Thoroczkay, G., Die Legendenliteratur Und Geschichtsschreibung Ungarns
Thoroczkay, G., Die Legendenliteratur Und Geschichtsschreibung Ungarns
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PER IL MEDIO EVO
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Bullettino
DELL’ISTITUTO
DELL’ISTITUTO STORICO
STORICO ITALIANO
ITALIANO
PER
PER IL MEDIO EVO
IL MEDIO EVO
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ROMA
NELLA SEDE DELL’ISTITUTO
PALAZZO BORROMINI
___
2016
La Redazione valuta il valore scientifico dei contributi ricevuti e la loro coeren-
za con la tradizione del Bullettino. I saggi vengono poi sottoposti ad una dop-
pia lettura al buio da parte di specialisti scelti nell’ambito del Comitato di let-
tura o individuati in base alle competenze necessarie. L’autore viene informa-
to del giudizio sul contributo in modo riservato. Gli autori debbono tener
conto, ai fini della pubblicazione, degli interventi integrativi o correttivi sugge-
riti dal Comitato di lettura.
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no-per-il-medio-evo
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ria di incontri, per Claudia Benigni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . pag. 1
Pellegrini e fondatori. Rapporti fra monasteri e politica nel Meridione alto-
medievale, per Federico Marazzi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 49
Aquisgrana 812. Le premesse degli equilibri alto-adriatici e del ruolo di
Venezia, per Gherardo Ortalli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 109
Montecassino e Capua tra longobardi e normanni: realtà, autorappresen-
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tazione e legittimazione del potere, per Mariano Dell’Omo . . . . . . . » 125
Problemi dell’elezione di Vittore III (1086-1087), per Enrico Veneziani . » 141
Una costellazione di informazioni cronachistiche: Francesco Pipino, Ric-
cobaldo da Ferrara, codice Fitalia e Cronica Sicilie, per Fulvio Delle
Donne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 157
«Ystorie Biblie omnium sunt cronicarum fundamenta fortissima». La
Cronica universalis di Galvano Fiamma (ms. New York, collezione pri-
vata), per Paolo Chiesa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 179
Die Legendenliteratur und Geschichtsschreibung Ungarns bis zur Mitte
des 14. Jahrhunderts, per Gábor Thoroczkay . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 217
Macellai in armi nelle città medievali: note per un’indagine comparata, per
Valentina Costantini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . » 249
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Eine Übersicht
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Der am Ende des 9. Jahrhunderts das Karpatenbecken besetzende
ungarische nomadische Stammesverband, sowie das sich am Ende des
10. bzw. am Anfang des 11. Jahrhunderts in die Gemeinschaft der euro-
päischen christlichen Staaten einordnende und mit der Einwilligung des
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deutsch-römischen Kaisers entstehende Königtum betrachteten als
Muster das Deutschlands und die Kultur der Ottos und Heinrichs II.
Das ist in der Münzprägung, in der Urkundeverleihung, in der
Gesetzgebung und in einigen aufrechterhaltenen Kunsterinnerungen
(siehe vor allem das Messegewand für die Basilika von Stuhlweißenburg,
den heutigen Krönungsmantel) zu ertappen. Die Herausbildung von
Diözesen und Benediktinerabteien verlief nach westeuropäischen
Modellen, letztendlich mit der Zustimmung des römischen Papstes. Die
frühe einheimische katholische Liturgie zeugt ebenfalls vom deutschen
(bayrischen) Einfluss. Lediglich bei der Organisation der
Verwaltungseinheiten mittleren Grades, der Burgkomitaten ist die
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Hinsicht liefert es wenige brauchbare Berichte, vom König Stephan
stellt sich jedoch auch aus dem Werk heraus, dass sein Leben zum
größten Teil mit (staatsorganisatorischen) Kriegen und Kämpfen
gegen die Heiden verlief2.
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Budapest 1988; Gy. Kristó, Die Arpadendynastie, Budapest 1993, pp. 55-82; J. Gerics,
Polen und Ungarn als Stützpunkte Ottos III. in Osten, in Europas Mitte um 1000 (Beiträge zur
Geschichte, Kunst und Archäologie), cur. A. Wieczorek - H.-M. Hinz, I, Stuttgart 2000, pp.
784-785. Zur Entwicklung Mitteleuropas um 1000 s. M. Font, Im Spannungsfeld der
christlichen Großmächte Mittel- und Osteuropa im 10.-12. Jahrhundert, Herne 2008 (Studien
zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas, 9); Christianization and the Rise of Christian
Monarchy (Scandinavia, Central Europe and Rus’ c. 900-1200), cur. N. Berend, Cambridge
2007; N. Berend - P. Urbańczyk - P. Wiszewski, Central Europe in the High Middle Ages
(Bohemia, Hungary and Poland, c. 900-c. 1300), Cambridge 2013 (Cambridge Medieval
Textbooks). Zum erwähnten Krönungsgewand s. The coronation mantle of the Hungarian
kings, cur. I. Bardoly, Budapest 2005. Zur Entstehung der ungarischen Liturgie des 11.
Jh. s. M. I. Földváry, Az esztergomi benedikcionále (Irodalom és liturgia az államalapítás-kori
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Das nächste bedeutende literarische Werk, das auch aus der Sicht
der geschichtlichen Informationen zu untersuchen ist, ist die theolo-
gisch-philosophische Betrachtung, praktisch Bibelkommentar des aus
italienischem Benediktinerabt zum Bischof vom südungarischen
Marosvár (Tschanád) gewordenen Heiligen Gerhard († 1046), Delibera-
tio supra hymnum trium puerorum. Dieses Werk entstand ähnlich zu den
vorher erwähnten Fürstenspiegeln nicht zum hagiografischen oder
historiografischen Zweck, trotzdem geht daraus hervor: in den 1040-
er Jahren hatte Gerhard und seine Bischofskollegen ernsthafte
Probleme mit einem der damals regierenden ungarischen Könige, der
die Kirche Steuer zahlen ließ und die Bischöfe einschüchterte. Ein Teil
der Forschung schließt aus den Zeilen Gerhards auch auf die Existenz
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einer auch in Ungarn erscheinenden Ketzerei (vielleicht das balkani-
sche Bogumilismus). Vor einigen Jahrzehnten wurde heftig darüber
diskutiert, ob der in Deliberatio stark kritisierte ungarische König mit
dem Nachfolger Stephan des Heiligen, Peter Orseolo (1038-1041,
1044-1046) oder aber mit dessen Gegner aus der Stammesaristokratie
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Samuel Aba (1041-1044) zu identifizieren ist, aber eine von der
Mehrheit akzeptierte Lösung gibt es für die Frage nicht3.
Im Verlauf des Mittelalters waren in Ungarn praktisch alle
geschichteschreibenden und hagiografischen Gattungen (Jahrbuch,
Chronik, Gesta, romanhafte Gesta, Erinnerungsschrift, weltliche
Biographie, Heiligenlegende, Heiligsprechungsprotokoll) usw. anwe-
send, aber nicht alle mit dem gleichen Gewicht. Die wichtigsten waren
aus historischer Perspektive die Heiligenlegenden und die Chroniken.
Im Vergleich zu den naheliegenden deutsch-österreichischen Gebieten
oder zu Böhmen und Polen fällt die Armseligkeit der Jahrbuchliteratur
auf. Es kann praktisch nur eine Arbeit, das vom Ende des 12. Jh. auf-
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verhältnisse schließen. Es enthält ziemlich wichtige, von woanders
unbekannte Informationen, wie z. B. das Bischofsweihejahr des schon
erwähnten Heiligen Gerhard (1030). Die einheimische Chronik-
literatur, die weitgehend bedeutender war als die Annalistik, kannte
wahrscheinlich die Nachrichten des Werkes4.
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Das erste Stück der hagiografischen Literatur entstand vor 1064 in
Ungarn. Sein Autor war einer der bedeutendsten Prälaten, Mór,
Bischof von Fünfkirchen. Er verarbeitete in einer Heiligenlegende das
Leben und den Tod der zur Staatsgründungszeit im nordwestlichen
Teil der heutigen Slowakei lebenden und sowohl mit der Abtei von
Zoborhegy (heute Zobor) als auch mit der von Pannonhalma
(Martinsberg) in Verbindung stehenden Einsiedlern polnischer
Abstammung Zoerard-Andreas und Benedikt. Sein Werk überreichte
er auch Fürsten Géza, dem späteren ungarischen König. Die Vita
betont den Asketismus, und in der Beschreibung der Legende gibt es
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sprochen (obwohl das eventuell auch früher kann passiert sein), und
dann wurde der von den Heiden getötete Bischof, Gerhard am 25. Juli
in Tschanad heiliggesprochen. Mit seiner Heiligsprechung wurden die
ungarische Kirche und deren Leiter, die zwei Heidenaufstände (1046,
1061) erlitten hatten, verehrt. Danach erfolgte die Heiligsprechung
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Stephan des Heiligen und seines Sohnes Emerich (am 20. August und
4. November). Die ungarische Geschichtsschreibung erörterte viel den
Beweggrund und das Ziel der Heiligsprechungen. König Ladislaus
wollte seine Macht legitimieren, was er zu Lebzeiten des entthronten
Salomon auch sehr brauchte, außerdem wollte er auch der Weltkirche
die ersten als Muster dienenden Vertreter und Märtyrer des ungari-
schen Christentums zeigen. Obwohl einige ungarische Legenden (die
Biographie Stephan des Heiligen nach Hartvik, die größere Gerhard-
Vita) auch von irgendwelcher päpstlicher Mitwirkung bei den
Geschehnissen sprechen, ist es wahrscheinlicher, dass es sich um die
Initiative des damals auch als Kirchenoberhaupt fungierenden Königs
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handelte, mit der Zustimmung und der aktiven Mithilfe des Prälaten.
Dies wird auch davon unterstützt, dass die Päpste laut unseren erhal-
tenen Quellen nicht einmal am Anfang des 12. Jahrhunderts das
Heiligtum Stephans zu anerkennen schienen6.
Die wichtigsten Stücke der Legendeliteratur Ungarns beschäftigen
sich mit dem Staatsgründerkönig. Eingangs möchte ich bemerken:
diese stehen, ebenfalls die Legenden von Gerhard, Emerich bzw.
Ladislaus in Wechselwirkung oder im einseitigen Verhältnis mit den
Produkten der ungarischen Chronikliteratur. Die früheste Sankt
Stephan-Biographie ist die Größere legende (Legenda maior). Die
Entstehungszeit ist umstritten, eine Linie der Forschung betrachtet sie
als Produkt aus den Jahren vor der Heiligsprechung, anderen zufolge
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datiert sie aus der Zeit von Koloman dem Buchkundigen (1095-1116).
Was sicher steht, ist, dass sie die kleinere Stephan-Legende schon
kannte. Die Arbeit stellt Stephan in erster Linie als asketischen Kirche
und Staat organisierenden Heiligen dar, von seinen Tugenden hebt sie
die Barmherzigkeit und die Demut hervor. In dieser Hinsicht schuf sie
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einen neuen Heiligentyp, indem sie den nicht als Märtyrer gestorbenen
sondern demgegenüber Staat und Kirche bauenden König darstellt.
Die Heiligsprechung Stephans schuf somit Beispiel und eröffnete
einen neuen Weg für die Erhebung anderer, in ihren Ländern aposto-
lisch tätigen Herrscher. Sie enthält wenige wunderbare Elemente, folk-
loristische Traditionen oder in der hagiografischen Literatur üblichen
Topoi und Motive. Sie ist gleichwohl bestrebt, darzustellen, wie die
Gottesgnade durch die Bekehrungstätigkeit Stephan des Heilligen
wirkte. Mit der Betonung der Darbietung des Landes an die Heilige
Jungfrau Maria nimmt er sowohl gegen die Ansprüche des deutsch-
römischen reiches als auch gegen die des Papsttums Ungarn gegen-
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über Stellung. Für den Autor der Legende wird im Allgemeinen ein
Benediktinermönch gehalten. Der Autor kannte sicherlich die
Mahnungen Königs Stephan und seine vielleicht bereits zu der Zeit
überlieferten Gesetze7. Was ihren lateinischen Stil betrifft, gehört die
größere Legende nicht zu den besten Werken, und auch die für die
G. Klaniczay, Holy Rulers and Blessed Princesses (Dynastic Cults in Medieval Central
6
Europe), Cambridge 2002 (Past and Present Publications), pp. 123-134.
7 The Laws of the Medieval Kingdom of Hungary (1000-1301), edd. J.M. Bak - Gy.
Bónis - J.r. Sweeney, Bakersfield, California 1989 (The Laws of East Central Europe:
The Laws of Hungary, I/1), pp. 1-11, mit englischer Übersetzung.
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(des Heiligen) als verstorbenen Königs, mit Sicherheit kannte sie die
Größere Legende und ähnlich dazu nutzte Bischof Hartvik auch die-
ses Werk reichlich zur Verfertigung seiner Komposition. All das lässt
die Entstehung auf den Anfang der Herrscherzeit Königs Koloman
legen. Die Kleinere Legende, deren Autor ebenfalls ein Benediktiner -
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mönch sein sollte, schildert ein ziemlich realistisches Bild vom Staat-
und Kirche organisierenden König, vom strengen aber gerechten
richter. Diese vita enthält ebenfalls kaum die für die hagiografischen
Schriften typischen Motive und Topoi. Die Arbeit stellt das Leben
Stephans in seinem vollen Lauf dar, sie bietet zahlreiche neue
Informationen und Korrekturen zur Hauptquelle, der Größeren
Legende. Daneben kannte sie mit Sicherheit die Gesetze Stephans und
gebrauchte einige im Benediktinermilieu entstandene hagiografische
Werke, der Autor zeugte außerdem von klassischer Bildung, der
Kenntnis von Horaz und Persius. Dieses Werk hatte ein ähnliches
Schicksal als die Größere Legende, es geriet durch die Arbeit von
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Martinsberg auseinandersetzten. Die Abtei hatte nämlich in ungewöhnli-
cher Weise das recht, aufgrund des Beschlusses des Königs in einem
Komitat von Transdanubien, im Komitat Somogy Kirchenzehnt zu sam-
meln. Das Gebiet bildete einst das Zentrum des sich gegen die
Zentralmacht Stephans wendenden Fürsten Koppány). Ihre berühmtes-
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ten Erzählungen sind jedoch die Teile über die Kronensendung des
Papstes und über die Heiligsprechung Stephans. Diese Berichte sind
allerding nicht immer beglaubigt, die Krone unseres Staatsgründerkönigs
stammt mit großer Wahrscheinlichkeit vom deutsch-römischen Kaiser
ähnlich zur Königslanze. Der von Hartvik seinem Namen nach nicht
gekannte Papst Silvester II. soll die selbständige Kirchenorganisation
bewilligt haben und zur Salbung des ungarischen Königs beigetragen
haben. Sicherlich kannte er auch ausländische Quellen (z. B. die würde-
volle Collectio Pseudo Isidoriana), aus dem Vorwort seines Werkes lässt sich
auch auf seine klassische Bildung schließen. Die Hartvik-Legende galt im
Verlauf des ganzen Mittelalters (besonders ab 1201) als die offizielle
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8 BHL 7918, 7920, 7921. Ihre maßgebende kritische Ausgabe: Legenda Sancti
Stephani regis maior et minor atque legenda ab Hartvico episcopo conscripta, ed. E. Bartoniek, in
Scriptores rerum Hungaricarum cit., II, Budapest 1938, pp. 377-392, 393-400, 401-440.
Wichtigere Fachliteratur: J. Gerics, Über Vorbilder und Quellen der Vita Hartviciana Sancti
Stephani regis Hungariae, «Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae», 29 (1981),
pp. 425-444; G. Thoroczkay, Anmerkungen zur Frage der Entstehungszeit der Hartvik-
Legende des Stephan des Heiligen, «Specimina Nova. Pars Prima. Sectio Mediaevalis», 1
(2001), pp. 107-131; Klaniczay, Holy Rulers cit., pp. 412-415; T. Körmendi, Szent István
Der seit dem Ende des 19. Jh. anwesende Standpunkt mehrerer
Forscher, wonach es eine früheste, verlorene Stephan-Legende gege-
ben habe, konnte bis heute nicht glaubwürdig bewiesen werden.
Neuere Beobachtungen halten gerade für wahrscheinlich, dass die die-
sem angenommenen Werk zugeschriebenen, im Allgemeinen auch
durch spätmittelalterliche Quellen vermittelten Informationen eher
aus verlorenen historiografischen Werken stammen konnten/können9.
Aus geschichtlicher Sicht ist die Größere Legende (Legenda maior)
über den schon mehrmals erwähnten Gerhard, Bischof von Tschanád
das nächste wichtige hagiografische Werk Ungarns. Obwohl früher
viel über das Verhältnis der einzelnen Legenden des aus Italien stam-
menden Märtyrerbischofs gestritten wurde, kann heute behauptet wer-
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den: mit größter Wahrscheinlichkeit können sowohl die Kleinere
Legende (Legenda minor) aus dem 12-13. Jh. als auch die in ihrer heuti-
gen Form nach 1381 zusammengestellte Größere Legende, die auch
Aufzeichnungen aus dem 11. Jh. gebraucht haben, auf eine Urlegende
aus dem 12. Jh. zurückgeführt werden. Dieses Werk enthält mehrere
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grössere Anachronismen (z. B. die Erwähnung der Bologneser
Universität im 11. Jh), diese werden jedoch durch die bis in die große
Vergangenheit reichenden Erzählungen über die Staatsgründung in
der Balance gehalten. Sie beschäftigt sich auch viel mit dem das Gebiet
des Bistums Tschanád (Maros) lange unter seiner Herrschaft halten-
den heidnischen, zwar scheinbar byzantinisch christlichen Fürsten
Ajtony und mit dessen Machtausübung. Die Existenz des Großherrn
wird auch durch andere Erzählquellen (die romanhafte Gesta Meisters
P.) bestätigt. Seine in der Legende lange erörterte Bekämpfung kann
auch aufgrund von anderen Quellen auf die zweite Hälfte der 1020-er
Jahre gelegt werden, und gerade dank dieser Arbeit kann diese Tat als
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király Nagyobb legendájának nyelvezete [Die Sprache der Größeren Legende Stephan des Heiligen],
«Fons», 10 (2003), pp. 81-118; Thoroczkay, Szent István legendái [Die Legenden Stephan des
Heiligen], in István, a szent király. Tanulmánykötet és kiállítási katalógus Szent István tiszteleté-
ről halálának 975. évfordulóján [Stephan der heilige König. Studienband und Ausstellungkatalog
über die Verehrung Stephan des Heiligen zum Jubiläum seines 975. Todesjahres], cur. T. Kerny
- A. Smohay, Székesfehérvár 2013 (Magyar királyok és Székesfehérvár, 4 - A
Székesfehérvári Egyházmegyei Múzeum kiadványai, 9), pp. 28-35.
9 Thoroczkay, Szent István legendái cit., p. 33; G. Mikó, Élt-e valaha Szent István fia,
Ottó herceg? Egy ismeretlen 15. századi krónika tanúskodása [Lebte einmal der Sohn Stephan des
Heiligen, Herzog Otto? Das Zeugnis einer unbekannten Chronik des 15. Jh.], «Történelmi
Szemle», 55 (2013), pp. 1-22.
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und wurde – nach den Angaben eines deutschen Jahrbuchs11 – 1031
während einer Jagd von einem Wildschwein getötet. Wie schon erwähnt,
wurde er 1083 auch heiliggesprochen, auf wessen mögliche Ursache bei
der Behandlung der Chroniken eingegangen wird. Die Legende über ihn,
wovon bis heute nicht feststeht, ob sie am Anfang oder in der Mitte des
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12. Jh. entstand, trägt wenig zur Geschichtenkenntnis bei, sie legt eher
unter Wirkung der Kirchenreformbewegung auf die unschuldige
Lebensform des Herzogen Wert. richtig interessanterweise wurde in der
Forschung angenommen, dass dieses Werk nicht mehr von einem
que Gérard et les débuts de notre historiographie médiévale, «Annales Universitatis Scientiarum
Budapestinensis de rolando Eötvös nominatae. Sectio Philologica», 1 (1962), pp. 3-
22; E. Pásztor, Problemi di datazione della “Legenda maior S. Gerhardi Episcopi”, «Bullettino
dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo e Archivio Muratoriano», 73 (1962), pp.
113-140; G. Thoroczkay, Ellenszegülő ispán vagy független törzsfő? (Megjegyzések Ajtony törté-
netéhez) [Ein sich auflehnender Gespan oder unabhängiges Stammesoberhaupt? (Bemerkungen zur
Geschichte von Ajtony)], in Auxilium historiae (Tanulmányok a hetvenesztendős Bertényi Iván tisz-
teletére) [Auxilium historiae (Studien zur Ehre des siebzigjährigen Iván Bertényi)], cur. T.
Körmendi - G. Thoroczkay, Budapest 2009, pp. 351-364; E. Madas, Der heilige Gerhard,
Bischof von Tschanad, in Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa (Konstitution und
Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff), cur. J. Bahlcke - S. rohdewald -
T. Wünsch, Berlin 2013, pp. 391-400.
11 Annales Hildesheimenses, ed. G.H. Pertz, in M.G.H., Scriptores, III, Hannoverae
1839, p. 98.
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ausgezeichneter Krieger geltenden Ladislaus in die reihe der Heiligen
erheben. Bei der Heiligsprechung konnte man sich zum Leben des
Königs zweifellos aus der damals neu bearbeiteten, König Ladislaus als
noch nicht gekrönten aber zur Oberherrschaft geeigneten (idoneus)
Herrscher darstellenden Variante der ungarischen Chronik informie-
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ren. Bald nach der Heiligsprechung wurde seine Urlegende verfasst,
die uns nicht überliefert wurde, und zur Zeit Königs Andreas II.
(1205-1235) entstanden daraus sowohl eine längere als auch eine kür-
zere Variante. Die Ladislaus-Legende erschöpfte größtenteils die frisch
bearbeitete Variante der ungarischen Chronik. Von daher ist der
Forschungsstandpunkt sicherlich falsch, der sich das Verhältnis zwi-
schen den zwei Quellen umgekehrt vorstellt und behauptet: die
Wirkung der Legende ist in den heute bekannten Chroniktexten zu
sehen. Die aus literarisch-stilistischen Aspekten ziemlich niveauvollen
Ladislaus-Legenden liefern aus geschichtlicher Sicht ebenfalls wenige
wertvolle Informationen, obwohl das Datum der Heiligsprechung,
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1192 von den berichtenden Quellen allein darin zu finden ist. (Die
Jahreszeit ist übrigens noch aus einer, von den Preßburger
12 BHL 2528, 2529. Maßgebende kritische Ausgabe: Legenda Sancti Emerici ducis,
ed. E. Bartoniek, in Scriptores rerum Hungaricarum cit., II, pp. 449-460. Wichtigere
Fachliteratur: L. Erdélyi, Szent Imre legendája [Die Legende Emerich des heiligen], Budapest
1930, pp. 37-46; S. Tóth, Magyar és lengyel Imre-legendák [Ungarische und polnische
Emerichlegenden], Szeged 1962 (Acta Universitatis Szegediensis de Attila József nomi-
natae. Acta Historica, 11); Klaniczay, Holy Rulers cit., pp. 415-417; J. Bollók, A Szent
Imre-legenda [Die Sankt Emerichlegende], in Philologia Nostra (Bollók János összegyűjtött tanul-
mányai) [Philologia Nostra (Gesammelte Studien von János Bollók)], cur. T. Mészáros,
Budapest 2013 (Antiquitas - Byzantium - renascentia, 4), pp. 351-376.
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Arpaden, während des Mongolensturms in Dalmatien zur Welt, wohin
das königliche Paar, Béla IV. und Königin Maria, einst griechische
Prinzessin aus Nicäa flüchteten. Margareta wurde noch vor ihrer Geburt
zur Befreiung des Landes Gott geweiht, so wurde sie als kleines Kind
den Dominikanernonnen gegeben, wo sie auf der heute zu Budapest
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gehörenden Haseninsel (heute Margareteninsel) den großen Teil ihres
Lebens verbrachte. 1270 starb sie, ihr Kult begann jedoch bereits zu
ihren Lebzeiten. So initiierte ihr zum König gewordener Bruder Stephan
V. (1270-1272) sofort ihre Heiligsprechung. In der von mir untersuchten
Periode wurde ihr heiliges Gedenken schon in zahlreichen schriftlichen
Erinnerungen festgelegt.
Die erste Arbeit ist die sogenannte Legenda vetus, die ihrem
Beichtvater, dem späteren Dominikanerprovinzialen, Marcellus zuge-
schrieben werden kann. Diese berichtet treu über das Schicksal der
heiligen Prinzessin, über die Versuche ihres Vaters sie aus dem Kloster
zu holen und zur Schließung von dynastischen Ehen zu gebrauchen
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(obwohl sie den interessantesten von diesen Plänen, nämlich den mit
Karl von Anjou [1265-1285] nicht erwähnt, der ist aus anderen
Quellen bekannt15). Das Werk vom Anfang der 1270-er Jahre enthält
schon ein Protokoll, in dem vierzig Zeugen vom Heiligtum von
Margareta sprechen. Die gebildete Königstochter war die erste nach-
weisbare Leserin der ungarischen Legendenliteratur und
Geschichtsschreibung, laut der Heiligenbiographie las sie die
Legenden von Stephan dem Heiligen, Emmerich dem Heiligen und
Ladislaus dem Heiligen, bzw. auch eine nicht genau identifizierbare
Chronikvariante von ihren Kämpfen gegen die Heiden. 1276 hielten
die päpstlichen Legate ein detailliertes Zeugenverhören, dessen
Protokoll (Inquisitio super vita …) später mit der Legenda vetus verschmol-
zen als Grundlage zur Margareta-Legende diente. Das Prozessmaterial
zur Heiligsprechung kam später in den päpstlichen Hof von Avignon,
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wo ein späterer Ordensmeister der Dominikaner, Garinus de Giaco
(Garin de Gy l’Evêque) daraus eine Legende verfasste. Die
Forschungen des letzen Vierteljahrhunderts bewiesen, dass die länge-
re Variante dieser Heiligenbiographie (Legenda maior), die in der
Fachliteratur früher als Neapler Legende erwähnt wurde, die originel-
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le Arbeit von Garinus ist. Neulich wurde auch gezeigt, dass ihre
Abfertigung mit der Tatsache zusammenhing, wonach Ungarns
Herrscherfamilie von Anjou versuchte, die Heiligsprechung der
Prinzessin Margareta neu zu beleben. Die hagiografische Literatur der
heiligen Prinzessin ist viel ausführlicher, ich habe nur die zur Periode
passenden Werke erwähnt. Es muss noch unbedingt angemerkt wer-
den, dass die ungarischen Dominikaner die Legenda vetus und das
Heiligsprechungsprotokoll aus 1276 zusammen als Lebensschreiben
von Margareta betrachteten, wie es auch aus der ungarischen
Legendenvariante hervorgeht16.
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schiedliche biblische Ursprünge beimessen. Zuerst kann der Text der
sog. Chronikfamilie von Buda entstanden sein, diese kann ursprüng-
lich mit einem Ereignis aus 1334, aus der Zeit Karls I. (1301-1342)
geendet haben. Der berühmteste Textzeuge dieser Kodex-Familie ist
tatsächlich eine Inkunabel, die 1473 gedruckte Chronik von Buda. Der
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spätere, 1358 unter Ludwig dem Großen (1342-1382) zusammenge-
stellte Text wird in Exemplaren der sog. Bilderchronikfamilie bewahrt.
In den Text ihres Vorgängers fügte der Autor in Form der sog.
Interpolationen Texte früheren Ursprungs aus der früheren ungari-
schen Geschichte (zurück), der Text enthält ein Vorwort mit reicheren,
ausländischen Quellen (auch zeitgenössischen niveauvollen Bibel-
kommentaren), der genaue Abschluss ist allerdings nicht festzustellen,
wahrscheinlich überschritt er längst 1330, wo das diesbezügliche wich-
tigste Manuskript, der Kodex der Bilderchronik unterbrochen wurde.
Aufgrund eines Hinweises des 16. Jh. wird sein Autor mit großer
Wahrscheinlichkeit mit Márk Kálti, einer charakteristischen Figur der
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geistlichen Mittelschicht des 14. Jh. identifiziert, der auf dem Gipfel
seiner Karriere der Domkustos des wichtigen Kollegiatkapitels von
Stuhlweißenburg war17. Bereits hier würde ich anmerken, dass die
«Magyar Könyvszemle», 112 [1996], pp. 125-130); Klaniczay, Holy Rulers cit., pp. 423-
428; V.H. Deák, The Birth of a Legend: the so-called Legenda Maior of Saint Margaret of
Hungary: and Dominican Hagiography, «revue Mabillon», 20 (2009), pp. 87-112; Deák, La
légende de sainte Marguerite de Hongrie et l’hagiographie dominicaine, Paris 2013.
17 Maßgebende kritische Ausgabe: Chronici Hungarici compositio saeculi XIV., ed. A.
Domanovszky, in Scriptores rerum Hungaricarum cit., I, pp. 239-505 (in der linken Spalte der
Text des repräsentativen Kodex der Chronikfamilie von Buda, und in der rechten Spalte
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ist aber noch das Zeitalter der deutsch-ungarischen Gegensätze und
Thronzwiste, wenn die Blüte der ungarischen Kultur noch unwahr-
scheinlich ist. Viel wahrscheinlicher erscheinen die letzten zwei
Jahrzehnte des 11. Jh., die Herrschaft Ladislaus des Heiligen. Das kann
interessanterweise mit der Heiligsprechung Emerich des Heiligen
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zusammenhängen. Die im 69. bzw. im 63. Kapitel gelieferte Emerich-
Charakterisierung der Chronik ist der Tugendkatalog des Herzogs, die
sich auf die Mahnungen und auf die Größere Stephan-Legende
begründet, sie findet den höchsten Sinn in der Beschreibung des
Charakters Ladislaus des Heiligen, und stellt einen geeigneten (idoneus),
nicht gekrönten Herrscher in den Vordergrund. Das kann die höchste
Begründung der Heiligsprechung von Emerich, dem Vorbild von
Ladislaus gewesen sein. So stammt das 69. Chronikkapitel höchst-
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70 Jahren mit einem zuverlässigen menschlichen Gedächtnis rechnet.
Die ungarische Chronik beginnt nach 1030-1040, beglaubigte, indivi-
duelle Erzählungen mehr oder weniger ohne spätere Interpolationen
zu bringen. rechnet man die erwähnten sieben Jahrzehnte dazu,
kommt man auf die Zeit von Koloman. Als die dritte Hauptursache
IM
wird gewöhnlich das blühende kulturelle Leben im Hof des einst als
Bischof tätigen Königs erwähnt (Stephanslegenden, die berühmte
Einleitung des ersten Gesetzbuches von Koloman)21. (Falls auch frü-
her historische Arbeiten in Ungarn geschrieben wurden, dann wurde
der bereits fertige Stoff in der Zeit von Koloman fortgesetzt). Welcher
der Gründe auch zustimmt, wird diese hypothetische, frühe Quelle
von der ungarischen Geschichtswissenschaft Urgesta oder Urchronik
genannt, obwohl sich die Meinungen darüber, wie oben geschrieben,
von deren Anfang, Umfang und Niveau bis heute nicht einig sind22.
IS
20 J. Bollók, Szent Imre alakja középkori krónikáinkban [Die Figur Emerich des Heiligen
in unseren mittelalterlichen Chroniken], in Philologia nostra cit., pp. 191-205; Klaniczay, Holy
Rulers cit., pp. 129-130. Die redaktion in der Sankt Ladislaus-Zeit tauchte mit starkem
Akzent aufgrund ganz anderer Begründungen bereits in der Forschung zwischen den
zwei Weltkriegen auf, s. B. Hóman, A Szent László-kori Gesta Ungarorum és 11-12. száza-
di leszármazói (Forrástanulmány) [Die Gesta Ungarorum der Sankt Ladislaus-Zeit und deren
Nachfolger der 11-12. Jh. (Quellenstudie)], Budapest 1925.
21 Gy. Györffy, Zu den Anfängen der ungarischen Kirchenorganisation auf Grund neuer
quellenkritischer Ergebnisse, «Archivum Historiae Pontificiae», 7 (1969), pp. 79-113: 112-
113; Kristó, Történeti irodalom cit., pp. 105-125, 130-135; Kristó, Magyar historiográfia cit.,
pp. 30-36; Veszprémy, Megjegyzések cit., pp. 330-336.
22 Enthält detaillierte forschungsgeschichtliche Zusammenfassung über die frü-
hen redaktionen: D. Bagi, Problematik der ältesten Schichten der ungarischen Chronik-
komposition des 14. Jahrhunderts im Lichte der ungarischen Geschichtsforschung der letzten
E
einer deutschsprachigen Variante (Arbeit Heinrichs von Mügeln) wäh-
rend der Nachfolger des mit Koloman um den Thron kämpfenden
und später geblendeten Herzog álmos bis mindestens 1167 nachweis-
bar fortgesetzt wurde24. Einer der wichtigsten Charakterzüge davon ist
das äußert negativ geschilderte Bild über Koloman und Stephan II.
IM
(bei der Schilderung des letzteren ist der Gebrauch der noch völlig
sachlichen Aufzeichnung zu bestätigen)25.
Meiner Ansicht nach setzte sich die Geschichtsschreibung des
álmos-Zweiges auch unter dem in Byzanz aufwachsenden großen
Herrscher Béla III. (1172-1196) fort, eine in dieser Zeit verfertigte
Chronik kann die schon erwähnte historische Arbeit gewesen sein, die
König Ladislaus den Heiligen als für die Herrschaft weitgehend geeig-
neten (idoneus) Herrscher schildert und bei der Heiligsprechung
Ladislaus von 1192 eine rolle spielen konnte. Vor mehr als zwei
Jahrzehnten formulierte sich die Meinung, die behauptet, dass ein in
IS
E
Vereinheitlichung in der Tat erfolgt sein kann, aber sie vollzog sich
unter Béla III. vor der Heiligsprechung von 1192. Was aber ebenfalls
sehr wahrscheinlich ist: unter Andreas II., in den 1210-er Jahren kön-
nen die bis dahin vorhandenen Texte ebenfalls angefasst worden sein,
wie es die Forschung seit langer Zeit annimmt27.
IM
Aus dem oben Stehenden geht hervor, dass sich die Chronik-
forschung Ungarns auch bei der Gattungsbestimmung der Texte nicht
einig ist, die sich mit der Urgeschichte der Ungarn nur maßvoll, mit
den ersten zwei christlichen Jahrhunderten allerdings viel reichlicher
auseinandersetzen; sie spricht mal von Chronik, mal von Gesta.
Einiges steht jedoch fest: wie ich erwähnt habe, bedienten sich die
Chronikzusammensteller der Legendenliteratur Ungarns, und die
Mehrheit der Heiligenbiographien greift auch auf die Chroniktexte
zurück. Wahrscheinlich wurde das Jahrbuch von Altaich, die für die
ungarische Geschichte des 11. Jh. besonders nach der Zeit Stephan
des Heiligen wichtigste Quelle Deutschlands, in einer frühen Phase
IS
der redaktion gefunden, und es wurde bis zum Ende der 1040-er
Jahre (anderen Meinungen zufolge bis zum Beginn der 1060-er Jahre)
größtenteils erschöpft und öfters darauf hingewiesen (Tradunt autem
26 Kristó, Történeti irodalom cit., passim; Kristó, Magyar historiográfia cit., pp. 43-49.
27 Gy. Pauler, A magyar nemzet története az Árpádházi királyok alatt [Geschichte der
ungarische Nation unter den Königen des Arpadenhauses], II, Budapest 18992, pp. 610-611;
K. Szovák, Szent László alakja a korai elbeszélő forrásokban (A László-legenda és a Képes
Krónika 139. fejezete forrásproblémái)[Die Figur Ladislaus des Heiligen in den frühen
Erzählquellen (Die Ladislaus-Legende und die Quellenprobleme des 139. Kapitels der
Bilderchronik)], «Századok», 134 (2000), pp. 117-145: 135-138.
Teutonici …)28. Darüber hinaus wurde die Chronik von regino, des an
der Schwelle vom 9. zum 10. Jh. lebenden Abtes von Prüm verwendet,
die bedeutende Ungarnbezügliche Berichte enthielt29. Charakteristisch
für die frühen Chronisten war eine ideologische Sensibilität, da selbst
aus den überlieferten Texten hervorgeht, dass ein Autor (oder mehrere)
bei der umfangreichen Erörterung der Geschichte der zweiten Hälfte
des 11. Jh. an der Seite von Andreas I. und Salomon stand und einen
gesetzlichen (legitimistischen) Standpunkt formulierte. Demgegenüber
nahmen ein anderer Auto (oder Autoren) die Thronfähigkeit von Béla
I., Géza I. und Ladislaus dem Heiligen betonend eine (ideonistische)
Eignungsplattform ein. Über die absolute und relative reihenfolge der
zwei Standpunkte wird heute noch gestritten30.
E
Früher rechnete die Forschung bis zur Mitte der 1270-er Jahre
nicht mit der Fortsetzung des Chronikstammes, heute nähert man sich
differenzierter der Frage. Man nimmt redaktionen um 1240 herum
bzw. bis 1270 an, die in erster Linie mit dem Schicksal der aus
Deutschland stammenden und 1213 ermordeten Königin Gertrud
IM
zusammenhängen. Einerseits wurde die bis dahin allgemein geehrte,
für die Verbreitung des Christentums bleibende Verdienste erworbene
aber ebenfalls deutsche Königin Gisela, Gemahlin Stephan des
Heiligen wegen der von vielen nicht geliebten Königin in den
Chroniken schwarz gemacht, andererseits konnte österreichischen
Quellen zufolge irgendeine Bemerkung vom Tod von Gertrud im Text
stehen. In der zweiten Hälfte der 1240-er Jahre wies ein Chronist (der
mit dem Autor, den Autoren der oben stehenden zwei Bemerkungen
nicht identisch sein sollen) auf die ab dem Anfang des 13. Jh. wach-
sende Fremdenfeindlichkeit Ungarns hin und betonte die Wichtigkeit
der ausländischen adeligen Geschlechter im Ungarn der Arpaden31.
IS
Wie ich schon erwähnt habe, ist die Wirkung eines Chronik-
redakteurs am Anfang der 1270-er Jahre, unter König Stephan V. mit
Sicherheit anzunehmen. Er wurde vor 70 Jahren erstaunlicherweise
mit Meister ákos aus dem ákos-Geschlecht, dem einstigen Pfarrer
von Pest, dem Domkustos von Stuhlweißenburg, dann Propst von
Altofen identifiziert, der gleichzeitig königlicher Kaplan, Kanzler der
Königin und schließlich Wärter des Dominikanernonnenklosters auf
der Haseninsel (das Zuhause Margareta der Heiligen) war. Am Ende
seiner Laufbahn soll er eine reise ins Land der süditalienischen Anjous
unternommen haben. Wie es zu sehen ist, gehörte er auch zur Elite
der Mittelschicht der Kirchengesellschaft. ákos setzte mit kurzen
Anmerkungen die in seine Hände geratene Chronikvariante vom Ende
E
des 12. Jh. bis zu seiner Zeit fort, behandelte die Frage der ungarischen
Adelsgeschlechter, die Streifzüge ins Westeuropa des 10. Jh. und auf
auffallende Art die Gründung, die Vorrechte und Schätze der zwei
wichtigen königlichen Propsteien von Stuhlweißenburg und Altofen.
Er wird für einen im Allgemeinen aristokratisch denkenden, ab und zu
IM
selbst das Arpadenhaus missachtenden Geschichtsschreiber gehalten.
Einigen Meinungen nach verfertigte er zwei Chronikvarianten, die
kürzere diente als Grundlage zum geschichtlichen Teil der Arpaden-
Zeit Ungarns der unten zu behandelnden Gesta von Simon Kézai,
unterhielt weiterhin die Prinzessin Margareta von historischem
Interesse. Die längere Variante soll dieser Meinung nach die aufgrund
der Meinung von mehreren Forschern nur vom Ersteller der
Bilderchronik in den Chroniktext zurückgelegten Interpolationen ent-
halten haben32.
Langsam wird das Ende der Herausbildung der Chronikkompo-
sitionen des 14. Jh. erreicht. Am Anfang der Anjou-Zeit kam das bis
IS
ni merénylet a magyar gestaszerkesztményben [Das Attentat gegen Königin Gertrud in der ungari-
schen Gesta-Komposition], in Körmendi - Thoroczkay, Auxilium historiae cit., pp. 195-205.
32 Gy. Györffy, Krónikáink és a magyar őstörténet [Unsere Chroniken und die ungarische
Urgeschichte], Budapest 1948, pp. 152-180; E. Mályusz, Az V. István-kori gesta [Die Gesta
von der V. Stephan-Zeit], Budapest 1971 (Értekezések a történeti tudományok köréből.
Új sorozat, 58); Györffy, Az Árpád-kori magyar krónikák cit., pp. 395-406; Kristó,
Magyar historiográfia cit., pp. 68-70.
E
von Buda, und dessen ausführliches Paar wurde der unter Ludwig dem
Großen komponierte, wahrscheinlich mit dem Namen von Márk Kálti
anknüpfende Grundtext der Bilderchronik. Die Komposition des 14.
Jh. kam eigentlich mit wenigen Veränderungen in die Chronik von
Johannes Thuróczy aus 148835, und wurde so international bekannt.
IM
Sie gilt bis zum heutigen Tag als die bedeutendste Erzählquelle der frü-
hen ungarischen Geschichte, die ungarische historische Forschung
investiert seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. unglaubliche Energien in
ihre Untersuchung und die Lösung ihrer offenen Fragen.
Drei ziemlich bedeutende historische Werke waren praktisch
unabhängig vom Chronikfluss, und blieben auch erhalten. Zwei davon
E
Wanderungen der Ungarn. Ab dem 12. Kapitel wird die ungarische
Landnahme dargestellt und es wird ausführlich über die Kämpfe mit
den hier vorgefundenen Fremden berichtet. In den letzten Kapiteln
seines Werkes setzt er sich mit den aus dem Karpatenbecken geführ-
ten Streifzügen und mit Geschehnissen des 10. Jh., unter Erwähnung
IM
des Staatsgründerkönigs Stephan des Heiligen auseinander. Die
Herausgabe in Druckform des namenlosen Autors beschäftigt ab 1746
die ungarische Geschichtsschreibung.
Die Entstehungszeit des Werkes wird von der maßgebenden unga-
rischen Forschung nicht mehr bestritten. Die aus der Gesta hervorge-
henden Handlungen, Ort- und Personenmaterialien, die Hinweise auf
die bei der Entstehung des Werks als Gegenwart geltende Zeit führen
dazu, dass das Werk von Anonymus irgendwann nach der Herrschaft
von Béla III., nach dem Tod des großen Herrschers (1196) begonnen
haben, und vor der Verkündung der die rechte der oberen und der als
Soldaten dienstlichen mittleren Schicht sichernden Goldenen Bulle
IS
königlichen Kanzlei arbeitete, die auf der Spitze seiner Karriere viel-
leicht der Leiter einer königlichen Kirche (eines Kollegiatkapitels) war,
und es eventuell aber weniger wahrscheinlich bis zur Würde eines
Bischofs (Erzbischofs) brachte. Es handelt sich also wiederum um ein
in der ungarischen historischen Literatur gut bewandertes Mitglied der
kirchlichen Mittelschicht. Er kann das Land als Teil der Hofhaltung im
rahmen der von Zeit zu Zeit stattfindenden Landbesuchen kennenge-
lernt haben, in seinen Werken scheint er sich aber in bestimmten
regionen des Landes besser zu orientieren (Nordungarn, das obere
Theiß-Gebiet) vielleicht stammte er von hier. Außer seiner
Landesbesuche erweiterte er seine geografischen Kenntnisse auch
während einer Balkanreise. Früher kann er auch im Ausland (Paris
E
oder Orleans?) studiert und die Gattung der romanhaften Gesta ken-
nengelernt haben. Die wichtigsten Elemente seiner Bildung bestanden
in der ritterkultur, der Literatur von Troja und Alexander dem
Großen, den Urkundenformularen sowie im römischen recht.
Man beschäftigte sich viel mit der Frage der schriftlichen Quellen
IM
von Magister P., er kannte mit Sicherheit die romane von Troja und
Alexander dem Großen, das Kompendium Exordia Scythica, die
Chronik von regino, und das Buch vom Stilmeister, Hugo von
Bologna. Seine Kenntnis von einem oder mehreren Kreuzzügen
wurde auch für möglich gehalten. Es gibt erstaunliche Ähnlichkeiten
bei den Motiven mit Chroniken von Aragonien, bzw. mit den Gestas
von bestimmten englischen Geschichtsschreibern wie William of
Malmesbury, sowie besonders mit denen von Geoffrey of
Monmouth36. Stellt man die Frage nach den ungarischen schriftlichen
Quellen, steht außer Diskussion, dass Meister P. den bis zu seinem
Zeitalter fertigen Teil der Chronikkomposition gebrauchte, der viel-
IS
leicht die Gesta der “christlichen Ungarn” unter Béla III. oder
Andreas II. war. Der Verfasser davon wurde vor einigen Jahrzehnten
als eine Person von ähnlicher Laufbahn und Bildung wie Anonymus
vorgestellt. Unbedingt anzumerken ist: eine derart niveauvolle
Bearbeitung der vorchristlichen Geschichte Ungarns, wie die in der
Gesta Hungarorum war nur so möglich, wenn die Chronik oder Gesta
der christlichen Vergangenheit schon mehr oder weniger in der heute
bekannten Form zur Verfügung stand.
36 Daretis Phrygii de Excidio Troiae Historia, ed. F. Meister, Lipsiae 1873; Excidium
Troiae, ed. A.K. Bate, Frankfurt - Bern - New york 1986 (Lateinische Sprache und
E
schreiben zu können, verlegte er die Nachbarvölker von außerhalb des
Karpatenbeckens auf das historische Landesgebiet, wählte für sie
Leiter mit aus Ortsnamen erfundenen Personennamen, mit denen er
die ungarischen Leiter kämpfen ließ. Diese waren meistens auch
Phantasiefiguren, und sie trugen oft auch veränderte Ortsnamen, und
IM
auch die Kriegsgeschehnisse wurden den bezüglichen Ortsnamen
angepasst. Er bewahrte allerdings einige Angaben, Namen, Sagen von
wertvoller, alter Tradition. Hierher gehört zum Beispiel der Ausdruck
Siebenungar (Hetumoger), den er für die fiktiven sieben Stammesfürsten
verwendete, früher aber wahrscheinlich der Name des landnehmenden
Stammesverbandes (Nomadenstaates) war. Wie er in seinem Werk
betonte, wehrte er sich vor den Sagen und Märchen, vielleicht wegen
ihrer Unzuverlässigkeit, aber endlich übergab er einige doch der
Schrift. Das beste Beispiel dafür ist die Turul-Sage, die die auf den
Tier-Ahn der Herrscherfamilie, der Arpaden (vielleicht auf Adler oder
IS
Literatur des Mittelalters, 23); Historia Alexandri Magni. Historia de Preliis. Rezension J2,
ed. A. Hilka, I-II, Meisenheim an Glan 1975; Exordia Scythica, ed. Th. Mommsen, in
M.G.H., Auctores Antiquissimi, XI/2, Hannoverae 1894, pp. 308-322; Reginonis abbatis
Prumiensis Chronicon cit.; Hugo Bononiensis Rationes dictandi prosaice, in Briefsteller und
Formelbücher des elften bis vierzehnten Jahrhunderts, ed. L. rockinger, I, München 1863, pp.
47-94. Zusammenfassend s. G. Thoroczkay, Anonymus latin nyelvű külföldi forrásai
(Historiográfiai áttekintés) [Die ausländischen Quellen lateinischer Sprache von Anonymus
(Historiografische Übersicht)], in Thoroczkay, Írások az Árpád-korról cit., pp. 215-232.
Weitere, neuere bezügliche Fachliteratur: D. Bácsatyai, Gesta eorum digna aeternitate lau-
dis (Közös motívumok Geoffrey of Monmouth és P. mester regényes gestáiban) [Gesta eorum digna
aeternitate laudis (Gemeinsame Motive in den romanhaften Gestas von Geoffrey of Monmouth und
Meister P.)], «Századok», 147 (2013), pp. 279-315.
E
zen Werkes. Er ließ Attila, den das Karpatenbecken ehemals in den
Händen haltenden hunnischen Herrscher auf dem Stammesbaum der
Arpaden erscheinen, um auch damit das alte recht der Ungarn auf das
von ihnen genommenen Landes zu bestätigen. Neulich wird betont,
dass ein großer Teil der von den Landnehmern besiegten Herrschern
IM
in der Gesta als Untertanen der Griechen erschienen, und damit konn-
te die Gesta eine Art rechtbedürfnis dem Byzantinischen reich
gegenüber beweisen. Dieses Problem - die Ablehnung der byzantini-
schen Hoheitsgewalt über das Ungarische Königreich - war vor allem
für das mittlere Drittel des 12. Jh. typisch. Dass diese den Verfasser der
Gesta scheinbar sehr beschäftigte, weist unbedingt darauf hin, dass er
während des Schreibens der Gesta schon sehr alt sein musste.
Das Werk Meisters P. soll für die späteren Geschichtsschreiber des
13. Jh. sowohl für Meister ákos wie für Simon Kézai bekannt gewe-
sen sein. Dass sie der Handlungsgeschichte wenig Aufmerksamkeit
schenkten und nur die Motive übernahmen, ist damit zu erklären, dass
IS
Das nächste wichtige Werk kann in der Mitte des 13. Jh. entstan-
den sein. Vorerst würde ich anmerken, dass nicht einmal dieses Werk
die Chronikliteratur Ungarns benutzte, und auf deren späteren Werke
wirkte. Was die Gattung betrifft, brachte das Werk etwas Neues, hier
erschien in der ungarischen Historiografie die zeitgeschichtliche
Gesta, oder anders eingestellt die Erinnerungsschrift. Das Werk,
wovon die rede ist, ist das Trauerlied Meisters rogerius (Carmen mise-
rabile) über den Mongolensturm von 1241-1242, welches Geschehen
das Ungarn der Arpaden in seinen Grundlagen erschütterte. Der
Autor war Zisterziensermönch italienischer Abstammung, der in der
Begleitung des ebenfalls Zisterziensers Giacomo Pecorara,
Kardinalbischofs von Palestrina noch am Anfang der 1230-er Jahre
E
nach Ungarn kam. Hier wurde er zum Mitglied der kirchlichen
Mittelschicht, Archidiakon von Großwardein und nach dem
Mongolensturm Archidiakon von Ödenburg. Damals, in den Jahren
1243-1244 schrieb er seine Erinnerungen. Später wurde er Kaplan von
John of Toledo, eines anderen Zisterzienserkardinal, und dann Domherr
IM
von Zagreb. 1249 wurde er jedoch in die reihe der Prälaten Oberhirte
erhoben, und wurde zum Erzbischof im dalmatischen Spalato (heute das
kroatische Split). Seine Biographie verfasste der Archidiakon von dort,
Thomas von Spalato in seiner Erzbistumsgeschichte und das reiche
(1995), pp. 117-173; L. Veszprémy, Anonymus-kutatás a 20. és 21. század fordulóján [Die
Anonymus-Forschung an der Schwelle vom 20. zum 21. Jh.], «Csodaszarvas», 2 (2006), pp.
117-138. Aus der Fachliteratur der letzten Jahrzehnte ist unbedingt zu erwähnen: K.
Szovák, “Wer war der anonymen Notar?” (Zur Bestimmung des Verfassers der Gesta
Hungarorum), «Ungarn-Jahrbuch», 19 (1991), pp. 1-16; I. Kapitánffy, Der ungarische
Anonymus und Byzanz, in Byzanz et ses voisinis (Mélanges à la mémoire de Gyula Moravcsik a
l’occasion du centième anniversaire de sa naissance), cur. Th. Olajos, Szeged 1994 (Acta
Universitatis de Attila József nominatae. Opuscula Byzantina, 9), pp. 69-76; L. Benkő,
Név és történelem (Tanulmányok az Árpád-korról) [Name und Geschichte (Studien über die
Arpaden-Zeit)], Budapest 1998; Kristó, Magyar historiográfia cit., pp. 49-60; Benkő,
Beszélnek a múlt nevei (Tanulmányok az Árpád-kori tulajdonnevekről) [Die Namen der
Vergangenheit sprechen (Studien über die Eigennamen der Arpaden-Zeit)], Budapest 2006; L.
Veszprémy, Introduction, in Anonymus and Master Roger cit., pp. XVII-XXXVIII (cfr. D.
Bácsatyai, «Antik Tanulmányok», 55 [2011], pp. 309-315).
E
er Jahre39.
Das dritte wichtige historische Werk des 13. Jh., das in selbständiger
Form aufrechterhalten wurde, ist die Gesta Hungarorum von Meister
Simon Kézai, der als die regel bestätigende Ausnahme nicht zur kirch-
lichen Mittelschicht gehörte sondern ein einfacher Kaplan des Königs
IM
war und wahrscheinlich einer Familie des Dienststandes in
Transdanubien entstammte. Immerhin scheint er auch im Ausland
(Italien, Frankreich) studiert und als Bote reisen unternommen zu
destructione Regni Hungariae per Tartaros facta - Master Roger’s Epistle to the Sorrowful Lament
upon the Destruction of the Kingdom of Hungary by the Tatars, edd. L. Juhász - J.M. Bak - M.
rady, in Anonymus and Master Roger cit., pp. 132-227, mit englischer Übersetzung.
Wichtigere Fachliteratur: Kristó, Magyar historiográfia cit., pp. 60-64; J.M. Bak - M. rady,
Introduction, in Anonymus and Master Roger cit., pp. XLI-LIII. Die maßgebende kritische
Ausgabe, deren Vorwort bzw. Bibliographie erwähnten leider nicht die rogerius-
Forschungen von Tibor Almási, des renommierten Mittelalterforschers von Szeged, s.
T. Almási, Megjegyzések Rogerius magyarországi méltóságviseléséhez [Anmerkungen zum
ungarischen Würdetragen von Rogerius], «Acta Universitatis Szegediensis de Attila József
nominatae. Acta Historica», 86 (1988), pp. 9-14; T. Almási, The Carmen Miserabile: some
issues concerning the transmission of the text, «Chronica. Annual of the Institute of History,
University of Szeged», 3 (2003), pp. 84-93; T. Almási, Egy Rogeriusi motívumegyezés értel-
mezési lehetőségei [Die Interpretationsmöglichkeiten einer Motivübereinstimmung von Rogerius], in
Auxilium historiae cit., pp. 11-19.
haben. Die mittelalterliche Variante der Gesta ist im 18. Jh. verlorenge-
gangen, nur ihre Kopien sind bekannt. Die wichtigste These des
Chronisten war die Darlegung der hunnisch-ungarischen Verwandt-
schaft, die früher, dem Geschichtsschreiber der 1270-er Jahre, Meister
ákos zugeschrieben wurde, deren Zugehörgeit zu Kézai aber später, in
der Mitte des 20. Jh. bewiesen wurde. Während Anonymus - wie gese-
hen - nur die Verwandtschaft der Arpaden und des großen Königs Attila
betonte, behandelte Kézai bereits die Übereinstimmung zwischen den
zwei Völkern, was mit großer Wahrscheinlichkeit keine
realitätsgrundlage hat, es kann sich am ehesten um eine Art Attila-
Tradition der Herrscherfamilie handeln. Die Begründung von Kézai für
die Völkerparallele können die auch bei den Hunnen vorhandene
E
Wunderhirschsage, die Namenübereinstimmung Hunus~Hungarus, aber
noch mehr die auch in der westeuropäischen Öffentlichkeit dank den
ungarischen Streifzügen verbreitete wuchernde hunnisch-ungarische
Verwandtschaftssuche gewesen sein. Im ungarischen Volksdenken ist
bis heute die Idee der hunnisch-ungarischen Übereinstimmung vorzu-
IM
finden, obwohl sie die Fachleute praktisch einheitlich ablehnen. Es muss
außerdem auf wichtige wissenschaftliche Thesen des 20. Jh. wie die der
„zweifachen“ Landnahme der Ungarn im Karpatenbecken (Ende des 7.
Jh. und Ende des 9. Jh.) hingewiesen werden, deren Grundlagen im
Werk von Kézai zu suchen sind.
Die Gesta Hungarorum wurde zwischen 1282-1285 verfertigt, und
nach der Widmung behandelt sie die hunnische und ungarische
Geschichte (diese letztere mit der Abkürzung der Arbeit Meisters
ákos, oder mit der Übernahme seiner kurzen Chronik), dann schreibt
er über die Einwanderfamilien und schließlich über den Ursprung der
ungarischen Gesellschaftselemente des Dienststandes. Die
IS
E
Gierke gekannt hätte. Die Franziskaner-Geschichtsschreibung des
Anfangs des 14. Jh. bearbeitete die Teile über die hunnisch-ungarische
Verwandtschaft von Kézai in die sich bildende Chronikkomposition,
ersetzte jedoch die positive Beschreibung über Ladislaus IV. durch
eine äußerst negative Beschreibung41.
IM
Am Ende der Übersicht der historischen Literatur würde ich die
sog. kleineren Chroniken erwähnen. Ich würde sie nicht alle aufzählen,
nur auf zwei davon eingehen. Die Preßburger Chronik (nicht zu ver-
wechseln mit dem oben genannten Preßburger Jahrbuch) ist eine
kurze Chronikvariante des 14. Jh., von der zwei Dinge zu betonen
sind: einerseits die Verwandtschaft mit der (kürzeren?) Gesta-
(Fonti per la Storia d’Italia, 117); Paulus Diaconus Historia Romana, ed. H. Droysen, in
M.G.H. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, 49, Berolini 1879.
41 Maßgebende kritische Auasgabe: Simonis de Kéza Gesta Hungarorum - Simon of
IS
Kéza, The Deeds of the Hungarians, edd. L. Veszprémy - F. Schaer, Budapest - New york
1999 (Central European Medieval Texts, 1), mit englischer Übersetzung. Wichtigere
Fachliteratur: J. Gerics, Adalékok a Kézai-krónika problémáinak megoldásához [Beiträge zur
Lösung der Probleme der Chronik von Kézai], «Annales Universitatis Scientiarum
Budapestinensis. Sectio Historica», 1 (1957), pp. 106-134; J. Szűcs, Theoretical Elements
in Master Simon of Kéza’s Gesta Hungarorum (1282-1285), in Simonis de Kéza Gesta
Hungarorum cit., pp. XXIX-CIV; Kristó, Magyar historiográfia cit., pp. 70-77; L.
Veszprémy, La tradizione unno-magiara nella Cronaca universale di fra’ Paolino da Venezia, in
Spiritualità e lettere nella cultura italiana e ungherese del basso medioevo, cur. S. Graciotti - C.
Vasoli, Firenze 1995, pp. 355-375; Veszprémy, A magyarországi hun-hagyomány legkorábbi
írott forrásai és európai kapcsolatuk [Die frühesten schriftlichen Quellen der hunnischen Traditionen
Ungarns und ihre europäische Beziehung], «Acta Universitatis Szegediensis. Acta Historica»,
135 (2013), pp. 25-44; P. Molnár, Olvasta-e Kézai Simon mester Aquinói Szent Tamást? [Hat
Meister Simon Kézai den heiligen Thomas von Aquin gelesen?], «Századok», 148 (2014), pp.
427-441.
E
bestätigt. Bereits im 18. Jh. fiel in der Geschichtsforschung auf, dass
das dritte Element von Contextus, die Narratio in der ungarischen
Urkundenpraxis im Vergleich zu den europäischen Mustern viel aus-
führlicher ist. Bei der Erstellung von Urkunden beginnt die
Aufzählung von den Begründungen für den rechtsfakt bereits im 12.
IM
Jh. immer umfangreicher zu werden, in den von mir nicht mehr
behandelten Urkunden vom Ende des 14. und Anfang des 15. Jh. ste-
hen ganze “historische Novellen” zur Verfügung. Die ungarische
Geschichtsforschung beschäftigte und beschäftigt sich sehr viel mit
der Herausbildung davon, versuchte und versucht in der
Vergangenheit wie in der Gegenwart eine Erklärung für den Grund
der individuellen Erscheinung zu finden. Früher warf man auf, dass
die mündliche ungarische Heldenepik in den Narrationen der lateini-
schen Urkunden weiterlebt, mit dem Ziel, den Empfänger der
Urkunde zu verherrlichen. Die Vertreter dieser Ansicht verbanden die-
ses Urkundenphänomen auch mit dem Fragenkreis der manchmal für
IS
E
des 15. Jh. auch in ungarischer Sprache zu lesen, aus denen so eine
eigenartige frühe ungarische Geschichte zum Vorschein kommt46.
Nun bin ich am Ende meiner Übersicht. Die Mitte des 14. Jh., bis
ich die hagiografischen und historiografischen Werke behandele, ist
weder in der Geschichte des mittelalterlichen ungarischen Königtums,
IM
noch in der der ungarischen historischen und Legendenliteratur eine
wichtige Zeitgrenze, es geht hier mehr um den Grenzpunkt des
Interesses des Verfassers dieser Zeile. Vollständig willkürlich ist die
Zäsur jedoch nicht: die redaktion von 1358 des weiteren Textes der
Chronikkomposition des 14. Jh. resümierte nämlich die Historiografie
der Arpaden-Zeit und der frühen Anjou-Zeit, d. h. sie berechtigt eine
Art Beachtung. Außerdem bestätigt der Niedergang der in Ungarn
IS
E
IM
47 Ich würde noch auf einige, in den Fußnoten nicht erwähnte Arbeiten ausge-
hen. Bedeutend ist das in der ungarischen Forschung noch wenig berücksichtigtes
Werk: C.A. Macartney, The Medieval Hungarian Historians (A Critical and Analytical Guide),
Cambridge 1953; der einseitige Standpunkt (die Beziehungen des ungarischen literari-
schen Lebens mit dem Benediktinerorden) lassen viele seiner Feststellungen zu
bestreiten: J.L. Csóka, A latin nyelvű történeti irodalom kialakulása Magyarországon a XI-
XIV. században [Die Herausbildung der lateinischen historischen Literatur im 11-14. Jh. in
Ungarn], Budapest 1967 (Irodalomtörténeti Könyvtár, 20); in der zweiten Hälfte des
20. Jh. galt am ehesten als maßgebendes Handbuch in Ungarn: E. Mályusz, A
IS