Visuelle Phonetik – Der Floh im Ohr
WIE PHONETIK INS BLICKFELD DER LERNENDEN GEBRACHT WERDEN KANN
Mit der Visuellen Phonetik haben Lehrerinnen und Lehrer der Goethe-Institute in
Ostasien Phonetikthemen in einer Posterserie ansprechend sichtbar gemacht. Die
dazugehörige Broschüre bietet dazu länderspezifisch relevante Informationen zu
Abweichungen und Korrekturen – als Werkzeug für die Aus- und Fortbildung von
Lehrkräften in der Region ebenso wie für das praktische Phonetiktraining im Un-
terricht.
Von Jan Hillesheim, Goethe-Institut Tokyo
Entdecken, schmunzeln, verstehen auf den ersten Blick und auf den zweiten:
sprechen, ausprobieren, vergleichen.
Mit ihrem Projekt Visuelle Phonetik haben die Goethe-Institute in Japan, China
und Korea die Phonetik an den Platz gebracht, der ihr gebührt: Ins unmittelbare
Blickfeld der Lernenden. Auf die Kursräume verteilt, zeigen die Poster jeder Ler-
nerin und jedem Lerner allein schon durch ihr Vorhandensein, dass Phonetik Auf-
merksamkeit verdient. Bei näherer Betrachtung helfen die Bilder dann beim Ver-
stehen der Besonderheiten der Aussprache, ihr Comic-Stil ist unterhaltsam und
macht Zusammenhänge deutlich.
Der Floh im Ohr ist eine Posterserie, die zwölf Phonetikthemen visualisiert, ver-
bunden mit einer Lehrerbroschüre. Dieses lehrwerkunabhängige Material bündelt
die wichtigsten Phonetikthemen, ergänzt durch den Fokus auf typische Heraus-
forderungen für Deutschlernende mit den Muttersprachen Japanisch, Chinesisch
oder Koreanisch.
Die Lehrerinnen und Lehrer können die Phonetik direkt über die Poster anspre-
chen und erarbeiten, auch schon ab A1-Niveau: Das Wortmaterial ist auf ein Mi-
nimum begrenzt, das Erschließen läuft verstärkt über die Bilder. Als Verständnis-
anker steht am unteren Bildrand jedes Posters eine einfach formulierte Regel.
Ebenso nützlich ist der Floh im Ohr, wenn Lehrende das Phonetiktraining des im
Kurs verwendeten Lehrwerks durch die Poster ergänzen und stärker gewichten
wollen.
Da die Poster immer in Reichweite sind, lassen sie sich auch während des Kurs-
gesprächs nutzen, um phonetische Aspekte en passant wieder in Erinnerung zu-
rufen, z.B. bei perennierenden Themen wie dem Wortaktzent: AUFstehen! -Ver-
STEHE ...
(Bildunterschrift) Die Poster verknüpfen das phonetische Thema mit einer Situation. Die
Sprechblase als Rahmen macht bei jedem Poster deutlich, dass sich hier alles ums Spre-
chen dreht.
Die Posterserie schafft Kontinuität beim Phonetiktraining über Lehrwerke und Ni-
veaustufen hinweg. Die Lehrerbroschüre zeigt den Kursleitenden zu jedem
Thema nicht nur die wesentlichen Aspekte der deutschen Aussprache auf, son-
dern bietet auch eine Sammlung typischer Abweichungen bei japanischen, chine-
sischen und koreanischen Lernenden - erläutert durch die jeweils muttersprach-
lich bedingten Gründe. Darauf bezogen, folgen Vorschläge zur Korrektur dieser
Abweichungen durch gezielte Übungen.
Die Kursleiterinnen und Kursleiter können mit einem Poster in das Pho-
netikthema einsteigen. Wenn das entsprechende Poster nicht zufällig in ihrem
Kursraum an der Wand hängt, können sie ein gerahmtes Poster aus dem Archiv
mitbringen oder die digitale Version auf dem IWB oder Bildschirm zeigen.
(Bildunterschrift) Das zweite Minimalpaar im Bild ist Weg und weg. Die Wörter beschrei-
ben die Reise und das Verschwinden des Flohs.
Die wichtige Unterscheidung zwischen kurzen und langen Vokalen im Deutschen
ist für chinesische, koreanische, japanische und viele andere Lernende eine
große Herausforderung. Da die Vokallänge in diesen Sprachen nicht bedeutungs-
unterscheidend ist, wird der quantitative Unterschied beim Hören oft nicht wahr-
genommen, teilweise auch der qualitative nicht: Im Japanischen werden alle Vo-
kale halb offen ausgesprochen, die Lernenden sind deshalb nicht vertraut mit der
im Deutschen stärkeren, nötigen Sprechspannung bei den langen, gespannten
Vokalen.
Für diese Ausgangssituation bietet die zur Posterserie entwickelte Lehrerbro-
schüre effektive Übungsansätze zur Korrektur an: Von Diskriminations- und
Identifikationsübungen beim Hören, über konkrete Anleitungen zur Verstärkung
der Lippenspannung, zu Hilfen durch Visualisierungen im Schriftbild und dem Ein-
satz von Bewegungen der Hand oder des ganzen Körpers.
(Bildunterschrift) Cover der Lehrerbroschüre
Die Möglichkeiten der Didaktisierung sind vielseitig: Wer Wortschatz und Text-
teile aus dem Lehrwerk des Kurses verwendet, nutzt die Korrekturtipps und
Übungsansätze aus der Lehrerbroschüre. Wer lehrwerkunabhängig unterrichtet,
kann Übungen verwenden, die zu den Themen der Visuellen Phonetik beispielhaft
entwickelt und in einem Moodle-Pool gesammelt werden.
Der Floh, das Maskottchen des Projekts, war zuerst nur bei Thema drei als Figur
vorgesehen: Ein Hund auf dem Kopf - ein Floh im Topf. Dann sprang er in die an-
deren Bilder und gab der Serie schließlich ihr Logo und ihren treffenden Titel,
denn die Phonetik sollte den Lernenden im Ohr bleiben - wie ein Floh, ein Klang,
eine Kompetenz - und ihnen helfen, verständlich, ausdrucksstark und authen-
tisch zu sprechen.
Die Visuelle Phonetik ist ein regionales Projekt der Goethe-Institute in Ostasien in
Zusammenarbeit mit Frau Professor Ursula Hirschfeld und dem Zeichner Jürgen
Seebeck. Das Material wird in den Goethe-Instituten in Japan, China und Korea
eingesetzt und auch Sprachlernzentren und Universitäten der Region zur Verfü-
gung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen in FREMDSPRACHE DEUTSCH Nr. 55 2016