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Hausarbeit Kanonkritik - Jasem Djami

Die Arbeit plädiert für die Erweiterung des philosophischen Kanons um islamische Philosophie, insbesondere durch Ibn Tufails Werk "Hayy ibn Yaqzan", das bedeutende Erkenntnisse zur Erkenntnistheorie, Autodidaktik und religiösen Toleranz bietet. Sie argumentiert, dass die Prinzipien der Aufklärung nicht ausschließlich westlich sind, sondern auch in anderen Kulturen unabhängig entwickelt wurden. Der Vergleich mit Kants "Was ist Aufklärung?" soll die universelle Relevanz dieser Ideen unterstreichen und die Notwendigkeit einer interkulturellen Philosophie betonen.

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Hausarbeit Kanonkritik - Jasem Djami

Die Arbeit plädiert für die Erweiterung des philosophischen Kanons um islamische Philosophie, insbesondere durch Ibn Tufails Werk "Hayy ibn Yaqzan", das bedeutende Erkenntnisse zur Erkenntnistheorie, Autodidaktik und religiösen Toleranz bietet. Sie argumentiert, dass die Prinzipien der Aufklärung nicht ausschließlich westlich sind, sondern auch in anderen Kulturen unabhängig entwickelt wurden. Der Vergleich mit Kants "Was ist Aufklärung?" soll die universelle Relevanz dieser Ideen unterstreichen und die Notwendigkeit einer interkulturellen Philosophie betonen.

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Wes$älische Wilhelms-Universität Münster

Philosophisches Seminar
Kulturelle Dimension philosophischer Kanonkritik
Lehrende Gregor
Sommersemester 2024

Plädoyer für die Erweiterung des philosophischen Kanons


durch islamische Philosophie am Beispiel von Ibn Tufails Werk
„Hayy ibn Yaqzan“

Jasem Djami
517685
[email protected]
Zwei-Fach-Bachelor
Philosophie und islamische Theologie
Achtes Semester
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................................... 1

1 Einleitung .......................................................................................................................... 2

2 Inhaltsübersicht und philosophische Inhalte des Werkes „Hayy Ibn yaqzan“ ...................... 3
2.1 Inhaltsübersicht ............................................................................................................... 4
2.2 Philosophische Inhalte des Werkes „Hayy Ibn Yaqzan“.................................................... 4
2.2.1 Erkenntnistheorie und Methodologie ......................................................................... 5
2.2.2 Autodikta7sches Lernen und die Rolle der Vernun< .................................................. 5
2.2.3 Kri7sche Reflexion und Religiöse Toleranz .................................................................. 6
2.2.4 Zusammenfassung ...................................................................................................... 7

3 Gliederung und Inhaltsübersicht „Beantwortung der Frage: was ist AuIlärung?“.............. 8


3.1 DefiniCon der AuFlärung ................................................................................................ 8
3.2 Unmündigkeit und Ihre Ursachen .................................................................................... 8
3.3 Freiheit als eine wichCge Bedingung der AuFlärung ...................................................... 8
3.4 Hindernisse und Widerstände gegen die AuFlärung ...................................................... 9
3.5 Zusammenfassung .......................................................................................................... 9

4 Vergleich der Ideen in „Hayy Ibn Yqzan“ und „Beantwortung der Frage: was ist
AuIlärung?“ ............................................................................................................................. 9

5 Fazit ................................................................................................................................ 11

6 Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 14

1
1 Einleitung

Die Einsicht, ob die AuVlärung eine rein westliche Schöpfung ist, ist nicht nur rassisYsch
und eurozentrisch, sondern negiert auch anderen Kulturen die Fähigkeit, auVlärerische
Gedanken zu pflegen. Es lässt außer Acht, dass auch andere Kulturen die Rolle der Ver-
nun_ wertgeschätzt und bedeutende Beiträge zur Philosophie und Wissenscha_ geleistet
haben.
Ram Adhar Mall ein deutsch-indischer Philosoph fordert die Idee einer Interkulturellen
Philosophie. Interkulturelle Philosophie ist die Auffassung, dass Philosophie nicht auf eine
einzelne Kultur oder TradiYon beschränkt ist, sondern aus der Vielfalt der philosophischen
TradiYon weltweit schöp_. Sie erkennt die Pluralität der Ursprungsorte der Philosophie
an, darunter China, Indien und Europa und plädiert für einen offenen, globalen Diskurs.
Mall kriYsiert die eurozentrische Philosophie, die dazu neigt, die europäische Denkweise
zu universalisieren und die philosophischen Beiträge anderer Kulturen zu marginalisieren.
Eine interkulturelle Philosophie strebt eine Dekolonialisierung der eurozentrischen Histo-
riographie an. Mall fordert eine "Kopernikanische Wende" in der Philosophiegeschichts-
schreibung, bei der die europäische Philosophie nicht mehr als alleinige "Sonne" gilt, um
die sich alle anderen Philosophien drehen. Staedessen soll die Philosophie als eine Vielfalt
von TradiYonen angesehen werden, die alle um eine gemeinsame philosophische RaYo-
nalität kreisen. Mall schlägt vor, dass Philosophie-Lehrpläne globalisiert werden sollten,
indem sie die philosophischen TradiYonen aus verschiedenen Kulturen integrieren. Dies
soll helfen, eine einseiYge eurozentrische PerspekYve zu vermeiden und den Studieren-
den eine breitere, vielfälYgere philosophische Bildung zu bieten. 1
Ein herausragendes Werk, das in den philosophischen Kanon aufgenommen werden
sollte, ist „Hayy ibn Yaqzan“ von Ibn Tufail aus dem 12. Jahrhundert. Ibn Tufail, geboren
um 1105 in Guadix, nahe Granada, Andalusien, und gestorben 1185 in Marokko, war ein
vielseiYger Denker, der als Philosoph, Arzt und Berater am Hof der Almohaden wirkte. 2
Ich habe mich für „Hayy ibn Yaqzan” entschieden, weil dieses Werk als „philosophischer
Roman“ 3 nicht nur gut zu lesen ist, sondern auch viele philosophische Erkenntnisse

1
Vgl. Mall, Ram A., "Zur Dekolonialisierung der eurozentrischphilosophischen Historiographie:
Grundlegende Überlegungen zu einer interkulturell orien7erten Philosophie". Auf den Spuren von
Anton Wilhelm Amo: Philosophie und der Ruf nach Interkulturalität, edited by Stefan Knauß, Louis
Wolfradt, Tim Hofmann and Jens Eberhard, Bielefeld: transcript Verlag, 2021, pp. 133-
158. h`ps://doi.org/10.1515/9783839456972-010 (15.07.2024)
2Vgl. Attar, Samar. The Vital Roots of European Enlightenment: Ibn Tufayl’s Influence on Modern
Western Thought. Lexington Books, 2007, S. 63. URL: h`ps://archive.org/details/the-vital-roots-
of-european-enlightenment-ibn-tufayls-influence-on-modern-western-thought-
2007/page/63/mode/2up(31.07.2024)

3
Vgl.Karimi, Ahmad Milad. Licht über Licht. Originalausgabe, Verlag Karl Alber, 2021. S.203
2
beinhaltet, die in den Philosophien von al-Farabi, Ibn Sina, Ibn Bagga und Averroes wie-
derzufinden sind.4 Das bedeutet, dass das Werk als eine Art Zusammenfassung der wich-
Ygsten Philosophischen Ideen in der Islamischen Philosophie gesehen werden konnte. Es
zeigt eindrucksvoll, wie durch Vernun_ und Selbstreflexion Yefere Wahrheiten entdeckt
werden können.
Interessanterweise spiegeln sich Ibn Tufails Gedanken in den Lehren der europäischen
AuVlärung im 17. und 18. Jahrhundert wider, etwa in den Werken von Denkern wie
Descartes (1596–1650), Locke (1632–1704), Newton (1642–1727), Bayle (1647–1706),
Voltaire (1694–1778), Rousseau (1712–1778), Lessing (1729–1781), Diderot (1713–1784)
und anderen Enzyklopädisten. Obwohl diese Denker unterschiedliche Ansichten vertre-
ten, ist es klar, dass sie grundlegende Formulierungen von diesem andalusischen Philoso-
phen geerbt haben. Die Vernun_ muss als oberster Richter anerkannt werden. Die Metho-
den der Naturwissenscha_en sollten auch in der Philosophie angewandt werden. Religi-
öse, erzieherische und poliYsche Autoritäten müssen hinterfragt und geprü_ werden.5

Für den Vergleich habe ich Immanuel Kant ausgewählt, da sein Aufsatz „Was ist AuVlä-
rung?“ eine prägnante und übersichtliche Erklärung der AuVlärung bietet. Dieser Ver-
gleich soll zeigen, dass die Prinzipien der AuVlärung universell und interkulturell sind.
In meiner Hausarbeit werde ich zunächst die zentralen Inhalte und Ideen von „Hayy ibn
Yaqzan“ und Kants „Was ist AuVlärung?“ zusammenfassen. Danach werde ich die philoso-
phischen Erkenntnisse dieser Werke beleuchten und schließlich die Ideen von Ibn Tufail
und Kant vergleichen. Dabei werde ich auch auf Strategien eingehen, die ChrisYna Mercer
in ihrem Aufsatz „Empowering Philosophy“ vorschlägt, um zu zeigen, wie die Einbeziehung
interkultureller Philosophie den westlichen Kanon bereichern kann.
Diese Herangehensweise soll verdeutlichen, dass die AuVlärung kein ausschließlich west-
liches Phänomen ist, sondern dass ihre Prinzipien auch in anderen Kulturen unabhängig
entwickelt wurden und zu einem umfassenderen Verständnis von AuVlärung beitragen
können.

2 Inhaltsübersicht und philosophische Inhalte des Werkes


„Hayy Ibn yaqzan“

Im Abschnie 2.1 werde ich eine kurze Zusammenfassung des Romans „Hayy Ibn Yaqzan“
geben, um einen Überblick über die Geschichte zu bieten und die darauffolgenden

4
Vgl.Karimi, Ahmad Milad, S.207f, S.215f, S.2019ff
5
Vgl.A`ar (2007), S.53f

3
philosophischen Analysen verständlicher zu machen. Für ein Yeferes Verständnis emp-
fehle ich, den gesamten Roman zu lesen. Abschnie 2.2 konzentriert sich auf die wesentli-
chen philosophischen Inhalte, die für die Fragestellung meiner Hausarbeit relevant sind.
Diese Analyse basiert auf einer Zusammenfassung aus „The Vital Roots of European En-
lightenment: Ibn Tufayl’s Influence on Modern Western Thought“. Aufgrund der begrenz-
ten Seitenzahl kann ich nicht alle Erkenntnisse aus „Hayy Ibn Yaqzan“ im Detail darstellen.
Zunächst erläutere ich Ibn Tufayls Methodologie, insbesondere die Verbindung zwischen
empirischer Beobachtung und raYonaler Analyse. Danach gehe ich auf die Rolle der Ver-
nun_ und die menschliche Fähigkeit zur Selbstbildung ein. Abschließend zeige ich, wie Ibn
Tufayl die Bedeutung kriYscher Reflexion und religiöser Toleranz für eine Gesellscha_ dar-
stellt. Am Ende folgt eine Zusammenfassung dieser Erkenntnisse.

2.1 Inhaltsübersicht

Der Autor erklärt im Vorwort, dass er eine Synthese aus raYonaler und mysYscher Erkennt-
nis schaffen möchte und kriYsiert frühere Philosophen für ihre rein raYonalen Ansätze.
Durch die Geschichte vermieelt er philosophische und mysYsche Einsichten.
Hayy ibn Yaqzan wird auf einer abgelegenen Insel geboren und von einer Gazelle aufgezo-
gen. Im ersten Lebensabschnie (bis zum siebten Lebensjahr) entwickelt er eine enge Be-
ziehung zur Gazelle und beginnt, seine IdenYtät zu hinterfragen. Im zweiten Lebensab-
schnie (bis zum 21. Lebensjahr) entdeckt Hayy den Tod seiner Pflegemueer, untersucht
ihren Körper und entwickelt prakYsche Fähigkeiten wie das Herstellen von Werkzeugen.
Im drieen Lebensabschnie untersucht er Pflanzen und Tiere, was ihn zu philosophischen
Einsichten über Einheit und Unterschiede der Dinge führt. Im vierten Abschnie erkennt er
die Natur des Universums und schlussfolgert, dass es eine erste Ursache gibt. Im fün_en
Lebensabschnie begibt sich Hayy auf eine spirituelle Reise, erkennt die Begrenzungen sei-
ner Sinne und erlangt Yefe spirituelle Erkenntnisse.
Die Begegnung mit Absāl und Salāmān führt zu einer Freundscha_, in der Absāl Hayy
sprachliche und religiöse Kenntnisse vermieelt. Sie versuchen gemeinsam, ihre Erkennt-
nisse zu verbreiten, stoßen aber auf Ablehnung und ziehen sich auf die Insel zurück.
Im Schlusswort fordert der Autor den Leser auf, ernstha_ nach der Wahrheit zu suchen
und zeigt Verständnis für mögliche Unzulänglichkeiten in seinen Erklärungen. 6

2.2 Philosophische Inhalte des Werkes „Hayy Ibn Yaqzan“

6
Ibn-Ṭufail, Muḥammad Ibn-ʿAbd-al-Malik, und Patric O. Schaerer. Der Philosoph als Autodidakt:
ein philosophischer Insel-Roman. Meiner, 2006, [ABŪ BAKR IBN ṬUFAIL DER PHILOSOPH ALS AU-
TODIDAKT HAYY IBN YAQZĀN].
4
2.2.1 Erkenntnistheorie und Methodologie

Hayy verwendet die empirische Methode, um Wissen zu erlangen. Durch Beobachtung


und Experimente entdeckt er grundlegende Naturprinzipien, wie das Entzünden von Feuer
und die Anatomie von Lebewesen. Diese Betonung der empirischen Methode unter-
streicht die Bedeutung von Wissenscha_ und Experimenten zur Wissensgewinnung.7
Ibn Tufail zeigt, dass Hayy zwei Arten von Wissen erlangt: materielles und metaphysisches
Wissen. Materielles Wissen entsteht durch die Beobachtung der Natur und umfasst Me-
thoden wie Beobachtung, Nachahmung, Analyse, systemaYsches Testen und logische Ab-
leitungen. Dieses Wissen wird durch Sinne und Erfahrungen erworben und ist nicht sta-
Ysch, sondern entwickelt sich progressiv. Es umfasst ein breites Spektrum an Disziplinen
wie Ethik, MathemaYk, Astronomie, Biologie und Soziologie. Metaphysisches Wissen hin-
gegen erfordert IntuiYon und geht über die materiellen und empirischen Methoden hin-
aus. Es bezieht sich auf das Wissen, das nicht direkt durch die Sinne wahrgenommen wer-
den kann und erfordert eine Yefere, intuiYve Erkenntnis.8

2.2.2 Autodikta6sches Lernen und die Rolle der Vernun;

Der Text beschreibt die Haup$igur Hayy Ibn Yaqzan aus Ibn Tufayls Werk, der als Säugling
allein auf einer verlassenen Insel aufwächst. Durch Vernun_ und Experimente wird er zu
einem aufgeklärten Menschen, ohne Hilfe von Eltern, Lehrern, religiösen Mentoren oder
der Gesellscha_.9
Ibn Tufayl präsenYert dem mieelalterlichen Europa, das auf dem Weg zur Wissenscha_
war, ein Modell eines neuen Menschentyps. Hayy lernt nicht nur prakYsche Fähigkeiten
wie Feuer en$achen und Werkzeuge herstellen, sondern erlangt auch Wissen in Medizin,
Biologie, Astronomie, Physik, Psychologie und Philosophie. Sein Weg zur Erkenntnis ba-
siert allein auf seiner Vernun_ und seinen wissenscha_lichen Experimenten, unabhängig
von externen Einflüssen. Diese Darstellung betont das Potenzial des menschlichen Ver-
standes zur SelbstauVlärung und zum wissenscha_lichen Fortschrie, unabhängig von so-
zialen und kulturellen Einflüssen. 10
Die zentrale These besagt, dass die Vernun_ die wichYgste Fähigkeit zur Wahrheitssuche
ist und dass Propheten, heilige Texte oder konvenYonelle Religionen nicht notwendig sind.
Diese These wird leicht modifiziert, als der Protagonist in eine menschliche Gesellscha_
eintrie: Während alle Menschen raYonal sind, nutzen einige diese Fähigkeit besser als an-
dere. Hierin liegt die Notwendigkeit konvenYoneller Religionen, besonders für jene, die

7
Vgl.A`ar, Samar,S.41ff
8
Vgl.A`ar,Samar,S.45
9
Vgl.A`ar, Samar, S.41ff
10
Vgl.A`ar, Samar, S.4
5
ihre Vernun_ vernachlässigen. Der vernün_ige Mensch hat die moralische Verpflichtung,
anderen zu helfen, logisch zu denken, ohne Gewalt oder fragwürdige Mieel einzusetzen.
Toleranz gegenüber unterschiedlichen Ansichten und Überzeugungen ist essenziell 11
Schließlich ist es festzustellen, dass Hayys Geschichte die Yefen Verbindungen zwischen
Vernun_, Empirie und Spiritualität verdeutlicht und zeigt, dass der Mensch durch selbst-
ständiges Denken und Lernen zu umfassender Erkenntnis gelangen kann. Schließlich ver-
deutlicht Hayys Geschichte die Yefen Verbindungen zwischen Vernun_, Empirie und Spi-
ritualität und zeigt, dass der Mensch durch selbstständiges Denken und Lernen zu umfas-
sender Erkenntnis gelangen kann.

2.2.3 Kri6sche Reflexion und Religiöse Toleranz

Hayy zeigt eine Haltung der religiösen Toleranz und kriYschen Reflexion. Er erkennt, dass
blinder Glaube und konvenYonelle Rituale schädlich sein können, und betont die Notwen-
digkeit, Vernun_ und Beweise zu verwenden. GleichzeiYg verurteilt er die Religion nicht,
sondern sieht ihren Nutzen für diejenigen, die sie benöYgen, und fördert so eine tolerante
und kriYsche Haltung gegenüber verschiedenen Glaubenssystemen.12
In Hayy Ibn Yaqzan wird die Beziehung zwischen kriYscher Reflexion und Toleranz auf viel-
fälYge Weise dargestellt. Hayy, der Protagonist, hinterfragt die Religion der Inselbewohner
kriYsch. Er erkennt, dass die Verwendung von Analogien und Parabeln durch den Prophe-
ten zur Beschreibung des Göelichen dazu geführt hat, dass die Menschen diese Konzepte
materialisieren und missverstehen. Zudem wundert er sich über die Widersprüche in der
Religion, wie etwa das Festhalten an Gebeten und Ritualen, während gleichzeiYg Reichtum
und Völlerei erlaubt sind. Diese kriYsche Reflexion führt Hayy zu der Einsicht, dass nicht
alle Menschen ihre Vernun_ gleichermaßen gut nutzen können. Trotz seines Wunsches,
die Inselbewohner zur Wahrheit zu führen, respekYert er ihre individuellen Überzeugun-
gen und entscheidet sich gegen Zwang und für Toleranz. Er erkennt, dass das Aufzwingen
seiner Erkenntnisse mehr Schaden als Nutzen bringen würde und dass es verschiedene
Wege zur Wahrheit geben kann. Die kriYsche Reflexion Hayys zeigt ihm, dass Toleranz eine
notwendige Haltung ist, um Harmonie in der Gesellscha_ zu bewahren. Er akzepYert, dass
jeder Mensch das Recht hat, seine eigenen Überzeugungen zu haben, und dass Zwang nur
zu Zwietracht und Gewalt führen würde. Dies wird deutlich, als Hayy am Ende erkennt,
dass es besser ist, die Menschen in ihrem Glauben zu lassen, bis sie selbst bereit sind, ihre
Sichtweise zu ändern.13

11
Vgl.A`ar,Samar, S.46
12
Vgl.A`ar, Samar, S.10, S.21
13
Vgl.A`ar, Samar 48-52
6
Hayys tolerante und raYonale IdenYtät ist nicht nur ein Produkt von Ibn Tufayls Vorstel-
lungskra_, sondern hat historische Wurzeln im goldenen Zeitalter des muslimischen Spa-
niens. Die andalusische Gesellscha_ war vielfälYg und relaYv tolerant, was es den Men-
schen ermöglichte, frei zu philosophieren und ihre Ansichten auszudrücken. Als jedoch der
Fokus auf Unterschiede wie Rasse, Religion und RaYonalität wuchs, begann dieses Zeital-
ter zu schwinden.14
Eine andere zentrale philosophische Botscha_ von Ibn Tufayls „Hayy Ibn Yaqzan“ ist, dass
es keine einzige exklusive Wahrheit und keinen exklusiven Weg gibt, um diese Wahrheit
zu finden. Dies legt nahe, dass es auch keine einzige, autoritaYve DefiniYon der persönli-
chen IdenYtät gibt und dass es verschiedene Wege gibt, um herauszufinden, was persön-
liche IdenYtät ausmacht. Ibn Tufayl stellt in seinem philosophischen Roman mehrere Iden-
Ytäten dar, konzentriert sich jedoch auf eine besYmmte IdenYtät: Hayy Ibn Yaqzan. Hayy
wird nicht durch Familie, Gesellscha_, Geschichte, Sprache oder Religion geformt. Er ist
eine kosmopoliYsche Persönlichkeit, ein raYonaler Freidenker, der überall auf der Erde
funkYonieren kann. Geformt wird er durch die Nutzung seiner Vernun_ und IntuiYon.
Seine wissenscha_lichen Experimente haben ihm geholfen, Vielfalt und Einheit, Fremd-
heit und Vertrautheit in einem dialekYschen Prozess zu sehen. Daher kollidiert seine Iden-
Ytät theoreYsch nie mit anderen IdenYtäten.15

2.2.4 Zusammenfassung

In diesem Abschnie wurde die erkenntnistheoreYsche Methode von Ibn Tufail beleuchtet
und die zentrale Rolle der Vernun_ bei der Erkenntnisgewinnung herausgestellt. Der
Mensch ist in der Lage, sich durch Vernun_ von gesellscha_licher Abhängigkeit zu be-
freien, wie die Figuren Hayy und Absal exemplarisch zeigen. Es wurde auch die enge Be-
ziehung zwischen kriYscher Reflexion und Toleranz untersucht. Dabei wurde der

festgestellt, dass bei der Vermielung der Wahrheit zunächst geprü_ werden muss, ob die
Person oder Gesellscha_ in der Lage ist, diese Wahrheit zu akzepYeren. Dieser Abschnie
hat zudem verdeutlicht, dass es keine exklusive Wahrheit gibt, sondern verschiedene
Wege, die zur Wahrheit führen. Diese Unterschiede sollten erkannt, akzepYert und tole-
riert werden. Schließlich wurde die Idee einer kosmopoliYschen Figur und ihrer Bedeutung
in einer pluralisYschen Gesellscha_ diskuYert.

14
Vgl.A`ar,Samar, S.76
15
Vgl.A`ar,Samar,S.75f
7
3 Gliederung und Inhaltsübersicht „Beantwortung der Frage:
was ist AuGlärung?“
In diesem Abschnie geht es um die Gliederung und Wiedergabe des philosophischen In-
halts. Ich habe mich auf die DefiniYon der AuVlärung, die Ursachen der Unmündigkeit,
die Freiheit als wichYge Bedingung der AuVlärung und die Hindernisse gegen die AuVlä-
rung konzentriert. Andere philosophische Erkenntnisse aus dem Aufsatz habe ich ausge-
lassen, da mein Ziel ist, jene Erkenntnisse zu vergleichen, die eine Verbindung zu den phi-
losophischen Ideen in Ibn Tufails Werk aufweisen.
3.1 Defini6on der AuBlärung

Kant beginnt mit der DefiniYon der AuVlärung als „Ausgang des Menschen aus seiner
selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Er erklärt, dass Unmündigkeit das Unvermögen ist,
sich seines Verstandes, ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Der Wahlspruch der
AuVlärung ist „Sapere aude!“ (Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!).16

3.2 Unmündigkeit und Ihre Ursachen

Kant beschreibt die Unmündigkeit als selbstverschuldet, wenn sie nicht durch Mangel an
Verstand, sondern durch Mangel an Entschlossenheit und Mut verursacht ist. Die Haupt-
ursachen der Unmündigkeit sind Faulheit und Feigheit. Viele Menschen finden es bequem,
unmündig zu sein, da sie ihre Verantwortung an andere abgeben können.
Kant erläutert die Schwierigkeiten, die ein Mensch überwinden muss, um aus der Unmün-
digkeit herauszutreten. Er beschreibt sowohl innere Hindernisse wie Gewohnheit und Be-
quemlichkeit, als auch äußere Hindernisse, wie Vormünder und soziale Strukturen, die die
Unmündigkeit aufrechterhalten.17

3.3 Freiheit als eine wich6ge Bedingung der AuOlärung

Kant betont die Bedeutung der Freiheit für die AuVlärung. Er unterscheidet zwischen dem
öffentlichen Gebrauch der Vernun_, der frei sein muss, und dem privaten Gebrauch der
Vernun_, der in besYmmten SituaYonen eingeschränkt sein kann. Der öffentliche Ge-
brauch der Vernun_ bezieht sich auf die Nutzung der Vernun_ als Gelehrter vor der Leser-
scha_, während der private Gebrauch die Nutzung der Vernun_ in einem beruflichen oder
gesellscha_lichen Amt betri{. Kant betont die WichYgkeit der Freiheit in allen Gewissens-
angelegenheiten und spricht sich gegen die Einmischung der Regierung in religiöse

16
Vgl.Kant, Immanuel. Was ist Auulärung? Ausgewählte kleine Schri<en, mit einem Text zur Ein-
führung von Ernst Cassirer. 1. Aufl. Felix Meiner Verlag GmbH, 1999. Print. S.20, ULB: h`ps://mei-
ner-elibrary.de/doi:10.28937/978-3-7873-2115-5 Stand(31.07.2024)
17
Vgl.Kant, Immanuel, S.20-21
8
Überzeugungen aus. Er lobt Herrscher, die ihren Untertanen volle Freiheit in Religionsfra-
gen lassen, und bezeichnet diese Haltung als aufgeklärt.18

3.4 Hindernisse und Widerstände gegen die AuOlärung

Kant diskuYert die gesellscha_lichen und insYtuYonellen Hindernisse gegen die AuVlä-
rung. Er beschreibt, wie Vormünder ein Interesse daran haben, die Unmündigkeit der
Menschen aufrechtzuerhalten. Diese Vormünder profiYeren von der Abhängigkeit der
Menschen und fördern daher Strukturen, die die Unmündigkeit unterstützen. Kant
schließt mit einer posiYven PerspekYve auf die Zukun_ der AuVlärung. Er sieht deutliche
Zeichen für Fortschriee in der AuVlärung und betont die Rolle der Freiheit in diesem Pro-
zess. Er lobt Herrscher, die die Freiheit in Religionsfragen fördern, und argumenYert, dass
Freiheit und Sicherheit im Prozess der AuVlärung Hand in Hand gehen. Kant betont, dass
die Menschen sich allmählich aus der Rohheit herausarbeiten, wenn man ihnen die Frei-
heit lässt, ihren eigenen Verstand zu nutzen.19

3.5 Zusammenfassung

In der DefiniYon der AuVlärung wird die Betonung auf individuelle Autonomie und die
Verantwortung jedes Einzelnen für sein Denken und Handeln hervorgehoben. Vernun_
wird als Mieel zur Befreiung von Unmündigkeit und zur Erlangung von Autonomie be-
trachtet. Die Ursachen der Unmündigkeit zeigen, dass sowohl insYtuYonelle Hindernisse
als auch individuelle Verantwortung eine Rolle spielen, um aus dieser Unmündigkeit her-
auszutreten. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Gebrauch der Ver-
nun_ hat weitreichende ImplikaYonen für die Meinungsfreiheit und die Rolle der Intel-
lektuellen in der Gesellscha_. Die KriYk an der Rolle von Kirche und Staat unterstreicht
die Notwendigkeit, autoritäre Strukturen zu hinterfragen und die Freiheit des Denkens zu
verteidigen.

4 Vergleich der Ideen in „Hayy Ibn Yqzan“ und „Beantwortung


der Frage: was ist AuGlärung?“
In diesem Abschnie soll aufgezeigt werden, inwiefern die Ideen, die in Abschnieen 2 und
3 behandelt wurden, miteinander vergleichbar sind.
Immanuel Kant betont in seiner Schri_ „Beantwortung der Frage: Was ist AuVlärung?“ die
zentrale Rolle der Vernun_ im AuVlärungsprozess. Für Kant ist eine aufgeklärte Person

18
Vgl.Kant, Immanuel, S.21- 24
19
Vgl.Kant, Immanuel, S.24-27
9
jemand, der den Mut hat, seinen eigenen Verstand zu nutzen und sich aus den Keeen der
Faulheit und Feigheit zu befreien. Diese Idee findet sich auch in Ibn Tufayls Hayy Ibn
Yaqzan, wo Hayy seine Vernun_ nutzt, um durch autodidakYsches Lernen und empirische
Beobachtung die Naturgesetze und metaphysische Wahrheiten zu entdecken. Beide
Werke betonen, dass Vernun_ nicht nur zur Erkenntnis der natürlichen Welt, sondern
auch zur spirituellen Erleuchtung fähig ist, ohne die Notwendigkeit etablierter religiöser
InsYtuYonen.
Kant diskuYert die gesellscha_lichen und insYtuYonellen Hindernisse gegen die AuVlä-
rung. Er beschreibt, wie Vormünder ein Interesse daran haben, die Unmündigkeit der
Menschen aufrechtzuerhalten, da sie von der Abhängigkeit der Menschen profiYeren.
Diese Vormünder fördern Strukturen, die die Unmündigkeit unterstützen. Kant argumen-
Yert, dass Freiheit und Sicherheit im Prozess der AuVlärung Hand in Hand gehen müssen,
um Fortschriee zu erzielen. Ebenso zeigt Ibn Tufayl die gesellscha_lichen Einflüsse auf die
Menschen. Hayy, der diesem gesellscha_lichen Druck nicht ausgesetzt ist, en$altet sich zu
jemandem, der die höchsten metaphysischen Erkenntnisse gewinnt. Obwohl er keinen ge-
sellscha_lichen Druck hat, könnte er wie die Tiere einfach nur den Tag damit verbringen,
seinen Bauch zu füllen. Staedessen stellt er Fragen, deren Antworten nicht leicht zu finden
sind. Ebenso ist Absal jemand, der sein eigenen Weg geht und den Mut und die Entschlos-
senheit hat, Fragen zu stellen und diese mit der Vernun_ zu beantworten. Dies bringt den
Aspekt des Mutes und der Entschlossenheit zum Ausdruck, den Kant ebenfalls betont.
Kant betont die Bedeutung der Freiheit für den Prozess der AuVlärung. Diese Freiheit ist
notwendig, damit Individuen ihren Verstand nutzen und sich aus der Unmündigkeit be-
freien können. Hayy und Absal sind aufgrund ihrer Freiheit in der Lage, ihre eigenen Wege
zu gehen und Yefgehende Erkenntnisse zu erlangen. Hayy wächst isoliert auf einer Insel
auf, ohne die Einflüsse gesellscha_licher Normen und Zwänge, was ihm ermöglicht, sich
unabhängig intellektuell und spirituell zu entwickeln. Absal wählt freiwillig die Abgeschie-
denheit, um sich auf seine spirituelle Reise zu konzentrieren.
Die Förderung der Toleranz in Ibn Tufayls Werk ist besonders bedeutsam im Kontext der
andalusischen Gesellscha_, die aus einer Vielzahl von Sprachen, Religionen, Kulturen und
Ideen bestand. Diese pluralisYsche Gesellscha_, die im goldenen Zeitalter des muslimi-
schen Spaniens blühte, profiYerte enorm von der Toleranz und dem gegenseiYgen Res-
pekt, den ihre verschiedenen Gemeinscha_en miteinander teilten.
Ibn Tufayls Werk reflekYert diese Notwendigkeit und bietet ein philosophisches Funda-
ment für das Verständnis und die Akzeptanz der Vielfalt. Indem er zeigt, dass Hayy und
Absal trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze zu ähnlichen Yefen Erkenntnissen gelangen,

10
plädiert Ibn Tufayl für eine offene und tolerante Gesellscha_, in der unterschiedliche Ideen
und Überzeugungen respekYert und geschätzt werden.
Die Toleranz wird nicht nur in der Beziehung zwischen Hayy und Absal, sondern auch in
Hayys Umgang mit Menschen, die seine philosophischen Ansichten nicht akzepYeren.
Diese Darstellung hat eine pädagogische Dimension, die aufzeigt, wie man Ideen in Ge-
sellscha_en einführen kann, in denen die Menschen noch nicht bereit sind, neue Konzepte
zu akzepYeren. Auch Kant plädiert in diesem Aufsatz dafür, dass die AuVlärung eines Pub-
likums eher durch Freiheit als durch Zwang erreicht wird.
Beide Werke teilen die Prinzipien der AuVlärung, jedoch liegt der entscheidende Unter-
schied in ihrer literarischen Form. Kants „Was ist AuVlärung?“ ist ein philosophischer Auf-
satz, der in klarer, argumentaYver Prosa verfasst ist und sich an ein gebildetes Publikum
richtet, um einen spezifischen philosophischen Punkt zu erklären und zu verteidigen.
„Hayy ibn Yaqzan“ hingegen ist ein philosophischer Roman, der als allegorische Erzählung
philosophische Ideen vermieelt. Durch seine narraYve Form ist er für ein breiteres Publi-
kum zugänglicher. Es sollen auch wesentliche Unterschiede in Bezug auf die ImplikaYonen
ihrer Ideen für ihren jeweiligen gesellscha_lichen Kontext im nächsten Abschnie im Rah-
men der Idee der interkulturellen Philosophie beleuchtet werden.

5 Fazit

In der Einleitung wurde festgestellt, was interkulturelle Philosophie ist, welchen Anspruch
sie erhebt und was sie fordert. Dabei wurde aufgezeigt, dass eine besYmmte ortsgebun-
dene Philosophie nicht die „Ortlosigkeit“ der Philosophie überschaeet. Das bedeutet, dass
AuVlärung und auVlärerische Gedanken sowohl „ortha_“ sein können, indem sie in einer
besYmmten Sprache und einem spezifischen kulturellen Kontext Gestalt annehmen, aber
auch „ortlos“ sind, da sie universelle Prinzipien verkörpern. Durch die Analyse der Werke
von Kant und Ibn Tufail wurde herausgearbeitet, dass beide diese Prinzipien der AuVlä-
rung teilen.
Die Ortsha_igkeit der AuVlärung zeigt sich nicht nur im philosophischen SchreibsYl, son-
dern auch im historischen Kontext ihrer Werke. Ibn Tufail verfolgte nicht das Ziel, seine
Gesellscha_ durch eine „poliYsche Idee zu sozio-poliYschen Reformen zu mobilisieren“20.
Staedessen wandte er sich gegen fundamentalisYsche Ideologien, die die Wahrheit

20
Al Tamamy, Saud M. S. Averroes, Kant and the Origins of the Enlightenment. First edi7on., I.B.
Tauris, 2014, h`ps://doi.org/10.5040/9780755608324. Al Tamamy definiert in seinem Werk Auf-
klärung als einen Prozess, bei dem die Öffentlichkeit durch ein poli7sches Ideal oder eine Gruppe
von poli7schen Idealen, die auf philosophischen Einsichten basieren, zu sozialpoli7schen Refor-
men mobilisiert wird (S. 13). Er kommt zu dem Ergebnis, dass Averroes dieses Ziel nicht verfolgte.
In meiner Hausarbeit bin ich aufgrund der Forderung nach religiöser Toleranz von Ibn Tufail zu
demselben Schluss gekommen.
11
exklusiv für sich beanspruchen, und betonte, dass jeder Mensch durch den Gebrauch sei-
ner Vernun_ zur Wahrheit gelangen kann, wobei der Weg zur Wahrheit pluralisYsch ist.
Sein Ansatz fördert Toleranz und Akzeptanz, was für eine pluralisYsche Gesellscha_ von
entscheidender Bedeutung ist.
Der Kontext von Kants „Was ist AuVlärung?“ ist ein anderer. Kant schrieb 1784 während
der europäischen AuVlärung, einer Epoche, die von Vernun_, Wissenscha_ und individu-
ellem Freiheitsstreben geprägt war. Diese Zeit war eine ReakYon auf die autoritären Struk-
turen von Kirche und Staat, die individuelle Freiheit und wissenscha_lichen Fortschrie be-
hinderten. Kant forderte dazu auf, die eigene Vernun_ zu nutzen und autoritäre Struktu-
ren zu hinterfragen, um eine aufgeklärte und autonome Gesellscha_ zu schaffen.21
Der Erfolg der europäischen AuVlärung sollte nicht zur Annahme führen, dass AuVlärung
ein ausschließlich westliches Produkt ist und andere Kulturen keine auVlärerischen Ge-
danken pflegen konnten. Durch die These der „ortha_en Ortlosigkeit“ der Philosophie
wurde im Bezug auf die AuVlärung gezeigt, dass sie eine interkulturelle Idee ist.
Nun stellt sich die Frage, wie das Werk von Ibn Tufail den westlichen Kanon im konkreten
Sinne für den aktuellen Gebrauch bereichern kann. ChrisYa Mercer betont in ihrem Auf-
satz zwei zentrale Strategien zur Nutzung der Philosophiegeschichte, um die Disziplin in
der Gegenwart zu stärken. Die erste Strategie besteht darin, zeitgenössische Fragen an
kanonische Figuren der Philosophie zu stellen. Dadurch werden historische Philosophen
im Kontext aktueller Themen untersucht, um bisher wenig beachtete Ideen und Themen
zu entdecken, die für moderne Diskussionen relevant sein könnten. Die zweite Strategie
ist die Erforschung marginalisierter philosophischer Texte. Dies umfasst das systemaYsche
Studium von Texten von Frauen, People of Color sowie islamischen, jüdischen und ande-
ren Denkern, die in der Philosophiegeschichte übergangen wurden, deren Werke jedoch
heute von Bedeutung sein können.
Beide Strategien sind Teil eines Projekts der Wiederentdeckung. Dieses Projekt zielt darauf
ab, das Forschungsspektrum zu erweitern, indem Historiker der Philosophie gezielt nach
relevanten historischen Texten und Themen suchen, die wichYge Fragen für die heuYge
Zeit aufwerfen. Ein ernstha_es Studium dieser Texte ist unerlässlich, um neue und bedeu-
tende Themen zu entdecken. Die neu gefundenen Texte und Themen können verschie-
dene Diskussionen anregen, philosophische Kurse beleben und möglicherweise zu einer
Überprüfung und Neubewertung der etablierten kanonischen Systeme führen.22
In meiner Hausarbeit habe ich das Werk von Ibn Tufail intensiv untersucht und es mit Kants
Aufsatz über die AuVlärung verglichen. Mein Ziel war es, aufzuzeigen, dass auch vor Kant

21
Vgl. Al Tamamy, S.104-112
22
Vgl.Mercer, Chris7a. „Empowering Philosophy“, S.76-77 h`ps://newnarra7ves.philosophy.co-
lumbia.edu/sites/default/files/content/Book%20Series/Mercer_pres_APA.pdf (05.08.2024)
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Philosophen aus anderen Kulturen bereits auVlärerische Gedanken pflegten und die Rolle
der Vernun_ hochschätzten. Dabei stellte ich fest, dass alle wichYgen Elemente, die Kant
in seinem Aufsatz nennt – Mut, Entschlossenheit, Vernun_, Unmündigkeit und Freiheit –
auch in Ibn Tufails Roman „Hayy ibn Yaqzan“ vorkommen.
Mut zeigt sich bei beiden als die Bereitscha_, den eigenen Verstand zu nutzen und unab-
hängig zu denken. Entschlossenheit beschreibt die Fähigkeit, trotz Herausforderungen an
der Suche nach Wahrheit festzuhalten. Vernun_ ist das zentrale Mieel zur Erkenntnis und
AuVlärung. Unmündigkeit bedeutet das Unvermögen, sich ohne fremde Hilfe des eigenen
Verstandes zu bedienen, und Freiheit ist die Voraussetzung für unabhängiges Denken und
Handeln.
Ich habe die von Mercer beschriebene Strategie der Wiederentdeckung angewendet, in-
dem ich auf die philosophischen Schätze einer weniger beachteten Kultur hingewiesen
habe. Der nächste Schrie wäre, zeitgenössische Fragen zu formulieren, um zu zeigen, in-
wieweit der Roman „Hayy ibn Yaqzan“ heute noch relevant sein könnte.
Eine mögliche Frage könnte sein, wie Ibn Tufails philosophischer SYl, das Ermieeln philo-
sophischer Kenntnisse durch eine allegorische Erzählung, heute noch relevant sein könnte.
Eine andere Frage wäre, inwiefern seine Synthese von Philosophie und Theologie helfen
kann, aktuelle theologische Herausforderungen zu meistern.
Besonders interessant ist auch die Frage, wie das Werk von Ibn Tufail Muslime heute be-
einflussen könnte, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Vernun_. Welche PosiYonen
könnten aus seiner Philosophie heraus Einfluss auf Muslime haben, um islamischem Fun-
damentalismus entgegenzuwirken? Die Auseinandersetzung mit einem Philosophen aus
der eigenen Kultur, der die Vernun_ so hochschätzt, könnte hierbei eine wichYge Rolle
spielen.
Auch die Erkenntnisse, die aus diesem Werk in Bezug auf Toleranz und Diversität gewon-
nen werden, könnten für die philosophische Pluralismusdebaee relevant sein. Zudem
wurde festgestellt, dass Ibn Tufail mit Hayy einen Prototyp eines kosmopoliYschen Cha-
rakters darstellt, der weitere philosophische Untersuchungen anregen könnte, die für ak-
tuelle poliYsche Debaeen von Interesse sein könnten.
Diese Fragestellungen könnten nicht nur zur weiteren Wiederentdeckung und Würdigung
von Ibn Tufails Werk beitragen, sondern auch zur Bereicherung der gegenwärYgen philo-
sophischen und theologischen Diskurse.

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6 Literaturverzeichnis

Mall, Ram A. "Zur Dekolonialisierung der eurozentrischphilosophischen Historiographie:


Grundlegende Überlegungen zu einer interkulturell orienYerten Philosophie". Auf den
Spuren von Anton Wilhelm Amo: Philosophie und der Ruf nach Interkulturalität, heraus-
gegeben von Stefan Knauß, Louis Wolfradt, Tim Hofmann und Jens Eberhard, Bielefeld:
transcript Verlag, 2021.

Karimi, Ahmad Milad. Licht über Licht. Originalausgabe, Verlag Karl Alber, 2021.

l Tamamy, Saud M. S. Averroes, Kant and the Origins of the Enlightenment. First ediYon.,
I.B. Tauris, 2014

Aear, Samar. The Vital Roots of European Enlightenment: Ibn Tufayl’s Influence on Modern
Western Thought. Lexington Books, 2007

Ibn-Ṭufail, Muḥammad Ibn-ʿAbd-al-Malik, und Patric O. Schaerer. Der Philosoph als Auto-
didakt: ein philosophischer Insel-Roman. Meiner, 2006.

Kant, Immanuel. Was ist AuVlärung? Ausgewählte kleine Schri_en, mit einem Text zur
Einführung von Ernst Cassirer. 1. Auflage, Felix Meiner Verlag GmbH, 1999.

Mercer, ChrisYa. „Empowering Philosophy“.

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