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Hallet Close Reading

Das Dokument behandelt kulturwissenschaftliche Methoden der Literaturanalyse, insbesondere die Konzepte des Close Reading und Wide Reading. Close Reading fokussiert sich auf die detaillierte Analyse literarischer Texte, während Wide Reading die intertextuellen Bezüge und den kulturellen Kontext berücksichtigt. Es wird argumentiert, dass die kulturelle Dimension eines Textes untrennbar mit seinen sprachlichen und ästhetischen Elementen verbunden ist und dass eine umfassende Analyse sowohl textimmanente als auch kulturelle Aspekte einbeziehen muss.
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Hallet Close Reading

Das Dokument behandelt kulturwissenschaftliche Methoden der Literaturanalyse, insbesondere die Konzepte des Close Reading und Wide Reading. Close Reading fokussiert sich auf die detaillierte Analyse literarischer Texte, während Wide Reading die intertextuellen Bezüge und den kulturellen Kontext berücksichtigt. Es wird argumentiert, dass die kulturelle Dimension eines Textes untrennbar mit seinen sprachlichen und ästhetischen Elementen verbunden ist und dass eine umfassende Analyse sowohl textimmanente als auch kulturelle Aspekte einbeziehen muss.
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14.

1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

14. Methoden kulturwissen-


schaftlicher Ansätze:
Close Reading und
Wide Reading
14.1 Theoretische Ansätze für eine kulturwissen-
schaftliche Literaturanalyse und -interpretation
14.2 Wide Reading: Intertextualität als Methode
14.3 Musterinterpretation: Toni Morrisons Roman
Jazz
14.4 Einschränkungen und Relativierungen

14.1 | Theoretische Ansätze für eine kulturwissen-


schaftliche Literaturanalyse und
-interpretation
Wenngleich der Titel dieses Beitrags etwas anderes zu suggerieren scheint,
so kann man gegenwärtig noch nicht von einem gesicherten Repertoire
kulturwissenschaftlicher Methoden der Literaturanalyse sprechen. Das
Begriffs- und Konzeptpaar close reading und wide reading soll daher zu-
nächst einmal eine Problematik signalisieren, mit der sich jede kulturwis-
senschaftliche Untersuchung eines literarischen Textes konfrontiert sieht:
■ Wie muss eine literaturanalytische Methodik aussehen, die mit der Problematik der
Lektüre des literarischen Textes zugleich dessen kulturelle Dimensi- kulturwissen-
on erfasst? schaftlichen
■ Wie können, um es intertextualitätstheoretisch zu wenden, mit und in Literaturanalyse
der Lektüre eines literarischen Textes zugleich die vielfältigen indivi-
duellen und kollektiven Texte und Stimmen, Bilder und Denkweisen,
Vorstellungen und kulturellen Referenzen, die in ihn Eingang gefun-
den haben und Bestandteil des Textes selbst sind oder auf die der Text
antwortet, gelesen werden?
Damit sind bereits Grundannahmen angedeutet, die in der Formel vom
close reading und wide reading enthalten sind:
■ Die jeder kulturwissenschaftlichen Literaturinterpretation zugrunde Grundannahmen
liegende Annahme, dass die kulturelle Dimension einem literarischen des close/wide
Text inhärent ist und gerade nicht äußerlich, von ihm abgeschieden, reading
z. B. als ›kultureller Kontext‹, ›sozialer Hintergrund‹ oder ›soziokultu-
relle Umgebung‹.
■ Die kulturelle Dimension eines literarischen Textes ist – jedenfalls in
gewisser Hinsicht – ebenso ›lesbar‹ wie der literarische Text selbst.
■ Das Begriffspaar suggeriert, dass ein wirkliches close reading im Sinne
eines tiefgehenden Verständnisses auch und gerade einzelner textuel-

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[email protected]
14.1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Theoretische
Ansätze für eine
Literaturanalyse

ler und ästhetischer Zeichen, Elemente und Strukturen nicht möglich


ist ohne ein gleichzeitiges Verstehen der in ihnen enthaltenen, durch
sie repräsentierten oder von ihnen (mit) erzeugten kulturellen Vorstel-
lungen.

Definition Als ➔ close reading wird ein bewährtes literaturwissenschaftliches


Interpretationsverfahren bezeichnet, dessen grundlegendes Prinzip
die textgenaue, detailbezogene Lektüre und Analyse eines literari-
schen Textes ist. Eine solche Lektüre versucht der Vielschichtigkeit
literarischer Texte, ihren ästhetischen Strukturgebungen und der
Bedeutungsvielfalt ihrer sprachlichen Elemente und Formen durch
eine möglichst präzise Erfassung der Bedeutungen und Effekte
aller Einzelelemente und ihres Zusammenspiels im Text gerecht
zu werden. Durch diese Konzentration auf die Zeichen des Textes
selbst soll die Lektüre freigehalten werden von ›textfremden‹ (theo-
retischen, ideologischen oder anderen textexternen) Vorannahmen
(textimmanente Interpretation).
Mit dem Begriff des ➔ wide reading wird diesem Verfahren einer
einzeltextbasierten Interpretation eine Methode komplementär
zur Seite gestellt, welche die Lektüre des literarischen Textes mit
der Ko-Lektüre einer Vielzahl anderer, auch nicht-literarischer Texte
verbindet, mittels derer auch der weitere historische und kulturelle
Kontext eines literarischen Textes erfasst werden kann. Dem liegt
die Annahme zugrunde, dass sich die Bedeutung auch kleinster
Elemente eines literarischen Textes letztlich nur aus der Zusammen-
schau mit ihrer Verwendung und Bedeutung in der umgebenden
Kultur und in einer Vielzahl anderer Texte aufschließen lässt.

Traditionelles Verständnis der Erschließbarkeit von Texten: Diese An-


nahmen haben weitreichende Konsequenzen für die Vorstellungen vom
Wesen des literarischen Textes, von den Aktivitäten der Leser/innen im
Lesevorgang und für eine literaturwissenschaftliche Methodik. Mit der
lange Zeit vorherrschenden Methode des close reading und den mit ihr
verbundenen literaturwissenschaftlichen Schulen des New Criticism,
des Strukturalismus (Rusterholz 1996) und der textimmanenten Metho-
de (Grübel 1996) war die Vorstellung verbunden, dass die Bedeutung ei-
nes Textes sich aus den Zeichen, Elementen und Strukturen des Textes
selbst erschließen lasse, ja, dass sich diese Bedeutung unveränderlich –
»unchanging and reproducible«, wie E. D. Hirsch (1967, S. 216) sagt – in
diesem Text selbst verberge und durch den Interpreten aus diesem durch
hermeneutisch-interpretative Verfahren hervorgeholt werden müsse.
Insbesondere im Poststrukturalismus ist dieses Verständnis vom Text
und der Erfassung textueller Bedeutung fundamental kritisiert worden:
Mit der Annahme eines solchen »religiöse[n] Prinzip[s] vom verborgenen
Sinn (mit der Notwendigkeit, ihn zu interpretieren)« (Foucault 1988, S. 14)

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14.1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Theoretische
Ansätze für eine
Literaturanalyse

erhalte die Textbedeutung eine metaphysische Qualität, und indem der


Text betrachtet werde als eine »Reihe von Wörtern […], die einen einzigen,
irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die ›Botschaft‹ des Autor-
Gottes wäre)« (Barthes 1988, S. 172), werde dem Text eine »quasisakrale
Stellung« (Hebel 1989, S. 8) zugeschrieben; interpretative und hermeneu-
tische Akte bestehen demzufolge darin, »Geheimnisvolles in helle Bedeu-
tungen, dunkle Zeichen in Klartext zu überführen« (Assmann 1996, S. 9).
Grenzen des close reading: Die Problematik textzentrierter und text-
hermeneutischer close reading-Verfahren besteht allerdings nicht darin,
dass sie auch noch das winzigste Textelement als bedeutungskonstitutiv
betrachten und analysieren; das ist in der Tat Aufgabe jeder literatur-
wissenschaftlichen Lektüre. Vielmehr besteht das Hauptproblem darin,
dass im Gang der Interpretation – oder der Textauslegung – weder über
die kulturelle Herkunft noch über die Adressierung textueller Bedeutun-
gen in kulturelle Kontexte hinein Rechenschaft abgelegt wird. Letztlich
sind close reading-Verfahren für sich genommen nicht in der Lage, Be-
deutungen von Zeichen in einem Text wirklich aufzuschließen; denn sie
ignorieren, dass diese immer eingebettet sind in ein kulturelles Umfeld,
dass sie »an andere Texte, andere Codes ›angeschlossen‹ [sind] (das ist das
Intertextuelle) und dadurch nicht auf determinierten Wegen, sondern auf
denen des Zitats mit der Gesellschaft, mit der Geschichte verzahnt [sind]«
(Barthes 1988b, S. 266). In der Diktion Michail M. Bachtins handelt es sich
um die ›Dialogizität‹ aller Textbedeutungen bis hin zum einzelnen Wort:

»Eine lebendige Äußerung, die sinnvoll aus einem bestimmten historischen Augen-
blick, aus einer sozial festgelegten Sphäre hervorgeht, muß notwendig Tausende
lebendiger Dialogstränge berühren, die vom sozioideologischen Bewußtsein um den
Gegenstand der Äußerung geflochten sind, muß notwendig zum aktiven Teilnehmer
am sozialen Dialog werden.« (Bachtin 1979, S. 170)

Man kann demzufolge von einer »Doppelgerichtetheit der kulturellen


Textelemente« (Hebel 1989, S. 16) sprechen, die einerseits »den ›kulturel-
len Kode‹ […] zur Sinnkonstitution in den Text« einbringen und anderer-
seits »den Ausgang aus dem linearen Textverlauf hinaus« (ebd.) in dessen
kulturelles Umfeld erlauben und, literaturwissenschaftlich gesehen, er-
fordern.
Verbund von Text und Kontext: Entscheidend an dieser Sichtweise ist,
dass die Kulturalität textueller Bedeutungen nicht außerhalb des Textes
angesiedelt und nicht in einer – literaturwissenschaftlich durchaus ge-
läufigen – Text-Kontext-Opposition modelliert wird, sondern dass sie als
unauflöslicher Bestandteil der textuellen Zeichen selbst betrachtet wird
(vgl. dazu Neumann/Nünning 2006; Hallet 2006a). Wenn also in einer
kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft und in diesem Beitrag
von ›Kontext‹ oder ›Kontextualisierung‹ die Rede ist, dann ist damit nicht
eine irgendwie geartete textexterne kulturelle Sphäre gemeint, sondern
die Explikation und analytische Aufschließung der kulturellen Dimensi-
on eines literarischen Textes durch das Aufspüren kultureller und textuel-
ler Referenzen und Bezüge. Ganz im Sinne Bachtins stellt der literarische

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14.1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Theoretische
Ansätze für eine
Literaturanalyse

Text damit zugleich eine soziokulturell relevante Stimme inmitten einer


Vielzahl anderer Stimmen dar, mit denen er sich im Dialog befi ndet und
zu denen er ein Frage-, ein Antwort- oder ein irgendwie geartetes Kom-
mentarverhältnis herstellt.
Wissenschaftliche Erfassung der kulturellen Dimension: Damit stellt
sich die für jede kulturwissenschaftliche Literaturinterpretation zentra-
le Frage, auf welche Weise die kulturelle Dimension eines literarischen
Textes überhaupt erfasst und intersubjektiv nachvollziehbar dargestellt
werden kann. Denn es genügt nicht, mit allgemeinen oder vagen, d. h. in
der Regel nicht objektivierbaren Annahmen über die einen Text bedin-
gende oder umgebende Kultur zu arbeiten. Vielmehr müssen diese einer
wissenschaftlichen Überprüfung ebenso unterzogen werden können wie
Aussagen über den literarischen Text selbst. Behauptungen und Annah-
men über die kulturellen Prägungen, Inhalte, Implikationen und Bezüge
eines literarischen Textes dürfen sich daher nicht auf pauschale Aussa-
gen über den Zustand oder die Dynamiken einer Kultur beschränken,
sondern sie müssen allein schon wegen der für jedes wissenschaftliche
Verfahren erforderlichen Nachvollziehbarkeit anhand kultureller und tex-
tueller Manifestationen evident gemacht werden. Im Folgenden werden
daher in aller Kürze literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze skiz-
ziert, die, wie es philologischen, textorientierten Wissenschaften gemäß
ist, ›Kultur‹ ebenso analysierbar – oder ›lesbar‹ – zu machen bemüht sind
wie den literarischen Text selbst.
New Historicism (Poetics of Culture) und Cultural History: Die histo-
risch orientierte literaturwissenschaftliche Schule des New Historicism
(auch Poetics of Culture genannt) interessiert sich besonders für die Wech-
selwirkung zwischen dem einzelnen literarischen Text und seinem so-
ziokulturellen Umfeld, die Stephen Greenblatt als Austausch (negotiation)
von ›sozialer Energie‹ im Medium von Texten (Greenblatt 1989) konzep-
tualisiert. Gemäß dieser Vorstellung sind alle Texte, literarische wie nicht-
literarische, gleichermaßen »socially produced« wie »socially productive«
(Montrose 1989, S. 23), jeder Text lässt sich nur in seinem Zusammen-
spiel mit anderen Texten und in seinen diskursiven Zusammenhängen
verstehen. Das Studium dieses textuellen interplay trägt der Tatsache
Rechnung, dass der Zugang zu anderen Epochen, das »refiguring of the
relationship between the verbal and the social, between the text and the
world« (ebd., S. 23), über textuelle Spuren führt (»the surviving textual
traces of the society in question«; ebd., S. 20), wie es auch der kulturhisto-
rische Ansatz postuliert:

»History at the level of the signifier treats signifying practices – maps, houses,
clothing, tombs – as texts. Such ›documents‹ from the past are both substantial and
legible. We can read them as much as we can ever read anything, to the degree that we
are familiar with the signifying practices of their moment.« (Belsey 2000, S. 113)

Allerdings unterliegen solche historischen Lektüren selbst wieder den


(historischen) Bedingungen, unter denen Interpret/innen Texte lesen und
deuten.

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14.1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Theoretische
Ansätze für eine
Literaturanalyse

Kultur als Zeichensystem: Ein zentrales Konzept für die ›Lesbarkeit‹


oder Dekodierbarkeit von Kultur hat die Kultursemiotik entwickelt, die
von der Vorstellung geleitet ist, dass die Kultur eine ›Semiosphäre‹ ist, wie
Jurij Lotman sagt (1991, S. 123 ff.), ein komplexes Zeichensystem, mittels
dessen sie sich als Gesellschaft organisiert, bestimmte Denkvorstellungen
entwickelt und all diesem in vielfältiger Weise in Artefakten Ausdruck
verleiht (vgl. zu allem Posner 2003). Dieses Zeichensystem verbindet also
die
■ Mitglieder einer Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Zeichenbenut- Kultursemiotik
zer und soziale Akteure (die soziale Dimension von Kultur),
■ die Mentalitäten und Denkweisen einer Kultur (die mentale Dimen-
sion) und
■ deren Materialisierung in Texten und medialen Äußerungsformen
aller Art, in Gegenständen und Objekten wie z. B. in Bauten oder tech-
nischen Apparaturen oder in künstlerisch-ästhetischen Objekten.
Zu dieser materialen Dimension der Kultur gehören auch die literarischen
Texte oder andere künstlerische Ausdrucksformen wie die Malerei oder
die Musik. Kurz und knapp lässt sich die Generalthese der Kultursemiotik
so fassen:

»Eine Kultur als Zeichensystem besteht aus individuellen und kollektiven Zeichen-
benutzern, die Texte produzieren und rezipieren, durch die mit Hilfe konventioneller
Codes Botschaften mitgeteilt werden, welche den Zeichenbenutzern die Bewältigung
ihrer Probleme ermöglichen.« (Posner 2003, S. 54)

Wegen dieser symbolisch-kulturellen Durchformung – oder Kodierung


– aller Wirklichkeit, der Denkweisen und der sozialen Praktiken lässt sich
zum Beispiel die soziokulturelle, lebensweltliche Bedeutung und Nut-
zung von Räumen mit dem literarischen Entwurf von Raumbedeutungen
und -nutzungen korrelieren, ja der literarische Text selbst kann als Beitrag
zur symbolischen Konstitution von kulturellen Bedeutungen aufgefasst
werden (im Einzelnen vgl. Hallet 2009). Hierin liegt die Bedeutung kul-
tursemiotischer Ansätze für eine kulturwissenschaftliche Deutung lite-
rarischer Texte.
Kultur als Text: Das semiotische Verständnis von Kultur entspricht in
vielerlei Hinsicht einem kulturinterpretativen Ansatz auf einem anderen
Feld, nämlich auf dem der Ethnologie und Anthropologie. Dort ist die ins-
besondere mit dem Namen Clifford Geertz verbundene Vorstellung ent-
standen, dass sich auch menschliche Verhaltensweisen, Rituale oder der
Umgang mit Objekten und der Natur auf ähnliche Weise deuten lassen
wie ein Text: Die Interpretation einer Kultur und die eines Textes werden,
wie schon der Titel von Geertz’ Hauptwerk The Interpretation of Cultures
(1973) anzeigt, analogisiert. Danach lassen sich Kulturen wie komplexe
Texte behandeln, also lesen, beschreiben und interpretieren:

»Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance
he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be there-
fore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search of
meaning.« (Geertz 1993, S. 5)

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14.1
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Theoretische
Ansätze für eine
Literaturanalyse

Da freilich, von ganz wenigen Fällen eigener (ethnologischer) Anschau-


ung abgesehen, Literaturwissenschaftler/innen der unmittelbare Zugang
zu den sie interessierenden Kulturen verschlossen ist, d. h. etwa soziale
Praktiken, Rituale oder Handlungen nicht direkt beobachtbar sind, sind
kulturinterpretative Verfahren in der Literaturwissenschaft wiederum
auf kulturelle Manifestationen in Gestalt von Texten in einem weiten
Sinne angewiesen. Voraussetzung für kulturinterpretative Verfahren ist
daher die Heranziehung von Texten und Äußerungen, die sich als ein
Faden im Bedeutungsgewebe derjenigen Kultur darstellen, an dem auch
literarische Texte ›mitweben‹. Diese können dann in einem kulturanthro-
pologischen Verständnis von Literatur aufgefasst werden als »verdichtete
Formen ethnographischer Beschreibung und Kulturauslegung« (Bach-
mann-Medick 2004, S. 25); sie sind »selbst kollektiv verankerte Deutungs-
instanzen und tragen als solche dazu bei, handlungsorientierende und ge-
fühlsausbildende ›Konzepte‹ zu entwickeln« (ebd., S. 23), sind also selbst
kulturkonstitutiv.
Interdiskursivität, kulturelles Wissen und Funktionsgeschichte: Bei
der unüberschaubaren Zahl der Texte und Stimmen in einer Gesellschaft
drängt sich die – zuerst von Michel Foucault formulierte – Beobachtung
auf, dass sich in komplexen kulturellen Kommunikationsprozessen offen-
bar Gesetzmäßigkeiten herausbilden, die es den Mitgliedern einer Gesell-
schaft erlauben, Redegegenstände zu identifizieren, Arten der Verständi-
gung darüber zu beachten, aber auch Ausschließungen vorzunehmen. Im
Anschluss an Foucault wird unter einem solchen – Diskurs genannten
– text- und gattungsübergreifenden Verständigungsprozess »das gere-
gelte Ensemble von Redeformen, Genres, Ritualen usw. innerhalb einer
historisch ausdifferenzierten und institutionalisierten Praxis verstanden
[...], wie z. B. der klinische medizinische Diskurs, die einzelnen naturwis-
senschaftlichen Diskurse, der moderne juristische Diskurs« (Link/Parr
2005, S. 123). Diese Diskurse lassen sich zugleich als Manifestationen und
Ordnungseinheiten des gesamten kulturellen Wissens einer Gesellschaft
verstehen (vgl. Neumann 2006).
Darin liegt nun die Möglichkeit des interdiskursiven Austauschs be-
gründet, den Link (1988) als eine entscheidende kommunikative Kraft
hochdifferenzierter, stark arbeitsteilig organisierter Gesellschaften be-
trachtet, die auf die Reintegration hochgradiger Spezialisierungen ange-
wiesen sind. In eben dieser Fähigkeit zur interdiskursiven Reintegration
von Spezialdiskursen liegt Link zufolge eine besondere Leistung der Li-
teratur. Sie nimmt Metaphern, Symbole und Bilder als »elementar-litera-
rische Einheiten« (Link/Parr 2005, S. 124) sowie Anschauungen und das
Wissen aus Spezialdiskursen oder aus nicht-literarischen Interdiskursen
– etwa aus den Naturwissenschaften oder aus der Bibel – auf und verar-
beitet sie zu literarischen, d. h. vieldeutigen, »auf reiche Konnotationen«
(ebd., S. 124) hin erweiterten Einheiten (zu Interdiskursen und Spezialdis-
kursen s. Kap. 9 in diesem Band). Auf diese Weise werden »tendenziell alle
Diskurse einer Kultur reintegriert« (Link 1988, S. 293) und ›literarisiert‹.
Literarische Texte können daher in besonderer Weise Aufschluss über

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[email protected]
14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

»die gesamte Diskursvielfalt einer oder mehrerer Epochen« (Nünning


1995, S. 182) und über das kulturelle Wissen einer Gesellschaft geben (vgl.
ausführlich Klausnitzer 2008). Die literarische Reintegration von kultu-
rellen Diskursen und die »Wiederholung und Rekonfiguration des kultu-
rellen Wissens im Medium der Fiktion« (Neumann 2006, S. 47) machen es
methodisch gesehen möglich, literarische Texte mit diskursanalytischen
Verfahren auf Diskurselemente und -spuren hin zu untersuchen, um das
Verhältnis von literarischem Text und Diskursen bzw. dem in ihnen mani-
festierten Wissen zu bestimmen.
Funktionsgeschichtliche Fragestellungen setzen an genau dieser Stelle
an und fragen nach den Funktionen von Literatur im Bezug auf die von
ihr adressierten kulturellen Diskurse und die Gesellschaften, in denen sie
(tatsächlich oder potenziell) wirksam werden (Fluck 1997). Diesem An-
satz zufolge bilden literarische Texte eine außerliterarische Realität nicht
einfach ab, sondern sie schaffen eigene fiktionale Entwürfe als mögliche
Wirklichkeiten, als »Wirklichkeitsentwürfe«, die ins Verhältnis gesetzt
werden zu »kollektiv geteilten Wirklichkeitserfahrungen« (Gymnich/
Nünning 2005, S. 14). Sie fungieren als »kulturkritischer Metadiskurs«,
als »imaginativer Gegendiskurs« (Zapf 2005, S. 67) oder als Interdiskurs
zur »Reintegration des Verdrängten mit dem kulturellen Realitätssys-
tem« (ebd., S. 71). Vor allem fügen sie, vielleicht als eine ihrer wichtigsten
Funktionen, der Wirklichkeit die Dimension der ästhetischen Erfahrung
hinzu (vgl. Fluck 2005) und konstituieren eine ästhetisch-imaginative
Form kulturellen Wissens (Ette 2004; Neumann 2006; Klausnitzer 2008).

14.2 | Wide Reading: Intertextualität als Methode


Im Hinblick auf eine kulturwissenschaftliche Literaturinterpretation las-
sen sich die Erkenntnisse aus den dargestellten Theorieansätzen wie folgt
zusammenfassen:
■ Rekonstruktion und Deutung der kulturellen Dimension: Einem kul- Grundaspekte
turwissenschaftlichen Herangehen an literarische Texte ist es mit der kulturwissen-
Bachtin, Barthes und anderen darum zu tun, die kulturelle Dimension schaftlichen
textueller Bedeutung zu rekonstruieren und offenzulegen, oder, an- Literaturanalyse
ders ausgedrückt, textuelle als kulturell kodierte Zeichen zu deuten.
■ Verwobenheit textueller Zeichen: Textuelle Zeichen verweisen auf
eine paradigmatische Dimension außerhalb des Textes, durch die sie
mit anderen, extratextuellen Bedeutungen verwoben sind.
■ Textualität von Kultur: Eine Grundvoraussetzung für die Analysierbar-
keit und Interpretierbarkeit der einen Text umgebenden Kultur ist de-
ren Lesbarkeit oder Dekodierbarkeit. Literaturwissenschaftliche Deu-
tungen sind daher auf Materialisierungen von Kultur in textueller oder
anderer symbolischer (z. B. visueller) Form angewiesen. Eine kultur-
wissenschaftliche Literaturwissenschaft muss auf die Textualität von
Kultur und Geschichte rekurrieren, um Evidenz für ihre Deutungen
schaffen zu können.

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14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

■ Lesbarkeit: ›Lesbarkeit‹ kann sich auf die verschiedensten Ebenen


von Äußerungen in einer gegebenen Kultur beziehen, vom einzelnen
sprachlichen Zeichen und dem Wort über intertextuell aufspürbare
offene oder verdeckte Zitate bis hin zu Prä- oder Referenztexten und
ganzen Diskursen und Wissensordnungen wie z. B. theologisches oder
juristisches Wissen.
■ Ästhetische Inszenierung der außertextuellen Wirklichkeit: Eine kul-
turwissenschaftliche Literaturinterpretation rekonstruiert und be-
schreibt das Verhältnis des literarischen Textes zur außerliterarischen
Wirklichkeit und die Rolle oder Funktion bzw. das Funktionspotenzial
eines literarischen Textes inmitten einer Vielzahl anderer Äußerun-
gen. Dabei kommt es auch und gerade auf die besondere kulturelle Be-
deutung der durch einen literarischen Text ermöglichten ästhetischen
Erfahrung und der Imagination an, die Literatur zu einer eigenen kul-
turkonstitutiven Wissensform macht.
Ein literarischer Text wird also nicht ›aus sich selbst heraus‹ gedeutet, son-
dern im Licht der in ihm manifesten oder adressierten kulturellen Bedeu-
tungen und des spezifischen Verhältnisses, in dem sich der literarische
Text zu diesen befindet oder setzt:

»It is not so much a matter of generating meanings out of a text as it is a matter of


making connections between a particular verbal text and a larger cultural text, which
is the matrix or master code that the literary text both depends upon and modifies.«
(Scholes 1985, S. 33)

Wenn allerdings cultural text oder ›Kultur als Text‹ nicht bloß eine Meta-
pher sein soll, dann muss sich dies methodisch als Aufspüren oder Her-
stellen von Beziehungen oder des Zusammenspiels von Texten nieder-
schlagen:

»Ein Text wird lesbar in seinem Verhältnis zu einem Korpus von Texten; ›die Geschich-
te und die Gesellschaft‹ gelangen nur in textueller Form in den Text«, und »(nur) reale
Texte [können] Kontexte voneinander sein.« (Baßler 2005, S. 68)

Intertextualität: Die Interpretationsarbeit einer kulturwissenschaftli-


chen Literaturwissenschaft ist demnach wesentlich intertextuell im
Sinne einer Bestimmung textueller Beziehungen zwischen dem literari-
schen Text und den mit ihm verbundenen oder zu relationierenden Tex-
ten. Intertextualität wird also hier in einem weiten, umfassenden Sinne
verstanden.

Definition Unter ➔ Intertextualität wird in der Literaturwissenschaft ur-


sprünglich die mehr oder weniger enge Bezugnahme eines lite-
rarischen Textes auf einen Vorläufertext (›Prätext‹), auf einzelne
Elemente anderer literarischer Texte wie Figuren, Motive und Stoffe
oder mehrere Exemplare einer Gattung mit der Auf- und Über-

300
[email protected]
14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

nahme ihrer Formelemente verstanden. Das konventionellste


Beispiel für eine direkte intertextuelle Referenz ist die Parodie. In
der Folge eines weiten Intertextualitätsbegriffs in der Tradition
Michail K. Bachtins gilt als intertextuelle Bezugnahme aber auch
das Aufgreifen eines thematischen, inhaltlichen oder sprachlichen
Elements aus einem anderen, nicht-literarischen diskursiven Zu-
sammenhang in einem literarischen Text. Im Beispiel in Abschnitt 3
gilt z. B. das Aufgreifen des Motivs des ›New Negro‹ aus einem
zeitgenössischen kulturellen Diskurs und den entsprechenden
Textquellen ebenso als intertextuelle Referenz. Mit einem solchen
weiten Begriff von Intertextualität lassen sich alle Arten von Texten
und Äußerungen untereinander und zu einem literarischen Text in
Beziehung setzen, für die in der kulturellen Wirklichkeit ein diskursi-
ver Zusammenhang angenommen werden kann. Die literatur- und
kulturwissenschaftliche Beschreibung intertextueller Relationen
kann als Rekonstruktion kultureller Diskurse (oder von Ausschnit-
ten und Elementen daraus) gelten. Für Bachtin sind die Stimmen
solcher Diskurse auf die eine oder andere Weise allesamt in einem
Roman präsent, weshalb er von der Vielstimmigkeit (Heteroglossia,
Polyphonie) des Romans spricht.

Mit einem solchen weiten Begriff von Intertextualität wird es möglich,


die Bedeutungen eines literarischen Textes in ihrem Verhältnis zu einer
Vielzahl anderer kultureller Äußerungen und Stimmen – darunter auch
literarischer – zu bestimmen und textuelle Zeichen im Lichte dieser ande-
ren Texte zu lesen und zu deuten. Der ›Objektbereich‹ (Baßler 2005, S. 70)
der kulturwissenschaftlichen Interpretation ist folglich immer die Textu-
alität, denn die Generierung und Zuschreibung von kulturellen Bedeu-
tungen ist Literaturwissenschaftler/innen nur in Gestalt textueller oder
medialer Repräsentation zugänglich.
Erweiterter Textbegriff: An dieser Stelle ist im Hinblick auf die Erfas-
sung der Komplexität kultureller Signifikationsprozesse eine Erweiterung
des Textbegriffs erforderlich: Kulturelle Bedeutungen werden natürlich
nicht nur in Gestalt sprachlicher Texte erzeugt, sondern in vielfältigen an-
deren semiotischen Formen. Daher müssen auch alle Arten von Bildern,
Musikstücken, Internetseiten und Hypertexten als Texte aufgefasst wer-
den; nur dann kann ›Kultur‹ wirklich in der gesamten Bandbreite ihrer Äu-
ßerungsformen erfasst werden. Intertextualität muss in diesem Sinne also
sehr weit, nämlich auch als Intermedialität verstanden werden, damit die
Beziehungen zwischen allen textuellen und medialen Äußerungsformen
als Gesamtheit der einer Interpretation zugänglichen kulturellen Manifes-
tationen ermöglicht wird.

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14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

Definition Mit dem Begriff ➔ Intermedialität wird das verbreitete Phänomen


bezeichnet, dass literarische Texte auf Darstellungen und Artefakte
in anderen Medien Bezug nehmen, die selbst wieder Bedeutung
tragen und die diese in einem anderen symbolischen System (oder,
wie der Film) in einer Kombination verschiedener Zeichensysteme
erzeugen. Je nach Art der intermedialen Bezugnahme lassen sich
verschiedene Typen oder Arten von Intermedialität unterscheiden.
Ein einfaches Beispiel ist die (Ekphrasis genannte) Beschreibung
einer visuellen Darstellung, z. B. eines Gemäldes oder einer Fotogra-
fie, in einem Roman. Andere Formen der Intermedialität können z. B.
die Beschreibung oder die literarische Nachahmung einer Filmszene
sein, die Anspielung auf ein Musikstück in einer Erzählung usw.
Außer auf einzelne Artefakte in einem anderen Medium kann ein
literarischer Text aber auch auf ein mediales Genre Bezug nehmen
oder dieses imitieren (z. B. den Western als Filmgenre) oder auf gan-
ze mediale Systeme wie ›das Kino‹ oder ›den Jazz‹ (vgl. das Beispiel
unten in Abschnitt 3). Ein literarischer Text kann aber andere medi-
ale Sprachen auch in der literarischen Struktur nachahmen, indem
er z. B. nach Art eines bestimmten musikalischen Genres (Rondo)
oder eines ganzen Musikstils wie z. B. des Jazz geformt ist (vgl. dazu
ebenfalls Abschnitt 3). Durch intermediale Bezugnahmen können
ganze bedeutungsgenerierende, ursprünglich medienspezifische
Praktiken und Formgebungen in die Literatur importiert werden,
sodass man z. B. von der ›Musikalisierung‹ oder von der ›Visualisie-
rung‹, in einem umfassenden Sinn auch von der ›Medialisierung‹
von Literatur sprechen kann.

Wie lässt sich nun Intertextualität als Prinzip methodisch in ein Interpre-
tationsverfahren übersetzen? Folgende Schritte sind dazu erforderlich:
Schritte einer 1. Korpus an Bezugstexten: Aus der unüberschaubar großen Zahl von
intertextuellen Schrifttexten und anderen medialen Darstellungen muss ein Korpus an
Interpretation Bezugstexten (im weiten semiotischen Sinne) erstellt werden, mit dem der
literarische Text relationiert wird. Für Art und Zuschnitt des Korpus kann
es natürlich keine allgemeingültige Regel geben. Vielmehr ergibt sich die
Zusammensetzung des Korpus aus dem Untersuchungsziel oder aus ei-
ner Hypothese über einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen be-
stimmten kulturellen Äußerungen und dem literarischen Text. Um die
Handhabbarkeit eines größeren Korpus zu gewährleisten, kann es sinn-
voll sein, einzelne Bezugstexte als repräsentativ anzunehmen, damit eine
exemplarische textgenaue Analyse möglich ist.
2. Selektion repräsentativer kultureller Diskurse: Wenn es um die Her-
ausarbeitung interdiskursiver Relationen geht, kommt es darauf an, einen
oder mehrere kulturelle Diskurse oder Spezialdiskurse zu identifizieren,
denen ein literarischer Text zugehört oder zu denen er in einer bestimm-
ten Beziehung steht. Beispiele sind naturwissenschaftliche Diskurse bei

302
[email protected]
14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

der Interpretation amerikanischer Short Stories des 19. Jahrhunderts, der


World War I-Diskurs bei der Untersuchung von Romanen Hemingways
oder von Toni Morrisons Roman Jazz oder der Holocaust-Diskurs beim
Studium von Holocaust-Romanen. Freilich ist es – nicht nur im literatur-
wissenschaftlichen Kontext – unmöglich, alle Texte und Darstellungen
zur Analyse und Interpretation heranzuziehen, aus denen ein Diskurs
besteht. Daher müssen solche Bezugstexte und Darstellungen als Unter-
suchungsobjekte ausgewählt werden, die im Hinblick auf den fraglichen
Diskurs als repräsentativ gelten können. In einem gewissen Maße muss
diese Auswahl kontingent bleiben, und die Annahme der Repräsentativi-
tät ist zunächst insofern zirkulär, als ein guter Teil der wissenschaftlichen
Arbeit dem Nachweis eben dieser Repräsentativität von Texten für einen
bestimmten Diskurs und der Relationierbarkeit des literarischen Textes
zu den diskursrepräsentativen Texten gilt. Letztlich legitimiert sich die
Definition eines Korpus als repräsentativem Ausschnitt eines Diskurses
durch das Ergebnis der Analyse. Dieses muss auf den Nachweis der in-
tertextuellen Relativität und der kulturellen Repräsentativität der ausge-
wählten Texte gerichtet sein.
3. Konstruktcharakter der Relationierung von Texten: Für das Ver-
ständnis und die Einordung des intertextuellen Verfahrens als Methode
ist im Sinne einer kritischen Selbst-Reflexivität der eigenen literatur-
wissenschaftlichen Interpretation ein Bewusstsein davon wichtig, dass
Textbeziehungen auch innerhalb relativ klar umrissener Diskurse nicht
vorgängig existieren. Auch wenn diskursinterne Bezugnahmen innerhalb
eines Diskurses von den Teilnehmern selbst explizit gemacht werden, so
handelt es sich dennoch bei der Benennung eines Diskurses im Sinne ei-
ner thematischen Kohärenz oder einer Wissensordnung um ein kulturell-
diskursives Konstrukt. Selbst wenn sich eine gewisse Diskurskohärenz im
Verlauf eines Diskurses allmählich herausbildet (emergiert), so bleibt die
Identifi zierung oder Annahme einer bestimmten thematischen Begren-
zung oder Spezialisierung aus kultur- und literaturwissenschaftlicher
Sicht doch ein retrospektives Konstrukt, das auf einem tertium compara-
tionis als einer bestimmten, kulturwissenschaftlich oder literaturwissen-
schaftlich begründeten Vergleichskategorie beruht. Denn natürlich lassen
sich innerhalb eines jeden Diskurses beinahe beliebig viele weitere Dif-
ferenzierungen und Spezialisierungen erkennen, die selbst wieder Dis-
kurse konstituieren. Entscheidend ist, dass die kulturwissenschaftliche
Interpretation eines literarischen Textes den Nachweis erbringt, dass der
gewählte Diskurs oder Diskursausschnitt textuell (und/oder medial) in
entsprechender Breite repräsentiert ist und sich für das eigene Untersu-
chungsziel als relevant erweisen lässt.
4. Strukturmerkmale intertextueller Referenzen: Neben der als tertium
comparationis bestimmten texterelationierenden (und einen Diskurs defi-
nierenden) Vergleichskategorie und dem mit ihr verbundenen Forschungs-
ziel müssen auch textuelle Ebenen und Merkmale defi niert werden, auf
welche die intertextuellen Korrespondenzen jeweils bezogen werden. Die
Ebenen können von einzelnen Metaphern bis hin zu komplexen narrativen

303
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14.2
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Wide Reading:
Intertextualität
als Methode

Strukturen reichen, mit denen ein bestimmtes literarisches Werk Merkma-


le anderer textueller oder medialer Genres aufnimmt und in literaturspe-
zifischer Weise transformiert. Das intertextuelle Erkenntnisinteresse fragt
also danach, aufgrund welcher Merkmale, thematischer Elemente, Struk-
turen, generischer Muster, geteilter Weltsichten, Denkweisen und Wert-
vorstellungen, Bilder und Motive sich Texte aufeinander beziehen lassen.
Nur intertextuelle Relationierungen können kulturelle Tiefenstrukturen
eines Textes freilegen und deren Intersubjektivität evident machen:

»Through continuous dialogues between reader/critics, texts and contexts, between


fictional, medial and expository texts and the resulting thematic overlappings and
mutual reflections, cultural depth-structures will eventually come to the surface that
can be described in a more inter-subjective way than before.« (Heller 1992, S. 658)

5. Kulturhistorisches Vorwissen: Wegen des großen textuellen und medi-


alen Umfangs von Diskursen und der im Prinzip unendlich großen Text-
menge, aus der selbst ein bestimmter Ausschnitt von Kultur zu einem
gegebenen historischen Zeitpunkt besteht, können nicht alle relevanten
Texte einer textgenauen Einzelanalyse unterzogen werden. Trotzdem ist
es für die Arbeit einer Interpretin oder eines Interpreten wichtig, den frag-
lichen Diskurs in einer möglichst großen Breite zu kennen, um die Re-
präsentativität einzelner Äußerungen, das wiederholte Auftreten gleicher
oder ähnlicher Formen und Themen oder die Stellung oder die Differenz
einer einzelnen Äußerung zu der großen Menge anderer Äußerungen
bestimmen zu können. Das dazu erforderliche kulturhistorische Wissen
lässt sich nur durch das Studium einer möglichst großen Anzahl von Do-
kumenten erwerben und sichern.
Intertextualität als kulturwissenschaftliche Interpretationsmethode
impliziert also immer zugleich wide reading:

»[W]e will have to read a lot of documents – at least as many from each of the various
domains of discourse that the law of diminishing returns takes effect. Without this, it
will be utterly impossible to make out the recurrent patterns of collocation, combina-
tions, and oppositions that allow us to make half-way probable guesses about the then
dominant relations between signifiers that determine their meaning.« (Grabes 2001,
S. 12 f.)

Dies bedeutet nicht den Verzicht auf eine textgenaue Lektüre des literari-
schen Textes im Sinne des close reading, »in order to observe as precisely
as possible the relation between the various signifiers within their textual
arrangements« (ebd., S. 13). Aber gerade um textinterne Zeichenrelati-
onen und deren Bedeutung bestimmen zu können, um diese »singular
oppositions of the text« verknüpfen zu können mit »the generalized oppo-
sitions that structure our cultural system of values« (Scholes 1985, S. 33),
ist die möglichst breite Rezeption anderer Repräsentationen kultureller
Signifi kation unerlässlich:

»[T]he cultural historian has also to read widely, must acquaint him- or herself with
a great number of texts from various domains of discourse and with as many other
instances of past signifying practice as possible.« (Grabes 2001, S. 13)

304
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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

14.3 | Musterinterpretation: Toni Morrisons Roman


Jazz

An einer kurzen Passage aus Toni Morrisons Roman Jazz (1992) soll ge-
zeigt werden, was es bedeutet, wenn ein Roman und dann wiederum die
in diesem Text versammelten und sich artikulierenden Stimmen einer
Analyse unterzogen werden, die ihn in Beziehung zu anderen kulturellen
Artikulationen und Manifestationen setzt. Es sollte dann sichtbar werden,
dass sich Bedeutungen des Romans, ja sogar einzelne Aussagen und Wör-
ter im Roman dadurch – und streng genommen nur dadurch – erschließen,
dass Relationen zwischen dem Romantext und anderen, oft nichtliterari-
schen Stimmen aufgespürt und freigelegt werden. Im vorliegenden Fall
gehört dazu allein schon aufgrund des Romantitels auch die Klärung,
wie sich der Roman im Einzelnen zu einem anderen kulturell etablierten
Symbol-, Signifikations- und Kommunikationssystem verhält, nämlich
zur Musik im Allgemeinen und zum Jazz im Besonderen. Es versteht sich,
dass im Rahmen dieses Beitrags verkürzend argumentiert und zum Teil
mit Verweisen auf weiterführende Untersuchungen durch Hinzuziehung
weiterer Quellen und Dokumente gearbeitet wird.
Plot: Toni Morrisons Roman Jazz erzählt die Geschichte von Joe und
Violet Trace, ehemalige Sklaven, die, wie Tausende andere während der
Great Migration, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aus dem Süden
nach New York ziehen und sich dort in Harlem in einem Apartment in
der Lenox Avenue niederlassen. Joe beginnt ein Verhältnis mit der jungen
Dorcas, einer Waise, deren Eltern 1917 bei den East St. Louis Race Riots auf
grausame Weise ums Leben gekommen sind und die nun in New York wie
viele andere ihrer Generation ein neues Leben und das Vergnügen sucht.
Aus Eifersucht erschießt Joe seine Geliebte Dorcas während einer Party,
bleibt aber von der Polizei unbehelligt. Violet verleiht ihrer Verzweiflung
über den Verrat an ihrer Liebe dadurch Ausdruck, dass sie während der
Beerdigung der toten Dorcas das Gesicht zu zerschneiden versucht. Diese
Tat wird am Beginn des Romans in relativ lapidaren Worten mitgeteilt von
einer anonymen, offenbar aber mit Violet bestens bekannten Erzählerin:
»When the woman, her name is Violet, went to the funeral to see the girl
and to cut her dead face they threw her to the floor and out of the church«
(Morrison: Jazz, S. 3).
Bereits am Beispiel dieses unscheinbaren Erzählanfangs lässt sich die
Notwendigkeit einer kulturwissenschaftlichen Lektüre gut nachvollzie-
hen. Hier sollen vor der exemplarischen Analyse einer anderen Roman-
passage nur kurz folgende Gesichtspunkte dazu genannt werden:
■ Wie Morrison im Vorwort des Romans selbst berichtet (Morrison 2004, Analyse des
S. xv), ist diese Beerdigungsszene an eine Begebenheit angelehnt, die Romanbeginns
James Van der Zee (1886–1983), der große afroamerikanische Fotograf,
als Hintergrund zu einem der Fotos in seiner großen Fotosammlung
The Harlem Book of the Dead über das Leben und Sterben der entste-
henden afroamerikanischen community in Harlem erzählt hat. Das

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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

Bild der aufgebahrten jungen Afroamerikanerin kann vor diesem Hin-


tergrund als eine kulturelle Ikone gelesen werden, die zusammen mit
tausenden anderen Fotos ein Bild von der Entstehung eines eigenstän-
digen sozialen und kommunalen Lebens der Afroamerikaner entwirft.
■ Die Relationierung von Roman und fotografischem Dokument weist
der Szene einen Realitätsstatus zu, der sich von einer bloßen Romanfik-
tion abhebt als Fiktionalisierung einer tatsächlichen Begebenheit und
als Remediatisierung im Medium der Literatur. Dadurch gewinnt der
Roman eine historiographische Dimension und erhebt den Anspruch,
›Geschichte‹ zu erzählen.
■ Das Foto Van der Zees und seine fotografische Arbeit werden im Medi-
um der Literatur als eigenständige kulturelle Leistung archiviert. Da-
mit wird das Augenmerk darauf gelenkt, dass der Kern der kulturellen
Identität der afroamerikanischen community weniger die im Bereich
der ›hohen‹ Künste angesiedelte Harlem Renaissance ist als vielmehr,
wie bei Van der Zee, die Entwicklung und Herausbildung eigenständi-
ger Darstellungs- und Symbolisierungsformen zur Ausbildung einer ei-
genen, neuen Identität der Afroamerikaner in den Städten des Nordens
nach dem Ende der Sklaverei. Die Erwähnung der Lenox Avenue in der
zweiten Zeile des Romans, die als ein Zentrum der Musikclubs in Har-
lem gelten kann und in der Van der Zee sein Fotostudio hatte, macht
den Roman von Beginn an zu einer Erzählung von den im Romantitel
programmatisch annoncierten kulturellen Errungenschaften Harlems
jenseits der literatur- und kunsthistorisch anerkannten Leistungen der
hohen Kultur.
■ Van der Zees Fotos wird mit der Anfangsszene des Romans eine perfor-
mative, kulturpoietische Funktion zugewiesen: Indem sie das Leben in
Harlem zeigen, ikonisieren sie es und geben der neu entstehenden com-
munity im Harlem der 1920er Jahre ein Bild von sich. Morrison erinnert
damit daran, dass Kulturen zu ihrer Selbstverständigung und Identi-
tätsfindung solcher Symbolisierungen im Bild (Van der Zees Fotos), in
Erzählungen (Van der Zees Anekdote zu dem Foto) und in der fiktiona-
len Literatur (Morrisons Roman) bedürfen (vgl. z. B. Lenz 1985).
Man sieht, dass ein kulturwissenschaftliches wide reading – die Hinzu-
ziehung anderer Dokumente und Quellen und deren Relationierung zum
literarischen Text – Aufschlüsse geben können, die einem close reading
verschlossen bleiben. Denn selbst kleinsten Elementen wie der Erwäh-
nung der Lenox Avenue oder dem unscheinbaren Satz über Violets ver-
suchte Totenschändung kommt dann eine andere, tiefere und weitere
Bedeutung zu im Sinne eines (fi ktionalen) historiographischen Kom-
mentars zur Herausbildung der Harlem community und im Sinne eines
Metakommentars zum Verhältnis von hoher Kunst und Literatur zu
populären Kunstformen wie Fotografie oder Musik und ihrer kulturel-
len Errungenschaften.
Fiktionale Historiographie: Noch genauer soll dies an dem folgenden
Ausschnitt aus dem Roman gezeigt werden. Dieser bezieht sich – auch
dies bereits ein Ergebnis kulturhistorischer Kontextualisierung – auf tat-

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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

sächliche Ereignisse: die unter dem Namen East St. Louis Riots bekannt
gewordenen rassistischen Angriffe auf Afroamerikaner/innen am 2. Juli
1917 und auf die darauf folgenden Proteste tausender Afroamerikaner/
innen mit der berühmten Silent Parade in New York. Alice, die hier als
Fokalisierungsinstanz fungiert, ist eine Tante, die Dorcas mit nach New
York genommen hat und sie vor den Verführungen der großen Stadt zu
bewahren versucht.

Alice thought the lowdown music (and in Illinois it was worse than here) Mustertext
had something to do with the silent black women and men marching
down Fifth Avenue to advertise their anger over two hundred dead in East
St. Louis, two of whom were her sister and brother-in-law, killed in the
riots. So many whites killed the papers would not print the number.
Some said the rioters were disgruntled veterans who had fought in all-
colored units, were refused the services of the YMCA, over there and over
here, and came home to white violence more intense than when they en-
listed and, unlike the battles they fought in Europe, stateside fighting was
pitiless and totally without honor. Others said they were whites terrified
by the wave of southern Negroes flooding the towns, searching for work
and places to live. A few thought about it and said how perfect was the
control of workers, none of whom (like crabs in a barrel requiring no lid,
no stick, not even a monitoring observation) would get out of the barrel.
Alice, however, believed she knew the truth better than everybody. Her
brother-in-law was not a veteran, and he had been living in East St. Louis
since before the War. Nor did he need a whiteman’s job – he owned a pool
hall. As a matter of fact, he wasn’t even in the riot; he had no weapons,
confronted nobody on the street. He was pulled off a streetcar and stom-
ped to death, and Alice’s sister had just got the news and had gone back
home to try and forget the color of his entrails, when her house was tor-
ched and she burned crispy in its flame. Her only child, a little girl named
Dorcas, sleeping across the road with her very best girlfriend, did not hear
the fire engine clanging and roaring down the street because when it was
called it didn’t come. But she must have seen the flames, must have, be-
cause the whole street was screaming. She never said. Never said anything
about it. She went to two funerals in five days, and never said a word.
Alice thought, No. It wasn’t the War and the disgruntled veterans; it
wasn’t the droves and droves of colored people flocking to paychecks
and streets full of themselves. It was the music. The dirty, get-on-down
music the women sang and the men played and both danced to, close and
shameless or apart and wild. Alice was convinced and so were the Miller
sisters as they blew into cups of Postum in the kitchen. It made you do
unwise disorderly things. Just hearing it was like violating the law.
(Morrison: Jazz, S. 56 ff.)

Man sieht, dass die Fokalisierung durch Alice in dieser Passage sich vor
allem auf die Interpretation historischer Ereignisse – aus Alices Sicht der

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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

allerjüngsten Vergangenheit und der Gegenwart – bezieht. Es lassen sich


gleich mehrere historiographische Diskurse identifizieren, die hier auf-
gerufen werden:
Historiographische ■ die East St. Louis Riots und die darauf reagierenden Proteste in New
Diskurse York im Juli 1917;
in der Passage ■ die Geschichte der Great Migration und deren Auswirkung auf das Ver-
hältnis von eingesessener weißer und zuwandernder afroamerikani-
scher Bevölkerung;
■ die Geschichte des Ersten Weltkriegs, die Rolle der Vereinigten Staa-
ten darin und der Anteil der afroamerikanischen Soldaten am Krieg in
Europa;
■ die Entstehung und die kulturelle Bedeutung des Jazz in Harlem in
den 1920er Jahren.
Jeder einzelne dieser Diskurse müsste – je nach Untersuchungsziel und
Schwerpunktsetzung – zur Analyse und Interpretation dieser Roman-
passage durch Hinzuziehung historischer Dokumente oder Quellen, aber
auch verschiedener Varianten der Geschichtsschreibung zugänglich ge-
macht werden. Denn die Fokalisierung über die Figur der Alice stellt eine
Reflexion und Herausforderung ›offizieller‹ oder geläufiger Varianten der
Geschichtsschreibung zu diesen Ereignissen dar und stellt diesen eine
eigene, individuelle – oder idiosynkratische – Version zur Seite: Alice
schreibt die Schuld für die gewalttätigen Ereignisse zwischen Schwarz
und Weiß den Provokationen durch die Verbreitung einer unmoralischen,
den Anstand herausfordernden Musik der Afroamerikaner (»the lowdown
music«) und der damit verbundenen lasziven Lebensweise zu, dem Jazz
(vgl. auch Basseler 2008, S. 152 ff.).
Auf jeden Fall rücken damit die Geschichtsschreibung selbst und der
Umgang der Afroamerikaner mit ihrer eigenen Vergangenheit in den
Blickpunkt, ja, in der Rhetorik des »Some said«, »Others said« und »Alice,
however, believed« wird sogar die Problematik der konkurrierenden Ver-
sionen von Geschichte und kultureller Erinnerung in den Romantext
hineingeholt. Am Beispiel der Great Migration – »the wave of southern
Negroes flooding the towns, searching for work and places to live« – lässt
sich nachvollziehen, dass es sich bei dieser Vielstimmigkeit keineswegs
bloß um ein retrospektives Konstrukt handelt, sondern dass die Afroame-
rikaner/innen in einer Vielzahl von Äußerungsformen und in zahlreichen
kulturellen Foren bereits als Zeitgenossen um ein Selbstverständnis ran-
gen.
Urbanisierung der afroamerikanischen Kultur: Methodisch gesehen ist
also hier die Konsultation entsprechend vieler und vieler verschiedener
Äußerungen erforderlich, über die die Annäherung an das zeitgenössi-
sche Selbstverständnis der Afroamerikaner in den Städten und in Har-
lem als dem Zentrum der kulturellen Selbstverständigung erfolgen kann.
Über 120 solcher Stimmen sind, wie der Buchtitel ausweist, zum Beispiel
in dem Sammelband Voices from the Harlem Renaissance zugänglich. Im
Licht vieler Quellen in diesem Band stellte die Urbanisierung der afroame-
rikanischen Kultur im Gegensatz zu den rural geprägten Erfahrungen der

308
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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

Sklaverei auch aus Sicht der Zeitgenossen einen kulturellen Bruch und
eine Herausforderung an einen angemessenen Umgang mit der eigenen
Vergangenheit dar.
Diese Wahrnehmung eines tiefgreifenden kulturellen Wandels, der
Herausforderung, die eigene kulturelle Rolle neu zu bestimmen und
eine neue, urbane Identität mit den entsprechenden Ausdrucksweisen
zu entwickeln, fand ihren Ausdruck in der Proklamation eines ›New
Negro‹ in den 1920er Jahren. Diese zielte auf »spiritual emancipation«,
»renewed self-respect« und »self-dependence« (Locke 1995, S. 48). Alain
Locke drängte die Afroamerikaner in den 1920er Jahren zu der Einsicht,
»that the Negro of to-day be seen through other than the dusty spectacles
of past controversy« (ebd., S. 48 f.). Joe hingegen, eine der Hauptfiguren
des Romans (mit dem sprechenden Nachnamen ›Trace‹, der auf histori-
sche Spurensuche verweist), verneint die Möglichkeit einer »metamor-
phosis«, wie Locke sie nennt (ebd., S. 47). Stattdessen stellt sich seine
Geschichte als eine beständige Abfolge von Wandlungen dar (Morrison:
Jazz, S. 121 ff.), als eine Serie von Neuerfi ndungen, zu der auch seine
Affäre mit Dorcas als gescheiterte Wandlung gehört: »I changed once too
often. Made myself new one time too many« (ebd., S. 129). Daher lässt
sich ein Satz Joes als direkte Absage an die euphorische Proklamation
des ›New Negro‹ lesen, sofern damit ein Bruch zwischen dem Alten und
dem Neuen gemeint ist: »You could say I’ve been a new Negro all my
life« (ebd.).
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: Wie bei Joe wird auch an
den anderen beiden Hauptfiguren deutlich, dass ihre Vergangenheit im-
mer zugleich Gegenwart ist und dass die Geschichtsschreibung ein wich-
tiger Weg zum Verständnis der Gegenwart ist. Hierin liegt eine der Erklä-
rungen, warum das in der zitierten Textpassage erwähnte Trauma Dorcas’
diese letztlich in den Tod treibt: Im Gegensatz zu Joe und Violet stellt sie
sich ihrer Vergangenheit nicht, versucht ihr zu entkommen: »Never said
a word about it.« Sie kann daher als Personifizierung jenes ›New Negro‹
gelten, die völlig mit ihrer Vergangenheit bricht und in der Großstadt ein
gänzlich neues Leben zu beginnen versucht. Dass sie scheitert, ist ein
Hinweis auf die Notwendigkeit von individueller wie kollektiv-kultureller
Erinnerung.
Man sieht, dass im Grunde nur die intertextuelle Bezugnahme auf kon-
krete Bezugstexte wie den Lockes und anderer, verwandter Stimmen in
dem Band Voices from the Harlem Renaissance, die das Konzept des ›New
Negro‹ etabliert haben und den zugehörigen Diskurs konstituieren bzw.
für die literaturwissenschaftliche Analyse repräsentieren, das textgenaue
Verstehen des ›New Negro‹ ermöglicht, wie Joe Trace ihn versteht.
Jazz als Textdokument revisionistischer Historiographie: Aus Sicht
der oben angesprochenen Interdiskursivität und der Funktionsgeschichte
lässt sich aus diesem Befund schließen, dass der Roman aus mehreren
Gründen, die hier nur knapp angedeutet werden konnten, einen eigen-
ständigen Beitrag zur und eine Revision der Geschichtsschreibung zur
Harlem Renaissance darstellt:

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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

Jazz im Kontext der ■ Er stellt der traditionellen, mit der ›hohen‹ Kultur verbundenen und
Harlem Renaissance- von der weißen Geschichtsschreibung vereinnahmten und vereinheit-
Historiographie lichten Geschichte der Harlem Renaissance die Geschichtserzählung
von unten entgegen – in der Tradition der mündlichen Erzählung,
der oral history und des vernacular (als originäre Sprache der Afro-
amerikaner) sowie als vielstimmige, plurale, gleichwohl kollektive
und kommunale Geschichtserzählung. Dabei versteht sich der Ro-
man selbst als eine Stimme im historiographischen Diskurs, die den
Anspruch des Korrektivs und der Revision erhebt (vgl. auch Basseler
2008, S. 152 ff.).
■ Der Roman reklamiert weniger die mit dem Begriff der Harlem Renais-
sance assoziierte hohe Kunst und Literatur als kulturelle Errungen-
schaft der Afroamerikaner/innen. Dem Roman geht es nicht um den
Beitrag der Afroamerikaner zur ›großen‹ weißen Kunst und Literatur,
sondern um die Entwicklung eigenständiger kultureller Ausdrucks-
formen, wie sie die Fotografie oder die populäre Musik darstellen. Der
Roman kann in diesem Sinne als späte Einlösung des von Locke gefor-
derten ›renewed self-respect‹ verstanden werden.
Aus dieser zentralen Bedeutung der Geschichte erklärt sich, warum der
Roman Jazz insgesamt als Forum zur Artikulation von ›voices‹ betrachtet
werden kann, die alle, im Bemühen ihrer Gegenwart in der Großstadt Herr
zu werden, mit ihrer Vergangenheit als Sklaven und rassistisch Verfolg-
te ringen. Die Vielstimmigkeit wird dabei auf der Ebene des narrativen
Diskurses selbst inszeniert. Der Roman gibt einer Vielzahl von – oft an-
onymen – Stimmen Raum, die alle aus verschiedenen Perspektiven ihren
Beitrag zur Geschichte von Joe, Violet und Dorcas beitragen und hierin
auf die am Romanbeginn erzählte Episode der versuchten Leichenschän-
dung antworten: »[M]emory, gossip, and news – all are equally useful in
telling the story, even if official historical methods decry such subjective
forms of communication. Morrison’s point is that we must cobble together
our story of the past from multiple accounts« (Magill 2003, S. 22 f.). ›Die‹
Geschichte als große Erzählung wird auf diese Weise ersetzt durch das
Prinzip der vielstimmigen, konkurrierenden oder komplementären Er-
zählung (vgl. im Einzelnen Hallet 2006b).
Intermediale Bezugnahme auf den Jazz: Mit dem Vorangegangenen
hängt unmittelbar die Tatsache zusammen, dass auf der Ebene des oben
angesprochenen narrativen Diskurses der Jazz nicht Thema ist, sondern
Konstruktionsprinzip und Leseerfahrung. Hierin liegt eine weitere Her-
ausforderung an eine kulturwissenschaftliche Lektüre, die den Jazz als
eine ganz eigene Ausdrucksform und kulturelle Errungenschaft zu er-
kunden und in ihrer Verwendungsweise und ihrem Wirkungspotenzial
zu beschreiben hat. Eine solche Analyse ergibt, dass es sich bei Jazz in
einem sehr umfassenden Sinn um musicalization of fiction handelt (so
der Titel der einschlägigen Studie von Wolf, 1999). Es ist aber sinnvoll,
verschiedene Ebenen der intermedialen Bezugnahme (vgl. Rajewski 2002
sowie Hallet 2008, S. 136 ff.) zu unterscheiden, um den Roman nicht nur
narratologisch beschreiben, sondern ihn auch funktionsgeschichtlich als

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14.3
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Musterinterpretation:
Toni Morrisons
Roman Jazz

Metakommentar zur Entstehung und Tradition des Jazz lesen zu können.


Folgende Ebenen kann man unterscheiden:
1. Die Transformation der musikalischen Ausdrucksformen des Jazz in Ebenen der
eine Erzählstruktur: Ein an dieser Stelle nicht im Einzelnen zu leistender intermedialen
Rekurs auf musikwissenschaftliche Beschreibungen dieser musikalischen Bezugnahme
Form (vgl. im Einzelnen z. B. Grandt 2004; Spies 2004; Hallet 2006b) er-
gibt auf dem Wege der vergleichenden Analyse, dass Morrison im Roman
Jazz geläufige Ausdrucksmuster und Abläufe wie die variierende Aufnah-
me eines Themas (den am Romananfang wiedergegebenen Erzählkern),
die teils komplementäre, teils konkurrierende Beteiligung verschiedener
Stimmen (Instrumente), die Abfolge verschiedener Solostimmen oder das
Prinzip von call und response auf der Ebene der narrativen Struktur des
Romans inszeniert. Damit wird die von Afroamerikanern entwickelte
Formensprache des Jazz gewissermaßen generalisiert und zu einer Spra-
che fiktional-historiographischen Erzählens verallgemeinert. Die afro-
amerikanische Formensprache stellt damit auch eine Bereicherung des
Ausdrucksrepertoires des Romans und der Literatur dar.
2. Die Ebene des Themas und der romaninternen diskursiven Verhand-
lung: In der oben zitierten Erzählpassage bewertet Alice Manfred den
Jazz als verabscheuungswürdig; für sie zeigt sich die zunehmende Primi-
tivität des Jazz in der Körperlichkeit, die mit dem Rhythmus einhergeht
und vom Kopf in die unteren Körperregionen heruntersteigt: »Songs that
used to start in the head and fi ll the heart had dropped on down, down
to places below the sash and the buckled belts. Lower and lower, until
the music was so lowdown you had to shut your windows« (Morrison:
Jazz, S. 56). Andererseits ahnt Alice, dass diese Musik unauflöslich mit
der Kultur und Situation der Afroamerikaner verbunden ist (der erste
Satz der zitierten Romanpassage), und spricht damit eine tiefere, ihr gar
nicht bewusste Wahrheit aus: dass die Musik dem Zorn über die Diskri-
minierung Ausdruck zu verleihen vermag, Protestpotenzial und den
Kern einer eigenen kulturellen Identität enthält. Auch hier lässt sich
durch die Konsultation historischer Quellen und Dokumente nachwei-
sen, dass das ethische Urteil der moralischen Korruption der ›neuen‹
Afroamerikaner durchaus keine Erfi ndung des Romans ist (vgl. Basseler
2008, S. 155).
3. Die historiographische Ebene: Der Roman kann als historiographi-
sche Revision insofern gelten, als er die standardisierte Wahrnehmung
des Jazz und seiner Geschichte im Zusammenhang mit den 1920er Jah-
ren und deren Kenzeichnung als ›The Harlem Renaissance‹, ›The Roaring
Twenties‹ oder als ›Jazz Age‹ in Frage stellt (vgl. z. B. Charters/Kunstadt
1962; Floyd 1990). Solche Kennzeichnungen sind historiographisch eher
mit einer weißen Geschichtsschreibung verbunden und tauchen auch in
der Literaturwissenschaft vorzugsweise im Zusammenhang mit einem
gänzlich ›weißen‹ (und ›männlichen‹) Roman wie F. Scott Fitzgeralds The
Great Gatsby auf. Stattdessen wird der Jazz, wie Morrison in ihrem Vor-
wort in der Romanausgabe von 2004 betont, als eigenständige afroame-
rikanische Kunst- und Ausdrucksform ins Recht gesetzt, als »an African

311
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14.4
Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading

Einschränkungen
und Relativierungen

American art form […] [that] defined, influenced, reflected a nation’s cul-
ture in so many ways« (Morrison 2004, S. xviii).
So kann auch die bei einem Roman wie Jazz fast unumgängliche in-
termediale Bezugnahme entscheidende Aufschlüsse über die Bedeutung
der Titelmetapher, einzelner ethischer Urteile und die kulturpoietische
Leistung des Romans geben. Wenngleich es sich bei der Historiographie
und bei der intermedialen Bezugnahme um zwei zentrale kulturelle und
kulturwissenschaftliche Bezugsfelder des Romans handelt, so ist es doch
offensichtlich, dass bei der Komplexität des Romans eine große Vielzahl an-
derer kultureller Bezüge herzustellen und freizulegen wären. Dies betrifft
insbesondere die Gender-Prägung des Romans (s. Kap. 12 in diesem Band).
Allein schon in seinem Figuren-Tableau gibt sich der Roman als von Frauen
dominiert zu erkennen. Erneut wäre hier durch Hinzuziehung einer Viel-
zahl von Quellen nach der Position des Romans im Bezug auf die von ihm
erzählte Epoche und zugleich in der Gegenwart zu fragen.

14.4 | Einschränkungen und Relativierungen


Im Sinne des oben beschriebenen engen Zusammenhangs zwischen einer
textnahen Lektüre nach dem Prinzip des close reading und einem wide
reading als Bezugnahme auf die in einem literarischen Text aufgerufe-
nen oder verarbeiteten Diskurse und deren einzelne Stimmen erhebt die
kulturwissenschaftliche Lektüremethode einen recht umfassenden Deu-
tungsanspruch. Dieser bezieht sich sowohl auf den literarischen Text als
auch auf kulturelle Prozesse, auf Bedeutungszuschreibungen in einem
literarischen Text und auf die zugehörigen Felder der Kultur, auf indivi-
duelle Textbedeutungen wie auf die mit ihnen verbundenen Kollektivvor-
stellungen. Dennoch oder gerade deshalb gibt es Einschränkungen und
Relativierungen der kulturwissenschaftlichen Literaturinterpretation, die
hier nur kurz angedeutet werden können:
Einschränkungen ■ Erkenntnisleitende Kategorisierungen: Die Identifizierung der Dis-
und Relativie- kurse und kulturellen Bezüge, die für die Deutung eines literarischen
rungen der Textes als relevant erachtet werden, ist in bestimmtem Maß bereits das
kulturwissen- Ergebnis einer bestimmten Lesart des Textes oder, anders ausgedrückt,
schaftlichen eines Erkenntnisinteresses, eines Untersuchungsziels oder einer kate-
Literatur- gorialen Perspektivierung des Interpreten oder der Interpretin. Hierbei
interpretation handelt es sich allerdings um einen Vorbehalt, der für jedwede andere
interpretative Vorgehensweise auch gilt: Die in einer wissenschaftlichen
Interpretation jeweils herausgearbeiteten oder fokussierten Aspekte ei-
nes literarischen Textes sind stets Ergebnis der Wahrnehmungen und
kategorialen Entscheidungen der oder des Interpretierenden. Abhilfe
besteht hier lediglich im Bemühen der Evidenzstiftung, um die Herstel-
lung einer größtmöglichen Intersubjektivität und in der Offenlegung
der Kategorien und Argumente, die zur Bestimmung von ›Relevanz‹
oder, mit einem Begriff Moritz Baßlers, von ›Kontiguität‹ (also der kul-
turellen Nähe und Verwandtschaft von Texten) ausschlaggebend sind.

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Literatur

■ ›Kultur‹ als interpretatives Konstrukt: ›Kultur‹ oder jeder Ausschnitt


von ihr ist ebenso wie jeder ›historische Kontext‹ ein interpretatives
Konstrukt. ›Die Vergangenheit‹ oder ›eine Kultur‹ entstehen – wohlge-
merkt als kultur- und literaturwissenschaftlicher Untersuchungs- und
Beschreibungsgegenstand – im Moment der wissenschaftlichen Be-
schäftigung mit ihnen: »We interpret, inevitably, from the present, and
the present necessarily informs our account of a past that cannot speak
for itself« (Belsey 2000, S. 111). In dieser unumstößlichen Tatsache
steckt die Aufforderung zu einer beständigen kritischen Selbstreflexi-
on der jeweils zur Anwendung gebrachten Kategorien und Denkvor-
stellungen des literaturwissenschaftlichen Interpreten.
■ Repräsentativität: Wie bereits bemerkt, sind Literaturwissenschaft-
ler/innen eine ›Kultur‹ oder ›die Vergangenheit‹ nur in Gestalt von Tex-
ten und anderen symbolischen Repräsentationen zugänglich, außer
es handelt sich um einen kulturellen Kontext, dem Text und Interpret
gleichermaßen angehören. Wegen dieser Textualität von Kultur und
Geschichte kommt der Repräsentativität der jeweils ausgewählten Texte
und Repräsentationen eine besonders große Bedeutung zu. Diese Re-
präsentativität kann nur gesichert werden durch das Gesetz der Menge:
»[T]here is no way around quantity« (Grabes 2001, S. 12); je größer die
Zahl der Quellen und Dokumente, auf die sich ein Interpretationsargu-
ment stützt, desto zuverlässiger ist die Aussage. Zum anderen muss sich
das interpretative Potenzial der zur Repräsentation einer bestimmten
Kultur herangezogenen Referenztexte (oder anderer Artefakte) im Resul-
tat der Untersuchung oder der Interpretation selbst erweisen. Insofern hat
die Hinzuziehung ausgewählter Texte immer hypothetischen Charakter;
lassen sich aus ihnen keine Aufschlüsse für den literarischen Text gewin-
nen, müssen sie verworfen werden. Dieses Verfahren ist aber durchaus
wissenschaftsadäquat: Erweisen sich Bezugstexte als wenig oder gar
nicht interpretativ wirksam, muss entweder nach anderen Texten ge-
forscht werden oder die Deutungshypothese muss revidiert werden.
Entscheidend für jede kulturwissenschaftliche Methode ist jedenfalls,
dass sie sich der Vorläufigkeit ihrer Annahmen und der Konstrukthaf-
tigkeit ihrer Deutungskategorien wie ihrer Untersuchungsgegenstände
jederzeit bewusst ist.

Der Beitrag greift insbesondere im ersten Teil und in den Beispielen zu Literatur
Toni Morrisons Roman Jazz auf einige frühere Veröffentlichungen zur
Kontextualisierung von Literatur zurück, vor allem auf Hallet 2002,
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Wolfgang Hallet

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