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Das Dokument beschreibt den vierten Band des Kommentars zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch von Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, der den jüdischen Hintergrund der neutestamentlichen Schriften beleuchtet. Es enthält ausführliche Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments und gilt als bedeutendes Werk der Bibelwissenschaft, das bis heute als unvergleichliche Quelle angesehen wird. Der Band wurde in zwei Teilen veröffentlicht und schließt das mehrbändige Werk ab, das in den 1920er-Jahren entstand.

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Das Dokument beschreibt den vierten Band des Kommentars zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch von Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, der den jüdischen Hintergrund der neutestamentlichen Schriften beleuchtet. Es enthält ausführliche Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments und gilt als bedeutendes Werk der Bibelwissenschaft, das bis heute als unvergleichliche Quelle angesehen wird. Der Band wurde in zwei Teilen veröffentlicht und schließt das mehrbändige Werk ab, das in den 1920er-Jahren entstand.

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VI

ERTERBAND

EXKURSEZU EI
NZELNEN STELLEN

DESNEUEN TESTAMENTS
KOMMENTAR ZUM

NEUEN TESTAMENT
AUS TALMUD UND MIDRASCH

VON

HERMANN L. STRACK
UND

PAUL BILLERBECK

VIERTER BAND

EXKURSE ZU EINZELNEN STELLEN


DES NEUEN TESTAMENTS
IN ZWEI TEILEN

C. H. BECK’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
MÜNCHEN
EXKURSE ZU EINZELNEN STELLEN
DES NEUEN TESTAMENTS
ABHANDLUNGEN ZUR NEUTESTAMENTLICHEN
THEOLOGIE UND ARCHÄOLOGIE

VON

HERMANN L.STRACK
UND

PAUL BILLERBECK

ERSTER UND ZWEITER TEIL

C.H.BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
MÜNCHEN

m
Hermann L. Strack/Paul Billerbeck:
Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch

Dieses Pionierwerk der Bibelwissenschaft erhellt den jüdischen Hintergrund der


neutestamentlichen Schriften und hat damit zwischen den Weltkriegen eine neue Basis für das
Verständnis des Neuen Testaments geschaffen. Ziel ist es, „den gesamten der Erläuterung des
Neuen Testaments dienlichen Stoff aus der altjüdischen Literatur zu sammeln, zu sichten und
in zuverlässiger Übersetzung bequem zugänglich zu machen“ (Einleitung). Das Material wird
in der Reihenfolge des Neuen Testaments präsentiert; synoptische Parallelen werden bei
ihrem ersten Vorkommen im Matthäusevangelium kommentiert, dem dadurch der bei Weitem
größte Umfang gewidmet ist. Das mehrbändige Werk entstand in den 1920er-Jahren und
konzentriert sich auf Vergleichsstellen aus Talmud und Midrasch. Trotz dieser Einschränkung
gilt die Quellensammlung bis heute international als eine einzigartige Fundgrube, die wohl
auch in den nächsten Jahrzehnten durch kein vergleichbares Nachschlagewerk ersetzt werden
wird.

I: Das Evangelium nach Matthäus (1922, 10. Aufl. 1978)


II: Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und die Apostelgeschichte (1924, 10.
Auflage 2009)
III: Die Briefe des Neuen Testaments und die Offenbarung Johannis (1926, 9. Auflage 1979)
IV: Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments (2 Teilbände, 1928, 9. Auflage 1979)
V/VI: Rabbinischer Index. Verzeichnis der Schriftgelehrten. Geographisches Register. Hrsg.
von Joachim Jeremias in Verbindung mit Kurt Adolph (1955, 6. Aufl. 1979)

Hermann Leberecht Strack (1848–1922) war Professor für Altes Testament und
orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bei C.H.Beck
erschien von ihm 1891 außerdem das Buch „Der Blutaberglaube in der Menschheit,
Blutmorde und Blutritus“, in dem er im Auftrag des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus
darlegte, wie abwegig Blutmordvorwürfe gegen Juden sind.

Paul Billerbeck (1853–1932) war evangelischer Pfarrer, Theologe und Judaist. Er begann die
Arbeit an dem „Kommentar“ auf Anregung seines Mentors Hermann Strack, der die
Herausgeberschaft übernahm. Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt er theologische und
philosophische Ehrendoktorwürden.
9., unveränderte Auflage. 1979
© Verlag C.H.Beck oHG, München 1928
Satz: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen
ISBN Buch 978 3 406 02729 1
ISBN eBook (PDF) 978 3 406 75704 4

Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei
auf unserer Website www.chbeck.de.
Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.
VORWORT
t dem vorliegenden vierten Band, der wegen seines Umfangs
Mi in zwei getrennten Teilen (aber unter fortlaufenden Seitenzahlen)
herausgegeben werden mußte, hat mein Kommentarwerk zumNeuen
Testament aus Talmud und Midrasch seinen Abschluß gefunden. Das
Erscheinen dieses Schlußbandes ist in erster Linie durch die hoch-
herzigen Unterstützungen ermöglicht worden, die die Notgemeinschaft
der Deutschen Wissenschaft demWerk hat zuteil werden lassen. Dafür
sei der Notgemeinschaft an dieser Stelle auch öffentlich herzlichst
Dank gesagt. Inhaltlich bringt der vierte Band auf Grund eines reich-
haltigen talmudisch-midrasischen Materials eine Reihe ausführlicher
Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments. Anhangsweise
sind zwei Register beigegeben worden, deren richtige Benützung zum
leichten Auffinden gesuchter Stoffe nicht unwesentlich beitragen dürfte.
Möge nun dieser letzte Band eine ähnliche freundliche Aufnahme bei
seinen Lesern finden, wie sie vordem die drei ersten Bände gefunden
haben!
Zum Schluß ein Wort persönlicher Art. Es ist mehrfach die Auf-
forderung an mich ergangen, den Anteil des näheren klarzustellen,
der dem verstorbenen Herrn Professor D. Strack an der Abfassung
des Kommentarwerks zusteht. Ich verweise in dieser Hinsicht auf
das Vorwort zum ersten Bande, in welchem Strack mit keinem Wort
eine Mitwirkung bei der Abfassung des Werkes für sich in Anspruch
genommen hat. Als Herausgeber hat Professor Strack sich für das
Erscheinen und die Verbreitung des Werkes das größte Verdienst er-
worben. Dem Einsatz seines Namens und seiner Persönlichkeit ist es
allein zu danken, daß der Druck in der Zeit größter wirtschaftlicher
Not kurz nach Beendigung des Krieges begonnen werden konnte,
und daß das Werk nicht nur im Inland, sondern auch weithin im
Ausland sogleich eine Beachtung fand, die die Drucklegung auch der
VI Vorwort

weiteren Bände wirtschaftlich möglich machte. Für diese Förderung


meines Werkes möchte ich ihm, der sein Erscheinen nicht mehr er-
leben durfte, nun, da es fertig vorliegt, meinen warmen Dank nach-
rufen.

Frankfurt an der Oder, den 9. August 1928


(Lennéstraße 20)

D. Billerbeck
INHALT DES ERSTEN TEILES
Seite
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu 1–22
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot 23–40
4. Exkurs: Das Passahmahl 41–76
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten 77–114
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut 115–152
8. Exkurs: Der altjüdische Synagogengottesdienst 153–188
9. Exkurs: Das Schema 189–207
10. Exkurs: Das Schemone-Eśre (Achtzehngebet) 208–249
11. Exkurs: Die Tephillin (Gebetsriemen) 250–276
12. Exkurs: Die Çiçijjoth (Schaufäden) 277–292
13. Exkurs: Der Synagogenbann 293–333
14. Exkurs: Die Pharisäer u. Sadduzäer in der altjüdischen
334–352
15. Exkurs: Stelllung der alten Synagoge zur nichtjüdischen
353–414
16. Exkurs: Der Kanon des Alten Testaments u. seine Inspi-
ration 415–451
18. Exkurs: Der 110. Psalm in der altrabbinischen Literatur 452–465
19. Exkurs: Der gute u. der böse Trieb 466–483
20. Exkurs: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg
Mt20, 1–16 u. die altsynagogale Lohnlehre 484–500
21. Exkurs: Zur altjüdischen Dämonologie 501–535
22. Exkurs: Die altjüdische Privatwohltätigkeit 536–558
23. Exkurs: Die altjüdischen Liebeswerke 559–610
Der 2. Exkurs befindet sich in Band II S. 812ff.,
der 5. Exkurs in Band II S. 774ff., der 17. Exkurs
in Band II S. 302ff.
INHALT DES ZWEITEN TEILES
Seite
24. Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl 611–639
25. Exkurs: Die Abgaben von den Bodenerzeugnissen 640–697
26. Exkurs: Das altjüdische Sklavenwesen 698–744
27. Exkurs: Aussatz u. Aussätzige 745–763
28. Exkurs: Der Prophet Elias nach seiner Entrückung
aus dem Diesseits 764–798
29. Exkurs: Diese Welt, die Tage des Messias u. die zu-
künftige Welt 799–976
30. Exkurs: Vorzeichen u.Berechnung derTage desMessias 977–1015
31. Exkurs: Scheol, Gehinnom u. Gan Eden 1016–1165
32. Exkurs: Allgemeine oder teilweise Auferstehung der
Toten? 1166–1198
33. Exkurs: Gerichtsgemälde aus der altjüdischen Literatur 1199–1212
1213–1323
1: Sach- u. Personenverzeichnis 1213–1278
2: Verzeichnis der zitierten Schriftstellen Register
1279–1323
Erster Exkurs
ZurBergpredigt Jesu
1. Der Messias der alten Synagoge als Ausleger der Tora.
Ein Volk, das der Schriftgelehrsamkeit die höchsten Ehren zu-
erkannt u. seine größten Könige als Interpreten der Schrift gefeiert
hat, mußte auch in seinem Messias einen Lehrer der Tora erwarten.
Diese Erwartung begegnet nicht erst in späteren Zeiten,a dergleichen
Gedanken klingen bereits in einigen vorchristlichen Pseudepigraphen
an.b Ja, jene Erwartung ging so weit, daß man sogar von einer neuen
Tora redete,c die der Messias bringen werde, u. die man geradezu als
„Tora des Messias“bezeichnete.d Doch darf man das nicht so ver-
stehn, als ob diese neue Tora die alte Tora Moses verdrängen oder
durch Zusätze erweitern sollte – eine solche Annahme ist von vorn-
herein durch den feststehenden Glaubenssatz ausgeschlossen, daß die
Tora Moses, wie sie seit Ewigkeit präexistierte, so auch Israel für
alle Ewigkeit gegeben sei,e so daß niemand das Recht habe, ihr etwas
hinzufügen oder von ihr etwas wegzunehmen.f Nein, die neue Tora
des Messias wird die alte Tora Moses sein; aber der Messias wird
die alte Tora in neuer Weise auslegen. Durch die Deutung ihrer
„Gründe“ g wird er den Reichtum ihrer göttlichen Gedanken offen-
baren, alle Schätze der Erkenntnis heben, die in ihr verborgen liegen,
alle Rätsel lösen, deren Lösung den früheren Zeiten versagt geblieben.h
So wird die alte Tora wie eine neue Tora erscheinen u. dies in
dem Maße, daß Gott selbst sie mit seiner Autorität wird decken
müssen.i – Wenn Jesus in der Bergpredigt sich anschickt, der bis-
herigen Auslegung der Tora seine eigene neue Auslegung entgegen-
zusetzen – vgl. ἐ γ ὼδ έλ έ γω ὑμ ῖνMt 5, 22. 28. 32. 34. 39. 44 –, so
hat er damit recht eigentlich getan, was Israel von seinem Messias
erwartete. Auch Jesus hat die alte Tora nicht aufgelöst, im Gegen-
teil: indem er durch Erschließung ihres vollen sittlichen Gehalts ihre
höchste u. vollkommenste Erfüllung ermöglichte, hat er sie vielmehr
bestätigt u. bekräftigt. Das Tragische war nur, daß diese seine neue
Tora bei Israel keine Aufnahme fand. Das hatte seinen Grund in
der Soteriologie der alten Synagoge.
a. GnR 98 (62a): Er wäscht in Wein sein Gewand Gn49, 11; denn er (Messias)
macht ihnen die Worte der Tora klar (lies statt ); „ u. in Traubenblut
seinen Mantel“ (das.); denn er berichtigt ihre Irrtümer (in der Auslegung der
Tora). R. Chanin (um 300) hat gesagt: Die Israeliten bedürfen der Lehre des
Königs, des Messias, nicht in der Zukunft; denn es heißt: Ihn werden die Völker
aufsuchen Jes 11,10, nicht die Israeliten. – Mit dieser seiner ablehnenden Haltung
steht R. Chanin ziemlich vereinzelt da. ||Targ Jes 53, 5. 11f. s. bei Mt8, 17 S. 482. ||
Targ Ps 45, 10f.: Die Provinzen der Königreiche werden kommen, dein (des Messias)
Angesicht zu begrüßen u. dich zu ehren, während das Torabuch sich zu deiner Rechten
befindet (lies statt ), das mit Gold von Ophir geschrieben ist. Höre, Ge-
2 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 1)

meinde Israel, die Tora seines Mundes u. schaue an die Wunder seines Tuns u. neige
dein Ohr den Worten der Tora. ||Midr Ps 2 § 9 (14b) s. bei Röm1, 3 S. 19 Abs. β . Targ
HL 8, 1f. u. Midr Ps 110 § 4 (233b) s. bei Gal 4, 4 C S. 570f.
b. Hen 49, 1–3: Weisheit ist wie Wasser ausgegossen, u. Herrlichkeit hört nimmer
vor ihm (Messias) auf. ... Denn er ist mächtig über alle Geheimnisse der Gerechtig-
keit. ... In ihm wohnt der Geist der Weisheit und der Geist dessen, der Einsicht
gibt, u. der Geist der Lehre u. Kraft. ... ||Das. 51, 3: Der Auserwählte (= Messias)
wird in jenen Tagen auf meinem (Gottes) Thron sitzen u. alle Geheimnisse der Weis-
heit werden aus den Gedanken seines Mundes hervorkommen ||Ps Sal 17,35: Er
(Messias) segnet das Volk des Herrn mit Weisheit in Freude. ||Das. 17, 43: Seine
(des Messias) Worte sind lauterer als das feinste kostbarste Gold. In Volksversamm-
lungen wird er des geheiligten Volkes Stämme richten; seine Worte sind gleich Worten
der Heiligen inmitten geheiligter Völker.
c. LvR 13 (114b) s. in Anm. h ||Neue Pesiq (Beth ha-Midr. 6,63, 13): Gott wird im
Gan Eden sitzen u. Vortrag halten; alle Gerechten sitzen vor ihm u. die ganze
obere Familie (= Engelwelt) steht auf ihren Füßen, die Sonne u. der Tierkreis zu
seiner Rechten u. der Mond u. die Planeten zu seiner Linken. Und Gott trägt ihnen
die Gründe (Sing. ) der neuen Tora vor, die er den Israeliten der-
einst durch denMessias geben wird. – Dasselbe OthijR Aqiba (Beth ha-Midr 3, 27, 29). ||
Targ Jes 12, 3: Ihr werdet eine neue Lehre empfangen mit Freuden.
d. Midr Qoh 11, 8 (52a): Die Tora, die ein Mensch in dieser Welt lernt, ist ein
Nichts gegenüber der Tora des Messias . – Anders Midr Qoh2, 1 (12b),
wo R. Simon b. Zabdai (um 300) Autor.
e. Zur Präexistenz der Tora s. bei Joh 1,1–4 S. 353 Nr.1. – Zur ewigen Dauer
u. Gültigkeit der Tora s. bei Mt 5, 18 S. 245 Abs. 2; ebenda S. 244 Nr. 1; hier sei noch
verwiesen auf Midr Qoh1,4 (6a) u. Midr HL5,16 (121b). – Daß eine ewige Dauer
u. Gültigkeit nur der Tora, aber nicht den Kethubim u. Hagiographen beigelegt
worden ist, s. bei Mt 5, 18 S. 246 Abs. 2.
f. SLv 27, 34 (471a): Dies (also nichts Weiteres) sind die Gebote Lv 27, 34; kein
Prophet ist berechtigt, von nun an etwas Neues (nicht in der Tora Enthaltenes) zu
sagen. – Dasselbe Schab 104a, 5. 8; Joma 80a; Meg3a; Tem116a, 6. 9; vgl. auch
Targ Jerusch I Lv 27, 34. ||Meg14a Bar u. pMeg 1, 70,d 40 = Midr Ruth 2, 4 (130b) s.
DtR 8 (205b) s. bei Röm10, 6–8 S. 279 Mitte.
bei Mt 11, 13 S. 601 Nr. 1. ||
g. Das Forschen nach den „Gründen“ der Tora scheint besonders in
der tannaïtischen Periode in Blüte gestanden zu haben, ist aber auch später üblich
gewesen, s. Beispiele bei 1 Kor 9, 9 B u. 9, 10 S. 388 Nr.2 A. – Auch von R. Schimon
b. Jochai (um 150) wird gesagt, daß er nach dem Grunde einiger Schriftstellen ge-
forscht habe. Als Beispiel wird Soa 8a, 13 genannt Nu5, 16: „ Er lasse sie herzu-
treten“ , sie allein. Als Grund wird dann angegeben: Damit sie durch die andre nicht
frech werde. (Wenn die ehebruchsverdächtige Frau ihre Schuld leugnet, könnte die
andre dadurch ebenfalls zum Leugnen veranlaßt werden.) Ein weiteres Beispiel findet
sich Sanh 21a. Hier legt R. Schimon b. Jochai Dt 24, 17 gegen den Wortlaut dahin
aus, daß man eine reiche Witwe pfänden dürfe, aber keine arme. Grund: Du würdest
ja verpflichtet sein (nach Dt 24, 13), der armen das Gewand jeden Abend zurückzu-
geben, u. du würdest sie so in bösen Ruf bei ihrer Nachbarschaft bringen. – Da
dieser Grund bei der reichen Witwe nicht zutreffe, insofern das allabendliche Zurück-
bringen des gepfändeten Gewandes sich bei ihrem Reichtum an sonstigen Schlafdecken
von selbst erübrige, so folgert R. Schimon daraus, daß die Pfändung der reichen
Witwe gesetzlich erlaubt sei. Man sieht daraus, wie das Zurückgehen auf die Gründe
der Tora unter Umständen einer Gesetzesstelle einen Inhalt geben konnte, der ihrem
Wortlaut nicht entsprach. Das wird für andre die Veranlassung gewesen sein, sich
gegen dieses Forschen nach denGründen derTora ablehnend zuverhalten, s. Pes 119a
u. Sanh 21b bei Mt 13, 11 S. 660 Anm.e. – Als Warnung vor dem Fragen nach dem
Grund einer Gesetzesstelle scheint auch Pesiq 39a gemeint zu sein: Sie sollen dir
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 1 u. 2) 3

bringen Nu19, 2. ... R. Azarja (um380), nach andren R. Jiçchaq (um 300) u. R. Jose
(b. Chanina, um 270) haben gesagt: Gott sprach zu Mose: Dir will ich die Gründe
der Tora (betreffs der roten Kuh) offenbaren; aber für die andren soll es eine
Satzung sein (die als solche einfach zu befolgen ist, ob manihren Grund kennt oder
nicht). Parallelen: Tanch 226a; TanchB § 24 (59a); NuR 19 (186b); PesiqR 14
(64a). Vgl. auch Pesiq 40b bei Mt 15,11 S. 719 Nr. 2.
h. Targ HL 8, 1f. s. bei Gal 4, 4 C S. 570f. ||Pesiq 39a: Es wird geschehen an jenem
Tage ..., da werden die kostbaren (u. deshalb verborgen gehaltenen) Dinge allgemein
sichtbar werden (so Sach 14, 6 nach demMidr). „ Sie werden sichtbar werden“
(Futurum) steht geschrieben: die Dinge, die vor euch in dieser Welt verborgen waren,
die werden euch dereinst (durch denMessias) durchsichtig gemacht werden wiediese
Glasscheibe; das ist es, was geschrieben steht: Ich lasse Blinde auf einem Weg
wandeln, den sie nicht kennen Jes 42, 16. – Die Parallelen Tanch 226a; TanchB
§ 24 (59a); NuR 19 (186b); PesiqR 14 (64a) nennen R. Huna (um 350) als Autor. ||
Targ HL 5, 10: Gott läßt täglich (in seinem oberen Gerichtshof) neue Halakhoth
ausgehn, die er dereinst an dem großen Tage (durch den Messias) seinem Volke
offenbaren wird. ||Ferner s. die Zitate in Anm. b. ||Eine Probe aus der „ neuen Tora“
des Messias bringt LvR 13 (114b). Hier führt zunächst R. Judan b. Schimon (um 320)
aus, daß die beiden eschatologischen Fabeltiere Behemoth u. Livjathan den Gerechten
zur Jagdbelustigung dienen werden. Dann folgt die Frage, wie diese beiden Ungeheuer
geschlachtet werden, um für das Mahl der Gerechten hergerichtet zu werden. Man
antwortet: Der Behemoth wird dem Livjathan eins mit seinen Hörnern versetzen u.
seinen Leib aufreißen, u. der Livjathan wird dem Behemoth eins mit seinen Floß-
federn versetzen u. ihn durchbohren. Darauf die Entgegnung: Ist denn aber eine
solche Schlachtung nach Chul 1,2 rituell zulässig? Dann heißt es weiter: R. Abin
b. Kahana (um 310) hat gesagt: Gott hat gesagt: Eine neue Tora wird
von mir ausgehn (vgl. Jes 51, 4), eine Erneuerung der Tora1 (d. h. eine neue Deutung
der Tora) wird von mir ausgehen. R. Berekhja (um 340) hat im Namen des R. Jiçchaq
(um 300) gesagt: Ein Frühmahl wird Gott seinen Knechten, den Gerechten, als
Mahl in der Zukunft bereiten, u. jeder, der nichts unrituell Geschlachtetes in dieser
Welt gegessen hat, wird gewürdigt werden, es in der zukünftigen Welt zu schauen
(davon zu genießen). Das ist es, was geschrieben steht Lv 7, 24: „ Fett von Gefallenem
u. Fett von Zerrissenem kann zu jeglicher Verrichtung benutzt werden, aber essend
sollt ihr es nicht essen“ , damit ihr davon in der Zukunft essen möget. – Der Midr
deutet die Gerundivkonstruktion so, daß das Verbum finitum auf
diesen Äon u. der Infinitiv auf die Endzeit geht; u. da dio Negation beim Verbum
finitum steht, so wird daraus gefolgert, daß dereinst zu essen erlaubt sein werde,
was gegenwärtig nach Lv 7, 24 verboten ist. Diese Erlaubnis, nicht rituell geschlachtete
Tiere in der Zukunft zu essen, ist eine Probe von dem, was die neue Tora bringen
wird: sie wird auf Grund einer neuen Auslegung der alten Tora mancherlei erlauben,
was nach der gegenwärtigen Auslegung der Tora verboten ist; s. auch im Exkurs:
„ Scheol“usw. III, 4, x.
i. Nach der Neuen Pesiq (Beth ha-Midr 6,63, 13) – s. oben Anm. c – ist es Gott
selbst, der die Gründe der neuen Tora des Messias vorträgt; dadurch wird diese
vor aller Welt bestätigt.
2. Das soteriologische System der alten Synagoge.
Ein Wort des R. Aqiba (†um135) lautet: „Geliebt sind die Israeliten
(bei Gott); denn sie heißen Gottes Kinder. Als ganz besondere Liebe
wurde ihnen kundgetan, daß sie Gottes Kinder heißen, wie gesagt
ist: Kinder seid ihr Jahve eurem Gott Dt 14, 1. Geliebt sind die Israeliten;
1 Sonst bedeutet die Erneuerung desTorastudiums, vgl. MidrHL 2,13 (101a)
Sanh 97a; PesiqR 15 (75a); Seder ElijR 18 (94); 20 (113); 18 (93).
1*
4 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2)

denn es ist ihnen ein köstliches Werkzeug gegeben worden, durch


welches dieWelt geschaffen worden ist, wie es heißt: Eine gute Lehre
habe ich euch gegeben, meine Tora verlasset nicht!“Spr 4, 2 (Aboth
3, 14). – Kraft göttlicher Liebe also sind dieIsraeliten Gottes Kinder;a
als solche haben sie das kostbarste göttliche Gut empfangen, die
Tora, durch die auch die Welt gemacht ist. Wie die Tora der
ganzen Welt das Leben gegeben hat, so bedeutet sie ganz insonderheit
das Leben für Israel;b denn die Tora ist Israel nur gegeben worden,
damit sie durch sie Verdienst u. Lohn1 erlangen.c Zu dem Zweck
will die Tora zunächst u. vor allem studiert werden; aus ihrem Studium
folgt dann ihre Beobachtung von selbst.d Hier erhebt sich die Frage,
ob der Mensch, wie er jetzt von Natur ist, nicht bloß die Fähigkeit
besitzt, sich in formaler, verstandesmäßiger Weise für das Gute zu
entscheiden, sondern ob er auch die sittliche Kraft besitzt, seine
Entscheidung für das Gute durch Erfüllung der Tora in vollem Maße
zur Durchführung zu bringen. Die alte Synagoge hat diese Frage
bejaht.e Das mußte sie; denn mit der Fähigkeit des Menschen, den
in der Tora geoffenbarten Gotteswillen zu erfüllen, stand u. fiel das
ganze System der pharisäischen Soteriologie. Und das konnte sie
auch, da ihre Anthropologie dem nicht im Wege stand. Die rabbi-
nischen Gelehrten haben über die Entstehung der menschlichen Seelen
nicht traduzianisch, sondern durchgängig kreatianisch gedacht, einige
von ihnen haben sich auch zur Lehre von der Präexistenz der Seelen
bekannt.f Daraus ergab sich ihnen der Satz, daß der Mensch seine
Seele aus des Schöpfers Hand rein und heilig empfange,g nicht etwa
erblich belastet mit einer Gemeinsünde u. einer Gemeinschuld infolge
des Falls des ersten Menschenpaares, wenn man auch nicht leugnete,
daß das allgemeine Todesgeschick die Menschheit wegen der Sünde
Adams getroffen habe.h Allerdings steht der reinen Seele desMenschen
mit ihrem guten Trieb entgegen die sinnliche Leiblichkeit
mit dem bösen Trieb , der zur Sünde reizt u. zum Ungehorsam
gegen Gottes Gebote verführen will. Aber der böse Trieb ist anfänglich
schwach, so daß der gute Trieb ihn niederhalten kann, u. außerdem
ist dem Israeliten in der Tora von Gott das Mittel in die Hand ge-
legt worden, durch das er den bösen Trieb jederzeit siegreich zu
bekämpfen imstande ist.i Bei diesen anthropologischen Voraussetzungen
kann es nicht überraschen, wenn die alte Synagoge allen Ernstes
überzeugt gewesen ist, daß der Mensch durchaus die volle sittliche
Freiheit u. Kraft besitze, die Gebote der Tora restlos zu erfüllen.k
An Gelegenheit zu Gebotserfüllungen (Sing. ) mangelt es
demIsraeliten nicht: die Tora begleitet ihn mit ihren Vorschriften auf
Schritt u. Tritt, von der Wiege bis zur Bahre, so daß es niemand
1 Die Lohnlehre lassen wir hier außer Betracht; sie wird in einem besonderen
Exkurs behandelt werden.
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2) 5

in Israel gibt, der nicht täglich 100 Gebotserfüllungen aufzuweisen


in der Lage wäre; selbst die „Leeren“(Amme ha-areç) in ihrer
Mitte sind trotz ihrer Übertretungen noch immer voll von Miçvoth
wie der Granatapfel voller Kerne.1 – Jede Gebotserfüllung bedeutet
für den Israeliten ein Verdienst (Plur. ), das er sich vor
Gott erwirbt, während umgekehrt jede Gesetzesübertretung eine
Schuld vor Gott auf ihn bringt.m Über beides, über Gebots-
erfüllung u. Verdienst u. über Gesetzesübertretung u. Schuld wird
im Himmel Buch geführt.n So hat der Israelit eine Rechnung
bei Gott.o Das zahlen- u. wertmäßige Verhältnis, das zwischen Ver-
dienst u. Schuld besteht, ergibt den jeweiligen Gerechtigkeitsstand
des Menschen vor Gott: überwiegen die Verdienste, so sieht Gott
den betreffenden Menschen als einen Gerechten (aram. )
an oder erklärt ihn für gerecht ; überwiegen die Über-
tretungen (Sündenschulden), so gilt der betreffende Mensch als ein
Gottloser oder Frevler ; halten sich endlich Verdienst u. Schuld
die Wage, so ist der betreffende Mensch ein Mittelmäßiger .p
Alles richtet sich also nach der Menge (Mehrzahl) der Taten (oder
Werke) .q Festgestellt wird der Gerechtigkeitsstand
eines Menschen von Gott besonders in Zeiten einer Gefahr, die dem
Menschen droht; ferner in Augenblicken, da der Mensch irgendwie
Gottes Auge auf sich lenkt, r regelmäßig aber am Neujahrstage, dem
jährlichen Gerichtstage.s In den Stand seiner Rechnung bei Gott hat
kein Mensch während seines Erdenlebens Einblick: darum gibt es auch
für den Gerechten keine Sicherheit (Heilsgewißheit) auf Erden;t seine
Rechnung kann sich ja jede Stunde ändern. Da aber eine einzige
an der Majorität fehlende Gebotserfüllung für das Gesamturteil über
einen Menschen entscheidend werden kann, so wird dem Frommen
der Rat erteilt, daß er sich immer zur Hälfte als einen Gerechten
u. zur Hälfte als einen Gottlosen ansehe; vollbringt er dann eine
Miçvah, wohl ihm! er hat die Wagschale der Verdienste zu seinen
Gunsten geneigt.u – Zum letztenmal, u. dann in endgültiger Weise,
wird des Menschen Rechnung in seiner Sterbestunde festgestellt:v
überwiegen die Verdienste, so ererbt er den Gan Eden; überwiegen
die Übertretungen, so ererbt er den Gehinnom. Den Mittelmäßigen
aber wendet Gott seine Gnade zu: er nimmt einen Schuldbrief
von der Wagschale der Übertretungen fort, dann gewinnt die Wag-
schale der Verdienste das Übergewicht, u. der also Begnadigte darf
sofort zum Gan Eden eingehen, ohne zuvor das Läuterungsfeuer des
Gehinnoms erleiden zu müssen. So die Schule Hillels; die Schule
Schammais allerdings erkannte diese Erleichterung für die Mittel-
mäßigen nicht an.w – Hiernach kommt alles darauf an, daß der
Mensch die Differenz zwischen seinen Verdiensten und seinen Sünden-
schulden zugunsten der ersteren möglichst groß und weit macht.
6 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr 2)

Das kann auf zweierlei Weise geschehen: erstens durch Mehrung


der Verdienste u. zweitens durch Minderung der Schuld.
Erstens. Die Mehrung der Verdienste ist des Menschen eigene
Aufgabe. Sie wird erreicht durch Anhäufung von Gebotserfüllungenx
u. durch Vollbringung guter Werke . Zu letzteren gehören:
α . die Almoseny ; β. die sogenannten Liebeswerkez (
= Liebeserweisung), wie Versorgung der Armen mit Nahrung
u. Kleidung, Beherbergung von Gästen u. deren Geleit beim Abschied,
Erziehung von Waisen, Unterstützung Gelehrter, Auslösung Ge-
fangener, Ausstattung armer Bräute, Krankenbesuche, Tröstung
Trauernder, Beteiligung an Hochzeitszügen u. an Begräbnisfeierlich-
keiten; γ. eine Reihe von Werken, für die es an einem Sammelnamen
fehlt, zu denen aber in erster Linie gerechnet werden das Tora-
studium, die Ehrung der Eltern, die Beurteilung der Menschen zum
Guten, das Friedenstiften zwischen Eheleuten u. Feinden, die Andacht
beim Gebet usw.aa Diese guten Werke (α –γ) gehören zwar einer-
seits ebenfalls zu den Miçvoth, insofern sie im Gesetz begründet sind;
sie gehen aber andererseits, weil für sie kein bestimmtes Maß im
Gesetz vorgeschrieben ist, über die Pflichtgebote hinaus, so daß sie
mit Recht von diesen unterschieden werden. An allen diesen Werken
hat der Israelit außer den Gebotserfüllungen ein sicheres Mittel, einen
großen Schatz von Verdiensten anzusammeln. Zur weiteren Ergänzung
seiner Verdienste kann dann endlich auch noch zurückgegriffen werden
auf das Verdienst der Väter.bb
Zweitens. Die Minderung der Schuld geschieht durch Sühnung, die
Sünde u. damit auch Schuld tilgt. Diese Sühnung ist teils des Menschen,
teils Gottes Werk. Der Mensch sühnt Sünde u. Schuld durch Buße,
Fasten u. Gebet;cc Gott schafft Sühnung durch die im Gesetz vor-
geschriebenen Opfer, durch den Versöhnungstag, durch Leiden, die er
über den Menschen bringt, u. endlich durch den Tod des Menschen.dd
Die altjüdische Religion ist hiernach eine Religion völligster Selbst-
erlösung; für einen Erlöser-Heiland, der für die Sünde der Welt
stirbt, hat sie keinen Raum.
a. Die Israeliten sind Gottes Kinder, s. bei Mt5, 9 S. 219 Nr.2, bei Joh 1, 12 S. 360,
bei Röm1, 3 A S. 15; bei Röm9, 6 S. 264 Anm. d; Gottes Eigentum, s. bei Joh 1,11 S. 359;
Gottes Freunde, s. bei Joh 15, 14 S. 564; darum sind sie bei Gott beliebter als die übrigen
Völker, s. bei Röm2, 11 S. 81 Nr. 3.
b. Belege bei Röm3, 1f. S. 126–133. – Die Tora als Schöpfungsmedium s. bei
Joh 1, 1–4 S. 356 Nr. 4.
c. Mak3, 16: R. Chananja b. Aqaschja (um150) sagte: Gott wollte Israel Verdienste
erwerben lassen ; darum hat er ihnen viel Tora u. Gebote gegeben, wie es
heißt: Jahve gefiel es, um ihm (dem Knecht Javes = Israel) Verdienst zu verleihen,
die Tora groß u. prächtig zu machen (so Jes 42, 21 nach dem Midr). ||Tanch 176b:
R. Chijja b. Abba (um 280) hat gesagt: ... Warum hat Gott gesagt, daß du ein Opfer
vor ihm darbringen sollst? Nur um dich ein Verdienst erwerben zu lassen
. – Dasselbe Tanch B § 20 (48b). ||Ebenso wieoben in Mak3,16 ist Jes 42, 21
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2) 7

gedeutet worden von R. Acha (um 320) in LvR 31 (129b) u. von Targ Jes 42, 21. ||
LvR 30 (128c) s. Band II S. 792. – Belege für den andren Satz, daß die Tora Israel
nur gegeben sei, um Lohn zu erwerben, s. im Exkurs: Das Gleichnis von den Ar-
beitern im Weinberg.
d. Das Studium der Tora des Israeliten oberste Pflicht, s. bei Lk 10, 42 A S. 185,
ferner im Exkurs: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg; Pea 1, 1 s. bei
Mt 15, 4 S. 706 unten. – Aus dem Studium der Tora folgt ihre Beobachtung von
selbst, s. bei Röm2, 13 S. 84ff.
e. Sir 15, 15ff. (hebr.): Wenn du willst, wirst du die Gebote halten, u. Einsicht
ist da, seinen (Gottes) Willen zu tun. ... Ausgeschüttet ist vor dir Feuer u. Wasser,
wonach du willst, strecke deine Hände aus; vor dem Menschen liegt Leben u. Tod,
wonach er Verlangen hat, das wird ihm gegeben. ... Nicht hat er einem Menschen
geboten zu sündigen u. nicht hat er Gedeihen gegeben den Leuten der Lüge. ||Ps
Sal 9, 7: Unsre Taten geschehen nach der Wahl u. dem Willen unsrer Seele, um
(hinterher) Recht und Unrecht zu tun mit den Taten unsrer Hände. ||Aus der rabbi-
nischen Literatur sei verwiesen auf Berakh 33b (= Meg25a; Nidda 16b): Alles liegt
in der Hand Gottes, ausgenommen die Gottesfurcht, wie es heißt: Und nun, Israel,
was fordert Jahve dein Gott von dir, außer daß du Jahve deinen Gott fürchtest?
(Die Gottesfurcht das einzige, worüber dem Menschen die absolute freie Entscheidung
zusteht, darum auch das einzige, was Gott vom Menschen fordert.) ||Nidda 16b:
R. Chanina b. Papa (um 300) hat vorgetragen: Jener Engel, der über die Empfängnis
gesetzt ist, dessen Name ist (Nachtengel); u. er nimmt den Samentropfen u.
bringt ihn vor Gott u. spricht vor ihm: Herr der Welt, dieser Samentropfen, was
soll aus ihm werden? ein Starker oder ein Schwacher, ein Weiser oder ein Ein-
fältiger, ein Reicher oder ein Armer? Und siehe, „ ein Gottloser oder ein Gerechter?“
sagt er nicht (denn das bestimmt nicht Gott, sondern nur der Mensch). – Die
breitere Ausführung in Tanch 127a s. bei Mt 10, 29 S. 583f. ||Die Hauptstelle
ist Aboth 3, 15f.: R. Aqiba (†um 135) hat gesagt: Alles ist (von Gott) vorhergesehen
, aber die Freiheit (Vollmacht zur Selbstentscheidung ) ist (dem Menschen)
gewährt. Mit Güte wird die Welt gerichtet, aber alles nach der Mehrzahl des
(menschlichen) Tuns (der menschlichen Werke). Derselbe hat gesagt: Alles wird auf
Pfand (gegen Verpfändung der Seele) gegeben, u. ein Netz ist ausgebreitet über alle
Lebenden (niemand kann sich der Verantwortlichkeit u. der Rechenschaftsablegung
entziehen). Der Kramladen ist geöffnet und der Krämer (= Gott) leiht; aber auch
die Schreibtafel (das Schuldbuch) ist aufgeschlagen u. die (göttliche) Hand schreibt;
wer borgen will, der komme u. borge; aber auch die Eintreiber (= Strafengel) gehen
beständig umher an jedem Tage u. fordern die Schuld vom Menschen ein, er mag es
wollen oder nicht; sie haben auch, worauf sie sich stützen (nämlich die Eintragungen
auf der Schreibtafel; vgl. Lk. 11, 22: τ ὴνπ ανοπλίανα τ
ὐ οῦα ε
ἴριἐ φ ᾽ᾗἐπ επο ίϑι);
ε
das Gericht ist ein Gericht der Wahrheit, u. alles ist für das Mahl (in der seligen
Ewigkeit) zubereitet. – „ Alles ist (von Gott) vorhergesehen, aber die Freiheit ist (dem
Menschen) gewährt“ , mit diesen Worten berührt R. Aqiba die Frage nach demVer-
hältnis der menschlichen Freiheit zur göttlichen Vorherbestimmung. Das Problem
hat schon in früherer Zeit die jüdischen Gelehrten beschäftigt. Josephus, Bell Jud 2,
8, 14, berichtet als Meinung derSadduzäer, „ daß dasGute sowohl als auch dasBöse aufder
Menschen Wahl beruhe, u. daß ein jeder zubeiden sich anschicke nach freiem Belieben“ .
Die Pharisäer dagegen sagten: „ Recht zu handeln oder auch nicht, stehe meist bei
den Menschen, doch helfe bei allem das Schicksal mit.“Näheres über diese göttliche
Mithilfe erfahren wir aus den rabbinischen Aussprüchen. Mekh Ex 15, 26 (53b): Hörend
wirst du hören Ex 15, 26. Auf Grund dieser Stelle hat man gesagt: Hört ein Mensch
ein Gebot, so läßt man (= Gott) ihn viele Gebote hören, wie es heißt: Hörend
wirst du hören. Vergißt der Mensch ein Gebot, so läßt man ihn viele Gebote ver-
gessen, wie es heißt: Vergessend wirst du vergessen Dt 8, 19. ... Das sind Worte
des R. Jehoschua (um90). Schimon b. Azzai (um 110) sagte: „Hörend“ , was will
8 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2)

daneben „ wirst du hören“besagen? Auf Grund dieser Stelle hat mangesagt: Will ein
Mensch hören, so läßt man ihn später hören; will er vergessen, so läßt man ihn später
vergessen: Undwas wollen die Worte besagen: Hörend wirst duhören, vergessend wirst
du vergessen? Will er sofort hören, so läßt man ihn sofort hören; will er (sofort)
vergessen, so läßt manihn sofort vergessen. Derselbe pflegte zu sagen: Hat ein Mensch
aus freien Stücken gehört, so läßt man ihn auch wider seinen Willen hören; hat er aus
freien Stücken vergessen wollen, so läßt manihnauch wider seinen Willen vergessen. Die
Freiheit ist gewährt. Wie Gott der Spötter spottet, so gibt er den Demütigen Gnade
Spr 3, 34. Parallelen: Mekh Ex 19, 5 (70b); SDt 11,22 § 48 (84a); SDt 12, 28 § 79 (91a);
TanchB § 19 (33a); Berakh 40a; Sukka 46b. Vgl. auch Aboth 4, 2: Ben Azzai
(um 110) sagte: Eile, ein leichtes Gebot zu erfüllen, u. fliehe vor einer Übertretung;
denn eine Gebotserfüllung zieht eine andre nach sich u. eine Übertretung zieht eine
andre nach sich; denn der Lohn einer Gebotserfüllung ist eine Gebotserfüllung u.
der Lohn einer Übertretung ist eine Übertretung. – Schab 104a: Resch Laqisch
(um 250) hat gesagt: Was heißt: Wie Gott der Spötter spottet, so gibt er den
Demütigen Gnade? Spr 3, 34. Wer sich verunreinigen will, dem tut man (Gott) die
Türen auf (gibt ihm Gelegenheit dazu); wer sich reinigen will, dem steht man bei.
Dasselbe Joma 38b; AZ55a; Men29b. – Mak 10b: Rabbah b. Rab Huna († 322) hat
gesagt, Rab Huna (†297) habe gesagt – nach andren hat R. Huna (um 350) gesagt,
R.Elazar (um270) habe gesagt: Aus der Tora, den Propheten u. denHagiographen läßt
sich beweisen, daß man (Gott) einen Menschen auf denWeg leitet, dener gehen will, s.
Nu22, 12. 20; Jes 48, 17 u. Spr 3, 34. – Ferner s. die breite, die gleichen Gedanken ver-
tretende Ausführung des R. Levi (um300) in GnR67 (42d); Tanch 34a; TanchB
§ 21 (70b). –Die Meinung ist also diese: Die Initiative zumGuten geht vonder
freien Entscheidung desMenschen aus; dadurch erwirbt er sich Gottes Gunst, so daßjetzt
Gottes Hand (bei Josephus „ das Schicksal“) ihn, wenn es sein muß, auch wider seinen
Willen (Ben Azzai), auf demWege zumGuten weiterführt. Umgekehrt besteht die Strafe
dessen, der sich für das Böse entschied, darin, daß ihm immer neue Gelegenheit zur
Sünde geboten wird.1 So wird auch R. Aqiba sein Wort gemeint haben: Alles ist
vorhergesehen, aber die Freiheit ist gewährt. Jedenfalls stand ihm die Freiheit der
menschlichen Wahl fest. Er fand sie bereits in Gn 3, 22 ausgesprochen. Mekh Ex 14, 28
(40a): R. Pappos hat vorgetragen: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von
uns , d. h. wie einer von den Dienstengeln. R. Aqiba antwortete ihm: Genug,
Pappos! Pappos sprach zu ihm: Undwie erklärst du: Siehe, der Mensch ist geworden
wie einer ? Vielmehr (sagte R. Aqiba) Gott legte ihm zwei Wege vor: der eine
war der zum Tode u. der andere der zum Leben, u. er erwählte sich den Weg zum
Tode. – Aqiba faßt die Worte so; er ist geworden wie der eine (von den beiden
Wegen, nämlich wie der Weg zumTode), u. zwar von sich aus , d. h. aus eigener
Wahl. – Dasselbe GnR 21 (14b).
f. Nidda 31a Bar: Drei vereinigen sich bei der Entstehung des Menschen: Gott,
der Vater u. die Mutter. (Dann folgt die Ausführung, daß von den Eltern der Leib
des Kindes herrührt.) Gott aber gibt den Geist, die Seele, den Gesichtsausdruck, das
Sehen des Auges, das Hören des Ohrs, das Reden des Mundes, das Gehen der Füße,
die Einsicht u. den Verstand; u. wenn seine Zeit von der Welt zu scheiden da ist,
1 Nach R. Jochanan (†279) steht die Freiheit der sittlichen Entscheidung nur dem
einzelnen Israeliten zu, während das Volk als Ganzes dem göttlichen Zwange unter-
liegt. ExR 3 (69c): R. Jochanan hat gesagt: Ich werde (Gott) sein, dem ich es sein
werde (so wird Ex 3, 14 gedeutet): das gilt von den einzelnen (die die Freiheit haben,
Gottes Herrschaft anzuerkennen oder abzulehnen, u. wer sie anerkennt, dem wird
Gott wirklich Gott sein). Aber von der Gesamtheit (Israels) gilt, daß ich zwangsweise,
wider ihren Willen, auch wenn ihre Zähne dabei zerbrochen werden, über sie als
König herrsche, wie es heißt: So wahr ich lebe, ist der Spruch des Allherrn Jahve,
fürwahr mit starker Hand u. mit ausgerecktem Arm u. mit ausgegossenem Grimm
will ich über euch herrschen Ex 20, 33.
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2) 9

nimmt Gott seinen Teil an sich und läßt den Anteil seines Vaters u. seiner Mutter
vor ihnen liegen. Zur Lehre von der Präexistenz der Seelen s. bei Joh 1, 1 S. 340–349.
g. LvR 18 (117d); Schab 152b Bar; BM 107a s. bei Mt 5,8 A S. 205f.; Pesiq 61b
bei Mt18, 3 S. 773.
h. Eine Erbsünde hat die alte Synagoge nicht gekannt; s. die Bemerkung zu
Jeb 103b bei Mt 4, 1 S. 138 Anm. c, zu Schab 145b bei Joh 1, 1 S. 345 unten u. zu
AZ22b bei Röm1, 27 S. 71 Nr.2. – Zum allgemeinen Todesgeschick als Folge der
Sünde Adams s. bei Röm 5, 15 A S. 227ff.; ferner vgl. bei Röm 5, 12 C u. bei Röm
5, 14 A S. 226.
i. Die Belege im Exkurs: Der gute u. der böse Trieb.
k. Vgl. bei Mt 19,20 A S. 814ff.; ferner s. die Stellenangaben bei Röm3, 9 S. 157
Anm. d–g.
l. SLv 8, 25 (178a): (Mose) nahm das ganze Fett Lv 8, 25. Du hast kein einziges
Ding, an dem nicht ein Gebot von Gott her wäre. Bei den Früchten gibt es viele
Gebote: Heben u. Zehnten, Teighebe u. Erstlinge, Nachlese u. Vergessenes u. Acker-
rand. Bei den Türen der Häuser u. den Toren der Städte gibt es ein Gebot von
Gott her; denn es heißt: Schreibe sie auf die Pfosten deines Hauses u. an deine
Tore Dt 6, 9. Bei den Kleidern gibt es ein Gebot von Gott her, s. Dt 22, 11; ebenso beim
Mantel, s. Dt 22, 12, beim reinen Vieh, s. Dt 15, 19, beim unreinen Vieh, s. Ex 13, 13,
bei Wild u. Geflügel, s. Lv 17, 13, bei nicht mit Namen aufgeführtem Vieh u. Wild,
s. Lv 27, 29. ||TanchB § 28 (37a): Licht ist gesät für den Gerechten u. für die
redlichen Herzens Freude Ps 97, 11, u. weiter heißt es: Jahve gefiel es, um ihm (dem
Knecht Jahves = Israel) Verdienst zu verleihen, die Tora groß u. prächtig zu machen
(so Jes 42, 21 nach demMidr). Gott hat die Tora u. die Gebote für Israel gesät, um
sie das Leben der zukünftigen Welt erlangen zu lassen, darum ließ er nichts in der
Welt dahinten, ohne dabei Israel ein Gebot zu geben. Geht er hinaus, um zupflügen
(so heißt es): Pflüge nicht mit Stier u. Esel zugleich Dt 22, 10; (geht er hinaus) um
zu säen: Besäe deinen Weinberg nicht mit zweierlei (Mischsaat) Dt 22, 9; um zu
ernten: s. Dt 24, 19. Knetet er (so heißt es): Als Erstling eures Schrotmehls sollt
ihr einen Kuchen als Hebe abheben Nu15, 20; schlachtet er, s. Dt 18, 3; beim Vogel-
nest, s. Dt 22, 7; bei Wild u. Geflügel, s. Lv 17, 13; pflanzt er, s. Lv 19, 23; begräbt er
einen Toten, s. Dt 14, 1; schert er das Haar, s. Lv 19, 27; baut er ein Haus, s. Dt 22, 8
u. 6, 9; bedeckt er sich mit einem Mantel, s. Nu15, 38. – Parallelen: Tanch 215b;
NuR 17 (182d). Vgl. auch die ähnliche Ausführung des R. Pinechas b. Chama
(um 360) in DtR 6 (203b), die mit den Worten beginnt: An jeden Ort, wohin du
auch gehen magst, begleiten dich die Gebote. ||TBerakh 7, 24f. (17a): R. Meïr
(um 150) sagte: Du hast niemand unter den Israeliten, der nicht täglich 100 Ge-
bote übte: er rezitiert das Schema u. spricht die Lobsprüche vorher u. nach-
her; er ißt sein Brot u. spricht den Lobspruch vorher u. nachher; er betet
dreimal das Achtzehngebet u. übt all die übrigen Gebote u. spricht den Lobspruch
dazu. Ferner hat R. Meïr gesagt: Du hast niemand unter den Israeliten, den nicht
Gebote umgäben: die Gebetsriemen an seinem Kopf u. an seinem Arm, die Mezuza
(Pfosteninschrift) an seiner Tür, u. 4 Quasten (Schaufäden) umgeben ihn; u. in
bezug darauf (auf die genannten 7 Miçvoth) hat David gesagt: Siebenfach lobe ich
dich an einem Tage wegen deiner gerechten Rechtssprüche Ps 119, 164. Wenn er
aber (nackt, ohne jene Mittel der Gebotserfüllungen) in das Bad geht, ist die Be-
schneidung an seinem Fleisch, wie es heißt: Dem Musikmeister wegen des achten
(Gebotes), ein Psalm von David (so Ps 6, 1 nach dem Midr). Und weiter heißt es:
Es lagert sich der Engel Jahves rings umdie, so ihn fürchten u. errettet sie Ps 34, 8.
(Diesem Engel gleicht das achtfache Gebot, das jeden Israeliten täglich umgibt.) –
Parallelen: pBerakh 9,14d, 16; Men43b, 27; Midr Ps 6 § 1 (29b). ||Er 19a: Resch Laqisch
(um250) hat gesagt: Den Frevlern derIsraeliten hat das Feuer des Gehinnoms nichts an.
Das folgt aus einem Schluß vom Leichteren auf das Schwerere vom goldenen Altar
her: wenn der goldene Altar, auf dem ein Goldbelag nur in der Dicke eines (Gold-)
10 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2)

Denars war, wer weiß wie viele Jahre Bestand behalten hat, ohne daß das Feuer
ihm etwas anhatte, um wieviel mehr gilt das dann von den Frevlern der Israeliten,
die voller Gebotserfüllungen sind wie ein Granatapfel (voller Kerne), wie es heißt:
Gleich der Scheibe des Granatapfels deine Wange HL 4, 3 (6, 7). UndR. Schimon
b. Laqisch (= Resch Laqisch) hat gesagt: Lies nicht (deine Wange), sondern
1 (= deine Leerheiten), denn auch die Leeren in deiner Mitte sind voll
von Gebotserfüllungen wie ein Granatapfel (voller Kerne). – Parallelen Chag 27a;
Sanh 37a; anonym in Midr HL 4, 3; 6, 7.
m. Das „Verdienst“heißt im Rabbinischen ; ursprünglich bedeutet dieses Wort
„ Gerechtigkeit“u. entspricht dem alttestamentl. . Jede Gebotserfüllung verleiht
dem Menschen zunächst eine „Gerechtigkeit“vor Gott, läßt ihn vor Gott als
gerecht erscheinen in bezug auf das gerade vorliegende Gebot. Da aber
nach Gottes Willen mit jeder Gebotserfüllung auch eine Lohngabe verbunden ist, so
gewinnt meist die Bedeutung „ Verdienst“ , kraft dessen eben der Mensch jenes
Lohnes würdig wird. (Ebenso bedeutet das Verbum , aram. , zunächst
„ gerecht sein“ , dann aber meist „würdig sein“ , „verdienen“ ; Beispiele s. bei Lk 20, 35
S. 254.) – „Verdienst“u. „Schuld“nebeneinander z. B. pQid 1, 61d, 34 bei
Mt 18, 12 A S. 785 oben.
n. Hierzu s. bei Lk 10, 20 Nr.2 S. 170–173.
o. , aram. , s. LvR 30 (128b) in Band II S. 789f.
p. Die Gebotserfüllungen haben verschiedenen Wert je nach der Wichtigkeit u.
Schwere des betreffenden Gebotes. Mak 3, 15: R. Schimon b. Rabbi (um 220) sagte:
Siehe es heißt: Nur sei fest, das Blut nicht zu essen; denn das Blut ist die Seele
(das Leben) Dt 12, 23. Wenn beim Blute, vor dem die Seele des Menschen sich ekelt
(u. das deshalb ein leicht zu erfüllendes Gebot ist), der, welcher sich von ihm fernhält,
Lohn empfängt, um wieviel mehr gilt das dann von Raub u. Blutschande, wonach
die Seele des Menschen Verlangen u. Begehren hat, daß der, welcher sich davon
(unter inneren Kämpfen gegen den bösen Trieb) fernhält, Verdienst erwirbt für
sich u. seine Nachkommen u. die Nachkommen seiner Nachkommen bis ans Ende
aller Generationen. ||Chul 12, 5 s. bei Mt22, 36 S. 902 Anm. b; pQid 1, 61b, 58 ebenda
S. 902f.; DtR 6 (203a) u. BB 8a ebenda S. 903 Anm. e. – Zuden leichten u. schweren,
wichtigen u. unwichtigen Geboten s. bei Mt22, 36 S. 901 Nr.2. – Zum Abwiegen
der Verdienste gegen die Verschuldungen s. 4 Esra 3, 33ff. bei Röm2, 14 S. 88 Anm. a
PesiqR 45 (185b) bei Röm4, 7f. S. 203, ferner s. w. u. in Anm. u u. w. –
= διϰα ιόω „für gerecht erklären, rechtfertigen“ , s. bei Röm3, 4 S. 134 Nr. 1; ferner
vgl. das bei Röm4, 2f. S. 201 Nr.2 zu ἐλ ογ ίσϑ ηα ὐτῷε ἰςδιϰα ιοσύν ηνBemerkte. –
, s. zB RH 16b Bar bei Mt 1, 19 S. 50 Anm. a; pRH1, 57a, 49 bei Lk 10, 20 S. 170
Abs. 3.
q. Aboth 3, 15f. s. oben in Anm. e; TQid 1, 14 (336) s. in Anm. u. – Vgl. auch das
Wort des R. Elazar Ha-qappar, um 180: Wisse, daß alles (im göttlichen Gericht) gemäß
Abrechnung geschieht, s. Aboth 4, 22 bei Röm14, 10 Nr. 1 S. 309.
r. Tanch 40b: Es lehre uns unser Lehrer: bei wie vielen Gelegenheiten wird
die Schuld-Tafel des Menschen geöffnet? So haben unsunsre Lehrer gelehrt: Bei drei Ge-
legenheiten wird die Tafel des Menschen geöffnet: wenn er sich allein auf eine Reise
begibt, u. wenn er in einem schadhaften Hause sitzt, u. wenn er ein Gelübde tut u. es
nicht erfüllt. – In den beiden ersten Fällen begibt sich der Mensch in Gefahr; Zeiten
der Gefahren benützt aber Satan zur Anklage – s. bei Mt 4, 1 S. 142 Anm. d –,
infolgedessen öffnet Gott das Schuldbuch des Menschen, um dessen Gerechtigkeits-
stand festzustellen. – Betreffs der Gelübde s. pNed 1, 36d, 34 bei Lk 10, 20 S. 172 oben. ||
RH 16b s. bei Mt 7, 2 S. 442 unten. Ferner s. bei Eph 4, 27 S. 603f.
s. RH 1, 2 s. bei Joh 1, 9 S. 358 Anm. c; pRH1, 57a, 49 bei Lk 10, 20 S. 170 Abs. 3.
1 Ein nur zudieser Deutung gebildetes Wort; die Parallelen lesen dafür
die Leeren in deiner Mitte“
„ .
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2) 11

t. Hierzu s. bei Lk 18, 9 S. 239; bei Röm4, 13S. 208 Abs. 2; beiRöm5, 1 S. 218 Nr.2.
u. TQid 1, 14 (336): R. Schimon b. Elazar (um 190) sagte: Weil der einzelne
gerichtet wird nach seiner Mehrzahl (d. h. nach der Mehrzahl seiner Werke) u. weil die
Welt gerichtet wird nach ihrer Mehrzahl, so sehe sich derMensch immer zur Hälfte als
gerecht u. zur Hälfte als schuldig an; tut er dann ein Gebot, wohl ihm
Denn er hat sich selbst u. die Welt nach der Wagschale des Verdienstes (nach der
verdienstlichen Seite der göttlichen Gerichtswage) geneigt; begeht er aber eine Über-
tretung, wehe ihm! Denn er hat sich selbst u. die Welt nach der Wagschale der
Schuld geneigt. In bezug hierauf ist gesagt worden: Ein Sünder verdirbt vieles Gute
Qoh9, 18; wegen der Sünde, die dieser einzelne begeht, vernichtet er von sich u. von
der Welt vieles Gute. – In der Parallele Qid 40b R. Elazar b. Schimon (um 180)
als Autor genannt. – Eine ähnliche Ausführung der Allegoriker in
Midr Qoh 10, 1 (46a); eine anonyme Parallele dazu als Bar in Qid40a, s. bei Joh 3, 18
S. 427, ferner in Tanch 27a.b.
v. LvR 26 (124c); SDt 32, 4 § 307 s. bei Lk 10, 20 S. 171 Anm. a.
w. pQid 1, 61d, 32 s. bei Joh 14, 16 S. 560 Anm. a. ||pQid 1, 61d, 47: Betreffs der
zukünftigen Welt (= himmlische Welt der Seelen) gilt: überwiegen (in der Sterbe-
stunde) des Menschen Verdienste, so erbt er den (himmlischen) Gan Eden; überwiegen
seine Übertretungen, so erbt er den Gehinnom; halten sie sich die Wage, so hat
R. Jose b. Chanina (um 270) gesagt: Es heißt: „ Er nimmt Schuld weg“Micha 7, 18.
R. Abbahu (um 300) hat gesagt: „ Er nimmt weg“ s teht (Micha 7, 18) geschrieben.
Was tut Gott? Er reißt eine von seinen Verschuldungen fort, so daß seine Verdienste
das Übergewicht bekommen. R. Elazar (um 270) sagte: Es heißt: Dein Jahve ist die
Gnade; denn du vergiltst einem jeden nach seinem Tun Ps 62, 13, u. wenn ihm etwas
mangelt, so gibst du von dem Deinen (d. h. von deiner Gnade). Das ist die Meinung
des R. Elazar; denn R. Elazar hat gesagt: „Dein, Jahve, ist die Gnade“ , das lehrt,
daß er sich seiner Gnade zuneigt. (Gottes Gnade also kommt im Gericht nur den
Mittelmäßigen gegenüber in Betracht.) – Zwei von den Parallelen, nämlich RH 16b
Bar u. pPea 1, 16b, 38 s. bei Joh 1, 14 Nr. 2 S. 361 u. 362; dabei ist zu bemerken, daß
der 1. Teil der 1. Parallele sich nicht auf das Gericht in der Sterbestunde, sondern
auf das jüngste Gericht bezieht. Ferner s. bei Röm 2, 6 S. 78f.
x. Der Terminus für „Gebotserfüllungen anhäufen“ist . – Midr Ruth 1, 17
(128a) sagt Noomi zu ihrer Schwiegertochter Ruth: Meine Tochter, was du nur
immer anhäufen kannst an Gebotserfüllungen u. Almosen , das häufe
an in dieser Welt, aber für die Zukunft gilt: „ Der Tod wird uns voneinander
scheiden“Ruth 1, 17 (vom Midr als Ausspruch der Noomi gefaßt). – Autor nach
PesiqR Anhang 3 (198b) R. Jonathan (um 220). ||GnR 9 (7a): R. Jonathan (um 220)
hat gesagt: Er (Gott) hätte den Tod über die Gottlosen, aber nicht über die Gerechten
verhängen sollen! Allein (es geschah,) damit die Gottlosen nicht eine Buße des Be-
truges (trügerische Buße) tun möchten, u. damit die Gottlosen nicht sagen möchten:
Die Gerechten bleiben am Leben, nur weil sie Gebotserfüllungen u. gute Werke an-
häufen; so wollen auch wir Gebotserfüllungen u. gute Werke anhäufen, u. so
würde das Tun erfunden nicht als ein solches, das um seinetselbstwillen (sondern
als ein solches, das aus selbstischen Beweggründen) geschah. ||GnR 9 (7a): R. Zeira
(um 300) hat gesagt: ... Wer Gebotserfüllungen u. gute Werke anhäuft, für den
ist der Gan Eden da; wer aber keine Gebotserfüllungen u. guten Werke anhäuft,
für den ist der Gehinnom da. ||LvR 4 (107c): (Alle Arbeit des Menschen geschieht
für seinen Mund, u. gleichwohl wird die Seele nicht gesättigt Qoh6, 7.) R. Schemuël
b. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Alles was der Mensch an Gebotserfüllungen
u. guten Werken anhäuft, ist für seinen Mund u. nicht für den Mund seines
Sohnes oder für den Mund seiner Tochter. ...Weil die Seele weiß, daß sie
mit allem, womit sie sich müht, sich nur für sich selbst müht, deshalb wird sie der
Gebotserfüllungen u. der guten Werke nicht satt. – In der Parallele Midr Qoh6, 6f.
R. Chanina b. Jiçchaq (um325) Autor. Wie die Stelle gemeint ist, zeigt Tanch
12 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 2)

170a: Alle Mühe des Menschen ist für seinen Mund Qoh6, 7; an allen Gebots-
erfüllungen u. Almosen, die ein Mensch ausübt, hat er sein Genüge für die Stunde,
da die Seele des Menschen aus ihm scheidet; deshalb steht geschrieben: Alle Mühe
des Menschen ist für seinen Mund. (Wenn der Mensch in der Sterbestunde vor Gott
Rechenschaft abzulegen hat, findet er sein Genüge an den Gebotserfüllungen u. guten
Werken, auf die sein Mund hinweisen kann; darum: alle Mühe des Menschen auf
Erden nur für seinen Mund in der Stunde des göttlichen Gerichts.) ||LvR 21 (120b):
R. Simon (um 280) hat gesagt: Wenn du Bündel von Übertretungen begangen hast,
so vollbringe ihnen entsprechend Bündel von Gebotserfüllungen (damit diese jene
aufwiegen). ||DtR 1 s. bei Tit 2, 14 S. 667.
y. BB 10a: R. Chijja b. Abba (um 280) hat gesagt, R. Jochanan (†279) habe ein-
ander gegenübergestellt: Nichts nützt Habe am Tage des Zorns, aber Almosen (so
der Midr) errettet vom Tode Spr 11, 4, u.: Nichts nützen Schätze des Unrechts, aber
Almosen errettet vom Tode Spr 10, 2. Wozu dieses zweimalige „ Almosen“? Das eine
meint dasjenige, das von einem ungewöhnlichen Tode errettet, u. das andre dasjenige,
das vom Gehinnomgericht errettet. Und welches ist das, welches vom Gehinnom-
gericht errettet? Das ist dasjenige, bei welchem Zorn steht (also das in Spr 11, 4);
denn es heißt: Ein Tag des Zorns ist jener Tag Zeph 1, 15. ||PesiqR Anhang 3 (198a):
Jesaja sprach: Herr der Welt, was soll der Mensch tun, daß er von dem Gehinnom-
gericht errettet werde? Er antwortete ihm: Er gebe Almosen, teile sein Brot den
Armen aus u. gebe sein Geld den Schriftgelehrten u. ihren Schülern (zu deren Unter-
stützung). Er erhebe nicht hochmütig seinen Sinn über die Menschen u. beschäftige
sich mit der Tora u. ihren Geboten; er wandle in Demut u. rede nicht mit Hochmut
u. halte sich demütig vor denMenschen. Dann werde ich bei ihmwohnen, s. Jes 57, 15.
Und ich bezeuge es bei mir selbst: Wer diese Eigenschaften an sich hat, der wird die
zukünftige Welt in Besitz nehmen, u. wer Torakenntnis u. gute Werke u. Demut
u. Gottesfurcht besitzt, der wird vom Gericht errettet. ||BB 10b s. bei Lk 20, 35
S. 254 Anm. b; Gi 7a bei Mt6, 2 Nr. 1 S. 388. – Bezeichnend ist, daß die Redensart
„erwirb dir ein Verdienst an mir“genau soviel ist wie
„gib mir ein Almosen“ ; darin liegt, daß Almosen als ein vorzügliches Mittel zur
Erwerbung von Verdiensten vor Gott angesehen wurden. – Weiter s. im Exkurs
über altjüd. Privatwohltätigkeit. z. Belege im Exkurs: Liebeswerke.
aa. Schab 127a u. Pea 1, 1 s. im Exkurs: Liebeswerke Nr. 1. – Während von
den Gebotserfüllungen u. guten Werken im allgemeinen die Regel gilt, daß ihre Ver-
dienste nicht in diesem Leben, sondern erst in der zukünftigen Welt belohnt werden,
wird von den in Schab 127a u. Pea 1, 1 aufgeführten guten Werken gesagt, daß der
Mensch ihre Zinsen (vorläufigen Lohn) bereits in dieser Welt genieße, daß aber ihr
Kapital (der Hauptlohn) anstehen bleibe für die zukünftige Welt. Ihr Verdienst ist
also größer als das der Gebotserfüllungen u. sonstigen guten Werke, so daß der
Mensch zwiefachen Lohn für sie erwarten darf.
bb. Belege bei Mt 3, 9 S. 117 Nr. 3, S. 119 Nr.4; vgl. auch bei Lk 24, 26 S. 275. ||
Das Verdienst der Väter gleicht einem Amulett. Midr HL 3, 6 (105b): R. Chanina
b. Jiçchaq (um 325) hat gesagt: Gott sprach zu dem (mit Jakob ringenden) Engel, dem
Engelfürsten Esaus (= Roms): Wie willst du standhalten? Er kommt gegen dich u. 5
Amulette sind in seiner Hand: sein eigenes Verdienst u. das Verdienst seines Vaters
u. das Verdienst seiner Mutter u. das Verdienst seines Großvaters u. das Verdienst
seiner Großmutter. Miß dich mit ihm, auch nicht einmal seinem eigenen Verdienst
kannst du standhalten! Sofort „ sah er, daß er ihm nichts anhaben könne“Gn 32,
26. – Dasselbe GnR 77 (49d).
cc. Buße. TJoma 5, 6ff.; Joma 8, 8f.; TJoma 5,9 s. bei Mt 12, 32 Nr.1 S. 636. 637;
Aboth 4, 11; pRH 1, 57a, 49; PesiqR 40 (169a) bei Mt 4, 17 S. 166 letzter Absatz,
S. 168 Abs. 2 u. S. 169 oben; Scheb 39a bei Mt 22, 36 S. 904 Anm.f. – Fasten, s.
im gleichnamigen Exkurs. – Gebet, s. LvR 10 (10d) bei Mt4, 17 S. 167; pTaan 2,
65b, 3 ebenda S. 168f.
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3) 13

dd. Opfer, s. Joma 8, 8f. bei Mt 12, 32 Nr. 1 S. 636; TJoma 5, 9 ebenda S. 637;
ferner s. bei Röm 3, 25 S. 177 Anm. e. – Versöhnungstag, s. TJoma 5, 6ff.; Joma
8, 8f. bei Mt 12, 32 Nr. 1 S. 636; Joma 85b ebenda Nr. 4 S. 637; PesiqR 45 (185b)
bei Röm4, 7f. S. 202f.; PesiqR 45 (185b) ebenda S. 203. – Leiden, s. TJoma 5, 6ff.
bei Mt 12, 32 Nr. 1 S. 636, ferner bei Lk 24, 26 S 277 Anm. d. – Tod, s. TJoma
5, 6ff., Joma 8, 8f. bei Mt 12, 32 Nr. 1 S. 636; ferner bei Mt 3, 6 S. 114 Anm. e u. f;
Sanh 44b bei Mt 12, 32 Nr. 1 S. 637; Berakh 60a bei Mt 4, 1 S. 142 Anm. d.
3. Die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes u. der Wille des gött-
lichen Gesetzgebers.
So einfach das altsynagogale soteriologische System selbst war, so
einfach war auch die exegetisch-theologische Voraussetzung, auf der
es ruhte, nämlich daß die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes genüge,
um dem Willen des göttlichen Gesetzgebers gerecht zu werden. Dieser
Grundsatz galt als so selbstverständlich, daß über ihn überhaupt nicht
debattiert wurde. Im Wesen des Gesetzes liegt es ja, daß es nur da
Anwendung finden kann, wo eine Tat unter den Buchstaben seiner
Paragraphen fällt. Trifft der Wortlaut eines Gesetzes auf eine Tat
nicht zu, so kann über den Täter auch nicht auf Grund dieses Ge-
setzes abgeurteilt werden. Von dieser Regel machte auch die Tora,
soweit sie Gesetzeskodex war, keine Ausnahme. Umfür die juristische
Praxis verwendbar zu werden, bedurften daher ihre Satzungen nach
Inhalt u. Tragweite eingehender Erläuterungen; die Merkmale der
einzelnen Delikte waren sorgfältig festzustellen; der Richter mußte
wissen, wo die Übertretung eines Verbotes anfing u. wo sie aufhörte,
was zur Erfüllung eines Gebotes notwendig gefordert werden mußte
u. was nicht gefordert werden konnte, was als absichtliche u. was als
versehentliche Übertretung des Gesetzes anzusehen war, denn davon
hing die Schwere der Verschuldung u. die Höhe u. die Art der Strafe
ab. Dabei machte es keinen Unterschied, ob es sich um zivil- u.
kriminalrechtliche Bestimmungen derTora handelte oderumdiereligiös-
sittlichen Pflichten, die dem einzelnen Israeliten oblagen; denn die
Verletzung der letzteren gehörte ebenso vor das Forum des Richters
wie jedes andere Delikt. – Diese wissenschaftliche Arbeit an der
Tora war Sache der Schriftgelehrten. In welcher Weise undmit welchen
Mitteln diese ihrer Aufgabe genügt haben, zeigen die halakhischen
Midraschwerke Mekhiltha (zu Exodus), Siphra (zu Leviticus) u. Siphre
(zu Numeri u. Deuteronomium). Hier sehen wir, wie die einzelnen
Satzungen der Tora Wort für Wort besprochen, erläutert, unterein-
ander verglichen, gegeneinander abgegrenzt u. nach ihrem Inhalt fest-
gesetzt werden. Hier sehen wir aber auch, wie die gesamte gelehrte
Arbeit der Rabbinen sich im letzten Grund immer wieder um den
Buchstaben der Tora dreht: aus dem Buchstaben wird festgestellt,
wer zur Beobachtung einer Gesetzesbestimmung verpflichtet ist u. wer
nicht; wann die Verpflichtung zu einer Gebotserfüllung vorliegt u.
wann nicht; was man noch tun darf, ohne sich einer Übertretung
14 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3)

schuldig zu machen, u. in welchem Augenblick eine Tat zu einer Über-


tretung wird; wieviel zur Erfüllung eines Gebotes zu leisten ist u.
welche Leistungen über die Forderung des Gebotes hinausgehn; wann
eine Übertretung als eine wissentliche u. absichtliche anzusehen ist
u. wann als eine irrtümliche u. versehentliche; mit welchen Strafen
die einzelnen Übertretungen zu sühnen u. wie die verhängten Strafen
zuvollziehen sind; welche Folgerungen aus einer Gesetzesbestimmung
auf andre analoge Fälle gezogen werden dürfen u. welche nicht
u. dergleichen mehr.a Maßgebend aber für alles bleibt der Buchstabe
der Tora; denn in ihm hat Gott seinen Willen ausgesprochen. Das
so aus dem Buchstaben der Tora hergeleitete Recht ist dann in der
Mischna als Halakha, d. h. als geltendes Recht kodifiziert worden;
Ergänzungen dazu, vielfach aber auch abweichende Traditionen, bietet
die Tosephta. – In Übereinstimmung mit der Halakha, dem fest-
gesetzten u. anerkannten Recht, sollte sich nun das Gesetzesleben des
einzelnen Israeliten vollziehen. Obes sich umseine religiös-sittlichen
Pflichten gegen Gott handelte oder um sein Verhalten gegen Staat
u. Gesellschaft, überall war sein Tun undLassen geregelt durch die
Satzungen der Halakha.b Übertrat er ihre Verbote, so war er
schuldig , schuldig der festgesetzten Strafe u. schuldig vor Gott;
dennjede Übertretung desGesetzes bedeutete ja auch eine Verschuldung
gegen den Gott, der das Gesetz gegeben hatte; beobachtete er ihre
Verbote, so war er freic , frei von Schuld u. Strafe vor Gott u.
den Menschen. Erfüllte er ihre Gebote, so hatte er seiner Pflicht
genügt (wörtlich: er entging den Händen seiner Ver-
pflichtung) oder kurz ; erfüllte er ihre Gebote nicht, so hatte
er seiner Pflicht nicht genügtd , weder seiner Pflicht gegen
das Gebot, noch seiner Pflicht gegen den Gott, der hinter dem Gebote
stand. Überall aber, sowohl bei den Verboten als auch bei den Ge-
boten, blieb für die Beurteilung des menschlichen Tuns entscheidend
der Buchstabe des Gesetzes; denn da in ihm der Wille Gottes sich
aussprach, hatte der, der demBuchstaben desGesetzes genügte, zugleich
auch dem Willen Gottes genügt. Lehrreich sind in dieser Hinsicht
diejenigen Fälle, in denen man gewisse Gesetzesbestimmungen auf
Grund des Buchstabens einer andren Gesetzesbestimmung zum eigenen
Vorteil umgehen konnte. Man nannte das „ klüglich“oder „ schlau
handeln“ .e Tatsächlich lag in solchen Fällen eine Umgehung irgend-
einer Gesetzesvorschrift vor; aber da sie durch den Buchstaben einer
andren Gesetzesbestimmung legalisiert war, so galt sie als erlaubt u.
berechtigt. Daß dieses „ klügliche“Verfahren eine besonders sittliche
Handlungsweise darstelle, wird niemand behaupten; aber es zeigt,
wie die pharisäische Gesetzespraxis das sittliche Verhalten allmählich
herabdrückte auf eine Stufe mit dem korrekten Verhalten gegen den
Buchstaben des Gesetzes. Das Gesetz hörte auf, sittlichen Zwecken
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3) 15

zu dienen, die Erfüllung seines Buchstabens wurde Selbstzweck.f Das


war die letzte Folge des Grundsatzes, daß die Erfüllung des Buch-
stabens des Gesetzes sich decke mit der Erfüllung des Willens des
göttlichen Gesetzgebers. – Ernsteren Gemütern konnte es nicht ent-
gehen, daß dieser Grundsatz notwendig die Gewissen abstumpfen u.
das sittliche Handeln mechanisieren mußte. Mansuchte deshalb nach
Schutzwehren. Als solche sind anzusehn: α . Die Forderung, daß bei
einer Gesetzeserfüllung die „ Intention“ nicht fehlen dürfe, d. h.
der Israelit sollte bei einer Gesetzeserfüllung ausdrücklich in seinen
Gedanken die Absicht haben, mit dem, was er jetzt tue, dieser oder
jener Gesetzesbestimmung zu genügen.g Damit war wenigstens der
völligen Gedankenlosigkeit bei denGebotserfüllungen gewehrt. – β . Die
Bestimmung, daß eine Gebotserfüllung ungültig sei, sobald sie durch
die Übertretung eines Verbotes zustande komme.h –γ. Die An-
erkennung des Grundsatzes, daß das nachsichtige u. wohlwollende Ver-
halten gegen die Menschen höher stehe als das rein legale Verhalten
nach Maßgabe des starren Buchstabens des Rechts.i – δ . Eine große
Reihe von Aussprüchen rabbinischer Gelehrter, die in der Betonung
der rechten Herzensfrömmigkeit ein Korrektiv suchen gegen die sittlich
verflachende Werk- u. Gesetzesgerechtigkeit.k – Aber diese Vor-
schriften u. Aussprüche sind ohne durchgreifenden Erfolg geblieben:
sie haben weder die Meinung erschüttert, daß die buchstäbliche Er-
füllung des Gesetzes dem Willen Gottes Genüge tue, noch haben sie
dieauf derGrundlage derGesetzesgerechtigkeit erwachsene Soteriologie
deralten Synagoge modifizieren können. Jene Kautelen gleichen Schmuck-
u. Zierstücken, die man äußerlich am nomistischen Lehrgebäude an-
gebracht hat; sie hätten auch fehlen können; die nomistische Sote-
riologie wäre von ihrem Fortfall unberührt geblieben.
a. Beispiele s. bei Mt 5, 21 B S. 254ff.; 5, 27 S. 294ff.; 5, 32 A S. 313ff.; 5, 33
S. 321ff.; 5, 34 S. 328ff.; 5, 34–36 S. 332ff.; 5, 38 S. 337; 5, 42 S. 346ff.; 5, 43
S. 353ff.; S. 364 Nr. 2; 15, 4 S. 705ff.; 15, 5 S. 711ff.; 19, 18 A S. 810ff.; 26, 65 B
S. 1008ff.; bei Röm 7, 7 S. 234ff.
b. Vgl. die Zitate oben bei Nr. 2 Anm. l S. 9.
c. Schab 10, 3: (Am Sabbat war das Hinaustragen eines Gegenstandes aus einem
Privatbereich [zB Wohnhaus] in einen öffentlichen Bezirk [zB Straße] als Arbeit streng
verboten. Hierzu heißt es:) Wer etwas hinausträgt, sei es in seiner rechten, sei es
in seiner linken Hand, in seinem Busen oder auf seiner Schulter, der ist schuldig
... Trägt er es hinaus auf der Rückseite (oberen Seite) seiner Hand, mit seinem
Fuß, mit seinem Mund oder mit seinem Ellbogen, an seinem Ohr oder in seinem Haar
oder in seinem Geldbeutel1 mit der Öffnung nach unten, zwischen dem Geldbeutel
u. seinem Hemd oder am (im) Saum seines Hemdes, in seinem Schuh, an seiner Sandale,
so ist er frei , weil er nicht hinausträgt, wie man hinauszutragen pflegt. – Das
ungewöhnliche Hinaustragen fällt nicht unter den Begriff „ Arbeit“, darum ist es nicht
verboten. Wir haben hier ein Beispiel, wie dank der buchstäblichen Ausdeutung des
Begriffs „Arbeit“zwei nach Zweck u. Erfolg ganz gleiche Handlungen je nach der
Art ihrer Ausführung bald als streng verboten, bald als gesetzlich u. damit auch als
1 Eine sogenannte Geldkatze, die um den Leib gelegt wurde.
16 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3)

sittlich1 erlaubt angesehen werden. ||Das. 10, 2: Wenn einer (am Sabbat) Speisen
hinausträgt u. setzt sie auf der (Haus-)Schwelle nieder, so ist er, sowohl wenn er sie
hinterher (ganz) hinausträgt, als auch wenn ein andrer sie hinausträgt, frei, weil er seine
Arbeit nicht auf einmal verrichtet hat (u. eine solche gilt nicht als Arbeit im eigent-
lichen Sinn des Worts). ||Das. 12, 3–6: Wer zwei Buchstaben (an einem Sabbat)
schreibt, sei es mit seiner rechten oder mit seiner linken Hand, sei es, daß sie ein
u. denselben Namen, oder daß sie zwei (verschiedene) Namen haben, oder daß sie mit
zwei (verschiedenen) Farbstoffen geschrieben sind, in welcher Sprache es auch sei, –
der ist schuldig (denn das Schreiben am Sabbat gehört zu den verbotenen Arbeiten).
R. Jose (um 150) hat gesagt: Zwei Buchstaben machen nur als Kennzeichnung strafbar
(wenn man mit ihnen etwas ausdrücken, mitteilen kann); denn so hat man auf die
Bretter der Stiftshütte geschrieben, umzu wissen, welche aneinander gehören ... Wer
zwei Buchstaben während eines einmaligen Vergessens (daß Sabbat ist) schreibt, ist
schuldig; hat er mit Tinte, mit Lampenruß, mit Rotstift, mit Harz, mit Kupfervitriol
oder mit sonst etwas, was ein Zeichen macht, geschrieben; hat er auf zwei Wände,
die einen Winkel bilden (also nebeneinander liegen), oder auf zwei Tafeln des Rechnungs-
buches geschrieben, so daß sie (die beiden Buchstaben) zusammen gelesen werden
können, so ist er schuldig. Wer auf seinen Leib schreibt, ist schuldig; wer in seinen
Leib einritzt (ihn tätowiert), den erklärte R. Eliezer (um 90) eines Sündopfers für
schuldig , R. Jehoschua (um 90) aber sprach ihn frei . Schrieb er mit Ge-
tränken, mit Fruchtsaft, in Wegestaub, in Schreibersand (Streusand) oder in sonst
etwas, was keinen Bestand behält, so ist er frei (ein solches Schreiben gilt nicht als
Schreiben). Schrieb er mit verkehrter Hand, mit seinem Fuß, mit seinem Mund oder
mit seinem Ellbogen; schrieb er einen Buchstaben an eine (andre) Schrift dicht heran,
oder schrieb er auf eine (andre) Schrift; beabsichtigte er, ein Cheth zuschreiben,
u. schrieb dafür zwei Zajin ; schrieb er einen Buchstaben auf die Erde u. einen auf
einen Balken (der Decke) oder auf zwei Wände des Hauses oder auf zwei Spalten
der Tafel, so daß sie nicht zusammen gelesen werden können, so ist er frei (ein solches
Schreiben gilt nicht als Schreiben). Wer einen Buchstaben als Notariqon (Wortab-
kürzung) schreibt, den hat R. Jehoschua b. Bathyra (um 110) für schuldig erklärt
(weil der eine Buchstabe als volles Wort anzusehen ist), die Gelehrten aber sprachen
ihn frei (weil er als ein Buchstabe gilt). Wer zwei Buchstaben während eines zwei-
maligen Vergessens (daß Sabbat ist) schrieb, den einen am Morgen u. den andren in
der Abenddämmerung, den hat Rabban Gamliël (um 90) für schuldig erklärt, die Ge-
lehrten aber sprachen ihn frei. ||Schebu 4, 13: Wer bei allen diesen Namen (Adonai,
Schaddai, Çebaoth u. den Nebenbenennungen, wie der Gnädige, der Barmherzige, der
Langmütige usw.) Gott lästert, ist schuldig; das sind Worte des R. Meïr (um 150);
die Gelehrten aber sprachen ihn frei. – Dementsprechend bestimmt Sanh 7, 5: Der
Lästerer ist schuldig, erst wenn er (bei seiner Gotteslästerung) den (eigentlichen) Gottes-
namen (d. h. Jahve) ausdrücklich ausspricht. – Ohne Zweifel hatte R. Meïr den Sinn
des Gesetzes besser getroffen als seine Kollegen, aber diese hatten den Wortlaut von
Lv 24, 11 für sich: „ Er lästerte den Namen (d. h. Jahve) u. verwünschte ihn“ , u. so
blieb der Buchstabe auch für die Halakha maßgebend; vgl. SLv 24, 15 (424a, 20).
d. Berakh 2, 1: Las jemand in der Tora (gerade die Schema-Abschnitte), als die
Zeit der Schema Rezitation herankam, so hat er, wenn er seinen Sinn darauf gerichtet
hatte (d.h. wenn er beabsichtigte, mit jenem Lesen seine Rezitationspflicht zu erfüllen),
seiner Pflicht genügt ; wenn aber nicht, so hat er nicht genügt . ||Das. 2, 3:
Wer das Schema rezitiert, ohne es seinem Ohr hörbar zu machen, hat seiner Pflicht
genügt ; R. Jose (um 150) sagte: Er hat ihr nicht genügt . Hat er rezitiert,
ohne die Buchstaben genau auszusprechen, so hat er, wie R. Jose sagte, seiner Pflicht
genügt; R. Jehuda (um 150) sagte: Er hat ihr nicht genügt. Wer in verkehrter Reihen-

1 Da Gott der Gesetzgeber ist, gilt jedes gesetzmäßige Handeln zugleich als ein
religiös-sittliches Handeln.
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3) 17

folge rezitiert, hat seiner Pflicht nicht genügt. ||TBerakh 2, 2 (3): Wer das Schema rezi-
tiert, muß sein Herz (in Andacht) darauf richten. R. Achai (um 180?) sagte imNamen des
R. Jehuda (um150): Wenn er beim ersten Abschnitt sein Herz darauf gerichtet hatte,
hat er seiner Pflicht genügt. ||Berakh 6, 2: Hat jemand über Baumfrüchte den Lobspruch
gesprochen: „ Der die Frucht des Erdbodens schafft“ , so hat er seiner Pflicht genügt; über
Erdfrüchte: „ DerdieBaumfrucht schafft“ , so hat er seiner Pflicht nicht genügt . Bei
allem aber hat er seiner Pflicht genügt, wenn er sagt: „Durch dessen Wort alles geworden
ist.“||Pes 2, 5f.: Dies sind die Dinge, mit denen man am Passah seiner Pflicht (un-
gesäuertes Brot zu essen) genügt : mit Weizen, Gerste, Emmer,
Kolbenhirse, Hafer. ... Und dies sind die Kräuter, mit denen man am Passah seiner
Pflicht (bittere Kräuter zu essen Ex 12, 8) genügt: mit Lattich, Zichorie, Kresse, Manns-
treu, Bitterkraut. Man genügt mit ihnen seiner Pflicht , sowohl wenn sie
frisch, als auch wenn sie welk sind; aber nicht, wenn sie eingelegt, gesotten oder
gekocht sind. ||Meg2, 1f.: Wer die Estherrolle (am Purimfest) in verkehrter Reihen-
folge liest, hat seiner Pflicht nicht genügt. Las er sie auswendig oder als Übersetzung
in irgendeiner Sprache, so hat er seiner Pflicht nicht genügt. ... Las er sie stück-
weise (mit Unterbrechungen) oder schlummerte er ein (u. las nach dem Erwachen
weiter), so hat er seiner Pflicht genügt; schrieb er sie (gerade) ab, erklärte er sie,
korrigierte er sie, so hat er, wenn er sie damit zu lesen beabsichtigte (vgl. oben zu
Anfang der Anm. d Berakh 2, 1), seiner Pflicht genügt; wenn aber nicht, so hat er
ihr nicht genügt. War sie (die Estherrolle) geschrieben mit Lampenruß, mit roter Farbe,
mit Harz, mit Kupfervitriol auf Papier oder auf (rauhem) Leder, so hat er seiner Pflicht
nicht genügt, bis sie assyrisch (inQuadratschrift) in einem Buch(auf einer Pergamentrolle)
mit Tinte geschrieben ist.
e. MSch 4, 4: (Die Früchte des zweiten Zehnten sollten in Jerusalem verzehrt werden;
zur Vermeidung der Transportschwierigkeiten durften sie jedoch durch Geld ausgelöst
werden; die Höhe der Ablösungssumme wurde festgesetzt durch Abschätzung des Geld-
wertes der Früchte unter Hinzuziehung eines Zuschlags von 25%; s. das Nähere im
Exkurs: Abgaben von den Bodenerzeugnissen. Hierzu heißt es dann weiter:) Man
kann schlau in bezug auf den zweiten Zehnten handeln (nämlich um demZu-
schlag der 25% zu entgehen). Wie denn? Man sagt zu seinem erwachsenen Sohn
oder zu seiner Tochter, zu seinem hebräischen Sklaven oder zu seiner Sklavin: „Hier
hast du Geld, löse diesen zweiten Zehnten für dich aus!“– Nach der rabbinischen
Auffassung von Lv 27, 31 hat nur der Besitzer der Früchte bei ihrer Auslösung den
Zuschlag zu entrichten; indem jetzt andre die Auslösung für sich vornehmen, fällt
der Zuschlag fort. Diefolgende Mischna zeigt dann einen zweiten Weg, wie der Zuschlag
vermieden werden konnte. Es heißt das. 4, 5: Steht er (der Besitzer der Früchte)
auf der Tenne, ohne Geld (zur Auslösung) bei sich zu haben, so sagt er zu einem
andren: „ Siehe, diese Früchte seien dir als Geschenk gegeben!“ (Jetzt gibt er kein
Geld zur Auslösung wie im ersteren Fall, sondern verschenkt die Früchte selbst).
Darauf sagt er weiter: „ Siehe, diese (Früchte) sollen entheiligt (ausgelöst) sein durch
das Geld in meinem Hause!“(Damit hat er, weil ja die Früchte verschenkt waren,
fremde Früchte ausgelöst, u. der Zuschlag kam wiederum in Fortfall). ||Schab 16, 3:
Man darf (an einem Sabbat aus einer Feuersbrunst an Lebensmitteln) retten einen
Korb voll Brote, wären darin auch für 100 Mahlzeiten, einen Feigenkuchen u. ein Faß
Wein. Man darf zu andren (die sich an der Brandstätte gerade befinden) sagen:
„ Kommt u. rettet für euch!“(Dadurch hat er seine dem Feuer ausgesetzten Güter
für herrenlos erklärt; sie gehören jetzt jedermann, der von ihnen Besitz ergreift; so
kann nun auch jedermann davon retten, soviel ein Eigentümer am Sabbat retten darf.
Dannheißt es weiter:) Undwennsie klug sind, rechnen sie mit ihmnach demSabbat
(d. h. sie geben die herrenlos gewordenen u. geretteten Sachen gegen einen billigen
Preis an den ursprünglichen Eigentümer zurück; dann ist unter legalster Umgehung
der Bestimmungen des Sabbatgesetzes allen Beteiligten geholfen: der Besitzer hat die
geretteten Sachen wieder u. die Hilfsbereiten haben eine kleine Entschädigung für ihre
Strack u. Billerbeck, NT IV 2
18 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3)

Mühe). ||Tem 5, 1: (Ein erstgeborenes Stück Vieh gehörte Gott, s. zB Ex 13, 2; 34, 19;
genauer bestimmt Nu 18, 17f. über die opferbaren erstgeborenen Tiere, daß ihr Blut
an denAltar geschwenkt werde u. ihr Fett in Rauch aufgehen solle, während ihr Fleisch
den Priestern zufiel. In bezug auf diese Bestimmungen wird nun gefragt:) Wie kann
man schlau handeln in bezug auf ein erstgeborenes Stück Vieh (nämlich um
denPriester ganz oder teilweise umdas Seine zu bringen)? Wenn ein Tier zumerstenmal
trächtig ist, sagt man (der Besitzer): „ Was im Mutterleib dieses Tieres ist, soll, wenn
es ein männliches Tier ist, ein Brandopfer sein!“Wirft es dann ein männliches Tier,
so wird dieses als ein Brandopfer dargebracht (dann stand dem Priester davon nur
das Fell zu Lv 7, 8). „ Undwenn es ein weibliches Tier ist, soll es ein Friedmahlopfer
sein!“Wirft es dann ein weibliches Tier, so wird dieses als ein Friedmahlopfer dar-
gebracht (u. davon stand dem Priester nur die rechte Keule u. die Brust zu Lv 7, 31–34,
während das übrige Fleisch dem Darbringer des Opfers, also dem Besitzer gehörte
Lv 7, 15–18; 19,5f.). Dieses „klügliche“Verfahren stand ohne Zweifel im Widerspruch
mit Lv 27, 26: „Doch ein Erstgeborenes, das unter dem Vieh Jahven als Erstgeborenes
geboren ist, das soll niemand heiligen“(auf den Namen eines andren Opfers, weil
es ihm nicht gehört, Raschi). Aber die halakhische Buchstabenexegese deutete die
Stelle: Nachdem es als Erstgeborenes geboren ist, darfst dues nicht heiligen (weihen),
wohl aber darfst du es heiligen vom Mutterleib (wenn es noch im Mutterleib ist),
SLv27, 26 (468a). Damit war dann die Möglichkeit gegeben, das demPriester Nu18, 18
Zugesicherte in der oben angegebenen Weise in völlig legaler Form zuschmälern. ||
Naz2, 5: Wenn einer sagt: Siehe, ich will ein Nasiräer sein! u. mir soll es (außerdem)
obliegen einen (andren) Nasiräer scheren zu lassen (für ihn das Scheropfer zu bezahlen,
vgl. bei Apg 21, 23f. S. 755ff.), u. ein andrer hört es u. sagt: Auch ich (will ein Nasi-
räer sein)! u. (auch) mir soll es obliegen einen (andren) Nasiräer scheren zu lassen,
so können sie, wenn sie klug sind, sich gegenseitig scheren lassen (u. so ihr
zweites Gelübde zum eigenen Vorteil kostenlos erfüllen); wenn (sie aber) nicht (klug
sind), so müssen sie (noch zwei) andre Nasiräer scheren lassen (u. so die Kosten ihres
zweiten Gelübdes ebenfalls bezahlen. Das Nichtbeschlagensein in der Halakha
kostet also unter Umständen Geld). ||TBeça 3, 2 s. bei Mt 12, 11 S. 629 unten. Ferner
s. pSchab 2, 5b, 62.
f. Pesiq 40b sagt Rabban Jochanan b. Zakkai (†um80) zu seinen Jüngern: Nicht
der Tote verunreinigt u. nicht das Wasser macht rein; aber es ist eine Bestimmung
des Königs aller Könige. Gott hat gesagt: Eine Satzung habe ich festgesetzt, eine
Bestimmung habe ich getroffen; kein Mensch ist berechtigt über meine Bestimmung
sich hinwegzusetzen. – Das Gesetz u. seine Bestimmungen sind da, um gehalten zu
werden; nach Grund u. Zweck hat niemand zu fragen. ||Berakh 33b, 22: R. Jose b.
Abin (um 350) hat gesagt: Die Gebote sind lediglich Befehle (u. als solche sind sie
einfach auszuführen). Vgl. auch SLv 20, 26 (374a) u. 18, 4 (338a) bei 1 Kor 9, 9 B
S. 397.
g. Berakh 13a: Die Gebotserfüllungen bedürfen der Absicht . – Vgl. auch
Berakh 2, 1 oben in Anm. d S. 16.
h. Sukka 29b: (Warum ist ein gestohlener Feststrauß untauglich zur Erfüllung des
Gebotes Lv 23, 40?) R. Jochanan (†279) hat im Namen des R. Schimon b. Jochai
(um 150) gesagt: Weil er eine Gebotserfüllung ist, die durch eine Übertretung (des
Gebotes: Du sollst nicht stehlen) zustande kommt . ||Ferner s. bei
Eph 4, 28 B S. 604.
i. Es handelt sich hier um die Wendungen Linie des Rechts“u.

„nach innen zu von der Linie des Rechts.“Die Erklärung der Wendungen
s. bei 2 Kor 3, 6 B S. 501f.; als weiteres Beispiel s. Mekh Ex 18, 20 bei Mt. 5, 41
S. 345 Abschnitt B. ||DtR 4 (201d): R. Chaggai (um 330) hat gesagt: (Gott sprach:)
Nicht nur, daß ich euch zwei Wege vorgelegt habe (s. Dt 30, 19), sondern ich bin auch
nach innen zu von der Linie des Rechts gegangen u. habe zu euch gesagt: So wähle
denn das Leben! Dt 30, 19. ||Beispiele für die praktische Anwendung des Grundsatzes:
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 3 u. 4) 19

„ Innerhalb der Linie des Rechts“ . BQ 99b: Eine Frau zeigte dem R. Chijja (um200)
einen (Gold-)Denar. Er sagte zu ihr: Er ist gut. (Daraufhin erwarb sie ihn.) Amnächsten
Tage kam sie vor ihn u. sprach zu ihm: Ich habe ihn (in den Wechslergeschäften)
vorgezeigt, u. man hat mir gesagt, er sei schlecht, so daß ich ihn nicht ausgeben
kann. Er sagte zu (seinem Neffen) Rab (†247): Geh, tausche ihn um u. schreib auf
meine Tafel (in mein Rechnungsbuch): Das war ein schlechtes Geschäft! ... R. Chijja
wollte innerhalb der Linie des Rechts tun, was er tat. (Nach dem Buchstaben des
Gesetzes war er zumErsatz nicht verpflichtet; er ließ sich von Billigkeitsrücksichten
leiten u. blieb so diesseits des strengen Rechts.) ||BM24b: Rab Jehuda (†299) ging
hinter Mar Schemuël (†254) in der Grützmacherstraße einher. Er sprach zu ihm:
Wenn man hier einen Geldbeutel findet, wie ist es (muß man ihn ausrufen lassen
u. zurückgeben)? Er antwortete ihm: Siehe, er gehört ihm (denn die Mehrzahl der
hier Wohnenden sind Nichtisraeliten, so daß anzunehmen ist, daß auch der Verlierer
ein Nichtisraelit ist). Wenn dann aber ein Israelit kommt u. ein Kennzeichen daran
angibt, wie ist es? Er antwortete ihm: Er ist verpflichtet ihn zurückzugeben. Beides
(soll gelten)? Er sprach zu ihm: Innerhalb der Linie des Rechts (während er nach
dem Buchstaben des Gesetzes nicht zur Zurückgabe verpflichtet ist). Das entspricht
der Meinung des Vaters Schemuëls: er fand Esel in der Wüste u. gab sie ihrem Eigen-
tümer nach 12 (lies statt ) Jahresmonaten wieder, also innerhalb der Linie
des Rechts. ||Ein weiteres Beispiel s. BM 30b, 11. ||Inhaltlich gehören ferner folgende
Stellen hierher, wenn sie auch die Wendung von der nicht gebrauchen.
BM 88a Bar: Warum sind die Kaufläden von Beth-Hino1 drei Jahre vor Jerusalem
zerstört worden? Weil sie ihre Worte auf die Worte der Tora gründeten (wegen des
eigenen Vorteils sich streng an den Buchstaben des Gesetzes hielten). Sie sagten:
„ Du sollst genau verzehnten ... u. sollst essen“Dt 14, 22f. (also der Konsument soll
verzehnten), aber nicht der Verkäufer; „ den Ertrag deiner Aussaat“(also der Produzent
soll verzehnten), aber nicht der Käufer (Zwischenhändler). ||BM 83a: Dem Rabbah bar
bar Chanan (um 280; wohl richtiger zu lesen: „ Dem Rabbah bar Chanan“ , um220)
zerbrachen die Lastträger ein Faß Wein. Er nahm ihre Mäntel weg. Sie kamen u.
sagten es Rab (†247). Er sprach zu ihm: Gib ihnen ihre Mäntel! Er antwortete ihm:
Ist so das Recht? Er sprach zu ihm: Ja, „damit du gehest auf dem Wege der Guten“
Spr 2, 20. Da gab er ihnen ihre Mäntel. Sie sprachen zu ihm: Wir sind arm u. haben
uns den ganzen Tag abgemüht, u. wir sind hungrig u. haben nichts. Rab sprach zu
ihm: Geh, gib ihren Lohn! Er antwortete ihm: Ist so das Recht? Er sprach zu ihm:
Ja, „damit du einhaltest die Pfade der Gerechten“Spr 2, 20. – In diesen Stellen
spricht sich die Erkenntnis aus, daß es eine höhere u. vollkommenere Erfüllung des
Gesetzes gibt, als die ist, welche lediglich in der Befolgung seines Buchstabens besteht.
k. Es sei auf folgende Stellen verwiesen: SDt 11, 13 § 41 (79b) bei Mt 23, 8 A
S. 918 oben; SDt 6, 5 § 32 (73a) bei Mt22, 37 S. 906; Schab 88b bei Mt5, 39 S. 342 oben;
Soa 31a u. pSoa 5, 20c, 31 bei Lk 1, 74 S. 112; Aboth 2, 12 bei Mt 10, 41 S. 591
Abs. 2; Joma 72b bei Mt 23, 28 S. 937; Joma 72b bei Röm 2, 13 S. 85 Anf.; Schab
31a, 41 ebenda; Schab 31a, 38 bei Mt 5, 13 S. 235 Nr. 4 Ende; SDt 32, 29 § 323 (138b)
bei Mt 4, 17 B S. 176f.; Aboth RN 16 Ende bei Mt 5, 43 S. 359 Anm. f.; Sukka 49b
bei Mt5, 7 S. 203 Nr. 1; Men13, 11 bei Mk 12, 43 S. 46 Anm. b. ||Aboth 1, 3: Anti-
gonos aus Sokho (um 180 v. Chr.?) pflegte zu sagen: Seid nicht wie die Knechte,
welche dem Herrn dienen in der Absicht Lohn zu empfangen; sondern seid wie die
Knechte, die dem Herrn dienen ohne die Absicht Lohn zu empfangen; u. es sei Gottes-
furcht auf euch!
4. Jesu Kampf gegen die Soteriologie der Schriftgelehrten.
Jesus erwähnt in der Bergpredigt ausdrücklich weder die Soteriologie
der Schriftgelehrten, noch auch die Voraussetzung, auf der diese ruht,
1 Vgl. bei Mt 21, 17 S. 855 u. bei Joh 18, 13 S. 570 Anm. d.
2*
20 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 4)

nämlich die Meinung, daß die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes


genüge, umdemWillen des göttlichen Gesetzgebers gerecht zuwerden.
Und doch bekämpft er tatsächlich beides auf das entschiedenste. Nur
ist seine Kampfesweise von besonderer Art: er polemisiert nicht mit
Worten gegen das Alte u. Unbrauchbare, um es zu zerstören, sondern
er setzt aufbauend an dessen Stelle einfach das Neue u. Bessere u.
überläßt es dann den Gewissen seiner Hörer in voller Freiheit sich
selbst zu entscheiden, sei es für das Alte, sei es für das Neue. Er
stellt der pharisäischen Gesetzesgerechtigkeit zunächst die höhere u.
bessere Gerechtigkeit entgegen, ohne die niemand in das Reich Gottes
eingehen kann (Mt 5, 20). Dann macht er seinen Hörern deutlich,
wasesumdiese bessere Gerechtigkeit ist. Er zeigt aneinigen Beispielen,
wie unendlich weit die Forderungen, die in Gottes Geboten beschlossen
liegen, über die buchstäbliche Deutung hinausgehen, die die Schrift-
gelehrten diesen Geboten gegeben haben. Wenn aber die buchstäbliche
Deutung der Gebote demSinn nicht gerecht wird, den Gott in seine
Gebote gelegt hat, so folgt daraus, daß auch ihre buchstäbliche Er-
füllung demWillen Gottes nicht Genüge leisten u.jene Gerechtigkeit
geben kann, die vor Gott gilt. Damit war die Grundlage zerstört,
auf der die Soteriologie der Schriftgelehrten ruhte, u.das nomistische
System der Pharisäer brach in sich selbst zusammen. Doch bleibt
Jesus hierbei nicht stehn. Durch die Auslegung, die er den göttlichen
Geboten gibt, will er seinen Hörern zugleich zum Bewußtsein bringen,
daß ihre eigene Kraft völlig unzulänglich sei, Gottes Gebote so zu
erfüllen, wie sie nach Gottes Willen erfüllt werden sollen. Jene „
Armut
am Geist“soll in den Hörern aufkommen, der die erste Seligpreisung
(Mt 5, 3) gilt, damit die bange Frage in ihnen laut werde: Wer kann
dann selig werden? (Mt 19,25). Jener Hunger soll in ihnen geweckt
werden, der die Verheißung der Befriedigung hat (Mt 5, 6), nämlich
der Hunger nach der wahren Gerechtigkeit, die Jesus dem beilegen
wird, der seinen Worten gläubig folgt; um den mögen die Stürme
brausen, auch die Stürme des göttlichen Gerichts, er fällt nicht; denn
er hat Gottes Urteil für sich (vgl. Mt 7, 24f.). Das ist der Punkt, an
dem der Mensch sich zu entscheiden hat. Die Entscheidung lautet:
für Jesus oder gegen Jesus! – Das jüdische Volk als Ganzes hat sich
gegen Jesum entschieden. Sein sanftes Locken u. Ziehen ist vergeblich
gewesen (Mt 23, 37; Lk 13, 34). Es schienen andre Mittel nötig zu
sein, den Panzer der Selbst- u. Gesetzesgerechtigkeit zu lockern u. zu
lösen, dendie Schriftgelehrten umdas Volk gelegt hatten. Ein Gesetzes-
lehrer, der zuAnfang des 4. Jahrhunderts gelebt hat, R. Abba b. Kahana,
hat einmal den Ausspruch getan: Erfolgreich ist das Abziehen des
Siegelrings (von der Hand des Achaschverosch Esth 3, 20) weit mehr
gewesen als die 48 Propheten u. 7 Prophetinnen, die den Israeliten
geweissagt haben; denn sie alle vermochten diese nicht zumBesseren
1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 4) 21

zubekehren; u.siehe, dasAbziehen desSiegelrings hat sie zumBesseren


bekehrt, Meg 14a, 7.1 R. Abba b. Kahana wollte damit sagen, daß Gottes
Strafgerichte noch immer wirksamer an Israel arbeiteten als alles
Predigen seiner Propheten. In der Tat als das Strafgericht des Jahres
70 n. Chr. das jüdische Volk getroffen hatte, schien es, als ob der
Zusammenbruch des jüdischen Staatswesens in weiten pharisäisch ge-
richteten Kreisen zugleich den Zusammenbruch des stolzen Baues der
Gesetzesgerechtigkeit vor Gott zur Folge haben würde. Man fühlte
die eigene Ohnmacht u. besann sich auf Gottes Gnade. Und doch
auch dieses Strafgericht wirkte nur Stückwerk. Es fehlte der sittliche
Mut, der einst den Apostel Paulus beseelte, der Mut, mit der alten
Selbstgerechtigkeit ganz zubrechen u. sich ausschließlich in Gottes
Gnade zu flüchten. Man blieb auf halbem Wege stehn: halb Gnade
u. halb eigenes Verdienst sollte die Rettung werden.a Und so trat
ein, was zu erwarten war: die „ Decke Moses“legte sich allmählich
aufs neue auf Israels Herz, vielleicht noch fester u. dichter als vordem.
Erst wenn Israel sich zumHerrn bekehren wird, wird die Decke Moses
ringsum abgenommen 2 Kor 3, 16.
a. Wir geben nur zwei Beispiele, eins aus den Pseudepigraphen u. eins aus der
rabbinischen Literatur; beide sind lehrreich durch den Trost, den man sich selbst
gespendet hat. – Im 4. Esra heißt es 7, 46ff. 65–69. 119–126; 8, 31–36: Wer ist
unter den Lebenden, der nicht gesündigt? wer unter den Weibgeborenen, der nicht
deinen Bund gebrochen? Jetzt erkenne ich, daß die zukünftige Welt wenigen Erquickung
bringen wird, vielen aber Pein. Denn erwachsen ist uns das böse Herz; das hat uns
diesem (dem Bunde) entfremdet u. der Vernichtung nahegebracht; es hat uns des
Todes Wege gewiesen u. des Verderbens Pfade gezeigt u. uns vom Leben ferne geführt;
u.dies nicht etwa wenige, nein, fast alle, die geschaffen sind! ... So traure der Menschen
Geschlecht, dieTiere desFeldes mögen sich freuen! Mögen alle Weibgeborenen jammern,
das Vieh aber u. Wild soll frohlocken! Ihnen ergeht’s ja viel besser als uns; denn
sie haben kein Gericht zu erwarten, sie wissen nichts von einer Pein, noch von einer
Seligkeit, die ihnen nach dem Tode verheißen wäre. Wir aber, was nützt es uns, daß
wir einst zur Seligkeit kommen können, aber (in Wirklichkeit) in Martern fallen?
Denn alle, die geboren sind, sind von Gottlosigkeiten entstellt, voll von Sünden, mit
Schuld beladen. Undviel besser wäre es für uns, wenn wir nach dem Tode nicht
ins Gericht müßten! ... Was hilft es uns, daß uns die Ewigkeit versprochen ist, wenn
wir Werke des Todes getan haben? daß uns eine unvergängliche Hoffnung verheißen
ist, wenn wir so traurig der Eitelkeit verfallen sind? daß uns Stätten voll Genesung
u.Frieden bereitet sind, wenn wir im Elend dahingegangen sind? daß einst des Höchsten
Herrlichkeit die beschirmen soll, die sich rein erhalten haben, wenn wir auf schänd-
lichen Wegen gewandelt haben? daß das Paradies erscheinen soll, dessen Früchte
ewig bleiben, die Sättigung u. Heilung verleihen, wenn wir doch niemals hineinkommen,
weil wir an scheußlichen Orten verweilt haben? daß das Antlitz der Reinen heller
als Sonnenglanz strahlen wird, wenn unser eigenes Antlitz finsterer sein wird als die
Nacht? Denn ach, wir haben im Leben, da wir Sünde taten, der Leiden nicht gedacht,
die uns nach dem Tode bevorstehen! ... Wir u. unsre Väter haben in Werken des
Todes dahingelebt, duaber bist gerade, weil wir Sünder sind, der Barmherzige genannt.
Denn gerade weil wir nicht Werke der Gerechtigkeit haben, wirst du, wenn duein-
1 Ähnliche Gedanken s. in pTaan 1, 1 (63d) bei Mt 4, 17 A S. 162 Nr. 1 u. in Midr
KL 4, 22 Anfang.
22 1. Exkurs: Zur Bergpredigt Jesu (Nr. 4) – 2. Exkurs: Der Todestag Jesu

willigst uns zu begnadigen, der Gnädige heißen. Denn die Gerechten, denen viele
Werke bei dir bewahrt sind, werden aus eigenen Werken den Lohn empfangen. Was
ist aber der Mensch, daß du ihm zürnen solltest, was das sterbliche Geschlecht, daß
du ihm so grollen könntest? Denn in Wahrheit niemand ist der Weibgeborenen, der
nicht gesündigt, niemand der Lebenden, der nicht gefehlt. Denn dadurch wird deine
Gerechtigkeit u. Güte, Herr, offenbar, daß du dich derer erbarmst, die keinen Schatz
von guten Werken haben. – So weit das Bekenntnis der eigenen Sünde u. Un-
gerechtigkeit u. der Appell an Gottes Gnade u. Erbarmen. Darauf wird 8, 47–49 der
Trost gespendet: „ Du hast dich oft den Sündern gleichgestellt; nimmermehr! Vielmehr
wirst du auch darum vor dem Höchsten Ruhm empfangen, weil du dich, wie dir
zukommt, erniedrigt u. dich nicht zu den Gerechten gezählt hast; des wirst du um
so größere Ehre haben.“– Mögen also die Werke der Gerechtigkeit fehlen, immer
noch ist ein Verdienst da, das als Gerechtigkeit angerechnet werden kann u. dessen
der Verfasser des 4. Esra sich getröstet, das ist seine Demut. ||Sanh 81a: (Ez 18,5–9:
Wenn einer gerecht sein wird u. Recht u. Gerechtigkeit übt, auf den Bergen nicht
ißt u.seine Augen nicht nach denGötzen ... aufhebt ...; in meinen Satzungen wandelt
u. meine Rechte beobachtet, ehrlich zu handeln, der ist gerecht: leben soll er gewißlich,
ist der Spruch des Allherrn Jahve.) Wenn Rabban Gamliël (um 90) an diese Schrift-
stelle kam, weinte er u. sprach: Wer dies alles tut, der soll leben, durch eins von
ihnen nicht. R. Aqiba (†um 135) sprach zu ihm: Demnach also auch: „ Nicht sollt
ihr euch durch dies alles verunreinigen“Lv 18, 24, durch sie alle, ja (da wird er
unrein u. strafbar), durch eins von ihnen, nein? Vielmehr durch eins von ihnen allen
(wird er strafbar), so auch durch eins von ihnen allen (Ez 18, 5–9, wer es tut, der
wird gewißlich leben)! – So wohl der frühere R. Aqiba, dem eins der guten Werke
in Ez 18, 5ff. zum Seligwerden genügt; der spätere R. Aqiba versteifte sich wieder
auf das Majoritätsprinzip: „ alles nach der Mehrzahl der Werke“ , s. Aboth 3, 15f. oben
bei Nr. 2 Anm. e S. 7. – Parallelen: Mak 24a; in Midr Ps 15 § 7 (60a) mit den
Schlußworten: Wer eins von ihnen (den Werken in Ez 18, 5ff., bezw. in Ps 15, 1ff.)
tut, ist, als ob er sie alle getan! Da sprach Rabban Gamliël zu ihm: Du hast mich
getröstet, Aqiba, du hast mich getröstet!

Der zweite Exkurs


Der Todestag Jesu
befindet sich in Band II S. 812ff.
Dritter Exkurs
Das Beschneidungsgebot
(zu Lk 1, 59)
Die Beschneidung ist Abraham u. seinen Nachkommen von Gott
Gn 17 befohlen worden. Das mosaische Gesetz setzt die Beschneidung
als alte Sitte voraus u. erwähnt sie beiläufig Lv 12, 3. Doch haben
einige rabbinische Gelehrte das Beschneidungsgebot auch in Ex 19, 5a
oder in Ex 20, 10b finden wollen. – Das Wichtigste aus den Aus-
führungen zumBeschneidungsgebot ist im Nachfolgenden zusammen-
gestellt.
a. Aggad Beresch 17 § 2 (16a): Der König Agrippa fragte den R. Eliezer den
Älteren (um 90) u. sprach zu ihm: Wenn die Beschneidung vor Gott so beliebt ist,
warum wurde sie dann nicht bei der Gesetzgebung mit den Zehn Geboten geschrieben?
Siehe, er warnt wegen des Götzendienstes, wegen des Schwurs bei Gottes Namen,
wegen des Sabbats, wegen der Ehrerbietung gegen die Eltern, wegen des Mordes,
wegen des Ehebruchs, wegen des Diebstahls, wegen des falschen Zeugnisses, wegen
des Begehrens. Wegen all dieser Dinge warnt er, aber wegen der Beschneidung warnt
er nicht. R. Eliezer antwortete ihm: Du hast zu mir gesagt, daß dudie Tora zu lesen
verständest; aber siehe, duverstehst es nicht. Nimm sie u. beachte: Bevor Gott ihnen
die Tora gab, hat er ihnen die Beschneidung gegeben; denn es heißt: Im dritten
Monat usw. Ex 19, 1; sie brachen auf usw. Ex 19, 2; Mose stieg empor usw. Ex 19, 3;
ihr selbst habt gesehen usw. Ex 19, 4; u. nun wenn ihr auf meine Stimme hört u.
meinen Bund beobachtet Ex 19, 5, damit ist der Bund der Beschneidung gemeint. –
Dasselbe kürzer Tanch 20b; in PesiqR 23 (116b) ist der Fragende der Proselyt
Aqilas, u. die Deutung von Ex 19, 5 lautet: Das ist der Bund des Sabbats u. der
Beschneidung. – Zu dieser Deutung vgl. Mekh Ex 19, 5 (70b): Wenn ihr meinen
Bund beobachtet Ex 19, 5; R. Eliezer (um90) sagte: Das ist der Bund des Sabbats;
u. R. Aqiba (†um 135) sagte: Das ist der Beschneidungsbund u. der Götzendienst.
b. PesiqR 23 (117a): Eine Matrone fragte den R. Jose b. Chalaphta (um 150) u.
sprach zu ihm: Wenn die Beschneidung vor Gott so beliebt ist, warum ist sie dann
nicht in den Zehn Geboten gegeben worden? Er antwortete ihr: Sie ist bereits gegeben
worden: „Noch der Fremdling, der in deinen Toren ist“Ex 20, 10, das ist der Proselyt,
der den Sabbat im Bunde beobachtet wie ein Israelit. – Sinn: Nur der Vollproselyt
beobachtet den Sabbat wie ein Israelit; der Vollproselyt aber ist ein solcher, der
beschnitten ist. Wenn also dem Proselyten die Beobachtung des Sabbats Ex 20, 10
befohlen wird, so liegt darin, daß er sich zuvor muß beschneiden lassen. So liegt
also im Wortlaut des Sabbatgebotes Ex 20, 10 das Beschneidungsgebot als notwendige
Voraussetzung mit eingeschlossen.
1. Der Beschneidungstag.
Die Beschneidung (von „beschneiden“ ) wurde zu den Ver-
pflichtungen gerechnet, die jeder Israelit seinem Sohne gegenüber zu
erfüllen hatte. Wollte oder konnte ein Vater dieser seiner Pflicht
nicht nachkommen, so ordnete das Gericht die Vollziehung der Be-
schneidung von Obrigkeits wegen an.a Nach Gn 17, 12 war der achte
Tag nach der Geburt (der Geburtstag als 1. Tag gezählt) der ordnungs-
mäßige Beschneidungstag. b Fiel dieser auf einen Sabbat, so hatte
die Sabbatheiligung hinter die Beschneidung zurückzutreten. Man
24 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 1)

sagte: Die Beschneidung verdrängt denSabbat.c In bestimmten Fällen,


die die Mischna aufgezählt hat, konnte auch der neunte, der zehnte,
der elfte u. der zwölfte Tag nach der Geburt zumBeschneidungstag
werden.d Bei einem kranken Kinde verschob man die Beschneidung
bis auf den achten Tag nach seiner völligen Genesung.e Endlich durfte
die Beschneidung ganz unterlassen werden, wenn in der betreffenden
Familie bereits mehrere Kinder an den Folgen der Beschneidung ge-
storben waren.f Daher kommt es, daß in den älteren rabbinischen
Schriften öfters von unbeschnittenen Israeliten u. unbeschnittenen
Priestern geredet wird.g Immer aber sollte die Beschneidung bei
Tage vollzogen werden.h
a. Qid1, 17: Zuallen Pflichtgeboten, die demVater dem Sohne gegenüber obliegen,
sind die Männer verpflichtet; dagegen sind die Frauen davon frei. – Dazu Qid29a
Bar: Der Vater ist seinem Sohne gegenüber verpflichtet, ihn zu beschneiden, ihn (als
Erstgeborenen) auszulösen, ihn Tora lernen zu lassen, ihm ein Weib zu nehmen u.
ihn ein Handwerk lernen zu lassen. Einige sagen: Ihn auch schwimmen zu lehren....
„Ihn zu beschneiden“ , woher? Weil geschrieben steht: Abraham beschnitt seinen
Sohn Isaak als achttägigen, wie Gott ihm befohlen hatte Gn21, 4. Und wo ihn sein
Vater nicht beschneiden läßt, ist der Gerichtshof verpflichtet, ihn beschneiden zu
lassen; denn es heißt: Beschnitten werden soll von euch (so der Midrasch) alles
Männliche Gn 17, 10. Und wo ihn der Gerichtshof nicht beschneiden läßt, da ist er
selbst verpflichtet, sich beschneiden zu lassen; denn es heißt: Ein männliches Un-
beschnittenes, das das Fleisch seiner Vorhaut nicht beschneiden läßt1 – ausgerottet
werden soll diese Seele Gn 17, 14. Woher aber, daß sie (die Frau, die Mutter) nicht
verpflichtet ist (ihren Sohn zu beschneiden)? Weil geschrieben steht: „ Wie ihm
(Abraham) Gott befohlen hatte“Gn 21, 4; „ ihm“ , aber nicht „ihr“(der Sara). –
Die Bar stammt aus TQid 1, 11 (336); vgl. Mekh Ex 13, 15 (27b).
b. pBerakh 2, 5a, 1: R. Chijja b. Abba (um 280) hat gesagt: Warum hat man die
Benediktion („der die Kranken heilt“ ) zur achten (im Achtzehngebet) be-
stimmt? Mit bezug auf die Beschneidung, die nach acht Tagen stattfindet, wie es
heißt: Mein Bund (= Beschneidungsbund) mit ihm ist gewesen Leben (= Heilung)
Mal 2, 5. – Meg 17b wird R. Acha (um 320) als Autor genannt. ||Gi 57b: (Ps 44, 23:
Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag.) R. Jehoschua b. Levi (um250)
hat gesagt: Das bezieht sich auf die Beschneidung, die am achten Tage vollzogen
wird. (Im Gehorsam gegen das Gottesgebot der Beschneidung wird das Leben des
Kindes aufs Spiel gesetzt.) ||Sanh 89b: R. Levi (um 300) hat gesagt: ... Ismaël
sagte zu Isaak: Ich bin größer als du in der Erfüllung der Gebote; denn du bist
als Achttägiger beschnitten worden, ich aber als Dreizehnjähriger. – Anonym mit
Erweiterungen GnR 55 (35a). ||Nidda 31b: Warum hat die Tora die Beschneidung
nach acht Tagen befohlen (u. nicht am siebenten Tage)? Damit sich nicht alle (beim
Beschneidungsmahle) freuen möchten, während sein Vater u. seine Mntter sich be-
trüben (weil sie sich wegen der siebentägigen Unreinheit der Wöchnerin am 7. Tage
voneinander fernhalten müßten, was für den 8. Tag nicht mehr galt). – Nach dem
Zusammenhang gehört dieser Ausspruch dem R. Schimon b. Jochai, um 150, an. ||
pJoma 7, 44b, 39: Warum versieht der Hohepriester seinen Dienst in acht Gewändern
(vgl. Joma 7, 5)? R. Chananja (Chanina), der Genosse der Gelehrten, (gegen 300) hat
gesagt: Entsprechend der Beschneidung, die nach acht Tagen stattfindet. – Ferner
s. Schab 19, 5 in Anm. d.
c. Schab 18, 3 u. 19, 1–3 s. bei Joh 7, 22 S. 487 Nr. 1. ||Schab 19, 3: Mandarf das
Kind (am Sabbat) sowohl vor als auch nach der Beschneidung waschen, indem man
1 So faßt das Gn 17, 14 auch Targ Onk.
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 1) 25

es mit der Hand, aber nicht mit einem Gefäß besprengt. R. Elazar b. Azarja (um100)
hat gesagt: Man darf ein Kind am dritten Tage (nach der Beschneidung) baden,
wenn dieser auf einen Sabbat fällt; denn es heißt Gn 34, 25: Am dritten Tage, da
sie Schmerzen hatten (infolge der Beschneidung; es ist also Lebensgefahr vorhanden,
u. die verdrängt den Sabbat). ||Schab 132a: Die Beschneidung selbst verdrängt nach
den Worten aller den Sabbat. ||Eine Ausnahme erlitt diese Regel bei einem Kinde,
das ein Zwitter ( = ἀνδρόγυν ος) war, ferner bei einem Kinde, das bestimmt
oder doch möglichenfalls im achten Monat nach der Empfängnis geboren war; ferner
bei einem Kind, das an der abendlichen Grenze zwischen einem Freitag u. Sonnabend
das Licht der Welt erblickt hatte, so daß am nächsten Sabbat nicht feststand, ob
es neun oder acht Tage alt war (vgl. Anm. d); endlich bei einem Kind, das be-
schnitten (mit entblößter Eichel) geboren war. In diesen Fällen lautete die Regel:
Die Beschneidung verdrängt den Sabbat nicht. Schab 19, 3: Wegen eines Kindes, bei
dem Zweifel obwalten (ob es ein Acht-Monatskind ist, oder ob es an einem Freitag
oder Sonnabend geboren wurde), u. wegen eines Zwitters entheiligt man den Sabbat
nicht (man verschiebt die Beschneidung um einen Tag). ||TSchab 15, 5 (132): Wegen
eines Sieben-Monatskindes verdrängt man den Sabbat, aber wegen eines Acht-Monats-
kindes verdrängt man den Sabbat nicht (ein solches Kind galt nicht als lebensfähig).
Wenn Zweifel obwalten, ob es ein Sieben- oder Acht-Monatskind ist, verdrängt
man seinetwegen den Sabbat nicht. Ein Acht-Monatskind ist (dem Sabbatgesetz gegen-
über) wie ein Stein, u. man darf es (am Sabbat) nicht tragen, wohl aber darf sich
seine Mutter darüber beugen, umes zu säugen. ||Schab 134b Bar: Es heißt Gn 17, 14:
„Am Fleisch ‚seiner‘ (des achttägigen Kindes) Vorhaut.“ Wenn es bestimmt die
Vorhaut eines solchen ist, verdrängt sie den Sabbat, aber die eines Kindes, über
welches Zweifel obwalten, verdrängt nicht den Sabbat. Wenn seine Vorhaut zweifellos
ist, verdrängt sie den Sabbat, aber die eines Zwitters verdrängt nicht den Sabbat.
R. Jehuda (um 150) sagte: Ein Zwitter verdrängt den Sabbat u. unterliegt der Strafe
der Ausrottung. Die Vorhaut eines bestimmt achttägigen Kindes verdrängt den Sabbat,
aber die eines solchen, das „zwischen den Abenden“(auf der Grenzscheide von Freitag
u. Sabbat) geboren ist, verdrängt nicht den Sabbat. Wenn seine Vorhaut zweifellos
ist, verdrängt sie den Sabbat; aber ein Kind, das beschnitten geboren ist, verdrängt
nicht den Sabbat. – Diese Bar findet sich SLv. 12, 3 (228b). – Die Beschneidung
eines Nichtjuden verdrängt den Sabbat nicht, s. bei Joh 7, 22 S. 488.
d. Schab 19, 5: Ein Kind kann am achten, am neunten, am zehnten, am elften u.
am zwölften Tage (nach der Geburt) beschnitten werden, nicht früher u. nicht später.
Wie dies? Der Regel nach (wird es beschnitten) am achten Tage. Wurde es „zwischen
den Abenden“(auf der Grenze zweier Tage) geboren, so wird es (falls es tatsächlich
noch an dem zu Ende gehenden Tage das Licht der Welt erblickt hatte) am neunten
Tage beschnitten (da im Zweifelsfall stets der neue Tag als Geburtstag angesehen
wird; war das Kind zB auf der Grenze von Montag u. Dienstag geboren, so galt der
Dienstag als Geburtstag, der Beschneidungstag, der achte Tag darnach, war also der
Dienstag der nächsten Woche; falls nun das Kind tatsächlich noch am Montag zur
Welt gekommen war, so war der Beschneidungstag, der Dienstag der nächsten Woche,
der neunte Tag nach seiner Geburt; denn der Geburtstag wurde stets als voller erster
Tag gezählt). War es in der Dämmerung eines Freitags geboren, so wurde es am
zehnten Tage beschnitten. (Nach der Norm des vorhergehenden Satzes hätte es am
Sabbat der nächsten Woche, als dem neunten Tage, beschnitten werden müssen; da
aber in Zweifelsfällen die Beschneidung den Sabbat nicht verdrängte – s. Anm. c
Ende –, so wurde die Beschneidung auf den Tag nach dem Sabbat verschoben, d.h.
auf den zehnten Tag.) Lag hinter dem Sabbat ein Festtag (der im Zweifelsfall eben-
falls nicht durch die Beschneidung verdrängt wurde), so wurde es am elften Tage
beschnitten. Folgten die beiden Neujahrsfesttage (auf den Sabbat), so wurde es am
zwölften Tage beschnitten.
e. Schab 19, 5: Ein krankes Kind beschneidet man erst, wenn es genesen ist. ||
26 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 1)

Schab 137a: Schemuël (†254) hat gesagt: Wenn das Fieber das Kind verlassen hat,
gewährt man diesem volle sieben Tage nach seiner Genesung. (Der Genesungstag
wird als Geburtstag angesehen.) Parallelstelle: Jeb. 71a.
f. TSchab 15, 8 (133): Hat eine Frau Knaben geboren, die beschnitten wurden u.
(infolgedessen) starben – hat sie den ersten beschneiden lassen u. er starb, den
zweiten u. er starb, den dritten u. er starb – so läßt sie den vierten nicht beschneiden.
Es geschah einmal bei vier Schwestern in Sepphoris, daß die erste, die zweite, die
dritte die Beschneidung vollziehen ließ u. ihre Kinder starben. Da kam der Vorfall
vor Rabban Gamliël (um90); er sagte: Die vierte braucht nicht beschneiden zulassen.
R. Nathan (um160) hat gesagt: Als ich in Meziga in Kappadozien (s. bei Apg.2, 9 S. 609
Nr. 5) war, befand sich dort eine Frau, die Knaben geboren hatte, diebeschnitten wurden
u. starben; sie ließ den ersten beschneiden u. er starb, den zweiten u. er starb. Den
dritten brachte sie vor mich. Ich sah, daß sein Fleisch grünlich-gelb war; ich betrachtete
ihn genau u. fand in ihm kein Blut des Bundes. Sie fragten mich: Sollen wir ihn
beschneiden lassen? Ich antwortete ihnen: Wartet mit ihm, bis in ihn Blut gekommen
ist. Sie warteten mit ihm, u. dann ließen sie ihn beschneiden, u. er blieb am Leben, u.
sie nannten ihn „Nathan“nach meinem Namen. – Der Bericht über die vier Schwestern
auch Jeb 64b; der des R. Nathan noch pJeb 6, 7d,7; in erweiterter Gestalt Schab 134a. ||
Jeb 64b Bar: Hat eine Frau den ersten Knaben beschneiden lassen u. er starb, den
zweiten u. er starb, so braucht sie den dritten nicht beschneiden zu lassen; das sind
Worte Rabbis (†217?). Rabban Schimon b. Gamliël (um 140) sagte: Den dritten läßt
sie beschneiden, den vierten läßt sie nicht beschneiden.
g. Ned3, 11 s. bei Mt 15, 5 S. 713 Nr. 4. ||Chul 4b: Ein unbeschnittener Israelit, ...
dessen Brüder infolge der Beschneidung gestorben waren, gilt völlig als ein Israelit. –
Dasselbe Chul 5a. ||TTer 10, 18 (44): An zehn Personen verteilt man auf der Tenne
nicht die Priesterhebe: an einen taubstummen, schwachsinnigen u.minorennen Priester,
an einen Priester, dessen Geschlecht nicht erkennbar ist oder der ein Zwitter ist, an
die Frauen u. Sklaven von Priestern, an einen unbeschnittenen u. an einen un-
reinen Priester u. an einen solchen, der eine ihm nicht angemessene Frau geheiratet
hat. – Dasselbe Jeb 99b als Bar. – Unbeschnittene Priester werden ferner erwähnt
Jeb 72a, 35. 37. 38; 72b, 17. 21. 22. 28; Jeb 8, 1; Zeb2, 1.
h. Pes 4a: Am achten Tage soll er am Fleisch seiner Vorhaut beschnitten werden
Lv 12, 3. Bar: Der ganze (achte) Tag ist zur Beschneidung tauglich, nur daß die Hur-
tigen (Achtsamen) den Geboten zuvorzukommen suchen, wie es heißt Gn22, 3: Abraham
machte sich früh am Morgen auf. – Diese Bar liest man SLv 12, 3 (228a). Hier heißt
es wenige Zeilen zuvor: „ Am achten Tage“Lv 12, 3; etwa sowohl amTage, als auch
in der Nacht? Die Schrift sagt lehrend: „ AmTage“ , am Tage u. nicht in der Nacht.
Da höre ich nur, daß der am achten Tage zu Beschneidende bei Tage zu beschneiden
ist; woher daß die am neunten, zehnten u. elften Tag u. alle übrigen zu Beschneiden-
den nur bei Tage beschnitten werden dürfen? Die Schrift sagt lehrend Lv 12, 3:
„ und“amTage (d. h. das schließt alle übrigen Kategorien mit ein). Ein Schüler
sagte vor R. Aqiba (†um 135): Es war nötig, es (das ) zu sagen. Wenn es hieße
Lv 12, 2f.: „Sieben Tage soll sie unrein sein ..., am achten Tage ( ohne ) soll
das Kind beschnitten werden“ , so könnte man meinen, sieben u. acht Tage, also am
15. soll es beschnitten werden“ , darum sagt die Schrift lehrend: „und“amTage. Es
antwortete ihm R. Aqiba: In gewaltige Fluten bist du hinabgetaucht u. hast eine
Scherbe (Wertloses) in deiner Hand heraufgebracht; heißt es denn nicht längst
Gn 17, 12: Acht Tage alt soll bei euch alles Männliche beschnitten werden nach euren
Geschlechtern? ||Meg2, 4: Man liest die Estherrolle nicht, man beschneidet nicht,
man nimmt das Tauchbad nicht (nach siebentägiger Unreinheit), manbesprengt nicht
(mit dem Entsündigungswasser) u. man läßt ebenso eine auf den folgenden Tag war-
tende Frau nicht das Tauchbad nehmen, bevor nicht die Sonne hervorstrahlt. Wenn
man dies alles aber getan hat nach demEmporsteigen des Morgengrauens, so ist es
gültig. – Zu den Worten: „ Man beschneidet nicht“wird Meg20a hinzugefügt: Denn
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 1 u. 2) 27

es steht geschrieben: Amachten „ Tage“soll beschnitten werden usw. Lv 12, 3. – Da-


gegen hat R. Elazar b. Schimon (um180) Jeb 72a denKanon aufgestellt, daßdie, welche
nicht am achten Tage beschnitten werden, auch bei Nacht beschnitten werden dürfen.
2. Die Beschneidungsstelle.
Viel Mühe haben sich die rabbin. Gelehrten gegeben, um die Stelle,
an der die Beschneidung ausgeführt wird, aus der Schrift zu er-
gründen.
LvR 25 (123c): R. Huna (um 350) hat gesagt, Bar Qappara (um 220) habe gesagt:
Unser Vater Abraham saß u. forschte: Von „ Vorhaut“wird beim Baum geredet (s.
Lv 19, 23) u. ebenso beim Menschen. Wie nun die Vorhaut, von der beim Baum ge-
redet wird, die Stelle bezeichnet, an der er Frucht bringt, so bezeichnet auch die
Vorhaut, von der beim Menschen geredet wird, die Stelle, welche Frucht bringt.
R. Chanin b. Pazzi (um280? vgl. Bacher, pAmor 3, 555) hat gesagt: Hat denn schon
unser Vater Abraham die Schlußfolgerungen aus dem Leichteren auf das Schwerere
u. die aus der Wortanalogie gekannt (daß er aus „Vorhaut“Lv 19, 23 schloß auf
„ Vorhaut“Gn 17, 11)? Vielmehr hat er (Gott) eine Andeutung gemacht mit den
Worten: „ Ich will meinen Bund zwischen mir und dir machen u. dich sehr, sehr zahl-
reich machen Gn 17, 2, damit ist die Stelle gemeint, die Fortpflanzung u.Vermehrung
schafft. ... R. Jischmael (†um 135) u. R. Aqiba (†um 135). R. Jischmael sagte:
Abraham war ein Hoherpriester, wie es heißt: „ Geschworen hat Jahve u. nicht reut
es ihn: Du bist ein Priester in Ewigkeit Ps 110, 4. Ferner heißt es: Ihr sollt be-
schnitten werden am Fleisch eurer Vorhaut Gn 17, 11. Wo soll er beschnitten werden?
Wenn er am Ohr beschnitten wurde, so war er nicht mehr tauglich (als Hoherpriester)
ein Opfer darzubringen; wenn er am Herzen beschnitten wurde, so war er nicht mehr
tauglich ein Opfer darzubringen; wenn er am Munde beschnitten wurde, so war er
nicht mehr tauglich ein Opfer darzubringen (denn als Priester mit einem Leibesfehler
wäre er vom Priesterdienst ausgeschlossen gewesen). Wo sollte ei also beschnitten
werden, um tauglich zur Opferdarbringung zu bleiben? Sage: Dies war ein Gebot,
das sich auf das männliche Glied bezog. R. Aqiba sagte: Vier „ Vorhäute“gibt es.
Es wird von einer Vorhaut geredet beim Ohr, s. Jer 6, 10: Eine Vorhaut hat ihr Ohr;
ferner von einer Vorhaut beim Munde, s. Ex 6, 30: Ich bin unbeschnittener Lippen;
ferner beim Herzen, s. Jer 9, 25: Das ganze Haus Israel ist unbeschnittenen Herzens;
endlich heißt es Gn 17, 1: Wandle vor mir u. sei vollkommen (unversehrt). Wo
sollte er nun beschnitten werden? Wenn er am Ohr beschnitten wurde, so war er
nicht mehr vollkommen; wenn am Munde, so war er nicht mehr vollkommen. Wo
sollte er also beschnitten werden, um doch vollkommen zu bleiben? Sage: An der
Vorhaut des männlichen Gliedes. Nagda (wann?) hat gesagt: Es heißt: Acht Tage
alt werde bei euch alles Männliche beschnitten Gn 17, 12. Wo soll es beschnitten
werden? Wenn am Ohr, so hört es (später) nicht mehr; wenn am Munde, so kann
es nicht mehr sprechen; wenn am Herzen, so kann es nicht mehr denken. Wo soll
es also beschnitten werden, um (später) doch noch hören, sprechen u. denken zu
können? Sage: An der Vorhaut des männlichen Gliedes. R. Tanchuma (um380) hat
gesagt: Die Meinung des Nagda leuchtet ein; denn es heißt: Ein männliches Un-
beschnittenes, welches nicht beschnitten wird am Fleische seiner Vorhaut Gn 17, 14.
R. Judan (um 350) hat im Namen des R. Jiçchaq (um 300) u. R. Berekhja (um340)
im Namen des R. Jiçchaq gesagt, ferner hat manimNamen des R. Jose b. Chalaphta (um
150) als tannaïtische Tradition gelehrt: „Ein unbeschnittenes Männliches“Gn 17, 14.
Wie, gibt es denn ein unbeschnittenes Weibliches? Vielmehr (entnimm daraus): an
der Stelle, an der man sieht u. erkennt, ob einer ein Männliches oder ein Weibliches
ist, an der beschneidet man ihn. – Parallelstellen: GnR 46 (29a); TanchB § 27
(41a); Tanch 19b; 20a; Schab 108a, 31. 36, hier die Beweisführung des R. Jose
b. Chalaphta dem R. Nathan, um 160, zugeschrieben.
28 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 3)

3. Die Ausführung der Beschneidung.


Nach der im Schulchan Arukh, § 264, kodifizierten Halakha
sind alle Israeliten zur Vornahme der Beschneidung geeignet, selbst
(israelitische) Sklaven, Frauen, Minderjährige u. solche Israeliten, die
wegen des Wegsterbens ihrer Brüder infolge der Beschneidung un-
beschnitten geblieben sind. Dagegen soll die Beschneidung nicht von
Nichtisraeliten ausgeführt werden, auch wenn diese selbst beschnitten
sind; haben sie sie jedoch ausgeführt, so braucht man sie nicht zu
wiederholen. – Die alte Zeit hat über diese Punkte nicht einheitlich
geurteilt, s. die hierher gehörenden Zitate.a – Die Beschneidung
umfaßt: α . Die eigentliche , d.h. das Abschneiden der Vorhaut; –
β . die , das Entblößen der Eichel; – γ . das Entfernen vonFleisch-
fasern, die bei der Beschneidung etwa zurückgeblieben sind; – δ . das
Aussaugen des Blutes.b Hinterher wird auf die Wunde ein Pflaster
u. Kümmel gelegt.c – Während des Beschneidungsaktes waren
bestimmte Lobsprüche zu sprechen,d auch wohl ein Sessel für den
Propheten Elias bereit zu halten, damit er der Handlung als unsichtbarer
Zeuge beiwohne.e Ein Festmahl beendete die Feier.f – Zur Namen-
gebung bei der Beschneidung s. bei Lk 1,59 A S. 107.
a. TAZ 3, 12f. (464): Ein Israelit darf einen Nichtisraeliten als Proselyten (wört-
lich: auf den Namen eines Proselyten) beschneiden; aber ein Nichtisraelit darf keinen
Israeliten beschneiden, weil sie des Tötens verdächtig sind. Das sind Worte des
R. Meïr (um 150). Aber die Gelehrten sagten: Ein Nichtisraelit darf einen Israeliten
beschneiden, wenn andre bei ihm stehen; aber unter vier Augen ist es verboten, weil
sie des Tötens verdächtig sind. – Ein Israelit darf einen Samaritaner beschneiden, aber
ein Samaritaner darf keinen Israeliten beschneiden, weil sie auf den Namen des Berges
Garizim beschneiden. Das sind Worte des R. Jehuda (um 150). Es erwiderte ihm
R. Jose (um 150): Wo finden wir denn eine Beschneidung, die nicht auf den Namen des
Bundes (mit Gott) erfolgte? Mag er also beschneiden auf den Namen des Berges
Garizim, bis ihm die Seele ausgeht! ||pSchab 19, 17a, 33: Es heißt Gn 17, 13:
(beschnitten, ja beschnitten soll werden); daraus folgt, daß ein unbeschnittener Israelit
nicht beschneiden darf u. erst recht nicht ein unbeschnittener Nichtisraelit. (Die
Gerundivkonstruktion hat einschließende Bedeutung: Der Beschneidende soll selbst
beschnitten sein). R. Levi (um 300) hat gesagt: Es heißt Gn 17, 9: Aber du sollst
meinen Bund beobachten, d. h. jeder, der dir gleicht (also ein Beschnittener ist, darf
beschneiden). Dann folgt die obige Kontroverse zwischen R. Jehuda u. R. Jose; das-
selbe pJeb 8, 8d, 61; ausführlicher in AZ26b. ||AZ27a: In einer Bar ist gelehrt
worden: R. Jehuda der Patriarch (†217?) sagte: Woher, daß die Beschneidung durch
einen Nichtisraeliten untauglich ist? Die Schrift sagt lehrend Gn 17, 9: Du sollst
meinen Bund beobachten (= der Israelit soll beschneiden)! AZ27a: Es ist gesagt
worden: Woher, daß die Beschneidung durch einen Nichtisraeliten untauglich ist?
Daro b. Papa hat im Namen Rabs (†247) gesagt: Du (also ein Israelit) sollst meinen
Bund beobachten Gn 17, 9; u. R. Jochanan (†279) hat gesagt: Beschnitten, ja be-
schnitten soll werden Gn 17, 13 (d. h. der Beschnittene soll beschneiden). Was für
ein Unterschied ist zwischen ihnen (beiden)? Der Unterschied zwischen ihnen betrifft
den beschnittenen Araber u. den beschnittenen Gibeoniten.1 Nach dem, welcher sagt:
„Beschnitten, ja beschnitten soll werden“ (= der Beschnittene darf beschneiden),
1 Statt „Hochländer“lies mit Jeb 71a, 21 „Gibeonit“; ein solcher durfte
nicht in die Gemeinde Israel aufgenommen werden; vgl. Jos 9 u. 2 Sm21.
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 3) 29

dürfen sie es (die Araber u. Gibeoniten, denn sie sind beschnitten); nach dem, welcher
sagt: „ Du (der Israelit) sollst meinen Bund beobachten“, dürfen sie es nicht (denn
sie sind keine Israeliten). Aber dürfen sie es denn nach dem, welcher sagt: „ Be-
schnitten, ja beschnitten soll werden“(= der Beschnittene soll beschneiden)? Wir
haben doch gelernt (Ned3, 11): Wenn einer sagt: Ich gelobe, daßichvonUnbeschnittenen
keinen Genuß haben will, so ist ihm ein solcher erlaubt von unbeschnittenen Israe-
liten u. verboten von den Beschnittenen unter den Völkern der Welt. Obwohl die
letzteren also beschnitten sind, gleichen sie doch denen, die nicht beschnitten sind! –
Vielmehr betrifft der Unterschied zwischen ihnen einen Israeliten, dessen Brüder in-
folge der Beschneidung gestorben waren u. den man deshalb nicht beschnitt. Nach
dem, welcher sagt: „ Du (der Israelit) sollst meinen Bund beobachten“ , darf ein
solcher beschneiden; nach dem, welcher sagt: „ Beschnitten, ja beschnitten soll werden“
(= der Beschnittene soll beschneiden), darf er es nicht. Aber darf er es denn wirk-
lich nicht nach dem, welcher sagt: Beschnitten, ja beschnitten soll werden? Wir
haben doch gelernt (Ned3,11): Wenn einer sagt: Ich gelobe, daßich vonBeschnittenen
keinen Genuß haben will, so ist ihm solcher von unbeschnittenen Israeliten verboten,
aber von den Beschnittenen unter den Völkern der Welt erlaubt. Obwohl sie (die
unbeschnitten gebliebenen Israeliten) also nicht beschnitten sind, so gleichen sie doch
denen, die beschnitten sind (u. dürfen deshalb beschneiden). Vielmehr betrifft der
Unterschied zwischen ihnen die Frau. Nach dem, welcher sagt: „ Du (der beschnittene
Israelit) sollst meinen Bund beobachten“ , darf sie (die Frau) nicht beschneiden, da
eine Frau nicht der Beschneidung unterliegt. Aber nach dem, welcher sagt: „ Be-
schnitten, ja beschnitten soll werden“(= der Beschnittene soll beschneiden) darf sie
es; denn die Frau gleicht einer Beschnittenen. Aber gibt es denn einen, welcher
sagt: Die Frau darf es nicht? Es steht doch geschrieben Ex 4, 25: „ Da nahm Çippora
einen scharfen Stein.“Lies dafür: „ Sie ließ nehmen.“Aber es steht doch geschrieben
(das.): Und sie beschnitt! Lies dafür: „ Sie ließ beschneiden.“ Sie sagte es nämlich
einem anderen Mann, u. der führte es aus. Oder wenn du willst, sage: Sie kam u.
begann (zu beschneiden), u. dann kam Mose u. vollendete es. – Zum Anfang dieser
Stelle s. auch GnR46 (29b). ||Men42a: Rab Joseph (†333) hat gesagt: Rab Chisda
(†309) meinte: Jede Gebotserfüllung, die, wenn sie durch einen Nichtisraeliten ge-
schieht, gültig ist, bedarf, wenn sie durch einen Israeliten geschieht, keines Lob-
spruchs; diejenige Gebotserfüllung aber, die, wenn sie durch einen Nichtisraeliten
geschieht, ungültig ist, bedarf, wenn sie durch einen Israeliten geschieht, eines Lob-
spruchs. Aber ist denn das eine allgemein gültige Regel? Siehe, die Beschneidung
durch einen Nichtisraeliten ist gültig; denn in einer Bar heißt es: Wenn in einer
Stadt kein israelitischer Arzt (Beschneider) ist, wohl aber ein heidnischer u. ein sa-
maritanischer Arzt, so darf der heidnische beschneiden, aber nicht der samaritanische.
Das sind Worte des R. Meïr (um 150). R. Jehuda (um 150) sagte: Der samaritanische,
aber nicht der heidnische. Und doch bedarf die Beschneidung, wenn sie durch einen
Israeliten geschieht, des Lobspruchs! (Fortsetzung s. Anm. d.) – Diese Kontroverse
zwischen R. Meïr u. R. Jehuda auch AZ26b u. Mass Kuth 1.
b. Beschneidung, Entblößung der Eichel u. Blutaussaugung werden nebeneinander
genannt Schab 19, 2, bei Joh 7, 22 Nr. 1. ||pSchab 19, 17a, 27: Beschnitten, ja be-
schnitten soll werden Gn 17, 13. Von hier hat man einen Beweis für zwei Beschnei-
dungsakte. Das eine bezieht sich auf die (eigentliche) Beschneidung , u. das
andre auf die Entblößung der Eichel ; (oder) das eine bezieht sich auf die Be-
schneidung und das andere auf die Entfernung der Fleischfasern ....
R. Juda b. Pazzi (um320) hat gesagt: Es heißt Ex 4, 26: Damals sprach sie (Çippora):
„Blutbräutigam durch Beschneidungen“ (Plural). Von hier hat maneinen Beweis
für zwei Beschneidungsakte: die eine (Beschneidung ) geht auf die , die
andre auf die ; die eine auf die , die andere auf die . – Dasselbe
pJeb 8, 8d 55. 59. ||Midr HL 6, 11 (124b): R. Jehuda b. Simon (um 320) sagte: Wie
eine Nuß zwei Schalen hat, so hat Jsrael die beiden Gebote der Beschneidung
30 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 3)

u. der Entblößung der Eichel . – Dieselbe Deutung von HL 6, 11 gibt mit


etwas andren Worten R. Abin (I., um 325: II., um 370) in PesiqR 11 (42a). ||Midr
HL 1, 12 (93a): (Wer hat die Israeliten in Agypten beschnitten?) R. Berekhja (um
340) hat gesagt: Mose beschnitt, Ahron entblößte die Eichel u. Josua benetzte mit
Flüssigkeiten (zur Heilung; anders der Kommentar Matthen Kehun.) ||Schab 19 Ende:
Beschneidet man, ohne (hinterher) das Glied zu entblösen , so ist es, als
hätte man nicht beschnitten (die Beschneidung ohne ist ungültig). ||Jeb 71b:
Rabbah b. Jiçchaq hat gesagt, Rab (†247) habe gesagt: Die Entblößung der Be-
schneidungsstelle () ist unsrem Vater Abraham nicht aufgegeben worden;
denn es heißt Jos 5, 2: „ Zu jener Zeit sprach Jahve zu Josua: Mache dir Steinmesser
u. beschneide wieder die Kinder Israel.“Das bezieht sich vielleicht auf die, die nicht
beschnitten waren, wie es heißt das. Vers 5: „ Alles ausgezogene Volk war beschnitten;
aber alles unterwegs bei ihrem Auszug aus Ägypten in der Wüste geborne Volk
hatte man nicht beschnitten.“Aber was soll in diesem Fall das Wort „ wieder“ ?
Es bezieht sich nur auf die Entblößung der Eichel (die bis dahin nicht üblich war;
vgl. jedoch die Tosaphoth z. St.). ||Schab 19, 6: Dies sind die Fleischfasern, die die
Beschneidung ungültig machen: Fleisch, das den größten Teil der Eichel bedeckt.
Ein solcher darf (wenn er ein Priester ist) keine Priesterhebe essen. ||TSchab 15, 4
(132): Man muß (am Sabbat) die Fleischfasern ablösen. R. Jehuda (um 150) sagte:
Wer die Fleischfasern (an einem Sabbat) nicht ablöst, derist des Todes schuldig. (Durch
dieses Unterlassen macht er die Beschneidung ungültig u. ist nunmehr als einer, der
durch Verwunden den Sabbat entheiligt hat, des Todes schuldig.) – Dasselbe als
Bar Schab 133b, 18. – Ferner s. Schab 133b, 1; 137b, 2; Jeb 71b, 32; 72a, 19. ||Schab
133b: Rab Papa (†376) hat gesagt: Wenn ein Beschneider (das Blut) nicht aussaugt,
so bringt er (das Kind) in Lebensgefahr, u. man entfernt ihn.
c. Hierzu s. Schab 19, 1–3 bei Joh 7, 22 Nr. 1.
d. Men42a: Wer beschneidet spricht: Gepriesen sei, der uns geheiligt hat durch
seine Gebote u. uns die Beschneidung befohlen hat! – Ebenso in der Bar Schab 137b.
Hier heißt es dann weiter: Der Vater des Kindes sagt: („ Gepriesen sei,) der uns
geheiligt hat durch seine Gebote u. uns befohlen, ihn (den Sohn) einzuführen in den
Bund unseres Vaters Abraham.“Die Umstehenden sagen: „ Wie er eingetreten ist
in den Bund, so möge er eintreten in die Tora, unter den Traubaldachin u. in gute
Werke!“Der den Lobspruch (über den Becher Wein) Sprechende sagt: (Gepriesen
sei,) der den Liebling1 geheiligt hat vom Mutterleibe an u. an sein Fleisch gesetzt hat
die Bestimmung (der Beschneidung) u. seine Nachkommen versiegelt hat mit dem
Zeichen des heiligen Bundes! Darum um deswillen befahl der lebendige Gott, unser
Anteil, die Lieblinge unseres Fleisches aus der Grube (Gehinnom, Raschi) zu erretten
[um seines Bundes willen, den er an unser Fleisch gesetzt hat]. Gepriesen seist du
Jahve, Schließer des Bundes! – Ebenso mit geringen Abweichungen TBerakh 7, 12 f (16)
u. pBerakh 9, 14a, 48; in der letzten Stelle fehlen die in eckiger Klammer stehenden
Worte. – Zur Errettung aus dem Gehinnom durch die Beschneidung s. Nr. 5. ||In
Leq ob zu Gn 25, 1 (58a, 14) wird folgender Glückwunsch erwähnt: Unsre Lehrer
gesegneten Angedenkens haben gesagt, daß man in der Stunde der Beschneidung zu
sagen habe: „ Es bleibe das Kind seinem Vater u. seiner Mutter am Leben! Es sei
ein Bruder der Sieben u. ein Vater der Acht!“„ Ein Bruder der Sieben“ , damit ist
Isaak gemeint, der ein Bruder von sieben war, den (sechs) Söhnen der Qeura samt
Ismaël. „ Und ein Vater der Acht“ , damit ist Abraham gemeint, der den Isaak u.
jene sieben erzeugt hat. Es gibt aber auch einige, welche sagen: „Bruder der Sieben
u. Vater der Acht“ , damit ist Manasse u. Ephraim gemeint, die am siebenten u.
achten Tage ihre Opfer als Stammesfürsten darbrachten (s. Nu7, 48. 54), um zu
erfüllen, was gesagt ist Gn 48, 20: Mit dir wird Israel segnen, indem es spricht: Gott
mache dich wie Ephraim u. wie Manasse! – Der letzten Deutung folgt Targ Jerusch I

1 Nach Raschi ist Isaak, nach den Tosaphoth Abraham gemeint.


3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 3 u. 4) 31

Gn 48, 20: Jakob segnete sie an jenem Tage, sagend: Mit dir, Joseph, mein Sohn,
wird das Haus Israel das Kind segnen am Tage der Beschneidung also: Es mache
dich Jahve wie Ephraim u. wie Manasse! – Der Gebrauch obigen Glückwunsches
war bereits im 3. Jahrhundert bekannt. Man sagt (zu dem Kinde), heißt es Midr
Ps 5 § 5 (26b): „ Sei ein Bruder der Sieben u. ein Vater der Acht.“R. Jehoschua
b. Levi (um 250) sagte: „Vater der Acht“ , damit ist Abraham gemeint, der ein Vater
von acht Söhnen war, von Isaak u. Ismaël u. den sechs Söhnen der Qeura; „Bruder
der Sieben“ , damit ist Isaak gemeint, der ein Bruder von Ismaël u. den sechs Söhnen
der Qeura war. R. Schemuël (um 260) hat gesagt: „ Vater der Acht“ , damit ist Isai
gemeint, der ein Vater von acht Söhnen war, s. 1 Sm 17, 12; und „ Bruder der Sieben“ ,
damit ist David gemeint, der ein Bruder von sieben Brüdern war.
e. PirqeREl 29 Ende: Gott erschien dem Elias u. sprach zu ihm: Was willst du
hier, Elias? Er sprach (1 Kg 19, 9f.): „ Geeifert habe ich.“Gott sprach zu ihm: Du
eiferst immer; in Schittim1 wegen der Unzucht (s. Nu25, 11), u. hier eiferst du! Bei
deinem Leben, nicht sollen die Israeliten den Bund der Beschneidung vollziehen, bis
du es mit deinen Augen siehst! Auf Grund hiervon haben die Gelehrten verordnet,
daß man für den Engel des Bundes (= Elias) einen Ehrensitz (während des Be-
schneidungsaktes) bereit halten soll.
f. Das Beschneidungsmahl galt als uralte, bereits von Abraham geübte Sitte.
GnR 48 (30c): (Die Engel) sprachen zu Abraham: Bei uns gibt es kein Essen u. Trinken;
aber weil es vor dir ein Essen u. Trinken gibt, so magst du so für dich tun, wie
du geredet hast (vgl. Gn 18, 5). Es sei wohlgefällig (vor Gott), daß du noch ein andres
Mahl mögst veranstalten dürfen für das männliche Kind, das dir wird geboren werden
(nämlich dasBeschneidungsmahl). ||Denausführlichsten Bericht über ein Beschneidungs-
mahl haben wir in der Erzählung des späteren Apostaten Elischa b. Abuja über das
bei seiner eigenen Beschneidung von seinem Vater veranstaltete Fest; Gewährsmann
sein Schüler R. Mëir (um 150) s. pChaq 2, 77b, 32 bei Apg 2, 3 S. 603 Nr. 2. –
Parallelen: Midr Ruth 3, 13 (134b); Midr Qoh 7, 8 (34a). Beschneidungsfeste werden
öfters erwähnt; s. DtR (205c) bei Mt 4, 1 S. 148 Abs. 2; ferner s. pSukka 2, 53a, 28;
Keth 8a, 36; BQ 80a, 34. – In dem jüngeren Midraschwerk PirqeREl 29 (14d) wird
als bindende Norm aufgestellt: Der Mensch ist verpflichtet, ein Freudenfest u. ein
Gastmahl zu veranstalten an dem Tage, an welchem es ihm vergönnt wird, seinen
Sohn beschneiden zu lassen. – Vgl. auch Tanch 103b in Nr. 5 Anm. a.
4. Bedeutung der Beschneidung.
Philo hat in der Beschneidung vor allem ein Sinnbild für die Be-
kämpfung der sinnlichen Lüste gesehen.a Dagegen war denrabbinischen
Gelehrten die Beschneidung in erster Linie die Bedingungb u. zugleich
das äußere Zeichen c des von Gott mit Abraham geschlossenen Bundes.
Abrahamsbund u. Beschneidungsbund waren ihnen deshalb gleich-
bedeutende Begriffe.d So tragen nun auch Abrahams Nachkommen
in der Beschneidung das Zeichene u. Siegelf an sich, daß sie Glieder
des Abrahamsbundes u. damit Angehörige Gottes sind. Umgekehrt,
wer das Bundeszeichen an seinem Leibe durch den ἐπ ισπ σ
αμ ός(vgl.
1 Kor 7, 18) entfernt oder unkenntlich macht, der hat den Abrahams-
bund gebrochen u. sich selbst von dessen Segnungen ausgeschlossen.g
Man forderte daher von einem Israeliten, der die Vorhaut künstlich
wieder vorgezogen hatte, daß er sich der Beschneidung zumzweitenmal
zu unterwerfen habe.h Ähnlich bestimmte man, daß bei eimem be-
1 Wenn Elias hier in Schittim eifert, so liegt die Anschauung zugrunde, daß er
mit Pinechas b. Elazar identisch sei; s. hierzu im Exkurs über Elias.
32 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 4)

schnitten, d.h. ohne Vorhaut geborenen Kinde, die Beschneidungsstelle


ein wenig eingeritzt werde, damit etwas Blut des (Beschneidungs-)
Bundes träufele.i Weil die Beschneidung das äußere Zeichen der Zu-
gehörigkeit zumGottesvolk war, so galt sie nunauch als das charakte-
ristische Unterscheidungsmerkmal zwischen Israel u. allen übrigen
Völkern (vgl. Sanh 39a bei Joh 10,16 S. 539 oben). „ Beschnittene“u.
„ Unbeschnittene“wurde so gleichbedeutend mit „ Israeliten“u. „Nicht-
israeliten“(vgl. Anm. o Anf.). In Wirklichkeit war das ja allerdings
nicht richtig, da die Beschneidung auch bei andren Völkern üblich
war, nach eigenem rabbin. Zeugnis zB bei denSamaritanern u. Arabernk
– gleichwohl hielt man an der Behauptung fest, daß wirklich Be-
schnittene nur die Israeliten seien,l vermutlich weil diese allein die
Beschneidung auf ein Gottesgebot zurückführen konnten. Durch die
Beschneidung ist Israel so gewissermaßen das Elitevolk der Menschheit
geworden;m denn erst die Beschneidung macht den Menschen voll-
kommen,n während die Vorhaut ihn verächtlich erscheinen läßt.o Was
Wunder, wenn sich die Feindschaft der Welt so oft gerade gegen
dieses äußere Erkennungszeichen Israels gerichtet hat!p Hat doch
schon Esau, der Prototyp Roms, die Beschneidung verachtet u. ihr
Blut gehaßt!q
a. Philo, De circumcisione § 2 (Mang 2, 211), s. bei Kol 2, 11 S. 628.
b. GnR 46 (29a): Abraham sprach: Wenn die Beschneidung so beliebt (wert, teuer
vor Gott) ist, warum wurde sie dann nicht demersten Menschen gegeben? Gott sprach
zu Abraham: Genug sei dir, daß ich u. du in der Welt sind, u. wenn du es nicht
auf dich nimmst, dich zu beschneiden, dann ist es genug für meine Welt, daß sie
bis jetzt bestand, u. genug für die Vorhaut, daß sie bis jetzt vorhanden war, u. genug
für die Beschneidung, daß sie bis jetzt getrauert hat. (Das mehrfache „genug“
soll das Gn 17, 1, erklären = Gott, welcher sagt: „Genug!“
c. Targ Onk Gn 17, 11: Ihr sollt das Fleisch eurer Vorhaut beschneiden, daß es
zum Zeichen des Bundes (Grundtext: ) zwischen mir u. euch sei. –
Targ Jerusch I wörtlich ebenso, nur ist statt zu lesen: . – LXX:
ϰαὶ ἔσ τα ιεἰςσ ημ ῖο
ε νδια ϑή ϰηςἀ νὰμέσ νἐ
ο μ οῦϰ αὶὑ μ ῶν.
d. Vgl. bei Apg 7, 8 S. 671.
e. Midr HL 2, 7 (98b): Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei denGazellen
HL 2, 7. Wobei beschwur er sie? ... R. Jehuda b. Simon (um320) hat gesagt:
Er beschwur sie bei der Beschneidung, , d. h. bei dem „Heer“ , an welchem
sich das „Zeichen“ (Gn 17, 11) befindet (= bei Israel mit dem Beschneidungs-
zeichen; letzteres kennzeichnet also die Israeliten als Gottes innerweltliche Heer-
scharen). ||Beschneidung = Zeichen des heiligen Bundes, s. Schab 137b bei Nr. 3
Anm. d Seite 30.
f. Jelammedenu bei Jellinek, Beth ha-Midr 5, 162, 1 s. bei Röm 2, 26, S. 120 Abs. 2.
Zum „ Gürtel“in dieser Stelle vgl. TanchB § 23 (40a). ||ExR 19 (81c): Gleich
einem Könige, der seinen Freunden ein Mahl bereitete. Der König sprach: Wenn
sich nicht mein Abzeichen (σ η μαντήριο ) an allen Tischgenossen befindet, so darf
ν
keiner von ihnen hierher kommen. So bereitete auch Gott den Israeliten (in Ägypten)
ein Mahl mit Fleisch am Feuer geröstet, mit ungesäuerten Kuchen u. bitteren Kräutern,
weil sie aus der Not erlöst werden sollten. Er sprach zu ihnen: Wenn nicht das
Siegel Abrahams an eurem Fleisch ist, dürft ihr nicht (von dem Mahl) essen.
Sofort wurden alle in Ägypten Geborenen in kurzer Zeit beschnitten. Über sie ist
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 4) 33

gesagt: Versammelt mir meine Frommen, die meinen (Beschneidungs-)Bund schließen


wegen des (Passah-)Schlachtopfers (so der Midr Ps 50, 5). Autor ist nach dem Vor-
aufgehenden R. Schimon b. Chalaphta, um 190. ||Targ HL 3, 8: Die Priester, die
Leviten u. alle Stämme Israels hielten alle fest an den Worten der Tora, die einem
Schwerte gleichen, u. disputierten darüber wie Helden, die des Kampfes kundig sind;
u. jeder von ihnen hatte das Siegel der Beschneidung an seinem Fleisch,
gleichwie es dem Fleische Abrahams aufgeprägt war; u. dadurch waren sie stark
wie ein Mann, dessen Schwert um seine Hüften gegürtet ist, u. deshalb fürchteten
sie sich nicht vor den bösen Geistern u. den Schattendämonen, die in der Nacht um-
herschweifen. |PirqeREl 10 s. bei Mt 12, 39 S. 645 unten.
g. Einer, der seine Vorhaut künstlich wieder vorzog, hieß oder auch ,
von ziehen. – Geschichtliche Beispiele bieten (außer 1. Kor. 7, 18) 1 Makk 1, 15:
(Υἱοὶπ ρ
αά νομ οιἐξἸσραὴ λ) ἐποίησανἑα υτοῖςἀ ϰ ροβ σ
υ τία ςϰα ὶὐπέστη σανἀ πὸδιαϑή ϰης
άγ ίας. – Joseph. Ant. 12, 5, 1: Τ ὴντῶ να ἰδοίωνπ ερ ιτομὴνἐπ εϰάλ υψ αν, ὡςἂ νεἶε ν
ϰα ὶτ ὰπ ερὶτ ὴ νἀπ δ
όυ σιν Ἕ λλη ε
νς. – Ferner s. über die Zeit des Bar Kokheba
(um 132) TSchab 15, 9 (133) in Anm. h. ||Angedichtet hat man die Ausführung des
Epispasmus einer ganzen Reihe von Personen. Sanh 38b: R. Jiçchaq (um 300) hat
gesagt: Adam, der erste Mensch, hat seine Vorhaut vorgezogen. Es heißt hier (Hos 6, 7):
„Wie Adam haben sie den Bund übertreten“ , u. es heißt dort (Gn 17, 14): Meinen Bund
hat er gebrochen. (Wie Gn 17 mit „Bund“der Beschneidungsbund gemeint ist, so
auch Hos 6). ||Sanh 44a: Es heißt Jos 7, 11: Auch meinen Bund haben sie übertreten
usw. R. Hela (um 310) hat im Namen des R. Jehuda b. Masparta (im 3. Jahrhundert)
gesagt: Das lehrt, ... daß Akhan seine Vorhaut vorgezogen hat. Es heißt hier:
Auch meinen Bund haben sie übertreten, u. es heißt dort Gn 17, 14: Meinen Bund
hat er gebrochen. (Beweis wie im vorigen Zitat.) ||Tanch 20b: Es heißt Jer 33, 25:
„Wenn nicht mein Bund besteht bei Tag u. Nacht“ ; damit ist der Beschneidungsbund
gemeint. Wie heißt es vor dieser Stelle? Hast du nicht gesehen, was diese Leute
reden, daß sie sagen: „ Die zwei Geschlechter, welche Jahve erwählt hatte, die hat
er verschmäht“– u. wie sie mein Volk lästern, als wäre es kein Volk mehr in
ihren Augen? Was heißt das? Er hatte gesehen, wie die Leute in Jerusalem Gott
erzürnten; denn selbst die Priester, die die Opfer darbrachten, waren unbeschnitten;
s. Ez 44,7.... Undauch die Könige aus demHause David schafften die Beschneidung
ab; denn siehe, Jehojaqim zog seine Vorhaut vor, wie es heißt 2. Chr 36, 8: Die
übrige Geschichte Jehojaqims u. seine Greuel, die er tat, u. was an ihm erfunden
ward usw. Was wurde an ihm gefunden? Daß er sich die Vorhaut vorzog.... ||
Jelammedenu in Jalq Schim Jer 9, 24 (2 § 285): Ich suche heim alle Beschnittenen
in der Vorhaut Jer 9, 24. Was heißt „Beschnittene in der Vorhaut“ ? Daß sie be-
schnitten gewesen waren, aber sich die Vorhaut vorgezogen hatten. Und sie alle
stehen in einer Schriftstelle, wie es heißt Jer 9, 25: Agypten, Juda, Edom, die Kinder
Ammon u. Moab u. alle mit gestutztem Haarrand. „ Ägypten“ ; denn in den Tagen
Josephs ließen sie sich beschneiden; als Joseph aber gestorben war, zogen sie sich
die Vorhaut vor, wie es heißt Hos 5, 7: Fremde Kinder haben sie gezeugt. „ Juda“ ,
damit ist Jehojaqim, der König von Juda, gemeint. „ Edom“ , das ist Esau. „Die Kinder
Ammon“ , das sind die Nachkommen der Töchter Lots. „Alle mit gestutztem Haar-
rand“ , das sind die Ismaeliter. Gott sprach: Was habe ich den Ägyptern getan? Er
schüttelte den Pharao u. sein Heer in das Schilfmeer Ps 136, 15. Jehojaqim habe ich
in die Verbannung geführt. Von Esau heißt es Obadj 6: Wie sind durchsucht seine
Heimlichkeiten! An ihnen allen habe ich Rache genommen, weil sie sich die Vorhaut
vorgezogen haben. – Der König Jehojaqim als auch LvR 19 (118d). ||Men53b:
R. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Als das Heiligtum zerstört worden war, fand Gott
Abraham im Heiligtum stehend. Er sprach zu ihm (Jer 11, 15): Was will mein Liebling
in meinem Haus? Er antwortete: Wegen meiner Kinder bin ich gekommen. Gott
sprach zu ihm: Deine Kinder haben gesündigt u. sind in die Verbannung gezogen.
Abraham: Vielleicht haben sie irrtümlich (versehentlich) gesündigt! Gott: Verruchter
Strack u. Billerbeck, NT IV 3
34 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 4)

Anschlag war ihr Tun! (Jer das.) Abraham: Vielleicht hat die Minderheit von ihnen
gesündigt! Gott: Die Mehrzahl (das.). Abraham: Du hättest an den Bund der Be-
schneidung denken sollen! Gott: Und das heilige Fleisch haben sie beseitigt (das.,
nämlich durch den Epispasmus)....
Der Epispasmus bedeutet Bundesbruch. TSchab 15, 9 (133): Es heißt Gn
17, 14: „Meinen Bund hat er gebrochen“ ; das schließt den mit ein, der die Vorhaut
vorgezogen hat . – Ähnlich in pPea 1, 16b, 33 u. pSanh 10, 27c, 20: „ Wer
den Bund bricht“ , das ist der, der sich eine Vorhaut zieht. – In Sanh 99a angeknüpft
an Nu 15, 31: „Sein Gebot hat er gebrochen“ , das ist der, der den Bund am Fleische
(durch Epispasmus) bricht. – Ferner s. oben 1 Makk 1, 15.
Sühne für die Sünde des Epispasmus. Joma 85b Bar: Rabbi (†217?) sagte:
Für alle Übertretungen in der Tora verschafft der Versöhnungstag Sühnung, gleichviel
ob man Buße tut oder nicht, ausgenommen ist der, welcher das Joch (der Tora) von
sich wirft u. welcher halakhawidrige Deutungen der Tora kundgibt u. welcher den
Bund des Fleisches (durch Epispasmus) bricht; wenn ein solcher Buße tut, so ver-
schafft der Versöhnungstag Sühnung; wenn er aber keine Buße tut, so verschafft
der Versöhnungstag nicht Sühnung.
Strafe. pJeb 8, 8d, 51: Einer, der die Vorhaut vorgezogen hat u. ein beschnitten
Geborener u. einer, der vor seinem Übertritt zumJudentum beschnitten war, dürfen
keine Priesterhebe essen. – Jeb 72a: Rab Huna (†297) hat gesagt: Nach demWort
der Tora darf einer, dessen Vorhaut vorgezogen worden ist, (falls er ein Priester)
von der Priesterhebe essen; aber nach ihren (der Gelehrten) Worten hat man es
verboten, weil er wie ein Unbeschnittener erscheint. ||Tanch (20b): Es heißt
Jes 5, 14: Darum hat die Scheol ihren Schlund weit aufgetan u. ihren Rachen auf-
gesperrt nach dem, der ohne die Satzung ist (so der Midrasch), d. h. nach dem, an
welchem sich nicht die Satzung des Beschneidungsbundes findet. Woher, daß die Be-
schneidung „ Satzung“genannt wird? Es heißt Ps 105, 10: Er stellte ihn (den Be-
schneidungsbund) hin für Jakob zu einer „ Satzung“ , für Israel als einen ewigen
Bund. Aber dieLeugner, die Gott verleugnen u. nach denGesetzen derHeiden wandeln,
während sie doch beschnitten sind, denen wird Gott eine Vorhaut vorziehen, u. sie
werden in den Gehinnom stürzen, wie es heißt: Er (Gott) streckte seine Hand aus
nach seinen (durch die Beschneidung ursprünglich) Vollkommenen, er entweiht seinen
Bund (durch Vorziehung der Vorhaut; so der Midr Ps 55, 21). ||pPea 1, 16b, 32: Wer
den Bund bricht (durch den Epispasmus) ..., den bestraft man (Gott) in dieser Welt,
während das Kapital (die Hauptstrafe) ihm anstehen bleibt für die zukünftige Welt.
h. TSchab 15, 9 (133): Wer die Vorhaut vorgezogen hat muß (noch einmal)
beschnitten werden. R. Jehuda (um 150) sagte: Er braucht nicht beschnitten zu werden,
wenn er sie vorgezogen hat, weil er dadurch in Lebensgefahr käme. Man antwortete
ihm: Viele haben sich in denTagen des Ben Kozeba (= Bar Kokheba) (zum zweitenmal)
beschneiden lassen u. hatten Kinder u. sind nicht (infolge der zweiten Beschneidung)
gestorben; denn es heißt: Beschnitten, ja beschnitten soll werden Gn 17, 13, selbst
hundertmal. – Parallelstellen: pSchab 19, 17a, 37; pJeb 8, 9a, 3; Jeb 72a; in GnR 46
(29c, 7) ist die Tradition unrichtig wiedergegeben.
i. TSchab 15, 9 (133): R. Schimon b. Elazar (um 190) hat gesagt: Von einem be-
schnitten geborenen Kinde mußmanBlut des Bundes tröpfeln lassen, weil die Vorhaut
(mit demFleisch) verwachsen ist. Worüber war man geteilter Meinung? Über einen
Proselyten, der beschnitten übertritt. Die Schule Schammais sagte: Man muß von
ihm Blut des Bundes tröpfeln lassen; u. die Schule Hillels sagte: Es ist nicht nötig. –
Parallelen mit Abweichungen im einzelnen pJeb 8, 9a, 5; pSchab 19, 17a, 39; GnR46
(29b, 51). ||Als beschnitten geboren galten zB Melchiçedeq, s. GnR 43 (26d, 20) bei
Hebr 7, 2 C, γ ; Mose, s. ExR 1 (66d, 37); David, s. Soa 10b, 17 u. andre.
k. TAZ 3, 12f. u. AZ27a s. bei Nr.3 Anm. a.
l. Ned3, 11 s. bei Mt 15, 5 S. 713 Nr. 4.
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 4) 35

m. Midr Ps 2 § 13 (15b): Dein Bauch ist ein Weizenhaufen HL7, 3. Warum werden
die Israeliten mit dem Weizen verglichen? R. Idi (um 325) hat gesagt: Wie dieses
Weizenkorn in seiner Mitte gespalten u. so gekennzeichnet ist vor allen übrigen
Früchten, denn alle sind Nebensächliches (Minderwertiges) ihmgegenüber – so sind
die Israeliten unter den Völkern der Welt gekennzeichnet durch die Beschneidung,
durch die Schaufäden, durch die Gebetsriemen u. die Türpfostenkapsel, u. alle Völker
sind ihnen gegenüber Nebensächliches (Minderwertiges ). – Parallelen: Midr
HL 7, 3 (127a); PesiqR 10 (35a).
n. GnR46 (29a); GnR46 (29a); Ned32a s. bei Mt5, 48 S. 386 (Parallelen zurletzten
Stelle: Ned3, 11; Mekh Ex 18, 3); Ned32b s. bei 1 Kor 12, 14 S. 448. ||Der Gedanke,
daß der Mensch erst durch die Beschneidung vollkommen werde, ist besonders in
einigen polemischen Gesprächen betont worden. TanchB § 7 (18a): Der Tyrann
Rufus (= Tinejus Rufus, der 132 n. Chr. Statthalter von Judäa wurde) fragte den
R. Aqiba (†um 135): Welche Werke sind schöner, die Werke Gottes oder die der
Menschen? Er antwortete ihm: Die der Menschen sind schöner. Es sprach zu ihm
der Tyrann Rufus, der Frevler: Siehe, da sind der Himmel u. die Erde, kannst du
dergleichen machen? R. Aqiba antwortete ihm: Rede zu mir nicht von Dingen, die
über die Kräfte des Menschen hinausgehen u. über die sie keine Gewalt haben,
sondern von Dingen, die unter den Menschen gang u. gäbe sind. Er sprach zuihm:
Warum beschneidet ihr euch? Er antwortete ihm: Auch ich habe gewußt, daß du
das zu mir sagen würdest, deshalb bin ich dir zuvorgekommen u. habe zu dir gesagt:
Die Werke der Menschen sind schöner als die Gottes. Bringet mir Ähren u. Brot!
R. Aqiba sprach zu ihm: Jene sind ein Werk Gottes, dieses ein Werk von Menschen;
ist dieses nicht schöner? Bringet mir Flachsbündel u. Leinenzeug aus Beth-Schean!1
Er sprach zu ihm: Jene sind ein Werk Gottes u. dieses ein Werk von Menschen;
ist dieses nicht schöner? Der Tyrann Rufus sprach zu ihm: Wenn er (Gott) solch
Gefallen an der Beschneidung hat, warum geht dann das Kind nicht beschnitten aus
seiner Mutter Leib hervor? R. Aqiba antwortete ihm: Warum geht denn sein Nabel-
strang an ihm (mit ihm) hervor, muß den nicht auch seine Mutter abschneiden? Und
warum es nicht beschnitten hervorgeht? Weil Gott Israel die Gebote nur gegeben
hat, um sie durch sie zu läutern (zum Gehorsam zu erziehen). Deshalb hat David
gesagt (Ps 18, 31): Das Wort Jahves ist zur Läuterung ( „geläutert“wird ge-
deutet = „Läuterung“ ). – Dasselbe Tanch 154a. ||GnR 11 (8c): Ein
Philosoph fragte den R. Hoschaja (um 225 in Cäsarea) u. sprach zu ihm: Wenn die
Beschneidung (vor Gott) so beliebt ist, warum wurde sie denn nicht dem ersten
Menschen gegeben? Dieser erwiderte: Warum beschneidet ein Mann denRand seines
Haupthaares, während er den Rand seines Bartes stehen läßt? Der Philosoph ant-
wortete: Weil das Haupthaar mit ihm in der Zeit seiner Dummheit (Kindheit) heran-
gewachsen ist. R. Hoschaja antwortete ihm: In diesem Falle müßte er auch seine
Augen blenden u. seine Hände abhacken u. seine Füße brechen; denn diese sind ja
auch in der Zeit seiner Dummheit mit ihm herangewachsen! Der Philosoph sprach
zu ihm: Mit dergleichen Dingen will man kommen!? R. Hoschaja sprach: Dich leer
(ohne triftige Antwort) fortgehen zu lassen, das mag ich nicht; vielmehr (höre:) alles,
was in den sechs Schöpfungstagen geschaffen ist, bedarf der Zubereitung: der Senf
bedarf der Versüßung, die Lupine gleichfalls der Versüßung, der Weizen des Zer-
mahlens; auch der Mensch bedarf (durch die Beschneidung) der (vervollkommnenden)
Herrichtung. – In PesiqR 23 (116b) ist R. Jehuda I. († ? 17?) der Gefragte.
o. Ned3,11: R. Elazar b. Azarja (um 100) sagte: Verächtlich ist die Vorhaut, weil
die Gottlosen damit beschimpft werden, wie es heißt: Denn alle Gojim (Nichtisraeliten)
sind Unbeschnittene Jer 9, 25. – Dasselbe Mekh Ex 18, 3 (65b). || GnR 80 (51c): Wir

1 Südliche Grenzstadt Galiläas, berühmt durch ihre Leinenzeuge u. die Schönheit


ihrer Gegend. „Wenn das Paradies im Lande Israel liegt“ sagt Resch Laqisch, um
250, Er 19a, dann ist Beth-Schean sein Eingang.“
3*
36 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 4)
können dies nicht tun, daß wir unsre Schwester (Dina) einem Mann geben, der Vorhaut
hat; denn dies gilt uns als schimpflich Gn 34, 14. R. Nechemja (um 150) hat gesagt:
Wo finden wir, daß die Vorhaut ein Schimpf genannt wird? Hier (nämlich Gn 34, 14). ||
Pirqe REl 29 Anf.: Die Vorhaut ist die Unreinheit aller Unreinheiten ..., der Fehler
aller Fehler.
p. Es sei hier besonders auf die Beschneidungsverbote hingewiesen, die durch
Antiochus Epiphanes (175–164 v. Chr.) u. durch Hadrian (117–138 n. Chr.) erlassen
worden sind. ZuAntiochus Epiphanes s. 1 Makk 1, 48; 60ff.; 2 Makk 6,10; zu Hadrian
s. Spartianus, Hadr. 14: Moverunt ea tempestate et Judaei bellum, quod vetabantur
mutilare genitalia. – Doch betraf dieses hadrianische Edikt nach Schürer 14, 677ff.
nicht bloß die Juden, sondern war generell gemeint. – In der rabbinischen Literatur
werden die Verfolgungsedikte Hadrians erwähnt zB BB 60b Bar bei Mt 5, 4 Anm. a
S. 196; MekhEx 20, 6 (75b) bei Röm 2,13 S. 85 Fußnote 1. – Ferner Schab 130a:
R. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Eine Stadt hat es im Lande Israel gegeben, die sich
nach den Worten des R. Eliezer (um 90) richtete (nämlich daß man am Sabbat sogar
Holz spalten u. Kohlen herstellen dürfe, um an ihrer Glut ein Beschneidungswerkzeug
zu verfertigen, s. Schab 19,1 bei Joh 7, 22 S. 478 Nr. 1), u. dort sterben die Leute zu
ihrer Zeit (nicht vorzeitig), u. nicht nurdies, sondern als einmal die (römische) Regierung
eine Religionsverfolgung wegen der Beschneidung über Israel verhängte, wurde sie
über diese Stadt nicht verhängt. ||Sanh 13b s. bei Apg 6, 6 S. 649 Nr. 3 Anm. a. ||Meila
51b (= 17b in andren Ausgaben): Einmal hatte die (römische) Regierung ein Edikt
erlassen, daß sie (die Juden) denSabbat nicht beobachten u.ihre Söhne nicht beschneiden,
dagegen ihren Frauen zurZeit der Menstruation beiwohnen sollten. R. Reuben b. Strobilos
(Aristobulos, um 150) ging u. ließ sich sein Haar scheren u. setzte sich zu ihnen (den
Großen Roms). Er sprach zu ihnen: Wenn jemand einen Feind hat, soll er ihn arm
oder reich machen? Sie antworteten ihm: Er soll ihn arm machen. Er sprach: So
mögen die Juden am Sabbat nicht arbeiten, damit sie arm werden! Sie antworteten:
Du hast recht geredet. Er sprach: So sollte man das Edikt (betreffs des Sabbats)
aufheben! Man hob es auf. Wiederum sagte er zu ihnen: Wenn jemand einen Feind
hat, soll er ihn schwächen oder kräftigen? Sie antworteten ihm: Er soll ihn schwächen.
Er sprach: In diesem Falle mögen sie am achten Tage ihre Söhne beschneiden, damit
sie schwach werden! Sie antworteten: Du hast recht geredet. Er sprach: (So sollte
man das Beschneidungsedikt aufheben!)1 Man hob es auf. Wiederum sprach er zu
ihnen: Wenn jemand einen Feind hat, soll er ihn vermehren oder vermindern? Sie
antworteten ihm: Er soll ihn vermindern. Er sprach: In diesem Falle sollten sie ihren
Frauen nicht zur Zeit der Menstruation beiwohnen! Sie antworteten: Du hast recht
geredet. Er sprach: (So sollte man das Edikt aufheben!)1 Man hob es auf. Als sie
aber erkannten, daß er ein Jude war, führten sie die Edikte wieder ein. (Es folgt
dann ein Bericht, wie R. Schimon b. Jochai, um 150, die endgültige Aufhebung der
Erlasse durch die Heilung einer kaiserlichen Tochter bewirkte, s. Meila 51b im Exkurs:
Zur altjüdischen Dämonologie Nr. 7 Anm. h. ||RH 19a: An einem 28. Adar wurde den
Juden die frohe Botschaft, daß sie nicht mehr von der Tora zu lassen brauchten. Es
hatte nämlich die (römische) Regierung über sie verhängt, daß sie sich nicht mit der
Tora beschäftigen, ihre Söhne nicht beschneiden, aber die Sabbate entheiligen sollten.
Was taten Jehuda b. Schammua2 u. seine Genossen? Sie gingen u. holten sich Rat
von einer Matrone, bei der alle Großen Roms zu verkehren pflegten. Sie sprach zu
ihnen: Kommt u. schreit in der Nacht! Sie kamen u. schrien in der Nacht u. riefen:
O Himmel, sind wir nicht eure Brüder u. sind wir nicht Kinder eines Vaters u.
Kinder einer Mutter? Was sind wir denn verschieden von jeder andren Nation u.
Sprache, daß ihr über uns schlimme Edikte verhängt? Da hob man sie (die Edikte)

1 Die eingeklammerten Worte fehlen wohl nur versehentlich im Text.


2 Wenn Jehuda b. Schammua ein Bruder des Elazar b. Schammua war(vgl. Bacher,
Tann. 2, 277), dann hat er um 150 gelebt.
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 5) 37

auf. Und diesen Tag machte man zu einem Festtag. – Dasselbe Meg Taan 12 u.
als Bar in Taan 18a. ||Berakh 61b Bar s. bei Röm 3, 1f. S. 131 E.
q. PirqeREl 29 (14d): Rabbi (†217?) hat gesagt: Isaak hat den Jakob beschnitten,
aber Esau verachtete die Beschneidung, gleichwie er die Erstgeburt verachtete (Gn
eir = Esau) machen u. Blut soll
25, 34). ||GnR 63 (40b): Zu Blut will ich dich (Berg Ś
dich verfolgen. Wahrlich, Blut hast du gehaßt, so soll Blut dich verfolgen! Ez 35, 6.
Aber hat denn Esau Blut gehaßt? ... R. Levi (um 300) hat gesagt: Damit ist das
Blut der Beschneidung gemeint.
5. Wertschätzung u. Segen der Beschneidung.
Das Beschneidungsgebot wird zu denjenigen Vorschriften gerechnet,
die Israel mit Freuden auf sich genommen hat u. die es deshalb allezeit
mit Freuden übt,a oder, wie andre sagten, zu denjenigen Vorschriften,
derentwegen Israel bis aufs Blut gelitten hat u. an denen es eben-
deshalb unentwegt festhält.b Denn der Beschneidung verdankt es
Israel, daß es das Land Israel zum Besitz erhalten hat u. daß Gott
sein Schutzherr geworden ist.c Auch sonst wird die Größe u. Kraft
der Beschneidung oftmals verherrlicht, zum Teil im Anschluß an einen
Schriftvers,d gern auch auf Grund der Geschichtee u. der Kultus-
einrichtungenf Israels. Den größten Segen aber wird die Beschneidung
in der Zukunft bringen: nur in ihrem Verdienst wird Israel in der
messianischen Zeit erlöstg u.in der zukünftigen Welt aus demGehinnom
errettet werden.h
a. Schab 130a Bar: R. Schimon b. Gamliël (um 140) sagte: Jedes Gebot, das die
Israeliten mit Freuden auf sich genommen haben wie die Beschneidung – denn es
steht geschrieben: Ich freute mich über dein Wort wie einer, der große Beute findet
Ps 119, 162 –, das tun sie noch jetzt mit Freuden. – In SDt 12, 23 § 76 (90b)
Rabbi (†217?) Autor. ||Tanch 103b: R. Schimon b. Jochai (um 150) hat gesagt:
Komm u. sieh! Obwohl ein Mensch nichts lieber hat als seinen Sohn, so läßt er ihn
doch (trotz der Lebensgefahr für das Kind) beschneiden. Und das alles warum?
R. Nachman b. Schemuël (um 300) hat gesagt: Um den Willen seines Schöpfers zu
tun. Er sieht seinen Sohn, wie er infolge seiner Beschneidung Blut ergießt, u. doch
nimmt er es auf sich mit Freuden. R. Chanina (um 225) hat gesagt: Und nicht nur
dies, er macht sich auch Ausgaben, um jenen Tag zu einem Freudentag zu machen,
was ihm nicht befohlen ist. Das meint die Schrift (Ps 71, 14): Ich will immerfort
warten u. noch hinzufügen zu all deinem Ruhm! Und nicht bloß dies, der Mensch
geht sogar hin u. borgt u. gibt sich selbst zumPfand, umjenen Tag zueinem Freudentag
zu machen. – In Tanch 31a wird (jedenfalls richtiger) statt des R. Chanina
R. = R. Huna, um 350, als Autor genannt. ||Tanch 154a: Amachten Tage
soll er beschnitten werden Lv 12, 3; aber nicht steht dort geschrieben, daß er sich
wegen der Beschneidung Ausgaben machen soll. Komm u.sieh, wie sehr die Israeliten
die Gebote lieben, daß sie sich Ausgaben machen, um die Gebote zu beobachten u.
sich über sie zu freuen. Darum spricht Gott: Ihr beobachtet die Gebote u. freut euch
über sie; so will ich euch Freude hinzufügen, wie es heißt: Freude über Freude
werden die Elenden in Jahve haben Jes 29, 19. – Dasselbe Tanch B § 7 (18a). ||
GnR 59 (37b): Lege doch deine Hand unter meine Lende (= unter die Beschneidungs-
stelle) Gn 24, 2. R. Berekhja (um340) hat gesagt: Weil sie (Beschneidung) ihnen unter
Schmerzen zuteil wird, darum ist sie ihnen lieb u. wert, u. darum schwören sie nur
bei ihr. ||Ferner s. Meg 16b, 23.
b. Schab 130a Bar: R. Schimon b. Elazar (um 190) sagte: Jedes Gebot, für welches
sich die Israeliten zur Zeit einer Religionsverfolgung dem Tode preisgaben, wie zB
38 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 5)

das betreffs des Götzendienstes u. der Beschneidung, hat noch jetzt festen Bestand
bei ihnen. In SDt 12,23 § 76 (90b) Rabban Schimon b. Gamliël, um 140, Autor.
c. GnR 46 (29b) nach Jalqu Schim 1 § 82 (der Text in GnR 46 selbst ist in Un-
ordnung geraten): R. Judan (um 350) hat fünferlei gesagt: Wenn deine Kinder (sprach
Gott zu Abraham) meine Gottheit anerkennen, werde ich ihnen Gott u. Schutzherr
sein; wenn aber nicht, so werde ich ihnen nicht Gott u. Schutzherr sein. Wenn deine
Kinder in das Land (Israel) einziehen, werden sie meine Gottheit anerkennen; wenn
aber nicht, so werden sie meine Gottheit nicht anerkennen. Wenn deine Kinder die
Beschneidung beobachten, werden sie in das Land (Israel) einziehen; wenn aber nicht,
so werden sie nicht in das Land einziehen. Wenn deine Kinder die Beschneidung
beobachten, werde ich ihnen Gott u. Schutzherr sein; wenn aber nicht, so werde ich
ihnen nicht Gott u. Schutzherr sein; denn wenn deine Kinder die Beschneidung an-
nehmen, nehmen sie auch meine Gottheit an; wenn aber nicht, so nehmen sie auch
meine Gottheit nicht an. ||GnR 46 (29a): R. Berekhja (um340) u. R. Chelbo (um300)
haben im Namen des R. Abun b. Jose (in diesem Namen steckt ein Fehler) gesagt:
Es heißt: Das war die Sache , daß Josua beschnitt Jos 5, 4. Ein Wort hat
Josua ihnen gesagt, u. dann beschnitt er sie. Er hat zu ihnen gesagt: Denkt ihr etwa,
daß ihr unbeschnitten in das Land (Israel) einziehen werdet? So hat Gott zu unsrem
Vater Abraham gesagt: Ich werde dir u. deinem Samen nach dir ... das ganze Land
Kanaan... geben Gn17,8, nämlich unter derBedingung, daß„ dumeinen (Beschneidungs-)
Bund beobachten wirst, du u. dein Same nach dir“Gn 17, 9.
d. Ned3, 11: R. Jischmael (†um 135) sagte: Groß ist die Beschneidung, denn es
wurde ihretwegen dreizehnmal der Bund geschlossen (das Wort „Bund“k ommt
Gn17 dreizehnmal vor); R.Jose (der Galiläer, um110) sagte: Groß ist dieBeschneidung,
denn sie verdrängt den strengeren Sabbat. R. Jehoschua b. Qarcha (um 150) sagte:
Groß ist die Beschneidung, da dem gerechten Mose ihretwegen nicht eine Stunde
Aufschub gegeben wurde (vgl. Ex 4, 24f.). R. Nechemja (um 150) sagte: Groß ist die
Beschneidung, denn sie verdrängt dieBestimmungen über denAussatz. (Nach Mak22a, 15
durfte eine Aussatzstelle nicht abgeschnitten werden; das galt aber nicht bei der Be-
schneidungsstelle.) Rabbi (†217?) sagte: Groß ist die Beschneidung; denn obwohl
unser Vater Abraham alle Gebote erfüllt hat, ist er doch „ vollkommen“ erst
genannt worden, als er sich beschnitt, wie es heißt: Wandle vor mir, so wirst du
vollkommen sein Gn 17,1. Eine andre Erklärung: Groß ist die Beschneidung; denn
wenn sie nicht wäre, hätte Gott seine Welt nicht geschaffen, wie es heißt: So hat
Jahve gesprochen: Wenn nicht mein (Beschneidungs-)Bund wäre Tag u. Nacht, hätte
ichdieOrdnungen (Gesetze) desHimmels u.der Erdenicht gegeben (soderMidrJer 33,25).–
Parallele: Mekh Ex 18, 3 (66a). Einzelne Sätze daraus auch TNed 2, 5. 7 (277); Ned
31b, 25; 32a,12. 18; Schab 133a, 34; 137b, 20; Tanch 19b, 31; 20a, 8; SLv 12,3
(228a). ||Ned32a, 16: Groß ist die Beschneidung, denn sie wiegt alle Gebote in der
Tora auf, wie es heißt: Gemäß diesen Worten habe ich mit dir einen Bund geschlossen
Ex 34, 27. (Wie hier die Bundschließung auf Grund der Worte oder Gebote der Tora
erfolgt, so Gn17,10 aufGrund derBeschneidung; daraus dieFolgerung: dieBeschneidung
ist sämtlichen Geboten in der Tora gleichwertig.) – Dasselbe Midr Ps 6 § 1 (27b)
in einem Ausspruch des R. Meïr, um 150. ||TNed 2, 6 (277): Groß ist die Beschneidung,
denn sie wiegt alle Schöpfungswerke in der Tora auf, wie es heißt: Siehe, das Blut
des Bundes, den Jahve mit euch geschlossen hat Ex 24, 8. (Sehr auffallend ist, daß
das „Blut des Bundes“Ex 24, 8 mit dem Beschneidungsblut identifiziert wird. Der
Beweis selbst liegt wohl in der Analogie des Wortes „Bund“Ex 24, 8 u. Jer 33, 25,
s. oben Ned3,11 Ende.) ||ExR 23 (85b): Dieses Lied Ex 15, 1. (Die Israeliten
sprachen:) Wir sind schön vor dir ein Lied zu singen; denn es ist keine Unreinheit
an uns; u. siehe, die Beschneidung bezeugt es uns, daß wir rein sind. Deshalb heißt
es „dieses“Lied; denn „dieses“() deutet die Beschneidung an, wie es heißt:
„dieses“ist mein (Beschneidungs-)Bund, den ihr beobachten sollt Gn 17, 10. ||TBerakh
7,24f. (17a) s. im Exk.: Zur Bergpredigt Nr.2 Anm.l S. 9.
3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 5) 39

e. Mekh Ex 12, 6 (6a): Warum geht das Nehmen des Passahlammes (Ex 12, 3) vier
Tage seiner Schlachtung voran? Mattja b. Cheresch (um 130; s. bei Röm 1, 7 A S. 24
Nr. 3) hat gesagt: Es heißt: Ich ging an dir vorüber u. sah dich, u. siehe, deine Zeit
war die Zeit der Minne Ez 16, 8. Herbeigekommen war der Schwur, den Gott dem
Abraham geschworen hatte, daß er seine Kinder erlösen wolle; aber sie besaßen keine
Pflichtgebote, mit denen sie sich hätten beschäftigen können, um(dadurch Verdienste
zu erwerben u.) erlöst zu werden, wie es heißt: Deine Brüste wurden hoch u. dein
Haar sproßte; duaber warst nackt u. bloß Ez 16, 7, nackt von allen Gebotserfüllungen
(u. deren Verdiensten). Da gab Gott ihnen zwei Gebote, das Blut des Passahlammes
u. das Blut der Beschneidung, damit sie sich damit beschäftigten, umerlöst zuwerden,
wie es heißt: Ich ging an dir vorüber u. sah dich zumZertreten in deinen Blutarten
(Plural, = Beschneidungsblut u. Blut der Passahlämmer) Ez 16, 6. Ferner heißt
es: Auch will ich kraft deines Bundesblutes entlassen deine Gefangenen aus der Grube,
da kein Wasser drinnen (d. h. aus Ägyptenland) Sach 9, 11. Deshalb ließ die Schrift
das Nehmen des Passahlammes vier Tage seiner Schlachtung vorangehen; denn Lohn
empfängt man nur wegen des Tuns. (Die Erlösung aus Ägypten geschah also im
Verdienst des Passahlammes u. der Beschneidung.) ||ExR 19 (81c): Unsre Lehrer
haben gesagt: Die Israeliten wollten sich in Ägypten nicht beschneiden lassen, sondern
unterließen sämtlich die Beschneidung in Ägypten außer dem Stamm Levi, wie es
heißt: Von Levi sprach er: Dein sind die Tummim u. Urim Dt 33, 8. Warum? Es
heißt: Weil sie deine Rede bewahrten u. deinen (Beschneidungs-)Bund hielten Dt33, 9,
nämlich in Ägypten. Gott wünschte die Israeliten zu erlösen, aber sie hatten kein
Verdienst. Was tat er? Er rief Mose u. sprach zu ihm: Geh u. beschneide sie....
Sofort verstatteten sie es ihm u. ließen sich beschneiden u. das Blut des Passah-
lammes vermischte sich mit dem Blut der Beschneidung. Da ging Gott vorüber u.
nahm jeden u. küßte u. segnete ihn, wie es heißt: Ich ging an dir vorüber ...; icli
sprach zu dir; Wegen deiner Blutarten (Plural) sollst du leben, ja wegen deiner
Blutarten sollst du leben (so der Midr Ez 16, 6), leben wegen des Passahblutes u. leben
wegen des Beschneidungsblutes. – Ähnliches in Pirqe REl 29 (14d); vgl. auch Pirqe
REl 29 w. u. in Anm. g. ||Mekh Ex 14,15 (35a): R. Schimon aus Teman (um110) sagte:
Durch das Verdienst der Beschneidung (sprach Gott) will ich das Meer spalten, wie
es heißt: Wenn nicht mein Bund wäre bei Tag u. bei Nacht, hätte ich die Gesetze
des Himmels u. der Erde nicht gegeben (so der Midr Jer 33, 25). Sagst du: Welches
ist der Bund, der Tag u. Nacht in Übung ist? so antworte: Das ist die Beschneidung
(um derentwillen bei der Spaltung des Roten Meeres die Naturgesetze durchbrochen
wurden). ||Tanch B § 12 (30b): Damals sang Mose Ex 15, 1. : das ist
(seinem Zahlenwert nach) eins u. das sieben, zusammen acht. Mose sprach: Im
Verdienst der Beschneidung, die am achten Tag vollzogen wird, wurde das Meer
gespalten, u. mit wollen wir preisen (das Lied Ex 15, 1ff. anstimmen). R. Levi
(um 300) hat gesagt: Es heißt (Ps 136, 13): Der das Schilfmeer in Teile schnitt .
Im Arabischen (aber auch nicht minder im Aramäischen) gebraucht man das Verbum
auch im Sinne von „ beschneiden“ ; das will sagen: Im Verdienst der Beschneidung
wurde das Meer gespalten.
f. Pesiq 176a: (Es heißt Lv 16, 3: Mit „diesem“[] soll Ahron in das Heiligtum
kommen, d. h. im Verdienste eines jeden , das in der Tora geschrieben steht.)
R. Judan (um 350) hat die Stelle auf den Hohenpriester bei seinem Eintritt in das
Allerheiligste ausgelegt. Haufenweise stehen ihmGebotserfüllungen (u.deren Verdienste)
zur Seite: er tritt ein im Verdienst der Tora, s. Dt 4, 44: „dieses“ist die Tora;
im Verdienst der Beschneidung, s. Gn 17, 10: „dieses“ist mein Bund; im Verdienst
des Sabbats, s. Jes 56, 2: Wohl dem Menschen, der dieses“(den Sabbat) hält;

im Verdienst Jerusalems, s. Ez 5, 5: „dieses“Jerusalem da; im Verdienst der
Stämme, s. Gn 49, 28: „dieses“ist es, was ihr Vater zu ihnen (den 12 Stämmen)
redete; im Verdienst Judas, s. Dt 33, 7: Und „ dieses“über Juda; im Verdienst
Israels, s. HL 7, 8: „ diese“deine Gestalt; imVerdienst derPriesterhebe, s. Ex 25, 3:
40 3. Exkurs: Das Beschneidungsgebot (Nr. 5)

Und „ dieses“ist die Hebe; im Verdienst der Zehnten, s. Mal 3, 10: Prüfet mich
an „diesem“(dem Abliefern der Zehnten); im Verdienst der Opfer, s. Lv 16,3:
Mit „ diesem“soll Ahron kommen. – Parallelstellen: LvR 21 (120b); in PesiqR
47 (191a, 8–191b, 18) wird speziell der Satz, daß der Hohepriester im Verdienst der
Beschneidung insAllerheiligste eintrete, demR.Chanina b.Jischmael (wann?) beigelegt. ||
PirqeREl 29 (14b): Was heißt: An eben diesem Tage wurden Abraham u. sein Sohn
Ismaël beschnitten? Gn 17, 26 ... AmVersöhnungstage wurde Abraham beschnitten,
u. Jahr für Jahr blickt Gott auf das Bundesblut der Beschneidung unsres Vaters
Abraham u. schafft Sühnung für alle unsre Sünden, wie es heißt: denn an diesem Tage
wird man für euch Sühnung schaffen, um euch zu reinigen Lv 16,30. Und an dem
Ort, wo Abraham beschnitten wurde u. sein Blut verblieb, da wurde (auf dem Berg
Morijja) der (Brandopfer-)Altar erbaut; deshalb heißt es: Sein übriges Blut schütte
er an den Grund des Brandopferaltars Lv 4, 25. Und weiter heißt es: Da sprach ich
zu dir: Wegen deines Blutes sollst duleben Ez 16, 6. ||Pesiq 192a: R. Eliezer (um90)
sagte: „ Gib Anteil sieben“Qoh 11,2, das gebt auf den Sabbat, wie es heißt: Am
siebenten Tage gingen etliche vomVolk hinaus Ex 16,27; „ undauch achten“Qoh11,2,
das geht auf die Beschneidung (die am achten Tage vollzogen wird); denn es heißt:
Elias legte sein Angesicht zwischen seine Knie (auf die Beschneidungsstelle) 1 Kg
18, 42. Elias sprach zuGott: Herr der Welt, wenn den Israeliten nur die beiden Gebots-
erfüllungen (des Sabbats u. der Beschneidung) verblieben sind, so möge deren Verdienst
genügen, daß ihnen Regen niederfällt. – Parallelen: Midr Qoh 11, 2 (51a); Er 40b.
g. MidrPs 20 § 3 (88a): Zu dieser Zeit wird dein Volk errettet werden Dn 12, 1.
In wessen Verdienst? ... R. Levi (um300) bat gesagt: Im Verdienst derBeschneidung.
Es heißt hier: „ In dieser Zeit“wird dein Volk errettet werden, u. es heißt dort: „ In
dieser Zeit“sprach Jahve zu Josua:... Beschneide die Söhne Israels Jos 5, 2. (Wie
der Einzug ins Land Kanaan im Verdienst der Beschneidung geschah, so auch der
Eintritt ins messianische Zeitalter.) ||PirqeREl 29 (14d): R. Elazar (die Autorenangaben
sind in den PirqeREl wertlos) hat gesagt: Aus welchem Grunde hat die Schrift zweimal
gesagt: Wegen deines Blutes sollst duleben Ez 16, 6? Gott hat gesagt: Im Verdienst
des Bundesblutes der Beschneidung u. des Passahblutes habe ich euch aus Ägypten
erlöst, u. in ihrem Verdienst werdet ihr erlöst werden am Ende des vierten (römischen)
Weltreiches (d. h. in den Tagen des Messias); deshalb wird zweimal gesagt: Wegen
deines Blutes sollst du leben. – Vgl. auch Tanch Ende: Kein Unbeschnittener
(spricht Gott) wird in der Zukunft (in den Tagen des Messias) vor mir bestehn, wie
es heißt: Wach auf, wach auf! Ziehe deine Macht an, Zion; kleide dich in deine
Prachtgewänder, Jerusalem, du heilige Stadt; denn nicht mehr soll dich betreten ein
Unbeschnittener oder Unreiner! Jes 52, 1. Amen, u. so sei es (Gottes) Wille!
h. Belege s. im Exkurs: Scheol usw. II, 7 Anm. a, b u. c. ||Er 19a, 26 s. bei Röm
9, 6 S. 264 Anm. f.
Vierter Exkurs
Das Passahmahl
(zu Mt 26,17ff.)
I. Die Vorbereitungen des Passahmahles
ZudenVorbereitungen desPassahmahles gehörte: die Bereitstellung
eines geeigneten, mit den nötigen Speisepolstern ausgestatteten
(ἐστρωμν
έο νMk 14,15; Lk 22,12) Festraumes; die Beschaffung eines
vorschriftsmäßigen Passahlammes; dieFeststellung derjenigen Personen,
die an demEssen eines bestimmten Lammes teilnehmen sollten; das
Hinschaffen des Tieres nach dem Tempel u. seine Schlachtung; das
Abhäuten u. Ausweiden u. Zurücktragen des Tieres nach der Stätte
der Festfeier u. endlich die Zubereitung des Fleisches zum Genuß.
Dies alles werden auch Jesu Jünger im Sinn gehabt haben, als sie
Mt 26,17 an den Meister die Frage richteten: Wo willst du, daß wir
dir herrichten das Passahlamm zu essen? (Über die Beseitigung des
Gesäuerten aus den Häusern, die ebenfalls vor Beginn der Passahfeier
beendet sein mußte, s. bei 1 Kor 5,7 A S. 359 u. im Exkurs: Der
Todestag Jesu, Bd II S. 814.)
A. Die Bereitstellung des Festraumes.
Bei der großen Menge vonFestpilgern, die das Passahfest alljährlich
in Jerusalem zu begehen pflegten,a mag die Wohnungsfrage oftmals
nicht geringe Schwierigkeiten bereitet haben. Gewiß wird ein großer
Teil der Fremden in den Ortschaften, die in der nächsten Nähe Je-
rusalems lagen, Unterkunft gesucht u. gefunden haben, wie ja auch
Jesus an seinem Todespassah in Bethanien Wohnung genommen hatte
Joh 12, 1; aber auch sie alle mußten nach den bestehenden Vorschriften
nicht nur das Passahmahl in Jerusalem selbst begehen,b sondern auch
in der darauffolgenden Nacht in der Stadt verbleiben.c So hatte also
auch für sie die Frage, wo sie in Jerusalem das Passahmahl halten
u. hinterher übernachten sollten, eine ernste Bedeutung. – Umder
Schwierigkeiten Herr zu werden, hatte man die Theorie ausgebildet,
daß bei der Verteilung des Landes Kanaan an die zwölf Stämme die
Hauptstadt Jerusalem nicht mitverteilt, sondern als Nationaleigentum
zugunsten sämtlicher Israeliten zurückbehalten worden sei. Hiernach
sollten die Hausbesitzer in Jerusalem nicht das Recht haben, ihre
Wohnungen u. Lagerstätten gegen teures Geld an die Festpilger zu
vermieten, sondern vielmehr gehalten sein, die darum bittenden Fremd-
linge unentgeltlich in ihren Häusern aufzunehmen u. ihnen, soweit
Raum vorhanden, ein Speisezimmer zur feierlichen Begehung des
Passahmahles zur Verfügung zu stellen.d Dieser Theorie ist der Erfolg
nicht versagt geblieben: es wird zu den zehn Wundern gerechnet,
die den Vätern zur Zeit des Tempelbestandes geschahen, daß niemals
42 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, A)

Klagen übermangelnde Unterkunft inJerusalem laut geworden seien.e –


Da ein Passahmahl nur gehalten werden konnte, wenn mindestens
zehn zu einer Tischgenossenschaft vereinigte Personen daran teil-
nahmen,f u. da ferner das Mahl nur in feierlicher Tafelrunde, d. h. in
liegender Stellung, eingenommen werden durfte,g so mußte das Speise-
zimmer ( = τρίϰ λινον, triclinium) natürlich so groß sein, daß
die nötige Anzahl von Speisepolstern darin untergebracht werden
konnte. Nach der Mischna wäre dazu ein Raum von 10 Ellen Länge
u. 10Ellen Tiefe (d. h. eine Bodenfläche von rund23 Quatratmetern) er-
forderlich gewesen.h In einem größeren Speisesaal durften auch mehrere
Tischgenossenschaften gleichzeitig das Passahmahl feiern.i
a. ZurEinwohnerzahl Jerusalems während eines Passahfestes liegen zwei Berichte
vor: TPes 4, 3 (163) s. bei Apg 12, 23 S. 710; nach dieser Stelle wären mehr als
12 Millionen Menschen an dem betreffenden Passahfest in Jerusalem anwesend ge-
wesen. In bescheideneren Grenzen hält sich derzweite Bericht, Josephus, Bell Jud6, 9, 3:
„Cestius Gallus (63–66 n. Chr.) forderte die Hohenpriester auf, wenn es möglich
sei, die Volksmenge (in Jerusalem) zu zählen. Es stand aber das Fest bevor, welches
das Passahfest heißt, an welchem man von der 9. bis zur 11. Stunde1 das Passah-
opfer schlachtet. Für jedes Passahopfer aber bildet sich gleichsam eine Genossenschaft
von nicht weniger als 10 Personen, denn allein zu speisen ist nicht erlaubt; vielfach
aber treten auch 20 Personen zusammen. Jener Passahopfer wurden nun 256500 ge-
zählt. Das ergibt, wenn wir für jedes Passahopfer 10 Tischgenossen annehmen,
die Zahl von (etwa) 2 Millionen u. 700000 reinen u. heiligen Personen; denn weder
Aussätzige noch mit Ausflüssen Behaftete noch menstruierende Frauen noch sonstwie
Unreine durften an diesem Opfer teilnehmen.“
b. SNu 9, 10 § 69 (18a): Welches ist der Ort, da es (das Passahlamm) gegessen
wird? Vom Tore Jerusalems nach innen zu (d. h. in Jerusalem). ||Zeb5, 8: Die Erst-
geburt u. der (Vieh-)Zehnte u. das Passahlamm sind Heiliges niederen Grades. –
(Und vom Heiligen niederen Grades gilt) Kel 1, 8: Innerhalb der Mauern (Jerusalems)
ist größere Heiligkeit (als in den übrigen mit einer Mauer umgebenen Städten); denn
dort ißt man Heiliges niederen Grades (also auch das Passahlamm). ||Mak 3, 3:
Wer ... Heiliges niederen Grades (also auch das Passahlamm) außerhalb derMauer
(Jerusalems) ißt, ... siehe, der erhält 40 Geißelhiebe.
c. Belege s. im Exkurs: Der Todestag Jesu, Bd II S. 833f. Nr. 6.
d. Belege s. bei Lk 2, 41 S. 144 Nr. 5 u. bei Mt26, 17 B S. 988f.
e. Aboth 5, 5: Zehn Wunder sind unsren Vätern imHeiligtum (zur Zeit desTempel-
bestandes) geschehen: ... Nicht sagte jemand in Jerusalem zu einem andren: Der
Raum ist mir zu eng zum Übernachten in Jerusalem. ||Aboth RN35 (9b): Nicht hat
einer jemals zu einem andren gesagt: Ich habe keinen Backofen zum Braten der
Passahlämmer in Jerusalem gefunden. Nicht hat einer jemals zu einem andren gesagt:
Ich habe kein Bett gefunden, auf dem ich in Jerusalem schlafen konnte. Nicht hat
einer zueinem andren gesagt: Zueng ist mir der Raum zumÜbernachten in Jerusalem.
f. TPes 4, 3 u. Josephus, Bell Jud 6, 9, 3 s. in Anm. a.
g. Zum Liegen bei der Passahmahlzeit s. Abschnitt II, B Nr. 1 Anm. b.
h. BB 6, 4: Wer einen Speisesaal anlegen will ..., der baut zehn Ellen zu
zehn Ellen (d. h. 10 Ellen lang u. 10 Ellen breit oder tief); seine Höhe beträgt die
Hälfte seiner Länge u. die Hälfte seiner Breite (also ebenfalls 10 Ellen).
i. Pes 7, 13 s. bei I, C Anm. f.
1 Die 9. Stunde begann nachm. 2 Uhr, die 11. Stunde endete nachm. 5 Uhr.
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, B) 43

B. Die Beschaffung des Passahlammes.


Die Bestimmung in Ex 12, 3, daß das Passahlamm am 10. Nisan,
also vier Tage vor seiner Schlachtung genommen, d.h. beschafft werden
sollte, galt nicht mehr in der späteren Zeit; es durfte also auch an
den folgenden Tagen bereitgestellt werden.a Geeignet war jedes männ-
liche Schaf- oder Ziegenlamm, das einjährig u. fehlerlos war.b Auch
war nicht nötig, daß der Hausvater selbst das Tier beschaffte, er
durfte es auch durch einen Beauftragten beschaffen lassen.c
a. Pes 9, 5: Welcher Unterschied ist zwischen dem Passah Ägyptens
u. demPassah der (folgenden) Generationen (nach Ex 12, 14)? Beim Passah
Ägyptens geschah sein (des Passahopfers) Nehmen (seine Beschaffung) am
10. (Nisan), u. es verpflichtete zur Sprengung (des Blutes) mit einem Ysopbüschel
an die Oberschwelle u. an die beiden Türpfosten, u. es wurde in Eile gegessen, in
einer Nacht. Aber das Passah der (folgenden) Generationen dauert ganze sieben Tage
(u. die genannten Bestimmungen betreffs des Passahs in Ägypten sind in Wegfall
gekommen). ||Mekh Ex 12, 3 (4b): Am 10. dieses Monats (Nisan), da sollen sie nehmen
Ex 12, 3. Da höre ich, daß nur der Zehnte zumBeschaffen geeignet ist. Woher, daß
auch der Vierzehnte geeignet ist? Zieh den Schluß vom Geringeren auf das Größere:
wenn der Zehnte, der nicht geeignet ist zumSchlachten, geeignet ist zumBeschaffen,
ist es da nicht recht, daß der Vierzehnte, der geeignet ist zum Schlachten, geeignet
ist zum Beschaffen? Woher, daß der Dreizehnte geeignet ist? Zieh den Schluß vom
Geringeren auf das Größere: wenn der Zehnte, der nicht in der Nähe des Schlachtens
liegt, geeignet ist zum Beschaffen, ist es da nicht recht, daß der Dreizehnte, der in
der Nähe des Schlachtens liegt, geeignet ist zum Beschaffen? Und ebenso ist über
den Elften u. Zwölften zu urteilen. Am Zehnten des Monats Ex 12, 3; das will das
Passah der (folgenden) Generationen ausschließen. Beim Passah Ägyptens sollte seine
Beschaffung am Zehnten erfolgen, aber beim Passah der Generationen kann seine
Beschaffung zu jeder Zeit erfolgen. Vgl. auch Pes 96a, 14.
b. Mekh Ex 12, 5 (5b): Ein fehlerloses männliches einjähriges Lamm sollt ihr
haben; vondenSchafen u. von denZiegen könnt ihr es nehmen Ex 12, 5. Ein „ Lamm“ .
Das allgemeine Wort „Lamm“umschließt das (Ziegen-)Böckchen u. das (Schaf-)Lamm,
wie es heißt Dt 14, 4: „Schaflamm u. Ziegenlamm“(so der Midr).
„ Fehlerlos“, das schließt ein Tier aus, das einen Schaden hat. „Männlich“ , das schließt
ein Tier aus, dessen Geschlecht nicht erkennbar ist, oder das männlich u. weiblich ist,
oder dasweiblich ist. „ Einjährig“ ; da höre ich nur von einem Lamm, das aus dem
(laufenden) Jahr stammt; woher, daß es sein ganzes Jahr hindurch (bis es sein
1. Lebensjahr vollendet hat) geeignet ist? R. Jischmael (†um 135) hat es auf Grund
eines Schlusses vom Größeren auf das Geringere gesagt: wenn es (das Lamm) als
Brandopfer, das schwereren Bestimmungen unterliegt, bis zur Vollendung seines Jahres
tauglich ist als einjähriges dargebracht zu werden (vgl. Lv 12, 6), ist es da nicht
recht, daß dasPassahlamm, dasleichteren Bestimmungen unterliegt, bis zurVollendung
seines Jahres tauglich ist, als ob es aus dem Jahre stammte? ||SLv 12, 6 (232a):
Ein einjähriges Lamm Lv 12, 6; sein Jahr ist gemeint, nicht das Jahr
der Weltzählung (= Kalenderjahr). – Ebenso Rab Acha b. Jaaqob, um 325, in Bekhor
27b, 14; Ar 18b, 18. ||Pes 9, 7: Wenn einer ein weibliches Lamm als sein Passah-
lamm absondert oder ein männliches von zwei Jahren, so muß es weiden, bis es
fehlerhaft wird; dann wird es verkauft u. der Erlös dafür zu einem freiwilligen Opfer
verwandt.
c. Mekh Ex 12, 3 (4b): Sie sollen sich nehmen Ex 12, 3. Wie, haben denn sie
alle (jeder einzige) genommen? Vielmehr wollen die Worte den Beauftragten eines
Menschen diesem selbst gleichmachen. Von hier aus hat mangesagt: Der Beauftragte
44 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, C)

eines Menschen ist wie dieser selbst. – So hat auch Jesus das Passahlamm durch
einen seiner Jünger beschaffen lassen.
C. Feststellung der an einem bestimmten Passahmahl teilnehmenden
Personen.
Nach Ex 12, 3f. sollte das Passahmahl als Familienmahl gefeiert
werden, zu welchem gegebenenfalls auch der „ Nachbar, der dem Hause
nahe ist“ , hinzugezogen werden durfte. In Jesu Tagen eignete dieser
Charakter dem Passahmahl meist nicht mehr. Die Festpilger, denen
es an einem engeren Familienanschluß in Jerusalem fehlte, vereinigten
sich zu kleineren Gruppen u. bildeten untereinander eigene Genossen-
schaften (Sing. ) zudemZweck, dasPassahmahl gemeinsam
zu begehn. So war an die Stelle der ursprünglichen Hausgemeinde
allmählich eine ad hoc gebildete Mahl- oder Tischgenossenschaft ge-
treten. Nicht als ob die häusliche Feier im eigenen Familienkreis
gänzlich aufgehört hätte,a aber das Genossenschaftswesen hatte doch
so sehr das Übergewicht erlangt, daß es dem Abend des 14. Nisan
sein eigentliches Gepräge gab. Auch Jesus u. seine Jünger haben das
letzte Passahmahl alsGenossenschaftsmahl gefeiert. –DieZugehörigkeit
zu einer bestimmten Genossenschaft blieb offen bis zur Schlachtung
des für sie erworbenen Lammes; bis dahin konnten noch immer neue
Personen in die Genossenschaft eintreten oder eingetretene wieder
austreten.b Erst mit der Schlachtung des Lammes galt die Genossen-
schaft alsfest konstituiert: nur diejenigen Personen, mit deren Vorwissen
u. in deren Namen das betreffende Lamm geschlachtet war, waren
Mitglieder der Genossenschaft ;c eine Änderung ihres Personen-
bestandes sollte später nicht mehr stattfinden.d Die Zuweisung der
Frauen, Sklaven u. minderjährigen Kinder an eine bestimmte Mahl-
genossenschaft war durch besondere Bestimmungen geregelt. Groß-
jährige Kinder konnten für sich selbst ein Passahlamm schlachten
lassen u. damit eine eigene Tischgenossenschaft bilden.e Falls mehrere
Genossenschaften gleichzeitig in ein u. demselben Raum ihre Feier
begehen mußten, sollte ihre Trennung auch äußerlich auf jede Weise
aufrecht erhalten werden.f –Die Anzahl der zueiner Mahlgenossenschaft
vereinigten Personen stand gesetzlich nicht fest. Dajedoch vomFleisch
des Passahlammes möglichst nichts übrig bleiben sollte (Ex 12, 10),
so mußten mindestens so viel Personen am Mahl teilnehmen, wie zum
Verzehren desganzen Lammes nötig waren. Dazuschienen erfahrungs-
mäßig 10 Personen ausreichend; das war denn auch für gewöhnlich
die Mindestzahl der Mitglieder einer Mahlgenossenschaft;g doch wird
auch zugegeben, daß selbst für einen einzigen Menschen ein Lamm
geschlachtet werden dürfe.h Noch unbestimmter blieb die Anzahl der
Mahlgenossen nach oben hin; eine Grenze lag nur in der Bestimmung,
daß vom Fleisch des Lammes auf jeden Tischgenossen mindestens ein
olivengroßes Stück entfallen sollte.i Bei einer so geringen Fleisch-
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, C) 45

menge konnte natürlich von einer eigentlichen Sättigung, zu der das


Essen des Passahlammes dienen sollte,1 nicht mehr die Rede sein,
zumal man sich am ganzen Nachmittag des 14. Nisan der Speise zu
enthalten pflegte, um an das Passahmahl mit regem Appetit heran-
zutreten.k Es hatte sich deshalb die Sitte herausgebildet, falls eine
größere Anzahl von Personen zu einer Tischgenossenschaft gehörte,
für das Passahmahl noch ein besonderes Festopfer zubereiten zu
lassen, das dann in der Regel unmittelbar vor dem Essen des Passah-
lammes verzehrt wurde. So konnte dann der Genuß des Passahlammes
selbst dasGefühl derSättigung verursachen, auchwennmanvonihmnicht
mehr als ein olivengroßes Stückchen gegessen hatte. Doch durfte ein be-
sonderes Festopfer für das Passahmahl nur dann zubereitet werden,
wennletzteres an einem Wochentage gehalten wurde; fiel das Passah-
mahl auf einen Sabbat, so war die Zubereitung einer Chagiga verboten.l
a. TPes 8, 12f. (169): Von dem Passah Ägyptens wird gesagt: Er soll (das Passah-
lamm) nehmen u. sein Nachbar, der seinem Hause nahe ist, nach der Seelen-
zahl Ex 12, 4; das gilt vom Passah der (nachfolgenden) Generationen nicht ebenso.
R. Schimon b. Elazar (um190) sagte: Es gilt ebenso von demPassah der Generationen.
Und warum das alles? Damit ein Mensch seinen Nachbar, der seinem Hause nahe
ist, nicht verlasse u. sich sein Passah nicht bei andren bereite (indem er sich irgend-
einer Genossenschaft anschließt), um zu erfüllen, was gesagt ist: Besser ist ein naher
Nachbar als ein ferner Bruder Spr 27, 10.
b. Pes 8, 3: Man kann sich fortwährend zuihm (dem Passahlamm einer Genossen-
schaft) hinzurechnen lassen, solange wie für jeden einzelnen (Tischgenossen) soviel
wie eine Olive vorhanden ist. Man kann sich hinzurechnen lassen u. zurücktreten,
bis es geschlachtet wird. R. Schimon (um 150) sagte: Bis das Blut für ihn (an den
Altar) gesprengt wird. (Die Halakha richtet sich nicht nach R. Schimon.) – In
TPes 7, 3 (166) lautet der Ausspruch des R. Schimon: Immer darf man sich zu einem
Passahlamm hinzurechnen lassen, bis es geschlachtet wird, u. davon zurücktreten,
bis das Blut gesprengt wird.
c. TPes 7, 4 (166) s. in Anm. e; Zeb4, 6 s. bei I, D Anm. h.
d. Das folgt aus den Zitaten in vorstehender Anm. b.
e. Die Frauen werden in der Regel am Passahmahl ihres Mannes teilgenommen
haben. Pes 8, 1: Wenn für eine Frau, während sie im Hause ihres Mannes weilt, ihr
Mann u. ihr Vater geschlachtet hat, so soll sie von dem ihres Mannes essen. War
sie am ersten Fest (nach ihrer Verheiratung) gegangen, um (wie es üblich war, das
Passah) im Hause ihres Vaters zu halten, so darf sie, wenn ihr Vater für sie ge-
schlachtet hat u. wenn ihr Mann für sie geschlachtet hat, da essen, wo sie will. –
Die Bar Pes 88a, 21 u. 24 fordert deshalb, daß für die Frau nur mit ihrem Vorwissen
zu schlachten sei. ||Über Kinder u. Sklaven s. TPes 7, 4 (166): Es soll ein Mensch
für seinen erwachsenen (majorennen) Sohn oder für seine erwachsene Tochter, für
seinen hebräischen Sklaven oder seine hebräische Sklavin nur mit deren Vorwissen
(das Passahlamm) schlachten lassen (damit sie nicht etwa, wozu sie berechtigt sind,
für sich besonders schlachten lassen); dagegen darf er für seinen minderjährigen Sohn
u. seine minderjährige Tochter, für seinen kanaanäischen Sklaven u. seine kanaanäische
Sklavin sowohl mit deren Vorwissen als auch ohne deren Vorwiesen schlachten
1 Mekh Ex 12, 8 (8b): Mit ungesäuerten Broten u. bitteren Kräutern sollen sie
es (das Passahlamm) essen Ex 12, 8. Auf Grund dieser Stelle hat man gesagt: Das
Passahlamm wird gegessen als Sättigungsspeise, aber das ungesäuerte Brot u.
das bittere Kraut wird nicht als Sättigungsspeise gegessen.
46 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, C)

lassen (da diese kein eigenes Bestimmungsrecht haben). Undalle, die (für sich selbst)
geschlachtet haben u. deren Herr (gleichfalls) für sie geschlachtet hat, essen von
dem eigenen (Passahlamm) außer dem Sklaven, der von dem seines Herrn ißt. –
Anders der Schlußsatz in der 2. Bar Pes 88a, 22. ||Pes 8, 1: Ein Sklave zweier Ge-
nossen soll von dem beider nicht essen. (Die Genossen haben sich zuvor zu einigen,
wessen Lamm der gemeinsame Sklave zugerechnet werden soll.) Wer halb Sklave
u. halb ein Freier ist (welcher Fall gerade nicht selten vorkam), soll nicht vondem
seines Herrn (sondern von seinem eigenen Passahlamm) essen. ||Pes 8, 7: Man bildet
keine Mahlgenossenschaft aus Frauen, Sklaven u. Minderjährigen. – Als Grund
gibt TPes 8, 6 (168) an: „ Um nicht die Ausgelassenheit zu mehren“ . – Ähnlich so
Pes 91a.b.
f. Pes7, 13: Wenn zwei Genossenschaften in ein u. demselben Raum essen, wenden
die einen ihr Gesicht dahin u. essen, u. die andren wenden ihr Gesicht dorthin u. essen.
Der Wasserkessel (zum Mischen des Weines) steht in der Mitte, u. sooft der Diener
aufsteht, um einen Becher zu mischen (zu füllen), schließt er seinen Mund u. wendet
das Gesicht zurück, bis er wieder zu seiner Genossenschaft kommt u. (weiter mit ihr)
ißt. (Die vorgeschriebenen Äußerlichkeiten sollen erkennbar machen, daß es sich um
zwei verschiedene Mahlgenossenschaften handelt.)
g. TPes 4, 3 (163); Josephus, Bell Jud 6, 9, 3 s. bei I, A Anm. a.
h. Pes 8, 7: Man schlachtet das Passahlamm nicht für einen einzelnen. Das sind
Worte des R. Jehuda (um 150). R. Jose (um 150) erlaubte es (u. dies entsprach der
Halakha). – Hierzu Pes 91a: R. Jose sagte: Für einen einzelnen, wenn er (allein) es
verzehren kann, schlachtet man (ein Passahlamm).
i. Pes 8, 3: Man kann sich fortwährend (bis zur Schlachtung des Passahlammes)
zu ihm hinzurechnen lassen, solange wie für jeden einzelnen soviel wie eine Olive
vorhanden ist. ||TPes7, 6 (166): Die zueinem Passahlamm hinzugerechneten Mitglieder
einer Mahlgenossenschaft dürfen essen, wenn für jeden einzelnen soviel wie eine Olive
vorhanden ist; wenn aber nicht, so dürfen sie nicht essen. Waren sie einer nach dem
andren (nicht gleichzeitig) hinzugerechnet worden, so dürfen die ersten, für welche
(ein olivengroßes Stück Passahfleisch) vorhanden ist, essen; die letzten aber dürfen
nicht essen u.müssen daszweite Passah (einen Monat später am14.Jjjar, s. Nu9, 1–14)
halten, da das Blut für sie bereits gesprengt worden ist.
k. Pes 10, 1: Am Rüsttage zum Passahfest (d. h. am 14. Nisan) nahe dem Nach-
mittag soll man nicht essen, bis es dunkel wird. – Dasselbe TPes 10, 1 (172, 12). –
Den Grund erfährt man aus pSukka 2, 53a, 46: Wie man dort (am Nachmittag des
14. Nisan) nicht essen soll, damit man zum Essen der ungesäuerten Brote (bei der
Passahmahlzeit) mit Begier (reger Eßlust) komme, so auch (am Laubhüttenfest), daß
man mit Begier in die Laubhütte eintrete. – Ferner s. Abschn. II, B Nr. 1 Anm. a.
l. Pes 6, 3f.: Wann bringt man mit ihm (neben dem Passahlamm) ein Festopfer
dar? Wenn es (das Passahlamm) an einem Wochentage, in Reinheit u. in
Knappheit (wegen der großen Zahl derer, die davon essen sollen) dargebracht wird.
Wenn es aber an einem Sabbat, in Reichlichkeit u. in Unreinheit (der Mehrzahl der
Priester oder der Gemeinde) dargebracht wird, bringt man kein Festopfer neben ihm
dar. Das Festopfer wurde dargebracht vomRindvieh u. vomKleinvieh, vonLämmern
u. von Ziegen, von männlichen u. von weiblichen u. wurde während zweier Tage
gegessen. – In der Parallele TPes 5, 3 (163) heißt es zum Schluß: (Das Festopfer
neben demPassahlamm) wird an zwei Tagen u. in einer Nacht gegessen, u. man macht
sich daran nicht strafbar (wie beim Passahlamm) wegen Zerbrechens eines Knochens.
Das Festopfer, das neben ihm dargebracht wird, wird zuerst gegessen, damit
das Passahlamm mit Sättigung gegessen werde.... R. Schimon b. Elazar
(um 190) sagte: Das Festopfer, das neben ihm auf den Tisch kommt, u. die Speisen,
die neben ihm auf den Tisch kommen, werden mit ihm abgeräumt. Vgl. Pes 70a, 3
u. bei II, B Nr. 3 Anm. i.
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, D) 47

D. Das Hinschaffen des Lammes nach demTempel u. seine Schlach-


tung daselbst.
Die Mischna gebraucht für das Hinschaffen des Lammes nach dem
Tempel den Ausdruck (),a wörtlich: das „Reitenlassen“.
Daraus kann man entnehmen, daß die Tiere meist auf der Schulter
nach demTempel hingetragen worden sind. AmSabbat war das aller-
dings als Arbeit verboten;a dann mußten die Tiere geführt werden.b
Daß gerade der Eigentümer (Hausvater) das Lamm nach demTempel
schaffte, war nicht erforderlich, er konnte damit auch einen andren,
sogar einen (hebräischen) Sklaven, beauftragen.c Das Schlachten der
Lämmer durfte im ganzen inneren Vorhof (wohl möglichst in der
Nähe des Brandopferaltars) geschehen,d u. zwar begann man damit
nach der Darbringung des Abendtamidopfers,e etwa nachmittags 21/2
Uhr, u. wenn der 14. Nisan auf den Rüsttag zum Sabbat fiel, auch
noch eine Stunde früher.f Es sollte dadurch vermieden werden, daß
man mit der häuslichen Zubereitung des Lammes zumGenuß in den
Sabbat hineingeriet u. diesen so entheiligte. – Da die Schlachtstätte
im inneren Vorhof die große Menge der Opfernden nicht auf einmal
faßte, wurde zum Schlachten in drei Abteilungen nacheinander an-
getreten.i Die Schlachtung selbst führte der Eigentümer des Lammes
oder sein Beauftragter aus;g dabei war anzugeben, für welchen Zweck
u. für wen die Schlachtung geschehe.h Die Priester, die in langen
Reihen bis an den Brandopferaltar dastanden, fingen das Blut in
goldenen u. silbernen Schalen auf, die sie dann von Hand zu Hand
unter sich weitergaben, bis sie der demAltar amnächsten stehende
Priester mit einer Sprengung gegen den Altargrund entleerte u.
wieder zurückreichte.i Begleitet wurde die ganze Handlung durch
den Gesang des Hallel (Ps 113–118).i
a. Pes 6, 1: Folgende Verrichtungen am Passahopfer verdrängen den Sabbat: das
Schlachten desselben u. das Sprengen seines Blutes, das Abreiben seiner Eingeweide
u. das Verbrennen seiner Fetteile. Aber das Braten desselben (daheim) u. das Aus-
spülen seiner Eingeweide verdrängen ihn nicht (dürfen also erst nach Ausgang des
Sabbats vorgenommen werden). Das Hinschaffen desselben (nach dem
Tempel) u. sein Hereinbringen von außerhalb des Sabbatsbezirks (d. h. von einem Ort,
der mehr als 2000 Ellen vonJerusalem entfernt liegt) u. das Abschneiden einer (etwaigen)
Blatter (vomPassahlamm) verdrängen nicht. R.Eliezer (um90)sagte: Sieverdrängen ... –
Das. 6, 2: ... Als Regel hat R. Aquiba (†um 135) gesagt: Jede Arbeit, welche am
Rüsttage zumSabbat (oder nach Ausgang des Sabbats) gemacht werden kann, verdrängt
den Sabbat nicht. – Ferner s. pPes 6, 33a, 1 u. Parallelen; Mekh Ex 12, 6 (7a).
b. Das Führen von Tieren war am Sabbat erlaubt. – Schab 5, 1: Ein Pferd darf
(am Sabbat) mit der Kette (um den Hals) ausgehn ... u. darf an der Kette geführt
(gezogen) werden. – Ferner s. Schab 18, 2; vgl. auch die Verhandlung zwischen Hillel
dem Alten (um 20 v. Chr.) u. den Ältesten in pSchab 19, 17a, 3; pPes 6, 33a, 34 u.
Pes 66a, 30.
c. Das folgt aus Pes 8, 2 in Anm. h u. aus Mekh Ex 12, 6 (7a) in Anm. g.
d. Zeb5, 8: Die Erstgeburt (vom Vieh) u. der Viehzehnte u. das Passahlamm sind
Heiliges niederen Grades; ihre Schlachtung darf überall im(inneren) Vorhof erfolgen. –
48 4. Exkurs: Das Passahmahl (1, D)

Daß der innere Vorhof gemeint ist, geht aus Pes 5, 10 (s. I, F.) hervor. Hochheilige
Opfer durften im Unterschied vomHeiligen niederen Grades nur im Norden des Brand-
opferaltars geschlachtet werden, s. Zeb5, 1ff.
Über die Aufgabe der Priesterschaft beim Schlachten der Passahlämmer, auf die
im Exkurs: Der Todestag Jesu, Bd. II S. 845 oben hingewiesen ist, s. in Anm. h u.i.
e. Pes 5, 1: Nach ihm (dem Abendtamidopfer, wird geschlachtet) das Passahopfer. ||
SNu 28, 8 § 143 (53b): Dem Morgentamidopfer geht nur das Räucherwerk (das am
Morgen im Heiligen des Tempels dargebracht wird) vorauf, u. auf das Abendtamidopfer
folgt nur das (abendliche) Räucherwerk u. die Lampen (nämlich deren Anzündung) u.
das Passahopfer (nämlich dessen Schlachtung). ... – Auf diese Bar wird Pes 59a, 20
Bezug genommen. Anders ist die Reihenfolge der einzelnen Handlungen in der Bar
Pes 58b, 36: Das (Abend-)Tamidopfer geht vorauf demPassahopfer, dieses dem(abend-
lichen) Räucherwerk, dieses den Lampen.
f. Pes 5, 1 s. bei Joh 4, 52 Ende (S. 442). Nach dieser Stelle wurde am 14. Nisan
das Abendtamidopfer nachmittags 21/2 Uhr dargebracht, u. wenn der 14. Nisan auf
einen Freitag fiel, bereits um 1½Uhr; hinterher begann die Schlachtung der Passah-
lämmer. Damit stimmt Josephus überein, wenn er Bell Jud 6, 9, 3 (s. oben bei I, A, a)
sagt, daß die Schlachtung der Passahlämmer von der 9. Stunde an bis zur 11. Stunde
stattgefunden habe. Die 9. Stunde begann nachm. 2 Uhr u. die 11. Stunde endete
nachm. 5 Uhr. – Seltsam erscheinen zumTeil die Versuche, die Zeit des Schlachtens
aus der Schrift des näheren zu ergründen. Einige Beispiele mögen folgen. SDt 16, 6
§ 133 (101b): Du sollst das Passah schlachten am Abend, wenn die Sonne untergeht,
zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten Dt 16, 6. R. Eliezer (um 90) sagte: „ Am Abend“
sollst du schlachten, u. „wenn die Sonne untergeht“ , sollst du essen (das Passahmahl
halten), „ zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten“(am Morgen), sollst du (das Übrig-
gebliebene) verbrennen (Ex 12, 10). R. Jehoschua (um 90) sagte: „ AmAbend“sollst
du schlachten, u. „wenn die Sonne untergeht“ , sollst du essen; wie lange? Bis „zur
Zeit deines Auszugs aus Ägypten“(d. h. bis Mitternacht). – Dasselbe Berakh 9a. –
R. Eliezer u. R. Jehoschua verstehen unter „Abend“die Zeit, in der die Sonne
anfängt, sich nach Westen zu wenden, bis sie untergeht, also die Zeit von Mittag bis
Sonnenuntergang; in dieser Zeit darf geschlachtet werden; die genauere Zeitangabe
fehlt. ||Mekh Ex 12, 6 (7b): Ben Bathyra (um 110?) sagte: „Zwischen den beiden
Abenden“ Ex 12, 6, d. h. „zwischen zwei Abenden“schlachte es, nimm einen
Abend für sein Schlachten u. den andren für sein Essen. – Der erste Abend die Zeit
von Mittag an u. weiter, der zweite Abend der eigentliche Abend bei Eintritt der
Dunkelheit; der erste Abend soll zumSchlachten dienen. ||pPes 5, 31d, 1 Bar: Chananja
b. Jehuda (um120) sagte: Ich verstehe unter „zwischen den beiden Abenden“
(Ex 12, 6) die Zeit zwischen dem Abend des 14. Nisan (d. i. der Abend, der auf den
13. Nisan folgt) u. dem Abend des 15.Nisan (d.i. der Abend, der den 14. Nisan beendigt).
Etwa Tag u. Nacht ganz allgemein (d. h. dürfen die ganzen 24 Stunden zwischen jenen
beiden Abenden zum Schlachten benutzt werden)? Die Schrift sagt lehrend: „Tag“
Ex 12, 6; da sie „ Tag“sagt, ist die Nacht ausgeschlossen. Wenn aber „ Tag“ , dann
etwa nach zwei Stunden am Tage (= 8 Uhr morgens)? Die Schrift sagt lehrend:
„amAbend“ Dt 16,6. Wenn „ amAbend“ , dann etwa, nachdem es dunkel geworden?
Die Schrift sagt lehrend: „Zwischen den beiden Abenden“Ex 12, 6. Wie denn nun?
Teile die Zeit „zwischen den beiden Abenden“(d. h. die Zeit von 12 Uhr mittags bis
zum eigentlichen Abend um 6 Uhr) u. nimm 2½ Stunden vorn (von 12–2½ Uhr
nachmittags) u. 2½ Stunden hinten (von 31/2–6 Uhr) u. 1 Stunde (von 2½–3½ Uhr)
zu seiner (des Abendtamidopfers) Ausführung: so kannst du sagen (wie es Pes 5, 1 –
s. bei Joh 4, 52 S. 442 – heißt), daß das Abendtamidopfer (für gewöhnlich) um 9½
(= 3½ Uhr nachm.) dargebracht wird, während eine Stunde (von 2½–3½ Uhr) auf
seine Ausführung kommt – (Am 14. Nisan aber wurde das Tamidopfer 1 Stunde
früher, also um 2½ Uhr, dargebracht; daran schloß sich dann die Schlachtung der
Passahlämmer, also ziemlich genau in der Mitte „ zwischen den beiden Abenden“ , von
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, D) 49

denen der 1. um 12 Uhr mittags u. der 2. um 6 Uhr abends begann.) – Eine ähnliche
Ausführung vonR. Jehoschua b. Levi, um250, s. in pPes5, 31c, 56 u.Pes 58a. ||SLv23, 5
(404a): Im 1. Monat am 14. des Monats zwischen den beiden Abenden (ist Passah
fürJahve) Lv 23, 5. Etwa nachdem es dunkel geworden ist? Die Schrift sagt lehrend:
„Tag“ Ex 12, 6. Wenn „ Tag“ , etwa von 2 Uhr (= 8 Uhr morgens) an? Die Schrift
sagt lehrend: „Zwischen den beiden Abenden“Lv 23, 5. Wie „ zwischen den beiden
Abenden“bedeutet: „ nachdem der Tag sich gewandt (geneigt) hat“ (was nach 12 Uhr
mittags geschieht), so bedeutet auch „ Tag“(Ex 12, 6): nachdem der Tag sich gewandt
hat, von 6 Uhr an (= von mittags 12 Uhr an) u. weiter. Wenn es auch kein Beweis
hierfür ist, so ist es doch ein Hinweis (Andeutung) darauf: Wehe uns, daß sich der
Tag gewandt, daß sich neigen die Schatten des Abends! Jer 6, 4. ||Mekh Ex 12, 6 (7b):
Schlachtet es zwischen den beiden Abenden Ex 12, 6. Soll ich daraus entnehmen:
„mit Eintritt der Abenddämmerung“ ? Die Schrift sagt lehrend: „Am
Abend“Dt 16, 6. Wenn am Abend, dann etwa, nachdem es dunkel geworden? Die
Schrift sagt lehrend: „ Wenn die Sonne untergegangen“Dt 16, 6. Wenn nach Sonnen-
untergang, dann wohl: Unddusollst es kochen (braten) u. essen? Dt 16, 6. Die Schrift
sagt lehrend: Zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten Dt 16, 6. Das unterbricht den
Zusammenhang: „ u. du sollst es kochen u. essen“, nämlich wenn es dunkel geworden
ist. Rabbi (†217?) sagte: Siehe, es heißt: Dort sollst du das Passah schlachten am
Abend Dt 16, 6 (die Wortabteilung entspricht den Akzenten). Soll ich das nach seinem
Wortlaut verstehn (also „ am Abend“= „nachdem es dunkel geworden“ )? Die Schrift
sagt lehrend: „ Zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten“ . Wann sind die Israeliten aus
Ägypten ausgezogen? Von 6 (= 12 Uhr mittags) an u. weiter, u. ebenso heißt es:
An eben diesem Tage ( gedeutet; in der Stärke des Tages = am Mittag)
zogen alle Heerscharen Jahves aus demLande Ägypten Ex 12, 41. R. Nathan (um 160)
sagte: Woher der Beweis für den Ausdruck „zwischen den beiden Abenden“ , daß er
bedeutet von 6 Uhr (= 12 Uhr mittags) an u. weiter? Wenn es auch kein Beweis
dafür ist, so ist es doch ein Hinweis darauf: Heiliget wider sie einen Krieg! Auf,
lasset uns heraufziehen am Mittag! Wehe uns, daß sich der Tag gewandt, daß sich
neigen die Schatten des Abends (= daß die Schatten von Westen nach Osten fallen)!
Jer 6, 4. R. Schimon b. Jochai (um 150) sagte: Die Schrift kommt her u. macht das
Erste zum Letzten u. das Letzte zum Ersten. „ ZurZeit deines Auszugs aus Ägypten“
Dt 16, 6 (das zuletzt gesagt ist, aber zuerst stehen sollte), das bezieht sich auf sein
(des Passahlamms) Schlachten (vorausgesetzt wird, daß der Auszug von Mittag an
u. weiter erfolgt ist). „Wenn die Sonne untergegangen“Dt 16, 6, das bezieht sich auf
sein Braten, u. „ am Abend“Dt 16,6 auf sein Essen. ||Mit der Deutung des Ausdrucks
„zwischen den beiden Abenden“= „ von Mittag an bis zum Dunkelwerden“hängt
es jedenfalls zusammen, wenn ein Passahlamm, das vor demAbendtamidopfer, aber
nach 12 Uhr mittags geschlachtet war, für gültig, dagegen dasjenige, das vor 12 Uhr
mittags geschlachtet war, für ungültig erklärt wurde. Pes 5, 3: Hat man es (das
Passahlamm) vor dem Mittag geschlachtet, so ist es untauglich; denn es heißt:
Zwischen den beiden Abenden Ex 12, 6. (Hat man es geschlachtet) vor dem(Abend-)
Tamidopfer (aber nach dem Mittag), so ist es tauglich, nur daß jemand sein Blut
(zur Verhütung des Gerinnens) umrührt, bis das Blut des Tamidopfers gesprengt ist.
Wenn es (das Blut des Passahopfers) aber schon vorher gesprengt ist, ist es tauglich. –
Vgl. auch Zeb 1, 3 u. TPes 3, 8 (162) in Band II S. 845 vor Abschnitt G.
g. Mekh Ex 12, 6 (7a): Die Versammlung ... schlachte es Ex 12, 6. Wie, sollen
sie alle es denn schlachten? Vielmehr (so ist gesagt worden), um den Beauftragten
eines Menschen diesem gleichzumachen. Vonhier aus hat mangesagt: Der Beauftragte
eines Menschen ist wie dieser selbst.
h. Zeb4, 6: Auf den Namen von sechs Dingen wird das Schlachtopfer (also auch
dasPassahlamm) geschlachtet (dargebracht): 1auf denNamen des(betreffenden) Opfers
(daß es zB nicht als Friedmahlsopfer gemeldet wird, während es ein Ganzopfer sein
soll); 2auf den Namen des Opfernden (des Eigentümers, nicht etwa auf denNamen
Strack u. Billerbeck NT IV 4
50 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, D)

irgendeines andren Menschen); 3auf den Namen Gottes; 4auf den Namen von Feuer-
opfern; 5auf den Namen des Wohlgeruchs u. 6auf den Namen des Wohlgefallens
(vor Gott); das Sünd- u. Schuldopfer aber auch auf den Namen der Sünde (für die
es Sühnung schaffen soll). – In der Parallele TZeb 5, 13 (487) ist der Text nicht in
Ordnung. ||Pes 5, 2: Dasjenige Passahopfer, welches man nicht für seinen Zweck
(d. h. nicht als Passahopfer) geschlachtet hat u. dessen Blut man aufgefangen, hin-
getragen u. gesprengt hat nicht für seinen Zweck (nicht als Passahopferblut) ..., ist
untauglich. ||Pes 5, 4: R. Schimon (um 150) sagte: Wer das Passahlamm am 14. Nisan
für seinen Zweck (also als Passahopfer) schlachtet (während sich Gesäuertes in seinem
Besitz befindet), ist straffällig; wer es aber nicht für seinen Zweck (sondern unter
dem Namen eines andren Schlachtopfers) schlachtet, ist frei (denn es gilt jetzt nicht
als Passahopfer, u. andre Schlachtopfer beiVorhandensein vonGesäuertem zuschlachten,
ist nicht verboten). ||TZeb 1, 1 (479): R. Jehoschua (um 90) sagte: Alle Schlachtopfer,
die nicht auf ihren Namen (für ihren Zweck) geschlachtet werden, sind tauglich (als
Opfer), nur daß sie den Darbringern nicht als (das ihnen gerade obliegende) Pflicht-
opfer angerechnet werden (dieses müssen sie vielmehr noch nachbringen); ausgenommen
(d. h. immer ungültig, wenn unter unrichtigem Namen dargebracht) sind das Passah-
opfer u. das Sündopfer.... – Dasselbe anonym Zeb1, 1. ||Pes 6, 5: Wer das Passah-
lamm am Sabbat nicht unter seinem Namen (also nicht als Passahopfer) geschlachtet
hat, ist ein Sündopfer schuldig (denn am Sabbat darf, vom Passahopfer abgesehen,
kein Opfer für einen einzelnen geschlachtet werden. ||Pes 8, 2: Wenn jemand zu seinem
(hebräischen) Sklaven sagt: Geh u. schlachte für mich das Passahlamm (ohne nähere
Angabe, ob das Lamm von den Schafen oder von den Ziegen genommen werden soll),
so soll er, hat jener ein Ziegenböckchen geschlachtet, dies essen; hat jener ein Schaf-
lamm geschlachtet, dieses essen; hat jener ein Böckchen u. ein Lamm geschlachtet,
so soll er von dem ersteren essen. Hat jener vergessen, was ihm sein Herr gesagt
hat, wie soll er verfahren? Er schlachte ein Lamm u. ein Böckchen u. sage: Wenn
mein Herr mir gesagt hat: „ Ein Böckchen“ , so sei das Böckchen für ihn u. das Lamm
für mich; u. wenn mein Herr zu mir gesagt hat: „ Ein Lamm“ , so sei das Lamm für
ihn u. das Böckchen für mich. Wenn sein Herr vergessen hat, was er zu ihm gesagt
hat, so sollen beide (Tiere) zur Verbrennungsstätte (der untauglich gewordenen Opfer)
gebracht werden, sie selbst aber sind von der Feier des zweiten Passah (4 Wochen
später) frei. (Die mangelnde u.zweifelhafte Beziehung eines Opfertieres aufdenOpfernden
macht das Opfer also untauglich.)
i. Pes 5, 5: Die Passahlämmer wurden in drei Abteilungen geschlachtet, denn es
heißt: Die ganze Versammlung der Gemeinde Israels soll es schlachten Ex 12, 6;
Versammlung, Gemeinde, Israel (diese 3 Wörter eine Andeutung der 3 Abteilungen,
s. Mekh Ex 12, 6 Bl. 7b). Die erste Abteilung ist eingetreten, der (innere) Vorhof hat
sich gefüllt, man hat die Tore des Vorhofs geschlossen; man hat in die Posaune
langgeblasen, geschmettert (mit einem kurzen Stoßton) u. (wieder) langgeblasen. Die
Priester stehen reihenweise, u. in ihren Händen sind silberne u. goldene Schalen, eine
Reihe ganz Silber, eine Reihe ganz Gold, u. nicht waren sie durcheinandergemischt.
Die Schalen hatten keinen unteren Rand (sondern ihr Boden war nach außen gewölbt),
damit man sie nicht hinsetze u. so das Blut gerinne. – Das. 5, 6: Der Israelit hat
geschlachtet,1 u. der Priester hat das Blut aufgefangen u. gibt es seinem Nebenmann
u. sein Nebenmann seinem Nebenmann; der empfängt das volle (Gefäß) u. gibt das
leere zurück. Der Priester, der dem Altar am nächsten ist, sprengt es mit einer
Sprengung gegen den Altargrund. – Das. 5, 7: Die erste Abteilung ist hinausgegangen
u. die zweite Abteilung ist eingetreten. Ist die zweite hinausgegangen, so ist die dritte
eingetreten. Wie das Tun der ersten, so das Tun der zweiten u. der dritten. Manhat
dabei das Hallel2 (Ps 113–118) rezitiert. Hat manes vollendet, so hat manes wiederholt,
1 Der Darbringer eines Opfers hatte auch sonst sein Opfertier selbst zu schlachten
(Lv 1, 5).
2 Über das Hallel s. bei Mt 21, 9 S. 845ff.
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, E. F. G) 51

u. wenn man es wiederholt hat, so hat man es zum drittenmal rezitiert, obgleich sie
es ihr lebelang nicht zum drittenmal (bis zu Ende) rezitiert haben. R. Jehuda (um 150)
sagte: Ihr lebelang ist die dritte Abteilung nicht bis zu den Worten: „ Liebe bewegt
mich“Ps 116, 1 gelangt, weil ihre Teilnehmer nicht zahlreich waren. – Eine Parallele
mit Einschaltungen s. TPes 3, 10–12, darunter die Bermerkung, daßdie dritte Abteilung
die „Abteilung der Faulen“genannt worden sei.
E. Das Abhäuten u. Ausweiden des Passahlammes.
Pes 5, 9: Wie hängt man auf u. häutet man ab? An den Wänden u. Säulen (auf
der Nordseite des Brandopferaltars) waren eiserne Haken befestigt, an welchen man
(das Lamm) aufhängte u. abhäutete. Wenn einer keinen Platz zum Aufhängen u.
Abhäuten hatte, so befanden sich dort dünne glatte Stäbe, die legte er auf seine Schulter
u. auf die Schulter eines andren, hängte auf u. häutete ab. R. Eliezer (um90) sagte:
Wenn der 14. Nisan auf einen Sabbat fiel, so legte man (nicht jene Stäbe, sondern)
seine Hand auf die Schulter eines andren u. die Hand des andren auf die eigene Schulter
u. hängte auf u. häutete ab. (Das Abhäuten war Sache des Besitzers des Tieres.) –
Das. 5, 10: Hat man es (das Lamm) aufgerissen u. seine Opferteile (Fett, Fettschwanz,
Nieren u. Fettanhäufung an der Leber, vgl. Lv 3, 9f.) herausgenommen, so hat man
(ein Priester) sie auf eine Schüssel gelegt u. auf demAltar in Rauch aufgehn lassen. ||
TPes 3, 10 (162): Man (ein Priester) nahm seine (des Lammes) Opferteile selbst von
vier u. fünf Tieren heraus, legte sie auf eine Schüssel u. ließ sie auf dem Altar in
Rauch aufgehn, u. am Sabbat (da man das Tier nicht sofort nach Hause tragen durfte,
sondern im Heiligtum den Ausgang des Sabbats abwarten mußte) bedeckte man es
mit seiner Wolle (wickelte es in sein Fell) u.ließ es liegen u. ging hinaus. R. Jischmael
b. Jochanan b. Baroqa (um 150) sagte: Wenn der 14. Nisan auf einen Sabbat fiel,
häutete man es nur bis zur Brust ab (um es ausweiden zu können). – ZumAbreiben
der Eingeweide (Entfernung der Exkremente), das selbst am Sabbat sofort aus-
geführt wurde, vgl. Pes 6, 1 oben bei D Anm. a S. 47.
F. Das Nachhauseschaffen der Lämmer.
Pes 65b Bar: Jeder legte sein Passahlamm in dessen Fell u. warf es nach hinten
über seine Schulter (u. trug es heim). Rab sagte: Das ist Arabersitte. ||War
der 14. Nisan ein Sabbat, so dürfte man das Tier nicht sofort nach Hause tragen,
sondern mußte erst den Sabbatausgang im Heiligtum abwarten. Hierauf bezieht sich
Pes 5, 10: War die erste Abteilung (von den drei Abteilungen der Schlachtenden,
s. Pes 5, 5 in I, D Anm. i) herausgekommen, so ließ sie sich (wenn der 14. Nisan ein
Sabbat war) auf dem Tempelberg (= im äußeren Vorhof) nieder, die zweite auf dem
Chel (Terrasse um die äußere Seite der den inneren Vorhof umschließenden Mauer),
u. die dritte blieb an ihrer Stelle stehn. (Genauer TPes 4, 12 [162]: R. Eliezer b.
Jaaqob [wohl der Ältere, um 90] sagte: Die dritte Abteilung ging u. ließ sich im
Vorhof der Frauen nieder.) War es finster geworden (u. damit der Sabbat zu Ende
gegangen), so sind sie hinausgegangen u. haben ihr Passahopfer gebraten.
G. Das Braten des Passahlammes.
Das Passahlamm sollte ganz, d. h. nicht zerlegt,a samt Kopf u.
Unterschenkeln u. Eingeweiden, soweit diese für Menschen genießbar
waren, am Feuer gebraten werden () Ex 12, 8. 9. 46. Damit war
jede andre Zubereitungsart etwa durch Kochen oder Dämpfen aus-
geschlossen.b Allerdings wird Dt 16, 7 von der Zubereitung des Passah-
lammes auch das Verbum gebraucht, das „ kochen“bedeutet; doch
deutete manden Ausdruck umin „ braten“ .c Da das Braten „ am Feuer“
geschehen sollte, also nicht an einem glühend gewordenen eisernen
Gerät, so wurde weiter jede Benützung eines metallenen Bratspießes
oder eines Rostes untersagt;d vielmehr sollte man sich eines Brat-
4*
52 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, G)

spießes aus Holz vomGranatapfelbaum bedienen. Ein solcher scheint


denn auch allgemein im Gebrauch gewesen zu sein.f Nachdem Kopf
u.Unterschenkel durch Sengen von etwaigen Haaren gesäubert waren,e
wurde der Bratspieß durch das Maul des Tieres bis hinten zumAfter
gesteckt; die Unterschenkel bog man um in die Brust u. Bauchhöhle
hinein, u. ebenda ließ man auch die Eingeweide ihren Platz finden.
So nach einer Meinung. Nach einer andren Meinung sollten die Unter-
schenkel u, Eingeweide außerhalb des Tieres (wohl am Bratspieß) auf-
gehängt werden.f Ausdemmehrfach in denPassah-Halakhoth erwähnten
„Backofen“ , g wird man entnehmen dürfen, daß die Passahlämmer
meist über großen irdenen Töpfen, die in denHöfen zustehen pflegten
u. auf deren Boden das Kohlenfeuer brannte, gebraten worden sind.
Man rühmte von den Kohlen in einem solchen Ofen, daß über ihnen
das Passahlamm in einer halben Stunde gebraten würde, während
über Kohlen im Freien dazu die doppelte Zeit nötig sei.h
a. TPes 5, 10 (164): Man brät das Passahlamm ganz , u. nicht brät man es
in einzelnen Stücken; wenn man will, kann man es einschneiden u. auf Kohlen
legen. – Das Verbum bedeutet sonst „ zerlegen, zerstückeln“; die Parallele
Pes 75a, 18 liest , was bedeuten kann u. in diesem Zusammenhang auch bedeuten
muß: „ man macht darin Einschnitte“ , nämlich um das Garbraten zu beschleunigen.
b. Mekh Ex 12, 8 (8a): Am Feuer gebraten Ex 12, 8 ... Was gebraten ist von
seinem rohen Zustande an. Du sagst: Was gebraten ist von seinem rohen Zustande
an, oder nicht vielmehr: (was gebraten ist) als Gekochtes? Die Schrift sagt lehrend:
Sondern was am Feuer gebraten ist Ex 12, 9. Was will die Schrift lehrend sagen mit
amFeuer gebraten“ ? Was vonseinem rohen Zustande angebraten ist. ||TPes 5, 9 (164):
Wenn man das Passahlamm mit Wein u. Öl bestrichen hat, so ist daran nichts
wegen Kochens (gilt nicht als ein Kochen), auch wenn jene von oben nach unten
tröpfeln. Hat man es gekocht u. hinterher gebraten, hat man es gebraten u.
hinterher gekocht, siehe, so ist man schuldig (straffällig). – Der letzte Teil als Bar
auch Pes 41a. ||Mekh Ex 12, 9 (8b): Nicht sollt ihr davon essen, wenn es gekocht,
in Wasser gekocht ist Ex 12, 9. Da höre ich nur von Wasser; in bezug auf
alle übrigen Flüssigkeiten woher? R. Jischmael (†um 135) hat gesagt: Du kannst
eine Schlußfolgerung sagen vom Leichteren auf das Schwerere: wenn Wasser, das
keinen Geschmack abgibt (dem Fleisch keinen besonderen Geschmack verleiht), beim
Kochen verboten ist, um wieviel mehr gilt dann von den übrigen Flüssigkeiten, die
ihren Geschmack abgeben, daß sie beim Kochen verboten sind! R. Aqiba († um 135)
sagte: Da (Ex 12, 9) höre ich nur von Wasser, in bezug auf alle übrigen Flüssig-
keiten woher? Die Schrift sagt lehrend: Wenn es gekocht, gekocht ist (also zweimal
„gekocht“ ), umalle übrigen Flüssigkeiten mit einzuschließen. – Die Parallele Pes41a
mit andrer Autorenangabe.
c. Mekh Ex 12, 9 (8b): Gekocht Ex 12, 9. bedeutet nichts andres als
„gebraten“ , wie es heißt: Dusollst es braten (soder Midr) u. essen Dt 16, 7;
u. ferner heißt es: Und sie brieten das Passah am Feuer usw. 2 Chr35, 13.
Von hier aus hat R. Joschijja (um 140) gesagt: Wer dem Gekochten durch
ein Gelübde entsagt, dem ist Gebratenes verboten. – „ Gekochtes“(= „ Gar-
gemachtes“ ) als weiterer Begriff schließt „Gebratenes“mit in sich.
d. Pee 7, 2: Manbrät das Passahlamm nicht an einem (gewöhnlichen, metallenen)
Bratspieß u. nicht auf einem Rost (beide würden durch ihr Glühendwerden das Braten
mitbewirken). R. Cadoq (I., um 70) hat erzählt: Rabban Gamliël (I., um 30–40 n. Chr.)
hat einmal zu seinem Sklaven ebi gesagt: Geh u. brate uns das Passahlamm auf
4. Exkurs: Das Passahmahl (I, G) 53

demRost! – Umdieses auffallende Verfahren desRabban Gamliël zubeschönigen, sagt


Pes75a, daß obiger Mischnasatz defekt sei, er müsse zumSchluß lauten: „Wenn aber der
Rost durchlöchert ist, so ist es erlaubt. Und Rabban Gamliël habe gesagt: Geh u.
brate uns das Lamm auf einem durchlöcherten Rost! ||TPes 5, 11 (164): Man brät
das Passahlamm nicht an einem metallenen Bratspieß, u. wenn man es getan hat,
so schält man die Stelle ab u. ißt das übrige. ||TPes 5, 8 (164): R. Jehuda (um 150)
sagte: Wie ein Bratspieß vonHolz nicht verbrennt, so wird ein Bratspieß aus Metall
nicht glühend (also darf auch ein solcher zum Braten des Lammes benützt werden).
Man antwortete ihm: Nicht gleicht das Holz dem Metall; denn wenn vom Metall
ein Teil heiß wird, so wird das Ganze heiß; dagegen wenn vom Holz auch ein Teil
heiß wird, so wird (darum) nicht das Ganze heiß. – Dasselbe als Bar Pes 74a; s. auch
pPes 7, 1 Anfang. ||Mekh Ex 12, 8 (8a): Am Feuer gebraten Ex 12, 8, u. nicht durch
einen Bratspieß gebraten u. nicht durch einen Rost gebraten u. nicht durch (einen
glühend gemachten) Backofen gebraten, sondern durch Feuer gebraten. – Wie peinlich
genau man es mit der glühend gewordenen Innenwand des Topfofens nahm, zeigt
Pes 7, 2: Hat es (das Passahlamm amBratspieß) denTon (die irdene Innenseite) des
Ofens berührt, so schäle man die Stelle (am Fleisch) ab (denn sie ist vom Ofen u.
nicht vom Feuer gebraten). Ist von seinem Safte auf den Ton getropft u. auf es
(das Fleisch) zurückgespritzt, so nehme man die Stelle (am Fleisch) weg (denn sie
ist vom Ofen gebraten). Ist von seinem Saft auf Mehl getropft, so nehme man eine
Handvoll von der Stelle fort (vorausgesetzt, daß das Mehl so heiß ist, daß das
Fett darin gar wird; denn man würde in der aus demMehl bereiteten Speise etwas
vom Passahlamm essen, was nicht bloß am Feuer gebraten war).
e. TPes 5, 10 (164): Man darf den Kopf u. die Unterschenkel nicht abrupfen (die
Haare nicht davon entfernen nach vorhergegangenem Abbrühen; denn das wäre eine
Art des Kochens), auch darf man sie nicht mit Ton oder Erde bestreichen, wohl
aber darf man sie am Feuer sengen.
f. Pes 7, 1: Wie brät man das Passahlamm? Man nimmt einen Spieß von Granat-
apfelholz, steckt ihn durch sein Maul bis zum After u. legt seine Unterschenkel
u. seine Eingeweide in sein Inneres. Das sind Worte des R. Jose des Galiläers
(um 110). R. Aqiba (†um 135) sagte: Das wäre eine Art des Kochens (indem die
Unterschenkel u. die Eingeweide im Bauch des Lammes wie in einem Topf gar ge-
kocht würden), vielmehr hängt man sie (Unterschenkel u. Eingeweide) außerhalb von
ihm am (Bratspieß?) auf. – Diese entgegengesetzten Meinungen des R. Aqiba u. des
R. Jose Ha-gelili sind dann bald auf ein kurzes Schlagwort gebracht worden. Mekh
Ex 12, 9 (9a): Seinen Kopf samt seinen Unterschenkeln, samt seinem Eingeweide (so
wird Ex 12, 9 zitiert ohne „ und“vor ): Inneres u. Äußeres“(„
„ Innen-
seite u. Außenseite“ ), das sind Worte des R. Aqiba; Rabbi (, lies R. Jose oder wohl
besser R. Jischmael) sagte: „behelmt“ . – Nach pPes 7, 34a, 36 dreht sich die
Kontroverse um die Präposition in Ex 12, 9. R. Aqiba faßt sie = „bei“ : „seinen
Kopf bei seinen Unterschenkeln u. bei seinem Eingeweide“ ; R. Jose faßt sie = „samt“
u. = „ auf“ : seinen Kopf samt seinen Unterschenkeln auf seinem Eingeweide (im
Innern der Bauchhöhle). Dann heißt es weiter Zeile 41: „ Inneres Äußeres
(ohne „ und“ ), das sind Worte des R. arphon (um 100). R. Jischmael (†um 135)
sagte behelmt. Die Meinung des R. arphon stimmt mit der des R. Aqiba überein
u. die des R. Jischmael mit der des R. Jose Ha-gelili.“– Endlich die Bar Pes 74a, 21
kehrt das Autorenverhältnis ganz um: R. Jischmael nannte es (das Passahlamm)
(muß wohl heißen ); R. arphon nannte es „behelmtes Böckchen“.–
Raschi zSt erwähnt dann noch dieLesart als ein Wort, dasnach Targ 1 Sm25, 18
„Braten mit Füllung“bedeute. – Bei der Verschiedenheit der Texte verzichtet man
am besten auf ihre Deutung. – Für gewöhnlich wurde „behelmtes Böckchen“ohne
Rücksicht auf die Kontroverse zwischen R. Aqiba u. R. Jose Ha-gelili erklärt =
„ganz gebraten.“TJom ob 2, 15 (204): Was ist ein „behelmtes Böckchen“?
Das ganz gebraten ist, sein Kopf u. seine Unterschenkel u. sein Eingeweide. – So
54 4. Exkurs: Das Passahmahl (I, G; II, A)

die Wiener Handschrift. In der Erfurter Handschrift lauten die letzten Worte: Sein
Kopf u. seine Unterschenkel in seinem Innern.1 – Pes 74a Bar: Was ist ein „ be-
helmtes Böckchen“ ? ... Jedes, das man ganz auf einmal gebraten hat ... – pPes
7, 34a, 43: In einer Bar ist gelehrt worden: R. Jose der Galiläer sagte: Was ist ein
„behelmtes Böckchen“ ? Das ganz gebraten ist, sein Kopf samt seinen Unterschenkeln
u. samt seinem Eingeweide.
g. TPes 5, 10 (164): Man brät nicht zwei Passahlämmer (zu gleicher Zeit) in
einem Ofen wegen der Verwechslung, auch wenn das eine ein (Ziegen-)Böckchen
u. das andre ein (Schaf-)Lamm ist, damit es nicht zur Gewohnheit werde. ||TPes 5, 12
(164): Man darf vier oder fünf Passablämmer in vier oder fünf Öfen nebeneinander
braten, ohne daß man sich deswegen Bedenken zu machen braucht.|| AbothRN 35 (9b)
s. oben bei I, A Anm. e. ||Vgl. auch Taan 3, 8 im Exk.: Vom altjüd. Fasten Nr. 9
Anm. q.
h. pPes 7, 34a, 56: Von den Kohlen im Hohlraum des Ofens wird es (das Passah-
lamm) in einer halben Stunde gebraten, von Kohlen im Freien (im Luftraum der
Welt) wird es in einer Stunde gebraten. – Dasselbe gleich darauf noch einmal.

II. Die Feier des Passahmahles


A. Die Zeit des Mahles.
Das Passahlamm sollte nach Ex 12, 8 „ in dieser Nacht“ , d. h. in der
Nacht vom 14. auf den 15. Nisan gegessen werden. Dementsprechend
bestimmte man, daß mit dem Essen begonnen werden dürfe nach
Sonnenuntergang, wann es dunkel geworden, u. daß es beendet sein
müsse zur Zeit derMorgendämmerung. Doch galt dieletzte Bestimmung
nur der Theorie nach, in Wirklichkeit sollte sich nach der Halakha
dasEssen nicht über dieMitternachtsstunde hinausziehen.a Die Passah-
Nacht der Beobachtungen“
nacht selbst ist als „ (d. h. als
Nacht, auf die man acht hat, weil sie beachtenswert ist) von der
Haggada mehrfach verherrlicht worden.b
a. TPes 1, 34 (158): Wann ißt man sie (das Passahlamm u. seine Beigaben)?
Wann es dunkel geworden ist; hat man sie nicht, nachdem es dunkel geworden,
gegessen, so darf man sie die ganze Nacht essen; hat mansie nicht die ganze Nacht
gegessen, so soll man sie von da an nicht (mehr) essen. – Mekh Ex 12, 8 (8a):
Das Essen der Passahlämmer, das Essen der Schlachtopfer, das In-Rauch-Aufgehen-
lassen der Fettstücke u. Opferteile (vgl. Lv 6, 2) darf gesetzlich geschehen bis zum
Emporsteigen des Morgengrauens. ||Die genauere Halakha s. Zeb 5, 8: Das Passah-
lamm wird nur in der Nacht gegessen, u. zwar wird es nur bis Mitternacht gegessen;
u. ferner darf es nur von den dazu Gerechneten (d. h. für die es geschlachtet worden
ist) gegessen werden, u. endlich darf es nur gebraten gegessen werden. – Parallelen:
TPes 5, 2 (163); 5, 13 (164). – In Übereinstimmung damit sagt Pes 10, 9: Das Passah-
lamm macht nach Mitternacht die Hände unrein (darf also später nicht gegessen
werden). – Zum Schriftbeweis s. Mekh Ex 12, 8 (8a): R. Eliezer (um 90) sagte:
Es heißt hier (Ex 12, 8): „ In der Nacht“u. es heißt dort (Ex 12, 12): „
In der Nacht“
;
wie dort (Ex 12, 12) gemeint ist bis zur Mitternacht (vgl. Ex 11,4; 12, 29), so ist
auch hier (Ex 12, 8) bis zur Mitternacht gemeint. – In den Parallelen Berakh 9a, 23;
Pes 120b, 12 R. Elazar b. Azarja (um100) Autor. – Über denGrund der Einschränkung
heißt es Mekh Ex 12, 8 (8a): Warum hat man gesagt: Bis Mitternacht (darf das Passah-
lamm gegessen werden)? Um den Menschen von der Übertretung fernzuhalten u. um
einen Zaun für die Tora zu machen. (Man zieht engere Schranken als die Tora, damit
1 Die ganze Stelle s. bei Röm 1, 7 A S. 23 Nr. 1.
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, A) 55

diese um so sicherer gehalten werde; vgl. zu den rabbinischen Vorbeugungsmaßregeln


bei Mt 15, 2 S. 693 Nr. 2 u. bei Mt23, 4 A S. 911.) – Die geltende Halakha auch im
Targ Jerusch I Ex 12, 8: Ihr sollt das Eleisch in dieser Nacht des 15. Nisan essen
bis zur Mitternacht – Das. Dt. 16,6: AmAbend zur Zeit des Untergangs der Sonne
sollt ihr essen (das Passahlamm) bis zurMitternacht. – Abweichend eine noch schärfere
Einschränkung in Jubil 49, 12: Sein Schlachten soll nicht stattfinden zu jeder Zeit
des Lichts, sondern nur in der Grenzzeit des Abends, u. man soll es essen in der
Abendzeit bis zum dritten Teil der Nacht (das würde bis abends 10 Uhr sein).
Und was von all seinem Fleisch vom dritten Teil der Nacht an u. weiterhin übrig-
bleibt, das soll man mit Feuer verbrennen.
b. Mekh Ex 12, 42 (20a) s. bei 1 Kor 10, 11 S. 417 Anm. a u. bei Mt 2, 15 S. 85. ||
ExR 18 (81a): Und es geschah nach Ablauf von 430 Jahren Ex 12,41, nämlich von der
Stunde an, daüber sie derBeschluß (betreffs derÜbersiedlung nachÄgypten) gefaßt wurde
(nämlich in der Nacht zum 15. Nisan bei der Bundschließung in Gn 15); denn in
Ägypten sind sie nur 210 Jahre gewesen (s. hierzu bei Apg 7, 6 S. 668ff.). Und an
dem Tage, da sie nach Ägypten hinabzogen, an demselben Tage sind sie wieder
heraufgezogen (nämlich am 15. Nisan), u. an demselben Tage ist Joseph aus dem
Gefängnis entlassen worden. Deshalb ist diese Nacht (zum 15. Nisan) eine Freudenzeit
für ganz Israel, wie es heißt: Eine Nacht der Beobachtungen ist es für Jahve (eine
Nacht, auf die Gott acht hat u. die er innehält) Ex 12, 42. In dieser Welt hat er
ihnen ein Zeichen (Wunder) in der Nacht getan, denn es war ein vorübergehendes
Zeichen; aber in der Zukunft (in der messianischen Zeit) wird die Nacht zum Tage
werden, wie es heißt: Es wird das Licht des Mondes wie das Sonnenlicht werden,
u. das Licht der Sonne wird siebenfach sein Jes 30, 26, wie das Licht, das Gott im
Anfang geschaffen und im Gan Eden aufbewahrt hat (s. Band II S. 348 Fußnote 2).
Weshalb nennt er sie eine „Nacht der Beobachtungen“Ex 12, 42? Weil er darin
den Gerechten Großes getan hat, wie er es den Israeliten in Ägypten getan hat; u.
in ihr hat er den Hiskia (vom Tode) errettet, u. in ihr hat er den Chananja u. seine
Genossen errettet (Dn 3, 26), u. in ihr hat er den Daniel aus der Löwengrube errettet
(Dn 6, 24), u. in ihr werden sich der Messias u. Elias mächtig erweisen, wie es heißt:
Der Wächter hat gesagt: Es kommt der Morgen u. auch (zugleich) die Nacht (d. h.
der Morgen für Israel u. die Nacht für die Völker der Welt, so der Midr Jes 21, 12).
Gleich einem Weibe, die nach ihrem Gatten ausschaut (auf ihn harrt), der in ein
fernes Land gezogen war. Er hatte zu ihr gesagt: Dieses Zeichen sei in deiner Hand;
wanndujenes Zeichen sehen wirst, dannwisse, daßich komme u. zukommen nahe bin. So
harren auch die Israeliten, seitdem Edom (= Rom) auftrat. Gott sprach: Dieses Zeichen
sei in eurer Hand: an dem Tage, da ich euch (in Ägypten) Heil bereitet habe, in der-
selben Nacht sollt ihr wissen, daß ich euch erlösen werde (durch den Messias u. Elias).
Und wenn (bisher) nicht, so glaubet nicht, daß die Zeit nicht nahe sei, denn es heißt:
Ich Jahve will es beschleunigen zu seiner Zeit Jes 60, 22; u. weiter heißt es: Noch
eine kurze Zeit währt es, da will ich erschüttern denHimmel u. die Erde ... u. will
umstürzen den Thron der Königreiche usw. Hag 2, 6. 22. Wie ich Ägypten umgestürzt
habe, so will ich umstürzen alle Königreiche, wie es heißt: Die Heidenvölker sollen
gänzlich vernichtet werden Jes 60, 12, u. ferner heißt es: Die Säume der Erde
sollen erfaßt und alle Frevler vor ihr abgeschüttelt werden Hi 38, 13. ||Targ Jerusch 1
Ex 12, 42: Vier Nächte sind im Buch der Erinnerungen vor dem Herrn der Welt
aufgeschrieben. Die erste Nacht, da er sich offenbarte, um die Welt zu schaffen.
Die zweite, da er sich Abraham offenbarte (um den Bund zwischen denStücken mit
ihm zu schließen Gn 15). Die dritte, da er sich in Ägypten offenbarte undseine linke
Hand jede Erstgeburt der Ägypter tötete und seine rechte Hand die Erstgeborenen
Israels errettete. Die vierte, da er sich offenbaren wird, um das Volk, das Haus
Israel aus den Völkern heraus zu erlösen. Und sie alle nennt er Nächte, die zu be-
obachten sind. Deshalb hat es Mose erklärt u. gesagt: Beobachtet für die Erlösung
ist sie vor Jahve, um das Volk, die Kinder Israel, aus demLande der Ägypter heraus-
56 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, A. B Nr. 1)

zuführen; diese selbe Nacht ist beobachtet vom Würgeengel zugunsten aller Kinder
Israel in Ägypten, u. ebenso (wird sie beobachtet werden), um sie (dereinst) aus ihren
Exilsländern zu erlösen in ihren (künftigen) Generationen. – Diese „ Nächte der
Beobachtungen“natürlich überall die Nacht vom 14. auf den 15. Nisan. Man kann
diesen Stellen entnehmen, wie mächtig die Herzen der Israeliten gerade in der Passah-
nacht von messianischen Hoffnungen mögen bewegt worden sein. Vgl. auch die
messianische Auslegung des beim Passahmahl gesungenen Hallel in Pes 118a u.
pBerakh 2, 4d, 52 bei Mt21, 9 A S. 847 u. in Midr Ps 118 § 22 (244a) bei Mt21, 9 B
S. 850; ferner s. den Lobspruch des R. Aqiba (†um 135) in Pes 10, 6 weiter unten
bei II, B Nr. 6. – Auch die Schatzkammern des Taus sind in dieser Nacht geöffnet.
Targ Jerusch I Gn 27, 1: (Isaak) rief seinen älteren Sohn Esau am 14. Nisan u. sprach
zu ihm: Mein Sohn, siehe, diese Nacht preisen die Oberen (= Engel) den Herrn der
Welt u. die Schatzkammern der Taue sind in ihr geöffnet.
B. Der Gang (Verlauf) des Mahles.
Die Mischna hat Pes 10 das Passahmahl eingehend beschrieben.
Wir geben hier die einzelnen Mischnasätze der Reihe nach wieder,
indem wir Parallelberichte u. Erläuterungen anmerkungsweise hin-
zufügen.
1. Pes 10, 1: Am Rüsttage zu den Passahfesten nahe dem (Spät-)
Nachmittag soll niemand essen, bis es dunkel wird.a Auch der Ärmste
in Israel soll nicht essen, bis er sich zu Tisch gelegt hat.b Mangebe
ihm nicht weniger als vier Becherc Wein,d u. wäre es sogar aus der
Armenschüssel.e – Eine Parallele s. TPes 10, 1 (172).
a. Hierzu s. bei I, C Anm. k. – Übrigens gilt diese Vorschrift allgemein für alle
Rüsttage auf die Sabbat- u. Feiertage. Pes 99b Bar: Der Mensch soll am Rüsttag
auf den Sabbat u. auf die Feiertage von 9 Uhr an (= 3 Uhr nachm.) u. weiterhin
nichts essen, damit er in den Sabbat (u. in die Feiertage) eintrete, wenn Verlangen
(nach Speise u. Trank) vorhanden ist. – In pPes 10, 37b, 32 R. Jehuda (um 150) als
Autor genannt.
b. Bei feierlichen Gastmählern pflegte der zur Anregung des Appetits bestimmte
Vortisch nicht im Speisesaal, sondern in einem Vorzimmer eingenommen zu werden.
Dabei saß man auf Stühlen, während das Zu-Tische-Liegen erst beim eigentlichen
Mahle im Triklinium begann. Wenn es daher in unsrem Mischnasatz heißt, daß auch
der Ärmste nicht essen soll, bis er sich zu Tische gelegt hat, so folgt daraus, daß
beim Passahmahl abweichend von obiger Sitte auch das Vorgericht im Speisesaal selbst
in engster Verbindung mit demHauptgericht eingenommen worden ist. Zur Sitte, den
Vortisch in einem Nebenzimmer einzunehmen, s. den Exkurs: „ Ein altjüdisches Gast-
mahl“ ; in diesem Exkurs auch das Nähere über das Zu-Tische-Liegen, über die An-
ordnung der Speisepolster u. über die Rangordnung, nach der die Gäste ihre Plätze
erhielten. – Im Liegen speziell beim Passahmahl hat man ein Zeichen der Freiheit
gesehen. pPes 10, 37b, 53: R. Levi (um 300) hat gesagt: Während Sklaven im Stehen
zu essen pflegen, soll man hier (beim Passahmahl) essen, indem man zu Tische liegt
, umkundzutun, daß man aus der Knechtschaft zur Freiheit herausgegangen ist.
R. Simon (um 280) hat im Namen des R. Jehoschua b. Levi (um 250) gesagt: (Auch)
jenes olivengroße Stückchen (Fleisch), durch welches ein Mensch beim Passahmahl
seiner Pflicht genügt, muß er im Liegen essen. R. Jose fragte vor R. Simon:
Auch der Sklave vor seinem Herrn? auch die Frau vor ihrem Mann? Er antwortete
ihm: Rabbinensohn (lies: statt ), bis hierher habe ich (von meinem
Lehrer R.Jehoschua b.Levi) gehört (über deine Frage habe ich nichts vonihmgehört). –
Zum Liegen der Frauen s. das folgende Zitat. ||Pes 108a: Es ist gesagt worden: Das
ungesäuerte Brot erfordert das Liegen ; das bittere Kraut (s. w. u.)
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 1) 57

erfordert nicht das Liegen (da es an die Bitterkeit der ägyptischen Knechtschaft er-
innern soll). Vom Wein ist im Namen des Rab Nachman († 320) gesagt worden: Er
erfordert das Liegen; es ist aber auch im Namen des Rab Nachman gesagt worden:
Er erfordert nicht das Liegen, u. darin liegt keine Meinungsverschiedenheit: das eine
gilt von den beiden ersten Bechern (der vier Passahbecher) u. das andre gilt vonden
beiden letzten Bechern. Das hat man in dieser Weise gesagt u. das hat man in
jener Weise gesagt. Das hat man in dieser Weise gesagt: Die beiden ersten
Becher erfordern das Liegen; denn jetzt ist es, daß die Freiheit ihren Anfang nahm
(d. h. jetzt vor dem Genuß des 2. Bechers ist es, daß beim Mahl von der beginnenden
Erlösung aus Ägypten erzählt wird). Die beiden letzten Becher erfordern das Liegen
nicht (man kann bei ihrem Genuß auch aufrecht auf demPolster sitzen), was gewesen,
ist gewesen (man nimmt auf die frühere Zeit keine Rücksicht). Und man hat es in
jener Weise gesagt: Im Gegenteil, die beiden letzten Bechei erfordern das Liegen;
diese Stunde war es, da die Freiheit kam (denn der dritte Becher wird nach dem
Mahl getrunken u. nach dem Essen des Passahlamms in Ägypten ist es gewesen,
daß die Freiheit anbrach); die beiden ersten Becher aber erfordern das Liegen nicht,
denn bis dahin (bis zur Beendigung des Passahmahls in Ägypten) waren wir Sklaven.
Da nun so gesagt wird u. so, so erfordern diese u. jene (alle vier Becher) das Liegen.
Auf dem Rücken liegen heißt nicht zu Tische liegen; das Liegen auf der rechten
Seite heißt nicht zu Tische liegen; außerdem könnte auch die Luftröhre der Speise-
röhre zuvorkommen (durch das Liegen auf der rechten Seite könnte etwas in die
unrechte Kehle geraten), so daß man in Lebensgefahr käme. Eine Frau bei ihrem
Manne hat das Liegen nicht nötig; wenn sie aber eine angesehene Frau ist, hat sie
das Liegen nötig. Ein Sohn bei seinem Vater hat das Liegen nötig. Es wurde die
Frage aufgeworfen: Wie verhält es sich mit einem Schüler bei seinem Lehrer? Komm
u. höre! Abaje († 338/39) hat gesagt: Als wir im Hause des Herrn (d. h. unsres
Lehrers) waren, lagen wir einander auf den Knien (der Schüler auf seinem Polster
so weit nach unten zurückgezogen, daß er in Brusthöhe vor den Knien seines Lehrers
lag; vgl. Joh 13, 23: ἀνα ϰείμενοςἐ ντ ῷϰό λπ ῳ ο
τ ῦἸησ οῦ, Joh 21, 20: ἀνέπ εσενἐ πὶ
τ ὸσ τῆ ϑος[τ οῦἸησοὺ]); als wir aber in das Haus des Rab Joseph (†333) kamen,
sagte er zu uns: Ihr habt es nicht nötig (bei Tisch zu liegen), die Ehrfurcht vor deinem
Lehrer ist wie die Ehrfurcht vor Gott. Man erwiderte: Mit jedermann liegt man zu
Tisch u. auch der Schüler bei seinem Lehrer. Das ist zu verstehen nach dem, was
gelehrt worden ist: Das bezieht sich auf den Lehrling eines Zimmermanns (aber
nicht auf einen Gelehrtenschüler). Es wurde die Frage aufgeworfen: Wie verhält es
sich mit demDiener bei Tisch? Komm u. höre! Denn R. Jehoschua b. Levi (um250)
hat gesagt: Wenn der (Tisch-)Diener ein olivengroßes Stück ungesäuertes Brot ge-
gessen hat, so hat er, wenn er dabei gelegen hat, seiner Pflicht genügt. Wenn er
gelegen hat, ja; wenn er nicht gelegen hat, nein. Entnimm daraus! „ Er hat das Liegen
nötig“ , entnimm daraus.
c. Vier Becher. – pPes 10, 37b, 61: Woher (der Schriftbeweis) in bezug auf
vier Becher? R. Jochanan (†279) hat im Namen des R. Bannaja (um 220) gesagt:
Entsprechend dem vierfachen Ausdruck für Erlösung Ex 6, 6f.: Darum sage den
Kindern Israel: Ich bin Jahve, u. ich will euch aus den Lastarbeiten der Ägypter
herausführen u. euch aus ihrer Sklavenarbeit herausreißen u. euch erlösen mit aus-
gestrecktem Arm ..., u. ich will euch mir zumVolk annehmen usw.: ich will heraus-
führen u. herausreißen u. erlösen u. annehmen. R. Jehoschua b. Levi (um 250) hat
gesagt: Entsprechend den vier Bechern des Pharao. „ Der Becher des Pharao war in
meiner Hand, u. ich nahm die Trauben u. drückte sie in den Becher des Pharao aus
u. gab den Becher in die Hand des Pharao ...; u. du wirst den Becher des Pharao
in seine Hand geben“Gn 40, 11, 13. R. Levi (um 300) hat gesagt: Entsprechend den
vier Weltreichen. Die Rabbinen aber sagten: Entsprechend den vier Strafbechern, die
Gott die Völker der Welt wird trinken lassen. So hat Jahve, der Gott Israels, zu
mir gesprochen: Nimm diesen Becher des Zornweins aus meiner Hand u. gib ihn zu
58 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 1)

trinken allen Völkern Jer 25, 15. Ein goldener Becher war Babel in Jahves Hand
Jer 51, 7. Ein Becher ist in der Hand Jahves, u. er schäumt von Wein ...; seine
Hefen müssen schlürfen, austrinken alle Gottlosen der Erde Ps 75, 9; und: Er
lasse regnen über die Gottlosen Schlingen, Feuer u. Schwefel, u. Glutwind sei ihr
Becherteil Ps 11, 6. Was heißt Becherteil? R. Abun (I., um 325; II., um 370)
hat gesagt: Ein Doppelbecher (lies: = διπ λ π
ο οτή ιο
ρ ν)
wie der Doppelbecher nach einem Bade. Und ihnen entsprechend wird Gott die
Israeliten vier Becher der Tröstungen trinken lassen. Jahve ist mein Besitz u. mein
Becherteil Ps 16, 5. Du salbst mein Haupt mit Öl, mein Becher hat Überfluß Ps 23, 5,
u. (noch) diesen: Den Becher der Hilfen will ich erheben Ps 116, 13, das sind zwei
(wegen des Plurals „ ). – Parallelstelle GnR 88 (56a). ||Auch die Frauen
Hilfen“
sind zu diesen vier Bechern verpflichtet. Pes 108a: R. Jehoschua b. Levi
(um250) hat gesagt: Die Frauen sind zu diesen vier Bechern verpflichtet, denn auch
sie gehörten in jenes Wunder (der Erlösung aus Ägypten) hinein. Vgl. auch Pes 108b, 15
Bar: Alle sind zu jenen vier Bechern verpflichtet, sowohl Männer, als auch Frauen,
als auch Kinder (letztes wird jedoch von R. Jehuda, um 150, abgelehnt). ||Die Wein-
menge dieser vier Becher war nicht besonders groß. Alle vier Becher zusammen
sollten ¼ Log reinen Wein enthalten, d. h. etwa ⅛ Liter (1 Log = 0,55 Liter) oder
so viel, wie bei uns ein größeres Weinglas faßt. Diese Menge wurde dann noch mit
Wasser gemischt, u. zwar so, daß beim Saronwein zu einem Teil Wein zwei Teile
Wasser u. bei stärkerem Wein drei Teile Wasser hinzugesetzt wurden. TPes 10, 1
(172): In ihnen (den vier Bechern Wein) soll sein so viel wie ¼ Log Wein, sei es
junger sei es alter, sei es roher Naturwein sei es Mischwein. R. Jehuda (um 150)
sagte: Bis in ihm Geschmack u. Geruch (von Wein) ist (die Menge reinen Weines
kann also auch geringer sein). – Parallelen: pPes 10, 37c, 12; Pes 108b; s. auch
Schab 76b, 20. – ZurMischung des Weines mit Wasser s. auch im Exkurs: Ein alt-
jüdisches Gastmahl.
Die Frage, ob beim Passahmahl ein Gesamtbecher oder Einzelbecher in
Gebrauch gewesen seien, ist zugunsten des Einzelbechers zu beantworten. Die Mischna
nimmt es als selbstverständlich an, daß jeder Teilnehmer am Passahmahl seinen
eigenen Becher vor sich hat, s. die Mischnasätze bei II, B Nr. 2, 4 u. 7. Auch
Lk 22, 17 ist seinem Wortlaut nach dahin zu verstehen, daß die Jünger den
ihnen dargereichten ersten Becher Wein (s. Abschnitt III Nr. 1) unter sich teilen
sollten, indem jeder davon in seinen eigenen Becher füllte. Die allgemeine Sitte war
dem Trinken mehrerer Personen aus ein u. demselben Becher jedenfalls abhold.α
Natürlich hat es Ausnahmen gegeben. Einigemal wird ein Gefäß namens er-
wähnt, das zum Trinken zweier Personen daraus zwei Schnäuzchen (Röhren?) hatte;
doch gehen die Meinungen über dieses Trinkgefäß auseinander.βWeiter wird davon
gesprochen, daß Frauen u. Kinder am Passahabend aus dem Becher des Hausvaters
mit trinken;γden Becher des Segens, über dem nach jedem gemeinsamen (feierlichen)
Mahl das Tischdankgebet gesprochen wurde (vgl. II, B Nr. 7 Anm. a u. b) u. von dem
der Benedizierende zu trinken hatte,δübersandte man gern der Frau des Hauses, um
ihr eine Aufmerksamkeit zu erzeigen,εu. von demBecher des Segens, der nach dem
Mahl der Gerechten in der zukünftigen Welt wird getrunken werden, heißt es, daß
er 221 Log Wein (also mehr als 1 Hektoliter) enthalten werde (s. Exkurs: Scheol III, 4
Ende). Man hat gewiß nicht gemeint, daß diese Weinmenge von einem, demBene-
dizierenden, nämlich David, werde getrunken werden, die Vorstellung wird vielmehr
dahin gegangen sein, daß dieser Becher in der Tafelrunde einst werde herumgereicht
werden, damit jeder der Tischgenossen entweder daraus trinke oder seinen Teil davon
in den eigenen Becher tue. So wäre es gar wohl denkbar, daß der Benedizierende
auch einmal beim Passahmahl in einem engeren Freundeskreise den ersten Becher
(Weihebecher, s. II, B Nr. 2) u. den dritten Becher (Segensbecher, s. II, B Nr. 7
Anm. a u. b) bei sämtlichen Mahlgenossen hat herumgehen lassen. Man vergleiche
auch Berakh 51a, 40 in Anm.ε u. ferner pBerakh 6, 10a, 57 (bei II, B Nr. 2 Anm. c
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 1) 59

Ende), wo R. Jehoschua b. Levi (um250) erklärt, daß die zu Tische Liegenden trinken
dürften, noch bevor der Benedizierende von seinem Becher getrunken habe, nämlich
falls jeder von ihnen seinen eigenen Becher vor sich habe. Darin liegt doch, daß
auch der andre Fall vorkommen konnte, daß alle Tischgenossen auf den einen Becher
in des Benedizierenden Hand angewiesen waren.
α . TBerakh 5, 9 (12): Der Mensch trinke nicht aus einem Becher u. gebe ihn dann
einem andren; denn das Empfinden der Menschen ist nicht das gleiche (er möchte
sich davor ekeln). – Dasselbe in Derekh Ereç R 8 mit der Begründung: „ Wegen
Lebensgefahr“ (also aus sanitären Gründen). Daran schließt sich dann folgende Er-
zählung: R. arphon (um 100) hatte bei jemand Herberge (genommen). Dieser reichte
ihm einen Becher, indem er davon kostete. R. Aqiba (†um 135) sagte zu ihm: Nimm
u. trink ihn! Darauf reichte er ihmnoch einen andren Becher, indem er davon kostete.
R. Aqiba sagte zu ihm: Nimm u. trink ihn! Da sprach Ben Azzai (um 110) zu ihm:
Wie lange läßt duBecher trinken, von denen gekostet worden ist?! ||Tamid 61b, 23
(= Bl. 27b in andren Ausgaben) gibt Rab (†247) seinem Sohn Chijja, ebenso Rab
Huna (†297) seinem Sohn Rabbah unter andren Anstandsregeln auch diese: Spüle
(den Becher) ab u. (dann) trinke; spüle ab (nachdem du getrunken) u. dann stelle
ihn hin! Wenn du aber Wasser getrunken hast, so gieße ab davon u. dann gib es
deinem Schüler (daß auch er trinke)! Das entspricht der Baraitha: Der Mensch soll
nicht Wasser trinken u. es seinem Schüler geben, es sei denn, daß er davon abgegossen
hat. Einmal trank einer Wasser u. goß nicht davon ab u. gab es seinem Schüler, u.
jener Schüler ekelte sich u. mochte nicht trinken u. starb vor Durst. In jener Zeit
bestimmte man: Nicht soll ein Mensch Wasser trinken u. es seinem Schüler geben,
es sei denn, daß er davon abgegossen hat. – Man sieht aus diesen Stellen, daß gegen
die gemeinschaftliche Benützung vonTrinkgefäßen eine gewisse natürliche Abneigung
bestanden hat.
β . Arukh wird das genannte Gefäß beschrieben als „ ein Becher aus Glas
oder Silber, von dessen beiden Seiten zwei dünne Hohlröhren ausgingen u. aus demzwei
Personen den Wein tranken“ . – Levy 4, 343b: „ Ein Becher mit zwei Schnauzen, aus
welchem zwei Personen gleichzeitig trinken können.“ – Krauß, Archäologie 2, 280:
Eine „ Weinkanne mit zwei Hähnen, die auf einmal in denMund genommen werden“ .–
Schab 62b: Sie trinken aus Schalen voll Weins Am 6, 6. R. Ammi u. R. Asi
(beide um 300). Der eine hat gesagt: Es waren (in denen der Wein sich
ergießt oder geworfen wird von der einen Öffnung nach der andren. Raschi). Der
andre hat gesagt: Sie warfen sich ihre Becher (kunstfertig) zu . ||AZ72b: Mar
Zura b. Nachman (um 300) hat gesagt: Das Trinken aus (in Gemeinschaft
mit einem Nichtjuden) ist erlaubt; aber das gilt nur, wenn der Israelit zuerst (zu
trinken) aufhört, aber nicht, wenn der Nichtjude zuerst aufhört (weil dieser den Wein
im Munde dem Götzen weihen könnte, der, wenn er in den Becher zurückfällt, den
ganzen Wein zum Genuß verboten machen würde, Levy 4, 343b). Rabbah b. Huna
(†322) kam in das Haus des Exilarchen; er erlaubte ihnen aus zu trinken.
Einige sagen: Rabbah b. Huna hat selbst aus getrunken. – Dasselbe zum
Teil auch Schab 62b. ||Lèqach ob zu Ex 7, 19 (18b, 1): Auch wenn der Israelit aus
trank, der Israelit auf dieser Seite u. der Ägypter auf jener Seite, war Blut
auf der Seite des Ägypters, damit erfüllt würde, was gesagt ist Ex 7, 19: Blut soll
im ganzen Lande Ägypten sein. – In den Parallelen ist das nicht mehr verstandene
ersetzt worden durch oder = Schale, s. Tanch 71b, 3; ExR 9
(73d); Midr Ps 78 § 10 (175a).
γ. Pes 108b: Hat jemand (von den vier Bechern des Passahmahles) seine Kinder
u. Hausgenossen (d. h. seine Frauen) trinken lassen, so hat er seiner Pflicht
(in bezug auf die vier Becher) genügt. Rab Nachman b. Jiçchaq (†356) hat gesagt:
Das gilt, wenn er den größten Teil des Bechers trinkt.
δ. Pes 105b: Der, welcher den Lobspruch über dem Becher des Segens spricht,
muß hinterher davon trinken. – Welchen Wert man darauf legte, daß der Bene-
60 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 1)

dizierende vom Becher des Segns selbst trank, geht daraus hervor, daß die Frage:
Willst du den Lobspruch über dem Becher des Segens sprechen? gleichbedeutend
war mit der andren: Willst du den Becher des Segens trinken? Chul 87a: Ein Sad-
duzäer (lies Häretiker) sagte zu Rabbi (†217?): Der, welcher die Berge bildete, hat
nicht den Wind geschaffen, u. der, welcher den Wind schuf, hat nicht die Berge
gebildet; denn es steht geschrieben: Denn siehe, der Bildner der Berge u. der Schöpfer
des Windes (also zwei Gottheiten) Am4, 13. Er antwortete ihm: Du Narr, blicke
hinunter auf das Ende der Schriftstelle: Jahve Çebaoth ist sein Name (also eine
Gottheit). Er sagte zu ihm: Gewähre mir Zeit von drei Tagen, so will ich dir die
Antwort bringen. Rabbi saß in dreitägigem Fasten. Als er darauf speisen wollte,
sagte man zu ihm: Ein Häretiker steht an der Tür. Er antwortete (in der Meinung,
daß es der abgewiesene Häretiker sei): Undsie gaben in meine Speise Galle Ps 69, 22.
Er sprach zu ihm: Rabbi, ich verkünde dir Gutes; dein Feind hat keine Antwort
gefunden, er hat sich vom Dach gestürzt u. ist tot. Er antwortete ihm: Willst du
bei mir speisen? Er sagte zu ihm: Ja! Nachdem sie gegessen u. getrunken hatten,
sprach Rabbi zu ihm: Willst du (lieber) den Becher des Segens trinken oder 40 Gold-
stücke nehmen? Er antwortete: Ich will den Becher des Segens trinken. Da ging
eine Himmelsstimme aus, welche rief: Der Becher des Segens ist 40 Goldstücke
wert! R. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Noch jetzt ist jene Familie unter den Großen
Roms vorhanden, u. man nennt jene Familie „ Bar Livianus“ .
ε. Berakh 51a, 40 Bar: Man sendet ihn (den Becher des Segens) seinen (des Gast-
gebers) Hausgenossen (d. h. seiner Frau, Raschi) zum Geschenk ... (51b, 4): „ Man
sendet ihn seinen Hausgenossen (seiner Frau) zumGeschenk“ , damit seine Frau (mit
Kindern) gesegnet werde. Ulla (um280) kam in das Haus des Rab Nachman (†320),
speiste u. sprach den Speisesegen (das Schlußdankgebet), dann gab er den Becher
des Segens (nachdem er selbst davon getrunken hatte) dem Rab Nachman. (Man be-
achte, daß hier der Becher des Segens an einen andren zum Trinken weitergegeben
wird.) Rab Nachman sprach zu ihm: Es wolle der Herr denBecher des Segens der
Jalta (der Frau des Rab Nachman) senden! Er antwortete ihm: So hat R. Jochanan
(†279) gesagt: Die Frucht des Leibes des Weibes wird nur gesegnet wegen der Frucht
des Leibes des Mannes, denn es heißt: Er wird die Frucht deines Leibes segnen
Dt 7, 13. „Ihres Leibes“wird nicht gesagt, sondern die Frucht „deines Leibes“ . Eine
Bar lautet ebenso. ... Inzwischen hatte Jalta davon gehört; sie machte sich auf in
(ihrem) Zorn u. ging in den Weinspeicher u. zerbrach 400 Fässer Wein. Da sagte
Rab Nachman zu ihm: Es wolle ihr der Herr einen andren Becher senden! Er (Ulla)
ließ ihr sagen: Dies alles ist vomBecher des Segens. Sie ließ ihm sagen: Von Herum-
läufern kommen Worte u. vonLumpen Ungeziefer. ||BM87a: Undsie sprachen zuihm:
Wo ist Sara, dein Weib? Er antwortete: Siehe, im Zelt Gn 18, 9.... Rab Jehuda
(†299) hat gesagt, Rab (†247) habe gesagt – es ist auch gesagt worden, R. Jiçchaq
(um300) habe gesagt –: Die Engel des Dienstes haben gewußt, daß unsre Mutter
Sara im Zelte war; vielmehr was will „ im Zelte“besagen? Umsie ihrem Manne lieb
zu machen. R. Jose b. Chanina (um270) hat gesagt: Um ihr denBecher des Segens
zu senden. ||TrKalla 18a, 20: Wer den Becher des Segens einer Frau zuschickt
ohne Wissen ihres Mannes, ist des Todes schuldig, weil er hochmütigen Sinnes ist.
Rabbi († 217?) hat gesagt: Weil sein böser Trieb mächtig ist. Ebenso wenn die Mit-
glieder einer Tischgenossenschaft einer Frau denBecher des Segens zuschicken ohne
Wissen ihres Mannes, so sind sie des Todes schuldig, weil sie hochmütigen Sinnes
sind. Rabbi hat gesagt: Weil ihr böser Trieb mächtig ist. – Hiernach hat Dalman
gewiß recht, wenn er (Jesus – Jeschua S. 140) sagt, daß es Andeutungen gebe, daß
man sich gerade beim „Segensbecher“nach demMahle anders verhalten, d. h. kein
Bedenken getragen habe, ihn an andre zum Trinken weiterzureichen. Nur Berakh
51a, 39 taugt nicht als Beweisstelle, insofern die Worte nicht bedeuten:
„er gibt ihn (den Segensbecher) mit der Rechten“ , nämlich an andre zum Trinken,
sondern: „ er nimmt ihn in seine Rechte“(allein), nachdem er ihn bis dahin in
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 1 u. 2) 61

seinen beiden Händen gehalten hatte; s. die ganze Stelle im Exkurs: Ein altjüd.
Gastmahl.
d. Das älteste Zeugnis für den Weingenuß beim Passahmahl ist Jubil 49, 6. Aber
dieser Brauch gilt dem Verfasser des Jubiläenbuches bereits für so alt, daß er ihn
unbedenklich sogar auf die erste Passahfeier beim Auszug aus Ägypten übertragen
hat, ein Beweis, daß man sich jedenfalls im letzten vorchristlichen Jahrhundert ein
Passahmahl ohne Weingenuß nicht mehr hat vorstellen können. Als mit der Zerstörung
des Tempels das Essen des Passahlammes in Wegfall kam, wuchs naturgemäß die
Wertlegung auf die vier Becher Wein. Mau sah jetzt im Wein den eigentlichen
Träger der Festesfreude. Die Forderung, daß als Passahwein Rotwein zu verwenden
sei, läßt sich erst aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts belegen. Jubil 49, 6: Ganz
Israel saß (in Ruhe), indem es das Passahfleisch aß u. Wein trank u. lobte u. pries
u. demHerrn, demGott seiner Väter, dankte u. bereit war, vomJoche der Ägypter u.
aus der bösen Knechtschaft fortzuziehen. ||Pes 109a Bar: R. Jehuda b. Bathyra (um110)
sagte: Solange das Heiligtum bestand, lag die (Festes-)Freude nur im Fleisch, wie
es heißt: Du wirst Friedmahlsopfer schlachten u. daselbst verzehren u. vor Jahve
deinem Gott fröhlich sein Dt 27, 7. Jetzt wo das Heiligtum nicht besteht, liegt die
Freude nur im Wein, wie es heißt: Der Wein erfreut des Menschen Herz Ps 104, 15. ||
pPes 10, 37c, 27: R. Jirmeja (um 320) hat gesagt: Es ist Vorschrift, der Pflicht (der
vier Passahbecher) mit rotem Wein zu genügen; denn es heißt: Blicke den Wein
nicht an, wie er schön rot sich zeigt Spr 23, 31. – Parallelen: pSchab 8, 11a, 31 u.
pScheq 3, 47b, 62.
e. Zur Armenschüssel s. bei Apg 6, 3 S. 644 Abs. B.
2. Pes 10, 2: Man (der Tischdiener) hat ihm (jedem, der vomPassah-
lamm ißt) den ersten Becher gemischta (u. dargereicht). Die Schule
Schammais sagte: Erb spricht (jetzt) den Lobspruch über den (Fest-)
Tag u.hinterher denüber denWein. DieSchule Hillels sagte: Er spricht
denLobspruch über denWeinc u. hinterher denüber denTag.d – Aus-
führlicher die Parallele TPes 10, 2f. (174): Man hat ihm den ersten
Becher gemischt. Die Schule Schammais sagte: Er spricht den Lob-
spruch über den Tag u. hinterher den Lobspruch über den Wein;
denn der Tag ist die Veranlassung für den Wein, daß er kommt,
u. längst ist der Tag heilig gewesen, ehe noch der Wein kam (Sitte
war; der Tag als das Wichtigste steht mit seinem Lobspruch voran).
Und die Schule Hillels sagte: Er spricht den Lobspruch über den
Wein u. hinterher den Lobspruch über den Tag; denn der Wein ist
die Veranlassung für den Weihespruch (des Festtages), daß er ge-
sprochen wird (ohne Wein gäbe es keinen Lobspruch über den Tag,
also der Wein das Wichtigere). Eine andre Erklärung: Der Lobspruch
über den Wein findet beständig (häufiger) statt, der Lobspruch über
den Tag findet nicht beständig (sondern nur selten) statt (deshalb
steht der erstere voran). Unddie Halakha ist nach derSchule Hillels. –
Weitere Parallelen s. pPes 10, 37c, 46; Pes 114a, 11; ferner s. Berakh 8, 1.
a. Die Mischna folgt hier der Meinung des R. Eliezer (um90), nach welcher die
Mischung des Weines mit Wasser vor dem Lobspruch über den Wein geschehen
sollte. Berakh 7, 5: Man spricht den Lobspruch über den Wein nicht, bevor man (der
Tischdiener) Wasser hineingetan hat. Das sind Worte des R. Eliezer. Die Gelehrten
aber sagten: Man darf den Lobspruch sprechen. – Hierzu Berakh 50b: R. Jose
b. Chanina (um 270) hat gesagt: Die Gelehrten haben dem R. Eliezer beim Becher
62 4 Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 2)

des Segens (nach gehaltener Mahlzeit) zugegeben, daßmanüber ihn nicht den Lobspruch
spricht, bevor man Wasser hineingetan hat. – Ferner s. die Bar Berakh 50b, 10. –
Übrigens folgt aus dem Wortlaut der oben aus Pes 10, 2 u. TPes 10, 2f. gebrachten
Zitate, daß am Passahabend das Mischen des Weines becherweise geschah, offenbar
damit jedem Becher seine selbständige Bedeutung gewahrt bleibe. – Über das
Mischungsverhältnis zwischen Wein u. Wasser s. oben II, B Nr. 1 Anm. c.
b. Zum Lobsagen war prinzipiell jeder verpflichtet, der am Passahmahl teilnahm.
Aber bei feierlichen Gastmählern galten die zu Tische Liegenden als eine geschlossene
Einheit; darum wurden die Hauptlobsprüche bei Beginn u. nach Beendigung des
Mahles von einem für alle gesprochen. Erst bei den einzelnen Gerichten, die im Lauf
des Mahles vorgesetzt wurden, hatte dann jeder Tischgenosse die vorgeschriebenen
Lobsprüche für sich allein zu sprechen (s. Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl). So
nun auch beim Passahmahl, obwohl es sich in unsrem Mischnasatz Pes 10, 2 noch
nicht um die Eröffnung des eigentlichen Passahmahles, sondern strenggenommen
erst um den Beginn des Vortisches handelt. Aber bei der Passahfeier war der Vor-
tisch, anders als bei sonstigen Gastmählern (s. den genannten Exkurs), aufs engste
mit dem eigentlichen Mahl verbunden. – Derjenige, der im Namen aller Tisch-
genossen die Hauptlobsprüche zu Anfang des Mahles zu sprechen hatte, war in der
Regel derGastgeber (Hausvater). So auch bei derPassahfeier, wenn die Passahgemeinde
eine Haus- oder Familiengemeinde war. Wurde dagegen die Passahgemeinde von
einer ad hoc zusammengeschlossenen Tischgenossenschaft gebildet (s. oben I, C S. 44),
so sprach der von der Tischgenossenschaft damit Beauftragte die betreffenden Lob-
sprüche. Das wird meist der Vorsteher der Tischgenossenschaft oder der sonstwie
Angesehenste gewesen sein; nur wenn sich ein Priester unter den Tischgenossen
befand, sollte diesem jene Ehre zufallen. Die übrigen Tischgenossen hatten zumZeichen,
daß die Lobsprüche in ihrem Namen u. unter ihrer Zustimmung vorgetragen seien,
die Worte des Benedizierenden mit ihrem Amen! zu beantworten (s. zu den Einzel-
heiten den Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl).
c. Der Lobspruch über den Wein lautete: „Gepriesen seist du, Jahve unser Gott,
König der Welt, der die Frucht des Weinstockes geschaffen!“(So zB Pes 103a, 20;
106a, 15. 18). Nach Analogie der Bestimmungen, die den „ Becher des Segens“nach
beendetem Mahl betrafen (s. w. u.), würde der Sprecher bei dem Lobspruch auf seinem
Polster aufrecht gesessen u. den Becher in seiner rechten Hand gehalten haben.
Nachdem die Tischgenossen den Lobspruch mit Amen! beantwortet, trank der Bene-
dizierende von seinem Becher. Das war das Zeichen, daß der Weingenuß jetzt auch
den übrigen freigegeben sei. Doch wird bemerkt, daß die Tischgenossen bereits vor
demBenedizierenden trinken durften, falls jeder (wie es beim Passahmahl die Mischna
voraussetzt) seinen eigenen Becher vor sich hatte. pBerakh 6, 10a, 57: R. Abba (um290)
hat im Namen Rabs (†247) gesagt: Die zu Tische Liegenden dürfen nichts kosten,
bis der, welcher den Lobspruch spricht, gekostet hat. R. Jehoschua b. Levi (um250)
hat gesagt: Sie dürfen trinken, auch wenn er nicht getrunken hat. Was ist für ein
Unterschied? Was Rab gesagt hat, gilt, wenn sie alle auf ein Brot angewiesen sind
(das der Benedizierende bricht u. den einzelnen zuteilt); was R. Jehoschua b. Levi
gesagt hat, gilt, wenn jeder seinen Becher in seiner Hand hat.
d. Der Lobspruch über den (Fest-)Tag, der sich unmittelbar an den Lobspruch
über den Wein (s. Anm. c) anschloß, lautete nach seiner allgemeinen Fassung in
Berakh 49a, 44: „ Gepriesen seist du, Jahve unser Gott, König der Welt, der seinem
Volk Israel Festtage [dieses Fest der ungesäuerten Brote] zur Freude u. zum Ge-
dächtnis gegeben hat! Gepriesen seist du, Jahve, der Israel u. die Zeiten heiligt!
(Die Worte in eckiger Klammer geben den Zusatz an, der bei der Passahfeier etwa
in die allgemeine Formel eingefügt wurde.) – Nach der Bar pPes 10, 37d, 32: „ Man
sagt den Lobspruch über die (Fest-)Zeit nur an den drei (großen) Festen“würden
sich dann noch die Worte angeschlossen haben: „Gepriesen seist du, Jahve unser
Gott, König der Welt, der uns am Leben erhalten u. uns hat bestehen u. diese Zeit
4. Exkurs: (Das Passahmahl (II, B Nr. 2 u. 3) 63

erreichen lassen!“– Für die talmudische Zeit folgt weiter aus der gelegentlichen
Frage des Amoräers R. Abuna b. Sechora (wann?) in pPes 10, 37d, 31: „ Hat er (der
Benedizierende) nicht längst beim (Weihe-)Becher (der Erlösung) Erwähnung getan?“ ,
daß irgendwie auch der Auszug aus Ägypten in dem Lobspruch über den Festtag
seine Stelle gehabt hat. – Nach dem gegenwärtigen Ritus haben die beiden Lob-
sprüche über den Wein u. den Tag folgenden Wortlaut: Gepriesen seist du, Jahve
unser Gott, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen! Gepriesen
seist du,Jahve unser Gott, König derWelt, der uns aus allen Völkern erwählt u. aus allen
Nationen emporgehoben u. durch seine Gebote geheiligt hat! Du gabst uns, Jahve
unser Gott, in Liebe Festtage zurFreude, Feiertage u. Zeiten zurWonne, diesen Feiertag
der ungesäuerten Brote, die Zeit unsrer Befreiung, gottesdienstliche Versammlung,
eine Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Uns hast du erwählt u. uns geheiligt
vor allen andren Völkern, u. deine heiligen Festtage hast du mit Freude u. Wonne
uns als Besitz gegeben. Gepriesen seist du, Jahve unser Gott, der Israel u. die Zeiten
heiligt! Gepriesen seist du. Jahve unser Gott, König der Welt, der uns amLeben erhalten
u. uns hat bestehen u. diese Zeit erreichen lassen!“
3. Pes 10, 3: Man hat ihm [Grünkräutera u. Lattich,b so dieMischna
des pT.s] vorgesetzt; er taucht den Lattich ein,c bis er bei der Zu-
kost zum Broted anlangt. Man hat ihm ungesäuertes Brot e u.
Lattichf u. Fruchtmusg vorgesetzt, obgleich Fruchtmus nicht Gebot ist.
R. Elazar b. Çadoq (um 100) sagte: Es ist Gebot.h Und zur Zeit
des Heiligtums setzte man ihm das Passahopfer selbst vor.i
a. Auch bei gewöhnlichen Gastmählern wurden Grünkräuter und Salate, weil die
Eßlust anregend, gern beim Vortisch gereicht; umsie schmackhafter zu machen, tauchte
man sie vor dem Genuß in Senf, Fischbrühe, Salz- oder Essigwasser; vgl. Krauß,
Archäologie 3, 58. – Berakh 57b: Rab Jehuda (†299) hat gesagt, Rab (†247) habe
gesagt: Bei Antoninus u. Rabbi (†217?) fehlten niemals auf ihrem Tisch Rettich u.
Lattich u. Gurken, weder im Sommer noch im Winter. ||Schab 140b: Rab Chisda
(†309) hat gesagt: Ich habe Grünkraut weder in meiner Armut noch in meinem
Reichtum gegessen. In meiner Armut nicht, weil es die Eßlust anregt , u.
in meinem Reichtum nicht, weil ich meinte, wo das Grünkraut eingeht (nämlich in
den Magen), möge lieber Fleisch u. Fisch eingehen.
b. Lattich = aram. . – Pes 39a: Raba (†352) hat gesagt: Was ist ?
Dasselbe, was „Lattich“ : erbarmt hat sich (= ) der Allbarmherzige über
uns (deshalb essen wir in der Passahnacht ). – Ferner s. Anm. f.
c. Nach Raschi wäre der Lattich in Fruchtmus (s. Anm.g) eingetaucht worden.
Sein Enkel Raschbam (= Schemuël b. Meïr, †um 1174) stellt das Pes 114a in Abrede,
weil das Fruchtmus erst später vorgesetzt worden sei. Manhätte dann an Salz- oder
Essigwasser zu denken, s. oben Anm. a. Hierfür spricht, daß nach dem späteren
Ritus tatsächlich in Salzwasser getauchte Sellerie als Vorkost gereicht wurde.
– Über den Lobspruch beim Lattich gingen die Meinungen auseinander. Pes 114b, 28:
Wo andre Grünkräuter (außer demLattich) vorhanden sind, spricht man bei den andren
Grünkräutern den Lobspruch: („ Gepriesen seist du, Jahve unser Gott, König der Welt,)
der die Frucht des Erdbodens geschaffen!“ , dann ißt er, u. darauf spricht er den Lob-
spruch wegen des Essens von bitteren Kräutern (welcher lautet: „ Gepriesen seist du
Jahve unser G., K. d. W., der uns durch seine Gebote geheiligt u. uns geboten hat,
bittere Kräuter zu essen!“ ), u. dann ißt er (vom eingetauchten Lattich). Wo aber nur
Lattich ist, wie ist es da? Rab Huna (†297) hat gesagt: Er spricht zu Anfang (d. h.
beim Vorgericht, beim erstmaligen Eintauchen) denLobspruch über diebitteren Kräuter:
(„Gepriesen usw.,) der die Frucht des Erdbodens geschaffen!“ , u. dann ißt er. Zum
Schluß aber (d. h. beim eigentlichen Mahl, bei dem zum zweitenmal bittere Kräuter
einzutauchen u. zu essen sind, s. bei Nr. 6) spricht er darüber den Lobspruch wegen
64 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 3)

des Essens von bitteren Kräutern (wie er oben zitiert ist), u. dann ißt er. Rab Chisda
(†309) warf dagegen die Frage ein: Nachdem er also seinen Bauch damit gefüllt
hat, soll er noch einmal denLobspruch darüber sprechen? Vielmehr, hat Rab Chisda
gesagt, spricht er zu Anfang (beim Vorgericht) darüber den Lobspruch: („ Gepriesen
usw.,) der die Frucht des Erdbodens geschaffen!“u. dann den wegen des Essens von
bitteren Kräutern (wie er oben zitiert ist), u. dann ißt er. UndzumSchluß (beim Haupt-
gericht oder beim eigentlichen Mahl) ißt er das Lattichessen ohne Lobspruch. ...
Und die Halakha entspricht der Meinung des Rab Chisda. – Vgl. aber Pes 115a w. u.
bei Nr. 6 b.
Anmerkung: Fällt die Verabfolgung des Bissens an den Verräter Joh. 13, 26 in
diesen Abschnitt des Mahles, wie auch bei Mt 16, 23 S. 989 angenommen ist, so würde
mit ψ ω μίονnicht ein „ Bissen“Brot, sondern ein „ Bissen“Grünkraut oder Lattich
gemeint sein; denn das Brot hatte seine Stelle erst hinterher beim Hauptgericht des
eigentlichen Mahles. Für die Annahme, daß sich jener Vorfall mit dem Verräter
während des Essens des Vorgerichtes abgespielt hat, kann besonders das zweimalige
‚ἐσϑ ιόντω ναὐτῶ ν‘Mt 26, 21 u. 26, 26 geltend gemacht werden. Das erste in Vers 21ff.,
bei dem auch jenes Vorfalls mit dem Verräter Erwähnung geschieht, bezieht sich
eben auf das Essen des Vorgerichtes, während mit dem zweiten in Vers 26ff. das
Essen des Hauptgerichtes beim eigentlichen Mahle eingeleitet wird.
d. . – Die Deutung von ist unsicher. Oben
ist es übersetzt worden „Zukost zumBrote“ ; unter der „Zukost“ , diezumBrote gegessen
wird, wäre dann der Lattich u. das Fruchtmus zu verstehn, die hinterher genannt
werden; der ganze Ausdruck „ Zukost zumBrote“aber würde eine Umschreibung des
Begriffs „ Hauptgericht“sein, so daß der Sinn der obigen hebräischen Worte wäre:
„bis er beim Hauptgericht oder dem eigentlichen Mahle anlangt“ . So der Sache nach
auch die älteren Ausleger. – Dagegen fassen Levy 2, 35a. 40a u. Krauß, Archäologie
3, 258 Anm. 278 in seiner gewöhnlichen Bedeutung = „Vorkost“(Vorgericht)
u. nehmen an, daßbeim Passahmahl außer denGrünkräutern u. demLattich mindestens
noch ein Gang (Levy denkt an verschiedene Früchte) zur Vorkost gehört habe „ Die
Mischna, sagt Krauß, sollte demnach wie folgt lauten:
„hat man ihm Lattich gebracht, ißt er davon; Vorkost, ißt er
sie mit Tunke, bis er zumBrote (d. i. zumeigentlichen Mahle) gelangt“ . Als Beweis-
stelle ziehen beide heran TPes 10, 9 (173): R. Jehuda (um 150) sagte: Auch wenn er
nur Lattich gegessen hat u. (oder) wenn er nur eine Vorkost eingetaucht
hat, so beeilt man sich doch mit dem ungesäuerten Brot beim Kind (= reicht
es ihm möglichst frühzeitig dar; dagegen Raschbam zu Pes 109a: „ Man nimmt das
ungesäuerte Brot dem Kinde wieder fort“ ), damit es nicht einschlafe. – So der Wort-
laut nach der Erfurter Handschrift u. bei Raschbam zu Pes 109a. Die Wiener Hand-
schrift, nach welcher Levy 2, 40a zitiert, liest: Auch wenn er nureine Vorkost gegessen
hat, auch wenn er nur einen Lattich eingetaucht hat, so beeilt man sich doch mit
dem ungesäuerten Brot bei den Kindern, damit sie nicht einschlafen. – Die Stelle
verliert jedoch jede Beweiskraft, wenn man unter der Vorkost die Grünkräuter
versteht, die neben demLattich als Vorgericht dienten. Es bleibt doch auch beachtens-
wert, daß nirgends in den Diskussionen des palästinischen u. babylonischen Talmuds
aufeinweiteres Vorgericht neben denGrünkräutern u.demLattich Bezug genommen wird.
e. Die Maççoth durften aus den fünf Hauptgetreidearten Palästinas hergestellt
werden. Pes 2, 5: Dies sind die Dinge, mit denen man am Passah seiner (Maççoth-)
Pflicht genügt: mit Weizen, Gerste, Emmer (Triticum dicoccum, andre: Triticum
spelta), Kolbenhirse (Panicum italicum) u. Hafer . – Eine Parallele
in Mekh Ex 12, 15 (11a).
f. Lattich (vgl. Anm. b) gehört zu den Kräutern, mit denen man der Pflicht,
beimPassahmahl bittere Kräuter zuessen Ex 12, 8, genügt. – Pes 2, 6: Dies sind die
Kräuter, mit denen man seiner Pflicht am Passah genügt: mit Lattich, Zichorie, Kresse,
Mannstreu u. Bitterkraut. Man genügt mit ihnen, sowohl wenn sie frisch, als auch
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 3) 65

wenn sie welk sind; aber nicht, wenn sie eingelegt, gesotten oder gekocht sind. Und
sie werden zum Maß einer Olive zusammengerechnet (d. h. wenn alles, was man von
den Kräutern gegessen hat, zusammengenommen so viel ausmacht, wie eine Olive groß
ist, hat man seiner Pflicht genügt). Mangenügt der Pflicht auch mit ihrem Stengel. ...
Pes 39a werden noch andre bittere Kräuter aufgeführt, diebeim Passahmahl Verwendung
finden dürfen; als Halakha wird endlich festgestellt, daß jedes Kraut als Bitterkraut
gegessen werden dürfe, das (weißen, so Raschi) Saft habe u. dessen Oberfläche blaß
werde, das. Zeile 21; vgl. auch pPes 2, 29c, 7. ||pPes 2, 29c, 8: R. Chijja (um 280) hat
im Namen des R. Hoschaja (um225) gesagt: Trotz all jener sonst noch verwendbaren
Kräuter hängt die Sache nur am Lattich (er ist das Hauptkraut): wie der Lattich an-
fänglich süß, aber zuletzt bitter ist, so haben es die Ägypter mit unseren Vätern in
Ägypten gemacht. Anfänglich hieß es: Im besten Teil des Landes siedle deinen Vater
u. deine Brüder an Gn 47, 6, u. hinterher heißt es: Sie verbitterten ihr Leben durch
harten Dienst an Lehm u. Ziegeln Ex 1, 14. – Ähnliches Pes 39a, 24 R. Schemuël
b. Nachman (um 260) im Namen des R. Jonathan (um 220). – Diese Deutung hat wohl
Raschi im Auge, wenn er zu Ex 12, 8 sagt: Und er befahl, bittere Kräuter zu essen
zum Andenken daran, daß man ihnen das Leben verbittert hat. Vgl. auch weiter unten
bei Nr. 5.
g. Fruchtmus , ein aus gestoßenen oder geriebenen Feigen, Datteln, Mandeln
u. sonstigen Früchten hergestellter Brei, der nach Zugabe von Zimt u. andren Gewürz-
arten mit Wein oder Weinessig angerührt wurde (s. Bertinoro zu Pes 10, 3). – Pes2, 8:
(AmPassahfest) tut mankein Mehl in dasFruchtmus (es könnte Gesäuertes entstehn). ||
Pes 115a: Rab Papa (†376) hat gesagt: ... Der Lattich muß in das Fruchtmus ein-
getaucht werden des Aufstoßens wegen (um die durch den Kräutergenuß
entstehenden Blähungen zu beseitigen). ||Pes 116a: (Es heißt in der Mischna Pes 10, 3:)
„ Obgleich Fruchtmus nicht Gebot ist“ ; wenn es nicht Gebot ist, weshalb trägt man
es denn auf? R. Ammi (um 300) hat gesagt: Wegen des Aufstoßens. R. Asi (um300)
hat gesagt: Gegen das Aufstoßen vomLattich her dient Rettich, gegen das vomRettich
her Porree, gegen das von allen sonstigen Kräutern her warmes Wasser. Inzwischen
(bis zur Anwendung der Gegenmittel) sage man(als bannenden Zauberspruch): „Qepha,
Qepha (hier als Name des die Blähungen verursachenden Dämons gefaßt), ich gedenke
deiner u. deiner sieben Töchter u. deiner acht Schwiegertöchter!“ „R. Elazar b. Çadoq
sagte: Es ist Gebot“(s. oben die Mischna Pes 10, 3). Was für ein Gebot? R. Levi
(um 300) sagte: Zur Erinnerung an den Apfelbaum;1 R. Jochanan (†279) sagte: Zur
Erinnerung an den Lehm (Ex 1, 14). Abaje (†338/39) hat gesagt: Manmuß das Frucht-
mus herb machen u. man muß es dick machen: herb zur Erinnerung an den Apfel-
baum u. dick zur Erinnerung an den Lehm. Eine Baraitha lautet ebenso; denn R. Jo-
chanan hat gesagt, R. Elazar b. Çadoq habe gesagt: Die Gewürze (im Fruchtmus) zur
Erinnerung an das Häcksel (Ex 5, 7), das Fruchtmus (selbst) zur Erinnerung an den
Lehm. R. Elazar b. Çadoq hat gesagt: So pflegten die Gewürzhändler in Jerusalem
auszurufen: Kommt u. kauft euch Gewürze für das Pflichtgebot (des Fruchtmuses)! –
Die Bemerkung über die jerusalemischen Händler anonym auch pPes 10, 37d, 8. In
TPes 10, 10 (173) ist es R. Elazar b. Çadoq selbst, der in Lydda den Kaufleuten
zuruft: Kommt u. kauft euch Gewürze für das Pflichtgebot (des Fruchtmuses)! –
Nach pPes 10, 37d, 10 gehört der Ausspruch, daß das Fruchtmus dick sein müsse zur
Erinnerung an den Lehm, dem R. Jehoschua b. Levi (um 250) an. ||Ausdrücklich
wird vom Fruchtmus gesagt, daß es jeder ebenso wie ungesäuertes Brot u. Bitterkraut
vor sich haben müsse. Pes 115b, 19: Rab Schimi b. Aschi (nach 400) hat gesagt:
1 Auf Grund von Ps 68, 14: „Wenn ihr zwischen den Hürden liegt“u. von HL 8, 5:
„Unter dem Apfelbaum weckte ich dich; dort brachte dich deine Mutter zur Welt,
die dich geboren“ , erzählte man die Legende, daß zur Zeit der drückendsten Knecht-
schaft in Aegypten die Israelitinnen heimlich zwischen den Hürden von ihren Männern
schwanger geworden seien u. unter Apfelbäumen geboren hätten; s. Jalqu Ez § 354,
woR. Aqiba (†um135) u. Soa 11b, 6, woRab Avira (um330) als Autor genannt wird.
Strack u. Billerbeck, NTIV 5
66 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 3)

Ungesäuertes Brot (steht) vor jedem einzelnen, Bitterkraut vor jedem einzelnen u.
Fruchtmus vor jedem einzelnen.
h. Pes 116a s. in Anm. g.
i. Das Passahlamm mußte zwar ganz (unzerstückt) gebraten werden (s. Abschnitt I, G
S. 52, a), durfte aber zerlegt auf denTisch kommen.a Das warja auch selbstverständlich,
wenn, wie die obige Mischna Pes 10, 3 annimmt, jedem Tischgenossen sein Teil vom
Passahlamm vorgesetzt wurde. Bei einer Passahgenossenschaft, die aus vielen Per-
sonen bestand, konnte es auch unmöglich demeinzelnen Mitgliede überlassen werden,
sich selbst sein Teil vom Passahlamm zuersehen u. zunehmen; denn auf diese Weise
konnte nur zuleicht der Fall eintreten, daß die Letzten das ihnen zustehende Mindest-
maß eines olivengroßen Stückes Fleisch in der Schüssel überhaupt nicht mehr vor-
fanden. Daß dergleichen Fälle tatsächlich vorgekommen sind, beweist TPes 7, 6
(166).β– Zugleich mit dem Passahlamm wurde, wenn die Zahl der Tischgenossen
so groß war, daßjenes zur Sättigung nicht genügte, noch das Fleisch eines besonderen
Festopfers gegessen, u. zwar in der Regel vor demPassahlamm (s. Abschnitt I, C
S. 46 Anm. l); doch zeigt Pes 10, 9, daß das Festopfer auch nach dem Passahlamm
verzehrt worden ist.? – Da das Passahlamm nur im Tempel geschlachtet u. in
Jerusalem gegessen werden durfte (s. Dt 16, 2ff.), mußte das Essen desselben nach
der Zerstörung des Tempels unterbleiben. Damit hörte aber die Passahfeier selbst
(obgleich diese ihren Namen ausschließlich dem Passahopfer verdankte) keineswegs
am Abend des 14. Nisan auf. Man beging sie jetzt, wie es vordem bereits im
Landgebiet üblich gewesen war, ganz nach dem bisherigen Ritus, nur daß das
Passahlamm in Wegfall kam. Und da sich in einigen Gegenden Palästinas schon vor
der Zerstörung des Tempels die Gewohnheit herausgebildet hatte, in der Passahnacht
Gebratenes zu essen,δso wurde dies nun allgemeine Sitte; nur sollte das Gebratene
kein Lammfleisch sein oder wenigstens in andrer Weise zubereitet werden als vordem
das Passahlamm.ε
α . Das folgt aus TPes 7, 2 (166): Man darf (am Sabbat) das (gebratene) Passah-
lamm ganz auf den Herd zurücksetzen, aber nicht darf man es in Stücken (d. h.
zerlegt) zurücksetzen, das sind Worte des R. Jehuda (um 150). R. Jose (um150) sagte:
Am Sabbat ist es sowohl so als auch so erlaubt. – Eine Parallele s. in pSchab 1,
4b, 24. 37. – Es handelt sich um das Warmhalten des gebratenen Lammes, bevor
es auf den Tisch gebracht wird; in der Zeit darf es bereits in Stücke zerlegt sein.
β. TPes 7, 6 (166): Wenn von den auf ein Passahlamm zugerechneten Mitgliedern
einer Tischgenossenschaft jeder einzelne ein olivengroßes Stück (Fleisch) hat, dürfen
sie essen (das Mahl halten), wenn aber nicht, dürfen sie nicht essen. Waren sie
(nicht zu gleicher Zeit, sondern) einer nach dem andren hinzugerechnet worden, so
dürfen die Ersten, die (ein olivengroßes Stück) haben, essen, u. die Letzten dürfen
nicht essen; sie müssen aber das zweite Passah (4 Wochen später) halten, da für
sie bereits das Blut gesprengt ist.
γ. Pes 10, 9: Hat man den Lobspruch über das Passahlamm gesprochen, so hat
man den über das Schlachtopfer (= Festopfer) entbehrlich gemacht (der Lobspruch
über das Hauptgericht genügt zugleich für das Nebengericht; dieser Satz hat nur
Sinn, wenn das Hauptgericht, das Passahlamm, vor demNebengericht, demFestopfer,
gegessen wurde); hat man den über das Schlachtopfer gesprochen, so hat man den
über das Passahlamm nicht entbehrlich gemacht. Das sind Worte des R. Jischmael
(†um 135). R. Aqiba (†um 135) sagte: Dieser Lobspruch macht jenen nicht ent-
behrlich, u. jener macht diesen nicht entbehrlich. (Die Halakha entspricht der Meinung
des R. Aqiba.) – Den Wortlaut der beiden Lobsprüche s. bei Nr. 6 Anm. b S. 70.
δ. Auf die Passahfeier im Landgebiet vor der Zerstörung des Tempels beziehen
sich wohl folgende Stellen. pPes 10, 37d, 12: In einer Baraitha ist gelehrt worden:
Und im Landgebiet (d. h. außerhalb Jerusalems) hat man (außer dem ungesäuerten
Brot, dem Lattich u. dem Fruchtmus Pes 10, 3) noch zwei Speisen (Gerichte) nötig,
eine zur Erinnerung an das Passahlamm u. eine zurErinnerung an das Festopfer. –
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr.3 u. 4) 67

Diese Bar ist auch in die Mischna des bT.s eingedrungen. Pes 114a lauten die be-
treffenden Worte der Mischna Pes 10, 3: Man hat ihm vorgesetzt ungesäuertes Brot
u. Lattich u. Fruchtmus u. zwei Speisen (Gerichte). – Hierzu Pes 114b, 20: Was
heißt „zwei Speisen“? Rab Huna (†297) hat gesagt: Mangold u. Reis ...
Chizqijja
(um 240) hat gesagt: Auch Fisch u. Ei auf ihm. Rab Joseph (†333) hat gesagt:
Man hat zwei Sorten Fleisch nötig, eine zur Erinnerung an das Passahlamm u. eine
zur Erinnerung an das Festopfer (Chagiga). Rabina (I., †um 420; II., †499) hat
gesagt: Auch ein Stückchen Fleisch u. eine Art Brühe (Suppe; so nach Raschi). ||
Pes 4, 4: An einem Ort, wo man Gebratenes in den Passahnächten zu essen pflegt,
ißt man es; wo man es nicht zu essen pflegt, ißt man es nicht (damit die Leute
dort nicht denken, der Betreffende esse das Passahlamm).
ε. Beça 2, 7: Derselbe (Rabban Gamliël, um 90) entschied in drei Fällen erleich-
ternd: ...: Man darf ein behelmtes Böckchen (s. oben Abschnitt I, G Anm. f S. 53)
in den Passahnächten bereiten; aber die Gelehrten verboten es. ||TJom ob 2, 15 (204)
s. bei Röm 1, 7 A Nr. 1 S. 23. – In der Parallele pPes 7, 34a, 45 lautet der Anfang:
Man darf behelmte Böckchen auftragen in den Nächten des ersten Laubhüttenfeiertags
u. am letzten Passahfeiertag; man darf ein behelmtes Kalb in denNächten des ersten
Passahfeiertages auftragen, aber nicht ein behelmtes Böckchen. (Dann folgen die
Worte, die bei Röm 1, 7 A S. 23 aus pPes 7, 34, 47 gebracht sind; zum Schluß der
Stelle heist es:) R. Jose b. Bun (um 350) hat im Namen Rabs (†247) gesagt: Das
besagt, daß es einem Menschen verboten ist, zu einem andren zu sagen: Hier hast
du dieses Geld, geh u. kaufe dir dafür Fleisch zum Passah! Wohl aber darf er zu
ihm sagen: Hier hast du dieses Geld, geh u. kaufe dir dafür Fleisch zumBraten! –
Weitere Parallelen: Berakh 19a; Beça 23a; Pes 53a; 74a.
4. Pes 10, 4: Man hat ihm (dem einzelnen Tischgenossen) den
zweitena Becher gemischt, u. hier fragt der Sohn (seinen Vater) –
wenn der Sohn (noch) kein Verständnis hat, lehrt ihn sein Vater (zu
fragen): b Wasist diese Nacht verschieden vonallen (übrigen) Nächten?
Denn in allen Nächten tauchen wir einmal ein (während der Vorkost),
in dieser Nacht zweimal (auch beim eigentlichen Mahle); denn in
allen Nächten essen wir Gesäuertes u. Ungesäuertes, in dieser Nacht
nur Ungesäuertes; denn in allen Nächten essen wir Fleisch gebraten,
gedämpft u. gekocht, in dieser Nacht das (Passahlamm) nur gebraten;
denn in allen Nächten essen wir alle sonstigen Kräuter, in dieser
Nacht bitteres Kraut. Gemäß dem Verständnis des Sohnes belehrt
ihn sein Vater. Er fängt an mit Schandec u. schließt mit Lob. Er
trägt vor (er erläutert) von: „ Ein Aramäer wollte meinen Vater zu-
grunde richten“ d Dt 26, 5, bis er den ganzen Abschnitt (Dt 26, 5–11)
beendet.
a. Der erste Becher wurde, nachdem der Weihesegen über den Wein u. den Fest-
tag gesprochen war (s. oben bei II, B Nr. 2), während der Vorkost zumLattich u. zu
den Grünkräutern (s. Pes 10, 3 bei Nr. 3) getrunken. Der zweite Becher war für das
eigentliche Mahl bestimmt; doch war es nicht verboten, sich während des Mahles den
geleerten Becher aufs neue füllen zu lassen (s. Pes 10, 7 bei Nr. 7). Das Mahl begann
aber noch nicht in dem Augenblick, da der zweite Becher vorgesetzt wurde, sondern
erst nachdem das in Nr. 4–6 Angegebene vorgetragen war.
b. Als Schriftgrund galt Ex 12, 26f.; 13, 8; aus diesen Geboten ist später die immer
mehr erweiterte Passah-Haggada erwachsen; ihre Anfänge liegen in Pes 10, 4 u. 5 vor
(s. Nr. 4 u. 5). – Pes 116a Bar: Versteht es sein Sohn, so fragt dieser ihn (den Haus-
vater); versteht er es nicht, so fragt ihn sein Weib; wenn (diese) nicht, so fragt er
5*
68 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 4 u. 5)

selbst. Auch zwei Gelehrtenschüler, obgleich sie die Passah-Halakhoth kennen, fragen
einander. ||Mekh Ex 13, 14 (27b): Viererlei Söhne gibt es: einer ist weise, ein andrer
gottlos, ein andrer einfältig u. einer versteht (noch) nicht zu fragen. Was sagt der
weise Sohn? (Er fragt:) „ Was ist es um die Zeugnisse u. Satzungen u. Rechte, die
Jahve unser Gott uns geboten hat?“(so wird Dt 6, 20 zitiert). Auch du fange (in
deinen Antworten) bei ihm mit den Passah-Halakhoth an: (wie zB:) Man läßt auf
das Passahmahl keine weltlichen Gesänge folgen (s. hierzu bei Nr. 8). Was sagt der
gottlose Sohn? „ Was bedeutet dieser Dienst für euch?“Ex 12, 26; „ für euch“, u.
nicht „ für ihn“; u. weil er sich selbst von der Allgemeinheit ausgeschlossen u. Gott
verleugnet hat, so mache auch du seine Zähne stumpf u. antworte ihm: Um des-
willen, was Jahve mir getan hat, als ich aus Ägypten auszog Ex 13, 8; „ mir“, u.
nicht „ dir“; wenn du dort gewesen wärest, wärest du nicht erlöst worden. Was sagt
der einfältige Sohn? „ Was bedeutet dieses?“Ex 12, 26. Und du antworte ihm: Mit
starker Hand hat uns Jahve herausgeführt aus Ägypten, aus dem Knechthause (so
wird Dt 6, 21 zitiert). Und der (noch) nicht zu fragen versteht, für den fange du an,
wie es heißt: Du sollst deinem Sohn an diesem Tage erzählen Ex 13, 8. – Der auf
den gottlosen Sohn bezügliche Satz auch Mekh Ex 13, 8 (25b); das Ganze als Baraitha
des R. Chijja (um 200), aber mit Abweichungen, pPes 10, 37d, 13.
c. Pes 116a: Was heißt: „ mit Schande“ ? Rab (†247) hat gesagt: (Der Hausvater
beginnt:) Im Anfang sind unsre Väter Götzendiener gewesen. Raba (†352) hat gesagt:
(Er sagt:) Knechte sind wir gewesen. – Der Text setzt die vomVater vorzutragende
Erzählung als bekannt voraus u. zitiert nur ihren Anfang. Den Wortlaut in der jetzt
üblichen Form s. bei Strack, Pesachim, S. 38f. 40f.
d. So wird Dt 26, 5 auch vom Targ Onk u. Jerusch I gefaßt; anders die LXX. –
Mit dem „Aramäer“ist Laban in seinen Gehässigkeiten gegen Jakob gemeint.
5. Pes 10, 5: Rabban Gamliël (wohl der II., um 90) sagte: Jeder,
der nicht diese drei Worte beim Passahlamm gesagt (nicht ihre Be-
deutung in der Passah-Haggada hervorgehoben) hat, hat seiner Pflicht
nicht genügt: (schonender Vorübergang), (ungesäuertes Brot)
u. (Bitterkräuter). , weil Gott an den Häusern unsrer Väter
in Ägypten vorübergegangen ist Ex 12, 27; , weil unsre Väter aus
Ägypten erlöst worden sind (in solcher Hast, daß die Zubereitung
gesäuerter Brote nicht mehr möglich war Ex 12, 39); ; weil die
Ägypter das Leben unsrer Väter in Ägypten bitter gemacht haben
Ex 1, 14 (vgl. pPes 2, 29c, 8 oben bei Nr. 3 S. 65 Anm. f).a In jeder
Generation ist der Mensch verpflichtet, sich selbst so anzusehn, wie
wenn er aus Ägypten gezogen wäre;b denn es heißt: Wegen dessen,
was Jahve mir getan hat, als ich aus Ägypten zog Ex 13, 18. Des-
halb sind wir verpflichtet, zu danken, zu preisen, zu loben, zu ver-
herrlichen, zu erheben, zu rühmen, zu segnen, zu erhöhen u. zu
besingen den, der unsren Vätern u. uns alle diese Wunder getan hat,
der uns aus der Knechtschaft zur Freiheit herausgeführt, aus dem
Kummer zur Freude, aus der Trauer zum Festtag, aus dem Dunkel
zu großem Licht u. aus der Unterjochung zur Erlösung, u. wir werden
vor ihm Hallelujah (d. h. das Hallel)c anstimmen.
a. Pes 116b, 15: Raba (†352) hat gesagt: Man (der die Passah-Haggada Vor-
tragende) muß das ungesäuerte Brot hochheben u. auch das Bitterkraut muß man
hochheben; das Fleisch aber braucht man nicht hochzuheben (weil es jetzt nicht das
Passahlamm ist), u. nicht nur dies, sondern auch weil er erscheinen würde als einer,
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 5 u. 6) 69

der Heiliges (Opferfleisch) außerhalb (Jerusalems) ißt. – Hierzu Raschbam: Man muß
hochheben, wenn man sagt: „ Dieses ungesäuerte Brot, das wir essen, dieses Bitter-
kraut, das wir essen“ , damit die zu Tische Liegenden sie sehen u. damit das Gebot
lieb u. wert in ihren Augen sei. ... Das Fleisch aber der verschiedenen Gerichte
braucht man nicht in die Höhe zu heben, wenn man sagt: „ Das Passah, das unsre
Väter gegessen haben“ , u. man soll das Fleisch nicht in die Höhe heben, weil es
(nicht ein Passahlamm, sondern nur) eine Erinnerung an das Passahlamm ist. – Der
Ritus bezieht sich auf die Passahfeier nach der Zerstörung des Heiligtums.
b. Diese Worte drücken am schärfsten den Gedanken aus, daß das Passahmahl
ein Gedächtnismahl sein sollte.
c. Das Hallel umfaßte die Psalmen 113–118, s. bei Mt 21, 9 A S. 845ff. – Nach
der Tradition hätte Gesang schon bei der Passahfeier in Ägypten nicht gefehlt. TPes 8,
22 (170): Das ägyptische Passah verpflichtete zumGesang u. das Passah der (nach-
folgenden) Generationen verpflichtet zumGesang (nämlich des Hallel). – Beim Passah-
mahl wurde das Hallel in zwei Teilen vorgetragen: der 1. Teil nach Beendigung
der Passah-Haggada u. vor Beginn des eigentlichen Mahles (s. oben Nr. 5 u. die nach-
folgende Nr. 6), der 2. Teil nach dem Schlußtischgebet u. nach dem Genuß des dritten
Bechers (s. Nr. 7).
6. Pes 10, 6: Bis wohin sagt man es (das Hallel, nämlich nach Be-
endigung der Passah-Haggada u. vor Beginn des eigentlichen Mahles)?
Die Schule Schammais sagte: Bis: „ die Mutter der Kinder freut sich“
Ps 113, 9. Die Schule Hillels aber sagte: Bis: „Kiesel zu einer Wasser-
quelle“Ps 114, 8. Und man schließt mit „ Erlösung“(d. h. mit einem
Satz, der Gottes Erlösungstat erwähnt).a R. Tarphon (um 100) sagte:
(Mit den Worten: Gepriesen sei,) „ der uns erlöset hat u. unsre Väter
aus Ägypten erlöst hat u. uns diese Nacht hat erleben lassen, in ihr
Ungesäuertes u. bittere Kräuter zu essen“ ; aber mit einem Lobspruch
(wie etwa: „Gepriesen seist duJahve, der Israel erlöst hat!“ ) schließt
man nicht. R. Aqiba (†um 135) sagte: (Mit den Worten: „Gepriesen
sei, der uns erlöset hat u. unsre Väter aus Ägypten erlöst hat.) So
lasse uns Jahve unser Gott u. der Gott unsrer Väter zu den Festen,
die uns entgegenkommen, in Frieden gelangen, fröhlich über den Bau
deiner Stadt u. uns freuend über deinen (Opfer-)Dienst; u. wir werden
dort essen von den Passahopfern u. von den (übrigen) Schlachtopfern,
deren Blut an die Wand deines Altars zum Wohlgefallen kommt, u.
wir werden dir danken mit einem neuen Lied ob unsrer Erlösung.
Gepriesen seist du Jahve, der Israel erlöst hat!b (Aqibas Gebet über-
setzt nach dem Text bei Strack, Pesachim, S. 29* f.)
a. Hieran schließt sich TPes 10, 9 (173, 3) folgende Diskussion an: Die Schule
Schammais sagte zur Schule Hillels: Waren sie denn schon (aus Ägypten) ausgezogen,
daß man den Auszug aus Ägypten (d. h. den 114. Psalm: „ Als Israel aus Ägypten
zog“ ) erwähnt? Die Schule Hillels antwortete ihnen: (Der Einwand könnte erhoben
werden,) auch wenn man (mit dem 114. Psalm) bis zumHahnenschrei wartete! Siehe,
diese sind erst um 6 Uhr (= 12 Uhr mittags) ausgezogen, wie dürfte man da „ Er-
lösung“(s. oben) sagen, da sie noch nicht erlöst waren!?
b. Nachdem der 1. Teil des Hallel (d. h. im Sinne der Schule Hillels der 113. u.
114. Psalm) rezitiert u. die dazu gehörenden Benediktionen (s. oben) gesprochen waren,
begann das eigentliche Passahmahl. Seine einzelnen Akte werden, weil als bekannt
70 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 6)

vorausgesetzt, von der Mischna nicht des näheren geschildert. Ihre Besprechung muß
daher auf Grund anderweitigen Quellenmaterials erfolgen.
Zunächst hatte die Tischgesellschaft das rituelle Abspülen der Hände zuvollziehen,
nachdem das Abspülen einer Hand bereits dem Essen der Vorkost voraufgegangen
war. Dabei sprach jeder für sich den Lobspruch: Gepriesen seist du Jahve unser
Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt u. uns das Abspülen der
Hände geboten hat! (Das Nähere hierüber s. bei Mt 15, 2 B S. 695ff. u. im Exkurs:
Ein altjüdisches Gastmahl.) – Darauf nimmt der Hausvater oder der sonst damit
Beauftragte (s. oben II, B Nr. 2 Anm. b S. 62) ungesäuertes Brot (Maççah) in seine
Hand u. spricht darüber, aufrecht auf seinem Polster sitzend,αden Lobspruch: Ge-
priesen seist du, Jahve unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervor-
gehn läßt!βGepriesen seist du, Jahve unser Gott, König der Welt, der uns durch
seine Gebote geheiligt u. ungesäuertes Brot (Maççah) zu essen geboten hat!γDie
Tischgenossen bekräftigen dies mit ihrem Amen! Wenn das Amen! verklungen ist,δ
bricht der Benedizierende von demBrot in seiner Hand Stück für Stück ab u. reicht
es den übrigen zu.εSobald dann der Letzte sein Teil empfangen hat, ißt der Bene-
dizierende zuerst ζvon dem Brot, den übrigen auf diese Weise das Zeichen gebend,
daß sie das gleiche tunsollten. Damit war daseigentliche Mahl eröffnet. – Im einzelnen
verdient etwa folgendes vermerkt zu werden. Der Lobspruch über das vor demPassah-
fleisch zu verzehrende Festopfer (Chagiga) lautete: „ Gepriesen seist du, Jahve unser
Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt u. uns das Schlachtopfer zu
essen geboten hat!“– Der Lobspruch über das Passahlamm selbst: „ Gepriesen seist
du, Jahve unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt u. uns
das Passah zu essen geboten hat!“– Beide Lobsprüche, die jeder Tischgenosse für
sich zu sprechen hatte, finden sich TPes 10, 13f. (173, 12); vgl. über sie auch oben
bei Nr. 3 S. 66 Anm. i, γ . ||Von Hillel dem Alten (um 20 v. Chr.) wird Pes 115a in
einer Bar erzählt, „ daß er sie (Maççah, Passahfleisch u. Lattich) zusammenzuwickeln
u. (auf einmal) zu essen pflegte, weil gesagt ist Nu9, 11: Mit (gedeutet = zusammen
mit) ungesäuerten Broten u. bitteren Kräutern sollen sie es verzehren“ . Der Bericht
lautet dann weiter: R. Jochanan (†279) hat gesagt: Seine Genossen waren aber
anderer Meinung als Hillel; denn in einer Bar ist gelehrt worden: Soll man sie
(Maççah, Fleisch u. Lattich) etwa zusammenwickeln u. essen, wie sie Hillel gegessen
hat? Die Schrift sagt lehrend: Mit (gedeutet = neben, bei) ungesäuerten Broten u.
bitteren Kräutern sollen sie es verzehren Nu9, 11, auch dieses für sich u. jenes für
sich. (Parallelen TPes 1, 34 [158, 4]; pChall 1, 57b, 42; Zeb79a, 13.) – Das wird
also die ursprüngliche Ordnung gewesen sein, daß jedes, Maççah, Fleisch u. Lattich,
für sich gegessen wurde, u. zwar jedes mit dem ihm gebührenden Lobspruch. Der
Lobspruch über das Essen des Passahlammes ist bereits oben gebracht; der über das
Essen der Maççah u. des Lattichs würde gelautet haben: „Gepriesen seist du usw.,
der uns durch seine Gebote geheiligt u. uns ungesäuertes Brot [bittere Kräuter] zu
essen geboten hat!“– Doch hat manMaççah zusammengewickelt mit Lattich auch
noch später gegessen.ηRab Aschi (†427) hat die zu seiner Zeit bestehende Sitte in
die Worte gefaßt: Man spricht den Lobspruch über das Essen der Maççah (s. vorhin)
u. ißt; dann spricht manden Lobspruch über das Essen der bitteren Kräuter (s. vorhin)
u. ißt; dann ißt man Maççah u. Lattich zusammen ohne Lobspruch zur Erinnerung
an das Heiligtum wie Hillel Pes 115a, 25. ||Das Essen selbst sollte namentlich beim
Lattich unter gehörigem Kauen geschehen, damit man das Bittere im Lattich schmecke
u. dadurch an die Bitterkeit der ägyptischen Knechtschaft erinnert werde.ϑ||Das Zer-
brechen eines Knochens vom Passahlamm, etwa um an dessen Mark zu gelangen,
war verboten, s. bei Joh 19, 36 S. 583. ||Beachtenswert ist der Grundsatz in TPes 1, 34
(158, 5): „Lattich, Maççah u. Passahlamm verhindern nicht einander“ , d. h. die Passah-
feier ist gültig, auch wenn eins der genannten drei Stücke fehlt.ι||Mehrfach wird
ein Tischchen erwähnt, das jeder Tischgenosse vor sich hatte; das dürfte bei größeren
Mahlgenossenschaften wohl als Regel anzunehmen sein.ϰ
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr.6) 71

α . Berakh 51b: R. Abbahu (um 300) hat gesagt – u. andre sagten, in einer Bar
sei gelehrt worden: Wer im Gehen ißt, spricht denLobspruch im Stehen, u. wer im
Stehen ißt, spricht den Lobspruch im Sitzen, u. wer zuTische liegt u. ißt, der setzt
sich (aufrecht hin) u. spricht den Lobspruch. Und die Halakha ist bei ihnen allen:
er setzt sich hin u. spricht denLobspruch. – Wesentlich anders dieParallele pBerakh 7,
11d, 11: R. Ba b. Chijja b. Abba (um 320) hat gesagt: Hat er im Gehen gegessen,
so steht er still u. spricht den Lobspruch; hat er im Stehen gegessen, so setzt er
sich u. spricht den Lobspruch; hat er im Sitzen gegessen, so legt er sich u.
spricht den Lobspruch; hat er im Liegen gegessen, so verhüllt er sich u. spricht
den Lobspruch. Wenn er also tut, siehe, so ist er wie die Engel des Dienstes.
Was ist der Schriftgrund? „ Mit zweien bedeckte er sein Angesicht u. mit zweien
bedeckte er seine Füße“Jes 6, 2. – Die Vorschrift in den beiden Stellen bezieht sich
übrigens auf den Tischsegen nach gehaltener Mahlzeit, doch wird man sie auch auf
den Lobspruch bei Eröffnung des Mahles anwenden dürfen.
β . So der Wortlaut in Berakh 6, 1.
γ . Nach der Vorschrift im Schulchan Arukh, Orach Chajjim § 475, 1.
δ . Berakh 47a, 16: Rabbah bar bar Chana (um 280) ... lehrte seinen Sohn: Der,
welcher das Brot bricht (s. bei Apg 2, 42 B S. 619 u. bei Mt 14, 19 B S. 687
Nr. 3), darf es nicht brechen, bis das Amen! aus dem Munde der Antwortenden be-
endigt ist.
ε. Belege im Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl Nr. 7.
ζ. Berakh 47a: Rab Jehuda b. Schemuël b. Schelath (um 300) hat im Namen Rabs
(†247) gesagt: Die zu Tische Liegenden dürfen nichts essen, bevor der das Brot
Brechende gekostet hat. (Forts. s. bei Apg2, 42 B S. 620.)
η . pChall 1, 57b, 43: R. (wohl = Jochanan, †279) hat Maççah u. Bitterkraut zu-
sammengewickelt (u. dann gegessen). – Ferner s. Pes 115b in Anm. ϑ .
ϑ . Pes 115b: Raba (†352) hat gesagt: Hat einer das ungesäuerte Brot verschlungen
(ohne es zu kauen), so hat er seiner Pflicht (Maççah zu essen) genügt; hat er das
bittere Kraut verschlungen, so hat er seiner Pflicht nicht genügt (denn er hat seine
Bitterkeit nicht geschmeckt); hat er das ungesäuerte Brot u. das bittere Kraut (zu-
sammengewickelt gleichzeitig) verschlungen, so hat er seiner Pflicht betreffs des un-
gesäuerten Brotes genügt, aber seiner Pflicht betreffs des bitteren Krautes hat er
nicht genügt; hat er sie mit einem (Pflanzen-)Fäserchen umbunden u. (dann) gegessen,
so hat er auch seiner Pflicht betreffs des ungesäuerten Brotes nicht genügt. – Vgl.
Pes 115b, 5: Rab Papa (Pappa, †376) hat gesagt: Man lasse das bittere Kraut nicht
lange Zeit im Fruchtmus, vielleicht möchte es durch die Süßigkeit der Gewürze seine
Bitterkeit verlieren, u. wir sollen doch einen Geschmack des Bitteren haben.
ι. Mekh Ex 12, 8 (8b): Als am Feuer gebratenes mit ungesäuerten Broten u. bitteren
Kräutern sollen sie es essen Ex 12, 8 ... Das zeigt, daß die Gebote betreffs des
Passah sind: ungesäuertes Brot, Gebratenes u. bittere Kräuter. Woher kann man
sagen, daß man, wenn man kein ungesäuertes Brot u. keine bitteren Kräuter hat
seiner Pflicht durch das Passahlamm (allein) genügt? Die Schrift sagt lehrend: Sie
sollen es (das Passahlamm) essen (also gegebenenfalls auch ohne Maççah u. Bitter-
kraut). Da höre ich nur, daß man, wenn man kein ungesäuertes Brot u. kein bitteres
Kraut hat, der Pflicht durch das Passahlamm (allein) genügt; etwa daß man, wenn
man kein Passahlamm hat, nicht der Pflicht genügt (allein) durch ungesäuertes Brot
u. bitteres Kraut? Siehe, du kannst folgern: weil das Passahlamm auf einem Gebot
beruht u. weil das ungesäuerte Brot u. das bittere Kraut auf einem Gebot beruht,
siehe, so lerne: wie man, wenn man kein ungesäuertes Brot u. kein bitteres
Kraut hat, durch das Passahlamm (allein) seiner Pflicht genügt, so genügt man, wenn
man kein Passahlamm hat, seiner Pflicht (auch allein) durch ungesäuertes Brot u.
bitteres Kraut.
. Pes
ϰ 115b: Rab Schimi b. Aschi (nach 400) hat gesagt: Ungesäuertes Brot be-
findet sich vor jedem einzelnen (auf seinem Tischchen), ebenso bitteres Kraut vor
72 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 7)

jedem einzelnen, ebenso Fruchtmus vor jedem einzelnen; und das Tischchen
entfernt man (vor Beginn der Mahlzeit) nur vor dem, der die Passaherzählung (s. bei
Nr. 4 u. 5) vorträgt. Rab Huna (†297) hat gesagt: Alles befindet sich auch vor dem,
der die Passaherzählung vorträgt; u. die Halakha ist nach Rab Huna. Weshalb hat
man das Tischchen entfernt? Die aus der Schule des R. Jannai (um 225) sagten:
Damit die Kinder es (als etwas Ungewöhnliches) merken u. (nach dem Grunde) fragen.
(Vgl. die Fragen der Kinder oben bei Nr. 4 in Pes 10, 4.) – Zu demSpeisetischchen
der einzelnen Tischgenossen s. weiter im Exkurs: Ein altjüd. Gastmahl Nr. 5 u. 7.
7. Pes 10, 7: Man hat ihm den dritten Bechera gemischt, u. er
spricht den Lobspruch über seine Mahlzeitb (d. h. hält das Tisch-
schlußgebet). Den vierten (Becher), er beendet das Hallel (im Sinne
der Schule Hillels mit Ps 115, 1 bis 118, 29, s. oben bei Nr. 6)c u.
spricht über ihm (dem 4. Becher) den Lobspruch über den Gesang.d
Zwischen jenen Bechern darf er, wenn er trinken will, trinken; zwischen
dem dritten u. vierten darf er nicht trinken.e
a. Der dritte Becher hieß, weil über ihm der Tischsegen (das Dankgebet für die
genossenen Speisen) gesprochen wurde, allgemein der „ Becher des Segens“
, aram. = τ ὸπ οή
τρ ιοντῆ ςεὐλγ
ο ίας1 Kor 10, 16. Die besondere Wert-
schätzung, deren sich der Becher des Segens erfreute, erkennt man an den eingehenden
Bestimmungen, die die Halakha über ihn festgesetzt hat: er mußte vor allem das
richtige Maß, nämlich ¼ Log Wein enthalten (davon 1 Teil Wein u. 3 Teile Wasser);
das Mischen des Weins mit Wasser durfte nicht schon vorher in einem größeren
Mischgefäß, sondern erst im Becher selbst geschehen; vor dem Gebrauch war der
Becher von innen u. außen gehörig aus- u. abzuspülen, auch sollte er umkränzt sein
u. dergleichen mehr; s. das Nähere im Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl Nr.11.
b. Nach beendetem Essen wurden die Speisereste von den Tischen entfernt u. die
aufdieErde gefallenen Brocken beseitigt. Dann brachte derTischdiener die sogenannten
„zweiten Wasser“ , um den Tischgenossen noch einmal die Hände abzuspülen. Dies
Werk begann er, wenn mehr als fünf Personen zu Tische gelegen hatten, wie es ja
beim Passahmahl in der Regel der Fall war, beim Geringsten (Jüngsten) unter ihnen,
um damit nach oben hin fortzufahren, bis die Reihe an die fünf Letzten kam. Dann
wandte er sich dem Vornehmsten unter diesen fünf Letzten zu u. beendete das Ab-
spülen der Hände beim Geringsten unter ihnen. Unmittelbar an das Abspülen der
Hände schloß sich das Tischdankgebet , das von einem, meist dem Vor-
nehmsten, für alle gesprochen wurde. Dieser wandte sich zunächst im sogenannten
„Aufforderungssegen“ an die Tischgenossen mit den Worten: Preiset unsren
Gott, dessen ist, was wir genossen haben! Man antwortete: Gepriesen sei unser Gott
für die Speise, die wir gegessen haben! (So bei Anwesenheit von mehr als 10 Per-
sonen, wie wohl meist bei der Passahfeier.) Darauf ergriff der Benedizierende, der
aufrecht auf seinem Polster saß, den vor ihm stehenden vollen Becher des Segens
mit seinen beiden Händen, erhob ihn eine Handbreite über sein Speisetischchen u.
nahm ihn dann in seine rechte Hand, ohne daß die linke Hand die rechte dabei stützte.
Dann sprach er das Dankgebet. Dieses hatte ursprünglich aus zwei Benediktionen
bestanden, die gar wohl schon in Jesu Tagen üblich gewesen sein können. Später,
bald nach der Zerstörung des Tempels, waren sie dann auf vier vermehrt worden.
Die 1. Benediktion ( = „der speist“ ) sagt Lob dem Gotte, der die ganze Welt
durch seine Güte speist. Die 2. Ben. ( = „ für das Land“ ) sagt Gott Dank
für das Land Israel, für den Beschneidungsbund u. für die Tora. Die 3. Ben. (
= „der Jerusalem baut“ ) bittet umErbarmen für Israel u. die heilige Stadt,
u. die 4. Ben. ( = „ der Gütige u. Gutes Erweisende“ ) preist den Gott,
der jedermann reichlich Gutes tut. Den Schluß bildete die Aufforderung an die An-
wesenden: „ So antwortet Amen!“ . Manantwortete: Amen! – Die vier Benediktionen
4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 7 u. 8) 73

des Tischdankgebetes u. die Belege zu den Einzelheiten des vorstehend Gesagten s.


im Exkurs: Ein altjüdisches Gastmahl Nr. 11.
c. Das Hallel wird wohl meist von allen Tischgenossen gemeinsam gesungen worden
sein;1 doch durfte es auch einer, selbst ein unmündiger Sohn, vortragen; die übrigen
hatten dann antiphonisch mitzuwirken. So heißt es TPes 10, 7 (172): Wenn einer (an
seiner Statt) seine unmündigen Söhne das Hallel rezitieren läßt, so muß er mit ihnen
(den übrigen Tischgenossen) antworten (die Responsorien sprechen), wie diese antworten.
Von wo an antwortet er? Ist man gekommen an: „Gesegnet sei, der da kommt, im
Namen Jahves!“Ps 118, 26, so antwortet er mit ihnen: „ Im Namen Jahves.“(Ist
man gekommen) an: „ Wir segnen euch, die ihr vom Hause Jahves seid“Ps 118, 26,
so antwortet er mit ihnen: „ VomHause Jahves.“– Also von den Schlußworten einer
Zeile an antwortet er. – Zu den verschiedenen Meinungen über den antiphonischen
Vortrag des Hallel s. Soa 5, 4; TSoa 6, 2. 3 (303); pSoa 5, 20c, 6; Soa 30b, 14; Mekh
Ex 15, 1 (41b, 30). – Auf das Hallel wollten einige noch folgen lassen dassogenannte
große Hallel, andre den 23. Psalm. Pes 118a Bar: (Man hat ihm) den vierten Becher
(gemischt); er beendet das Hallel, u. dann sagt er das große Hallel. Das sind Worte
des R. arphon (um 100). Andre sagen: Er sagt: Jahve ist mein Hirt usw. Ps. 23.
Von wo an beginnt das große Hallel? (Siehe die Fortsetzung bei Mt 21, 9 S. 846
Anm. a Anfang.)
d. Pes 118a: Welches ist der Lobspruch über den Gesang? Rab Jehuda (†299)
hat gesagt: „ Es rühmen dich Jahve unser Gott“(alle deine Werke). R. Jochanan
(†279) hat gesagt: „ Die Seele alles Lebenden“(preise deinen Namen). – Den gegen-
wärtigen Wortlaut der beiden Benediktionen findet man in allen jüdischen Gebet-
büchern, z. B. in Sephat Emeth, Rödelheim 1886, Bl. 46a–47a u. 93a. Die erste Bene-
diktion ist ganz, die zweite zum Teil übersetzt bei Strack, Pesachim S. 46 u. 47.
e. pPes 10, 37d, 44: Warum (darf er zwischen dem3. u. 4. Becher nicht trinken)?
Damit er nicht trunken werde (sondern in das Hallel mit einstimme). Er konnte ja
längst trunken werden! Was ist für ein Unterschied zwischen dem Wein während
des Essens u. nach dem Essen? Der Wein nach dem Essen macht trunken; der
während des Essens macht nicht trunken.
8. Pes 10, 8. 9: Man läßt nach dem Passahmahl kein (weltliches)
Jubellied a (=ἐπιϰ ώ ιο
μ ) folgen (wie es sonst nach Gastmählern
ν
üblich ist). ... Das Passahlamm macht nach Mitternacht die Hände
unrein.b
a. pPes 10, 37d, 46: Was ist ? R. Simon (um 280) hat im Namen des R.
Jnjani b. Sisai (Sissai, um 250) gesagt: Eine Liedart (allerlei Gesänge). ||Die Über-
setzung unsrer Mischna Pes 10, 8 bei Strack, Pesachim 34: „ Nach dem Passa(mahl)
entläßt man (die Gesellschaft) nicht, (sondern es folgt) Epikómion ein Jubellied (mit
feierlichem Umzuge)“ , wird dem Wortlaut des Textes:
kaum gerecht. ||Die Bedeutung des Wortes ist frühzeitig in Vergessenheit
geraten. Schon die Tosephta hat darunter den „ Nachtisch“verstanden. Diese falsche
Erklärung hat dann das ganze jüdische Altertum hindurch geherrscht. TPes 10, 11
(173): Man läßt auf das Passahmahl keinen „Nachtisch“folgen, wie zB Nüsse,
Datteln, geröstete Ähren. Es ist aber der Mensch verpflichtet, sich (nach Beendigung
des Passahmahles) mit den Passah-Halakhoth zu beschäftigen, auch für sich allein

1 Vgl. pPes 7, 35b, 36: Rab (†247) fragte den R. Chijja den Älteren (um 200):
Wie verhält es sich mit den Dächern Jerusalems (sind sie heilig oder nicht)? (Ent-
nimm es) aus dem, was man im Sprichwort gesagt hat: „ Ist das (Stückchen Fleisch
vom) Passah auch nur olivengroß, zerbricht der Lobgesang (das Hallel) die Dächer.“
Das besagt: die Dächer Jerusalems haben Heiligkeit (da auf ihnen Heiliges wie das
Passahlamm gegessen werden darf). – Eine Parallele mit verderbtem Text in Midr
HL 2, 14 (102a, 7).
74 4. Exkurs: Das Passahmahl (II, B Nr. 8; III)

oder unter vier Augen mit seinem Sohn u. seinem Schüler. ||pPes 10, 37d, 46: (Was
ist ?) R. Jochanan (†279) hat gesagt: Allerlei Süßigkeiten. Schemuël (†254)
hat gesagt: (Ein Nachtisch,) wie zB Pilze oder junges Geflügel, wie es bei Chananja
b. Schalath (nach Gastmählern) üblich ist. ||Pes 119b: Was ist ? Rab (†247)
hat gesagt: Man soll sich nicht von einer Tischgesellschaft in eine andre fortmachen.1
Schemuël (†254) hat gesagt: (Ein Nachtisch,) wie zB Pilze bei mir oder junges Ge-
flügel bei meinem Vater2 u. bei Rab Chinena (Chinnana) b. Schela. R. Jochanan († 279)
hat gesagt: (Ein Nachtisch,) wie zB Datteln, geröstete Ähren u. Nüsse. Die Baraitha
(gemeint ist TPes 10, 11, s. oben) entspricht der Meinung des R. Jochanan: Man läßt
auf das Passahmahl keinen Nachtisch folgen wie Datteln, geröstete Ähren u. Nüsse.
b. Die Worte bedeuten, daß das Passahmahl umMitternacht beendet sein mußte;
s. dazu oben bei II, A Anm. a. – Das vom Passahlamm Übriggebliebene sollte nach
Ex 12, 10 mit Feuer verbrannt werden. Die genauere Bestimmung lautet Pes 7, 10:
Die Knochen, die Sehnen u. das Übriggebliebene sollen am 16. (Nisan) verbrannt werden.
Wenn der 16. auf einen Sabbat fällt, so sollen sie am 17. verbrannt werden; denn
sie verdrängen den Sabbat u. den Festtag nicht.
Eine ausführliche Beschreibung der Passahfeier in neuerer Zeit gibt Strack, Pesachim
S. 36–48.

III. Die Einordnung der Einsetzung des heiligen Abendmahls


in den Verlauf des Passahmahles.
Das heilige Abendmahl ist nach denSynoptikern während desletzten
Passahmahles eingesetzt worden, das Jesus mit seinen Jüngern ge-
feiert hat. Es darf angenommen werden, daß die Passahfeier in Jesu
Tagen im großen u. ganzen so verlaufen ist wie sie oben in Ab-
schnitt II nach der Mischna geschildert worden ist; waren es doch
nur noch geringfügige Einzelheiten, bei denen die Schulen Schammais
u. Hillels (in der 1. Hälfte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts) be-
treffs des Passahmahles verschiedener Meinung gewesen sind (s. II, B
Nr. 2 u. Nr. 6). Höchstens kann fraglich sein, ob sich Jesus an das
Gebetsritual gebunden gefühlt hat, dasdieSchriftgelehrten für diePassah-
feier aufgestellt hatten. In dieser Hinsicht ist Lk 24, 35 vonBedeutung,
wo gesagt wird, daß die beiden Emmausjünger den Auferstandenen
am „ Brechen des Brotes“erkannt hätten. Das bedeutet nicht, daß
Jesus eine besondere Art gehabt habe das Brot in kleinere Stücke
zu teilen, sondern vielmehr, daß der Gebetsritus, den er beim Brechen
des Brotes zuAnfang eines gemeinsamen Essens beobachtete, wesent-
lich von der gewöhnlichen Weise abgewichen sei.3 So wird Jesus
auch beim Passahmahl in mancherlei Einzelheiten seiner besonderen
Art gefolgt sein, aber sonst ist die Passahfeier seines Volkes gewiß
auch die seinige gewesen. Dann darf mit Recht die Frage gestellt
werden: An welcher Stelle des Passahmahles hat Jesus vermutlich
das heilige Abendmahl eingesetzt?
1 Nach diesen Worten Rabs deutet Levy 4, 31a unsre Mischna Pes 10, 8. „ Man
entlasse nicht nach dem Verzehren des Passahfleisches die Tischgenossen mit dem
Zuruf: ἐπὶ ϰῶ μον„nach dem Trinkgelage hin!“
2 , Raschi läßt damit gemeint sein den Abba Arikha, d. h. Rab, †247.
3 Hierauf hat auch Dalman, Jesus-Jeschua S. 124 hingewiesen.
4. Exkurs: Das Passahmahl (III, Nr. 1, 2, 3 u. 4) 75

1. Als sicher darf angenommen werden, daß der Lk 22, 17 erwähnte


Kelch identisch ist mit dem1. Becher der Passahfeier, über welchem
vor Beginn der Vorkost der Weihesegen über den Wein u. den Festtag
gesprochen worden ist (s. Pes 10, 2 in II, B Nr. 2). Den weiteren
Worten, die Jesus nach Lk 22, 17 an diesen Kelch geknüpft hat:
„ Nehmet diesen u. teilet (ihn) untereinander“ , ist nur zu entnehmen,
daß die Jünger den Wein in diesem Kelch unter sich teilen sollten,
indem sie davon in ihre eigenen Becher taten. Zur Einsetzung des
heiligen Abendmahles steht dieser Kelch in keiner Beziehung.
2. Von demzweimaligen ‚ἐσϑιόν τω ν αὐτῶν‘Mt26, 21 u. 26 (= Mk 14,
18 u. 22) bezieht sich das erste auf das Essen der Vorkost (s. II, B
Nr. 2 u. 3), das zweite auf das Essen des eigentlichen Mahles (s. II, B
Nr. 6). Während des Essens der Vorkost hat sich der Vorfall mit
dem Verräter Mt 26, 21ff.; Joh 13, 26 zugetragen (s. II, B Nr. 3, c
Anmerkung); darauf erst bei Beginn des Essens des eigentlichen
Mahles hat Jesus die Benediktion über das ungesäuerte Brot (Maççah)
gesprochen u. dabei das Brot gebrochen (s. II, B Nr. 6 Anm. b). Und
dieses Brot wird es gewesen sein, in welchem Jesus seinen Jüngern
das Brot der neuen Stiftung dargereicht hat, es mit den Worten
deutend: Dies ist mein Leib (Mt 26, 26; Mk 14, 12), der für euch
gegeben wird (Lk 22, 19). – Bei Lukas fehlt jede die Darreichung
des Brotes irgendwie fixierende nähere Zeitangabe.
3. Der Bericht in Mt 26, 27 (=Mk 14, 23) läßt auf die Darreichung
des Brotes unmittelbar die des Kelches folgen; genauer zeigen Lk 22,
20 u. 1 Kor 11, 25, daß die letztere erst nach dem Essen μ εὰτ
τ ὸ
δε ιπ νῆα
σ ι erfolgt ist. Beim Passahmahl aber war es der 3. Becher,
der nach demEssen im Mittelpunkt der weiteren Feier stand, während
der 4. Becher zum Schluß nach dem Lobgesang des Hallels zur
Verwendung kam (s. II, B Nr. 7). Jener 3. Becher diente dazu,
daß über ihm nach dem Essen der Tischsegen (das Tischdankgebet)
gesprochen wurde, u. das war der Grund, aus dem er allgemein der
„Becher des Segens“hieß (s. II, B Nr. 7). Erwägt man nun, daß auch
Jesus an den Kelch, den er seinen Jüngern als Kelch der neuen
Stiftung reicht, eine Danksagung geknüpft hat Mt 26, 27; Mk 14, 23,
ferner daß der Apostel Paulus den Kelch des Abendmahls ausdrücklich
als „Kelch des Segens“bezeichnet (1 Kor 10, 16), u. endlich daß Jesus
nach Mt 26, 30 u. Mk 14, 26 den Kelch der neuen Stiftung seinen
Jüngern vor dem Lobgesang des Hallel u. damit auch vor der Ver-
wendung des 4. Bechers gereicht hat: so kann kaum ein Zweifel
bestehn, daß der Kelch, in welchem Jesus den Seinen sein Blut des
neuen Bundes dargereicht hat, der dritte Becher des Passahmahls
gewesen ist.
4. Den Schluß der letzten Passahfeier Jesu hat, wie den Worten
ὑμ νήσαντες ἐξῆ λϑονMt 26, 30; Mk 14, 26 zu entnehmen ist, ein ge-
76 4. Exkurs: Das Passahmahl (III, Nr.4, 5 u. 6) – 5. Exkurs: Das Laubhüttenfest

meinsamer Lobgesang gebildet. Damit ist der zweite Teil des Hallel
(Ps 115, 1 bis 118, 29) gemeint (s. II, B Nr. 7). Erst nach Schluß des
Lobgesanges kam der 4. Becher zur Verwendung (s. II, B Nr. 7). Für
diesen 4. Becher ist bei der letzten Passahfeier Jesu kaum noch Raum
gewesen. – Beachtenswert ist, daß, wie Mt 26, 30 u. Mk 14, 26 für
das Vortragen des Hallel das Verbum ὑ μνε ῖνverwandt wird, ebenso
auch das Hallel selbst in der rabbinischen Literatur gelegentlich als
= ὕμ νοςbezeichnet worden ist.
PesiqR 2 (5a): Warum sagt man (am Tempelweihfest) das Hallel? Weil geschrieben
steht (im Hallel): Jahve ist Gott, u. er gab uns Licht Ps 118, 27. Warum sagt mau
es am Purimfest nicht? Es heißt: Zu vernichten u. zu töten u. umzubringen jede
Schar von Volk oder Landschaft, welche sie befehden würde Esth 8, 11; u. man
sagt das Hallel nur wegen des Sturzes einer Herrschaft, u. die Herrschaft des Achasch-
verosch war bestehen geblieben; deshalb sagt man das Hallel nicht (am Purimfest).
Aber bei der Herrschaft Griechenlands, die Gott (zur Zeit der Hasmonäer) vertilgte,
fingen sie an Lobgesang u. Lobpreis darzubringen, indem sie sprachen: Einst
sind wir Knechte für den Pharao, Knechte für Griechenland gewesen; aber jetzt sind
wir Knechte Gottes. Lobet, ihr Knechte Jahves (so fängt das Hallel an Ps 113, 1)! –
Eine stark abweichende Parallele aus Arakh 10a s. bei Mt 21, 9 S. 848 Anm. e.
5. Zur Frage, ob die Jünger Jesu bei der Einsetzung des heiligen
Abendmahles aus ein u. demselben Kelch getrunken haben, vgl. das
oben II, B Nr. 1, c (S. 58) Bemerkte. Daraus ergibt sich, daß die Be-
nützung eines gemeinsamen Kelches auch nach altjüdischer Anschau-
ung gar wohl möglich gewesen ist. Der Wortlaut von Mt 26, 27
u. Mk 14, 23 spricht jedenfalls dafür, daß alle Jünger aus dem einen
von Hand zu Hand gehenden Kelch getrunken haben, den ihnen Jesus
gereicht hat.
6. Eine eingehende Besprechung der Einsetzungsworte des heiligen
Abendmahles gibt Dalmans verdienstvolles Werk „ Jesus-Jeschua“
S. 122ff.

Der fünfte Exkurs


Das Laubhüttenfest
befindet sich in Band II S. 774ff.
Sechster Exkurs
Vom altjüdischen Fasten
(zu Mt 6, 16ff.)

1. Man hat ein zwiefaches Fasten zu unterscheiden: das öffentliche


Fasten der Gesamtheit u. das private Fasten einzelner
. Dem letzteren eignete der Charakter der Freiwilligkeit;
das erstere wurde von der Obrigkeit angeordnet u. sollte für jeder-
mann obligatorisch sein. Man hat offenbar Wert darauf gelegt, daß
sich an einem „ Fasten der Gesamtheit“ auch wirklich ganz Israel
beteiligte.a
a. Ker 78b, 40 (= 6b in andren Ausgaben): Rab Chana b. Bizna (um 260) hat
gesagt, R. Schimon der Fromme (um 210) habe gesagt: Ein Fasten, an welchem
sich nicht die, die zu den Frevlern Israels gehören, beteiligen, ist kein Fasten; denn
siehe, das Galbanum hat einen schlechten Geruch, u. doch zählt es die Schrift unter
den Spezereien des Räucherwerks auf (s. bei Lk 1, 9 S. 73 Nr. 4). Abaje (†338/39)
hat gesagt: Das läßt sich von hier aus beweisen: Seinen Bund (d. h. sein Volk als
zusammengehöriges Bündel oder Ganzes) hat er auf der Erde gegründet (so Am 9, 6
nach dem Midr). – Vgl. auch pTaan 2, 65a, 45: R. Chelbo (um 300) sagte zum
Patriarchen Judan (vermutlich Jehuda III.): Komm mit uns (zur öffentlichen Fasten-
feier), u. deine Not vergeht! R. Jose (um 350) hat gesagt: Das besagt, daß die Fasten-
feiern, die wir veranstalten, keine Fastenfeiern sind, weil der Patriarch nicht mit
uns ist. (Die Patriarchen haben sich hiernach später an den öffentlichen Fastenfeiern
auf freien Plätzen nicht beteiligt, offenbar zum großen Leidwesen der Rabbinen.)
2. Ein allgemeines Fasten fandstatt amVersöhnungstag (Lv 16, 29ff.),
ferner zur Erinnerung an nationale Unglückstage u. endlich in Zeiten
allgemeiner Landesnöte.
A. Versöhnungstag.
Über die Kasteiungen amVersöhnungstag, der als vornehmster Fast-
tag auch kurzweg „das große Fasten“hieß, hat die Mischna
folgendes bestimmt.
Joma 8, 1: Am Versöhnungstage ist verboten das Essen u. Trinken, das Waschen,a
das Salben,b das Anlegen von Sandalenc u. der Beischlaf. Ein König u. eine Neu-
vermählte dürfen ihr Gesicht waschen u. eine Wöchnerin darf Sandalen anlegen.
Das sind Worte des R. Eliezer (um 90); die Gelehrten aber verboten es.d – Das. 8, 2:
Wer am Versöhnungstage soviel wie eine große Dattel ißt, d. h. soviel wie sie selbst
u. ihr Kern beträgt, u. wer soviel trinkt, wie sein Schluck beträgt, der ist schuldig.e
Alles, was man ißt, wird zu einer Dattel zusammengerechnet, u. alles, was man trinkt,
wird zur Menge seines Schluckes zusammengerechnet. Speise u. Trank (was einer
ißt u. trinkt) werden nicht zusammengerechnet. – Das. 8, 3: Hat jemand während
eines Vergessens (daß Versöhnungstag sei) gegessen u. getrunken, so ist er nur
ein Sündopfer schuldig. Hat er gegessen u. eine Arbeit verrichtet, so ist er zwei
Sündopfer schuldig. Hat jemand Speisen gegessen, die zum Essen nicht geeignet
(nicht üblich) sind, oder hat er Flüssigkeiten getrunken, die zum Trinken nicht ge-
eignet sind, hat er Fischsaft oder Fischbrühe (Lake) getrunken, so ist er straffrei. –
Das. 8, 4: Kinder läßt man am Versöhnungstage nicht fasten; aber man gewöhnt sie
daran ein oder zwei Jahre zuvor (ehe sie dazu verpflichtet sind), damit sie in den
Gebotserfüllungen geübt seien (wenn die Zeit der Verpflichtung eintritt; vgl. bei Lk 2
78 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, A)

42 S. 144ff.). – Das. 8, 5: Eine Schwangere, die (Speisen) gerochen (u. infolgedessen


Verlangen danach bekommt), läßt man essen, bis sie sich beruhigt. Einen Kranken
läßt man auf Geheiß von Sachkundigen (Ärzten) essen; wenn keine Sachkundigen da
sind, läßt man ihn auf sein eigenes Geheiß essen, bis er sagt: Ich habe genug. –
Das. 8, 6: Wen Heißhunger befällt, den läßt manselbst Unreines (gesetzlich verbotene
Speisen) essen, bis seine Augen wieder hell werden. Wen ein toller Hund gebissen
hat, den läßt man nicht von dessen Leberlappen (Lobus hepatis) essen. R. Mattja
b. Cheresch (um 130) erlaubte es. – Parallele mit Abweichungen u. Erweiterungen
in TJoma 5, 1ff.
a. Pes 54b: R. Elazar (um 270) hat gesagt: Es ist dem Menschen verboten, am
9. Ab (Tag der Zerstörung Jerusalems) den Finger ins Wasser zu stecken, gleichwie
es am Versöhnungstag verboten ist, den Finger ins Wasser zu stecken. (Weiterhin
wird dieses Verbot aber in bezug auf den 9. Ab abgelehnt.) ||Joma 77b Bar: Es ist
verboten (am Versöhnungstag) einen Teil des Körpers zu waschen, wie den ganzen
Körper. Wenn man sich aber mit Lehm oder mit Unrat besudelt hat, so wäscht man
sich wie gewöhnlich, ohne sich darum (wegen Waschens) Sorge zu machen. Vgl.
TJoma 5, 5 (190). ... R. Menasse hat als Bar gelehrt: R. Schimon b. Gamliël (um140)
sagte: Eine Frau darf (am Versöhnungstage) ihre eine Hand mit Wasser abspülen
(durch Begießen), um einem Kinde ein Stückchen Brot zu geben, ohne sich darum
Sorge zu machen. Man hat von Schammai dem Alten (um 30 v. Chr.) erzählt, daß
er mit seiner einen Hand (seinem Kinde am Versöhnungstage) keine Speise geben
wollte. Da verordnete man seinetwegen, daß man mit beiden Händen Speisen geben
dürfe (nachdem zuvor beide Hände mit Wasser abgespült waren). Was war der Grund?
Abaje (†338/39) hat gesagt: Wegen der Schibbetha (Name eines Dämons, der
auf ungewaschenen Händen haust u. mit der Speise aus solchen Händen in den Körper
eindringt). – Die Schlußsätze als Bar aus der Schule des Menasse auch Chul 107b. ||
pTaan 1, 64c, 32: Jose(ph) b. Jehoschua b. Levi hat imNamen des R. Jehoschua b. Levi
(um 250) gesagt: ... Am Versöhnungstage wäscht man seine Hände u. wischt sie
mit einem Tuch ab u. führt dann das Tuch über sein Gesicht. R. Jona (um 350)
weichte (am Vortage des Versöhnungstages) einen Lappen ein u. legte ihn unter eine
Decke (lies statt , um sich damit am Versöhnungstag Hände u. Gesicht ab-
zuwischen). – Dasselbe pJoma 8, 44d, 19; vgl. auch Joma 78a, wodas Verfahren des
R. Jona dem R. Jehoschua b. Levi beigelegt ist.
b. pTaan 1, 64c, 42 Bar: Am Sabbat ist sowohl das Salben, das Ergötzen (Wohl-
behagen) bereitet, als auch das Salben, das kein Ergötzen bereitet (wie das Einreiben
kranker Körperteile), erlaubt. Am Versöhnungstage ist sowohl das Salben, das Er-
götzen bereitet, als auch das Salben, daskein Ergötzen bereitet, verboten. – Parallelen:
pMSch 2, 53b, 27; pSchab 9, 12a, 56; pJoma 8, 44d, 8. – Abweichend Joma 77b, 10 Bar:
Es ist verboten (am Versöhnungstag) einen Teil des Körpers zu salben, wie den ganzen
Körper. Wenn aber jemand krank ist oder Ausschlag an seinem Kopf hat, so darf
er sich wie gewöhnlich salben, ohne sich deswegen Sorge zu machen.
c. Joma 78a.b: Wie verhält es sich mit dem Ausgehen auf Korksandalen am
Versöhnungstag? R. Jiçchaq b. Nachmani (um 280) stellte sich auf seine Füße u.
sprach: Ich habe den R. Jehoschua b. Levi (um 250) gesehen, wie er am Versöhnungs-
tage auf Korksandalen ausgegangen ist; u. ich habe zu ihm gesagt: Wie verhält es
sich damit bei einem Gemeindefasten (in Zeiten allgemeiner Landesnöte)? Er ant-
wortete mir: Da ist kein Unterschied. Rabbah bar bar Chana (um 280) hat gesagt:
Ich habe den R. Elazar von Ninive gesehen, wie er bei einem Gemeinde-
fasten auf Korksandalen ausging; u. ich habe zu ihm gesagt: Wie verhält es sich
damit am Versöhnungstag? Er antwortete mir: Da ist kein Unterschied. Rab Jehuda
(†299) ging (am Versöhnungstage) mit Sandalen aus, die aus Weiden geflochten
waren; Abaje (†338/39) ging mit Sandalen aus Pflanzenstengeln aus; Raba (†352)
ging mit geflochtenen Schuhen aus (so mit Levy 1, 420a, indem statt gelesen
wird ).
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, A. B) 79

d. Joma 78b: Nach wessen Meinung ist die Baraitha? Nach der des R. Chananja
b. Teradjon (Dalman: Tardejon, †um 135). Denn in einer Bar ist gelehrt worden:
Der König u. eine Neuvermählte dürfen nicht ihr Angesicht (an einem Versöhnungstag)
waschen; R. Chananja b. Teradjon sagte im Namen des R. Eliezer (um90): Der König
u. eine Neuvermählte dürfen ihr Angesicht waschen. Und eine Wöchnerin darf keine
Sandalen anlegen; R. Chananja b. Teradjon sagte im Namen des R. Eliezer: Eine
Wöchnerin darf Sandalen anlegen. Was ist der Schriftgrund? Der König, weil ge-
schrieben steht: Den König sollen deine Augen in seiner Schöne (also nicht un-
gewaschen) sehen Jes 33, 17. Eine Neuvermählte aus welchem Grunde? Damit sie
sich nicht bei ihrem Manne verächtlich mache. Rab (†247) hat zuR. Chijja (um200)
gesagt: Eine Neuvermählte bis wie lange (nach der Hochzeit)? Er antwortete ihm:
Nach dem, was wir gelernt haben (nämlich Keth 4a, 20): Man versagt einer Neuver-
mählten die ganzen dreißig (Trauer-)Tage hindurch nicht ihre Schmucksachen (gilt
sie 30 Tage hindurch als Neuvermählte). „Eine Wöchnerin darf Sandalen anlegen“ ;
nämlich der Kälte wegen. Schemuël (†254) hat gesagt: Wenn wegen Skorpionen-
gefahr, ist es (jedermann) erlaubt.
e. Wenn es versehentlich geschah, hat man ein Sündopfer darzubringen, wenn
absichtlich, macht man sich der Ausrottung, bezw. der 40 Geißelhiebe schuldig,
s. Ker 1, 1 bei Mt 5, 21 B S. 272 Anm.d u. Mak3, 1ff. bei 2 Kor 11,24 S. 529 Anm.f.
B. Nationale Unglückstage.
Die Sitte des jüdischen Volkes, nationale Unglückstage bei ihrer
jährlichen Wiederkehr als Fast- u. Trauertage zu begehen, ist alt;
sie reicht, wie Sach 7, 3ff. u. 8, 19 zeigt, bis in die Exilszeit hinauf.
Von den vier Fasten, die der Prophet an diesen Stellen erwähnt, soll
nach R. Aqiba (†um 135) das des vierten Monats am 9.1 Tammuz
(Tag der Eroberung Jerusalems durch die Chaldäer Jer 52, 6f.; 2 Kg
25, 3f.) gehalten worden sein; das des fünften Monats am 9. Ab (Tag
der Zerstörung des Tempels); das des siebenten Monats am 3. Tischri
(Tag der Ermordung des Gedalja Jer 41, 2) u. das des zehnten Monats
am 10. ebeth (Beginn der Belagerung Jerusalems durch die Chaldäer
Jer 52, 4). Ebenso R. Aqibas Schüler R. Schimon (um 150), nur daß
1 So richtig die Baraitha RH 18b, 12, während die Parallelen TSoa 6, 10 (305);
SDt 6, 4 § 31 (72b) u. pTaan 4, 68c, 53 den 17. Tammuz nennen. Diese sicher falsche
Lesung ist durch unrichtige Deutung von Taan 4, 6 entstanden (s. die Stelle bei
Mt 24, 2 S. 945 oben u. bei Mt 5, 4 S. 196 Anm. c), indem man die Worte
die Stadt wurde erbrochen“auf Grund von Jer 39, 2 nicht auf die Eroberung

Jerusalems durch die Römer, sondern auf die Eroberung durch die Chaldäer bezog.
Gegen diese falsche Deutung von Taan 4, 6 hat sich schon Raba (†352) gewandt,
s. Taan 28b, 35: „ Die Stadt wurde erbrochen“ Taan 4, 6. Geschah denn das am
17. Tammuz? Es steht doch geschrieben: Im 4. Monat am 9. des Monats wurde der
Hunger stark in der Stadt Jer 52, 6, u. hinterher steht geschrieben: Und die Stadt
wurde erbrochen (also am 9. Tammuz) Jer 52, 7. Raba hat gesagt: Darin liegt kein
Widerspruch: hier (Jer 52, 6f.) handelt es sich um die erste Eroberung (durch die
Chaldäer) u. dort (Taan 4, 6) um die zweite (durch die Römer); denn in einer Bar
(nämlich TTaan 4, 10, s. die Stelle bei Mt 24, 2 S. 945) ist gelehrt worden: Das
erstemal wurde die Stadt am 9. Tammuz erbrochen u. das zweitemal (in der römischen
Zeit) am 17. Tammuz. – Tatsächlich war bei der Belagerung Jerusalems durch Titus
am 17. Tammuz die Darbringung des Tamidopfers eingestellt worden, u. an demselben
Tage begannen die Römer mit der Niederlegung der Burg Antonia, s. Josephus, Bell
Jud 6, 2, 1. Diese Zerstörung der Burg Antonia dürfte es gewesen sein, die die rab-
binischen Gelehrten bei den Worten: „ Die Stadt wurde erbrochen“Taan 4, 6 im Auge
gehabt haben.
80 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, B)

er das Fasten des zehnten Monats auf den 5. ebeth verlegt als den
Tag, anwelchem nach Ez 33, 21 dieSchreckensbotschaft vonJerusalems
Fall den Verbannten in Babel überbracht wurde.a – Wie lange diese
Fasttage des 4., 7. u. 10. Monats noch nach Sacharjas Zeit beobachtet
worden sind, hat man später in den rabbinischen Kreisen nicht mehr
gewußt. Man meinte, jene Tage seien nur in Zeiten der Not als Fast-
tage begangen worden, dagegen in friedlichen Zeiten als Freudentage.
Geschichtlichen Wert hat diese Annahme nicht, sie ist lediglich das
Ergebnis einer künstlichen Ausdeutung vonSach 8, 19.b Vom3. Tischri
(Gedenktag der Ermordung Gedaljas) steht jedenfalls fest, daß er schon
im 2. vorchristlichen Jahrhundert nicht mehr zu den Fasttagen ge-
hört hat, da er seit der Zeit des Johannes Hyrkanus (135–104 v. Chr.)
nach Meg Taan den Tagen zugerechnet wurde, an denen nicht ge-
fastet u. getrauert werden durfte.c So bleibt von den vier Fasttagen
bei Sacharja der des 5. Monats, d. h. der 9. Ab, als einziger übrig,
von dem man wohl annehmen darf, daß er auch noch später in der
nachexilischen Zeit als nationaler Trauertag gefeiert worden ist.
Wenigstens haben wir an einem Ausspruch des R. Elazar b. Çadoq
(I., um 100) ein bestimmtes Zeugnis dafür, daß man noch in den
letzten Zeiten des zweiten Tempels am 9. Ab gefastet hat.d – Erhöhte
Bedeutung mußte der 9. Ab natürlich gewinnen, als er nach der
Katastrophe des Jahres 70 als der Tag galt, an dem auch der zweite
Tempel der Zerstörung anheimgefallen war, s. Taan 4, 6; TTaan 4, 9
(220) u. Taan 29a bei Mt 24, 2 Nr. 2 S. 945 u. 946. Hätten etwa früher
vor dem Jahre 70 n. Chr. einzelne Teile des Volkes die fastenmäßige
Begehung des 9. Ab abgelehnt (worüber wir allerdings aus unsren
Quellen nichts erfahren), so war jetzt nach dem Jahre 70 dieser Tag
so allgemein als nationaler Trauertag anerkannt, daß sich schwerlich
weitere Kreise des Volkes der Fastenpflicht entzogen haben. Selbst
die babylonische Judenschaft zögerte nicht, den 9. Ab als Fasttag
anzunehmen.e – Wie es scheint haben die leitenden Kreise gleich-
zeitig mit dem 9. Ab auch den 17. Tammuz, d. h. den Tag, an dem
die Stadt Jerusalem durch die Römer „ erbrochen wurde“(s. die Fuß-
note auf S. 79), als obligatorischen Landesfasttag einzuführen ver-
sucht. Doch drang man damit nicht durch; die Mehrzahl des Volkes
verhielt sich ablehnend,f so daß es schließlich nur einzelne waren,
die den 17. Tammuz als nationalen Trauertag fastend begingen. Nicht
anders erging es einer Reihe andrer nationaler Unglückstage. Der
spätere Anhang zu Megillath Taanith1 zählt außer dem 17. Tammuz
nicht weniger als 23 solcher Tage auf, an denen die Israeliten „auf
1 Nach Bloch (s. Zunz, Gottesdienstl. Vortr.2 S. 135) soll dieser Schlußabschnitt
aus den (etwa um 800 entstandenen) Halakhoth Gedoloth in die Megillath Taanith
hineingekommen sein. Das schließt aber nicht aus, daß das Verzeichnis der Fastentage
auf älteren Vorlagen ruht.
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, B) 81

Grund der Tora fasten“sollten. Doch ist keiner dieser Tage als
allgemeiner Fasttag anerkannt worden; es sind immer nur einzelne
Kreise gewesen, die die Pflicht, an ihnen zu fasten, freiwillig auf sich
nahmen;g vgl. hierzu bei Nr. 6. So blieb denn auch nach demJahre 70
n. Chr. der 9. Ab der einzige nationale Trauertag, den die gesamte
Judenschaft alljährlich fastend begangen hat. Die für den 9. Ab
geltenden Fastenbestimmungen s. unter Nr. 4.
a. RH 18b Bar: R. Schimon (um 150) hat gesagt: Viererlei hat R. Aqiba aus-
gelegt, u. ich lege nicht so aus wie er. „ Das vierte Fasten“(so Sach 8, 19 nach dem
Midr), damit ist der 9. Tammuz gemeint, an welchem die Stadt erbrochen wurde, wie
es heißt: Im 4. Monat, amNeunten des Monats wurde der Hunger stark in der Stadt,
u. es war kein Brot mehr für das Volk des Landes, u. die Stadt wurde erbrochen
Jer 52, 6f. Und warum heißt es das „vierte“(Fasten)? Weil es der vierte von den
Monaten war. „ Das fünfte Fasten“Sach 8, 19, damit ist der 9. Ab gemeint, an welchem
das Haus unsres Gottes verbrannt wurde. Undwarum heißt es das „ fünfte“(Fasten)?
Weil es der fünfte von den Monaten war. „ Das siebente Fasten“Sach 8, 19, damit ist
der 3. Tischri gemeint, an welchem Gedalja b. Achiqam getötet wurde (Jer 41, 2). Und
wer hat ihn getötet? Jischmael b. Nethanja hat ihn getötet, um dich zu lehren, daß
der Tod der Gerechten so schwer wiegt wie die Verbrennung des Hauses unsres
Gottes. Und warum heißt es das „ siebente“(Fasten)? Weil es der siebente von den
Monaten war. „ Das zehnte Fasten“Sach 8, 19, damit ist der 10. ebeth gemeint, an
welchem der König von Babel dicht an Jerusalem herankam, wie es heißt: Es erging
das Wort Jahves an mich im neunten Jahr, im zehnten Monat, amZehnten des Monats
also: Du Menschensohn, schreibe dir den Namen dieses Tages, eben dieses Tages
auf: dicht herangekommen ist der König von Babel an Jerusalem Ez 24, 1f. Und
warum heißt es das „ zehnte“(Fasten)? Weil es der zehnte von den Monaten war.
Aber wäre es nicht zu erwarten gewesen, daß (die Schrift) dieses (letzte Fasten)
als erstes aufschrieb (weil der Beginn der Belagerung der Eroberung der Stadt u.
der Verbrennung des Tempels zeitlich voranging)? Und warum wurde es hier (an
letzter Stelle) aufgeschrieben? Um die Monate nach ihrer Reihenfolge zu ordnen.
Aber ich (R. Schimon) sage nicht so, sondern: „ Das zehnte Fasten“ , damit ist der
5. ebeth gemeint, an welchem die Kunde zu den Exilierten kam, daß die Stadt ein-
genommen (geschlagen) sei, wie es heißt: Und es geschah im 12. Jahr im zehnten
(Monat) am Fünften des Monats unsrer Gefangenschaft kam zu mir der Flüchtling
aus Jerusalem, meldend: „Geschlagen ward die Stadt“Ez 33, 21. Da machten sie
den Tag der Kunde gleichsam zum Tag der Verbrennung. Und meine (R. Schimons)
Worte scheinen mir den Vorzug zu verdienen vor seinen (R. Aqibas) Worten; denn
ich rede über das Erste (das zeitlich Frühere, nämlich die Eroberung der Stadt) zuerst
u. über das Letzte (Überbringung der Botschaft) zuletzt, während er über das Erste
(Beginn der Belagerung) zuletzt u. über das Letzte (Eroberung der Stadt, Verbrennung
des Tempels u. Ermordung Gedaljas) zuerst redet. Allein das kommt daher, daß
er nach der Reihenfolge der Monate aufzählt, während ich nach der Reihenfolge der
Strafereignisse aufzähle. – Die Parallelen s. in Fußnote 1 S. 79.
b. RH 18b, 1: Rab Chana b. Bizna (um260) hat gesagt, R. Schimon der Fromme
(um 210) habe gesagt: Was bedeutet, was geschrieben steht: So spricht Jahve Çebaoth:
Das Fasten des vierten, das Fasten des fünften, das Fasten des siebenten u. das
Fasten des zehnten (Monats) soll demHause Juda zur Wonne u. zur Freude werden?
Sach 8, 19. Er nennt sie Fasten u. er nennt sie Wonne u. Freude: wenn Frieden ist,
sollen sie zurWonne u. Freude sein, wenn kein Frieden ist, zum Fasten. Rab Papa
(†376) hat so gesagt: Wenn Frieden ist, sollen sie zur Wonne u. Freude sein; liegt
ein hartes Edikt der Regierung vor, sollen sie zum Fasten sein; wenn weder ein
hartes Edikt der Regierung vorliegt, noch auch Frieden ist, so mag man nach Be-
Strack u. Billerbeck, NTIV 6
82 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, B. C)

lieben fasten oder nicht fasten. In diesem Falle sollte aber dasselbe auch vom9. Ab
gelten! Rab Papa hat gesagt: Mit dem 9. Ab verhält es sich anders, weil an ihm
die Nöte sich verdoppelt haben; denn ein Autor hat gesagt (nämlich Taan 4, 6): Am
9. Ab wurde das Haus zum erstenmal u. zum zweitenmal zerstört usw.
c. MegTaan 7: Am 3. Tischri wurde die Erwähnung des Gottesnamens in den
(gerichtlichen u. geschäftlichen) Dokumenten aufgehoben. Einmal hatte nämlich die
frevlerische griechische Regierung ein hartes Edikt über Israel erlassen u. ihnen er-
klärt: Ihr habt keinen Teil am Gotte Israels! Ferner durften sie denNamen Gottes
nicht mehr mit ihrem Munde erwähnen. Als das Haus der Hasmonäer erstarkte u.
jene besiegte, setzte man fest, daß man den Namen Gottes auch auf die Dokumente
setzen sollte, u. zwar schrieb man (als Datum): „ In dem soundsovielten Jahre des
Hohenpriesters Jochanan (= Johannes Hyrkanus 135–104 v. Chr.), der ein Diener
Gottes des Höchsten ist.“Als aber die (pharisäisch gerichteten) Gelehrten davon
hörten, sprachen sie: Wie, erwähnt man denn den Namen Gottes auf Schuldscheinen?
Morgen bezahlt der Betreffende seine Schuld u. zerreißt seinen Schuldschein, u. so
wird der Name Gottes auf den Dunghaufen hingeworfen. Man schaffte dies ab, u.
eben diesen Tag machte manzueinem Festtag (an demnicht gefastet werden durfte). –
Die Abschaffung des gerügten Brauches bewies den Sieg der pharisäischen Richtung
über die unter Johannes Hyrkanus mächtige Sadduzäerpartei; daher die Feier des
3. Tischri als eines Freudenfestes. – Dasselbe RH 18b im Munde des Rab Acha
b. Huna (gegen 300?).
d. Taan 12a = Er 41a s. bei Mt 1, 1 S. 5 Abs. 2.
e. Pes 54b: Schemuel (†254) hat gesagt: EinGemeindefasten (Fasten derGesamtheit)
gibt es in Babel nur am 9. Ab. – Dasselbe versichert Jirmeja b. Abba (um 250)
Taan 11b.
f. pTaan 4, 68d, 2: Warum hat man ihn (17. Tammuz) nicht als (allgemeinen)
Fasttag angeordnet (gleichwie den 9. Ab)? Chinena, der Vater des ,1 hat im
Namen des R. Bannaa (um 220) gesagt: Weil ihn die Mehrzahl der Gesamtheit nicht
angenommen hat. R. Jehoschua b. Levi (um 250) hat gesagt: Alles, was sich an
diesem (dem 9. Ab) begeben hatte (bei der Zerstörung des 1. Tempels), hat sich noch
einmal an ihm zugetragen (bei der Zerstörung des 2. Tempels); wassich aber an jenem
(dem 17. Tammuz) begeben hat, hat sich nicht noch einmal an ihm zugetragen (da
dieser Tag nur bei der Zerstörung des 2. Tempels von Bedeutung war).
g. Das der Meg Taan angehängte Fastenverzeichnis beginnt mit den Worten:
„Dies sind die Tage, an denen man auf Grund der Tora fastet, u. wer an ihnen
fastet, darf bis zumAbend hin weder essen noch trinken.“– Mankann den Worten
entnehmen, daß, wenn nicht viele, so doch einige die Verpflichtung zum Fasten an
den dann aufgeführten Tagen auf sich genommen haben.
C. Allgemeine Landesnöte.
Zu den öffentlichen Nöten, um derentwillen allgemeine Fasttage
von der Obrigkeit angeordnet wurden, gehörten namentlich Dürre,
Mißwachs, Heuschreckenplage, Seuchen, Auftreten wilder Tiere u.
Kriegsnöte. Blieb die Plage auf einzelne Gegenden beschränkt, so
wurde ein öffentliches Fasten nur für den heimgesuchten Bezirk fest-
gesetzt.
Taan 1, 5: Wenn der Neumond vom Kislev (etwa Dezember) herankommt, ohne
daß Regengüsse niedergefallen sind, ordnet der Gerichtshof drei Fasten für die Ge-
samtheit an. ||Taan 3, 5f.: Über folgende (Plagen) bläst man überall Lärm2 (zur
1 Auf Grund dieser Stelle bedarf die Bemerkung Bachers, Tann. 22, 542. 6, der
Ergänzung.
2 Über jede Not – welche nicht über die Gemeinde kommen möge – bläst man
Lärm, nur nicht über zuviel Regen, Taan 3. 8.
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 2, C; Nr. 3) 83

Ankündigung allgemeiner Fastentrauer): über Kornbrand, über Gelbwerden (der Feld-


früchte), über Heuschrecken, über den Chasil (eine Heuschreckenart), über wilde Tiere
u. über Kriegszüge. Man bläst über sie Lärm, weil eine solche Plage um sich greift.
Einmal gingen Älteste von Jerusalem hinab in ihre Stadt u. verordneten ein Fasten,
weil in Askalon sich Kornbrand zeigte soviel, wie die Öffnung eines Ofens beträgt.
Ferner verordneten sie ein Fasten, weil Wölfe zwei Kinder jenseits des Jordans
gefressen hatten. R. Jose (um 150) sagte: Nicht weil sie gefressen, sondern weil sie
sich gezeigt hatten. ||Taan 3, 2. 4: Wenn auf eine (einzelne) Stadt keine Regengüsse
niedergegangen sind (vgl. Amos 4, 7), so fastet u. bläst Lärm diese Stadt, während
die Ortschaften in ihrer Umgebung fasten, ohne Lärm zu blasen. R. Aqiba (†um135)
sagte: Die letzteren blasen Lärm, ohne zu fasten. ... Ebenso wenn in einer Stadt
eine Seuche herrscht oder ein Einsturz (ihrer Mauer) erfolgte, so fastet u. bläst Lärm
diese Stadt, während die Ortschaften in ihrer Umgebung fasten, ohne Lärm zu blasen.
R. Aqiba sagte: Sie blasen Lärm, ohne zu fasten. Was ist eine Seuche? Wenn aus
einer Stadt, die 500 Mann (Kriegsvolk) stellen kann, drei Tote an drei Tagen hinter-
einander hinausgetragen werden, so herrscht eine Seuche; sind es weniger, so herrscht
keine Seuche. ||TTaan 2, 8ff. (217): Wie man über (ausbleibenden) Regen in den
übrigen Jahren einer Jahrwoche Lärm bläst (u. fastet), so auch im Brachjahr wegen
des Bedarfs der andren. Über die Bäume (die unter Regenmangel leiden) bläst man
Lärm einen halben Monat vor dem Passahfest; über die Gruben, Zisternen u. Höhlen
(denen das Wasser mangelt) einen halben Monat vor demLaubhüttenfest; wenn sie
aber kein Wasser haben, das man trinken kann, so bläst man über sie sofort Lärm.
Was heißt sofort? Am 2. u. am 5. Wochentag (an dem Montag u. Donnerstag, die
auf die Wahrnehmung des Mangels folgen). Über dies alles bläst man nur in diesem
(dem heimgesuchten) Bezirk Lärm. Eine Seuche mit Unterbrechung, selbst bei drei
Toten an einem Tage, ist keine Seuche; bei einer Seuche ohne Unterbrechung, selbst
wenn drei Menschen an drei Tagen sterben, bläst man Lärm. Bei der Bräune bläst
man Lärm, wenn Todesfälle eintreten; wenn nicht, so bläst man nicht Lärm. Man
bläst Lärm über Heuschrecken, soviel oder sowenig es sein mögen, weil es eine um
sich greifende Plage ist. R. Schimon b. Elazar (um 190) sagte: Auch über die Heu-
schreckenart Chagab. Über Kriegsvolk, das von Ort zu Ort zieht, auch wenn es ein
friedliches ist, bläst man Lärm, u. es ist nicht erst nötig zu sagen über feindliches
Kriegsvolk. ... Über dies alles bläst man nur an dem betreffenden Ort Lärm. Findet
es sich in Syrien, so bläst man darüber nicht im Lande Israel Lärm; ebenso auch
nicht umgekehrt. ||Gn R 31 (19a): In den Tagen des R. Chijja b. Abba (um 280) kam
ein junger Wildochse in das Land Israel, der keinen Baum ließ, bis er ihn entwurzelt
hatte. Da veranstaltete man ein Fasten u. R. Chijja betete; u. es brüllte des Wild-
ochsen Mutter aus der Wüste u. er zog ab auf ihre Stimme.
3. Verlauf einer öffentlichen Fastenfeier anläßlich Regenmangels.
Taan 1, 3–7: Am 3. Marcheschvan fängt man an um Regen zu bitten (nämlich
im Achtzehngebet); Rabban Gamliël (um 90) sagte: Am 7. Marcheschvan, fünfzehn
Tage nach dem Laubhüttenfest (das am 23. Tischri zu Ende geht), damit der letzte
Israelit (trocken vom Laubhüttenfest heim-)gelangen kann zum Euphratfluß. – Ist
der 17. Marcheschvan herangekommen, ohne daß Regengüsse niedergegangen sind, so
beginnen einzelnea (Angesehene, Vorzügliche) drei Fasttage zu halten (nämlich am
nächstfolgenden Montag, Donnerstag u. Montag). Sie dürfen dabei essen u. trinken
nach dem Dunkelwerden1 (d h. die Nacht hindurch; nur bei Tage ist zu fasten);
ferner ist ihnen erlaubt die Arbeit, das Waschen, das Salben, das Anlegen von San-
dalen u. der Beischlaf. – Ist der 1. Kislev (etwa Dezember) herangekommen, ohne
daß Regengüsse niedergegangen sind, so ordnet der Gerichtshof drei Fasttage für die
Gesamtheit an (wiederum am nächstfolgenden Montag, Donnerstag u. Montag). Man
darf dabei essen u. trinken nach dem Dunkelwerden;1 ferner ist ihnen erlaubt die
1 Hierzu s. Nr. 6 Anm. f.
6*
84 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 3)

Arbeit, das Waschen, das Salben, das Anlegen vonSandalen u. der Beischlaf. – Sind
diese drei Fasttage vorübergegangen, ohne daß Erhörung erfolgte,b so ordnet der
Gerichtshof drei weitere Fasttage für die Gesamtheit an (die jetzt amDonnerstag be-
ginnen u. mit Montag u. Donnerstag sich fortsetzen, s. weiter unten Taan 2, 9 S. 91
Anm. a). Man darf essen u. trinken, solange es noch Tag ist (vor Beginn des Fasttages);
es ist ihnen verboten die Arbeit, das Waschen,c das Salben,d das Anlegen von San-
dalene u. der Beischlaf; auch schließt man die (öffentlichen) Badehäuser. Sind (auch)
diese (drei Fasttage) vorübergegangen, ohne daß Erhörung erfolgte, so ordnet der
Gerichtshof für sie noch sieben1 (allgemeine Fasttage) an (für den folgenden Montag,
Donnerstag, Montag usw.); das sind (im ganzen) dreizehn Fasten für die Gesamtheit.
Siehe, diese (sieben letzten Fasttage) gehen über die früheren hinaus; denn an ihnen
bläst man Lärm u. schließt die Kaufläden; jedoch lehnt man am 2. Wochentage beim
Dunkelwerden (die Ladentüren) nur an, u. am 5. Wochentage werden sie wegen der
Ehre desSabbats (damit manfür diesen rechtzeitig Einkäufe besorgen kann) geöffnet. –
Sind auch diese (sieben Fasttage) vorübergegangen, ohne daß Erhörung erfolgte, so
enthält man sich des Kaufens u. Verkaufens, des Bauens, des Pflanzens, der Ver-
löbnisse, der Hochzeiten u. des gegenseitigen Grußes, wie Menschen, die Gott von
sich gewiesen hat.2 Dann fangen wieder einzelnea an zu fasten bis zum Ausgang
des Nisan. Ist der Nisan vergangen, ehe Regengüsse niedergehen, so ist das ein
Zeichen des Fluches, wie es heißt: Ist nicht jetzt Weizenernte? Ich rufe zu Jahve,
u. er gibt Donner u. Regen; so erkennet denn u. sehet, daß eure Verkehrtheit groß
ist 1 Sm 12, 17. (Hieraus gefolgert: Regen zu ungewöhnlicher Zeit, wie nach Ausgang
des Nisan, ein Zeichen des Fluches). ||Taan 2, 1: Wie ist die Ordnung der Fasten-
feier (an den letzten sieben Fasttagen)? Man schafft die Lade (in der die Tora liegt)
auf einen freien Platz der Stadt3 u. streut Asche vonGebranntem auf die Lade, auf
dasHaupt desPatriarchen u. auf dasHaupt des zweiten Vorsitzenden des Gerichtshofes;
desgleichen nimmt jeder einzelne Asche u. tut sie auf sein Haupt.4 Ein Ältester

1 Ein vollesGemeindefasten umfaßte also im ganzen 13 Fasttage, die sich auf


6–7 hintereinander liegende Wochen verteilten.
2 Zu dieser Mischna heißt es in Bar Taan 14b: „ Des Bauens“ , d. h. eines Freuden-
baues, „ des Pflanzens“ , d. h. einer Freudenpflanzung. Was ist ein Freudenbau? Die
Erbauung eines Traubaldachins für einen Sohn. Was ist eine Freudenpflanzung? Die
Anlegung einer Plantage, wie sie Könige haben. Die Studiengenossen grüßen nicht
einander; den gemeinen Leuten erwidert man ihren Gruß mit schlaffer Lippe (un-
deutlich) u. mit gesenktem Haupt (Ausdruck der Trauer). Man sitzt verhüllt da, wie
Leidtragende u. mit dem Bann Belegte, wie Menschen, die Gott von sich gewiesen
hat, bis man sich ihrer vom Himmel her erbarmt.
3 An den ersten 6 Fasttagen wurde nur in den Synagogen gebetet Taan 15b, 26.
4 Vgl. Taan 16a: Wo legt man die Asche auf das Haupt? R. Jiçchaq (um 300)
hat gesagt: Auf die Stelle für die Gebetsriemen, s. Jes 61, 3: DenumZion Trauernden
anzulegen Schmuck (nach dem Midrasch = Tephillin) statt Asche. (Die Stelle für die
Kopftephillin wardie große Fontanelle.) Warum zieht manhinaus auf einen freien Platz?
R. Chijja b. Abba (um 280) hat gesagt: Man will damit sagen: Wir haben im Ver-
borgenen (d. h. in der Synagoge) geschrieen u. sind nicht erhört worden, so wollen
wir uns selbst verächtlich machen öffentlich. Resch Laqisch (um 250) hat gesagt:
Wir sind in die Verbannung gezogen (mit dem Auszug aus der Synagoge); so möge
unsere Verbannung uns Sühne schaffen! ... Warum schafft man die Lade hinaus
auf den freien Platz der Stadt? R. Jehoschua b. Levi (um 250) hat gesagt: Manwill
damit sagen: Einen wohlverwahrten Gegenstand besaßen wir, aber durch unsre Sünden
wird er verächtlich gemacht. Warum bedeckt man sich mit Sackgewändern? R. Chijja
b. Abba hat gesagt: Man will damit sagen: Siehe, wir sind dem Vieh gleichgeachtet!
Warum legt man Asche von Verbranntem auf die Lade? R. Jehuda b. Pazzi (um 320)
hat gesagt: Gleichsam um damit zu sagen: „ Ich (Gott) bin mit ihm in der Not“
Ps 91, 15 (nämlich weil die Tora in der Lade sich in Not befindet). Resch Laqisch
hat gesagt: In all ihrer Notist ihm(Gott) NotJes 63, 9. ... Warum tut jeder einzelne
Asche auf sein Haupt? Darüber sind R. Levi b. Lachma (um260) u. R. Chama b. Cha-
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 3) 85

(Gelehrter), der sich unter ihnen befindet, spricht vor ihnen Worte der Demütigung:
Unsre Brüder, bei den Leuten von Ninive heißt es nicht: „ Gott sah ihren Bußsack
u. ihr Fasten an“ , sondern: „Gott sah ihre Werke an, daß sie umkehrten von ihrem
schlimmen Weg“Jona 3, 10. Und in der Überlieferung (häufige Bezeichnung
der nichtpentateuchischen Bücher der Schrift) heißt es: Zerreißet eure Herzen, nicht
eure Kleider Joel 2, 13. – Zu diesen „ Worten der Demütigung“s. auch TTaan 1, 8
(215) bei Nr. 9 Anm. a. – Das. 2, 2: Hat man sich zum Gebet hingestellt, so läßt
man einen Alten vor die Lade hinabgehen , der Übung darin hat u. der Kinder
besitzt u. dessen Haus leer ist (d.h. der arm ist), damit sein Herzganz beim Gebete sei.1
Dieser spricht 24 Benediktionen vor ihnen: die achtzehn, die täglich gesprochen werden
(imAchtzehngebet), u. außerdem noch sechs andre (die zwischen der 7. u. 8. Benediktion
des Achtzehngebetes gesprochen wurden, Taan 2, 9). – Das. 2, 3: Diese (sechs) sind:
αdas Gebetstück Zikhronoth; βdas Gebetstück Schopharoth (beides sind Teile des
Zusatzgebetes zu Neujahr; jenes enthält 10 Schriftstellen, in denen vom „ Gedenken“
Gottes geredet wird; dieses gleichfalls 10 Schriftstellen, in denen die Posaune
erwähnt wird);γPs 120;δPs 121;εPs 130;ζPs 102. R. Jehuda (um 150) sagte:
Er braucht die Gebetstücke Zikhronoth u. Schopharoth nicht zu sprechen, sondern er
sagt anstatt dieser 1 Kg 8, 37 ff: Wenn Hungersnot ins Land kommen sollte, wenn
Pest kommen sollte usw., u. ferner Jer 14, 1 ff: Wort Jahves an Jeremia wegen derTrock-
nisse usw.; u. dann sagt er ihren Schlußlobspruch. (Wenn imfolgenden dann statt sechs
solcher Lobsprüche sieben aufgezählt werden, so kommt das daher, daß der erste den
Anschluß der6 Zusatzbenediktionen andie 7.Benediktion desAchzehngebetes vermittelt,
also eigentlich zudieser gehört; er schließt deshalb auch mit „Erlöser Israels“ , wie die
7.Benediktion des Achzehngebetes; vgl.Taan 16b,9.) – Das.2,4: Zurersten Zusatzbene-
diktion (d. h. nach demBemerkten vor derselben) sagt er: Der den Abraham auf dem
Berge Morijja erhört hat, der wirdeuch erhören u. achten auf dieStimme eures Schreiens
heute; gepriesen seist du,Jahve, Erlöser Israels! – Zurzweiten (d.h. nach Zikhronoth)
sagt er: Der unsre Väter am Schilfmeer erhört hat, der wird euch erhören u. achten
auf die Stimme eures Schreiens heute; gepriesen seist duJahve, der der Vergessenen
gedenkt! Zur dritten (d. h. nach Schopharoth) sagt er: Der denJosua in Gilgal erhört
hat, der wird euch erhören u. achten auf die Stimme eures Schreiens heute; gepriesen
seist du, Jahve, der auf das Lärmblasen hört! – Zur vierten (d. h. nach Ps 120)
sagt er: Der denSamuel in Miçpa erhört hat, der wird euch erhören u. achten auf die
Stimme eures Schreiens heute; gepriesen seist du, Jahve, der auf das Schreien hört! –
Zur fünften (d. h. nach Ps 121) sagt er: Der denElias auf demBerge Karmel erhört
hat, der wird euch erhören u. achten auf die Stimme eures Schreiens heute; gepriesen
seist du, Jahve, der das Gebet erhört! – Zur sechsten (d. h. nach Ps 130) sagt er:

nina (um 260; so ist zu lesen statt: R. Levi b. Chama u. R. Chanina; Bacher, Pal
Amor 1, 8. 1) geteilter Meinung. Der eine hat gesagt: „ Siehe, wir sind vor dir wie
die Asche geachtet“ ; u. der andre hat gesagt: „Damit er uns zugut der Asche Isaaks
eingedenk sei.“Warum zieht man auf die Begräbnisplätze hinaus (wie namentlich am
9. Ab)? Darüber sind dieselben beiden Autoren geteilter Meinung. Der eine sagte:
„Wir sind vor dir wie Tote geachtet“ ; der andre sagte: „Damit die Toten für uns
um Erbarmen flehen.“– Parallelstelle mit Änderungen pTaan 2 Anf.
1 Taan 16a, 41: Wer ist ein solcher, der geübt (tauglich) ist? R. Jehuda (um 150)
sagte: Der Kinder hat u. nicht weiß, wie er sie ernähren soll (so Raschi); der Mühe
auf dem Felde hat, während sein Haus leer ist (ein solcher wird mit Inbrunst um
Regen flehen); dessen Jugend schön (ohne Tadel) u. dessen Knie gebeugt ist (d. h.
der ein Demütiger ist); der in Gunst steht bei der Menge, der ein angenehmes Wesen
hat u. dessen Stimme wohllautet; der erfahren ist im Lesen derTora u. der Propheten
u. der Hagiographen u. im Lehren des Midrasch, der Halakhoth u. der Haggadoth, u.
der kundig ist der sämtlichen Benediktionen. Da richteten unsre Lehrer ihre Augen
auf R. Jiçchaq aus der Schule des R. Ammi (um330): er ist ein solcher, der Kinder
hat u. sie nicht zu ernähren vermag, dessen Haus leer ist. Rab Chisda (†309) hat
gesagt: Der letztere ist ein solcher, dessen Haus leer von Sünde ist.
86 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 3)

Der den Jona im Bauch des Fisches erhört hat, der wird euch erhören u achten
auf die Stimme eures Schreiens heute; gepriesen seist du, Jahve, der erhört zur Zeit
der Not! – Zur siebenten (d. h. nach Ps 102) sagt er: Der den David u. seinen
Sohn Salomo in Jerusalem erhört hat, der wird euch erhören u. achten auf die Stimme
eures Schreiens heute; gepriesen seist du, Jahve, der sich des Landes (Israel) er-
barmt! – Das. 2, 5; Einmal trat in den Tagen des R. Chalaphta (um 110) u. des
R. Chananja b. Teradjon (†um135) einer vor die Lade, dersämtliche Lobsprüche endete,
ohne daß man darauf mit Amen! antwortete. (Der Synagogenwärter rief): Blaset,
Priester, blaset! (Dann sprach jener Vorbeter:) Der den Abraham, unsren Vater, auf
demBerge Morijja erhört hat, der wird euch erhören u. auf die Stimme eures Schreiens
heute achten. (Dann rief der Synagogenwärter:) Blaset Lärm, Söhne Ahrons, blaset
Lärm! (Der Vorbeter:) Der unsre Väter am Schilfmeer erhört hat, der wird euch
erhören u. auf die Stimme eures Schreiens heute achten. Als dies vor die Gelehrten
kam, sprachen sie: Diesen Brauch befolgt man nur am Osttor (des Tempels) u. auf
dem Tempelberg. (Die Verschiedenheit des Brauches im Tempel von dem außerhalb
des Tempels lag nicht im Lärmblasen, das erfolgte auch im Lande; sondern darin,
daßdie Menge dieBenediktionen desVorbeters imTempel nicht mit Amen! beantwortete,
sondern mit dem Lobspruch: Gepriesen sei der Name seines herrlichen Reiches immer
u. ewiglich! Vgl. die der obigen Mischna entsprechenden Baraithas TTaan 1, 10–14;
Taan 16b, 12–42.)
a. Über die „einzelnen“ , die vor u. nach dem 13tägigen Gemeindefasten zu fasten
pflegten, heißt es pTaan 1, 64b, 35: Unter den „ einzelnen“sind diejenigen zu ver-
stehen, die als Vorsteher über die Gemeinde gesetzt sind. Wenn also einer als Vor-
steher über die Gemeinde gesetzt ist, so betet er u. wird erhört? Vielmehr wenn einer
als Vorsteher über die Gemeinde gesetzt ist u. völlig treu erfunden wird, dann betet
er, u. erwird erhört. ||Taan 10a: Wer sind die „einzelnen“ ? Rab Huna (†297) hat gesagt:
Unsre Lehrer. – Das. 10b Bar: Der Mensch sage nicht: Ich bin ein Gelehrtenschüler;
ich bin nicht geeignet, ein „einzelner“zu sein; sondern alle Gelehrtenschüler gehören
zu den „einzelnen“ . – Wer ist ein „einzelner“u. wer ist ein Gelehrtenschüler? Ein
„ einzelner“ist jeder, der geeignet ist, daß man ihn zum Vorsteher einer Gemeinde
ernennt. Ein Gelehrtenschüler ist jeder, den man nach etwas Halakhischem aus seinem
Erlernten fragt, u. er weiß zu antworten, wäre es auch nur aus dem Traktat Kalla.
Bar: Nicht jeder, der sich selbst zu einem „einzelnen“machen möchte, darf es; ein
Gelehrtenschüler darf es (so Raschi, anders die Tosaphisten); das sind Worte des
R. Meïr (um 150). R. Jose (um 150) sagte: Er darf es, u. es wird ihm zum Guten
gedacht, weil es (das Fasten) ihm nicht zumGewinn, sondern zur Qual gereicht. Eine
andre Bar: Nicht jeder, der sich selbst zu einem „ einzelnen“machen möchte, darf
es; ein Gelehrtenschüler darf es; das sind Worte des R. Schimon b. Elazar (um 190).
Rabban Schimon b. Gamliël (um 140) sagte: Für welchen Fall gilt das? Für den
Fall, wo es sich um Gewinn handelt; aber wo es sich um Schmerz handelt, darf
jeder sich dazu machen, u. es wird ihm zum Guten gedacht, da es ihm nicht Gewinn,
sondern Schmerz einträgt. – Die letzte Bar in abweichender Fassung u. minder
klar TTaan 1, 7 (215). ||pBerakh 2, 5c, 67 s. bei 1 Kor9, 25 A Nr. 2 S. 403. – Die
Unterschiede, die zwischen dem Fasten der „ einzelnen“u. dem öffentlichen Gemeinde-
fasten bestehen, sind kurz zusammengefaßt TTaan 2, 4 (217): Beim Gemeindefasten
ißt u. trinkt man (nur), während es noch Tag ist, was nicht der Fall ist beim Fasten
der „einzelnen“(diese dürfen auch noch in der Nacht essen u. trinken). Beim Gemeinde-
fasten ist ihnen verboten die Arbeit, das Waschen, das Salben, das Anlegen der
Sandalen u. der Beischlaf, was beim Fasten der „ einzelnen“nicht der Fall ist. Beim
Gemeindefasten geht man in die Synagogen, um in der Schrift zu lesen, was beim
Fasten der „ einzelnen“nicht der Fall ist. Beim Gemeindefasten betet man 24 Bene-
diktionen (s. oben), was beim Fasten der „ einzelnen“nicht der Fall ist. Beim Ge-
meindefasten erheben die Priester viermal amTage (bei den einzelnen Gebeten im Lauf
des Tages beim Priestersegen) ihre Hände, was beim Fasten der „einzelnen“nicht
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 3 u. 4) 87

der Fall ist (s. hierzu Taan 4, 1; TTaan 4, 1; Taan 26b, 19). Das Gemeindefasten
unterbricht man nicht (setzt man nicht aus) an den Festtagen, die in der Megillath
Taanith verzeichnet stehn, was beim Fasten der einzelnen nicht der Fall ist.
b. Über den Abbruch des Fastens im Fall der Erhörung der Fastengebete heißt
es Taan 3, 9: Wenn man fastet u. es gehen Regengüsse nieder, ehe die Sonne hervor-
strahlte (also in aller Norgenfrühe), so fastet man nicht aus (d. h. nicht den ganzen
Tag hindurch); gehen die Regengüsse nieder nach dem Hervorstrahlen der Sonne,
so fastet man aus. R. Eliezer (um 90) sagte: Wenn vor der Mittagszeit, so fastet
man nicht aus; wenn nach der Mittagszeit, so fastet man aus. Einmal hatte manin
Lydda ein Fasten anberaumt, da gingen Regengüsse vor der Mittagszeit nieder.
R. Tarphon (um 100) sagte zu ihnen: Geht, esset u. trinket u. macht euch einen guten
Tag! Sie gingen u. aßen u. tranken u. machten sich einen guten Tag; u. dann kamen
sie in der Dämmerung u. sangen das große Hallel (d. h. nach R. Jehuda, um 150,
Ps 136, nach R. Jochanan, †279, Ps 120–136 u. nach Rab Acha b. Jaaqob, um325,
Ps 135, 4–136, 26, s. Pes 118a bei Mt 21, 9 S. 846 Anm. a). – Die Mischna wird
zitiert TanchB § 16.
c. Das Verbot, sich zu waschen, bezog sich nicht auf das Waschen der Hände
u. Füße u. des Gesichts, sondern auf das Waschen (Baden) des ganzen Körpers. Noch
weiter ging man in Babylonien, indem man auch das Baden in kaltem Wasser freigab.
Taan 13a: Wenn man (Taan 1, 6, s. oben) gesagt hat, daß das Waschen (während
eines Gemeindefastens) verboten sei, so hat man das nur mit Bezug auf den ganzen
Körper gesagt; aber das Gesicht u. die Hände u. die Füße darf mansich waschen. –
Dasselbe als Bar Pes 54b, 43. ||pTaan 1, 64c, 33. 37. 39: R. Jehoschua b. Levi (um250)
hat gesagt: Bei einem Gemeindefasten wäscht man seine Hände u. sein Gesicht u.
seine Füße wie gewöhnlich. ... Ist jemand zu seinem Lehrer oder zu seiner Tochter
gegangen u. durchschritt er dabei einen See oder einen Fluß, so braucht er sich keine
Sorge zu machen (wegen etwaigen Badens); sind seine Füße beschmutzt worden, so
taucht er sie unter in Wasser, ohne daß er sich deshalb Sorge zu machen braucht. ...
R. Acha (um 320) entschied: Wenn jemand von einer Reise kommt u. seine Füße
sind ermüdet, so darf er sie in Wasser baden. – Parallelen: pJoma 8, 44d, 19;
pBerakh 2, 5b, 44; pMQ3, 82d, 30; bJoma 77b. ||Taan 13a; Rab Chisda (†309) hat
gesagt: Überall, wo es sich um Trauer handelt, wie am 9. Ab (Trauer um Tempel
u. Jerusalem) u. bei einem Leidtragenden, ist es verboten, sowohl in warmem als
auch in kaltem Wasser sich zu baden; überall aber, wo es sich um den Verzicht
auf etwas Behagliches (Ergötzliches) handelt, wie bei einem Gemeindefasten, ist es
verboten, sich in warmem Wasser zu baden, aber erlaubt, sich in kaltem Wasser
zu baden. – Zuden strengeren Bestimmungen über Waschungen am Versöhnungstage
s. bei Nr. 2 A S. 78 Anm. a.
d. Genauer heißt es pTaan 1, 64c, 44: Am 9. Ab u. bei einem Gemeindefasten ist
ein Salben, das Ergötzen bereitet, verboten, das kein Ergötzen bereitet (zB das Ein-
reiben eines kranken Körperteiles mit Salben) erlaubt. – Auch betreffs des Salbens
waren die Bestimmungen für den Versöhnungstag strenger, s. bei Nr. 2 A S. 78
Anm. b. – Parallelen: pMSch 2, 53b, 29; pSchab 9, 12a, 59; pJoma 8, 44d, 30.
e. Eine Spezialbestimmung in pTaan 1, 64c, 40 Bar: Ein Leidtragender u. ein
Exkommunizierter, die sich auf einer Fußreise befinden, dürfen Sandalen anlegen
(um besser marschieren zu können); wenn sie aber nach einer Stadt kommen, sollen
sie sie ablegen. Ebenso verfährt manan einem 9. Abu. bei einem Gemeindefasten. –
Parallelen: pBerakh 2, 5b, 45; pJoma 8, 44d, 26; pMQ3, 82d, 31. – Zum Anlegen
von Korksandalen bei einem Gemeindefasten s. Joma 78a.b bei Nr. 2 A S. 78 Anm. c.
4. Bestimungen über das Fasten u. sonstige Kasteiungen am 9. Ab.
Taan 4, 6 Ende: Nach Eintritt des Monats Ab schränkt man dieLustbarkeiten ein. –
Das. 4, 7: In der Woche, in die der 9. Ab fällt, ist es verboten, sich scheren zu
lassen u. (Kleidungsstücke) zu waschen; am 5. (Wochentag = Donnerstag) ist es
88 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 4)

erlaubt wegen der Ehre des Sabbats (falls der 9. Ab auf einen Freitag fällt). Am
Rüsttag auf den 9. Ab (also am 8. Ab) soll der Mensch nicht zwei Speisen (Gerichte)
essen, auch soll er nicht Fleisch essen u. nicht Wein trinken. R. Schimon b. Gamliël
(um 140) sagte: Man soll eine Änderung (an der gewohnten Lebensweise) vornehmen
(zB nur ein Gericht essen, wenn man sonst zwei zu essen pflegte). R. Jehuda (um 150)
verpflichtete zur Umlegung des Bettes (wie es bei Trauerfällen üblich war); die Ge-
lehrten stimmten ihm aber nicht bei. ||Taan 30a: Rab Jehuda (†299) hat gesagt:
Dies (daß man am 8. Ab nicht zwei Gerichte essen soll) hat man nur für die Zeit
von Mittag an u. weiter gelehrt; aber in der Zeit vor Mittag u. früher ist es erlaubt.
Ferner hat Rab Jehuda gesagt: Man hat es nur von der Mahlzeit gelehrt, mit der
man zu essen aufhört (d. h. von der letzten vor Beginn des 9. Ab); aber bei einer
Mahlzeit, mit der man nicht zu essen aufhört, ist es erlaubt. ... Eine Bar entspricht
dem ersten Ausspruch u. eine Bar entspricht dem zweiten Ausspruch. Eine Bar
entspricht dem letzten Ausspruch: Wenn jemand am Rüsttag auf den 9. Ab speist
u. noch eine andre Mahlzeit halten will, so darf er (bei der ersten Mahlzeit)
Fleisch essen u. Wein trinken, wenn aber nicht, so darf er kein Fleisch essen
u. keinen Wein trinken. Eine Bar entspricht dem ersten Ausspruch: Am Rüsttag
auf den 9. Ab soll der Mensch nicht zwei Gerichte essen, er soll nicht Fleisch
essen u. nicht Wein trinken. Rabban Schimon b. Gamliël (um 140) sagte:
Man soll eine Änderung vornehmen. R. Jehuda (um 150) hat gesagt: Wie nimmt
man eine Änderung vor? Wenn er gewohnt war, mit 10 Personen zu speisen, so
speist er mit 5 Personen; war er gewohnt, 10 Becher zu trinken, so trinkt er
5 Becher. Für welchen Fall gelten diese Worte? Von Mittag (12 Uhr) an u. weiter,
aber vor Mittag (12 Uhr) u. früher ist es erlaubt. – Eine teilweise Parallele s. in
pTaan 4, 69c, 11. ||Taan 30a Bar: Alle Vorschriften, die für einen Leidtragenden
gelten, gelten (auch) für den 9. Ab: es ist verboten das Essen u. Trinken, das Salben
u. das Anlegen von Sandalen u. der Beischlaf. Ferner ist verboten, in der Tora, in
den Propheten u. in den Hagiographen zu lesen, ferner in der Mischna, im Talmud,
im Midrasch, in den Halakhoth u. in den Aggadoth zu studieren. Aber man darf
(in der Schrift) an einer Stelle lesen, an der man für gewöhnlich nicht liest, u. man
darf (in der Mischna usw.) an einer Stelle studieren, an der man für gewöhnlich
nicht studiert; auch darf man lesen in den Klageliedern, in Hiob u. in den Straf-
reden des Jeremia. Ferner feiern die Schulkinder (vom Unterricht), weil es heißt:
Das Gesetz Jahves ist vollkommen, erquickend die Seele Ps 19, 8 (u. alles, was er-
quickt, ist am 9. Ab verboten). ||Zum Waschen u. Baden am 9. Ab vgl. Pes 54b
bei Nr. 2 A S.78 Anm. a; Taan 13a bei Nr. 3 S. 87 Anm. c. – pTaan 1, 64c, 33:
R. Jehoschua b. Levi (um 250) hat gesagt: ... Am 9. Ab wäscht man seine Hände
u. führt sie dann (solange sie noch feucht sind) über sein Gesicht. – Dasselbe
pJoma 8, 44d, 19. Anders Joma 78a, 20: Zeira b. Chama (um 280) ... sagte zu Rab
Joseph b. Jehoschua b. Levi (um 280): Löwensohn (= großer Gelehrter), komm, ich
will dir etwas Vortreffliches sagen, was dein Vater zu tun pflegte: er hatte ein
Tuch ..., das weichte er am Rüsttag auf den 9. Ab im Wasser ein, u. am nächsten Tage
(also am9. Ab) führte er es über seine Augen (auf diese Weise sein Gesicht waschend). –
Taan 13a s. bei Nr.3 S. 87 Anm. c. ||ZumSalben am9. Ab s. pTaan 1, 64c, 44 bei Nr.3
S 87 Anm.d. ||ZumAnlegen von Sandalen am 9.Ab pTaan 1,64c, 40 bei Nr.3 S.87
Anm. e; vgl. auch Nr. 2 A Anm. c S. 78. ||Zur Arbeit am 9. Ab s. Pes 4, 5: An
einem Ort, wo man die Gewohnheit hat, am 9. Ab zu arbeiten, arbeitet man; an
einem Ort, wo man nicht die Gewohnheit hat zu arbeiten, arbeitet mannicht. Überall
aber feiern (von der Arbeit) die Gelehrtenschüler. Rabban Schimon b. Gamliël
(um 140) sagte: Alle Menschen sollen sich (in diesem Stück) zu Gelehrtenschülern
machen. – Hierzu Taan 30b: R. Aqiba (†um 135) sagte: Wer am 9. Ab eine Arbeit
verrichtet, der sieht kein Zeichen des Segens in Ewigkeit. Die Gelehrten sagten:
Wer am 9. Ab eine Arbeit verrichtet u. nicht über Jerusalem trauert, der wird (auch)
Jerusalems Freude nicht sehen, wie es heißt: Freuet euch mit Jerusalem u. froh-
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 4 u. 5, A. B) 89

locket über sie alle, die ihr sie liebhabt; jubelt mit ihr in Wonne alle, die ihr um
sie getrauert habt Jes 66, 10. Von hier aus hat man gesagt: Wer um Jerusalem
trauert, der ist würdig, ihre Freude zu sehen; wer aber nicht umJerusalem trauert,
der wird (auch) ihre Freude nicht sehen. ||Zum Essen u. Trinken am 9. Ab,
s. Taan 30b: Rabban Schimon b. Gamliël (um 140) sagte: Wer am 9. Ab ißt u.
trinkt, der ist wie einer, der am Versöhnungstage ißt u. trinkt (s. hierzu Joma 8, 2. 3
bei Nr. 2 A S. 77). – Taan 30b: Wer am 9. Ab Fleisch ißt u. Wein trinkt, über den
sagt die Schrift: Und ihre Schuld soll auf ihren Knochen sein! Ez 32, 27. – Nurwenn
der 9. Abauf einen Sabbat fiel, war die Fastenpflicht aufgehoben: TTaan 4, 13 (221):
Wenn der 9. Ab auf einen Sabbat fällt, ißt man, soviel man nötig hat, u. trinkt
man, soviel man nötig hat, u. es darf auf seinen Tisch kommen wie das Mahl
Salomos zu seiner Zeit, u. man braucht sich nicht das geringste zu versagen. –
Diese Bar wird zitiert Er 40b f.; vgl. bei Nr. 5, d. ||Entbieten des Friedens-
grußes. TTaan 4, 12 (221): Das Entbieten des Friedensgrußes findet den Genossen
(organisierten Gesetzesstrengen) gegenüber nicht statt, den gewöhnlichen Leuten
(Amme ha-areç) gegenüber mit schlaffer Lippe (leise und undeutlich).
5. Die zum Fasten erlaubten u. verbotenen Tage.
A. Die Hauptfasttage, an denen zB sämtliche Gemeindefasten in
Zeiten des Regenmangels stattfanden, waren nach Taan 1, 3–7
(s. die Stelle oben bei Nr. 3 S. 83) der 2. u. der 5. Wochentag, d. h.
der Montag u. der Donnerstag; u. zwar sollten die drei ersten Fast-
tage bei einem vollen 13 tägigen Fasten (s. S. 84 Fußnote 1) nicht
mit einem Donnerstag, sondern mit einem Montag beginnen.a Die
spätere Zeit wollte den Grund der Wahl gerade dieser beiden Tage
darin sehen, daß Mose einmal an einem 5. Wochentage zum Berge
Sinai emporgestiegen u. an einem 2. Wochentage wieder herab-
gekommen sei. Der wirkliche Grund lag in dem Wunsch als Fast-
tage zwei Tage in der Woche zu haben, die möglichst weit vom
Sabbat u. zugleich möglichst weit voneinander entfernt lagen. Das
traf eben nur auf den Montag u. Donnerstag zu; s. hierzu TanchB
§ 16 (47b) bei Lk 18, 12 A S. 241 u. ebenda S. 243 Fußnote 2. –
Diejenigen öffentlichen Fasttage, die an ein bestimmtes Datum ge-
bunden waren, wie der Gedenktag der Zerstörung des Heiligtums
(9. Ab) u. der Versöhnungstag (10. Tischri), wurden natürlich an dem
Wochentage gehalten, auf den sie gerade einfielen. Doch trug man
bei der Feststellung des Jahreskalenders dafür Sorge, daß diese Tage
möglichst nicht auf einen Sabbat fielen, da die Sabbate fastenfrei
bleiben sollten. Trat dieser unerwünschte Fall trotzdem ein, so wurde
der Sabbat nur wegen des Versöhnungstages zumFasttag gemacht;b
beim 9. Ab behalf man sich anders: man verlegte das Fasten ent-
weder auf den 10. Ab,c oder man beging einen solchen 9. Ab über-
haupt nicht fastenmäßig. d
B. Öffentliche Fastenfeiern sollten nicht stattfinden α
an denSabbaten
u. an den Festen, auch nicht an deren Zwischenfeiertagen. Die kleinen
Feiertage wieNeumond, Chanukka (Tempelweihfest imKislev) u.Purim
waren hinsichtlich des Fastens den großen Festen gleichgestellt.e Fiel
aber bei einem vollen 13 tägigen Gemeindefasten (s. S. 84 Fußnote 1)
90 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 5, A. B)

einer der Fasttage etwa auf einen Neumondstag oder auf dasChanukka-
fest, so wurde das Fasten trotz des Festtages nicht unterbrochen,
doch kürzte manes etwas ab, d.h. manfastete nicht denganzen Feiertag
hindurch bis an sein Ende. So war die Halakha von Rabban Gamliël
(II., um 90) festgesetzt worden.f Nach seinem Tode focht man jedoch
seine Entscheidung an. Männer wie R. Eliezer u. R. Jehoschua (beide
um 90) waren der Meinung, daß ein Gemeindefasten selbst an einem
kleinen Feiertage durchaus zu unterbrechen sei,g während andre
verlangten, daß auch an einem solchen Tage das Fasten nicht ab-
gekürzt, sondern bis zum Schluß des Feiertages beobachtet werden
sollte. Die spätere Halakha entsprach der Forderung der letzteren.h –
In einzelnen Kreisen hat offenbar die Neigung bestanden, gleichwie
die Sabbate u. Feiertage selbst, so auch ihre Rüst- oder Vortage
vom Fasten frei zu halten. Man hat sich dabei vermutlich von der
alten Bestimmung leiten lassen, die den Opferbeiständen im Tempel,
den sogenannten „Standmännern“, das Fasten an den Vortagen der
Sabbate „ wegen der Ehre des Sabbats“untersagte, s. bei Lk 1,5
S. 65 Anm. f. Diese Verordnung brauchte man nur zuverallgemeinern, so
ergab sich derSatz, deneinige Baraithas als etwas ganzSelbstverständ-
liches aufgestellt haben, nämlich daß an den Tagen vor den Sabbaten
u. Feiertagen das Fasten verboten sei.i Erfolge irgendwelcher Art
sind dieser Richtung versagt geblieben. Die allgemeine Praxis
hat zu keiner Zeit Bedenken getragen, die Vortage der Sabbate u.
Feiertage zu Fasttagen zu machen;k höchstens stritt man darüber,
ob an solchen Tagen das Fasten abgekürzt werden dürfe, oder ob
es bis zum Beginn des Sabbats, bezw. des Festtages innezuhalten sei.
Die Halakha hat sich für letzteres entschieden;l vgl. oben die analoge
Entscheidung bei Feiertagen, dieausnahmsweise zuFasttagen wurden. –
Als Fasttage waren weiter verboten βalle diejenigen Tage, die in
der „ Fastenrolle“(Megillath Taanith)1 als nationale Freuden- u. Feier-
tage aufgeführt sind.m In gewisser Hinsicht waren diese Tage noch
mehr als die Sabbate u. Feste gegen das Fasten gesichert. Während
nämlich die Vor- u. Nachtage der letzteren zumFasten freigegeben
waren, setzte manfür diejenigen nationalen Feiertage der Fastenrolle,
an denen auch öffentliche Trauerfeiern untersagt waren, fest, daß
selbst an ihren Vortagen nicht gefastet werden sollte, eine Bestimmung,
die einige Autoritäten sogar auf ihre Nachtage ausgedehnt wissen
wollten.n Im großen u. ganzen hat betreffs des Fastens u. des Nicht-
fastens an den kleinen Feiertagen wohl ziemlich arge Willkür ge-
herrscht, u. diese ist gewiß nicht dadurch geringer geworden,
daß schon im 2. Jahrhundert vereinzelte Stimmen die Fastenrolle für

1 Die aramäische Grundschrift der Megillath Taanith stammt der Hauptsache nach
vermutlich noch aus der Zeit vor dem Jahre 70 n. Chr.
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 5, A. B) 91

aufgehoben erklärten, während andre Gelehrte an ihrer Gültigkeit


festhielten.o
a. Taan 2, 9: Man beraumt ein allgemeines Fasten (Gemeindefasten von 3 + 3
+ 7 Fasttagen) nicht so an, daß der erste Fasttag auf den 5. Wochentag (Donnerstag)
fällt, um (angesichts des nahen Sabbats u. seiner erhöhten Bedürfnisse) die Markt-
preise nicht in die Höhe zu treiben; vielmehr finden die ersten drei Fasttage statt
am 2., am 5. u. wiederum am 2. Wochentage (der nächsten Woche), u. die zweiten
drei Fasttage dann am 5., am 2. u. wiederum am 5. Wochentag. R. Jose (um 150)
sagte: Wie die ersten (drei) Fasttage nicht am 5. Wochentag beginnen, so auch nicht
die zweiten (drei) u. die letzten (sieben).
b. Men11, 7: Wenn der Versöhnungstag auf einen Sabbat fiel, wurden die Schau-
brote (an die Priester nicht wie sonst am Morgen, sondern erst) am Abend verteilt
(damit die Priester nicht in Versuchung kämen, davon noch am Versöhnungstag zu
essen). – Die Stelle zeigt, daß trotz des Sabbats am Versöhnungstag gefastet worden
ist. Zur Verteilung der Schaubrote an die Priesterschaft s. bei Hebr 9, 2 S. 730 Nr. 5.
c. Taan 12a = Er 41a s. bei Mt 1, 1 S. 5 Abs. 2. Weitere Parallelen finden sich
TTaan 4, 6 (220) u. pScheq 4, 47d, 50.
d. TTaan 4, 13 (221) s. oben bei Nr. 4 gegen Ende.
e. Judith 8, 6: Judith fastete alle Tage ihrer Witwenschaft, außer an den Vor-
sabbaten u. den Sabbaten u. an den Vorneumonden u. an den Festen und an den
Freudentagen des Hauses Israel. ||pTaan 2, 66a 43: R. Jaaqob b. Acha (um 350) trug
den Schullehrern auf: Wenn eine Frau kommt, um euch (wegen des Fastens) zu
fragen, so saget ihr: Man darf an jedem Tage fasten mit Ausnahme der Sabbate,
der Festtage, der Neumondstage, der Zwischenfeiertage, des Chanukka- u. des Purim-
festes. – Dasselbe pMeg 1, 70d, 10 ||Taan 2, 10 s. in Anm. f u. Taan 17b, 29 in
Anm. i.
f. Taan 2, 10: Man beraumt kein Gemeindefasten an auf die Neumondstage, auf
das Chanukka- u. das Purimfest. Hat man aber bereits (mit einem mehrwöchigen
Fasten) begonnen, so unterbricht man es nicht (falls einer der Fasttage auf den
Neumondstag usw. fällt). Das sind Worte des Rabban Gamliël (um 90). R. Meïr
(um 150) hat gesagt: Obwohl Rabban Gamliël gesagt hat: „ Man unterbricht das
Fasten nicht“ , so hat er doch eingeräumt, daß man es nicht ganz ausfastet (bis
zum Schluß des betreffenden Tages). – Diese Mischna wird zitiert zB Er 41a, 16,
ferner s. Er 41a, 18 in Anm. h, vgl. auch Anm. g. – Auch an den Freudentagen der
Fastenrolle wurde das Fasten nicht unterbrochen, s. Nr. 3, a Ende.
g. Über die Opposition gegen Rabban Gamliëls Bestimmung (in Anm. f) liegen
zwei Berichte vor (vgl. Anm. h). Die hierher gehörende lautet TTaan 2, 5 (217):
Einmal hatte manin Lydda ein Fasten auf das Chanukkafest anberaumt. R. Eliezer ging
u. ließ sich scheren (was an einem Fasttag verboten war); R. Jehoschua ging u. badete
(was ebenfalls an einem Fasttag verboten war; beide Gelehrte wollten mit ihrem
Verhalten ausdrücken, daß sie das auf das Chanukkafest anberaumte Fasten nicht
als rechtmäßig u. verbindlich anerkennen könnten, da an Festtagen nicht gefastet
werden dürfe). R. Jehoschua sprach zu ihnen (den Veranstaltern des Fastens): „ Geht
u. fastet (= tut Buße) dafür, daß ihr gefastet habt!“Solange Rabban Gamliël am
Leben war, war die Halakha gemäß seinen Worten in Übung. Nach dem Hingang
des Rabban Gamliël versuchte R. Jehoschua seine Worte aufzuheben. Da stellte sich
R. Jochanan b. Nuri (um 110) auf seine Füße u. sprach: Ich sehe, daß nach dem
Haupt sich der Körper richtet: solange Rabban Gamliël am Leben war, war die
Halakha nach seinen Worten in Übung; jetzt, da er tot ist, hebt ihr seine Worte
auf?! R. Jehoschua (streiche ), wir hören nicht auf dich, die Halakha ist (längst)
festgesetzt (lies ) nach der Meinung des Rabban Gamliël. u. niemand hat
dagegen Widerspruch erhoben! – Nach diesem Bericht, dessen Anfang R. Jochanan
(†279) pTaan 2, 66a, 37 u. pMeg 1, 70d, 3 u. Rab Kahana (um 300) RH 18b, 32
92 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 5, A. B)

zitieren, handelt es sich um die Frage, ob an einem kleinen Feiertag wie Chanukka
gefastet werden darf oder nicht; R. Eliezer u. R. Jehoschua verneinen die Frage.
Anders nach dem Bericht in Anm. h.
h. Er 41a, 18: R. Meïr hat gesagt: Obwohl Rabban Gamliël (so lies!) gesagt hat:
Man unterbricht (ein begonnenes mehrwöchiges Gemeindefasten an einem kleinen
Feiertage wie Chanukka) nicht, so hat er doch eingeräumt, daß man es nicht ganz
ausfastet (s. die unverkürzte Stelle in Anm. f). – Zur Debatte steht die Frage, ob
an bestimmten Tagen ein übernommenes Fasten abgekürzt werden dürfe, oder ob
es, wie R. Jose (um 150) wollte, bis zum Schluß des betreffenden Tages beobachtet
werden müsse. Dabei wird die obige Mischna als Beweis zugunsten der Abkürzung
des Fastens herangezogen. Dann heißt es weiter: In einer Bar ist gelehrt worden:
Nach dem Hingang des Rabban Gamliël (so lies!) kam R. Jehoschua (um 90), um
seine Worte für ungültig zu erklären. Da stellte sich R. Jochanan b. Nuri (um 110)
auf seine Füße u. sagte: Ich sehe, daß nach dem Haupt sich der Körper richtet!
Alle Tage des Rabban Gamliël haben wir die Halakha wie er (d. h. nach seiner
Meinung) festgesetzt; jetzt willst du seine Worte aufheben (u. sagen, man faste den
ganzen Tag hindurch ohne das Fasten abzukürzen, s. Raschi)? Jehoschua, wir hören
nicht auf dich, denn längst ist die Halakha festgesetzt nach der Meinung des Rabban
Gamliël, u. niemand war da, der irgendwelchen Widerspruch dagegen erhoben hat. –
Nach diesem Bericht leugnet R. Jehoschua nicht, daß an einem kleinen Feiertag
gefastet werden dürfe, im Gegenteil er geht noch über Rabban Gamliëls Festsetzung
hinaus u. verbietet sogar das Abkürzen des Fastens an einem solchen Tage. Das
Ergebnis der ganzen Verhandlung wird dann Er 41b dahin zusammengefaßt: Mar
Zura (um 300) hat im Namen des Rab Huna (†297) gesagt: Die Halakha ist: Man
fastet, u. zwar bis zu Ende (des betreffenden Tages). – Die spätere Halakha hat
also die Entscheidung des Rabban Gamliël aufgehoben u. sich der Meinung des
R. Jehoschua angeschlossen.
i. Taan 17b, 35 Bar: Bei diesen Tagen, die in der Fastenrolle verzeichnet sind,
sind ihre Vortage u. ihre Nachtage (zum Fasten) verboten; bei den Sabbaten u. Festtagen
sind die vor ihnen (zum Fasten) verboten u. die nach ihnen erlaubt. Und was ist
für ein Unterschied zwischen diesen u. jenen (daß vorstehende Entscheidung über
sie getroffen worden ist)? Die einen sind Worte der Tora (beruhen auf Vorschriften
der Tora), u. Worte der Tora bedürfen der Befestigung nicht; die andren sind Worte
der Schriftgelehrten, u. Worte der Schriftgelehrten bedürfen der Befestigung. (Die
in der Fastenrolle genannten Tage werden am besten gegen das Fasten dadurch
gesichert, daß man auch ihre Vortage u. Nachtage als Fasttage verbietet.) – Das-
selbe RH 19a, 4. – Zwei etwas anders entscheidende Stellen s. in Anm. n. ||
TTaan 2, 6 (217): Abba Jose b. Dosai sagte im Namen des R. Jose Ha-gelili
(um 110): Siehe, wenn einer schwört, daß er am Rüsttag auf den Sabbat fasten
werde, so ist das ein nichtiger Schwur (da er an diesem Tage ja gar nicht fasten
darf). – Eine Parallele s. Meg Taan 11. ||Taan 17b, 29 Bar: Dies sind die Tage,
an denen nicht gefastet werden darf u. an denen zum Teil auch nicht getrauert
(keine öffentliche Trauerfeier gehalten) werden darf: vom Anfang des Monats Nisan
bis zum Achten des Monats wurde das Tamidopfer (entsprechend der pharisäischen
Halakha) wiederhergestellt, an ihnen darf man nicht trauern. Vom Achten des
Monats bis zum Schluß des (Passah-)Festes wurde das Wochenfest (nach pharisäischer
Praxis) wieder eingesetzt, an ihnen darf man nicht trauern. (Diese Sätze stammen
aus Meg Taan 1.) Der Autor hat gesagt: „ Vom Anfang des Monats Nisan bis zum
Achten des Monats wurde das Tamidopfer wiederhergestellt, an ihnen darf man
nicht trauern.“ Wozu „ vom Anfang des Monats“ ? Er hätte sagen sollen: „ Vom
Zweiten im Monat an“ ; der Monatsanfang (als Neumondstag) war ja selbst schon
ein Festtag u. (als solcher zum Fasten) verboten (s. Anm. e)! Rab (†247) hat gesagt:
Er hätte nur den Tag vor ihm (vor dem 1. Nisan) zu verbieten brauchen (nämlich
als Fasttag)! Aber auch betreffs des Tages vor ihm folgte das (daß er als Fasttag
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 5, A. B) 93

verboten war)ja schon daraus, daßer derTag voreinem Neumondstag war(u. dieVortage
vor den Festen sind als solche zum Fasten verboten)! ||Judith 8, 6 s. in Anm. e.
k. R. Jonathan (um220) fastete zB alle Rüsttage auf die Neujahrsfeste u. R. Abin
(um 325) alle Rüsttage auf die Sabbate, s. pTaan 2, 66a, 41 u. pMeg 1, 70d, 8. –
Ganz allgemein wird pTaan 2, 66b, 8 gesagt: R. Zeira (um 300) hat im Namen des
Rab Huna (†297) gesagt: Auch der einzelne, der für sich ein Fasten am Rüsttag
auf den Sabbat festsetzt, fastet bis zum Ende (des Rüsttages, darf also nicht vorher
das Fasten abbrechen). – Ebenso allgemein heißt es pMeg 1, 70, 64: Bei den Sabbaten
u. Festtagen fastet man (= darf man fasten) vor ihnen u. nach ihnen (sowohl an
ihren Vortagen als auch an ihren Nachtagen). Vgl. auch TTaan 2, 6 (217) in Anm. n.
l. Er 41a: Wenn der 9. Ab (an dem zu fasten ist) auf den Rüsttag zum Sabbat
fällt, so bringt man ihm (dem Fastenden vor Beendigung des Rüsttages) soviel wie
ein Ei beträgt, u. er ißt, umnicht in den Sabbat einzutreten, während er (vom Hunger)
geplagt ist (er kürzt also das Fasten etwas ab). In einer Bar ist gelehrt worden:
R. Jehuda (um 150) hat gesagt: Einmal saßen wir (als Schüler) vor R. Aqiba (†um135),
u. es war ein 9. Ab, der auf den Rüsttag zum Sabbat fiel, u. man brachte ihm ein
(auf einer heißen Platte) hin und hergerolltes Ei (= ein halbgares Ei), u. er schlürfte
es ein ohne Salz, nicht weil er Verlangen danach hatte, sondern um den Schülern
die (geltende) Halakha zu zeigen. (R. Aqiba vertrat also die Meinung, daß an den
Rüsttagen auf die Sabbate u. Feiertage das Fasten etwas abzukürzen sei.) R. Jose
(um 150) aber sagte: Man fastet, u. zwar bis zu Ende (des Rüsttages, also ohne das
Fasten abzukürzen) ... Ulla (um 280) hat gesagt: Die Halakha entspricht der
Meinung des R. Jose. ||TTaan 2, 7 (217): Wenn der 9. Ab auf einen Rüsttag zum
Sabbat fällt, so ißt man (vor Ausgang des Rüsttages), wenn auch nur soviel wie ein
Ei, u. man trinkt soviel wie ein Ei, um nicht in den Sabbat einzutreten, während
man (vom Hunger) geplagt wird. Das sind Worte des R. Jehuda (um 150). R. Jose
sagte: Man fastet, u. zwar bis zuEnde. – Diese Bar wird zitiert pTaan 2, 66b, 3 mit
dem Bemerken: R. Zeira (um 300) hat im Namen des Rab Jehuda (†299), R. Ba
(um 290) u. R. Immi b. Jechezqel (wann?) haben im Namen Rabs (†247) gesagt:
Die Halakha entspricht der Meinung desjenigen, welcher sagte: Man fastet u. zwar
bis zu Ende. – Die Mischna Taan 2, 10 registriert noch die Meinung des R. Aqiba
u. des R. Jehuda, nach der das Fasten etwas abzukürzen war, als geltende Halakha. Sie
sagt im Anschluß an dieWorte des R. Meïr: „ Rabban Gamliël hat eingeräumt, daß
man (an den kleinen Feiertagen, auf die ein Gemeindefasten fällt) nicht bis zu Ende
faste“(s. die Stelle in Anm. f): „ Und ebenso am 9. Ab, wenn er auf einen Rüsttag
zum Sabbat fällt.“
m. Meg Taan 1 Anfang: Dies sind die Tage, an denen man nicht fasten u. an
denen man zum Teil nicht trauern (keine öffentliche Trauerfeier mit Trauerrede u.
Klageliedern usw. veranstalten) darf. (Dann folgt in zwölf Kapiteln die Aufzählung
dieser Tage nach der Reihenfolge der Monate.)
n. Taan 2, 8: Bei jedem in der Fastenrolle verzeichneten Tage, an dem man
nicht trauern darf, ist der Vortag (zum Fasten) verboten, der Nachtag erlaubt. R. Jose
(um 150) sagte: Vortag u. Nachtag sind verboten. Bei denen, an denen man nicht
fasten darf, ist der Vortag u. der Nachtag (zum Fasten) erlaubt. R. Jose sagte: Der
Vortag ist verboten, der Nachtag erlaubt. ||TTaan 2, 6 (217): Bei den Sabbaten u.
Festtagen ist es erlaubt an ihren Vortagen u. an ihren Nachtagen zu fasten. Warum
ist es bei jenen (in der Fastenrolle verzeichneten Tagen) verboten u. bei diesen
erlaubt? Diese sind Worte der Tora, u. Worte der Tora bedürfen der Befestigung
nicht; jene aber sind Worte der Schriftgelehrten, u. Worte der Schriftgelehrten be-
dürfen der Befestigung. – Eine Parallele s. Meg Taan 11 u. pTaan 2, 66a, 31;
vgl. auch die betreffs der Sabbate u. Festtage anders entscheidende Bar Taan 17b, 35
in Anm. i.
o. RH 19b, 1 Bar: Diese Tage, die in der Fastenrolle verzeichnet sind, sind (zum
Fasten) verboten, sowohl wenn das Heiligtum besteht, als auch wenn das Heiligtum
94 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 5, A. B; Nr. 6)

nicht besteht. Das sind Worte des R. Meïr (um 150). R Jose (um 150) sagte: Wenn das
Heiligtum besteht, sind sie als Fasttage verboten, weil es Freude für sie bedeutet; wenn
aber das Heiligtum nicht besteht, sind sie (als Fasttage) erlaubt, weil es Trauer für sie
bedeutet. Eine Halaklia ist: sie (die in der Fastenrolle verzeichneten Freudentage)
sind aufgehoben, u. eine Halakha ist: sie sind nicht aufgehoben. ||RH 18b, 28: Es
ist gesagt worden: Rab (†247) u. R. Chanina (um225) sagten: Die Fastenrolle ist
aufgehoben; R. Jochanan (†279) u. R. Jehoschua b. Levi (um250) sagten: Die Fasten-
rolle ist nicht aufgehoben. ||pTaan 2, 66a, 35: R. Chanina (um 225) u. R. Jonathan
(um 220) haben beide gesagt: Die Fastenrolle ist aufgehoben. R. Ba (um 290) u.
R.Simon (um280) haben beide gesagt: DieFastenrolle ist aufgehoben. R.Jehoschua b.Levi
(um 250) hat gesagt: Die Fastenrolle ist aufgehoben (nach RH 18b, 28, s. voriges
Zitat, wird zu lesen sein: Die Fastenrolle ist nicht aufgehoben). Dann folgt eine
Ausführung, nach der auch R. Jochanan (†279) an der weiteren Verbindlichkeit der
Fastenrolle festgehalten hat. – Eine Parallele s. pMeg 1, 70d, 1.
6. Das private Fasten einzelner.
Zum freiwilligen privaten Einzelfasten in der alttestamentlichen
u. letzten vorchristlichen Zeit s. die Stellenangaben bei Lk 18, 12 A
S. 241 unten. In der nachchristlichen Zeit galt das freiwillige Fasten
der einzelnen als selbstverständlicher u. verdienstlicher Akt der
Frömmigkeit. Dabei hat man zu unterscheiden zwischen dem regel-
mäßigen, an bestimmten Wochentagen sich wiederholenden u. dem
mehr zufälligen, gelegentlichen Fasten der einzelnen Personen. Über
das erstere s. die Ausführungen bei Lk 18, 12 A S. 242 Abs. 2 –
S. 244; nur von dem letzteren handelt in der Hauptsache dieser Ab-
schnitt Nr. 6. – So mannigfach die Erlebnisse u. Geschicke eines
Menschen waren, so mannigfach konnten die Ursachen u. Zwecke
sein, die ihn zum Fasten bestimmten. Hatte er sich ein Vergehen
zuschulden kommen lassen – durch Fasten hoffte er es zu sühnen;a
bewegte irgendein Wunsch sein Inneres, so sollte wiederum das
Fasten seine Erfüllung bringen u. die Erhörung seiner Gebete sichern; b
fürchtete er schwere Unglücksschläge, so erschien abermals das
Fasten als das geeignetste Mittel alles Unheil zu wenden; selbst das
ewige Verderben glaubte man durch Fasten bannen zu können.c Und
wenn keine besondere Veranlassung zum Fasten vorlag, so fastete
man auch wohl, eben um zu fasten, weil das Verdienst des Fastens
vor Gott gar hoch gewertet sei.d –Über den Vorsatz, ein Fasten
auf sich zu nehmen, mußte tags zuvor eine bestimmte Erklärung
vor Gott abgegeben werden. Die Formel dafür war vorgeschrieben.e
Das Fasten begann dann in der Frühe des nächsten Morgensf u.
endete nach Sonnenuntergang.g In das täglich dreimal zu betende
Achtzehngebet hatte der Fastende ein besonderes Fastengebeth ein-
zuschalten, dabei war auch wohl der Grund anzugeben, der das Fasten
veranlaßt hatte.h Die Dauer eines Fastengelöbnisses konnte natürlich
verschieden lang sein: es konnte einen Tag, aber auch viele Tage,
ja ganze Jahre umfassen.i Bei längerer Dauer hat man vermutlich
zweimal in der Woche gefastet, u. zwar amMontag u. Donnerstag;k
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6) 95

es kommt aber auch der Fall vor, daß man vier Tage hintereinander
fastete vomMontag bis zumDonnerstag.l Bei eintägigem Fasten war
der Fastende in der Wahl des Tages wenig beschränkt; nur die
Sabbate u. Feiertage mit Einschluß der in der Fastenrolle genannten
Freudentage sollten fastenfrei bleiben.m Doch hielt man sich an diese
Bestimmungen, wenigstens soweit die zuletzt genannten Freudentage
in Frage kamen, nicht unbedingt.n Selbst der Sabbat wurde unter
Umständen zum Fasttag gemacht.o Über die Zulässigkeit des Sabbat-
rüsttages zum Fasten waren die Meinungen geteilt.p – Da das
Fasten eines einzelnen erst am frühen Morgen des Fasttages be-
gannf u. mit dem Untergang der Sonne endete,g so umfaßte es
schließlich nur einen halben Tag. Bei eintägigem Fasten wird deshalb
die völlige Enthaltung von Speise u. Trank gewiß die Regel ge-
wesen sein. Bei längerem Fasten mag die Praxis milder gewesen
sein. Von R. Çadoq (um 70), der 40 Jahre lang im Fasten saß, hören
wir, daß er sich am Aussaugen etlicher getrockneter Feigen genügen
ließ. Sein Körper glich infolgedessen allerdings einem Skelett.q –
Zu gewissen Zeiten scheint das private Fasten eine größere Aus-
dehnung angenommen zu haben, so daß sich warnende Stimmen
dagegen erhoben. Man erkannte die nachteiligen Folgen, die das
übertriebene Fasten nicht nur in gesundheitlicher,r sondern auch in
volkswirtschaftlicher u. nationaler Hinsicht haben mußte. Als nach
der Zerstörung Jerusalems sich eine fastenartige Askese ausbreitete,
versuchten R. Jehoschua (um 90) u. R. Jischmael (†um 135) durch
verstandesmäßige Vorstellungen dieungesunde Bewegung in vernünftige
Bahnen zu leiten.s Nach dem Hadrianischen Kriege erklärte R. Jose
(um 150) das private Einzelfasten für unerlaubt, weil der greifbare
Erfolg nur der sei, daß der Betreffende infolge Arbeitsunfähigkeit
der Gesamtheit zur Last falle.t Ja man entzog sogar einer Einzel-
gemeinde das Recht, in Zeiten der Not selbständig ein Gemeinde-
fasten anzuordnen, da sie dadurch ihre Kraft zum notwendigen Kampf
gegen die Bedrängnis nur schwäche.u Schemuel (†254) nannte jeden,
der ein Fasten auf sich nahm, einfach einen Sünder,v u. der sonst
fastenfreundliche R. Schimon b. Laqisch (um 250) erklärte, daß ein
Gelehrtenschüler überhaupt kein freiwilliges Fasten auf sich nehmen
solle, da darunter nur die Beschäftigung mit der Tora leide.w
a. Chag 22b: (R. Jehoschua, um 90, hatte über eine Entscheidung der Schule
Schammais die kränkende Äußerung getan: Ich schäme mich wegen eurer Worte!
Als ihm dann ein Anhänger jener Schule die näheren Gründe dargelegt hatte,) ging
R. Jehoschua sofort hin u. streckte sich nieder über die Gräber der Schammaiten
u. sprach: Ich demütige mich euch gegenüber, ihr Gebeine der Schule Schammais!
Wenn es um eure ohne Grundangabe getroffenen Entscheidungen also steht, wie wird
es dann erst um eure deutlich erlassenen Entscheidungen stehn! Man hat gesagt:
Sein lebelang sind seine Zähne schwarz gewesen infolge seiner Fasten (die er zur
Sühnung jenes Unrechts auf sich nahm). – Die Parallele TAhil 5, 11f (603) ohne
die Schlußsätze. ||Nazir 52b: R. Schimon (um150) sagte: Solange R. Aqiba (†um 135)
96 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6)

gelebt hat, hat er es (Leichenblut in einem Raum, in welchem sich Menschen be-
finden) für verunreinigend erklärt; ob er (jedoch) nach seinem Tode andrer Meinung
geworden ist, weiß ich nicht. Bar: Seine Zähne wurden ihm schwarz infolge seines
Fastens (durch welches er diese unschöne Bemerkung über seinen Lehrer wieder
gutzumachen suchte). ||pSchab 5, 7c, 25: (Zu den Worten in Schab 5, 4: Die Kuh
des R. Elazar b. Azarja, um 100, ging am Sabbat mit einem Riemen zwischen den
Hörnern aus, was nicht die Zustimmung der Gelehrten fand) hat R. Chananja (ver-
mutlich der Zeitgenosse des R. Mani II., um 380) gesagt: Nur einmal ging sie so
aus, u. seine Zähne wurden ihm schwarz vom Fasten (das seine Handlungsweise
wieder gutmachen sollte). – Dasselbe pBeça 2, 61d, 6. ||Qid81b wird über R. Chijja
b. Aschi (um 270), der einer Versuchung nicht in gebührender Weise widerstanden
hatte, berichtet: Sein lebelang hat dieser Gerechte (deswegen) gefastet, bis er starb. ||
BM 33a: (Als Rab Chisda, †309, seinem Lehrer Rab Huna, †297, einmal zu ver-
stehen gegeben hatte, daß dieser seiner, des Schülers, bedürfe, sprach Rab Huna:)
Chisda, Chisda, ich bedarf deiner nicht, wohl aber bedarfst du meiner! Bis an 40 Jahre
zürnten sie einander, ohne miteinander zusammenzukommen. Da saß Rab Chisda in
40 Fasten, weil Rab Huna (durch ihn) in seinem Innern enttäuscht worden war.
Rab Huna aber saß in 40 Fasten, weil er denRab Chisda verdächtigt hatte. ||Sanh 100a:
Rab Papa (†376) hat gesagt: Ein Epikureer (Freigeist) ist einer, der zB (verächtlich)
sagt: „Diese Rabbinen“ ! Da vergaß sich Rab Papa einmal u. sagte: „ Wie diese
Rabbinen“ ! Er saß deshalb in Fasten.
b. BM 85a: Rab Joseph (†333) saß in 40 Fasten (um die Torakenntnis dauernd
seiner Familie zu erhalten). Man (= Gott) ließ ihn (im Traume) lesen: Meine Worte
sollen nicht aus deinem Munde weichen Jes 59, 21. Darauf saß er in andren 40 Fasten.
Man ließ ihn lesen: Meine Worte sollen nicht aus deinem Munde u. aus demMunde
deines Samens weichen (das.). Darauf saß er in 100 andren Fasten. Er kam (wohl
pleonastisch), u. man ließ ihn lesen: Meine Worte sollen nicht aus deinem Munde
u. aus dem Munde deines Samens u. aus dem Munde des Samens deines Samens
weichen (das.). Da sagte er: Von nun an u. weiter habe ich nicht (mehr) nötig (noch
zu fasten): die Tora geht in ihrer Herberge um (sie bleibt in meiner Familie). Als
R. Zeira (um 300) nach dem Lande Israel heraufkam, saß er in 100 Fasten, damit
die babylonische Gemara bei ihm in Vergessenheit geraten möchte, damit sie ihn
(beim Studium der palästinischen Gemara) nicht verwirre. Dann saß er in 100 andren
Fasten, damit R. Elazar (um 270) zu seiner (des R. Zeira) Zeit nicht sterben möchte,
so daß die Gemeindeangelegenheiten ihm zufielen. Dann saß er in noch andren 100
Fasten, daß das Feuer des Gehinnoms keine Gewalt über ihn haben möchte. Alle
30 Tage prüfte er sich selbst (machte die Probe an sich): er heizte den Ofen, stieg
empor u. setzte sich hinein, u. das Feuer hatte keine Gewalt über ihn. Eines Tages
richteten die Rabbinen das Auge auf ihn, da wurden seine Schenkel versengt, u. man
nannte ihn den „ Kleinen (= ) mit den verbrannten Schenkeln“(wörtlich:
der an seinen Schenkeln versengt ist). ||pKil 9, 32b, 50: R. Asi (um 300) fastete
80 Tage lang, um R. Chijja den Älteren (um 200) zu sehen (nämlich in einer nächt-
lichen Vision); schließlich sah er ihn. ... R. Schimon b. Laqisch (um 250) fastete
300 Fasten, um R. Chijja den Älteren zu sehen; aber er sah ihn nicht. – Dasselbe
pKeth 12, 35a, 56; in MidrQoh 9, 10 (42b) mit Änderungen zugunsten des R. Schimon
b. L. – ZumFasten als Vorbereitung für den Empfang von Offenbarungen s. Dn 9, 3;
10, 3; 4 Esra 5, 20; 6, 35; Apok Bar 9, 2; 20, 5f.; 43, 3. ||TTaan 3, 3 (219): Wenn
jemand eines Kranken wegen fastet, u. dieser wird geheilt, oder wegen einer Not.
u. diese geht vorüber, so vollendet er sein Fasten (bricht es mit der Erhörung seines
Gebetes nicht ab, sondern fastet weiter bis zum Ende des Tages).
c. Taan 12b; Rab Jehoschua b. Idi (um 400) kam in das Haus des Rab Aschi
(†427, so lies!); man bereitete für ihn ein dreijähriges Kalb. Man sprach zu ihm:
Möge der Herr etwas genießen! Er antwortete ihm: Ich sitze in einem Fasten. Man
sprach zu ihm: So nehme der Herr geliehen u. bezahle später (bildlich = verschiebe
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6) 97

dein Fasten u. löse dein Gelöbnis später ein). Ist der Herr nicht in dieser Hinsicht
der Meinung des Rab Jehuda (†299), der gesagt hat, Rab (†247) habe gesagt: Der
Mensch kann sein Fasten auf Borg nehmen u. später bezahlen? Er antwortete ihnen:
Es bandelt sich (bei mir) um ein Fasten wegen eines Traumes (d. h. um ein Fasten,
durch welches ein schlimmer Traum unwirksam gemacht werden soll; zu diesen
sogenannten „ Traumfasten“vgl. auch bei Mt 1, 20 S. 61 Anm. m), u. Rabba b. Mechasja
(um 300) hat gesagt, Rab Chama b. Gorja (um270) habe gesagt, Rab (†247) habe
gesagt: Gut ist Fasten für einen Traum wie Feuer für Werg. Rab Chisda (†309) hat
gesagt: Und zwar an demselben Tage (das Fasten muß sofort am Tage nach dem
Traum stattfinden). Rab Joseph (†333) hat gesagt: Selbst wenn es ein Sabbat wäre
(obwohl amSabbat nicht gefastet werden sollte.) Welche Abhilfe (Wiedergutmachung)
hat man (wenn man an einem Sabbat gefastet hat)? Man sitze in einem Fasten
wegen des Fastens (ein Fasten sühnt begangenes Unrecht, s. oben Anm. a). – Das-
selbe Schab 11a. ||MQ25a: (Rab Chagga, um300, berichtet aus demLeben des Rab
Huna, †297:) Eines Tages hatte sich ihm ein Riemen von den Tephillin umgedreht
(so daß seine innere Seite nach außen zu liegen kam), da saß er deswegen (umböse
Folgen abzuwenden) in 40 Fasten. – R. Zeira nahm gegen das Feuer des Gehinnoms
100 Fasten auf sich, s. BM 85b in Anm. b. ||Taan 22b Bar: Wenn Nichtisraeliten
oder ein Strom eine Stadt einschließen, ferner sowohl wenn ein Schiff auf dem
Meere hinundhergetrieben wird, als auch wenneineinzelner vonNichtisraeliten oder von
Räubern oder von einem bösen Geist (Dämon) verfolgt wird, (bläst man Lärm)
wegen aller dieser Nöte ist der einzelne berechtigt sich selbst durch Fasten zu
kasteien . – Eine gegensätzliche Bar aus TTaan 2, 12 (218, 13) s. in Anm. u.
Taan 12b s. in Anm. o; Gi 56a in Anm. q. ||Chul 87a s. S. 60 oben.
d. Über den Wert des Fastens s. bei Nr. 9.
e. Taan 12a: Schemuël (†254) hat gesagt: Ein Fasten, das mannicht (tags zuvor)
auf sich genommen hat, solange es noch Tag war, verdient nicht denNamen „ Fasten“
Und wenn er (gleichwohl) das Fasten hält, was dann? Rabbah b. Schela (um325)
hat gesagt: Er gleicht einem Blasebalg voller Wind. Wann nimmt man es auf sich?
Rab (†247) hat gesagt: Am Nachmittag. Schemuël hat gesagt: Beim Minchagebet
(das nachm. ¾5 Uhr beendigt sein sollte, s. bei Apg 10, 9 S. 698). – Die Formel
der Fastenübernahme findet sich Taan 12b, 5: Rabbah b. Schela (um325) hat gesagt:
Man sage so: „Morgen werde ich vor dir im Fasten eines einzelnen sein!“Diese
Formel auch bei den Tosaphisten Taan 12a ; bei Raschi Taan 11b, 11 ist ihr
Wortlaut: „ Siehe, ich werde morgen im Fasten sitzen!“
f. Taan 12a Bar: Bis wann darf manessen u. trinken (wenn mannachmittags ein
Fasten auf sich genommen hat)? Bis das Morgengrauen emporsteigt. Das sind Worte
Rabbis (†217?). R. Elazar b. Schimon (um 180) sagte: Bis zum Hahnenschrei. ||
Taan 11b: R. Zeira (um300) hat gesagt, Rab Huna (†297) habe gesagt: Ein einzelner,
der ein Fasten auf sich genommen hat, auch wenn er die ganze Nacht hindurch
gegessen u. getrunken hat, darf amnächsten Tag (als Einschub in das Achtzehngebet)
das Fastengebet beten (s. hierzu in Nr. 7), d. h. sein Fasten wird trotz des Essens in der
Nacht zuvor als gültig anerkannt. – Auch bei einem Gemeindefasten von 13 Tagen
durften die sogenannten „ einzelnen“u. die Gesamtheit in denNächten vor den drei
ersten Fasttagen essen u. trinken, s. Taan 1, 3–7 bei Nr. 3; hierauf bezieht sich
die Bar Pes 2b, 30: Wie lange darf man bei einem Gemeindefasten essen u. trinken?
Bis das Morgengrauen emporsteigt. Das sind Worte des R. Eliezer b. Jaaqob (II.,
um 150). R. Schimon (um 150) sagte: Bis zum Hahnenschrei.
g. Taan 12a: Rab Chisda (†309) hat gesagt: Ein Fasten, über dem nicht die
Sonne untergegangen ist, verdient nicht den Namen „ Fasten“(es ist durchzufasten
bis zum Ende des Tages).
h. Hierzu s. bei Nr. 7. i. Belege überall in dieser Nr. 6.
k. Meg Taan Anhang (Cp13) s. bei Lk 18. 12 A S. 243 oben. ||„Lehre der zwölf
Apostel“8, 1 (Ausg. Harnack): Eure Fasten sollen nicht mit den Heuchlern (= Juden)
Strack u. Billerbeck, NT IV 7
98 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6)

sein; denn sie fasten am 2. u. 5. Wochentag; ihr aber sollt am 4. Tage (Mittwoch
u. amRüsttag (= Freitag) fasten. ||Epiphan. haer. 16, 1 (ed. Petav. p. 34): (Die Juden)
fasteten zweimal in der Woche, am 2. u. am 5. Tage. ||Taan 12a Bar: Wer von
früher her ein Fasten auf sich genommen hat, der bleibt daran gebunden. Wie denn?
Wenn ein einzelner es auf sich genommen hat, am 2. u. am 5. u. am 2. Wochentage das
ganze Jahr hindurch zu fasten, u. es fallen dann auf seine Fasttage die Feiertage,
die in der Fastenrolle aufgezeichnet sind, so hebt sein Gelübde unsre Festsetzung
(d. h. die in der Fastenrolle) auf, falls es dieser voraufgegangen war; wenn aber
unsre Festsetzung seinem Gelübde voraufgegangen war, so hebt unsre Festsetzung
sein Gelübde auf. – Die Bar stammt aus Meg Taan 12, wo sie jedoch infolge
späterer Einschübe in sich selbst widerspruchsvoll geworden ist. Ganz kurz wird auf
diese Bar Bezug genommen in pTaan 2, 66a, 6; pMeg 1, 70c, 40.
l. Taan 4, 3 u. Taan 27b Bar s. bei Lk 1, 5 S. 65 Anm. f u. h.
m. Für das private Fasten des einzelnen waren in diesem Stück die Bestimmungen
über das Gemeindefasten maßgebend, s. diese in Nr. 5. Doch gab es einige Er-
schwerungen. TTaan 2, 4 Ende: Ein Gemeindefasten hat man nicht unterbrochen
an den Feiertagen, die in der Fastenrolle verzeichnet sind, was beim Fasten des
einzelnen nicht so der Fall war (der einzelne sollte an diesen Tagen also nicht fasten;
vgl. hierzu Taan 12a Bar oben in Anm. k).
n. Pes 68b: Mar b. Rabina (gegen 400?) saß das ganze Jahr in Fasten, aus-
genommen Pfingsten, Purimfest u. Rüsttag auf den Versöhnungstag. – Mar b. Rabina
scheint also kein Bedenken getragen zu haben, an andren Festtagen zu fasten. –
Auch Rab (†247) läßt unbedenklich einmal den Mardokhai an einem 1. Passahfeiertag
fasten. Meg 15a, 29: UndMardokhai ging fort Esth 4, 17. Rab hat gesagt: (Das
bedeutet,) daß er den ersten Tag des Passahfestes im Fasten zugebracht hat .–
Vgl. Targ Esth 4, 17: Mardokhai war unwillig u. mißmutig u. setzte sich hinweg über
die Freude des Passahfestes u. verordnete ein Fasten u. saß auf Asche. ||pTaan 2,
66a, 42: R. Zeira (um300) hat 300 Fasten gefastet – u. einige sagen: 900 –, ohne
sich um die Fastenrolle zu kümmern.
o. Taan 12b s. oben in Anm. c. ||Berakh 31b: R. Elazar (um 270) hat im Namen
des R. Jose b. Zimra (um220) gesagt: Wer amSabbat imFasten sitzt, demzerreißt man
(= Gott) einen Gerichtsbeschluß von 70 Jahren (der schon in seiner Jugend über
ihn festgesetzt war, weil das Fasten etwas Schweres am Sabbat ist, denn während
alle übrigen sich am Sabbat ergötzen, fastet er, Raschi). Aber trotzdem bestraft man
ihn andrerseits wegen unterlassenen Genusses der Sabbatswonne. Welche Abhilfe
gibt es für ihn? Rab Nachman b. Jiçchaq (†356) hat gesagt: Er sitze im Fasten
für das Fasten. – Der gleiche Rat in Taan 12b, s. Anm. c. – Andre scheinen
versucht zu haben, wenn nicht den ganzen Sabbat, so doch wenigstens den halben
Sabbat zu einem Fasttag zu machen. Gegen sie richtet sich wohl das Wort pTaan 3,
67a, 37: R. Acha (um 320) u. R. Abbahu (um 300) haben im Namen des R. Jose
b. Chanina (um 270) gesagt: Es ist verboten, am Sabbat bis 6 Uhr (= 12 mittags)
zu fasten.
p. Vgl. hierzu Nr. 5 Anm. i u. k.
q. Berakh 14a: Aschjan, der Mischnalehrer in der Schule des R. Ammi (um 300),
fragte den R. Ammi: Wer im Fasten sitzt, darf er (eine Speise) kosten (ob sie etwa
genügend gewürzt ist)? Hat er (nur) betreffs des Essens u. Trinkens auf sich ge-
nommen, was (beim Kosten) nicht statthat, oder hat er auch betreffs des Genusses
auf sich genommen, was (beim Kosten) statthat? Er antwortete ihm: Er darf kosten,
darauf kommt es nicht an. In einer Bar ist ebenso gelehrt worden: Wenn sie (eine
Frau eine Speise) kostet, ist sie nicht zum Lobspruch verpflichtet, u. wer im Fasten
sitzt, darf kosten, u. es kommt darauf nicht an. Wieviel (darf er kosten)? R. Ammiu. R. Asi
(beide um 300) kosteten bis zum Viertel Log (etwa ⅛ Liter). – Nach den Kom-
mentatoren ist aber Voraussetzung, daß das zum Kosten in den Mund Genommene
wieder ausgespien wird. Die Enthaltung von Speise u. Trank war also eine völlige. ||
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6) 99

Gi 56a: R. Çadoq saß 40 Jahre1 im Fasten, damit Jerusalem nicht zerstört


werden möchte. Wenn er etwas aß, war es von außen zu sehen (wie es in seinem
dürren Hals nach unten weiterglitt). Wenn er sich stärken wollte, brachte man ihm
getrocknete Feigen; er sog sie aus u. warf sie fort.
r. Taan 4, 3 s. bei Lk 1, 5 S. 65 Anm. f. ||Midr KL 1, 14 (56a): R. Tanchum
b. Jirmeja (um 310) hat gesagt: Vier Dinge schwächen die Kraft des Menschen, u.
diese sind: das Fasten u. die Reise, die Sünde u. die Regierung. Das Fasten; denn
es steht geschrieben: Meine Knie wanken vom Fasten Ps 109, 24. Die Reise; denn
es steht geschrieben: Gebeugt hat er durch den Weg (= Reise) meine Kraft Ps 102, 24.
Die Sünde; denn es steht geschrieben: Durch meine Sünde ist meine Kraft wankend
Ps 31, 11. Die Regierung; denn es steht geschrieben: Da sprach Juda: Es wankt
die Kraft des Trägers (unter der Last, die die persische Regierung aufgelegt hat, so
im Sinn des Midr Neh4, 4). – Eine Parallele mit Abweichungen in Midr Ps 31 § 9
(121a); vgl. auch Gi 70a, 30, wo jedoch das Fasten unter den schwächenden Dingen
nicht genannt ist. ||Gi 56a s. Anm. q. – Über R. Çadoq (um70) heißt es weiter Gi 56b:
(Vespasian sprach zu Rabban Jochanan b. Zakkai, †um 80:) Erbitte dir etwas von
mir, was ich dir geben soll. Er antwortete ihm: Gib mir Jabne (späterer Sitz des
Synedriums) u. seine Gelehrten, ferner die Familienglieder des Rabban Gamliël (II.)
u. Ärzte, die den R. Çadoq heilen können. ... Wie verhält es sich mit den Ärzten,
die den R. Çadoq heilen sollten? Am ersten Tage ließen sie ihn Wasser mit Kleie
trinken, am folgenden Tage Wasser mit Schrotmehl, am folgenden Tage Wasser
mit Feinmehl, bis sich seine Eingeweide nach u. nach erweiterten. – Midr HL 1, 5
(52b): (Vespasian sprach zu Rabban Jochanan b. Zakkai:) Wenn du einen hast, der
dir lieb ist, oder einen Menschen, mit dem du verwandt bist, so schicke hin (nach
Jerusalem) u. laß ihn kommen, bevor meine Truppen einrücken. Da entsandte er
den R. Eliezer u. den R. Jehoschua, um den R. Çadoq herauszuführen. Sie gingen
u. trafen ihn am Stadttor. Als er (im römischen Lager) ankam, erhob sich R. Jochanan
(b. Zakkai) vor ihm. Es sagte Vespasian zu ihm: Vor diesem hinfälligen Alten stehst
du auf? Er antwortete ihm: Bei deinem Leben, wenn noch einer seinesgleichen
dagewesen wäre u. du doppelt soviel Truppen hättest, würdest du (die Stadt) nicht
erobern können! Er sprach zu ihm: Worin liegt denn seine Stärke? Er antwortete
ihm: Darin, daß er eine Sykomorenfrucht ißt u. dabei hundert Abschnitte erklärt
(vorträgt). Er sprach zu ihm: Undwarum ist er so mager? Er antwortete ihm: Von
der Menge seiner Fasten u. seiner Kasteiungen. Da ließ er Ärzte kommen, die ihn
ganz wenig essen u. ganz wenig trinken ließen, bis sein Körper wieder zu sich kam.
Da sagte sein Sohn Elazar zu ihm: Vater, gib ihnen ihren Lohn in dieser Welt,
damit ihnen kein Verdienst durch dich sei in der zukünftigen Welt! Da gab er
ihnen jenes Fingerrechnen u. jene (große) Wage. ||Zur Schädlichkeit des Fastens
s. auch pTaan 4, 68d, 4; pRH1, 57b, 53.
s. TSoa 15, 11ff. (322) s. bei Mt 5, 4 S. 195 Anm. a; BB 60b Bar ebenda S. 196.
t. TTaan 2, 12 (218): R. Jose (um 150) sagte: Der einzelne ist nicht berechtigt,
sich selbst durch Fasten zu kasteien, er möchte der Gesamtheit zur Last fallen,
daß man ihn ernähren müßte. – Dasselbe in der Bar Taan 22b mit den Schluß-
worten: Und die Menschen möchten sich seiner nicht erbarmen.
u. TTaan 2, 12 (218): Wenn eine Truppenschar oder ein Fluß eine Stadt einschließen,
desgleichen wenn ein Schiff im Meer umgetrieben wird, desgleichen wenn ein einzelner
von Nichtisraeliten oder von Räubern oder von einem bösen Geist (Dämon) verfolgt
wird, so sind sie (die Leute der betreffenden Stadt u. Gegend) nicht berechtigt, sich
selbst durch Fasten zu kasteien, damit sie nicht ihre Kraft brechen. – Eine gegen-
sätzliche Bar aus Taan 22b s. in Anm. c Ende S. 97.
v. Taan 11a s. bei 1 Kor 9, 25 A Nr. 2 Anm. d S. 404. – Eine gegenteilige Meinung
s. Taan 11a unten bei Nr. 9 S. 108 Anm. l.
1 Zu diesen 40 Jahren s. bei Mt 27, 51 A Ende (S. 1046); in dem dortigen Hinweis
auf den Exk. über das Fasten ist statt Nr.6, b zu setzen Nr. 6, q.
7*
100 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 6; Nr. 7, A)

w. Taan 11b: R. Jirmeja b. Abba (um 250) hat gesagt, Resch Laqisch (um250)
habe gesagt: Ein Gelehrtenschüler ist nicht berechtigt, im Fasten zu sitzen, weil er
dadurch die Arbeit für den Himmel (= Gott) vermindert. (Er schwächt sich u. kann
nicht studieren, Raschi.) – Vgl. auch wenige Zeilen zuvor: Rab Schescheth (um260)
hat gesagt: Wenn ein Zögling des Studienhauses im Fasten sitzt, so soll der Hund
sein Mahl verzehren (er selbst aber hat keinen Nutzen von seinem Fasten; denn da
der Hund sein Mahl verzehrt hat, so gilt er selbst wie einer, der fastet, weil er nichts
zu essen hat, s. Raschi).
7. Fastengebete u. Überbleibsel von Fastenpredigten.
A. Fastengebete.
a. Ein allgemeines Fastengebet (aram. Taian 13b, 22),
das sowohl bei einem Gemeindefasten als auch bei einem Einzelfasten
im Rahmen des Achtzehngebetes zu beten war, findet sich
pBerakh 4, 8a, 23: Erhöre uns, Jahve, erhöre uns zu dieser Zeit u. Stunde, denn
wir sind in großer Not. Verbirg dein Angesicht nicht vor uns u. entzieh dich
nicht unsrem Flehen; denn du Jahve [bist ein gnädiger u. barmherziger Gott], der
zur Zeit der Not erhört, der erlöst u. errettet zu jeder Zeit der Bedrängnis. Da
schrien sie zu Jahve in ihrer Not, aus ihren Ängsten führte er sie heraus Ps 107, 6!
Gepriesen seist du, Jahve, der zur Zeit der Not erhört. – Die Worte in eckiger
Klammer ergänzt aus der Parallele pTaan 2, 65c, 27.
Eine Meinungsverschiedenheit bestand über die Stelle des Achtzehngebetes, an der
die Einschaltung des Fastengebetes erfolgen sollte. pBerakh 4, 8a, 22: R. Zeira (II.,
um 350) hat im Namen des R. Jirmeja (um320) gesagt: Der einzelne mußbei einem
Gemeindefasten das Tagesereignis (den Grund, der an diesem Tage zumFasten ver-
anlaßt hat) erwähnen. Wo sagt er es (im Achtzehngebet)? zwischen „ Erlöser Israels“
u. „der Kranke heilt“(d. h. zwischen der 7. u. 8. Benediktion des Achtzehngebets).
Und was sagt er? (Hier das obige Gebet. Darauf folgt:) R. Jannai b. Jischmael
(um 300) hat im Namen des R. Schimon b. Laqisch (um250, so lies mit der Parallele)
gesagt: In der Benediktion „Erhörer des Gebets“ (= 15. Benediktion) sagt er es.
R. Jona (um 350) hat im Namen Rabs (†247) gesagt: Auch der einzelne, der über
sich selbst ein Fasten festgesetzt hat, muß das Tagesereignis (mit obigem Gebet im
Achtzehngebet) erwähnen. – Parallele: pTaan 2, 65e. 25; vgl. auch Taan 13b. 22
u. Schab 24a, 24.
b. Ein Fastengebet für den 9. Ab.
pBerakh 4, 8a, 35: R. Acha b. Jiçchaq (um 320) hat im Namen des R. Huna von
Sepphoris (um 300, so lies!) gesagt: Der einzelne muß am 9. Ab das Tagesereignis
(s. oben) erwähnen. Was sagt er: Erbarme dich, Jahve unser Gott, nach deiner großen
Barmherzigkeit u. nach deiner zuverlässigen Gnade über uns u. über dein Volk Israel
u. über Jerusalem, deine Stadt, u. über Zion, die Wohnung deiner Herrlichkeit, u.
über die Stadt, welche trauert u. zerstört u. niedergerissen u. verwüstet ist, die hin-
gegeben ist in die Hand der Fremden u. zertreten wird von den Gewalttätigen. Die
Legionen haben sie in Besitz genommen u. die Götzendiener haben sie entweiht,
u. doch hattest du sie deinem Volk Israel zum Eigentum veiliehen u. dem Samen
Jeschuruns zum Besitz gegeben! Durch Feuer hast du sie vernichtet u. mit Feuer
wirst du sie einst bauen, wie es heißt: Ich aber will ihr sein, ist Jahves Spruch,
zur feurigen Mauer ringsum, u. zurHerrlichkeit will ich sein in ihrem Innern Sach 2, 9. –
Dasselbe pTaan 2, 65c, 37.
c. Ein Beicht- u. Fastengebet für den Versöhnungstag, das mehr-
mals sowohl am Rüsttag als auch amVersöhnungstag selbst gebetet
werden sollte, lautet nach
Joma 87b, 23: Mein Gott, ehe ich gebildet wurde, war ich es nicht wert; jetzt
da ich gebildet bin, bin ich, als wäre ich nicht gebildet. Staub bin ich in meinem
6. Exkurs: (Vom altjüdischen Fasten (Nr. 7, B) 101

Leben u. erst recht in meinem Tode. Siehe, wie ein Gefäß bin ich vor dir voller
Schimpf u. Schande! Möge es Wille vor dir sein, daß ich nicht sündige, u. was ich
gesündigt habe, tilge in deiner Barmherzigkeit, aber nicht durch Leiden!
B. Überbleibsel von Fastenpredigten.
Überreste von Fastenpredigten finden sich gerade nicht selten in
der rabbinischen Literatur, wenn sie auch nicht immer als solche
bezeichnet werden. Einige Beispiele mögen hier folgen.
GnR33 (20c): R. Aqiba (†um 135) predigte (vermutlich bei einem Fastengottes-
dienst) in Ginzaq (Gazaqa) in Medien über das Tun (Ergehn) des Sündflutgeschlechts;
aber man weinte nicht (das Zeichen der Buße blieb aus); als er ihnen aber das Er-
gehn Hiobs in Erinnerung brachte, weinten sie sofort. Da wandte er auf sie diese
Schriftstelle an: Es vergißt sein dasErbarmen, es labt sich an ihm Gewürm, nicht mehr
wird sein gedacht, zerbrochen wie Holz wird der Frevel (so Hi24, 20 nach demMidr).
„Es vergißt sein das Erbarmen“ , sie vergaßen ihr Mitleid mit den Menschen, so
vergaß auch Gott sein Mitleid mit ihnen; „ es labt sich an ihm Gewürm“ , denn Ge-
würm sog an ihnen; nicht mehr wird sein gedacht u. zerbrochen wie Holz wird der
Frevel. ||Taan 19b Bar: R. Elazar b. Para (um 110) sagte: Seit dem Tage, da das
Heiligtum zerstört wurde, sind die Regengüsse zu Kennzeichen (?, vgl. Bacher,
Tann 1, 2402) für die Welt geworden. Es gibt ein Jahr, dessen Regengüsse zahlreich
(ergiebig) sind, u. es gibt ein Jahr, dessen Regengüsse gering sind; es gibt ein Jahr,
dessen Regengüsse zu ihrer (rechten) Zeit niedergehn, u. es gibt ein Jahr, dessen
Regengüsse nicht zu ihrer Zeit niedergehn. Ein Jahr, dessen Regengüsse zu ihrer
(rechten) Zeit niedergehn, womit läßt sich dasvergleichen? Mit einem Knecht, demsein
Herr seinen Unterhalt (Nahrungsmittel) am ersten Tage in der Woche (= Sonntag) gibt.
Da findet man denn, daß der Teig ordnungsmäßig gebacken u. ordnungsmäßig ver-
zehrt wird. Ein Jahr, dessen Regengüsse nicht zu ihrer Zeit niedergehn, womit läßt
sich das vergleichen? Mit einem Knecht, demsein Herr seinen Unterhalt amRüsttag
auf den Sabbat gibt. Da findet mandenn, daß der Teig nicht ordnungsmäßig (sondern
in aller Hast) gebacken u. nicht ordnungsmäßig verzehrt wird. Ein Jahr, dessen
Regengüsse zahlreich sind, womit läßt sich das vergleichen? Mit einem Knecht,
dem sein Herr seinen Unterhalt auf einmal gibt. Da findet man denn, daß die Mühlen
von einem Kor (von einer großen Menge Getreide) ebensoviel vermahlen (in sich zu-
rückbehalten) wie von einem Qab (von einer kleinen Menge Getreide, so daßderVerlust
bei kleinen Getreidemengen einverhältnismäßig viel größerer ist als bei großen Getreide-
mengen); da findet mandenn auch weiter, daß der Teig voneinem Kor (Mehl) ebensoviel
verzehrt wie von einem Qab(indem vomKornicht mehr im Backtrog als Verlust zurück-
bleibt als voneinem Qab). Ein Jahr, dessen Regengüsse gering sind, womit läßt sich das
vergleichen? Mit einem Knecht, dem sein Herr seinen Unterhalt immer nurin geringer
Menge gibt. Da findet mandenn, daß die Mühlen, was sie voneinem Kor vermahlen, (auch)
voneinem Qabvermahlen; dafindet mandenn auchweiter, daßderTeig, waser voneinem
Kor verzehrt, (auch) von einem Qab verzehrt. ||Taan 7b: R. Ammi (um 300) sagte:
Die Regengüsse werden nur wegen der Sünde des Raubes zurückgehalten, wie es
heißt: „ Wegen der Hände verbarg er den Regen“ (so Hi 36, 32 nach dem Midr),
d. h. wegen der Sünde der Hände verbarg er den Regen. „Hände“bedeutet nichts
andres als Gewalttat, wie es heißt: Von der Gewalttat in ihren Händen Jona 3, 8,
u. (Licht) bedeutet nichts andres als Regen, wie es heißt: Er breitet aus (zer-
streut) das Gewölk seines Regens (so Hi 37, 11 nach dem Midr). Was gibt es
als Abhilfe dagegen? Er bete viel, wie es heißt: Er verordnet ihn (den Regen = )
wegen des (im Gebet ihn) Angehenden (so Hi 36, 32b nach dem Midr), u. das „ An-
gehen“bedeutet nichts andres als das Gebet, wie es heist: Du aber bitte nicht für
dieses Volk ... u. gehe mich nicht an Jer 7, 16. R. Ammi sagte: Was bedeutet, was
geschrieben steht: „ Wenn stumpf geworden das Eisen u. er (der betreffende Arbeiter)
die Schneide nicht geschärft hat“ Qoh 10, 10? Wenn du siehst, daß
102 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 7, B)

das Firmament stumpf geworden ist wie Eisen, so daß es weder Tau noch Regen
niederfallen läßt wegen des Tuns des Zeitalters, weil sie verderbt sind , wie
es heißt: Und es (das Zeitalter) sein Angesicht (Aussehn) verderbt hat ( gedeutet =
) – welche Abhilfe gibt es dann für sie? Sie sollen alle Kraft anwenden
, um Erbarmen zu erflehn, wie es heißt: „ Er strenge die Kräfte an“
Qoh 10, 10; „ ein Vorzug aber richtigen Handelns ist Weisheit“Qoh 10, 10, vollends
wenn ihre Werke recht (fromm) waren vonAnfang an. – In der stark abweichenden
Parallele Midr Qoh 10, 10 (48a), in der R. Jehuda b. Simon (um 320) als Autor ge-
nannt wird, werden die Worte: so gedeutet: Wenn Gott kein
freundliches Angesicht zeigt, da Verderbtheit der Taten in dem Zeitalter ist – was
soll man tun? Man verordne ein Fasten, so wird Gott seine Welt reichlich tränken. ||
Midr HL 6, 5 (123a): Wende deine Augen von mir ab HL 6, 5 (nach dem folgenden
Midr = entferne die, welche die Augen für dich sind, d. h. deine Angesehenen u.
Großen). R. Azarja (um 380) hat im Namen des R. Jehuda b. Simon (um320) gesagt:
Gleich einem König, der einer Matrone (seiner Gemahlin) zürnte und sie verstieß u.
aus dem Palaste entfernen ließ. Was tat sie? Sie ging u. preßte ihr Gesicht hinten
an eine Säule außerhalb des Palastes. Als der König vorüberging, sagte er: Ent-
fernt sie aus meinem Angesicht, denn ich kann das nicht ertragen. Wenn der Ge-
richtshof dasitzt u. Fasten anordnet u. die „ einzelnen“(= Angesehene, Vorzügliche,
s. oben Nr. 3 S. 83) fasten, sagt Gott: Ich kann das nicht ertragen, denn diese haben
mich mächtig gemacht (so wird HL 6, 5 gedeutet); sie haben mich
veranlaßt meine Hand nach meiner Welt auszustrecken (bei der Bestrafung der
Ägypter). Wenn der Gerichtshof Fasten anordnet u. die Kinder fasten, sagt Gott:
Ich kann das nicht ertragen, denn diese haben mich mächtig gemacht , si
haben mich als ihren König ausgerufen u. gesagt: Jahve ist König für immer u
ewig Ex 15, 18. Wenn man Fasten anordnet u. die Ältesten fasten, sagt Gott: Ich
kann das nicht ertragen, denn diese haben mich mächtig gemacht , sie haben
meine Königsherrschaft am Sinai auf sich genommen u. gesagt: Alles, was Jahve
geredet hat, wollen wir tun u. darauf hören Ex 24, 7. Und ferner steht geschrieben
Ps 87, 4: Ich will Rahabs (= Ägypten) u. Babels gedenken als solcher, die mich
kennen gelernt (wohl Beleg zu dem 1. Satz, der von den „ einzelnen“handelt). ||
pTaan 2, 65b, 19: R. Berekhja (um 340) veranstaltete 13 Fasten, aber es ging kein
Regen nieder, u. schließlich kamen (noch) Heuschrecken. Er kam u. sprach vor ihnen
(in einem Fastengottesdienst): Unsre Brüder, seht, was wir treiben, ist es nicht das,
was der Prophet uns vorwirft? „ Auf das Böse sind die Hände tüchtig aus“
Micha 7, 3, sie fügen einander Böses zu, u. verlangen (für sich) Gutes ? „Der
Vornehme fragt“ , wo die Bestechung sei, die er nehmen könne; „ und der Richter
ist da gegen Entgelt“ , vergilt mir, so vergelte ich dir! „ Der Große spricht die Be-
gierde seiner Seele aus, u. sie drehen es zurecht“ , sie machen dicht das Geflecht der
Verschuldungen (wörtlich: sie machen eine Dichtigkeit, sie machen ein Geflecht der
Verschuldungen). Und wer löst es auf (zerhaut denKnoten)? „ Der Beste unter ihnen
ist wie ein Dornstrauch“Micha 7, 4, der Beste unter ihnen gleicht den Dornen; „ der
Redlichste ist ärger als eine Hecke“ , der Redlichste unter ihnen ist gleich den Stachel-
hecken. „ Am Tage deiner Hoffenden kam deine Heimsuchung“(so Micha 7, 4b nach
dem Midr), am Tage, da wir auf Befreiung hofften, kamen die Heuschrecken über
uns. „ Nun möge sie (Befreiung) durch ihr Weinen kommen!“(so der Midr Micha 7, 4c,
indem „ihre Verwirrung“gedeutet wird = aus ihrem Weinen“
„ ), da-
durch daß sie weinen. So weinet denn! Da weinten sie u. es ging Regen nieder. ||
GnR 33 (20a) s. bei Mt 3, 9 S. 118f. ||pTaan 2, 65a, 56: R. Ba b. Zabda (um270) u.
R. Tanchum b. Illai (= Chanilai um 280) u. R. Joschijja (um 280) gingen zu einer
Fastenfeier. R. Ba b. Zabda trug vor: Nehmen wir unsre Herzen auf die Hände !
(so KL 3, 41 nach dem Midr). Aber ist denn das möglich? Gibt es einen Menschen,
der sein Herz nimmt u. in seine Hände legt? Vielmehr was bedeutet: Lasset uns
nehmen? Wir wollen unsre Herzen abschätzen in bezug auf das Innere unsrer Hände
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 7, B; Nr. 8) 103

(in bezug auf das, was wir in unsren Händen haben, ob etwa unrechtes Gut darin
sei) u. dann in bezug auf Gott im Himmel. Ebenso wenn ein Reptil in der Hand
eines Menschen ist, wird ihm, auch wenn er in den Wassern des Siloah oder in den
Schöpfungswassern ein Tauchbad nimmt, niemals Reinheit werden; wirft er es aber
aus seiner Hand fort, so ist er sofort rein. R. Tanchum b. Illai trug vor: Da beugten
sich die Fürsten Israels u. der König u. sprachen: Gerecht ist Jahve! Undals Jahve
sah, daß sie sich beugten, geschah das Wort Jahves zu Schemaja also: (Sie haben
sich gebeugt); „ sie haben gefastet“ steht hier nicht geschrieben, sondern „ sie
haben sich gebeugt“ , „so will ich sie nicht verderben“2 Chr 12, 7. R. Joschijja
trug vor: Reinigt euch selbst von Stroh u. (dann) reinigt (andre, so Zeph 2, 1 nach
dem Midr), reinigen wir uns selbst von Stroh, ehe wir andre reinigen! Da hier Leute
sind, die über mich bei R. Jochanan (†279) Verleumdung geredet haben, so gehe
jedermann (mit sich selbst) ins Gericht. Man hat gesagt: Es war dort R. Chijja
(b. Abba) u. R. Asi u. R. Ammi, sie erhoben sich u. gingen davon (weil sie sich ge-
troffen fühlten). –Eine Parallele mitAbweichungen inMidr KL3, 41 (72b). ||TTaan 1,8
(215) s. w. u. bei Nr. 9 Anm. a S. 107.
8. Besondere Fastenbräuche.
Mit dem Fasten war eine Reihe von Kasteiungen verbunden, die
gelegentlich bereits in den vorstehenden Abschnitten hier u. da Er-
wähnung gefunden haben u. an dieser Stelle im Zusammenhang auf-
gezählt werden mögen.
a. Anlegung eines sackartigen Gewandes , aram. ,
das aus groben, härenen Stoffen verfertigt war u. mit einem Strick
oder Gurt umdie Hüften zusammengehalten wurde. Ursprünglich war
dieses Sackgewand die Kleidung der Trauernden, zB Gn 37, 34; Ez 7,
18; Jes 3, 24; vgl. Riehm, HWB 1884 S. 1320.
Taan 14b: R. Elazar (um 270) hat gesagt: Ein angesehener Mann darf keinen
Sack (bei einer öffentlichen Fastenfeier) umgürten, es sei denn, daß er erhört würde
wie Jehoram der Sohn Ahabs. (Als Belegstelle wird 2 Kg 6, 30 angeführt.) – Die
Meinung geht dahin, daß ein angesehener Mann, wenn er trotz seines Sackgewandes
nicht erhört würde, in den Augen der Menge Einbuße an seinem Ansehen erleiden
möchte. ||Midr Abba Gorjon 6 Ende (ed. Buber 21a): Mardokkai kehrte zum Tor des
Königs zurück Esth 6, 12, das lehrt, daß er zu seinem Sack u. zu seinem Fasten zu-
rückkehrte. R. Chelbo (um 300) hat gesagt: Wer den Sack anlegt u. fastet, der legt
ihn von sich nicht ab, bis (dem Sinne nach = ohne daß) sein Erbetenes ihm ge-
worden. – In der Parallele Midr Panim acher. zu Esth 6, 12 (ed. Buber 38b) R. Levi
(um300) Autor; nur der 1. Satz als Ausspruch desRab Schescheth (um260) in Meg16a. ||
Taan 2, 1: Bei den Leuten von Ninive heißt es nicht: „Gott sah ihr Sackgewand u.
ihr Fasten an“ , sondern: „Gott sah ihre Werke an“ . – Die ganze Stelle oben bei
Nr. 3 S. 84f. – Zur Symbolik des Sackes s. Taan 16a bei Nr. 3 S. 84 Fußnote 4. ||
Taan 23b, 32 s. bei Nr. 9 Anm. q.
b. Sitzen in Asche u. Bestreuen des Kopfes mit Asche.
Targ Jes 58, 5: Ist das ein Fasten, daran ich Wohlgefallen habe, ein Tag, da ein
Mensch seine Seele (sich selbst) kasteit , wenn er seinen Kopf hangen läßt wie
hangendes Schilfgras u. auf Sack u. Asche sitzt? – Targ Esth 4, 17 s. bei Nr. 6
Anm. n S. 98. ||Wie Asche auf den Kopf gestreut wurde, so auch auf die Toralade.
Die Hauptstelle Taan 2, 1 s. bei Nr. 3 S. 84; ferner s. Taan 16a bei Nr. 3 S. 84
Fußnote 4. – Weitere hierher gehörende Stellen: Targ Jer 61, 3: Um ihnen (den um
Zion Trauernden) zu geben einen Kranz statt Asche. ||pTaan 2, 65a, 42: (Man tut
Asche auf das Haupt des Patriarchen Taan 2, 1.) R. Tachalipha von Cäsarea (um270)
hat gesagt: Um ihn öffentlich bloßzustellen; nicht gleicht der, welcher sich von
104 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 8)

selbst verächtlich macht, dem, der von einem andren verächtlich gemacht wird. –
Dasselbe in breiterer u. abweichender Fassung Taan 15bu. 16a; hier R. Abba von
Cäsarea (?) Autor. ||GnR 49 (31d, 6): R. Judan b. Pazzi (um 320) machte öffentlich
in der Gemeinde bekannt u. sprach: Jeder, zu dem der (so lies
statt ) „der Vorbeter“ (hier nach späterem Sprachgebrauch =
„Synagogenwärter“ ) nicht kommt, um Asche auf seinen Kopf zu legen, der nehme
selbst Asche u. lege sie auf seinen Kopf. – Dasselbe pTaan 2,65a, 40; hier
statt gesetzt Synagogendiener. ||pTaan 2, 65a, 36: (Warum
=
streut man Asche auf die Toralade?) R. Judan b. Manasse (im 3. Jahrh.) u.
R. Schemuël b. Nachman (um 260). Der eine sagte: Um an das Verdienst Abrahams
zu erinnern; u. der andre sagte: Uman das Verdienst Isaaks zu erinnern. Der, welcher
gesagt hat: „ Um an das Verdienst Abrahams zu erinnern“ , meint: sowohl Staub als
auch Asche (darf man als Streumaterial verwenden) wegen: „Obwohl ich Staub u.
Asche bin“Gn 18, 27. Der, welcher gesagt hat: „ Uman das Verdienst Isaaks zu er-
innern“, meint: nur Asche. Man sieht die Asche Isaaks, als ob sie auf dem Altar
(Gn 22, 9) zusammengebracht wäre. – Parallelstelle: GnR 49 (31d). ||pTaan 2, 65a,
33: (Warum tut man Asche von Verbranntem auf die Toralade?) Wegen: „ Ich (Gott)
bin mit ihm in Not“Ps 91, 15. R. Zeira (um300) hat gesagt: Sooft ich sie also habe
tun sehen, hat mein Leib gezittert (ob des Schimpfes, der der Toralade wegen unsrer
Sünden durch das Bestreuen mit Asche angetan wird). ||pTaan 2, 65a, 28: (Warum
streut man Asche auf die Toralade?) R. Huna der Ältere aus Sepphoris (gegen 300)
hat gesagt: Unsre Väter haben sie (die Lade) mit Gold bedeckt, u. wir bedecken
sie mit Asche.
c. Abhalten der Fastengottesdienste auf einem freien Platz der
Stadt oder zwischen den Gräbern des Friedhofes.
Taan 2, 1 s. oben bei Nr. 3; Taan 16a s. bei Nr. 3 S. 84 Fußnote 4. ||pTaan 2,
65a, 24: R. Chijja b. Ba (um 280) hat gesagt: Warum zieht man (bei den Fasten-
gottesdiensten) auf einen freien Platz der Stadt hinaus? Um damit zu sagen: Sieh
uns an, als wären wir Verbannte vor dir (Gott)! (Verbannung sühnt Sünden). R. Je-
hoschua b. Levi (um250) hat gesagt: Weil sie im Verborgenen (= in denSynagogen)
gebetet haben, ohne vor dir erhört zu werden, so sind sie nach draußen gezogen, um
öffentlich bloßgestellt zu werden. R. Chijja b. Ba hat gesagt: Undwarum schafft man
die Toralade hinaus auf einen freien Platz der Stadt? Um damit zusagen: Demeinen
kostbaren Gerät (= Tora), das wir besitzen, haben es unsre Sünden verursacht, daß
es beschimpft (verächtlich gemacht) wird. ... R. Levi (um 300) hat gesagt: Warum
zieht man hinaus zwischen die Gräber? Um damit zu sagen: Sieh uns an, als wären
wir Tote vor dir! R. Tanchuma (um 380) hat gesagt: Und dies alles liegt darin
(nämlich in dem Hinausschaffen der Lade ins Freie): Wenn wir des Todes schuldig
sind, siehe, hier sind Tote! Wenn der Verbannung, siehe, hier sind Verbannte!
Wenn des Hungers, siehe, hier sind Hungernde! ... In denTagen des R. Hela (um310)
hatte man die Toralade stehen lassen (auf einem freien Platz) u. war davongegangen.
Da sagte R. Zeira (um 300) zu ihnen: Ist nicht also als Bar gelehrt worden: Man
pflegte sich bei ihr nicht den ganzen Tag über abzulösen, sondern einer blieb da u. be-
wachte sie den ganzen Tag? – Diese Bar findet sich TTaan 1, 8 (215), nur muß
hier geändert werden in
d. Lärmblasen.
Taan 1, 3ff. s. bei Nr.3 S. 83. Taan 3, 5f.; 3, 2. 4 u. TTaan 2, 8ff. s. bei Nr.2, C
S. 82f. ||pTaan 2, 65a, 29: R. Jaaqob ausSüdjudäa (um300) hat gesagt: Warum stößt
man in die Hörner? Um damit zu sagen: Sieh uns an (o Gott), als ob wir wie das
Vieh vor dir brüllten! ||RH3, 4: Bei den Fastenfeiern sind (die Posaunen) aus ge-
bogenen Widderhörnern, u. ihr Mundstück ist mit Silber belegt, und die beiden
Trompeten waren in der Mitte. Die Posaune blies kürzere Zeit u. die Trompete längere
Zeit, weil das Gebot des Tages durch die Trompeten geschieht (vgl. Nu10, 9).
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 8; Nr. 9) 105

e. Unterlassen des Waschens u. Salbens des Körpers.


Zum Waschen s. Taan 1, 3ff. bei Nr. 3 Anfang u. Anm. c; zumWaschen u. Baden
am 9. Ab s. bei Nr. 4, am Versöhnungstag s. bei Nr. 2 A Anm. a. – Zum Salben
3ff. bei Nr. 3 Anfang s.
u.Taan
Anm. d;1, zum Salben am 9. Ab s. bei Nr. 4, am
Versöhnungstag s. bei Nr.2 A Anm. b.
f. Ablegen der Sandalen.
Hierzu s. Taan 1, 3ff. bei Nr. 3 Anf. u. Anm. e; ferner bei Nr.4 u. Nr. 2 A Anm. c. ||
Taan 12b: Rab (†247) hat gesagt: Wenn ein einzelner ein Fasten auf sich genommen
hat, darf er keine Sandalen anlegen.
g. Unterlassen des Beischlafs.
Taan 1, 3ff. bei Nr. 3 Anf. u. Joma 8, 1 bei Nr. 2 A Anfang.
h. Verzicht auf Handel u. Wandel, auf Verlöbnisse u. Heiraten u.
auf den gegenseitigen Friedensgruß.
Taan 1, 3ff. s. bei Nr.3 Anf.; speziell zum gegenseitigen Grüßen s. S. 84 Fußnote 2
u. TTaan 4, 12 (221) bei Nr. 4 Ende.
9. Wertung des Fastens.
Abfällige Urteile über das Fasten werden selten laut. Einige Bei-
spiele sind oben bei Nr. 6 Anm. v u. wmitgeteilt worden. Doch handelt
es sich in diesen Fällen immer nur um das selbsterwählte Fasten
eines einzelnen. Man darf also aus dergleichen Äußerungen keine
Schlußfolgerungen auf die Wertschätzung der von den Behörden an-
geordneten allgemeinen Fastenfeiern ziehen. Aus andren Stellen kann
entnommen werden, daß man sich der Gefahr, die Menge möchte im
Fasten ein opus operatum sehen, voll bewußt gewesen ist. Manbe-
tonte deshalb mit Recht u. mit Nachdruck, daß ein Fasten ohne die
rechte bußfertige Gesinnung u. ohne den aufrichtigen Vorsatz, vom
alten sündlichen Leben zu lassen, vor Gott wertlos sei.a Das alles
aber berührte die feststehende Meinung nicht, daß das Fasten ein
durchaus Gotte wohlgefälliges Werk sei. Schon Adam sollte gefastet
haben.b Darin sprach sich der Gedanke aus, daß der Verzicht auf
Speise u. Trank das älteste gewissermaßen mit der menschlichen
Natur von Gott selbst gegebene u. gewiesene Opfer sei, das Sünde
sühnen u. Strafe abwenden könne. Rab Schescheth (um 260) trug
deshalb kein Bedenken, im Fasten ausdrücklich ein Opfer zu sehen.c
Das Fasten ist darum auch größer als Almosen; denn jenes geschieht
mit dem Leibe u. dieses nur mit Geld.d Das Fasten erwirkt weiter
Erhörung der Gebetee u. hebt sogar göttliche Gerichtsbeschlüsse auf;f
es macht schlimme Träume zunichte,g überantwortet den bösen Trieb
in die Gewalt des Menschen,h bewahrt vor einem ungewöhnlichen
Tode,i ja selbst vor dem Feuer des Gehinnoms,k u. macht den
Menschen würdig, ein Heiliger u. Frommer genannt zu werden.l –
Besonders bezeichnend für dieAnschauungen, die manmit demFasten
verband, sind die oben bei Nr. 3 Anfang aus Taan 1, 3ff. mitgeteilten
Bestimmungen über ein 13tägiges Gemeindefasten. Mit jedem Fasten-
abschnitt wird das Fasten immer strenger u. strenger. Erst schickt
106 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9)

man einzelne (besonders Angesehene) als Freiwillige vor; sie dürfen


in den Nächten vor ihren drei Fasttagen noch Speise u. Trank ge-
nießen u. sind den Nebenkasteiungen (Unterlassen von Waschen,
Salben usw.) nicht unterworfen. Bleibt die Erhörung aus, so wird
die Masse ins Treffen geführt. Auch für sie gelten an den drei ersten
Fasttagen noch die erleichternden Bestimmungen, die für die ein-
zelnen Freiwilligen bestanden. Ist dieser erste dreitägige Fasten-
abschnitt vergangen, ohne daß Regen niederfiel, so folgen drei weitere
allgemeine Fasttage, an denen das Essen u. Trinken auch in den
voraufgehenden Nächten untersagt ist; die Arbeit ruht, die Wasch-
ungen u. Salbungen usw. unterbleiben. Bleibt der Regen weiter aus,
so werden jetzt sieben Fasttage angesetzt u. zu den früheren er-
schwerenden Bestimmungen treten neue hinzu: man bläst Lärm u.
die Kaufläden werden geschlossen. Bleibt auch das ohne Erfolg, so
wird Handel u. Wandel, Bauen u. Pflanzen, Heiraten u. Grüßen auf
das Mindestmaß beschränkt; man geht einher, wie wenn man von
Gott verstoßen wäre. Dieses planmäßige Verschärfen der Fastenvor-
schriften hat doch nur dann einen Sinn, wenn man allen Ernstes
glaubte, mit dergleichen äußerlichen Dingen einen Eindruck auf Gott
machen zu können, wenn man im Fasten u. in den es begleitenden
Kasteiungen ein Mittel sah, Gott zu nötigen, seinem Volk zu Willen
zu sein. Ausdrücklich forderte deshalb R. Jochanan (†279), daß man
gegebenenfalls mit dem Fasten fortfahren sollte, bis die Erhörung
erfolge.m Die Tendenz, auf Gott einen Druck auszuüben, verraten auch
die Anforderungen, die man an die Fastenpredigt stellte. Sie mußte
möglichst rührselig sein: Rührung unten auf Erden wirkt Rührung
oben im Himmel;n lautes Schreien u. Weinen ruft Gottes Mitleid
herbei.o Man bestimmte deshalb zu Fastenpredigern Leute, die sich
auf die Sache verstanden,p erprobte u. erfolgreiche Beter, Männer,
die Verdienste hinter sich hatten, denen Gott deshalb schon anstands-
halber ihr Gebet erhören mußte.q Immerhin war die Ehre, als Fasten-
prediger aufzutreten, eine äußerst zweifelhafte: erfolgte auf des Redners
Gebet alsbald Regen, so war er des Lobes der Menge gewiß;r blieb
aber die Erhörung aus, so kargte das Volk auch nicht mit hämischen
Bemerkungen.s Man kann es deshalb verstehn, wenn ein Vorbeter,
der etwas zu verlieren hatte, den Spieß auch einmal umkehrte u.
der Masse zurief, daß nicht beim Sprecher, sondern bei den Hörern
die Schuld der Nichterhörung liege.t Eine höchst peinliche Lage mußte
bei solchen Anschauungen entstehn, wenn etwa ein angesehener Lehrer
des Amtes eines Fastenpredigers ohne Gebetserfolge gewaltet hatte
u. dann nach ihm einer seiner Schüler auftrat und durch sein Gebet
sofort das Erbetene erlangte. Gekränkte Eitelkeit wollte dann natürlich
ganz besonders taktvoll behandelt sein.u Von hier aus wird der gute
Rat eines R. Elazar (um270) verständlich, daß ein angesehener Mann
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9) 107

sich nicht in allzu ostentativer Weise mit Sackumgürten u. Nieder-


fallen auf das Angesicht an den öffentlichen Fastenfeiern beteiligen
solle, es sei denn, daß er der Erhörung seines Gebetes gewiß sei.v
a. Taan 2, 1 s. oben bei Nr. 3 S. 84; Targ Jes 58, 5 s. bei Nr. 8, b; pTaan 2,
65a, 56 bei Nr. 7 Ende (S. 102). ||TTaan 1, 8 (215): Ein Alter (Ältester) unter ihnen
spricht vor ihnen (bei einer öffentlichen Fastenfeier) niederbeugende Worte: Meine
Kinder, nicht müsse ein Mensch sich schämen vor einem andren, noch müsse ein
Mensch sich schämen obseiner Werke; (u. doch) ist es besser, daß einMensch beschämt
werde von einem andren u. wegen seiner Werke, als daß er u. seine Kinder dastehn
müssen (lies mit Handschrift Wien ) in Hunger, wie es heißt: Warum haben
wir gefastet u. du hast es nicht angesehn? ... Soll dergleichen ein Fasten sein,
wie ich es liebhabe? ... Jes 58, 3ff. Aber welches ist ein Fasten, an demich Wohl-
gefallen habe? „ Ungerechte Fesselungen lösen, die Knoten des Joches aufspringen
lassen“usw. Jer 58, 6. Wenn ein Reptil in der Hand eines Menschen ist, so mag er
auch in den Wassern des Siloah u. in allen Wassern der Schöpfung ein Tauchbad
nehmen u. er wird doch nimmer rein. Wirft er aber das Reptil aus seiner Hand, so
hebt ein Bad in 40 Sea Wasser seine Unreinheit auf, wie es heißt: Wer (seine Ver-
gehungen) bekennt u. läßt, wird Barmherzigkeit erlangen Spr 28, 13. Ferner heißt es:
Nehmen wir unsre Herzen auf die Hände (so KL 3, 41 nach demMidr; zur Auslegung
der Stelle s. pTaan 2, 65a, 56 oben bei Nr. 7 B Ende S. 102). – Das Gleichnis vom
Reptil pTaan 2, 65a, 56 im Munde des R. Ba b. Zabda s. in Nr. 7; in Taan 16a, 36
im Munde des Rab Ad(d)a b. Ahaba, um250. – In Taan 16a, 29 lautet die Ansprache
an das Volk bei einem Fastengottesdienst: Unsre Brüder, nicht Sack u. Fasten machen
es, sondern Buße u. gute Werke machen es; denn so finden wir es bei den Leuten
von Ninive, daß es nicht von ihnen heißt: Gott sah ihr Sackgewand u. ihr Fasten,
sondern: Gott sah ihre Werke, daß sie umkehrten von ihrem schlimmen Weg Jona 3,
10. ||MidrPs 25 § 5 (106a): R. Pinechas (um 360) hat gesagt: ... Wenn die Gemeinde
fastet, tritt der Vorbeter vor die (Tora-)Lade. Während die Augen der Gemeinde an
ihm hangen, hangen seine Augen an Gott, der ihr Gebet erhört. Deshalb hat David
gesagt Ps 25, 3: „Auch alle, die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden; zuschanden
werden die ohne Ursach Treulosen“ , das sind die Leute, die ohne Buße fasten.
b. Er 18b: R. Meïr (um 150) sagte: Der erste Mensch ist ein großer Frommer
gewesen: als er sah, daß der Tod seinetwegen als Strafe verhängt wurde, saß er
130 Jahre lang im Fasten. ... ||AZ8a Bar: Als der erste Mensch sah, daß der Tag
immer kürzer u. kürzer wurde, sprach er: Wehe mir! vielleicht wird die Welt, weil
ich gesündigt habe, finster um mich u. kehrt in Wüste u. Leere zurück, u. das ist
der Tod, der vomHimmel über mich als Strafe verhängt ist. Da stand er auf u. saß
8 Tage lang im Fasten. Als er aber die Wintersonnenwende sah u. wahrnahm, wie
der Tag immer länger u. länger wurde, sagte er: Das ist der Lauf der Welt. Dann
ging er hin u. machte die acht Tage zu Feiertagen. – Zum Fasten Adams s. auch
Vita Ad6.
c. Berakh 17a: Wenn Rab Schescheth (um 260) im Fasten saß, sprach er, nachdem
er (das Fastengebet) gebetet hatte, also: Herr der Welten, offenbar ist es vor dir,
daß man zur Zeit, da der Tempel bestand, wenn ein Mensch gesündigt hatte u. ein
Opfer darbrachte, davon nur sein Fett u. sein Blut darbrachte, u. es wurde ihm
dadurch Sühnung verschafft. Jetzt sitze ich im Fasten, u. mein Fett u. mein Blut
wird vermindert; da sei es wohlgefällig vor dir, daß mein Fett u. mein Blut, welches
vermindert wird, gelte, als hätte ich es vor dir auf dem Altar dargebracht, u. daß
du mir verzeihest. – Zur Sühnkraft des Fastens vgl. auch Ps Sal 3, 8: Irrtumssünden
sühnt er (der Gerechte) mit Fasten u. kasteit sich gründlich; der Herr aber spricht
jeden frommen Mann u. sein Haus frei.
d. Berakh 32b: R. Elazar (um 270) hat gesagt: Das Fasten ist größer als Almosen.
Weshalb? Jenes geschieht mit dem Leibe, dieses mit Geld.
108 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9)

e. pBerakh 4, 8a, 1: Jahve wird dich amTage der Bedrängnis erhören Ps 20, 2....

Von hier aus hat man gesagt: Wer betet, ohne erhört zu werden, der soll fasten. –
„Tag der Bedrängnis“gedeutet = „ Tag des Fastens“ . – Dasselbe pTaan 2, 65c, 4. ||
Midr Qoh 10, 10 (48a) s. bei Nr. 7 S. 102. ||TanchB § 46 (57b): R. Abin, der Levit
u. Rabbinensohn (wohl II., um370), hat gesagt: Als sie (Abraham u. Isaak nach dem
Berg Morijja) gingen, kam der Satan zur Rechten Isaaks u. sprach: O, du unglück-
licher Sohn einer Unglücklichen, wieviel Fasten hat deine Mutter gefastet, bis du
kamst! Und nun ist der Alte närrisch geworden in seinem Alter u. siehe, er geht,
umdich zuschlachten! – Dasselbe anonym PesiqR 40 (170b); hier tritt derZusammen-
hang zwischen demFasten u. Beten schärfer hervor; es heißt: Wieviel Fasten hat deine
Mutter gefastet u. wieviel Gebete hat sie gebetet, bevor duihr kamst! ||Taan 8b: In den
Tagen des R. Zeira (um 300) war ein Edikt (von der römischen Regierung) erlassen
worden des Inhalts, daß man nicht im Fasten sitzen solle. Da sprach R. Zeira: Wir
wollen (ein Fasten als Gelübde) auf uns nehmen, u. wenn das Edikt aufgehoben ist,
wollen wir es (das Fasten) hinterher halten. Da sagte man zu ihm: Woher hast du
das? Er antwortete ihnen: Weil geschrieben steht: Er sprach zu mir: Fürchte dich
nicht, Daniel; denn von dem ersten Tage, da du dein Herz darauf richtetest, auf-
zumerken u. vor deinem Gott zu fasten, sind deine Worte erhört worden (so Dn 10, 12
nach dem Midr). – Also schon die Absicht zu fasten verbürgt die Erhörung des
Gebetes. – Ferner s. bei Nr. 6 Anm. b u. bei Nr. 8 Anm. a Midr Abba Gorjon Ende.
f. Berakh 31b s. bei Nr. 6 Anm. o S. 98. ||GnR 44 (27c): R. Judan (um 350) hat
im Namen des R. Elazar (um270) gesagt: Drei Dinge heben böse Verhängnisse auf,
u. diese sind: Gebet u. Almosen u. Buße; u. diese drei sind in einem Vers genannt.
Das ist es, was geschrieben steht 2 Chr 7, 14: „Wenn sich mein Volk beugt, über
welchem mein Name genannt ist, u. wenn sie beten“ , das ist das Gebet, „ u. wenn
sie mein Angesicht suchen“ , siehe, das sind Almosen, wie es heißt: Ich werde durch
Almosen dein Antlitz schauen (so Ps 17, 15 nach demMidr), „ u. wenn sie von ihrem
bösen Wege umkehren“ , das ist die Buße. Und darauf heißt es: „ So will ich ihre
Sünde verzeihen u. ihr Land heilen“ . ... R. Mani (, um370) fügte noch das Fasten
hinzu, wie es heißt: Es wird dich Jahve erhören am Tage der Bedrängnis (= des
Fastens) Ps 20, 2. – Dasselbe PesiqR Nachtrag 4 (200b, 15); Midr Qoh5, 6 (25b).
Nur der Ausspruch des R. Elazar: pTaan 2, 65b, 3; Tanch 10b; TanchB § 13
(19a); in den beiden letzten Stellen R. Jehuda b. Schalom, um370, als Tradent genannt.
g. Taan 12b s. bei Nr. 6 Anm. c u. Schab 11a bei Mt 1, 20 S. 61 Anm. m.
h. Joma 69b: Sie (die Israeliten in Neh9, 1ff.) saßen drei Tage u. drei Nächte-im
Fasten; da gab man (Gott) ihn (den bösen Trieb) in ihre Gewalt.
i. Taan 11a: Rab (†247) hat gesagt: Wer sich selbst Hunger auferlegt in den
Jahren einer Hungersnot, der wird vom ungewöhnlichen Tode errettet, wie es heißt:
Wegen des Hungers erlöst er dich vom Tode (so Hi 5, 20 nach dem Midr).
k. BM 85a s. bei Nr. 6 Anm. b.
l. Taan 11a: R. Elazar (um270) hat gesagt: (Ein Nasiräer) wird ein Heiliger ge-
nannt; denn es heißt: Er soll heilig sein, indem er groß werden läßt denfreien Wuchs
seines Haupthaares Nu6, 5. Wenn nun dieser, welcher sich nur eines Dinges (des
Weines) enthält, ein Heiliger genannt wird, um wieviel mehr gilt das dann von dem,
welcher (beim Fasten) sich aller Dinge enthält! ... Das. 11b: Resch Laqisch (um 250)
hat gesagt: Er wird ein Frommer genannt; denn es heißt: Wer sich selbst (der
Nahrung) entwöhnt, der ist ein frommer Mann (so Spr 11, 17 nach dem Midr). –
Ein gegenteiliges Urteil über den Fastenden s. Taan 11a bei 1 Kor 9, 25 A Nr. 2
Anm. d S. 404.
m. Taan 14b: R. Chijja b. Abba (um 280) hat gesagt, R. Jochanan (†279) habe
gesagt: Das (nämlich daß ein 13tägiges Fasten nicht verlängert werde) hat man nur
in bezug auf die Regengüsse gelehrt; aber bei allen übrigen Arten von Strafen fastet
man immer weiter, bis man vomHimmel erhört wird. Eine Bar lautet ebenso: Wenn
man (Taan 1, 5f.) gesagt hat: „Drei (u. drei) u. sieben Fasttage“ , so hat man das
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9) 109

nur in bezug auf die Regengüsse gesagt; aber bei allen übrigen Arten von Strafen
fastet man immer weiter, bis man erhört wird.
n. Midr HL 6, 5 (123a) s. bei Nr. 7 B S. 102; GnR 33 (20a) bei Mt 3, 9 S. 118f.;
einzelnes aus Taan 16a bei Nr. 3 S. 84 Fußnote 4; pTaan 2, 65a, 24 bei Nr. 8
Anm. c. ||Taan 24a: R. Jehuda (II., um 250) der Patriarch, ordnete ein Fasten an
u. batumErbarmen; aber es kamkeinRegen. Ersprach: Wasfür einAbstand istzwischen
Samuël aus Rama u. Jehuda b. Gamliël! Wehe dem Geschlecht, das in eine solche
Lage gebracht wird; wehe dem, über den solches in seinem Leben kommt! Da wurde
sein Sinn schwach (entmutigt, wodurch Gottes Mitleid wachgerufen wurde), u. es
kamRegen. ||pTaan 3, 67a, 40: Wenn Rabban Jochanan b. Zakkai (†um80) wünschte,
daß Regen fiel, sagte er zu seinem Haarschneider: Stelle dich vor den Tempel (u.
sage): Weil mein Herr sich gern möchte scheren lassen, aber nicht die Macht dazu
hat (da er wegen des Ausbleibens des Regens trauert u. ein Trauernder sich nicht
scheren lassen darf), ist er betrübt worden. Sofort fiel Regen nieder. (Das Betrübtsein
des Rabban Jochanan b. Z. rührte Gott zumMitleid.) – Die Stelle wird übrigens sehr
verschieden gedeutet, s. dazu die Kommentare; die vorstehende Übersetzung gibt den
Wortlaut wieder. ||Taan 24a: Rab Nachman (†320) ordnete ein Fasten an, er bat
um Erbarmen, aber es kam kein Regen. Da sagte er: Nehmt denNachman u. stoßt
ihn von der Mauer zur Erde. Da ward sein Sinn schwach (entmutigt), u. es kam
Regen. (Rab Nachmans Verhalten rief Gottes Mitleid hervor.) ||Taan 25a: Levi (b.Sisi,
um200) ordnete ein Fasten an, aber es kam kein Regen. Er sprach: Herr der Welt,
du bist in die Höhe gefahren u. thronst im Himmel u. hast kein Erbarmen mit deinen
Kindern! Da kam Regen. (Der Vorwurf der Unbarmherzigkeit rührt Gott zum Er-
barmen.) Aber Levi wurde lahm (zur Strafe für seine ungeziemenden Worte).
o. GnR 33 (20c) s. bei Nr. 7 B Anfang; pTaan 2, 65b, 19 ebenda S. 102; einzelnes
aus Taan 16a bei Nr. 3 S. 84 Fußnote 4; pTaan 2, 65a, 29 bei Nr. 8 Anm. d. ||
Taan 25b Bar: Einmal ordnete R. Eliezer (um 90) 13 Fasten für die Gemeinde
an; aber es fiel kein Regen nieder. Zuletzt fing die Gemeinde an fortzugehn. Er sprach
zu ihnen: Habt ihr schon die Gräber für euch hergerichtet? Da schrie alles Volk mit
Weinen, u. Regengüsse gingen nieder.
p. Taan 2, 2 bei Nr. 3 S. 85; Taan 16a, 41 ebenda S. 85 Fußnote 1.
q. Erprobte u. erfolgreiche Beter begegnen zB Taan 3, 8: Einst sprach man zu
Choni, demKreiszieher (Zeitgenosse des um90 v. Chr. lebenden Schimon b. Schāā ch):
Bete, daß Regengüsse niedergehn! Er antwortete: Geht u. schaffet die Bratöfen für
die Passahlämmer (von den Höfen) hinein, damit sie nicht (infolge des Regens) auf-
weichen. Dann betete er, aber es fiel kein Regen. Was tat er? Er zog einen Kreis
u. stellte sich hinein u. sprach vor ihm (Gott): Herr der Welt, deine Kinder haben
ihr Angesicht auf mich gerichtet, weil ich wie ein Kind des Hauses vor dir bin.
Ich schwöre bei deinem großen Namen, daß ich nicht von hier (aus diesem Kreise)
weiche, bis dudich über deine Kinder erbarmst! Da begann derRegen niederzutröpfeln.
Er sprach: Nicht um solchen Regen habe ich gebeten, sondern umRegen für Gruben,
Zisternen u. Höhlen (d. h. um massenhaften Regen). Da begann der Regen mit
Heftigkeit zu fallen. Er sprach: Nicht um solchen Regen habe ich gebeten, sondern
um Regen des Wohlgefallens, des Segens u. der Ergiebigkeit. Da gingen die Regen-
güsse ordentlich nieder, bis die Israeliten von Jerusalem zumTempelberg der Regen-
güsse wegen hinaufgingen. Man kam u. sagte zu ihm: Wie du um sie gebetet hast,
daß sie niederfallen möchten, so bete, daß sie aufhören (weichen)! Er sprach zu
ihnen: Geht u. seht zu, ob der oim-Stein1 sich aufgelöst hat (d. h. sowenig dies
möglich ist, sowenig darf darum gebetet werden, daß der Überfülle des Guten Ein-
halt geschehe). Da ließ ihm Schimon b. Schatach (um 90 v. Chr.) sagen: Wenn du
nicht Choni wärest, würde ich den Bann über dich verhängen (wegen deines un-

1 „Stein der Vermissenden“(?), ein großer Stein in Jerusalem, bei


welchem gefundene Gegenstände vom Finder öffentlich ausgerufen wurden.
110 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9)

gebührlichen Betens). Allein was soll ich dir tun? Du benimmst dich zutraulich vor
Gott, u. er tut auch deinen Willen, wie wenn sich ein Kind zutraulich gegen seinen
Vater benimmt, u. er tut ihm seinen Willen. Und in bezug auf dich hat die Schrift
gesagt: Es freue sich dein Vater u. deine Mutter, u. es frohlocke deine Gebärerin!
Spr 23, 25. – Dasselbe mit Erweiterungen pTaan 3, 66d, 42–67a, 5; als Bar Taan 23a,
s. einen Teil davon bei Mt 6, 9 S. 416 Anm. p; das Auftreten des Schimon b. Schatach
gegen Choni auch Berakh 19a. ||Auch zwei Enkelsöhne des Choni, Abba Chilqijja u.
Chanin Hanechba (?), etwa Zeitgenossen Jesu, waren gesuchte u. erfolgreiche Beter.
Taan 23a, 42: Abba Chilqijja war der Enkelsohn des Choni, des Kreisziehers. Wenn
die Welt des Regens bedurfte, pflegten es ihm die Rabbinen sagen zu lassen, dann
flehte er um Erbarmen, u. es kam Regen. Einmal bedurfte die Welt des Regens.
Man sandte Rabbinen zu ihm, daß er um Erbarmen flehen möchte, damit Regen
niederfalle. Sie gingen in sein Haus, trafen ihn aber nicht an; sie gingen aufs Feld;
da trafen sie ihn wohl an, aber er wandte sich ihnen nicht freundlich zu (er begrüßte
u. beachtete sie nicht). Als er am Abend Ästchen gesammelt hatte, trug er die Ästchen
u. das Grabscheit auf der einen Schulter u. den Mantel auf der andren Schulter.
Den ganzen Weg legte er keine Schuhe an, als er aber an ein Wasser kam, legte
er die Schuhe an; als er an Distel- u. Dorngestrüpp kam, hob er sein Kleid auf;
als er in die Stadt kam, ging ihm seine Frau wie eine Geputzte entgegen; als er nach
seinem Haus kam, ging seine Frau zuerst hinein, dann ging er hinein u. dann
gingen die Rabbinen hinein. Er setzte sich u. speiste, ohne zu den Rabbinen
zu sagen. Kommt, speiset (mit mir)! Er teilte Brot seinen Kindern zu: dem
älteren ein Stück, dem jüngeren zwei. Er sagte zu seiner Frau: Ich weiß, daß
die Rabbinen wegen des Regens gekommen sind; wir wollen (heimlich) zum Dach
emporsteigen u. um Erbarmen flehen; vielleicht daß Gott gnädig ist u. daß Regen
kommt, dann rechnet man es uns nicht als Verdienst an. Sie stiegen zum Dach
empor: er stand in einem Winkel u. sie in einem andren Winkel. Zuerst stiegen
Wolken auf von jenem Winkel seiner Frau. Als er herabkam, sprach er zu ihnen:
Weshalb sind die Rabbinen gekommen? Sie antworteten ihm: Die Rabbinen haben
uns zu dem Herrn gesandt, daß er um Erbarmen flehen möchte in bezug auf Regen.
Er sprach zu ihnen: Gepriesen sei Gott, daß er euch nicht des Abba Chilqijja hat
benötigt werden lassen! Sie antworteten ihm: Wir wissen, daß der Regen wegen
des Herrn gekommen ist. Aber es erkläre uns der Herr jene Dinge, die uns zumStaunen
waren. Aus welchem Grunde hat der Herr, als wir ihm den Friedensgruß entboten,
sich uns nicht freundlich zugewandt? Er sprach zn ihnen: Ich war ein Tagelöhner
u. meinte, daß ich nicht müßig sein dürfte. Und aus welchem Grunde hat der Herr
die Ästchen auf seiner einen Schulter u. den Mantel auf seiner andren Schulter ge-
tragen? Er antwortete ihnen: Der Mantel war geborgt; für diesen Zweck hatte ich
ihn geborgt , für jenen Zweck (um als Unterlage für das Holzbündel zu dienen)
hatte ich ihn nicht geborgt. Aus welchem Grund hat der Herr den ganzen Weg keine
Schuhe angelegt u. warum hat er Schuhe angelegt, als er an ein Wasser kam? Er
antwortete ihnen: Auf dem ganzen Wege sehe ich (wohin ich trete), im Wasser sehe
ich es nicht. Aus welchem Grunde hat der Herr, als er an Distel- u. Dorngestrüpp
kam, sein Kleid aufgehoben? Er antwortete ihnen: Das eine (Verletzung der Beine)
vernarbt, das andre (Verletzung des Kleides) vernarbt nicht. Aus welchem Grunde
ging dem Herrn, als er nach der Stadt kam, die Frau des Herrn wie eine Geputzte
entgegen? Er antwortete ihnen: Damit ich meine Augen nicht auf eine andre Frau
richte. Aus welchem Grunde ging sie zuerst (in das Haus) hinein, u. dann ging der
Herr hinterher hinein u. dann gingen wir hinein? Er anwortete ihnen: Weil ihr mir
nicht erprobt wart (in bezug auf eure Ehrlichkeit, u. eine bewährte Lebensregel lautet:
Jeder Mensch sei in deinen Augen wie ein Räuber, s. Dèrekh Ereç 4 Ende bei
Joh 12, 43 S. 554 unten). Aus welchem Grunde hat der Herr, als er speiste, nicht
zu uns gesagt: Kommt, speiset (mit mir)? Weil nicht viel Brot da war, u. ich meinte,
daß ich die Rabbinen nicht umsonst zu Dank verpflichten sollte. Aus welchem
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9) 111

Grunde hat der Herr dem älteren Kinde ein Stück Brot gegeben u. dem jüngeren
zwei? Er antwortete ihnen: Jenes hält sich zu Hause auf (u. erhält Brot, sooft es
Hunger empfindet), u. dieses sitzt in der Schule. Aus welchem Grunde sind die Wolken
von dem Winkel, wo die Frau des Herrn stand, früher aufgestiegen als sein eigenes
Gewölk? Weil die Frau sich zu Hause befindet u. Brot den Armen gibt u. so (un-
mittelbar) Genuß gewährt, während ich Geld gebe u. nicht (unmittelbar) Genuß ge-
währe. Oder auch: Weil ich betreffs jener zügellosen Menschen in unsrer Nachbar-
schaft erfleht hatte, daß sie sterben möchten, während sie erflehte, daß sie in Buß-
fertigkeit umkehren möchten. – Dasselbe wird pTaan 1, 64b, 54 über einen Frommen
aus Kephar-Immi (?) erzählt. – Zu Chanin Hanschba (?) s. Taan 23b bei Mt 5, 45
S. 375. ||Taan 24b, 36: R. Chanina b. Dosa (ein wundertätiger Asket um 70 n. Chr.,
s. bei Joh 4, 47ff. S. 441) befand sich unterwegs; es kam Regen; er sprach vor ihm:
Herr der Welt, alle Welt befindet sich in Wohlbehagen u. Chanina in Not! Da
hörte der Regen auf. Als er nach Hause gekommen war, sprach er vor ihm: Herr
der Welt, alle Welt befindet sich in Not u. Chanina in Wohlbehagen! Da kam Regen. ||
Taan 24b, 15: (Rab Jehuda, †299) sprach zu seinem Diener: Ziehe mir meine San-
dalen aus! (Er wollte fasten wegen Regenmangels, u. dazu gehörte das Ablegen der
Sandalen.) Er zog ihm eine Sandale aus; da kam Regen. (Die ersten Vorbereitungen
des Rab Jehuda zum Fasten genügten schon, das Niederfallen des Regens zu ver-
anlassen). Als er ihm die andre ausziehen wollte, kam (der Prophet) Elias u. sprach
zu ihm: Gott hat gesagt: Wenn du die andre Sandale ausziehst, zerstöre ich (durch
alles überflutenden Regen) die Welt.1 – Den Anfang der Stelle (Taan 24b) s. bei
Lk 15, 16 S. 215 Anm. e. – Zum erfolgreichen Fasten des Rab Jehuda vgl. auch
Taan 24a in Anm. t. ||Taan 23b, 32: R. Zeriqa (um 300) sagte zu Rab Saphra:
Komm u. sieh, was für ein Unterschied ist zwischen einem Gewaltigen des Landes
Israel u. den (Demütigen) Frommen Babels. Rab Huna (†297) u. Rab Chisda (†309,
zwei Babylonier) sagten, wenn die Welt Regen nötig hatte: Wir wollen uns zusammen-
tun u. um Erbarmen bitten, vielleicht ist Gott gnädig, daß Regen kommt. Die Ge-
waltigen des Landes Israel aber, wie zB R. Jona2 (um 350), der Vater des R. Mani,
ging, wenn die Welt Regen nötig hatte, in sein Haus u. sprach zu ihnen (seinen
Hausleuten): Gebt mir einen Sack, daß ich gehe u. mir für einen ZuzGetreide hole.
Wenn erdannhinausgegangen war, ging er u. stellte sich an einen tiefen Ort, wiees heißt:
Aus denTiefen rufe ich dich, Jahve Ps 130, 1, u, stellte sich an einen verborgenen Ort
u. hüllte sich in einen Sack u. bat umErbarmen, u. es kamRegen. Wenn er dann nach
Hause kam u. manzuihmsagte: Hat der Herr Getreide gebracht? so antwortete er ihnen:
Ich dachte, weil nun Regen gekommen ist, wird sich die Welt erleichtert fühlen. ||
pTaan 1, 64b, 41 s. bei Lk 7, 37 A S. 162. ||pTaan 1, 64b, 47: Dem R. Abbahu (um300)
erschien im Traum, daß, wenn (ein gewisser) Penteqaqa beten würde, Regen kommen
werde. Da fiel Regen. R. Abbahu ließ ihn kommen (u. fragte ihn nach seiner Be-
schäftigung). Er antwortete ihm: Fünf Übertretungen (lies: ) begeht dieser
Mann (= ich) an jedem Tage (daher sein Name Penteqaqa = 5 Übeltaten): er ver-
mietet Buhlerinnen, reinigt das Theater, schafft ihre (der Buhlerinnen) Kleider ins
Waschhaus, klatscht in die Hände u. tanzt vor ihnen u. schlägt die Pauke vor ihnen.
Er sprach zu ihm: Undwas hast du Gutes getan? Er antwortete ihm: Einmal reinigte
ich das Theater, es kam eine Frau u. stellte sich hinter eine Säule u. weinte. Ich
sprach zu ihr: Was ist dir? Sie antwortete mir: „ Mein Mann ist gefangen gesetzt,
u. ich will sehen, was ich tun kann, ihn auszulösen“. Da verkaufte ich mein Bett u.
die Decke meines Bettes u. gab ihr den Erlös davon u. sprach zu ihr: Hier hast
du es, löse deinen Mann aus, aber sündige nicht (als Buhlerin). Da sagte R. Abbahu
1 Ähnliches erzählt pTaan 3, 67a, 42 von Rab Ad(d)a b. Achava (um 250?).
2 Bacher, pAmor 3, 755. 7: „
Aus chronologischen Gründen mußangenommen werden,
daß das letztere (R. Jonas) Beispiel erst später dem Ausspruche Zeriqas angefügt
wurde.“
112 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9)

zu ihm: Du bist würdig zu beten u. erhört zu werden. ||BM 85b: Rabbi († 217?)
ordnete ein Fasten an. Er ließ (vor die Lade als Vorbeter) treten den R. Chijja (um200)
u. dessen Sohn. Er (R. Chijja) sprach: „ Der den Wind wehen läßt“(Worte aus der
2. Benediktion des Achtzehngebetes), da wehte der Wind. Er sprach: „ Der den Regen
herabfallen läßt“(ebenda). da kam Regen. Als er im Begriff war zu sagen: „ Der die
Toten lebendig macht“(ebenda), da bewegte sich die Welt. Man sagte im Himmel:
Wer hat die Geheimnisse in der Welt offenbart? Man sagte: (Der Prophet) Elias.
Man ließ den Elias kommen u. schlug ihn mit 60 Feuerschlägen. Da kam er u. er-
schien ihnen wie ein feuriger Bär u. fuhr unter sie (R. Chijja u. seine Söhne) u. ver-
wirrte sie. ||Taan 24a: Rabbi (†217?) ordnete ein Fasten an, aber es kam kein
Regen. Es trat (als Vorbeter) hin Ulpa oder, wie andre sagen, R. Ilpai. Er sprach:
„Der den Wind wehen läßt“(s. voriges Zitat), da wehte der Wind; „ der den Regen
fallen läßt“, da kam Regen. Er sprach zu ihm: Was ist dein Tun (d. h. was hast
du Gutes getan, daß dein Gebet sofort erhört wurde)? Er antwortete ihm: Ich wohne
in einem armseligen Ort, in welchem es keinen Wein zur Weihe u. Aussegnung des
Sabbats (u. sonstiger Feiertage) gibt. Da mühe ich mich nun u. schaffe Wein zur
Weihe u. Aussegnung des Sabbats herbei u. lasse sie so ihrer Pflicht genügen, ||
Taan 24a s. bei Mt 10, 8 S. 563 Anm. e.
r. Vgl. R. Chaggais (um 330) jedes eigene Verdienst ablehnenden Ausspruch LvR 3
(106d): R. Chaggai ordnete ein Fasten an; da fiel Regen nieder. Er sprach: Nicht
weil ich dessen würdig bin, sondern weil geschrieben steht: Er verachtet u. verab-
scheut nicht das Leid der Leidvollen Ps 22, 25. – Dasselbe Midr Ps 23 § 30 (98b). –
Ferner s. das Lob, das die Sepphorenser dem R. Jehoschua b. Levi spenden, pTaan 3,
66c, 42: Einmal mußte man in Sepphoris (dem Wohnsitz des R. Chanina b. Chama,
um225) ein Fasten veranstalten; aber es fiel kein Regen nieder. R. Jehoschua (b. Levi
um250) veranstaltete ein Fasten im Südbezirk (in Lydda), u. es fiel Regen nieder.
Da sagten die Sepphorenser: R. Jehoschua b. Levi läßt den Südjudäern Regen
niederfallen, aber R. Chanina hält das Wasser von den Sepphorensern zurück!
(Die Fortsetzung s. in Anm. t.) – In der Parallele Taan 25a heißt es: R. Chanina
b. Chama (so lies statt: R. Chama b. Chanina) ordnete ein Fasten an, aber
es kam kein Regen. Sie sagten zu ihm: Siehe, R. Jehoschua b. Levi hat ein
Fasten angeordnet, u. es kam Regen! Er antwortete ihnen: Dieses bin ich u. jenes
ist der Sohn Levis! – Auch das kam vor, daß eine Gemeinde, wenn unmittelbar
vor oder nach einem Gemeindefasten Regen niederging, dies ihrem eigenen Verdienst
zuschrieb. Taan 25b: Schemuël der Kleine (um 100) ordnete ein Fasten an; da gingen
ihnen Regengüsse nieder vor dem Aufleuchten der Sonne (also noch vor Beginn des
Fastens). Wie das Volk meinte, sollte das den Ruhm der Gemeinde besagen. Da
sprach er zu ihnen: Ich will euch ein Gleichnis sagen. Womit läßt sich das ver-
gleichen? Mit einem Knecht, der von seinem Herrn den Lohn forderte. Da sprach
dieser: Gebt ihm, daß ich seine Stimme nicht (mehr) höre! Wiederum ordnete Schemuël
der Kleine ein Fasten an, u. es gingen ihnen Regengüsse nach dem Untergang der
Sonne nieder (also unmittelbar nach Beendigung des Fastens). Wie das Volk meinte,
sollte das den Ruhm der Gemeinde besagen. Da sprach Schemuël zu ihnen: Das ist
kein Ruhm für die Gemeinde; aber ich will euch (so lies statt: „dir“ ) ein Gleichnis
sagen. Womit läßt sich das vergleichen? Mit einem Knecht, der von seinem Herrn
den Lohn forderte. Da sprach dieser zuihnen: Laßt ihn warten, bis er mürbe geworden
ist u. sich zermartert hat, u. dann gebt ihm! Und in welchem Fall kommt nach
Schemuël dem Kleinen der Ruhm der Gemeinde in Betracht? Wenn man sagt: „ Der
den Wind läßt wehen“(Worte aus der 2. Benediktion des Achtzehngebets), u. (als-
bald) weht der Wind; wenn man sagt: „ Der den Regen niederfallen läßt“(ebenda),
u. (alsbald) kommt Regen. – Eine Parallele mit starken Abweichungen im zweiten
Teil Meg Taan 12.
s. Vgl. oben in Anm. r die Worte der Sepphorenser über R. Chanina b. Chama
pTaan 3, 66c, 42 u. Taan 25a; ferner s. Taan 24a in Anm. t Anfang. ||pTaan 3,
6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9) 113

66d, 6: R. Acha (um 320) veranstaltete 13 Fasten; aber es ging kein Regen nieder.
Als er hineinging (wohl in die Synagoge), begegnete ihm ein Samaritaner; der sprach
zu ihm: Rabbi, Rabbi, winde deinen Mantel vomRegen aus! (Ein Wort des Hohnes.)
Er antwortete ihm: Beim Leben dieses Mannes (= bei deinem Leben), der Himmel
wird Wunder tun u. das Jahr wird ein glückliches werden, aber dieser Mann (= du)
wird es nicht erleben! Und der Himmel tat Wunder u. das Jahr wurde ein glück-
liches, aber jener Samaritaner starb. Und alle Leute sagten: Kommt, seht eine Bahre
voller Sonnenschein! (Ein Hohnwort, das dem des Samaritaners angepaßt ist.)
t. Taan 24a: Rabbah (†331) ordnete ein Fasten an, er flehte um Erbarmen, aber
es kam kein Regen. Sie sagten zu ihm: Siehe, wenn Rab Jehuda (†299) ein Fasten
anordnete, dann kam Regen! Er sprach zu ihnen: Was soll ich tun? Wenn es wegen
des Studiums wäre, so sind wir tüchtiger als sie (die Früheren). Denn in den Jahren
des Rab Jehuda bestand das ganze Studium in dem des Mischnatraktats Neziqin (der
von den Beschädigungen handelt), während wir in (allen) sechs Ordnungen (der
Mischna) studieren. ... Und siehe, wenn Rab Jehuda nur einen Schuh auszog (um
das Fasten zu beginnen), so kam (sofort) Regen, während wir den ganzen Tag schreien,
u. es ist niemand da, der sich um uns kümmert. Wenn es aber wegen unsres Tuns
ist, so soll, wenn einer da ist, der etwas gesehen hat, er es sagen. Aber was sollen
die Großen eines Zeitalters machen, wenn ihre Generation ihnen nicht gleichwertig
ist? ||pTaan 3, 66c, 45 (Fortsetzung des Zitats in Anm. r): Sie mußten noch einmal
ein Fasten veranstalten. Da ließ er (R. Chanina) den R. Jehoschua b. Levi kommen.
Er sprach zu ihm: Möge doch mein Herr die Freundlichkeit haben, mit uns zumFasten
hinauszugehn! Da gingen sie beide zur Fastenfeier hinaus; aber es ging kein Regen
nieder. Er ging u. sprach vor ihnen: Nicht läßt R. Jehoschua b. Levi den Südjudäern
Regen niedergehn u. nicht hält R. Chanina den Regen von den Sepphorensern zurück;
vielmehr ist das Herz der Südjudäer weich u. sie hören auf das Wort der Tora u.
beugen sich demütig; aber das Herz der Sepphorenser ist hart u. sie hören wohl das
Wort der Tora, aber sie beugen sich nicht demütig. Als er ging, erhob er seine Augen
u. sah, daß die Luft klar war. Er sprach: Noch immer so (obwohl wir gefastet u.
gebetet haben)? Sofort ging Regen nieder. Dagelobte er bei sich selbst, daßer nicht noch
einmal also tun wolle (um durch ein ungebührliches Wort die Erhörung seines Ge-
betes zu erzwingen). Er sprach: Darf ich zu meinem Gläubiger sagen, daß er seine
Schuld nicht einziehen dürfe? – Nach der im einzelnen abweichenden Parallelstelle
Taan 25a lauteten die ungebührlichen Gebetsworte des R. Chanina b. Chama (so lies
statt: R. Chama b. Chanina): Himmel, Himmel, bedecke dein Angesicht! Als er sich
nicht bedeckte, sprach er: Wie frech ist doch das Angesicht des Himmels! Da be-
deckte er sich u. es kam Regen. – Vgl. auch pTaan 3, 66c, 38: In Sepphoris war
eine Seuche, sie drang aber nicht ein in die Straße, in der R. Chanina wohnte. Da
sagten die Sepphorenser: Was ist das mit diesem Alten bei uns? ( offenbar ein
Druckfehler.) Er sitzt wohlbehalten da, während seine Nachbarschaft u. die (ganze)
Stadt im Elend zugrundegeht! Er ging u. sprach vor ihnen: Ein Zimri war in seiner
Generation, u. es fielen von Israel 24000 (Nu25, 9. 14); u. wie viele Zimris gibt es
in unsrer Generation, da wollt ihr murren?
u. pTaan 3, 66c, 64: R. Eliezer (um 90) veranstaltete eine Fastenfeier, aber es ging
kein Regen nieder. Da veranstaltete R. Aqiba (†um 135) eine Fastenfeier, u. es
ging Regen nieder. Er ging u. sprach vor ihnen: Ich will euch ein Gleichnis sagen. Wo-
mit läßt sich das vergleichen? Mit einem König, der zwei Töohter hatte. Die eine
war unverschämt u. die andre tugendhaft. Wenn jene Unverschämte etwas wünschte
u. vor ihn kam, sagte er: Gebt ihr, was sie wünscht, damit sie wieder abzieht! (Ihr
gleiche er, R. Aqiba.) Wenn aber jene Tugendhafte vor ihn kam, dann hatte er lange
Geduld (zog er die Gewährung ihrer Bitte lange hin), weil er ihre Rede gern hörte.
(Ihr gleiche R. Eliezer.) – In der Bar Taan 25b wird obiger Vorfall in dieser Form
berichtet: R. Eliezer trat vor die(Tora-)Lade u. sprach die 24 Benediktionen (s. Taan 2, 2
in Nr. 3 S. 85); aber er wurde nicht erhört. Nach ihm trat R. Aqiba vor die Lade
Strack u. Billerbeck, NT IV 8
114 6. Exkurs: Vom altjüdischen Fasten (Nr. 9)

u. sprach: Unser Vater, unser König, wir haben keinen König außer dir! Unser Vater
unser König, um deinetwillen erbarme dich über uns! Undsofort gingen Regengüsse
nieder. Als die Gelehrten unwillig wurden, ging eine Himmelsstimme aus, welche
rief: Nicht daß dieser (Aqiba) größer wäre als jener; aber jener (R. Aqiba) ist nach-
giebig, u. dieser (R. Eliezer) ist nicht nachgiebig.
v. Taan 14b: R. Elazar (um 270) hat gesagt: Ein angesehener Mann darf (bei einer
öffentlichen Fastenfeier) nicht auf sein Angesicht fallen, es sei denn, daß er Erhörung
finde wie Josua, der Sohn Nuns, wie es heißt: Da sprach Jahve zu Josua: Stehe auf
warum doch liegst du auf deinem Angesicht? (Vgl. hierzu Meg22b bei Lk 22, 41
S. 261 Nr. 4 Anm. a.) Die Fortsetzung s. oben bei Nr. 8, a S. 103.
Siebenter Exkurs
Das altjüdische Synagogeninstitut
(zu Mt 4, 23)
1. Namen.
συναγωγ ήbedeutet im NT α ) Versammlung Apg 13, 43; Jak 2, 2;
β) Gemeinde Apg 6, 9; 9, 2; Offb 2, 9; 3, 9; γ) meist Versammlungs- oder
Gemeindehaus, zB Mt 4, 23; 6, 2; Mk 1, 21. 23. 29; Lk 4, 15. 16. 20;
Joh. 6, 59; 18, 20; Apg 9, 20; 13, 14; 15, 21 u. ö. – Das neuhebräische
Äquivalent (so Dalman; Strack: ), aram. , hat ebenfalls
diese dreifache Bedeutung: α ) Versammlung zB in der Verbindung
„die Männer der Großen Versammlung“ , die Vertreter
des Volkes zur Zeit Esras u. später; β ) Gemeinde zB in demhäufigen
Gemeinde Israel“
„ ; γ) Synagogengebäude zB in dem Titel
„Synagogenaufseher“oder „ Synagogendiener“. In der Regel
steht jedoch in letzterem Fall das vollere u. deutlichere ,a
aram. , „Versammlungshaus“= Synagogengebäude. –Äußerst
selten findet sich zur Bezeichnung des Versammlungshauses das dem
griechischen π ρ οσευ χή entsprechende b „Bethaus“ , aram.
a. Daß unter Umständen auch die „ Synagogengemeinde“ b ezeichnen
kann, beweist TBikk 2, 8 (101): Die Aufseher u. die ganze Gemeinde
zogen mit ihnen (den Überbringern der Erstlingsfrüchte nach Jerusalem) hinauf. ||
pMeg 3, 74a, 16: Die drei (Vertreter) einer Synagogengemeinde gelten
als (die ganze) Synagogengemeinde , die sieben (Vorsteher oder Vertreter)
der Stadtbewohner gelten als (ganze) Stadt. – Ferner s. Soa 38b.
b. Belege s. bei Mt 21, 13 A S. 852 Nr. 2. – Hier sei noch verwiesen auf Gi 39b:
Rab Nachman b. Jiçchaq (†356) traf den Rabba b. Scheeletha, wie er an der Tür des
Bethauses (= , Raschi) stand.
2. Das Alter der Synagogen.
Die Sitte, an den Sabbaten gottesdienstliche Zusammenkünfte zu
halten, ist alt; man darf ihre Entstehung vielleicht in die Zeit Esras
oder in die des Exils verlegen. So Schürer 24, 500f. Diese Zusammen-
künfte erforderten natürlich besondere Versammlungsstätten; damit
war die Erbauung von Synagogen von selbst gegeben. Im AT werden
diese zum erstenmal unter dem Namen = Gotteshäuser,
gottesdienstliche Versammlungsstätten Ps 74, 8 erwähnt. Der Targum
gibt es in gleichem Sinn wieder mit = Gottesstätten. Die
ältesten Inschriften, die von den jüdischen προσευ χαί speziell in
Ägypten Kunde geben, stammen aus der Zeit des Ptolemäus III.
Euergetes (247–221 v. Chr.), s. Schürer 24, 499. Jüdischerseits be-
sitzen wir aus der vorchristlichen Zeit dann noch zwei Zeugnisse
imBuch Henoch.a In der neutestamentlichen Zeit galt dasSynagogen-
institut schon als uralte Einrichtung. Mose hat von alter Zeit her,
sagt der Apostel Jakobus Apg 15, 21, in allen Städten solche, die ihn
verkündigen, da er in den Synagogen an jedem Sabbat vorgelesen
8*
116 7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 2. 3)

wird. Und die rabbinischen Gelehrten können es sich überhaupt nicht


vorstellen, daß Israel jemals ohne Synagogen u. Lehrhäuser gewesen
sei.b
a. Hen46, 8: Sie (die Gottlosen) werden (in der messianischen Zeit) aus den Häusern
seiner Versammlungen u. der Gläubigen vertrieben werden, die da aufbewahrt sind
bei dem Namen des Herrn der Geister. – Das. 53, 6: Danach wird der Gerechte u.
Auserwählte (= Messias) das Haus seiner Versammlung erscheinen lassen; von nun
an wird sie (die Gemeindeversammlung) nicht mehr gehindert werden im Namen des
Herrn der Geister.
b. Einige Belege s. bei Apg 15, 21 S. 740 Nr. 2. Hier sei weiter verwiesen auf
Targ Ri 5, 9: Debora sprach in prophetischer Begeisterung: Ich bin gesandt die Lehrer
Israels zu preisen; denn solange diese Bedrängnis anhielt, hörten sie nicht auf die
Tora auszulegen; u. nun ist es schön für sie, daß sie in den Synagogen sitzen freien
Hauptes (s. bei 1 Kor 11, 4 Nr. 1 S. 424 Anm. d), das Volk die Verordnungen der
Tora lehrend, vor Jahve preisend u. dankend. ||Targ 1 Chr 8, 33: Ner, der Abiël hieß,
zeugte den Qisch; man nannte ihn aber Ner (= Leuchte), weil er im Lehrhaus u. in
den Synagogen die Lampen anzündete; u. dieses Verdienst war der Grund, daß sein
Enkel Saul König wurde; denn die Königsherrschaft wird mit einem Licht (Lampe)
verglichen. ||Targ 1 Chr 16, 39: DenHohenpriester Çadoq u. dessen Brüder, die Priester,
(ließ David) vor der Wohnung Jahves in der Synagoge zu Gibon. ||Targ Am 6, 3:
Sie wollen den bösen Tag verscheuchen, u. ihr bringt in eurer Synagoge Gewalttat
herbei. ||Targ Ez 11, 16: Deshalb spricht Jahve-Elohim: ... Ich gab ihnen Synagogen,
die nach meinem Heiligtum den zweiten Rang einnehmen. ||LvR 11 (112d, 54; 113a,
16. 27): R. Schemuël b. Nachman (um 260) hat gesagt: ... So hat Achaz gesagt:
Wenn es keine Kinder gibt, dann gibt es auch keine Schüler, dann auch keine Ge-
lehrten; wenn keine Gelehrten, dann auch keine Tora; wenn keine Tora, dann auch
keine Synagogen u. Lehrhäuser; wenn keine Synagogen u. Lehrhäuser, dann läßt
Gott seine Schekhina nicht in der Welt weilen. Was tat er? Er machte sich auf u.
schloß die Synagogen u. die Lehrhäuser. ... Als alle sahen, daß er sich der Syna-
gogen u. Lehrhäuser bemächtigte, fingen alle an zu schreien: Wehe, wehe! –
Parallelen: Midr Esth 1, 1 (82a, 17. 34); Midr Ruth 1, 2 (124a, 4. 14); Tanch
150b, 6. 24; GnR 42 (25d, 17. 32. 42); anonym pSanh 10, 28b, 56. ||pSanh 10,
28b, 51: R. Huna (um 350) hat im Namen des R. Elazar (um 270) gesagt: Warum
wurde sein Name Achaz genannt? Weil er sich an den Synagogen u. Lehrhäusern
vergriff . – Dasselbe GnR 42 (25d); LvR 11 (113a); Midr Ruth 1, 2 (124a); Midr
Esth 1, 1 (82b). ||Sanh 94b: Gesprengt wird das Joch wegen des Öls (so der Midr
Jes 10, 27). R. Jiçchaq der Schmied (um 300) hat gesagt: Gesprengt wurde das Joch
Sanheribs wegen des Öls, das Hiskia in den Synagogen u. Lehrhäusern verbrannte. –
Derselbe Autor sagt mit Bezug auf die Worte: Niedergeworfen haben sie unsre
Wohnungen Jer 9, 18: Damit sind die Synagogen u. Lehrhäuser gemeint, Midr KL
Einl. Nr. 8 Anf. (31a). ||Midr Qoh 2, 8 (13b): R. Chijja b. Nechemja (im 4. Jahrh.) hat
gesagt: Ich (Salomo) baute mir Häuser Qoh2, 4. Damit sind die Synagogen u. Lehr-
häuser gemeint (die Salomo erbaut hat).
3. Ausdrücklich erwähnte Synagogen.
In Jesu Tagen dürften im Mutterland wohl die meisten Städte u.
gewiß auch eine ganze Anzahl größerer Dörfer eine Synagoge be-
sessen haben; vgl. Apg 15, 21 u. Mt 9, 35. Das gleiche wird von den
bedeutenderen Diasporagemeinden gelten. In der nachchristlichen Zeit
wird von der Pflicht der Städte Synagogen zu erbauen wie von etwas
Selbstverständlichem gesprochen,a u. eine Baraitha kann die Regel
aufstellen, daß kein Gelehrter in einer Stadt ohne Synagoge seinen
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 3) 117

Wohnsitz nehmen dürfe.b – Allgemein wird imNT vondenSynagogen


Galiläas geredet Mt4, 23; 9, 35; Lk 4, 15. 44; ebenfalls allgemein von den
Synagogen in der Diaspora Apg 15, 21. Speziell finden wir Synagogen
erwähnt in Nazareth Mt 13, 54; Mk 6, 2; Lk 4, 16; in Kapernaum
Mk 1, 21; Lk 4, 33; 7, 5; Joh 6, 59; in Damaskus Apg 9, 2. 20; in Salamis
Apg 13, 5; in Antiochia in Pisidien Apg 13, 14; in Ikonium Apg 14, 1;
in Thessalonich Apg 17, 1; in Beröa Apg 17, 10; in Athen Apg 17, 17;
in Korinth Apg 18, 4; in Ephesus Apg 18, 19. 26; 19, 8. Eine Mehrzahl
vonSynagogen ist in Jerusalem vorausgesetzt Apg24, 12. Davon waren
nach Apg 6, 9 einige landsmannschaftlich organisiert; das kam auch
sonst vor. So hatten die babylonischen Juden ihre eigene Synagoge
in Sepphoris u. in Tiberias, desgleichen die römischen Juden in
Machoza am Tigris, s. hierzu bei Apg 6, 9 S. 663 Nr. 4 u. S. 662
Nr. 1 Anm. a u. b. – Die rabbinische Literatur erwähnt Synagogen
in den einzelnen Ortschaften ziemlich oft. Jerusalem soll nicht weniger
als 480 oder 394 u. Beth-ter nicht weniger als 400 Synagogen be-
sessen haben, s. bei Apg 6, 9 S. 662 Anm. b. – Aus Joma 7, 1 (s. die
Stelle bei Lk 2, 46 S. 150 Nr. 1) wird man folgern dürfen, daß sich
zur Zeit des Tempelbestandes eine Synagoge auch auf dem Tempel-
berg befunden hat. – Tiberias hatte um 300 n. Chr. 13 Synagogen,
s. Meg 30b, 10 bei Apg 6, 9 S. 662 Anm. b. Die eine davon gehörte,
wie bereits oben gesagt ist, den babylonischen Juden; eine andre
hieß die „ Ratssynagoge“ , c vielleicht weil sie in der Nähe des Rat-
hauses lag, s. Bacher, pal. Amor. 3, 100. 4. In ihr hielt R. Jirmeja
(um 320) seine öffentlichen Vorträge. Eine dritte führte den Namen
„ Alte Synagoge“ , sie war bereits um 100 vorhanden; doch ist der
Text nicht sicher.d – In Cäsarea hat die sogenannte „Aufruhrsynagoge“
eine gewisse Berühmtheit erlangt. Griechische Einwohner Cäsareas
hatten, um die Juden zu ärgern, den Zugang zu dieser Synagoge
stark verbaut u. obendrein an einem Sabbat durch ein Vogelopfer
entweiht. Den darüber sich entspinnenden Kampf hält Josephus Bell
Jud 2, 14, 4f. für den Anfang des großen im Mai 66 n. Chr. anhebenden
Aufstandes, der dann im Jahre 70 zur Zerstörung Jerusalems führte.
Die Synagoge bestand noch im 4. Jahrhundert unter dem Namen
„ Aufruhrsynagoge“ . In ihr hat R. Abbahu (um 300) u. nach ihm
R. Jiçchaq b. Elazar (um 340) gelehrt.e Während nach Vorstehendem
einzelne Synagogen nach ihrer Lage oder ihrem Alter oder nach
einem an sie sich knüpfenden Ereignis ihren Namen erhielten, scheinen
andre nach den Emblemen, die sie führten, benannt zu sein. So gab
es in Rom eine „Synagoge des Ölbaums“συναγ ωγὴ ἐλα ίας(s. Schürer 24,
524. 81) u. in Sepphoris eine „ Synagoge des Weinstocks“ .f Mehrere
Synagogen scheint auch Lydda in Judäa besessen zu haben.g
Weiter werden Synagogen erwähnt in Chammetha bei Tiberias, wo
R. Meïr (um 150) wirkte pSoa 1, 16d, 38; in Maton Schab 139a, 45,
118 7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 3)

Zeb 118b, 19; in Sikhnin pMeg 4, 75b, 34; in Magdala Pesiq 90a, 5;
Midr Qoh10, 8 (47b); in Bêth-Schean pMeg 3, 74a, 60; in ibin (ibon)
TMeg 2, 5 (223); außerhalb Palästinas zB in Matha-Mechasja bei Sura
Meg 26a, 15; BB 3b, 28; in Huçal u. Schephithib bei Nehardea (Baby-
lonien) Meg29a. Die letztere soll nach Raschi z. St. der König Jekhonja
aus den Steinen u. dem Schutt Jerusalems erbaut haben. In ihr be-
fand sich auch eine Statue des Königs; trotzdem gingen Rab (†247)
u. Schemuël (†254) in sie hinein, umanzubeten RH 24b, 30. Zu dieser
Stelle führt Raschi auch eine Erklärung von an, nach der
die Synagoge selbst so geheißen habe, weil „ sie zerstört u. immer
wieder aufgebaut worden sei“ . Dieberühmteste unter allen ausländischen
Synagogen war die Basilika in Alexandria (s. bei Nr. 4), von der
Krauß, Archäol. 2, 258, allerdings urteilt, daß es immer klarer werde,
daß sie keine Synagoge, sondern eine Art Markthalle war.
a. TBM 11, 23 (396): Die Einwohner einer Stadt können sich gegenseitig zur Er-
bauung einer Synagoge u. zum Ankauf eines Torabuches u. der Propheten zwingen
(d. h. jeder städtische Bürger kann zwangsweise beitragspflichtig gemacht werden,
sobald es sich um die Beschaffung der genannten Dinge handelt).
b. Sanh 17b Bar: In einer Stadt, in der folgende zehn Dinge nicht vorhanden sind,
darf ein Gelehrtenschüler nicht wohnen. (Diese sind:) ein Gerichtshof, der Leibes-
u. Geldstrafen verhängen darf, eine Armenkasse, deren Geld von zwei Männern er-
hoben u. von drei Männern verteilt wird, eine Synagoge, ein (öffentliches) Badehaus,
ein (öffentlicher) Abort, ein Arzt, ein Beschneider, ein Dokumentenschreiber, ein
Schlächter u. ein Kinderlehrer.
c. pTaan 1, 64a, 46: R. Jirmeja hielt öffentliche Vorträge in der Ratssynagoge
(in Tiberias). ||pScheq 7, 50c, 50: In der Ratssynagoge zu (Tiberias) wurde
eine Fleischwurst gefunden. (Da man nicht wußte, ob sie von jüdischen oder heid-
nischen Fleischern herrühre,) sagte R. Jirmeja, als die Sache vor ihn kam: Mögen die
Wurstmacher ihr Werk prüfen!
d. LvR 22 (121b): R. Jochanan b. Nuri (um 110) hat (betreffs des Brunnens der
Mirjam, der im Meer von Tiberias Aufnahme gefunden haben soll, s. bei Mt 4, 18 A
Ende S. 186 u. bei 1 Kor 10, 4 B Ende) gesagt: Die Rabbinen haben ihn (den Brunnen
nach seiner Lage im Meer von Tiberias) abgeschätzt, u. er befindet sich gerade gegen-
über von der mittleren Tür der Alten Synagoge von Tiberias. – Die
Parallelen pKil 9, 32c, 40; pKeth 12, 35b, 43 u. Midr Qoh 5, 8 (27a) lesen statt
Tiberias den Namen Serungin.
e. pBerakh 3, 6a, 56: R. Abbahu (um 300) saß u. lehrte in der Aufruhrsynagoge
in Cäsarea. (Zu s. Esra 4, 12). – Dasselbe pNaz 7, 56a, 33.
Ferner s. pSanh 1, 18a, 61; NuR 12 (165b, 11) u. Midr KL 1, 3 (51a), hier ver-
derbt in . ||pBik 3, 65d, 13: Jahve ist in seinem heiligen Tempel Hab 2, 20,
das ist R. Jicchaq b. Elazar (um 340) in der Aufruhrsynagoge (lies
statt ) von Cäsarea. – Den Anfang der Stelle s. bei Apg6, 6 Nr. 3 Anm. c
S. 650f.
f. pBerakh 8, 6a, 65: Als der Patriarch R. Juda, der Enkel des Patriarchen Juda,
starb, drängte R. Chijja b. Abba (um 280) den R. Zeira (um 300) in der „ Synagoge
des Weinstocks“ in Sepphoris, sich (an der Leiche des Patriarchen) zu
verunreinigen (d. h. an der Beerdigung teilzunehmen, obwohl er ein Ahronide war). –
Dasselbe pNaz 7, 56a, 7.
g. pScheq 5, 49b, 29 wird von den Synagogen (Plural) Lyddas gesprochen, s. die
Stelle bei Mt 26, 9 S. 986.
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 4) 119

4. Lage u. Bauart der Synagogen.


Die Tosephta stellt als Regel auf, daß die Synagogen auf dem
höchsten Punkte der Stadt zu erbauen seien.a Diese Vorschrift ist
sicher vielfach auch befolgt worden;b aber allgemeine Gültigkeit hat
sie nie besessen. Denn wir finden auch, daß Synagogen außerhalb
der Ortschaften erbaut wurden.c Die Tosaphisten zu Berakh 2a u.
Raschi zu Schab 24b gehen sogar von der Annahme aus, daß
in der talmudischen Zeit die Synagogen meist auf freiem Felde
gelegen haben.d Aber auch das ist schwerlich richtig. Im Syna-
gogengebäude pflegte sich ja die Kinderschule zu befinden;e das
allein war Grund genug die Erbauung der Synagogen außerhalb der
Städte nicht zur Regel werden zu lassen. Aus Apg 16, 13 darf
man vielleicht folgern, daß Gebetsstätten gerne in der Nähe fließender
Gewässer eingerichtet wurden; manwollte denTeilnehmern amGottes-
dienst so Gelegenheit geben, der Pflicht des Händewaschens vor dem
Gebet bequem genügen zu können.f – Über die Bauart der Synagogen
erfahren wir aus demälteren rabbinischen Schrifttum wenig.g Die so-
genannte „ Alte Synagoge“in Tiberias, bezw. in Serungin (s. das Zitat
in Nr. 3 Anm. d) hatte ein Mittelportal; das setzt voraus, daß sich
rechts u. links neben dem Mittelportal als dem Haupteingang noch
zwei weitere Eingänge auf der Frontseite befunden haben. Aus den
drei Portalen wird man dann weiter auf eine dreischiffige, durch zwei
Säulenreihen gebildete innere Gliederung schließen dürfen. Damit
stimmen die Synagogenruinen überein, die noch jetzt im nördlichen
Galiläa vorhanden sind. Man nimmt an, daß die Ruinen von Bauten
stammen, die zum Teil noch dem 1. u. 2. Jahrh. n. Chr. angehören.
Die vorhandenen Überreste zeigen, daß diese Synagogen in der Tat
meist drei Eingänge auf ihrer Vorderseite gehabt haben; einige von
ihnen lassen auch noch deutlich ihre dreischiffige Anlage erkennen.
Die Synagoge von Tell-Hum (vermutlich = Kapernaum) war sogar
fünfschiffig. Daß auch der Portikus vor der Hauptfront hier u. da
nicht gefehlt hat, beweist die Synagogenruine von Kefr Birim westlich
vomHule-See; s. deren Abbildung in Riehms Handwörterbuch 2, 1593;
über diese galiläischen Synagogenruinen überhaupt vgl. Schürer 24,
520f., wo auch die einschlägige Literatur angegeben ist. So u. ähn-
lich, natürlich in der Größe verschieden, werden wir uns die Synagogen
Palästinas auch in Jesu Tagen vorzustellen haben. – Betreffs der
Orientierung der Synagogenbauten bestimmt TMeg 4, 22 (227): Man
legt die Eingänge zu den Synagogen nur auf der Ostseite an; denn
so finden wir es bei der Stiftshütte, daß ihr Eingang im Osten lag,
s. Nu 3, 38 (andre Handschriften: Denn so finden wir es beim Tempel,
daß er nach Osten hin geöffnet war). – Diesem Kanon liegt der
Gedanke zugrunde, daß die Synagogen ein Ersatz für den Tempel
seien.h Ihm entsprach zB die mehrfach erwähnte Alte Synagoge in
120 7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 4)

Tiberias; denn wenn deren Mittelportal dem im See Tiberias befind-


lichen Mirjambrunnen genau gegenüberlag, so heißt das eben, daß
sich ihre Eingänge auf der Ostfront befanden, oder daß sie selbst
von Osten nach Westen orientiert war. Mit obigem Kanon stimmen
nun aber die erhaltenen Synagogenruinen in Galiläa durchaus nicht
überein; sie zeigen den Eingang meist im Süden, so daß die Gebäude
von Süden nach Norden orientiert waren. Hier ist offenbar ein andres
Prinzip für die Orientierung der Synagogen maßgebend gewesen als
das oben in TMeg 4, 22 (227) ausgesprochene. Es liegt nahe, an die
Vorschrift zu denken, daß der Israelit, wo er auch sei, ob im Inlande
oder im Auslande, beim Gebet sein Angesicht nach Jerusalem zu
wenden habe, s. SDt 3, 26 § 29 (71b) bei Lk 18, 13 B S. 246 Anm. b.
So mußten in den einzelnen Provinzen u. Ländern je nach ihrer
geographischen Lage zu Jerusalem die Synagogen als die Haupt-
gebetsstätten natürlich verschieden orientiert werden, also die in
Galiläa von Süden nach Norden. Zu jener Vorschrift in SDt 3, 26
§ 29 hat man dann noch eine andre über die Sitzordnung in den
Synagogen gestellt, die sich TMeg 4, 21 (227) findet u. folgenden Wort-
laut hat: „Wie haben die Ältesten (die Schriftgelehrten bei den gottes-
dienstlichen Versammlungen in den Synagogen) gesessen? Mit ihrem
Gesicht gegen das Volk u. mit ihrem Rücken gegen das Heilige
(d. h. gegen den Raum, in welchem die heilige Lade mit der
Tora aufbewahrt wurde); u. wenn man die (heilige) Lade (aus ihrem
Aufbewahrungsort, dem Heiligen, holt u. vor der versammelten Ge-
meinde) niedersetzt, so ist ihre Vorderseite gegen das Volk u. ihre
Rückseite gegen das Heilige gerichtet; u. wenn die Priester ihre Hände
(zum Segen) erheben, ist ihr Gesicht gegen das Volk u. ihr Rücken
gegen das Heilige gerichtet; u. der Synagogenwärter 1 steht mit
seinem Gesicht gegen das Heilige, u. alles Volk hat das Gesicht gegen
das Heilige gerichtet.“– Auf Grund dieser Stelle sagt Schürer 24,
530 Anm. 103: „Wenn diese Vorschrift in Galiläa beobachtet worden
ist, muß die Gemeinde mit demGesicht nach Süden gesessen haben.
Da die erhaltenen Synagogenruinen in Galiläa alle den Eingang im
Süden haben, würde hiernach anzunehmen sein, daß die sich in
der Nähe des Eingangs befand u. die Gemeinde mit dem Gesicht dem
Eingang zugewendet saß.“– Aber daß die heilige Lade sich in der
Nähe des Eingangs befunden haben soll, widerspricht so sehr allem,
was wir sonst über ihren Aufbewahrungsort, das Heilige, wissen, daß
jene Annahme kaum zutreffend sein kann. Das Heilige mit der Tora-
rolle befand sich regelmäßig im hintersten Teil der Synagoge, also

1 Schürer 24, 530 Anm. 103 fügt der Übersetzung dieser Stelle erläuternd hinzu,
daß der Vorbeter“gemeint sei. Das ist nicht richtig.
hier als „ bedeutet in
der Tosephta den Synagogenwärter oder Synagogenaufseher; in der Bedeutung „Vor-
beter“findet sich das Wort erst später.
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 4) 121

an der Stelle, die vom Eingang am weitesten entfernt lag,i während


die Gemeinde dem Heiligen zugewandt saß u. den Eingang im Rücken
hatte. Lag der letztere wie bei den fraglichen galiläischen Synagogen
im Süden, so mußte die Gemeinde ihr Gesicht nach Norden wenden.
Die Regel, daß der betende Israelit sein Angesicht gen Jerusalem
richten sollte, traf also in diesem Fall nicht zu. Man wird guttun,
anzuerkennen, daß der Grund der süd-nördlichen Orientierung der
galiläischen Synagogen mit dem Eingang im Süden bisher nicht in
befriedigender Weise aufgeklärt ist. – Als Einzelheit sei zumSchluß
noch angemerkt, daß wohl die meisten Synagogen eine Vorhalle hatten,
die im Gebäude selbst lag. so daß man durch zwei Türen zu gehen
hatte, um in das Innere des Gotteshauses zu gelangen.k
a. TMeg 4, 23 (227): Man legt eine Synagoge nur auf der Höhe der Stadt an, denn
es heißt Spr 1, 21: Zu Häupten (so der Midr) der Straßen ruft sie (die Weisheit =
Tora, die in den Synagogen verkündigt wird).
b. Schab 11a: Rabba b. Mechasja (um300) hat gesagt, Rab Chama b. Gorja (um270)
habe gesagt, Rab (†247) habe gesagt: Jede Stadt, deren Dächer höher sind als die
Synagoge, wird schließlich zerstört werden, wie es heißt: Um hoch aufzurichten das
Haus unsres Gottes u. seine Trümmer wiederherzustellen Esr 9, 9. Diese Worte (daß
die Dächer der Stadt nicht höher sein sollen als die Synagoge) beziehen sich auf
die Häuser, aber bei den Ausbauten (Raschi: Burgen) u. Mauertürmen kommt nichts
darauf an. Rab Aschi (†427) hat gesag: Ich mache, daß Matha-Mechasja
nicht zerstört werde (indem ich nicht dulde, daß darin ein Haus über die Synagoge
hinausragt). Aber es ist doch zerstört worden! Wegen jener Schuld ist es nicht zer-
stört worden.
c. So wird Qid 73b, 6 von einer Synagoge gesprochen, „die in der Nähe einer
Ortschaft“liegt.
d. In den Tosaphoth zu Berakh 2a heißt es vom Gebetstück : Diese
Benediktion haben die Rabbinen (für das sabbatliche Abendgebet in den Synagogen)
angeordnet, daß sie in der Synagoge aufeinander warten möchten (um gemeinsam
nach Hause zu gehen), u. zwar in ihren Synagogen (d. h. in den Synagogen zur
Zeit jener Rabbinen), weil diese auf dem Felde (also außerhalb der Ortschaften) zu
stehen pflegten u. sie (wenn sie vereinzelt nach Hause gingen) wegen der schädlichen
Dämonen in Gefahr geraten könnten. Aber in unsren Synagogen (zur Zeit derTosaphisten,
im 12. u. 13. Jahrhundert) brauchen sie aufeinander nur in der Nacht zu warten. –
Raschi zu Schab 24b, 11: Ihre (der alten Rabbinen) Synagogen lagen nicht in be-
wohnter Gegend (sondern außerhalb der Ortschaften). – Zur Erbauung der Synagogen
außerhalb der Städte s. auch Löw, Monatsschr. für Gesch. u. Wissensch. d. J.s 1884,
109ff. 161ff.
e. pMeg 8, 73d, 22 s. bei Apg 6, 9 S. 662 Anm. b. ||pMQ3, 81d, 37: Eine Magd des
Bar Patta ging an einer Synagoge vorüber u. sah einen Schullehrer, der ein Kind
über Gebühr schlug. Sie sprach zu ihm: Dieser Mann (= du) sei in den Bann ge-
tan! – Hier stillschweigend vorausgesetzt, daß die Synagoge das Schullokal in sich
barg. Ebenso Berakh 17a: Rab (†247) sagte zu R. Chijja (um 200): Wodurch erwerben
die Frauen Verdienst (worin liegt ihr Verdienst)? Dadurch daß sie ihre Söhne in der
Synagoge die Schrift lernen lassen. ... (Raschi: Die Schulkinder pflegten vor ihrem
Lehrer in der Synagoge zu lernen.) – Meg28b: Rab Acha b. Rabbah (†419) sagte
zu Rab Aschi (†427): Wenn jemand nötig hat, einen Mann aus der Synagoge zu
rufen, wie soll er es machen (da man weltlicher Angelegenheiten wegen die Synagoge
nicht betreten soll)? Er antwortete ihm: Wenn er ein hervorragender Gelehrter ist,
so sage er einen Mischnasatz, u. wenn er ein Bibelkundiger ist, so sage er einen
122 7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 4)

Schriftvers, u. wenn nicht, so sage er zu einem Kinde (das die Schule in der Synagoge
besucht): Sage mir deinen Bibelvers (den du heute liest oder lernst)! – Qid 30a:
R. Chijja b. Abba (um 280) traf den R. Jehoschua b. Levi (um 250), wie er ein Tuch
um seinen Kopf warf u. (sein) Kind in die Synagoge (zur Schule) brachte. ... –
BB 21a: Raba (†352) hat gesagt: Seit der Verordnung des Jehoschua b. Gamla u.
weiterhin (s. bei 2 Tim 3, 15 Nr. 1 Anm. b BB 20b) brauchte man ein Kind nicht
mehr von einer Stadt in die andre (zur Schule) zu bringen (dajeder Vater verlangen
konnte, daß in seiner Stadt eine Schule errichtet würde), wohl aber durfte man es
von einer Synagoge (d. h. aus der darin befindlichen Schule) in eine andre Synagoge
bringen. (Es bestand also Wahlfreiheit, falls mehrere Kinderschulen an einem Orte
waren.) – Midr Sam 13 § 5: R. Huna (um 350) u. R. Jirmeja (um 320) haben im
Namen des R. Schemuel b. Jiçchaq (um 300) gesagt: ... Gleich einem Fleischhauer
(lies mit Bacher, pal. Amor 3, 52. 2 statt „Walker“ ), welcher starb, u. er
hinterließ einen Sohn. Seine Mutter brachte ihn in ein Handwerk, aber er entfloh;
sie brachte ihn in eine Synagoge (d. h. in eine dort befindliche Schule), aber er ent-
floh.... ||Ferner s. BQ 60b.
f. Hierzu s. bei Apg 16, 13 S. 742; zum Waschen der Hände vor dem Gebet
s. ferner Berakh 14b bei Mt 4, 17 S. 177 Anm. m. Die Fortsetzung dieser Stelle lautet
(15a): R. Chijja b. Abba (um280) hat gesagt, R. Jochanan (†279) habe gesagt: Wer
seine Notdurft verrichtet u. seine Hände abspült u. die Gebetsriemen anlegt u. (dann)
das Schema rezitiert u. betet, dem rechnet es die Schrift so an, als ob er den Altar
erbaute u. darauf ein Opfer darbringt; denn es steht geschrieben: Ich wasche in
Reinheit meine Hände u. umschreite deinen Altar, Jahve Ps 26, 6.
g. Eine eingehendere Beschreibung liegt vorvon „dergroßen u.berühmten“1Synagoge
von Alexandrien. In der ältesten Quelle, TSukka 4, 6 (198) heißt es über sie: R. Jehuda
(um 150) hat gesagt: Wer den Doppelsäulengaug von Alexandrien nicht gesehen hat,
der hat sein lebelang nicht die große Herrlichkeit Israels gesehen. Nach Art einer
großen Basilika war ein Säulengang nach innen zu von einem andren Säulengang.
Manchmal waren doppelt soviel Menschen darin wie aus Ägypten ausgezogen sind
(natürlich Hyperbel), u. 71 Sessel von Gold waren darin, entsprechend den 71 Ältesten,
u. jeder war angefertigt aus 15 Myriaden (Golddenare). Eine Erhöhung (β ῆμ α=
Rednerbühne) aus Holz befand sich in der Mitte, u. der Synagogenwärter stand auf
der Ecke mit einem Tuch in seiner Hand. Hob einer an die Schrift vorzulesen (u.
sprach er den der Schriftlektion voraufgehenden Lobspruch), so schwenkte jener mit
dem Tuch, u. alles Volk antwortete Amen! (nach Beendigung des Lobspruchs). Bei
jedem Lobspruch schwenkte jener mit dem Tuch, u. alles Volk antwortete Amen!
Man saß nicht in einem wirren Durcheinander, sondern die Goldschmiede saßen für
sich u. die Silberschmiede für sich u. die Grobschmiede für sich u. die Weber für
sich u. die Kunstweber2 für sich, damit, wenn ein Fremdling kam, er sich an seine
Gewerkschaft wenden könnte; denn von dort kam ihm sein Lebensunterhalt. (Die
Gewerkschaft sorgte für Arbeit u. damit für seinen Lebensunterhalt.) – Dasselbe
als Bar pSukka 5, 55a, 58 u. Sukka 51b; letztere Stelle zumTeil übersetzt bei 1 Kor
14, 16 S. 457 Nr. 6 Anm. a.
h. Hierzu s. bei Nr. 5 A Anm. a.
i. Hierzu s. bei Nr. 5 A Anm. c.
k. DtR 7 (204a) s. bei Lk 18, 13 A S. 246; hier setzen die beiden Türen notwendig
einen Vorraum voraus. – In dieser Vorhalle wird sich das Gefäß mit Wasser zum
Abspülen der Hände befunden haben, das einmal pMeg 3, 74a, 60 erwähnt wird:
R. Berekhja (um 340) kam in die Synagoge von Bêth-Schean (= Skythopolis); er sah
dort einen Menschen, der seine Hände u. seine Füße aus einem Eimer wusch. Er
1 So Philo, De legat ad Caj § 29 (Mang 2, 565): μεγίσ τηϰ αὶπ ερισημ οτάτ η.
2 nach Krauß, Archäol. 2, 258 u. 625 Anm. 67a, = „ in Tarsiermanier ar-
beitende Weber“ . Hiernach ist das bei Apg 6, 9 S. 663f. zu Meg26a Bemerkte, daß
mit Metallarbeiter, speziell Kupferschmiede gemeint seien, richtigzustellen.
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 5, A) 123

sprach zu ihm: Das ist dir verboten. Am nächsten Tage sah dieser Mann ihn (den
R. Berekhja), wie er seine Hände u. seine Füße aus dem Eimer wusch. Er sagte zu
ihm: Rabbi, dir ist es erlaubt u. mir verboten? Er antwortete ihm: Ja! Er sprach
zu ihm: Warum denn? Er antwortete ihm: So hat R. Jehoschua b. Levi (um 250)
gesagt: Die Synagogen u. Lehrhäuser sind für die Gelehrten u. ihre Schüler da.
5. Die innere Einrichtung (A) u. Ausstattung (B) der Synagogen.
A. Die rabbinischen Gelehrten haben in den Synagogen gern einen
Ersatz für den Tempel gesehen.a Diese Anschauung machte sich auch
bei der inneren Einrichtung der Synagogen geltend. Wie das Tempel-
gebäude zwei Räume, das Heilige u. das Allerheiligste, in sich ge-
schlossen hatte, so unterschied man auch in den Synagogen zwei an
Heiligkeit untereinander verschiedene Räume. Der eine hieß das
„Heilige“ .b Das war der Raum, der dem Eingang gegenüber am
weitesten nach innen oder nach hinten zu gelegen war.c Er diente
zur Aufbewahrung der heiligen Laded (, meist oder ),
in welcher die Tora u. die übrigen heiligen Schriften ruhten. Die
Toralade bildet damit das Gegenstück zur Bundeslade; u. wie diese
einst im „ Allerheiligsten“durch einen Vorhang vom „ Heiligen“ab-
gesondert war, so verwandte man auch in den Synagogen einen Vor-
hang, der vor der Toralade ausgebreitet hing, zur Trennung zwischen
dem „Heiligen“u. dem übrigen Innenraum.e Der letztere, der bei
weitem größere zweite Raum, der an Heiligkeit dem „Heiligen“ “
wesentlich nachstand, hieß kurzweg „ die Synagoge“ ; so besonders in
der Formel, mit der man die beiden Heiligkeitsgrade des „Heiligen“
u. des übrigen Innenraumes ausdrückte, nämlich „Heiligkeit derLade“
(= Heiligkeit des „Heiligen“ ) u. „Heiligkeit der Synagoge“
.f Dieser große zweite Raum diente zur Abhaltung der
gottesdienstlichen Versammlungen. Sein vorderer Teil, der demEin-
gang am nächsten lag, enthielt die Sitzplätze für die Gemeinde. Diese
waren so geordnet, daß die Besucher des Gottesdienstes mit dem
Gesicht dem „ Heiligen“zugewandt saßen.g Vor den Sitzplätzen,
d. h. weiter nach dem „Heiligen“hin, befand sich, wohl meist auf
einer Erhöhung h (= β ῆμ α„Bühne“ ), der Platz, von dem aus
die Schrift vorgelesen u. ausgelegt wurde. Doch eignete der keine
größere Heiligkeit als dem Raum, der die Sitzplätze der Gemeinde
umfaßte.h – Weiteres s. im nächsten Abschnitt B.
a. Meg29a: (Gott weilt bei Israel auch im Exil.) Wo in Babel? Abaje (†338/39)
hat gesagt: In der Synagoge von Huçal u. in der Synagoge von Schephithib bei
(in?) Nehardea (vgl. oben Nr. 3 S. 118). Aber sage nicht: Hier u. dort, sondern
bisweilen hier u. bisweilen dort. Abaje hat gesagt: Es gereiche mir zumGuten, daß
ich, wenn ich mich (auch nur) eine Parasange entferne, hineingehe u. dort bete!
Der Vater Schemuëls (†254) u. [Levi,1 um 200] saßen in der Synagoge von Schephithib
bei (in?) Nehardea. Es kam die Schekhina (Gottheit); sie hörten die Stimme
des Lärms [sie standen auf u. gingen hinaus. Rab Schescheth (um 260) saß
in der Synagoge von Schephithib bei (in?) Nehardea. Es kam die Schekhina],1 u.
1 So nach ed. Frankfurt a. M. 1720ff.
124 7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 5, A)

er ging nicht hinaus. Es kamen die Dienstengel u. ängstigten ihn. Er sprach vor
ihm: Herr der Welt, wenn ein Unglücklicher da ist u. einer, der nicht unglücklich
ist, wer muß vor wem weichen? Da sprach (Gott) zu ihnen: Lasset ihn!
„ Und ich will ihnen zu einem Heiligtum im Kleinen sein“(so vermutlich Ez 11, 16
nach dem Midr). R. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Damit sind die Synagogen u. Lehr-
häuser in Babel gemeint. ... Abaje hat gesagt: Anfänglich habe ich zu Hause studiert
u. in der Synagoge gebetet. Als ich aber jenes hörte, was David gesagt hat: Jahve,
ich habe lieb die Stätte deines Hauses Ps 26, 8, da habe ich in der Synagoge studiert. –
Nach Bacher, pal. Amor. 3, 35. 5 gehört der Ausspruch des R. Jiçchaq demR. Schemuël
b. Jiçchaq, um 300, an. ||Pesiq 48b: Es gleicht mein Lieber der Gazelle HL 2, 9.
R. Jiçchaq (um 300) hat gesagt: Wie diese Gazelle auf den Bergen springt u. von
einem Baum zum andren hüpft, so springt Gott von dieser Synagoge in jene Synagoge
u. ausdiesem Lehrhaus injenes Lehrhaus. Weshalb? UmIsrael zusegnen. –Parallelen:
Midr HL2, 9 (99b); PesiqR 15 (72a). ||Pesiq 193a: R. Judan (um 350) hat im Namen
des R. Jiçchaq (um 300) gesagt: Solange sich die Israeliten in den Synagogen u.
Lehrhäusern aufhalten, läßt Gott seine Schekhina sich bei ihnen aufhalten. – Darauf
folgt ein weiterer Ausspruch des R. Jiçchaq gleichen Inhalts. – Eine Parallele s. PesiqR
Anhang 4 (202a). ||Berakh 6a: Abba Binjamin (ein Tannait ungewisser Zeit) hat ge-
sagt: Das Gebet eines Menschen wird nur in der Synagoge erhört, wie es heißt
1 Kg 8, 28: Daß du hörest auf den Gesang u. auf das Gebet, d. h. an dem Ort des
Gesanges (so scheint hier gefaßt zu sein)1 soll auch das Gebet stattfinden. Rabin
b. Ad(d)a (um 350) hat gesagt: R. Jiçchaq (um 300) habe gesagt: Woher, daß sich
Gott in der Synagoge befindet? Weil es heißt: Gott steht da in der Gemeinde Gottes
Ps 82, 1. ||pBerakh 4, 8b, 31: R. Abba (b. Chijja, um320), R. Chijja (b. Abba, um280)
haben im Namen des R. Jochanan (†279) gesagt: Der Mensch soll an dem Ort beten,
der für das Gebet bestimmt ist (d. h. in einer Synagoge). Welches ist der Schrift-
grund? An jedem Ort, wo ich ein Gedächtnis meines Namens stiften werde, werde
ich zu dir kommen u. dich segnen Ex 20, 24. „ Wo du meines Namens gedenkst“ ,
heißt es nicht, sondern wo ich ein Gedächtnis meines Namens stiften werde. –
R. Jochanans Ausspruch, aber ohne Schriftbeweis, auch pBerakh 5, 8d, 59. ||Berakh 8a:
R. Levi (um 300) hat gesagt: Wer eine Synagoge in seiner Stadt hat u. dort nicht
hingeht, um zu beten, der wird ein schlechter Nachbar genannt, wie es heißt: So
spricht Jahve über all die schlechten Nachbarn, die das Eigentum antasten, das ich
meinem Volk zu eigen gegeben habe Jer 12, 14. ... ||pBerakh 5, 8d, 61: R. Pinechas
(um 360) hat im Namen des R. Hoschaja (um 225) gesagt: Wer in der Synagoge
betet, ist wie einer, der eine reine Mincha darbringt, denn es heißt Jes 66, 20: Gleich-
wie die Kinder Israel das Speisopfer darbringen in reinem Gefäß zum Hause Jahves.
R. Jirmeja (um320, so lies mit Jalqu, s. Bacher, pal. Amor. 2, 107, 3) hat im Namen
des R. Abbahu (um 300) gesagt: Suchet Jahve, wo er zu finden ist Jes 55, 6. Wo
ist er zu finden? In den Synagogen u. Lehrhäusern. ||Berakh 8a: R. Acha b. Chanina
(um 300) hat gesagt: (Daß die Gebete in der Synagoge erhört werden) folgt aus
Hi 36, 5: Gott wird die vielen (= die Gemeinde, die in der Synagoge betet) nicht
verachten (so der Midr); ferner heißt es: Er erlöst in Frieden meine Seele vom Kriege
wider mich; denn die Menge war um mich (die betende Gemeinde, in deren Mitte
er selbst betet, so Ps 55, 19 nach dem Midr). Eine Bar lautet ebenso; R. Nathan
(um 160) hat gesagt: Woher, daßGott das Gebet der vielen nicht verachtet? s. Hi36, 5
u. Ps 55, 19. Gott spricht: Wer sich mit der Tora beschäftigt u. mit Liebeswerken,
u. wer zusammen mit der Gemeinde (in der Synagoge) betet, dem rechne ich das
so an, als ob er mich u. meine Kinder aus den Völkern der Welt erlöst hätte. –
Die Bar findet sich SNu 27, 12 § 135 (51a). – Allen diesen Stellen liegt der Ge-
danke zugrunde, daß, wie einst die Schekhina im Tempel weilte, so Gott jetzt in
den Synagogen zu finden ist, da diese dazu bestimmt sind, das zerstörte Heiligtum
1 Vgl. vom gesangsweisen Toravortrag LvR 19 (118b, 27).
7. Exkurs: Das altjüdische Synagogeninstitut (Nr. 5, A) 125

zu ersetzen. Kurz heißt es deshalb Targ Ez 11, 16: Ich gab ihnen die Synagogen
als Zweites (dem Range nach) neben meinem Heiligtum. ||TMeg 4, 22 (227) s. bei
Nr. 4 S. 119 unten.
Auch die Bestimmungen über das Verhalten in den Synagogen kann man hier-
herziehen, insofern sie die Tendenz verraten, selbst in diesen äußerlichen Dingen die
Synagogen möglichst auf gleiche Linie mit dem Tempel zu stellen. Die Vorschrift
betreffs des Tempels lautet Berakh 9, 5: Nicht soll sich ein Mensch leichtfertig be-
nehmen gegenüber dem Osttor (des Tempels = Nikanortor); denn es liegt genau
gegenüber der Stätte des Allerheiligsten. Auch soll er nicht auf den Tempelberg
(= in den Vorhof) gehn mit seinem Stab oder in seinem Schuhwerk oder mit seinem
Geldbeutel oder mit dem Staub, der auf seinen Füßen ist; auch soll er ihn nicht zu
einem Richtwege machen, u. was das Ausspeien betrifft, so darf es erst recht nicht
sein.1 –DieVorschriften betreffs derSynagogen finden sich Meg28a.b Bar: In den
Synagogen soll man sich nicht leichtfertig benehmen, nicht in ihnen essen
u. nicht in ihnen trinken; man soll keinen Nutzen von ihnen ziehen (Raschi: man
soll sich nicht für sie putzen) u. nicht in ihnen umhergehn u. nicht in sie eintreten
im Sommer wegen der Hitze u. in der Regenzeit wegen der Regengüsse u. keine
Trauerfeier in ihnen veranstalten wegen eines einzelnen (an der sich nur wenige be-
teiligen); wohl aber darf man in ihnen die Schrift lesen u. das Traditionsmaterial
studieren u. eine Trauerfeier für viele (an der sich die ganze Gemeinde beteiligt) ver-
anstalten.2 R. Jehuda (um 150) hat gesagt: Wann (gelten diese Bestimmungen)?
Während ihres Bestandes; aber zur Zeit ihrer Zerstörung läßt man sie liegen, daß
Gras darin wächst, u. manreiße es nicht aus wegen der Betrübnis der Seele (damit man
darüber Schmerz empfinde u. an die Wiederherstellung der Synagoge denke). –
Meg3, 3: R. Jehuda (um 150) hat gesagt: Wenn eine Synagoge zerstört ist, hält man
darin keine Trauerfeier ab, auch dreht man darin keine Seile, noch spannt man darin
Netze aus (zum Trocknen u. dergl.), noch breitet man auf ihrem Dach Früchte aus,
noch macht man sie zu einem Richtweg (u. erst recht nicht eine noch in Gebrauch
befindliche Synagoge); denn es heißt: Ich mache eure Heiligtümer wüst Lv 26, 31.
Ihre Heiligkeit bleibt also bestehn, auch wenn sie wüst sind. Wächst Gras darin,
so reißt man es nicht aus wegen der Betrübnis der Seele. – pMeg 3, 74a, 64: Wie
verhält es sich mit demDurchgehen durch einen Synagogenvorhof? (Ist es wiebei der
Synagoge selbst, so auch bei ihrem Vorhof verboten, ihn zu einem abkürzenden
Richtweg zu machen?) R. Abbahu (um 300) ist durch einen Vorhof hindurchgegangen,
das bedeutet, daß er es erlaubt hat. R. Zekharja, der Schwiegersohn des R. Levi
(um 300), hat gesagt: Es war da ein gar strenger Kinderlehrer, u. wenn R. Abbahu
da nicht durchgegangen wäre, hätte sich kein Kind von dort entfernen können (also
ist aus dem Verhalten des R. Abbahu keine allgemein gültige Folgerung zu ziehen).
b. Das Heilige zB TMeg 4, 21 (227), s. die Stelle bei Nr. 4 S. 120.
c. Schulchan Ar § 150 Nr. 5: Man legt den Eingang zur Synagoge nur
gegenüber der Seite an, nach der man in der betreffenden Stadt betet. Wenn man
nach Westen hin betet, macht man den Eingang im Osten, damit man sich vom
Eingang gegen die Toralade (beim Gebet) verbeuge, die sich auf der Seite befindet,
nach der man betet.
d. Die Lade befand sich hinter dem Vorhang, der das „Heilige“vom übrigen
Innenraum der Synagoge trennte, s. Nr. 5 B, βAnm.i.
e. Hierzu s. den folgenden Abschnitt B, βAnm. i.
f. pMeg 3, 73d, 51 in folgendem Abschnitt B, γu. pMeg 3, 73d, 52 in B, δ .
g. TMeg 4, 21 (227) s. bei Nr. 4 S. 120.
h. Hierzu s. Abschnitt B, γ .

1 Eine ähnliche Bar volleren Wortlautes in Berakh 62b, 40.


2 Dasselbe mit Abweichungen pMeg 3, 74a, 54; die Bar findet sich TMeg 3, 7 (224).

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