kieferknochen dar (s. Abb. 15.7). 16
Der Desmodontalspalt ist ca. 0,25 mm breit. Er ist koronal und api- Desmodontal-
kal breiter als in der Mitte (Sanduhrform). Die Breite nimmt bei funktio- spalt
neller Belastung der Zähne zu und mit zunehmendem Alter ab.
17
Das Desmodont zeigt wie das Saumepithel und das gingivale Binde-
gewebe eine höhere Umsatzrate als die Dermis und weist daher ebenfalls 18
eine hohe Umbaukapazität und Anpassungsfähigkeit auf. Als stimulie-
rend wirkt eine kaufunktionelle Belastung. Mit höherem Alter nehmen 19
die Umsatzrate und damit die Anpassungsfähigkeit des Desmodonts ab.
Wichtiges Strukturmerkmal des Desmodonts sind Bindegewebefa- 20
sern, die in primäre und sekundäre Fasern unterschieden werden.

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504 15 Anatomie des Parodonts

Scharpey-
Fasern

Abb. 15.7: a) Verlauf der desmodontalen Fasern eines unteren Molaren, b) Detaildarstellung des
desmodontalen Fasergeflechts in Beziehung zum Alveolarknochen und zum Wurzelzement

Primäre Die primären Faserbündel sind mehrheitlich kollagene Fasern, die


Faserbündel von wenigen Oxytalanfasern begleitet werden und vom Alveolarkno-
chen zum Wurzelzement verlaufen. Der in die Hartgewebe eingelassene
Teil der primären Faserbündel wird als Sharpey-Fasern bezeichnet.
Während der Entstehung der primären Faserbündel kommt es zu einer
gitterartigen Verflechtung von aus dem Knochen und aus dem Zement
in den Periodontalspalt einstrahlenden Fasern. Erst nach dem Zahn-
durchbruch erreichen die primären zementoalveolären Faserbündel
ihre endgültige Ausrichtung in horizontale, schräg verlaufende, apikale
und interradikuläre Faserbündel.
Sekundäre Die sekundären Fasern liegen ungebündelt in zufälliger Ausrichtung
Faserbündel im Desmodont oder umgeben Blutgefäße und Nerven. Sie enthalten
mehrheitlich kollagene, aber auch elastische Fasern.
Dichte und Durchmesser der Faserbündel sind bei funktionell belas-
teten Zähnen größer als bei funktionslosen.

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15.3 Alveolarfortsatz Kapitel 15 505

Die Dichte der Faserbündel funktionsloser Zähne beträgt nur 1


ca. 10% der Faserbündeldichte belasteter Zähne.
2
Die primären Faserbündel besitzen keine Dehnbarkeit. Da sie in gewell-
ter Form vorliegen, nimmt man einerseits an, dass es bei Belastungen
der Zähne zu einer Streckung der Faserbündel kommt. Andererseits geht
3
man von der Vorstellung aus, dass das gefäßreiche Desmodont eine Puf-
ferfunktion wie ein flüssigkeitsgefüllter Raum besitzt. Belastungen der 4
Zähne führen dann zu einer Verschiebung des nur wenig komprimier-
baren Flüssigkeitspolsters in Knochenmarksräume bzw. zu einer Auf- 5
dehnung des koronalen Anteils des Periodontalspalts.
Die Zellpopulation des Desmodonts besteht mehrheitlich aus Fibro-
blasten. Sie sind für die im Vergleich zu anderen Geweben deutlich er-
Zellpopulation
6
höhte Umsatzrate des desmodontalen Kollagens verantwortlich. Dane-
ben finden sich Osteoblasten, Osteoklasten, Zementoblasten, Malassez- 7
Epithelzellen und Leukozyten.
Das dichte, anastomosierende Blutgefäßnetz des Desmodonts erhält Blutversorgung 8
seine Versorgung aus denselben Quellen wie die Gingiva. Apikal und in-
terradikulär befinden sich die sog. Wedl-Gefäßknäuel. Sie sind eine Di- 9
rektverbindung zwischen Arteriolen und Venolen und stellen ein Stau-
chungsreservoir des Desmodonts bei Belastungen dar.
Die Innervation des Desmodonts erfolgt über Fasern des Nervus tri- Innervation
10
geminus. Somatosensible Fasern aus dem Ganglion trigeminale vermit-
teln das bewusste Schmerz-, Druck- und Berührungsgefühl. Propriozep- 11
tive Fasern des Nucleus mesencephalicus sind Bestandteil unbewusster
Reflexbögen, in die im Desmodont befindliche Mechanorezeptoren 12
(Ruffini-Körperchen) eingeschaltet sind. Diese Reflexbögen können ein
Öffnen der Zahnreihen beim plötzlichen Zubeißen auf harte Gegen- 13
stände auslösen. Als Tastorgan weisen Zähne dabei ein Tastempfinden
von 10–30 μm auf.
14
15.3 Alveolarfortsatz 15
16
! Der Alveolarfortsatz ist der Teil des Ober- bzw. Unterkiefers, in
den die Zähne eingelassen sind. Er unterliegt einer ständigen
Funktionsanpassung im Sinne einer Remodellation durch Osteo-
klasten, Osteoblasten und Osteozyten und bildet sich nach Zahn-
17
verlust zurück.
18
Die Zahnalveolen sind mit einer dünnen, durchlöcherten Alveolen-
innenkortikalis ausgekleidet (Lamina cribriformis). Durch die zahl- 19
reichen Öffnungen (Volkmann-Kanäle) ziehen Blutgefäße und Nerven
zum Desmodont. 20

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506 15 Anatomie des Parodonts

Abb. 15.8: Röntgendarstel-


lung eines unteren Mola-
ren. Die Alveoleninnenkorti-
kalis stellt sich als Lamina
dura (Pfeil) röntgendicht
dar.

Radiologisch stellt sich die Innenkortikalis gegenüber der umge-


benden Knochenspongiosa als eine verdichtete Linie (Lamina dura) dar
(s. Abb. 15.8).
Der Alveolarknochen endet 1–2 mm apikal der Schmelz-Zement-
Grenze. Die interdentalen Septen sind im Frontzahngebiet pyramiden-
förmig, im Seitenzahngebiet abgeflacht. Die Außenkortikalis der Alveo-
larfortsätze ist im Oberkiefer und im anterioren Unterkiefer vestibulär
dünner als oral. Dort liegen im Bereich prominenter Wurzeln häufig
Knocheneinziehungen (Dehiszenzen) oder Knochenfenster (Fenestra-
tionen) vor.

15.4 Gingivaler Sulkus

! Die Vertiefung zwischen Gingivalsaum und Zahnoberfläche wird


als gingivaler Sulkus bezeichnet. Der gingivale Sulkus wird zentral
von der Schmelzoberfläche bzw. dem Wurzelzement, lateral
durch das orale Sulkusepithel und apikal durch die freie Oberflä-
che des Saumepithels begrenzt.

Der gingivale Sulkus ist 0,1–0,5 mm tief. Dennoch werden aber auch
beim gesunden Patienten fälschlicherweise Sulkustiefen bis zu 3 mm ge-
messen. Die Messsonde durchstößt dabei das Saumepithel teilweise bis
zu den an der Schmelz-Zement-Grenze inserierenden Fasern. Der Epi-
thelansatz am Zahn bleibt dabei erhalten, sodass der Riss im Saumepithel
innerhalb von fünf bis sieben Tagen wieder repariert wird (s. Abb. 15.9).
Die Sulkusflüssigkeit ist ein Serumexsudat aus dem Gefäßplexus un-
terhalb des Saumepithels, das durch das Saumepithel sickert und am

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15.5 Abwehrmechanismen der Gingiva Kapitel 15 507

Abb. 15.9: Schematische


Darstellung des intraepithe-
lialen Einrisses des Saum- 1
Sondenende
epithels durch Sondierung
bei Vorliegen einer gesun-
den Gingiva 2
Saumepithel

dento- 3
gingivale
Fasern
4
5
6

Sulkusboden austritt. Bei klinisch gesunder Gingiva findet sich keine 7


oder nur sehr wenig Sulkusflüssigkeit, während sie mit zunehmender
Entzündung der Gingiva vermehrt auftritt. 8
Die Sulkusflüssigkeit besitzt eine mechanische Spülfunktion, stellt Sulkusflüssigkeit
ein Substrat für die Mikroorganismen der subgingivalen Plaque dar und 9
hat aufgrund der in ihr vorhandenen Immunglobuline und Abwehrzel-
len eine antimikrobielle Wirkung. Ihre physiologische Fließrate be-
trägt ca. 20 μl/h. Bei einer Entzündung ist sie 3- bis 4-mal höher.
10
Daneben enthält die Sulkusflüssigkeit nicht zelluläre Bestandteile
wie Elektrolyte, Plasmaproteine, Fibrin, fibrinolytische Faktoren und 11
Enzyme sowie zelluläre Bestandteile wie Mikroorganismen und desqua-
mierte Epithelzellen. 12
13
15.5 Abwehrmechanismen der Gingiva
14
! Die feste Konsistenz des Faserapparats, die hohe Anzahl stabiler
Zellkontakte und die Keratinisierung des oralen Gingivaepithels
gewährleisten den Schutz der Gingiva vor chemischen, thermi- 15
schen und mechanischen Verletzungen.
16
Das Saumepithel kann durch seine hohe Umsatzrate und die Anwesen-
heit von Leukozyten einer bakteriellen Invasion Widerstand leisten.
Von der Lamina propria der Gingiva werden zelluläre und humorale
17
Komponenten der Immunabwehr bereitgestellt.
18
19
20

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Kapitel 16 509

16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien


1
2
3
4
! Unter dem Begriff Parodontopathien werden entzündlich be-
dingte und nicht entzündlich bedingte Erkrankungen der Gin-
giva und des Zahnhalteapparates zusammengefasst. Bei der Ätio- 5
logie entzündlicher Parodontopathien kann zwischen einem pri-
mären und einem sekundären Ursachenkomplex unterschieden
werden.
6
Der primäre Ursachenkomplex beschreibt die im Biofilm Zahn-
plaque vorhandenen Pathogene und die plaquebedingten ent- 7
zündlichen Reaktionen des Parodonts.
Der sekundäre Ursachenkomplex umfasst lokale und systemi- 8
sche Faktoren, die den primären Ursachenkomplex beeinflussen
können. 9
Bei parodontaler Gesundheit besteht eine Symbiose zwischen dem (mit
Gesundheit assoziierten) Biofilm und einer angemessenen immunin-
10
flammatorischen Wirtsantwort. Parodontitis entsteht als Folge der Ent-
wicklung einer persistierenden Dysbiose bei anfälligen Individuen. 11
Diese geht mit einer Dysregulation der immunentzündlichen Antwort
einher und führt zu einem wirtsvermittelten Abbau von Bindegewebe 12
und Alveolarknochen. So gilt es bei aktueller Betrachtungsweise festzu-
halten, dass eine Parodontitis insbesondere als ein Ausdruck eines öko- 13
logischen Ungleichgewichts des in der Mundhöhle üblicherweise vor-
kommenden mikrobiologischen Milieus zu verstehen ist: Aus einem
symbiotischen, d.h. im Gleichgewicht befindlichen Zusammenleben
14
der Mikroorganismen mit einem gesunden Parodont entsteht durch
verschiedene systemische und umweltbezogene Faktoren ein ungünsti- 15
ges Verhältnis der Mikroorganismen (Tab. 16.1). Sind z.B. die symbioti-
schen Mikroorganismen in ihrer Kommunikation gestört, so können 16
sich einige der vorliegenden pathogenen Spezies stärker vermehren und
die beschriebene Dysbalance der Mikrobiota und ihre Folgen auslösen.
Dadurch kann z.B. bei den früh auftretenden, rasch progredienten Ver-
17
laufsformen einer Parodontitis eine überschießende Immunantwort
ausgelöst werden, infolge deren es zu einer Einschmelzung körpereige- 18
ner Gewebestrukturen am Zahnhalteapparat kommt.
Die Pathogenese der entzündlich bedingten Erkrankungen des Paro- 19
donts stellt sich als ein komplexes Ineinandergreifen verschiedener Fak-
toren dar, die sich z.T. gegenseitig beeinflussen und zur klinischen Ma- 20
nifestation einer Parodontitis mit Attachmentverlust der betroffenen

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510 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Tab. 16.1: Positive Auswirkungen einer symbiotischen Wirts-Mikrobiom-Beziehung sowie Faktoren,


die eine Dysbiose begünstigen (nach Jepsen, Dommisch und Kebschull, 2018)
Positive Effekte des symbiotischen Mögliche Faktoren zur Auslösung einer
Wirts-Mikrobioms mikrobiologischen Dysbiose
Resistenz gegenüber Pathogenen Mangelhafte Mundhygiene
Regulation des kardiovaskulären Systems Hormonelle Veränderungen
Unterstützung der Wirtsabwehr Schlechte (ungesunde) Ernährungsweise
Anti-entzündliche Eigenschaften Rauchen
Erhöhung des metabolischen Potenzials Allgemeinerkrankungen
Anti-oxidative Aktivität Genetische Unterschiede
Erhalt eines gesunden Verdauungstraktes Niedrige Speichelfließrate
Antimikrobielle Substanzen
Spezielle Immunantwort

Zähne führen können (s. Abb. 16.1). So kann sich eine dauerhafte Ent-
zündung entwickeln, die durch Phasen der Progression und Stagnation
gekennzeichnet ist.
Die sich daraus ableitende ökologische Katastrophe kann als Teufels-
kreis verstanden werden, der von einer inadäquaten Wirtsantwort zu-
sätzlich angetrieben wird (s. Abb. 16.2).

Verhaltensfaktoren
nicht vorhanden ausgeprägt vorhanden
Umweltfaktoren

Klinisch gesund Gingivitis Parodontitis

Wenig Ange- Viel Ange- Viel Unange-


messene messene messene
Biofilm Komple-
Immun- Biofilm Antikörper
Immun- Biofilm Antikörper
Immun- DAMPS
ment PMNs ++ PMNs ++++
GCF +++
PMNs antwort T- & B- antwort Plasma- antwort ????
AMPs Zellen zellen

Geschei-
Ausgeprägte
Beginnende

Akute Be- Chronische terte Be- Chronische


kämpfung Bekämp- kämpfung Bekämp-
Symbiose

Antigene Zytokine
Dysbiose

Dysbiose

Antigene Antigene
Bakt. DNA der Ent- Virulenz- fung der Gingipaine der Ent- Oxidat. fung der
zündung faktoren Entzün- zündung Stress Entzün-
fMLP LPS
LPS MMPs
mit dung mit ohne dung ohne
Auflösung Auflösung Auflösung Auflösung

Genetische Faktoren
nicht vorhanden ausgeprägt vorhanden
Epigenetische Faktoren

Abb. 16.1: Pathogenese-Modell zur Entstehung und Progression entzündlicher Parodontalerkrankungen


(modifiziert nach Meyle und Chapple 2015)

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 511

Überschießende
Wirtsantwort 1
2

Veränderte lokal-
3
anatomische Nischen
Dominanz
parodontaler Teufelskreis
mit verstärktem
Wachstum
4
Pathogene
parodontopathogener
Keime 5
6
Dysbiotisches
subgingivales
7
Mikrobiom
Abb. 16.2: Der Teufelskreis der „ökologischen Katastrophe“, der von einer über-
8
schießenden Wirtsantwort angetrieben wird (modifiziert nach Loos und van Dyke
2020).
9
16.1 Primärer Ursachenkomplex
10
16.1.1 Dentaler Biofilm (Plaque)
11
Das Vorhandensein von Mikroorganismen ist eine notwendige Be-
dingung für das Entstehen entzündlicher Parodontalerkrankungen. 12
Allerdings führt die Anwesenheit parodontalpathogener Keime
nicht zwangsläufig und bei jedem Menschen zu einer Parodontaler- 13
krankung.

Potenziell parodontalpathogene Keime finden sich im Speichel, auf den Dentaler Biofilm
14
Schleimhäuten des Zungenrückens und der Tonsillen sowie organisiert
als Biofilm auf den Zahnoberflächen. Die Zahl der Bakterienspezies in 15
der Mundhöhle wird auf ca. 1000 geschätzt. Mikroorganismen können
in der Mundhöhle in einer planktonischen Phase (frei schwimmend, 16
nicht angeheftet) oder in einem ortständigen Biofilm (Plaque) vorliegen.
Der Biofilm Zahnplaque stellt sich bei ausreichender Dicke klinisch als
ein weicher, strukturierter, zäher Zahnbelag dar, der mit Wasserspray
17
nicht entfernbar ist. Grundsätzlich werden Biofilme als bakterielle Popu-
lation definiert, die in einer selbst produzierten Matrix aus extrazellulä- 18
ren polymeren Substanzen – bestehend aus Polysacchariden, Proteinen,
Lipiden und Nukleinsäuren – eingeschlossen sind. Sie stellen eine typi- 19
sche Lebensform von Bakterien dar. Diese bakteriellen Populationen
haften an Oberflächen, Grenzflächen sowie untereinander. Eine Voraus- 20
setzung für die Bildung eines Biofilms ist das Vorhandensein von Grenz-

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512 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

flächen und die ausreichende Versorgung mit Wasser und Nährstoffen.


In einer Umgebung, in der starke Scherkräfte vorliegen, z.B. in fließen-
den Rohrsystemen, entwickeln sich kompaktere Formen des Biofilms.
Orale Biofilme setzen sich aus Mikrokolonien zusammen, die aus
verschiedenen Bakterienspezies zusammengesetzt sind. Zwischen den
Einzelkolonien befinden sich Poren und wasserführende Kanäle, die
dem Austausch von Nähr- und Botenstoffen sowie Stoffwechselproduk-
ten dienen. Dabei können die Bakterien in einem Biofilm Nahrungsket-
ten aufbauen, indem Stoffwechselprodukte der einen Bakterienart (nur)
von einer anderen Bakterienart metabolisiert werden können. Biofilme
werden daher auch als funktionelle Organismen beschrieben. Die Orga-
nisation der Mikroorganismen in einem hochkomplexen Biofilm
schützt die Bakterien vor äußeren Einflüssen, kann zur Steigerung der
Pathogenität der vorhandenen Bakterien beitragen und gewährleistet
das Wachstum und Überleben der Bakterien. So kann die Resistenz ge-
genüber Antibiotika und antibakteriellen Lösungen von Mikroorganis-
men, die in einem Biofilm organisiert sind, bis zu 500-fach höher sein
als von planktonischen Bakterien. Dabei spielt neben der klassischen
Resistenz von Bakterien auch die physikalische Barriere eine wichtige
Rolle. Von einem reifen Biofilm können sich Fetzen ablösen und an an-
deren Orten des Körpers etablieren (sloughing).
Zwischen den Bakterienzellen besteht ein Informationsaustausch,
der als Quorum sensing bezeichnet wird. Dabei werden von der Bakte-
rienzelle Signalmoleküle in das Umgebungsmilieu ausgeschüttet. Über-
schreitet die Konzentration an Signalmolekülen einen von der Zelldichte
abhängigen bestimmten Schwellenwert, führt dies in den Bakterienzel-
len zur Bildung spezifischer Genprodukte. Dies kann zur gezielten Ände-
rung der Funktion der Mikroorganismen im Biofilmverbund führen.
In 1 g adhärentem Biofilm befinden sich ca. 1010–1011 Bakterien. In
der planktonischen Phase sind es ca. 108–109 Bakterien pro Gramm. Die
Tabelle 16.2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten isolierten Bakterien
der Plaque. Die Plaqueentstehung ist in Kapitel 2 detailliert erläutert.
Materia alba Als Materia alba wird ein Belag auf den Zähnen, der Gingiva und
der Plaque bezeichnet, der im Gegensatz zur Plaque mit Wasserspray
entfernbar ist. Materia alba ist eine weißliche, unstrukturierte Masse aus
locker aggregierten Bakterien, Leukozyten und Epithelzellresten.
Andere weiche Beläge sind food debris (= Speisereste) und food
impaction (= eingeklemmte Speisereste). Diese Speisereste sind selbst
nicht pathogen, stellen aber Retentionsstellen für die Zahnplaque dar.
Externe Zahn- Externe Zahnverfärbungen entstehen posteruptiv und liegen der
verfärbungen Zahnoberfläche festhaftend auf. Sie sind aber durch eine Politur wieder
entfernbar. Häufig sind es Auflagerungen von chromogenen (farbge-
benden) Bestandteilen aus Nahrungs- und Genussmitteln (Tee, Tabak,
Kaffee, Rotwein) oder Medikamentenlösungen (Chlorhexidindigluko-
nat, Zinnfluorid). Grundlage für die Anlagerung der Chromogene sind
meist bakterielle Besiedlungen der Zahnoberfläche. In manchen Milch-

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 513

Tab. 16.2: Klassifikation der wichtigsten Mikroorganismen in der Mundhöhle (fett: Pathogene mit
sehr starker Assoziation zu Parodontalerkrankungen, unterstrichen: Pathogene mit starker bis gerin-
ger Assoziation zu Parodontalerkrankungen). Sowohl die Gruppe der nicht klassifizierten Spirochä- 1
ten als auch T. denticola werden von manchen Autoren zu den Pathogenen mit sehr starker Assozia-
tion gezählt.
Grampositiv (+) Gramnegativ (–)
2
Fakultativ anaerob Anaerob Fakultativ anaerob Anaerob
3
Kokken Streptococcus Parvimonas Neisseria Veillonella
S. mutans P. micra V. parvula
S. sanguinis Megasphaera sp. Dialister
4
S. salivarius D. pneumosintes
S. milleri 5
S. mitis
S. intermedius 6
Stäbchen Actinomyces Actinomyces Aggregatibacter Porphyromonas
A. naeslundii A. israelii A. actinomycetem- P. gingivalis 7
A. viscosus A. odontolyticus comitans P. endodontalis
Corynebacterium Eubacterium Capnocytophaga Tannerella
C. matruchotii E. nodatum C. ochracea T. forsythia 8
Rothia Propionibacterium C. sputigena Prevotella
R. dentocariosa Filifactor C. gingivalis P. intermedia 9
Lactobacillus F. alocis Eikenella P. nigrescens
L. acidophilus
L. casei
E. corrodens
Haemophilus
P. melaninogenica
Fusobacterium
10
F. nucleatum
Leptotrichia 11
L. buccalis
Campylobacter 12
C. rectus
Selenomonas
S. sputigena
13
Spirochäten und weitere Mikroorganismen
14
Nicht klassifizierte Spirochäten*, Mycoplasma, Trichomonas, Entamoeba Treponema
E. gingivalis T. sokranskii
Candida T. denticola 15
C. albicans T. pectinovorum
* Neben obligat anaeroben Spirochäten (Treponemen) gibt es noch weitere pathogene nicht klassifizierte Spirochäten, 16
die nur über molekularbiologische Methoden nachweisbar und nicht anzüchtbar sind. Daher werden diese Spirochäten
nicht der Klassifikation fakultativ anaerob bzw. obligat anaerob zugeordnet.
17
und Wechselgebissen anzutreffende, dunkle Verfärbungen (sogenann-
ter black stain) werden durch Anlagerungen von pigmentbildenden 18
Bakterien (vermutlich Bacteroides melaninogenicus) hervorgerufen. Diese
Verfärbung ist ohne pathologische Bedeutung, liegt oft am Gingiva- 19
saum girlandenförmig in einer schmalen Linie vor und verschwindet
nach Eintritt in die Pubertät durch Änderung der oralen Bakterienzu- 20
sammensetzung meistens spontan.

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514 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Interne Zahn- Interne Zahnverfärbungen entstehen während der präeruptiven


verfärbungen Mineralisation der Zähne und werden durch Einlagerung von Farbstof-
fen (z.B. Tetrazyklin) oder Entwicklungsstörungen der Zähne (z.B. Fluo-
rose) hervorgerufen.

Kontrollierte Studien, die den Einfluss der Plaque auf die Entste-
hung entzündlicher Parodontopathien verdeutlichten, konnten
zeigen, dass beim Verzicht auf Mundhygienemaßnahmen bereits
innerhalb von wenigen Tagen erste leichte Entzündungszeichen
der Gingiva auftreten.

Nach 5–7 Tagen tritt klinisch eine Gingivitis, d.h. eine akute oder chro-
nische Entzündung der Gingiva, auf (s. Abb. 16.3). Wird die Mundhy-
giene wieder aufgenommen, geht die Entzündungsreaktion wieder zu-
rück.
Tierversuche haben gezeigt, dass sich bei einer länger dauernden An-
wesenheit der Plaque aus einer bestehenden Gingivitis eine Parodonti-
tis entwickeln kann. Auch nur bei 10–15% der Menschen geht eine Gin-
givitis in eine schwere Parodontitis über, wenn die bakterielle Belastung
länger andauert. Als Parodontitis wird eine entzündliche Erkrankung
des Zahnhalteapparats mit Alveolarknochenabbau bezeichnet.
Supragingivale Die koronal des Gingivasaums liegende Plaque wird als supragingi-
Plaque vale Plaque bezeichnet. Sie stellt bei gesunder Gingiva einen dünnen
Zahnbelag dar, der sich zu 75% aus grampositiven, fakultativ anaeroben
Kokken und Stäbchen zusammensetzt.
Subgingivale Breitet sich die supragingivale Plaque in den Sulcus gingivae aus,
Plaque spricht man von subgingivaler Plaque. Dabei ändern sich durch ver-

Gingiva-Index Gingivitis Reinigung Plaque-Index


1,5 3,0

1,0 2,0

0,5 1,0

0 0
0 1 2 3 4 5 7 9 11 13 21 1 2 3 5 7 9
Tage

Kokken Stäbchen Spirillen


Filamente Spirochäten

Abb. 16.3: Experimentelle Gingivitis (nach Renggli 1984). Mit zunehmender Dauer der Plaque-Akkumula-
tion (–) nimmt die Gingivitis (– –) zu. Nach professioneller Plaqueentfernung und Wiederaufnahme der
Mundhygienemaßnahmen geht die Gingivitis zurück. Die Gingiva wird wieder gesund. Mit Beginn der
Plaqueakkumulation etablieren sich Kokken, später erscheinen Stäbchen und Filamente, schließlich Spiril-
len und Spirochäten.

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 515

schiedene Faktoren die Zusammensetzung und Struktur der Plaque. Be-


einflussende Faktoren für die Änderung der Plaquezusammensetzung 1
können z.B. vorhandene Blutprodukte oder das in tiefen Taschen vorlie-
gende niedrige Redoxpotenzial sein. Das sauerstoffarme Milieu des Sub- 2
gingivalraums begünstigt die Entwicklung anaerober Keime. Die Zusam-
mensetzung der subgingivalen Mikrobiota des gesunden Parodonts be-
steht überwiegend aus nicht beweglichen Mikroorganismen (Kokken
3
und gerade Stäbchen). Das Verhältnis von unbeweglichen zu bewegli-
chen Mikroorganismen beträgt beim gesunden Parodont 40–49 : 1. 4
Bei einem entzündeten Parodont liegt in der subgingivalen Plaque
ein großer Anteil fusiformer bzw. filamentöser Mikroorganismen, be- 5
weglicher Stäbchen und Spirochäten vor. Das Verhältnis unbeweglicher
zu beweglichen Mikroorganismen beträgt hier 1 : 1–3. Die subgingivale
Plaque setzt sich aus einem der Zahnoberfläche anhaftenden, struktu-
6
rierten Biofilm und einem locker vorliegenden, nicht adhärenten Bakte-
rienanteil (planktonische Bakterien) zusammen. Die Substratzufuhr 7
der subgingivalen Plaque erfolgt vornehmlich durch die Sulkusflüssig-
keit. Die Menge an schwimmender Plaque nimmt mit zunehmender 8
Tiefe der Zahnfleischtasche (s.u.) zu. Ihre mehrheitlich gramnegativen
Mikroorganismen werden für den beschleunigten Verlauf parodonta- 9
ler Entzündungen verantwortlich gemacht.
Die anhaftende subgingivale Plaque kann verkalken und als Zahn- Zahnstein
stein die Wurzeloberfläche bedecken. Kein Zahnstein findet sich auf ei-
10
nem ca. 0,5 mm breiten Saum der Wurzeloberfläche am Boden der
Zahnfleischtasche. Subgingivale verkalkte Wurzelauflagerungen werden 11
auch als Konkremente bezeichnet. Dieser subgingivale Zahnstein ist
aufgrund eingeschlossener Blutbestandteile dunkel. Er ist härter und 12
schwieriger zu entfernen als der supragingivale Zahnstein.
Weder subgingivaler noch supragingivaler Zahnstein lösen trotz 13
der rauen Oberfläche ursächlich entzündliche Vorgänge im Parodont
aus. Zahnstein spielt aber als Retentionsstelle für die Kolonisation mit
Mikroorganismen eine wichtige Rolle.
14
Die Bakterien der Plaque werden vereinfacht nach drei Kriterien Bakterien der
klassifiziert: Plaque 15
 Morphologie: Kokken, Stäbchen, Filamente, Spirochäten, beweg-
lich/unbeweglich, gerade/gebogen 16
 Zellwandaufbau: Entsprechend der Farbreaktion bei der Gramfär-
bung (grampositiv/-negativ)
 Stoffwechselverhalten: aerob/anaerob
17
Eine Plaque ist umso parodontopathogener einzustufen, je mehr beweg- 18
liche, gramnegative und anaerobe Erreger in ihr zu finden sind (s. Abb.
16.4). 19
Die parodontopathogenen Plaquebakterien verfügen über verschie- Virulenzfaktoren
dene Eigenschaften (Virulenzfaktoren), welche die Destruktion des Pa- 20
rodonts beschleunigen können. Von den Mikroorganismen produzierte

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516 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Abb. 16.4: Merkmale für


hohe Parodontopathogenität eine vorhandene Parodon-
topathogenität der Plaque-
bakterien (nach Plagmann
beweglich gramnegativ anaerob 1999)

unbeweglich grampositiv aerob

niedrige Parodontopathogenität

Enzyme lösen die Interzellularsubstanz bzw. das kollagene Stützgerüst


auf und erleichtern damit das Eindringen der Mikroorganismen ins Ge-
webe. Zu diesen Enzymen zählen Kollagenasen zum Abbau von Binde-
gewebe (u.a. von Porphyromonas gingivalis produziert), Hyaluronidasen,
Chondroitinsulfatasen, Neuraminidasen und verschiedene Proteasen
und Peptidasen sowie alkalische und saure Phosphatasen. Bei weiteren
Virulenzfaktoren, die v.a. den Bakterien des roten Komplexes (s.u.) und
Aggregatibacter actinomycetemcomitans zugesprochen werden, handelt es
sich z.B. um Adhäsine zur Anlagerung an Zellen, Invasine zum Eindrin-
gen in Epithelzellen, Gingipaine mit proteolytischer Aktivität, Lipopo-
lysaccharide (LPS) zur Hemmung der Diapedese der polymorphkernigen
Granulozyten und Zytotoxine, die u.a. eine Hemmung der Phagozytose
bewirken können. Darüber hinaus greifen Stoffwechselendprodukte der
Bakterien wie Ammoniak, Indol, Schwefelwasserstoff oder Fettsäuren
das Gewebe direkt an. Einige dieser Produkte können wiederum von an-
deren Bakterien weiterverwertet werden, wodurch die Zusammenset-
zung der Plaque beeinflusst werden kann.
Endo- und Verschiedene Bakterien entwickeln spezifische Toxine, die in Endo-
Exotoxine und Exotoxine unterschieden werden. Endotoxine sind Lipopoly-
saccharide (LPS) aus der Wand gramnegativer Bakterien, die eine gestei-
gerte entzündliche Abwehrreaktion hervorrufen. Exotoxine sind Anti-
gene, die von Bakterien sezerniert werden. Zu ihnen zählt u.a. das von
Aggregatibacter actinomycetemcomitans ausgeschüttete Leukotoxin, das
den Zerfall polymorphkerniger Granulozyten verursacht.
Unspezifische Die entzündlichen Parodontopathien wurden lange Zeit als die
Plaquehypothese Folge einer unspezifischen Plaqueinfektion (unspezifische Plaquehy-
pothese) angesehen. Man ging davon aus, dass allein die Quantität der
Plaque die entzündlichen Vorgänge des Parodonts bestimme.
Spezifische Die Entdeckung spezifischer Bakterienarten in Verbindung mit be-
Plaquehypothese stimmten Formen der entzündlichen Parodontopathien (s. Kap. 18.3.2)
ließ dann die Vermutung aufkommen, dass es sich hierbei um spezifi-
sche Infektionen (spezifische Plaquehypothese) im Sinn der Koch-
Postulate handelt. Robert Koch hatte zu Ende des letzten Jahrhunderts
vier Postulate aufgestellt, die zusammengefasst sagen, dass bestimmte
Infektionen von der Anwesenheit eines definierten, isolier- und an-
züchtbaren Mikroorganismus abhängig sind und eine Übertragung die-

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 517

ses Mikroorganismus auf einen anderen Organismus zu der analogen Er-


krankung führt. Die spezifische Plaquehypothese geht also davon aus, 1
dass die Qualität der Plaque einen entscheidenden Einfluss auf die Art
der Erkrankung hat. 2
Eine Anpassung der Koch-Postulate an die Besonderheiten von ent-
zündlichen Parodontalerkrankungen wurde von Socransky vorgenom-
men. Die Kriterien für parodontale Pathogene lauten wie folgt:
3
 Assoziation: Ein Pathogen sollte häufiger und in höheren Mengen
an erkrankten Regionen als an gesunden Stellen gefunden werden 4
können.
 Elimination: Eine Elimination des Pathogens sollte mit einer Elimi- 5
nation oder einem Rückgang der Erkrankung verbunden sein.
 Wirtsantwort: Es sollte eine spezifische Wirtsantwort (z.B. Antikör-
perproduktion) auf das Pathogen erkennbar sein, die mit einem Ge-
6
webeschaden einhergeht.
 Virulenzfaktor: Das Pathogen sollte Eigenschaften (z.B. Produktion 7
gewebsschädlicher Stoffwechselprodukte) aufweisen, die (aktiv) ei-
nen Gewebeschaden auslösen können. 8
 Tierstudien: Die Fähigkeit des Pathogens, eine Erkrankung hervor-
zurufen, sollte in Tierstudien belegt sein. Die Übertragung des Pa- 9
thogens auf ein gesundes Tier sollte zu einer destruktiven Parodon-
talerkrankung führen.
10
Die Forschung fokussiert sich aktuell vornehmlich auf die Zusammenset-
zung des gesamten Mikrobioms und verdeutlicht so Verschiebungen in- 11
nerhalb des gesamten, immer vorhandenen Keimspektrums, um die
wirt- und ursachenspezifische Virulenz des dentalen Biofilms zu bestim- 12
men. So finden sich individuelle Mikrobiom-Konstellationen, die eher
eine typische physiologische Ausprägung bei parodontaler Gesundheit 13
charakterisieren, und solche, die bei einer Parodontitis einen pathoge-
nen Shift aufweisen. Allerdings bleibt anerkannt, dass die parodontal be-
deutsamen Pathogene Aggregatibacter actinomycetemcomitans sowie Por-
14
phyromonas gingivalis und Tannerella forsythia die Kriterien von Socransky
im Wesentlichen erfüllen und daher immer noch mit einer parodonta- 15
len Erkrankung in einer allgemein verständlichen Erklärungsform in
Verbindung gebracht werden können. Verschiedene Spirochätenspezies 16
(z.B. Treponema denticola) weisen dabei eine besondere Assoziation zu pa-
rodontalen Erkrankungen auf. Allerdings lassen sich Spirochäten nur
schlecht kultivieren, sodass ihr pathogenes Potenzial im Vergleich zu
17
den drei anderen genannten Bakterienarten schlechter darstellbar ist.
Die Bedeutung bestimmter Spirochätenarten in der Pathogenese ent- 18
zündlicher Parodontalerkrankungen ist daher noch lange nicht geklärt.
Heute wird darüber hinaus angenommen, dass bei bestimmten Pa- 19
rodontitisformen eine Spezifität der Bakterien vorgetäuscht wird, indem
sich bereits in der Plaque befindliche Bakterien unter exogenen oder en- 20
dogenen Einflüssen mehr entfalten und andere Bakterien verdrängen.

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518 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Daher werden die entzündlichen Parodontopathien heute als eine


opportunistische Infektion angesehen, bei der es neben der Anwe-
senheit pathogener Keime auf ein für die Vermehrung dieser Keime
günstiges Milieu (z.B. anaerobe Nische, veränderte Wirtsabwehr)
ankommt.

Dabei wird auch die Abwesenheit von bestimmten, stabilisierenden


Bakterien der Plaque als mögliche Ursache für die parodontale Destruk-
tion angesehen (vgl. Tab. 16.3). Haben sich die parodontopathogenen
Keime in einer parodontalen Tasche etabliert, so sind die stabilisieren-
den Bakterien wie z.B. Streptococcus sanguinis kaum mehr in der Lage,
diese zurückzudrängen. Man spricht daher auch von einer mikrobiolo-
gischen Dysbiose (Ungleichgewicht), die zum Auslösen einer Parodon-
talerkrankung beiträgt. Zur Regulierung der Mikrobiota werden daher
auch z.T. probiotische Präparate (z.B. Lactobacillus reuteri) eingesetzt. In
Kurzzeitstudien konnte gezeigt werden, dass damit bei einigen Patien-
ten erfolgreich eine Gingivitis oder eine bestehende Mukositis an Im-
plantaten behandelt werden konnte. Langzeitergebnisse stehen aller-
dings weiterhin aus.
Auch die Ernährung zeigt einen Einfluss auf die Biofilmzusammen-
setzung und seine Pathogenität, wenngleich die Studienlage in einigen
wesentlichen Aspekten noch widersprüchlich ist. Fest steht, dass Spu-
renelemente und Mineralien wie Kupfer, Zink oder Magnesium Bestand-

Tab. 16.3: Vermutete pathogene und stabilisierende Mikroorganismen


Vermutete Pathogene Vermutete stabilisierende
Standort-Mikrobiota
Aggregatibacter actinomycetemcomitans Actinomyces sp.
Tannerella forsythia (früher Bacteroides forsythus) Streptococcus mitis
Porphyromonas gingivalis Streptococcus sanguinis
Prevotella intermedia Veillonella parvula
Prevotella nigrescens Capnocytophaga ochracea
Eikenella corrodens
Fusobacterium nucleatum
Peptostreptococcus micros
Campylobacter rectus
Selenomonas sp.
Eubacterium nodatum
Filobacter alocis
Treponema denticola
Nicht klassifizierte Spirochäten

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 519

teil vieler Enzyme und antioxidativ wirksamer Moleküle sind. Studien


belegen, dass eine kohlenhydratreduzierte Diät, die reich an Omega-3- 1
Fettsäuren, Fasern sowie Vitaminen C und D ist, das Auftreten gingiva-
ler und parodontaler Entzündungen reduzieren kann. Ebenso konnten 2
nitrathaltige Säfte erfolgreich gegen chronische Gingivitiden eingesetzt
werden. Der Konsum nitrathaltiger Säfte, z.B. aus Blattgemüse, führt zu
einem erhöhten Nitratgehalt im Speichel, aus dem bestimmte Bakterien
3
Nitrit generieren. Dieses wird zu reaktiven Nitrogen-Verbindungen ver-
ändert, die über antibakterielle, aber auch antiinflammatorische Eigen- 4
schaften verfügen und damit die Bakterienzusammensetzung des Bio-
films sowie die Immunantwort modulieren. Eisen und Eisenverbindun- 5
gen spielen aus mikrobiologischer Sicht zudem eine wichtige Rolle, da
diese, wie auch Hämin, von verschiedenen Bakterien (z.B. Porphyromo-
nas gingivalis) verstoffwechselt werden können.
6
Im subgingivalen Biofilm liegen verschiedene Bakterien in gemein- Roter Komplex
samen Komplexen zusammen (s. Abb. 16.5). Zu dem sogenannten „ro- 7
ten Komplex“ zählen:
 Porphyromonas gingivalis 8
 Tannerella forsythia
 Treponema denticola 9
Diese Keime werden häufiger in parodontalen Läsionen als an parodon-
tal gesunden Stellen identifiziert. Als ein weiterer pathogen bedeutsa-
10
mer Keim konnte Filobacter alocis identifiziert werden. Er verfügt über
Virulenzfaktoren, die sein Vorhandensein unter oxidativem Stress be- 11
günstigen und gleichzeitig die Invasion in Epithelzellen durch Porphyro-
monas gingivalis vermitteln können. Neben dem in Abb. 16.5 beschrie- 12
ben einfachen Modell existieren weitere z.T. sehr komplexe Darstellun-
gen zum oralen Mikrobiom, die den Umfang dieses Buches aber 13
überschreiten würden (s. u.a. Abusleme et al. 2013).
Ebenso wie kariespathogene Keime können auch parodontopatho-
gene Mikroorganismen von parodontal erkrankten Elternteilen auf die
14
Kinder übertragen werden (vertikale Transmission). Ab dem Wechselge-
biss können über den Speichel im Sinne einer Schmierinfektion A. acti- 15
nomycetemcomitans und P. gingivalis von Kindern akquiriert werden.
Eine Übertragung ist auch zwischen erwachsenen Partnern möglich 16
(horizontale Transmission).

17
16.1.2 Pathogenese der entzündlichen Parodontalerkrankungen
18
Die Genese der plaquebedingten Entzündungen des Parodonts vollzieht
sich histologisch in vier Schritten. Klinisch bedeutet dies, dass einer Pa- 19
rodontitis immer eine reversible Gingivitis vorangeht (s. Abb. 16.6). Es
muss aber festgehalten werden, dass eine chronische Gingivitis auch bei 20
weiterhin bestehender Plaqueakkumulation nicht zwangsläufig in eine

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520 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Actinomyces sp.

S. mitis
V. parvula
S. oralis
A. odontolyticus
S. sanguinis

C. rectus
Streptococcus sp.
S. gordonii C. gracilis
S. intermedius P. intermedia
P. nigrescens
P. micra P. gingivalis
F. nuc. vincentii T. forsythia
E. nodatum
S. constellatus F. nuc. nucleatum T. denticola
F. nuc. polymorphum
F. periodonticum

E. corrodens
C. gingivalis C. showae
C. sputigena
C. ochracea S. noxia
C. concisus
A. actino. a

A. actinomycetemcomitans b

Abb. 16.5: Die Bakterien in der Mundhöhle sind nach Komplexen organisiert. Die Anordnung von links nach
rechts entspricht dabei in etwa der zeitlichen Abfolge der Kolonisation. Actinomyces sp., Selenomonas no-
xia sowie der hoch toxische A. actinomycetemcomitans Serotyp b sind eher Einzelgänger. Der rechte Kom-
plex mit P. gingivalis wird als roter Komplex, der mit P. intermedia als oranger Komplex bezeichnet. Diese
beiden Komplexe plus A. actinomycetemcomitans beinhalten den Hauptteil der parodontopathogen wich-
tigen Keime. Die übrigen Komplexe bakterieller Gemeinschaften und deren Spezies werden vor allem als
vorbereitend für diese beiden Komplexe angesehen. Ein Einzelnachweis dieser Keime ist als relativ unbe-
deutend zu werten (nach Socransky und Haffajee 2002).

Parodontitis übergehen muss. Es wird vielmehr angenommen, dass ne-


ben der fortbestehenden Plaqueakkumulation noch andere (teilweise
ungeklärte) Faktoren einen Einfluss auf die Ausprägung der entzündli-
chen Parodontalerkrankung haben. Die unterschiedlichen Läsionsty-
pen einer Parodontopathie können in einem Gebiss gleichzeitig auftre-
ten. So kann ein gesundes Parodont direkt benachbart zu einem Paro-
dont mit schwersten Destruktionen liegen. Dabei können aktive von
inaktiven Phasen unterschieden werden. In den aktiven Phasen lassen
sich in der subgingivalen Plaque des betroffenen Parodonts vermehrt
parodontopathogene Erreger nachweisen.
Histologisch unterscheidet man bei der Pathogenese die:
 Initiale Läsion
 Frühe Läsion
 Etablierte Läsion
 Fortgeschrittene Läsion (s. Abb. 16.7)

Initiale und frühe Läsion beschreiben den Zustand einer klinisch ma-
nifesten akuten Gingivitis, die etablierte Läsion den Zustand einer
chronischen Gingivitis. Die fortgeschrittene Läsion stellt den Über-
gang von der chronischen Gingivitis in eine Parodontitis dar.

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 521

Patient mit
Patient mit Patient mit
1
parodontaler
Gingivitis Parodontitis
Gesundheit
2
Parodontaltherapie

1 2 3 3

Patient mit Parodontitis Patient mit Parodontitis Patient mit Parodontitis


4
Gingivale Gesundheit bei Vereinzelte Stellen mit Gingivitis Progression
stabilem Parodontalzustand bei aktuell erneuerter/ der Parodontitis 5
(aktuell stabil) fortbestehender Parodontitis (aktuell instabil)
BoP < 10% BoP ≥ 10% ST ≥ 5 mm
ST ≤ 4 mm ST ≤ 4 mm oder
6
4 mm-ST: alle BoP (–) 4 mm-ST: alle BoP (–) ST ≥ 4 mm mit BoP (+)

Abb. 16.6: Zusammenhang zwischen Gingivitis und Parodontitis (modifiziert nach Chapple 2019 und Diet-
7
rich 2019). Eine Gingivitis ist nach erfolgreicher Behandlung reversibel. Sie kann aber auch zu einer Paro-
dontitis mit Attachmentverlust führen. Diese Patienten unterliegen lebenslang einem Risiko für eine rezi-
divierende Parodontitis. Eine erfolgreiche Parodontaltherapie kann (1) die gingivale Gesundheit bei redu-
8
ziertem Parodont wiederherstellen oder (2) zu einer leichten Entzündung des Gingivasaums bei geringer
Sondierungstiefe (< 4 mm) führen. Jedoch besteht immer das Risiko einer progredienten Parodontitis mit
fortschreitendem Attachmentverlust (3). ST: Sondierungstiefe, BoP (+/–): Bleeding on Probing, Blutung 9
nach Sondierung (positiv/negativ)

Initiale Läsion
10
Die initiale Läsion entwickelt sich nach einer Plaqueneubildung inner-
halb von zwei bis vier Tagen aus einer klinisch gesunden Gingiva. Die- 11
ser Zustand ist vollständig reversibel. Klinisch sind bei dieser frühen
histologisch darstellbaren Läsion noch keine Entzündungszeichen zu 12
erkennen. Daher ist dieser Zustand als physiologisch anzusehen.
Die Kennzeichen der initialen Läsion sind: Kennzeichen 13
 Akut entzündliche Reaktion der Gefäße des Gefäßplexus unter-
halb des Saumepithels. Durch ausgeschüttete vasoaktive Mediatoren
(Histamin, Serotonin) werden die interendothelialen Zellverbindun-
14
gen zwischen den Endothelzellen gelöst, sodass die Permeabilität
der Gefäße erhöht wird. Die gleichzeitige Dilatation der Gefäße und 15
der erhöhte Blutdurchfluss führen dann zu einer entzündlich-öde-
matösen Schwellung der Gingiva. 16
 Flüssigkeitsexsudat aus dem Gingivalsulkus.
 Verstärkte Migration von neutrophilen Granulozyten in das Saum-
epithel und den Gingivalsulkus. Durch neu gebildete Adhäsions-
17
moleküle der Endothelzellen werden die Leukozyten zu einer ver-
langsamten, rollenden Bewegung auf dem Endothel veranlasst. Die 18
Bildung der Adhäsionsmoleküle wird durch verschiedene Entzün-
dungsmediatoren (z.B. TNF-α, s.u.) ausgelöst. Nach Adhäsion an der 19
Endotheloberfläche ist die Diapedese von Leukozyten durch die Ge-
fäßwand erleichtert. 20
 Auftreten von Serumproteinen, speziell von Fibrin im Gingivalsulkus.

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522 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Abb. 16.7: Histologische Veränderungen bei der


Entwicklung einer parodontalen Läsion (nach
Schmelz Renggli 1990): a) Gesunde Gingiva, gesundes Paro-
dont. b) Initiale Läsion: Durch marginale ödema-
Plaque töse Schwellung entsteht ein subgingivaler Raum.
c) Frühe Läsion: beginnende Zerstörung des gingi-
Saumepithel valen Kollagens und Einriss des Saumepithels am
Sulkusboden. d) Etablierte Läsion: Entstehung ei-
Schmelz- ner gingivalen Tasche. e) Fortgeschrittene Läsion:
Zement- Entstehung einer parodontalen Tasche mit einset-
Grenze zender Knochendestruktion.

Wurzelzement

Plaque

Lymphozyten

erweiterte
Gefäße

b c

Plasmazellen

d e

 Auflockerung des koronalen Anteils des Saumepithels und teilweise


Auflösung des dortigen Epithelansatzes. Durch die gleichzeitige
Schwellung der Gingiva kann ein subgingivaler Raum entstehen, in
den die supragingivale Plaque eindringen kann.
 Abbau des perivaskulären Kollagens.

Frühe Läsion
Die frühe Läsion entwickelt sich innerhalb von 14 Tagen aus einer un-
beeinflussten initialen Läsion.

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 523

Neben der verstärkten Ausprägung der Kennzeichen der initialen Lä- Kennzeichen
sion hat sie folgende zusätzliche Merkmale: 1
 Ansammlung von Abwehrzellen im Infiltrat des gingivalen Binde-
gewebes, das direkt an das Saumepithel angrenzt. Es finden sich 70– 2
90% Lymphozyten (mehrheitlich T-Lymphozyten), 7–16% akti-
vierte Makrophagen.
 Zytopathische Veränderung der ortsständigen Fibroblasten, die
3
möglicherweise aus einer Wechselwirkung mit den Lymphozyten
resultiert. 4
 Weiterer Kollagenverlust, insbesondere des dentogingivalen und
zirkulären Faserwerks. Verglichen mit nicht entzündlich veränder- 5
tem Bindegewebe beträgt der Kollagenverlust ca. 70%.
 Beginnende Proliferation des Saumepithels lateral ins Bindege-
webe mit Ausbildung von epithelialen Reteleisten (fingerförmige
6
Ausstülpungen ins Gewebe).
7
Etablierte Läsion
Beim Erwachsenen stellt sich die etablierte Läsion innerhalb weniger 8
Wochen nach einer frühen Läsion ein und scheint wie die initiale und
frühe Läsion bei optimaler Mundhygiene noch vollständig reversibel 9
zu sein. Sie ist immer an das Vorhandensein einer subgingivalen Plaque
gebunden. Die Kennzeichen der akut entzündlichen Vorgänge der frü-
hen Läsion sind weiterhin vorhanden.
10
Weitere Merkmale sind: Kennzeichen
 Dominanz von B-Lymphozyten ohne Anzeichen von Knochen- 11
schwund
 Auftreten von extravaskulären Immunglobulinen im Bindege- 12
webe und im Saumepithel
 Nahezu vollständige Auflösung des gingivalen Stützgewebes
13
 Apikal und lateral gerichtete Proliferation des Saumepithels

Ferner kann es zur Ausbildung einer auf die Gingiva beschränkten


14
2–3 mm tiefen Tasche und zum Beginn der Umwandlung des Saumepi-
thels in ein keratinisiertes Taschenepithel kommen. Die genauen Me- 15
chanismen, die während der Ausdehnung der supragingivalen Plaque in
den subgingivalen Raum zur Loslösung des Saumepithels vom Zahn 16
führen, sind nicht hinreichend geklärt.
Bei Kindern und Jugendlichen sind die klinischen Entzündungszei-
chen deutlich geringer ausgeprägt. Eine etablierte Läsion findet sich in
17
dieser Altersklasse erst, wenn mechanisch bedingte Veränderungen der
Taschenwand (z.B. durch Füllungsränder) zusätzlich zur Anwesenheit 18
pathogener Keime vorliegen.
19
Fortgeschrittene Läsion
Die fortgeschrittene Läsion stellt einen destruktiven Prozess des Parodonts 20
dar. Durch alleinige Mundhygienemaßnahmen kommt es dann nicht

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524 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

mehr zu einer Restitutio ad integrum. Die entzündlichen Destruktions-


prozesse stellen keine gleichmäßig verlaufende Erkrankung dar. Vielmehr
finden sich Perioden der Exazerbation (akut) und Stagnation (chronisch).
Kennzeichen Neben einem Fortbestehen der Vorgänge der etablierten Läsion wer-
den folgende Merkmale beobachtet:
 Ausdehnung der Läsion auf den Alveolarknochen und das Desmo-
dont mit einhergehendem Knochenabbau. Dabei ist der interden-
tale Knochen häufiger und frühzeitiger betroffen als der bukkale,
linguale oder interradikuläre Knochen.
 Anhaltender Kollagenverlust unterhalb des Saum- bzw. Taschen-
epithels mit gleichzeitiger Fibrose im peripheren Gingivabereich.
 Auftreten zytopathisch veränderter Plasmazellen, Fehlen veränder-
ter Fibroblasten.
 Ausbildung einer parodontalen Tasche als Ergebnis der entzündli-
chen Abwehrmechanismen.
 Umwandlung tieferer Knochenmarkbereiche in fibröses Bindege-
webe.
 Ausgedehnte entzündliche und immunologische Gewebereaktion.

Das Saumepithel hat seine ursprüngliche Position nach apikal verscho-


ben (epitheliales Tiefenwachstum). Auch in tiefen Taschen wird die Ver-
siegelung am Taschenboden durch einen geringen Anteil des Saumepi-
thels weiter aufrechterhalten.

16.1.3 Abwehrreaktion des Wirtsorganismus

! Zur Abwehr der parodontopathogenen Bakterien und ihrer To-


xine wird vom Wirtsorganismus eine entzündliche Abwehrreak-
tion ausgelöst, sodass ein Wechselspiel zwischen Bakterienangriff
und Wirtsabwehr resultiert. Die bei der Wirtsabwehr ablaufenden
Mechanismen tragen ebenfalls zur Destruktion des Parodonts bei.

Entzündungsreaktion
Mediatoren der Entzündungsreaktion vermitteln die Kommunikation
zwischen den Zellen und sind Bestandteil eines Netzwerks zur Regula-
tion der Wirtsabwehr (s. Tab. 16.4).
Sie können aus der humoralen Abwehr (z.B. Komplementstücke)
oder aus Zellen freigesetzt werden. Ihre Ausschüttung kann auch direkt
durch Lipopolysaccharide (LPS) bestimmter Bakterien angeregt werden.
Neben den weiter unten erwähnten Mediatoren wie z.B. Histamin
und Serotonin sind v.a. Prostaglandine, Leukotriene, Bradykinin, Zyto-
kine und Matrix-Metalloproteinasen für die parodontale Entzündungs-
reaktion von Bedeutung.
Mediatoren Prostaglandine (PGE) sind Derivate der Arachidonsäure (Bestand-
teil der Zellmembran), die von verschiedenen Zellen (Makrophagen, eo-

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 525

Tab. 16.4: Auswahl verschiedener an der parodontalen Entzündungsreaktion beteiligter Faktoren.


Die aufgelisteten Funktionen stellen ebenfalls nur eine Auswahl der vom jeweiligen Faktor ausge-
lösten Reaktionen dar. 1
Faktor Direkte oder vermittelte Funktion während Entzündung
Leukotriene Erhöhung der Gefäßpermeabilität
2
Histamin Erhöhung der Gefäßpermeabilität, Schmerzauslösung
3
Serotonin Vasoaktive Arteriolendilatation und -konstriktion
Bradikinin Erhöhung der Gefäßpermeabilität, Schmerzauslösung
4
PGE Vasodilatation, Erhöhung der Gefäßpermeabilität, Schmerzauslösung
PGE2 Osteoklastenaktivität 5
IL-1 Osteoklastenaktivität
IL-2 Stimuliert Wachstum der T- und B-Lymphozyten 6
IL-6 Differenzierung und Wachstum von T- und B-Lymphozyten,
Osteoklastenbildung 7
IL-8 Chemotaxis
IFN-γ Immunregulation, Granulozytenaktivierung 8
TNF-α Knochendestruktion, Induktion von Akute-Phase-Proteinen
MMP Kollagendestruktion, Gewebedestruktion
9
PDGF, NGF, EGF, IGF-1, TGF Knochenumbauvorgänge, Knochendestruktion
10
Immunglobuline (Ig) Antigen-/Enzymaktivierung, Aktivierung von Komplementsystem,
Aggregation von Mikroorganismen, Mastzellaktivierung (IgE)
11
Antimikrobielle Peptide (AMP) Mikrobizide Aktivität, Entzündungsmediatoren
DAMP Zelluläre Warnsignale bei Traumata oder Infektion
12
fMLP Chemotaxis für PMN-Granulozyten

13
sinophilen Granulozyten, Fibroblasten usw.) synthetisiert werden kön-
nen. Es sind verschiedene Klassen von Prostaglandinen bekannt. Ihre
14
Produktion wird z.B. von Histamin und Serotonin gefördert und von
Acetylsalicylsäure gehemmt. 15
Zu ihren Funktionen zählen:
 Vasodilatation von Gefäßen 16
 Erhöhung der Gefäßpermeabilität
 Regulation der Thrombozytenaggregation
 Stimulation von Osteoklasten, v.a. durch Prostaglandin-E2 (PGE2)
17
 Auslösung von Fieber und Schmerzen
18
Leukotriene sind ebenfalls wie die Prostaglandine Derivate der Arachi-
donsäure. Sie werden u.a. von Mastzellen und basophilen Granulozyten 19
synthetisiert. Die zu ihnen zählende slow reacting substance of anaphy-
laxis (SRS-A) verfügt über eine Fähigkeit zur Steigerung der Gefäßperme- 20
abilität, die tausendfach größer ist als die von Histamin.

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526 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Bradykinin entsteht im Plasma aus der Spaltung von Kininogen


durch Kallikrein. Es erhöht die Gefäßpermeabilität und ist an der
Schmerzauslösung beteiligt.
Zytokine werden die aus Zellen freigesetzten Mediatoren mit einer
Peptidstruktur genannt. Lymphokine stammen aus Lymphozyten. Zu
den Zytokinen werden die Interleukine, Tumor-Nekrose-Faktoren
(TNF-α und -β) und Interferone gezählt.
Interleukine (IL-1 bis -13) sind wichtige immunregulatorische Pro-
teine, deren vielfältige Aufgaben an dieser Stelle nur kurz dargestellt
werden können:
 Interleukin-1 (IL-1) wird u.a. von Makrophagen synthetisiert, die
Antigene phagozytiert haben. Es kann z.B. die Aktivität von Osteo-
klasten fördern oder Fieber auslösen. IL-1 bindet an T-Lymphozyten
und induziert so die Ausbildung von Rezeptoren für Interleukin-2
(IL-2).
 Interleukin-2 (IL-2) wird von Lymphozyten mit Antigenkontakt pro-
duziert. Durch Anbindung von IL-2 an IL-2-Rezeptoren wird die mi-
totische Aktivität von T-Lymphozyten ausgelöst.
 IL-1 und IL-2 steuern darüber hinaus die Reifung und mitotische Ak-
tivität von B-Lymphozyten.
 Interleukin-8 (IL-8) wird von Monozyten und Makrophagen, aber
auch von Gewebezellen ausgeschüttet. Es induziert die zellspezifi-
sche Chemotaxis und aktiviert neutrophile Granulozyten.

Tumor-Nekrose-Faktoren werden von Makrophagen und T-Zellen syn-


thetisiert. TNF-α ist u.a. an der Knochenresorption beteiligt und akti-
viert Phagozyten. TNF-α induziert auch die Bildung der in der Leber
produzierten Akute-Phase-Proteine (z.B. C-reaktives Protein, Fibrino-
gen), die bei akut entzündlichen Prozessen oder in der akuten Phase
chronischer Erkrankungen die Infektionsabwehr durch Opsonierung,
Komplementaktivierung, Förderung der Blutgerinnung oder T-Zell-In-
hibition unterstützen.
Interferone (IFN) werden von verschiedenen Zellen gebildet. So
schütten T-Zellen oder natürliche Killerzellen IFN-γ aus. Dieses wirkt im-
munmodulatorisch auf die Antikörperproduktion sowie die Ausschüt-
tung und Aktivierung bestimmter Interleukine. IFN-α wird von virenbe-
fallenen Monozyten gebildet und kann die Aktivität von natürlichen
Killerzellen erhöhen. Zudem löst IFN-α in virusinfizierten und nicht in-
fizierten Zellen die Bildung schützender Proteine aus.
Bei der Phagozytose eines Mikroorganismus kommt es nach dessen
Verdauung durch lysosomale Enzyme zur Freisetzung enzymatischer
Substanzen, sogenannte Matrix-Metalloproteinasen (z.B. Kollagenasen,
Gelatinasen, Elastasen), in das umgebende Gewebe. Durch Ausschüttung
von Zytokinen können Makrophagen auch Gewebezellen, z.B. Epithel-
zellen, zur Synthese von Matrix-Metalloproteinasen (MMP) anregen.
Diese Proteasen spielen grundsätzlich eine Rolle bei der physiologischen

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 527

Gewebserneuerung, können aber auch zur Auflösung von Gewebestruk-


turen und zur parodontalen Destruktion beitragen. Matrix-Metallopro- 1
teasen werden im Gewebe durch Anwesenheit von TIMP (tissue inhibi-
tor of metalloproteinase) reguliert. Sie benötigen die Anwesenheit von 2
Metallionen, wie Kalzium, Magnesium oder Zink, um aktiv zu sein.
Sogenannte mit Schaden assoziierte molekulare Muster (damage-
associated molecular patterns; DAMPs) sind besondere Moleküle in Zel-
3
len, die ein Bestandteil der angeborenen Immunantwort sind. Sie werden
von beschädigten oder sterbenden Zellen aufgrund eines Traumas oder ei- 4
ner Infektion durch einen Krankheitserreger freigesetzt und dienen als
Warnsignale für den Organismus, um auf einen Angriff vorbereitet zu sein. 5
Antimikrobielle Peptide (AMPs) sind kleine kationische, amphi-
phile Peptide (z.B. α-Defensine) mit breiter mikrobizider Aktivität so-
wohl gegen Bakterien als auch gegen Pilze. Sie werden auch als natürli-
6
che (endogene) Antibiotika bezeichnet und sind an der vordersten Ver-
teidigungslinie des Wirts gegen Infektionen beteiligt. Sie spielen eine 7
wichtige Rolle als Auslöser des angeborenen Immunsystems. AMPs wer-
den von verschiedenen Zelltypen (besonders Makrophagen, neutro- 8
phile Granulozyten und Epithelzellen) gebildet. Neben ihrer direkten
antimikrobiellen Funktion verfügen sie auch über weitere Aufgaben, 9
z.B. als Entzündungsmediatoren.
Das pro-inflammatorische Peptid Formyl-Methionyl-Leucyl-Phe-
nylalanin (fMLP), das u.a. auch von Darmbakterien produziert wird, ist
10
ein hochwirksamer chemotaktisch wirkender Faktor für polymorphker-
nige Granulozyten. Es hat zudem Einfluss auf phagozytotische Aktivitä- 11
ten, die Zelladhärenz und die Aktivierung von Makrophagen.
Wachstumsfaktoren sind lokal produzierte und wirkende Faktoren, 12
die Zellaktivitäten beeinflussen können. Platelet-derived growth factor
(PDGF), nerve growth factor (NGF), epidermal growth factor (EGF), 13
insulin-like growth factor (IGF-1) und transforming growth factor (TGF)
scheinen in der Knochendestruktion eine vermittelnde Rolle zu spielen.
Die oben beschriebenen Zytokine und Chemokine weisen je nach
14
vorliegender Konzentration einen stabilisierenden oder zerstörenden
Einfluss auf die parodontale Gesundheit aus (s. Abb. 16.8). 15
Immunabwehr 16
Die Immunabwehr kann in eine unspezifische und eine spezifische Re-
aktion unterteilt werden. Bei der unspezifischen Antwort können zellu-
läre (z.B. Makrophagen) und humorale, d.h. nicht zelluläre Reaktionen
17
(z.B. Komplementsystem), unterschieden werden. Diese Unterschei-
dung gilt ebenso für die spezifische Abwehr, mit einer zellulären 18
(T-Lymphozyten) und humoralen (Antikörper) Komponente.
Das RANKL/RANK/OPG-System stellt einen wichtigen Mechanis- RANKL/RANK/ 19
mus für die Knochenremodellation dar und steuert auch den Knochen- OPG-System
umbau und -abbau im Rahmen einer Parodontitis durch Aktivierung 20
von Osteoklasten (s. Abb. 16.9).

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528 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Abb. 16.8: Einfluss der


Zytokine/Chemokine auf die paro-
parodontale parodontale dontale Gesundheit. Eine parodon-
Zerstörung Stabilität
tale Zerstörung ist mit einer hohen
Konzentration an Interleukin-1β
(IL-1β), Interferon-γ (IFN-γ), Prosta-
glandin E2 (PGE2), Tumor-Nekrose-
IL-1b, TNF-a, IFN-g, PGE2, MMPs Faktor-α (TNF-α) und Matrix-Metal-
loproteinasen (MMPs) verbunden.
Bei parodontaler Gesundheit liegen
hohe Spiegel an Interleukin-10
(IL-10), Transforming growth factor
β (TGF-β), Interleukin-1-Rezeptoran-
IL-10, TGF-b, IL-1ra, TIMPs
tagonist (IL-1ra) und Gewebeinhibi-
toren der MMPs (TIMPs) vor.

Das System beinhaltet den „receptor activator of nuclear factor-kappa


beta“ (RANK), den zugehörigen RANK-Liganden (RANKL) und Osteoprote-
gerin (OPG). RANK ist ein Rezeptor, der auf der Oberfläche von Osteoklas-
tenvorläuferzellen zu finden ist. An diesen Rezeptor kann der Ligand
RANKL binden, der u.a. von Osteoblasten und T-Lymphozyten sezerniert
wird oder an deren Oberfläche gebunden vorliegt. Durch diese
RANK/RANKL-Bindung werden die Osteoklastenreifung und damit der
Knochenabbau gefördert. Auch der lösliche Rezeptor Osteoprotegerin wird
von Osteoblasten exprimiert. OPG hat die Aufgabe, RANKL zu neutralisie-
ren und einem übermäßigen Knochenabbau entgegenzuwirken. Es konnte
gezeigt werden, dass an erkrankten Parodontien das Niveau von RANKL
höher und das von OPG niedriger war als an gesunden Parodontien.

RANKL exprimierend
• Osteoblasten
• T-Lymphozyten
• Knochenmarkstromazellen
• Tumorzellen
u.a. Knochenabbau

OPG exprimierend
• Osteoblasten
• Chondrozyten Aktivierter
• Stromazellen Osteoklast

Reife Osteoklasten
RANKL • Aktivierung
• Apoptosehemmung
OPG Osteoklasten-
Vorläufer
RANK RANKL/RANK/OPG-System

Abb. 16.9: Das RANKL/RANK/OPG-System steuert die Differenzierung von Osteoklasten-Vorläuferzellen zu


Osteoklasten. Gleichzeitig löst die Bindung von RANKL in löslicher oder zellgebundener Form an RANK eine
Aktivierung reifer Osteoklasten aus und hemmt deren Apoptose. Durch diese Prozesse wird der Knochen-
abbau gefördert. Durch Bindung von OPG an RANKL kann den durch RANKL ausgelösten Effekten entge-
gengewirkt werden.

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 529

Gefäßreaktion und unspezifische Immunabwehr


1
Eine akute Entzündung ist durch eine Erhöhung der Gefäßperme-
abilität und eine unspezifische Abwehr der Bakterien durch Leuko- 2
zyten gekennzeichnet.

Die Gefäßreaktion des unter dem Saumepithel gelegenen Gefäßplexus


3
wird durch Substanzen ausgelöst, die aus dem Blutplasma (Bradykinin,
Kallikrein, Plasminogenaktivator, Komplementfragmente, Fibrinpro- 4
dukte) stammen oder vom Gewebe bzw. von Zellen ausgeschüttet wer-
den (Histamin, Serotonin, Prostaglandine, lysosomales Material, Lym- 5
phokine).
Aufgrund der erhöhten Durchlässigkeit der Gefäße kommt es zu ei-
nem Anstieg der Sulkusflüssigkeitsfließrate und einer verstärkten
Zelluläre
Antwort:
6
Wanderung von Leukozyten, v.a. polymorphkernigen neutrophilen Phagozytose
Granulozyten (PMN-Granulozyten), durch das Saumepithel. PMN-Gra- 7
nulozyten haben die Fähigkeit, Mikroorganismen zu phagozytieren
und abzutöten bzw. zerstörte Zelltrümmer zu verdauen. Die Erkennung 8
und Aufnahme dieser Substanzen wird durch Opsonine (Antikörper,
Komplementteilchen) erleichtert, die sich an der Oberfläche der zu ver- 9
dauenden Substanzen anlagern. Die PMN-Granulozyten verfügen über
spezifische Rezeptoren zur Anbindung an diese Opsonine. Sie enthalten
in ihrem Zytoplasma Granula (Lysosomen) mit verschiedenen Enzy-
10
men und antibakteriellen Substanzen. Zur Abtötung kommen in den
PMN-Granulozyten auch Sauerstoffradikale (ROS = radical oxygen spe- 11
cies) zum Einsatz. Die Erkennung verschiedenster Moleküle bakteriellen
Ursprungs (sogenannte PAMPs: pathogenassoziierte Molekülmuster) er- 12
folgt mit Pattern-Recognition Receptors (PRR, Mustererkennungs-Re-
zeptoren), die auf der Zelloberfläche von PMN-Granulozyten vorhan- 13
den sind. Zu diesen PRR zählen auch Toll-like-Rezeptoren, durch deren
Aktivierung u.a. die Phagozytosekapazität oder die Freisetzung von Sau-
erstoffradikalen, also die Immunantwort, gefördert wird. Dies kann als
14
Beleg dafür gewertet werden, dass die angeborene Immunreaktion, ge-
folgt von der erworbenen Immunantwort, die Pathogenese der Paro- 15
dontitis vorantreibt.
Die zielgerichtete Wanderung der Granulozyten zu einem Antigen Chemotaxis 16
wird als Chemotaxis bezeichnet. Die Granulozyten können durch en-
dogene und exogene chemotaktische Faktoren angelockt werden. Exo-
gene chemotaktische Faktoren sind z.B. von Bakterien freigesetzte Pep-
17
tide; endogene chemotaktische Faktoren stammen vom Wirtsorganis-
mus selbst (z.B. Kinine, Prostaglandine, Leukotriene, Lymphokine, 18
Komplementteilchen, Fibrin- und Kollagenfragmente). Die Chemotaxis
der PMN-Granulozyten kann durch Faktoren eingeschränkt werden, die 19
von Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Prevotella melaninogenicus
und anderen gramnegativen Bakterien ausgeschüttet werden. 20

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530 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Darüber hinaus werden Defekte der Chemotaxis- bzw. Phagozytose-


fähigkeit der PMN-Granulozyten bei verschiedenen Allgemeinerkran-
kungen (Diabetes mellitus, zyklische Neutropenie, Chediak-Higashi-
Syndrom etc.) beobachtet. Dies gilt ebenso für die früh auftretenden,
rasch progredienten Parodontitisverläufe.
Humorale Das Komplementsystem (s. Abb. 16.10) ist ein wichtiger Bestandteil
Antwort: Kom- der unspezifischen, humoralen Abwehr und besteht aus einem Kom-
plementsystem plex von ca. 20 verschiedenen Proteinen, der im Serum vorliegt. Die
Proteine liegen im Serum in ihrer inaktiven Form vor. Wird das System
angestoßen, erfolgt die Aktivierung durch eine Kaskade von Protein-
interaktionen. Die einzelnen Faktoren werden bei der Aktivierung in
größere Bruchstücke (b, z.B. C3b) und kleinere Bruchstücke gespalten
(a, z.B. C3a). Zwischen- oder Endprodukte können z.B. die Gefäßperme-
abilität erhöhen, die Chemotaxis neutrophiler Granulozyten auslösen
(C3a, C5a), die Opsonisierung und Phagozytose von Bakterien erleich-
tern (C3b, C5b), die Gefäßpermeabilität durch Freisetzung von Hista-
min aus Mastzellen erhöhen (C3a, C5a), B-Lymphozyten aktivieren
(C3b) oder den lytischen Komplex mit Lyse von Erythrozyten und
gramnegativen Bakterien hervorrufen. Die klassische Kaskade besitzt
eine Latenzzeit von fünf bis sieben Tagen. Sie kann durch bestimmte

Klassischer Weg Lektinweg Alternativer Weg

Antigen-Antikörper-Komplexe Glykoproteine und


mikrobielle Zuckerbausteine

C3

Opsonierung
Phagozytose C3b C3a
Entzündung
C5 C5a

Terminaler Effektorweg

Bakteriolyse durch lytischen Komplex

Abb. 16.10: Vereinfachtes Schema der Komplementkaskade. Das Komplementsystem kann durch Antigen-
Antikörper-Komplexe (klassischer Weg), mikrobielle Bestandteile wie Endotoxine (alternativer Weg) oder
Lektine (Lektinweg) aktiviert werden. Im Verlauf der Aktivierung werden verschiedene Komplementkom-
ponenten enzymatisch in Spaltprodukte fragmentiert. Das funktionelle Zusammenwirken dieser Spaltpro-
dukte kann zur Phagozytose der Erreger führen, die Entzündungsreaktionen oder die Bakteriolyse durch
den lytischen Komplex auslösen.

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16.1 Primärer Ursachenkomplex Kapitel 16 531

Antigen-Antikörper-Komplexe oder Endotoxine gramnegativer Bakte-


rien verkürzt werden, indem direkt der Faktor C3 aktiviert wird. Durch 1
diesen alternativen Weg (Bypass-Aktivierung, Properdin-Weg) kann die
entzündliche Reaktion beschleunigt werden. 2
Spezifische Immunabwehr
Die unspezifische Abwehrreaktion ist nicht gegen alle antigenen Sub-
3
stanzen vollständig wirksam. Deshalb wird meist zusätzlich das spezifi-
sche Immunabwehrsystem aktiviert. Dieses wird, wie die unspezifische 4
Abwehr, in ein humorales und zelluläres System unterteilt. Die für die
Vorgänge beider Systeme verantwortlichen B- und T-Lymphozyten ent- 5
stammen den gleichen pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks.
Die Prägung der Vorläuferzellen zu T-Lymphozyten erfolgt im Thymus,
die Prägung zu B-Lymphozyten in der Bursa Fabricii (bei Vögeln) bzw.
6
einem bei Säugern nicht genau bekannten Bursa-Äquivalent. Nach An-
tigenkontakt reifen die Lymphozyten zu Lymphoblasten. Aus den 7
T-Lymphoblasten gehen die Zellen der zellulären Abwehr hervor. Die
Aktivität der T-Helferzellen wird durch die T-Suppressorzellen reguliert. 8
T-Helferzellen wiederum unterstützen die B-Lymphoblasten bei ihren
Aufgaben. Die B-Lymphoblasten proliferieren zu antikörperbildenden 9
Plasmazellen. Sie werden der humoralen Abwehr zugerechnet.
Die B-Lymphozyten des humoralen Systems reifen nach Antigen- Humorale
kontakt zu Plasmazellen heran, die spezifische Antikörper, d.h. Immun- Antwort: Anti-
10
globuline verschiedener Klassen, produzieren. Verschiedene Mikroorga- körperproduktion
nismen besitzen die Eigenschaft, B-Lymphozyten zur Bildung von Im- 11
munglobulinen anzuregen, die nicht spezifisch gegen das Antigen
gerichtet sind. Durch diese sogenannte polyklonale B-Lymphozyten- 12
aktivierung werden von den T-Lymphozyten Lymphokine ausgeschüt-
tet, die weitere Entzündungsreaktionen und Knochenresorptionen aus- 13
lösen können (s.u.).
Die unterschiedlichen Klassen der Immunglobuline besitzen ver-
schiedene Aufgaben. Immunglobuline der Klasse IgG heften sich an
14
Bakterien an (Opsonisierung) und erleichtern so deren Phagozytose
durch Leukozyten. Das sekretorische sIgA des Speichels hemmt die An- 15
heftung von Bakterien auf Mundhöhlenoberflächen. Bei Erstkontakt
des Wirts können sich gegen bestimmte Antigene gerichtete IgE an 16
Mastzellen oder basophile Granulozyten anheften. Beim Zweitkontakt
dieser Zellen mit dem Antigen kommt es dann zur Degranulierung der
Zellen und zur Ausschüttung von Histamin, Heparin und Leukotrienen,
17
wodurch Gefäßreaktionen hervorgerufen werden. Darüber hinaus kann
ein chemotaktischer Faktor zur Anlockung von eosinophilen Leukozy- 18
ten freigesetzt werden (ECF). Durch die Reaktion von Immunglobulinen
der Klassen IgG und IgM mit Antigenen entstehen Antigen-Antikörper- 19
Komplexe. Durch Agglutination und Präzipitation der Komplexe kön-
nen die Antigene neutralisiert werden. Antigen-Antikörper-Komplexe 20
können das Komplementsystem aktivieren.

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532 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Zelluläre Bei der zellulären Immunantwort führt der Kontakt von T-Lym-
Antwort: phozyten mit einem spezifischen Antigen zur Aktivierung der T-Lym-
T-Lymphozyten phozyten. Aktivierte T-Lymphozyten schütten Lymphokine aus, die
verschiedene Funktionen besitzen:
 Chemotaktische Anlockung, Verhinderung der Abwanderung,
Aktivierung oder Inhibition von Makrophagen
 Regulation der Antikörperproduktion von B-Lymphozyten
 Regulation der Proliferation von T-Lymphozyten
 Chemotaktische Anlockung und Verhinderung der Abwanderung
von PMK-Granulozyten
 Regulation der Fibroblastenproliferation und Kollagensynthese
 Aktivierung von Osteoklasten
 Unspezifische Zytolyse von Wirtszellen (Lymphotoxin)
 Verhinderung einer Virusvermehrung (Interferon)

T-Helferzellen unterstützen die humorale Immunantwort der B-Lym-


phozyten. Die Regulation der T-Helferzellen erfolgt über einen von T-
Suppressorzellen ausgeschütteten Faktor. Zytotoxische T-Killerzellen
können körperfremde oder virusinfizierte Zellen abtöten.

16.2 Sekundärer Ursachenkomplex

! Die Faktoren des sekundären Ursachenkomplexes können allein


keine entzündlichen Parodontopathien auslösen. Sie begünstigen
aber die Retention der Zahnplaque oder die von der Zahnplaque
verursachten Mechanismen des primären Ursachenkomplexes. Es
lassen sich lokale und systemische Faktoren unterscheiden. Die
systemischen Faktoren und Erkrankungen, die mit gingivo-paro-
dontalen Symptomen einhergehen, sind in Kapitel 18 beschrie-
ben.

Zahnstein Supra- und subgingivaler Zahnstein ist als der Versuch des Organis-
mus anzusehen, die parodontopathogenen Bakterien durch Mineralisa-
tion zu inaktivieren.

Die raue Oberfläche des Zahnsteins fördert aber gleichzeitig wieder


die Retention von Bakterien.

Zahnanatomie Das Mineralisationsgerüst erleichtert der Plaque das Vordringen in tie-


fere Zervikalabschnitte. Die Zahnanatomie kann in Form von Schmelz-
perlen bzw. -projektionen auf der Wurzeloberfläche, Einziehungen der
Zahnkronen und -wurzeln (vorzugsweise palatinal an den oberen Inzi-
sivi, mesial an den oberen ersten Prämolaren), Furkationen und rauen
Zahnoberflächen (Amelogenesis imperfecta, Schmelzsprünge, Hypopla-
sien) die Zahnreinigung erschweren.

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16.2 Sekundärer Ursachenkomplex Kapitel 16 533

Auch bestimmte Zahnstellungen, wie Zahnengstand, Kippungen Zahnstellungen


und Drehungen der Zähne, können die Selbstreinigung der Zähne ein- 1
schränken und die Zahnreinigung erschweren. Es ist umstritten, ob in
diesem Zusammenhang beobachtete prominente Wurzeln die Ausbil- 2
dung von Knochendehiszenzen und -fenestrationen begünstigen.
Ebenso ist es nicht geklärt, ob anormale Okklusionsverhältnisse allein
parodontopathogen wirksam sind. Offene kariöse Läsionen stellen ein
3
Bakterienreservoir dar und erleichtern die Plaqueretention.
Bei Mundatmung wird durch das Fehlen der antibakteriellen Wir- Mundatmung 4
kung von Sulkusflüssigkeit und Speichel (sIgA, IgE fehlen) und der Spül-
funktion des Speichels die Plaqueakkumulation v.a. an den Oberkiefer- 5
inzisivi gefördert. Ist die Mundhygiene gleichzeitig mangelhaft, wird
die Ausbildung einer entzündlichen Parodontopathie begünstigt.
Durch die Anatomie des Weichgewebes kann die Zahngesundheit Weichgewebe
6
ebenso beeinflusst werden. Frenula und Muskelbänder, die in der Gin-
giva oder in interdentalen Papillen inserieren, fördern die Trennung 7
von Gingiva und Zahn. Dadurch entstehen Nischen, welche die Plaque-
akkumulation erleichtern. Eine ausreichende Breite der keratinisierten 8
Gingiva unterstützt die Resistenz des parodontalen Halteapparates ge-
genüber mechanischen (Zähneputzen, Speisen) und mikrobiellen Ein- 9
flüssen. Hyperplasien der Gingiva sind primär entzündungsfrei. Sie stel-
len aber eine Nische für die Plaqueakkumulation dar.
Fehlerhafte konservierende und prothetische Restaurationen, wie Restaurationen
10
überhängende Kronen- und Füllungsränder, überkonturierte Zahnfor-
men, unpolierte bzw. poröse Restaurationen und Prothesenklammern, 11
die nahe des Gingivarandes verlaufen, sind Sammelstellen für Speise-
reste und bakterielle Zahnbeläge. Übergroße Approximalkontakte füh- 12
ren zu einer Verdrängung der Papille und erschweren die Interdentalhy-
giene. Bei zu schwach gestalteten Approximalkontakten kommt es zum 13
Einklemmen faseriger Nahrungsbestandteile, an die sich Bakterien anla-
gern können. An unterkonturierten Zahnformen gleiten Nahrungsbe-
standteile ab, sodass die Gingiva irritiert wird.
14
Treffen okklusale Kräfte unphysiologisch auf einen Zahn auf, Okklusale Kräfte
spricht man von einem okklusalen Trauma. Als Folge der Adaptation 15
des Zahnhalteapparates an die traumatogene Okklusion werden histolo-
gische Veränderungen des Desmodonts und der Oberfläche der Kno- 16
chenalveole (Thrombosen, Hämorrhagien, hyaline Degenerationen)
ausgelöst. Dies führt zu einer erhöhten Zahnbeweglichkeit. Röntgeno-
logisch sind eine Verbreiterung des Desmodontalspalts, eine Kribro-
17
sierung der Alveoleninnenkortikalis und trianguläre Osteolysen im
marginalen Alveolenbereich erkennbar. Nach Ausschalten der trauma- 18
togenen Okklusion kommt es zu einer Restitutio ad integrum. Das
okklusale Trauma allein kann keine entzündliche Parodontopathie aus- 19
lösen. Die Vorstellung, dass das okklusale Trauma bei einer bereits beste-
henden Entzündung die parodontale Destruktion beschleunigt, ist um- 20
stritten.

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534 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Ernährung Durch Ernährungsfehler, insbesondere häufige kariogene Zwi-


schenmahlzeiten, wird die Plaqueentstehung begünstigt. Untersuchun-
gen an experimentellen Probandengruppen, die vorübergehend aus-
schließlich eine steinzeitliche Ernährung zu sich nahmen und trotz
fehlender Mundhygiene eine Gingivitisreduktion zeigten, weisen aller-
dings auf einen Ernährungszusammenhang oraler Inflammationen hin.
Speichel Die Konsistenz, Zusammensetzung und Menge des Speichels ist von
Bedeutung für die Spülfunktion des Speichels und seine antibakterielle
Wirkung (Immunglobuline, Leukozyten).

16.3 Verhaltensbedingte und allgemeinmedizinische


Risikofaktoren für Parodontalerkrankungen

Tabakkonsum wird als der wichtigste einzelne Risikofaktor bei der


Entwicklung und Progression parodontaler Erkrankungen angese-
hen.

Rauchen Bei Rauchern werden im Vergleich zu Nichtrauchern eine vermehrte


Plaquebildung, ein gehäuftes Auftreten von Gingivitiden sowie ausge-
prägtere Verluste des Zahnhalteapparates, d.h. des klinischen Attach-
ments, beobachtet. Die Geschwindigkeit der Zerstörung korreliert dabei
mit der Dauer und Intensität der Tabakgewöhnung (sogenannte Pa-
ckungsjahre = Zahl der pro Tag gerauchten Zigarettenschachteln multi-
pliziert mit der Anzahl der Jahre des Rauchens). Raucher besitzen ein
um den Faktor 5–6 erhöhtes Risiko an einer fortgeschrittenen Parodon-
titis zu erkranken. Im Besonderen bei jüngeren Patienten bis ca. 35 Jah-
ren begründet der Nikotinkonsum einen bedeutenden Anteil (bis 50%)
der in dieser Altergruppe vorliegenden Patienten mit Parodontitis.
Mögliche Ursachen stellen die bei Rauchern vorliegende einge-
schränkte Funktion der polymorphkernigen Granulozyten (Lebens-
dauer, Phagozytose, Chemotaxis), die eingeschränkte Antikörperbil-
dung, erniedrigte Anzahl an T-Helferzellen, gesteigerte Osteoklastenak-
tivität, verringerte Osteoblastenproliferation und die verminderte
Speichelsekretion dar. Es wird zudem angenommen, dass durch die bei
Rauchern beobachtete Hyperkeratinisierung des Gingivaepithels Ab-
wehrmechanismen der Gingiva negativ beeinflusst werden. Außerdem
zeigt Nikotin eine gefäßverengende Wirkung und schädigt in höheren
Dosen Fibroblasten, sodass der Heilungsprozess nach chirurgischen und
nicht chirurgischen Parodontalbehandlungen beeinträchtigt wird. Glei-
ches gilt für den toxischen Effekt des Tabaks auf Endothelzellen, der den
Heilungsverlauf negativ beeinflusst. Bei Rauchern finden sich häufiger
parodontopathogene Keime (P. gingivalis, T. forsythia, A. actinomycetem-
comitans) als bei Nichtrauchern. Zudem ist die Menge an subgingivalem
Zahnstein bei Rauchern größer als bei Nichtrauchern.

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16.3 Verhaltensbedingte und allgemeinmedizinische Risikofaktoren für Parodontalerkrankungen Kapitel 16 535

Diagnostisch ist von Bedeutung, dass aufgrund der suppressiven


Wirkung des Rauchens eine Entzündung der Gingiva klinisch nicht di- 1
rekt bemerkt wird. Der Erfolg einer Parodontaltherapie ist bei Rauchern
zumeist deutlich schlechter als bei Nichtrauchern, auch treten häufiger 2
refraktäre, d.h. nach Therapie wiederkehrende, Parodontitiden auf. Es
ist noch nicht geklärt, ob nicht-chirurgische Parodontaltherapien bei
Personen, die mit dem Rauchen aufgehört haben, einen gleichen Erfolg
3
haben wie bei Nichtrauchern.
Der Einfluss des Rauchens auf die Ausbildung einer Gingivitis ist al- 4
lerdings nicht nachgewiesen. So führte in Experimenten der vorüberge-
hende Verzicht auf Mundhygienemaßnahmen bei Rauchern und Nicht- 5
rauchern ohne vorliegende stark erhöhte Sondierungstiefen nicht zu
Unterschieden in der Ausprägung gingivitischer Veränderungen oder
der Zusammensetzung der Plaque.
6
Diabetiker mit schlecht eingestelltem Blutzucker und einem hohen Diabetes mellitus
(über 7,0%) HbA1c-Wert haben ein deutlich (ca. 3-mal) höheres Paro- 7
dontitisrisiko als Nichtdiabetiker. Dies bedeutet, dass eine Parodontitis
bei nicht gut glykämisch eingestellten Diabetikern häufiger vorkommt, 8
stärker ausgeprägt ist, schneller voranschreitet und eine schlechtere
Therapieantwort zeigt. Glykämisch gut eingestellte Diabetiker besitzen 9
kein erhöhtes Risiko für eine Parodontitis. Es wird angenommen, dass
Endprodukte der Glykierung, sogenannte AGE (advanced glycation end
products), Entzündungszellen stimulieren, sodass die Knochendestruk-
10
tion und der Bindegewebeabbau verstärkt werden. Zusätzlich führen
AGEs zu einer verbesserten Vernetzung des Kollagens, sodass dieses Ge- 11
webe schlechter regeneriert. Bei übergewichtigen Diabetikern wird die
parodontale Destruktion zusätzlich durch Adipokine verstärkt, die bei 12
Adipositas vermehrt aus dem Fettgewebe freigesetzt werden. Adipokine
können ebenfalls Entzündungs- und Wundheilungsprozesse beeinflus- 13
sen (weitere Hinweise s. Kap. 18.2.1).
Es liegt aber ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen Parodon-
titis und Diabetes mellitus vor. Dies bedeutet, dass auch die Einstellung
14
des Diabetes von einer nicht behandelten Parodontitis beeinflusst wird
und das Risiko von diabetesassoziierten Begleiterkrankungen (z.B. 15
Nephropathie, koronare Herzerkrankung) bei Vorhandensein einer Pa-
rodontitis erhöht ist. Das Vorhandensein einer systemischen Entzün- 16
dung, zu der eine Parodontitis beitragen kann, führt zu einer Hemmung
des Insulinrezeptors, sodass der insulinabhängige Glukosetransport von
Zellen negativ beeinflusst wird. Zusätzlich können Endotoxine die Insu-
17
linresistenz erhöhen. Diese Vorgänge führen zu einer chronischen Hy-
perglykämie. Diese Mechanismen machen deutlich, warum bei Diabeti- 18
kern mit schwerer Parodontitis die Sterblichkeit aufgrund einer ischämi-
schen Herzkrankheit oder einer diabetischen Neuropathie deutlich 19
erhöht ist gegenüber parodontal gesunden oder weniger schwer er-
krankten Diabetikern. Durch eine effektive Parodontitistherapie kann 20
der Blutglukosespiegel sowie der HbA1c-Wert von Diabetikern gesenkt

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536 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

werden; dies gilt insbesondere für Typ-2-Diabetiker. Eine gute Therapie


beider Erkrankungen kann den Verlauf beider Erkrankungen gegensei-
tig sehr begünstigen.
Osteoporose Reduzierte Östrogenspiegel bei Frauen können zu Osteoporose, d.h.
lokalisierter oder universeller Verminderung von Knochengewebe, füh-
ren. Die parodontale Gewebedestruktion ist bei Frauen mit Osteoporose
höher als bei gleichaltrigen Frauen ohne dieses Krankheitsbild.
Genetische Als risikosteigernd werden auch genetische Faktoren beschrieben,
Faktoren durch die z.B. die individuelle Immunantwort eines Patienten gesteuert
wird. Schätzungen gehen davon aus, dass sich eine Parodontitis zu ca.
30–50% mit genetischen Grundlagen erklären lässt. Davon sind vor al-
lem die früh auftretenden, rasch progredienten Formen der Parodontiti-
den betroffen. Daran können Polymorphismen (Basenpaarvertau-
schungen) in Genclustern von Zytokinen (z.B. IL-1), Mediatoren und
Zellrezeptoren beteiligt sein. Bei ca. 30% der Bevölkerung wurden Poly-
morphismen in IL-1-a- und -b-Genen gefunden. Liegen diese beiden Po-
lymorphismen vor, veranlassen sie den Körper, mehr IL-1 zu produzie-
ren, wenn der Körper durch parodontogene Bakterien stimuliert oder
provoziert wird. Bei Kombination eines solchen positiven Genotyps
und starkem Nikotinabusus steigt das Parodontitisrisiko zusätzlich sehr
stark. Derzeit sind nur wenige Risikogene bekannt, die eindeutig einer
Parodontitis zugeordnet werden können. Diese DNA-Sequenzunter-
schiede haben einen Einfluss auf das Krankheitsrisiko. Es konnten Gen-
bereiche identifiziert werden, die mit einem erhöhten Risiko für ver-
schiedene Manifestationen der Parodontitis verbunden sind. Eine der
Regionen ist z.B. für die Synthese von antimikrobiellen Peptiden verant-
wortlich, die von neutrophilen Granulozyten hergestellt werden. Ein
anderer Genbereich (Siglec-5) hemmt wiederum die Aktivierung dieser
Immunzellen.
Epigenetische Faktoren werden ebenfalls als risikosteigernd für die
Ausprägung einer Parodontitis in Betracht gezogen.
Die Epigenetik gilt als Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen wie
bspw. Nahrungsmitteln und Genen. Sie bestimmt, unter welchen Um-
ständen ein Gen angeschaltet und wann es wieder stumm wird. Da-
durch kommt es z.B. bei eineiigen Zwillingen zu einer abweichenden
Genregulation, ohne dass dauerhafte Mutationen der DNA vorliegen.
Schwere Infektionserkrankungen (z.B. HIV-Infektion), Allgemeiner-
krankungen (z.B. akute Leukämien) oder chronischer Stress sind wei-
tere begleitende Faktoren, die einer Parodontalerkrankung zugrunde
liegen können (s. Kap. 18.3.1). Bei vorliegendem psychosozialem Stress
kommen Verhaltensänderungen (Ernährung, Mundhygiene, Rauchen)
sowie Änderungen in der Immunregulation als auslösende Faktoren in
Betracht. Stress fördert die Ausschüttung proinflammatorischer Zyto-
kine. Akuter Stress unterdrückt die zelluläre Immunantwort, chroni-
scher Stress wirkt noch zusätzlich auf die humorale Immunreaktion. Die
erhöhte Ausschüttung von Glukokortikoiden bewirkt langfristig eine

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16.4 Weitere allgemeinmedizinische Bedeutungen parodontaler Erkrankungen Kapitel 16 537

Adaptation von immunsuppressiven Reaktionen und damit ein Persis-


tieren der Entzündung. Die Erhöhung von Stressmarkern wie Cortisol 1
und Beta-Endorphin wird mit parodontalem Gewebeabbau assoziiert.
Der stressbedingt erhöhte Cortisolspiegel hat auch einen Einfluss auf 2
die Zusammensetzung und Diversität des oralen Mikrobioms.
In weiteren Untersuchungen konnte eine Assoziation zwischen Fett- Fettleibigkeit
leibigkeit (Adipositas) und dem Auftreten von Parodontitis beobachtet
3
werden. Auch zeigen Patienten mit Adipositas ein schlechteres Anspre-
chen auf nichtchirurgische Parodontaltherapien. Die genauen Zusam- 4
menhänge dieses gemeinsamen Auftretens sind aber noch nicht geklärt;
erörtert werden die oben genannten entzündungsfördernden Adipo- 5
kine als auslösender Faktor. Diskutiert werden auch Faktoren wie Stress,
Insulinresistenz, relativer Mangel an bestimmten Ernährungskompo-
nenten (z.B. Kalzium) oder das Vorliegen von Diabetes mellitus, die bei
6
Übergewichtigen gehäuft auftreten können.
Im Zusammenhang mit der weltweiten COVID-19-Pandemie wurde 7
beobachtet, dass COVID-19-Patienten mit vorliegender Parodontitis ein
höheres Risiko für einen schweren (tödlichen) Verlauf haben als paro- 8
dontal gesunde COVID-19-Patienten. Dies wird unter anderem mit der
generell erhöhten Entzündungsbereitschaft von Parodontitispatienten 9
begründet, bei denen die Infektion mit dem COVID-19-Virus zu einem
sog. Zytokinsturm mit überschießender Immunreaktion führt.
10
16.4 Weitere allgemeinmedizinische Bedeutungen 11
parodontaler Erkrankungen
12
! Die mögliche Gesamtgröße der Wundfläche (Tascheninnenseite)
in einem Gebiss bei Vorliegen einer Parodontitis wird auf ca.
5–15 cm2 geschätzt, sodass systemische Implikationen nicht aus-
13
geschlossen werden können.
14
So gibt es Hinweise, dass kardiovaskuläre Erkrankungen, z.B. Apoplex Kardovaskuläre
und koronare Herzerkrankungen, in einem Zusammenhang zu chroni- Erkrankungen 15
schen Infektionen stehen. Die Hauptursache für kardiovaskuläre Er-
krankungen ist die Atherosklerose, die auf dem Boden eines verletzten 16
Endothels entsteht. Die Endothelschädigung kann u.a. von im Blut zir-
kulierenden parodontalpathogenen Mikroorganismen verursacht wer-
den. Diese Keime sind auch in der Lage, die Bildung von Autoantikör-
17
pern gegen Endothelzellen zu aktivieren. Auch wird verstärkt diskutiert,
dass eine Parodontitis über Mediatoren zu einer systemischen Entzün- 18
dung beiträgt, die das Risiko für das Entstehen einer Atherosklerose und
einer nachlassenden Elastizität von Arterien erhöht. Ferner konnte in 19
arteriosklerotischen Veränderungen und Gefäßablagerungen (Plaques)
die DNA parodontopathogener Mikroorganismen (A. actinomycetemco- 20
mitans, P. gingivalis, P. intermedia) nachgewiesen werden.

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538 16 Ätiologie entzündlicher Parodontopathien

Durch eine Parodontitistherapie kann die Endothelfunktion verbes-


sert werden. Es ist aber nicht geklärt, ob eine Parodontitistherapie auch
zu Verbesserungen führt, wenn eine fortgeschrittene Atherosklerose
oder eine kardiovaskuläre Erkrankung bereits manifest ist.

Untergewichtige Parodontale Erkrankungen der werdenden Mutter werden als Risi-


Frühgeburten kofaktor für die verfrühte Geburt eines untergewichtigen Neugebo-
renen (< 2500 g) angesehen.

Mediatoren, wie Prostaglandin-E2 oder Tumor-Nekrose-Faktor-α


(TNF-α), die am Ablauf der Geburt beteiligt sind, können bei Vorliegen
einer Infektion des Parodonts erhöht sein und das vorzeitige Auslösen
von Wehen begünstigen. Entzündungsmediatoren und parodontalpa-
thogene Keime können ins Fruchtwasser gelangen und dort zu Wachs-
tumseinschränkungen des Fetus führen.
Rheumatoide Es wird auch ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen Parodon-
Arthritis titis und rheumatoider Arthritis beschrieben. Die rheumatoide Arthri-
tis wird durch eine systemische Entzündung und Knochenverlust cha-
rakterisiert. Auch hier beeinflusst die Behandlung der einen Erkrankung
die andere Erkrankung positiv.
Chronisch Parodontitis wird auch als Risikofaktor für chronisch obstruktive
obstruktive Lungenerkrankungen, Osteoporose und eine Erhöhung des Brust-
Lungen- krebsrisikos diskutiert. Allerdings haben Parodontitis und manche der
erkrankung oben genannten Erkrankungen z.T. gemeinsame pathogenetische Fak-
toren, sodass die ursächlichen Einflüsse in Studien nicht immer eindeu-
tig zugeordnet werden konnten.
Inflammaging Chronische Entzündungen wie eine Parodontitis oder Periimplanti-
tis führen zu einem aus dem Gleichgewicht geratenen Zytokin- und Im-
munhaushalt. Viele der damit verbundenen Prozesse lassen den Orga-
nismus entzündungsbedingt vorzeitig altern. Man spricht von einem
sogenannten Inflammaging. Klinische Folgen des Inflammaging sind
eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte und Malignome sowie ein ver-
mehrtes Auftreten von Autoimmunerkrankungen. Es wird verstärkt dis-
kutiert, dass persistierende parodontale und periimplantäre Entzündun-
gen zum Inflammaging und damit zu einer geringeren Lebenserwartung
beitragen können.
Neue Untersuchungen legen nahe, dass insbesondere der paropa-
thogene Keim Porphyromonas gingivalis an der Entstehung der Alzhei-
mer-Demenz beteiligt sein könnte. Vom Bakterium ausgeschüttete Pro-
teasen, die Gingipaine, wirken neurotoxisch und könnten im Gehirn
eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Alzheimer-Demenz spielen.

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Kapitel 17 539

17 Epidemiologie entzündlicher
Parodontopathien 1
2
3
4
! In epidemiologischen Studien erfolgt die objektive Erfassung der
Mundgesundheit und der Plaque- und Zahnsteinausdehnung
mithilfe von Indizes. Neben der Verwendung in epidemiologi- 5
schen Studien dienen Indizes der Beurteilung der Mundgesund-
heit einzelner Personen und der Kontrolle von Therapieerfolgen.
6
Der Zahnarzt kann dem Patienten mithilfe der Indizes demonstrieren,
in welchen Bereichen der Mundhöhle Entzündungen vorliegen und die 7
Mundhygiene verbessert werden muss. Er kann darüber hinaus die Mit-
arbeit des Patienten im Behandlungsverlauf abschätzen. An einen guten 8
Index und an verlässliche diagnostische Maßnahmen werden be-
stimmte Anforderungen gestellt: 9
 Quantitative (evtl. qualitative) Aussagen
 Hohe Sensitivität und Spezifität
 Hoher positiver/negativer Vorhersagewert
10
 Einfachheit und Reproduzierbarkeit
 Rasche, praktische Anwendung und Ausrechnung (insbesondere in 11
der zahnärztlichen Praxis)
 Einfache Handhabung, auch durch nicht speziell geschulte Zahn- 12
ärzte bzw. geschultes zahnmedizinisches Fachpersonal
13
Die Indizes werden üblicherweise an allen Zähnen eines Gebisses erho-
ben. In Ausnahmefällen kann die Untersuchung auch nur an den sog.
Ramfjord-Zähnen erfolgen. Die Ramfjord-Zähne (16, 21, 24, 36, 41, 44)
14
werden als repräsentativ für das gesamte Gebiss angesehen.
Der jeweilige Index für den einzelnen Patienten wird meistens er- 15
rechnet, indem die Summe der Messwerte oder Ja-/Nein-Entscheidun-
gen durch die Anzahl der Messorte dividiert wird. 16
Formel:
Summe der Messwerte
Index =
Summe der Messorte
17
18
17.1 Plaque-Indizes
19
Neben den nachfolgend beschriebenen Indizes werden auch gravime-
trische Verfahren (Bestimmung des Gewichts der vorliegenden Plaque) 20

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540 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

und planimetrische Verfahren (Bestimmung der plaquebedeckten


Zahnflächen mithilfe von Fotografien) angewendet.
Zur Sichtbarmachung der Zahnplaque werden häufig Plaquefärbe-
mittel (Revelatoren) herangezogen. Sie werden in Form von Lösungen
und Kautabletten angewendet. Nach der Anfärbung werden sie vom Pa-
tienten gründlich ausgespült. Die angefärbten Plaqueareale werden an-
schließend beurteilt. Plaquerevelatoren sind Lebensmittelfarbstoffe
(Erythrosin, Patentblau V) oder fluoreszierende Farbstoffe, die sich kurz-
zeitig in die Plaque einlagern. Durch Erythrosin wird junge Plaque rot,
durch Patentblau V ältere, reife Plaque blau angefärbt.

17.1.1 Modifizierter Plaque-Index nach Quigley und Hein

! Der Plaque-Index nach Quigley und Hein (QHI) wird heute meist
in der von Turesky und Mitarbeitern modifizierten Form ange-
wendet. Er bewertet den Plaquebefall der koronalen Zahnober-
flächen. Die approximale und sulkuläre Plaque wird nur unzurei-
chend beurteilt.

Bewertung Vor der Erhebung werden die vestibulären und lingualen Oberflächen
aller Zähne mit Plaquerevelatoren eingefärbt.
Folgende sechs Schweregrade werden unterschieden (s. Abb. 17.1):
 Grad 0: keine Plaque
 Grad 1: vereinzelte Plaqueinseln
 Grad 2: deutliche, zusammenhängende, bis zu 1 mm breite Plaque-
linie am Gingivarand
 Grad 3: Plaqueausdehnung im zervikalen Zahndrittel
 Grad 4: Plaqueausdehnung bis ins mittlere Zahndrittel
 Grad 5: Plaqueausdehnung bis ins koronale Zahndrittel

Abb. 17.1: Bewertungsgrade


(0–5) des Plaque-Index nach
Quigley und Hein (QHI)

Grad 0 1 2 3 4 5

17.1.2 Modifizierter Navy-Plaque-Index nach Rustogi et al.

! Der nach Rustogi et al. modifizierte Navy-Plaque-Index (RMNPI)


ist ein sehr differenzierter Index, mit dem das Reinigungsverhal-
ten bei Mundhygienemaßnahmen beurteilt werden kann. Er be-
wertet den Plaquebefall der gesamten bukkalen und lingualen
Zahnoberflächen einschließlich der approximalen und sulkulären
Plaque.

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17.1 Plaque-Indizes Kapitel 17 541

Abb. 17.2: Zu bewer-


tende Bereiche beim
modifizierten Navy- 1
Plaque-Index nach
Rustogi et al. (RMNPI).
Gesamter Mund: Berei-
Approximaler
Bereich
Approximaler
Bereich
2
che A, B, C, D, E, F, G, H
und I. Marginal (Gingi-
vasaum): A, B und C. 3
Approximal: D und F

4
Gingiva-
saum
Gingiva-
saum
5

Vor der Erhebung werden die vestibulären und lingualen Oberflächen Bewertung
6
aller Zähne mit Plaquerevelatoren eingefärbt. Plaque wird in jedem der
neun Zahnbereiche als vorhanden (bewertet als 1) oder nicht vorhan- 7
den (bewertet als 0), sowohl für bukkale als auch für linguale Oberflä-
chen, aufgezeichnet (s. Abb. 17.2). Zur weiteren Auswertung können die 8
Plaqueansammlungen für den gesamten Mund, die lingualen oder buk-
kalen Oberflächen sowie die marginalen und approximalen Bereiche ge- 9
trennt ausgewertet werden. Die Bewertungen werden oft an standardi-
sierten fotografischen Aufnahmen vorgenommen.
10
17.1.3 Plaque-Index (PI) nach Silness und Löe 11
12
! Der Plaque-Index nach Silness und Löe bewertet den Plaquebefall
und die Plaquedicke im Zahnhalsbereich unter Berücksichtigung
des Sulkus, der Zahnoberfläche und des Gingivarandes. 13
Die Untersuchung erfolgt mit Spiegel und Sonde an allen zuvor sorgfäl-
tig getrockneten Zahnflächen, ohne dass die Plaque angefärbt wird.
14
Es werden folgende vier Schweregrade unterschieden: Bewertung
 Grad 0: keine Plaque durch Inspektion und Sondierung zu erkennen 15
 Grad 1: nicht sichtbarer, dünner Plaquefilm, der nur durch Abscha-
ben mit der Sonde zu erkennen ist 16
 Grad 2: mäßige Plaqueablagerung, die mit bloßem Auge zu erken-
nen ist; die Plaque füllt den Interdentalraum nicht aus
 Grad 3: dicke Plaqueablagerung, die den Interdentalraum ausfüllt
17
18
17.1.4 Modifizierter Plaque-Index (PI) nach Mombelli
19
! Der modifizierte Plaque-Index nach Mombelli bewertet die
Plaqueakkumulation um Implantate. Die Plaque wird vorher
nicht angefärbt.
20

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542 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

Bewertung Es werden folgende vier Schweregrade unterschieden:


 Grad 0: keine Plaque durch Inspektion und Sondierung zu erkennen
 Grad 1: Ansammlung von Plaque, die nur durch das Sondieren im
Sulkus mit einer Sonde, aber nicht mit dem Auge sichtbar
ist
 Grad 2: sichtbare Plaqueablagerung
 Grad 3: massive Plaqueablagerung

17.1.5 Modifizierter Approximalraum-Plaque-Index (API)


nach Lange et al.

! Nach Anfärben der Plaque wird beurteilt (Ja-/Nein-Entscheidung),


ob im Approximalraum Plaque vorhanden ist. Die Beurteilung der
Approximalraumplaque erfolgt beim API im ersten und dritten
Quadranten oral und im zweiten und vierten Quadranten vesti-
bulär. Der Index wird in Prozent angegeben.

Die Beseitigung der Plaque im Approximalraum erfordert vom Patien-


ten eine besonders gründliche Mundhygiene. Deshalb kann durch die
Kontrolle der Approximalraumplaque die Mitarbeit des Patienten gut
abgeschätzt werden.
Formel:
positive Plaquemessungen × 100
API =
Summe der Approximalraum-Messpunkte

Bewertung Der API wird folgendermaßen eingeteilt:


 API < 25% entspricht einer optimalen Mundhygiene
 API 25–39% entspricht einer guten Mundhygiene
 API 40–69% entspricht einer mäßigen Mundhygiene
 API 70–100% entspricht einer unzureichenden Mundhygiene

Im Rahmen einer Parodontalbehandlung wird ein API von 35% und we-
niger als Ausdruck einer guten Mitarbeit des Patienten gewertet.

17.1.6 Plaque-Formations-Rate-Index (PFRI) nach Axelsson

! Der PFR-Index dient der quantitativen Erfassung der Bedingungen


zur Plaqueentstehung. Er erlaubt zusammen mit anderen Tests (s.
Kap. 17.2) eine Einschätzung des individuellen Kariesrisikos.

Die Plaqueneubildungsrate ist abhängig von:


 Gesamtzahl der Bakterien in der Mundhöhle
 Zusammensetzung der oralen Mikroflora
 Menge und Häufigkeit der Aufnahme fermentierbarer Kohlenhydrate

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17.1 Plaque-Indizes Kapitel 17 543

 Speichelfließrate und Speichelzusammensetzung


 Verwendung fluoridhaltiger Kariostatika 1
 Anatomie und Oberflächenbeschaffenheit der Zähne und Restaura-
tionen 2
Beim PFRI wird die Plaquebildungsrate 24 h nach einer professionellen Vorgehen
Zahnreinigung an sechs definierten Messstellen jedes Zahnes bestimmt.
3
Die Plaque wird angefärbt und mesio-bukkal, mesio-lingual, bukkal, lin-
gual, disto-bukkal und disto-lingual erfasst. Der Index wird in Prozent 4
angegeben.
Formel: 5
positive Plaquemessungen × 100
PRFI =
Zahnzahl × 6
6
Der PFRI wird folgendermaßen eingeteilt: Bewertung
 Grad 1: PFRI < 10% 7
 Grad 2: PFRI 11–20%
 Grad 3: PFRI 21–30% 8
 Grad 4: PFRI 31–40%
 Grad 5: PFRI > 40% 9
Ein Vorliegen von Grad 3, 4 oder 5 weist auf ein erhöhtes Kariesrisiko
hin. Eine sichere Beurteilung des Kariesrisikos erfolgt als eine Kombina-
10
tionswertung aus weiteren Tests und Parametern:
 Speichelsekretionsrate 11
 Anzahl von Streptococcus mutans und Laktobazillen im Speichel
 Mundhygienegewohnheiten 12
 Pufferkapazität des Speichels
 Häufiger Konsum kariogener Süßwaren
13
 Anzahl gefüllter Zahnflächen (vor allem im Frontzahngebiet)
 Prävalenz und Inzidenz kariöser Zahnflächen
 Fluoridanamnese
14
15
17.1.7 Plaque-Control-Record-Index (PCR) nach O’Leary et al.
(auch simplifizierter Plaque-Index: PI-S) 16

! Der PCR-Index stellt eine einfache, dichotome Ja-/Nein-Bewer-


tung des Vorhandenseins von Plaque dar. Er wird häufig gemein-
sam mit dem Gingiva-Blutungs-Index nach Ainamo & Bay in der
17
zahnärztlichen Routinepraxis eingesetzt. 18
Beim PCR-Index wird nach Anfärben mit einem Revelator die Plaque in Vorgehen 19
der dentogingivalen Region an vier (mesial, bukkal, distal und oral) oder
an sechs (mesio-bukkal, bukkal, disto-bukkal, mesio-oral, oral und 20
disto-oral) Stellen jedes Zahnes erhoben. Der Anteil der Flächen mit an-

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544 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

gefärbter Plaque wird prozentual zur Gesamtzahl aller bewerteten Zahn-


flächen angegeben.
Formel:
positive Plaquemessungen × 100
PCR =
Zahnzahl × 6

17.2 Gingiva-Indizes bzw. Entzündungs-Indizes

! Gingiva-Indizes dienen der Beurteilung des Entzündungsgrades


der Gingiva.

Man geht davon aus, dass der Entzündungsgrad der Gingiva neben
dem Auftreten von ödematösen Schwellungen und Rötungen vor allem
mit der Blutungsneigung der Gingiva nach stumpfem Sondieren mit
einer Parodontalsonde korreliert.
Bei gleichzeitiger Erhebung eines Plaque-Index kann der Zahnarzt
überprüfen, ob der Patient dauerhaft eine gute Mundhygiene betreibt
oder ob er nur vor dem jeweiligen Zahnarztbesuch seine Zähne gründ-
lich reinigt. Das ist der Fall, wenn ein hoher Entzündungsgrad der Gin-
giva bei einem niedrigen Plaque-Index vorliegt.

17.2.1 Bleeding on Probing (Bluten nach Sondierung)

Die Überprüfung der Neigung des Parodonts zur Blutung bei vorsichti-
ger Sondierung stellt keinen Index im eigentlichen Sinne dar, wird aber
in der klinischen Situation häufig zur Einschätzung der parodontalen
Gesundheit verwendet. Wenn es bei vorsichtiger Sondierung des api-
kalsten Teils des gingivalen Sulkus oder der parodontalen Tasche mit
einer Kraft von 0,25 N nach Entfernung der Sonde zu einer Blutung
kommt, wird diese Zahnfläche als Bleeding-on-Probing-(BoP-)positiv
gewertet. Die Blutung wird als Zeichen einer vorliegenden Entzündung
sowie des Vorhandenseins subgingivaler Beläge interpretiert.

17.2.2 Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Mühlemann und Son

! Die Beurteilung erfolgt ca. 30 s nach schonendem Ausstreichen


des Sulkus mit einer Parodontalsonde.

Bewertung Folgende Entzündungsgrade werden unterschieden:


 Grad 0: normal aussehende Gingiva, keine Blutung bei Sondierung
 Grad 1: normal aussehende Gingiva, Blutung bei Sondierung
 Grad 2: entzündliche Farbveränderung der Gingiva, Blutung bei
Sondierung

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17.2 Gingiva-Indizes bzw. Entzündungs-Indizes Kapitel 17 545

 Grad 3: wie Grad 2, zusätzlich leichte ödematöse Gingivaschwellung


 Grad 4: wie Grad 3, zusätzlich schwere entzündliche Gingivaschwel- 1
lung
 Grad 5: wie Grad 4, zusätzlich spontane Blutungen und evtl. Ulzera- 2
tionen der Gingiva

3
17.2.3 Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Lange
4
! Es wird nur das Vorhandensein einer Blutung nach vorsichtigem
Ausstreichen des Sulkus in Form einer Ja-/Nein-Entscheidung be-
wertet. Die Abschätzung von Therapieerfolgen ist deshalb nur sehr
5
grob möglich. Die Erhebung erfolgt im ersten und dritten Qua-
dranten vestibulär und im zweiten und vierten Quadranten oral.
6
Der modifizierte SBI wird in Prozent angegeben (Anzahl der Stellen
mit Blutung dividiert durch die Anzahl der gemessenen Stellen). 7
Die Beurteilung kann in der Praxis mit dem API kombiniert vorgenom- 8
men werden.
9
17.2.4 Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Mombelli
10
! Dieser Index dient als klinisch-diagnostischer Index zur Beurtei-
lung von Entzündungen bei Implantaten. 11
Folgende Bewertungen werden unterschieden: Bewertung 12
 Grad 0: keine Blutung auf Sondierung
 Grad 1: isolierte sichtbare Blutung auf Sondierung
13
 Grad 2: linienförmige sichtbare Blutung auf Sondierung im Sulkus-
bereich
 Grad 3: starke Blutung auf Sondierung
14
15
17.2.5 Papillen-Blutungs-Index (PBI) nach Saxer und Mühlemann
16
! Beim PBI wird lediglich das Auftreten einer Blutung im Papillen-
bereich nach vorsichtigem Ausstreichen des Sulkus mit einer
stumpfen Parodontalsonde im Papillenbereich beurteilt. Die Son-
17
dierung erfolgt – wie beim API – im ersten und dritten Quadran-
ten oral und im zweiten und vierten Quadranten vestibulär. In je- 18
der Sitzung wird die Summe der Bewertungen für jeden Quadran-
ten getrennt und für das Gesamtgebiss notiert. 19
Unter relativer Trockenlegung wird der Sulkus von der Papillenbasis Vorgehen 20
ausgehend bis zur Papillenspitze vorsichtig ausgestrichen. Dabei wird

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546 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

Abb. 17.3: Bewertungsgrade


(0–4) des Papillen-Blu-
tungs-Index (PBI)

Grad 0 1 2 3 4

die Sonde in einem Winkel von 45° (nicht parallel!) zur Zahnachse
schräg in den Sulkus geführt. Die Blutung wird nach ca. 20 s beurteilt.
Mithilfe des PBI kann der Verlauf einer entzündlichen Parodon-
talerkrankung auf einfache Weise kontrolliert werden.
Bewertung Folgende Bewertungen werden unterschieden (s. Abb. 17.3):
 Grad 0: keine Blutung
 Grad 1: Auftreten eines Blutungspunktes
 Grad 2: Auftreten mehrerer Blutungspunkte oder einer Blutlinie
 Grad 3: Ausfüllen des interdentalen Dreiecks mit Blut
 Grad 4: profuse Blutung nach der Sondierung; Blut fließt über den
Zahn oder die Gingiva

17.2.6 Gingiva-Blutungs-Index (GBI) nach Ainamo & Bay


(auch simplifizierter Gingiva-Index: GI-S)

! Der GBI-Index stellt eine Ja-/Nein-Bewertung des Vorhandenseins


einer Blutung der Gingiva dar. Er wird häufig gemeinsam mit dem
PCR nach O‘Leary et al. eingesetzt.

Vorgehen Beim GBI wird mit dem stumpfen Ende einer Parodontalsonde der Sul-
kus ausgestrichen und nach ungefähr 10 Sekunden überprüft, ob eine
Blutung ausgelöst werden konnte oder nicht. Die Bewertung erfolgt an
vier (mesial, bukkal, distal und oral) oder sechs (mesio-bukkal, bukkal,
disto-bukkal, mesio-oral, oral und disto-oral) Stellen jedes Zahnes. Der
Anteil der Flächen mit Blutung wird prozentual zur Gesamtzahl aller be-
werteten Zahnflächen angegeben.
Formel:
Stellen mit Blutung × 100
GBI =
Zahnzahl × 6

17.2.7 Parodontaler Screening-Index (PSI)

! Mithilfe des PSI kann bei jedem Patienten unabhängig vom Le-
bensalter eine eventuelle parodontale Behandlungsbedürftig-
keit festgestellt werden. Der Index sollte Bestandteil jeder Basis-
untersuchung sein.

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17.2 Gingiva-Indizes bzw. Entzündungs-Indizes Kapitel 17 547

Abb. 17.4: WHO-Sonde: Das


kugelförmige Ende eignet
sich zur Diagnostik von 1
überhängenden Restaurati-
onsrändern sowie zum Er-
tasten von Konkrementen. 2
3
11,5 mm

8,5 mm 4
5,5 mm 5
3,5 mm
6
0,5 mm

7
Das Indexsystem kann zur Früherkennung und in der unterstützen-
den Nachsorge der Patienten eingesetzt werden. Er ist eine Weiterent- 8
wicklung des Community Periodontal Index of Treatment Needs
(CPITN). Im Gegensatz zu diesem wird bei Erwachsenen der PSI an allen 9
Zähnen ermittelt. Bei Kindern und Jugendlichen beschränkt sich die
Untersuchung auf die Inzisivi (11, 31) und die ersten Molaren. Die Mes-
sung erfolgt mit der WHO-Sonde, deren Spitze aus einer kleinen Kugel
10
(0,5 mm Durchmesser) besteht und die im Bereich von 3,5–5,5 mm Son-
dierungstiefe schwarz markiert ist (s. Abb. 17.4). 11
Zur Erhebung wird das Gebiss des Erwachsenen in Sextanten einge- Vorgehen und
teilt, die jeweils getrennt untersucht werden. Jeweils die beiden Molaren Bewertung 12
und Prämolaren bilden einen Seitenzahnsextanten, die Frontzähne ei-
nen weiteren Sextanten. Innerhalb jedes Quadranten werden alle Zähne 13
an sechs Stellen (mesio-bukkal, bukkal, disto-bukkal, mesio-lingual, lin-
gual, disto-lingual) sondiert und der höchste Codewert (0–4) des Sextan-
ten in einer Sechsfeldertafel notiert (s. Abb. 17.5). Wird an einer Stelle
14
Grad 0 Grad 1 Grad 2 Grad 3 Grad 4 15
16
17
18
19

Abb. 17.5: Bewertungsgrade (Code 0–4) des parodontalen Screening-Index (PSI), Graduierung s. Tab. 17.1
20

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548 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

Tab. 17.1: Definition des Codes des parodontalen Screening-Index (PSI) mit
dem zugehörigen Befund, dem Hinweis auf die vorliegende Erkrankung und
der jeweiligen Therapiekonsequenz
PSI-Code Befund Therapiekonsequenz
0 Das schwarze Band der Sonde bleibt am tiefs- Keine therapeutischen
ten Sulkus des Sextanten vollständig sichtbar. Interventionen
Kein Zahnstein, notwendig.
keine defekten Restaurationsränder. Erneute Kontrolle
Gingivagewebe ist gesund, keine Blutung nach 0,5 Jahren1.
nach vorsichtiger Sondierung.
→ Gesunde Parodontalverhältnisse
1 Das schwarze Band der Sonde bleibt an der Keine zusätzlichen
höchsten Sondierungstiefe des Sextanten diagnostischen
vollständig sichtbar. Maßnahmen
Kein Zahnstein, notwendig.
keine defekten Restaurationsränder Motivation zur effi-
Blutung nach vorsichtiger Sondierung zienten Mundhygiene.
→ Gingivitis Erneute Kontrolle
nach 0,5 Jahren1.
2 Das schwarze Band der Sonde bleibt an der Wie bei Code 1.
höchsten Sondierungstiefe des Sextanten Zusätzlich
vollständig sichtbar. subgingivale
Supra- und subgingivale Beläge Zahnsteinentfernung
oder defekte Restaurationsränder. und Entfernung
→ Gingivitis iatrogener/lokaler
Reizfaktoren.
Erneute Kontrolle
nach 0,5 Jahren1.
3 Das schwarze Band der Sonde ist an der Systematische Paro-
höchsten Sondierungstiefe des Sextanten dontalbehandlung mit
zum Teil sichtbar. ausführlicher
→ Mittelschwere bis schwere Parodontitis Diagnostik und
4 Das schwarze Band der Sonde verschwindet Therapie.
vollständig (Sondierungstiefe > 5,5 mm).
→ Mittelschwere bis schwere Parodontitis
* Codezahl wird mit Sternchen versehen z.B. bei Furkationsbefall,
Zahnlockerung, mukogingivalen Problemen sowie bei Rezessionen,
die den schwarz eingefärbten Bereich der Sonde oder mehr erreichen.
X Zahnloser Sextant
1 In Deutschland ist der PSI gemäß Gebührenordnung (BEMA) nur alle 2 Jahre abrech-
nungsfähig.

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17.3 Fallklassifikationen nach CDC/AAP Kapitel 17 549

der Codewert 4 ermittelt, so kann direkt zum nächsten Sextanten über-


gegangen werden. Zusätzlich sollte der entsprechenden Codezahl ein 1
Sternchen beigefügt werden, falls weiter klinische Auffälligkeiten (z.B.
Furkationsbefall) festgestellt werden. Zahnlose Sextanten oder Sextan- 2
ten mit weniger als zwei Zähnen werden im PSI-Schema mit einem X
versehen und nicht in die Gesamtbeurteilung mit einbezogen. Den ent-
sprechenden Codewerten sind individuelle Therapieempfehlungen zu-
3
geordnet (s. Tab. 17.1). Die höchste Bewertungszahl aller Sextanten be-
stimmt den Behandlungsbedarf des gesamten Gebisses. 4
5
17.2.8 Zahnstein-Index
6
! Der VM-Index nach Volpe und Manhold (s. Abb. 17.6) wurde ent-
wickelt, um in longitudinalen Studien die Menge an supragingi-
valem Zahnstein zu bestimmen. Dabei wird der Zahnstein an 7
den lingualen Flächen der Unterkieferfrontzähne für jeden Zahn
in Millimetern an drei Messstellen ermittelt und zu einem Wert 8
für jeden Zahn summiert.
9
Die Summe der Einzelzahnmesswerte, dividiert durch die Anzahl der
Zähne, ergibt den VM-Index.
Formel:
10
Summe Einzelzahnmesswerte
VM =
Anzahl Zähne 11
Abb. 17.6: Zur Bestimmung
des VM-Index wird die brei- a
b b
a 12
teste mediane (a) und late-
rale (b und c) Ausdehnung
des Zahnsteins in Millime- c c 13
tern gemessen.

14
15
17.3 Fallklassifikationen nach CDC/AAP
16
! Fallklassifikationen beruhen auf verschiedenen klinischen Parame-
tern und vermitteln eine Einordnung im Hinblick auf die Schwere
einer Erkrankung. In der Parodontologie stellen sich aufgrund ei-
17
ner Empfehlung der amerikanischen Centers for Disease Control
and Prevention (CDC) und der American Academy of Periodonto- 18
logy (AAP) drei Falldefinitionen dar: 1) schwere Parodontitis, 2)
moderate Parodontitis und 3) keine oder milde Parodontitis. 19
20

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550 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

 Schwere Parodontitis: klinischer Attachmentverlust von > 6 mm bei


mindestens 2 approximalen Stellen an unterschiedlichen Zähnen
und mindestens 1 Stelle mit Sondierungstiefe > 5 mm
 Moderate Parodontitis: klinischer Attachmentverlust von > 4 mm bei
mindestens 2 approximalen Stellen an unterschiedlichen Zähnen
oder mindestens 2 Stellen mit Sondierungstiefe > 5 mm
 Keine oder milde Parodontitis: alle sonstigen Fälle

17.4 Bestimmung der Sulkusflüssigkeits-Fließrate


(SFFR; sulcus fluid flow rate)

! Die Sulkusflüssigkeit ist ein entzündliches Exsudat, dessen Auftre-


ten mit dem Entzündungsgrad des Parodonts korreliert.

Vorgehen Zur Messung der SFFR werden genormte Filterpapierstreifen ca. 30 s an den
Eingang des Sulkus bzw. der Zahnfleischtasche gelegt. Die Streifen kom-
men anschließend in eine 0,2%ige Ninhydrin-Lösung. Die durch das Nin-
hydrin blau gefärbte Strecke des Streifens wird mit einer Messlupe ausge-
messen und bewertet. Sie beträgt bei einer histologisch gesunden Gingiva
0 mm, bei einer klinisch entzündungsfreien Gingiva 3 mm. Werte über
3 mm sind Ausdruck einer gingivalen oder parodontalen Entzündung.
Digitale Die Bestimmung der SFFR kann auch mit einer digitalen Messstation
Messstation vorgenommen werden, welche die absorbierte Flüssigkeitsmenge volu-
metrisch erfasst. Dabei entfällt die umständliche Anfärbung mit Ninhy-
drin-Lösung, sodass das Verfahren in der zahnärztlichen Praxis zur Ver-
laufskontrolle parodontaler Erkrankungen gut eingesetzt werden kann.

17.5 Epidemiologische Daten zum Auftreten


parodontaler Entzündungen

Zahlreiche epidemiologische Untersuchungen zur Prävalenz entzündli-


cher Parodontopathien sind in verschiedenen Ländern durchgeführt
worden. Die dabei gefundenen unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich
teilweise durch voneinander abweichende Kriterien bei der Befunderhe-
bung erklären. Darüber hinaus war die Auswahl der untersuchten Perso-
nen in den verschiedenen Studien nicht einheitlich.
In der Mehrzahl der Studien allerdings stellt sich die Altersvertei-
lung der Parodontitis wie in der Abbildung 17.7 dar. Gesamthaft ma-
chen schwere Parodontitiden gemäß einer weltweiten Analyse nach
Korrektur des Alterseinflusses einen Anteil von ca. 11% aus. Die Inzi-
denz nach Korrektur des Alterseinflusses beträgt ca. 700 neu diagnosti-
zierte Fälle pro 100 000 Personen pro Jahr. (s. Abb. 17.7a und b).
Schwere Parodontitiden stellen damit weltweit die sechsthäufigste Er-
krankung dar. Hinsichtlich der Gingivitisprävalenz zeigt sich eine Zu-

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17.5 Epidemiologische Daten zum Auftreten parodontaler Entzündungen Kapitel 17 551

nahme bis zum 13. Lebensjahr, sodass bei ca. 50–80% der Kinder dieses
Alters eine Gingivitis beobachtet werden kann. Mit fortschreitendem 1
Alter tritt eine Abnahme der Gingivitisprävalenz ein, die aber in neue-
ren Studien nicht immer beobachtet werden konnte. Gleichzeitig 2
kommt es zu einer Zunahme der Parodontitisprävalenz. Studien aus den
USA aus dem Jahr 2013 konnten bei den über 30-Jährigen eine Parodon-
titisprävalenz von 40–60% nachweisen. Mit zunehmendem Alter stieg
3
der Anteil auf bis 70–80% bei den 80-Jährigen (s. Abb. 17.7c).
Dabei ist zu bedenken, dass Parodontitiden zusätzlich meist mit 4
dem Vorhandensein von gingivitischen Veränderungen vergesell-
schaftet sind. 5
Die Ursache für eine Zahnextraktion mit fortschreitendem Alter
ist zunehmend eine Parodontalerkrankung, Karies bleibt aber auch
6
im Alter immer noch die Hauptursache für einen Zahnverlust.
7
In der Bundesrepublik Deutschland konnten 2014 in einer repräsentati-
ven Studie bei 22% der 12-jährigen Kinder entzündungsfreie Verhält- 8
nisse (PBI = 0) festgestellt werden. Keine oder nur eine milde Parodonti-
tis entsprechend der CDC/AAP-Fallklassifikation wiesen 48% der jünge- 9
ren Erwachsenen (35–44 Jahre), 35% der jüngeren Senioren (65–74
Jahre) und 10% der älteren Senioren (75–100 Jahre) auf, die erstmalig als
Altersgruppe mit einbezogen wurden. Damit hat sich der Anteil der Pa-
10
tienten ohne oder mit nur milder Parodontitis gegenüber der letzten Er-
hebung im Jahr 2005 deutlich verbessert (s. Tab. 17.2). In ähnlich deut- 11
licher Weise ist gemäß dieser Daten der Anteil von Patienten mit schwe-
rer Parodontitis in diesen Altersklassen zurückgegangen. 12
Bei den in Tabelle 17.2 aufgeführten Daten muss berücksichtigt wer-
den, dass der Parodontalstatus nur an jeweils sechs Indexzähnen ermit- 13
telt wurde. Betrachtet man die Ergebnisse auf Basis eines sog. Full
mouth recordings, mit Befundung an allen Zähnen, ergeben sich aus
der Studie höhere Prävalenzdaten von Patienten mit moderater bzw.
14
schwerer Parodontitis (Tab. 17.3). Es zeigt sich, dass in diesem Fall eine
ausschließliche Erhebung an sechs Indexzähnen zu einer Überschät- 15
zung der Personen mit keiner/milder Parodontitis führt.
Prävalenzdaten geben meist wenig Auskunft über den Schweregrad 16
der parodontalen Destruktion und der Behandlungsbedürftigkeit. Mit-
hilfe des CPI (Community Periodontal Index) durchgeführte Studien
(s. Abb. 17.8) gaben Aufschluss darüber, dass der überwiegende Teil der
17
Untersuchten parodontale Destruktionen (CPI-Grad 1 bis 3) aufwies, die
durch eine Verbesserung der Mundhygiene und eine Entfernung des su- 18
pra- und subgingivalen Zahnsteins zu therapieren waren. Nur bei einem
geringen Teil der Untersuchten waren die Destruktionen (Grad 4) so 19
stark, dass komplexe parodontalchirurgische Therapien indiziert waren.
Das Lebensalter und die damit verminderte Regenerationskraft der 20
Patienten besitzen nur einen geringen Einfluss auf den Schweregrad der

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552 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

30

20

Prävalenz (%)
10

0
0 20 40 60 80
a Alter (Jahre)

3000
Inzidenz pro 100 000 Personen [N]

2000

1000

0
0 20 40 60 80
b Alter (Jahre)

90
80
70
60
Prävalenz (%)

50
40
Moderat
30 Gesamt
20 Mild Schwer
10
0
30 40 50 60 70 80
c Alter (Jahre)
17.7: a) Prävalenz schwerer Parodontitiden in verschiedenen Altersklassen (modifi-
ziert nach Kassebaum et al. 2014). Der graue Bereich gibt das 95%-Konfidenzinter-
vall an. b) Inzidenz (Anzahl) neu auftretender schwerer Parodontitiden in ver-
schiedenen Altersklassen (modifiziert nach Kassebaum et al. 2014). Der graue Be-
reich gibt das 95%-Konfidenzintervall an. c) Parodontitisprävalenz in den USA
unterteilt nach Schweregraden und gesamthaft (modifiziert nach Thornton-Evans
et al. 2013). Die fehlende Übereinstimmung der Grafen kann mit der unterschied-
lichen Zusammensetzung der untersuchten Gruppen erklärt werden.

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17.5 Epidemiologische Daten zum Auftreten parodontaler Entzündungen Kapitel 17 553

Tab. 17.2: Schwere der parodontalen Erkrankungen in der Bundesrepublik


Deutschland im Jahre 2005 (DMS IV) und 2014 (DMS V) entsprechend der
Fallklassifikation-CDC/AAP. Die Zahlen sind gerundet. Ein direkter rechneri- 1
scher Vergleich zwischen den Daten der DMS-IV- zur DMS-V-Studie ist auf-
grund unterschiedlicher Erhebungsparameter nur bedingt möglich.
Altersklasse Jahr der Fallklassifikation der Parodontitis
2
(Jahre) Erhebung keine/milde moderate schwere
3
35–44 2005 29% 54% 17%
2014 48% 43% 8%
4
65–74 2005 8% 48% 44%
2014 35% 45% 20%
5
74–100 2014 10% 46% 44%

Tab. 17.3: Auf Basis eines Full mouth recordings erhobene Parodontitispräva-
6
lenzen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2014 (DMS V) entspre-
chend der Fallklassifikation-CDC/AAP. Die Zahlen sind gerundet.
7
Fallklassifikation der Parodontitis
Altersklasse (Jahre) Keine/milde Moderate Schwere 8
35–44 32% 53% 14%
65–74 10% 54% 41% 9
74–100 10% 46% 46%
10
60

53
11
50 51
48
40 12
Prävalenz (%)

40

30
27
30 13
20
20 19
14
10 12

CPI-Grad
0
0–2 3 4 0–2 3 4 0–2 3 4
15
Altersklasse 35–44 Jahre 65–74 Jahre 75–100 Jahre
16
Abb. 17.8: Prävalenz des maximalen CPI in verschiedenen Altersklassen in der
Bundesrepublik Deutschland (nach Jordan und Micheelis 2016). Die CPI-Grade 0–2
wurden zu einem Wert zusammengefasst.
CPI-Grade:
17
0 = keine Krankheitssymptome nach Sondierung mit WHO-Sonde
1 = Blutung nach Sondierung
2 = Blutung nach Sondierung, Vorliegen von supra- und subgingivalem Zahnstein,
18
Sondierungstiefe nicht über 3 mm
3 = Sondierungstiefe 4–5 mm
4 = Sondierungstiefe 6 mm und mehr
19
20

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554 17 Epidemiologie entzündlicher Parodontopathien

Parodontalerkrankung. Es zeigt sich, dass immer nur eine Minderheit der


älteren Bevölkerung starke Destruktionen an einzelnen Zähnen aufweist,
wohingegen der Großteil nur moderate oder keine Parodontopathien hat.
Bei Männern treten häufiger gingivitische und parodontitische Er-
krankungen auf als bei Frauen. Eine Ausnahme bildet v.a. früh einset-
zende rasch progrediente Parodontitis, die im Verhältnis von 2–4 : 1
häufiger bei Mädchen als bei Jungen vorzufinden ist.
Die ethnische Herkunft der Menschen könnte nach neueren Unter-
suchungen einen Einfluss auf die Schwere und Häufigkeit von Parodon-
talerkrankungen haben. So wies eine groß angelegte US-amerikanische
Studie eine höhere Prävalenz parodontaler Erkrankungen bei ethni-
schen Minderheiten in den USA nach. Vermutlich lassen sich aber zwi-
schen Menschen verschiedener Herkunft beobachtete Unterschiede in
der Prävalenz von Parodontopathien zumindest z.T. auch mit Ernäh-
rungsgewohnheiten (evtl. Mangelernährung) und dem sozialen Umfeld
bzw. dem Bildungsstand der Untersuchten erklären.

17.6 Epidemiologische Daten zum Auftreten


periimplantärer Entzündungen

! Auch um Zahnimplantate können Entzündungen auftreten. Die


entzündlichen Veränderungen im periimplantären Weichgewebe
ohne Knochenverlust werden als Mukositis bezeichnet. Bei fort-
schreitender Entzündung und Abbau periimplantären Stützkno-
chens spricht man von Periimplantitis (s. Kap. 18.3).

Je nachdem, ob die Häufigkeit der Erkrankungen auf die Anzahl betrof-


fener Patienten oder betroffener Implantate bezogen wird, kann man
die Prävalenzen auf Patienten- oder Implantatebene angeben. Neuere
Übersichtsarbeiten zeigen, dass bis zu 65% der untersuchten Patienten
mit Implantaten eine periimplantäre Entzündung aufweisen (s. Tab.
17.4). Andere Zahlen besagen sogar, dass nach einer Tragedauer von 5–
10 Jahren jedes zehnte Implantat bzw. jeder fünfte Patient eine Periim-
plantitis entwickelt. Alle hier dargelegten Zahlen machen deutlich, dass
periimplantäre Erkrankungen einen aktuell relevanten und zukünftig
größeren Stellenwert erfahren.

Tab. 17.4: Prävalenz von Mukositis und Periimplantitis auf Patienten- bzw.
Implantatebene. Die Zahlen sind gerundet (modifiziert nach Derks und
Tomasi 2015).
Prävalenz
Patientenebene Implantatebene
Mukositis 19–65% 22–90%
Periimplantitis 1–47% 0–37%

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Kapitel 18 555

18 Anamnese, Befund und Diagnose bei


parodontalen Erkrankungen 1
2
3
18.1 Anamnese und Befund 4
5
! Anamnese und Befunderhebung sind Bestandteile jeder ärztli-
chen oder zahnärztlichen Untersuchung und Voraussetzungen,
um eine Diagnose stellen zu können. Erst nachdem eine Diagnose
gewissenhaft gestellt ist, kann die Therapie geplant werden.
6

Im Folgenden soll nur auf die im Rahmen einer Parodontalbehandlung 7


wichtigen Punkte der Anamneseerhebung und Befunderhebung einge-
gangen werden. Zur weiteren Vertiefung anamnestischer Fragestellun- 8
gen und spezieller Befunde (z.B. Funktionsbefund, Mundschleimhauter-
krankungen) wird auf einschlägige Lehrbücher anderer Fachgebiete ver- 9
wiesen.

10
18.1.1 Anamnese
11
Die Anamnese wird in eine Familienanamnese, eine allgemeine und Familien-
eine spezielle Eigenanamnese unterteilt. Da bei einigen parodontologi- anamnese 12
schen Erkrankungen eine genetische Disposition diskutiert wird, sollte
in der Familienanamnese geklärt werden, ob familiär gehäuft be- 13
stimmte systemische Erkrankungen vorliegen. Dabei sollte gezielt auf
die in Kapitel 18.2 beschriebenen Erkrankungen Aufmerksamkeit gelegt
werden, bei denen gingivo-parodontale Manifestationen vorliegen kön-
14
nen (z.B. Down-Syndrom, Papillon-Lefèvre-Syndrom, Cohen-Syndrom
usw.). 15
Bei der Einnahme verschiedener Arzneimittel und dem Vorliegen Eigenanamnese
bestimmter Allgemeinerkrankungen werden häufig Krankheitssymp- 16
tome am Parodont beobachtet. Deshalb sollte der Patient in der allge-
meinen Eigenanamnese gezielt nach der Einnahme bestimmter Arznei-
mittel (v.a. Nifedipin, Cyclosporin A, Hydantoin-Präparate und Kontra-
17
zeptiva) und dem Vorliegen von Allgemeinerkrankungen (Diabetes
mellitus, Osteoporose, Osteopenie, Bluterkrankungen, HIV-Infektion, 18
Ernährungsmängel, Schwermetallintoxikationen, blasenbildende Der-
matosen usw.) befragt werden. Bei weiblichen Patienten ist das Vorlie- 19
gen einer Schwangerschaft abzuklären. Das Vorliegen eines Endokardi-
tisrisikos oder kardiovaskulärer Erkrankungen sollte abgefragt werden. 20

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556 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Spezielle In der speziellen Eigenanamnese wird der Patient nach subjektiven


Eigenanamnese Beschwerden, seinen Mundhygienegewohnheiten, dem Vorliegen von
Zahnfleischblutungen, der bisher erfolgten zahnärztlichen (speziell paro-
dontologischen) Behandlung, seinen Lebensgewohnheiten (Stress, Hek-
tik) und nach seinem Rauchverhalten, d.h. Zigarettenkonsum, befragt.

18.1.2 Befund

Extraoraler Der Befund wird in einen extra- und einen intraoralen Befund unter-
Befund teilt. Im Rahmen des extraoralen Befundes sind Lippenhaltung und
Lippenschluss hinsichtlich des Vorliegens einer Mundatmung zu kon-
trollieren. Es erfolgt eine Palpation der Lymphknoten (vor allem sub-
mandibulär), die bei akuten entzündlichen Parodontopathien druck-
schmerzhaft und vergrößert sein können.
Intraoraler Der intraorale Befund beinhaltet neben dem allgemeinen Zahnbe-
Befund fund grundsätzlich einen Inspektionsbefund der Lippen, Schleimhäute,
der Zunge und des Mundbodens. Bei allen Patienten wird der Parodon-
tale Screening-Index (PSI) ebenso wie ein Inspektionsbefund der Gin-
giva erhoben. Dadurch wird verhindert, dass parodontale Läsionen über-
sehen werden. Beim allgemeinen Zahnbefund wird zuerst notiert, ob feh-
lende, ersetzte, überkronte, kariöse und gefüllte Zähne bzw. abstehende
Füllungs- und Kronenränder vorliegen. Des Weiteren wird kontrolliert,
ob supragingivaler Zahnstein vorliegt. Darüber hinaus sollte eine Sensi-
bilitätsprüfung aller Zähne erfolgen, vor allem aber derjenigen Zähne, bei
denen parodontale oder endodontale Probleme vermutet werden.

Inspektionsbefund der Gingiva

Es werden Form, Farbe, Verlauf, Konsistenz, Oberfläche und Breite


der Gingiva kontrolliert und mit den typischen Merkmalen einer
gesunden Gingiva verglichen (s. Kap. 15.1.1).

Die freie und die befestigte Gingiva besitzen normalerweise eine feste
Konsistenz und sind blassrosa. Die freie Gingiva läuft koronal meist
flach aus. Sie besitzt eine glatte Oberfläche und ist 0,8–2,5 mm breit. Die
Oberfläche der befestigten Gingiva erscheint bei vielen Patienten ge-
stippelt (gefleckt). Die befestigte Gingiva ist ca. 1–9 mm breit und lässt
sich nicht gegen ihre Unterlage verschieben.
Rezessionen Bei der Kontrolle des Verlaufs der Gingiva sollte überprüft werden,
ob parodontale Rezessionen vorliegen. Liegt der Gingivarand direkt
auf der Schmelz-Zement-Grenze, kann bereits von einer Rezession von
ca. 2 mm ausgegangen werden. Rezessionen werden oral und vestibulär
mit einer Parodontalsonde gemessen. Die Rezession wird als Distanz
zwischen Gingivarand und Schmelz-Zement-Grenze in Millimetern an-
gegeben.

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18.1 Anamnese und Befund Kapitel 18 557

Neben der Frage, ob Rezessionen vorliegen, ist zu kontrollieren, ob Schwellung


eine Schwellung der Gingiva vorhanden ist. Der Gingivarand kann bei 1
entzündlich oder hyperplastisch bedingter Schwellung der Gingiva
deutlich nach koronal verschoben sein. Die Breite der keratinisierten 2
befestigten Gingiva kann durch Anfärben der Mukosa mit 5%iger Schil-
ler-Jodlösung (ein Teil Jod, zwei Teile Kaliumjodid ad Aqua dest.) darge-
stellt werden.
3
Patienten, die bei der Erhebung des PSI einen Code-3- oder Code-4- Parodontologi-
Befund aufweisen, werden einer systematischen Parodontalbehandlung sche Unter- 4
zugeführt. Dazu wird eine spezielle parodontologische Untersuchung suchungs-
vorgenommen, die folgende Maßnahmen umfasst: maßnahmen 5
 Bestimmung des Attachmentverlustes
 Bestimmung der Zahnbeweglichkeit
 Bestimmung der Furkationsbeteiligung
6
 Mukogingivalbefund
 Röntgenbefund 7
 Evtl. Anwendung weiterer diagnostischer Testsysteme
8
In der ersten Therapiestufe einer systematischen Parodontalbehand-
lung und bei der Behandlung von Patienten, die einen PSI-Code 1 oder 2 9
aufweisen, wird eine Bestimmung der Mundhygiene des Patienten und
des Entzündungszustandes der Parodontien vorgenommen (s. Kap. 19.3).
10
Attachmentverlust
11
! Ein wichtiger Parameter zur Bewertung parodontaler Erkrankun-
gen ist die Frage, ob ein Attachmentverlust des gingivo-parodon-
talen Stützapparates vorliegt oder nicht. Auch für die Beurteilung
12
von Therapieerfolgen ist die Bestimmung des Attachmentniveaus 13
von großer Bedeutung.

Der klinische Attachmentverlust (CAL = Clinical Attachment Level)


14
ist definiert als die Distanz zwischen der Schmelz-Zement-Grenze
und dem Boden der Zahnfleischtasche. 15
Als Zahnfleischtasche wird ein parodontologisch-pathologisch verän- Einteilung Zahn- 16
derter Sulkus verstanden, wie er bei der etablierten bzw. fortgeschrittenen fleischtaschen
Läsion vorliegt. Zahnfleischtaschen werden folgendermaßen eingeteilt:
 Pseudotaschen
17
 Supraalveoläre Zahnfleischtaschen
 Infraalveoläre (Knochen-)Taschen (s. Abb. 18.1) 18
Die Tiefe der sondierbaren Zahnfleischtasche wird mit einer Parodontal- Sondierung 19
sonde ermittelt, die in die Zahnfleischtasche bzw. (bei gesunder Gin-
giva) in den Sulkus eingeführt wird. Die Messung wird an jedem Paro- 20
dont an mindestens vier Messpunkten (mesio-bukkal, bukkal, disto-

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558 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

a b c

Abb. 18.1: Taschenformen; a) Pseudotasche: entzündlich oder hyperplastisch ge-


schwollene Gingiva mit Erhalt der epithelialen Anheftung am Zahn, b) supraal-
veoläre Zahnfleischtasche mit horizontalem Höhenabbau des Knochens, c) infra-
alveoläre Knochentasche mit vertikalem Seitenabbau des Knochens

bukkal und oral) durchgeführt. Bei einer Erstuntersuchung eines Patien-


ten sollte zur genaueren Befundung zusätzlich mesio-oral und disto-oral
sondiert werden (Sechs-Punkt-Messung). Aufgrund der Verletzlichkeit
des gingivo-parodontalen Stützapparates dringt die Sonde leicht über
den Taschenboden ins Gewebe ein. Daher wird nicht von Taschentiefe,
sondern von Sondierungstiefe gesprochen. Die Parodontalsonden wei-
sen Farbmarkierungen (z.B. WHO-Sonde) oder Millimeter-Skalierungen
(z.B. Williams-Fox-Sonde) auf. Mit diesen Skalierungen kann die son-
dierbare Taschentiefe am Gingivarand abgelesen werden. Ein vom Pa-
tienten toleriertes vorsichtiges Sondieren (Gentle probing) erfolgt mit
einer Kraft von ca. 0,25 N.
Die Sondierung des Sulkus sollte bei Implantaten vorsichtig erfol-
gen. Bei Implantaten fehlt der beim Zahn vorhandene Faserapparat, der
ein zu weites Eindringen der Sonde bremst. Somit sind die Sondierungs-
tiefen bei Implantaten meist größer als bei natürlichen Zähnen. Um die-
sen Fehler auszugleichen, werden etwas dickere, am besten druckkali-
brierte Kunststoffsonden verwendet.

Das Bluten nach Sondierung bis auf den sondierbaren Boden der
Tasche (Bleeding on Probing, BoP) weist auf das Vorhandensein
von subgingivaler Plaque und das Vorliegen einer Entzündung hin.
Daher sollte das Vorhandensein einer Blutung nach Sondierung zu-
sätzlich zur Sondierungstiefe notiert werden. Allerdings weisen die
klinischen Parameter „Blutung nach Sondierung“ sowie das Vorlie-
gen von eitrigem Taschenexsudat nur eine geringe Sensitivität (ca.
30%) bzw. Spezifität (ca. 70%) hinsichtlich der Erkennung schwerer
Parodontopathien auf.

Druckkalibrierte Zu beachten ist, dass vor allem beim unbehandelten Patienten Konkre-
Sonden mente den Tascheneingang verlegen und die Messung erschweren kön-

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18.1 Anamnese und Befund Kapitel 18 559

nen. Mithilfe druckkalibrierter Sonden soll ein standardisierter Druck


beim Sondieren garantiert werden. Druckkalibrierte Sonden liegen als 1
einfache mechanische druckreduzierte (z.B. Click-Probe) oder elektroni-
sche computergestützte Sonden (z.B. Florida-Probe, Interprobe, Peri- 2
Probe) vor. Messung und Erfassung der Daten erfolgen bei elektroni-
schen, druckkalibrierten Sonden mit einem Computer. Versuche haben
allerdings gezeigt, dass diese Sonden zwar eine bessere Auflösung (mög-
3
liche Bestimmung in 1/10-mm-Schritten) als die manuellen Sonden be-
sitzen. Sie sind den manuellen Sonden aber hinsichtlich der Reprodu- 4
zierbarkeit der Messergebnisse nicht überlegen.
Die Sondierungstiefe hängt neben dem Sondierungsdruck vom Sondierungstiefe 5
Entzündungsgrad des Parodonts, der Dicke der Sonde, dem Anstellwin-
kel der Sonde zum Zahn, dem Lockerungsgrad des Zahnes und der Posi-
tion der Sonde am Zahn ab. Bei einer entzündeten Gingiva oder einem
6
gelockerten Zahn dringt die Parodontalsonde leichter in das aufgelo-
ckerte Gewebe am Boden der Zahnfleischtasche ein. Die Sondierungs- 7
tiefe ist daher größer als die histologische Taschentiefe. Im Rahmen der
Behandlung einer entzündlichen Parodontopathie beobachtet der 8
Zahnarzt neben dem Rückgang der Entzündung häufig eine Reduktion
der Sondierungstiefe. Es ist dann schwierig zu beurteilen, ob tatsächlich 9
eine Verringerung der histologischen Taschentiefe und des Attachment-
verlustes eingetreten ist. Die verringerte Sondierungstiefe kann ebenso
durch den erhöhten Gewebewiderstand beim Sondieren im nun weni-
10
ger entzündeten Parodont bedingt sein.
11
Zahnbeweglichkeit
12
! Die Zahnbeweglichkeit kann manuell oder mithilfe verschiedener
Messapparaturen ermittelt werden. Man unterscheidet zwischen
statischer und dynamischer Zahnbeweglichkeit.
13

Unter statischer Beweglichkeit wird die Auslenkung eines Zahnes Statische


14
(in mm) nach Einwirkung einer Kraft bezeichnet. Bei der manuellen Beweglichkeit
Messung der statischen Zahnbeweglichkeit wird der Zahn mit zwei stabi- 15
len Instrumentengriffen sowohl horizontal als auch vertikal bewegt. Die
Auslenkung wird visuell beurteilt und das Ausmaß abgeschätzt. Dazu 16
kann die Millimeter-Skalierung einer Parodontalsonde hilfreich sein.
Folgende Grade werden entsprechend der Deutschen Gesellschaft
für Parodontologie unterschieden:
17
 Grad 0: physiologische, nicht erhöhte Zahnbeweglichkeit
 Grad 1: erhöhte Zahnbeweglichkeit, spürbar oder sichtbar bis 1 mm 18
horizontal
 Grad 2: erhöhte Zahnbeweglichkeit, sichtbar über 1 bis 2 mm mm 19
horizontal
 Grad 3: erhöhte Zahnbeweglichkeit über 2 mm, beweglich auf Lip- 20
pen- und Zungendruck und/oder in axialer Richtung

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560 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Dynamische Unter dynamischer Beweglichkeit eines Zahnes versteht man die Fähig-
Beweglichkeit keit des Parodonts, impulsartig auftreffende Kräfte abzubremsen. Die
dynamische Beweglichkeit eines Zahnes kann mit dem Periotest-Gerät
ermittelt werden. Dabei trifft ein Stößel impulsartig auf einen Zahn auf
und wird abgebremst. Die Kontaktzeit, also das Abbremsverhalten des Stö-
ßels, wird von einer Messapparatur aufgezeichnet. Diese Kontaktzeiten
werden bestimmten Periotest-Werten (–8 bis +50) zugeordnet, die mit ma-
nuell ermittelten Beweglichkeitsmessungen korrelieren. Die Messappara-
turen zur Zahnbeweglichkeitsmessung besitzen wie die elektronischen Pa-
rodontalsonden eine hohe Messauflösung, zeigen aber wie diese Sonden
eine schwankende Reproduzierbarkeit der Messergebnisse. Die Werte des
Periotests korrelieren gut mit den oben genannten Lockerungsgraden
(Grad 0: –8 bis +9, Grad 2: 10–19, Grad 3: 20–29 und Grad 4: 30–50).

Die Zahnbeweglichkeit spielt bei der Prognose eines Zahnes aber


nur eine untergeordnete Rolle. Die Prognose eines gelockerten Zah-
nes wird vielmehr vom Entzündungszustand des Parodonts, von
der Mundhygiene des Patienten und von der Akzeptanz des Patien-
ten, lockere Zähne zu tolerieren, bestimmt.

Bei einem entzündungsfreien Parodont kann ein Zahn trotz erhöhter


Lockerung und vorliegenden Attachmentverlusts über Jahre hinweg
(eingeschränkt) funktionstüchtig im Mund verbleiben. Ggf. ist aber eine
Schienung eines betroffenen Zahnes erforderlich, um Regenerations-
prozesse des Attachments durch Ruhigstellung zu unterstützen.

Furkationsbeteiligung der parodontalen Läsion

! Bei fortgeschrittenen Parodontalerkrankungen wird zunehmend


ein Knochenabbau (Osteolyse) im Furkationsbereich mehrwurze-
liger Zähne beobachtet.

Diese sogenannte Furkationsbeteiligung der parodontalen Läsion wird mit-


hilfe spezieller, gebogener Sonden (z.B. Sonde nach Nabers) kontrolliert.
Mit diesen Sonden wird der Eingang der Furkation horizontal sondiert und
die Durchgängigkeit der Furkation geprüft. Es muss dabei beachtet werden,
dass eine ggf. vorliegende durchgängige Sondierbarkeit wegen Weichge-
webe oder einer ungünstig stehenden Wurzel nicht ermittelbar ist.
Folgende Grade der Furkationsbeteiligung werden entsprechend der
Deutschen Gesellschaft für Parodontologie klinisch unterschieden
(s. Abb. 18.2):
 Grad I: Furkation bis 3 mm horizontal sondierbar.
 Grad II: Furkation mehr als 3 mm horizontal sondierbar, jedoch
nicht durchgängig.
 Grad III: Furkation durchgängig sondierbar, auch wenn Weichge-
webe eine sichtbare Durchgängigkeit verdeckt.

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18.1 Anamnese und Befund Kapitel 18 561

Grad I Grad II Grad III


1
Spitze der
Furkationssonde
2
3
a

4
5

b
6
Abb. 18.2: a) Einteilung des Furkationsbefalls Grad I–III, dargestellt an einem unte-
ren Molaren, b) verschiedene Möglichkeiten der Befunderhebung zum Vorliegen 7
eines Furkationsbefalls bei einem oberen Molaren (Graduierung s. S. 552)

Mukogingivalbefund 8
9
! Beim Mukogingivalbefund werden der Ansatz von Lippen-, Wan-
gen- und Zungenbändchen und die Tiefe des Vestibulums kon-
trolliert.
10
Hoch ansetzende, in die Gingiva einstrahlende Frenula und ein flaches
Vestibulum können über die umgebende Muskulatur einen Zug auf die 11
Gingiva ausüben. Dies kann zu gingivalen Rezessionen führen. Darüber
hinaus schränken hoch ansetzende Frenula und ein tiefes Vestibulum 12
die Mundhygienefähigkeit des Patienten ein.
13
Röntgenbefund

14
! Der Röntgenbefund hilft abzuklären, ob parodontal bedingte
Knochendestruktionen, apikale Osteolysen, Wurzelfüllungen,
überstehende Kronen- und Füllungsränder, Konkremente und 15
Veränderungen der Zahnhartsubstanz vorliegen.
16
Zur Darstellung aller Parodontitiden eines Gebisses sind je nach Anzahl Darstellung
und Lage der vorhandenen Zähne bis zu 14 intraorale Summations-Ein-
zelaufnahmen erforderlich. Um Unschärfen und Überlagerungen zu
17
vermeiden, ist der Röntgenstatus in Rechtwinkeltechnik (z.B. nach
Rinn) zu erstellen. 18
Eine Schichtaufnahme, wie z.B. das Orthopantomogramm (OPG),
genügt nicht, um feine Knochenstrukturen hinreichend genau darzu- 19
stellen. Projektionsbedingt lassen aber auch die Einzelaufnahmen nur
eine Beurteilung des interdentalen und interradikulären Knochens zu. 20
Der vestibuläre bzw. orale Knochen kann nicht beurteilt werden.

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562 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Mithilfe der Röntgenaufnahmen kann die Furkationsbeteiligung


der parodontalen Läsion zusätzlich zum klinischen Sondieren abge-
schätzt werden. Die definitive Abklärung des Furkationsbefundes ist je-
doch meist erst im Rahmen eines parodontalchirurgischen Eingriffs bei
direkter Sicht auf die Furkation möglich.
Beurteilung Bei der Beurteilung des Fortschreitens eines Knochenverlustes wird
in der klinischen Praxis meist ein visueller Vergleich von Röntgenbil-
dern vorgenommen, die zu verschiedenen Zeitpunkten erstellt wurden.
Es ist bekannt, dass ein Unterschied von 30 bis 50% beim Mineralgehalt
des Knochens erforderlich ist, damit eine Veränderung von ossären
Strukturen bei der Interpretation von Röntgenbildern erkannt werden
kann. Daher werden in klinischen Studien computergestützte Verfah-
ren (z.B. digitale Subtraktionsradiografie) eingesetzt, bei denen die ver-
änderten Knochenstrukturen verdeutlicht dargestellt werden. Anhand
der Röntgenbilder kann kontrolliert werden, ob ein horizontaler Kno-
chenabbau (Höhenabbau) oder ein vertikaler Knochenabbau (Seitenab-
bau) mit infraalveolären Knochentaschen vorliegt (s. Abb. 18.1). Bei den
infraalveolären Knochentaschen unterscheidet man (s. Abb. 18.3):
 Einwandige Knochentasche
 Zweiwandige Knochentasche
 Dreiwandige bzw. kombinierte Knochentasche

Auch hier ist die definitive Abklärung, welche Form der Knochentasche
vorliegt, erst bei direkter Sicht intra operationem möglich. Darüber hi-
naus ist im Röntgenbefund zu kontrollieren, ob der Desmodontalspalt
normal konfiguriert oder erweitert ist oder ob der Knochen am Alveolar-
eingang trianguläre Aussprengungen aufweist. Ein erweiterter Desmo-
dontalspalt oder trianguläre Knochendefekte deuten auf eine okklusale
oder funktionelle Fehlbelastung eines Zahnes hin.
Neben der klassischen zweidimensionalen Röntgentechnik hat mit
der dreidimensionalen Röntgendiagnostik mithilfe der digitalen Volu-
mentomografie (DVT) eine Methode zunehmend Verbreitung erfahren,
mit der eine gute Bildqualität und Genauigkeit zur Bestimmung paro-

2 1 2 1 1
3

a b c d

Abb. 18.3: Einteilung der Knochentaschen; a) dreiwandige, b) zweiwandige, c) einwandige, d) schüsselför-


mige Knochentasche

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18.1 Anamnese und Befund Kapitel 18 563

dontaler Knochendefekte erzielt werden kann. Eine DVT-basierte Diag-


nostik weist ein hohes Maß an Übereinstimmung mit intraoperativen 1
Befunden auf, z.B. dem Ausmaß einer Furkationsbeteiligung oder der
Anzahl an Wänden infraalveolärer Knochentaschen. Berücksichtigt 2
werden sollten allerdings die im Vergleich zur herkömmlichen Rönt-
gendiagnostik höheren Kosten und die höhere Strahlenbelastung. Soge-
nannte Low-dose-Protokolle erlauben heutzutage DVT-Aufnahmen mit
3
geringerer Strahlenbelastung, aber i.d.R. ausreichender Bildqualität,
und sollten daher in der Parodontologie wann immer möglich zum Ein- 4
satz kommen.
Abschließend sollten Gipsmodelle beider Kiefer hergestellt werden, die 5
alle Zähne, Verlauf und Form der Gingiva und inserierende Bänder exakt
wiedergeben. Bei vorhandenem herausnehmbarem Zahnersatz sollten zu-
sätzlich Modelle mit eingegliedertem Zahnersatz hergestellt werden.
6

Diagnostische Testsysteme 7
8
! Diagnostische Tests geben ergänzend zum klinischen und röntge-
nologischen Befund zusätzliche Informationen über die Art der
Infektion, Prognose, Progredienz und den Therapieerfolg. 9
Diese Tests dienen als Hilfsmittel, um eine klinische Diagnose zu über-
prüfen und eine Verlaufskontrolle einer Therapie durchzuführen. Sie er-
10
setzen nicht den klinischen Befund. Mit verfeinerten Diagnosemaßnah-
men ist es allerdings möglich, geringe Veränderungen der parodontalen 11
Gesundheit frühzeitiger zu erfassen. Es stellt sich aber die Frage nach der
Notwendigkeit und Aussagekraft solcher Testsysteme, da bei einem 12
zahnärztlichen Befund mit der Erhebung des Sondierungsbefundes be-
reits genügend Informationen über das Vorliegen und den Schwergrad 13
einer parodontologischen Erkrankung ermittelt werden können. Auch
für eine prädiktive Diagnostik sind diese speziellen Tests wenig hilf-
reich, da die individuelle Patientenantwort auf eine Therapie häufig
14
sehr unterschiedlich ausfällt. Auch lassen sich aus den Testungen keine
patientenspezifischen Therapien ableiten. Dennoch wird an dieser 15
Stelle der Vollständigkeit halber auf einige der gebräuchlichsten Tests
eingegangen. 16
Diagnostische Tests lassen sich unterteilen in:
 Mikrobiologische Untersuchungen
 Marker der Wirtsantwort
17
 Humangenetische Tests
18
Die Überlegung, mikrobielle Bestimmungen der Plaquebakterien durch- Mikrobiologische
zuführen, entstand in der grundsätzlichen Annahme, dass bestimmte Untersuchungen 19
Markerkeime bei bestimmten parodontologischen Erkrankungen oder
Erkrankungsverläufen eine maßgebliche Rolle spielen. Somit versuchte 20
man, diese Keime mit spezifischen Tests zu identifizieren, um gezielte

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564 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

systemische antibiotische Therapien einzuleiten. In den letzten Jahren


verfestigte sich die Erkenntnis, dass es keine spezifischen Leitkeime gibt,
die sich mit einer bestimmten Form einer Parodontitis in Verbindung
bringen lassen. Wie in Kapitel 16 beschrieben, werden z.B. bei schweren
Krankheitsverläufen Verschiebungen in der Bakterienflora beobachtet,
sodass man keiner Erkrankung ein spezifisches Spektrum an Mikroorga-
nismen zuordnen kann. Der Erfolg oder Misserfolg einer systematischen
Parodontitistherapie steht auch nicht im Zusammenhang mit den mi-
krobiellen Ausgangsprofilen erkrankter Patienten. Auch zeigten klini-
sche Studien, dass der klinische Erfolg auch unter Einsatz von Antibio-
tika nicht von bestimmten erhobenen Bakterienprofilen abhängig ist.
Daher treten mikrobiologische Untersuchen in neuerer Zeit zunehmend
in den Hintergrund. Weitere Ausführungen zu einer Antibiotikagabe im
Rahmen einer Parodontitistherapie finden sich in Kap. 19.5.2.
Im Falle eines mikrobiologischen Tests erfolgt die Entnahme der
subgingivalen Plaque mit einer sterilen Kürette oder mit sterilen Papier-
spitzen. Für die klinische Routinediagnostik wird i.d.R. eine Probe aus
der tiefsten parodontalen Tasche in jedem Sextanten entnommen. Die
bis zum Taschenfundus eingeschobene Papierspitze verbleibt dabei für
ca. 10 Sekunden. Bei der sogenannten Multi-site-Variante werden alle
Papierspitzen in ein gemeinsames Transportgefäß überführt, bei der
Single-site-Variante kommt jede Spitze in ein separates Gefäß. Zur Be-
stimmung der Bakterien kann eine Bakterienkultur auf Selektivnährbö-
den angezüchtet werden. Bei dieser Form der Bestimmung ist zu berück-
sichtigen, dass nur ca. 50% der oralen Mikroflora über Standardverfah-
ren kultivierbar sind. Zudem können nur vitale Mikroorganismen
verwendet werden. Insbesondere anaerobe Keime sterben aber häufig
auf dem Transportweg ab.
Neben der Kultivierung ist eine mikroskopische Bestimmung der
Plaquebakterien möglich. Dabei kann eine differenzierte Darstellung der
Bakterien u.a. mit Färbemethoden oder durch Anheftung fluoreszieren-
der Antikörper an bestimmte Bakterien (Immunfluoreszenz) erfolgen.
Mithilfe der Dunkelfeldmikroskopie kann die Zusammensetzung
der Plaque hinsichtlich der morphologischen Typen der Bakterien
(Form, Größe und Motilität) ermittelt werden.
Der ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) stellt eine weitere
immunologische Untersuchung dar, bei der spezifische Antikörper ge-
gen bakterielle Antigene zur Identifizierung von Mikroorganismen ge-
nutzt werden. Dabei bindet zunächst ein Antikörper an einen Mikroor-
ganismus. Dieser Antikörper wird dann durch einen zweiten Antikörper
nachgewiesen, der mit einem Enzym gekoppelt ist, das eine Farbreak-
tion auslöst. Diese Farbreaktion kann durch fluoreszierende Farbstoffe
verdeutlicht werden. Eine differenzierte Auswertung ist dann mithilfe
spezieller Geräte möglich. So können mithilfe von FACS-Geräten (fluo-
rescence activated cellsorter) unterschiedliche Fluoreszenzintensitäten
berücksichtigt werden.

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18.1 Anamnese und Befund Kapitel 18 565

Des Weiteren können mit einer Checkerboard-DNA-DNA-Hybridi-


sierung (Identifizierung) bestimmte Plaquebakterien nachgewiesen wer- 1
den. Dabei wird überprüft, ob sich die von Laborstämmen gewonnenen
komplementären, radioaktiv oder enzymatisch markierten DNA-Sequen- 2
zen bestimmter Bakterien (DNA-Sonden) an DNA-Sequenzen der Plaque-
bakterien anlagern. Durch die Anlagerung entsteht dann eine neue dop-
pelsträngige, ebenfalls markierte DNA. Durch einen Vergleich mit Stan-
3
dardlösungen kann somit die Bakterienzahl in der entnommenen
Plaqueprobe quantifiziert werden. Die Nachweisgrenze bei Verwendung 4
dieser DNA-Sonden liegt mit ca. 103 Mikroorganismen unter der Nach-
weisgrenze von Kulturverfahren. Zurzeit liegen u.a. DNA-Sondentests 5
vor, mit denen es möglich ist, ca. 40 potenzielle Pathogene semiquanti-
tativ zu ermitteln. Besonderes Augenmerk aller modernen Tests liegt auf
der Erkennung der Anwesenheit von Aggregatibacter actinomycetemcomi-
6
tans, Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema denticola
und anderen möglichen Pathogenen wie z.B. Prevotella intermedia. 7
Dies gilt auch für den Nachweis von Bakterien mit der Polymerase-
Kettenreaktion (PCR). Dabei werden unter Zuhilfenahme spezifischer 8
Oligonukleotid-Primer kleine Abschnitte der DNA bestimmter Bakte-
rien durch Labormethoden in kurzer Zeit vervielfältigt. Dazu wird der 9
Bakterien-DNA-Doppelstrang zunächst durch Schmelzen (Erwärmung
auf 95 °C) in zwei DNA-Einzelstränge aufgespalten. An diese Einzel-
stränge binden spezifische Oligonukleotid-Sequenzen (Primer). Sie die-
10
nen als Startpunkt für ein spezielles Enzym (Taq-Polymerase). Unter Zu-
gabe der zum Aufbau des Doppelstranges notwendigen Triphosphate 11
wird dann mithilfe der Polymerase ein komplementärer Zweitstrang in
Verlängerung des Primers polymerisiert. Dieser gesamte Verdopplungs- 12
zyklus wird wiederholt und führt schließlich zu millionenfach vermehr-
ten DNA-Abschnitten. Diese können dann mit einer Gelelektrophorese 13
ausgewertet werden.
Mit der PCR-Methode können Bakterienspezies sehr spezifisch nach-
gewiesen werden. PCR-Verfahren können bereits 10–100 Zellen nach-
14
weisen. Die bisher genannten molekularbiologischen Nachweisverfah-
ren erlauben aber keine oder nur eine eingeschränkte Quantifizierung 15
der Keime.
Mit der weiterentwickelten Real-time-PCR ist eine exakte Quantifi- 16
zierung der untersuchten Bakterien möglich. Bei diesem Verfahren wird
zusätzlich zur klassischen PCR ein weiterer Primer (TaqMan-Sonde) an
den aufgespaltenen DNA-Einzelstrang angelagert. Die TaqMan-Sonde
17
wird bei der Verdoppelung des Strangs durch die Polymerase zerstört,
wobei ein Fluoreszenzsignal freigesetzt wird. Dieses Signal wird durch 18
eine Laserdetektion gemessen. Die Stärke des Signals ist ein Maß für die
Menge duplizierter DNA-Stränge und damit proportional zur Ausgangs- 19
menge des gesuchten Bakterienkeimes.
Weitaus größere Keimspektren können mit der Methode des next ge- 20
neration sequencing (NGR) bestimmt werden. Dabei werden Bakterien

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566 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

durch Sequenzierung ihres Genoms nachgewiesen. Damit können zu-


künftig verbesserte Analysen zu den komplexen Keimverschiebungen
(Dysbiose) im Rahmen parodontaler Erkrankungen durchgeführt werden.
Marker der Weitere Tests untersuchen das Vorliegen körpereigener Enzyme, die
Wirtsantwort bei der Destruktion des Parodonts in der Sulkusflüssigkeit nachgewiesen
werden können.
Dabei kann mit einem Schnelltest z.B. das Vorliegen von Matrix-Me-
talloproteinasen (Kollagenase) überprüft werden. So steht mit der quan-
titativen Bestimmung des aMMP-8 (aktive Matrix-Metalloproteinase-8,
Synonyme: Kollagenase 2, neutrophile Kollagenase) aus der Sulkusflüs-
sigkeit ein Biomarker zur Verfügung, der es erlaubt, frühzeitig durch die
bakterielle Besiedlung verursachte entzündliche Prozesse zu erkennen
und den Verlauf beobachten. Das Enzym aMMP-8 baut im Entzündungs-
fall Kollagen ab und kann den akut ablaufenden Gewebeabbau bereits in
einem frühen Stadium einer Parodontalerkrankung anzeigen.
Weitere Tests, mit denen andere während der parodontalen Entzün-
dung erhöhte Faktoren der Wirtsantwort wie z.B. Prostaglandin-2, TNF-
α, alkalische Phosphatase (z.B. von Osteoblasten) oder Interleukine im
Gingivaexsudat mit geeigneten Methoden nachgewiesen werden kön-
nen, besitzen eher wissenschaftlichen Charakter und sind für die Thera-
pieentscheidung in der Praxis i.d.R. unerheblich.
Humangene- Das gilt auch für Temperaturmessungen der Gingiva, Speichelunter-
tische Tests suchungen zur Bestimmung der oxidativen Belastung sowie für human-
genetische Tests bei manifestierten, besonders aggressiven Parodontaler-
krankungen. Derzeit steht ein Test zur Verfügung, mit dem vorliegende
Polymorphismen im Interleukin-1-Genkomplex nach Entnahme eines
Mundhöhlenabstrichs nachgewiesen werden können. Bei Vorliegen ei-
nes bestimmten Genpolymorphismus kommt es bei diesen Personen bei
chronischen Entzündungen zu einer verstärkten Ausschüttung von In-
terleukin-1, was eine verstärkte Gewebereaktion zur Folge hat.

18.2 Diagnose parodontaler und periimplantärer


Erkrankungen und Zustände

Anhand der Befunddaten kann die Diagnose der vorliegenden Erkran-


kung erfolgen. Häufig ist es aber zu Beginn einer Behandlung nur mög-
lich, eine Verdachtsdiagnose zu äußern. Diagnose und Verdachtsdiag-
nose müssen gegenüber möglichen Differenzialdiagnosen kritisch abge-
schätzt werden. Die Diagnose ist zunächst für jeden Zahn einzeln zu
stellen.

! Aus den Einzeldiagnosen ergibt sich die Gesamtdiagnose. Erst


dann sind eine definitive Zuordnung der Erkrankung entspre-
chend der Klassifikation der Parodontalerkrankungen und eine
gezielte Therapie möglich.

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18.2 Diagnose parodontaler und periimplantärer Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 567

Die in der Abb. 18.4 dargestellte, im Jahr 2018 neu erarbeitete interna-
tional aufgestellte Klassifizierung löst die bisher gültige Nomenklatur 1
aus dem Jahr 1999 ab. Die neue Klassifikation beschreibt entsprechend
klinischen, radiografischen und anamnestischen Kriterien verschiedene 2
Formen der Gingivitis, Parodontitis und Periimplantitis und definiert
erstmals neu den Begriff der gingivalen Gesundheit, auch in einem re-
duzierten Parodont, wie es nach einer erfolgreichen Parodontitisthera-
3
pie vorliegen kann.
Parodontale Erkrankungen nehmen häufig einen chronischen Ver- 4
lauf. Nach der Diagnose einer Parodontitis bleibt ein Patient somit ein
Leben lang ein Parodontitispatient. Daher ist es erforderlich, die einmal 5
erhobene Diagnose regelmäßig zu überprüfen, zu reevaluieren und eine
angemessene Therapie einzuleiten. Nach erfolgreicher Therapie kann
ein Patient folglich in drei Kategorien fallen:
6
1. Kontrolliert: gesund und stabil
2. Remission: gingivale Entzündung 7
3. Unkontrolliert: wiederkehrende Parodontitis und instabil
8
9
10
Parodontale Erkrankungen und Zustände 11
Parodontale Gesundheit,
Andere das Parodont
gingivale Erkrankungen und
Zustände
Parodontitis
betreffende Zustände 12
Parodontale Gesundheit und Nekrotisierende parodontale Systemische Erkrankungen 13
gingivale Gesundheit Erkrankungen und Zustände mit Einfluss auf
das Parodont
Gingivitis: Parodontitis 14
biofilminduziert Parodontale Abszesse und
Parodontitis als Manifestation Endo-Paro-Läsionen
Gingivale Erkrankungen: systemischer Erkrankungen 15
nicht biofilminduziert Mukogingivale Deformitäten
und Zustände
16
Traumatische okklusale Kräfte

Zahn- und zahnersatz- 17


bezogene Faktoren

Periimplantäre Erkrankungen und Zustände


18
Periimplantäre Periimplantäre
Periimplantitis
Periimplantäre
Weich- und
19
Gesundheit Mukositis
Hartgewebsdefizite
20
Abb. 18.4: Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände

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568 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und


Zustände

18.3.1 Parodontale Gesundheit, gingivale Erkrankungen und


Zustände

Parodontale und gingivale Gesundheit


Eine klinisch parodontal gesunder Patient weist keine Merkmale einer
Parodontitis auf. Es können dabei aber wenige Parodontien (< 10%) vor-
liegen, die eine Blutung auf Sondierung aufweisen. Eine klinisch gingi-
vale Gesundheit kann bei einem intakten Parodont oder bei einem re-
duzierten Parodont vorliegen. Ein reduziertes Parodont kann wiederum
nach vorherigen Therapieschritten (z.B. Kronenverlängerungen, syste-
matische Parodontaltherapie) oder bei nicht durch Parodontitis verur-
sachten Rezessionen vorhanden sein (vgl. Tab. 18.1). Ein wesentliches
Merkmal einer vorliegenden Gingivitis ist es, dass ≥ 10% der Sondie-
rungsstellen eine Blutung auf Sondierung aufweisen.
Dies gilt auch für die Einschätzung des Vorliegens einer Gingivitis
bei einem reduzierten Parodont. Bei einem reduzierten stabilen Paro-

Tab. 18.1: Kriterien für gingivale Gesundheit und biofilminduzierte Gingivitis


(mod. nach Eickholz)
Zustand des Parodonts Gesundheit Gingivitis
Intaktes Parodont
Sondierbarer Attachmentverlust Nein Nein
Sondierungstiefen (bei Ausschluss ≤ 3 mm ≤ 3 mm
von Pseudotaschen)
Bluten auf Sondieren (BoP) < 10% ≥ 10%
Radiologischer Knochenabbau Nein Nein
Reduziertes Parodont
Kein Parodontitispatient (z.B. bei Rezessionen)
Sondierbarer Attachmentverlust Ja Ja
Sondierungstiefen (alle Stellen und ≤ 3 mm ≤ 3 mm
bei Ausschluss von Pseudotaschen)
Bluten auf Sondieren (BoP) < 10% ≥ 10%
Radiologischer Knochenabbau Möglich Möglich
Erfolgreich behandelter, stabiler Parodontitispatient
Sondierbarer Attachmentverlust Ja Ja
Sondierungstiefen (alle Stellen und ≤ 4 mm (keine Stelle ≤ 3 mm
bei Ausschluss von Pseudotaschen) ≥ 4 mm und BoP+)
Bluten auf Sondieren (BoP) < 10% ≥ 10%
Radiologischer Knochenabbau Ja Ja

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 569

dont, wie es nach einer erfolgreichen Parodontitistherapie klinisch vor-


liegen kann, wird noch eine Sondierungstiefe von ≤ 4 mm als gesund 1
toleriert, wenn es keine Sondierungsstelle ≥ 4 mm gibt, die eine Blutung
aufweist. 2

18.3.2 Gingivitis durch dentalen Biofilm induziert


3
Das klinische Bild der Gingivitis ist durch Rötung, Schwellung und evtl. Allein mit denta- 4
Ulzerationen der Gingiva gekennzeichnet. Es liegen eine erhöhte Fließ- lem Biofilm asso-
rate der Sulkusflüssigkeit (Exsudation), eine erhöhte Temperatur im ziierte Gingivitis 5
Sulkus, eine Blutung nach Sulkussondierung und eine erhöhte Son-
dierungstiefe ohne Attachmentverlust, d.h. Pseudotaschen, vor. Die Pa-
tienten klagen häufig über Zahnfleischbluten.
6
7
! Biofilminduzierte Gingivitis kann an Parodontien mit und
ohne Attachmentverlust auftreten. Als charakteristische Zeichen
finden sich dentale Plaqueanlagerungen im Bereich des Gingiva- 8
randes, Rötung, Blutung sowie Schmerz bei Berührung.
9
Nach Beseitigung der ursächlichen Plaque verschwinden die entzündli-
chen Symptome. Lokale Faktoren wie überhängende Restaurationsrän-
der oder Zahnengstand können eine Plaqueretention begünstigen. Bei
10
einer Gingivitis liegt in der reifen Plaque neben der vorherrschenden
Flora grampositiver, fakultativ anaerober Kokken und Stäbchen eine im 11
Vergleich zum gesunden Parodont erhöhte Anzahl gramnegativer Kok-
ken und Stäbchen vor. 12
Verschiedene systemische Faktoren können modifizierenden Ein- Durch systemi-
fluss auf die Entstehung und Ausprägung einer Gingivitis ausüben. sche und lokale 13
Dazu zählt vor allem das Rauchen von Nikotin, das an anderer Stelle im Risikofaktoren
Buch ausführlich thematisiert wird. beeinflusste
Gingivitis
14
Die entzündliche Reaktion der Gingiva auf die Plaquebakterien
kann unter dem Einfluss systemischer Faktoren wie z.B. Rauchen, 15
Sexualhormonen oder Medikamenten verstärkt sein. Dabei kann
die Entzündung auch bei einer relativ geringen Menge an dentalem 16
Biofilm auftreten.

Beim schlecht eingestellten Diabetes mellitus findet man, wie bereits Diabetes mellitus,
17
beschrieben, eine Interaktion mit entzündlichen Parodontopathien. Hyperglykämie
Die Hyperglykämie kann neben anderen Auswirkungen auch zu einer 18
Erhöhung der Glukose in der Sulkusflüssigkeit und im Speichel führen.
Dadurch wird das Wachstum von subgingivalen Plaquebakterien geför- 19
dert, die parodontale Veränderungen auslösen. Ein grundsätzlicher
Unterschied in der bakteriellen Flora zwischen Diabetikern und Nicht- 20
diabetikern besteht nicht. Tendenziell werden aber vermehrt Capnocyto-

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570 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

phaga-Spezies, anaerobe, bewegliche Stäbchen, Spirochäten und fusi-


forme Bakterien in der Plaque schlecht eingestellter Diabetiker gefun-
den. Weitere Faktoren, die die Bildung einer entzündlichen Erkrankung
fördern, sind eine erhöhte endogene Kollagenaseaktivität, Alteration
der Funktion (Phagozytose, Chemotaxis) der neutrophilen Granulozy-
ten, Mikroangiopathien und Xerostomie (weitere ausführliche Hin-
weise s. Kap. 16.3).
Ernährungs- Durch Mangel- und/oder Fehlernährung kann es zu einer einge-
faktoren schränkten Immunabwehr kommen, wodurch die entzündliche Reak-
tion auf die dentale Plaque verstärkt wird.
Chronischer Ascorbinsäuremangel (Skorbut, Vitamin-C-Avitami-
nose) mit Beeinträchtigung der Kollagensynthese (Blutungen), Ernäh-
rungsstörungen wie Kwashiorkor (in Entwicklungsländern auftretende
Eiweißmangelerkrankung) sowie Mangelernährung bei Anorexia ner-
vosa (Magersucht) oder chronischem Alkoholabusus wirken sich auf die
Reaktion des Parodonts aus.
Pharmakologisch, Verschiedene Medikamente können einen Einfluss auf die Speichel-
medikamentös fließrate (Mundtrockenheit) und damit auf die bakterielle Abwehr oder
verstärkte Gingi- auf die Entwicklung medikamentös bedingter Gingivahyperplasien ha-
vitis und Gingiva- ben. So können Gingivawucherungen als Begleiterscheinung bei der
vergrößerungen Einnahme bestimmter Medikamente (Phenytoin, Cyclosporin A, Nife-
dipin) auftreten. Diesen Medikamenten ist gemeinsam, dass sie den zel-
lulären Kalziumstoffwechsel beeinflussen. Der pathogenetische Einfluss
auf die Gingiva ist aber nicht geklärt. Oftmals liegt diesem Mechanis-
mus zusätzlich noch eine genetische Prädisposition zugrunde. Die Gin-
givavergrößerungen bieten sekundäre Retentionsnischen für den denta-
len Biofilm. Die Gingivaläsionen finden sich bevorzugt im Bereich der
Frontzähne, wobei vor allem die Papillenbereiche betroffen sind.
Antiepileptika wie Phenytoin (z.B. Dilantin) verhüten oder dämp-
fen die anfallsweisen Leiden der meisten Epilepsieformen. Die Gingiva-
vergrößerung tritt nur bei hoher Dosierung des Medikaments auf und
wird bei ca. 50% der Patienten beobachtet. Bei guter Mundhygiene ist
sie deutlich reduziert.
Immunsuppressiva wie Cyclosporin A (z.B. Sandimmun) werden
z.B. bei Organtransplantationen oder Autoimmunerkrankungen beglei-
tend verordnet und führen bei ca. 30% der Patienten zu Gingivavergrö-
ßerungen. Die Ausprägung der Gingivahyperplasien ist dosisabhängig
und bei guter Mundhygiene reduziert.
Kalziumantagonisten wie Nifedipin (Adalat) oder Verapamil wer-
den bei koronaren Herzkrankheiten und Bluthochdruck verordnet.
Etwa 20–50% der Patienten entwickeln Gingivavergrößerungen.
Der Konsum von Drogen wie Cannabis, Kokain, Methamphetami-
nen oder anderen Partydrogen kann das Risiko für parodontale Entzün-
dungen erhöhen. Drogen begünstigen durch einen sympathomimeti-
schen Effekt häufig Mundtrockenheit, sodass der dentalen Plaque auf-
grund der verringerten Speichelmenge weniger Abwehr geboten wird.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 571

Zudem ist bei Drogenkonsumenten häufig die Mundhygiene stark ver-


nachlässigt. Cannabiskonsum führt außerdem zu einem erhöhten Paro- 1
dontitisrisiko. Es wird angenommen, dass Cannabinoide auf Hormone
einwirken, die Immunreaktionen von Zellen steuern. 2
Die unter hormonellem Einfluss entstehende Pubertätsgingivitis Geschlechts-
ist häufig mit einer Mundatmung verbunden. Die Pubertätsgingivitis hormone
tritt auf, wenn bei Mädchen der Östradiolspiegel und bei Jungen der
3
Testosteronspiegel erhöht ist.
Die im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus auftretende 4
Gingivitis entsteht unmittelbar vor der Ovulation. Während der Ovula-
tion ist die Menge an Sulkusexsudat erhöht. 5
Bei der Schwangerschaftsgingivitis liegen die während einer
Schwangerschaft ausgeschütteten Hormone Östrogen und Progesteron
verstärkt in der Sulkusflüssigkeit vor. Sie bewirken, dass das gingivale Ge-
6
webe auf eine bakterielle Invasion empfindlicher reagiert. Die Hormone
erhöhen u.a. die Gefäßpermeabilität, die Ödembildung und die Synthese 7
von Prostaglandinen und anderen Entzündungsmediatoren. Vor allem
ab dem zweiten Schwangerschaftstrimenon sind häufig spontane Blu- 8
tungen der Gingiva zu beobachten. Bei der Schwangerschaftsgingivitis ist
die Menge an vorliegender Plaque im Vergleich zu gesunden Patienten 9
nicht erhöht. Vielmehr kann eine Veränderung der Plaquezusammenset-
zung beobachtet werden. So liegt ein gehäuftes Auftreten bestimmter
Bakterien (Prevotella intermedia, Prevotella melaninogenica, Bacteroides ssp.)
10
in der Plaque vor. Diese Bakterien, insbesondere P. intermedia, können
den für sie wichtigen Nährstoff Naphthochinon durch die Schwanger- 11
schaftshormone in der Sulkusflüssigkeit substituieren. Teilweise ist die
Schwangerschaftsgingivitis mit einem exophytisch wachsenden Granu- 12
lom (Granuloma pyogenicum, „Schwangerschaftstumor“) vergesell-
schaftet, das meist interdental und im Oberkiefer zu finden ist. 13
Der medikamentös beeinflussten Gingivitis während der Einnahme
oraler Kontrazeptiva (Pillengingivitis) liegt eine verstärkte Entzün-
dungsreaktion auf dentale Plaque zugrunde. Das klinische Bild ähnelt
14
der Schwangerschaftsgingivitis. Die Pillengingivitis tritt meist auf, wenn
stark progesteronhaltige Kontrazeptiva verabreicht werden. 15
Vor allem bei akuten Formen der lymphatischen Leukämie (tritt Hämatologische
meist im Kindesalter auf) und der myeloischen Leukämie (meist im Er- Zustände 16
wachsenenalter) liegen intraorale Frühsymptome vor. Bei den chroni-
schen Formen sind die Symptome weniger ausgeprägt. Allgemeine
Krankheitssymptome sind Blässe, Infekt- und Blutungsneigung. Intra-
17
orale Leitsymptome akuter Leukämien sind Nekrosen (Ulzerationen),
Gewebsvermehrung der Gingiva und Blutungen. Beim Auftreten von 18
zwei der drei genannten Kardinalsymptome muss vom Zahnarzt drin-
gend eine internistische Untersuchung veranlasst werden. 19
Überstehende Restaurationsränder, Zementreste, kompliziert zu rei- Lokale Risiko-
nigende prothetische Halteelemente oder sonstige Nischen erschweren faktoren 20
die Kontrolle des dentalen Biofilms durch den Patienten und erhöhen

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572 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

somit das Risiko für die Entstehung entzündlicher Reaktionen des Paro-
donts.

18.3.3 Nicht durch dentalen Biofilm induzierte gingivale


Erkrankungen

Folgend wird auf einzelne der in Tab. 18.2 (Neue Klassifikation) aufge-
listeten Erkrankungen eingegangen. Weitere Informationen sind Lehr-
büchern der Inneren Medizin oder Dermatologie zu entnehmen.

Tab. 18.2: Neue Klassifikation parodontaler und gingivaler Erkrankungen und


Zustände
Parodontale Gesundheit, gingivale Erkrankungen und Zustände
1. Parodontale und gingivale Gesundheit
A Klinische gingivale Gesundheit bei intaktem Parodont
B Klinische gingivale Gesundheit bei reduziertem Parodont
i. Stabiler Parodontitispatient
ii. Kein Parodontitispatient
2. Gingivitis: durch dentalen Biofilm induziert
A Allein mit dentalem Biofilm assoziiert
B Beeinflusst durch systemische und lokale Risikofaktoren
i. Systemische, modifizierende Faktoren
a) Rauchen
b) Hyperglykämie
c) Ernährungsfaktoren
d) Pharmakologische Wirkstoffe (verordnungspflichtig, nicht
verordnungspflichtig, Drogen)
e) Geschlechtshormone (Pubertät, Menstruationszyklus,
Schwangerschaft, orale Kontrazeptiva)
f) Hämatologische Zustände
ii. Lokale, prädisponierende Risikofaktoren
a) Faktoren, die zur Retention des dentalen Biofilms beitragen
(z.B. überstehende Restaurationsränder)
b) Mundtrockenheit
C Medikamentös induzierte Gingivavergrößerung
3. Gingivale Erkrankungen: nicht durch dentalen Biofilm induziert
A Genetische/entwicklungsbedingte Störungen
i. Erbliche Gingivafibromatose

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 573

Tab. 18.2: Fortsetzung


Parodontale Gesundheit, gingivale Erkrankungen und Zustände 1
B Spezifische Infektionen
i. Bakterieller Genese 2
a) Neisseria gonorrhoeae*
b) Treponema pallidum*
3
c) Mycobacterium tuberculosis*
4
d) Streptokokken-Gingivitis
ii. Viraler Genese 5
a) Coxsackie-Virus (Hand-Mund-Fuß-Krankheit)
b) Herpes simplex I und II (primär oder rezidivierend)* 6
c) Varizella zoster (Windpocken und Gürtelrose – Nervus trigeminus)*
d) Molluscum contagiosum (sog. „Dellwarzen“, häufig bei Kindern) 7
e) Humanes Papillomavirus (HPV)
iii. Fungaler Genese
8
a) Candidose
b) Andere Mykosen (z.B. Histoplasmose, Aspergillose)
9
C Entzündliche und Immunzustände
10
i. Überempfindlichkeitsreaktionen
a) Kontaktallergie* 11
b) Plasmazellgingivitis*
c) Erythema multiforme* 12
ii. Autoimmunerkrankungen von Haut und Schleimhäuten
a) Pemphigus vulgaris* 13
b) Pemphigoid*
c) Lupus erythematodes (systemisch oder diskoid)*
14
iii. Granulomatöse entzündliche Erkrankungen (Oraofaziale
Granulomatosen)
15
a) Morbus Crohn*
b) Sarkoidose*
16
D Reaktive Prozesse
17
i. Epuliden
a) Epulis fibrosa (peripheres Fibrom) 18
b) Kalzifizierendes fibroblastisches Granulom
c) Epulis vascularis (pyogenes Granulom) 19
d) Peripheres Riesenzellgranulom
20

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574 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Tab. 18.2: Fortsetzung


Parodontale Gesundheit, gingivale Erkrankungen und Zustände
E Tumoren
i. Präkanzerosen
a) Leukoplakie
b) Erythroplakie
ii. Maligne Tumoren
a) Plattenepithelkarzinom*
b) Leukämische Zellinfiltration*
c) Lymphome (Hodgkin, Non-Hodgkin)*
F Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen
i. Vitaminmangel*
a) Vitamin-C-Mangel (Skorbut)
G Traumatische Läsionen
i. Physikalisch/mechanisches Trauma
a) Reibungskeratose
b) Mechanisch induzierte Gingivaulzeration
c) Selbst zugefügte Läsionen
ii. Chemische (toxische) Läsionen
iii. Thermische Läsionen
a) Gingivaverbrennungen
H Gingivale Pigmentierungen
i. Melanoplakie
ii. Rauchermelanose
iii. Medikamenteninduzierte Pigmentierung (Antimalariamedikamente,
Minocyclin)
iv. Amalgamtätowierung
* Systemische Beteiligung oder orale Manifestation systemischer Zustände

Erbliche Gingiva- Die hereditäre Gingivafibromatose ist eine generalisierte oder auf
fibromatose Zahngruppen begrenzte derbe, fibröse Verdickung der Gingiva. Sie wird
häufig im Tuber- und Gaumenbereich der Molaren symmetrisch ange-
troffen. Die fibrös verdickte Gingiva ist primär entzündungsfrei, von
normaler oder eher blasser Farbe mit gestippelter, manchmal leicht gra-
nulierter Oberfläche. Durch Ausbildung von Pseudotaschen kommt es
häufig sekundär auch zu entzündlichen Veränderungen der Gingiva.
Bakterielle Verschiedene spezifische bakterielle Infektionen führen ohne
Infektionen Plaquebeteiligung zu oralen Infektionen.
Die Infektion mit Neisseria gonorrhoea kann zu meist symptomlo-
sen Enanthemen (Schleimhautveränderungen) führen.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 575

Alle drei Stadien der Infektion mit Treponema pallidum können in


der Mundhöhle Veränderungen auslösen: 1
 Primäraffekt: Ulcus durum mit Lymphadenopathie
 Sekundäre Lues: fleckförmiges orales Enanthem, sog. Plaques mu- 2
queuses
 Tertiäre Lues: Gummen am harten und weichen Gaumen
3
Eine Infektion mit Mycobacterium tuberculosis kann in seltenen Fällen zu
oralen Manifestationen führen. Als Begleiterscheinung einer evtl. noch 4
nicht erkannten Lungentuberkulose kann eine Beteiligung der Gingiva
als einziger Primärbefund vorliegen. Neben entzündlichen Reaktionen 5
können auch Gingivavergrößerungen beobachtet werden.
Durch β-hämolysierende Streptokokken ausgelöste Infektionen
können orale Symptome zeigen. So finden sich z.B. beim Scharlach eine
6
sehr starke Rötung im Rachen und am weichen Gaumen. Ebenso kön-
nen Entzündungen der Gingiva auftreten. 7
Verschiedene spezifische Viruserkrankungen weisen ebenfalls orale Virusinfektionen
Symptome auf. Die Hand-Fuß-Mund-Krankheit ist eine Virusinfektion, 8
die durch einen Stamm des Coxsackie-Virus ausgelöst wird. Es verur-
sacht einen blasenartigen Ausschlag, der Hände, Füße und Mund be- 9
trifft. Die Infektion tritt bei Kindern, gelegentlich aber auch bei jungen
Erwachsenen auf.
Vor allem Infektionen mit Herpes-Viren (HSV-1 und -2; HHV-3, -4
10
und -5) gehen häufig mit einer akuten, schmerzhaften Symptomatik
einher. 11
Die Gingivostomatitis herpetica ist eine meist mit Fieber einherge-
hende Erstinfektion mit Herpes-simplex-Viren (HSV-1 oder -2), die bei 12
Kindern im Alter von 2–4 Jahren, selten bei Erwachsenen, auftritt. Im ge-
samten Mundraum finden sich Herpes-Bläschen, die nach dem Aufplat- 13
zen aphthenähnliche Läsionen hinterlassen. Der rezidivierende orale
Herpes wird durch Viren (HSV-1 oder -2) ausgelöst, die in sensorischen
Ganglien latent persistieren. Eine lokale Exazerbation mit hoch konta-
14
giösen Bläschen an der Lippe oder Gingiva kann durch Immunreduk-
tion, Stress, Ekel, UV-Bestrahlung oder andere Reize ausgelöst werden. 15
Herpes-zoster-Läsionen sind im Ausbreitungsgebiet eines Nervs (z.B.
N. trigeminus) durch das Varizella-Zoster-Virus (HHV-3) hervorgeru- 16
fene Effloreszenzen in Form von konfluierenden Bläschen. Die Erkran-
kung erfolgt als eine Reinfektion nach kindlichen Varizellen (Windpo-
cken) mit ausgebildeter Teilimmunität. Sie kann aber auch von Viren
17
ausgelöst werden, die nach kindlicher Varizellen-Infektion in einem
Ganglion latent vegetieren, sodass es bei älteren oder geschwächten Pa- 18
tienten zu einem Ausbruch der Erkrankung kommen kann.
Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (HHV-4, Auslöser der in- 19
fektiösen Mononukleose, Pfeiffer-Drüsenfieber) oder dem Zytomegalie-
Virus (HHV-5) können zu oralen Symptomen führen. Diese können zu- 20
dem bei viralen Infekten wie Masern (Koplick-Flecken: weiße Schleim-

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576 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

hautstippen der Wange mit rotem Hof) und Röteln (fleckiges Rachen-
enanthem) oder bei Infektionen durch HPV-Papillomaviren (Schleim-
hautwarzen) auftreten.

Bei immunsupprimierten Patienten, Patienten unter Antibiotika-


therapie oder bei Vorliegen lokaler Reize (schlecht sitzende Prothe-
sen) können Pilzinfektionen mit Candida spp., meist C. albicans,
auftreten.

Pilzinfektionen Als Symptom der oralen Candidiasis finden sich u.a. weiße, abwisch-
bare Beläge (Soor, Pseudomembranen), unter denen sich eine hochrote,
leicht blutende Schleimhaut befindet. Im Rahmen systemischer Erkran-
kungen wie z.B. Diabetes mellitus oder HIV-Infektion liegt eine orale
Candidiasis ebenfalls gehäuft als opportunistische Infektion vor.
Als lineares gingivales Erythem wird die bei HIV-Seropositiven oft
vorliegende starke Rötung der marginalen Gingiva bezeichnet. Eine
Histoplasmose (Histoplasma-Mykose) wird ebenfalls vorwiegend bei
immungeschwächten Patienten gefunden.

Gingivale Manifestationen systemischer Erkrankungen können als


Ausdruck dermatologischer Grunderkrankungen zu mukokutanen
Veränderungen der oralen Schleimhaut führen.

Autoimmun- Lichen planus ist eine Autoimmunerkrankung, die mit oralen hyperke-
erkrankungen ratotischen Effloreszenzen unterschiedlichen Aussehens (netzartig;
Wickham-Streifung, flächig oder erosiv) der oralen Mukosa einhergeht.
Eine maligne Transformation tritt bei ca. 2% der Fälle auf. Eine liche-
noide Reaktion kann auch durch zahnärztliche Materialien (z.B. Amal-
gam) ausgelöst werden.
Schleimhautpemphigoid, Pemphigus vulgaris und Erythema ex-
sudativum multiforme sind Dermatosen, deren vorliegende Verände-
rungen der Gingiva auch dem Formenkreis der desquamativen Gingivi-
tiden zugeordnet werden. Als desquamative Gingivitiden werden selten
auftretende Gingivaerkrankungen zusammengefasst, bei denen eine
nur dünne, hellrote Epithelschicht vorliegt, die sich leicht vom subepi-
thelialen Bindegewebe abheben lässt. Dabei können Blasenbildungen
der Gingiva vorliegen oder mit dem Luftbläser hervorgerufen werden.
Beim Lösen der Blasen bleiben schmerzhafte Erosionen oder Ulzeratio-
nen zurück. Das Schleimhautpemphigoid und der Pemphigus vulgaris
sind Autoimmunerkrankungen unklarer Genese. Beide Erkrankungen
werden häufiger bei Frauen als bei Männern diagnostiziert. Beim Ery-
thema exsudativum multiforme werden eine symptomatische Genese
infolge einer Arzneimittelunverträglichkeit und eine idiopathische Ge-
nese unterschieden.
Als Lupus erythematodes wird eine Autoimmunerkrankung mit
Bildung von Antikörpern gegen verschiedene Zellbestandteile bezeich-

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 577

net, die bei schwerer Verlaufsform Organbeteiligungen zeigt. Die oralen


Läsionen ähneln einer Leukoplakie oder dem Lichen planus. 1
Die Plasmazell-Gingivitis ist eine seltene entzündliche Erkrankung,
die durch eine Plasmazell-Infiltration der Lamina propria gekennzeich- 2
net ist. Klinisch zeigt sie sich als oftmals symptomlose Zahnfleischver-
größerung mit Erythem der anhaftenden und freien Gingiva und ist
nicht mit einem Attachmentverlust verbunden. Als Ätiologie werden
3
chronische Infektionen, hormonelle Veränderungen, Infektionen mit
Candida albicans und insbesondere Überempfindlichkeitsreaktion auf 4
bestimmte Allergene (z.B. aus Zahnpasten, Gewürzen etc.) beschrieben.
Allergische Reaktionen auf Bestandteile zahnärztlicher Restaura- Allergien 5
tionsmaterialien sind Kontaktallergien (Typ-IV-Reaktion: verzögerte
Immunreaktion) mit lichenoiden Läsionen. Nach Entfernung des Mate-
rials verschwindet die Läsion. Allergische Reaktionen auf Bestandteile
6
von Zahnpflege- oder Nahrungsmitteln stellen eine Typ-I-Reaktion vom
Soforttyp dar. Dabei treten akute Gingivaentzündungen und Ulzeratio- 7
nen auf.
Orale traumatische Läsionen können unbeabsichtigt, iatrogen Traumata 8
oder unfallbedingt entstehen. Bei einer chemischen Traumatisierung
kann z.B. eine lokale Applikation von Medikamenten (z.B. Acetylsalicyl- 9
säure) die Ursache sein. Mechanische Verletzungen können durch un-
sachgemäße Anwendung von Mundhygienehilfsmitteln oder thermi-
sche Schädigungen durch heiße Nahrungsmittel ausgelöst sein.
10
Unter einer Fremdkörperreaktion wird eine Entzündung z.B. der
Gingiva als Reaktion auf eingebrachtes Fremdmaterial (z.B. verbliebenes 11
Nahtmaterial) verstanden.
12
18.3.4 Nekrotisierende Parodontalerkrankungen 13
Nekrotisierende (ulzerierende) Parodontalerkrankungen können Er- Klinik
wachsene und Kinder mit chronisch oder temporär eingeschränkter Im-
14
munkompetenz befallen (vgl. Tab. 18.3). Die oralen Symptome können
auf die Gingiva beschränkt (nekrotisierende Gingivitis, NG), auf das Pa- 15
rodont ausgedehnt (nekrotisierende Parodontitis, NP) oder sehr selten in
der gesamten Mundhöhle (nekrotisierende Stomatitis, NS) verteilt sein. 16
Die NG (Synonym: Plaut-Vincent-Gingivitis) beginnt meist schlagartig
mit einer schmerzhaften Entzündung der empfindlichen interdentalen
Gingiva (Col). Es finden sich Nekrosen und Ulzerationen zunächst der
17
interdentalen, später auch der übrigen Gingiva. Nach Abheilen der NG
bleiben interdentale Krater in der Gingiva zurück. Die befallene Gingiva 18
besitzt keine Epitheldeckschicht mehr und ist von einer schmierigen,
gelblichen Membran überzogen. Beim Entfernen dieser Pseudomembran 19
aus Fibrin und Zellresten treten starke Schmerzen und Blutungen auf.
Die nekrotische Gingiva wird durch eine rötliche Linie von der nicht be- 20
fallenen, gesunden Gingiva abgegrenzt. Die meist jüngeren Patienten

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578 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Tab. 18.3: Nekrotisierende Parodontalerkrankungen (nach Schmidt und Walter 2019; Eickholz 2021)
Kategorie Patienten Prädisponierende Faktoren Klinischer Zustand
Chronisch schwer Erwachsene HIV+/AIDS mit CD4-Zellzahlen < 200 und NG, NP, NS, Noma
immunkompro- nachweisbarer Viruslast (mögliche Krankheits-
mittierte Andere schwerwiegende systemische progression)
Patienten Zustände (z.B. Immunsuppression)
Kinder Schwere Mangelernährung
Extreme Lebensumstände*
Schwere (virale) Infektionen**
Temporär Gingivitis- Unkontrollierte Faktoren (z.B. Stress, Rauchen, Generalisierte NG
und/oder moderat patienten Schlafmangel, unausgewogene schlechte (mögliche Progression
immunkompro- Ernährung, andere Gewohnheiten) zu NP)
mittierte Vorgeschichte einer
Patienten nekrotisierenden PAR-Erkrankung
mit persistierenden interdentalen Kratern
Lokale Faktoren Lokalisierte NG
(z.B. Wurzelengstand, Zahnfehlstellungen) (mögliche Progression
zu NP)
Allgemeine prädisponierende Faktoren für NG
nekrotisierende PAR-Erkrankungen (selten Progression)
Parodontitis- Allgemeine prädisponierende Faktoren für NG
patienten nekrotisierende PAR-Erkrankungen (selten Progression)
NG: nekrotisierende Gingivitis, NP: nekrotisierende Parodontitis, NS: nekrotisierende Stomatitis
* Leben in unterdurchschnittlichen allgemeinen bzw. hygienischen Verhältnissen, schlechte Mundhygiene,
stark einschränkende Kinderkrankheiten
** Masern, Windpocken, Herpesviren, Malaria, fiebrige Erkrankungen

(18–30 Jahre) klagen häufig über einen starken Foetor ex ore, Lymphkno-
tenschwellungen und in seltenen Fällen über Fieber.
Als Manifestation einer schweren systemischen Abwehrschwäche
kann sich eine nekrotisierende Parodontitis (NP) entwickeln. Die Ne-
krosen greifen dabei auch auf das parodontale Ligament und den Alveo-
larknochen über. Es tritt ein rascher Attachmentverlust ein, häufig ohne
Ausbildung tiefer Taschen. Eine Sequesterbildung des Knochens kann
beobachtet werden.
Prävalenz/DD Die Prävalenz der Erkrankung beträgt 0,2–6%. Differenzialdiagnos-
tisch muss die NG gegen eine Gingivostomatitis herpetica abgegrenzt
werden.
Ätiologie Die Ätiologie ist durch das Vorliegen folgender Faktorentrias ge-
kennzeichnet:
 Schlechte Mundhygiene (bereits bestehende Gingivitis)
 Rauchen
 Psychosozialer Stress

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 579

Die NG wird in Entwicklungsländern häufig im Zusammenhang 1


mit einer Mangelernährung der Patienten beobachtet. Eventuell
stellt sie in diesen Ländern als nekrotisierende Stomatitis eine Form 2
der Noma-Erkrankung dar. Sie tritt auch mit zunehmender Häufig-
keit in industrialisierten Ländern auf, vor allem als orale Manifesta-
tion bei HIV-Erkrankten.
3
Die HIV-Infektion ist eine durch das HI-Virus I verursachte Immun- HIV-Infektion 4
schwäche. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung finden sich
u.a. folgende parodontale bzw. orale Symptome: 5
 Therapierefraktäre NP-ähnliche Parodontitis
 Pilz- und Herpes-zoster-Infektionen
 Neoplasmen (Kaposi-Sarkome, Non-Hodgkin-Lymphome, Burkitt-
6
Lymphome, Papillome)
 Haarleukoplakie an Rand oder Unterseite der Zunge 7
Die NG kann auch bei geschwächten Patienten, bei Patienten mit Blut- Mikrobiologie 8
krankheiten, bei immunsupprimierten Patienten und im Rahmen von
Avitaminosen auftreten. Mikrobiologisch liegt bei nekrotisierenden 9
Parodontalerkrankungen eine Infektion mit rasch ins Gewebe eindrin-
genden Spirochäten, aber auch Selemonas- und Fusobakterien sowie
Porphyromonas intermedia und gingivalis, Kokken und Bakteroides-Stäm-
10
men vor.
11
18.3.5 Parodontitis 12
Die Klassifikation orientiert sich auch hier am individuellen Patienten 13
und seinen Risikobedingungen (s. Tab. 18.4 u. Tab. 18.5). Die frühere
Unterscheidung in eine aggressive und eine chronische Form der Paro-
dontitis entfällt dementsprechend. In Publikationen, die vor 2018 ent-
14
standen, werden diese Begriffe oftmals verwendet. Zum erleichterten
Vergleich der aktuellen Klassifikation mit der alten Nomenklatur wird 15
daher hier angemerkt, dass die früher so bezeichnete aggressive Paro-
dontitis oder die juvenile lokalisierte Parodontitis der später erklärten 16
Parodontitisform Stadium III/IV Grad C mit hohen Progressionsraten
am ehesten entsprechen.
17
! Die Parodontitis ist eine entzündliche Erkrankung, assoziiert mit
einem dysbiotischen Biofilm, die Anteile des marginalen Paro-
donts, d.h. der Gingiva, des Desmodonts, des Wurzelzements und
18
des Alveolarknochens mit fortschreitendem Verlust an Stützge- 19
webe befällt.
20

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580 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Symptome Die Einteilung des Patienten entsprechend dem Staging basiert auf dem
Schweregrad der Parodontitis bei Erstvorstellung des Patienten (s. Tab.
18.4). Primäres Maß für das Staging ist die Anzahl an Zähnen mit erhöh-
ten approximal bestimmten klinischen Attachmentverlusten. Attach-
mentverluste aufgrund von Rezessionen, die keine Entzündung aufwei-
sen, werden nicht berücksichtigt. Die Anzahl der durch Parodontitis
verloren gegangenen Zähne wird ebenfalls in die Bewertung miteinbe-
zogen. Daneben spielen bei der Einteilung der röntgenologisch darstell-
bare Knochenverlust, die parodontale Taschenbildung sowie die Blu-
tungsneigung der Gingiva entscheidende Rollen. Stadium III und IV un-
terscheiden sich nur bezüglich der auftretenden Komplexitätsfaktoren.
Oft wird nur ein einziger Komplexitätsfaktor benötigt, um die Diagnose

Tab. 18.4: Einteilung der Stadien (I–IV) einer Parodontitis (modifiziert nach Jepsen). Die Bewertun-
gen und die Einteilung werden im ersten Befund bei dem Patienten erhoben. Der wesentliche Para-
meter stellt dabei das Klinische Attachment-Level (CAL) dar. Kann dieses nicht erhoben werden,
sollte der radiologische Knochenabbau verwendet werden. Liegt bereits ein Komplexitätsfaktor vor,
erfolgt die Zuordnung zum nächsthöheren Stadium.
Parodontitis-Stadium STAGING Stadium I Stadium II Stadium III Stadium IV
Schweregrad Interdentales 1–2 mm 3–4 mm ≥ 5 mm ≥ 5 mm
CAL an Stellen
mit höchstem
Verlust
Knochenabbau < 15% 15–33% > 33%
Zahnverlust Kein Zahnverlust ≤ 4 Zähne ≥ 5 Zähne
aufgrund von
Parodontitis
Komplexität Lokal Maximale ST Maximale ST Zusätzlich zu Zusätzlich zu Stadium III:
< 4 mm 4–5 mm Stadium II: Komplexe Rehabilitation
Vorwiegend horizontaler • ST ≥ 6 mm erforderlich aufgrund
Knochenabbau • vertikaler KA von:
≥ 3 mm • mastikatorischer Dys-
• FB Grad II funktion
oder III • sekundärem okklusa-
lem Trauma (Zahnbe-
weglichkeit ≥ Grad 2)
• Zahnwanderung
• ausgeprägtem Kamm-
defekt
• < 20 Restzähnen (10 ok-
kludierende Paare)
Ausmaß & Verwendung Für jedes Stadium Bewertung des Ausmaßes:
Verteilung zur genaueren • lokalisiert? (< 30% der Zähne betroffen)
Beschreibung • generalisiert?
des Stagings • Molaren-Inzisivi-Muster?
FB: Furkationsbeteiligung
ST: Sondierungstiefe

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 581

zu einem höheren Stadium zu verschieben. Nach aktiver Therapie und


in der Erhaltungstherapie verbleiben die Patienten in dem primär einge- 1
teilten Stadium, auch wenn einzelne Komplexitätsfaktoren durch die
Behandlung behoben sein sollten. Dadurch wird ihrem weiterhin beste- 2
henden Risiko einer Parodontalerkrankung Rechnung getragen.
Eine Parodontitis entwickelt sich meist ab dem 30. bis 35. Lebens-
jahr, kann aber auch bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Die
3
Mundhygiene der Patienten ist meist unzureichend. Es finden sich
meist große Mengen an Plaque und supra- bzw. subgingivalem Zahn- 4
stein, sodass i.d.R. eine Gingivitis vorliegt. Zusätzlich zeigt das klinische
Bild der Parodontitis Knochenabbau, Abszesse, Zahnwanderungen und 5
-kippungen sowie Zahnfleischtaschen mit Attachmentverlust. Als Spät-
symptom sind erhöhte Zahnbeweglichkeiten zu beobachten. Die Er-
krankung ist als Erkrankung des einzelnen Parodonts zu verstehen. So-
6
mit kann das Ausmaß lokalisiert (< 30% der betroffenen Zähne) oder ge-
neralisiert (≥ 30%) oder es kann ein Molaren-Inzisiven-Muster 7
vorliegen. Beim Molaren-Inzisiven-Muster sind ausschließlich die bei-
den genannten Zahngruppen (meist bei jüngeren Patienten) mit gerin- 8
gem Plaquebefall betroffen.
Das Grading der Erkrankung orientiert sich an zusätzlichen Infor- 9
mationen und Merkmalen, die eine Einschätzung zur Progressionsrate
beim einzelnen Patienten ermöglichen (s. Tab.18.5). Wichtige Informa-
tionen sind dabei die Progredienz des Knochenabbaus, die Relation des
10
Knochenabbaus zum Lebensalter des Patienten, das Verhältnis der paro-
dontalen Zerstörung zur Menge des vorhandenen Biofilms sowie die Ri- 11
sikofaktoren Rauchen und Diabetes mellitus.
Die Parodontitis zeigt eine je nach Patienten unterschiedliche 12
schnelle Progression und verläuft schubweise. Phasen der erhöhten pa-
rodontalen Destruktion wechseln mit Phasen der Stagnation. Akute 13
Exazerbationen mit aktiven Taschen finden sich neben ruhenden, inak-
tiven Taschen. Eine anfänglich hohe Destruktionsaktivität kann sich
später verlangsamen oder sistieren.
14
Als aktive Taschen werden Zahnfleischtaschen bezeichnet, die die 15
typischen Entzündungszeichen (Blutung, Exsudat, Pus, Schmerz etc.)
aufweisen. 16
In aktiven Taschen kann je nach Patientenfall die subgingivale Plaque
vermehrt bestimmte Markerkeime enthalten (Porphyromonas gingivalis,
17
Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Tannerella forsythia usw.).
Rasch progrediente Verlaufsformen zeigen vor allem in der nicht ad- 18
härenten, schwimmenden subgingivalen Taschenflora eine Keimver-
schiebung zu vermehrt gramnegativen anaeroben Mikroorganismen 19
und Spirochäten. Vor allem Porphyromonas gingivalis wird für die schwe-
ren Destruktionen (parodontaler Breakdown) verantwortlich ge- 20
macht, indem er die Funktion der neutrophilen Granulozyten behin-

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582 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Tab. 18.5: Einteilung der Grade (A–C) einer Parodontitis (modifiziert nach Jepsen). Sofern möglich,
wird die direkte Evidenz zur Graduierung verwendet. Wenn diese nicht vorliegt, kann der radiologi-
sche Knochenabbau in Prozent der Wurzellänge beim am stärksten betroffenen Zahn (*KA) im Ver-
hältnis zum Lebensalter des Patienten herangezogen werden, um die vergangene Progression zu be-
urteilen. Ein früher Erkrankungsbeginn, wie er beim Molaren-Inzisivi-Muster häufig vorliegt, oder
ein behandlungsresistenter Erkrankungsverlauf führen zur Einteilung in Grad C.
Parodontitis GRADING Grad: Grad A Grad B Grad C
Progression: langsam moderat rasch
Primäre Direkte Longitudinale Kein Verlust < 2 mm über ≥ 2 mm über 5 Jahre
Kriterien Evidenz Daten für KA 5 Jahre
für Pro- oder CAL (über
gression 5 Jahre):
Indirekte *KA %/Alter: < 0,25 0,25–1,0 > 1,0
Evidenz Phänotyp: • Erheblicher Bio- • Destruktion • Destruktion unpro-
für Pro- film mit gerin- proportional portional zum Biofilm
gression ger parodontaler zum Biofilm • Episoden rapider
Destruktion Destruktion
• Früher Erkrankungs-
beginn
Modifi- Risiko- Rauchen: Nichtraucher Raucher: Raucher:
katoren faktoren < 10 Zig./Tag ≥ 10 Zig./Tag
Diabetes: Kein Diabetiker, Diabetiker mit Diabetiker mit HbA1c
normo-glykämisch HbA1c < 7,0% ≥ 7,0%
CAL: Klinisches Attachment-Level
HbA1c: Glykiertes Hämoglobin
Zig.: Zigaretten

dert. Auch Aggregatibacter actinomycetemcomitans, der die Fähigkeit


besitzt, ins Weichgewebe einzudringen, wird eine entscheidende Bedeu-
tung bei der Entwicklung einer rasch progredienten Parodontitis beige-
messen. Der Nachweis dieser Bakterien kann aber nicht bei allen Patien-
ten mit rasch progredienter Parodontitis erbracht werden. Darüber hi-
naus weisen viele Betroffene Defekte (Chemotaxis, Migration) der
neutrophilen Granulozyten und Monozyten auf. Auch ist es den neu-
trophilen Granulozyten nicht möglich, Aggregatibacter actinomycetemco-
mitans nach Phagozytose abzutöten. Es kann auch ein hyperreaktiver
Makrophagen-Phänotyp mit vermehrter Ausschüttung gewebedestruie-
render Faktoren (PGE-2, IL-1b) vorliegen. Es wird vermutet, dass diese
Defekte der Leukozyten vererbt werden.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 583

18.3.6 Parodontitis als Manifestation systemischer


Erkrankungen 1
2
! Bei einer großen Zahl von Allgemeinerkrankungen kann es auch
zu krankhaften Veränderungen an der Gingiva oder am Parodon-
tium kommen (s. Tab. 18.6). Diese Veränderungen müssen von
den plaquebedingten Formen der Gingivitis und Parodontitis un-
3
terschieden werden. Da bei diesen Erkrankungen aber häufig
auch die Mundhygiene beeinträchtigt ist, kommt es fast immer 4
sekundär auch zu plaquebedingten entzündlichen Veränderun-
gen. 5
Es handelt sich hierbei um meist sehr seltene Erkrankungen, die ggf.
noch nicht diagnostiziert wurden. Somit kann die Erfassung der paro-
6
dontalen Situation, vor allem bei jungen Patienten, im Einzelfall Anlass
zu weiteren Abklärungen geben. 7
Zurzeit werden folgende genetische Erkrankungen beschrieben, mit Genetische
denen parodontale Läsionen assoziiert sind: Erkrankungen 8
 Beim Down-Syndrom (Trisomie 21) handelt es sich um eine nu-
merische autosomale Chromosomenaberration (dreifaches Chromo- 9
som 21), die u.a. mit geistiger Retardierung, rundlichem Minder-
wuchs, Hypertelorismus, offenem Mund (Mundatmung) und Herzfeh-
lern einhergeht. Die generalisierten schweren, rasch fortschreitenden
10
Parodontitiden beginnen bereits in der ersten Dentition. Als ätiologi-
sche Faktoren werden, neben der eingeschränkten Mundhygiene und 11
der vorliegenden Mundatmung, Chemotaxisdefekte der neutrophilen
Granulozyten vermutet. 12
 Leukozyten-Adhäsionsdefekt-Syndrom: Seltene Erkrankung mit
defekter Expression von Adhärenzproteinen der neutrophilen Gra- 13
nulozyten, sodass die Neutrophilenauswanderung durch die Blutge-
fäße stark unterdrückt ist.
 Das Haim-Munk-Syndrom und das Papillon-Lefèvre-Syndrom sind
14
extrem seltene Verhornungsstörungen, die klinisch u.a. durch Hy-
perkeratosen an Hand- und Fußflächen gekennzeichnet sind und 15
mit schweren, früh einsetzenden Parodontitiden einhergehen. Die
mit diesen Syndromen verbundene Parodontitis ist besonders ag- 16
gressiv und spricht nicht auf herkömmliche Parodontaltherapien
an. Infolgedessen werden die meisten Patienten im Alter von 15 Jah-
ren zahnlos.
17
 Chediak-Higashi-Syndrom: Seltene hereditäre Stoffwechselanoma-
lie mit Pigmentstörungen der Haut und Störungen der zellulären 18
Immunität (Enzymopathie). Migrations- und Chemotaxisdefekte
der Granulozyten; reduzierte Fähigkeit zur intrazellulären Abtötung 19
von Bakterien.
 Hereditäre (kongenitale) oder zyklische Neutropenie: Angebo- 20
rene Neutrozytopenie (neutrophile Granulozyten < 1500/μl) mit

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584 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Tab. 18.6: Systemische Erkrankungen und Zustände mit Einfluss auf das
Parodont
Klassifikation Erkrankung
1 Systemische Erkrankung mit wesentlichem Einfluss auf
parodontalen Attachmentverlust durch Einfluss auf parodontale
Entzündung
1.1 Genetische Erkrankungen
1.1.1 Erkrankungen mit immunologischen Funktionsstörungen
• Down-Syndrom (Trisomie 21)
• Leukozyten-Adhäsionsdefekt-Syndrom
• Papillon-Lefèvre-Syndrom
• Haim-Munk-Syndrom
• Chediak-Higashi-Syndrom
• Schwere Neutropenien
– Kongenitale Neutropenie (Kostmann-Syndrom)
– Zyklische Neutropenie
• Primäre Immunschwächeerkrankungen
– Chronische Granulomatose
– Hyperimmunglobulin-E-Syndrom
• Cohen-Syndrom
1.1.2 Erkrankungen der Mundschleimhaut und der Gingiva
• Epidermolysis bullosa
– Epidermolysis bullosa dystrophica
– Kindler-Syndrom
• Plasminogen-Mangel
1.1.3 Erkrankungen des Bindegewebes
• Ehlers-Danlos-Syndrom (Typ IV, VIII)
• Angioödem (C1-Inhibitormangel)
• Systemischer Lupus erythematodes
1.1.4 Stoffwechsel- und endokrine Erkrankungen
• Glykogenspeicher-Syndrom
• Gaucher-Krankheit
• Hypophosphatasie
• Hypophosphatämische Rachitis
• Hajdu-Cheney-Syndrom
1.2 Erworbene Immundefekte
• Erworbene Neutropenie
• HIV-Infektion
1.3 Entzündliche Erkrankungen
• Epidermolysis bullosa acquisita
• Entzündliche Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn)
• Arthritis (rheumatoide Arthritis, Osteoarthritis)

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 585

Tab. 18.6: Fortsetzung


Klassifikation Erkrankung 1
2 Andere systemische Erkrankungen mit Einfluss auf die
Pathogenese parodontaler Erkrankungen 2
• Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2
• Adipositas 3
• Osteoporose
• Emotionaler Stress und Depression
• Nikotinabhängigkeit bzw. -abusus
4
3 Systemische Erkrankungen, die parodontalen Attachment-
verlust unabhängig von Parodontitis verursachen können
5
3.1 Tumoren
6
• Primäre Tumorerkrankungen der parodontalen Gewebe
– Orales Plattenepithelkarzinom
– Odontogene Tumoren 7
– Andere primäre Tumoren der parodontalen Gewebe
• Sekundäre metastatische Tumoren der parodontalen Gewebe 8
3.2 Andere Erkrankungen der parodontalen Gewebe
• Granulomatose mit Polyangiitis 9
• Langerhans-Zell-Histiozytose
• Riesenzellgranulome 10
• Hyperparathyroidismus
• Systemische Sklerose (Sklerodermie)
• Gorham-Stout-Syndrom (Vanishing bone disease)
11
bakteriellen Infektionen. Chronischer Verlauf mit fortgeschrittener 12
generalisierter Parodontitis.
 Chronische Granulomatose zeigt eine Fehlfunktion der Phagozy- 13
ten und daraus resultierende lang anhaltende Infektionen der Haut,
der Lungen, Lymphknoten, des Mundes, der Nase, der Harnwege
und des Darms.
14
 Das Hyperimmunglobulin-E-Syndrom ist ein sehr seltener pri-
märer Immundefekt und klinisch gekennzeichnet durch die Trias 15
hohes Serum-IGE (> 2000 IU/ml), rezidivierende Staphylokokken-
Hautabszesse und rezidivierende Pneumonien. 16
 Cohen-Syndrom: Erkrankung mit Adipositas, schwerer geistiger Be-
hinderung, Mittelgesichtsfehlbildungen und Neutropenie.
 Bei der Hautkrankheit Epidermolysis bullosa können je nach Typ
17
(z.B. Kindler-Syndrom) am ganzen Körper, d.h. auch im Mund, Bla-
sen und Wunden entstehen, da die mechanische Verbindung zwi- 18
schen den unterschiedlichen Hautschichten unzureichend ausgebil-
det ist. Betroffene werden als Schmetterlingskinder bezeichnet, weil 19
ihre Haut so verletzlich wie die Flügel eines Schmetterlings ist.
 Plasminogen-Mangel ist eine systemische Erkrankung mit stark ein- 20
geschränkter Fibrinolyse und der Bildung harter, fibrinreicher Pseu-

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586 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

domembranen auf den Schleimhäuten während der Wundheilung


nach z.B. Traumen und Verletzungen.
 Ehlers-Danlos-Syndrom: Bindegewebsschwäche durch defekte Kol-
lagensynthese (z.B. Überstreckbarkeit der Gelenke). Zehn verschie-
dene Erkrankungsformen. Bei den Typen IV und VIII zum Teil be-
reits in der ersten Dentition beginnende schwere Parodontalerkran-
kungen.
 Beim hereditären Angioödem mit C1-Inhibitormangel handelt es
sich um eine Erkrankung aufgrund einer Genmutation, durch die
die Durchlässigkeit der Blutgefäße erhöht ist, sodass es zu attacken-
artigen Schwellungen in unterschiedlichen Körperregionen kom-
men kann.
 Glykogenspeicher-Syndrom: Erkrankung mit gesteigerter Glyko-
genspeicherung in vielen Organen, Neutropenie und eingeschränk-
ter Funktion neutrophiler Granulozyten.
 Beim Morbus Gaucher kommt es durch einen Enzymdefekt zu einer
Vergrößerung der Makrophagen (Gaucher-Zellen). Diese veränder-
ten Zellen wandern in andere Organe (z.B. Knochenmark, Leber,
Milz) ein und können dort Schäden hervorrufen.
 Hypophosphatasie (Rathbun-Syndrom): Autosomal-rezessiv ver-
erbter Mangel an alkalischer Phosphatase mit schweren Mineralisa-
tionsstörungen des Skeletts und frühzeitigem Zahnverlust. Bei hypo-
phosphatämischer Rachitis (auch Phosphatdiabetes) wird zu viel
Phosphat mit dem Harn ausgeschieden. Durch die Mineralisations-
störungen können die Knochen weich und biegsam werden.
 Das Hajdu-Cheney-Syndrom zeigt neben einer Vielzahl an Sympto-
men u.a. Osteoporose-Erscheinungen mit Veränderungen des Schä-
dels und des Unterkiefers durch übermäßige Knochenresorption.
Erworbene  Erworbene Neutropenie, Agranulozytose: Durch Arzneimittel be-
Immundefekte dingte Granulozytopenie mit Schleimhautnekrosen und schweren
und Blut- allgemeinen Krankheitssymptomen bei stark verminderter Zahl
erkrankungen neutrophiler Granulozyten.
 HIV-Infektionen führen zu einer geschwächten Immunlage und im
fortgeschrittenen Stadium zu parodontalen Defekten.
 Leukämie: Maligne Entartung und Reifungsstörung der Leukozyten
(lymphatische L.: Lymphozyten betreffend, myeloische L.: andere
Leukozyten betreffend). Mit Nekrosen und Gingivavergrößerung
einhergehende parodontale Läsionen.
Entzündliche  Die erworbene Epidermolysis bullosa sowie Arthritiden und auch
Erkrankungen entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn können mit
parodontalen Destruktionen assoziiert sein. So weist die Parodonti-
tis mit z.B. Arthritiden eine schwach-positive Assoziation in Bezug
auf die Arthritis-Pathogenese auf. Bei Morbus Crohn (Enteritis regio-
nalis Crohn) liegt eine granulomatöse Entzündung mit Bindege-
websvermehrung und sekundären Ulzerationen vor, die alle Ab-
schnitte des Magen-Darm-Trakts befallen kann.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 587

 Der Einfluss systemischer Einflussfaktoren wie Diabetes mellitus, Weitere syste-


Rauchen, Stress, Adipositas und anderer Faktoren auf parodontale mische Erkran- 1
Erkrankungen und deren Erkrankungsverläufe sind an anderen Stel- kungen/Einfluss-
len im Buch beschrieben. faktoren 2
 Verschiedene primäre und sekundäre Tumoren, die unabhängig von Tumoren
einer Parodontitis entstehen, können parodontale Gewebe befallen.
 Die Granulomatose mit Polyangiitis ist eine rheumatische Erkran- Andere Erkran-
3
kung, die mit granulomatösen Veränderungen der Atemwege und kungen der paro-
einer Vaskulitis der mittleren und kleinen Blutgefäße einhergeht. An dontalen Gewebe 4
der Mundschleimhaut und im Rachen werden Ulzerationen beob-
achtet. 5
 Langerhans-Zell-Histiozytose: Von den Langerhans-Zellen ausge-
hende schwere Allgemeinerkrankung mit Bildung von Granulations-
gewebe im Knochen und den Weichgeweben. Man unterscheidet bei
6
den Histiozytosen das Abt-Letterer-Siwe-Syndrom (bei Säuglingen/
Kindern, fatale Prognose), die Hand-Schüller-Christian-Erkrankung 7
(bei Kindern/Jugendlichen, ungünstige Prognose) und den Langer-
hans-Zelltumor (eosinophiles Granulom), der die mildeste Verlaufs- 8
form darstellt. Das klinische Bild ähnelt dem der lokalisierten rasch
progredienten Parodontitis. Als Besonderheit finden sich aber deutli- 9
che Schleimhauteinziehungen der Gingiva. Die Diagnosesicherung
kann nur histologisch erfolgen.
 Periphere und zentrale Riesenzellgranulome (RZG) gehören zu den
10
lokal-reaktiven, nicht neoplastischen oralen Gewebsvermehrungen.
Während das zentrale RZG im Kieferknochen lokalisiert ist, lässt 11
sich das periphere RZG an der Gingiva, aber gelegentlich auch am
Gaumen und am Alveolarkamm des zahnlosen Kiefers finden, sehr 12
selten auch im periimplantären Gewebe. Sie zeigen nach Entfernung
eine 10%ige Rezidivneigung. 13
 Der Hyperparathyreoidismus ist durch eine vermehrte Sekretion
von Parathormon gekennzeichnet. Das Parathormon ist ein Hor-
mon des Kalziumstoffwechsels und wird in den Nebenschilddrüsen
14
produziert. Langfristig erhöhte Parathormon-Spiegel führen am
Knochen zu charakteristischen morphologischen Veränderungen 15
wie Osteopenie oder verwaschenen Knochenstrukturen.
 Bei der systemischen Sklerose (Sklerodermie) tritt infolge der Kol- 16
lagenose eine Verhärtung der Haut besonders an den Händen und
im Gesicht ein. Die parallel auftretende anfallsartige Minderdurch-
blutung der Finger oder Zehen mit Erblassen der Kuppen wird als
17
Raynaud-Syndrom bezeichnet. Als Frühsymptom tritt eine Verkür-
zung des unteren Zungenbändchens auf. 18
 Die Vanishing bone disease (Gorham-Stout-Syndrom) ist eine sel-
tene Erkrankung mit unbekannter Ätiologie. Es kommt dabei zu ei- 19
ner Zerstörung der Knochenmatrix und Proliferation von Gefäß-
strukturen, was zur Zerstörung und Resorption von Knochen führt. 20

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588 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

18.3.7 Endo-Paro-Läsionen

Zwischen dem Parodont und dem Endodont besteht eine enge Wechsel-
beziehung. Durch das Foramen apicale oder Seitenkanäle der Wurzelka-
nalpulpa, aber auch durch Seitenkanäle der Kronenpulpa im Bereich der
Furkation sind diese beiden Bereiche miteinander verbunden. Deshalb
können entzündliche Prozesse des einen Bereichs auf den anderen Be-
reich übergreifen und eine Abszedierung ggf. mit Fistelbildung bzw. so-
genannte endodontal-parodontale Läsionen unterschiedlicher Ausprä-
gung auslösen (s. Tab. 18.7) Häufig kann die eigentliche Ursache vorlie-
gender Beschwerden nur schwer festgestellt werden.
Klassifikation Auf dem Röntgenbild können die parodontale und die endodontale
Läsion konfluieren. Es werden folgende Klassen endodontal-parodonta-
ler Läsionen unterschieden:
 Klasse I: primär endodontische Probleme. Die entzündlichen Verän-
derungen der Pulpa haben auf das Parodont übergegriffen. Die Pulpa
ist in diesem Fall fast immer pulpa-avital. Dies kann zu einer apika-
len Parodontitis, einem Parodontalabszess oder auch einer Osteolyse
im Furkationsbereich führen.
 Klasse II: primär parodontale Probleme. Die entzündlichen Verän-
derungen des Parodonts haben auf die Pulpa übergegriffen. Über das
Foramen apicale kann auf diesem Wege eine retrograde Pulpitis ent-
stehen.
 Klasse III: kombinierte parodontal-endodontale (Paro-Endo-)Pro-
bleme. Die parodontale und die endodontale Läsion sind unabhän-
gig voneinander entstanden. Der betroffene Zahn ist pulpa-avital.

Reagiert der betroffene Zahn im Sensibilitätstest nicht mehr positiv, so


ist eine Wurzelkanalbehandlung indiziert. Im Frühstadium ist der An-
satz der Parodontalfasern im noch gesunden Zement intakt. Daher kann
die endodontische Behandlung bei Klasse-I-Läsionen auch zu einer Re-
stitutio ad integrum der parodontalen Knochenläsion führen. Bei
Klasse-I-Läsionen sollte zunächst immer eine Wurzelkanalbehandlung

Tab. 18.7: Klassifikation endodontal-parodontaler Läsionen


Mit Wurzelfraktur oder -riss
Beschädigung Perforation eines Wurzelkanals oder der Pulpakammer
der Wurzel
Externe Wurzelresorptionen
Ohne Bei Paro- Grad 1: Enge, tiefe Tasche an einer Zahnseite
Beschädigung dontitis- Grad 2: Weite, tiefe Tasche an einer Zahnseite
der Wurzel patienten
Grad 3: Tiefe Tasche an mehr als einer Zahnseite
Bei Patien- Grad 1: Enge, tiefe Tasche an einer Zahnseite
ten ohne Grad 2: Weite, tiefe Tasche an einer Zahnseite
Parodontitis
Grad 3: Tiefe Tasche an mehr als einer Zahnseite

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 589

vorgenommen werden. Sollte es dadurch zu keiner Regeneration des


Defektes kommen, ist im Anschluss daran eine Parodontaltherapie indi- 1
ziert. Auch bei Klasse-II- bzw. Klasse-III-Läsionen muss im Anschluss an
die erforderliche endodontische Behandlung unverzüglich eine Paro- 2
dontaltherapie erfolgen. Die Prognose von Zähnen mit Klasse-II-Läsio-
nen mit tiefen parodontalen Defekten und insbesondere von Zähnen
mit Klasse-III-Läsionen ist fraglich.
3
4
18.3.8 Parodontale Abszesse
5
Beim Gingivaabszess handelt es sich um einen akut-entzündlichen Gingivaabszess
Prozess an der Gingiva mit Bildung von Pus. Es liegt kein Attachment-
verlust vor. Gingivaabszesse werden nach Keimbesiedlung traumati-
6
scher Verletzungen, im Rahmen hormonell verstärkter Gingivitiden
(z.B. bei Pillengingivitis) oder bei medikamentös beeinflussten Gingiva- 7
vergrößerungen beobachtet.
Der Parodontalabszess stellt häufig eine akute Exazerbation einer Parodontal- 8
bestehenden Parodontitis dar. Er kann aber auch nach erfolgter Thera- abszess
pie oder bei Patienten auftreten, die keine Parodontitis haben (Tab. 9
18.8). Die Ursachen sind vielfältig. Häufig ist der Tascheneingang ver-
legt. Parodontalabszesse treten verstärkt bei lokaler oder allgemeiner
Abwehrschwäche auf. Sie können bei Diabetes mellitus auch multipel
10
vorliegen. Es können aber auch lokale anatomische Faktoren oder sons-
tige Einflüsse und Veränderungen Ursache von Abszessen sein. 11
Ein Augenmerk soll hier auf Risse in Zähnen (Cracked-tooth-
Syndrom) als Ursache für unklare Beschwerden gelegt werden. Risse, die 12
auf die Zahnkrone und die Pulpakammer beschränkt sind, lassen sich
schwierig diagnostizieren. Verdachtsmomente für Risse sind Aufbiss- 13
schmerzen, umfangreiche Füllungen, ein höheres Patientenalter, starke
Kaukräfte (Bruxismus) und manchmal eine erhöhte Temperaturemp-
findlichkeit des betroffenen Zahnes. Risse können aber auch in den
14
Wurzeln vorhanden sein und sich zu Wurzellängsfrakturen entwickeln.
Wurzellängsfrakturen können sich bei Zähnen nach einer Wurzel- 15
kanaltherapie entwickeln, insbesondere bei großzügigen Wurzelkanal-
präparationen oder wenn Wurzelkanalstifte zur Verankerung einer Auf- 16
baufüllung zum Einsatz kamen. Nicht endodontisch behandelte Zähne
sind seltener betroffen. Die Keimbesiedlung des Frakturspalts führt
dann sekundär zu einer starken parodontalen Destruktion. An diesen
17
Zähnen liegt dann oft eine lokalisiert stark erhöhte Sondierungstiefe
vor, die ausschließlich auf den Bereich des Frakturspalts begrenzt ist. 18
Daneben finden sich vielfach Fistelungen, die häufig in den koronalen
Bereich der Gingiva münden. Längsfrakturen nehmen ihren Ausgang 19
häufig von der Wurzelspitze aus und entwickeln sich erst dann Rich-
tung marginales Parodont. Daher sind sie oft erst in einem späten Sta- 20
dium aufgrund erhöhter Sondierungstiefe klar diagnostizierbar. Die

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590 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Tab. 18.8: Einteilung von Parodontalabszessen


Parodontalabszess bei vorliegender Parodontitis (bei Vorliegen einer Tasche)
Verlauf Zeitpunkt
Akute Exazerbation • Bei unbehandelter Parodontitis
• Bei therapieresistenter Parodontitis
• Während unterstützender Parodontitistherapie
Nach Therapie • Nach subgingivaler Instrumentierung
• Nach Parodontalchirurgie
Nach Einnahme von Medikamenten
• Systemische Antibiotika
• Andere Medikamente (z.B. Nifedipin)
Parodontalabszess bei Patienten ohne Parodontitis
(evtl. ohne Vorliegen einer Tasche)
Ursache Klinische Beobachtung/Besonderheiten
Impaktion Zahnseide, Zahnstocher, Kofferdamreste,
orthodontische Bänder etc.
Schädliche Gewohnheiten Draht- oder Nagelkauen
Orthodontische Faktoren Einwirken orthodontischer Kräfte oder Kreuzbiss
Gingivawucherungen
Veränderungen der Wur- • Schwere anatomische Veränderungen
zeloberfläche – Dens invaginatus, Odontodysplasie etc.
• Geringe anatomische Veränderungen
– Furchen, Zementwülste, Schmelzperlen
• Iatrogene Zustände
– Wurzelperforationen
• Schwere Wurzelbeschädigung
– Riss, Fraktur, Cracked-tooth-Syndrom
(Kroneninfraktion)
• Externe Wurzelresorptionen

Symptome sind anfänglich sehr diffus und können sich über einen lan-
gen Zeitraum langsam verstärken (lange Schmerzhistorie). Die Prognose
von Zähnen mit einer Wurzellängsfraktur ist infaust, sodass eine Extrak-
tion unumgänglich ist.
Perikoronaler Perikoronale Abszesse können bei Durchbruchstörungen der Weis-
Abszess heitszähne im Unterkiefer auftreten. Je nach Stadium kann das Allge-
meinbefinden reduziert sein (Fieber, Lymphknotenschwellung). Der
Prozess kann sich in benachbarte Regionen bzw. Logen ausbreiten.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 591

18.3.9 Mukogingivale Deformitäten und Zustände


1
Gingivale Rezessionen
2
Als gingivale Rezession wird die Exposition eines freiliegenden
Zahnhalses bzw. der Wurzeloberfläche bezeichnet. Die Weichge-
webs- bzw. gingivale Rezession ist eine meist auf die vestibuläre und
3
selten auf die orale Wurzeloberfläche eines Zahnes begrenzte, kli-
nisch entzündungsfreie Rückbildung des Parodonts. Sie kann se- 4
kundär aufgrund von Plaqueanlagerungen mit einer Entzündung
assoziiert sein. 5
Rezessionen können die Ästhetik beeinträchtigen, Wurzelkaries oder
nicht kariöse zervikale Wurzeldefekte begünstigen oder Hypersensibilitä-
6
ten zur Folge haben. Ohne gleichzeitige Entzündung können sie stagnie-
ren und müssen die Prognose eines Zahnes nicht negativ beeinflussen. 7
Ihre Prävalenz ist hoch und wird bei Erwachsenen (Vorliegen mind. ei-
ner Rezession) mit über 80% angegeben. Sie können sich auch aufgrund 8
einer Parodontitis entwickeln. Wenn z.B. nach erfolgter Therapie die
Gingiva abgeschwollen ist und die Taschen reduziert sind, ergeben sich 9
häufig zirkulär freiliegende Zahnhälse, und die Zähne erscheinen länger.
In der derzeit gültigen Klassifikation mukogingivaler Zustände wer-
den neu der Gingivaphänotyp (Dicke und Breite), der approximale At-
10
tachmentverlust sowie Besonderheiten der Wurzeloberfläche (Defekte an
der Schmelz-Zement-Grenze oder Stufen) in die Bewertung von Rezessio- 11
nen eingeschlossen. Zur Messung des gingivalen Phänotyps mithilfe einer
Parodontalsonde oder des Rolltests finden sich Hinweise in Kapitel 15.1. 12
Über die Ursachen der Rezessionen herrscht in der Literatur Un- Ursachen
einigkeit. Folgende ätiologische Faktoren werden diskutiert: 13
 Dünne keratinisierte Gingiva. Die Breite der keratinisierten Gingiva
scheint nur geringen Einfluss zu haben.
 Dehiszenzen und Fenestrierungen eines meist dünnen vestibulären
14
Knochens
 Prominente Wurzeln 15
 Horizontales, zu kräftiges Zähneputzen mit harten Bürsten und/oder
abrasiver Zahnpasta 16
 Zug der beweglichen Schleimhaut durch zu hoch ansetzende Frenula
 Kieferorthopädische Zahnbewegungen nach vestibulär
 Oraler Schmuck (Piercings der Zunge, Lippen oder Lippenbändchen)
17
 Subgingivale Restaurationsränder (oft mit ungenügendem/überste-
hendem Randschluss) 18
 Überbelastung der Zähne durch Funktionsstörungen (Gleithinder-
nisse, Bruxismus) 19
Es werden die singuläre und die generalisierte parodontale Rezession 20
unterschieden. Die singuläre parodontale Rezession ist eine parodontale

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592 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

a b c

Abb. 18.5: Darstellung der Rezessionstypen modifiziert nach Dommisch; a) RT1, b) RT2, c) RT3

Rezession an einem Zahn oder einigen Zähnen. Die generalisierte Rezes-


sion dagegen betrifft viele oder nahezu alle Zähne.
Klassifikation Aktuell werden drei Typen von Rezessionen nach der Klassifikation
von Cairo et al. unterschieden (Abb. 18.5).
Rezession Typ 1 (RT1): Gingivale Rezession ohne klinischen appro-
ximalen Attachmentverlust (gemessen von der Schmelz-Zement-
Grenze). Die approximale Schmelz-Zement-Grenze ist nicht sichtbar.
Rezession Typ 2 (RT2): Gingivale Rezession mit approximalem At-
tachmentverlust. Der approximale Attachmentverlust ist gleich oder
kleiner als der bukkale Attachmentverlust.
Rezession Typ 3 (RT3): Gingivale Rezession mit approximalem At-
tachmentverlust. Der approximale Attachmentverlust ist größer als der
bukkale Attachmentverlust.
Diese Einteilung wird durch eine Bewertung (A/B) der Schmelz-Ze-
ment-Grenze (SGZ) sowie das Vorhandensein (+/–) etwaiger zervikaler
Stufen (> 0,5 mm) an der Wurzeloberfläche ergänzt. Die SZG kann durch
Karies oder Abrasionen verloren gegangen und nicht mehr identifizierbar
bzw. detektierbar sein. Es lassen sich vier Subkategorien unterscheiden:
 A–: SZG detektierbar, keine Stufe vorhanden
 A+: SZG detektierbar, Stufe vorhanden
 B–: SZG nicht detektierbar, keine Stufe vorhanden
 B+: SZG nicht detektierbar, Stufe vorhanden

Neben dieser nun gültigen Einteilung werden Rezessionen in früherer


Literatur nach der Klassifikation von Miller in vier Klassen unterschie-
den:
 Klasse I: Die Rezession reicht nicht bis zur mukogingivalen Grenze.
Es liegt kein interdentaler Alveolarknochen- und Gingivaverlust vor.
 Klasse II: Die Rezession reicht bis an die mukogingivale Grenze he-
ran oder überschreitet diese. Es liegt kein interdentaler Alveolarkno-
chen- und Gingivaverlust vor.
 Klasse III: Die Rezession reicht bis an die mukogingivale Grenze he-
ran oder überschreitet diese. Es liegt eine leichte Zahnfehlstellung
und/oder ein leichter interdentaler Alveolarknochen- und Gingiva-
verlust vor.

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18.3 Parodontale und periimplantäre Erkrankungen und Zustände Kapitel 18 593

 Klasse IV: Die Rezession reicht bis an die mukogingivale Grenze he-
ran oder überschreitet diese. Es liegt eine Zahnfehlstellung und/oder 1
ein schwerer interdentaler Alveolarknochen- und Gingivaverlust vor.
2
Im Bereich der Rezession weist die Gingiva meist keine klinischen Ent- Klinik
zündungszeichen und keine erhöhten Sondierungstiefen auf, ist aber
manchmal in Form von McCall-Girlanden wulstig verdickt. Die betrof-
3
fenen Zähne besitzen überwiegend keine erhöhte Zahnbeweglichkeit.
Als Vorläufer einer beginnenden Rezession liegen häufig Stillman- 4
Spalten der Gingiva vor (vgl. Abb. 18.6).
5
Traumatische okklusale Kräfte
Traumatische okklusale Kräfte sind Kaukräfte, die das Parodont schädi-
gen. Dabei ist die Anpassungsfähigkeit des betroffenen Parodonts über-
6
schritten. Klinische Hinweise dafür sind Fremitus (adaptive Zahnbeweg-
lichkeit u.U. durch Frühkontakte), Zahnbeweglichkeit, Zahnwanderun- 7
gen, Temperaturempfindlichkeit, Abrasionsfacetten, exzessive okklusale
Abrasionen, Schmerzen beim Kauen, Zahnfrakturen, Wurzelresorptionen, 8
erweiterte Parodontalspalten im Röntgenbild oder Hyperzementosen.
Als okklusales Trauma (desmodontales Trauma) wird das histologi- 9
sche Bild bezeichnet, das die Verletzung des parodontalen Stützgewebes
(Desmodont, Knochen, Zement) beschreibt (zum klinischen Bild und
zur Ätiologie s. Kap. 16.2). Okklusale Kräfte allein können keine Attach-
10
mentverluste hervorrufen. Sie können aber eine Entzündung des Des-
modonts bewirken. Sie beschleunigen nicht das Fortschreiten einer Pa- 11
rodontitis und können auch nicht gingivale Rezessionen oder keilför-
mige Defekte (Abfraktionen) verursachen. 12
Als primäres okklusales Trauma wird die parodontale Schädigung
durch Über-/Fehlbelastung eines Zahnes bei normalem Zahnhalteappa- 13
rat bezeichnet. Die klinischen Zeichen der adaptiven Zahnbeweglich-
keit zeigen keine Verschlechterung.
14
Abb. 18.6: Gingivale Rezes-
Stillmansche Rezession Mc Callsche
sionen
Spalte Girlande 15
16
17
18
19
20

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594 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Das sekundäre okklusale Trauma stellt die parodontale Schädi-


gung als Folge normaler oder traumatischer Kräfte bei reduziertem Paro-
dont dar. Dabei ist oftmals eine progressive Beweglichkeit zu beobach-
ten.
Kieferorthopädische Kräfte stellen eine dritte Gruppe der auf das
Parodont wirkenden traumatischen Kräfte dar. Sie können zu Wurzelre-
sorptionen, Erkrankungen der Pulpa, gingivaler Rezession und Kno-
chenverlust führen. Bei guter Plaquekontrolle können aber auch Zähne
mit reduziertem, aber gesundem Parodont ohne weitere Schäden einer
Zahnbewegung unterzogen werden.

Zahn- und zahnersatzbezogene Faktoren


Zahnbezogene anatomische Faktoren haben einen Bezug zu plaque-
induzierten Entzündungen. Zu den Faktoren zählen zervikale Schmelz-
überschüsse, Schmelzperlen, Furchen, Grübchen, Einziehungen sowie
Wurzelengstand, Missbildungen und Frakturen. Auch anormale dento-
alveoläre Verhältnisse wie die beeinträchtigte passive Eruption mit ei-
nem zu weit koronalwärts gelegenen Gingivarand können Entzündun-
gen, Pseudotaschen oder ästhetische Beeinträchtigungen zur Folge ha-
ben.
Mit Restaurationen oder befestigtem bzw. herausnehmbarem
Zahnersatz im Zusammenhang stehende Faktoren können zu einer Er-
krankung des Parodonts prädisponieren. Dies gilt vor allem bei Patien-
ten mit großer Empfänglichkeit für parodontale Destruktionen. Opti-
mal angefertigter Zahnersatz ist nicht mit Parodontitis assoziiert. Eine
Nichtberücksichtigung und Verletzung der suprakrestalen Anheftung
(s. Kap. 15.1.2), d.h. ein zervikaler Abschluss von Restaurationen oder
Kronen in diesem Bereich oder unterhalb davon, wird ursächlich mit
Entzündungen und Verlust von parodontalem Stützgewebe in Verbin-
dung gebracht. Diese Entzündungen führen zu einer Apikalverlagerung
des suprakrestalen Stützgewebes. Es ist nicht klar, ob allein die Lage der
Restaurationsränder oder auch andere Faktoren wie Toxizität von Den-
talmaterialien, das klinische Vorgehen bei der Fertigung der (indirek-
ten) Restaurationen oder Plaqueanlagerungen für die beobachteten Ne-
gativeffekte verantwortlich sind. Optimale Restaurationsränder, die im
gingivalen Sulkus liegen, verursachen keine Entzündungen, sofern die
Mundhygiene des Patienten ausreichend ist.

18.4 Periimplantäre Erkrankungen

Außer im Bereich des natürlichen Zahnhalteapparates können entzünd-


liche Veränderungen auch im Bereich der angrenzenden Hart- und
Weichgewebe um Zahnimplantate auftreten.
Morphologie Bei gesunden periimplantären Verhältnissen liegt, ähnlich wie beim
Saumepithel, eine kragenförmige dichte Epithelanlagerung im Bereich

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18.4 Periimplantäre Erkrankungen Kapitel 18 595

der Durchbruchsstelle des Implantats durch die Gingiva vor. Das sub-
epitheliale Bindegewebe umschlingt das Implantat allerdings ringför- 1
mig als Narbe, und seine Fasern verlaufen – anders als beim Zahn – pa-
rallel zur Implantatoberfläche. Der Weichgewebeabschluss oberhalb des 2
Knochens besitzt einen hohen Faseranteil und wenige Fibroblasten und
Gefäße.
Die hartgewebige Verankerung des Implantates im Knochen ent-
3
spricht einer Ankylose. Dies bringt mit sich, dass – anders als beim Paro-
dont – eine sehr schlechte Durchblutung der an das Implantat angren- 4
zenden Knochenstruktur vorliegt. Die Besonderheiten der weich- und
hartgeweblichen Umgebung um das Implantat sind sicher mitverant- 5
wortlich für die rasche und unspezifische periimplantäre Gewebsein-
schmelzung im Rahmen einer Periimplantitis.
Für entzündliche Vorgänge im periimplantären Gewebe ist primär Ursachen
6
die entzündliche Wirtsantwort auf einen vorhandenen Biofilm auf der
Implantatoberfläche verantwortlich. Für nicht plaqueinduzierte periim- 7
plantäre Erkrankungen gibt es zurzeit keine eindeutig klaren Hinweise.
Dies gilt gleichermaßen für die Entzündung des periimplantären 8
Weichgewebes (Mukositis) wie für die fortgeschrittene Entzündung mit
Knochenabbau (Periimplantitis). Die Antwort des Wirts auf die vorlie- 9
gende Biofilmakkumulation kann, wie bei Gingivitis und Parodontitis,
zwischen verschiedenen Patienten stark variieren Die Abwehrreaktio-
nen der gingivalen und periimplantären Mukosa zeigen ähnliche im-
10
munologische Reaktionen auf bakterielle Expositionen. Allerdings kann
bei vorliegenden Entzündungen die Progredienz der Destruktion in 11
Weichgewebe und Knochen bei Implantaten ausgeprägter sein als an
natürlichen Zähnen. 12
Das entzündliche Infiltrat an Implantaten bei Vorliegen einer Peri-
implantitis breitet sich direkt bis zum Knochen bzw. bis zur mit Biofilm 13
bedeckten Implantatoberfläche aus und bleibt nicht wie bei der Paro-
dontitis ca. 1 mm vom krestalen Knochenrand entfernt. Es besteht
keine epitheliale Barriere zwischen dem entzündlichen Infiltrat und der
14
mit Biofilm bedeckten Implantatoberfläche. Bei der periimplantären
Mukositis reicht das entzündliche Infiltrat, das lateral des Saumepithels 15
liegt, in apikaler Richtung vornehmlich nicht weiter als in die supra-
krestale Bindegewebszone und reicht vermutlich noch nicht bis in den 16
Knochen hinein. Nach heutigem Wissensstand geht einer Periimplanti-
tis i.d.R. eine Mukositis voraus. Eine Mukositis ist vollständig heilbar,
die Therapie einer Periimplantitis aber ist schwierig und prognostisch
17
schlecht. Daher ist es wichtig, rechtzeitig eine entsprechende Therapie
einzuleiten, bei der eine optimale Plaquekontrolle im Vordergrund 18
steht.
Rauchen oder das Vorhandensein systemischer Einflussfaktoren, 19
z.B. ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, stellen sowohl für die
Parodontitis als auch für periimplantäre Entzündungen ein deutlich er- 20
höhtes Risiko dar. Patienten, die bereits an einer schweren Parodontitis

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596 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

erkrankt waren und eine schlechte Plaquekontrolle aufweisen, zeigen


ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Periimplantitis.
Implantate werden je nach Material und Oberflächenbeschaffenheit
unterschiedlich schnell von Plaquebakterien besiedelt. Dabei weist
Titan aufgrund des hohen elektrischen Bindungspotenzials der Passivie-
rungsschicht eine höhere Affinität zur Plaque auf als Keramik. Freilie-
gende raue Implantatoberflächen scheinen eine Periimplantitis zu be-
günstigen. Kaufunktionelle Überbelastungen der Implantatversor-
gung werden kontrovers als eine weitere Ursache für eine gesteigerte
periimplantäre Knochenresorption diskutiert. Dies gilt ebenso für Kno-
chenkompressionsnekrosen, Überhitzung während der Insertion, Bio-
korrosion oder Mikrobewegungen.
Ebenso gelten vorhandene Zementüberschüsse, die beim Befestigen
einer Suprakonstruktion zurückgelassen werden, als bedeutender Risi-
kofaktor für das Auftreten periimplantärer Entzündungen. Weitere Ur-
sachen für eine periimplantäre Erkrankung, z.B. das Fehlen einer kerati-
nisierten Mukosa, die qualitative Knochenbeschaffenheit, eine Fehlstel-
lung des Implantats oder ein Operationstrauma, können chirurgischen
Lehrbüchern entnommen werden.

Wichtige klinische Merkmale einer periimplantären Erkrankung


Mukositis:
 Ausgeprägte Blutung auf Sondierung (Hauptmerkmal)
 Evtl. Rötung, Schwellung
 Schmerzen bei Sondierung
 Suppuration
 Oftmals Zunahme der Sondierungstiefe, aufgrund einer vorliegen-
den Schwellung des Gewebes und/oder verminderten Gewebetur-
gors

Periimplantitis:
 Merkmale einer Mukositis
 Erhöhte Sondierungstiefe, die mit dem Knochenverlust korreliert
 Stark ausgeprägte Schmerzen bei Sondierung
 Ggf. Rezession der Mukosa
 Verlust an Stützknochen um das Implantat (radiologisch)

Mikrobiologie Die mikrobielle Flora der Mukositis ist der Flora der Gingivitis (überwie-
gend grampositive fakultativ anaerobe Bakterien) sehr ähnlich. Ebenso
weist die Keimbesiedelung bei der Periimplantitis große Ähnlichkeiten
mit der Besiedelung bei einer fortgeschrittenen Parodontitis (Aggregati-
bacter actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, Prevotella inter-
media, Treponema denticola) auf. Allerdings lassen sich bei der Periim-
plantitis höhere Anteile grampositiver Bakterien und z.T. geringere
Keimzahlen als bei der Parodontitis isolieren. Es wird diskutiert, ob Sta-
phylococcus aureus, koagulasenegative Staphylokokken, Hefen oder z.B.

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18.5 Deutscher Parodontalstatus Kapitel 18 597

Herpes-Viren zusätzlich eine besondere Rolle spielen. Im Wesentlichen


ist es die Prädisposition eines empfänglichen Wirtes, die zur Ausbildung 1
einer parodontalen Entzündung mit Taschenbildung als eines wichti-
gen Ausgangspunktes für das Vorhandensein pathogener Keime in tie- 2
fen Taschen der Restbezahnung und im Speichel führt.

3
18.5 Deutscher Parodontalstatus
4
Wenn bei einem in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten Pa-
tienten nach Feststellung einer parodontalen Behandlungsbedürftigkeit 5
(PSI > 3 = Sondierungstiefe von 3,5 mm und mehr; s. Abb. 18.7) eine sys-
tematische Parodontalbehandlung indiziert ist und durchgeführt wer-
den soll, muss ein Antrag auf Genehmigung dieser Behandlung bei der
6
Krankenkasse gestellt werden (sog. Parodontalstatus), um eine Kostener-
stattung zugesprochen zu bekommen. Voraussetzung für die Antragstel- 7
lung ist eine umfassende klinische parodontale Befunderhebung und
daraus abgeleitete Diagnosestellung (Staging und Grading); begleitend 8
kann eine Vorbehandlung, d.h. Kontrolle und Beseitigung von systemi-
schen und lokalen Risiko- bzw. Reizfaktoren sowie supragingivale Zahn- 9
reinigung, des Patienten in der ersten Therapiestufe durchgeführt wer-
den (s. Kap. 19.3).
Der genehmigte Parodontalstatus stellt dabei die Grundlage für die
10
Durchführung der als subgingivale Instrumentierung (Scaling and Root
Planing) bezeichneten Maßnahmen (zweite Therapiestufe) dar, auch 11
antiinfektiöse Therapie (AIT) genannt. Grundsätzlich sollte dabei vor
Beginn der subgingivalen Instrumentierung im Rahmen eines Aufklä- 12
rungstherapiegesprächs (ATG) der Patient über die Befunde und die
Diagnose informiert sowie über Therapieablauf und -alternativen und 13
gesundheitsbewusstes Verhalten, Risikofaktoren und auch Wechselbe-
ziehungen mit anderen Erkrankungen aufgeklärt werden. Ergänzend
kann eine patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung (MHU) be-
14
reits im Rahmen der ersten Therapiestufe erfolgen. Sind nach der
Durchführung der bewilligten Maßnahmen zu einem späteren Zeit- 15
punkt Therapieergänzungen wie Einschleiftherapie oder parodontalchi-
rurgische Maßnahmen notwendig (dritte Therapiestufe), so können 16
diese nachträglich ohne erneute Beantragung bei der Krankenkasse an-
gemeldet werden, u.a. unter Verwendung des Formblatts: Mitteilung über
eine chirurgische Therapie.
17
Zur Antragstellung muss der Krankenkasse das Original eines ausge- Parodontalstatus
füllten Parodontalstatus (s. Abb. 18.8) zur Genehmigung vorgelegt wer- 18
den. Darüber hinaus muss ein aktuelles Röntgenbild vorliegen, vor-
nehmlich ein Orthopantomogramm (alternativ Zahnfilmstatus), das 19
nicht älter als 6 Monate sein darf. Weitere Angaben sind nicht zwin-
gend bei der Krankenkasse vorzulegen. In Ausnahmefällen kann die An- 20
fertigung von Gipsmodellen beider Kiefer zur Planung der Therapie

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598 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Abb. 18.7: Formblatt für Erhebung des PSI (nach Vordruck 11, Z 504, SCHÜTZ-
DRUCK, Hannover)

sinnvoll sein. Die Diagnosestellung beruht dabei auf der aktuellen Sta-
ging- und Grading-Matrix (s. Kap. 18.3.5) zur Bewertung einer Parodon-
titis. Die Diagnose ist hierbei anhand erfasster und dokumentierter kli-
nischer parodontaler Befunde (u.a. Attachmentverlust, Anzahl fehlen-
der Zähne) und auch anamnestischer Faktoren (Rauchen, Diabetes)
abzuleiten. Zudem lässt sich daraus die notwendige Häufigkeit der un-
terstützenden Parodontitistherapie (UPT: 4. Therapiestufe) definieren.
Die Notwendigkeit der AIT (an einzelnen Parodontien) wird durch die
Komplexitätsfaktoren Sondierungstiefe, Furkationsbefund und Locke-
rungsgrad bestimmt.

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18.5 Deutscher Parodontalstatus Kapitel 18 599

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
a

Abb. 18.8: Der deutsche Parodontalstatus (nach Vordruck 5a, Z 501, SCHÜTZ-
DRUCK, Hannover): a) Seite 1 mit Anamnese und Diagnoseteil.
15
Hinweise zum Ausfüllen der Befunde, die zur Vorlage bei der Krankenkasse erho-
ben werden müssen und Gebühren-Positionen: ATG: parodontologisches Aufklä-
rungs- und Therapiegespräch, AIT: antiinfektiöse Therapie a) je behandelten ein-
16
wurzeligen Zahn, b) mehrwurzeligen Zahn, BEV: Behandlungsevaluation a) nach
AIT b) nach CPT (Chirurgischer Parodontaltherapie), BEMA Nr. 4: Befunderhebung
und Erstellen eines Parodontalstatus, FB: Furkationsbefund 0–3, MHU: patientenin-
17
dividuelle Mundhygiene-Unterweisung, UPT: unterstützende Parodontitistherapie.
Anzahl in einem Zeitraum von zwei Jahren; bei Grad A: 2 × (einmal im Kalender-
jahr), Grad B: 4 × (einmal im Kalenderhalbjahr), Grad C: 6 × (einmal im Kalender- 18
tertial).
Die Messung der Sondierungstiefen und die Erhebung der Sondierungsblutungen
erfolgen mindestens an zwei Stellen pro Zahn (mesio-approximal/disto-approxi- 19
mal). Sondierungsblutungen werden mit einem * versehen. Fehlende Zähne
sind im Zahnschema durchzukreuzen. Nicht erhaltungswürdige Zähne sind im
Zahnschema mit drei bis vier horizontalen Linien durchzustreichen. Der Grad der 20
Lockerung (I–III) ist in das zentrale Fenster der Zahnkrone einzutragen.

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600 18 Anamnese, Befund und Diagnose bei parodontalen Erkrankungen

Abb. 18.8: Der deutsche Parodontalstatus (nach Vordruck 5a, Z 501, SCHÜTZ-
DRUCK, Hannover): b) Seite 2 mit Befund- und Planungsteil.
Hinweise zum Ausfüllen der Befunde, die zur Vorlage bei der Krankenkasse erho-
ben werden müssen und Gebühren-Positionen: ATG: parodontologisches Aufklä-
rungs- und Therapiegespräch, AIT: antiinfektiöse Therapie a) je behandelten ein-
wurzeligen Zahn, b) mehrwurzeligen Zahn, BEV: Behandlungsevaluation a) nach
AIT b) nach CPT (Chirurgischer Parodontaltherapie), BEMA Nr. 4: Befunderhebung
und Erstellen eines Parodontalstatus, FB: Furkationsbefund 0–3, MHU: patientenin-
dividuelle Mundhygiene-Unterweisung, UPT: unterstützende Parodontitistherapie.
Anzahl in einem Zeitraum von zwei Jahren; bei Grad A: 2 × (einmal im Kalender-
jahr), Grad B: 4 × (einmal im Kalenderhalbjahr), Grad C: 6 × (einmal im Kalender-
tertial).
Die Messung der Sondierungstiefen und die Erhebung der Sondierungsblutungen
erfolgen mindestens an zwei Stellen pro Zahn (mesio-approximal/disto-approxi-
mal). Sondierungsblutungen werden mit einem * versehen. Fehlende Zähne
sind im Zahnschema durchzukreuzen. Nicht erhaltungswürdige Zähne sind im
Zahnschema mit drei bis vier horizontalen Linien durchzustreichen. Der Grad der
Lockerung (I–III) ist in das zentrale Fenster der Zahnkrone einzutragen.

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18.5 Deutscher Parodontalstatus Kapitel 18 601

Die Durchführung einer systematischen Parodontalbehandlung bei


Patienten, die bei privaten Krankenkassen versichert sind, bedarf keiner 1
vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse. Der Behandelnde
sollte aber selbstverständlich auch bei diesen Patienten seine parodon- 2
tologische Befunderhebung in einen Parodontalstatus eintragen.
Drei Monate nach Abschluss der AIT ist eine Befundevaluation
(BEVa) auf der Basis des aufgenommenen Parodontalstatus vorzuneh-
3
men und die indikationsbezogene weiterführende Parodontaltherapie
einzuleiten (3. oder 4. Therapiestufe). 4
Neben dem hier abgebildeten offiziellen Parodontalstatus sind indi-
viduelle andere Schemata zum Eintrag der im Rahmen einer Parodon- 5
talbehandlung erhobenen Befunde sinnvoll. Damit kann eine detaillier-
tere Darstellung der Befunde (z.B. Attachmentverlust, Blutungsgrad auf
Sondierung etc.) erfolgen. Der Rahmen des Buches würde aber mit wei-
6
teren über den offiziellen Parodontalstatus hinausgehenden Darstellun-
gen überschritten. 7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20

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Kapitel 19 603

19 Therapie der entzündlichen


Parodontopathien 1
2
3
In der modernen Medizin werden für viele Therapieverfahren Leitlinien 4
erstellt, deren Ausarbeitung und Entwicklung einem anerkannten
Schema entsprechen. Nach dem System der AWMF (Arbeitsgemein- 5
schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) wer-
den Leitlinien in vier Stufen von S1 bis S3 entwickelt und klassifiziert,
wobei S3 die höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik ist.
6
 S1: Die Leitlinie wurde von einer Expertengruppe im informellen
Konsens erarbeitet. 7
 S2k: Eine formale Konsensfindung hat stattgefunden.
 S2e: Eine systematische Evidenz-Recherche hat stattgefunden. 8
 S3: Die Leitlinie hat alle Elemente einer systematischen Entwicklung
durchlaufen (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-Analyse, Bewer- 9
tung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien und regel-
mäßige Überprüfung).
10
Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) hat auf
Grundlage der international erarbeiteten S3-Leitlinie: Treatment of 11
Stage I–III Periodontitis der European Federation of Periodontology
(EFP) auf deutsche Verhältnisse ausgerichtete Handlungsempfehlungen 12
für die einzelnen Behandlungsstufen der Parodontitistherapie gegeben,
die als Grundlagen in den folgenden Kapitel eingeflossen sind. 13

! Bei der Therapie entzündlicher Parodontopathien werden eine


vollständige Gesundung des Gewebes und eine Wiederherstel-
lung der anatomischen und physiologischen Verhältnisse ange-
14
strebt. 15
Mit verschiedenen Methoden wird versucht, eine solche Restitutio ad 16
integrum des Gewebes zu erzielen. Sie ist aufgrund des teilweise vorhan-
denen hohen Zerstörungsgrades des Gewebes aber nur bei wenigen Pa-
rodontalerkrankungen tatsächlich möglich (z.B. Gingivitis, medika-
17
mentös bedingte Gingivavergrößerung, hyperplastische Gingivitiden).
Ein weiteres langfristiges Ziel ist es, den erreichten gesunden Zustand 18
dauerhaft zu erhalten.
Behandlungsziele sind also: 19
 Keine Blutung auf Sondierung (d.h. Eliminierung der Entzündung)
 Elimination der Taschenaktivität 20
 Reduktion/Eliminierung der erhöhten Sondierungstiefen

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604 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

 Klinischer Attachmentgewinn bzw. Verhinderung eines weiteren At-


tachmentverlustes
 Stabilisierung/Verbesserung der Zahnbeweglichkeit

19.1 Antibiotische Abschirmung bei immunsupprimier-


ten Patienten und Patienten mit Endokarditisrisiko

Bei zahnärztlichen chirurgischen Maßnahmen tritt eine Ausschwem-


mung von Bakterien in den Blutkreislauf (Bakteriämie) auf. Die Bakteri-
ämie-Inzidenz bei intraoralen Behandlungsmaßnahmen beträgt bis zu
87%. Vor allem Zahnextraktionen, parodontale Operationen, Entfernen
von Zahnstein, aber auch das Kauen harter Nahrung und die Verwen-
dung von Wasserstrahlgeräten führen zu einer erhöhten Bakteriämie.
Daher müssen Patienten mit Endokarditisrisiko, immunsupprimierte
Patienten (z.B. nach Organtransplantationen) und Patienten mit redu-
zierter Abwehrlage (z.B. nach Radiatio im Kopfbereich bzw. während
der Chemotherapie bei Tumorbehandlungen) antibiotisch abgeschirmt
werden. Die Antibiose soll eine Streuung der Bakterien im Organismus
und den Übergriff auf andere Organe verhindern. Bei Patienten mit Ge-
lenkprothesen (z.B. Knie und v.a. Hüfte) kann im Einzelfall ebenfalls
eine antibiotische Abschirmung erforderlich sein.
Endokarditisrisiko Bei Patienten mit Endokarditisrisiko kann es durch bakterielle Besie-
delung vorgeschädigter Herzklappen zu einer Entzündung des Endo-
kards bzw. der Herzklappen kommen. Akute Endokarditiden werden
u.a. durch Staphylokokken, subakute Endokarditiden (E. lenta) durch
Streptococcus viridans und Haemophilus parainfluenzae verursacht.

Eine Abschirmung sollte bei Zahnextraktionen, Zahnsteinentfer-


nung, parodontalchirurgischen und sonstigen chirurgischen Maß-
nahmen, endodontischer Instrumentation bzw. Chirurgie, subgin-
givaler Applikation von Antibiotikafäden und Retraktionsfäden,
Applikation von kieferorthopädischen Bändern, intraligamentärer
Anästhesie, Anästhesie im entzündeten Gebiet sowie voraussichtli-
cher Blutung bei Zahnreinigungen bzw. Befunderhebung mit Mani-
pulation am gingivalen Sulkus (Taschensondierung) erfolgen. Auch
bei Biopsien und Reimplantation von Zähnen ist eine Abschirmung
angezeigt. Grundsätzlich ist immer eine Abschirmung bei Maßnah-
men in Betracht zu ziehen, bei denen eine Blutung zu erwarten ist.

Die Grunderkrankungen, bei denen eine Endokarditisprophylaxe vor-


genommen werden sollte, sind in der Tabelle 19.1 dargestellt.
Nach Organtrans- Bei Patienten nach Organtransplantation sind in den ersten 3 Mo-
plantation naten nach Transplantation zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen
mit Bakteriämierisiko kontraindiziert. Eine Ausnahme stellt das Vorlie-
gen einer vitalen Indikation dar. Dann kann in Einzelfällen nach Ab-

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19.1 Antibiotische Abschirmung bei immunsupprimierten Patienten Kapitel 19 605

sprache mit dem Transplantationszentrum eine notwendige Behand-


lung unter Antibiose erfolgen. 1
Keine antibiotische Abschirmung ist bei restaurativen Behandlun-
gen ohne Retraktionsfaden oder ohne Matrizentechnik, Injektionen 2
von Lokalanästhetika (nicht intraligamentär), Applikation von Koffer-
dam ohne Klammern, postoperativer Nahtentfernung, Platzierung von
herausnehmbaren Prothesen oder kieferorthopädischen Geräten, Ab-
3
drucknahme, Fluoridbehandlung, radiologischer Diagnostik, Anpas-
sung von Prothesen und der einfachen Extraktion von Milchzähnen er- 4
forderlich.
Für Patienten mit Immunsuppression gelten ebenfalls die als Stan- Immun- 5
dardprophylaxe angegebenen Dosierungen. Bei Hinweisen auf hohe suppression
Keimzahlen oder auf eine anaerobe Infektion sollte bei diesen Patienten
6
Tab. 19.1: Grunderkrankungen, bei denen ein Endokarditisrisiko vorliegt und eine Prophylaxe erwo-
gen werden sollte. Empfehlungen für die Endokarditisprophylaxe (mg/kg KG: mg pro Kilogramm
7
Körpergewicht) bei oraler Einnahme eines Antibiotikums (American Heart Association 1997, DGZMK,
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie 2015). Die höchste Einzeldosis bei Kindern soll die Dosierung
bei Erwachsenen nicht überschreiten. 8
Hohes Risiko Mäßiges Risiko Geringes Risiko
• Mechanische und biologi- • Die meisten anderen • Isolierter Vorhofseptumdefekt
9
sche Herzklappenprothese kongenitalen Herzfeh- (vom Sekundumtyp)
• Zustand nach bakterieller ler • Chirurgisch korrigierte Vitien (Vorhof- oder 10
Endokarditis • Rheumatische und an- Ventrikelseptumdefekt, offener Ductus
• Angeborene Vitien:
a) alle zyanotischen Vitien
dere erworbene Klap-
penvitien
Botalli) ohne bleibende Residuen
(nach 6 Mon.)
11
b) bis zu 6 Monate nach • Mitralklappenprolaps • Herzschrittmacher und implantierte Defi-
operativer Vitien-Korrek- mit Mitralinsuffizienz brillatoren 12
tur unter Verwendung • Hypertrophe obstruk- • Zustand nach aortokoronarem Bypass
von prothetischem Ma- tive Kardiomyopathie • Mitralklappenprolaps 13
terial oder lebenslang ohne Mitralinsuffizienz
bei residuellem Shunt • Funktionelle Herzgeräusche
• Zustand nach Herztrans- • Zustand nach rheumatischem Fieber oder
14
plantation Kawasaki-Syndrom ohne Klappenfehler
Antibiotische Abschirmung erforderlich Keine antibiotische Abschirmung erforderlich
15
Standardprophylaxe:
Amoxicillin (oral 1 h vor dem Eingriff)
16
Erwachsene: 2 g (< 70 kg) bis 3 g (> 70 kg)*
Kinder: 50 mg/kg KG* 17
Bei Penicillinallergie:
Clindamycin (oral 1 h vor dem Eingriff) 18
Erwachsene: 600 mg*
Kinder: 20 mg/kg KG**
19
* Bei komplizierten oder länger dauernden operativen Eingriffen sollte bei Patienten mit hohem Risiko nach 6 Stun-
den eine zweite Verabreichung in halber Dosierung (z.B. Erwachsene 1 g Amoxicillin) erfolgen.
** Bei komplizierten oder länger dauernden operativen Eingriffen sollten bei Kindern mit hohem Risiko alternativ 20
20 mg/kg KG Vancomycin max. 1 g i.v. (Infusionsbeginn 90–60 min vor Eingriff) verabreicht werden.

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606 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

zusätzlich zur Penicillingabe Metronidazol (400 mg) verabreicht wer-


den. Kinder sollten kein Metronidazol erhalten.
Das Vorgehen bei endokarditisgefährdeten Patienten und Patienten
mit Immunsuppression sollte folgenden Richtlinien folgen:
 Antibiotikagabe nach einem anerkannten Schema (s. Tab. 19.1)
 Enge Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Hausarzt
 Durchführung der präoperativen Antibiotikaprophylaxe unter Auf-
sicht in der zahnärztlichen Praxis
 Chlorhexidindesinfektion der Mundhöhle und des Rachens
 Zügiges Durchführen der Behandlung
 14-tägiger Abstand zwischen den Behandlungen

Gelenkprothesen Eine davon leicht abweichende Antibiotikagabe wird für Patienten mit
Gelenkprothesen empfohlen. Oberflächen von Gelenkprothesen kön-
nen durch hämatogene Streuung von Bakterien im Sinne einer Spätin-
fektion besiedelt werden. Frühinfektionen haben ihre Ursache i.d.R. in
perioperativen Keimbesiedelungen des Wundgebietes. Als Spätinfektio-
nen hingegen werden Infektionen bezeichnet, die 2 Jahre oder später
nach Implantation auftreten. Dabei spielt der β-Lactamase bildende
Keim Staphylococcus aureus eine bedeutsame Rolle. Daher sollte bei einer
evtl. Antibiose eine Penicillingabe mit der Verabreichung eines β-Lacta-
mase-Inhibitors (z.B. Clavulansäure) kombiniert werden. Auch ist es
möglich, penicillinasefeste Penicilline oder Cephalosporine einzuset-
zen. Es wird davon ausgegangen, dass ca. 15% der Spätinfektionen von
Gelenkprothesen durch ausgeprägte Bakteriämien bei zahnärztlichen
Eingriffen ausgelöst werden. Infektionen von Gelenkprothesen gehen
mit einer hohen Morbidität, Letalität und großen Kosten einher. Daher
wird zur Vermeidung von Spätinfektionen bei zahnmedizinischen Ein-
griffen in besonderen Fällen eine antibiotische Infektionsprophylaxe
empfohlen. Dabei sind Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine

Tab. 19.2: Befunde, bei denen eine erhöhtes Risiko für eine hämatogene
Protheseninfektion vorliegt, empfohlene Antibiotikaprophylaxe für eine
70 kg schwere Person (Rossi et al. für die Schweizerische Gesellschaft für
Infektiologie 2004).
Patienten mit erhöhtem Risiko für eine hämatogene Protheseninfektion
• Implantation einer Gelenkprothese innerhalb der letzten 12 Monate
• Rheumatoide Arthritis unter Immunsuppression
• Rheumatoide Arthritis mit zusätzlichen Risiken
(Diabetes mellitus, Wechsel einer Prothese)
• Hämophilie
Verabreichung: Standardprophylaxe: Bei Penicillinallergie:
Amoxicillin/Clavulansäure Clindamycin
1 h vor Eingriff 2g 600 mg
4 h nach Eingriff 1g 600 mg

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19.2 Behandlungsablauf der systematischen Behandlung von Parodontitis Stadium I–III Kapitel 19 607

hämatogene Protheseninfektion bei Durchführung eines Eingriffs mit


erhöhtem Bakteriämierisiko antibiotisch abzuschirmen (s. Tab. 19.2). 1
2
19.2 Behandlungsablauf der systematischen
Behandlung von Parodontitis Stadium I–III
3
! Die systematische Parodontaltherapie von Parodontitis Stadium
I–III gliedert sich in vier große Abschnitte (s. Abb. 19.1):
1. Therapiestufe: Einwirken auf den Patienten zur Veränderung
4
des Verhaltens, Motivation zur Entfernung des 5
supragingivalen Biofilms und zur Kontrolle von
Risikofaktoren
2. Therapiestufe: Ursachenbezogene Therapie i. Sinne einer Kon-
6
trolle (Reduktion/Elimination) des subgingiva-
len Biofilms und Zahnsteins (subgingivale In- 7
strumentierung).
3. Therapiestufe: Behandlung parodontaler Restprobleme, die 8
durch die zweite Therapiestufe nicht eliminiert
werden konnten 9
Unterstützende Parodontitistherapie (UPT):
Im Sinne einer lebenslangen, individuell angepassten Nachsorge
des Patienten
10
11
Abb. 19.1: Behandlungs-
schema für die Parodontal-
therapie. Die Pfeile verdeut-
Befund mit
vorläufiger Diagnose
12
lichen, dass die parodontale und Prognose
Gesundheit und die Mitar-
beit des Patienten während 13
der verschiedenen Behand-
lungsphasen ständig kon- 1. Therapiestufe
trolliert werden müssen 14
und dass ggf. eine Zuwei-
sung des Patienten in eine Kontrolle
bestimmte Therapiephase 15
erfolgen kann.

2. Therapiestufe 16

Reevaluation
17

3. Therapiestufe
18
19
Unterstützende
Parodontitistherapie
20

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608 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Vorgehensweise Patienten sollten als Sanierungspatienten gesehen werden und da-


entsprechend her entsprechend dem PSI-Befund (s. Kap. 17.2.7) vor Durchführung
dem PSI-Befund evtl. notwendiger restaurativer, orthodontischer oder sonstiger
Maßnahmen zunächst einer spezifischen, den Bedürfnissen ange-
passten parodontalen oder präventiven Therapie zugeführt werden.

Vorgehensweisen entsprechend des PSI-Befunds des betreffenden Pa-


tienten:
 Patienten mit einem PSI = 0 gelten als parodontal gesund.
 Patienten mit einem PSI = 1 werden gewöhnlich ausschließlich mit
Maßnahmen der ersten Therapiestufe behandelt.
 Patienten mit PSI = 2 werden meist ausschließlich mit Maßnahmen
der ersten und ggf. zweiten Therapiestufe versorgt.
 Patienten mit PSI = 3 oder 4 werden der systematischen Parodontal-
therapie zugeführt, als deren Basis die Maßnahmen der ersten und
zweiten Therapiestufe nach gründlicher Befundung und Diagnose
durchgeführt werden.

Zunächst werden eine klinische Anamnese und Befunderhebung und


evtl. anstehende Notfallbehandlung vorgenommen und eine vorläufige
Diagnose und Prognose erstellt. Bei Verdacht auf Vorliegen einer syste-
mischen Erkrankung wird der Patient zu einem Fachkollegen (z.B. Haus-
arzt, Internist) überwiesen.
Für eine weitere synoptische Behandlungsplanung ist die Einschät-
zung einer Einzelzahnprognose auf der Basis der gesamten Befundsitua-
tion erforderlich. Daraus lassen sich verschiedene Therapieoptionen ab-
leiten.
Die Zähne werden dabei in drei Kategorien eingeteilt (s. Kap. 19.6.3):
1. sicher
2. zweifelhaft
3. hoffnungslos

Zähne, die einen approximalen Attachmentverlust > 8 mm oder paro-


dontalen Knochenverlust ≥ 70% aufweisen, werden i.d.R. prognostisch
als hoffnungslos angesehen und bereits in einer frühen Phase der Paro-
dontaltherapie extrahiert. Diese Einschätzung sollte aber mit Vorsicht
erfolgen, da eine sehr große Anzahl dieser Zähne nach einer erfolgrei-
chen ursachengerichteten, antiinfektiösen nichtchirurgischen Parodon-
taltherapie eine signifikante Taschensondierungsreduktion zeigt und
auch nach Jahren noch in der Mundhöhle funktionstüchtig erhalten
bleiben kann.
1. und 2. Der parodontal erkrankte Patient wird zu Beginn der Behandlung in
Therapiestufe die erste Therapiestufe aufgenommen. Am Ende der ersten Therapiestufe
stehen eine Kontrolle des Therapieerfolges und ggf. eine erneute Befund-
erhebung. In Deutschland wird zu diesem Zeitpunkt ggf. ein Parodontal-

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19.2 Behandlungsablauf der systematischen Behandlung von Parodontitis Stadium I–III Kapitel 19 609

antrag bei einer gesetzlichen Krankenversicherung zur Kostenüber-


nahme gestellt. Nach Abschluss der zweiten Therapiestufe erfolgt eine 1
Reevaluation der Primärdiagnose. Optimalerweise erfolgt diese Reeva-
luation erst, nachdem das zuvor entzündete Gewebe genügend Zeit zur 2
Regeneration und Schrumpfung hatte. Diese kann 6 Monate und mehr
betragen. Aufgrund des Erfolgs der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten The-
rapie werden eine endgültige Diagnose, Prognose und Behandlungspla-
3
nung erstellt. Sind die Ziele der ersten und zweiten Therapiestufe nicht
erreicht und kann festgestellt werden, dass der Patient z.B. nicht ausrei- 4
chend motiviert ist, wird er wieder in erste Therapiestufe aufgenommen.
Nur wenn die Ziele der ersten beiden Therapiestufen erreicht sind, 3. Therapiestufe 5
beim Patienten aber dennoch Parodontien vorhanden sind, die hohe
Sondierungstiefen mit Blutung bzw. keinen Rückgang der Sondierungs-
tiefen aufweisen, wird der Patient in die dritte, weiterführende Thera-
6
piestufe mit ggf. chirurgischer Therapie übernommen.
Die ersten beiden Therapiestufen waren erfolgreich, wenn folgende 7
Kriterien nach Abschluss der Phase erfüllt sind:
Plaqueindex (API) ≤ 25% 8
Blutung auf Sondierung (BOP) ≤ 25%
Kein Pus-Abfluss aus dem Sulkus 9
Reduktion der Sondierungstiefen (in manchen Fällen kann auch
eine langfristige Stagnation der Sondierungstiefen bereits als Erfolg
gewertet werden)
10
Keine harten Konkremente auf der Wurzeloberfläche
Kein Fortschreiten der Zahnbeweglichkeit 11
Sind die Ziele der ersten drei Therapiestufen erreicht und liegen keine Unterstützende 12
entzündungsaktiven Parodontien vor, wird der Patient direkt in die un- Parodontitis-
terstützende Parodontitistherapie (unterstützende Nachsorge, Recall) therapie 13
aufgenommen. In dieser Phase wird der Behandlungserfolg ständig neu
überprüft (Recall) und der Patient ggf. wieder der aktiven Parodontal-
therapie zugewiesen (s. Kap. 19.3 und 19.4).
14
Die unterstützende Parodontitistherapie erfolgt individuell ange- 15
passt je nach Schweregrad und Prognose der Erkrankung unter-
schiedlich häufig pro Jahr (vierteljährlich, halbjährlich oder jähr- 16
lich).

In der Notfallbehandlung wird eine Schmerzbehandlung von z.B. ka- Notfall-


17
riösen Prozessen, Pulpitiden, akuten und chronischen apikalen Paro- behandlung
dontitiden und Parodontalabszessen durchgeführt. Gehen die diagnos- 18
tizierten Beschwerden von nicht erhaltungswürdigen Zähnen aus oder
liegen sogenannte hoffnungslose Zähne vor, sollten diese Zähne im 19
Rahmen der Notfallbehandlung extrahiert werden. Die Einschätzung,
ob es sich um einen nicht erhaltungswürdigen Zahn handelt, richtet 20
sich nach verschiedenen Parametern (s. Tab. 19.3).

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610 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Tab. 19.3: Auswahl allgemeiner und lokaler Risikofaktoren für die Progression einer marginalen Pa-
rodontitis, die bei der Frage nach der Erhaltungswürdigkeit eines Zahnes zu berücksichtigen sind.
Um einen Zahn als nicht erhaltungswürdig einzuschätzen, müssen in der Regel mehrere der ge-
nannten Parameter gleichzeitig vorliegen.
Beispiele zu berücksichtigender Ungünstige Prognose Günstige Prognose
Faktoren
Motivierbarkeit des Patienten Gering Hoch
Allgemeinzustand des Patienten Risikopatient Gesund
Tabakkonsum Bedeutend Nein
Einnahme von Medikamenten Cyclosporine, Phenytoin, Nein
Kalziumantagonisten
Genetische Prädisposition Vorhanden Nicht vorhanden
Stress Bedeutend erhöht Unbedeutend
Attachmentverlust, Knochenabbau Fortgeschritten in bereits jungen Leicht oder mäßig fortgeschrit-
Jahren (Knochenverlust: > 50%) ten in mittlerem/höherem Alter
(Knochenverlust < 50%)
Taschenaktivität (v.a. nach 1. und 2. Blutung, Pus Physiologisch
Therapiestufe)
Krankheitsverlauf Rasch, progedient Langsam, chronisch
Bereits vorhandener Zahnverlust Ja Nein
durch Parodontitis (Cave: Extrak-
tionsgrund genau eruieren)
Furkationsbefall Vorhanden (v.a. Grad II oder III) Nicht vorhanden
Zahnbeweglichkeit, die nicht auf Deutlich erhöht Physiologisch
einem Vorkontakt beruht
Plaquekontrolle durch Patienten Ungenügend Angemessen
Krone-Wurzel-Verhältnis Ungünstig Günstig
Zahnstellung Fehlstellung Gut
Kaufunktionelle Bedeutung Gering Hoch
Strategische Bedeutung im Rah- Unbedeutend Bedeutend
men prothetischer Maßnahmen
Restaurationsmöglichkeit Schwierig Einfach
Endodontische Situation Kompliziert Günstig

Ein definitiver Extraktionsplan sollte aber erst nach der Reevalua-


tion aufgestellt und in der dritten Therapiestufe durchgeführt werden.
Eine lokale Taschenbehandlung schmerzender Parodontien umfasst
eine Biofilmentfernung, ggf. Zahnstein und Konkremententfernung,
Spülung der Tasche mit einer antibakteriellen Spüllösung und ggf. die
Instillation einer antiphlogistisch-antibakteriell wirksamen Paste in die
entzündete Tasche (s. Kap. 19.5).

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 611

Liegt ein Abszess parodontaler Ursache vor, so wird eine Drainage


via Tascheneingang oder Inzision vorgenommen. 1
2
19.3 Erste und zweite Therapiestufe
3
! Der Grundgedanke der ersten Therapiestufe ist es, gingivale Ent-
zündungen zu reduzieren, das Fortschreiten der bestehenden Er-
krankung zu stoppen, plaque- bzw. zahnsteinfreie orale Verhält- 4
nisse zu schaffen sowie Verhaltensänderungen beim Patienten
herbeizuführen. 5
Es ist bekannt, dass es durch wiederholte gründliche Entfernung der su-
pragingivalen Beläge auch zu Veränderungen der Zusammensetzung
6
der subgingivalen Flora kommen kann. Im Idealfall kommt es in der ers-
ten Therapiestufe je nach vorliegender Erkrankung zur vollkommenen 7
Gesundung des parodontalen Gewebes. Häufig ist diese erste Stufe in
der Behandlung aber nicht ausreichend, um eine Parodontitis auszuhei- 8
len. Sie stellt aber in jedem Fall die notwendige Grundlage für ein opti-
miertes Ansprechen auf die Behandlung und für die Langzeitstabilität 9
des Therapieergebnisses dar und ist Basis für den Erfolg der nachfolgen-
den Therapiestufen.
Die Maßnahmen der ersten Therapiestufe sollen folgende Aspekte
10
umfassen:
 Häusliches Biofilmmanagement 11
– Kontinuierliche, patientenindividuelle Mundhygieneunterwei-
sung (MHU) mit Motivation und Instruktion zur Verbesserung 12
der häuslichen Mundhygiene
– Verbesserung der Adhärenz des Patienten und Intensivierung der 13
Mundhygiene
– Ggf. Empfehlung adjuvanter Therapien bei gingivaler Entzün-
dung
14
 Professionelles Biofilmmanagement
– Professionelle mechanische supragingivale Zahnstein- und Bio- 15
filmentfernung (PMPR: professionelle mechanische Plaquereduk-
tion) 16
– Entfernung eventuell vorhandener subgingivaler, erreichbarer
Beläge
– Beseitigung lokaler Reizfaktoren (z.B. überstehende Restaura-
17
tionsränder)
 Kontrolle von Risikofaktoren 18
– Interventionen zur Veränderung des Gesundheitsverhaltens:
– Raucherentwöhnung 19
– Verbesserung der Diabeteskontrolle
– Ggf. körperliche Betätigung und Ernährungsumstellung/Ge- 20
wichtsreduktion (Einflüsse noch unklar)

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612 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

In den Sitzungen der ersten Therapiestufe könnten folgende Behand-


lungsschritte vorgenommen werden:
 Erhebung eines Plaque- sowie eines Gingivalindex
 Entfernung marginaler Reizfaktoren
 Beseitigung supragingivaler Beläge und von Zahnstein
 Anleitung zur Systematik des Zähneputzens sowie zu bestimmter
Zahnputztechnik
 Anleitung zur Interdentalhygiene (Zahnseide, Interdentalraum-
bürste, Zahnstocher)
 Aufklärung über zusätzliche Risikofaktoren (z.B. Rauchen)
 Fluoridierung

Ein wichtiges Ziel der ersten Therapiestufe ist es, den Patienten so zu
motivieren, dass er durch eigene Mundhygienemaßnahmen deutliche
Verbesserungen beim erhobenen Plaqueindex, z.B. einen API ≤ 25%, er-
reicht. Daneben sollten die oben genannten Kriterien der erfolgreichen
ersten Therapiestufe angestrebt werden. In der Sitzung, die der Reeva-
luation dient, werden erneut die Sondierungstiefen, die Zahnlockerung
und das Vorliegen einer Entzündung überprüft und mit dem Ausgangs-
befund verglichen.
Zur Prävention und Therapie einer Gingivitis können im Rahmen
der häuslichen Mundhygienemaßnahmen zusätzlich zur intensivierten
Mundhygiene antimikrobielle Mundspüllösungen eingesetzt werden.
Diese können in allen Therapiestufen zum Einsatz kommen. Als che-
misch antimikrobielle Wirkstoffe sollten gemäß Leitlinien bevorzugt
ätherische Öle, Chlorhexidin oder Triclosan/Co-Polymer zur Anwen-
dung kommen. Die Datenlage zur Verwendung von Aminfluorid/Zinn-
fluorid und Cetylpyridiniumchlorid lässt keine eindeutige Empfehlung
zu. Die genannten Wirkstoffe können bei Risikogruppen (z.B. Pflegebe-
dürftigen, körperlich oder geistig behinderten Personen oder Patienten
bei/nach Chemotherapie) als tägliche Spüllösungen (< 1%) eingesetzt
werden.
Wenn ein mechanisches Biofilmmanagement nicht möglich ist (z.B.
nach operativen Eingriffen), sollte zur Keimzahlreduktion Chlorhexidin
(> 1%) vorübergehend als Mundspüllösung empfohlen werden.
Bei guter Mitarbeit des Patienten und entsprechendem Erfordernis
wird in die zweite Therapiestufe übergegangen, in der eine subgingivale
Instrumentierung und Reinigung aller pathologisch vertieften Taschen
erfolgt. Ziel sind die Kontrolle (Reduktion oder Elimination) des subgin-
givalen Biofilms und Zahnsteins und die Etablierung von blutungs-
freien Zahnfleischtaschen (BoP-negativ) von höchstens 4 mm Tiefe.

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 613

19.3.1 Patientenmotivation, -instruktion und Kontrolle der


Mitarbeit 1
Im Rahmen eines Aufklärungstherapiegesprächs (ATG) wird der Patient Aufklärung 2
über die Erkrankung, deren mögliche Therapien etc. aufgeklärt. Beim Ge-
spräch mit dem Patienten muss bedacht werden, dass die kognitiven Fä-
higkeiten einzelner Patienten stark voneinander abweichen können.
3
Auch ist die Aufnahmefähigkeit für verschiedene Informationen zu ei-
nem Zeitpunkt begrenzt. Daher sollten Hinweise zur Verhaltensände- 4
rung oder zur Verbesserung der Mundhygiene besser in kleineren Portio-
nen vermittelt werden. Der Patient wird vom Zahnarzt über die Ursachen 5
seiner Erkrankung informiert. Er wird auf die Bedeutung der gründlichen
Entfernung der bakteriellen Plaque hingewiesen. Das Rauchverhalten des
Patienten sollte erfragt und die Bedeutung des Rauchens als Risikofaktor
6
erläutert werden. Rauchstopp-Strategien sollten gemeinsam mit dem Pa-
tienten erarbeitet werden. Ebenso sollte der Patient auf den Faktor Stress 7
als Risikofaktor hingewiesen werden. Es sollte eine Aufklärung über wei-
tere Risikofaktoren wie Medikamente (z.B. Immunsuppressiva) oder in- 8
ternistische Erkrankungen (Diabetes mellitus) erfolgen.
Ein individuelles Motivationsgespräch sollte auf vertrauensvoller 9
Basis geführt werden und vier Merkmalen einer guten Kommunikation
folgen (n. Ramseier):
1. Stellen offener Fragen („Welche Meinung haben Sie über Ihre
10
Mundhygiene?“)
2. Aussprechen von Anerkennung („Ich schätze sehr, wie Sie mir Ihre 11
Situation erklären.“)
3. Reflektieren des Gesagten („Sie scheinen wirklich nicht an den Er- 12
folg der Bemühungen zu glauben.“)
4. Zusammenfassen des Gesprächs („Ich fasse unser Gespräch also wie 13
folgt zusammen ... Wir werden später noch einmal darauf zurück-
kommen.“)
14
Es kommt also auch darauf an, wie der Zahnarzt die Informationen an
den Patienten vermittelt und wie die Kommunikation geführt wird. 15
Heutzutage wird zur Einflussnahme auf Verhaltensänderungen ein Ge-
sprächsstil favorisiert, der dem Prinzip des „motivational interviewing“ 16
entspricht. Dabei erarbeitet der Behandler mit dem Patienten gemein-
sam den individuell besten Weg zur Verhaltensänderung. Dabei sollte
der Behandler mehr Fragen als Ratschläge geben sowie aufmerksam zu-
17
hören und das Gespräch lenken, der Patient mehr als der Behandler
sprechen, seine Verhaltensänderungen selbst benennen und im optima- 18
len Fall den Behandler um Ratschläge bitten. Eine zu verschiedenen
Zeitpunkten wiederholte Motivierung erhöht die Adhärenz des Patien- 19
ten zur Verhaltensänderung. Somit sollten Gespräche dieser Art nicht
nur in der ersten Therapiestufe, sondern auch in späteren Therapiestu- 20
fen, v.a. der vierten Stufe (UPT), wiederholt geführt werden.

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614 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Indizes Anhand der Erhebung eines Entzündungsindex (z.B. PBI) und eines
Plaqueindex (z.B. API) wird der Patient auf mögliche Mängel bei der
Mundhygiene hingewiesen. Die Einfärbung der Zähne mit einem
Plaquerevelator erschwert die Kontrolle der Gingivablutung nach Son-
dierung. Daher sollte der Blutungsindex immer vor dem Plaqueindex er-
hoben werden. Die Befunde des Plaque- und des Blutungsindex werden
zu Beginn der Behandlung und als Verlaufskontrolle in ein spezielles Be-
fundblatt eingetragen (s. Abb. 19.2).
Mundhygiene- Der Patient wird besonders auf die Stellen im Mund hingewiesen, an
maßnahmen denen ein Mundhygienedefizit vorliegt. Ferner werden dem Patienten

I Oberkiefer rechts 1 II Oberkiefer links


2
3
4 1 2
API PBI 3
5 4
I oral II buccal I oral II buccal
6 5
6
7
7
8 8

Summe Summe
Sitzungen 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 Sitzungen
Summe Summe

8
8
7
6 7
5 IV buccal III oral IV buccal III oral 6
4
3 5
2 1 4
3
IV Unterkiefer rechts 1 2 III Unterkiefer links

API (%) PBI (Summe)


Datum I II III IV gesamt
1
2
3
4
5

Abb. 19.2: Schema zur Befunderhebung und Verlaufskontrolle von API und PBI

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 615

die Systematik des Zähneputzens, Zahnputztechniken, Möglichkeiten


der Interdentalhygiene und Hilfsmittel zur Durchführung der Mundhy- 1
giene erklärt. Bei Patienten mit verstärkter Belagbildung auf dem Zun-
genrücken sollten auch Instruktionen zur Reinigung der Zunge mit spe- 2
ziellen Zungenbürsten oder -schabern erfolgen.
Die verschiedenen Mundhygienemaßnahmen werden dem Patien-
ten an Modellen vorgeführt. Dabei sollte in der ersten Sitzung nicht
3
gleich auf alle möglichen Mundhygienemaßnahmen eingegangen wer-
den. Um den Patienten nicht zu überfordern und seine Mitarbeit den- 4
noch zu fördern, sollte schrittweise in jeder Sitzung etwas Neues erlernt
werden. Das neu Erlernte wird in der nächsten Sitzung kontrolliert. 5
Die erste Therapiestufe umfasst außerdem eine Ernährungsbera-
tung des Patienten. Er wird auf die Schädlichkeit niedermolekularer
Kohlenhydrate im Zusammenhang mit der Plaquebildung, der Plaque-
6
zusammensetzung und dem Plaquemetabolismus hingewiesen. Falls
erforderlich, sollte der Patient zur Überprüfung seiner Ernährungsge- 7
wohnheiten ein Ernährungstagebuch anlegen. Inwieweit Maßnahmen
der Ernährungsveränderung oder Gewichtsreduktion sowie vermehrte 8
sportliche Aktivitäten allerdings zu einer Verbesserung der parodonta-
len Gesundheit führen, ist noch nicht abschließend geklärt. 9

19.3.2 Zahnputztechniken
10
Durch das Zähneputzen wird die bukkale, linguale und okklusale, teil- 11
weise auch die interdentale Plaque entfernt. Dabei steht nicht die Häu-
figkeit, sondern die Gründlichkeit des Zähneputzens im Vordergrund. 12
Da es 24–36 Stunden dauert, bis sich eine reife Plaque etabliert hat, ist
es bei äußerst gründlicher Pflege ausreichend, die Zähne einmal täglich 13
zu putzen.

Es ist für den Patienten nahezu unmöglich, die Plaque von allen
14
Zähnen vollständig in einem Putzvorgang zu entfernen. Daher wird
angeraten, nach jeder Mahlzeit die Zähne zu putzen bzw. zumin- 15
dest einmal am Tag eine besonders intensive Zahnpflege zu betrei-
ben. Es ist wichtig, dass sich der Patient beim Zähneputzen eine Sys- 16
tematik zur Gewohnheit macht, um alle Zahnflächen zu reinigen
(s. Abb. 19.3).
17
Zur Reinigung der einzelnen Zähne werden je nach vorliegender Erkran-
kung und vorliegenden anatomischen Verhältnissen verschiedene Zahn- 18
putztechniken empfohlen. Bei allen Techniken wird die Zahnbürste an
den Lingualflächen der Schneidezähne senkrecht angesetzt. An allen an- 19
deren Zahnflächen wird die Zahnbürste waagerecht angesetzt, und es
werden 10–15 Bewegungen pro Zahn durchgeführt. Die okklusalen Flä- 20
chen werden in einer leicht kreisenden Bewegung kräftig gebürstet.

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616 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

9 7

4 6
OK

UK
3 1

2
10 12

11

Abb. 19.3: Systematik des Zähneputzens nach Rateitschak (1989). Zuerst werden
die schwer zugänglichen Lingualflächen und anschließend die Bukkalflächen der
Zähne Zahn für Zahn einzeln gebürstet. Die Zahnbürste beschreibt dabei im
Mund einen Kreis, sodass lingual im Unterkiefer mit dem Bürsten begonnen und
bukkal im Unterkiefer geendet wird. Abschließend werden die Okklusalflächen
geputzt.

Bass-Technik Meist wird die modifizierte Bass-Technik (s. Abb. 19.4a) empfohlen.
Sie eignet sich sowohl bei gesunden als auch bei krankhaft veränderten
Parodontalverhältnissen zur Reinigung. Die modifizierte Bass-Technik
wird ferner empfohlen, wenn die Interdentalpapille weitgehend erhal-
ten ist und die marginale Gingiva nahe der Schmelz-Zement-Grenze en-
det.
Charters-Technik Die Charters-Methode (s. Abb. 19.4b) wird Patienten mit bestehen-
den Resttaschen und freien Interdentalräumen empfohlen.

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 617

1
45°

2
45°
3

a BASS -Technik CHARTERS -Technik b


4
Abb. 19.4: Zahnputztechniken: a) Bass-Technik: Die Zahnbürste wird im Winkel von 45° zur Zahnlängs-
achse gleichzeitig auf den Zahn und die Gingiva aufgesetzt. Der Andruck der Bürste ist so stark, dass sich 5
die Borsten zu biegen beginnen. Es werden pro Zahnfläche 10–15 senkrecht rüttelnde bzw. leicht kreisende
Bürstbewegungen durchgeführt. b) Charters-Technik: Die Bürste wird in einem Winkel von 45° von unten
an die Gingiva angelegt. Es werden kleine, kreisende Bewegungen durchgeführt, bei denen die Borsten- 6
enden in die Interdentalräume gestoßen werden.

Die modifizierte Stillman-Methode ist für Patienten geeignet, die Stillman-Technik 7


ein gesundes Parodont oder gingivale Rezessionen aufweisen. Durch in-
termittierend ausgeübten Druck auf die Gingiva kommt es zu einer Sti- 8
mulation der Gingiva durch Blutdrainage. Die Borstenenden einer wei-
chen Zahnbürste werden im Bereich der Gingiva angesetzt. Es erfolgt 9
eine Auswischbewegung vom Zahnfleisch zum Zahn („von Rot nach
Weiß“). Dabei wird die Zahnbürste gleichzeitig um ihre Längsachse ge-
dreht, und es werden, wenn es die Geschicklichkeit des Patienten er-
10
laubt, Rüttelbewegungen durchgeführt.
Die Fones-Technik wird Kindern und Patienten empfohlen, die Fones-Technik 11
nicht die manuelle Geschicklichkeit besitzen, die obigen Techniken zu
erlernen. Die bukkalen Zahnflächen werden dabei bei geschlossener 12
Zahnreihe mit kleinen kreisenden Bewegungen gebürstet. Mit den glei-
chen Bewegungen werden dann die lingualen und okklusalen Zahnflä- 13
chen gereinigt.

14
19.3.3 Hilfsmittel für die Mundhygiene
15
Die Zahnbürste sollte einen kurzen Bürstenkopf (ca. 2,5 cm Länge) mit Handzahnbürste
elastischen, geraden, an den Enden abgerundeten Kunststoffborsten be- 16
sitzen. Der Bürstenkopf sollte so gewählt sein, dass auch schwierig zu-
gängliche Bereiche (z.B. vestibulär der posterioren Zähne) gut erreicht
werden können. Die Dicke der Borsten sollte 0,18–0,25 mm, die Länge
17
der Borsten 10–12 mm betragen. Die Borsten sollten mittelhart und in
Büscheln von je 20–40 Borsten (multi-tufted) angeordnet sein. Sind die 18
Borsten zu hart oder die Enden nicht abgerundet, kann es leicht zu
Zahnfleischverletzungen durch den Patienten kommen. Bei Zahnbürs- 19
ten mit einem planen Borstenfeld besteht das Problem, dass die Borsten
bei einem planen Aufsetzen der Bürste auf die vestibulären/oralen 20
Zahnflächen nur unzureichend in die interdentalen Einziehungen ein-

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618 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

dringen. Das vestibuläre/orale Aufsetzen in einem schrägen Winkel


oder die Verwendung von Bürsten mit unterschiedlichen Filamentlän-
gen können diesem Problem abhelfen. Letztere Bürsten zeichnen sich
auch durch eine Reduzierung des Verletzungsrisikos für die Gingiva aus.
Diese Vorteile konnten teilweise in kontrollierten Langzeitstudien
nachgewiesen werden. Allerdings scheint die Akzeptanz der Zahnbürste
durch den Anwender die größere Bedeutung für die individuelle Effi-
zienz der Reinigung zu haben als die Art der verwendeten Bürste. Zur ef-
fektiven und gleichzeitig schonenden Anwendung sollten Handzahn-
bürsten mit einem Anpressdruck von ca. 2 N (ca. 200 g) eingesetzt wer-
den. Eine Zahnbürste ist nach ca. 4 Wochen oder bei einem Umbiegen
der Borsten auszutauschen. Nach Infektionen im Mund- und Rachenbe-
reich sollte die Zahnbürste ebenfalls erneuert werden, da es durch eine
bakterielle Besiedelung der Bürste zu einer Reinfektion kommen kann.
Für schwierig zugängliche Einzelstellen (z.B. Zähne mit Rezessionen
oder an Implantathälsen) können kleine Einbüschelbürstchen eine
Hilfe darstellen.

Mit der Zahnbürste ist es nicht möglich, den Interdentalraum frei


von Plaque und Speiseresten zu halten.

Elektrische Zahnbürsten können je nach Bewegung des Bürstenkopfes


in drei Gruppen klassifiziert werden:
 Drehend-oszillierende Bürsten (ggf. mit zusätzlicher pulsierender
Bewegung)
 Schallaktive Bürsten (Schwingung: ca. 250–350 Hz)
 Ultraschallaktive Bürsten (Schwingung: ca. 1,5 MHz)

Elektrische Durch den Gebrauch elektrischer Zahnbürsten kann eine effektivere


Zahnbürste Zahnreinigung erreicht werden als durch eine Handzahnbürste. Für
eine gute Reinigungsleistung sollte die Amplitude der Bürstenkopfbewe-
gung bei schallaktiven Bürsten ca. 3–4 mm betragen. Um bei Bürsten
mit ausschließlich oszillierend-rotierender Bewegung eine größere Ef-
fektivität als mit der Handzahnbürste zu erreichen, muss der Gebrauch
dieser Zahnbürsten dem Patienten vom Zahnarzt eingehend demons-
triert werden. Auch bei Verwendung elektrischer Bürsten ist es wichtig,
dass der Patient bei der Reinigung ein systematisches Vorgehen einhält
und dabei die einzelnen Zahnflächen ausreichend sorgfältig reinigt.
Wie bei den Handzahnbürsten sollte dazu eine Putzdauer von ca. fünf
Minuten für das gesamte Gebiss eingehalten werden. Häufig wird beob-
achtet, dass die Zahnpflege bei der Verwendung einer neu erworbenen
elektrischen Zahnbürste anfänglich intensiver betrieben wird. Dieser
positive Effekt des „neu Erworbenen“ lässt dann aber mit der Zeit oft
wieder nach.
Laboranalysen konnten zeigen, dass schallaktive Zahnbürsten durch
Mikroströmungen im Zahnpasta-Speichel-Gemisch zu Scherkräften

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 619

führen, durch die auch Bakterien von der Zahnoberfläche abgelöst wer-
den, die bis zu mehreren Millimetern von den Borstenenden entfernt 1
sind. Der klinische Nachweis dieses Effektes liegt allerdings noch nicht
vor. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass schall- und ultra- 2
schallaktive Zahnbürsten einen verbesserten Transport von Wirkstoffen
aus der Zahnpaste in die Zahnzwischenräume bewirken. Es sollte beach-
tet werden, dass elektrische Zahnbürsten zu einem stärkeren Abtrag ero-
3
dierter, d.h. erweichter Zahnoberflächen führen können als Handzahn-
bürsten, sofern beide mit dem gleichen Anpressdruck verwendet wer- 4
den. Allerdings ist bisher nicht abschließend geklärt, ob elektrische
Zahnbürsten im Vergleich zu Handzahnbürsten auch zu einem stärke- 5
ren Abtrag gesunder Zahnhartsubstanz beitragen. Es wird empfohlen,
elektrische Zahnbürsten mit einem geringeren Anpressdruck anzuwen-
den als Handzahnbürsten.
6
Die Anwendung von Interdentalraumbürstchen stellt die wirk- Interdental-
samste Methode zur Reinigung der Interdentalräume sowie freiliegen- raumbürstchen 7
der Furkationen dar. Insbesondere Zahneinziehungen an Oberflächen
im Bereich des Approximalraumes werden mit Interdentalbürstchen ef- 8
fektiv gesäubert. Es stehen Interdentalraumbürsten in verschiedenen
Größen und Formen zur Auswahl. Dem Patienten sollte je nach Größe 9
des Interdentalraumes individuell eine Bürstenform bzw. -größe emp-
fohlen werden, um Schäden an der Gingiva oder der Zahnhartsubstanz
zu vermeiden. Die Interdentalbürstchen können mit antimikrobiellen
10
Spüllösungen oder -gelen beschickt werden, um damit gezielt an schwer
zugänglichen Bereichen die Reinigungseffizienz zu erhöhen. Sollten in- 11
terdentalräume für Interdentalbürstchen nicht zugänglich sein, werden
dem Patienten alternative Hilfsmittel zur Interdentalreinigung empfoh- 12
len. Dazu zählen Zahnseide, Zahnhölzer und -sticks oder Munddu-
schen. 13
Zahnseide ist ein wichtiges Instrument zur Reinigung des Approxi- Zahnseide
malbereichs der Zähne und der Interdentalräume. Darüber hinaus er-
kennen der Zahnarzt und der Patient durch das Auffasern ungewachster
14
Zahnseide, dass Imperfektionen an Restaurationen oder kariöse Läsio-
nen im Interdentalbereich vorliegen. 15
Die Zahnseide kann mit Daumen und Zeigefinger oder einem Zahn-
seidenhalter gespannt werden. Die Zahnseide wird dann vorsichtig über 16
den Approximalkontakt in den Interdentalraum gezogen. Durch vor-
sichtige Auf-und-ab-Bewegungen wird zunächst die Approximalfläche
des einen und dann die Approximalfläche des anderen Zahns gereinigt.
17
Breite Interdentalräume, Brückenglieder oder verblockte Zahn-
zwischenräume können mit spezieller Zahnseide gereinigt werden, die 18
im Mittelteil ein bauschiges Fadenstück enthält. Sie ist an einem Ende
versteift. Dieses versteifte Ende kann unterhalb eines nicht durchgängi- 19
gen Kontaktpunktes durch den Interdentalraum geschoben werden. Mit
dem bauschigen Mittelteil kann der Interdentalraum oder die Unter- 20
seite des Brückenzwischengliedes dann gereinigt werden.

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620 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Zahnseide gibt es in gewachster und ungewachster Form. Die Be-


wegung ungewachster Zahnseide auf einem sauberen Zahn führt zu ei-
nem quietschenden Geräusch. Am Auftreten dieses Geräusches kann
der Patient die Effektivität seiner Bemühungen kontrollieren.
Der Vorteil gewachster Zahnseide ist, dass der ungeübte Patient
seine Interdentalpapille nicht so leicht verletzen kann und dass die ge-
wachste Zahnseide mit weniger Kraftaufwand über den Approximal-
kontakt zu ziehen ist. Allerdings können Wachsreste im Interdental-
raum verbleiben. Patienten mit starken Approximalkontakten sollten
keine Zahnseiden auf Nylonbasis, sondern bandförmige Zahnseiden auf
Polytetrafluorethylenbasis verwenden, da bei diesen Zahnseiden ein ge-
ringerer Kraftaufwand für die Kontaktflächenpassage erforderlich ist.
Zahnhölzer Zahnhölzer oder Gummi-/Elastomer-Sticks sind zur Entfernung des
bakteriellen Belags nicht geeignet. Sie eignen sich aber zur Entfernung
impaktierter Speisereste.
Mundduschen Wasserstrahlgeräte (Mundduschen) erleichtern die Entfernung von
eingeklemmten Speiseresten und lose anhaftender Plaque. Fest angehef-
tete Plaque kann nicht mit dem Wasserstrahlgerät, sondern muss me-
chanisch mit Bürsten und Hölzern entfernt werden. Am effektivsten
und gleichzeitig schonendsten sind pulsierend arbeitende Wasserstrahl-
geräte mit mehrstrahligen Düsen. Mit dem Wasserstrahl kann die Gin-
giva massiert und stimuliert werden. Darüber hinaus können gezielt an-
tibakterielle Spüllösungen durch den Patienten appliziert werden. Ohne
Anwendung einer Munddusche ist die Wirkung einer Mundspüllösung
auf den supragingivalen Bereich beschränkt. Bei Anwendung einer
Munddusche schafft es die Spüllösung aber, in die marginale Hälfte der
parodontalen Tasche zu gelangen. Dabei darf kein zu harter Strahl ver-
wendet werden, da dies zur Streuung von Bakterien in entzündlich auf-
gelockerte Gewebeabschnitte führen kann.

Endokarditisrisikopatienten (s. Kap. 19.1) dürfen keine Munddu-


schen anwenden, da dies zu einer Bakteriämie führen kann.

Zungenreiniger Als Zungenreiniger eignen sich spezielle Schaber oder Bürsten, mit de-
nen der bakterielle Belag vom Zungenrücken entfernt werden kann.
Zur Kontrolle seiner Mundhygienemaßnahmen sollte der Patient
bei der häuslichen Zahnpflege Plaquerevelatoren in Form von Kautab-
letten verwenden.

19.3.4 Zahnpasta

Zahnpasten sind ein wirksames Mittel zur Karies- und Gingivitisprophy-


laxe. Sie erfüllen im Wesentlichen drei Aufgaben:
 Eine kosmetische Aufgabe durch Säubern und Polieren der Zahn-
oberfläche und Erfrischung des Atems

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 621

 Eine therapeutische Aufgabe durch Entfernen der Plaque


 Eine pharmakologische Aufgabe durch Einbringen pharmakologisch 1
wirksamer Substanzen
2
Zahnpasten sind kosmetische Mittel und unterscheiden sich von Arz- Abrasivstoffe
neimitteln. Zahnpasten dürfen maximal 0,15% Fluoridionen enthalten
und setzen sich aus verschiedenen Einzelbestandteilen zusammen: Je
3
nach Zahnpasta liegen 15–55% Abrasivstoffe (Putzkörper) in einer
Zahnpasta vor. Sie erleichtern die Entfernung der Plaque und die Politur 4
der Zahnoberflächen.
Die Abrasionswirkung hängt neben Partikelform, Partikelgröße, 5
Härte und Anzahl der Partikel auch von der angewandten Zahnputz-
technik und der beim Putzen angewendeten Kraft ab. Beschaffenheit
und Borstenhärte der verwendeten Zahnbürste besitzen nur einen un-
6
tergeordneten Einfluss auf die Abrasion von Zahnhartsubstanz.
Als Putzkörper werden Carbonate, Phosphate (Dicalciumphosphat 7
[DCP], Dicalciumphosphat-Dihydrat [DCPD], Natriummetaphosphat
[IMP]), Kieselgele, feindisperse Kieselsäure, Aluminiumoxidhydrate und 8
Kunststoffe verwendet.
Als aussagefähigste Messmethode zur Bestimmung der Abrasivität 9
einer Zahnpasta gilt die Bestimmung des Abriebs von radioaktiv mar-
kiertem Dentin (RDA: Relative Dentin Abrasion) bzw. Schmelz (REA: Re-
lative Enamel Abrasion). Dabei wird der durch die jeweilige Zahnpaste
10
verursachte Abrieb ins Verhältnis zu dem Abtrag gesetzt, den ein Stan-
dard-Abrasivmedium hervorruft. Zahnpasten mit einer starken Abrasivi- 11
tät weisen einen hohen RDA- bzw. REA-Wert auf. Aufgrund methodisch
bedingter Schwankungen zwischen verschiedenen Testlaboratorien ist 12
aber nur eine grobe Einteilung der Zahnpasten möglich:
 RDA 0–19: sehr gering
13
 RDA 20–39: gering
 RDA 40–79: mittel
 RDA 80–99: stark
14
 RDA ≥ 100: sehr stark
15
Tenside (z.B. Natriumlaurylsulfat, Aminfluorid) verringern die Oberflä- Tenside
chenspannung des Speichel-Zahnpasta-Gemischs. Sie besitzen aufgrund 16
ihrer chemischen Struktur die Eigenschaft, sich an Oberflächen anzula-
gern. Ferner erzielen sie eine schäumende Wirkung (Natriumlaurylsul-
fat) und lösen Plaquebakterien und Speisereste ab. Hohe Dosierungen
17
von Natriumlaurylsulfat können zu Schädigungen der Gingiva führen.
Die Konzentration sollte daher 2% nicht überschreiten. 18
Zur Aromatisierung werden Geschmacksstoffe wie Pfefferminz und Geschmacks-
Menthol zugesetzt. Sie sollen die Akzeptanz von Zahnpasten fördern. stoffe 19
Nicht kariogene Süßstoffe (Saccharin, Xylit) runden den Geschmack der
Zahnpasta ab. Der Zuckeraustauschstoff Xylit soll zudem den Stoff- 20
wechsel kariogener, zuckerabbauender Mikroorganismen beeinflussen

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622 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

und zur Verdrängung dieser Bakterien führen. Den Zahnpasten können


verschiedene Wirkstoffe zugesetzt sein.
Wirkstoffe Als Kariostatika sind den Pasten seit etwa 50 Jahren Fluoride beige-
mischt. Heute besitzen ca. 70% der erhältlichen Erwachsenen-Zahnpas-
ten 0,1–0,15% Fluorid. Den Zahnpasten sind Fluoride in Form von
Zinnfluorid, Natriumfluorid, Natriummonofluorphosphat und Amin-
fluorid zugefügt.
Plaquehemmende Wirkstoffe wie Chlorhexidin, Sanguinarin oder
die Enzyme Amyloglucosidase/Glucoseoxidase besitzen antimikrobielle
Eigenschaften. Sie wirken auf den Metabolismus und das Wachstum der
supragingivalen Plaquebakterien.
Die Kombination von Phenolen, z.B. Triclosan und Co-Polymer, mit
dem Metallsalz Zinkcitrat zeigte in neueren Untersuchungen einen
hemmenden Einfluss auf parodontalpathogene Keime. Die S3-Leitlinie
empfiehlt Zinnfluorid-Hexametaphosphat enthaltende Zahnpasten für
die Kontrolle gingivaler Entzündungen, sofern adjuvante antimikro-
belle Zahnpasten zum Einsatz kommen sollten.
Zahnsteininhibitoren wie Pyrophosphate, Polyphosphate, Phos-
phonate und Zinkcitrat oder Zinkchlorid hemmen die Ausfällung von
Kalziumsalzen aus dem Speichel und beugen so der Kristallisation und
supragingivalen Zahnsteinbildung vor.
Pflanzliche Extrakte, z.B. Chamazulen, wirken antiphlogistisch.
Vitamin A wird vom Gingivagewebe resorbiert und fördert die Zellpro-
liferation und damit die Bildung einer ausreichend keratinisierten Gin-
giva.
Hilfsstoffe Feuchthaltemittel verhindern das Austrocknen der Zahnpasta. Sie
sind in Form von Glycerol, Sorbitol oder Propylenglykol den Zahnpas-
ten beigemischt.
Bindemittel (Hydroxyethylzellulose, Methylzellulose, kolloidales
Magnesium- und Aluminiumsilikat) sind hydrophile, kolloidale Sub-
stanzen. Sie bilden hochviskose Gele und binden die Abrasivstoffe.
Konservierungsstoffe (z.B. Hydroxybenzoesäureester) verhindern
die mikrobielle Zersetzung der Zahnpasta und garantieren ihre Haltbar-
keit.
Desensibilisierung Zur Desensibilisierung hypersensibler Zähne werden den Zahn-
hypersensibler pasten u.a. Fluoridverbindungen, Strontiumchlorid, Arginin, Kalzium-
Zähne karbonat, Apatite oder Kalzium-Natrium-Phosphosilikat zugesetzt.
Diese Wirkstoffe sollen die Dentinkanälchen durch Mineralisierung,
Ablagerung von Präzipitaten oder Imprägnierung verschließen. Das in
kaliumnitrathaltigen Pasten verfügbare Kalium bewirkt eine Modifika-
tion oder Blockade der Antwort der Pulpanerven. Die Erregbarkeit der
Nerven wird durch einen Konzentrationsanstieg extrazellulären Kali-
ums und Depolarisation der sensorischen Nerven reduziert. Die ge-
nauen Mechanismen, die zur Desensibilisierung bei Verwendung dieser
Zahnpasten führen, sind aber noch nicht abschließend geklärt. Häufig
finden sich widersprüchliche Aussagen zur Wirksamkeit der verschiede-

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 623

nen Substanzen. Hypersensible Zahnpartien liegen im Bereich freilie-


gender Zahnhälse oder bei freiliegenden Wurzeloberflächen vor. Sie fin- 1
den sich auch nach parodontalchirurgischen Maßnahmen, wenn es zu
einer Retraktion der zuvor ödematös geschwollenen Gingiva kommt. 2
Da das dünne Wurzelzement infolge von Mundhygienemaßnahmen
oder durch erosive bzw. abrasive Nahrung leicht beschädigt wird, haben
die Odontoblastenfortsätze via Dentinkanälchen Kontakt mit der
3
Mundhöhle. Mechanische, thermische und chemische Reize können
dann vom Patienten als sehr schmerzhaft empfunden werden. 4
Durch den Zahnarzt angewendete Dentinadhäsive stellen eine Mög-
lichkeit zum Verschluss freiliegender Dentintubuli und damit zur Redu- 5
zierung der Schmerzempfindlichkeit hypersensibler Zähne dar.
6
19.3.5 Supra- und subgingivale professionelle Plaque- und
Zahnsteinentfernung 7
8
! Eine Aufgabe des Zahnarztes in der ersten Phase der ersten Thera-
piestufe ist es, eine professionelle mechanische Plaquereduktion
(PMPR) und Entfernung der supragingivalen harten Beläge durch- 9
zuführen.

Die professionelle mechanische Plaquereduktion und Belagentfer- Erste


10
nung umfasst: Therapiestufe
 Darstellung der supragingivalen Beläge 11
 Vollständige Entfernung der supra- und subgingival erreichbaren
Beläge 12
 Politur und Fluoridierung der Zahnoberflächen

13
Vor der Entfernung bakterieller Beläge sowie vor oralchirurgischen Ein-
griffen sollte eine Keimreduktion in der Mundhöhle durch Spülen und
Gurgeln mit oralen Desinfizienzien (z.B. Chlorhexidindiglukonat) erfol-
14
gen. Dadurch können auch Keimbelastungen in Aerosolen, wie sie z.B.
bei der wassergekühlten Ultraschallbehandlung auftreten, verringert 15
werden. Zur Herstellung hygienischer Mundverhältnisse und um dem
Patienten Voraussetzungen zu schaffen, die eine optimale Zahnpflege 16
ermöglichen, muss der Zahnarzt die supragingivalen Beläge zusammen
mit Verfärbungen durch Tee-, Rotwein- oder Tabakkonsum entfernen.
Verfärbungen der Zähne stellen einen Nährboden für Mikroorganismen
17
dar und werden vom Patienten als ästhetisch beeinträchtigend empfun-
den. Die supragingivalen weichen Beläge und Verfärbungen werden mit 18
abrasiven Pasten unter Anwendung von Polierbürstchen oder Polierkel-
chen aus Silikon entfernt. Es können auch Pulver-Wasserstrahlgeräte 19
(s.u.) zum Einsatz kommen. Neben den supragingivalen Belägen wer-
den in der ersten Therapiestufe erreichbare subgingivale Beläge z.B. mit 20
speziellen Ultraschallscalern (s.u.) beseitigt.

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624 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Zweite In der zweiten Therapiestufe der systematischen Parodontalbehand-


Therapiestufe lung kann ein subgingivales Scaling mit geschlossener Kürettage,
also ohne ein Zurückklappen der Gingiva und ohne Lappenbildung, er-
forderlich sein. Dabei werden eventuell vorhandene schwer erreichbare
subgingivale Beläge in einer konservativ geschlossenen Therapie ent-
fernt. Die Entfernung der Konkremente erfolgt bei nicht zurückgeklapp-
ter Gingiva mit Küretten oder oszillierenden Arbeitsspitzen (Schall- oder
Ultraschallgeräte). Dies schließt zwangsläufig eine Anfrischung und
Glättung des Wurzelzements ein. Als Kürettage wird die Entfernung des
entzündeten, bakterieninfizierten Bindegewebes und des Taschenepi-
thels bezeichnet. Die Kürettage führt zu einer Schrumpfung des Gewe-
bes, sodass freiliegende Wurzeloberflächen resultieren können. Zum
Abschluss der Behandlung muss die Gingiva fest an die Zahnoberflä-
chen angedrückt werden. Dadurch wird die Bildung eines Blutkoagu-
lums verhindert.
Indikation Die Therapiephase mit subgingivalem Scaling ist vor allem dann
notwendig, wenn trotz gründlicher Durchführung der ersten Phase wei-
terhin Taschen mit einer Tiefe von mehr als 4 mm Entzündungszeichen
und/oder Weichgewebsschwellung aufweisen. Bei flachen Taschen mit
Sondierungstiefen ≤ 3 mm kann das subgingivale Scaling zu einem At-
tachmentverlust und zu Rezessionen führen und ist daher an solchen
Stellen nicht indiziert.
Vor-/Nachteile Ein Nachteil des subgingivalen Scalings mit geschlossener klassi-
scher Kürettage ist, dass die Wurzelreinigung ohne Sicht durchgeführt
werden muss. Dieser Vorgang ist selbst für den erfahrenen Praktiker
schwierig auszuführen. Ein Vorteil der klassischen Kürettage ist, dass die
Gingivaschrumpfung geringer ist als bei der Kürettage mit Lappenbil-
dung (offene Kürettage).
In dieser Phase der Therapie kann das Verfahren der sogenannten
Full Mouth Disinfection (FMD) von Vorteil sein (s. Tab. 19.4). Dabei
wird eine Behandlung aller Parodontitiszähne innerhalb von 24 Stun-

Tab. 19.4: Behandlungsregeln bei klassischer Anwendung der Full Mouth Dis-
infection
• Behandlung des Unterkiefers vor dem Oberkiefer
• Subgingivales Scaling aller Zähne mit Parodontitis innerhalb von 24 Stunden
• Supragingivale Reinigung und Politur aller Zähne
• Bürsten des Zungenrückens (60 s) mit 1% Chlorhexidingel
• Mundspülung (2 ×, je 30 s) mit 0,2% Chlorhexidinlösung, während der letzten
10 Sekunden Gurgeln zur Desinfektion der Tonsillen
• Applikation von 3% Chlorhexidingel für 10 Minuten in die Parodontaltaschen
• Wiederholung nach 8 Tagen
• Patient spült zu Hause für 14 Tage (2 × tgl. je 1 min) mit 0,2% Chlorhexidin-
lösung

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 625

den vorgenommen. Dadurch soll eine bakterielle Rekolonisation bereits


behandelter Taschen in der Phase zwischen den Behandlungssitzungen 1
vermieden werden. Bei der FMD wird die mechanische Wurzeloberflä-
chenbearbeitung mit einer antibakteriellen Therapie mit Chlorhexidin- 2
diglukonat (s. Kap. 19.5.1) kombiniert. Von der klassischen Herange-
hensweise bei der FMD wird heute oftmals insofern abgewichen, als
man in der Praxis versucht, die Behandlungsintervalle möglichst kurz
3
zu halten, ohne die 24-Stunden-Regel exakt einzuhalten. Im Vergleich
zum quadrantenweisen Vorgehen ist der Nutzen der Full Mouth Disin- 4
fection allerdings nicht sehr groß.
5
19.3.6 Instrumente zur Zahnreinigung und Entfernung von 6
Zahnstein durch den Zahnarzt

Zur Entfernung von harten Belägen und zur Grobdepuration werden Scaler 7
Scaler verwendet. Sichelscaler besitzen einen dreieckigen Querschnitt,
zwei schneidende Kanten und laufen an ihrem Ende spitz zu (s. Abb. 8
19.5). Aufgrund ihrer Spitze und Größe ist ein subgingivales Arbeiten
ohne Verletzung der Gingiva nicht möglich. Gerade Scaler sind im ge- 9
samten Ober- und Unterkieferbereich einsetzbar, gebogene Scaler eig-
nen sich zur Entfernung von Zahnstein im Interdentalbereich.
Küretten werden zur Entfernung subgingivaler Konkremente und Küretten
10
nekrotischen, infizierten Wurzelzements verwendet. Sie besitzen eine
zierliche Form mit abgerundetem Ende. Es werden Universalküretten 11
(z.B. Columbia, Langer) und Spezialküretten (z.B. Gracey) unterschie-
den. Für besonders schmale oder tiefe Zahnfleischtaschen sind Spezial- 12
küretten mit einem kürzeren Arbeitsende (Mini Five) oder längerem
unterem Schaft (After Five) vorhanden. 13
Universalküretten können aufgrund ihrer Form an allen Quadran-
ten eines Gebisses und dort an allen Zahnflächen eingesetzt werden. Sie
sind auf beiden Seiten ihres löffelartigen Arbeitsendes scharf geschliffen.
14
Spezialküretten sind nur einseitig scharf geschliffen. Es muss immer
das Instrument gewählt werden, das sich der Wurzeloberfläche am bes- 15
ten anlegen lässt. Der Anstellwinkel zwischen Arbeitskante und Zahn-
oberfläche sollte ca. 80° betragen. 16
Der Winkel zwischen dem Schaft des Handinstrumentes und der Ar-
beitskante beträgt bei Universalküretten 80°, bei Spezialküretten 60–70°.
Die Spezialküretten vom Typ Gracey (s. Abb. 19.5a) besitzen eine Zahlen-
17
codierung, die es ermöglicht, genau das Instrument auszuwählen, das sich
am besten der jeweiligen Zahnoberfläche anlegen lässt (s. Abb. 19.5b). 18
Die beschriebenen Handinstrumente werden in einem modifizier- Arbeitshaltung
ten Schreibfedergriff gehalten. Mittelfinger und v.a. auch Ringfinger 19
dienen immer der Abstützung an der Zahnreihe. Ohne diese Abstützung
kann die erforderliche Kraft, die zur Zahnsteinentfernung notwendig 20
ist, nicht aufgebracht werden. Zum anderen verhindert die Abstützung

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626 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Instrument 7/8
Stärker abgewinkelt:
Prämolaren und Molaren, fazial und oral

Instrument 9/10
Stark abgewinkelt, langer Schaft:
Prämolaren und Molaren,
fazial und oral (speziell: kleine Mundöffnung)

Abb. 19.5: Instrumente zur Zahnsteinentfernung: a) Unterschiedliche Winkel zwischen Schneide und
Schaft von Universalküretten und Gracey-Küretten, b) Codierung und Einsatzgebiet der Gracey-Küretten,
c) und d) Scaler mit schematischer Darstellung der jeweiligen Schneide (Arbeitsende)

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 627

ein Abrutschen des Instrumentes und eine Verletzung des Patienten


und des Behandelnden mit dem scharfen Instrument. 1
Mit Scalern und Küretten wird von apikal nach koronal ziehend ge-
arbeitet. Manchmal kann mit der instrumentenführenden Hand nicht 2
ausreichend Druck auf das Instrument und damit auf den Zahn ausge-
übt werden. Dann kann das Instrument am Schaft mithilfe der Finger
der anderen Hand zusätzlich gestützt und geführt werden.
3
Nur mit scharfen Handinstrumenten für die Zahnstein- und Konkre- Schärfen
mententfernung ist eine effektive Depuration der Zähne in angemessener 4
Zeit möglich. Deshalb müssen die Instrumente nach jedem Gebrauch
nachgeschärft werden. Das Schärfen geschieht mittels Abziehens des In- 5
struments über Steine. Sehr stumpfe oder beschädigte Instrumente wer-
den mit groben Steinen (India) vorgeschliffen. Das feine Aufschleifen
wird mit Arkansas-Steinen vorgenommen. Zur Schonung des Steins und
6
um eine größere Hitzeentwicklung zu vermeiden, wird spezielles
Schleiföl auf den Stein aufgetragen. Das Aufschleifen ist von Hand und 7
mit Aufschleifmaschinen möglich. Die einseitig scharfen Instrumente
(z.B. Gracey-Küretten) werden an der Außenfläche, die zweiseitig scharfen 8
Instrumente (z.B. Scaler) an Außen- und Innenfläche geschärft. Die Ober-
fläche des Abziehsteins und die Oberfläche der Schneide bilden einen 9
Winkel von 100–110°. Das Schärfen geschieht durch Auf- und Abziehen
des Steins am fixierten Instrument. Um Scharten am Instrument zu ver-
meiden, sollte zum Schluss ein Abwärtszug erfolgen. Die Schärfe kann an
10
einem Plexiglasstäbchen kontrolliert werden. Scharfe Instrumentenkan-
ten reflektieren kein Licht. 11
Neben den beschriebenen Handinstrumenten kommen Schall- und Schall- und Ultra-
Ultraschallgeräte zur Entfernung von Zahnstein und subgingivalen schallgeräte 12
Konkrementen zum Einsatz.
Die durch ihren Einsatz erzielbaren klinischen Therapieergebnisse 13
werden in der Stellungnahme der DGZMK (Schall- und Ultraschallscaler
in der Parodontitistherapie) als gleichwertig im Vergleich zur Handin-
strumentierung eingeschätzt. Herkömmliche Ultraschallinstrumente
14
werden nur bei zurückgeklappter Gingiva eingesetzt. Ultraschallinstru-
mente sollten nicht zur Entfernung von weichen Belägen eingesetzt 15
werden, da es bei ihrem Einsatz leicht zu Verletzungen der Zahnhart-
substanz kommen kann. 16
Magnetostriktiv bzw. piezoelektrisch arbeitende Ultraschallgeräte
wandeln elektrischen Strom in mikroskopisch kleine Stöße von 20 000–
45 000 Schwingungen pro Sekunde um. Bei magnetostriktiv angetrie-
17
benen Geräten wird ein Eisen- oder Nickelstahlkern in einer Wechsel-
stromspule in eine Längsschwingung versetzt. Die resultierende Schwin- 18
gungsform der Arbeitsspitze ist ellipsoid bis kreisförmig. Bei den
piezoelektrisch angetriebenen Geräten werden Quarzkristalle in einem 19
Wechselfeld deformiert. Dadurch leiten sie die Schwingungen auf das
Arbeitsende weiter. Das Arbeitsende führt lineare, d.h. auf eine Ebene 20
begrenzte Bewegungen senkrecht zur Arbeitsspitzenlängsachse aus.

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628 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Sogenannte Airscaler werden über den Turbinenanschluss am Be-


handlungsstuhl durch Luft angetrieben. Sie erreichen maximal 8000
Schwingungen pro Sekunde und arbeiten damit nicht im Ultraschallbe-
reich, der durch Schwingungen oberhalb von ca. 20 000 Hz definiert ist.
Die Hauptwirkung von Schall- und Ultraschallscalern resultiert aus dem
direkten Kontakt der hämmernd-klopfenden bzw. schabenden Arbeits-
spitze mit der Zahnoberfläche. Durch die Schwingungen der Arbeitsen-
den werden auch Mikroströmungen in dem für die Kühlung notwendi-
gen Kühlungsmedium hervorgerufen. Ohne diese Kühlung kann es zu
thermischen Schädigungen der Zahnhartsubstanz und des Weichgewe-
bes kommen (bis 195 °C). Die Mikroströmungen können zu einem Kavi-
tationseffekt beitragen. Ein direkter Einfluss des Kavitationseffektes mit
einer möglicherweise stattfindenden Implosion von Bakterien ist bisher
nicht belegt.
Als Kühlmittel werden meist Wasser oder pharmakologisch wirk-
same Lösungen (z.B. Chlorhexidindiglukonat) verwendet. Der Einsatz
von Antiseptika bietet allerdings keine klinisch relevanten Vorteile im
Therapieerfolg. Er reduziert aber möglicherweise die im Spraynebel
(Aerosol) vorhandenen Bakterien. Durch die Schwingungen der Arbeits-
enden kann es zu Zahnhartsubstanzkavitationen von 0,1 mm Tiefe
kommen. Dies trifft sowohl für schall- als auch für ultraschallgetriebene
Geräte zu. Eine Kavitation kann vor allem dann beobachtet werden,
wenn die Arbeitsspitze mit Druck auf eine Stelle des Zahnes aufgesetzt
wird. Die Effizienz oszillierender Scaler wird in erster Linie durch die In-
strumentierungszeit, die angewandten Auflagekräfte und den Anstell-
winkel der Arbeitsspitze zur Zahnoberfläche bestimmt. Dagegen bewirkt
eine Erhöhung der Leistungseinstellung am Gerät nur eine geringe Stei-
gerung der Effizienz.
Zum weitgehend schonenden Arbeiten sollten die Arbeitsspitzen in
kontinuierlicher Bewegung parallel zur Zahnoberfläche mit Anpress-
kräften von 0,5–1 N angewendet werden. Daher sollte immer intermit-
tierend, mit geringem Druck und unter Verwendung abgerundeter In-
strumentenspitzen gearbeitet werden. Das Arbeitsende sollte flächig an
die Zahnoberfläche angelegt werden.
Aufgrund des notwendigen Kühlvorgangs ist der Einsatz herkömm-
licher, für die supragingivale Zahnsteinentfernung vorgesehener Ultra-
schallgeräte in tiefen Taschen nicht möglich. Dafür eignen sich speziell
geformte, sehr schlanke Arbeitsansätze (Slimline), bei denen die Kühl-
flüssigkeit durch eine interne Zufuhr bis zur Instrumentenspitze geführt
wird. Damit wird es neben der Entfernung von Konkrementen gleich-
zeitig möglich, Bakterien und bakterielle Toxine in der parodontalen
Tasche und auf der Wurzeloberfläche zu reduzieren. Ein weiterer paro-
dontaltherapeutischer Effekt der Schall- und Ultraschallwellen besteht
im Zerreißen des in der Zahnfleischtasche und auf der Wurzeloberfläche
befindlichen bakteriellen Biofilms. Die klinische Wirksamkeit eines
gründlichen Schall- oder Ultraschallscalings ist der Anwendung von

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19.3 Erste und zweite Therapiestufe Kapitel 19 629

Handinstrumenten ebenbürtig. In Furkationsbereichen mehrwurzeliger


Zähne ist mit diesen Instrumenten sogar eine gegenüber Handinstru- 1
menten effizientere Zahnsteinentfernung möglich.
Nicht eindeutig geklärt ist, ob durch die subgingivale Anwendung 2
von ultraschallgetriebenen Instrumenten das Bakteriämierisiko im
Vergleich zu Handinstrumenten erhöht wird.
3
Vorsicht ist bei der Verwendung von Ultraschallinstrumenten bei
Patienten mit Herzschrittmachern geboten. Durch elektromagneti- 4
sche Einflüsse oder aber auch durch die Vibration kann es zu einer
Beeinflussung des Schrittmachers kommen. Diese Interferenzen 5
sind nicht für Schallscaler nachgewiesen. Für beide oszillierenden
Scaler-Typen ist zu beachten, dass es zur Entwicklung eines mit Kei-
men kontaminierten Aerosols kommt (Cave: infektiöse Patienten).
6

Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräte dienen der Reinigung von Fissuren Pulver-Wasser- 7


und der Entfernung von Verfärbungen. Das druckluftbetriebene Ge- strahlgeräte
misch von Wasser und Natriumbicarbonatpulver kann beim Auftreffen 8
auf die Gingiva zu Epithelverletzungen führen. Eine Anwendung im Be-
reich freiliegenden Wurzelzements oder Dentins bzw. im Bereich von 9
Kompositfüllungen wird aufgrund schädigender Einflüsse nicht emp-
fohlen.
Die Verwendung neuer weicher, biokompatibler, wasserlöslicher
10
Partikel auf der Basis von Glycin, Erythritol oder Trehalose hat vielver-
sprechende Ergebnisse bei der Entfernung des supra- und subgingivalen 11
Biofilms vor allem in der unterstützenden Parodontitistherapie UPT
(s. Kap. 19.9) gezeigt. Die Anwendung dieser Partikel ermöglicht eine 12
optimale Entfernung des weichen Biofilms unter größtmöglicher Scho-
nung der Wurzeloberfläche. Glycin ist die einfachste stabile Amino- 13
säure und ein zugelassenes Nahrungsergänzungsmittel, Erythritol und
Trehalose sind Zuckeralkohole, die auch als Zuckeraustauschstoffe ein-
gesetzt werden. Daher sind diese Partikel biologisch inert und führen
14
weder zu einer Entzündungsantwort noch zu einer Beeinträchtigung
der parodontalen Heilung. Mit speziellen Düsen können sie bei Pulver- 15
Wasserstrahl-Anwendungen auch den subgingivalen Biofilm bis zu ei-
ner Sondierungstiefe von 3–5 mm effektiv entfernen. 16
Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräte können auch in der Periimplantitis-
therapie erfolgreich eingesetzt werden. Allerdings ist bei subgingivaler
Verwendung von Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten aufgrund einer mög-
17
lichen Emphysembildung grundsätzlich Vorsicht geboten.
Generell sollte bei der Anwendung von Luft-Pulver-Wasserstrahlge- 18
räten beachtet werden, dass neben der Partikelgröße und -härte die Wir-
kung davon abhängt, in welchem Winkel und Abstand zur Zahnoberflä- 19
che die Düse platziert ist. Da die Partikel nach Austritt aus der Düse wei-
terhin eine Beschleunigung erfahren, sollte der Abstand nicht zu gering 20
gewählt werden. Bei einem Auftreffen der Partikel auf die Zahnoberflä-

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630 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

che in einem schrägen Winkel ist die Wirkung effektiver als bei einem
senkrechten Auftreffen.
Politur Die abschließende Politur der Zahnoberfläche und die vollständige
Entfernung von Verfärbungen erfolgen mit maschinell getriebenen ro-
tierenden weichen Bürstchen oder Gummikelchen. Werden Polierpas-
ten verwendet, sollte darauf geachtet werden, dass sie keine abrasive Wir-
kung besitzen. Als Polierpasten können auch Zahnpasten herangezogen
werden. Die Fluoridierung der Zahnoberflächen sollte nicht mit harzhal-
tigen Fluoridlacken erfolgen, da sich diese beim parodontal geschädigten
Patienten leicht in den Zahnfleischtaschen festsetzen können.

19.3.7 Beseitigung der die Plaqueablagerung


fördernden Faktoren

! Der Zahnarzt muss in der ersten Therapiestufe Retentionen und


Nischen beseitigen, sodass für den Patienten die Mundhygiene
vereinfacht wird.

Zu diesem Zweck müssen überhängende Füllungsränder abgetragen


und unpolierte bzw. ungenügend konturierte Füllungen rekonturiert
und poliert werden. Sind Rekonturierung und Politur nicht möglich,
müssen die Füllungen erneuert werden.
Lokale sekundäre Ursachen wie Zahneinziehungen, Schmelzprojek-
tionen oder enge Furkationseingänge werden in Form einer Odontoplas-
tik so verändert, dass die Plaque keine Retentionsstellen mehr besitzt. Fur-
kationseingänge werden so erweitert, dass die freiliegende Furkation mit
kleinen Bürstchen durch den Patienten zu reinigen ist. Zur Entfernung
überstehender approximaler Füllungen können einseitig belegte diaman-
tierte Feilen in einem Winkelstück mit Hubbewegung oder diamantierte
Interdentalstreifen verwendet werden. Die bearbeiteten Flächen müssen
abschließend mit feinen belegten Ansätzen oder Streifen poliert werden.
Eine Odontoplastik wird mit feinen Diamantschleifern (Körnung
15–75 μm) oder diamantierten grazilen Ultraschallansätzen durchge-
führt. Im Anschluss an eine Odontoplastik muss immer eine Fluoridie-
rung der Zahnoberflächen erfolgen.

19.4 Dritte Therapiestufe

! Nach erfolgreich durchgeführter erster und zweiter Therapiestufe


wird der Patient, falls erforderlich, in die dritte Therapiestufe
übernommen. Sind noch Parodontien mit hohen Sondierungstie-
fen vorhanden, die bei Sondierung bluten und keinen Rückgang
der Sondierungstiefen aufweisen, werden chirurgisch-korrektive
Maßnahmen durchgeführt.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 631

Die in der ersten und zweiten Therapiestufe nicht chirurgische Therapie Maßnahmen
ist auch bei fortgeschrittenen Läsionen oft sehr effektiv. Manche Defekte 1
heilen allerdings trotz konsequenter Durchführung der genannten The-
rapien nicht vollständig aus, sodass entzündete Resttaschen von > 5 mm 2
Sondierungstiefe verbleiben. Dies kann vor allem bei initial tiefen
Taschen, Zähnen mit Wurzeleinziehungen oder Furkationsbeteiligung
(v.a. Grad I u. II) der Fall sein. In der dritten Therapiestufe werden diese
3
Bereiche gezielt angegangen. Dies kann durch eine erneute subgingivale
Instrumentierung (mit/ohne adjuvante Medikamente) oder parodontal- 4
chirurgische Verfahren erfolgen. Parodontalchirurgische Vorgehenswei-
sen erlauben eine Reinigung der betroffenen Bereiche und Wurzelober- 5
flächen unter Sicht (mit Zugangslappenbildung). Es werden minimalin-
vasive und resektive Verfahren unterschieden. Bei beiden Verfahren
können zusätzlich regenerative Maßnahmen zum Einsatz kommen.
6
Wann immer möglich, kommen minimalinvasive chirurgische Ver-
fahren mit maximalem Erhalt der interdentalen Gewebe zum Einsatz. 7
Um die Wundstabilität zu verbessern und die Morbidität zu verringern,
soll die Mobilisation eines Lappens möglichst limitiert genutzt werden. 8
Die weiter unten beschriebenen Techniken sind zur Vermittlung der
Prinzipien meist in ihrer jeweiligen Standardform dargestellt. Daneben 9
existieren oft zahlreiche Modifikationen, z.B. veränderte Schnittführun-
gen oder Materialien, auf die im Rahmen dieses Lehrbuches nicht einge-
gangen werden kann.
10
11
19.4.1 Grundlagen der Parodontalchirurgie
12
Ziele der chirurgischen Parodontaltherapie sind: Ziele
 Behandlung residualer Läsionen unter weitgehend visueller Kon-
13
trolle
 Etablierung eines weitgehend entzündungsfreien Parodonts
 Reduzierung der Sondierungstiefen
14
 Teilweise oder vollständige Auffüllung von Knochentaschen mit
körpereigenem Gewebe 15
 Regeneration parodontaler Strukturen
 Ggf. Erzielung einer physiologischen Morphologie der Zähne, der 16
Gingiva und des Alveolarknochens
 Im Idealfall: Festigung gelockerter Zähne
17
Indikationen für parodontalchirurgische Maßnahmen
 Aktive Resttaschen: Chirurgisch-korrektive Maßnahmen werden 18
durchgeführt, wenn die Ziele der ersten Therapiestufe weitgehend
erreicht sind, aber dennoch weiterhin aktive Resttaschen vorliegen. 19
Aktive Taschen sind durch eine Blutung bei vorsichtiger Sondierung
gekennzeichnet. Die Blutung deutet darauf hin, dass noch subgingi- 20
vale Beläge vorhanden sind.

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632 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

 Tiefe, schwer zugängliche Defekte: Wurzeloberflächen in Taschen


bis zu 5 mm Tiefe können meist mit geeigneten Instrumenten auch
ohne Zurückklappen der Gingiva gesäubert werden. Daher sind pa-
rodontalchirurgische Maßnahmen mit Lappenbildung überwiegend
bei Taschen, die tiefer als 5 mm sind und einen erschwerten Zugang
haben, sowie bei Furkationsbeteiligung indiziert.
 Verbesserung der Hygienefähigkeit: Liegt ein eingeschränkter Zu-
gang für die häusliche Mundhygiene durch die Morphologie der
Hart- und Weichgewebe vor, sollte ggf. durch chirurgische Maßnah-
men (z.B. Gingivektomie, Reduktion von Zahnfleischtaschen, Besei-
tigung von Gingivaaberrationen) die Hygienefähigkeit verbessert
werden.
 Kronenverlängerung: Dieser Eingriff kann vor restaurativen Maß-
nahmen zur Erhaltung des suprakrestalen bindegewebigen Attach-
ments erforderlich sein (s. Kap. 19.6.2).

Der Patient muss in den vorherigen Therapiestufen seine Bereit-


schaft zur aktiven Mitarbeit bei der Plaquekontrolle gezeigt haben.
Nur dann sind chirurgische Maßnahmen durchzuführen und sinn-
voll. Die chirurgischen Eingriffe werden nur an den Zähnen durch-
geführt, die aktive Resttaschen besitzen und erhaltungswürdig sind.

Da die Eingriffe auch immer ein lokales Trauma setzen, sind die übrigen
Zähne, wenn möglich, nicht in den chirurgischen Eingriff einzubezie-
hen. Die Therapien sind recht aufwendig, für den Behandler anstren-
gend und für den Patienten belastend. Daher werden erforderliche chi-
rurgischen Maßnahmen häufig in verschiedenen Sitzungen durchge-
führt. Epidemiologische Studien (s. Abb. 17.7) haben gezeigt, dass
chirurgisch-korrektive Maßnahmen nur bei höchstens einem Viertel al-
ler Patienten angezeigt sind. Beim überwiegenden Teil der Patienten
sind die Maßnahmen der ersten oder zweiten Therapiestufen ausrei-
chend, um die in der chirurgischen Therapie angestrebten Ziele zu ver-
wirklichen.
Die chirurgischen Eingriffe werden folgendermaßen eingeteilt:
 Parodontalchirurgische Eingriffe
 Mukogingivalchirurgische Eingriffe
 Kombiniert parodontal-mukogingivalchirurgische Eingriffe
 Methoden zur Behandlung von Zähnen mit Furkationsbeteiligung

Antibiotische Abschirmung
Eine peri- bzw. postoperative Antibiose ist nur bei Patienten mit be-
stimmten Grunderkrankungen oder speziellen Verlaufsformen der Paro-
dontopathien notwendig. Sie wird nicht routinemäßig verordnet. Vor
dem operativen Eingriff sollte der Patient zur Bakterienreduktion mit ei-
ner antimikrobiellen Spüllösung (z.B. Chlorhexidindiglukonat) den
Mund gut ausspülen. Zur Desinfektion des Rachens empfiehlt sich ein

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 633

Gurgeln mit der Lösung. In der postoperativen Phase empfiehlt sich zur
Unterstützung der Mundhygienemaßnahmen des Patienten ebenfalls 1
die Anwendung antimikrobieller Spüllösungen.
2
Vorliegen einer Antikoagulanzientherapie
Es sollte bei allen chirurgischen Maßnahmen beachtet werden, ob die Pa-
tienten gerinnungshemmende Medikamente (Antikoagulanzien) ein-
3
nehmen. In diesem Fall können starke, unstillbare Blutungen während
der Parodontalbehandlung auftreten. Als Maß für die Blutgerinnung 4
wird der INR-Wert (International Normalized Ratio) angesehen. Dieser
Wert besagt, um wie viel Mal länger das Blut eines Patienten im Vergleich 5
zu einer Normalperson zur Gerinnung benötigt. Die DGZMK empfiehlt,
folgende Grenzen zu beachten, mit deren Überschreitung die jeweilige
zahnärztlich-chirurgische Therapie nicht durchgeführt werden sollte:
6
 INR 2,0–3,5: Zahnextraktion, unkomplizierte Osteotomie
 INR 1,6–1,9: Umfangreiche Eingriffe mit schwieriger Blutungsstillung 7
Der aktuelle INR-Wert sollte präoperativ am Operationstag bestimmt 8
werden. Bei Vorliegen einer Antikoagulanzientherapie sollte die Möglich-
keit der zahnärztlich-chirurgischen Behandlung bzw. die ggf. erforderli- 9
che Veränderung der gerinnungshemmenden Therapie zuvor in jedem
Fall mit dem behandelnden Internisten abgeklärt und überdacht werden.
10
Lokalanästhesie
Parodontalchirurgische Eingriffe erfordern eine Lokalanästhesie. Dabei 11
sollten Anästhetika mit niedrigem Vasokonstringens-Zusatz (z.B. Adre-
nalin) verwendet werden. Durch das Vasokonstringens entsteht ein 12
blutarmes Operationsgebiet, sodass die Übersicht erleichtert wird. Darü-
ber hinaus wird die Anästhesiedauer verlängert. 13
Die absoluten Kontraindikationen für die Anwendung von Adre-
nalin (paroxysmale Tachykardie, Tachyarrhythmie, Zustand nach In-
farkt, schwere Hypertonie, Angina pectoris, Hyperthyreose, Engwinkel-
14
glaukom, Medikation mit Antidepressiva) sind zu beachten.
Bei Eingriffen im Oberkiefer wird bukkal eine Infiltrationsanästhe- Oberkiefer 15
sie (Nn. alveolares superiores) und palatinal eine Leitungsanästhesie
am Foramen palatinum (N. palatinus major) bzw. am Foramen incisi- 16
vum (N. nasopalatinus) vorgenommen.
Im Unterkiefer ist vor allem im Frontzahngebiet ebenfalls eine In- Unterkiefer
filtrationsanästhesie bukkal und lingual ausreichend. Für den Seiten-
17
zahnbereich des Unterkiefers können eine Leitungsanästhesie am Fora-
men mandibulae (N. lingualis/N. alveolaris inferior) und eine Blockade 18
des N. buccalis notwendig sein.
19
Schnittführungen
Zur Mobilisation der Gingiva und Mukosa sind horizontale bzw. verti- Horizontale 20
kale Inzisionen notwendig (s. Abb. 19.6). Inzisionen

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634 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

marginaler paramarginaler
Horizontalschnitt Horizontalschnitt

paramediane Vertikalinzision
interdentale Vertikalinzision
para- mediane Vertikalinzision
marginaler
Horizontal- Dreieckslappen
schnitt

intra-
sulkulärer
Schnitt

marginaler
Horizontalschnitt
a c

Abb. 19.6: Horizontalinzisionen a) im Längsschnitt und b) in der Aufsicht; c) Vertikalinzisionen in der Auf-
sicht

Bei den horizontalen Inzisionen werden marginale, paramarginale


und intrasulkuläre Inzisionen unterschieden.
Marginale und intrasulkuläre Inzisionen trennen das Saum- bzw.
Taschenepithel vom Zahn. Bei diesen Schnittführungen tritt nahezu
kein Höhenverlust der Gingiva auf, sodass nach der Operation weniger
freiliegende Wurzeloberflächen resultieren. Beide Inzisionen eignen
sich daher besonders im Frontzahnbereich.
Paramarginale Inzisionen verlaufen in einem Abstand von 1–2 mm
zum Zahn. Durch sie wird das entzündete Taschengewebe in Form einer
internen Gingivektomie scharf kürettiert.
Vertikale Vertikale Inzisionen dienen als Entlastungsschnitte, wenn größere
Inzisionen Schleimhautlappen mobilisiert werden müssen. Sie liegen im günstigsten
Fall paramedian oder werden in Form eines Dreieckslappens ausgeführt.
Die Bildung eines Dreieckslappens ist vor allem dann sinnvoll, wenn Kno-
chentaschen oder Krater interdental lokalisiert sind. Wegen der Gefahr
postoperativer Nekrosen und Schrumpfungen sollten interdentale oder
mediale Vertikalinzisionen unterlassen werden. Bei palatinal oder lingual
liegenden vertikalen Inzisionen müssen die anatomischen Gegebenhei-
ten (z.B. Aa. palatinae) beachtet werden, um Schäden zu vermeiden.
Papillenerhaltende Schnittführungen wie die schräge interpapil-
läre Inzision oder die bogenförmige Inzision zur Mobilisation der ge-
samten, vollständig erhaltenen Interdentalpapille dienen der Schonung
des Gewebes und haben zum Ziel, die Interdentalpapille im Rahmen
von Lappenoperationen zu erhalten. Weitere Ausführungen dazu sind
dem Kapitel 19.4.2 zu entnehmen.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 635

Nähte, Nahtmaterial und Nahttechniken


Die bei der Parodontalchirurgie mobilisierten Schleimhaut- bzw. Muko- 1
periostlappen müssen durch eine Naht wieder an den Zahn adaptiert
werden. Die Gingiva sollte dabei den Knochen wieder vollständig über- 2
decken. Die Naht soll die gebildeten Lappen passiv in der gewünschten
Position halten, die Wundränder möglichst eng, dicht und exakt zu-
einander fixieren sowie die Wunde in der Heilungsphase stabilisieren.
3
Dadurch werden Narbenbildungen vermieden und eine problemlose
Heilung des Gewebes wird unterstützt. 4
Es wird atraumatisches, i.d.R. nicht resorbierbares, synthetisches Nahtmaterial
Nahtmaterial der Stärke 4-0 bis 6-0 verwendet, das nach 7–10 Tagen 5
wieder entfernt wird. Bei längerer Liegedauer sind monofile Fäden zu
bevorzugen, da die Plaqueakkumulation an monofilem Nahtmaterial
geringer ist als an polyfilem Material. In ästhetisch anspruchsvollen Be-
6
reichen sollte feinem Nahtmaterial (Stärke 5-0 oder 6-0) der Vorzug ge-
geben werden. 7
Ist eine Vertikalinzision vorgenommen worden, wird diese mit Nahttechniken
Knopf- oder Matratzennähten (s. Abb. 19.7c) verschlossen. Die Fixa- 8
tion der Gingiva am Zahn erfolgt mit Interdentalnähten, bei denen die
jeweilige orale und vestibuläre Papille miteinander vernäht werden (s. 9
Abb. 19.7a).
Zahnumschlingungsnähte werden erforderlich, wenn die Mobili-
sation der Gingiva nur oral oder vestibulär erfolgt ist oder wenn der
10
orale und der vestibuläre Lappen auf unterschiedlicher Höhe adaptiert
werden sollen (s. Abb. 19.7b). 11
Es wird überwiegend Nahtmaterial mit gebogenen Nadeln verwen-
det. 12
13
14
15
16
17
18
a b c 19
Abb. 19.7: Nahttechniken: a) interdentale Papillennaht im Vertikalschnitt, b) Zahnumschlingungsnaht in
der Aufsicht (oben) und im Vertikalschnitt (unten), c) vertikale Matratzennaht in der Aufsicht (oben) und 20
im Vertikalschnitt (unten)

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636 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

In der Regel werden alle Knoten bukkal gelegt, da die linguale Lage
für den Patienten störend ist. Um die Gefahr einer Plaqueakkumulation
in der Wunde zu minimieren und die Wundränder nicht zu irritieren,
soll der Knoten nicht auf der Inzisionslinie, sondern lateral davon lie-
gen. Die Knotentechniken bei der Naht sind Lehrbüchern der Chirurgie
zu entnehmen.
Gewebekleber Zur Fixation können auch Gewebekleber vom Cyanoacrylat-Typ
verwendet werden. Sie dürfen aber auf keinen Fall zwischen den Lappen
und die knöcherne oder bindegewebige Unterlage kommen, sondern
dürfen nur die Wundränder verschließen.

Wundverbände, Infektionsprophylaxe
Die Adaptation der Lappen und die postoperative Schonung des Wund-
gebietes können durch Zahnfleischverbände unterstützt werden. Die
Wundverbände können darüber hinaus zu einer Schienung der Zähne
in der postoperativen Phase beitragen. Es werden heute ausschließlich
von Zinkoxid-Eugenol freie Materialien oder lichthärtende weiche
Kunststoffe empfohlen.
Die Applikation des Verbandes erfolgt mit angefeuchtetem oder
mit Vaseline eingecremtem Finger, der den Verband an die Zahnober-
fläche andrückt. Das Verbandmaterial darf nicht zwischen Lappen und
Knochen geraten. Um dies zu vermeiden, kann teilweise eine interden-
tale Abdeckung mit einer dünnen Zinnfolie erforderlich sein. Die Zinn-
folie verhindert ferner ein Verkleben des Verbandmaterials mit dem
Nahtmaterial. Der Verband darf die Mukogingivalgrenze nicht über-
schreiten, da er sonst vom Patienten als störend empfunden wird und
sich bei Bewegungen löst.
Der Verband klebt an den Zahnoberflächen und greift in unter sich
gehende Zahnbereiche. Dadurch wird ein ausreichender Halt des zäh-
plastisch erhärteten Materials erzielt. Die Tragezeit eines Verbandes be-
trägt 7–10 Tage.
Den Verbandmaterialien ist häufig eine bakteriostatische Kompo-
nente (z.B. Chlorthymol) zugesetzt, die das Bakterienwachstum in der
Wundregion hemmen soll. Nach Entfernung des Verbandes führt der
Zahnarzt eine vorsichtige, aber gründliche Reinigung des Wundgebietes
und eine Politur der Zähne durch.
Postoperativ sollte eine Infektionsprophylaxe erfolgen. Eine me-
chanische Mundhygiene kann nur in den nicht operierten Bereichen er-
folgen. Daher sollten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wieder eine effektive
Zahnreinigung mit der Zahnbürste möglich ist (ca. nach 4–6 Wochen),
zweimal täglich Mundspülungen mit 0,1–0,2% Chlorhexidindigluko-
nat-Lösung durchgeführt werden.

Instrumentarium für die Parodontalchirurgie


Im Folgenden werden nur das spezielle Parodontalinstrumentarium und
sein Einsatzgebiet dargestellt (zu Scalern und Küretten s. Kap. 19.3.6).

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 637

Beschreibungen des üblichen zahnärztlich-chirurgischen Bestecks (z.B.


Nadelhalter, Raspartorium, Wundhaken, Pinzetten, Gingivascheren, 1
chirurgisches Handstück mit Kochsalzkühlung, Knochenfräsen) können
speziellen Lehrbüchern entnommen werden. 2
Spezielle Instrumente für die Parodontalchirurgie sind z.B.:
 Taschenmarkierungspinzette (z.B. Crane-Kaplan-Pinzette): zur Mar-
kierung des Taschenfundus bei externer Gingivektomie
3
 Universal-Gingivektomiemesser: im Winkel verstellbares Messer für
die Gingivektomie 4
 Papillenmesser: zur Gingivektomie, Abtrennung gingivektomierter
Papillen, Gingivoplastik 5
 Sichelförmige Skalpelle: zur Gingivektomie und für Schnittführun-
gen im Molarenbereich; Nr. 12 nur Innenschliff, Nr. 12b Innen- und
Außenschliff
6
 Gerade Skalpelle: zur Schnittführung im Frontzahnbereich; Nr. 11
spitzes Ende; Nr. 15 abgerundetes Ende 7
Elektrochirurgie 8
9
! Als Elektrochirurgie bezeichnet man chirurgische Maßnahmen
am Weichgewebe, die mit Hochfrequenzstrom (1–4 MHz) vorge-
nommen werden.
10
Der früher oft gewählte Begriff der Kauterisierung sollte in diesem Zu-
sammenhang nicht verwendet werden. Die Kauterisierung bezeichnet 11
die Beeinflussung von Gewebe mit direkter Hitze (Glühkauter).
Bei der Hochfrequenzchirurgie (HF-Chirurgie) werden kalte Aktiv- Prinzip 12
elektroden verwendet. Im Bereich der Aktivelektrode kommt es zu ei-
nem erhöhten Stromfluss, der eine lokale Hitzeentwicklung im Gewebe 13
aufgrund der elektrischen Widerstandswärme bewirkt.
Es kommen verschiedene Aktivelektrodenformen zum Einsatz: Na- Elektrodenfor-
del-, Stab-, Kugel- und Schlingenelektroden. In der Elektrochirurgie men/Stromarten
14
kommen verschiedene oszillierende Stromarten zur Anwendung. Sie
können für die verschiedenen Maßnahmen gezielt eingesetzt werden. 15
Als Faustregel gilt: Je höher die pro Zeiteinheit gewählte Spitzenspan-
nung, desto eher treten unerwünschte Funkenbildungen an den Elek- 16
troden und laterale Hitzeeinwirkungen im Gewebe auf. Die heutigen
modernen Geräte erlauben eine monoterminale Anwendung, d.h., es
muss keine Neutralelektrode am Patienten angelegt werden. Von den
17
verschiedenen möglichen Maßnahmen kommen in der Parodontologie
die Elektrotomie und die Elektrokoagulation zur Anwendung. 18
Die Elektrokoagulation kann zum Verschluss blutender Gefäße ver- Elektro-
wendet werden. Dabei kommen meist Kugelelektroden zum Einsatz. koagulation 19
Das blutende Gefäß kann aber auch mit einer Arterienklemme oder Pin-
zette gefasst und der Strom durch Kontakt der Aktivelektrode mit dem 20
Instrument fortgeleitet werden.

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638 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Elektrotomie Als Elektrotomie bezeichnet man das Schneiden mit HF-Strom. Es


kann zur primären Schnittführung (Nadelelektrode) oder zur Gingiva-
modellation (Schlingenelektrode) herangezogen werden.
Die Elektrodesikkation (Gewebezerstörung durch Dehydratation)
und die Elektrofulguration (oberflächliche Gewebeverbrennung durch
Funkenentladung) finden keinen Einsatz in der Zahnheilkunde.
Vorteile Vorteile der Elektrochirurgie sind die geringe Blutung bei der
Schnittführung, die Möglichkeit drucklosen Schneidens auf weicher
Gewebeunterlage und die verringerte Bakteriämie bei der Wundset-
zung.
Nachteile Nachteile sind der unangenehme Geruch beim Arbeiten und die Ge-
fahr von Pulpen- und Knochenschädigungen durch Hitzeeinwirkung.
Zahn- und Knochenkontakte mit der Aktivelektrode sind daher zu ver-
meiden.
Die Hochfrequenzschwingungen können zu Störungen von Herz-
schrittmachern im Umkreis von 2,8 m Entfernung zur Elektrode füh-
ren. Die HF-Chirurgie ist daher vor allem bei Patienten mit Schrittma-
chern älteren Typs kontraindiziert.

Laser in der Parodontalbehandlung


Zur Anwendung des Lasers in der Parodontologie liegt eine Empfehlung
der DGZMK vor. Mit der Mehrzahl der gängigen Lasertypen ist eine ge-
zielte Entfernung von Zahnstein und Konkrementen schwierig umzuset-
zen. Allerdings kann z.B. die Anwendung eines Nd:YAG-Lasers (Neodym-
gesättigte Yttrium-Aluminium-Granat-Kristalle) oder Er:YAG-Lasers (Er-
bium-gesättigte YAG-Kristalle) eine vorübergehende Keimreduktion in
der Tasche bewirken. Dieser Effekt wird zum überwiegenden Teil auf die
Hitzeentwicklung zurückgeführt. Insbesondere Laserlicht im nahen In-
frarot- oder sichtbaren Spektralbereich dringt tief in Weich- und Hartge-
webe ein. Grundsätzlich steigt die Eindringtiefe von Laserlicht in Weich-
gewebe mit zunehmender Wellenlänge (sichtbarer Bereich: 380–750 nm,
naher Infrarotbereich: 750–1400 nm). Die Tiefenwirkung und die Hitze-
entwicklung des Laserstrahls können zu irreversiblen Schäden und
Wundheilungsstörungen führen.
Eine interessante Entwicklung stellt die Kombination eines Er:YAG-
Lasers mit einer fluoreszenzbasierten Rückkopplung zum Nachweis von
bakteriellen Auflagerungen dar. Ziel dieses Systems ist es, die Laserapplika-
tion gezielt auf Bereiche zu begrenzen, die bakteriell besiedelt sind. Die Ef-
fizienz dieses Systems ist aber klinisch noch nicht hinreichend gesichert.
CO2-Laser können in der Weichgewebschirurgie zur blutungsarmen
Entfernung von Gingivavergrößerungen verwendet werden. Nach heu-
tigem Kenntnisstand bringt der Einsatz von Lasern gegenüber her-
kömmlichen Methoden in der Parodontalbehandlung keine Vorteile,
sodass weitere Untersuchungen abgewartet werden müssen.
Verschiedene Lasertypen (CO2, Er:YAG und Dioden) sind auch wirk-
sam bei der Behandlung von oralen pigmentierten Läsionen (OPL) ein-

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 639

schließlich physiologischer Zahnfleischpigmentierung, Raucher-Mela-


nose und Pigmentierung im Laugier-Hunziker-Syndrom. 1
Im Gegensatz zu den oben genannten chirurgischen Lasertypen mit
einer Energie > 1 W arbeiten Niedrigenergie-Laser (low level laser) im 2
Milliwattbereich. Entscheidend ist aber die auf die bestrahlte Fläche wir-
kende Leistungsdichte, die bei diesen Lasern zwischen 10–2 und
10 W/cm2 liegt. Niedrigenergie-Laser (z.B. GaAlAs-Dioden) arbeiten mit
3
Wellenlängen im roten oder nahinfraroten Spektrum, mit denen intra-
zelluläre Photorezeptoren (z.B. endogene Porphyrine) stimuliert wer- 4
den. Es konnte gezeigt werden, dass auf diesem Wege ein angeregter
Zellmetabolismus und eine verstärkte Kollagensynthese durch Anre- 5
gung von Fibroblasten erzeugt werden können.
Die Laser-Phototherapie kann unter Verwendung von Photosensibi-
lisatoren zur antimikrobiellen photodynamischen Therapie (aPDT)
6
eingesetzt werden. Bei den Photosensibilisatoren handelt es sich um
Farbstoffe (z.B. Methylenblau, Phenothiazinchlorid), die sich an Bakte- 7
rienoberflächen anlagern. Durch die Bestrahlung mit dem Laser entsteht
reaktiver Singulettsauerstoff, der durch Zerstörung der Bakterienwand 8
bakterizid wirkt. Ein Vorteil der aPDT gegenüber einer Antibiotikathera-
pie ist, dass keine systemischen Nebenwirkungen oder Resistenzbildun- 9
gen der Bakterien eintreten. Klinische Langzeitstudien mit hohen Pa-
tientenzahlen fehlen aber noch, sodass der Nutzen dieser Therapie nicht
abschließend beurteilt werden kann.
10
Somit empfehlen die aktuellen Leitlinien weder die Anwendung eines
Lasers noch die Verwendung der photodynamischen Therapie als adju- 11
vante physikalische Maßnahme im Rahmen des subgingivalen Scalings.
12
19.4.2 Parodontalchirurgische Eingriffe 13
Der subgingivale Zahnstein stellt eine Retentionsfläche für Plaquebakte-
rien dar. Daher wird bei allen parodontalchirurgischen Eingriffen im
14
Rahmen der Parodontaltherapie eine gründliche Säuberung und ggf.
Glättung der Wurzeloberflächen (root planing) vorgenommen. Das 15
Ziel der Oberflächenbearbeitung ist es, eine biologisch akzeptable Wur-
zeloberfläche zu erzielen. 16
Eine physiologisch glatte Wurzeloberfläche erschwert die Bakterien-
anheftung und verbessert die Regenerationsfähigkeit des Parodonts.
Säuberung und Glättung der Wurzeloberfläche werden durch den
17
Einsatz von Handinstrumenten (Küretten) und rotierenden bzw. oszil-
lierenden Instrumenten erreicht. Der Einsatz von rotierenden bzw. os- 18
zillierenden Instrumenten ist auch in schlecht zugänglichen Bereichen
zu empfehlen. 19
Es gibt nur wenige kontrollierte Studien, bei denen verschiedene
Operationstechniken an demselben Patienten durchgeführt wurden 20
und anschließend der Langzeiterfolg der Methoden verglichen wurde.

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640 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Daher ist es schwierig, eine Bewertung der vielen beschriebenen paro-


dontalchirurgischen Eingriffe zu geben. Im Folgenden werden die
meistverbreiteten Verfahren dargestellt.

Subgingivales Scaling, geschlossene klassische Kürettage


Das subgingivale Scaling im Sinne einer geschlossenen Kürettage
wird heute vielfach als Maßnahme während der zweiten Therapiestufe
angesehen und ist daher an dieser Stelle näher ausgeführt (s. Kap.
19.3.5).

Teilmobilisierte Lappenoperation

! Lappenoperationen sind Maßnahmen, bei denen eine Inzision


durchgeführt und ein Schleimhaut- oder Schleimhaut-Periost-
Lappen gebildet wird.

Die Bildung eines Lappens ermöglicht eine Bearbeitung der Wurzelober-


fläche unter direkter Sicht. Es können zudem ggf. Korrekturen am Al-
veolarknochen vorgenommen werden. Je nach Schnittführung und
Ausdehnung des Lappens werden verschiedene Methoden unterschie-
den. Die heute gebräuchlichsten Formen werden in Verfahren mit teil-
mobilisiertem Lappen (Papillenerhaltungslappen, modifizierte offene
Kürettage nach Kirkland, modifizierter Widman-Lappen) und vollmobi-
lisiertem Lappen unterteilt.

Papillenerhaltungslappen
Indikation Zur Schonung des Gewebes werden heute zumeist minimalinvasive chi-
rurgische Techniken mit entsprechend angepassten, grazilen Instru-
menten angewendet. In vielen Fällen wird dabei versucht, durch papil-
lenerhaltende Schnittführungen die Interdentalpapillen möglichst zu
erhalten. Im ästhetisch sichtbaren Bereich, bei der regenerativen Thera-
pie intraossärer Defekte und bei der Implantation von autogenen oder
alloplastischen Materialien sind häufig Papillenerhaltungstechniken in-
diziert. Die Technik erlaubt neben dem besseren ästhetischen Ergebnis
eine vollständige Deckung eingebrachter Membranen oder Augmentati-
onsmaterialien und reduziert somit die Gefahr einer sekundären Ent-
zündung.
Bei schmalen Interdentalräumen ist der vereinfachte Papillener-
haltungslappen indiziert (s. Abb. 19.8a). Der klassische Papillenerhal-
tungslappen (s. Abb. 19.8b) und der modifizierte Papillenerhaltungs-
lappen (s. Abb. 19.9) sind nur bei ausreichend weitem Approximalraum
(≥ 2 mm) angezeigt, wie er z.B. bei kronenstumpfpräparierten oder paro-
dontal geschädigten Zähnen vorliegt. Bei einer schmaleren Gewebebrü-
cke von weniger als 2 mm kann die Blutversorgung des interdentalen
Steges nicht gewährleistet werden, sodass als Folge eine Nekrose der In-
terdentalpapille auftreten kann.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 641

1
2
3
4
Bogenförmige Rechteckige Schräge Intersulkuläre
a Inzision Inzision Inzision Inzision b
5
Abb. 19.8: a) Schnittführung beim klassischen Papillenerhaltungslappen mit bogenförmiger oder recht-
eckiger Inzision auf der oralen Seite, b) Schnittführung beim vereinfachten Papillenerhaltungslappen mit
schräger Inzision durch die Papille 6
7
8
9
10
a b
11
12
13
14

c d
15
Abb. 19.9: a) Schnittführung beim modifizierten Papillenerhaltungslappen mit
bogenförmiger Inzision auf der vestibulären Seite, b) Mobilisation des vestibulä-
16
ren Mukoperiostlappens. Die Papille wird zunächst noch nicht mobilisiert.
c) Der orale Lappen und die Papille werden präpariert und die Papille wird nach
oral durch den Interdentalraum geführt. d) Naht 17
18
19
20

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642 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Die sich ergebenden Lappen beschränken sich bei der Eröffnung


möglichst auf den zu bearbeitenden Bereich des Parodonts, ohne dass
Nachbarstrukturen eröffnet oder verletzt werden. Im Unterschied zum
Vorgehen bei einigen klassischen Lappentechniken werden bei Papil-
lenerhaltungslappen zusätzliche Exzisionen des Gewebes vermieden.
Voraussetzung Das interdentale Weichgewebe sollte bereits vor der Operation mög-
lichst entzündungsfrei und stabil sein. Im anderen Fall besteht die Ge-
fahr, dass die mobilisierte Papille einreißt oder perforiert wird.
Vorgehen Es erfolgt zunächst eine intrasulkuläre Inzision an allen Zähnen, die
an den zu bearbeitenden Defekt angrenzen. Beim vereinfachten Papil-
lenerhaltungslappen wird eine schräge Inzision durch die Papille vorge-
nommen. Beim modifizierten Papillenerhaltungslappen wird der
Schnitt vestibulär oder oral bogenförmig an der Basis der Papille fortge-
führt. Die vestibuläre Schnittführung hat den Nachteil, dass später buk-
kal eine Narbe sichtbar ist. Allerdings ermöglicht diese Schnittführung
eine Mobilisierung der Papille nach oral, was technisch einfacher ist.
Nach der Inzision erfolgt die Präparation und Mobilisation des bukka-
len Mukoperiostlappens. Erst danach wird die Papille durch einen hori-
zontalen Schnitt von den Zähnen getrennt. Dabei ist darauf zu achten,
dass die Papille nicht zu sehr ausgedünnt wird. Die Papille kann dann
von vestibulär durch den Interdentalraum nach oral mobilisiert wer-
den. Nach Scaling und Wurzelglättung sowie ggf. Durchführung rege-
nerativer Maßnahmen wird die Papille nach vestibulär zurückverlagert.
Die Papille sollte spannungsfrei adaptierbar sein, sonst muss ggf. bukkal
eine Mukoperiostschlitzung zur besseren Mobilisation des bukkalen
Lappens vorgenommen werden. Die Naht sollte eine spannungsfreie
Adaptation der Papille ermöglichen. Dazu wird zunächst die Basis des
Lappens stabil fixiert, sodass abschließend die grazile Papille mit einer
Naht adaptiert werden kann.
Modifizierter Widman-Lappen: Diese Operationstechnik wurde
1974 von Ramfjord und Nissle beschrieben und wird daher in manchen
Lehrbüchern als Ramfjord-Technik bezeichnet. Sie stellt das heute ge-
bräuchlichste Verfahren dar. Bei der Lappenbildung wird darauf geach-
tet, dass der teilmobilisierte Mukoperiostlappen nur möglichst gering
über den Knochenrand hinaus mobilisiert wird.

Die Bildung eines vollständig mobilisierten Mukoperiostlappens ist


zur Darstellung der supragingivalen Konkremente und vorliegen-
den Knochentaschen nicht notwendig.

Mit zunehmender Mobilisation eines Mukoperiostlappens steigt die Ge-


fahr von Knochenresorptionen. Bei der modifizierten Widman-Opera-
tion wird eine Taschenreduktion mit einem möglichst großen Erhalt
der parodontalen Strukturen angestrebt. Die vollständige Entfernung
der Taschen steht nicht im Vordergrund der operativen Maßnahmen. Es
werden keine Korrekturen am Knochen vorgenommen. Durch die Ent-

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 643

fernung der pathologischen Einflüsse (Konkremente, Granulationsge-


webe) sollen sich Knochendefekte wieder von allein regenerieren. Der 1
Unterschied zu anderen chirurgischen Verfahren liegt in der dreiteili-
gen Schnittführung. 2
Die modifizierte Widman-Operation wird eingesetzt, wenn beim Indikationen
Patienten Knochentaschen vorliegen, die ohne Sichtkontrolle nur unzu-
reichend vom Zahnarzt gesäubert werden können. Eine weitere Indika-
3
tion ist das Vorliegen einer verdickten Gingiva bei gleichzeitigem Vor-
handensein tiefer Knochentaschen. Die modifizierte Widman-Operation 4
dient häufig als Eingangsoperation (Schnittführung) zu weiteren chirur-
gischen Verfahren (z.B. Operationen mit voll mobilisiertem Lappen). 5
Die modifizierte Widman-Operation ist ein schonendes Verfahren,
bei dem postoperativ geringe Schmerzen beobachtet werden. Ein weite-
rer Vorteil besteht in dem geringen Gewebeverlust durch das operative
6
Verfahren. Die Wurzelreinigung kann unter Sicht vorgenommen wer-
den. 7
Ein Nachteil des Verfahrens liegt im Auftreten von Gewebeschrump- Nachteile
fungen, die postoperativ zu freiliegenden Zahnhälsen führen können. 8
Eine Kontraindikation für die Durchführung der modifizierten Wid- Kontraindikation
man-Operation ist das Vorliegen einer dünnen befestigten Gingiva oder 9
das Fehlen einer befestigten Gingiva.
Vorgehen bei der modifizierten Widman-Operation (s. Abb. 19.10): Vorgehen
 Erste Inzision (interne Gingivektomie): Die erste Inzision wird in
10
Form einer paramarginalen Inzision parallel zur Zahnlängsachse
durchgeführt. Der Abstand der Inzision vom Gingivarand beträgt 11
0,5–2 mm. Der Schnitt wird bis zum Limbus alveolaris geführt. Er
verläuft kragenförmig um die Zähne herum und folgt dem ge- 12
schwungenen Verlauf der Gingiva.
 Lappenbildung: Der marginale Anteil der Gingiva wird gerade bis
13
zum Knochenrand mit einem Raspartorium mobilisiert. Es wird nur
so viel Gingiva mobilisiert, wie nötig ist, um eine direkte Sicht auf
die Wurzeloberfläche und den Knochenrand zu erhalten.
14
 Zweite Inzision: Dann wird ein marginaler intrasulkulärer Schnitt
vorgenommen, der zwischen Zahnhartsubstanz und Gingiva liegt. 15
Er löst das Taschen- und Saumepithel bis zum Taschenfundus vom
Zahn ab. 16
 Dritte Inzision (horizontale Inzision): Das nun manschettenförmig
um den Zahn anliegende erkrankte Gewebe wird durch diese hori-
zontale Inzision abgelöst. Das erkrankte Gewebe kann dann in Form
17
eines zusammenhängenden Exzisats von allen Zähnen gelöst wer-
den. In manchen Lehrbüchern werden die zweite und die dritte Inzi- 18
sion nicht mehr konsequent gefordert. Stattdessen wird die Abtren-
nung des am Zahn haftenden Gewebes nach der ersten Inzision mit 19
scharfen Scalern oder Küretten empfohlen.
 Wurzelglättung unter Sicht: Die Wurzelflächen werden bis zum 20
Taschenfundus mit Küretten gereinigt und geglättet. Das Granula-

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644 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

1. Schnitt
(paramarginal) mobilisierter
Schleimhautlappen

a b

2. Schnitt
(sulkulär)
3. Schnitt
(horizontal)

c d

Abb. 19.10: Schnittführungen und Lappenmobilisation bei der modifizierten Wid-


man-Operation

tionsgewebe wird aus den Knochentaschen entfernt. Zur besseren


Entfernung der gelösten Konkremente und Bakterien wird die Wur-
zeloberfläche zusätzlich mit Spüllösungen (z.B. isotonische 0,9%ige
Kochsalzlösung) gespült.
 Lappenadaptation: Der Lappen wird mit Interdentalnähten so
adaptiert, dass kein Knochen freiliegt. Der girlandenförmige Verlauf
der Gingiva bleibt erhalten. Zusätzlich kann ein Wundverband an-
gelegt werden. Es muss darauf geachtet werden, dass die Gingiva den
Zähnen fest anliegt. Dadurch wird die Bildung eines Blutkoagulums
zwischen Zahn und Gingiva vermieden. Die Bildung eines Blutko-
agulums würde die postoperativ angestrebte Anheftung der Gingiva
an der Zahnoberfläche verhindern.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 645

Vollmobilisierte Lappenoperation
1
Ein vollmobilisierter Lappen ist indiziert bei Vorliegen echter Ta-
schen, bei denen gleichzeitig eine Osteoplastik vorgenommen wer- 2
den muss.

Weitere Indikationen sind parodontale Läsionen mit gleichzeitigem Indikationen


3
Furkationsbefall, Wurzelamputationen oder die Glättung von Knochen-
kanten nach einer Extraktion. 4
Bei vollmobilisierten Lappenoperationen wird im Gegensatz zu teil- Prinzip
mobilisierten Lappenoperationen ein Mukoperiostlappen gebildet. Es 5
wird also ein Gewebelappen aus Gingiva, Periost und Alveolarschleim-
haut mobilisiert, sodass neben der Bearbeitung der Wurzeloberfläche
unter Sicht auch Korrekturen am Knochen vorgenommen werden kön-
6
nen.
Wird der mobilisierte Gewebelappen durch die Nähte nach apikal 7
verschoben, spricht man von einer apikalen Verschiebeplastik oder
apikalen Gingivareposition. Dadurch ist es möglich, subgingival gele- 8
gene Füllungsränder, überhängende Restaurationsränder und kariöse
Läsionen zu kontrollieren. Der apikale Verschiebelappen sollte mit Auf- 9
hängenähten so fixiert werden, dass kein Knochen im Bereich des Lim-
bus alveolaris freiliegt.
Der Vorteil des vollmobilisierten Lappens liegt in der Herstellung Vorteile
10
guter Sichtverhältnisse, vor allem bei Vorliegen tiefer infraalveolärer Lä-
sionen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit, den Lappen post- 11
operativ nach apikal, lateral oder koronal zu verschieben, sodass eine
neue Gingivakontur erzielt werden kann. 12
Als Nachteile sind postoperativ auftretende Ödeme und Schmerzen, Nachteile
die beschriebene Schrumpfung der Gingiva und entblößte hypersensi- 13
ble Zahnhälse zu nennen. Ferner werden Resorptionen des freigelegten
Knochens beobachtet.
Vorgehen bei der vollmobilisierten Lappenoperation: Zusätzlich zu Vorgehen
14
den bei der offenen Kürettage oder modifizierten Widman-Operation
beschriebenen Schnittführung werden vertikale Inzisionen durchge- 15
führt. Mit einem kleinen Raspartorium wird ein Mukoperiostlappen ge-
bildet. Dabei werden die Knochenstrukturen freigelegt, die modelliert 16
werden sollen.
Die Osteoplastik oder Ostektomie wird mit langsam rotierenden,
sterilen Rosenbohrern unter konstanter Berieselung mit einer sterilen
17
Lösung vorgenommen. Die Bearbeitung der Wurzeloberflächen erfolgt
wie oben beschrieben. Die Vertikalinzisionen werden mit Matratzen- 18
nähten oder Knopfnähten fixiert. Dabei wird die Lage des Lappens in
apikaler Richtung festgelegt. Zuletzt wird durch interdentale oder Zahn- 19
umschlingungsnähte die endgültige Fixierung vorgenommen. Abschlie-
ßend kann ein Parodontalverband angelegt werden. 20

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646 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Distale Keilexzision

! Die Behandlung von parodontalen Taschen distal endständiger


Molaren wird häufig durch das Vorhandensein von fibrösem Bin-
degewebe erschwert. Diese im Unterkiefer retromolar bzw. im
Oberkiefer im Tuberbereich liegende derbfaserige Verdickung
kann mit einer distalen Keilexzision (Distal-wedge-Operation)
entfernt werden.

Die Exzision kann separat oder in Verbindung mit einer Lappenopera-


tion erfolgen. Neben der Entfernung der fibrös verdickten Gingiva distal
endständiger Molaren kann die Keilexzision zur Eliminierung von Ta-
schen freistehender Zähne verwendet werden.
Vorgehen Vorgehen bei der distalen Keilexzision: Es erfolgt zunächst eine keil-
förmige (V-förmige) Inzision distal des letzten Molaren. Die Spitze des
Keils zeigt nach distal. Der Keil wird mit einer Kürette entfernt. Im zwei-
ten Schritt (interne Gingivektomie) wird eine unter sich gehende Inzi-
sion zur Ausdünnung der bukkalen und lingualen Lappenanteile vorge-
nommen. Durch eine dritte, horizontale Inzision wird das Gewebe so
gelöst, dass es in toto entfernt werden kann. Die Wurzeloberflächen
können nun geglättet werden. Abschließend wird eine straffe Naht zur
optimalen Adaptation der Lappen vorgenommen (s. Abb. 19.11).

Gingivektomie

Durch eine Gingivektomie sollen supraalveoläre Taschen eliminiert


und Gingivavergrößerungen abgetragen werden. Auch bei dem
Vorliegen einer Gingivafibromatose und dem Vorhandensein von
Pseudotaschen ist die Operationsmethode indiziert.

Als Gingivektomie bezeichnet man die Exzision der Gingiva zur voll-
ständigen Entfernung einer parodontalen Tasche. Wird die Gingivekto-

primärer Schnitt
unterminierende
Keilexzision

a b

Abb. 19.11: Schnittführungen bei der distalen Keilexzision: a) primärer keilförmiger Schnitt, b) unterminie-
rende Keilexzision zur Ausdünnung der bukkalen und lingualen Gingiva

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 647

mie verwendet, um eine vorliegende anomale Gingivakontur korrekt


umzugestalten, spricht man von Gingivoplastik. 1
Die Gingivektomie wird nicht bei einer schmalen oder vollständig Kontra-
fehlenden angehefteten Gingiva durchgeführt. Weitere Kontraindika- indikationen 2
tionen sind das Vorliegen von Knochenverdickungen und infraalveolä-
rer Taschen.
Man unterscheidet zwei Arten der Gingivektomie:
3
 Die externe Gingivektomie findet als alleinige chirurgische Maß-
nahme Anwendung. 4
 Die interne Gingivektomie ist meist Bestandteil offener Lappenope-
rationen. 5
Externe Gingivektomie: Bei der externen Gingivektomie wird der Ver-
lauf des Taschenbodens mit einer Taschenmarkierungspinzette mar-
6
kiert. Die Inzision verläuft 1–2 mm apikal der Blutungspunkte auf der
Gingiva. Die Inzision wird in einem Winkel von 45° zur Zahnlängsachse 7
vorgenommen.
Diese schräge externe Gingivektomie ist auf den Taschenboden hin 8
ausgerichtet. Eine horizontal durchgeführte Inzision hätte eine balkon-
artige, unphysiologische Ausformung der Gingiva zur Folge (s. Abb. 9
19.12a). Dadurch würde postoperativ die Ausprägung eines Rezidivs ge-
fördert.
Die nun freiliegende Wurzeloberfläche wird gründlichst geglättet.
10
Abschließend wird die Inzisionskante gebrochen. Dies geschieht am
besten mit Schlingenansätzen des Elektrotoms. 11
Die Blutung wird durch das Aufpressen von sterilen Tupfern gestillt,
bis ein dünnes Blutkoagulum die Wundfläche bedeckt. Die Wundfläche 12
wird abschließend mit einem Verband für 8 Tage geschützt. Auf dieses
dünne Blutkoagulum wird ein Zahnfleischverband adaptiert. 13
Interne Gingivektomie: Als interne Gingivektomie wird ein Vorge-
hen bezeichnet, bei dem im Rahmen einer Lappenoperation oder als al-
leinige Maßnahme die Gingivahöhe durch einen Marginalschnitt redu-
14
ziert wird.
Die interne Gingivektomie ist als alleinige Maßnahme bei stark ver- 15
dicktem Zahnfleisch im Molarengebiet indiziert.
Um die Gingiva anschließend wieder optimal an den Zahn adaptie- 16
ren zu können, muss sie mit einer keilförmigen Exzision ausgedünnt
werden (s. Abb. 19.12b). Der so gekürzte und ausgedünnte Lappen wird
mit Interdental- oder Zahnumschlingungsnähten wieder auf dem
17
Alveolarknochen reponiert. Dieses Verfahren ist im Vergleich zur exter-
nen Gingivektomie für den Patienten schmerzärmer, da postoperativ 18
keine freien Wundflächen vorhanden sind. Die Reduktion der Gingiva
ist aber geringer als bei der externen Gingivektomie. 19
20

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648 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Abb. 19.12: Schnittführungen bei der Gingivektomie. a) externe Gingivektomie, links: Markierung der Ta-
schentiefe mit einer Taschenmarkierungspinzette, rechts: Schnitt ca. 1 mm apikal der gesetzten Blutungs-
punkte; b) interne Gingivektomie, links: primärer Schnitt, rechts: unterminierende Keilexzision zur Aus-
dünnung der Gingiva

Regenerative Parodontaltherapie
Ziel der regenerativen Parodontalchirugie ist die Auffüllung bzw. Rege-
neration vorhandener Knochentaschen. Dies kann durch eine gesteu-
erte Geweberegeneration unter Zuhilfenahme von Membranen oder
den Einsatz von Schmelz-Matrix-Proteinen mit oder ohne Zusatz von
Knochenersatzmaterialien geschehen. Regenerative Verfahren sollen
bei Zähnen mit tiefen Resttaschen und Knochentaschen von 3 mm oder
tiefer Anwendung finden.

Gesteuerte Geweberegeneration
Die Bildung eines langen Saumepithels oder die Etablierung von Anky-
losen bzw. Wurzelresorptionen verhindern eine desmodontale Regene-
ration. Die Fixierung des Zahnes über ein langes Saumepithel ist der des-
modontalen Aufhängung aber mechanisch unterlegen. Durch Neuin-
fektion kann diese Epithelmanschette leicht wieder aufgelockert
werden. Die Proliferation vitaler, apikal befindlicher Desmodontalzel-
len nach koronal wird in der Heilungsphase durch das schnell nach api-
kal wachsende Saumepithel unterdrückt. Bei der Wundheilung bildet

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 649

sich ein Blutgerinnsel unter dem Lappen aus. Ist der Fibrinfilm stabil ge-
nug, kann die apikal gerichtete Proliferation des Saumepithels verhin- 1
dert werden. Allerdings reißt der auf der Wurzeloberfläche befindliche
Fibrinfilm in aller Regel während der Heilungsphase durch Zugkräfte 2
leicht ab. Eine Stabilisierung des Fibrinfilms wird in neuester Zeit durch
fibronektinhaltige Gewebekleber versucht.
Zur erfolgreichen Regeneration parodontaler Knochendefekte soll-
3
ten folgende Bedingungen erfüllt sein:
 Vorliegen einer toxinfreien, instrumentierten Wurzeloberfläche 4
 Raumschaffung, um die koronale Migration von desmodontalen
Vorläuferzellen zu ermöglichen 5
 Erzielung einer Wundstabilität, um das Fibrinkoagulum zu schützen
 Sicherung der primären Wundheilung durch spannungsfreien,
kompletten Wundverschluss
6

Zur Stabilisierung des Fibrinfilms und um die konkurrierenden Zellen Gesteuerte Gewe- 7
des Saumepithels und Desmodonts in der Heilungsphase voneinander beregeneration
zu trennen, wird seit Beginn der 1980er-Jahre das Verfahren der gesteu- 8
erten Geweberegeneration (GTR: Guided Tissue Regeneration) ange-
wendet. Dadurch wird dem Desmodont eine stabile Besiedelung der 9
Wurzeloberflächen ermöglicht.
Dabei wird in einem parodontalchirurgischen Eingriff mit Lappen-
bildung eine Membran manschettenartig über die bestehende Kno-
10
chentasche gelegt und der Lappen anschließend wieder adaptiert. Wäh-
rend der Liegedauer der Membran können die Desmodontalzellen die 11
Wurzeloberfläche besiedeln, und die Knochentasche wird mit knochen-
ähnlichem Gewebe aufgefüllt. Dadurch kann es zu einer Wiederherstel- 12
lung des desmodontalen Halteapparates kommen.
Für die gesteuerte Geweberegeneration geeignete Membranen sollen 13
folgende Anforderungen erfüllen:
 Biokompatibilität: gute Gewebeverträglichkeit
 Zellokklusivität: Verhinderung des Einwachsens unerwünschter Zel-
14
len für mindestens 4 Wochen
 Gewebeintegration: schnelle Inkorporation in das umliegende Ge- 15
webe
 Platzhalterfunktion: ausreichende Steifigkeit und Formstabilität zur 16
Aufrechterhaltung eines Hohlraums, in dem sich ein Blutkoagulum
bilden und die Regeneration ungestört ablaufen kann
 Einfache klinische Handhabung
17
Neben den früher verwendeten nicht resorbierbaren Membranen sind Resorbierbare 18
nun auch Membranen aus resorbierbarem Material im Einsatz. Die Membran
nicht resorbierbaren Membranen bestehen aus e-PTFE (expandiertes Po- 19
lytetrafluorethylen, Gore-Tex). Sie müssen 4–6 Wochen nach dem Erst-
eingriff in einer zweiten Operation entfernt werden. Dieser Zweitein- 20
griff entfällt bei den resorbierbaren Membranen.

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650 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Es stehen resorbierbare Membranen aus natürlichen Biomaterialien


von Tier und Mensch (z.B. Kollagen Typ I bzw. III oder Dura mater) und
aus synthetisch hergestellten Polymeren (z.B. Polylaktidsäure, Glyko-
lid-Laktid-Kopolymere) zur Verfügung. Die Resorptionszeit beträgt ca.
3–6 Monate.
Zudem sind Barrierematerialien erhältlich (Polymer aus Poly-DL-
Laktid und N-Methyl-2-Pyrrolidon), die in fließfähiger Form vorliegen.
Diese Barrierematerialien erlauben intra operationem die individuelle
Anfertigung einer Membran oder können in Kombination mit Kno-
chenersatzmaterialien direkt in den Defekt eingebracht werden. Neuere
Studien lassen vermuten, dass die resorbierbaren Membranen den nicht
resorbierbaren Membranen bei der gesteuerten Geweberegeneration
nicht unterlegen sind.

Verfahren der Geweberegeneration können mit vorhersehbar gu-


tem Erfolg bei der Therapie von zwei- bis dreiwandigen infraalveo-
lären Knochentaschen eingesetzt werden. Sie sollten bei Zähnen
mit tiefen Resttaschen und Knochentaschen von mehr als 2 mm
Tiefe sowie Molaren mit Resttaschen und Furkationsbefall Grad II
zum Einsatz kommen.

Grundsätzlich regenerieren tiefe (> 3 mm) schmale intraossäre Knochen-


taschen besser als flache (< 3 mm) schüsselförmige Defekte. Darüber hi-
naus ist mit einem guten Erfolg bei der Behandlung furkationsbefallener
Zähne Grad II sowie gingivaler Rezessionen zu rechnen (s. Kap. 18.1.2).
Faktoren mit negativem Einflus auf das Ergebnis der gesteuerten
Regeneration sind systemische Patientenfaktoren, z.B. schlecht einge-
stellter Diabetes mellitus Typ I, nicht kooperative Patienten und das
Rauchverhalten der Patienten.
Vorgehen der ge- Vorgehen der gesteuerten Geweberegeneration bei infraalveolären
steuerten Gewe- Knochentaschen (s. Abb. 19.13): Es werden ein intrasulkulärer Schnitt
beregeneration und vertikale Entlastungsinzisionen angelegt. Dabei ist zur besseren
Blutversorgung des Lappens, wenn möglich, einer einzigen Entlastungs-
inzision der Vorzug zu geben. Die Papillen sollten dabei möglichst er-
halten bleiben. Nach Präparation eines Mukoperiostlappens wird anhaf-
tendes Taschenepithel von der inneren Seite des Lappens entfernt. Die
Wurzeloberflächen werden gründlich gereinigt und geglättet. Das Gra-
nulationsgewebe aus der Knochentasche wird vollständig entfernt. Die
Membran wird so zurechtgeschnitten, dass sie den Rand des Knochen-
defekts um ca. 3 mm überragt und keine scharfen Kanten aufweist. Die
Membran wird dann mit Umschlingungsnähten an den Zähnen befes-
tigt. Dabei ist auf einen dichten koronalen Abschluss zu achten.
Bei resorbierbaren Membranen wird resorbierbares Nahtmaterial
verwendet. Dann wird der Lappen wieder spannungsfrei vernäht, wobei
manchmal eine Periostschlitzung zur Mobilisation notwendig sein
kann. Der Lappen soll die Membran vollständig ca. 2 mm überdecken.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 651

1
2
a
3
b 4
5
6
c d

Abb. 19.13: Gesteuerte Geweberegeneration bei der Behandlung infraalveolärer Knochentaschen: 7


a) Schnittführung, b) Lappenmobilisation, c) Adaptation der Membran, d) Naht

Der Patient wird darauf hingewiesen, dass er im operierten Gebiet 8


für 4–6 Wochen nur eine sehr vorsichtige Zahnreinigung mit einer wei-
chen Zahnbürste durchführen darf. Zur Plaquehemmung wird die 9
Mundspülung mit Chlorhexidinpräparaten empfohlen. Auf die Appli-
kation eines Verbandes wird verzichtet, um die Lagestabilität der Mem-
bran nicht zu beeinflussen. Die postoperative Anwendung systemischer
10
oder lokaler Antibiotika ist nicht erforderlich.
In manchen Fällen kommt es während der Einheil- bzw. Liegephase Komplikationen 11
der Membran zu einer Exposition der Membran oder begleitenden loka-
len Infektionen. Bei nicht resorbierbaren Materialien sollte dann die vor- 12
zeitige Entfernung der Membran in Betracht gezogen werden. Bei resor-
bierbaren Membranen sollte der Patient angehalten werden, in diesem 13
Bereich zweimal täglich ein Chlorhexidindiglukonat-Gel aufzutragen.
Zur Entfernung einer nicht resorbierbaren Membran wird durch
eine intrasulkuläre Inzision Zugang zur Membran geschaffen. Bei der
14
Entfernung der Membran darf das regenerierte Gewebe nicht verletzt
werden. 15
Eine weitere Möglichkeit zur gesteuerten Parodontitistherapie stellt Schmelz-Matrix-
die Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen (Emdogain) dar, die Proteine 16
aus der Zahnanlage von Schweinen gewonnen werden. Diese Protein-
komplexe bestehen zu 90% aus Amelogenin und sind beim Menschen
nicht immunogen. Sie stimulieren die Proliferation und Anheftung von
17
Desmodontalzellen, fördern in den Desmodontalzellen die Bildung von
Wachstumsfaktoren, unterstützen die Zementogenese und Mineralisa- 18
tion, unterstützen die Wundheilung, verhindern eine Epithelprolifera-
tion, hemmen die Synthese von Entzündungsmediatoren und üben so- 19
mit auch antiinflammatorische Effekte aus. Zusätzlich konnte für das
auf dem Markt befindliche Gel eine antimikrobielle Wirkung nachge- 20
wiesen werden, die aber vermutlich auf den Gelträger zurückzuführen

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652 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

ist. Die Matrix-Proteine werden während einer Lappenoperation auf die


gereinigte und mit EDTA konditionierte Wurzeloberfläche aufgetragen.
Histologische Untersuchungen konnten zeigen, dass die Behand-
lung intraalveolärer Knochentaschen mit diesen porcinen Amelogeni-
nen zur Bildung von zellulärem und azellulärem Zement mit inserieren-
den Kollagenfasern sowie neuem Alveolarknochen führt. Dies gilt aber
nur für die Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen im Rahmen
parodontalchirurgischer Maßnahmen. Dabei war in klinischen Unter-
suchungen der erzielte Attachmentgewinn deutlich höher als bei kon-
ventioneller Lappenoperation allein. Im Gegensatz dazu führt die Ap-
plikation von Schmelz-Matrix-Proteinen im Rahmen einer nicht chirur-
gischen Parodontaltherapie histologisch zu keiner Regeneration.
Schmelz-Matrix-Proteine führen bei der Behandlung von (mandibu-
lären) Klasse-II-Furkationsdefekten zu ähnlich guten klinischen Ergeb-
nissen wie die GTR mit Membranen. Die Kombinationstherapie von
Schmelz-Matrix-Proteinen mit GTR oder mit Knochenersatzmaterialien
bringt bessere Ergebnisse als die jeweilige Einzeltherapie. Der Einsatz
von Schmelz-Matrix-Proteinen im Rahmen von chirurgischen Verfah-
ren zur Deckung freiliegender Rezessionen wird zurzeit untersucht.
Grundsätzlich sollen gemäß Leitlinien in der regenerativen Paro-
dontalchirurgie entweder Membranen oder Schmelz-Matrix-Proteine
mit oder ohne Zusatz von Knochenersatzmaterialien verwendet werden.
Thrombozyten- In der regenerativen Parodontalchirurgie wird in neuerer Zeit aus Ei-
reiches Plasma genblut des Patienten gewonnenes thrombozytenreiches Plasma (PRP;
platelet-rich plasma) eingesetzt. Durch die darin enthaltene hohe Kon-
zentration der drei Wachstumsfaktoren PDGF, TGF-β1 und -β2 werden
die Knochenregeneration und die Bildung von parodontalem Gewebe
stimuliert.
Hyaluronsäure Ebenso wird Hyaluronsäure in neuerer Zeit zur Verbesserung des Re-
generationsprozesses bei intraossären Defekten eingesetzt. Die bioaktive
und resorbierbare Matrix setzt sich aus Fasern der Hyaluronsäure zusam-
men, die sich bei Flüssigkeitskontakt gelförmig verfestigt. Die später
freigesetzte Hyaluronsäure aktiviert und stimuliert Fibroblasten und Os-
teoprogenitorzellen sowie die Angiogenese. Dadurch wird der Heilungs-
prozess begünstigt. Die Matrix kann auch mit Knochenspänen oder
Knochenersatzmaterialien gemischt werden, sodass diese nach der Gel-
bildung eine gute Ortsständigkeit aufweisen.

Plastische Parodontalchirurgie

! Als plastische Parodontalchirurgie (Mukogingivalchirurgie) wer-


den Verfahren bezeichnet, die der Deckung von Rezessionen, der
Verbreiterung der befestigten und keratinisierten Gingiva, der
Ausschaltung von Zugbeeinflussungen durch einstrahlende Fre-
nula- und Muskelfasern und der Schaffung eines ausreichend tie-
fen Vestibulums dienen.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 653

Ein ausreichend tiefes Vestibulum ist notwendig, um eine optimale


Mundhygiene durchführen zu können. 1
In der Literatur besteht Uneinigkeit hinsichtlich der ausreichenden
Gingivabreite. Einige Autoren fordern eine Mindestbreite an keratini- 2
sierter Gingiva von 2 mm. Da von diesem Betrag noch 1 mm freie Gin-
giva abgezogen werden muss, entspricht dies einer befestigten Gingiva
von 1 mm Breite. Andere Autoren haben in klinischen Studien gezeigt,
3
dass es keine bestimmte Minimalbreite keratinisierter Gingiva gibt, die
zum Erhalt parodontaler Gesundheit notwendig wäre. Verschiedene 4
Autoren sehen einen Einsatz mukogingivalchirurgischer Verfahren als
gerechtfertigt an, wenn die befestigte Gingiva so schmal ist, dass es bei 5
kräftigem Zug an Lippen- und Wangenschleimhaut zu einem Lösen der
Gingiva vom Zahn kommt.
Ein gängiges Behandlungskonzept zur Therapie von gingivalen Re-
6
zessionen und ihren Ursachen sieht daher nicht die Verbreiterung der
befestigten Gingiva als ihr Hauptziel an. 7
Ein wichtiges Ziel der plastischen Parodontalchirurgie ist es, progre- 8
diente Rezessionen zu stoppen.
9
Parodontale Rezessionen stellen für viele Patienten einen Grund dar, ei- Indikationen
nen Zahnarzt aufzusuchen. Sie fürchten meist einen frühzeitigen Zahn-
verlust des befallenen Zahnes. Aufgabe des Zahnarztes ist es, den Patien-
10
ten zu erklären, dass aus gingivalen Rezessionen allein kein Zahnverlust
resultiert. 11
Ein weiterer Grund, der zum Einsatz mukogingivalchirurgischer
Verfahren zwingt, sind Hypersensibilitäten freiliegender Wurzeln. 12
Diese Hypersensibilitäten stören den Patienten beim Essen und führen
dazu, dass er häufig die Mundhygienemaßnahmen im Bereich der Re- 13
zessionen nur unzureichend durchführt. Aus der eingeschränkten
Mundhygiene resultieren dann häufig sekundäre Entzündungserschei-
nungen.
14
Wird eine Deckung freiliegender Wurzeloberflächen mit Transplan-
taten aus Bindegewebe oder Schleimhaut vorgenommen, so ist darauf 15
zu achten, dass eine klinisch entzündungsfreie Gingiva und Sondie-
rungstiefen unter 2 mm vorliegen. 16
Neben den chirurgischen Verfahren zur Rezessionsdeckung kann
dem Patienten zum Schutz der freiliegenden Wurzeloberfläche und zur
Verbesserung der Ästhetik vom Zahnarzt eine herausnehmbare Gingiva-
17
maske (Gingivaepithese) aus weichbleibendem Kunststoff eingegliedert
werden. 18
Zuvorderst sollten bei einem Patienten mit gingivalen Rezessionen
eine gründliche Zahnreinigung und eine Umstellung der Putztechnik 19
erfolgen. Der Patient sollte mit der modifizierten Stillman-Technik mit
einer mittelharten bis weichen Zahnbürste putzen. Das Ausmaß der Re- 20
zessionen sollte gemessen und in regelmäßigen, anfangs kurzen Inter-

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654 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

vallen überprüft werden. Wird eine progressive Zunahme der Rezession


beobachtet, sind mukogingivalchirurgische Eingriffe indiziert. Dem Pa-
tienten muss erklärt werden, dass man durch Umstellung der Putztech-
nik keine Heilung der Rezession erzielen kann. Durch eine Umstellung
der Putztechnik kann aber das Fortschreiten einer Rezession gestoppt
werden. Manche Autoren sehen Fehlbelastungen von Zähnen als Ursa-
che für Rezessionen an. Daher sollten grobe Fehlkontakte bei Artikula-
tion und Okklusion ebenfalls beseitigt werden, bevor zu chirurgischen
Maßnahmen übergegangen wird.

Korrektur einstrahlender Schleimhautbänder


Die Entfernung einstrahlender, störender Frenula kann mit einer Fren-
ektomie erfolgen. Bei der Frenektomie wird das störende Bändchen
durch Loslösung und Verlagerung entfernt. Mit einer reinen Durch-
trennung eines Frenulums (Frenotomie) sind keine dauerhaften Erfolge
zu erzielen.
Frenektomie Die Frenektomie kann durch eine VY-Verschiebung oder eine
Z-Plastik vorgenommen werden.
Vorgehen bei der VY-Verschiebung (s. Abb. 19.14): Die Lippe oder
Wange wird stark gespannt und das Bändchen V-förmig umschnitten.
Die Spitze des V entspricht der Spitze des Bändchens. Der Schnitt durch-
trennt nur die Mukosa, nicht das Periost. Der dreieckige Mukosalappen
wird vom Periost mit einem Raspartorium vorsichtig gelöst. Muskelzüge
im Wundbereich werden unterminierend mit einer Schere durchtrennt.
Das Läppchen wird in das Vestibulum verschoben und dort in Höhe der
Umschlagfalte vernäht. Dabei sollte bei Zug an der Wange oder Lippe
eine Fixation so erfolgen, dass eine Faltenbildung des Läppchens aus-
bleibt. Durch die Verschiebung ergibt sich eine Y-förmige Konfiguration
der Wunde. Der senkrechte Schenkel dieser Wunde wird in aller Regel
nicht vernäht. Die rhomboide Periostwunde kann der Heilung über eine
freie Granulation überlassen oder durch ein kleines Schleimhauttrans-
plantat gedeckt werden. Sollte keine Schleimhautdeckung erfolgen, ist
zur Vermeidung postoperativer Beschwerden ein Wundverband anzule-
gen. In Kontrollsitzungen wird die Wunde gesäubert, bis die Epithelisie-
rung abgeschlossen ist.
Die Z-Plastik (s. Abb. 19.15) stellt aufgrund ihrer komplizierten
Schnittführung und schwierigen Nahttechnik das anspruchsvollere Ver-
fahren dar. Die Z-Plastik zur Verlängerung von Frenula hat gegenüber
der VY-Plastik den Vorteil, dass nach der Verschiebung und Vernähung
der entstehenden Läppchen kein Periost freiliegt. Darüber hinaus ist die
erzielte Verlängerung größer als bei der VY-Plastik. Die Verlängerung
kann bei der Z-Plastik bis zu zwei Drittel der ursprünglichen Länge be-
tragen.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 655

Lippenbändchen V-förmiger Schnitt Naht Periost


1
2
3
4
a b

Abb. 19.14: VY-Plastik: a) v-förmige Schnittführung, b) Zustand nach Verschieben und Festnähen des Lappens
5

A
6
A
A* B* 7
C A* D
C D
B*
B
8
B

9
a b

Abb. 19.15: Z-Plastik: a) z-förmige Schnittführung. b) Die Lappen A* und B* werden gegeneinander ausge- 10
tauscht. Dabei wird A* nach D und B* nach C verschoben.

Gingivaextension mit freiem Schleimhauttransplantat 11


12
! Liegt eine progressive Rezession an einzelnen oder wenigen Zäh-
nen im nicht ästhetisch relevanten Bereich vor oder ist die befes-
tigte Gingiva stark reduziert, so ist die Gingivaextension mit 13
freiem Schleimhauttransplantat ein gebräuchliches Verfahren (s.
Abb. 19.16).
14
Die keratinisierte Gingiva wird durch ein Schleimhauttransplantat ver- Prinzip
breitert. Dadurch wird ein Gewebereservoir bereitgestellt und der Zug 15
der beweglichen Mukosa auf die befestigte Gingiva abgefangen. Die zu
transplantierende Schleimhaut wird meist dem Gaumen entnommen. 16
Sie wird in ein vorbereitetes Empfängerbett verpflanzt. Darüber hinaus
ist eine Entnahme von Schleimhaut aus dem Tuberbereich oder aus
dem Bereich zahnloser Kieferabschnitte möglich. Am Gaumen kann ein
17
genügend großes Stück Schleimhaut entnommen werden. Dabei ist es
jedoch nachteilig, dass die Schleimhaut am Gaumen blasser ist als die 18
normale befestigte Gingiva. Dadurch können sich ästhetische Probleme
nach der Transplantation im Frontzahngebiet ergeben. Nach Einwach- 19
sen des Transplantats ist es möglich, die nun verbreiterte Gingiva in
Form eines koronalen Verschiebelappens zur Deckung freiliegender Re- 20
zessionen heranzuziehen.

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656 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

a
b

Abb. 19.16: Freies Schleimhauttransplantat:


a) Schnittführung, b) Apikalverschiebung und Fixa-
tion der beweglichen Schleimhaut am Periost (hier:
schwarze Nähte), c) Fixation des Transplantats (nur
paramarginal, hier: blaue Nähte)

Häufig wird aber nach der Durchführung eines freien Schleimhaut-


transplantats eine koronale Migration der Gingiva von bis zu 2 mm be-
obachtet, ohne dass weitere chirurgische Verfahren angewendet wur-
den. Man spricht in einem solchen Fall von Creeping attachment. Bei
entzündungsfreien Verhältnissen findet sich nach einem Creeping at-
tachment keine erhöhte Sondierungstiefe.
Vorgehen Vorgehen bei der Gingivaextension:
 Präparation des Empfängerbettes: Es erfolgt zunächst eine genaue
Bestimmung der mukogingivalen Grenzlinie durch Schiller-Jodlö-
sung. Dann wird eine Horizontalinzision nahe entlang der Linea gir-
landiformis in der befestigten Gingiva durchgeführt. Der Schnitt
läuft beidseitig leicht bogenförmig nach apikal aus. Bei diesem
Schnitt wird das Periost nicht durchtrennt. Der Schnitt wird so ge-
legt, dass man eine schräg angeschnittene Schnittfläche erhält. Wird
der Rand des Transplantats später auf dieser Schnittfläche adaptiert,
ergibt sich ein nahezu fließender Übergang zwischen Transplantat
und bestehender befestigter Gingiva. Anschließend wird ein Muko-
salappen in apikaler Richtung präpariert. Ein solcher Lappen, der
Schleimhaut und Submukosa, aber kein Periost enthält, wird als
Spaltlappen bezeichnet. Wenn Schwierigkeiten bei der Präparation
der Mukosa bestehen sollten, kann eine Injektion von Lokalanästhe-
tikum hilfreich sein. Durch die Injektionsflüssigkeit wird die Mu-
kosa vom Periost abgehoben, sodass deren Separation erleichtert ist
(Vorsicht: N. mentalis, Bichat-Fettpfropf). Der so mobilisierte
Schleimhautlappen kann apikal am Periost vernäht werden, sofern
es die Platzverhältnisse erlauben. Dies sollte mit resorbierbaren Näh-
ten mit stark gebogenen Nadeln erfolgen, da die Entfernung der
Nähte postoperativ sehr schmerzhaft ist. Das Wundbett wird mit ei-

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 657

nem in physiologischer Kochsalzlösung getränkten Tupfer gedeckt,


und das Transplantat wird entnommen. 1
 Transplantatentnahme und -adaptation: Um die Größe des Trans-
plantats zu bestimmen, wird eine Zinnfolie zurechtgeschnitten, die 2
auf die Größe und Form des Empfängerbettes abgestimmt ist. Zwi-
schen dem Transplantat und der apikal vernähten Mukosa sollte ein
ca. 2 mm breiter Streifen von Periost frei bleiben. Dadurch wird ein
3
Verschieben und Anheben des Transplantats durch die wieder hoch-
wachsende bewegliche Schleimhaut während der Einheilungsphase 4
vermieden. Die getrimmte Zinnfolie wird auf den harten Gaumen
gelegt und mit einem Skalpell ca. 1 mm tief umschnitten. Die Ent- 5
nahmestelle sollte keine Rugae palatinae aufweisen und nicht bis in
den beweglichen Gaumen extendiert werden. Mit einem Gingiv-
ektomiebeil und/oder einem Skalpell wird ein ca. 1 mm dickes
6
Transplantat entnommen. Die an das Empfängerbett angepassten
Transplantate werden an der marginalen Gingiva vernäht. Die 7
Nähte werden interdental befestigt. Es ist auch möglich, das Trans-
plantat an den Wundrändern mit Gewebekleber zu fixieren. Das 8
Transplantat wird nun für ca. 2–3 Minuten mit einer feuchten Gaze
auf die Empfängerstelle gedrückt. Dadurch wird die Bildung eines 9
Blutkoagulums verhindert. Ein Parodontalverband ist nicht notwen-
digerweise anzulegen. Dem Patienten wird angeraten, das Wundge-
biet ca. 8 Tage nicht mechanisch zu säubern. Der Bereich der Ent-
10
nahmestelle kann ebenfalls mit Gewebekleber oder mit einem Zahn-
fleischverband geschützt werden. Ferner ist das Anlegen einer 11
Verbandplatte aus dünnem Kunststoff (Miniplast) möglich.
12
Ist das Transplantat für das zu bedeckende Empfängerbett zu klein, kann Meshgraft-
es durch die Meshgraft-Technik verbreitert werden. Bei der Meshgraft- Technik 13
Technik wird das Transplantat so eingeschnitten, dass es ziehharmoni-
kaartig gespreizt werden kann. Dieses gespreizte Transplantat wird auf
die Empfängerstelle adaptiert. Die freien Flächen zwischen den Trans-
14
plantatschenkeln epithelisieren sekundär mit keratinisierter Gingiva.
Die Wundheilung im Spendergebiet verläuft über eine sekundäre Wundheilung 15
Epithelisierung, die von den epithelialen Wundrändern ausgeht. Epi- Spendergebiet
theliale Lippen schieben sich zwischen das sichtbare Blutkoagulum und 16
das bestehende Bindegewebe. Die Fusion der Epithellippen ist manch-
mal erst nach mehreren Wochen abgeschlossen. Erst nach der Fusion
setzt die mitotische Aktivität der Epithelzellen wieder ein, sodass das zu-
17
nächst dünne Epithel dicker wird und sich zu einem Oberflächenepithel
differenziert. 18
Die Wundheilung des Transplantats im Empfängergebiet lässt sich Wundheilung
in drei Phasen unterteilen: Empfängergebiet 19
 In der initialen Phase (bis Tag 3) ist das Transplantat mit nekroti-
schen Epithelresten belegt. Dieser regelmäßig zu findende weißliche 20
Belag darf nicht mit einer Wundheilungsstörung verwechselt wer-

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658 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

den. Die oberflächlichen Zellen des Transplantats werden abgesto-


ßen, die Basalzellen überleben. Das Transplantat wird durch eine
plasmatische Zirkulation ernährt. Eine Revaskularisierung ist noch
nicht vorhanden. Transplantaten, die teilweise auf freien Wurzel-
oberflächen platziert sind, fehlt die bindegewebige bzw. periostale
Unterlage. Daher werden häufig Probleme bei der Einheilung von
Transplantaten auf Wurzeloberflächen beobachtet. Der Teil des
Transplantats, der auf der Wurzeloberfläche aufliegt, sollte demzu-
folge möglichst klein gehalten werden.
 In der zweiten Phase (Revaskularisierung; Tag 2–11) kommt es zur
Ausbildung von Anastomosen zwischen bestehenden Gefäßen des
Transplantats und des Empfängerbettes. Die bedeckende Epithel-
schicht wird von den überlebenden Basalzellen des Transplantats
und den Epithelzellen des benachbarten Gewebes neu organisiert.
 In der dritten Phase (Reifungsphase; Tag 11–42) ist die Bluternäh-
rung des Transplantats endgültig gewährleistet. Die zunächst noch
dünne Epithelschicht wird wieder verdickt. Sie ist nach ca. einem
Monat wieder keratinisiert und besitzt eine typische blassrosa Farbe.
Erst nach ca. 4 Monaten ist die Einheilung histologisch vollständig
abgeschlossen.

Während der gesamten Einheilungsphase sind Schrumpfungen der


Transplantate zu beobachten. Die Schrumpfung kann bis zu 25% der
Ursprungsbreite betragen. Das Transplantat sollte noch genügend sub-
epitheliales Bindegewebe enthalten, damit eine Revaskularisierung er-
folgen kann. Dünne Transplantate werden besser vaskularisiert als di-
cke. Ist das Transplantat allerdings zu dünn, treten postoperativ ver-
stärkt Schrumpfungen auf. Ein Transplantat, das nur aus Epithel
besteht, wird abgestoßen. Ein solches Transplantat würde wieder durch
das gleiche Gewebe ersetzt werden, das schon zuvor an der Empfänger-
stelle vorlag.

Methoden zur Deckung freiliegender Wurzeloberflächen


Zur Deckung freiliegender Wurzeloberflächen werden zahlreiche Ver-
fahren beschrieben, sodass im Folgenden nur die gebräuchlichsten
Techniken erläutert werden. Je nach vorliegendem Grad der Rezession
(Klassifikation nach Miller) werden unterschiedliche chirurgische The-
rapien präferiert:
 Klasse I:
– Koronaler Verschiebelappen
 Klasse II, III:
– Lateral verschobene Lappen
– Freie autogene Bindegewebstransplantate
– Gesteuerte Geweberegeneration
 Klasse IV:
– Ggf. ästhetische Zahnverbreiterungen oder Gingivaepithesen

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 659

Koronaler Verschiebelappen: Die Methode des koronalen Verschiebelap-


pens kann mit oder ohne vorherige Verbreiterung der keratinisierten Gin- 1
giva durch ein Schleimhauttransplantat durchgeführt werden. Ein koro-
naler Verschiebelappen nach freiem Schleimhauttransplantat wird vor al- 2
lem beim Vorliegen von gruppierten Rezessionen empfohlen. Der Eingriff
wird frühestens 8–10 Wochen nach der Transplantation vorgenommen.
Vorgehen: Bei der Technik des koronalen Verschiebelappens wird Vorgehen
3
zunächst ein Mukoperiostlappen gebildet. Die vertikalen Inzisionen ver-
laufen nach apikal leicht divergierend. Der dadurch entstehende Trapez- 4
lappen gewährleistet die arterielle Versorgung des Lappens aufgrund sei-
ner breiten Basis. Die horizontale Inzision verläuft girlandenförmig am 5
Zahn entlang. Im Bereich der Papillen liegt der Schnitt apikal der Papil-
lenspitze. Der Abstand zwischen der Inzisionslinie und der Papillen-
spitze entspricht dem Betrag, um den der Lappen nach koronal verscho-
6
ben werden soll. An der verbliebenen Papillenspitze wird das Epithel ab-
getragen, um ein Wundbett für den nach koronal zu verschiebenden 7
Lappen zu bilden. Der Mukoperiostlappen wird gelöst und das Periost an
der Lappenbasis geschlitzt. Durch diese Periostschlitzung ist eine span- 8
nungsfreie Verschiebung des Lappens möglich. Abschließend wird der
Lappen mit Nähten in seiner angestrebten koronalen Position fixiert. 9
Multiple Rezessionen können auch mit einem koronalen Verschie-
belappen gedeckt werden. Dies ist sowohl mit als auch ohne vorherige
Verbreiterung der keratinisierten Gingiva mit einem freien Schleim-
10
hauttransplantat möglich (s. Abb. 19.17).
11
12
13
14
15
16
17
18
a b
19
Abb. 19.17: Koronaler Verschiebelappen a) nach freiem Schleimhauttransplantat und b) ohne Transplantat.
Oben: Schnittführung und Entepithelisierung der Papillen. Es kann vor allem bei ausgeprägten Rezessio-
nen erforderlich sein, die „Papillenspitzen“ des Lappens zu kürzen. Der Mukoperiostlappen schließt das 20
Transplantat mit ein. Unten: Fixation des Lappens

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660 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Abb. 19.18: Lateraler Verschiebelappen zur Rezessionsdeckung. Das um die Rezession gelegene Mukoperi-
ost wird entfernt und der Lappen seitlich über die Rezession und den entblößten Knochen verschoben.

Lateraler Verschiebelappen: Bei der Methode der Rezessionsde-


ckung mit einem lateralen Verschiebelappen wird die denudierte Wur-
zeloberfläche mit keratinisierter Gingiva aus dem Nachbarbereich ge-
deckt. Voraussetzungen sind, dass eine lokalisierte schmale Rezession
vorliegt und die keratinisierte Gingiva des Nachbarbereiches gesund so-
wie ausreichend breit und dick ist. Da dies nur selten der Fall ist, wird
der laterale Verschiebelappen heute meist mit einer Bindegewebstrans-
plantation kombiniert.
Vorgehen Klassisches Vorgehen ohne Bindegewebstransplantation: Die beste-
hende Rezession wird umschnitten und angefrischt. Am benachbarten
Zahn wird ein Zahnfleischrandschnitt und am übernächsten Zahn eine
paramediane Vertikalinzision vorgenommen (s. Abb. 19.18). Der da-
durch gebildete Lappen wird an der an die Rezession angrenzenden
Seite als Mukoperiostlappen präpariert. Der Teil des Lappens, der an die
Entnahmestelle grenzt, wird als Mukosalappen präpariert. Dies hat zur
Folge, dass bei der Verschiebung des Lappens die Rezession mit einem
Mukoperiostlappen gedeckt wird und an der Entnahmestelle eine peri-
ostbedeckte Wunde verbleibt, die sekundär epithelisiert.
Einen neuen, vielversprechenden Ansatz stellt die Kombination ei-
nes Verschiebelappens mit Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen
auf der zuvor gründlich gereinigten Wurzeloberfläche dar.
Rezessionsdeckung mit freiem autogenem Bindegewebstrans-
plantat: Wurden früher Rezessionen häufig mit freien Schleimhaut-
transplantaten gedeckt, so werden heute zur Deckung von Rezessionen
überwiegend freie autogene Bindegewebstransplantate verwendet.
Diese Transplantate werden unterminierend aus dem Gaumen entnom-
men und können auch zur Aufpolsterung atrophischer Kieferkamm-
Areale, z.B. im Bereich von Brückenzwischengliedern, verwendet wer-
den.
Entnahme Die Entnahme des Bindegewebstransplantats vom Gaumen erfolgt,
nachdem die Empfängerstelle entsprechend vorbereitet ist (s. Abb.
19.19). Zunächst wird dazu eine erste Inzision senkrecht zum Alveolar-
fortsatz ca. 2–3 mm paramarginal parallel zur Zahnreihe, bevorzugt im
Bereich der Prämolaren, ausgeführt. Die mesio-distale Ausdehnung der
Inzision ist etwas länger als die benötigte Länge des Transplantats. Um

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 661

1
2
3
Exzision

4
Inzision 5
vertikaler Inzision
a Entlastungsschnitt b
6
Abb. 19.19: Entnahme eines freien Bindegewebstransplantats aus dem Gaumen a) in der Aufsicht, b) im
Schnitt
7
die Entnahme zu erleichtern, kann mesial eine vertikale Entlastungs-
inzision erfolgen. Dann wird, ausgehend von der ersten Inzisionslinie, 8
eine weitere Inzision in apikaler Richtung durchgeführt. Dabei wird un-
terminierend die bedeckende Mukosa vom unterliegenden Bindege- 9
webe gelöst. Die Mukosa sollte nicht zu sehr ausgedünnt werden, da
sonst die Gefahr einer Nekrose besteht. Mit einer abschließenden Inzi-
sion wird das freigelegte Bindegewebe umschnitten und mit einem Ras-
10
partorium vom Alveolarknochen gelöst. Der Mukosalappen wird ab-
schließend vernäht. 11
Der Vorteil der Bindegewebstransplantate ist, dass das Epithel im Vorteile
Gaumenbereich weitestgehend unverletzt bleibt und der Patient keine 12
offene Wundfläche zurückbehält.
Als mögliche Alternative zum autogenen Bindegewebstransplantat 13
stehen zur Rezessionsdeckung auch verschiedene Kollagenmatrizes allo-
genen oder xenogenen Ursprungs zur Verfügung. Erste Daten zur Ver-
wendung dieser Matrizes als Alternative zu autogenen Bindegewebstrans-
14
plantaten sind vielversprechend. Eine abschließende Empfehlung ist
aber aufgrund der noch nicht ausreichenden Datenlage nicht möglich. 15
Bei der sogenannten Envelope-Technik wird im Empfängergebiet die Envelope-Technik
Rezession angefrischt, und durch eine unterminierende Präparation 16
wird ein Hohlraum erzeugt. In diesen Hohlraum kann das Bindegewebs-
transplantat eingeschoben werden. Das Bindegewebstransplantat wird
auf die vorbereitete, gesäuberte Wurzeloberfläche gepresst und mit dün-
17
nem (4-0 oder 5-0), resorbierbarem Nahtmaterial koronal an den Papil-
len befestigt. Der apikale Teil des Transplantats wird durch den darüber 18
liegenden Lappen fixiert. Überkreuzte Nähte helfen, den nicht vom Lap-
pen bedeckten Teil des Transplantats an die Wurzeloberfläche zu pres- 19
sen (s. Abb. 19.20). Das Transplantat wird mit Ausnahme des Bereichs
der Wurzeloberfläche von zwei Seiten ernährt: vom Periost und vom be- 20
deckenden Lappen. Der Teil des subepithelialen Bindegewebstransplan-

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662 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

a b

c d

Abb. 19.20: Envelope-Technik zur Deckung von parodontalen Rezessionen:


a) und b) Schnittführung mit einer unterminierenden Präparation, c) Platzierung
des Bindegewebstransplantats in die unterminierten Bereiche, d) Fixierung des
Transplantats an der Gingiva sowie mit überkreuzten Nähten

tats, der nicht vom Lappen gedeckt ist, epithelisiert innerhalb von ca.
3 Wochen. Die Morphodifferenzierung geht vom Bindegewebe aus; es
übernimmt die Charakteristika des Herkunftsortes (Gaumen). Manche
Autoren empfehlen, einen 1–2 mm breiten epithelisierten Randstreifen
bei der Präparation am Bindegewebstransplantat zu belassen. Dieser
Randstreifen kann postoperativ die marginale Gingiva darstellen.
Tunnel-Technik Die Tunnel-Technik eignet sich zur gleichzeitigen Deckung mehre-
rer benachbarter Rezessionen. Es wird an jedem der zu behandelnden
Zähne eine unterminierende Präparation durchgeführt. Dadurch wird
ein Hohlraum geschaffen, in den ein größeres Transplantat eingescho-
ben wird, das alle benachbarten freiliegenden Wurzeloberflächen be-
deckt (s. Abb. 19.21).
Bindegewebstransplantate mit koronalem oder lateralem Ver-
schiebelappen: Bindegewebstransplantate werden zunehmend mit ko-
ronalen oder lateralen Verschiebelappen kombiniert, die auf dem Trans-
plantat platziert werden. Dieses Verfahren bietet ästhetisch gute Ergeb-
nisse bei der Deckung mäßig ausgeprägter Rezessionen.
Die Erfolgschancen der oben beschriebenen Techniken variieren
zum Teil erheblich. Auch Studien, bei denen dieselbe Technik angewen-
det wurde, zeigen stark divergierende Ergebnisse. Das Ziel einer Rezessi-
onsdeckung sollte die vollständige Bedeckung der Wurzeloberfläche
sein. Dieses Ziel wird nach heutigem Erkenntnisstand am besten durch
die Verwendung freier Bindegewebstransplantate oder Verschiebelap-

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 663

1
2
3
a b
4
5
6

c d
7
Abb. 19.21: Tunneltechnik zur Deckung parodontaler Rezessionen:
a) und b) Schnittführung mit unterminierender Tunnel-Präparation ohne Durch-
8
trennung der Interdentalpapille, c) Platzierung des Transplantates im „Tunnel“,
d) Fixierung des Transplantates
9
pen in Kombination mit Schmelz-Matrix-Proteinen erreicht. Aber auch
diese beiden Methoden führen durchschnittlich nur in 60–70% der be-
10
handelten Fälle zu einer vollständigen Deckung einer Rezession.
11
19.4.3 Methoden zur Behandlung von Zähnen mit 12
Furkationsbeteiligung
13
! Liegt an einem Zahn ein Furkationsbefall vor, entsteht in diesem
Bereich eine Nische, in der sich Plaque akkumulieren kann. Die
Reinigung im Furkationsbereich ist für den Patienten erschwert
14
oder unmöglich.
15
Das Ziel der verschiedenen Methoden der Furkationsbehandlung liegt
darin, die Kontur der Gingiva zu harmonisieren und optimale anatomi- 16
sche Verhältnisse zu schaffen, die dem Patienten eine korrekte Hygiene
ermöglichen. Je nach Grad des Furkationsbefalls werden verschiedene
Behandlungsformen unterschieden (s. Tab. 19.5).
17
Diese Verfahren eignen sich gut zur Behandlung von furkationsbe-
fallenen Molaren. Furkationsbefallene Prämolaren sind weitaus schwie- 18
riger zu therapieren und vom Patienten zu kontrollieren. Je nach Befall
ist dann die Extraktion vorzuziehen. 19
Eine geschlossene Behandlung im Sinne einer Kürettage mit Scaling Geschlossenes
und Wurzelglättung ist beim Furkationsgrad I meist ausreichend. Als Scaling und 20
besonders effektiv hat sich die Furkationsreinigung mit Schall- oder Ul- Wurzelglättung

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664 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Tab. 19.5: Furkationsbehandlung


Grad des Furkationsbefalls Therapie
Grad I • Scaling
• Wurzelreinigung
• Furkationsplastik
Grad II • Furkationsplastik
• Gesteuerte Geweberegeneration,
Einsatz von Schmelzmatrixproteinen
• Tunnelierung
• Wurzelresektion/-amputation
• Prämolarisierung
• Zahnextraktion
Grad III • Tunnelierung
• Wurzelresektion/-amputation
• Zahnextraktion

traschallscalern erwiesen. Die Säuberung kann natürlich je nach Be-


handlungsform der Nachbarzähne auch mit einer Lappenoperation
kombiniert werden. Selbst unter Sicht ist es aber oft sehr schwierig, alle
Nischen und Einziehungen auf der Wurzeloberfläche gründlich zu säu-
bern.
Furkationsplastik Daher wird bei weiter reichenden Furkationsbefällen eine Odonto-
plastik bzw. Furkationsplastik vorgenommen. Dabei wird im Rahmen
einer Lappenoperation der Furkationseingang mit feinen Diamant-
schleifern oder ultraschallgetriebenen diamantierten Präparationsspit-
zen geglättet. Dadurch werden z.B. Schmelzprojektionen und Zahnein-
ziehungen eingeebnet, und die Bildung und Entzündung einer zusätzli-
chen „Papille“ wird verhindert.

Vor allem bei Grad-II-Furkationsbefall können gute Ergebnisse mit


der gesteuerten Geweberegeneration (s. Kap. 19.4.2) erzielt wer-
den. Ebenso können gute Ergebnisse mit der Anwendung von
Schmelz-Matrix-Proteinen allein oder in Verbindung mit GTR er-
zielt werden.

GTR-Methode Grad-II-Defekte sind insbesondere dann gut mit der GTR-Methode zu


behandeln, wenn das Knochenniveau am Furkationseingang bis zu
3 mm höher ist als interfurkal. Bei oberen Molaren ist die GTR-Behand-
lung von Furkationsdefekten Grad II nur an den bukkalen Eingängen
Erfolg versprechend. Die GTR-Behandlung von Furkationsdefekten
Grad III führt grundsätzlich nur zu minimalen Verbesserungen.
Beim operativen Vorgehen (s. Abb. 19.22) wird bei der Lappenprä-
paration durch einen intrasulkulären Schnitt und papillenerhaltende
Maßnahmen angestrebt, möglichst wenig Gingiva zu verlieren. Zusätz-
lich werden vertikale Entlastungsschnitte angelegt. Nach der Bildung

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 665

intrasulkäre vertikaler Krückstock- Furkationsdefekt


Inzision Entlastungs- schnittführung
schnitt
1
2
3

a
4
Abb. 19.22: Gesteuerte Geweberegeneration bei der b
Furkationsbehandlung: a) Schnittführung. Die 5
Krückstockschnittführung erlaubt eine bessere Re-
Adaptation des Lappens an die ursprüngliche Posi-
tion. b) Lappenmobilisation und Adaptation der 6
Membran, c) Naht

7
c
8
des Lappens werden die Wurzeloberfläche und der Furkationsbereich 9
des Zahnes gründlich gesäubert und geglättet. Anschließend wird eine
Membran zurechtgeschnitten und mit einer Umschlingungsnaht am
Zahn befestigt. Die Membran sollte zervikal dicht am Zahn anliegen,
10
keine Überlappungen oder Falten aufweisen und den Knochendefekt
allseitig um ca. 3 mm überragen. Der Mukoperiostlappen wird durch in- 11
terdentale Knopfnähte koronal fixiert. Abschließend werden die verti-
kalen Entlastungsschnitte vernäht. Der Lappen sollte die Membran um 12
mindestens 2–3 mm überdecken.
Weitere chirurgische Möglichkeiten zum Erhalt von Zähnen mit 13
Furaktionsbeteiligung Grad II/III stellen folgende Verfahren dar:
 Instrumentierung unter Sicht mit Lappenbildung
 Tunnelierung
14
 Prämolarisierung (Wurzelseparation)
 Wurzelresektion (Teilextraktion, Wurzelamputation, Hemisektion) 15
Eine Tunnelierung (Tunnelung) wird fast ausschließlich bei unteren Mo- Tunnelierung 16
laren angewendet. Auch dazu wird zunächst ein Lappen gebildet. Die
Furkation wird mit feinen Diamantschleifern erweitert, und ggf. werden
kleine Korrekturen am Alveolarknochen (Osteoplastik) vorgenommen.
17
Die Tunnelierung muss vorsichtig erfolgen, um eine Verletzung der
Pulpa zu vermeiden. Nach der Adaptation des Lappens liegt dann ein er- 18
weiterter, in bukko-lingualer Richtung durchgängiger Tunnel vor, der
vom Patienten mit feinen Bürstchen gereinigt werden kann. Die erwei- 19
terte Furkation ist in regelmäßigen Abständen vom Zahnarzt zu kontrol-
lieren und zu fluoridieren, um der Entstehung einer Karies gezielt vorzu- 20
beugen.

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666 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Vorteile der Tunnelierung sind, dass im Gegensatz zur Prämolarisie-


rung bzw. Hemisektion keine prothetische Versorgung oder Wurzelka-
nalbehandlung des Zahnes notwendig ist.
Prämolarisierung Bei der Prämolarisierung (Synonym: Wurzelseparation) wird ein fur-
kationsbefallener Molar in einwurzelige Prämolaren umgestaltet.
Voraussetzungen für diesen Eingriff sind genügend weit auseinanderlie-
gende Wurzeln und eine möglichst koronal gelegene Furkation. Der
Zahn wird zunächst wurzelbehandelt und dann im Furkationsbereich
durchtrennt. Es darf kein Überhang der ehemaligen Furkation zurück-
bleiben, da diese Nische sonst erneut bakteriell besiedelt wird. Daher
muss die Trennstelle geglättet werden, sodass ein glatter Übergang von
der Wurzeloberfläche zur Zahnkrone entsteht. Die neu entstandenen
Stümpfe müssen nachfolgend mit Kronen versorgt werden. Dem Patien-
ten ist dann eine ausreichende Interdentalhygiene möglich.
Bei der Resektion einer Wurzel wird der Zahn wie bei der Prämolari-
sierung durchtrennt. Dann werden eine oder mehrere Wurzeln extra-
hiert. Bei unteren Molaren spricht man dabei von einer Hemisektion.
Um zu entscheiden, welche Wurzeln extrahiert werden sollen, sind
neben dem parodontalen Zustand der Einzelwurzeln noch weitere Ent-
scheidungskriterien zu beachten. Der periapikale Zustand der belasse-
nen Wurzel muss unauffällig sein. Ferner sollte die Wurzel einen mög-
lichst geraden, weiten Wurzelkanal besitzen, sodass eine korrekte Wur-
zelkanalfüllung und eine spätere Versorgung mit Stiftaufbauten
möglich sind. Daher bietet sich bei Unterkiefermolaren meist der Erhalt
der distalen Wurzeln und bei Oberkiefermolaren der Erhalt der palatina-
len Wurzeln an.
Ein Nachteil beim Erhalt der oberen palatinalen Wurzel ist, dass
diese Wurzel etwas versetzt zum oberen Zahnbogen steht. Dadurch kann
die Statik von prothetischen Rekonstruktionen beeinträchtigt werden.
Wurzel- Unter einer Wurzelamputation versteht man die Entfernung einer
amputation Zahnwurzel ohne Durchtrennung der Krone des Zahnes. Das Ziel ist
die Umwandlung eines mehrwurzeligen Zahnes mit Furkationsbeteili-
gung in einen Zahn ohne Furkationsbeteiligung.
Die Wurzelamputation eignet sich daher bei furkationsbefallenen
Molaren mit Grad-II- und Grad-III-Beteiligung. Dabei wird meist eine
Wurzel des Zahnes im Bereich der Schmelz-Zement-Grenze abgetrennt
und entfernt. Es muss ebenso wie bei der Hemisektion und Prämolari-
sierung darauf geachtet werden, dass keine Überhänge und Nischen zu-
rückbleiben. Die Amputationsstelle muss mit einem Füllungswerkstoff
(z.B. Glasionomerzement, Komposit) verschlossen werden, der am bes-
ten schon vor der Abtrennung der Wurzel über einen koronalen Zugang
in den Wurzelkanaleingang zur Abdichtung eingebracht wird.
Zahnextraktion Die Zahnextraktion als Therapie furkationsbefallener Zähne ist
sinnvoll, wenn der Zahn keine Wurzel besitzt, die ausreichend von Al-
veolarknochen umgeben ist, oder wenn Probleme bei der endodonti-
schen Therapie zu erwarten sind.

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 667

19.4.4 Behandlung parodontal-endodontaler (Paro-Endo-)


Läsionen 1
Bei der Therapie von Paro-Endo-Läsionen erfolgt zunächst eine Behand- 2
lung der devitalen Pulpa mit medikamentösen Wurzelkanaleinlagen
(z.B. Kalziumhydroxid). Dies kann bei Läsionen der Klasse I, die primär
endodontischen Ursprungs sind, zu einer fast vollständigen Ausheilung
3
der parodontalen Entzündungsmerkmale führen. Eine evtl. notwendige
Parodontaltherapie erfolgt erst nach einer Beobachtungszeit, in der sich 4
der desmodontale Faserapparat regenerieren kann. Eine zu frühzeitige
Bearbeitung der Wurzeloberflächen würde in diesem Zeitraum die Fa- 5
sern, die noch regenerierbar sind, endgültig zerstören. Sollte es durch
die Wurzelkanalbehandlung nicht zu einer Besserung der parodontalen
Beschwerden kommen, muss vermutet werden, dass es sich bei der vor-
6
liegenden Läsion um eine Paro-Endo-Läsion der Klassen II oder III han-
delt. In einem solchen Fall ist eine Parodontalbehandlung (evtl. Lap- 7
penoperation) durchzuführen.
Die Prognose von Zähnen mit Paro-Endo-Läsionen der Klassen II 8
und III ist fraglich. Die kombinierte Therapie ist als Behandlungsver-
such zu verstehen, um ästhetisch oder topografisch wichtige Zähne zu 9
erhalten. Häufig ist die Extraktion des Zahnes notwendig.

10
19.4.5 Transplantate und Implantate zur Behandlung von
Knochentaschen 11
12
! Unter der Transplantation versteht man die Übertragung von vita-
lem Gewebe (z.B. Knochen, Schleimhaut). Als Implantation be-
zeichnet man das Einbringen nicht vitalen Gewebes oder Materials. 13
Es wird zwischen autogenen (vom selben Individuum, früher: autolog), Grundlagen
isologen (von Individuen mit gleichem genetischem Code, d.h. Zwil-
14
linge), allogenen (von Individuen gleicher Spezies, z.B. Mensch) und
xenogenen (von Individuen verschiedener Spezies) Transplantaten un- 15
terschieden.
Unter Lyophilisierung versteht man die Gefriertrocknung von Ge- 16
webe zur Verlängerung der Haltbarkeit. Die Übertragung von körper-
fremdem (synthetischem) Material wird als Alloplastik bezeichnet. Als
Osteokonduktion wird ein Prozess beschrieben, bei dem Knochen um
17
ein in den Knochen eingebrachtes Material im Sinne einer Apposition
wächst. Unter Osteoinduktion wird eine Anregung des umgebenden 18
Knochens zur Osteogenese (Knochenneubildung) durch das einge-
brachte Material verstanden. 19
In der Parodontologie werden Transplantate oder Implantate meist
verwendet, um zwei- oder dreiwandige Knochentaschen aufzufüllen. 20
Um eine Ortsständigkeit des implantierten Materials sicherzustellen,

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668 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

können die implantierten Materialien mit einer Membran abgedeckt


werden.
Autogener Autogene Knochentransplantate können in Form von Zylindern
Knochen mit kleinen Trepanbohrern aus unbezahnten Kieferabschnitten ent-
nommen werden. Dazu eignen sich der Tuberbereich oder 4 Monate
alte Extraktionsbereiche als Entnahmestellen. Entnahmen aus dem Be-
ckenkamm sind ebenfalls möglich, werden aber aufgrund des chirurgi-
schen Aufwandes und Risikos nicht als Standardverfahren empfohlen.
Vom entnommenen Knochen wird nur die Spongiosa übertragen, da sie
die bessere Einheilung verspricht. Der Knochen wird zu Spänen zerklei-
nert und mit Blut vermischt. Dieser Knochenbrei wird dann in den Kno-
chendefekt eingebracht. Eine weitere Möglichkeit zur Knochengewin-
nung besteht in der Verwendung von Knochenfiltern. Knochenfilter
sind in die Absauganlage integriert und sammeln Knochenspäne, die
beim Fräsen von Knochen anfallen.
Autogener Knochen wird als das beste Implantationsmaterial für
den Wiederaufbau von Knochen angesehen. Er weist denselben Aufbau
wie der den Defekt umgebende Knochen auf und ist aus immunologi-
scher Sicht unbedenklich. Die in ihm enthaltenen Proteine (z.B. bone
morphogenic proteins, BMP) verfügen über osteogenetisches Potenzial.
Häufig werden nach der Implantation von Knochen Wurzelresorp-
tionen oder Ankylosen der betroffenen Zähne beobachtet. Dies tritt ins-
besondere dann auf, wenn die Wurzeloberflächen nicht mehr mit vitalen
Desmodontalzellen oder einer schützenden Zementschicht bedeckt sind.
Allogener Allogener Knochen wird von Knochenbanken als gefriergetrockne-
Knochen ter Knochen angeboten, der osteokonduktive Eigenschaften besitzt.
Wird dieser Knochen zusätzlich demineralisiert, wird ihm auch eine os-
teoinduktive Wirkung zugesprochen. Allogener Knochen hat wie alle
nicht autogenen Materialien den Vorteil, dass am Patienten keine Kno-
chenentnahme notwendig ist. Um Infektionen zu vermeiden, wird allo-
gener Knochen speziell aufbereitet (AAA-Knochen: autolysierter, anti-
genextrahierter allogener Knochen), ohne dass seine osteoinduktive
bzw. osteokonduktive Wirkung verloren geht. Ein diskutierter Nachteil
ist aber, dass eine Übertragung von Infektionskrankheiten nicht voll-
kommen ausgeschlossen werden kann, sodass allogener Knochen von
vielen Fachgesellschaften nicht empfohlen wird.
Xenogener Xenogene Knochenersatzmaterialien werden z.B. von Rindern,
Knochenersatz Schweinen oder aus Korallen gewonnen. Bei vielen dieser Materialien
werden durch spezielle Verfahren alle organischen Bestandteile ent-
fernt. Sie sind daher, mit Ausnahme der korallinen Materialien, osteo-
konduktiv, dienen also als Leitschiene für den ortsständigen Knochen
und sind nicht osteoinduktiv. Auch bei diesen Materialien ist nicht ab-
schließend geklärt, ob Infektionserkrankungen oder Krankheitserreger,
insbesondere Prionen, übertragen werden können.
Alloplastischer Als alloplastische Knochenersatzmaterialien kommen z.B. Kalzi-
Knochenersatz umphosphat- und Glaskeramiken, aber auch Polymere, bioaktive Gläser

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19.4 Dritte Therapiestufe Kapitel 19 669

oder ölige Kalziumhydroxidsuspensionen zum Einsatz. Sie verfügen über


osteokonduktive, aber nicht über osteoinduktive Eigenschaften. Die Kal- 1
ziumphosphatkeramiken können in Hydroxylapatite und α- bzw. β-
Trikalziumphosphate eingeteilt werden. Hydroxylapatite werden entwe- 2
der synthetisch oder durch Sinterung aus xenogenem Gewebe gewonnen
und werden nur sehr langsam durch Osteoklasten abgebaut. Im Besonde-
ren ist die Biodegradierbarkeit synthetisch hergestellter Hydroxylapatite
3
sehr eingeschränkt. In neueren Produkten kommt ungesintertes, nano-
kristallines Hydroxylapatit zum Einsatz. Aufgrund der Nanostruktur be- 4
sitzen diese Materialien eine große Oberfläche, wodurch die Resorbier-
barkeit verbessert ist. Trikalziumphosphate hingegen sind im Körper gut 5
löslich, sodass diese durch ortsständigen Knochen ersetzt werden.
An der Oberfläche bioaktiver Glaskeramiken (Biogläser) können
komplexe Vorgänge zur Bildung einer Schicht aus Siliziumgel und Kal-
6
ziumphosphaten führen, in die organische Komponenten eingebaut
werden können. Bei Biogläsern tritt eine Auflösung erst langsam über 7
Jahre hinweg ein.
8
19.4.6 Parodontale Heilung 9

! Voraussetzung für eine parodontale Regeneration ist, dass vitale


Desmodontalzellen auf der Wurzeloberfläche erhalten sind. Nur
dann kann eine Reorganisation der Zahnaufhängung über den Fa-
10
serapparat am Alveolarknochen erfolgen. 11
Fehlt das Desmodont und kommt die Zahnoberfläche mit Bindegewebe 12
der Gingiva oder dem Alveolarknochen in Kontakt, treten Ankylosen
oder Wurzelresorptionen der Zähne auf. Nach parodontalchirurgischen 13
Eingriffen werden verschiedene Formen der Ausheilung beobachtet. Da-
bei konkurrieren unterschiedliche Gewebeanteile (Epithelzellen, Des-
modontalzellen, Bindegewebszellen und Knochenzellen) miteinander
14
um die Anheftung an der bearbeiteten Wurzeloberfläche. Das Saumepi-
thel besitzt das schnellste Wachstumspotenzial, sodass meist ein langes, 15
bis zum Taschenfundus reichendes Saumepithel die Zahnoberfläche be-
deckt. 16
Es wird allgemein zwischen einer Wiederanhaftung (reattachment), Formen
einer Regeneration (new attachment) und einer reparativen Heilung (re-
pair) unterschieden.
17
Reattachment bedeutet, dass traumatisch oder operativ zeitweise
voneinander getrennte Gewebe sich wieder zu einer funktionellen Ein- 18
heit zusammenschließen. Eine solche Wiederanheftung ist nur in apika-
len Wurzelbereichen zu erwarten, in denen das Desmodont nicht infi- 19
ziert ist. Ein epitheliales Reattachment wird nicht beobachtet.
Beim „new attachment“ geht man davon aus, dass die funktionelle 20
Einheit des Gewebes von Zellen des Randgebietes des Defektes wieder

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670 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

neu aufgebaut wird. Die Bildung eines zum Taschenfundus reichenden


Saumepithels, ausgehend von noch intakten Basalzellen, wird als epi-
theliales New attachment bezeichnet.
Der Begriff der reparativen Heilung (repair) besagt, dass die zerstör-
ten Gewebeanteile unter Ausnutzung verschiedener Möglichkeiten re-
parativ ersetzt werden. Es kommt bei der Wund- und Defektauffüllung
zu Heilungs-, Substitutions- oder Regenerationsprozessen. Diese Form
der Heilung stellt das wahrscheinlichste Behandlungsergebnis nach pa-
rodontalchirurgischen Eingriffen dar. Sie führt nicht zu einer parodon-
tal-desmodontalen Regeneration, obwohl das Gewebe, klinisch entzün-
dungsfrei, straffe und verringerte Sondierungstiefen aufgrund narbiger,
epithelialer oder resorptiver bzw. ankylotischer Prozesse aufweist.

19.4.7 Schienungstherapie

! Stark gelockerte Zähne können im Rahmen einer PAR-Behand-


lung durch Schienen verblockt und temporär stabilisiert werden.
Durch die Schienung wird keine Festigung eines durch parodon-
tale Ursachen gelockerten Zahnes, sondern ausschließlich eine
Ruhigstellung bewirkt.

Prinzip Diese Ruhigstellung kann postoperativ oder nach akuten Traumata die
Heilung positiv beeinflussen. Die Schienung verbessert den Kaukomfort
für den Patienten und verhindert Zahnkippungen und -wanderungen.
Kaukräfte, die auf einen Schienenverband auftreffen, werden auf alle in
den Verband integrierten Zähne verteilt. Das bedeutet aber, dass ein-
zelne Zähne unter Umständen größere Kaukräfte auffangen müssen als
ohne Schienung. Darüber hinaus sollten nur Zähne mit gleicher Mobi-
lität verblockt werden. Andernfalls kann es leicht zur Fraktur der
Schiene und zur Lockerung der ursprünglich festeren Zähne kommen.
Zähne, die durch ein okklusales Trauma gelockert sind, sollten durch se-
lektives Einschleifen und nicht durch Schienung behandelt werden.
Schienungsarten Grundsätzlich wird zwischen folgenden Schienentypen unterschie-
den:
 Temporäre Schienen
 Semipermanente Schienen
 Permanente Schienen

Als temporäre Schienungen (Tragedauer von einigen Tagen bis zu we-


nigen Wochen) werden z.B. fortlaufende Drahtligaturen, Drahtbogen-
Kunststoffschienen oder Miniplastschienen verwendet. Auch ein
Wundverband, der nach einer Woche gewechselt wird, kann zur Schie-
nung ausreichend sein. Eine temporäre Schienung ist bei Vorliegen von
Zähnen mit erhöhter Beweglichkeit indiziert, an denen offene Metho-
den der Parodontalbehandlung geplant sind.

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19.5 Medikamente in der Parodontologie Kapitel 19 671

Ziel der temporären Schienung ist es, eine vorübergehende weitere


Erhöhung der Beweglichkeit als Folge des Behandlungstraumas abzu- 1
fangen. Semipermanente Schienen (Tragedauer von einigen Wochen
bis zu einigen Monaten) werden heute mit Kompositen in Schmelz-Ätz- 2
Technik hergestellt. In der einfachsten Form können Zähne ohne Präpa-
ration einer Kavität approximal miteinander verblockt werden. Auch
kann eine Schienung mit adhäsiv befestigten Fasernetzen vorgenom-
3
men werden.
Semipermanente Schienungen sind indiziert, wenn erhaltungs- 4
würdige Zähne vorliegen, die wegen einer stark erhöhten Beweglichkeit
den Patienten beim Kauen und Sprechen behindern. Ferner können sie 5
bei kombiniert parodontologisch-kieferorthopädischer bzw. parodonto-
logisch-kieferorthopädisch-prothetischer Behandlung zur Retention der
Zähne herangezogen werden (Tragedauer über mehrere Wochen bis
6
Jahre).
Als permanente Schienen (Tragedauer über viele Jahre) werden 7
festsitzende Schienungen (z.B. Brücken, Stege) und abnehmbare Schie-
nungen (z.B. Hybridprothesen, Elbrecht-Schienen) verwendet. Perma- 8
nente Schienungen sind bei gelockerten und/oder nur noch wenigen
Pfeilerzähnen mit stark reduziertem Parodontium indiziert. 9
Wichtig ist, dass die Form einer Schiene die Parodontalhygiene
nicht behindert.
10
11
19.5 Medikamente in der Parodontologie
12
! Der Einsatz von Medikamenten dient in der parodontologischen
Therapie immer nur als Adjuvans zur mechanischen Lokalbe-
handlung. Sie ersetzen nicht die ursachengerechte Beseitigung
13
der primären und sekundären Ursachen, die zur Entstehung einer
Parodontopathie führen.
14
Antimikrobielle Agenzien sollen parodontopathogene Keime effektiv 15
bekämpfen, geringe Nebenwirkungen und eine gute Haltbarkeit bei
Raumtemperatur besitzen. 16
Darüber hinaus ist eine hohe Substantivität wichtig. Die Substanti-
vität beschreibt die Aufrechterhaltung einer hohen Wirkkonzentration
eines Medikaments am Wirkungsort (Mundhöhle, Sulkus). Die Medika-
17
mente werden in lokal und systemisch angewendete Medikamente un-
terschieden. 18
Dies geschieht adjuvant zu den mechanischen Bearbeitungen der
Wurzeloberflächen in der zweiten, dritten oder vierten Therapiestufe. 19
Im Folgenden werden die dabei durch die Literatur abgesicherten Präpa-
rate genauer beschrieben. Ein davon abweichendes Regime, z.B. die ad- 20
juvante Verwendung von Statinen, Probiotika, Metformin (Diabetes-

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672 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

mellitus-Präparat), antiinflammatorischen Medikamenten (nicht steroi-


dale Antiphlogistika), Omega-3-Fettsäuren oder Bisphosphonaten,
sollte entsprechend aktuellen Leitlinien keine Anwendung finden.

19.5.1 Lokal angewendete Medikamente

Lokal angewendete Mittel werden meist in Form von Spüllösungen,


Salben oder Pasten angeboten. Auch in Zahnpasten können lokal wirk-
same Komponenten vorliegen. Im Folgenden werden die gebräuchlichs-
ten und wichtigsten lokalen Therapeutika beschrieben. Daneben finden
noch weitere antibakterielle bzw. antiphlogistische Wirkstoffe (z.B. Lis-
terine, Triclosan, Cetylpyridiniumchlorid (CPC), Hexetidin, Zucker-
ersatzstoffe, Sanguinarin, Acetylsalicylsäure-Lösungen) Anwendung. Bei
der lokalen Anwendung von Präparaten in einer entzündeten Tasche ist
zu beachten, dass die Sulkusfließrate bei Vorliegen einer Entzündung
deutlich erhöht ist und es somit zu einer raschen Auswaschung des
Wirkstoffes kommt. Daher ist hier die Depotfunktion von Präparaten
besonders wichtig. Antiseptika können adjuvant zur subgingivalen In-
strumentierung für einen begrenzten Zeitraum insbesondere dann ein-
gesetzt werden, wenn die mechanische Plaquekontrolle eingeschränkt
oder unmöglich ist.
Chlorhexidin Chlorhexidin (CHX) ist ein Biguanid. Es wird meist als Chlorhexi-
dindiglukonat-Salz in 0,06- bis 0,2%iger Mundspüllösung verwendet. Es
kann u.a zur adjuvanten Therapie im Rahmen subgingivaler Instrumen-
tierungen zum Einsatz kommen. Chlorhexidin wirkt antibakteriell und
hemmt in hohen Konzentrationen (0,2%) die Plaquebildung. Es wirkt
bakteriostatisch und bakterizid gegen grampositive Bakterien, in höhe-
ren Dosierungen auch bakterizid gegen gramnegative Bakterien. Eine
suffiziente Plaquehemmung kann mit 0,2% CHX bei einer zweimal täg-
lichen Mundspülung erreicht werden.
CHX besitzt eine hohe Substantivität. Seine kationischen Gruppen
binden elektrostatisch an die negativ geladenen Oberflächen von Zäh-
nen, Gingiva und Mukosa sowie Plaque. Daher überdauert die Wirkung
des CHX die Spülzeit und steht als Reservoir für einen „slow release“ zur
Verfügung. Durch seine starke Affinität zu Anionen ist CHX zudem be-
fähigt, Bindungsstellen der oralen Mikroorganismen an den Zähnen zu
blockieren, worin seine plaquehemmende Wirksamkeit begründet ist.
Zudem führt CHX zu einer Zerstörung der Permeabilitätsfunktion der
Zellwände, sodass der Zutritt der Substanz in das Zellinnere ermöglicht
wird. Es kommt dann aufgrund des Verlustes des osmotischen Gleichge-
wichts zur Präzipitation des Zytoplasmas. CHX ist ferner in der Lage,
membrangebundene ATPasen zu inhibieren und in den Glukosestoff-
wechsel von Zellen einzugreifen. Bisher liegen keine soliden Beweise da-
für vor, dass eine Resistenz gegenüber CHX erworben werden kann.

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19.5 Medikamente in der Parodontologie Kapitel 19 673

Eine lang dauernde Anwendung in Form einer hoch konzentrierten


CHX-Spüllösung ist aufgrund des Auftretens lokaler Nebenwirkungen 1
nur in Ausnahmefällen indiziert. Bei der Anwendung von Chlorhexidin
als Mundspüllösung treten verschiedene Nebenwirkungen auf: 2
 Geschmacksirritationen/Geschmacksverluste, die bis zu 8 Stunden
anhalten können
 Reversible braune Farbauflagerungen auf Zähnen und Schleimhäute
3
 Desquamation von Epithelzellen der Schleimhaut aufgrund einer
beschleunigten Zellalterung 4
 Wundheilungsstörungen bei Anwendung hoher Konzentrationen
und bei freiliegendem Knochen (Hemmung der Osteogenese) 5
 Verstärkte Zahnsteinbildung

Höher konzentrierte Präparate sollten aufgrund dieser Nebenwirkungen


6
nur kurzfristig (bis zu 6 Wochen) zur Mundspülung eingesetzt werden.
Im Sinne einer Soft-Chemo-Prävention wird Chlorhexidin daher bei 7
ggf. dauerhafter Anwendung in niedrigen Konzentrationen (z.B. 0,06%)
verwendet. Zur Wirkungsverbesserung sind dann häufig andere anti- 8
bakteriell wirksame Substanzen (z.B. CPC) der Lösung beigefügt. Ver-
schiedene Studien konnten nachweisen, dass Chlorhexidin zu einer ca. 9
45%igen Reduktion von Gingivitiden führen kann. Zur lokalen Ta-
schenbehandlung kann Chlorhexidin in Form von Spülungen mit
stumpfer Kanüle oder als gebrauchsfertiges Gel in die Tasche appliziert
10
werden. Dabei ist zu beachten, dass CHX durch Bindung an Blut (Se-
rumproteine) sowie an Sulkusflüssigkeit inaktiviert wird. 11
Bei Anwendung von CHX-Präparaten muss bedacht werden, dass 12
CHX und die meisten am Markt befindlichen Zahnpasten interagie-
ren können und es dabei zu einer Inaktivierung des CHX kommt. 13
Dies gilt für alle Zahnpasten, die Natriumlaurylsulfat in Konzentratio-
nen bis 2% als Schäumerzusatz verwenden. Bei Kontakt von CHX mit
14
anionischen Molekülen tritt eine Präzipitation der Reaktionspartner zu
schwer löslichen Verbindungen ein und führt zur Inaktivierung des 15
CHX. Bei Gebrauch anionischer, tensidhaltiger Zahnpasten sollte daher
eine Wartezeit von 30 Minuten bis 2 Stunden bis zur CHX-Spülung ein- 16
gehalten werden. Spülungen mit CHX können unmittelbar vor oder
nach der Anwendung von Zahnpasten mit Aminfluoriden oder aus-
schließlich nichtionischen Netzmitteln erfolgen. Hierbei wird die Wir-
17
kung des CHX nicht beeinflusst.
Wasserstoffperoxid (H2O2) besitzt aufgrund der Sauerstoffabspal- Wasserstoff- 18
tung und Schaumbildung eine reinigende mechanische und desinfizie- peroxid
rende Wirkung. Durch die Sauerstofffreisetzung besitzt es einen hem- 19
menden Einfluss auf anaerobe Keime. Es wird in 3- bis 10%iger Lösung
zur lokalen Therapie vom Zahnarzt eingesetzt. Mundspüllösungen kön- 20
nen in 0,3- bis 0,5%iger Dosierung vom Patienten bei der häuslichen

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674 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Therapie verwendet werden. Es muss jedoch beachtet werden, dass an-


aerobe Keime in der Tiefe des Biofilms liegen und dadurch nur schlecht
durch Wasserstoffperoxid erreicht werden.
Polyvidon-Jod Bei Polyvidon-Jod (PVP-Jod) handelt es sich um einen Komplex,
der in 0,1- bis 1%iger Konzentration angewendet eine antimikrobielle
Wirkung gegen grampositive und gramnegative Bakterien sowie Pilze,
Viren und Protozoen aufweist. Das wasserlösliche, synthetische, nicht
antigene und atoxische Polymer PVD dient als Trägersubstanz für das ei-
gentlich nur schwer wasserlösliche Jod (nicht Jodid, das allergen ist).
Das Jod ist aus diesem Komplex über Stunden verfügbar und für die an-
timikrobielle Wirkung des Komplexes verantwortlich. PVD-Jod-Lösun-
gen sind kontraindiziert bei Patienten mit medikamentös behandelter
Schilddrüsenfehlfunktion sowie in Schwangerschaft und Stillzeit und
bei Patienten, die eine Jodallergie angeben. Der längerfristige Gebrauch
kann eine Schilddrüsendysfunktion auslösen. Die Substantivität von
PVD-Jod ist geringer als die von CHX. PVD-Jod kann ebenso wie CHX
zu reversiblen Verfärbungen der Zähne, Zunge und Schleimhäute sowie
zu kurzzeitigen Geschmacksirritationen führen.
Zinnfluoridhal- Zinnfluoridhaltige Lösungen (z.B. Meridol) haben in klinisch kon-
tige Lösungen trollierten Studien mehrfach gezeigt, dass sie einen Einfluss auf paro-
dontale Erkrankungen besitzen. Durch das Zinnkation wird eine Bakte-
rienhemmung erreicht. Die Fluoridionen besitzen zudem einen karies-
protektiven Effekt. Als Nebenwirkungen werden reversible Zahn- und
Schleimhautverfärbungen beobachtet.
Zinkhaltige Zinkhaltige Präparate eignen sich zur Behandlung von Halitosis.
Präparate Die positive Wirkung des Zinks beruht auf der Eigenschaft, dass es mit
flüchtigen Schwefelverbindungen (VSC) nicht flüchtige Zink-Schwefel-
Verbindungen bildet.
Glukokortikoide Glukokortikoide (z.B. Dontisolon: Prednisolon) besitzen antiphlo-
gistische, antiallergische, antiproliferative und analgetische Wirkung.
Sie steigern die Glukoneogenese, wirken katabol, unterdrücken die
Funktion des lymphatischen Gewebes und die Immunreaktion und ver-
ringern die Gefäßpermeabilität. Glukokortikoide werden in Form von
Cremes oder Salben mit verschiedenen Antibiotikazusätzen angeboten
(Terracortril: Hydrocortison + Oxytetracyclin). Durch das applizierte
Glukokortikoid werden die Schmerzsensationen des Patienten gelin-
dert, und die eigentliche Ursache der Entzündung wird verschleiert.
Durch den Antibiotikazusatz kann die Ausbildung von Bakterienresis-
tenzen und Allergien gefördert werden. Deshalb sollten diese Präparate,
wenn überhaupt, nur kurzzeitig zur Schmerzlinderung bei lokalen Ta-
schenbehandlungen oder in der Akutbehandlung nekrotisierender Pa-
rodontalerkrankungen angewendet werden.
Applikationsarten Die Instillation von Spüllösungen in eine Zahnfleischtasche mit ei-
ner Spülkanüle zeigt meist nur geringe Wirkung, da die Verweildauer
des Medikaments nicht ausreichend ist und der Taschenboden nicht in
jedem Fall erreicht wird.

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19.5 Medikamente in der Parodontologie Kapitel 19 675

Die effektive Beseitigung der subgingivalen Bakterien kann in Ein-


zelfällen durch lokal applizierte Präparate wie Gelatinechips (34% 1
CHX) oder doxycyclinhaltige (14%) Gele unterstützt werden. Daneben
findet sich noch ein in Pulverform vorliegendes, in Deutschland nicht 2
zugelassenes Präparat auf dem internationalen Markt, das Minocyclin
in biologisch abbaubaren Mikrokügelchen enthält. Alle genannten Ap-
plikationsformen erlauben eine kontrollierte Freisetzung des jeweiligen
3
Wirkstoffs über mehrere Tage. Sie können auch in der UPT in Einzelfäl-
len zur Anwendung kommen. 4
Als kritisch wird bei der lokalen Anwendung von Antibiotika aller-
dings gesehen, dass es nicht hinreichend geklärt ist, ob auch die lokale 5
Instillation von sehr hoch konzentrierten Präparaten zu einer vermehr-
ten Resistenzentwicklung der Bakterien und zur Ausbildung von Aller-
gien beitragen kann. Lokal applizierte antimikrobielle Medikamente
6
sollten daher nur gezielt bei Problempatienten Anwendung finden. So
kann bei tiefen, therapieresistenten Taschen in Kombination mit Sca- 7
ling und Wurzelglättung die zusätzliche lokale Applikation von Anti-
biotika indiziert sein. In der unterstützenden Parodontitistherapie kann 8
die lokale Applikation antimikrobieller Wirkstoffe bei erneut aufflam-
menden aktiven Taschen eingesetzt werden. 9

19.5.2 Systemisch angewendete Medikamente


10
Antibiotika können zur adjuvanten systemischen Therapie von Paro- 11
dontopathien mit schweren Verlaufsformen eingesetzt werden, z.B. bei
einer generalisierten Parodontitis Stadium II bei jungen Patienten. In 12
solchen Fällen werden die Antibiotika adjuvant zur subgingivalen In-
strumentierung in systemischer Form verabreicht. Grundsätzlich soll- 13
ten Antibiotika aufgrund von Bedenken bezüglich der Gesundheit des
Patienten und der Auswirkungen auf die allgemeine Bevölkerungsge-
sundheit nur sehr zurückhaltend Verwendung finden.
14
Liegen lokale Probleme vor, die trotz gründlichen subgingivalen Sca-
lings oder nach chirurgischer Intervention noch persistierende patholo- 15
gisch vertiefte Taschen (> 5 mm und Bluten) aufweisen, ist der Einsatz
lokaler Antibiotikamaßnahmen in Erwägung zu ziehen. Diese Applika- 16
tionsart kann z.B. auch in der vierten Therapiestufe (UPT) eingesetzt
werden.
17
Um bei entzündlichen parodontalen Erkrankungen Antibiotika er-
folgreich einzusetzen, muss die adjuvante systemische Antibiotika- 18
gabe im Allgemeinen mit einer instrumentellen Reinigung kombi-
niert werden. Die adjuvante systemische Antibiotikagabe sollte da- 19
bei in unmittelbarem Zusammenhang mit der mechanischen
Biofilmentfernung im Sinne eines Full Mouth Scaling erfolgen. 20

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676 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Die instrumentelle Therapie kann in Form von geschlossenem subgin-


givalem Scaling oder auch in Form einer Lappenoperation erfolgen. Die
alleinige Anwendung von Antibiotika zeigt meist nur eine geringe Wir-
kung, da die Antibiotika nur eingeschränkt in die Biofilmstruktur der
Plaque eindringen können und somit die Bakterien auf der Wurzelober-
fläche nicht erreicht werden. Bei hohen Bakterienkonzentrationen in
der parodontalen Tasche werden die Antibiotika zudem schnell aufge-
braucht. Dadurch können sich schneller Resistenzen ausbilden. Um
eine möglichst effiziente Wirkung zu erreichen, sollen die Antibiotika
also am besten nach Desintegration des Biofilms, d.h. direkt nach Ab-
schluss des supra- und subgingivalen Debridements, verabreicht wer-
den.
Falls die instrumentelle Reinigung in mehreren Behandlungssitzun-
gen erfolgt, sollte die Einnahme des Antibiotikums nach der letzten Sit-
zung beginnen. Dies hat den Vorteil, dass der Biofilm zu dem Zeitpunkt
weitestgehend zerstört oder aufgelockert ist und so der Wirkstoff besse-
ren Zugang hat. Die vorherigen Sitzungen sollten möglichst kurzzeitig
aufeinander gefolgt sein, sodass eine zeitliche Nähe zur Antibiotikathe-
rapie besteht. Die systemische Antibiotikatherapie kann durch eine zeit-
gleich durchgeführte supragingivale antimikrobielle Therapie (z.B.
CHX-Spülungen) unterstützt werden.
Entsprechend aktuellen Leitlinien soll die Indikation zur adjuvanten
systemischen Antibiotikagabe sehr zurückhaltend und unabhängig von
Ergebnissen mikrobiologischer Untersuchungen des subgingivalen Bio-
films erfolgen. Die Entscheidung zum Einsatz von adjuvanten Antibio-
tika soll auch nicht allein aus der Häufigkeit eines positiven BOP abge-
leitet werden.
Indikationen Antibiotika können zur Unterstützung der mechanischen Lokalthe-
rapie indiziert sein bei:
 Rasch progredienten Parodontitiden
 Therapieresistenten Parodontitiden (mit evtl. progressiven Attach-
mentverlusten)
 Generalisierter, schwerer verlaufender Parodontitis mit hoher Kom-
plexität (Stadium III und IV) bei jüngeren Patienten (unter 35 Jah-
ren)
 Mittelschweren bis schweren Parodontitiden bei systemischen Er-
krankungen (Dysfunktion neutrophiler Granulozyten, Diabetes
mellitus, HIV-Infektion mit CD4 < 200 mm3)
 Parodontalabszess mit Ausbreitungstendenz oder reduziertem Allge-
meinzustand
 Nekrotisierender Gingititis (NG) bzw. nekrotisierender Parodontitis
(NP), bei Fehlen einer deutlichen Besserung 24 Stunden nach Lokal-
therapie oder Ausbreitungstendenz (z.B. Fieber)

In erster Linie profitieren Patienten mit einem hohen Anteil an Ta-


schensondierungstiefen > 5 mm von einer adjuvanten Antibiotikagabe.

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19.5 Medikamente in der Parodontologie Kapitel 19 677

Bei geringeren Sondierungstiefen (≤ 0,4 mm) ist der zusätzliche Nutzen


häufig nur begrenzt. Der Einsatz der Antibiotika erfolgt im Sinne einer 1
adjuvanten systemischen Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumen-
tierung im Rahmen der zweiten Therapiestufe der systematischen Paro- 2
dontitistherapie. Ziel ist es dabei, die Anzahl persistierender, tiefer Zahn-
fleischtaschen zu reduzieren, die einer chirurgischen Intervention be-
dürfen. Er sollte über einen Zeitraum von mindestens 7 Tagen erfolgen.
3
Für Patienten mit Tabakkonsum oder Patienten mit Diabetes mellitus
gibt es keine gesonderten Empfehlungen zum Einsatz von Antibiotika. 4
Der therapeutischen Antibiotikagabe ist der präventive Einsatz ge-
genüberzustellen: So kann die Gabe von Antibiotika als Abschirmung 5
im Rahmen operativer Eingriffe bei infektionsgefährdeten Patienten
(z.B. Endokarditis) und Patienten mit reduzierter Abwehrlage dienen.
Manche Autoren empfehlen sie auch als perioperative Maßnahme bei
6
der gesteuerten Geweberegeneration oder zur Prävention einer infizier-
ten Osteoradionekrose (IORN). Ebenfalls wird von verschiedenen Auto- 7
ren empfohlen, eine eventuelle Antibiotikatherapie im Rahmen einer
Parodontalbehandlung bei Rauchern gegenüber der üblicherweise ange- 8
gebenen Einnahmedauer zu verlängern.
Eine Antibiose kann auch bei Notfallmaßnahmen wie der Behand- Vorbereitung 9
lung von Parodontalabszessen (z.B. bei Ausbreitungstendenz in benach-
barte Logen) oder bei eingeschränktem Allgemeinzustand (z.B. Fieber)
erfolgen.
10
Zum Einsatz kommen meist eine Kombination eines Breitspektrum-
Penicillins mit Metronidazol, Metronidazol allein, Azithromycin oder 11
Tetracycline (s. Tab. 19.6 und 19.7). Bei Azithromycin gilt es zu beden-
ken, dass es in Deutschland nicht ausdrücklich für die Therapie von In- 12
fektionen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich zugelassen ist.
Amoxicillin ist ein Breitspektrum-Penicillin, das gegen gramposi- Penicillin 13
tive und gramnegative Bakterien wirksam ist. Es eignet sich zur antibio-
tischen Abschirmung bei Patienten mit Herderkrankungen (Endokardi-
tisprophylaxe) oder mit reduzierter Abwehrlage (immunsupprimierte
14
Patienten). Bekannte häufigere Nebenwirkungen von Penicillinen sind
u.a. Allergien, Magen-Darm-Probleme, Durchfall oder Hautreaktionen 15
(Exantheme).
Zur Beeinflussung parodontopathogener Keime wird Amoxicillin in 16
Kombination mit Metronidazol (erste Wahl) im Zusammenhang mit ei-
ner subgingivalen Instrumentierung empfohlen. Man spricht daher von
einer synergistischen Wirkung der beiden Präparate. In der Verabrei-
17
chung mit 3 × 500 mg Amoxicillin und 3 × 400 mg Metronidazol über
7 Tage wird sie als Van-Winkelhoff-Cocktail bezeichnet. Durch diese 18
hohen Konzentrationen, die z.T. über den üblichen Dosisempfehlun-
gen liegen, soll sichergestellt sein, dass die minimalen Hemmkonzentra- 19
tionen der Antibiotika im Sulkusfluid erreicht werden. Amoxicillin ist
nicht gegen β-Laktamase bildende Bakterien (z.B. P. intermedia, Eikenella 20
corrodens) wirksam. Allerdings reagieren β-Laktamase-positive Keime ge-

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678 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Schnell fortschreitende Langsam fortschreitende


Parodontitis (Stadien III/IV Parodontitis

Lebensalter Lebensalter
< 56 Jahre ≥ 56 Jahre

Anteil ST ≥ 5 mm Anteil ST ≥ 5 mm
Ja Ja
35% und mehr weniger als 35%

Abb. 19.23: Entscheidungsbaum für eine mögliche Gabe systemischer Antibiotika


begleitend zur subgingivalen Instrumentierung, modifiziert nach den Empfehlun-
gen der DG PARO/DGZMK (2018), angepasst an die aktuelle Klassifikation paro-
dontaler Erkrankungen. Unter instrumenteller Therapie können je nach vorliegen-
den Defekten subgingivales Scaling allein oder auch weitergehende chirurgische
Maßnahmen verstanden werden.

Tab. 19.6: Systemische Antibiotikadosierungen (per os) bei Erwachsenen


(70 kg) im Rahmen der adjuvanten Parodontitistherapie bei speziellen Ver-
laufsformen parodontaler Erkrankungen. Diese Dosierungen entsprechen
weitgehend den Empfehlungen der DGZMK.
Wirkstoff Dosierung
Amoxicillin 14 Tage: 3 × 500 mg
Amoxicillin + 7 Tage: 3 × 500 mg
Metronidazol + 3 × 400 mg
Doxycyclin 1. Tag: 1 × 200 mg
18 Tage: 1 × 100 mg
Minocyclin* 21 Tage: 1 × 200 mg
Tetracyclin 21 Tage: 4 × 250 mg
Metronidazol 7 Tage: 3 × 400 mg
Ornidazol 10 Tage: 2 × 500 mg
Azithromycin 3 Tage: 1 × 500 mg
Alternativanwendungen:**
Ciprofloxacin*** 10 Tage: 2 × 500 mg
Ciprofloxacin + 7 Tage: 2 × 500 mg
Metronidazol + 2 × 400 mg
Clindamycin**** 7 Tage: 4 × 300 mg
* Die Gabe von Minocyclin und Azithromycin ist nicht Bestandteil der Empfehlung der
DGZMK.
** Wegen Nebenwirkungen und Gefahr der Resistenzentwicklung nicht routinemäßig
anzuwenden.
*** Als Ersatz für Amoxicillin bei Penicillinunverträglichkeit oder Nachweis einer Super-
infektion, da gut wirksam gegen weitere fakultativ anaerobe gramnegative Problem-
keime (z.B. Pseudomonas aeruginosa). Die Dosierung von Ciprofloxacin weicht von der
Empfehlung der DGZMK ab, in der 2 × 250 mg pro Tag angeraten werden.
**** Nur als Ersatz bei Unverträglichkeit der übrigen Antibiotika.

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19.5 Medikamente in der Parodontologie Kapitel 19 679

genüber Clavulansäure empfindlich. Neuerdings wird in der Kombina-


tionstherapie mit Metronidazol daher verstärkt Amoxicillin mit Clavu- 1
lansäure (Augmentan) anstelle von alleinigem Amoxicillin (Clamoxyl)
verabreicht. 2
Die Antibiotikagabe im Zusammenhang mit einer subgingivalen In-
strumentierung kann alternativ auch mit Metronidazol allein (zweite
Wahl) erfolgen.
3
Metronidazol und Ornidazol sind Nitroimidazol-Chemotherapeu- Nitroimidazol-
tika, die durch Hemmung der Nukleinsäuresynthese vor allem gegen Chemo- 4
gramnegative Anaerobier und Spirochäten wirksam sind. Sie sind in der therapeutika
Allgemeinmedizin wichtige Antibiotika, sodass mögliche Resistenzbil- 5
dungen zu schwerwiegenden späteren Problemen führen können.
Mögliche Nebenwirkungen sind Alkoholunverträglichkeiten, aller-
gische Reaktionen und zentralnervöse und gastrointestinale Störungen.
6
Nitroimidazole haben im Tierversuch ein mutagenes und karzinogenes
Risiko gezeigt. Gegenanzeigen sind u.a. Leberschäden, Störungen der 7
Tab. 19.7: Wirkungsweise von Antibiotika bzw. Glukokortikosteroiden zum adjuvanten Einsatz in der
Parodontaltherapie
8
Wirkstoff Wirkmechanismus bzw. pharmakologische Wirkung auf Bakterien
Wirkung
9
Tetracyclin, • Hemmung der bakteriellen Proteinsynthese • Bakteriostatisch
Doxycyclin, • Reduzierung der Kollagenaseaktivität • Breitspektrumantibiotikum 10
Minocyclin
Penicillin, Hemmung der Zellwandsynthese • Bakterizid 11
Amoxicillin • Breitspektrumantibiotikum, nicht
wirksam gegen β-Laktamase 12
bildende Keime
Metronidazol, Hemmung der Nukleinsäuresynthese • Bakterizid 13
Ornidazol • Gegen obligat anaerobe Bakterien
Ciprofloxacin • Gyrasehemmung • Bakterizid 14
• Beeinflussung der Nukleinsäuresynthese • Gegen gramnegative aerobe und
fakultativ anaerobe Bakterien
Clindamycin Hemmung der bakteriellen Proteinsynthese • Bakteriostatisch/bakterizid
15
• Gegen gramnegative obligat
anaerobe Bakterien 16
• Gegen grampositive Keime,
Streptokokken, Staphylokokken 17
Azithromycin Hemmung der bakteriellen Proteinsynthese Bakteriostatisch/
Breitspektrumantibiotikum 18
Glukokortiko- • Inhibition der Vasodilatation, Ödembildung Keine eindeutig nachgewiesene direkte
steroide • Hemmung der Synthese von Prostaglandin-2, Wirkung auf Bakterien 19
TNF-α und IL-1
• Katabole Wirkung (u.a. Hemmung der Binde-
gewebsproliferation, Kollagenbildung)
20

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680 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Hämatopoese, Erkrankungen des zentralen bzw. peripheren Nervensys-


tems, zeitgleiche Antikoagulanzien- und Lithiumtherapie, Schwanger-
schaft und Stillzeit. Ihre Anwendung sollte aufgrund der erwähnten
Probleme sehr eingeschränkt erfolgen.
Ein bekanntes Metronidazol-Präparat ist Flagyl, ein bekanntes Orni-
dazol-Präparat ist Tiberal.
Tetracycline Tetracycline sind Breitspektrumantibiotika, die gegen grampositive
und gramnegative Bakterien durch Hemmung der Proteinsynthese bak-
teriostatisch wirksam sind. Sie wirken auch gegen Aggregatibacter actino-
mycetemcomitans.
Doxycyclin und Minocyclin sind Tetracyclin-Derivate, die dem Te-
tracyclin-HCl in der Wirkung auf gramnegative fakultative Anaerobier
überlegen sind. Tetracyclin-HCl und Doxycyclin weisen nach systemi-
scher Gabe in der Sulkusflüssigkeit eine zwei- bis viermal höhere Kon-
zentration auf als im Blut und eignen sich daher für die Antibiose sub-
gingivaler Bakterien. Minocyclin erreicht sogar eine fünffach höhere
Konzentration in der Sulkusflüssigkeit als im Blut. Doxycyclin und Mi-
nocyclin weisen also gegenüber reinem Tetracyclin-HCl überlegene Ei-
genschaften auf und werden daher heute bei systemischer Anwendung
in der Parodontaltherapie bevorzugt.
Tetracycline verfügen über eine gute Substantivität, haften gut an
der Wurzeloberfläche und behindern daher die Anheftung von Mikro-
organismen an derselben. Durch Tetracycline wird die Chemotaxis neu-
trophiler Granulozyten gehemmt. Dadurch wirken Tetracycline auch
lokal entzündungshemmend. Aufgrund der durch Tetracycline ausge-
lösten reduzierten Kollagenaseaktivität können diese im Rahmen der
Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus von Vorteil sein. Diese
zusätzlichen Wirkungen von Tetracyclinen können durch subanti-
mikrobielle Dosierungen (z.B. Doxycyclin, bis zu 40 mg/d) erzielt wer-
den. In den verfügbaren Leitlinien wird aber von dieser Darreichungs-
form abgeraten.
Als Nebenwirkungen der Tetracycline können unter anderem pho-
totoxische Reaktionen von sonnenbestrahlten Hautarealen auftreten.
Tetracycline binden an Kalziumionen. Daher kann es bei Verabrei-
chung während der präeruptiven Zahnmineralisation zu Zahnverfär-
bungen kommen. Ihre Verordnung ist daher während der Schwanger-
schaft, der Stillzeit und bei Kindern bis zum achten Lebensjahr kontra-
indiziert. Weitere Kontraindikationen sind Überempfindlichkeit
gegen Tetracycline sowie Leber- und Niereninsuffizienzen.
Bekannte Präparate sind Hostacyclin (Tetracyclin-HCl), Klinomy-
cin (Minocyclin) und Vibramycin (Doxycyclin).
Lincosamide Clindamycin ist ein Lincomycinderivat, das gute Wirkung gegen
parodontitisassoziierte Keime und eine gute Penetration in Knochen
zeigt. Unter Clindamycintherapie kommt es aber u.U. zu einem Über-
wachsen von Clostridium difficile im Darm und der daraus resultieren-
den lebensbedrohlichen pseudomembranösen Colitis. Daher ist Clinda-

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19.6 Zusammenwirken verschiedener Teilgebiete in der Parodontaltherapie Kapitel 19 681

mycin nur als Präparat der zweiten Wahl anzusehen und sollte auf Fälle
beschränkt sein, die nicht mit Tetracyclin oder Metronidazol erfolgreich 1
behandelt werden können.
Azithromycin ist ein Antibiotikum aus der Reihe der Makrolide. Es 2
hat nach Einnahme eine lange Verweildauer in den betroffenen Gewe-
ben und muss daher nur wenige (3) Tage vom Patienten eingenommen
werden. Es darf nicht bei schweren Lebererkrankungen verabreicht wer-
3
den und kann als Nebenwirkungen verschiedene Störungen im Magen-
Darm-Trakt bis hin zu Bauchkrämpfen auslösen. 4
5
19.6 Zusammenwirken verschiedener Teilgebiete in der
Parodontaltherapie 6

! In den verschiedenen Therapiestufen werden oftmals Maßnah-


men durchgeführt, bei denen ein Zusammenwirken verschiede-
ner Teilgebiete der Zahnheilkunde erforderlich ist.
7
8
Das Zusammenwirken bei der Durchführung endgültiger restaurativer,
funktionstherapeutischer und kieferorthopädischer Maßnahmen wird 9
im Folgenden kurz erklärt. Details sind speziellen Lehrbüchern zu ent-
nehmen. Hinsichtlich der funktionellen Behandlung myoarthropathi-
scher Beschwerden wird ebenfalls auf spezielle Fachbücher verwiesen.
10
11
19.6.1 Parodontologie und Kieferorthopädie
12
Kleine kieferorthopädische Maßnahmen können in der dritten Thera-
piestufe der systematischen Parodontaltherapie durchgeführt werden, 13
um ästhetische, funktionelle oder präprothetische Verbesserungen zu
erreichen. Dabei können Zahnfehlstellungen, die die Mundhygiene er-
schweren, korrigiert werden.
14
Die kieferorthopädische Behandlung setzt eine erfolgreich abge- 15
schlossene parodontaltherapeutische Vorbehandlung und (wenn
erforderlich) chirurgische Therapie voraus. 16
Es ist zu bedenken, dass Zähne durch eine kieferorthopädische Behand-
lung vorübergehend gelockert werden können. Daher ist eine kieferor-
17
thopädische Therapie bei Zähnen, die aufgrund parodontaler Erkran-
kung eine stark erhöhte Beweglichkeit aufweisen, nicht indiziert. Auch 18
kleinere kieferorthopädische Zahnbewegungen müssen exakt geplant
werden, damit keine unerwünschten Probleme (z.B. Okklusionsvorkon- 19
takte, Artikulationshindernisse) auftreten.
Aus parodontologischer Sicht ist besonders die Aufrichtung von in 20
bestehende Lücken gekippten Molaren interessant. Die mesial häufig

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682 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

vorliegende erhöhte Sondierungstiefe dieser Molaren kann durch eine


kombiniert parodontal-kieferorthopädische Therapie mit Aufrichtung
des Zahnes bei guter Gewebereaktion deutlich reduziert werden. In glei-
cher Weise können elongierte Frontzähne durch Intrusionsmaßnah-
men behandelt werden. Um einen dauerhaften Erfolg der kombinierten
Therapien zu erzielen, müssen die neuen Zahnstellungen meist durch
Retentionsmaßnahmen (Retainer, Schienung) gesichert werden.

19.6.2 Parodontologie und Zahnerhaltung

Die Füllungstherapie kariöser Zähne, die Erneuerung insuffizienter Fül-


lungen und notwendige Wurzelkanalbehandlungen erfolgen in der Re-
gel begleitend zur ersten oder zweiten Therapiestufe und im Einzelfall
erst nach der dritten Therapiestufe. Kariöse Läsionen stellen Nischen für
die Plaqueakkumulation dar, die in der Hygienephase beseitigt werden
müssen. Zähne, deren Prognose unsicher ist, sollten mit provisorischen,
randdichten und gut konturierten Füllungen bzw. provisorischen Wur-
zelkanalfüllungen versorgt werden. Die endgültige Versorgung kann
dann nach der dritten Therapiestufe erfolgen. Zähne mit guter Prognose
werden begleitend zur ersten Therapiestufe mit definitiven plastischen
Füllungen versehen. Eine Therapie mit Einlagefüllungen und Teilkronen
wird erst nach einer ggf. erforderlichen dritten Therapiestufe nach erfolg-
reich abgeschlossener parodontologischer Behandlung durchgeführt.

Aus parodontalprophylaktischen Gründen ist ein supra- oder äqui-


gingival gelegener Füllungsrand anzustreben. Etwa 0,5 mm subgin-
gival liegende, intrakrevikuläre Restaurationsränder sind akzepta-
bel.

Suprakrestal Bei der Lage des Restaurationsrandes muss die Einhaltung des supra-
befestigtes krestal befestigten Attachments (früher: Biologische Breite) beachtet
Attachment werden. Dies bezeichnet den Abstand zwischen Restaurationsrand und
Limbus alveolaris, bei dem die Integrität des supraalveolären Faserappa-
rates und Saumepithels nicht beeinträchtigt ist. Zwischen Restaura-
tionsrand und Limbus alveolaris sollte daher ein Mindestabstand von
2–3 mm vorliegen. Die Einhaltung dieses suprakrestalen Gewebes in ei-
ner Höhe von 2–3 mm verhindert die Auflockerung des Zahnhalteappa-
rates und die Migration von Bakterien ins Parodont.
Ist dieser Abstand nicht einzuhalten, muss im Rahmen einer chirur-
gischen Parodontaltherapie mit Lappenbildung eine Reduzierung des
Limbus alveolaris durch eine Osteoplastik im Sinne einer sogenannten
Kronenverlängerung vorgenommen werden. Der Limbus alveolaris wird
dabei unter Kühlung mit steriler Kochsalzlösung zunächst mit Fräsen so
reduziert, dass noch eine dünne Knochenlamelle auf der Wurzeloberflä-
che zurückbleibt. Unter Schonung der Wurzeloberfläche kann diese La-

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19.6 Zusammenwirken verschiedener Teilgebiete in der Parodontaltherapie Kapitel 19 683

melle dann mit Handinstrumenten entfernt werden. Ist eine indirekte


Restauration geplant, so muss nach der Nahtentfernung mit den weite- 1
ren Arbeitsschritten (Präparation, Abformung) ca. 8–12 Wochen gewar-
tet werden. Bis zum Abschluss der Heilung der Hart- und Weichgewebe 2
werden die Zähne am besten mit ideal passenden laborgefertigten Pro-
visorien versorgt.
3
19.6.3 Parodontologie und Prothetik 4
Endgültige prothetische Maßnahmen werden nach ggf. erforderlicher 5
dritter Therapiestufe vorgenommen. Die Einbeziehung von Zähnen mit
einer parodontalen Erkrankung in eine prothetische Rekonstruktion er-
folgt je nach Prognose des Einzelzahnes (s. Tab. 19.8). Es hat sich ge-
6
zeigt, dass ein reduziertes, aber parodontal saniertes Gebiss langfristig
erfolgreich mit festsitzenden prothetischen Rekonstruktionen versorgt 7
werden kann. Dies gilt auch für Zähne mit (moderat) erhöhter Mobili-
tät. Für alle Formen des herausnehmbaren und festsitzenden Zahnersat- 8
zes zur Rekonstruktion bei Patienten im parodontal reduzierten Gebiss
gilt, dass die Konstruktionselemente sich nicht von denen für Patienten 9
ohne Parodontalerkrankungen unterscheiden.
Sollten Zahnextraktionen schon in der ersten Therapiestufe notwen-
dig sein, können herausnehmbare Interims- oder Immediatversorgun-
10
Tab. 19.8: Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Prothetik und Werk- 11
stoffkunde (2010) zur Einzelzahnbewertung vor Anfertigung prothetischer
Rekonstruktionen im parodontal geschädigten, sanierten Gebiss
Prognose Befunde Therapieoptionen
12
Sicher Zahn mit gutem dentalem und parodon- Erhalt und
talem Zustand, ein dauerhafter Erhalt ist Einbeziehung als
13
anzunehmen (z.B. Knochenverlust < 50%, prothetischer Pfeiler
Furkationsgrad ≤ Grad I). sicher möglich. 14
Zweifelhaft Zahn mit fraglichem dentalem und/oder Präprothetische pa-
parodontalem Zustand, aber in strate- rodontale Behand- 15
gisch wichtiger Position. Im Rahmen der lung notwendig. Da-
parodontalen Vorbehandlung sollte ver-
sucht werden, den Zahn in einen sicheren
nach Entscheidung,
ob sicherer oder
16
Zustand zu überführen (z.B. Knochenver- hoffnungsloser
lust > 50%, Furkationsgrad: Grad II/III). Zustand erreicht ist. 17
Hoffnungslos Zahn mit schlechtem dentalem und/oder Keine Einbeziehung
parodontalem Zustand. Erhalt medizi- als prothetischer 18
nisch nicht möglich bzw. nur mit über- Pfeiler. Entfernung
mäßigem Aufwand zu realisieren, sodass oder ggf. 19
es nicht sinnvoll ist, diesen zu erhalten Erhaltungstherapie.
(z.B. Knochenverlust > 75%,
Furkationsgrad: Grad III).
20

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684 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

gen eingegliedert werden. Bei diesen Interimsversorgungen ist, so wie


bei dem endgültigen herausnehmbaren Zahnersatz, auf eine Schonung
des marginalen Parodonts zu achten.

Restaurationsränder von Kronen und Brückenankern sollten, wie


bei konservierenden Restaurationen beschrieben, supra- oder äqui-
gingival liegen. Die ausreichende Höhe des suprakrestalen Attach-
ments ist einzuhalten.

Eine zu kurze klinische Krone des Zahnes bietet der Restauration zu we-
nig Retentionsfläche. In einem solchen Fall ist häufig eine Kronenver-
längerung durch eine Osteoplastik im Rahmen einer Lappenoperation
mit apikalem Verschiebelappen notwendig. Dieser Eingriff dient auch
der Einhaltung der biologischen Breite. Die Konturierung der Kronen-
außenflächen und die Gestaltung des Approximalkontaktes müssen
physiologischen Formen entsprechen und eine effektive Reinigung
(Zahnseide, Interdentalbürste) erlauben.
Brückenzwischenglieder sollten dem Kieferkamm nur kleinflächig
aufliegen und an der Unterseite konvex gestaltet sein, sodass eine Reini-
gung der Unterseite mit Superfloss möglich ist. Der Übergang vom Zwi-
schenglied zum Brückenanker muss so geöffnet sein, dass dieser Raum
mit einer Interdentalbürste gereinigt werden kann. Es hat sich dabei als
günstig erwiesen, Brückenzwischenglieder in Tangentialform und nicht
als Schwebeglieder herzustellen, sodass ein künstlicher Approximal-
raum entsteht. Dann kann bei der Reinigung der marginalen Gingiva
im entstandenen Approximalraum die Interdentalbürste sicher und mit
genügendem Druck auf den Brückenanker geführt werden.
Bei der Präparation von Kronen sollte die Gingiva möglichst nicht
traumatisiert werden. Deshalb sollten am besten schon während der
Präparation Maßnahmen (Retraktionsfäden, spezielle Gingivaabhalte-
instrumente) ergriffen werden, um die Gingiva von der Präparations-
grenze zu verdrängen.
Für weitere spezielle unter parodontologischen Aspekten bedeut-
same Gesichtspunkte in der Prothetik und Implantologie wird auf ent-
sprechende Lehrbücher verwiesen.

19.7 Behandlung verschiedener Krankheitsformen

Bei therapieresistenten Parodontitiden und Patienten ohne Compliance


(Mitarbeit) erfolgt eine palliative Behandlung. Bei diesen Patienten wer-
den regelmäßig professionelle Zahnreinigungen und Kontrollen des Pa-
rodontalzustands der Zähne vorgenommen. Neben den in obigen Kapi-
teln dargelegten allgemeinen Grundsätzen der Parodontaltherapie soll
nachfolgend noch auf spezielle Behandlungsmaßnahmen hingewiesen
werden.

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19.7 Behandlung verschiedener Krankheitsformen Kapitel 19 685

19.7.1 Gingivitis
1
Im Vordergrund der Gingivitistherapie steht die effektive Beseitigung
der bakteriellen Beläge durch den Zahnarzt und durch den Patienten. 2
Als lokal unterstützende Therapeutika können zwei- bis dreimal täg-
liche Mundspülungen (z.B. mit Chlorhexidin-Präparaten) im Anschluss
an das Zähneputzen vorgenommen werden. Der Patient wird zur Kon-
3
trolle wöchentlich einbestellt. Die Reevaluation erfolgt 4 Wochen nach
der letzten Sitzung. 4
5
19.7.2 NG/NP

Die bakteriellen Beläge werden vorsichtig mechanisch entfernt. Die


6
Reinigung ist für die Patienten meist sehr schmerzhaft, sodass eine voll-
ständige Beseitigung der Beläge nicht in der ersten Sitzung möglich ist. 7
Daher wird der Patient in kurzen Abständen (2–4 Tage) zur Belagentfer-
nung und Kontrolle (Differenzialdiagnose: Leukämie!) einbestellt. Die 8
Zahnreinigung wird durch Spülungen mit Wasserstoffperoxid (3%)
unterstützt. Zur Eliminierung der anaeroben Keime kann dem Patienten 9
zur häuslichen Anwendung eine niedrig konzentrierte Wasserstoffper-
oxid-Spüllösung (0,3%) verschrieben werden. Bei schweren Verlaufsfor-
men kann Metronidazol (3 × 400 mg/d für 7 d) systemisch verabreicht
10
werden. Erst nach Abheilung der Ulzerationen sind erforderliche chirur-
gische Maßnahmen durchzuführen. 11
12
19.7.3 HIV-assoziierte Parodontopathien
13
Während der ersten Therapiestufe sollten zur Unterstützung der häus-
lichen Mundhygienemaßnahmen Chlorhexidin-Präparate (0,2%) ver-
ordnet werden. Da die Patienten oft eine NUG-ähnliche Symptomatik
14
aufweisen, ähneln die Behandlungsmaßnahmen den in Kapitel 9.7.2
beschriebenen Therapien. 15
Die mechanische Reinigung sollte bei Patienten in fortgeschrittenen
Erkrankungsstadien der HIV-Infektion durch Antibiotikagabe (Metro- 16
nidazol) unterstützt werden. Dabei muss beachtet werden, dass durch
die Antibiotikagabe andere opportunistische Mikroorganismen oder
Pilze überwuchern können, was den gleichzeitigen Einsatz von Antimy-
17
kotika-Lösungen (z.B. Nystatin) erforderlich macht. Bei chirurgischen
Eingriffen sollte eine antibiotische Abschirmung mit Breitspektrum-Pe- 18
nicillin zur Vermeidung einer Bakteriämie vorgenommen werden.
19
20

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686 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

19.7.4 Periimplantäre Erkrankungen

Ein mögliches Therapieschema zur Behandlung periimplantärer Erkran-


kungen ist in Abbildung 19.24 dargestellt. Begleitend zu den dort aufge-
führten Maßnahmen wird kontrolliert, ob etwaige Fehlbelastungen des
Implantats vorliegen. Diese werden ggf. durch Einschleifmaßnahmen
therapiert.
Periimplantäre Bei Vorliegen einer periimplantären Mukositis wird ergänzend zur
Mukositis mechanischen Zerstörung des Biofilms eine lokale Therapie mit antimi-
krobiellen Substanzen (0,2% Chlorhexidin oder 10% PVP-Jod als Spül-
lösung oder Gel) durchgeführt. Zusätzlich kann bei verschraubten Su-
prakonstruktionen die Entfernung der Prothetik die Reinigung der Im-
plantatschulter, z.B. mit Pulver-Wasserstrahlgeräten mit Glycin- oder
Erythritholpulver, stark vereinfachen. Handinstrumente bergen die Ge-
fahr entweder der Schädigung der Implantatoberfläche (Stahl-, aber
auch Titaninstrumente) oder hinterlassen Abrieb auf rauen Implantat-
oberflächen (Kunststoff- oder Karboninstrumente); beides kann sekun-
där rasch besiedelt werden.
Periimplantitis Im Unterschied zur Parodontitis ist die Diagnose der Periimplantitis
mittels Parodontalsonde ungleich schwieriger, da prothetischer Aufbau
und Implantatschulter häufig nicht harmonisch ineinander übergehen,
sondern eine Stufe bilden können. Zudem ist die Sondierung bis zum
Defektfundus durch freiliegende Gewindegänge stark erschwert, wenn
Gewindegänge exponiert sind. Die Diagnose ist ferner auch stark er-
schwert, da die Sondierung an einem Implantat viel schmerzhafter ist
als die parodontale Sondierung.
Den Angaben aus der Anamnese und spezifischen Befundungen
kommt daher eine wichtige Rolle zu. Zu den spezifischen Befundungs-
maßnahmen zählt z.B. Ausstreichen des Implantatbereiches von apikal
nach koronal. Dadurch kann eitrig eingetrübte Sulkusflüssigkeit oder
Pus, der bei periimplantären Entzündungen sehr häufig vorkommt, aus
der Tiefe der Tasche an die Oberfläche befördert werden (Suppuration).
Bestehen Anzeichen für Entzündungen an einem Implantat, so sollte
die Sondierung unter lokaler Anästhesie durchgeführt werden, um ein
sicheres Resultat zu garantieren. Liegt ein Verdacht für periimplantäre
Entzündungen vor, sollte der Befund außerdem durch ein aktuelles Ein-
zelzahn-Röntgenbild komplettiert werden (s. Pfeil in „Anamnese und
Befund“, Abb. 19.24). Vor dem Hintergrund der vergleichsweise raschen
Progredienz der Periimplantitis sowie der relativ schlechten Prognose
für die Therapie sind diese invasiveren Diagnostikschritte gerechtfertigt.
Besonderes Augenmerk sollte auf Hinweise für bindegewebige Ein-
scheidungen des Implantates gelegt werden, weil sich diese lange ohne
jegliche klinische Symptome entwickeln. Auf dem Röntgenbild zeigt
sich dann neben einem stark mineralisierten periimplantären Knochen
eine feine, auf dem Röntgenbild dunkel erscheinende Einscheidungs-
linie.

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19.7 Behandlung verschiedener Krankheitsformen Kapitel 19 687

Anamnese und Befund Symptomatik Therapie 1


Anamnese Mund- Nicht- Chirurgischer Explantation
hygiene- chirurgischer Eingriff
– Schmerzen
– Schwellung
Instruktion Eingriff 2
• unauffällig – Lockerung
Plaque, Rötung,
Schwellung, X 3
Befund profuse Blutung
Visueller Befund
• Plaque – Rötung 4
– Schwellung Suppuration
– Spontane + vertiefte Taschen X X 5
Suppuration Zementüberschüsse
Palpatorischer Befund
• Finger: Ausstreichen Angulärer 6
Beweglichkeit? Knochendefekt
• Sondierung Horizontaler
X X X
unter Knochendefekt 7
• Sondierung Anästhesie
Einscheidungslinie
Röntgenologisch
• Einzelzahnröntgen Implantatfraktur
(X) X
8
– erste 5 Jahre 1×/Jahr Starke Desintegration
– dann alle 2 Jahre obligat Mobilität
9
Abb. 19.24: Schema zur Befundung von Implantaten und Therapien bei entsprechend vorliegender Symp-
tomatik einer Mukositis oder Periimplantitis 10
Während die periimplantäre Mukositis – wie die Gingivitis um Therapie
Zähne – durch adäquate Mundhygienemaßnahmen klinisch (weitge- 11
hend) reversibel ist, wird die Prognose für die Periimplantitis bisher als
relativ wenig vorhersagbar gewertet. 12
Der nichtchirurgische Eingriff kann beim Vorliegen von Zementres-
ten zu einer kompletten Ausheilung der Entzündungsreaktion führen, 13
dient ansonsten aber als vorbereitender Schritt für die chirurgische The-
rapie: Durch kurzzeitige Verbesserung der klinischen Entzündungszei-
chen (Schwellung, Blutung, Suppuration) kann innerhalb von 1–3 Wo-
14
chen der chirurgische Eingriff unter besserer Sicht und bei stabilerer
Mukosa durchgeführt werden. Der Eingriff selbst kann prinzipiell resek- 15
tiv erfolgen, wenn die Defektmorphologie für eine Regeneration un-
günstig ist (geringe „Wandigkeit“) oder wenn die Patientenparameter 16
gegen eine Regeneration sprechen (starker Raucher, gleichbleibend
schlechte Mundhygiene, allgemein schlechter Gesundheitszustand).
Bei einem resektiven Eingriff wird nach einer Osteoplastik zur Verbesse-
17
rung der späteren Weichteilmorphologie eine Implantoplastik durchge-
führt, bei der die Implantatwindungen durch Steinchen oder Diaman- 18
ten abgeschliffen werden und die raue Implantatoberfläche aufpoliert
wird, um dem Patienten später eine effektive Mundhygiene zu ermögli- 19
chen. Eine Apikalverlagerung des Mukosamantels stellt sicher, dass die
osseodesintegrierte Implantatoberfläche für den Patienten bei der tägli- 20
chen Reinigung zugänglich wird.

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688 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Liegt ein stark angulierter bzw. mehrwandiger Defekt vor und be-
steht keine Kontraindikation für eine Augmentation, so kann ein rege-
neratives Verfahren (GBR: Guided Bone Regeneration) angewendet wer-
den. Bei regenerativen Verfahren wird unter Zuhilfenahme von Mem-
branen und autogenem Knochen oder Knochenersatzmaterialien
versucht, verloren gegangenen Knochen wiederaufzubauen. Wenn mög-
lich, sollte das Augmentat um das Implantat geschlossen einheilen, d.h.,
dass ein primärer Wundverschluss über dem Implantatkörper angestrebt
wird. Zuvor ist nach chirurgischer Eröffnung des Situs eine gründliche
Reinigung der Implantatoberfläche von Biofilm als dem primären ätiolo-
gischen Faktor maßgeblich. Hierfür haben sich Pulver-Wasserstrahler
mit Glycin- oder Erythritholpulver bewährt. Pulver-Wasserstrahl-Ver-
fahren sind zur Reinigung der Implantatoberflächen geeigneter als
Handinstrumente, weil mit diesen Verfahren die Oberflächenanteile
umfangreicher gereinigt werden können, ohne dabei die Mikromorpho-
logie der Implantatoberflächen zu verändern. Eine erfolgreiche Detoxi-
kation der Implantatoberfläche ist auch bei Anwendung von Lasern (z.B.
Dioden-, CO2- oder Er:YAG-Laser) beschrieben. Auch mit diesen Lasern
werden die Implantatoberflächen nicht beschädigt.
Eine Explantation ist erforderlich, wenn das Implantat mobil ist,
die Infektion nicht kontrolliert werden kann (insbesondere wenn da-
durch parodontales Attachment der Nachbarzähne in Gefahr ist) oder
eine Fraktur des Implantates vorliegt.

19.8 Foetor ex ore

Bei Vorliegen oral bedingten Mundgeruchs (Foetor ex ore) sollte bei


dem Patienten eine Reduktion der intraoralen Bakterien durch mecha-
nische und ggf. spezielle antibakterielle Therapien im Vordergrund der
Behandlung stehen. Zur Reduktion der intraoralen Bakterienlast ist die-
sen Patienten neben dem Gebrauch von Zahnbürste und einer Inter-
dentalraumhygiene die Verwendung von Zungenreinigern zu empfeh-
len. Vor allem antibakterielle Spüllösungen, aber auch Zahnpasten mit
Chlorhexidin, CPC, Triclosan und insbesondere Zink als Inhaltsstoff
zeigen gute Wirkungen. Auch ist die Verwendung von antibakteriellen
Gelen (z.B. CHX-Gele) zur Applikation auf der Zunge effektiv.

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19.9 Unterstützende Parodontitistherapie (UPT) Kapitel 19 689

19.9 Unterstützende Parodontitistherapie (UPT)


1
! Die unterstützende Parodontitistherapie (früher: Erhaltungsthera-
pie, unterstützende Nachsorge, Recall) ist essenzieller Bestandteil
der Parodontaltherapie. Erst eine gewissenhaft durchgeführte un-
2
terstützende Parodontitistherapie (d.h. eine wiederholte supra-
und subgingivale Plaquekontrolle) ermöglicht die Sicherung des
3
dauerhaften Erfolgs des in den vorherigen Therapiestufen erziel-
ten Behandlungsergebnisses. 4
In der unterstützenden Parodontitistherapie sollen die Keimzahlen un- 5
ter einem Schwellenwert gehalten werden, bei dem es nicht zu Entzün-
dung und Attachmentverlust kommt.
6
Parodontal erkrankte Patienten müssen als langfristig erkrankte Pa-
tienten angesehen werden, die einer ständigen Kontrolle und Re- 7
motivation bedürfen.
8
Studien haben gezeigt, dass durch regelmäßige Kontrollen und profes-
sionelle mechanische Plaquereduktion (PMPR) ein weiterer Attach- 9
mentverlust gestoppt und kariöse Läsionen vermieden werden können.
Gleiches gilt für die Vorbeugung einer Periimplantitis. Ohne regelmä-
ßige Kontrolle und unterstützende Parodontitistherapie wird auch nach
10
erfolgreich durchgeführter erster bis dritter Therapiestufe eine weitere
Progression des Attachmentverlusts beobachtet. Durch die unterstüt- 11
zende Parodontitistherapie werden sowohl Neuinfektionen als auch Re-
infektionen verhindert. Die Anzahl an jährlichen Behandlungssitzun- 12
gen in der unterstützenden Parodontitistherapie sollte an das indivi-
duelle Parodontitisrisiko des Patienten angepasst sein, und sie sollten je 13
nach Schweregrad der Erkrankung, Prognose, Rezidivwahrscheinlich-
keit, Vorliegen systemischer Faktoren, Vorliegen schwierig zu reinigen-
der restaurativer Versorgungen etc. 2–12-mal pro Jahr erfolgen. Für die
14
Mehrzahl der Patienten sind ein bis vier Sitzungen pro Jahr ausreichend.
Zur Risikoabschätzung haben Lang und Tonetti ein Modell entwickelt 15
(PRA: Periodontal Risk Assessment), mit dem das Risikoprofil eines Pa-
tienten in der unterstützenden Parodontitistherapie anschaulich darge- 16
stellt werden kann (s. Abb. 19.25). Neben diesem Modell zur Risikoab-
schätzung einer erneuten akuten Phase einer Parodontalerkrankung
gibt es noch andere z.T. computerbasierte Systeme wie den Periodontal
17
Risk Calculator (PRC). Obwohl das gesamte „Puzzle“ der Einflussfakto-
ren auf die Entstehung bzw. das Rezidiv einer Parodontalerkrankung 18
längst noch nicht hinreichend zusammengesetzt ist, ermöglichen diese
Modelle eine einfache Zuordnung der Patienten gemäß einem hohen, 19
mittleren oder niedrigen Risiko. Dabei werden beim PRA folgende Para-
meter erhoben und bewertet: 20

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690 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

 Blutung nach Sondierung (BOP): Zeigen mehr als 25% der unter-
suchten Stellen einen positiven BOP, so besteht ein erhöhtes Risiko
für ein Rezidiv. Patienten mit weniger als 10% positiver BOP weisen
ein geringes Risiko für ein Rezidiv auf.
 Sondierungstiefen ≥ 5 mm: Dieser Faktor hat in erster Linie Bedeu-
tung für das Risikoprofil, wenn er mit anderen Parametern (BOP, Ex-
sudation) auftritt. Zähne mit residual erhöhten Sondierungstiefen
können auch über lange Zeit stabil bleiben. Patienten mit bis zu vier
Residualtaschen weisen ein geringes Risiko für ein Rezidiv auf, Pa-
tienten mit mehr als acht Residualtaschen ein hohes Risiko.
 Zahnverlust (ohne Weisheitszähne): Die Anzahl verloren gegange-
ner Zähne gibt einen Hinweis auf frühere Erkrankungen oder Trau-
mata. Wenn mehr als acht Zähne fehlen, ist zudem die Kaufunktion
beeinträchtigt. Patienten, bei denen bis zu vier Zähne fehlen, weisen
ein geringes Risiko auf, Patienten mit mehr als acht fehlenden Zäh-
nen ein hohes Risiko.
 Knochenverlust/Alter-Index: Das Ausmaß und die Häufigkeit von
Verlust an parodontalem Stützgewebe im Verhältnis zum Alter des
Patienten stellt einen sehr wesentlichen Indikator für das Risiko eines
Rezidivs dar. Es konnte gezeigt werden, dass die am meisten betrof-
fene Stelle im Seitenzahngebiet die Historie des gesamten Gebisses im
Hinblick auf parodontale Destruktionen widerspiegelt. Der Index
wird daher wie folgt erhoben: An einem Röntgenbild wird an dem
am stärksten betroffenen Seitenzahn der Knochenabbau in Relation
zur Wurzellänge bestimmt (in Prozent) und durch das Alter des
Patienten dividiert. Sollten nur Bissflügelaufnahmen vorliegen, so er-
folgt eine Schätzung: 1 mm = 10%. Ein Index-Wert unter 0,5 weist
auf ein niedriges Risiko, ein Wert über 1 auf ein hohes Risiko hin.
 Systemische und genetische Faktoren: Verschiedene Faktoren
können einen Einfluss auf die Entstehung oder den Verlauf von Pa-
rodontalerkrankungen haben. Dazu zählen u.a. der schlecht einge-
stellte Diabetes mellitus, HIV-Infektionen, systemische Erkrankun-
gen mit gingivalen oder parodontalen Manifestationen, Interleukin-
1β-Polymorphismen. Liegt keiner der Faktoren vor, so weist der
Patient ein niedriges Risiko auf, bei Vorliegen eines oder mehrerer
Faktoren besteht ein hohes Risiko (s. auch Kap. 16.3).
 Tabakkonsum (Rauchen): Nichtraucher und ehemalige Raucher
(mit Verzicht seit mehr als 5 Jahren) weisen ein niedriges Risiko für
ein Rezidiv auf. Gelegentliche (< 10 Zigaretten/Tag) und moderate
(10–19 Zigaretten/Tag) Raucher weisen ein mittleres Risiko auf,
starke Raucher (20 und mehr Zigaretten/Tag) ein hohes Risiko.

Mithilfe des Schemas kann dann das patientenbezogene Risiko be-


stimmt werden. Diesem Risiko kann eine Anzahl jährlich empfohlener
Termine zur unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) zugeordnet
werden.

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19.9 Unterstützende Parodontitistherapie (UPT) Kapitel 19 691

1
2
Sondierungstiefe
≥ 5 mm
3
4
5
6
7

a
8
9
10
Sondierungstiefe
≥ 5 mm 11
12
13
14
15
16
b

Abb. 19.25: a) Diagramm zur Erstellung eines Risikoprofils (nach Lang und To-
17
netti), b) Beispiel eines Patienten mit mittlerem Risiko (BOP: 9%; 6 Residualta-
schen mit Sondierungstiefen > 5 mm; 4 fehlende Zähne; Knochenverlust/Alter-In-
dex: 0,75; Patient hat Diabetes mellitus Typ I; Nichtraucher)
18
19
20

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692 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

 Niedriges Risiko → 1 UPT/Jahr: Patient mit höchstens einem Para-


meter in einer mäßigen Risikokategorie
 Mittleres Risiko → 2 UPT/Jahr: Patient mit mindestens zwei Para-
metern in einer mäßigen Risikokategorie, aber höchstens einem Pa-
rameter in einer hohen Risikokategorie
 Hohes Risiko → 2–4 UPT/Jahr: Patient mit mindestens zwei Parame-
tern in einer hohen Risikokategorie

Im Deutschen Krankenkassensystem orientiert sich die Häufigkeit der


Abrechnung von UPT-Maßnahmen an der Komplexität (Grad A–C) der
vorliegenden Parodontalerkrankung. Die Anzahl an abrechenbaren
UPTs in einem Zeitraum von 2 Jahren ist wie folgt; bei Grad A: 2 × (ein-
mal im Kalenderjahr), Grad B: 4 × (einmal im Kalenderhalbjahr), Grad C:
6 × (einmal im Kalendertertial).
Neben patientenbezogenen Risikofaktoren können auch zahnbezo-
gene oder lokale parodontale Risikofaktoren definiert werden, deren
Vorliegen die Häufigkeit von UPT-Maßnahmen beeinflussen kann.
Das zahnbezogene Risiko wird beeinflusst durch die Position/Stel-
lung der Zähne, das Vorliegen eines Furkationsbefalls, iatrogene Fakto-
ren wie z.B. Füllungsüberhänge, das Vorliegen eines reduzierten Paro-
donts oder einer erhöhten Zahnbeweglichkeit. Die Prognose von Zäh-
nen mit einer erhöhten Beweglichkeit oder einem reduzierten Parodont
nach erfolgreicher Therapie ist aber nicht reduziert, sodass diese Zähne
in prothetische Planungen mit einbezogen werden können.
Das lokale parodontale Risiko wird durch das (wiederholte) Vorlie-
gen einer Blutung auf Sondierung, die Sondierungstiefe bzw. den Attach-
mentverlust und das Vorliegen von Exsudation nach erfolgreicher Paro-
dontaltherapie beeinflusst. Insbesondere die Kombination dieser drei Para-
meter an einem Parodont deutet auf eine schlechtere Prognose für diesen
Zahn hin (zur Beurteilung der Prognose von Zähnen s. auch Tab. 19.3).
Das Kernelement der UPT ist die Durchführung einer professionel-
len mechanischen Plaquereduktion (PMPR). Diese sollte nicht durch al-
ternative Methoden (z.B. Laser-Behandlung) ersetzt werden. Neben der
PMPR sollte in der UPT auch eine Kontrolle der und Einflussnahme auf
Risikofaktoren erfolgen. Dies kann Hinweise zur Diabeteskontrolle, Rau-
cherentwöhnung oder Ernährung umfassen.
Eine Behandlungssitzung in der unterstützenden Parodontitisthe-
rapie kann wie folgt gestaltet sein:
 Erhebung einer aktuellen Anamnese
 Erhebung eines Entzündungs- und Plaqueindex
 Ggf. mikrobiologische Diagnostik
 Remotivation des Patienten
 Belag- und Zahnsteinentfernung mit Politur
 Ggf. subgingivales Scaling einzelner Resttaschen
 Fluoridierung
 Festlegung des nächsten Termins für die UPT

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19.10 Arbeitsgebiet der ZMF, ZMP oder DH Kapitel 19 693

Alle 6–12 Monate:


 Erhebung eines kompletten Parodontalbefundes mit Kontrolle der 1
Sondierungstiefen, Furkationsdiagnostik etc.
 Erhebung eines Kariesbefundes 2
Alle 2–4 Jahre:
 Erhebung eines Röntgenbefundes
3
 Vitalitätsprüfung der Zähne
4
Entsprechend den vorliegenden Befunden kann an einzelnen Parodon-
tien eine Rezidivbehandlung (subgingivales Scaling/Lappenoperation, 5
lokale Applikation von Antibiotika) notwendig sein. Bei Sondierungs-
tiefen über 3 mm und gleichzeitigem Bluten nach Sondierung wird ein
subgingivales Scaling vorgenommen. Subgingivales Scaling in flacheren
6
Taschen führt zu Attachmentverlust und sollte daher nicht erfolgen.
Darüber hinaus kommt es beim Scaling immer zum Substanzabtrag der 7
Wurzeloberfläche, woraus Überempfindlichkeiten und eine Schwä-
chung der Zahnwurzel resultieren können. Die subgingivale Belagent- 8
fernung und die Zerstörung des subgingivalen Biofilms werden deshalb
heute überwiegend mit speziellen Schall- oder Ultraschallinstrumenten 9
vorgenommen. Auch können Pulver-Wasserstrahlgeräte mit wenig ab-
rasivem, biokompatiblem Pulver zur regelmäßigen Entfernung des sub-
gingivalen Biofilms verwendet werden (s. Kap. 19.3.6).
10
Bei manchen Patienten ist aufgrund mangelnder Mitarbeit und ge-
neralisierten Rezidivs eine erneute Aufnahme in die zweite Therapie- 11
stufe erforderlich. Sollten bei Patienten mit guter Mitarbeit Parodontiti-
den vorliegen, bei denen komplexere parodontalchirurgische Maßnah- 12
men erforderlich sind, werden diese Patienten wieder in die dritte
Therapiestufe aufgenommen. Dabei ist ggf. zu überprüfen, ob eine sys- 13
temische Antibiotikatherapie begleitend einzuleiten ist (s. Abb. 19.23).
Die chirurgische Behandlung erfolgt dann nach genauer Diagnose in ei-
ner separaten Sitzung. Eine lokale Antibiotikatherapie sollte bei Vorlie-
14
gen einzelner aktiver Taschen und guter Plaquekontrolle durch den Pa-
tienten in Erwägung gezogen werden. 15
16
19.10 Arbeitsgebiet der zahnmedizinischen Fachassis-
tentin (ZMF), zahnmedizinischen Prophylaxeassis- 17
tentin (ZMP) oder der Dentalhygienikerin (DH)

Die Zahnärztin bzw. der Zahnarzt kann verschiedene zu erbringende 18


Leistungen an Mitarbeitende delegieren. Dabei werden unterschiedliche
Stufen der Delegation unterschieden (s. Tab. 19.9). 19
Auch in der ersten und zweiten Therapiestufe sowie in der unterstüt-
zenden Parodontitistherapie (UPT) können bestimmte Maßnahmen 20

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694 19 Therapie der entzündlichen Parodontopathien

Tab. 19.9: Delegationsrahmen für zahnmedizinische Fachangestellte gemäß


Zahnheilkundegesetz § 1 Abs. 5 und 6
Qualifikation Die/der Mitarbeitende ist zur Erbringung der Leistung
qualifiziert. Der Zahnarzt/die Zahnärztin überzeugt sich
persönlich von der Qualifikation der/des Mitarbeitenden.
Anordnung Der Zahnarzt/die Zahnärztin ordnet die konkrete Leistung an.
Weisung Der Zahnarzt/die Zahnärztin erteilt die fachliche Weisung.
Aufsicht Der Zahnarzt/die Zahnärztin überwacht und kontrolliert die
Ausübung.
Verantwortung Der Zahnarzt/die Zahnärztin ist für die delegierte Leistung in
gleicher Weise persönlich verantwortlich und haftet für diese
in gleicher Weise wie für eine persönlich erbrachte Leistung.

von speziell geschultem zahnärztlichem Assistenzpersonal (z.B. ZMF,


ZMP, DH) durchgeführt werden. Zu diesen Maßnahmen zählen u.a.:
 Erhebung eines Parodontalbefundes (DH)
 Zahnreinigung, einschließlich Entfernung klinisch sichtbarer (ZMF,
ZMP) bzw. klinisch erreichbarer (DH) harter und weicher Beläge an
Zahn- und/oder Wurzeloberflächen mit Handinstrumenten und
Ultraschallgeräten
 Belaganfärbung
 Lokale Fluoridierung
 Ernährungs- und Mundhygieneberatung
 Eliminieren lokaler Reizfaktoren (z.B. Füllungspolitur)
 Orientierende Befunderhebung
(Index-Erhebungen, Situationsmodelle)

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Kapitel 20 695

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Walter C, Parodontale Diagnostik und Therapieplanung mit der digitalen Volumentomographie
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Walter C, Dommisch H (2016) Parodontale Diagnostik. Quintessenz, Berlin
Walter C et al., Cone beam computed tomography/CBCT) diagnosis and treatment planning in
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scher Zahnärzte Verlag, Köln

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707

Stichwortverzeichnis

10-MDP 242 – Trituration 296


Amalgampistole 298
A Amalgamtätowierung 304
α-Amylase 31 Amalgamtoxizität 300
A-Fasern 351 Amalgamvibrator 297
Abformdesinfektionsmittel 320 Ameloblasten 499f.
Abformung 319 Ameloblastom 371
Abrasion 64 Amelogenesis imperfecta 80
Abschirmung, antibiotische 604, 632 aMMP-8 (aktive Matrix-Metalloproteinase-8)
Abschrägung 315 566
Abszess Amphiphilie 237
– apikaler 368, 465 Anachorese 357
– parodontaler 589 Anaerobier 366
– perikoronaler 590 – fakultative 366
Abt-Letterer-Siwe-Syndrom 587 Analgetikum 381, 466
Abwehr Anamnese
– Granulozyten 349 – allgemeinmedizinische 380
– humorale 349 – spezielle 85
– Lymphozyten 349 Anästhesie, intrapulpale 465
– Makrophagen 349 Anastomosen, arteriovenöse 351
– zelluläre 349 Angioödem, hereditäres 586
Acetylsalicylsäure 525 Ankylose 68, 668
acquired pellicle 19 Anodontie 79
Additiva 213 Anti-Quorum-Sensing-Moleküle 172
Adhäsivpräparation 252 Antibiotika 446, 512, 676
Adhäsivsysteme 235 Antibiotikaschutz 380
Adipokine 535 Anticurvature-filing-Technik 434
Adipositas 535 Antiepileptika 570
Adrenalin, Kontraindikationen 633 Antimikrobielle Peptide (AMPs) 527
Aggregatibacter actinomycetemcomitans 582 Apex
Agranulozytose 586 – anatomischer 394
Airscaler 628 – physiologischer 394
Aktinomyzeten 24 – röntgenologischer 394
Aktivierungsverfahren 444 Apexifikation 462
Akute-Phase-Proteine 526 Apexogenese 462
Allergien 250, 577 Apexverschlussstimulation 462
Allgemeinanamnese 84 Arbeitsfeld 410
Alveolarfortsatz 505 Arbeitslänge 386
Alveolarfortsatzfrakturen 482 Arbeitslängenverkürzung 431
Alveoleninnenkortikalis, Lamina dura 505 Arbeitsteil 422
Alzheimer-Demenz 538 Arbeitsweise, reziproke 441
Amalgam 287 Arginin 171
– Kondensation 296 arrested caries 41

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708 Stichwortverzeichnis

arrested lesion 147 Bikarbonatpuffer 30


ART-Technik 281 Bindegewebstransplantate, freie autogene 658
Arteriolen 350 Biofilm 18, 365, 511
Arthritiden 586 – dentaler 511
Arthritis, rheumatoide 538 – Matrix 511
Ascorbinsäuremangel 570 – Pathogenität 512
Asgar-Mahler-Reaktionszone 290 – sloughing 512
Aspartam 130 – dysbiotischer 579
Aspiration 409 Biofilmmanagement
ATG 597 – häusliches 611
Attachment, suprakrestal befestigtes 682 – professionelles 611
Attachmentverlust 557 Biogläser 669
Attrition 63 Biokompatibilität 452
Ätztypen 232 Biologische Breite 682
Aufbaufüllung 317, 408 Bis-GMA 209
– adhäsive 480 Bisphosphonate 380
Aufbereitung, chemomechanische 430 Bissflügelaufnahmen 102f.
Aufbissempfindlichkeit 466 Bissnahme 321
Aufbisstest 381 black stain 165, 513
Aufklärungstherapiegespräch 597 Bleeding on Probing 544
Austenit-Phase 425 Bleichen 165, 473
Avulsion 486 Bleichtechniken 474
– externe 476
B Blutabbauprodukte 473
β-Lactamase 606 Blutstillung 390
B-Lymphozyten 531 Blutung nach Sondierung 544, 690
Backfill 458 Blutversorgung der Gingiva 497
Bakteriämie 357, 604 Bohrer 184
– transitorische 380 BOP 690
Bakteriämierisiko 629 Bradykinin 524, 526
Bakterien Breakdown, parodontaler 581
– gramnegative 366 Bruxismus 591
– grampositive 366 Bulimie 59
– planktonische 515 Bulk-Fill-Komposite 229
Balanced-force-Technik 431 Bulk-Fill-Technik 272
Basallamina 500 Burn-out-Effekt 105
– externe 500 Bürsten
– interne 500 – drehend-oszillierende 618
Basic-Erosive-Wear-Examination 111 – schallaktive 618
Basisuntersuchung 83 – ultraschallaktive 618
Bass-Technik 616 Bypass-Aktivierung 531
Battbohrer 411
Battspitze 427 C
Befestigungskomposite 335, 479 C-Faktor 245
Befestigungsmaterialien 324 C-Fasern 351
Befunderhebung 83 Candidiasis 576
Befundevaluation (BEVa) 601 Capdepont-Zähne 81
Benzoylperoxid 219 Carbamidperoxid 165
Bestimmung der Arbeitslänge 416 Carbamidperoxidgel 476
Bestimmung der Sulkusflüssigkeits-Fließrate Carboxylatzement 198
(SFFR; sulcus fluid flow rate) 550 Caries-profunda-Behandlungen 390
– digitale Messstation 550 Cariogram 111

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Stichwortverzeichnis 709

Carisolv 181 – peritubuläres 10


CEREC-Verfahren 332 – sklerotisches 38
Cermetzemente 280 – weiches 182
Certainly Toxic Dose 152 – zirkumpulpales 10
Cetylpyridiniumchlorid (CPC) 612, 672 Dentindysplasie 80
Chamazulen 622 Dentinhaftvermittler 234
Charters-Methode 616 Dentinhypersensibilität 375
Checkerboard-DNA-DNA-Hybridisierung 565 Dentinkanälchen 9, 348
Chediak-Higashi-Syndrom 583 Dentinkaries 356
Chemotaxis 529, 582 – Histologie 38
Chlorhexidin 169, 444, 612, 622, 672 Dentinkonditionierung 234
Chlorphenol 447 Dentinmatrix 350
Chlorphenol-Kampfer-Menthol 447 Dentinogenesis imperfecta 80
Chrom-Nickel-Edelstahl 421 Dentinoklasten 361
Circumferential-filing-Technik 433 Dentinwundversorgung 193
Cleoidinstrumente 300 Desensibilisierung hypersensibler Zähne 622
Clindamycin 680 Desmodont 503
Cohen-Syndrom 555, 585 – Blutversorgung 505
CoJet 309 – Desmodontalspalt 503
Col 496 – Fasern 504
Colitis, pseudomembranöse 680 – Innervation 505
community index of dental fluorosis 74 – Sharpey-Fasern 504
Community Periodontal Index of Treatment – Zellpopulation 505
Needs (CPITN) 547 Deutscher Parodontalstatus 597
COVID-19-Pandemie 537 – dritte Therapiestufe 597
CPP-ACP-Nanokomplexe 173 – erste Therapiestufe 597
Cracked-tooth-Syndrom 589 – zweite Therapiestufe 597
Creep-Wert 291 Devitalisation
Creeping attachment 656 – chemische 467
Crista transversa 415 – intentionelle 408
Crown-down-pressureless-Technik 437 Devitalisierungsmaßnahmen 465
Cyclamat 130 DF-Index 45
Diabetes mellitus 535, 569
D – advanced glycation end products (AGE)
damage-associated molecular patterns 535
(DAMPs) 527 – HbA1c-Wert 535
dead tract 39 Diagnostik, DVT-basierte 563
Debris 440 Digitale Volumentomografie (DVT) 562
Defekt, keilförmiger 62 Dilazeration 76
Dehiszenzen 506 Discoidinstrumente 300
Delta, apikales 394 Dislokation 483
Demastikation 64 Distal-wedge-Operation 646
Demineralisation 145 Distomolaren 79
Dens-in-dente 387 dmf-s-Index 45
Dentikel 353 DMF-S-Index 45
– echte 353 dmf-t-Index 45
– falsche 353 DMF-T-Index 45
Dentin Doppelmischabformung 321
– chemische Struktur 8 Double-flared-Technik 437
– festes 182 Down-pack 458
– histologische Struktur 9 Down-Syndrom 555, 583
– intertubuläres 10 Doxycyclin 680

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710 Stichwortverzeichnis

Dreieckslappen 634 Enzyme 31


Drogen, Konsum 570 Epidemiologie entzündlicher Parodontopa-
Dunkelfeldmikroskopie 564 thien 539
Dysbiose 509, 518, 566 Epidermolysis bullosa 585
– erworbene 586
E epigenetische Faktoren 536
Early-Childhood-Caries 43 Epithel
Ebner-Linien 10 – orales 498
Ecken- und Schneidekantenaufbauten 259 – Schichten 498
EDTA 444 – Zellumsatzrate 498
Ehlers-Danlos-Syndrom 586 Epithelleisten 498
Einfeilen-Systeme 441 Epoxidharz-Basis 451
Eingriffe Epsilon-Phase 290
– mukogingivalchirurgische 632 Epstein-Barr-Virus 575
– parodontalchirurgische 632 Erethismus 303
Einlagefüllungen 311 Erkrankungen
– metallische Werkstoffe 314 – kardiovaskuläre 537
Einlagerestaurationen, zahnfarbene 325 – periimplantäre 594
Einschmelzung, phlegmonöse 359 Erleichterungsform 179
Einverständniserklärung 314 Ernährung 518
Ekchymose 445 Ernährungsberatung 124, 615
Elektrochirurgie 637 Ernährungsfragebogen 110
ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) Ernährungsprotokoll 128
564 Erosion 56
Emdogain 651 Ersatzzellen 348
Endo-Paro-Läsionen 588 Erythem, lineares gingivales 576
– Klasse I: primär endodontische Pro- Erythema exsudativum multiforme 576
bleme 588 Erythritol 629
– Klasse II: primär parodontale Probleme Etch-and-Rinse-Technik 239
588 Ethoxibenzoesäurezement 198
– Klasse III: kombinierte parodontal-endo- Eugenol 449
dontale (Paro-Endo-)Probleme 588 Exazerbation, akute 361, 369
Endodont 343 Exfoliation 467
Endokarditis 380 Exkavation
– infektiöse 380 – konventionelle 180
Endokarditisprophylaxe 604 – minimalinvasive 180
Endokarditisrisiko 604 – pulpanahe 182
Endokrone 478, 480 Exkavatoren 185
Endometrie 416 Exotoxine 368, 516
Endosonde 413 – Antigene 516
Endotoxine 356, 516 Explantation 688
– Lipopolysaccharide 516 Exstirpationsnadeln 422
Enolase 149 Extensionsform 179
Entwicklungsstörungen der Zähne 70 Extrakte, pflanzliche 622
Entzündungen Extraktionsplan 610
– parodontale, epidemiologische Daten Extrusion 440
550 – orthodontische 485
– periimplantäre, epidemiologische Daten
554 F
Entzündungsreaktion 524 Fäden 319
– Mediatoren 524 Faktorentrias 578
Envelope-Technik 661 Fallklassifikationen nach CDC/AAP 549

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Stichwortverzeichnis 711

Familienanamnese 85 Foramen apicale 350


Farbbestimmung 251 Formaldehyd 447, 451
Farbkontrolle 333 Formokresol 447
Farbstabilität 213 Formyl-Methionyl-Leucyl-Phenylalanin (fMLP)
Faserapparat, supraalveolärer 502 527
Fasern, elastische 348 Frahminstrumente 300
Fassreifen-Design 478 Fremdkörperreaktion 577
Fast-Track-Füllungstechnik 229 Frenektomie 654
Fehlbelastung, funktionelle 562 Frontzahnrestaurationen 250
Fehlernährung 570 Frontzahntrauma 481
Fenestrationen 506 Full Mouth Disinfection 624
ferrule design 478 Füller 213
Fettleibigkeit 537 Funktionsbefund 313
Fiberoptiktransillumination 103 Furche, gingivale 496
Fibroblasten 348 Furkationsbeteiligung 560, 632, 663
Fibrodentin 391 Furkationsdefekte Grad III 664
Fibrome, ossifizierende 370 Furkationsgrad I 663
Finieren 256 Furkationskanäle 347
Fissurenkaries 37 Furkationsplastik 664
Fissurenversiegelung 154 Fusobacterium nucleatum 19
– erweiterte 156
– Indikationen 155 G
– Materialien 157 Gamma-1-Phase 288
– prophylaktische 155 Gamma-2-Phase 288
– S3-Leitlinie 158 Gasemphysem 446
Fistel 372 Gates-Glidden 426
Fistelgang 384 Gefäß-Nervenstrang 362
Flare-up 369 Gelenkprothesen 604, 606
Florida-Probe 559 Gelpunkt 246
Flow-Wert 291 Gemination 79
Fluorapatit 145 genetische Faktoren 536
Fluoridaufnahme 131 Gewebekleber 636
Fluoridbilanz 132 Gewebeknistern 446
Fluoride 131, 140 Gewebenekrosen 445
– Toxikologie 152 Geweberegeneration, gesteuerte 649, 664
Fluoridgele 139 Gingiva 495, 501
Fluoridierung, lokale 136 Gingiva-Blutungs-Index (GBI) nach Ainamo &
Fluoridierungsmaßnahmen, Empfehlungen Bay 543, 546
137 Gingiva-Indizes bzw. Entzündungs-Indizes
Fluoridlackapplikation 139 544
Fluoridmetabolismus 131 Gingiva
Fluoridtabletten 139 – Abwehrmechanismen 507
Fluoridverbindungen 136 – Abwehrzellen 503
Fluoridzufuhr 131 – Anatomie 495
Fluorose 72 – befestigte 496, 556
Fluorose-Index 73 – Blutversorgung 497
Flüssigkeitsexsudat 521 – Col (= Sattel) 496
Flusssäure 309, 334 – Einteilung 496
Foetor ex ore 166, 688 – Entzündungszeichen 514
Fones-Technik 617 – Fasern 502
food debris 512 – freie 496, 556
food impaction 512 – freie marginale 496

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712 Stichwortverzeichnis

– gingivaler Plexus 503 Hämostatikum 319


– Innervation 497 Hand-Schüller-Christian-Erkrankung 587
– interdentale 496 Handinstrumente 185, 421, 627
– Roll- oder Verschiebetest 498 Handzahnbürste mit einem Anpressdruck 618
– Schmerz-, Druck- und Berührungsemp- Hawthorne-Effekt 44
finden 497 Hedström-Feile 418
– supraalveolärer Faserapparat 502 Heilung, reparative 670
– Tensionstest 498 Hemisektion 408, 665f.
– Zellumsatzrate 498 Hepatitis 380
Gingivaabszess 589 Herpes-Viren 575
Gingivaepithesen 658 Herpes, rezidivierender oraler 575
Gingivaextension 656 Hertwig-Epithelscheide 353
Gingivafibromatose, hereditäre 574 Herzfehler 380
Gingivaphänotyp 591 Herzklappenersatz 380
Gingivektomie 646f. Hexametaphosphat 172
Gingivitis 685 Hexetidin 672
– klinisches Bild 569 Histoplasmose 576
– nekrotisierende 577 HIV-Infektion 380, 536, 555, 586
Gingivostomatitis herpetica 575 Hochleistungskomposite 330
Glasfaserstift 477 Höckerersatz 275, 327
Glasionomerzemente 198, 279, 448 Hohlschliff 316
Glaskeramik 331 How-Zange 300
– leucitverstärkte 331 Humorale Antwort
Gleitpfad 439 – Antikörperproduktion 531
Glukokortikoide 674 – Komplementsystem 530
Glycin 629 Hunter-Schreger-Faserstreifung 6
Glykogenspeicher-Syndrom 586 Hutchinson-Trias 71
Glykolyse 22 Hyaluronsäure 652
Glykoproteine 32 Hybridkeramiken 330
Gorham-Stout-Syndrom 587 Hybridkomposite 216
Grad-II-Defekte 664 Hybridschicht 239
Grade der Furkationsbeteiligung 560 Hydrokolloide 320
Grading 581 Hydroxybenzoesäureester 622
Granulationsgewebe 361 Hydroxylapatit 4
Granulom Hydroxylapatitkeramik 331
– apikales 372 Hydroxylionen 448
– eosinophiles 587 Hyperämie 359
– externes 69 Hyperdontie 78
– internes 361 Hyperimmunglobulin-E-Syndrom 585
Granuloma pyogenicum 571 Hyperparathyreoidismus 587
Granulomatose Hypersensibilitäten 653
– chronische 585 Hyperzementose 14
– mit Polyangiitis 587 Hypodontie 79
Guided Bone Regeneration 688 Hypokalzämie 76
Guttapercha 453 Hypophosphatasie 586
Guttaperchastift 384 Hyposalivation 41

H I
Habits 64 ICDAS 101
Hajdu-Cheney-Syndrom 586 Immunabwehr 527
Halitophobie 167 – spezifische 527, 531
Halitosis 166 – unspezifische 527, 529

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Stichwortverzeichnis 713

Immunantwort, humorale und zellvermittelte Kanal


361 – akzessorischer 393
Immunglobuline 523, 531 – lateraler 393
Immunsuppressiva 570 – mid-mesial 405
Impedanzquotient 417 – s-förmiger 439
Infektion, opportunistische 518 – sekundärer 393
Inflammaging 538 Kanalbegradigung 427
Infraktion 357 Kanaleingangserweiterer 439
Infraposition 488 Kanalkonfiguration 395
Initialbetreuung, präventive 97 Kanalverbolzung 432
Initialfeile 438 Kapillarplexus 350
Initiatoren 211 Karies
Injektion, thermoplastische 455 – Ätiologie 17
Inlay 312 – Epidemiologie 43
INR-Wert (International Normalized Ratio) – koronale, Epidemiologie 47
633 Kariesaktivität 98, 109
Instrumente, oszillierende 185 Kariesdiagnose 98
Instrumentendurchmesser 422 Kariesentfernung, selektive 182
Instrumentenfraktur 430 Kariesinfiltration 174
Instrumentensequenz 440 Kariesinzidenz 45
Insulinresistenz 535 Kariesläsion, aktive initiale 33
Interdentalkeil 270 Kariesprädilektionsstellen 19, 178
Interdentalraumbürstchen 619 Kariesprävalenz 45
Interferone 526 Kariesprophylaxe 121
Interglobulardentin 11, 77 Kariesrezidiv 41
Interimsersatz 409 Kariesrisiko 98, 109
Interleukin-1-Genkomplex 566 Kariestherapie, invasive 177
Interleukine 526 Kariogenität 126
Intrusion 487 Kariostatika 622
Invagination 79 Kationen 149
Inzision 465 Kaugummi 174
– intrasulkuläre 634 Kavitätenboden 388
– marginale 634 Kavitätenpräparation, kinetische 186
– paramarginale 634 Kavitätenränder 268
Irrigation, passive ultraschallaktivierte 445 Kavitätenreinigung 187
ISO-Größe 418 Keilexzision, distale 646
Ivocerin 220 Keramik-Einlagefüllungen 330
Keramikstifte 479
J Klasse-I-Kavitäten 264
Jodallergien 470 Klasse-II-Kavitäten 266
Jodoform 447 Klasse-III-Kavitäten 250
Klasse-IV-Kavitäten 257
K Klasse-V-Kavitäten 260
K-Feile 416 Klassifikation, der parodontalen und periim-
Kältetest 382 plantären Erkrankungen und Zustände
Kaltfülltechniken 453 567
Kalziumantagonisten 570 Klemmpassung 456
Kalziumhydroxid 447 Knochen, allogener 668
– Wirkung 191 Knochenersatzmaterialien
Kalziumphosphatkeramiken 669 – alloplastische 668
Kalziumsilikatzemente, hydraulische 463 – xenogene 668
Kampferchinon 220 Knochentransplantate, autogene 668

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714 Stichwortverzeichnis

Koch-Postulate 516 Kunststoffprovisorium 322


Kochsalzlösung, physiologische 446 Küretten 625
Kofferdam 200, 391, 409
– Applikation 203 L
– Entfernung 204 Lacke 195
– flüssiger 205 Lactoperoxidase-Thiocyanat-Wasserstoffper-
– Gummi 201 oxid-System 31
– Indikationen 200 Laktobazillen 23
– Klammern 203 Lamina cribriformis 505
– Kontraindikationen 201 Langerhans-Zell-Histiozytose 587
– Lochzange 203 Langerhans-Zelltumor 587
– Spannrahmen 203 Längsfrakturen 485
Kohlenhydrate 124 Lappen, lateral verschobene 658
Kollagenaseaktivität, endogene 570 Lappenoperation, vollmobilisierte 645
Kollagenasen 516 Laser 638
Kollagenfasern 348 Laser-Phototherapie 639
Kompaktion Laserfluoreszenz-System 100
– laterale 454 Laserpräparation 186
– vertikale 455 Läsion
Komplementsystem 530 – etablierte 520
Komplexitätsfaktoren 580 – fortgeschrittene 520
Kompomere 224 – frühe 520
Komposit-Einlagefüllungen 328 – frühe initiale 35
Komposite – initiale 520
– chemisch härtende 219 – traumatische 577
– fließfähige 217 Läsionskörper 34
– konventionelle 213 Leakage, koronales 477
– lichthärtende 219 Leitlinien, vier Stufen 603
– Materialkunde 209 Lentulo 454
– stopfbare 217 Leukämie 586, 685
Kompositmaterialien, Biokompatibilität 248 – akute 536
Kompositrestaurationen, Bewertung 276 Leukotriene 524f.
Konfektionskrone 471 Leukozyten-Adhäsionsdefekt-Syndrom 583
Konizität 422 Lichen planus 576
Konkremente 515 Liner 195
Konkussion 487 Lipopolysaccharide 354, 524
Kontaktpunkt 270 Listerine 672
Kontrazeptiva, orale 571 Lithium-Disilikat-Keramiken 331
Korrekturabformung 320 Löffel 320
Korrekturfüllung 306 Lokalanästhesie 633
Kortikoid-Antibiotika-Präparate 447 – selektive 381
Kostenaufstellung 313 Lösungen, zinnfluoridhaltige 674
Kräfte, traumatische okklusale 593 Low-dose-Protokolle 563
Kronen-Wurzel-Frakturen 483 Lucerin TPO 220
Kronenfraktur 259, 483 Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräte 629
– einfache 357 Lupus erythematodes 576
– komplizierte 357 Luxationsverletzungen 486
Kronenpulpa 347 Lymphgefäße 351
Kronenverlängerung 632 Lymphokine 532
Kugelstopfer 457 Lyophilisierung 667
Kühlmittel 628 Lysosomen 529
Kunststoffmatrize 253 Lysozym 31

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Stichwortverzeichnis 715

M Modifizierter Plaque-Index (PI) nach Mombelli


541
magnetostriktiv 627
Modifizierter Plaque-Index nach Quigley und
Makrodontie 79
Hein 540
Makrofüller 214
Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach
Malassez-Epithelreste 354
Lange 545
Mangelernährung 570
Modifizierter Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach
Manteldentin 10f.
Mombelli 545
Margin lift 275
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation 77
Martensit-Phase 425
Monitoring 107
Masern 575
Monomere 211
Masterfeile, apikale 438
Morbus Crohn 586
Masterpoint 456
Morbus Gaucher 586
Masterpointaufnahme 456
Mortalamputation 467
Materia alba 512
Mortalexstirpation 467
Matrix-Metalloproteinasen 245, 524, 526, 566
Mortalverfahren 465
Matrix, organische 209
motivational interviewing 613
Matrize 254
Motivationsgespräch, individuelles 613
Matrizentechnik 296
mottling 73
McCall-Girlanden 593
Mukogingivalchirurgie 652
Meistermodell 331
Mukogingivale Deformitäten und Zustände
Membran 649
591
Menstruationszyklus 571
Mukosa
Meshgraft-Technik 657
– mastikatorische 495
Mesiodens 78
– spezielle 495
Messaufnahme 418
Mukositis 554, 595
Metaanalyse 418
– mikrobielle Flora 596
Metallintoxikationen 496
– periimplantäre 686
Metallstifte 479
Müller-Bohrer 413
Methoden
Multi-site-Variante 564
– apikal-koronale 431
Mundduschen 620
– koronal-apikale 431
Mundgeruch 166
Metronidazol 679
Mundgesundheit 47
Micro-Opener 413
Mundhygiene 163
Mikroabzesse 359
Mundhygieneunterweisung, patientenindivi-
Mikroangiopathien 570
duelle (MHU) 597
Mikrodontie 79
Mundspüllösungen, fluoridhaltige 139
Mikrofüllerkomposite 214
– inhomogene 216 N
Mikromerkurialismus 303
Nachpolymerisation 256
Milchgebiss 467
Nah-Infrarot-Transillumination 103
Milchzähne 14
Nahttechniken 635
Milchzahnkaries 41
Nanofüllerkomposite 223
Milchzahnkrone, konfektionierte 469
Nanoleakage 240
Milchzahnresorption 69
NaOCl-Injektion, transapikale 446
Mineral Trioxid Aggregat 188
Natriumhypochlorit 413, 432
Mineralisationsstörungen 473
Natriumlaurylsulfat 621, 673
Minimata-Erkrankung 303
Natriumperborat 474
Minocyclin 680
Navy-Plaque-Index nach Rustogi et al. 540
Modellherstellung 319
Neisseria gonorrhoea 574
Modifizierter Approximalraum-Plaque-Index
Nekrose
(API) nach Lange et al. 542
– infizierte 362

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716 Stichwortverzeichnis

– Koagulationsnekrose 362 P
– Kolliquationsnekrose 362
Papillen-Blutungs-Index (PBI) nach Saxer und
– sterile 362
Mühlemann 545
Neonatallinie 11, 74
Papillenerhaltungslappen 640
Neuropeptide 375
Papillon-Lefèvre-Syndrom 555, 583
Neutropenie
Paramolaren 79
– erworbene 586
Paraplasien 78
– hereditäre (kongenitale) oder zyklische
Parästhesien 446
583
Paro-Endo-Läsionen 667
new attachment 669
Parodontalabszess 379, 589
next generation sequencing (NGR) 565
Parodontalantrag 608
Nickel-Titan-Legierungen 421, 425
Parodontalchirurgie 631
Niereninsuffizienz 380
– Instrumente 637
Nitrat 519
Parodontaler Screening-Index (PSI) 546, 556
Noma-Erkrankung 579
Parodontalerkrankungen
Non-Rinse-Technik 240
– entzündliche
Notfallbehandlung 609
– etablierte Läsion 523
Nozizeptoren 375
– fortgeschrittene Läsion 523
O – frühe Läsion 522
– initiale Läsion 521
Oberflächenhärte 426
– Pathogenese 519
Obliteration 353
– nekrotisierende (ulzerierende) 577
Obturation 430
Parodontalspalt 368
Obturationstechniken, thermoplastische 453
Parodontitis 514, 579
Odontoblasten 9, 348
– als Manifestation systemischer Erkran-
Odontoblastenaspiration 358
kungen 583
Odontoblastenfortsatz 348
– apicalis 363
Odontoplastik 630, 664
– asymptomatische apikale 370
Okklusionskontrolle 449
– chronische apikale 371
Okklusionskorrekturen 311
– nekrotisierende 577f.
Oligodontie 79
– symptomatische apikale 368
Onlay 312
Parodontitistherapie, unterstützende 609
Onlay-Präparation 317
Parodontium, apikales 354
Operationsmikroskop 413
Parodontopathien
Organtransplantation 380
– Ätiologie 509
Ormocere 225
– primärer Ursachenkomplex 509, 511
Orthopantomogramm 108
– sekundärer Ursachenkomplex 509
Orthophosphorsäure 231
Pathogene, parodontale, Kriterien 517
Osteoblasten 354
Peeso-Bohrer 426
Osteoinduktion 667
Pemphigus vulgaris 576
Osteokonduktion 667
Penicillin 677
Osteomyelitis 369
Pepsin 57
Osteoplastik 645
Perforationen 385, 413
Osteoporose 536, 586
Periimplantitis 554, 686
Osteoprotegerin (OPG) 528
– Keimbesiedelung 596
Osteoradionekrose 677
Perikymatien 7
Osteosklerose 371
Periodontal Risk Assessment 689
Overlay 312
Periodontal Risk Calculator 689
Overlay-Präparation 317f.
Periotest-Gerät 560
Owen-Linien 11, 77
Perkolation 230
Ozon 170
Perkussionsschall, metallischer 488
Perkussionstest 382

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Stichwortverzeichnis 717

Pfahlwurzel 403 Polierpasten 630


pH-Wert, kritischer 26 Politur 256
Phagozytose 529 Poly(mer)gläser 226
Phänotyp Polyäther 320
– gingivaler 497 Polymerase-Kettenreaktion (PCR) 565
– parodontaler 497 Polymerisationslampen 221
– skallopierender 497 Polymerisationsschrumpfung 218
Phase, planktonische 512 Polymerisationsspannungen 245
Phosphatfluoridgel 309 Polymorphismen 566
Phosphatpuffer 30 Polysaccharide
Phosphatzemente 449 – extrazelluläre 22
Phosphoenolpyruvat-Phosphotransferase 149 – intrazelluläre 22
Photoinitiator 220 Polysulfide 320
Piercings 591 Polytetrafluorethylen, expandiertes 649
piezoelektrisch 627 Polyvidon-Jod 674
Pigmente 213 Porphyrine 181
Pillengingivitis 571 Prädentin 10, 348
Pilot-Instrumente 416 Prämolarisierung 665
Pilzinfektionen 576 Präparationsfehler 433
pink spot 362 Präparationsinstrumentarium 183
Plaque 18, 148, 511 Präparationstechnik 178
– Bakterien 515 Präparationstrauma 294
– Matrix 511 pre-wedging 254
– Pathogenität 512 Primär-Primärprävention 169
– sloughing 512 Primärdentin 10, 350
– subgingivale 514 Primärpräparation 178
– supragingivale 514 Primärprävention 121
– Virulenzfaktoren 515f. Primer 235
Plaque-Control-Record-Index (PCR) nach Probably Toxic Dose 152
O‘Leary et al. (auch simplifizierter Plaque- Probiotika 170, 518
Index: PI-S) 543 Progressionsrate 581
Plaque-Formations-Rate-Index (PFRI) nach Prostaglandine 524
Axelsson 542 Protein, C-reaktives 526
Plaque-Index (PI) nach Silness und Löe 541 Psellismus 303
Plaque-Indizes 539 Pseudohalitosis 167
– gravimetrische Verfahren 539 Pseudotaschen 557
– planimetrische Verfahren 540 PSI = 0 608
Plaque-pH-Wert-Bestimmung, intraorale 127 PSI-Befund 608
Plaquehypothese Psychopharmaka 381
– spezifische 516 Pubertätsgingivitis 571
– unspezifische 516 Puffersysteme 30
Plaquereduktion, professionelle mechanische Puffs 458
692 Pulpa-Dentin-Einheit 347
Plaquerevelatoren 540, 620 Pulpa, regressive Veränderungen 352
Plasma, thrombozytenreiches 652 Pulpadach 347
Plasmazell-Gingivitis 577 Pulpagewebe 350
Plasminogen-Mangel 585 Pulpahörner 347
platelet-rich plasma 652 Pulpakammerboden 410
Plaut-Vincent-Gingivitis 577 Pulpanekrose 383, 462
Plugger 454 Pulpapolyp 362
PMN-Granulozyten 529 Pulpasteine 353
Polarisierung des Kariesbefalls 55 Pulpaüberkappung, direkte 389

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718 Stichwortverzeichnis

Pulpaüberkappung, indirekte 389 Real-time-PCR 565


Pulpektomie 430 Reamer 416
Pulpitiden Reattachment 669
– akute 355 Referenzpunkt 419
– chronische 355 Reflux 59
– irreversible 355 Regel von Tarnow et al. 496
– reversible 355 Reinfektion 448
Pulpitis Reizdentin 350
– acuta purulenta 359 Reize, schmerzauslösende 376
– acuta serosa 359 Rekapitulation 432
– chronica clausa 360 Relative Dentin Abrasion (RDA) 621
– chronica granulomatosa aperta 362 Relative Enamel Abrasion (REA) 621
– chronica granulomatosa clausa 361 Reliabilität 83
– iatrogene 356 Relief, mikroretentives 232
– infektiöse 356 Remineralisation 145
– irreversible 377 repair 670
– reversible 377 Reparatur
– symptomatische 377 – Amalgamfüllung 308
– traumatische 356 – Einlagerestaurationen 309
Pulpotomie 392 – Kompositfüllung 308
– partielle 461 – Kronen 309
Pulver-Wasserstrahlgeräte 623 Reparaturdentin 11
Pyrophosphate 622 Reparaturfüllung 306
Resistenz 512
Q Resorption
Quecksilber – interne 69
– elementares 302 – odontogene 67
– methyliertes 303 – zervikale invasive 387
Quecksilberdampf 302 Restaurationen
Querschnitt 424 – Kompositrestaurationen 207
– exzentrischer 428 – mit plastischen Füllungsmaterialien
Quorum sensing 172, 512 207
Restdentinschicht 358
R Restmonomere 249
R2-Technik 273 Retentionsform 179
radial lands 427 Retzius-Streifen 8
Radiatio 380 Revitalisierung 463
Radix enteromolaris 387 Rezession Typ 1 592
Radix entomolaris 405 Rezession Typ 2 592
Ramifikation, apikale 394 Rezession Typ 3 592
RANKL/RANK/OPG-System 527 Rezessionen
Raschkow-Plexus 349, 351 – gingivale 591
Rathbun-Syndrom 586 – Klassifikation von Miller 592
Rauchen 534, 578 – nach der Klassifikation von Cairo et al.
– Packungsjahre 534 592
Rauchstopp 613 – parodontale 556
Rauchverhalten 556 Rezessionsdeckung 660
RDA-Wert 621 Rhesusfaktor 71
RDF-Wert 51 Rhizomegalie 79
re-wetting 239 Rhizomikrie 79
REA-Wert 621 Riesenzellgranulome 587
Reaktionsdentin 11, 38 Rolltest 591

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Stichwortverzeichnis 719

Röntgenbild, diagnostisches 386 Schmelzprismen 5


Röntgendiagnostik 385 Schmelzreifung
Röntgenkontrollaufnahme 461 – posteruptive 3
Root-Caries-Index 52 – präeruptive 3
Rosenbohrer 411 Schmelzrisse 357
Rosenkranzstruktur 40 Schmelzschicht, aprismatische 161
Röteln 71 Schmelzsporne 78
Roter Komplex 519 Schmelzwulst, zervikaler 472
Ruffini-Körperchen 505 Schmerz
– ausstrahlender 379
S – Dauerschmerz 378
Saccharin 621 – Nachtschmerz 378
Saccharose 26 – periapikaler 378f.
Sanguinarin 622, 672 – Phantomschmerz 379
Sanierungsgrad 46 – pulpaler 378f.
Sauerstoffradikale 529 – pulpitischer 376
Saumepithel 498f. – Spontanschmerz 378
– Anheftung 500 Schmerzauslösung 375
– Zellumsatzrate 501 Schmerzbehandlung 464
Scaler 625 Schmetterlingskinder 585
Schädel-Hirn-Trauma 482 Schmierschicht 187, 443
Schaft 422 Schneidekantenwinkel 423
Schallaktivierung 445 Schneidleistung 424
Schallgeräte 627 Schnittführung, papillenerhaltende 634
Schärfen 627 Schnitztechnik 299
Scharpey-Fasern 504 Schrumpfung 453
Scheibenschliffpräparation 316 Schwangerschaft 555
Schichttechnik 270 Schwangerschaftsgingivitis 571
Schienung 560 Schwann-Zellen 351
– temporäre 670 Sealer 450
Schienungstherapie 670 Sedierung 473
Schilddrüsenfehlfunktion 674 Seitenzahnrestaurationen mit Komposit 263
Schiller-Jodlösung 498 Sekundärdentin 10
Schizodontie 79 Sekundärdentinbildung 350
Schleimhautpemphigoid 576 Sekundärkaries 41
Schleimhauttransplantat, freies 655 Sekundärpräparation 183
Schmelz-Ätz-Technik 230 Sekundärprävention 121
Schmelz-Dentin-Grenze 351 Sensibilität, postoperative 247
Schmelz-Matrix-Proteine 648, 651 Sensibilitätsprobe 368
Schmelz, prismenfreier 6 Sensibilitätsprüfung 362
Schmelzätzung, selektive 237 Sensitivität 99
Schmelzbonding 235 Sharpey-Fasern 13, 372
Schmelzdichte 4 shell teeth 81
Schmelzflecken 70 Significant Caries Index 46
Schmelzfraktur 483 Silanisierung 335
Schmelzhypoplasien 70 Silber-Kupfer-Eutektikum 290
Schmelzkaries 37 Silberstifte 419, 454
– aktive initiale 38 Silikone 320
– Histologie 33 Silorane 227
– inaktive, arretierte 38 Single-site-Variante 564
Schmelzoberhäutchen 8 Sinterkeramiken 330
Schmelzperlen 14, 78 Skelettfluorose 152

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720 Stichwortverzeichnis

Sklerodermie 587 Sulkusflüssigkeit 506f.


Sklerose, systemische 587 – Fließrate 507
Sklerosierung 356 Surrogatparameter 172
Slimline 628 Süßungsmittel
Slot-Präparation 266 – kalorische 129
smart bur 181 – nicht kalorische 130
Snow-Plough-Methode 273
Softstartpolymerisationslampen 246 T
Sonden, druckkalibrierte 559 T-Lymphozyten 531
Sondierungstiefe 559 Tabakkonsum 690
Sorbit 130 table tops 328
Speichel 28 Tablettenfluoridierung 135
Speichelfließrate 111 tags 239
Speichelfluoridkonzentration 147 TaqMan-Sonde 565
Speichelpufferkapazität 111 Taschensondierungstiefen 381
Speisesalzfluoridierung 135 Taschenzyste 373
Spezialküretten 625 Taurodont 403
Spezifität 99 Taurodontismus 79
Spirochäten 517 Technik
Spitzengeometrie 425 – thermokatalytische 474
Spreader 454 – thermoplastische trägerbasierte 455
Spüllösung 431 Teilkronenpräparation 319
Spülzwischenfälle 445 Teilmatrizensysteme 268
Stabilisatoren 213 Tenside 621
Staging 580 Tertiärdentin 10, 350
Stammzellen, pulpale 348 Tertiärprävention 122
Stärke 27 Testkavität 381
Step-back-Technik 435 Tests
Step-down-Technik 436 – diagnostische 563
Stephan-Kurve 26 – mikrobiologische 564
Stillman-Methode 617 Tetanus-Immunisierung 482
Stillman-Spalten 593 Tetracycline 680
Stomatitis, nekrotisierende 577 Tetrazyklin 71, 473
Stopp, apikaler 431 Theorie, hydrodynamische 352, 376
Stopper 418 Therapie, photodynamische 169, 639
Strahlenbelastung 417 Therapieplanung 114
Streptococcus mutans 22 Therapiestufe
Stress 536 – erste 623
– psychosozialer 578 – zweite 624
strip perforation 434 Titanium Trauma Splint 491
Stufe, zervikal-approximale 316 Titanstifte 454
Subluxation 487 Tofflemire-Matrizen-System 268
Substantivität 671 Toll-like-Rezeptoren 529
Substanz, zwischenprismatische 6 Tooth Wear Index 64
Substitutionsresorption 68 Torquekontrolle 429
Substrat 25 Total-etch-Technik 253
Sulkus 506 Transmission
– Sulkustiefen 506 – horizontale 519
Sulkus-Blutungs-Index (SBI) nach Mühlemann – vertikale 519
und Son 544 Trauma-App 481
Sulkusepithel, orales 498 Trauma
– desmodontales 593

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Stichwortverzeichnis 721

– okklusales 593 Veränderung


– primäres okklusales 593 – arteriosklerotische 353
– sekundäres okklusales 594 – zytopathische 523
Trehalose 629 Verblendungen
Tremor mercurialis 303 – direkte 272
Treponema pallidum 71, 575 – indirekte 272
Triclosan 172, 672 Verbundphase 218
Triclosan/Co-Polymer 612 Verfahren, organoleptische 167
Trinkwasserfluoridgehalt 131 Verifier 460
Trockenlegung, relative 199 Verkalkungen, diffus-streifige 353
Tumor-Nekrose-Faktoren 526 Verschiebelappen, koronaler 658
Tunnelierung 665 Verschiebeplastik, apikale 645
Turku-Studie 129 Verschlucken 409
Turner-Zahn 76, 472 Verschluss, provisorischer 448
Versorgung
U – postendodontische 477
Überkappung – provisorische 332
– direkte 468 Via falsa 386
– indirekte 188 Vipeholm-Studie 125
Überkappungsmaterialien 390 Virulenzfaktoren 516
Überschussentfernung 256 Vitalamputation 389, 392
Ultraschallgeräte 627 – partielle 461
Umdrehungszahl 429 Vitalbleichung 476
Umrissform 179 Vitalerhaltung der Pulpa 377
Universaladhäsive 242 Vitalexstirpation 430
Universalküretten 625 VM-Index nach Volpe und Manhold 549
Unterfüllung 194, 296 Volumen-Tomografie, dentale 387
Unterstützende Parodontitistherapie (UPT) VY-Verschiebung 654
689
Untersuchung W
– extraorale 381 Wachstumsfaktoren 527
– intraorale 381 – epidermal growth factor (EGF) 527
Ursachenkomplex, sekundärer 532 – insulin-like growth factor (IGF-1) 527
– Ernährung 534 – nerve growth factor (NGF) 527
– Mundatmung 533 – platelet-derived growth factor (PDGF)
– okklusale Kräfte 533 527
– Restaurationen 533 Walking-bleach-Technik 474
– Speichel 534 Wärmetest 383
– Weichgewebe 533 Wasserstoffperoxid 474, 673
– Zahnanatomie 532 Wasserstrahlgeräte 604, 620
– Zahnstein 532 water trees 244
– Zahnstellungen 533 Wedl-Gefäßknäuel 505
Usuren 64 Weil-Zone 350
UV-Licht-Härtung 220 wet bonding 239
white spot 33
V Whitening Zahnpasta 164
Validität 83 Widerstandsform 179
Van-Winkelhoff-Cocktail 677 Widman-Lappen, Modifizierter 642
Vanishing bone disease 587 Wirkungsmechanismus von Fluoriden 143
Varizella-Zoster-Virus 575 Wirt 28
Veneer 477 Wirtsantwort, entzündliche 595
Venolen 351 Wundverbände 636

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722 Stichwortverzeichnis

Wurzelamputation 665 Zahnputztechniken 615


Wurzelbehandlungen, Erfolgsraten 344 Zahnschmelz
Wurzelfrakturen 479 – chemische Struktur 3
Wurzelhaut 368 – histologische Struktur 5
Wurzelkanalbehandlung, maschinelle 426 Zahnseide 619
Wurzelkanäle, infizierte 365 Zahnstein 24, 515, 532
Wurzelkanaleinlage, medikamentöse 365 Zahnstein-Index 549
Wurzelkanalfüllmaterialien 450 Zahnsteininhibitoren 622
Wurzelkanalfüllpaste 450 Zahnverfärbungen
Wurzelkanalfülltechnik 454 – externe 512
Wurzelkanalfüllung 449 – extrinsische 164
Wurzelkanalspülung 365 – interne 514
Wurzelkanalstifte 477 – intrinsische 164
Wurzelkanalsysteme, C-förmige 405 Zapfenzahn 78
Wurzelkaries 40, 107 Zelluläre Antwort
– aktive 40 – Phagozytose 529
– inaktive 41 – T-Lymphozyten 532
Wurzelkrümmung 385 Zement-Dentin-Grenze 394
Wurzellängsfraktur 383 Zemente 195
Wurzellängsfrakturen 589 – Abbindereaktion 196
Wurzelpulpa 347 – azellulär-afibrilläre 12
Wurzelresektion 665 – azelluläre, fibrilläre 13
Wurzelresorption 385, 668 – Verarbeitung 196
– externe 67 – zellulär-fibrilläre 13
– physiologische 467 Zementikel 14
Wurzelspitzenresektion 387 Zementkaries 40
Wurzelstifte 476 Zementoblasten 354
Wurzelwachstum 392, 463 Zementparaplasien 78
– nicht abgeschlossenes 461 Zentralstift-Technik 455
Wurzelzemente ZEPAG-Klassifikation 482
– chemische Struktur 12 Zinkoxid-Eugenol-Zemente 197, 448
– histologische Struktur 13 Zinkoxid-Phosphatzemente 196
Zitronensäure 444
X Zone
Xylit 129, 621 – der Demineralisation 39
– der Nekrose 40
Z – der Penetration 39
Z-Plastik 654 – dunkle 34
Zahnbeweglichkeit 368, 482, 533, 559 – sauerstoffinhibierte 244
Zahnbürste 617 – transluzente 34
– elektrische 618 Zucker 126
Zähne Zugangskavität 410
– neonatale 79 Zungenreinigung 615, 620
– wurzelkanalbehandelte, Prävalenz 343 Zungenschaber 615
Zahnelongation 368 Zwischenzement 14
Zähneputzen 615 Zyste 370
Zahnfleischtasche 557 – Taschenzyste 373
Zahnfluorose 152 – wahre 373
Zahnhölzer 620 Zytokine 524, 526
Zahnkeime 467 Zytokinsturm 537
Zahnluxationen 482 Zytomegalie-Virus 575
Zahnpasta 137, 620

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