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Bachtin Formen Der Zeit

Der Text analysiert die Entwicklung des Prüfungsromans, insbesondere im griechischen und barocken Kontext, und betont die Bedeutung der Erprobung der menschlichen Identität. Die Idee der Erprobung wird als zentral für die Struktur und den ideologischen Gehalt des Romans dargestellt, wobei der Fokus auf dem isolierten, privaten Menschen liegt. Im Laufe der Zeit verliert die Erprobungsidee an Bedeutung, bleibt jedoch als Organisationsprinzip in späteren Epochen bestehen.

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Bachtin Formen Der Zeit

Der Text analysiert die Entwicklung des Prüfungsromans, insbesondere im griechischen und barocken Kontext, und betont die Bedeutung der Erprobung der menschlichen Identität. Die Idee der Erprobung wird als zentral für die Struktur und den ideologischen Gehalt des Romans dargestellt, wobei der Fokus auf dem isolierten, privaten Menschen liegt. Im Laufe der Zeit verliert die Erprobungsidee an Bedeutung, bleibt jedoch als Organisationsprinzip in späteren Epochen bestehen.

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der Held seine Braut heiratet.

Und dennoch sind die Menschen auf die Berufung, das Auserwähltsein oder die Genialität ge­
und Dinge durch etwas hindurchgegangen, das sie zwar nicht richteter Typ der Erprobung. Eine seiner Variationen ist die
verändert, sie jedoch gerade aus diesem Grunde gewissermaßen Erprobung des napoleonischen Parvenüs im französischen Ro­
bestätigt hat, etwas, das ihre Identität, ihre Beständigkeit und man. In einem anderen Typ wird die biologische Gesundheit
Unwandelbarkeit auf die Probe gestellt und erwiesen hat. Der und Lebensfähigkeit auf die Probe gestellt. Und schließlich fin­
Hammer der Ereignisse zerkleinert nichts und schmiedet nichts, den sich in der drittrangigen Romanproduktion späte Typen
er prüft lediglich die Festigkeit des schon fertigen Erzeugnis­ und Variationen dieser Idee wie die Erprobung des Moralver­
ses. Und dieses hält der Prüfung stand. Darin liegt der künst­ besserers, des Nietzscheaners, des Amoralisten, der emanzipier­
lerisch-ideologische Sinn des griechischen Romans. ten Frau u. dgl.
Kein einziges künstlerisches Genre kann sich allein auf bloße Alle diese europäischen Varianten des Prüfungsromans, seien
Unterhaltsamkeit gründen. Und auch wenn es unterhalten will, sie nun rein oder gemischt, weichen jedoch in erheblichem Maße
muß es etwas Wesentliches betreffen. Denn unterhaltsam kann von der Erprobung der menschlichen Identität in ihrer ein­
nur das menschliche Leben sein oder zumindest etwas, das zu fachen, lapidaren und zugleich kraftvollen Form, wie sie uns
ihm in einer direkten Beziehung steht. Und dieses Menschliche im griechischen Roman entgegentritt, ab. Zwar sind die Merk­
muß sich wenigstens zum Teil von einer wesentlichen Seite her male der menschlichen Identität, wie sie in den Motiven des
präsentieren, d. h., es muß über ein gewisses Maß an lebendiger Wiedererkennens, der Scheintode usw. zutage traten, erhalten
Realität verfügen. geblieben, doch haben sie komplexeren Charakter angenommen
Der griechische Roman war eine sehr flexible Genrevariante, und ihre ursprüngliche lapidare Kraft und Einfachheit einge­
der eine gewaltige Lebenskraft innewohnte. In der Geschichte büßt. Die Beziehung dieser Motive zur Folklore ist im griechi­
des Romans hat sich gerade die in kompositorischer Hinsicht schen Roman unmittelbarer (obwohl auch dieser Roman von
organisierende Idee der Erprobung als besonders lebensfähig der Folklore recht weit entfernt ist).
erwiesen. Wir begegnen ihr im frühen und besonders auch im Um das Bild des Menschen im griechischen Roman und die
späten mittelalterlichen Ritterroman. Sie organisiert in hohem Besonderheiten seiner Identität (und folglich auch die Beson­
Maße den >>Amadis« und die >>Palmerine<<. Auf ihre Bedeutung derheiten in der Erprobung dieser Identität) voll begreifen zu
für den Barockroman haben wir bereits hingewiesen. Dort wird können, muß man berücksichtigen, daß es sich hier - im Unter­
diese Idee mit einem bestimmten ideologischen Gehalt ange­ schied zu allen klassischen Genres der antiken Literatur - um
reichert, es entstehen bestimmte Ideale des Menschen, deren den einzelnen, um den privaten Menschen handelt. Dieser Zug
Verkörperungen die der Erprobung unterzogenen Helden, die entspricht der abstrakten fremden Welt der griechischen Ro­
>>Ritter ohne Furcht und Tadel<<, darstellen. Diese absolute Un­ mane. In einer solchen Welt kann es nur den isolierten, priva­
tadeligkeit der Helden artete in Schwülstigkeit aus, was Boi­ ten Menschen geben, dem jeder in irgendeiner Hinsicht wesent­
leau zu der scharfen und prinzipiellen Kritik in seinem lukiani­ liche Bezug zu seinem Land, seiner Stadt, seiner sozialen
schen Dialog >>Die Helden der Liebesgeschichte<< veranlaßte. Gruppe, seiner Gens und selbst zu seiner Familie fehlt. Er fühlt
Nach dem Barock geht die organisatorische Bedeutung der sich nicht als Teil eines sozialen Ganzen. Er ist ein einsamer
Erprobungsidee merklich zurück. Aber sie stirbt nicht ab und Mensch, der in der fremden Welt sich selbst überlassen ist und
bleibt als eine der Organisationsideen des Romans in allen in ihr keinerlei Mission zu erfüllen hat. Das Private und das
nachfolgenden Epochen erhalten. Dabei füllt sie sich mit ver­ Isolierte sind die wesentlichen Züge, die das Bild des Men­
schiedenartigem ideologischen Inhalt, und die Bewährungsprobe schen im griechischen Roman kennzeichnen, und diese Züge
selbst führt oft zu negativen Ergebnissen. Solche Typen und sind zwangsläufig mit den Besonderheiten der Abenteuerzeit
Varianten der Erprobungsidee begegnen uns beispielsweise im und des abstrakten Raumes verknüpft. Dadurch unterscheidet
19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Verbreitet ist hier ein sich der Mensch des griechischen Romans so auffallend und
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