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Assmann - 2020 - Maat - Kapitel-Das Gelingen Des Politischen Prozesses

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Kulturelle Phänomene sind außerordentlich stabil und können sich über

Jahrtausende hinweg trotz gesellschaftlicher und politischer Brüche mehr


oder weniger unverändert erhalten. Das Alte Ägypten bildet in Jan
Assmanns Buch „Ma’at“, das inzwischen als kulturwissenschaftlicher
Klassiker gilt, den Ausgangspunkt dieser Überlegungen. „Ma’at“ ist der
Schlüsselbegriff altägyptischen Denkens und bedeutet „Wahrheit, Ge-
rechtigkeit, Weltordnung“. Anhand dieses Begriffs spürt Jan Assmann
Denkformen des Alten Ägyptens auf und findet in ihnen den ersten
Ursprung staatlich organisierter Formen menschlichen Zusammenlebens.

Jan Assmann ist Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidel-
berg und Professor für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität
Konstanz. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen
Historikerpreis (1998), dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche
Prosa (2016) und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (mit
Aleida Assmann, 2018). Bei C.H.Beck erschienen von ihm u. a. „Das
kulturelle Gedächtnis“ (8. Aufl. 2018), „Tod und Jenseits im Alten
Ägypten“ (2. Aufl. 2010), „Exodus. Die Revolution der Alten Welt“
(C.H.Beck Paperback 2019) sowie zuletzt „Achsenzeit. Eine Archäologie
der Moderne“ (2. Aufl. 2019).
Jan Assmann

Ma’at
Gerechtigkeit und Unsterblichkeit
im Alten Ägypten

C.H.Beck
Dieses Buch erschien zuerst 1990 in gebundener Form
im Verlag C.H.Beck.
2., broschierte Ausgabe. 1995
1. Auflage in der Beck’schen Reihe 2001
2., um ein Nachwort erweiterte Auflage in der Beck’schen Reihe 2006
Mit 13 Abbildungen

3. Auflage in C.H.Beck Paperback 2020


© Verlag C.H.Beck oHG, München 1990
Umschlaggestaltung: Konstanze Berner, München
Umschlagabbildungen: Darstellung der Göttin Ma’at im Grab der
Pharaonin Nefertari, Luxor, 13. Jahrhundert v.Chr., © akg-images/De Ago-
stini Picture Library/S. Vannini
Satz: C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
ISBN Buch 978 3 406 75672 6
ISBN eBook (PDF) 978 3 406 75673 3

Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie ver-
sandkostenfrei auf unserer Website
www.chbeck.de.
Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informa-
tionen.
VII. Kosmos und Staat.
Das Gelingen des politischen Prozesses:
Idee und Mythos des Staates in Ägypten

Die ägyptische Idee und Institution des Königtums ist sowohl anthropo-
logisch wie kosmologisch fundiert, und es ist das Konzept Ma`at, das
diese Fundierung leistet. Die These, die ich in diesem Kapitel erläutern
möchte, ist folgende: Ma`at ist eine im höchsten Maße staatstragende
Idee. „Soziale Ordnung“und „ Kosmische Ordnung“sind nur Aspekte
der übergreifenden Konzeption einer „ Reichsordnung“, deren Garant
der König ist. Völlig zu Recht hatJ. Bergman die Ma`at-Doktrin als den
ägyptischen „ Mythos vom Staat“bezeichnet.¦1¿ Ma`at und Staat bedingen
sich gegenseitig. Der Staat ist nach ägyptischer Auffassung dazu da, daß
auf Erden Ma`at, und nicht Isfet, herrscht. Das bedeutet aber, daß Isfet,
und nicht Ma`at, die natürliche, gegebene Verfassung der Welt darstellt.
Das ist das Signum einer „gespaltenen“Welt. In ihr ist Ordnung nur
durch Überwindung vorgegebener Unordnung möglich, die immer das
Natürliche und Gegebene darstellt,¦2¿ im Gegensatz zur Kosmogonie, der

¦1¿J. Bergman, „ Zum ‚Mythus vom Staat‘im Alten Ägypten“. Vgl. auch J. Yoyotte,
„ Le jugement des morts“ , 21: „puisque le pharaon, fils et successeur de Rê, est par
essence celui qui «maintient» ma`at et qui l’«offre» au dieu, celle-ci se confond en
quelque sorte avec le régime pharaonique; elle représente le plus haut idéal de l’État et
traduit finalement une conception étatique de lajustice et de l’administration.“
¦2¿In diesem Punkt vertreten die alten Ägypter denselben Standpunkt, den A. Gehlen
unter dem Stichwort Zurück zur Kultur! als Gegen-Rousseauismus formuliert hat, als
eine „ Philosophie des Pessimismus und des Lebensernstes“ :„ Die Bewegungen nach
dem Verfall zu sind stets natürlich und wahrscheinlich, die Bewegungen nach der
Größe, dem Anspruchsvollen und Kategorischen hin sind stets erzwungen, mühsam
und unwahrscheinlich. Das Chaos ist ganz im Sinne ältester Mythen vorauszusetzen
und natürlich, der Kosmos ist göttlich undgefährdet. (...) ‚Zurück zur Natur‘hieß für
Rousseau: die Kultur entstellt den Menschen, der Naturzustand zeigt ihn in voller
Naivität, Gerechtigkeit und Beseelung. Dagegen und umgekehrt scheint es uns heute,
daß derNaturzustand imMenschen dasChaos ist, das Medusenhaupt, bei dessen Anblick
man erstarrt. Die Kultur ist das Unwahrscheinliche, nämlich das Recht, die Gesittung,
die Disziplin, die Hegemonie des Moralischen.“(Gehlen, Anthropologische Forschung,
59 f.)
Allerdings weist G. Balandier in seinem Buch Le désordre, auf das mich P. Vernus
aufmerksam gemacht hat, darauf hin, daß es bei dem Projekt der Kultur nicht auf die
Überwindung des Chaos ankommt, sondern auf die ständige und unabschließbare
Bewegung seiner Bändigung. Diese Bewegung oder Arbeit als solche ist das Proprium
1. Der Mittler 201

kein zu überwindendes Chaos vorausging. In der gespaltenen Welt je-


doch kann sich Ma`at aus eigener Kraft nicht halten und bedarf des
Königs zu ihrer Festsetzung. Nicht die Ma`at fundiert den Staat, sondern
der Staat fundiert die Ma`at.
Der erste Grundsatz der ägyptischen Anthropologie besagt: Der
Mensch kann ohne Ma` at nicht leben. Der Grund ist seine Angewiesenheit
auf Gemeinschaft. Er kann nicht außerhalb der Gemeinschaft leben: Die
Ma`at ist das Prinzip seiner sozialen Integration. Weil der Ägypter unter
„Leben“mehr versteht als das physische Erdendasein zwischen Geburt
und Tod, wird auch die Wirksamkeit der Ma`at insJenseits ausgedehnt.
Auch eine Jenseitsexistenz ist ohne Ma`at nicht möglich; dafür sorgt das
Totengericht.
Der zweite Grundsatz lautet: Der Mensch kann ohne Staat nicht leben.
Der Grund ist: Er bedarf einer übergeordneten Instanz, die die Ma`at
realisiert und garantiert. Der einzelne kann nur in einem beschränkten
und abhängigen Rahmen agieren. In diesem Rahmen kann er die Ma`at
„tun“und „sagen“ . Um aber die Ma`atsphäre im Großen zu verbreiten,
innerhalb derer kommunikatives, d. h. auf Vertrauen und Verständigung
basierendes Handeln überhaupt erst möglich ist, bedarf es einer überge-
ordneten Instanz. Diese Instanz ist das Königtum.

1. Der Mittler

„Die Homologie des Heiligen und des Politischen“, schreibt G. Balan-


dier, „ ist möglich nur in dem Maße, wie die beiden Konzepte von einem
dritten Begriff beherrscht sind, der ihnen übergeordnet ist.“¦3¿Balandier
identifiziert diesen „dritten Begriff“mit der Ordnung einer „ symboli-
schen Klassifikation“ , einem „ordo rerum“, dessen überragende Bedeu-
tung für das Weltbild archaischer Gesellschaften E. Durkheim und
M. Mauss aufgezeigt haben.¦4¿ In Ägypten nimmt diese Trinität des Heili-
gen, des Politischen und der Ordnung die konkrete Form einer „ Kon-
stellation“an. Die Rolle des ordo rerum, der die Sphären des Heiligen
(hier: des Kosmischen) und des Politischen dominiert und verbindet,
wird durch Ma`at verkörpert. Die Ma`at „geht hervor“aus dem Sonnen-
gott und wird ihm in der Form eines belebenden Sprachopfers zurückge-
geben. Sie wird aber auch auf Erden verwirklicht, indem zwischen dem

des Kulturellen, das ohne das Chaos nicht denkbar ist. Daher impliziert die Kultur
nicht nur Ordnungs- sondern auch Chaoswissen, eine „ Entropologie“(24).
¦3¿G. Balandier, Anthropologie politique, 128.
¦4¿E. Durkheim, M. Mauss, „ De quelques formes de classification“, in: Année sociolo-
gique VI.
202 VII. Das Gelingen des politischen Prozesses

Armen und dem Reichen Recht gesprochen wird. So werden die beiden
Sphären aufeinander bezogen, und der anthropomorphisierenden Recht-
fertigung des Sonnengottes entspricht die „kosmomorphisierende“
Rechtfertigung der Menschenwelt. Die ägyptische Idee der Ma’ at-Ver-
wirklichung entspricht genau der Vorstellung, die sich, nach der Analyse
G. Balandiers, die traditionalen Gesellschaften vom Sinn der kulturellen
Arbeit (der Riten) machen:
„Die Affirmation solcher Solidarität gleicht die ‚Natur‘ der Gesellschaft
der ‚Natur‘ der Natur an, die Ordnung und die Dauer (die Ewigkeit) der
einen garantieren die Ordnung und die Fortdauer der anderen (die auf
diese Weise aus der Geschichte und den Ungewißheiten herausgenom-
men ist). Es ist im übrigen bezeichnend, daß die politische Macht in den
traditionalen Gesellschaften eine doppelte Aufgabe hat, nämlich die Ord-
nung der Menschen und die Ordnung der Dinge, daß die Beziehung
verstanden wird als eine uranfängliche Harmonie mit der Natur oder
auch als ein positives Verhältnis, das ständig hergestellt und aufrecht
erhalten werden muß.“5
Für die Ägypter gilt die „uranfängliche Harmonie“ in der gespaltenen
Welt als gestört; also muß die Homologie zwischen der „Ordnung der
Menschen“ und der „Ordnung der Dinge“ immer wieder hergestellt und
aufrechterhalten werden. Das ist die Aufgabe des „Mittlers“ . Wir haben
oben die vier Paviane in der Sonnenbarke in der Rolle dieser Mittler
kennengelernt:

Paviane

Menschen

5 G. Balandier, Le désordre, 32.


1. Der Mittler 203

Darbringung derMa` at, aus demGrab Sethos’II.


(19. Dyn., um1200 v. Chr.)

In Wahrheit handelt es sich hier aber um die Rolle des Königs. Der
pharaonische Staat ist nichts anderes als die „ kosmomorphe“Organisa-
tionsform der menschlichen Gesellschaft. Der König ist der Mittler par
excellence: Er „ läßt die Ma`at aufsteigen“zum Sonnengott und „ verwirk-
licht die Ma`at“in der Menschenwelt. Bevor wir den entscheidenden
Text näher betrachten, der den König, in teilweise wörtlichen Übernah-
men aus dem 126. Kapitel des Totenbuchs, in der Thoth-Rolle der Pavia-
ne darstellt, ist eine Bemerkung zur Terminologie am Platze. Die ägypti-
schen Texte unterscheiden sehr sorgfältig, ob die Ma`at als Opfer „dar-
gebracht“ , als Gerechtigkeit „verwirklicht“oder als Lebensweisheit „in
Wort und Tat praktiziert“wird. Wer auf diese Unterschiede nicht achtet,
kommt leicht zu Aussagen wie „ weisheitlichem Verhalten wohnt eine
204 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses

Kosmos schaffende Funktion inne“¦6¿oder „alles Verwirklichen, Ausfüh-


ren der Ma`at ist Kult“.¦7¿Drei Formen der Realisierung von Ma`at müs-
sen kategorisch geschieden werden:
1. sjr, jnj Mt: das „‚Aufsteigenlassen‘ und (Zurück)bringen der
Ma`at“ . Dieser Umgang mit Ma`at bezieht sich exklusiv auf den Kult
und sein himmlisches Spiegelbild, den Sonnenlauf. Es ist die Rolle des
Thoth bzw. Onuris, ihres irdischen Ebenbilds, des Königs, und seiner
Delegierten, der Priester. Es handelt sich um ein „ Sprachopfer“ , einen
kultischen Sprechakt, der als solcher „ performativ“ist und dem daher,
unter den genau festgelegten und peinlich zu beobachtenden Bedingun-
gen des kultischen Kontexts, „eine Kosmos schaffende Funktion inne-
wohnt“ . Die Kosmos schaffende Funktion besteht in der Bändigung des
Chaos, der Inganghaltung der Welt.¦8¿
2. spr Mt, smn Mt: die „Verwirklichung“und „Festsetzung der
Ma`at“ . Das ist die ausschließliche Aufgabe des Königs. Auch wo diese
Wendungen gelegentlich in bezug auf Götter oder Beamte vorkommen,
werden jene darin mit dem König verglichen, in Königsrolle darge-
stellt.¦9¿ Es handelt sich um die Funktion des Staates, der –wie wir noch
deutlicher sehen werden –nach ägyptischer Auffassung dazu da ist, die
Ma`at „ zu verwirklichen“. Auch hier wird „ Kosmos geschaffen“ , denn
es handelt sich um die „Heliomorphisierung“der Menschenwelt, die
Herstellung der dem Mittler obliegenden Analogie von Kosmos und
Geschichte.
3. d Mt, jrj Mt: „Ma`at sprechen, Ma`at tun“ . Das ist die Form, in
der die Menschen die Ma`at verwirklichen. Zwischen dieser und der
königlichen Form muß streng unterschieden werden. Das Tun und Sa-
gen der Ma`at durch den einzelnen im Alltagsleben setzt die vorgängige
„ Verwirklichung/Festsetzung“der Ma`at durch den König voraus. Nur

¦6¿H. H. Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 51. Vgl. auch H. H. Schmid, Wesen
undGeschichte der Weisheit, 21f.; dort stellt er die Verben dd,jrj und spr auf eine Stufe
und resümiert, „daß durch weises Verhalten Weltordnung überhaupt erst konstituiert
und realisiert wird. Ma`at, Ordnung, Kosmos, Welt gibt es nur, wenn sie verwirk-
licht, resp. getan wird. So hat dasmenschlich-weisheitliche Verhalten kosmische Qua-
lität: Es schafft Kosmos, er schafft und erhält die Ordnung in der Welt.“Genau diese
kosmische Qualität hatjedoch nur das Handeln des Königs.
¦7¿E. Hornung, bei Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 58 Anm. 325.
¦8¿Diesen Sinn verbinden auch andere Gesellschaften, die ein vergleichbar „dramati-
sches“Weltbild haben, mit den Opferriten. Die Azteken glaubten bekanntlich, die
Welt nur durch massenhafte Menschenopfer vor der drohenden Auflösung bewahren
zu können, vgl. J. Soustelle, Les Quatre Soleils, Paris 1967.
¦9¿Wenn z. B. in den Klagen desBauern B 164 ff. der Oberhofmeister Rensi angeredet
wird „ Der die Isfet vernichtet unddie Ma`at verwirklicht“, darf mannicht übersehen,
daß diese Aussage, wie Ranke (ZÄS 79, 1954, 72f.) gezeigt hat, im Kontext einer
Parodie auf die königliche Namenreihe steht.
1. Der Mittler 205

im Rahmen des Staats können die Menschen die Ma`at praktizieren;


ohne das Königtum schwindet die Ma`at aus der Welt, und die Men-
schen richten sich gegenseitig zugrunde. Die „ Kosmos schaffende“Kraft
ist das exklusive Vorrecht der königlichen Autorität.
Für die klassische Konzeption der Mittlerrolle des Königs gibt es einen
Text, der als fundamental gelten kann. Er ist uns in nicht weniger als elf
Fassungen erhalten, davon vier aus königlichen Tempelbauten von Hat-
schepsut bis Taharqa. Ich habe diesen Text 1970 publiziert¦10¿, aber seine
Bedeutung für das Verständnis des ägyptischen Königsdogmas scheint
nicht recht erkannt worden sein.¦11¿ Daher mag es erlaubt sein, nochmals
auf diesen Text zurückzukommen.
Es handelt sich um einen „kulttheologischen Traktat“¦12¿über den Kö-
nig als Anbeter des Sonnengottes. Dabei bezieht er sich speziell auf die
Anbetung des Sonnengottes am Morgen und daher im besonderen auf
die Ma`at.¦13¿ Denn der Ma`at ist die Stunde des Sonnenaufgangs im be-
sonderen Maße heilig, „ sie erhebt sich für Ma`at“ , wie es ägyptisch
heißt.¦14¿ Der Text ist dreigeteilt (10, 20 und 14 Verse nach der Gliederung
von G. Fecht).¦15¿ Der erste Teil beschreibt den Sonnenaufgang, den der
König mit seiner Anbetung begleitet, in der Stilform der Kosmographie.
Der zweite Teil spezifiziert das „Wissen“des Königs, der in die Arcana
des Sonnenlaufs eingeweiht und durch dieses Wissen überhaupt erst zur
Anbetung des Sonnengottes befähigt und ermächtigt ist. Der König
kennt die Phasen (prw) des sich im kosmischen Prozeß zyklisch verwan-
delnden Gottes, die Wesen undGegenstände, die die „ Sphäre des Seinigen“
bilden, und die Worte, die im Vollzug des kosmischen Prozesses gespro-
chen werden. Es handelt sich in aller Evidenz um dieselbe Art von

¦10¿Der König als Sonnenpriester. Weitere Varianten: Sonnenhymnen in thebanischen Grä-


bern, 48 f. Text 37.
¦11¿In dem neuen Buch von M. A. Bonhême und A. Fardeau, Pharaon, vermißt man
jeden Hinweis auf diesen Text. N. C. Grimal, Propagande royale, 50 zitiert ihn in der
Taharqa-Version als einen Text der 25. Dyn. J. C. Goyon, der Editor der Taharqa-
Version, hält ihn für eine Variante des 15. Totenbuchkapitels.
¦12¿Vgl. hierzu Assmann, Re undAmun, 24 ff.
¦13¿Von einem entsprechenden Abendtext sind nur unzusammenhängende Reste er-
halten.
¦14¿Liturgische Lieder, 123f. habe ich die Götter der 12 Tagesstunden zusammenge-
stellt. Mit der Wendung „sich erheben für jmd.“wird theologisch die Beziehung der
Hypostase oder Manifestation ausgedrückt. Gottheiten manifestieren sich in Wesen-
heiten einer niederen Seinsstufe wie Tieren und Pflanzen (im ophiologischen Traktat
des pBrooklyn, auf den G. Posener, bei J. Vandier, Le Papyrus Jumilhac, 81f. aufmerk-
sam macht, sind es Schlangen, im pJumilhac Bäume, Hunde, Schakale usw., die sich
für verschiedene Gottheiten erheben). So gelten offenbar auch die Stunden als Wesen-
heiten einer niederen Seinsstufe, die Gottheiten als Erscheinungsform dienen können.
¦15¿S. König als Sonnenpriester, 20–22.
206 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses

Wissen, wie es in den „ Unterweltsbüchern“des Neuen Reichs kodifi-


ziert ist.¦16¿ Genaueste Kenntnis des Sonnenlaufs ist die Vorbedingung für
die Möglichkeit, durch Anbetung fördernd in ihn einzugreifen.
Der dritte Teil äußert sich noch allgemeiner und grundsätzlicher zur
Bevollmächtigung des Königs als Sonnenpriester. Nicht nur sein Wissen
legitimiert ihn zu solcher Machtausübung, sondern vor allem die Tatsa-
che, daß der Sonnengott selbst ihn auf der Erde eingesetzt und mit
umfassenden Pflichten beauftragt hat.

Re hatdenKönig eingesetzt
auf derErde derLebenden
für immer undewig
beim Rechtsprechen derMenschen, beim Befriedigen der Götter,
beimEnstehenlassen derMa` at, beim Vernichten derIsfet.
Er (der König) gibt Gottesopfer denGöttern
undTotenopfer den Verklärten.
Der Name desKönigs
ist imHimmel wie (der des) Re.
Er lebt in Herzensweite
wie Re-Harachte.
Die pt-Menschen jubeln, wenn sie ihnsehen.
Die rjjt-Menschen machen ihmOvationen
in seiner Rolle desKindes.
Diese Strophe entwirft die allgemeine Theorie des ägyptischen König-
tums und das heißt: des Staates. Nur der letzte Vers lenkt den Bezug
zurück auf die spezielle Situation der kultischen Sonnenanbetung am
Morgen, die anderen beziehen sich auf das Königtum in einem ganz
allgemeinen und umfassenden Sinne.
Das Weltbild, das hier greifbar wird, scheint mir durch zwei Katego-
rien gekennzeichnet: vertikale Gliederung und homologische Entspre-
chung. Dieses Thema wird angezeigt durch die Stichworte „ Erde“und
„Himmel“im jeweils zweiten Vers der beiden Strophen. Die erste be-
handelt die Einsetzung des Königtums von oben nach unten, auf die
Erde, die zweite die Sonnenhaftigkeit des Königs, der in seiner Herr-
schaftsausübung vom Sonnengott nicht mehr unterscheidbar ist und die
Erde in abbildhafte Korrespondenz zum Himmel bringt.
Nach ägyptischer Auffassung ist das ägyptische Königtum vom Son-
nengott eingesetzt, um auf der „ Erde der Lebenden“die Ma`at zu ver-

¦16¿E. Hornung, Altägyptische Unterweltsbücher. Daß diese „


Bücher“auch als „
Toten-
literatur“für den König verwendet wurden, wie W. Barta, Die Bedeutung derJenseitsbü-
cher, nachweisen zu müssen glaubt, schließt sich mit dieser Deutung nicht aus und
wird von niemand bestritten. Aber diese Verwendung ist m. E. sekundär.
1. Der Mittler 207

wirklichen und deren Gegenteil, die Isfet, zu vertreiben. Es wird auch


gesagt, worin die Ma`at besteht: in Gerechtigkeit und Kult. Die Aufga-
be, um deretwillen der König vom Sonnengott auf Erden eingesetzt ist,
besteht darin, dafür zu sorgen, daß die Menschen zu ihrem Recht und die
Götter und Verklärten zu ihren Opfern kommen. Diese Verse sind mit
dem oben zitierten Ausschnitt aus dem 126. Kapitel des Totenbuchs iden-
tisch. Bei näherem Zusehen erkennt man, daß die beiden Texte einander
ergänzen und der König den Pavianen gleichgesetzt wird, d. h. in ihrer
Rolle auftritt. So erscheint er auch in der Darstellung, die in den Tem-
peln mit diesem Text verbunden wird.¦17¿ Wir können daher das Schema
für die Mittler-Rolle der Paviane auf der Basis beider Texte für den
König folgendermaßen ergänzen:
Re

läßt Ma`at besänftigt die Götter


aufsteigen, (mit dem Hauch des
Mundes = durch Sprache)

König

verwirklicht die Ma`at richtet die Menschen,


vernichtet die Isfet spricht Recht zwischen
arm und reich

Menschen

Der Text über die kultische Rolle des Königs bringt Stellung und
Aufgabe des Königs in einem sehr komplexen Satz zum Ausdruck. Es
lohnt sich, diesen Satz etwas genauer auf seinen Bau hin zu untersuchen,
auch wenn wir dafür einen Abstecher in einige Details der ägyptischen
Grammatik in Kauf nehmen müssen. Denn hinter der eigenartigen
Syntax dieser Passage steht eine Kategorie von zentraler Bedeutung:

¦17¿Vgl. König als Sonnenpriester, passim.


208 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses

die Kategorie der „indirekten Kausalität“ . Es handelt sich um einen


Satz der Struktur PSO (Prädikat-Subjekt-Objekt) mit nicht weniger
als sechs adverbialen Ergänzungen. Die Komplexität liegt darin, daß
sich nur die ersten beiden dieser Ergänzungen auf das verbale Prädikat
des Hauptsatzes beziehen und die Handlung des Subjekts (Re) in ih-
rem räumlichen („ auf der Erde der Lebenden“ ) und zeitlichen Rahmen
(„für immer und ewig“ ) spezifizieren. Die anderen Ergänzungen be-
ziehen sich auf das Objekt, den König, und sind nicht adverbial son-
dern attributiv zu verstehen. Seiner Struktur nach entspricht der Satz
Aussagen wie

dd.tw n.k r.k r mdt, rdwj.kj m



man gibt dir deinen Mund beim Reden, deine Beine beim Gehen.¦18¿
Der Satz verknüpft in der Form einer Apokoinou-Konstruktion zwei Ak-
tanten mit zwei Handlungstypen, die nach Tempus, Aspekt und Ak-
tionsart divergieren:

Handlung 1 Subjekt Objekt Tempus Aspekt Aktionsart

Einsetzung Re König Perfekt Perfektiv punktuell,


Einmaligkeit

Handlungen 2 Subjekt Objekt Tempus Aspekt Aktionsart

Richten König Menschen Null Imperfektiv durativ


Besänftigen ” Götter iterativ
Verwirklichen ” Ma`at
Vernichten ” Isfet

Beide Handlungen sind transitiv-kausativ. Der Gott verursacht eine


Menge von Handlungen, der König eine Menge von Zuständen. Die
Handlung des Gottes ist in ihrer Punktualität, Einmaligkeit, Perfektivität
und Vergangenheit eine Initialhandlung, die den König ein- und dessen
Handeln in Gang gesetzt hat. Die Handlungen des Königs sind in ihrer
zeitlosen Iterativität typische Handlungen der Inganghaltung. Die Pointe
des Satzes in seiner umständlichen Konstruktion liegt darin, daß die
Handlungen des Königs der Initialhandlung des Gottes untergeordnet
sind, d. h. daß der Gott sich des Königs als Mittlers bedient, um die Welt
in Gang zu halten. Ich nenne dies das Prinzip der „indirekten Kausation“.
(Als „ direkt“wäre demgegenüber eine Kausation zu bezeichnen, die die
ordnungstiftenden Handlungen des Königs nicht mit r+Inf. [„ beim
etwas tun“ ] an den König, sondern mit r+Inf. [„ um etwas zu tun“ ] an

¦18¿Urk IV 114 usw. (häufiger Totentext). Vgl. zu dieser Konstruktion Gardiner,


Egyptian XXXIII Nachtrag zu p.228 § 304,1; H. Jacquet-Gordon, in: JEA
Grammar¦3¿,

46, 1960, 20; E. F. Wente, in:JNES 21, 1962, 126.



1. Der Mittler 209

Der König opfert Ptah dieMa` at


(Theben, Grab Ramses’IX., um1070 v. Chr.),
nach einem Aquarell vonHay

die Initialhandlung des Gottes anschließen würden. Dann wäre schon das
Initialhandeln des Gottes zielstrebig auf die Verwirklichung der Ma`at
auf Erden gerichtet. Genau dies ist aber nicht der Sinn des Satzes.) Das
Initialhandeln des Gottes richtet sich allein auf die Einsetzung des Königs
auf Erden, d. h. die Einrichtung des Staates. Für alles weitere ist dann der
König zuständig und verantwortlich. Gottes Handeln und vor allem:
Gottes Wille beschränkt sich auf die „ Initialisierung“dieses Prozesses
und greift nicht in seine Inganghaltung ein. Auf dieser Trennung zwi-
schen Initialisierung und Inganghaltung beruht das Prinzip der indirek-
ten Kausation.
Mit dem Symbol „ C“für die Relation der Kausation (C1 = initiale
Kausation, C2 = iterativ-in Gang haltende Kausation) und dem Symbol
210 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses

„P“für die Relation der Prädikation läßt sich dieses Prinzip folgender-
maßen schematisieren:

Re König Ma`at Menschen ‚gerichtet‘


Götter ‚besänftigt‘

Re bewirkt, daß der König


Dieses Schema läßt sich paraphrasieren: „
bewirkt, daß Ma`at bewirkt, daß den Menschen Gerechtigkeit und den
Göttern Opfer zuteil werden“ . Wenn wir letzteren Zustand mit dem
ägyptischen Begriff tpw H armonie„zusammenfassen, können wir das

Schema folgendermaßen abkürzen:

Re König Ma`at Harmonie

In dieser Form tritt sofort die Analogie zum Prinzip der kosmischen
Herrschaft hervor. Auch hier haben wir die Unterscheidung zwischen
der Initialhandlung des „Ersten Mals“und den inganghaltenden Iterativ-
Handlungen des Sonnenlaufs, deren Ziel es ist, unter den Bedingungen
der gespaltenen Welt Frieden und Harmonie herzustellen:

Atum Sonnenlauf Ma`at Harmonie


1. Der Mittler 211

So läßt sich auch anhand des Prinzips der „indirekten Kausation“noch


einmal die spiegelbildliche Beziehung veranschaulichen, die nach ägypti-
scher Auffassung Himmel und Erde verbindet. Diese Beziehung der
mutuellen Referenz steht und fällt mit der Idee einer indirekten Kausa-
tion; und diese wiederum steht und fällt mit der Idee der gespaltenen
Welt. Nichts anderes als die Gefährdung der Welt durch die Anwesen-
heit des Bösen macht die Installation des Staates und des Sonnenlaufs
notwendig.
Die Handlungen des Königs sind paarweise geordnet, nach Maßgabe
der korrelativen Begriffspaare Menschen/Götter und Ma`at/Isfet. Das
erste Paar ist konkret, das zweite abstrakt. Offenbar beziehen sich beide
Paare nicht additiv sondern explanatorisch zueinander: Das zweite Paar
erklärt das erste, das erste konkretisiert das zweite. Wir können die
Aussagen in umgekehrter Abfolge paraphrasieren:

1. Die Aufgabe des Königs auf Erden besteht darin, hier die Ma`at zu
verwirklichen und dieJsfet zu vertreiben.
2. Konkret bedeutet das, den Menschen Recht zu sprechen und die Göt-
ter zufriedenzustellen.
Der Begriff der Ma`at läßt sich also spezifizieren als:
a) Gerechtigkeit bzw. Rechtsordnung unter den Menschen, herzu-
stellen durch Rechtsprechung.
b) Zufriedenheit bzw. Harmonie (tp) unter den Göttern, herzustel-
len durch Kult (Verehrung und Opfer).
Zur Mittlerrolle des Königs und der Paviane gehört aber auch, daß sie,
genau wie der Sonnengott selbst, „ von der Ma`at leben“ . Besonders
aufschlußreich sind in dieser Hinsicht die Schlußverse des Pavian-Texts.
Sie enthalten dieselbe Aussage, die auch die Königin Hatschepsut von
sich macht:
Ich habe dieMa` at groß gemacht, dieer liebt,
denn ich habe erkannt, daß er von ihr lebt.
(Auch) meine Speise ist sie, ichschlucke ihren Tau,
indem ich eines Leibes mit ihmbin.¦19¿
Von der Ma`at zu leben gehört zur Rolle des Königs und des Sonnengot-
tes. Es ist einer der Punkte, in der sie wesensgleich, „eines Leibes“
von der
(= Wesens) sind. Was ist mit dieser Formel gemeint? Was heißt „
Ma`at leben“ ?
Von der Ma`at lebt der, dem sie als Opfergabe dargebracht wird: also
der Sonnengott. Von der Ma`at lebt aber auch derjenige, für den sie, im

¦19¿Speos Artemidos Inschrift, ed. Gardiner (nach Abschrift von N. de G. Davies),


in:JEA 32, 1946, pl. VI Z.9–10, 46.
212 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses

Sinne einer ethischen Verpflichtung, getan wird: also der König und
dann, in direkter Verlängerung dieser Linie, Osiris, die Totenrichter, die
Paviane aus dem 126. Kapitel des Totenbuchs und wiederum der Sonnen-
gott –alle Instanzen, vor denen sich der Mensch für das Tun der Ma`at
verantworten muß. „ Der von der Ma`at lebt“ist das Prädikat einer
„ethischen Instanz“ , die für die Durchsetzung der Ma`at sorgt und für
die sie gesagt und getan wird. Daher finden sich die meisten Belege
dieser Wendung in Texten, die von der ethischen Bewährung des einzel-
nen reden. Der typische Kontext lautet etwa:
Ich tat dir dieMa`at, als ich auf Erden war,
weil ich mir bewußt war, daß duvonihr lebst.¦20¿
Ich bin dereine Vortreffliche, derseinem Gotte wohlgefällig ist,
ich bin mir bewußt, daß er dieHerzen richtet
unddaß er vonderMa` at lebt.¦21¿
Ich tat dieMa`at für denHerrn derbeiden Länder
desNachts wieam Tage,
denn ich warmir bewußt, daß er vonihr lebt;
mein Abscheu ist aufrührerische Rede.¦22¿

Das Prinzip Ma`at stiftet eine Sphäre der Aufeinander-Bezogenheit alles


Handelns, in der die Tat zum Täter zurückkehrt und der einzelne folge-
richtig von dem „ lebt“, was in Wort und Tat „aus ihm hervorgeht“.
Diese Sphäre ist vertikal organisiert; wir haben es das Prinzip der „
verti-
kalen Solidarität“genannt. Die Ma`at kommt daher in letzter Instanz
von oben, und es ist folgerichtig der Gott, dem sie in letzter Instanz
zurückgegeben wird, der „ von ihr lebt“ . Als Repräsentant des Gottes
auf Erden lebt der König von der Ma`at, und auch der einzelne darf,
wenn er, verklärt und von seinen Sünden gereinigt, vor das Jenseits-
tribunal tritt, solches von sich behaupten. Von der Ma`at lebt der,
zu dem man sie aufsteigen läßt, der als „ethische Instanz“über ihre
Geltung wacht.

I, 100.
¦20¿Piehl, Inscriptions hiéroglyphiques
¦21¿Davies, The Tomb of Neferhotep, Tf. 27.
¦22¿Urk IV 1795. Vgl. a. Urk IV 1531 (F): „Ich tat die Ma`at, die der König liebt, weil
ich mir bewußt war, daß er von ihr lebt.“Ebenfalls aus der 18. Dyn. Kairo CG 547:
„ Der die Ma`at tut für seinen Horus und sich bewußt ist, daß er von ihr lebt.“Sehr
häufig sind solche Aussagen auch mit Ausdrücken wie tp.f jm.s „ daß er über sie
zufrieden ist“oder .fjm.s „ daß er über siejubelt.“

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