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Einfuhrung in Die Erzahltheorie LV Liter

Das Dokument bietet eine Einführung in die Erzähltheorie, unterscheidet zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen und erläutert zentrale Begriffe wie 'fabula' und 'sjužet', die die Struktur und Präsentation von Erzählungen betreffen. Es behandelt auch die Aspekte der Handlung, Darstellung und Zeit in Erzählungen, einschließlich der Konzepte von Erzählzeit und erzählter Zeit sowie deren Beziehung zueinander. Zudem werden verschiedene Erzähltechniken wie Anachronie, Dehnung und Raffung vorgestellt, um die Vielfalt der Erzählweise zu verdeutlichen.

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Einfuhrung in Die Erzahltheorie LV Liter

Das Dokument bietet eine Einführung in die Erzähltheorie, unterscheidet zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen und erläutert zentrale Begriffe wie 'fabula' und 'sjužet', die die Struktur und Präsentation von Erzählungen betreffen. Es behandelt auch die Aspekte der Handlung, Darstellung und Zeit in Erzählungen, einschließlich der Konzepte von Erzählzeit und erzählter Zeit sowie deren Beziehung zueinander. Zudem werden verschiedene Erzähltechniken wie Anachronie, Dehnung und Raffung vorgestellt, um die Vielfalt der Erzählweise zu verdeutlichen.

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Einführung in die

Erzähltheorie
LV: Literaturwissenschaftliche
Interpretation
1. Faktuales und fiktionales Erzählen
→ Faktuale Rede: „authentische (schriftliche od. mündliche)
Rede aus Aussagesätzen, die von einem realen Sprecher
mit behauptender Kraft geäußert werden.“1
→ Fiktionale Rede: „Schriftliche oder mündliche Rede aus
Aussagesätzen, die von einem realen Autor als authentische
Behauptungen eines von ihm erfundenen Sprechers
(Erzähler) imaginiert werden. Als Aussagen des Autors im
Rahmen der realen Kommunikation zwischen Autor und
Leser verstanden, handelt es sich bei der fiktionalen Rede
um eine real-inauthentische Rede; als Sätze des Erzählers
verstanden, handelt es sich um eine imaginär authentische
Rede im Rahmen einer erfundenen Kommunikation.“2
1 Matías Martínez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9., erw. u. aktual. Aufl. München:
C. H. Beck 2012. S. 11.
2 Ebd., S. 16.
1.2 Das Erzählen und das Erzählte

‚Wie‘ und ‚Was‘ von Erzählungen sind zu


unterscheiden von Verfahren der
Präsentation sowie dem Erzählten
(Geschichte, erzählte Welt);
→ „Der Inhalt eines fiktionalen Textes ist uns
eben nur in der Form seiner
abgeschlossenen, andere Zugänge
ausschließenden literarischen Vermittlung
gegeben.“1
1Matías Martínez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9., erw. u. aktual. Aufl.
München: C. H. Beck 2012. S. 22f.
1.2 Das Erzählen und das Erzählte

→ erzählte Geschichte und ihre Welt sind


von der Art und Weise der Darstellung zu
unterscheiden, z. B. Franz Kafka Das
Schloß (1922) beginnt in erster Fassung:
„Es war spät abend als ich ankam […]“
→ Ich-Erzählform durch Er-Erzählform
ersetzt:
„Es war spät abend als K. ankam […]“
1.2 Das Erzählen und das Erzählte
Unterscheidung zw. ‚Was‘ und ‚Wie‘ eines Erzähltextes
häufig mit Gegensatz ‚fabula‘ und ‚sjužet‘ (stammt aus dem
Russischen Formalismus) in Zusammenhang gebracht.
Boris Tomaševskij in Theorie der Literatur (1925) definierte
Begriffe:
→ ‚fabula‘: „die Gesamtheit der Motive in ihrer logischen,
kausaltemporalen Verknüpfung“
→ ‚sjužet‘: „die Gesamtheit derselben Motive in derjenigen
Reihenfolge und Verknüpfung, in der sie im Werk
vorliegen“
→ Erzähltheoretiker Tzvetan Todorov nahm Begriffe auf u.
übersetzte sie mit → ‚histoire vs. dicours‘
‚histoire‘
→ ‚histoire‘
„[…] eine bestimmte Realität, Ereignisse, die
stattgefunden haben, Personen, die, aus dieser
Perspektive betrachtet, sich mit solchen aus
dem wirklichen Leben vermischen. Dieselbe
Geschichte hätte uns auch auf andere Weise
vermittelt werden können […]; man hätte sie
durch den mündlichen Bericht eines Zeugen
erfahren können, ohne dass sie in einem Buch
fixiert sein müsste.“
‚discours‘
→ ‚discours‘:
„Es gibt einen Erzähler [‚narrateur‘], der die
Geschichte erzählt; und es gibt ihm
gegenüber einen Leser, der sie aufnimmt.
Auf dieser Ebene zählen nicht die erzählten
Ereignisse, sondern die Weise, wie der
Erzähler dafür gesorgt hat, dass wir sie
kennenlernen.“
‚sjužet‘ – ‚discours‘ / ‚histoire‘ – ‚fabula‘

→ Unterschiede zw. Tomaševskij u. Todorov


‚sjužet‘ → Reihenfolge der Ereignisse in ihrer
literarischen Darstellung.
‚discours‘→ gesamter Bereich der literarischen
Vermittlung eines Geschehens.
‚histoire‘→ umfasst nicht nur Geschehen, sondern
das umfassende Kontinuum der erzählten Welt,
innerhalb dessen Geschehen stattfindet, geht über
‚fabula‘ weit hinaus.
→ erzählte Welt (Diegese) muss von Handlung
unterschieden werden → ‚Art und Weise‘ der
Vermittlung der erzählten Welt = Darstellung.
Geschichte – Erzählung – Narration
→ nach Gerard Genettes Modell:
Geschichte (‚histoire‘) – Erzählung (‚récit‘) – Narration
(‚narration‘):
• Geschichte (‚histoire‘): „das Signifikat oder de[r] narrative
Inhalt“
• Erzählung (‚récit‘): „den Signifikanten, die Aussage, den
narrativen Text oder Diskurs“
• Narration (‚narration‘): der „produzierende[] narrative[]
Akt sowie im weitesten Sinne [die] reale[] oder fiktionale[]
Situation“
→ Scheffel/Martínez unterscheiden:
‚Erzählung‘ und ‚Erzählen‘
1.3 Handlung
1) Ereignis (Motiv): Die elementare Einheit eines narrativen
Textes im Bereich der Handlung ist das Ereignis oder Motiv.
2) Geschehen: Ereignisse sind zu einem Geschehen
aneinandergereiht, indem sie chronologisch aufeinander
folgen.
3) Geschichte: Geschehen als Reihe von Einzelereignissen
wird zur Einheit einer Geschichte integriert, wenn
Ereignisse chronologischen und kausalen Zusammenhang
aufweisen → Ereignisse folgen aufeinander und
auseinander.
4) Handlungsschema: ist ein „globales Schema“ der
Geschichte, dass sich aus der Gesamtheit der erzählten
Ereignisse ableiten lässt. Gilt nicht nur für einzelnen Text,
sondern auch für Gattungen (Geschichte hat
abgeschlossene u. sinnhafte Struktur: Anfang – Mitte –
Ende).
1.4 Darstellung
→ Erzählung: Die erzählten Ereignisse in der
Reihenfolge ihrer Darstellung im Text.
Unterscheidet sich von der Handlung v. a. durch
die Gestaltung u. zeitliche Umgruppierung der
Ereignisse im Text.
→ Erzählen: Präsentation der Geschichte u. die
Art und Weise dieser Präsentation in best.
Sprachen, Medien (sprachlich/audio-visuell)
und Darstellungsverfahren (z. B. Erzählsituation
od. Sprachstil).
2. Das ‚Wie‘ der Darstellung
„Jede Geschichte lässt sich auf verschiedene Weise
erzählen.“1

2.1 Zeit (Akt des Erzählens ist ein zeitliches


Phänomen, in Erzählung mit zwei verschiedenen
Zeitvorgängen konfrontiert)
2.2 Modus (Der Grad an Mittelbarkeit und die
Perspektivierung des Erzählten)
2.3 Stimme (Akt des Erzählens, der das Verhältnis
von erzählendem Subjekt und dem Erzählten sowie
das Verhältnis von erzählendem Subjekt und Leser
umfasst)
1Matías Martínez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9., erw. u. aktual. Aufl. München:
C. H. Beck 2012. S. 29.
2.1 Zeit
Erzählte Zeit – Erzählzeit
→ Erzählte Zeit: Dauer der erzählten Geschichte, z. B.
Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), hat in „Hamburger
Ausgabe“ einen Umfang von rund 600 Druckseiten, die
Erzählzeit des Entwicklungsganges des
Kaufmannssohnes Wilhelm Meister umfasst einen
Zeitraum von acht Jahren.
→ Erzählzeit: Zeit, die ein Erzähler für das Erzählen seiner
Geschichte benötigt und die sich im Fall eines
Erzähltextes, der keine konkreten Angaben über Angaben
über Dauer des Erzählens macht, an der Seitenzahl
bemisst.
Ordnung – Dauer - Frequenz
In welcher Reihenfolge? / Wie lange? / Wie oft?
→ Wichtigste Leitfragen für die Analyse der
Zeitverhältnisse in einer Erzählung
→ In welcher Reihenfolge (Ordnung) wird Geschehen
in Erzählung vermittelt.
→ Welche Dauer beansprucht die Darstellung eines
Geschehens oder einzelner Geschehenselemente.
→ Mit welcher Frequenz (Wiederholungsbeziehungen
des Erzählten und des Erzählens) wird ein sich
wiederholendes od. nichtwiederholendes Geschehen
in einer Erzählung präsentiert?
Ordnung
Das Verhältnis zw. der Zeit der Erzählung
und der Zeit des Geschehens.
→ zeitliches nacheinander ist für narrativen
Text konstitutiv, gilt für:
– Erzählen (Linearität sprachlicher
Äußerungen)
– Erzählte (stellt per definitionem einen
zeitlichen Verlauf dar)
Anachronie
→ Umstellung der chronologischen
Ereignisfolge in der erzählerischen
Darstellung:
erzählte Handlung: A → B → C
→ Rückwendung (Lämmert) / Analepse
(Genette) → Umstellung der
chronologischen Ordnung einer
Ereignisfolge: B → A → C
→ Vorausdeutung (Lämmert) / Prolepse
(Genette): A → C → B
„Er stand vor dem Tor des Tegeler
Gefängnisses und war frei. Gestern hatte er
noch hinten auf den Äckern Kartoffeln
geharkt mit den andern, in Sträflingskleidung,
jetzt ging er im gelben Sommermantel, sie
harkten hinten, er war frei.“1

1Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Freiburg i. Br., Düsseldorf: W. Olten 1961. (= Ausgewählte Werke in
Einzelbänden. 3.) S. 13.
Reichweite und Umfang
→ Reichweite: der zeitliche Abstand zw. der
Zeit, auf die sich der Einschub bezieht und
dem gegenwärtigen Augenblick der
Geschichte.
→ Umfang: die im Rahmen des
entsprechenden Einschubs erfaßte, mehr
oder weniger lange Dauer der Geschichte
→ Anachronien können auch die gesamte oder
fast gesamte Erzählzeit beanspruchen, z. B. Ilse
Aichingers Spiegelgeschichte (1952).
Anachronie
„Es ist der Tag deiner Geburt. Du kommst
zur Welt und schlägst die Augen auf und
schließt sie wieder vor dem starken Licht.
Das Licht wärmt dir die Glieder, du regst dich
in der Sonne, du bist da, du lebst. Dein Vater
beugt sich über dich.
‚Es ist zu Ende –‘, sagen die hinter dir, ‚sie ist
tot!‘
Still! Laß sie reden!“1

1 Ilse
Aichinger: Spiegelgeschichte. In: Der Gefesselte. Erzählungen 1. Frankfurt a. M: Fischer 1992. (=
Taschenbuchausgabe in acht Bänden.) S. 74.
Dauer
→ Wie lange?
Erzählungen halten sich idR nicht durchgängig
an die chronologische Ordnung eines
Geschehens wie an seine zeitliche Dauer.
→ Übereinstimmung von Erzählzeit und
erzählter Zeit bei szenischer Darstellung, z. B.
Dialogszene (ohne Auslassungen od.
Erzählereinschübe die wörtlich wiedergegeben
werden).
→ Zeitdeckendes Erzählen (Szene)
„Weißt du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten, und
ganz niedrig, und zwei Junge drin.“
„Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?“
„Ich sag es nicht. Du mußt es raten.“
Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei
Nachbargärten voneinander trennte, gesprochen worden. Die
Sprechenden, ein Mädchen und ein Knabe, ließen sich nur
halb erkennen, denn so hoch sie standen, so waren die
Himbeerbüsche hüben und drüben doch noch höher und
wuchsen ihnen bis über die Brust.
„Bitte, Valtin“, fuhr das Mädchen fort, „sag es mir.“
„Rate.“
„Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.“
„Du könntest schon, wenn du wolltest. Sieh nur […].“1

1 Theodor Fontane: Grete Minde. In: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 1. Hg. v. Walther
Keitel u. Helmuth Nürnberger. München 1962, S. 7.
„Sachte wollte er hinausgehen, um den Schwestern Zeit zu gönnen,
aber Clarissa hörte seine Tritte, und sah plötzlich auf, und sagte:
„Bruno, geht nicht, es ist hier so dunkel, und wir haben Niemand, als
einen alten Mann und seinen Enkel – – Bruno, lasset uns ein Fenster
machen.“
„Alles, Alles, Clarissa, werden wir machen lassen. Sehet, ich werde
noch heute um Arbeiter fortreiten, wir werden für den Winter ein
Nothdach auf einige Gemächer setzen, Fenster, Thüren, Stiegen,
alles anfertigen – eure Harfe werde ich aus dem Waldhause holen
lassen – eure Bücher, daß ihr dem Winter getrost entgegensehen
könnet.“
„Wir sehen jetzt Allem getrost entgegen,“ sagte sie, indem sie wieder
ihr Antlitz auf Johannens Schultern legte.
Der Ritter ging stille hinaus. Er sprach mit Gregor, Raimund und den
Mägden, und nach einiger Zeit sah man ihn wieder über den grauen
gefrornen Boden davonreiten.
Ein Nothdach war gesetzt, Thore, Stiegen, Gemächer wieder
eingerichtet, aber immer sah die Burg wie eine Ruine aus. Jahre
kamen und vergingen, und immer sah die Burg wie eine Ruine aus.
Alle Zeichen Ronald‘s trogen, und der Krieg, statt ein Ende zu
nehmen, dauerte noch in die Jahre und Jahre, aber nie mehr erschien
ein Feind vor Wittinghausen;“1
1 Adalbert
Stifter: Der Hochwald. In: Werke und Briefe. Hist.-krit. Ausg. Bd. I, 4: Studien. Hrsg. v. Alfred Doppler u. Wolfgang
Frühwald. Stuttgart [u.a.]: Kohlhammer 1980. S. 316f.
Dehnung – Raffung – Ellipse
→ Zeitdehnendes Erzählen (Dehnung)
→ Zeitraffendes Erzählen (Raffung)
→ Zeitsprung (Ellipse)
– Explizite Ellipse (Zeitsprung markiert mit z. B.
„später“, „nachdem“)
– Implizite Ellipse (welcher Zeitraum verstrichen
ist, wird in Erzählrede nicht benannt,
graphische Markierung.)
„Man schleppte sie in den hinteren Schloßhof, wo sie
eben, unter den schändlichsten Mißhandlungen, zu
Boden sinken wollte, als, von dem Zetergeschrei der
Dame herbeigerufen, ein russischer Offizier erschien,
und die Hunde, die nach solchem Raub lüstern waren,
mit wütenden Hieben zerstreute. Der Marquise schien er
ein Engel des Himmels zu sein. Er stieß noch dem
letzten viehischen Mordknecht, der ihren schlanken Leib
umfaßt hielt, mit dem Griff des Degens ins Gesicht, daß
er, mit aus dem Mund vorquellendem Blut,
zurücktaumelte; bot dann der Dame, unter einer
verbindlichen, französischen Anrede den Arm, und
führte sie, die von allen solchen Auftritten sprachlos war,
in den anderen, von der Flamme noch nicht ergriffenen,
Flügel des Palastes, wo sie auch völlig bewußtlos
niedersank. Hier – traf er, da bald darauf ihre
erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt
zu rufen;“1
1 Heinrich
von Kleist: Die Marquise von O… Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe. Bd. II, 2. Hg. v.
Roland Reuß u. Peter Staengle. Basel, Frankfurt: Stroemfeld, Roter Stern 1989, S. 11.
Pause

→ Erzähltempo wird bis zu Extremwert


verringert (Gegensatz zur Ellipse), z. B.
längere, eingeschobene Beschreibungen,
Kommentare od. Reflexionen eines
Erzählers, die nicht aus der Perspektive
einer handelnden Figur erfolgen.
→ Geschichte steht ‚still‘.
Grundformen der Erzählgeschwindigkeit
Erzählzeit Erzählte Zeit

Szene Erzählung ≈ (gleich) Geschehen

Dehnung Erzählung > (länger als) Geschehen

Raffung Erzählung < (kürzer als) Geschehen

Ellipse Erzählung steht o < n Geschehen


still geht weiter

Pause Erzählung geht n>o Geschehen


weiter steht still
Frequenz (wie oft)
→ Wie oft werden sich wiederholende od.
nicht wiederholende Ereignisse in einer
Erzählung dargestellt?
→ Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen:
• Singulative Erzählung
• Repetitive Erzählung
• Iterative Erzählung
2.2 Modus
→ Grad an Mittelbarkeit und
Perspektivierung des Erzählten
→ Zentrale Begriffe:
• Distanz (Wie mittelbar wird das Erzählte
präsentiert?)
• Fokalisierung (Aus welcher Sicht wird
erzählt?)
Distanz
→ Grad an Mittelbarkeit (mimetischer
Illusion) kann verschieden sein:
→ Narrativer Modus (= Distanz) vs.
dramatischer Modus (= ohne Distanz)
→ Erzählung von Ereignissen
→ Erzählung von Worten
→ Transponierte Figurenrede
„Der Graf setzte sich, indem er die Hand der Dame fahren ließ, nieder, und sagte, daß er, durch die
Umstände gezwungen, sich sehr kurz fassen müsse; daß er, tödlich durch die Brust geschossen, nach P...
gebracht worden wäre; daß er mehrere Monate daselbst an seinem Leben verzweifelt hätte; daß während
dessen die Frau Marquise sein einziger Gedanke gewesen wäre; daß er die Lust und den Schmerz nicht
beschreiben könnte, die sich in dieser Vorstellung umarmt hätten; daß er endlich, nach seiner
Wiederherstellung, wieder zur Armee gegangen wäre; daß er daselbst die lebhafteste Unruhe empfunden
hätte; daß er mehrere Male die Feder ergriffen, um in einem Briefe, an den Herrn Obristen und die Frau
Marquise, seinem Herzen Luft zu machen; daß er plötzlich mit Depeschen nach Neapel geschickt worden
wäre; daß er nicht wisse, ob er nicht von dort weiter nach Konstantinopel werde abgeordert werden; daß er
vielleicht gar nach St. Petersburg werde gehen müssen; daß ihm inzwischen unmöglich wäre, länger zu
leben, ohne über eine notwendige Forderung seiner Seele ins Reine zu sein; daß er dem Drang bei seiner
Durchreise durch M..., einige Schritte zu diesem Zweck zu tun, nicht habe widerstehen können; kurz, daß
er den Wunsch hege, mit der Hand der Frau Marquise beglückt zu werden, und daß er auf das
ehrfurchtsvollste, inständigste und dringendste bitte, sich ihm hierüber gütig zu erklären. – Der
Kommandant, nach einer langen Pause, erwiderte: daß ihm dieser Antrag zwar, wenn er, wie er nicht
zweifle, ernsthaft gemeint sei, sehr schmeichelhaft wäre. Bei dem Tode ihres Gemahls, des Marquis
von O..., hätte sich seine Tochter aber entschlossen, in keine zweite Vermählung einzugehen. Da ihr jedoch
kürzlich von ihm eine so große Verbindlichkeit auferlegt worden sei: so wäre es nicht unmöglich, daß ihr
Entschluß dadurch, seinen Wünschen gemäß, eine Abänderung erleide; er bitte sich inzwischen die
Erlaubnis für sie aus, darüber im Stillen während einiger Zeit nachdenken zu dürfen. Der Graf versicherte,
daß diese gütige Erklärung zwar alle seine Hoffnungen befriedige; daß sie ihn, unter anderen Umständen,
auch völlig beglücken würde; daß er die ganze Unschicklichkeit fühle, sich mit derselben nicht zu
beruhigen: daß dringende Verhältnisse jedoch, über welche er sich näher auszulassen nicht im Stande sei,
ihm eine bestimmtere Erklärung äußerst wünschenswert machten; daß die Pferde, die ihn nach Neapel
tragen sollten, vor seinem Wagen stünden; und daß er inständigst bitte, wenn irgend etwas in diesem Hause
günstig für ihn spreche, – wobei er die Marquise ansah – ihn nicht, ohne eine gütige Äußerung darüber,
abreisen zu lassen.“1
1 Heinrich von Kleist: Die Marquise von O… Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe. Bd. II, 2. Hg. v. Roland Reuß u. Peter Staengle. Basel, Frankfurt 1989. S. 23f.
„Herr Schubal ist ungerecht! Herr Schubal
bevorzugt die Ausländer [= zitierte Figurenrede]!
Herr Schubal verwies den Heizer aus dem
Maschinenraum und ließ ihn Klosette reinigen, was
doch gewiß nicht des Heizers Sache war [=
transponierte Rede, markiert durch die 3. Person,
Sgl. und den Wechsel in das Präteritum]! - Einmal
wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn Schubal
angezweifelt, die eher scheinbar als wirklich
vorhanden sein sollte [= erzählte Rede].“1

1 Franz Kafka: Der Verschollene. Hg. v. Jost Schillemeit. Frankfurt a. M.: Fischer 1983. (= Schriften, Tagebücher,
Briefe. Kritische Ausgabe.) S. 25.
Fokalisierung
→ Aus welcher Sicht wird erzählt?
Darstellung eines Geschehens kann nicht nur
aus unterschiedlicher Distanz, sondern auch
aus verschiedenen Blickwinkeln erfolgen u.
mehr od. weniger eng an die besondere,
(eingeschränkte) Wahrnehmung einer
erlebenden Figur gekoppelt sein.
→ zwei Standpunkte, die nicht identisch sein
müssen:
• Standpunkt des Wahrnehmenden
• Standpunkt des Sprechers
Nullfokalisierung
Erzähler > Figur (‚Übersicht‘ – der Erzähler
weiß bzw. sagt mehr, als irgendeine der
Figuren weiß bzw. wahrnimmt)
„In den Gärten war alles still, und doch waren
sie belauscht worden. Eine schöne, junge Frau,
Frau Trude Minde, modisch gekleidet, aber mit
strengen Zügen, war, während die beiden noch
plauderten, über den Hof gekommen und hatte
sich hinter einem Weinspalier versteckt […].
Nichts war ihr hier entgangen […].“1
1 TheodorFontane: Grete Minde. In: Werke, Schriften und Briefe. Abt. I, Bd. 1. Hg. v. Walther Keitel u.
Helmuth Nürnberger. München 1962, S. 11.
Interne Fokalisierung
→ im inneren Monolg (Bewusstseinsstrom) wie bei
Leutnant Gustl (1900) ist der Blickwinkel aus dem
erzählt wird, eindeutig auf die Wahrnehmung der
erlebenden Figur begrenzt, aber auch wenn eine
gewisse Distanz zur erlebenden Figur vorzuliegen
scheint, kann das Erzählte eng an die Wahrnehmung
der Figur gekoppelt sein.
→ Besonders deutlich und einfach ist die Zuordnung
in den Fällen, in denen Verben des Wahrnehmens
und Fühlens auftauchen und eindeutig an eine Figur
gebunden sind.
Bewusstseinsstrom
(stream of consciousness)
„Wie lang wird denn das noch dauern? Ich
muß auf die Uhr schauen … schickt sich
wahrscheinlich nicht in einem so ernsten
Concert; aber wer sieht’s denn ? Wenn’s
Einer sieht, so paßt er gerade so wenig auf
wie ich und vor dem brauch ich mich nicht zu
geniren… Erst Viertel auf zehn ist’s… Mir
kommt vor, ich sitz‘ schon drei Stunden im
Concert.“1
1Arthur Schnitzler: Leutnant Gustl. Historisch-Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Konstanze Fliedl. Berlin,
Boston: de Gruyter 2011. S. 513.
„Er stand vor dem Tor des Tegeler
Gefängnisses und war frei. Gestern
hatte er noch hinten auf den Äckern
Kartoffeln geharkt mit den andern, in
Sträflingskleidung, jetzt ging er im
gelben Sommermantel, sie harkten
hinten, er war frei.“1

1Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Freiburg i. Br., Düsseldorf: W. Olten 1961. (= Ausgewählte Werke in
Einzelbänden. 3.) S. 13.
Interne Fokalisierung
→ Fixierte interne Fokalisierung: bleibt auf
Wahrnehmung einer einzelnen Figur
beschränkt, u. a. in Der Verschollene, Der
Proceß und Das Schloß.
→ Multiperspektivisches Erzählen:
• variable interne Fokalisierung: wechselt zw.
verschiedenen Figuren.
• multiple interne Fokalisierung: dasselbe
Geschehen wird aus Perspektive
verschiedener Figuren erzählt.
Externe Fokalisierung
→ neutral (‚Außensicht‘) Wahrnehmung ist
nicht an eine Figur der erzählten Welt
gebunden, geht aber von einem Punkt
innerhalb der erzählten Welt aus.
Informationen über das „Innenleben“ von
Figuren werden nicht gegeben.
→ Der Erzähler weiß weniger / nimmt
weniger wahr als die Figuren.
2.3 Stimme
→ Der Akt des Erzählens, der das Verhältnis
von erzählendem Subjekt und dem Erzählten
sowie das Verhältnis von erzählendem
Subjekt und Leser umfasst.
„Der Autor erfindet und der Erzähler erzählt,
was geschehen ist […]. Der Autor erfindet
den Erzähler und den Stil der Erzählung,
welcher der des Erzählers ist.“1

1Jean-Paul Sartre: Notes sur Madame Bovary. In: L’Idiot de la famille. Gustave Flaubert
de 1821 á 1857. Bd. 3. Paris 1988, S. 661-811, hier S. 774.
„Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen
Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues
Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war
naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und
sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen
schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen
graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der
Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das
Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter,
es lag ihm nicht’s am Weg, bald auf- bald abwärts.
Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal
unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte.
[…] Alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über
der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine
Lust, die ihm wehe tat; […] Aber es waren nur
Augenblicke, und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig
als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er
wußte von nichts mehr.“1
1 Georg Büchner: Lenz. In: Werke und Briefe. Hg. v. Karl Pörnbacher. München, Wien: DTV, S. 69f.
Kriterien
1) Zeitpunkt des Erzählens (Wann wird
erzählt?)
2) Ort des Erzählens (Auf welcher Ebene
wird erzählt?)
3) Stellung des Erzählers (In welchem Maß
ist der Erzähler am Geschehen beteiligt?)
• Homodiegetischer Erzähler
• Heterodiegetischer Erzähler
4) Subjekt u. Adressat des Erzählens (Wer
erzählt wem?)
Erzählsituation (nach Stanzel)

drei typischen Erzählsituationen:


1) Auktoriale Erzählsituation
2) Ich-Erzählsituation
3) Personale Erzählsituation
→ Typenkreis erfasst das ‚Wie‘ von narrativen Texten, nicht
aber das ‚Was‘ oder die Handlung!
Unzuverlässiges Erzählen

→ Erzählerrede vs. Figurenrede


→ Logisch privilegierte Figurenrede
→ Fehlen einer privilegierten Erzählerrede
→ Theoretische vs. mimetische Sätze
→ unzuverlässiges Erzählen
„[…] ‚Der große Jäger vom Schwarzwald‘
hieß ich. Ist das eine Schuld?‘ ‚Ich bin nicht
berufen, das zu entscheiden‘, sagte der
Bürgermeister, ‚doch scheint auch mir keine
Schuld darin zu liegen. Aber wer trägt denn
die Schuld?‘ ‚Der Bootsmann‘, sagte der
Jäger. ‚Niemand wird lesen, was ich hier
schreibe, niemand wird kommen, mir zu
helfen […]‘.“1

1 Franz
Kafka: Der Jäger Gracchus. In: Beschreibung eines Kampfes. Novellen Skizzen Aphorismen
aus dem Nachlaß. Hg. v. Max Brod. Frankfurt a. M.: Fischer 1954, S. 104.
Das ‚Was‘:
Handlung und erzählte Welt

Ereignis – Geschehen – Geschichte


(1) Ereignis (Motiv): kleinste elementare
Einheit der Handlung
o dynamische Funktion
o statische Funktion
o verknüpfte oder freie Motive
Ereignis – Geschehen - Geschichte
(2) Geschehen: mehrere Ereignisse bilden ein
Geschehen, müssen aber nicht nur
(chronologisch) aufeinander, sondern nach einer
Regel/Gesetzmäßigkeit auseinander folgen.
→ Geschehen wird zu (3) Geschichte, wenn die
dargestellten Veränderungen motiviert sind →
Motivierung integriert Ereignisse in einen
Erklärungszusammenhang.
→ Episode ([Teil-]Sequenz, ‚subplot‘): relativ
abgeschlossene, in größerem narrativen
Zusammenhang gehörende Teil- oder
Nebenhandlung
Erzählte Welt

• Homogene vs. heterogene Welten


• Uniregionale vs. pluriregionale Welten
• Stabile vs. instabile Welten
• Mögliche vs. unmögliche Welten
Figur
‚Bewohner‘ einer fiktionalen Welt, lit. Figuren
müssen nicht immer menschliche sein,
fiktive Figuren sind einerseits
abgeschlossener, andererseits
unvollständiger als reale Personen → keine
anderen Informationen als jene die der Text
selbst mitteilt.
→ Figurencharakterisierung: explizit u.
implizit
Literaturhinweise
• Martínez, Matías; Scheffel, Michael:
Einführung in die Erzähltheorie. 9., erw. u.
aktual. Aufl. München: C. H. Beck 2012.
• Genette, Gerard: Die Erzählung. 2. Aufl.
München: Fink 1998. (= UTB. 8083.)

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