Assmann - 2020 - Maat - Kapitel-Das Gelingen Des Politischen Prozesses
Assmann - 2020 - Maat - Kapitel-Das Gelingen Des Politischen Prozesses
Jan Assmann ist Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidel-
berg und Professor für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität
Konstanz. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen
Historikerpreis (1998), dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche
Prosa (2016) und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (mit
Aleida Assmann, 2018). Bei C.H.Beck erschienen von ihm u. a. „Das
kulturelle Gedächtnis“ (8. Aufl. 2018), „Tod und Jenseits im Alten
Ägypten“ (2. Aufl. 2010), „Exodus. Die Revolution der Alten Welt“
(C.H.Beck Paperback 2019) sowie zuletzt „Achsenzeit. Eine Archäologie
der Moderne“ (2. Aufl. 2019).
Jan Assmann
Ma’at
Gerechtigkeit und Unsterblichkeit
im Alten Ägypten
C.H.Beck
Dieses Buch erschien zuerst 1990 in gebundener Form
im Verlag C.H.Beck.
2., broschierte Ausgabe. 1995
1. Auflage in der Beck’schen Reihe 2001
2., um ein Nachwort erweiterte Auflage in der Beck’schen Reihe 2006
Mit 13 Abbildungen
Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie ver-
sandkostenfrei auf unserer Website
www.chbeck.de.
Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informa-
tionen.
VII. Kosmos und Staat.
Das Gelingen des politischen Prozesses:
Idee und Mythos des Staates in Ägypten
Die ägyptische Idee und Institution des Königtums ist sowohl anthropo-
logisch wie kosmologisch fundiert, und es ist das Konzept Ma`at, das
diese Fundierung leistet. Die These, die ich in diesem Kapitel erläutern
möchte, ist folgende: Ma`at ist eine im höchsten Maße staatstragende
Idee. „Soziale Ordnung“und „ Kosmische Ordnung“sind nur Aspekte
der übergreifenden Konzeption einer „ Reichsordnung“, deren Garant
der König ist. Völlig zu Recht hatJ. Bergman die Ma`at-Doktrin als den
ägyptischen „ Mythos vom Staat“bezeichnet.¦1¿ Ma`at und Staat bedingen
sich gegenseitig. Der Staat ist nach ägyptischer Auffassung dazu da, daß
auf Erden Ma`at, und nicht Isfet, herrscht. Das bedeutet aber, daß Isfet,
und nicht Ma`at, die natürliche, gegebene Verfassung der Welt darstellt.
Das ist das Signum einer „gespaltenen“Welt. In ihr ist Ordnung nur
durch Überwindung vorgegebener Unordnung möglich, die immer das
Natürliche und Gegebene darstellt,¦2¿ im Gegensatz zur Kosmogonie, der
¦1¿J. Bergman, „ Zum ‚Mythus vom Staat‘im Alten Ägypten“. Vgl. auch J. Yoyotte,
„ Le jugement des morts“ , 21: „puisque le pharaon, fils et successeur de Rê, est par
essence celui qui «maintient» ma`at et qui l’«offre» au dieu, celle-ci se confond en
quelque sorte avec le régime pharaonique; elle représente le plus haut idéal de l’État et
traduit finalement une conception étatique de lajustice et de l’administration.“
¦2¿In diesem Punkt vertreten die alten Ägypter denselben Standpunkt, den A. Gehlen
unter dem Stichwort Zurück zur Kultur! als Gegen-Rousseauismus formuliert hat, als
eine „ Philosophie des Pessimismus und des Lebensernstes“ :„ Die Bewegungen nach
dem Verfall zu sind stets natürlich und wahrscheinlich, die Bewegungen nach der
Größe, dem Anspruchsvollen und Kategorischen hin sind stets erzwungen, mühsam
und unwahrscheinlich. Das Chaos ist ganz im Sinne ältester Mythen vorauszusetzen
und natürlich, der Kosmos ist göttlich undgefährdet. (...) ‚Zurück zur Natur‘hieß für
Rousseau: die Kultur entstellt den Menschen, der Naturzustand zeigt ihn in voller
Naivität, Gerechtigkeit und Beseelung. Dagegen und umgekehrt scheint es uns heute,
daß derNaturzustand imMenschen dasChaos ist, das Medusenhaupt, bei dessen Anblick
man erstarrt. Die Kultur ist das Unwahrscheinliche, nämlich das Recht, die Gesittung,
die Disziplin, die Hegemonie des Moralischen.“(Gehlen, Anthropologische Forschung,
59 f.)
Allerdings weist G. Balandier in seinem Buch Le désordre, auf das mich P. Vernus
aufmerksam gemacht hat, darauf hin, daß es bei dem Projekt der Kultur nicht auf die
Überwindung des Chaos ankommt, sondern auf die ständige und unabschließbare
Bewegung seiner Bändigung. Diese Bewegung oder Arbeit als solche ist das Proprium
1. Der Mittler 201
1. Der Mittler
des Kulturellen, das ohne das Chaos nicht denkbar ist. Daher impliziert die Kultur
nicht nur Ordnungs- sondern auch Chaoswissen, eine „ Entropologie“(24).
¦3¿G. Balandier, Anthropologie politique, 128.
¦4¿E. Durkheim, M. Mauss, „ De quelques formes de classification“, in: Année sociolo-
gique VI.
202 VII. Das Gelingen des politischen Prozesses
Armen und dem Reichen Recht gesprochen wird. So werden die beiden
Sphären aufeinander bezogen, und der anthropomorphisierenden Recht-
fertigung des Sonnengottes entspricht die „kosmomorphisierende“
Rechtfertigung der Menschenwelt. Die ägyptische Idee der Ma’ at-Ver-
wirklichung entspricht genau der Vorstellung, die sich, nach der Analyse
G. Balandiers, die traditionalen Gesellschaften vom Sinn der kulturellen
Arbeit (der Riten) machen:
„Die Affirmation solcher Solidarität gleicht die ‚Natur‘ der Gesellschaft
der ‚Natur‘ der Natur an, die Ordnung und die Dauer (die Ewigkeit) der
einen garantieren die Ordnung und die Fortdauer der anderen (die auf
diese Weise aus der Geschichte und den Ungewißheiten herausgenom-
men ist). Es ist im übrigen bezeichnend, daß die politische Macht in den
traditionalen Gesellschaften eine doppelte Aufgabe hat, nämlich die Ord-
nung der Menschen und die Ordnung der Dinge, daß die Beziehung
verstanden wird als eine uranfängliche Harmonie mit der Natur oder
auch als ein positives Verhältnis, das ständig hergestellt und aufrecht
erhalten werden muß.“5
Für die Ägypter gilt die „uranfängliche Harmonie“ in der gespaltenen
Welt als gestört; also muß die Homologie zwischen der „Ordnung der
Menschen“ und der „Ordnung der Dinge“ immer wieder hergestellt und
aufrechterhalten werden. Das ist die Aufgabe des „Mittlers“ . Wir haben
oben die vier Paviane in der Sonnenbarke in der Rolle dieser Mittler
kennengelernt:
Paviane
Menschen
In Wahrheit handelt es sich hier aber um die Rolle des Königs. Der
pharaonische Staat ist nichts anderes als die „ kosmomorphe“Organisa-
tionsform der menschlichen Gesellschaft. Der König ist der Mittler par
excellence: Er „ läßt die Ma`at aufsteigen“zum Sonnengott und „ verwirk-
licht die Ma`at“in der Menschenwelt. Bevor wir den entscheidenden
Text näher betrachten, der den König, in teilweise wörtlichen Übernah-
men aus dem 126. Kapitel des Totenbuchs, in der Thoth-Rolle der Pavia-
ne darstellt, ist eine Bemerkung zur Terminologie am Platze. Die ägypti-
schen Texte unterscheiden sehr sorgfältig, ob die Ma`at als Opfer „dar-
gebracht“ , als Gerechtigkeit „verwirklicht“oder als Lebensweisheit „in
Wort und Tat praktiziert“wird. Wer auf diese Unterschiede nicht achtet,
kommt leicht zu Aussagen wie „ weisheitlichem Verhalten wohnt eine
204 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses
¦6¿H. H. Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 51. Vgl. auch H. H. Schmid, Wesen
undGeschichte der Weisheit, 21f.; dort stellt er die Verben dd,jrj und spr auf eine Stufe
und resümiert, „daß durch weises Verhalten Weltordnung überhaupt erst konstituiert
und realisiert wird. Ma`at, Ordnung, Kosmos, Welt gibt es nur, wenn sie verwirk-
licht, resp. getan wird. So hat dasmenschlich-weisheitliche Verhalten kosmische Qua-
lität: Es schafft Kosmos, er schafft und erhält die Ordnung in der Welt.“Genau diese
kosmische Qualität hatjedoch nur das Handeln des Königs.
¦7¿E. Hornung, bei Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung, 58 Anm. 325.
¦8¿Diesen Sinn verbinden auch andere Gesellschaften, die ein vergleichbar „dramati-
sches“Weltbild haben, mit den Opferriten. Die Azteken glaubten bekanntlich, die
Welt nur durch massenhafte Menschenopfer vor der drohenden Auflösung bewahren
zu können, vgl. J. Soustelle, Les Quatre Soleils, Paris 1967.
¦9¿Wenn z. B. in den Klagen desBauern B 164 ff. der Oberhofmeister Rensi angeredet
wird „ Der die Isfet vernichtet unddie Ma`at verwirklicht“, darf mannicht übersehen,
daß diese Aussage, wie Ranke (ZÄS 79, 1954, 72f.) gezeigt hat, im Kontext einer
Parodie auf die königliche Namenreihe steht.
1. Der Mittler 205
Re hatdenKönig eingesetzt
auf derErde derLebenden
für immer undewig
beim Rechtsprechen derMenschen, beim Befriedigen der Götter,
beimEnstehenlassen derMa` at, beim Vernichten derIsfet.
Er (der König) gibt Gottesopfer denGöttern
undTotenopfer den Verklärten.
Der Name desKönigs
ist imHimmel wie (der des) Re.
Er lebt in Herzensweite
wie Re-Harachte.
Die pt-Menschen jubeln, wenn sie ihnsehen.
Die rjjt-Menschen machen ihmOvationen
in seiner Rolle desKindes.
Diese Strophe entwirft die allgemeine Theorie des ägyptischen König-
tums und das heißt: des Staates. Nur der letzte Vers lenkt den Bezug
zurück auf die spezielle Situation der kultischen Sonnenanbetung am
Morgen, die anderen beziehen sich auf das Königtum in einem ganz
allgemeinen und umfassenden Sinne.
Das Weltbild, das hier greifbar wird, scheint mir durch zwei Katego-
rien gekennzeichnet: vertikale Gliederung und homologische Entspre-
chung. Dieses Thema wird angezeigt durch die Stichworte „ Erde“und
„Himmel“im jeweils zweiten Vers der beiden Strophen. Die erste be-
handelt die Einsetzung des Königtums von oben nach unten, auf die
Erde, die zweite die Sonnenhaftigkeit des Königs, der in seiner Herr-
schaftsausübung vom Sonnengott nicht mehr unterscheidbar ist und die
Erde in abbildhafte Korrespondenz zum Himmel bringt.
Nach ägyptischer Auffassung ist das ägyptische Königtum vom Son-
nengott eingesetzt, um auf der „ Erde der Lebenden“die Ma`at zu ver-
König
Menschen
Der Text über die kultische Rolle des Königs bringt Stellung und
Aufgabe des Königs in einem sehr komplexen Satz zum Ausdruck. Es
lohnt sich, diesen Satz etwas genauer auf seinen Bau hin zu untersuchen,
auch wenn wir dafür einen Abstecher in einige Details der ägyptischen
Grammatik in Kauf nehmen müssen. Denn hinter der eigenartigen
Syntax dieser Passage steht eine Kategorie von zentraler Bedeutung:
die Initialhandlung des Gottes anschließen würden. Dann wäre schon das
Initialhandeln des Gottes zielstrebig auf die Verwirklichung der Ma`at
auf Erden gerichtet. Genau dies ist aber nicht der Sinn des Satzes.) Das
Initialhandeln des Gottes richtet sich allein auf die Einsetzung des Königs
auf Erden, d. h. die Einrichtung des Staates. Für alles weitere ist dann der
König zuständig und verantwortlich. Gottes Handeln und vor allem:
Gottes Wille beschränkt sich auf die „ Initialisierung“dieses Prozesses
und greift nicht in seine Inganghaltung ein. Auf dieser Trennung zwi-
schen Initialisierung und Inganghaltung beruht das Prinzip der indirek-
ten Kausation.
Mit dem Symbol „ C“für die Relation der Kausation (C1 = initiale
Kausation, C2 = iterativ-in Gang haltende Kausation) und dem Symbol
210 VII. Das Gelingen despolitischen Prozesses
„P“für die Relation der Prädikation läßt sich dieses Prinzip folgender-
maßen schematisieren:
In dieser Form tritt sofort die Analogie zum Prinzip der kosmischen
Herrschaft hervor. Auch hier haben wir die Unterscheidung zwischen
der Initialhandlung des „Ersten Mals“und den inganghaltenden Iterativ-
Handlungen des Sonnenlaufs, deren Ziel es ist, unter den Bedingungen
der gespaltenen Welt Frieden und Harmonie herzustellen:
1. Die Aufgabe des Königs auf Erden besteht darin, hier die Ma`at zu
verwirklichen und dieJsfet zu vertreiben.
2. Konkret bedeutet das, den Menschen Recht zu sprechen und die Göt-
ter zufriedenzustellen.
Der Begriff der Ma`at läßt sich also spezifizieren als:
a) Gerechtigkeit bzw. Rechtsordnung unter den Menschen, herzu-
stellen durch Rechtsprechung.
b) Zufriedenheit bzw. Harmonie (tp) unter den Göttern, herzustel-
len durch Kult (Verehrung und Opfer).
Zur Mittlerrolle des Königs und der Paviane gehört aber auch, daß sie,
genau wie der Sonnengott selbst, „ von der Ma`at leben“ . Besonders
aufschlußreich sind in dieser Hinsicht die Schlußverse des Pavian-Texts.
Sie enthalten dieselbe Aussage, die auch die Königin Hatschepsut von
sich macht:
Ich habe dieMa` at groß gemacht, dieer liebt,
denn ich habe erkannt, daß er von ihr lebt.
(Auch) meine Speise ist sie, ichschlucke ihren Tau,
indem ich eines Leibes mit ihmbin.¦19¿
Von der Ma`at zu leben gehört zur Rolle des Königs und des Sonnengot-
tes. Es ist einer der Punkte, in der sie wesensgleich, „eines Leibes“
von der
(= Wesens) sind. Was ist mit dieser Formel gemeint? Was heißt „
Ma`at leben“ ?
Von der Ma`at lebt der, dem sie als Opfergabe dargebracht wird: also
der Sonnengott. Von der Ma`at lebt aber auch derjenige, für den sie, im
Sinne einer ethischen Verpflichtung, getan wird: also der König und
dann, in direkter Verlängerung dieser Linie, Osiris, die Totenrichter, die
Paviane aus dem 126. Kapitel des Totenbuchs und wiederum der Sonnen-
gott –alle Instanzen, vor denen sich der Mensch für das Tun der Ma`at
verantworten muß. „ Der von der Ma`at lebt“ist das Prädikat einer
„ethischen Instanz“ , die für die Durchsetzung der Ma`at sorgt und für
die sie gesagt und getan wird. Daher finden sich die meisten Belege
dieser Wendung in Texten, die von der ethischen Bewährung des einzel-
nen reden. Der typische Kontext lautet etwa:
Ich tat dir dieMa`at, als ich auf Erden war,
weil ich mir bewußt war, daß duvonihr lebst.¦20¿
Ich bin dereine Vortreffliche, derseinem Gotte wohlgefällig ist,
ich bin mir bewußt, daß er dieHerzen richtet
unddaß er vonderMa` at lebt.¦21¿
Ich tat dieMa`at für denHerrn derbeiden Länder
desNachts wieam Tage,
denn ich warmir bewußt, daß er vonihr lebt;
mein Abscheu ist aufrührerische Rede.¦22¿
I, 100.
¦20¿Piehl, Inscriptions hiéroglyphiques
¦21¿Davies, The Tomb of Neferhotep, Tf. 27.
¦22¿Urk IV 1795. Vgl. a. Urk IV 1531 (F): „Ich tat die Ma`at, die der König liebt, weil
ich mir bewußt war, daß er von ihr lebt.“Ebenfalls aus der 18. Dyn. Kairo CG 547:
„ Der die Ma`at tut für seinen Horus und sich bewußt ist, daß er von ihr lebt.“Sehr
häufig sind solche Aussagen auch mit Ausdrücken wie tp.f jm.s „ daß er über sie
zufrieden ist“oder .fjm.s „ daß er über siejubelt.“